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German Pages [999] Year 2010
Forschungen zur deutschen rechtsgeschichte Herausgegeben von Karin Nehlsen-von Stryk, Jan Schröder und Dietmar Willoweit 28. Band
Martin P. Schennach
Gesetz und Herrschaft Die Entstehung des Gesetzgebungsstaates am Beispiel Tirols
2010 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung in Wien, des Landes Tirol, der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, der Stadt Innsbruck sowie der Stadtgemeinde Meran
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© 2010 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Satz: Dr. Josef Pauser Gesamtherstellung: Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-412-20635-2
Vorwort Das vorliegende Buch stellt die leicht überarbeitete und etwas gekürzte Fassung einer 2008 an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Leopold-Franzens-Universität angenommenen Habilitationsschrift dar. Während des Entstehungsprozesses der Arbeit sah sich der Verfasser immer wieder durch Beistand von vielerlei Seiten ermutigt und unterstützt. Besonderer Dank gilt in diesem Zusammenhang Herrn o. Univ.-Prof. Dr. Josef Riedmann (Innsbruck) und Herrn o. Univ.-Prof. Dr. Werner Maleczek (Wien), die mich frühzeitig ermunterten und mir während der vergangenen Jahre stets hilfreich ratend zur Seite standen. Ebenso bestärkte mich Herr Hofrat Univ.-Doz. Dr. Eberhard Lang (Innsbruck) in meinem wissenschaftlichen Interesse für die Rechtsgeschichte. Herrn o. Univ.-Prof. Dr. Kurt Ebert (Innsbruck) gebührt für die wohlwollende Begleitung und für die freundliche Aufgeschlossenheit, die er der nunmehr im Druck vorliegenden Arbeit gegenüber an den Tag legte, ebenso wie für die herzliche Aufnahme am Innsbrucker Institut für Römisches Recht und Rechtsgeschichte mein besonderer Dank. Für die intensive Lektüre der gesamten Arbeit, ertragreiche Diskussionen und manche kritischen Anregungen bin ich Herrn Dr. Josef Pauser (Wien) zu speziellem Dank verpflichtet. Größere Teile des Werkes lasen freundlicherweise auch Frau o. Univ.-Prof. Anna Gamper, Herr o. Univ.-Prof. Dr. Kurt Ebert, Herr o. Univ.Prof. Dr. Werner Maleczek und Herr o. Univ.-Prof. Dr. Artur Völkl, denen ich allen an dieser Stelle für ihre wertvollen Hinweise danke. Freundliche Tipps gaben überdies Frau Ass.-Prof. Ingeborg Wiesflecker (Graz) und Herr Univ.-Prof. Marco Bellabarba (Trient). Für Anregungen danke ich ferner den Gutachtern während des Habilitationsverfahrens, Herrn Univ.-Prof. Dr. Josef Riedmann, Herrn Univ.-Prof. Dr. Hans Schlosser (Augsburg/München), Herrn Univ.-Prof. Dr. Thomas Simon (Wien) und Herrn o. Univ.-Prof. Dr. Karl Weber (Innsbruck). Den Herausgebern der Reihe „Forschungen zur Deutschen Rechtsgeschichte“, Frau Univ.-Prof. Dr. Karin Nehlsen-von Stryk, Herrn Univ.-Prof. Dr. Jan Schröder und Herrn Univ.Prof. Dr. Dietmar Willoweit bin ich für die Aufnahme der Arbeit verbunden. Frau Mag. Ines Raffler (Innsbruck) war freundlicherweise bei der Erstellung der Indizes behilflich. Dem Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt am Main und Herrn Univ.-Prof. Dr. Michael Stolleis sei für die Gewährung eines zweimonatigen Forschungsstipendiums zur Vorbereitung der Drucklegung der Arbeit im Jahr 2009 herzlich gedankt. Hervorgehoben sei die mannigfaltige Unterstützung, derer sich der Verfasser in den Archiven in Österreich, Deutschland und Italien erfreuen durfte. In diesem Zusammenhang sei überdies Herr Dr. Manfred Hollegger erwähnt, der mir die in
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Vorwort
der Grazer Arbeitsstelle der Regesta Imperii (Institut für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften) verwahrten Regesten zu Maximilian I. unbürokratisch zugänglich machte. Zwei Personen freilich seien eigens und mit besonderem Nachdruck erwähnt, mussten bzw. durften sie doch den Entstehungsprozess der Arbeit besonders intensiv mitverfolgen, zumal sie sich beide der Mühe des Korrekturlesens unterzogen und stets als Diskussionspartner zur Verfügung standen: Mag. Petra Kofler und Dr. Norbert Weiss (Graz). Frau Mag. Kofler danke ich zudem für das große, während der letzten Jahre an den Tag gelegte Verständnis und für vieles andere, das Worte nur unzulänglich auszudrücken vermöchten. Die Überarbeitung des Manuskripts, das 2009 mit dem Leopold-KunschakWissenschaftspreis und 2010 mit dem Preis des Fürstentums Liechtenstein für wissenschaftliche Forschung an der Universität Innsbruck ausgezeichnet wurde, wurde im Sommer 2009 grundsätzlich abgeschlossen, wenngleich ich bestrebt war, die in den Folgemonaten noch erschienene einschlägige Literatur im Rahmen des Möglichen zu berücksichtigen. Innsbruck, im Februar 2010
Martin P. Schennach
Inhaltsver zeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. EINFÜHRUNG IN DAS THEMA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. 1. Zur Themenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. 1. 1. Zur Wahl des Untersuchungsgegenstandes . . . . . . . . . . . . 1. 1. 2. Zur Wahl des Untersuchungsraums . . . . . . . . . . . . . . . . 1. 1. 3. Zur Wahl des Untersuchungszeitraums . . . . . . . . . . . . . . 1. 1. 4. Zur Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. 2. Methodische Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. 1. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. 1. 1. Die Rechtsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. 1. 2. Die allgemeine Geschichtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . 2. 1. 3. Forschungen zur „guten Policey“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. 2. Österreich/Tirol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Quellenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 1. Gesetzessammlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 2. Überlieferungssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Untersuchungsraum. Die Grafschaft Tirol . . . . . . . . . 4. 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. 2. Die Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. 2. 1. Die Zentralverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. 2. 1. 1. Von Meinhard II. bis zu den maximilianeischen Reformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. 2. 1. 1. 1. Allgemeine Entwicklungen . . . . . . . . 4. 2. 1. 1. 2. Der landesfürstliche Rat . . . . . . . . . . 4. 2. 1. 2. Die Reformen Maximilians I. . . . . . . . . . . . . . . 4. 2. 1. 3. Von den Reformen Ferdinands I. bis 1665 . . . . . . 4. 2. 1. 4. Exkurs: Administrative Aufgaben des Landeshauptmanns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. 2. 2. Die Lokalverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. 2. 2. 1. Zum Begriff „Gericht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. 2. 2. 2. Die Entstehung der Gerichte . . . . . . . . . . . . . . 4. 2. 2. 3. Die Vergabe landesfürstlicher Gerichte . . . . . . . . 4. 2. 2. 4. Das Gerichtspersonal . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. 2. 2. 5. Die Gemeinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. 2. 2. 6. Die Viertel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. DAS GESETZ: DEFINITIONEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetz, Privileg, Vertrag oder Landtagsabschied? Zur Schwierigkeit einer Rechtsquellentypologie am Beispiel des Tiroler Landlibells von 1511 . . . . . . . . . . . . 1. 1. Der Forschungsbefund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. 2. Rechtscharakter zum Entstehungszeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . 1. 3. Die Wirkungsgeschichte des Landlibells . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zur Theorie der Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. 1. Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. 1. 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. 1. 2. Das kanonische Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. 1. 3. Das römische Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. 2. Die Neuzeit: Bodin und die Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. 3. Der Umfang der potestas legislatoria . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der rechtshistorische Gesetzesbegriff . . . . . . . . . . . . . . . 3. 1. Zeitgenössische Bezeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 2. Der materielle Gesetzesbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 2. 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 2. 2. Die Allgemeinheit des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 2. 2. 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 2. 2. 2. Privilegien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 2. 2. 3. Räumlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . 3. 2. 3. Die autoritative Setzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 2. 3. 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 2. 3. 2. Weistümer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 2. 3. 3. Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 2. 4. Die Schriftlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 2. 4. 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 2. 4. 2. Mündliche Gebote und Verbote . . . . . . . . . . . . 3. 2. 4. 3. Regionale rechtssetzende Ebenen . . . . . . . . . . . . 3. 2. 5. Die Publikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 2. 5. 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 2. 5. 2. Privilegien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 2. 5. 3. Reskripte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 2. 5. 4. Instruktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 3. Der formelle Gesetzesbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 3. 1. Eine Diplomatik der Gesetzesurkunde . . . . . . . . . . . . . . 3. 3. 2. „Entbieten unser Gnad und alles Gut“: das Standardformular . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 3. 2. 1. Intitulatio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. 3. 2. 2. Inscriptio (Adresse) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 3. 2. 3. Narratio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 3. 2. 4. Dispositio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 3. 2. 5. Sanctio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 3. 2. 6. Änderungsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 3. 2. 7. Eschatokoll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 3. 3. Das Reskript . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 3. 4. Das Privileg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. DIE ENTWICKLUNG DER GESETZGEBUNG . . . . . . . . . . . 223 1. Zur Entstehung der landesfürstlichen Gesetzgebung . . . . 1. 1. Die Ursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. 1. 1. Die Insuffizienztheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. 1. 2. Die Krisentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. 1. 3. Die Verdichtungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. 2. Zur Rolle der Juristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. 2. 1. Vordringen und Aufgabenbereiche gelehrter Juristen . . . . . 1. 2. 2. Zur Vorstellung von der Gestaltbarkeit der Rechtsordnung . . 1. 2. 3. Rechtsreformationen und Juristen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. 2. 4. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die quantitative Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. 1. Methodisches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. 2. Statistik und Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. 3. „Ordnungen“ und Einzelgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. 3. 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. 3. 2. Übergreifende Ordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. 3. 3. Sonderordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. 3. 4. Zum Verhältnis von Einzelgesetzen, Sonderordnungen und Landesordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IV. DAS ZUSTANDEKOMMEN DER GESETZE . . . . . . . . . . . . . 295 1. Landesfürst (Hofrat, Geheimer Rat) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. 2. Eigeninitiative des Landesfürsten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. 3. Von außen an den Landesfürsten herangetragene Initiativen . . . . . 1. 4. Von der Regierung an den Landesfürsten herangetragene Initiativen . . 1. 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Die Regierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. 2. Das Verhältnis zur Kammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. 3. Deputationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Lokale Obrigkeiten und landesfürstliche Amtsträger . . . 4. Landeshauptmann und adeliges Hofrecht . . . . . . . . . . . . . 4. 1. Der Landeshauptmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. 2. Das Adelige Hofrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. 2. 1. Zur Geschichte des Adeligen Hofrechts . . . . . . . . . . . . . 4. 2. 2. Die Rolle des Hofrechts im Gesetzgebungsprozess . . . . . . . 5. Die Landstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. 2. Landtag und andere ständische Organe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. 2. 1. Exkurs: Der Landtagsabschied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. 2. 2. Ausschüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. 2. 2. 1. Ausschüsse während eines Landtags . . . . . . . . . . 5. 2. 2. 2. Ausschüsse zwischen zwei Landtagen . . . . . . . . . 5. 2. 2. 3. Nicht institutionalisierte Ausschüsse . . . . . . . . . . 5. 3. Beteiligung an der Gesetzgebung – necessitas oder humanitas? . . . . . 5. 3. 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. 3. 1. 1. Frühneuzeitliches Staatsrecht . . . . . . . . . . . . . . 5. 3. 1. 2. Rechtshistorische Erklärungsmuster . . . . . . . . . . 5. 3. 1. 3. Zeitgenössische Tiroler Diskurse . . . . . . . . . . . . 5. 3. 2. Erwähnung ständischer Beteiligung in Gesetzestexten . . . . . 5. 3. 2. 1. Quantitative Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . 5. 3. 2. 2. Motiv I: Die Inszenierung eines Herrscherbildes . . 5. 3. 2. 3. Motiv II: Die Erhöhung der Akzeptanz eines Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. 3. 3. Landständische Mitwirkung im Spannungsfeld der Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. 3. 3. 1. Typologien landständischer Mitwirkung . . . . . . . 5. 3. 3. 2. Exklusionsbestrebungen bei Interessenkonflikten . . 5. 3. 3. 3. Interessenkongruenz begünstigt ständische Mitwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. 3. 4. Gravamina und Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. 3. 4. 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. 3. 4. 2. Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. 3. 4. 3. Entstehung und Geschäftsgang . . . . . . . . . . . . . 5. 3. 4. 4. Auswirkungen auf die Gesetzgebung . . . . . . . . . . 5. 3. 4. 4. 1. Methodisches . . . . . . . . . . . . . . . . 5. 3. 4. 4. 2. Bis 1526 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. 3. 4. 4. 3. 1526–1665 . . . . . . . . . . . . . . . . . .
308 308 316 319 321 324 324 326 326 330 335 335 341 346 349 349 353 357 360 360 362 363 364 373 373 374 378 381 381 383 386 392 392 394 400 406 406 409 416
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5. 3. 4. 5. Erfolg und Scheitern landständischer Beschwerden: zwei Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. 3. 4. 5. 1. Gerichtskosten . . . . . . . . . . . . . . . . 5. 3. 4. 5. 2. Waldordnung . . . . . . . . . . . . . . . . 5. 3. 4. 6. Exkurs: Die Bergsynode als funktionales Äquivalent zum Landtag im Bereich des Bergrechts . . . . . . . . 6. Die Untertanen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. 1. Annahme von Gesetzen durch die Gerichtsgemeinden? . . . . . . . . 6. 2. Untertanen und Obrigkeiten in der „Implementationsarena“ . . . . . 6. 3. Supplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. 3. 1. Definition und Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. 3. 1. 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. 3. 1. 2. Exkurs: Rechtssupplikationen . . . . . . . . . . . . . . 6. 3. 2. Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. 3. 3. Supplikationen und Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. 3. 3. 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. 3. 3. 2. Supplikationen als Indikatoren für bestehenden Regulierungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. 3. 3. 3. Supplikationen zwecks Modifikation oder Aufhebung eines Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . 6. 3. 3. 4. Supplikationen im Implementationsprozess . . . . . 6. 3. 3. 4. 1. Supplizieren um Dispensationen bzw. Bewilligungen . . . . . . . . . . . . . 6. 3. 3. 4. 2. Supplizieren um die striktere Durchsetzung eines Gesetzes . . . . . . . 6. 3. 3. 5. Der Geschäftsgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Die Kodifikationen (1499, 1526, 1532, 1573) . . . . . . . . . . . . . . 7. 1. Die Halsgerichtsordnung von 1499 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. 1. 1. Der Weg zur Kodifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. 1. 2. Die Implementation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. 2. Auf dem Weg zu einer Landesordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. 2. 1. Zum Terminus „Landesordnung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. 2. 1. 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. 2. 1. 2. Erstnennungen in Tirol . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. 2. 2. Der Kampf um eine Landesordnung unter Maximilian I . . . . 7. 3. Die Tiroler Landesordnung von 1526 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. 3. 1. Der Entstehungskontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. 3. 2. Der Erstentwurf der Tiroler Landesordnung . . . . . . . . . . . 7. 3. 3. In der Landesordnung verarbeitete Rechtsquellen . . . . . . . 7. 3. 4. Die Empörungsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. 3. 5. Die Ordnung des geistlichen Standes . . . . . . . . . . . . . . . 7. 3. 6. Vom Juli 1525 bis zur Drucklegung und Publikation 1526 . .
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422 423 434 438 447 447 451 458 458 458 463 466 468 468 469 470 472 472 477 479 481 482 482 487 489 489 489 494 497 508 508 516 524 526 528 533
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7. 4. Die Landesordnung von 1532 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. 5. Die Landes- und Policeyordnung von 1573 . . . . . . . . . . . . . . . . 7. 5. 1. Zu den Reformplänen ab 1555 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. 5. 2. Zu den Beratungsprotokollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. 5. 2. 1. Quelle und Quellenwert . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. 5. 2. 2. Kleiderordnungen als Beispiel inhaltlicher Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. 5. 2. 3. Arbeitsweise der Gesetzgebungskommission . . . . . 7. 5. 2. 3. 1. Enquêten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. 5. 2. 3. 2. Gravamina . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. 5. 2. 3. 3. Rechtsvergleichung . . . . . . . . . . . . . 7. 5. 2. 3. 4. Bisherige Tiroler Gesetzgebung . . . . . 7. 5. 2. 3. 5. Präjudizien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. 5. 2. 3. 6. Implementationschancen . . . . . . . . . 7. 5. 2. 3. 7. Gelehrtes Recht . . . . . . . . . . . . . . . 7. 6. Pläne zur Reform der Tiroler Landesordnung bis 1740 . . . . . . . . . 7. 6. 1. Reformbestrebungen unter Leopold V. und Claudia de’ Medici . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. 6. 2. Reformbestrebungen unter Ferdinand Karl und Sigismund Franz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. 6. 3. Neuerliche Reformansätze 1694/95, 1708 und 1740 . . . . . 7. 6. 3. 1. Der Ablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. 6. 3. 2. Inhaltliche Diskussionen der Jahre 1695, 1708 und 1740 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
546 559 559 569 569 570 572 574 576 579 580 581 583 584 586 586 594 600 600 604
V. DIE PUBLIKATION DER GESETZE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 613 1. Materielle und formelle Publikation . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der technische und administrative rahmen . . . . . . . . . . . . 4. Vorgang der Kundmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. 1. Publikation durch mündliche „Berufung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. 2. Publikation durch Anschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. 3. Zielgruppenspezifische Kundmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Sicherstellen von „Erinnern“ – das Einschärfen von gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. 1. Normwiederholung als Reaktion auf (vermeintliche) Vollzugsdefizite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. 2. Normwiederholung als Anlassgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . 5. 3. Normwiederholung als Erinnerungshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . .
613 614 616 620 620 624 629 630 630 632 632
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VI. LEITKATEGORIEN UND ORDNUNGSPRINZIPIEN DER GESETZGEBUNG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 637 1. Grenzen des Gesetzgebungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. 2. Die Landesfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. 2. 1. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. 2. 2. Auswirkungen auf die Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . 1. 2. 2. 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. 2. 2. 2. Recht auf einen Prozess vor dem ordentlichen Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. 2. 2. 3. Prozessuale Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. 3. Gewohnheitsrechtlich geschützte Rechtspositionen . . . . . . . . . . 1. 3. 1. Forstrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. 3. 1. 1. Herrschaft Rovereto contra Ferdinand I. (1562) . . . 1. 3. 1. 2. Weitere Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. 3. 2. Wirtschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. 3. 3. Jagdrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. 3. 4. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der gemeine Nutzen als leitkategorie der Gesetzgebung . . 2. 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. 2. Gemeiner Nutzen und „gute Policey“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. 3. Der gemeine Nutzen in Tirol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Subsidiarität als Ordnungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 2. Rechtssetzende regionale Ebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 2. 1. Grund- und Gerichtsherrschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 2. 2. Gemeinden und Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 2. 2. 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 2. 2. 2. Organe und Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 2. 2. 3. Inhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 2. 2. 3. 1. Autonome Rechtssetzung . . . . . . . . . 3. 2. 2. 3. 2. Auftragsgesetzgebung . . . . . . . . . . . . 3. 2. 2. 4. Anmerkungen zum Verhältnis landesfürstlicher und genossenschaftlicher Rechtssetzungsakte . . . . . . . 4. Abgestufte Normintensität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. 2. Zum Begriff „Normintensität“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. 3. Beurteilungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. 4. Normintensität und Kodifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Rechtsvereinheitlichung und Rechtstranfer . . . . . . . . . . 5. 1. Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
637 637 638 638 640 640 642 646 652 653 653 660 662 665 669 673 673 681 687 696 696 704 704 711 711 715 726 726 729 734 739 739 742 745 748 750 750
XIV
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5. 2. Vertikale Rechtsvereinheitlichung (vertikaler Rechtstransfer) . . . . . 5. 2. 1. Reichsrecht und Landesrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. 2. 1. 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. 2. 1. 2. Reichsrecht und Landesrecht in Tirol . . . . . . . . . 5. 2. 2. Landesrecht und lokale Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . 5. 2. 2. 1. Die „drei Herrschaften“ Kitzbühel, Kufstein, Rattenberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. 2. 2. 1. 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. 2. 2. 1. 2. Notegger contra Wilhelmstettersche Erben (1629/1630) . . . . . . . . . . . . . 5. 2. 2. 1. 3. Raitner contra Gebrüder Schurff (1646) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. 2. 2. 2. Das Gericht Kaltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. 2. 2. 3. Die Welschen Konfinen . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. 3. Horizontale Rechtsvereinheitlichung (horizontaler Rechtstransfer) . . 5. 3. 1. Erbländerübergreifend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. 3. 2. Die Hochstifte Trient und Brixen . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. 3. 2. 1. Einzelgesetzgebungsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. 3. 2. 2. Die Tiroler Landesordnungen . . . . . . . . . . . . . 5. 3. 2. 3. Einflüsse Trients und Brixens auf die Tiroler Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. 3. 3. Innerhalb der Grafschaft Tirol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. 4. Geographische Bezugspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. 4. 1. Oberdeutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. 4. 2. Die österreichischen Erbländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. 4. 3. Oberitalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. 5. Die Ausstrahlung des Tiroler Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
752 753 753 756 770 770 770 775 777 780 785 791 791 796 796 801 805 807 811 811 813 815 815
VII. SCHLUSSBETRACHTUNGEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 823 VIII. EDITION AUSGEWÄHLTER QUELLEN . . . . . . . . . . . . . . . 829 1. Vorbemerkung und Editionsrichtlinien . . . . . . . . . . . . . . . 829 2. Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 830 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ungedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur und gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gedruckte Quellen, Regestenwerke und Literatur bis 1800 . . . . . . . 2. Literatur ab 1800 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ortsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
857 859 862 862 869 973 980
I. Einführung in das Thema 1. Einleitung 1. 1. Zur Themenstellung 1. 1. 1. Zur Wahl des Untersuchungsgegenstandes „Gesetzgebung ist der Schlüssel zur großen Macht.“1 Dieser Satz von Ernst Schubert wird bei Rechtshistorikern und Allgemeinhistorikern auf nahezu ungeteilte oder zumindest überwiegende Zustimmung stoßen. Die Bedeutung der sich im ausgehenden Mittelalter und vor allem in der Frühen Neuzeit stark intensivierenden (territorialen) Gesetzgebung für die Konstituierung des „frühmodernen Staates“ ist innerhalb der Rechtshistorikerzunft seit Jahrzehnten unbestritten und fand bis in jüngere Zeit auch im Rahmen der allgemeinen Geschichtswissenschaft Anerkennung.2 Seit den grundlegenden Untersuchungen von Sten Gagnér und Wilhelm Ebel ist die Gesetzgebungsgeschichte als ein zentraler Bereich rechtshistorischer Forschung anerkannt.3 Die Relevanz der legislativen Tätigkeit für die Staatswerdung hat Armin Wolf prägnant auf den Punkt gebracht: „Die Gesetzgebung hat die europäischen Territorialstaaten in wesentlichen Elementen überhaupt erst geschaffen. Insofern ist die Geschichte der Gesetzgebung eine Geschichte von Entstehung und Organisation des modernen Staates.“4 Schon vor zwanzig Jahren wurde jedoch die Diskrepanz in der wissenschaft lichen Durchdring ung der Gesetzgebungstheorie einerseits und der -praxis ander erseits moniert, in concreto:5 Es wurde darauf hingewiesen, dass zwar die geistesgeschichtlichen Rahmenbedingungen und Entwicklungstendenzen sowie die juristisch-staatsrechtlichen Erörterungen relativ intensiv beackert worden seien. Diese brachten im Hochmittelalter (und hier vor allem in der „Renaissance des
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5 3 4
Schubert, Fürstliche Herrschaft und Territorium, 22006, S. 89. Vgl. z. B. Ogris, Birth of the Modern Centralized State, 1997, S. 329; Wolf, Gesetzgebung, 1973; Janssen, Gesetzgebung, 1984; Schlosser, Rechtsgewalt und Rechtsbildung, 1983; Härter, Policeygesetzgebung, 1993; Diestelkamp, Beobachtungen, 1983, bes. S. 389–396; Schlosser, Gesetzgebung, 1982, S. 528–531; Lanzinner, Landstände, 1995, bes. S. 82–83; Moraw, Entfaltung der Territorien, 1984, S. 79–80; Axtmann, „Police“ and the Formation of the Modern State, 1992, S. 39; Klippel, Gesetzgebung, 1998, S. 7; als Beispiel einer rezenten Stimme sei verwiesen auf Miloš Vec, der die Gesetzgebung als „als Produkt und Begleiterscheinung der Entstehung der Territorialstaaten“ bezeichnet (Vec, Hofordnungen, 1999, S. 43); stellvertretend für Lehr- und Handbücher z. B. Eisenhardt, Rechtsgeschichte, 52008, Rz 261–268, 271–274; Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, 42004, Rz 966–988, 1318–1323. Gagnér, Studien, 1960; Ebel, Gesetzgebung, 21958. Wolf, Gesetzgebung, 1973, S. 533–534. Janssen, Gesetzgebung, 1984, S. 11–12.
2
I. Einführung in das Thema
12. Jahrhunderts“) einen Umbruch in den bisherigen Rechtsvorstellungen mit sich, die im ausgehenden Mittelalter und speziell in der Frühen Neuzeit dem Herrscher bzw. dem sich formierenden „frühmodernen Staat“ zentrale Ordnungsaufgaben zuwiesen und schließlich in der Auffassung der Gesetzgebung als konstitutivem Merkmal staatlicher Souveränität resultierten. Demgegenüber wurde auf die desaströse Forschungssituation verwiesen, soweit es sich um die Umsetzung der Lehrmeinungen handelt: Wurden diese auf Ebene der Territorien rezipiert, fanden sie in der legislativen Tätigkeit des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit ihren Niederschlag?6 Seit damals hat sich die Forschungslandschaft grundlegend verändert. Mittlerweile haben sich Rechtshistoriker nicht mehr ausschließlich oder überwiegend mit Fragen der Gesetzgebungstheorie und ihrer historischen Entwicklung beschäftigt. Vielmehr schenkten sie in zunehmendem Maße der konkreten Gesetzgebungstätigkeit auf territorialer Ebene Beachtung, wobei diese Forschungsrichtung in Deutschland mit Namen wie Hans Schlosser, Dietmar Willoweit oder Gerhard Dilcher, in Österreich mit dem Namen Wilhelm Brauneder und als Exponent der jüngeren Generation Josef Pauser verbunden ist. Trotz des tendenziell anderen Erkennt nisinteresses darf man ferner den Beitrag der allgemeinen Geschichtswissenschaft nicht übersehen, die durch eine ganze Reihe von Spezialuntersuchungen unsere Kenntnisse vom sich formierenden „Gesetzgebungsstaat“ vertieft hat.7 Genau diese Stoßrichtung der konsequenten Erfassung und Analyse der Gesetzgebungspraxis eines Territoriums in Spätmittelalter und Frühneuzeit will die vorliegende Arbeit fortführen und vertiefen, um auf diese Weise den trotz der veränderten Forschungslage noch immer dominierenden Blick auf zeitgenössische Gesetzestheorien, auf Fürstenspiegel, Politikliteratur und Regimentstraktate zu erweitern.
1. 1. 2. Zur Wahl des Untersuchungsraums Eine Frage mag sich bereits bei der Lektüre dieser einleitenden Worte aufdrängen: Warum die neuerliche Beschäftigung mit der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gesetzgebung eines Territoriums, wenn doch die räumliche Fokussierung der Fragestellung bereits mehrfach praktiziert wurde und keineswegs sonderlich innovativ erscheint? Und warum just Tirol? Die ältere Tiroler Landesgeschichte hätte an dieser Stelle wohl una voce auf den vermeintlichen Tiroler „Sonderweg“ verwiesen, wobei „Sonderweg“ hier durchaus positiv gemeint war. Tirol sei im Ancien Régime durch ein so großes Maß an „Freiheit“ und „Selbstbestimmung“ der ländlichen Bevölkerung gekennzeichnet gewe ���������������������������������������������������������������������������������������� Ähnlich wie Janssen, doch ohne dessen ausführliche Begründung, bereits Wolf, Forschungsaufgaben, 1975, S. 183. 7 Vgl. die Darstellung des Forschungsstandes in Kap. I.2. 6
1. Einleitung
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sen, dass ihm nicht nur im Verband der österreichischen Länder, sondern weit darüber hinaus eine exzeptionelle Stellung zukomme, die sich allenfalls mit jener der Schweizer Eidgenossenschaft oder Frieslands vergleichen ließe.8 Dieses Modell, das im Übrigen von Exponenten der rechtsgeschichtlichen Disziplin im 20. Jahrhundert wenn auch nicht gänzlich zurückgewiesen, so doch nur mit erstaunlicher Zurückhaltung angenommen und deutlich anders gewichtet wurde,9 findet derzeit nur mehr marginale Beachtung.10 Vielmehr wurde in den letzten Jahren nicht nur die ideologische Bedingtheit dieser Theorie einer als singulär wahrgenommenen historischen Verfasstheit Tirols herausgearbeitet,11 die maßgeblich durch die spezifische Situation der Tiroler Historiographie in der Zwischenkriegszeit mitgeprägt war.12 Zudem haben mehrere Untersuchungen inzwischen den Nachweis erbracht, dass sich zwar im Vergleich zur Situation der nieder- und innerösterreichischen Ländergruppe Partikularitäten der Tiroler Entwicklung festmachen lassen (beispielsweise die Repräsentation der bäuerlichen Bevölkerung auf den Landtagen oder das Fehlen großer geschlossener Grundherrschaften, die als intermediäre Gewalten zwischen Landesfürst und Untertanenverband treten konnten); jedoch zeigte sich bei einer Ausweitung des Blickwinkels speziell auf den oberdeutschen Raum, dass die sicher geglaubte Singularität der Tiroler verfassungsgeschichtlichen Entwicklung weitgehend eine Chimäre war.13 Und dennoch bietet sich Tirol als Untersuchungsraum besonders an: nicht aufgrund seiner nur vermeintlichen Einzigartigkeit, sondern da die Gefürstete Grafschaft Tirol gerade um die Zeitenwende um 1500 einen Raum besonderer herrschaftlicher Verdichtung konstituierte.14 Damit soll nicht primär auf die Nähe Tirols zum spätmittelalterlichen Innovationszentrum Oberitalien abgezielt, sondern vielmehr das hohe administrative Niveau der von Innsbruck aus verwalteten ‚oberösterreichischen’ Ländergruppe angesprochen werden. Wenngleich rezenteste Forschungstendenzen in die Richtung weisen, dass die Verwaltungsreformen Maximilians I. doch nicht auf das Tiroler, sondern auf das burgundische Vorbild rekurrieren,15 so bleiben dessen ungeachtet sowohl der hohe Standard der Tiroler Zentralverwaltung als auch die schon frühzeitig dichte herrschaftliche Durchdrin
Exemplarisch genannt seien nur die Arbeiten von Franz Huter, Otto Stolz oder Hermann Wopfner, die durchgängig von einem entsprechenden Tenor beherrscht sind. 9 Vgl. beispielsweise Grass, Stellung Tirols, 1978; Kogler, Stellung Tirols, 1931. 10 Vgl. z. B. Schober, Gedanke des Föderalismus und der Selbstbestimmung, 2006. 11 Cole, Fern von Europa?, 1996. 12 Hierzu Riedmann, Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein, 1993. 13 Grundlegend Blickle, Landschaften, 1973; vergleichend nunmehr auch Dillinger, Repräsentation, 2008. 14 Zum Phänomen der „Herrschaftsverdichtung“ in der Frühneuzeit nunmehr Brakensiek, Herrschaftsvermittlung im alten Europa, 2005, bes. S. 7–14. 15 Zum älteren Stand der Diskussion Wiesflecker, Maximilian I., Bd. 2, 1975, S. 175–201; zuletzt zusammenfassend Moraw, Maximilian I., 2002, S. 25; Hollegger, Institutionentransfer, 2006; Cauchies, Burgundisches Vorbild, 2006. 8
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I. Einführung in das Thema
gung unbestritten,16 die gemeinhin als wesentliche Voraussetzungen effektiver landesherrlicher Gesetzgebung angesehen werden.17 Die Tiroler Entwicklung ist somit zwar nicht als einzigartig anzusprechen, könnte aber – so eine Ausgangshypothese – die Entwicklungen in anderen frühneuzeitlichen Ländern vergleichbarer Ausdehnung teilweise präfigurieren und besonders anschaulich Gemeinsamkeiten und Besonderheiten greifbar machen. Doch ist dies nicht einmal der vornehmliche Beweggrund, der Tirol zu einem besonders lohnenden Untersuchungsgegenstand machen könnte. Der besondere Reiz liegt vielmehr in der im überregionalen Vergleich ausgesprochen guten archivalischen Überlieferungslage (für die das vielleicht vorderhand überzogen anmutende Attribut „singulär“ durchaus zutreffend sein könnte), die Tirol als prädestiniert für eine vertiefte Analyse erscheinen lässt. Gerade für das 15. und 16. Jahrhundert sind territorial beschränkte Untersuchungen weitgehend auf eine Analyse der Normtexte beschränkt, was partiell und in Abhängigkeit von der konkreten Überlieferungssituation auch noch für das 17. Jahrhundert zutrifft. Über die Entstehung der landesfürstlichen Gesetzgebungsakte, die Beweggründe für eine Normierung und die in den legislativen Prozess eingebundenen Personen(kreise) lassen sich auf diese Weise nur sehr beschränkt durch Quellenbelege untermauerte Aussagen treffen (zum Beispiel anlässlich der Erwähnung einer landständischen Mitwirkung in der so genannten Narratio eines Gesetzes). Dies liegt weniger an der seitens der Geschichtswissenschaft in der Vergangenheit oftmals monierten angeblichen „Quellenferne“ der Rechtsgeschichte – die man der jüngeren rechtsgeschichtlichen Forschung sicherlich nicht vorwerfen kann –, sondern ist im Allgemeinen auf den Mangel an einschlägigem Quellenmaterial zurückzuführen. Zwar finden sich fallweise Vorarbeiten und Entwürfe von Kodifikationen wie im Fall von Österreich ob und unter der Enns.18 Quellen, die Aufschlüsse über das Zustandekommen der Masse der Einzelgesetzgebungsakte geben, sind jedoch rar. In Tirol hat sich hingegen seit der Regierungszeit (Erz)Herzog Siegmunds, mithin also seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, eine vom quantitativen Aspekt her betrachtet nur schwer fassbare Masse an Quellenmaterial über das Zustandekommen von Gesetzgebungsakten und die anschließenden Implementationsprozesse erhalten. Werfen wir einen kurzen Blick auf die Größenverhältnisse, wobei sich die österreichischen Ländergruppen aufgrund ihres kongruenten Verwaltungsaufbaus besonders als Vergleichsobjekt anbieten. Während sich die Tätigkeit der niederöster-
Allgemeine Übersicht bei Stolz, Geschichte der Verwaltung, 1998. Schubert, Umformung spätmittelalterlicher Fürstenherrschaft, 1999. 18 Mit solchen Quellen kann auch Tirol aufwarten, finden sich doch beispielsweise zwei (bislang unbekannte) frühere Redaktionsstufen der Tiroler Landesordnung von 1526 oder umfangreiche Unterlagen zu den Überlegungen im Vorfeld der Reformation von 1573 einschließlich der Protokolle der Beratungskommission. 16 17
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reichischen Regierung in knapp einem Dutzend Archivkartons niederschlägt,19 ist jene der oberösterreichischen Ländergruppe im Untersuchungszeitraum in gut 150 Laufmetern so genannter Kopialbücher (die korrekt eigentlich als Register anzusprechen wären20) und in mehreren umfassenden Aktenbeständen vergleichsweise hervorragend dokumentiert. In der innerösterreichischen Ländergruppe wiederum setzt die Überlieferung von Kopialbüchern erst gut eineinhalb Jahrhunderte später als in Tirol ein, nämlich in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts.21 Die Quellenlage für das ausgehende Mittelalter und das 16. Jahrhundert ist dort ebenfalls unvergleichlich schlechter als in den oberösterreichischen Ländern. Die Dichte erhaltener archivalischer Quellen gerade zu Fragen der legislativen Tätigkeit wird aber selbst im übrigen Heiligen Römischen Reich nur schwerlich ein gleichwertiges Pendant finden.
1. 1. 3. Zur Wahl des Untersuchungszeitraums Nach der Darlegung der für die Wahl des Untersuchungsgegenstandes maßgeblichen Motive sei im Folgenden der das Spätmittelalter und die Frühneuzeit umfassende Untersuchungszeitraum erläutert und präzisiert. Die Ursache für die Fokussierung auf diese Zeiträume erklärt sich aus der bereits einleitend erwähnten, der Gesetzgebung in diesen Epochen (nahezu) einhellig zugesprochenen Relevanz für die Formierung des frühmodernen Staates. Damals schien das Gesetz zu dem zu werden, was Clemens Jabloner jüngst mit einem Anflug von Poesie als „Krone der Rechtserzeugung“ bezeichnet hat.22 Es ist hier nicht am Platze, über die Sinnhaftigkeit der Epocheneinteilung oder ihren Charakter als eines wissenschaftlichen Konstruktes zu debattieren, doch einige Bemerkungen dürften mit Blick auf das Untersuchungsobjekt „Gesetz“ angebracht sein. Während der Beginn des Spätmittelalters konventionellerweise mit der Mitte des 13. Jahrhunderts angesetzt wird, werden in der Grafschaft Tirol signifikante Spuren landesherrlicher Gesetzgebung erst ein Jahrhundert später greifbar – was jedoch forschungspraktisch nicht bedeutet, dass die Perspektive nicht wiederholt auf frühere Phänomene, namentlich auf die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts als Zeit der Landwerdung Tirols unter Graf Meinhard II. ausgedehnt würde. Der Endpunkt des Untersuchungszeitraums ist demgegenüber genau zu fixieren, nämlich mit dem Jahr 1665: Damals starb mit Erzherzog Sigismund Franz die in Innsbruck residierende habsburgische Nebenli Vgl. Pauser, Ein unbekannter Brief, 1995, S. 750, Anm. 4; summarisch Feigl/Petrin, Quellen, 1997, S. 52. 20 Im Folgenden wird am Terminus „Kopialbücher“ festgehalten, der sich für die Bezeichnung der Register eingebürgert hat; vgl. auch Haidacher, Schriftgut, 2004. 21 Vgl. Inventar des steiermärkischen Statthalterei-Archives, 1918, S. 26; Posch (Hg.), Gesamtinventar, 1959, S. 77. 22 Jabloner, Gesetz als Problem, 2006, S. 409. 19
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I. Einführung in das Thema
nie der oberösterreichischen Ländergruppe aus, die somit der Wiener Linie zufiel. Die Wahl des Jahres 1665 mag vorderhand willkürlich anmuten, wenngleich sie nicht bedeutet, die Augen vor Entwicklungstendenzen der folgenden Jahrzehnte zu verschließen. Aus mehreren Gründen scheint sie jedoch unumgänglich bzw. nahe liegend: So verlangt gerade die schiere Masse des erhaltenen Quellenmaterials zu Entstehung und Implementation der landesfürstlichen Gesetzgebung eine Restringierung des Untersuchungszeitraumes, würde doch die zeitliche Ausdehnung der Fragestellung auf das gesamte Ancien Régime das Arbeitspotential eines einzelnen Bearbeiters bei weitem überfordern – eben da es nicht nur um die Eruierung und Auswertung der Gesetzestexte selbst geht. Angesichts dieser arbeitspraktischen Notwendigkeit einer Begrenzung bietet sich 1665 als Zäsur an, da der Anfall der oberösterreichischen Ländergruppe erhebliche Rückwirkungen auf die Gesetzgebung zeitigte. Dies ist schon am äußeren Erscheinungsbild der Einzelgesetze erkennbar: Da sich nach 1665 binnen kurzem die Wiener Kanzleiusancen durchsetzten, fallen auf Gesetzesurkunden, die zur Publikation durch Anschlag (auf Kirchentüren, Gerichtsgebäuden o. Ä.) bestimmt sind, die bis dahin stets auf jedem einzelnen Exemplar vorhandene Besiegelung durch Papierwachssiegel sowie die eigenhändige Gegenzeichnung durch den Kanzler und der Fertigungsvermerk durch einen Kanzleibediensteten weg. Die Zäsur betrifft jedoch nicht nur Formalia. Überdies ändern sich ab 1665 die Rahmenbedingungen des Gesetzgebungsprozesses fundamental, indem der Gesetzgeber nicht mehr in Innsbruck, sondern in Wien residiert. Tirol sinkt somit vom Kernland der oberösterreichischen Ländergruppe zur Peripherie ab, der Geheime Rat und die Innsbrucker Zentralbehörden werden zu Mittelbehörden – sofern sie nicht wie der oberösterreichische Kriegsrat überhaupt aufgelöst werden. Trotz ungebrochener Wahrnehmung gewisser zentralörtlicher Funktionen verliert Innsbruck Funktion und Status als Residenzstadt. Als Konsequenz daraus werden die Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten regionaler Akteure reduziert, und es treten gerade im Bereich der „guten Policey“ zunehmend länderübergreifende Regelungsziele in den Vordergrund. Insofern präsentiert sich die Wahl des Jahres 1665 mit Blick auf den Untersuchungsgegenstand „Gesetz“ als deutlich sinnvoller als denkbare Alternativen wie das auf Reichsebene als Zäsur anzusprechende Jahr 1648 oder die nicht plausibel erscheinende Festlegung auf die Jahrhundertwende 1700.
1. 1. 4. Zur Gliederung Die vorliegende Studie gliedert sich grob in drei Hauptteile: Nach einer kurzen Ein führung in das Thema (Kap. I) beschäftigt sich der erste Teil mit dem „Gesetz“, seinen inhaltlichen und formalen Merkmalen und seiner Entwicklung (Kap. II und III). Der zweite Teil widmet sich mit dem Zustandekommen der Gesetze und ihrer Kundmachung an die Normadressaten (Kap. IV und V), während sich der dritte
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Komplex mit den der Tiroler Gesetzgebung zugrunde liegenden allgemeinen Leitkategorien und Ordnungsprinzipien befasst (Kap. VI). Im Folgenden sei der Inhalt etwas detaillierter dargestellt. Nach einer kurzen Einführung in Forschungsgegenstand und Forschungsstand sowie einer Präsentation des für die Fragestellung ausgewerteten Quellencorpus folgt eine geraffte, der groben Orientierung dienende Vorstellung des den Untersuchungsraum konstitutierenden Territoriums sowie seiner administrativen Strukturen. Dieser Abriss der Tiroler Verwaltungsgeschichte orientiert sich am Untersuchungsgegenstand „Gesetzgebung“ (was beispielsweise die geringe Berücksichtigung des „Steuerstaates“23, der landständischen Organisation der Steuererhebung oder der Hofämter erklärt) (Kap. I). Der erste umfangreichere Teil des Werkes befasst sich mit der Darstellung des Untersuchungsgegenstandes „Gesetz“. Hierbei werden nicht nur bereits existente Definitionen bzw. von der Forschung als konstitutiv für das „Gesetz“ angesehene Kriterien in steter Konfrontation mit dem Quellenmaterial auf ihre Tragfähigkeit und Richtigkeit hin untersucht und so das „Gesetz“ im materiellen Sinn von anderen Rechtsquellen unterschieden. Es wird außerdem umfassend dargelegt, welcher äußeren Formen (Urkundenformulare) bzw. Techniken sich der spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Gesetzgeber bedienen konnte, um rechtssetzend tätig zu werden (Kap. II). Anschließend werden die Entstehung und Entwicklung der legislativen Tätigkeit der Tiroler Landesfürsten thematisiert, wobei neben der Präsentation früherer Formen landesherrlicher Normsetzung an der Peripherie auf die Diskussion der Ursachen für die signifikante quantitative Zunahme von Gesetzgebungsakten unter (Erz)Herzog Siegmund in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts besonderes Augenmerk gelegt wird. Dabei findet auch die Rolle, die das zeitgleich zu konstatierende Auftreten gelehrter Juristen im landesfürstlichen Rat für diesen Prozess spielte, eingehende Beachtung. Zudem wird die quantitative Entwicklung der Tiroler Gesetzgebung aufgezeigt (Kap. III). Das folgende Kapitel IV enthält grundsätzliche Ausführungen, die das Zustandekommen landesfürstlicher Gesetzgebungsakte vor Augen führen. Dabei wird nicht nur die tatsächliche, je nach Herrscherpersönlichkeit durchaus variierende Einflussnahme der jeweiligen Landesfürsten selbst thematisiert, sondern es werden ganz allgemein die beteiligten Behörden bzw. Personenkreise, ihre Anteile und Wirkungsmöglichkeiten dargelegt. In diesem Kontext wird ausführlich die Rolle der Landstände dargestellt, darüber hinaus aber ebenfalls thematisiert, welche Ingerenzmöglichkeiten der breiten Masse der Normadressaten auch abseits der land ständischen Repräsentation offen standen, um auf den Normsetzungsprozess einzuwirken. Was zuvor allgemein erläutert wurde, wird im Anschluss durch die genaue Schilderung des Entstehungsprozesses der während des Untersuchungszeitraumes entstandenen Kodifikationen exemplifiziert (dabei handelt es sich um die Halsge Vgl. hierzu Stolleis, Pecunia nervus rerum, 1983; regional Kogler, Steuerwesen in Tirol, 1901.
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richtsordnung von 1499, die Tiroler Landesordnungen von 1526, 1532 und 1573 sowie die Policeyordnung von 1573). Der am Ende des legislativen Prozesses stehenden Gesetzespublikation widmet sich Kapitel V, das den verschiedenen Techniken und den Zielsetzungen der Kundmachung im frühneuzeitlichen Tirol nachgeht. Während sich somit die vorangegangenen Kapitel mit dem Gesetz, seiner Definition und Entwicklung sowie seinem Zustandekommen beschäftigt haben, wendet sich die Arbeit im umfangreichen Kapitel VI der inhaltlichen Ebene zu. Dabei stehen jedoch nicht die Inhalte der einzelnen Gesetze im Vordergrund. Viele Regelungen gerade im Bereich der „guten Policey“ unterscheiden sich nicht fundamental von jenen anderer Territorien, während es für den Bereich dessen, was modernrechtlich als Privat- und Strafrecht bezeichnet werden kann, bereits mehrere Arbeiten (wenn auch zum Teil älteren Datums) gibt.24 Vielmehr stehen das Herausarbeiten und die Darstellung der maßgeblichen Leitkategorien und Ordnungsprinzipien der Tiroler Gesetzgebung während des Untersuchungszeitraums im Vordergrund. So wird beispielsweise dargelegt, welche inhaltlichen Schranken der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gesetzgebung in Tirol gesetzt waren, die Bedeutung des „gemeinen Nutzens“ als Leitvorstellung legislativer Tätigkeit wird aufgezeigt und Phänomene des Rechtstransfers bzw. der Rechtsvereinheitlichung werden thematisiert. Sowohl die zuletzt genannte Fragestellung als auch die Beschäftigung mit den Ausprägungen des Subsidiaritätsprinzips in Tirol während des Untersuchungszeitraums erlauben und fordern die Ausweitung der Perspektive über die landes fürstliche legislative Tätigkeit hinaus. Zwar traten in Tirol nicht die Gerichts- und Grundherrschaften als regionale gesetzgebende Ebenen signifikant in Erscheinung, wohl aber genossenschaftliche Verbände (neben den Städten, Märkten und Landgemeinden ebenso die Gerichtsgemeinden im Sinne des genossenschaftlichen Zusammenschlusses der über Grund und Boden verfügenden Gerichtsinsassen). Das Verhältnis der von den verschiedenen Normgebern geschaffenen respektive gestalteten Rechtsordnungen war dabei überaus komplex, es entzieht sich zumindest partiell der Hierarchisierung im Sinne eines „Stufenbaus der Rechtsordnung“ und lässt sich folglich zum Teil nur sehr ungenügend mit den modernen Juristen vertrauten Derogationszusammenhängen und Normkonkurrenzmodellen begreifen.
1. 2. Methodische Anmerkungen Der im Titel verwendete Terminus „Gesetzgebungsstaat“ wurde in Abgrenzung vom ebenfalls denkbaren „Gesetzesstaat“ mit Bedacht gewählt und dient der inhaltlichen Präzisierung. Im Blickfeld stehen nicht nur „das Gesetz“ und der Inhalt der Normen, vielmehr soll der prozesshafte Charakter verdeutlicht werden, da ebenso Vgl. hierzu ausführlich Kap. I.2.2.
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die Vorgänge im Vorfeld der Gesetzeserlassung (der Weg zum Gesetz und die daran Beteiligten) als auch im Anschluss (der Implementationsvorgang) entsprechende Beachtung finden sollen.25 Die Entscheidung für „Gesetzgebungsstaat“ statt „Gesetzesstaat“ hat noch weitere Gründe, folgt sie doch auch den Usancen der historischen Wissenschaft, die für die Frühneuzeit überwiegend vom „Gesetzgebungsstaat“ sprechen.26 Der „Gesetzesstaat“ wird demgegenüber im engen Konnex mit dem „Rechtsstaat“ (als einer Wortprägung des 18. Jahrhunderts) gesehen.27 Dabei zeichne sich der „Rechtsstaat“ grundsätzlich durch ein Mehr gegenüber dem „Gesetzesstaat“ aus:28 Während bei Letzterem zwar eine Bindung der Verwaltung an die Gesetze vorliege, staatliches Handeln somit durch Gesetze determiniert und folglich vorhersehbar sei, treten beim Rechtsstaat noch subjektive öffentliche Rechte des Einzelnen hinzu, die durch ein Rechtsschutzsystem effektiv durchgesetzt werden können. Das Begriffspaar „Gesetzesstaat“ und „Rechtsstaat“ korrespondiert somit mit der Differenzierung zwischen „formellem“ und „materiellem Rechtsstaat“. Die Verwendung von „Gesetzesstaat“ erscheint angesichts dieser Folie aus historischer Sicht zur Beschreibung des Spätmittelalters und der Frühneuzeit inadäquat, wäre hiermit doch ein sehr lineares Entwicklungsmodell zumindest implizit mitgedacht: Eine lange Entwicklung führe zur Formierung des „Gesetzesstaates“, der schließlich im (materiellen) „Rechtsstaat“ seine Vollendung finde, der durch Folgeentwicklungen allenfalls degradieren und auf die Ebene des „Gesetzesstaates“ zurückfallen könne. Das Sprechen vom „Gesetzgebungsstaat“ unterstreicht somit bewusst die differentia specifica zur anhaltenden aktuellen Diskussion um die Bezeichnungen „Gesetzes-“ und „Rechtsstaat“. Diese kurze Anmerkung zur verwendeten Begrifflichkeit nötigt freilich zu einer Präzisierung. Denn gerade die Fokussierung der Fragestellung sowohl auf den frühmodernen Staat im Allgemeinen als auch auf das Gesetz als einer Emanation herrschaftlicher Tätigkeit im Besonderen werden bei manchen Allgemeinhistori So ausdrücklich auch Blickle, Vorwort, 2003, S. XIV. Vgl. für andere Willoweit, Verfassungsgeschichte, 52005, § 18; Schubert, Fürstliche Herrschaft und Territorium, 22006, S. 91; Schubert, Vom Gebot zur Landesordnung, 2001, S. 59; Blickle, Von der Leibeigenschaft zu den Menschenrechten, 2003, S. 177; Blickle, Der Gemeine Nutzen, 2001, S. 104; Iseli, Gute Policey, 2009, S. 133; Stolleis, Auge des Gesetzes, 2004, S. 46. 27 Vgl. nur Fioravanti, Stato e costituzione, 32004, S. 17–18; Böckenförde, Entstehung und Wandel, 1969; Hofmann, Geschichtlichkeit und Universalitätsanspruch, 1969, S. 4–5. 28 Vgl. zum Folgenden für andere Kormann, Rechtsstaat und Gesetzesstaat, 1980; Müller, Gesetzgebung im historischen Vergleich, 1989, S. 12–15; Bußjäger, Rückzug des Rechts, 1996, bes. S. 23–24; Werndl, Verlust des Rechtsstaates, 1999, bes. S. 107; Pernthaler, Verfassungsentwicklung, 2000, S. 81–82; sämtliche Handbücher des Staatsrechts widmen dem Thema „Rechtsstaat“ Raum, vgl. nur Zippelius, Staatslehre, 152007, S. 228–236; Mastronardi, Verfassungslehre, 2007, Rz 859–861; Gamper, Staat und Verfassung, 2007, bes. S. 229–231; Pernthaler, Allgemeine Staatslehre, 21996, S. 174–175 (jeweils mit weiteren Literaturhinweisen). 25 26
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kern der jüngeren Generation auf Skepsis stoßen: Reflektieren Thema und Erkenntnisinteresse nicht die anhaltende Fixierung auf den Staatsbegriff,29 der sich bereits im Kompositum „Gesetzgebungsstaat“ niederschlage und als solcher eine idealtypische Konstruktion der Allgemeinen Staats- und Verfassungslehre des 19. Jahrhunderts darstelle, deren Faszination Rechtshistoriker wie Allgemeinhistoriker allzu lange erlegen seien?30 Geht nicht das (vermeintliche) Bedürfnis, den Anfängen eines Status quo nachzuspüren, der als prädestinierter und unausweichlicher Endpunkt einer kontinuierlichen Entwicklung wahrgenommen werde, Hand in Hand mit der Gefahr einer unkritischen Rückprojektion des Staatsbegriffs des 19. und 20. Jahrhunderts auf frühere Epochen einher? Derartige Ausführungen und Vorbehalte hatten in früheren Jahrzehnten durchaus ihre Berechtigung, wie vergangene Debatten um den „Staat im Mittelalter“ demonstrieren: Sie waren wichtig, um die historischen Wissenschaften für die Partikularitäten verfassungsrechtlicher Zustände der Vergangenheit zu sensibilisieren.31 Gerade aus dieser Perspektive ist der Titel der vorliegenden Arbeit „Gesetz und Herrschaft“ nicht zufällig gewählt, schlägt er doch bewusst die Brücke zu Otto Brunners „Land und Herrschaft“. Dessen Werk, 1939 erstmals erschienen und bis 1965 fünfmal aufgelegt,32 postulierte in bis dahin unbekannter Prägnanz eine bewusst quellennahe Sprache zur Beschreibung historischer verfassungsmäßiger Zu stände, was bei der Definition von Land als Geltungsbereich des Landrechts einer adeligen Gerichtsgemeinde und bei der Hervorhebung des Rechtscharakters der spätmittelalterlichen Fehde konsequent zur Anwendung kam.33 Wenngleich unmittelbar nach Erscheinen nicht unumstritten, setzte das Brunner’sche Werk im Gefolge einer intensiven Rezeption durch die Rechts- und Verfassungsgeschichte in diesem Bereich Standards.34 Die im Titel enthaltene Anspielung auf Brunner findet somit im Bemühen um eine Sprache, die der Terminologie der Quellen verpflichtet ist und dieser Rechnung trägt, eine inhaltliche Entsprechung – wobei damit nicht der naiven Vorstellung gehuldigt werden soll, dass allein eine Anlehnung an die Sprache der Rechtszeugnisse vergangener Jahrhunderte einen besonders zuverlässigen Einblick in die Vergangenheit erlaube.35 Hierzu Mager, Entstehung des modernen Staatsbegriffs, 1968. Hierzu und zum Folgenden die Ausführungen von Meumann/Pröve, Faszination des Staates und die historische Praxis, 2004; zusammenfassend Meumann, Einspruch und Widerstand, 2006, S. 132–133. 31 Vgl. nur Böckenförde, Verfassungsgeschichtliche Forschung, 1961, bes. S. 198–202. 32 Brunner, Land und Herrschaft, 51965. 33 Vgl. Bläkner, Von der „Staatsbildung“ zur „Volkwerdung“, 1999. 34 Vgl. Weltin, Begriff des Landes, 2006 (erstmals 1990); Quaritsch, Otto Brunner, 1997, hier bes. S. 827–829; Grothe, Deutsche Verfassungsgeschichtsschreibung, 2005, S. 297–305. 35 Bei einer solchen bedingt programmatischen Bezugnahme auf Brunner erübrigt es sich, an dieser Stelle ältere Einwände gegen seine Theorie der Landwerdung zu erörtern (vgl. für Tirol v a. Stolz, Land und Landesfürst, 1942; eine rezente Darstellung der Diskussion bei Hageneder, Land und Landrecht, 2005, S. 300–302; vgl. auch den Überblick bei Weltin, Begriff 29 30
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Selbst wenn man dem Postulat nach einer Abkehr vom Etatismus sprachlich entsprechen wollte, würde sich die Frage nach tragbaren und praktikablen Alternativen stellen. Zwar wurde so jüngst der „Staat“ als historische Kategorie als Konstrukt dekonstruiert und dessen Ausscheiden aus der wissenschaftlichen Terminologie zumindest angeregt – ohne dass aber zugleich eine überzeugende Alternative präsentiert wird. Zwar schlagen Meumann und Pröve stattdessen vor, „Herrschaft“ als multipolaren, kommunikativen, nicht einseitig von ‚oben’ nach ‚unten’ verlaufenden Prozess zu sehen,36 aber ganz dazu durchringen können sie sich nicht. Außerdem greifen sie mit „Herrschaft“ ihrerseits einen massiv rechtlich aufgeladenen Quellenbegriff auf und deuten ihn um37 – womit sie ihrerseits ein Konstrukt bilden, das sich im Gegensatz zum „frühmodernen Staat“38 noch nicht bei der Beschreibung früherer Verfassungszustände bewährt hat.39 Außerdem impliziert allein die Verwendung eines Terminus weder die Akzeptanz eines allenfalls dahinter zu findenden Staatsverständnisses, das komplexe rechtshistorische Entwicklungsprozesse auf eine teleologische Entwicklung hin zum Nationalstaat des 19. Jahrhunderts reduziert – das wäre im Einzelfall zu belegen – noch bedeutet dies ein bewusstes oder unbewusstes Nicht-Sehen-Wollen (oder -Können) von differentiae specificae. Natürlich kann man Komposita bilden, um die Pluralität des Staatsbegriffs aus einer historischen Perspektive zu verdeutlichen, wie dies Wolfgang Reinhard durch die konsequente Verwendung des Terminus „Staatsgewalt“ tat, den er von der juristischen Staatsdefinition, die Staatsvolk, Staatsgebiet und souveräne Staatsgewalt als konstitutive Elemente des Staates ins Treffen führt, abgehoben wissen möchte.40 Notwendig erscheint dies aber nicht.41 Die hilfsweise Verwendung moderner Ter-
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des Landes, 2006 (erstmals 1990), S. 387–390 und S. 396–397) oder auf rezente Vorwürfe an das Brunner’sche Œuvre einzugehen, (zu) stark von Carl Schmitt und seinem Begriff der materiellen Verfassung geprägt zu sein (Algazi, Herrengewalt und Gewalt der Herren, 1996; differenzierter nunmehr Bläkner, Von der „Staatsbildung“ zur „Volkwerdung“, 1999, bes. S. 91–105, der ebd., S. 101, Brunner sehr wohl die kritische Auseinandersetzung mit der Verfassungslehre Schmitts attestiert; zu Schmitts Verfassungsbegriff und seiner Bewertung durch die Verfassungshistoriker Hintze und Hartung auch Kraus, Verfassungslehre und Verfassungsgeschichte, 2000). Vgl. hierzu auch Kaak/Schattkowsky, Einleitung, 2003, sowie Brakensiek, Lokale Amtsträger, 2005; zusammenfassend Iseli, Gute Policey, 2009, S. 131–134. Zum polysemen Charakter des Terminus „Herrschaft“ rezent Brakensiek, Lokale Amtsträger, 2005, S. 7–8. Zur erstmaligen Verwendung der Bezeichnung vgl. Mieck, Frühe Neuzeit, 1997, S. 21. Für den Versuch eines kommunikationsgeschichtlichen Ansatzes vgl. Pröve/Winnige (Hg.), Herrschaft und Kommunikation, 2001. Vgl. das prominente Gegenbeispiel Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, 32002. Es sei nur am Rande darauf verwiesen, dass bereits Otto Brunner betonte, dass gegen die Ver wendung moderner Termini grundsätzlich nichts einzuwenden sei, ja diese sich sogar als unentbehrlich darstelle. Notwendig sei jedoch, ihre historische Bedingtheit zu erkennen und sich ihrer bewusst zu sein (vgl. auch den Hinweis bei Quaritsch, Werk und Wirkungen, 1997, S. 835).
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mini verbietet sich nicht per se; unverzichtbar bleibt allein die stete und unmittelbare Konfrontation mit dem historischen Quellenmaterial. Die obigen Ausführungen sollen nicht zum Schluss führen, dass hier von einer antipodischen Gegenüberstellung von Rechtsgeschichte und allgemeiner Geschichte ausgegangen wird; verdeutlicht werden sollte vielmehr, dass potentielle Vorbehalte gegenüber der Fragestellung der vorliegenden Arbeit auf Seiten der allgemeinen Geschichtswissenschaft vor dem Hintergrund rezenter Forschungs tendenzen wohl ausgeprägter sein mögen als auf Seiten der Rechtsgeschichte. Dies bedeutet jedoch keinesfalls, dass methodische Ansätze, Fragestellungen und Forschungsergebnisse der Geschichte nicht nutzbringend herangezogen werden können respektive herangezogen werden müssen. Diese Nutzbarmachung, der klassische „Blick über den Gartenzaun“42, bleibt dabei allerdings im Rahmen der vorliegenden Arbeit bewusst selektiv. In einigen Punkten wird der Historiker in seiner Erwartungshaltung, die er an ein Werk mit dem vorliegenden Titel herantragen könnte, enttäuscht werden. Das in der Geschichtswissenschaft vor allem seit den beginnenden neunziger Jahren für die Frühneuzeitforschung so wirkmächtige und in zahllosen einschlägigen Forschungen erörterte und erprobte Konzept der „Sozialdisziplinierung“ im Sinne Gerhard Oestreichs, so anregend es im Einzelnen auch sein mag, findet beispielsweise im Folgenden nur am Rande Berücksichtigung.43 Umgekehrt ist bei einer Analyse der Policeygesetzgebung im Ancien Régime die umfassende Einbeziehung neuerer geschichtswissenschaftlicher Beiträge zu diesem Themenkomplex unverzichtbar.44
2. Forschungsstand 2. 1. Allgemein Die der Gesetzgebung nahezu einhellig zuerkannte Bedeutung für die Formierung des frühmodernen Staates wurde bereits einleitend angesprochen. In der Tat okkupiert der Gesetzgeber in Spätmittelalter und Frühneuzeit immer weitere, bis dahin rechtlich nicht geregelte Lebensbereiche – was die Beschäftigung mit dem Erkenntnisobjekt „Gesetz“ für eine Vielzahl historischer Fragestellungen unabdingbar werden ließ. Dementsprechend breit gestreut sind die historischen Subdisziplinen, die sich mit dem gesetzlichen Rahmen ihres Forschungsgegenstandes befassen müssen: Egal ob Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Alltagsgeschichte, Vgl. hierzu Caroni, Einsamkeit, 2005, S. 73–115. Eine kurze und bündige Stellungnahme zur Sozialdisziplinierung bei Willoweit, Verfassungsgeschichte, 52005, S. 183. 44 Vgl. hierzu ausführlich Kap. I.2.1.3. 42 43
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Historische Kriminalitätsforschung, Umwelt- und Forstgeschichte oder Frauenbzw. Gendergeschichte – wohl kaum ein in einschlägigen Forschungsfeldern Tätiger wird die Relevanz von Recht und Gesetzgebung für seine Arbeit grundsätzlich abstreiten können, von klassischen Domänen der Rechtsgeschichte wie der Verfassungs-, Verwaltungs- oder Strafrechtsgeschichte ganz zu schweigen. Zudem werden die Rahmenbedingungen bzw. die der Gesetzgebung zugrunde liegenden geistesgeschichtlichen Hintergründe von der Geistes- und Ideengeschichte beleuchtet. Man könnte in der Aufzählung entsprechend fortfahren; die vielen bisher aufgezählten Komposita auf „-geschichte“ deuten es freilich schon an: Es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher, teilweise isolierter bzw. nur ephemer einander tangierender For schungsdiskurse, die sich auf die eine oder andere Weise mit dem „Gesetz“ in seiner geschichtlichen Entwicklung zu befassen haben, ohne dass man aus diesen sinnvoll einen einheitlichen Forschungsstrang extrahieren könnte. Die folgenden Ausführungen sollen sich daher in einem ersten Schritt mit dem spezifisch rechtshistorischen Beitrag zur Geschichte der Gesetzgebung mit der zeitlichen Schwerpunktsetzung auf das Spätmittelalter und die Frühneuzeit befassen, bevor im Anschluss zwei Forschungsrichtungen eingehender besprochen werden, die in den letzten fünfzehn Jahren im Rahmen der Arbeiten zur Gesetzgebungsgeschichte zunehmende Bedeutung erlangt haben: einerseits die weitgehend auf die allgemeine Geschichtswissenschaft beschränkten Forschungen zum abendländischen Fundamentalprozess der „Sozialdisziplinierung“, andererseits die im letzten Jahrzehnt einen massiven Aufschwung verzeichnenden Forschungen zur „guten Policey“, wobei sich Letztere durch ein sonst zwar oftmals gewünschtes, jedoch nur selten verwirklichtes Spezifikum auszeichnen. Die „gute Policey“ stellt ein Forschungsfeld dar, das gleichermaßen von der Rechtsgeschichte wie von der allgemeinen Geschichte beackert wird, ohne dass – wie dies gegen Ende des 20. Jahrhunderts im Verhältnis von (juristischer) Strafrechtsgeschichte zur Historischen Kriminalitätsforschung zu beobachten war – der rechtsgeschichtliche Zugang marginalisiert worden wäre. Im Gegenteil, gerade im Bereich der „guten Policey“ zeigt sich nicht bloß eine wechselseitige Kenntnisnahme, sondern eine selten rege Interaktion.
2. 1. 1. Die Rechtsgeschichte Die Tradition rechtsgeschichtlicher Beschäftigung mit dem Phänomen „Gesetz“ ist lang. Schon 1958 bezeichnete Wilhelm Ebel die einschlägige Literatur als „schier unübersehbar“.45 Dennoch lassen sich gewisse Entwicklungstendenzen ausmachen. Zunächst fällt bei näherer Betrachtung der Forschungstradition die lang anhaltende Dominanz der Privatrechtsgeschichte auf. Im Zentrum des Forschungsinteresses standen vornehmlich spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Kodifikationen des Ebel, Gesetzgebung, 21958, S. 9.
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Privatrechts (Landrechte, Landesordnungen), die auf den Grad ihrer romanistischen Prägung (oder, je nach wissenschaftlicher Provenienz des Forschers, auf den Erhalt deutschrechtlicher Elemente) hin „abgeklopft“ wurden.46 Die Vielzahl von Einzelgesetzgebungsakten, für die die zeitgenössische Terminologie eine Fülle unterschiedlicher Bezeichnungen wie „Mandate“, „Edikte“, „Patente“, „Generalien“, „Similien“ bereithielt, blieben demgegenüber fast vollständig aus der Betrachtung ausgeklammert. Ähnliches gilt in etwas abgeschwächter Form für die frühneuzeitlichen Policeyordnungen. Selbst die in gedruckter Form erschienene, der Auswirkung der Reichsgesetzgebung auf die territoriale Gesetzgebung nachspürende und somit der Policeygesetzgebung breiteren Raum einräumende Dissertation von Werner Hartz löste keine Nachfolgestudien aus.47 Als sich Gustaf Klemens Schmelzeisen mehr als zwei Jahrzehnte später den Policeyordnungen zuwandte, tat er dies mit strikter Ausrichtung auf ihre Auswirkungen auf das Privatrecht.48 Zu einem massiven Aufschwung kam es etwas zeitverzögert im Gefolge der Studien von Sten Gagnér („Studien zur Ideengeschichte der Gesetzgebung“) und vor allem des eine sehr breite Nachwirkung entfaltenden Werkes von Wilhelm Ebel („Geschichte der Gesetzgebung in Deutschland“), das binnen kurzem zwei Auflagen erlebte und für die Rechtsgeschichte für Jahrzehnte forschungsleitend blieb.49 Diese Prägung ergab sich weniger aus der nunmehr erstmals vorliegenden Gesamtzusammenschau der Gesetzesentwicklung von der fränkischen Zeit bis in die Gegenwart der Nachkriegszeit, die stark teleologisch ausgerichtet und von der Grundannahme von Kontinuitätslinien geleitet war. Vor allem resultierte sie aus der wirkmächtigen Unterscheidung dreier „Grundformen“ des Gesetzes (Weistum, Satzung – d. h. Einung, Willkür bzw. „coniuratio“ – sowie Rechtsgebot), die von Diestelkamp noch um die Grundform „Privileg“ erweitert wurden.50 Dieser Kanon von „Grundformen“, die später durchaus zu „Denkformen“ uminterpretiert werden konnten,51 wurde von nachfolgenden, einschlägig arbeitenden Rechtshistorikern gern zur Definition ihres Untersuchungsgegenstandes aufgegriffen.52 Der Prozess der aktiven Auseinandersetzung mit Ebel, der im Zusammenhang mit dem Gesetzesbegriff besonders von Diestelkamp und Schulze geführt wurde,53 erfolgte freilich mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung zu Beginn der achtziger Jahre, wenngleich eine So schon Maier, Staats- und Verwaltungslehre, 42009 (Erstauflage 1966), S. 107–109; ebenso Schlosser, Rechtsquellencharakter, 1979, S. 225. 47 Hartz, Gesetzgebung des Reichs und der weltlichen Territorien, 1931. 48 Schmelzeisen, Polizeiordnungen und Privatrecht, 1955. 49 Gagnér, Studien zur Ideengeschichte, 1960; Ebel, Gesetzgebung, 21958. 50 Diestelkamp, Beobachtungen, 1980; kritisch hierzu Wadle, Landfrieden, 2001 (erstmals 1986), S. 84, Anm. 24. 51 Vgl. Landwehr, Geleitwort, 1982, S. 8; Wadle, Landfrieden, 2001 (erstmals 1986), S. 24. 52 Nachwirkung des Begriffskanons beschrieben bei Fögen, Morsche Wurzeln und späte Früchte, 1987, bes. S. 355–359. 53 Vgl. hierzu Kap. II.3.2. 46
2. Forschungsstand
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vereinzelt bleibende Bezugnahme auf Ebel bereits in einem Aufsatz Lieberichs aus dem Jahr 1959 nachweisbar ist.54 Trotz der langen Nachwirkung Ebels stimulierte seine Arbeit im folgenden Jahrzehnt noch keine intensive Beschäftigung mit der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gesetzgebung. In den sechziger Jahren handelte Schmelzeisen in Anknüpfung an seine frühere Arbeit nochmals die Wechselwirkung von Policey- und Privatrecht in monographischer Form ab.55 Kurz darauf erschienen zwei Arbeiten, die jede auf ihre Weise innovativ und bahnbrechend war, wobei beide den Blick auf die konkrete legislative Tätigkeit richteten: in einem Fall auf die Gesetzgebung des spätmittelalterlichen Bayern (Heinz Lieberich), im anderen Fall auf jene des spätmittelalterlichen Frankfurt am Main (Armin Wolf ). Lieberich steht damit am Beginn einer Reihe von Untersuchungen, die sich intensiver mit der Gesetzgebungspraxis der Territorialstaaten beschäftigten, wobei Bayern aufgrund der intensiven Forschungen von Hans Schlosser in den achtziger Jahren frühzeitig zu den besonders gut erforschten Ländern zählte. Genau wie Wolfs Werk zeichnet sich auch Lieberichs Beitrag durch eine große Quellensättig ung aus. Beide gehen „ad fontes“ und schicken sich damit an, das von Wolf kurz darauf monierte Manko zumindest ansatzweise zu beheben, das aus der bisher vorherrschenden Bevorzugung der Gesetzgebungstheorie gegenüber der -praxis resultierte.56 Nachträglich erscheint die kurz aufeinander folgende Veröffentlichung der beiden Arbeiten (Wolf 1968, Lieberich 1969) weniger als der Zufall, der es wohl war: Schließlich kristallisierte sich schon bald heraus, dass die städtische Gesetzgebung des ausgehenden Mittelalters die sich mit einiger zeitlicher Verzögerung intensivierende territoriale Gesetzgebung präfigurierte.57 Ebenfalls in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre erschien eine begriffsgeschichtlich ausgerichtete Arbeit Knemeyers, die sich mit der Entwicklung des Terminus „(gute) Policey“ beschäftigte58 und somit einen weiteren Strang der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Gesetzgebung des frühmodernen Staates greifbar werden lässt.59 Lieberich, Kaiser Ludwig als Gesetzgeber, 1959, S. 173. Schmelzeisen, Rechtsgebot, 1967. 56 Wolf, Forschungsaufgaben, 1975, S. 183. Ungeachtet seiner Ausbildung als Historiker wird Armin Wolf aufgrund seiner am Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte entfalteten, ausgesprochen rechtshistorischen Forschungen hier zur Disziplin „Rechtsgeschichte“ gezählt. 57 Maier, Staats- und Verwaltungslehre, 42009, S. 113–114; Buchholz, Anfänge der Sozialdisziplinierung, 1991, bes. S. 130–313; Dubach, Policey auf dem Lande, 2004, S. 414 (mit weiteren Literaturhinweisen); vgl. aber auch schon Oestreich, Policey und Prudentia civilis, 1969, S. 368–369 und 374; Raeff, Well-Ordered Police State, 1983, S. 167 und 169; Preu, Polizeibegriff und Staatszwecklehre, 1983, S. 31–32; siehe auch schon von Below, Städtische Verwaltung, 1895, S. 438. 58 Knemeyer, Policeybegriffe, 1967. 59 Vgl. z. B. Ebel, Legaldefinitionen, 1974. 54 55
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I. Einführung in das Thema
Nach diesen Anläufen und Vorboten präsentierten sich die siebziger und achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts als eine erste Blütezeit gesetzgebungsgeschichtlicher Untersuchungen, die unterschiedliche Zielsetzungen aufwiesen. Erste Überblicksdarstellungen über die diachronen Entwicklungslinien brachten die einschlägigen Beiträge zum „Handbuch der Quellen und Literatur der neueren Privatrechtsgeschichte“, die trotz der aus dem Gesamttitel hervorgehenden Bezugnahme auf die Entwicklung des Privatrechts diese inhaltliche Beschränkung kaum fühlbar werden lassen und vor allem den Vorteil einer europäischen Perspektive aufweisen, indem sie sich nicht auf das Gebiet des Heiligen Römischen Reichs beschränken. Eine be trächtliche Quantität von Arbeiten wandte sich der Entwicklung der territorialen Gesetzgebung zu und führte auf diese Weise den von Lieberich beschrittenen Weg konsequent fort. Dabei zeigte sich eine deutliche Schwerpunktsetzung auf den Ländern des Südens bzw. Südostens des Reichs, was wohl partiell mit der Provenienz der einschlägig tätigen Forscherpersönlichkeiten, mehr aber noch mit der Überlieferungslage zu tun hat, wiesen doch beispielsweise die untersuchten Länder wie Bayern und Österreich „besonders frühe und eindrucksvolle Spuren legislativer Tätigkeit“60 auf. Der niederrheinische Raum, der sich im Spätmittelalter ebenfalls als Zone besonderer sozialer und wirtschaftlicher Verdichtung präsentiert, fand bald auch entsprechende Aufmerksamkeit.61 Die Gesetzgebung der östlichen Reichs territorien wurde allerdings erst mit deutlichem zeitlichen Abstand eingehender untersucht, was mit deren vergleichsweise spätem Einsetzen (und der ihnen wohl als Folge zugeschriebenen geringeren Bedeutung) erklärt werden kann.62 Diese innovativen methodischen Herangehensweisen fanden auch in Österreich Widerhall, wobei vor allem der Name Wilhelm Brauneder zu nennen ist, der sich in den siebziger Jahren verstärkt mit der Entwicklung der Gesetzgebung in den niederösterreichischen Ländern und in der Steiermark befasste.63 Auf den österreichischen Forschungsstand wird an späterer Stelle noch gesondert eingegangen werden. Bei aller Diversität der unterschiedlichen Beiträge und Monographien lassen sich gewisse Gemeinsamkeiten oder zumindest Grundtendenzen beobachten. So ist häufig die erklärte erste Zielsetzung, die jeweilige regionale Überlieferungssituation abzuklären, betonen doch nahezu alle frühen Publikationen zu recht und una voce die komplexe und disparate Quellenlage, die zuvor die Forschung vielfach verhindert habe. In einem weiteren Schritt werden die behandelten Materien systematisiert, allgemeine Entwicklungstendenzen der Gesetzgebung im untersuchten Ter So die zutreffende Feststellung bei Janssen, Gesetzgebung, 1984, S. 9. Janssen, Gesetzgebung, 1984; vertiefend Janssen, Statuti e le leggi territoriali, 1991. 62 Berg, Landesordnungen in Preußen, 1998; von einem Allgemeinhistoriker stammt Weber, Schlesische Polizei- und Landesordnungen, 1996. 63 Vgl. z. B. Brauneder, Materielles Strafrecht, 1973; Brauneder, Anfänge der Gesetzgebung, 1973; Brauneder, Gesetzgebungsgeschichte, 1973; Brauneder, Gehalt der österreichischen Polizeiordnungen, 1976; Brauneder, Geltung obrigkeitlichen Privatrechts, 1975 (Wiederabdruck in Brauneder, Studien, Bd. I, 1994). 60 61
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ritorium herausgearbeitet und diese gegebenenfalls in den überregionalen Kontext eingebettet, wodurch sich Spezifika deutlicher herausarbeiten ließen. Eine Reihe weiterer Arbeiten stellen weniger die konkrete Quellenauswertung als vielmehr theoretische Aspekte sowie in geringerem Maße Fragen der Gesetzgebungstechnik64 in den Vordergrund. Als in dieser Hinsicht grundlegend erwies sich ein Aufsatz von Heinz Mohnhaupt aus dem Jahr 1973 („Potestas legislatoria und Gesetzesbegriff im Ancien Régime“),65 dem hier mustergültig der Brückenschlag zwischen Theorie und Praxis gelingt, indem die konkrete Gesetzgebungstätigkeit mit dem im Zentrum des Interesses stehenden staatsrechtlichen Diskurs in der Frühneuzeit in Beziehung gesetzt wird. Diese methodische Herangehensweise, die Mohnhaupt auch bei der Erörterung der „Mitwirkung der Landstände an der Regierung“ anwandte,66 erwies sich dabei als sehr fruchtbar,67 so dass der Artikel nach wie vor zu den nicht zu übergehenden Forschungsbeiträgen zur Gesetzgebungsgeschichte zählt. Nicht nur im genannten, viel zitierten Beitrag Mohnhaupts räumt dieser der Rechts- und Staatswissenschaft des Ancien Régime breiten Raum ein, um vor dieser Folie die Entstehung des Gesetzesbegriffs und des Gesetzgebungsstaates darzustellen. Dieselbe Zielsetzung verfolgen in den achtziger Jahren Reiner Schulze und Dietmar Willoweit,68 wobei sie in stärkerem Maße als Mohnhaupt die Rechtssetzungsakte selbst zum Sprechen bringen wollen – und dabei implizit oder explizit auf Forschungsdesiderate aufmerksam machen, die zum damaligen Zeitpunkt definitive Aussagen (beispielsweise zu Fragen der Geltung und des Geltungsgrundes von Gesetzen sowie zur Anwendungspraxis) noch nicht ermöglichten.69 Nur im Bereich der Gesetzesdurchsetzung respektive -anwendung zeitigte der unverkennbare Aufschwung der Gesetzgebungsgeschichte, die sich damals zu einem eigenständigen Forschungsbereich innerhalb der Rechtsgeschichte verdichtete, nur verhältnismäßig geringe Ergebnisse, wenngleich sich die scientific community über die Relevanz, ja Unverzichtbarkeit entsprechender Studien einig war und diese nachdrücklich einforderte. Dennoch blieben Arbeiten zur Gesetzesimplementation die Ausnahme. Im quantitativ bedeutendsten Bereich der Policeygesetzgebung blieben sie völlig aus, während die Privatrechtsgeschichte immerhin zwei wegweisende Arbeiten hervorbrachte: Hagen Wend konnte in seiner 1973 publizierten Dissertation über die Anwendung des Trierer Landrechts von 1668/1713 nachweisen, wie lange sich dieser Prozess hinzog, der zunächst bei den höheren Instanzen Hierzu Ebel, Legaldefinitionen, 1974; Willoweit, Gesetzespublikation und verwaltungsinterne Gesetzgebung, 1979. 65 Mohnhaupt, Potestas legislatoria, 1973 (Nachdruck 2000). 66 Vgl. Mohnhaupt, Mitwirkung, 1991 (Nachdruck 2000). 67 Vgl. auch zuletzt einschlägig Mohnhaupt, Grundlinien, 2006. 68 Schulze, Geschichte, 1981; Willoweit, Gesetzgebung und Recht, 1987. 69 Insbesondere der soeben angeführte Beitrag Schulzes, aber auch jener Willoweits machen auf diese Weise auf Forschungsdesiderate aufmerksam. 64
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allmählich einsetzte und sich langsam seinen Weg zu den Untergerichten bahnte.70 In ähnlicher Weise legte Bernhard Diestelkamp vier Jahre später dar, wie marginal bis nicht wahrnehmbar die Auswirkung zweier hessischer Gerichtsordnungen, die unter anderem ausgewählte Privatrechtsmaterien wie das Ehegüter- und Erbrecht behandelten, auf die weiterhin vom Gewohnheitsrecht dominierte Rechtslage waren.71 Der Befund einer plötzlichen, in der ersten Hälfte der siebziger Jahre einsetzenden Auseinandersetzung mit den historischen Wurzeln des Gesetzes wirft natürlich die Frage nach den Ursachen dieses Phänomens auf. So frequent in den entsprechenden Arbeiten der Hinweis auf das Werk Wilhelm Ebels auch sein mag – als unmittelbarer Stimulus scheidet dieses, wie bereits erwähnt, aufgrund des erheblichen zeitlichen Abstands aus. Zunächst möchte man an eine Beeinflussung durch die ab Ende der sechziger Jahre entwickelte Theorie Gerhard Oestreichs der Sozialdisziplinierung als Fundamentalprozess der frühneuzeitlichen Gesellschaft denken. In diesem Kontext, wonach der frühmoderne Staat auf eine stabilisierende, Herrschaft ausweitende Disziplinierung seiner Untertanen zur Bündelung ihrer wirtschaftli chen, finanziellen und personellen Ressourcen abzielte, wurde der frühneuzeitlichen Gesetzgebung eine nicht nur wichtige, sondern die zentrale Rolle eingeräumt. So liegt es vorderhand nahe, eine Verbindung zwischen dem Oestreich’schen Konzept der Sozialdisziplinierung und dem binnen kurzem erblühenden Interesse der Rechtsgeschichte an der Gesetzgebungsgeschichte des „frühmodernen Staates“ (ein ebenfalls von Oestreich (mit)geprägter Terminus)72 herzustellen. Ein solcher Schluss wäre allerdings wohl verfehlt. Die Wirkung des Oestreich’schen Konzepts der Sozialdisziplinierung manifestierte sich selbst in der Geschichtswissenschaft erst mit einiger zeitlicher Verzögerung, von der Rechtsgeschichte ganz zu schweigen. Gerade die frühen Arbeiten zur Gesetzgebungsgeschichte lassen eine entspre chende ausdrückliche Bezugnahme noch vermissen.73 Dennoch ist es wohl kein Zufall, dass sich die rechtshistorische Forschung parallel zur Ausarbeitung des Sozialdisziplinierungskonzepts durch Oestreich wenn auch ohne direkten Konnex verstärkt dem Themenkomplex „Gesetzgebung“ zuwandte. Der zeitgeschichtliche Hintergrund war in beiden Fällen derselbe: In der Nachkriegs- und Wirtschaftswunderzeit hatte „der Staat“ trotz der traumatischen Erfahrung der nationalsozialistischen Herrschaft ein unverrückbares, in weiten Kreisen der Bevölkerung Wend, Anwendung des Trierer Landrechts, 1973. Diestelkamp, Verhältnis von Gesetz und Gewohnheitsrecht, 1977. 72 Offensichtlich sprachen erstmals Werner Näf (1950/1951) und Gerhard Oestreich (1953) vom „frühmodernen Staat“, vgl. Brunner, Freiheitsrechte in der altständischen Gesellschaft, 1954, S. 295; Mieck, Frühe Neuzeit, 1997, S. 21. 73 Verweise auf Oestreich und das Konzept der Sozialdisziplinierung zeigen sich erst in den achtziger Jahren, vgl. Preu, Polizeibegriff und Staatszwecklehre, 1983, hier S. 3; eine Vorreiterrolle einnehmend Schlosser, Gesetzgebung und Rechtswirklichkeit, 1982, S. 533; Schlosser, Rechtssetzung und Gesetzgebungsverständnis, 1987, S. 53. 70 71
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Autorität genießendes Fixum dargestellt, zumal er im Zuge der Expansion des Leistungs- und Sozialstaates, die mit dem wirtschaftlichen Aufschwung einherging, dem Individuum immer häufiger nicht nur als potentielle Bedrohung individueller Freiheit, sondern vielmehr als Erbringer von finanziellen Transfer- bzw. von Dienstleistungen entgegentrat. Dementsprechend hatte auch die Generation von Staatsrechtslehren nach 1945 wieder „Aufbauarbeit“ geleistet und neuerlich „Staat gemacht“.74 Da der Staatsbegriff neben den durch die Erfahrungen des Nationalsozialismus diskreditierten Begriffen wie „Volk“, „Reich“, „Vaterland“ übrig blieb, wurde er von der Staatsrechtslehre nach 1945 „nun als demokratischer Staat neu gedacht, aber in seiner dogmatischen Kernstruktur erhalten.“75 Mit dem Aufkommen einer jungen, von einer größeren theoretischen Offenheit geprägten Gene ration von Staatsrechtslehrern Anfang der sechziger Jahre zeigte sich bereits ein erstes „Knistern im Gebälk“76. Entsprechende Entwicklungstendenzen waren nicht auf die Staatsrechtslehre beschränkt. Die unruhigen späten sechziger und frühen siebziger Jahre stellten jedenfalls nicht nur auf gesellschaftspolitischem Gebiet eine Zäsur dar, sondern auch in der Wahrnehmung des Staates, seiner Organe und seiner Handlungsformen (und damit auch der Gesetze). Die Auswirkungen auf die historischen Wissenschaften konnten – weitgehend unabhängig von den politischen Anschauungen der Einzelpersönlichkeiten – nicht ausbleiben: Forschungen zu den landständischen Verfassungen (samt den daran geknüpften Kontinuitätsfragen in das 19. Jahrhundert), zu Unruhen und Aufständen im Ancien Régime, der Siegeszug des „Fundamentalprozesses“ der Sozialdisziplinierung stellten nur einige der Innovationsschübe der allgemeinen Geschichtswissenschaft dar, die die Forschungslandschaft ab den siebziger Jahren prägten. Zudem brachten die siebziger Jahre auf wissenschaftspolitischem Gebiet Veränderungen, die sowohl mit der personellen Expansion der Universitäten allgemein als auch mit einem Generationswechsel auf Ebene der Hochschullehrer einherging.77 In diesem Zusammenhang erscheint die unversehens einsetzende intensive Beschäftigung mit der Geschichte der Gesetzgebung plausibel, zumal die meisten der damals in Erscheinung tretenden Persönlichkeiten (z. B. Reiner Schulze, Wilhelm Brauneder, Hans Schlosser, Dietmar Willoweit) einer jüngeren Forschergeneration angehörten, die in weiterer Folge die einschlägige Forschung auf Jahrzehnte tragen und beeinflussen sollte. Anfang der siebziger Jahre bot die Gesetzgebungsgeschichte ein bislang von der Rechtsgeschichte nur erstaunlich selektiv bearbeitetes Feld, das breiten Raum für eigenständige Forschungsleistungen bot. Und was lag näher, als sich in einer Zeit, in So die von Stolleis, Staatsbild und Staatswirklichkeit, 2007, S. 230–231, gewählten Formulie rungen. 75 Stolleis, Staatsbild und Staatswirklichkeit, 2007, S. 235; ähnlich ebd., S. 239. 76 Stolleis, Staatsbild und Staatswirklichkeit, 2007, S. 244. 77 Zum damals stattfindenden Generationenwechsel innerhalb der Rechtsgeschichte vgl. Senn, Rechtshistorisches Selbstverständnis, 1982, bes. S. 105 und 178. 74
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der der „Staat“ plötzlich mit massiven Vorbehalten gerade seitens der jüngeren Generation konfrontiert war, eingehender mit seinen Anfängen – damals setzten die Debatten um den „frühmodernen Staat“ ein – oder im Fall der Rechtsgeschichte mit einer zentralen Form staatlichen Handelns zu beschäftigen?78 Dass das neu erwachte Forschungsinteresse kein Produkt des Zufalls war, diagnostizierte hellsichtig bereits Peter Preu in der Einleitung seiner 1983 erschienen Arbeit „Polizeibegriff und Staatszwecklehre“. Die in den Jahren davor manifest gewordene intensivierte Beschäftig ung mit der rechts- und staatswissenschaftlichen Literatur der Frühneuzeit sieht er „vor dem Hintergrund veränderter Gegenwartsvorstellungen von der Funktion des Staates“: Die massive Ausweitung staatlicher Aktivität im Bereich der Daseinsvorsorge in den ersten Jahrzehnten der Nachkriegszeit – Stichwort „Leistungsstaat“ – habe den Blick für frühmoderne Ordnungsvorstellungen des absolutistischen Staates und für dessen Leitkategorien „allgemeine Wohlfahrt“ und „gemeiner Nutzen“ geschärft.79 Dies ermöglicht den Brückenschlag zu den Forschungen zur „guten Policey“, die ebenso wenig zufällig ab der Mitte der neunziger Jahre einen markanten Aufschwung erfuhren. Schien sich der Staat in den siebziger Jahren angesichts des Bröckelns seiner Autorität und angesichts der massiven Infragestellung seiner Existenz durch eine terroristische Gruppe wie die „Rote Armee Fraktion“ nach „Innen“ bewähren zu müssen, waren die Herausforderungen des ausgehenden 20. Jahrhunderts andere. Der Konsolidierung nach „Innen“ folgte eine Infragestellung staatlicher Handlungsfähigkeit durch über die Ingerenzmöglichkeiten des einzelnen Nationalstaates hinausgehende Entwicklungstendenzen, die mit den Schlagworten „europäi sche Integration“ und „Globalisierung“ zusammengefasst seien.80 Angesichts dieser Phänomene büßen bisher vertraute nationale normative Steuerungsmöglichkeiten, speziell die Gesetzgebung, an gesamtgesellschaftlicher Gestaltungsfähigkeit ein. Die Konfrontation mit diesem Prozess ist wohl ein Motiv für eine neuerliche Intensivierung der Beschäftigung mit Fragen der historischen Gesetzgebung.81
Vgl. auch Senn, Rechtshistorisches Selbstverständnis, 1982, S. 118–120; zu den rechtsgeschichtstheoretischen Konzepten der siebziger Jahre ebd., S. 121–179. 79 Preu, Polizeibegriff und Staatszwecklehre, 1983, S. 2–3 (mit weiteren Literaturhinweisen). 80 Die Literatur zu diesen Themenkomplexen ist überaus umfangreich; hier seien beispielsweise erwähnt Pernthaler, Bundesstaatsrecht, 2004, bes. S. 50, 198–204, 280–281; Stolleis, Was kommt nach dem souveränen Nationalstaat?, 2004, S. 43–59; Pernthaler, Herrschaft der Richter im Recht ohne Staat, 2000; Pernthaler, Verfassungsentwicklung und Verfassungs reform, 2000, S. 87–88; Öhlinger, Transformation, 2002; mit Hinweisen auf den politik wissenschaftlichen Diskussionsprozess Sturm, Perspektiven des Staates, 2004. 81 Dieser Konnex zwischen aktuellen Krisenerfahrungen und der Forschungsrichtung der im Folgenden zu besprechenden Sozialdisziplinierung wird ausdrücklich hergestellt von Schuck, Theorien moderner Vergesellschaftung, 1999; deutliche Anklänge hieran auch bei Simon, „Gute Policey“, 2004, S. 3–4. 78
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2. 1. 2. Die allgemeine Geschichtswissenschaft Parallel zu den genannten rechtshistorischen Arbeiten, jedoch weitgehend ohne wechselseitige Interdependenzen oder auch nur eine intensivere Wahrnehmung der Diskussionen der jeweiligen Nachbardisziplin entfaltete das Oestreich’sche Konzept der Sozialdisziplinierung im Bereich der Geschichtswissenschaft große Strahlkraft.82 Sozialdisziplinierung bezeichnete dabei sowohl den Prozess als auch das Resultat einer tief greifenden, von ‚oben’ durch den monarchischen Absolutismus gesteuerten Erziehung breiter Bevölkerungskreise mit der Zielsetzung, einen einheitlichen, rational beherrsch- und lenkbaren Untertanenverband zu schaffen. Mit den dadurch geschaffenen Möglichkeiten eines effizienteren Zugriffs auf die personellen und finanziellen Ressourcen der Bevölkerung diente der Sozialdisziplinierungsprozess der Perfektionierung fürstlicher Herrschaft, wobei sich dieser Prozess nicht auf die Zurückdrängung der Machtstellung intermediärer Gewalten und auf die Limitierung der Einflussmöglichkeiten landständischer Repräsentationen beschränkte. Mit der Sozialdisziplinierung ging vielmehr eine „geistig-moralische und psychologische Strukturveränderung des politischen, militärischen, wirtschaftlichen Menschen“83 einher, die tief in alle Lebensbereiche eingriff: Werthaltungen und Verhalten der Menschen sollten im Sinne eines rationalen Nützlichkeitsdenkens und mit dem Endziel eines optimierten Funktionierens für das Gemeinwesen geprägt werden. „Im europäischen Polizei- und Ordnungsstaat wurde seit dem 16. Jahrhundert die Bevölkerung insbesondere der unteren Schichten zu einem disziplinierten Leben erzogen.“84 Besonders deutlich schien sich diese Intention in der Bekämpfung unkontrollierten Auslebens von Trieben, in der Beschränkung unproduktiver Festkultur und verschwenderischer Lebenshaltung und in der Erziehung zu einer verinnerlichten Arbeitsethik niederzuschlagen.85 Für die Gesetzgebungsgeschichte sind die Sozialdisziplinierung und die von ihr inspirierten, überaus materialreichen Arbeiten insofern von besonderem Interesse, als schon Oestreich in den sich im 15. Jahrhundert intensivierenden und im 16. Jahrhundert quantitativ explodierenden Stadt-, Landes- und Reichspolizeiordnungen einen Ausdruck und das wichtigste Instrument des Sozialdisziplinierungsprozesses sah, denen dementsprechend von der geschichtswissenschaftlichen Forschung entsprechende Aufmerksamkeit zuteil wurde. Vgl. v. a. Oestreich, Strukturprobleme, 1968 (Nachdruck 1969); Oestreich, Policey und Prudentia civilis, 1976 (Nachdruck 1980); zur Entstehung und Entwicklung des Konzepts vgl. auch Schulze, Gerhard Oestreichs Begriff „Sozialdisziplinierung“ in der Frühen Neuzeit, 1987; Behrens, „Sozialdisziplinierung“ als Konzeption, 1999; Schuck, Theorien moderner Vergesellschaftung, 1999; Freitag, Mißverständnis, 2001; zusammenfassend nunmehr Iseli, Gute Policey, 2009, S. 116–121. 83 Oestreich, Strukturprobleme, 1969, S. 188 (erstmals 1968). 84 Oestreich, Strukturprobleme, 1969, S. 193 (erstmals 1968). 85 Zu den Beziehungen und allfälligen (oder vielmehr kaum vorhandenen) Bezügen zwischen Gerhard Oestreich, Norbert Elias und Max Weber vgl. Tilgner, Sozialdisziplinierung und Sozialregulierung, 2000, S. 35–36. 82
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I. Einführung in das Thema
Komplementär zum bzw. in enger Verschränkung mit dem säkularen Prozess der Sozialdisziplinierung vollzog sich die Konfessionalisierung, d. h. die von Luthertum, Calvinismus und Katholizismus gleichermaßen vorangetriebene Disziplinierung der Bevölkerung auf religiösem Gebiet, die von Wolfgang Reinhard als „die erste Phase der von Gerhard Oestreich so genannten absolutistischen ‚Sozialdisziplinierung’“ bezeichnet wurde.86 Durch Predigt, konfessionell geprägtes Schulwesen, Katechese und Visitation hätten die Kirchen auf die Disziplinierung der Bevölkerung abgezielt, die sich nicht wie im Mittelalter auf eine äußere Einhaltung kirchlicher Gebote beschränkte, sondern von den Gläubigen die Verinnerlichung religiöser Werte und Dogmen verlangte,87 wobei die Konfessionalisierung in den Jahrzehnten zwischen 1580 und 1620 ihren Höhepunkt erreichte. Heinz Schilling erblickt in der Konfessionalisierung einen „gesellschaftlichen Fundamentalvorgang, der das öffentliche und private Leben in Europa tief greifend umpflügte, und zwar in meist gleichlaufender, bisweilen auch gegenläufiger Verzahnung mit der Herausbildung des frühmodernen Staates und mit der Formierung einer neuzeitlich disziplinierten Untertanengesellschaft.“88 Das Konfessionalisierungskonzept wurde damit als geistliches Pendant zur Sozialdisziplinierung, „mehr oder weniger als eine Variante von ‚Sozialdisziplinierung’“89 begriffen, die zudem eng mit dem Staat verflochten war und dadurch einen, wenn auch nicht primär intendierten, so doch nicht unerheblichen „Beitrag zum Wachstum der Staatsgewalt“90 lieferte. Schließlich trug auch die weltliche Gesetzgebung zur konfessionellen Homogenisierung und Disziplinierung bei, indem Materien wie Sonn- und Feiertagsheiligung, Sittenzucht, Gotteslästerung, Fasten- und Beichtdisziplin als originär geistliche Materien auch seitens der weltlichen Obrigkeit normativ geregelt und religiöse Devianz vom Staat sanktioniert wurde91 – womit die Gesetzgebung nicht nur die allgemeine herrscherliche Pflicht der Glaubensverteidigung und die mittelalterliche Tradition der Kirchenhoheit fortschrieb, sondern im protestantischen Bereich auch dem Lan deskirchensystem Rechnung trug.92 Reinhard, Prolegomena zu einer Theorie, 1988, S. 268. Besonders eindrückliche Beispiele bei Kissling, „Gute Policey“ und Konfessionalisierung, 2000, S. 96–97. 88 Schilling, Konfessionalisierung im Reich, 1988, S. 6; vgl. auch Schilling, Was ist Konfessionalisierung?, 1995; Schilling, Konfessionalisierung von Kirche, Staat und Gesellschaft, 1995. 89 Schilling, Was ist Konfessionalisierung?, 1995, S. 421. 90 Ganzer, Art. „Konfessionalisierung“, 1997, Sp. 237. 91 Vgl. z. B. Kissling, „Gute Policey“ und Konfessionalisierung, 2000; Janssen, „Gute Ordnung“, 1999, hier bes. S. 43; Willoweit, Katholische Reform und Disziplinierung, 1993; Stolleis, „Konfessionalisierung“ oder „Säkularisierung“, 1993. 92 Vgl. auch zusammenfassend Willoweit, Verfassungsgeschichte, 52005, S. 176–181; Stolleis, „Konfessionalisierung“ oder „Säkularisierung“, 1993, S. 15–17, macht jedoch darauf aufmerksam, dass sich entsprechende gesetzgeberische Maßnahmen zur Sicherstellung einer christlichen Lebensführung aus Sicht der Normadressaten wohl als „legitime (d. h. als be86 87
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Die Forschungsparadigmen Sozialdisziplinierung und Konfessionalisierung haben zu einer schier unüberschaubaren Fülle an mikrohistorischen Einzelstudien geführt, die in der Regel mit Fokussierung auf einen geographisch-territorial umgrenzten Raum und auf eine bestimmte Regelungsmaterie wie z. B. Festkultur, Konkubinat, Migration oder Bettelwesen die Tragfähigkeit des Modells der Sozialdisziplinierung in Konfrontation mit dem archivalischen Quellenmaterial verifizierten.93 Während man in einer ersten Phase aus der Masse einschlägiger Normierungen auf eine effektive Disziplinierung schloss und sich die makrohistorische These Oestreichs eines „Fundamentalvorgangs“ somit zu bestätigen schien, ließen in einer zweiten Phase eingehendere Studien über die Implementationsvorgänge der Normen das vielfältige Scheitern der obrigkeitlichen Disziplinierungsbestrebungen erkennen. Während auf theoretischer Ebene das Erklärungsmodell der Sozialdisziplinierung von bestechender Überzeugungskraft zu sein schien, manifestierten sich bei Quellenstudien über die Durchsetzungspraxis der Policeyordnungen, Edikte, Mandate und Patente vielfältige Formen der Devianz, des Widerstands der Normadressaten gegen staatliche Regulierungsbemühungen. Aufgrund dieses Befundes glaubte man letztlich das Scheitern des Staates und seiner Organe in der Bewährung vor Ort diagnostizieren zu müssen.94 Parallel hierzu wurden kritische Stimmen sowohl am Oestreich’schen Modell der Sozialdisziplinierung als auch am Interpretament der Konfessionalisierung laut, die sich vor allem auf die einseitig etatistische Ausrichtung des Konzepts, die Konzentration auf die Obrigkeit und deren Ordnungsvorstellungen und -techniken sowie die damit verbundene Perzeption eines überwiegend einseitig von ‚oben’ nach ‚unten’ verlaufenden Disziplinierungsprozesses bezogen, wodurch Ausweich- und Widerstandsstrategien der Normadressaten tendenziell zu wenig Raum eingeräumt sowie deren Möglichkeiten zur Einwirkung auf den Normsetzungsprozess ausgeblendet würden.95 Gegen Ende des 20. Jahrhunderts zeichnete sich dabei allmählich ein Paradigmenwechsel ab: Zu rechtigt und notwendig empfundene) gemeinwohlbezogene Sozialgestaltung“ (Zitat ebd., S. 16) ausgenommen haben. 93 Vgl. z. B. den Überblick über die Forschungen in den achtziger und neunziger Jahren bei Schilling, Profil und Perspektiven, 1999 (mit reichhaltigen Literaturhinweisen); einen Eindruck von der abundanten Forschungsliteratur vermitteln die bibliographischen Angaben in den einschlägigen Kapiteln der Arbeit von Härter, Policey und Strafjustiz, 2005. 94 Vgl z. B. Dinges, Frühneuzeitliche Armenfürsorge, 1991, S. 15: „Nicht die repressiven und kriminalisierenden Ziele und Normen, sondern ihre Nichtanwendung, Nichtdurchsetzbarkeit und Wirkungslosigkeit“ würden die Verhältnisse im von Dinges exemplarisch herangezogenen frühneuzeitlichen Bordeaux kennzeichnen; vgl. auch das Résumé bei Blickle, Gute Polizei oder Sozialdisziplinierung, 1996, S. 99 (mit weiteren Literaturhinweisen). 95 Vgl. die Zusammenfassung bei Meumann/Pröve, Faszination des Staates, 2004 (mit weiteren Literaturhinweisen); vgl. auch schon Schmidt, Plädoyer für ein Ende des Etatismus, 1997, sowie die Hinweise bei Weber, Sozialdisziplinierung, 1998, S. 423; für eine frühe kritische Stimme vgl. Dinges, Armenfürsorge als Sozialdisziplinierung?, 1991; ferner Lottes, Disziplin und Emanzipation, 1992; einen Überblick über rezente Forschungstendenzen bietet Brakensiek, Lokale Amtsträger, 2005.
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nehmend wurde von der allgemeinen Geschichtswissenschaft nach Möglichkeiten gesucht, die Enge des Sozialdisziplinierungskonzepts und damit die Konzentration auf die obrigkeitliche Perspektive zu umgehen, wozu sich der „Policey“-Begriff anbot. Hier ergaben sich Berührungspunkte zu den rechtsgeschichtlichen Forschungen zur „guten Policey“, die in den sechziger Jahren mit der 1966 in erster Auflage erschienenen (politikwissenschaftlichen!) Habilitationsschrift von Hans Maier über „Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre (Polizeiwissenschaft)“ eingesetzt hatten (s. u.).96 Die Resonanz der in der Geschichtswissenschaft so wirkmächtigen Paradigmen Sozialdisziplinierung und Konfessionalisierung blieb in der Rechtsgeschichte in den siebziger und achtziger Jahren sehr verhalten. Erste Erwähnungen des Terminus „Sozialdisziplinierung“ in Arbeiten zur Gesetzgebungsgeschichte finden sich bei Hans Schlosser zu Beginn der achtziger Jahre.97 Umfassende Berücksichtigung fanden die beiden genannten Paradigmen schließlich im 1988 erschienen ersten Band von Michael Stolleis’ „Geschichte des öffentlichen Rechts“,98 was wohl die Rezeption der geschichtswissenschaftlichen Diskussionen durch die Rechtshistorie forcieren konnte. Dennoch kam es in den ersten Jahren nach dem Erscheinen noch nicht zu einer intensiveren Beteiligung der Rechtshistoriker an den lebhaften Debatten der geisteswissenschaftlichen Nachbardisziplin; nur Stolleis99 selbst sowie Dietmar Willoweit100 befragten das Konzept der „Konfessionalisierung“ auch nach seiner Ergiebigkeit für rechtshistorische Fragestellungen. Die seither vollzogene stärkere Beachtung der Diskussion um Sozialdisziplinierung und Konfessionalisierung durch die Rechtsgeschichte wird nicht nur durch die häufiger ausdrücklich formulierte Bezugnahme,101 sondern auch durch die zwischenzeitliche Aufnahme in zumindest einzelne Lehr- und Handbücher dokumentiert.102 Zu einer überaus fruchtbaren Begegnung kam es erst ab der Mitte der neunziger Jahre unter der Leit kategorie der Forschung zur „guten Policey“.
Maier, Staats- und Verwaltungslehre, 42009; der ersten Auflage von 1966 folgten eine zweite 1980 sowie ein Nachdruck 1986 (hier wird die im Rahmen der „Gesammelten Werke“ erschienene Ausgabe von 2009 herangezogen). 97 Schlosser, Gesetzgebung und Rechtswirklichkeit, 1982, S. 533; Schlosser, Rechtssetzung und Gesetzgebungsverständnis, 1987, S. 53. 98 Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, Bd. 1, 1988, S. 187, 337–339, 348 passim. 99 Stolleis, „Konfessionalisierung“ oder „Säkularisierung“?, 1993. 100 Willoweit, Reform und Disziplinierung, 1993; Willoweit, Konfessionalismus, 1995. 101 Vgl. z. B. Vec, Hofordnungen, 1999, S. 45 und 52; Willoweit, Hofordnungen, 2004, S. 169. 102 Vgl. nur Willoweit, Verfassungsgeschichte, 52005, S. 176–181 und 183; keine Erwähnung z. B. in Laufs, Rechtsentwicklungen, 62006. 96
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2. 1. 3. Forschungen zur „guten Policey“ Die wissenschaftliche Beschäftigung mit „guter Policey“ hatte in der Rechtsgeschichte schon längere Tradition: 1966 und somit in deutlicher zeitlicher Nähe zu den kurz darauf erscheinenden Arbeiten Oestreichs war die bereits erwähnte Habilitationsschrift von Hans Maier „Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre“ publiziert worden, die als „bahnbrechende Arbeit“103 zu gelten hat. Die „gute Policey“ – bei Maier noch in der modernisierten Schreibung „gute Polizei“ aufscheinend – war trotz ihrer Omnipräsenz im administrativ-juristischen Sprachgebrauch vom 16. bis 18. Jahrhundert, der sich nicht nur in Akten und Gesetzes texten, sondern auch in der staatswissenschaftlichen Literatur dieses Zeitraums niederschlug, von der älteren Forschung nicht eingehend behandelt worden. Die „Policey“ hatte damals noch nicht die heute gegebene und auf das 19. Jahrhundert zurückzuführende Bedeutungsverengung und -veränderung erfahren,104 sondern deckte als materiellrechtlich umfassender (freilich polysemer) Begriff den gesamten Bereich staatlicher Verwaltung ab, die Regelungsmaterien öffentliche Sicherheit, Wirtschaftsordnung, Sittenzucht, religiöses und soziales Leben: „Orientiert an der Zielvorstellung des ‚gemeinen Nutzens’ bildete Policey die Leitkategorie und das zentrale Betätigungsfeld staatlichen Verwaltungshandelns“, wie es 1996 Michael Stolleis und Karl Härter auf den Punkt brachten.105 Nicht nur hinsichtlich des Erscheinungszeitpunktes der Arbeit weist Maiers „Ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre“ Affinität zu Oestreichs ersten Arbeiten über die Sozialdisziplinierung auf, auch der zeitliche Bezugsrahmen „Frühneuzeit“ überschneidet sich weitgehend, wenngleich Maier bei der Darstellung der Polizeiwissenschaft deren Nachwirkungen im 19. Jahrhundert auch behandelt. In einem ersten Teil wird die „gute Policey“ als Leitkategorie konkreten politischen Handelns in der Frühen Neuzeit thematisiert, wobei Maier – wiederum ähnlich wie Oestreich – der Policeygesetzgebung als normativem Lenkungsinstrument der herrscherlichen „guten Policey“ herausragende Bedeutung zumisst.106 Ein zweiter Teil widmet sich der staatsrechtlichen Theorie von der Policeyliteratur des 16. Jahrhunderts zur „Policeywissenschaft“ des 18. Jahrhunderts, die die expandierende Policeygesetzgebung begleitete und vor allem mit dem Verweis auf den „gemeinen Nutzen“, das durch den Herrscher und seine Behörden anzustrebende und zu verwirklichende Gemeinwohl legitimierte. Maier stellt die „Polizierung aller Lebensbereiche“107 durch Gesetzgebung und Verwaltung sowie durch die sie kommentierende oder ihr vorauseilende Policeyliteratur unter dem Leitgedanken des 105 106 107 103 104
Preu, Polizeibegriff und Staatszwecklehre, 1983, S. 1. Vgl. zum Policeybegriff die Literaturangaben in Kap. VI.2.2. Härter/Stolleis, Einleitung, 1996, S. 3. Maier, Staats- und Verwaltungslehre, 42009, S. 107–128. So der bezeichnende Aufsatztitel von Nitschke, 1996.
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„gemeinen Nutzens“, der vom Herrscher konkretisiert wird, als Expansionsprozess staatlicher (und damit administrativer) Tätigkeit dar. Es handelt sich nach Maier um eine „große[n] Umwälzung, mit welcher der moderne Verwaltungs- und Polizeistaat in Deutschland seinen Einzug hält“, wobei diese Umwälzung „langsam, Zug um Zug“ vor sich ging.108 Maier entwirft somit mit Betonung der „guten Policey“ als Leitkategorie ein Erklärungsmodell für staatliche Transformationsprozesse, dessen Attraktivität Peter Blickle folgendermaßen umschreibt: „Maier stellt zwischen den bekannten Hauptströmungen der Frühneuzeit in Deutschland – Aufstieg der Fürsten, Schwächung der Landstände, Verfestigung des Luthertums – einen begründeten Zusammenhang her, der eben mit dem Begriff Polizei (Verwaltung), die sich über das Gemeinwohl legitimiert, abgebildet werden kann.“109 Es zeigen sich deutliche Affinitäten zu Oestreichs Konzept der Sozialdisziplinierung,110 ohne dass es zwischen beiden Forschern zu einer intensiveren Verständigung gekommen wäre (wenngleich Maier in späteren Arbeiten auf das Konzept des vorverstorbenen Oestreich’ eingeht).111 Beide Ansätze beziehen sich auf die Frühneuzeit, beide wollen einen Beitrag zur Erklärung der Moderne liefern. Doch so wie die Sozialdisziplinierung vor allem für die Geschichtswissenschaft prägend wurde, beschränkte sich die Strahlkraft von Maiers Werk weitgehend auf die Rechtsgeschichte. Für dieses Phänomen macht Peter Blickle anlässlich einer Rückschau im Jahr 1996 zwei Gründe verantwortlich:112 Erstens wies die Geschichtswissenschaft in den siebziger und achtziger Jahren eine größere wissenschaftstheoretische Nähe zur Soziologie als zur Rechtswissenschaft auf, und hier ließ sich die Oestreich’sche Theorie der Sozialdisziplinierung ohne weiteres mit den soziologischen Modellen der Weber’schen Rationalisierung und mit Elias’ Zivilisationstheorie in Verbindung setzen. Zweitens war der Terminus „Polizei“, den die Erstauflage des Maier’schen Werkes auch noch im Titel führte, gerade in den siebzi ger und partiell noch achtziger Jahren bei vielen Angehörigen der damals jüngeren Historikergeneration tendenziell negativ konnotiert und löste wohl eher Abwehrreflexe als wissenschaftliche Neugier aus.113 Im Rahmen der Rechtsgeschichte zeigte die Arbeit Maiers hingegen bald Auswirkungen. Einerseits trat, wie bereits erwähnt, die Policeygesetzgebung stärker in Maier, Staats- und Verwaltungslehre, 42009, bes. S. 103–106, Zitate S. 104. Blickle, Gute Polizei oder Sozialdisziplinierung, 1996, S. 99. 110 Vgl. hierzu allgemein Blickle, Gute Polizei und Sozialdisziplinierung, 1996, S. 104–106; Oestreich starb 1978, ohne seine Theorie der Sozialdisziplinierung endgültig ausformulieren zu können; vgl. jedoch die Bezugnahme auf Maier in Oestreich, Policey und Prudentia civilis, 1980, S. 368 und 376 (Erstveröffentlichung 1976). 111 Vgl. Maier, Sozialdisziplinierung, 1993, bes. S. 238–240; ferner sehr kurz Maier, Polizei als politische Theorie, 2003, S. 576–577. 112 Vgl. Blickle, Gute Polizei oder Sozialdisziplinierung, 1996, S. 103–104; Blickle, Beschwerden und Polizeien, 2003, S. 550–551. 113 So auch Hieber, Policey zwischen Augsburg und Zürich, 2003, S. 2–3. 108 109
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das Blickfeld der Forschung,114 andererseits wurden schwerpunktmäßig die Policeywissenschaft, die von ihr vermittelten Ordnungsvorstellungen und ihre Auswirkung auf die Gesetzgebungspraxis des 18. Jahrhunderts untersucht (Schulze, Preu).115 Auf beiden Terrains zeigen sich Kontinuitätslinien bis in die jüngste Vergangenheit. So trägt die 2004 erschienene, umfassende Darstellung von Thomas Simon über politische Ordnungsvorstellungen seit dem Mittelalter bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts bezeichnenderweise den Titel „Gute Policey“. Insbesondere die am Max-PlanckInstitut für europäische Rechtsgeschichte erscheinende, von Michael Stolleis und Karl Härter herausgegebene Reihe „Studien zu Policey und Policeywissenschaft“ hat sich als ein Publikationsforum einschlägiger Forschungen etabliert, in der teils einzelne Rechtsgebiete „guter Policey“ (im allgemeinen territorial umgrenzt) dargestellt werden, teils die gesamte Policeygesetzgebung eines Landes erfasst wird116 oder auch die Policeywissenschaft entsprechende Beachtung erfährt.117 Der erste Band der Geschichte des öffentlichen Rechts von Michael Stolleis, der den Zeitraum von 1600 bis 1800 abdeckt, führt aussagekräftig den Untertitel „Reichspublizistik und Policeywissenschaft“.118 Nicht zuletzt zeigt sich der Siegeszug der „guten Policey“ in der Rechtsgeschichte daran, dass immer mehr Gesamtdarstellungen, Lehrbücher und Kompendien nicht mehr auf einschlägige Ausführungen verzichten.119 Schließlich war die Geschichte der Policey in Spätmittelalter und Frühneuzeit „neben Verwaltungsgeschichte vor allem auch Gesetzgebungsgeschichte“120. Ab der Mitte der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts verzeichneten die Forschungen zur „guten Policey“ einen weiteren qualitativen wie quantitativen Aufschwung. Die hierfür auszumachenden Gründe sind vielfältig. Erstens erhielt die juristische Policeyforschung mit dem Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte eine gewisse institutionelle Heimat, ist doch dort unter der Leitung von Michael Stolleis und Karl Härter das „Repertorium der Policeyordnungen der Frühen Neuzeit“ beheimatet, dessen erster Band (Deutsches Reich und geistliche Kurfürstentümer) im Jahr 1996 erschien und das seither weitergeführt wird. Es schickt sich an, das von der Forschung seit Jahrzehnten monierte Desiderat einer planmäßigen und möglichst vollständigen Erfassung frühneuzeitlicher legislativer Tätigkeit Vgl. oben, z. B. Schulze, Polizeigesetzgebung, 1978. Schulze, Policey und Gesetzgebungslehre, 1982; Preu, Polizeibegriff und Staatszwecklehre, 1983. 116 Vgl. z. B. an rezenten Erscheinungen Grumbach, Kurmainzer Medizinalpolicey, 2006; Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007. 117 Vgl. z. B. Matsumoto, Polizeibegriff im Umbruch, 1999; Pauly, Entstehung des Polizeirechts, 2000. 118 Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, Bd. 1, 1988. 119 Vgl. z. B. Willoweit, Verfassungsgeschichte, 52005, Register sub voce „Polizei, gute“; Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, 42004, Rz 1318–1323; Bader/Dilcher, Rechtsgeschichte, 1999, S. 198–204; vgl. auch schon Unruh, Polizei, Polizeiwissenschaft und Kameralistik, 1973. 120 So Hieber, Policey zwischen Augsburg und Zürich, 2004, S. 3. 114 115
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zumindest partiell und mit steigender Tendenz für den geographischen Raum der Staaten Schweiz, Österreich und Bundesrepublik Deutschland einzulösen. Dieses Projekt zur Erfassung der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Policeygesetzgebungsakte ist dabei nicht nur Ausdruck des gewachsenen Interesses an frühneuzeitlicher Gesetzgebung, sondern wohl teilweise auch Anstoß dazu (wie namentlich die bereits erwähnte Publikationsreihe „Studien zu Policey und Policeywissenschaft“ zu illustrieren vermag, die unter anderem einer Fülle einschlägiger rechtswissenschaftlicher Arbeiten ein Forum zur Veröffentlichung bot). Parallel zur institutionellen Anbindung der rechtshistorischen Policeyforschung an das Max-Planck-Institut kam es zur verstärkten Wahrnehmung dieser Forschungsbeiträge seitens der allgemeinen Geschichtswissenschaft, da die „gute Policey“ als ein Ausweg aus den zunehmend als einseitig etatistisch erkannten Sozialdisziplinierungsdiskursen erschien (s. o.). Die „gute Policey“ wurde dabei seitens der Allgemeinhistoriker offensichtlich nicht als einziger Ausweg wahrgenommen. Eine andere Schiene entwickelte sich in Richtung kommunikationstheoretischer Modelle, die die Herrschaft (und folglich auch Gesetzgebung) nicht mehr als einseitig von ‚oben’ nach ‚unten’ ausgerichteten Prozess wahrnehmen, sondern als multipolaren Kommunikationsvorgang zwischen Untertanen, lokalen Obrigkeiten, Zentralbehörden, Landständen und Herrschern erklären wollen (wobei sich durchaus Bezüge zu und Wechselwirkungen mit den Forschungen zur „guten Policey“ ergaben und ergeben). Sehr hellsichtig hatte Peter Blickle schon 1996 die Attraktivität und Vorteile der „guten Policey“ auch für die Geschichtswissenschaft diagnostiziert:121 Während „Sozialdisziplinierung“ ein von der Forschung geprägter Begriff ist, der den in der zeitgenössischen Politiktheorie belegten Begriff „Disziplin“ ausweitet respektive spezifisch umdeutet, ist die „Policey“ sowohl auf der Ebene der Gesetzgebung, der Verwaltung als auch der Wissenschaft (Policeywissenschaft) in der Frühneuzeit fast allgegenwärtig; zudem greift der Begriff „Policey“ „durch seine semantische Nähe zu Politik weiter in das gesellschaftliche und staatliche Leben aus.“122 In den dieser wegweisenden Einschätzung Blickles folgenden Jahren erschien eine ganze Reihe von Arbeiten zur „guten Policey“ aus der Feder von Historikern123 wie Juristen124, die Blickles Schlussfolgerung zur Tragfähigkeit des Policeybegriffs zur Gänze stützten. Dementsprechend erachtete es 2002 auch Martin Dinges für nicht mehr zielführend, weiterhin Arbeiten „unter dem wenig klaren Etikett einer europäischen Blickle, Gute Polizei oder Sozialdisziplinierung, 1996, S. 105–106. Blickle, Gute Polizei oder Sozialdisziplinierung, 1996, S. 105. 123 Vgl. z. B. Kissling, „Gute Policey“ im Berchtesgadener Land, 1999; Landwehr, Policey im Alltag, 2000; Sälter, Policey und soziale Ordnung, 2004. 124 Vgl. neben den Folgebänden des „Repertoriums“ nur z. B. König, Judenverordnungen, 1999; König, Luxusverbote, 1999; Dehesselles, Policey, Handel und Kredit, 1999; Berg, Landesordnungen, 1998; Pauly, Entstehung des Polizeirechts, 2000. 121 122
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‚Disziplinierungsgeschichte’ sammeln zu wollen“125; vielmehr sollte „Disziplinierung“ nur mehr zur Beschreibung der obrigkeitlichen Intentionen verwendet werden, während sonst – ganz im Blickle’schen Sinn – der offenere, durch den zeitgenössischen Sprachgebrauch begründbare Begriff „Policey“ („Policeyforschung“) treffender sei. In der Tat: „Die Polizei drängt die Sozialdisziplinierung in den letzten Jahren deutlich in den Hintergrund,“ wie Peter Blickle 2003 konstatierte und was vorbehaltlos noch heute zutrifft.126 Die allgemeine Geschichtswissenschaft hat sich somit zuletzt einem genuin rechtshistorischen Forschungsfeld zugewandt – was für die Rechtshistorie nicht unbedingt von Vorteil sein muss, wenn man sich das Beispiel der Strafrechtsgeschichte ansieht, die bis vor wenigen Jahren von der Historischen Kriminalitätsforschung völlig marginalisiert wurde und erst seit rund einem Jahrzehnt wieder deutliche Lebenszeichen von sich gibt.127 Das (überspitzte, jedoch nicht eines gewissen wahren Kerns entbehrende) Szenario von über das schon gepflügte Feld der Policeyforschung herfallenden Historiker, die ihre Kollegen von den juridischen Fakultäten an den Rand drängen und den Hauptteil der Ernte selbst einfahren, ist freilich nicht Realität geworden, im Gegenteil. Abgesehen allenfalls von der Reichskammer gerichtsforschung ist die immer wieder monierte, jedoch nur selten verwirklichte wechselseitige Wahrnehmung, der Austausch und die Kooperation zwischen Allgemein- und Rechtshistorikern derzeit wohl in keinem Forschungsfeld so ausgeprägt wie im Bereich der Forschungen zur „guten Policey“. Dies ist auch für die Rechtsgeschichte überaus befruchtend und führt zu einer Ausweitung der Fragestellungen. Nicht mehr die normative Ebene allein, die erfassten Regelungsmaterien und deren legislative Entwicklung stehen isoliert im Mittelpunkt des Interesses; vielmehr wird darüber hinaus gefragt, wie und mittels welcher Institutionen und Instrumentarien die „Durchsetzung“ bzw. „Implementation“ der Normen funktionierte, wobei auch die vielfältigen Rückwirkungen der Implementations- auf die Rechtssetzungspraxis verstärkt Beachtung finden.128
Dinges, Policeyforschung statt „Sozialdisziplinierung“?, 2002, S. 344. Blickle, Beschwerden und Polizeien, 2003, S. 550. 127 Vgl. den Befund bei Schmoeckel, Rechtsgeschichte im 21. Jahrhundert, 2000, Rz 23; hier hat das groß angelegte Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Entstehung des öffentlichen Strafrechts die Forschung signifikant neu belebt, was sich nicht zuletzt anhand des Anwachsens der Publikationsreihe „Konflikt, Verbrechen und Sanktion in der Gesellschaft Alteuropas“ zeigte. 128 Fast ist man geneigt, für dieses Phänomen neben Rahmenbedingungen wie institutioneller Verankerung und der Existenz einer einschlägigen Publikationsreihe auch Einzelpersonen Scharnierfunktionen zuzusprechen. Im Speziellen bietet sich hier der Hinweis auf Karl Härter an, ein am Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte beschäftigter, stark rechtsgeschichtlich arbeitender Historiker, dessen Arbeiten wohl eine gewisse Transmissionswirkung zwischen den Disziplinen zukommt. 125 126
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2. 2. Österreich/Tirol Es wurde bereits angeführt, dass sich das in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zunehmende Interesse an Fragen der historischen Gesetzgebung auch in Österreich niederschlug, wobei vor allem Wilhelm Brauneder mit einschlägigen Forschungen hervortrat.129 Brauneders Wirken nimmt dabei auch insofern eine Sonderstellung ein, als er der Gesetzgebungsgeschichte nicht nur initial in den siebziger Jahren Beachtung schenkte, sondern kontinuierlich während dreier Jahrzehnte immer wieder Beiträge lieferte.130 Durch ihre Fokussierung auf die frühneuzeitlichen Kodifikationen des österreichischen Raumes durchaus in traditionellen Bahnen bewegt sich demgegenüber die 1976 erschienene Habilitationsschrift von Ursula Floßmann,131 wobei die Landrechte und Landrechtsentwürfe natürlich auch weiterhin im Rahmen der Privatrechtsgeschichte Beachtung fanden (Wesener, Brauneder).132 Im Gegensatz zur anhaltenden Produktion Brauneders beschäftigte sich Floßmann in der Folge nur noch vereinzelt mit Fragen der frühneuzeitlichen Gesetzgebung.133 Die Kenntnis der legislativen Tätigkeit im Erzstift Salzburg in der Frühneuzeit wurde durch Forschungen von Peter Putzer vertieft, der sich ab den beginnenden achtziger Jahren mit dieser Thematik befasste.134 Günther Burkert schickte sich am Ende desselben Jahrzehnts an, die Gesetzgebungstätigkeit Ferdinands I. für die österreichischen Erbländer zu erfassen, wobei dieses Projekt offensichtlich nicht über Vorarbeiten hinaus gedieh.135 Durch die erwähnten Arbeiten wurden die bereits von der österreichischen Reichsgeschichte seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert gelieferten Erkenntnisse entscheidend vertieft, zumal sich auch die österreichische Rechtsgeschichte bis dahin vor allem den Kodifikationen136 und weniger Einzelgesetzgebungsakten aus dem Bereich „guter Policey“ zugewandt hatte. Vgl. z. B. Brauneder, Materielles Strafrecht, 1973; Brauneder, Anfänge der Gesetzgebung, 1973; Brauneder, Gesetzgebungsgeschichte, 1973; Brauneder, Gehalt der österreichischen Polizeiordnungen, 1976; Brauneder, Geltung obrigkeitlichen Privatrechts, 1975 (Wiederabdruck in Brauneder, Studien, Bd. I, 1994); vgl. auch Brauneder/Kohl, Rechtshistorische Forschung in Österreich, 2001, S. 33. 130 Vgl. die Literaturangaben im Literaturverzeichnis sub voce „Brauneder“; ferner Brauneder/ Kohl, Rechtshistorische Forschung in Österreich, 2001, S. 33–35. 131 Floßmann, Landrechte als Verfassung, 1976. 132 Zur wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Privatrechtsgeschichte in Österreich zuletzt Wesener, Anfänge und Entwicklung, 2006. 133 Floßmann, Diskriminierung und Gleichbehandlungsgebot, 1989. 134 Putzer, Legislative, 1981; Putzer, Rechtsgeschichtliche Einführung, 1981; zuletzt auch Pallauf/Putzer, Waldordnungen, 2001. 135 Burkert, Patente, 1989. 136 Vgl. den Überblick bei Floßmann, Landrechte als Verfassung, 1976, S. 26–42, betreffend die früheren Leistungen der österreichischen Rechtsgeschichte über den Forschungsgegenstand Landrechte. 129
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Der Mitte der neunziger Jahre zu konstatierende Aufschwung der Forschungen zur „guten Policey“ fand auch in Österreich Widerhall, wobei neben den Arbeiten von Brauneder vor allem auf jene Josef Pausers hinzuweisen ist, der wesentliche Beiträge zur Gesetzgebungsgeschichte der niederösterreichischen Länder lieferte und dabei durch intensive Einarbeitung der archivalischen Überlieferung über den Normenbestand hinaus Aussagen über das Zustandekommen von legislativen Akten und über die Anwendung vor Ort treffen kann.137 Die bisherige Darstellung lässt die Erforschung der Gesetzgebung in Spätmittelalter und Frühneuzeit als eine nicht kontinuierliche, sondern gewissen Konjunkturzyklen unterworfene Erfolgsgeschichte erscheinen – was auch durchaus zutrifft. Lenkt man jedoch den Blick in concreto auf den Untersuchungsraum Tirol, so weicht die bedingte, jedoch hoffnungsvolle Hochstimmung nur allzu leicht einer gewissen Niedergeschlagenheit:138 Das Interesse der Rechtsgeschichte machte sich seit jeher an den Tiroler Landesordnungen von 1526, 1532 und 1573 fest, wobei die grundlegende Untersuchung von Sartori-Montecroce vom Ende des 19. Jahrhunderts stammt.139 Eine vergleichbare Prädilektion für die großen Kodifikationen zeigte die Geschichtswissenschaft, wobei hier im Speziellen der Landesordnung von 1526 im Kontext der Bauernkriegsforschung Augenmerk geschenkt wurde.140 Dabei trat namentlich der Historiker Peter Blickle hervor, der sich auch ansonsten als einer von wenigen in den letzten Jahrzehnten intensiver mit der Tiroler Gesetzgebungsgeschichte beschäftigt hat.141 Neben den Landesordnungen fand die Tiroler Halsgerichtsordnung von 1499 bei Historikern wie Rechtshistorikern entsprechende Beachtung.142 Der Beitrag der Landesgeschichte zur gegenständlichen Themenstellung fällt insgesamt eher bescheiden aus, war diese doch bis vor kurzem – der bereits erwähnten Theorie des Tiroler „Sonderwegs“ verhaftet – von einer starken Fokussierung auf (vermeintlich) besonders zentrale, ja einzigartige Doku mente rechtlichen Inhalts wie die Landesfreiheiten von 1404 und 1406 oder das Landlibell von 1511 geprägt. Hinsichtlich des Normenbestands präsentiert sich Vgl. nur Pauser, Gravamina und Policey, 1997; Pauser, Studien, 2000; Pauser, Geldspiel und Policey, 2000; Pauser, Maximilian II. und die Landstände, 2002; Pauser, Quellen und Materialien, 2002; Pauser, Glückshäfen und „gute Policey“, 2003; Pauser, Rechtsstellung der Frau, 2003; Pauser, Spiel vor dem Rat, 2005. 138 Vgl. auch den kurzen Abriss zur Forschungsgeschichte bei Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007, S. 1–2. 139 Vgl. Sartori-Montecroce, Reception, 1895; Oberweis, Landesordnung vom Jahre 1526, 1865/1866. 140 Vgl. nur Wopfner, Innsbrucker Landtag, 1909, S. 85–151, bes. S. 141–148; Macek, Tiroler Bauernkrieg, 1965 S. 278–288; Gerhardinger, Grundlagen der Landesordnung, [1939]; Glembeck, Der strafrechtliche Inhalt, [1941]. 141 Blickle, Landschaften im Alten Reich, 1973, bes. S. 200–227; Blickle, Revolution von 1525, 4 2004, S. 265–267; zuletzt Blickle, Beschwerden und Polizeien, 2004, bes. S. 553–554. 142 Vgl. z. B. Morscher, Halsgerichtsordnung, 1998; Schmidt, Halsgerichtsordnungen, 1948; weitere Literaturangaben in Kap. IV.7.1. 137
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immerhin die in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts entstandene, jedoch erst 1998 aus dem Nachlass herausgegebene „Geschichte der Verwaltung Tirols“ von Otto Stolz als Fundgrube.143 Die grundsätzlich lange Zeit zu beobachtende Vernachlässigung von Einzel gesetzgebungsakten lässt sich im Übrigen auch in Tirol ausmachen, wo mit Ausnahme von thematisch restringierten Untersuchungen wie beispielsweise zum Forst-144 oder Jagdrecht145 Mandate, Edikte und Patente, aber auch umfassende Ordnungen „guter Policey“ nahezu völlig aus der Betrachtung ausgeblendet wurden. Erst in den letzten Jahren ist in diesem Punkt ein gewisses Umdenken zu beobachten.146 Der in Österreich wie in der Bundesrepublik seit den siebziger Jahren sowie neuerlich in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts festzumachende Aufschwung der Gesetzgebungsgeschichte fand in Tirol keine Entsprechung. Allerdings ist in diesem Zusammenhang auf eine persönliche wie sachliche Ausnahme hinzuweisen. Rudolf Palme beschäftigte sich immer wieder mit bestimmten Aspekten der Tiroler Gesetzgebung.147 Palmes Arbeitsschwerpunkt im Bereich des Bergrechts führte gerade hier seit den siebziger Jahren zu einer Vielzahl einschlägiger rechtshistorischer Untersuchungen,148 die an die grundlegenden Arbeiten aus dem beginnenden 20. Jahrhundert anschließen konnten.149 Damit erfuhr ein Rechtsgebiet, dem einerseits für die Tiroler Wirtschaftsgeschichte besondere Bedeutung zukam und das andererseits erhebliche Vorbildwirkung für entsprechende Regelungen außerhalb Tirols entfaltete, eine seiner Relevanz entsprechende Bearbeitung. Die Ausstrahlung der von Palme gesetzten Initiativen ist noch heute deutlich greifbar, wobei sowohl Juristen als auch Montanhistoriker hier ansetzen.150 Stolz, Geschichte der Verwaltung, 1998. Vgl. Oberrauch, Wald und Weidwerk, 1952; Schennach, Recht, Gesetz und Nutzungskonkurrenzen, 2006 (mit weiteren Literaturhinweisen). 145 Vgl. die Literaturhinweise bei Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007, S. 9–12. 146 Vgl. Steinegger, Münz- und Wirtschaftsordnung, 1994; Schennach, Aufgebots- und Postmandat, 2000; Schennach, Gerichtskosten, 2002; Zeindl, Feuerordnungen, 2002; Rebitsch, Mandate gegen Juden und Zigeuner, 2005 (wobei drei der vier Autoren Allgemeinhistoriker sind). 147 Vgl. z. B. Palme, Kodifikationsbestrebungen, 1989; Palme, Meinhard II., 1995 (zum meinhar dinischen Landrecht). 148 Palme, Rechtliche Verhältnisse, 1974; Palme, Rechts-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte, 1983; Palme, Entstehung des Tiroler Bergrechts, 1984; Palme, Rechtliche Probleme, 1988; Palme, Arbeitsverfassung im Salzbergbau, 1979; Palme, Salzordnungen, 1991. 149 Vgl. besonders Wolfstrigl-Wolfskron, Tiroler Erzbergbaue, 1903; Worms, Schwazer Bergbau, 1904. 150 Den jüngsten Überblick über das Tiroler Bergrecht bietet Mernik, Codex Maximilianeus, 2005, S. 25–43; Mernik, Beobachtungen, 2003; Hofmann, Arbeitsrechtliche Bestimmungen, 2003; Hofmann/Tschan, Bergordnungen, 2004; Hofmann/Tschan, Schwazer Bergrecht, 2007; siehe ferner den Sammelband Bair/Ingenhaeff (Hg.), Bergbau und Recht, 2007. 143 144
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3. Die Quellenlage 3. 1. Gesetzessammlungen Zwei Behelfe können dem mit Fragen territorialer Gesetzgebung befassten Rechtshistoriker den Weg durch das Dickicht frühneuzeitlicher Gesetze bahnen: erstens ein häufig als „Patent‑“, „Mandat-“, „Normaliensammlung“ bezeichneter Archivkörper, der praktischerweise den Untersuchungsgegenstand (oder zumindest einen wesentlichen Teil desselben) auf dem Silbertablett präsentiert. Entsprechende Archivbestände existieren beispielsweise für die Steiermark bzw. für die innerösterreichischen Länder („Patente und Kurrenden“ des Steiermärkischen Landesarchivs), für Österreich ob der Enns („Patent- und Normaliensammlung“ des Oberösterreichischen Landesarchivs), für Österreich unter der Enns („Patentesammlung“ des Niederösterreichischen Landesarchivs).151 Daneben sind die Patentesammlungen des Österreichischen Staatsarchivs (Haus-, Hof- und Staatsarchiv sowie Hofkammerarchiv) zu nennen.152 Ein zweiter zentraler Arbeitsbehelf sind gedruckte Gesetzessammlungen, die in einigen Ländern im 18. Jahrhundert publiziert wurden. Sie bezweckten die Erschließung der bisherigen Gesetzgebung und dienten vornehmlich der Orientierung des Verwaltungspersonals.153 Beide Hilfsmittel wird man in Tirol und für den Tiroler Raum – zumindest was den Untersuchungszeitraum betrifft – vergeblich suchen. Es gibt zwar mehrere „Gesetzessammlungen“ (die man sich hier nur als faszikelweise Zusammenstellung von gedruckten Gesetzen vorstellen darf ), die jedoch ausschließlich aus dem 18. (und in einem Fall aus dem 19.) Jahrhundert stammen und nur „policeyliche“, d. h. verwaltungsrechtliche Normen erfassen. Sie dienten ausschließlich dem Amtsgebrauch und sollten den Bediensteten der Regierung bzw. des Guberniums eine rasche Übersicht über den geltenden Normenbestand verschaffen. Dieser Ziel setzung entsprechend verfügt jeder dieser Bestände über einen Findbehelf, der in der Art eines Registers unter einem bestimmten Schlagwort die darauf bezüglichen Materiengesetze auswirft. Aus dieser verwaltungspraktischen Zweckbestimmung, welche das möglichst rasche Auffinden einschlägiger Normen sicherstellen sollte, ergibt sich die Auslassung jener Gesetze, die bei Anlegung der Bestände als nicht mehr in Geltung stehend betrachtet wurden, weshalb bei allen in Frage kommen Vgl. Oberösterreichisches Landesarchiv (Hg.), Bestände, 1998, S. 232; Spreitzhofer, Archive, 2001, S. 66; Inventar des steiermärkischen Statthalterei-Archives, 1918, S. 27; Posch (Hg.), Gesamtinventar, 1959, S. 77; für das Gebiet des ehemaligen Erzstifts Salzburg vgl. nur den Bestand „Generaliensammlung“ (Koller, Salzburger Landesarchiv, 1987, S. 54). 152 Vgl. Bittner (Hg.), Inventar, 1936, S. 441–442; Inventar des Wiener Hofkammerarchivs, 1951, S. 153. 153 Vgl. die entsprechenden Ausführungen bei Pauser, Gesetzgebung, 2004, S. 234–240. 151
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den Beständen („Normaliensammlung“, „Systematische Normalien“, „Similien“) Policeygesetze aus dem 17. Jahrhundert kaum noch Berücksichtigung fanden. Anders verhielt es sich bei einer im 19. Jahrhundert gedruckten Gesetzessammlung, die Dr. iur. Joseph R. Rapp154 in drei Teilen zwischen 1827 und 1834 veröffentlichte und die ausdrücklich antiquarisch-historischen Interessen diente. Rapp begnügt sich allerdings mit einer überaus selektiven Auswahl der Gesetzestexte, die in unterschiedlicher Ausführlichkeit besprochen und bewertet werden.155 Vornehmlich durch seine Teilnahme in führender Stellung am Tiroler Aufstand von 1809 bekannt, hatte er bereits 1804 und 1805 die Lehrkanzeln für Kirchenrecht und vaterländische Gesetzgebung vertreten und wirkte ab 1815 als Gubernialrat sowie Kammerprokurator in Innsbruck und Linz. Demgegenüber sollte die von Rapps Kollegen Johann Georg Wörz 1835/1842 in zwei Bänden erschienene Zusammenstellung der „Gesetze und Verordnungen in Bezug auf die Kultur des Bodens in der Provinz Tirol und Vorarlberg“ trotz Berücksichtigung der älteren Gesetzgebung vor allem als Handreichung für die Praxis dienen.156 Johann Georg Wörz legte zudem in diesen Jahren die letzte verwaltungsinternen Zwecken dienende und mittels Findbehelf erschlossene Gesetzessammlung an („Normaliensammlung Wörz“).157 Für den Untersuchungszeitraum selbst sieht es hingegen mit auch nur einigermaßen geschlossenen Gesetzessammlungen ausgesprochen schlecht aus. Eine ständische Mandatesammlung setzt zwar in den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts ein, ist jedoch für die ersten eineinhalb Jahrhunderte mehr als fragmentarisch. Zudem werden auch die Auswahlkriterien für die Aufnahme in die Sammlung nicht ersichtlich, wenngleich sich ein gewisser Schwerpunkt bei den Münzmandaten erkennen lässt. Eine Mandatesammlung des Landgerichts Steinach,158 die von den jeweiligen Richtern angelegt und ergänzt worden war und bei den landgerichtlichen Amtsschriften aufbewahrt wurde, setzt ebenfalls in den 1520er Jahren ein und erweist sich als ähnlich fragmentarisch wie die landständische Zusammenstellung. In diesem Fall gewinnt die Empfängerüberlieferung allerdings dadurch besondere Aussagekraft, dass sie erkennen lässt, welche Gesetze von einem Vollzugsorgan an Biographische Eckdaten zu Rapp bei Wesener, Privatrechtsgeschichte, 2006, S. 373; Oberkofler, Vertretung, 1976, S. 113. 155 Vgl. Rapp, Statutenwesen, 2 Teile, 1827/1829. 156 Vgl. Wörz, Gesetze und Verordnungen, 2 Bde, 1834/1842. Zur Zielsetzung der Kompilation vgl. Wörz, Gesetze und Verordnungen, 1. Bd., 1834, S. XXI–XXII, wonach der Verfasser u. a. auf das Schließen der Lücke zwischen der TLO 1573 und dem Erscheinen der vom Gubernium herausgegebenen „Chronologischen Extracte“ abziele. 157 Der mehrere Faszikel umfassende Bestand „Normaliensammlung Wörz“ befindet sich nun im TLA. 158 TLA, Landgericht Steinach, Akten, Fasz. 84, Lit. O, Chronologische Mandatsreihe; vgl. in diesem Zusammenhang auch die mit einer ähnlichen Zielsetzung noch im 18. Jahrhundert angelegte Patentesammlung des oberösterreichischen Pflegers und Hofrichters Johann Stephan Krackowizer (Pauser, Landesfürstliche Gesetzgebung, 2004, S. 237, Anm. 127; Grüll, Patentsammlung, 1964). 154
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der Peripherie als dauerhaft aufbewahrungswürdig angesehen wurden.159 Einzelne dort abgelegte Gesetzesdrucke zeigen im Übrigen deutliche Gebrauchsspuren, indem sie an den Ecken noch die von der Kundmachung durch Anschlag herrührenden Löcher im Papier aufweisen. Ebenso haben sich zumindest Teile der Mandatesammlung der Stadt Innsbruck erhalten,160 die ebenfalls das 16. und 17. Jahrhundert bestreicht und sich vor allem durch die rückseitig angebrachten Publikationsvermerke auszeichnet. Diese lassen erkennen, wie, wo und gegenüber welchen Normadressaten die entsprechenden Gesetze kundgemacht wurden. Immerhin wurde bereits während des Untersuchungszeitraums einmal der Plan einer offiziösen, im Auftrag der oberösterreichischen Regierung zu druckenden Mandatesammlung ventiliert und erörtert. Der Hofdrucker Hans Paur hatte zu Jahresende 1594 vorgeschlagen, eine Sammlung bisher ergangener landesfürstlicher Mandate herauszubringen. Dieser Idee konnte die Regierung einiges abgewinnen.161 Sie vertrat die Ansicht, dass eine solche Sammlung gerade für die lokalen Obrigkeiten in mehr weg diennstlich unnd fürstenndig sein würde, in erwegung die yeweilen ausgeende mandata sich auf die alten, so aber bei den nideren gerichten nit mehr verhannden, sonnder verloren worden, referiern. Aus diesem Grund hatte die Regierung selbst Erzherzog Ferdinand II. bereits vor mehreren Jahren eine derartige zusammentruckhung angeraten und zu diesem Zweck alle solliche bißheer außganngne mandaten zusamenschreiben lassen unnd gehorsamist übergeben, ohne dass eine Resolution Ferdinands II. ergangen war. Allerdings deutete die Regierung in ihrem nunmehrigen Schreiben an den Erzherzog auch an, dass sie gegen eine gedruckte Mandatesammlung gewisse Bedenken hege, die sie jedoch nicht näher spezifizierte. Zu einer Drucklegung kam es jedenfalls nicht, zumal der Erzherzog zum Zeitpunkt dieser Stellungnahme der Regierung bereits auf dem Sterbebett lag.162
3. 2. Überlieferungssituation Die einleitend getroffene Feststellung, dass sich die Grafschaft Tirol vor allem durch die besondere Dichte archivalischer Überlieferung auszeichne, trifft trotz des Fehlens einer Mandatesammlung oder einer annähernd vollständig gedruckten Gesetzessammlung zu. Wenden wir uns zunächst den Normtexten selbst zu. Diese sind nicht rasch in einem gesonderten Bestand greifbar,163 sondern müssen aus einer ganzen Reihe unterschiedlicher Archivkörper extrahiert werden, zumal sie sich Hierauf wird an anderer Stelle noch einzugehen sein, vgl. Kap. VI.4 TLMF, FB 6196–6198. 161 Vgl. zum Folgenden TLA, AfD 1595, fol. 785v–787r, 1595 Jan. 9. 162 Er verstarb am 24. Januar 1595, vgl. Hirn, Ferdinand II., Bd. 2, 1888, S. 518. 163 Eine ehemals im Tiroler Landesmuseum in Innsbruck angelegte Mandatesammlung der oö. Regierung ist nach mündlicher Überlieferung während der Auslagerung im Zweiten Weltkrieg verloren gegangen. 159 160
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im Regelfall nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit anderem behördlichen Schriftgut erhalten haben. Die Überlieferungslage ist insgesamt durch eine Zäsur im Jahr 1523 geprägt, die mit der damals erfolgten Umstellung der Registraturtechnik zusammenhängt. Ab 1523, so lässt sich leicht vereinfachend zusammenfassen, sind die Gesetze selbst sowie das mit ihrem Zustandekommen und mit ihrer Implementation zusammenhängende Schriftgut nahezu vollständig überliefert. Von zentraler Bedeutung sind dabei die Bestände der Tiroler Zentralbehörden, und hier im Speziellen der oberösterreichischen Regierung als oberster Verwaltungs- und Justizbehörde.164 Zur Erfassung der Gesetzestexte sind insbesondere die im Jahr 1523 einsetzenden so genannten Kopialbuchreihen „Causa Domini“ und „Buch Tirol“, die neben dem von der Regierung an untergeordnete Stellen ausgehenden Schriftverkehr – der seinerseits für die Rekonstruktion von Implementationsvorgängen von erheblicher Bedeutung ist – auch wesentliche Teile der Policeygesetzgebung enthalten. Die Entscheidung über die Registrierung entweder in der Reihe „Buch Tirol“ oder „Causa Domini“ folgt dabei nicht mehr eindeutig zu rekonstruierenden und zudem im Lauf der Jahrzehnte wohl Wandlungen unterworfenen Kanzleiusancen. Als grobe Richtlinie lässt sich konstatieren, dass Mandate betreffend sicherheitspoliceyliche Agenden tendenziell eher in die Reihe „Causa Domini“ Eingang fanden, während der umfassende Bereich der Wirtschaftspolicey vornehmlich in der Reihe „Buch Tirol“ registriert wurde. Diese beiden Kopialbuchreihen enthalten den größten Teil (ca. 80 %) der von 1523 bis 1665 erlassenen Normen, sind jedoch bei weitem nicht vollständig, so dass ergänzend weitere Archivbestände heranzuziehen sind. Für den Bereich des Jagd- und Fischereirechts ist beispielsweise in diesem Zusammenhang die Kopialbuchreihe „Jagd und Fischerei“ anzuführen. Daneben finden sich Gesetzestexte in diversen Splitterbeständen der oberösterreichischen Regierung wie den „Ambraser Memorabilien“, „Pestarchiv-Akten“; „Ferdinandea“ und „Leopoldina“ sowie im Mischbestand „Sammelakten“. Ergänzend und lückenfüllend sind darüber hinaus immer wieder die genannten Empfängerüberlieferungen heranzuziehen. Verglichen mit den bisher erwähnten Beständen, die alle ausschließlich oder zumindest überwiegend bei der oberösterreichischen Regierung angelegt wurden, sind die umfangreichen Bestände der oberösterreichischen Kammer als zentraler Finanzbehörde nur von sekundärer Bedeutung, was nicht zuletzt deren untergeordnete Rolle im Gesetzgebungsprozess widerspiegelt: Der Kammer kam in dessen Rahmen überwiegend eine beratende Funktion zu, während die Federführung während des gesamten Untersuchungszeitraumes bei der Regierung lag. Nur in einem Rechtsbereich, der aufgrund seiner Bedeutung für die landesfürstlichen Finanzen eine Sonderposition einnahm, bestand eine Ausnahme, und zwar beim Bergrecht. Bergrechtliche Normen finden sich folglich ausschließlich in den Beständen der Vgl. hierzu z. B. Stolz, Verwaltung, 1998, S. 23–25.
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Kammer und nicht der Regierung, wenngleich die Überlieferung gerade in diesem Bereich lückenhaft und auch hier die Heranziehung von Empfängerüberlieferungen unabdingbar ist. Die Ausführungen haben verdeutlicht, dass die Tiroler Überlieferungslage einigermaßen kompliziert und insbesondere die Eruierung der Gesamtheit der Gesetzgebungsakte eines bestimmten Zeitraums einigermaßen aufwändig ist. Dieser Befund ist übrigens keineswegs originell; schon im Verlauf des 16. und 17. Jahrhunderts musste die Regierung selbst vereinzelt feststellen, dass früher erlassene Gesetzestexte schlichtweg nicht mehr auffindbar waren. Die zersplitterte und disparate Überlieferungssituation behindert die Arbeit vorderhand erheblich, indem sie das Auffinden der Normtexte erschwert. Ist dieses Hindernis jedoch erst einmal überwunden, so ergibt sich eine, wie bereits eingangs angeführt, hohe Quellendichte, welche die Grafschaft Tirol als Untersuchungsgegenstand besonders geeignet erscheinen lässt und in anderen frühneuzeitlichen Territorien nur schwerlich ein Pendant findet. Denn im Fall Tirols ist das Geschäftsschriftgut, das im Rahmen der Vorbereitung eines Gesetzgebungsaktes und nach dessen Erlass im Zuge des Implementationsprozesses anfiel, nahezu vollständig erhalten: Die Kopialbuchreihen „An die Fürstliche Durchlaucht“ (bzw. „An die Königliche/Kaiserliche Majestät“) und „Von der Fürstlichen Durchlaucht“ (bzw. „Von der Königlichen/Kaiserlichen Majestät“) enthalten die Korrespondenz der Regierung mit dem jeweiligen Landesfürsten und ermöglichen nicht nur punktuelle, sondern aufgrund der Dichte der Überlieferung generelle Aussagen z. B. über Gesetzgebungsmotive und -techniken sowie über die Einflussnahme des Herrschers auf die inhaltliche Ausgestaltung. Auch die Entstehung der Kodifikationen lässt sich so rekonstruieren, zumal wenn Beratungsunterlagen oder frühere Redaktionsstufen erhalten sind. Für die Landes- und Policeyordnung von 1573 sind umfangreiche vorbereitende Materialien bis hin zu den Beratungsprotokollen der mit der Ausarbeitung betrauten Kommissionen erhalten, wohingegen von der Tiroler Landesordnung von 1526 immerhin zwei bislang unbekannte frühere Redaktionsstufen samt angebrachten Korrekturen ausfindig gemachten werden konnten. Zudem ist der von der Regierung (sowie später zusätzlich vom Geheimen Rat) ausgehende Schriftverkehr mit untergeordneten Amtsträgern erhalten, der umfassende Aufschlüsse über Implementationsprozesse im Bereich des Policeyrechts gewährt. Leider hat sich der von den lokalen Obrigkeiten an die Regierung gerichtete Schriftverkehr abgesehen von Ausnahmen in der rudimentär überlieferten „Hofregistratur“ nicht erhalten, sondern wurde im Zuge einer umfassenden Skartierungsaktion im 18. Jahrhundert vernichtet. Dieses Defizit kann, zumindest was das 17. Jahrhundert betrifft, durch das in den Beständen des Geheimen Rates ab 1602 erhaltene Schriftgut untergeordneter Instanzen einigermaßen kompensiert werden. Im Übrigen führte die Kanzlei des Geheimen Rats ebenfalls Kopialbücher, deren Grundstruktur jener der Regierung entsprach und die die Beteiligung des Geheimen Rates am Rechtssetzungsprozess erkennen lässt.
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I. Einführung in das Thema
Bisher war nur von dem Zeitraum zwischen 1523 und 1665 die Rede, der sich in der Tat durch eine beeindruckende Materialfülle für die vorliegende Themenstellung auszeichnet. Für die Regierungszeit (Erz)Herzog Siegmunds, Maximilians I. und die anschließenden Jahre bis 1523 ist hingegen die bei weitem unvollständigere, 1466 einsetzende so genannte „ältere Kopialbuchreihe“ maßgeblich.165 Diese Bezeichnung ist (im Gegensatz zu den schon zeitgenössisch entsprechend titulierten Reihen ab 1523) eine Wortschöpfung der Archivare des 19. Jahrhunderts. In der Tat ist die „ältere Kopialbuchreihe“ ein Konstrukt, das jeweils eine ganze Reihe von Kanzleibüchern zusammenfasst, die jedoch nicht inhaltlich bzw. nach dem jeweiligen Adressaten differenziert wurden, wie dies ab 1523 der Fall ist. Vielmehr erfolgte die Registrierung in Abhängigkeit vom jeweils verwendeten Urkundentyp: So wurden beispielsweise sämtliche Anweisungen der Kanzlei bzw. des späteren Regiments an einzelne oder alle nachgeordneten Amtleute jahrgangsweise in das Büchlein „Entbieten“ registriert, das bei der späteren Anlegung der älteren Kopialbuchreihe mit anderen Heften zu einem größeren Kodex zusammengebunden wurde. Die Mangelhaftigkeit und Unvollständigkeit der Findbehelfe, die die ältere Kopialbuchreihe erschließen, lässt zur zuverlässigen Erfassung der Gesetzestexte die konsequente Durchsicht aller Einträge als unverzichtbar erscheinen – wobei zumindest der Umstand zur Arbeitserleichterung beiträgt, dass Gesetze und Reskripte dem „Entbieten“-Urkundentypus zuzurechnen sind. Dadurch lassen sich die einer genaueren Prüfung zu unterziehenden Bestandteile eines Kopialbuchs eingrenzen. Die Überlieferung der Gesetzestexte in der „älteren Kopialbuchreihe“ ist aus zwei Gründen bei weitem nicht so vollständig wie nach 1523. Erstens sind kleinere Lücken zu beklagen: Für 1503 fehlt so just der „Entbieten“-Teil des Kopialbuchs, so dass zur Erfassung der Gesetzgebungsakte für dieses Jahr nur auf andere Überlieferungsstränge zurückgegriffen werden kann. Die Jahrgänge 1504 sowie 1514 bis 1516 der „älteren Kopialbuchreihe“ fehlen zur Gänze. Solche Überlieferungslücken beeinflussen und verzerren natürlich statistische Darstellungen; der sich scheinbar bei der Normproduktion in den Jahren 1514 bis 1516 abzeichnende quantitative Einbruch ist nämlich ausschließlich auf das Fehlen der Kopialbücher dieses Zeitraums zurückzuführen. Zweitens wurden Gesetzgebungsakte von der landesfürstlichen Kanzlei bzw. von der späteren Regimentskanzlei keineswegs mit dem Anspruch auf Vollständigkeit registriert, sondern selektiv. Andere Überlieferungsstränge ermöglichen die Erfassung einer Vielzahl von Einzelgesetzgebungsakten, die von der Zentrale nicht abschriftlich festgehalten wurden. Als plausible Aufnahmekriterien lägen die einer Regelung zugesprochene Bedeutung oder ihre vermutete Dauerhaftigkeit (im Unterschied zu einem flexibel auf aktuelle Vorfälle reagierenden Policeymandat) nahe. Dies trifft aber nicht immer zu: Der Verzicht auf die Registrierung eines Mandats, das sämtlichen Untertanen die Anrufung des geistlichen Gerichts außer in genau bestimmten Fällen verbot (1507) oder das die Vgl. Stolz, Geschichte und Bestände, 1938, S. 110; Beimrohr, Tiroler Landesarchiv, 2002, S. 71.
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Wilderei mit Strafe belegte (1505) – ein Gesetz, dem der begeisterte Jäger wohl durchaus beträchtliche Bedeutung zumaß – lässt sich damit kaum erklären. Dennoch ist zumindest festzuhalten, dass umfangreichere Ordnungen jedenfalls regelmäßig registriert und somit dauerhaft verfügbar gemacht wurden. Die quantitativen Verhältnisse zwischen registrierten und nicht registrierten Gesetzen lassen sich seriös kaum beziffern, zumal während des gesamten Zeitraums von 1466 bis 1523 mit signifikanten Schwankungen gerechnet werden muss. Soweit alternative Überlieferungen (insbesondere bei Empfängern oder in den Beständen der Hochstifte Trient und Brixen) dies erahnen lassen, war der Anteil der nicht zentral registrierten Gesetze durchaus erheblich. Von den fünf belegten Gesetzen des Jahres 1505 ist so nur ein einziges in der „älteren Kopialbuchreihe“ eingetragen. Allerdings ist dieser Augenblicksbefund nicht repräsentativ, sind doch von den vier nachweisbaren Gesetzen des Jahres 1502 sämtliche registriert worden. Die Ausführungen über die Lückenhaftigkeit der Überlieferung zwischen 1466 und 1523 sollen nicht falsche Eindrücke evozieren. Im Vergleich zu anderen spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Reichsterritorien ähnlicher Größe ist die Lage immer noch ausgesprochen gut. Schon aus den siebziger Jahren des 15. Jahrhunderts sind Konzepte von Mandaten überliefert, ergänzendes administratives Schriftgut erlaubt vielfach die Rekonstruktion der Anlässe für einen bestimmten Gesetzgebungsakt, umfangreichere Ordnungen sind – beispielsweise die so genannte Sterzinger Ordnung von 1496 – sogar in mehreren Redaktionsstufen erhalten. Ergänzend treten ferner die Aktenbestände „Maximiliana“ sowie „Sigmundiana“ hinzu.166 Soweit Angelegenheiten der guten Policey betroffen sind, geben die bislang angeführten Bestände zudem umfangreiche Informationen über die Implementation der Gesetze. In dieser Beziehung können sich zudem die Bestände der Kammer als Finanzbehörde, deren Kopialbuchreihen ab 1490 geschlossen erhalten sind („Bekennen“, „Gutachten an Hof “, „Geschäft von Hof “, „Entbieten und Befehl“) als aufschlussreich erweisen. Für die Strafgerichtsbarkeit sind die Bestände der Regierung nur sehr bedingt ergiebig: Diese fiel ausschließlich in die Zuständigkeit der (Land-)Gerichte, ein ordentliches Rechtsmittel gegen erstinstanzliche Urteile war ausgeschlossen. Allerdings konnten Fälle nach der Urteilsfällung im Supplikenweg vor die Regierung gebracht werden, so dass auch die Handhabung der Strafgerichtsbarkeit in den Beständen der Regierung seinen Niederschlag gefunden hat. Die Rechtsanwendung im Bereich der (streitigen und außerstreitigen) Zivilgerichtsbarkeit durch die Höchstinstanz) ist seit dem Jahr 1498 in den Buchreihen Vgl. für die Zeit Maximilians das umfassende, noch im Entstehen begriffene Regesten-Werk der „Maximilian-Regesten“ in vier Bänden (neun Teilen); als hilfreich für den noch nicht im Druck erschienenen Zeitraum erweist sich die in der Grazer Forschungsstelle der Akademie der Wissenschaften verwahrte Wiesflecker’sche Sammlung von Maximilian-Regesten (Dr. Manfred Hollegger) (vgl. hierzu auch Hollegger, Entwicklung der Zentralverwaltung, 1983, S. 2).
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„Prozessbuch“ sowie „Parteibuch“ festgehalten; ab den zwanziger Jahren des 16. Jahrhundert ist zudem eine fast unüberschaubare Quantität von Prozessakten der oberösterreichischen Regierung überliefert, die von der rechtshistorischen Forschung bislang noch überhaupt nicht beachtet, geschweige denn auch nur ansatzweise ausgewertet wurden. Dieses gravierende Defizit kann und will die vorliegende Arbeit nicht beheben; dennoch wurden einige, schon von den Zeitgenossen als richtungweisend wahrgenommene Prozesse in die Darstellung aufgenommen (z. B. betreffend die Anwendung des gemeinen Rechts oder der bayerischen Buchsage). Über die Beteiligung der Landstände am Gesetzgebungsprozess geben die landesfürstlichen und landständischen Landtagsakten Aufschluss. Gerade die in diesen beiden Beständen nicht vollständig erhaltenen Landtagsakten des 15. und des beginnenden 16. Jahrhunderts können dabei durch die Überlieferungen in den Stadtarchiven von Bozen und Meran entscheidend ergänzt werden. Dies liefert ein wichtiges Stichwort, sind doch bislang nur die Archivbestände des Tiroler Landesarchivs und ihre Ergiebigkeit für die Gesetzgebungsgeschichte Tirols erörtert worden. Diese bisherige Konzentration auf ein Archiv ist sachlich zu begründen: Als Zentralarchiv des Landes Tirol verwahrt das Tiroler Landesarchiv das noch vorhandene Schriftgut der Tiroler Landesfürsten und Zentralbehörden, wobei gerade das für unseren Untersuchungsgegenstand maßgebliche Schriftgut überdies kaum durch die vom 16. bis 19. Jahrhundert erfolgten Abgaben von Archivalien an das Wiener Archiv (ab 1749 das Haus-, Hof- und Staatsarchiv) tan giert wurden. Die Heranziehung weiterer Archivbestände ist jedoch aus mehreren Gründen nicht nur nützlich, sondern teilweise notwendig. Es wurde bereits angesprochen, dass diese gerade für die Zeit des Spätmittelalters und für die ersten Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts ergänzende Informationen liefern können. Da beispielsweise landesfürstliche Gesetzgebungsakte seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert stets den Bischöfen von Brixen und Trient zur Kundmachung in deren weltlichen Herrschaftsgebieten übersendet wurden, können die Überlieferungen in den Hochstiftsarchiven (heute verwahrt im Archivio di Stato di Trento bzw. im Archivio di Stato di Bolzano) zumindest partiell Lücken in der Innsbrucker Überlieferung abdecken. Dasselbe gilt für manche Stadtarchive mit einer bis in das ausgehende Mittelalter zurückreichenden Archivtradition (v. a. Bozen, Meran, weniger Hall). Deren Bestände geben überdies Aufschluss über Implementationsprozesse: Wie erfolgte beispielsweise die Publikation vor Ort, wie und durch wen wurde die Durchsetzung von Policeygesetzen sichergestellt? Da sich die vorliegende Arbeit zwar überwiegend, aber nicht ausschließlich mit der landesfürstlichen Gesetzgebung beschäftigt, können Gemeinde-, aber auch Gerichtsarchive außerdem für die Untersuchung des Verhältnisses lokaler oder regionaler Rechtssetzungsakte zur landesfürstlichen Gesetzgebung von Interesse sein. In diesem Bereich muss freilich angesichts der überreichen, nur zu einem Bruchteil im Druck erschienenen Quellenfülle sehr selektiv vorgegangen werden. Nur ausgewählte, besonders reichhaltige Gerichts- und
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Gemeindearchive konnten einer genaueren Sichtung unterzogen werden (z. B. Gerichtsarchiv Laudeck, Gemeindearchiv St. Johann).
4. Der Untersuchungsraum: die Grafschaft Tirol 4. 1. Allgemeines Es kann und soll hier nicht der Ort sein, eine umfassende Geschichte der Landeswerdung, der territorialen Entwicklung sowie der inneren Verfassung und Verwaltung des Landes Tirol im Mittelalter und der Frühneuzeit zu liefern, was ohnehin nur eine Rekapitulation von bereits Bekanntem sein könnte und in den Standardwerken zur Geschichte Tirols hinreichend nachgeschlagen werden kann.167 Vielmehr sollen hier nur gewisse Eckpunkte der Entwicklung präsentiert und dem Leser eine grobe Orientierung geboten werden, soweit dies für das bessere Verständnis der folgenden Ausführungen notwendig ist. Am Ende der Herrschaft Maximilians I. (1519) war die Gefürstete Grafschaft Tirol168 mit geschätzten 400.000 Einwohnern169 und einer territorialen Ausdehnung von 20.100 km2 als mittelgroßes Territorium anzusprechen.170 Es reichte bis an das Nordufer des Gardasees und die venezianische Terra ferma, im Süden war sie zudem territorial und rechtlich eng verzahnt mit den Hochstiften Trient und Brixen, während sie im Norden an das Herzogtum Bayern grenzte. In der Zeit Maximilians I. erfuhr Tirol seine territoriale Arrondierung, die die Grenzen des Landes im Großen und Ganzen für die nächsten drei Jahrhunderte (bis zur Säkularisation im Zuge des Reichsdeputationshauptschlusses von 1803) fixieren sollte. Nachdem schon im 15. Jahrhundert die Landeshoheit gegenüber den Untertanen des Churer Bischofs im Vinschgau durchgesetzt werden konnte, kam es unter Maximilian I. zu erheblichen territorialen Zugewinnen: Nach dem Tod des letzten Sprosses der Grafen von Görz, Leonhard, fiel die Vordere Grafschaft Görz an Maximilian I. und wurde von diesem – nicht ohne Widerstände Kärntens – Tirol zugeschlagen.171 Der Bayerische Erbfolgekrieg brachte 1504/1506 den An Vgl. nur die ersten beiden Bände der umfassenden vierbändigen Geschichte Tirols: Fontana u. a., Geschichte Tirols, Bd. 1, 21990, und Bd. 2, 21998; als Überblick noch immer Stolz, Geschichte des Landes Tirol, 1955; zum Trentino vgl. Castagnetti/Varanini (Hg.), Storia del Trentino, Bd. III, 2000; Bellabarba/Olmi (Hg.), Storia del Trentino, Bd. IV, 2000. 168 Zum Namen „Tirol“ und zur Bezeichnung des Landes vgl. zuletzt Brandstätter, Geschichte des Begriffs „Tirol“, 2000. 169 Zur Einwohnerzahl Tirols vgl. Stolz, Geschichte des Landes Tirol, 1955, S. 262–272. 170 Zur territorialen Ausdehnung Beimrohr, Brief und Siegel, 1994, S. 33. 171 Ausführlich noch immer Wiesflecker, Entwicklung, 1948, S. 373–384. 167
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schluss der drei oberbayerischen Städte und Herrschaften Kufstein, Kitzbühel und Rattenberg an Tirol;172 der so genannte „Venezianerkrieg“ 1508 bis 1516 führte 1516 zum definitiven Erwerb der „Welschen Konfinen“ (Ala, Riva, Rovereto). Strittig war die Landeshoheit nur noch in Randgebieten. Die Auseinandersetzungen mit den Grafen von Arco, die seit der Erhebung Vincig uerras von Arco in den Reichsfürstenstand im Jahr 1413 für sich die Reichsunmittelbarkeit postulierten, zogen sich noch über Jahrzehnte hin und konnten erst Mitte des 17. Jahrhunderts im landesfürstlichen Sinne bereinigt werden.173 Ähnliche Bruchlinien zeigten sich im Verhältnis der Tiroler Landesfürsten zu den Grafen von Lodron, mit denen die Konfliktbereinigung erst durch einen Vertragsschluss 1648 und die darin enthaltene uneingeschränkte Anerkennung der Tiroler Landeshoheit gelang.174 Die limitierten Herrschaftsrechte Tirols im salzburgischen Zillertal wurden 1533 durch einen Vertrag zwischen Ferdinand I. und dem Salzburger Erzbischof außer Streit gestellt.175 Die brixnerisch-tirolischen Kondominien im Pustertal (Herrschaften Anras und Heinfels) wiederum erwiesen sich jahrhundertelang als überaus konfliktanfällig.176 Die Landwerdung Tirols hatte sich maßgeblich in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts unter Meinhard II. vollzogen.177 Im Mittelalter war die Beherrschung und Sicherung des Raums des späteren Tirol vor allem mit Blick auf die Romzüge der römisch-deutschen Könige von erheblicher machtpolitischer Relevanz. In diesem Zusammenhang sind die Vergabungen der Grafschaften Trient (1004, bestätigt 1027), Vinschgau und Bozen (1027) sowie Norital (1027) und Pu stertal (1091) durch das Reichsoberhaupt an die Bischöfe von Trient und Brixen zur Sicherung der Nord-Süd-Verbindung zu sehen. Ende des 12. Jahrhunderts lag die Entstehung zweier geistlicher Fürstentümer auf dem Gebiet des späteren Tirol im Bereich des Möglichen. Sie wurde nicht durch externe Einwirkungen, sondern durch das Aufkommen einheimischer Adelsgeschlechter behindert, die sich zu zunehmend mächtigeren Gegenspielern entwickelten. In der Nachfolge der namengebenden Grafen von Tirol gelang schließlich Graf Meinhard II. die Formierung eines geschlossenen, zentral verwalteten Herrschaftsraums. Die gräfliche Position wurde durch ein entschiedenes Vorgehen gegen den Adel gefestigt und ausgebaut; die weltlichen Herrschaftsrechte der seiner Vogtei unterstehenden Bischöfe von Tri Vgl. zuletzt die Beiträge im Sammelband Haidacher/Schober, Von Wittelsbach zu Habsburg, 2005. 173 Vgl. Rill, Grafen von Arco 1487–1614, 1975, S. 269–270 (zum bereits 1614 geschlossenen Vertrag); Voltelini, Das welsche Südtirol, 1918, S. 140; Riedmann, Landeshoheit, 1994, S. 150–151. 174 Vgl. Voltelini, Das welsche Südtirol, 1918, S. 135; Riedmann, Landeshoheit, 1994, S. 150. 175 Vgl. Stolz, Geschichtskunde des Zillertales, 1949, S. 59–61 und 189–190; Stolz, Landesbeschreibung von Tirol, 1. Teil/1. Hälfte, 1923, S. 145 und 162–163. 176 Vgl. nur Tirolische Weistümer IV/2, 1891, S. 586, 592, 619; Stolz, Landesbeschreibung von Südtirol, 1937/39, S. 624–625, 641–642. 177 Vgl. grundlegend Wiesflecker, Meinhard II., 21995, sowie den Ausstellungskatalog Riedmann (Red.), Eines Fürsten Traum, 21995. 172
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ent und Brixen wurden auf die Kernbereiche der Hochstifte zurückgedrängt, ihre formal weiter bestehende Lehenshoheit über die Grafen verkam zur Äußerlichkeit (wenngleich sie von Nikolaus Cusanus in dessen Auseinandersetzung mit Herzog Siegmund noch in den sechziger Jahren des 15. Jahrhunderts hervorgekehrt wird). Eine Vielzahl von Herrschaftsrechten begründen die Landeshoheit, die fallweise auch einzeln aufgezählt werden, u. a. „allodia, feuda, jurisdictiones, advocatiae, vassallationes, homagia, thelonea“.178 Unter Meinhard II. finden sich die Anfänge einer landesfürstlichen Gesetzgebung, der Graf gebietet Lehensleuten, Urbarsleuten und dem Landvolk allgemein, er hebt Zölle und Steuern ein, schlägt Münzen und nutzt die Regale, bestellt Beamte usw.179 Mit dem Tod des letzten männlichen Meinhardiners, Meinhards III., und dem Verzicht seiner Mutter Margarethe zugunsten Rudolfs IV. fiel Tirol 1363 an die Habsburger, für die der Erwerb aus strategischen Überlegungen und mit Blick auf den möglichen territorialen Brückenschlag zum habsburgischen Stammbesitz am Oberrhein besonders vielversprechend sein musste.180 Durch einen weiteren Schritt sicherte Rudolf IV. den Habsburgern für die folgenden Jahrhunderte große Einflussmöglichkeiten im de iure weiterhin reichsunmittelbaren Hochstift Trient. Der Trienter Bischof Albert von Ortenburg machte Rudolf IV. für seine Unterstützung bei der Erhebung auf den Trienter Bischofsstuhl in einem Vertrag vom 18. September 1363 – in den erst später so genannten „Kompaktaten“ – umfangreiche Konzessionen: Unter anderem sollten sämtliche Stiftsbeamte im Einvernehmen mit den Grafen von Tirol bestellt werden, die überdies die Befugnis erhielten, auf Stiftskosten einen über allen bischöflichen Amtleuten stehenden Hauptmann von Trient einzusetzen. Zudem musste das Hochstift der Grafschaft im Falle eines Kriegs gegen jedermann mit Ausnahme des Papstes Beistand leisten. Trotz späterer Modifikationen garantierten die Kompaktaten dem Tiroler Landesfürsten umfassende Einflussmöglichkeiten auf das Hochstift – wie überhaupt das Ausmaß eigenständiger Politik der Hochstifte Trient und Brixen immer wieder Anlass für Konflikte zwischen den Bischöfen und den jeweiligen Landesfürsten gab.181 Wiederholt kam es in den folgenden Jahrhunderten zur Installation einer eigenen habsburgischen Nebenlinie in den so genannten oberösterreichischen Ländern
Vgl. nur die Teilungsverträge von 1254 und 1271 (Wiesflecker (Bearb.), Regesten der Grafen von Görz, Bd. 1, 1949, Nr. 620; Rainer/Wiesflecker (Bearb.), Regesten Meinhards II. (I.), 1952, Bd. II/1, Nr. 1. 179 Vgl. nur Wiesflecker, Meinhard II., 21995, S. 173–174. 180 Vgl. Huber, Geschichte der Vereinigung Tirols, 1864; Huter, Rudolf IV., die Vorlande und die Erwebung Tirols, 1997 (erstmals 1966); zuletzt Sperl, Tiroler Städte und die Herrschaftseinsetzung Herzog Rudolfs IV., 2006 (dort auch weitere Literaturhinweise). 181 Granichstädten-Czerva, Brixen, 1948; Bücking, Frühabsolutismus und Kirchenreform in Tirol, 1972; Kögl, Sovranità, 1964; Göbel, Entstehung, Entwicklung und Rechtsstellung, 1976. 178
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(so die gemeinsame Bezeichnung von Tirol und den österreichischen Vorlanden im Anschluss an die spätmittelalterliche Dreiteilung der habsburgischen Erbländer):182 Herzog Friedrich IV. (reg. 1406–1439) verlegte die Residenz 1420 von Meran nach Innsbruck. Seine Regierungszeit ist in den ersten beiden Jahrzehnten maßgeblich von seiner Auseinandersetzung mit der Tiroler Adelsopposition der Starkenberger, Schlandersberger, Lodron, Wolkenstein und anderer Adelsgeschlechter geprägt, die als Fernziel die Reichsunmittelbarkeit anstrebten und auf die Unterstützung König Sigismunds zählen konnten.183 Nach einem mehrjährigen militärischen Ringen endete diese Auseinandersetzung mit der Eroberung der Hauptbastion der Starkenberger im Jahr 1426. Bei dieser Konfrontation mit dem Adel hatte sich der Herzog maßgeblich auf die Bürger und Bauern (‚Städte und Gerichte’) und deren militärische Aufgebote gestützt. Unter Friedrich IV. findet überdies der Prozess der Formierung der Tiroler „Landschaft“, d. h. der Gesamtheit der Tiroler Landstände, einen Abschluss.184 Traditionell wird die auf einer Versammlung der Stände in Bozen 1420 beschlossene Ordnung als ältester Landtagsabschied bezeichnet.185 Dieser war von sechs fürstlichen Räten, sechs Adeligen und sechs Deputierten der „Städte und Gerichte“ vorbereitet worden. Wie in anderen spätmittelalterlichen Ländern erlangte auch in Tirol der Prälatenstand als letzter die Landstandschaft. Fluktuationen zeigen sich überdies während des 15. Jahrhunderts in Bezug auf die Repräsentation der hochstiftisch-trientinischen Gebiete, die seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert nur mehr durch den Bischof von Trient vertreten wurden – der jedoch wie sein Amtskollege in Brixen nicht als „Landstand“ an den Landtagen teilnahm, sondern mit Verweis auf seine Reichsunmittelbarkeit die Freiwilligkeit seiner Anwesenheit und des Mittragens der entsprechenden Beschlüsse betonte.186 Friedrich IV. folgte sein Sohn Herzog (ab 1478 Erzherzog) Siegmund.187 Dieser trat angesichts des Fehlens ehelich geborener Kinder und unter dem zunehmenden Druck der Tiroler Landstände 1490 zugunsten Maximilians I. zurück. Nach dem Tod Kaiser Ferdinands I. (1564) kam es zwischen seinen Söhnen neuerlich zu einer Dreiteilung der habsburgischen Länder: Erzherzog Ferdinand II. Kurzfassung bei Riedmann, Mittelalter, 1990, S. 464; ferner Noflatscher, Räte und Herrscher, 1999, S. 133; noch immer grundlegend Zöllner, Österreichbegriff, 1988, hier S. 51– 52; Zöllner, Österreichbegriff, 1995, S. 25–26. Die Vorlande umfassten die (räumlich nicht geschlossenen) habsburgischen Besitzungen vor dem Arlberg, d. h. in Vorarlberg, Schwaben, im Breisgau, Schwarzwald und Elsaß. 183 Zum Hintergrund ausführlich Kranich-Hofbauer, Rotulus, 1994; zuletzt Hageneder, Politik und Verfahrensgerechtigkeit, 1999. 184 Vgl. zuletzt Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984; Köfler, Landtage, 1985, bes. S. 34–48; Blickle, Landschaften, 1973, S. 173. 185 Köfler, Landtage, 1985, S. 47. 186 Riedmann, Hochstift Trient, 1990; Brandstätter, Beziehungen, 1996, bes. S. 26; Göbel, Geistliche Territorien, 1976, bes. S. 188; Köfler, Landtag, 1985, S. 48, 51, 62. 187 Vgl. zu diesem die monographische Darstellung durch Baum, Sigmund der Münzreiche, 1987. 182
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fielen die oberösterreichischen Länder zu, Karl die innerösterreichischen (Steier mark, Kärnten, Krain), Maximilian neben der niederösterreichischen Ländergruppe (Erzherzogtümer Österreich unter und ob der Enns) die Länder der böhmischen Krone sowie Ungarn. Er bekleidete zudem die Würde des römisch-deutschen Kaisers. Da Erzherzog Ferdinand II.188 keinen erbberechtigten Nachfolger hatte (seine beiden Söhne Andreas und Karl stammten aus der Ehe mit der Bürgerlichen Philippine Welser), kam es zu einem Anfall der oberösterreichischen Länder an Kaiser Rudolf II., doch dauerte die kaiserliche Herrschaft nur wenige Jahre (die Tiroler Landesgeschichte bezeichnet diesen Zeitraum traditionell etwas unkorrekt als „Interregnum“). 1602 wurde Erzherzog Maximilian III.189 zum Gubernator der oberösterreichischen Lande bestellt, 1612 zum erblichen Landesfürsten. Nach dessen Tod (1618) ohne Hinterlassen eines Sohnes wiederholte sich das Szenario 1619: Erzherzog Leopold V., Bischof von Passau und Straßburg, wurde zunächst Gubernator und nach Resignation von seinen geistlichen Würden 1626 erblicher Landesfürst. Im selben Jahr heiratete er Claudia de’ Medici, die nach seinem Ableben 1632 zunächst für vierzehn Jahre (formal gemeinsam mit Kaiser Ferdinand II. bzw. Ferdinand III.) die Vormundschaft über die beiden Söhne Ferdinand Karl (reg. 1646–1662) und Sigismund Franz (reg. 1662–1665) ausübte und in der für Tirol bewegtesten Phase des Dreißigjährigen Krieges die Regentschaft in den oberösterreichischen Ländern ausübte.190 Mit dem kinderlosen Tod Sigismund Franz’ endete die jüngere Tiroler Linie der Habsburger. Aufgrund seiner geographischen Lage am Südrand des Heiligen Römischen Reichs nahm Tirol in mehrfacher Hinsicht eine Sonderstellung ein: zunächst in ökonomischer Hinsicht als Bindeglied zwischen den prosperierenden Wirtschaftsräumen Oberitalien und Süddeutschland, weshalb dem Transit und Handel neben dem unter (Erz)Herzog Siegmund in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts erblühenden Bergbau eine zentrale Rolle im Wirtschaftsleben Tirols zukam, der sich unter anderem an der überregionalen Bedeutung der Bozner Messe und (in geringerem Ausmaß) der Haller Märkte manifestiert, die als wichtige Umschlagplätze im Warenhandel zwischen Nord und Süd fungierten.191 Zudem kam Tirol eine große strategische Bedeutung zu, die im Lauf der Jahrhunderte unterschiedliche Ausprägungen annahm. Der Aspekt der Absicherung der Nord-Süd-Verbindung als Voraussetzung für die Romzüge der römisch-deutschen Kaiser, der im Hochmittelalter für die Übertragungen der Grafschaftsrechte an die Bischöfe von Trient und Brixen entscheidend gewesen war, verlor nach der letzten Kaiserkrönung in Rom (Friedrich III., 1452) jegliche Relevanz. Für die frühen Habsburger ließ die bereits angeführte Möglichkeit einer Landbrücke zu den Stammbesitzungen am Ober Vgl. Hirn, Ferdinand II. von Tirol, 2 Bde, 1885/1888. Vgl. Hirn, Maximilian der Deutschmeister, 2 Bde, 1915/1936 (Nachdruck 1981); Noflatscher, Maximilian der Deutschmeister, 1987. 190 Hierzu nunmehr Weiss, Claudia de’ Medici, 2004. 191 Vgl. Noflatscher-Posch, Jahrmärkte von Hall in Tirol, 1992; Huter, Quellen, 1927. 188 189
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rhein die Beherrschung des Tiroler Raums als besonders wichtig erscheinen. In der Frühneuzeit dominierte der militärische Aspekt: Tirol erlangte als Bindeglied zu den habsburgischen Besitzungen in Oberitalien eine wichtige Brückenfunktion. Im Rahmen des Krieges der spanischen Habsburger gegen die Niederlande ab 1566 und ebenso während des Dreißigjährigen Krieges war Tirol ein wichtiges Truppendurchmarschgebiet für die in Italien aufgestellten Kontingente auf ihrem Weg nach Norden.
4. 2. Die Verwaltung Die Ausdehnung „staatlicher“ Aktivität im Bereich der „guten Policey“ auf immer mehr Lebensbereiche, die intendierte Kanalisierung und finanzielle Nutzbarmachung wirtschaftlicher Transformationsprozesse sowie die Kontrolle begleitender sozialer Veränderungen, die Explosion der Heeresstärken in Spätmittelalter und Frühneuzeit und die daraus resultierenden neuen pekuniären und logistischen Anforderungen – alle diese, hier nur beispielhaft genannten Phänomene und die korrelierenden Steuerungsbedürfnisse erforderten die Existenz und das Funktionieren eines entsprechenden herrschaftlichen Apparats, dessen Ausdifferenzierung und Institutionalisierung sich im Heiligen Römischen Reich vornehmlich auf territorialer Ebene vollzog.192 Die zunehmende „Verdichtung“ der Gesellschaft, um diesen inzwischen allgemein anerkannten Begriff Peter Moraws aufzugreifen,193 zog auch einen administrativen Verdichtungsprozess nach sich. Die Verfestigung der Herrschaftsstrukturen war eine conditio sine qua non für die Sicherstellung „guter Policey“, d. h. für die gute Ordnung des Gemeinwesens, und für die mit dieser Zielsetzung zu treffenden Maßnahmen. Ebenso stellte freilich die „gute Policey“ die Leitkategorie des Verwaltungshandelns dar.194 Es ist hier nicht der Ort für begriffliche Dispute: Während so Wolter hervorhebt, dass der „spätmittelalterliche Amtsbegriff, wie er sich in den Territorien entfaltet hat, [...] bereits wesentliche Elemente des modernen Verwaltungs- und Beamtenbegriffs“195 enthalte und auch Dipper postuliert, dass der Weg von der „guten Policey“ „gleichsam unwillkürlich in den Verwaltungsstaat der Zukunft“196 führe, verwahrt sich Ernst Schubert gegen die Anwendung des Verwaltungsbegriffs auf Spätmittelalter und Frühneuzeit bzw. will diesen nur als „Notlösung“ verstanden wissen, da es im ausgehenden Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit bestenfalls Vgl. nur den umfassenden Überblick bei Jeserich u. a., Verwaltungsgeschichte, Bd. 1, 1983. Moraw, Von offener Verfassung zu gestaltender Verdichtung, 1985. 194 Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, Bd. 1, bes. S. 334–338; Härter, Policey und Strafjustiz, Bd. 1, 2005, S. 54. 195 Wolter, Amt und Officium, 1988, S. 280. 196 Dipper, Geschichte, 1991, S. 232. 192 193
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„Ansätze“ für eine Verwaltung „im präzisen Sinne des Beamtengedankens“197 gäbe. Dabei verweist er auf das Fehlen eines hierarchisierten Instanzenzugs und klarer Kompetenzabgrenzungen. Schon hier könnten Diskussionen einsetzen: Man könnte verweisen auf Instruktionen für Behörden und Bestallungen der Amtsträger, die Kompetenzbereiche abgrenzen und Zuständigkeiten und Pflichten umreißen; man könnte verweisen auf das eindeutige Verhältnis von Über- und Unterordnung zwischen Zentrale und Lokalverwaltung etc. In unserem Zusammenhang sei nur festgehalten, dass die Wahrnehmung der Gesamtheit der vom Staat und für den Staat vorzunehmenden Aufgaben auch eine entsprechende Organisation bzw. einen in sich gegliederten Organisationskomplex erfordert. Um bewusst die moderne Terminologie zu verwenden:198 Verwaltung im funktionellen Sinn erfordert eine Verwaltung im organisatorischen Sinn. Im Folgenden geht es nur um diese Verwaltung im organisatorischen Sinn. Dabei muss man sich des Umstands bewusst sein, dass Verwaltungsorgane und -behörden zugleich Recht sprechende Funktionen ausüben können: Das Regiment bzw. die oberösterreichische Regierung ist so nicht nur oberste Verwaltungsbehörde, sondern zugleich – abgesehen vom noch in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts umstrittenen Rechtsbehelf der Revision – Höchstgericht in den oberösterreichischen Landen. Ein (Land)Richter hat nicht nur eine umfassende Verwaltungszuständigkeit, sondern leitet zugleich die Gerichtssitzungen und ver kündet das von den Gerichtsgeschworenen zu fällende Urteil.
4. 2. 1. Die Zentralverwaltung 4. 2. 1. 1. Von Meinhard II. bis zu den maximilianeischen Reformen 4. 2. 1. 1. 1. Allgemeine Entwicklungen Zu Beginn des 14. Jahrhunderts hatte Tirol einen bemerkenswerten und auch im überregionalen Bereich singulären administrativen Standard erreicht. Zu Recht wurde die Tiroler Kanzlei als Schaltstelle der Hof- und Landesverwaltung jüngst als „die damals am besten organisierte Kanzlei im Reich“199 bezeichnet, was vor allem auf den Innovationsschub unter Graf Meinhard II. zurückzuführen war, der den konsequenten Ausbau der Zentralverwaltung betrieben hatte: Ortsfestigkeit der Kanzlei auf der Burg Tirol samt Ausbildung eines landesfürstlichen Archivs, Trennung von allgemeiner Kanzlei und Finanzverwaltung (Kammer), Zunahme des Verwaltungspersonals samt Ausbildung hierarchischer Strukturen, Führung Schubert, Umformung, 1999, S. 212. Vgl. z. B. Raschauer, Verwaltungsrecht, 32009, Rz 11–12. 199 Vgl. Schubert, Umformung, 1999, S. 233. 197 198
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von Rechnungsbüchern („Raitbüchern“, nach süddt. „raiten“ für „rechnen“) und ab 1308 Anlegung von Registern, Schaffung eines Gesamturbars, Verwendung des modernen Schreibstoffes Papier samt entsprechender Zunahme der Ausfertigungen – all diese Schritte bewirkten einen signifikanten Vorsprung der Grafschaft Tirol nicht nur vor vergleichbaren Territorien wie dem Erzstift Salzburg oder der Vorderen Grafschaft Görz, sondern weit darüber hinaus.200 Betrachten wir die Entwicklungen ein wenig genauer: Der Kanzlei201, die weiterhin in die „curia comitis“, d. h. den gräflichen Hof unter der Leitung des Hofmeisters (magister curiae) eingebettet war, entwickelte sich unter Meinhard II. zum Mittelpunkt der Landesverwaltung. Dies lässt sich bereits an ihrer massiven personellen Expansion festmachen. Waren um 1260 nur etwa vier Schreiber und Notare gleichzeitig in der Kanzlei beschäftigt, zählte man nach 1271 bereits sieben. Um 1280 waren schließlich zehn Schreibkräfte gleichzeitig beschäftigt. Diesen Schreibern, in den Urkunden als „scribae“, „scriptores“ oder „notarii“ bezeichnet, steht nunmehr auch ein Kanzleileiter mit dem Titel eines „protonotarius“ vor. Insgesamt sind aus dem Zeitraum von 1271 bis 1295 21 landesfürstliche Notare und Schreiber belegt, wozu weitere 15 öffentliche Notare hinzukommen, die fallweise für gräfliche Schreibdienste herangezogen wurden. Damit lassen die Tiroler Verhältnisse andere Territorien schon quantitativ weit hinter sich. Um 1280 werkten in der Kanzlei der Erzbischöfe von Salzburg nur drei bis vier Schreiber gleichzeitig, und vergleichbare Dimensionen wies die habsburgische Kanzlei noch um 1300 auf.202 Waren Kanzlei und landesfürstlicher Rat als zentrales Beratungsgremium des Herrschers (s. u.) Ende des ausgehenden 14. Jahrhunderts noch deutlich getrennt, so avancierte der Leiter der Kanzlei im weiteren Verlauf des Spätmittelalters zum wichtigsten Berater und zur zentralen Vertrauensperson des Fürsten, was sich auch an der veränderten Bezeichnung niederschlug. Der ältere Titel eines Protonotars wird durch den Kanzler (cancellarius) ersetzt, wobei wieder Tirol eine führende Rolle einnahm. Wurde dieser Entwicklungsschritt in den meisten Territorien erst im 15. Jahrhundert vollzogen,203 scheint ein namentlich nicht weiter greifbarer „chanzellarius“ erstmals in einem Rechnungsbuch von 1313 auf.204 Diese vereinzelte Meldung erlaubt noch keine Rückschlüsse auf die Herausbildung eines ent Ganz ähnlich die Feststellung von Obermair, Vormoderne Übergangsregion, 2004, S. 698–699. 201 Vgl. zur Tiroler Kanzlei in der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts noch immer Heuberger, Urkunden- und Kanzleiwesen, 1913; ferner Wiesflecker, Meinhard II., 21995, bes. S. 188–198; Stolz, Geschichte der Verwaltung, 1998, bes. S. 28–33; Hye-Kerkdal, Geschichte, 1965; Köfler, Beiträge, 1973; Haidacher, Rechnungsbücher, 1993, S. 11–27; zusammenfassend Riedmann, Mittelalter, 21990, S. 434–435. Die ältere Literatur zum Kanzleiwesen verzeichnet Lhotsky, Quellenkunde, 1963, S. 76–77. 202 Vgl. Wiesflecker, Meinhard II., 21995, S. 189; Stelzer, Kanzlei der Herzöge von Österreich, 1984. 203 Vgl. hierzu die Beiträge im Sammelband von Silagi, Landesherrliche Kanzleien, 1984. 204 Vgl. Heuberger, Kanzlei, 1913, S. 114. 200
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sprechenden Amtes. Sehr wohl gestattet jedoch die frequente Nennung des Kanzlers ab 1338, von der Existenz des Amtes auszugehen.205 Zum Vergleich: In Bayern ersetzt 1367 der Kanzler den Titel eines Protonotars,206 im Herzogtum Österreich wird der Kanzlertitel ab Mitte des 14. Jahrhunderts verwendet.207 Hand in Hand hiermit geht die Juridifizierung der Kanzlei, d. h. das Vordringen gelehrter Juristen, die freilich bis weit in das 15. Jahrhundert noch überwiegend dem Klerikerstand angehören.208 Schon in den achtziger Jahren des 13. Jahrhunderts kam es in Tirol überdies zur Abspaltung und weitgehenden Verselbständigung der landesfürstlichen Finanzverwaltung von der Kanzlei – was in anderen Territorien regelmäßig noch bis in das 15. Jahrhundert auf sich warten ließ.209 Unter einem Kammermeister (magister camerae) waren gleichzeitig rund fünf Kammerschreiber (Kämmerer, Kammerdiener) tätig, die Zahlungen empfingen und vornahmen, die Rechnungslegungen lokaler Amtleute entgegennahmen und kontrollierten, die Rechnungsbücher führten und allgemein für die Finanzgebarung und das Rechnungswesen des Hofes zuständig waren.210 Verwaltungsgeschichte ist nicht isoliert von der Kulturgeschichte zu sehen. Die Intensivierung der Schriftlichkeit, die unter Meinhard II. deutlich greifbar wird und mit einer gewissen Retardierung auch andere spätmittelalterliche Länder prägte, ist ohne den Siegeszug des billigen und leichter handhabbaren Beschreibstoffs Papier nicht denkbar. Während in der Pfalz und in Bayern seit 1354 und 1388/1392 Papier verwendet wird,211 beginnt sein Einsatz in der Tiroler Kanzlei und Kammer wieder einmal in den achtziger Jahren des 13. Jahrhunderts. Aus dem Jahr 1287 ist die erste Papierurkunde aus der meinhardinischen Kanzlei überliefert,212 und das erste Raitbuch aus dem Jahr 1288 ist bezeichnenderweise ebenfalls aus Papier.213
Vgl. Stolz, Kanzler, 1938; Stolz, Geschichte der Verwaltung, 1998, S. 28. Vgl. Wild, Fürstenkanzlei des Mittelalters, 1983, S. 8 und 73. 207 Vgl. Stelzer, Kanzlei der Herzöge von Österreich, 1984, S. 305; Lackner, Hof und Herrschaft, 2002, S. 278. 208 Für Tirol Heuberger, Urkunden- und Kanzleiwesen, 1913, S. 76–77; allgemein Walther, Macht der Gelehrsamkeit, 1998; Moraw, Gelehrte Juristen, 2001; Stelzer, Gelehrtes Recht, 1982; zur Rolle der Juristen im Zusammenhang mit der Gesetzgebung (samt weiteren Literaturhinweisen) vgl. Kap. III.1.2. 209 Vgl. Schubert, Umformung, 1999, S. 233. 210 Auch in den besonders weit fortgeschrittenen niederrheinischen Territorien ist bereits um 1300 ein vergleichbarer „Landrentmeister“ belegt (Geldern 1290, Kleve 1311); vgl. Janssen, Territorien, 1980, S. 59–60. 211 Wild, Fürstenkanzlei des Mittelalters, 1983, S. 51 und 55; Schubert, Fürstliche Herrschaft und Territorium, 22006, S. 30; vgl. auch allgemein Schubert, Vom Gebot zur Landesordnung, 2001, S. 59. 212 Wiesflecker, Meinhard II., 21995, S. 190. 213 Edition durch Haidacher, Rechnungsbücher, Bd. 1, 1993. 205 206
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In der Tat ist unter Meinhard II. die Zunahme des Verwaltungsschriftguts eklatant.214 Nicht nur, dass Empfängerausfertigungen von Urkunden immer seltener werden; existierten bislang nur Urbare lokaler Ämter, erfolgte 1288 die Anlegung eines gesamttirolischen Urbars, das einen Überblick über die landesfürstlichen Grundherrschaften als wichtigste Einnahmequelle Meinhards II. verschaffte.215 Noch bei weitem bedeutender nimmt sich die Anlegung der Raitbücher (Rechnungsbücher) aus,216 die seit 1288 überliefert sind, maßgeblich auf die Initia tive Meinhards II. zurückgehen und wohl eine autochthone Tiroler Entwicklung darstellen.217 Die Reihe der circa 30 Raitbücher erstreckt sich von 1288 bis 1350. Sie bestehen vornehmlich aus den in regelmäßigen Abständen vorgenommenen Rechnungslegungen. Für das Jahr 1300 ist zudem erstmals eine Gesamtaufstellung der landesfürstlichen, nach einzelnen Ämtern aufgegliederten Einnahmen überliefert („summa omnium reddituum“).218 Zwar haben sich im Reich seit dem beginnenden 13. Jahrhundert Spuren von Rechnungslegungen erhalten (Einzelrechnungen) und setzt gegen Ende des Jahrhunderts allmählich die Führung von Rechnungsbüchern ein,219 doch zählen die Tiroler Raitbücher zu den ältesten. Nur von den Grafen von Savoyen sind Rechnungsbücher seit 1260 überliefert, im Reich stehen die Raitbücher überhaupt einzigartig da. Für das Herzogtum Österreich beispielsweise sind erst für den Zeitraum von 1326 bis 1338 Rationarien überliefert.220 Kanzleiregister setzen demgegenüber erst unter den Söhnen Meinhards II. ein und bestreichen in 25 Bänden den Zeitraum bis 1362.221 Das älteste erhaltene Register wurde zwischen 1308 und 1315 geführt und enthält über 170 Urkunden, die großteils aus den Jahren 1311 bis 1315 stammen (mit einigen Eintragungen betreffend die Jahre 1302/03 und einzelnen Nachträgen der Jahre 1316 bis 1320). Allgemein zum Geschäftsschriftgut und speziell zu den Amtsbüchern Patze, Typen des Geschäftsschriftgutes, 1970, S. 27–60. 215 Haidacher, Meinhardinisches Urbar, 1988; Haidacher, Grund und Boden, 1995; zur großen Bedeutung der grundherrschaftlichen Abgaben für die landesfürstlichen Finanzen zuletzt Stamm, Bedeutung der Grundrente, 2007, S. 50. 216 Hierzu Haidacher, Rechnungsbücher, Bd. 1 und 2, 1993 und 1998; Mersiowsky, Anfänge territorialer Rechnungslegung, 2000, S. 114–116; Stolz, Inhalt der Rechnungsbücher, 1957; Riedmann, Rechnungsbücher, 1984. 217 So unter umfassender Diskussion möglicher Vorbilder Riedmann, Rechnungsbücher, 1984, S. 320–321, der sich auch (ebd., S. 321) gegen das früher angenommene Vorbild der Buchführung Florentiner Kaufleute ausspricht, die auf dem Tiroler Geldmarkt Ende des 13. Jahrhunderts eine bedeutende Rolle spielten (vgl. Wiesflecker, Meinhard II., 21995, S. 191). 218 Vgl. die Edition bei Kogler, Steuerwesen in Tirol, 1901, S. 691–703; Wiedergabe des Inhalts bei Stolz, Geschichtlicher Inhalt, 1957, S. 15–16; Riedmann, Rechnungsbücher, 1984, S, 319. 219 Vgl. die Aufstellung bei Mersiowsky, Anfänge territorialer Rechnungslegung, 2000, S. 23–62. 220 Vgl. Mersiowsky, Anfänge territorialer Rechnungslegung, 2000. 221 Vgl. Stolz, Geschichte und Bestände, 1938, S. 109–110; Überblick bei Lhotsky, Quellen, 1963, S. 78; Uiblein, Quellen, 1982, S. 80; vgl. auch Widmoser, Kanzleiregister, 1950. 214
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Dabei wurde nicht der gesamte Auslauf erfasst, sondern nur die als wichtig angesehenen Urkunden.222 Chronologisch lag Tirol auch in diesem Bereich im Spitzen feld.223 Nur das Register des Grafen Wilhelm I. von Hennegau (1305–1308) geht ihm voraus,224 während im Herzogtum Österreich unter der Enns ein Pendant noch Jahrzehnte auf sich warten ließ. Das älteste erhaltene stammt aus der Regierungszeit Herzog Albrechts III. und enthält in chronologischer Reihenfolge Urkundenabschriften aus den Jahren 1384 bis 1393, nachdem Spezialregister (Pfandregister Friedrichs des Schönen, angelegt 1313) vorausgegangen waren. Ein ähnlicher zeitlicher Abstand zeigt sich bei der Anlegung von Lehenbüchern. Während das älteste Tiroler Lehenbuch aus dem Jahr 1336 datiert und rund 135 Urkundenabschriften über Belehnungen enthält,225 stammt das älteste erhaltene aus dem Herzogtum Österreich ebenfalls aus der Zeit Albrechts III.226 Mit der Verschriftlichung der Herrschaftspraxis korreliert das Bedürfnis, die selbst ausgefertigten ebenso wie die empfangenen Schriftstücke zum Nachweis eigener Rechte und Ansprüche dauerhaft aufzubewahren. Die örtliche Fixierung der Kanzlei geht somit in der Regel mit der Schaffung eines eigenen Archivs bzw. Archivraums einher, wo die wichtigsten Dokumente sicher abgelegt werden können. Wieder ist es bezeichnend, dass die erste Erwähnung eines Archivs auf Schloss Tirol aus dem Jahr 1286 datiert. Dorsalvermerke auf Urkunden bezeugen deren planmäßige und geordnete Ablage, ältere Rechtstitel wurden mittels zahlreicher Transsumpte offensichtlich systematisch gesammelt.227 Bisher ist viel von Institutionalisierung, Professionalisierung, Verschriftlichung, mithin von den Anfängen der „Bürokratie“ die Rede gewesen. Das darf nicht den Blick darauf verstellen, dass die Zentralverwaltung des 13. und 14. Jahrhunderts immer noch stark auf die Person des Herrschers sowie auf den Hof und die Deckung von deren finanziellen Bedürfnissen ausgerichtet war. Dies zeigt sich just in der Grafschaft Tirol mit beeindruckender Deutlichkeit. Nahezu von heute auf morgen riss hier die lange Tradition qualitativ hochstehender Verwaltungsführung ab, die im Reich lange Zeit eine Vorreiterrolle eingenommen hatte.228 Der Übergang Tirols Edition durch Zauner, Kanzleiregister, 1967. Hans Patze sieht in Tirol auch bei der Registerführung den „höchsten Entwicklungsstand“ unter den weltlichen Territorien erreicht (Patze, Typen des Geschäftsschriftgutes, 1970, S. 41); zu Bayern z. B. Schütz, Akten- und Registerführung, 1984, S. 135–136. 224 Dagegen reicht die Anlage von Kopialbüchern im eigentlich Sinn des Wortes (also die Abschrift von Urkunden durch den Empfänger) bereits ins ausgehende 13. Jahrhundert zurück (vgl. Schubert, Fürstliche Herrschaft und Territorium, 22006, S. 29–30). 225 Hörmann, Lehenbuch, 1995 (Zusammenfassung einer Staatsprüfungsarbeit am Institut für Österreichische Geschichtsforschung im Jahr 1992). 226 Vgl. hierzu die Übersicht bei Lhotsky, Quellen, 1963, S. 76–80; Stelzer, Kanzlei der Herzoge von Österreich, 1984, S. 302–303; zu Bayern Störmer, Konsolidierung, 1987, S. 182. 227 Wiesflecker, Meinhard II., 21995, S. 190 und 196; zum Archiv der Herzöge von Österreich z. B. Stelzer, Kanzlei der Herzoge von Österreich, 1984, S. 302. 228 Vgl. zum Folgenden nunmehr Lackner, Hof und Herrschaft, 2002, S. 376–410. 222 223
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an die Habsburger im Jahr 1363 bedeutete ein relativ abruptes „Aus“. Raitbücher und Register enden nicht zufällig zu Beginn der sechziger Jahre. Der Wegfall eines residierenden Landesfürsten führte zum Wegfall einer eigenen „Tiroler“ Kanzlei, deren Agenden in reduziertem Umfang von der habsburgischen Kanzlei übernommen oder von den weiterhin tätigen Amtleuten (s. u.) wahrgenommen wurden. Zentrale Lenkungsfunktionen konnten auch aus einer gewissen geographischen Distanz wahrgenommen werden. Im Übrigen fungierte der seit 1341 nachgewiesene Landeshauptmann als Stellvertreter des Fürsten229, dem Rudolf IV. anlässlich der Ernennung des Berthold von Gufidaun in seiner Bestallung 1363 summarisch die Besorgung der herzoglichen Angelegenheiten auftrug, wobei ihm in concreto Rechtspflege, Ämterbesetzungen (nicht jedoch Lehenvergabe!) und Landesvertei dig ung anvertraut wurden. Daneben lässt sich bereits in den siebziger Jahren wie derum ein Kammermeister als oberster Beamter im Bereich der Finanzverwaltung nachweisen.230 Das Fortbestehen respektive die neuerliche Besetzung von Ämtern, denen landesweite Zuständigkeiten zukamen, konnten jedoch das Fehlen einer Kanzlei nicht aufwiegen. Mit anderen Worten: Ein Kammermeister mit seinem allenfalls zugegebenen Schreibpersonal führt die Raitbücher nicht weiter, der Landeshauptmann sieht keine Veranlassung zur Weiterführung der Register. Her zogliche Urkunden für Tiroler Empfänger wurden bezeichnenderweise bevorzugt in Zeiten der Anwesenheit eines der Herzöge im Lande ausgestellt.231 Kontinuität in der Landesverwaltung vermittelten und sicherten vor allem die lokalen Ämter,232 von denen seit der Zeit Meinhards II. ein dichtes Netz das Land überzieht (s. u.). Hier zeigt sich der Wahrheitsgehalt eines spätmittelalterlichen Sprichworts: „Die Cantzley ist dess Fürsten Hertz“233 – und eben nicht „des Landes Herz“. Um diese Bildlichkeit aufzugreifen: Residiert der Landesfürst außer Landes, schlägt auch sein Herz außer Landes. Im Jahr 1363 hatte die Zentraladministration noch nicht jenen Grad der Institutionalisierung und Verstetigung erreicht, der sie von der zumindest periodisch länger dauernden Anwesenheit des Herrschers unabhängig gemacht hätte. Ex positivo wird diese Annahme nach der Begründung der älteren Tiroler Nebenlinie durch Friedrich IV. (reg. 1406−1439) belegt, der zunächst auf Schloss Tirol und ab 1420 in Innsbruck residierte. In seiner Regierungszeit entstanden wieder zentrale Verwaltungsstrukturen, die jenen unter den Meinhardinern ähnelten Köfler, Landtage, 1985, S. 490–492; Stolz, Landesbeschreibung von Südtirol, 1937, S. 120– 121; Ladurner, Landeshauptleute, 1856, S. 2–3. 230 Vgl. Mayer, Finanzverwaltung, 1920, S. 119. Mayer vermutete als Vorbild für dieses Amt den österreichischen Hubmeister, vgl. auch Mayer, Verwaltungsorganisationen, 1920, S. 10. 231 Vgl. hierzu Lackner, Hof und Herrschaft, 2002, S. 376–410 (bei Anwesenheiten eines Herzogs in Tirol nehmen die – natürlich auch sonst belegbaren – Ausstellungen für Tiroler Empfänger deutlich zu). 232 So auch schon ausdrücklich Mayer, Verwaltungsorganisationen, 1920, S. 11. 233 Schubert, Fürstliche Herrschaft und Territorium, 22006, S. 29 und 33. 229
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– wenngleich es noch Jahrzehnte dauern sollte, bis deren administratives Niveau wieder erreicht wurde. Raitbücher setzen erst wieder Mitte des 15. Jahrhunderts ein, die ab 1416 neuerdings geführten Register sind bis in die sechziger Jahre des 15. Jahrhunderts noch sehr fragmentarisch.234 Anfang der achtziger Jahre zählte die Kanzlei elf Bedienstete und somit noch weniger als zu Zeiten Meinhards II.235 Allerdings lässt sich schon unter Friedrich IV. wieder die Trennung der Finanzverwaltung (Kammer) von der Kanzlei beobachten. Im Bereich der Rechnungskontrolle zeigen sich auch erste Hinweise auf eine gewisse kollegiale Geschäftsbesorgung, wenn von den „Räten in der Raitung“ die Rede ist.236 4. 2. 1. 1. 2. Der landesfürstliche Rat Noch deutlicher wird die Ausrichtung auf den Landesfürsten bei einem bisher noch nicht besprochenem Gremium: dem landesfürstlichen Rat. Waren mit der Leistung von „auxilium und consilium“ schon konzis die Pflichten des Lehensmannes umschrieben gewesen, war der dem Fürsten zu leistende Rat weiterhin Ausdruck einer persönlichen Nahebeziehung zum Herrscher.237 Zu Recht warnt Schubert davor, im ausgehenden Mittelalter allzu früh einen institutionalisierten, Behördencharakter aufweisenden Rat mit festen Arbeitsstunden, Kompetenzkatalogen und interner Aufgabenteilung anzunehmen, wenngleich spätestens im 15. Jahrhundert in nahezu allen Territorien entsprechende Tendenzen deutlich werden. Für die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts stellt Christian Lackner fest: „Der spätmittelalterliche Hofrat war keine Behörde im modern-bürokratischen Sinne mit konstanter Mitgliederzahl, turnusmäßigen Sitzungen, Vorsitz und fest zugewiesenen Kompetenzen“, wobei freilich die „Mitwirkung des herzoglichen Rates [...] in nahezu allen Bereichen von Regierung und Verwaltung feststellbar“ ist.238 Schon im 13. Jahrhundert wird in vielen Territorien wie Bayern, Württemberg, der Mark Baden, aber auch im Herzogtum Österreich greifbar, dass sich aus der Gesamtheit der fürstlichen „familia“ eine Gruppe von „consiliarii“ herauskristallisiert. Entsprechendes lässt sich auch in der Grafschaft Tirol festmachen.239 Wenn in einer Urkunde Meinhards II. für das Kloster Stams u. a. der Hofmeister, der Marschall, der Protonotar, der Kämmerer und zwei Schreiber als Zeugen genannt sind, deu Vgl. Lhotsky, Quellen, 1963, S. 78. Jäger, Landständische Verfassung, Bd. 2/2, S. 276. 236 Vgl. die Nachweise bei Mayer, Finanzverwaltung, 1920, S. 124–130, der jedoch davor warnt, bereits eine „kollegiale Behörde“ ausmachen zu wollen (ebd., S. 127). 237 Vgl. hierzu und zum Folgenden Schubert, Fürstliche Herrschaft und Territorium, 22006, S. 27–29. 238 Lackner, Hof und Herrschaft, 2002, Zitate S. 116 und 118. 239 Vgl. hierzu und zum Folgenden Stolz, Geschichte der Verwaltung, 1998, S. 21–23; ferner Grass, Geschichte der Landstände, 1961, S. 301–302. 234 235
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tet dies auf die Existenz eines durchaus noch größeren personellen Fluktuationen unterworfenen Gremiums hin, das im Vorfeld von Entscheidungen nach ihrer Meinung befragt wurde. Das Gesetz Meinhards II. über die Ersitzung von 1286/1289 führt ausdrücklich an, dass dieses „mit ersamer weiser leute und weiser dienstmanne rat“ erlassen wurde.240 Als Herzog Otto mit Zustimmung seiner Brüder Heinrich und Ludwig der Stadt Hall 1303 ein Stadtrecht verlieh, geschah dies „requisito etiam, ac adepto fidelium nostrorum consilio“241. „Consilium“ ist freilich gerade im ausgehenden 13. und beginnen 14. Jahrhundert nicht gleich „consilium“. Vielmehr muss im Einzelnen differenziert werden, ob es sich tatsächlich um den landesfürstlichen Rat oder aber den Rat der mächtigen Adelsgeschlechter, der „Landherren“ handelt, der als Vorläufer der Landstände anzusprechen ist.242 Deutlichere Konturen gewinnt der Rat aufgrund häufigerer Nennungen unter Heinrich von Kärnten-Tirol: Diesen hatten seine außenpolitischen Ambitionen und insbesondere seine Bemühungen um Erlangung der böhmischen Krone in finanzielle Turbulenzen gestürzt. 1312 setzte er für eine dreijährige Abwesenheit zehn „Landpfleger“ ein, denen die Regentschaft in Tirol zukommen sollte und die namentlich die mehr als prekäre finanzielle Lage bereinigen sollten – was offensichtlich nicht gelang.243 Die ältere Forschung wollte in den „Landpflegern“ Ansätze einer vom Landesfürsten getrennten „Regierung“ erkennen;244 so unterstrich Heuberger den „Beamtencharakter“ der Landpfleger, sah in ihnen „eine vom Landesfürsten abhängige und beliebig absetzbare Kommission“245 und erblickte durchaus eine Ähnlichkeit mit dem „Regiment“ des 15. Jahrhunderts – wenngleich er konzedierte, dass das Gremium der Landpfleger nicht mit dem landesfürstlichen Rat ident war.246 Und dieser wird in der Tat unter Heinrich (speziell ab etwa 1310) verstärkt sichtbar.247 Auffällig ist jedenfalls, dass wichtige Urkunden ab circa 1310 häufiger hervor heben, „mit Rat unseres Rats“ bzw. „mit Rat unseres geschworenen Rats“ ausgestellt worden zu sein.248 Auch die Einsetzung der zehn Landpfleger erfolgte „nach dem rat unsers gesworn rates“249 (1312 April 13), und kaum zwei Wochen später Edition bei Stolz, Ausbreitung des Deutschtums, Bd. III/2, 1932, S. 18–19, Zitat S. 19; zur Datierung Obermair, Landrecht, 1995, S. 130. 241 Faistenberger, Stadtrecht von 1303, 2003, S. 54; ganz ähnlich zwei Jahre später anlässlich der Privilegienverleihung an Meran, die in vergleichbarer Weise „seniorum testimonio et pociorum terre nostre approbatis indiciis“ [!] erfolgte (vgl. Stampfer, Geschichte von Meran, 1889, S. 345, und Grass, Geschichte der Landstände, 1961, S. 302, Anm. 10). 242 Zur Differenz auch schon treffend Luschin, Reichsgeschichte, 21914, S. 213. 243 Vgl. Heuberger, Einsetzung, 1912. 244 Vgl. auch den Hinweis bei Riedmann, Mittelalter, 21990, S. 440. 245 Heuberger, Landpfleger, 1912, S. 271. 246 Heuberger, Landpfleger, 1912, S. 279. 247 Vgl. auch Heuberger, Kanzleivermerke, 1912, S. 448–451. 248 Hierzu und zum Folgenden Stolz, Geschichte der Verwaltung, 1998, S. 21–22; ferner Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 55–56. 249 Edition bei Heuberger, Landpfleger, 1912, S. 282–285, Zitat S. 282. 240
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wies die Narratio eines Gesetzes gegen „landschädliche Leute“ aus, dass Heinrich vor Erlassen der Regelung „mit unserm Weysen und getrewen rate. und mit unsern dienstlaeuten ueberall ze rate sein worden“250. 1316 scheint die Bezeichnung „consiliarii curie“ auf, im selben Jahr werden im Rat die Bedingungen für eine Heirat einer Nichte Heinrichs festgelegt, die Aufnahme eines Freundsbergers unter die Dienstleute Heinrichs (1319) erfolgt ebenso nach Beratungen mit dem Rat wie die Verleihung eines Wochenmarkts zu Schwaz (1326).251 Die den Herren von Arz erteilte Bewilligung eines Burgenbaus erfolgte wie „in nostro publico consilio pro meliori est decretum“252. Auch unter Markgraf Ludwig dem Brandenburger ist die Tätigkeit eines Rates greifbar, die sich zudem seit dem zweiten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts in den auf den Urkundenausfertigungen angebrachten Kanzleivermerken und in den Registern niederschlägt: In Letzteren werden die Überbringer des landesfürstlichen Beurkundungsbefehls als „nuncius“ oder „comissor“ bezeichnet.253 Mit den Habsburgern verfestigt sich in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts der zunehmend häufiger anzutreffende Kanzleivermerk „dominus dux (per se ipsum) in consilio“, der auf die Erteilung des Beurkundungsbefehls durch den Herzog im landesfürstlichen Rat hinweist. Dieser dient somit nicht der Beschränkung, sondern der Unterstützung der landesfürstlichen Herrschaft. Otto Stolz umschreibt seine Wirkung und Funktion seit dem 14. Jahrhundert folgendermaßen: „So erscheint dieser Rat als ein ständiges Regierungskolleg mit einer bestimmten Anzahl von Mitgliedern unter der Leitung des Hofmeisters. Sein Wirkungskreis bezog sich auf alle Regierungsangelegenheiten von Bedeutung, überwachte aber auch das Finanzwesen und war als oberster Gerichtshof des Landes tätig.“254 Freilich ist, wie bereits angedeutet, Vorsicht angebracht, nicht den Eindruck einer frühzeitigen Institutionalisierung im Sinne eines fest umgrenzten Personenkreises, einer festen Ressortverteilung zwischen den Mitgliedern oder eines stabilen Wirkungsbereiches zu evozieren.255 Erst um die Wende zum 15. Jahrhundert ging die Tendenz in Richtung eines „täglichen Rats“. Zudem muss man es als Selbstverständlichkeit bezeichnen, dass Räte dem Landesfürsten zwar zu Treue verbunden waren, als Angehöriger von Adelsgeschlechtern aber auch eigenständige Herrschaftspositionen bekleideten und an deren durchaus nicht uneigennützigen Ausbau interessiert waren.256
Zit. nach Chmel, Geschichtsforscher, Bd. II/2, 1841, S. 353 (u/v im Unterschied zu Chmel nach dem Lautwert differenziert). 251 Vgl. zu den angeführten Beispielen auch Heuberger, Anweisungen, 1925, S. 38. 252 Zit. nach Stolz, Geschichte der Verwaltung, 1998, S. 22. 253 Vgl. Heuberger, Kanzleivermerke, 1912, bes. S. 451–454. 254 Stolz, Geschichte der Verwaltung, 1998, S. 23. 255 So auch Schubert, Fürstliche Herrschaft und Territorium, 22006, S. 27–28; für Tirol ganz in diesem Sinn schon Mayer, Verwaltungsorganisationen, 1920, S. 14. 256 Vgl. Willoweit, Entwicklung und Verwaltung, 1983, bes. S. 85. 250
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Der Prozess einer zunehmenden Verfestigung und Ausformung des Rats zog sich über Jahrzehnte hin und fand erst mit der Ausarbeitung von Rats- bzw. nunmehr „Regimentsordnungen“ einen vorläufigen Abschluss. Es ist in diesem Zusammenhang bezeichnend, dass die ersten Tiroler Regimentsordnungen aus der Regierungszeit (Erz)Herzog Siegmunds stammen (sie sind im Übrigen nicht zu verwechseln mit Hofordnungen, die vornehmlich der Limitierung des finanziellen Aufwands des Hofes dienen und deren erste in Tirol bereits unter Friedrichs IV. (1431/1432) belegt ist).257 Sie gehen übrigens durchwegs nicht auf die Initiative des (Erz)Herzogs zurück, sondern entweder auf eine des Rats selber (in den sechziger und siebziger Jahren) oder aber auf die Parteiungen und internen Machtkämpfe, die das Innsbrucker Hofleben in den achtziger Jahren prägten.258 Dagegen ist in den ersten beiden Jahrzehnten der Herrschaft Siegmunds die ausschließliche Ausrichtung des Rates als Hilfs- und Beratungsorgan auf die Person des Herzogs noch augenscheinlich und zeigt sich besonders gut während dreier mehrmonatiger Abwesenheiten des Herzogs in den fünfziger Jahren (1455, 1456/57 und 1458).259 Hier führte nicht etwa der Rat die Geschäfte weiter, um allenfalls in wichtigen Angelegenheiten mit dem Herzog zu korrespondieren. Vielmehr übernahm in dieser Zeit die erste Gattin Siegmunds, Eleonore von Schottland, die Regentschaft. In ihrem Namen und unter ihrem Siegel wurden Urkunden ausgestellt, sie fungierte als Schiedsrichterin und in ihrem Namen wurden Urteile gefällt. Zwar wurden wichtige Entscheidungen im Rat erörtert, und regelmäßig lassen Kanzlei vermerke auf Urkunden („Datum in consilio“) die Mitwirkung des Rates erkennen. Doch fungierte der Rat nunmehr als Hilfs- und Beratungsorgan der Regentin, die selbst zunehmend eigenständig auftrat und die notwendige Korrespondenz mit dem Herzog besorgte. Überhaupt scheint der Kreis der teilnehmenden Räte in den ersten beiden Jahrzehnten der Siegmund’schen Herrschaft noch von Fluktuationen geprägt, Organisation und Wirkungskreis des Rates (mit Ausnahme seiner Funktion als landesfürstliches Kammergericht) werden ebenfalls nicht genau erkennbar. Erst im Jahrzehnt von 1460 bis 1470 konsolidiert sich der landesfürstliche Rat „zu einer festen und ständigen Behörde mit geregeltem Verfahren und straffer Orga nisation.“260 In den Jahren zwischen 1465 bis 1470 entstehen schließlich eine Reihe von Ordnungen für den fürstlichen Rat und den Hof. Diese präsentieren sich formal als Vorschläge an den Herzog, sind jedoch offensichtlich wenigstens teilweise sanktioniert und umgesetzt worden.261 Treibende Kraft hinter den Vorschlägen war Vgl. hierzu nunmehr Platzgummer, Hof und Hofordnung, 2005. Allgemein Vec, Hofordnungen, 1999; Willoweit, Hofordnungen, 2004. 258 Vgl. zum Folgenden Mayer, Verwaltungsorganisationen, 1920, S. 16–25. 259 Vgl. Caramelle/Köfler, Frauen, 1982, S. 30–52. 260 So Beimrohr, Brief und Siegel, 1994, S. 76; Link, Habsburgische Erblande, 1983, S. 477–478. 261 Vgl. TLA, Cod. 208. 257
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zweifelsohne das Ratskollegium selbst.262 Die damals zum Ausdruck kommende Grundtendenz wertet Theodor Mayer folgendermaßen: „Der Rat trachtete ein ständiges, in der Zusammensetzung gleich bleibendes und wenige Personen umfassendes Kollegium zu schaffen, das durch straffe Organisation wirklich in der Lage wäre, eine brauchbare Regierung zu bilden.“263 In der Tat wird die Abschließung des Rats, d. h. seine zahlenmäßige Beschränkung und die damit einhergehende Festigung deutlich. Neben selbstverständlich enthaltenen Geboten wie dem Verbot der Geschenkannahme wird ein Mindestquorum festgelegt: Eine noch zwischen vier und sieben schwankende Zahl von Räten sollte ständig in Innsbruck anwesend sein. Ausdruck ratsinterner Machtkämpfe ist wohl die vom Herzog erlangte Zusage, dass die von Siegmund mit einem Rat abgesprochene Angelegenheit vor der Expedition noch dem Ratskollegium zur Beschlussfassung vorgelegt werden sollte. Obwohl dies de facto auf eine Begrenzung landesfürstlicher Macht hinauslief, war dies wohl nicht das primäre Ziel dieser Bestimmung. Vielmehr ging es wohl vor allem um das Austarieren der Machtstellung der Räte untereinander, indem nicht dem einzelnen Rat, sondern dem Kollegium der Vorrang eingeräumt werden sollte. Die in den sechziger Jahren gesetzten Maßnahmen erfüllten offenbar nicht die in sie gesetzten Erwartungen. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der trotz gegenteiliger Zusagen unverändert aufwändigen landesfürstlichen Hofhaltung und der seit 1478 andauernden Türkengefahr ist die zu Beginn der achtziger Jahre stattfindende weitere Institutionalisierung des Rats zu sehen, der sich auch die Reduktion der Kosten für die Hofhaltung angelegen sein lassen sollte (gerade mit Letzterem wollte Siegmund angesichts des durch die Verteidigungsmaßnahmen hervorgerufenen Geldbedarfs den Ständen gegenüber ein Zeichen des guten Willens setzen).264 Die Zahl der Räte wurde auf acht fixiert (davon waren zwei gelehrte Juristen), von denen mindestens vier ständig in Innsbruck anwesend sein sollten und den Ratssitzungen beizuwohnen hätten. Außenstehende durften den Ratssitzungen ausdrücklich nur mehr nach vorangegangener Vorladung beiwohnen. Doch es dauerte noch sechs Jahre, bis aus dem „Rat“ das „Regiment“ wurde, wobei kaum von Kontinuität gesprochen werden kann. Der Errichtung eines von den Landständen dominierten „Regiments“ – dieser Terminus ist bezeichnenderweise erstmals 1487 belegt – markierte eine von dramatischen innenpolitischen Ereignissen geprägte und hervorgerufene Zäsur. Die von der Forschung hinreichend untersuchten Rahmenumstände sind an dieser Stelle nur stichwortartig zu rekapitulieren:265 Die zunehmende Anlehnung des alten Siegmund an den Vgl. die ausdrücklichen Erwähnungen in TLA, Cod. 208, fol. 21, 38 und 46. Mayer, Verwaltungsorganisationen, 1920, S. 16. 264 Vgl. die Wiedergabe des Inhalts bei Jäger, Landständische Verfassung, Bd. 2/2, S. 275–276; zum Hintergrund Köfler, Landtag, 1985, S. 265–270. 265 Vgl. zum ereignisgeschichtlichen Rahmen und vor allem zum Landtag des Jahres 1487 Riedmann, Mittelalter, 21990, S. 506; Baum, Sigmund der Münzreiche, 1987, S. 483–494; Köfler, Landtag, 1985, S. 267–268; Wallnöfer, Bauern, 1984, S. 145–146; Caramelle/Köfler, Frauen, 262 263
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I. Einführung in das Thema
Bayernherzog Albrecht IV. samt der Verpfändung einer Reihe von Schlössern und Gerichten an Bayern, der Verkauf der Vorlande mit Ausnahme Vorarlbergs an den Genannten um den niedrig veranschlagten Preis von 50.000 Gulden, die Dominanz der bayernfreundlichen Räte unter der Führung des Gaudenz von Matsch und die Verschreibung der oberösterreichischen Länder an Albrecht IV., schließlich der desaströse Feldzug gegen die Republik Venedig im Jahr 1487 führten im selben Jahr zum Sturz der „bösen Räte“ durch die Landstände, zur de facto-Entmachtung des Erzherzogs und zur Einsetzung eines „Regiments“ durch die Landstände. Dieses auch als „geordnete Räte“ bezeichnete Regiment setzte sich aus 14 Mitgliedern aus Tirol und acht aus den vorderösterreichischen Ländern zusammen.266 Dem Regiment wurden umfassende Kompetenzen übertragen:267 Sy sullen uns [Siegmund], auch den landschaefften zu gut ze regieren vollen gewalt haben, und was also durch gemain rat oder den merer tail uns, auch den bemelten landschaefften zu gut erfunden wirdet, soll alles voltzogen und demselben nachgegangen werden.268 Jeder ausgehende Brief musste im Rat beschlossen, genehmigt und anschließend von der Kanzlei mit dem herzoglichen Siegel versehen werden. Ein Rat, aber auch ein Pfleger, Amtmann oder Richter konnte nur mit dem Einverständnis der geordneten Räte abgesetzt werden. Bei Ausfall eines Rates war dessen Nachfolger vom Ratsgremium im Einverständnis mit dem Herzog zu ernennen. In wichtigen Angelegenheiten war die Konsultation der Landräte – eines 1487 erstmals greifbar werdenden, vornehmlich mit militärischen Belangen befassten Gremiums – oder der gesamten Landschaft vorgeschrieben.269 Das Erlassen von Gesetzen selbst ist in der Regimentsordnung nicht erwähnt, aber in ihrer umfassenden Zuständigkeit jedenfalls inkludiert: Aus dem Jahr 1488 stammen erstmals Notizen, die offensichtlich die Diskussionen im Rat über eine ganze Reihe von Gesetzesvorhaben wiedergeben und u. a. Straf- und Strafprozessrecht (bäuerliche Fehdeführung, Vorgehen gegen Totschläger), Zivilpro1982, S. 163–168; Hegi, Geächtete Räte, 1910, S. 98–103; Jäger, Landständische Verfassung, Bd. 2/2, 1885, S. 325–334; Jäger, Übergang, 1872, bes. S. 335–352; Brandis, Landeshauptleute, 1850, S. 292–302. 266 Zwei weitere Stellen der Landschaft wurden im April 1488 besetzt, zwei Stellen für Vertreter des Kaisers waren noch 1489 vakant (vgl. Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 147; Jäger, Landständische Verfassung, Bd. 2/2, 1885, S. 357; Mayer, Verwaltungsorganisationen, 1920, S. 22–23). 267 Vgl. die Wiedergabe bei Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 147–148 (mit Hinweisen auf ältere Literatur) sowie Jäger, Übergang, 1873, S. 360–361; ferner TLA, Cod. 5494, fol. 10a–19. 268 TLA, Cod. 5494, fol. 11a. 269 Hier kam es im April 1488 zu einer Änderung, indem stattdessen das Gutachten des Herzogs eingeholt werden sollte; ob dies einer Stärkung der herzoglichen Position diente oder allein der Verwaltungsbeschleunigung dienen sollte, sei an dieser Stelle dahingestellt (vgl. zu den unterschiedlichen Auffassungen bei Mayer und Jäger nunmehr Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 150, Anm. 5).
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zessrecht und Policeyrecht betreffen. Aufgrund der in der Ratssitzung getroffenen Entscheidungen sollten Konzepte aufgesetzt und diese nochmals im Rat angehört und abgesegnet werden.270 Auf den ersten Blick scheint das Regiment des Jahres 1487 mehr Gemeinsamkeiten mit dem aus landständischen Verordneten zusammengesetzten „geschworenen Rat“ zu Meran der Jahre 1443 bis 1446 als mit dem landesfürstlichen Rat der Ära Siegmunds zu haben. Der „geschworene Rat“ zu Meran, schon 1444 zusammenfassend als „obriste Verweser“ des Landes bezeichnet, hatte schließlich während des Streits der Tiroler Landschaft mit König Friedrich wegen dessen eigenmächtiger Verlängerung der Vormundschaft über den jungen Herzog Siegmund von 1443 bis 1446 die Regierung des Landes besorgt (und in dieser Funktion ebenfalls Gesetze erlassen).271 In der Tat waren beide, das Regiment der letzten Jahre der Siegmund’schen Regierungszeit wie der „geschworene Rat“ der Jahre 1443 bis 1446, das Resultat einer starken landständischen Position, die sich in einem Fall gegen König Friedrich, im anderen Fall gegen den greisen Siegmund richtete. 1487 konnten die Stände freilich auf die Unterstützung Kaiser Friedrichs und des jungen Königs Maximilian zählen. Nach dem Übergang der oberösterreichischen Länder waren denn auch die Kontinuitäten stark ausgeprägt, und zwar sowohl personell als auch institutionell.272 Mit der landständischen Dominanz beim Zustandekommen der Regimentsordnung steht Tirol übrigens nicht alleine da. Gerade die frühen Regiments-, aber auch Hofordnungen des 15. Jahrhunderts wurden des Öfteren im Einvernehmen zwischen Ständen und Fürst erlassen oder Letzterem von den Ständen aufgezwungen.273 Auch die Verquickung von Hof- und Ratsordnung, wie sie sich 1487 in Tirol zeigt – Hauptziel der Regelung war schließlich die Begrenzung des Finanzbedarfs des Hofes –, ist im 15. Jahrhundert noch häufig zu finden.274 4. 2. 1. 2. Die Reformen Maximilians I. Die Verwaltungsreformen unter Maximilian I. und Ferdinand I. schufen schließlich auch in den oberösterreichischen Landen die administrativen Strukturen, die nicht nur bis zum Aussterben der habsburgischen Nebenlinie 1665, sondern bis zu den
Vgl. TLA, Cod. 113, fol. 211r–215r (vgl. die Edition im Anhang). Hierzu grundlegend noch immer Jäger, Streit der Landschaft, 1872; jüngere Zusammenfassungen bei Baum, Sigmund der Münzreiche, 1987, S. 76–82; Riedmann, Mittelalter, 21990, S. 486; Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 109–117 (zur Kompetenz des Rats insbesondere S. 113–114); Niederstätter, Jahrhundert der Mitte, 1996, S. 242–245. 272 Vgl. Noflatscher, Räte und Herrscher, 1999. 273 Vgl. Willoweit, Allgemeine Merkmale, 1983, S. 289–290. 274 Vgl. Willoweit, Allgemeine Merkmale, 1983, S. 292. 270 271
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I. Einführung in das Thema
maria-theresianischen Reformen grundlegend blieben.275 Für unsere Themenstellung sollen dabei weniger die Reichsbehörden als vielmehr die territorialen Verwaltungsstrukturen der einzelnen Ländergruppen maßgebend sein. Nur einleitend am Rande angesprochen sei ferner der seit mehr als hundert Jahren die Forschung beschäftigende Disput über die Frage der Ursprünge und Vorbilder der maximilianeischen Reformen. Waren diese durch die von Philipp dem Guten geschaffenen und Karl dem Kühnen weiterentwickelten burgundischen Verhältnisse, die Maximilian I. durch seine Heirat mit Maria von Burgund kennen gelernt hatte, inspiriert? Oder waren vielmehr die Einflüsse der Tiroler Verwaltungsorganisation ausschlaggebend, zumal in den ersten Jahren der neunziger Jahre vor allem Tiroler wie Zyprian von Sernthein, Paul Liechtenstein, Veit und Michael von Wolkenstein geschickt Positionen in der engsten Umgebung Maximilians okkupierten? Schon in der älteren Literatur fanden sich völlig konträre Ansichten, die einmal die Übertragung burgundischer Verhältnisse auf die österreichischen Erb länder und das Reich erkennen wollten,276 ein anderes Mal einen genau gegenläufigen Prozess – die Vorbildwirkung der Tiroler Verwaltungsorganisation auch für Burgund – diagnostizierten.277 Daneben gibt es die dritte, wissenschaftsgeschichtlich bei weitem am häufigsten ventilierte These, die zwar Anreg ungen von Tiroler wie von burgundischer Seite nicht ausschließt, jedoch den persönlichen Anteil Maximilians I. betont und dessen Fähigkeit zur Verbindung von Hergebrachtem und Innovationen zur Bewältigung neuer Herausforderungen hervorhebt.278 Einen Abschluss schien die Diskussion mit dem ersten Band der umfassenden MaximilianBiographie Hermann Wiesfleckers zu erreichen, der pointiert hervorhob, dass trotz der im Vergleich zu den übrigen österreichischen Erbländern weiter entwickelten und höher stehenden Verwaltungstradition der Grafschaft dessen von Misswirtschaft, fehlender Effizienz und adeligem Klüngel geprägter Zustand Ende der achtziger Jahre wohl kaum als Inspiration für ein umfassendes Reformwerk herangezogen werden konnte.279 Der alltägliche Verwaltungsbetrieb war „eher simpel“, das System „etwas veraltet“ und „das Getriebe durch jahrzehntelange Mißwirtschaft versandet“280, wenngleich Wiesflecker konzediert, dass es die Tiroler Eliten, die am Erhalt der oberösterreichischen Länder für die Habsburger nicht unbeteiligt gewesen waren, nicht durch überstürzte Reformen zu verstimmen galt. Allerdings redet Vgl. auch Wiesflecker, Maximilian I., Bd. 2, 1975, S. 176. Rachfahl, Niederländische Verwaltung, 1913. 277 Walther, Urprünge, 1913, bes. S. 18; ähnlich Mayer, Verwaltungsorganisationen, 1920. 278 Vgl. nur z. B. Luschin, Österreichische Rechtsgeschichte, 21914, S. 257–258; Luschin, Grundriss, 21918, S. 118–119; sinngemäß auch Huber/Dopsch, Österreichische Reichsgeschichte, 21901, S. 88; Hellbling, Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, 21974, S. 140; Baltl/Kocher, Rechtsgeschichte, 112008, S. 104; weitere Hinweise bei Wiesflecker, Maximilian I., Bd. 2, 1975, S. 177. 279 Wiesflecker, Maximilian I., Bd. 2, 1975, bes. S. 175–184. 280 Wiesflecker, Maximilian I., Bd. 2, 1975, Zitate S. 179 und 182. 275 276
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Wiesflecker auch keineswegs der Theorie einer strikten Anlehnung der maximilianeischen Reformen an Burgund das Wort (die er am ehesten noch im Bereich der Finanzverwaltung gegeben sieht), wenngleich er deutliche Analogien herausarbeitet. In Summe betont Wiesflecker jedoch das Neue und Eigenständige des Reformwerks Maximilians.281 Die Ansicht Wiesfleckers setzte sich jedoch nicht sogleich durch: Noch 1983 stellte Christoph Link fest: „Die tirolische Behördenverfassung ist damit zur Grundlage der neuzeitlichen Verwaltungsorganisation in Österreich geworden.“282 Aufgrund jüngerer Forschungen scheint inzwischen wieder ein stärkerer burgundischer Einfluss als wahrscheinlich.283 Unmittelbar nach dem Regierungsantritt Maximilians I. in den oberösterreichischen Ländern änderte sich freilich an der dortigen Verwaltungsorganisation vorderhand wenig, zumal Maximilian Tirol schon Ende April 1490 wieder verließ. Noch vorher setzte er ein aus zwölf „Statthaltern, Räten und Anwälten römisch-königlicher Majestät“ bestehendes, regelmäßig verkürzt als „Regiment“ bezeichnetes Kollegium ein.284 Nicht nur personell, sondern auch kompetenzmäßig wies dieses Regiment eine starke Kontinuität zum Regiment auf, das während der drei dem Regierungsantritt Maximilians vorangegangenen Jahre die Verwaltungsgeschäfte besorgt hatte. Die ihnen eingeräumte Machtfülle war beträchtlich: Sie sollten gewalt haben zu regieren, was sy not und gut bedunckt.285 Eine Ausnahme bestand nur hinsichtlich der Lehensverleihungen, die Maximilian sich selbst vorbehielt. Darüber hinaus fungierte das Regiment, dessen Beschlussfassung nach dem Mehrheitsprinzip erfolgte, wie schon die früheren Räte als oberstes Gericht in den oberösterreichischen Ländern und konnte (vorbehaltlich der nachgehenden Approbation durch den König) vakant werdende Stellen von Amtleuten nachbesetzen. Im Unterschied zur Vorgängereinrichtung kam dem Regiment allerdings zumindest vorläufig eine stärkere Position in der Finanzverwaltung zu, die ihm unterstellt wurde und deren Leiter, der „Oberste Amtmann“, zugleich Regimentsrat war. Letzteres blieb freilich ein Provisorium: Anstelle des „Obersten Amtmanns“ wurde durch Dekret vom
Vgl. nur Wiesflecker, Maximilian I., Bd. 3, 1975, bes. S. 176, 185 und 197; ähnlich schon Hellbling, Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, 21974, S. 140. 282 Link, Habsburgische Erblande, 1983, S. 477. 283 Vgl. Moraw, Maximilian I., 2002, S. 25; vgl. auch schon Niederstätter, Jahrhundert der Mitte, 1996, S. 471, Anm. 69; ferner Hollegger, Institutionentransfer, 2006; Cauchies, Burgundisches Vorbild, 2006. 284 Vgl. Hellbling, Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, 21974, S. 144; Mayer, Verwaltungsorganisationen, 1920, S. 34–41; Wiesflecker, Maximilian I., Bd. 2, 1975, S. 184; Link, Habsburgische Erblande, 1983, S. 478; Schmidt, Maximilian I. 1490−1493, 1971, S. 170–171; Borger, Innere Geschichte Tirols, 1966, S. 39–41; Kreuzwirth, Verwaltung der österreichischen Erblande, 1964, S. 9–13; Adler, Centralverwaltung, 1886, S. 331–332; Jäger, Übergang Tirols, 1873, S. 417. 285 Zit. nach Mayer, Verwaltungsorganisationen, 1920, S. 38, aufgrund von TLA, Cod. 118, fol. 146–147. 281
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28. Februar 1491286 eine aus vier Männern bestehende, für die Finanzen zuständige Behörde (die vier „Räte in der Raitung“, die spätere „Raitkammer“) geschaffen.287 Das Finanzwesen wurde freilich bald zu einem Experimentierfeld neuer, teilweise ausgesprochen kurzlebiger Verwaltungskonstruktionen bzw. Behörden, die allesamt dem nahezu dauernd finanziell mehr als klammen Herrscher die pekuniären Mittel für seine weitreichenden Unternehmungen zur Verfügung stellen sollte – wobei sie diese Aufgabe nur mangelhaft erfüllten bzw. aufgrund der Diskrepanz zwischen Mittelbedarf und erschließbaren Geldquellen auch nur insuffizient erfüllen konnten. Nach der Episode gebliebenen Einführung eines für die Gesamtheit der österreichischen Erbländer zuständigen Generalschatzmeisters (Simon von Hungersbach) kam es 1496 zur Einrichtung einer ebenfalls für die niederösterreichische wie oberösterreichische Ländergruppe zuständigen Schatzkammer mit Sitz in Innsbruck, die ihrerseits 1498 der Hofk ammer unterstellt wurde. Deren räumlicher Wirkungsbereich sollte sich sowohl auf das Reich im Allgemeinen als auch auf die Erbländer im Speziellen erstrecken, so dass die Schatzkammer zu einer Kontrollinstanz und schließlich zu einer bloßen Anweisungsstelle herabsank.288 Neben die Schatzkammer trat ebenfalls 1498 die Hauskammer, die für landesfürstliche Schmelzhütten, Eisen- und Salzwesen sowie Jagd und Fischerei zuständig war.289 Dieser Verwaltungsaufbau im Bereich der Finanzverwaltung blieb freilich nicht von langer Dauer.290 Umso gewichtiger und folgenschwerer war ein Schritt, den Maximilian I. schon unmittelbar nach der Wiedereroberung der von den Ungarn besetzten niederösterreichischen Länder bzw. nach dem Tod Kaiser Friedrichs III. setzte: die Übertragung der Tiroler Verwaltungsstrukturen auf die niederösterreichische Ländergruppe. Nachdem schon Ende 1490, spätestens Anfang 1491 in den niederös terreichischen Ländern ein mit gleichen Kompetenzen wie das Innsbrucker Pendant ausgestattetes Regierungskollegium installiert worden war, wurde dieses nach dem Hinscheiden des Vaters im Spätherbst 1493 endgültig in Wien eingerichtet. Nahezu gleichzeitig wurde im Winter 1493/1494 eine für die niederösterreichi Edition bei Adler, Centralverwaltung, 1886, S. 506–507. Vgl. Adler, Centralverwaltung, 1886, S. 332; Mayer, Verwaltungsorganisationen, 1920, S. 41–45; Wiesflecker, Maximilian I., Bd. 2, 1975, S. 184; Hellbling, Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, 21974, S. 146; Walter, Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, 1972, S. 29–30; Baltl, Österreichische Rechtsgeschichte, 112004, S. 104. 288 Link, Habsburgische Erblande, 1983, S. 481; Wiesflecker, Maximilian I., Bd. 2, 1975, S. 190–196; Fellner, Österreichische Zentralverwaltung, Bd. 1/1, 1907, S. 11–17; Luschin, Österreichische Reichsgeschichte, 21914, S. 263; Borger, Innere Geschichte, 1966, S. 59–75. 289 Wiesflecker, Maximilian I., Bd. 2, 1975, S. 194; Kreuzwirth, Verwaltung der österreichischen Erblande, 1964, S. 139; Link, Habsburgische Erblande, 1983, S. 481–482; Baltl/Kocher, Rechtsgeschichte, 112008, S. 105. 290 Fellner, Österreichische Zentralverwaltung, Bd. I/1, 1907, S. 21; zu den Gründen hierfür nunmehr Niederstätter, Jahrhundert der Mitte, 1996, S. 286. 286 287
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sche Ländergruppe zuständige Raitkammer mit Sitz in Wien ins Leben gerufen.291 Allerdings stießen hier die aus Sicht der Landstände „unerhörten Neuerungen“292 auf energischen Widerstand, was vor allem aus der im Vergleich zu der oberösterreichischen Ländergruppe völlig anders gearteten Ausgangssituation resultierte:293 Erstens waren die Machtverhältnisse grundsätzlich anders gelagert. Großflächige, räumlich annähernd geschlossene Grundherrschaften, bei denen Grundherr und Landesfürst nicht identisch waren, existierten in Tirol nicht, dominierten hingegen in den niederösterreichischen Ländern. In den oberösterreichischen Ländern konnte zudem das administrative Schaffen Maximilians an Vorläuferinstitutionen anknüpfen, zumal personelle Maßnahmen zumindest zu Beginn seiner Regierungszeit in höherem Maße auf regionale Befindlichkeiten Rücksicht nahmen. Die anfängliche Besetzung des Innsbrucker Regiments liest sich so wie ein „Who is who“ mächtiger und einflussreicher Tiroler Adelsgeschlechter. Dem diametral entgegengesetzt präsentieren sich die Verhältnisse in den östlichen Erbländern. Wiederholte Türkenein fälle seit den siebziger Jahren und die Ungarnkriege hatten der Usurpation landesfürstlicher Rechte durch den Adel Vorschub geleistet, dieser war von Ingerenzen der Zentrale relativ unbehelligt geblieben: Es waren „der adeligen Selbstherrlichkeit keine Grenzen gesetzt.“294 Zudem war das niederösterreichische Regiment anfangs von Räten tirolischer Provenienz dominiert, die nach und nach durch andere „Ausländer“ ersetzt wurden. Hinzu kam, dass sich der räumliche Zuständigkeitsbereich der niederösterreichischen Regierung immerhin auf fünf selbständige Länder (Österreich ob und unter der Enns, Steiermark, Kärnten, Krain) mit eigenständigen Interessen regionaler Eliten erstreckte, was einer effizienten Verwaltung gerade in einem frühen Stadium wenig förderlich war. Dem Adel der niederösterreichischen Länder war das landesfürstliche Regiment ein Dorn im Auge, zumal dieses von allen Untertanen angerufen werden konnte – was sich nur allzu leicht als Gefährdung der grundherrlichen Position hätte erweisen können.295 Die Landstände betrieben also nach Möglichkeit dem Regiment gegenüber eine Obstruktionspolitik, die den Räten die Bewältigung ihrer Aufgaben erschwerte. Wenig förderlich wirkte sich ferner Arbeitsstil Maximilians aus, der von Sprunghaftigkeit und häufigen Interventionen geprägt war und der wohl ebenfalls zum Rücktrittsgesuch beitrug, das das ganze niederösterreichische Regiment dem König zu Jahresende 1497 übermittelte. Wiesflecker, Maximilian I., Bd. 2, 1975, S. 187; Kreuzwirth, Verwaltung der österreichischen Erblande, 1964, S. 64–65. 292 Zit. nach Wiesflecker, Maximilian I., Bd. 3, 1977, S. 239; ebenso Hollegger, Entwicklung der Zentralverwaltung, 1983, S. 14. 293 Vgl. hierzu Wiesflecker, Maximilian I., Bd. 2, 1975, S. 185–188; Bd. 3, 1977, S. 237–238; Kreuzwirth, Verwaltung der österreichischen Erblande, 1964, S. 63; Hollegger, Entwicklung der Zentralverwaltung, 1983, S. 14–15. 294 So pointiert Wiesflecker, Maximilian I., Bd. 3, 1977, S. 238; weniger negativ nunmehr Niederstätter, Jahrhundert der Mitte, 1996, S. 279–282. 295 Vgl. Niederstätter, Jahrhundert der Mitte, 1996, S. 287. 291
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Just zu diesem Zeitpunkt erwuchs den beiden Regimenten durch den mittels Ordnung vom 13. Dezember 1497296 geschaffenen Hofrat (Hofregiment) eine massive Konkurrenz: Dieser war als oberste Rechts- und Verwaltungsinstanz nicht nur für das Reich, sondern auch für die Erblande konzipiert und in dieser Funktion den Regimenten übergeordnet.297 Das Wegbrechen der Kompetenz in Reichsangelegenheiten als Folge der Einrichtung der reichsständisch dominierten Nürnberger Reichsregierung (die ihrerseits nur kurz Bestand hatte) ließ den Hofrat jedoch rasch massiv an Bedeutung verlieren, so dass er sich in den Folgejahren primär als „unverbindlich beratende[s] Gremium“298 des Herrschers präsentierte, das zudem durch den nicht institutionalisierten „Geheimen Rat“ überlagert wurde. Die auf dem gesamtösterreichischen Ausschusslandtag in Innsbruck 1518 beschlossene neuerliche Errichtung eines Hofrats mit erweiterten Kompetenzen kam in den verbleibenden Monaten bis zum Tod Maximilians I. im Januar 1519 nicht mehr über ein Anfangsstadium hinaus. Kaum provisorisch eingerichtet, scheiterte er nach dem Ableben des Herrschers an seiner fehlenden Entscheidungsbefugnis und löste sich auf.299 Im zeitlichen Umfeld erfolgte die Reform der ober- und niederösterreichischen Regierungen. Der oberösterreichischen wurde gegen Jahresende 1499 eine neue Ordnung gegeben, in der ihre bislang umfassenden Kompetenzen fortgeschrieben und das Regiment in seiner Stellung als höchste Verwaltungs- und Gerichtsinstanz bestätigt wurde. Ausdrücklich behielt sich Maximilian I. nur die Einberufung von Landtagen und die Verleihung geistlicher (nicht weltlicher!) Lehen vor.300 1506 erfolgte zudem die Einrichtung eines für die österreichischen Vorlande zuständigen Regiments in Ensisheim, das 1510 eine detaillierte Geschäftsordnung erhielt und dem Innsbrucker Regiment untergeordnet blieb.301 1501 wurde schließlich das von den Ständen angefeindete niederösterreichische Regiment bestätigt, dessen Sitz in den Folgejahren von Enns über Linz nach Wien verlegt wurde.302 Während es allerdings in den oberösterreichischen Ländern für die nächsten Jahrzehnte Fellner, Österreichische Zentralverwaltung, Bd. I/2, 1907, S. 6–16. Vgl. Fellner, Österreichische Zentralverwaltung, Bd. I/1, 1907, S. 24–27; Walter, Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, 1970, S. 31. 298 Vgl. zum Hofrat Hollegger, Entwicklung der Zentralverwaltung, 1983, S. 124–135, Zitat S. 131. 299 Vgl. Hollegger, Entwicklung der Zentralverwaltung, 1983, S. 121–122. 300 Vgl. Regest bei Wiesflecker, Regesten, Bd. 3/1, 1996, Nr. 9632; Wiesflecker, Maximilian I., Bd. 2, 1975, S. 195–196; Kreuzwirth, Verwaltung der österreichischen Erblande, 1964, S. 43–46; Adler, Centralverwaltung, 1887, S. 382–390; Borger, Innere Geschichte, 1966, 78–89; die große Machtfülle des Regiments wurde auch in der Folgezeit beibehalten (vgl. Wenko, Kaiser Maximilian I. 1509, 1969, S. 130). 301 Hollegger, Entwicklung der Zentralverwaltung, 1983, S. 258–259; Stolz, Beschreibung, 1943, S. 66–68 und 180–182. 302 Vgl. (mit weiteren Literaturhinweisen) Hollegger, Entwicklung der Zentralverwaltung, 1983, S. 19. 296 297
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bei einer Zweigleisigkeit der Territorialverwaltung blieb – neben der Regierung als Verwaltungs- und Justizbehörde besorgte die (Rait-)Kammer die Finanzverwaltung –, experimentierte man in den niederösterreichischen Ländern in den Jahren nach 1501/1502 noch eine Zeitlang mit einer weitergehenden Auffächerungen der Kompetenzen, so dass dort zeitweilig bis zu sechs Kollegialbehörden amtierten.303 Besonders deutlich zeigt sich dies im Bereich der Rechtsprechung: Während die oberösterreichische Regierung unbestritten und durchgehend als landesfürstliches Kammergericht fungierte, wurden die jurisdiktionellen Befugnisse in den niederösterreichischen Ländern dem neu geschaffenen Hof- bzw. (ab 1502 so genannten) Kammergericht in Wiener Neustadt übertragen, gegen das sich im Besonderen der Zorn der Landstände richtete.304 Vorderhand argumentierte man mit der Missachtung der heimischen Rechtsgewohnheiten305 durch die gelehrten Hollegger, Entwicklung der Zentralverwaltung, 1983, S. 20. Vgl. auch neben den angeführten Arbeiten Vodosek, Maximilian I. 1503, 1963, S. 47; Wiesflecker, Maximilian I., Bd. 3, 1977, S. 239–243; Hollegger, Entwicklung der Zentralverwaltung, 1983, S. 24–26. 305 Nur kurz sei hier auf das Begriffspaar „Rechtsgewohnheiten“ und „Gewohnheitsrecht“ hingewiesen. So reichhaltig sich die wissenschaftliche Literatur zum Thema „Gewohnheitsrecht“ präsentierte, so klar schienen lange Zeit zumindest die Mindestanforderungen, um von Gewohnheitsrecht sprechen zu können: eine über einen längeren Zeitraum gleich bleibende Übung, zu welcher der Rechtsgeltungswille (die opinio iuris oder necessitatis) hinzutritt. Im Anschluss an Karl Kroeschell verstärkte sich in den letzten Jahren jedoch die Diskussion, ob dieser Terminus, der eine rationale Durchbildung des Gewohnheitsrechtes durch gelehrte Juristen impliziert und logisch die Existenz des Gesetzes als komplementäres Element voraussetzt, zur Beschreibung der Rechtsverhältnisse in der mittelalterlichen, weitgehend illiteraten Gesellschaft adäquat sein könne. Zur Differenzierung wurde der Begriff „Rechtsgewohnheit(en)“ herangezogen, der jedoch – wie jüngst Albrecht Cordes diagnostizierte (Cordes, Rechtsgewohnheiten, 2003, S. 34) – „bisher vor allem destruktive Potenz entwickelt zu haben“ scheint und vor allem der Abgrenzung vom Gewohnheitsrecht gelehrten Typs dienen sollte, ohne dass sich eine anerkannte Definition von „Rechtsgewohnheit“ herauskristallisiert hätte. Der Disput dürfte – zumindest vorläufig – in eine Sackgasse gemündet sein (vgl. nur die einleitenden Feststellungen von Kroeschell, Theophanu und Adelheid, 2003, S. 63). Der sich auf hohem theoretischem Niveau bewegende Etikettenstreit sei daher an dieser Stelle bewusst ausgeklammert. Schlagworte wie „weitgehende Oralität“ oder „fehlende rationale Durchdringung“ werden durchaus auch die Rechtsverhältnisse im spätmittelalterlichen Tirol einigermaßen treffend beschreiben. Selbst wenn im 16. Jahrhundert gewohnheitsrechtliche Positionen mit Gesetzesrecht kollidierten, zeichnete sich sogar die Diskussion innerhalb der Regierung durch die nahezu vollständige Absenz gelehrter Ausführungen aus. Insofern ist der Terminus „Rechtsgewohnheiten“ auch für den Untersuchungszeitraum berechtigt (und wurde fallweise alternativ verwendet). Und dennoch bringt die sophistische Differenzierung „Gewohnheitsrecht“ versus „Rechtsgewohnheiten“ für die vorliegende Arbeit keinen Erkenntnisgewinn: Sie wird an dieser Stelle anlässlich der ersten Erwähnung des Terminus „Rechtsgewohnheiten“ angeführt, ohne dass Konsequenzen notwendig sind. Es mögen an dieser Stelle einige Literaturhinweise genügen: Einen Überblick über die ältere Literatur bietet Krause, Art. „Gewohnheitsrecht“, 1971, Sp. 1675–1684; zentral sind die Sammelbände Dilcher u. a. (Hg.), Gewohnheitsrecht und Rechtsgewohnheiten, 1992 (darin vor allem auch Dilcher, Mittelalterliche Rechtsgewohnheit als methodisch-the303 304
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Juristen und die Notwendigkeit, sein Recht nun teilweise (soweit nicht Streitparteien aus dem Land unter der Enns betroffen waren) „außer Landes“ suchen zu müssen. Ungleich schwerer wog natürlich die Zurückdrängung ständischen Einflusses durch ein nunmehr ausschließlich durch den Landesfürsten besetztes Hofgericht, dessen rechtsprechende Tätigkeit in Konkurrenz zum landständisch dominierten landmarschallischen Gericht bzw. Landrecht stand. Überdies fungierte das Hof- bzw. Kammergericht in Zivilrechtssachen als Appellationsinstanz gegenüber den erstinstanzlichen Gerichten und drohte auch in diesem Sinn, die Position des landständischen Adels als Gerichtsherren zu unterminieren. Der ständische Protest war zumindest in diesem Punkt von Erfolg gekrönt. 1509 beendete Maximilian die Tätigkeit des Kammergerichts und übertrug dessen Rechtsprechungskompetenzen auf die Regierung, wobei den Landständen für die Besetzung einiger Beisitzerstellen ein Vorschlagsrecht eingeräumt wurde.306 Schon die bisherigen gerafften Ausführungen, die zudem der Reichsebene nur sehr unvollständig Beachtung schenken, haben verdeutlicht, dass das maximilianeische Verwaltungsreformwerk durchaus „im Fluß“ war, immer wieder auf aktuelle Herausforderungen oder Veränderungen machtpolitischer Konstellationen reagierte bzw. teilweise mit der Neuschaffung von Institutionen experimentierte, denen nicht unbedingt eine lange Tätigkeitsdauer beschieden sein musste (wie sich beispielsweise anhand der temporär während des Krieges mit der Republik Venedig in Lienz installierten „Kriegskammer“ belegen lässt). Was macht nun das Spezifische, das Besondere der maximilianeischen Reformen aus, die ihrem Schöpfer einen Platz in sämtlichen Handbüchern der Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte sichern? Hellbling und ihm folgend Link arbeiten – vom „allgemeinen Verwaltungsrecht“ aus der Feder von Adamovich sen. geprägt – vier Organisationsgrundsätze heraus, die als Strukturprinzipien für die Ausgestaltung des Behördenaufbaus unter Maximilian I. zum Tragen kämen.307 In diesem Zusammenhang ist zunächst das Prinzip zeitlicher und örtlicher Stabilität zu nennen (stabilitas temporis ac loci). Im Gegensatz zu Statthalterschaften oder Regentschaften werden zentrale Verwaltungsstrukturen nicht mehr nur für einen beschränkten Zeitraum (z. B. für die Dauer der Verhinderung des Landesfürsten) gebildet und nach Wegfall des Anlasses wieder abgeschafft, sondern nehmen die ihnen anvertrauten Aufgaben dauerhaft wahr, wobei sie in einem in unterschiedlicher Intensität geregelten Verfahren im Namen des Landesfürsten tätig werden. Ebenso sind die maximilianeischen Reformen vom Kollegialitätsprinzip getragen. Nicht eine Einzelperson (monokratisches oretisches Problem, 1992 (Nachdruck 2008)); Willoweit (Hg.), Begründung des Rechts als historisches Problem, 2000; einen Überblick über die Diskussion liefert Kannowski, Rechtsbegriffe im Mittelalter, 2003; nunmehr auch Pilch, Rahmen der Rechtsgewohnheiten, 2009, S. 279–355; zusammenfassend ferner Landau, Wiederentdeckung, 2010, S. 13. 306 Ausführlich hierzu Wenko, Kaiser Maximilian I. 1509, 1969, S. 123–126. 307 Vgl. Hellbling, Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, 21974, S. 141–143; Link, Habsburgische Erblande, 1983, S. 478–479.
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System), sondern eine Mehrheit von Beamten ist zur Entscheidung berufen, wobei die interne Willensbildung nach dem Mehrheitsprinzip erfolgt. Dies gewährleistet eine intensivere Behandlung und gründlichere Erwägung jedes Gegenstandes, wobei gleichzeitig einer zu großen Machtfülle in den Händen eines Einzelnen vorgebeugt wird. Auf der Sollseite steht hingegen die tendenziell schwerfälligere und zeitaufwändigere Arbeitsweise einer Kollegialbehörde. Ferner heben Hellbling und Link das Zentralisationsprinzip als leitenden Grundsatz der Verwaltungsorganisation Maximilians hervor. Demnach seien die untergeordneten Amtsträger eines Ressorts in einem umgrenzten Verwaltungsgebiet einem einheitlichen, zentralen Willen unterworfen und müssten sich den Anordnungen des zentralen Organs unterwerfen. Schließlich machen sie auf die unter Maximilian zu ortenden Ansätze eines Ressort- bzw. Realsystems (Prinzip der Differenzierung) aufmerksam, demzufolge jede Behörde innerhalb ihres räumlichen Wirkungsbereichs nicht wie nach dem Territorialsystem eingerichtete Behörden alle Verwaltungsaufgaben zu besorgen, sondern nur die in ihr Ressort fallenden Agenden wahrzunehmen habe. Die Hellbling’sche Theorie ist durchaus diskutabel. Abgesehen von der grundsätzlichen Frage, ob sich Begrifflichkeiten des allgemeinen Verwaltungsrechts des 20. Jahrhunderts für die Beschreibung von Verwaltungsstrukturen um 1500 überhaupt eignen, verdienten zumindest einzelne der vermeintlichen Organisationsprinzipien auch eine stärkere inhaltliche Diskussion. Das angeblich zum Tragen kommende Prinzip der Differenzierung ist so angesichts der Kompetenzfülle des Regiments, aus der – sieht man von den erwähnten Versuchen in den niederösterreichischen Ländern ab – allein die Finanzverwaltung ausgenommen war, sehr schwach ausgeprägt. Außerdem sind die „Grundprinzipien“, so man sie überhaupt als adäquate Beschreibungskategorien heranziehen will, durchaus nicht singulär für die Verwal tungsorganisation Maximilians: stabilitas loci ac temporis findet man so schon bei der Kanzlei und der Raitkammer der Meinhardiner, das Kollegialitätsprinzip prägte die Arbeitsweise des „geschworenen Rats“ zu Meran der Jahre 1443 bis 1446, die meinhardinischen Amtleute mussten im Bereich der Finanzverwaltung ebenfalls den Anordnungen der Raitkammer Folge leisten und waren ihrer Kontrolle unterworfen (Zentralisationsprinzip) usw. Als für sich wenig überzeugendes Spezifikum, als Besonderheit der maximilianeischen Reform ließe sich dann allenfalls die bislang ungekannte Kombination der genannten Prinzipien festmachen. Auch auf die konsequente Anwendung des Kollegialitätsprinzips könnte hingewiesen werden. Überzeugender ist daher die von Wiesflecker vorgenommene Wertung der maximilianeischen Reformen. Ihm zufolge stellten weniger die Ämter und Behörden selbst, deren Namen zum Teil der bisherigen Verwaltungstradition entstammten, das spezifisch Neue dar; „neu waren vor allem die Arbeitsmethoden, die Zuständigkeiten, die Zielsetzungen“308 der Behörden, die trotz der immer wieder beklagten
Wiesflecker, Maximilian I., Bd. 2, 1975, S. 196–197.
308
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Defizite, trotz aller Experimente und Fehlschläge in Summe ihre Leistungsfähigkeit ungeahnt zu steigern vermochten. Beim Stichwort „Arbeitsmethoden“ ist zunächst auf die Explosion der Schriftlichkeit in der Verwaltung hinzuweisen. Die überaus ausgeprägte, zunehmend auch die Ebene der Ämter erreichende Schriftlichkeit bewirkte eine Revolution der Verwaltung. Um sich die Dimensionen dieses Phänomens zumindest ansatzweise vor Augen zu führen, genügt ein Blick die in die archivalische Überlieferung der oberösterreichischen Lande. Die Schriftproduktion der fast fünfzigjährigen Regierung Siegmunds muss mit einem dreistelligen Faktor multipliziert werden, um an die knapp dreißig Jahre der maximilianeischen Zeit heranzureichen – was nicht primär mit Zufälligkeiten der Überlieferung zusammenhängt.309 Auch das Phänomen der Juridifizierung der Zentralbehörden, das sich unter Maximilian nochmals akzelerierte, ist in diesem Zusammenhang anzuführen.310 Als Novum der maximilianeischen Zeit ist ferner die Bildung Länder übergreifender Zentralbehörden zu nennen, für deren Einrichtung tatsächlich Burgund Pate gestanden haben dürfte. Parallel hierzu intendierte Maximilian eine Zurückdrängung des landständischen Einflusses auf die Behörden und deren personelle Besetzung, wobei jedoch je nach Territorium immer wieder unterschiedlich weit reichende Konzessionen gemacht werden mussten. Ungeachtet dieser fallweise gegebenen Notwendigkeiten, auf ständische Befindlichkeiten und Besetzungswünsche Rücksicht zu nehmen, blieb die Grundeinstellung des Herrschers klar. Sehr deutlich lässt sich diese anhand einer herrscherlichen Stellungnahme zu einem Landtagsgravamen der Tiroler Stände über die Amtsführung des Regiments im Jahr 1509 belegen: Auf die Beschwerde wird entgegnet, es welle doch ainer ersamen lanndtschafft als underthanen [...] ainicherlay ordnung oder maß irs [der kaiserlichen Majestät] regiments zu geben oder yemands aus inen darein zu verordnen nicht gezymen.311 Auch die zunehmende verwaltungsinterne Festlegung des Geschäftsgangs und die Normierung und Abgrenzung der Kompetenzbereiche der Behörden sind in dieser Intensität als Neuerung anzusprechen und schlagen sich in einer steigenden Anzahl von Behördeninstruktionen nieder. Die Trias „länderübergreifend zuständige Hofbehörden – Regiment (Regierung) und Kammer als die beiden tragenden Säulen der Territorialverwaltungen“, die sich bei Maximilian I. trotz fast permanenter Reformen präfiguriert findet, sollte sich in der Tat als Fundament des Verwaltungsaufbaus der österreichischen
Vgl. auch Moser, Kanzlei, Bd. 1, 1977, S. 46–47. Zur zunehmenden Verwendung von Juristen unter Maximilian I. vgl. nunmehr Noflatscher, Herrscher und Räte, 1999, bes. S. 305. 311 TLA, LLTA, Fasz. 1, Landtag Januar 1509; Parallelüberlieferung StAB, Hs. 2544/Landtagslibelle 7. 309 310
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Länder für fast zweieinhalb Jahrhunderte – bis zu den maria-theresianischen Reformen – erweisen.312 Noch eine weitere Neuerung Maximilians I. darf nicht unerwähnt bleiben: das unter ihm geschaffene Amt eines Fiskals oder Kammerprokurators für jede der beiden Ländergruppen, das mit der Wahrung der landesfürstlichen Ansprüche im weitesten Sinne beauftragt war und diese gegebenenfalls im Klagswege durchzusetzen hatte.313 Seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und vor allem in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts entwickelt sich der Kammerprokurator zumindest in den oberösterreichischen Ländern zu einem in seiner Bedeutung gar nicht zu überschätzenden Organ herrschaftlicher Durchdringung der Peripherie, das die Durchsetzung der Gesetze vor Ort sicherstellte und die gesetzeskonforme Amtsführung der lokalen Obrigkeiten überwachte.314 4. 2. 1. 3. Von den Reformen Ferdinands I. bis 1665 Im Unterschied zu den spektakulären, im Wiener Neustädter Blutgericht kulminierenden Entwicklungen in den niederösterreichischen Ländern315 arbeitete das Innsbrucker Regiment nach dem Tod Maximilians weiter, wobei es sich zwecks Unterdrückung der Unruhen in der bäuerlichen Bevölkerung der Unterstützung eines Hierzu auch die Wertungen bei Holleger, Hollegger, Entwicklung der Zentralverwaltung, 1983, S. 343, mit Hinweisen auf die ältere Literatur. 313 Vgl. Wiesflecker, Maximilian I., Bd. III, 1977, S. 240 und 243; Hollegger, Entwicklung der Zentralverwaltung, 1983, S. 24; Peschorn, Geschichte der Finanzprokuratur, 1995; Tezner, Verwaltungsrechtspflege, I. Heft, 1898, S. 190–203. 314 Vgl. z. B. TLA, AksM 1556, fol. 33v, 1556 Febr. 13; ebd., fol. 190r, 1556 Juli 8; TLA, VksM 1556, fol. 492v–493r, 1556 Mai 30; TLA, AfD 1581, fol. 979v–985v, 1581 Nov. 3; TLA, VfD 1585, fol. 47, 1585 Aug. 1; TLA, VfD 1586, fol. 189, 1586 April 6; TLA, AfD 1589, fol. 76r–77r, 1589 Febr. 27; TLA, AfD 1592, fol. 448r–449v, 1592 Aug. 6; TLA, BT, Bd. 12, fol. 533v–535v, 1595 Nov. 7; TLA, CD 1599, fol. 296r–297v, 1599 Dez. 20; TLA, CD 1602, fol. 330, 1603 Juli 5; TLA, BT, Bd. 14, fol. 566v–567r, 1603 Nov. 9; TLA, AfD 1606, fol. 293v–295r, 1606 Juni 26; ebd., fol. 353r–354r, 1606 Juli 18; AfD 1607, fol. 566r–570v, 1607 April 17; TLA, BT, Bd. 16, fol. 14, 1609 März 20; TLA, CD 1612, fol. 490r–491r, 1612 Mai 21; TLA, VfD 1616, fol. 460r–461r, 1616 Sept. 10; TLA, BT, Bd. 18, fol. 593, 1624 Dez. 30; TLA, CD 1625, fol. 201, 1625 April 24; CD 1627, fol. 688v–689r, 1627 Juli 3; CD 1628, fol. 188v, 1628 Sept. 27; CD 1629, fol. 608v–609v, 1629 Dez. 29; TLA, BT, Bd. 19, fol. 731v–732r, 1630 Sept. 26; BT, Bd. 21, fol. 85r, 1638 Jan. 19; TLA, AfD 1639, fol. 345, 1639 Okt. 17; AfD 1644, fol. 685r–687r, 1644 April 13; vgl. ferner TLA, VdL, Bd. 5, S. 582 (1590). Zu den Klagen der Landstände über den Kammerprokurator vgl. u. a. LLTA, Fasz. 12, Bund 12, 1613 (Landtagsgravamina ohne nähere Datierung, 2. Beschwerdepunkt); TLA, VdL, Bd. 12, S. 87–113, 1619 (Landtagsgravamina ohne nähere Datierung, 3. Beschwerdepunkt); TLA, VdL, Bd. 12, S. 382–396, hier S. 386, 1626 Mai 7; ebd., S. 596, 1632 April 5. 315 Vgl. z. B. Burkert, Rechtliches im Widerstreit, 1983, S. 57–58; Burkert, Landesfürst und Stände, 1987, S. 139–143; Winkelbauer, Ständefreiheit und Fürstenmacht, 2003, S. 36–38. 312
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landständischen Ausschusses bediente.316 Spannungen mit maßgeblichen Exponenten am Hof Ferdinands I., der durch die Verträge von Worms und Brüssel (1521 und 1522) zum Landesfürsten der österreichischen Länder avanciert war, führten 1523 zum Ersatz des alten Regiments durch einen personell weitgehend erneuerten „Hofrat“.317 Verwaltungsgeschichtlich darf man dies nicht überschätzen: Kompe tenzmäßig entsprach der „Hofrat“ dem Tiroler Regiment bis 1523; die Neukonstituierung des Regiments unter der Bezeichnung Hofrat war letztlich nichts anderes als „Patronage großen Stils“318: Die bisherigen, noch weitgehend in maximilianeischer Zeit sozialisierten Eliten wurden großteils durch Vertrauensleute aus der Umgebung Ferdinands I. abgelöst. 1527 kehrte man im Zuge der Neukonstituierung der territorialen Behörden zur Bezeichnung „Regierung“ zurück, die weiterhin als oberste Verwaltungs- und Rechtsinstanz der oberösterreichischen Länder fungierte, während die Finanzverwaltung von der weiterhin bestehenden Kammer ausgeübt wurde. Die „Hofstaatsordnung“ Ferdinands I. von 1527319 brachte schließlich die Neuordnung der Zentralbehörden: Der Hofrat wurde als oberste Verwaltungsinstanz und oberster Gerichtshof eingerichtet, wobei 1559 die Teilung in einen erbländischen und einen Reichshofrat erfolgte. Als beratendes Gremium fungierte der Geheime Rat, dessen Relevanz im 17. Jahrhundert mit dem Bedeutungszuwachs der Hofkanzlei unter Ferdinand III. (s. u.) abnahm und dessen Aufgabe ab 1659 durch die neu geschaffene „Geheime Conferenz“ wahrgenommen wurde. Daneben existierte die Hofkanzlei, die zunächst ebenfalls sowohl für erbländische als auch für Reichsangelegenheiten zuständig war, jedoch bis Ferdinand III. keine kollegiale, über Entscheidungskompetenzen verfügende Behörde war, sondern nur als ausfertigende Stelle von Hofrat und Geheimem Rat diente. 1556 kam der Hofkriegsrat als oberste Instanz der Heeresverwaltung in den Erbländern hinzu.320 Während der Regierungszeit Ferdinands I. und nochmals für die Jahre nach dem Tod Erzherzog Ferdinands II. (1595) bis zur Einsetzung Maximilians III. als Gubernator waren grundsätzlich auch die oberösterreichischen Territorialbehörden – sprich: die oberösterreichische Regierung und Kammer – den Hofbehörden un Vgl. Köfler, Landtag, 1985, S. 424–428; Hirn, Landtage, 1905, S. 17–19; Hollegger, Entwicklung der Zentralverwaltung, 1983, S. 199–200; zu den Unruhen zuletzt Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007, S. 121–126. 317 Zu den Geschehnissen und zu ihrer Bewertung ausführlich Noflatscher, Räte und Herrscher, 1999, S. 114–125. 318 So Noflatscher, Räte und Herrscher, 1999, S. 118. 319 Vgl. hierzu bzw. zu den Verwaltungsreformen Ferdinands I. u. a. Baltl/Kocher, Rechtsgeschichte, 112008, S. 138–139; Hellbling, Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, 21974, S. 229–231 und S. 239–244; Walter, Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, 1972, S. 35– 40; Burkert, Landesfürst und Stände, 1987, S. 157–164; Winkelbauer, Ständefreiheit und Fürstenmacht, Bd. 1, 2003, S. 40–41; nunmehr auch Rauscher, Personalunion und Autonomie, 2005. 320 Hierzu Regele, Hofkriegsrat, 1949. 316
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terstellt. Kryptisch fällt die Formulierung bei Otto Stolz aus, der das hierarchische Verhältnis zwischen Hofbehörden und Territorialverwaltung als eine Unterordnung „in einem gewissen Sinne“ bezeichnet.321 Diese Aussage ist durchaus berechtigt: In der Tat ist das Ausmaß der Ingerenz der Zentralbehörden auf die Tätigkeit der oberösterreichischen Regierung und Kammer bisher nicht erforscht worden. Nur hinsichtlich des Hofkriegsrates haben rezente Forschungen ergeben, dass dieser sowohl während des Zeitraumes von 1556 bis 1564 als auch von 1595 bis 1602 in der oberösterreichischen Ländergruppe keinerlei nachweisbare Aktivität entfaltet hat.322 Substantielle Aussagen über das Ausmaß der Beziehungen von Hofkammer und Hofrat zu den oberösterreichischen „Wesen“ (wie die zeitgenössische Bezeichnung lautete323) sind zum derzeitigen Zeitpunkt nicht möglich. Auffällig erscheint jedenfalls, dass das überlieferte Aktenmaterial der oberösterreichischen Behörden keine signifikanten Kontakte mit den Hofbehörden offenbart, die bezeichnenderweise auch nicht in den Instruktionen für die Regierung und Kammer erwähnt werden. Auch die Kopialbuchreihe „An die königliche/kaiserliche Majestät“ und „Von der königlichen/kaiserlichen Majestät“ trägt ihre (schon zeitgenössische) Bezeichnung offensichtlich nicht ohne Grund, wandte man sich doch jeweils unmittelbar an den Herrscher. Die Ausstellungsorte herrscherlicher Schreiben an Regierung bzw. Kammer folgen dementsprechend konsequent dem Itinerar Ferdinands. Insofern erlaubt ein vorläufiger Befund, die theoretisch „in einem gewissen Sinne“ (O. Stolz) gegebene Unterordnung der oberösterreichischen Wesen unter die Hofbehörden als in der Praxis sehr gering bis nicht vorhanden zu veranschlagen. Unter Erzherzog Ferdinand II. kam es zur Formierung eines Hofrats, dessen Mitglieder sich aus engen Vertrauensleuten des Landesfürsten rekrutierten.324 Wenngleich die einzige erhaltene Instruktion des Hofrats aus dem Jahr 1573 allein dessen Kompetenz als Revisionsinstanz thematisierte,325 ist dabei nur ein Teil seiner Zuständigkeiten umschrieben. De facto handelte es sich, wie auch die erhaltenen Beratungsprotokolle zu erkennen geben, um ein zentrales Beratungsgremium des Landesfürsten, dessen Sitzungen dieser während seiner Anwesenheit nach Möglichkeit selbst beiwohnte und das zugleich Kontrollfunktionen gegenüber Regierung und Kammer wahrnahm. Der ferdinandeische Hofrat kam nach dem Tod des Erzherzogs 1595 ab; seine Funktionen wurden unter Erzherzog Maximilian III. ab 1602 vom Geheimen Rat wahrgenommen.326 Diese Einrichtung wurde auch von nachfolgenden Landesfürsten übernommen. Nicht nur aufgrund der erhaltenen Stolz, Geschichte der Verwaltung, 1998, S. 25. Vgl. Schennach, Landesverteidigung 1600−1650, 2003, S. 47–48. 323 Vgl. Stolz, Grundriss, 1955, S. 156 (ab 1564 bzw. 1602 wurden auch der Hofrat bzw. Geheime Rat inkludiert, so dass man während dieser Zeit von drei oberösterreichischen „Wesen“ sprach). 324 Hierzu und zum Folgenden Hirn, Ferdinand II., Bd. I, 1885, S. 469–470. 325 TLA, Hs. 1085, 1573 März 11. 326 Hirn, Maximilian der Deutschmeister, Bd. II, 1936 (1981), S. 1–5. 321 322
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Instruktionen,327 sondern auch aufgrund des vielfältigen Aktenmaterials – den Schriftverkehr des Geheimen Rats besorgte eine eigene (Hof-)Kanzlei – lassen sich die Kompetenzen des Geheimen Rats deutlicher rekonstruieren als jene des ferdinandeischen Hofrats. Wie dieser ist der Geheime Rat als Revisionsinstanz das höchste tribunal der oberösterreichischen Länder; Kernaufgabe ist jedoch die Konsulta tion der politischen und staatssachen.328 Dem Geheimen Rat als unmittelbar dem Landesfürsten untergebener Kollegialbehörde oblag zudem die Kontrolle der ihm unterstellten Regierung und der Kammer, deren Amtsführung er überwachte und koordinierte. Wichtige Entscheidungen waren ihm vorzulegen, wo sie aufbereitet und dem Landesfürsten vorgelegt wurden. Hierbei wird deutlich erkennbar, dass ausnahmslos alle Landesfürsten von Maximilian III. bis Sigismund Franz nach Möglichkeit den Sitzungen des Geheimen Rats selbst beiwohnten. Innerhalb des Geheimen Rats sind schon Ansätze zu einem Ressortsystem greifbar. Die In struktionen lassen erkennen, dass einzelnen Räten bestimmte Arbeitsbereiche (z. B. die Bearbeitung von strittigen Grenzfragen, Finanzwesen, Justiz) zur „absonderlichen Verrichtung“ übertragen wurden. Dem zuständigen Rat kam keine selbständige Entscheidungsgewalt zu; vielmehr war er für die Aufbereitung des jeweiligen Falls zuständig, den er als Referent in den Ratssessionen in Gegenwart des Landesfürsten vorzutragen und zu dem er einen Entscheidungsvorschlag zu unterbreiten hatte. Die Resolution kam durch Mehrheitsbeschluss und Billigung durch den Landesfürsten zustande. In Abwesenheit des Landesfürsten fungierte der Geheime Rat als seine Immediatrepräsentanz und konnte – sofern ihm nicht eine Sache als vorlagewürdig erschien oder seine Entscheidungskompetenz vor der Abreise oder Verhinderung des Fürsten ausdrücklich beschränkt worden war – selbständig Entscheidungen treffen.329 Unterhalb des Hofrats bzw. Geheimen Rats waren weiterhin die Kammer als Finanzbehörde und die Regierung als oberste Verwaltungs- und Rechtsinstanz angesiedelt (wobei in Zivilrechtssachen die Revision an den Hofrat bzw. Geheimen Rat möglich war). Als dritte Zentralbehörde trat – nach Vorläufern in den Jahren 1553, 1610/1611 und 1615 – der oberösterreichische Kriegsrat 1632 neben Regierung und Kammer (der innerösterreichische Kriegsrat330 war demgegenüber unter dem Eindruck der Türkenabwehr bereits 1578 gegründet worden).331 Allerdings konnte der Kriegsrat im Unterschied zu Regierung und Kammer zunächst TLA, Hs. 1096, 1633 April 8; Hs. 1098, 1637 März 21; schließlich unverändert nach Übergang an die kaiserliche Linie der Habsburger TLA, Hs. 1100, 1665 Aug. 8. 328 Zitate nach TLA, Hs. 1096 (unfol., unpag.). 329 Vgl. auch Schennach, Landesverteidigung 1600−1650, 2003, S. 35–36. 330 Vgl. Thiel, Innerösterreichische Zentralverwaltung 1564−1749, I. Teil, 1916, S. 48–42; Schulze, Landesdefension und Staatsbildung, 1973, S. 60–68 und 100–112. 331 Zu den Vorläufern im 16. Jahrhundert nunmehr Schennach, Quellen, 2004, S. 74–75; zum oberösterreichischen Kriegsrat ausführlich Schennach, Tiroler Landesverteidigung, 2003, S. 46–56. 327
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selbst keine Zwangsgewalt gegenüber den Untertanen ausüben (ebenso wie er zur Besorgung seines Schriftverkehrs auf die Hofkanzlei angewiesen war), sondern war als primär beratendes Organ weitgehend auf den behördeninternen Schriftverkehr beschränkt. Zu einer Änderung kam es diesbezüglich erst 1653, als Erzherzog Ferdinand Karl den oberösterreichischen Kriegsrat auch formal mit Regierung und Kammer auf eine Stufe stellte.332 4. 2. 1. 4. Exkurs: Administrative Aufgaben des Landeshauptmanns Im Zusammenhang mit der Zentralverwaltung ist ferner der Landeshauptmann zu nennen, war dieser doch nicht nur (nicht einmal primär) „Vorstand der Stände“333, sondern seiner ursprünglichen Konzeption nach Vertreter des Landesfürsten. Als solchem kam ihm im südlichen Tirol – konkret im Tirol südlich von Gossensass (nahe Sterzing) unter Ausschluss des Pustertals – bei der Kundmachung und Implementation landesfürstlicher Gesetze eine zentrale Rolle zu.334 Diese wurde nämlich im Kompetenzbereich des Landeshauptmanns, dessen Bestallung eine ver pflichtende Wohnsitznahme auf Schloss Tirol, in Meran oder Bozen vorsah, von diesem vorgenommen, der somit in diesem Punkt eine Mittelinstanz zwischen den Innsbrucker Zentralbehörden und den lokalen Obrigkeiten wahrnahm. In der ersten erhaltenen Bestallung aus dem Jahr 1546 heißt es: Unnd fürnemblich soll er auch alle mandata unnd bevelch, so von unns oder unnser regierung unnd camer ausgeen unnd ime überschickht werden, gestrackhs volcziehen unnd sich darynn gehorsamlich beweisen, auch darob sein, das solchen im gezirckh des hofrechtens gelebt und nachkomen werde, auch für sich selbs als lanndshaubtman höchsten vleis mit kundtschafften unnd in annder weg, wie das yederczeit die notturfft ervordert, gebrauchen.335 Diese Aufgabe des Landeshauptmanns, unter anderem als ein das Regiment bzw. die Regierung entlastendes Hilfsorgan zu fungieren, hat ihre Wurzeln bereits im 15. Jahrhundert. Sie resultierte wohl aus der Verlegung des Hofs Herzog Friedrichs IV. von Meran nach Innsbruck im Jahr 1420, als der Landeshauptmann wei TLA, VfD, Bd. 32 (1660–1661!), fol. 460, 1653 Juni 1 (die Datierung auf 1653 ist trotz Registrierung im Band der Jahrgänge 1660/1661 eindeutig und wohl nicht mit einer Verschreibung zu erklären): Ferdinand Karl teilt seine Absicht mit, neben Kammer und Regierung ainen formalischen kriegsrath zu bestellen und selbigen für ain ordenliches tribunal zue declarieren, wie wür dan auch solchen kriegsrath hiemit für ain wirckhliches tribunal [...] ercleren und denen übrigen zwayen oö. wesen gleichzuhalten befelchen. 333 So Köfler, Landtag, 1985, S. 500. 334 Vgl. auch die entsprechende Andeutung bei Köfler, Landtag, 1985, S. 495. 335 TLA, Hs. 3542 (unfol., unpag.), 1546 April 16. 332
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terhin im Burggrafenamt residierte und hier Stellvertreterfunktionen wahrnahm. Deutlich greifbar wird sie im Zuge der Intensivierung der Gesetzgebung in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts.336 Regelmäßig ergehen landesfürstliche Mandate nicht direkt an die lokalen Obrigkeiten des südlichen Tirol, sondern werden an den Landeshauptmann gerichtet, der die Zustellung an die Pfleger und Richter seines Amtsbezirkes vorzunehmen hatte.337 Zudem war er für die Überwachung der Implementation zuständig,338 wobei das Regiment bzw. die Regierung seine Amtsführung überwachte, durch Anweisungen lenkend eingriff339 und gegebenenfalls Defizite monierte.340 Die Zuständigkeit des Landeshauptmanns im südlichen Tirol war dabei keine ausschließliche: Die Regierung konnte auch unmittelbar mit lokalen Obrigkeiten in seinem Amtsbezirk korrespondieren, ebenso wie Letztgenannte sich mit Bitten um Auskunftserteilung oder mit Berichten direkt an die Regierung wenden konnten. Die diesbezüglichen Aufgaben des Landeshauptmannes sollten vor allem die Zentrale entlasten. Er überprüfte die Tätigkeit von Pflegern und Richtern im südlichen Tirol, mahnte sie bei mangelhafter Amtsführung und erstattete gegebenenfalls nach Innsbruck Bericht. Durch die Veranlassung von Visitationen konnte er sich einen Eindruck vom Grad der Implementation von Policeygesetzen verschaffen. In Policeysachen konnte er (ebenso wie die Regierung selbst) unmittelbar Strafen über Untertanen verhängen (und verfügte somit über eine Strafkompetenz, die komplementär zu jener der lokalen Obrigkeiten war). Doch entsprach seine Kompetenz durchaus nicht in allem jener der Regierung. So war es ihm beispielsweise verwehrt, von der Geltung von Gesetzen zu dispensieren. Alle diese Kompetenzen, die in den ab 1546 erhaltenen Instruktionen nur sehr summarisch und stets mit demselben Wortlaut umrissen sind, lassen sich primär aus der Amtsführung der Landeshauptleute extrahieren. Dabei lassen sich gewisse Veränderungen ausmachen, die in Summe den Trend zu einer zunehmenden Zurückdrängung der Zuständigkeiten des Landeshauptmannes erkennen lassen. Während sich beispielsweise noch im ausgehenden 15. Jahrhundert nachweisen lässt, dass dem Landeshauptmann eine Strafkompetenz bei Dienstpflichtverletzungen Für frühe Beispiele siehe nur TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 15, Lit. O, fol. 75, 1492 Aug. 3; ebd., Nr. 16, Lit. P, S. 104–105, 1493 Juni 8; TLA, Landschaftliches Archiv, Urkunde Nr. 28 (Edition bei Schober, Urkunden, 1990, S. 47–50, hier S. 49–50). 337 Vgl. z. B. TLA, BT, Bd. 12, fol. 363, 29. März 1593 und darauf Bezug nehmend ebd., fol. 364v–365r, 1593 März 24. 338 Vgl. z. B. TLA, AfD 1575, fol. 171r, 1575 März 9; TLA, CD 1584, fol. 1r–2v, 1584 Jan. (ohne nähere Datierung); TLA, CD 1567, fol. 571v–572r, 1567 Sept. 2; ebd., fol. 573, 1567 Sept. 4; TLA, BT; Bd. 13, fol. 556, 1601 Dez. 7. 339 Vgl. z. B. TLA, CD 1564, fol. 192, 1564 Okt. 9. 340 Vgl. z. B. TLA, CD 1549, fol. 11v–12r, 1549 April 16; ebd., fol. 20r, 1549 Juni 4; TLA, AfD 1576, fol. 318v–320r, 1576 April 28 und TLA, VfD 1576, fol. 577v–578r, 1576 Mai 11; TLA, BT, Bd. 13, fol. 210v–212r, 1600 März 15; StAM, Stadtverwaltung, Nr. 45 ( Jagd und Fischerei 1575−1653), 1619 Jan. (ohne nähere Datierung; Schreiben des Landeshauptmanns Jakob Andrä von Brandis an den Landrichter von Meran). 336
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lokaler Obrigkeiten zukam,341 war es im weiteren Verlauf des 16. Jahrhunderts offensichtlich ausschließlich die Regierung, die nachlässige Obrigkeiten bestrafte. In dem Maße, in dem der Kammerprokurator im Verlauf des Untersuchungszeitraums für die Überprüfung der Amtsführung der Richter und Pfleger und für die Sicherstellung der Umsetzung landesfürstlicher Gesetze immer wichtiger wurde, sank die diesbezügliche Bedeutung des Landeshauptmanns. In der Tat verdünnen sich die Hinweise auf einschlägige Tätigkeiten des Landeshauptmanns im 17. Jahrhundert massiv. Die dem Landeshauptmann zur Wahrnehmung seiner Verwaltungsaufgaben als Hilfsorgan der Zentrale zur Verfügung stehenden Ressourcen, die auch der Erfüllung seiner sonstigen Aufgaben (z. B. Vorsitz im adeligen Hofrecht) dienten, waren dabei vergleichsweise beschränkt. Zur Besorgung des Schriftverkehrs und der täglich anfallenden Geschäfte stand ihm so keine Kanzlei, sondern nur der so genannte „Landschreiber“ zur Verfügung.342 Aus dem Fehlen einer Kanzlei resultierten sowohl beim Wechseln in der Person des Landeshauptmanns als auch in der Person des Landschreibers immer wieder Probleme, die für die Amtsführung notwendigen Unterlagen vom Amtsvorgänger (bzw. dessen Erben) zu erhalten.343 Auch für die Gesetzgebung ergeben sich aus der soeben dargelegten administrativen Funktion des Landeshauptmanns als Hilfsorgan der Regierung im südlichen Tirol Konsequenzen. Da der Landeshauptmann in seinem Bezirk für die Kundmachung der Gesetze zuständig war, wurde hierauf partiell in der Umschreibung des Adressatenkreises in der Salutatio der Gesetzesurkunde – in welcher die Empfänger aufgeführt wurden344 – Rücksicht genommen. Wenn in vielen (keineswegs jedoch allen!) Policeymandaten nur die Obrigkeiten und Untertanen im Ober- und Unter inntal, Wipptal und Pustertal angesprochen werden, lässt dies auf den ersten Blick auf einen räumlich beschränkten Geltungsbereich des entsprechenden Gesetzes schließen. Dies kann durchaus zutreffen, war doch die Limitierung des räumlichen Geltungsbereichs ein wichtiges Instrument, um beispielsweise auf regional begrenzten Regelungsbedarf zu reagieren.345 Allerdings kann diese ausschließliche Anführung der Obrigkeiten und Untertanen des nördlichen Tirol und des Pustertals auch eine banalere Ursache haben. Da Zustellung und Kundmachung der Mandate außerhalb der genannten Gebiete vom Landeshauptmann zu besorgen waren, wandte sich die Regierung in den Gesetzen nur an die ihr unmittelbar unterstehenden Städte und Gerichte – was jedoch nicht zum Fehlschluss verleiten darf, dass es sich tatsächlich um Gesetze mit räumlich beschränktem Geltungsbereich handelte. Vgl. nur die Anweisung an den Landeshauptmann in TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 20, Lit. T, S. 266, 1497 Aug. 9. 342 Vgl. die Ausführungen über den Landschreiber in TLA, LLTA, Fasz. 8, Bund 1, 1563 März 24. 343 Vgl. nur TLA, BT, Bd. 12, fol. 89r, 1588 März 30. 344 Vgl. zum Aufbau der Gesetzesurkunde Kap. II.3.3. 345 Vgl. hierzu auch Kap. II.3.3.2. sowie Kap. III.1. und III.2.2. 341
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Betrachten wir ein konkretes Beispiel, um das Gesagte zu verdeutlichen. Als 1589 im spanischen Herzogtum Mailand ein Söldnerregiment aus dem Dienst entlassen wurde, reagierte die Regierung mit einem der inhaltlich weitgehend standardisierten Mandate wider die „Gartknechte“ (d. h. abgedankte Landsknechte), das diesen Verhaltenspflichten auferlegte und begleitende Sicherungsmaßnahmen anordnete. Schon im Vorfeld des Gesetzgebungsaktes wurde als selbstverständlich festgehalten, dass der Landeshauptmann bey den nachgeseczten obrigkhaiten in seiner verwaltung die verordnung thuen sollte, während gleichmessige befelch an die nachgeseczte obrigkhaiten im Puster- sowol auch in das Ober- unnd UnndterYnthal durch die Regierung selbst ausgefertigt werden sollten.346 Das entsprechende gedruckte Mandat347 führt in der Salutatio als Adressaten in der Tat nur die Obrigkeiten im Pustertal und Inntal auf – und doch handelte es sich um eine gesetzliche Regelung mit landesweitem Geltungsbereich, wurden einige gedruckte Exemplare doch dem Landeshauptmann übersendet mit dem Bemerken, dessen Publikation bei euren [des Landeshauptmanns] nachgesetzten obrigkhaiten zu veranlassen.348
4. 2. 2. Die Lokalverwaltung 4. 2. 2. 1. Zum Begriff „Gericht“ Egal ob „Amt“, „Pflege“, „Vogtei“ oder wie in Tirol „Gericht“ genannt – die Ausbildung eines Ämternetzes, das das sich ausbildende Territorium durchzieht und als Transmissionsriemen landesfürstlicher Befehle dienen kann, ist ein wesentlicher Schritt spätmittelalterlicher Herrschaftsintensivierung.349 Peter Moraw bringt es auf den Punkt: „Der Kernbegriff der Verwaltung ist das Amt.“350 So divergierend die Bezeichnungen sind, so vielfältig stellen sich auch die Entstehungsbedingungen und -zeiträume dar: Während in manchen Ländern eine Ämterorganisation bereits im 13. Jahrhundert greifbar wird, kommt überregional grundsätzlich dem 14. Jahrhundert eine Schlüsselstellung zu. Ebenso variantenreich präsentieren sich schließlich die Endresultate dieses Entstehungsprozesses, der sich über Jahrzehnte, fallweise über Jahrhunderte hinziehen konnte.351
TLA, AfD 1589, fol. 367v–369r, 1589 Aug. 26 (Zitate fol. 368r und fol. 368v). TLA, CD 1589, fol. 546, 1589 Aug. 29. 348 TLA, CD 1589, fol. 559. 349 Vgl. hierzu und zum Folgenden Schubert, Umformung, 1999. 350 Moraw, Von offener Verfassung zu gestaltender Verdichtung, 1985, S. 190. 351 Vgl. Schubert, Umformung, 1999, S. 214; Janssen, Territorialbildung und Territorialorganisation, 1996, bes. S. 74–77; zu Bayern z. B. Störmer, Konsolidierung, 1987, S. 189–184. 346 347
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Grundsätzlich ist der Terminus „Gericht“ im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Tirol ein Polysem:352 Er bezeichnete erstens die Erstinstanz der Rechtsprechung, wo die „Geschworenen“ unter dem Vorsitz des Richters das Urteil fällten. Zweitens war das „Gericht“ die unterste Ebene der landesfürstlichen Verwaltung, wobei Pfleger, Pflegsverwalter und/oder Richter als Vollzugsorgane dienten (s. u.). Drittens konnte mit dem „Gericht“ auch der korrelierende territoriale Jurisdiktions- und Verwaltungssprengel angesprochen werden. Viertens wurde unter „Gericht“ regelmäßig auch die „Gerichtsgemeinde“ als genossenschaftlicher Verband der ‚haushäblichen’ (d. h. über Grund und Boden verfügenden), volljährigen, männlichen Gerichtsinsassen verstanden. Die Gerichte führten in Spätmittelalter und Frühneuzeit eine Vielzahl unterschiedlicher Titel: Landgericht, Stadtgericht, Marktgericht, Hofmark, Burgfrieden, aber auch einfach nur „Gericht“. Noch variabler als die Bezeichnungen waren die Größenverhältnisse. Ein Burgfrieden umfasste unter Umständen nur einige wenige Höfe, während ein Landgericht ausgesprochen großflächig sein konnte. Unabhängig von ihrer territorialen Ausdehnung waren die Gerichte jedenfalls Verwaltungsund Gerichtsinstanzen, wobei im Bereich der Strafgerichtsbarkeit ein wesentlicher Unterschied festzuhalten ist. Die Hochgerichtsbarkeit, also die Kompetenz zur Urteilsfällung bei mit dem Tod oder anderen schweren Strafen bedrohten Verbrechen (Malefizsachen) stand in Tirol ausschließlich den Landgerichten zu, denen gegenüber die Niedergerichte schubpflichtig waren. Nach kurzer Voruntersuchung zur Feststellung, ob es sich um eine Malefizsache handle, wurde der Verdächtige dem zuständigen Landrichter überstellt. Die niedere Strafgerichtsbarkeit bei anderen Übertretungen und Vergehen (Frevel und Unzucht) stand hingegen allen Gerichten unterschiedslos zu. 4. 2. 2. 2. Die Entstehung der Gerichte In Tirol haben sich die „Gerichte“ verhältnismäßig früh im Verlauf des 13. Jahrhunderts herausgebildet, wobei ihr Ursprung in der Landesgeschichtsschreibung lange Zeit heftig diskutiert wurde.353 Für Jahrzehnte dominierte dabei die von Otto Stolz ventilierte These, wonach die so genannten „Landgerichte“, die auch über die hohe Gerichtsbarkeit verfügten, im 12. und 13. Jahrhundert aus den Grafschaften oder
Vgl. die Kurzfassung bei Beimrohr, Brief und Siegel, S. 53, sowie Schennach, Gerichtskosten, 2002, S. 461. 353 An älterer Literatur vgl. Egger, Entstehung, 1893; Voltelini, Entstehung, 1907; Stolz, Geschichte der Gerichte Deutschtirols, 1913, bes. S. 198–211; Stolz, Verwaltung, 21998, S. 115–117; Bruckmüller, Täler und Gerichte, 1973; zusammenfassend nunmehr Beimrohr, Brief und Siegel, 1994, S. 34–38; unverzichtbar noch immer die Darstellung der historischen Entwicklung der einzelnen Gerichte durch Stolz, Landesbeschreibung von Tirol, 2 Hälften, 1923/1926; Stolz, Landesbeschreibung von Südtirol, 1937. 352
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ihren Unterteilungen (Dinggemeinden) entstanden wären.354 Die Untergliederungen der Grafschaften wären dabei vielfach dem Grenzverlauf der Urpfarren und der mit diesen zumeist deckungsgleichen alten Markgenossenschaften gefolgt.355 Demgegenüber wären die (Nieder-)Gerichte auf Immunitätsrechte weltlicher und geistlicher Herren zurückzuführen. Daneben hätten sich Städte und teilweise Märkte aufgrund der vom Umland abweichenden Wirtschafts- und Sozialstruktur zu eigenen Gerichtssprengeln herausgebildet. Doch wies die Argumentation von Stolz erhebliche Lücken auf. So lassen sich beispielsweise für manche Gebiete keine korrelierenden Grafschaften ausmachen, und die hochmittelalterlichen Grafschaftsrechte begründeten keine Gebietsherrschaft. In Anbetracht dessen formulierte Ernst Bruckmüller Anfang der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts eine These, die statt des bei Stolz betonten Territorialitätsprinzips die starken personalen Elemente mittelalterlicher Herrschaft berücksichtigt. Dabei unterscheidet Bruckmüller zwei Grundtypen:356 Der erste, vornehmlich an der Südgrenze der Grafschaft und im (von Bruckmüller in die Untersuchung einbezogenen) Hochstift Trient auszumachende Typus komme aus einer einheitlichen Wurzel und sei „häufig nach der Gleichung Gericht = Pfarre = Wirtschaftgemeinde organisiert“. Im übrigen Tirol dominierten jedoch Gerichte des „zusammengesetzten Typus“, die aufgrund verschiedener Rechtstitel die Untertanen verschiedener Herren unter ihrer Gerichtsbarkeit vereinigten. Es handelte sich somit um einen vor allem im 13. Jahrhundert stattfindenden Konzentrationsprozess, in dessen Verlauf den Grafen von Tirol und Görz die Zusammenführung und Vereinigung mehrerer Herrenrechte (und damit zusammenhängender Gerichtsrechte) gelang. Eine wichtige Rolle hierbei spielten neben Grafen- wohl Vogteirechte. Als Vogt waren den Grafen von Tirol und Görz auch die Grundholden der von ihnen bevogteten Hochstifte und Klöster unterworfen. Hinzu traten eigene grund- und leibherrliche Rechte. Hand in Hand mit diesem Konzentrationsprozess vollzog sich eine konsequente Erwerbspolitik. Den Grafen von Tirol gelang zielstrebig der Kauf bzw. der mehr oder weniger gewaltsame Erwerb der vogtei- und grundherrlichen Rechte konkurrierender Mächtiger. Meinhard II. war so der mit großem Abstand bedeutendste Grundherr in der Grafschaft, der seine grundherrliche Position weiterhin kräftig ausbaute. Hierdurch gelang auch die weitgehende Ausschaltung der Jurisdiktionsgewalt anderer Grundherren, die sukzessive und zielstrebig auf den Empfang der Zinsen und Renten aus dem grundherrschaftlichen Leiheverhältnis reduziert wur Stolz, Geschichte der Gerichte, 1913, S. 210: „[...] die Landgerichte, und zwar die durch die direkte Teilung der Grafschaft entstandenen Gerichte sind in Tirol in der Regel zum mindesten hinsichtlich der hohen Gerichtsbarkeit einheitliche und um eine bestimmte Dingstätte als örtlichen Mittelpunkt gruppierte Dinggemeinden.“ 355 Vgl. hierzu Stolz, Geschichte der Gerichte, 1913, bes. S. 214–215. 356 Bruckmüller, Täler und Gerichte, 1973, S. 19–20; näher hierzu auch Beimrohr, Brief und Siegel, 1994, S. 36–37. 354
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den.357 Während der Bauer seinem adeligen oder geistlichen Grundherrn zwar weiterhin die aus dem Leiheverhältnis entspringenden Leistungen erbringen musste, unterstand er nicht mehr der Gerichtsbarkeit des Grundherren. Diese Einschränkung der grundherrlichen Gerichtsrechte kommt freilich nicht schon unter Meinhard II. zum Abschluss, sondern vollzog sich während des gesamten Spätmittelalters.358 Eine von geistlichen Grundherren ausgeübte Niedergerichtsbarkeit konnte sich nur in Gegenden halten, in denen die ihnen grundherrschaftlich unterworfenen Höfe in größerem Umfang und einigermaßen geschlossen konzentriert waren. Die so gebildeten Niedergerichtsbezirke, die zeitgenössisch Hofmarken genannt wurden, umfassten regelmäßig nur eine Gemeinde und waren flächenmäßig eine quantité négligeable (z. B. Hofmark Münster, Axams, Wilten). Ein ähnlicher Prozess ist bei den Gerichtsrechten weltlicher Herren über ihre Leibeigenen und Grundholden zu beobachten. Die Gerichtsbarkeit über die Leibeigenen, deren Zahl im 15. Jahrhundert massiv zurückging und die gegen Ende des Mittelalters in Tirol nahezu verschwunden waren,359 verlor mit dem zahlenmäßigen Rückgang der Eigenleute jegliche Relevanz. Eine Niedergerichtsbarkeit weltlicher Grundherren über ihre Grundholden hielt sich über das 15. Jahrhundert hinweg nur in vernachlässigbarem Umfang in manchen Burgfrieden. Der adelige Inhaber einer Burg konnte sich unter Umständen die Niedergerichtsbarkeit über die in der engsten Umgebung der Burg liegenden und dieser mit Leistungspflichten verbundenen Hofstellen erhalten (wobei keineswegs jeder Burgfrieden ein eigener, sich vom umgebenden Gericht abhebender Niedergerichtsbezirk sein muss).360 Eine gewisse Rolle vermochten sich die Grundherren unter Umständen nur im Bereich der außerstreitigen Gerichtsbarkeit zu bewahren (insbesondere die Errichtung und Verbücherung („Verfachung“) von Verträgen ihrer Grundholden). 4. 2. 2. 3. Die Vergabe landesfürstlicher Gerichte Insgesamt ist somit festzuhalten, dass nur sehr wenige geistliche und weltliche Herren eigene, von der Fläche und Einwohnerzahl her marginale Gerichtsbezirke ausbilden bzw. behaupten konnten. Die meisten Gerichte waren landesfürstlich – was keineswegs heißt, dass der Landesfürst sie in Eigenregie durch von ihm eingesetzte Amtsträger verwalten lassen musste. Dies war zwar noch unter Meinhard II. der Regelfall gewesen und diente damals der Marginalisierung potentieller konkurrierender Gewalten. Die einzelnen Amtsträger (Richter) wurden zu Amtsrecht, d. h. auf Hierzu ergänzend neben den angeführten Werken Wiesflecker, Meinhard II., 21995, S. 170–171. 358 Vgl. die ausführliche Darstellung bei Stolz, Geschichte der Gerichte, 1913, S. 130–149. 359 Vgl. hierzu auch Wopfner, Lage Tirols, 1908, S. 74; Stolz, Rechtsgeschichte des Bauernstandes, 1948, S. 132–133 (mit Hinweisen auf die ältere Literatur). 360 Vgl. Stolz, Geschichte der Gerichte, 1913, S. 61–62. 357
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eine begrenzte Zahl von Jahren und gegen jährliche Rechnungsleg ung eingesetzt, wofür sie aus den Gerichtseinkünften ein festes Gehalt bezogen. Aber schon unter den Nachfolgern Meinhards II. legt der chronische Geldbedarf der Landesfürsten einen Wechsel in der Politik nahe und führt zur Vergabe von Gerichtsherrschaften (einschließlich des darin liegenden Urbars) an Adelige, wobei diesen Vergabungen unterschiedliche Rechtskonstruktionen zugrunde liegen können.361 Die am häufigsten gewählte Vergabungsart war die Verpfändung der Gerichtsherrschaft an Adelige (regelmäßig einschließlich des darin gelegenen landesfürstlichen Urbarbesitzes). Dabei bildeten sich zwei Arten von Verpfändungen heraus, nämlich die „verraitete“ und die „unverraitete“. Zugrunde lag einer solchen Verpfändung stets ein Darlehen bzw. eine Schuldforderung des Adeligen an den Landesfürsten, wofür dem Gläubiger im Gegenzug die Nutzungen aus einer Gerichtsherrschaft überlassen wurden, bis das Schuldkapital samt Zinsen getilgt war. Eine solche Gerichtsherrschaft war dabei finanziell attraktiv – tendenziell ein Verlustgeschäft war allein die Ausübung der (prestigeträchtigen) Hochgerichtsbarkeit, während die Niedergerichtsbarkeit aufgrund der anfallenden Gerichtsgebühren und Bußgelder durchaus lukrativ war. Die Einkünfte überstiegen die vom Pfandinhaber zu tragenden laufenden Kosten normalerweise deutlich und im Einzelfall sogar um mehrere hundert Prozent (allerdings waren die Erträge aus dem im Allgemeinen gleichzeitig verpfändeten Urbarbesitz bei weitem höher). Bei der „verraiteten“ Verpfändung war der Pfandinhaber der Gerichtsherrschaft zur Rechnungslegung gegenüber der Kammer verpflichtet, die Einkünfte tilgten das Kapital samt Zinsen. Im Gegensatz dazu setzte sich ab dem 16. Jahrhundert allmählich die für den Pfandinhaber deutlich vorteilhaftere „unverraitete“ Verpfändung von Gerichtsherrschaften durch. Die aus der Gerichtsherrschaft bezogenen Einkünfte wurden nur als Verzinsung des zugrunde liegenden Kreditkapitals angesehen, wurden jedoch nicht auf dieses angerechnet (weshalb auch die Verpflichtung zur Rechnungslegung an die Kammer entfiel). Eine Lösung der Verpfändung durch den Landesfürsten war somit nur durch die Begleichung der Forderung des Gläubigers, d. h. Gerichtsinhabers möglich. Diese konnte aber grundsätzlich jederzeit erfolgen – was natürlich die Position des Gerichtsinhabers zu einer unsicheren machte, da er theoretisch stets der Ablösung des Pfandkapitals und damit des Verlustes der Pfandherrschaft gewärtig sein musste. Als besonderer Gunsterweis seitens des Landesfürsten kam daher seit dem 16. Jahrhundert die Vergabe von Gerichtsherrschaften als Pfandlehen auf. Dieser Kon struktion lag ebenfalls eine Kreditgewährung durch den zukünftigen Lehensmann an den Landesfürsten zugrunde, für die der Geldgeber eine Gerichtsherrschaft als Zum Folgenden Stolz, Geschichte der Gerichte, 1913, S. 236–249; Stolz, Geschichte der Verwaltung, 1998, S. 42–45; Stolz, Landesbeschreibung von Südtirol, 1. Lieferung, 1937, S. 37– 40; Stolz, Landesbeschreibung von Tirol, 1. Teil/1. Hälfte, 1923, S. 32–41; Stolz, Urkunden über Vergabung, 1955; Wopfner, Bergbauernbuch, Bd. 1, 1995, S. 467–468; Beimrohr, Brief und Siegel, 1994, S. 61–63; vgl. ergänzend allgemein auch Wolter, Amt und Officium, 1988, S. 277–278.
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Lehen verliehen bekam, das nach Maßgabe des Lehnrechts weitervererbt werden konnte und somit sehr bestandsicher war. Manche Adelsfamilien hatten folglich Gerichtsherrschaften über einen sehr langen Zeitraum zu Pfand- oder Lehensrecht inne, in Einzelfällen durchgehend vom 13. bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts, was ihre Stellung erheblich stärkte.362 Für diese Gerichtsherren bürgerte sich im 18. Jahrhundert die Bezeichnung „Dynasten“ ein, während die entsprechenden Gerichte als „Dynastialgerichte“ angesprochen wurden. Alternativ sprach man in solchen Fällen auch von „Patrimonialgerichten“, was jedoch nicht ganz zutreffend ist. Patrimonialgerichte im engeren Sinn des Wortes, in denen den Gerichtsherren die Gerichtsherrschaft aus eigenem Recht zukam und die sich aus mehr oder weniger geschlossenen Grundherrschaften entwickelt hatten, gab es in Tirol (wie erwähnt) nur in sehr geringer Anzahl, während die Vergabung von Gerichtsherrschaften die Regel war. Während des 16. Jahrhunderts waren zeitweilig nur einige wenige Gerichte in unmittelbarer landesfürstlicher Verwaltung. Die Vor- und Nachteile des Vergabesystems sind rasch umrissen. Dem Landesfürsten brachten die zugrunde liegenden Kreditgewährungen kurzfristig Liquidität, wofür allerdings langfristig auf die aus der Gerichtsherrschaft resultierenden Einnahmen verzichtet wurde. Insgesamt handelte es sich aus der Sicht des Staates somit um ein Verlustgeschäft, ohne dass die permanente Finanznot eine Abkehr von der bisherigen Vergabepraxis (z. B. durch Auslösung der Pfandherrschaften) ermöglicht hätte. Umgekehrt überwogen auf adeliger Seite die finanziellen Vorteile. Eine Gerichtsherrschaft war eine sichere Investition, die zudem prestigeträchtig war. Landesfürstlicherseits war man sich natürlich über das finanzielle Potential der Gerichtsherrschaften durchaus im Klaren.363 Als Mittel der Ertragssteigerung bot sich für den Gerichtsherren die Maßnahme an, das Gerichtspersonal gar nicht oder nur geringfügig zu besolden und es stattdessen anteilig an den Gerichtsgebühren teilhaben zu lassen (was zugleich dessen Motivation zur Lukrierung möglichst hoher Einnahmen erhöhte). Auf die Rechtsprechung hatten die Vergabungen zwar keine oder nur marginale Auswirkungen, da hier die Urteilsfällung durch die Gerichtsgeschworenen, die Option der Berufung an höhere Instanzen (bzw. im Strafrechtsbereich der Supplikation an den Landesfürsten) sowie ab 1526 die Rechtsgrundlage der Tiroler Landesordnung effektive Barrieren darstellten; doch trieb das System der Vergabungen die von den Untertanen zu tragenden Kosten für die Rechtspflege in die Höhe, die daher auch über Jahrhunderte Gegenstand einer intensiven landesfürstlichen Gesetzgebung waren.364 Nur in Ausnahmefällen gelang es den Gerichtsgemeinden selbst, die eigene Gerichtsherrschaft zu Pfand zu nehmen. Frühzeitig, nämlich im Jahr 1400, ist dies bei den kleinräumigen Gerichten Ischgl und Galtür zu bemerken. Anderen Gerichten gelang dies vereinzelt erst wieder im 18. Jahrhun Beispiele bei Stolz, Landesbeschreibung von Südtirol, 1937, S. 37–38. Vgl. hierzu ausführlich Kap. IV.5.3.4.5.1. 364 Hierzu Schennach, Gerichtskosten, 2002. 362 363
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dert, wobei eine auffällige Konzentration im Oberinntal und im Außerfern zu beobachten ist.365 Eine Entfremdung von Hoheitsrechten war freilich durch die Vergabung von Gerichtsherrschaften kaum zu befürchten, da sich der Landesfürst in den Verpfändungs- und Lehensurkunden regelmäßig zentrale Hoheitsrechte vorbehielt. Die Verpfändung der soeben erst von Bayern erworbenen Herrschaft Kitzbühel an den nachmaligen Erzbischof von Salzburg, Matthäus Lang, erfolgte 1506 beispielsweise vorbehalten künftig gemain lanndstwren und lanndtraysen, schätz, pergwerch, hochund swarzwäld, auch alle appellaciones, so für unnser regiment zu Insprugg gehörn und beschehen sullen.366 Das Recht zur Steuererhebung, des militärischen Aufgebots, aufgezählte Regalien sowie die Möglichkeit der Appellation an die Regierung behielt sich der Landesfürst generell vor. Der Vorbehalt des Gesetzgebungsrechts in dem Sinne, dass landesfürstliche Gesetze auch in zu Pfand oder Lehen vergebenen Herrschaften gelten sollten, wurde als so selbstverständlich angesehen, dass es in den Urkunden erst gar nicht ausdrücklich erwähnt wurde. Handelte es sich bei den Pfand- oder Lehensinhabern jedoch um Nachbarn, war zumindest Vorsicht angebracht. Schon 1520 hatte die Tiroler Landschaft die angeführte Verpfändung an Matthäus Lang als bedenklich kritisiert und die strikte Wahrung der vorbehaltenen landesfürstlichen Rechte eingefordert, um einer befürchteten Abtrennung der Herrschaft Kitzbühel vorzubeugen.367 Sehr deutlich strich die Regierung die mit einer Verpfändung unter Umständen verbundenen Risiken für landesfürstliche Hoheitsrechte im Jahr 1580 heraus. Bei der letzten Verpfändung von vier Pustertaler Gerichten an das Hochstift Brixen (!) sei die Gesetz gebungshoheit Tirols massiv beeinträchtigt worden. Die zur Kundmachung überschickten Gesetze hätten die dortigen pfleger und richter alzeit zuvor nach Brixen schickhen und sich daselbsten erst beschaidts erhollen müessen, ob si die publicierung thuen sollen oder nit, welliches ain ganncz beschwärliche sach und nit die geringist ursach gewest, das man mit der ablösung [...] fürganngen ist.368 Aus Schaden wird man klug: Offensichtlich waren es nicht zuletzt die mit den Verpfändungen von Gerichtsherrschaften an das Hochstift Brixen gemachten Erfahrungen, die im selben Jahr eine entsprechende gesetzliche Maßnahme induzierten, durch die die Befolgung der landesfürstlichen Gesetze sichergestellt werden soll Vgl. die Aufzählung bei Stolz, Landesbeschreibung von Südtirol, 1. Teil, 1937, S. 40–41. Zit. nach Schennach, Folgen des Herrschaftswechsels, 2005, S. 112. 367 Vgl. Schennach, Folgen des Herrschaftswechsels, 2005, S. 113; ferner Stolz, Landesbeschreibung von Tirol, 1. Teil, 1. Hälfte, 1923, S. 72–73; weitere Beispiele für die in den Verpfändungsurkunden festgeschriebenen Bedingungen bei Stolz, Geschichte der Verwaltung, 1998, S. 47–48. 368 TLA, AfD 1580, fol. 633r–645v, 1580 Aug. 6. 365 366
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te.369 Fortan mussten die Pfandschafts- und Lehensinhaber von Gerichtsherrschaften die zu bestellenden Richter und Gerichtsschreiber bei der Regierung (bzw. im südlichen Tirol beim Landeshauptmann) namhaft machen. Diese wurden daraufhin in Pflicht und Glübd genommen, den Bestimmungen der Tiroler Landesordnung nachzukommen und auch sonst ob den gegenwürtigen und kunfftigen Mandaten und Bevelchen zu halten / denen nachzukommen / unnd darwider nichts zu handlen oder fürzunemen.370 Aufgrund der aus Regierungsperspektive insuffizienten Befolgung dieser Vorschrift, der durch den merern thail der phanndtschafftsinnhaber, auch ire ambtleüt und dienner nit gelebt unnd nachgeseczt werde,371 wurde diese Maßnahme fünf Jahre später nochmals eingeschärft und auch für den Bischof von Brixen, der mit Blick auf seine pfandweise innegehabten Tiroler Gerichte protestierte, keine Ausnahme gemacht.372 Dabei wurde auf die negative Präjudizwirkung eines solchen Dispenses und auf den notwendigen, durch die Regelung intendierten Schutz der Untertanen hingewiesen.373 1638 wurde zudem den über die Hochgerichtsbarkeit verfügenden Gerichtsherren aufgetragen, dass die zu bestellenden Bannrichter bei gleichzeitiger Vereidigung Acht und Bann in Innsbruck zu empfangen hätten, was bislang nicht durchgehend geschehen sei.374 4. 2. 2. 4. Das Gerichtspersonal Dies führt uns zum Gerichtspersonal, das bis weit in das 18. Jahrhundert hinein nicht sehr zahlreich war. Im Allgemeinen bestand es im 16. Jahrhundert bei den großflächigeren Gerichten aus einem Pfleger bzw. Pflegsverwalter, einem Richter, einem Gerichtsschreiber und einer je nach territorialer Ausdehnung variierenden Anzahl von Fronboten.375 Nur in sehr wenigen Gerichten waren neben dem Richter und dem Pfleger eigene Urbarverwalter (Amtleute, Rentmeister) tätig. Im Folgenden seien unter der summarischen Bezeichnung „lokale Obrigkeiten“ Pfleger, Pflegsverwalter und Richter verstanden, denen grundsätzlich eine erstinstanzliche TLA, BT, Bd. 11, fol. 199r–200r, 1580 Mai 14, Zitat fol. 199v; vgl. auch die Erwähnung bei Stolz, Geschichte der Gerichte, 1913, S. 224 und Stolz, Landesbeschreibung von Tirol, 1. Teil, 1. Hälfte, 1923, S. 45. 370 Den Wortlaut des Eides führt an Stolz, Landesbeschreibung von Tirol, 1. Teil, 1. Hälfte, 1923, S. 48, Anm. 4. 371 So TLA, AfD 1585, fol. 185v–187r, 1585 März 14. 372 TLA, CD 1585, fol. 124 und 127, 1585 Jan. 7. 373 TLA, AfD 21, fol. 415r–418r, 1585 Mai 17. 374 TLA, CD 1538, fol. 312½, 1638 Juni 5. 375 Vgl. allgemein hierzu Stolz, Geschichte der Gerichte, 1913, S. 223–233; Stolz, Landesbeschreibung von Tirol, 1. Teil, 1. Hälfte, 1923, S. 41–55; Stolz, Geschichte der Verwaltung, 1998, S. 44 und 48; Beimrohr, Brief und Siegel, 1994, S. 57–60. 369
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Allzuständigkeit in Verwaltung und Rechtsprechung zukam, von der nur Materien ausgenommen waren, zu deren Vollziehung Sonderverwaltungen bestanden (z. B. Forstverwaltung). Aber selbst hier bestand eine Pflicht der lokalen Obrigkeiten zur Assistenzleistung. Die Differenzierung von Pfleger- und Richteramt setzte seit dem beginnenden 14. Jahrhundert ein, wobei als grobe Richtschnur der Pfleger für administrative Belange zuständig war, der Richter wiederum für den jurisdiktionellen Bereich. Die Praxis war aber bei weitem vielgestaltiger. Da der Richter dem Pfleger untergeordnet und dessen Hilfsorgan war, nahm dieser de facto auch umfangreiche Kompetenzen im Bereich der „guten Policey“ wahr, zumal gerade in kleineren Gerichten unter Umständen ohnehin die gesamte Last der Amtsgeschäfte auf den Schultern des Richters lag. Wenn auch partiell der Gerichtsherr selbst die Stelle eines Pflegers bekleidete, musste dies nicht notwendigerweise seine persönliche Anwesenheit vor Ort bedeuten. Es stand ihm frei, zu seiner Stellvertretung einen so genannten Pflegsverwalter zu bestellen. Teilweise variierten zudem die Bezeichnungen. Das Landgericht Kufstein kannte beispielsweise keinen Pfleger, doch wurden dessen Befugnisse dort vom in der Festung Kufstein residierenden Burghauptmann wahrgenommen. In größeren Gerichten gab es ferner die Einrichtung der Gerichtsanwälte (Gerichtsverpflichteten), die den Richter nicht nur im Bereich der freiwilligen Zivilgerichtsbarkeit entlasteten, sondern überdies als Hilfsorgan des Richters bzw. Pflegers in Policeysachen fungierten. Hinsichtlich der Zuständigkeit des Richters im Bereich der Rechtsprechung ist im Übrigen eine Präzisierung angebracht. Bei Strafrechtsfällen und in Sachen der streitigen Zivilgerichtsbarkeit leitete der Richter nur die Gerichtsverhandlung (während er beispielsweise im benachbarten Bayern auf der Grundlage der bayerischen Buchsage von 1346 auch das Urteil fällte376). Die Urteilsfällung oblag ursprünglich dem Gerichtsumstand, d. h. den zum Erscheinen verpflichteten, über Grund und Boden verfügenden (‚angesessenen’) männlichen Gerichtsinsassen. Schon im Spätmittelalter zeigte sich der Trend, die Schöpfung des Urteils einem begrenzten Personenkreis zu übertragen, der sich nach regional variierenden Rechtsgewohnheiten aus den Reihen der ‚angesessenen’ männlichen Bevölkerung rekrutierte. Sehr anschaulich lässt sich dieser Prozess der Restriktion der Anzahl der Urteiler, der zur Ausformung eines Gremiums von Gerichtsgeschworenen führte, am Beispiel des Gerichts Imst nachweisen.377 Wenngleich, wie 1466 festgestellt wurde, vormals im gericht zu Ymnbst ain ungeschworn recht sich gehalten hat und mit geschworn rechtsprecheren nicht ist beseczt noch fürgesehen gwesen, habe sich dies (aus nicht näher spezifizierten Gründen) als untauglich erwiesen. Aufgrund der deshalb bei Herzog Vgl. jedoch die Präzisierung bei Schlosser, Rechtsbuch, 2002, S. 271–272. Urkunde de dato 1466 Juni 17 im Stadtarchiv Imst (Depositum im Tiroler Landesarchiv), Urkunde S 23 (Regest bei Hölzl, Stadtarchiv und Museumsarchiv Imst, 1992, Nr. S 23); Zitate nach dem Originalwortlaut der Urkunde.
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Siegmund vorgebrachten Beschwerden habe dieser den Befehl gegeben, im Gericht Imst ein geschworen gericht fürzunemen, zu halten und zu haben, damit niemands rechtlos werde. Pfleger, Richter und Gerichtsgemeinde sind daraufhin überainkomen und rätig wordenn, jährlich gemeinsam die Gerichtsgeschworenen zu wählen, die die Einhaltung ihrer Pflichten auf ir ayd und gewissenn schwören mussten. Einen Schlusspunkt dieser Entwicklung markierte hier ein Gesetz Erzherzog Siegmunds von 1481, der definitiv den Kreis der Urteilsfäller auf zwölf Gerichtsgeschworene beschränkte.378 Wie viele dieser zwölf Geschworenen bei einer Verhandlung anwesend zu sein hatten, hing dabei von der Bedeutung der betreffenden Rechtssache ab. Qualifikationserfordernisse für die Ausübung der Funktion eines Pflegers (Pflegsverwalters) oder Richters fehlten lange Zeit hindurch. Die seit dem Spätmittelalter in zunehmender Dichte enthaltenen Bestallungen enthalten Festschreibungen der jeweiligen Dienstpflichten und sind folglich hinsichtlich der erforderlichen Qualifikationen wenig aussagekräftig. Die Ernennung von Pflegern und Richtern oblag bei den unmittelbar unter landesfürstlicher Verwaltung stehenden Gerichten dem Landesfürsten, bei verpfändeten oder zu Lehen vergebenen Gerichten den Gerichtsherren. Nur in wenigen Fällen besaßen die ländlichen Gerichtsgemeinden ein Wahl- oder zumindest ein Vorschlagsrecht für die Besetzung des Richteramts. Anders war die Lage in den Stadtgerichten, in denen Bürgermeister und Rat sich tendenziell eher das Recht der Stadtrichterbestellung oder zumindest der Abgabe eines Vorschlags bewahren konnten (wobei freilich in vielen Städten wie z. B. Kitzbühel, Kufstein oder Sterzing das Amt des Stadtund Landrichters in einer Person vereinigt waren). Die Richter rekrutierten sich aus dem Kreis der ‚angesessenen’ männlichen Bevölkerung und versahen ihr Amt im Allgemeinen nicht ausschließlich, sondern übten nebenher noch ihren angestammten Beruf aus. Die mit dem Richteramt einhergehenden umfassenden Pflichten und die daraus resultierende zeitliche Belastung führten jedoch dazu, dass die eigene wirtschaftliche Tätigkeit während der Zeit der Amtsausübung deutlich in den Hintergrund trat. Nicht immer stellten dabei die (eher geringen) Besoldungen bzw. der dem Richter zustehende Anteil an den Gerichtsgebühren und -bußen eine ausreichende Motivation dar. Anschaulich führt dies das Beispiel des Richters von Schlanders aus den Jahren 1520/1521 vor Augen. Dieser war von Beruf Gastwirt und lamentierte lautstark über den finanziellen Schaden, der für ihn aus seiner Bestellung resultiere.379 Es war in der Tat weithin bekannt, dass die gemaine richterliche ämbter im lanndt an villen orthen merer für ein bschwärdt als nuczbarkheit gehalten werden, wie 1653 in einem Gutachten über die Reformation der Policeyordnung von 1573 betont wurde.380 Entsprechend groß war die Versuchung der lokalen Vgl. die eingehende Darstellung und Würdigung bei Beimrohr, Brief und Siegel, 1994, S. 43– 45; Werunsky, Rechtsgeschichte, 1894/1938, S. 793; Wopfner, Lage Tirols, 1908, S. 176– 177; Jäger, Geschichte der landständischen Verfassung, Bd. 2/2, 1885, S. 250–251. 379 Vgl. Mahlknecht, Übeltäter, 2005, S. 223–227. 380 TLMF, FB 5028, S. 561–735, hier S. 675, 1653 April 23. 378
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Obrigkeiten, sich durch Unregelmäßigkeiten bei den Gerichtsgebühren oder über zogene Policeystrafen Zusatzeinkünfte zu erschließen. Gerade in diesem Bereich setzten folglich die ersten gesetzlichen Maßregeln an, die rudimentäre Qualifikationserfordernisse festschrieben, die von den Gerichtsherren anlässlich der Bestellung von Pflegern (Pflegsverwaltern), Richtern und Gerichtsschreibern zu berücksichtigen waren. Nach Maßgabe eines Mandats von 1645 sollte der Gerichtsherr die Pflegämter mit taugenlichen / sitsamen / beschaidnen / verstendigen / und deß Land gebrauchs erfahrnen Pflegern / vom Adel oder [...] andern Ehrlichen Personen / Auch Richtern / Und Gerichtsschreibern / die den armen gemainen Mann lieben / und nit solcher gestalt / wie etwa bißher beschehen / über sein Vermögen beschwärn.381 Gerade das zuletzt genannte, sehr allgemein gehaltene Erfordernis der „Liebe zum gemeinen Mann“ goss dabei allerdings nur einen stehenden Topos in Mandatsform, tauchte exakt dieselbe Formulierung doch bereits knapp sieben Jahrzehnte früher in einem Regierungsgutachten auf.382 Zu Konkretisierungen sollte es noch für Jahrhunderte nicht kommen. Erst die Justizreformen Kaiser Josephs II. bedeuteten eine definitive Zäsur.383 Die Allgemeine Gerichtsordnung von 1781 schrieb so eine rechtswissenschaftliche Ausbildung der Richter vor, ein Hofdekret von 1784 brachte die fixe Besoldung von Richtern und Gerichtsschreibern. Diese Maßnahmen, die nach der Rückkehr Tirols zu Österreich 1814 noch deutlich ausgebaut wurden, ließen die finanzielle Attraktivität der Gerichtsherrschaft rasch verblassen und stießen anfangs auf den entschiedenen Widerstand der Dynasten.384 Die Rekrutierungsmechanismen bei der Auswahl der Richter in Verbindung mit deren Anforderungsprofil und Kompetenzbereich erklärt zudem, warum während des gesamten Untersuchungszeitraums gelehrte Juristen bei den erstinstanzlichen Gerichten und somit im direkten Kontakt mit weiteren Bevölkerungskreisen, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, nicht anzutreffen waren.385 TLA, BT, Bd. 22, fol. 330r–331r, 1645 Aug. 4. Vgl. Schennach, Gerichtskosten, 2002, S. 482. 383 Allgemeiner Überblick bei Gutkas, Joseph II., 1989, S. 243–247; Ogris, Staats- und Rechtsreformen Josephs II., 1980, S. 34–44; Ogris, Staats- und Rechtsreform, 1981, S. 109–151. 384 Zu Tirol vgl. Mages von Kompillan, Justizverwaltung, 1887, S. 3–4 und 12–13; Beimrohr, Brief und Siegel, 1994, S. 78–79; Leimser, Richter in Tirol 1740–1790, 2003, S. 236. 385 Beimrohr, Brief und Siegel, 1994, S. 58; Braun, Beiträge zur Geschichte Bozens, 1936, S. 33– 34; selbst bei der Regierung bildete sich erst im Verlauf des 17. Jahrhunderts ein Anwaltszwang heraus, vgl. nur TLA, VfD 1612, fol. 608r–609r, 1612 Okt. 29; TLA, GR, AS, Einlauf, 1639 Dez. 29; ebd., 1642 Dez. 15; den Schlusspunkt dieser Entwicklung, die auf eine Exklusion der nicht über eine juristische Ausbildung verfügenden „Sollicitatoren“, „Prokuratoren“ und „Schriftensteller“ hinauslief, bildet das Jahr 1657. Aufgrund einer Beschwerde der bei der Regierung tätigen Advokaten über die Konkurrenz durch die gemainen procuratores, die doch die sachen nit verstehn, den Parteien nachliefen und ihre (nach Aussage der Advoka381 382
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Das zunehmende Eindringen der Schriftlichkeit in die Verwaltungsführung und Rechtspflege auch an der Peripherie führte im 15. Jahrhundert zur Entstehung des Amtes des Gerichtsschreibers, der das im südlichen Tirol seit dem Hochmittelalter nachweisbare öffentliche Notariat konkurrenzierte und zumindest im deutschsprachigen Teil Tirols zunehmend verdrängte.386 Die abschließend anzuführenden, schon seit dem Hochmittelalter belegten Fronboten (Schergen, Gerichtsdiener) nahmen gerichtliche Botendienste wahr und fungierten überdies ganz allgemein als Hilfsorgane des Richters und Pflegers. Vom Landgericht ausgesprochene Todes- und schwere Körperstrafen exekutierte jedoch nicht der Fronbote, sondern einer der beiden für die Grafschaft zuständigen Scharfrichter.387 Grundsätzlich bestand eine Allzuständigkeit der Gerichte als unterster Ebene der frühmodernen staatlichen Verwaltungs- und Justizorganisation. Im Bereich der Rechtsprechung wurde sie nur durch die Zuständigkeiten gewisser Personal- und Kausalgerichte beschränkt,388 im Verwaltungssektor durch die Existenz von Sonderverwaltungen, unter denen die Forst- bzw. Jagdverwaltung und die Salinenverwaltung aufgrund ihrer Bedeutung besonders hervorzuheben sind. Ihnen ist Folgendes gemeinsam: Die entsprechenden Ämter (Obrister Forstmeister, Haller Salzmair) und der ihnen beigegebene Verwaltungsunterbau hatten sich im ausgehenden Mittelalter entwickelt; ursprünglich direkt dem Landesfürsten bzw. seinem Rat unterstellt, waren sie nach Ausdifferenzierung der territorialen Zentralverwaltung den Innsbrucker Behörden unterstellt, die ihre Amtsführung überwachten und koordinierten. Grundsätzlich waren ihnen gegenüber die lokalen Obrigkeiten im Bedarfsfall zur Hilfeleistung verpflichtet, wobei sich diese theoretisch vorgeschriebene Kooperationspflicht im Verwaltungsalltag eher mühsam gestaltete. Die Gerichte als Selbstverwaltungskörper (Gerichtsgemeinden) werden an anderer Stelle erörtert werden, da ihre zentrale Aufgabe nicht in der Vollziehung, sondern in der Setzung von Normen bestand (die anschließend von Richtern und Pflegern oder aber den Gemeinden vollzogen wurden). Ihre Organe waren die Versammlung aller ‚angesessenen’ volljährigen männlichen Gerichtsinsassen auf dem ten nicht viel billigeren) Dienste anböten (TLA, AfD 1657, fol. 246v–248r, 1657 Juli 13), werden die nicht juristisch gebildeten Prokuratoren auf das „Sollicitieren“ (d. h. auf anmahnungen pro expeditione) beschränkt (TLA, VfD 1657, fol. 173, 1657 Nov 7). Vgl. zu diesem Fragenkomplex auch ausführlich Kap. III.1.2. Zum Vergleich: Bei einem repräsentativen Sample von 91 in Tirol im Zeitraum zwischen 1740 und 1790 tätigen Richter verfügten 42 über eine abgeschlossene rechtswissenschaftliche Ausbildung, weitere 14 hatten eine rechtswissenschaftliche Fakultät ohne Abschluss besucht (Leimser, Richter in Tirol 1740–1790, 2003, S. 238). 386 Hierzu Neschwara, Geschichte des österreichischen Notariats, 1996, S. 50–54, 60, bes. S. 73–76. 387 Hierzu Moser, Scharfrichter von Tirol, 1982. 388 Vgl. hierzu Beimrohr, Brief und Siegel, 1994, S. 63–68, mit Hinweisen auf die ältere Literatur.
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Ehafttaiding sowie der für die Gerichtsgemeinde handelnde Gerichtsausschuss (wobei die personelle Zusammensetzung des Gerichtsausschusses regelmäßig dem Gremium der Gerichtsgeschworenen entsprach).389 4. 2. 2. 5. Die Gemeinden Unterhalb der Gerichtsebene nahmen die Gemeinden Verwaltungsaufgaben wahr, wobei Stadtgemeinden zugleich einen Gerichtsbezirk konstituierten. Sieht man somit von den Städten ab, die neben den Gemeindeagenden zugleich die Aufgaben eines Gerichts zu besorgen hatten, oblag den Gemeinden und ihren Organen als Selbstverwaltungskörper vornehmlich die geordnete Verwaltung des gemeindlichen Zusammenlebens, wobei sie (einschließlich der ländlichen Gemeinden) auch über entsprechende legislative Kompetenzen verfügten. Erst ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zeigt die territoriale Policeygesetzgebung in Tirol die Tendenz, die Gemeinden und ihre Organe (besonders den Dorfmeister) in zunehmendem Maße zur Verwirklichung überörtlicher Regelungsziele heranzuziehen.390 4. 2. 2. 6. Die Viertel Über der Ebene der Gerichte bestand die Vierteleinteilung des Landes, die jedoch als Gliederungs- und Verwaltungsebene nur sehr beschränkte Bedeutung besaß, die sich weitgehend auf den Bereich des so genannten „Zuzugs“ (d. h. des Aufgebots der wehrfähigen männlichen Bevölkerung bzw. ab dem 17. Jahrhundert der Landmiliz) und der Steuererhebung beschränkte. Als „oberste Gliederung des Landes Tirol für die Steuerleistung wie für das Wehraufgebot“391 sind die Viertel erstmals 1416 nachweisbar.392 Ihre Zahl betrug ursprünglich – wenig überraschend – vier, wurde bis 1499 auf sechs erhöht und stieg bis 1605 sukzessive auf 18 an, was eine Intensivierung des Zugriffs auf die militärische Leistungskraft der Untertanen gestattete. An der Spitze der Viertel als militärischer Gliederung stand ein (adeliger) Viertelhauptmann, dem vor 1526 bei Bedarf und nach 1526 dauerhaft ein adjungierter (zugeordneter) Hauptmann zur Seite gestellt wurde. Auch für den Bereich der Selbstverwaltung spielten die Viertel eine gewisse, wenngleich nicht institutionalisierte Rolle: Sie dienten der Koordination der Gerichtsgemeinden als Selbstverwaltungskörper, indem sie die gerichtsübergreifende Erörterung von auf Gerichtsebene allein nicht zu bewältigender Missstände und allenfalls deren 391 392 389 390
Vgl. Kap. VI.3.2.2.2. Vgl. ausführlich Kap. VI. 3. 2. 2. Stolz, Wehrverfassung, 1960, S. 45. Ausführlich zu den Vierteln Schennach, Landesverteidigung, 2003, S. 124; Schennach, Quellen, 2004, S. 77–78.
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Abstimmung ermöglichte. Diesem Zweck diente die Viertelskonferenz, d. h. das Treffen der Gerichtsausschüsse (oder anderer Vertreter) eines Viertels (wobei der Terminus „Viertelskonferenz“ erst seit dem beginnenden 18. Jahrhundert belegt ist,393 das Forum als solches jedoch schon deutlich früher existierte). Dass sich diese „Vierteleinteilung“ nicht notwendigerweise mit der Einteilung in die militärischen Viertel deckte, sondern durchaus variabel war, sei am Rande erwähnt. Während jedoch die Gerichtsgemeinden legislative Befugnisse hatten, war dies bei den Vierteln nicht der Fall, die ausschließlich ein Forum der Koordination und Kommunikation darstellten und denen auch im Vorfeld eines Landtags für die Willensbildung der Vertreter der Städte und Gerichte eine gewisse Bedeutung zukommen konnte.394
Vgl. das entsprechende Protokoll einer ausdrücklich als solche bezeichneten Viertelkonferenz in Gemeindearchiv St. Johann (Deposium im TLA), Pos. 308 („Policey und Gewerbe“), 1713 April 20. 394 Vgl. TLA, BT, Bd. 19, fol. 260, 1567 Jan. 28; TLA, VfD 1656, fol. 276r–279v, 1656 Jan. 12. 393
II. Das Gesetz : Definitionen 1. Gesetz, Privileg, Vertrag oder Landtagsabschied? Zur Schwierigkeit einer Rechtsquellent ypologie am Beispiel des Tiroler Landlibells von 1511 1. 1. Der Forschungsbefund Keine Urkunde der Tiroler Geschichte zog die historische Forschung seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts so in ihren Bann wie das von Kaiser Maximilian I. ausgestellte, auf 23. Juni 1511 datierte so genannte „Landlibell“, das zu einem der Kristallisationspunkte (Deutsch-)Tiroler Identität und zu einem scheinbaren Beleg für die vermeintlich völlig singuläre verfassungsrechtliche Stellung Tirols nicht nur im Verband der österreichischen Erbländer, sondern des gesamten Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation wurde – wobei es diese Sichtweise immerhin schaffte (natürlich sämtlicher mehr oder weniger ausgeprägter patriotischer Untertöne entkleidet), auch von der übrigen deutschsprachigen Forschung übernommen zu werden.1 Der materielle Inhalt dieses 42 Artikel umfassenden „Landlibells“, der in unserem Zusammenhang nur am Rande von Bedeutung ist, sei hier nur kurz rekapituliert:2 Den Kern machen die Vorschriften über die Organisation der Landesverteidigung durch die Aufgebote („Zuzüge“) der städtischen und ländlichen Bevölkerung aus. Darüber hinaus führt es zahlreiche weitere Regelungen über eine bunte Vielfalt von unterschiedlichen Materien weitgehend ohne innere Gliederung an. Es enthält beispielsweise Bestimmungen über das Münzwesen, die Jagd, die Besteuerung der auswärtigen, d. h. außerhalb Tirols residierenden Grundherren, den Missbrauch von Monopolen durch Handelsgesellschaften, die Vergabe von Gemeindegründen, den Import ausländischer Weine, die Zollbefreiungen von Adel und Prälaten oder über durchziehende Söldner. Dabei handelt es sich freilich par tiell nur um landesfürstliche Zusagen ohne normativen Gehalt, die vor dem Hintergrund der Verhandlungssituation des Juni 1511 interpretiert werden müssen.3 Die Tiroler Historiographie überschlug sich während nahezu eineinhalb Jahrhunderten in herausragenden Bewertungen. Man glaubte zu erkennen, dass das Aufgebot in Tirol zu einem besonders frühen Zeitpunkt in der Form eines feierlichen kaiserlichen Privilegs geregelt worden sei und sah hierin einen Beweis für �������������������������������������������������������������������������������������� Allgemein zum Folgenden Schennach, Quellen, 2004, S. 43–71; Schennach, Landesverteidigung, 2003, S. 139–152; Schennach, Rezeption, 2005, S. 577–592. 2 Editionen u. a. bei Köfler, Landtag, 1985, S. 118–131 (Übertragung ins Neuhochdeutsche); Brandis, Landeshauptleute, 1847/50, S. 411–422; Schober, Urkunden, 1990, S. 57–67; Schennach, Quellen, 2004, S. 161–172. 3 Vgl. hierzu Kap. II.1.2. 1
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II. Das Gesetz: Definitionen
die scheinbare Sonderstellung Tirols in der Militärverfassung Mitteleuropas. Die Erklärungsansätze hierfür variierten: Häufig wurde in diesem Kontext der Topos des besonders wehrhaften Tirolers bemüht.4 Daneben wurde auf die im Vergleich zu anderen Ländern gute Rechtsstellung des Tiroler Bauern verwiesen, die aus dem frühzeitigen Überwiegen der Erbleihe im grundherrschaftlichen Verhältnis zwischen Grundholden und Grundherren resultiere, ferner auf seine Partizipation an der politischen Willensbildung auf den Landtagen.5 In der Nachkriegszeit wurde konsequenterweise auch der angebliche „demokratische Charakter“ des Landlibells hervorgehoben,6 dieses sogar als „ein epochales Dokument demokratischer Selbstverantwortung“7 qualifiziert und in die Nähe von förderalistischer Selbstbestimmung gerückt.8 Rezente Forschungen haben diese bis vor kurzem dominanten Bewertungen zwischenzeitlich widerlegt. Es konnte nachgewiesen werden, dass das Landlibell weder hinsichtlich seines Inhaltes noch hinsichtlich der äußeren Form einer feierlichen Kaiserurkunde noch hinsichtlich des Zeitpunktes oder der Art seines Zustandekommens durch das Zusammenwirken von Landständen und Herrscher einzigartig war. Inhaltlich steht es zudem in einer Kontinuitätslinie mit vergleichbaren Tiroler „Ordnungen“, die bis in die siebziger Jahre des 15. Jahrhunderts zurückreichen, wobei es vom Wortlaut her nahezu vollständig dem Landtagsabschied vom Januar 1510 entspricht, der seinerseits wieder auf jenem vom Januar 1509 basiert.9 Das Landlibell schuf somit nur in geringfügigem Maße neues Recht, sondern hielt vor allem den bisherigen Rechtszustand fest.10 In unserem Zusammenhang ist jedoch von vornehmlichem Interesse, mit welcher Unbefangenheit, begrifflichen Unschärfe und fehlenden Reflexion Historiker über den Rechtscharakter des Landlibells urteilten. Regelmäßig fallen Begriffe wie „Grundgesetz“, „Fundamental-“ oder „Verfassungsgesetz“11, fallweise ist von
6 7 8 9
Vgl. Schennach, Mythos, 2005, S. 97–98. Vgl. allgemein Schennach, Quellen, 2004, S. 44. Nachweise bei Schennach, Rezeption, 2005, S. 591–592. So der Begleittext zur Faksimile-Ausgabe des Landlibells, die im Archiv-Verlag erschienen ist. So zuletzt Schober, Gedanke des Föderalismus, 2006, S. 202. Auf die teilweise frappante Übereinstimmung zwischen dem Landtagsabschied vom Januar 1509 und dem Landlibell machte bereits aufmerksam Sartori-Montecroce, Geschichte des landständischen Steuerwesens, 1902, S. 6. 10 So schon Stolz, Geschichte der Gerichte Deutschtirols, 1913, S. 189; ferner u. a. Kurzmann, Maximilian und das Kriegswesen, 1985, S. 31; Schennach, Landesverteidigung, 2003, S. 146 sowie Bonazza, Il Fisco, 2001, S. 43. 11 Vgl. z. B. Wiesflecker, Maximilian I, Bd. 4, 1981, S. 85–86; Stolz, Wehrverfassung, 1960, S. 67; Jäger, Landständische Verfassung, Bd. II/2, 1885, S. 467; weitere Literaturhinweise bei Schennach, Landesverteidigung, 2003, S. 143. 4 5
1. Gesetz, Privileg oder Landtagsabschied?
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„Gesetzesform“12, „Gesetzeswerk“13 oder „Landesgesetz“14 die Rede oder wird auf den Vertragscharakter des Landlibells verwiesen.15 Mit großer Selbstverständlichkeit wird durch Historiker seine ungebrochene Geltung zumindest bis 1816, teilweise bis zum Ende der Monarchie in den Raum gestellt.16 Die Besprechungen des Landlibells durch Rechtshistoriker heben sich von diesem begrifflichen Chaos wohltuend ab.17 Ihnen allen ist gemein, dass sie im Bewusstsein der Problematik der Terminologie vor einer vorschnellen Etikettierung zurückschrecken und sich auf eine inhaltliche Wiedergabe und Einbettung beschränken. Denn was bei den freihändigen Klassifizierungen seitens der Historiker völlig ausgeblendet wurde, ist sowohl der genaue Entstehungskontext als auch die zeitgenössische Perspektive, gab es doch schon seit der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts grundlegende Diskussionen über den Rechtscharakter des Landlibells zwischen Landesfürst und Ständen – und dieser entzieht sich in der Tat einer klaren Zuschreibung, gibt es hier doch sowohl diachron Entwicklungslinien als auch synchron je nach Standpunkt des Betrachters Bewertungsdifferenzen.
1. 2. Rechtscharakter zum Entstehungszeitpunkt Die rechtliche Einordnung des Landlibells zum Zeitpunkt seiner Entstehung scheint vorderhand noch leicht zu fallen. Es handelt sich um den Landtagsabschied vom 23. Juni 1511, der in zahlreichen Passagen den Landtagsabschieden aus den beiden vorangegangenen Jahren wörtlich entspricht. Im Unterschied zu früheren oder späteren Landtagsrezessen wurde dieser jedoch auf wiederholtes und nachdrückliches Drängen der Tiroler Landschaft in die äußere Form einer feierlichen Kaiserurkunde gegossen – was jedoch nicht heißt, dass die Landstände ausgerechnet dem Junilandtag 1511 eine überragende Bedeutung zugemessen hätten.18 Viel mehr ist belegt, dass die Tiroler Landschaft schon mehrere Jahre vor 1511 nach Landtagen die formlose schriftliche Fixierung der entsprechenden Landtagsbeschlüsse auf einem Papier zu wiederholten Malen als ungenügend angesehen und stattdessen die Ausfertigung von Herrscherurkunden gefordert hatte. Schon gegen Ende des Sterzinger Landtags des Jahres 1506 hatten die Stände gebeten, die damals Vgl. den Literaturhinweis bei Schennach, Landesverteidigung, 2003, S. 143. Fontana, Tiroler Wehrverfassung, 1979, S. 261. 14 Stolz, Bauer und Landesfürst, 1943, S. 201; schlicht von „Gesetz“ spricht Oberweis, Landesordnung, 1865, S. 9. 15 Vgl. TLMF, FB 62385, S. 7 (maschingeschriebenes Manuskript des ehemaligen Direktors des Tiroler Landesarchivs Fridolin Dörrer: Tiroler Landesverteidigung und europäische Kriege). 16 Vgl. z. B. Schober, Landesverteidigungspflicht, 1992, S. 24; Steinegger, Landlibell, 1991, S. 23. 17 Werunsky, Reichs- und Rechtsgeschichte, 1894/1938, S. 1121–1223; Sartori-Montecroce, Geschichte des landschaftlichen Steuerwesens, 1902; Grass, Stellung Tirols, 1978, S. 239–241. 18 Vgl. zum Folgenden auch Schennach, Quellen, 2004, S. 51–58. 12 13
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II. Das Gesetz: Definitionen
und auf dem vorangegangenen Landtag gefassten Beschlüsse auf pergamen unndter Kün. Mt. sigl zu verfertigen.19 In ähnlicher Weise wurde 1509 gebeten, die nunmehr verabschiedeten Artikel sowie das vorig libell [...] auf bergamen zu stellen und undter dem sigl [zu] fertigen,20 was von Maximilian I. auch zugesagt,21 jedoch in der Folge nicht durchgeführt worden war. Maximal erreichte die Landschaft, dass die Abschiede (teilweise auf Pergament) gedruckt wurden, so namentlich in den Jahren 1508, 1509 und 1510.22 Das somit häufiger geäußerte Bedürfnis der Landstände nach Erhalt von Kaiserurkunden über Landtagsabschiede erklärt sich weniger aus der ihnen vermeintlich zugeschriebenen herausragenden Bedeutung, sondern ist wohl primär Ausdruck eines Bedürfnisses nach Rechtssicherheit bzw. geschickten politischen Taktierens. Die auf Landtagen vorgebrachten Ansprüche Maximilians I. an die militärische und finanzielle Leistungskraft des Landes waren seit seinem Regierungsantritt stetig angewachsen; umgekehrt kristallisierte sich gerade in den ersten beiden Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts heraus, dass der Herrscher zwar bereitwillig die Abstellung der ventilierten Landesbeschwerden zusagte, sich bei der Umsetzung aber nachlässig erwies oder diese bei besonders konfliktträchtigen Politikfeldern wie der Wildhegung bewusst boykottierte. Schließlich waren Landtagsabschiede nur in sehr eingeschränktem Maße unmittelbar anwendbar und bedurften in wesentlichen Punkten der Transformation durch landesfürstliche Gesetze oder verwaltungsinterne Reskripte, was dem Herrscher große Spielräume beließ.23 Bei späteren Anlässen oder Diskussionen über den Umsetzungsgrad früherer Zusagen musste dem an den Landesfürst adressierten Hinweis auf eine von ihm selbst ausgefertigte Urkunde größeres Gewicht zukommen als der bloße Verweis auf einen früheren Landtagsabschied, wenngleich beide auf einem zugrunde liegenden Konsens von Ständen und Landesfürst beruhten und somit starken Einungscharakter aufwiesen. Im politischen Diskurs konnte jedenfalls die Aufforderung an Maximilian, nicht nur immer Truppen und Geld von den Tiroler Ständen einzufordern, sondern reziprok auch seine Zusagen und Versprechungen einzuhalten und die zur Umsetzung notwendigen Maßnahmen zu treffen, durch einen Fingerzeig auf eine förmliche Urkunde erleichtert werden. Als angenehmer Zusatznutzen kam hinzu, dass eine Urkundenausfertigung die Durchsetzbarkeit und Akzeptanz von Landtagsbeschlüssen innerhalb der Stände bzw. an der Peripherie erhöhen konnte – denn insbesondere erhöhte Leistungsforderungen stießen immer wieder auf erhebliche Widerständigkeiten in loco, selbst wenn die Vertreter eines Gerichtes oder einer Gemeinde auf dem betreffenden Landtag anwesend gewesen waren. Im Zentrum stand jedoch Vgl. TLA, LLTA, Fasz. 1. TLA, LLTA, Fasz. 1. 21 TLA, Landschaftliche Landtagsakten, Fasz. 1, Nr. 12b III. 22 Vgl. Schennach, Mailandtag 1508, 2003, S. 35; TLA, Landschaftliche Landtagsakten, Fasz. 1, Nr. 10 und 12b; TLMF, FB 25406. 23 Hierzu schon Tezner, Verwaltungsrechtspflege, I. Heft, 1898, S. 29–30; ferner Kap. IV.5.2.1. 19 20
1. Gesetz, Privileg oder Landtagsabschied?
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zweifellos die Signalwirkung für Maximilian selbst, wie die landständische Antwort auf die einleitenden landesfürstlichen Forderungen auf dem Februarlandtag 1512 dokumentiert: Verrer als ain löblicher lanndschaft Kay. Mt. als herrn unnd lanndsfürsten zu unnderthänigem gfallen, auch zu ennthaltung gemainem lannd zu gut mit vil angehenngten notdurftign articln auf vorverschinem lanndtag zu Ynnsprugg [ Junilandtag 1511] beschlossen, abgehört und durch Kay. Mt. gnedigclich bewilligt, aber unnzher nicht aufgericht und volzogen sein [!], daraus dann vil vordrungen unnd ungehorsame eingeen und herfliessen, die – wo solch ordnungen verfertigt – abgestelt unnd fürsehung also mit den zuzügen, auslegenn rechnung der hawbtlewt, straff der ungehorsamen und in ander weg beschehen möchte; bit darnach ain ersame lanndschaft, das solchs bewilligt unnd beschlossenn lanndsordnung mit allem angehenngten bevelch an verrer verlengrung verfertigt unnd zu baider fürsten, auch ainer ersamen lanndschaft hannden gstelt und zu volziechenn bevolchen werde.24 Mit einer vergleichbaren Begründung verlangten die Stände auch nach Ende des Novemberlandtages 1511 die Ausstellung einer Kaiserurkunde über die damals gefassten Beschlüsse,25 und im Februar 1512 wünschte man zudem, die 1500 und 1506 in Druck gegangene Halsgerichtsordnung auf pergamen zu schreiben und unnder Kay. Mt. innsigel zu verfertigenn unnd zu den lanndsfreihayten zu anntwurtenn.26 Es war somit die Tiroler Landschaft, die mit Nachdruck eine Ausfertigung von Landtagsschlüssen in Urkundenform reklamierte, wobei sie dem Junilandtag 1511 a priori nicht mehr und nicht weniger Bedeutung zumaß als anderen Landtagsabschieden. Dass Kaiser Maximilian I. gerade hinsichtlich des Junilandtags 1511 diesem Wunsch der Stände entsprach, nicht jedoch in den genannten anderen Fällen, hat seine Gründe.27 Erstens war der Abschied vom Juni 1511 für den Kaiser gerade von einem militärischen Standpunkt aus betrachtet ausgesprochen günstig ausgefallen. Der Einsatz der ländlichen und städtischen Aufgebote war nun im Bedarfsfall nicht mehr an den vorherigen Konsens eines Landtags gebunden, sondern konnte im Rahmen des Abschieds von Maximilian selbst bzw. in seiner Abwesenheit vom Regiment angeordnet werden – wobei die damit verbundene Einsparung von kostspieligen Landtagen durchaus auch im Interesse der Landschaft lag.28 Außerdem Schon zit. bei Schennach, Quellen, 2004, S. 52–53 nach der Überlieferung in TLA, LLTA, Fasz. 1, 1512 Febr. 4; Parallelüberlieferung in StAB, Hs. 2548/Landtagslibelle 11, hier fol. 3r; ebenso TLA, VdL, Bd. 3, S. 128–136. 25 TLA, Landschaftliche Landtagakten, Fasz. 1, Nr. 14. 26 TLA, LLTA, Fasz. 1; die Bitte wurde 1513 wiederholt, vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Landschaftliche Landtagsakten, Fasz. 1, Nr. 15b. 27 Vgl. Schennach, Quellen, 2004, S. 54–56. 28 Diese beschwerte sich postwendend schon auf dem Novemberlandtag 1511 über die Vielzahl von Landtagen in kurzer Zeit: TLA, StAB, Hs. 2547/Landtagslibelle 10, fol. 8r, 1511 Nov. 11; 24
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II. Das Gesetz: Definitionen
war die Höhe der bewilligten Mannschaftskontingente (bis maximal 20.000 Mann) für Maximilian sehr vorteilhaft, hatten doch die landschaftlichen Bewilligungen mit Ausnahme der Jahre 1509/1510 nie die magische Grenze von 10.000 Mann überschritten. Umgekehrt musste es aus Sicht der Stände wünschenswert sein, hinsichtlich der internen Lastenverteilung bei Aufgeboten zwischen den hohen und niederen Ständen zu einer dauerhaften Regelung zu gelangen und diese nicht jedes Mal mühsam von neuem aushandeln zu müssen.29 Ihnen war überdies daran gelegen, den konstant wachsenden Anforderungen an die Leistungskraft des Landes zumindest vorübergehend einen Riegel vorzuschieben und sicherzustellen, dass die Ansprüche Maximilians an die militärischen Aufgebote im Rahmen des Venezianerkrieges nicht noch weiter zunahmen. Für den weiteren Kriegsverlauf sollte die Höhe der landesfürstlichen Forderungen an die personellen Ressourcen Tirols nach oben hin limitiert werden, selbst wenn die Maximalstärke von 20.000 Mann ohnehin schon vergleichsweise hoch bemessen war. In der Tat hatten die auf den Landtagen der vorangegangenen Jahrzehnte bewilligten Kontingente einen Trend erkennen lassen, der deutlich nach oben zeigte – was nicht zuletzt durch die Notwendigkeiten des sich um die Zeitenwende rasch wandelnden Kriegswesens bedingt war. Die Kriegsführung mit immer größer werdenden Landsknechtsheeren stellte auch an die Unterta nenaufgebote neue Anforderungen. Hier sollte aus Sicht der Stände zumindest für die Dauer des Venezianerkrieges eine Obergrenze gesetzt werden. Die Interessen der Landschaft an einer Urkundenausstellung dominierten also. Daher überrascht es nicht, dass es auch im Fall des Landtagsabschiedes vom 23. Juni 1511 erhebliche Zeit und entschiedenes Drängen der Stände erforderte, bis sich der Kaiser endlich dazu bereit erklärte. Wie bereits erwähnt, erhoben diese im Februar des Folgejahres die Forderung nach einer Urkundenausstellung, die im weiteren Verlauf des Landtags mit unverhohlenem Druck durchgesetzt werden sollte. Man forderte, endlich die auf dem Junilandtag angenommene Ordnung ohne weitere Verzögerung aufrichten zu lassen und zu ainer Ersamen Lanndtschafft hannden zu stellen, andernfalls verweigerte man die vom Kaiser reklamierte Steuerbewillig ung. Um dem Begehren der Stände zu entsprechen, wurde Maximilian eine Frist bis Bartholomä (24. August) 1512 eingeräumt.30 Nun lenkte Maximilian zumindest oberflächlich ein. Jedenfalls bedankte sich die Landschaft in weiterer Folge für die bekundete Bereitschaft sowohl zur Urkundenausstellung als auch zur Erlassung der Mandate zwecks Behebung der auf dem Junilandtag 1511 behandelten Landtagsähnlich im März 1513 in StAB, Hs. 2550/Landtagslibelle 13, fol. 5v (vgl. auch Jäger, Landständische Verfassung, Bd. II/2, 1885, S. 474; Wolfbauer-Heinrich, Maximilian I., die Erbländer und das Reich 1513, 1979, S. 168). 29 Vgl. Schennach, Quellen, 2004, S. 48. 30 [...] dann wo solichs nicht vor Barthlomey beschehe, so wurde obangezaigte summa gelts ausserhalb überanntwurttung der libell – daran Kay. Mt. nicht weniger alls dem lannde gelegen ist – nicht gegeben, wellen sy auch solher summa ausser verferttigung angezaigter libell kainswegs ze geben nicht gewilligt haben. TLA, LLTA, Fasz. 1.
1. Gesetz, Privileg oder Landtagsabschied?
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gravamina, die ja auch im Landtagsschluss (und in weiterer Folge im Landlibell) ihren Niederschlag gefunden hatten.31 Als sicherer terminus ante quem der Ausstellung der Kaiserurkunde, die auf den 23. Juni 1511 datiert wurde, lässt sich der März 1513 ausmachen.32 In den damals vorgetragenen Gravamina bittet die Landschaft nämlich, alle bevelh zu vollcziehung des libell ausgeen ze lassen, wohingegen neuerlich die Ausfertigung der Tiroler Halsgerichtsordnung in Urkundenform erbeten wird: Kay. Mt. welle auch die ordnung der malevicz-recht, phantung unnd annders betreffendt unndter das sigl – wie dann vor bewilligt ist – auch genediglichen aufrichten lassen. Die Passage dokumentiert zudem die Richtigkeit der Auffassung, dass das Streben nach einer Urkundenausstellung maßgeblich durch das Bedürfnis nach einer Verbesserung der eigenen Verhandlungsposition geprägt war. Nun musste man nicht mehr dieselben oder ähnliche Beschwerden auf jedem Landtag wiederholen und sich mit unverbindlichen Zusagen begnügen, sondern konnte auf die Umsetzung von bereits getätigten Zusagen drängen, die in Urkundenform belegbar waren. Die Vorteile dieses Prozederes waren so augenscheinlich, dass in der Folge auch Maximilian auf die Ausstellung einer Urkunde durch die Landschaft bestand. Dies nahm seinerseits einige Zeit in Anspruch. Erst im Frühjahr 1515 wurde auf einem Landtag thematisiert, wie dieselben libell von allen stennden geferttigt unnd gesigelt sollen werden. Hinsichtlich der Datierung einigte man sich darauf, das daz datum darynn gestelt werd ungeverlich etlich tag nach der zeit, als die Kay. Mt. ir libell gesiglt unnd verzaichnet, auch das datum gestelt hat.33 Dementsprechend wurden zwei weitere, inhaltlich völlig gleich lautende Urkunden unter bloßem Austausch von Aussteller und Destinatär ausgefertigt: die eine von den zwei Bischöfen von Brixen und Trient, die andere gemeinsam von den Ständen und den Bischöfen (die gesonderte Ausfertigung durch die Bischöfe alleine war wohl von diesen veranlasst, um ihre besondere Rechtsstellung zu signalisieren und um zu unterstreichen, dass es sich bei ihnen keineswegs um einen gewöhnlichen Landstand handelte). Diese Urkunden, die schließlich doch wie die maximilianeische Urkunde auf den 23. Juni 1511 datiert wurden, händigte man Maximilian I. aus. Sie wurden zunächst im landesfürstlichen Archiv zu Innsbruck verwahrt. Dass dem Kaiser ebenfalls an einer Urkunde gelegen war, entsprang wohl ähnlichen Überlegungen, wie sie seitens der Landstände angestellt worden waren. Auch für ihn konnten sich daraus erhebliche Vorteile bei zukünftigen Verhandlungen ergeben. Auf späteren Landtagen würde es für die Tiroler Stände schwer argumentierbar sein, hinter einmal bereits Gewährtem wieder zurückzubleiben. Dies galt ungeachtet der Schadlosklauseln, die das Landlibell wie andere Landtagsabschiede enthielt, und deren Bedeutung primär im Deklarativen und weniger in substantieller Rechtswirkung lag. Immerhin maß man den Urkun Vgl. Schennach, Quellen, 2004, S. 54. TLA, Landschaftliche Landtagsakten, Fasz. 1, Nr. 15. 33 TLMF, Dip. 1182, Teil I (unpag., unfol., ohne genauere Datierung). 31 32
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II. Das Gesetz: Definitionen
den landesfürstlicherseits so viel Bedeutung bei, dass sie noch im Zuge der ersten Archivalienabtretungen im 16. Jahrhundert nach Wien überführt wurden,34 wo sie nach derzeitigem Kenntnisstand 1927 beim Justizpalastbrand zugrunde gingen.35 Anlässlich der Anfertigung einer Abschrift der gemeinsamen Urkunde der Stände und der beiden Bischöfe in ein Kopialbuch im Jahr 1613 stützte man sich laut Randvermerk nur mehr auf eine in Innsbruck vorhandene Abschrift.36 Nochmals sei an dieser Stelle wiederholt, dass die Tatsache einer Urkundenausfertigung allein nicht als Beleg für die besondere Bedeutung des Landtagsabschieds vom Juni 1511 gelten kann. Auch bei früheren Landtagsbeschlüssen hatte die Landschaft nachweislich die Ausfertigung von Kaiserurkunden verlangt. Die einmal beim Landlibell erfolgreich angewandte Strategie wurde später nochmals eingeschlagen. So wurde auf dem Landtag 1517 wiederum – diesmal allerdings erfolglos – versucht, eine Steuerbewilligung mit der Ausstellung einer Urkunde zu junktimieren, die endlich die bereits wiederholt formulierten Landtagsbeschwerden aus der Welt schaffen sollte: Enntgegen so ist ainer E. L. unnderthenigist pit, das Kay. Mt. die nachvolgend beswärlichen obligen, so auf vorgehalten lanndttagen Kay. Mt. mermals aus irer Mt. selbs notturfft und auch lannd unnd leutten zu guet selbs gnedigclich gewilligt hat unnd unnzher der kriegsleüff halben nicht volstreckt werden mügen, an verer verlenngerung volziehen, unnder irer Mt. innsigl aufrichten unnd ainer E. L. vor ander schrift künftig überanntwurt, dann wo sollichs nicht beschehe, so will ain E. L. obbestymbte 30000 gulden zu geben nicht schuldig noch phlichtig sein.37 Hingegen wurden die wesentlichen Resulate des Ausschusslandtages der österreichischen Länder, der 1518 in Innsbruck abgehalten wurde,38 in drei verschiedenen, auf den 24. Mai 1518 datierte Urkunden festgehalten,39 von denen zwei an dieser Stelle besonders hervorgehoben werden sollen: Das „Libell der Rüstung halben“ enthält eine Kriegsordnung für die niederösterreichischen Länder (Ruestung und ordinantz der nideroesterreichischen lannde fuer sich selbs), ferner eine Konfirmation Siehe hierzu Stolz, Geschichte und Bestände, 1938, S. 25; Ende des 19. Jahrhunderts lagen die beiden Urkunden im Archiv des Ministeriums des Inneren ( Jäger, Landständische Verfassung, Bd. II/2, 1885, S. 467, Anm. 1). 35 Vgl. Schennach, Quellen, 2004, S. 55. 36 Vgl. TLA, BT 1613, fol. 578v–591r. 37 TLA, LLTA, Fasz. 1, Landtag 1517; vgl. auch schon die Erwähnung bei Jäger, Landständische Verfassung, Bd. II/2, 1885, S. 488–489. 38 Vgl. hierzu Zeibig, Ausschuss-Landtag 1518, 1854; Wiesflecker, Maximilian I., Bd. 4, 1981, S. 305–320; Weiss, Maximilian I., die Erbländer und das Reich 1518, 1962, S. 150–196. 39 Edition bei Schober, Urkunden, 1990, S. 74–103 (insgesamt erhielten die Tiroler Stände fünf Urkunden, neben den drei allgemeinen auch noch einen Schadlosbrief sowie ein Privileg für den Tiroler Adel, das ihm ein besseres Erbrecht bei ritterlichen Lehen brachte; vgl. Wiesflecker, Maximilian I., Bd. IV, 1981, S. 311–312). 34
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des Landlibells und eine Einigung der nieder- und oberösterreichischen Ländergruppe über die wechselseitige Kriegshilfe.40 Die in einer anderen Urkunde enthaltenen Zusagen und Bestimmungen dienen der Abstellung der vorgebrachten Gravamina der Erbländer (daher auch die von Jakob Andrä von Brandis verwendete Bezeichnung als „Libell gemainer beschwärung“41). Sie betreffen unter anderem das Lehenswesen, Geistlichkeit und Privilegien, zivilrechtliche Materien wie die Durchführung von Erbabhandlungen oder die Einsetzung von Gerhaben (Vormündern), strafrechtliche Materien wie die Begnadigung von Totschlägern oder typische Policeymaterien wie die Abstellung von Gotteslästerung, wobei beim zuletzt genannten Punkt die Erlassung einer eigenen Policeyordnung in Aussicht gestellt wurde. In der Tat waren viele Zusagen nicht unmittelbar anwendbar, sondern erforderten die Erlassung eigener landesfürstlicher Mandate, die partiell in den folgenden Monaten erfolgte.42 Aber eben nur zum Teil: Die damals ausgearbeitete Policeyordnung beispielsweise wurde nicht publiziert, sondern blieb im Entwurfsstadium stecken.43 Halten wir also als Zwischenergebnis fest: Von seiner Genese her handelt es sich beim Landlibell um einen Landtagsabschied, der aus spezifischen Gründen in die äußere Form einer feierlichen Kaiserurkunde gegossen wurde. Wie alle Landtagsabschiede war er vom Konsens von Landesfürst und Ständen getragen und wies insofern Einungscharakter auf. Dieser wurde durch die nachfolgende Ausstellung zweier inhaltsgleicher Urkunden durch die Landschaft und die Bischöfe von Trient und Brixen nochmals unterstrichen. Aus diesen Umständen leiteten die Tiro Vgl. allgemein zum „Libell der Rüstung halben“ Kurzmann, Maximilian I. und das Kriegs wesen, 1985, S. 31–34; Wiesflecker, Maximilian I., Bd. 4, 1981, S. 315–316; Weiss, Maxi milian I., die Erbländer und das Reich 1518, 1962, S. 183–187; Edition bei Brandis, Landes hauptleute, 1847/1850, S. 456–468; (unvollständige) Edition bei Schober, Urkunden, 1990, S. 74–85; zur Beteilig ung Tirols an den Verhandlungen siehe ausführlich Zeibig, AusschussLandtag 1518, 1854, bes. S. 220–227. 41 Vgl. Brandis, Landeshauptleute, 1847/1850, S. 456. 42 Vgl. nur Weiss, Maximilian I., die Erbländer und das Reich 1518, 1962, S. 189–190; Brandis, Landeshauptleute, 1847/1850, S. 493–494. 43 Vgl. Pauser, Gravamina und Policey, 1997, S. 31–33; ebd., S. 33, Anm. 64, auch Hinweise auf die archivalische Überlieferung des Entwurfs. Vgl. ferner die im Februar 1519 ventilierte Forderung der Tiroler Landstände: Unnd damit menigclich im landt in guetem willen unnd gehorsamb in vertreülichen brüederlichen verainten wesen beleiben, guet ordnung, justitia unnd mannßzucht gehalten werde, deßhalben soll menigclihen im lanndt unnd in beeden stifften offentlich alleß daß, so auf yecz gegenwirtigen landtag beschlossen ist, darzue alleß daß, so jungst zwischen Kay. Mt. hochloblicher gedechtnuß und gemainer erblandt abgerödt, beschlossen und aufgericht ist, darzue die vor aufgerichten landtsordnungen, damit sich menigclich yecz und füran zu richten hab und demselben gestrakhs nachgekhomen und ain ersame lanndtschafft in allen handlungen volziehung zu thuen wissen durch tröfflich ansechenlich personen verlesen, publiciert und verkhündt und, wo daß begert, glaublich abschrifften davon gegeben werden, vgl. TLA, VdL, Bd. 3, S. 174–189, 1519 Febr. 9 (Parallelüberlieferung in StAB, Hs. 2556 (= Landtagslibell 19); StAMHs. III/15, TLMF, Dip. 971, Nr. VI/Teil 1); vgl. hierzu auch Brandis, Landeshauptleute, 1847/1850, hier bes. S. 509 und S. 512. 40
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ler Landstände im 17. Jahrhundert in der politischen Auseinandersetzung mit den Landesfürsten schließlich die Vertragstheorie ab (s. u.). Von einem Privileg im Rechtssinn wird man – selbst wenn man die „Unendlichkeit des Privilegienbegriffs“44 im Ancien Régime in Rechnung stellt – zum Zeitpunkt der Entstehung (noch) nicht sprechen können. Zwar bedient sich das Landlibell des für Privilegien im materiellen Sinne typischen Urkundenformulars der „Bekennen-Urkunde“45, doch verleiht es den Adressaten keine speziellen Rechte oder Berechtigungen. Erst als die Landstände das Landlibell ab der Mitte des 16. Jahrhunderts in zunehmendem Maße als „Landesfreiheit“ interpretierten, wurde ihm damit implizit Privilegiencharakter zugesprochen. Bis in das 18. Jahrhun dert diente es nun dazu, um die rechtliche Sonderstellung Tirols im Bereich der Militärverfassung der österreichischen Länder abzusichern. Es ist anzunehmen, dass weder die Landschaft noch Maximilian 1511 und in den darauf folgenden Jahren die spätere Wirkungsgeschichte dieser Urkunde abschätzen konnten. Beide Seiten werden der Urkunde primär für die unmittelbaren Folgejahre und für den aktuellen Venezianerkrieg Bedeutung zugemessen haben. Hätte der Kaiser ahnen können, in welchem Ausmaß das „Landlibell“ ein Jahrhundert später den landesfürstlichen Handlungsspielraum in organisatorischen und rechtlichen Fragen der Landesverteidigung einengen würde, wäre er wohl nicht zur Ausstellung einer Urkunde bereit gewesen. Umgekehrt hätten sich die Bischöfe von Brixen und Trient gehütet, sich im Landlibell die Enthebung ihrer weltlichen Herrschaftsgebiete vom Reichsanschlag zusichern zu lassen. Die Enthebung der Hochstifte von der Steuerpflicht gegenüber dem Reich, die fortan vom Haus Habsburg getragen werden sollte, wurde schließlich in späteren Jahren eine willkommene Argumentationshilfe, um die Reichsunmittelbarkeit der Hochstifte in Frage zu stellen.46 Die Klassifizierung des Landlibells als Gesetz erscheint angesichts dessen problematisch. Einer solchen Bezeichnung steht zunächst die Wahrnehmung durch die Zeitgenossen entgegen. Im Juli und August 1511 und somit in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang ist ausschließlich vom abschid des landtags die Rede.47 Nach einiger Zeit, aber noch vor der herrscherlichen Urkundenausstellung ist zudem von „Ordnung“ oder „Landesordnung“ die Rede, wie sich am Beispiel des übernächsten Landtags im Februar 1512 zeigen lässt. Damals bat die Landschaft, wie bereits angeführt, daß das solchs bewilligt unnd beschlossenn lanndsordnung mit allem angehenngtem bevelch on verrer verlengerung verfertigt unnd zu baider fürsten, auch ainer ersamen lanndschaft hannden gestelt und zu volziechenn bevolchenn werde.48 So der bezeichnende Titel eines Aufsatzes von Mohnhaupt, 1997. Zum „formellen Privileg“ vgl. Kap. II.3.3.4. 46 Vgl. hierzu Schennach, Quellen, 2004, S. 70–71; Kögl, Sovranità, 1984, bes. S. 186. 47 TLA, Max. I/44/20 1. Teil, fol. 39, 1511 Aug. 5; ebd., 1. Teil, fol. 70 (unfol., unpag., ohne genauere Datierung). 48 TLA, LLTA, Fasz. 1, Landtag Februar 1512; Parallelüberlieferung TLA, VdL, Bd. 3, S. 128– 136; StAB, Hs. 2548/Landtagslibelle 11, hier fol. 3r. 44 45
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Auf demselben Landtag sprachen die Stände in weiterer Folge noch vom libell der gemain lanndsordnung oder schlicht von lanndsordnung. Die Erwähnung des Terminus „Landesordnung“ darf dabei nicht ohne weiteres als Beleg für den Gesetzescharakter des Landtagsabschiedes vom Juni 1511 herangezogen werden. Man muss sich vor Augen halten, dass der Terminus „Landesordnung“ in Tirol bis in das dritte Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts noch ein äußerst breit gefächertes Bedeutungsspektrum aufweist. So konnte er unter anderem auch einen umfangreicheren Landtagsabschied bezeichnen und in dieser Bedeutungsvariante synonym mit der alternativ verwendeten Bezeichnung „Landtagsabschied“ (bzw. zeitgenössisch „Abschied des Landtags“) verstanden werden.49 Partiell blieb die – wohlgemerkt überaus weit verstandene – Bezeichnung „Landesordnung“ auch nach der herrscherlichen Urkundenausstellung in Verwendung. In engem zeitlichen Konnex mit der Urkundenausfertigung ist so gleich zweimal die Rede von der versiglten gemainer lanndsordnung, am xxxiii.tag Juniy im aindlifften jar auff gehaltnem lanndtag durch gemaine lanndtschafft beslossen.50 Und 1516 heißt es ausdrücklich, die Aufgebote der Städte und Gerichte sollten nach ynnhalt der lanndsordnung, so in dem kayserlichen libell begriffen, durchgeführt werden.51 Ebenfalls auf den Umstand der Besiegelung nimmt ein Schreiber der Stadt Bozen Bezug, der eine Abschrift des Landlibells mit Copey kayserlicher Mt. verschreybung 1511 kennzeichnete.52 Allerdings waren sich Zeitgenossen genau bewusst, dass der Landtagsabschied vom Juni 1511 wie alle anderen Landtagsbeschlüsse großteils nicht unmittelbar anwendbar war, sondern in wesentlichen Teilen der Transformation durch Mandate bedurfte, deren Ausstellung dem Landesfürsten oblag (und denen im Übrigen unzweifelhaft Gesetzescharakter zukam). Dies erklärt, warum die Landstände im März 1513 an Maximilian die Bitte richteten, endlich die bevelh zu vollcziehung des libell ausgeen ze lassen;53 und dies war nicht das einzige Mal, dass sie mit einem diesbezüglichen Ersuchen an den Kaiser herantraten.54 Den Ständen war somit die Notwendigkeit einer Transformation der entsprechenden Bestimmungen und Zusagen der Landtagsabschiede allgemein, aber auch der Urkundenfassung des Abschieds vom Juni 1511 durchaus bewusst – wobei sich diese Notwendigkeit aus ihrer Perspektive als eine den Herrscher treffende Transformationsverpflichtung präsentierte. Dieser war ihrer Ansicht nach verpflichtet, alle zur Umsetzung seiner auf den Landtagen gemachten Zusagen erforderlichen Maßnahmen zu setzen – nicht nur, aber insbesondere wenn diese Versicherungen auch in Urkundenform festgeschrieben waren. Vgl. Kap. IV.7.2.1. Vgl. TLA, Hs. 2586; wörtlich auch TLA, Landschaftliches Archiv, Fasz. 1, Nr. 13. 51 TLA, LLTA, Fasz. 1, Landtag 1516; ferner TLA, VdL, Bd. 3, S. 183 (1519); TLA, Hs. 2887, fol. 7v (1520); weitere Beleg bei Schennach, Quellen, S. 56, Anm. 267. 52 StAB, Hs. 2546 (= Landtagslibelle 9), fol. 1r. 53 TLA, Landschaftliche Landtagsakten, Fasz. 1, Nr. 15. 54 In diese Richtung ist zu verstehen StAB, Hs. 2554 (= Landtagslibelle 17), fol. 7r (1517, ohne nähere Datierung). 49 50
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Dieses Verständnis der Landstände für die Notwendigkeit einer Transformation wird zudem durch ihr gleichartiges Verhalten belegt, das sie nach Ausstellung der Urkunden über die Beschlüsse des Innsbrucker Ausschusslandtags 1518 an den Tag legten. Schon auf dem Aug ustlandtag desselben Jahres forderten die Landstände mit dem deutlichen Hinweis auf das zur Verfügung stehende Druckmittel (damit Kay. Mt. in bezalung der zugesagten hilf nicht hinderung beschehe), jene Mandate gnadigclichen aufrichten und volziehen zu lassen, die zur Umsetzung der auf dem gesamtösterreichischen Ausschusslandtag gemachten Zusagen erforderlich waren.55 Auch schlug man die Bildung einer Deputation von Regimentsräten und Ständevertretern vor, die über die versprochenen gemainen lanndsordnungen der goczschwerer, zuedrynkher, auch annder unordnungen und beschwerungen beraten und die schließlich die vom Kaiser zu erlassende Ordnung vorbereiten sollte.56 Es gibt also im Landlibell zahlreiche durch den Erlass landesfürstlicher Mandate und Ordnungen in unmittelbar anwendbares Recht zu transformierende Passagen, wobei dies vornehmlich die Abstellung der ventilierten Landesbeschwerden betraf. Die Bestimmung über durch das Land ziehende Söldner wurde so erst durch die entsprechenden Verordnungen konkretisiert.57 Einige Artikel haben überhaupt keinen normativen Gehalt, beispielsweise die Zusicherung, die Grenzfestungen des Landes durch Sachverständige begutachten und Mängel beheben zu lassen. Vielfach handelt es sich nur um reine Absichtserklärungen wie im Fall des kaiserlichen Versprechens, für eine Dezimierung des Wildbestandes zu sorgen. Allerdings enthielt der Landtagsabschied vom Juni 1511 und folglich auch die entsprechende Urkunde Artikel, die ohne weitere Transformation normative Wirkung entfalteten. Dies betrifft jedoch nur jene Bestimmungen, die das Verhältnis der Stände untereinander regeln, beispielsweise die Verteilung der zu stellenden militärischen Mannschaftskontingente zwischen Adel, Prälaten, Städten und Gerichten sowie den beiden assoziierten Bischöfen von Trient und Brixen. Allerdings lässt sich hier kaum von einem Gesetz sprechen, das von einer zuständigen Obrigkeit mit Geltungswillen erlassen wurde. Vielmehr liegt diesen Bestimmungen eine auf dem Landtag ausgehandelte Vereinbarung zwischen den Ständen zugrunde. Zudem musste in weiterer Folge die genaue „Repartition“, d. h. die genaue Verteilung der Kontingente auf die einzelnen Stellungspflichtigen, von den Ständen autonom vorgenommen werden. Zusammenfassend lässt sich somit sagen, dass das Landlibell wie jeder andere Landtagsabschied grundsätzlich nur zwischen den Beteiligten, mithin den Landständen und dem Landesfürsten, Bindungswirkung entfaltete. Beide Seiten mussten TLA, LLTA, Fasz. 1, Landtag 1518, 1518 Aug. 4; ebenso TLA, VdL; Bd. 3, S. 165; StAB, Hs. 2555/Landtagslibelle 18, S. 208–209. 56 StAB, Hs. 2555/Landtagslibelle 18, S. 207–208. 57 Vgl. für Beispiele StAM, Stadtverwaltung Nr. 227, fol. 12, 1503 Nov. 22; Hölzl, Gerichtsarchiv Laudegg, 1984, Nr. 97, 1508 Dez. 30; TLA, Kopialbuch ÄR, Lit. Cc, Nr. 30, fol. 178r– 179r, 1509 Mai 5. 55
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anschließend die sie treffenden Pflichten umsetzen – sei es, wie im Fall des Kaisers, durch die Erlassung der notwendigen Gesetze oder das Setzen der entsprechenden administrativen Akte, sei es im Fall der Stände durch die Stellung der bewilligten Truppenkontingente. Die Urkundenform schien dabei aus ständischer Sicht die Chancen zu erhöhen, dass das kaiserliche Gegenüber seinen Zusagen tatsächlich nachkam – was nicht zum Trugschluss verleiten sollte, dass die Stände die sie treffenden Verpflichtungen stets erfüllt hätten. Im Gegenteil: Auch in maximilia neischer Zeit stehen die mangelhafte Stellung der Mannschaftskontingente und Steuerrenitenz auf der Tagesordnung.58
1. 3. Die Wirkungsgeschichte des Landlibells Im Juni 1511 hatten sich die Stände endgültig über die interne Verteilung der Mannschaftskontingente bei Aufgeboten verständigt. Demnach mussten die Städte und Gerichte 2400 Mann, die höheren Stände sowie die Hochstifte Trient und Brixen gemeinsam 1800 Mann und die neu hinzugekommenen Gebiete 300 Mann (Kufstein, Kitzbühel, Rattenberg) bzw. 500 Mann (Pustertal) stellen. Diese Vereinbarung („Anschlag“) konnte in der Folge Grundlage des Tiroler Steuerwesens werden. Die zu stellenden Kriegsknechte wurden gemäß ihrem Monatssold von vier Gulden in „Steuerknechte“ umgewandelt, wodurch die Repartition des gesamten Steueraufkommens auf die verschiedenen Stände fixiert war.59 Diese Verbindung einer Defensionsordnung (Verteidigungsordnung) und Steuerordnung ist nicht neu und lässt sich auch in anderen österreichischen Ländern – teilweise Jahrzehnte früher als in Tirol60 – beobachten. Aufgrund der äußeren Form eines feierlichen kaiserlichen Libells war der 1511 getroffenen Regelung freilich Beständigkeit beschieden. Da man zwecks Steuerberechnung in der Folge immer wieder auf die grundlegende Regelung des Landlibells rekurrieren musste, war zugleich gewährleistet, dass das Dokument insgesamt (und speziell seine militärischen Bestimmungen) nicht in Vergessenheit geraten konnte. Hierin liegt ein grundsätzlicher Unterschied zum erwähnten „Libell der Rüstung halben“, dem trotz entsprechend feierlicher Aus fertigung keine vergleichbare jahrzehntelange Wirkungsgeschichte beschieden war. Was lag aus ständischer Perspektive näher, als dem Landesfürsten das Landlibell zur Abwehr neuer finanzieller und militärischer Belastungen entgegenzuhalten? Vgl. Sartori-Montecroce, Geschichte des landschaftlichen Steuerwesens, 1902, S. 17; Bei spiele in TLA, Max. I/40/20, Februar 1511 (Leonhard von Völs an die Regierung); ebd., 1511 Aug. 29; TLA, Max. I/40/21, 1513 Juli 1. 59 Vgl. hierzu Köfler, Landtag, 1985, S. 132–133; Sartori-Montecroce, Steuerwesen, 1902, S. 227. 60 Vgl. nur die steirische Ordnung von 1462, ediert in Seuffert/Kogler (Bearb.), Steirische Landtagsakten, Teil 2, 1958, S. 60–63; hierzu auch Schulze, Landesdefension, 1973, S. 48–50. Allgemeiner Überblick bei Schennach, Quellen, 2004, S. 58–63. 58
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In der Tat sollten sich in den folgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten die Wirkungsgeschichte des Landlibells und seine Instrumentalisierung in der Auseinandersetzung zwischen Landesfürst und Landschaft als Spezifikum und Singularität dieser Urkunde herauskristallisieren, die ihr einen wichtigen Platz in der frühneuzeitlichen Tiroler Verfassungsgeschichte sichern. Zum Entstehungszeitpunkt hatte das Landlibell dagegen keineswegs die herausragende Bedeutung, die ihm von der Forschung zugesprochen wurde.61 Erst ab der Mitte des 16. Jahrhunderts führten die Tiroler Landstände das Landlibell ins Treffen, um weitergehende Anforderungen des Landesfürsten an die militärische und finanzielle Leistungskraft des Landes abzuwehren.62 Ein früher Hinweis auf diese Nutzbarmachung findet sich ca. 1552. In einem wohl im Umkreis der Regierung entstandenen Gutachten wurde damals festgehalten, dass die letzte, den Einsatz der Aufgebote regulierende „Zuzugsordnung“ seitens der Landschaft nit anders, dann was und sovil hierynnen die landtsfreyhaiten und das 11jarig libell maß und ordnung geben, verstanden werden wolle.63 Damals wurde auch erstmals die „Vertragstheorie“ formuliert, wonach das Landlibell einen nicht nur zwischen den Ständen abgeschlossenen Vertrag, sondern auch und vor allem einen zwischen dem Kaiser und den Landständen abgeschlossenen Vertrag darstelle.64 Diese Vertragstheorie mit allen daraus resultierenden Konsequenzen für die Frage der Veränderbarkeit der damals getroffenen Vereinbarungen sollte im 17. Jahrhundert von der Landschaft mit Entschiedenheit vertreten werden (s. u.). Es ist bezeichnend, dass ziemlich zeitgleich mit dieser einsetzenden Instrumentalisierung erstmals ein unverwechselbarer Eigenname für diese Urkunde geprägt wurde. Beginnend in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ist nunmehr verstärkt vom „elfjährigen Landlibell“ die Rede, wobei das Attribut „elfjährig“ schlichtweg auf das Jahr der Entstehung Bezug nahm. Diese Differenzierung war durchaus notwendig, konnte doch dem Terminus „(Land)Libell“ bis dahin ebenfalls eine sehr weite Bedeutung zukommen. In den ersten drei Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts war die Bezeichnung „Libell“ für umfangreichere Landtagsabschiede durchaus gängig, was angesichts der Etymologie der Bezeichnung „Libell“ (von „libellus“, „Büchlein“ oder „Heft“) nicht überrascht, umfassten Landtagsabschiede doch regelmäßig mehrere Blatt Papier, die fallweise auch gedruckt werden konnten (s. o.). Ab Ende der zwanziger Jahre kam das Kompositum „Landlibell“ auf, das sich jedoch nicht etwa auf die Urkunde vom 23. Juni 1511 bezog, sondern auf das kodifikatorische Werk der Tiroler Landesordnung von 1526 respektive 1532.65 In dieser Bedeutung Vgl. hierzu auch Schennach, Quellen, 2004, S. 64–65. Hierzu Schennach, Quellen, 2004, S. 57–58. 63 Vgl. Schennach, Aufgebots- und Postmandat, 2000, S. 182. 64 TLA, AkgM 1555, fol. 480r–482r, 1555 Juni 10. 65 Vgl. z. B. TLA, AkgM 1531, fol. 342v–343v, 1531 Mai 29; ebd., fol. 380v–382r, 390v, 399v, 401v; TLA, AkgM 1532, fol. 21r, 1532 März 16; TLA, AkgM 1533, fol. 170r–171r, 1533 Febr. 24; TLA, AkgM 1536, fol. 50, 1536 Juli 6. 61 62
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findet sich der Begriff auch noch in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre.66 Der Letztbeleg für diese Verwendung stammt aus dem Jahr 1544.67 Fortan wird die Kodifikation durchgehend „Landesordnung“ genannt. Die Erstbelege für die Bezeichnung „elfjähriges Landlibell“ stammen demgegenüber aus Landtagsverhandlungen des Jahres 1547, wobei aus dem Kontext die Bezugnahme auf den Landtagsabschied vom Juni 1511 klar hervorging.68 In anderen Fällen schien dies freilich nicht so deutlich, so dass in den nächsten Jahren immer noch alternative Bezeichnungen vorkamen. Ein 1551 von der Regierung und der Kammer gemeinsam verfasstes Gutachten spricht von ordnung und vergleichung, so im 1511. jar von wegen des zuzugs in ainer lanndtsnott gemacht worden sei.69 In einem um 1559 entstandenen Konzept eines Regierungsg utachtens war zunächst noch von dem aindlifjerigem libell die Rede, was dem Schreiber offensichtlich bei nochmaliger Lektüre nicht bestimmt genug erschien. Er strich die ursprünglich gewählte Bezeichnung durch und ersetzte sie durch das vertragslibell im 1511 jar aufgericht.70 Dagegen sprach schon drei Jahre zuvor ein Regierungsgutachten durchgehend vom aindliffjährigen libell oder aindliffjährigen vertragslibell.71 Ab den sechziger Jahren hatten sich „elfjähriges Libell“ bzw. „Landlibell“ definitiv durchgesetzt. Dem bisherigen Befund einer intensiveren Instrumentalisierung des Landlibells ab der Mitte des 16. Jahrhunderts entspricht auch, dass die so genannten „Zuzugsordnungen“ von 1526, 1532, 1546 und 1562, die den Einsatz der Aufgebote regulierten, noch nicht auf das Landlibell verwiesen. Dagegen enthielt die Defensionsordnung von 1605, die zu einer grundlegenden Neuordnung des Landesverteidigungswesens führte, erstmals auf Drängen der Landschaft72 eine Schadlosklausel, wonach die Geltung des Landlibells durch die Neuerungen unberührt bleiben sollte.73 Die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts und speziell die Zeit des Dreißigjährigen Krieges stellte die Hochzeit des Landlibells dar, die scharfe Debatten zwischen Erzherzog Leopold V. und Erzherzogin Claudia de’ Medici einerseits und der Tiroler Landschaft andererseits über die Geltung und den Rechtscharakter des Landlibells TLA, AkgM 1538, fol. 390r–392v, 1538 Febr. 5. TLA, VkgM 1544, fol. 319r–322r, 1544 April 18. 68 TLA, Landschaftliches Archiv, Landschaftliche Landtagsakten, Fasz. 1, Nr. 27. 69 Gutachten vom 10. Juli 1551 (Staatliches Archiv Leitmeritz, Zweigstelle Tetschen, Familienarchiv Thun-Hohenstein, Tetschen, Tiroler Abteilung, Karton 88); freundlicher Hinweis von Herrn Michael Chisholm. 70 TLA, Maximiliana V/16, ca. 1559 (Datierung auf um 1559 trotz Einordnung in den Bestand „Maximiliana“ eindeutig). 71 Gutachten vom 11. Sept. 1556 (Staatliches Archiv Leitmeritz, Zweigstelle Tetschen, Familienarchiv Thun-Hohenstein, Tetschen, Tiroler Abteilung, Karton 92); freundlicher Hinweis von Herrn Michael Chisholm. 72 So schon das Bestreben der Landstände bei frühen Reformbestrebungen in TLA, Landschaftliches Archiv, LLTA, Fasz. 3, Pos. 12d, ständische Antwort von 1602 Febr. 10. 73 Edition bei Schennach, Quellen, 2004, S. 255–271, hier S. 271. 66 67
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mit sich brachte.74 Für die landesfürstliche Seite stellte das Landlibell einen Landtagsabschied dar, der in seinem historischen Entstehungskontext zu interpretieren sei, den an das Landesverteidigungswesen ein Jahrhundert später zu stellenden Anforderungen jedoch nicht mehr gerecht werde. Schon 1621 warf Leopold V. den Ständen ihre wiederholte Bezugnahme auf das Landlibell als kontraproduktiv vor: Die 1511 getroffenen Anordnungen würden sich auf die damalige Zeit beziehen, weshalb das Landlibell mit gegenwirtigen leiffen und dern gestaltsame sich nit aller dings conformiert und anzupassen bzw. überhaupt zu ersetzen sei.75 Die Stände rochen den Braten. Jede groß angelegte Reform im Bereich der Verteidigungsorganisation würde wohl mit erhöhten finanziellen und personellen Leistungspflichten einhergehen und war nach Möglichkeit zu unterbinden. Damit waren sie auch sehr erfolgreich. Sowohl 1621 als auch 1629 reichte das Beharren auf dem Landlibell, um die einschlägigen Reformpläne Leopolds V. scheitern zu lassen. Nachdem jedoch der Einfall schwedischer Truppen im Nordosten des Landes im Herbst 1632 die enormen Defizite in der Landesverteidigung vor Augen geführt hatte, war auch die Landschaft für die Option einer zumindest kleineren Reform offener, die 1636 schließlich zustande kam. Bei dieser Gelegenheit strich man jedoch neuerlich den Vertragscharakter hervor. Das Landlibell sei als ein ewig verbindtliche sachen zu halten versprochen worden und könne daher ausser gesambtem consens nit widerumben aufgehebt werden, sonndern solle das, was hernach allein pro interim und nach gestaltsame jetziger leüff gehanndlt [...] würdet, solchem landtlibell gannz unvergriffen und unabbrüchig sein.76 Ein vergleichbares Insistieren auf dem Vertragscharakter findet sich in diesen Jahrzehnten im Umfeld der Landstände wiederholt77 und war auch schon in den Landtagsbeschwerden des Jahres 1626 deutlich ventiliert wor den.78 Die an die Adresse des landesfürstlichen Gegenübers gerichtete Botschaft dieser „Vertragstheorie“ war klar. Eine einseitige Aufhebung wie im Fall eines Gesetzes kam aus Sicht der Landschaft nicht in Frage und würde auf ihren entschiedenen Widerstand stoßen. Dieselbe Stoßrichtung verfolgte auch noch eine andere Strategie. Die Landstände rückten das Landlibell wiederholt und bewusst in die Nähe ihrer eigenen Privilegien und Freiheiten. Dies wird nicht nur durch die Aufbewahrung der Ur Zum Folgenden vgl. den Überblick bei Schennach, Landesverteidigung, 2003, S. 146 und 148. 75 TLA, VdL, Bd. 16, fol. 10v, 1621 Juni 28. 76 TLA, GR, SL, Lit. D/T, Nr. 106, 1636 Jan. 22; zitiert schon bei Schennach, Landesverteidigung, 2003, S. 144. Inhaltlich identisch waren schon die Ausführungen 1629, vgl. TLA, GR, Kriegssachen, Sonderpositionen, Zuzugs- und Defensionswesen, Pos. 11, 8. März 1629. 77 Vgl. Brandis, Landeshauptleute, 1847/1850, S. 411; ähnlich wie Brandis Matthias Burglechner (TLA, Landschaftliches Archiv, Bd. XXII, fol. 453r), der von vergleich und ainigung spricht; ferner Franz Adam von Brandis in seiner Tiroler Chronik bis 1676 (TLA, Landschaftliches Archiv, Bd. XXVII, fol. 228r). 78 TLA, LLTA, Fasz. 13, Bund 4; Partikularbeschwerde der Städte und Gerichte o. D. 74
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kunde im landschaftlichen Archiv bei den Tiroler Landesfreiheiten demonstriert. Das Landlibell wurde ab der Mitte des 16. Jahrhunderts zunehmend in Abschriften der Tiroler Landesfreiheiten aufgenommen, und häufig wurden seitens der Stände Landesfreiheiten und Landlibell in einem Atemzug genannt.79 In diesem Punkt strebte die Landschaft nach einer Absicherung. Auf dem Huldigungslandtag für Erzherzog Ferdinand Karl 1646 wurde das Anliegen formuliert, bei der Konfirmation der Landesfreiheiten neben anderen Privilegien auch das Landlibell ausdrücklich anzuführen, wörtlich zu inserieren und damit seinen Charakter außer Streit zu stellen. Mit diesem Begehren stießen die Stände jedoch auf Widerstand. Angesichts der schon bisher intensiven Diskussionen rund um das Landlibell konnte Ferdinand Karl wohl kaum an einer Einzementierung des Landlibells gelegen sein. Die Bestätigung der Landesfreiheiten erfolgte somit inhaltlich in derselben Weise wie schon durch seinen Vorgänger Leopold V.80 Namentlich Kanzler Wilhelm Bienner war auf dem Landtag von 1643 gegen die seitens der Stände vorgetragene „Vertragstheorie“ aufgetreten. Er sprach demonstrativ von einem Landtagsrezess, wellichen man jetzundt gleichsamb per antonomasiam daß 11jahrigen landtlibell zu nennen pflegt.81 Außerdem relativierte er die Bedeutung des Landlibells, indem er durchaus historisch korrekt aufzeigte, dass die Umlegung von Mannschaftskontingenten in „Steuerknechte“ nicht ein Spezifikum des Landlibells sei, sondern schon „anno 1509 sonderheitlich kraft Landtagsschluss und gar nit per viam confoederationis vergriffen worden” sei.82 Dieser Standpunkt wurde auf dem Huldigungslandtag für Erzherzog Ferdinand Karl im April und Mai (1646) landesfürstlicherseits neuerlich vertreten.83 Im 17. Jahrhundert behielt freilich noch die landständische Interpretation des Landlibells als eines Vertrags die Oberhand. Grundsätzlich wurde die „Vertragstheorie“ von den Ständen auch noch im 18. Jahrhundert hochgehalten und sogar ausgeweitet.84 In sämtlichen Gutachten und Stellungnahmen, die im Umkreis der Landstände während des 18. Jahrhunderts aus Anlass von militärischen Reformprojekten entstanden, wurde das Landlibell nun zweifelsfrei zu den „Landesfreiheiten“, den „leges fundamentales“ gezählt.85 Der Jurist Dr. Andreas Alois von Di Vgl. die Hinweise bei Schennach, Landesverteidigung, 2003, S. 148–149. Vgl. hierzu Sartori-Montecroce, 1902, S. 227; Wretschko, Landesfreiheiten, 1925, S. 333– 334; Schennach, Landesverteidigung, 2003, S. 148–149. 81 Das entsprechende Zitat bringt schon Sartori-Montecroce, Landschaftliches Steuerwesen, 1902, S. 226; ebenso Schennach, Landesverteidigung, 2003, S. 146–147; hier zitiert nach TLA, VdL, Bd. 19, fol. 266v–267r, 1643 März 10. 82 Zit. nach Sartori-Montecroce, Landschaftliches Steuerwesen, 1902, S. 227 (auf den dortigen Sperrdruck wurde verzichtet). 83 Vgl. schon Sartori-Montecroce, Landschaftliches Steuerwesen, 1902, S. 227; Schennach, Landesverteidigung, 2003, S. 148. 84 Zum Folgenden Schennach, Rezeption, 2005, S. 582–586. 85 Vgl. nur TLA, VdL, Bd. 80, fol. 61r–66v: Im Juni 1611 wurde das Landlibell von der Landschaft als der Stände Freyheit bezeichnet; ferner TLA, VdL, Bd. 85, fol. 167r, 1744 Dez. 22; 79 80
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pauli sprach beispielsweise in einem Memorial an den Hof vom Landlibell als eines „Vertrages“ und „einer der ersten Grundlagen der tirolischen Landesverfassung“86, der ständische Generalreferat-Substitut Karl von Eiberg zählte es 1801 zu den „Fundamentalgesetzen“87, 1803 wurde von den Ständen auf die „Urverfassung des 1511jährigen Landlibells“ und auf „diese dem Land so wichtige Vertrags-Urkunde“ verwiesen.88 Diese Benennungen als „Fundamentalgesetz“ sind natürlich nichts anderes als Übersetzungen des Terminus „leges fundamentales“, mit welchem in der rechtswissenschaftlichen Literatur seit dem 16. Jahrhundert – der Erstbeleg stammt wohl aus dem Jahr 157689 – regelmäßig die „Landesfreiheiten“ bezeichnet werden.90 Dieser Sichtweise schlossen sich Ende des 18. Jahrhunderts auch das Gubernium und die Hofkanzlei an. 1802 verwies die Präambel einer neuen Zuzugsordnung bezeichnenderweise auf die bisherige Regelung nach den Grundgesetzen des Landes, und besonders nach Inhalt des Land-Libells vom Jahre 1511, wie auch den Verfassungsvorgängen zu [!] Folge.91 Mit dieser nunmehr unstreitigen Zuordnung des Landlibells zu den „leges fundamentales“ war zumindest in der Theorie die Anerkennung verbunden, dass es sich um eine grundlegende rechtliche Fixierung des wechselseitigen Verhältnisses in der Rechtsform eines Vertrages handelte, die einen höheren Rang als andere normative Quellen genießt und der im Vergleich auch eine höhere Dauerhaftigkeit, ja Unverbrüchlichkeit zukommt.92 Vorderhand scheint dies mit einem Obsiegen der ständischen Argumentation verbunden zu sein, war, wie dargelegt, der Vertragscharakter des Landlibells landesfürstlicherseits doch noch im 17. Jahrhundert bestritten worden. Allerdings wird man dies nicht überbewerten dürfen, wie sich namentlich an zwei Umständen belegen lässt: ErTLA, Pestarchiv II, 540, 1767 Dez. 22, als in einem ständischen Memorial an das Gubernium das Landlibell als der Grund der ganzen Verfassung bezeichnet wurde; ebd., 1790 (ohne nähere Datierung) wies ein ständisches Gutachten über die Landesverteidigung in einem historischen Exkurs darauf hin, dass 1511 mit Kaiser Maximilian an einem und beeden Stiftern Trient und Brixen und den vier Stenden [...] das berühmte sogenannte eilfjahrige Landlibell errichtet wurde; vgl. den Hinweis bei Starck, Rangordnung, 1995, S. 9–10; Mohnhaupt/ Grimm, Verfassung, 1995, S. 38–39. 86 Vgl. Reinalter, Aufklärung, 1974, S. 316. 87 TLA, Landschaftliches Archiv, Landesverteidigungs- und Schießstandswesen, Schuber 3, Nr. 85. 88 TLA, Landschaftliches Archiv, Landesverteidigungs- und Schießstandswesen, Schuber 2, Nr. 63, 1803 April 20. 89 Stolleis, Condere leges et interpretari, 1990, S. 183. 90 Mohnhaupt, Potestas legislatoria, 1972, S. 195–196; Mohnhaupt, Verfassung, 1995, S. 62– 66; Mohnhaupt, leges fundamentales, 1998. 91 Zu dieser Zuzugsordnung zuletzt Köfler, Land, 1985, S. 377–378; Überlieferung in TLA, Hs. 5374. Dieser Schwenk in der Bewertung von Gubernium und Hofkanzlei Ende der neunziger Jahres des 18. Jahrhunderts lag freilich nicht zuletzt in der außenpolitischen Situa tion (Koalitionskriege!) begründet, die ein Einlenken in solchen hochsymbolischen Fragen nahe legte. 92 Vgl. Mohnhaupt, Verfassung, 1995, S. 63.
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stens hatte sich die materielle Derogation des Landlibells, die bereits im 17. Jahrhundert eingesetzt hatte, im 18. Jahrhundert akzeleriert. Zahlreiche Bestimmungen des Landlibells waren durch nachfolgende Regelungen überlagert worden.93 Zweitens manifestierte sich der massive Bedeutungsverlust des Landlibells im Vergleich zum 17. Jahrhundert auch im politischen Diskurs. In der ersten Hälfte des 17. Jahr hunderts hatte der Verweis auf das Landlibell genügt, um landesfürstliche Reformprojekte im Bereich der Landesverteidigung zu Fall zu bringen. Im 18. Jahrhundert rangierte der Verweis auf das Landlibell in der ständischen Argumentation, aus welchen Gründen der status quo im Bereich des Defensionswesens beibehalten werden sollte, unter „ferner liefen“. Nicht mit dem Hinweis auf die unveränderte Geltung des Landlibells, sondern primär mit sachlichen respektive sachpolitischen Gründen sollte die Notwendigkeit begründet werden, Tirol weiterhin eine Sonderstellung im Rahmen der gesamtösterreichischen Militärverfassung einzuräumen.
1. 4. Fazit Bei näherer Betrachtung der Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des Landlibells zeigt sich somit in diachroner Sicht eine zeitgenössische Begriffsvielfalt, die sich vorderhand klaren Zuweisungen und Etikettierungen verschließt. Die mit 23. Juni 1511 datierte Urkunde wurde als „Landtagsabschied“, „Landesordnung“, „Vertrag“, „Privileg“, „Fundamentalgesetz“ und „Landesfreiheit“ bezeichnet. Welche Schlussfolgerungen ergeben sich hieraus für den Rechtshistoriker, der auf der Suche nach dem Erkenntnisobjekt „Gesetz“ ist? Zunächst wird er für die Vorteile einer induktiven Vorgehensweise bzw. Begriffsbestimmung sensibilisiert, deren Fehlen Marie-Theres Fögen anhand des Werkes „Geschichte der Gesetzgebung in Deutschland“ von Wilhelm Ebel treffend aufgezeigt hat.94 Ebel unterscheidet drei „Grundformen“ des Gesetzes, nämlich „das ungesetzte Recht in Gestalt des Weistums“, „die von den Rechtsgenossen vereinbarte Satzung“ sowie „das vom Herrscher oder der sonstigen Obrigkeit befohlene Recht, das Rechtsgebot.“95 Um das weitere methodische Vorgehen Ebels zu illustrieren, bedient sich Fögen einer Metapher. „Mit diesen drei Grundformen gleich Schmetterlingsnetzen bewaffnet zieht Ebel nun durch die Geschichte und fängt Rechtstexte ein.“96 Rechtstexte, die sich nicht eindeutig zuordnen lassen, werden dabei teils zu „Misch-“ oder „Tarnformen“ des Gesetzes erklärt97, teils wie die Privilegien aus dem Untersuchungsgegenstand einer Gesetzgebungsgeschichte ausgeklammert, selbst wenn sie wie die Privi 95 96 97 93 94
Hierzu im Einzelnen Schennach, Rezeptionsgeschichte, 2005, S. 580–584. Fögen, Morsche Wurzeln und späte Früchte, 1987. Ebel, Geschichte der Gesetzgebung, 21958, S. 11. Fögen, Morsche Wurzeln und späte Früchte, 1987, S. 349–350, Zitat S. 349. Z. B. Ebel, Geschichte der Gesetzgebung, 21958, S. 36, 44.
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II. Das Gesetz: Definitionen
legien „bedenklich in die Nähe einer Gesetzgebung“98 rücken mögen – wobei Fögen speziell das Fehlen nachvollziehbarer Kriterien für die Aufstellung dieser Typologie moniert.99 Weder Autor noch Wirkung, Form, Dauer oder Abstraktionsgrad würden hinreichend als definitorische Merkmale für die Abgrenzung anderer Rechtstexte angeführt, denen nach dem Ebel’schen Schema die Gesetzesqualität verwehrt blieb. Dennoch war dem Ebel’schen Opus, 1956 in erster und schon zwei Jahre später in ergänzter zweiter Auflage erschienen, eine jahrzehntelange Nachwirkung be schieden, wobei die Anzahl der „Begriffsnetze“ selbstverständlich erweiterungsfähig war. Bernhard Diestelkamp erweiterte so unter Verweis auf Heinz Mohnhaupt100 die Ebel’sche Trias von Weistum, Satzung und Rechtsgebot um das Privileg, da die Summierung von subjektiven Berechtigungen von Einzelempfängern sehr wohl „ein Mittel sein konnte, um generalisierende Ergebnisse für die Rechtsgestaltung zu erzielen.“101 Wie bei Ebel mahnt Fögen auch bei Diestelkamp die Unschärfen bei der Abgrenzung des Untersuchungsobjektes einer Gesetzgebungsgeschichte ein, konzediert er doch, dass Gesetzesentwürfe, Gewohnheitsrechtsaufzeichnungen und Rechtsbücher „funktional Gesetzesersatz“102 sein konnten, „gesetzesgleich“103 respektive „wie perfekte Gesetze benutzt wurden“104. Was bedeutet dies für unser konkretes Objekt der Betrachtung? Ziehen wir – um die Fögen’sche Metapher weiterzuführen – mit den begrifflichen Schmetterlingsnetzen Rechtsgebot, Satzung, Weistum und Privileg durch die weite Tiroler Flur historischer Rechtstexte, vermag keines von diesen das Landlibell überzeugend einzufangen. Was wäre damit auch gewonnen außer der simplifizierenden Beschlagwortung einer komplexen, Entwicklungslinien aufweisenden historischen Wirklichkeit? Eine induktive methodische Herangehensweise, die auf die Einordnung und Wahrnehmung durch die Zeitgenossen Bezug nimmt, erscheint jedenfalls ertragreicher, wobei glücklicherweise nicht alle Fälle derart kompliziert gelagert sind wie jener des Landlibells. Selbstverständlich besaß so die oberösterreichische Regierung als Schaltstelle des Gesetzgebungsverfahren105 während des Untersuchungszeitraumes Vorstellungen über den Erlass generell-abstrakter Normen, für deren Umsetzung man sich spezieller legistischer Techniken bediente, die sich spätestens in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in der Kanzlei (Erz)Herzog Siegmunds verfestigt hatten. Und man unterschied sehr genau, welcher äußeren Form – ob Mandat, Privileg, Instruktion oder Reskript – man sich bediente, um Normen zu setzen, zumal es hier während zweier Jahrhunderte deutlich greifbare Ebel, Geschichte der Gesetzgebung, 21958, S. 40. Fögen, Morsche Wurzeln und späte Früchte, 1987, S. 351. 100 Mohnhaupt, Verhältnis von Privileg und Kodifikation, 1975. 101 Diestelkamp, Geschichte des Gesetzes, 1983, S. 397. 102 Diestelkamp, Geschichte des Gesetzes, 1983, S. 419. 103 Diestelkamp, Geschichte des Gesetzes, 1983, S. 417. 104 Diestelkamp, Geschichte des Gesetzes, 1983, S. 416. 105 Vgl. hierzu Kap. V. 98 99
1. Gesetz, Privileg oder Landtagsabschied?
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Entwicklungstendenzen gab. Auf diese Weise kann auch dem berechtigten Zweifel Fögens begegnet werden, welchen Ertrag denn das Bemühen um einen „historisch verwendbaren Gesetzesbegriff “106 zeitigen könnte, da „das Gesetz“ als „Objekt nicht existiert, sondern erst durch den Begriff konstituiert“107 werde, zumal die Untersuchung von Rechtssätzen unabhängig von ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Gesetzesqualität Vorrang vor dem wenig ertragreichen „Einüben eines Sprachgebrauchs“108 haben sollte. Eben die Unschärfen der bisherigen Definitionsversuche, bei denen kurz zuvor aus der Untersuchung ausgeschlossene Rechtstexte doch wieder „durch die Hintertür hereinspaziert“109 kämen, ließen selbst die Bemühungen um eine nachvollziehbare, forschungsstrategisch motivierte Umschreibung des Untersuchungsgegenstands entbehrlich, da kaum realisierbar, erscheinen. Doch gerade diesem Einwand kann durch eine konsequent induktive Herangehensweise begegnet werden. Nicht ein wissenschaftliches Begriffsinstrumentarium ist an das historische Quellenmaterial heranzutragen, sondern Begriffe zumindest annäherungsweise aus den Quellen zu extrahieren. Es stellt sich beispielsweise nicht die Frage, welche „Landesordnungen“ nach Maßgabe der von der Forschung für diesen Gesetzestyp herausgearbeiteten Kriterien Tirol während des Unter suchungszeitraumes aufwies; vielmehr muss die Untersuchung auf die Beantwortung der Frage abzielen, in welchen Kontexten und in welchen Bedeutungen dieser Terminus verwendet wurde und welche Entwicklungen herausgearbeitet werden können. Das Resultat wird zwar im Vergleich zu übergestülpten anachronistischen Ordnungsschemata häufiger komplexer sein und den Gegenstand der Betrachtung einer eindeutigen Kategorisierung entziehen, ohne jedoch den Untersuchungsgegenstand durch zunehmende Fragmentierung aufzulösen.110 Im Fall des Landlibells wird also eine entsprechende Schlussfolgerung lauten: Beim Landlibell handelt es sich um den Landtagsabschied vom 23. Juni 1511, der auf Drängen der Tiroler Landstände in die Form einer feierlichen Kaiserurkunde gegossen wurde. Ab der Mitte des 16. Jahrhunderts und speziell in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurde er von der Landschaft als Vertrag interpretiert und stark in die Nähe der „Landesfreiheiten“ gerückt. Der Charakter als Landesfreiheit, mithin „Fundamentalgesetz“ war allerdings erst im ausgehenden 18. Jahrhundert, als die materielle Derogation schon weit fortgeschritten war, allgemein anerkannt. Dabei diente die außenpolitisch und militärisch prekäre Situation als Katalysator, war doch bis dahin der Charakter des Landlibells als einer Landesfreiheit landesfürst licherseits lange Zeit entschieden in Abrede gestellt worden. 108 109 110 106 107
Diestelkamp, Geschichte des Gesetzes, 1983, S. 389. Fögen, Morsche Wurzeln und frische Früchte, 1987, S. 357. Fögen, Morsche Wurzeln und frische Früchte, 1987, S. 357. Fögen, Morsche Wurzeln und frische Früchte, 1987, S. 357. Dies ist wohl die bei Diestelkamp, Geschichte des Gesetzes, 1983, S. 389, angedeutete Befürchtung bei einer „zu konkrete[n] Begriffsbestimmung“.
II. Das Gesetz: Definitionen
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2. Zur Theorie der Gesetzgebung 2. 1. Mittelalter 2. 1. 1. Allgemeines „Daß das mittelalterliche Recht kein Gesetzesrecht ist, jedenfalls ganz überwiegend nicht, ist ein Gemeinplatz“111. Noch bis vor wenigen Jahrzehnten hätte jede rechtshistorische Darstellung an dieser Stelle die Brücke zu dem 1919 erstmals formulierten Diktum Fritz Kerns über das mittelalterliche Recht geschlagen: „Das Recht ist gut – das Recht ist alt.“112 Dieses „gute alte Recht“ würde als unveränderlich und von Gott kommend wahrgenommen, von den ältesten und glaubwürdigsten Männern „gefunden“ und „gewiesen“. Ein solches Rechtsbewusstsein stünde der Rechtsetzung im Sinne einer intentionalen Gestaltung der Rechtsordnung entgegen, zumal „neues Recht“ grundsätzlich ein Widerspruch in sich gewesen sei. „Das mittelalterliche Recht zeigt theoretisch absolute Beharrung“.113 Die Schaffung neuen Rechts, das im Widerspruch zum „guten alten Recht“ stand, musste folglich Unrecht sein, während Gesetzesrecht „nichts anderes als aufgeschriebenes Gewohnheitsrecht“ war.114 Nur die Rechtsbesserung, die Sicherung und Fixierung des unsicher gewordenen „guten alten Rechts“ bzw. die Wiederherstellung des durch äußere Umstände beeinträchtigen, jedoch zeitlos richtigen früheren Rechtszustandes konnte in einem solchen Denkmuster zulässig sein.115 Von der Kern’schen „besonders prägnanten Fassung“116 der Lehre vom „guten alten Recht“ kam man flugs zu einer bestechend einfach anmutenden dichotomen Gegenüberstellung des rechtsgestaltenden neuzeitlichen Gesetzesrechtes auf der einen Seite und der starren, auf Bewahrung angelegten (Rechts-)Ordnung des Mittelalters auf der anderen Seite.117 Kerns Aussagen wurden auf Jahrzehnte zu einer zentralen These der germanistischen Rechtsgeschichte, die zum selbstverständlichen rechtshistorischen Handbuchwissen aufstieg und in zahlreichen Lehrbüchern und Überblicksdarstellungen ihren Niederschlag fand.118 Wenngleich sich Kerns Aussagen auf das ganze Mittelalter bezogen, fokussierte sich die kritische Auseinandersetzung mit ihm zunächst Janssen, Gesetzgebung, 1984, S. 10. Kern, Recht und Verfassung, 21952 (erstmals 1919), S. 11 und 15. 113 Kern, Recht und Verfassung, 21952 (erstmals 1919), S. 43. 114 Kern, Recht und Verfassung, 21952 (erstmals 1919), S. 32. 115 Vgl. Kern, Recht und Verfassung, 21952 (erstmals 1919), S. 37–42. 116 Rückert, Rechtswerte, 1994, S. 296. 117 Vgl. Kroeschell, Art. „Recht“, 1995; Schulze, Polizeirecht, 1986, S. 201–202; speziell Rückert, Rechtswerte, 1994, S. 283–284. 118 Vgl. die Darstellung der Forschungsgeschichte bei Liebrecht, Kritik, 1994, bes. S. 186–187. 111 112
2. Zur Theorie der Gesetzgebung
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auf das Früh- und in etwas weniger ausgeprägter Form auf das Hochmittelalter.119 Hermann Krause machte zunächst 1958, ausgehend von der Beobachtung der regelmäßigen Konfirmation von Privilegien im Mittelalter, zwei Schichten mittelalterlichen Rechts aus, die sich nach ihrer „Geltungsintensität“120 unterscheiden. Neben dem „guten alten Recht“ Kern’scher Prägung bestehe eine zweite Schicht neuen Rechts in Form von Verleihungen, Privilegien und Statuten. Diese würden von einem Herrschaftsträger in einem Akt geschaffen, zwar mit dessen Tod nicht untergehen, aufgrund ihrer stärkeren Abhängigkeit vom nächsten Herrscher jedoch unter „Geltungsschwäche“ leiden. Dieser „Geltungsschwäche“ sei durch das Einfügen von Urkundenformeln entgegengesteuert worden, die die ewige Dauer des Rechtsaktes hervorhoben – wobei eben jene auf unverbrüchliche Geltung abzielenden Formeln letztlich nur ein Ausdruck von Rechtsunsicherheit gewesen seien.121 Krause macht zudem darauf aufmerksam, dass sich das Problem der Zweischichtig keit des Rechts im kirchlichen Bereich spätestens seit dem Durchbruch der Auffassung der päpstlichen plenitudo potestatis im 12. Jahrhundert nicht mehr stelle. Die plenitudo potestatis legt auch die unbeschränkte Gesetzgebungsgewalt in die Hände des Papstes, und die von ihm erlassenen Rechtsnormen „traten mit einem Gültigkeitsanspruch ins Leben, der einer Steigerung durch Alter weder bedurfte noch fähig war“122, woraus auch der nunmehr gegebene Vorrang des neuen vor dem alten Recht resultierte. Zu einer starken Relativierung der Kern’schen Vorstellung vom „guten alten Recht“ gelangte wenig später auch der vornehmlich am frühmittelalterlichen Recht interessierte Rolf Sprandel.123 Er hob hervor, dass sich die im Frühmittelalter auszumachenden Vorstellungen vom Recht in einem erheblichen Ausmaß „Möglichkeiten der Rechtsergänzung und Rechtsänderung öffnen“,124 wenngleich derartige Rechtsänderungen und -ergänzungen in unterschiedlichen Formen vorgenommen werden konnten, da während des von Sprandel untersuchten Zeitraums „Gesetzgebung oft aus Rechtsprechung“ entstünde. In der Folge markierten vor allem lexikologisch ausgerichtete Arbeiten von Kroeschell,125 von See126 und Köbler127 eine definitive Abkehr von der Kern’schen These vom „guten alten Recht“. Ihre Untersu Vgl. Liebrecht, Kritik, 1994, 188–200; siehe ferner die Zusammenschau der Forschungsdebatte bei Rückert, Rechtswerte, 1994, S. 280–281, sowie bei Dilcher, Gedanke der Rechtserneuerung, 1994, S. 3–9 (der neben Kern v. a. die noch zu besprechenden Thesen von Krause und Sprandel darlegt). 120 So Krause, Dauer und Vergänglichkeit, 1958, S. 227. 121 Vgl. v. a. Krause, Dauer und Vergänglichkeit, 1958, S. 228–231. 122 Krause, Dauer und Vergänglichkeit, 1958, S. 235. 123 Sprandel, Problem neuen Rechts, 1962. 124 Dieses und das folgende Zitat bei Sprandel, Problem neuen Rechts, 1962, S. 134. 125 Kroeschell, Recht und Rechtsbegriff, 1968. 126 Von See, Rechtswörter, 1964. 127 Köbler, Recht im frühen Mittelalter, 1971. 119
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II. Das Gesetz: Definitionen
chungen stellten vor allem das Früh- (von See, Köbler), aber auch das Hochmittelalter (Kroeschell) in das Zentrum des Interesses: In der Wahrnehmung der Zeitgenossen war demnach das Recht keinesfalls unabänderlich, wenngleich die Betonung eines alten Herkommens manchmal wünschenswert erschien. Ebenso wenig war die Güte ein notwendiges Element des frühmittelalterlichen Rechts – ganz abgesehen davon, dass sich im gesamten frühmittelalterlichen Quellenmaterial kein einziger Beleg für die Anschauung vom „guten alten Recht“ finden lässt.128 Die genannten Arbeiten stießen auf positive Resonanz, wenngleich sich auch kritische Stimmen zu Wort meldeten, die sich speziell am gewählten methodischen Vorgehen stießen, das eine Gleichsetzung von Quellentermini mit Rechtsanschauungen postulierte – was sich nicht als Begriff finde, habe die Vermutung der NichtExistenz für sich und erscheine zunächst einmal als Projektion ex post.129 Im vorliegenden Zusammenhang ist das genaue Nachvollziehen der Forschungskontroverse nicht notwendig, zumal sich diese in den letzten Jahren hin zur Frage verlagert hat, ob und inwiefern für die Zeit des Frühmittelalters überhaupt von einer objektiven Rechtsordnung gesprochen werden könne: Oder sei Recht nur das, was das Gericht in einem konkreten Verfahren in Bezug auf ein konkretes Streitverhältnis entscheide, ohne dass damit etwas über die Existenz einer das Ergebnis der gerichtlichen Streitbeilegung determinierenden Legalordnung gesagt sei?130 Für unsere Fragestellung wesentlich ist der im Anschluss an die Debatte der letzten Jahrzehnte jedenfalls hergestellte Konsens, dass die Kern’sche These von den Grundeigenschaften Alter und Unveränderlichkeit des mittelalterlichen Rechts und der darin enthaltenen Kontrastierung von grundsätzlich unwandelbarer mittelalterlicher Rechtsordnung und flexibler, rechtsgestaltender neuzeitlicher Gesetzgebung nicht aufrechterhalten werden kann. Ihr „fehlt die quellenmäßige Grundlage“, wie Mitteis/Lieberich prägnant auf den Punkt bringen.131 Zudem muss man sich bewusst sein, dass die Epocheneinteilung „Mittelalter“ / „Neuzeit“ ein zwar forschungsleitend und -strukturierend nützliches, letztlich aber behelfsmäßiges Konstrukt ist. Das Treffen von Aussagen über die Rechtsauffassung des ganzen Mittelalters, wie es Kern vornimmt, muss per se grob simplifizierend sein; das Beschränken der Untersuchung auf einzelne Zeitabschnitte und Entwicklungsstränge erlaubt demgegenüber ein bei weitem differenzierteres Bild.132 Für die Gesetzgebungsgeschichte wurde dies bereits frühzeitig von Reiner Schulze postuliert, der für diese die traditionellen Zäsuren zwischen Antike, Mittelalter und Neuzeit durch Köbler, Recht im frühen Mittelalter, 1971, S. 223; zum Altnordischen vgl. von See, Rechtswörter, 1964, S. 96–102. 129 Zusammenfassend Liebrecht, Kritik, 1994, 200–203. 130 Vgl. die Wiedergabe der entsprechenden Diskussion bei Kannowski, Begriffe und Geltungsweisen, 2003, S. 13–26. 131 So Mitteis/Lieberich, Deutsche Rechtsgeschichte, 191992, S. 21. 132 Vgl. entsprechend auch Köbler, Recht, Gesetz und Ordnung, 1996, S. 107–108. 128
2. Zur Theorie der Gesetzgebung
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Einschnitte im 12. und 18. Jahrhundert ersetzt sehen wollte.133 Dieser Vorschlag stieß durchaus auf positives Echo, wenngleich andere Rechtshistoriker mit guten Gründen (s. u.) auch im Bereich der Gesetzgebungsgeschichte weiterhin der Epochengrenze um 1500 erhebliche Bedeutung zumaßen.134 Die sich im Hochmittelalter im Rechtsverständnis und in der Rechtstheorie manifestierenden Umwälzungen sind jedoch unbestritten und gerade für die Untersuchung der Grundlagen des herrscherlichen Gesetzgebungsrechtes von fundamentaler Bedeutung, wobei auch hier zwei komplementäre, freilich in inniger Verbindung ineinander verwobene Stränge unterschieden werden müssen: erstens das kanonische Recht, zweitens die so genannte „Frührezeption“ des römischen Rechts – deren Verbindung schließlich die Überzeugung von der unbeschränkten legislatorischen Kompetenz des Herrschers entstehen lassen konnte.
2. 1. 2. Das kanonische Recht Die zweite Hälfte des 11. Jahrhunderts markiert eine der grundlegenden Zäsuren der abendländischen Kirche, die aufs engste mit dem Kampf der geistlichen Gewalt gegen die weltliche verbunden ist. Als Schlagworte und gleichsam Kampfrufe der ‚Gregorianischen Reform‘ seien hier nur der Kampf gegen die Laieninvestitur und die Simonie sowie das entschiedene Eintreten für den Zölibat genannt. Damit ging das Bestreben nach einer Entsakralisierung des römisch-deutschen Königs einher, der seiner bisher als vicarius Christi135 gegebenen geistlichen Rechte entkleidet und als Laie wie andere Laien dem Papst untergeordnet sein sollte. Hand in Hand mit der Gregorianischen Reform und der schon jahrhundertealten, nun aber entschieden wieder belebten und vorangetriebenen Vorstellung der päpstlichen Suprematie vollzog sich zudem der Ausbau einer streng hierarchisch geprägten Kirche mit dem Papst als unbestrittenem Oberhaupt an der Spitze und einer entsprechenden Zentralbürokratie, die eine effektive Herrschaft ermöglichen sollte. Schon die bisherigen kurzen Andeutungen – als mehr wollen sie nicht verstanden sein – haben verdeutlicht, dass der Frage der kirchlichen Gesetzgebung als solcher im Gesamtkomplex der Reformpläne und des damit untrennbar verbundenen Investiturstreites insgesamt eine angesichts seiner Strahlkraft nicht zu unterschätzende Rolle zukam. Dennoch muss man sich vor Augen halten, dass die Initialzündung für die Reform nicht vom Kirchenrecht ausging. Der innerkirchliche päpstliche Primat war ein jahrhundertealtes Postulat der römischen Bischöfe, und Kanones und Dekretalen gegen Laienübergriffe auf die Kirche oder gegen kirchlichen Ämterkauf existierten ebenso lange. Was nun hinzukam, war der Anspruch, dieses bisher in der Schulze, Geschichte, 1981, S. 194. Diestelkamp, Beobachtungen, 1983, S. 394. 135 Vgl. hierzu Kantorowicz, Zwei Körper des Königs, 1990 (engl. Erstauflage 1957), S. 106–109. 133 134
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II. Das Gesetz: Definitionen
Theorie postulierte Bild der Kirche und der päpstlichen Machtstellung in die Wirklichkeit umzusetzen.136 In seiner als Dictatus papae bezeichneten Reformagenda umreißt Papst Gregor VII. in 27 Leitsätzen sein kirchliches Reformprogramm, das den Papst als unbeschränkten Leiter der Universalkirche darstellt, welcher der weltlichen Macht übergeordnet ist und Untertanen von der Gehorsamspflicht gegenüber abtrünnigen Herrschern entbinden kann.137 In diesem im Zeichen des Investiturstreits entstandenen Programm wird auch die Gesetzgebungsbefugnis des Papstes hervorgehoben, der allein (d. h. ohne ein Konzil) bei Notwendigkeit neue Gesetze begründen könne („pro temporis necessitate novas leges condere“).138 Im Anschluss an die Reformbewegungen entstehen eine Reihe neuer privater Kirchenrechtssammlungen, die der Vertiefung und Beförderung des Reformprozesses dienen sollen und – sieht man von Ivo von Chartres ab, der sich um die Differenzierung von temporalia und spiritualia verdient machte139 – stark den päpstlichen Primat betonen.140 Dennoch gingen sie nicht auf konkrete Initiativen der Päpste zurück, die – zwar über kirchenrechtliche Grundkenntnisse verfügend, jedoch keine versierten Juristen – im Rahmen der kanonistischen Entwicklung „mehr eine ideell-vorbildhafte, zuweilen verbal-anspornende, kaum aber eine aktiv-mittragende Rolle“ einnahmen.141 Sie tradieren das spätantike Recht der Kirche unter Einbezie hung der frühmittelalterlichen Entwicklungen und beeinflussen teilweise stark das Decretum Gratiani. Zu nennen sind an dieser Stelle nur exemplarisch die wohl in der päpstlichen Kanzlei um 1075 entstandene 74-Titel-Sammlung, die collectio canonum des dezidierten Mitstreiters Gregors VII., Anselm von Lucca, oder die ca. 1086/87 entstandene collectio canonum des Kardinals Deusdedit. Auch beim Dekret Gratians („Concordia discordantium canonum“) handelte es sich um eine wohl in mehreren Redaktionsstufen entstandene, um 1140 fertig gestellte Privatarbeit, die ein umfangreiches, aus verschiedensten Quellen stammendes Material bearbeitet und aufbereitet.142 Das Dekret erfreute sich bald hohen An Vgl. Mordek, Kanonistik und Gregorianische Reform, 1985, S. 78–79. Vgl. Caspar, Register (MGH Epistolae selectae), 1920, Nr. 55a, S. 201–208. 138 Caspar, Register (MGH Episolae selectae), 1920, S. 203; vgl. zur Betonung des päpstlichen Gesetzgebungsrechts durch Gregor VII. auch Fuhrmann, Reformpapsttum und Rechtswissenschaft, 1973, S. 186–187 und 191; Fuhrmann, Gregor VII. und das Kirchenrecht, 1989, S. 145–146; ferner Plöchl, Geschichte des Kirchenrechts, Bd. II, 21962, S. 81–82; Quaritsch, Staat und Souveränität, Bd. 1, 1980, S. 132–133; Hageneder, Gesetzgebungsrecht, 1974, S. 468–469; Pilch, Rahmen der Rechtsgewohnheiten, 2009, S. 233; zur sich vergleichsweise bescheiden ausnehmenden Resonanz des Dictatus papae im Mittelalter vgl. Schieffer, Rechtstexte des Reformpapsttums, 1986, S. 56–62. 139 Vgl. Mordek, Kanonistik und Gregorianische Reform, 1985, S. 70. 140 Vgl. zum Folgenden Plöchl, Geschichte des Kirchenrechts, Bd. II, 21962, S. 462–465; ferner Gresser, Wandel der Rolle des Papstes im Kirchenrecht, 2005, S. 67–68. 141 Mordek, Kanonistik und Gregorianische Reform, 1985, S. 67, ähnlich S. 81. 142 Zur Entstehung von Gratians Dekret nunmehr Winroth, Two Recensions, 1997; Winroth, The Making, 2000. 136 137
2. Zur Theorie der Gesetzgebung
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sehens und großer Verbreitung und erfuhr ab der Mitte des 12. Jahrhunderts eine rege Kommentierung durch die Dekretisten. Es stellt den ersten Teil der erst 1580 erstmals offiziell als „Corpus iuris canonici“ bezeichneten vollständigen kirchlichen Gesetzessammlung dar (hinzu kamen der Liber Extra Gregors IX., der Liber Sextus Bonifaz’ VIII., die Klementinen und die Extravaganten).143 Der bei Gregor VII. in nuce vorgegebene Ansatz, der den Papst als Gestalter des Rechts präsentiert – hier noch unter der Bedingung, dass die „Notwendigkeit der Zeit“ dies erfordere –, wurde in der Folge weitergeführt und in der Praxis ausgebaut. Dieser Prozess vollzog sich maßgeblich unter den aufgrund ihrer fundierten rechtswissenschaftlichen Ausbildung so genannten „Juristenpäpsten“, die, beginnend mit dem Pontifikat Alexanders III. (1159–1181), ab der Mitte des 12. Jahrhunderts mit einer Ausnahme für Jahrzehnte auf dem Stuhl Petri saßen (Urban III., 1185–1887; Gregor VIII., 1187; Clemens III., 1187–1191; Cölestin III., 1191–1198; Innocenz III., 1198–1216).144 Dieselbe Zielsetzung verfolgte die seit der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts aufblühenden Kanonistik, wobei hier eine Wechselwirkung mit dem römischen Recht evident ist. Der dort zu findende Gedanke einer alleinigen Gesetzgebungsbefugnis des Herrschers zeitigte natürlich Rückwirkungen auf den kirchlichen Bereich145 – wie überhaupt die Wechselwirkungen zwischen Kanonistik und Legistik ausgeprägt sind.146 Schon bei Gratian, der sich dabei sowohl auf kanonistische als auch römischrechtliche Quellen stützt, scheinen die Päpste als Herren und Begründer des kirchlichen Rechts auf („decretorum dominos et conditores“).147 Die dominierende Stellung des Papstes gegenüber dem Recht lag jedoch gemäß Gratian noch nicht in seiner Gesetzgebungsgewalt – die ihm eben noch nicht unbeschränkt zugesprochen wurde –, sondern war in seiner Dispensationsgewalt (auch von Konzilsbeschlüssen) und seiner Kompetenz zur Erteilung (und folglich zum Widerruf ) von Privilegien begründet.148 Erst die Kanonistik nach Gratian hat den Vorrang päpstlicher Dekretalen vor allem anderen Kirchenrecht endgültig fixiert.149 Vgl. hierzu Nörr, Entwicklung des Corpus iuris canonici, 1973, S. 835–856. Vgl. Fuhrmann, Reformpapsttum und Rechtswissenschaft, 1973, S. 197; Fuhrmann, Papst Gregor VII. und das Kirchenrecht, 1989, S. 124–125. 145 Krause, Dauer und Vergänglichkeit, 1958, S. 234; Grawert, Art. „Gesetz“, 1979, S. 872–873; Stolleis, Art. „Rezeption, öffentlichrechtlich“, 1990, Sp. 984–985. 146 Vgl. nur Legendre, Pénétration, 1964; Lange, Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 1, 1997, S. 100; Lange, Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 2, 2007, S. 205–207; nunmehr zu den beiden Fassungen des Decretum Gratiani und der stark divergierenden Intensität der Bezugnahme auf das römische Recht Winroth, The Making, 2000, bes. S. 146–174. 147 So Wyduckel, Princeps, 1979, S. 92, nach dem Zitat bei C. 25, q. 1. p. c. 16; ferner Fuhrmann, Reformpapsttum und Rechtswissenschaft, 1973, S. 192–193. 148 Hierzu auch Mohnhaupt, Potestas legislatoria, 1972, S. 211–212. 149 Vgl. Mordek, Kanonistik und Gregorianische Reform, 1985, S. 72–73; Landau, Entstehung, 1979, S. 121; differenziert Becker, Gesetzgebung, 2009, S. 159–160. 143 144
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II. Das Gesetz: Definitionen
Die bei Gratian schon deutlich vorgeformte Überzeugung von der intentionalen Wandel- und Gestaltbarkeit der Rechtsordnung durch die beim Papst konzentrierte Gewalt wurde von der Kanonistik der folgenden Jahrzehnte ausgebaut und verfeinert, wobei man sich intensiv einer römischrechtlich geprägten Begrifflichkeit bediente.150 Seit Innocenz III. „stand die Befugnis des Papsttums, der Kirche in voller Unabhängigkeit Recht zu setzen, unbestritten fest“.151 Sinibaldus Fliscus (als Papst Innocenz IV.) erblickte im Papst Mitte des 13. Jahrhunderts mit unmittelbarem Bezug auf das römische Vorbild den „conditor iuris“. Diese Vorstellung wurde von Hostiensis dahingehend präzisiert, dass das, was dem Papst gefalle, bei Hinzutreten eines Rechtsetzungswillens Gesetz sei.152 Hervorgehoben wurde die voluntas-Theorie, wonach ausschließlich der (hier päpstliche) Wille der Geltungsgrund eines Gesetzes sei, auch im 1271 verfassten „Speculum iuris“ von Guilelmus Durantis, wobei bezeichnenderweise unmittelbar auf Inst. 1, 2, 6 verwiesen wird. Die Schlussfolgerung bei Durantis: Der Papst könne „etiam omne ius tollere et de iure supra ius dispensare.“153 Das souveräne Gesetzgebungsrecht des Papstes findet somit nur mehr im göttlichen und natürlichen Recht seine Schranken und inkludiert ein ebenso weit reichendes Recht zur Erteilung und zum Widerruf von Privilegien und Dispensen.154 Während im weltlichen Bereich der mit Rekurs auf das römische Recht formulierte umfassende kaiserliche Gesetzgebungsanspruch in praxi auf enge machtpolitische Grenzen stieß155 und die primäre legislative Aufgabe des weltlichen Herrschers die Rechtswahrung bzw. gegebenenfalls Rechtsbesserung war (s. u.), bestand spätestens zu Beginn des 13. Jahrhunderts breiter Konsens darüber, dass der Papst Rechtsnormen erlassen kann,156 wobei man freilich auch hier zwischen Anspruch bzw. Theorie und der Rechtsdurchsetzung differenzieren muss. Der Implementation konnten sich auch im kirchlichen Bereich Hindernisse in den Weg stellen, da sich je nach Regelungsgegenstand deutliche Unterschiede in der Akzeptanz und als Folge der Durchsetzung der Normen an der Peripherie zeigten.157 Verfahrensrecht wurde so tendenziell eher rasch angewendet, materielles Recht bzw. Organisationsrecht dagegen, das für die potentiellen Rechtsanwender vor Ort negative finanzielle Auswirkungen hatte, unter Umständen spät oder sogar gar nicht. Vgl. Wyduckel, Princeps, 1979, S. 92–93; Legendre, Pénétration, 1964, S. 87–97, v. a. S. 89– 90 ; ergänzend Gresser, Wandel der Rolle des Papstes im Kirchenrecht, 2005, S. 69. 151 Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, 41964, S. 332. 152 Vgl. Wyduckel, Princeps, 1979, S. 93. 153 Zit. nach Mohnhaupt, Potestas legislatoria, 1972, S. 204; vgl. auch Stolleis, Condere leges et interpretari, 1990, S. 172–173; weitere Literaturhinweise bei Meyer, Anmerkungen, 2009, S. 607. 154 Plöchl, Geschichte des Kirchenrechts, Bd. II, 21962, S. 83; Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, 41964, S. 332–333. 155 So sehr deutlich Petersohn, Kaiser, Papst und römisches Recht, 2001, S. 347–348. 156 Landau, Durchsetzung, 1992, S. 144; Becker, Gesetzgebung, 2009, S. 161–162. 157 Vgl. Landau, Durchsetzung, 1992. 150
2. Zur Theorie der Gesetzgebung
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Außerdem muss man sich vor Augen halten, dass die Konzentration der päpstlichen Gesetzgebungsgewalt ihren vornehmlichen Niederschlag in der ab der Mitte des 12. Jahrhunderts sprunghaft ansteigenden Zahl von Dekretalen fand, die sich nicht durch Dauerhaftigkeit und Allgemeinheit auszeichnen, sondern üblicherweise päpstliche Entscheidungen im Einzelfall waren. Es handelte sich regelmäßig um mit der päpstlichen Autorität ausgestattete Antworten auf ganz spezifische, an den Papst herangetragene Fragen, die freilich in der Folge von der Kanonistik analog auf gleich gelagerte Fälle übertragen wurden, wobei Richtschnur weniger der Dekretalentext als vielmehr dessen „ratio“ war.158 Es ist daher bezeichnend, dass die nachgratianischen Sammlungen des Kirchenrechts ausschließlich Zusammenstellungen von Dekretalen sind. Gerade bei diesen kommen aber seit dem Liber Extra Gregors IX. durchaus der klare Wille und die Selbstverständlichkeit päpstlicher Rechtsetzungsbefugnis zum Ausdruck.159 Schon die Promulgationsbulle Gregors IX. zum Liber Extra (1234) legt Zeugnis vom Streben nach einer Rechtsbereinigung ab. Die Einzelfallentscheidungen der Dekretalen wurden vom Bearbeiter Raimund von Peñaforte durch bewusste Weglassung oder Redigierung einzelfallspezifischer Passagen zu Rechtssätzen von universeller Gültigkeit umgeformt.160 Widersprüche wurden so durch Interpolationen oder Korrekturen beseitigt, die Schilderungen des Tatbestandes ausgespart und nur durch die Worte „et infra“ angedeutet. Der Liber Sextus (1298) markiert den Endpunkt dieser Entwicklung, wird er doch als Ganzes vom Papst promulgiert,161 und Papst Bonifaz VIII. bekennt auch hier mit Blick auf den Redaktionsprozess, er habe das zugrunde liegende Material kürzen, verändern oder ergänzen lassen. Parallel zur Emanzipation der päpstlichen Gewalt von der weltlichen in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts sowie parallel zur theoretischen und praktischen Ausformung und Entfaltung der päpstlichen Gesetzgebungsgewalt vollzieht sich ein ungeheures Aufblühen der Kanonistik, die (wie bereits erwähnt) nicht isoliert von der Legistik zu sehen ist, betont doch schon Trusen in ganz ähnlichen Worten wie einige Jahre später Nörr162 die „innige Einheit der beiden Rechte“163. Die Verbindung der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem römischen Recht ist nicht nur im Gleichklang der methodischen Herangehensweise zu sehen, die gleichermaßen auf die rationale Durchdringung des Rechtsstoffes abzielt,164 sondern manifestiert sich überdies in der Ausbildung. Kaum ein Kanonist verfügte nicht über Kenntnisse Vgl. Wolf, Art. „Gesetzgebung“, 1989, Sp. 1393; Becker, Gesetzgebung, 2009, S. 166. Vgl. auch Wyduckel, Princeps, 1979, S. 93; Landau, Wiederentdeckung, 2010, S. 15; differenziert Becker, Gesetzgebung, 2009, S. 168–176, bes. S. 173. 160 Fransen, Art. „Gesetzgebung, kirchliche“, 1989, Sp. 1393; Nörr, Entwicklung des Corpus iuris canonici, 1973, S. 841–843. 161 Vgl. Becker, Gesetzgebung, 2009, S. 180–181. 162 Vgl. Nörr, Kanonistische Literatur, 1973, S. 365; vgl. jüngst auch Stelzer, Rezeption, 1995, 233; Sellert, Rezeption, 1998, S. 121. 163 Trusen, Anfänge der Rezeption, 1962, S. 24. 164 Fuhrmann, Reformpapsttum und kirchliches Recht, 1973, S. 195. 158 159
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II. Das Gesetz: Definitionen
des römischen Rechts und vice versa.165 Schon Koschaker hatte betont, dass die in diesem Zusammenhang als Gegenbeispiel für die angebliche Frontstellung der Kanonistik gegen das Studium des römischen Rechts angezogene Bulle „super specula“ (1219) nur einen eingeschränkten persönlichen Geltungsbereich hatte und der engen Verflechtung beider Rechte in der Studienpraxis keinen Abbruch tat.166
2. 1. 3. Das römische Recht „Quod principi placuit, legis habet vigorem“ (Dig. 1, 4, 1) Dies ist nicht die einzige, gleichwohl eine der prominentesten Stellen des Corpus iuris civilis, welche den herrscherlichen Willen als Quelle allen Rechts bezeichnet. Auf dem Reichstag von Roncaglia im Jahr 1158 begrüßte der Mailänder Erzbischof Ubaldus Friedrich I. Barbarossa mit einem sinngleichen Zitat aus den Institutionen (Inst. 1, 2, 6),167 das einer Vielzahl herrscherlicher Willenskundgebungen Gesetzescharakter zumisst: „Sed et quod principi placuit, legis habet vigorem, cum lege regia, quae de imperio eius lata est, populus ei et in eum omne suum imperium et potestatem ‚concessit‘. Quodcumque igitur imperator per epistulam constituit vel cognoscens decrevit vel edicto praecepit, legem esse constat: haec sunt, quae constitutiones appellantur.“ Gerade auf dem Reichstag zu Roncaglia kam es zu einer folgenschweren Begegnung zwischen der Rechtsschule von Bologna, die sich der kommentierenden Verarbeitung des römischen Rechts widmete, und der auf die Revindikation von Reichsrechten abzielenden Italienpolitik Friedrichs I., die „ein festlicher Akt gegenseitiger Legitimation“168 wurde.169 Das so genannte Scholarenprivileg Friedrichs I., das auf kaiserlichen Befehl als Authentica den Novellen Justinians angefügt und somit dessen Bestandteil wird, institutionalisiert und privilegiert durch Zuweisung einer besonderen Rechtsstellung das Rechtsstudium. Umgekehrt zieht Friedrich die als quattuor doctores bekannten Juristen Bulgarus, Martinus, Jacobus und Hugo Trusen, Anfänge des gelehrten Rechts, 1962, S. 21–33. Trusen, Anfänge des gelehrten Rechts, 1962, bes. S. 15–19; Lange, Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 1, 1997, S. 15; in diesem Sinne aber noch Lieberich/Mitteis, Rechtsgeschichte, 19 1992, S. 161; vgl. ausführlich auch Legendre, Pénétration, 1964, S. 40–50, zur Bulle v. a. S. 43–48. 167 Vgl. Wolf, Gesetzgebung und Kodifikation, 1981, S. 159; Krause, Kaiserrecht und Rezeption, 1952, S. 32. 168 So Dilcher, Kaisergedanke, 2008 (Erstveröffentlichung 2000), S. 207. 169 Vgl. hierzu nunmehr auch Dilcher, Herrschaftskonzept, 2007, S. 29–30. 165 166
2. Zur Theorie der Gesetzgebung
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als Ratgeber zur Feststellung und Absicherung des imperialen Rechts (Regalien) in Oberitalien bei. Sie wirken zudem an der Formulierung dreier weiterer Gesetze über die Rechte des Kaisers mit, deren Wortlaut erst in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts in einer Pariser Handschrift wieder entdeckt wurde.170 Ferner projizieren die Doctores – was in unserem Kontext von besonderem Interesse ist – das Gesetzgebungsrecht, wie es den römischen Kaisern zugekommen war, auch auf Friedrich I. Barbarossa, wie speziell der (gereimte) Bericht des Gottfried von Viterbo erkennen lässt: „Tu lex viva potes dare, solvere, condere leges / Stantque caduntque duces, regnant te iudice reges; / Rem quocumque velis lex animata geris.“171 Die Verbindung des römischen Kaisertums und der mittelalterlichen Reichsidee war zum damaligen Zeitpunkt alles andere als neu, wobei stichwortartig nur auf die aus dem mittelalterlichen Denken in Weltzeitaltern resultierende Translationsidee verwiesen sei. Dieser zufolge sei das römische Reich auf die Franken und schließlich auf die Deutschen übergegangen. Deutlich lässt sich anhand der Intitulationes der mittelalterlichen Kaiser vor Friedrich I. ablesen, wie stark das kaiserliche Selbstverständnis in der römischen Reichstradition stand. Der Titel „romanorum imperator augustus“, erstmals unter Otto II. belegt, setzte sich unter dem von der Idee der „renovatio imperii“ beseelten Kaiser Otto III. durch und wurde unter Heinrich II. zum üblichen Kaisertitel.172 Hier fehlte jedoch noch die Verbindung zur rechtsgestaltenden und neues Recht setzenden imperialen Gewalt. Bis in die Stauferzeit setzt sich bezeichnenderweise „in Prooemien und Arengen, die das Selbstverständnis des Rechtsetzungsvorgangs beschreiben, der spätantike Topos als Rechtserneuerer durch, nicht dagegen andere, die ihn als Begründer von Recht, leges condere, oder Gesetzgeber = legislator feiern.“173 Dieser Brückenschlag, der den Kaiser in die Nachfolge der römischen Imperatoren als universale Gesetzgeber stellt, resultiert erst aus der Begegnung der Kaiseridee mit dem römischen Recht – und dies in einer ganz konkreten machtpolitischen Konstellation, die vom Versuch der Wiederherstellung kaiserlicher Rechte gegenüber den aufstrebenden lombardischen Kommunen geprägt war. Die Heranziehung des römischen Rechts zur Untermauerung eigener Herrschafts- und Machtansprüche war grundsätzlich nicht neu. Eine entsprechende Verbindung hatte bereits die Salierzeit gesehen.174 Schon in Urkunden Heinrichs III.
Vgl. Dilcher, Kaisergedanke, 2008 (Erstveröffentlichung 2000), S. 211–212; Kroeschell, Rechtsgeschichte, Bd. 1, 132008, S. 183–184 und 194–195. 171 Gottfried von Viterbo, Gesta Friderici (MGH, Scriptores XXII), 1872 (Nachdruck 1963), S. 307–334, hier S. 316; hierzu auch Dilcher, Kaisergedanke, 2008 (Erstveröffentlichung 2000), S. 214–216; Wyduckel, Princeps, 1979, S. 46. 172 Kurzfassung bei Willoweit, Verfassungsgeschichte, 52005, S. 68–69. 173 Dilcher, Kaisergedanke, 2008 (Erstveröffentlichung 2000), S. 205. 174 Hierzu nunmehr Struve, Salier und das römische Recht, 1999. 170
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II. Das Gesetz: Definitionen
finden sich erkennbar dem Codex Iustiniani entlehnte Wendungen.175 In seinem Streit mit dem Papst hatte sich Heinrich IV. der Hilfe von Petrus Crassus bedient, der Argumente zur Bestreitung päpstlicher Ansprüche auch im römischen Recht fand.176 Heinrich V. fand offensichtlich in dem Begründer der Bologneser Rechtsschule, Irnerius, einen Berater,177 und das Lehensgesetz Lothars von Supplinburg – welcher der im 16. Jahrhundert entstandenen „lotharischen Legende“ zufolge die Geltung des römischen Rechtes mittels Reichsgesetz angeordnet habe – von 1137 wurde von italienischen Juristen formuliert.178 Die Betonung des kaiserlichen Gesetzgebungsrechts im Rückgriff auf die potestas legislatoria der römischen Kaiser findet sich in ausgeprägter Form jedoch erstmals bei Friedrich I.179 Ihm komme es zu, wie er im Jahr 1182 in deutlicher Anlehnung an das römische Recht formulierte, Gesetze zu erlassen und zweifelhafte auszulegen („quoniam vero sicut nostrum est leges condere, ita et que dubia sunt benigne interpretari“). Schon 1952 hatte Krause hervorgehoben, dass sich unter den Staufern und vor allem unter Friedrich I. Barbarossa immer mehr der Gedanke einer engen Verbindung von „Recht“ und „Kaiser“ den Weg bahnte, der über die engen Grenzen des nur rechtswahrenden Herrschers hinausging und in zunehmendem Maße die Möglichkeit einer bewussten und rationalen Schaffung von Recht im Wege der Gesetzgebung implizierte.180 Von dieser gleichermaßen vom römischen wie vom kanonischen Recht ausgehenden Vorstellung einer Veränderbarkeit des Rechts durch Gesetzgebung prägte Baldus im 14. Jahrhundert den Satz „lex posterior derogat legibus prioribus“181. Die angesprochene Aktualisierung bestimmter staatsrechtlicher Sätze des römischen Rechts, welche die Gestaltbarkeit der Rechtsordnung durch den Willen des Recht setzenden Kaisers in der Nachfolge der Imperatoren akzentuierte, erfolgte im Kontext jener rechtlichen Erneuerungsbewegung, die von der Forschung als „Frührezeption“ bzw. „theoretische Rezeption“ bezeichnet wird.182 Der Terminus „theoretische Rezeption“ birgt dabei freilich die Gefahr, im Zusammenhang mit dem „rinascimento giuridico“ des 12. Jahrhunderts die Assoziation mit einem pra Vgl. Krause, Kaiserrecht und Rezeption, 1952, S. 29; Quaritsch, Staat und Souveränität, Bd. 1, 1980, S. 139; Struve, Salier und das römische Recht, 1999, S. 10 und S. 22–23. 176 Coing, Römisches Recht in Deutschland, 1964, S. 34; vgl. ferner Struve, Salier und das römische Recht, 1999, S. 44–53; Struve, Rolle des römischen Rechts, 2007, S. 78–79. 177 Vgl. Struve, Salier und das römische Recht, 1999, S. 34–37. 178 Vgl. Fried, Entstehung des Juristenstandes, 1974, S. 46–71. 179 Vgl. auch Dilcher, Kaiserrecht, 2008 (Erstveröffentlichung 1994), S. 180–182. 180 Krause, Kaiserrecht und Rezeption, 1952, bes. S. 34 und S. 45–46. 181 Grawert, Historische Entwicklungslinien, 1972, S. 3; Krause, Dauer und Vergänglichkeit, 1958, S. 233–234. 182 Hierzu Wieacker, Privatrechtsgeschichte, 21967, S. 88, S. 114–118 (zur Frührezeption) und S. 124–152; Wieacker, Stand der Rezeptionsforschung, 1967; Horn, Legistische Literatur, 1973, S. 264–265 und 268; Kiefner, Art. „Rezeption (privatrechtlich)“, 1990; Sellert, Rezeption, 1998, S. 118–122. 175
2. Zur Theorie der Gesetzgebung
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xisfernen gelehrten Konstruktes zu evozieren – was angesichts neuerer Forschungen als nicht mehr adäquat erscheint.183 Vielmehr präsentiert sich die Frührezeption als Emanation des vom Aufschwung der Geldwirtschaft und der städtischen Kommunen begleiteten wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungsschubes Oberitaliens in diesem Zeitraum.184 Der von der italienischen Forschung verwendete Begriff „rinascimento“ reflektiert, dass hier die Rechtstradition seit der Spätantike keinen völligen Bruch erfahren hatte. So waren die Institutionen ebenso wie der Codex während des ganzen Mittelalters in Italien bekannt gewesen, wenngleich der Codex durch die Weglassung aller griechischen und vieler lateinischer Konstitutionen sowie der ganzen letzten drei Bücher auf ein Viertel seines Umfangs geschrumpft war („Epitome codicis“, „Codex epitomatus“). Die „Epitome codicis“ wurden jedoch schon seit dem 9. Jahrhundert aus vollständigeren Handschriften erweitert.185 Demgegenüber reicht die handschriftliche Überlieferung der Novellen nicht über das 11. Jahrhundert zurück; auch die Digesten wurden 603 von Papst Gregor dem Großen das letzte Mal erwähnt, um nahezu fünf Jahrhunderte später (1076) erstmals wieder in einem Urteil genannt zu werden.186 Offensichtlich hatten sich nur sehr wenige antike Handschriften erhalten, von denen sich eine – die nach ihren späteren Aufbewahrungsorten Pisa (bis 1406) und Florenz „Littera Pisana“ oder „Littera Florentina“ genannt wurde – Ende des 11. Jahrhunderts in Süditalien befand und dort (eventuell in Montecassino um 1070) kopiert wurde. Von diesem „Codex S(ecundus)“ stammen sämtliche Digestenhandschriften der Glossatoren ab.187 Zweifellos hatte der „rinascimento“ bzw. im deutschsprachigen Gebiet die Rezeption des römischen Rechts ihren Schwerpunkt im privatrechtlichen Bereich. Doch greift dieser Hinweis allein zu kurz. Der hergestellte Konnex „Herrschaft“ und „römisches Recht“ sollte sowohl für die abendländische als auch für die deutsche Rechtstradition erhebliche Nachwirkungen haben, die auch – aber keineswegs nur – in der theoretischen Auseinandersetzung mit der potestas legislatioria ihren Niederschlag fanden, für welche die bereits angeführten Belegstellen Dig. 1, 4, 1 und Inst. 1, 2, 6 für Jahrhunderte reichhaltige Kommentierungs- und Vgl. Mitteis/Lieberich, Deutsche Rechtsgeschichte, 151992, S. 328–329; freilich halten manche Überblicksdarstellungen an der eingebürgerten Unterscheidung von theoretischer und praktischer Rezeption fest, vgl. z. B. Meder, Rechtsgeschichte, 32008, S. 223–226, demgegenüber jedoch z. B. Eisenhardt, Rechtsgeschichte, 52008, Rz 143. 184 Vgl. Fried, Entstehung des Juristenstandes, 1974; Dilcher, Kaiserrecht, 2008 (Erstveröffentlichung 1994), S. 179–180. 185 Vgl. Weimar, Legistische Literatur, 1973, S. 160–162; Lange, Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 1, 1997, S. 12–14. 186 Lange, Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 1, 1997, S. 10–11; Struve, Rolle des römischen Rechts, 2007, S. 76. 187 Weimar, Legistische Literatur, 1973, S. 158; Lange, Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 1, 1997, S. 15 und S. 60–63. 183
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II. Das Gesetz: Definitionen
Anknüpfungspunkte boten (s. u.).188 Begriffe wie „iura regalia“, „imperium“, „dominium (directum)“ oder „iurisdictio“ wurden ebenfalls für Jahrhunderte zur Beschreibung mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Herrschaftsrechte und ‚staatlicher‘ Verfasstheit herangezogen.189 Die herrscherliche Praxis freilich sah zur Stauferzeit noch anders aus. Erst jüngst hat Gerhard Dilcher anschaulich dargelegt, wie stark sich die Gesetzgebung des Reichstags von Roncaglia (1158), die sich am römischen Kaiserrecht ausrichtete, bis zum Frieden von Konstanz (1183) an die Verfassungswirklichkeit Ober italiens mit ihrer bereits ausgeprägten städtischen Autonomie anpassen musste.190 Überhaupt konnte das justinianische Recht für die Wahrnehmung aktueller kaiserlicher Interessen in Reichsitalien in Anspruch genommen und zur Unterstützung der hochmittelalterlichen Kaiseridee fruchtbringend herangezogen werden. Es ließ sich jedoch „nicht durch einen kaiserlichen Willensakt auf die Lande nördlich der Alpen übertragen.“191 Petersohn fasst dies mit folgenden Worten zusammen: „Kern der mittelalterlichen westlichen Kaiserwürde war, auch wenn ihre Inhaber sich seit der späten Salierzeit das römische Recht zunutze machten, letztlich eben doch das fränkisch-deutsche Königtum“192, das in eine im 12. Jahrhundert noch fundamental vom römischen Recht abweichende, primär oral geprägte Rechtskultur und in eine von der legislatorischen Gewalt der römischen Kaiser weit entfernte machtpolitische Verfasstheit des Gemeinwesens eingebettet war. Dementsprechend ernüchternd fällt daher auch das Fazit des Herausgebers der Diplomata Friedrichs I., Heinrich Appelt, aus: „Eine konstante römisch rechtlich bestimmte Komponente, die das Rechtsdenken oder gar die Rechtspraxis des kaiserlichen Hofes geprägt hätte, lässt sich nicht erkennen.“193 Und so zentral der im weltlichen Bereich erstmals unter Friedrich I. derart deutlich formulierte Anspruch auf eine umfassende herrscherliche Rechtsetzungsgewalt in der Nachfolge der römischen Imperatoren und unter Bezugnahme auf das römische Recht werden sollte,194 die legislative Praxis im Reich sah sowohl unter Friedrich I. als auch unter seinen Nachfolgern noch anders aus. Im „Statutum in favorem principum“ von 1231/1232, das den bisherigen Rechtszustand festhielt, wurde so festgehalten, dass die Fürsten der sich formierenden „Länder“ Satzungen und neues Recht („constitutiones vel nova iura“) nur mit dem vorher erteilten „consensus meliorum et maiorum terrae“ – der Landher 190 191 192 193
Vgl. hierzu Stolleis, Art. „Rezeption, öffentlichrechtlich“, 1990, bes. Sp. 987–989. Vgl. v. a. Willoweit, Rechtsgrundlagen, 1975. Dilcher, Staufische Renovatio, 2003. Petersohn, Kaiser, Papst und römisches Recht, 2001, S. 347. Petersohn, Kaiser, Papst und römisches Recht, 2001, S. 348. Appelt, Urkunden Friedrichs I., Einleitung, 1990, S. 123–129, hier S. 129; zum selben Themenkomplex schon Appelt, Friedrich Barbarossa und das römische Recht, 1988, S. 61–80; stärker differenzierend nunmehr Struve, Rolle des römischen Rechts, 2007, S. 94–96. 194 Vgl. Struve, Rolle des römischen Rechts, 2007, S. 84–85 und 90–92; zu früheren Hinweisen auf die Gesetzgebungskompetenz des Reichsoberhaupts vgl. ebd., S. 80. 188 189
2. Zur Theorie der Gesetzgebung
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ren im Sinne Otto Brunners – erlassen dürften.195 Von der Umsetzung der voluntasTheorie, wie sie in Dig. 1, 4, 1 formuliert wird, waren sowohl das Reichsoberhaupt als auch die Fürsten weit entfernt. Die gelehrte, auf dem römischen Recht fußende „Theorie stieß auf einen fest gefügten, rechtlich gegründeten Verfassungsbau, in den sie zwar eindringen, den sie jedoch nicht einzustürzen vermochte.“196 Die einmal auf der Grundlage des römischen Rechts vorgebrachten Ansprüche konnten freilich sowohl in spezifischen Konfliktsituationen als auch allgemein zur Betonung der eigenen Herrschaftsansprüche und zur herrscherlichen Selbstinszenierung neuerlich aktualisiert werden.197 Nachdem schon Heinrich VII. anlässlich eines Gesetzgebungsaktes 1311 in deutlicher Anlehnung an die Diktion unter Friedrich II. festhalten ließ „edictalem legem in eternum valituram statuimus ex nostre plenitudine potestatis“,198 zeigt sich dies besonders deutlich bei Ludwig dem Bayern, dessen realpolitische Stellung aufgrund des Konflikts mit dem Papsttum und angesichts des Gegenkönigs Friedrich des Schönen besonders prekär war. Der römisch rechtliche Einfluss ist unverkennbar, wenn es in der Arenga eines Privilegs für den Markgrafen von Meißen 1329 heißt: „nos, qui supra leges sumus et possumus velud [!] legis lator iura condere et interpretari“. Der Herrscher könne somit Gesetze und Rechte „racionabiliter inmutare et aliud statuere“.199 Überhaupt zeigt die Gesetzgebung Kaiser Ludwigs das Bestreben, „die Wendungen und den pompösen Faltenwurf der Kaisergesetze Friedrichs II. und Heinrichs VII.“200 zu übernehmen. Auch Herzog Rudolf IV. ventilierte seine Forderung nach unbeschränkter gesetzgebender Gewalt überaus deutlich, wie sich besonders anhand des 1358/1359 hergestellten Fälschungskomplexes des Privilegium maius nachweisen lässt. Hier wird der von Rudolf auch bei anderer Gelegenheit formulierte Anspruch zum Ausdruck gebracht, unter Ausschluss einer Ingerenzbefugnis des Kaisers in seinen Herrschaftsgebieten Gesetze zu erlassen und aufzuheben.201 Die Inanspruchnahme einer der kaiserlichen im Reich gleichzusetzenden fürstlichen Gesetzgebungsgewalt in seinen eigenen Ländern manifestiert sich zudem in den Arengen der Pri 197 198
Vgl. Buschmann, Art. „Statutum in favorem principum“, 1990, Sp. 1926–1931. So Quaritsch, Staat und Souveränität, Bd. 1, 1980, S. 145. So schon Grawert, Historische Entwicklungslinien, 1972, S. 3–4. Vgl. Heinrici VII. constitutiones, 1906, Nr. 563, S. 521–523, hier S. 523; dieses und weitere entsprechende Zitate bei Krause, Kaiserrecht und Rezeption, 1952, S. 50–51. 199 Vgl. Acta regni Ludewici IV et Friderici III. (continuatio), 1914/1927, Nr. 612, S. 513; der Rekurs auf diese aussagekräftige Arengenstelle ist überaus beliebt, vgl. nur Krause, Kaiserrecht und Rezeption, 1952, S. 57; Lieberich, Ludwig der Baier, 1959, S. 220, Anm. 120; Hageneder, Gesetzgebungsrecht, 1974, S. 472; Grawert, Art. „Gesetz“, 1979, S. 873. 200 So Lieberich, Kaiser Ludwig der Baier als Gesetzgeber, 1959, S. 195, Anm. 59. 201 Schwind/Dopsch, Urkunden, 1895, Nr. 7, S. 10–13, hier S. 12: „Preterea quidquid dux Austrie in terris suis seu districtibus suis fecerit vel statuerit, hoc imperator neque alia potencia modis seu viis quibuscumque non debet in aliud quoquo modo in posterum commutare.“ Vgl. auch schon den entsprechenden Hinweis bei Hageneder, Gesetzgebungsrecht, 1974, S. 472; ferner zum Privilegium maius grundlegend Lhotsky, Privilegium maius, 1957, hier S. 22. 195 196
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II. Das Gesetz: Definitionen
vilegienbestätigungen für Innsbruck und Hall, die Rudolf IV. unmittelbar nach seinem Herrschaftsantritt in der Grafschaft Tirol ausstellte.202 Er könne „nach den freyhaiten und hantfesten, die wir von Roemischen kaysern und kunigen haben, in allen unsern landen stetten und gepieten newe recht freyhait und geseczde mit keyserlichem gewalte stiften stoeren aufseczen abseczen geben und nehmen“203, wobei „stiften“ als Übersetzung des lateinischen „condere“ dient, während „stören“ das lateinische „abrogare“ wiedergibt.204 In einem wegen der Stadtfreiheiten von Belfort im Elsass an Kaiser Karl IV. gerichteten Schreiben gibt Rudolf IV. schließlich bezeichnenderweise das „nos qui supra legem sumus“ in einer deutschsprachigen Formulierung wieder: Er wolle über den Rechten und Freiheiten stehen, die von ihm gesetzt und erteilt werden, und nicht darunter – womit er implizit eine Änderungsbefugnis für sich in Anspruch nahm.205 Gerade bei einem auf seinen fürstlichen Rang so bedachten und auf die herrscherliche Selbstinszenierung erpichten Mann wie Herzog Rudolf IV. spielte offensichtlich die Betonung der ihm zustehenden gesetzgebenden Gewalt zwar nicht die zentrale, jedoch zweifellos eine für das Selbstverständnis wichtige Rolle, die immer wieder hervorgehoben werden musste. Freilich ist die Diskrepanz zwischen den in Arengen niedergelegten Ansprüchen und den realen machtpolitischen Verhältnissen sowohl im Reich als auch in den Territorien des Reichs augenscheinlich.206 Um beim zuletzt angerissenen Beispiel Tirol zu verbleiben: Die schriftliche Fixierung des tirolischen Landrechts unter Meinhard II. erfolgte 1286/1289 „mit ersamer weiser leute und weiser dienstmannen rat“207, in der Landesfreiheit von 1342 sagte Markgraf Ludwig von Brandenburg zu, er werde „alle zeit des landes ze Tyrol reht bezzern und nicht boe sern nach ir [d. h. der Landleute, M. S.] rat“.208 Die vornehmlich das Rechtsverhältnis zwischen Grundherren und Grundholden sowie die Arbeitslöhne regelnde Ordnung von 1352 war vom Landeshauptmann und mehreren Räten und von Markgraf Ludwig
Vgl. hierzu zuletzt Sperl, Tiroler Städte und die Herrschaftseinsetzung, 2006, bes. S. 76–77; Stolz, Land und Landesfürst, 1942, S. 208–209; Huter, Rudolf der Stifter und die Tiroler Städte, 1971; Schadelbauer, Herzog Rudolf IV. und Innsbruck, 1963, hier S. 11. 203 Zit. nach Sperl, Tiroler Städte und die Herrschaftseinsetzung, 2006, S. 76. 204 Vgl. Hageneder, Gesetzgebungsrecht, 1974, S. 472, Anm. 62. 205 Stolz, Land und Landesfürst, 1942, S. 211–212. 206 Vgl. zu Rudolf IV. und Tirol nur diesbezüglich Grass, Geschichte der Landstände, 1961, S. 308; Huber, Vereinigung, 1864, S. 87; Wopfner, Ehre und Freiheit, 1933, S. 6. 207 Stolz, Ausbreitung des Deutschtums, Bd. 3/2, 1932, S. 19; Stolz, Land und Landesfürst, 1942, S. 220; zum fragmentarisch überlieferten Landrecht Meinhards II. Wiesflecker, Bruchstück, 1954, S. 65; Wiesflecker, Landrecht Meinhards II., 1969, S. 458–459; Hageneder, Gesetzgebungsrecht, 1974, S. 479; Wiesflecker, Meinhard II., 21995, S. 178; zur Datierung Obermair, Landrecht, 1995, S, 130. 208 Schwind/Dopsch, Urkunden, 1895, Nr. 96, S. 179–180, hier S. 180; letzte Edition bei Schober, Urkunden, 1990, S. 1–2; eine ausführliche Neubewertung der von der älteren Forschung überschätzten Bedeutung dieser Urkunde bietet Hölzl, Freiheitsbriefe, 1982/1983. 202
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entworfen worden.209 Die Beispiele lassen sich vermehren. Auch das 15. Jahrhundert ist hinsichtlich der Gesetzgebung von einem engen Zusammenwirken der uns dann voll ausgebildet entgegentretenden Landstände und dem Landesfürstentum geprägt.210 Die Wichtigkeit, ja Unverzichtbarkeit eines Zusammenwirkens von Landesfürst und Landherren für die Änderung der Rechtslage geht auch aus der nach 1304 verfassten steirischen Reimchronik des Otacher aus der Geul hervor.211 Der Unterschied in der Umsetzung des Postulats einer unbegrenzten Gesetzgebungsgewalt zwischen dem Reich und anderen europäischen Ländern bleibt gleichwohl greifbar. Während Friedrich II. im bereits angeführten „Statutum in favorem principum“ auf die Ausübung wesentlicher Herrschaftsrechte verzichten musste und damit den ohnehin schon bestehenden Rechtszustand sanktionierte, erließ er im Königreich Sizilien – anknüpfend an die legislative Tätigkeit der normannischen Herrscher (Roger II., „Assisen von Ariano“212) – 1231 die Konstitutionen von Melfi („Liber constitutionum Siciliae“, für das sich später die Bezeichnung „Liber augustalis“ einbürgerte). Eine Juristenkommission unter der Leitung des Hofgroßrichters Petrus de Vinea war mit der Redaktion beauftragt worden, deren Endprodukt materielles Straf- und Zivilrecht, Prozessrecht, Verwaltungs- und Lehensrecht enthielt. Die Konstitutionen von Melfi wiesen einen systematischen Aufbau auf und basierten maßgeblich auf dem römischen Recht, nahmen aber auch ältere normannische Rechtstraditionen sowie Kirchenrecht auf. Rund ein Fünftel der Bestimmungen dürften materiell neues Recht darstellen.213 Nur in einem zentralisierten, von einem hoch entwickelten bürokratischen Apparat durchdrungenen Herrschaftsgebiet, in dem konkurrierende Gewalten im Inneren in ihre Schranken gewiesen sind, konnte sich die postulierte, in der Person des Herrschers monopolisierte Gesetzgebungshoheit in praxi durchsetzen.214 Letzte Edition bei Schober, Urkunden, 1990, S. 5–9; Schwind/Dopsch, Urkunden, 1895, Nr. 100, S. 184–188; Brandis, Landeshauptleute, 1847/1850, S. 72–76; Moeser, Wirtschaftsordnungen, 1959, S. 256–260; Besprechung bei Köfler, Landtag, 1985, S. 41–42; Riedmann, Mittelalter, 21990, S. 451; Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 65–66; Reiterer, Entwicklung des Arbeits- und Sozialrechtes, 1985, S. 22–23; Schröder, Arbeitsverfassung des Spätmittelalters, 1984, S. 76–78; Stolz, Rechtsgeschichte des Bauernstandes, 1948, S. 119; Wopfner, Geschichte der freien bäuerlichen Erbleihe, 1903, S. 117; Blickle, Landschaften im Alten Reich, 1973, S. 191; Jäger, Landständische Verfassung, Bd. I, 1882, S. 566–567. 210 Vgl. ausführlich Kap. IV.5. 211 Vgl. hierzu Hageneder, Gesetzgebungsrecht, 1974, bes. S. 480–481. 212 Vgl. ausführlich Dilcher, Il significato storico delle assise di Ariano, 1996; Pennington, Roman Law, 2010, S. 18–25. 213 Dilcher, Sizilische Gesetzgebung, 1975, bes. S. 760–762; zur Fortwirkung des römischen Rechts in Süditalien ebd., S. 31–32; Wagner, Liber Augustalis, 1997, S. 206–209; Edition von Stürner, Konstitutionen, 1996; pointiert die wichtigsten Einflüsse des römischen Rechts auf die Konstitutionen von Melfi darstellend Wolf, Gesetzgebung und Kodifikation, 1981, S. 159. 214 Zum besonders im Kapitel I, 31 des „Liber augustalis“ entwickelten Verständnis des Verhältnisses von Recht und Herrscher vgl. Kantorowicz, Zwei Körper des Königs, 1990 (engl. Erstauflage 1957), S. 115–124. 209
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In engem zeitlichen Zusammenhang entwickelte sich in Königreichen wie England, Frankreich oder Spanien – teils in Abwehr kaiserlicher oder auch päpstlicher Suprematieansprüche, teils zur Untermauerung der eigenen Herrschaft – die Idee des „rex imperator in regno suo“, wonach ein König in seinem Herrschaftsgebiet die höchste Stellung bekleide und dem Willen keines anderen unterworfen sei. Diese Aussage findet sich erstmals 1168 bei Johannes von Salisbury zur Charakterisierung der Machtstellung König Heinrichs I. von England. Die Formel „rex imperator in regno suo“ trat speziell im Frankreich des 13. Jahrhunderts parallel zum machtpolitischen Aufstieg des Königtums, das in einer zunehmenden Zahl von „ordonnances“ rechtsgestaltend tätig wurde, einen Siegeszug an. Sie kulminierte zur Jahrhundert mitte in der Formel von Jean de Blanot „Rex Franciae in suo regno princeps est“. Inhaltsgleiche Wendungen finden sich in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts auch unter König Alfons dem Weisen von Kastilien und León, in dessen Gesetzeswerk „Siete Partidas“ die Formel „emperador en su imperio“ aufgegriffen wird.215 Freilich: Auch wenn die Glossatoren mit Rekurs auf die Vorstellung der „translatio imperii“ den Kaiser in eine Kontinuitätslinie mit den römischen Imperatoren stellten, war bei ihnen die alleinige Rechtssetzungsbefugnis des Kaisers noch nicht unumstritten. Die glossatorische Vorstellung von „lex“ bleibt durchaus noch der mittelalterlichen Verfassungsrealität verhaftet.216 Dennoch wird von der rechts historischen Forschung einhellig betont, dass das Herstellen einer Verbindung zwischen Kaiser und Recht unter Aufgreifen der römischen Vorstellungswelt, wie sie vom Corpus iuris vermittelt und von der glossatorischen Rechtswissenschaft weiter fundiert wurde, „eines der bewegenden Momente“217 war, das schließlich in der Überzeugung kulminierte, dass Recht rational geschaffen und gestaltet werden kann. Hinzu kommt, dass die teilweise bereits angezogenen Belegstellen des römischen Rechts über die gesetzgebende Gewalt für Jahrhunderte die festen Bezugspunkte der Rechtswissenschaft und des frühneuzeitlichen ius publicum darstellten, wenn es um die Definition des Gesetzes, dessen Zustandekommen und dessen Geltungsgrund ging.218 Die Auffassung der rationalen Gestaltbarkeit der Rechtsordnung, die im 12. Jahrhundert theoretisch vorgeformt worden und im kanonischen Recht bereits im 13. Jahrhundert voll zum Durchbruch gelangt war, lässt die eng gezogenen Grenzen der bloßen Rechtsbewahrung und Rechtsbesserung weit hinter sich. Bis sie im weltlichen Bereich – gerade im Reich – zum Durchbruch kommen konnte, bedurfte es freilich noch eines Jahrhunderte dauernden Prozesses, der sich auch weniger auf der Ebene der Reichsgesetzgebung manifestierte, die in der Frühneuzeit Vgl. Wyduckel, Princeps, 1979, S. 139–141; Calasso, I glossatori e la teoria della sovranità, 3 1957, S. 31–37. 216 Vgl. hierzu Wyduckel, Princeps, 1979, S. 45–46 und 48; Krause, Kaiserrecht und Rezeption, 1952, S. 46. 217 So Krause, Kaiserrecht und Rezeption, 1952, S. 46. 218 Vgl. Mohnhaupt, Geschichte der Gesetzgebung, 2006, S. 138–139. 215
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ihren Vertrags- und Einungscharakter beibehielt, sondern vielmehr auf Ebene der Territorien seinen Niederschlag fand.219 Bei den voranstehenden Ausführungen über die herrscherliche Gesetzgebungsgewalt muss man sich jedoch grundlegender Einschränkungen bewusst sein: Im weltlichen Bereich wurde im Mittelalter die Gesetzgebungsbefugnis nicht als selbständiges Herrschaftsrecht verstanden, sondern als Annex und Ausfluss der Jurisdiktionsgewalt.220 Es gab keine Gleichrangigkeit zwischen der rechtsprechenden und gesetzgebenden Gewalt – wenngleich beide in der Person des Herrschers konzentriert waren –, noch kam der legislativen Gewalt der Status eines selb ständigen Herrschaftsrechtes zu.221 Die Befugnisse zur Erlassung allgemeiner Normen resultierten aus der jurisdiktionellen Kompetenz, nicht umgekehrt. Bartolus kommentiert bezeichnenderweise Dig. 1, 1, 9 folgendermaßen: „Omni populo iurisdictionem habenti, ius proprium statuere permittitur.“222 Vergleichbares findet sich auch bei Baldus de Ubaldis: „[...] statuta condere est iurisdictionis: quia qui statuit, ius dicit [...].“223 Zu einer fundamentalen Änderung kam es auf dem Gebiet des Heiligen Römischen Reichs erst in der Frühneuzeit im Gefolge der Rezeption von Jean Bodin. Erst jetzt wurde die potestas legislatoria als eigenständiges, ja als zentrales Herrschaftsrecht verstanden.224 Wie präsent die Vorstellung des Vorrangs der Recht sprechenden gegenüber der legislativen Gewalt noch im 16. Jahrhundert war, zeigt nicht zuletzt die Argumentationspraxis der oberösterreichischen Regierung. Anlässlich einer Auseinandersetzung zwischen der Stadt Bozen und der Regierung über das Ausmaß der städtischen „Rechte und Freiheiten“ konstatierte die Regierung unter Hinweis auf das Fehlen eines eigenen Stadtgerichtes (dieses war mit dem Landgericht Gries vereinigt), dass obgedachte von Boczen von alter here ye ainiche jurisdiction und gerichtßzwang gehebt, derhalben sy dann auch kaine statuta oder ordnungen ze machen befuegt (was in dieser Form natürlich nicht dem status quo entsprach).225 Mit der gleichen Begründung wurde ein Jahrzehnt später die legislative Gewalt der Tiroler Grundherren prinzipiell (sowie in concreto mit Blick auf den Regelungsgegenstand „Wald“) in Abrede gestellt. Es stehe den Grundherren nicht zu, Gesetze zu erlassen, dann die Vgl. hierzu Kap. III. Vgl. Schlosser, Rechtssetzung und Gesetzgebungsverständnis, 1987, S. 45; zur zentralen Bedeutung der Jurisdiktionsgewalt ausführlich Willoweit, Rechtsgrundlagen, 1975, S. 17–47 und 186–198. 221 Vgl. zum Folgenden auch Wyduckel, Princeps, 1979, S. 76–79. 222 Zit. nach Mohnhaupt, Potestas legislatoria, 1972, S. 189; vgl. auch Hofmann, Allgemeinheit des Gesetzes, 1987, S. 15. 223 Zit. nach Mohnhaupt, Potestas legislatoria, 1972, S. 189. 224 Vgl. zuletzt Mohnhaupt, Grundlinien, 2006, S. 133–135; Mohnhaupt, Potestas legislatoria, 1972, S. 189–190; Stolleis, Condere leges et interpretari, 1990, S. 170–175; Ebel, Geschichte der Gesetzgebung, 21958, S. 69–70. 225 TLA, AksM 1558, fol. 67v–69r, hier fol. 68r, 1558 April 13. 219 220
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grundtgerechtigkhait tregt khainen gerichtszwang auf ir.226 Erst in den wenigen Fällen geschlossener Grundherrschaften, die einen eigenen Niedergerichtsbezirk bilden („Hofmarkgericht“), wäre demnach (zumindest theoretisch) an eine gesetzgebende Kompetenz der Grundherrschaft zu denken gewesen.227
2. 2. Die Neuzeit: Bodin und die Folgen „Et par ainsi nous conclurons que la première marque du prince souverain, c’est la ������� Gepuissance de donner loy à tous en general, & à chacun en particulier“228. Die setzgebungskompetenz, die Jean Bodin in diesem Ausschnitt aus seinem 1576 publizierten Werk „Les six livres de la République“ mit der Befehlsgewalt im Einzelfall koppelt, wird zum Kern und entscheidenden Element der „Souveränität“, der höchsten, unteilbaren, (nahezu) unbeschränkten staatlichen Gewalt. Die legislative Kompetenz wird zum „point principal de la maiesté souveraine“.229 Sie manifestiert sich in der freien Veränderbarkeit der Rechtsordnung. Der souveräne Herrscher kann „casser, ou changer, ou corriger les loix selon l’exigence des cas, des temps & des personnes“230. „Toute la force des loix civiles & coutumes gist au pouvoir du Prince souverain“231. ��������������������������������������������������������� Das Recht kann durch bewusste Rechtsetzung gestaltet werden, wobei das Gesetz seinen Geltungsgrund alleine aus dem herrscherlichen Willen zieht. Wenngleich Bodin gerade mit der Betonung des Willensmoments als Geltungsgrund der Gesetze und der daraus resultierenden Verfügbarkeit und Gestaltbarkeit der Rechtsordnung unverkennbar in einer langen Tradition steht, deren Grundzüge soeben skizziert wurden und die speziell Wyduckel stark betont,232 ist die Charakterisierung der Gesetzgebung als konstituierendes Merkmal souveräner Herrschaft in dieser prägnanten Formulierung neu.233 Zudem destilliert Bodin einen weiteren Katalog an Majestätsrechten, mit dessen Hilfe in Hinkunft die Souveränitätsfrage erörtert werden konnte.234 Die Fokussierung der Souveränität auf die Gesetzgebungskompetenz findet sich demgegenüber noch nicht in Bodins zehn Jahre zuvor erschienenem „Methodus ad facilem historiarum cognitionem“235, in dem die Befugnis, Gesetze zu erlassen und zu kassieren, als allgemeine Herrschaftsfunktion angeführt wird. Sie nimmt TLA, GaH 1568, fol. 282v–303v, Zitat fol. 300r, 1568 März 17. Vgl. hierzu Kap. VI.3.2.1. 228 Bodin, Les six livres de la République (1576), (Nachdruck Aalen 1977), Buch I, Kap. 10, S. 221. 229 Bodin, Les six livres de la République (1576), (Nachdruck Aalen 1977), Buch I, Kap. 10, S. 142. 230 Bodin, Les six livres de la République (1576), (Nachdruck Aalen 1977), Buch I, Kap. 10, S. 145. 231 Bodin, Les six livres de la République (1576), (Nachdruck Aalen 1977), Buch I, Kap. 10, S. 222. 232 Wyduckel, Ius publicum, 1980, S. 120. 233 Kritisch hierzu und auch hier Kontinuitäten betonend Wyduckel, Ius publicum, 1980, S. 122. 234 So dezidiert Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, Bd. 1, 1988, S. 173. 235 Zum Folgenden Quaritsch, Souveränität, 1986, S. 39–42. 226 227
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1566 jedoch noch keine hervorgehobene Position ein, sondern firmiert auf gleicher Ebene wie die Stellung als oberster Richter oder wie beispielsweise die Kompetenz zur Einsetzung der höchsten Beamten und zur Fixierung ihrer Zuständigkeiten, das Recht zur Kriegserklärung und zum Friedensschluss. Auch die Frage nach dem Verhältnis des Gesetzgebers zum geltenden Recht ist dabei noch differenziert beantwortet. Bei den Königen, die grundsätzlich nach dem Recht herrschen, unterscheidet er zwei Arten: „alteri quidem nulla tenentur lege: alteri legibus obligantur“236, wobei der ersten Gruppe vor allem die Herrscher des Altertums und der Papst angehören. Bodins Sympathie gehört freilich erkennbar der zweiten Kategorie, der die meisten christlichen Herrscher zuzurechnen seien. Diese schwören bei der Königsweihe, die grundlegenden Verfassungsgesetze („leges imperii“) zu respektieren, die sie ohne Konsens der Stände ebenso wie die Stadtordnungen und „coutumes“ (Rechtsgewohnheiten) nicht verändern könnten, wodurch der Umfang des Gesetzgebungsrechts eingeschränkt sei. Ohne die Zustimmung der Stände vermag er legislativ nur bisheriges rechtliches Brachland zu okkupieren, und auch die Kompetenz zur Aufhebung von Gesetzen war auf die von ihm selbst erlassenen Normen beschränkt. Der markante Schwenk, den Bodin binnen zehn Jahren vollzieht, ist nicht zuletzt ein Resultat der innenpolitischen Konstellation in Frankreich, die von den eskalierenden Konflikten zwischen den Konfessionen geprägt war. Bodin selbst, fälschlich für einen Hugenotten gehalten, war nur sehr knapp dem Massaker der Bartholomäusnacht entkommen. In einer Zeit, die von einer tiefgehenden Spaltung des Gemeinwesens und der damit einhergehenden Erschütterung des inneren Friedens geprägt war, konnte die Rechtssetzung als fundamentale Aufgabe des Staates zur Wiederherstellung und Bewahrung des religiösen Friedens und der inneren Sicherheit und Ordnung in das Blickfeld rücken und zum Kennzeichen des von Bodin schon 1566 aufgegriffenen, jedoch noch nicht so klar strukturierten Begriffs der Souveränität werden. Durch die Konzentration der unteilbaren Souveränität auf den Herrscher konnten folglich all jene aus dem Rechtssetzungsprozess exkludiert werden, die als Verfechter partikularer Interessen und gesellschaftlicher oder religiöser Gruppierungen wahrgenom men wurden, was nach Bodin vor allem auf die Stände zutraf. Die Konsequenz war klar: „Tous les estats demeurent en pleine suiection du Roy, qui n’est aucunement tenu de suyvre leur advis, ny accorder leur requestes.“237 Eine ���������������������������� Teilhabe an der Gesetzgebung und Souveränität ist ihnen verwehrt, wenngleich Bodin die Stände nicht schlichtweg als überflüssig abtut. Vielmehr kann ihre Befassung durchaus nützlich sein, sie können auch – wie schon das angeführte Zitat vor Augen führt – beratend tätig werden und dem Herrscher Beschwerden und Klagen unterbreiten. Die Entscheidung verbleibt aber stets beim souveränen Herrscher. Eine Ausnahme, die nicht die Gesetzgebung betrifft, macht Bodin bei der Auferlegung neuer Steuern, Zit. nach Quaritsch, Souveränität, 1986, S. 41. Bodin, Les six livres de la République (1576), (Nachdruck Aalen 1977), Buch I, Kap. 8, S. 134.
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die an die vorherige Zustimmung der Stände gebunden sei – womit Bodin offensichtlich dem faktischen Verfassungszustand in den meisten europäischen Ländern eine Konzession macht, führt er doch neben Frankreich u. a. England, Spanien, Polen, Ungarn und die Schweizer Kantone an. Diese Beispiele sprächen für das Bestehen eines gesamteuropäischen Grundsatzes. Aus Bodins Modell der Souveränität als höchster und keiner anderen Autorität unterworfener Gewalt fließt auch das Verbot eines wie immer gearteten Widerstandsrechts.238 „Gegen den Fürsten läßt Bodin für den Untertanen kein Widerstandsrecht zu, das jede Herrschaft gefährden würde.“239 Das bedeutet jedoch nicht, dass der Herrscher keinerlei Bindungen unterworfen ist. Obwohl er über der von ihm frei gestaltbaren positiven Rechtsordnung („lex“) steht, ist er sehr wohl dem göttlichen und natürlichen Recht („ius“) unterworfen. Dieses wird allerdings nicht näher definiert, zumal auch allfällige Verstöße dagegen faktisch sanktionslos bleiben, da niemand über dem souveränen Herrscher stehe. Aus der „Verabsolutierung des Herrscherwillens zum Gesetz“240 erklärt sich, warum Bodin zu einem der theoretischen Fundamente des französischen Absolutismus wurde.241 Auch jenseits der französischen Grenzen und speziell im Heiligen Römischen Reich intensivierte sich die Rezeption des Bodin’schen Werks ab dem ausgehenden 16. Jahrhundert schlagartig.242 Wenngleich die Reichsterritorien zum damaligen Zeitpunkt von einer Realisierung des Bodin’schen Souveränitätsmodells sowohl im Inneren (gegenüber den Ständen) als auch nach außen (gegenüber dem Reich) noch weit entfernt und die Fürsten de facto durch eine ganze Reihe von Faktoren in ihrer Gesetzgebungskompetenz beschränkt waren,243 konnte die publizistische Nutzbarmachung Bodins in der Folge durchaus der Untermauerung absolutistischer Ansprüche in der Staatstheorie und -praxis dienen.244 Die Ausnützung und die Intensivierung des den Trägern der Souveränität zugesprochenen Gesetzgebungsrechts führten zu einer Ausweitung der staatlichen Tätigkeit und erleichterten den unmittelbaren, durch keine intermediären Gewalten behinderten Zugriff des Staates auf die Untertanen. „Die Staatstheorie hat diesen Vorgang gestützt und gerechtfertigt, gelegentlich wohl sogar vorangetrieben.“245 So avancierte die legislative Tätigkeit zu einem „archimedische[n] Punkt“, „von dem aus der staatliche Ge-
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Vgl. Grunert, Sovereignty and Resistance, 2002, S. 123. Scheuner, Ständische Einrichtungen, 1973, S. 389. So Schlosser, Rechtssetzung und Gesetzgebungsverständnis, 1987, S. 48–49 Vgl. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, Bd. 1, 1988, S. 174 (mit weiteren Literatur hinweisen). Hoke, Bodins Einfluß, 1973, S. 315; Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, Bd. 1, 1988, S. 175 und 177. So auch Klippel, Geschichte der Gesetzgebung, 1998, S. 9–10. Vgl. zum Folgenden Stolleis, Condere leges et interpretari, 1990, S. 186–188. So Stolleis, Condere leges et interpretari, 1990, S. 187.
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setzgeber die alte Welt aus den Angeln zu heben vermochte“, wie es Helmut Quaritsch 1970 anschaulich beschrieb.246 Was bei diesem Bild vielleicht etwas untergeht, ist das Prozesshafte dieses Verlaufs. Von begründbaren Ausnahmen wie dem Erlass der „Vernewerten Landesordnung“ für Böhmen (1626) nach der Niederlage der Stände in der Schlacht am Weißen Berg abgesehen, war es nämlich kein spektakuläres „Aushebeln“ alter Macht strukturen mithilfe der Gesetzgebung, sondern ein allmähliches Durchdringen immer weiterer Rechtsbereiche durch eine allmählich expandierende Gesetzgebung. Bei der Debatte über die theoretische Fundierung und Verortung der Gesetzgebung durch die Reichspublizistik ist an dieser Stelle ein zusätzlicher Problemkreis anzudeuten, mit dem diese im Unterschied zu anderen frühneuzeitlichen Staaten Europas konfrontiert war: das Verhältnis zwischen Reich und Ländern. Die frühneuzeitliche Tendenz ging deutlich in Richtung einer Verlagerung der Souveränität auf die Ebene der Territorien, obwohl diese nach herrschender Ansicht im Ancien Régime eine solche nie erringen konnten – woran auch die Verankerung der ständischen Freiheit im Westfälischen Frieden nichts zu ändern vermochte. Dennoch näherte sich die Verfassungswirklichkeit in den Territorien wohl schon in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts einem nahezu souveränen Status der Reichsterritorien an, wenngleich der Terminus aufgrund der überwölbenden Reichsverfassung nicht verwendet werden konnte. Hier prägte die Publizistik die Formel von der „superioritas territorialis“ bzw. „Landeshoheit“ oder „Landesobrigkeit“, die als abstrakter Herrschaftsbegriff die Territorialgewalt „als ein materiell nicht beschränktes Recht beschreibt.“247 Die staatsrechtlichen Traktate des 17. Jahrhunderts entwickeln ganze Kataloge von Rechtsfolgen der Territorialgewalt, die regelmäßig auch – aber eben nur neben anderen – das Gesetzgebungsrecht anführen. Diese Aufzählungen von Emanationen der Territorialgewalt zielen nicht zuletzt darauf ab, eine Handreichung für den Nachweis einer bestehenden superioritas territorialis darzustellen. Diese Zielsetzung erklärt, warum man die bei Bodin vorgenommene Konzentration auf die legislative Kompetenz vermeiden musste (ganz abgesehen davon, dass sich andere Rechtsfolgen der Territorialgewalt wie die tendenziell am stärksten betonte Jurisdiktionsgewalt in praxi bedeutend leichter feststellen und beweisen ließen als die Befugnis zur Gesetzgebung248). Beste Aussichten auf die Durchsetzung der Landeshoheit in einer umstrittenen Gemeinde hatte jener, der möglichst viele Herrschaftsrechte auf sich vereinigen konnte. Die faktische Wahrnehmung einer Gesetzgebungskompetenz und die anschließende Befolgung der Normen durch die Adressaten waren Indizien für das Bestehen der superioritas territorialis, aber durchaus nicht die einzigen. Beispielhaft für die aus der Territorialgewalt ableitbaren re Vgl. Quaritsch, Staat und Souveränität, 1970, S. 510. Willoweit, Rechtsgrundlagen, 1975, S. 173; anhand des Beispiels Bayern Schlosser, Rechtsetzung und Gesetzgebungsverständnis, 1987, S. 45–46. 248 Eindrückliche Beispiele hierfür finden sich bei Bellabarba, Zeugen der Macht, 2002. 246 247
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spektive diese konstituierenden Rechte sei die Enumeration im 1621 erschienenen Werk von Christoph Mingius „De superioritate territoriali et ejusdem juribus adfinibus“ erwähnt. Ihm zufolge manifestiert sich die Territorialgewalt in der Verfügung über Regalien, in der Einsetzung von Beamten und Richtern, im Hofgericht, in den Ladungen zu Landtagen, im Erlass von Landesordnungen und Einzelgesetzgebungsakten und in der administrativen Wahrnehmung von Policeymaterien wie der Aufsicht über Maße und Gewichte, ferner in der Erteilung von Dispensationen und Privilegien, in Besteuerungsrechten und militärischen Befugnissen.249 Gestaltungsräume und die Bedeutung der Reichsgesetzgebung schrumpften.250 Auch auf Reichsebene musste die Publizistik mit einer Adaption der Bodin’schen Souveränitätslehre reagieren und diese mit dem Verfassungszustand des Reiches in Einklang bringen. Dies geschah beispielsweise durch das Bemühen um die begriffliche Unterscheidung von Souveränität einerseits und ihrer Ausübung andererseits oder durch die Steigerung der bei Bodin nur angedeuteten Bindung des Herrschers an überpositives Recht. Aus der Verpflichtung auf die leges fundamentales und die Wahlkapitulationen leitete man die Idee einer Gemeinschaftskompetenz von Kaiser und Reich im Bereich von Gesetzgebung und Rechtsprechung ab.251 Insgesamt darf man trotz der Herausforderung, die Bodin für die Juristen im Reich des 17. Jahrhunderts darstellte, freilich nicht von einem plötzlichen publizistischen Obsiegen der Bodin’schen Theorie des absoluten Vorrangs der Gesetzgebung ausgehen, was bereits die zeitgenössische Definition der „superioritas territorialis“ illustrierte. Aber nicht nur hier zeigt sich in der staatsrechtlichen Literatur die lange Beharrungskraft der Vorstellung eines Ableitungszusammenhangs der Gesetzgebungskompetenz aus der Jurisdiktionsgewalt – wobei dieses Modell den Vorteil besaß, die Begründung einer über die bloße Anhörung hinausgehenden Mitwirkung der Stände an der Gesetzgebung zu erleichtern.252 Darüber hinaus ist mit Wyduckel253 darauf hinzuweisen, dass sich das frühneuzeitliche Staatsdenken nicht auf Ausprägungen und Variationen der Bodin’schen Theorie mit ihrer Betonung der herrscherlichen Souveränität beschränkte. Während ein Strang der staatsrechtlichen Literatur den frühmodernen Staat ‚von oben‘ betrachtete und bei der Wahl dieser Perspektive deutlich von der Bodin’schen Souveränitätsvorstellung geprägt wurde, betrachtete ein anderer den Staat ausgehend von seinen ständischen und genossenschaftlichen Aspekten und betonte in weiterer Folge den konsensualen Charakter der Herrschaft. Diese Sichtweise des Staates als Resultat einer bewussten Vereinigung von Menschen konnte durchaus auch in der Zeit des römischen Prinzipats einen historischen Bezugspunkt finden, der in der Vgl. Willoweit, Rechtsgrundlagen, 1975, S. 174–179. Vgl. Stolleis, Condere leges et interpretari, 1990, S. 187; vgl. hierzu auch Kap. VI.5.2.1.1. über die Reichsgesetzgebung. 251 Vgl. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, Bd. 1, 1988, S. 185. 252 Vgl. Mohnhaupt, Mitwirkung, 2000, S. 209. 253 Vgl. zum Folgenden v. a. Wyduckel, Ius publicum, 1974, S. 124–131. 249 250
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römisch-rechtlichen lex regia seinen Niederschlag gefunden hatte. Diese basiert auf der Annahme einer ursprünglich beim Volk liegenden Herrschaftsgewalt, die mittels Rechtsakts auf den Herrscher transferiert worden sei, so dass diesem nur ein delegiertes Herrschaftsrecht zustehe. Die mittelalterliche Legistik hat diese Vorstellung durch eine konzessualistische Auslegung der lex regia weiterentwickelt. So schwebt Bartolus das Bild einer „civitas sibi princeps“ vor Augen, die Herrschaft nur in der Ausprägung eines zeitlich befristeten Auftrags kennt, während Marsilius von Padua eine vom „consensus subditorum“ getragene Staatsform als erstrebenswert darstellt, in welcher dem Herrscher nur ausführende Funktionen zukommen. Dieser Interpretationsstrang, der auf die konsensuale Grundlage der Herrschaft mehr Gewicht legt, findet in dem 1603 erschienenen Werk „Politica“ von Johannes Althusius einen Kulminationspunkt. Während Bodin die Souveränität des Herrschers ins Zentrum der Betrachtung rückt, geht Althusius von den lokalen und ständischen Gewalten aus.254 Das Resultat ist eine nicht herrschaftlich, sondern genossenschaftlich orientierte Staatstheorie, deren Fundament die „consociatio“, der freiwillige Zusammenschluss, darstellt. Zwar kennt auch Althusius eine oberste Herrschaftsgewalt, doch kommt dieses „ius maiestatis“ der „consociatio“ als einem korporativen Zusammenschluss in seiner Gesamtheit zu, während dem Herrscher nur Verwaltungsbefugnisse zustehen. Als Teil der Gemeinschaft muss er sein Handeln am Gemeinwohl ausrichten. Aber auch das der Gesamtheit zukommende „ius maiestatis“ ist nicht absolut und unbeschränkt, was auch den inhaltlichen Rahmen der Gesetzgebungsbefugnis restringiert: „Juris hujus regni statuendi et se obligandi ad id, potestatem populus, seu membra regni consociata habent. ������������������ Atque in hac potestate disponendi, praescribendi, ordinandi, administrandi et constituendi, singula, et omnia quae consociationi universali sunt necessaria et utilia.“255 Aber nicht nur Notwendigkeit und Nützlichkeit sind inhaltliche Schranken der positiven Gesetzgebung. Diese hat sich überdies am göttlichen und am Naturrecht auszurichten. Althusius verzichtet dabei auf eine Differenzierung. Naturrecht und göttliches Recht sind weitgehend deckungsgleich, da beide gleichermaßen in Gott gründen und im Dekalog ihren Niederschlag gefunden haben.256 Ein positives Gesetz, das vom natürlichen und göttlichen Recht abweiche, könne nicht als „wahres“ Gesetz betrachtet werden, da es diesen Namen nicht verdiene.257 Der „runde Geburtstag“ des Erscheinens der „Politica“ des Althusius im Jahr 2003 hat die wissenschaftliche Beschäftigung entsprechend intensiviert, vgl. zum Folgenden v. a. die Sammelbände Carney/Schilling/Wyduckel, Jurisprudenz, 2004; Bonfatti/Duso/Scattola, Politi sche Begriffe und historisches Umfeld, 2002; Duso/Krawietz/Wyduckel, Konsens und Kon soziation, 1997; ferner Adamovà, Souveränität und Gesamtstaat, 2002; Blickle, „Consociatio“ bei Althusius, 2002; zusammenfassend noch immer Wyduckel, Princeps, 1979, S. 19–21; Wyduckel, Ius publicum, 1980, S. 137–139; ferner Winters, „Politik“ des Althusius, 1963. 255 Politica, cap. IX, Nr. 16, S. 175, zit. nach Wyduckel, Ius publicum, 1980, S. 138, Anm. 141. 256 Vgl. schon Winters, „Politik“ des Althusius, 1963, S. 166–167. 257 Vgl. hierzu de Vries/Nitschke, Politische Gemeinschaft, 2004, bes. S. 110–116. 254
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II. Das Gesetz: Definitionen
Gerade Peter Blickle hat mit Blick auf die lokalen Rechtssetzungskompetenzen der frühneuzeitlichen Kommunen hervorgehoben, dass Althusius nicht eine gelehrte Tradition verarbeitet, sondern sein Werk nur vor dem Hintergrund der kommunalen und ständischen Erfahrung der Zeitgenossen und auch von Althusius selbst verständlich wird.258 Die Grundkonzeption eines genossenschaftlichen Staatsaufbaus ‚von unten‘ her, die dem Herrscher als Repräsentanten der Gemeinschaft nur exekutive Aufgaben überlässt und die für eine herrscherliche potestas absoluta keinen Raum hat, lässt demgegenüber – wieder im Unterschied zu Bodin – ein Widerstandsrecht zu.259
2. 3. Der Umfang der potestas legislatoria Aufbauend auf die mittelalterliche Kanonistik, welche die gesetzgebende Gewalt in verschiedene, selbständige Einzelbefugnisse aufgegliedert hat – der Papst habe beispielsweise „plenam potestatem condendi, abrogandi, interpretandi canones“ und könne auch von ihrer Geltung dispensieren, wie es Huguccio beschreibt260 –, stellte die Gesetzgebung nach der frühneuzeitlichen Staatslehre keine einheitliche, in sich geschlossene Gewalt dar, sondern untergliedert sich in ein Bündel selbständiger Einzelkompetenzen.261 Bis in das 18. Jahrhundert gliedert sich demzufolge die potestas legislatoria auf in das Recht, 1. Gesetze zu erlassen 2. Gesetze zu ändern 3. Gesetze aufzuheben 4. Gesetze zu interpretieren 5. von der Geltung von Gesetzen zu befreien, wobei dies entweder in Form einer Dispensation für den Einzelfall erfolgen konnte oder in Form eines Privilegs für eine unbestimmte Mehrzahl von Fällen. Bei einigen Publizisten wurde darüber hinaus die Kundmachung der Gesetze als Bestandteil der Gesetzgebungskompetenz erwähnt. Sieht man von der zum Teil diskutierten Zuordnung der Privilegienhoheit zur „potestas legislatoria“ ab, war diese Untergliederung im staatsrechtlichen Schrifttum sämtlicher europäischer Staaten bis in das 18. Jahrhundert regelmäßig anzutreffen. In Übereinstimmung mit dem Gesagten umreißt Carl Gottlieb Svarez noch 1791/1792 in seinen „Kronprinzenvorträgen“ für den späteren preußischen König Friedrich Wilhelm III. den Umfang der potestas legislatoria stichwortartig folgen Blickle, „Consociatio“, 2002, bes. S. 230–235. Vgl. nur Friedeburg, Widerstandsrecht, Untertanen und Vaterlandsliebe, 2004; Aravena, Right of Resistance, 2004. 260 Zit. nach Monhaupt, Potestas legislatoria, 1972, S. 211. 261 Vgl. zum Folgenden Mohnhaupt, Potestas legislatoria, 1972, S. 208–213; ferner Mohnhaupt, Gesetzgebung und Gesetzgeber, 1988, S. 357. 258 259
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dermaßen: „Zur gesetzgebenden Macht gehört ius leges ferendi, leges abrogandi, leges declarandi, exemptiones a legibus concedendi. Privilegia. Dispensationes.“262 Diese theoretische Fixierung findet auch in Gesetzeswerken selbst ihren Niederschlag. Musterbeispiel hierfür ist der erste Artikel der „Leges Danicae“ von König Christian V., der das legislative Monopol des dänischen Herrschers entsprechend umreißt: Dem König stehe es zu, als „absolutus atque haereditarius Monarcha ac Dominus, cui, suo arbitratu, per supremam illam, qua solus valet, auctoritatem ac potestatem Leges et Constitutiones condere pariter atque interpretari, eisdem obrogare, surrogare, derogare, imo, a Se Ipso, aut a Majoribus suis rogatas abrogare, nec non, quid quemque Ipsi placuerit, universali legis praescripto eximere [...].“263 Der Umfang der potestas legislatoria findet aber auch abseits solcher programmatischen Aussagen in den Gesetzestexten selbst seinen Niederschlag. Dies trifft besonders für den Änderungsvorbehalt zu, durch den sich der Gesetzgeber die Verminderung, Vermehrung oder Aufhebung der im aktuellen Gesetz getroffenen Regelungen reserviert und auf diese Weise die eigene Position als Quelle des Rechts hervorhebt. Diese Vorgehensweise ist grundsätzlich nicht neu. Schon seit der Mitte des 12. Jahrhunderts pflegte die päpstliche Kurie Privilegien nur noch „salva Sedis Apostolicae auctoritate“ zu erteilen, da dem Papst die Erlassung anderweitiger Verfügungen unbenommen blieb – was ausdrücklich auf das oberste Gesetzgebungs recht des Papstes zurückgeführt wurde.264 In Privilegien finden sich entsprechende Klauseln in Tirol bereits im 14. Jahrhundert. Anlässlich der Erlassung des Meraner Stadtrechts im Jahr 1317 behält sich Heinrich von Kärnten-Tirol ausdrücklich dessen Änderung und Aufhebung vor.265 Von den Privilegien dringt der Änderungsvorbehalt in Tirol im 15. Jahrhundert schließlich in Gesetzgebungsakte vor.266
Svarez, Vorträge über Staat und Recht, 1960, S. 13; vgl. z. B. auch von Stökken, De potestate legislatoria, 1619, These 45, S. 26. 263 Zit. nach Mohnhaupt, Potestas legislatoria, 1972, S. 212. 264 Krause, Dauer und Vergänglichkeit, 1958, S. 235 (mit weiteren Literaturhinweisen); Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, 41964, S. 333; Quaritsch, Staat und Souveränität, Bd. 1, 1980, S. 134–135. 265 Vgl. die Edition bei Stampfer, Geschichte von Meran, 1889, S. 346–349, hier S. 349 (inhaltlich zum Stadtrechtsprivileg ebd., S. 34–38); Lieberich, Kaiser Ludwig der Baier als Gesetzgeber, 1959, S. 232; Hageneder, Gesetzgebungsrecht, 1974, S. 465; die unterschiedlichen „Benennungen“ der Gesetze erwähnt auch noch Leist, Lehrbuch, 1803, S. 288, Anm. 10. 266 Vgl. hierzu ausführlich Kap. II.3.3.2.6. 262
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II. Das Gesetz: Definitionen
3. Der rechtshistorische Gesetzesbegriff 3. 1. Zeitgenössische Bezeichnungen Bereits bei der ersten Sichtung des Quellenmaterials fällt die Fülle zeitgenössischer Bezeichnungen für Rechtssetzungsakte auf, die als Mandat, Ordnung, General, Generalmandat, Verbotsbrief, Circular, Edikt, Dekret, Reskript, Patent, Verordnung, Resolution, Satzung oder eben auch als Gesetz begegnen.267 Diese „babylonische Sprachvielfalt“268 lässt sich nach herrschender Forschungsmeinung nicht sinnvoll auflösen, vielmehr seien die Bezeichnungen synonym gebraucht und von den Kanzleien gleichsam nach dem Zufallsprinzip ausgewählt worden.269 Dieser Befund, der bei gesamthafter Betrachtung des Ancien Régime wohl für alle europäischen Staaten zutrifft und schon von der Staatsrechtslehre des 17. und 18. Jahrhunderts diagnostiziert wurde,270 mag bei regionaler Fokussierung des Untersuchungsgegenstandes jedoch überraschen, speziell wenn man sich die starke Gebundenheit der frühneuzeitlichen Verwaltung an Kanzleibräuche und Formularien vor Augen hält. Tatsächlich zeigt die Untersuchung der Bezeichnungsusancen in einzelnen Territorien, dass sich die anfänglich zu konstatierende Vielfalt zumindest rudimentär strukturieren lässt, wie dies Peter Kissling anhand der Gesetzgebungspraxis im Berchtesgadener Land nachweisen konnte.271 Die Möglichkeit einer zumindest partiellen Erhellung der vorderhand dominierenden undurchsichtigen Begriffsvielfalt durch konsequente Analyse des Quellenmaterials hat bereits Immel 1976 ange deutet, doch dabei eine grundlegende Einschränkung aufgezeigt, die auch für die folgenden Ausführungen eins zu eins gilt: Es können „terminologische Festlegungen in diesem Bereich nicht verallgemeinert werden. Was für das eine Territorium gilt, ist nicht notwendig auch für das andere maßgebend.“272 Eine genauere Analyse des Tiroler Materials bestätigt die Immel’sche Theorie, dass von einer „Benennungswillkür“ bei den Gesetzgebungsakten nicht die Rede sein kann. Zwar muss diver Vec, Hofordnungen, 1999, S. 44; Brauneder, Anfänge der Gesetzgebung, 1994 (erstmals 1977), S. 421; Mohnhaupt, Potestas legislatoria, 1972, S. 206–207; Wolf, Gesetzgebung und Stadtverfassung, 1968, S. 7–8; Janssen, Gesetzgebung, 1984, S. 37; Stolleis, Gesetzgebungsmacht, 1990, S. 288; Pauser, Maximilian II. und die Landstände, 2002, S. 26; Immel, Typologie, 1976, S. 4 und 7; Härter, Policey und Strafjustiz, 2005, S. 119. 268 So Pauser, Gesetzgebung, 2004, S. 231. 269 Vgl. z. B. Burkert, Patente Ferdinands I., 1989, S. 24; Mohnhaupt, potestas legislatoria, 1972, S. 217; vgl. auch Pauser, Gesetzgebung, 2004, S. 231, der darauf aufmerksam macht, dass umfangreichere Gesetze zumeist als „Ordnung“ bezeichnet wurden, andere Bezeichnungen wie Mandat, Patent, General, Generalmandat oder Satzung „zum Teil durchaus austauschbar“ seien. 270 Immel, Typologie, 1976, S. 4–7. 271 Kissling, „Gute Policey“, 1999, S. 24. 272 Immel, Typologie, 1976, S. 4. 267
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gierenden Benennungen keine inhaltliche Bedeutung zukommen – wenngleich dies zutreffen kann –, doch lassen sich jedenfalls Kanzleiusancen erkennen, die das Diktum der willkürlichen Bezeichnung spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Normtexte erheblich relativieren. Zunächst muss eine deutliche Zäsur in der ersten Hälfte der zwanziger Jahre (ca. 1523/1524) gesetzt werden, die mit zwei Umständen zusammenhängt: erstens mit dem Übergang zur Drucktechnik bei der Vervielfältigung der Gesetzestexte, zweitens mit der Reform der Registrierung des bei der oberösterreichischen Regierung anfallenden Schriftguts. Zweitens muss bei der Analyse unterschieden werden zwischen der im Normtext selbst aufscheinenden Eigenbezeichnung, die sich als stark vom Urkundenformular geprägt erweist, und der von einem zeitgenössischen Registrator bei der Ablage oder bei der kopialen Niederschrift gewählten Bezeichnung. Ab den achtziger, regelmäßig ab den neunziger Jahren des 15. Jahrhunderts pflegten die Kanzleischreiber das im Anschluss wiedergegebene Schriftstück zu rubrizieren, d. h. in Stichworten den Inhalt zu umreißen, wobei in zunehmendem Maße – ab 1523 regelmäßig – auch die Gattung des Schreibens charakterisiert wird. Und hier zeigt sich deutlich, was bei Gesetzen unterschieden wird: Von den ganz wenigen Fällen abgesehen, in denen nur der Inhalt wiedergegeben wird,273 verwendet man zur entsprechenden Kennzeichnung entweder „Mandat“ (für das fallweise „Verbot“ stehen kann274) oder „Ordnung“. Dabei wird durchaus inhaltlich differenziert, indem „Mandat“ sich ausschließlich auf Einzelgesetzgebungsakte bezog, die sachlich begrenzt nur einzelne Materien oder Angelegenheiten guter Policey normierten, während „Ordnung“ für umfangreichere Regelungskomplexe in Verwendung stand.275 Ein Mandat der knecht halben verbietet so den Untertanen, sich zur Leistung von Kriegsdiensten ins Ausland zu begeben, während die Vischordnung die Fischerei in der Grafschaft auf umfassende Weise normiert.276 Im Normtext selbst kommt in Anlehnung an den „offenen Befehl“277 der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts auch die Bezeichnung „offenes Mandat“ statt des „Mandats“ ohne Attribut vor. Dies dient der Gegenüberstellung des Mandats, das den Gesetzesadressaten durch Publikation kundzumachen ist, mit dem „verschlossenen Befehl“278, der eine nur ver Vgl. nur das Mandat in TLA, BT, Bd. 5, fol. 258, 1545 Mai 5, das schlichtweg mit den wesentlichen Regelungspunkten gekennzeichnet wird: Wiertshewser, haltung der hochczeitten, tail- und gfattermäler. 274 Vgl. z. B. TLA, BT, Bd. 5, fol. 369, 1545 April 1: verpott der selbsschlagenden püchßsen. 275 Vgl. hierzu Kap. III.2.3. 276 TLA, Regierungskopialbuch, Bd. 1, fol. 162v, 1521 Juli 21; TLA, BT, Bd. 5, fol. 311, 1541 März 29. 277 Vgl. z. B. TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 16, Lit. P, S. 88–93, 1493 März 24; auch noch später belegt, vgl. TLA, BT, Bd. 1, fol. 440v, 1527 Mai 8. 278 Vgl. nur die explizite Kontrastierung offene mandata versus verschlossene bevelch in TLA, AfD 1576, fol. 102, 1576 Febr. 3; ebenso TLA, AksM 1600, fol. 225r–226r, 1600 Nov. 18. 273
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II. Das Gesetz: Definitionen
waltungsinterne Anweisung einer übergeordneten Behörde an ein untergeordnetes Organ darstellt und somit dem nahe kommt, was von der Forschungskonvention als „Reskript“ bezeichnet wird (wobei „Reskript“ selbst während des Untersuchungs zeitraumes in Tirol nicht belegt ist). Die grundsätzliche Unterscheidung zwischen „Mandat“ und „Ordnung“ war somit spätestens seit den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts bis hinunter zu den unteren Kanzleichargen der Regierung eine Selbstverständlichkeit und trug inhaltlichen Unterschieden Rechnung. Demgegenüber zeigt sich in den Gesetzestexten selbst eine deutlich größere Begriffsvielfalt, die jedoch von inhaltlichen Kriterien entkoppelt ist. Dennoch hat dies mit Willkür nichts zu tun. Gesetze sind in Spätmittelalter und Frühneuzeit formal Urkunden, und als solche folgen sie den Regularitäten des Urkundenformulars, das sich allgemein durch die Aneinanderrei hung inhaltlich ähnlicher Begriffe auszeichnet. Und ebenso wie beispielsweise die Pertinenzformeln frühneuzeitlicher Kaufverträge abundant alles mögliche Zubehör einer zu übertragenden unbeweglichen Sache aufzählen, neigt auch die für die Gesetze verwendete Urkundensprache einer großen Begriffsvielfalt zu, wobei hier insbesondere eine Prädilektion für Paarformeln feststellbar ist (ordnung und saczung,279 mandat und bevelh,280 mandat und verpot,281 ordnung und gesacz,282 ordnung und gebot,283 instruction und ordnung,284 gebot und bevelch,285 bevelch und gebotsbrief,286 gebotsbrief und mandat287). Mit dem Urkundenformular zu erklären sind auch die Fundstellen entsprechender Erwähnungen. Sie finden sich entweder in der Sanctio, wenn für den Fall der Übertretung der entsprechenden ordnung und saczung o. Ä. mit Strafe gedroht wird, oder aber in der Narratio, wenn auf einschlägige Vorläuferregelungen verwiesen wird. Nur in diesen Kontexten finden sich Bezeichnungen tatsächlich von inhaltlichen Kriterien entkoppelt, kann beispielsweise ein von einem Registrator als „Mandat“ rubrizierter legislativer Akt als „Ordnung“ aufscheinen.288 Im Einzelnen sind im Urkundenformular seit dem Einsatz des Drucks folgende Bezeichnungen belegt: „Ordnung“ (in verschiede nen Komposita), „Satzung“, „Befehl“, „Gebotsbrief “, „Gebot“, „Verbot“, „Gesetz“, „Verbotschreiben“„Generalmandat“, „General“, „Similia“, wobei auch hier die Be griffsvielfalt in praxi nur eingeschränkt anzutreffen ist, liegen doch für die fünf 281 282 283 284 285 286 287
Vgl. z. B. TLA, BT, Bd. 5, fol. 258, 1545 Mai 5. Z. B. TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 34, Lit. Hh, fol. 6, 1514 Jan. 17. Z. B. TLA, BT, Bd. 1, fol. 49v–50r, 1524 Dez. 14. Z. B. TLA, BT, Bd. 7, fol. 271, 1557 Febr. 10. Z. B. TLA, CD 1556, fol. 50v–51v, 1556 März 19. Z. B. TLA, CD 1586, fol. 396v–410v, 1586 Dez. 16. Z. B. TLA, CD 1604, fol. 524, 1604 Mai 21. Z. B. TLA, BT, Bd. 1, fol. 440v, 1527 Mai 8. Z. B. TLA, CD 1545, fol. 153, 1545 Okt. 9; in umgekehrter Reihenfolge z. B. in TLMF, Dip. 1090, Nr. 43, 1592 Sept. 4. 288 So in TLA, CD 1559, fol. 247, 1559 Sept. 30; CD 1571, fol. 495, 1571 April 1. 279 280
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letztgenannten Benennungen nur zwischen ein und zwei Belege in fast eineinhalb Jahrhunderten vor.289 Termini wie „Deklaration“, „Erläuterung“, „Erklärung“ haben demgegenüber stets eine spezifische Bedeutung, werden sie doch nur verwendet, wenn eine bereits bestehende Norm näher ausgeführt und präzisiert wird.290 Werfen wir zum Vergleich einen Blick auf die Verhältnisse im Spätmittelalter und in den ersten zwei Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts. Bis in die siebziger und achtziger des 15. Jahrhunderts dominieren die Bezeichnungen „Brief “, „Geschäft“, „Befehl“ und „Gebot(sbrief )“, womit stets auf den Urkundencharakter der legislativen Akte Bezug genommen wird.291 „Brief “ und „Geschäft“ sind dabei keineswegs kennzeichnend für Gesetze. Mit „Brief “ konnte unterschiedslos jede Urkunde bezeichnet werden, das „Geschäft“ umfasste sämtliche Weisungen übergeordneter an untergeordnete Stellen, gleichgültig ob einzelfallbezogen oder generell-abstrakt. „Brief “ und „Geschäft“ als sehr unspezifische Ausdrücke fallen daher ab den neunziger Jahren des 15. Jahrhunderts weg. Sie wurden binnen eines Jahrzehnts vom „Mandat“ verdrängt, das damals seinen Siegeszug antrat. Der Erstbeleg aus der Regimentskanzlei stammt aus dem Jahr 1492.292 Im Hochstift Trient wurde die lateinische Fassung mandatum anlässlich der Registrierung von Rechtssetzungsakten Maximilians I. (!) schon früher verwendet (mandatum contra furkauffer, mandatum contra pierprewern).293 Jedoch fallen auch Kontinuitäten – angesichts des Beharrungsvermögens auch des Urkundenformulars allgemein wenig überraschend – sofort ins Auge, namentlich die schon damals frequent auftauchenden Paarformeln wie ordnung und
TLA, BT, Bd. 5, fol. 369, 1545 April 1 („General“); TLA, BT, Bd. 16, fol. 197v–198v, 1610 Juni 5 („Generalmandat”); TLA, BT, Bd. 17, fol. 242, 1617 April 12 („Similia”); TLMF, Dip. 1090, Nr. 87, 1611 Nov. 12 („Verbotschreiben”); zur Verwendung von „Gesetz” s. u. 290 So die erleüttrung, erclerung, ordnung und saczung bei Wucher (TLA, BT, Bd. 5, fol. 188v– 189v, 1544 April 26; die Declaration zur Erläuterung des 3. Titels, 3. Buch der TLO von 1532 in TLA, Pestarchiv XXIX/79, 1571 Juni 12; ferner TLA, AkgM 1543, fol. 136v, 1543 Aug. 25; AfD 1615, fol. 493v–495v, 1615 Sept. 5; TKA, BT, Bd. 19, fol. 247, 1627 Nov. 4. 291 Für Beispiele vgl. nur TLA, Hs. 3177, fol. 132r–132v, 1385 April 13 („Brief “); ebd., fol. 133v–134r, 1420 Juni 13 („Geschäft“); TLA, Hs. 110, fol. 54r, 1471 Okt. 28 („Brief “ und „Verbotsbrief “); TLA, Hs. 123, fol. 52r, 1473 März 14 („Brief “); TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 3, Lit. B., fol. 48v, 1481 Okt. 1 („Brief “ und „Befehl“); ebd., fol. 49r, 1481 (nach Nov. 24 und vor Dez. 3) („Geschäft“); TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 18, Lit. R, S. 101–102, 1495 Aug. 17 („Geschäft“ und „Gebotbrief “). 292 TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 15, Lit. O, fol. 79r, 1492 Sept. 1: Mandat von der visch und vögl wegen; die Bezeichnung vorst- und wildprethmandat in TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 6, Lit. G, S. 105, 1484 Juli 6 ist dagegen erst von einer Schreiberhand des 17. Jahrhunderts nachgetragen worden. Dasselbe gilt für das Mandat klain hüntl ziehen, die daz wildpreth von den güetern schreckhen in TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 8, Lit. J, S. 184, 1486 Okt. 3. 293 AStT, libri copiali, gruppo 1, vol. 1, fol. 23r (= S. 45), 1491 Dez. 4; ebd., fol. 24r (= S. 47), 1491 Dez. 4. Zum Phänomen der Übernahme von Tiroler Gesetzen im Hochstift Trient vgl. Kap. VI.5.3.2. 289
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II. Das Gesetz: Definitionen
gesacz,294 ordnung und erfindung,295 ordnung und verpot,296 ordnung und bevelch297. Eine entsprechende Beobachtung lässt sich bereits bei einem der ältesten landesfürstlichen Rechtssetzungsakte aus dem Jahr 1352 machen, wo gleich viermal von gesacz(t) und gebot und einmal von stuck und artickel die Rede ist.298 Diese Paarformeln und die dabei auftretenden Begriffskombinationen sind ebenfalls primär urkundensprachliche Spezifika ohne erkennbare inhaltliche Unterscheidungsfunktion – wobei bei letzterer Aussage zwei Einschränkungen gemacht werden müssen. Erstens wird in normativen Texten in Urkundenform während des gesamten Untersuchungszeitraumes bemerkenswerterweise die seit den Forschungen Dietmar Willoweits genauer beachtete Paarformel „Gebot und Verbot“299 kein einziges Mal erwähnt, wenngleich sie auch im Tiroler Raum bis in das 17. Jahrhundert durchaus geläufig war. Hinsichtlich der daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen sei auf spätere Ausführungen verwiesen.300 Zweitens trifft die Annahme eines fehlenden Bezugs zum Inhalt bei einer einzigen Paarformel nicht zu, nämlich bei der Begriffskombination „Ordnung und Erfindung“. Diese Kombination wird zwar 1420 für einen Landtagsschluss und 1507 in Zusammenhang mit einer auf einem Landtag vorgenommenen prozessrechtlichen Normierung der Pfändung verwendet,301 scheint aber ansonsten in der Singular- oder Pluralform vornehmlich im Kontext bergrechtlicher Normen auf.302 Dasselbe gilt für die isolierte Nennung von „Erfindung(en)“, die ebenfalls bevorzugt in einem bergrechtlichen Bezugsrahmen vorkommt und ansonsten nur ganz vereinzelt als Resultat der Rechtssetzung auf Landtagen genannt wird. 1482 werden beispielsweise die bäuerliche Fehdeführung betreffende erfindungen auf den landtägen erwähnt.303 Die Beschlüsse des Landtags vom Juni 1444 werden ausschließlich als erfindung bezeichnet: Das ist die erfindung
TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 24, Lit. W, fol. 53, 1501 Jan. 8. TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 28, Lit. Aa, fol. 42, 1507 Febr. 20. 296 TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 32, Lit. Ee, fol. 134v–135r, 1511 Okt. 11. 297 TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 17, Lit. Q, S. 81–82, 1484 Aug. 1; TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 34, Lit. Hh, fol. 3, 1513 März 18. 298 Vgl. die Edition bei Schober, Urkunden, 1990, S. 5–9; Schwind/Dopsch, Urkunden, 1895, Nr. 100, S. 184–188; Brandis, Landeshauptleute, 1847/1859, S. 72–76. 299 Vgl. v. a. Willoweit, Gebot und Verbot, 1980; ferner Trauchburg, Ehehaften, 1995, S. 186– 194; Bader/Dilcher, Rechtsgeschichte, 1999, S. 205–206. 300 Vgl. v. a. Kap. VI.3.2.1. 301 Vgl. Schwind/Dopsch, Urkunden, 1895, Nr. 171, S. 319–322, hier S. 322; TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 28, Lit. Aa, fol. 42, 1507 Febr. 20. 302 Vgl. z. B. TLA, Hs. 5230 (unfol., unpag.), 1510 Dez. 12 (erfindung und perckhwerchsordnung); Hs. 3253, fol. 46r–47v, hier fol. 46r, 1510 Juni 9; Hs. 3254, fol. 31v–32v, hier fol. 32r, 1501 Sept. 3; ebd., fol. 37v–38r, hier fol. 38r, 1505 Jan. 1; TLA, UR I/7435, 1488 Febr. 12 (ordnung und erfindungen perghwerkhs in Primiero). 303 TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 4, Lit. C, fol. 386r, 1482 Okt. 8; vergleichbar ebd., fol. 402, 1482 Dez. 2. 294 295
3. Der rechtshistorische Gesetzesbegriff
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der ganntzen lantschafft der Gravschafft Tyroll auf dem lantag an Meran,304 auf die auch im darauffolgenden Jahr ausdrücklich als erfindung Bezug genommen wird.305 Auch die Beschlüsse des folgenden Landtags im Juli 1444 werden beschrieben mit erfindung aller artickl und stuck unsers gnadigen herrn, herrn Sigmunds, und seiner landtschafft ehafft und notdurff [!].306 In den genannten Zusammenhängen wird „Erfindung“ mit Bedacht gewählt und nimmt sowohl auf die Art des Zustandekommens als auch auf die dadurch bewirkte bewusste Schaffung und Setzung neuen Rechtes Bezug. Die Normen werden in Abstimmung mit den Landständen respektive in den bewegten Jahren 1443/1444 durch die Landstände selbst ausgearbeitet. Dabei ist man sich offensichtlich bewusst, dass die bisherige rechtliche Normierung des Regelungsgegenstandes ungenügend ist (so wohl bei der Neuregelung der bäuerlichen Fehde 1482 oder der Pfändung 1507); oder aber es müssen, wie während des so genannten „Vormundschaftsstreites“ der Tiroler Landstände mit König Friedrich IV., völlig neue Problemfelder rechtssetzend geregelt und intentional neues Recht geschaffen werden. Dieser Befund wird durch den Vergleich mit den bergrechtlichen Erfindungen gestützt. Auch diese werden nicht einseitig erlassen, sondern in Abstimmung mit den respektive auf Initiative der Betroffenen im weitesten Sinne (Schmelzer, Gewerken, Bergrichter, Ausschüsse der „gemeinen Gesellschaft“ des jeweiligen Bergwerks, also der Knappen und anderer Bediensteter) ausgearbeitet. Für die Ausarbeitung der entsprechenden Normenkomplexe, die in Reaktion auf wahrgenommene Missstände und Regelungsdefizite entstanden, gab es unter Maximilian I. mit den Bergsynoden eigene Foren, die funktional ähnliche Aufgaben wie die Landtage wahrnahmen. Auf einer solchen versamblung von den treffennlichisten und verstänndigisten pergkhleuten aus allen pergkhwerchen in unnser grafschafft Tirol wurden berichtete irrungen, auch menngl und gebrechen notdurfttiglich gehört und erwogen und die zur Behebung notwendigen bergrechtlichen Bestimmungen ausgearbeitet, die anschließend vom Landesfürsten sanktioniert und erlassen wurden.307 Auch hier wurde ganz bewusst als defizitär wahrgenommenes Recht verändert und bei erkannten Regelungsdefiziten oder regulierungsbedürftigen Materien entgegengesteuert.308 Abschließend seien noch einige Worte zum Terminus „Gesetz“ (bzw. „Gesacz“) und zu dessen Vorkommen in den Rechtstexten selbst angefügt. Der allgemeine Befund, dass sich der Gesetzgeber selbst dieses Ausdrucks bis weit ins 18. Jahrhundert nur sehr selten bediente,309 wird durch das Beispiel Tirol vollauf bestätigt, wobei TLA, VdL, Bd. 3, S. 1, 1443 Nov. 1. StAM, Hs. III/36, Landtagsprotokolle I, fol. 8r, 1444 Juni 15. 306 StAM, Hs. III/36, Landtagsprotokolle I, 2. Teil, fol. 1r, 1444 Juli 4. 307 Zit. nach TLA, Hs. 3254, fol. 31r–32v, hier 31v, 1501 Sept. 3. 308 Zur Bergsynode nunmehr auch Schennach, Aushandeln von Gesetzen, 2007, sowie Kap. IV.5.3.4.6. 309 Vgl. Dubach, Gesetz und Verfassung, 2001, S. 17; Simon, Recht und Ordnung, 1994, S. 17. 304 305
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II. Das Gesetz: Definitionen
das „Gesetz“ in Normtexten selbst nahezu ausschließlich in Paarformeln oder bei mehrgliedrigen Begriffskombinationen aufscheint (erstmals 1352).310 Aber auch im verwaltungsinternen Schriftverkehr im Rahmen der Vorbereitung legislativer Akte wird nur ausgesprochen selten von gesacz gesprochen.311 Ein Sonderfall ist freilich das Kompositum landtgesacz. Im Jahr des Erstbelegs 1486 bezeichnet es die für die Regelung des grundherrschaftlichen Verhältnisses zentrale, zu den „Landesfrei heiten“ zählende Urkunde Leopolds IV. von 1404.312 Für Jahrzehnte bleibt dieser Beleg isoliert. Ab dem beginnenden 17. Jahrhundert scheint die Bezeichnung (tyrolisches) landtgesacz wiederum vereinzelt als Synonym für die Tiroler Landesordnung von 1573 auf.313 Von statuta hingegen ist bis in das 16. Jahrhundert überwiegend dann die Rede, wenn die in den Herrschaften und Städten der Welschen Konfinen geltenden, durchwegs eng an das Trienter Vorbild angelehnten Statuten thematisiert wurden.314 Erst im 17. Jahrhundert wird der Begriff auch im gelehrten Sinne dem gemeinen Recht gegenübergestellt und kann in dieser Verwendung verschiedene Partikularrechte (einschließlich der Tiroler Landesordnung) bezeichnen.315 Zusammenfassend kann somit festgehalten werden, dass sich die vermeintlich willkürliche Begriffsvielfalt bei der zeitgenössischen Bezeichnung von Gesetzgebungsakten bei näherer Analyse stark relativiert und sich auch Entwicklungstendenzen ausmachen lassen. Wenngleich man die Aussagekraft gewählter Ausdrücke nur einzelfallspezifisch beurteilen kann – wobei insbesondere die Partikularitäten Vgl. z. B. TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 24, Lit. W, fol. 53, 1501 Jan. 8; TLA, BT, Bd. 10, fol. 193, 1571 Juni 12; zum Beleg aus dem Jahr 1352 s. o.; ausnahmsweise ist in TLA, Hs. 123, fol. 173v, 1473 Juli 26 allein von den geseczt unsers amtpuechs die Rede, wobei mit „Amtbuch“ jenes der Saline Hall gemeint war. Ausnahmen stellen auch dar das Stadtrechtsprivileg für Meran von 1317 und ein weiteres Privileg für Meran von 1345 (vgl. die Edition bei Stampfer, Geschichte von Meran, 1889, S. 346–349 und S. 356–357). 311 TLA, AfD 1586, fol. 422r–423v, 1586 Juni 13 (gesacz und ordnungen); TLA, AfD 1639, fol. 315r–318r, hier fol. 316r–317r, 1639 Okt. 12; TLA, AfD 1579, fol. 1064, 1579 Dez. 30 (die Landesordnung beinhalte hinsichtlich der Bestrafung von unkeuschait-fäll kain außgetruckht gesacz). 312 TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 8, Lit. J, S. 155–161, hier S. 155, 1486 Okt. 16; TLMF, FB 2675, fol. 83r–88r, hier fol. 83r. 313 Vgl. TLA, LLTA, Fasz. 12, Bund 12, Partikulargravamina des Landtags 1613, Gravamina der Viertel an der Etsch; TLA, VdL, Bd. 19, fol. 88v–89v, 1640 Juni 19; ebd., fol. 168v–169r, 1640 Juli 17; TLA, AfD 1622, fol. 220r–221r, 1622 Juni 30. 314 Vgl. z. B. TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 31, Lit. Dd, fol. 50r–52r, 1510 Nov. 3 (Rovereto); TLA, BT, Bd. 6, fol. 110r, 1550 Mai 1 (Ivano); TLA, BT, Bd. 10, fol. 394r–395r, 1573 Mai 19 (Telvana); ebd., fol. 453v, 1574 Mai 5 (Telvana, Castelalto, Ivano); TLA, BT, Bd. 12, fol. 300, 1591 Juni 12 (Telvana, Castelalto, Ivano); TLA, VfD 1614, fol. 484v–485r, 1614 Sept. 11 (Rovereto); TLA, CD 1618, fol. 195, 1618 Febr. 4 (Telvana); TLA, CD 1636, fol. 724, 1636 Juli 2 (Arco). Auch bezeichnet werden kann ferner das ebenfalls vom Vorbild der Trienter Statuten beeinflusste Statut von Kaltern, z. B. TLA, BT, Bd. 12, fol. 2, 1587 Jan. 24. 315 TLA, AfD 1628, fol. 619r–621v, 1628 Dez. 12 (Tiroler Landesordnung als statutum praedominans bezeichnet); beispielhaft ferner TLA, AfD 1646, fol. 129v–136v, 1646 Febr. 26. 310
3. Der rechtshistorische Gesetzesbegriff
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des frühneuzeitlichen Urkundenformulars stets in die Analyse mit einfließen müssen –, kommt ihnen für die grundsätzliche Beurteilung der Gesetzeseigenschaft durchaus eine gewisse Indizienwirkung zu, die vor allem für die arbeitspraktische Eruierung des Untersuchungsgegenstandes relevant ist. Ein Dokument rechtlichen Inhalts, das vom Regierungsregistrator als „Mandat“ oder „Ordnung“ klassifiziert wurde, verdient jedenfalls eine genauere Analyse durch den Rechtshistoriker.
3. 2. Der materielle Gesetzesbegriff 3. 2. 1. Allgemeines „[...] auch aus der Forschungsperspektive scheint eine Definition weder des Gesetzes noch des Gesetzgebungsbegriffes zur Zeit möglich.“316 Diese auf den ersten Blick wenig hoffnungsfroh stimmende Perspektive hat freilich weder Rechts- noch Allgemeinhistoriker daran gehindert, der Bestimmung ihres Untersuchungsgegenstandes einen mehr oder weniger abstrakten oder pragmatischen Gesetzesbegriff zugrunde zu legen,317 ganz zu schweigen von einschlägigen, sich ausschließlich dem historischen Gesetzesbegriff widmenden Studien.318 Kein Autor unterlässt es, auf die sich dabei ergebenden Schwierigkeiten hinzuweisen,319 wobei der Rechtshistori ker die dabei vielfach zutage tretende „Hilflosigkeit bei der Begriffsbildung und Begriffserklärung“320 mit der zeitgenössischen staatsrechtlichen Publizistik teilte. Diese tat sich gleichermaßen schwer, die sowohl begriffliche als auch formale Mannigfaltigkeit des Rechtsbestandes im Ancien Régime zu durchdringen,321 „denn der Gesetzesbegriff besaß zu keiner Zeit die seiner theoretischen und praktischen Bedeutung entsprechende Eindeutigkeit.“322 Erst der Verfassungsstaat des 19. und 20. Jahrhunderts brachte, wenn auch keine restlose Klärung, so doch eine gewisse
Vec, Hofordnungen, 1999, S. 44. Vgl. nur die Feststellung von Wolf, Gesetzgebung und Kodifikation, 1981, S. 148: „Unsere Gesetzesdefinition „allgemeine Rechtsetzung in urkundlicher Form“ ist pragmatisch an vor liegendem Material entwickelt worden.“ Eine solche pragmatische Abgrenzung des Unter suchungsgegenstandes zeigt im Übrigen auch eine rezente sprachhistorische Arbeit, die sich mit frühneuzeitlichen Gesetzen als „Textsorte“ beschäftigt, vgl. Görgen, Rechtssprache, 2002, bes. S. 39–57. 318 Wolf, Gesetzgebung, 21996; Janssen, Gesetzgebung, 1984; Schlosser, Rechtsgewalt und Rechtsbildung, 1983; Diestelkamp, Beobachtungen, 1983; Wolf, Forschungsaufgaben, 1975. 319 Z. B. Härter, Policey und Strafjustiz, 2005, S. 118–119. 320 Mohnhaupt, potestas legislatoria, 1972, S. 216; ähnlich Immel, Typologie, 1976, S. 4. 321 Mohnhaupt, potestas legislatoria, 1972. 322 Mohnhaupt, Geschichte der Gesetzgebung, 2006, S. 125; ähnlich Grawert, Art. „Gesetz“, 1979, S. 863. 316 317
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II. Das Gesetz: Definitionen
Präzisierung des Gesetzesbegriffes.323 Dennoch muss man sich vergegenwärtigen, dass es „das“ Gesetz heute ebenso wenig gibt wie während des Untersuchungszeit raums, gibt es doch verschiedene Ansätze zur Bestimmung des Untersuchungs gegenstandes „Gesetz“.324 Rechtstheoretisch bzw. begrifflich-logisch ist eine Scheidung des Gesetzes als einer allgemeiner Norm vom Einzelakt möglich, aus historischer Perspektive bietet sich z. B. die Differenzierung zwischen einem absolutistischen, konstitutionellen und demokratischen Gesetzesbegriff an.325 Als prägend für die Staats- und Verwaltungslehre erwies sich freilich der auf Paul Laband zurückgehende dualistische (materielle und formelle) Gesetzesbegriff.326 Der materielle Gesetzesbegriff knüpft dabei an den Inhalt an; Gesetze im materiellen Sinn sind auf hoheitlicher Anordnung beruhende, generell-abstrakte Rechtsnormen. Das Gesetz im materiellen Sinn wirkt generell, richtet sich mithin an eine unbestimmte Vielzahl von Personen; es wirkt abstrakt, indem es eine unbestimmte Vielzahl an Sachverhalten normiert.327 Demgegenüber stellt der formelle Gesetzesbegriff nicht auf den Inhalt, sondern auf das Zustandekommen der Gesetze ab. Unabhängig vom Inhalt sind alle von den zuständigen Gesetzgebungsorganen in einem besonderen, von der Verfassung vorgegebenen Gesetzgebungsverfahren erlassenen Normen Gesetze im formellen Sinn. Die Problematik und Vielschichtigkeit des Gesetzesbegriffes der Staatslehre seit dem 19. Jahrhundert seien mit diesen kurzen Ausführungen nur angedeutet, sollen jedoch an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden – zumal rechtshistorische Publikationen zu Recht regelmäßig mahnen, moderne rechtswissenschaftliche Definitionen nicht oder bestenfalls als Hilfskonstrukte zu verwenden.328 Zugleich weisen einschlägige Arbeiten häufig darauf hin, dass gewonnene Definitionen nur behelfsmäßigen Charakter hätten329 und primär als „Arbeitmittel“330 dienen sollten. Mohnhaupt, potestas legislatoria, 1972, S. 219; vgl. nur die Kurzdefinitionen des „Gesetzes“ bei Hill, Gesetzgebungslehre, 1982, S. 18; Schneider, Gesetzgebung, 32002, S. 20; Überblick bei Franz, Begriff, 2008, S. 142–144. 324 Vgl. die entsprechende Aufzählung bei Karpen, Entwicklung des Gesetzesbegriffs, 1987, S. 137; vgl. auch Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 21981. 325 Vgl. nur Karpen, Entwicklung des Gesetzesbegriffs, 1987, S. 141–152; instruktiv noch immer Jellinek, Gesetz und Verordnung, 1887, S. 35–55 und 99–121. 326 Vgl. neben dem angeführten Werk von Böckenförde v. a. Pauly, Methodenwandel im deutschen Spätkonstitutionalismus, 1993, S. 177–186, bes. S. 186; Schröder, Gesetzesbegriffe, 2006, S. 279–281; zur Prägekraft der Differenzierung Labands vgl. nur für viele andere Erichsen/Ehlers/Badura, Allgemeines Verwaltungsrecht, 132006, S. 141–142; Sobota, Rechtsstaat, 1997, S. 77–85; Franz, Begriff, 2008, S. 147–148. 327 Vgl. auch Starck, Allgemeinheit des Gesetzes, 1987. 328 Pauser, Gesetzgebung, 2004, S. 216. Dies gilt selbstverständlich auch für die vorliegende Arbeit, haben doch die zur Strukturierung herangezogenen Termini „materieller/formeller Gesetzesbegriff “ nur sehr bedingt Berührungspunkte mit den soeben angerissenen staatsrechtlichen Diskussionen. 329 Vgl. Pauser, Gesetzgebung, 2004, S. 216–217. 330 Wolf, Gesetzgebung, 21996, S. 5. 323
3. Der rechtshistorische Gesetzesbegriff
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Dies geschieht mit gutem Grund: Alle Ausprägungen des „Gesetzes“ in der Vergangenheit sind determiniert durch die verfassungsrechtlichen und machtpolitischen Konstellationen ihres Entstehungskontextes, limitiert durch die administrativen Möglichkeiten der Raumdurchdringung und beeinflusst durch die staatsrechtliche und politische Theorie ihres Entstehungszeitraumes.331 Dass Letztere dabei vergleichsweise intensiv erforscht wurde, dürfte bereits die Überblicksdarstellung der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gesetzes- und Gesetzgebungstheorie verdeutlicht haben.332 Auf das Missverhältnis zwischen der Erhellung der geistesgeschichtlichen, theologischen und juristischen Hintergründe für die funda mentalen Wandlungen des europäischen Rechtsverständnisses seit dem Hochmittelalter und der Erforschung der Gesetzgebungspraxis haben bereits Armin Wolf 1975 und neuerlich Wilhelm Janssen 1984 aufmerksam gemacht.333 Denn auch die Analyse des Gesetzgebungsprozesses und der legislativen Tätigkeit in einem konkreten Territorium lässt Entwicklungslinien erkennen, die zudem interessante Aufschlüsse über das Verhältnis staatsrechtlicher Theorie zur Gesetzgebungspraxis eines Landes zulassen. Gerade dieser Fragenkomplex wurde von der Rechtsgeschichte lange Zeit stiefmütterlich behandelt und ist erst jüngst – namentlich im Rahmen der Forschungen zur Policey334 und als Folgewirkung der umfassenden Erschließung des Quellenmaterials durch das „Repertorium der Policeyordnungen der Frühen Neuzeit“ – verstärkt in das Blickfeld des rechtshistorischen Forschungsinte resses gerückt. Überblickt man Definitionen respektive Definitionsversuche der bisherigen Forschung, kristallisiert sich rasch als Grundkonsens heraus, dass nur ein „umfassender, historischer Gesetzes- und Gesetzgebungsbegriff sinnvoll“335 sei. Das elaborierteste, zu diesem Zweck entwickelte Modell stammt bislang von Bernhard Diestelkamp.336 Um den diachronen Wandlungen des „Gesetzes“ stärker gerecht werden zu können, hat dieser mit Rekurs auf die wissenschaftlichen Dispute um den historischen Stadtbegriff für die Einführung eines kombinierten und variablen Gesetzesbegriffes plädiert, bei dem um einen festen Begriffskern variable Kriterienkombinationen gelagert sind, die periodenspezifisch angepasst werden können. Als Begriffskern ließe sich demnach im Anschluss an Reiner Schulze das Gesetz als „Ergebnis autoritativer Setzung oder Darstellung von Recht“337 fixieren, zu dem epochenspezifisch weitere für den Gesetzescharakter konstitutive Merkmale hinzutreten können, beispielsweise die Schriftlichkeit, die Urkundenform oder Allgemeinheit. Vgl. Mohnhaupt, Geschichte der Gesetzgebung, 2006, S. 135–141. Vgl. Kap. II.2.; z. B. Stolleis, Condere leges et interpretari, 1990; Mohnhaupt, potestas legislatoria, 1972; Mohnhaupt, Geschichte der Gesetzgebung, 2006. 333 Wolf, Forschungsaufgaben, 1975, S. 183; Janssen, Gesetzgebung, 1984, S. 12–13. 334 Vgl. hierzu die einleitende Darstellung des Forschungsstandes in Kap. I.2. 335 So Härter, Policey und Strafjustiz, 1. Teilbd., 2005, S. 122. 336 Vgl. Diestelkamp, Geschichte des Gesetzes, 1983, S. 389–391. 337 Schulze, Geschichte, 1981, S. 165. 331 332
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II. Das Gesetz: Definitionen
Obwohl dieses Theoriemodell bereits 1983 ventiliert wurde, kam es bislang zu keiner Verfeinerung oder Verifikation der Tragfähigkeit in praxi durch die Konfrontation mit dem Quellenmaterial. Wenngleich sich das Modell Diestelkamps nicht durchgesetzt hat, so liegt die Umschreibung des „Begriffskerns“ des Gesetzes durchaus in einer Linie nicht nur mit der von Reiner Schulze vorgelegten Charakterisierung des Normtypus’ ‚Gesetz‘, sondern mit den meisten Definitionsansätzen der Forschung der letzten Jahrzehnte, die nahezu durchgehend die Kriterien der autoritativen Satzung und der Allgemeingültigkeit als konstitutive Elemente des Gesetzes anführen, wobei zum Teil auch an die äußere Form angeknüpft wird, indem überdies Schriftlichkeit bzw. noch konkreter die Urkundenform verlangt wird.338 Armin Wolf charakterisierte beispielsweise das Gesetz als eine „allgemeine Rechtsnorm in Urkundenform“339 oder ganz ähnlich als „allgemeine Rechtsnormen in schriftlicher, durch eine Autorität sanktionierter, d. h. urkundlicher Form“340, Heinz Lieberich341 spricht von Gesetzen pragmatisch als allgemeinen, überregional verbindlichen Rechtsnormen, Immel nennt den Terminus „Gesetz“ eine „Breviloquenz für die [...] Rechtsdarstellung und Rechtssetzung durch eine übergeordnete Autorität“342. Für Hans Schlosser „konstituiert den Gesetzesbegriff jede zumindest für eine größere Allgemeinheit bestimmte Rechtsnorm in urkundlicher oder urkundenähnlicher Form, die durch eine hierzu befugte Autorität erlassen und entsprechend sanktioniert wurde.“343 Elmar Wadle wiederum betrachtet das Gesetz „als das Ergebnis einer über den Einzelfall hinausreichenden, in eine bestimmte Form gekleideten, mit Geltungsanspruch verschiedenen [!] Rechtsaussage“344. Das „Repertorium der Policeyordnungen der Frühen Neuzeit“ versteht unter dem Gesetz die „Setzung von Rechtsnormen mit allgemeinem Geltungsanspruch durch eine übergeordnete und legitimierte Autorität“345. Diese Definitionsansätze sind von jenen der frühneuzeitlichen Publizistik nicht weit entfernt.346 Johann Jakob Moser verwendet einen sehr ähnlichen Gesetzesbegriff, der in seinem Werk „Von der Landeshoheit im Weltlichen“ ebenfalls die Allgemeinheit des Gesetzes und das Faktum der autoritativen Setzung von Recht als Zuletzt zusammenfassend Pauser, Gesetzgebung, 2004, S. 216–217. Wolf, Gesetzgebung, 21996, S. 5; ebenso Wolf, Forschungsaufgaben, 1975, S. 183. 340 Wolf, Gesetzgebung und Kodifikation, 1981, S. 145–146. 341 Lieberich, Anfänge der Polizeigesetzgebung, 1969, S. 307. 342 Immel, Typologie, 1976, S. 3. 343 Schlosser, Rechtsgewalt und Rechtsbildung, 1983, S. 30; ganz ähnlich Armin Wolf, Gesetzgebung und Kodifikation, 1981, S. 145: „Ich verstehe mithin unter Gesetz eine allgemeine Rechtsnorm in urkundlicher (oder wenigstens urkundenartiger) Form.“ 344 Wadle, Frühe deutsche Landfrieden, 2001, S. 77, Anm. 6. 345 Härter/Stolleis, Einleitung, 1996, S. 1. 346 Beispiele aus dem 16. Jahrhundert führt an Schröder, „Gesetz“ und „Naturgesetz“, 2004, S. 5–6. 338 339
3. Der rechtshistorische Gesetzesbegriff
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charakteristisch bezeichnete: „Gesetze seynd Landesherrliche Befehle, Verordnungen, Gebote und Verbote, welche entweder alle Landesunterthanen, oder doch eine ganz gewisse Gattung derselbigen, verbinden“.347 In Übereinstimmung mit rezenten Zusammenfassungen348 des Forschungsstandes lassen sich für die vorliegende Untersuchung drei konstitutive Elemente für den spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gesetzesbegriff extrahieren, zu denen als viertes Essentiale für den Normtyp „Gesetz“ die Kundmachung hinzugefügt wird: 1. die Allgemeinheit des Gesetzes, d. h. sein generell-abstrakter Charakter 2. die autoritative Setzung (Darstellung) durch eine zuständige Obrigkeit 3. die Schriftlichkeit des Gesetzes, die im Fall der landesfürstlichen Gesetzgebung noch weiter spezifiziert werden kann (landesfürstliche Gesetze in Tirol weisen stets Urkundenform auf ) 4. die Publikation des Gesetzes an die Normadressaten Die vier Kennzeichen des „Gesetzes“ präsentieren sich als Kombination von inhaltlichen und formalen Kriterien und werden in den folgenden Kapiteln näher auszuführen sein. Wenn anschließend im Kapitel II. 3. 3. behelfsmäßig und in bewusster Abweichung von der modernrechtlichen Terminologie vom „formellen Gesetzesbegriff “ die Rede ist, wird im Rahmen der einschlägigen Untersuchung nur die Gesetzesurkunde vom Standpunkt der Diplomatik her näher analysiert und auf diese Weise ein zentraler Teilaspekt herausgegriffen.
3. 2. 2. Die Allgemeinheit des Gesetzes 3. 2. 2. 1. Allgemeines Die Allgemeinverbindlichkeit teilt der historische Gesetzesbegriff mit dem modernen. Aufgrund ihrer generell-abstrakten Wirkung entfalten Gesetze ihre Sollenswirkung nicht nur in einem Einzelfall, sondern für eine unbestimmte Vielzahl von Sachverhalten und für eine unbestimmte Vielzahl von Personen.349 Dieses Essentiale des Gesetzes war bereits von der frühneuzeitlichen Staatslehre hervorgehoben worden.350 Es unterscheidet Gesetze von Einzelfallentscheidungen in Urteils- oder Moser, Landeshoheit, 1772, 4. Kap., § 29, S. 303; zit. auch bei Härter, Policey und Strafjustiz, 1. Teilbd., 2005, S. 119; ebenso Hofmann, Allgemeinheit des Gesetzes, 1987, S. 17; vgl. ähnlich schon Pufendorf, Elementa jurisprudentiae universalis, Nachdruck 1990, Definitio XIII (hier S. 84). 348 Vgl. Pauser, Gesetzgebung, 2004, S. 216–217; Dubach, Gesetz und Verfassung, 2001, S. 17–20. 349 Vgl. die Beiträge in Starck (Hg.), Allgemeinheit des Gesetzes, 1987; ferner z. B. Pauser, Gesetzgebung, 2004, S. 216; Franz, Begriff, 2008, S. 147. 350 Vgl. für andere Liebenthal, De societatibus, 1644, S. 194, Rz 31: „Forma legum praecipuè consistit in his. 1. Ut concipiantur generaliter, non in singulas personas […]“; ferner von Stö 347
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II. Das Gesetz: Definitionen
Reskriptform, die sich nur an eine bestimmte Zahl von Personen richten und/oder eine bestimmte Zahl von Sachverhalten regeln respektive entscheiden. Die autorita tive Anordnung, dass das Inventar des Vermögens von verstorbenen Geistlichen durch die örtlich zuständige weltliche Obrigkeit und nicht durch das geistliche Gericht vorgenommen werden solle,351 unterscheidet sich durch ihre Allgemeinheit von der Anweisung des Regiments an den Richter im Stubai im Jahr 1587, die begonnene Anlegung eines Inventars des verstorbenen Pfarrers durch einen geistlichen Kommissar zu unterbinden und diese selbst vorzunehmen.352 Ein Urteil wiederum entscheidet aufgrund von bereits existierenden und nunmehr angewendeten Normen einen konkreten Streitfall zwischen zu benennenden Streitparteien. Zwar wird regelmäßig darauf verwiesen, dass gerade im Spätmittelalter der Gesetz gebungsprozess in die äußere Form eines Gerichtsprozesses eingekleidet sein und dessen Ablauf nachahmen kann. Dennoch bleiben Unterschiede greifbar. Wenn beispielsweise das Hofgericht in Anwesenheit Heinrichs von Kärnten-Tirol 1322 entscheidet, dass sich Adelige, die einen Bürger oder Bauern beleidigen oder verwunden, nicht vor dem landesfürstlichen Hofgericht verantworten sollen, sondern vor dem Gericht, in dessen Zuständigkeit sich der Vorfall ereignete,353 ist in keiner Weise ersichtlich, dass dieses Urteil über den Anlassfall hinaus Wirkung entfalten sollte. Das Urteil reflektiert die gegenwärtige Rechtslage und „findet“ das geltende Recht. Eine Verbindung zur Gesetzgebung lässt sich in diesem Fall jedoch nicht herstellen. Schließlich lässt sich anhand eines Urteilsbriefs, der sich in formaler Hinsicht keiner der Kategorien zuordnen lässt, derer man sich im Spätmittelalter zur Normsetzung bedienen konnte (s. u.), der landesherrliche Wille zur über den entschiedenen Fall hinausgehenden autoritativen Setzung oder Feststellung von Recht nicht konstatieren. Und selbst wenn sich hierüber eine sichere Aussage treffen ließe – es fehlte jedenfalls an der Kundmachung an die Normadressaten, ohne die man einem Rechtsakt keinen Gesetzescharakter zusprechen kann. Die hier angesprochene Differenz zwischen einem legislativen Akt und der Entscheidung eines Einzelfalls oder einer bestimmten Anzahl von Fällen – die in Form eines Urteils, eines Vergleichs oder einer Anweisung an einen Amtsträger erfolgen kann – lässt sich gerade bei Kompetenzabgrenzungen zwischen Jurisdiktionsbereichen anschaulich illustrieren. Derartige Abgrenzungen der Jurisdiktionszuständigkeiten wurden in Spätmittelalter und Frühneuzeit nahezu ausschließlich aufgrund konkreter Differenzen im Einzelfall und für den Einzelfall vorgenommen, wobei verschiedene Mechanismen der Streitbeilegung zur Anwendung kommen konnten: Sie konnte durch landesfürstliches Reskript an die betreffenden Richter, durch einen (von einem landesfürstlichen Kommissar oder durch die Regierung vermittelkken, De potestate legislatoria, 1669, S. 11–12; Meisner, De Legibus, 1616, S. 76–77; Pütter, Institutiones juris publici, 31782, S. 217. 351 Vgl. TLMF, FB 2675, fol. 204r–205v, 1521 Juni 20. 352 Vgl. TLA, BT, Bd. 12, fol. 40r–41r, 1587 Aug. 3. 353 Vgl. Stolz, Landesbeschreibung von Südtirol, 2. Lieferung, 1939, S. 352 (1322 Juni 23).
3. Der rechtshistorische Gesetzesbegriff
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ten) Vergleich oder aber durch Urteil erfolgen.354 Im Zuge dessen sollte auch kein neues Recht gesetzt, sondern ausschließlich eruiert werden, wie es von alter gehalten worden.355 Nur ausnahmsweise wurden aufgrund von Anlassfällen Kompetenzabgrenzungen in Gesetzesform vorgenommen. Aufgrund eines zugrunde liegenden Streitfalls zwischen dem Schwazer Berg- und Landrichter wurde beispielsweise 1522 allgemein statuiert, dass bei nicht dem peinlichen Strafrecht zuzuordnenden Streitigkeiten zwischen Berggerichtsangehörigen und Landgerichtsuntertanen nicht allein die Involvierung eines Landgerichtsuntertanen die Zuständigkeit des Landgerichts begründe. Vielmehr seien die Berggerichtsuntertanen dessen ungeachtet vom Berggericht wie perkhwerchs-recht ist zu bestrafen.356 Hier wurde kein neues Recht geschaffen, doch können an der Allgemeinheit der Regelung, die das Verhältnis sämtlicher Tiroler Berg- und Landgerichte betraf, an der autoritativen Feststellung der Rechtslage, der Urkundenform – welche sich des für Gesetze typischen Urkundenformulars bediente (s. u.) – und der gehörigen Kundmachung keine Zweifel bestehen. Ebenso eindeutig lassen sich im Regelfall Unterschiede zwischen auf konkrete Missstände reagierenden Befehlen an lokale Obrigkeiten und Gesetzen festmachen. Wenn beispielsweise der Richter von Eppan 1331 angewiesen wird, die dortigen Untertanen gegen Adelige in Schutz zu nehmen, die auf der Jagd mit ihren Rössern über die Felder reiten,357 wird man schon aufgrund des Fehlens der Allgemeinverbindlichkeit nicht von einem Gesetz sprechen können. Das Reskript will ausschließlich das Verhalten lokaler Adeliger in bestimmte Bahnen lenken und den bisher durch deren Verhalten in Mitleidenschaft gezogenen örtlichen Bauern Erleichterung verschaffen. Das Essentiale der Allgemeinheit des Gesetzes vermag dieses also von der enormen Masse von Befehlen abzugrenzen, die sich auf bestimmte Einzelereignisse bezogen oder an einzelne Personen richteten. Dass im Rahmen des Zustandekommens eines Gesetzes unter Umständen ein genetischer Zusammenhang mit Einzelweisungen an landesfürstliche Amtsträger bestehen kann, sei dadurch nicht infrage gestellt und lässt sich seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts häufig nachweisen. Diese Entwicklung lässt sich anhand des Tiroler Quellenmaterials exakt dokumentieren. Gerade in jener Frühphase, als die Frequenz von Gesetzen abrupt anstieg, ist der Konnex Einzelanweisung/Ge Vgl. z. B. TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 6, Lit. G, S. 162, 1484 Sept. 24 (Kompetenzabgrenzung zwischen Landgericht Laudeck und dem Gericht Pfunds); TLA, UR I/7410/4 ff., 1547 (zur Kompetenzabgrenzung zwischen dem Gericht Thaur und dem Berggericht Hall; eine entsprechende Kundschaftsaufnahme aus 1489 ebd., UR I/7410/3); TLA, Parteibuch, Bd. 26, fol. 17r, 1566 Febr. 28 (Kompetenzabgrenzung zwischen Berg- und Landgericht Schwaz); aufschlussreich auch TLA, CD 1573, fol. 187v, 1573 Nov. 23. 355 So in TLA, CD 1573, fol. 187v, 1573 Nov. 23. 356 TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 42, Lit. Qq, S. 215–216, 1522 Aug. 27. 357 Vgl. Stolz, Geschichte des Deutschtums, Bd. 2, 1928, S. 37. 354
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II. Das Gesetz: Definitionen
setz deutlich greifbar. Zusätzlich zu einer präzisen Anweisung an einen Vertreter der lokalen Obrigkeit, die einem wahrgenommenen oder kolportierten Missstand gegensteuern sollte, konnte ein allgemein verbindliches Mandat mit landesweitem Geltungsbereich erlassen werden; gleichermaßen lässt sich belegen, dass statt eines ursprünglich konzipierten und aufgesetzten Befehls an einen Richter oder Pfleger dieser bewusst in Gesetzesform gegossen und dieses landesweit publiziert wurde.358 Diese Verbindung lässt sich an einigen Beispielen aus dem Bereich der Holzwirtschaft anschaulich illustrieren. Ein Gesetz aus dem Jahr 1473, das die Entnahme von Holz aus Amtswäldern untersagte, war ursprünglich als Anweisung an den Richter des Gerichts Enn und Kaldiff konzipiert gewesen.359 Einige Monate später ermahnte die landesfürstliche Kanzlei nicht nur den Richter von Hörtenberg, gegen eigenmächtige Rodungen durch die Untertanen seines Amtsbezirkes vorzugehen; vielmehr war im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dieser Anweisung ein Mandat an alle lokalen Obrigkeiten erlassen worden, das eben dieses Verbot allgemein einschärfte.360 Ein gegen die Brandrodung gerichtetes Gesetz aus 1482 wurde durch entsprechende Vorfälle in den Gerichten Landeck, Laudeck und Imst veranlasst.361 Entstand somit in der Kanzlei der Eindruck, es nicht mit einem isoliert zu sehenden Vorfall, sondern mit einem weit verbreiteten Missstand zu tun zu haben, griff man anstatt der bzw. kumulativ zur Einzelanweisung zur Gesetzesform. Entsprechende Beispiele lassen sich auch in anderen Rechtsbereichen finden: Ein Mandat gegen Mordbrenner und verdächtige Personen ging so auf vermeintliche Mordbrenneranschläge in den Ortschaften Imst und Tarrenz zurück362, das Verbot bewaffneter Zusammenkünfte aus 1495 ging auf Vorfälle in den Gerichten Tramin und Montani zurück, deren Ahndung den dortigen lokalen Obrigkeiten aufgetra gen wurde.363 Dieser Konnex Einzelanweisung/Mandat ist nicht spezifisch für die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts, sondern ist auch noch im 16. Jahrhundert wiederholt vorzufinden. Was freilich stets erkennbar bleibt, ist der fundamentale Unterschied zwischen einem durch die Allgemeinheit der getroffenen Regelung charakterisierten Gesetz und der auf konkret wahrgenommene Defizite reagierenden Einzelanweisung bzw. dem Befehl, wobei dieser Differenz schon seit dem 14. Jahrhundert durch die Verwendung unterschiedlicher Urkundenformulare Rechnung getragen wurde (s. u.). Vgl. hierzu auch Schennach, Gewohnheitsrecht, Einzelgesetzgebung und Landesordnungen, 2008, S. 46–48. 359 Vgl. TLA, Codex 123, fol. 75r, 1473 Januar 10. 360 Vgl. TLA, Codex 123, fol. 173v, 1473 Juli 26; ebd., fol. 174r, 1473 Juli 27. 361 Vgl. TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 4, Lit. C, fol. 364r, 1482 April 16; ebd., fol. 365, 1482 März 2. 362 TLA, Codex 123, fol. 52r, 1473 März 14. 363 TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 18, Lit. R, S. 93–94, 1495 Juni 30; ebd., S. 94–95, 1495 Juni 30. 358
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Abgrenzungsschwierigkeiten sind dementsprechend selten. Natürlich kann durch ein an lokale Obrigkeiten gerichtetes Reskript mit Außenwirkung auch eine generell-abstrakte Rechtsnorm erlassen werden, doch wird dies regelmäßig durch eine Publikationsanweisung sichtbar, weshalb die Zuordnung im Allgemeinen keine Probleme bereitet.364 Probleme ergeben sich vornehmlich im 14. Jahrhundert, wo im Einzelfall die Unterscheidung zwischen einem Befehl und einer generellabstrakten Regelung schwierig sein kann. Im Jahr 1372 verpflichtete beispielsweise Herzog Leopold III. alle im Gericht Imst Ansässigen, die über keinen landesfürstlichen freybrief verfügen, mit der Gemeinde Imst zu steuern, als ez von alter herkomen ist.365 Dass hier keine inhaltlich neue Regelung getroffen wurde, ist somit anzunehmen. Doch ist dies allein kein Grund zum Ausschluss der Gesetzeseigenschaft. Das Gesetz kann schließlich auch nur der autoritativen Darstellung des Rechts dienen. Was jedoch offen bleibt und aufgrund der Quellenlage nicht beantwortet werden kann, ist die Intention der Urkunde, die vom Formular her dem Privileg angenähert ist (Wir Leopold [...] tun kunt, daz), jedoch von der äußeren Form (Papier, Format, Schriftduktus) völlig unfeierlich und als reines Geschäftsschriftgut anzusprechen ist. Soll hier nur ein konkreter Streitfall beigelegt und sollen namentlich zu benennende Steuerrenitenten zur Räson gebracht werden? Oder soll hier die Rechtslage durch ein landesfürstliches Gesetz (mit einem räumlich eingeschränkten Geltungsbereich) autoritativ festgestellt werden, um sämtliche gegenwärtige und zukünftige Differenzen zu unterbinden? Oder verfolgt die Urkunde beide Zielsetzungen? Das Faktum ihrer Verwahrung im Gemeindearchiv spricht zumindest für die zeitgenössische Interpretation im Sinne einer allgemein verbindlichen Normierung durch den Landesfürsten, die über einen allfälligen Anlassfall hinausgeht. 3. 2. 2. 2. Privilegien Teilweise wird auch angeführt, dass das Kriterium der Allgemeinheit der Abgrenzung von Gesetzen als „iura generalia“ mit unbeschränktem Adressatenkreis und Privilegien diene, deren Erteilung freilich sowohl nach der mittelalterlichen als auch frühneuzeitlichen Lehre ihrerseits Ausfluss und Bestandteil der Gesetzgebungsgewalt war.366 Noch im 18. Jahrhundert waren die Definitionen von Bartolus und Isidor von Sevilla verbreitet:367 „Est privilegium lex scripta contra ius commune“ bzw. „Privilegia autem sunt leges privatorum, quasi privatae leges. Nam privilegium inde dictum, quod in privato feratur.“ Sowohl das allgemeine Gesetz als auch das Privileg galten somit als Resultat der herrschaftlichen potestas legislatoria Vgl. unten Kap. II.3.2.5. und Kap. II.3.3.3. Stadtarchiv Imst, Nr. S8 (Depositum im TLA); Regest bei Hölzl, Stadtarchiv und Museumsarchiv Imst, Nr. S 8. 366 Vgl. zuletzt Mohnhaupt, Geschichte der Gesetzgebung, 2006, S. 159. 367 Vgl. Mohnhaupt, Privatrecht in Privilegien, 1981, S. 59. 364 365
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II. Das Gesetz: Definitionen
– was nichts daran ändert, dass sie einander dichotom gegenübergestellt wurden: „Ein Privileg im Rechtssinne stellte ein Ausnahmerecht in Bezug auf eine ansonsten allgemein gedachte Rechtsordnung dar. Als quasi natürlicher Gegenbegriff zum Privileg erscheint damit das allgemeine Gesetz.“368 Dennoch ist die Allgemeinheit des Gesetzes in dieser Absolutheit kein geeignetes Kriterium zur Abgrenzung vom Privileg, zeichnet sich der Privilegienbegriff doch während des gesamten Ancien Régime durch seine Begriffsvielfalt und verwirrende Uneinheitlichkeit aus.369 Mit Privilegien wurden schließlich nicht nur individuelle Berechtigungen oder Ausnahmen vom allgemeinen Gesetzesrecht im Sinne einer „dispensatio“ verliehen. Durch die kumulative Verleihungen von Privilegien konnte auch funktionell ein überaus flexibel handzuhabender Ersatz für ein fehlendes allgemeines Gesetz geschaffen werden,370 so dass die Gegenüberstellung „Gesetz versus Privileg“ in diesem Fall nicht mehr zulässig ist. Dasselbe gilt für die Verleihung von iura singularia durch die Erteilung von Privilegien, die nicht in der Urkunde namentlich angeführte begünstigte Einzelpersonen betrafen, sondern deren Geltungsbereich sich auf nach bestimmten Kriterien bestimmbare Personenkreise erstreckte. Hier wurden von der allgemeinen Rechtsordnung abweichende (in der Regel begünstigende) Sonderregelungen getroffen – zum Beispiel für Bergwerksangehörige oder Handwerker –, die sich jedoch ebenfalls durch ihre generell-abstrakte Wirkung auszeichneten. Der Unterschied, auf den an anderer Stelle noch zurückzukommen ist,371 sei an dieser Stelle nur kurz illustriert: Das Privileg für einen namentlich angeführten Adressaten, unangesehen der ausgegangenen mandat Holz nach Norditalien exportieren zu dürfen,372 statuiert in der Tat expressis verbis eine Ausnahme vom Gesetzesrecht, so dass hier die Kontrastierung zwischen individueller Begünstigung und der Allgemeinheit des Gesetzes legitim ist.373 Ganz anders verhält es sich bei der 1471 von Herzog Siegmund durch Privileg den Sattlern in Innsbruck und Sterzing Lieb, Privileg und Verwaltungsakt, 2004, S. 31. Vgl. nur die Feststellung bei Mohnhaupt, Privatrecht in Privilegien, 1981, S. 59; Mohnhaupt, Art. „Privileg“, 2009, Sp. 391–392. 370 Vgl. Willoweit, Gesetzespublikation und verwaltungsinterne Gesetzgebung, 1979. 371 Vgl. hierzu Kap. II.3.3.4. 372 Vgl. TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 43, Lit. Rr, 1523 Jan. 24. 373 Holenstein hat die Dispensationspraxis im Auge, wenn er mit Blick auf „die enorme Bandbreite an Ausnahmemöglichkeiten und Einzelfallregelungen“ vor einer Überbewertung des Kriteriums der Allgemeingültigkeit mit Blick auf den Gesetzesvollzug warnt (vgl. Holenstein, Umstände der Normen, 2000, S. 46). Für die Definition des Gesetzesbegriffs bleibt dies jedoch ungeachtet der teilweise abundanten Dispensationspraxis, die je nach Materie tatsächlich zu einer Relativierung der Allgemeingültigkeit geführt haben mag, unbeachtlich: Bei der Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes kann man schon aus arbeitspraktischen Gründen nicht bei jeder generell-abstrakten Norm auch die korrelierende Dispensationspraxis im Auge behalten – ganz abgesehen davon, dass auch eine überaus freigiebige Privilegien erteilung nichts an der initialen Allgemeingültigkeit des Gesetzes zu verändern vermag, von dessen Geltung später im Einzelfall dispensiert wird. 368 369
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verliehenen Begünstigung, wonach kein nicht-zünftischer, auswärtiger Handwerker Sättel herstellen oder vertreiben dürfe.374 Hier wird tatsächlich eine generell-abstrakte Regelung mit Außenwirkung getroffen, für die sich der Landesfürst alternativ – wenn auch nicht mit der völlig gleichen Wirkung – eines Gesetzes hätte bedienen können. In den Jahren 1600 und 1610 wurden bezeichnenderweise unter ausdrücklichem Verweis auf die dem Handwerk durch Privileg zugesprochene Begünstigung Mandate erlassen, die nicht-zünftischen Kupferschmieden und Glockengießern unter Androhung des Landesverweises die Ausübung ihrer Tätigkeit untersagten.375 Wann und in welchen Situationen die Kanzlei respektive die Regierung welche Rechtsform wählte, wird zu einem späteren Zeitpunkt zu erläutern sein.376 3. 2. 2. 3. Räumlicher Geltungsbereich Ohnehin selbstverständlich und folglich nur der Vollständigkeit halber anzuführen ist der Umstand, dass die generell-abstrakte Wirkung eines Gesetzes natürlich nicht seiner Limitierung auf einen räumlich oder personell beschränkten Geltungsbereich entgegensteht, was speziell im Bereich der Wirtschaftslenkung („Wirtschaftspolicey“) aus Rücksichtnahme auf regionale Produktionsschwerpunkte und Handelsströme in der gesamten Frühneuzeit weit verbreitet war. Darüber hinaus ermöglichte die Limitierung des Geltungsbereiches eines Gesetzes die flexible und rasche Reaktion auf lokale Entwicklungen, Bedürfnisse oder Defizite sowie die Berücksichtigung regionaler Rechtsgewohnheiten. Wenn sich beispielsweise die frühesten normativen Maßnahmen gegen das Glücks- und Kartenspiel in Tirol auf den Berggerichtsbezirk von Primiero beschränken, so erschien eine solche Regelung mit der Zielsetzung der Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung und der Erhaltung der Arbeitskraft der Bergknappen offensichtlich adäquat, landesweit jedoch als nicht notwendig.377 Ein Mandat wider die kriegsknecht, so übersold nehmen, wurde nach Ausweis des Kanzleivermerks ausschließlich den Richtern von St. Petersberg und Imst (im Ober inntal) zugestellt. Am Gesetzescharakter kann jedoch aufgrund des Wortlauts kein Zweifel bestehen.378 Die Dispositio als Kernstück ordnet an, daz du [der Richter] in deiner verwesung offenlich berueffen lassest, damit die ledigen knecht in bemelter deiner verwesung in disen kriegsleuffen auch ziehen und sich des gewondlichen solds TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 1, Lit. F, fol. 144r–144v (Kopie ebd., fol. 93v–94r), 1471 (ohne nähere Datierung). 375 TLA, BT, Bd. 13, fol. 324r–325r, 1600 Mai 18; BT, Bd. 16, fol. 197v–198v, 1610 Juni 5. 376 Vgl. Kap. II.3.3.4. 377 Vgl. TLA, UR I/7411, 1 (1485 Jan. 25); UR I/7411, 2 (1485 Okt. 17); UR I/7411, 3 (1487, Febr. 14); UR I/7411, 4 (1489 März 24); UR I/7411, 5 (1492 Juli 21); vgl. die Erwähnung bei Wolfstrigl-Wolfskron, Tiroler Erzbergbaue, 1903, S. 341–342. 378 TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 29, Lit. BB, fol. 279v, 1508 Mai 22. 374
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benuegen lassen; welche aber übersold nemen, dieselben darumb straffest. Und ob ainer oder mer, der zum krieg taugenlich ist, nicht ziehen wolt, dem- oder denselben dits unnser land verpietest und das nit lassest. Stellungslose Söldner sollen somit in Anbetracht des militärischen Konfliktes mit der Republik Venedig zum üblichen, vier Gulden betragenen Monatslohn bei sonstigem Landesverweis zum Kriegsdienst verpflichtet werden können. Dass die Kundmachung nur in zwei Gerichten erfolgen sollte, steht dem Gesetzescharakter nicht entgegen: Offensichtlich waren nur von dort entsprechende Missstände gemeldet worden. Eine Publikation in anderen Gerichten wurde wohl als kontraproduktiv angesehen, war sie doch als deutlicher Hinweis auf die das Angebot übersteigende Nachfrage nach Kriegsknechten zu werten und konnte außerhalb der ohnehin bereits betroffenen Gerichte Anlass zu einer Erhöhung der Soldforderung geben.
3. 2. 3. Die autoritative Setzung 3. 2. 3. 1. Allgemeines Die autoritative Setzung durch eine zuständige Obrigkeit dient nach herrschender Meinung der Abgrenzung des Gesetzes vom Gewohnheitsrecht. Das Gesetz wird mit Geltungswillen erlassen und soll gegebenenfalls entgegenstehende Gesetze oder entgegenstehende Rechtsgewohnheiten kassieren. Spezifischer Ausdruck der autoritativen Setzung ist das in vielen frühneuzeitlichen Gesetzen zu findende Anwendungsgebot, das den zur Vollziehung berufenen Organen ausdrücklich die Befolgung der gesetzlich getroffenen Regelung auferlegt.379 Als ein Mandat am 20. Mai 1574 die Einführung der reformierten Tiroler Landesordnung kundmachte und die bisher geltende von 1532 aufhob, wurden sämtliche Obrigkeiten und Gerichte angewiesen, ab dem Zeitpunkt der Mandatspublikation In allen sachen und hendlen / darnach [zu] Procediern / Richten und handlen. Außerdem sollten von diesem Zeitpunkt an unsere Underthanen / und menigklichen im Land / derselben [Landesordnung] geleben und nachkomen.380 Derartige in Gesetzgebungsakten angefügte Anwendungsgebote scheinen dem modernen Juristen befremdlich, sind jedoch mit dem ausgeprägten „usualen Geltungsdenken“ der Frühen Neuzeit zu erklären. Diesem zufolge war, wie Thomas Simon aufgezeigt hat, bis in das 18. Jahrhundert nicht nur bei Gewohnheitsrecht, sondern ebenso bei Gesetzesrecht primär die Observanz einer Norm, also ihre Befolgung in der Praxis, und weniger der im Gesetz zum Ausdruck gebrachte und theoretisch im Mittelpunkt stehende Wille des Gesetzgebers für die Geltung ausschlaggebend. Schließlich ‚galt‘ das Recht während des Untersuchungszeitraums vor allem „kraft einer Hierzu Simon, Geltung, 2005, S. 100–101. TLMF, FB 6197, Nr. 51, 1574 Mai 20.
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den Normen immanenten Autorität, nicht allein deshalb, weil sie förmlich in Kraft gesetzt worden sind.“381 Schon diese kurzen Bemerkungen haben deutlich gemacht, dass das auf den ersten Blick eindeutige Kriterium der autoritativen Setzung bei näherer Betrachtung erhebliche Fragen aufwirft. In der Tat führt uns das Postulat der autoritativen Setzung von Recht durch das Gesetz zu einer prekären und unterschiedlich beantworteten Frage rund um den mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gesetzesbegriff: Ist für diesen die Setzung „neuen Rechtes“ essentiell? Handelt es sich um eine „conditio sine qua non“, wie dies beispielsweise Hermann Krause postulierte: „Rechtssetzung dag eg en enthält das Element des Willens zur verbindlichen Geltung von Reg eln, die bisher nicht g alten oder dunkel oder strittig waren [...]“382. Zumindest Rechtsbesserung sei demnach notwendig, um von Rechtssetzung sprechen zu können. Die Gegenposition befindet auch die bloße autoritative Konfirmation bestehenden Rechts für ausreichend, um dem Erfordernis eines Gesetzes Genüge zu tun. Diamentral entgegengesetzt zum Postulat Krauses fordert so Reiner Schulze nachdrücklich, historische Gesetzgebung „nicht allein als Rechtsetzung – im Sinne einer Schaffung neuer Normen – sondern auch als Rechtsdarstellung – im Sinne der Fixierung und Ordnung bestehenden Rechts – durch eine übergeordnete Autorität zu verstehen.“383 Zwischen beiden Polen findet man vermittelnde Lösungsansätze, die implizit oder explizit eine Gesetzgebung ‚im modernen Sinn‘, eine ‚echte Gesetzgebung‘, für welche die Setzung neuen Rechts konstitutiv sei, vom mittelalterlichen Gesetzesverständnis abgrenzen, wo dies zumeist nicht zutreffe.384 Wilhelm Brauneder beispielsweise charakterisiert als „echte“ Gesetzgebung „generell-abstrakte Hoheitsakte, die neues Recht schaffen wollen“385. Im Folgenden sei im Anschluss an Reiner Schulze unter Gesetzgebung sowohl die Setzung neuen Rechts als auch die autoritative Darstellung und Fixierung des geltenden Rechts verstanden. Diese Festlegung geschieht primär aus methodischen, aber auch aus arbeitspraktischen Gründen. Die Restringierung des Gesetzesbegriffs auf die Setzung „neuen Rechts“ würde zunächst den Untersuchungsgegenstand vor dem 15. Jahrhundert radikal einengen. Trotz der im kanonischen und römischen Recht postulierten freien Verfügbarkeit der Rechtsordnung durch den Gesetz gewordenen Herrscherwillen dominierte im weltlichen Bereich bis dahin (und Willoweit, Hofordnungen, S. 168; nunmehr auch Herchert, Recht und Geltung, 2003, bes. S. 133–136; über den juristischen Geltungsbegriff und dessen Problematik vgl. den Überblick bei Otte, Kritik, 1983. 382 Krause, „Gesetzgebung“, 1971, Sp. 1607. 383 Schulze, Geschichte, 1981, S. 165–167, Zitat S. 166; vgl. auch Diestelkamp, Geschichte des Gesetzes, 1983, S. 385–420, hier S. 390. 384 Vgl. Härter, Entwicklung und Funktion, 1993, S. 62; Lieberich, Anfänge, 1969, bes. S. 308; Schlosser, Rechtsgewalt und Rechtsbildung, bes. S. 34 und 51; Dilcher, Rechtserneuerung, 1994, S. 14; Pilch, Rahmen der Rechtsgewohnheiten, 2009, bes. S. 229 und 231. 385 Brauneder, Verfassungsgeschichte, 112009, S. 44. 381
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II. Das Gesetz: Definitionen
partiell noch weit darüber hinaus) jedenfalls die rechtswahrende, allenfalls rechts bessernde Funktion der Gesetzgebung. So müsste in diesem Fall die 1312 von König Heinrich für Tirol erlassene Satzung betreffend Überführung und Verurteilung landschädlicher Leute,386 von der nicht anzunehmen ist, dass sie grundlegend neues Recht schuf, aus der Betrachtung ausgeschieden werden. Aber selbst die Gesetzgebung des 15. und beginnenden 16. Jahrhunderts ist in Tirol noch massiv im „alten Herkommen“ verankert, wenngleich in concreto bei Analyse des einzelnen Gesetzgebungsakts kaum zwischen dem tatsächlich „neu“ gesatzten und dem nur schriftlich fixierten Recht unterschieden werden kann. Diese Bemerkung führt direkt zu den methodischen Vorbehalten, die an eine Gesetzesdefinition geknüpft sind, welche die Setzung „neuen Rechts“ fordert. In einer vorwiegend oralen Gesellschaft ist die Rekonstruktion der vor einer schriftlichen Fixierung geltenden Rechtsgewohnheiten problematisch und wird vielfach aufgrund des Quellenmangels überhaupt nicht zu leisten sein. Selbst wenn ein Gesetz seinen Inhalt ausdrücklich in das Gewand des „alten Herkommens“ hüllt, ist dies nicht notwendigerweise ein Beleg für die Wiedergabe geltenden Rechts, sondern kann ebenso ein Legitimationstopos zur Erhöhung der Akzeptanz einer Neu regelung sein. Ferner wäre zu erörtern, welche inhaltlichen Kriterien überhaupt zu fordern sind, um von „neuem Recht“ sprechen zu können. Muss dieses ausdrücklich bisherige Rechtsgewohnheiten kassieren, genügt die Besetzung bisher nicht normativ erfassten Raums oder ist gar schon die Rechtsbesserung und Systematisierung ausreichend? Welchen quantitativen Anteil müsste eine Neuregelung im Verhältnis zu dem in einem bestimmten Gesetz wiedergegebenen Gewohnheitsrecht ausmachen, damit der Schwellenwert überschritten ist, ab dem man von „neuem Recht“ sprechen kann? Überhaupt würde die frühneuzeitliche Publikationspraxis den Rechtshistoriker vor nahezu unüberwindliche Hindernisse bei der Abgrenzung und Erfassung seines Untersuchungsgegenstandes stellen. Aufgrund der überwiegend oral ausgerichteten Gesellschaft des Ancien Régime mussten Rechtssetzungsakte regelmäßig wiederholt werden, um ihre verhaltenssteuernde Wirkung entfalten zu können. Folglich können identische Gesetze nach einiger Zeit neuerlich erlassen werden. Den Normwiederholungen müsste aber – da auch sie kein „neues Recht“ mehr enthalten, sondern nur den Normadressaten eine bereits existente Regelung einschärfen – konsequenterweise die Gesetzeseigenschaft abgesprochen werden. Hingegen müsste eine Normwiederholung, die im Vergleich zur Vorgängerregelung eine wenn auch nur geringfügige Abweichung oder Ergänzung enthielte, wieder als „Gesetz“ angesprochen werden. Versteht man in diesem Sinne unter autoritativer Setzung von Recht daher auch die Darstellung des geltenden Rechts, zeichnet sich das gewählte Kriterium durch eine der Vielfalt historischer Erscheinungsformen des Gesetzes angemessene Vgl. schon Rapp, Statutenwesen, 1. Teil, 1827, S. 75; ferner Stolz, Geschichte der Verwaltung, 1998, S. 126; Edition bei Chmel, Geschichtsforscher, 2. Bd., 2. Heft, 1841, S. 353.
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Offenheit aus. Das Postulat der Erlassung einer Rechtsnorm mit Geltungswillen durch eine zuständige und dazu legitimierte Obrigkeit fordert keine bestimmte Art des Zustandekommens des Gesetzes noch exkludiert es eine der zahlreichen Ebenen, die während des Untersuchungszeitraumes legislativ tätig werden können. Ob sich das Gesetz als ein einseitiges Rechtsgebot des Herrschers präsentiert, ob es durch eine vertragsähnliche Übereinkunft von Landständen und Landesfürst oder durch eine Einung (Willkür) der Betroffenen zustande gekommen ist, ist für den Gesetzescharakter unerheblich. Dasselbe gilt für die hierarchische Stellung der rechtssetzenden Ebene im verfassungsrechtlichen Gefüge. Eine generell-abstrakte Regelung, die von der zuständigen Obrigkeit mit Geltungswillen erlassen wurde, ist bei Erfüllen der übrigen Kriterien als Gesetz anzusprechen. Je nach Gesetzgeber unterscheiden sich die Gesetze nur hinsichtlich ihres räumlichen (gegebenenfalls persönlichen) Geltungsbereichs und hinsichtlich ihres Regelungsgegenstandes. Davon abgesehen ist es für den Gesetzescharakter unerheblich, ob der Landesherr als Gesetzgeber aufscheint oder ob in einer Grundherrschaft der Grundherr rechtssetzend tätig wird. Auch ob in Städten Bürgermeister und Rat oder in einer Gerichtsoder Landgemeinde die Gesamtheit der Genossen respektive die von ihnen gewählten und ermächtigten Organe (Gerichtsausschuss, Dorfmeister und Dorfausschuss) generell-abstrakte Normen erlassen, ist für den Gesetzescharakter unerheblich. So besteht kein Grund, an der Gesetzeseigenschaft der Jagdordnung des Gerichts Laudeck aus dem Jahr 1571 zu zweifeln. Die Jagd in den dortigen Revieren stand zwar (mit Ausnahme der dem Landesfürsten vorbehaltenen Jagd auf Rotwild) jedem „angesessenen“ Gerichtsgenossen frei, doch wurden im Sinne einer nachhaltigen Bewirtschaftung der Wildbestände Schonzeiten festgelegt, der Verkauf reguliert und für Übertretungen Strafsätze festgelegt. Die entsprechende Jagdordnung wurde vom Gerichtsausschuss ausgearbeitet, von der Gerichtsgemeinde auf dem Ehafttaiding angenommen und in Schriftform (Urkundenform) festgehalten.387 Unabhängig von der Art des Zustandekommens und der tätig werdenden Ebene ist einem solchen Rechtssetzungsakt, dem generell-abstrakte Wirkung zukommt, der – wenn auch in Form einer Einung – autoritativ gesatzt wird, der Schriftform aufweist und schließlich den Normadressaten regelmäßig auf den Ehafttaidingen des Gerichts publiziert wird, zweifellos die Eigenschaft eines Gesetzes zuzusprechen. Dieses ist räumlich auf den Bezirk des Gerichts Laudeck beschränkt; und auch inhaltlich ist die Rechtssetzungsbefugnis limitiert, kommt der Gerichtsgemeinde doch keine Regelungsbefugnis bezüglich der dem Landesherrn reservierten Jagd auf das Rotwild zu.
Vgl. hierzu Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007, S. 93.
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II. Das Gesetz: Definitionen
3. 2. 3. 2. Weistümer Das Faktum der autoritativen Setzung grenzt das Gesetz zudem vom (bäuerlichen) Weistum des Spätmittelalters und der Frühneuzeit ab. Schon einige exemplarische Definitionen (oder besser gesagt Definitionsversuche) des im Einzelnen schillernden, je nach Territorium erhebliche Partikularitäten aufweisenden und von der Forschung seit Jahrzehnten überaus kontrovers diskutierten Weistumsbegriffs388 führen vor Augen, dass es sich bei ihnen jedenfalls nicht um eine autoritative Setzung oder Darstellung von Recht durch eine legitimierte Obrigkeit handelt. Hermann Baltl bezeichnete so das Weistum als „gemeinschaftsbezogene, weisende Feststellung von Rechtssätzen in gerichtsverfassungsmäßiger Weise, gültig für einen bestimmten, räumlich begrenzten Bezirk.“389 Bader/Dilcher sprechen vom Weistum als einer „Rechtsquelle, die gemäß Frage eines um den konkreten Rechtszustand ‚Wissen-wollenden‘ von ‚Wissenden‘ formuliert wird, also eine Unterweisung im Rechten.“390 Es handelt sich um ein „Finden“ („Weisen“) des bereits geltenden Rechts durch die Rechtsgenossen, das unter Umständen schriftlich festgehalten werden kann.391 Gleichwohl kann man nicht von einer autoritativen Feststellung des geltenden Rechts sprechen, da den weisenden Rechtsgenossen zwar das Ansehen von im Recht erfahrenen Männern zukam und ihr Wort folglich Gewicht hatte, sie jedoch über keine obrigkeitliche Kompetenz zur Feststellung dessen, was Recht war, verfügten. Bei Kodifikationen des territorialen Gewohnheitsrechtes wie dem Bayerischen Landrecht Ludwigs des Bayern von 1346392 oder bei policeyrechtlichen landesfürstlichen Mandaten, die (überwiegend) das alte Herkommen wiedergeben wie den bayerischen Landgeboten, ordnet der Gesetzgeber autoritativ die Befolgung des nunmehr in Gesetzesform gegossenen und allenfalls gebesserten Rechtes an, was auch in entsprechenden verba legalia seinen Niederschlag findet. Der Gesetzgeber „ordnet und setzt“, „empfiehlt“ (im Sinne von „befiehlt“) oder „will“. Ganz Vgl. den Überblick bei Trauchburg, Ehehaften und Dorfordnungen, 1995, bes. S. 7–9; Stahl eder, Weistümer und verwandte Quellen, 1969, 529–530; zu den begrifflichen Disputen zuletzt Birr, Weistümer, 2004, S. 399–401; Birr, Erkenntnisinteresse, 2002, bes. S. 38–40; ergänzend noch immer Bühler-Reimann, Problematik, 1986. 389 So Baltl, Weistümer, 1951, S. 377; prägnanter die Definition bei Bühler-Reimann, Problematik, 1986, S. 89–90, oder Burmeister, Vorarlberger Landsbräuche, 1970, S. 23–25. 390 Bader/Dilcher, Rechtsgeschichte, 1999, S. 163. 391 Zur Motivation des Schriftgebrauchs zuletzt Teuscher, Erzähltes Recht, 2007, S. 95–98. 392 Vgl. die beiden jüngst erschienen Editionen durch Schlosser/Schwab, Landrecht, 2000; Schwab, Landrecht, 2002; ferner auch Schlosser, Rechtsbuch Ludwigs von 1346, 2002, der sich darin entschieden gegen bislang dominierende „einfältige Qualitätsurteile“ (Zitat ebd., S. 263) wendet. Er spricht das Landrechtsbuch „als Verkörperung einer in Schriftform gebrachten, vormals überwiegend gewohnheitlichen Rechtsordnung“ an (Zitat ebd., S. 263), weist aber gleichzeitig treffend nach, dass von einer übereilten, unsystematischen und schnöden Zusammenstellung gesammelten Materials keine Rede sein kann. 388
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anders bei den Weistümern: Die das Recht weisenden Männer statuieren nicht die verpflichtende Befolgung des geltenden Rechtes. Sie „befehlen“, „ordnen“ und „setzen“ nicht, sondern „öffnen“, „finden“ und „weisen“, was ohnehin schon rechtens ist. In streng gerichtsverfassungsmäßiger Weise wird das geltende Recht von als erfahren qualifizierten Männern festgestellt; insofern handelt es sich um eine Darstellung des Rechts. Sie fungieren damit jedoch nicht als zur Rechtssetzung befugte Autorität, sondern gewährleisten in einem streng formalisierten und ritualisierten Verfahren die Erinnerung an das geltende Recht, das durch das „Weisen“ wiederum eingeschärft und kollektiv memoriert wird.393 Just diesen Unterschied zwischen Weistümern und Dorfordnungen hebt auch Stahleder hervor. Letztere, sei es von der Dorf- oder Gerichtsherrschaft einseitig gesetzt oder von den Rechtsgenossen durch Einung selbst erlassen, gehören „in die Gruppe der Gesetze. Auch die Ordnung entsteht nicht durch Weisung, sondern gelegentlich durch Verordnung, normalerweise wird sie von der Dorfgemeinde selbst aufgerichtet.“394 Trotz dieser grundlegenden Differenz zwischen dem bäuerlichen Weistum und dem Gesetz wird Ersteres im Anschluss an die stark rezipierte Arbeit Wilhelm Ebels395 gelegentlich als eine der Grundformen des Gesetzes bezeichnet.396 Die bäuerlichen Weistümer sieht Ebel als „sozusagen späte Modellfälle der ‚Gesetzgebung‘ durch urteilsförmige Rechtsfindung“397, ohne jedoch eine Begründung für diese These zu liefern oder darzulegen, warum bei der Qualifikation als „Gesetzgebung“ dieser Terminus in Anführungszeichen gesetzt wird. Um eine nähere Aufklärung bemüht sich in der Folge Bernhard Diestelkamp, der die Schnittmengen mit den spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Gesetzen herausarbeitet.398 Zunächst hebt er die teilweise sehr weitgehende – und von der Forschung auch deutlich herausgearbeitete – herrschaftliche Einflussnahme auf den Inhalt der Weistümer hervor. Eben aufgrund dieser Einflussnahme könne man nicht behaupten, dass ihnen der autoritative Charakter fehle, wobei Diestelkamp es nicht unterlässt, auf die von Willoweit anhand von südhessisch-mainfränkischem Material herausgearbeiteten Affinitäten zwischen Weistum einerseits und herrschaftlichen Gebot und Verbot andererseits hinzuweisen. Außerdem weist Diestelkamp den Einwand zurück, dass „ein normsetzender Akt in einer einzigen Urkunde fixiert sein müßte.“399 Auch eine gezielte Weistumspolitik, die eine von der Grundherrschaft ausgehende Rechtsvereinheitlichung heterogener lokaler Rechtsgewohnheiten und eigener Herrschafts Hierzu zuletzt Teuscher, Erzähltes Recht, 2007, bes. S. 89–98. Vgl. Stahleder, Weistümer und verwandte Quellen, 1969, S. 856 (demgegenüber pointiert zu den Weistümern ebd., S. 558). 395 Vgl. Ebel, Gesetzgebung, 21958. 396 Vgl. zuletzt Ebel/Thielmann, Rechtsgeschichte, 32003, Rz 20; weitere Hinweise zur Rezeptionsgeschichte des Werkes von Ebel bei Fögen, Morsche Wurzeln und späte Früchte, 1987. 397 Ebel, Gesetzgebung, 21958, S. 17. 398 Diestelkamp, Geschichte des Gesetzes, 1983, S. 402–404. 399 So Diestelkamp, Geschichte des Gesetzes, 1983, S. 403. 393 394
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rechte anstrebe, sei Gegenstand der Gesetzgebungsgeschichte, wobei Diestelkamp besonders auf die von der Forschung intensiver beackerten Weistumsfamilien400 in den österreichischen Ländern verweist. Diese Argumentation Diestelkamps ist zwar durchaus nachvollziehbar, jedoch aus mehreren Gründen problematisch. Erstens geht sie von der Prämisse eines jedenfalls vorhandenen herrschaftlichen Einflusses auf den Inhalt der Weistümer aus, da erst dann von einer autoritativen Setzung die Rede sein könne. Gerade mit dieser Grundvoraussetzung stößt Diestelkamp freilich in ein Wespennest der Weistumsforschung, welche die Frage des obrigkeitlichen Einflusses auf Weistümer insbesondere während und in der Folge des Verschriftlichungsprozesses kontrovers diskutiert hat.401 Auf der einen Seite steht die schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von Erna Patzelt402 und Hermann Wießner403 ventilierte These, dass die Weistümer maßgeblich von der Grundherrschaft gestaltet würden, in deren Interesse die Aufzeichnung erfolge. Diese Auffassung traf jedoch teilweise auf heftige Gegenwehr, wobei von Forschern wie Otto Stolz ausdrücklich auf das Tiroler Quellenmaterial verwiesen wurde, das klar die herausragende Bedeutung der bäuerlichen Gemeinde bei der Entstehung der Weistümer belege.404 Schon diese Ausführungen verdeutlichen, dass bei der Bestimmung des Ausmaßes herrschaftlichen Einflusses auf Zustandekommen und Inhalt der Weistümer territorienspezifisch vorgegangen werden muss. Selbst wenn eine Beteiligung von Herrschaftsorganen an der Aufzeichnung einer Rechtsweisung belegt ist – was angesichts der geringen Alphabetisierungsrate im ländlichen Raum in Spätmittelalter und Frühneuzeit häufig der Fall war – ist eine differenzierte Sichtweise angebracht.405 Die Niederschrift eines Weistums und die dadurch erhöhte Rechtssicherheit konnten den Untertanen wie der Grundherrschaft zu Vorteil gereichen: Ersteren, weil sie sich leichter gegen zusätzliche Forderungen und Belastungen wehren konnte; Letzteren, da den Grundholden ein Abstreiten von Verpflichtungen erschwert wurde. Außerdem ist zu betonen, dass die Inserierung herrschaftlicher Rechtsgebote nicht schlagartig vor sich ging, sondern ein schleichender Prozess war. In Österreich ob und unter der Enns erklärten so die Gerichtsherren in einigem zeitlichen Abstand zu den ersten Rechtsaufzeichnungen, diese erst nach einer herrschaftlichen Konfirmation als für sie verbindlich anzuerkennen, wobei im Zuge dieser Bestätigung
Vgl. Baltl, Weistümer, 1953; Patzelt, Entstehung und Charakter, 1924. Einen Überblick über die ältere Forschung bietet Feigl, Entstehung der Weistümer, 1977, S. 426–427; jüngere Entwicklungen bei Birr, Weistümer, 2004, S. 396–398; zuletzt Teuscher, Erzähltes Recht, 2007, S. 85–98. 402 Patzelt, Entstehung und Charakter, 1924; Patzelt, Grundherrschaft und bäuerliches Weistumsrecht, 1929. 403 Wießner, Sachinhalt und wirtschaftliche Bedeutung, 1934. 404 Stolz, Weistum und Grundherrschaft, 1936, bes. S. 163–168. 405 Zum Folgenden Feigl, Entstehung der Weistümer, 1977, S. 440–445. 400 401
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zunächst kleinere Änderungen vorgenommen werden konnten.406 Von bewusster und nach außen demonstrierter Rechtssetzung kann zu diesem Zeitpunkt noch keine Rede sein, vielmehr trachtete man danach, Form und Stil des übrigen Weistums zu imitieren, um die vorgenommene Rechtsänderung vor den Untertanen zu kaschieren. Von einer nach außen hin manifestierten Gesetzgebung ist man zu diesem Zeitpunkt noch weit entfernt. Von dieser möglichst unbemerkt betriebenen Rechtsgestaltung führt die Entwicklung schließlich zu grundherrschaftlichen Dorf-, Markt- und Stadtordnungen, denen definitiv Gesetzescharakter zukommt. Sie bestanden ausschließlich aus herrschaftlichen Rechtsgeboten und verwiesen bereits in der Narratio sowie durch die Verwendung einschlägiger imperativer Verben wie „ordnen“, „setzen“ und „befehlen“ auf den grundherrlichen Willen, der die autoritative Befolgung der erlassenen Regelung vorschrieb.407 Zwischen dem klandestinen Inserieren einzelner herrschaftlicher Gebote oder dem heimlichen Verändern einzelner Weistumsbestimmungen und der zweifellos als Gesetz zu klassifizierenden Erlassung grund- oder gerichtsherrschaftlicher Ordnungen vorwiegend policeylichen Charakters liegt schließlich in der Tat eine Grauzone, innerhalb derer die Differenzierung zwischen dem Befund (noch) Weistum oder (schon) Gesetzgebung problematisch erscheinen mag. Eine ganz ähnliche Grauzone ergibt sich im Übrigen bei der Abgrenzung zwischen dem herrschaftlichen Gesetz und dem mündlichen, im alten Herkommen wurzelnden Gebot und Verbot.408 Doch sind hier jeweils eine streng einzelfallspezifische Untersuchung und Beurteilung notwendig. Nicht gerechtfertigt ist jedenfalls, das Weistum als eine überaus vielfältige und inhomogene Rechtsquelle pauschal als Grundform der Gesetzgebung zu bezeichnen und zu einem der Untersuchungsgegenstände der Gesetzgebungsgeschichte zu machen.409 Dieser Vorbehalt trifft namentlich auf den Tiroler Raum zu, wo der herrschaftliche Einfluss auf die Weistümer als gering veranschlagt werden muss und wo sich folglich die angedeuteten Grauzonen zwischen Weistum und Gesetz nicht zeigen.410 Vgl. Feigl, Rechtsentwicklung und Gerichtswesen, 1974, S. 119–120; zur Gesetzgebungskompetenz der Grundherrschaften in Österreich ob und unter der Enns ferner Feigl, Grundherrschaft, 1964, S. 41–42, 164 und 205; Winkelbauer, Sozialdisziplinierung und Konfessionalisierung, 1992, S. 327–329 (Beispiele ebd., S. 329–335); Feigl, Die oberösterreichischen Taidinge, 1984, S. 150; Ellrichshausen, Uneheliche Mutterschaft, 1988, S. 35–36; vor allem Brauneder, Stellung und Verhältnis, 1997, S. 204, 206–207; Brauneder, Frühneuzeitliche Gesetzgebung, 1998, S. 115–116; ausführliche Besprechung und weitere Literaturhinweise in Kap. VI.3.2.1. 407 Zum Aufbau herrschaftlicher „Ordnungen“ vgl. z. B. Feigl, Rechtsentwicklung und Gerichtswesen, 1974, S. 121–131. 408 Vgl. hierzu v. a. Kap. VI.3.2.1. 409 Dies wird durch neuere Analysen von Teuscher, Erzähltes Recht, 2007, bes. S. 218–227, nochmals anschaulich vor Augen geführt. 410 Programmatisch hierzu der bereits angeführte Beitrag von Stolz, Weistum und Grundherrschaft, 1936, hier bes. S. 163–168. 406
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3. 2. 3. 3. Beispiele Bei der Bestimmung von landesfürstlichen Rechtstexten wiederum wirft das Kriterium der autoritativen Setzung von Recht in praxi kaum Probleme auf. Im Allgemeinen ist die Erlassung mit Geltungswillen anhand der verba legalia rasch zu erkennen, wobei der Verwendung von imperativischen Verben in Verbindung mit dem Urkundenformular Indizien- und Signalwirkung zukommt.411 Nur sehr vereinzelt ergeben sich Abgrenzungsschwierigkeiten. An dieser Stelle sei ein Text rechtlichen Gehalts exemplarisch besprochen, der ganz konkret die Frage aufwirft, ob es sich dabei um eine autoritative Setzung oder um eine keine normative Wirkung entfaltende Absichtserklärung handelt.412 1493 wurde auf landesfürstlichen Befehl in der Innsbrucker Regimentskanzlei ein Schriftstück aufgesetzt, in dem die zwischen König Maximilian I. und der Tiroler Geistlichkeit umstrittene Frage, in welchem Maß Klöster, Stifte und Geistliche zum Unterhalt der landesfürstlichen Jäger und Jagdhunde beitragen müssen, einer Regelung zugeführt wurde. Hinsichtlich des Urkundenformulars fällt die entsprechende Ausfertigung jedoch völlig aus dem Rahmen dessen, was man bei einem Gesetzeserlass erwarten würde: Zu wissen. Als die erwirdig briesterschaft der bistumben Trienndt und Brichsen zu verschinen gehalden lanndtägen, auch sunst an unnsern allergnedigsten herrn, den römischen künig als regierennden herrn und lanndsfürsten der grafschaft Tirol [...] allerlay beswärd der jäger und hundt halben, so zu zeiten zu in komen und ligen, anbracht, also hat die römisch Kün. Mt. als gnediger herr, liebhaber und furdrer götlichs diennsts in dieselben ir beswärd mit zeitigem rat gesehen und hinfür (doch so lanng seiner Kün. Mt. gemaint ist) dise artickl hernach geschriben zu halden fürgenomen und die bristerschaft dabey beleyben zu lassen gnedigclich zugesagt. Hierauf folgt die Erklärung, dass Prälaten, Pfarrer und Pfarrvikare in den Vierteln an der Etsch ebenso wie im Inntal maximal mit der Unterbringung und Versorgung von einem Pferd, acht Personen und siebzig Jagdhunden belastet werden sollten, wobei auch die jeweilige Aufenthaltsdauer genau fixiert wird. Eine allfällige Mehrbelegung soll durch landesfürstliche Salz- und Kornlieferungen ausgeglichen werden. Im Anschluss werden auch verschiedene Verhaltensvorschriften für das einquartierte Jagdpersonal festgehalten: Die jäger sollen sich auch bey den prelaten, pharrern und vicarien in obgemelten baiden bistumben gepürlichen halden und niemand belaidigen, sich auch der wein, so ain yeder fur sein priester hat und sunst zymlicher lifrung benüegen lassen, auch nicht frembd leut zu inen in die lifrung ziechen, doch dem lanndsfürsten Vgl. Kap. II.3.3.2. TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 16, Lit. P, S. 70–73, 1493 Sept. 7.
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ungeverlichen, ob er an der Etsch oder hervorn im Intal darüber in aigner person weiter jagen wolt. Am Schluss der Ausführungen findet sich ein von der Datumszeile gefolgter Vermerk über die Ausfertigung: Des sind zwo gleichlautend zedl gemacht und yedes obgemelten bistumben ains gegeben. Schon dies irritiert. Offensichtlich erhielt jedes der Bistümer nur eine Abschrift (einen zedl) ausgehändigt. Von einer Kundmachung an die betroffenen Geistlichen findet sich keine Spur, geschweige denn, dass nachweisbar wäre, dass eine Publikation an die landesfürstliche Jägerschaft erfolgt wäre, der schließlich dem Wortlaut nach ebenfalls gewisse Verhaltenspflichten auferlegt wurden. Somit erscheint es bereits am (noch zu besprechenden) Erfordernis der gehörigen Kundmachung zu gebrechen. Aber auch der Wille zur autoritativen Rechtssetzung wird nicht ersichtlich. Es ist wohl kein Zufall, dass Maximilian I. eben jene Urkundenformulare vermeidet, die damals schon standardmäßig für die autoritative Erlassung generell-abstrakter Regelungen verwendet wurden. Die Narratio selbst würde eine solche Verfahrensweise durchaus nahe legen. Man erfährt von den der Erklärung vorausgegangenen Landtagsbeschwerden des geistlichen Standes, die Maximilian schließlich zum Handeln veranlassten – wobei der König bei der Erledigung gleichermaßen das Formular und die äußere Form eines Privilegs meidet. Genau dies ist der springende Punkt: Maximilian geht es gerade darum, eine Form der Beilegung der wiederholt ventilierten Landtagsgravamina zu finden, die zwar seine gute Absicht demonstriert und die vorgebrachten Beschwerden zumin dest vorläufig vom Tisch wischt, ihn – den begeisterten Jäger – jedoch gleichzeitig möglichst wenig in seinem tatsächlichen Handlungsspielraum einengt. Dies ist bei Maximilian I. eine bei der Behandlung von jagdrechtlichen Fragen während Jahrzehnten festzustellende Strategie. Auf Landtagen sparte er nicht mit beruhigenden Zusagen und Versprechen, deren Umsetzung sich aber zur großen Erbitterung der betroffenen Stände als mehr als defizitär erwies. Im konkreten Fall gelingt ihm eine provisorische Streitbeilegung, indem er vorderhand den Beschwerden des geistlichen Standes Rechnung trägt. Er tut dies jedoch in einer Form, die ganz bewusst gewählt ist und möglichst wenig Bindungswirkung entfalten soll. Eine autoritative Setzung von Recht, eine genaue gesetzliche Fixierung oder gar eine privilegiale Festschreibung der Unterhaltspflichten der Geistlichkeit ist nicht intendiert, weshalb sowohl die Gesetzes- als auch die Privilegienform gemieden wird. Maximilian sendet wohlwollende Signale aus, hat die genannten Artikel zu halden fürgenomen – und betont gleichzeitig sowohl durch die Ausfertigung eines bloßen zedl[s] als auch expressis verbis (doch so lanng seiner Kün. Mt. gemaint ist) die Unverbindlichkeit der Erklärung. Was man somit auf den ersten Blick für ein Gesetz halten könnte, entpuppt sich bei genauerer Analyse als „Beruhigungspille“, die nur bei Kenntnis der Verhandlungssituation auf Landtagen richtig beurteilt werden kann. Ob es sich tatsächlich um eine autoritative Setzung oder Feststellung von Recht handelt, ist freilich stets im Einzelfall zu beurteilen. Als beispielsweise die Regie-
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rung 1521 aufgrund von Beschwerden der Geistlichkeit an der Etsch Feststellungen über den Ablauf der Erbabhandlung nach dem Tod eines Priesters traf, war der Geltungswille sehr wohl gegeben, wenngleich die entsprechende Urkunde – ebenfalls atypisch für Gesetze – mit „zu wissen“ eingeleitet wurde. Dennoch handelt es sich zweifelsfrei um die im Dokument selbst als „Abschied“ bezeichnete autoritative Konfirmation des geltenden Rechtszustandes. Dieser ging seinerseits auf eine Begünstigung in Privilegienform aus dem Jahr 1387 zurück, auf die 1521 auch aus drücklich verwiesen wurde.413 Der „Abschied“ dient der mit obrigkeitlicher Autorität ausgestatteten Fixierung des Rechtszustandes, der damals offensichtlich teilweise als unsicher wahrgenommen wurde. Er wurde dementsprechend auch unter dem Sekretsiegel Karls V. ausgefertigt. Dem „Abschied“ gingen Meinungsdifferenzen zwischen der Priesterschaft und dem Kammerprokurator voraus, die beide im Vorfeld von der Regierung mit ihren Argumenten angehört wurden. Dennoch handelte es sich weder um einen Vergleich noch um einen Urteilsbrief. Es wird kein Anlassfall entschieden, sondern verbindlich die Rechtslage festgestellt, wie bereits durch die Verwendung des imperativen Verbs „sollen“ und des Temporalpronomens „hinfüro“ indiziert wird. Dies entspricht erkennbar auch der zeitgenössischen Sichtweise. Bei einschlägigen Streitigkeiten wurde für Jahrzehnte, ja bis weit in das 17. Jahrhundert auf diesen „Abschied“ Bezug genommen.414 Eine noch deutlichere Sprache spricht die zeitgenössische Überlieferungssituation, haben sich doch eine ganze Reihe von Abschriften erhalten.415 Letzteres gibt auch Antwort auf die Publikationsweise der Norm, die einen sehr limitierten persönlichen Geltungsbereich aufwies und daher nicht allgemein, sondern nur zielgruppenspezifisch durch Vervielfältigung des Abschieds kundgemacht wurde.416 Die Publikationsform – die Abschriften wurden schließlich nicht amtlich hergestellt – zeigt freilich deutliche Affinitäten zu einem Privileg, dessen Kund- und Geltendmachung jeweils den Begünstigten oblag und nicht von der Obrigkeit von Amts wegen wahrgenommen wurde. Dies überrascht im vorliegenden Fall nicht: Aus der Sicht des Gesetzgebers handelte es sich bei der entsprechenden Regelung zweifellos um eine Begünstigung, zumal ausdrücklich auf das zugrunde liegende Privileg aus dem Jahr 1387 verwiesen wird. Und auch die Tiroler Landstände verwahrten eine der Urkundenausfertigungen bei den Landesfreiheiten. Trotz dieser aufgezeigten Nähe zum Privileg lassen insgesamt die Indizien Vgl. hierzu die Wiedergabe der Privilegien von 1387 Febr. 11, 1387 Febr. 24 und 1387 März 3 bei Sinnacher, Brixen, Bd. 5, 1827, S. 529–531; ein entsprechendes Gesetz bei Schwind/ Dopsch, Ausgewählte Urkunden, 1895, Nr. 142, S. 278–289. 414 Z. B. TLA, BT, Bd. 5, fol. 331r, 1544 Sept. 9; AfD 1586, fol. 242r–245v, 1586 März 28; AfD 1588, fol. 715r–716r, 1587 Okt. 30; AfD 1642, fol. 958r–961r, 1642 Nov. 10. 415 Vgl. TLA, Prozessbuch 1521, fol. 91; TLA, BT, Bd. 7, fol. 335v–336v; TLMF, FB 5028, fol. 326r–329r; TLA, VdL, Bd. 1, fol. 267v–269r; TLA, Landschaftliches Archiv, Urkunde Nr. 59; Edition bei Schober, Urkunden, 1990, S. 129–130; Brandis, Landeshauptleute, 1847/1850, S. 536. 416 Vgl. zur Normkundmachung Kap. V. 413
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auf die mit obrigkeitlichem Geltungswillen ausgestattete Erlassung einer generellabstrakten Norm schließen.
3. 2. 4. Die Schriftlichkeit 3. 2. 4. 1. Allgemeines Regelmäßig wird die Schriftlichkeit als konstitutives Element des Gesetzes herangezogen, um es vom mündlichen Ge- und Verbot der Obrigkeit abzugrenzen. Abweichende Stimmen bleiben die Ausnahme. An dieser Stelle ist vornehmlich Gert Althoff zu nennen, der mit zeitlichem Fokus auf dem Hochmittelalter von „ungeschriebenen Gesetzen“ spricht. Hierunter versteht er jedoch nicht obrigkeitlicherseits erlassene, generell-abstrakte und gehörig kundgemachte Normen, denen das Essentiale „Schriftlichkeit“ ermangelt, ohne dass dies ihren Gesetzescharakter beeinträchtigen würde. Ebenso wenig möchte er „ungeschriebene Gesetze“ den Rechtsgewohnheiten gleichsetzen. Vielmehr findet er eine umfassende Definition für ein „Regelwerk“, das, wie in archaischen Gesellschaften aufgrund von rechtsethnologischen Erkenntnissen zu erwarten, auf einer überschaubaren Zahl von Grund prinzipien beruhe. Auf Debatten über den spezifischen (Rechts- oder Gesetzes‑) Charakter lässt er sich jedoch nicht ein. Das Mittelalter „unterschied nicht zwischen Rechts- und Verhaltensnormen, zwischen staatlichen Gesetzen und privaten Spielregeln und kannte keine bevorrechtete Sphäre des Staates und der Gesetze.“417 Letztlich läuft bei Althoff alles auf die Existenz von „Spielregeln“418 hinaus, die allgemein bekannt gewesen seien und die der hochmittelalterlichen Gesellschaft auch ohne schriftliche Fixierung von Normen hinreichend Stabilität verliehen hätten, deren Rechtsqualität – so es überhaupt eine gab – Althoff jedoch weiter kein Kopfzerbrechen bereitet, da sie ihm unerheblich erscheint. Auf diese Weise werden beispielsweise faktische Zugangsbeschränkungen zum Herrscher, denen Rangniedrigere unterliegen, flugs zu einem „ungeschriebene[n] Gesetz des Zugangs“419. Entsprechend vehement und ablehnend fiel die dominierende Reaktion der Rechtshistorikerzunft aus, die sich plötzlich um einen zentralen Untersuchungsgegenstand ihres Faches gebracht sah, der sich in der Schwammigkeit des „Spielregeln“-Begriffs verlor.420 Gleichzeitig wurde eine Fülle von Argumenten gegen die Althoff ’sche Interpretation vorgebracht. Das Nachvollziehen der Debatte im Einzelnen scheint hier entbehrlich, ist sie doch nicht zuletzt ein Reflex einer divergierenden Perspektive und fundamental unterschiedlicher Begrifflichkeiten und Denkkategorien von Rechts 419 420 417 418
Althoff, Ungeschriebene Gesetze, 1997, S. 288. So auch der bezeichnende Buchtitel: Althoff, Spielregeln, 1997. Vgl. Althoff, Ungeschriebene Gesetze, 1997, S. 293. Vgl. zuletzt Dilcher, Zwangsgewalt, 2008 (Erstveröffentlichung 2002), S. 158–159 (mit weiteren Literaturhinweisen).
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und Allgemeinhistorikern. Schon die fehlende Differenzierung von Rechts- und Verhaltensnormen, von staatlichen Gesetze und privaten Spielregeln im angeführten Zitat Althoffs muss bei Juristen auf Widerspruch stoßen. Die bisherigen kurzen Ausführungen dürften jedenfalls verdeutlicht haben, dass das Althoff ’sche Postulat „ungeschriebener Gesetze“ kaum Berührungspunkte zu unserer Fragestellung aufweist. Zeitlich liegt sein Fokus auf dem Hochmittelalter,421 inhaltlich auf den Regeln, die bei Konflikten innerhalb des Hochadels zur Anwendung kommen – beides wird in der vorliegenden Darstellung nur am äußersten Rande berührt. Dass Althoff unsere Kenntnis der Konfliktbewältigungs- und -beilegungsstrategien im Hochmittelalter vertieft hat, steht außer Frage – für den Gesetzesbegriff trifft dies aber nicht zu. In diesem Punkt ist der gegen Althoff erhobene Vorwurf begrifflicher Unschärfe berechtigt. 3. 2. 4. 2. Mündliche Gebote und Verbote Eingehendere Erörterung verdienen demgegenüber die Ausführungen Dietmar Willoweits, der mit Blick auf die genetische Verankerung der landesherrlichen Gesetzgebung des ausgehenden Mittelalters in der mündlichen Gebotspraxis eine Einengung des Gesetzesbegriffs durch das Erfordernis der Schriftlichkeit ablehnt, da dies das Gesetz seiner geschichtlichen Wurzeln beraube.422 Dass die landesfürstliche Gesetzgebung des ausgehenden Mittelalters unter anderem in der mündlichen Geund Verbotspraxis verankert war, wie dies von Dietmar Willoweit postuliert wird, ist ein nahe liegender Schluss und wird anhand des Tiroler Exempels noch eingehender zu diskutieren sein.423 Im Herzogtum Berg und in Kurköln sind so Bestrafungen wegen Würfelspiels und Scheltworten belegt, obwohl diesbezügliche Gesetze erst deutlich später erlassen wurden.424 Dies kann nicht nur mit Überlieferungslücken beim spätmittelalterlichen Gesetzesmaterial erklärt werden. Vielmehr bestätigt sich die von Willoweit als „sehr wahrscheinlich“ qualifizierte Vermutung, dass vor der quantitativ rasanten Zunahme der landesherrlichen Gesetzgebung im ausgehenden Mittelalter andere Formen der Rechtssetzung an der Peripherie existierten, wobei er in concreto an mündliche Befehle des Landesherrn an seine Amtsträger denkt, die diese dann in ihren Zuständigkeitsbereichen umgesetzt hätten und die mit der Auch Wadle, Frühe deutsche Landfrieden, 2001, S. 87, kommt kurz auf das Problem der Schriftlichkeit als konstitutives Element eines Gesetzes im Hochmittelalter zu sprechen. Mit Verweis auf Dolezalek, Scriptura, 1980, hebt er hervor, dass die Kanonistik tendenziell vom Erfordernis der Schriftlichkeit absah, wenngleich Gratians Anschauung des Gesetzes eher in Richtung einer Notwendigkeit der Schriftform weise. 422 Willoweit, Gesetzgebung und Recht, 1987, S. 137–138; vgl. auch Althoff, Ungeschriebene Gesetze, 1997. 423 Vgl. auch Kap. VI.3.2.1. 424 Vgl. Janssen, Gesetzgebung, 1984, S. 32. 421
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Zunahme der Schriftlichkeit und der Professionalisierung und Expandierung der landesherrlichen Kanzlei in Gesetzesform niedergelegt worden seien. Damit hat Willoweit durchaus eine der Optionen von landesfürstlicher Normsetzung vor der Frequenzzunahme von Gesetzgebungsakten beschrieben – freilich eine der methodisch am schwersten fassbaren. Überdies ist ihm zuzustimmen, wenn er die starke Verankerung früher landesfürstlicher Gesetze im Gebots- und Verbotsrecht hervorhebt, das seinerseits in hohem Maße auf dem „alten Herkommen“ gründet (aber durch dieses auch limitiert wird). Hans Schlosser hat dies für die bayerischen Landgebote herausgearbeitet,425 und das Tiroler Beispiel belegt ebenfalls die starke Bezugnahme früherer Gesetze auf das „alte Herkommen“.426 Hat diese unbestrittene (zumindest partielle) genetische Verortung der Gesetzgebung in ursprünglich mündlich erteilten Geboten Auswirkungen auf den Gesetzesbegriff und auf die für diesen konstitutiven Kriterien? Ist deshalb auf das Erfordernis der Schriftlichkeit für den Gesetzescharakter zu verzichten? Dies ist aus mehreren Gründen zu verneinen, und zwar sowohl aus arbeitspraktischen als auch methodischen und inhaltlichen Gründen. Zunächst ist der durch diese Ausweitung des Gesetzesbegriffs erzielte und erzielbare Erkenntnisgewinn sehr beschränkt, sieht man von dem damit verbundenen demonstrativen Verweis auf eine der Wurzeln des Gesetzes ab. Außerdem wird dadurch der Untersuchungsgegenstand kaum mehr klar umschreibbar. Wenn auch mündliche Ge- und Verbote grundsätzlich Gesetzescharakter haben können, wie will der Rechtshistoriker diese auch nur annähernd festhalten können? In einigen wenigen Fällen wird man aufgrund anderweitiger Hinweise derartige Ge- und Verbote festmachen und allenfalls sogar genauere Aussagen über ihren Inhalt machen können – dies bleibt jedoch die Ausnahme. Gerade für die zweite Hälfte des 14. und das 15. Jahrhundert würde der Verzicht auf das Essentiale der Schriftlichkeit somit eine Ausuferung des potentiellen Untersuchungsgegenstandes bewirken, diesen jedoch gleichzeitig aufgrund der quellenbedingt fehlenden Greifbarkeit jeder näheren Analyse entziehen. Ferner ist zu bedenken – und dies ist wohl der gewichtigste Grund –, dass „Gebot und Verbot“ nicht gleich „Gebot und Verbot“ sind, sondern dass hier massive Unterschiede bestehen können. Dieses durchaus komplexe Verhältnis hat Willoweit selbst anhand südhessischer und mainfränkischer Weistümer herausgearbeitet. Schon die im Rahmen dieser Untersuchung herangezogene Rechtsquelle „Weistum“ verdeut licht, dass es sich dabei nicht um die mündliche Gebotspraxis des Landesfürsten gegenüber Amtsträgern handelt. Zwischen dem Gebot des Landesfürsten und lokalen oder regionalen, im „alten Herkommen“ verwurzelten Ge- und Verboten, die als rechtsgewohnheitliche Normen in ländliche Rechtsquellen Eingang finden konnten, bestehen fundamentale Unterschiede, die Willoweit selbst hervorgehoben hat. Die Gesetzgebung erfließe nicht stringent aus dem Gebotsrecht, sondern Vgl. Schlosser, Rechtsgewalt und Rechtsbildung, 1983, bes. S. 18. Vgl. Schennach, Gesetzgebung als Erinnern an Normen, 2007, S. 394–400.
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werde vor allem von einem veränderten herrscherlichen „Selbstbewußtsein und Legitimationsgedanken“427 genährt und lasse die rechtsgewohnheitlichen Grenzen des Gebotsrechts hinter sich, zumal das Gebotsrecht auch von Gerichts- oder Dorfherren ausgeübt werden konnte. Geradezu mustergültig wird die Differenz zwischen dem durch das „Herkommen“ limitierten „Gebot und Verbot“ einerseits und dem landesfürstlichen Rechtssetzungsakt andererseits in einer Anweisung Erzherzog Siegmunds an den Richter des Gerichts Ehrenberg im Jahr 1488 verdeutlicht. Darin heißt es: Der gebott und verpott halben, die auch wie von alter herkumen ist haldest, ausgenomen wann geschäft von unns, unnsern haubtleuten oder räten ausgeend [...], damit die nach gestalt der sachen und deinem rate an unser stat auch gestraft und gepüest werden.428 Die „Gebote und Verbote“ sind somit durch den Richter gemäß dem alten Herkommen einzuhalten, was sowohl deren regelmäßige Publikation an die Normadressaten als auch deren Implementation durch die Sanktionierung von Übertretungen beinhaltet. Eine Ingerenz seitens des Landesfürsten respektive seiner Kanzlei ist grundsätzlich nicht notwendig. Eines wird in der vorliegenden Anweisung jedoch deutlich hervorgehoben: Die derogatorische Kraft landesherrlicher „geschäft“, die in Vertretung des Landesfürstlichen auch von anderen Instanzen (dem Rat oder Hauptleuten) ausgehen konnten (wobei mit den „Hauptleuten“ wohl die „Viertelhauptleute“ gemeint sind, die im Bereich des Landesdefensionswesens eine Rolle spielten und denen hier eine gewisse Weisungskompetenz zukam). Diese „geschäft“ gehen stets den Geboten und Verboten vor und unterliegen folglich auch nicht deren inhaltlichen Restriktionen. Dabei ist der aus dem Bereich der Urkundensprache vertraute Terminus „geschäft“ in diesem Kontext durchaus nicht mit „Gesetz“ gleichbedeutend, sondern weist ein bei weitem größeres Bedeutungsspektrum auf. Es kann sich dabei durchaus um eine generell-abstrakte, mit Geltungswillen für das ganze Land erlassene und vom Richter den Gerichtsinsassen kundzumachende Norm handeln. Es kann sich jedoch ebenso um einen Befehl für einen bestimmten Einzelfall handeln. Unabhängig davon kann der Landesfürst jedoch in Rechtsgewohnheiten verankerten Geboten und Verboten derogieren, entweder für einen bestimmten Sachverhalt oder aber generell durch einen Gesetzgebungsakt. Eines ist freilich der Bezeichnung „geschäft“ schon aufgrund seiner Provenienz aus der Urkundensprache immanent: die Schriftlichkeit. Dieser kommt im Vergleich zur Mündlichkeit schließlich noch ein weiteres Charakteristikum zu, das das schriftliche Gesetz vom mündlichen Gebot abhebt: die (potentielle) Dauerhaftigkeit. Soweit dem Gesetz nicht durch ein nachfolgen Willoweit, Gebot und Verbot, 1980, S. 128. TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 9, Lit. K, fol. 14v–15v, 1488 Mai 23.
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des Gesetz bzw. durch Gewohnheitsrecht derogiert wird oder seine Geltung nicht von vornherein befristet ist – wofür sich vereinzelte Belege finden lassen429 –, war es aufgrund seiner Schriftlichkeit stets mit dem genauen Wortlaut abrufbar. Für den Gesetzgeber ergab sich ebenso wie für die zur Implementation vor Ort berufenen Organe die Möglichkeit zur dauerhaften Verfügung über den genauen Wortlaut eines Gesetzes zum Zeitpunkt seiner Erlassung, wobei die Textfassung durch die für Urkunden üblichen Beglaubigungsmittel (Papiersiegel, Unterschriften) authentifiziert war. Dieser potentiell nur durch die Haltbarkeit des Trägermaterials limitierten Verfügbarkeit des Gesetzeswortlauts steht die Flüchtigkeit des mündlichen Gebots gegenüber, das zwar häufig durch seine Verankerung im „alten Herkommen“ inhaltlich in Grundzügen determiniert sein mag, aber doch ebenso wie dieses allmählichen Veränderungsprozessen ausgesetzt sein kann. Ebenso wenig ist der Wortlaut eines mündlichen Gebots stets genau rekonstruierbar. Auch aus diesem Blickwinkel scheint die Öffnung des Gesetzesbegriffs auf nicht-schriftliche Gebote problematisch, wenngleich die Verwaltungspraxis und der Prozess der Rechts implementation die theoretisch so klare Trennlinie zwischen mündlichem Gebot und Verbot einerseits und schriftlichem Gesetz andererseits zumindest ansatzweise relativierten. Dass Gesetzestexte bei den lokalen Obrigkeiten aufgrund von personellen Veränderungen, äußeren Einwirkungen oder nachlässiger Geschäftsführung verloren gehen konnten, war der oberösterreichischen Regierung selbstverständlich bewusst.430 Aber selbst bei den Zentralbehörden konnte es vereinzelt vorkommen, dass früher erlassene Gesetze nicht mehr aufgefunden werden konnten oder selbst die Tatsache ihrer Erlassung in Vergessenheit geriet. Die zeitlich potentiell unbe schränkte Verfügbarkeit eines Gesetzeswortlauts sah also in praxi teilweise anders aus. Außerdem war es aufgrund der dominierenden Oralität der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gesellschaft im Bereich der Policeygesetzgebung ebenfalls notwendig, den Gesetzesinhalt durch Normwiederholungen oder neuerliche Publikation bei den Normadressaten präsent zu halten. In diesem Zusammenhang hat bereits Willoweit auf die Scharnierfunktion der Mündlichkeit aufmerksam gemacht: „Das Gesetz bedarf des Gebotes. Bevor nicht das mündliche Gebot an die Untertanen ergangen ist, bleibt das Gesetz [...] gleichsam herrschaftsintern.“431 Umgekehrt vermochte man die Verfügbarkeit des mündlichen Gebots durch seine schriftliche Fixierung (beispielsweise durch seine Inkorporation bei der Nieder-
Musterbeispiel hierfür sind Tax- und Preisordnungen für den Verschleiß von Lebensmitteln, deren Geltungsdauer im 17. Jahrhundert regelmäßig auf ein Jahr befristet war und die anschließend an die Marktentwicklung angepasst wurden, vgl. z. B. während der von einer raschen Geldentwertung geprägten Kipper- und Wipperzeit TLA, BT, Bd. 18, fol. 257, 1622 Juli 5; ebd., fol. 347, 1623 Mai 5; zur Häufigkeit von Preis- und Lohnordnungen im Ancien Régime vgl. z. B. auch Sieg’l, Arbeitskämpfe, 1993, S. 139. 430 Vgl. auch Schennach, Gesetzgebung als Erinnern an Normen, 2007, S. 410–411. 431 Willoweit, Gebot und Verbot, 1980, S. 128. 429
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schrift von ländlichen Rechtsquellen) zu erhöhen. Auf diese Weise konnte man sich über eine längere Zeitspanne seines genauen Inhalts vergewissern. Die hier angedeutete Aufweichung der Trennlinie zwischen schriftlichem Gesetz und mündlichem Gebot in der Rechts- und Verwaltungspraxis scheint jedoch wiederum das Kriterium der Schriftlichkeit als entbehrlich erscheinen zu lassen. Wenn schriftliche Gesetze notwendigerweise auch der mündlichen Publikation bedürfen und umgekehrt mündliche Ge- und Verbote fallweise schriftlich fixiert wurden – wo bleibt dann der fundamentale Unterschied, der den Ausschluss des mündlichen Ge- und Verbots rechtfertigt? Hier kommt derselbe Grund zum Tragen, der auch den Ausschluss des Weistums aus dem Gesetzesbegriff bedingt: Das Gebots- und Verbotsrecht ist im „alten Herkommen“ verwurzelt und dient dessen Aktualisierung, periodischer Einschärfung und Implementation, sprengt jedoch vom Anspruch her nicht dessen Rahmen (was nicht heißt, dass ein Gebot im Einzelfall nicht doch inhaltlich Neues enthalten konnte, dies jedoch unter dem Deckmäntelchen des „Herkommens“ zu verschleiern suchte). Die Bindung des Richters an das alte Herkommen bei der Erlassung von Ge- und Verboten wird noch im 1539 schriftlich festgehaltenen Weistum des Gerichts Latzfons und Verdings ausdrücklich hervorgehoben: „Item, es sol kain richter neues gebot nicht lassen gebieten, wann er sol alle ding lassen gebieten und verbieten, wie das von alter herkomen ist.“432 Eine solche weitreichende inhaltliche Beschränkung ist bei der landesherrlichen Gesetzgebung – mag sie auch häufig auf das „alte Herkommen“ als Fundament der getroffenen Regelung verweisen – nicht gegeben. Sie tritt vielmehr mit dem Anspruch auf Form- und Gestaltbarkeit der Rechtsordnung auf. Der Richter von Wangen darf und muss beispielsweise regelmäßig das Verbot der Hasenjagd bei einer Strafandrohung von 25 Pfund Bernern erneuern.433 Er darf jedoch nicht das Strafmaß erhöhen oder die Strafdrohung auf andere, rechtsgewohnheitlich nicht unter das Jagdverbot fallende Wildarten ausdehnen. Wenn derartige Gebote und Verbote verschriftlicht werden, kann dies vergleichbare Gründe haben, wie wir sie bei der schriftlichen Niederlegung anderer Rechtsgewohnheiten in den Weistümern antreffen, beispielsweise das Streben nach Rechtssicherheit bzw. nach Beseitigung von Streitigkeiten über den genauen Inhalt von Gebot und Verbot, die Intention einer die Niederschrift veranlassenden Gerichtsherrschaft, im Zuge dieses Prozesses auf den Inhalt des Gebots Einfluss zu nehmen und dies im eigenen Interesse zu modifizieren. Gerade im Fall Tirols fällt auf, dass viele Ge- und Verbote in Weistümer inkorporiert wurden. Dennoch: Die spätmittelalterlichen Gebote und Verbote gewinnen ihre Geltung nicht durch die Kundmachung an die Untertanen. Die Publikation dient nur der Einschärfung einer rechtsgewohnheitlich ohnehin geltenden Norm. Es handelt sich folglich auch um keine autoritative Setzung, sondern nur um eine Aktualisierung des geltenden Tirolische Weistümer, 4. Teil, 1. Hälfte, 1888, S. 365. Vgl. Tirolische Weistümer, 4. Teil, 1. Hälfte, 1888, S. 202.
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Rechts durch das mit der Autorität der lokalen Obrigkeit ausgestattete mündliche Ge- und Verbieten. Hierdurch unterscheidet sich das Gebotsrecht fundamental von der Gesetzgebung. Beim Gesetz sind, wie bereits dargelegt, seine Erlassung durch eine befugte und legitimierte Autorität ebenso wie seine Publikation an die Normadressaten unverzichtbare Bestandteile. 3. 2. 4. 3. Regionale rechtssetzende Ebenen Fraglich mag das Kriterium der Schriftlichkeit allenfalls in jenen wohl ausgesprochen seltenen Fällen sein, in denen sehr wohl inhaltlich neue Gebote oder Verbote erlassen und mündlich kundgemacht wurden, ohne dass sich eine schriftliche Fixierung nachweisen lässt. Zu diesem Themenkreis ist anzumerken, dass es sich – zumindest mit Blick auf die Tiroler Situation – um eine weitgehend theoretische und aufgrund fehlenden Quellenmaterials nur unzureichend zu erörternde Frage handelt. Für die landesfürstliche Gesetzgebung lässt sich dies überhaupt nicht nachweisen. Zwar gibt es bereits vor der rapiden Zunahme der Gesetzgebung in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts Möglichkeiten der Rechtssetzung an der Peripherie durch Privilegierung oder via instructionis,434 doch sind auch diese Optionen an die Schriftlichkeit gebunden. Inhaltlich neue, nicht durch das „alte Herkommen“ determinierte mündliche Ge- und Verbote sind nur in kleinräumigen Gebieten zu erwarten, in denen es keiner Übermittlung von Regelungsinhalten über größere geographische Distanzen bedurfte. Im hochstiftisch-brixnerischen Gericht Thurn an der Gader beispielsweise präsentiert sich das richterliche Gebotsrecht als nicht durch vorhandene Rechtsgewohnheiten limitiert, sondern ist offensichtlich als Bedarfskompetenz ausgeformt: „Es mag auch die obrigkait in allen notwendigen sachen gepot und verpot ausgeen lassen, und wo ainer oder mer dieselben ubertritt, soll der selb oder die jenigen nach glegenhait der ubertrettung und erkantnus des rechtens gestraft werden.“435 Es ist dies einer der raren und wenn auch nicht tatsächlich belegten, so doch denkbaren Fälle, wo die Sinnhaftigkeit des Kriteriums des Schriftlichkeitserfordernisses diskutabel erschiene. Vorausgesetzt, der Richter macht von der erwähnten Bedarfskompetenz Gebrauch und erlässt mit Geltungswillen und als zuständige Obrigkeit eine generell-abstrakte Norm, die mittels mündlicher Publikation den Gerichtsinsassen kundgemacht wird, während aufgrund der Kleinräumigkeit des Gerichtes auf eine schriftliche Ausfertigung – deren einziger Zweck die Beweissicherung sein könnte – verzichtet wird, wäre in der Tat die Frage berechtigt, welchen Zweck das Abgrenzungskriterium „Schriftlichkeit“ haben sollte. Dasselbe gilt für den Fall, dass in einer Stadt Bürgermeister und Rat eine inhaltlich neue Vorschrift beschließen und diese gehörig kundmachen lassen, jedoch von ei Vgl. hierzu Kap. II.3.2.5. Tirolische Weistümer, 4. Teil, 2. Hälfte, 1891, S. 639–640.
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ner Verschriftlichung absehen. Hier auf der „Schriftlichkeit“ als Kriterium für den Gesetzescharakter zu beharren, könnte die Gesetzeseigenschaft von Zufälligkeiten abhängig machen. Wurde der Stadtratsbeschluss über die getroffene Regelung in einem der städtischen Bücher – vornehmlich wohl den Stadtratsprotokollen – festgehalten, würde es sich um ein Gesetz handeln, im gegenteiligen Fall nicht. Es sei aber nochmals betont: Derartige denkbare Grenzfälle sind als absolute Ausnahme zu betrachten bzw. bleiben im Fall Tirols rein hypothetische Konstruktionen. Werfen wir nur einen Blick auf die städtische Gesetz- und Verordnungstätigkeit in der Residenzstadt Innsbruck, so zeigt sich rasch, dass die städtische Rechtssetzungstätigkeit nicht nur im Fall umfangreicher „Ordnungen“, sondern ebenso bei Einzelverordnungen, die nur einen Teilbereich normierten oder von vornherein zeitlich befristet waren, in den Ratsprotokollen ihren Niederschlag fanden. Während beispielsweise die 1526 durch rat und zuesacz fürgenomen[e] Ordnung von wegen der hochzeiten, wie’s füran damit gehalten werden soll zur Gänze schriftlich festgehalten wurde, notierte man bei neu erlassenen, kundzumachenden Einzelgeboten zumindest den Inhalt des Stadtratsbeschlusses (zum Beispiel den Ausschank von Branntwein an Feiertagen zu verbieten oder keine auswärtigen Krämer in der Stadt zu dulden).436 Ähnliches ist beispielsweise für Hall belegt.437 Noch eindrucksvoller ist der Befund im Fall der Stadt Bozen. Das Fragment des ältesten Bozner Ratsprotokolls aus dem Jahr 1469 hält insgesamt vier Beschlüsse bzw. Amtshandlungen des Rats fest – von denen es sich bezeichnenderweise in zwei Fällen um policeyliche Verordnungen handelt („Item es ist durch ratt furgenommen, das der fronpott berueffen sol [...]“).438 Im Fall der für die Entwicklung der Gesetzgebung zentralen landesfürstlichen Gesetzgebung gibt es – zumindest im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Tirol, das diesbezüglich wohl stellvertretend für andere Territorien stehen kann – in diesem Punkt keine Ausnahmen oder Unklarheiten. Alle landesfürstlichen Gesetze besitzen ausnahmslos Schriftform. Dasselbe gilt für die bereits kurz erwähnten und an anderer Stelle eingehender zu besprechenden Vor- und Frühformen der Normsetzung vor Ort. Im Fall der landesherrlichen Gesetzgebung kann man diese Schriftlichkeit sogar noch weiter spezifizieren, handelt es sich doch ausnahmslos um Urkunden. Das Erfordernis der Urkundenform wurde im Zusammenhang mit der landesherrlichen Gesetzgebung von der bisherigen Forschung öfters als Kriterium herangezogen.439 Nur bei nachgeordneten gesetzgebenden Ebenen weisen Gesetz StAI, Ratsprotokolle, Bd. 1, 1527–1541, Nr. II, fol. 1r und 32r (Fragment der Hochzeitsordnung zu Beginn des Bandes eingeklebt). 437 Vgl. TLA, Konfirmationsbuch, Reihe II, Bd. 1, fol. 317v–318r, 1553 Mai 13. 438 Vgl. Obermair, Bruchstück, 1997, S. 296–297, Zitat S. 297. 439 Schlosser, Rechtsgewalt und Rechtsbildung, 1983, S. 30; Lieberich, Anfänge, 1969, S. 316. Demgegenüber weist der Historiker Peter Johanek nur darauf hin, dass für Gesetze zumeist die Urkundenform gewählt wurde: Vgl. Johanek, Methodisches, 1980, S. 90. 436
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gebungsakte, wie bereits thematisiert wurde, nicht immer Urkundenform auf. Bei den Tiroler Dorf- und Gerichtsordnungen, die durch Einung der Rechtsgenossen zustande kamen, ist freilich schon früh das Bedürfnis ausgeprägt, zur Erhöhung der Rechtssicherheit und Dauerhaftigkeit der getroffenen Regelungskomplexe auf die Urkundenform zu rekurrieren, wobei regelmäßig die lokale Obrigkeit als ‚siegelmäßige‘ (d. h. siegelführende) Stelle um die Beglaubigung und Ausfertigung ersucht wurde. Dennoch kann man zumindest für das 16. und 17. Jahrhundert nicht von einem Konfirmationsrecht von Richter und Pfleger bei durch Einung der Dorf- oder Gerichtsgenossen entstandenen Ordnungen sprechen. Die Initiative zur obrigkeitlichen Besiegelung ging regelmäßig von der Dorf- oder Gerichtsgemeinde aus. Diese wählten insbesondere in jenen Fällen diesen Weg, in denen sich im Rahmen der der Einung vorausgehenden Willensbildung Widerstände bei Teilen der Rechtsgenossen manifestiert hatten oder die Einung gar nur durch einen Mehrheitsbeschluss zustande gekommen war. Hier sollte die urkundliche Konfirmation der Ordnung deren Geltung außer Frage stellen und potentielle Differenzen innerhalb der Dorfoder Gerichtsgemeinde hintanhalten.440 Aus demselben Grund zeigt sich in Städten die Tendenz, umfangreichere städtische, von Bürgermeister und Rat erlassene Ordnungen, die sich vornehmlich mit Materien der ‚guten Policey‘ befassen, vom Landesfürsten konfirmieren zu lassen. Auch hier gilt, dass es sich um keine Verpflichtung zur Bestätigung handelte, sondern dieser Weg gegebenenfalls von den Städten selbst gewählt wurde. In diesen Fällen haben wir es somit häufig mit Urkunden zu tun, doch muss keine Urkundenform gegeben sein. Rechtlich genügte es auch, eine von der Dorfgemeinde gefundene „Einung“ schriftlich festzuhalten. Und auch in Städten begnügte man sich, wie soeben dargelegt, gerade bei vom Rat erlassenen Verordnungen zu Einzelfragen städtischen Zusammenlebens im Regelfall damit, diese in einem städtischen Buch (vor allem den Stadtratsprotokollen) festzuhalten. Für den zentralen Bereich der landesfürstlichen Gesetzgebung gilt dies aber nicht. Hier lässt sich kein Gesetz nachweisen, das nicht Urkundenform aufweisen würde.
3. 2. 5. Die Publikation 3. 2. 5. 1. Allgemeines „Erst mit der Kundmachung liegt ein fertiges ‚Gesetz‘ vor; eine nicht kundgemachte Regelung ist kein Gesetz.“441 Was für die heutige österreichische Verfassungsrechtswissenschaft selbstverständlich ist (wenngleich der VfGH zwischen Publikations mängeln unterscheidet, welche die absolute Nichtigkeit der kundgemachten Rechtsvorschrift bedeuten, und solchen, welche die Verfassungswidrigkeit des in Vgl. Kap. VI.3.2.2.2. und VI.3.2.2.4. Öhlinger, Verfassungsrecht, 82009, S. 200, Rz 443 (Fettdruck der Vorlage nicht übernommen).
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Geltung getretenen Gesetzes bewirken), scheint auf den ersten Blick für das spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Gesetz diskutabel. Nur eine geringe Zahl von Rechtshistorikern führt die Publikation als Konstitutivum des Gesetzesbegriffs an. Darin zeigt sich ein deutlicher Unterschied zur mittelalterlichen und frühneuzeitli chen Rechtswissenschaft, die im Anschluss an das Corpus Iuris Civilis (Cod. 1, 14, 9; Nov. 66, Cap. 1) die Kundmachung nahezu durchgehend als eine der Geltungsvoraussetzungen des Gesetzes betrachtet und teilweise eigens die „publicatio legis“ als Bestandteil der potestas legislatoria bezeichnet hat.442 Zur überschaubaren Zahl an Rechtshistorikern, welche die Kundmachung zu den essentiellen Kriterien des Gesetzes rechnet, gehört Hans Schlosser: „Das Fehlen von Publikationsbefehlen bei einer Vielzahl landesherrlicher Gebote, die Angelegenheiten des Privat-, Straf-, Prozeßrechts oder sonstiges Verwaltungshandeln betreffen, ermöglicht deren rechtliche Einstufung als schlicht interne Anweisungen ohne Außenwirkung und damit auch ohne Gesetzescharakter.“443 Er erkennt, dass es sich bei diesen an landesfürstliche Amtsträger gerichteten Rechtsgeboten ohne Publikationsanweisung um „authentische Interpretationen einzelner Rechtsnormen bzw. Vollzugsanweisungen für einen bestimmten Streitfall handelt.“444 Mit Blick auf das Tiroler Quellenmaterial könnte man ergänzend noch hinzufügen, dass es sich auch um die Einschärfung früher erlassener Normen handeln kann, die mit landesfürstlichem Schreiben einem einzelnen, einer Mehrzahl oder allen in Frage kommenden Vollzugsorganen ins Gedächtnis gerufen wurden. Die Organe wurden auf diesem Wege zur gehörigen Implementation angehalten. Schlosser spricht hiermit freilich nur den Quellentypus „Reskript“ an, wohingegen das Erfordernis der Publikation auch über diesen Rahmen hinaus als Abgrenzungskriterium für ein Gesetz herangezogen werden kann.445 Für Tirol gilt während des Untersuchungszeitraumes der Grundsatz: Jeder Normtext, dem Gesetzeseigenschaft zugeschrieben werden kann, wurde publiziert. Dies gilt ebenfalls für die Kodifikation der Tiroler Landesordnung, wie sich anhand der reformierten Landesordnung von 1573 besonders gut nachweisen lässt. Das feierliche, mündlich und durch Anschlag kundzumachende Begleitmandat, das die Aufhebung der bisherigen und die Einführung der neuen Landesordnung anordnete, wurde bereits erwähnt.446 Wie man sich die mündliche Kundmachung der Vgl. Willoweit, Gesetzespublikation und verwaltungsinterne Gesetzgebung, 1979, S. 603 (mit weiteren Literaturhinweisen); stellvertretend für andere sei verwiesen auf von Stökken, De potestate legislatoria, 1619, These 42, S. 24: „Leges autem nisi promulgatae obligare non dicuntur.“ Ferner z. B. Pufendorf, Elementa jurisprudentiae universalis, Nachdruck 1990, Definitio XIII, § 10 (hier S. 88–89); vgl. auch noch Kreittmayr, Grundriß, II. Teil, § 88, S. 151; differenzierend freilich Meisner, Dissertatio de legibus, 1616, S. 294–295; Bertieri, Tractatus de legibus, 1771, S. 310–311. 443 Schlosser, Rechtsgewalt und Rechtsbildung, 1983, S. 32. 444 Schlosser, Rechtsgewalt und Rechtsbildung, 1983, S. 33. 445 Vgl. auch Franz, Landesordnung, 2003, S. 31–32. 446 TLMF, FB 6197, Nr. 51, 1574 Mai 20. 442
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Einführung der Landesordnung vorstellen kann, wird durch die Vorgänge in Innsbruck anschaulich vor Augen geführt. Im August 1574 wurde in Gegenwart des Bür germeisters, des großen und kleinen Rats sowie des Stadtrichters die neue Landesord nung der Bürger- und Inwohnerschaft fürgehallten und wichtige Teile verlesen.447 Umgekehrt ermöglicht das Faktum fehlender Publikation die Ausblendung der „Zuzugsordnungen“ von 1526, 1531, 1551, 1556, 1562 und 1605 aus dem Untersuchungsgegenstand „Gesetz“. Diese Zuzugsordnungen regelten die Verteidigungsmaßnahmen bei einem feindlichen Einbruch und bestimmten die zuständigen Personen, Gremien (Landräte, Kriegsräte) und Behörden. Schon über den generellabstrakten Charakter der Zuzugsordnungen kann man streiten – was große Teile der bisherigen Forschung nicht davon abgehalten hat, die betreffenden Zuzugsordnungen munter als „Gesetz“ und „Ausführungsverordnungen“ zum Landlibell zu klassifizieren.448 Spätestens ein Blick auf die fehlende Publikation belegt jedoch, dass es sich definitiv nicht um Gesetze handeln kann. Die lokalen Obrigkeiten bekamen überhaupt keine Exemplare ausgehändigt, von einer Kundmachung an die (im Rahmen des Aufgebots dienstpflichtige) Bevölkerung ganz zu schweigen. Selbst regionale Militärkommandanten (Viertelhauptleute) erhielten lediglich die ihren Kommandobereich betreffenden Auszüge. Die Zuzugsordnungen als Grundlagen der Landesverteidigung unterlagen strenger Geheimhaltung, waren ain gehaime vertrawte lanndtsachen449 und sollten möglichst in der enge und still erhallten werden450 – was jede weiterführende Überlegung über einen allfälligen Gesetzescha rakter erübrigt. Wie entscheidend die Publikation in zeitgenössischer Perspektive war, führt zudem die „Ordnung des geistlichen Standes“ vor Augen, die grundsätzlich einen Bestandteil des Innsbrucker Landtagsabschiedes vom Juni/Juli 1525 darstellte und als solche in die Landesordnung aufzunehmen gewesen wäre.451 Mit Verweis auf den nur provisorischen Charakter der „Ordnung des geistlichen Standes“, die nur bis zu einer entsprechenden Regelung eines Konzils oder eines Reichstags gelten sollte, unterband Ferdinand I. ihre Aufnahme in die Druckfassung der Landesordnung im Jahr 1526.452 Nur widerwillig konzedierte Ferdinand, dass die „Ordnung des geistlichen Standes“ nach innhalt des lanndtagabschids den gerichten unnd obrigkaitn in schrift zuezestellen [sei], daz sy die, wo die not ervordert, geprauchen mügen, doch der gemain nit offenlich zu verlesen, es were dann, daz sy des ye haben wölten.453 Wenn StAI, Ratsprotokoll 1573–1577, fol. 74v, 1574 Aug. 7; das ganze Zitat wiedergegeben in Kap. VI.4.4. 448 Vgl. für andere nur Stolz, Wehrverfassung, 1960, S. 78–80. 449 TLA, AfD 1579, fol. 491v–493c, 1579 Juni 29. 450 TLA, AkgM 1556, fol. 1556, fol. 158r, 1556 Juni 9. 451 Vgl. Palme, Frühe Neuzeit, 21998, S. 77. 452 Vgl. TLA, LLTA, Fasz. 2, Landtag Juni/Juli 1526, fol. 156r–159r, 1526 März 25. 453 TLA, LLTA, Fasz. 2, 1526 April 27; vgl. auch Kap. IV.7.3.6. 447
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man die Ordnung als solche schon nicht verhindern konnte, galt es, zumindest deren Kundmachung möglichst zu unterbinden oder zumindest zu erschweren. 3. 2. 5. 2. Privilegien Auch im Bereich der Privilegien, die generell-abstrakte Normen enthalten, ist die Publikation das entscheidende Kriterium für die allfällige Zuschreibung eines Gesetzescharakters. Dass es bei Privilegien, selbst wenn diese generell-abstrakte Regelungen beinhalteten, häufig an der notwendigen Kundmachung gebrach, konstatierten die Tiroler Landstände 1530 selbst mit Blick auf die Landesfreiheiten, indem sie in aller Deutlichkeit auf die fehlende Publikation verwiesen.454 Zwar würden die Landesfreiheiten vil löblicher, auch ansöllicher artickl und landesordnungen enthalten, doch seien die entsprechenden Urkunden verschlossen und würden auch selltn und in vil jarn vor ainer E. L. nicht gelessn werden und bewisst sein. Daher wurde seitens der Landschaft die Bitte ventiliert, dass die betreffenden Artikel anlässlich der Reformation der Landesordnung in obberüert landordnung zu ordenlicher handhabung derselbn auch begriffen werden sollten. Das hier Ausgeführte sei am Beispiel des schon erwähnten Ausschusslandtags der österreichischen Länder 1518 in Innsbruck erläutert.455 Dessen Ergebnisse wurden in insgesamt fünf, auf 24. Mai 1518 datierten Urkunden niedergelegt,456 von denen eine unter anderem eine ganze Reihe von privatrechtlichen und typisch policeyrechtlichen Bestimmungen enthielt.457 Dennoch ist die entsprechende Urkunde, deren für die Tiroler Landstände ausgestelltes Exemplar bei den Landesfreiheiten verwahrt wurde, nicht als Gesetz anzusprechen. Die darin enthaltenen Vorschriften wurden nicht durch Mandate in anwendbares Recht transformiert, wie die Stände bei späterer Gelegenheit postulierten,458 und folglich auch nicht entsprechend kundgemacht. Mit diesem Befund stimmt überein, dass sich keinerlei Anzeichen für eine Vollziehung der 1518 in Privilegienform gemachten Zusagen Maximilians I. finden. Ein ähnliches Beispiel findet sich bereits knapp sieben Jahrzehnte früher. Im Rahmen der Konfirmation der Rechte und Freiheiten der Tiroler Landstände durch den jungen Herzog Siegmund, die in Form eines Privilegs erfolgt, fügt Siegmund der entsprechenden Urkunde sechs normative Bestimmungen hinzu. Diese TLA, LLTA, Fasz. 4, 1530 Sept. 11 (Antwort der Landstände auf die landesfürstliche Pro position). 455 Vgl. hierzu Zeibig, Ausschuss-Landtag 1518, 1854; Wiesflecker, Maximilian I., Bd. 4, 1981, S. 305–320; Weiss, 1518, S. 150–196. 456 Edition bei Schober, Urkunden, 1990, S. 74–103. 457 Edition bei Schober, Urkunden, 1990, S. 95–101. 458 TLA, LLTA, Fasz. 1, Landtag 1518, 1518 Aug. 4; ebenso TLA, VdL, Bd. 3, S. 165; StAB, Hs. 2555/Landtagslibelle 18, S. 208–209. 454
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sollen den auf dem Landtag vorgebrachten Gravamina Abhilfe verschaffen. Es ist sicherlich kein Zufall, wenn unmittelbar im Anschluss an den im September 1453 abgehaltenen Landtag459 die 1451 in Privilegienform getroffenen Regelungen in eine „Entbieten“-Urkunde transformiert und den Obrigkeiten deren Kundmachung ausdrücklich aufgetragen wird.460 Im Übrigen mussten Einzelpersonen oder Personenmehrheiten (Korporationen), die Empfänger von Privilegien waren, die Auswirkungen auf die Rechtssphäre Dritter haben konnten, selbst für deren gehörige Publikation sorgen. Geradezu mustergültig kann man dies bei den Privilegien der Stadt Kufstein nachweisen. Jedes Jahr erschien der Kufsteiner Bürgermeister in Begleitung von drei Stadträten auf dem Ehafttaiding des Landgerichts Kufstein und forderte dort, die Freiheiten der Stadt „zu verlesen oder doch beruefung zu thuen, daß die gerichtsleit, was si zu verkaufen haben [...] alles nach inhalt irer freihait und wie von alter herkomen zu gemainer statt bringen und umb ain gebürlich geben sollen [...].“461 3. 2. 5. 3. Reskripte Die bisherige Forschungsdiskussion über die Frage der Publikationsnotwendigkeit von Gesetzen hat sich freilich auf die Abgrenzung von Gesetz und verwaltungsinterner Verordnung beschränkt. Wie bereits eingangs angeführt, stellt Hans Schlosser bei seiner Differenzierung von außenwirksamem Gesetz und verwaltungsinterner Anweisung (Reskript) auf das Vorhandensein eines Publikationsbefehls in der Urkunde selbst ab. Demgegenüber bevorzugt das „Repertorium der Policeyordnungen in der Frühen Neuzeit“ eine primär auf die faktische Außenwirkung eines Reskripts abstellende Abgrenzung. Das Reskript, das eine Weisung einer übergeordneten Behörde an eine nachgeordnete Behörde oder Person enthält462 und für das in Tirol alternativ die Bezeichnungen (General-)Befehl oder Instruktion belegt sind, weise dann die Qualität einer Policeynorm (und folglich eines Gesetzes) auf, „falls eine in dem Reskript enthaltene Regelung von den Beamten oder Behörden publiziert und einem weiteren Adressatenkreis als verbindliche Norm vorgegeben werden sollte.“463 Hier wird somit nicht formal auf das Vorhandensein eines Publikationsbefehls im Reskript selbst abgestellt, sondern die materielle Außenwirkung des Reskripts als Unterscheidungskriterium herangezogen: Sind faktisch behördenfremde Personen und ihre Rechtssphäre im weitesten Sinn von der im Reskript mitgeteilten Regelung betroffen oder nicht? Im ersten Fall entfaltet das Reskript Vgl. Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 118. Vgl. Steinegger, Münz- und Wirtschaftsordnung, 1994, hier S. 51. 461 Weistümer, Teil 1, 1875, S. 39–40. 462 Vgl. auch Dilcher, Art. „Reskript, Reskriptprozeß“, 1990, Sp. 936. 463 Härter/Stolleis, Einleitung, 1996, S. 13–14. 459 460
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Außenwirkung. Es ist den Normadressaten kundzumachen und besitzt bei Vorliegen der übrigen Erfordernisse Gesetzesqualität. Im anderen Fall handelt es sich um einen bloß verwaltungsinternen Akt, dem keine Gesetzeseigenschaft zukommt. Im Prinzip anerkennt auch Willoweit die Relevanz der Publikation als Gesetzeskriterium, auch wenn er vorderhand feststellt, dass, abweichend von der Meinung der frühneuzeitlichen Rechtswissenschaft, die „Publikationspraxis [...] in der Bekanntmachung eines Gesetzes kein formelles Erfordernis sah“464. Diese Aussage wird im weiteren Verlauf des Beitrags durch zwei Argumentationsstränge stark relativiert. Erstens weist der Autor auf die sehr differenzierten, der Zielgruppe einer Norm genau Rechnung tragenden Publikationstechniken im Preußen des 18. Jahrhunderts hin, die zwar unter Umständen eine allgemeine Kundmachung an die Gesamtheit der Untertanen entbehrlich machten, zuweilen aber die „Vermittlung“465 einer allgemeinen Norm an die materiell Betroffenen durch den zuständigen Beamten als angemessen erscheinen ließen. Zweitens hebt Willoweit hervor, dass dem preußischen Gesetzgeber noch im 18. Jahrhundert zwei Wege zur autoritativen Erlassung einer generell-abstrakten Norm zur Verfügung standen: Er konnte ein Mandat der Gesamtheit der Untertanen kundmachen lassen und den Amtsträgern die Implementation dieser Normen auftragen. Oder er konnte den Gesetzesbefehl einem Beamten in Form eines Reskripts oder einer Instruktion erteilen und diesen gleichzeitig anweisen, die Untertanen zum aufgetragenen Verhalten anzuhalten oder die mitgeteilten Rechtsgrundsätze im Verwaltungshandeln oder bei der Rechtsprechung zu beachten. Mit Blick auf das Tiroler Quellenmaterial erscheint das Erfordernis der Publikation als geeignetes Kriterium, um Gesetze von der unüberschaubaren, jedes Jahr in die Tausende (!) gehenden Masse der nur verwaltungsinternen Reskripte abzugrenzen. Reskripte, hier im Sinne Dilchers verstanden als Weisungen einer übergeordneten Behörde an eine nachgeordnete Behörde bzw. Person, haben ihr eigenes Urkundenformular. Seitdem ab 1523/1524 die Drucktechnik zur Vervielfältigung sowohl von zur Publikation durch Anschlag bestimmten Gesetzen als auch von an eine Mehrzahl von Beamten gerichteten Reskripten herangezogen wurde, unterscheiden sie sich zudem durch ein schlichteres äußeres Erscheinungsbild und das kleinere Format von den zur Publikation durch Anschlag bestimmten Gesetzen. Allerdings entwickelte sich ab den fünfziger Jahren des 16. Jahrhunderts eine Kontaminationsform, die manche Elemente der feierlichen Gesetzesurkunde auch für gewisse Reskripte übernahm.466 Inhalt des Reskripts konnte grundsätzlich alles sein, was als Gegenstand administrativen Handelns in Frage kam, er war also grundsätzlich unbeschränkt. Auch der Adressatenkreis konnte breit gefächert sein. Die Zahl der Befehle, die an einen Willoweit, Gesetzespublikation und verwaltungsinterne Gesetzgebung, 1979, S. 603. Willoweit, Gesetzespublikation und verwaltungsinterne Gesetzgebung, 1979, S. 616. 466 Vgl. Kap. II.3.3.3. 464 465
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einzelnen Amtsträger oder an eine beschränkte Anzahl untergeordneter Organe gerichtet waren und regelmäßig Direktiven und Anweisungen für das Handeln in konkreten Einzelfällen enthielten oder dem individuell angesprochenen Adressaten bestimmte Gesetze einschärften und ihn zur korrekteren Besorg ung seiner Amtspflichten anwiesen, ging jährlich in die Tausende. Die folgenden Beispiele stehen somit stellvertretend für eine während des gesamten Untersuchungszeitraumes unübersehbare Masse und können und wollen nur einen Eindruck vom Quellentypus vermitteln. So wurde der Pfleger von Vellenberg (bei Zirl) aufgrund von Beschwerden der Untertanen aufgefordert, gegen die dort seit längerem anwesenden Zigeuner auf der Grundlage der Tiroler Landesordnung und der einschlägigen Mandate vorzugehen467. Dem Bürgermeister und Stadtrat zu Hall trug die Regierung auf, die einschlägige Bestimmung der Tiroler Landesordnung betreffend Zinngießer und Goldschmiede endlich durchzusetzen.468 Im Zuge der Diskussion über potentielle Gesetzeseigenschaften sind für uns jedoch vornehmlich jene Reskripte von Interesse, die sich an die Gesamtheit der lokalen Obrigkeiten richten. In Modifikation der von Hans Schlosser vorgenommenen Typologisierung469 können hier fünf Gruppen von Reskripten unterschieden werden: Erstens jene Befehle, die den Obrigkeiten einen bestimmten Einzelfall mit potentiellen Auswirkungen auf das ganze Land zur Kenntnis bringen und sie im Bedarfsfall zur Befolgung der gegebenen Anweisungen anhalten. Das Spektrum dieser Reskripte ist breit gefächert und reicht vom sämtlichen Richtern und Pflegern zugestellten Steckbrief,470 der die Gefangennahme und Überstellung des darin Genannten vorschreibt, bis hin zur Meldung verbotener Söldnerwerbungen durch einen auswärtigen Hauptmann, der entsprechende Aufmerksamkeit gewidmet werden solle.471 Zweitens jene Gruppe von Reskripten, die allen Obrigkeiten unterschiedslos die Befolgung und Durchsetzung bereits ergangener Gesetze einschärft. Die Gesetze, auf die verwiesen wird, werden dabei durch einen Datum und Kurzbezeichnung anführenden Verweis und allenfalls durch eine kurze Wiedergabe des Inhalts spezifiziert. Diese Anweisungen sind zwar für den Implementationsprozess einer bestimmten Norm bedeutsam und aussagekräftig, zumal sie in der Masse auch deutliche Vollzugsschwerpunkte der oberösterreichischen Regierung und deren Arbeitsweise erkennen lassen; mangels Außenwirkung und Publikationsverpflichtung kommt derartigen Schreiben allerdings keine Gesetzeseigenschaft zu. Zahllos sind beispielsweise die Reskripte, die Richtern und Pflegern die strenge Befolgung der Mandate gegen ‚gartende‘ Kriegsknechte, Zigeuner und Bettler auferlegten.472 Aber TLA, CD 1581, fol. 335r–336r, 1581 Jan. 21. TLA, BT, Bd. 12, fol. 335v–336r, 1592 Okt. 21. 469 Vgl. Schlosser, Rechtsgewalt und Rechtsbildung, 1983, bes. S. 30–34. 470 Hierzu allgemein Blauert/Wiebel, Gauner- und Diebslisten, 2001. 471 TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 41, Lit. Pp, S. 331–333, 1521 Nov. 30. 472 Vgl. z. B. TLA, BT, Bd. 11, fol. 181, 1580 Mai 10; TLA, CD 1581, fol. 406, 1581 Jan. 31; TLA, CD 1583, fol. 578, 1583 Aug. 1; BT, Bd. 19, fol. 223, 1627 Sept. 13. 467 468
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auch bei anderen Rechtsmaterien waren derartige Einschärfungen teilweise sehr frequent, beispielsweise im sehr prekären und für Jahrhunderte überaus umstrittenen Regelungsbereich der Gerichtskosten. Die Richter wurden hier z. B. angewiesen, die Bestimmungen der Tiroler Landesordnung und die im Reskript einzeln angeführten Mandate betreffend Gerichtskosten endlich anzuwenden und dementsprechend Zivilprozesse mit den geringsten Unkosten für die Parteien zu einem Ende zu bringen.473 Adressaten derartiger, bereits erlassene Gesetze einschärfender Reskripte konnten nicht nur Richter, Pflegsverwalter und Pfleger sein, sondern grundsätzlich auch andere, mit dem Vollzug bestimmter Rechtsnormen betraute Organe. So wurde beispielsweise 1607 den Tiroler Zöllnern aufgetragen, das zwei Jahre alte Mandat, das den Export von Schießpulver, Salpeter und Blei untersagte, endlich entsprechend durchzusetzen.474 Von dieser Gruppe von Reskripten, die den lokalen Obrigkeiten nur die Befolgung ergangener Gesetze nachdrücklich auftragen, ist der Übergang fließend zu jener dritten Kategorie von Befehlen, die zwar dieselbe Zielsetzung verfolgen, jedoch Richtern, Pflegsverwaltern und Pflegern ergänzend genaue Handlungsanweisungen für den weiteren Implementationsprozess erteilen. Greifen wir ein von der behandelten Materie her banales Reskript heraus, um die Differenz zu verdeutlichen: Während den Amtsträgern vor Ort 1592 nur sehr summarisch die Befolgung der das Goldschmiede- und Zinngießerhandwerk betreffenden Bestimmungen der Landesordnung aufgetragen wurde, hatte die Regierung ein Jahr zuvor zusätzlich zu dieser Ermahnung einen ganz konkreten Schritt vorgeschrieben, nämlich die Durchführung nicht angekündigter Visitationen.475 Ebenfalls keine Außenwirkung entfalteten Reskripte, die den internen Geschäftsgang in den Gerichten regelten oder deren Verhältnis zu den Zentralbehörden zum Gegenstand hatten. Entsprechende Anweisungen, die ebenfalls nicht kundzumachen waren und folglich keinen Gesetzescharakter besaßen, waren regelmäßig in den „Instruktionen“ enthalten, die Richtern und Pflegern anlässlich ihres Amtsantrittes erteilt wurden und deren Einhaltung von den neuen Amtsträgern eidlich zugesagt werden musste. Durch Reskripte konnten die entsprechenden, nur behördeninterne Bedeutung besitzenden Vorschriften flexibel ergänzt oder modifiziert werden. Hierzu seien nur zwei Beispiele angeführt. 1634 wurde den Obrigkeiten aufgetragen, im Schriftverkehr mit den Zentralbehörden der bisher von ihrer Seite nicht hinreichend beachteten Geschäftsverteilung zwischen Regierung und Kammer Rechnung zu tragen.476 1614 teilte die Regierung Richtern und Pflegern mit, dass den Untertanen in Angelegenheiten, die via supplicationis vor die Regie Vgl. BT, Bd. 21, fol. 334, 1640 Juli 30; zum gesamten Rechtsgebiet vgl. Schennach, Gerichtskosten, 2002. 474 TLA, CD 1607, fol. 483, 1607 März 8. 475 TLA, BT, Bd. 12, fol. 307, 1591 Sept. 30; ebd., fol. 338, 1592 Nov. 20. 476 TLMF, Dip. 1091, Nr. 183, 1634 Juli 8 (Parallelüberlieferung in TLA, CD 1634, fol. 367). 473
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rung gebracht worden seien, zwar ein Recht auf Einsichtnahme in die einschlägige Stellungnahme der Obrigkeiten zukomme; jedoch sollten Passagen, deren Inhalt bedennckhlich und nur zur Kenntnisnahme durch die Zentrale gedacht sei, auf ein gesondertes Blatt post scriptum geschrieben werden, damit die übrigen Berichte den partheyen fürgehalten werden khinden.477 Auf den Quellentyp Instruktion wird an späterer Stelle noch eingegangen werden. Die fünfte Gruppe von Reskripten bilden schließlich jene Weisungen, die entweder an sämtliche Untertanen oder doch zielgruppenspezifisch kundzumachen sind, somit Außenwirkung haben und bei Erfüllung der übrigen geforderten Kriterien Gesetzeseigenschaft aufweisen. Die Publikation erfolgte grundsätzlich auf dieselbe Weise wie bei anderen Normtexten, wenn man von der Kundmachung durch Anschlag absieht. Diese entfiel bei Reskripten (weshalb hier auf eine entsprechend feierliche äußere Form verzichtet werden konnte und zudem die Druckauflage mit rund 100 Stück signifikant unter der von Gesetzen lag, die auch zur Publi kation mittels Anschlag bestimmt waren). Die Obrigkeit hatte den Inhalt entweder zielgruppenspezifisch, also klar abgestimmt auf den Adressatenkreis der Regelung kundzumachen, oder, falls sie die Gesamtheit der Untertanen betraf, nur durch mündliche „Berufung“ zu publizieren.478 Die Außenwirkung eines Reskripts, welche die Notwendigkeit einer Publikation bedingt, lässt sich auf zwei Arten greifen: erstens durch das Vorhandensein eines ausdrücklichen Publikationsbefehls, wie dies schon Hans Schlosser aufgezeigt hat; zweitens durch die materielle Außenwirkung eines Reskripts, die sich selbst bei Fehlen eines ausdrücklichen Kundmachungsbefehls aus einem Inhalt ergibt, der die Rechtssphäre Dritter berührt. Rasch festzustellen ist das Vorhandensein eines Publikationsbefehls. Dieser ordnet an, dass die Adressaten des Reskripts dessen normativen Gehalt den Untertanen kundmachen sollen.479 Die Publikationspflicht konnte direkt angesprochen werden:480 [...] ist hiemit in der Röm. Kay. May. und Fürstl. Durchl. unser aller unnd gnedigisten Herrn namen / unser ernstlicher Bevelch / daß ir in ewrer verwaltung angedeüter leichtfertigkaiten [öffentliche Tänze und Festveranstaltungen] zu gebrauchen / niemandts / wer der seye gestattet noch zuesehet / sonder die abstellung derselben alßbald durch offentliche berueffs / und verkündigung thuet [...].
TLA, BT, Bd. 17, fol. 83, 1614 Sept. 30. Zu den Publikationstechniken vgl. Kap. V.4. 479 Vgl. das Beispiel bei Schlosser, Rechtsgewalt und Rechtsbildung, 1983, S. 32; Wolf, Gesetzgebung und Stadtverfassung, 1968, S. 36; zur Stellung des Publikationsbefehls im Rahmen des Urkundenformulars vgl. auch Kap. II.3.3.2. 480 TLA, CD 1605, fol. 120, 1605 Aug. 1. 477 478
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II. Das Gesetz: Definitionen
Die Regierung vermochte die Kundmachungspflicht alternativ auch durch die Verwendung von imperativen Verboten auszudrücken. Das Reskript trägt dann dem Beamten auf, dass er ein untersagtes oder gewünschtes Verhalten „verbietet“, „anordnet“ oder „verordnet“; das Ge- oder Verbot soll den Untertanen eingebunden / sy auch würckhlichen dahin angehalten werden,481 oder man solle sie an eine bereits früher kundgemachte Norm „erinnern“.482 Selbst wenn die Publikationspflicht nicht expressis verbis angesprochen wird, kann die Notwendigkeit einer Kundmachung aus dem Inhalt des Reskripts resultieren. In solchen Fällen ist ebenfalls eine Außenwirkung gegeben, selbst wenn sich dies aus dem Wortlaut des Gesetzes wegen des Fehlens des Publikationsbefehls nicht sogleich ergibt. Wenn beispielsweise den Obrigkeiten mittels Reskript mitgeteilt wurde, dass Bitt- und Beschwerdebriefe der Untertanen nicht bei der Regierung oder beim Geheimen Rat, sondern bei der Erstinstanz einzubringen seien, widrigenfalls die Supplikationen nicht nur zurückgewiesen würden, sondern außer dem gegen die Supplikanten als verachtern unserer Bevelch mit gebüerender Straff vorgegangen werde,483 ergibt sich die Außenwirkung deutlich aus dem Inhalt, obwohl eine Publikationsanweisung fehlt. Diese Vorschrift regelt nicht nur den Geschäftsgang zwischen lokalen Obrigkeiten und Zentrale, sondern richtet sich an Dritte und muss daher entsprechend kundgemacht werden, wenn sie ihre verhaltenssteuernde Wirkung entfalten soll. Derselbe Befund ergibt sich bei Analyse eines Reskripts aus dem Jahr 1583, das die Obrigkeiten zur Befolgung der gegen beschäftigungslose Kriegsknechte gerichteten Vorschriften der Landesordnung und früherer Mandate anhielt. In diesem Befehl wurde auch statuiert, dass sämtliche ‚Gartknechte‘ binnen zwei Tagen das Land verlassen müssten. Wenngleich die Publikation nicht ausdrücklich angeordnet wurde, resultiert sie zwangsläufig aus dem Inhalt, da die Normadressaten andernfalls keine Kenntnis von der sie treffenden Verpflichtung erlangen könnten. Dasselbe ergibt sich für das den Obrigkeiten mittels Reskripts mitgeteilte Verbot des ‚Starstechens‘ (d. h. der operativen Behandlung des grauen Stars) durch wandernde Bader, die nicht über landesfürstliche Bewilligungen verfügten. Auch dieses Verbot musste notwendigerweise nach außen kommuniziert werden.484 Das Differenzierungskriterium ‚Publikation‘ erlaubt somit eine objektive Unterscheidung von außenwirksamen Gesetzen und nur verwaltungsintern wirkenden Anweisungen, die bei der praktischen Anwendung am Quellenmaterial keine Fragen aufwirft. Freilich gilt dies nur für den Rechtshistoriker und nicht im selben Maße für den zeitgenössischen Rechtsanwender. Exemplarisch lässt sich dies anhand der „Mandatesammlung“ nachweisen, die im Landgericht Steinach angelegt wurde und Zitat aus TLA, LLTA, Fasz. 10, Bund 3, 1602 Mai 24. So in TLA, CD 1628, fol. 133, 1628 Juli 12; ähnlich TLMF, Dip. 1091, Nr. 174, 1632 Mai 6. 483 TLA, CD 1613, fol. 112, 1613 Aug. 1. 484 TLA, Landgericht Steinach, Akten, Fasz. 84, Lit. O, Chronologische Mandatsreihe, 1601 März 24. 481 482
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die – wenngleich unvollständig – bis in die zwanziger Jahre des 16. Jahrhunderts zurückreicht.485 Hier finden sich auch (gedruckte) Reskripte eingefügt, die nach der soeben entwickelten Typologie der Kategorie zwei oder drei angehören, somit nur den Obrigkeiten die bessere Durchsetzung bereits erlassener Gesetze einschärfen bzw. allenfalls bestimmte Implementationstechniken anordnen. Dieser Umstand spricht allerdings nur auf den ersten Blick gegen den distinktiven Charakter der Publikation als konstitutivem Element des Gesetzes. Nicht vergessen werden darf, dass der Beamte vor Ort (im Gegensatz zur ex post-Perspektive des methodisch auf die Quellentexte und deren Interpretation beschränkten Rechtshistorikers) wohl stets auch die konkrete Anwendungssituation im Auge hatte. Unterschiedliche Motive konnten ihn in diesem Zusammenhang zur Publikation eines Reskripts bewegen, selbst wenn dies weder durch einen Publikationsbefehl aufgetragen war noch aus dem materiellen Inhalt zwingend resultierte. Beispielsweise konnte der Adressat zum Schluss kommen, dass das in den Reskripten häufig monierte mangelhafte Umsetzen erlassener Gesetze nicht ihm und seiner Amtsführung vorzuwerfen, sondern in einer mangelnden Normkenntnis der Unterworfenen begründet sei, die eine neuerliche Kundmachung als adäquate Maßnahme erscheinen ließ. Ebenso denkbar ist, dass sich einem Richter und Pfleger gelegentlich die simple Kundmachung einer früheren Norm als aus seiner Perspektive arbeitsökonomischste und leichteste Option präsentierte, um der angemahnten Pflicht zur besseren Normdurchsetzung vorderhand Genüge zu tun. Ein aus solchen Ursachen kundgemachtes Reskript konnte anschließend seinen Weg in die Mandatesammlung des Gerichts finden. Für die rechtshistorische Beurteilung des Gesetzescharakters eines Reskripts sind derartige, von den Obrigkeiten aus eigenem Antrieb vorgenommene Publikationen unbeachtlich, da sie im Rahmen des Implementationsprozesses aufgrund außerrechtlicher Kriterien und der individuellen Einschätzung durch die Vollzugsorgane vorgenommen wurden, zumal sie sich normalerweise nicht rekonstruieren lassen. Dass speziell das Kriterium einer durchgeführten Normkundmachung schon aus der Sicht der damaligen Rechtsanwender als Unterscheidungsmerkmal für die Etikettierung als Gesetz maßgebend war, belegt noch deutlicher ein Blick in die Mandatesammlung der Stadt Innsbruck.486 Auf der Rückseite jedes Drucks ist genau vermerkt, wann und welcher Zielgruppe das entsprechende Mandat kundgemacht wurde (z. B. am 26. dits [Febr. 1595] aufm tannzhaus der gannczen gemain verlesen, 19. Octobris anno [15]67 etc. auf der cannzl verlesen worden oder – im Fall der Wirtsordnung des Jahres 1578 – den wierdten publiciert am 18. Aprilis anno etc. 1578). Eine nähere Analyse belegt, dass ausschließlich publizierte Reskripte der Mandatesammlung einverleibt wurden, nicht kundgemachte hingegen nicht.
TLA, Landgericht Steinach, Akten, Fasz. 84, Lit. O, Chronologische Mandatsreihe. Erhalten in TLMF, FB 6197.
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II. Das Gesetz: Definitionen
3. 2. 5. 4. Instruktionen Das Kriterium der Publikation, das somit innerhalb des Quellentypus „Reskript“ die Abgrenzung des außenwirksamen Gesetzes vom nur behördenintern relevanten Reskript ermöglicht, gestattet eine vergleichbare Differenzierung beim Quellentyp „Instruktion“. Instruktionen enthielten eine Reihe von inhaltlich sehr breit gestreuten Anweisungen an landesfürstliche Funktionsträger, die neben allgemeinen Verhaltenspflichten (wie z. B. der Pflicht zur Förderung der landesherrlichen Interessen) die Aufgaben des Beamten umriss. Die Instruktion spezifizierte seine Dienstpflichten, wobei sie unter anderem die bestehende Gesetzeslage wiedergeben und somit den Beamten zu deren Durchsetzung anhalten konnte. Darüber hinaus bestand die Möglichkeit, den Instruktionen Ausführungsbestimmungen einzuverleiben, welche die gesetzlichen Bestimmungen – die fallweise durch die Technik des Verweises genau angeführt wurden – konkretisierten. Hier kann die Entscheidung im Einzelnen schwer fallen, ob es sich bei einer Instruktion noch um die Wiedergabe der aktuellen Gesetzeslage oder bereits um weiter führende Ausführungsbestimmungen handelt. Die Instruktion des Tiroler Landprofosen, der maßgeblich für die Überwachung und Ausweisung von Bettlern, Vaganten, beschäftigungslosen Kriegsknechten und Zigeunern zuständig war,487 beruhte beispielsweise auf den einschlägigen Titeln der Tiroler Landesordnung und den vor der Ausfertigung der Instruktion für diesen Bereich erlassenen Mandaten.488 Ein bei weitem illustrativeres Beispiel für das Gesagte bietet jedoch die Instruktion Maximilians I. für den Fischmeister Hans Humel aus dem Jahr 1507 (Instrucion Hannsen Humels, Röm. Kön. Maiestat etc. vischmaister in der grafschaft Tirol).489 Nach der summarischen Pflicht zur Besorgung der Fischereiangelegenheiten in Tirol und der Vorderen Grafschaft Görz wird ihm aufgetragen: Er soll auch bestellen und sein vleissig aufsehen haben, das darinn nach der ordnung, so vormals unser verwalter und rete unnserer raitcamer aufgericht haben, gefist werde, womit wohl auf die Fischordnung für den Innstrom aus dem Jahr 1501 verwiesen wird.490 Anschließend werden diverse Dienstpflichten hinsichtlich einzelner, namentlich genannter Gewässer angeführt. Im Bereich des Fischereirechts blieb die Praxis der folgenden Jahrzehnte vergleichbar, wie die Instruction und ordnung unnsers vischmaisterambts in unnser Fürstlichen Grafschafft Tyrol für den Fischmeister Sigmund Halbhirn von 1536 dokumentiert.491 Diese führt einleitend die grundlegenden Rechtsvorschriften aus Vgl. Schennach, Landesverteidigung, 2003, S. 387–389. TLA, Bekennen 1609, fol. 66r–67r, 1609 Juli 29. 489 TLA, Cod. 5035, 1507 April 4. 490 Gemeint ist wohl die Fischordnung für den Innstrom von 1501 Febr. 16; Regest bei Wies flecker, Maximilian-Regesten, Bd. 3/2, 1998, Nr. 14950. 491 TLA, Hs. 5036, 1536 Aug. 26 (unfol., unpag.). 487 488
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drücklich an, für deren Implementation der Fischmeister verantwortlich sein sollte. Während jedoch die maßgeblichen Titel der Tiroler Landesordnung von 1532 nur mittels Verweistechnik angeführt werden, geschah dies beim Fischereimandat aus dem Jahr 1533, das als „Erläuterung“ der Landesordnung bezeichnet wurde, durch Insert. Das gesamte Gesetz wurde der Instruktion wörtlich einverleibt und Halbhirn die Sorge dafür aufgetragen, dass derselben landsordnung und dem mandat gelebt und nachgekommen werde, was in der Folge spezifiziert wurde. Eine Änderung der Gesetzeslage konnte folglich eine Überarbeitung und Anpassung der darauf beruhenden Instruktionen notwendig machen.492 Die ausschließlich verwaltungsinterne Wirkung mancher Instruktionen lässt sich geradezu exemplarisch anhand der Instruktion für den Münzmeister in Hall, Bernhard Behaim, aus dem Jahr 1502 illustrieren.493 In dieser werden nicht nur der Sold und die Rechtsstellung des Münzmeisters (und anderer Bediensteter der Haller Münze) geregelt, sondern überdies genaue Anweisungen hinsichtlich des Prägevorgangs erteilt. Ferner schreibt sie die Prägung von Kreuzern vor und macht Vorgaben bezüglich der einzuhaltenden Qualitätsstandards. Außerdem wird die Subordination des Münzmeisters unter die landesfürstliche Finanzbehörde klargestellt. In diesen Fällen entfaltet eine Instruktion keine über den amtsinternen Bereich hinausgehende Außenwirkung. Sie enthält einen Dienstpflichtenkatalog des Beamten, zu dessen Einhaltung er angehalten wird, und führt gegebenenfalls noch konkrete Anweisungen über die Art und Weise der Geschäftsbesorgung an. Mangels Publikation kann man nicht von Gesetzen sprechen. Die Formulierung einer Instruktion auf der Grundlage bereits kundgemachter Gesetze war freilich nur eine Option. Schon Willoweit hat aufgezeigt, dass dem Gesetzgeber alternativ bis weit in das 18. Jahrhundert hinein die Möglichkeit offen stand, seinen Beamten durch Instruktionen Gesetzesbefehle zu erteilen. Die Amtsträger sind in der Folge verpflichtet, den Untertanen die Verhaltenspflichten entsprechend zur Kenntnis zu bringen und Übertretungen zu bestrafen.494 In Tirol ist das letztgenannte Prozedere bis zum Ende des 15. Jahrhunderts eine sehr frequent und unabhängig von der geregelten Rechtsmaterie genutzte Option zur Normsetzung an der Peripherie, die jedoch – soweit es sich um Instruktionen für namentlich genannte Beamte handelte – in der Frühneuzeit deutlich marginalisiert wurde. Zwar wurde dieser Weg der Normsetzung weiterhin (wie schon im 15. Jahrhundert) bei Policeymaterien beschritten, für deren Implementation eigene Verwaltungsorgane zur Verfügung standen (insbesondere in jagd- und forstrechtlichen Angelegenheiten), aber auch hier nur in immer geringerem Ausmaß. Ausführlich nachzuvollziehen anhand der neuen Forstordnung und der daraus resultierenden Anpassungen der Instruktion des Forstmeisters in TLA, VfD 1602, fol. 362, 1602 Aug. 31; TLA, GR, AS, Einlauf in Regimentssachen, 1602 Sept. 7; TLA, VfD 1602, fol. 409v–410v, 1602 Dez. 10. 493 Wiesflecker u. a. (Bearb.), Maximilianregesten, Bd. 4, 2002, Nr. 15920, 1502 Jan. 15. 494 Willoweit, Gesetzespublikation und verwaltungsinterne Gesetzgebung, 1979. 492
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Dennoch war und blieb die Gesetzeserlassung mittels Instruktionen auch noch im 16. Jahrhundert ein durchaus vertrautes Prozedere. Als beispielsweise die Kammer im Jahr 1568 im Rahmen eines Gutachtens einen kurzen Abriss über die Geschichte der Tiroler Forstgesetzgebung lieferte, wies sie selbstverständlich darauf hin, dass die gesetzgebende Tätigkeit nicht nur in der Holz- und Waldordnung ihren Niederschlag gefunden habe, sondern gleichermaßen in den Instruktionen der Wald- und Forstmeister.495 1527 modifizierte Ferdinand I. die Amtsinstruktion des Forstmeisters Albrecht von Stampp in jenen Punkten, die während des Tiroler Bauernkrieges besonders umstritten gewesen und in der Landesordnung von 1526 im Sinn der Landbevölkerung (und gegen die Interessen des Landesfürsten) geregelt worden waren. Die neue Instruktion trug dem Forstmeister auf, in bestimmten prekären jagdrechtlichen Fragen wieder zur Rechtslage vor 1526 zurückzukehren. Auf diese Weise sollte den einschlägigen Bestimmungen der Landesordnung derogiert werden, was jedoch auf den Widerspruch der Regierung stieß.496 Wie diese Normsetzung via instructionis funktionierte, lässt sich mustergültig anhand der maximilianeischen „Waldordnung“ für das Inn- und Wipptal aus dem Jahr 1502 nachweisen.497 Der Terminus „Waldordnung“ wurde schon von der zeitgenössischen Registratur verwendet,498 wenngleich es sich eindeutig um die Instruktion für den gerade bestellten „gemeinen Waldmeister“ Leopold Fuchsmagen handelte. Dieser Instruktion war die Waldordnung inseriert („Und ist das unnser fürgenomen ordnung [...]“), wobei Fuchsmagen sowohl deren Kundmachung an die Untertanen als auch deren Durchsetzung anbefohlen wurde. Er solle „die nachfolgend ordnung den gerichtslewten [...] furhalten, darmit sie sich darnach haben zu richten und der wissennd nachzukhumen. [...] Er soll auch in allen anndern artickln in der ordnung hienach begriffen daran sein und sein vleissig aufmercken haben, damit der in allen und yeden artickln gelebt und nachgeganngen werde [...].“499 Tatsächlich war der Unterschied zwischen der Normsetzung durch eine außenwirksame Instruktion oder durch ein förmliches Mandat nur ein gradueller. Im ersten Fall waren ausschließlich die Amtsträger, an die die Gesetzesbefehle via instructionis gerichtet waren, für deren Kundmachung und Implementation verantwortlich. Im zuletzt genannten Fall war die Publikation von den lokalen Obrigkeiten vorzunehmen, denen im Rahmen des Implementationsprozesses überdies eine assistierende Rolle zukam. Selbst in den Rechtsbereichen „Forst und Jagd“, für die grundsätzlich eine eigene Verwaltungsstruktur bestand (z. B. Waldmeister, Forstmeister und Forstknechte), hatten sie den primär zur Rechtsdurchsetzung TLA, GaH 1568, fol. 248r–346r, hier fol. 282v–283r, 1568 März 17. Vgl. Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007, S. 112–113. 497 Edition bei Wopfner, Almendregal, 1906, S. 128–132; die folgenden Zitate sind der Edition Wopfners entnommen. 498 Vgl. die Marginalnotiz in TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 25, Lit. X, fol. 24v–27r, hier fol. 24r (Waldordnung anno etc. 1502 aufgericht). 499 Wopfner, Almendregal, 1906, S. 128–129. 495 496
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berufenen Amtsträgern auf deren Ersuchen hin Beistand zu leisten. Dass in Tirol in der Frühen Neuzeit immer mehr der Weg beschritten wurde, Einzelgesetze und (Teil-)Ordnungen im Mandatsweg kundzumachen und nicht die Option zu wählen, Gesetzesbefehle in Instruktionen aufzunehmen und deren Publikation und Umsetzung den instruierten Beamten zu überlassen, lag wohl vor allem an der angesprochenen subsidiären Allzuständigkeit der lokalen Obrigkeiten. Deren grundsätzliche Allzuständigkeit legte es ohnehin nahe, auch Richtern und Pflegern jene Gesetzesbefehle zur Kenntnis zu bringen, die in die Instruktionen anderer Amtsträger aufgenommen waren. Was lag näher, als eine Norm von vornherein in eine Form zu gießen, die den subsidiär zur Umsetzung berufenen Richtern und Pflegern sowie den primär zuständigen Verwaltungsorganen gleichzeitig zur Kenntnis gebracht werden konnte? Bei gedruckten Ordnungen und Einzelgesetzgebungsakten war dies rasch und unkompliziert möglich, bei der Normsetzung via instructionis war die zwischen den speziellen Verwaltungsorganen und den zur Assistenzleistung verpflichteten lokalen Obrigkeiten notwendige Abstimmung dagegen deutlich aufwändiger und komplizierter, wenn Reibungsverluste vermieden werden sollten. Was hier nur theoretisch entwickelt wurde, soll im Folgenden anhand eines konkreten Beispiels veranschaulicht werden. Die Waldordnung von 1502 war nicht die letzte, die im Instruktionswege erlassen wurde. Auch die Waldordnung von 1551 war bezeichnenderweise ausschließlich in die Instruktion für die gemeinen Waldmeister inseriert.500 Sämtliche Waldordnungen der folgenden Jahrzehnte und Jahrhunderte501 wiesen dann freilich das für Gesetze übliche Urkundenformular auf, sie wurden gedruckt und den lokalen Obrigkeiten wie den Waldmeistern zugestellt. Die erste Publikation der Holzordnung von 1626 war von den Richtern und Pflegern vorzunehmen, die in Hinkunft jährlich die wesentlichen Ge- und Verbote auf den Ehafttaidingen erneut einschärfen sollten.502 Das bedeutete jedoch nicht, dass die Waldmeister jeder Beteiligung an der gehörigen Kundmachung der Normen enthoben gewesen wären. Das durch Zufall erhaltene Geschäftsbüchlein des „gemeinen Waldmeisters“ im Oberinntal aus dem Jahr 1632 dokumentiert dessen Beteiligung am Kundmachungsvorgang. Zur anstöllung der waldordnung auf alle jar rief er ebenfalls jährlich die Bewohner benachbarter Gemeinden zusammen, wo anschließend in Gegenwart der Obrigkeit durch mich gmainen waldmaister den underthon [...] die neue waldordnung sambt andern notufften fürgehalten und verlesen worden.503 In der Theorie scheint die Differenzierung zwischen Instruktionen, die nur verwaltungsinterne Relevanz besitzen und jenen, die außenwirksame und zu publizie Dies geht nicht hervor aus Oberrauch, Wald und Waidwerk, 1952, S. 124–125, wo zudem ein falsches Datum (1541) statt korrekt 1551 Aug. 17 angeführt wird. Vgl. jedoch TLA, Cod. 808. 501 Vgl. die Aufstellung bei Oberrauch, Wald und Waidwerk, 1952. 502 TLA, Buch Jägerei 1, Anhang (unpag., unfol.), 1626 Aug. 3. 503 TLA, Cod. 3230, Erstzitat fol. 1v, zweites Zitat fol. 7r. 500
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rende Verhaltensregeln beinhalten, relativ einfach. Die Praxis ist jedoch vielgestaltiger. Zwischen idealtypischen Beispielen wie der nur intern relevanten Instruktion für den Haller Münzmeister von 1502 und der in die Instruktion des Waldmeisters Fuchsmagen inserierten Waldordnung aus demselben Jahr erstreckt sich ein Graubereich, in dem die Abgrenzung zwischen rein verwaltungsinterner Bedeutung und Außenwirksamkeit schwierig werden kann. Insbesondere muss im Einzelfall geprüft werden, ob eine Instruktion nur die geltende Gesetzeslage wiedergibt, diese präzi siert respektive modifiziert oder ob die in einer Instruktion enthaltenen Verhaltensvorschriften als materiell neue normative Regelungen anzusehen sind. Zur Illustration dieser Problematik sei die aus dem Jahr 1503 datierende Instruktion für den Obristen Jägermeister Maximilians I., Jan Hilland, herangezogen.504 Ein erheblicher Teil der darin enthaltenen Bestimmungen stellt nur innenwirksame Vorschriften über die von Hilland wahrzunehmenden Aufgaben und die Art und Weise, wie er diese zu erfüllen hat, dar. Geregelt werden beispielsweise die Aufsichtspflicht und Durchgriffsrechte Hillands gegenüber den ihm untergebenen Forstknechten und Forstüberreitern, die Ausübung der Jagd und Wildheg ung sowie die Verwertung des erlegten Wildfleisches im Allgemeinen und in bestimmten, näher besprochenen Jagdrevieren. Diese keine Außenwirkung entfaltenden Bestimmungen regeln sogar detaillierteste Fragen wie die Zusammensetzung der auszulegenden Sulze. Einzelne Artikel der Instruktion betrafen jedoch sehr wohl das Verhalten der Untertanen. So wurde dem Forstmeister insbesondere mitgeteilt, dass die Hundehaltung im Inntal grundsätzlich verboten sei – ein Verbot, das ausdrücklich der Forstmeister kundzutun und durchzusetzen habe (was „auch derselb unnser öbrister iegermaister allnthalbn verpietn und ze thun verschaffen sol. Welher aber darüber annderst hanndlt, den sol er seinem gutbeduncken nach straffn.“). In ähnlicher Weise enthielt die Instruktion Beschränkungen hinsichtlich der Zaun errichtung durch die bäuerliche Bevölkerung. Eine nähere Analyse offenbart jedoch rasch, dass in diesen Punkten nur die ohnehin geltende Gesetzeslage wiedergegeben und dem Jägermeister die Einhaltung der entsprechenden Vorschriften übertragen wurde. Eine Qualifikation der Hilland’schen Instruktion als Gesetz erschiene daher als inadäquat. Bisher wurde nur von Instruktionen im Sinne eines Pflichten- und Aufgabenkatalogs eines landesfürstlichen Bediensteten gesprochen, der diesem anlässlich seiner Ernennung ausgehändigt wurde und dessen Einhaltung er beschwören musste. Es handelt sich bei den bisher erwähnten Fällen somit stets um Instruktionen für einen namentlich benannten, individuellen Adressaten. Daneben gab es jedoch auch Instruktionen, welche Behördenaufbau und -kompetenzen regelten, beispielsweise Instruktionen für die Regierung, die Kammer, den Hofrat, den Geheimen Rat, das Officium sanitatis oder den Kriegsrat als Kollegialbehörden. Inhaltlich haben der Edition bei Wopfner, Almendregal, 1906, S. 133–138; Regest bei Wiesflecker, Maximilianregesten, Bd. 4, 2002, Nr. 17171, 1503 Jan. 15.
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artige Instruktionen vornehmlich behördeninterne Wirkung. Sie regeln vor allem Zusammensetzung, interne Willensbildung und Beschlussfassung, Zuständigkeiten, Geschäftseinteilung und -gang. Nur ausnahmsweise kommt den Bestimmungen in Behördeninstruktionen Außenwirkung zu, und es ist bezeichnend, dass die entsprechenden Normen in solchen Fällen stets zielgruppenspezifisch kundgemacht wurden. Das Gesagte trifft dabei ausschließlich auf prozessrechtliche Vorschriften in der Regierungs- respektive Hofratsinstruktion zu. Die Instruktion für den Hofrat Erzherzog Ferdinands II. von 1573 enthielt so eine eigene Revisionsordnung, die durch eine vergleichsweise restriktive Festschreibung der Prozessvoraussetzungen die zunehmende Zahl der Revisionen an den Hof eindämmen sollte. Nicht die gesamte Hofratsordnung, wohl aber die auf die Revision bezüglichen Bestimmungen sollte man daher in beysein hieiger advocaten und procuratorn in unnserm hoffrath offentlich publiciern unnd verlesen, damit sich auch niemandts der unwissenhait zu entschuldigen habe.505 Entsprechendes galt für Vorschriften über die Prozessführung vor der oberösterreichischen Regierung, die ebenfalls den Prokuratoren, Advokaten und den Parteien anhängiger Prozesse zu publizieren waren.506 Schon die merer erleutterung und besserung der Regierungsinstruktion von 1555 hatte die Kundmachung der darin enthaltenen prozessrechtlichen Vorschriften an Prokuratoren und Advokaten vorgesehen und Strafdrohungen bei Übertretungen ausgesprochen.507 Nicht alles, was zeitgenössisch als „Instruktion“ bezeichnet wurde, ist freilich eine Instruktion in den bisher thematisierten Wortbedeutungen. Daneben gibt es eine kleinere Anzahl von Gesetzen, die zwar die Eigenbezeichnung „Instruktion“ führten (fast immer in Form der Paarformel „Instruktion und Ordnung“), sich jedoch des für Gesetze dominierenden Urkundenformulars und der üblichen Publikationswege (auch durch Anschlag) bedienten. Außerdem fungierte weder ein individualisierter Beamter noch eine Behörde als Adressat der Regelung, der von vornherein Außenwirkung zukam. Eine als „Instruktion“ betitelte Ordnung, die das Passwesen und den Grenzübertritt nach Tirol regelte, war im grenznahen Bereich durch Anschlag bekannt zu machen und verpflichtete Passanten und Einreisewillige, vorgeschribner Ordnung / unnd Bevelch gehorsamblich nach[zu]komen.508 Die mit der Paarformel „Instruktion und Ordnung“ bezeichneten Regelungskomplexe weisen wiederum die Gemeinsamkeit auf, dass sie auf eine möglichst abschließende Regelung der behandelten Materie abzielten und sich an eine Gruppe von zur Implementation der angeführten Normen berufenen Funktionsträgern wandten. Fallweise konnte es sich auch um mehrere Gruppen von Funktionsträgern handeln, TLA, Hs. 1085, fol. 2v, 1573 März 11; vgl. hierzu die kurze Erwähnung bei Bidermann, Geschichte der landesfürstlichen Behörden, 1866, S. 341, und bei Hirn, Ferdinand II., Bd. 1, 1885, S. 469. 506 Vgl. nur TLA, GR, AS, Einlauf, 1639 Dez. 29. 507 TLA, Hs. 1081, fol. 5v–6r, 1555 Okt. 15. 508 TLMF, FB 6198, Nr. 34, 1625 Sept. 1. 505
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die am Durchsetzungsprozess beteiligt waren. Im Fall der Schulordnung von 1586 waren dies z. B. die Schulmeister, die Schulaufseher und die lokalen Obrigkeiten gleichermaßen. In concreto sind zu nennen:509 1. die Schulordnung von 1586: Instruction unnd Ordnung / wie sich fürohin / die Teutsche / so wol auch die Lateinische Schuelmaister / welche die Kinder / im Teutschen Lesen und Schreiben / zu underweisen pflegen / auch die Schuelkinder verhalten sollen510 2. die Bettlerordnung von 1590: Instruction und Ordnung / wellichermassen von nun an unnd hinfüro / die in disem Land unserer Fürstlichen Graffschafft Tyrol / in ainer jeden Commun / Statt / Gericht oder Dorff / Inheimische / alte / dürfftige / Haußarme [...] / underhalten / und hergegen die Landstörtzer und Durchstreichende [...] / gentzlichen auß dem Land geschafft unnd außgereüttet werden sollen511 3. die Bettlerordnung von 1630: Instruction und Ordnung / wie wir es mit den Pettlern allenthalben in disem Land der Fürstl: Grafschafft Tyrol hinfüro gehalten haben wöllen512. Im Gegensatz zu den Instruktionen, die einzelnen Beamten oder Amtsträgern erteilt wurden, waren die hier angeführten „Instruktionen und Ordnungen“ der Allgemeinheit zu verkünden und überdies den Untertanen jährlich auf dem Ehafttaiding neuerlich einzuschärfen. Fallweise wurden zudem Begleitreskripte, die den lokalen Obrigkeiten gemeinsam mit den zur Kundmachung übersendeten Mandaten zugestellt wurden und nähere Bestimmungen über die Durchführung der zu publizierenden Rechtsvorschriften enthielten, als „Instruktionen“ bezeichnet. Ein sieben Blatt umfassender gedruckter Bevelch und Instruction an die Beambten präzisierte beispielsweise, welche Maßnahmen zur Ausführung eines Gesetzes, das Tiroler Untertanen den Aufenthalt in protestantischen Gegenden verbot, gesetzt werden sollten.513
Nur der Vollständigkeit halber sei auf die steuerrechtliche Instruction und ordnung über die Einhebung des Aufschlags auf alkoholische Getränke von 1634 verwiesen, vgl. StAB, Instruktionen und Ordnungen, Nr. 1 (Hs. 2362), 1634 April 5. 510 TLA, CD 1586, fol. 396r–410v, 1586 Dez. 16 (Parallelüberlieferung in TLMF, Dip. 1090, Nr. 25). 511 TLA, CD 1590, fol. 661r–664r, 1590 Juni 14. 512 TLA, BT, Bd. 19, fol. 692, 1630 Juni 1. 513 Vgl. TLA, CD 1606, Beilage zu fol. 101, 1609 Sept. 7; vergleichbar die sechs gedruckte Blätter umfassende Instruction und Ordnung, die Anweisungen über die Durchsetzung des 1598 erlassenen Banditenmandats betreffend die Verbrechensbekämpfung an den Welschen Konfinen enthielt (TLA, CD 1598, Beilage zu fol. 401, 1598 Juni 25). 509
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3. 3. Der formelle Gesetzesbegriff 3. 3. 1. Eine Diplomatik der Gesetzesurkunde Der heute übliche, im Wesentlichen auf Paul Laband zurückgehende formelle Gesetzesbegriff wurde bereits kurz erwähnt.514 Der Terminus zielt primär auf den auf den formalen Prozess der Gesetzwerdung ab und ist in dieser Ausprägung für das Spätmittelalter und die Frühneuzeit anachronistisch und inadäquat. Dennoch ist die Verwendung eines formellen Gesetzesbegriffs als Ergänzung zum materiellen, wie er im letzten Kapitel entwickelt wurde, brauchbar und nützlich, indem er zu einer Fokussierung des Blickes auf die äußere Formen des Gesetzes – in concreto auf die Gesetzesurkunde – führt. Die Untersuchung der formellen Charakteristika eines Gesetzes stellt daher im Folgenden nicht auf die Einhaltung eines bestimmten Gesetzgebungsprozesses ab, sondern beschäftigt sich mit den Urkundenmustern (Urkundenformularen), die für Gesetze im materiellen Sinn verwendet wurden – wobei sich interessante Zusammenhänge ergeben können. „Ein“ Gesetz im formellen Sinn kann es freilich während des Untersuchungszeitraumes nicht geben, da dem damaligen Gesetzgeber nicht nur ein Urkundentyp zu Gebote stand, in den er seine generell-abstrakten Hoheitsakte kleiden konnte. Genauer gesagt handelte es sich um drei in Frage kommende Urkundenmuster: die Urkunde vom „Entbieten“Typus, das Reskript sowie das Privileg. Dabei wird im Folgenden wohlgemerkt nur auf das Formular abgestellt. Nur weil ein Gesetz mit Blick auf den verwendeten Urkundentypus als „Privileg“ anzusprechen ist, sagt dies noch nichts über den Inhalt aus. Es muss sich keineswegs um eine den Adressatenkreis begünstigende Regelung handeln, auch das Gegenteil ist möglich. Die „Innsbrucker Mannszuchtordnung“ weist so zwar Privilegienform auf, enthält jedoch klare Verhaltensgebote und -verbote, deren Übertretung mit Sanktionen bedroht wird. „Es existiert im Grunde keine Diplomatik der Gesetze.“515 Was der Mediävist Peter Johanek vor einem Vierteljahrhundert konstatierte, gilt heute nur mehr in abgeschwächter Form. Wenngleich sich die Diplomatik als historische Grundwissenschaft noch immer nicht dem Untersuchungsgegenstand „Gesetz“ zugewandt hat, so weisen zwischenzeitlich doch regelmäßig Rechtshistoriker auf das typische Urkundenformular hin, das Gesetze aufweisen.516 Einige in der Reihe „Studien zu Policey und Policeywissenschaft“ erschienene Veröffentlichungen aus der Feder von Rechtshistorikern haben in letzter Zeit ebenfalls den formalen Aspekten der Gesetzesurkunden vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt.517 Die Allgemeinhistorikerin Vgl. Kap. 3.2.1. Johanek, Methodisches, 1980, S. 90 (initiale Großschreibung vom Verfasser). 516 Vgl. z. B. Pauser, Gesetzgebung, 2004, S. 217; Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007, S. 146; ausführlich Cauchies, Législation, 1982, S. 63–180. 517 Vgl. Dehesselles, Policey, Handel und Kredit, 1999, S. 52–54; König, Judenverordnungen, 1999, S. 237–255. 514 515
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Monika Ruth Franz wiederum hat in jüngster Vergangenheit anhand bayerischen Quellenmaterials den formalen Aufbau von Mandaten genauer analysiert,518 so dass sich der aktuelle Ausgangsbefund im Vergleich zur Johanek’schen Feststellung zumindest ansatzweise gebessert hat.519 Das von Johanek konstatierte Fehlen einer Diplomatik der Gesetze hat freilich inhaltliche Gründe. Schließlich bedienten sich die Gesetze im materiellen Sinn, wie sie im letzten Kapitel definiert wurden, keiner eigenen äußeren Form, d. h. die spätmittelalterliche Kanzlei entwickelte kein eigenes Urkundenformular für Gesetze im materiellen Sinn. Vielmehr adaptierte sie eine Reihe bereits existenter Urkundenformen, die je nach Bedarf, abgestimmt auf Adressatenkreis und geregelte Rechtsmaterie, zum Einsatz kamen, die jedoch ursprünglich keineswegs gesetzesspezifisch waren. Das Standardformular des „Entbieten“-Typus, die Privilegienform und das Reskript waren Urkundenformen, die in der Tiroler landesfürstlichen Kanzlei bereits im 14. Jahrhundert verbreitet waren und im Zuge des Aufkommens und der Intensivierung der landesfürstlichen Gesetzgebung für diese in Gebrauch kamen. Allerdings könnte durchaus die Frage nach dem Erkenntnisgewinn aufgeworfen werden, den die Untersuchung und Darstellung der unterschiedlichen Urkundenformulare, in die Gesetze im materiellen Sinn gegossen werden, eigentlich verschaffen. Pointiert formuliert: Hat es nicht seinen Grund, dass die bisherige Forschung dem Aufbau der Gesetzesurkunde nur rudimentär Bedeutung geschenkt hat? Abgesehen davon, dass derartige Zweifel an der Legitimation einer einschlägigen Fragestellung die Diplomatik als historische Grundwissenschaft in ihrer Gesamtheit betreffen, sind sie inhaltlich wohl kaum begründet. Es wird darzulegen sein, dass die Kanzlei sehr wohl Überleg ungen anstellte, welcher äußeren Form man sich für welche Regelung bediente. Die Entscheidung, ob eine generell-abstrakte Norm in ein Privileg gekleidet oder ob das Standardformular des „Entbieten“-Typus gewählt wurde, ist alles andere als willkürlich getroffen worden. Eine genauere Untersuchung erschließt vertiefte Einblicke in den Prozess und die Techniken der spätmittelalterlichen Gesetzgebung. Sie erlaubt die Erkenntnis, dass Privilegien durchaus nicht nur „Tarnformen“ mittelalterlicher (und frühneuzeitlicher) Gesetze waren,520 sondern dass eine nachvollziehbare Korrelation zwischen Inhalt und Adressat einerseits und der Privilegienform andererseits gegeben war. Überdies demonstriert die zeitgenössische Wahrnehmung die Wichtigkeit der äußeren Form. Die Empfänger waren sich der Differenz zwischen einer Privilegienform und dem „Entbieten“Typus als Standardformular für die Erlassung generell-abstrakter Normen durchaus bewusst. Überhaupt lässt sich nachweisen, dass die Beteiligten dem Formular erhebliche Signalwirkung und Relevanz zumaßen. Geradezu exemplarisch kann man Franz, Landesordnung, 2003, S. 30–34. Vgl. immerhin schon frühzeitig Walder, Überwindung des Ancien Régime, 1953. 520 Vgl. Ebel, Geschichte der Gesetzgebung, 21958, S. 40–41; im Anschluss daran z. B. Schubert, Vom Gebot zur Landesordnung, 2001, S. 55. 518 519
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dies anhand eines kurzen Disputs zwischen dem Bischof von Brixen und Erzherzog Maximilian III. im Jahr 1607 belegen. Der Bischof hatte an sämtliche Obrigkeiten im Pustertal Schreiben ausgehen lassen, wenngleich es im Pustertal nur einige wenige bischöflich-brixnerische Gerichte gab, die zudem (wie das Gericht Anras oder Heinfels) von einer engen Verzahnung bischöflicher und Tiroler landesfürstlicher Herrschaftsrechte geprägt waren. Dabei bediente sich der Bischof in seinen Schreiben des „Entbieten“-Typus, wie er für Gesetze in Verwendung stand: [Wir N. N.] entbieten n. allen und yeden prelaten, grafen, freyen herren [...] unser gnad und alles gut. Ganz unabhängig vom Inhalt des bischöflichen Schreibens protestierte die Regierung schon aufgrund des stilus, der nur einem Landesfürsten zustehe! Ferner habe der Bischof über die meisten Adressaten keinerlei Jurisdiktionsgewalt, die ebenfalls dem Tiroler Landesherrn zukomme (wobei impliziert wird, dass dem Bischof folglich auch keine Gesetzgebungsgewalt zustehe).521 Wenn Formalia so unwichtig wären, hätte die Regierung wohl kaum auf diese Weise reagiert. Und auch auf bischöflicher Seite darf man von einer bewussten Aneignung des „Entbieten“Formulars ausgehen. Im jahrzehntelangen Streit um einzelne Hoheitsrechte, der in einigen Pustertaler Gerichten zwischen der Grafschaft und dem Hochstift geführt wurde, kam der plötzlichen Verwendung des Urkundenformulars für Gesetze zweifellos eine gewisse Brisanz zu, der auf Tiroler Seite sogleich mit Vehemenz begegnet werden musste. An dieser Stelle sei rekapituliert, was bereits herausgearbeitet wurde: In Tirol weisen sämtliche landesfürstlichen Gesetzgebungsakte nicht nur die Schriftform auf, sondern sind formal Urkunden. Das gilt wohlgemerkt ebenso für die Landesordnungen von 1526, 1532 und 1573, die trotz ihres Umfangs und ihrer Drucklegung in Buchform aus formaler Sicht nichts anderes als Urkunden waren, die sämtliche zu erwartenden Bestandteile aufwiesen. Der ab 1523/24 für Einzelgesetzgebungsakte in Tirol regelmäßig verwendete Druck522 bedeutete nur insofern eine Zäsur, als er fortan bei äußeren Merkmalen wie Schriftgröße und Schriftart und Format bis dahin unbekannte Variationen ermöglichte, beispielsweise durch die typographische Hervorhebung oder das Absetzen des Herrschertitels.
3. 3. 2. „Entbieten unser Gnad und alles Gut“: das Standardformular Der am häufigsten für Gesetze gewählte Urkundentyp war die „Entbieten“-Urkunde, die seit dem 14. Jahrhundert für Befehle übergeordneter Behörden (bzw. des Landesfürsten) an nachgeordnete Behörden bzw. Personen in Verwendung stand. Wie andere Urkundenformulare war dieses folglich nicht Gesetzen vorbe TLA, AfD 1607, fol. 431, 1607 Juli 6. Vgl. hierzu Kap. V.3. und Kap. V.4.2.
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halten. Unter den Kopialbüchern der oberösterreichischen Kammer findet sich eine eigene, schon zeitgenössisch „Entbieten und Befehl“ genannte Buchreihe, die jährlich hunderte Schreiben an hierarchisch untergeordnete Adressaten enthielt, die selbstverständlich keineswegs alle als Gesetze zu klassifizieren sind. Wie andere Urkunden gliedert sich der „Entbieten“-Typus in drei Abschnitte: Protokoll (bestehend aus Intitulatio und Adresse), Kontext (bestehend aus Narratio, Dispositio sowie gegebenenfalls Sanctio und Corroboratio), Eschatokoll (bestehend aus Datum und Unterschriften). 3. 3. 2. 1. Intitulatio Der Titel setzt sich aus dem im Majestätsplural verwendeten Herrschernamen, einer Devotions- bzw. Legitimationsformel („von Gottes Gnaden“) sowie anschließend aus einer Aufzählung von rangmäßig geordneten Herrschertiteln zusammen. Die unterschiedliche Auflistung der dem Herrscher als Gesetzgeber zukommenden Herrschertitel ermöglichte vornehmlich seit der Verwendung des Drucks (s. u.) und somit seit Ferdinand I. eine Variation entsprechend der einem Gesetz zugeschriebenen Bedeutung: Es konnte der lange, mittlere oder kurze Titel verwendet werden. Diese Unterscheidung ist unabhängig davon festzustellen, ob der Aussteller (erwählter) Römischer Kaiser oder – im Fall der habsburgischen Nebenlinie in der oberösterreichischen Ländergruppe – Erzherzog von Österreich ist. Die Zusammensetzung differiert zwar entsprechend, die Verwendung von drei unterschiedlichen Intitulationes bleibt jedoch unberührt. Die Titelverwendung lässt sich übrigens erst nach der Etablierung des Drucks eingehender untersuchen und darstellen, da die bis dahin dominierende kopiale Überlieferung von Gesetzestexten regelmäßig auf die Wiedergabe des Ausstellertitels verzichtet. Der kurze Titel führt ausschließlich die Würde eines römisch-deutschen Königs (Ferdinand I.) bzw. erwählten römisch-deutschen Kaisers (Ferdinand I., Rudolf II.) sowie jene eines Königs von Böhmen und Ungarn an. Auf die übrigen umfangreichen Herrschertitel wird durch „etcetera“ verwiesen.523 Im Fall von Angehörigen der Nebenlinie lautet der kurze Titel: Ertzherzog zu Osterreych / Hertzog zu Burgundi etc. Grave zu Tyrol etc.524 Die Kurztitel stehen jedoch bei gedruckten Gesetzgebungsakten des „Entbieten“-Typus nicht in Verwendung, sondern kommen erst ab den fünfziger Jahren des 16. Jahrhunderts auf, als eine formale Kontaminati onsform zwischen dem formal sehr zurückhaltend gestalteten Reskript (das überhaupt keinen Titel anführt) und dem „Entbieten“-Typus entstand. Die für diese Kontaminationsform üblicherweise gebrauchte Variante war der mittlere Titel, der stets nach Anführung des Titels „Graf von Tirol“ abbricht: WJR Vgl. z. B. TLA, CD 1558, fol. 160, 1558 März 10. Hier nach TLA, CD 1565, fol. 231, 1565 März 1.
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Ferdinand Von Gottes genaden Römischer / zu Hungern unnd Beheim / etc. Künig / Infannt in Hispanien / Ertzhertzog zu Osterreich / Hertzog zu Burgundi / Steyr / Khärndten / Crain / und Wirtemberg / Grave zu Tyrol / etc.525 Im Fall Erzherzog Ferdinands II. lautete der mittlere Titel: WJR Ferdinand Von Gottes gnaden / Ertzhertzog zu Osterreich / Hertzog zu Burgundj / Steyr / Kärndten / Crain / unnd Wirtemberg etc. Grave zu Hapsburg und Tyrol etc.526 Für Gesetzgebungsakte, denen eine besondere Bedeutung zugeschrieben wurde, kam der lange Titel zur Anwendung, beispielsweise beim bereits erwähnten Gesetz, das die Einführung der Tiroler Landesordnung von 1573 statuierte: WJR Ferdinand von Gottes genaden / Ertzhertzog zu Osterreich / Hertzog zu Burgundj / Brabant / Steyr / Kärndten / Crain / Lützenburg / unnd Wirtemberg etc. Fürst zu Schwaben / Marggrave des hayligen Römischen Reychs / zu Burgaw / Gefürsteter Graf zu Habspurg / Tyrol / Pfirdt / Kyburg / unnd zu Görtz etc. Lanndtgrave im Elsaß / Herr auf der Windischen March / zu Portennaw / unnd zu Salins etc.527 Auch die Landesordnungen von 1526, 1532 und 1573 führen dementsprechend jeweils den langen Herrschertitel an, der die Titelreihe im hier beispielhaft angezogenen Fall Ferdinands I. verlängerte (1532) (von Gottes genaden / Römischer Künig / zu allenzeiten merer des Reichs / in Germanien / zu Hungern / Beheim / Dalmatien / Croatien / und Sclavonien etc. Künig Jnfant in Hispanien), um dann mit dem „Erzherzog zu Österreich“ fortzusetzen. Selbst wenn im Lauf der Jahrzehnte gewisse Variationen greifbar werden, indem einzelne Titel ergänzend hinzutreten oder weggelassen werden,528 bleibt die grundsätzliche Differenzierung von kleinem, mittlerem und langem Titel von dieser Entwicklung unberührt. Gesetzgeber war durchwegs der Landesfürst. Dies bedeutet jedoch nicht, dass nicht unter Umständen Behörden oder Amtsträger als Aussteller einer Gesetzesurkunde aufscheinen, die das Gesetz im Namen oder im Auftrag des Landesfürsten erlassen können. Dessen ungeachtet kommt die ausschließliche potestas legislatoria natürlich weiterhin dem Herrscher zu. Einen absoluten Ausnahmefall stellen zwei 1491 vom Landeshauptmann Nikolaus von Firmian erlassene Gesetze dar, welche die Jagd und das Führen von Schusswaffen restringierten. Im ersten Gesetzestext verweist Firmian auf ein ihm zugegangenes Kommissionsschreiben des Königs, dessen Inhalt einleitend wiedergegeben wird. Die abgeleitete Gesetzgebungsbefugnis ist evident, wenn von Firmian den Gesetzesbefehl mit folgenden Worten einleitet: Darauf schaff ich anstatt Hier zit. nach TLA, BT, Bd. 5, fol. 195, 1544 April 26. Hier zit. nach TLA, CD 1571, fol. 495, 1571 April 1. 527 Hier zit. nach TLMF, FB 6197, Nr. 51, 1574 Mai 20; zur Verwendung des langen Titels vgl. z. B. TLA, BT, Bd. 9, fol. 415, 1568 Juli 21; als seltene, wohl drucktechnisch bedingte Variation bricht der lange Titel im Einzelfall nach Anführung des Grafentitels zu Pfirt und Kyburg ab (TLA, BT, Bd. 9, fol. 136, 1566 März 1). 528 Vgl. nur die bei Pauser, Gesetzgebung, 2004, S. 232, angeführte Intitulatio Maximilians II. 525 526
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des vorbemelten unnsers allergnadigisten hernn [...].529 Einige Tage danach folgte ein weiteres Gesetz, mit dem er auf einen ihm erteilten Befehl Maximilians Bezug nimmt: [...] hat mir sein Mt. am jungsten zu Boczen muntlichen bevolchen, bey euch darob ze sein und verschaffen [...].530 Ebenso exzeptionell531 ist die Gesetzeserlassung durch Eleonore von Schottland während einer Abwesenheit ihres Gatten Herzog Siegmunds von Tirol, die wegen Gefahr in Verzug zum Handeln gedrängt wurde:532 Nach einer Überschwemmungskatastrophe staute sich auf dem Inn und seinen Zuflüssen das für die Haller Salzproduktion bestimmte Triftholz, das von zahlreichen Unberechtigten von dem wasser gefürt und getragen werde, was nachdrücklich verboten wurde. Eleonore stellt zwar fest, dass die Regelung grundsätzlich unserem herren und gemachel vorbehalten sei – was sie angesichts der Notwendigkeit einer raschen Reaktion nicht hindert, die Obrigkeiten anzuweisen bei unsern sweren ungenaden zu vermeyden [...] von unsern wegen ze schaffen und ze bietten [...]. Im Übrigen präsentiert sich das Mandat als vollständig einem landesfürstlichen Gesetz nachgebildet, einschließlich der Intitulatio (Wir Elienor geboren von Schotten von Gottes gnaden Herczogin ze Osterreich, zu Steyr zu Kerenden und zu Krain, gravin zu Tyrol etc.) und der Adresse (embieten unseren lieben getrewen allen unnseren phlegeren [...]). Nur ein winziges, jedoch bezeichnendes Detail ist verändert: Statt des üblichen Kanzleivermerks d[ominus] d[ux] per se ipsum in consilio heißt es nun d[omina] d[ucissa] per se ipsam et consilium – was als klarer Hinweis auf die Beratschlagung und Absegnung des Mandats im landesfürstlichen Rat gedeutet werden kann.533 Dass eine Kollegialbehörde (in concreto das Regiment) in Abwesenheit des Herrschers an dessen Stelle ein Gesetz erlässt, ist zwar unter Maximilian I. belegt, setzt sich in der Folge jedoch nicht durch. Ein Mandat gegen die bäuerliche Fehdeführung wurde 1509 erlassen von Wir n. der römischen Kay. Mt. etc. unnsern allergenedigisten herren landthofmaister, marschalch, canczler, stathalter und rät des regiments zu Jnsprugk.534 Unmittelbar nach dem Ableben eines Tiroler Landesfürsten war es dagegen (nachweisbar seit 1519) Usus, dass die Regierung die unaufschiebbaren legislativen Akte im eigenen Namen setzte. Regelmäßig wurden beispielsweise die nach dem Herrschertod üblichen Verbote von weltlichen Festveranstaltungen von der Regierung selbständig und im eigenen Namen erlassen. Ebenso reagierte AStT, libri copiali, gruppo I, vol. I, fol. 20v–21r, 1491 Nov. 3 (Edition bei Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007, S. 267–268, Zitat S. 268). 530 AStT, libri copiali, gruppo I, vol. I, fol. 20r, 1491 Nov. 14. 531 Vgl. immerhin das Reskript der Anna von Braunschweig an den Bergrichter in Gossensass in Worms, Bergbau, 1904, S. 104–105. 532 Allgemein über das politische Wirken von Eleonore in Abwesenheit ihres Gatten Köfler/Caramelle, Frauen, 1982, S. 30–77; zur kanzleimäßigen Behandlung ihrer Briefe und zu ihrem Siegel ebd., S. 32. 533 TLA, Cod. 3177, fol. 146r–147r, 1472 Juli 14. 534 TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 30, Lit. Cc, fol. 180r–181r, 1509 April 2. 529
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man auf die häufig nach dem Tod eines Landesherren einsetzenden Übergriffe der Landbevölkerung auf die Wildbestände. So lautete der Titel beispielsweise im Jahr 1519: Wir n. weilennd Röm. Kay. Mt. etc. hochloblicher gedechtnus lanndthofmaister, marschalkh, cannczler, stathaltrer und regenten zu Ynsprugg [...].535 1595 hieß es ohne Verweis auf den soeben verstorbenen Erzherzog Ferdinand II. schlicht Wir N. President und RegimentsRäthe Oberösterreichischer Lande,536 1632 in ähnlicher Weise Wir N. President / Cantzler / regenten und Räthe / O:O: Lande, wohingegen man nach dem Aussterben der habsburgischen Nebenlinie in Innsbruck wieder ausführlicher wurde und auch die Kammerräte mit einbezog: Wir N. und N. Weilendt der Ertzfürstlichen Durchl. Sigmund Frantz Ertzhertzogen zu Oesterreich etc. Mildseeligister gedächtnus hinterlassene Praesidenten / Cantzler / Regenten und Camer Räthe O. O. Lande.537 Die für Gesetze angewandte Vorgehensweise galt im Übrigen für alle anderen Schreiben der Regierung gleichermaßen. Zwar mochten das große und das Sekretsiegel des verstorbenen Fürsten noch nicht zerbrochen sein, doch konnten sie nicht mehr verwendet werden; umgekehrt verfügte man noch nicht über die Siegel des Nachfolgers. Ausdrücklich angesprochen wurde die daraus resultierende Notwendigkeit, sämtliche Schreiben einschließlich der Gesetze im eigenen Namen auszustellen, nach dem Tod Kaiser Ferdinands I. Gegenüber Erzherzog Ferdinand II. hob die Regierung hervor: Was wir aber für bevelch und schreiben, die wir biß auf weitern beschaid nit umb geen mugen, außgeen lassen, hat uns für ratsam angesehen, in allen unnsern schreiben in der subscription und eingenngen der offnen bevelch und briefen allain stathalter, regenten und camerräte oberösterreichischer lannde uns zu schreiben und dieselben mit unnsern petschafften auszufertigen.538 Dieser Zustand der Gesetzeserlassung durch die Regierung war allerdings nur von kurzer Dauer. Nicht erst die Erbhuldigung für den Nachfolger, sondern bereits der Erhalt des großen und kleinen Siegels des neuen Herrschers setzte ihm ein Ende.539 Eine gewisse Sonderstellung nimmt während des Untersuchungszeitraums die Regierung Erzherzogin Claudias de’ Medici ein, die nicht aus eigener Macht, sondern als Vormund ihrer beiden Söhne Ferdinand Karl und Sigismund Franz die Regierung innehatte, wobei sie sich die Vormundschaft mit Kaiser Ferdinand II. bzw. Ferdinand III. teilte. Folglich ist in dieser Periode (1632 bis 1646) alles belegt: Die
TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 39, Lit. Nn, S. 61–63, hier S. 61, 1519 [März] (ohne nähere Datierung). 536 TLA, CD 1595, fol. 296, 1595 Jan. 25. 537 TLMF, Dip. 1091, Nr. 247, 1665 Aug. 8. 538 TLA, AfD 1564, fol. 2r–7v, hier fol. 5v, 1564 Aug. 4. 539 Ausdrücklich ist dieser Endzeitpunkt genannt in TLA, VfD 1564, fol. 10r, 1564 Aug. 19. 535
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Erlassung eines Gesetzes durch die Regierung,540 durch Claudia allein541 oder durch Claudia und den Kaiser gemeinsam,542 ohne dass sich klare Regularitäten erkennen lassen. In den letztgenannten beiden Fällen wird freilich auf den Status der Urkundenaussteller als Vormund bzw. Vormünder hingewiesen. Die komplexere rechtliche Situation findet somit in den Intitulationes ihren Niederschlag. Dasselbe gilt für die ersten Regierungsjahre sowohl Erzherzog Maximilians III. als auch Leopolds V., in denen die Intitulationes nicht nur ihre damals noch bekleideten geistlichen Ämter anführen, sondern ebenfalls ihre Stellung als Gubernatoren hervorheben. Die Intitulatio Maximilians III. nennt so seine Position als Hoch- und Deutschmeister und bezeichnet ihn anschließend: Als von der Röm. Kay. Mayt. auch den andern unsern gnedigen Herren Brüder unnd Vöttern Ertzhertzogen zu Osterreich / etc. gevolmächtigter Regierer / und selbs mit interessierter Herr und Landtsfürst / der Ober- und VorderOsterreichischen Lande.543 Abschließend sei im Zusammenhang mit dem Themenkomplex „Intitulatio“ die Frage nach dem Aufscheinen der Landstände als Aussteller von Gesetzen aufgeworfen. Grundsätzlich gilt es hier festzuhalten: Die Landschaft hatte keine eigene potestas legislatoria und tritt daher in der Intitulatio nicht als Aussteller auf. Zwei Einblattdrucke aus dem Jahr 1508, die auf den ersten Blick in diese Richtung deuten und die von Wir gemain landtschafft aller stende der grafschafft Tyrol, so allhie zu Boczen im landtag versamlt sein ausgestellt sind, erweisen sich bei näherer Analyse nicht als Gesetze im materiellen Sinn.544 Eine allfällige Befassung und Einbindung der Landschaft im Vorfeld der Gesetzeserlassung wird generell lediglich in der Narratio erwähnt (s. u.). Von dieser Regel gibt es eine Ausnahme, die mit der überaus prekären sicherheitspolitischen Lage nach dem Tod Kaiser Maximilians I. (1519) Vgl. z. B. TLA, CD 1636, fol. 711 und 801, 1636 Febr. 13: Wir N. Weilendt der F. D. Erczherczogs Leopoldi zu Osterreich etc. nachgelassner Erben Vormundtschafft President / Canczler / Regenten und Räthe Oberösterreichischer Lande. 541 Vgl. z. B. TLA, CD 1636, fol. 802, 1636 Sept. 2: WJR Claudia / von Gottes gnaden / verwittibte Ertzhertzogin zu Osterreich / Hertzogin zu Burgund / Gräfin zu Tyrol / Landtgräfin in Elsaß / Geborne Princessin von Toscana / Als von der Röm. Kay. May. etc. Gevollmächtigte Gwalttragerin und Mitvormunderin / Weilendt Unsers geehrten Herren Gemahels / Ertzhertzogs Leopolden zu Osterreich / etc. L. nachgelassner Erben. 542 Vgl. z. B. TLA, VfD 1633, fol. 211, 1633 Juli 5: WJR Ferdinand der Ander von Gottes genaden / Erwöhlter Römischer Kaiser / zu allen zeiten Mehrer deß Reichs / etc. Ertzhertzog zu Osterreich / unnd Principal Tutor. Und wir Claudia verwittibte Ertzhertzogin zu Osterreich / Hertzogin zu Burgund / Gräfin zu Tyrol / Landgräfin in Elsaß / geborne Princessin von Toscana / etc. als mitVormunderin etc. 543 Hier zit. nach TLA, CD 1606, fol. 365, 1606 Aug. 8. 544 Vielmehr handelt es sich um Aufgebotsmandate, welche die Städte und Gerichte zur Stellung ihrer Mannschaftskontingente gemäß dem vorangegangenen Landtagsabschied auffordert. Es sei jedoch angefügt, dass auch dies bemerkenswert ist, da Aufgebotsmandate ansonsten ausschließlich vom Landesfürsten oder stellvertretend vom Regiment erlassen wurden. Vgl. TLMF, FB 6196, Nr. 3 und TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 29, Lit. Bb, fol. 181r–182r, 1508 Mai 24. 540
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zu erklären ist. Damals schien während mehrerer Wochen der Ausbruch eines Aufstandes unmittelbar bevorzustehen und in der einsetzenden kollektiven Hatz der Bevölkerung auf das landesfürstliche Wild seine Ankündigung zu finden. Die in dieser explosiven Situation erlassenen, der Bedrohung durch die Statuierung von Versammlungs- und Jagdverboten gegensteuernden Gesetze wurden ausdrücklich von der Regierung und dem in Innsbruck anwesenden landständischen Ausschuss gemeinsam erlassen – was natürlich mit Berechnung erfolgte, hoffte man auf diese Weise doch durch die demonstrative Einbindung der Stände eine Deeskalation der Lage zu erreichen. Die Intitulatio bei den diesbezüglichen Mandaten lautet dementsprechend: Wir die baid bischoff, auch landthofmaister, marschalkh, canczler, stathalter und regiment zu Jnsprugg mitsambt dem ausschuss von prelaten, adl, steten und gerichten der fürstlichen grafschafft Tirol, so yecz auf ganczen landtag zu Jnsprugg versamblt sein, embieten [...].545 Und selbst noch im Juli 1519 statuiert das Regiment mitsambt dem verordneten ausschuss der F. G. Tyrol ein Verbot eigenmächtiger „Zusammenrottierungen“ der Bevölkerung.546 3. 3. 2. 2. Inscriptio (Adresse) Dem Titel folgt die ebenfalls noch zum Protokoll gehörende, die Empfänger aufzählende Adresse. Auch hier werden in den ersten eineinhalb Jahrhunderten gewisse Entwicklungstendenzen greifbar, wurde sie doch ab der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts zunehmend ausgebaut, bevor sie in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts allmählich standardisiert wurde. Die Adresse als Nennung der Adressaten ist in eine Grußformel (Salutatio) gebettet, die für diesen Urkundentypus charakteristisch ist („Wir N. N. [...] entbieten allen unseren N. N. [...] unsere Gnade und alles Gute.“ Demgegenüber ist beispielsweise das Privilegienformular durch das Leitwort „bekennen“ gekennzeichnet („Wir N. N. [...] bekennen (und tun kund), dass [...]“). Kurz nach dem Übergang Tirols an den Habsburger Rudolf IV. heißt es so: [...] embietten allen unseren richteren und ambtlewten, edelen und unedelen, den dyser brieff gezaigt wirt, unser gnad und alles guet.547 Unter Herzog Friedrich IV. zeigt sich 1420 schon ein gewisser Trend zur abundanteren Aufzählung: [...] embietten unseren lieben getrewen allen haubtleutten, purggrafen, pflegeren und richteren, den der brieff geczaigt wirt, unser gnad und alles guet.548 Unter (Erz-)Herzog Siegmund kristallisiert sich schließlich die zunehmend standardisierte Adresse heraus, welche die Empfänger entsprechend ihrer hierarchischen Stellung nacheinander anführt: [...] Embieten unsern lieben getreuen allen haubtleuten, rittern, knechten, burkgrafen, TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 39, Lit. Nn, S. 41–43, 1519 Febr. 21. TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 39, Lit. Nn, S. 103–106, 1519 Juli 3. 547 TLA, Cod. 3177, fol. 131r–131v, hier 131r, 1363 Dez. 7. 548 TLA, Cod. 3177, fol. 133v–134r, hier fol. 133v, 1420 Juni 13. 545 546
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phlegern, landtrichtern, richtern und allen unsern andern ambtleuten, die mit disem brief ermant werden, unser gnad und alles gut.549 Die letzte und für die folgenden beiden Jahrhunderte maßgebende Ausbaustufe wird unter Maximilian I. erreicht: [...] Embieten unnseren lieben getreuen allen haubtleuten, graven, freyen herren, rittern, knechten, phlegern, lanndtrichtern, richtern, burgermaistern, räten und gemainigklichen sünst allen anndern unnsern ambtleuten in unnserm lannd der grafschafft Tirol, so hiemit ermant werden, unnser gnad und alles gut.550 Darüber hinaus bestand die schon unter Siegmund belegte Möglichkeit, nicht nur landesfürstliche Amtsträger anzusprechen, sondern auch die Untertanen gemainigklich, denen diser brief furkombt oder verkhündt wirdt, in die Adresse zu integrieren. Die Aufnahme der „Untertanen“ in die Adresse hat jedoch keine Auswirkungen auf den Publikationsvorgang. Es kann zwar vorkommen, dass die Untertanen in der Salutatio genannt sind und im weiteren Verlauf durch die Verwendung der zweiten Person Plural im Gesetzestext selbst unmittelbar angesprochen werden. Dies ist aber keineswegs zwingend. Selbst wenn die Untertanen nicht in der Salutatio angeführt sind und der Gebrauch der zweiten Person Plural im Normtext auf die Verwaltungsorgane abzielt, hat dies keine Konsequenzen für die Art der Publikation. In beiden Fällen war die Verlesung an die Gesamtheit der Untertanen unterschiedslos gängig. Variationen der Adresse waren zudem insofern denkbar, als besonders zur Vollziehung der im Gesetz geregelten Vorschriften berufene Funktionsträger zusätzlich angeführt werden konnten. Eine jagdrechtliche Norm konnte sich kumulativ an den Forstmeister und an die Forstknechte wenden, ein Exportverbot für Alteisen überdies Zöllner und Zollgegenschreiber ausdrücklich erwähnen.551 Stets gilt jedoch als Regel: Die Aufzählung der Adressaten in der Salutatio ist nur demonstrativ, nicht taxativ. Gegenüber den Bergrichtern musste dies 1530 klargestellt werden. Diese hatten das Ignorieren eines gegen das Führen von Schusswaffen gerichteten Mandats damit begründet, dass sich dieses zwar an die „Landrichter“ und „Rich ter“, nicht jedoch an die „Bergrichter“ wende: Weil sie darinn in sonnders nit begriffen, glaubten sie, der Vorschrift nit unnderwürffig oder gehorsam sein zu müssen, was ihnen entschieden verwiesen wurde.552 Dies führt uns gleich zu einer im Bereich des Bergrechts zu beobachtenden Besonderheit des „Entbieten“-Typus. Da bergrechtliche Vorschriften regelmäßig nur einen sehr beschränkten räumlichen Geltungsbereich haben – entweder ein einzelner oder aber sämtliche Berggerichtsbezirke – findet sich hier regelmäßig eine spezielle Inscriptio, indem der Aussteller sowohl den gegenwärtigen, namentlich ange TLA, Cod. 123, fol. 173v, 1473 Juli 26; ähnlich u. a. ebd., fol. 75r, 1473 Jan. 10; ebd., fol. 52r, 1473 März 14; ebd., fol. 373r, 1473 Dez. 4. 550 TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 38, Lit. Mm, S. 55, 1518 Juni 4. 551 Vgl. z. B. TLA, Cod. 3177, fol. 144v–145v, 1447 Aug. 14; BT, Bd. 14, fol. 522, 1603 Sept. 26; TLMF, Dip. 1091, Nr. 144½, 1622 Febr. 26. 552 TLA, BT, Bd. 2, fol. 311, 1530 Okt. 25. 549
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führten Bergrichter sowie alle zukünftigen anspricht und damit die Dauerhaftigkeit der in der Urkunde mitgeteilten Regelung zum Ausdruck bringt.553 Die namentliche Nennung eines Amtsträgers oder die Anrede der Amtsträger eines bestimmten räumlich determinierten Bereichs erweist sich dabei grundsätzlich als Möglichkeit, den räumlich beschränkten Geltungsbereich einer Norm zu umschreiben. Eine Vorschrift von 1518, die den Verkauf von Immobilien an die „Gotteshausleute“ (d. h. Grundholden des Churer Bischofs) ohne vorherige Genehmigung durch die lokale Obrigkeit untersagt (damit uns an unser obrigkait, raiss und landsteur nicht entzogen werde), wurde so ausschließlich an die Pfleger zu Naudersberg, Glurns, Mals und Schlanders adressiert, da sich anderwärts das Problem gar nicht stellte.554 Ein Verbot des Bierbrauens von 1566 wandte sich wiederum nur an die Obrigkeiten von Hall, Innsbruck sowie an die Richter von Rettenberg, Rattenberg und Schwaz, da sich die Tiroler Bierproduktion offensichtlich auf die Zentralorte des Inntals konzentrierte,555 während ein Mandat aus demselben Jahr, das den Lebensmittelexport nach Graubünden aufgrund der herrschenden Nahrungsmittelknappheit untersagte, nur an die Obrigkeiten im Vinschgau und im Oberinntal adressiert war.556 In der Tat kommt der Salutatio für die Bestimmung des örtlichen Geltungsbereiches eines Gesetzes eine erhebliche Signalwirkung zu, was nicht nur für den Fall eines restringierten, sondern auch für den Fall eines erweiterten räumlichen Geltungsbereichs zutrifft. Werden nämlich neben den bereits angeführten Funktionsträgern „Landvögte“ „Vögte“, „Ammänner“ und/oder „Schultheissen“ angeführt – bei denen es sich um in Tirol ungebräuchliche Bezeichnungen handelte –, zeigt dies, dass sich der Geltungsbereich nicht nur auf Tirol, sondern auch auf die vorderösterreichischen Länder erstreckt. Außerdem wird dies regelmäßig durch eine geographische Präzisierung in der Adresse selbst557 bestätigt. Ergänzend können Kanzleivermerke Aufschlüsse über den Empfängerkreis vermitteln.558
Vgl. schon 1447 Aug. 10 (Schwazer Bergordnung) bei Worms, Bergbau, 1904, S. 110–111; ferner z. B. TLA, Hs. 3253, fol. 44r–45v, 1494 Juni 4 (an alle gegenwärtigen und zukünftigen Bergrichter der Grafschaft Tirol); TLA, Hs. 3254, fol. 51r–61r, 1510 Dez. 12; TLA, Hs. 3253, fol. 56r–59r, 1512 März 12; ebd., fol. 48r–55r, 1512 Dez. 12. 554 TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 38, Lit. Mm, S. 137–138, 1518 Aug. 12. 555 TLA, BT, Bd. 9, fol. 223r–224r, 1566 Sept. 24. 556 TLA, BT, Bd. 9, fol. 237, 1566 Okt. 7. 557 Vgl. z. B. TLA, BT, Bd. 1, fol. 244v–245r, 1527 Okt. 26: [...] Embieten allen und yegclichen haubtleuten, grafen, freyen herren, rittern, knechten, lanndvögten, vögten, phlegern, verwesern, lanndtrichtern, schulthaissen, ammannen, burgermaistern und richtern allennthalben in unnsern oberösterreichischen lannden u. g. u. a. g.; ähnlich TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 18, Lit. R, S. 101–102, 1495 Aug. 17; Mecenseffy, Quellen, Bd. III, 1983, Nr. 8 (1532 Febr. 10). 558 Vgl. z. B. TLA, CD 1566, fol. 358, 1566 April 29 und Auflistung der vorderösterreichischen Empfänger ebd., fol. 356r–357r. 553
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II. Das Gesetz: Definitionen
3. 3. 2. 3. Narratio „Proœmium tanquam caput legi præponitur, eiusque rationem, æquitatem, justitiam, necessitatem, utilitatem demonstrat quo facilius à populo recipiatur.559 Mit diesen Worten umschreibt Hermann Conring 1654 die wesentliche Funktion der Narratio (um bei der Terminologie der Diplomatik zu verbleiben). Diese hebt als Einleitung des Kontextes den Anlass für die vorgenommene Regelung hervor und begründet die Notwendigkeit der Rechtssetzung.560 Hier lassen sich mehrere (ineinander übergehende) Topoi erkennen: Häufig werden mittels Verweistechnik bereits früher erlassene einschlägige Gesetze angeführt und deren defizitäre Implementation bemängelt.561 Äußerst selten ist der Fall, dass die bereits erlassenen Gesetze im Rahmen der Narratio durch Insert Wort für Wort wiederholt werden; dagegen schritt man fallweise zur äußerst ausführlichen Wiedergabe ihres Inhalts: Ein gegen den Viehexport gerichtetes Mandat aus dem Jahr 1572 verwies beispielsweise auf eine Vorgängerregelung aus dem vorangegangen Jahr, deren Bestimmungen über 18 Zeilen detailliert rekapituliert wurden.562 Darüber hinaus finden sich in der Narratio Hinweise auf konkret beobachtete Missstände oder geschilderte Vorfälle, die den Anlass zur Gesetzeserlassung darstellen. Ein Mandat wider Mordbrenner von 1473, das überdies die genauere Überwachung der Vaganten anordnete, verwies beispielsweise auf entsprechende Vorfälle in den Ortschaften Imst und Tarrenz.563 Ein gegen Landstreicher, Bettler und Hausierer gerichtetes Mandat von 1571 hob Diebstähle in den Kirchen von Matrei und Obernberg hervor, die dieser sozialen Gruppe zugeschrieben wurden.564 Ein Gesetz kann in der Narratio auch nur summarisch auf Beschwerden, Supplikationen oder Gravamina hinweisen, die den Anstoß gegeben haben. Eine Einbindung der Landstände wird oft besonders hervorgehoben. Dies soll weniger die Einhaltung eines bestimmten Prozederes signalisieren, sondern zielt vor allem auf die Erhöhung der Akzeptanz der getroffenen Regelung ab, handelte es sich doch überwiegend um durchaus brisante und meist heftig diskutierte Materien.565 Conring, De nomothetica, 1663, These 54 (unpag.). Vgl. Barta, Platons Plädoyer für Gesetzespräambeln, 2003; Walder, Überwindung des Ancien Régime, 1953; Fögen, Lied vom Gesetz, 2007, S. 9–23; Fögen, Notes on the History of Preambles, 1995. 561 Vgl. z. B. Mecenseffy, Quellen, Bd. III, 1983, Nr. 755 (1544 April 18) und Nr. 1044 (1561 Juli 5); TLA, Ambraser Memorabilien V/72, 1547 Okt. 18 (Beilage zu Mandat von 1604 Jan. 21); TLMF, FB 6197, Nr. 22, 1550 Mai 1; ebd., Nr. 47, 1571 April 3; ebd., Nr. 53, 1577 Febr. 20; TLA, BT, Bd. 11, 1580 Mai 26. 562 TLA, BT, Bd. 10, fol. 271, 1572 Mai 20; vgl. ähnlich TLA, BT, Bd. 11, fol. 694, 1586 Jan. 18. 563 TLA, Cod. 123, fol. 52r, 1473 März 14. 564 TLA, CD 1561, fol. 569, 1561 Sept. 1. 565 Vgl. hierzu Kap. IV.5.3.2. 559 560
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Die Narratio kann zudem die politischen Motive und Zielsetzungen thematisieren, die den Landesfürsten zum legislativen Handeln bewogen haben, wobei der Betonung des zu realisierenden „gemeinen Nutzens“ eine herausragende Rolle zukommt.566 3. 3. 2. 4. Dispositio Als Kernstück des Kontextes der Urkunde schließt sich an die Narratio die Dispositio an, die den eigentlichen normativen Teil enthält. Der Gesetzesbefehl wird dabei am häufigsten durch eine bis in das 14. Jahrhundert zurückzuverfolgende Standardformulierung eingeleitet, die das zentrale imperative Verb „empfehlen“ enthält – wobei jedem Adressaten klar war, dass die „Empfehlung“ des Landesfürsten seinen gesetzgeberischen Willen und Befehl zum Ausdruck brachte:567 Demnach empfelhen wir Euch allen und yedem insonders ernstlichen gebietend, [...].568 Davon empfelhen wir ew allen und yegleichen mit ernstlicher maynung, [...].569 Alternative Formeln zur Kundgabe des gesetzgeberischen Willens sind möglich und belegt, allerdings vergleichsweise selten, z. B.: Setzen und wellen demnach / und ist unser ernstlicher Bevelh, [...].570Demnach bevelchen wir euch allen, [...].571 Dieser Promulgatio, Notificatio oder Publicatio genannten Formel folgt die eigentliche Rechtsnorm (Dispositio). Der anschließende, jedoch auch beim „Entbieten“-Typus keineswegs obligatorische Publikationsbefehl verpflichtet die Obrigkeiten, die soeben dargelegte Regelung von stund an allenthalben Publiciern / verkünden und auffschlagen zu lassen.572 Die Anweisung zur Kundmachung konnte gänzlich fehlen, ohne dass dies etwas an der Publikationspflicht geändert hätte. Schließlich bestand die Möglichkeit, den Publikationsbefehl statt in der Gesetzes urkunde selbst in einem Begleitschreiben (Begleitreskript) mitzuteilen.573 Vgl. Kap. VI.2. Vgl. schon 1363 Wir empfelhen und wellen gar ernstlich, [...] (TLA, Cod. 3177, fol 131, 1363 Dez. 7). Zur Kontinuität vgl. z. B. TLA, Cod. 112, fol. 93r, 1479 Okt. 4: Wir emphelhen ew allen und yedem insunders [...]; ferner StAM, Stadtverwaltung Nr. 227, fol. 12, 1503 Nov. 22 oder TLA, CD 1526, fol. 274, 1526 März 17. 568 TLA, BT, Bd. 4, fol. 157, 1537 Sept. 6. 569 TLA, Cod. 3177, fol. 133v–134r, 1420 Juni 13. 570 TLA, CD 1560, fol. 385, 1560 Mai 11. 571 TLA, Buch Jägerei, Bd. 1, fol. 61, 1565 März 15. 572 So TLA, CD 1582, fol. 19, 1582 Juni 7; vgl. schon Kap. II.3.2.5. 573 Das Begleitreskript zum Mandat in TLA, CD 1619, fol. 387, 1619 Jan. 8, findet sich ebd., fol. 386, und fordert Richter und Pfleger zur Kundmachung des Mandats von den Kanzeln und durch Anschlag auf; ähnlich CD 1632, fol. 486, 1632 Febr. 13, wo die Obrigkeiten im Begleitreskript ermahnt wurden, das Mandat gehöriger orthen allenthalben [...] zu menigkliches wissen und nachrichtung alßbalden aufschlagen zu lassen. 566 567
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3. 3. 2. 5. Sanctio Den Abschluss des Kontextes bildet die Sanctio oder Pönformel, die den Adressaten die Befolgung der in der Urkunde erteilten Weisung auftrug und für den Fall des Zuwiderhandelns eine Strafe in Aussicht stellte. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass die Pönformel keineswegs die Strafe für den Verstoß gegen das in der Dispositio enthaltene Ge- oder Verbot festlegt (diese wird ebenfalls in der Dispositio festgeschrieben). Vielmehr richtet sich die Sanctio weniger an die Normadressaten als vielmehr an die zur Implementation verpflichteten landesfürstlichen Beamten, die durch die Sanctio zur gehörigen Pflichterfüllung angehalten werden sollen, dann wo ir nachmals (wie bisheer) hierinn also varlässig erscheinen [würdet], würden wir gegen euch mit unnachleßlicher straff nach ungnaden zu verfarn khainswegs unnderlassen.574 Die den Obrigkeiten im Fall einer Versäumnis angedrohte Strafe konnte dabei stark variieren. Der Gesetzgeber konnte sich mit der Androhung eines sehr vagen Huld- und Gnadenentzugs begnügen, wie im soeben angeführten Fall mit unspezifizierten poenae arbitrariae drohen575 oder aber ganz konkrete (und ihrerseits variable) Strafen in den Raum stellen. Am häufigsten waren Geldstrafen in abgestufter Höhe vorgesehen.576 Es blieb eine Ausnahme, wenn den Obrigkeiten im Fall defizitärer Implementation pauschal dieselbe Strafe angedroht wurde, wie sie in der Dispositio bei einem Verstoß der Normadressaten gegen den Gesetzesbefehl selbst vorgesehen war.577 Ebenso selten, sowohl was Strafh öhe als auch was Strafarten betrifft, ist die Sanctio eines ‚Fürkauf ‘-Verbotes von 1641: Erzherzogin Claudia de’ Medici stellt darin ein drakonisches Vorgehen gegen Obrigkeiten in Aussicht, die wir hierinn widerwertig, saumbselig / oder verbrechende befinden / oder in erfahrung bringen werden. Gegen die Betreffenden gedenken wir mit entsetzung der Diensten / confiscationen / Gelt oder jhe nach gestaltsame der sachen mit Leibsstraf fürzugehen.578 Eine Sanctio im Sinn einer Strafdrohung an die zur Vollziehung berufenen Beamten ist aber keinesfalls obligatorisch. Im Gegenteil: Der überwiegende Teil der Gesetze begnügt sich damit, den Obrigkeiten den Gesetzesbefehl abschließend nochmals summarisch einzuschärfen: Daran tut ir unser ernstliche maynung oder Das ist unser will und ernstliche maynung.579 Wenngleich die Regierung erst ab dem beginnenden 17. Jahrhundert tatsächlich zur Verhäng ung von Geldstrafen gegen nachlässige Obrigkeiten schritt, kam So TLA, Ambraser Memorabilien V/72, 1547 Okt. 18 (Beilage zu Mandat von 1604 Jan. 21). So schon das Jagdmandat Friedrichs IV. von 1414 (Edition bei Wopfner, Almendregal, 1906, S. 114–115); ferner z. B. TLA, CD 1617, fol. 167, 1617 Dez. 20. 576 Vgl. z. B. TLA, LLTA, Fasz. 12, Bund 2, 1613 Mai 11 (10 Pfund Berner Geldstrafe); TLA, BT, Bd. 19, fol. 692, 1630 Juni 1 (10 Pfund Berner Geldstrafe); TLMF, Dip. 1091, 1662 Juli 20 (vier Taler Geldstrafe). 577 So z. B. in TLA, Cod. 3177, fol. 132r–133v, 1385 April 13. 578 TLA, BT, Bd. 21, fol. 392, 1641 April 3. 579 TLA, Cod. 123, fol. 373r, 1473 Dez. 4 ; ebd., fol. 173v, 1473 Juli 26. 574 575
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der Sanctio erhebliche Signalwirkung zu. Sie war für die zum Vollzug berufenen Obrigkeiten ein deutliches Zeichen, welche Bedeutung einem Gesetz seitens der Zentrale zugeschrieben wurde.580 3. 3. 2. 6. Änderungsvorbehalt Im Änderungsvorbehalt behält sich der Gesetzgeber die Verminderung, Vermehrung oder Aufhebung der im aktuellen Gesetz getroffenen Regelungen vor. Wie bereits kurz erwähnt,581 dringt der Änderungsvorbehalt in Tirol im 15. Jahrhundert in Gesetzgebungsakte vor, wobei er sich jedoch nur in umfassenderen „Ordnungen“ findet. Als Beispiel sei hier auf jene vom 29. Juni 1474 verwiesen, wo es zum Abschluss des Urkundenkontextes heißt: Und ob hinfür icht zu unnser oder unnser lanndtschaft notdurfft zu mynnern oder zu merern würde, behalden wir unns bevor, alles getrewlich und angeverde.582 Zentrales Einfallstor für den Änderungsvorbehalt in Gesetzestexten war in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts und speziell in maximilianeischer Zeit offensichtlich das Bergrecht. Beginnend mit der Bergordnung Herzog Siegmunds für Schwaz im Jahr 1449583 wird, soweit ersichtlich, in Tirol keine Bergordnung mehr ohne Hinzufügen eines Änderungsvorbehalts erlassen.584 Dieser bleibt für Jahr zehnte nahezu unverändert: Wir behalten unns hierynn bevor, diese unnser ordnung unnd artickl zu mern, zu mynndern oder gar abzethun nach unser notdurfft, willen unnd wolgefallen.585 Nur ausnahmsweise wird in Änderungsvorbehalten eine Limitierung der ansonsten grundsätzlich als unbeschränkt wahrgenommenen Rechts setzungsbefugnis angeführt.586 Dies trifft insbesondere auf die Landesordnungen von 1526, 1532 und 1573 zu, die abschließend jeweils statuierten, dass es dem Landesfürsten und seinen Rechtsnachfolgern vorbehalten sei, dieselben Lanndtsordnung / Gesatz / und Gepot / mit vorwissen unnserer Lanndtschafft zu Mindern / oder zu Meren587. Hier wird den Ständen formal ein Anhörungsrecht im Vorfeld 582 583 584
Vgl. hierzu das Kap. VI.4. über Normintensität. Vgl. Kap. II.2.3. StAM, Urkunde A/I/301, 1474 Juni 29. Vgl. Worms, Schwazer Bergbau, 1904, S. 111–127, hier S. 126–127. Vgl. die Ordnung für Schwaz von 1479 Febr. 2 bei Worms, Schwazer Bergbau, 1904, S. 162– 164, hier S. 164; ferner die Bergordnung für das Bergwerk in Primiero in TLA, UR I/7435, 1488 Febr. 12; weitere Beispiele: TLA, Hs. 5230 (unfol., unpag.), 1510 Dez. 12; TLA, Hs. 3253, fol. 48r–55r, hier fol. 55r und fol. 60v–61v, hier fol. 61v, 1510 Dez. 12; TLA, Hs. 3254, fol. 33v–34v, hier fol. 34v, 1505 Jan. 1. 585 Hier zit. nach der Bergordnung für Kitzbühel von 1541 Febr. 10 (laut Vermerk erst ausgefertigt 1542 Febr. 1) in TLA, Bekennen 1541, fol. 22r–25r. 586 Zu einem bemerkenswerten, an anderer Stelle zu besprechenden Änderungsvorbehalt in einer Bergordnung von 1496 auch Hofmann/Tschan, Schwazer Bergrecht, 2007, S. 14. 587 TLO 1526, Empörungsordnung, Tit. 29; TLO 1532 und 1573, 9. Buch, 31. Titel. 580 581
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einer Novellierung der Landesordnung eingeräumt, worauf die Tiroler Landschaft auch Wert legte. Im Vorfeld der Reform der Landesordnung 1532 hatte sie noch urgiert, dass der entsprechende Zusatz „mit Vorwissen“ unverändert aufgenommen und nicht, wie im Konzept noch vorgesehen, ausgelassen werde.588 Singulär steht demgegenüber der 1503 belegte Fall da, dass sich der Gesetzgeber ausdrücklich jeder Änderungskompetenz entschlägt und in concreto die Verleihung von entgegenstehenden Privilegien für die Zukunft ausschließt.589 Damals schärfte Maximilian I. die bereits bestehende Regelung ein, dass Gemeindegründe nicht ohne Zustimmung der betroffenen Gemeinde vom Forstmeister verliehen werden dürften, und erklärte ausdrücklich, dass sämtliche (gegenwärtige und allenfalls zukünftige) bevelch, wo die hiewider erlanngt und ausgeen würden, unbeachtlich seien. Hiermit reagierte Maximilian I. offensichtlich auf wiederholte Beschwerden von Gemeinden über die eigenmächtige Verleihungspraxis des Herrschers selbst und seines Forstmeisters, die gegen den gemaynen brauch und alt herkomen unnsers fürstenthumbs verstoßen würden.590 Eine solche Klausel bleibt die absolute Ausnahme. Gerade in der Frühneuzeit ist das Bestreben nach einer demonstrativen Inserierung von Änderungsvorbehalten zugunsten des Landesfürsten deutlich greifbar, um die Unterwerfung des Rechts unter den herrscherlichen Willen hervorzuheben. Besonders deutlich wird dies bei der Konfirmation von Handwerksordnungen in der zweiten Hälfte des 16. und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Suchten Zünfte nunmehr beim Tiroler Landesfürsten um eine Bestätigung ihrer Ordnungen an, die vor allem die Ausübung des Handwerks und die Organisation der Zunft regelten und regelmäßig Ei nungscharakter aufwiesen, empfahl die Regierung standardmäßig und mit Erfolg das Einfügen eines entsprechenden Änderungsvorbehaltes zugunsten des Landesherrn.591
TLA, Landschaftliches Archiv, Landschaftliche Landtagsakten, Fasz. 1, Nr. 12b/II, fol. 33v, 1573 (ohne nähere Datierung); ausführlich hierzu Kap. IV.5.3.1.3.; zur Entstehung der Tiroler Landes- und Policeyordnung von 1573 Kap. IV.7.5. 589 Vgl. TLA, Ferdinandea, Karton 216, Pos. 222, 1503 März 24. 590 TLA, Pestarchiv XV/46, ca. 1500. 591 Vgl. z. B. TLA, AfD 1591, fol. 366v–368v, 1591 Juli 11; TLA, AfD 1604, fol. 3v–4v, 1604 Jan. 5; TLA, AfD 1654, fol. 315v–317r, 1654 Juli 3. Nur am Rande sei erwähnt, dass der Änderungsvorbehalt auch in städtische Rechtssetzungsakte vordrang und ab dem 17. Jahrhundert sogar in Dorfordnungen belegt ist (wobei im letzten Fall fallweise auch der Gerichtsobrigkeit ein Änderungsrecht zugestanden wird); vgl. z. B. TLA, BT, Bd. 2, fol. 28r (Innsbrucker Metzgerordnung): Ist hierinnen ainem ersamen rat vorbehalten, dise ordnung nach gelegenhait der leuff zu mindern zu meren und gebürlich einsehung zu haben. Zu Änderungsvorbehalten in Dorfordnungen vgl. z. B. Tirolische Weistümer, 6. Teil, S. 36–37, 122, 170, 194, 249. 588
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3. 3. 2. 7. Eschatokoll Den dritten und letzten Teil der Gesetzesurkunde stellt das Eschatokoll dar. Eine Corroboratio, d. h. eine Ankündigung der Beglaubigungsmittel, ist in Tirol während des Untersuchungszeitraumes nicht mehr anzutreffen. Stets findet sich dagegen die Anführung des Ausstellungsortes und des -datums. Abschließend finden sich die beiden Beglaubigungsmittel Unterschriften (samt Kanzleivermerken) und Siegel. Bei jeder Gesetzesurkunde, welche die Regiments- respektive Hofkanzlei verließ, waren ein Papierwachssiegel und die jeweilige Unterschrift notwendige Elemente zum Nachweis der Authentizität des Gesetzestextes. Betrachtet man allenfalls noch existente Empfängerüberlieferungen, zeigt sich die durchgehende Einhaltung dieses Grundsatzes. Nur die in der landesfürstlichen Registratur aufbewahrten Exemplare weisen im Allgemeinen weder Besiegelung noch (Original-) Unterschriften auf, da ein solcher Mehraufwand bei einem nur zur Archivierung bestimmten Exemplar entbehrlich schien. Die Zahl der Unterschriften belief sich auf drei, wobei die erste und entscheidende – jene des Landesfürsten – stets links unterhalb des Textblocks platziert wurde. Bis zum Aussterben der habsburgischen Nebenlinie ist belegt, dass der jeweilige Landesherr eigenhändig die Unterfertigung vornehmen konnte – und zwar nicht nur bei einem Exemplar, sondern bei sämtlichen zur Ausfertigung und Publikation durch Anschlag bestimmten, was natürlich ein bezeichnender Ausdruck der einem solchen Gesetz zugeschriebenen Bedeutung war. Die eigenhändige Unterschrift konnte freilich durch einen Stempel oder durch einen in Drucktypen gesetzten Namenszug des Herrschers ersetzt werden.592 Wenngleich schon für Maximilian I. grundsätzlich die Verwendung eines Unterschriftenstempels belegt ist, wird dies im Bereich der Gesetzesurkunden erst nach der Einführung des Einblattdruckes 1523/24 relevant und die Verwendung eines Unterschriftenstempels zum Regelfall. Die eigenhändige Unterschrift bleibt fortan als besonders wichtig eingestuften Gesetzgebungsakten vorbehalten, wenngleich sich durchaus persönliche Präferenzen zeigen. So ist die eigenhändige Unterschrift unter allen zur Publikation bestimmten Drucken eines Gesetzes unter Erzherzogin Claudia relativ häufig zu beobachten, während sie bei dem nur selten in Innsbruck weilenden und anderweitig hin reichend in Anspruch genommenen Ferdinand I. die Ausnahme bleibt. Rechtlich war es übrigens unerheblich, ob die Unterschriftsleistung eigenhändig vom Landesfürsten oder durch Unterschriftenstempel beigebracht wurde. Dasselbe gilt für die alternativ mögliche Signatur eines Gesetzes durch den Regierungspräsidenten. Vorgeschrieben war hingegen, wer die Gegenzeichnung vornehmen musste: der Kanzler. Dessen Unterschrift ist immer rechts unterhalb des Textblocks platziert und steht somit dem (stets gedruckten) ad-mandatum-Vermerk zur Seite, der auf den durch den Herrscher erteilten Beurkundungsbefehl verweist. Er lautet – ent Vgl. hierzu auch Pauser, Gesetzgebung, 2004, S. 233.
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II. Das Gesetz: Definitionen
sprechend dem Rang und höchsten Titel des Herrschers – Ad mandatum Sacrae Caesareae Maiestatis proprium, Ad mandatum Domini Regis proprium, Ad Mandatum Serenissimi Domini Archiducis proprium. Unterschreibt statt des Landesfürsten der Regierungspräsident, steht statt des ad-mandatum-Vermerks der Auf tragsvermerk Commissio Domini Electi Imperatoris in Consilio, Commissio Domini Regis in Consilio, Commissio Domini Archiducis in consilio. Über einen allfälligen inhaltlichen Unterschied waren sich die Zeitgenossen selbst schon im 16. Jahrhundert nicht unbedingt im Klaren, wie ein Auskunftsschreiben der Regierung an den neuen Landesherren, Erzherzog Ferdinand II., belegt, das zu keinem überzeugenden Befund kommt.593 Nach intensiven Recherchen konstatieren die Regierungsräte schlichtweg, dass solch ad mandatum auch unnsers erachtens annderst nit zu versteen, dann das dieselb brief unnd underschreybung von E. D. anbevolhen worden seye.594 In der unteren linken Ecke findet sich die Unterschrift des für die Fertigung zuständigen Regierungssekretärs, während das Papierwachssiegel im Zentrum unterhalb des Textblocks situiert ist (in der Zeit nach dem Tod eines Herrschers wird ein Gesetz bis zum Erhalt des Siegels seines Nachfolgers durch die Petschaften von fünf Regierungsräten ersetzt). Abgesehen von dem über die landesfürstliche Unterschrift Gesagten, die durch einen Stempel ersetzt werden konnte, mussten alle genannten Elemente bis zum Jahr 1665 bei Einzelgesetzgebungsakten (Einblattdrucken) im Original vorhanden sein, d. h. die Unterschriften des kontrasignierenden Kanzlers und des fertigenden Schreibers durften nicht durch entsprechende gedruckte Namenszüge ersetzt werden. Dasselbe galt für das Vorhandensein des Papierwachssiegels, das ebenso wenig durch die gedruckte Buchstabenkombination „L. S.“ (für „locus sigilli“) abgelöst werden durfte. Hier brachte erst das Jahr 1665 und der Anfall der oberösterreichischen Ländergruppe an die kaiserliche Linie der Habsburger einen Bruch mit den bisherigen Kanzleiusancen. Beginnend mit 1665 setzte in den darauf folgenden Jahren in Übernahme der Gepflogenheiten der kaiserlichen Kanzlei der allmähliche Verzicht auf die Unterfertigung und Besiegelung sämtlicher gedruckter Gesetze ein. Fortan begnügte man sich mit gedruckten Unterschriften (auch des Kanzlers und des fertigenden Beamten) und ersetzte das Papierwachssiegel durch die Buchstaben „L. S.“.
3. 3. 3. Das Reskript Schon bei der Diskussion des materiellen Gesetzesbegriffs wurde herausgearbeitet, dass außenwirksame, an die lokalen Obrigkeiten gerichtete Reskripte bei Erfüllen der sonstigen Erfordernisse als Gesetze im materiellen Sinn anzusprechen sind. TLA, AfD 1564, fol. 158v–159r, 1564 Nov. 7. TLA, AfD 1564, fol. 233r–234r, 1564 Dez. 13.
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3. Der rechtshistorische Gesetzesbegriff
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Im Folgenden soll ausschließlich das Reskripte kennzeichnende Urkundenformular dargestellt werden, wobei die Unterschiede zum „Entbieten“-Typus insbesondere nach Einführung des Druckes 1523/1524 klar greifbar sind und durch eine erheblich bescheidenere äußere Gestaltung (hinsichtlich Format, Schriftgröße und der Verwendung von Auszeichnungsschriften) sogleich ins Auge fallen. Dies hängt mit der unterschiedlichen Publikationsart zusammen. Gesetzesurkunden des „Entbieten“-Typus wurden auch durch Anschlag kundgemacht, bei den in Reskripten übermittelten Gesetzesbefehlen begnügte man sich mit deren mündlicher Publikation an die Normadressaten. Der bewusste Einsatz äußerer Formen sollte im Fall des „Entbieten“-Typus die landesfürstliche Regelungshoheit visualisieren und machte auf diese Weise Herrschaft an der Peripherie erfahr- und sichtbar. Angesichts der weitgehenden Illiteralität der ländlichen Bevölkerung in der Frühneuzeit war dieses Sichtbarmachen von Herrschaft durch Anschlag der Hauptzweck der Publikation und erforderte die Verwendung äußerer Formen, die diesen Anspruch signalisierten. Hier ist zunächst das Format zu nennen. Gesetzesurkunden des „Entbieten“Typus können eine Breite von einem Meter und eine Höhe von einem dreiviertel Meter erreichen.595 Die auch als Einblattdruck vervielfältigte, das Gastgewerbe umfassend regelnde Wirtsordnung von 1575 erreichte bei einer Breite von gut einem halben Meter sogar eine Höhe von fast einem Meter596 – was natürlich für die tägliche Handhabung des Gesetzes nicht praktikabel war, weshalb die Wirtsordnung ebenfalls als kleinformatiges, mehrere Blätter umfassendes Libell gedruckt wurde.597 Neben der Größe betonen beim „Entbieten“-Typus die aufwändige Initiale, die regelmäßig vergrößerte Schrift bei der Anführung des Herrschertitels (die sich beim mittleren oder langen Titel über zwei Zeilen erstrecken kann) den respektheischenden Charakter der Gesetzesurkunde, der durch die Beglaubigungsmittel unterstrichen wird. All das fehlt beim Reskript. Das Format übersteigt nur geringfügig das heutige DINA4-Format. Titel (und folglich auch die Auszeichnungsschrift) und OriginalBeglaubigungsmittel fehlen völlig. Die wenig ansprechende Gestaltung verdeutlicht, dass das Reskript selbst nicht zur Publikation durch Anschlag bestimmt ist. Beispiele finden sich u. a. in TLMF, Dip. 1090, Nr. 57, 1596 Okt. 21 (Religionsmandat mit den Maßen 51 x 78 cm); TLMF, FB 6197, Nr. 67, 1586 Mai 19 (Ordnung der Gerichtskosten mit den Maßen 56 x 78 cm); TLA, BT, Bd. 9, fol. 454, 1568 Dez. (ohne nähere Datierung; Mandat zu Beschränkung des Aufwandes bei Gastmählern). 596 TLMF, FB 6197, Nr. 52, 1575 März 1; ähnliche Dimensionen erreichte ein „Lastermandat“ aus dem Jahr 1566, vgl. TLA, CD 1566, fol. 358, 1566 April 29 und TLMF, FB 6197, Nr. 40, oder eine Höchstpreisverordnung 1625 (TLMF, FB 6198, Nr. 33 und TLA, BT, Bd. 19, fol. 32 und 33, 1625 Febr. 15). 597 TLA, BT, Bd. 10, fol. 566, 1575 März 1; vergleichbar war die Vorgehensweise zum Beispiel bei der Forstordnung von 1663, die ebenfalls als großformatiger Einblattdruck und als handliches Libell hergestellt wurde, vgl. TLMF, Dip. 1090, Nr. 227 und TLA, BT, Bd. 24, fol. 251 ½, 1663 April 20. 595
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II. Das Gesetz: Definitionen
Wenden wir uns dem Urkundenformular im Einzelnen zu. Das Protokoll beschränkt sich auf eine nicht obligatorische Salutatio, die den Empfänger des Reskripts anspricht: Getrewer lieber o. Ä. Während der „Entbieten“-Typus summarisch an alle Amtsträger adressiert ist, wendet sich das Reskript somit an den einzelnen (wenngleich namentlich nicht genannten) Adressaten. Und während der „Entbieten“-Typus stets eine Salutatio aufweist, kann diese beim Reskript entfallen. Da insbesondere der frühneuzeitliche Kanzleistil je nach hierarchischer Stellung des Empfängers eine streng darauf abgestellte Anrede erforderte598 – statt getrewer lieber beispielsweise getrewer edler –, war die Weglassung der Anrede eine durchaus nahe liegende Option. Bei gedruckten Reskripten setzt der Text in der ersten Zeile stets erst im letzten Drittel ein. In die somit frei bleibende Leerstelle kann die Anredeformel händisch eingetragen werden – was sich die Kanzleibediensteten meistens ersparten. Das Reskript setzt in diesem Fall mit der Narratio ein. Der Kontext der Urkunden entspricht hinsichtlich Gliederung und Formular dem des „Entbieten“-Typus: Auf die Narratio folgt die Dispositio, die mit einer allenfalls vorhandenen Sanctio abschließt. Das Eschatokoll setzt erwartungsgemäß mit der Anführung des Ausstellungsortes und -datums ein. Bei den Beglaubigungsmitteln zeigt sich wiederum das bescheidenere Auftreten des Reskripts. Man findet ausschließlich einen gedruckten Hinweis auf den Aussteller (der hier erstmals namentlich genannt wird). Als Aussteller tritt jedoch nicht der Landesfürst selbst auf, sondern seine Regierungsräte: Stathalter / Regenten und Räte / der Oberösterreichischen Lande. Unterschriften fehlen vollständig. Das Reskript benötigt keine Besiegelung. Siegel ist keines vorhanden und wird auch nicht durch das Kürzel „L. S.“ angedeutet. Die betont prosaische Gestaltung des Reskriptdrucks führt Ende der fünfziger Jahre des 16. Jahrhunderts zur Einführung einer Kontaminationsform zwischen dem simplen Reskript und dem „Entbieten“-Typus. Der Anlass für diese in der ober österreichischen Ländergruppe erstmals 1558599 auszumachende Neuerung bleibt freilich im Dunkeln. Auch bei dieser äußerlich etwas ansprechender und ansatzweise prunkvoller gestalteten Urkunde handelt es sich weiterhin um ein Reskript, das nur einzelne Elemente der „Entbieten“-Urkunde übernimmt und für die äußere Gestaltung des Reskripts heranzieht. Konkret werden der Herrschertitel sowie die Unterschriften und der commissio-Vermerk übernommen. Der kurze Herrschertitel wird dem Reskript vorangestellt und, etwas abgesetzt vom Textblock, (zunächst) zweizeilig zentriert, wobei die Initiale durch drucktechnische Verzierung betont wird. Im Eschatokoll wird ein Beglaubigungsmittel neu eingeführt. Fortan können auch Reskripte durch originale Unterschriften beglaubigt werden, wobei jedoch nie Vgl. Steinhausen, Geschichte, 2. Teil, 1891, S. 55; allgemein Nickisch, Stilprinzipien, 1969. Vgl. TLA, CD 1558, fol. 160, 1558 März 10; ferner z. B. TLA, CD 1559, fol. 226, 1559 Febr. 18; ebd., fol. 263, 1559 Nov. 24; TLA, CD 1563, fol. 35, 1563 Febr. 21.
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3. Der rechtshistorische Gesetzesbegriff
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der Name des Landesfürsten (weder als Originalunterschrift noch als Unterschriftenstempel) verwendet wird. Vielmehr unterschreibt der Regierungspräsident, die Gegenzeichnung nimmt der Kanzler vor (beides jeweils im Original). Einen Fertigungsvermerk gibt es nicht, jedoch einen commissio-Vermerk. Diese Kontaminationsform erfuhr in den folgenden Jahrzehnten noch eine weitere Ausgestaltung. Insbesondere wurde der Titel erweitert und unter Maximilian III. und Leopold V. vierzeilig, unter Erzherzogin Claudia gar fünfzeilig angeordnet.600 Diese erwähnte Kontaminationsform löste jedoch nicht das simple, formlose Reskript ab, das parallel dazu weiter in Verwendung blieb.601 Dass die entsprechende Beachtung und Analyse der äußeren Form der Gesetzesurkunden durchaus keine sich selbst genügenden Spielereien sind, vermögen zwei abschließende Hinweise zu illustrieren: Erstens wird an anderer Stelle zu belegen sein, dass sich die Regierung nachweislich über die für eine gesetzliche Norm adäquateste äußere Form Gedanken machte und der Unterscheidung zwischen Reskript und „Entbieten“-Typus somit sehr wohl Bedeutung schenkte. Damit sind wir bereits beim entscheidenden Stichwort angekommen: „Bedeutung“. Die Wahl der äußeren Form, ob einfaches Reskript oder feierliche „Entbieten“-Urkunde, erweist sich als ein wesentliches, dem Aussteller, den Verwaltungsorganen an der Peripherie und den Normadressaten gleichermaßen vertrautes Indiz (unter mehreren anderen), um einem bestimmten Gesetzgebungsakt eine bestimmte Bedeutung zuzuschreiben.602 Zweitens ist aus einer diachronen Perspektive bei Analyse des Häufigkeitsverhältnisses zwischen (gedrucktem) Reskript und (gedrucktem) „Entbieten“-Typus festzustellen, dass der quantitative Zuwachs der legislativen Akte primär auf das Konto des Reskripts geht. Die Zahl jener Einzelgesetzgebungsakte, die in Form einer feierlichen „Entbieten“-Urkunde vervielfältigt und durch Anschlag kundgemacht wurden, blieb demnach überschaubar und bewegte sich in einem Jahrzehnt (!) durchgehend zwischen zehn und zwanzig Stück. Der Anschlag eines bewusst feierlich gestalteten Gesetzes war somit für die Untertanen schon aufgrund der tendenziellen Seltenheit eines solchen Ereignisses durchaus keine Alltäglichkeit. Vielmehr rief er eine entsprechende Aufmerksamkeit hervor. Und darauf legte der Gesetzgeber offensichtlich wert, wie die überraschende Konstanz der Zahl der gedruckten „Entbieten“-Urkunden belegt. Der Zuwachs legislativer Akte wirkte sich auf Seiten der Reskripte aus, die quantitativ massiv zunahmen. Zum Vergleich: Für die vierziger Jahre des 16. Jahrhunderts scheint nur ein Gesetz in Reskriptform auf (bei 17 feierlichen „Entbieten“-Urkunden), während in den zwanziger Jahren des Vgl. z. B. TLA, Dip. 1090, Nr. 100, 1613 Juni 17 oder TLA, CD 1618, fol. 256, 1618 Mai 21; TLA, BT, Bd. 19, fol. 39, 1625 Juli 5; TLA, BT, Bd. 20, fol. 518, 1635 April 7; TLA, BT, Bd. 21, fol. 304, 1640 März 23. 601 Vgl. z. B. TLA, BT, Bd. 8, fol. 772, 1564 Juli 1; TLA, CD 1564, fol. 178, 1564 Aug. 31; TLA, CD 1571, fol. 506, 1571 Juni 27. 602 Vgl. hierzu Kap. VI.4. über Normintensität. 600
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II. Das Gesetz: Definitionen
17. Jahrhunderts auf zehn Gesetze in ansprechender „Entbieten“-Form immerhin dreieinhalb Mal so viele Reskripte kamen. Die konkreten Zahlenverhältnisse sind freilich nur bedingt aussagekräftig. Nicht berücksichtigt wurden dabei die auch nach der Einführung des Druckes als Vervielfältigungstechnik weiterhin nur handschriftlich verbreiteten Gesetzestexte, die regelmäßig nur kopial in den Beständen der Regierung überliefert sind und durch Weglassung der Standardformulare keinen Rückschluss auf den gewählten Urkundentypus zulassen. Dasselbe gilt für Gesetzestexte, die zwar nur handschriftlich erhalten sind, jedoch nachweislich gedruckt wurden. Diese Unsicherheitsfaktoren beeinträchtigen den Wert prozentueller und numerischer Angaben. Tendenzen bleiben dessen ungeachtet greifbar.
3. 3. 4. Das Privileg So schwer die inhaltliche Definition des Privilegienbegriffs sein mag,603 so eindeutig fällt die Beschreibung des für Privilegien typischen Urkundenformulars aus, das während des Untersuchungszeitraumes in Verwendung stand.604 Auch hier gilt es wieder hervorzuheben, dass mit dem im Folgenden verwendeten Privilegienbegriff nur das entsprechende Urkundenformular thematisiert wird, womit jedoch noch nichts über den Inhalt ausgesagt wird. Das Verhältnis zwischen dem formellen (auf das Urkundenformular abstellenden) und dem materiellen (auf die inhaltliche Qualität abzielenden) Privilegienbegriff kann dabei folgendermaßen ausge drückt werden: Ein Privileg im materiellen Sinn bediente sich grundsätzlich des charakteristischen Urkundenformulars; umgekehrt muss die Verwendung des einschlägigen Formulars nicht bedeuten, dass es sich dabei um eine den Empfänger begünstigende Verfügung handelt. Wichtig in unserem Zusammenhang ist das Faktum, dass sich der Gesetzgeber zur Erlassung autoritativer, generell-abstrakter Regelungen der für Privilegien charakteristischen äußeren Form bedienen konnte. Wenn im Anschluss an Ebel fallweise behauptet wird, dass Privilegien „Tarnformen“ für Gesetze seien, ist dies irreführend, wobei dieses Missverständnis auf die nicht hinreichende Differenzierung von formellem und materiellem Privilegienbegriff zurückzuführen ist. Das Gesetz im materiellen Sinn kann in unterschiedliche Urkundenformulare gegossen werden. Der Gesetzgeber kann sich in den oberösterreichischen Ländern des „Ent bieten“-Typus, der Reskript- oder eben der Privilegienform bedienen, wobei jeder dieser Entscheidungen für eine bestimmte Form rekonstruierbare Motive zugrunde Vgl. nur Mohnhaupt/Dölemayer, Privileg im europäischen Vergleich, 2 Bde, 1997/1999; Lieb, Privileg und Verwaltungsakt, 2004. 604 Zum Urkundenformular bei Privilegien zusammenfassend Mohnhaupt, Art. „Privileg“, 2009, Sp. 394–395. 603
3. Der rechtshistorische Gesetzesbegriff
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lagen. So lässt sich sehr eindeutig umschreiben, in welchen Fällen der frühneuzeitliche Gesetzgeber der Verwendung des Privilegs den Vorzug gab, worauf an späterer Stelle noch einzugehen sein wird. Der Aufbau der Privilegienurkunde folgt in Grundzügen dem allgemeinen Urkundenaufbau und bleibt vom 14. Jahrhundert bis zum Ende des Untersuchungszeitraums nahezu unverändert. Nach der Nennung des Ausstellers im Rahmen der Intitulatio – die beim Landesherren ebenfalls den kurzen, mittleren oder langen Titel anführen konnte – folgt mit dem Signalwirkung besitzenden Verb „bekennen (und tun kund), dass“ der Übergang zum Kontext der Urkunde. Es folgt die Narratio, die regelmäßig auf die der Privilegienausstellung zugrunde liegenden Supplikationen oder Beschwerden der von der urkundlichen Verfügung Begünstigten Bezug nimmt oder allgemein die Motive für die Ausstellung des Privilegs darlegt. Die Dispositio enthält, wenn es sich um eine in Privilegienform erlassene generell-abstrakte Regelung handelt, die eigentliche Rechtsnorm. Die Außenwirkung der Norm wird durch die anschließende (keineswegs immer enthaltene) Pönformel sichergestellt. Diese trägt den Obrigkeiten auf, die Begünstigten bei der getroffenen Regelung zu belassen und in ihren Rechten zu schirmen. Greifen wir ein frühes Beispiel zur Verdeutlichtung des hier Ausgeführten heraus: 1385 beschwerten sich die auf eigenes unternehmerisches Risiko für die Holzversorgung der Haller Saline zuständigen Holzmeister605 bei Leopold III. über die Erschwerung ihrer Tätigkeit durch eine Reihe von Missständen, denen der Landesfürst durch die Ausstellung einer Privilegienurkunde gegensteuerte. Darin wurden einige Punkte des Rechtsverhältnisses zwischen Holzmeistern und den von ihnen beschäftigten Holzknechten geregelt, die Nutzung von fremdem Grund und Boden für den Holztransport thematisiert sowie das Verbot der Entnahme von Triftholz und der Brandrodung statuiert.606 Diese Urkunde wurde für die Holzmeister in Privilegienform ausgestellt, denen durch die zweifellos als außenwirksam anzusprechenden Regelungen die Ausübung ihrer unternehmerischen Tätigkeit erleichtert werden sollte. Eine entsprechende Klausel sollte gewährleisten, dass sich die landesfürstlichen Amtleute die Durchsetzung der im Privileg festgehaltenen Normen angelegen sein ließen: Darumb empfelhen wir unseren lieben getrewen allen haubtlewtten, pflegern, richteren und allen unseren ambtleutten und unttertanen etc., den dyser brieff gezaigt wirt, und wellen ernstlich bey unßern hulden und gnaden, das sy die benanten unßer holczmayster bey den vorgenanten stucken vestigkleich halten und schermen. Eine ganz ähnliche Bestimmung findet sich in der häufig als „Landesordnung“ bezeichneten Privilegienurkunde Leopolds IV. für die Tiroler Landstände von Zu den Holzmeistern vgl. Palme, Anfänge der Holzbeschaffung, 1975, S. 142–145. Erwähnung des Privilegs bei Oberrauch, Wald und Waidwerk, 1952, S. 42; enthalten in TLA, Hs. 3177, fol. 132r–133c, 1385 April 13.
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II. Das Gesetz: Definitionen
1404, die neben der Regelung des Verhältnisses von Grundherr und Grundholde eine Reihe von policeyrechtlichen Bestimmungen enthielt. Am Ende der Dispositio werden auch hier der Landeshauptmann und die Amtleute angewiesen, sie sollten die Stände „bey den egen[anten] unsern gnaden und freyhaiten halten und schirmen und nicht gestatten, yemand ze tun dawider bey unsern hulden und gnaden und bey den penen, die vorgeschriben steent ungeverlich.“607 Daraus resultiert ein wesentlicher Unterschied zu den Gesetzen, die mittels Reskripts oder „Entbieten“-Urkunde erlassen werden: In den zuletzt genannten Fällen stellte die landesfürstliche Kanzlei respektive die Regierung den mit der Vollziehung beauftragten landesherrlichen Funktionsträgern ein Exemplar des Gesetzes zu, das sich unmittelbar an die zuständigen Obrigkeiten wandte und das in weiterer Folge von diesen von Amts wegen kundzumachen und zu implementieren war. Von der Zustellung an die Empfänger über die Publikation bis hin zur Rechtsdurchsetzung vor Ort waren landesfürstliche Ressourcen in Anspruch genommen, die zur Realisierung des gesetzlichen Regelungsziels investiert wurden. Ganz anders präsentiert sich der Ablauf, wenn sich der Gesetzgeber zur Norm erlassung in Privilegienform entschloss, die eine zumindest partielle Überwälzung der mit einem Gesetz verbundenen finanziellen Auswirkungen auf den Empfänger ermöglichte. Dies beginnt schon mit der Urkundenausstellung, für die der Empfänger eines Privilegs regelmäßig Kanzleitaxen zu begleichen hat, die ihm nur gnadenhalber erlassen werden konnten. Nicht die Kanzlei hat für die anschließende Verbreitung und Kundmachung des Gesetzesbefehls vor Ort Sorge zu tragen, sondern der Empfänger.608 Dieser konnte freilich, wenn er das ihm gewährte Sonderrecht gefährdet sah, die Hilfe und Autorität der lokalen Obrigkeiten in Anspruch nehmen, die ihm laut Pönformel zur Assistenzleistung verpflichtet waren. Für einen Richter und Pfleger machte es in der Vollzugspraxis aber höchstwahrscheinlich einen Unterschied, ob ihm die Befolgung und Implementation einer Rechtsnorm unmittelbar vom Landesfürsten befohlen wurde oder ob er von einem Dritten um Schutz und Schirm seiner Rechte ersucht wurde. Die aufgewandte Mühe dürfte entsprechend variiert haben. Auf jeden Fall war es für den Begünstigten bei weitem kostspieliger und aufwändiger, die Kundmachung und Durchsetzung des ihm in Form einer außenwirksamen Norm verliehenen Rechts großteils selbst vornehmen und überwachen zu müssen. Festgestellte Verstöße konnten dann den zuständigen Obrigkeiten gemeldet werden, die mit mehr oder weniger Elan für deren Abstellung sorgten. Bleiben wir bei den bereits erwähnten Holzmeistern, um diesen Mehraufwand für die privilegierte Person oder Personengruppe – die mit einer entsprechenden Schonung landesfürstlicher Ressourcen einherging – zu illustrieren: Eine Be Hier zit. nach der jüngsten Edition bei Schober, Urkunden, S. 11–15, Zitat S. 15; weitere Editionen bei Wopfner, Geschichte der freien bäuerlichen Erbleihe, 1903, S. 203–209; Brandis, Geschichte der Landeshauptleute, 1847/1850, S. 143–147. 608 Vgl. Mohnhaupt, Art. „Privileg“, 2009, Sp. 396–397. 607
3. Der rechtshistorische Gesetzesbegriff
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schwerde aus der Mitte des 15. Jahrhunderts führt anschaulich die Differenzen zwischen den Amtleuten der Saline Hall und den unternehmerisch tätigen Holzmeistern vor Augen, die sich ungeachtet der schon erwähnten Privilegien nicht hinreichend unterstützt sahen. Die Bauern würden weiterhin Triftholz entnehmen und Waldflächen roden. Alle Vorstellungen der Holzmeister bei den Salinenamtsleuten seien vergeblich gewesen. Sie hätten „die amptleut oft angerueft das ze wennten das noch bisher nicht beschehen ist“609. Die Salinenbeamten wehrten sich entschieden gegen die Vorwürfe, wiesen darauf hin, dass sie sogar die Kundmachung der Freiheitsbriefe der Holzmeister im Rahmen von Holzbereitungen vorgenommen und auf jede ihnen vorgebrachte Beschwerde seitens der Holzmeister entsprechend reagiert hätten.610 Bei der Visitation der Holzbestände „beruefen und verkünden si in allen tellern und gerichten solichs [das Verbot der Triftholzentnahme u. a.] ze vermeidn nach laut der holczmaister brief und freyheit [...]“. Die Holzmeister hätten nämlich „gut freybrief von unsern genädigen herren auf phleger und richter, die alle straf und pen ausweisen, das si den nachkomen wann si dann für den salczmair und amptleut komen und mit namen die fürbringen, so wöllen si darzu tun, alles das si billeich tun sullen.“ Ob die Kanzlei eine Regelung in Form eines Privilegs oder einer „Entbieten“-Urkunde respektive eines Reskripts erließ, stellte somit einen erheblichen Unterschied dar. Den Holzmeistern wurden zwar mit dem Ziel einer gesicherten Holzversorgung der Saline exklusive Nutzungsrechte an bestimmten Wäldern verliehen und alternative Nutzungen (z. B. durch die Landbevölkerung) untersagt. Wie intensiv die Holzmeister in der Folge die Exklusion konkurrierender Nutzungen betrieben, blieb ihnen überlassen. Sie hatten Verstöße zu melden und deren Sanktionierung zu veranlassen und konnten nicht darauf beharren, dass die Amtleute und Obrigkeiten dieser Aufgabe von Amts wegen nachkamen. Entsprechende Konstruktionen lassen sich häufig finden. Das Beispiel des Kufsteiner Bürgermeisters, der auf dem Ehafttaiding des Landgerichts für die Publikation der einschlägigen städtischen Privilegien sorgen musste, wurde bereits erwähnt. Wenn 1304 den Sterzinger Bürgern das Beherbergungsprivileg für die Transitroute vom Brennerpass bis zum Jaufenpass gewährt und benachbarten Orten wie Gossensass ausdrücklich die Unterbringung von Händlern untersagt wurde, hatte sich die Stadt Sterzing selbst die Durchsetzung angelegen sein zu lassen und bei vermeintlichen Verstößen den Landrichter um sein Eingreifen zu ersuchen.611 Die Metzger von Bozen und Gries, denen 1480 in Privilegienform versichert wurde, Vgl. die Edition bei Chmel, Materialien, Bd. 2, 1839 (Nachdruck 1971), S. 174–179, Zitat S. 175. 610 Folgende Zitate nach Chmel, Materialien, Bd. 2, 1839 (Nachdruck 1971), S. 175 (u/v hier dem Lautwert entsprechend angepasst). 611 Zur Bedeutung Sterzings als Transitstadt und zu dem Privileg von 1304 vgl. Brandstätter, Sterzing, 2004, S. 56; Hye, Städte Tirols, 2. Teil, 2001, S. 324 und 327–328; Huter, Werden und Wesen, 1965, S. 73. 609
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II. Das Gesetz: Definitionen
dass keine Auswärtigen dieses Handwerk ausüben sollten, konnten ebenso nicht erwarten, dass der Stadt- und Landrichter von Bozen dieses Berufsausübungsverbot für fremde Metzger von Amts wegen durchsetzte.612 Man wog also seitens des Landesfürsten sehr genau den Nutzen ab, der aus einer generell-abstrakten Norm – und mochte diese wie in den beiden zuletzt angeführten Fällen auch nur einen räumlich beschränkten Geltungsbereich haben – der beg ünstigten Person oder Personenmehrheit, dem Gesetzgeber selbst oder der Allgemeinheit erwachsen mochte. In aller Deutlichkeit formulierte dies das Regiment 1497 gegenüber Maximilian I. mit Blick auf die der Tiroler Steinmetz- und Maurerzunft erteilte Bewilligung, dass keine ausländischen Maurer ihrer Tätigkeit in Tirol nachgehen sollten.613 Dies sei nach Ansicht der Räte eine protektionistische und die Löhne in die Höhe treibende Bestimmung wider den gmainen nucz, da hierdurch die früher verfügbaren billigeren italienischen Maurer vom Tiroler Arbeitsmarkt ferngehalten würden. Man solle die entsprechenden Privilegien daher nicht konfirmieren, sondern widerruefen und abthun.614 Die lokalen Obrigkeiten zusätzlich noch mittels Reskript oder „Entbieten“-Urkunde mit der amtswegigen Durchsetzung einer primär im Interesse der Begünstigten liegenden Bestimmung zu beauftragen, wäre wohl bereits früher als kontraproduktiv angesehen worden. Nur ein einziges Mal wurde während des gesamten Untersuchungszeitraumes von diesem Grundsatz abgegangen und den Richtern 1600 und nochmals 1610 in Reskriptform aufgetragen, gegen ausländische Kessler, Kupferschmiede und Glockengießer vorzugehen – aber auch in diesem Fall mit der sehr bezeichnenden und aussagekräftigen Einschränkung, dass eine Verfolgung nur auf Anklage und Begehren der Privilegierten erfolgen solle und die Kosten für eine allfällige Verhaftung des Missetäters von der Kesslerzunft zu begleichen seien.615 In Anbetracht des massiven Unterschieds zwischen einer generell-abstrakten Regelung in Privilegienform einerseits und in Form eines Reskripts oder einer „Entbieten“-Urkunde andererseits überrascht es nicht, wenn die Landschaft 1453 auf Ausstellung eines Gesetzes in „Entbieten“-Form drängte, um die Implementation einer Reihe von Normen zu erleichtern, die 1451 „nur“ in die Privilegienkonfirmation der Stände aufgenommen worden war.616 Natürlich ist die Gesamtlage komplexer als zuvor dargestellt. Gerade wenn einer Korporation bestimmte (Sonder-)Rechte verliehen wurden, die in der Folge im Wege der Selbstverwaltung ausgeübt oder angewendet werden konnten, empfahl sich die Verwendung der Privilegienform nicht primär aus dem eingehend erläuterten Motiv der Abwälzung von Implementationsaufgaben und der damit verbunde Vgl. TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 2, Lit. A, fol. 225, 1480 Juni 21. Keine Erwähnung des Mandats bei Moser, Steinmetz- und Maurerzunft, 1973. 614 TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 20, Lit. T, S. 346, 1497 (keine nähere Datierung). 615 TLA, BT, Bd. 13, fol. 324r–325r, 1600 Mai 18; BT, Bd. 16, fol. 197v–198v, 1610 Juni 5. 616 Vgl. Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 118; vgl. Steinegger, Münz- und Wirtschaftsordnung, 1994, hier S. 51. 612 613
3. Der rechtshistorische Gesetzesbegriff
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nen Ressourcenschonung. Hier kam inhaltlich eine „Entbieten“-Urkunde oder ein Reskript sinnvollerweise kaum in Frage, denn wer (welcher landesfürstliche Amtsträger) hätte hier als geeigneter Adressat aufscheinen sollen? Dies erklärt, warum die vorgenannten Ausführungen beispielsweise nicht oder zumindest nicht im vollen Umfang für mittelalterliche Stadtrechtsprivilegien zum Tragen kommen. Überhaupt ist festzuhalten, dass Regelungen, die nur einen eingeschränkten, jedoch durch Gattungsmerkmale konstituierten Adressatenkreis hatten und ein von der allgemeinen Rechtslage abweichendes Sonderrecht schufen, während des gesamten Untersuchungszeitraums in Privilegienform erlassen werden konnten. Verwiesen sei an dieser Stelle auf die Innsbrucker „Mannszuchtordnung“, die zur Aufrechterhaltung der nächtlichen Ruhe und Ordnung in der Residenzstadt drei unterschiedlichen Personenkreisen Verhaltenspflichten auferlegte, die jeweils dem Zugriff unterschiedlicher Obrigkeiten unterlagen. Für die Bürger- und Inwohnerschaft Innsbrucks war der Stadtrichter zuständig, das Vorgehen gegen die Bediensteten der Zentralbehörden fiel in die Kompetenz des Untermarschalls und jenes gegen die Angehörigen des Hofes in die des Hofprofosen. 1568 erstmals als Ordnung und manszucht, wie es bey nechtlicher weil zu Insprugg sol gehalten werden, erlassen,617 wurde die „Mannszuchtordnung“ bis zu ihrer Drucklegung 1636618 durchgehend in Privilegienform ausgefertigt – obwohl der entsprechende Regelungskomplex von einem Privileg im materiellen Sinn weit entfernt war. Ferner schaffen viele der in Privilegien enthaltenen normativen Ordnungen nicht oder nur beschränkt neues Recht, sondern bestätigen vielmehr die geltende Rechtslage und stellen diese für die Zukunft außer Streit. Dies geschieht häufig aufgrund eines entsprechenden Begehrens des Destinatärs der Privilegienurkunde. Große Anstalten zur Implementation der nunmehr autoritativ festgestellten Rechtslage mussten obrigkeitlicherseits hingegen nicht getroffen werden, weshalb sich das Privileg als legislative Handlungsform anbot. Betrachten wir nur die von Leopold IV. erlassene Ordnung aus dem Jahr 1404. Deren Kernstück, die Regelung des Rechtsverhältnisses zwischen Grundholde und Grundherr, schuf nach einhelli ger Ansicht kein neues Recht; auch andere Bestimmungen wie das Einfuhrverbot für ausländische Weine oder das Fürkauf- und Exportverbot von Getreide knüpfen an die bestehende Rechtslage an, ganz zu schweigen von den Beschränkungen beim Viehhandel, wo nur summarisch auf das „alte Herkommen“ verwiesen wird. Zwar wird die Urkunde 1486 von Erzherzog Siegmund konfirmiert, doch abgesehen von einem Vidimus aus demselben Jahr im Archiv des Marktes Imst619 findet sich außerhalb landständischer Privilegiensammlungen keine einzige nachweisbare (geschweige denn zeitgenössische) Abschrift – was bei einem Regelungskomplex, dem TLA, Hofrat, Kopialbuch Ausgegangene Schriften in Regimentssachen, Bd. 4, fol. 1v–4v, 1568 Jan. 2. 618 TLA, BT, Bd. 20, fol. 655, 1636 Okt. 11. 619 Vgl. Hölzl, Stadtarchiv und Museumsarchiv Imst, 1992, Nr. S13. 617
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II. Das Gesetz: Definitionen
von der Forschung una voce herausragende Bedeutung zugemessen wird, ein doch überraschender Befund sein mag. Auch sind bisher keine Nachweise über eine Be zugnahme auf die entsprechende Ordnung aus der Rechtspraxis bekannt geworden. Zumindest das kann man von dem 1406 von den Herzögen Friedrich IV. und Leopold IV. ausgestellten Freiheitsbrief nicht sagen. Er stellte – genauer gesagt die Bestimmung, wonach niemand ohne Gerichtsverfahren seiner Rechte entsetzt werden sollte – im Streit zwischen Friedrich IV. und führenden Tiroler Adelsgeschlechtern einen zentralen Bezugspunkt dar. Dies erklärt, warum das Privileg auf Drängen der Stände 1415 von Herzog Ernst erneuert und 1418 eigens vidimiert wurde.620 Und es ist kein Zufall, dass ein zeitgenössisches Transsumpt der Urkunde ausgerechnet im Auftrag Wilhelms von Starkenberg (und damit eines erbitterten Widersachers des Herzogs) angefertigt wurde.621 Der Freiheitsbrief ist in der Tat maßgeblich im Kontext der Auseinandersetzung zwischen dem Tiroler Adel und Friedrich IV. zu betrachten, wobei der Adel um Absicherung seiner Rechtsstellung bemüht war und die Jurisdiktionskompetenz des Herzogs in Streitigkeiten mit dem Adel beschränken wollte.622 Festzuhalten bleibt für die hier im Brennpunkt stehende Fragestellung, dass sowohl 1404 als auch 1406 die Wahl der Privilegienform alles andere als die „Tarnform“ eines Gesetzes, sondern wohlüberlegt war. Deplaziert und überraschend wäre in Anbetracht des Entstehungszusammenhangs wohl eher, wenn die Ordnungen mittels „Entbieten“-Urkunden erlassen worden wären. Außerdem muss man diachrone Entwicklungslinien im Auge haben, wenn man die Verwendung der Privilegienform für die Erlassung von Gesetzgebungsakten analysiert. Zwischen der Mitte des 14. und der Mitte des 15. Jahrhunderts dominiert der Privilegientypus mit 57 Prozent der (quantitativ überschaubaren) Gesamtheit aller legislativen Akte klar gegenüber dem „Entbieten“-Typus mit 43 Prozent (die simple Reskriptform als Möglichkeit der Gesetzeserlassung an der Peripherie, vereinzelt unter Maximilian I. belegt, setzt sich vollends erst ab der Einführung des Drucks für die Gesetzesvervielfältigung 1523/24 durch). Nach der Mitte des 15. Jahrhunderts und somit parallel zur nunmehr massiv intensivierten gesetzgeberischen Tätigkeit wird das Privileg als Form der Gesetzeserlassung binnen kurzem marginalisiert und bleibt nur für sehr wenige Rechtsbereiche eine als adäquat betrachtete Rechtssetzungsform. Von der Bedeutung der Materie her sind hier sicherlich die Bergordnungen, die sich bis in das 16. Jahrhundert weiterhin der Privilegienform des „Bekennen“-Typus bedienen, besonders hervorzuheben. Auch bei umfangreicheren Ordnungen bleibt es bei der „Bekennen“-Form: Im Fall der Ordnung von 1474 mag man dies noch aus dem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Tage zuvor zu Ende gegangenen Landtag und den dort geäußerten ständi Hierzu nunmehr eingehend Hageneder, Politik und Verfahrensgerechtigkeit, 1999, bes. S. 20–21. TLA, UR I/8380. 622 Vgl. Kranich-Hofbauer, Starkenbergischer Rotulus, 1994, bes. S. 60 und 65. 620 621
3. Der rechtshistorische Gesetzesbegriff
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schen Gravamina erklären.623 Doch auch die 1500 und 1506 gedruckte Halsgerichtsordnung von 1499 bediente sich der „Bekennen“-Form.624 Zeitgleich mit der personellen Expansion, Professionalisierung und Differenzierung der landesfürstlichen Kanzlei in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts und dem Aufschwung der Gesetzgebung schwindet somit die Bedeutung der Privilegienform als Möglichkeit der autoritativen Erlassung generell-abstrakter Normen. Während eine Norm, die auf die Unterbindung des preistreibenden Auf- und Weiterverkaufs von Getreide im Vinschgau abzielte, 1416 noch in die Form eines Privilegs gegossen wurde,625 wäre eine solche legislative Vorgehensweise ein Jahrhundert später nicht mehr zu erwarten. Nun hätte sich das Regiment mit einer „Entbieten“Urkunde oder einem Reskript an die örtlich zuständigen Obrigkeiten gewandt und diesen die Abstellung der im Beschwerdeweg vor die Zentralbehörde gelangten Missstände aufgetragen. Die Heranziehung der Stadt Meran und der städtischen Organe, um Pflegern und Richtern vor Ort die so genannten „Fürkäufer“ anzuzeigen, wäre nur mehr im Rahmen der allgemeinen Anzeigepflicht von Normübertretungen, die jeden Untertanen traf, gegeben gewesen. Umgekehrt hätte ein Jahrhundert später auch kein Anlass mehr bestanden, die Stadt Meran als Ausgleich für die Wahrnehmung gewisser Überwachungs- und Verteilungsfunktionen mit einem Vorkaufsrecht für die gesamte Vinschgauer Getreideproduktion zu bedenken. Festzuhalten bleibt somit, dass der Wechsel des dominierenden Urkundenformulars – bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts die Privilegienform, danach der „Entbieten“-Typus – keineswegs eine äußerliche Nebensächlichkeit, sondern sowohl eine Voraussetzung als auch eine Folge (und für den Rechtshistoriker zudem ein gewichtiges Indiz) für die zunehmende herrschaftliche Durchdringung des Raums und der Peripherie ist.
Dies wird auch deutlich durch ein zeitgenössisches Kurzregest: der lanndschafft beschwerung, darauf mein gnediger herr sy gefreyt hat (Exemplar in TLA, Landschaftliche Landtagsakten, Fasz. 1, Nr. 4b). 624 Schmidt, Halsgerichtsordnung, 1949, S. 95. 625 StAM, Urkunde A/I/142, 1416 Sept. 12; eine Edition findet sich im Anhang. 623
III. Die Ent wicklung der Gesetzgebung 1. Zur Entstehung der landesfürstlichen Gesetzgebung Die vorstehenden Ausführungen über die zunehmende Marginalisierung der Privilegienform ab der Mitte des 15. Jahrhunderts führen mitten in die Diskussion der Entstehung der landesfürstlichen Gesetzgebung. Ein Blick auf deren quantitative Entwicklung belegt, wie stark, geradezu sprunghaft diese in der Regierungszeit (Erz-)Herzog Siegmunds zunimmt, wohingegen die Gesamtheit der Rechtssetzungsakte im Jahrhundert zuvor quantitativ noch sehr überschaubar ist. Letzteres hat weniger mit der nur vermeintlichen „Tarnung“ generell-abstrakter Normen in Privilegienform als vielmehr mit der Überlieferungsproblematik zu tun. Solange keine Registerführung der landesfürstlichen Kanzlei existiert oder aber eine solche nur fragmentarisch erhalten ist, bleibt der Rechtshistoriker vor allem auf die sehr verstreut (wenn überhaupt) auf uns gekommene Empfängerüberlieferung angewiesen. Aber selbst wenn man aus diesem Grund gewisse Lücken einkalkuliert, wird sich am grundsätzlichen Befund eines massiven Anstiegs der Gesetzgebungsakte unter Siegmund und besonders ab den siebziger Jahren des 15. Jahrhunderts wohl nichts Entscheidendes mehr ändern, zumal dies auch mit der Entwicklung in anderen spätmittelalterlichen Territorien übereinstimmt. Die nunmehr rasant ansteigende Zahl von Gesetzen bediente sich Formen, die ungeachtet ihrer vielfältigen zeitgenössischen Bezeichnungen vom Standpunkt der Urkundenlehre alles andere als innovativ waren. Bereits im vorangegangenen Kapitel wurde ja dargelegt, dass der „Entbieten“-Typus, auf dessen Konto der überwiegende Teil des Gesetzeszuwachses unter Siegmund und Maximilian I. ging, in Tirol spätestens seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts weit verbreitet war. Gesetze bedienten sich somit im Gefolge ihres verstärkten Auftretens ab den 1450er Jahren einer durchaus traditionalen Form und waren auch inhaltlich keine neue Erscheinung.1 Ab diesem Zeitpunkt traten sie freilich immer öfter an die Stelle von Einzelanweisungen an landesfürstliche Amtsträger, die es natürlich weiterhin gab – und dies ebenfalls im Gewand der „Entbieten“-Urkunde.2 Diese in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzende Entwicklung lässt sich anhand des Tiroler Quellenmaterials exakt dokumentieren. Gerade in jener Frühphase, als die Frequenz von Gesetzen abrupt anstieg, ist der Zusammenhang zwischen Einzelanweisung und Gesetz augenschein ����������������������������������������������������������������������������������� Vgl. zum Folgenden auch Schennach, Gewohnheitsrecht, Einzelgesetzgebung und Landesordnungen, 2008, S. 44–48. 2 Ab 1523 gibt es eine eigene Kopialbuchreihe der oberösterreichischen Regierung mit der schon zeitgenössischen Bezeichnung „Entbieten und Befehl“, die eben nicht Gesetze, sondern Anweisungen an lokale Obrigkeiten enthält und bis in das 18. Jahrhundert weitergeführt wurde. 1
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III. Die Entwicklung der Gesetzgebung
lich, sei es, dass statt eines ursprünglich konzipierten Befehls an einen Richter oder Pfleger dieser bewusst in ein allgemein verbindliches Gesetz mit landesweitem Geltungsbereich umformuliert wurde oder zusätzlich zu einer präzisen Anweisung an einen Vertreter der lokalen Obrigkeiten vor Ort, die auf einen wahrgenommenen oder kolportierten Missstand Bezug nahm, ein Gesetz erlassen wurde.3 Diese Verbindung kann ohne weiteres anhand einiger Beispiele aus dem Bereich der Holzwirtschaft illustriert werden: Ein gegen die Entnahme von Holz aus Amtswäldern gerichtetes Gesetz von 1473 war ursprünglich als Anweisung an den Richter des Gerichts Enn und Kaldiff geplant gewesen.4 Wenige Monate später erging nicht nur der strenge Verweis an den Richter von Hörtenberg, eigenmächtigen Rodungen der Untertanen entgegenzutreten; außerdem wurde einen Tag zuvor ein Gesetz an alle Tiroler Obrigkeiten erlassen, das eben dieses Verbot allgemein einschärfte.5 Eine gegen die Brandrodung gerichtete Vorschrift von 1482 geht auf einschlägige Vorfälle in den Gerichten Landeck, Laudeck und Imst zurück.6 Glaubte man also in der Kanzlei, es nicht mit einem isoliert zu sehenden Missstand, sondern mit einem weit verbreiteten Defizit zu tun zu haben, griff man statt der bzw. kumulativ zur Einzelanweisung zur Gesetzesform. Insofern spiegeln auch die in den Narrationes regelmäßig wortreich beklagten Missstände bzw. Vollzugsdefizite nicht notwendigerweise die Wirklichkeit wider, sondern nur die Wahrnehmung durch die landesherrliche Kanzlei in Innsbruck (ganz abgesehen davon, dass der Verweis auf bestehende Regulierungserfordernisse auch der Legitimation des Rechtssetzungsaktes gegenüber den Normadressaten dienen konnte). Auch aus anderen Rechtsbereichen lassen sich ohne weiteres entsprechende Beispiele aufzählen. Ein bereits erwähntes Mandat gegen Mordbrenner und verdächtige Personen ging auf vermeintliche Mordbrenneranschläge in den Ortschaften Imst und Tarrenz zurück7, eines der Gesetze zur Eindämmung der bäuerlichen Fehdeführung aus 1482 reagierte auf die Umtriebe des Absagers Wölzl Smid von Meran,8 das Verbot bewaffneter Zusammenkünfte aus 1495 ging auf Ausschreitungen in den Gerichten Tramin und Montani zurück, deren Ahndung den dortigen lokalen Obrigkeiten aufgetragen wurde.9 Dieser Konnex zwischen Einzelanweisung und Gesetz ist im Übrigen nicht spezifisch für die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts, sondern ist ebenso im 16. und 17. Jahrhundert wiederholt anzutreffen. 5 6 3 4
7 8
9
Vgl. hierzu auch schon Kap. II.3.2.2. Vgl. TLA, Codex 123, fol. 75r, 1473 Jan. 10. Vgl. TLA, Codex 123, fol. 173v, 1473 Juli 26; ebd., fol. 174r, 1473 Juli 27. Vgl. TLA, Ältere Kopialbuchreihe Nr. 4, Lit. C, fol. 364r, 1482 April 16; ebd., fol. 365, 1482 März 2. TLA, Codex 123, fol. 52r, 1473 März 14. TLA, Ältere Kopialbuchreihe Nr. 4, Lit. C, fol. 400r, 1482 Dez. 3; ebd., fol. 400r–400v, 1482 Dez. 3. TLA, Ältere Kopialbuchreihe Nr. 18, Lit. R, S. 93–94, 1495 Juni 30; ebd., S. 94–95, 1495 Juni 30.
1. Zur Entstehung der landesfürstlichen Gesetzgebung
225
Als Zwischenbefund ist somit festzuhalten, dass sich die Tiroler landesfürstliche Kanzlei ab der Mitte des 15. Jahrhunderts und besonders ab den siebziger Jahren vermehrt der schon verbreiteten Form der„Entbieten“-Urkunde bediente, um normative Regelungen generell-abstrakter Natur mit landesweitem Geltungsbereich zu erlassen. In den vorangegangenen Jahrzehnten hatte man sich in viel höherem Maße der Einzelanweisung an lokale Amtsträger bedient. Selbstverständlich konnten auch auf diese Weise, wie bereits angesprochen, normative Regelungen getroffen werden, doch eben nur mit räumlich beschränktem Geltungsbereich. Diese Option wurde durch das Aufkommen der landeseinheitlichen Gesetzgebung nicht ausgeschlossen, sondern in Reaktion auf lokale Gegebenheiten oder örtliche Rechtsgewohnheiten auch noch später genutzt. Einzelanweisung und die bereits erwähnte Privilegienform waren jedoch nicht die einzige Möglichkeit zur rechtlichen Gestaltung durch den Landesfürsten. Der bis in das 14. Jahrhundert zurück nachweisbare Quellentypus „Instruktion“ wurde bereits angesprochen.10 Eine Instruktion landesfürstlicher Amtsträger umriss deren Pflichten- und Wirkungsbereich, freilich partiell in summarischer Weise. Zur Besorgung ihrer Aufgaben konnten die betreffenden Amtleute die notwendigen Ge- und Verbote erlassen. Auf diese nahm die landesfürstliche Kanzlei nicht unmittelbar Einfluss, sie gab mit der Instruktion nur den mehr oder weniger detaillierten Rahmen vor, die einzelne Regelung verkündete der Amtsträger vor Ort. Hierdurch war zudem eine Berücksichtigung lokaler Verhältnisse und lokaler Rechtsgewohnheiten in höherem Maße möglich. Das Gesagte soll im Folgenden anhand des Tiroler Forstmeisteramtes illustriert werden. Dieses Amt ist seit 1394 sicher belegt, eine erste – noch kurze – Instruktion ist aus dem Jahr 1447 überliefert. Dieser zufolge war der Forstmeister vornehmlich für die Handhabung des landesfürstlichen Forst- und Jagdregals zuständig.11 Sieht man von einem Jagdmandat aus dem Jahr 1414 ab,12 sind auf seinen Wirkungsbereich bezogene landesweite Gesetze erst aus den siebziger Jahren des 15. Jahrhunderts überliefert. Zuvor geschahen Rechtssetzung und Vollzug auf regionaler Ebene: nicht nur durch Anweisungen seitens der landesfürstlichen Kanzlei an ört liche Pfleger oder Richter, sondern auch und vor allem durch Anweisungen an den Forstmeister und die ihm unterstellten Forstknechte. Im Sommer 1448 sollte der damalige Forstmeister Wilhelm Ramung beispielsweise eine Visitation der Tiroler Gerichte durchführen. Zu diesem Zweck wurde ihm eine Vollmacht mit auf den Weg gegeben, in der alle Pfleger, Richter und Amtleute aufgefordert werden, die vom Forstmeister hinsichtlich der Neuraute und der Auen zu treffenden Befehle zu befolgen, sie in ihren Verwaltungsbezirken kundzumachen und bei der Umsetzung Vgl. hierzu schon Kap. II.3.2.5. Vgl. Oberrauch, Wald und Waidwerk, 1952, S. 51–53; Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007, S. 47–59. 12 ������������������������������������������������������������������������������������������ Vgl. hierzu Gasser, Geschichte des Weidwerks, 1994, S. 13–14; Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007, S. 39–40 (jeweils mit weiteren Literaturhinweisen). 10 11
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III. Die Entwicklung der Gesetzgebung
mitzuwirken.13 Der materielle Inhalt der Regelung wurde allerdings von der landesfürstlichen Kanzlei nicht landeseinheitlich in Gesetzesform fixiert, sondern war vom Forstmeister vor Ort festzulegen (so dass wir über die damals erlassenen bzw. eingeschärften Normen nicht näher informiert sind).14 Nur weil keine Gesetzesurkunden des „Entbieten“-Typus oder in Reskriptform erhalten sind, heißt dies somit nicht, dass seitens des Landesfürsten nicht direkt (über Einzelanweisungen) oder indirekt (mittels Instruktionen) normative Vorgaben erlassen wurden.15 Was Thomas Dehesselles für Policeyordnungen festgestellt hat, kann dabei für alle Gesetze gelten: Sie „kennzeichnen damit den Übergang von direkter personaler zu indirektbürokratischer Selbstkontrolle aufgrund gesetzten Rechts.“16 Diese Option der Erlassung, Kundmachung und Umsetzung von Normen war in späteren Jahrzehnten nicht abgeschnitten, ihre praktische Bedeutung nahm, wie erwähnt, jedoch ab. Das letzte bedeutende, auf diesem Weg erlassene Gesetz war die bereits genannte, sehr detaillierte Waldordnung von 1502. Sie war ausschließlich in die Instruktion für den Obristen Waldmeister Leopold Fuchsmagen inseriert, der auch samt seinen Untergebenen für die Publikation und Implementation zuständig war.17 Dies gilt schließlich auch noch für die inhaltlich weitgehend identische Nachfolgeordnung von 1551.18
1. 1. Die Ursachen Warum entfaltet jedoch eine sowohl formell (Typus der „Entbieten“-Urkunde) als auch materiell (Setzung einer generell-abstrakten Norm mit landesweitem Geltungsbereich) schon Jahrzehnte zuvor bekannte und fallweise praktizierte Form der Normsetzung relativ plötzlich ab der Mitte des 15. Jahrhunderts eine solche Wirkmächtigkeit und drängt die bisherigen Formen landesfürstlicher Normsetzung (Einzelanweisung, Instruktion, Privileg) zunehmend an den Rand? Hier sind kurz die von der Rechtsgeschichte wie Geschichtswissenschaft ventilierten Theorien zum Aufkommen bzw. zur Intensivierung der landesherrlichen Gesetzgebung zu betrachten, die Thomas Simon 1997 in drei Gruppen gegliedert hat und die man TLA, UR II/1602, 1448 Juli 30 (Fehlbestand seit 1938, nur Regest vorhanden). Vgl. auch die Feststellung bei Willoweit, Gesetzgebung und Recht, 1987, S. 137: „Wir haben uns daher die geschichtliche Genese des Gebotes sehr wahrscheinlich so vorzustellen, daß der Landesherr mit der Vervollkommnung des Schreibwesens in seiner Kanzlei die ursprünglich mündlichen Anordnungen gegenüber seinen Amtleuten, die es ohne Zweifel gegeben hat, schriftlich fixieren ließ.“ 15 Klar in diese Richtung weist bereits die Argumentation von Willoweit, Gesetzgebung und Recht, 1987, bes. S. 136–139; vgl. ferner Janssen, Gesetzgebung, 1984, S. 32; Schlosser, Rechtsgewalt und Rechtsbildung, 1983, S. 16. 16 Dehesselles, Policey, Handel und Kredit, 1999, S. 13. 17 Edition bei Wopfner, Almendregal, 1906, S. 128–132. 18 TLA, Cod. 808, 1551 Aug. 17. 13 14
1. Zur Entstehung der landesfürstlichen Gesetzgebung
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etwas plakativ als „Insuffizienztheorie“, „Krisentheorie“ und „Verdichtungstheorie“ bezeichnen könnte.19 Erstens die „Insuffizienztheorie“: Das Einsetzen der landesfürstlichen legislativen Tätigkeit sei ihr zufolge als Reaktion auf die nachlassende Ordnungskompetenz der älteren Normsetzungsinstanzen wie Genossenschaften und Kirche zu sehen. Zweitens die „Krisentheorie“: Die Intensivierung der Gesetzgebung resultiere aus einer „Krise der altständischen Gesellschaft“ im ausgehenden Mittelalter, der mit legislativen Mitteln zu steuern versucht wurde. Die Gesetzgebung sollte demzufolge der Wiederherstellung einer als bedroht wahrgenommenen Ordnung dienen. Drittens die „Verdichtungstheorie“, nach der die Gesetzgebung als Ausdruck und Konsequenz eines allgemeinen gesellschaftlichen Verdichtungsprozesses zu werten sei.
1. 1. 1. Die Insuffizienztheorie Das erste Erklärungsmodell vermag im Fall Tirols nicht zu befriedigen. Die Rechtssetzung auf Ebene des Gerichtes und der Gemeinde florierte bis weit in das 18. Jahrhundert, wobei die landesfürstliche Ratifikation der so zustande gekommenen Normen erbeten werden konnte, aber nicht Geltungsvoraussetzung war. Es ist keineswegs so, dass die Tiroler Gerichte und Gemeinden „prinzipiell nicht in der Lage [waren], das politische und polizeiliche Denken und Handeln zu adaptieren“ oder abstrakte Kategorien und Ordnungsvorstellungen wie das bonum commune normativ umzusetzen und zu verankern.20 Im Gegenteil, auch genossenschaftliche Rechtssetzungsakte bedienten sich argumentativ regelmäßig der leitenden Ordnungskategorie „gemeiner Nutzen“ und „Gemeinwohl“21 und führten somit hinsichtlich ihres Legitimationsmusters ähnliche Topoi wie die landesfürstliche Gesetzgebung an.22 Ab dem 17. Jahrhundert kam es teilweise sogar zu einer formalen Annäherung, beispielsweise wenn an das Ende eines Regelungskomplexes ein Änderungsvorbehalt zugunsten der die Norm erlassenden Korporation eingefügt wurde.23 Im Übrigen kam Philipp Dubach jüngst nach Untersuchung der legislativen Tätigkeit der beiden ländlichen Republiken Glarus und Appenzell zu einem vergleichbaren Schluss. Er lehnt ausdrücklich die Annahme ab, „ländliche Gesellschaften seien nicht in der Lage gewesen, Ordnungsvorstellungen zu entwickeln, welche die hergebrachten und lange eingespielten Verhaltensmuster des dörflichen 21 22 23 19 20
Simon, Krise oder Wachstum, 1997, S. 1201–1217, hier bes. S. 1206. Willoweit, Struktur und Funktion intermediärer Gewalten, 1978, S. 15–16 (Zitat S. 15). Vgl. Blickle, Kommunalismus, Bd. 1, 2000, S. 98–101. Hierzu ausführlich Kap. VI.2. Vgl. hierzu nur beispielhaft: Tirolische Weistümer, 6. Teil, 2. Ergänzungsbd., 1994, S. 122, 177, 194, 229.
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III. Die Entwicklung der Gesetzgebung
Zusammenlebens transzendiert hätten.“24 Und auch die vermeintlich im Spätmittelalter nachlassende Ordnungskompetenz der Kirche scheint zwar auf den ersten Blick ein einleuchtendes Erklärungsmodell,25 das jedoch bei näherer Analyse an Überzeugungskraft verliert. Zunächst muss man sich vergegenwärtigen, dass sich dieses Modell nur auf ein Segment der spätmittelalterlichen Gesetzgebung bezieht, in dem eine gewisse Parallelität zu kirchlichen Ge- und Verboten festzustellen ist und die summarisch als „Sittlichkeitsnormen“ bezeichnet werden können – jene Normen also, die im weitesten Sinne eine den göttlichen Geboten entsprechende Lebensführung gewährleisten sollen und als sündhaft und deviant klassifiziertes Verhalten wie Gotteslästerung, Maßlosigkeit beim Essen, Trinken und bei der Kleidung, Ehebruch und außerehelichen Geschlechtsverkehr sowie ähnliche Tat bestände sanktionieren. Der prozentuelle Anteil derartiger Gesetze an der Gesamtheit spätmittelalterlicher legislativer Akte ist freilich eher gering. Ziehen wir das Beispiel Tirol heran, so stellt man überraschend fest, dass das erste einschlägige Gesetz – das Mandat wegen der unehelichen Beiwohnung – aus dem Jahr 1517 stammt. Dieses wendet sich gegen personen von mann und weybern, so nit verphlichte eelewt seyn, beyeinander hausen und also an der unee wonen, zudem ihrer Christenpflicht (Kirchgang, Kommunion, Beichte) nicht hinreichend nachkämen und daher von der Obrigkeit – gegebenenfalls auf Anzeige des Geistlichen – wie sich gepürt gestraft werden sollten.26 Die Masse der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Tiroler Gesetze behandelt ganz andere Materien, wobei das Wirtschaftsrecht einen wichtigen Schwerpunkt darstellt. Als Grund für die massive Zunahme der Gesetzgebung in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts kann ein angebliches Nachlassen der Ordnungskompetenz der Kirche somit nicht überzeugend ins Treffen geführt werden.27 Außerdem beruht die Interpretation, wonach die Intensivierung landesherrlicher Gesetzgebung zumindest partiell durch das Nachlassen der Autorität der Kirche und durch die als Konsequenz zunehmende Zahnlosigkeit des kirchlichen Sanktionssystems evoziert sei, auf einer durchaus problematischen Prämisse: dass die Missstände innerhalb der Kirche, die später von Luther und anderen Reformatoren massiv (und mit durchaus propagandistischer Zielsetzung) angeprangert und bekämpft wurden, auf die Laienspiritualität einwirkten und die Befolgung kirchlicher Ge- und Verbote durch das Kirchenvolk beeinträchtigten. Eine solche Behauptung erscheint angesichts der nachweisbaren Re-Spiritualisierung weiter Bevölkerungsschichten und zahlreicher Äußerungen der Volksfrömmigkeit im Spätmittelalter28 Dubach, Policey auf dem Lande, 2003, S. 435. Dies führt bereits Oestreich, Policey und Prudentia civilis, 1980, S. 368–369, als eine der Ursachen für die Intensivierung der legislativen Tätigkeit an. 26 TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 37, Lit. Ll, fol. 143; die Kurzbezeichnung „Mandat wegen der unehelichen Beiwohnung“ findet sich in TLA, Rep. 47. 27 Vgl. demgegenüber jedoch Günther, Behandlung der Sittlichkeitsdelikte, 2004, S. 82–89. 28 Huizinga, Herbst des Mittelalters, 122006, bes. S. 251–288. 24 25
1. Zur Entstehung der landesfürstlichen Gesetzgebung
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mehr als diskutabel.29 Außerdem gilt es zu bedenken, dass die Sorge für das Seelenheil der Untertanen schon im Mittelalter zu den zentralen Herrscherpflichten zählte, zumal dieses Bestreben ja unmittelbar dem Gemeinwohl diente. Aufgrund der „Vergeltungstheologie“, wonach Katastrophen aller Art Äußerungen des göttlichen Zorns über das sündhafte Treiben der Menschen seien, musste die Bekämpfung der Laster auch der weltlichen Obrigkeit ein Anliegen sei. Diese nahm durch die Erlassung von Gesetzen, die der Herstellung oder Sicherung eines als gottgefällig erkannten Zustandes dienten, nur eine Aufgabe wahr, die gemäß einem bis weit in das Mittelalter zurückzuverfolgenden Kanon von Herrschertugenden eine ihrer ureigensten Pflichten darstellte.30
1. 1. 2. Die Krisentheorie Die Erwähnung kirchlicher Missstände im ausgehenden Mittelalter führt bereits nahtlos zur „Krisentheorie“. In der Tat erfreut sich die Sichtweise landesherrlicher Gesetzgebung als Ausdruck einer krisenhaften Entwicklung im Spätmittelalter großer Beliebtheit unter Rechts- wie Allgemeinhistorikern.31 Sie bleibt allerdings regelmäßig schwammig, verweist summarisch auf massive gesellschaftliche, soziale und wirtschaftliche Veränderungen sowie auf die daraus resultierenden Verwerfungen und Normierungsbedürfnisse. Aufgrund der „durch den Zusammenbruch der mittelalterlichen Ständeordnung desolaten Sozialordnung“ herrsche erhöhter Ordnungsbedarf.32 Es drängt sich der Eindruck auf, dass die im Einzelnen leicht variierenden Ausprägungen der „Krisentheorie“ noch stark vom Zerrbild des ausgehenden Mittelalters als einer Epoche des Verfalls und der Krise geprägt sind. Bei näherer Analyse der einzelnen Ordnungsmaterien im Bereich der „guten Policey“ zeigt sich die nur bedingte Tragfähigkeit dieses Erklärungsmodells. Dass beispielsweise ab dem ausgehenden 15. Jahrhundert das Problem der so genannten ‚Gartknechte‘ (d. h. abgedankter, einem neuen Kriegsschauplatz entgegenziehender Landsknechte), Fragen der Anwerbung von Söldnern sowie Truppendurchmärsche ��������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. hierzu auch die Wortmeldungen in der Aussprache im Anschluss an Janssen, Gesetzgebung, 1984, S. 45–46. 30 ������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. auch Janssen, „Gute Ordnung“ als Element der Kirchenpolitik, 1999, bes. S. 37–38; Willoweit, Katholische Reform und Disziplinierung, 1993, S. 130–131; Marquardt, Reichs als Segmentäres Verfassungssystem, 1999, S. 178–186. 31 ����������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. u. a. Seif, Grundlagen des gesetzlichen Richters, 2003, S. 219; Maier, Staats- und Verwaltungslehre, 42009, S. 93–106; Schmelzeisen, Polizeiliches Rechtsgebot, 1967, S. 6; Schlosser, Gesetzgebung und Rechtswirklichkeit, 1982, S. 530–531; Ellrichshausen, Uneheliche Mutterschaft, 1988, S. 28; tendenziell in diese Richtung weisend auch Härter, Sozialdisziplinierung, 1999, S. 366; mit Verweis auf Hans Maier auch Holenstein, ‚Gute Policey‘ als Institution und Ereignis, 1998, S. 255, sowie Kuhn, Landesordnung des Grafen Ulrich von Montfort, 2006, S. 14–15. 32 Zit. nach Günther, Sittlichkeitsdelikte, 2004, S. 12. 29
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III. Die Entwicklung der Gesetzgebung
und -einquartierungen zunehmend nach rechtlicher Regelung verlangten, ist nicht simplifizierend als Krisensympton zu werten, sondern Ausdruck des damals stattfindenden grundlegenden Wandlungsprozesses im Kriegswesen. Die Söldnerheere traten immer mehr als zentrales Element der Kriegsführung hervor; zeitgleich nahmen die ins Feld geführten Truppenstärken exponentiell zu. Dasselbe gilt für die ab nun schriftlich fixierten Landesdefensionsordnungen, die den Ablauf und die Einsatzbedingungen des militärischen Aufgebotes des Landes immer genauer normierten, während dieser Rechtsbereich bis dahin weitgehend vom Gewohnheitsrecht geprägt gewesen war. Dass der Bereich der Holz- und Waldwirtschaft in Tirol ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts mit zunehmender Intensität reguliert wurde, hängt mit dem Aufschwung des Tiroler Bergbaus zusammen, dessen enormer Holzverbrauch eine vorausplanende, nachhaltig wirkende rechtliche Planung benötigte. Ein bloß punktuelles normatives Einwirken auf den Holzverbrauch durch Einzelanweisungen oder durch den Forstmeister konnte nicht mehr ausreichen. Hier präsentiert sich eine zunehmende Normierungsintensität als Ausdruck eines wirtschaftlichen Aufschwungs und einer Produktionssteigerung. Durch legislative Maßnahmen galt es nunmehr, das Rohstofffundament dieses Wirtschaftszweiges abzusichern und einer nachhaltigen Bewirtschaftung zuzuführen. In allen genannten Fällen erklärt sich der Trend zu landesweit geltenden Gesetzen mit einem überregionalen Regulierungsbedarf. Nicht die Tatsache der Norm erlassung, nicht der Inhalt der Norm und nicht deren äußere Form, sondern das Faktum der quantitativ signifikanten Zunahme von normativen Regelungen mit landesweitem räumlichen Geltungsbereich stellen das Spezifikum dar.33 Von einer weite Teile der Gesellschaft erfassenden Krise als Anstoß für die Intensivierung der Gesetzgebung findet sich jedoch keine signifikante Spur. Dies erklärt, warum selbst deklarierte Exponenten der Krisentheorie wie Hans Maier die „Krise der altständi schen Gesellschaft“, die „Erschütterung der Ständeordnung“ bzw. die „wankende ständische Ordnung“ relativieren.34 Maier hebt so hervor, dass die diagnostizierte Krise des Spätmittelalters keine Auflösungserscheinung, sondern Manifestation einer „Entwicklungs- und Wachstumskrise“ sei. Die Bedrohung der mittelalterlichen Sozialordnung durch die Entwicklungen des Spätmittelalters habe ein entsprechendes normatives Gegensteuern durch den Gesetzgeber erfordert. Dass freilich ein beträchtlicher Teil der im 15. Jahrhundert erlassenen Gesetze keinen Zusammenhang zu einer wie auch immer gearteten Destabilisierung der Ständeordnung zeigt, hat schon Thomas Simon aufgezeigt. Das Problem von Ge Vgl. auch schon Willoweit, Gebot und Verbot, 1980, S. 129: „Das Neue besteht hier lediglich in der Schaffung von Normen, die an die Stelle von einzelnen Weisungen treten. Die Normativität selbst, also die Tendenz zur Vereinheitlichung von Lebens- und Rechtsverhältnissen, scheint für die Entwicklung der Gesetzgebung zunächst bedeutsamer gewesen zu sein als bestimmte Inhalte, wie etwa die Polizei.“ 34 Vgl. Hans Maier, Staats- und Verwaltungslehre, 42009, S. 93–106, Zitate S. 93 (Kapitelüberschrift), S. 100 und S. 101. 33
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waltausübung habe so bereits das ganze Mittelalter beschäftigt, werde aber erst am Ende des Mittelalters „zum Gegenstand steuernder Gesetzgebung“. Ein Konnex mit einer Gefährdung der ständischen Ordnung lasse sich jedoch nicht konstruieren.35 Ferner führt Simon ein weiteres Argument gegen die Interpretation der einsetzenden Gesetzgebung als Stabilisierungsversuch einer krisengeschüttelten Gesellschaft ins Treffen: Die stete, kontinuierlich verlaufende Intensivierung der legislativen Tätigkeit während der gesamten Frühneuzeit wäre dann nichts anderes als die Reaktion auf eine permanente, sich über Jahrhunderte erstreckende und überdies noch verstärkende Krise, der mit immer mehr Gesetzgebungsakten entgegengewirkt werden müsse. Eine solche Sichtweise ist nicht überzeugend.36
1. 1. 3. Die Verdichtungstheorie Dieser Vergleich führt zum dritten Erklärungsmodell für die Intensivierung territorialer legislativer Tätigkeit im ausgehenden Mittelalter, das diese als Resultat einer zunehmenden Verdichtung in sozialer, ökonomischer, kultureller und bürokratischer Hinsicht begreift und rezent vor allem von Simon und Moraw vertreten wird.37 Die zunehmende Arbeitsteilung und überregionale Verflechtung unterschiedlicher Wirtschaftsräume mit den daraus resultierenden wechselseitigen Abhängigkeiten erhöhten die negativen Auswirkungen im Fall von Störungen des sozialen Systems und erforderten legislative Reaktionen. Dieser Ansatz vermag zudem den zeitlichen Vorsprung der städtischen vor der territorialen Gesetzgebung plausibel zu begründen,38 da sich in den von einer dynamischen demographischen und wirtschaftlichen Entwicklung geprägten spätmittelalterlichen Städten vergleichbare Ordnungsprobleme schon Jahrzehnte früher manifestierten als auf gesamtterritorialer, überregionaler Ebene. Außerdem macht ein solches Erklärungs Simon, Krise oder Wachstum, 1997, S. 1209. Diesem sehr simplifizierenden Denkmuster zufolge wäre schließlich auch die Zeit von 1945 bis zum beginnenden 21. Jahrhundert, während der die Jahresbände der Bundesgesetzblätter rein quantitativ auf ein Mehrfaches ihres ursprünglichen Umfanges angewachsen sind, als Zeit permanent krisenhaften Geschehens zu interpretieren, auf das der demokratisch legi timierte Gesetzgeber mit der Erlassung von Gesetzen reagierte – was der tatsächlichen Ent wicklung nicht entspricht. 37 Vgl. Moraw, Landesordnungen, 1997, S. 196; bezeichnend der Titel von Moraw, Von offener Verfassung zu gestaltender Verdichtung, 1985; Simon, Krise oder Wachstum, 1997, bes. S. 1210–1217; ähnlich schon Janssen, Territoriale Gesetzgebung, 1984, bes. S. 30–31; Willoweit, Gesetzgebung und Recht, 1987; eine in diese Richtung gehende Andeutung bereits bei Oestreich, Policey und Prudentia civilis, 1980, S. 368. 38 Vgl. nunmehr zusammenfassend Schmieder, Stadt, 2005, bes. S. 128–133; ferner Isenmann, Stadt im Spätmittelalter, 1988, S. 80–82, 85–89 und 154–160; beispielhaft Wolf, Gesetzgebung und Stadtverfassung, 1968, oder Buchholz, Anfänge der Sozialdisziplinierung, 1991. 35 36
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III. Die Entwicklung der Gesetzgebung
modell den sukzessiven Zuwachs legislativer Tätigkeit verständlich, da eine sich zunehmend „verdichtende“ – wirtschaftlich, sozial, politisch und technisch komplexer werdende – Gesellschaft tendenziell störungsanfälliger wird, woraus ein erhöhter Regulierungsbedarf entsteht.39 Die personell expandierende, mit professionellen Verwaltungsexperten besetzte Kanzlei des Spätmittelalters respektive die sich an der Wende zur Neuzeit etablierenden und im Lauf der Jahrzehnte immer weiter differenzierenden Zentralbehörden stellen in diesem Kontext das geeignete Instrumentarium zur Wahrnehmung, Zentralisierung und teilweise auch Monopolisierung dieser Steuerungsfunktionen dar. Ein im Verlauf des Spätmittelalters und vor allem im 14. Jahrhundert entstehendes flächendeckendes Netz lokaler landesfürstlicher Amtsträger stellt parallel zur Ausformung einer Herrschaftszentrale die Voraussetzung dar, um den lan desherrlichen Willen an die Peripherie zu transportieren und dort durchzusetzen. Gerade jüngste Untersuchungen von Christian Hesse haben gezeigt, wie wichtig das Vordringen bürgerlicher Amtsträgerfamilien bei gleichzeitiger Verdrängung (nieder-)adeliger Positionsinhaber in Stellen der lokalen Gerichts- und Finanzverwaltung für die Verfestigung fürstlicher Herrschaft war.40 Diese Voraussetzungen für die effektive Wahrnehmung von Ordnungsfunktionen bildeten sich in den spätmittelalterlichen Territorien somit nur allmählich heraus, und erst bei Vorliegen dieses strukturellen Handlungsrahmens kann sich der sich formierende Staat überregionale Normsetzungskompetenzen aneignen. Insofern ist der Wechsel in der Form der Gesetzgebung – weg von der Privilegienurkunde hin zum „Entbieten“-Typus – alles andere als ein Zufall und auch keine Spielwiese einer sich selbst genügenden Diplomatik. Man muss sich nicht mehr mit der privilegialen Festschreibung des rechtlichen Status quo begnügen wie im Fall des Freiheitsbriefes von 1404 oder mit der Wahrnehmung von dezentralen Ordnungsaufgaben Betraute mit materiellen Vergünstigungen versehen wie im Fall der Spekulationsbekämpfung im Vinschgau 1416. Vielmehr wendet sich die Zentrale nunmehr mit steigender Tendenz an die lokalen und regionalen Amtsträger, die in der „Entbieten“-Urkunde und im Reskript unmittelbar angesprochen werden. Mit der allgemeinen gesellschaftlich-sozialen Verdichtung geht somit ein administrativer Verdichtungsprozess einher – und beides findet in einer sukzessiven Intensivierung der Gesetzgebungstätigkeit seinen Niederschlag. Und dieser Prozess setzt sich fort: Im Lauf der Frühneuzeit werden immer mehr Lebensbereiche normativ durchdrungen, parallel hierzu expandieren die zur Disposition des Gesetzgebers stehenden administrativen Strukturen, es entstehen beispielsweise der Kriegsrat, das Kriegskommissariat, das Officium sanitatis und diverse Sonderverwaltungen. Ähnlich auch schon Kormann, Rechtsstaat und Gesetzesstaat, 1980, S. 32, zur Erklärung der vermeintlichen Gesetzesflut in der Nachkriegszeit; vgl. auch Bußjäger, Rückzug des Rechts, 1996, S. 27. 40 Vgl. Hesse, Amtsträger der Fürsten, 2005. 39
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1. 2. Zur Rolle der Juristen 1. 2. 1. Vordringen und Aufgabenbereiche gelehrter Juristen Im Zusammenhang mit dem Wachstum legislativer Tätigkeit in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wird gerade von rechtshistorischer Seite regelmäßig ein weiterer Faktor für diese Entwicklung genannt: das Vordringen gelehrter Juristen in die Räte und Kanzleien der Landesfürsten. Die Tiroler Entwicklung, die ab der Mitte des 15. Jahrhunderts von einer Zunahme der legislativen Tätigkeit gekennzeichnet ist, die sich in den siebziger Jahren nochmals signifikant steigerte, um unter Maximilian I. vollends zu erblühen, fügt sich hier durchaus repräsentativ in einen Trend ein, der allgemein auf Ebene der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Landesherrschaften zu konstatieren ist.41 Dies wird traditionell als Ausdruck eines fundamental neuen Rechtsverständnisses gesehen, das sich unter dem Vorzeichen des Vordringens des gelehrten Rechts und seiner Exponenten in die landesherrlichen Kanzleien ausprägte. Das Recht werde nicht mehr als vorgefundene, zu bewahrende Größe angesehen. An die Stelle dieser Anschauung trete die Vorstellung einer bewusst gestalt- und veränderbaren Rechtsordnung.42 Vorderhand scheint diese Annahme durch den Beispielfall Tirol vorbehaltlos bestätigt zu werden. Just in der Regierungszeit (Erz-)Herzog Siegmunds ist das Wirken von gelehrten (Laien-)Juristen am Innsbrucker Hof belegt, wobei Persönlichkeiten wie Ulrich Molitoris, Laurentius Blumenau, Gregor von Heimburg, Konrad Stürtzel in Innsbruck tätig wurden und zudem Juristen aus dem Bereich des Hochstifts Trient wie Calapinus de Calapinis und Anthonius Mirana nachweisbar sind.43 Nach Theodor Mayer gehörten zeitweilig bis zu vier Juristen gleichzeitig dem Rat Siegmunds an,44 Hermann Wopfner kommt auf eine Gesamtzahl von zehn gelehrten Juristen, die während der Regierungszeit des (Erz)Herzogs nachweisbar seien.45 Doch betrachtet man deren Wirkungsbereich in concreto, so lag der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit zweifellos im Bereich diplomatischer Missionen und ihrer Beratungsfunktion bei außenpolitischen Differenzen. Gerade im letztgenannten Bereich war auch ihre juristische Argumentationsfähigkeit zur Absicherung eigener So schon Ebel, Geschichte der Gesetzgebung, 21958, S. 58–62; Diestelkamp, Beobachtungen, 1983; nunmehr auch Schildt, Policey- und Landesgesetzgebung, 2000. 42 ������������������������������������������������������������������������������������������ Vgl. neben den soeben angeführten Literaturhinweisen die Hinweise bei Schlosser, Rechtsgewalt und Rechtsbildung, 1983, S. 13; Schlosser, Gesetzgebung und Rechtswirklichkeit, 1982, bes. S. 529–531; Schlosser, Rechtssetzung und Gesetzgebungsverständnis, 1987; Lieberich, Anfänge der Polizeigesetzgebung, 1969, S. 308; Schubert, Vom Gebot zur Landesordnung, 2001, S. 27; zum Hintergrund des scholastischen Politikverständnisses nunmehr Simon, „Gute Policey“, 2004, S. 52–62. 43 Riedmann, Mittelalter, 21990, hier S. 588 und 601–602; Brandstätter, Beziehungen, 1996, S. 3–30; Wopfner, Lage Tirols, 1908, S. 185, Anm. 3. 44 Mayer, Verwaltungsorganisation, 1920, S. 17. 45 Wopfner, Bergbauernbuch, Bd. 2, 1995, S. 110. 41
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Rechtspositionen gefragt.46 Als geradezu klassisches Beispiel kann die Auseinandersetzung von Herzog Siegmund mit dem Brixner Bischof Nikolaus Cusanus angeführt werden, in deren Verlauf beide Seiten um eine juristische Fundierung ihrer Ansprüche bemüht waren.47 Hier war juristische Bildung notwendig und gefordert.48 Umgekehrt waren juristische Kenntnisse für die Konzeption und Ausfertigung eines Mandates wider den Fürkauf oder auswärtige Bettler wohl nicht unverzichtbar. In diesem Zusammenhang gilt es zudem, sich die starke Verankerung der Rechtssetzungsakte in den Kanzleiusancen vor Augen zu halten. Der Typus der „Entbieten“Urkunde war alles andere als unbekannt, und auch die Methoden der Normsetzung an der Peripherie mussten der Kanzlei nicht erst von außen zugetragen werden. Jedenfalls findet sich in Tirol keine einzige Spur, wonach einer der erwähnten Juristen bei der Ausarbeitung eines Gesetzgebungsaktes beteiligt gewesen wäre. Die konkrete Tätigkeit eines Juristen im Spätmittelalter ist freilich methodisch äußerst schwierig nachzuweisen,49 was Peter Moraw jüngst zu der fast schon resignativen Feststellung bewogen haben mag, dass die Frage nach dem konkreten Anteil der Juristen an der Formierung des frühmodernen Staates „wohl weiterhin oder für immer schwer erfaßbar“ bleiben werde.50 Allerdings ist gerade in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts die Überlieferungslage in Tirol insofern günstig, als auch eine Vielzahl von Mandatskonzepten samt Korrekturen überliefert ist. Jedoch zeigt sich weder hier noch im allgemeinen Schriftgut der Kanzlei eine wie auch immer geartete Beteilig ung der Juristen an der legislativen Tätigkeit. Auch die schon von Bookmann angeregte Zuordnung bestimmter Schreiber zu einzelnen Juristen,51 um allenfalls auf diesem Umweg Hinweise auf eine Einwirkung festzustellen, führt zu keinem Ergebnis. Im Übrigen dürfte der Aufenthalt dieser nicht ortsgebundenen, ihre Dienste an verschiedenen Höfen anbietenden humanistischen Wanderjuristen52 wohl kaum ausgereicht haben, um in der gesamten landesfürstlichen Kanzlei ein neues Rechtsverständnis im angeführten Sinne zu implementieren. Noch ein Argument spricht tendenziell gegen die überragende Rolle der gelehrten Juristen und ihres Rechtsverständnisses beim Aufkommen landesherrli Vgl. nur Boockmann, Laurentius Blumenau, 1965, S. 187–195; Mauz, Ulrich Molitoris, 1992; ähnlich schon Coing, Römisches Recht in Deutschland, 1964, S. 86–90. 47 Vgl. hierzu Becker, Streit der Juristen, 1998, S. 81–102, Hallauer, Nikolaus von Kues als Rechtshistoriker, 2002 (erstmals 1998), sowie Meuthen, Nikolaus Cusanus als Jurist, 2001, S. 247–275; Rando, Hinderbach, 2008, S. 132–133; vgl. auch Baltl, Einflüsse des römischen Rechts, 1962, S. 57; Watanabe, Duke Sigmund, 1974, bes. S. 564–573. 48 ���������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. auch die bezeichnenden Feststellungen von Willoweit, Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, 2001, S. 375–376: Lange Zeit seien der Einfluss und die Tätigkeit der gelehrten Juristen auch an weltlichen Höfen und in Städten „ganz überwiegend [...] auf den kirchlichen Raum ausgerichtet.“ 49 Vgl. Walther, Macht der Gelehrsamkeit, 1998, bes. S. 267. 50 Moraw, Gelehrte Juristen, 2001, S. 142. 51 Boockmann, Laurentius Blumenau, 1965, S. 194. 52 Vgl. Schubert, Vom Gebot zur Landesordnung, 2001, S. 28–29. 46
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cher Gesetzgebung: Im südlich angrenzenden, mit der Grafschaft Tirol vielfältig verflochtenen Hochstift Trient war die juristische Professionalisierung sowohl der bischöflichen Kanzlei als auch des Rechtsalltags schon Jahrzehnte früher als beim nördlichen Nachbarn weit fortgeschritten.53 Doch findet man auch hier bischöfliche Einzelgesetzgebungsakte für seinen weltlichen Herrschaftsbereich erst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts,54 und ab dem ausgehenden 15. Jahrhundert übernahm das Hochstift, in dem der Bischof selbstverständlich die unbeschränkte potestas legislatoria für sich in Anspruch nahm, regelmäßig Tiroler Rechtssetzungsakte, die im bischöflichen Namen ausgefertigt und publiziert wurden.55 Wäre das juristisch-professionelle Element für die Herausbildung eines neuen Rechtsverständnisses, das Rechtsgestaltung erst möglich machte, so wichtig gewesen, hätte das Hochstift gegenüber der Grafschaft Tirol einen markanten zeitlichen Vorsprung aufweisen müssen. Diesfalls wären wohl eher Impulse vom Hochstift Trient nach Tirol zu erwarten gewesen als umgekehrt. Dieses Argument ist aber für sich gesehen noch nicht stichhaltig, muss man sich hier doch die völlig unterschiedliche Macht- und Herrschaftsstruktur zwischen dem territorial kleinen, in vielfältiger Abhängigkeit zu Tirol stehenden Hochstift und dem ungleich größeren nördlichen Nachbarn vor Augen halten; die Vergleichbarkeit wird zudem durch die grundsätzlich andere Kultur und Tradition nicht nur von Schriftlichkeit allgemein, sondern auch von Rechtsgelehrsamkeit im oberitalienischen Raum einerseits und im oberdeutschen Raum andererseits massiv eingeschränkt. Der Fragestellung, ob sich allgemein aus überregionaler Perspektive eine gewisse zeitliche Überlappung zwischen dem Auftreten von Juristen und der Intensivierung von Gesetzgebung festmachen lässt, wird daher nochmals nachzugehen sein. Prima vista scheint ein Blick auf überregionale Entwicklungen zu einem Hinterfragen der Bedeutung des Juristenstandes zu führen. So verfügten beispielsweise mit einer kurzen Ausnahme im 14. Jahrhundert alle Mainzer Erzbischöfe seit dem letzten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts über juristisch gebildetes Verwaltungspersonal – was aber keineswegs mit der Entwicklung der Gesetzgebungstätigkeit im Erzstift Hand in Hand ging.56 Wir müssen jedoch gar nicht so weit in die Ferne schweifen: Für das benachbarte Erzstift Salzburg hat Winfried Stelzer das Eindringen gelehrter Kanonisten in den Rat für den Zeitraum von 1270 bis 1290 exemplarisch untersucht.57 Schon Erzbischof Friedrich II. (1270-1284) war offensichtlich Vgl. Bellabarba, La giustizia ai confini, 1996, S. 310–315, 330–331, 381–383. Vgl. Bellabarba, La giustizia ai confini, 1996, S. 276, bes. Anm. 43. 55 Ein früher Beleg in TLA, Kopialbuch Ältere Reihe Nr. 20, Lit. T, S. 265, 1497 Aug. 16. Das Prozedere blieb während der gesamten Frühen Neuzeit gleich. Vgl. hierzu im Übrigen ausführlich Kap. VI.5.3.2. 56 ��������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Männl, Juristen, 1998, S. 187; zur Gesetzgebungstätigkeit nunmehr Härter, Repertorium, Bd. 1, 1996; Härter, Policey und Strafjustiz, 2005. 57 Stelzer, Gelehrtes Recht, 1982, S. 166–186; vgl. zum Tätigkeitsfeld auch Trusen, Gelehrtes Recht, 1962, S. 218–220. 53 54
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bestrebt, stets zumindest einen rechtsgelehrten Berater an seiner Seite zu haben. Teilweise wirkten deren vier am bischöflichen Hof, die für diplomatische Aufgaben und heikle (kirchenrechtliche) Streitfälle herangezogen wurden, als Prokuratoren an der päpstlichen Kurie Verwendung fanden oder an der Ausarbeitung von Statuten für Provinzialsynoden mitwirkten. In der (weltlichen) Gesetzgebung fand ihre Tätigkeit freilich keinen Niederschlag. Selbst in der Kanzlei Meinhards II. und seiner Nachfolger fanden sich gelehrte Kanonisten,58 und bis zum Stichjahr 1440 sind am Hof der bayerischen Herzöge und der Herzöge von Österreich 60 bzw. 34 Juristen nachweisbar.59 Den Anstoß zur Intensivierung der territorialen Gesetzgebung durch Vermittlung der Erkenntnis von der Gestaltbarkeit des Rechts können die Juristen somit kaum gegeben haben. Gerade Laienjuristen dringen zwar erst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts verstärkt in die Räte weltlicher Fürsten vor, eine Novität sind sie allerdings nicht.
1. 2. 2. Zur Vorstellung von der Gestaltbarkeit der Rechtsordnung Außerdem sind zwei Fragen aufzuwerfen, die in diesem Rahmen nicht abschließend beantwortet werden können: Kommt das Bewusstsein von der Gestaltbarkeit der Rechtsordnung tatsächlich erst im ausgehenden Mittelalter zum Durchbruch? Schon im ausgehenden 14. Jahrhundert war für Albrecht III. die bewusste und ausdrückliche Aufhebung des seiner Anordnung entgegenstehenden Gewohnheitsrechtes offensichtlich kein Problem, er sah sich mithin nicht nur als Rechtsbewahrer.60 Und war die Durchsetzung dieses vermeintlich neuen Rechtsverständnisses tatsächlich ein unter maßgeblichem Einfluss des gelehrten Rechts ‚von oben nach unten‘, d. h. von den landesherrlichen Kanzleien seinen Ausgang nehmender Prozess? So ersuchten beispielsweise die Insassen des Gerichts Salurn 1471 Herzog Siegmund, die von ihnen angestrebte, jedoch bisher durch Gewohnheitsrecht ausgeschlossene Möglichkeit zur Ablösung der zwölf Gerichtsgeschworenen zu legitimieren.61 Daraufhin wurde festgelegt, dass jährlich ein Drittel der Geschworenen auszutauschen seien. Die bis dahin bestehende gewohnheitsrechtliche Regelung war von den Gerichtsgenossen als unzureichend erkannt worden, da die lebenslang auszufüllende Funktion des Gerichtsgeschworenen sowohl eine unverhältnismäßige Belastung für den Betroffenen darstellte als auch den Erwerb entsprechender Fähigkeiten durch �������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Heuberger, Urkunden- und Kanzleiwesen, 1913, S. 76–77; für den Nachweis eines kanonistisch gebildeten gelehrten Rats unter Herzog Friedrich IV. siehe Rando, Hinderbach, 2008, S. 108, Anm. 31. 59 Männl, Juristen, 1998, S. 196; Lieberich, Gelehrte Räte, 1964; von elf zwischen 1299 und 1363 belegten Kanzleileitern der Herzöge von Österreich waren immerhin sechs Juristen, vgl. Stelzer, Kanzlei der Herzoge von Österreich, 1984, S. 307. 60 Sinnacher, Beyträge zur Geschichte, Bd. 5, 1828, S. 529–531. 61 Druck bei Stolz, Ausbreitung des Deutschtums, Bd. 2, 1928, S. 271–272. 58
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Jüngere erschwerte respektive ausschloss. Dass das Gericht Salurn für die Neuregelung Herzog Siegmund in Anspruch nahm, ist nicht notwendigerweise darauf zurückzuführen, dass nur dem Landesherrn die Kompetenz zum Abgehen vom Ge wohnheitsrecht und zur Rechtsgestaltung zugesprochen wurde. Ein Vergleich mit quellenmäßig besser belegten Beispielen aus dem 16. und 17. Jahrhundert zeigt vielmehr, dass bevorzugt dann die landesfürstliche Ratifikation eines genossenschaftlichen Rechtssetzungsaktes angestrebt wurde oder man sich von vornherein der Vermittlung eines landesfürstlichen Kommissars bediente, wenn die genossenschaftliche Einung nicht im Konsensweg erfolgen konnte und die Neuregelung auf Widerstände einzelner Personen oder Gruppen stieß. Dies dürfte auch im vorliegenden Fall zutreffen. Denn ebenso wie die neue Regelung, die argumentativ mit Verweis auf den „gemeinen Nutzen“ untermauert wurde, eine Entlastung für die bisherigen Geschworenen bedeutete, musste sie für andere, nunmehr auch als Gerichtsbeisit zer heranzuziehende Männer eine Verschlechterung bedeuten. Das Vorliegen einer landesfürstlichen, mit entsprechender Autorität versehenen Urkunde konnte hier bestehende Zwistigkeiten beenden und zukünftigen vorbeugen.62 Dies erlaubt auch eine Relativierung der Aussagekraft eines vermeintlichen Gegenbeispiels, das von der Forschung gelegentlich als Beleg für die Paralyse der ländlichen Gesellschaft vor dem Gewohnheitsrecht ins Treffen geführt wird.63 1427 „öffneten“ die Münstertaler Gerichtsgeschworenen „mit rat vil frummer erber lüt“ das geltende Recht, wobei sie bei einer erbrechtlichen (materiell hier nicht interessierenden) Bestimmung zum Schluss kamen, „daz es unpillichen ist, aber es ist von alter herkummen, daz wir nun zemal nicht veränderen mügent“.64 Es ist aber bezeichnend, dass Hermann Wopfner die folgende aussagekräftige Passage unterschlägt, die lautet: „aber doch so wellent wir unser sin und mainig melden und öffnen, was uns in dem pillich und mülichen teuchtet, won was nun ze mal nit geschechen mag, so geschicht es es fileîcht ain ander mal.“ Im Anschluss legen die Geschworenen die ihnen angemessen erscheinende Neufassung der als unbillig erkannten bisherigen Regelung dar: „Item und wellent es uflegen also, daz uns es billich teuchtet, daz [...], und daz were unsere mainung, sinn und rat.“65 Wopfner, der die einschlägigen Ausführungen um 1960 verfasst hatte, war noch ein Anhänger der Kern’schen Theorie der völligen Unveränderbarkeit und Statik des aus dem Volksgeist erfließenden „alten Rechts“, und angesichts dessen fügt sich die gänzliche Ausblendung des zweiten, nicht wirklich in dieses Konzept passenden Teils der Passage ins Bild. Burmeister kommt zu einem etwas anderen Schluss. Er konzediert, dass die Geschworenen zwar einhellig eine anzustrebende bessere Regelung vor Au Zu diesem Problemkreis VI. 3.2.2.2. und Kap. VI.3.2.2.4.. ���������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Burmeister, Rechtsfindung, 1975, S. 174–175; Burmeister, Einführung der erbrechtlichen Repräsentationsrechte, 1988, S. 88, Anm. 10; Wopfner, Bergbauernbuch, Bd. 2, 1995, S. 102. 64 Tirolische Weistümer, 3. Teil, 1880, Zitate S. 340 und 352. 65 Tirolische Weistümer, 3. Teil, 1880, S. 352–353. 62 63
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gen hatten, jedoch vor der Autorität des Gewohnheitsrechtes kapitulieren mussten und sich zu keiner Rechtssetzung durchringen konnten. Eine genaue Analyse lässt aber Zweifel an dieser Deutung aufkeimen. Zunächst darf man nicht übersehen, dass zweimal ausdrücklich angeführt wird, dass man „nun zemal“ (!) die bisherige Rechtsgewohnheit nicht ändern könne, dabei jedoch ausdrücklich auf eine vielleicht andere Entscheidung in der Zukunft hinweist. Dies muss irritieren. Wenn das so wirkmächtige Gewohnheitsrecht doch unverrückbar fest stand, warum sollte dann zu einem späteren Zeitpunkt eine Abänderung eher möglich sein als in der aktuellen Situation? Welchen Sinn hat es dann überhaupt, die alternativ vorgesehene Neuerung im Wortlaut anzuführen? Wahrscheinlicher erscheint demgegenüber folgendes Szenario, zumal wenn man sich das an anderer Stelle eingehender zu besprechende Prozedere bei der Entstehung von rechtssetzenden „Einungen“ vor Augen hält.66 Die Öffnung des Münstertaler Rechts geschah nachweislich auf dem (hier „Landsprache“ genannten) Ehafttaiding in Gegenwart aller Rechtsgenossen. Bei der gegenständlichen, von den Geschworenen als das Recht weisenden Personen als unbillig erkannten Erbrechtsbestimmung muss es zu Diskussionen über eine allfällige Neuregelung gekommen sein, bei der man jedoch – im doppelten Wortsinn – zu keiner Einigung unter der anwesenden Rechtsgenossen und folglich auch zu keiner verwillkürten Neuregelung kommen konnte (und Mehrheitsbeschlüsse im Zuge des Rechtssetzungsverfahrens auf Gerichtsebene kommen erst in der Frühneuzeit allmählich auf ). Gründe für den Widerstand mancher Rechtsgenossen gegen eine Neuregelung sind leicht gefunden, mögen doch einige eine ganz konkrete potentielle Erbschaft im Blick gehabt haben, derer sie im Fall einer Neuregelung verlustig gegangen wären. Ein solches Szenario erklärt jedoch, warum von den Geschworenen zweimal betont wird, dass man nur derzeit („nun zemal“) die Rechtsgewohnheit nicht ändern könne, eine Neuregelung (deren Wortlaut schon mitgeliefert wird) zu einem späteren Zeitpunkt jedoch für möglich hält. Die Überzeugung von der grundsätzlichen Wandelbarkeit der Rechtsordnung muss also nicht notwendigerweise monokausal auf das Wirken und Gedankengut gelehrter Juristen zurückgeführt werden, und es muss sich dabei ebenso wenig zwangsläufig um einen ‚von oben nach unten‘ verlaufenden Prozess gehandelt haben. Selbst das als Musterbeispiel für die Dominanz der Rechtsgewohnheiten herangezogene Münstertaler Exempel lässt, wie soeben dargelegt, durchaus andere (und wohl plausiblere) Lesarten zu. Wie heißt es in einem 1438 geschriebenen Gedicht des Tiroler Niederadligen Oswald von Wolkenstein: „ain gwonhait bös, wie alt die ist, die ist zu meiden kurzer frist.“67 Als Zwischenergebnis kann konstatiert werden, dass sich in Tirol kein Quellenbeleg für einen Konnex zwischen der signifikanten Intensivierung landesfürstlicher Vgl. hierzu Kap. VI.3.2.2.2. Klein, Lieder Oswalds, Nr. 112, Zitat S. 279; zu den malae consuetudines auch Hattenhauer, Bellum, 2005, S. 114–115 und 121.
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Gesetzgebung unter (Erz)Herzog Siegmund und dem Auftreten gelehrter Juristen am Innsbrucker Hof finden lässt. Auch die deutlichen formalen Kontinuitätslinien der „Entbieten“-Urkunde lassen die Mitwirkung gelehrter Juristen nicht als unverzichtbare Voraussetzung und Notwendigkeit intensiverer legislativer Tätigkeit erscheinen.
1. 2. 3. Rechtsreformationen und Juristen Mit dem soeben Ausgeführten ist natürlich noch keine Aussage über das Ausmaß der Beeinflussung des materiellen Rechts in späterer Zeit unter Maximilian I. getroffen, ebenso wenig wie man den Tiroler Befund wird generalisieren können. Gerade bei den Kodifikationen und „Reformationen“ des 15. Jahrhunderts ist die Beteiligung von Juristen häufig nachweisbar und wird teilweise in Narrationes ausdrücklich hervorgehoben. Hier sind zunächst die Stadtrechtsreformationen des letzten Viertels des 15. und des beginnenden 16. Jahrhunderts zu nennen.68 Die am Beginn stehende Nürnberger Stadtrechtsreformation von 1479 wollte so das städtische Recht an das gelehrte anpassen „nach vil hochgelehrter doctores, und den gemeinen geschriebenen rechten, sovil sich das nach der stat Nüremberg gelegenheyt, herkomen und leufte hat erleiden mügen.“69 Redaktor der Hamburger Stadtrechtsreformation von 1497 war der in Perugia zum Doctor utriusque iuris promovierte Bürgermeister Hermann Langenbeke,70 und ebenso verweist die Wormser Stadtrechtsreformation auf den „vorrat der rechtgelerten“ (d. h. den der Reformation vorangegangenen Rat der Rechtsgelehrten), welcher bei der Erlassung Pate gestanden hätte.71 Das als „gesetzgeberisches Meisterwerk“72 eine besondere Rolle spielende Freiburger Stadtrecht von Dr. Ulrich Zasius verweist in seiner Narratio ebenfalls auf die Beteiligung der Rechtsgelehrten.73 Auch auf territorialer Ebene manifestiert sich in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts die Beteiligung von Juristen. Graf Ulrich von Württemberg erklärte in einem landesherrlichen Reskript zur Erbfolge im Jahr 1477, sich des Rates mehrerer Rechtsgelehrter versichert zu haben, und Juristen waren überdies gutachterlich Vgl. den Überblick bei Bader/Dilcher, Rechtsgeschichte, 1999, S. 764–775; Schlosser, Grundzüge, 102005, S. 80–81; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, 21967, S. 189–203; Coing, Römisches Recht in Deutschland, 1964, S. 107–108. 69 Vgl. zum europäischen Kontext der Rechtsreformationen Immel, Typologie, 1976, S. 54–55; ediert bei Kunkel/Thiemel, Quellen, Bd. I/1, 1936, S. 1–94, Zitat S. 3; Edition des Drucks von 1484 durch Köbler, Reformacion, 1984. 70 Wolf, Gesetzgebung, 21996, S. 125. 71 Zit. nach der Edition bei Kunkel/Thiemel, Quellen, Bd. I/1, S. 97. 72 So Wieacker, Privatrechtsgeschichte, 21967, S. 194. 73 Nassall, Freiburger Stadtrecht, 2000, hier S. 101; allgemein zum Freiburger Stadtrecht auch Thieme, Die „Nüwen Stattrechten und Statuten der löblichen Statt Fryburg“, 1986 (erstmals 1970) (mit Hinweisen auf die ältere Literatur). 68
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III. Die Entwicklung der Gesetzgebung
mit der Vorbereitung der württembergischen Landesordnung befasst.74 Ebenso bediente sich in der Pfalzgrafschaft bei Rhein Pfalzgraf Philipp für die Ausarbeitung einer „Ordnung“, die im Erbrecht das Repräsentationsrecht einführte, gelehrter Juristen.75 Diese Befunde führen Dietmar Willoweit zu einer klaren Schlussfolgerung: „Hinter den Gesetzgebungswerken des 15. Jahrhunderts stehen oft nachweislich, wahrscheinlich jedoch überall, die gelehrten Räte“76, zumal sich bei mehreren Juris ten des 15. Jahrhunderts die Beteiligung an Gesetzgebungswerken nachweisen lasse. Freilich, das von ihm unter anderem angezogene Beispiel des Herzogtums Kleve überzeugt nicht wirklich: Die Aufnahme gelehrter Juristen in den Rat in den zwanziger Jahren des 15. Jahrhunderts überrascht angesichts des Gesagten nicht, zumal der damalige Herzog zu jener Zeit gerade in einen komplexen Rechtsstreit mit seiner Stadt Wesel verstrickt war. Vielmehr präsentiert sich der größte Teil der herzoglichen Gesetzgebung, den eben die Policeygesetzgebung ausmachte, als inhaltlich alles andere als neu oder spektakulär. Neu war sie „bestenfalls in dem Sinne [...], als nun in unzweideutiger Weise und territorial allgemein-verbindlicher Form vorgeschrieben wird, was bislang amts- bzw. gerichtsweise mündlich geboten wird.“77 Die von Wilhelm Janssen am Beispiel Kleves getroffenen Aussagen erhellen frei lich einen wichtigen Punkt bei der Beurteilung des Anteils der Juristen an der Inten sivierung der Gesetzgebung im Spätmittelalter. Die Antwort auf diese Fragestellung wird nämlich maßgeblich vom Untersuchungsgegenstand abhängen. Und hier prägt wohl die jahrzehntelange Dominanz der Privatrechtsgeschichte das Bild, die die umfangreiche Policeygesetzgebung weitgehend außer Betracht gelassen und den Fokus auf die spätmittelalterlichen Land- und Stadtrechtsreformationen und die Kodifikationen des 16. Jahrhunderts gelegt hat. Und bei der gesetzlichen Behandlung privatrechtlicher Materien zeigt sich in der Tat eine massive Beteiligung der gelehrten Juristen. Aber gerade die Normierung des Privatrechts bildet nur ein Randsegment der gesamten gesetzgeberischen Tätigkeit spätmittelalterlicher Territorien, deren Gros die „gute Policey“ zum Gegenstand hatte und wo sich nahezu nie die Beteiligung von Juristen nachweisen lässt.78 Wie man die Rolle der Juristen für die Gesetzgebung des 15. Jahrhunderts beurteilt, hängt somit nicht zuletzt von der Perspektive des Rechtshistorikers ab. Wer nur die Policeygesetze im Blick hat, wird sie marginalisieren; wer primär an die Rechtsreformationen denkt, wird sie betonen.79
76 77 78
Stievermann, Juristen, 1987, S. 264 und 267. Wolf, Gesetzgebung, 21996, S. 601. Willoweit, Gesetzgebung und Recht, 1987, S. 141. Janssen, Gesetzgebung, 1984, S. 12 und 32 (Zitat S. 32). Vgl. z. B. zur Thüringische Landesordnung von 1446 Richter, Landesordnungen, 1962, S. 12–16. 79 ������������������������������������������������������������������������������������������� Nur mit Blick auf die Gesetzgebungstätigkeit im Bereich des Privatrechts ist wohl die Feststellung von Willoweit zu verstehen, wonach die Rezeption des gelehrten Rechts „die Gesetzgebung stimuliert“ habe (vgl. Willoweit, Rezeption und Staatsbildung, 1986, S. 19). 74 75
1. Zur Entstehung der landesfürstlichen Gesetzgebung
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1. 2. 4. Schlussfolgerungen Mit Blick auf Tirol wird man zu folgendem Schluss kommen können: Das verstärkte Auftreten gelehrter Juristen im Rat war wohl nicht der entscheidende Anstoß für die quantitative Explosion von Gesetzgebungsakten in der Regierungszeit (Erz-) Herzog Siegmunds. Eine Verbindung mit der angeblich von ihnen vermittelten Vorstellung der Gestaltbarkeit der Rechtsordnung lässt sich nicht belegen. Dennoch wird man ihnen keineswegs aufgrund fehlender Quellenbefunde die Relevanz für die Entstehung des Gesetzgebungsstaates absprechen können. Im Gegenteil: Ernst Schubert verwendete einmal am Rande das Diktum von der „Infrastruktur des Fürstentums“80, das eine Voraussetzung für die frühneuzeitliche Gesetzgebung gebildet habe, und genau in diesen Zusammenhang wird man die Juristen stellen müssen. Eine monokausale Verknüpfung „Auftreten von gelehrten Juristen, ergo Zunahme der Gesetzgebung“ ist zwar abzulehnen. Doch im Verbund mit der personellen Expansion der Kanzlei, ihrer organisatorischen Durchgestaltung und der Ausbildung und Verfestigung einer das Land überziehenden Ämterorganisation konstituieren die Rechtsgelehrten und damit das juristische Denken einen wesentlichen Teil der besagten „Infrastruktur des Fürstentums“, welche die Gesetzgebung förderte und ihre Implementation ermöglichte. Dies ist wohl nicht zuletzt eine Frage der Mengenverhältnisse. Im 16. und 17. Jahrhundert wurden Juristen tatsächlich zum Rückgrat des frühmodernen Staates, wohingegen sie zuvor – um die Worte Peter Moraws zu verwenden – „zumeist wohl einfach nicht jene kritische Masse [erreichten], die erst wirklich tiefgreifende Wandlungsvorgänge möglich macht.“81 An anderer Stelle hat Moraw selbst versucht, eine chronologische Auflistung der nachweisbaren Landesordnungen auf dem Gebiet des Heiligen Römischen Reichs zu erstellen, um daran anschließend die Frage nach eventuell feststellbaren Regularitäten aufzuwerfen.82 Er kommt zum Schluss, dass sich Landesordnungen tendenziell bevorzugt in frühen Verdichtungszonen nachweisen lassen, also in Landschaften, die hinsichtlich der Sozial-, Wirtschafts- und vor allem Herrschaftsstruktur als fortschrittlich anzusprechen sind. Zu nennen ist hier an erster Stelle der niederrheinischflämische Raum, namentlich die Landesordnung von Kleve von 1431, doch sind die Anfänge von Landesordnungen in diesem geographischen Bereich nach Moraws Ansicht wohl bis in das 14. Jahrhundert zurückzuverfolgen. Es folgt ein Komplex von Landesordnungen in Mittel- und vor allem in Oberdeutschland: 1446 (und 1482) Sachsen-Thüringen, 1474 Niederbayern, 1495 Baden und Württemberg, 1497 und 1500 Hessen, 1501 Niederbayern. Demgegenüber zeigt sich der Norden und Osten (sieht man vom Deutschordensland und der dortigen Landesordnung
Schubert, Vom Gebot zur Landesordnung, 2001, S. 27. Moraw, Gelehrte Juristen, 2001, S. 142. 82 Moraw, Landesordnungen im deutschen Spätmittelalter, 1997, S. 190–192. 80 81
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III. Die Entwicklung der Gesetzgebung
von 1445 ab) signifikant „verspätet“.83 Moraw konzediert freilich auch gewisse Ausreißer und verweist auf Territorien, die „regelwidrig“ retardiert Landesordnungen erlassen (wie Kurköln oder die Kurpfalz) oder überhaupt davon absehen. In unserem Zusammenhang ist vor allem ein Nebensatz Moraws von Bedeutung, in dem er die Brücke von der chronologischen Abfolge der Landesordnungen zum Auftreten gelehrter Juristen schlägt. Er weist hier auf eine gewisse Parallelität hin, indem Laienjuristen in größerer Zahl im Osten und Norden deutlich retardiert aufschienen, am Niederrhein und anschließend in Oberdeutschland dagegen früher – was ihn zum Schluss führt, „das Auftreten gelehrter Juristen als ein vermutlich notwendiges oder wenigstens förderliches ‚Basisphänomen‘“ einzustufen.84 Verifizieren wir dieses Modell und fragen wir auf überregionaler Ebene nach zeitlichen Koinzidenzen zwischen der Intensivierung der spätmittelalterlichen Gesetzgebung und dem numerisch stärkeren Auftreten von Juristen aus dem Laienstand. Gibt es einen Konnex zwischen der Ausbreitung legislativer staatlicher Tätigkeit und dem Zeitpunkt und der Quantität des Auftretens Rechtsgelehrter im Reich? In der Tat zeigt sich eine gewisse Überlappung zwischen der Zunahme der Gesetzgebung (und auch dem Erlass von Landesordnungen) und den von der Forschung unterschiedenen drei deutschen „Juristenlandschaften“:85 Am frühesten scheinen sie am Niederrhein, etwas verspätet in Oberdeutschland und deutlich später im Norden auf – eine gewisse Parallele zur Entwicklung der Gesetzgebung liegt nahe, wenngleich es Ausnahmen gibt. Schließlich sind gerade im Südosten des Reichs „besonders frühe und besonders eindrucksvolle Spuren legislatorischer Tätigkeit in den Quellen bezeugt“86. Kommen wir zur Schlussfolgerung. Der bisherige Befund erscheint verwirrend: Einerseits lässt sich im Tiroler Quellenmaterial kein wie auch immer gearteter Konnex zwischen dem Eindringen gelehrter Juristen unter (Erz‑)Herzog Siegmund und der Zunahme der Gesetzgebung belegen, andererseits ist die Verbindung aus überregionaler Perspektive nicht von der Hand zu weisen. Hier scheint die „Verdichtungstheorie“ wieder ein angemessenes Erklärungsmodell zu bieten. Beides, Gesetzgebung wie Juristen, sind Emanationen einer sich verdichtenden landesfürstlichen Territorialherrschaft, und darum liegt in der zeitlichen Konkordanz zwischen dem Auftreten von gelehrten Juristen und der Intensivierung legislativer Tätigkeit wenig Überraschendes, ohne dass man zwangsläufig in jedem Territorium den Nachweis einer Beteiligung von Juristen an der Gesetzesentstehung erbringen oder umgekehrt den Befund eines fehlenden Nachweises als verstörend wahrnehmen muss. Vgl. Moraw, Landesordnungen im deutschen Spätmittelalter, 1997, S. 191–192; Weber, Schlesische Polizei- und Landesordnungen, 1996; Schulze, Polizeigesetzgebung, 1978. 84 Moraw, Landesordnungen im deutschen Spätmittelalter, 1997, S. 191. 85 ���������������������������������������������������������������������������������������� Moraw, Gelehrte Juristen, 2001, S. 135 (mit weiteren Literaturhinweisen); Moraw, Entfaltung der Territorien, 1984, S. 94–95. 86 Janssen, Gesetzgebung, 1984, S. 7. 83
2. Die quantitative Entwicklung
243
Die „Verdichtungstheorie“ lässt sich zudem überzeugend am Beispiel Tirol belegen, das gerade in den ersten Jahrzehnten eine große Dichte legislativer Akte aufweist – die beispielsweise die Gesamtzahl in den benachbarten bayerischen Herzogtümern in den Schatten stellt – und auch mit der ersten allenfalls als „Landesordnung“ anzusprechenden umfangreicheren Ordnung von 147487 über einen verhältnismäßig frühen Beleg verfügt. In der Tat muss gerade Tirol in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts als Land angesprochen werden, das einen vergleichsweisen hohen Stand herrschaftlicher und administrativer Verdichtung erlangt hatte, was an dieser Stelle nur kurz und schlagwortartig rekapituliert sei: ein hohes Niveau der Zentralverwaltung schon vor dem Regierungsantritt Maximilians I. (wenngleich die jüngere Forschung der These der Inspiration der maximilianeischen Reformen durch das Tiroler Vorbild zwischenzeitlich skeptisch gegenübersteht), ein dichtes, flächendeckendes Netz von Ämtern („Gerichten“), die aufgrund des nahezu völligen Fehlens signifikanter intermediärer Gewalten einen unmittelbaren Zugriff des Landesherrn auf die Masse der Untertanen ermöglichten, ein geographisches Naheund reges Austauschverhältnis mit dem oberitalienischen Raum.
2. Die quantitative Ent wicklung 2. 1. Methodisches Bis in die neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts begnügte sich die rechtshistorische Forschung bei der Erörterung der quantitativen Relevanz der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gesetzgebung mit der summarischen Feststellung, dass die entsprechenden Regelungen „zahllos“ seien,88 wobei freilich die Gewichtung je nach Forscherpersönlichkeit ungleich war. Wie bereits dargelegt, konzentrierte sich die Privatrechtsgeschichte auf die Stadt- und Landrechtsreformationen bzw. Landrechte, während die später einsetzende Forschung zur „guten Policey“ die lange vernachlässigte Policeygesetzgebung ins Visier nahm. Im Zuge des rezent verstärkt erwachten Interesses an der Policeygesetzgebung erlaubt das inzwischen auf eine ganze Reihe von Bänden angewachsene „Repertorium der Policeyordnungen der Frühen Neuzeit“ und die dabei gewonnenen Erfahrungswerte erstmals, deren Umfang überschlagsmäßig zu berechnen: Bei einer eher niedrig angesetzten Gesamtzahl von 1000 normsetzenden Akteuren im Heiligen Römischen Reich, die von der Mitte des 15. Jahrhunderts bis zum ausgehenden 18. Jahrhundert je nach Normierungsintensität und Größe des Territoriums durchschnittlich 2000 bis 5000 Gesetze erließen, kommt man auf eine Gesamtzahl von zwei bis fünf Millionen Policeygeset Vgl. hierzu Kap. IV.7.2. So auch die Feststellung bei Stolleis, Normdurchsetzung, 2000, S. 740.
87 88
244
III. Die Entwicklung der Gesetzgebung
zen.89 Dabei wurde die legislative Tätigkeit des frühmodernen Staates nahezu ausschließlich von der Leitkategorie der „guten Policey“ getragen. Die Policeygesetzgebung griff tief in Regelungsmaterien ein, die heute dem „Privatrecht“ zugeordnet werden, und ergänzte und modifizierte auch das Strafrecht. Während des Untersu chungszeitraumes kannte weder die Theorie noch die Praxis eine strikte Trennung der Policeygesetzgebung von Straf- und Privatrecht,90 und so kann man in Tirol in der Tat nur sehr selten Gesetzgebungsakte finden, die eindeutig nicht dem Bereich der „guten Policey“ zuzuordnen sind. Diese machen bei einer Gesamtzahl von 917 belegten Gesetzgebungsakten im Zeitraum bis 1665 in Summe knapp drei Prozent der legislativen Tätigkeit aus, wobei das Zivilprozessrecht dominiert. Bei materiellrechtlichen Regelungen sind Zuordnungen dagegen überaus problematisch.91 Vorderhand scheint so eine 1571 erlassene Erläuterung des das Erbrecht behandelnden dritten Titels des dritten Buchs der Tiroler Landesordnung rein privatrechtlichen Charakters zu sein.92 Betrachtet man jedoch die zugrunde liegenden und belegbaren Regelungsmotive, erkennt man die wirtschaftspoliceyliche Stoßrichtung der Norm, die im Ergebnis das Erbrecht von Ausländern beschränkte: Man wollte hiermit den in einer anonymen Schrift monierten Geldabfluss aus Tirol, der durch die frühere Regelung der Tiroler Landesordnung von 1532 bewirkt worden sei, beenden.93 So wie das „Repertorium der Policeyordnungen der Frühen Neuzeit“ einleitend die vorgenommene Eingrenzung der aufgenommenen Rechtsetzungsakte darlegt und dabei hervorhebt, dass dies vielfach kaum möglich ist,94 seien ebenso im Folgenden die Kriterien dargelegt, die zur angeführten Gesamtzahl von 917 Gesetzen bis 1665 geführt haben. Der Ausgangspunkt ist denkbar einfach: Jeder landesfürstliche Hoheitsakt, der die zuvor erarbeiteten und ausführlich dargestellten Kriterien erfüllt, wird aufgenommen. Hiervon ausgenommen ist der Finanzbereich. Gesetze, die Steuern und Abgaben (einschließlich Zöllen) betreffen, wurden von vornherein nicht erfasst. Für diese Entscheidung waren mehrere Überlegungen ausschlaggebend: Erstens ist die Überlieferung der entsprechenden Normen noch bei weitem disparater als für die übrige Gesetzgebung und hätte den Fundus durchzuarbeitender Archivbestände noch weiter ausgedehnt. Zweitens unterscheidet sich das Zustandekommen von Steuergesetzen grundsätzlich von dem anderer Gesetze und würde eine umfassende Stolleis, Normdurchsetzung, 2000, S. 741. ������������������������������������������������������������������������������������������ Vgl. nur Schlosser, Gesetzgebung und Rechtswirklichkeit, 1982, S. 532; Schmelzeisen, Polizeiordnungen und Privatrecht, 1955; Schmelzeisen, Rechtsgebot, 1967; Härter, Policey und Strafjustiz, 1. Teilbd., 2005, S. 173. 91 �������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. nur Schmelzeisen, Polizeiordnungen und Privatrecht, 1955; ferner z. B. Butz, Polizeibegriff, 1986, S. 83–85; Schildt, Policey- und Landesgesetzgebung, 2000, S. 234. 92 TLA, Pestarchiv XXIX/79, 1571 Juni 12 (handschriftlich überliefert in TLA, Ferdinandea, Karton 216, Pos. 216). 93 Vgl. nur TLA, AfD 1571, fol. 140v–142v, 1571 März 16. 94 So Härter/Stolleis, Einleitung, 1996, S. 11. 89 90
2. Die quantitative Entwicklung
245
Berücksichtigung des überaus komplexen spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Tiroler Steuerwesens notwendig machen, die den Umfang der Darstellung bei weitem sprengen würde, ohne die für eine Gesetzgebungsgeschichte zu gewinnenden Erkenntnisse signifikant zu vertiefen. Drittens könnte der Anspruch, auch die Implementation im Rahmen der Untersuchung (wenn auch in unterschiedlicher Intensität) zu berücksichtigen, aufgrund der hunderten Laufmeter an Akten zur Steuerverwaltung nicht einmal ansatzweise verwirklicht werden. Die angesprochene disparate Überlieferungslage gilt im Übrigen auch für die spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Zollordnungen. Hier kommt noch ein Umstand hinzu: Bei diesen handelt es sich fast ausschließlich um „Ordnungen“, die die Tarife einer oder einiger weniger Zollstationen regeln, während landesweite Zollordnungen ausgesprochen selten sind (während des Untersuchungszeitraumes gab es deren nur drei, nämlich 1305, 1516 und 1558).95 Somit haben wir es fast ausschließlich mit normativen Regelungen zu tun, deren räumlicher Geltungsbereich ein extrem eingeschränkter ist und die diesbezüglich die statistische Auswertung völlig verzerren würden. Dieser Einwand einer Verfälschung der Statistik durch die Berücksichtigung der Zollordnungen trifft in noch einem Punkt zu. Während die legislative Tätigkeit in allen anderen Bereichen erst ab den siebziger Jahren des 15. Jahrhunderts verstärkt einsetzt und sich die Zahl der Gesetze in den Jahrzehnten zuvor in engen Grenzen hält, reichen die Zollordnungen bis in das 13. Jahrhundert zurück und sind speziell aus dem 15. Jahrhundert schon in größerer Zahl erhalten. Sie würden somit ein zumindest irreführendes Bild von der legislativen Tätigkeit des spätmittelalterlichen Staates evozieren. Nicht in der folgenden Statistik berücksichtigt, wenn auch aus anderen Gründen, wurden das Münzwesen betreffende Mandate. Inhaltlich sind sie Gegenstand einer eigenen wissenschaftlichen Disziplin, der Numismatik, weshalb der Beitrag des Rechtshistorikers euphemistisch formuliert ein überschaubarer wäre, der bei der Auswertung des behördeninternen (übrigens überaus intensiven!) Schriftverkehrs im Vorfeld der einzelnen Gesetzgebungsakte rasch an die Grenzen seiner Fachkenntnis stößt. Grundsätzlich handelt es sich überwiegend um Münzverrufe oder Ordnungen, die den Kurs zirkulierender Münzsorten festlegen. Quantitativ halten sich die das Münzwesen betreffenden Gesetzgebungsakte in überschaubaren Grenzen. Unter (Erz)Herzog Siegmund wurden beispielsweise sieben eigene Münzmandate erlassen,96 acht ergingen unter Maximilian I.97 Während das erste Jahrzehnt der Hierzu Stolz, Geschichte des Zollwesens, 1953, S. 59–61. ����������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Chmel, Österreichischer Geschichtsforscher, Bd. II/3, 1842, S. 471–472 (ebenso Brandis, Landeshauptleute, 1847/1850, S. 239–240 und Überlieferung in TLMF, FB 2675, fol. 59, 1450 Febr. 10); TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 3, Lit. B, fol. 53, 1481 Nov. 29; ebd., Nr. 4, Lit. C, fol. 353v–354r, 1482 Febr. 27; ebd., Nr. 4, Lit. C, fol. 354v, 1482 März 6; ebd., Nr. 5, Lit. D, fol. 180v–181r, 1483 Sept. 18; ebd., Nr. 10, Lit. L, fol. 69r, 1489 Dez. 8; ebd., Nr. 10, Lit. L, fol. 123v–124r, 1490 Jan. 4. 97 TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 31, Lit. Dd, fol. 89v–90r, 1510 Mai 18; ebd., Nr. 31, Lit. Dd, fol. 90r, 1510 Sept. 6; ebd., Nr. 32, Lit. Ee, fol. 132, 1511 Febr. 22; ebd., Nr. 32, Lit. Ee, fol. 132, 95 96
246
III. Die Entwicklung der Gesetzgebung
Herrschaft Ferdinands I. mit zwölf Münzmandaten noch einen Normierungsschub sah, hielt sich die Zahl der einschlägigen Regelungen in den folgenden Jahrzehnten in sehr engen Grenzen (eine Ausnahme stellt die von galoppierender Inflation geprägte Kipper- und Wipperzeit Anfang der zwanziger Jahre des 17. Jahrhunderts dar). Es sei nochmals wiederholt: Die entsprechenden Mandate flossen nicht in die statistische Darstellung ein. Ein Problem eigener Art stellten überdies landesfürstliche Gesetze mit einem räumlich beschränkten Geltungsbereich dar. Das „Repertorium der Policeyordnungen der Frühen Neuzeit“ berücksichtigt derartige Policeygesetze im Allgemeinen nicht. Sie wurden ausnahmsweise „nur erfaßt, falls sie von exemplarischer und grundsätzlicher Bedeutung für das Gesamtterritorium waren.“98 Natürlich mag man über die Definition der Eingrenzungskriterien „exemplarisch“ und über die „grundsätzliche Bedeutung“ diskutieren, scheinen diese doch zu sehr im Auge des Betrachters zu liegen. Für die Forschungspraxis erweisen sie sich jedoch rasch als tauglich. So erklärt dies beispielsweise die Aufnahme der vom Landesfürsten (!) erlassenen Feuerordnung für seine Residenzstadt Innsbruck, die die Feuerordnungen anderer Tiroler Städte, die dort von Bürgermeister und Rat erlassen wurden, in erheblichem Maße beeinflusste.99 Neben den bedeutenden landesfürstlichen Regelungen für Innsbruck, die Vorbildwirkung für andere Tiroler Städte entfalteten, versuchte der Verfasser, Gesetze möglichst vollständig zu berücksichtigen, deren Geltungsbereich einen ganzen Landesteil (bzw. zumindest ein Viertel) betraf. Man muss sich freilich bewusst sein, dass auf diese Weise nur ein kleiner Teil jener als Gesetze anzusprechender Hoheitsakte erfasst wurde (und sinnvollerweise erfasst werden kann!), deren räumlicher Geltungsbereich limitiert war. Gerade der Bereich der Holz- und Waldgesetzgebung, die für die Grafschaft Tirol eingehend dokumentiert wurde, führt vor Augen, wie zahlreich die lokalen Verhältnissen angepassten, unter Umständen nur sehr kleinräumige Gebiete betreffenden gesetzlichen Regelungen waren, deren auch nur annähernd vollständige Erfassung bis auf weiteres eine Utopie bleiben muss.100
1511 März 31; ebd., Nr. 32, Lit. Ee, 1511 Okt. 16; ebd., Nr. 32, Lit. Ee, fol. 135v–136r, 1511 Dez. 16; ebd., Nr. 33, Lit. Ff, fol. 48, 1512 Aug. 22; ebd., Nr. 34, Lit. Hh, fol. 3, 1513 März 18. 98 Härter/Stolleis, Einleitung, 1996, S. 10. 99 ������������������������������������������������������������������������������������������� Dies erklärt beispielsweise, warum die für die Stadt Innsbruck und Hötting erlassene „Pestordnung“, die einer damals nahe Innsbruck ausgebrochenen Infektionskrankheit Einhalt gebieten sollte, jedoch offensichtlich keine Vorbildwirkung für andere Städte entfaltete, nicht berücksichtigt wurde (vgl. die detaillierte inhaltliche Wiedergabe bei Flamm, Infektionsoder Pest-Ordnungen, 2008, S. 33–39, sowie bei Demetz, Pest in Tirol, 1987, S. 18–23; Edition ebd., S. 342–365). 100 Vgl. hierzu ausführlich die Auflistung bei Oberrauch, Wald und Waidwerk, 1952.
2. Die quantitative Entwicklung
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2. 2. Statistik und Auswertung Schon ein erster Blick auf die statistische Verteilung der in Summe 917 Tiroler Gesetzgebungsakte bis zum Aussterben der jüngeren habsburgischen Nebenlinie in Innsbruck im Jahr 1665 zeigt, dass sich die legislative Tätigkeit der Landesfürsten bis zu Beginn der siebziger Jahre des 15. Jahrhunderts auf nahezu konstant niedrigem Niveau bewegte: Pro Jahrzehnt wurde nicht einmal eine Handvoll als Gesetze anzusprechender Regelungen erlassen. Die vierziger Jahre des 15. Jahrhunderts sahen einen kurzen Anstieg, der jedoch in den fünfziger Jahren keine Fortsetzung fand. Dieser ephemer bleibende Zuwachs war durch die Gesetzgebungsaktivitäten des ständischen Rates zu Meran bedingt, der während des so genannten Vormundschaftsstreites mit dem Vormund des jungen Siegmund, König Friedrich, die Herr schaft ausübte und dabei auch die gesetzgebende Gewalt in Anspruch nahm. Der plötzliche Einbruch der Gesetzgebung in den sechziger Jahren darf nicht überbewertet werden, sondern ist wohl vornehmlich auf die ungünstige Überlieferungssituation zurückzuführen, setzt die so genannte ältere Kopialbuchreihe, die für die Rekonstruktion und Erfassung der Gesetzgebungsakte zentral ist, eben erst ab 1466 ein und ist gerade in den ersten Jahren noch fragmentarisch. Wie in anderen spätmittelalterlichen Territorien manifestiert sich auch in Tirol in den siebziger und achtziger Jahren des 15. Jahrhunderts ein abrupter Anstieg, dessen mögliche Ursachen bereits erörtert wurden. Betrachtet man die Verteilung der Gesetzgebungsakte auf die einzelnen Jahre, fällt der Blick freilich auf ein Kuriosum, das sich einer Erklärung weitgehend entzieht. Von den 33 Gesetzgebungsakten der achtziger Jahre (zu denen noch fünf Münzmandate kommen), fallen allein zehn (plus zwei Münzmandate) in das Jahr 1482. Für diese Massierung just in diesem Jahr, die in der Folgezeit wieder abnahm, war offensichtlich kein externer Faktor verantwortlich: Keine äußere Einwirkung (Nahrungsmittelknappheit, Naturkatastrophe), kein entsprechend initiativ werdender Landtag und ebenso wenig eine einzelne Person (z. B. ein bestimmter Kanzleibediensteter) scheinen hierfür verantwortlich zu zeichnen. Auch das Itinerar Siegmunds selbst gibt keine Aufschlüsse.101 1482 hielt er sich nicht länger in seiner Residenzstadt auf als in den folgenden oder vorangegangenen Jahren, so dass die Erklärung der intensivierten Gesetzgebung durch einen Verweis auf die unmittelbare Einflussnahme des Landesfürsten spekulativ bleiben muss und nicht durch irgendwelche Indizien erhärtet werden kann. Der konstante Aufschwung ab den siebziger Jahren des 15. Jahrhunderts bis zum ersten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts vollzieht sich parallel zu den zunehmenden legislativen Aktivitäten der Landtage, die diesen Zeitraum mitprägen. Auf den Landtagen werden in Zusammenwirken von Landesfürst und Landständen umfangreiche Normenkomplexe ausgearbeitet, die allerdings nicht notwendigerweise eins zu eins in Mandaten umgesetzt werden müssen. Insbesondere im ersten Jahrzehnt Zum Itinerar Siegmunds vgl. die Arbeit von Resler, Itinerar, 2000.
101
III. Die Entwicklung der Gesetzgebung
248 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10
1660
1630
1600
1570
1540
1510
1480
1450
1420
1390
1360
1330
1300
1280
0
Grafik 1: Entwicklung der Gesetzgebung 1280–1660 (absolute Zahlen der Gesetzgebung Pro Jahrzehnt) des 16. Jahrhunderts zeigt Maximilian I. die deutliche Tendenz, die auf den Landtagen ausgearbeiteten Ordnungen nur noch partiell in Mandatsform umzusetzen. Auf dieses Phänomen und die hierfür ausschlaggebenden Gründe wird an anderer Stelle einzugehen sein.102 Die doch markante Zäsur im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts, die den bisherigen Aufwärtstrend beendet, ist teils sachlich, teils mit Zufälligkeiten der Überlieferungslage zu erklären. Während des so genannten Venezianerkriegs (1508/09–1516) tritt die legislative Aktivität auf den Landtagen tatsächlich deutlich in den Hintergrund. Es dominieren nun außenpolitisch-militärische Angelegenheiten und speziell die damit zusammenhängenden Finanzierungswünsche des Kaisers an die Tiroler Landstände, die diese nach Möglichkeit abzuwehren trachten. Zudem wurde bereits ausgeführt, dass die Überlieferungssituation für einzelne Jahre des Jahrzehnts nachweislich unvollständig ist. Der in den zwanziger Jahren zu beobachtende Spitzenwert bei der gesetzgebenden Tätigkeit – insgesamt wurden in diesem Zeitraum 89 Gesetze erlassen (darunter auch die Kodifikation der Tiroler Landesordnung von 1526), wozu noch neun Münzmandate kamen – ist multifaktoriell bedingt, wobei drei Umstände besonders hervortreten: erstens die sowohl im Vorfeld des Bauernkriegs 1525/1526 als auch in dessen Gefolge obrigkeitlicherseits für notwendig erachteten gesetzlichen Maßnah Vgl. Kap. IV.7.2.2.
102
2. Die quantitative Entwicklung
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men auf sicherheitspoliceylichem Gebiet; zweitens die ab 1527 massiv einsetzende Gesetzgebung gegen religiöse Devianz bzw. ganz konkret gegen die auch in Tirol Fuß fassenden Täufer; drittens die überaus intensive Gesetzgebung in den Bereichen Jagd und Fischerei, der Ferdinand I. nachweislich besonderes Augenmerk zuwandte. Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass die Reichspoliceyordnungen der Jahre 1530 und 1548, die in anderen Ländern in teilweise erheblichem Ausmaß die territoriale Gesetzgebung initiierten und zudem inhaltlich beeinflussten, in Tirol quantitativ nur geringe Auswirkungen auf die legislative Tätigkeit und deren Inhalte zeitigten. Dies zeigt bereits ein genauerer Blick auf die Verteilung der Gesetzgebungsakte in den einzelnen Jahren. Ausgerechnet in den Jahren unmittelbar nach dem Erlass der Reichspoliceyordnungen verzeichnet die territoriale Gesetzgebung jeweils deutliche Tiefstände. Während in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre die jährliche Gesetzesproduktion konstant im zweistelligen Bereich lag, sackte sie gerade 1531 auf vier ab. Im Jahr 1549 ist sogar nur ein einziges Gesetz zu verzeichnen, während in den Jahren zuvor durchschnittlich ein halbes Dutzend Gesetze im Jahr erlassen worden waren. Bestätigt wird dieser rein quantitative Befund durch eine Analyse der Gesetzesinhalte, wo Bezüge zur Reichsgesetzgebung selten sind.103 Der neuerliche Anstieg in den fünfziger und sechziger Jahren basiert demnach nicht bzw. nicht in relevantem Ausmaß auf Einflüssen der Reichsgesetzgebung, sondern auf anderen Ursachen. So setzte damals der Prozess der sukzessiven Ersetzung von Bestimmungen der Tiroler Landesordnung durch Nachfolgeregelungen ein, die als adäquater angesehen wurden. Parallel hierzu begannen ab 1560 die sich zunehmend intensivierenden Bemühungen sowohl der Landstände als auch Ferdinands I. um eine Überarbeitung und Reformation der Kodifikation,104 die schließlich 1573 zustande kam. Auch äußere Faktoren beeinflussten die Gesetzge bungsaktivität. Die Ankunft Erzherzog Ferdinands II. führte zu einem kurzfristig massiven Ansteigen der Jagd- und Fischereigesetzgebung um die Mitte der sechziger Jahre, und die Hungersnot der ersten Hälfte der siebziger Jahre machte ein entsprechendes wirtschaftspoliceyliches Gegensteuern notwendig. Ab Mitte der siebziger Jahre ist demgegenüber ein signifikantes Absinken der legislativen Tätigkeit zu beobachten, die für dreieinhalb Jahrzehnte auf vergleichsweise niedrigem Niveau stagnierte. Diese im überregionalen Vergleich eher untypische Entwicklung zeigt den Erfolg der Landes- und Policeyordnung, die zu einer weitgehenden Konsolidierung des nunmehr als weitgehend suffizient betrachteten Normenbestands führte. Was nun noch folgte, war das policeyrechtliche „Tagesgeschäft“, das keine grundsätzlich neuen Regelungsgebiete mehr erschloss, sondern situationsadäquat mit dem vorhandenen rechtlichen Instrumentarium auf kurzfristig wahrgenom S. Kap. VI.5.2.1.2. Vgl. hierzu frühe Belege in TLA, BT, Bd. 8, fol. 70v–72v, 1560 Juli 11; ebd., fol. 150r, 1560 Dez. 9; ebd., fol. 173, 1561 Febr. 13; TLA, VksM 1561, fol. 129, 1561 Juni 21; eine umfassende Quellenedition wird Josef Pauser demnächst publizieren. Inhaltlich zur Reform der Tiroler Landesordnung Kap. IV.7.5.
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mene Missstände reagierte bzw. vorhandene Gesetze (unter Umständen geringfügig modifizierend) wiederholte und einschärfte. Gegen umherziehende ehemalige Söldner (‚Gartknechte‘) gerichtete Mandate waren damals beispielsweise alles andere als innovativ,105 und dasselbe gilt für die nahezu jährliche Einschärfung der Fastengebote in Gesetzesform, die ab 1573 Platz griff.106 Zudem kam es zur Ergänzung der Tiroler Landesordnung durch eine Reihe von Einzel- bzw. Sonderordnungen, die einzelne Regelungsgegenstände entweder gänzlich neu oder abundanter als die Landesordnung regelten. Für Ersteres stellen die Kirchpropst-, Bettler- und Schulordnung, für Zweiteres die Gerichtskosten- oder Forstordnung Beispiele dar.107 Dass der Dreißigjährige Krieg zu keinem signifikanten Rückgang der Gesetzgebungstätigkeit führte, wie dies in vielen Reichsterritorien in diesem Zeitraum zu beobachten ist, erklärt sich aus der geographischen Randlage der Grafschaft Tirol am Südrand des Reichs. Von unmittelbaren Kriegseinwirkungen blieb Tirol weitgehend verschont, sieht man von einem kurzfristigen Einfall des mit Schweden verbündeten Bernhard von Weimar in das nordöstliche Tirol im Juli 1632 ab. Nur in den Jahren 1646/1647 näherten sich die Kriegsereignisse noch einmal bedenklich den Tiroler Grenzen. Im Falle Tirols wirkte der Krieg in einem gewissen Maße eher stimulierend auf die Gesetzgebung. Die anhaltenden, bis dahin ungekannte Ausmaße annehmenden Truppendurchzüge von in Italien angeworbenen Söldnerkontingenten auf die Kriegsschauplätze nördlich der Alpen machten entsprechende legislative Vorkehrungen notwendig, wie überhaupt die sicherheitspoliceyliche Gesetzgebung deutlich zunahm. In diese Zeiten fiel beispielsweise die legislative Ausformung eines Passwesens und eines Meldesystems für Durchreisende. Auch auf dem wirtschaftspoliceylichen Gebiet machten sich die Kriegsauswirkungen bemerkbar, so bei gesetzlichen Maßnahmen zur Sicherstellung der Lebensmittelversorgung oder in Gestalt von Bewirtschaftungsmaßnahmen bei (potentiell) kriegswichtigen Gütern (Salpeter und Pulver, Eisen, Kavalleriepferde). Das Wegfallen derartiger Regelungen erklärt wohl das Ende der vierziger Jahre des 17. Jahrhunderts zu beobachtende Absinken der Gesetzeszahl, das sich fortan und bis zum Ende des Untersuchungszeit raums wieder auf dem Niveau des Jahrhundertanfangs einpendelte. Im überregionalen Vergleich hält sich die Gesamtzahl von 917 Gesetzgebungsakten durchaus im Rahmen des zu Erwartenden. Zum Vergleich: Dem Repertorium der Policeyordnungen der Frühen Neuzeit zufolge (das jedoch nur die – quantitativ allerdings stark dominierenden – Policeygesetzgebungsakte erfasst) liegt Tirol somit zwischen der Kurpfalz (846) und dem Herzogtum (Kurfürstentum) Bayern Vgl. z. B. TLA, CD 1577, fol. 633, 1577 Nov. 12; CD 1583, fol. 599, 1583 Sept. 23; CD 1585, fol. 244, 1585 Juni 5; CD 1585, fol. 247, 1585 Aug. 31; CD 1594, fol. 192, 1594 Jan. 8; TLMF, Dip. 1090, Nr. 72, 1606 Aug. 8. 106 Vgl. nur TLA, CD 1573, fol. 130, 1573 Jan. 28; CD 1574, fol. 210, 1574 Febr. 22; CD 1576, fol. 562, 1576 Febr. 23; CD 1578, fol. 18, 1577 Nov. 12 usw. 107 Hierzu mehr im folgenden Kapitel. 105
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(1033).108 Auffallend dabei ist freilich, dass die legislative Tätigkeit in der Grafschaft Tirol in den ersten Jahrzehnten überproportional stark ist, sich die Gesetzgebungstätigkeit im Vergleich zu anderen Territorien im Verlauf des 16. Jahrhunderts jedoch auf vergleichsweise niedrigem Niveau konsolidiert bzw. zumindest nicht jene Akzelerations- und Wachstumsraten aufweist wie in anderen Ländern des Heiligen Römischen Reichs. Bleiben wir bei den gewählten Beispielen: Bis zum Tod Maximilians I. wurden für die Grafschaft Tirol insgesamt 206 legislative Akte (einschließlich der Münzmandate) erlassen, während im um fast 50 % größeren Herzogtum Bayern bis dahin nur 172 Policeygesetze belegt sind (wobei in dieser Zahl bereits sämtliche Gesetze der früheren Teilherzogtümer mit erfasst sind); die kleine Kurpfalz weist bis zu diesem Zeitpunkt vollends nur 82 Policeygesetze auf, um sich freilich bis 1665 recht nahe an die Gesamtproduktion der Grafschaft Tirol heranzuarbeiten – und das, obwohl Tirol die Kurpfalz hinsichtlich der Bevölkerungszahl stets um ein Mehrfaches und nach der dort eingetretenen Entvölkerung durch den Dreißigjährigen Krieg gar um das Zehnfache übertraf.109 Noch deutlicher wird das Gesagte bei dem nahe liegenden Blick auf die Länder Österreich ob und unter der Enns, wo für den Zeitraum von 1508 bis 1608 750 landesfürstliche (Policey-)Mandate belegt sind;110 zum Vergleich beträgt die Gesamtzahl an Tiroler Gesetzgebungsakten in diesem Zeitraum nur 495, also knapp zwei Drittel. Greifen wir einen für die niederösterreichischen Länder bereits aufgearbeiteten Vergleichszeitraum heraus: Unter Kaiser Maximilian II. ergingen 196 (Policey-)Gesetze für Österreich ob und unter der Enns,111 dagegen nur 76 Gesetze für die Grafschaft Tirol – wobei just die Anfangsjahre der Herrschaft Ferdinands II. eine Zeit darstellten, die für Tiroler Verhältnisse überaus regelungsintensiv war. Stark anfangen und (verhältnismäßig) schwach nachlassen – diese pointierte Diagnose drängt sich bei einer vergleichenden Betrachtungsweise auf, und man ist gehalten, Erklärungen für dieses Phänomen zu finden. So liegt die These nahe, die anfängliche Normierungsintensität in Tirol auf einen unter (Erz)Herzog Siegmund und unter Maximilian I. gegebenen administrativen „Vorsprung“ der Grafschaft bzw. der oberösterreichischen Ländergruppe zurückzuführen. Andere Länder hätten ein ähnliches Verwaltungsniveau erst mit einiger Verspätung erreicht, dann aber quantitativ mit ihrer Gesetzgebungsaktivität rasch den Anschluss an Tirol gefunden bzw. dieses deutlich überrundet. Diese Theorie wirkt auf den ersten Blick bestechend. Sie ist in dieser Form allerdings kaum haltbar, da sie auf mehreren durchaus fragwürdigen Prämissen beruht. Zunächst bewertet sie territoriale Gesetzgebung als Modernisierungskriterium, deren Fehlen bzw. deren unterdurchschnittliches Wachstum hingegen als Kenn Sämtliche Angaben aus Schilling/Schuck, Repertorium, Bd. 3/1, 1999. Zu den statistischen Daten von Kurpfalz und Bayern vgl. Schilling/Schuck, Repertorium, Bd. 3/1, 1999, S. 6 und 595. 110 Brauneder, Policeygesetzgebung, 1996, S. 300. 111 Pauser, Kaiser Maximilian II., 2002, S. 22. 108 109
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zeichen einer verwaltungstechnischen Rückständigkeit interpretiert wird. Bejahte man die angeführte These, würde man das Stagnieren der Tiroler Gesetzgebungstätigkeit – etwas salopp gesprochen – auf legistische Impotenz bzw. zumindest auf administratives Unvermögen zurückführen. Und genau das muss durchaus nicht zutreffen. Vielmehr ist zu fragen, ob der vermeintlichen „Retardierung“ nicht in vielen Fällen ein bewusster Regelungsverzicht zugrunde liegt. Musterbeispiel hierfür sind die jahrzehntelangen Debatten um eine allenfalls zu erlassende Apothekerordnung, nachdem die Landesordnung von 1573 das Apothekenwesen nur in einigen wenigen Punkten in Grundzügen normiert hatte.112 Schon 1575 hatten die Diskussio nen über eine allfällige Apothekerordnung eingesetzt, die periodisch immer wieder aufflammten und zu intensiven Vorarbeiten führten, die jedoch während des Untersuchungszeitraums nicht in einer Apothekerordnung ihren Niederschlag fanden.113 In Abstimmung mit als Experten beigezogenen Medizinern hatten ausgewählte Regierungsräte Ordnungsentwürfe ausgearbeitet, zum Vergleich waren Apothe kerordnungen aus mehreren oberdeutschen Reichsstädten herangezogen worden – bis 1643 Claudia de’ Medici definitiv und ausdrücklich auf den Erlass einer eigenen Apothekerordnung verzichtete und sich stattdessen vorbehielt, bei Beschwerden und Missständen flexibel auf jeden fahl nach firkhommenden circumstantien das Erforderliche anzuordnen.114 Die für den damaligen Regulierungsverzicht ausschlaggebenden, im Übrigen nicht gänzlich erhellten Motive können selbstverständlich nicht verallgemeinert werden. Das Beispiel der Apothekerordnung belegt allerdings, dass eine landesfürstliche normative Ordnung nicht notwendigerweise und per se als Fortschritt betrachtet, sondern das Erfordernis einer Regelung sehr genau erwogen wurde. Die Apothekerordnung stellt dabei keinen Einzelfall dar. Ebenso lässt sich z. B. im Zuge der Erörterungen über eine landesweit einheitliche Handwerksordnung, eine Gerhabschafts- oder Spitalmeisterordnung konstatieren, dass am Ende des Diskussionsprozesses schließlich von einer zunächst in Betracht gezogenen gesetzlichen Regelung abgesehen wurde.115 Der Schluss liegt nahe, dass man hier in Tirol öfter als anderweitig zum Schluss kam, dass eine gesetzliche Regelung auf territorialer Ebene nicht erforderlich sei. Wenn dem so war – und einiges spricht dafür, wie noch darzulegen sein wird –, Vgl. TLO 1573, Buch 6, Tit. 12; hierzu auch Moser, Geschichte des Gesundheitswesens, 1996, S. 311–312. 113 Vgl z. B. TLA, AfD 1575, fol. 198r–200r, 1575, März 21; TLA, CD 1598, fol. 291v–292v, 1598 Okt. 4; ebd., fol. 296, 1598 Okt. 24; ebd., fol. 321, 1598 Dez. 23; TLA, CD 1599, fol. 337, 1599 Febr. 2; TLA, BT, Bd. 14, fol. 203, 1602 Okt. 19; ebd., fol. 251v–252r, 1602 Dez. 9; TLA, BT, Bd. 17, fol. 57, 1614 Aug. 19; TLA, BT, Bd. 17, fol. 57, 1614 Aug. 19; TLA, CD 1617, fol. 73v, 1617 Juli 7; TLA, CD 1618, fol. 191v–192r, 1618 Febr. 20; ebd., fol. 214, 1618 März 26; TLA, CD 1619, fol. 520v–521r, 1619 Okt. 23; TLA, AfD 1643, fol. 276v– 277r, 1643 Juni 25; TLA, BT, Bd. 22, fol. 90, 1643 Aug. 19. 114 TLA, BT, Bd. 22, fol. 90, 1643 Aug. 19. 115 Vgl. die Darstellungen der entsprechenden behördeninternen Überlegungen in Kap. III. 2. 3. 3. (Gerhabschafts- und Spitalmeisterordnung) und in Kap. VI.3.1. (Handwerkerordnung). 112
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müssten hierfür Gründe vorgelegen haben, die im Fall Tirols in einigen Bereichen ein landeseinheitliches Gesetz entbehrlich erscheinen lassen mussten. Auf der Suche nach einer Erklärung sticht dem Rechtshistoriker in weiterer Folge rasch die Existenz der hierarchisch unterhalb des Landesfürsten angesiedelten legislativ tätigen Ebenen ins Auge. In der Tat entfalteten die Gerichte als genossenschaftliche Verbände und die Gemeinden (Dorf-, Markt- und Stadtgemeinden gleichermaßen) speziell während des 16. und 17. Jahrhunderts eine intensive gesetzgebende Tätigkeit, deren Verhältnis zur landesfürstlichen Gesetzgebung sich nur sehr ungenügend mit modern-juristischen Kategorien wie dem Stufenbau der Rechtsordnung beschreiben lässt; nur im Fall der Residenzstadt Innsbruck zeigt sich so eine stärkere Ingerenz des Landesfürsten respektive der Zentralbehörden auf die genossenschaftliche Rechtssetzung, die sich ansonsten zwar nicht völlig autonom, aber doch weitgehend selbständig entfalten konnte. Hierauf wird in einem eigenen Kapitel einzugehen sein.116 Von einer „Monopolisierung“ der Gesetzgebung beim Landesfürsten kann für das spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Tirol jedenfalls nicht die Rede sein, was jedoch nicht aus machtpolitischem Unvermögen resultierte, sondern intendiert war. Es wird noch darzulegen sein, welche Bedeutung die Regierung dem zuschrieb, was modern als „Subsidiaritätsprinzip“ bezeichnet wird;117 und diese sich regelmäßig manifestierende Überzeugung, dass eine Regelung nach Möglichkeit von jener gesetzgebenden Ebene vorzunehmen ist, die hierzu mit Blick auf die Zielsetzung der Norm nach Zweckmäßigkeitsüberlegungen am ehesten berufen ist, stellt wohl einen maßgeblichen Grund für die vergleichsweise geringe Quantität der Tiroler Gesetzgebung dar, zumal sich die Regierung ab dem letzten Viertel des 16. Jahrhunderts zunehmend der Technik der „delegierten Gesetzgebung“ bediente.118 Dabei verzichtete sie bewusst auf eine zentral auf gesamtstaatlicher Ebene vorgenommene Regelung, obwohl es sich um eine Materie handelte, die nach ihrer Ansicht nicht eigenständig von den Gerichten (im Sinne von Gerichtsgemeinden) oder Gemeinden wahrgenommen werden konnte. Dies war primär dann der Fall, wenn sich eine Problemlage überörtlich auswirkte und folglich nicht von einer Gemeinde oder einem Gericht allein bewältigt werden konnte. Es war somit ein regionales Zusammenwirken zwischen auf derselben hierarchischen Ebene angesiedelten gesetzgebenden Ebenen (z. B. Gerichten oder Gemeinden) notwendig, ohne dass von dem zu bewältigenden Missstand das ganze Land betroffen gewesen wäre. Entsprechende Regelungen finden sich daher vor allem im Bereich des Wirtschaftsrechts. Zur Vermittlung einer entsprechenden Regelung wurde daher ein Regierungsrat als Kommissar entsandt, der vor Ort mit den Ausschüssen der Gerichte bzw. Gemeinden verhandelte. Die auf diesem Weg zustande gekommene normative Regelung wurde Vgl. Kap. VI.3.2.2.3.1. und Kap. VI.3.2.2.4. Vgl. Kap. VI.3. 118 Vgl. Kap. VI.3.2.2.3.2. 116 117
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anschließend vom Regierungskommissar schriftlich festgehalten und besiegelt, ihre Einhaltung wurde von den Organen der beteiligten Körperschaften in Vertretung der betroffenen Untertanen als Normadressaten durch Eid beschworen. Natürlich hatte der Gesetzgeber auch die Option, statt der Entsendung eines Regierungskommissars, der vor Ort eine adäquate Regelung aushandelte, ein Gesetz mit räumlich beschränktem Geltungsbereich zu erlassen. Es wurde bereits erläutert, dass die Erfassung sämtlicher landesfürstlicher Gesetzgebungsakte mit einem engeren Geltungsbereich nicht möglich ist, und zwar sowohl überlieferungstechnisch als auch quantitativ. Bei der Erschließung wurden daher ähnliche Kriterien wie beim „Repertorium der Policeyordnungen der frühen Neuzeit“ angelegt. Dabei wurde zusätzlich darauf geachtet, nach Möglichkeit Gesetze mit einem zwar restringierten, aber dennoch großflächigeren Geltungsbereich (z. B. einem Viertel) zu erfassen. Es zeigt sich im Einzelnen folgende Verteilung: 250 beschränkt unbeschränkt 200
150
100
50
0 bis 1449
1450–1499
1500–1549
1550–1599
1600–1649
1650–1665
Grafik 2: Räumlicher Geltungsbereich der Gesetze Insbesondere ab 1575 ist dabei ein deutlicher Rückgang von landesfürstlichen Gesetzen mit engerem Geltungsbereich festzustellen. Von den 45 in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts erfassten legislativen Akten stammen so immerhin 41 aus dem Zeitraum von 1550 bis 1574, nur vier dagegen aus den letzten 25 Jahren des Jahrhunderts. Wenngleich die Erfassung der Gesetze mit räumlich beschränktem Geltungsbereich aus den angeführten Gründen keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann, werden doch Trends deutlich sichtbar. Ab dem letzten Viertel des 16. Jahrhunderts sinkt der prozentuelle Anteil der entsprechenden Gesetzge-
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bungsakte an der gesamten Normproduktion signifikant. Der Schluss auf ein darin zum Ausdruck kommendes stärkeres Bemühen um Rechtsvereinheitlichung wäre mit Blick auf die anhaltende Vitalität der legislativen Tätigkeit auf Gerichts- und Gemeindeebene wohl vorschnell, zumal wenn man sich das verstärkte Aufkommen der „delegierten Gesetzgebung“ unter Erzherzog Ferdinand II. vor Augen hält. Inwiefern zwischen dem Rückgang der landesfürstlicherseits erlassenen Gesetze mit räumlich beschränktem Geltungsbereich und dem zunehmenden Einsatz der Technik der „delegierten“ Gesetzgebung ein Zusammenhang besteht – der aufgrund der zeitlichen Nähe beider Phänomene durchaus nahe läge – kann mangels sonstiger Indizien nicht beurteilt werden.
2. 3. „Ordnungen“ und Einzelgesetze 2. 3. 1. Allgemeines Das „Repertorium der Policeyordnungen der Frühen Neuzeit“119 und daran anschließend auch rezente Untersuchungen der territorialen Gesetzgebung120 unterscheiden vier Typen von Policeygesetzen: 1. „Policey- und Landesordnungen“ (einschließlich der vom Landesherrn erlassenen Stadtordnungen), die zumeist eine entsprechende Bezeichnung im Titel führen und angesichts der Vielzahl und des Umfangs der darin enthaltenen unterschiedlichen Regelungen im Allgemeinen leicht als solche erkennbar seien. 2. Einzel- bzw. Sonderordnungen wie Forst-, Bettler-, Jagd- oder Apothekenordnungen, die – wie die angeführten Komposita bereits nahe legen – einen größeren Rechtsbereich wenn nicht erschöpfend, so doch umfassend regeln und bereits formal durch die Unterteilung in mehrere Artikel (Titel) als solche kenntlich seien. 3. der Typus der Verordnung, der weniger umfassend und von der behandelten Materie her eng begrenzt, zudem meist als Einblattdruck publiziert sei. Die Verordnungen seien grundsätzlich durch die örtlichen Amtsträger an die Normadressaten kundzumachen und unterschieden sich dadurch vom 4. Reskript als nur verwaltungsinternem, aber gleichwohl außenwirksamem Gesetzgebungsakt – wenngleich konzediert wird, dass die Abgrenzung „in vielen Fällen schwierig“ sei, „da die Grenzen fließend waren.“121
Vgl. Härter/Stolleis, Einleitung, 1996, S. 12–14. Härter, Policey und Strafjustiz, 2004, S. 120–122. 121 So Härter, Policey und Strafjustiz, 2004, S. 121. 119 120
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Auf diesen Problemkreis ist bereits im Zusammenhang mit der Gesetzesdefinition hinreichend eingegangen worden. Tatsächlich scheint eine statistische Differenzierung zwischen einem außenwirksamen und daher Gesetzesqualität aufweisenden Reskript und dem „Entbieten“-Typus nicht sinnvoll. Eine sich vornehmlich an äußeren Kriterien und am Formular festmachende Unterscheidung wäre erst nach Aufkommen des Drucks als Vervielfältigungstechnik zulässig, und auch dann nur – man denke an die eingehend erörterten Kontaminationsformen – bedingt aussagekräftig. Hier seien daher im Folgenden nur „Ordnungen“ und „Einzelgesetze“ unterschieden, wobei Letztere – hier der Definition des Repertoriums folgend – sachlich sehr begrenzt sind und nur einen Aspekt bzw. einige wenige Aspekte eines einzigen Regelungsgegenstands normieren. Sie dominieren die gesamte Gesetzesproduktion eindeutig: 91,7 % der Gesetzesproduktion in Tirol bis 1665 sind der Gattung „Einzelgesetz“ zuzuordnen, während die Ordnungen (die den ersten beiden Gesetzestypen des „Repertoriums“ entsprechen) 8,3 % ausmachen. Will man bei Ordnungen neuerlich differenzieren, beispielsweise durch die auf den ersten Blick eindeutige Unterscheidung von „Landes- und Policeyordnung“ einerseits und der „Einzeloder Sonderordnung“ andererseits, stößt man rasch auf erhebliche methodische Schwierigkeiten. Zeitgenössische Bezeichnungen sind für eine Zuordnung nur bedingt aussagekräftig. Dies wird an anderer Stelle eingehend anhand des Terminus „Landesordnung“ nachzuweisen sein, dessen semantischer Gehalt in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ein gänzlich anderer war als hundert Jahre später.122 Außerdem ist auch bei zeitgenössischen Bezeichnungen nicht jede gleich zu bewerten. Förmliche (unter Umständen sehr ausführliche und den Inhalt grob umreißende) Titel führen nur verhältnismäßig wenige Ordnungen, und diese setzen das Medium des Drucks voraus. So führt die Schulordnung von 1586 den Titel: Instruction unnd Ordnung / wie sich fürohin / die Teutsche / so wol auch die Lateinische Schuelmaister / welche die Kinder / im Teutschen Lesen und Schreiben / zu underweisen pflegen / auch die Schuelkinder verhalten sollen.123 Üblicherweise erhalten Gesetzgebungsakte ihre Bezeichnungen jedoch nur vom registrierenden Kanzleibeamten, der sie auf diese Weise erfasst und gleichsam beschlagwortet. Für die Kategorisierung ist dies freilich nicht unbedingt hilfreich. 1523 wird beispielsweise ein Gesetzgebungsakt mit Ordnung der gemainen wäld und hölczer rubriziert124 – wer dahinter jedoch eine Waldordnung im Sinne einer umfassenden Einzelordnung erhofft, wird enttäuscht. Von geringfügigen Modifikationen abgesehen begnügt sich das sehr kurze Reskript mit der summarischen Einschärfung der maximilianeischen Waldordnung. Auch die Widertewffer declaracion und ordnung weckt vielleicht falsche Erwartungen, da Vgl. Kap. IV.7.2. TLMF, Dip. 1090, Nr. 25, 1586 Dez. 16 (Parallelüberlieferung TLA, CD 1586, fol. 396r– 410v). 124 TLA, BT, Bd. 1, fol. 422, 1523 Aug. 8. 122 123
2. Die quantitative Entwicklung
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sie sich auf insgesamt eher geringfügige Modifikationen der bisherigen Gesetze gegen die Täufer beschränkt.125 Die 1543 wiederholte Regelung, wonach sämtliche Metzger das Fleisch nicht teurer als in Innsbruck respektive Meran verkaufen dürfen, präsentiert sich ähnlich irreführend als Ordnung den meczgern im flaischwerch in märckhten und gerichten [!].126 Dasselbe ist natürlich auch unter umgekehrten Vorzeichen denkbar. Unter der einigermaßen sperrigen Bezeichnung Mandat, wie die wiert den gössten die malczeiten, auch fueter und stalmüet geben und rechnen, item das inen die wein geschäczt werden sollen und abstellung der grossen hochzeiten, tayl- und kindlpethmäler, auch winckhlwiert verbirgt sich eine Wirtsordnung, die das Verhältnis zwischen Gast und Wirt detailliertest und zum Schutz des Konsumenten vor Übervorteilung regelt und den Wirten zudem eine Reihe von Verpflichtungen im Interesse des „gemeinen Nutzens“ auferlegt.127 Wenn schon Titel bzw. Rubrizierung durch die zeitgenössischen Kanzleibeam ten für eine Kategorisierung kaum hilfreich sind, trifft dies noch weniger auf Selbst bezeichnungen im Gesetzestext zu, wo – gerade in häufig vorkommenden Paar formeln (s. o.) – grundsätzlich jedes Gesetz als „Ordnung“ bezeichnet werden kann, selbst wenn darin nur eine einzige (Teil‑)Regelung getroffen wird (was insofern plausibel ist, da letztlich jede erlassene Norm der Herstellung der „Ordnung“ dient).128 Im Folgenden sollen daher ausschließlich inhaltliche Kriterien zur Unterscheidung einer materiell übergreifenden/umfassenden Ordnung von einer „Sonderord nung“ herangezogen werden. Die Umschreibung „übergreifende/umfassende Ord nung“ statt „Landesordnung“ respektive statt „Policeyordnung“ wird aufgrund der Bedeutungsvielfalt des Terminus „Landesordnung“ im spätmittelalterlichen Tirol und der spezifischen, in Tirol erstmals 1524 belegten Bezeichnung „Policey ordnung“129 bewusst verwendet. Eine „Einzel-“ oder „Sonderordnung“ regelt dabei in Anlehnung an die Definition des „Repertoriums der Policeyordnungen der Frühen Neuzeit“ einen bestimmten Lebens- und Rechtsbereich oder eine Mehrzahl von starke Berührungspunkte aufweisenden, gleichsam „benachbarten“ Bereichen. Die Normierung muss dabei eine gewisse Intensität bzw. Regelungsdichte erreichen. Wenn auch nicht unbedingt eine erschöpfende rechtliche Regelung angestrebt sein muss (was gleichwohl häufig intendiert ist), geht die „Einzelordnung“ doch über die Regelung einzelner unzusammenhängender, allenfalls strittiger Teilaspekte hinaus. Pointiert formuliert regeln Einzelordnungen somit Zusammengehöriges mit einer gewissen Ausführlichkeit in einem einzigen Gesetzgebungsakt. Die Bezeichnungen 127 128
TLA, CD 1529, fol. 349, 1529 Febr. 5. TLA, BT, Bd. 5, fol. 163, 1543 Aug. 2. TLA, LTMF, FB 6197, Nr. 44, Dez. 1568 (ohne nähere Datierung). Vgl. z. B. TLA, BT, Bd. 2, fol. 213r–214r, 1530 Okt. 11 oder TLA, BT, Bd. 5, fol. 369, 1545 April 1. 129 Ein Schreiben Ferdinands I. an die Regierung, mit dem dieser ein Lastermandat übersendet wurde (TLA, VfD 1524, fol. 52v–53r, 1524 Jan. 26), wurde im Register des entsprechenden Kopialbuchs mit Policeyordnung betr. verzeichnet. 125 126
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„Einzel-“ bzw. „Sonderordnung“ bringen zudem zum Ausdruck, dass Kernbereiche einer Rechtsordnung nicht als „Einzel-“ oder „Sonderordnung“ angesprochen werden sollten. Die das peinliche Strafrecht enthaltende Malefizordnung firmiert folglich nicht unter den „Sonderordnungen“, da das darin umfassend niedergelegte Strafrecht zweifellos zu den Kernbereichen einer Rechtsordnung zählt. Die Malefizordnung ist daher (überdies wegen der Aufnahme früherer Verordnungen) der Kategorie der „umfassenden Ordnung“ zuzuordnen. Materiell „übergreifende Ordnungen“ regeln wiederum eine Mehrzahl von Sachverhalten bzw. Lebens- und Rechtsbereichen, die in keinem Zusammenhang miteinander stehen. Die Regelung erfolgt nicht notwendigerweise erschöpfend – dies ist im Allgemeinen auch nicht intendiert –, zumindest werden jedoch besonders strittige Punkte einer Regelung zugeführt. Die materiell übergreifenden Ordnungen können schließlich in der Kodifikation von „Landes-“ bzw. „Policeyordnungen“ kulminieren, was sich just in Tirol anschaulich belegen lässt. Während materiell übergreifende Ordnungen im 15. Jahrhundert häufig anzutreffen sind, stirbt diese Gattung nach dem Erlass der Tiroler Landesordnung endgültig aus – wohingegen die Einzelordnungen nun erst ihre Hochzeit erleben. Die ausgesprochen offene Definition der „übergreifenden Ordnung“ erlaubt die Einbeziehung einer Vielzahl von Regelungskomplexen, denen eines gemeinsam ist: Etwas zugespitzt ausgedrückt wird in ihnen inhaltlich nicht Zusammenhängendes unter Umständen nur sehr punktuell einer Regelung zugeführt. Die im 15. Jahrhundert ins Auge fallende inhaltliche Inhomogenität der getroffenen Regelungen erklärt sich oft durch ihren zeitlichen Zusammenhang mit Landtagen. Übergreifende Ordnungen reagieren auf die auf Landtagen ventilierten Beschwerden und wollen diesen entgegensteuern. „Einzelgesetze“ definieren sich demgegenüber ex negativo. Zu ihnen zählt alles, was nicht als „Ordnung“ im zuvor erläuterten Sinn angesprochen werden kann.
2. 3. 2. Übergreifende Ordnungen Im 15. Jahrhundert ist das Verhältnis zwischen übergreifenden/umfassenden und Einzelordnungen noch fast ausgewogen: 13 Exempel der ersten Kategorie stehen 14 der zweiten gegenüber. Je eine Einzel- und eine übergreifende Ordnung – diese beiden in engem Konnex miteinander stehend – stammen aus dem 14. Jahrhundert (1349 bzw. 1352). Dabei bleibt das bereits ausführlich besprochene Tiroler Landlibell von 1511 ausgeblendet. Ebenso findet die unter Meinhard II. um 1286/1289 erfolgte Verschriftlichung des Tiroler Landrechts in der folgenden Aufstellung keine Berücksichtigung.130 Dafür sind folgende Gründe zu nennen: Erstens ist das meinhar ����������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Stolz, Ausbreitung des Deutschtums, Bd. 3/2, 1932, S. 18–19; Stolz, Land und Landesfürst, 1942, S. 220; Wiesflecker, Bruchstück, 1954; Wiesflecker, Landrecht Meinhards II., 1969; Hageneder, Gesetzgebungsrecht, 1974, S. 479; Köfler, Landtag, 1985, S. 22–23; Palme, Graf Meinhard II., 1995; Wiesflecker, Meinhard II., 21995, S. 178–180; ebd., S. 180, die Zu-
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dinische Landrecht nur sehr fragmentarisch erhalten, so dass substanzielle Aussagen über seinen Inhalt nicht möglich sind und eine Einordnung in die hier angewendete Typologie diskutabel wäre. Zweitens ist zu berücksichtigen, dass der Entstehungszu sammenhang des meinhardinischen Landrechts ein grundsätzlich anderer ist als bei späteren Ordnungen, ist es doch vor dem Hintergrund von Otto Brunners „Land und Herrschaft“ ganz wesentlich im Kontext der Landwerdung Tirols zu sehen. Im Einzelnen sind folgende Ordnungen anzuführen:131 1. Die vom Landeshauptmann Konrad Teck und mehreren Räten entworfene und von Markgraf Ludwig ‚dem Brandenburger‘ bestätigte Ordnung von 1352.132 Diese regelte in Reaktion auf die Folgen der Pestepidemie der Jahre 1348/1349 vor allem die Rechtsverhältnisse zwischen Grundholden und Grundherren, traf Bestimmungen über die Löhne der Tag- und Handwerker sowie über das regional heranzuziehende Weinmaß und beschränkte das Würfelspiel auf Bargeldeinsätze. Die die Lohnfestsetzung betreffenden Be stimmungen haben dabei ihr Vorbild in einer 1349 von Markgraf Ludwig mit Rat seines Rats, „auch nach der lantlaeut anweisung, rat und willen“ erlassenen Ordnung.133 sammenfassung Wiesfleckers: „Es handelte sich offenbar um eine ziemlich umfängliche, gesiegelte Landrechtsurkunde, mit Gesetzescharakter, die zwar kein geschlossenes System des gesamten Landrechtes enthalten haben kann, wie etwa das österreichische Landrecht, die aber doch die Hauptbestimmungen verzeichnete.“ Zur Datierung nunmehr Obermair, Landrecht, 1995, S. 130. 131 Die folgende Zusammenstellung weicht erheblich von jener bei Blickle, Landschaften, 1973, S. 190–200, gelieferten Übersicht ab. Auf die Aufnahme der Verschriftlichung des Landrechts unter Meinhard II. sowie des „Freiheitsbriefes“ Ludwigs des Brandenburgers für den Tiroler Adel von 1342 wurde aufgrund des völlig anderen Entstehungszusammenhangs und Regelungsziels (beim Landrecht) bzw. aufgrund des abweichenden Rechtscharakters des „Freiheitsbriefes“ abgesehen. Die in der vorliegenden Arbeit berücksichtigten Ordnungen von 1444, 1451, 1453, 1478 wurden von Blicke nicht aufgenommen, teils weil sie ihm nicht bekannt waren (1444, 1451, 1453), teils weil sie von ihm mangels Eigenschaft einer „Landesordnung“ ausgeschlossen waren (so im Fall der Ordnung von 1478, vgl. Blickle, Landschaften, 1973, S. 194, Anm. 203). 132 Letzte Edition bei Schober, Urkunden, 1990, S. 5–9; Schwind/Dopsch, Urkunden, 1895, Nr. 100, S. 184–188; zum Inhalt Rapp, Statutenwesen, 1. Teil, 1827, S. 75–81; Brandis, Landeshauptleute, 1847/1850, S. 72–76; Moeser, Wirtschaftsordnungen, 1959, S. 256–260; Besprechung bei Köfler, Landtag, 1985, S. 41–42; Riedmann, Mittelalter, 21990, S. 451; Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 65–66; Reiterer, Entwicklung des Arbeits- und Sozialrechtes, 1985, S. 22–23; Schröder, Arbeitsverfassung des Spätmittelalters, 1984, S. 76–78; Stolz, Rechtsgeschichte des Bauernstandes, 1948, S. 119; Wopfner, Geschichte der freien bäuerlichen Erbleihe, 1903, S. 117; Blickle, Landschaften im Alten Reich, 1973, S. 191; Jäger, Landständische Verfassung, Bd. I, 1882, S. 566–567; Fahlenbock, Der Schwarze Tod in Tirol, 2009, S. 170–174. 133 Edition bei Steinegger, Wirtschaftsordnungen, 1959, S. 254–256; Besprechung bei Wallnöfer, Bauern in der Tiroler Landschaft, 1984, S. 64–65; kurze Erwähnung bei Köfler, Landtag, 1985, S. 41; der älteren landesgeschichtlichen Literatur war diese Ordnung noch unbekannt.
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2. Eine Ordnung Leopolds IV. von 1404.134 Diese enthält neuerlich und in Anlehnung an die 1352 erlassenen Bestimmungen eine Bauleuteordnung, in der das grundherrschaftliche Verhältnis normiert wird. Darüber hinaus verbietet sie die Einfuhr fremder Weine, regelt Aspekte des Getreidehandels, enthält Normen bezüglich der Gerichtsversammlungen und -kosten, verweist hinsichtlich des Viehhandels auf das „alte Herkommen“ und restringiert die Zulässigkeit der Bannverhängung des geistlichen Gerichts über Laien auf Fälle betreffend Ehe-, Zehent- und Seelgerätfragen. 3. Die Ordnung Friedrichs IV. und Leopolds IV. von 1406,135 die u. a. prozessrechtliche Bestimmungen enthielt (so das Verbot des Rechtszugs außer Landes, der Verurteilung ohne Gewährung rechtlichen Gehörs oder der Aufhebung von gerichtlichen Strafurteilen durch den Landesfürsten), Zwangsheiraten untersagte und darüber hinaus dem Adel eine Reihe von Privilegien einräumte respektive bestätigte (z. B. das militärische Aufgebot betreffend). Adressat und vor allem Profiteur dieser Ordnung war vornehmlich der Adelsstand. 4. Die Ordnung von 1420,136 die neben münzrechtlichen Bestimmungen Aspekte des Getreide- und Weinhandels regulierte und vor allem die Austragung aller Streitigkeiten vor Gericht bei gleichzeitigem Verbot der Selbsthilfe vorschrieb. Sie wurde vom Bischof von Brixen, dem Landeshauptmann an der Etsch und dem Burggrafen von Meran im Namen und im Auftrag des abwesenden Friedrich IV. erlassen, nachdem sie zuvor inhaltlich von einem Ausschuss von sechs landesfürstlichen Räten, sechs Vertretern des Adels und sechs Vertretern der Städte und Gerichte ausgearbeitet worden war. Die bisherige Forschung bezweifelte, ob diese Ordnung Geltung erlangte, da sich die in der Ordnung angekündigte Bestätigung „mit seinem brief und insi-
���������������������������������������������������������������������������������������� Druck bei Wopfner, Geschichte der freien bäuerlichen Erbleihe, 1903, S. 203–209, und zuletzt bei Schober, Urkunden, 1990, S. 11–15 (Bestätigung von 1486 ebd., S. 40–41); ältere Edition bei Brandis, Landeshauptleute, 1847/1850, S. 143–147; Besprechungen bei Rapp, Statutenwesen, 1. Teil, 1827, S. 87–90; Riedmann, Mittelalter, 21990, S. 465; Beimrohr, Brief und Siegel, 1994, S. 42; Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 80–82; Blickle, Landschaften, 1973, S. 192–193; Wopfner, Bergbauernbuch, Bd. 1, 1995, S. 465– 467; Stolz, Rechtsgeschichte des Bauernstandes, 1948, S. 120–121; Jäger, Landständische Verfassung, Bd. II/1, 1882, S. 226–227. 135 ������������������������������������������������������������������������������������� Edition bei Schwind/Dopsch, Urkunden, 1895, Nr. 158, S. 297–299; zuletzt Schober, Urkunden, 1990, S. 15–18; Besprechungen bei Riedmann, Mittelalter, 21990, S. 465; Beimrohr, Brief und Siegel, 1994, S. 42; Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 82–83. 136 TLA, UR I/8381, 1420 Jan. 9; Edition bei Schwind/Dopsch, Urkunden, 1895, Nr. 171, S. 319–322; Besprechungen bei Blickle, Landschaften im Alten Reich, 1973, S. 193; Köfler, Landtag, 1985, S. 47–48; Jäger, Landständische Verfassung, Bd. II/1, 1882, S. 361; Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 103–104; Stolz, Landstandschaft, 1933, S. 720. 134
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gel“, die Friedrich IV. nach seiner Rückkehr nach Tirol vornehmen sollte, nicht nachweisen lässt.137 Die Ordnung des geschworenen Rates zu Meran von 1444,138 die überwiegend Prozessrecht enthält, darüber hinaus jedoch einige mit der damals angespannten politischen und Sicherheitslage in Zusammenhang stehende Regelungen anführt. Die Ordnung Siegmunds von 1451139 und jene von 1453 weisen weitreichende Parallelen auf, dient Letztere doch nicht zuletzt der Transformation der 1451 in Privilegienform festgehaltenen Bestimmungen in eine „Entbieten“-Urkunde, die im ersten Teil der Ordnung wiedergegeben werden und die durch die lokalen Obrigkeiten kundgemacht werden sollen.140 Darüber hinaus reagiert die Ordnung in einem zweiten Teil auf landständische Gravamina, wie bereits durch die zeitgenössische Bezeichnung indiziert wird: ordnung der munss und ander sachen, so unnser gnadiger herr herczog Sigmund, herczog ze Österreich und grave ze Tyrol etc. nach anrüeffen und pet der ganczen landschafft fürgenommen hat. Dies erklärt, dass wiederum ein inhaltlich sehr breites Spektrum von Rechtsmaterien abgedeckt wird, das von münzrechtlichen Vorschriften über prozessrechtliche Bestimmungen bis hin zu klassischen wirtschaftspoliceylichen Regelungen reicht (Schweine- und Getreidehandel). Ein ähnlicher Entstehungszusammenhang kennzeichnet die Ordnung von 1474:141 Sie entstand in Reaktion auf seitens der Landschaft vorgebrachte
Für die Annahme einer Geltung offensichtlich Stolz, Geschichte des Landes Tirol, 1955, S. 486; neutral Blickle, Landschaften im Alten Reich, 1973, S. 193; salomonisch Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 104: „Diese Ordnung scheint aber keine große Wirkung gehabt zu haben.“ 138 StAM, Hs. Nr. III/36 (= Landtagsprotokolle I, 1444–1445), fol. 5v–8r, 1444 Juni 15 (vgl. die Edition im Anhang). Diese Ordnung wurde – offensichtlich da bei Jäger, Landständische Verfassung, Bd. II/2, 1885, S. 37, nur äußerst kurz gewürdigt – von der landesgeschichtlichen Forschung bislang weitgehend vernachlässigt; flüchtige Erwähnungen bei Stolz, Geschichte der Verwaltung, 1998, S. 200, Anm. 479; Schennach, Gerichtskosten, 2004, S. 472; keine Erwähnung bei Köfler, Landtag, 1985, S. 256; kurze Wiedergabe des Inhalts bei Jäger, Streit der Tiroler Landschaft, 1872, S. 162–163. 139 Edition bei Schober, Urkunden, 1990, S. 25–27; Brandis, Landeshauptleute, 1847/1850, S. 240–242; Besprechung bei Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 118– 119 (dort fälschliche Datierung auf 1454). 140 Steinegger, Münz- und Wirtschaftsordnung, 1994, hier S. 51. 141 Zum Inhalt ausführlich Köfler, Landtag, 1985, S. 397–398; Blickle, Landschaften im Alten Reich, 1973, S. 192–196; Jäger, Landständische Verfassung, Bd. II/2, 1885, S. 249–251. Der von Blickle vermutete Verlust der Originalüberlieferung (vgl. Blickle, Landschaften im Alten Reich, 1973, S. 193, Anm. 203) trifft nicht zu, im Gegenteil: Es sind zwei zeitgenössische Überlieferungen erhalten (darunter im Stadtarchiv Meran eine Empfängerüberlieferung) sowie eine Abschrift aus dem 18. Jahrhundert. Zur Überlieferungssituation vgl. die einleitende Beschreibung bei der Edition dieser wichtigen Ordnung im Anhang. 137
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Gravamina und weist folglich eine vergleichbare Diversität bei den normierten Rechtsmaterien auf (Viehexport, Wein-, Getreide- und Holzhandel, materielles und formelles Strafrecht, Zivilprozessrecht). 9. Entsprechendes gilt für die Ordnung von 1478,142 die ebenfalls durch punktuelle Regelungen vielfältiger Missstände charakterisiert ist. Auch sie geht auf entsprechende ständische Gravamina zurück. 10. Die Ordnung Erzherzog Siegmunds von 1489143 widmete sich vornehmlich dem formellen und materiellen Strafrecht (bäuerliche Fehde, Totschlag), regelte darüber hinaus aber auch typische Policeymaterien (‚Fürkauf ‘, Beschränkungen des Aufwands bei Hochzeiten, Bewirtung in Gasthäusern). 11. Eine im Vergleich zur soeben angeführten geringfügig kürzere, von Maximilian I. erlassene Ordnung aus dem Jahr 1492144 wird zwar von der zeitgenössischen Registratur als Mandat der recht und redner halben rubriziert, ist jedoch nach den angeführten Kriterien gleichwohl als Ordnung anzusprechen, zumal auch in diesem Fall in der Narratio der Zusammenhang mit den Gravamina herausgestrichen wird, die Maximilian auf dem voran gegangenen Landtag vorgelegt wurden. Der durch die Registratur zugesprochene Titel verweist bereits auf den inhaltlichen Schwerpunkt der Ordnung im Gerichtswesen, doch werden außerdem unter anderem der Fürkauf, das Jagdrecht und die Pfändung behandelt. 12. Die Ordnung Maximilians I. aus dem Jahr 1493, von Zeitgenossen als Künig Maximilians aufgerichte lanndsordnung145 bzw. als Gerichts- und landsordnung146 angesprochen, ist aufgrund der 1499 erfolgten Aufnahme in den Anhang der Tiroler Halsgerichtsordnung von der Forschung stärker wahrgenommen worden.147 Sie behandelt ebenfalls den inzwischen schon bekann ������������������������������������������������������������������������������������� TLA, LLTA, Fasz. 1, 1478 Okt. 7. Die Ausfertigung der entsprechenden Ordnung in Reaktion auf die Landesbeschwerden wird nur kurz erwähnt bei Jäger, Landständische Verfassung, Bd. II/2, 1885, S. 268; ebenso kurz fällt die Erwähnung aus bei Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 137 (mit fälschlicher Datierung auf 1487 Okt. 8); ebenso Köfler, Landtag, 1985, S. 401; Blickle verzichtet, wie erwähnt, bewusst auf eine Berücksichtigung der ihm bekannten Ordnung (Blickle, Landschaften, 1973, S. 194, Anm. 203). Sie wird im Anhang gemeinsam mit den zugrunde liegenden Beschwerden ediert. 143 Edition bei Wopfner, Lage Tirols, 1908, S. 205–207; kurze Erwähnungen jeweils bei Blickle, Landschaften im Alten Reich, 1973, S. 196; Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 154; nur gestreift bei Köfler, Landtag, 1985, S. 403. 144 TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 15, Lit. O, fol. 74r–75r, 1492 Aug. 18; erwähnt bei Borger, Innere Geschichte Tirols, 1966, S. 97. 145 So die Bezeichnung in der Überlieferung in TLMF, FB 2675, fol. 101r–102r. 146 So die Bezeichnung in TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 16, Lit. P, S. 88–93, hier S. 88 (ebenso die Registrierung in TLA, Rep. 88, wo es heißt: Gerichts- und landtsordnung in Tyrol). 147 �������������������������������������������������������������������������������������� Edition bei Schmidt, Halsgerichtsordnungen, 1949, S. 123–132; zeitgenössische Überlieferungen: HHStA, Maximiliana Ib, fol. 37–40; TLA, Pestarchiv XV/46; TLMF, FB 2675, fol. 101r–102r; TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 16, Lit. P, S. 88–93; zur Aufnahme früherer Verordnungen in die Halsgerichtsordnung zuletzt Morscher, Halsgerichtsordnung, 1998, S. 27– 142
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ten, breiten Kanon von Rechtsmaterien, der sich von Bestimmungen über die Ausübung des Metzger-, Bäcker- und Wirtsgewerbes über Regelungen betreffend die zu verwendenden Maße und Gewichte und deren Kontrolle bis hin zu Normen erstreckt, die den ‚Fürkauf ‘ von Wein, verbotene Waffen, die Kosten von Gerichtsschreibern und ‑rednern oder das Vorgehen gegen beschäftigungslose Dienstknechte berühren. Wichtiger als diese kurze Aufzählung ist freilich der Umstand, dass die Ordnung von 1493 erstmals eine förmliche Öffnungs- bzw. Ermächtigungsklausel enthielt: Implizit auf die grundsätzlich fehlende Abgeschlossenheit der getroffenen (policeyrechtlichen) Regelungen aufmerksam machend, wies sie die zur Vollziehung berufenen lokalen Obrigkeiten an, dass „auch in anndern sachen so nicht in disem unnserm bevelch außdruckht sein. und die notturfft ervordert. unnd pillikayt auff ir tregt. gehandlt werden“148 solle. Der bisherigen Forschung ist ferner aufgrund der ausschließlichen Heranziehung der 1499 gedruckten Fassung entgangen, dass die Ordnung von 1493 auch mehrere strafrechtliche Bestimmungen enthalten hatte, die im Zuge der redaktionellen Anpassung für die Drucklegung im Anhang der Malefizordnung als nunmehr überflüssig ausgelassen wurden. Hierin wurde vorgeschrieben, die Malefizgerichte wie von alter herkomen und mit mererm vleiss, dann an etlichen ennden bisheer beschehen ist, zu besetzen. Daran anschließend wurde eine Reihe von Klarstellungen getroffen, die das Malefizverfahren in Abwesenheit des präsumptiven Täters und die Verfolgung von Totschlägern und Absagern betrafen. Außerdem wurde in Ergänzung früherer Mandate klargestellt, dass der Ausschluss der Begnadigung eines Totschlägers binnen Jahresfrist nicht bedeute, dass Maximilian nach Ablauf dieses Zeitraums zu einer solchen verpflichtet sei.149 30 und 84–86; ferner Palme, Kodifikationsbestrebungen, 1989, S. 157–166, hier S. 158–160; Schmidt, Halsgerichtsordnung, 1949, S. 67–68. 148 Zit. nach Schmidt, Halsgerichtsordnungen, 1949, S. 131 (v/u werden jedoch abweichend von der Transkription bei Schmidt dem Lautwert entsprechend wiedergegeben). 149 ������������������������������������������������������������������������������������������ Im Einzelnen sind folgende Abweichungen festzustellen: In der Narratio findet sich der Zusatz (Edition bei Schmidt, Halsgerichtsordnungen, 1949, S. 123, in Normaldruck, Zusatztext der Originalüberlieferung kursiv): „[...] Und dennach weiter ordnung Deßgleichen auch als vil gescheft zu furdrung des Rechtens. und ander pillicher hanndel außgangen sein, als der maleficzrecht, so man ain in pan und acht berecht, todsleger etc., Den aber nicht gelebt. noch nachgegangen wirdet.“ Am Ende von § 11 nach der Zählung bei Schmidt finden sich die strafrechtlichen Bestimmungen: Die maleficzrecht sollen gehalden werden wie von alter herkomen ist, und die tapferlichen mit mererm vleiss, dann an etlichen ennden bisheer beschehen ist, zu beseczen und zu halden, dann vil unformblicher urtailn zu zeiten geend, dadurch die recht verczogen und das übl demnach nicht gestraft wirdet. So man aber ainen oder mer in die acht berechtet, sol man drey tag nachainannder die maleficz offennlichen berueffen lassen und erst am dritten tag das besiczen und enntlich ergeen lassen, was recht ist. Hinfür den todslegern und absagern mit mererm vleiss nachzustellen und, so man ainen oder mer betrit, die anzunemen und fürderlich umb ir verhanndlung recht, wie sich gepürt, ergeen zu lassen; und ob yemand die
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13. Inhaltlich ausgebaut wurden die in den früheren Ordnungen getroffenen Regelungen im Gefolge des Sterzinger Landtags 1496, der den Anstoß zu einer neuerlichen Ordnung gab.150 Von der Forschung mit Blick auf den zugrunde liegenden Landtag und die dort ventilierten landständischen Beschwerden schlicht „Sterzinger Ordnung“ genannt,151 fallen die Bezeichnungen durch die Zeitgenossen durchaus vielgestaltiger aus. Hier heißt es beispielsweise Künig Maximilians erleüterung, wie es in etlichen rechtsachen und anndern gehandlt werden solle.152 Im Kopialbuch des Regiments wird der Regelungskomplex als lannds- und gerichtsordnung auf dem landtag Judica 96 furgenomen und ausgeschriben betitelt,153 an anderer Stelle als Gerichts- und landtsordnung in Tyrol bezeichnet.154 Das abgedeckte Spektrum an Rechtsmaterien reicht vom Strafrecht (Absager, Totschläger) über das Zivilprozessrecht (Gerichtskosten, Appellation, Pfändung) bis hin zu klassi schen Policeymaterien (z. B. Bestimmungen betreffend den Krämerhandel). Von dieser Ordnung ist ein gut zwei Wochen älteres, nur als gerichtsordnung bezeichnetes Konzept erhalten, das klar die in der Erstfassung massiv dominierende Ausrichtung auf die Beschränkung der Gerichtskosten zeigt.155 Erst die weiteren Gravamina führten relativ kurzfristig zur inhaltlichen Ausgestaltung der „Sterzinger Ordnung“, die im Übrigen ebenfalls 1499 den Weg in den Anhang der Tiroler Malefizordnung fand, wenngleich im Zuge dessen zwei kleinere redaktionelle Anpassungen nötig waren.156 absager enthaldet oder ainicherlay fürschub tut, den- oder dieselben gleich den tätern zu straffen. Und als wir vor in der sach der todsleger offen bevelh ausgeen haben lassen, das kainer ynner jarsfrist begnadt sol werden, ist nicht die meynung, das nach ausganng ains jars wir schuldig sein, ob sich der sacher mit des leiblosen fruntschaft vertragen, auch pesserung und puss aufgenomen hiet, im glait oder lanndshuldigung zu geben, dann wir unns das nach unnserm willen und gevallen vorbehalden, hinfür auch nicht mer, wie vor, in dem zugeben wollen. 150 Edition bei Schmidt, Halsgerichtsordnungen, 1949, S. 132–140, sowie bei Borger, Innere Geschichte Tirols, 1966, S. 95–96 (Besprechung ebd., S. 107–112); Morscher, Halsgerichtsordnung, 1998, S. 29–30; Brandis, Landeshauptleute, 1847/1850, S. 331–334. 151 Rapp, Statutenwesen, 2. Teil, 1829, S. 6, sieht in ihr die „erste vaterländische Polizeiordnung“. 152 TLMF, FB 2675, fol. 106v–111r, hier fol. 106v. 153 TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 19, Lit. S, S. 267–275, hier S. 275; eine weitere abschriftliche Überlieferung vom beginnenden 16. Jahrhundert ist überliefert in TLA, VdL, Bd. 1, fol. 138r–143v, doch findet sich dort kein Titel. 154 So die Bezeichnung beim entsprechenden Eintrag in TLA, Rep. 47. 155 Konzept überliefert in TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 19, Lit. S, S. 251a–253 mit dem vorangestellten Vermerk: Die artickl der gerichtsordnung dicz nachfolgenden gescheft sein in ain ander gescheft zu mer articklen geczogen und registriert worden. 156 ������������������������������������������������������������������������������������ So wurde die ursprünglich am Ende von § 3 (Paragrapheneinteilung nach Schmidt, Halsgerichtsordnungen, 1949) enthaltene Bestimmung fortgelassen: Aber der kuntschafft halben maleficz, unczucht oder ynnczicht berüerend, sollen genomen und damit gehalden werden wie von alter herkomen ist. Ebenso wurde mit dem Schluss von § 6 verfahren, wo es ursprünglich 1496 geheißen hatte: Und so die recht umb urbar, geltschuld oder annder erber ursachen beseczt
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14. In der chronologischen Abfolge stellt die Malefiz- oder Halsgerichtsordnung von 1499157 (Gesacz und ordnungen der ynzichten Maleficz Rechten und annderer notdurftigen henndeln des lannds der Graueschaft Tyroll) die nächste Ordnung dar, auf die an anderer Stelle gesondert und ausführlich einzugehen sein wird.158 Festgehalten sei hier nur, dass die Malefizordnung zwar im Wesentlichen das materielle und formelle Strafrecht enthielt, darüber hinaus jedoch in einem mit Etlich ordnung der Recht ausserhalb der Maleficz überschriebenen Anhang mehrere frühere Gesetzgebungsakte wiederholte, die hinsichtlich ihrer Entstehungsdaten teilweise bis in die Regierungszeit Erzherzog Siegmunds zurückreichen. Darunter befinden sich, wie bereits angeführt, auch die Ordnungen der Jahre 1493 und 1496. 15. Eine materiell übergreifende Ordnung kam danach erst wieder nach zwei Jahrzehnten zustande. Eine Ordnung vom Februar 1520,159 die gemeinsam vom Regiment und einem landständischen Ausschuss erarbeitet worden war, sollte den nach dem Tod Kaiser Maximilians I. laut gewordenen Gravamina Rechnung tragen und vor allem der Deeskalation der seither mehr als angespannten innen- und sicherheitspolitischen Lage dienen, indem besonders in Fragen des Jagd- und Fischereirechts in wesentlichen Punkten den Forderungen der ländlichen Bevölkerung Rechnung getragen wurde (ain abschid von der regierung zu Ynsprugg der mincz und juden, auch jagen und vischens, schreib- und siglgelts halben im 1520 jar).160 16. Den Schluss- und Kulminationspunkt der dargelegten Entwicklung bildet schließlich die Tiroler Landesordnung von 1526, deren Entstehungsprozess in einem eigenen Kapitel ausführlich dargelegt wird.161 Ihr folgte sein, das nyemand vergunt werd vom rechten aufzusteen, wider den anndern zu raten, als bisher zu czeiten beschehen ist. Zit. nach der Urfassung von 1496 in TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 19, Lit. S, S. 267–275. 157 ���������������������������������������������������������������������������������������� Edition bei Schmidt, Halsgerichtsordnungen, 1949, S. 94–142; dieser Edition folgt Buschmann (Hg.), Textbuch, 1998, S. 7–18; den Druck von 1506 edierte bereits Rapp, Statutenwesen, 2. Teil, 1829, S. 131–161; zur Halsgerichtsordnung zuletzt Morscher, Halsgerichtsordnung, 1998; (kürzere) Würdigungen auch bei Palme, Geschichte Tirols, 21998, S. 27–28; Beimrohr, Brief und Siegel, 1994, S. 45–48; ferner Blickle, Landschaften im Alten Reich, 1973, S. 197–200; Köfler, Landtag, 1985, S. 407–411; Borger, Innere Geschichte Tirols, 1966, S. 95–96; Rapp, Statutenwesen, 2. Teil, 1829, S. 14–20; Wiedergabe wichtiger Bestimmungen auch bei Stolz, Geschichte der Verwaltung, 1998, S. 132–140. 158 Vgl. hierzu Kap. IV.7.1. 159 ����������������������������������������������������������������������������������������� Die Überlieferungssituation ist äußerst gut: Vgl. nur TLA, Landschaftliches Archiv, Landschaftliche Landtagsakten, Fasz. 1, Nr. 18 und 19; TLA, VdL, Bd. 1, fol. 261r–263r; TLMF, FB 2675, fol. 199r–201r; StAB, Hs. 2557 (= Landtagslibelle 20), 1520 Febr. 28; Edition bei Brandis, Landeshauptleute, 1847/1850, S. 529–530; kurze Erwähnung bei Egger, Geschichte Tirols, Bd. 2, 1876, S. 82, sowie bei Hirn, Landtage von 1518−1525, 1905, S. 31. 160 So der Titel der Überlieferung in TLMF, FB 2675, fol. 199r–201r, der im Übrigen auch von Brandis, Landeshauptleute, 1847/1850, S. 529–530, aufgegriffen wird. 161 Vgl. hierzu und zu den Landesordnungen von 1532 und 1573 Kap. IV.7.–IV.9.
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17. die nach Beruhigung der sicherheitspolitischen Lage nach der Niederschlagung des Bauernkriegs überarbeitete Tiroler Landesordnung von 1532, die manche der 1526 unter dem Eindruck der dramatischen Ereignisse gemachten Konzessionen zurücknahm. Sie wurde abgelöst von der 18. reformierten Tiroler Landesordnung von 1573 (publiziert 1574), in deren Anhang sich 19. die Policeyordnung von 1573 findet. Die Entwicklung verläuft zumindest in quantitativer Hinsicht durchaus nicht linear, d. h. es lässt sich nur sehr bedingt ein Trend zu immer umfangreicheren Normenkomplexen erkennen, beispielsweise in der Abfolge der Ordnungen der Jahre 1492, 1493, 1496 und 1499. Demgegenüber sind die Ordnungen der Jahre 1474 und 1478 signifikant umfangreicher als jene von 1489 oder die ersten unter Maximilian I. erlassenen Ordnungen. Diese quantitative Volatilität resultiert vor allem aus dem Entstehungskontext, der sämtliche umfassenden, materiell übergreifenden Ordnungen kennzeichnet. Ausnahmslos sind sie nachweislich in engem Zusam menwirken mit den Landständen respektive – bei den Ordnungen von 1352, 1404 und 1406 – mit deren Vorläufern entstanden. Allein im Fall der Tiroler Halsgerichtsordnung war die Intensität einer landständischen Mitwirkung in der Forschung lange umstritten bzw. unklar; jüngere Quellenfunde belegen jedoch, dass auch hier die Landschaft neben dem Landesfürsten eine treibende Kraft war.162 Von der Kodifikation des Strafrechts in der Malefizordnung abgesehen ist freilich in den meisten Fällen nicht nur die intensive Mitwirkung der Landstände an den Normenkomplexen belegt, vielmehr gehen diese regelmäßig auf vorangehende, auf Landtagen vorgebrachte ständische Gravamina zurück (der Sonderfall der Meraner Ordnung von 1444, die ausschließlich von den Ständen ausgearbeitet und erlassen wurde, sei dabei ausgeblendet). Zwar mussten die Ordnungen nicht alle Beschwerden berücksichtigen; die „Umsetzungsquote“ ist durchaus variabel und schwankt bei den rekonstruierbaren Fällen von rund einem Drittel (1478) bis zu hundert Prozent der Gravamina (1474), die von den daraufhin erlassenen Ordnungen berücksichtigt werden. Diese Rückführung auf ständische Gravamina vermag dabei dreierlei zu erklären: erstens die angesprochenen Unterschiede hinsichtlich des Umfangs der Ordnungen, die auch in der variierenden Zahl vorgelegter Beschwerden gründen; zweitens die oftmals fehlende Systematik der Ordnungen, die sich in ihrem Aufbau als alles andere denn als ausgefeilte legistische Elaborate präsentieren. Beim Aufbau zeigt sich häufig das Fehlen einer systematischen Gliederung, wie am Beispiel der Ordnung von 1478 aufgezeigt werden kann:163 Eingebettet zwischen Artikeln, die den Zivilprozess und die dabei anfallenden Gerichtskosten betreffen (Artikel 1, 2, 5) Vgl. den Landtagsabschied von 1499 Okt. 26 bei Schennach, Quellen, 2004, hier S. 149. �������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. hierzu TLA, LLTA, Fasz. 1, 1478 Okt. 7, sowie die Edition der entsprechenden Ordnung im Anhang.
162 163
2. Die quantitative Entwicklung
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finden sich Bestimmungen über die Verleihung von Gemeindegründen und über die Holzwirtschaft (Artikel 3, 4); an späterer Stelle (Artikel 10) steht völlig isoliert eine Bestimmung über eine Frage der außerstreitigen Zivilgerichtsbarkeit (Bestellung von Vormündern). Und während strafrechtlichen Charakter aufweisende Normen in den Artikeln 7 bis 9 geregelt werden, folgt eine Bestimmung wider die bäuerliche Fehde am Ende der Ordnung (Artikel 16). Die fehlende Systematik resultiert dabei nicht zuletzt aus dem verhältnismäßig raschen Entstehungsprozess, der die meisten auf Gravamina zurückzuführenden Ordnungen kennzeichnet. Während um 1600 eine landesfürstliche Resolution auf landständische Beschwerden unter Umständen erst Jahre nach deren Vorbringen erfolgen konnte – womit noch nichts über deren allfällige Umsetzung in Gesetzesform gesagt ist –, folgte bis um 1500 der Erlass einer normativen Ordnung in unmittelbarem zeitlichen Konnex mit dem Landtag, auf dem die Gravamina deponiert worden waren. In jenen Fällen, in denen Quellenbelege eine genaue Datierung ermöglichen, zeigt sich, dass dazwischen höchstens einige wenige Wochen, häufig nur wenige Tage lagen. Greifen wir das gut belegte Exempel des Jahres 1474 heraus: Am 20. Juni 1474 brachte die Landschaft ihre Beschwerden vor,164 am 24. Juni postulierte sie die Einsetzung einer Kommission von landesfürstlichen Räten und landständischen Vertretern zur Erörterung der Beschwerden,165 und bereits am 29. Juni 1474 erließ Siegmund die entsprechende Ordnung.166 Drittens erklärt der Zusammenhang mit ständischen Gravamina die zum Teil sehr punktuell erfolgenden Regelungen. Nur selten wird eine auch nur annähernd umfassende Normierung eines bestimmten Rechtsbereichs angestrebt – wie dies z. B. bei der Meraner Ordnung von 1444 hinsichtlich der Gerichtskosten intendiert worden sein dürfte –, vielmehr geht es meistens um die Klärung aktuell umstrittener, fraglicher Punkte. Exemplarisch lässt sich das an der völlig isoliert stehenden, das Verfahren der Pfandverwertung betreffenden Bestimmung in der Ordnung von 1492 festmachen: Zwischen einer jagd- und fischereirechtlichen Norm und der Anweisung an Pfleger und Richter, die Untertanen bei der Verhängung von Geld- und Gefängnisstrafen nicht wider das alte Herkommen zu belasten, wird wegen aufgetretener irrung klargestellt: Als der phannd halben zu zeiten irrung ist, wo die gerechtvertigt werden, die sollen in den gerichten, da die sein, berecht und angefochten [werden].167 Bei Betrachtung der zeitlichen Verteilung der übergreifenden bzw. umfassenden Ordnungen fällt die zeitliche Lücke von zwei Jahrzehnten zwischen der Tiroler Halsgerichtsordnung von 1499 und der Ordnung von 1520 ins Auge. Diese ist umso auffallender, als während des ersten Regierungsjahrzehnts Maximilians I. 166 167 164 165
TLA, Sigmundiana V/6, 1474 Juni 20 (Edition im Anhang). StAB, Hs. 2540 (= Landtagslibelle 4), 1474 Juni 24. Vgl. u. a. TLA, LLTA, Fasz. 1, Nr. 4b, 1474 Juni 29; siehe ferner die Edition im Anhang. Vgl. TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 15, Lit O, fol. 74r–75r, 1492 Aug. 18.
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III. Die Entwicklung der Gesetzgebung
in den oberösterreichischen Landen immerhin vier Ordnungen erlassen wurden. Noch auf dem Dezemberlandtag 1500 hatten die Stände sich zur Annahme der von Maximilian vorgelegten Policeyordnung bereit erklärt, die der König in Umsetzung des Freiburger Reichsabschiedes von 1498 und der darin enthaltenen Policeyge setze (v. a. eine Kleiderordnung betreffend)168 in die Verhandlungen eingebracht hatte.169 Eine Umsetzung ist nicht mehr ersichtlich. Der Befund der nach der Halsgerichtsordnung abbrechenden Gesetzgebung in Gestalt umfangreicherer, materiell übergreifender Ordnungen überrascht noch mehr, wenn man sich die zahlreichen, eine Vielzahl von Rechtsmaterien berührenden Gravamina der Tiroler Landtage im ersten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts vor Augen hält; zum Teil arbeiteten die Landstände selbst umfangreiche Ordnungsentwürfe aus, die jedoch von Maximilian I. nicht mehr in Gestalt einer umfassenden, übergreifenden Ordnung geregelt wurden. Vielmehr reagierte der Herrscher auf die vorgebrachten Beschwerden nunmehr nur noch punktuell und ausgesprochen selektiv mittels Einzelgesetzen. Die Ursachen für dieses Phänomen werden bei der Darlegung der Vorgeschichte der Tiroler Landesordnung von 1526 ausführlich zu erörtern sein.170 Sehr verkürzt sei an dieser Stelle festgehalten, dass sich Maximilian durch den bewussten Verzicht auf eine umfassende Ordnung (Landesordnung) eine möglichst große gesetzgeberische Freiheit bewahren wollte, zumal gerade in einigen, Maximilian besonders wichtigen Materien wie dem Jagdrecht ein Konsens mit den Landständen als äußerst schwer erzielbar erscheinen musste. Für den Typus der materiell übergreifenden Ordnung stellten freilich die Landesordnung von 1526 und deren Reformationen von 1532 und 1573 sowie die Policeyordnung von 1573 einen End- und Kulminationspunkt dar. Mit der Existenz einer umfassenden Kodifikation war die Gattung der mehrere Rechtsmaterien übergreifend behandelnden Ordnung schlichtweg überflüssig geworden und ist folglich nicht mehr anzutreffen. Einen umso größeren Aufschwung erlebten im 16. Jahrhundert die Einzel- oder Sonderordnungen, die zwar bereits im 15. Jahr hundert nicht unbekannt gewesen waren, bei denen jedoch im 15. Jahrhundert eindeutig (mit zehn von insgesamt 14 Ordnungen, d. h. mit 71 %) die Bergordnungen dominiert hatten. Die im Verlauf des Untersuchungszeitraumes erheblich schwankende Bedeutung der übergreifenden Ordnungen lässt sich nicht zuletzt anhand des prozentuellen Anteils an der gesamten Gesetzesproduktion der Grafschaft Tirol nachvollziehen, der sich insgesamt auf 2,1 % belief. Dabei manifestieren sich jedoch enorme Hierzu zuletzt Oeschger, Policeygesetzgebung des Freiburger Reichstags, 1998. ������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. zuletzt Pauser, Rechtsvereinheitlichungsversuche Ferdinands I., 2008, S. 138; Friedhuber-Wiesflecker, Maximilian I., die Erbländer und das Reich im Jahr 1500, 1963, S. 182–183; Egger, Geschichte Tirols, Bd. 2, 1876, S. 24; Wopfner, Lage Tirols, 1908, S. 148–149; Originalüberlieferung zusätzlich zu der bei Pauser genannten im TLA, LLTA, Fasz. 1, überdies (in dreifacher Ausfertigung) in StAM, Hs. III/35, fol. 7r–11v, 25v–29r, 28r–42r. 170 Vgl. Kap. IV.7.2.2. 168 169
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Schwankungen. Machten die übergreifenden Ordnungen im 15. Jahrhundert noch beträchtliche 10,8 % der Normproduktion aus, sackt dieser Wert im 16. Jahrhundert auf 1 % ab.171 Im 17. Jahrhundert werden keine neuen übergreifenden bzw. umfassenden Ordnungen mehr erlassen.
2. 3. 3. Sonderordnungen Folgende Einzelordnungen sind während des Untersuchungszeitraums erlassen worden: 1. Lohnordnung von 1349 (s. o.)172 2. Bergordnung für Gossensass und Sterzing von 1427173 3. Schwazer Bergordnung von 1447174 4. Schwazer Bergordnung von 1449175 (Holzordnung für die Tiroler Bergwerke von 1460)176 5. Schwazer Bergordnung von 1474177
Aussagekräftiger als die bloße Anzahl von Gesetzen wäre natürlich eine Berücksichtigung der inhaltlichen Dichte der darin getroffenen Regelungen. Durch eine solche Auswertung würden umfangreiche, mehrere Materien behandelnde Ordnungen entsprechend stärker gewichtet und so die Aussagekraft von Prozentangaben erhöht (so z. B. Pauser, Maximilian II. und die Landstände, 2002, S. 22). Hiervon wurde im Rahmen der vorliegenden Untersuchung jedoch abgesehen. 172 Edition bei Moeser, Wirtschaftsordnungen, 1959, S. 254–256; Besprechung bei Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 64–65; ausführlich Fahlenbock, Der Schwarze Tod in Tirol, 2009, S. 169–170; kurze Erwähnung bei Köfler, Landtag, 1985, S. 41; der älteren landesgeschichtlichen Literatur war diese Ordnung noch unbekannt. 173 Edition bei Worms, Schwazer Bergbau, 1904, S. 99–103. 174 Edition bei Worms, Schwazer Bergbau, 1904, S. 110–111 (ain bevelch und ordnung, darinen begriffen wie die huetlait schwören, die schichten gestanden und das khain hantstain vom perg getragen werden solle etc.). 175 Edition bei Worms, Schwazer Bergbau, 1904, S. 111–127, samt Bestätigung durch Herzog Siegmund ebd. S. 127–129; ebd., S. 111, Bezeichnung als erleitrung und erfindung auf etliche angebrachte mengel und beschwehrnus, so das bergwerck zu schwaz begehrt hat [...]; ebd., S. 127, in der Konfirmationsurkunde Siegmunds Bezeichnung als ain erfünd und ordnung). 176 ���������������������������������������������������������������������������������������� Die Holzordnung, ediert bei Worms, Schwazer Bergbau, 1904, S. 135–138, ist wohl ungeachtet der zeitgenössischen Überschrift Vermerkt die ordnung durch unsern gnedigen herrn herzog Sigmunden von Österreich und sein rete fürgenomen als hernach volget nur als Konzept anzusprechen. Es ist sehr fraglich, ob diese Rechtskraft erlangt hat: Es fehlen Intitulatio und Narratio (der Einstieg in die vermeintliche Dispositio erfolgt gänzlich untypisch mit „Item“); auch Formulierungen wie „Ist geratn“ (statt dem zu erwartenden „ist erfunden“ o. Ä.) irritieren und lassen vielmehr auf ein Gutachten bzw. einen Entwurf schließen. Für Letzteres sprechen auch die vorgenommenen Korrekturen sowie das Fehlen von Ausstellungsort und -datum. 177 Edition bei Worms, Schwazer Bergbau, 1904, S. 152–157. 171
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III. Die Entwicklung der Gesetzgebung
6. Oberinntaler Bergordnung von 1477178 7. Schwazer Bergordnung von 1477179 8. Schwazer Bergordnung von 1479180 9. Gerichtsordnung von 1481181 10. Ordnung der Arbeitsverhältnisse im Schwazer Bergbau von 1485182 11. Bergordnung für Primiero von 1488183 12. Schwazer Bergordnung von 1490184 13. Viktualienordnung von 1490185 14. Viktualienordnung von 1491186 15. Waldordnung für das Inntal von 1492187 16. Fischereiordnung für den Innstrom von 1501188 17. Waldordnung für Tirol von 1502189 TLA, Kopialbuch „Bekennen“ 1504, fol. 130v–132r, 1477 Sept. 17 (Perckhwerchsordnung im obern Yntal). 179 Edition bei Worms, Schwazer Bergbau, 1904, S. 158–162 (die von Worms vorgenommene Einordnung als Instruktion erscheint irreführend). 180 ������������������������������������������������������������������������������������� Edition bei Worms, Schwazer Bergbau, 1904, S. 162–164. Die Abstellung der von Schmelzern und der Bergwerksgesellschaft in Schwaz vorgebrachten Beschwerden wird als Regelungsziel genannt. Bei diesem Normenkomplex könnte darüber diskutiert werden, ob der von einer Sonderordnung zu fordernde Charakter einer wenn auch nicht erschöpfenden, so doch über die Klärung einzelner strittiger Rechtsfragen hinausgehenden Normierung gegeben ist. 181 ������������������������������������������������������������������������������������ Edition bei Schmidt, Halsgerichtsordnungen, 1949, S. 112–114; Schwind/Dopsch, Urkunden, 1895, Nr. 224, S. 413–414; Brandis, Landeshauptleute, 1847/1850, S. 286–287; die in den zuletzt angeführten zwei Editionen (ebenso wie in der wohl zugrunde liegenden Überlieferung in TLA, VdL, Bd. 1, 117v–119r, und im Druck der Tiroler Malefizordnung, in den sie ebenfalls aufgenommen wurde) aufscheinende Fehldatierung auf 1487 hat bereits Wopfner, Lage Tirols, 1908, S. 176, Anm. 4 korrigiert; zum Inhalt und zur Würdigung der Bedeutung vgl. Beimrohr, Brief und Siegel, 1994, S. 43–45; Werunsky, Rechtsgeschichte, 1894/1938, S. 793; Wopfner, Lage Tirols, 1908, S. 176–177; Jäger, Geschichte der landständischen Verfassung, Bd. II/2, 1885, S. 250–251; eine weitere Überlieferung findet sich in TLMF, FB 2675, fol. 90r–91v. 182 Edition bei Worms, Schwazer Bergbau, 1904, S. 164–167. 183 TLA, UR I, 7435, 1488 Febr. 12 (Ordnung und erfindungen pergkhwerkhs [...] anno im 1488. jars ausgangen). 184 TLA, Hs. 3657. 185 Gesetz von 1490 Juni 16 nach Borger, Innere Geschichte Tirols, 1966, S. 94, und Jäger, Landständische Verfassung, Bd. II/2, 1885, S. 387 (Original im Haller Stadtarchiv nicht auf findbar). 186 TLA, Landschaftliches Archiv, Urkunde Nr. 28; Edition bei Schober, Urkunden, 1990, S. 47–50; Bezeichnung als König Maximilians lanndsordnung. 187 ���������������������������������������������������������������������������������������� TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 15, Lit. O, fol. 84r–85r, 1492 Nov. 10; Edition bei Wopfner, Almendregal, 1906, S. 126–127. 188 Wiesflecker, Regesten, Bd. 3/2, 1998, Nr. 14950, 1501 Febr. 16. 189 TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 25, Lit. X, fol. 24v–27r, 1502 April 24; Edition bei Wopfner, Almendregal, 1906, S. 128–132. Auf fol. 24r findet sich folgender Marginalvermerk von annähernd zeitgenössischer Hand: Waldordnung anno etc. 1502 aufgericht. Ausführliche Be178
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18. Bergordnung für Sterzing und Gossensass von 1510190 19. Fischereiordnung von 1533191 20. Bergordnung für das Zillertal von 1537192 21. Holz- und Waldordnung für Tirol von 1541193 22. Bergordnung für Kitzbühel von 1541194 23. Bergordnung für Kitzbühel von 1542195 24. Lasterordnung von 1544196 25. Müllerordnung von 1550197 26. Bergordnung für Primiero von 1550198 27. Gemeine Waldordnung von 1551199 zeichnung, zit. nach Wopfner, Almendregal, 1906, S. 128: Instruction, was unnser getrewer Leupold Fuchsmag als unnser verordennter waldmaister in den gemaynen wälden und höltzern, so nicht zu unnserm phannhaws zu Hall und perckwerckh Swats gehörn, mitsambt anndern unnsern waldmaistern hanndeln und wie es mit denselben gehalden werden soll. 190 TLA, Hs. 5230 (unfol., unpag.), 1510 Dez. 12 (Erfindung und perckhwerchsordnung); vgl. auch Hs. 3254, fol. 51r–61v. 191 TLA, Hs. 5036, 1533 Juli 8 (eingefügt als Insert in die Instruktion für den Fischmeister der Grafschaft Tirol von 1536 Aug. 26; Vischordnung; in TLA, Schatzarchiv Rep. 4, S. 53 beschrieben als: ain besigelte vischordnung, das niemands in den beseczten und gehaiten seen, wassern und pächen vischen und wie es auf den gemainen wassern gehalten werden solle); vgl. auch den entsprechenden Verweis in TLA, BT, Bd. 4, fol. 330, 1537 Okt. 20; bei Stolz, Geschichtskunde der Gewässer, 1936, S. 362, fälschliche Datierung auf 1536. 192 TLA, Kopialbuch „Bekennen“ 1537, fol. 36r–52v, 1537 Aug. 28 (Perckhwerchsordnung im Zillertal); Aussteller sind aufgrund der geteilten Landeshoheit im Zillertal sowohl Ferdinand I. als auch der Salzburger Erzbischof. 193 TLMF, Dip. 1224, Teil I, fol. 1r–8v; diese Überlieferung ist jedoch undatiert; ausführliche Besprechung bei Oberrauch, Wald und Waidwerk, 1952, S. 108–121; die dort gegebene Jahresdatierung auf 1551 kann daher nicht verifiziert werden. 194 TLA, Kopialbuch „Bekennen“ 1541, fol. 19r–25v, 1541 Febr. 10 (Perckhwerchsordnung zu Kiczpüchl). 195 TLA, Kopialbuch „Bekennen“ 1542, fol. 22r–25r, 1542 Febr. 1 (Perckhwerchsordnung zu Kiczpüchl). 196 TLA, BT, Bd. 5, fol. 196, 1544 April 26 (Lasstermandat); trotz der zeitgenössischen Bezeichnung als „Lastermandat“ ist dieses Gesetz als „Ordnung“ anzusprechen, da dieser großformatige Einblattdruck grundsätzlich die erschöpfende Sanktionierung sittlich-devianten Verhaltens intendiert und Bestimmungen gegen Gotteslästerung, Fluchen, Schwören, Zutrinken, Völlerei, Ehebruch, Fürkauf und Wucher – alles gleichsam „klassische“ Policeymaterien – enthält. 197 TLA, BT, Bd. 6, fol. 92, 1550 Febr. 25 (Druck, 9 Seiten; Parallelüberlieferung in TLMF, FB 6197, Nr. 21; Müllerordnung). 198 ������������������������������������������������������������������������������������ TLA, Kopialbuch „Bekennen“ 1550, fol. 27v–30v, 1550 Febr. 26 (Ordnung für das Eisenbergwerk in Primiero). 199 TLA, Hs. 808, 1551 Aug. 17 (Holtz- unnd waldordnung; im Jahr 1736 wurde vermerkt, dass diese Ordnung im Jahr 1555 „renoviert“, d. h. neuerlich erlassen worden sei; die Überlieferung in TLMF, Dip. 1224/I. Teil, fol. 1r–8v, trägt die Bezeichnung Holz- und waldordnung, ist jedoch undatiert); Oberrauch, Wald und Weidwerk, 1952, S. 124–125; falsche Datierung
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28. Bergordnung für Schwaz von 1552200 29. Ordnung für Truppendurchzüge von 1557201 30. Wirtsordnung von 1559202 31. Advokaten- und Prokuratorenordnung von 1561203 32. Lasterordnung von 1566204 33. Mannszuchtordnung für Innsbruck von 1568205 34. Wirtsordnung von 1568206 35. Bäckerordnung von 1571207 36. Revisionsordnung von 1573208 37. Fischereiordnung von 1575209 auf 1561 bei Bechina, Landtage, 1944, S. 104, und daran anschließend bei Schennach, Recht, Gesetz und Nutzungskonkurrenzen, 2006, S. 227. 200 TLA, EuB 1552, fol. 283r–291v, 1552 Febr. 9 (Ordnung auf der perckhwerchs-gesellschaft zu Schwaz fürbrachte beschwerungen). 201 TLA, BT, Bd. 7, fol. 280, 1557 (ohne nähere Datierung); Erwähnung bei Tölzer, Geschichte Tirols 1553−1564, 1950, S. 566–567; Edition bei Schennach, Quellen, 2004, S. 233–234: Durchzugordnung: Articul, welchermassen sich hinfüro alle Oberste / Haupt- und Bevelchßleüt / in der durchfüerung ainiches Kriegßfolckh zu Roß unnd Fueß / durch dise Fürstliche Grafschafft Tyrol halten sollen / wie dann ain Regierung ain solchs / von der Künigklichen Mayestat etc. außtruckhenlich in Bevelch empfangen. 202 TLA, CD 1559, fol. 247, 1559 Sept. 30: Mandat von wegen abstellung der winckhlwiert, auch überflüssiger grosser hochczeit/tayl- und kindelpethmäler [...], auch prandtwein failhabens und trinckhens. Trotz der Bezeichnung als „Mandat“ gilt das zuvor hinsichtlich des „Lastermandats“ Gesagte. 203 TLA, BT, Bd. 8, fol. 514v–520r, 1561 Okt. 20 (Parallelüberlieferung in TLMF, FB 5028, fol. 362v–367r); zur Advokaten- und Prokuratorenordnung vgl. Sartori-Montecroce, Reception, 1895, S. 41 und 70–71. 204 TLA, CD 1566, fol. 358, 1566 April 29 (Parallelüberlieferung in TLMF, FB 6197, Nr. 40; Lastermandat). 205 TLA, Kopialbuch „Hofrat / Ausgegangene Schriften in Regimentssachen“ 1568, Bd. 4, fol. 1v–4v, 1568 Jan. 2 (Ordnung und manszucht, wie es bey nechtlicher weil zu Insprugg sol gehalten werden). 206 TLA, BT, Bd. 9, fol. 454, 1568 Dez. (keine nähere Datierung; Parallelüberlieferung in TLMF, FB 6197, Nr. 44; Mandat, wie die wiert den gössten die malczeiten, auch fueter und stalmüet geben und rechnen, item das inen die wein geschäczt werden sollen und abstellung der grossen hochzeiten, tayl- und kindlpethmäler, auch winckhlwiert). 207 TLA, BT, Bd. 10, fol. 211v–220r, 1571 Juli 30 (Peckhenordnung); sie wird sogar erwähnt im „Tiroler Landreim“ (Edition von Wieser, Landreim, 1869, hier S. 223). 208 Es handelt sich bei der Revisionsordnung um den zentralen, den Innsbrucker Prokuratoren und Advokaten publizierten Teil der Hofratsinstruktion: TLA, Hs. 1085, fol. 1r–9r, 1573 März 11. 209 ���������������������������������������������������������������������������������������� TLA, Buch Jägerei, Bd. 1, fol. 96r–101v (Druck), 1575 Jan. 31; handschriftliche Überlieferung in TLMF, Dip. 1168, Nr. I: Fürstlicher Durchleichtigkeit Erczherczog Ferdinanden zu Österreich etc. Satzung unnd Ordung / wie es mit dem Vischen allenthalben in disem Irer Durchleichtigkeit Land der F. grafschafft Tyrol gehalten werden solle. 1575. Erwähnung und kurze Wiedergabe des Inhalts bei Stolz, Geschichtskunde der Gewässer, 1936, S. 362–363.
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38. Wirts- und Weinschenkenordnung von 1575210 39. Bettlerordnung von 1576211 40. Gerichtskostenordnung von 1582212 41. Mannszuchtordnung für Innsbruck von 1585213 42. Gerichtskostenordnung von 1586214 43. Schulordnung von 1586215 44. Kirchpropstordnung von 1589216 45. Bettlerordnung von 1590217 46. Bettlerordnung von 1603218 47. Forstordnung von 1604219 48. Mannszuchtordnung für Innsbruck von 1605220 49. Gerichtskostenordnung von 1607221 ������������������������������������������������������������������������������������������ TLA, BT, Bd. 10, fol. 566, 1575 März 1 (mehrseitiger kleinformatiger Druck); Parallelüberlieferung als Einblattdruck in TLMF, FB 6197, Nr. 52; zeitgenössische Bezeichnung in der Überlieferung in TLA, BT, Bd. 10, fol. 566 als Wiert- und weinschennckhenmandat. 211 TLA, CD 1576, fol. 503r–508r, 1576 Sept. 15 (Ordnung der haußarmen leuth unnd weckhschaffung der frembden pettler). 212 TLA, BT, Bd. 11, fol. 314r–315r, 1582 Mai 5 (Abstellung des übermässigen cossten und zerung, auch der richter sicz- und siglgelt und der schreiber, fronboten, redner und procuratoren besoldungen betreffend). 213 TLA, BT, Bd. 11, fol. 647r–654r, 1585 Okt. 17 (Ordnung zu erhaltung gueter manßzucht zu Jnnsprugg). 214 TLA, BT, Bd. 11, fol. 717r–721v, 1586 Mai 19 (Parallelüberlieferung in TLMF, FB 6197, Nr. 67; Ordnung um gerichtscosten und -zerungen in Tirol). 215 TLA, CD 1586, fol. 396r–410v, 1586 Dez. 16 (Parallelüberlieferung in TLMF, Dip. 1090, Nr. 25): Instruction unnd Ordnung / wie sich fürohin / die Teutsche / so wol auch die Lateinische Schuelmaister / welche die Kinder / im Teutschen Lesen und Schreiben / zu underweisen pflegen / auch die Schuelkinder verhalten sollen. Wiedergabe des Inhalts bei Hölzl, Tiroler Schulwesen, 2007, S. 80–84, der die Wiederverlautbarung der Ordnung im Jahr 1630 jedoch nicht erwähnt. 216 TLA, BT, Bd. 12, fol. 279r–280r, 1589 Febr. 28 (Abschrift in TLA, LLTA, Fasz. 12, Bund 12); kein zeitgenössischer Titel; beiliegend (fol. 278) die auf 1589 Jan. 16 datierte Instruction und kurtze verzaichnuß was aines jeden Kirchen Probsts Ambt und verrichtung seye. 217 TLA, CD 1590, fol. 661r–664r, 1590 Juni 14: Instruction und Ordnung / wellichermassen von nun an unnd hinfüro / die in disem Land unserer Fürstlichen Graffschafft Tyrol / in ainer jeden Commun / Statt / Gericht oder Dorff / Inheimische / alte / dürfftige / Haußarme / Pethrisige Schadhaffte unnd krancke Personen / ohne das Pettlen und Umbhausieren / auch irem selbs samblen vor den Kirchen / underhalten / und hergegen die Landstörtzer und Durchstreichende / auch Innlendische starcke Pettler / Hausierer / unnd ander loß verwegens und müessig gehends Gsindt / gentzlichen auß dem Land geschafft unnd außgereüttet werden sollen. 218 �������������������������������������������������������������������������������������� TLA, CD 427, 1603 Dez. 20 (Parallelüberlieferung in TLMF, Dip. 1090, Nr. 66); Bezeichnung durch die Registratur als Petler- und allmusenordnung in Tyrol. 219 TLA, CD 1604, fol. 524, 1604 Mai 21 (Parallelüberlieferungen z. B. TLA, Pestarchiv XV/87; StAM, Stadtverwaltung Nr. 219). 220 TLA, EuB 1605, fol. 61r–67r, 1605 Nov. 26, und TLA, CD 1605, fol. 434r–438r. 221 Vormals TLA, BT, Bd. 15, fol. 498, 1607 Okt. 8 (fehlend!). 210
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III. Die Entwicklung der Gesetzgebung
50. Feuerordnung für Innsbruck von 1609222 51. Holzordnung von 1626223 52. Bettlerordnung von 1630224 53. Schulordnung von 1630225 54. Mannszuchtordnung für Innsbruck von 1633226 55. Markt- und Wechselordnung für Bozen von 1635227 56. Forstordnung von 1643228 57. Forstordnung von 1663229 Zur zeitlichen Verteilung und zu den inhaltlichen Schwerpunkten der Gesetzgebung in Gestalt von Einzelordnungen sind einige grundsätzliche Bemerkungen erforderlich, zumal auch das Verhältnis der Sonderordnungen zu den zuvor erwähnten übergreifenden Ordnungen einer Erläuterung bedarf. Die durch die Bevölkerungsreduktion im Gefolge der Pestepidemie der Jahre 1348/1349 induzierte Lohnordnung des Markgrafen Ludwig des Brandenburgers von 1349 steht im Rahmen der Tiroler Gesetzgebung verhältnismäßig isoliert da. Diese ausgesprochen frühe gesetzliche Regelung der Handwerker- und Tagwerkerlöhne lief weitgehend auf das Beibehalten des Lohnniveaus vor der Pest hinaus. Sie ist ebenso wie die bereits angeführte umfassende Ordnung von 1352 als legislative Reaktion auf die Erschütterung des Arbeitsmarktes durch die Pest zu sehen. Blieben beide Ordnungen in der Tiroler Gesetzgebungsgeschichte ohnegleichen, TLA, BT, Bd. 16, fol. 212r–130v, 1609 Juli 14. TLA, Buch Jägerei, Bd. 1, Anhang (unfol., unpag.), 1626 Aug. 3; Druck im Umfang von 43 Seiten (Holczordnung). 224 TLA, BT, Bd. 19, fol. 692, 1630 Juni 1: Instruction und Ordnung / wie wir es mit den Pettlern allenthalben in disem Land der Fürstl: Grafschafft Tyrol hinfüro gehalten haben wöllen. 225 TLMF, Dip. 1091, Nr. 169, 1630 Aug. 1: Instruction unnd Ordnung / wie sich fürohin / die Teutsche / so wol auch die Lateinische Schuelmaister / welche die Kinder / im Teutschen Lesen und Schreiben / zu underweisen pflegen / auch die Schuelkinder verhalten sollen. 226 TLA, CD 1633, fol. 186v–190v, 1633 Nov. 26: Erhaltung gueter loblicher mannszucht alhie zu Insprugg. 227 Privilegium Uber diejenigen Capitul / Regul und Ordnungen: So durch die Fürst. Dht. Erczherczogin Claudia zu Osterreich / etc. Geborne Princessin von Toscana / etc. Als von der Röm. Kays. May. Gevollmächtigte Gwalttragerin und MitVormunderin / etc. denen auff die Boczner Märckt negocirenden Teutsch: unnd Welschen Kauff: und HandelsLeüthen / Auch deren alldort auffgerichten Iudicatur und Magistrat / zu halten gnedigist bewilligt und verordnet worden. An älterer Literatur maßgebend Huter, Quellen, 1927; Bückling, Bozener Märkte, 1907; in jüngerer Zeit Sprung, Das Privileg und die Ordnung Erzherzogin Claudias, 1981; Grass, Vom Messegericht zum Merkantilmagistrat, 1986; Heiss, Ökonomische Schattenregierung, 1992; ein umfassendes Literaturverzeichnis bietet Obermair, Archiv des Merkantilmagistrats, 2002, S. 5–6; zuletzt Weiss, Claudia de’ Medici, 2004, S. 151–152; Denzel, Bozner Messen und ihr Zahlungsverkehr, 2005, S. 51–59. 228 TLA, Buch Jägerei, Bd. 1, fol. 381, 1643 Mai 12. 229 TLA, BT, Bd. 24, fol. 251½, 1663 April 20 (Parallelüberlieferung TLMF, Dip. 1091, Nr. 227). 222 223
2. Die quantitative Entwicklung
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so waren entsprechende Normierungsbestrebungen im gesamteuropäischen Rahmen als Folge der verheerenden Pestepidemie weit verbreitet. Beispielsweise erließ Herzog Albrecht II. von Österreich 1352 eine Lohnordnung für die Arbeiter in den Weingärten, die schon im Folgejahr an die geänderten Verhältnisse angepasst wurde.230 Aber auch in England, Frankreich oder Bayern suchte man den infolge des Arbeitskräftemangels steigenden Lohnforderungen durch Lohnbegrenzungen zu begegnen.231 Diese landesweit geltenden Ordnungen wurden durch eine noch größere Zahl vor allem städtischer Ordnungen ergänzt, für die sich auch in Tirol mit der überlieferten Lohnordnung der Stadt Meran aus dem Jahr 1352 ein Beispiel nachweisen lässt.232 Im 15. Jahrhundert spielen die Einzelordnungen mit 14 Belegen zwar auf den ersten Blick eine marginale Rolle. Eine umfassende Analyse zwingt jedoch zu einer Korrektur dieser Annahme, stellen sie damit doch immerhin 11,7 % der gesamten Gesetzesproduktion dieses Zeitraums dar. Zum Vergleich: Im 16. Jahrhundert sinkt der prozentuelle Anteil der Sonderordnungen auf 6,0 %, um für den Zeitraum von 1600 bis 1665 mit 4,2 % nochmals um fast ein Drittel abzunehmen (woraus sich ein Anteil der Sonderordnungen von 6,2 % an der gesamten Gesetzesproduktion ergibt). Die über die allein nur bedingt aussagekräftigen Prozentzahlen hinausgehende Bedeutung der Sonderordnungen des 15. Jahrhunderts erschließt sich bei deren näherer inhaltlicher Betrachtung. Zehn der 14 Ordnungen des 15. Jahrhunderts sind der Gattung „Bergordnungen“ zuzuordnen,233 die zentrale Aspekte des Bergrechts als eines Sonderrechts schriftlich festhielten. Breiten Raum nimmt dabei die „rechtliche Verfassung des montanistischen Gesamtbetriebes“234 ein. Wesentliche Regelungsziele waren überdies die Fixierung der dem Landesfürsten als Inhaber des Bergregals zustehenden Kontroll- und Ingerenzbefugnisse sowie die Sicherung des sozialen Friedens im hochgradig arbeitsteilig organisierten Bergbau durch die Fest schreibung der Rechtsverhältnisse zwischen den im Bergbau Beschäftigten und den Bergbauunternehmern („Gewerken“).235 Schröder, Arbeitsverfassung des Spätmittelalters, 1984, S. 79; zum Hintergrund allgemein auch Trusen, Jurisprudenz und Wirtschaftsethik, 1961, bes. S. 46–48; allgemein ferner Mitterauer, Wirtschaftspolitik der österreichischen Landesfürsten, 1974; Weber/Mayer-Maly, Studie, 1954. 231 Überblick bei Schröder, Arbeitsverfassung des Spätmittelalters, 1984, S. 75–82. 232 Moeser, Wirtschaftsordnungen, 1959, S. 260–263. 233 ������������������������������������������������������������������������������������� Hierzu zuletzt Hofmann/Tschann, Bergordnungen, 2004, S. 257–267; ferner Ludwig, Bergordnungen, 1985; Schreiber, Bergbau, 1962, S. 475–493; mit Blick auf Tirol Mernik, Codex Maximilianeus, 2005; Mernik, Betrachtungen zu Tiroler Bergordnungen, 2003; Palme, Rechtliche Probleme, 2004, S. 161–175; Palme, Rechtliche und soziale Probleme, 1984. 234 Ludwig, Bergordnungen, 1985, S. 182. 235 ����������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Hofmeister/Tschan, Bergordnungen, 2004, S. 261; Hofmann/Tschan, Schwazer Bergrecht, 2007, S. 17. 230
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III. Die Entwicklung der Gesetzgebung
Der mit 71 % überaus große Anteil der Bergordnungen an der Gesamtzahl der Einzelordnungen im 15. Jahrhundert reflektiert den großen Aufschwung des Bergbaus im Tirol des 15. Jahrhunderts, wo sich der Bergbau zu dem neben dem Transithandel zentralen Wirtschaftsfaktor und gleichzeitig zu einer der wichtigsten Einkommensquellen der Tiroler Landesfürsten entwickelte. Dabei trug die zunehmende Normierungsintensität im Bergrecht dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit Rechnung, das aus Faktoren wie dem hohen Kapitalbedarf des Bergbaus und der technischen und sozialen Dynamik dieses Wirtschaftszweigs resultierte. Insofern ist es kein Zufall, dass just das 15. Jahrhundert die Hochzeit für die bergrechtliche Gesetzgebung in Tirol darstellte, nahm die Bedeutung des Bergbaus in Tirol doch schon unter Ferdinand I. wieder allmählich ab. Der Rückgang des Tiroler Bergbaus beschleunigte sich unter Erzherzog Ferdinand II. und ging im 17. Jahrhundert in eine krisenhafte Entwicklung über, die die Fortführung des Bergbaus im ehemals reichen und wichtigsten Montanrevier Schwaz zunehmend von Zuschüssen abhängig machte. Diesem Befund entspricht die abnehmende Bedeutung der Bergordnungen, die schon im 16. Jahrhundert nur mehr 20 % aller Sonderordnungen ausmachten (und somit bloß 1,2 % der gesamten Normproduktion). Eines darf man dabei jedoch nicht vergessen: Von allen Tiroler Gesetzgebungsakten während des Untersuchungszeitraumes kam den Tiroler, insbesondere den Schwazer Bergordnungen zweifellos die größte Bedeutung für die außertirolische Rechtsentwicklung zu, da ihnen für Bergordnungen sowohl in den nieder- als auch in den vorderösterreichischen Ländern eine erhebliche Vorbildwirkung zukam. Hierauf wird im Kapitel, das Fragen des Rechtstransfers behandelt, eigens eingegangen werden.236 Neben den Bergordnungen spielen andere Einzelordnungen im 15. Jahrhundert nur eine untergeordnete Rolle. Dies ist nicht weiter verwunderlich. Welche Motive hätten zu einer intensiveren Regulierung einzelner Rechtsmaterien mittels Sonderordnungen führen sollen? Im Fall eines erhöhten Regelungsbedarfs wäre die Integration der entsprechenden Normenkomplexe in übergreifende Ordnungen zumeist die naheliegendere Option gewesen. Dass im Fall der Gerichtsordnung von 1481 ein anderer Weg beschritten wurde, liegt wohl an der dem Gerichtswesen zugeschriebenen Bedeutung. Die Herstellung einer geordneten Rechtspflege gehörte in Spätmittelalter und Früheneuzeit zu den herrscherlichen Kernaufgaben, und diese als zentral betrachtete Verpflichtung des Landesfürsten, für eine wohlgeordnete, gerechte und kostengünstige Rechtsprechung zu sorgen, wurde sowohl in der Narratio der Gesetzesurkunde als auch gegen Ende der Dispositio hervorgehoben. Angesichts der bisherigen Klagen über die personelle Überbesetzung der Gerichte und die daraus erwachsende Kostenbelastung komme es Siegmund „als herrn und landsfürsten“ zu, „darein zu sehen.“ Die Intention der Gerichtsordnung gehe demnach dahin, „damit das recht gleich sei [,] gefürdert werde, unser unterthanen und auslendig, die zu schaffen ha-
Vgl. Kap. VI.5.5.
236
2. Die quantitative Entwicklung
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ben, nit in unbillich schäden oder verderben geweist werden.“237 Sowohl von der Materie als auch von der herrscherlichen Selbstwahrnehmung her wurde der Regelung wohl eine solche Bedeutung zugemessen, dass eine Sonderordnung als adäquate Regelungsform angesehen wurde. Und dennoch zeigt selbst die Gerichtsordnung, dass derartige Sonderordnungen noch keineswegs als etwas Selbstverständliches galten, findet sich doch bezeichnenderweise am Schluss der Dispositio ein kurzer Auftrag an die lokalen Obrigkeiten. Es handelt sich dabei um einen inhaltlich völlig isolierten und mit der Gerichtsorganisation und dem Zivilprozess in keiner Beziehung stehenden Befehl, auf die Verwendung richtiger Maße und Gewichte zu achten, falsche bzw. verfälschte zu zerstören und deren Benützer zu bestrafen. Noch kann der Gesetzgeber nicht widerstehen, einen aktuellen policeylichen Regelungsbedarf in einem mitzuerledigen und ungeachtet der fehlenden Systematik eine entsprechende Bestimmung anzufügen. Die Entwicklung der Gesetzgebungstechnik lässt Derartiges im 16. Jahrhundert nicht mehr zu. In einer Sonderordnung aus dieser Zeit finden sich keine materienfremden Bestimmungen mehr. Abseits der Bergordnungen kommen erst unter Maximilian I. vermehrt Sonderordnungen auf. Bei den ersten beiden Viktualienordnungen, die den Lebensmittelhandel mit Brot und Getreide, Fleisch und Fisch regeln, scheint ein Bezug zu vorangegangenen Landtagsbeschwerden möglich, wenngleich der erhaltene Gesetzestext aus dem Jahr 1491 – der Gesetzeswortlaut von 1490 ist nicht auf uns gekommen – keine entsprechenden Hinweise enthält. Belegt ist der Zusammenhang mit bäuerlichen Beschwerden bei der Waldordnung von 1492. Hingegen ist bei zwei anderen, von Maximilian I. erlassenen Ordnungen die treibende landesfürstliche Kraft hinter den Regelungskomplexen deutlich sichtbar. Hier ging es um die Wahrnehmung oder Ausdehnung landesfürstlicher Rechte, die gegebenenfalls unter Zurückdrängung konkur rierender Rechte durchgesetzt werden sollten. So erfolgten durch die Waldordnung von 1502 im Interesse der Holzversorgung des Bergbaus beschränkende Eingriffe in die Bewirtschaftung der Gemeinde- und Eigenwälder. Die Fischereiordnung für den Inn weist in der Narratio ausdrücklich darauf hin, dass die Neuregelung den Zweck verfolge, die Fischbestände für die lust und notdurfft des Königs zu erhalten. Sieht man von der Bergordnung aus dem Jahr 1510 ab, war die Zeitspanne von 1502 bis 1533 von einem Fehlen weiterer Sonderordnungen geprägt, was kein Zufall ist. Die Gründe wurden partiell schon erwähnt: Im Rahmen des Ringens um eine Landesordnung, das die zweite Regierungshälfte Maximilians I. in Tirol mit prägte und bei dem den Landständen die Rolle der treibenden Kraft zufiel,238 wäre zwar der Erlass von Sonderordnungen auf den ersten Blick gerade aus herrscherlicher Perspektive eine denkbare Option gewesen, um der Landschaft Entgegenkommen zu signalisieren. Doch dazu kam es nicht. Über die Gründe können mangels Quellenhinweisen nur Mutmaßungen angestellt werden. Vom Standpunkt der Schwind/Dopsch, Urkunden, 1895, Nr. 224, S. 413–414. Vgl. hierzu Kap. IV.7.2.2.
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III. Die Entwicklung der Gesetzgebung
Tiroler Landschaft aus bargen Sonderordnungen eventuell das Risiko, den Prozess hin zu einer umfassenden Kodifikation zu erschweren, könnte Maximilian doch in diesem Fall auf das Vorliegen zumindest von Teilordnungen hinweisen und so landständischen Forderungen nach einer Landesordnung teilweise den Wind aus den Segeln nehmen. Aus herrscherlicher Sicht könnten die Bedenken gänzlich anders gelagert gewesen sein und Sonderordnungen, soweit sie nicht wie die Fischerei- oder Waldordnung überwiegend im landesfürstlichen Interesse lagen, als erster und daher zu vermeidender Schritt auf dem Weg hin zu einer Landesordnung be trachtet werden. Anders ist die weitgehende Absenz von Teilordnungen in den Jahren nach 1526 zu erklären. Nach der Ausarbeitung und Publikation der Landesordnung war der Regelungsbedarf zunächst abgedeckt, allfällige Lücken oder defizitäre Bestimmungen mussten sich erst im Rechtsalltag herauskristallisieren. Dies erforderte auch nach Kundmachung der Reformation der Landesordnung noch erhebliche Zeit. Zunächst dominierten Ordnungen, bei denen das landesfürstliche Interesse (Fischereiordnung von 1533) bzw. das Bemühen nach Abdeckung des Holzbedarfs der Bergwerke und der Haller Saline im Vordergrund standen oder wo neu entdeckte bzw. erschlossene Bergbaue weitere rechtliche Regelungen erforderten (was auf die Bergordnungen zutrifft). Die Lasterordnungen von 1544 und 1566 müssen nicht notwendigerweise auf bestehende Defizite hinweisen, sondern stehen in engem Konnex mit den Türkenkriegen, der im Vorfeld der Ordnung von 1566 auch ausführlich thematisiert wurde. Parallel zur Veranstaltung wöchentlicher Prozessionen für einen Sieg über die Osmanen und parallel zur Anordnung täglicher Gebete für einen Sieg Kaiser Maximilians II. wurde die Lasterordnung von 1566 erlassen.239 In der Narratio der Lasterordnung von 1544 wird der Zusammenhang mit dem Türkenkrieg, der die erste Hälfte der vierziger Jahre prägte, ausdrücklich hervorgehoben und auch im Zuge des Implementationsprozesses betont.240 Inhaltlich brachten die Lasterordnungen wenig substantiell Neues. Mit der Sanktionierung von typischen Policeydelikten wie Gotteslästerung, Fluchen, Schwören, Zutrinken, Ehebruch, Fürkauf und Wucher blickten sie auf eine bereits mehrere Jahrzehnte dauernde Gesetzgebungstradition zurück,241 wobei das Lastermandat aus dem Jahr 1524 einen frühen Höhepunkt dargestellt hatte.242 Außerdem waren 1544 bereits die meisten der Delikte in der Tiroler Landesordnung normiert. Sowohl 1544 als auch 1566 gaben TLA, AfD 1566, fol. 254r–257r, 1566 Aug. 8; hierzu auch TLA, CD 1566, fol. 409, 1566 Sept. 23. 240 Vgl. nur TLA, VkgM 1546, fol. 363, 1546 Sept. 24; TLA, CD 1546, fol. 212v–213v, 1546 Aug. 18. 241 Ein Mandat gegen das Konkubinat erging erstmals 1517, vgl. TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 37, Lit. Ll, fol. 143, 1517 Juli 24; ferner TLA, BT, Bd. 4, fol. 120, 1537 April 19 (gegen das Konkubinat); TLA, CD 1543, fol. 40, 1543 Sept. 10; TLA, CD 1544, fol. 54, 1544 März 26. 242 TLA, BT, fol. 20, 1524 März 26. 239
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also weniger festgestellte Regelungsdefizite als vielmehr konkrete Anlässe den Anstoß zum Erlass der entsprechenden Ordnungen. Diesen Schluss darf man allerdings nicht generalisieren: Untersucht man die Entstehungsprozesse der anderen Sonderordnungen, die bis zur Reformation der Tiroler Landesordnung erlassen wurden, zeigt sich sehr wohl, dass mit deren Publikation regelmäßig bestimmten Regelungsbedürfnissen Rechnung getragen werden sollte. In den Jahren vor 1550 hatten beispielsweise häufige Klagen über die Insuffizienz der in der Landesordnung enthaltenen, das Müllergewerbe betreffenden Titel schon 1547 den Gedanken an die Erarbeitung einer Einzelordnung aufkeimen lassen.243 Die Bäckerordnung von 1571 war durch die Hungersnot der beginnenden siebziger Jahre induziert, die aus landesfürstlicher Sicht ein entsprechendes gesetzgeberisches Gegensteuern erforderte, um eine befürchtete und angesichts der Zeitläufte als umso gravierender wahrgenommene Übervorteilung der Konsumenten zu unterbinden.244 Dass die Revisionsordnung just im März 1573 publiziert worden war, besaß erhebliche Signalwirkung. In den Jahren zuvor und noch auf dem zu Jahresbeginn 1573 abgehaltenen Landtag war umstritten gewesen, ob und in welchen Fällen die Revision von Urteilen der Regierung und des Adeligen Hofrechts überhaupt möglich sein sollte.245 Was im Zusammenhang mit den Lasterordnungen bereits ansatzweise ausgeführt wurde, lässt sich hinsichtlich der Policeymaterien behandelnden Sonderordnungen verallgemeinern. Einzelordnungen präsentieren sich normalerweise als Resultat einer längeren Rechtsentwicklung. Ein policeyrechtliches Teilgebiet wird grundsätzlich erst nach längeren, zumeist jahrzehntelangen Vorlaufzeiten in einer zusammenfassenden Teilordnung normativ erfasst. Dabei können mehrere Fälle unterschieden werden, was die Ausprägung und die Anzahl möglicher Vorgängerregelungen betrifft: Zunächst können einzelne Aspekte einer policeyrechtlichen Materie bereits durch landesfürstliche Gesetzgebung normiert sein, sei es in Form von Einzelgesetzen, sei es durch die Behandlung in materiell übergreifenden Ordnungen. Greifen wir einige instruktive Beispiele heraus: Die Wirtsordnungen von 1559 und 1568 schrieben die Pflichten der Wirte gegenüber den Gästen sowie die Berechnungen der Preise von Mahlzeiten, Getränken und Übernachtungen detailliert vor und zielten zudem auf die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung im Wirtshaus TLA, BT, Bd. 6, fol. 19v, 1547 Okt. 15; ebd., fol. 22, 1547 Nov. 10. TLA, BT, Bd. 10, fol. 195v–196r, 1571 Juni 18; ebd., fol. 200v–201r, 1571 Juli 12; ebd., fol. 233v–234r, 1571 Okt. 8. Dieses Motiv für die Erlassung der Bäckerordnung wird rückblickend von Ferdinand II. in einem Schreiben an den Landeshauptmann als maßgeblicher Beweggrund dargestellt, vgl. TLA, BT, Bd. 10, fol. 583v–585v, 1575 Okt. 26. 245 TLA, LLTA, Fasz. 9, Bund 3 (Landtag 1573); ferner TLA, Hs. 45, bes. fol. 191r–195r sowie fol. 301r–307r; vgl. zuvor schon die deutlichen Aussagen von Erzherzog Ferdinand II. über die Zulassung der Revision vom Hofrecht in TLA, Ambraser Memorabilien IV/54, 1568 Nov. 13. 243 244
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III. Die Entwicklung der Gesetzgebung
als einem sicherheitspoliceylich potentiell gefährlichen Terrain ab. Entsprechende (Einzel-)Regelungen lassen sich seit der Zeit Erzherzog Siegmunds nachweisen.246 Die konfliktträchtige Frage der Preisberechnungen findet in Gesetzgebungsakten seit 1489 immer wieder Berücksichtigung. Den Wirten wurde ferner auferlegt, kein Fleisch an Fasttagen zu servieren, Branntwein nur zu den vorgeschriebenen Stunden auszuschenken, keinen Weinausschank ohne obrigkeitliche Bewilligung zu betreiben, keine müessiggänger und annder verdechtlich verleumbt personen zu beherbergen247 und für das normenkonforme Verhalten der Gäste Sorge zu tragen (z. B. durch Hinweis auf das Verbot der Waffenführung). Eine Zusammenfassung einiger früherer Regelungen erfolgte erstmals in der Tiroler Landesordnung (wie dies auch bei anderen Policeymaterien feststellbar ist),248 ohne dass damit bereits der Endpunkt der Entwicklung erreicht gewesen wäre. Es bedurfte also einer erheblichen Vorlaufzeit, bis die Normierungsintensität in einem bestimmten Rechtsbereich eine solche Dichte erreicht hatte, dass die Zusammenfassung früherer Normen in einer Einzelordnung als angebracht erschien. Sie erleichterte die Implementation der zuvor unter Umständen nur disparat in Form von Einzelgesetzen erlassenen Vorschriften durch die lokalen Obrigkeiten und die Normadressaten (Müller, Wirte usw.), indem sie diesen die aktuelle Rechtslage in einigermaßen systematischer Form darbot. Dasselbe Prinzip lässt sich bei der Gerichtskostenordnung von 1582 feststellen, die eine umfassende Normierung dieses Bereichs anstrebte. Seit dem beginnenden 15. Jahrhundert war der für die Rechtssuchenden zentrale Aspekt der aus der Inanspruchnahme der Justiz resultierenden Kostenbelastung immer wieder gesetzlich geregelt worden (so 1404, 1444, 1451, 1474, 1481, 1483, 1487, 1489, 1491, 1496), wobei diese Regelungen teilweise sehr punktuell blieben, teilweise jedoch schon einen recht beträchtlichen Umfang erreichten. Letzteres gilt besonders für die Ordnung des Meraner Rates von 1444, bei der die Festschreibung der Gebühren, die vom Rechtsuchenden für die einzelnen vom Gerichtspersonal vorgenommenen Handlungen zu entrichten waren, breiten Raum einnimmt.249 Die Landesordnung von 1526 führte im Anschluss an die früheren Bestimmungen Höchstgrenzen für die mit der Rechtspflege verbundenen und von den Parteien zu tragenden Kosten ein,250 die 1532 und 1573 in leicht erweiterter Form übernommen wurden,251 die Vgl. zum Folgenden z. B. Wopfner, Lage Tirols, 1908, S. 205–207 (Ordnung von 1489 Juni 5); Schmidt, Halsgerichtsordnungen, 1949, S. 123–132 (Ordnung von 1493 März 23); TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 16, Lit. P, S. 99, 1493 April 23; ebd., S. 77–78, 1493 Okt. 24; TLA, BT, Bd. 1, fol. 74, 1525 April 24; Mecenseffy, Quellen, Bd. III, 1983, Nr. 8 (1532 Febr. 10); TLA, BT, Bd. 4, fol. 98v–99r, 1536 Nov. 9; ebd., fol. 149v–150v, 1537 Juli 23; TLA, BT, Bd. 5, fol. 126r– 127r, 1542 Sept. 19; ebd., fol. 258, 1545 Mai 5 (Parallelüberlieferung TLMF, FB 6196, Nr. 6). 247 Zit. aus TLA, BT, Bd. 1, fol. 74, 1525 April 24. 248 TLO 1532, Buch 6, Tit. 15 (in der TLO 1526 fehlt eine entsprechende Bestimmung noch). 249 Vgl. allgemein Schennach, Gerichtskosten, 2002, sowie Kap. IV.5.3.4.5.1. 250 TLO 1526, Buch 1, Teil 1, Tit. 6–14. 251 TLO 1532 und TLO 1573, Buch 2, Tit. 5 und 8–15. 246
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jedoch angesichts anhaltender Klagen (die besonders auf dem Landtag 1577 ventiliert wurden252) als insuffizient angesehen wurden und schließlich in den Gerichtskostenordnungen von 1582 und 1586 mündeten. Auch bei der Durchzugsordnung, die die Versorgung der das Land querenden Söldnertruppen, deren Verhältnis zur Zivilbevölkerung und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit normierte, lassen sich mehrere Vorgängerregelungen finden, die bis in die Zeit Erzherzog Siegmunds zurückreichen.253 Weiters können Materien vor ihrer Zusammenfassung in Einzelordnungen bereits auf Gemeinde- oder Gerichtsebene Gegenstand der Gesetzgebung geworden sein. So waren zwar Einzelaspekte des Bäckergewerbes und des Brotverkaufs schon seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert Gegenstand landesfürstlicher Gesetzgebung geworden,254 im Wesentlichen oblag es jedoch lange Zeit den Gemeinden, in Abstimmung auf die örtlichen Verhältnisse lokale Bäckerordnungen zur Regelung der Verkaufsmodalitäten und Preisbemessungen zu erlassen.255 Eine einschlägige „Verordnungsermächtigung“ war dementsprechend auch in der Tiroler Landesordnung von 1532 enthalten gewesen, derzufolge durch Phleger / Richter / Burgermaister / Raete und Geschwornen / nach gelegenhait der zeit und ains yeden orts / der Moetzger / Pecken / Und aller Hanndtwercher halben / guot / Erber / zimblich und leidenlich Ordnungen und Satzungen (wes sich ain yeder halten und gebrauchen) fürgenomen und gemacht werden sollten.256 Auf eine Anfrage der niederösterreichischen Regierung nach Übersendung der Tiroler Bäcker- und Metzgerordnung im Jahr 1537 hin wurde daher die Auskunft erteilt, dass
������������������������������������������������������������������������������������ TLA, LLTA, 1577 (Landtagsbeschwerden der Pustertaler Gerichte); Gutachten der Regierung und der Kammer ebd., 1579 Mai 5 und Dez. 7; ebd. die landesfürstliche Resolution von 1580 Febr. 10. 253 TLA, Hs. 123, fol. 1432r, 1473 März 21 (Anweisungen an sämtliche Obrigkeiten entlang der Durchzugsstraßen, den bevorstehenden Durchmarsch von 4000 Fußsoldaten und 1000 Mann Kavallerie betreffend); ferner z. B. Hölzl, Gerichtsarchiv Laudegg, 1984, Nr. 83, 1507 Dez. 10; TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 30, Lit. Cc, fol. 178r–179r, 1509 Mai 5; TLA, BT, Bd. 1, fol. 50, 1524 Dez. 15; TLA, CD 1529, fol. 467r, 1529 Juli 22; allgemein zum Themenkomplex „Truppendurchmarsch“ Schennach, Landesverteidigung, 2003, S. 300–311; Schennach, Quellen, 2004, S. 98–99. 254 ���������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. z. B. das Gesetz von 1490 Juni 16 nach Borger, Innere Geschichte Tirols, 1966, S. 94; Gesetz von 1491 Juni 9 nach der Edition bei Schober, Urkunden, 1990, S. 47–50, hier S. 47–48; Schmidt, Halsgerichtsordnungen, 1949, S. 123–132, hier S. 124–126 (Ordnung von 1493 März 23). 255 ������������������������������������������������������������������������������������������ Das frühe Beispiel einer Innsbrucker Bäckerordnung vom Juni 1449 bei Fischnaler, Innsbrucker Chronik, Teil IV, 1930, S. 167. 256 TLO 1532, Buch 6, Tit. 46. 252
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III. Die Entwicklung der Gesetzgebung
in disem lannd der F. G. Tiroll dergleichen ordnung in genere nit, sonnder allain bey nambhafften stetten, märckhten und landtgerichten und dannocht nachend bey yedwederm derselben ort mit sundrung oder ungleichait gegen dem negst darbey gelegen ort gehalten werden.257 Hier stellte erst die Hungersnot der frühen siebziger Jahre des 16. Jahrhunderts das Motiv für den Erlass einer landesweit einheitlichen, umfassenden Regelung dar, die sich jedoch weitgehend an der Schwazer Bäckerordnung orientierte. Diese war von der Regierung als besonders taugliche Vorlage angesehen worden.258 Entsprechendes lässt sich bei der Schulordnung von 1586 nachweisen, die großteils auf einem Innsbrucker Pendant von 1562/1563 basierte.259 Wieder anders war der Fall bei den Kirchpröpsten als Vertretern der Gemeinde gelagert, deren Hauptaufgabe die Verwaltung des Kirchenvermögens darstellte. Deren Rechte und Pflichten waren nur selten durch gemeindliche Satzungen geregelt, sondern wurzelten vor allem in örtlichen Rechtsgewohnheiten. Die Tiroler Landesordnungen von 1532 und 1573 hatten sich daher auf eine sehr summarische Umreißung des Pflichtenkatalogs unter Hinweis auf das „alte Herkommen“ beschränkt,260 die Landesordnung von 1526 hat überhaupt noch von jeder Erwähnung abgesehen. Gerade die Entstehungsgeschichte der Kirchpropstordnung illustriert freilich, dass man mit vorschnellen Zuschreibungen von Regelungsmotiven zurückhaltend sein muss. Vorderhand liegt der Schluss nahe, dass die Kirchpropstordnung entweder auf seitens der Regierung festgestellte Regelungsdefizite reagierte oder aber eine Rechtsvereinheitlichung intendierte. Doch trifft weder das eine noch das andere zu. In erster Linie ist die Kirchpropstordnung das Resultat einer Vermeidungsstrategie der Regierung. Durch die Entfaltung legistischer Aktivitäten in diesem Bereich wollten die Räte Erzherzog Ferdinand von der Verfolgung eines anderen, für sie mit viel Arbeit verbundenen Vorhabens ablenken und gleichzeitig belegen, dass man seine Anregungen ernst nähme. Der Entstehungsgrund der Kirchpropstordnung reichte in das Jahr 1584 zurück und hatte überhaupt nichts mit der fünf Jahre später in einer Sonderordnung normierten Materie zu tun. Ferdinand II. teilte damals der Regierung mit, angesichts der ihm zu Ohren gekommenen Unregelmäßigkeiten bei vielen „Gerhabschaftsraitungen“ (d. h. bei den jährlichen Abrechnungen der Vormünder über das Vermögen ihrer Mündel) komme es ihm als herrn unnd lanndtsfürsten, auch obristen gerhaben zu, diesem Missstand abzuhelfen. Damit verband er die An TLA, CD 1537, fol. 65r, 1537 Mai 15. Vgl. BT, Bd. 10, fol. 195v–196r, 1571 Juni 18. 259 Erwähnung bei Fischnaler, Innsbrucker Chronik, Teil IV, 1930, S. 278; vgl. ferner TLA, AfD 1576, fol. 100v–102v, 1576 Febr. 3; TLA, VfD 1576, fol. 129v–130r, 1576 Febr. 11; TLA, AfD 1585, fol. 194r–197v, 1585 März 20; ebd., fol. 252v–256r, 1585 April 1; ebd., fol. 270r– 272r, 1586 April 10; ebd., fol. 629r–631r, 1586 Sept. 6; TLA, VfD 1586, fol. 166r–167r, 1586 Okt. 8; TLA, AfD 1586, fol. 722, 1586 Okt. 17; ebd., fol. 821r–824v, 1586 Nov. 27. 260 TLO 1532, Buch 3, Tit. 54; TLO 1573, Buch 3, Tit. 54. 257 258
2. Die quantitative Entwicklung
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weisung, zunächst den Ist-Zustand zu erheben und sämtliche Personen, die eine Vormundschaft innehatten, nach Innsbruck zu zitieren und vor den Regierungsräten die Jahresrechnungen vorlegen zu lassen. Die Reaktion der Räte kann man sich unschwer vorstellen, handelte es sich dabei doch um hunderte, ja tausende Vormünder, die vorgeladen und kontrolliert werden hätten sollen. Doch kam es ihnen wohl unangebracht vor, allein darauf zu verweisen, dass ihnen die erzherzogliche Idee aufgrund der damit verbundenen Arbeitsbelastung gar nit ratsamb erscheine. Vielmehr sandte man gemeinsam mit dieser Stellungnahme stracks ein Gesetzeskonzept an den Hofrat, wie die ‚Gerhabschaftsraitungen‘ einheitlich geregelt werden sollten. Und da auch Spitalmeister und Kirchpröpste zur jährlichen Rechnungslegung verpflichtet waren, integrierte man diese gleich in den Entwurf.261 Der Hauptzweck der projektierten Ordnung war aus Sicht der Regierung erfüllt: Von der Idee, sämtliche Gerhaben zentral durch die Regierung überprüfen zu lassen, war in der Folge keine Rede mehr. Doch wurde rasch sichtbar, dass die Ordnung ein ungeliebtes Kind war.262 Der Landeshauptmann und das Adelige Hofrecht, denen das Konzept zur Begutachtung zugestellt worden war, verwiesen auf die Zuständigkeit des ständischen Ausschusses, sahen selbst aber keine vordringliche Regelungsnotwendigkeit. Ähnlich war der Tenor der Stände, die hinsichtlich der Spitalmeister und Kirchpröpste eine Regelung sogar ausdrücklich als unnötig bezeichneten.263 Das Projekt einer Gerhabschafts- und Spitalmeisterordnung wurde angesichts des bescheidenen Echos denn auch bald fallengelassen. Und selbst Ferdinand II. meldete zu Jahresende 1588 schließlich Bedenken an und verlieh seiner Meinung Ausdruck, dass die Aufgaben der Kirchpröpste in der Landesordnung hinreichend fixiert seien.264 Doch ließ er der Regierung ausdrücklich freie Hand: Wenn sie einen Regelungsbedarf sehe, sollte die Kirchpropstordnung erlassen werden – was schließlich auch geschah. Ob die Regierung zu diesem Zeitpunkt tatsächlich von der Sinnhaftigkeit des Gesetzgebungspro jektes überzeugt war oder ob es ihr vorrangig darum ging, gegenüber Ferdinand II. ihr Gesicht zu wahren, lässt sich quellenmäßig nicht belegen. Die letztgenannte Option hat gleichwohl eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich: Nach Jahren der Debatte – vom ursprünglichen Regierungsvorschlag einer Gerhabschafts-, Spitalmeister- und Kirchpropstordnung war ohnehin nur ein Fragment übrig geblieben – auf jegliche Regelung zu verzichten und damit implizit zu konzedieren, dass das gesamte Projekt von vornherein fragwürdig war, hätte Mut erfordert. Der Befund dieser Ordnung, die niemand wollte, lässt sich sicherlich nicht verallgemeinern. Gerade das letzte Viertel des 16. Jahrhunderts brachte eine ganze Reihe von Einzelordnungen hervor, die die Tiroler Rechtsordnung bis weit in das Vgl. TLA, VfD 1584, fol. 191v–192r, 1584 April 4; TLA, AfD 1584, fol. 586r–588v, 1584 Sept. 11. 262 Vgl. zum Folgenden TLA, AfD 1585, fol. 530r–532r, 1585 Aug. 2; TLA, AfD 1586, fol. 422r–423v, 1586 Juni 13; TLA, VfD 1586, fol. 231r–232r, 1586 Juni 23. 263 TLA, VdL, Bd. 5, S. 495 und 595. 264 TLA, VfD 1588, fol. 315v–316r, 1588 Dez. 19. 261
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III. Die Entwicklung der Gesetzgebung
17. Jahrhundert hinein prägten. Vorderhand scheint das 17. Jahrhundert mit zwölf Sonderordnungen bis 1665 ja durchaus noch produktiv. Die Beschränkung der Perspektive auf den quantitativen Aspekt führt gerade in diesem Punkt jedoch in die Irre. Sieht man von der Forstordnung von 1604, der Innsbrucker Feuerordnung von 1609 und der Markt- und Wechselordnung für Bozen von 1635 ab, sind sämtliche Teilordnungen entweder Wiederverlautbarungen, die textlich mit den früheren Ordnungen übereinstimmen, oder aber es handelt sich um nur geringfügig modifizierte Fassungen der Vorgängerregelungen. Die Bettlerordnungen von 1603 und 1630 knüpfen an die Ordnungen der Jahre 1576 und 1590 an, die Forstordnungen von 1643 und 1663 weichen nur in einigen wenigen Punkten von der Fassung von 1604 ab, die Holzordnung von 1626 knüpft an die Ordnung von 1541 an, die Innsbrucker Mannszuchtordnungen von 1605 und 1633 sind mit den Vorläufern der Jahre 1568 und 1585 identisch. Am deutlichsten wird das Fehlen jeglicher rechtlicher Innovation bei der Schulordnung von 1630. Hier hatte die Regierungskanzlei schlichtweg die offensichtlich noch in ausreichender Stückzahl vorhandenen Exemplare der Ordnung von 1586 wiederverwertet und einfach den Namen des Ausstellers „Ferdinand“ durch „Leopold“ überklebt. Allein die Markt- und Wechselordnung für Bozen von 1635 nimmt aufgrund ihres innovativen Charakters unter den Tiroler Einzelordnungen des 17. Jahrhunderts eine Sonderstellung ein und entfaltete auch über die Tiroler Grenzen hinaus Vorbildwirkung.265
2. 3. 4. Zum Verhältnis von Einzelgesetzen, Sonderordnungen und Landesordnungen 1998 hat Wilhelm Brauneder in einer Studie anhand der Gesetzgebung der nieder österreichischen Länder die vielfältigen Bezugnahmen der einzelnen landesfürstlichen Gesetzgebungsakte untereinander aufgezeigt und darüber hinaus die Einbettung der territorialen österreichischen Gesetzgebung in die Reichsgesetzgebung thematisiert.266 Dabei unterscheidet er zwischen einer vertikalen und einer horizontalen Bedachtnahme in Gesetzgebungsakten. Fälle vertikaler Bedachtnahmen spielen sich so im Verhältnis von Gesetzgebungsakten ab, die gegenseitig in einem gewissen Verhältnis der Über- und Unterordnung stehen. Die vertikale Bedachtnahme ist also im Verhältnis der Landesgesetzgebung zur Reichsgesetzgebung einer seits – die durch die Verweisungen auf das Reichsrecht, durch die Ausführung und die Ergänzung von Reichsgesetzen geschehe – und im Verhältnis zwischen lokalem Recht und Landesgesetzgebung andererseits zu beobachten. Bei Fällen horizontaler Bedachtnahmen ist der territoriale Gesetzgeber hingegen bestrebt, die einzelnen Bereiche der Landesgesetzgebung miteinander in Bezie Vgl. hierzu ausführlich Kap. VI. 5.5. Vgl. zum Folgenden Brauneder, Frühneuzeitliche Gesetzgebung, 1998.
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2. Die quantitative Entwicklung
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hung zu setzen, zu verklammern. Dies geschieht durch die Technik der Verweisung, durch das Insert (d. h. die wörtliche Inkorporation einer früheren Bestimmung), durch die Doppelbestimmung (d. h. die doppelte Regelung eines Tatbestandes ohne ausdrückliche Bezugnahme) und durch die Festlegung des wechselseitigen Verhältnisses (z. B. Subsidiaritätsklauseln). Brauneder gelangt überzeugend zum Nachweis einer überaus intensiven Verschränkung der einzelnen Gesetzgebungsakte, die auf diese Weise zueinander in Beziehung gesetzt werden, was nahe lege, dass der legistischen Praxis im frühneuzeitlichen Österreich die Annahme einer einheitlichen Gesamtrechtsordnung nicht fremd war und dies in der Gesetzgebungstechnik einen entsprechenden Niederschlag fand. Die intensive Verklammerung lässt sich dabei auch statistisch herausstellen: Von 900 Policeygesetzen für Österreich ob und unter der Enns aus dem Zeitraum von 1520 bis 1650 enthalten zwar „nur“ 50 Verweisungen auf Reichsge setze, 700 dagegen solche auf andere landesfürstliche Gesetze, „davon gute 180 auf umfassendere Ordnungen.“267 An dieser Stelle sollen nicht Brauneders Schema auf Tirol übertragen und entsprechende statistische Auswertungen des Tiroler Materials geboten werden, zumal die Fälle der von Brauneder so bezeichneten „vertikalen Bedachtnahme“ in der vorliegenden Arbeit an anderer Stelle Erwähnung finden.268 Im Anschluss an die Ausführungen über die Sonderordnungen sei hier nur das Verhältnis landesfürstlicher Einzelgesetzgebungsakte und Teilordnungen sowie der Landesordnungen von 1526, 1532 und 1573 (respektive der Policeyordnung von 1573) zueinander erörtert. Der Einfluss der Landesfreiheiten auf die territoriale Gesetzgebung, der sich natürlich auch in Bezugnahmen niederschlug, wird ebenso im einschlägigen Kapitel besprochen werden wie das Verhältnis der landesfürstlichen Gesetzgebung zu Rechtsgewohnheiten, das in zahlreichen Gesetzen mit Verweis auf das „alte Herkommen“ bzw. die „alten Gebräuche“ angezogen wird.269 Die einschlägigen Verweisungen sind dabei nie kontextunabhängig zu verstehen. Bezugnahmen auf die Landesfreiheiten haben im Verhältnis zwischen Landständen und Landesfürst eine erhebliche machtpolitische Bedeutung. Verweise auf das „alte Herkommen“ müssen nicht notwendigerweise Belege für die bloße schriftliche Fixierung von Rechtsgewohnheiten in Gesetzesform sein, ihnen kann auch (unter Umständen sogar primär) Legitimationsfunktion für landesfürstliche Gesetzgebungsakte zukommen. Brauneder, Frühneuzeitliche Gesetzgebung, 1998, S. 118. Vgl. hierzu Kap. VI.5.2. 269 Vgl. zum (geringen) Einfluss der Landesfreiheiten auf die Gesetzgebung Kap. VI.1.3.2.; zum Verhältnis der landesfürstlichen Gesetzgebung und Rechtsgewohnheiten ausführlich Schennach, Gewohnheitsrecht, Einzelgesetzgebung und Landesordnungen, 2008, S. 53–64; zur Verankerung von erheblichen Teilen der Policeygesetzgebung im traditionalen Recht auch Schennach, Gesetzgebung als Erinnern an Normen, 2007, S. 394–400. 267 268
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III. Die Entwicklung der Gesetzgebung
Verweisung als die während des Untersuchungszeitraums bei weitem dominierende Technik der wechselseitigen Verschränkungen von Gesetzgebungsakten ist jedoch nicht gleich Verweisung. Eine Verweisung – hier verstanden als die Anführung eines zeitlich vorangehenden Gesetzgebungsaktes, die grundsätzlich in der Narratio einer Gesetzesurkunde erfolgte – kann unterschiedliche Ausprägungen annehmen und folglich unterschiedliche Zielsetzungen haben. Zunächst ist die summarische Verweisung zu nennen. Hier wird ohne weitere Konkretisierung in der Narratio auf eine oder meist mehrere frühere gesetzliche Regelungen desselben Gegenstandes verwiesen, der im verweisenden Gesetz neuerlich normiert wird. Die Stoßrichtung derartiger summarischer Verweisungen ist fast immer dieselbe, wird doch sogleich im Anschluss die mangelhafte Implementation der bisherigen Normen beklagt und als Motiv für die Wiederholung der nunmehrigen Regelung angeführt.270 Exemplarisch sei auf die Narratio eines Gesetzes vom 8. Januar 1594 hingewiesen, in der einleitend dargelegt wird: Wiewol die Fürstliche Durchleihtigkait / Erczherzog Ferdinand zu Osterreich etc. [...] hievor zu mehrmalen gancz ernstliche Mandate und Bevelch haben ausgehen lassen [...] So befindet sich doch, dass diesen nicht hinreichend nachgekommen werde und der abzustellende Missstand noch immer anzutreffen sei.271 Die summarische Verweisung ist ein weitgehend standardisierter Bestandteil des Urkundenformulars. Sie beschränkt sich nicht auf den Fall, dass ein Einzelgesetz auf frühere Einzelgesetze verweist; ebenso kann summarisch auf die Tiroler Landesordnung (Policeyordnung) verwiesen werden, ohne dass jedoch der einschlägige Titel präzisiert wird. Stets schließen sich jedoch mahnende Worte an, dass die bisherige Norm den intendierten Zweck noch nicht erreicht habe. Neben der summarischen Verweisung steht die konkretisierende Verweisung. Diese enthält keinen unspezifischen Hinweis auf frühere, denselben Regelungsgegenstand betreffende Normen, sondern führt die einschlägigen Normen einzeln an, indem sie präzise einen Einzelgesetzgebungsakt (eine Sonderordnung) und dessen Ausstellungsdatum anführt (bei Sonderordnungen kann die Erwähnung des Datums entfallen, da diese ohnehin ausreichend konkretisiert sind); alternativ kann ein bestimmter Titel (mehrere Titel) der Tiroler Landesordnung (Policeyordnung) genannt werden.272 Die Zielsetzung der konkretisierenden Verweisung wird in ei Vgl. z. B. TLA, BT, Bd. 10, fol. 432, 1573 Dez. 23; TLMF, Dip. 1090, Nr. 72, 1606 Aug. 8 (Verweis auf frühere Mandate und TLO); TLA, BT, Bd. 19, fol. 56, 1625 Okt. 10; TLA, BT, Bd. 20, fol. 458, 1634 Aug. 22; ebd., fol. 555, 1635 Juni 25; ebd., fol. 554, 1635 Juli 11 (Verweis auf frühere Mandate und TLO); TLA, BT, Bd. 21, fol. 211, 1639 März 12 (Verweis auf frühere Mandate und TLO); ebd., fol. 304, 1640 März 23; ebd., fol. 392, fol. 392, 1641 April 3 (Verweis auf frühere Mandate und TLO); TLA, BT, Bd. 22, fol. 238, 1644 Okt. 3. 271 TLA, CD 1594, fol. 192, 1594 Jan. 8. 272 Vgl. z. B. TLA, BT, Bd. 4, fol. 98v–99r, 1536 Nov. 9; ebd., fol. 149v–150v, 1537 Juli 23; TLA, BT, Bd. 10, fol. 566, 1575 März 1; ebd., fol. 567, 1575 April 30; TLA, Bd. 11, fol. 102, 1581 April 1; TLA, BT, Bd. 12, fol. 16, 1587 April 30; TLMF, Dip. 1090, Nr. 63, 1602 Nov. 21; TLA, CD 1619, fol. 382r–383v, 1619 Jan. 3; TLA, BT, Bd. 17, fol. 450r–451r, 1619 Okt. 10. 270
2. Die quantitative Entwicklung
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nem Gesetz aus dem Jahr 1595 ausdrücklich angeführt: dahinn wir [der Aussteller] uns umb kürtze willen gezogen / unnd Euch [die lokalen Obrigkeiten] darinnen zu ersehen / hiemit gewisen haben wöllen.273 Auch mit der konkretisierenden Verweisung kann der Hinweis auf die mangelhafte Implementation der angezogenen Norm verbunden sein.274 Häufig leitet eine konkretisierende Verweisung jedoch eine ergänzende (Teil-)Regelung ein, die den bisherigen, mittels Verweisung umrissenen Normbestand aufgrund der in der Rechtsanwendung gemachten Erfahrungen entsprechend komplettieren soll. Derselbe Zweck lässt sich fallweise im Verhältnis von Sonderordnungen zur Tiroler Landesordnung ausmachen, soweit Erstere eine bereits in der Landesordnung behandelte Materie zum Gegenstand haben. Die Sonderordnungen präsentieren sich hier unter Umständen als ergänzende Ausführungsgesetzgebung, wobei mittels Verweisung der Brückenschlag zu der zu konkretisierenden Norm hergestellt wird. Ziehen wir als Beispiel die Bettlerordnung von 1630 heran, wo dies einleitend klar zum Ausdruck gebracht wird:275 Erstlich seczen und wöllen wir / dasz vermög der New reformierten Tyrolischen LandsOrdnung / sibenden Buchs / vierten Titels / ein jede Commun / Statt Gericht / oder Dorff / seine Inhaimische Pettler und arme Leut selbs ernöhren und erhalten / und also das außlauffen in andere Stätt und Gericht / wie zugleich das Petlen und siczen auff den Gassen [...] verbotten sein solle. Damit aber solches umb sovil füglicher zu Werck gericht, [...]. werden die näheren Bestimmungen in der Bettlerordnung selbst erlassen. Genau dasselbe Prozedere wurde bei der Wirtsordnung von 1575276 angewendet, wo ebenso nach Verweisung auf den einschlägigen 15. Titel des 6. Buchs der Tiroler Landesordnung von 1573 die ergänzenden Regelungen angeführt wurden. Fast erscheint es schon überflüssig, auf die analoge Vorgehensweise in der Narratio der Gerichtskostenordnung von 1582277 aufmerksam zu machen. Hinsichtlich des Verhältnisses von Kirchpropst- und Landesordnung muss man erst gar nicht den Gesetzestext bemühen. Die Intention, die Vorschriften der Landesordnung zu konkretisieren, wurde von der Regierung selbst während des Entstehungsprozesses ganz deutlich benannt, indem sie hervorhob, dass die konzipierte Ordnung wider die be TLA, BT, Bd. 12, fol. 535, 1595 Nov. 20. ������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. z. B. Mecenseffy, Quellen, Bd. III, 1983, Nr. 755 (1544 April 18); TLA, Ambraser Memorabilien V/72, 1547 Okt. 18 (Beilage zu 1604 Jan. 21); TLMF, FB 6197, Nr. 22, 1550 Mai 1; ebd., Nr. 53, 1577 Febr. 20; ebd., Nr. 57, 1589 März 20; TLA, CD 1617, fol. 167, 1617 Dez. 20. 275 TLA, BT, Bd. 19, fol. 692, 1630 Juni 1. 276 TLMF, FB 6197, Nr. 52, 1575 März 1. 277 TLA, BT, Bd. 11, fol. 314r–315r, 1582 Mai 5. 273 274
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III. Die Entwicklung der Gesetzgebung
rüert landtsordnung gar nit ist, sondern diese näher ausführe und allain zu volcziehung merangezogner landtsordnung [...] geraicht.278 Einen Sonderfall konkretisierender Verweisungen mit einer ganz eigenen Zielsetzung stellen Verweisungsketten dar, bei denen nicht nur auf eine oder zwei Vorgängerregelungen verwiesen wird, sondern eine ganze Reihe von älteren, den entsprechenden Gegenstand normierenden Gesetzen angeführt wird, die zum Zeitpunkt des Erlasses des aktuellen Gesetzes meist gar nicht mehr in Geltung standen. Ein Gesetz von 1585 verwies beispielsweise in der Narratio auf vier Vorgängerregelungen der Jahre 1575, 1577, 1579 und 1581, was rechtlich nicht notwendig ist.279 Die Funktion erhellt sich erst vor dem Hintergrund variabler Normintensität. Unter anderem hierdurch konnte der Gesetzgeber den Normadressaten und den zur Vollziehung berufenen lokalen Obrigkeiten die einer Regelung zugesprochene Relevanz vor Augen führen.280 Verweisungsketten kamen in Tirol verstärkt im 17. Jahrhundert zur Anwendung281 und führten gegen Ende des Untersuchungszeitraums bis zu sechs Vorgängerregelungen an.282 Im Kontext präzisierender Ergänzungen sind ferner jene wenigen Verweisungen zu sehen, die sich ausnahmsweise nicht in der Narratio einer Gesetzesurkunde finden, sondern Bestandteil der Dispositio sind. Hier ist das Verweisungsverhältnis jedoch ein umgekehrtes: Während in den bislang angezogenen Fällen eine Neuregelung jene Norm ergänzte (unter Umständen nur wiederholte), auf die verwiesen wird, stellt nunmehr die Verweisung auf ein bereits bestehendes Gesetz klar, dass in diesem Punkt keine Lücke vorliege, sondern gemäß der bestehenden Rechtslage vorzugehen sei. Eine gesetzliche Regelung von wegen der unvermüglichen oder gar jungen manns- und weibspersonen heyraten sah unter anderem eine Arbeitspflicht für gesunde Dienstknechte vor; zur Klarstellung wird anschließend festgehalten, dass bei alten und kranken, daher arbeitsuntauglichen Tagelöhnern gemäß den genau angeführten Bestimmungen der Landesordnung vorzugehen sei.283 Nur ausgesprochen selten kommen Verweisungen zur Anwendung, wenn der angezogenen Norm formell derogiert werden soll. Eine formelle Derogation eines Einzelgesetzgebungsaktes durch einen nachfolgenden ist überhaupt nicht belegt. Und selbst wenn die Landesordnung und später auch die Policeyordnung durch TLA, AfD 1585, fol. 530r–532r, 1585 Aug. 2. Während es sich bei dem angeführten Gesetzgebungsakt von 1575 um eine Sonderordnung handelte, war den Einzelgesetzen von 1577 und 1579 im Jahr 1585 schon durch das Gesetz von 1581 derogiert worden. 280 Vgl. hierzu Kap. VI.4. 281 Vgl. TLA, CD 1614, fol. 217, 1614 April 30; CD 1630, fol. 621, 1630 Febr. 8; TLMF, Dip. 1091, Nr. 177, 1633 Jan. 28; TLA, Landgericht Steinach, Akten, Fasz. 84, Lit. O, Chronologische Mandatsreihe, 1650 April 11; TLMF, Dip. 1091, Nr. 210, 1657 März 20. 282 Vgl. TLMF, Dip. 1091, Nr. 231, 1663 Juli 30; ebd., Nr. 240, 1665 Febr. 2; ebd., Nr. 241, 1665 Febr. 21. 283 TLA, BT, Bd. 11, fol. 169, 1580 März 28; ebenso z. B. TLA, CD 1561, fol. 569, 1561 Sept. 1; ebd., fol. 558, 1561 Aug. 26. 278 279
2. Die quantitative Entwicklung
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eine Vielzahl von Gesetzen präzisiert, ergänzt, abgeändert oder punktuell ersetzt wurden, blieb die formelle Derogation eine ausgesprochene Rarität. Es sind nur zwei Gesetze bekannt, die expressis verbis je einen Titel der Tiroler Landesordnung aufhoben und durch eine Neuregelung ersetzten, wobei eine erbrechtliche Norm und eine gegen Wilderer gerichtete Strafbestimmung betroffen waren.284 Insgesamt dominierte jedoch gesetzgebungstechnisch zweifellos die materielle Derogation, die ohne Verweisung auskam. Dies hatte durchaus seinen Grund, war doch die Derogation aus zeitgenössischer Perspektive mit Nachteilen behaftet, die sich dem modernen Betrachter nicht ganz einfach erschließen und die von der Regierung anlässlich der Beratungen über die Wuchergesetzgebung im Jahr 1580 thematisiert wurden. Ein damals vorliegender, vom Landeshauptmann präsentierter Gesetzesvorschlag wich völlig vom bislang in der Tiroler Landesordnung und in früheren Mandaten eingeschlagenen Weg ab. Die Regierung meldete aus grundsätzlichen Erwägungen Bedenken an, dass ein späteres Gesetz früher erlassenen Bestimmungen gestrackhs entgegen und zuwider sein sollte, da es für ir F. D., da sy dieselben aufheben oder ainiche ennderung darinnen fürnemen solte, verkhleinerlich sein und allerhannd nachred daraus ervolgen würde.285 Im Zweifelsfall wurde ausdrücklich angeführt, dass einer Folgeregelung im Verhältnis zu den vorangegangenen keine derogatorische Kraft zukommen solle, sondern sie nur der Ergänzung des Normenbestands diene.286 Freilich tut man gut daran, den Terminus „Derogation“ bei der Untersuchung des Verhältnisses zwischen Einzelgesetzgebung und Landesordnung mit Vorsicht zu verwenden und sich von der Vorstellung moderner Derogationsregeln zu verabschieden.287 In der Praxis verhielt es sich – abgesehen von den erwähnten Einzelfällen einer expressis verbis zum Ausdruck gebrachten formellen Derogation – im Bereich der Policeygesetzgebung keineswegs so, dass ein später erlassenes Mandat den diesem widersprechenden Titel der Landesordnung dauerhaft aufgehoben hätte. Zwar war anschließend von den zur Vollziehung berufenen Amtsträgern das Einzelgesetz anzuwenden. Es widerspräche jedoch der Praxis frühneuzeitlicher Gesetzgebungstechnik, wollte man darin eine dauerhafte Derogation sehen. Selbst die Regierung wusste mitunter einige Jahre nach einer getroffenen Regelung nicht mehr, dass sie überhaupt ein Mandat erlassen hatte, geschweige denn, dass der präzise Inhalt noch präsent gewesen wäre. Entsprechende Beispiele lassen sich bereits
TLA, Pestarchiv XXIX/79, 1571 Juni 12; TLA, Buch Jägerei, Bd. 1, fol. 17, 1556 Juli 3. TLA, AfD 1580, fol. 535r–538v, 1580 Juli 27. 286 ����������������������������������������������������������������������������������������� So z. B. TLA, CD 1529, fol. 349, 1529 Febr. 5: Trotz der in diesem Gesetz getroffenen Regelung sollten nichtsweniger unsere voraußgegangen Mandat in den anndern Straffen / die gegen überetrettung derselben unnser Mandat gebraucht werden / begriffen sein / in iren wirden beleyben. 287 ��������������������������������������������������������������������������������� Zum Folgenden auch Schennach, Gewohnheitsrecht, Einzelgesetzgebung und Landesordnungen, 2008, S. 77–80. 284 285
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III. Die Entwicklung der Gesetzgebung
aus maximilianeischer Zeit nachweisen,288 und auch in späteren Jahrzehnten lässt sich dies wiederholt belegen.289 Die „Vergessensquote“ bei den lokalen Obrigkeiten war, wie man sich unschwer vorstellen kann, ungleich größer. Während somit Einzelgesetze bei fehlender regelmäßiger Erneuerung der Mandate nicht nur bei den Normadressaten, sondern auch beim Normgeber in Vergessenheit geraten konnten, blieb der entsprechende Titel der Tiroler Landesordnung präsent und konnte seinerseits zum Ausgangspunkt einer Neuregelung werden. Es ist dies nicht unbedingt als gesetzgeberisches Defizit zu sehen, war doch die Möglichkeit eines flexiblen, aktuellen Umständen angemessenen legislativen Reagierens eine der großen Vorteile der Policeygesetzgebung, während die Landesordnung tendenziell die grundlegendere, auf eine gewisse Dauerhaftigkeit angelegte Norm enthalten sollte. Als weitere gesetzestechnische Option der Verschränkung von Gesetzgebungsakten führt Wilhelm Brauneder das Insert an, also die wörtliche Inkorporation ausdrücklich angeführter, früher erlassener Normen in ein späteres Gesetz. Dies ist in Tirol der absolute Ausnahmefall. Bei der Übernahme reichsrechtlicher Bestimmungen wurde in sehr vereinzelten Fällen die Möglichkeit des Inserts genutzt,290 und ebenso bei der Aufnahme von Bestimmungen der Landesfreiheiten in die Tiroler Landesordnung.291 Selbst Pseudo-Inserte, die nichts anderes als eine besondere Ausprägung der Verweisung sind, kommen in der landesherrlichen Gesetzgebung ausgesprochen selten vor.292 Dabei handelte es sich um die Anführung früherer Gesetze, die in einem späteren Gesetzgebungsakt (allenfalls unter Beisetzung ergänzender Bestimmungen) hiemit widerumben renoviert und erneuert werden, allermassen als ob dieselben von wort zu worten hierinnen außdruckhenlich begriffen werden.293 Auf diese Weise wird das Vorliegen eines Inserts fingiert. Misst man die prozentuellen Anteile an Gesetzgebungsakten, die sich der Verweisung auf vorangegangene Rechtssetzungsakte bedienen, an der Gesamtzahl der Gesetze, zeigt sich eine grobe Tendenz. Bis einschließlich der zwanziger Jahre des 16. Jahrhunderts bleibt der Anteil von Gesetzen, die in summarischer oder konkre Vgl. besonders deutlich Wiesflecker u. a. (Bearb.), Regesten, Bd. 4/1, 2002, Nr. 18945, 1504 Juli 9. 289 Vgl. nur TLA, Ferdinandea Karton 165, Pos. 165, Anmerkungen zum 4. Tit. des 7. Buches der Tiroler Landesordnung von 1532, wo nicht einmal annähernd alle einschlägigen Mandate aufgeführt werden. 290 Vgl. z. B. Mecenseffy, Quellen, Bd. III, 1983, Nr. 803, 1544 Dez. 10; TLA, CD 1545, fol. 130, 1545 März 16: Ferdinand I. gibt gnediger mainung zu erkennen / Das die Römisch Kayserlich Maiestat / [...] / von wegen der Kriegsleüt / das sich kainer derselben in fremmder Potentaten dienst und Bestallung begeben soll / allenthalben im hailigen Reich offen mandata publicieren / und außgeen hat lassen / von wort zu wort also lautend [...]. 291 Vgl. z. B. TLO 1532, Buch 2, Tit. 63. 292 Vgl. TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 17, Lit. Q, S. 82–82, 1494 Aug. 1; ebd., S. 82–83, 1494 Sept. 24; TLA, BT, Bd. 12, fol. 121r–122v, 1588 Mai 23; TLA, CD 1597, fol. 176, 1597 Febr. 9; TLA, BT, Bd. 14, fol. 471r, 1603 Juli 7. 293 TLA, CD 1613, fol. 20r–22r, 1613 Febr. 23. 288
2. Die quantitative Entwicklung
291
tisierender Weise auf einschlägige Vorgängerregelungen verweisen, marginal und erreicht selbst in den zwanziger Jahren nur 4,5 %.294 Die folgenden Jahrzehnte sehen einen allmählich ansteigenden Einsatz der Verweisungstechnik. Von 1530 bis 1539 enthalten 10,2 % aller Gesetzgebungsakte Verweisungen, von 1540 bis 1549 16,3 %, von 1550 bis 1559 schon 18,5 %, um im Zeitraum von 1560 bis 1569 schließlich auf 22 % zu steigen. Nach dem Erlass der reformierten Landesordnung und der Policeyordnung von 1573 sehen die siebziger, achtziger und neunziger Jahre mit Prozentsätzen von 48 %, 54,3 % bzw. 50 % eine Hausse im Einsatz der Verweistechnik. Danach pendelt sich der Anteil von Gesetzen, die Verweisungen enthalten, bei rund einem Drittel ein. Eine vorübergehende Ausnahme stellen die Jahrzehnte von 1630 bis 1639 und 1640 bis 1649 mit 56 % bzw. 50 % dar. Der kontinuierliche Anstieg der Verweisungen enthaltenden Gesetze bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts ist rasch erklärt. Er reflektiert die zunehmende Regelungsintensität. Erst wo Gesetze vorhanden sind, kann auf diese verwiesen werden. Der Höhepunkt des Einsatzes der Verweisungstechnik in den drei Jahrzehnten ab 1570 ist mit den nunmehr häufigeren Bezugnahmen auf die Landes- bzw. Policeyordnung zu erklären, die in diesem Zeitraum intensiv ergänzt wird (nur in den achtziger Jahren des 16. Jahrhunderts erreicht so der Anteil der auf die Landes- und/ oder Policeyordnung verweisenden Gesetze 34,3 %, während er sonst bloß zwischen 5 und 15 % an der gesamten Normproduktion ausmacht). Inhaltlich dominierten somit Verweisungen von Einzelgesetzen auf Einzelgesetze, wenngleich die Bezugnahme auf die Landes- und/oder Policeyordnung quantitativ durchaus ins Gewicht fällt. Überraschend selten wird freilich von Einzelgesetzen auf Sonderordnungen verwiesen295 – ebenso wie umgekehrt Einzelordnungen zwar fallweise auf die Landesordnung verweisen (s. o.), kaum jedoch auf Einzelgesetze. Letzteres ist durchaus plausibel zu begründen: Sonderordnungen sind im Allgemeinen auf eine gewisse Geltungsdauer angelegt, während Ein zelgesetze (besonders Policeygesetze) oftmals nur einem aktuellen Regelungsbedürfnis Rechnung trugen, so dass sich eine Verweisung von einer Ordnung auf ein bestehendes Einzelgesetz aus diesem Grund nur bedingt empfahl. Dies erklärt auch das weitgehende Fehlen von (statischen) Verweisungen auf bestehende Einzelgesetze in der Tiroler Landesordnung.296
Bis 1499 enthalten so nur 3,8 % aller Gesetze Verweise auf frühere gesetzliche Regelungen, zwischen 1510 und 1519 dann 3 %. 295 TLA, BT, Bd. 19, fol. 56, 1625 Okt. 10; ebd., fol. 274, 1628 März 18; TLA, Steinach, Akten, Fasz. 84, Lit. O, Chronologische Mandatsreihe, 1646 Sept. 10; TLA, BT, Bd. 23, fol. 38r– 40r, 1649 Aug. 28; TLA, BT, Bd. 23, fol. 172, 1651 April 6; TLMF, Dip. 1091, Nr. 218, 1661 Febr. 9. 296 ����������������������������������������������������������������������������������������� Es bleibt so beispielsweise die Ausnahme, wenn der 4. Titel des 7. Buchs der Tiroler Landesordnung von 1532 beim Verbot selbstzündender Büchsen anführt: Wie dann hievor zuo verschiner zeyt offenlich durch unsere Mandaten verkündt worden ist. 294
292
III. Die Entwicklung der Gesetzgebung
Sehr wohl finden sich fallweise Öffnungsklauseln, die anlässlich einer Regelung summarisch auf bereits ergangene und dynamisch auf allenfalls noch ergehende Gesetze verweisen und damit den Charakter der einschlägigen Regelung der Landesordnung als eines Rahmen- oder Grundsatzgesetzes unterstreichen. So verweist der 8. Titel des 5. Buchs der Tiroler Landesordnung von 1532 hinsichtlich der Holzbezugsrechte der Städte und Gerichte im Inntal, dass es diesbezüglich bey den außgegangnen und gegebnen / auch künfftigen Waldordnungen beleibe / und dem Inhalt derselben gelebt werden solle. Noch umfassender ist die Verweisung im 2. Titel des 8. Buchs der Tiroler Landesordnung von 1532, wo bei Fixierung der Aufgaben der Gerichtsgeschworenen deren Pflicht zur Urteilsfällung gemäß der Landesordnung und gemäß den Satzungen / die sunst von Uns außganngen sein / und noch künfftigklich fürgenomen werden, festgehalten wird. Zur Beschreibung des Verhältnisses von Einzelgesetz, Sonder- und Landes- bzw. Policeyordnung sind die im Vorfeld der Reformation der Landesordnung unter Erzherzog Ferdinand II. geführten Beratungen besonders aufschlussreich. Diese haben in den teilweise überlieferten Sitzungsprotokollen der mit der Überarbeitung der der Tiroler Landesordnung von 1532 betrauten Kommission und einer Anzahl erhaltener bzw. zumindest inhaltlich rekonstruierbarer Gutachten ihren schriftlichen Niederschlag gefunden.297 Immer wieder stellte sich bei einzelnen Titeln die Frage nach der legistisch zweckmäßigsten Vorgehensweise: Integriert man ein seit dem Erlass der Tiroler Landesordnung von 1532 ergangenes Einzelmandat bzw. eine seitdem publizierte Sonderordnung in die Landesordnung oder begnügt man sich mit einer Rahmen- oder Grundsatzbestimmung in der reformierten Landesordnung, die in den folgenden Jahren und Jahrzehnten flexibel durch Einzelgesetze zu konkretisieren und den sich wechselnden Umständen anzupassen ist? Hier wählte man keine einheitliche Vorgehensweise, sondern entschied flexibel je nach behandelter Rechtsmaterie. Tendenziell lässt sich jedoch das bereits thematisierte Bestreben festmachen, in die Landesordnung nur grundlegendere, auf eine gewisse Dauerhaftigkeit angelegte Normen aufzunehmen.298 Sehr prägnant erfasste dies das 1560 erstellte Gutachten der Städte und des Viertels an der Etsch zum Reformbedarf der Tiroler Landesordnung. Dieses plädierte wiederholt für die Aufnahme von Zusätzen zu einzelnen Artikeln der Landesordnung, wonach es entweder obbeschribner massen [gemäß der Bestimmung der Landesordnung] oder nach innhalt
Vgl. TLMF, Dip. 904, Teil II, fol. 16r–27v (Gutachten des Pustertals über die Reform der TLO vom 29. Aug. 1560, unterschrieben von Hans von Wolkenstein als Pfleger zu Rodeneck); TLA, Ferdinandea, Karton 165, Pos. 165, Bund 1 (Ratschläge der zur Überarbeitung der TLO deputierten Räte unter stetigem Verweis auf die eingereichten Gutachten des Pustertals, der Viertel an der Etsch und der Viertel im Inntal; ebd., Bund 2, die entsprechenden Beratungsprotokolle). Vgl. ferner ausführlich Kap. IV.7.5. 298 ��������������������������������������������������������������������������������� Zum Folgenden auch Schennach, Gewohnheitsrecht, Einzelgesetzgebung und Landesordnungen, 2008, S. 79–80. 297
2. Die quantitative Entwicklung
293
der manndaten, so derohalben ausganngen seind oder noch khünfftig ausgeen werden, mit ernnst gehanndlt werden sollte.299 In ihrem ersten Entwurf einer Neuredaktion aus der Mitte der sechziger Jahre des 16. Jahrhunderts erkannten die Regierungsräte jedoch noch nicht hinlänglich diese Differenz zwischen Einzelgesetz und Landesordnung, die wenn auch nicht rechtlicher, so doch funktionaler Natur war. Zum damaligen Zeitpunkt gingen ihre Vorstellungen noch sehr deutlich in die Richtung, den aktuellen (und damit weitgehend in Einzelgesetzen niedergelegten) Rechtsbestand einfach in die zu reformierende Landesordnung zu integrieren, wobei allenfalls die Narrationes der Einzelgesetze wegzulassen seien.300 Damit nicht genug, dachten die Regierungsräte daran, aufgetretene Vollzugsdefizite durch noch detalliertere Normierungen zu beheben – wodurch sich im ersten Entwurf der Landesordnung manche Artikel gerade bei regelungsintensiven Policeymaterien zu beträchtlichem Umfang auswuchsen.301 Dies erkannte in weiterer Folge auch die oberösterreichische Regierung und rückte von diesem Konzept ab. Nur in Ausnahmefällen wurde schließlich in die publizierte Fassung des Jahres 1573 tatsächlich der damals aktuelle Rechtsbestand aufgenommen – offensichtlich nur in jenen Bereichen, bei denen man glaubte, zu einer abschließenden Regelung gekommen zu sein. So ersetzte die ausführliche Müllerordnung aus dem Jahr 1550 (ergänzt durch das einschlägige Mandat von 1557) fortan die Titel 38 bis 44 des 6. Buchs der Tiroler Landesordnung von 1532.302 Auch bei den Titeln 22 und 24 (den ‚Fürkauf ‘ von Lebensmitteln und den Handel mit Leder betreffend) entschied man sich für die Aufnahme der bisherigen Gesetzgebung in die Landesordnung.303 Umstritten war die Inkorporierung der Wirtsordnung von 1568, wo der Landeshauptmann mit Verweis auf die geringen Implementationschancen für eine Auslassung plädierte (halt unnott, di ordnung einzeseczen, man khan’s doch nit halten).304 Er setzte sich damit jedoch nicht durch.305 Im Rahmen der Beratungen wurde allerdings ausdrücklich das redaktionelle Leit prinzip hervorgehoben, von vorhandenen Gesetzgebungsakten allain di [!] disposi So der Vorschlag der Viertel an der Etsch zu TLO 1532, Buch 7, Tit. 8 (die Zigeuner betref fend). 300 Im Konzept zu einem neu gefassten TLO 1532, Buch 7, Tit. 5 (Bettler betreffend) hatte man ursprünglich ein gegen die Bettler errichtetes Mandat zur Gänze inkorporiert. Erst eine zweite Überarbeitung führte dann zum Streichen der Narratio (TLA, Ferdinandea, Karton 165, Pos. 165, Bund 1). 301 Man beachte nur die Länge der diesbezüglich sehr aussagekräftigen Entwürfe zu den Titeln 17 und 22 des 6. Buchs TLO 1532, die sich jeweils über mehrere Seiten erstrecken. 302 Vgl. TLA, BT, Bd. 6, fol. 92, 1550 Febr. 25; ebd., Bd. 7, fol. 271, 1557 Febr. 10. 303 Vgl. das beiden Titeln der TLO 1573 zugrunde liegende Gesetz in TLA, BT, Bd. 9, fol. 470, 1569 Jan. 21. 304 TLA, Ferdinandea, Karton 165, Pos. 165, Bund 2 (nicht bei den Beratungen über den 15. Titel, 6. Buch, sondern bei den Beratungen über die Policeyordnung). 305 Vgl. TLO 1573, 6. Buch, Tit. 15. 299
294
III. Die Entwicklung der Gesetzgebung
tion [d. h. Dispositio] und substanz und nit den ganzen inhalt zu inserieren.306 Gerade bei den policeyrechtlichen Bestimmungen plädierte der Kanzler für eine bewusste Zurückhaltung, um den Umfang der Kodifikation nicht ausufern zu lassen.307 Beim 11. Titel des 4. Buchs der Tiroler Landesordnung, der die Bestrafung von Wilderern behandelte, sah man beispielsweise schließlich davon ab, wie ursprünglich vorgesehen das zuletzt ergangene Mandat aufzunehmen, sondern entschied sich bewusst für eine ausgesprochen vage Fassung: Wilderei sollte mit einer poena arbitraria sanktioniert werden, deren Festlegung je nach den Umständen des Einzelfalls vom Landesfürsten selbst vorzunehmen war. Die entsprechende Fassung dieses Titels geht dabei nachweislich auf eine der insgesamt äußerst raren Interventionen Erzherzog Ferdinands II. zurück, der sich auf diese Weise bei der Bestrafung der Wilderer einen möglichst großen Spielraum bewahren wollte.308 Grundsätzlich galt aber auch bei Erlass der reformierten Landesordnung von 1573, dass die grundlegende Regelung in die Landesordnung Aufnahme fand, während die Detailnormierung der Einzelgesetzgebung vorbehalten bleiben sollte.309
������������������������������������������������������������������������������������������ So die Feststellung anlässlich der Beratungen zu TLO 1532, Buch 1, Tit. 17 (TLA, Ferdinandea, Karton 165, Pos. 165, Bund 2). 307 ���������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. den Diskussionsbeitrag des Kanzlers zu TLO 1532, Buch 6, Tit. 15–17 in TLA, Ferdinandea, Karton 165, Pos. 165, Bund 2. 308 Vgl. hierzu Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007, S. 181. 309 So schon Schlosser, Gesetzgebung und Rechtswirklichkeit, 1982, S. 537, zum Verhältnis von Einzelmandat und Kodifikation. 306
IV. Das Zustandekommen der Gesetze 1. Landesfürst (Hofrat, Geheimer Rat ) 1. 1. Allgemeines Egal, ob die Gesetzgebung in der Theorie wie im Spätmittelalter als Ausfluss der Gerichtsbarkeit oder wie in der Frühneuzeit unter dem allmählichen Einfluss von Jean Bodin als zentraler Bestandteil und Wesensmerkmal der Souveränität gesehen wird – stets wird jeder Akt territorialer Gesetzgebung auf den Landesherren zurückgeführt und in seinem Namen publiziert, wobei die landesfürstliche „voluntas“ den Geltungsgrund der Gesetze darstellt.1 Geht es jedoch um die Beantwortung der Frage nach dem konkreten Anteil der jeweiligen Landesherren an der Gesetzgebung, fällt eine Antwort schwer und wurde von der Forschung bisher auch weitgehend vermieden (im Allgemeinen und unabhängig von der Größe des behandelten Territoriums wird der Landesfürst als zentraler Akteur im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses dargestellt). Die Frage nach der Rolle des Landesherren im Gesetzgebungsprozess zerfällt ihrerseits in verschiedene Teilaspekte: In welchen Materien wurde der Landesfürst von sich aus, ohne Anstöße von außen, gleichsam „motu proprio“ initiativ, wo reagierte er auf an ihn herangetragene Ordnungswünsche, in welchen Gremien vollzog sich die landesfürstliche Willensbildung, wie wurden die legislativen Akte vorbereitet, bevor sie dem Landesherren vorgelegt wurden etc.? Substantielle, über Banalitäten hinausgehende Antworten auf die soeben nur exemplarisch angedeuteten möglichen Fragestellungen stoßen allerdings auf erhebliche methodische Schwierigkeiten. Zunächst wird mit Herausbildung eines „Hofrats“ bzw. „Geheimen Rats“ schwer greifbar, inwiefern diese als Immediatrepräsentanzen des Herrschers fun gierenden Behörden und zugleich engsten Beraterkreise selbständig tätig wurden und sich die Rolle des Landesfürsten auf das Absegnen respektive Verwerfen der dort kollegial nach dem Mehrheitsprinzip gefällten Beschlüsse beschränkte. Während Letzteres die in der älteren Forschung dominierende Ansicht war, wies Gerhard Oestreich in einem grundlegenden Beitrag über das „persönliche Regiment der deutschen Fürsten“ im 16. und 17. Jahrhundert auf die vielfach unterschätzte unmittelbar gestaltende Einflussnahme vieler Landesfürsten kleiner und mittlerer Reichsterritorien hin, die an den Kollegialbehörden Hofrat bzw. Geheimen Rat vorbei maßgebliche Entscheidungen trafen.2
1
2
Hierzu nunmehr auch Stolleis, Legitimation von Recht und Gesetz, 2009, S. 537–539; Schröder, Gesetz; Schröder, „Gesetz“ und „Naturgesetz“, 2004, S. 16. Oestreich, Regiment, 1969 (Erstveröffentlichung 1935).
296
IV. Das Zustandekommen der Gesetze
In der Tat wird man mit Blick auf die oberösterreichische Ländergruppe zunächst grundsätzlich unterscheiden müssen, ob eine eigene habsburgische Nebenlinie in Innsbruck residierte oder der Landesfürst wie unter Maximilian I., Ferdinand I. und Rudolf II. die Gesamtheit der österreichischen Länder regierte und zugleich die Position des Reichsoberhaupts einnahm und nur periodisch (Maximilian I.) oder selten (Ferdinand I.) bzw. gar nicht (Rudolf II.) in Innsbruck anwesend war. Im ersten Fall hielt sich der Landesfürst (wie unter Erzherzog Ferdinand II., Maximilian III., Leopold V., Claudia de’ Medici und ihren beiden Söhnen Ferdinand Karl und Sigismund Franz) zumeist in Innsbruck auf. Unterschiede ergeben sich nicht nur aus der zeitlichen Belastung und Inanspruchnahme, die bei einem Herrscher wie Ferdinand I. eine ganz andere war als bei Erzherzog Ferdinand II., sondern auch aus der völlig unterschiedlichen Vertrautheit mit regionalen Gegebenheiten. Wenn Maximilian III. das mangelhafte Funktionieren der Brandbekämpfung im Ernstfall aus eigener Anschauung wahrnahm und als Konsequenz eine Feuerordnung für seine Residenzstadt ausarbeiten und publizieren ließ, wenn er aufgrund eigener Beobachtung eine Zunahme der Bettelei in Innsbruck zu konstatieren glaubte und der Regierung daraufhin die Überarbeitung und Kundmachung der bisherigen Mandate auftrug, war eine solche intensive Beschäftigung mit gesetzgeberischen Detailfragen von einem Landesfürsten wie Ferdinand I. nicht zu erwarten. Und unter Rudolf II. ist nahezu keine Ingerenz des Kaisers auf Fragen der Gesetzgebung der oberösterreichischen Länder festzustellen. In diesen Zeiten ist der Wirkungsbereich der Regierung als Schnitt- und Zentralstelle der Gesetzgebung ungleich größer als in Zeiten einer habsburgischen Nebenlinie (s. u.). Die Beantwortung der Frage nach der Anteilnahme des Landesfürsten an der Gesetzgebung ist, wie schon aus den bisherigen Ausführungen deutlich wird, eng mit der archivalischen Überlieferungssituation verquickt. Zur Frage nach der eher eigenständigen oder zuarbeitenden Rolle von Hofrat und Geheimem Rat erlauben die Instruktionen keine Aussagen. Die seit Erz herzog Ferdinand II. erhaltenen Hofrats- (Geheimen Rats-)Protokolle verzeichnen zwar bei jeder Session sehr summarisch die behandelten Materien, gestatten jedoch ebenfalls keine Schlüsse über die tatsächliche Einflussnahme des Landesfürsten. Diese lässt sich aus anderen Quellenbelegen indirekt rekonstruieren. So erfahren wir beispielsweise, dass Ferdinand II. 1587 der Entwurf eines Policeygesetzes samt entsprechendem Gutachten der Regierung im Hofrat referiert und fürbracht wurde. Dies nahm der Erzherzog zur Kenntnis und erteilte die Erlaubnis zur Drucklegung und Publikation des Mandats.3 1592 überbrachte der Hofsekretär der Regierung mündtlichen den erzherzoglichen Auftrag, angesichts des neu aufgeflammten Türkenkriegs sämtliche Belustig ungen mittels Mandat verbieten zu lassen und, da Ferdinand fürkhomen sei, das ob derselben newen reformierten landts- unnd polliceyordnung wenig, ja gar nichts gehalten werde, die lokalen Obrigkeiten schleunigst zu
3
TLA, VfD 1587, fol. 216, 1587 Juni 30.
1. Landesfürst (Hofrat, Geheimer Rat)
297
einer besseren Implementation anzuhalten.4 Dies sind nicht die einzigen entsprechenden Belege,5 ähnliche sind auch aus dem 17. Jahrhundert überliefert. In Einzelfällen erfahren wir sogar, dass der Herrscher selbst mündlich die Regierung anwies, ein Gesetzeskonzept auszuarbeiten.6 Insgesamt resultiert hieraus ein relativ klares Bild: Der Landesfürst war nach Möglichkeit bei den Sessionen des Hofrats respektive Geheimen Rats in persona anwesend. Wichtige Gesetzgebungsprojekte wurden ihm jedenfalls zur Kenntnis gebracht, wobei der beigegebenen gutachterlichen Meinung der Regierung stets eine maßgebliche Rolle zukam. Die Formulierung „wichtige Gesetzgebungsprojekte“ ist dabei durchaus bewusst gewählt, denn es gab keine verbindlichen Richtlinien für die Regierung, wann das landesfürstliche Placet für einen Gesetzgebungsakt einzuholen war. Gerade im Alltag und den „Niederungen“ der Policeygesetzgebung neigte die Regierung dazu, selbständig tätig zu werden. So monierte Erzherzog Ferdinand II. 1575, dass die Regierung bisher vilmalen ohne sein vorwissen [...] bevelch ausgefertigt habe, was in Hinkunft nicht mehr statthaft sei. Vielmehr müsse ab nun mit Aus nahme der Justizsachen, die weiterhin selbständig von der Regierung zu besorgen seien, alles anndere schrifftlich unnd mündtlich bey E. D. angebracht werden. Den Vorwurf eigenmächtiger Handlungsweise wies die Regierung in ihrer Stellungnahme deutlich zurück und verwies dagegen auf ihre Instruktion. Dieser entsprechend habe sie in wichtigen Angelegenheiten stets Rücksprache mit dem Landesherrn gehalten, dem es natürlich frei stehe, alle Angelegenheiten an sich zu ziehen. In einer Darlegung des bisherigen Usus wies die Regierung Erzherzog Leopold V. jedoch darauf hin, dass das justitiawesen wie zugleich alle policey- und andere gemaine bestöllungen und firsehungen unns der regierung aufgetragen und allain die causae gratiae, revisionum und dergleichen landtsehehafften nacher hof gezogen worden seien.7 Der konkrete Einfluss des Landesfürsten auf die Gesetzgebung muss somit aus sehr disparaten Quellenhinweisen rekonstruiert werden, die bis in die Zeit Maximilians I. zurückreichen.8 Darüber hinaus erlauben noch weitere Beobachtungen vorsichtige Rückschlüsse auf eine aktive Teilnahme des jeweiligen Landesfürsten am Gesetzgebungsprozess, wobei hier im Einzelnen eine große methodische Sorgfalt an den Tag gelegt werden muss. Das fehlende Zustandekommen einer umfassenden „Landesordnung“ unter Maximilian I. muss wohl mangels Erklärungsalternativen auf die Ablehnung des Herrschers selbst zurückgeführt werden, die sich zudem plau
4 5
8 6 7
TLA, AfD 1592, fol. 448r–449r, 1592 Aug. 6. Vgl. z. B. TLA, AfD 1591, fol. 28v–34v, 1591 Jan. 11: Der Hofsekretär überbrachte dem Kanzler das dem Landesfürsten zugeleitete Konzept der Bettlerordnung, die von Ferdinand II. in einer Sitzung des Hofrats approbiert worden war und publiziert werden könne; TLA, AfD 1589, fol. 110r–113v, 1589 März 7. Verweis darauf in TLA, AfD 1592, fol. 372, 1592 Juli 8. TLA, AfD 1620, fol. 601, 1620 Mai 5. Ein frühes Beispiel aus der Regierungszeit Maximilians I. bei Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007, S. 270–274.
298
IV. Das Zustandekommen der Gesetze
sibel begründen lässt. An den Landständen oder am Regiment gebrach es nicht, da Erstere dezidiert auf den Erlass einer Landesordnung drängten und das Regiment einer solchen zumindest nicht ablehnend gegenüberstand.9 Für die Zeit Maximilians I. und Ferdinands I. liefert überdies beispielsweise ein Vergleich des herrscherlichen Itinerars mit der Gesetzgebungstätigkeit aufschlussreiche Anhaltspunkte. So kam es während des ersten längeren Aufenthalts Ferdinands I. in Innsbruck im Frühsommer 1523 zu einem signifikanten Anstieg der legislativen Aktivität, die sich in neun Gesetzen niederschlug, die im Zeitraum von zwei Monaten erlassen wurden.10 Hält man sich überdies vor Augen, dass alle der damals erlassenen Gesetze unmittelbar oder mittelbar mit Fragen des Jagdrechts zusammenhängen, liegt der Schluss auf eine direkte Initiierung dieser Gesetzgebungsakte durch Ferdinand I. nahe. Im Fall Maximilians I. lässt sich diese Vermutung sogar quellenmäßig belegen.11 In einem vom damaligen Landeshauptmann Nikolaus von Firmian namens des Königs publizierten Mandat jagdrechtlichen Inhalts weist Firmian in der Narratio ausdrücklich darauf hin, dass Maximilian ihm die Gesetzesausfertigung muntlichen bevolchen habe.12 Und auch hier wird man es nicht als Zufall ansehen können, dass just in den ersten drei Regierungsjahren Maximilians in Tirol der Anteil der jagd- und fischereirechtlichen Gesetze fast ein Drittel (28 %) der gesamten Normenproduktion ausmacht. Dies führt uns zu einem weiteren Punkt: Häufig lässt sich bei Analyse der zeitlichen Distribution der Gesetze konstatieren, dass in den auf einen Herrschaftsantritt folgenden Jahren eine besonders rege legislative Aktivität festzustellen ist. Der neue Landesherr schickt sich an, seinen Herrschaftsbereich zu ordnen. Ähnliche Beobachtungen lassen sich zumindest partiell auch in Tirol machen, wobei namentlich die Häufung von Gesetzen nach dem Regierungsbeginn Maximilians I. in den oberösterreichischen Ländern und nach der habsburgischen Länderteilung im Jahr 1564 ins Auge fällt. Die Folgerung liegt nahe, hieraus eine spezielle Anteilnahme des Landesherrn an der Gesetzgebung abzuleiten. Allerdings ist vor vorschnellen Schlussfolgerungen Vorsicht geboten. Zunächst ist der Befund einer intensivierten Normenproduktion zu Herrschaftsbeginn nicht zu generalisieren. Nach dem Regierungsantritt Maximilians III. als Gubernator der oberösterreichischen Ländergruppe blieb so die Gesetzgebungsfrequenz, die sich in den Vorjahren ohnehin schon auf einem quantitativ niedrigen Niveau eingependelt hatte, nahezu unverändert. Dasselbe gilt für den Herrschaftsbeginn Erzherzogs Sigismund Franz im Jahr 1663. Zuweilen sind numerische Zuwächse der Gesetzesproduktion nicht auf landesfürstliche Initiativen zurückzuführen, sondern durch externe Faktoren
Vgl. hierzu Kap. IV.7.2.2. TLA, BT, Bd. 1, fol. 421, 1523 Juni 4; ebd., fol. 422, 1523 Juni 20; ebd., fol. 423, 1523 Juni 26; ebd., fol. 424, 1523 Juni 26; ebd., fol. 424v–425r, 1523 Juni 26; fol. 421v–422r, 1523 Juli 15; ebd., fol. 422, 1523 Juli 20; ebd., fol. 423v–524r, 1523 Juli 26; fol. 422, 1523 Aug. 8. 11 Vgl. die eindeutige Erwähnung im Gesetz von 1491 Nov. 3, ediert bei Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007, S. 267–268. 12 Archivio di Stato di Trento, libri copiali, gruppo 1, vol. 1, fol. 20r (= S. 43), 1491 Nov. 14. 9
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1. Landesfürst (Hofrat, Geheimer Rat)
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induziert. Musterbeispiel ist die verstärkte Gesetzgebungsintensität 1519/1520 nach dem Ableben Maximilians I., mit der die Regierung auf die prekäre innenund sicherheitspolitische Lage reagiert hatte, ohne dass die Enkel Maximilians hier spürbar eingebunden gewesen wären. Auch die vorübergehende Erhöhung der Gesetzesproduktion in den Jahren 1595/1596 (die sich freilich in absoluten Zahlen ebenfalls eher bescheiden ausnimmt) ist bloß als Reaktion auf die vermehrten Übergriffe der ländlichen Bevölkerung auf die landesfürstlichen Wildbestände zu verstehen. Die ansehnliche Gesetzesproduktion in den ersten Jahren der Regierung Leopolds V. ist hingegen vor allem durch das Bemühen um die legislative Bewäl tigung der negativen wirtschaftlichen Folgen der galoppierenden Inflation jener Jahre („Kipper- und Wipperzeit“) und des Bündner Krieges geprägt (1620–1622). Will man die Rolle des Landesfürsten im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses adäquat beschreiben, kann man grob drei idealtypische Fallgruppen unterscheiden, wobei die Zuordnung einzelner Gesetzgebungsakte zu einer der Gruppen diskutabel sein kann. 1. Der Landesfürst setzt aufgrund eigener Wahrnehmung bzw. eigener Interessen Initiativen und veranlasst die Ausarbeitung und Erlassung von Gesetzen, auf deren Inhalt er dementsprechend weitreichenden Einfluss nimmt. 2. Aufgrund von nicht über das Regiment bzw. die Regierung laufenden Informationsflüssen beauftragt der Landesfürst die Regierung mit der Erstellung eines Gesetzeskonzepts, das er anschließend sanktioniert. 3. Das Regiment bzw. die Regierung als Schalt- und Zentralstelle im Gesetz gebungsprozess erkennt aufgrund der von ihr gemachten Wahrnehmungen bzw. aufgrund der bei ihr einlaufenden Informationen Regelungsdefizite, entwirft ein Gesetzeskonzept und unterbreitet dieses dem Landesherrn.
1. 2. Eigeninitiative des Landesfürsten Die zuerst genannte Vorgehensweise ist tendenziell der Ausnahmefall, wobei sich einige wenige Rechtsmaterien herauskristallisieren, bei denen dieses Prozedere öfters zur Anwendung kam und denen der Landesfürst folglich eine besondere Relevanz zumaß. Zu nennen sind konkret drei Bereiche: Jagd- und Fischereirecht; religiöse Angelegenheiten; policeyrechtliche Regelungen, soweit sie die Residenzstadt Innsbruck betreffen. Ausdruck und Indiz eines erhöhten landesfürstlichen Interesses an einer gesetzlichen Regelung ist zudem der Umstand, dass ausnahmsweise Hofräte (Geheime Räte), somit Personen aus der engeren Umgebung des Herrschers den im Vorfeld eines Gesetzgebungsaktes geführten Beratungen beiwohnen, um den Landesherren unmittelbar Bericht über die Fortschritte erstatten zu können.13 Vgl. nur TLA, AfD 1572, fol. 814r–820v, 1572 Dez. 20; TLA, AfD 1623, fol. 545v–550v, 1623 Dez. 5; TLA, VfD 1624, fol. 246r–254r, 1624 Nov. 6.
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
So ist es speziell unter Maximilian I., Ferdinand I. und Erzherzog Ferdinand II. mehr als deutlich greifbar, welche herausragende Bedeutung sie – ausnahmslos selbst begeisterte Jäger – dem Jagdrecht beimaßen. Die Zielsetzungen der entsprechenden legislativen Maßnahmen sind klar: Es sollen sowohl eine möglichst weitreichende Nivellierung der dem landesfürstlichen Jagdregal entgegenstehenden Jagdrechte als auch eine zunehmend strengere Sanktionierung der Wilderei erreicht werden. In diesem Bereich häufen sich Indizien und Quellenhinweise, die eine direkte Einflussnahme des jeweiligen Landesfürsten greifen lassen. Im Fall von Maximilian I. und Ferdinand I. wurde bereits erwähnt, dass diese gerade den Beginn ihrer Regierung bzw. den ersten längeren Aufenthalt zur rechtlichen Durchdringung und Fixierung dieser Rechtsmaterie nützten. Entsprechendes lässt sich bei Erzherzog Ferdinand II. konstatieren. Das Jagdrecht war zudem die erste Rechtsmaterie, bei der sich Ferdinand I. um eine Zurücknahme der rechtlichen Konzessionen bemühte, die der ländlichen Bevölkerung Tirols unter dem Druck des Bauernkrieges in der Landesordnung von 1526 gemacht worden waren.14 Und die Beratungsprotokolle im Zuge der Überarbeitung der Landesordnung vor 1573 weisen bezeichnenderweise nur bei einem einzigen Titel darauf hin, dass dessen Textfassung auf einen ausdrücklichen Wunsch des Erzherzogs zurückgehe.15 Die dem Bereich Jagd und Fischerei zugesprochene Bedeutung wird auch durch dessen beträchtlichen prozentuellen Anteil an der gesamten Gesetzesproduktion unter den genannten drei Landesfürsten illustriert. Die Landesfürsten nach Ferdinand II. widmeten dem Jagdrecht hingegen nicht mehr eine solche Aufmerksamkeit. Zwar ergingen weiterhin einschlägige Gesetze, doch nicht mehr in entsprechender Frequenz; auch die nunmehr vollständig erhaltenen vorbereitenden Materialien lassen nicht mehr erkennen, dass die jeweiligen Herrscher jagdrechtlichen Fragen eine herausragende Bedeutung zugemessen hätten. Auch der Regelung des religiösen Bereichs widmeten die Landesfürsten seit Ferdinand I. ihr besonderes Augenmerk, wobei sie häufig aus eigener Initiative tätig wurden. Der Prozess der Gegenreformation und katholischen Reform („Konfessionalisierung“) wurde somit tatsächlich maßgeblich von den jeweiligen Habsburgern persönlich mitgetragen und gesetzgeberisch gestaltet.16 Dabei zeigen sich teilweise deutliche Schwerpunkte. Unter Ferdinand I. spielten die legislativen Maßnahmen
Vgl. Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007, S. 161 und 167. Vgl. TLA, Ferdinandea, Karton 165, Pos. 165, Bund 2, Beratungen am 12. März 1572 zu TLO 1532, Buch 4, Tit. 11; vgl. auch schon Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007, S. 181. 16 Zum Prozess der Konfessionalisierung in Tirol vgl. die Überblicksdarstellung bei Noflatscher, Tirol, Brixen, Trient, 1989; für das korrelierende Beispiel eines protestantischen Fürsten vgl. Janssen, „Gute Ordnung“ als Element der Kirchenpolitik, 1999, bes. S. 37–38. 14 15
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gegen das Luthertum17 und gegen die Täufer eine erhebliche Rolle,18 während die ersten Mandate, die auf die Sicherstellung einer christlichen Geboten entsprechenden Lebensführung der Bevölkerung abzielten, wie erwähnt auch im Zusammen hang mit den Türkenkriegen zu sehen sind.19 Die Gesetzgebung Ferdinands I. hatte im Wesentlichen auf die Herstellung der konfessionellen Geschlossenheit des Territoriums abgezielt. Darauf aufbauend nahmen unter den folgenden Landesfürsten gesetzliche Maßnahmen zu, die eine Verinnerlichung kirchlicher Verhaltenspflichten durch die Untertanen intendierten. Anschließend an einzelne bereits in der Spätzeit Ferdinands I. ergangene Mandate20 wurde die Durchsetzung des Fastengebots unter Androhung weltlicher Strafen nunmehr durch die jährliche Wiederauflage der entsprechenden Gesetze intensiviert.21 Die Heiligung der Sonn- und Feiertage wurde ebenso vorgeschrieben wie der zumindest jährliche Empfang der Kommunion und die Ablegung der Beichte,22 wobei die Implementation dieser Vorschriften durch ein zunehmend elaboriertes Kontrollsystem (z. B. durch die Anlegung von Beichtre gistern) verifiziert wurde. Zwar sind all diese Maßnahmen nicht spezifisch für die oberösterreichischen Länder, sondern im Rahmen des „Konfessionalisierungsproze sses“23 in frappierend ähnlicher Ausprägung nahezu flächendeckend auch in anderen Territorien festzustellen.24 Was in unserem Zusammenhang aber von Interesse ist, ist der nachweislich große Anteil der jeweiligen Landesfürsten am Zustandekommen der einschlägigen normativen Regelungen und ihr ausgeprägtes Interesse an der Durchsetzung.25 Zwar hatte die Regierung wie in anderen Materien auch in den religionssachen unnd was zu auferpawung unnd erhaltung derselben nuczlich sein Vgl. Steinegger, Geschichte Tirols von 1527 bis 1539, 1948, S. 51–60; Colleselli, Geschichte Tirols von 1540 bis 1552, 1949, S. 87–92; gesetzliche Maßnahmen u. a. in TLA, CD 1528, fol. 290, 1528 Sept. 10; TLA, CD 1546, fol. 191v–192v, 1546 Mai 17; CD 1555, fol. 349, 1555 März 2; VksM 1559, fol. 429, 1559 Aug. 4. 18 Packull, Hutterer in Tirol, 2000 (engl. Erstauflage 1996), bes. S. 213–223; umfangreiche Quellensammlung bei Mecenseffy, Teil I–III, 1964–1983. 19 Vgl. hierzu z. B. TLA, VkgM 1538, fol. 21r–22r, 1538 Jan. 30; VkgM 1541, fol. 531, 1541 Okt. 30. 20 TLA, CD 1550, fol. 43v–44r, 1550 März 1; CD 1556, fol. 50v–51r, 1556 März 19. 21 TLA, CD 1566, fol. 330, 1566 Febr. 15; CD 1567, fol. 479, 1567 Febr. 8; CD 1568, fol. 23, 1568 Febr. 28; CD 1569, fol. 118, 1569 Febr. 24; CD 1570, fol. 292, 1570 Febr. 3; CD 1571, fol. 567, 1571 Febr. 25; CD 1572, fol. 23, 1572 Febr. 8; CD 1573, fol. 130, 1573 Jan. 28; CD 1574, fol. 210, 1574 Febr. 22; CD 1576, fol. 562, 1576 Febr. 23. Die Reihe setzt sich in den Folgejahren ungebrochen fort, vgl. auch Kap. V.5.3. 22 Diese Pflicht ist auch in den erwähnten Fastenmandaten ab 1566 genannt. 23 Zur Konfessionalisierung vgl. die Literaturhinweise in Kap. I.2.1. 24 Vgl. mit Blick auf die Policeygesetzgebung v. a. Willoweit, Katholische Reform und Diszipli nierung, 1993; Willoweit, Konfessionalismus als politisches und rechtliches Ordnungssys tem 1995; Janssen, „Gute Ordnung“ als Element der Kirchenpolitik“, 1999; Kissling, „Gute Policey“ und Konfessionalisierung, 2000. 25 Vgl. nur Hirn, Ferdinand II., Bd. 1, 1885, S. 163–182; Hirn, Maximilian III., Bd. 1, 1915 (Nachdruck 1981), bes. S. 251–255; Weiss, Claudia de’ Medici, 2004, S. 193–195. 17
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
mug [...] volkhomen gewalt,26 doch nahmen die habsburgischen Landesfürsten in diesem Bereich massiv Einfluss. Es war beispielsweise Erzherzog Ferdinand II., der nach Wahrnehmung des nur ungenügenden Kirchenbesuchs die Regierung zur Ausar beitung eines gegensteuernden Mandats anhielt.27 Es war Ferdinand I., der die Regierung anwies, die lokalen Obrigkeiten mit der Überwachung des Fastengebots zu beauftragen.28 Die Aufzählung von Beispielen ließe sich nahezu beliebig fortsetzen.29 Schließlich nahmen, beginnend mit Erzherzog Ferdinand II., sämtliche in Innsbruck residierenden Landesfürsten auf policeyrechtliche Vorschriften, deren räumlicher Geltungsbereich sich auf die Stadt Innsbruck und die Vorstadt erstreckte, erheblichen Einfluss, während die Ingerenz der Landesherren auf die legislative Tätigkeit der Stadt- und Landgemeinden ansonsten als relativ gering zu veranschlagen ist.30 Dabei war das Tätigwerden der Landesfürsten zum Teil durch rechtliche Notwendigkeiten induziert. So gab es in Innsbruck mit den Bürgern und ‚Inwohnern‘ (minderberechtigten Stadtbewohnern), mit den Bediensteten der Zentralbehörden und schließlich mit den Angehörigen des Hofstaats drei Personenkreise, die in unterschiedliche jurisdiktionelle Zuständigkeiten fielen und für die im Fall von Policeyübertretungen unterschiedliche Sicherheitsorgane (Stadtrichter, Untermarschall, Hofprofos) zuständig waren.31 Soweit alle Personengruppen gleichermaßen betroffen waren, konnte nur der Landesfürst gesetzgeberisch tätig werden, da es dem Stadtrat an einer so weit reichenden Regelungskompetenz gebrach. Die diesbezüglichen Aktivitäten, die unter anderem in der „Mannszuchtordnung“ von 1568 und den Nachfolgeordnungen resultierten, waren allerdings nicht nur Ausdruck einer rechtlichen Notwendigkeit;32 vielmehr erfloss das beispielsweise von Erzherzog Ferdinand II. selbst betonte Interesse an ainer bessern policeyordnung unnd mannszucht33 in seiner Residenzstadt zweifellos auch einer größeren eigenen Betroffenheit.34 1603 28 29
So TLA, AfD 1585, fol. 194r–197v, hier fol. 197r, 1585 März 20. Vgl. den deutlichen Hinweis in TLA, AfD 1569, fol. 237, 1569 April 28. TLA, VkgM 1532, fol. 6v–8r, 1532 Febr. 4. Vgl. z. B. TLA, VkgM 1535, fol. 18v–19r, 1535 Febr. 5; VkgM 1636, fol. 349v–350r, 1536 Febr. 5; VkgM 1537, fol. 434r–435v, 1537 Jan. 30; VkgM 1539, fol. 212, 1539 März 12; TLA, VfD 1576, fol. 547v–548v, 1576 Febr. 11; VfD 1587, fol. 242v–243v, 1587 Dez. 22; VfD 1609, fol. 270r–271r, 1609 Dez 9; VfD 1614, fol. 383, 1614 Mai 27; ebd., fol. 421r, 1614 Juli 14; ebd., fol. 497r–498r, 1614 Okt. 6. 30 Vgl. hierzu ausführlich Kap. VI.3.2.2.4. 31 Über die sich daraus ergebende confusion und verhinterung und die Option, die policeyordnung vellig [d. h. auch hinsichtlich der Implementation] nacher hof zu ziehen vgl. TLA, AfD 1656, fol. 53r–54r, 1656 Jan. 28. 32 Vgl. TLA, Kopialbuch „Hofrat / Ausgegangene Schriften in Regimentssachen“ 1568, Bd. 4, fol. 1v–4v, 1568 Jan. 2; TLA, BT, Bd. 11, fol. 647r–654r, 1585 Okt. 17; TLA, EuB 1605, fol. 61r–67r, 1605 Nov. 26 und TLA, CD 1605, fol. 434r–438r; TLA, CD 1633, fol. 186v– 190v, 1633 Nov. 26. 33 So TLA, VfD 1585, fol. 58r–61r, hier fol. 59r, 1585 Sept. 3. 34 ���������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. nur die Schriften im Vorfeld der Mannszuchtordnung von 1585, die deutlich die treibende Kraft Ferdinands II. erkennen lassen TLA, VfD 1585, fol. 58r–61r, 1585 Sept. 3, und 26 27
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hob die Regierung die der Residenzstadt zukommende besondere Bedeutung hervor, die vielfach rechtliche Sonderregelungen erfordere: Der fürstlichen hofhaltung und regierenden wesen halben müsse man nit ainen geringen unnderschid zwischen Innsbruck und anderen Städten und Gerichten machen.35 Als Claudia de’ Medici Regierung und Kammer anwies, die anstellung einer gueten bestendigen policeyordnung bey alhieiger statt sowol mit dem pflaster, holzhackhen [...] pachrunsten und annderm zu beraten,36 griff dies tief in die legislative Kompetenz der Stadt ein. Bei der Feuerordnung von 1609, die von Maximilian III. erlassen wurde, war der Landesfürst die treibende Kraft, was ebenso für deren Überarbeitung in späteren Jahren galt.37 Auch abseits großer Ordnungen veranlassten die Landesfürsten die Abstellung policeylicher Missstände in „ihrer“ Stadt, egal ob es sich um die Bekämpfung der Bettelei,38 die Fixierung von Lebensmittelpreisen,39 die Fleischversorgung der Residenzstadt40 oder das Kegelspielen beim städtischen Schießstand handelte.41 Jedenfalls mischten sich die Landesfürsten zu einem hohen Grad in die städtische Rechtssetzung ein oder nahmen von vornherein selbst Regelungen vor. Wie weit die Einflussnahme ging, sei abschließend an einem Beispiel illustriert: 1643 ließ sich Claudia de’ Medici im Geheimen Rat die den Fleischverkauf regelnde Innsbrucker Fleischordnung referieren und beauftragte anschließend die Regierung mit dem Einziehen von Erkundigungen, ob sich eine darin enthaltene Einzelbestimmung überhaupt werde practicieren lassen.42 Dass unter Ferdinand I. die Bemühungen um eine zumindest ansatzweise „Rechtsvereinheitlichung“ zwischen den österreichischen Ländern durch die Erlassung inhaltlich identischer oder zumindest ähnlicher Gesetze vom Herrscher ausging, braucht kaum eigens betont zu werden.43 Unter Ferdinand I. wurde die oberösterreichische Regierung zudem durch den Landesfürsten über rezente Entwicklungen in der Reichsgesetzgebung informiert und mit der Prüfung der Frage TLA, AfD 1585, fol. 757v–760r, 1585 Sept. 24; ferner für Maximilian III. und Leopold V. TLA, GR, AS, Auslauf in Regimentssachen, 1615 Sept. 11 und 22; TLA, VfD 1623, fol. 476r–477v, 1623 Juli 23. 35 TLA, AfD, fol. 1153r–1162v, hier fol. 1153, 1603 Sept. 12. 36 TLA, VfD 1638, fol. 289v–290r, 1638 Sept. 5. 37 ������������������������������������������������������������������������������������������ Vgl. auch schon das rege Interesse Erzherzog Ferdinands II. an Innsbruck betreffenden feuerpoliceylichen Fragen in TLA, BT, Bd. 10, fol. 589v–590v, 1576 Jan. 12; TLA, AfD 1582, fol. 603r–607v, 1582 Juli 5. 38 Vgl. z. B. TLA, VfD 1585, fol. 23v–25r, 1585 Mai 15; TLA, CD 1576, fol. 504r; TLA, CD 1603, fol. 353v–354r, 1603 Aug. 6; TLA, VfD 1661, fol. 356r–357r, 1661 Jan. 31; ebd., fol. 528v–529v, 1661 Juli 16. 39 TLA, BT, Bd. 8, fol. 553, 1563 März 14. 40 TLA, AfD 1603, fol. 766v–772v, 1603 April 22; ebd., fol. 944v–947v, 1603 Juli 2; AfD 1604, fol. 207r–214v, 1604 März 23. 41 TLA, CD 1591, fol. 12v–12r, 1591 April 5. 42 TLA, VfD 1643, fol. 494v, 1643 April 13. 43 Vgl. Kap. VI.5.3.1.
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beauftragt, ob, inwiefern und wie Reichsgesetze in territoriales Recht zu trans formieren seien.44 Es sei an dieser Stelle wiederholt: Der Nachweis, dass sich ein Landesfürst aus eige nem Antrieb initiativ in den Gesetzgebungsprozess einbrachte, ist methodisch nicht einfach zu erbringen. Die zweifelsfrei belegten und nicht sehr zahlreichen Nachweise konzentrieren sich dabei in so auffallender Weise auf die genannten Rechtsmaterien, dass es nicht vertretbar erscheint, hier von Zufälligkeiten zu sprechen.
1. 3. Von außen an den Landesfürsten herangetragene Initiativen Bei weitem häufiger war der zweite idealtypische Fall, wie der Landesfürst gestaltend in die Gesetzgebung eingreifen konnte. Aufgrund von Informationen, die nicht über die oberösterreichische Regierung als zentrale und in ihrer Bedeutung gar nicht zu unterschätzende Schaltstelle des legislativen Prozesses an ihn herangetragen wurden, veranlasst er entweder die Ausarbeitung eines Gesetzesvorschlags oder beauftragt die Regierung ohne weiteres mit dem Erlass eines entsprechenden Gesetzes (Letzteres ist in jenen Fällen das Standardprozedere, in denen er ohne Notwendigkeit weiterer Informationen vom Vorliegen eines Regelungsbedarfs überzeugt ist). Die denkbaren Informationskanäle, auf denen der Herrscher den Anstoß zur Gesetzeserlassung erhalten konnte, waren dabei überaus vielfältig: Einzelpersonen oder korporativ verfasste Personenmehrheiten (z. B. Zünfte, Gemeinden, Gerichte) konnten sich beispielsweise mittels Supplikationen oder Beschwerden unmittelbar an den Landesfürsten wenden,45 landesfürstliche Amtsträger ihre Berichte direkt an den Landesfürsten adressieren46 oder Personen aus seinem Umfeld dem Landesfürsten ihre Beobachtungen mitteilen.47 Gerade mit Blick auf die Bitt- und Beschwerdebriefe entsprach die unmittelbare Befassung des Landesfürsten zwar nicht während des gesamten Untersuchungszeitraums dem vorgesehenen Geschäftsgang – Vgl. hierzu z. B. TLA, VkgM 1541, fol. 517v, 1541 Aug. 24; VkgM 1555, fol. 386r, 1555 Nov. 12; ebd., fol. 384, 1555 Nov. 19; vgl. ausführlich Kap. VI.5.2.1. 45 Die Beispiele hierfür sind zahllos, vgl. z. B. TLA, Pestarchiv X/17, 1536 April 29; TLA, Ferdi nandea, Pos. 221, 1566 Juli; TLA, GR, AS, Einlauf in Regimentssachen, 1610 Mai 8; TLA, GR, AS, Einlauf, 1631 Mai 15; TLA, GR, Selekt Leopoldinum, Kasten C, Nr. 17, 1643 Okt. 30. 46 Vgl. z. B. den Hinweis auf den unmittelbaren Bericht des damaligen Forstmeisters Wilhelm Kirchenfein an Ferdinand I. in TLA, GvH 1539, fol. 51v–59v, 1539 Febr. 28; ebenso in TLA, VksM 1560, fol. 515v, 1560 Jan. 15; TLA, VfD 1640, fol. 380r–381r, 1644 Nov. 15 und VfD 1663, fol. 709v–710r (jeweils Berichte des Fischmeisters an den Landesfürsten); VfD 1627, fol. 148r, 1627 Juni 16 (Bericht des Fiskals an den Welschen Kofinen); ebd., fol. 34v–35r, 1627 Jan. 25 (Bericht des Verwalters von Rovereto); VfD 1628, fol. 492v, 1628 Mai 20 (Bericht einer Obrigkeit vor Ort). 47 ������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. z. B. VksM 1562, fol. 395, 1562 Aug. 25; VfD 1567, fol. 573r–574r, 1567 März 8 (Interventionen und Beschwerden der Bischöfe von Trient über religiöse Missstände in der Grafschaft Tirol). 44
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erst 1575 schrieb Erzherzog Ferdinand II. vor, Supplikationen (ebenso wie die Berichte der lokalen Obrigkeiten) an den Hofrat bzw. ihn persönlich zu richten, weyl ir F. D. selbs in dero landtsfürstlicher regierung sei.48 Die Praxis der unmittelbaren Befassung des Landesfürsten durch Supplikanten war auch unter den nachfolgenden in Innsbruck residierenden Habsburgern gängige Praxis,49 wenngleich der Geheime Rat der Flut der Supplikationen späterhin wieder durch deren Kanalisierung und durch die stärkere vorherige Befassung der Regierung Herr werden wollte,50 zumal ohnehin jede nach Innsbruck gelangende Supplikation durch die Regierung bis zur Entscheidungsreife vorzubereiten war.51 Durchgehend ist freilich das Bestreben der Supplikanten festzustellen, ihre Bitten und Beschwerden in möglichster Nähe des Landesfürsten anbringen zu können.52 So nutzten Vertreter der vorländischen Universität Freiburg die Gelegenheit eines Besuchs Ferdinands II. an ihrer Hohen Schule, um ihn persönlich um eine neuerliche Erlassung jener unter seinem Vater ergangenen Mandate zu bitten, die einen verpflichtenden Besuch katholischer Universitäten vorschriebe, jedoch ihrer Ansicht nach nicht hinreichend eingehalten würde. Ferdinand griff die Klage auf und beauftragte die Regierung mit der neuerlichen Ausfertigung und allenfalls auch Überarbeitung des damaligen Gesetzgebungsaktes.53 Ein spezieller Anwendungsfall dieser Verfahrensweise, im Zuge dessen der Landesfürst nicht aus eigenem Antrieb initiativ wurde, sondern durch Informationsflüsse das Tätigwerden der Regierung veranlasste, sind die auf Landtagen (Ausschusskongressen) vorgebrachten ständischen Gravamina, für die sich freilich schon im Verlauf des 16. Jahrhunderts eine bestimmte standardisierte administrative Behandlung etablierte. Aufgrund der auf diese Weise erhaltenen Informationen wies der Landesfürst die Regierung – allenfalls nach Einholung eines Gutachtens dieser Behörde – regelmäßig an, entweder ein neues Gesetz zu konzipieren und vorzulegen,54 bestehende Gesetze neuerlich zu publizieren55 oder zumindest durch verstärkte Kontrollen für
TLA, BT, Bd. 10, fol. 513v–514r, 1575 Febr. 19. Vgl. nur die zahlreichen, einen erheblichen Teil des gesamten Akteneinlaufs ausmachenden Supplikationen in TLA, GR, Aktenreihe, Einlauf (in Regimentssachen). 50 TLA, Hs. 1096, fol. 4v, 1633 April 8. 51 So ausdrücklich die Anweisung in TLA, VfD 1575, fol. 441v–442v, 1575 Mai 4; TLA, VfD 1578, fol. 10v–11r, 1578 Jan. 28; TLA, VfD 1579, fol. 142v, 1579 Jan. 28; vgl. ferner TLA, Hs. 1081, fol. 1, 1555 Okt. 15. 52 Zum Verfahren vgl. Schennach, Supplikationen, 2004, S. 578–579. 53 Vgl. TLA, VfD 1567, fol. 805, 1567 Nov. 29 und TLA, VfD 1568, fol. 6v–7r, 1568 Jan. 9. 54 So z. B. TLA, GR, AS, Einlauf in Regimentssachen, 1618 April 5 (Konzept eines Wuchermandats). 55 Vgl. z. B. TLA, VksM 1563, fol. 575v–576r, 1563 Aug. 1; TLA, VfD 1659, fol. 50v–51r, 1659 Febr. 14. 48 49
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die bessere Implementation Sorge zu tragen,56 wobei sich zumindest nach dem derzeitigen Kenntnisstand keine besonderen inhaltlichen Schwerpunkte ausmachen lassen. Dabei konnte die Regierung natürlich Bedenken gegen die vom Landesfürsten in Aussicht gezogene Regelung anmelden,57 was unter Umständen zu deren Überarbeitung oder zur gänzlichen Einstellung des Gesetzgebungsvorhabens führen konnte.58
1. 4. Von der Regierung an den Landesfürsten herangetragene Initiativen Am weitaus häufigsten war freilich der dritte Fall der landesfürstlichen Einflussnahme auf den Gesetzgebungsprozess, bei dem sich der Landesherr auf die Approbation eines Gesetzes beschränkte. Schaltstelle blieb die Regierung, die aufgrund ihrer Tätigkeit und der bei ihr zusammenlaufenden Informationen einen Normierungsbedarf zu erkennen glaubte, daraufhin allenfalls ergänzende Berichte einholte, einen Gesetzesentwurf vorlegte und diesen dem Landesfürsten zur Billigung unterbreitete.59 Gegen Ende des Jahres 1579 hatte sich beispielsweise der Stadt- und Landrichter von Sterzing bei der Regierung erkundigt, wie denn gegen unverheiratete Knechte und Mägde vorzugehen sei, die geschlechtlich miteinander verkehren würden, da es in der Landesordnung über unversprochner personen unkeuschait fäll kain außgetruckht gesacz geben würde. Mit dieser Anfrage rannte der Richter bei der Regierung offene Türen ein. Sie kam zum Schluss, dass nicht nur das in der Anfrage dargestellte Laster in Tirol gar vast überhandt nimbt, sondern auch und vor allem die zu frühzeitigen und daher materiell nicht abgesicherten Heiraten bedenklich zunähmen.60 Sie schlug ein gesetzliches Verbot vor, wobei man Erzherzog Ferdinand II. gleich ein ausgearbeitetes Mandat unterbreitete, das dessen Billigung fand.61 Je nach der einem Gesetzesprojekt zugeschriebenen Bedeutung konnte die Befassung des Landesfürsten durch die Regierung bei jedem der dargestellten Schritte Vgl. z. B. TLA, VkgM 1551, fol. 269v–270r, 1551 Sept. 30 (Verbot des Kriegsdiensts für fremde Mächte); TLA, VksM 1563, fol. 575v–576r, 1563 Aug. 1; VfD 1628, fol. 492, 1628 Mai 20; VfD 1640, fol. 233 und 238, beide 1640 Juli 16; VfD 1645, fol. 1645 Mai 25 (Mandat gegen das frühzeitige Heiraten vorzubereiten), VfD 1659, fol. 50v–51r, 1659 Okt. 3 (Verbot des Eisenexports). 57 Vgl. z. B. TLA, AfD 1632, fol. 34r–35r, 1632 Jan. 29. 58 Beispiel für eine Überarbeitung aufgrund von Bedenken der Regierung: TLA, VkgM 1544, fol. 286, 1544 Febr. 9; ebd., fol. 306v–307r, 1544 März 29. Der Fall einer von Ferdinand II. angedachten Gerhabschaftsordnung, die aufgrund des Widerstrebens der Regierung nicht zustande kam, wurde bereits erwähnt, vgl. TLA, VfD 1584, fol. 191v–192r, 1584 April 4; TLA, AfD 1584, fol. 586r–588v, 1584 Sept. 11. 59 In diese Richtung geht bereits Tezner, Verwaltungsrechtspflege, I. Heft, 1898, S. 54. 60 Vgl. hierzu TLA, AfD 1579, fol. 1064, 1579 Dez. 30; AfD 1580, fol. 127r–131r, 1580 Febr. 26; VfD 1580, fol. 254v–255r, 1580 März 16. 61 TLA, BT, Bd. 11, fol. 169, 1580 März. 56
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geschehen. Bei umfangreicheren, weitere Beteiligte wie den Landeshauptmann, die Landstände und Sachverständige involvierenden Gesetzesvorhaben wurde unter Umständen dem Landesfürsten in Intervallen Bericht erstattet oder wurden seine Anweisungen für konkret anstehende Probleme eingeholt. Gerade bei policeyrechtlichen Mandaten mit weitgehend standardisiertem Inhalt (Einzelgesetze gegen ‚Gartknechte‘, Zigeuner, Bettler) konnte die Befassung des Landesherrn (wie bereits angedeutet) aber auch zur Gänze entfallen.62
1. 5. Fazit Die soeben vorgenommene Kategorisierung zur Beschreibung des landesfürstlichen Anteils am Gesetzgebungsprozess ist idealtypisch. Die Gesetzgebungspraxis kennt vielfache Abstufungen und Graubereiche, zumal die Quellenüberlieferung nicht in jedem Fall deutlich erkennen lässt, ob der Landesfürst von sich aus bzw. aufgrund eigener Wahrnehmungen tätig wird oder aufgrund von ihm zugetragenen Informationen. Zusammenfassend kann man konstatieren, dass jedenfalls sämtliche wichtigen Gesetzgebungsakte zur Kenntnis des Landesfürsten gebracht wurden und dessen Approbation erforderlich war. Was dabei als ‚wichtig‘ klassifiziert wurde, variierte freilich stark und hing maßgeblich von der Häufigkeit und Dauer des herrscherlichen Aufenthalts in Tirol ab. Zur Zeit Ferdinands I. war der eigenständige Handlungsspielraum der Regierung, soweit die breite Masse policeylicher Einzelgesetze betroffen war, zweifellos signifikant größer als unter seinem Nachfolger. Ebenso ergibt sich der wenig überraschende Befund, dass die Intensität des durch Anstöße von außen evozierten steuernden Eingreifens des Landesfürsten in die legislative Tätigkeit deutlich mit seiner Nähe zum Land korreliert. Die Rechtsbereiche, in denen die Habsburger aus eigenem Impetus, d. h. ohne durch Supplikationen und amtliche Berichte auf einen Regulierungsbedarf aufmerksam gemacht zu werden, die Gesetzgebung inhaltlich gestalteten, blieben hingegen während des gesamten Untersuchungszeitraums überschaubar.
Ausdrücklich erwähnt hinsichtlich eines gegen ‚Gartknechte‘ gerichteten Mandats in TLA, AkgM 1546, fol. 33r, 1546 Febr. 27; ähnlich hinsichtlich eines Verbots des Kriegsdienstes für fremde Potentaten in TLA, VksM 1557, fol. 3, 1557 Jan. 4 (nachträgliche Billigung durch Ferdinand I.).
62
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2. Die Regierung 2. 1. Allgemeines Im Jahr 1534 lieferte die Regierung in einem internen Gutachten eine Kurzdefinition ihrer Stellung im Rahmen der Verwaltung. Aufgrund eines nachweislich auf den Kammerprokurator Dr. Jakob Frankfurter zurückgehenden Formulierungsvorschlags wurde festgehalten, die Regierung werde fur ain sollich wesen angesehen und geachtet, welhes alle oberkait, gebot, verbot, handthabung frids und rechtens, lanndßrettung und bewarung ze thun haben [!] und die wachter und sorgtrager uber landt und lewt sein [!].63 Der bis 1532 maßgeblich an der Reformation der Tiroler Landesordnung beteiligte Dr. Frankfurter war damals einer der führenden Juristen, und die Definition war alles andere als zufällig gewählt. Konzis umreißt sie die zentralen Aufgaben der Regierung: Bewahrung der Regalien und Hoheitsrechte, Gesetz gebung und Implementation der Gesetze, Rechtsprechung und Aufrechterhaltung der Sicherheit nach außen und innen werden stichwortartig als wichtigste Agenden präsentiert. Hier findet somit die legislative Tätigkeit durch die Anführung von gebot und verbot kurze Erwähnung. Dies ist nicht selbstverständlich. Ein Blick in die erhaltenen, bis 1499 zurückreichenden Instruktionen des Regiments respektive der Regierung zeigt rasch,64 dass in dieser Quellengattung die Gesetzgebung nicht eigens thematisiert ist. Und dennoch spielte die Regierung zweifellos eine wesentliche, nicht zu unterschätzende Rolle im legislativen Prozess. Sofern der Anstoß zu einer rechtlichen Normierung nicht vom Landesfürsten (bzw. stellvertretend vom Hofrat bzw. Geheimen Rat) kam, war es vornehmlich die Regierung, die aufgrund ihrer amtlichen Tätigkeit als oberste Verwaltungs- und Justizbehörde der oberösterreichischen Ländergruppe einen Regelungsbedarf erkannte. Sie war es zudem, die dank ihrer zentralen Rolle im Prozess der Rechtsimplementation bzw. -anwendung die Notwendigkeit einer Weiterentwicklung bestehender Rechtsnormen aufgrund von deren Insuffizienz oder aufgrund veränderter Rahmenumstände wahrnahm.65 Vgl. TLA, LLTA, Fasz. 4, 1534 Dez. 11. Zur Regimentsordnung von 1499 vgl. das Regest bei Wiesflecker u. a. (Bearb.), Regesten, Bd. 3/1, 1996, Nr. 9632 mit umfassenden Literaturangaben; hierzu bes. Wiesflecker, Maximilian I., Bd. 2, 1975, S. 195–196; Kreuzwirth, Verwaltung der österreichischen Erblande, 1964, S. 43–46; Adler, Centralverwaltung, 1887, S. 382–390; für die folgenden Jahrzehnte TLMF, FB 5028, fol. 330r–362r, 1551 Mai 8 (Regierungsinstruktion); TLA, Hs. 1081, 1555 Okt. 15 (merer erleutterung und besserungen der vorgenannten Instruktion von 1551); TLA, Hs. 1077, 1604 Dez. 30; Hs. 1076 und 1320, 1613 Juli 19; TLA, Hs. 2807, 1627 Juli 4; TLA, Hs. 1103 und 2808, 1665 Febr. 10. 65 ��������������������������������������������������������������������������������������������� Die bei Hirn, Erzherzog Ferdinand II., Bd. I, 1885, S. 163, Anm. 3, der Regierung zugeschriebene Aussage, in der sie sich als „Hüter über die Befolgung der Gesetze aber nicht Gesetzgeber“ bezeichnet habe, beruht auf einer falschen Auslegung von TLA, AfD 1566, fol. 245r– 63 64
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Eine ganze Reihe von Informationskanälen konnte dabei der Regierung einen Regelungsbedarf zur Kenntnis bringen. Zuerst sind an dieser Stelle Supplikationen (Bitt- und Beschwerdebriefe) sowie der Sonderfall der Landtagsgravamina zu nennen. Im Allgemeinen waren es nicht einzelne Supplikationen, sondern die Masse der bei der Regierung einlangenden und von ihr zu behandelnden Bitten und Beschwerden, die schließlich – unter Umständen im Zusammenspiel mit landständischen Gravamina – bei den Räten zur Überzeugung führten, dass eine legislative Reaktion zur Verbesserung der Situation erforderlich sei. Musterbeispiel hierfür ist die Policeygesetzgebung zum Themenkomplex Militär, wobei zwei Bereiche besonders hervortraten: einerseits die Regulierung des konfliktreichen Verhältnisses zwischen Militär und Zivilbevölkerung (namentlich bei Truppendurchmärschen und -einquartierungen), andererseits die Bekämpfung der „Gartknechte“ (abgedankten Landsknechte).66 Bei diesen Regelungsgegenständen waren es Supplikationen gewesen, die aufgrund ihrer schieren Masse67 und im Zusammenwirken mit zahlreichen einschlägigen Landtagsbeschwerden68 die Insuffizienz des bisherigen Ordnungsinstrumentariums gezeigt hatten. Einzelpersonen sowie ganze Gemeinden und Gerichte führten nach jedem Durchmarsch und nach jeder Einquartierung von Söldnertruppen bei der Regierung über erfolgte Übergriffe auf das Vermögen und die körperliche Integrität von Untertanen durch Soldaten Beschwerde. Die herkömmliche Zivil- und Strafgerichtsbarkeit konnte dem nicht gegensteuern. Militärpersonen waren von dieser exemt und unterstanden nur der Militärgerichtsbarkeit, die ausschließlich den Regimentsinhabern zustand (die verständlicherweise wenig Interesse zeigten, zugunsten der Zivilbevölkerung disziplinierend tätig zu werden, da die Soldaten vielfach auf diese Weise nur eigene Versorgungsdefizite abzudecken trachteten).69 Resultat der unzähligen, seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert nachweisbaren Klagen und Beschwerden waren Regelungen bzw. Regelungskomplexe, die auf eine immer detailliertere normative Regelung des Verhältnisses zwischen Zivilbevölkerung und Militär abzielten. Dasselbe gilt für die überaus zahlreichen, gegen die Belastung der Untertanen durch
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247r, hier fol. 247r, 1566 Juli 27. Tatsächlich legt die Regierung im betreffenden Schreiben dem Landesfürsten nur nahe, einen Einzelgesetzgebungsakt durch die Hofkanzlei ausfertigen zu lassen und selbst zu unterschreiben. Dies würde dann ain merers ansehen haben, als wenn dies die Regierung tue. Diese Überlegungen sind jedoch ausschließlich im Zusammenhang mit der einem Gesetzgebungsakt seitens des Gesetzgebers zugeschriebenen Bedeutung zu sehen, wie im Kapitel über die Publikation von Gesetzen und speziell über die so genannte „variable Normintensität“ zu zeigen sein wird. Hierzu ausführlich Schennach, Landesverteidigung, 2003, S. 300–311; Schennach, Quellen, 2004, S. 98–99. Vgl. für das 16. Jahrhundert nur den Bestand TLA, Hofregistratur, Reihe A, Einlauf, Abt. IV; ein Beispiel bei Schennach, Beschwerdeschrift, 2003. Vgl. z. B. TLA, VdL, Bd. 3, S. 409, 436, 558. Vgl. nur Schennach, Militärgerichtsbarkeit, 2002 (mit zahlreichen Literaturhinweisen).
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
Gartknechte gerichteten Mandate, die sich maßgeblich als Reaktion auf anhaltende Klagen und Beschwerden der in Mitleidenschaft gezogenen Bevölkerung präsentieren. Schon im 16. Jahrhundert wurden einschlägige Gesetzgebungsakte präventiv erlassen, sobald die Regierung von einer bevorstehenden ‚Truppenabdankung‘ (d. h. der Entlassung ganzer Söldnereinheiten aus dem Dienst des Kriegsherren) in einem Nachbarterritorium erfuhr. Aber auch Gesetzgebungsakten wie der bereits erwähnten Bäckerordnung von 1571 lagen anhaltende Klagen über die Betrügereien der Bäcker zugrunde, die ihre Kunden übervorteilen wollten.70 In Einzelfällen kann freilich auch eine einzelne Supplikation als Anstoß für die Erlassung eines Gesetzes ausgemacht werden. So führten zu Beginn des 16. Jahrhunderts die Gemeinden Hall und Absam gegen den Forstmeister Karl von Spaur Beschwerde, der widerrechtlich 100 Mannmahd Gemeindegrund an ein mächtiges Haller Adelsgeschlecht verliehen habe. Dies sei, wie Maximilian selbst feststellte, wider gemaynen brauch und alt herkomen unnsers fürstenthumbs gemelter unnser grafschafft, der da ist, das man kain gemaind ausser der nagsten umbsassen und nachpawren verwilligung und zugeben ausfahen sölle.71 In offensichtlich unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang hiermit trug der König dem Regiment auf, entsprechende Verfügungen bei allen Tiroler Obrigkeiten zu treffen, dass in Hinkunft die Verleihung von Gemeindegründen nicht ohne Beiziehung und Zustimmung der Gemeinden zu erfolgen habe72 – was im Jahr 1503 stracks zur Kundmachung eines entsprechenden Gesetzes führte.73 Weiters konnte die Regierung durch Anfragen, Vorschläge oder Berichte lokaler Obrigkeiten oder landesfürstlicher Amtsträger auf einen bestehenden Regelungsbedarf aufmerksam gemacht werden. Auch hierfür lassen sich zahlreiche Exempel finden. Die ersten Überlegungen in Richtung eines Tabakverbots wurden beispielsweise durch Berichte und Vorschläge einzelner Obrigkeiten an der Peripherie induziert. So hatte die Stadt Kufstein 1655 über die Zunahme des Tabakkonsums bei Mann wie Frau sowie die daraus resultierende Feuersgefahr und die verdechtigen zusambenkhunfften berichtet, worauf die Regierung dem Bürgermeister und dem Stadtrat die Erlassung eines gänzlichen Rauchverbots in der Stadt auftrug.74 Als schließlich im Jahr 1657 eine lokale Infektionskrankheit in der Gemeinde Brandenberg (Unterinntal) auf das Rauchen zurückgeführt wurde, das nach Urteil eines beigezogenen Arztes ohnehin anders nichts als allerhandt khranckheiten und andere ungelegenhaiten hervorrufe, schlug die Regierung Ferdinand Karl mit Verweis auf das bayerische Vorbild ein Totalverbot des Tabaks vor. Dieser lehnte jedoch ab und forderte stattdessen einen Steueraufschlag, dem wiederum die Regierung mit Ver Vgl. nur TLA, BT, Bd. 10, fol. 195v–196r, 1571 Juni 18. ��������������������������������������������������������������������������������������� TLA, Pestarchiv XV/46, undatiert (vor 1503, da Karl von Spaur noch als Forstmeister genannt wird). 72 TLA, Ferdinandea, Karton 216, Pos. 222, 1502 Dez. 6. 73 TLA, Ferdinandea, Karton 216, Pos. 222, 1503 März 24. 74 TLA, BT, Bd. 23, fol. 411v, 1655 Dez. 20. 70 71
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weis auf den dann voraussichtlich explodierenden Schmuggel skeptisch gegenüber stand.75 Eine landesweite gesetzliche Regelung blieb vorerst aus. Das Problem war jedoch nicht gelöst: Auf eine Anfrage des Landrichters von Sonnenburg, wie er der Zunahme des Tabakrauchens in Ställen und anderen brandgefährdeten Orten begegnen solle, wies ihn die Regierung an, dafür Sorge zu tragen, damit das tabaktrinckhen ainsmals – biß weitere und andere verordnung ervolgt – sonderlichen an allen gefärlichen orthen genzlichen abgestellt und verboten werde.76 1660 beklagte der Pfleger von Kitzbühel, dass durch das Rauchen andern lastern ain offner weeg gemacht wie nit weniger das gelt unnuczlichen verschwennt werde, und schlug ausdrücklich ein Verbot vor. Dem entsprach die Regierung: Der Tabak solle in der Herrschaft Kitzbühel ernstlich verboten und Zuwiderhandelnde der gebir nach gestraft werden.77 Zunächst setzte sich jedoch der Gedanke der fiskalischen Nutz barmachung durch, die durch die entgeltliche Einräumung eines Monopols auf den Tabakhandel für den Innsbrucker Juden Gedeon May erzielt werden sollte.78 Erst wiederholte ständische Beschwerden auf den Landtagen von 166379 und 166580 führten schließlich 1668 zu einem gänzlichen strafbewehrten Verbot sowohl des Tabakkonsums als auch -handels.81 Nachdrücklich festzuhalten ist in unserem Zusammenhang, dass es just Berichte und Vorschläge lokaler Obrigkeiten waren, die erste Gedanken an eine normative Regulierung des Tabaks hatten aufkommen lassen. Noch deutlicher wird der Konnex zwischen den Berichten lokaler Obrigkeiten und der legislativen Tätigkeit, wenn man das Zustandekommen jener gesetzlichen Bestimmungen analysiert, die die Emigration von Tiroler Untertanen behandeln. Im April 1641 langte bei der Regierung ein Schreiben des Pflegsverwalters von St. Petersberg (Gericht Hörtenberg im Tiroler Oberinntal) ein, in dem dieser die Praxis der periodischen Auswanderung von zahlreichen Hand- und Tagwerkern zu Erwerbszwecken beschrieb. Dabei kämen die betreffenden auch in evangelische Gebiete.82 Der Pflegsverwalter selbst war hierauf durch ein Schreiben eines örtlichen Pfarrers aufmerksam geworden, der auf die negativen Konsequenzen dieser Arbeitsmigration für den katholischen Glauben aufmerksam gemacht und vom Pflegsverwalter ein Gegensteuern eingefordert hatte.83 Da sich der Pflegsverwalter 77 78 79 80 81
TLA, AfD 1657, fol. 52, 1657 Febr. 28; ebd., fol. 142v–143r, 1657 Mai 11. TLA, BT, Bd. 23, fol. 495v–496r, 1657 Juni 22. TLA, BT, Bd. 24, fol. 28v–29r, 1660 Juli 7. TLMF, Dip. 1091, Nr. 222, 1662 Okt. 24. TLA, VdL, Bd. 26, fol. 39v–57v, 1663 April (ohne nähere Datierung), hier Beschwerde 25. TLA, VdL, Bd. 26, fol. 153r–184r, 1665 Okt. (ohne nähere Datierung), hier Beschwerde 25. TLMF, Dip. 1091, Nr. 269, 1668 Aug. 21; das Verbot war nur eine temporäre Erscheinung, schon 1676 kehrte man zum System der Besteuerung des Tabakkonsums zurück. 82 Das an den Geheimen Rat weitergeleitete Schreiben befindet sich als Beilage zu TLA, GR, AS, Einlauf, 1641 April 9 (datiert auf 1641 April 5). 83 Beilage zu TLA, GR, AS, Einlauf, 1641 April 9 (datiert auf 1641 April 3). 75 76
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seiner fehlenden Kompetenz bewusst war – er wolle sich ohne gnedigiste verordnung unnd bevelch [...] dergleichen gepot oder verpodt zu tuen wenigist [...] unnderfanngen –, bat er um Auskunftserteilung. Die Regierung legte Ferdinand Karl daraufhin die Erlassung einschlägiger Mandate nahe,84 wobei man freilich das seitens des Pflegsverwalters proponierte gänzliche Verbot als inadäquat verwarf, da es der örtlichen Wirtschaftsstruktur – weite Bevölkerungskreise waren auf die Verdienstmöglichkeiten im Ausland angewiesen – nicht Rechnung trug. Vielmehr plädierten die Räte für ein System der nachträglichen Kontrolle. Da daher ein grundsätzliches Verbot der temporären Emigration zu Erwerbszwecken nicht angestrebt wurde, sondern es nur um die Bewahrung des katholischen Glaubens ging, sollten auswärts tätige Hand- und Tagwerker nach ihrer Rückkehr in die Heimat Bestätigungen der auswärtigen Obrigkeiten vorweisen, sich nur in katholischen Gebieten aufgehalten zu haben. Das gleich dem Geheimen Rat mit übermittelte Gesetzeskonzept, das auf eine Erreichung des Regelungsziels mit dem gelindesten Mittel hinauslief, fand die erzherzogliche Billigung.85 Ähnliche Vorgänge wiederholten sich einige Jahre später. 1649 machte der Pflegsverwalter des Gerichts Ehrenberg (im Nordosten Tirols) auf die seit dem Westfälischen Frieden zunehmende Emigration von Tiroler Untertanen in andere Reichsterritorien aufmerksam und bat um eine Anweisung.86 Insbesondere begehrte er die Auskunft, ob ihnen im Fall der Genehmigung die Mitnahme ihres beweglichen Vermögens gegen Zahlung eines Abzuggeldes zu genehmigen sei. Die Regierung sprach sich zwar dagegen aus, da ihrer Ansicht nach dem Frieden nicht zu trauen sei, zumal sich feindliche Armeen noch im Reichsgebiet aufhielten. Es be stünde die Gefahr, dass die Emigranten in ihrer neuen Heimat ausgeplündert würden und wieder arm nach Hause kämen. Die Kammer war jedoch anderer Ansicht und wollte die Auswanderung gegen die Entrichtung eines Abzuggelds gestatten, wobei die Emigrationswilligen darauf aufmerksam gemacht werden sollten, dass sie im Fall ihrer Verarmung nicht wieder zurückkehren dürften. Dem schloss sich Erzherzog Ferdinand Karl an.87 Aber auch von landesfürstlichen Amtsträgern konnten Vorschläge ausgehen, die auf die Erlassung oder Anpassung von ihren Aufgabenbereich regelnden Gesetzen abzielten. Ein frühes Beispiel für die Veranlassung eines Gesetzgebungsaktes durch Anregungen eines landesfürstlichen Funktionsträgers stammt aus der Regierungszeit Maximilians I.88 In einem Schreiben an das Regiment hatte der Tiroler Forstmeister Jan Hilland eine ganze Reihe von legislativen Maßnahmen in den Bereichen Hundehaltung, Waffenführung und Wilderei angeregt, die von ihm wahr 86 87 88 84 85
Vgl. TLA, GR, AS, Einlauf, 1641 April 9. TLA, BT, Bd. 21, fol. 405, 1641 April 20. Vgl. zum Folgenden TLA, AfD 1649, fol. 581v–584r, 1649 Nov. 16. TLA, BT, Bd. 23, fol. 63, 1649 Dez. 17. Vgl. zum Folgenden Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007, S. 270–274.
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genommenen Mängeln in seinem Wirkungsbereich entgegenwirken sollten. Diese wurden von den Regimentsräten all übersehen und mit vleis beratschlagt und was das nuczist für ewrer Kay. Mt. und ewrer Mt. underthon nach unserm bedunckhen furgenomen, wobei man sich jedoch zur Einholung der kaiserlichen Zustimmung veranlasst sah. Die Vorschläge des Forstmeisters wurden in der Stellungnahme des Regiments durchaus unterschiedlich bewertet. Bei manchen verwies das Regiment auf ohnehin schon bestehende Normen, bei einzelnen verneinte es akuten Regelungsbedarf, bei anderen pflichteten die Räte dem Forstmeister bei. Die Forstmeister traten im 16. Jahrhundert wiederholt mit legislativen Anregungen an die Regierung heran, die zum Teil auf entschiedene Ablehnung stießen, zum Teil freilich in kürzester Frist in Gesetzen ihren Niederschlag fanden. Ein Exempel für Letzteres stammt aus dem Jahr 1545: Der Forstmeister hatte angeregt, das so genannte ,Freischießen‘ in Dörfern zu untersagen und das bestehende Verbot der Führung von Schusswaffen im Gebirge wegen der damit verbundenen Gefahr der Wilderei zu erneuern, was sowohl die Billigung der Regierung als auch die Approbation durch Ferdinand I. fand und in einem entsprechenden Mandat mündete.89 Auch die Berichte des Kammerprokurators über die von ihm durchgeführten Visitationen lokaler Obrigkeiten führten unter Umständen zur Feststellung von Regelungsdefiziten und in weiterer Folge zu legislativen Maßnahmen.90 Ferner konnte in Einzelfällen aufgrund amtswegiger Wahrnehmungen durch die Regierungsräte selbst ein Regelungsbedarf festgestellt werden. Zwei besonders drastische Beispiele hierfür liefern Vorfälle aus der Regierungszeit Ferdinands II.: 1570 durchschlug eine Gewehrkugel ein Fenster der Regimentskanzlei, sauste über die Köpfe des dort tätigen Schreibpersonals hinweg und blieb im Ofen stecken. 1576 schlug nächtens eine Kugel im Sitzungszimmer der Regierung ein und blieb in der Täfelung stecken. Daraufhin sah sich die Behörde beide Male verständlicherweise veranlasst, das ohnehin untersagte Abfeuern von Schusswaffen im Stadtgebiet durch neuerliche Erlassung eines gesetzlichen Verbots in Erinnerung zu bringen.91 Schließlich zeigte die Tätigkeit der Regierung als oberste Instanz der Rechtsprechung den Räten Defizite auf, die eine gesetzliche (Neu-)Regelung erforderten. 1642 meldete die Regierung so dem Geheimen Rat ein signifikantes Ansteigen von rechtlichen Auseinandersetzungen, die als wucherisch zu klassifizierende Verträge beträfen und in letzter Instanz bis vor die Regierung gekommen seien. Als dauerhafte Abhilfe, nicht zuletzt um die Prozesshäufigkeit zu reduzieren, schlug TLA, AkgM 1545, fol. 400v, 1545 März 3; TLA, BT, Bd. 5, fol. 369, 1545 April 1. Vgl. beispielsweise den entsprechenden Bericht der Regierung in TLA, GR, AS, Einlauf in Regimentssachen, 1604 Jan. 7. 91 Vgl. hierzu Schennach, Gesetzgebung als Erinnerung an Normen, 2007, S. 386–388. Da es sich um Gesetze mit einem räumlich beschränkten Geltungsbereich ohne über die Stadt hinausgehende Bedeutung handelt, wurden sie nicht in die statistische Auswertung mit einbezogen. 89 90
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die Regierung den Erlass eines Klärung bringenden Generalmandats vor.92 Unmittelbar zur Kundmachung eines entsprechenden Gesetzesgebungsaktes führte die Anreg ung der Regierung, in Übereinstimmung mit der Tiroler Landesordnung (Buch 2, Titel 57 bis 60) neuerlich zu statuieren, dass den Parteien eines Prozesses auf ihr Begehren und gegen Kostenersatz Urteilsabschriften auszuhändigen seien;93 zuvor waren nämlich vermehrt Gesuche um Erstreckung der sechsmonatigen Rechtsmittelfrist bei der Regierung eingereicht worden, die als Begründung auf die diesbezügliche Weigerung der erstinstanzlichen Richter verwiesen hatten.94 Die rechtsprechende Tätigkeit der Regierung hatte den Räten zudem zu wiederholten Malen die Nichteinhaltung jener gesetzlichen Vorschriften vor Augen geführt, die auf eine Beschränkung der von den Parteien zu tragenden Prozesskosten abzielten, was mehrmals den Anstoß für Reformdiskussionen geliefert hatte.95 Überhaupt beruhten naheliegenderweise gerade prozessrechtliche Vorschriften häufig auf den aus der jurisdiktionellen Tätigkeit der Regierung gewonnenen Erfahrungen, was sich beispielsweise bei Entstehung der Advokaten- und Prokuratorenordnung von 1561 anschaulich quellenmäßig belegen lässt.96 Aber nicht nur, wenn es um die Feststellung eines Regelungsbedarfs ging, kam der Regierung eine zentrale Rolle zu. Dasselbe gilt für den übrigen Gesetzgebungsprozess. Es wurde bereits aufgezeigt, dass – auch wenn die Initiative für ein Gesetzgebungsprojekt nicht von der Regierung selbst ausging, sondern von außen an sie herangetragen wurde – diese Behörde durch eine grundsätzliche Stellungnahme respektive durch die Begutachtung eines allenfalls schon vorliegenden Konzepts erheblichen Einfluss nehmen konnte.97 Dies zeigte sich besonders anschaulich unter Ferdinand I., wenn dieser der Regierung Gesetzesentwürfe zur Publikation zukommen ließ. Des Öfteren kam es in solchen Fällen aufgrund von seitens der Regierung gemachten Einwendungen und Verbesserungsvorschlägen zu Überarbeitungen des ursprünglichen Konzepts.98 Aber auch darüber hinaus kam der Regierung für die Koordination des Verfahrens im Vorfeld eines Gesetzgebungsaktes eine wichtige Stellung zu, was gerade bei umfangreicheren legislativen Projekten einen erheblichen Arbeitsanfall zur Folge haben konnte. Wurde beispielsweise die Heranziehung von ausländischen Gesetzen 94 95
TLA, AfD 1642, fol. 556v, 1642 Jan. 24. TLMF, Dip. 1091, Nr. 189, 1643 Juli 18. Vgl. TLA, AfD 1643, fol. 294, 1643 Juli 6. Vgl. z. B. TLA, AfD 1581, fol. 1065v–1068v, 1581 Dez. 12; TLA, CD 1608, fol. 866r–869r, 1608 April (ohne nähere Datierung); TLA, AfD 1643, fol. 136c–137v, 1643 März 17. 96 Vgl. hierzu überaus ausführlich TLA, AksM 1561, fol. 792r–799v, 1561 Aug. 17. 97 Vgl. z. B. TLA, AkgM 1543, fol. 128r, 1543 Juli 31; AkgM 1544, fol. 180, 1544 Nov. 10; AkgM 1555, fol. 582r–585r, 1555 Okt. 8. 98 1544 wurde aufgrund von Einwendungen der Regierung sogar ein bereits gedrucktes Mandat neuerlich überarbeitet, vgl. TLA, VkgM 1544, fol. 286, 1544 Febr. 9; ebd., fol. 306v–307r, 1544 März 29; ebd., fol. 338r, 1544 Mai 19. 92 93
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als Diskussionsgrundlage, Inspirationsquelle oder schlichtweg als Vergleichsmaterial für nützlich angesehen, oblag es der Regierung, für deren – zuweilen recht komplizierte – Beschaffung Sorge zu tragen. Waren Sachverständige, andere Behörden (z. B. die Kammer) oder landesfürstliche Amtsträger, der Landeshauptmann, das Adelige Hofrecht oder die Landstände in den Gesetzgebungsprozess miteinzubeziehen, hatte die Regierung die Koordination zu bewerkstelligen. Allfällige von unterschiedlichen Seiten beschickte Deputationen, die zur Vorbereitung eines Gesetzgebungsprojekts eingerichtet wurden, wurden nahezu immer von Regierungsräten geleitet, die in solchen Deputationen zumeist auch numerisch dominierten. Sofern nicht der jeweilige Landesfürst die Heranziehung weiterer Personenkreise in den legislativen Prozess auftrug oder die Landstände ihre Beteiligung reklamierten (oder anboten), war es zudem die Regierung, die die Entscheidung über das Beiziehen von Sachverständigen, Behörden, Landständen etc. fällte oder die Einrichtung von Deputationen anordnete. Wenn es sich nicht um die Zusendung eines bereits elaborierten Gesetzeskonzepts (oder gar eines gedruckten Mandats) durch den Landesfürsten handelte – was namentlich unter Ferdinand I. öfter vorkam –, kam die Ausformulierung eines Gesetzes primär der Regierung zu. Die so zustande gekommenen Konzepte konnten natürlich vom Landesherrn noch korrigiert werden. So ließ Ferdinand I. der Regierung 1534 zwar die Approbation des ihm zugesandten Entwurfs eines Policeygesetzes zukommen, fügte jedoch an, es mit wenigen wortten, so wir darczue schreiben lassen, ergänzt zu haben.99 Dass eine andere Behörde oder ein landesfürstlicher Funktionsträger der oberösterreichischen Ländergruppe die redaktionelle Ausarbeitung und sprachliche Gestaltung eines Gesetzes übernahm, war hingegen der absolute Ausnahmefall.100 Aber selbst dann konnte die Regierung durch Begutachtung und Stellungnahme maßgeblich auf den Inhalt einwirken. Dass die Regierung (und hier wohl speziell die gelehrten Räte) im Bedarfsfall über das nötige Knowhow zur angemessenen juristischen Durchdringung eines legistischen Problems besaß, ist kaum erwähnenswert. Besonders deutlich lassen dies zum Beispiel die Ausführungen der Regierung im Zusammenhang mit der geplanten Wuchergesetzgebung für die an den Welschen Konfinen gelegene Herrschaft Ivano aus dem Jahr 1574 erkennen, die insbesondere auf die Unterbindung von Umgehungsgeschäften abzielten, mit denen wucherische Verträge verschleiert werden sollten. Die Stellungnahme der Regierung verweist auf die maßgebliche rechts TLA, VfD 1534, fol. 543, 1543 Sept. 1; ganz ähnlich mehr als hundert Jahre später, vgl. nur TLA, AfD 1654, fol. 325v–327r, 1654 Juli 16, und darauf bezugnehmend TLA, VfD 1654, fol. 485v–486r, 1654 Nov. 16. 100 So reichte der Forstmeister 1642 das ausgearbeitete Konzept einer neuen Forstordnung ein, die erst zwei Jahre später nach umfangreichen Beratungen und mit einigen Änderungen erlassen wurde. Vgl. zum gesamten Gesetzgebungsverfahren TLA, CD 1641, fol. 670v, 1641 Mai 11; TLA, AfD 1642, fol. 707, 1642 Mai 21; TLA, VfD 1642, fol. 141, 1642 Juni 6; TLA, AfD 1642, fol. 920v, 1642 Okt. 31. 99
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wissenschaftliche Literatur – unter anderem auf das damalige Standardwerk des Franzosen Carolus Molinaeus „Tractatus commerciorum et usuarum“ von 1549 –, ferner auf die einschlägige Rechtsprechung des Reichskammergerichts und auf das gemeine Recht.101 Schließlich oblag die Publikation eines Gesetzgebungsaktes der Regierung, die zudem in ihrer Stellung als oberste Justiz- und Verwaltungsbehörde für die Anwendung bzw. Implementation der Gesetze mit verantwortlich war. Dass der Regierung ferner im Rahmen der delegierten Gesetzgebung erhebliche Bedeutung zukam, wird an anderer Stelle zu erörtern sein.102
2. 2. Das Verhältnis zur Kammer Bei der bisherigen Darstellung des Gesetzgebungsprozesses wurde die Kammer praktisch nicht erwähnt. Grundsätzlich waren Regierung und Kammer im Rahmen der Behördenhierarchie auf demselben Niveau angesiedelt. Zwischen beiden bestand kein wechselseitiges Verhältnis der Unter- und Überordnung, vielmehr war die Kammer in direkter Unterstellung unter dem Hofrat bzw. Geheimen Rat als oberste Finanzbehörde tätig. Aus dieser Zuständigkeitsverteilung resultierte freilich auch eine im Vergleich zur Regierung als oberster allgemeiner Verwaltungsbehörde nur randständige Rolle im Gesetzgebungsprozess.103 Fast immer wurde die Regierung federführend tätig. Dies reflektiert nicht zuletzt die Quellenüberlieferung. Nahezu sämtliche Normtexte finden sich in den Beständen der Regierung überliefert. Auf die diesbezüglichen Ausnahmen wird noch eigens einzugehen sein. Doch ist die Kammer bei Erörterung des Gesetzgebungsverfahrens nicht einfach zu übergehen, auch wenn ihre Bedeutung bei gesamthafter Betrachtung weit hinter jene der Regierung zurück tritt. So wurde sie bei legislativen Vorhaben mit potentiellen finanziellen Auswirkungen bzw. mit Konsequenzen für das landesfürstliche Kammergut, die Ein- und Ausnahmenentwicklung, aber auch für die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung des Landes selbstverständlich mit eingebunden. Jedenfalls gemeinsam waren Münz-, Bergwerks- und Holzsachen zu beratschlagen, wie dies bereits die Instruktionen beider Behörden auswiesen.104 Dies heißt aber nicht, dass bei anderen Rechtsmaterien nicht vorweg seitens der Regierung eine Stellung ���������������������������������������������������������������������������������������� TLA, AfD 1574, fol. 706r–718r, 1574 Dez. 24; ähnlich gelehrt auch die Ausführung zur Interpretation des Wuchermandats aufgrund einer Anfrage des Kammerprokurators Dr. Wittweiler in TLA, AfD 1615, fol. 493v–495v, 1615 Sept. 5; zum Hintergrund allgemein vgl. Horn, Zinsforderung und Zinsverbot, 1992. 102 Vgl. Kap. VI.3.2.2.3.2. Musterbeispiel in TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 41, Lit. Pp, S. 235–238, 1521 [ Juli] (ohne nähere Datierung); ferner TLA, BT, Bd. 17, fol. 231r, 1617 März 2; TLA, AfD 1571, fol. 437r–440r, 1571 Sept. 18; TLA, AfD 1617, fol. 265v–266r, 1617 Nov. 17. 103 So auch schon Tezner Verwaltungsrechtspflege, I. Heft, 1898, S. 188–189. 104 Vgl. auch den expliziten Verweis in TLA, VfD 1616, fol. 411r, 1616 Mai 29. 101
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nahme der Kammer eingeholt worden wäre, wobei sich der Grund für die Befassung der Kammer ex post nicht immer auf den ersten Blick erschließt: So waren Deputierte der Kammer beispielsweise auch zur Ausarbeitung der Bettlerordnung von 1590 herangezogen worden, was zunächst überrascht. Hält man sich jedoch vor Augen, dass Ferdinand II. durchaus beträchtliche Finanzmittel zur Unterstützung des Armenwesens in seiner Residenzstadt aufwendete und zudem regelmäßig auswärtige Bettler auch in der Kammer selbst mit der Bitte um Unterstützung vorstellig wurden, wird dies plausibler. Aufgrund dieses Umstands wurde zeitgenössisch sogar (wenngleich wohl etwas überspitzt) die Feststellung getroffen, dass die Ordnung des Bettlerwesens mehrerthayls für ain camersach zu halten sei.105 Es ist wohl auch der finanzielle Beitrag Ferdinands II. für das Innsbrucker Schulwesen, der die Einbindung von Kammerräten in die Ausarbeitung der Schulordnung von 1586 erklärt.106 In anderen Fällen sind die Gründe leichter zu finden. Da ein allfälliges Export- und Durchfuhrverbot durch den dann eintretenden Ausfall an Zolleinnahmen unmittelbare Auswirkungen auf das Kammergut zeitigte, musste die Kammer zu dieser Frage eine Stellungnahme abgeben.107 Dasselbe gilt für die gesetzliche Regelung der Gerichtskosten.108 Weil die Kammer eine wichtige koordinierende Rolle bei der Lebensmittelversorgung des Landes spielte, war sie in alle direkt oder indirekt die Getreide- und Fleischversorgung Tirols betreffenden Gesetzgebungsakte eingebunden, von der Müllerordnung über Exportverbote bis hin zu Verboten des Bierbrauens wegen der damit verbundenen Preissteigerungen bei Gerste.109 Die Einbeziehung der Kammer in den Gesetzgebungsprozess konnte dabei im Verwaltungsalltag auf unterschiedliche Weise geschehen. So bestand die Möglichkeit, entsprechende Vorhaben bei gemeinsamen Ratssitzungen zu erörtern. Zunächst wiesen die Instruktionen von Regierung und Kammer aus, dass beede wesen in denen sachen, so inen miteinander zu beratschlagen gebürt, in der wochen zwaymal, als alzeit am mitwoch und freytag vormittag zusamen komen, solches auch durch sy in gesambtem rath fürgenommen werden solle.110 Zu diesen gemeinsam zu be TLA, AfD 1598, fol. 422v–425v, 1589 Sept. 9 (gemeinsames Gutachten von Regierung und Kammer). Dies erklärt wohl auch, warum die Kammer auch zur Ausarbeitung eines Gesetzes, das zu frühzeitiges – nämlich vor Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit – Heiraten unterbinden sollte, Stellung beziehen sollte; vgl. TLA, VfD 1578, fol. 24v–25r, 1578 März 12, und darauf bezugnehmend TLA, AfD 1580, fol. 127r–131r, 1580 Febr. 26. 106 ����������������������������������������������������������������������������������� Die Einbindung der Kammer wurde von Ferdinand II. ohne Angabe von Gründen ausdrücklich angeordnet, vgl. TLA, VfD 1586, fol. 166r–167r, 1586 Okt. 8. 107 Vgl. TLA, AfD 1656, fol. 85r–86r, 1656 Febr. 9. 108 Vgl. z. B. das Kammergutachten von 1579 Dez. 7 in TLA, LLTA, Fasz. 9, 1577, oder TLA, AfD 1644, fol. 685r–687v, 1644 April 13 (gemeinsames Gutachten von Regierung und Kammer). 109 Vgl. z. B. TLA, BT, Bd. 2, fol. 9, 1528 Febr. 2; BT, Bd. 6, fol. 1547, fol. 19v, 1547 Okt. 15; BT, Bd. 10, fol. 88r–92v, 1570 Aug. (ohne nähere Datierung); TLA, AfD 1588, fol. 119v–121v, 1588 Febr. 22; VfD 1649, fol. 174v, 1649 Sept. 4. 110 ���������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. TLA, EuB 1611, fol. 100v–101r, 1611 April 27; vgl. auch schon Schennach, Landesverteidigung, 2003, S. 38. 105
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
sprechenden „causae mixtae“ konnten – unter anderem, wie nachdrücklich betont werden muss – auch Gesetzgebungsvorhaben zählen.111 Wenngleich Beratungen im gesambten rath tendenziell viel Arbeitszeit absorbierten, besaßen sie vor allem aus Sicht des Hofrats bzw. Geheimen Rats Vorteile. Es konnten sogleich gemeinsame Gutachten oder Entwürfe aufgesetzt und an den Hof weitergeleitet werden, was im Vergleich zu getrennt abgegebenen Stellungnahmen, die ebenfalls belegt sind,112 gewisse Synergieeffekte bringen konnte.113 Denselben Zweck erfüllten jedoch auch Deputationen, d. h. die Absprache erfolgte nicht durch die Ratskollegien in ihrer Gesamtheit, sondern durch die Entsendung von Deputierten, denen diese Aufgabe zukam.114 Diese Deputationen mussten dabei nicht paritätisch besetzt sein, im Gegenteil: Die federführende Rolle der Regierung wird zumeist durch den Umstand reflektiert, dass die Regimentsräte in mit der Ausarbeitung von Gesetzen befassten Deputationen im Allgemeinen deutlich dominierten und man sich fallweise mit der Beiziehung von einem oder zwei Kammerräten begnügte. Bei den bisherigen Ausführungen wurde stets die führende Rolle der Regierung beim Zustandekommen der Gesetze herausgestrichen, wohingegen sich jene der Kammer weitgehend auf beratende Funktionen reduzierte. Es gab allerdings zwei Rechtsbereiche, bei denen sich das Verhältnis von Kammer und Regierung umdrehte und die Kammer die Federführung hatte, während die Regierung – so sie überhaupt befasst wurde – nur beratend hinzugezogen wurde. Diese veränderte Rollenverteilung wird nicht zuletzt durch die veränderte Überlieferungssituation reflektiert. Während nahezu alle Gesetzgebungsakte der oberösterreichischen Ländergruppe in den Quellenbeständen der Regierung auf uns gekommen sind, sind berg- und forstrechtliche Normen im Schriftgut der Kammer überliefert. Bei diesen Materien dominierten finanziell-fiskalische Aspekte in einem Maße, dass von vornherein die primäre Zuständigkeit der Kammer adäquat erscheinen musste. Was beim Bergbau keiner näheren Erläuterung bedarf, ist im Zusammenhang mit dem Forstwesen erklärungsbedürftig. Die nachhaltige Bewirtschaftung des Waldes war während des gesamten Untersuchungszeitraums eine wesentliche Voraussetzung für die Salzgewinnung in Hall und für den Bergbau im Allgemeinen, während im südlichen Landesteil die Möglichkeit des Holzexports in die Republik Venedig reiche
Vgl. beispielsweise die Zuweisung zur gemeinsamen Beratung in TLA, VfD 1575, fol. 595v, 1576 Juni 13. 112 ���������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. nur Erwähnung zweier getrennt abgegebener und zudem inhaltlich divergierender Stellungnahmen zu einer neuen Fischereiordnung in TLA, VfD 1644, fol. 380r–381r, 1644 Nov. 15; ebd., fol. 709v–710r. 113 So wurde Regierung und Kammer 1612 ausdrücklich aufgetragen, angeforderte Gutachten nur noch gemeinsam abzugeben, da eine getrennte Einreichung nur zu Verzögerungen und Nachfragen führe, vgl. TLA, VfD 1612, fol. 673r, 1612 Mai 10. 114 ������������������������������������������������������������������������������������� 1639 wurde so Regierung und Kammer der Auftrag erteilt, zu sämtlichen gemeinsam Beratungen je drei Räte zu entsenden, vgl. TLA, CD 1639, fol. 290r, 1639 Febr. 3. 111
2. Die Regierung
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Einnahmen versprach. Berg- und Holzordnungen als normative Steuerungsinstrumente in diesen Bereichen waren somit eng mit fiskalischen Interessen verflochten.
2. 3. Deputationen Bereits bei der Darstellung der Möglichkeiten zur Kooperation von Regierung und Kammer wurde auf die Deputationen hingewiesen. Sie wurden jeweils ad hoc für die Vorbereitung ganz bestimmter Gesetzgebungsvorhaben eingerichtet und waren (weitgehend) nicht institutionalisiert. Im Allgemeinen fehlte derartigen Zusammenkünften der feste Rahmen. Es gab keine periodischen Sitzungstermine und keine fix festgelegten Sitzungszeiten; vielmehr handelte es sich meistens um bei Bedarf anberaumte Treffen, um Gesetzesprojekte zu erörtern. Die Deputationen zeichneten sich durch ihre Flexibilität aus. Problemlos war die Beiziehung von Sachverständigen oder landständischen Vertretern möglich. Ein weiterer Vorteil war die raschere und zweckmäßigere Arbeitsweise. Statt das gesamte Ratskollegium mit der Ausarbeitung eines Gesetzes zu befassen, konnte das Projekt ohne allzu große Beeinträchtig ung der anderen Amtsgeschäfte durchgeführt werden.115 Man darf zudem davon ausgehen, dass jeweils die für eine bestimmte Materie als besonders qualifiziert angesehenen Räte deputiert wurden. Die Reformationen der Tiroler Landesordnung von 1532 bzw. 1573 und der Entwurf der Policeyordnung von 1573 waren so im Rahmen von Deputationen beraten und konzipiert worden.116 Auch bei späteren Reformplänen wurden wieder Deputationen eingerichtet oder waren zumindest geplant, beispielsweise 1632 und 1643.117 Seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wird zudem die Tendenz erkennbar, bei der Vorbereitung von Sonderordnungen ebenfalls Deputationen zu bilden, bei denen der Kreis der Beteiligten über Kammer- und Regierungsräte hinausging.118 In die Beratungen über das Konzept einer Schulordnung waren beispielsweise ein Hofrat, Vertreter der Regierung und der Kammer sowie der Stadt Innsbruck eingebunden,119 und eine ähnlich zusammengesetzte Deputation beriet Anfang der neunziger Jahre ������������������������������������������������������������������������������������������� Dies wird teilweise deutlich formuliert, vgl. nur hinsichtlich der Beratungen über eine Gerichtskostenordnung TLA, AfD 1617, fol. 265v–266r, 1617 Nov. 17; dies war freilich ein allgemeiner Vorteil der Deputationen, die natürlich keineswegs nur bei Gesetzgebungsprojekten eingerichtet wurden (siehe die eindeutige Aussage in TLA, GvH 1611, fol. 1r–2v, 1611 Jan. 3: Die Behandlung durch Deputierte von Regierung und Kammer sei notwendig, dann es bey gesambten völligem wesen umb anderer expedition willen, so sonsten suspendiert und verhindert würde, nit beschehen kann). 116 Vgl. hierzu ausführlich Kap. IV.7.4.–IV.9. 117 TLA, AfD 1632, fol. 48v, 1632 Febr. 12; TLA, AfD 1643, fol. 503v–504r, 1643 Dez. 7; TLA, BT, Bd. 22, fol. 142v, 1643 Dez. 19. 118 So schon bei der Erörterung von (teils neuen, teils zu überarbeitenden) Metzger-, Wirts- und Bäckerordnungen (TLA, AfD 1572, fol. 814r–820v, 1572 Dez. 20). 119 TLA, VfD 1586, fol. 166r–167r, 1586 Okt. 8. 115
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
des 16. Jahrhunderts über eine Reform der Bettlerordnung.120 Es folgten hinsichtlich des Kreises der Beteiligten variable Deputationen zur Beratung der Innsbrucker Feuerordnung (1609; 1622–1624) und einer adaptierten Gerichtskostenordnung (1617–1622).121 Die 1632 angedachte Deputation zur Überarbeitung der Landesund Policeyordnung kam offensichtlich nicht zustande. Zu Beginn der vierziger Jahre des 17. Jahrhunderts kam es schließlich zu einer rudimentären Institutionalisierung. Zunächst erfolgte 1641 die Schaffung einer quellenmäßig nur ansatzweise greifbaren Koordinationsstelle in Policeysachen.122 Damals wurde dem Regierungsrat Andrä Fieger die oberinspection über das policeywesen anvertraut, die dieser unter Beiziehung eines jungen Kollegen auszuüben hatte. Die beiden sollten sich außerhalb der Ratsstunden zu Beratungen über anzustellende Verbesserungen treffen, um auf diese Weise die Alltagsarbeit der Behörde nicht zu beeinträchtigen. Im Zuge der neuerlich intensivierten Diskussionen über eine grundlegende Reform der Landes- und Policeyordnung ab 1643123 sollte diese Deputation in Policeysachen in erweiterter Form (drei Regierungsräte, ein Kammerrat) und unter fallweiser Hinzuziehung landständischer Deputierter124 zur Triebfeder des Reformvorhabens werden.125 Erstmals wurden nun regelmäßige Sitzungen vereinbart (mindestens einmal wöchentlich), die nach einigen Jahren sogar terminlich fixiert wurden (jeden Mittwoch um acht Uhr morgens).126 Die Deputation erfüllte jedoch nicht die Erwartungen. Erst 1653 kam ein umfangreicherer Vorschlag zur Reform der Landes- und Policeyordnung zustande, der jedoch keine Auswirkungen auf die Gesetzgebung zeitigte.127 Dennoch bestand die Deputation offensichtlich zumindest formal bis 1663 weiter, ohne freilich große Resultate hervorzubringen. Damals wurden sämtliche bestehenden Deputationen aufgehoben, fortan sollten deren Geschäfte in consilio der Regierung bzw. der Kammer beratschlagt werden.128 TLA, AfD 1591, fol. 28v–24v, 1591 Jan. 11. Vgl. den ausführlichen Bericht in TLA, AfD 1609, fol. 163r–168r, 1609 Mai 6; ferner TLA, VfD 1622, fol. 15r–16r, 1622 Jan. 22; VfD 1623, fol. 316, 1623 Febr. 11; ebd., fol. 538v– 539r, 1623 Okt. 26; VfD 1624, fol. 246r–254r, 1624 Nov. 24; TLA, AfD 1623, fol. 545v– 550v, 1623 Dez. 5; TLA, BT, Bd. 18, fol. 591, 1624 Dez. 16; TLA, GR, AS, Einlauf in Regimentssachen, 1617 Nov. 17; ebd., 1622 April 26 mit Verweis darauf, dass man abgesehen von der Einrichtung der Deputation inhaltlich nicht viel weiter gekommen sei. 122 TLA, VfD 1641, fol. 562v–563r, 1641 Mai 16. 123 Vgl. hierzu die Zusage Claudias de’ Medici im März 1643 in TLA, VdL, Bd. 19, fol. 256r– 265v, hier fol. 263, 1643 März 4. 124 Vgl. bes. TLA, BT, Bd. 22, fol. 419v–422r, 1646 Juni 22; ebd., fol. 431, 1646 Nov. 9 125 TLA, AfD 1643, 503v–504r, 1643 Dez. 7; TLA, BT, Bd. 22, fol. 142v, 1643 Dez. 19. 126 TLA, BT, Bd. 23, fol. 4, 1649 Jan. 28. 127 Überliefert in TLMF, FB 5028, S. 661–735, 1653 April 24. 128 ������������������������������������������������������������������������������������� TLA, VfD 1663, fol. 553v–554r, 1663 März 16; schon daraus geht hervor, dass die Deputation in Policeysachen nicht die einzige war. So gab es, um ein weiteres Beispiel herauszugreifen, seit 1661 eine Deputation von je zwei Regierungs- und Kammerräten sowie dem Gerichtsinhaber von Thaur und Hörtenberg zur Beratung und ggf. Reduktion der von den 120 121
3. Lokale Obrigkeiten und landesfürstliche Amtsträger
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Als im selben Jahr ein neuer Anlauf zur Reform der Landes- und Policeyordnung unternommen wurde, schlug man daher einen anderen Weg ein und zog angesichts der wenig ersprießlichen Erfahrungen mit der früheren Deputation mit Dr. Paul Hocher eine Einzelperson zur Vorbereitung des Reformvorhabens heran.129 Die bislang angeführten Deputationen dienten vor allem der Sicherstellung einer möglichst arbeitsökonomischen Kooperation von Regierung und Kammer, wobei die Heranziehung weiterer Personen (Sachverständige, landschaftliche Vertreter) problemlos möglich war. Sie beschränkten sich jedoch auf die Vorbereitung eines Gesetzgebungsvorhabens. Davon unterscheidet sich das 1634 eingerichtete „officium sanitatis“ erheblich. Es erhielt angesichts der in Tirol grassierenden Fleckfieberepidemie völligen gewalt, sämtliche zur Eindämmung der Krankheit nötigen Maßnahmen (einschließlich der Erlassung der gesundheitspoliceylichen Normen) zu erlassen.130 Personell bestand es aus dem Kanzler als Vorsitzendem, drei Regie rungs- und Kammerräten und einer Schreibkraft, wobei im Bedarfsfall Mediziner hinzugezogen wurden. Die Einrichtung bewährte sich; jedenfalls wurde sowohl 1639 als auch 1661 neuerlich ein „officium sanitatis“ eingerichtet.131
3. Lokale Obrigkeiten und landesfürstliche Amtsträger Es wurde schon an anderer Stelle darauf hingewiesen, wie Pfleger und Richter durch Anfragen und Berichte an die Zentralbehörden indirekt auf den Gesetzgebungsprozess einwirken bzw. den Anstoß für ein legislatives Vorhaben liefern konnten. Dass landesfürstliche Amtsträger durch das Unterbreiten von Gesetzesvorschlägen, die ihren Wirkungsbereich betrafen, wiederholt initiativ tätig wurden, ist ebenfalls schon erwähnt worden. Ihre Einbindung in den Gesetzgebungsprozess war aufgrund ihrer Kenntnis lokaler Gegebenheiten und Erfordernisse sowie aufgrund ihrer fachlichen Versiertheit auf einem bestimmten Sektor, der rechtlich geregelt werden sollte, unverzichtbar. Letzteres traf namentlich auf Amtsträger wie beispielsweise Forstmeister, Waldmeister, Fischmeister oder Bergrichter zu. Im Bereich der Berg- oder Holzordnungen verfügten beispielsweise die in der Zentralbehörde tätigen Räte schlichtweg Waldmeistern über Untertanen verhängten Geldstrafen (TLA, BT, Bd. 24, fol. 118v–119r, 1661 Nov. 12). 129 TLA, BT, Bd. 24, fol. 237, 1663 März 23. 130 Die Erwähnung bei Brugger, Regierungszeit Erzherzogin Claudias, 1952, S. 166–167, bleibt etwas verschwommen. 131 TLA, CD 386 und 412, 1634 Sept. 13; TLA, VfD 1634, fol. 424r–427v; TLA, AfD 1639, fol. 359v–360r, 1639 Nov. 5; TLA, AfD 1661, fol. 41r, 1661 Febr. 25; TLA, GR, AS, Auslauf, 1661 April 5.
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
nicht über die nötigen Kenntnisse, um fundiert und von sich aus Regelungsnot wendigkeiten zu erkennen und in einem weiteren Schritt die entsprechenden rechtlichen Maßnahmen zu setzen. Schon 1509 sah es das Regiment nachweislich als erforderlich an, zur Beratung über eine Holzordnung einen Termin anzuberaumen und auf denselben tag den vorstmaister, die ambtleut und waldmaister zu verordnen, sy zue hören und mitsambt in ain ordnung fürnemen, ewrer Mt. und den undertha nen zue guet, damit die unordnung und die verprecher gestrafft werden.132 Im Bereich des Bergrechts stellten die Bergsynoden als Zusammenkünfte von Bergbauunternehmern, Vertretern der im Bergbau Beschäftigten, landesfürstlichen Amtsträgern und Regimentsräten ein geeignetes Forum dar, um bergrechtliche Normen zu erörtern.133 Aber auch abseits von Bergsynoden profitierte die Regierung bei der Vorbereitung einschlägiger legislativer Akte, die sich auf den Bergbau bezogen, bewusst vom Fachwissen örtlicher Amtsträger und Sachverständiger. 1521 wurde so den Schwazer Amtleuten und Berggerichtsgeschworenen ein Regelungsvorschlag unterbreitet, den diese aigenntlich ermessen und, soverr inen der gefalt, alsdann solhs in geschrifft stellen, wie der zu den erfindungen eingeschriben werden soll.134 Im Verlauf der langwierigen Diskussionen rund um eine Apothekerordnung wurden ferner regelmäßig Apotheker und Ärzte als Sachverständige in den Diskussionsprozess einbezogen.135 Was die lokalen Obrigkeiten betrifft, so wurden diese seitens der Regierung gezielt zur Informationsbeschaffung in den Gesetzgebungsprozess eingebunden, was sich speziell bei größeren Gesetzgebungsvorhaben gut belegen lässt. 1560,136 1629,137 1637,138 1640,139 1663,140 1695,141 1708142 und 1740143 wurden so groß angelegte Enquêten gestartet, in deren Verlauf die lokalen Obrigkeiten mit Konsultation ihrer Gerichtsgeschworenen bzw. anderer in Rechtssachen erfahrener Personen Defizite der Landesordnung nach Innsbruck zu berichten sowie gleichzeitig Verbes Zit. nach Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007, S. 272. �������������������������������������������������������������������������������������� Zu Bergsynoden nunmehr ausführlich Schennach, Aushandeln von Gesetzen, 2007; vgl. ferner Kap. IV.5.3.4.6. 134 TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 41, Lit. Pp, S. 235–238, hier S. 236, 1521 [ Juli] (ohne nähere Datierung). 135 Vgl z. B. TLA, AfD 1575, fol. 198r–200r, 1575, März 21; TLA, CD 1598, fol. 291v–292v, 1598 Okt. 4; ebd., fol. 296, 1598 Okt. 24; TLA, BT, Bd. 17, fol. 57, 1614 Aug. 19; TLA, CD 1617, fol. 73v, 1617 Juli 7. 136 Vgl. BT, Bd. 8, fol. 70v–72v, 1560 Juli 11; ebd., 72v–75r, 1560 Juli 11; ebd., fol. 1560 Nov. 15 (Erinnerung an den Pfleger im Pustertal). 137 TLA, BT, Bd. 19, fol. 412r–413r, 1629 Jan. 18. 138 TLA, BT, Bd. 21, fol. 71v–72r, 1637 Dez. 23. 139 TLA, BT, Bd. 21, fol. 335, 1640 Juli 2. 140 TLA, BT, Bd. 23, fol. 240v–241r und fol. 243, 1663 März 28. 141 TLMF, Dip. 1093, Nr. 407, 1695 März 8. 142 TLMF, Dip. 1093, Nr. 501, 1708 Juli 27. 143 TLA, AksM 1740, fol. 288, 1740 April 1; vgl. auch die einleitenden Bemerkungen in TLA, Hs. 4488. 132 133
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serungsvorschläge zu unterbreiten hatten. 1560 betonte die Regierung beispielsweise gegenüber dem Landeshauptmann Simon Botsch, dass es vor jeder konkreten Beratung über eine Reform der Landesordnung durch eine Deputation von Räten und landschaftlichen Vertretern für ain unvermeidenliche notturfft angesehen worden sei, dass man sich aller deren mengl, so bißheer bei den ansechenlichisten stetten und gerichten allenthalben im lanndt, es sei in gerichtlichen oder anndern sachen, befunden worden, aigentlichen erkhundige, die daraufhin einlaufenden Berichte in ain compendium zusamen verfast und als eine der Grundlagen der Diskussion heranziehe. Zeitgleich wolle man sich seitens der Regierung Gedanken machen, als vil sich bei unns ainer regierung in bißheer verloffner zeit für fäll ereugnet und diese zusamentragen lassen. Lokale Obrigkeiten und geschickhte verstendige personen, auch der gericht- und lanndtsgepreuch erfarniste und geübtiste personen sollten die Tiroler Landesordnung durchgehen und anschließend Bericht erstatten, welliche und was darinnen, es sei in gerichtlichen oder andern sachen, für disputierliche unlautere artiggl, so zu kurcz ausgefüert, angedeüt und misverstenndig seyen, auch wie und wellichermassen dieselben der notturfft nach zu guetem ver stanndt gebracht und gepessert und was noch für sonnder artiggl und alte notwendige gebreuch vorhanden, die der lanndtßordnung von newem eingeleibt und damit gemeert werden möchte. Ganz ähnlich lauteten die Aufträge anlässlich der anderen Enquêten. Doch auch abseits derartiger umfassender Erhebungen zog die Regierung die lokalen Obrigkeiten zur Ermittlung von Informationen heran, die für die Vorbereitung eines Gesetzgebungsaktes relevant waren. Im Zuge der Planungen für eine landesweit einheitliche Gerichtskostenordnung wurden Pfleger und Richter 1613 beauftragt, Erhebungen über die bisherige Praxis und allfällige lokale Rechtsgewohnheiten anzustellen.144 Eine entsprechende Vorgangsweise war bereits 1582 als zielführend erachtet worden.145 Die dabei gewonnenen Erkenntnisse hatten sich als wesentliche Grundlage für die Gerichtskostenordnung von 1586 erwiesen,146 jedoch gleichzeitig die Problematik einer landesweiten Regelung vor Augen geführt, da schier der mehrer thail von stetten und gerichten sich sonnderbarer gebreüch unnd alten herkhomens berüemen unnd dabey hanndtgehabt zu werden biten.147 Als Erzherzog Ferdinand II. 1576 eine einheitliche, vor allem Entlohnungsfragen regelnde Handwerksordnung TLA, AfD 1613, fol. 493, 1613 Dez. 30; vgl. auch schon ähnlich TLA, CD 1608, fol. 866r– 869r, 1608 April (ohne nähere Datierung). 145 Vgl. TLA, BT, Bd. 11, fol. 382, 1582 Mai 9; ebd., fol. 344r–345v, 1582 Sept. 1; ebd., fol. 405, 1583 Febr. 25; ebd., fol. 497v, 1584 Mai 15; ebd., fol. 524, 1584 Aug. 7; ebd., fol. 595v–596, 1585 April 10. 146 TLA, BT, Bd. 11, fol. 717–721, 1586 Mai 19. 147 TLA, AfD 1585, fol. 777v–782v, 1585 Okt. 9. Der Ausweg war eine Günstigkeitsklausel, wonach örtliche Rechtsgewohnheiten dem gesatzten Recht nur vorgehen sollten, wenn sie 144
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
in Betracht gezogen hatte, erhob die Regierung im Vorfeld im Wege der lokalen Obrigkeiten das örtliche Lohnniveau, um aufgrund der so gewonnenen Daten zum Schluss zu kommen, dass eine landesweite Regelung angesichts der regional variierenden Preise und Löhne untunlich sei.148 1604 wurden Überlegungen angestellt, ob der Viehverkauf „ab Hof “ gesetzlich verboten und der Viehhandel auf die Märkte konzentriert werden sollte, weshalb die Obrigkeiten größerer Ortschaften beauftragt wurden, die regionalen Usancen und dabei allenfalls auftretende Defizite zu erheben.149 1610 war im Gespräch, das Spitalswesen gesetzlich zu regeln (ähnlich wie dies hinsichtlich der Verwaltung der Kirchengüter durch die Kirchpröpste geschehen war), weshalb die lokalen Obrigkeiten angewiesen wurden, der Zentrale Informationen über die bisher praktizierte Spitalsverwaltung zu übermitteln.150 Als 1633 die Wiederholung früherer Mandate in Betracht gezogen wurde, die den Pferdeexport untersagten,151 ließ die Regierung im Vorfeld mit Hilfe von Richtern und Pflegern den aktuellen Bestand an Zug- und Reitpferden erheben.152
4. Landeshauptmann und Adeliges Hofrecht 4. 1. Der Landeshauptmann Der Landeshauptmann, ursprünglich Stellvertreter des Landesfürsten, war „Vorstand der Stände“153 und Vorsitzender des Adeligen Hofrechts in Meran bzw. Bozen. Er übte zudem im südlichen Tirol als Hilfsorgan der Regierung eine weit gespannte administrative Tätigkeit aus. Aufgrund der hier angedeuteten Breite seines Wirkungsbereichs überrascht es nicht, dass dem Landeshauptmann im Gesetzgebungsprozess eine gewisse Bedeutung zukam, wobei man nicht immer genau entscheiden kann, in welcher seiner Eigenschaften er im Einzelfall tätig wird. Dass der Landeshauptmann im südlichen Tirol Funktionen wahrnahm, die partiell denen der Regierung im nördlichen Tirol entsprachen, wurde bereits an
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für die Prozessparteien bzw. für den Rechtsuchenden günstiger waren als die Gerichtskosten ordnung. Vgl. BT, Bd. 10, fol. 657 und 668, 1576 Okt. 16. TLA, AfD 1604, fol. 207r–214v, 1604 März 23. TLA, CD 1610, fol. 245r, 1610 Juli 26. Vgl. z. B. TLA, BT, Bd. 18, fol. 598, 1622 Juni 22; BT, Bd. 19, fol. 39, 1625 Juli 5; TLA, CD 1626, fol. 352, 1626 Febr. 20; CD 1628, fol. 133, 1628 Juli 12; TLA, BT, Bd. 20, fol. 108, 1632 April 14. TLA, AfD 1633, fol. 420r, 1633 März 14. So Köfler, Landtag, 1985, S. 500; allgemein zum Landeshauptmann zuletzt Bonazza, Il fisco, 2001, S. 122–123.
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anderer Stelle dargelegt.154 Er sorgte in seinem Zuständigkeitsbereich für die Publikation der landesfürstlichen Mandate, überwachte deren Durchsetzung und erstattete nach Innsbruck Bericht.155 Im Zuge dessen wies er auf Regelungsdefizite hin oder deponierte Empfehlungen und Anregungen bei der Regierung. So wie die Regierung fallweise lokale Rechtsetzungsakte von Gerichten und Gemeinden konfirmierte oder auch bei ihrem Zustandekommen vermittelte, tat dies auch der Landeshauptmann, den wir beispielsweise 1624 im Bozner Rathaus antreffen, wo er der Überarbeitung der städtischen Feuerordnung beiwohnte.156 Schon sein Wohnsitz in Meran bzw. Bozen ließ den Landeshauptmann aus Sicht der Regierung als geeigneten Teilnehmer bei Verhandlungen über zweckmäßig zu ergreifende gesetzliche Maßnahmen gegen das viel beklagte Banditenunwesen im Grenzgebiet zwischen dem Hochstift Trient und der Grafschaft Tirol erscheinen.157 Dass der Landeshauptmann regelmäßig in Beratungen über die Landes- bzw. Policeyordnung eingebunden war, versteht sich von selbst, wobei er in diesem Zusammenhang immer ganz klar als Vertreter der Landstände agierte.158 Schon im Sommer 1518 zählte der Landeshauptmann Leonhard von Völs zusammen mit je zwei Vertretern des Adels, der Städte und Gerichte sowie je eines Vertreters der beiden Hochstifte zu jenen, die gemeinsam mit einigen landesfürstlichen Räten über eine allfällige Landesordnung verhandeln sollten.159 Außerdem wurden dem Landeshauptmann fallweise Gesetzeskonzepte zur Begutachtung übersendet, oder er wurde zur Ablieferung eines Ordnungsvorschlags aufgefordert. Dies geschah jedoch verhältnismäßig selten.160 Im Allgemeinen war es nämlich nicht der Landeshauptmann allein, der um eine Stellungnahme ersucht bzw. zur Einreichung eines Gesetzesvorschlags aufgefordert wurde. Vielmehr war in diesen Fällen das Adelige Hofrecht in Meran bzw. Bozen der regelmäßige Ansprechpartner, wobei der Landeshauptmann als Vorsitzender dieses Gerichts nur als Vermittler und Koordinator tätig wurde.
Vgl. Kap. I.4.2.1.4. Vgl. z. B. TLA, AkgM 1532, fol. 38v–39v, 1532 April 27; TLA, CD 1567, fol. 571v–572r, 1567 Sept. 2. 156 StAB, Archivkiste 219, Beilage aus dem Jahr 1624 zu 1629 März 21. 157 Vgl. z. B. TLA, CD 1582, fol. 496v–497r, 1582 Okt. 17; CD 1583, fol. 526v–527v, 1583 Febr. 1. 158 Vgl. nur TLA, Ferdinandea, Karton 165, Pos. 165, 1569 Jan. 11; ebd., 1569 April 27; TLA, VfD 1628, fol. 679r–680r, 1628 Okt. 14; TLA, BT, Bd. 19, fol. 412r–413r, 1629 Jan. 18; BT, Bd. 21, fol. 71v–72r, 1637 Dez. 22; TLA, BT, Bd. 22, fol. 419v–442v, 1646 Juni 22; VfD 1663, fol. 545v–546v, 1663 März 16. 159 Vgl. TLA, LLTA, Fasz. 1, Landtag 1518. 160 Vgl. z. B. TLA, BT, Bd. 16, fol. 178, 1610 März 8 (Gutachten betreffend die Einführung eines einheitlichen Gewichts in Tirol); TLA, LLTA, Fasz. 12, Bund 3, 1616 Juni 3: Der Landeshauptmann soll zu Beratungen zur Bekämpfung von Preissteigerungen bei Wachs, Flachs und Eisen beigezogen werden. 154 155
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4. 2. Das Adelige Hofrecht 4. 2. 1. Zur Geschichte des Adeligen Hofrechts In der Tat kam dem Adeligen Hofrecht bis weit in das 17. Jahrhundert hinein eine wenngleich nicht konstante, so doch signifikante Rolle im Gesetzgebungsprozess zu, die von der bisherigen Forschung überhaupt nicht thematisiert wurde. Letzteres überrascht freilich nicht, ist doch der Wissensstand über das Adelige Hofrecht insgesamt als eher kläglich zu bezeichnen. Unsere verhältnismäßig wenigen Kenntnisse beschränken sich bisher im Wesentlichen auf die in der Folge immer wieder aufgegriffenen Ausführungen von Sartori-Montecroce, Werunsky und Otto Stolz.161 Das Adelige Hofrecht hatte sich aus dem landesfürstlichen Gericht entwickelt, das – zunächst ambulant dem Landesherrn folgend und in wechselnder Besetzung – spätestens zu Beginn des 14. Jahrhunderts institutionalisiert war.162 Schon in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts lässt sich nachweisen, dass der Hauptmann an der Etsch bzw. der Hofmeister stellvertretend für den Landesfürsten den Vorsitz führte.163 1405 und 1420 scheint in den Gerichtsurkunden erstmals die Bezeichnung „Hofrecht zu Bozen“ auf, wobei Bozen neben Meran einer der Tagungsorte war.164 Die Verlegung der Residenz ließ die Existenz des Hofrechts zu Meran bzw. Bozen grundsätzlich unberührt, wenngleich sich in der Folge in Innsbruck seinerseits ein landesfürstliches Hofgericht herausbildete, dessen früheste Zeugnisse
���������������������������������������������������������������������������������������� Sartori-Montecroce, Reception, 1902, der S. 37–40, 45–46, 79–80, die Funktion des Adeligen Hofrechts als eines Bollwerks des einheimischen gegen das gemeine Recht stark hervorhebt; ähnlich auch Stolz, Landesbeschreibung von Südtirol, 1. Lieferung, 1937, S. 258–263; Stolz, Ausbreitung des Deutschtums, Bd. 3/1, 1932, S. 69–72; Stolz, Landstandschaft, 1933, S. 718–721; Werunsky, Reichs- und Rechtsgeschichte, 1894/1938, S. 796–797; Beimrohr, Brief und Siegel, 1994, S. 63–66. Dem Adeligen Hofrecht in Tirol entsprechen in den innerösterreichischen Ländern die Landschrannengerichte, in Österreich unter der Enns das landmarschallische Gericht (vgl. Wesener, Landschrannenverfahren, 1963, S. 27). 162 Die Entstehung des landesfürstlichen Hofgerichts ist im Einzelnen umstritten, insbesondere seine genetische Ableitung vom Landgericht Bozen-Gries (so tendenziell von Voltelini) oder aber seine Ableitung aus der Ausdehnung der Jurisdiktionskompetenz des Landesfürsten über den Kreis seiner Ministerialen hinaus auf den gesamten landsässigen Adel (vgl. Stolz, Landesbeschreibung von Südtirol, 1. Lieferung, 1937, S. 259–260; Werunsky, Reichs- und Rechtsgeschichte, 1894/1938, S. 796, Anm. *). 163 Belege bei Stolz, Landesbeschreibung von Südtirol, 1. Lieferung, 1937, S. 260, Anm. 4; ferner Stolz, Ausbreitung es Deutschtums, Bd. 3/1, 1932, S. 71; auch der Hauptmann an der Etsch konnte sich dabei vertreten lassen, vgl. nur TLA, P 867, 1373 März 19, oder Stolz, Ausbreitung des Deutschtums, Bd. 3/2, 1932, S. 56 und 58–59 (Urkunden von 1376 Mai 11 und 1377 Mai 24). 164 ��������������������������������������������������������������������������������������� Dabei verlor Meran im Verlauf des 16. Jahrhunderts zunehmend an Bedeutung, wie man aufgrund des damit verbundenen Einnahmenausfalls und wohl auch aus Prestigegründen wiederholt beklagte. 161
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schon unter Herzog Friedrich IV. greifbar werden165 und dessen Beisitzer offensichtlich weitgehend den Mitgliedern des landesfürstlichen Rats entsprachen.166 Für den landesfürstlichen Gerichtshof in Innsbruck, der von landesfürstlichen Räten bzw. dem oberösterreichischen Regiment gebildet wurde, wurde dabei die Bezeichnung „Kammer(gericht)“ bzw. „Hofgericht“ verwendet.167 Die Abgrenzung der örtlichen Zuständigkeit zwischen Kammergericht und Hofrecht erfolgte freilich erst nach geraumer Zeit. Die Instruktion des Landeshauptmanns von 1546 fixierte erstmals – wohl schon an die bisherige Praxis anknüpfend – den Jurisdiktionsbereich des Hofrechts als das Gebiet innerhalb Sterczingen, darnach bis ans Pusstertal, volgennds im gannczen Vindschgew bis gen Nauders, dergleichen auf Nons unncz an die Welschen Confinen.168 Noch unter Maximilian I. scheint dagegen das Hofrecht zu Meran als Rechtsmittelinstanz im Verhältnis zu Gerichten des nördlichen Tirols (in concreto hinsichtlich der Gerichte Landeck und Laudeck) auf.169 Auch die Frage eines allfälligen Instanzenzugs war jahrzehntelang heftig umstritten. Im ausgehenden 15. Jahrhundert lassen sich ohne weiteres Belege für eine Appellation vom Hofrecht zu Meran bzw. Bozen an das Regiment finden. Vereinzelte prozessrechtliche Vorschriften bestätigen die Existenz eines Instanzenzugs vom Hofrecht an das landesfürstliche Kammergericht,170 und auch die Tiroler Landesordnung von 1526 sah einen solchen als selbstverständlich vor.171 In der Tiroler Landesordnung von 1532 scheint Vgl. z. B. Schwob (Hg.), Lebenszeugnisse, Bd. 2, 2001, Nr. 106 (Mitte Dezember 1421); ebd., Nr. 111 (1422 Jan. 31); Schwob (Hg.), Lebenszeugnisse, Bd. 3, 2004, Nr. 227–229 (ab 1431 Dez. 15); ebd., Nr.262 (1435 Juni 24). 166 Vgl. als frühes Zeugnis das Schreiben an den Innsbrucker Richter über den Rechtsstreit zweier Bürger von Innsbruck, von denen einer an unns als unnser camer gedingt hat. Ist in unserm rate also heut ausgesprochen und also erledigt [...] (TLA, Hs. 111, fol. 158v, 1462 Sept. 16). 167 Vgl. TLA, LLTA, Fasz. 1, Landtag 1478. In den Landtagsgravamina bitten die Stände, dass des genädigen herren hoffgericht mit landlewtten besetzt werde. 168 TLA, Hs. 3524, fol. 1r, 1546 April 16; Beimrohr, Brief und Siegel, 1994, S. 84, Anm. 86, glaubt die bei Stolz, Landesbeschreibung von Südtirol, 1. Lieferung, 1937, S. 262 mit 1546 angegebene Datierung (ebenso schon Ladurner, Landeshauptleute, 1856, S. 13–18) korrigieren zu müssen und gibt als Ausstellungsjahr der ersten Instruktion das Jahr 1551 an. Zwar ist die in TLA, Ambraser Memorabilien IV/54 und BT, Bd. 6, fol. 426r–428v überlieferte Instruktion in der Tat auf 1551 datiert, doch handelt es sich dabei nicht um die älteste erhaltene. 169 Vgl. Hölzl, Gemeindearchive Fiss und Stans, 1985, Nr. 3, 1490 Aug 19; früher schon TLA, TLA, UR I 6092–6096, 1472 Sept. 25, 1472 Nov. 4, 1472 Nov. 11, 1473 Febr. 11, 1473 Febr. 15. 170 ��������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. nur die Sterzinger Ordnung von 1496 April 10, ediert bei Schmidt, Halsgerichtsordnung, 1949, hier S. 136; entsprechend schon, wenngleich etwas ausführlicher TLA, Kop. ÄR, Nr. 19, Lit. S, S. 246–248, 1496 März 20: Der geding und appellation halben, so man die in Kün. Mt. camer hie erledigt und erlewterdt, werden gen hof an Meran und nachmalen erst in das gericht, da die urtail erstmal gangen ist, gefüert; pringt den partheyen kost und sey nicht not, die wider gen Meran zu antwurtten, dann daselbs beschehe kain endrung. 171 TLO 1526, Buch 1, Teil 2, Titel 31. 165
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dieser Titel nicht mehr auf.172 Als schließlich unter Erzherzog Ferdinand II. neuerlich ein Instanzenzug von Meran bzw. Bozen an die Regierung eingeführt wurde,173 protestierte der Adelsstand jahrzehntelang (!) hartnäckig (wenngleich vergeblich) gegen diesen Verstoß gegen das vermeintlich „uralte Herkommen“, das angeblich ein Rechtsmittel gegen Urteile des Hofrechts an den Landesfürsten ausschloss.174 Demgegenüber betonte die Regierung, dass sie im Gegensatz zum Hofrecht eine universalem iurisdictionem habe,175 während dem Hofrecht nur eine limitierte iurisdicion zukomme, die vom Landesfürsten abgeleitet und nur administrationsweis ausgeübt werde.176 Es stehe folglich in der landtsfirsten freyer wollkhür und disposition [...], die hofrecht gar abzuschaffen oder enderung damit firzunemen.177 Die in der Forschung zu findende Bezeichnung des Hofrechts als eine „ständische Institution“178 mag zwar ansatzweise die landschaftliche Sichtweise im Verlauf der Debatte über die Zulässigkeit von Rechtsmitteln gegen Urteile des Hofrechts reflektieren, ist aber aus rechtshistorischer Perspektive verfehlt.179 Der Charakter des Hofrechts als eines trotz aller ständischen Proteste zweifelsfrei landesfürstlichen Gerichts zeigt sich nicht zuletzt am Umstand, dass die (adeligen) Beisitzer des Hofrechts vom Landesfürsten eine Aufwandsentschädigung er Die Behauptung bei Beimrohr, Brief und Siegel, 1994, S. 64, wonach die Instruktion für den Landeshauptmann von 1551 (vgl. TLA, Ambraser Memorabilien IV/54) die Berufung an den Landesfürsten ausdrücklich ausschloss, findet im Wortlaut der Instruktion keine Bestäti gung. 173 Erwähnt bei Hirn, Ferdinand II., Bd. 1, 1885, S. 466 und 468. 174 Vgl. z. B. TLA, Cod. 45, fol. 177r–187r ( Januarlandtag 1573); TLA, LLTA, Fasz. 9, Bund 5 (Landtagsgravamina des Landtags 1577); TLA, AfD 1582, fol. 527r–541r, hier fol. 536, 1582 Mai 26 (Regierungsgutachten über die 1582 vorgebrachten Landtagsbeschwerden); TLA, VdL, Bd. 6, S. 14–25, hier S. 18, 1596 Aug. 5; ebd., S. 153–163, hier S. 155, 1601 Mai 15, und die darauf bezügliche (abschlägige) Resolution Maximilians III. in TLA, LLTA, Fasz. 10, Bund 5, 1603 Mai 24; die letzte Beschwerde, die vier Jahrzehnte nach der erstmaligen Ventilierung einer inhaltlich identischen Beschwerde über die Unzulässigkeit eines Rechtsmittels gegen Urteile des Hofrechts noch immer mit den „unvordenklichen Zeiten“ argumentiert, findet sich in TLA, LLTA, Fasz. 12, Bund 12 (Landtagsbeschwerden des Landtags 1613). 175 Ähnlich TLA, AfD 1635, fol. 400v–402v, 1635 März 16, wo betont wird, dass die Regierung im Gegensatz zum Hofrecht das universale dicasterium des ganzen landts sei. Ganz gleich der Tenor mehr als ein halbes Jahrhundert früher (TLA, AfD 1583, fol. 458v–461v), 1583 Juni 13: Die Regierungsräte hätten anstatt eur F. D. unnd als vicarii universalem iurisdictionem. 176 Vgl. hierzu TLA, AfD 1615, fol. 279v–283r, 1615 Juni 19 (Streitpunkt zwischen Hofrecht und Regierung war hierbei die Frage des Gerichtsstandes für landesfürstliche Diener, der nach Ansicht der Regierung ausschließlich vor der Regierung sein solle). Mit ganz ähnlichen Worten schon das angeführte Gutachten in TLA, AfD 1583, fol. 458v–461v, 1583 Juni 13. 177 So TLA, AfD 1634, fol. 21v–23r, 1634 Jan. 19. 178 So Beimrohr, Brief und Siegel, 1994, S. 64. 179 ����������������������������������������������������������������������������������� Werunsky, Reichs- und Rechtsgeschichte, 1894/1938, S. 797, möchte dem Hofrecht hingegen ähnlich wie dem Landeshauptmann eine „Doppelstellung“ einräumen, „es war lf. Behörde und ständiges [recte: ständisches!] Organ“. 172
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hielten.180 Die mit der Ausübung der Gerichtsbarkeit des Hofrechts verbundenen Einnahmen musste der Landeshauptmann zudem laut eines Befehls Erzherzog Siegmunds im Namen des Landesfürsten einziehen und mit der Kammer abrechnen.181 Das Hofrecht sollte jährlich vier Mal tagen (zu Reminiscere, Corporis Christi, Exaltationis crucis und Andrä), wobei sechs bis acht Adelige sowie je zwei Ratsbürger von Meran und Bozen als Beisitzer fungieren sollten.182 Die im Einzelnen komplizierte und während des Untersuchungszeitraums zwischen Regierung und Hofrecht – aber auch zwischen Tirol und den Hochstiften Trient183 und Brixen184 – immer wieder umstrittene Zuständigkeit des Hofrechts sei an dieser Stelle nur kurz umrissen: Es war im Rahmen seiner örtlichen Zuständigkeit die Rechtsmittelinstanz für alle erstinstanzlichen Gerichte.185 Zudem war es erste Instanz für die dort ansässigen Adeligen in Zivilrechtssachen und bei Klagen gegen Gemeinden, Gerichte und Klöster.186 Das Hofrecht war somit kein „ständisches Organ“. Es hatte sich aus dem landesfürstlichen Hofgericht entwickelt und seine Urteile unterlagen – wenn auch temporär umstritten – der nachgehenden Kontrolle durch das landesfürstliche Kammergericht. Neben den bereits angeführten spricht noch ein weiteres schwer wiegendes Argument für eine solche Einschätzung. Wenn man den ständischen Charakter des Hofrechts betont, kann man das dortige Fehlen von zwei der vier Stände nicht erklären. Schließlich rekrutierte sich die Mehrzahl der Beisitzer aus dem Adelsstand, zu denen noch die Vertreter der Städte Meran und Bozen kamen. Prälaten und ländliche Gerichte waren auf dem Hofrecht hingegen nicht vertreten. ����������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Wiesflecker u. a. (Bearb.), Regesten, Bd. 3/2, 1998, Nr. 14277, 1500 Juli 15; ferner Wiesflecker u. a. (Bearb.), Regesten, Bd. 4, 2004, Nr. 18614, 1504 April 19; auf dem Landtag 1613 bat die Landschaft um eine Erhöhung der Taxen der adeligen Beisitzer, die an die Geldentwertung angepasst werden sollten (vgl. TLA, LLTA, Fasz. 12, Bund 12). 181 Vgl. TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 4, Lit. C, 1482 Mai 17. 182 So sah zumindest die Theorie aus, vgl. TLA, Hs. 3524, fol. 1r, 1546 April 16. In der Praxis gestaltete sich die Beiziehung gerade von Adeligen nicht immer ganz einfach, vgl. nur SLA, Akten des landeshauptmannschaftlichen Gerichts Bozen, Nr. 41, 1603 Jan. 27 (wo zwar die vorgesehenen vier Stadträte als Beisitzer aufscheinen, jedoch nur zwei Adelige und ein gelehrter Jurist). 183 Vgl. nur TLMF, Dip. 1182, Teil II (Entscheidung auf dem Landtag, der begonnen hat am pfinztag nach sonntag Quasimodo geniti anno xxiii [1523]). Eine entsprechende Deklaration Ferdinands I. erging am 4. Juni 1530 (Werunsky, Reichs- und Rechtsgeschichte, 1894/1938, S. 797); vgl. zu späteren Differenzen auch AfD 1594, fol. 24v–28r, 1594 Jan. 11. 184 Zahlreiche Unterlagen zum Jurisdiktionsstreit zwischen Tirol und Brixen finden sich in TLMF, FB 5028. 185 ��������������������������������������������������������������������������������������������� Dass es in Strafsachen keine Berufung gab, sei der Vollständigkeit halber angemerkt. Der Verurteilte konnte sich jedoch stets im Wege der Supplikation an den Landesfürsten wenden. 186 Genauer Beimrohr, Brief und Siegel, 1994, S. 64; Werunsky, Reichs- und Rechtsgeschichte, 1894/1938, S. 797; Werunskys Behauptung, auch die landesfürstlichen Bediensteten hätten beim Hofrecht ihren Gerichtsstand gehabt, ist unzutreffend. Für sie war das Kammergericht in Innsbruck zuständig. 180
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Die ältere Ansicht,187 dass sich die Landtage im 14. Jahrhundert aus dem Hofgericht entwickelt hätten, muss längst als überholt gelten.188 Gleichwohl zeigt sich zumindest in der Anfangszeit der Landtage, konkret in den Jahren 1417 bis 1423, eine gewisse zeitliche Koinzidenz zwischen den Hofrechtstagen einerseits und den Landtagen andererseits, die jedoch nicht im Sinne eines genetischen Zusammenhangs zu deuten ist.189 Dass dennoch nichts der von Stolz angesprochenen Annahme entgegensteht, dass „bei den Hofgerichtstagen politische Gegenstände zwischen dem Landesfürsten und der Landschaft besprochen worden sind“190, resultiert aus einer pragmatischen Überlegung: Was lag schon aus praktischen Erwägungen näher, als Landtage, wenn sie im südlichen Landesteil abgehalten wurden, im zeitlichen Umfeld von Zusammenkünften des Hofrechts anzusetzen? Zu jenen Zeiten waren der Landeshauptmann und Teile des Adels ohnehin in Bozen bzw. Meran anwesend, von den Prozessparteien ganz zu schweigen. Hier konnte man Synergieeffekte nutzen und die mit einem Landtag verbundene Kostenbelastung der Stände, die die Landschaft in späterer Zeit wiederholt beklagte,191 reduzieren.
4. 2. 2. Die Rolle des Hofrechts im Gesetzgebungsprozess Gerade der (vorderhand banale, aber gleichwohl wichtige) Aspekt der Kostenersparnis lässt seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert die Befassung des Adeligen Hofrechts mit Gesetzgebungsvorhaben sowohl aus landesfürstlicher als auch aus landständischer Sicht durchaus als wünschenswert erscheinen. Mit aller Deut lichkeit wird dies auf dem Landtag von 1626 zum Ausdruck gebracht, als neuerlich Überleg ungen über eine Reformation der Tiroler Landesordnung angestellt wurden. Die Landschaft benannte zwar in ihrer Duplik die landständischen Deputierten zu solchen Konsultationen, bat jedoch ausdrücklich darum, die Beratungen aufgrund der damit verbundenen Kostenbelastung nicht etwa während des offenen Landtags durchzuführen, sondern diese anlässlich des nächsten Adeligen Hofrechts oder bei anderer günstiger Gelegenheit abzuhalten.192 Dies war freilich kein neues Vgl. nur Wopfner, Lage Tirols, 1908, S. 116–117; weitere Literaturhinweise bei Blickle, Landschaften, 1973, S. 167. 188 In diesem Sinne schon Stolz, Landstandschaft, 1933, S. 720. 189 Vgl. hierzu Jäger, Landständische Verfassung, Bd. 2/1, 1882, S. 361 und S. 366–377; Stolz, Landstandschaft, 1933, S. 720–721; Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 103–106. 190 So Stolz, Landstandschaft, 1933, S. 721. 191 Vgl. z. B. StAB, Hs. 2547 (= Landtagslibell 10), 1511 Nov. 11; TLA, LLTA, Fasz. 1, 1512 Febr. 4 (Parallelüberliefererung in StAB, Hs. 2548 (= Landtagslibelle 11)); TLA, Landschaftliches Archiv, Landschaftliche Landtagsakten, Fasz. 1, Nr. 15, 1513 März (ohne nähere Datierung; beschwerung unnd obligen ainer ersamen lanntschaft). 192 Vgl. TLA, VdL, Bd. 12, S. 438–438 (ebenso TLA, VdL, Bd. 16, fol. 66v–67r; TLA, LLTA, Fasz. 13, Bund 4), 1626 Mai 28. 187
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Prozedere, sondern hatte sich speziell bei umfangreichen legislativen Vorhaben schon bewährt. Auf dem im Januar 1573 abgehaltenen Landtag waren sowohl die Landstände als auch Ferdinand II. der übereinstimmenden Meinung gewesen, dass eine letzte Durchsicht des Entwurfs der reformierten Landes- und der neuen Policeyordnung durch Vertreter der Stände wegen der damit verbundenen Zeit- und Kostenbelastung auf dem Landtag selbst untunlich wäre. Stattdessen erklärte sich die Landschaft zur Benennung von Deputierten bereit, die anschließend die durch sechung unnd abherung abgedachts werckhs in adelichen hofrechten zu Botzen mit fürderlichister gelegenhait vornehmen sollten.193 Wenn bisher davon die Rede war, dass das Adelige Hofrecht als Konsultationsund Beratungsgremium bei Gesetzgebungsprojekten in Erscheinung trat, dann darf man es in diesem Kontext nicht als einen abgeschlossenen Personenkreis verstehen. Der Kreis der zu derartigen Beratungen heranzuziehenden Personen beschränkte sich eben nicht auf den Landeshauptmann und seine Beisitzer, vielmehr handelte es sich um ein potentiell offenes Forum. Rahmen und Anlass für dessen Zusammentritt bildete zwar die Sitzung des Adeligen Hofrechts, jedoch war der Personenkreis nicht notwendigerweise identisch. Vielmehr konnte das Beratungsgremium durchaus noch erweitert oder verändert werden. Der Landeshauptmann konnte so von sich aus oder auf Anweisung der Regierung auch andere vom adl, so bey demselben hofrechten erscheinen, zu den Beratungen hinzuziehen.194 Die Abhaltung des Hofrechts bot den Anlass, eine Angelegenheit mit etlichen verstendigen vom adl zu erörtern, ohne dass diese notwendigerweise Gerichtsbeisitzer sein mussten.195 Im Sommer 1492 wurde beispielsweise der Hofmarschall Paul von Liechtenstein von Maximilian I. beauftragt, auf dem kommenden Hofrecht mit den Beisitzern und anderen lanndtleüten, so dahin kumen und dich gut darczu bedungkhen, zu „reden und ratschlagen“, durch welche der von Maximilian vorgeschlagenen rechtlichen Maßnahmen dem preistreiberischen Aufkauf von Wein am besten gegengesteuert werden könne.196 1586 wurde der Landeshauptmann angewiesen, die geplante Gerhaben-, Kirchpropst- und Spitalsordnung mit denen daselbsthin erscheinenden vom adl und lanndtleuten zu erörtern.197 1599 sollte der Landeshauptmann auf dem Hofrecht unter Heranziehung „etlicher“ von denen lanndtstennden und fürnemblichen von Gerichtsinhabern gewisse Verbesserungsvorschläge zur bestehenden Bettlerordnung besprechen.198 Was bei der Zusammensetzung dieses fluktuierenden Beratungsgremiums ins Auge sticht, ist jedenfalls die Dominanz des Adels des südlichen Tirols. Damit TLA, Hs. 2892, fol. 60r–63v, 1573 Jan. 20. So TLA, BT, Bd. 6, fol. 282, 1553 Sept. 6; vgl. auch TLA, AfD 1589, fol. 759v–760r, 1579 Sept. 4, und TLA, AfD 1581, fol. 1065v–1068v, 1581 Dez. 12. 195 TLA, CD 1578, fol. 15v–16v, 1578 März 21. 196 TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 15, Lit. O, fol. 76r, 1492 Aug. 18. 197 TLA, BT, Bd. 11, fol. 707v–708r, 1586 Mai 6. 198 TLA, CD 1599, fol. 167r–168r, 1599 Okt. 8. 193 194
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
stimmt der Befund überein, dass das Hofrecht wiederholt vom Adelsstand als Forum verwendet wurde, um außerhalb eines Landtags oder ständischen Ausschusskongresses ständespezifische Beschwerden vorzubringen. Im Fall eines Gleichklangs der Interessen konnten sich derartigen „Gravamina“ auch die Städte – in concreto die Städte Bozen und Meran – anschließen. Einer auf dem und vom Hofrecht selbst ventilierten Beschwerde über die vermeintlich ungerechtfertigte Einschränkung seiner Jurisdiktionsbefugnisse schlossen sich so selbstverständlich auch die gleichfalls betroffenen Städte Meran und Bozen an,199 und ebenso wurde eine Beschwerde über eine bevorstehende Anwerbung von Söldnertruppen im Land (deren negative Auswirkungen mittelbar das ganze Land tangierten) gemeinsam vorgebracht.200 Umgekehrt wurde eine Klage über eine lehnrechtliche Frage, die die Handhabung fälliger Lehen betraf, nur von den auf dem Hofrecht anwesenden Adelsvertretern getragen.201 Nur in sehr wenigen Fällen wurde das Forum für die Beratung konkreter legislativer Projekte über den Kreis des Adelsstandes und der städtischen Vertreter erweitert, wobei dies stets ausdrücklich auf Anweisung des Landesfürsten bzw. der Regierung geschah. Ein ausgeprägtes Beispiel hierfür bietet die 1493 von Maximilian I. initiierte Beratung, wie die maleficz-recht und was in den hanndl beriert, hinfür gehalden werden söllen. Damals wurden Vertreter von Adel, Städten und Gerichten zum Erscheinen auf dem nächsten Hofrecht in Bozen aufgefordert, wobei jedoch – ausdrücklich aus Kostenersparnisgründen – ain yeder vom adl, stat oder gericht den anndern (doch den vernünfftigisten) gwalt geben mag und sich auf diese Weise vertreten lassen konnte.202 1553 wurde der Landeshauptmann angewiesen, er solle mit den Beisitzern des Hofrechts und etlichen von stetten und gerichten des südlichen Tirol, die [...] erfarn erlich leut sein, [...] ain ordnung fürnemben, wie in Hinkunft die eigennützigen Schliche der Gastwirte abgestellt werden könnten.203 Umgekehrt konnte es selten auch bewusst zu einer Beschränkung des Personenkreises kommen, der in die Beratungen mit einbezogen werden sollte. Die Erörterung der Frage, ob der Geltungsbereich der Tiroler Landesordnung auf das bisher über eigene Statuten verfügende Gericht Kaltern ausgedehnt werden sollte, war zwar vom Landeshauptmann 1586 mit geeigneten Adeligen auf dem Hofrecht vorzunehmen, jedoch ausdrücklich in gehaimb und stille.204 Da absehbar war, dass die TLA, LLTA, Fasz. 9, Bund 5 (Landtag 1577), 1577 Aug. 9. Vgl. z. B. TLA, VfD 1565, fol. 236r–237r, 1565 Okt. 2. 201 TLA, AkgM 1557, fol. 496v–397r, 1557 Juli 6; AkgM 1558, fol. 182v, 1558 Okt. 5; ähnlich eine Klage über den in der Wirtsordnung vorgesehenen Modus der Schätzung des Marktwertes von Wein, der weniger die Städte als die Wein als Grundzins beziehenden Adeligen betraf (vgl. TLA, AfD 1575, fol. 1026r–1039r, 1575 Dez. 14). 202 TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 16, Lit. P, S. 121–122, 1493 Juli 9; Edition des Schriftstücks auch bei Wopfner, Lage Tirols, 1908, S. 14–15, hier S. 15. 203 TLA, BT, Bd. 6, fol. 333, 1553 Nov. 21. 204 TLA, BT, Bd. 11, fol. 476, 1586 Aug. 4. 199 200
4. Landeshauptmann und adeliges Hofrecht
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Beratungen über eine Gerichtskostenordnung 1582 längere Zeit in Anspruch nehmen würden, sollte das Hofrecht einen Ausschuss bilden.205 Nur in vereinzelten Fällen ist belegt, dass das Adelige Hofrecht in Vertretung und im Auftrag der Landstände tätig wurde. Auf dem Landtag des Jahres 1555 sagte die Landschaft zu, ihre Deputierten auf dem kommenden Hofrecht zu benennen.206 Fünf Jahre später erfolgte die Nominierung landständischer Vertreter zur Erörterung der Landtagsgravamina ebenfalls auf dem Hofrecht (dass sämtliche dort Beauftragten dem Adelsstand angehörten, sei der Vollständigkeit halber angemerkt).207 Während des Untersuchungszeitraums ist nur ein Fall belegt, in dem das Hofrecht eine Stellungnahme zu einem Gesetzesvorhaben mit Verweis auf die Zuständigkeit der Landstände ablehnte.208 Als der damalige Verwalter der Landeshauptmannschaft 1585 den landesfürstlichen Auftrag zur Begutachtung einer Gerhaben- und Kirchpropstordnung denen im dazumalen gehaltnem hofrechten beyeinannder versambleten beysiczern [hat] fürlesen lassen, verneinten diese einhellig ihre Kompetenz, da es sich hier um gesacz und ordnungen handle, die nicht nur den gezirckh der landthaubtmanschafft an der Etsch, sondern in gemain durchaus ain gancze ersame tirolische lanndtschaft betreffe. Ausdrücklich verwiesen sie darauf, dass sie selbst nur in geringer anzal anwesend und zudem nit von allen stennden Vertreter in Bozen seien. Die Stellungnahme zum Gesetzesentwurf komme folglich nur einem Landtag oder einem ständischen Ausschuss zu, dahin es one mittl gehörig. Der hier geäußerte Einwand, dass das Hofrecht nur zu den den südlichen Landesteil betreffenden legislativen Vorhaben Stellung nehmen könne, trifft inhaltlich freilich nicht zu, wie noch darzulegen sein wird. Dass das Hofrecht gerade 1585 eine Begutachtung ablehnte, hing offensichtlich mit einem in der konzipierten Vormundschaftsordnung enthaltenen Passus zusammen, der die Frage der Verheiratung der unter Gerhabschaft stehenden Waisen regelte und der als potentielle Beein trächtigung der Landesfreiheit von 1451209 wahrgenommen wurde.210 Betrachtet man die Rechtsmaterien, mit denen das Hofrecht befasst wurde, lassen sich nur sehr bedingt Regularitäten ausmachen. Abgesehen von den raren Fällen, in denen das Hofrecht mit Ermächtigung der Landstände tätig wurde, erfolgte die Inanspruchnahme der Beratungskompetenz des Hofrechts durch den Landesfürsten bzw. die Regierung. Es gab keine – auch nicht informellen – Richt TLA, Ambraser Memorabilien V/46, 1582 Okt. 12. ����������������������������������������������������������������������������������������� TLA, LLTA, Fasz. 7, Bund 3, fol. 78v–79r, 1555 Okt. 12; vgl. auch den entsprechenden Hinweis auf die Benennung der Deputierten aus habenden gewalt von ainer E. L. durch das Hofrecht in TLA, Ferdinandea, Karton 165, Pos. 165, 1572 Aug. 26. 207 TLA, LLTA, Fasz. 8, Bund 1, fol. 3, 4, 7r und 14r. 208 Vgl. TLA, AfD 1586, fol. 422r–423v, 1586 Juni 13. 209 Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Urkunde Nr. 18; Druck bei Schober, Urkunden, 1990, S. 25–27; Brandis, Landeshauptleute, 1847/1850, S. 240–242. 210 So zumindest die Wahrnehmung durch den Hofrat, vgl. TLA, VfD 1586, fol. 231r–232r, 1586 Juni 23. 205 206
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
linien, wann das Hofrecht einzuschalten war, zugrunde lagen schlichtweg Zweckmäßigkeitsüberlegungen, wann der Gesetzgeber glaubte, von der Sachkenntnis des Hofrechts profitieren zu können. Was sich grundsätzlich ausmachen lässt, ist die Tendenz, größere Ordnungen dem Hofrecht zukommen zu lassen. Einige von diesen Ordnungen sind bereits en passant erwähnt worden, speziell die Malefiz ordnung sowie die Landes- und Policeyordnung.211 Dasselbe gilt für die Fragen einer Gerhabschafts-, Kirchpropst- und Spitalsordnung, einer Bettlerordnung, einer das Verhältnis von Grundherren und Gerichtsobrigkeiten regelnden Ordnung, einer Wirtsordnung oder einer Gerichtskostenordnung.212 Im Fall der Wirtsordnung wurden Personen im Umfeld des Hofrechts ganz bewusst herangezogen, um auf Grundlage ihrer Kenntnisse der örtlichen Gegebenheiten eine nur für die Viertel an der Etsch und am Eisack geltende Ordnung auszuarbeiten.213 Einzelgesetzge bungsakte wurden demgegenüber – insbesondere im Verhältnis zu deren großer Zahl – nur verhältnismäßig selten vorab dem Hofrecht zur Kenntnis gebracht, beispielsweise ein policeyrechtliches Mandat zur Bekämpfung von zu frühzeitigem Heiraten,214 Vorschriften zur Beruhigung der sicherheitspoliceylich durchgehend angespannten Lage an den Welschen Konfinen,215 zur Abschiebung nicht sesshafter Randgruppen,216 zur Hintanhaltung des preistreiberischen Lebensmittelaufkaufs,217 zur allfälligen Verhängung eines Importverbots für Wein,218 gesetzliche Maßnahmen zur Bekämpfung des Wuchers219 oder Fragen zum Erbrecht von Ausländern.220 Insgesamt ergibt sich der Befund, dass die Inanspruchnahme der Beratungsfunktion des Hofrechts durch die Regierung im 17. Jahrhundert deutlich zurückging. Hier drängen sich mehrere Erklärungen auf. Zunächst liegt der Verweis auf einen darin vermeintlich zum Ausdruck kommenden landesfürstlichen Absolutismus TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 16, Lit. P, S. 121–122, 1493 Juli 9; TLA, LLTA, Fasz. 7, Bund 3, fol. 78v–79r, 1555 Okt. 12; TLA, Hs. 2892, fol. 60r–63v, 1573 Jan. 20; TLA, VdL, Bd. 12, S. 438–438 (ebenso TLA, VdL, Bd. 16, fol. 66v–67r; TLA, LLTA, Fasz. 13, Bund 4), 1626 Mai 28. 212 TLA, BT, Bd. 7, fol. 23v, 1554 Mai 7; TLA, AfD 1581, fol. 1065v–1068v, 1581 Dez. 12; TLA, BT, Bd. 11, fol. 382, 1582 Mai 9; ebd., fol. 344r–345v, 1582 Sept. 1; TLA, Ambraser Memorabilien, V/46, 1582 Okt. 12; TLA, BT, Bd. 11, fol. 405, 1583 Febr. 25; ebd., fol. 497v, 1584 Mai 15; ebd., fol. 524, 1584 Aug. 7; ebd., fol. 595v–596, 1585 April 10; TLA, AfD 1586, fol. 422r–423v, 1586 Juni 13; TLA, VfD 1586, fol. 231r–232r, 1586 Juni 23; TLA, CD 1599, fol. 167r–168r, 1599 Jan. 8. 213 TLA, BT, Bd. 6, fol. 282, 1553 Sept. 6; ähnlich schon TLA, BT, Bd. 4, fol. 365r, 1539 Nov. 3. 214 TLA, CD 1579, fol. 158r–159r, 1579 Jan. 27; ebd., fol. 206v, 1579 Nov. 23; TLA, AfD 1580, fol. 127r–131r, 1580 Febr. 26; TLA, AfD 1612, fol. 462v–463r, 1612 März 30; AfD 1613, fol. 229, 1613 Juni 28. 215 Vgl. TLA, CD 1596, fol. 158, 1596 Nov. 3. 216 Vgl. TLA, CD 1609, fol. 19, 1609 Febr. 10. 217 TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 15, Lit. O, fol. 74r–75r, 1492 Aug. 18. 218 TLA, BT, Bd. 7, fol. 180r–181r, 1556 Febr. 11. 219 Vgl. TLA, AfD 1589, fol. 759v–760r, 1579 Sept. 4. 220 TLA, AfD 1571, fol. 140v–142v, 1571 März 16. 211
5. Die Landstände
335
nahe, der die Einschaltung nicht-behördlicher, womöglich dem Einflussbereich der Stände zuzurechnende Gremien als zunehmend überflüssig betrachtete und folglich vermied. Eine solche These greift nicht, unterscheidet sich der Gesetzgebungsprozess des 17. Jahrhunderts doch nicht signifikant von jenem, wie er im 16. Jahrhundert greifbar wird. Insbesondere ist keine deutlich ausgeprägte Neigung der Landesfürsten erkennbar, gesetzgeberische „Alleingänge“ vorzunehmen. Außerdem war die Befassung des Hofrechts ja schon zuvor keine verfassungsrechtliche Notwendigkeit, sondern Ausfluss pragmatischer Überlegungen zur Optimierung der zu diskutierenden Regelungen. Auch der Verweis auf eine allgemeine Bedeutungsabnahme des Hofrechts, wie sie in den Reformdiskussionen um 1650221 ihren Niederschlag zu finden scheint, trifft wohl nicht den Kern. Zur Entkräftung genügt der Verweis auf die nachweislich intensive Rechtsprechung des Hofrechts in diesem Zeitraum.222 Der eigentliche Grund ist wohl banaler: Im 17. Jahrhundert war die Zeit der Sonderordnungen weitgehend vorbei. Die nunmehr publizierten Sonder ordnungen waren weitgehend Wiederverlautbarungen von Vorläuferordnungen des 16. Jahrhunderts. Genau diese Ordnungen hatten jedoch einen quantitativ erheblichen Anteil der Begutachtungstätigkeit des Hofrechts ausgemacht, der nun wegfiel. Zudem erstand dem Hofrecht in landständischen Ausschusskongressen, die im 17. Jahrhundert und speziell während des Dreißigjährigen Krieges deutlich häufiger tagten, eine gewisse Konkurrenz, was die Stellungnahme zu und Beratung von landesfürstlichen Gesetzgebungsvorhaben betraf.
5. Die Landstände 5. 1. Allgemeines Die auf Otto Brunner zurückgehende Bezeichnung der österreichischen Erbländer als „monarchische Union von Ständestaaten“223 und der Verweis auf den spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen „Dualismus“224 von Landesfürst und Landständen, der von einem Mit-, Neben- und fallweise Gegeneinander geprägt sei, werden Vgl. Beimrohr, Brief und Siegel, 1994, S. 64; Sartori-Montecroce, Reception, 1902, S. 79–80. Vgl. nur die Bestände im SLA, Akten des landeshauptmannschaftlichen Gerichts Bozen und Akten der landeshauptmannschaftlichen Kommissionsschreiberei Meran. 223 Brunner, Land und Herrschaft, 51965, S. 447. Dort heißt es: „Die Monarchie erweist sich als eine monarchische Union ihrer Königreiche und Länder, die jede für sich Ständestaaten waren.“ 224 Sehr bezeichnend ist bereits der von Thomas Winkelbauer gewählte Titel: Winkelbauer, Ständefreiheit und Fürstenmacht, 1. Teil, 2003, S. 25; siehe ferner u. a. Mitterauer, Warum Europa?, 42004, S. 150; Pauser, Maximilian II. und die Landstände, 2002, S. 26–27; Brauneder, Habsburgermonarchie als zusammengesetzter Staat, 2006, S. 200; Blickle, Landschaften, 1973, 36–37; Lange, Dualismus, 1981; Burkert, Kodifikationsversuche, 1979, S. 137. 221 222
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
gerne und zu Recht als Schlagworte für die Charakterisierung der verfassungsrechtlichen Situation während des Untersuchungszeitraums herangezogen.225 Von der deutschen Forschung wurden die Stände lange Zeit als vermeintlich retardierendes, die Machtentfaltung des absoluten Fürstenstaats behinderndes Element überwiegend negativ interpretiert.226 Erst nach dem Zweiten Weltkrieg setzte allmählich eine Neubewertung ein, zumal man nunmehr in den ständischen Verfassungen ein partizipatorisches, auf Machtausgleich und -beschränkung ausgerichtetes Prinzip verwirklicht sah, von dem aus man den Brückenschlag zu Formen der demokratischer Repräsentation wagen konnte.227 Diese veränderte Perspektive, die insbesondere auch die Frage einer allfälligen Kontinuität zum modernen Parlamentarismus intensiv diskutierte,228 führte in den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts zu einem ersten Höhepunkt der Ständeforschung.229 Mit diesem hier nur sehr summarisch umrissenen Forschungstrends ging die Tiroler Entwicklung nicht konform. Seit der mit Albert Jäger230 einsetzenden geschichtswissenschaftlichen Erforschung der Tiroler Stände – in die sich Rechtshistoriker vergleichsweise wenig eingeschaltet haben231 – dominierte eine durchwegs positive Sicht auf die Stände. Gerade die Historiographie des 20. Jahrhunderts betonte die Einzigartigkeit der ständischen Verfassung Tirols, die vor allem an der ständischen Repräsentation der ländlichen Gerichte – simplifizierend mit der landständischen Vertretung der „Bauern“ gleichgesetzt – festgemacht wurde. Die landständische Verfassung, speziell die bäuerliche Beteiligung wurde zugleich als wichtigste Emanation und Essentiale der ideologisch-patriotisch überhöhten „Tiroler Freiheit“232 präsentiert und deren Singularität betont.233 Spätestens seit den Zu den österreichischen Ständen aus vergleichender Perspektive noch immer Hassinger, Landstände der österreichischen Länder, 1964; ferner Bruckmüller, Täler und Gerichte, 1973; Mitterauer, Ständegliederung und Ländertypen, 1973; Schulze, Ständewesen in den Erblanden, 1983; zum Forschungsstand und zu den Forschungsdiskussionen im deutschsprachigen Raum vgl. Esser, Landstände im Alten Reich, 2005; Krüger, Landständische Verfassung, 2003; Krüger, Versuch einer Typologie, 2000; Stollberg-Rilinger, Vormünder des Volkes, 1999, S. 1–21. 226 Eine andere, überwiegend positiv besetzte Sicht vertrat demgegenüber Otto von Gierke (hierzu Esser, Landstände im Alten Reich, 2005, S. 259–260). 227 Vgl. z. B. Löwenthal, Kontinuität und Diskontinuität, 1977, und daran anknüpfend Blickle, Perspektiven, 1992; vgl. auch Schilling, Reichs-Staat und frühneuzeitliche Nation, 2001, S. 379–381; Esser, Landstände und Landesherrschaft, 2001, S. 177. 228 Vgl. auch Stollberg-Rilinger, Ständische Repräsentation, 2006. 229 Vgl. den Überblick bei Krüger, Landständische Verfassung, 2003, S. 61–86; ferner Esser, Landstände im Alten Reich, 2005, S. 261–262. 230 Jäger, Ständische Verfassung, 1848; Jäger, Geschichte der landständischen Verfassung, 2 Bde, 1881/1885, hierzu auch Bellabarba, Istituzioni rappresentative, 2006. 231 Grass, Geschichte der Landstände, 1961. 232 Zu den historiographischen Rahmenbedingungen ausführlich Cole, Fern von Europa, 1996. 233 Vgl. hierzu besonders Stolz, Landstandschaft, 1933 und 1934; Wopfner, Freiheit des Landes Tirol, 1934; zurückhaltender in der Diktion Grass, Geschichte der Landstände, 1961, S. 303; 225
5. Die Landstände
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Forschungen Peter Blickles234 in den siebziger Jahren muss jedoch die Annahme einer wie auch immer gearteten verfassungsgeschichtlichen Sonderstellung Tirols als überholt gelten.235 Auch innertirolische Forschungen haben zur Relativierung beigetragen.236 Im Vergleich zu den inner- und niederösterreichischen Ländern, in denen nur Prälaten, Herren und Rittern sowie landesfürstlichen Städten und Märkten die Landstandschaft zukam, erscheinen zwar Tirol und Vorarlberg als Ausnahmen. Weitet man jedoch den Blick auf den oberdeutschen Raum, erkennt man rasch die weite Verbreitung der ständischen Repräsentation der ‚angesessenen‘ bäuerlichen Bevölkerung.237 In Tirol gab es vier Stände: die Prälaten, den Herren- und Ritterstand, die Städte und die Gerichte. Auf die von den älteren Forschungen abundant diskutierten Wurzeln der Landstandschaft der Gerichte muss an dieser Stelle nicht eigens eingegangen werden.238 Hinzu kamen Vertreter der Hochstifte Trient und Brixen (genauer gesagt der Bischöfe und der Domkapitel), die zwar als Teilnehmer von Landtagen erscheinen, jedoch verfassungsrechtlich trotz ihrer vielfältigen Beziehungen zu bzw. Abhängigkeiten von Tirol aufgrund ihrer Stellung als reichsunmittelbare Fürstentümer nicht als Landstände anzusprechen waren – und auf diesen Umstand auch stets mit Nachdruck hinwiesen.239 ausgeprägt hingegen die entsprechende Tendenz in Wopfner, Bergbauernbuch, Bd. 1, 1995, S. 463–464; bei Wopfner, Bergbauernbuch, Bd. 2, 1995, S. 125–126, vom Herausgeber Nikolaus Grass mit Verweis auf die Forschungen Peter Blickles auf den neuesten Stand gebracht. 234 Wegweisend und noch immer grundlegend Blickle, Landschaften, 1973. 235 ������������������������������������������������������������������������������������������ Dass die eng mit der vermeintlich singulären landständischen Vertretung verbundene Auffassung eines verfassungsgeschichtlichen „Tiroler Sonderwegs“ vereinzelt auch heute noch Vertreter findet, zeigt Schober, Gedanke des Föderalismus und der Selbstbestimmung, 2006, bes. S. 200 und 210 („Der Gedanke der Selbstbestimmung hat seine tiefen Wurzeln bereits in der mittelalterlichen Geschichte Tirols. Das Selbstverständnis und Selbstbewusstsein des Landes als politisch-historische Individualität sind geprägt durch die relativ frühe Entwicklung des Mitbestimmungsrechtes seiner Bevölkerung.“; „Insbesondere für Tirol wäre das Bestreben, seine Sonderrechte zu beschneiden, wohl ebenso vergeblich, als wolle man seine Berge einplanieren.“). Vgl. auch schon Stolz, Magna Charta des Landes Tirol, [1929], S. 8. 236 ����������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. v. a. Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984; Hölzl, Freiheitsbriefe der Wittelsbacher, 1982/83; Überblicksdarstellung durch Köfler, Land, 1985; eine sehr rezente und gelungene Gesamtschau bietet – ungeachtet des auf eine archivalische Beständebeschreibung verweisenden Titels – Feller, Il fondo, 2006, bes. S. 81–89. 237 Vgl. nur Blickle (Hg.), Landschaften und Landstände, 2000; Quartal, Landstände, 1980; Press, Formen, 1983, bes. S. 292–293; Speck, Vorderösterreichische Landstände, 1994; Schubert, Fürstliche Herrschaft und Territorium, 22006, S. 92–93; jüngste Zusammenschau bei Blickle, Kommunalismus, Bd. 1, 2000, bes. S. 137–142, sowie Bd. 2, 2000, S. 276–277; Dillinger, Repräsentation 2008. 238 ������������������������������������������������������������������������������������������ Einen Überblick über die Forschungsdiskussion bietet Köfler, Landtag, 1985, S. 27–34, aufbauend auf der Darstellung bei Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984. Einzelne Aspekte vertiefend nunmehr Schennach, Quellen, 2004, S. 29–31. 239 Sehr aussagekräftig die handschriftliche Notiz des Bischofs von Trient nach dem Landtag im Februar 1519, wonach er in eigener Person, jedoch ohne Verpflichtung und nur als ein anhen-
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
Den Prälatenstand, der wie in anderen Ländern chronologisch als letzter an Landtagen teilnahm (in Tirol erstmals 1443), bildeten die Äbte von Marienberg, St. Georgenberg, Stams und Wilten, die Pröbste von San Michele an der Etsch, Gries und Neustift, der Prior von Schnals sowie die Äbtissinen des Klosters Sonnenburg (bei Bruneck im Pustertal) und des Meraner Klarissinnenklosters.240 Herren- und Ritterstand bildeten in Tirol im Unterschied zu anderen österreichischen Ländern nur eine Kurie, was mit der relativ späten Landwerdung und vor allem mit den turbulenten Ereignissen unter Friedrich IV. zusammenhängt, der die Opposition der mächtigsten, durchwegs auf alte Ministerialenfamilien zurückgehenden Tiroler Adelsgeschlechter bezwang. Die Landstandschaft, d. h. Sitz und Stimme im Landtag, wurde durch den Eintrag in die seit dem 16. Jahrhundert so bezeichnete „Landesmatrikel“ (Landtafel) erworben, wobei sich das Zahlenverhältnis durch zahlreiche (vom alteingesessenen Adel beklagte) Nobilitierungen241 immer mehr zugunsten junger Rittergeschlechter und des Amtsadels verschob. Nach einem Abkommen zwischen Ferdinand I. und dem Bischof von Trient von 1523/1530 besaßen zudem die bis zum Jahr 1511 in den Adelsstand erhobenen hochstiftischen Adeligen die Landstandschaft,242 während dies bei den im Hochstift Brixen ansässigen Adeligen nicht der Fall war. Von den Tiroler Städten und Märkten waren im 15. Jahrhundert nachweislich die Städte Innsbruck, Hall, Bozen, Meran, Sterzing und Glurns sowie der Markt Matrei vertreten. Hinzu kamen zu Beginn des 16. Jahrhunderts die von Bayern erworbenen drei Unterinntaler Städte Kitzbühel, Kufstein, Rattenberg und das 1500 angefallene Lienz, während der Markt Matrei ab dem Beginn des 16. Jahrhunderts nicht mehr selbständig, sondern gemeinsam mit dem Gericht Matrei auf Landtagen vertreten war. Hingegen scheinen nunmehr die Märkte Innichen und Imst mit eigenen Deputierten auf.243 Erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts und somit im Vergleich zu den ebenfalls erst 1504/1506 zu Tirol gekommenen Städten Kufstein,
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ger und mitferwanter der grafschafft Tyrol erschienen sei. Vgl. TLMF, Dip. 971, Nr. VI/Teil 1, Anhang (unfol., unpag.); vgl. ferner Brandstätter, Beziehungen, 1996, S. 26–27; Bonazza, Il fisco, 2001, S. 76–77. Vgl. die genaue Übersicht bei Köfler, Land, 1985, S. 63–64. Nur 1474 wurden auch einzelne Pfarrer auf Landtage geladen. Vgl. z. B. TLA, VdL, Bd. 6, S. 153–163, hier S. 156–157, 1601 Mai 15 (der Adelsstand würde offtermals gar unverdienten, sowohl untauglichen schlechten undt geringfüegigen persohnen verliehen); TLA, AfD 1647, fol. 216r–283r, hier fol. 218v, 1647 Jan. 30; ferner Köfler, Land, 1985, S. 58–60. TLMF, Dip. 1182, Teil II; eine entsprechende Deklaration Ferdinands I. erging am 4. Juni 1530 (Werunsky, Reichs- und Rechtsgeschichte, 1894/1938, S. 797); die Angabe bei Feller, Il fondo, 2006, S. 81, mit Jahresangabe 1498 (unter Verweis auf Hirn, Erzherzog Ferdinand II., Bd. II, 1888, S. 60, Anm. 1, wo „1493“ aufscheint) ist entsprechend zu korrigieren (vgl. auch Brandstätter, Beziehungen, 1996, S. 23). So TLMF, Dip. 1042, Teil I, fol. 162r–171r (Verfassung der tirolischen landschaft und verrichtungen des tirolischen landmarschalls, verfasset im 17. jahrhundert), hier fol. 164v.
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Kitzbühel und Rattenberg deutlich zeitverzögert tritt die Stadt Rovereto mit Sitz und Stimme auf den Tiroler Landtagen auf. Im 15. Jahrhundert war zudem die Stadt Trient regelmäßig auf Landtagen vertreten,244 und noch in der Frühneuzeit wurde sie trotz bischöflicher Proteste zu Landtagen geladen. Zumindest fallweise nahmen die Gesandten von Trient als bischöflich-hochstiftischer Stadt auch noch im 16. Jahrhundert an Landtagen teil, wenngleich die Frequenz des Erscheinens und ihre tatsächliche Partizipation an den Entscheidungsprozessen noch unklar sind.245 Die Gerichte bildeten den vierten Stand. Der in der Tiroler Historiographie eingeführte Begriff einer Landstandschaft der „Bauern“ stellt eine etwas verzerrende Verkürzung dar.246 Nach Zugang einer Landtagsladung mit der darin enthaltenen Aufforderung, Delegierte abzuordnen, wurde eine Versammlung der Gerichtsgemeinde einberufen, auf der die Landtagsboten („Gewalthaber“) gewählt wurden.247 Dabei waren alle ‚angesessenen‘ männlichen Personen wahlberechtigt, deren Grundbesitz eine gewisse Größe erreichte,248 wobei die Rechtsqualität (insbesondere Erbleihe oder Eigentum) unerheblich war. Reine „Söllhäusler“, die nur über ein Haus samt kleinem Garten verfügten, waren ebenso wenig wie Tag- und Handwerker oder Knechte vollberechtigte Gemeindemitglieder. Im Allgemeinen entsandte jedes Gericht und jede Stadt zwei Delegierte auf einen Landtag, doch war diese Zahl nur ein Richtwert. Ein Gericht bzw. eine Stadt konnte einen oder mehrere Vertreter delegieren. Auch die gemeinsame Entsendung durch mehrere Gerichte ist belegt.249 Dies spricht im Übrigen für die von Köfler und Wallnöfer250 geäußerte Vermutung, dass unabhängig von der Zahl der Landtagsboten jedes Gericht (und ebenso jede Stadt) nur über eine Stimme verfügte – und nicht etwa je Vgl. Brandstätter, Stadt Trient auf Tiroler Landtagen, 1992. Hierzu Bonazza, Il fisco, 2001, S. 108–110; prägnant auch Feller, Il fondo, 2006, S. 82. 246 In einigen Landesteilen (Oberinntal, Außerfern) stellte die landwirtschaftliche Tätigkeit sowohl aufgrund der Wirtschaftsstruktur wie des Erbrechts (dominierende Realteilung) nahezu ausschließlich einen in geringem Umfang betriebenen Nebenerwerb dar. Namentlich Bruckmüller und Mitterauer heben hervor, dass nicht „die Bauern“, sondern die Gerichts gemeinden die Landstandschaft besaßen (Bruckmüller, Täler und Gerichte, 1973; Mitterauer, Ständegliederung und Ländertypen, 1973, bes. S. 192–193; Mitterauer, Grundlagen, 1977, S. 11–41). Adäquater, da zurückhaltender der Formulierungsvorschlag von Blickle, Landschaften, 1973, S. 179, der neben „Gerichtsrepräsentation“ auch von „bäuerlicher Repräsentation“ auf den Landtagen sprechen möchte. 247 ������������������������������������������������������������������������������������ Zum Folgenden ausführlich Blickle, Landschaften, 1973, S. 174–179; Stolz, Landstandschaft, 1933/1934; weitgehend auf der Darstellung von Stolz beruhend Köfler, Land, 1985, S. 48–56. 248 Die Grenzen zu den nicht vollberechtigten Söllhäuslern waren durchaus fließend, wie dies betont Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, bes. S. 181–182. 249 ����������������������������������������������������������������������������������������� Stadt und Gericht Sterzing entsendeten so stets gemeinsam zwei Boten, wobei ein Gerichtsmann und ein Bürger bestellt wurden (ebenso in Glurns), vgl. Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 211. 250 Vgl. Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 222. 244 245
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der Gesandte eigens zählte –, da man sonst die Möglichkeit der Entsendung zweier Vertreter wohl stets ausgeschöpft bzw. auf die Erhöhung der Anzahl der Gesandten gedrängt hätte. Fallweise ist bereits im 15. Jahrhundert belegt, dass nicht die ganze Gerichtsgemeinde, sondern ein engeres Gremium (gebildet namentlich aus den Gerichtsgeschworenen bzw. aus dem den Gerichtsausschuss,251 zuweilen auch aus einer Versammlung der Dorfmeister eines Gerichts252) aus ihrer Mitte den Landtagsgesandten bestimmten. Dies dürfte im Verlauf der Frühneuzeit üblich geworden sein. Die Landtagsboten wurden von den entsendenden Gerichten ermächtigt, an ihrer statt auf dem Landtag zu handeln. In den ausgestellten Vollmachten („Gewaltbriefen“) sagten die Gerichte überdies zu, die auf den Landtagen getroffenen Entschlüsse mitzutragen und umzusetzen.253 Adelina Wallnöfers Forschungen haben gezeigt, dass im 15. Jahrhundert überwiegend Personen zu Landtagsboten gewählt wurden, die Angehörige der gemeindlichen Führungsschicht waren, die sich also durch Wohlhabenheit und durch die kurz- oder längerfristige Ausübung eines herrschaftlichen oder kommunalen Amtes auszeichneten.254 Herrschaftliche Funktionsträger wie Richter oder Pflegsverwalter, die ihr Amt zum Zeitpunkt der Abhaltung des zu beschickenden Landtags noch ausübten, sind demgegenüber im 15. und frühen 16. Jahrhundert als Landtagsboten ländlicher Gerichte ausgesprochen selten nachweisbar. Hier kommt es im Verlauf der Frühneuzeit zu einem signifikanten, von Blickle mit dem nachlassenden Interesse bäuerlicher Eliten an den Landtagen erklärten Wandel, indem zunehmend Pfleger, Richter und Gerichtsschreiber die ländlichen Gerichte auf Landtagen vertraten.255 Eine Aufstellung aus dem beginnenden 18. Jahrhundert führt 72 Gerichte an, denen die Landstandschaft zukomme.256 Diese vermeintlich klare Zahlenangabe darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Zahl der geladenen (und zu ladenden) Gerichte Fluktuationen unterlag.257 So vertrat die Regierung 1536 die Meinung, dass die Gerichte an den Welschen Konfinen in Anbetracht ihrer hartnäckigen Steuerverweigerung nicht mehr geladen werden sollten. Die hochstiftischen Brixner und Trienter Gerichte wurden nicht geladen, da die Bischöfe für sich in Anspruch nahmen, diese zu repräsentieren.258 Dasselbe gilt für die kleinräumigen Hofmarken bzw. Hofgerichte (Burgfrieden), die ebenfalls auf den Landtagen fehl ������������������������������������������������������������������������������������� Ausdrücklich erwähnt in der Vollmacht für die Landtagsboten des Landgerichts Freundsberg/Schwaz in TLA, LLTA, Fasz. 1, fol. 154, 1496 Febr. 3. 252 So erwähnt bei Stolz, Landstandschaft, 1933/34, S. 118, für das Landgericht Meran. 253 Vgl. hierzu Kap. IV.6.1; vergleichend Dillinger, Repräsenation 2008, S. 495–499. 254 Ausführlich Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 175–219. 255 Blickle, Landschaften, 1973, S. 183. Demgegenüber erklärt Dillinger dieses auch in anderen Territorien zu beobachtende Phänomen mit der konsequenten „Bemühung der Landgemeinden um kompetente Repräsentation“ (Dillinger, Repräsenation, 2008, S. 509). 256 TLMF, Dip. 1042, Teil I, fol. 1r–26r (Information in tyrolischen landschaftssachen), hier fol. 7r. 257 Vgl. hierzu auch Blickle, Landschaften, 1973, S. 176; Köfler, Land, 1985, S. 54. 258 Vgl. zu einer einschlägigen Debatte Hirn, Erzherzog Ferdinand II., Bd. 2, 1888, S. 68. 251
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ten bzw. deren Vertretung die jeweiligen geistlichen bzw. weltlichen Gerichtsherren für sich in Anspruch nahmen.259
5. 2. Landtag und andere ständische Organe Zentrales Forum der landständischen Willensbildung ist der während der Regierungszeit Friedrichs IV. definitiv ausgebildete Landtag (früheste Belege zwischen 1417 und 1423). Die Einberufung eines Landtags mittels „Ladschreiben“ oblag ausschließlich dem Landesfürsten, wobei neben Ort und Termin des Landtags unter Umständen überdies der für die Ladung maßgebliche Grund (insbesondere eine drohende Kriegsgefahr) angeführt wurde.260 Der Zusammentritt der Landstände aus eigenem Antrieb erfolgte nur in Ausnahmesituationen, wofür die Zeit des so genannten „Vormundschaftsstreit“ der Tiroler Landschaft mit dem Vormund des jungen Herzogs Siegmund, König Friedrich, ab 1443 ein anschauliches Beispiel darstellt.261 Im Übrigen war eine ständische Zusammenkunft ohne landesfürstliche Ladung ein Akt der Widerständigkeit gegen den jeweiligen Landesfürsten.262 Ansätze hierzu sind in der überaus angespannten Situation nach dem Tod Maximilians I. greifbar, als im Viertel Burggrafenamt von etlichen Dorfmeistern ausgestellte Ladungsschreiben kursierten, die im Sommer einen gemainen landtag nach Meran einberiefen, was freilich in einem Mandat streng untersagt wurde, in ansehung, daz in disem landt menigclich wissend, auch von alter herkumen und in den freyhaiten und ordnungen begriffen und bey der pen leibs und guts verpoten sei, eigenmächtig Landtage und sonstigen Versammlungen anzuberaumen.263 Das Misstrauen der Es handelte sich um die kirchlichen Hofmarksgerichte Stams, Wilten, Marienberg, Neustift, Innichen, Aschau im Lechtal und Pillersee sowie die weltlichen Hofgerichte bzw. Burgfriedensgerichte Mariastein, Thierberg, Lichtenwert, Matzen, Tratzberg, Stumm, Montan, Matsch, Wolfsthurn, Sprechenstein und Laimburg. 260 Vgl. z. B. TLA, TLMF, FB 6197, Nr. 1, 1508 Mai 2; so schon im 15. Jahrhundert, vgl. Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 125–126 und 168, Anm. 1. 261 �������������������������������������������������������������������������������������� Hierzu grundlegend noch immer Jäger, Streit der Landschaft, 1872; rezente Zusammenfassungen bei Baum, Sigmund der Münzreiche, 1987, S. 76–82; Riedmann, Mittelalter, 21990, S. 486; Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 109–117; Niederstätter, Jahrhundert der Mitte, 1996, S. 242–245. 262 Derartige Zusammenkünfte wurden von der frühneuzeitlichen Staatsrechtslehre zum Teil als unerlaubt verworfen, zum Teil als durch das alte Herkommen eines Territoriums als legitimiert angesehen. Vgl. ausführlich, vornehmlich anhand eines Mecklenburgischen Streitfalls, Moser, Von der Teutschen Land=Stände Conventen, 1758; zusammenfassend die unterschiedlichen Meinungen referierend Häberlin, Repertorium, 1793, 3. Teil, Art. „Landstand“, §§ 27, S. 131–133. 263 ���������������������������������������������������������������������������������������� TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 39, Lit. Nn, S. 103–106, 1519 Juli 3; ebd., S. 109–112, ein entsprechendes Verbotsschreiben an die Dorfmeister von Untermais, Obermais, Riffian, Algund, Partschins und Naturns; vgl. zudem den Bericht des Regiments an Karl V. von 1520 Juli 21 (ediert bei Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007, S. 276–285, hier 259
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Obrigkeit gegenüber sich als „Landtage“ deklarierenden Versammlungen bestätigte sich während des Bauernkrieges, als im Mai 1525 ein Ausschuss der Städte und Gerichte des Burggrafenamtes Vertreter aller Städte und Gerichte – und nur dieser beiden Stände! – zu einem Landtag nach Meran einberief, auf dem die Beschwerden (die so genannten „Meraner Artikel“) ausformuliert wurden, die maßgeblich die Landesordnung von 1526 beeinflussten.264 Als Tagungsorte von Landtagen scheinen vornehmlich Meran, Bozen, Brixen, Sterzing, Hall und Innsbruck auf, wobei sich ab Erzherzog Ferdinand II. in zunehmendem Maße die Residenzstadt Innsbruck durchsetzte.265 Schon auf dem Julilandtag 1518 hatten sich die südlichen Landesteile über die zu häufige Einberufung der Landtage nach Innsbruck beschwert, das von alter nit herkomen sei.266 Man schlug folglich für jene Landtage, an denen der Landesfürst nicht in persona teilnehme, einen Dreierturnus vor. Ein Landtag sollte in Innsbruck oder Hall, der darauf folgende in Meran oder Bozen und der dritte schließlich in Brixen oder Sterzing abgehalten werden. Dieser Entschluss wurde 1520 wiederholt, und eine entsprechende Bestimmung fand auch in die Tiroler Landesordnung Eingang.267 Als Tagungsorte dienten die jeweiligen Rathäuser.268 Erst im Jahr 1613 erwarben die Stände in Innsbruck das „Haus zum Goldenen Engel“, das fortan bis 1666 als erstes Landhaus diente.269 Die genaue Rekonstruktion des Ablaufs eines Landtags ist dabei zum näheren Verständnis der Behandlung von Gesetzgebungsprojekten durch die Landstände und ihrer Einflussmöglichkeiten von zentraler Bedeutung. Vorderhand scheint sich dieser Ablauf, wie er uns in voller Ausprägung seit Maximilian I. entgegentritt, aus dem Aktenmaterial hinreichend zu erschließen. Der Eröffnung des Landtags folgte die Vorhaltung der landesfürstlichen „Proposition“ an die Stände, die darin mit den landesherrlichen Forderungen – speziell finanzieller Natur – konfrontiert wurden. Es folgte der Austausch von Schriften, der sich so lange hinzog, bis sämtliche Punkte der Proposition erledigt und auch allenfalls im weiteren Verlauf des Landtags von Ständen oder Landesfürst vorgebrachte
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S. 279): Item sy haben sich unnderstannden mer dann ain mal gemain lanndtäg unnder inen selbs ausserhalben der anndern stennd und on wissen der obrigkait außzuschreiben unnd die brief außgeen lassen. Vgl. nur Macek, Tiroler Bauernkrieg, 1965, S. 201–202. Vgl. auch Grass, Geschichte der Landstände, 1961, S. 314. Vgl. schon Köfler, Land, 1985, S. 537; Brandis, Geschichte der Landeshauptleute, 1847/1850, S. 494; Zitat nach TLA, LLTA, Fasz. 1, Julilandtag 1518. TLO 1526, 1. Buch, 5. Teil, 23. Tit.; TLO 1532 und 1573, 4. Buch, 25. Titel. Eine neu aufgefundene, in der Datumszeile abweichende Überlieferung der Bewilligung der Kriegssteuer und der aus diesem Anlass ventilierten ständischen Gravamina aus dem Jahr 1437 (Edition bei Schwind/Dopsch, Urkunden, 1895, Nr. 181, S. 347–350) belegt dies nunmehr schon für diesen Landtag in Bozen: Man sei auf dem rathaus beyainander gewesen (vgl. StAM, Urkundenreihe A/I/180, 1437 Dez. 17). Vgl. Köfler, Land, 1985, S. 537.
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Anliegen behandelt waren. Auf die Proposition folgte die ständische Antwort, auf die der Landesfürst bzw. seine Gesandten mit der Replik reagierten. Danach kam es zum Austausch von Duplik, Triplik, Quadruplik, Quintuplik etc. bis zur einvernehmlichen Beilegung aller aufgeworfenen Themen. Den Schluss des Landtags respektive des Schriftenwechsels stellt der Landtagsabschied dar, in dem die wichtigsten Punkte und Beschlüsse des Landtags rekapituliert wurden. Regelmäßig wurden hier die Steuerbewilligungen nochmals zusammengefasst. Es bestand keineswegs die Notwendigkeit, einen Landtagsbeschluss in den Abschied aufzunehmen, um ihm verbindliche Wirkung zu verleihen. Es reichte aus, wenn im Verlauf des Landtags in einer Schrift eine der beiden beteiligten Seiten zu erkennen gab, mit dem Vorschlag bzw. der Forderung des Gegenübers einverstanden zu sein, was häufig formelmäßig zum Ausdruck gebracht wurde. Man lasse es hinsichtlich des angesprochenen Punktes „gnädigst“ (Landesfürst) oder „dankbar“ (Stände) dabei bewenden. Damit war eine einzelne Sache erledigt, selbst wenn sich der Landtag noch weiter hinzog. Nähere Aufschlüsse über den Ablauf eines Landtags, geschweige denn über den konkreten Vorgang der Willensbildung und über das Zustandekommen der ständischen Schriften (Antwort, Duplik etc.) findet man demgegenüber kaum.270 Dies ist zunächst nicht verwunderlich, fließen doch die entsprechenden Quellen eher spärlich. Und doch erlauben (wenn auch disparat) auf uns gekommene Überlieferungen eine zuverlässige Rekonstruktion des Ablaufs und der Arbeitsweise eines (Voll-)Landtags, wie er sich unter Maximilian I. herausgebildet hat. Wir können uns auf vier verschiedene Quellen stützen, von denen drei die Vorgänge aus Sicht landesfürstlicher Akteure, eine hingegen aus ständischer Perspektive beschreiben. Trotz der erheblichen, mehrere Jahrzehnte betragenden Intervalle zwischen den Quellen erlaubt die große inhaltliche Konstanz in den Schilderungen, von einem weitgehend standardisierten Ablauf auszugehen, der sich – insbesondere was die Willensbildung in den Ausschüssen betrifft – unter Maximilian I. ausgebildet und verfestigt hat. Im Einzelnen liegen der Schilderung des typischen Ablaufs eines Landtags folgende Quellen zugrunde: Zunächst ist ein Bericht der oberösterreichischen Regierung über den im Juli 1531 in Innsbruck abgehaltenen Landtag zu nennen.271 Noch wertvoller sind zwei vom Geheimen Ratssekretär Dr. iur. Michael Faber verfasste Niederschriften über die Vorgänge auf den offenen Landtagen 1613 und 1619, die von Maximilian III. bzw. dem neu berufenen Gubernator Leopold V. anberaumt worden waren.272 Die Geschehnisse aus ständischer Perspektive, speziell die Wil Köfler, Land, 1985, S. 538–541, gibt eine aus dem Jahr 1693 stammende Beschreibung der Eröffnungszeremonie eines Landtags wieder. Allgemein auch Hirn, Ferdinand II., Bd. 2, 1888, S. 64–66 und Feller, Il fondo, 2006, S. 83–84. 271 TLA, LLTA, Fasz. 4, 1531 Juli 31. 272 ������������������������������������������������������������������������������������� Diesen ist von der bisherigen Forschung trotz ihres herausragenden Quellenwerts überraschenderweise noch keine Beachtung geschenkt worden. Sie finden sich in TLA, LLTA, 270
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lensbildung der Landstände und das Zustandekommen von Entschlüssen, beleuchtet schließlich ein zwischen 1613 und 1665 entstandenes, allgemeines Memorial über den Ablauf von Landtagen.273 Sämtliche dargestellten Landtage wurden in Innsbruck abgehalten. Abgesehen vom Bericht über den Landtag von 1531, der von Kommissaren Ferdinands I. verfasst wurde, schildern die Schriftzeugnisse stets Landtage, bei denen der Landesfürst selbst anwesend ist.274 Der Landtag begann mit einem Gottesdienst in der Hofkirche. Eine Stunde nach dessen Ende – während dieses Zeitraums wurde die Glocke der Innsbrucker Pfarrkirche geläutet – kamen die Stände im großen Saal der Hofburg zusammen. Waren sie versammelt, betrat der Landesfürst in Begleitung von mehreren Geheimen Räten und einigen Geheimen Ratsschreibern den Saal und ließ sich auf einem in erhöhter Position platzierten, unter einem schwarzsamtenen Baldachin aufgestellten Sessel nieder. Er adressierte einige Worte an die versammelten Stände, woraufhin der Hofkanzler einen summarischen fürtrag und exhortation hielt, in dem er insbesondere auf die Gründe für die Einberufung des Landtags einging. Anschlie ßend verlas ein Geheimer Ratssekretär – 1613 und 1619 der die Schilderung hinterlassende Dr. Faber selbst – die landesfürstliche Proposition. Danach sprach der Landesfürst nochmals persönlich zu den Ständen. Für die Landstände ergriff der Landeshauptmann das Wort, dankte für die fürstliche Wortspende, bekundete unverbindlich-allgemein den guten Willen der Landschaft und bat um eine Abschrift der Proposition.275 Den Schluss der Landtagseröffnung stellte die Verabschiedung dar. Alle Landstände näherten sich nacheinander dem Landesfürsten und wird ihnen von ihro F. D. die hand mit gnaden gepotten. Während dieses Prozederes legten der Landeshauptmann und der mit ihm gemeinsam für den organisatorischen Rahmen verantwortliche Landmarschall die Stunde fest, zu der die Stände für die eigentlichen Beratungen wieder zusammenkommen sollten. Fasz. 12, Bund 4, und sind mit Februar 1613 und März 1619 datiert. Der Grund für ihre Anfertigung – es handelt sich um in flüchtiger Konzeptschrift niedergelegte Schreiben – bleibt offen. Eventuell wollte Faber das Zeremoniell festhalten. Vielleicht war ihm auch die Niederschrift des eigenen Erlebens wichtig: Er selbst war in beiden Fällen beteiligt, und er selbst war es sogar, der nach der Eröffnung der Landtage die landesfürstliche Proposition vorlas. 273 TLMF, Dip. 1042, Teil I, fol. 162r–171r (Verfassung der tirolischen landschaft und verrichtungen des tirolischen landmarschalls, verfasset im 17. jahrhundert), hier fol. 167r–171r. Die Datierung resultiert einerseits aus der expliziten Erwähnung des 1613 erstandenen Landhauses (terminus post quem), andererseits aus der konsequenten Titulierung des Landesfürsten als F[ürstliche] D[urchlaucht], was eine Entstehung vor dem Tod von Sigismund Franz belegt (daher 1665 als terminus ante quem). 274 ��������������������������������������������������������������������������������������� Da die Beschreibungen Fabers und die ständische Schilderung im 17. Jahrhundert entstanden sind, scheinen natürlich stets die auch im Folgenden enthaltenen Titel auf, die für das 16. Jahrhundert entsprechend anzupassen sind (v. a. ist statt „Geheimer Rat“ „Hofrat“ zu setzen). 275 ������������������������������������������������������������������������������������������������ In TLA, Dip. 1042, Teil 1, fol. 162r–171r, hier fol. 167, wird die offensichtlich stark standardisierte Antwort des Landeshauptmanns wörtlich angeführt.
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Am Ort der Zusammenkunft – 1613 wird von Fabri noch explizit das Innsbrucker Rathaus erwähnt – wurde die Landtafel verlesen und so die Anwesenheit überprüft. Die Vertreter der Städte und Gerichte hatten sich bei dieser Gelegenheit durch Vorweisen ihrer „Gewaltbriefe“ (Vollmachten) zu legitimieren.276 Anschließend wurden die Stände aufgefordert, ihre Vertreter für den kleinen und großen Ausschuss zu erwölen und die entsprechenden Namen schriftlich beim Landmarschall einzureichen. Diese Liste wurde anschließend vom Landmarschall vor gelesen. Spätestens im dritten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts war die Zahl der Aus schussmitglieder fixiert. Der große zählte 40, der kleine 24 Mitglieder, wobei die Zusammensetzung paritätisch war (je zehn bzw. sechs Vertreter des Prälaten- und Adelsstandes sowie der Städte und Gerichte).277 Mit der Benennung der Ausschussmitglieder war eine wesentliche Aufgabe des Landtagsplenums erledigt. Sobald die Namen der Ausschussmitglieder verlesen waren, erging die Aufforderung an alle nicht dem kleinen Ausschuss angehörigen Anwesenden, den Raum zu verlassen. Für die nun einsetzenden Verhandlungen, die mit der Verlesung der landesfürstlichen Proposition eröffnet wurden, wurden die Türen geschlossen. Ob über die Inhalte der Beratungen bis auf weiteres auch gegenüber anderen ständischen Vertretern Geheimhaltungspflicht bestand, wie dies eine Quelle des 17. Jahrhunderts andeutet, bleibt fraglich.278 Der kleine Ausschuss setzte gemeinsam die ständische Antwort auf die landesfürstliche Proposition auf, worüber am Schluss abgestimmt wurde. Die Abstimmung leitete der Landmarschall, der die einzelnen Antworten notierte, schließlich das Majoritätsvotum verkündete – wenn dieses nicht auf Annahme des vorliegenden Entwurfs der ständischen Antwort lautete, mussten die Verhandlungen im engeren Ausschuss fortgeführt werden. Danach setzte der Landmarschall den Termin für die Einberufung des großen Ausschusses fest. Diesem wurde der Entwurf der ständischen Antwort vorgelesen und gefragt, ob jemand dagegen Bedenken hätte. Der große Ausschuss konnte mehrheitlich noch Korrekturen und Ergänzungen am vorgelegten Konzept vornehmen.279 War die Ausschussmehrheit einverstanden, wurde eine Plenarsitzung des Landtags anberaumt. Wieder kam es zur Verlesung des Antwortkonzepts und anschließend der Landtafel. Nun wurde jeder gefragt, ob er darwider bedenckhen firwenden werde oder nit. Im eher unwahrscheinlichen Fall, dass sich die Mehrheit Zu den Vollmachten bes. Stolz, Landstandschaft, 1934, S. 115–123; kürzer Feller, Il fondo, 2006, S. 83; Blickle, Landschaften, 1973, S. 178; Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 168; Grass, Geschichte der Landstände, 1961, S. 313; Wopfner, Lage Tirols, 1908, S. 118; Jäger, Landständische Verfassung, Bd. II/2, 1885, S. 142. 277 Vgl. Blickle, Landschaften, 1973, S. 181. 278 Demnach wurden die Anwesenden vom Landmarschall ermahnt, was da firhombt und beratschlagt wirdt, das jeder dasselbig in gehaimb halte und solches vor der zeit niemandt offenbahre (so TLMF, Dip. 1042, Teil I, fol. 162r–171r, hier fol. 168v). 279 Vgl. TLA, VdL, Bd. 19, fol. 76v–77r (Erklärung des Adelsstandes über den hergebrachten modus consultandi). 276
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des Plenums gegen den Entwurf ausspräche, wurde dieser an den großen Ausschuss zur neuerlichen Beratung zurückverwiesen. Andernfalls erfolgte die Reinschrift der Antwort durch den Landschreiber. Die Übergabe erfolgte durch den Landmarschall, den Landeshauptmann und den kleinen Ausschuss an den Landesfürsten und fand bei einem in Innsbruck abgehaltenen Landtag selbstverständlich wieder im Saal der Hofburg statt. Dank Fabers Beschreibung sind wir auch über die geschäftsmäßige Behandlung der ständischen Antwort auf landesfürstlicher Seite genau unterrichtet. Koordinationsgremium für die Formulierung der Replik war demzufolge der Geheime Rat, der zu diesem Zweck mehrere Regierungs- und Kammerräte beizog. Die Letztentscheidung oblag dem Landesfürsten, doch waren 1613 und 1619 offensichtlich weder Maximilian III. noch Leopold V. während der ganzen, sich bis tief in die Nacht erstreckenden Sitzung durchgehend anwesend. Nach Fertigstellung, Approbation durch den Landesfürsten (bzw. bei dessen Abwesenheit durch dessen Gesandte) und Übergabe an den vorgeladenen Landmarschall, den Landeshauptmann und den kleinen Ausschuss wiederholte sich das Prozedere, bis sämtliche Punkte zur Zufriedenheit beider Seiten geklärt waren. Im Verlauf des Landtags wurden zudem die ständischen Gravamina dem Landesherren überreicht. Offiziell beendet wurde der Landtag durch die Verabschiedung und Entlassung der Stände durch den Landesfürsten, die in gleicher Weise wie die Eröffnung in Anwesenheit des Landtagsplenums stattfand. Daneben diente der Landtag stets auch der herrscherlichen Repräsentation. Sowohl für den Landtag des Jahres 1613 als auch für jenen des Jahres 1619 berichtet Faber, dass Maximilian III. bzw. Leopold V. samt Teilen ihres Hofes sowie ausgewählten ständischen Vertretern Theateraufführungen in der Aula des Innsbrucker Gymnasiums beiwohnten. 1619 erfolgte zudem die Grundsteinlegung für die Dreiheiligenkirche, 1613 richtete Maximilian III. für die fürnembsten landstende ein Bankett mit Musikbegleitung im Paradiessaal der Innsbrucker Hofburg aus.
5. 2. 1. Exkurs: Der Landtagsabschied Die wichtigsten Beschlüsse des Landtags konnten nochmals in einer Schlussschrift, dem so genannten Landtagsabschied, zusammengefasst werden, wobei die Unterlassung der Aufnahme einer Entscheidung in den Landtagsabschied nichts an dessen Bindungswirkung für die Beteiligten änderte. 1508, 1509 und 1510 kam es jeweils auf Drängen der Landstände zur Drucklegung der Landtagsabschiede.280 Als Motiv für das landständische Drängen, das eigentlich auf die Ausstellung feierlicher Herrscherurkunden ausgerichtet gewesen war, erwies sich dabei der Wunsch Schennach, Mailandtag 1508, 2003, S. 35; TLA, Landschaftliches Archiv, Landschaftliche Landtagsakten, Fasz. 1, Nr. 10 und 12b; TLMF, FB 25406.
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nach größerer Rechtssicherheit.281 Man wollte durch die Möglichkeit, im Verlauf späterer Verhandlungen auf eine früher ausgestellte Herrscherurkunde verweisen und die Einhaltung der darin gemachten Zusagen reklamieren zu können, die Chancen auf Umsetzung der Beschlüsse erhöhen. Denn gerade Maximilian I. hatte sich zunehmend als Meister darin erwiesen, im Gegenzug für landständische Geldund Truppenbewilligungen zwar bereitwillig Zusagen zu machen, die auch in die Landtagsabschiede aufgenommen wurden. An der Umsetzung der ihn treffenden Verpflichtungen gebrach es jedoch regelmäßig, worauf die Landstände und besonders die Städte und Gerichte nicht müde wurden hinzuweisen. Aus eben diesem Grund bemühte sich die Landschaft unter Maximilian I. um die Ausstellung feierlicher Herrscherurkunden, und Maximilian sträubte sich unter anderem deshalb dagegen, um nicht der Landschaft ein bei späteren Verhandlungen potentiell gegen ihn einsetzbares Instrument in die Hände zu geben. Die Erlangung einer feierlichen Kaiserurkunde über einen Landtagsabschied gelang daher – mit mehrjähriger zeitlicher Verzögerung! – nur in einem Fall, nämlich beim bereits ausführlich besprochenen „Landlibell“, dem Landtagsabschied vom 23. Juni 1511. In der nachmaximilianeischen Zeit kam es kaum mehr zur Drucklegung von Landtagsabschieden. Nachweisbar ist während des Untersuchungszeitraums nur noch ein Druck (auf Papier) des Landtagsabschieds vom Januar 1529, wobei hier wohl nicht mehr das Streben nach Rechtssicherheit und nach einer Verbesserung der landständischen Verhandlungsposition, sondern die leichtere Verbreitungsmöglichkeit im Mittelpunkt stand.282 Über die Rechtswirkung eines Landtagsabschieds wurde bereits an anderer Stelle gesprochen,283 so dass hier nur wesentliche Aspekte kurz rekapituliert seien: Wie schon die dargestellte Art des Zustandekommens vor Augen führt, wird zurecht regelmäßig der Einungs- und Vertragscharakter eines Landtagsabschieds hervorgehoben.284 Daraus folgt, dass er primär zwischen den Beteiligten Bindungswirkung entfaltet. Jede Seite hat die in ihrem Wirkungsbereich liegenden Vollzugsakte zu setzen. Aus einer ständischen Steuerbewilligung resultiert die Verpflichtung, für die entsprechende „Repartition“ (Verteilung) der Steuer auf die einzelnen Stände Vgl. zum Folgenden die ausführlichen Darlegungen in Kap. II.1. �������������������������������������������������������������������������������������� TLA, Landschaftliches Archiv, Landständische Landtagsakten, Fasz. 1, Nr. 23; Parallelüberlieferung TLA, Hs. 5099 = Inkunabel 50; es finden sich auch handschriftliche Überlieferungen, vgl. z. B. StAB, Hs. 2563 (Landtagslibelle 26). Inhaltlich ist der Abschied recht unspektakulär, wenngleich in ihm – dem Wortlaut zufolge auf Bitte der Landstände – die Überarbeitung der Tiroler Landesordnung beschlossen wurde. Vielleicht ist darin der Grund für die Drucklegung zu sehen. Danach kam es, soweit ersichtlich, erst wieder im beginnenden 18. Jahrhundert und somit bereits außerhalb unseres Untersuchungszeitraumes zur Drucklegung von Landtags- bzw. Ausschussbeschlüssen, die nunmehr erheblichen Umfang annehmen konnten und wohl ebenso primär Informationszwecken dienten (vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Landschaftliche Landtagsakten). 283 Vgl. Kap. II.1.2. 284 Vgl. nur Johann Jakob Moser in Krüger, Landständische Verfassung, 2003, S. 16–17. 281 282
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und innerhalb der Stände auf die einzelnen Steuerpflichtigen zu sorgen. Aus einer Truppenzusage der Stände resultiert die Notwendigkeit, den Modus der Truppenaufbringung und die Versorgung genau zu regeln (was unter Umständen wiederum Gegenstand eines Landtagsbeschlusses werden konnte, wie die 1501 angenommene Ordnung der lanndschafft der graveschafft Tirol belegt).285 Wenn ein Landesfürst aufgrund von ständischen Beschwerden versicherte, die Wildüberhegung zu reduzieren, waren von ihm die notwendigen Veranlassungen zu treffen. Ein Landtagsabschied war nur in den seltensten Fällen unmittelbar anwendbar. Insbesondere in Punkten, die Fragen der Gesetzgebung betrafen, war die Transformation der Landtagsbeschlüsse in Form von Einzelgesetzen notwendig. Es reichte somit nicht, dass auf den Landtagen der Jahre 1500 und 1502 einvernehmlich beschlossen worden war, nicht religiösen Zielen dienende Handwerksbruderschaften aufzulösen286 – erst 1505 wurde dies den lokalen Obrigkeiten in Mandatsform und unter Verweis auf die früheren Landtagsbeschlüsse aufgetragen.287 Und dass 1512 Maximilian zugesagt hatte, einen rechtlichen Rahmen für die zunehmenden Truppendurchzüge durch das Land zu erlassen,288 besagte allein noch gar nichts. Das Zustandekommen einer eigenen Durchzugsordnung sollte noch bis 1557 auf sich warten lassen.289 Selbstverständlich waren sich sämtliche Beteiligten der Notwendigkeit einer Transformation von Landtagsabschieden in unmittelbar anwendbares Recht bewusst. Eine eigene Aufstellung der Regimentskanzlei aus den beginnenden zwanziger Jahren hielt so in einer Liste der zu erlassenden Mandate ausdrücklich fest, waz in crafft des lanndtagsabschids von bevelhen und brieffen zu verferttigen not sein wil.290 Die Umsetzung von Landtagsbeschlüssen, die auf Gesetzgebungsakte abzielten, oblag somit dem Landesfürsten, dem dabei ein großer Handlungsspielraum zukam. Zwar war er zumindest aus ständischer Sicht zum Erlass entsprechender Gesetze verpflichtet, doch konnten sich diese weitgehend nur auf das bittweise Vorbringen verlegen.291 Der Einsatz des einzigen möglichen und daher nur wohlüberlegt anwendbaren Druckmittels – im Weigerungsfall keine Steuern mehr zu bewilli Edition bei Schennach, Quellen, 2004, S. 153–155. StAM, Handschrift III/35, fol. 12r–14v (ebenso fol. 29v–31v und 42v–45r), 1500 Nov. 30; StAB, Hs. 2543 (Landtagslibelle 6), 1502 Aug. 24 (Parallelüberlieferung in TLA, VdL, Bd. 3, S. 53–71, hier S. 55). 287 Vgl. TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 27, Lit. Z, fol. 159r, 1505 Juni 3. 288 StAB, Hs. 2459 (Landtagslibelle 12), fol. 2v, 1512 (ohne nähere Datierung). 289 TLA, BT, Bd. 7, fol. 280, 1557 (ohne nähere Datierung); Erwähnung bei Tölzer, Geschichte Tirols 1553−1564, S. 566–567; Edition bei Schennach, Quellen, 2004, S. 233–234: Durchzugordnung: Articul, welchermassen sich hinfüro alle Oberste / Haupt- und Bevelchßleüt / in der durchfüerung ainiches Kriegßfolckh zu Roß unnd Fueß / durch dise Fürstliche Grafschafft Tyrol halten sollen / wie dann ain Regierung ain solchs / von der Künigklichen Mayestat etc. außtruckhenlich in Bevelch empfangen. 290 TLA, LLTA, Fasz. 8, Bund 1, Abschnitt „Landtagsverhandlungen, Verschiedenes 1520– 1564“ fol. 1r–2r (ohne genaue Datierung). 291 Dies erkennt schon Tezner, Verwaltungsrechtspflege, I. Heft, 1898, S. 29–30. 285 286
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gen – ist ausschließlich unter Maximilian I. belegt.292 Eben diese Drohung wurde, wenngleich vergleichsweise verklausuliert, im August 1518 geäußert, um die Um setzung der auf dem Innsbrucker Ausschusslandtag des Jahres 1518 gemachten und in Urkundenform verbrieften Zusagen zu erreichen, insbesondere die Erlassung einer Landes- und Policeyordnung und die Abstellung der seit Jahren immer wieder thematisierten Gravamina:293 Unnd ist demnach ainer ersamen landtschafft unnderthanigist gehorsamist pit, Kay. Mt. welle in sollichem allem und waß die aufgerichten libell und nebenverschreybung begriffen und verrer innhalt derselben aufgericht werden sollen, vor Michaelis und die münczordnung vor Martini schirist künfftig, damit Kay. Mt. in bezalung der zugesagten hilf nicht hinderung beschehe, gnadigclichen aufrichten und volziehen. Sovil auch ainem regiment in crafft Kay. Mt. bevelch zu volziehen zuestett, daz soliches durch sy auch mit dem fürderlichisten volzogen werd. Eine absolute Ausnahmeerscheinung und nur durch die Konstellation nach dem Tod Maximilians I. zu erklären ist der Umstand, dass die zwei Landtagsabschiede der Jahre 1519/20, die vor allem umfassende Bestimmungen bezüglich Jagd und Wilderei enthielten, ohne Umsetzung in Mandatsform unmittelbar den Rechtsunterworfenen kundgemacht wurden. Das Exzeptionelle dieser Vorgehensweise wird durch den Vergleich mit dem ein Jahrhundert später angewandten Prozedere ersichtlich. Die jagdrechtliche Fragen ausführlich behandelnde ‚Richtsal‘ von 1619, die zwischen ständischen Deputierten und landesfürstlichen Räten ausgearbeitet und von Leopold V. bestätigt worden war, wurde in herkömmlicher Weise in Form eines landesfürstlichen Gesetzes umgesetzt.294
5. 2. 2. Ausschüsse 5. 2. 2. 1. Ausschüsse während eines Landtags Im Wesentlichen vollzog sich die landständische Willensbildung im 16. und 17. Jahrhundert somit im Rahmen der Ausschüsse, während dem Landtagsplenum ������������������������������������������������������������������������������������ Vgl. oben Kap. IV.7.2.2. Auf dem Landtag 1476 wurde diese Drohung zwar zunächst formuliert, im Zuge der Endredaktion der landständischen Gravamina jedoch bezeichnenderweise wieder durchgestrichen (vgl. TLA, LLTA, Fasz. 1, Landtag 1476; vgl. die Edition in Kap. VIII.2.). 293 TLA, LLTA, Fasz. 1, 1518 Aug. 4; ebenso StAB, Hs. 2555 (Landtagslibelle 18) und TLA, VdL, Bd. 3, S. 165. 294 �������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007, S. 150; die Richtsal ist überliefert in TLA, VdL, Bd. 12, S. 445–451; das entsprechende Mandat findet sich in TLA, CD 1619, fol. 451, 1619 Juni 12. 292
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nur die Abstimmung über deren Vorschläge zukam, die im Fall eines negativen Abstimmungsergebnisses zur Überarbeitung an den großen Ausschuss zurückverwiesen wurden. Dies relativiert die Bedeutung des bereits erwähnten und bisher nicht zweifelsfrei zu klärenden Disputs über den Abstimmungsmodus im Landtagsplenum. Wir wissen nicht mit Sicherheit, ob jedem Gericht nur eine Stimme im Plenum zukam (oder ob jeder Gesandte stimmberechtigt war, was weniger wahr scheinlich ist). Ebenso entzieht es sich unserer Kenntnis, ob jeder anwesende Adelige eine Stimme besaß oder ob mehrere Angehörige einer Familie unter Umständen nur eine Stimme hatten. Sicher ist jedenfalls seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts belegt, dass bei Abstimmungen auf Landtagen (und auch innerhalb der Ausschüsse) das Mehrheitsprinzip galt.295 Was gemayne lanndschaft [...] des merern tayls verwilligt, zusagt und beschleusst, sollte auch die Überstimmten binden.296 Da jedoch das Plenum nur das in den Ausschüssen Ausgehandelte entweder annehmen oder zurückverweisen konnte, wirkten sich die Zufälligkeiten bei der Anwesenheit von Ständevertretern weniger gravierend aus. Einen Entschluss ohne Konsens des Adels- und Prälatenstandes zu treffen, war aufgrund der paritätischen Besetzung der Ausschüsse genauso unwahrscheinlich wie die Ausmanövrierung von Städten und Gerichten durch die beiden höheren Stände. Dabei bevorzugte das System der Ausschüsse tendenziell die beiden Stände, die im Plenum numerisch am schwächsten vertreten waren, nämlich die Prälaten und Städte, die nichtsdestoweniger gleichberechtigt mit Adel und Gerichten an den Ausschüssen teilnahmen. Waren so im kleinen Ausschuss nur rund zehn Prozent aller ländlichen Gerichte vertreten, waren es bei den Prälaten und Städten mehr als fünfzig Prozent. Es ist bezeichnend, dass während des Bauernkrieges die Vertreter der Gerichte auf dem Junilandtag 1525 die Abstimmung in der Plenarsitzung statt in den Ausschüssen durchsetzten, konnten sie hier doch ihre numerische Überlegenheit angesichts des Ausschlusses der Geistlichkeit und der nur schwachen Anwesenheit des Adels voll ausspielen.297 Nachdem sich die Ausschüsse in maximilianeischer Zeit als eigentliche Foren der Willensbildung und Verhandlungsführung etabliert hatten, war folglich auch die getrennte Beratung der Stände untereinander nicht mehr vorgesehen.298 Ein Vorstoß Erzherzogin Claudias de’ Medici, die unter Verweis auf die Usancen in den Vgl. Stolz, Landstandschaft, 1934, S. 123; schon die Ordnung von 1404 weist aus, dass sie mit dem Rat des landesfürstlichen Rates und des „merern tail“ der Landsleute erlassen worden sei; vgl. die Edition bei Schober, Urkunden, 1990, S. 11–15, hier S. 11; Wopfner, Erbleihe, 1903, S. 203–209, hier S. 204); der Verweis auf das dort zum Ausdruck kommende Mehrheitsprinzip schon bei Stolz, Landstandschaft, 1933, S. 730, und Grass, Geschichte der Landstände, 1961, S. 309. 296 So in StAM, Urkunde A/I/577, 1511 Okt. 27. 297 Macek, Tiroler Bauernkrieg, 1965, S. 238. 298 ������������������������������������������������������������������������������������ Ansätze hierzu zeigen sich nur noch nach dem Tod Maximilians I. und während des Bauernkrieges, vgl. Hirn, Landtage von 1518–1525, 1905, S. 28, Anm. 7, und Macek, Tiroler Bauernkrieg, 1965, S. 233–234; Wopfner, Innsbrucker Landtag, 1900, S. 100–101; Stolz, Landstandschaft, 1934, S. 123–124. 295
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anderen österreichischen Ländern und auf die so zu erzielende Beschleunigung der Verhandlungen eine getrennte Abstimmung nach Kurien vorschlug, wurde von den Ständen einhellig abgelehnt.299 Vor der Durchsetzung der Ausschüsse als Foren der landständischen Meinungsbildung war der Beratungs- und Abstimmungsmodus noch ein anderer gewesen. Die Grundstruktur – die Abfolge von landesfürstlicher Proposition, ständischer Antwort und weiteren Verhandlungsschritten – ist zwar schon früh greifbar,300 erfolgte aber wohl bis in die sechziger Jahre des 15. Jahrhunderts noch weitgehend in mündlicher Form, wobei nur die Ergebnisse schriftlich festgehalten wurden.301 Erst in den siebziger und achtziger Jahren ist der Austausch von Schriften im Sinne einer Proposition, Antwort, Replik etc. auszumachen302 und wird schließlich mit der Etablierung der Ausschussverhandlungen unter Maximilian I. zur Selbstverständ lichkeit.303 Zuvor erfolgte hingegen auch noch die Willensbildung auf Landtagen in anderer Weise. Die Behauptung, die Tiroler Stände würden keine gesonderte Beratung nach Ständen kennen,304 trifft zwar für die Frühneuzeit zu, nicht jedoch für das 15. Jahrhundert.305 Als zentrale Quelle erweist sich dabei die Beschreibung des Junilandtags 1468.306 Siegmunds Kommissare verlasen die Proposition vor dem Plenum. Darauf sich die ����������������������������������������������������������������������������������������� Erwähnung schon bei Stolz, Landstandschaft, 1934, S. 122, sowie bei Egger, Geschichte Tirols, Bd. 2, 1876, S. 386–387; Brugger, Erzherzogin Claudia, 1952, S. 53–55; ausführlich in TLA, VdL, Bd. 19, fol. 76v–79v (undatierte Stellungnahme der Stände) sowie ebd., fol. 79v– 81v, 1640 Juni 7. 300 ������������������������������������������������������������������������������������ Vgl. nur TLA, UR I/9564, 1458 Aug. 29: Auf die landesfürstliche Proposition, gekennzeichnet durch Wendungen wie Mer hat er [Herzog Siegmund] lassen melden und sein brave lanndschaft gebeten kam die ständische Stellungnahme: Die antwurt der gantzen lanndschaft auff dy vorbemelten artikl all: Haben sy geantwort [...] (es folgt die Zusammenfassung der ständischen Erwiderung in drei Absätzen). 301 Vgl. z. B. neben dem bereits angeführten TLA, UR I/9564, 1458 Aug. 29, auch StAB, Hs. 2438 (Landtagslibelle 1), 1468 Juni 20; TLA, LLTA, Fasz. 1, 1468 Aug. 5; StAB, Hs. 2541 (Landtagslibelle 3), 1471 Okt. 16; StAB, Hs. 2540 (Landtagslibelle 4), 1474 Juni 24. 302 Die älteste erhaltene schriftliche Antwort der Stände auf eine landesfürstliche Proposition dürfte sein TLA, LLTA, Fasz. 1, 1474 Sept. 14; eine Proposition Siegmunds von 1486 Februar (ohne nähere Datierung) findet sich in StAB, Hs. 2542 (Landtagslibelle 5), die entsprechende ständische Antwort in TLA, LLTA, Fasz. 1, Nr. 5b (dort mit nachträglicher Fehldatierung durch einen Archivar auf 1481; zur Datierung jedoch Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 141, Anm. 3, der zudem die Proposition Siegmunds im Stadtarchiv Bozen nicht bekannt war, die die Datierung bestätigt). 303 Vgl. nur TLA, LLTA, Fasz. 1. 304 So noch Stolz, Landstandschaft, 1934, S. 123–124. 305 Vgl. zum Folgenden auch Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 125–127, der die Überlieferung aus dem Stadtarchiv Bozen noch unbekannt ist; missverständlich und zumindest für die Frühneuzeit unzutreffend Köfler, Land, 1985, S. 51. 306 �������������������������������������������������������������������������������������� StAB, Hs. 2438 (Landtagslibelle 1), 1468 Juni 20 (um eine Woche von der der Überlieferung im TLA folgenden Datierung bei Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, S. 124, Anm. 6 abweichend); TLA, Landschaftliche Landtagsakten, Fasz. 1, Nr. 3a und 3b, 1468 299
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stet unnd gerichten miteinander begerten zu bedennckhen, und ebenso wollten sich die Prälaten mit den Adeligen gemeinsam bedennkchen unnd rath geben, wie dies vormalß auf denn lanndtagen herkhomen gewesen sei.307 Nach dieser Unterbrechung gingen die Verhandlungen mit den fürstlichen Kommissaren im Plenum weiter. Immer wieder konnte die Plenarsitzung für Beratungen der Stände unterbrochen werden, wobei die Stände anschließend durch Sprecher ihre Meinung kundtaten, wobei vota separata möglich waren.308 Unklar war bisher, wann die gemeinsame Beratung aller Stände in einem Ausschuss diesen nachweislich 1468 gepflogenen und damals als „altes Herkommen“ bezeichneten Willensbildungsprozess abgelöst hat. Nachweisbar ist sie jedenfalls unter Maximilian I., wobei die immer wieder als entscheidend genannten Jahre 1517 bis 1519 mit Sicherheit nicht die ihnen für die Ausbildung der landständischen Verfassung zugeschriebene Bedeutung besaßen.309 Grundsätzlich empfiehlt es sich, drei Arten von ständischen Ausschüssen zu unterscheiden: 1. die auf Landtagen eingesetzten Ausschüsse, die der ständeinternen Willensbildung dienen und die Entwürfe der landschaftlichen Stellungnahmen ausarbeiten; 2. jene Ausschüsse, die außerhalb eines Landtags in Koordination mit dem Regiment bzw. der Regierung die Beschlüsse eines Landtags zu vollziehen haben und somit administrative Aufgaben haben (hierzu Kap. IV. 5. 2. 2. 2.); 3. nicht institutionalisierte ständische ad-hoc-Ausschüsse, die konkret zugewiesene Aufgaben wahrzunehmen haben und denen im Rahmen einer Gesetzgebungsgeschichte besondere Bedeutung zukommt (vgl. Kap. IV. 5. 2. 2. 3.). Sie werden im Folgenden als Deputationen bezeichnet, um den Unterschied zu den Ausschüssen als institutionalisierten ständischen Organen hervorzuheben. Ausschüsse als Beratungsgremien auf Landtagen lassen sich erstmals unter Maximilian I. zweifelsfrei ausmachen. In aller Deutlichkeit wird dies auf dem Augustlandtag des Jahres 1502 greifbar, als nach Verlesung der landesfürstlichen Proposition ein Ausschuss gebildet wurde, der sich aus je vier Mitgliedern jedes Standes Juni 13; unvollständige, da nicht auf die genannte Quelle gestützte Wiedergabe bei Inhalts der Verhandlungen bei Jäger, Landständische Verfassung, Bd. II/2, 1885, S. 220–221 und S. 226–229. 307 StAB, Hs. 2438 (Landtagslibelle 1), fol. 3r, 1468 Juni 20. 308 ������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. nur StAB, Hs. 2438 (Landtagslibelle 1), fol. 5r–5v, 1468 Juni 20: Nachdem sich die Gesandten der Städte und Gerichte im weiteren Verlauf der Verhandlungen bis auf den anndern tag darauf bedacht hätten, so hat Liennhart Vennden von Meran von allen stötten und gerichten wögen obgenennt (ausgenommen der von Persen [Pergine], der von Rottnegg, Ifan [Ivano], Delfan [Telvana] und Caldinätsch [Caldonazzo], die ir sundere anntwurt gegeben haben) als zum letsten volget. 309 Vgl. hierzu Köfler, Land, 1985, S. 514–516.
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zusammensetzte und vom Landmarschall geleitet wurde. Dieser Ausschuss hat anschließend daz begern Kün. Mt., auch die swern hanndl vor augen und die gros notdurfft dis lannds der grafschafft Tirol erwogen und zu herzen genomen und betracht.310 Zwar ist noch nicht die Differenzierung in einen großen und einen kleinen Ausschuss nachweisbar, doch ist die nach Ständen getrennte Beratung, die unter Herzog Siegmund belegt ist, offensichtlich bereits durch eine gemeinsame in einem Ausschuss ersetzt311 – wobei dieses Prozedere 1502 als selbstverständlich angesehen wurde und daher zu diesem Zeitpunkt wohl bereits auf eine längere Vorgeschichte zurückblicken konnte. Dies wird durch den Augustlandtag des Jahres 1491 bestätigt, auf dem ebenfalls ein aus vier Vertretern jedes Standes gebildeter Ausschuss aufscheint.312 Dass erst 1517 vereinbart worden sei, dass die Gerichte mit der gleichen Anzahl Deputierter in Ausschüssen vertreten sein sollten wie die anderen Stände, lässt sich quellenmäßig nicht belegen.313 Der wesentliche Fortschritt des damals getroffenen Entschlusses, der ausschließlich innerhalb der Gerichte Wirkung entfaltete, bestand in der Festlegung, welche Viertel je nach Größe des Ausschusses zur Entsendung der Vertreter der Gerichte befugt sein sollten. Wurde der Ausschuss beispielsweise aus vier Gesandten jedes Standes gebildet, sollte fortan das Viertel an der Etsch, das Viertel am Eisack, das Viertel Oberinntal und das Viertel Unterinntal je einen Vertreter entsenden. 5. 2. 2. 2. Ausschüsse zwischen zwei Landtagen Sieht man von den ständischen Räten ab, die in der Zeit des Vormundschaftsstreits mit König Friedrich von 1443 bis 1446 und schließlich im Konflikt mit dem greisen Erzherzog Siegmund von 1487 bis zur Übergabe an Maximilian I. die Regierungsgeschäfte leiteten bzw. in erheblichem Maße mittrugen,314 kam es in maximilian TLA, VdL, Bd. 3, S. 53–71, hier S. 54–55, 1502 Aug. 24; Parallelüberlieferung in StAB, Hs. 2543 (Landtagslibelle 6). 311 Vgl. nur den folgenden Hinweis auf dem Januarlandtag 1508 in TLA, LLTA, Fasz. 1, 1508 Jan. 13. 312 Vgl. TLA, Cod. 3074 [1491 Aug.] (falsche Datierung auf 1490 bei Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 171; korrekte Datierung auf 1491 Aug. ebd., S. 204; 1490 wurde in Brixen kein Landtag abgehalten). Der Ausschuss sollte auch ausdrücklich die bisher aufgrund einer früheren Steuerbewilligung lukrierten Einnahmen überprüfen, Steuerrenitente ausfindig machen und der Landschaft über die Ergebnisse Bericht erstatten. 313 So Jäger, Landständische Verfassung, Bd. II/2, 1885, S. 492–493; daran anschließend u. a. Köfler, Land, 1985, S. 514–515; Feller, Il fondo, 2006, S. 84. 314 Vgl. zu 1443 Mayer, Verwaltungsorganisation, 1920, S. 13; Jäger, Vormundschaftsstreit, 1872; Baum, Sigmund der Münzreiche, 1987, S. 76–82; Riedmann, Mittelalter, 21990, S. 486; Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 112–117 (ebd., S. 113, Anm. 2, auch Auseinandersetzung mit der älteren Literatur); als „obriste Verweser“ fungierten der Landeshauptmann, Bürgermeister, Rat und Richter von Meran sowie 18 Mitglieder der Land310
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eischer Zeit überdies erstmals zur institutionellen Ausformung eines ständischen Ausschusses, der nicht während der Tag ungsdauer des Landtags als Abstimmungsund Vorbereitungsgremium fungierte, sondern nach der Entlassung des Landtags als dessen Organ die dort gefassten Beschlüsse ausführen und dem Regiment bzw. Maximilian selbst im Bedarfsfall als Ratgeber zur Verfügung stehen sollte.315 Während des Venezianerkrieges ab 1508 wurde nachweislich wiederholt am Ende eines Landtags ein entsprechender Ausschuss installiert316. Im November 1511 waren es so die landesfürstlichen Kommissare, die die Tiroler Landschaft ersuchten, einen Ausschuss zu verordnen. Dieser sollte, ob in der zeit etwas news fürfiel, [...] mitsambt dem regiment zu Ynsprugg zu guet Kay. Mt., auch irer lannd unnd leüt daran helffen zu ratslagen unnd [...] das pest zu hellfen zu hanndlen.317 Dem willfahrten die Landstände, zumal sich dies durchaus mit ihren Interessen überschnitt, hatten sie doch noch unmittelbar zuvor über die anhaltende Belastung durch die häufigen Landtage geklagt.318 Gerade während des Venezianerkrieges (1508/09–1516) zeigt sich eine gewisse Affinität des ständischen Ausschusses zu den so genannten Landräten, die als landschaftliches, speziell für Verteidigungsfragen zuständiges ständisches Gremium bei der Organisation des militärischen Aufgebotes der Städte und Gerichte mitwirkten.319 Auch das Gremium dieser Landräte wird, nach rudimentär greifbaren Anfängen 1487, erstmals unter Maximilian I. deutlicher erkennbar. Dennoch ist keine Identität von Landräten und Ausschuss gegeben. Dies zeigt sich 1514, als die Landschaft einerseits einen 24 Mitglieder (sechs von jedem Stand) zählenden Ausschuss für die Vollziehung der Landtagsbeschlüsse wählte, andererseits Maximilian ermächtigte, die Landräte einzuberufen, wann trefflich eehafften fürfallen.320 Das Landrätegremium war somit zahlenmäßig deutlich kleiner als der Ausschuss schaft (je sechs von Adel, Städten und Gerichten); zu 1487 u. a. Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 147; Jäger, Landständische Verfassung, Bd. 2/2, 1885, S. 357; Mayer, Verwaltungsorganisationen, 1920, S. 22–23 (vgl. auch die Literaturhinweise in Kap. I.4.2.1.1.). 315 Diese Ausschüsse entsprechen somit dem Kollegium der ständischen Verordneten, wie wir es z. B. in der Steiermark finden, und dessen Anfänge ebenfalls bis in die maximilianeische Zeit reichen (vgl. Mell, Grundriß der Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, 1929, S. 360–383, hier bes. S. 362–363). 316 Vgl. z. B. TLA, Landschaftliches Archiv, Landschaftliche Landtagsakten, Nr. 10, 1508 Mai 18; StAB, Hs. 2554 (Landtagslibelle 17), fol. 3v (1517). 317 StAB, Hs. 2547 (Landtagslibelle 10), fol. 11r. 318 StAB, Hs. 2547 (Landtagslibelle 10), fol. 12r (Beschwerde über zu häufige Landtage ebd., fol. 8r, mit der Bitte, on mercklich not und ursach weitter nit lanndtäg anzuberaumen). 319 ��������������������������������������������������������������������������������������� Hierzu Schennach, Quellen, 2004, S. 75–77, sowie ausführlich Schennach, Tiroler Landesverteidigung, 2003, S. 67–88. 320 StAB, Hs. 2551 (Landtagslibelle 14), fol. 4v–5r (Erwähnung der Landräte) und fol. 6r–6v (Benennung der Ausschussmitglieder); zum Januarlandtag 1514 allgemein Wolfbauer-Heimlich, Maximilian I., die Erbländer und das Reich im Jahr 1513, 1979, S. 172; Jäger, Landständische Verfassung, Bd. II/2, 1885, S. 474.
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und zudem vornehmlich für militärische Agenden zuständig. In nachmaximilia neischer Zeit wurde das Gremium der Landräte zudem nur noch in militärischen Bedrohungssituationen konstituiert, im 16. Jahrhundert in den Jahren 1526 (Bauernkrieg), 1529 (Türkenkrieg), 1531 und 1532 (Türkenkrieg, Schmalkaldischer Bund), 1546 und 1551 (Schmalkaldischer Krieg) sowie nochmals 1567 unter dem Eindruck des 1566 neu aufgeflammten Türkenkriegs.321 Die Zahl der Landräte schwankte noch im 17. Jahrhundert, von sechs (1624, 1647) über zehn (1605) bis zu maximal 18 (1636). Im 17. Jahrhundert kam es insofern zu einem Wandel in der Zusammensetzung der Landräte, als diese nicht mehr einem bestimmten Stand, sondern geographisch einem bestimmten Landesviertel zugewiesen wurden. Der Landtagsausschuss und das Gremium der Landräte waren somit in maximilianeischer Zeit nicht identisch, obwohl beide paritätisch besetzt waren und von der Landschaft ernannt wurden. Tatsächlich wurden erstmals auf dem Februarlandtag 1519 ein großer und ein kleiner Ausschuss gewählt (mit je zehn bzw. zwei Vertretern pro Stand), die ausdrücklich zur Vollziehung der Landtagsbeschlüsse ermächtigt wurden.322 Wenngleich keine direkte Verbindung bzw. Kontinuitätslinie zwischen dem Landrätegremium der maximilianeischen Zeit und dem kleinen Ausschuss von 1519 hergestellt werden kann, darf eines nicht vergessen werden: Durch die nachweisbare gleichzeitige Tätigkeit von Landräten einerseits und Landtagsaus schuss andererseits während des Venezianerkrieges Maximilians gab es de facto schon damals zwei zeitlich parallel existierende landständische Deputationen von unterschiedlicher Größe, von denen die kleinere (die Landräte) hinsichtlich ihres Tätigkeitsbereichs jedoch auf die zeitintensive (Mit-)Organisation des Aufgebots beschränkt waren. Die Existenz zweier ständischer Gremien mit unterschiedlicher Mitgliederzahl war gleichwohl schon präfiguriert, so dass die damals gemachten Erfahrungen 1519 anlässlich der erstmaligen Wahl der beiden Landtagsausschüsse einfließen konnten. Noch war die Wahl zweier unterschiedlicher Ausschüsse auch keineswegs obligatorisch. So setzte der Landtag im Februar 1520 nur einen Ausschuss mit insgesamt 24 Mitgliedern ein,323 wohingegen der Julilandtag 1525 wieder zur Wahl zweier Ausschüsse (mit insgesamt 30 bzw. neun Mitgliedern) schritt.324 1527 wurde hingegen nur ein Ausschuss mit 24 Mitgliedern konstituiert.325 In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts hat sich schließlich die regelmäßige Einrichtung eines Vgl. Schennach, Quellen, 2004, S. 76. Vgl. Köfler, Land, 1985, S. 515; Feller, Il fondo, 2006, S. 84; Hirn, Landtage 1518–1525, 1905, S. 21–22; Edition des Landtagsschlusses bei Brandis, Landeshauptleute, 1847/1850, hier S. 509; Originalüberlieferung in TLA, VdL, Bd. 3, S. 174–189; StAB, Hs. 25556 (Landtagslibelle 19); TLMF, Dip. 971, Nr. VI, Teil 1. 323 Vgl. Köfler, Land, 1985, S. 515–516. 324 TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 127v; ebd., fol. 156r–159r; ebd., fol. 162; TLA, LLTA, Fasz. 2, 1526 April 27; siehe auch schon TLA, LLTA, Fasz. 2, Landtag Invocavit 1525, fol. 105v–106r. 325 TLA, VdL, Bd. 3, S. 297–298, 1527 Nov. 25. 321 322
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großen und eines kleinen Ausschusses eingebürgert,326 wobei sich allmählich auch die Zahlenverhältnisse einpendelten: Der große Ausschuss umfasste 40, der kleine 24 Mitglieder, wobei die Stände wie schon zuvor paritätisch vertreten waren.327 Seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurden „offene“ Landtage zunehmend durch Ausschusstage (Ausschusskongresse) verdrängt, was für die Landesfürsten den erheblichen Vorteil einer schnelleren Entscheidungsfindung hatte. In außen- oder innenpolitisch angespannten Situationen sah die Regierung zumindest im 16. Jahrhundert fallweise in Volllandtagen ein gewisses Sicherheitsrisiko. Die Zusammenkunft eines Landtags, so die Befürchtung, könnte speziell von Vertretern der niederen Stände zum Unruhestiften und Anzetteln eines Aufstandes missbraucht werden.328 Für die Landstände wiederum hatte die Reduktion der Anzahl der Volllandtage den Vorteil einer erheblichen Kostenersparnis.329 So stehen beispielsweise in der Regentschaft Claudias de’ Medici von 1632 bis 1646 drei offene Landtage 17 Ausschusskongressen gegenüber.330 Mit der daraus resultierenden Problematik sah sich nicht nur die Tiroler Landschaft, sondern sahen sich auch frühneuzeitliche Landstände anderer Territorien konfrontiert:331 Die Institutionalisierung von Ausschüssen barg das Risiko, Landtage in eine Statistenrolle abzudrängen respektive – abgesehen von den Huldigungslandtagen aus Anlass des Herrschaftsantritts eines neuen Landesfürsten332 – überhaupt überflüssig werden zu lassen. Auf landesfürstlicher Seite verfestigte sich zudem der Eindruck, dass Ausschüsse fürstlichen Forderungen tendenziell weniger Widerstand entgegenbrachten, was neben der rascheren Entscheidungsfindung durch Ausschüsse ebenfalls für eine Umgehung des Volllandtags sprach. Die Stände reagierten hierauf in Tirol wie anderwärts mit dem Bestehen auf der strikten Einhaltung der Ausschussvollmach Auf ein Kuriosum des Landtags 1563 sei hier noch verwiesen: Nach der erfolgten Entlassung kam man seitens der Stände darauf, dass die Wahl der Ausschüsse vergessen (!) worden war. Wenngleich Ausschüsse nur von einem bis zum nächsten Landtag gewählt waren, sollte der Landeshauptmann diesmal die alten Ausschüsse einberufen und ihnen drei neue (offensichtlich vom Landeshauptmann selbst zu bestellende) Mitglieder zuweisen. 327 Vgl. hierzu die Übersicht bei Blickle, Landschaften, 1973, S. 181. 328 Vgl. nur TLA, AkgM 1552, fol. 118v, 1552 April 14; ferner TLA, AksM 1560, fol. 13r–16r, 1560 Jan. 9 (Die Anberaumung eines Landtags könnte angesichts der angespannten Versorgungslage der Bevölkerung mit Lebensmitteln zu ainer unrue und empörung bei den unruebigen personen erst mer verursachen [!], ain feur zu erweckhen) (Zitat ebd., fol. 15v–16r). 329 Auf dem im Jahr 1605 abgehaltenen Landtag forderten die Landstände selbst, mindestens für die nächsten vier Jahre keinen Landtag mehr abzuhalten (TLA, VdL, Bd. 6, S. 296, 1605 Febr. 18); vgl. auch die Klagen über die kostenintensiven Landtage in TLA, VdL, Bd. 12, S. 17, 1619 März 15. 330 Vgl. Brugger, Erzherzogin Claudia, 1952; im 18. Jahrhundert wurden überhaupt nur mehr drei offene Landtage abgehalten, vgl. Grass, Geschichte der Landstände, 1961, S. 316. 331 Vgl. Lange, Landtag und Ausschuß, 1986, bes. S. 86–90; hierzu auch Fuhrmann, Amtsbe schwerden, Landtagsgravamina und Supplikationen, 1998, bes. S. 79 (mit weiteren Literatur hinweisen). 332 Hierzu Holenstein, Huldigung der Untertanen, 1991. 326
5. Die Landstände
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ten, die sämtliche Entscheidungen von weitreichender Bedeutung einem Landtag vorbehielten. Der ausschuß khan aus gemainen [!] landtagsabschid nit schreiten, wie es der Innsbrucker Ausschusstag im Juli 1605 auf den Punkt brachte.333 Vorstößen der Landesfürsten, die Vollmachten der Ausschusstage auszudehnen, wurde regelmäßig eine Absage erteilt.334 5. 2. 2. 3. Nicht institutionalisierte Ausschüsse Zeitlich am weitesten zurückverfolgen lassen sich nicht-institutionalisierte ad-hocAusschüsse der Landschaft (Deputationen), die jeweils zu besonderen Aufgaben herangezogen und zu diesem Zweck konstituiert wurden. Derartige Deputationen sind schon unter Friedrich IV. belegt und schon damals für die Vorbereitung und Ausarbeitung von Gesetzgebungsakten von Bedeutung. 1420, 1423 und 1424 waren sie offensichtlich maßgeblich an der Erörterung der Landesbeschwerden und deren gesetzlicher Abstellung beteiligt. Die Ordnung des Jahres 1420335 wurde so von sechs landesfürstlichen Räten gemeinsam mit sechs Deputierten des Adelsstandes und sechs Gesandten der Städte und Gerichte aufgesetzt. Ebenso wird 1423 und 1424 ausdrücklich die Abstellung der „Landesgebrechen“ als Auftrag der ständischen Ausschüsse genannt.336 1424 betrieb der Landeshauptmann, dass auf dem kommenden Landtag in Bozen zwölf aus der landtschafft erwelt und ausgeschossen werdent, um die Landesgravamina zu erörtern. Schließlich hätten die gebrechen des lands schon auf den letzten beiden Landtagen thematisiert werden sollen, was jedoch nicht gesein mochte.337 Die Mitwirkung bei der Erledigung von Landtagsbeschwerden war offensichtlich auch während der Regierungszeit (Erz-)Herzogs Siegmund eine zentrale Funk TLA, VdL, Bd. 6, S. 324. So verlangte Erzherzog Ferdinand II. beispielsweise, dem Ausschuss eine unumschränkte Vollmacht zu erteilen, in allen fürfallenden sachen und handlungen, so sich täglichen zuetragen unndt daran ir F. D. getrew gehorsamen landen undt leiten gelegen undt etwo vorsteender eil undt gefahr halber nit pit haben, verbindlich stellvertretend für die Landschaft handeln zu können, wodurch kostspielige Landtage eingespart werden könnten (TLA, VdL, Bd. 15, S. 101, 1568 März 24); dies wurde abgelehnt (TLA, VdL, Bd. 15, S. 122, 1568 März 27). Vgl. ferner TLA, VdL, Bd. 15, fol. 629, 1613 Febr. 3. 335 TLA, UR I/8381, 1420 Jan. 9; Edition bei Schwind/Dopsch, Ausgewählte Urkunden, 1895, Nr. 171, S. 319–322; Besprechungen bei Blickle, Landschaften im Alten Reich, 1973, S. 193; Köfler, Landtag, 1985, S. 47–48; Jäger, Landständische Verfassung, Bd. II/1, 1882, S. 361; Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 103–104; Stolz, Landstandschaft, 1933, S. 720. 336 Zu den Vorgängen 1423 vgl. Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 104– 105; Brandis, Friedrich von Österreich, 1823, S. 494–495. 337 TLA, UR I/4415, 1424 Mai 11; vgl. auch Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 106; Erwähnung schon bei Brandis, Landeshauptleute, 1847/1850, S. 201–202. 333 334
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
tion solcher landständischen Ausschüsse. 1468 sollte ein hinsichtlich seiner Zusammensetzung nicht näher spezifizierter, vom Landeshauptmann zu berufender Ausschuss gebildet werden. Dieser hatte Siegmund nach dessen Rückkehr nach Tirol die auf zwei vorangegangenen Landtagen vorgebrachten Beschwerden darzulegen und ihn zu bitten, die beswerung und menngel zu wenden.338 Deutlicher wird der Konnex auf dem Junilandtag 1474: Am 20. Juni waren die Beschwerden vorgelegt worden.339 Vier Tage später wurde im Landtagsabschied festgehalten, Siegmund möge „bestellen“ und „verordnen“, dass die Gravamina von den fürstlichen Räten und landschaftlichen Deputierten durchgesehen und abgestellt werden.340 Schon fünf Tage später erging eine inhaltlich sehr umfassende Ordnung, die auf die ventilierten Beschwerden reagierte und ihnen rechtlich gegenzusteuern versuchte.341 Mit der regelmäßigen Einrichtung der einem Landtag folgenden Ausschüsse wurden derartige, vor allem mit der Behandlung von Landtagsgravamina befassten Deputationen weitgehend überflüssig. Diese Aufgabe wurde jetzt tendenziell von den institutionalisierten Ausschüssen übernommen, wobei auch in deren Rahmen das Bemühen um eine Behebung der Beschwerden wichtig war. Auf dem im Frühjahr 1515 in Innsbruck abgehaltenen Landtag hatte die Landschaft nicht nur eine Beschwerdeschrift überreicht, sondern auch darauf ainen ausschuss hie zu Ynnsprugg gelassen, der Vorschläge zur Behebung der Missstände ausarbeitete und diese dem Regiment unterbreitete.342 Besonders nach dem Tod Maximilians I. bemühten sich sowohl der kleine und große ständische Ausschuss als auch das Regiment durch gemeinsame Anstalten zur Behebung der Beschwerden die eskalierende innenpolitische Situation unter Kontrolle zu bringen.343 Auf dem Märzlandtag 1525 war ebenfalls die gemeinsame Behandlung der vorgebrachten Partikularbeschwerden durch den großen und kleinen ständischen Ausschuss und die Regierung vorgesehen worden.344 Ganz verschwanden die ad hoc gebildeten Ausschüsse jedoch nicht. Noch auf dem Julilandtag 1518 wurden eigens acht ständische Deputierte bestimmt, deren ausschließliche Aufgabe die Erörterung und Behebung der Gravamina sein sollte.345 Bei größeren Gesetzgebungsprojekten war in den folgenden Jahrhunderten die ad 340 341 338 339
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TLA, LLTA, Fasz. 1, fol. 3r–4r, hier fol. 4r, 1468 Aug. 5. TLA, Sigmundiana V/6, 1474 Juni 20; vgl. die Edition in Kap. VIII.2. TLA, StAB, Hs. 2540 (Landtagslibelle 4), 1474 Juni 24. Vgl. TLA, Cod. 195, fol. 19r–21v; Stadtarchiv Meran, Urkunde A/I/301; TLA, LLTA, Fasz. 1, Nr. 4b; StAB, Hs. 2540 (Landtagslibelle 4), 1474 Juni 29. TLMF, Dip. 1182, Teil I, 1515 (unpag., unfol., ohne genauere Datierung). Vgl. die Literaturhinweise bei Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007, S. 123–126. TLA, LLTA, Fasz. 2, Landtag Invocavit 1525, fol. 105v–106r. Vgl. TLA, LLTA, Fasz. 1, Julilandtag 1518; diese Deputation ist nicht mit dem Ausschuss identisch, wie die gesonderte Erwähnung des Ausschusses belegt! Ebenso die Vorgangsweise in TLA, BT, Bd. 8, fol. 1, 1650 Jan. 5; ebd., fol. 6r, 1560 Jan. 23.
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hoc-Bildung von ständischen Deputationen häufig anzutreffen, egal ob es sich um Vorhaben zur Reformation der Landesordnung oder um bedeutende Einzelordnungen handelte.346 Die Mitgliederzahl blieb dabei zumeist im einstelligen Bereich. Die Konstituierung einer eigenen Deputation war nicht zwangsläufig mit der Aus schaltung des ständischen Ausschusses oder allenfalls des Landtags gleichzusetzen, vielmehr konnte eine Deputation der Befassung des Ausschusses bzw. eines Volllandtags vor- oder nachgeschaltet sein. Die ausführliche Darstellung der Foren und Abläufe landständischer Willensbildung erfolgte nicht ohne Blick auf ihre Relevanz für die Entwicklung der Gesetzgebung. Sie ist Voraussetzung für ein Verständnis ebenso der verfahrenstechnischen wie der macht- und realpolitischen Vorgänge hinter der Formel einer „Beteiligung der Landschaft am Gesetzgebungsprozess“. Wenn im Folgenden der Frage nachgegangen wird, bei welchen legislativen Vorhaben die Landstände eingebunden wurden oder selbst Initiativen setzten, vollzog sich dies im Rahmen der soeben vorgestellten Strukturen. Dabei lassen sich für das 16. und 17. Jahrhundert durchaus allgemeine Aussagen treffen. Zentrale Bedeutung kam zweifellos den Aus schüssen und ad-hoc-Deputationen zu. Die Mehrzahl von Gesetzgebungsvorhaben, insbesondere die vielen Einzelgesetzgebungsakte zur „guten Policey“ kamen, soweit nicht durch ständische Gravamina initiiert, nicht vor das Forum eines Volllandtags. Partizipations- und Gestaltungsmöglichkeiten der Landstände ergaben sich hier vornehmlich durch die begutachtende und beratende Tätigkeit des ständischen Ausschusses (sofern landesfürstlicherseits nicht auf das Adelige Hofrecht rekurriert wurde, das diesbezüglich im 16. Jahrhundert bis zu einem gewissen Grad ähnliche Funktionen wie der Ausschuss erfüllte). Die Volllandtage wirkten wie schon im 15. so auch im 16. Jahrhundert vor allem durch das Vorbringen von ständischen Beschwerden auf die Gesetzgebung ein. Darüber hinaus fassten sie Grundsatzbeschlüsse – z. B. über eine anzustellende Reformation der Landesordnung, zu der anschließend eine Deputation gestellt wurde – und dienten als Foren, um über die Fortschritte eines solchen Projekts zu informieren oder dessen Fortsetzung zu betreiben. Im 17. Jahrhundert zeichnet sich insofern ein Wandel ab, als mit dem Vordringen der Ausschusstage diese zunehmend Funktionen im Gesetzgebungsprozess, die bisher Landtagen vorbehalten waren, übernahmen. Gravamina konnten nunmehr auch von Ausschusskongressen vorgebracht werden, und Ausschusstage konnten ebenso Grundsatzbeschlüsse über anstehende legislative Großvorhaben fassen.
�������������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. z. B. TLA, BT, Bd. 4, fol. 365r, 1539 Nov. 3; BT, Bd. 8, fol. 1, 1560 Jan. 5; siehe insbesondere die Ausführungen über die Landesordnung und deren Reform in Kap. IV.7.4.–IV.9.
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
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5. 3. Beteiligung an der Gesetzgebung – necessitas oder humanitas? 5. 3. 1. Allgemeines Der Umfang der den Landständen zukommenden Befugnisse und Mitwirkungsrechte ist je nach Territorium, Zeitraum und aktuellen machtpolitischen Konstellationen zwischen Landesfürst und Landschaft unterschiedlich ausgeprägt. Grundsätzlich konnte sich die Mitwirkung der Landschaft auf sämtliche das Land betreffende Angelegenheiten beziehen,347 wobei sich das Steuerbewilligungsrecht in nahezu allen Ländern – so auch in Tirol – zum Kern der landständischen Rechte entwickelte.348 Daneben war die hier besonders interessierende Mitwirkung der Landstände am Gesetzgebungsprozess eine Konstante in den Territorien des Heili gen Römischen Reichs,349 wobei die diesbezüglichen Kompetenzen je nach behandelter Rechtsmaterie, Zeitpunkt und Land unterschiedlich ausgeprägt sein konnten. Das Spektrum der Möglichkeiten erstreckte sich von bloßen Anhörungs- über Mitwirkungs- (Beratungs-) bis hin zu Zustimmungsrechten.350 Als Basiskonsens der bisherigen Forschung lässt sich bei überregionaler Betrachtung festhalten, dass Kodifikationen des 15. bis 17. Jahrhunderts (Landrechte, Landesordnungen, Policeyordnungen) tendenziell unter je nach Territorium unterschiedlich ausgestalteter Beteilig ung der Landstände ausgearbeitet wurden.351 Jüngere Forschungen zur „guten Policey“ haben überdies gezeigt, wie intensiv die Vgl. nur überregional die Zusammenstellung bei Kröner, Landständische Verfassung, 2003, S. 8 und 14–15. 348 ���������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. allgemein Willoweit, Genossenschaftsprinzip und altständische Entscheidungsstrukturen, 1986, S. 130; ferner z. B. Quartal, Bürger und Bauern, 2000, S. 70–72. 349 ����������������������������������������������������������������������������������������� Zu den österreichischen Erblanden allgemein siehe Palme, Identität, 2000, S. 30–31; Brunner, Land und Herrschaft, 51965, S. 426–440; Hassinger, Landstände, 1964, S. 1028–1029; Spezialuntersuchungen bei Pauser, Maximilian II. und die Landstände, 2002; Brauneder, Anfänge der Gesetzgebung, 1994 (erstmals 1977), S. 425–428; Brauneder, Gesetzgebungsgeschichte, 1994 (erstmals 1973), S. 443–452; Mell, Grundriß der Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, 1929, S. 400–416; zum Spätmittelalter Hageneder, Gesetzgebungsrecht, 1974, bes. S. 479–480. 350 Vgl. allgemein Mohnhaupt, Potestas legislatoria, 1972, S. 190; Mohnhaupt, Mitwirkung der Landstände, 2000 (erstmals 1991), S. 210–211 und S. 217. 351 Moraw, Landesordnungen, 1997, S. 188; Wolf, Gesetzgebung, 21996, S. 33–34, 36–41; Immel, Typologie der Gesetzgebung, 1976, bes. S. 9–19; Mohnhaupt, Potestas legislatoria, 1972, S. 191; Schmelzeisen, Polizei- und Landesordnungen, Bd. 2/1, 1968, S. 28–29; Blickle, Landschaften, 1973, S. 525–551; Willoweit, Genossenschaftsprinzip und altständische Entscheidungsstrukturen, 1986, bes. S. 131; Weber, Sozialdisziplinierung, 1998, S. 427–428; Blickle, Politische Landschaften in Oberschwaben, 2000, S. 29; nähere Beispiele bei Richter, Landesordnungen, 1964, bes. S. 12–15, 22, 25–28; Köhle, Landesherr und Landstände, 1969, S. 60–62; Putzer, Rechtsgeschichtliche Einleitung, 1981; Putzer, Legislative, 1981; Neitmann, Landesordnungen, 1992; Hahn, „Absolutistische“ Polizeigesetzgebung, 1980, S. 18–19; Müller, Landesordnung, 1996; Berg, Landesordnungen, 1998, bes. S. 33–36, 83–92, 164–166, 205–206; Brauneder, Anfänge der Gesetzgebung, 1994 (erstmals 1977), S. 427– 347
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Stände in vielen Ländern zudem nicht nur bei bestimmte Policeymaterien behandelnden Sonderordnungen, sondern auch bei Einzelgesetzgebungsakten eingebunden waren.352 Dabei wird grundsätzlich eine Abnahme der ständischen Mitwirkung am Gesetzgebungsprozess im Verlauf der Frühneuzeit konstatiert.353 Die bis vor wenigen Jahrzehnten dominierende Ansicht, dass die Stände im Zuge dieser Mitwirkung an der Gesetzgebung ausschließlich oder zumindest primär auf die defensive Wahrung eigener Interessen und somit tendenziell gemeinwohlfeindlich tätig wurden, gilt inzwischen als überholt.354 Diese Sichtweise war nicht zuletzt durch die allgemein negative Bewertung der Landstände bis in die frühe Nachkriegszeit mit bedingt.355 Die in den letzten Jahrzehnten auch mit Blick auf die österreichischen Länder verbesserte Forschungslage lässt gleichwohl eine intensivere Erforschung der ständischen Beteiligung sowohl allgemein356 als auch mit Blick auf Tirol357 als Desiderat erscheinen, zumal sich im Fall Tirols die ältere Forschung (wie bereits dargelegt) stark auf die Landesordnung von 1526 fokussierte. Bei der Frage nach den Ursachen für die Befassung der Landstände mit Gesetzgebungsvorhaben, der angesichts der theoretischen Rückführung auf den herrscherlichen Willen als alleinigen Geltungsgrund der Gesetze eine gewisse Brisanz innewohnte, muss man verschiedene Ebenen differenzieren: 1. die theoretischen Begründungen, die durch die frühneuzeitliche Rechtsund Staatswissenschaft geliefert wurden; 2. die von der Rechtsgeschichte bzw. der allgemeinen Geschichtswissenschaft entwickelten Erklärungsmodelle; 3. die konkrete Thematisierung des Mitwirkungsrechts an der Gesetzgebung in der politischen Diskussion zwischen Landesfürst und Landständen.
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428; Brauneder, Gesetzgebungsgeschichte, 1994 (erstmals 1973), S. 443–452; vgl. aber z. B. auch Kern, Pfälzer Landrecht, 1983, S. 39–40. Vgl. nur Dehesselles, Policey, Handel und Kredit, 1999, S. 26–34; Pauser, Maximilian II. und die Landstände, 2002; Butz, Polizeibegriff, 1986, S. 36; so auch schon Lieberich, Anfänge der Polizeigesetzgebung, 1969, S. 324–330; Janssen, Zur territorialen Gesetzgebung, 1984, S. 9 und 26. So schon Näf, Herrschaftsverträge, 1949, S. 41–42; Blickle, Landschaften, 1973, S. 37; Oestreich, Policey und Prudentia civilis, 1980, S. 369 und 373; Hahn, Polizeigesetzgebung, 1980, S. 19; Schulze, Policey, 1982, S. 39; Schulze, Polizeigesetzgebung, 1978, S. 93; Gittel, Aktivitäten, 1996, S. 245. In diese Richtung aber noch deutend Willoweit, Genossenschaftsprinzip und altständische Entscheidungsstrukturen, 1986, S. 131–132. Vgl. pointiert Blickle, Landschaften, 1973, S. 524. Vgl. Blickle, Politische Landschaften, 2000, S. 25 und 29. Moraw, Landesordnungen, 1997, S. 191.
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5. 3. 1. 1. Frühneuzeitliches Staatsrecht In der staatsrechtlichen Literatur der frühen Neuzeit finden sich vornehmlich drei Schwerpunkte bei der Begründung der ständischen Mitwirkung an der Gesetzgebung, die auch in der zeitlichen Abfolge drei aufeinander folgende Argumentationsphasen konstituieren. Der Verweis auf Belegstellen aus dem römischen Recht dominiert im 17. Jahrhundert; zeitgleich mit dem Rückgang dieses Argumentationsstranges nimmt im ausgehenden 17. Jahrhundert der Verweis auf die heimische Rechtstradition zu. Im späten 18. Jahrhundert bemühen sich Staatsrechtler wie Johann Stephan Pütter schließlich um die Entwicklung überpositiver (vernunftbzw. naturrechtlicher) Grundsätze für die Beteiligung der Landstände am Gesetz gebungsprozess358. Dabei müssen die drei Erklärungsansätze bei den einzelnen Autoren nicht in Reinform auftreten. Unabhängig vom gewählten Zugang für die Fundierung einer ständischen Beteiligung und auch unabhängig von dem Ableitungszusammenhang (aus der Landeshoheit, aus der souveraineté Bodin’scher Prägung oder aus der Jurisdiktionsbefugnis), in den die potestas legislatoria gebettet wird, wird diese freilich durchwegs auf den Landesfürsten zurückgeführt. Dessen Gesetzgebungsrecht wurde somit nicht in Frage gestellt. Selbst in Bodins Werk „Six livres de la République“ wird die Existenz ständischer Vertretungen anerkannt und deren Mitwirkung in gewissen Rechtsangelegenheiten als wichtig angesehen. Allerdings dürfen die Stände seiner Ansicht nach nicht an Höchstentscheidungen teilhaben, da damit eine Unterordnung des Herrschers unter einen fremden Willen und somit eine Teilung der Souveränität einhergehen würden. Deshalb hebt Bodin nachdrücklich hervor, dass der Herrscher ohne Einbeziehung der Stände Gesetze erlassen könne. Die Anhörung der Stände sei somit keine Notwendigkeit, entspräche jedoch sehr wohl der humanitas.359 Während der im Mittelalter frequent herangezogene kirchenrechtliche Grundsatz „quod omnes tangit, ab omnibus tractari et approbari debet“360 – der in Codex 5, 59, 5, 2 seine inhaltliche Entsprechung findet361 – im frühneuzeitlichen wissenschaftlichen Diskurs über die ständischen Mitwirkungsrechte kaum noch eine Rolle spielte, gewann Codex 1, 14, 8 eine zentrale Bedeutung.362 Das Problem beim Rekurs auf das römische Recht zur theoretischen Fundierung einer landständischen Vgl. zum Folgenden Mohnhaupt, Mitwirkung der Landstände, 2000 (erstmals 1991). Vgl. Scheuner, Ständische Einrichtungen und innerstaatliche Kräfte, 1973, hier S. 394–395. 360 Vgl. Congar, Quod omnes tangit, 1958. Diese Aussage geht auf Innocenz III. zurück und wird während des gesamten 13. Jahrhunderts in zahlreichen Dekretalen variiert (ebd., S. 210–211). 361 „[...] ut, quod omnes similiter tangit, ab omnibus comprobetur.” 362 �������������������������������������������������������������������������������������������� „Humanum esse probamus, si quid de cetero in publica vel in privata causa emerserit necessarium, […] id ab omnibus antea quam proceribus nostri palatii […] tractari et, si universis tam iudicibus quam vobis placuerit, tunc allegata dictari […] et recenseri et, cum omnes consenserint, tunc demum […] recitari, ut universorum consensus nostrae serenitatis auctoritate firmetur.” (vgl. auch Mohnhaupt, Mitwirkung der Landstände, 2000 (erstmals 1991), S. 213). 358 359
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Beteiligung war dabei nicht nur der artifizielle Charakter des Brückenschlags von den in Codex 1, 14, 8 genannten „proceres“ zu den frühneuzeitlichen Landständen, sondern vor allem die jederzeitige Anfechtbarkeit durch diese Position widerle gende Bestimmungen des Corpus iuris (speziell Inst. 1, 2, 6). Auch deshalb traten ab dem ausgehenden 17. Jahrhundert – und damit schon außerhalb unseres Untersuchungszeitraums – historische Argumente und Verweise auf positive Rechtsquellen zur Grundlegung einer landständischen Mitwirkung in den Vordergrund. Die gelehrte Literatur sichtete Verträge zwischen Landesherren und Landständen sowie historische Belege für eine landständische Mitwirkung am Gesetzgebungsprozess, um aus diesen „exempla“ eine allgemein gültige Regel zu extrahieren (wobei im Rahmen dieser „exempla“ auch das Beispiel der Tiroler Landstände angezogen wurde363) – was angesichts der vielfältigen Ausprägungen landständischer Repräsentationen und der sehr unterschiedlichen Rahmenbedingungen in den einzelnen Territorien ein aussichtsloses Unterfangen war. Ebenso mannigfaltig wie die Erscheinungsformen landständischer Verfassungen waren also die von der zeitgenössischen Staatslehre vertretenen Ansichten über den Grund und in weiterer Folge über die Intensität einer ständischen Partizipation am legislativen Prozess. 5. 3. 1. 2. Rechtshistorische Erklärungsmuster Damit korrelieren die vielfältigen, von der Rechtsgeschichte bzw. Geschichtswissenschaft getätigten Aussagen über die Grundlage und das daraus resultierende Ausmaß landständischer Beteiligung. Wilhelm Brauneder sieht so für Österreich unter und ob der Enns die Mitwirkung der Landstände maßgeblich rechtlich determiniert.364 Vor allem im Bereich des Landrechts sei von starken Mitwirkungsrechten der Landstände auszugehen, auf die in der Gesetzgebungspraxis Rücksicht genommen worden sei.365 Das Landrecht enthielt dabei neben Verfassungs- und Prozessrecht in seinem Kern das in Anlehnung an die moderne Terminologie als „bürgerliches Recht“ zu bezeichnende, von Privatautonomie und privater Rechtsschutzinitiative geprägte Recht. Demgegenüber erblickt Brauneder im Bereich der umfassenden Policeygesetzgebung keine rechtlich vorgegebene Notwendigkeit, die Stände einzubinden. Wenn deren Beteiligung trotzdem belegt ist, so sei dies nicht Ausdruck eines Mitwirkungsrechtes: „Es handelt sich, anders als bei den ‚Landrechten‘, nicht um das notwendige Mitwirken einer politischen Landesgewalt, sondern um eine bloß sachkundige Information seitens des Landesherrn, wie sie auch von einem anderen Personenkreis eingeholt werden kann.“366 Gerade für den Bereich der Vgl. Mohnhaupt, Mitwirkung der Landstände, 2000 (erstmals 1991), S. 217. Brauneder, Gesetzgebungsgeschichte, 1994 (erstmals 1973). 365 Vgl. ergänzend auch Brauneder, Staatsrechtliche Bedeutung, 1994 (erstmals 1986), S. 51–52; siehe auch Floßmann, Landrechte als Verfassung, 1976. 366 Brauneder, Gesetzgebungsgeschichte, 1994 (erstmals 1973), S. 452. 363 364
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Policeygesetzgebung wurden die Forschungen durch Josef Pauser fortgeführt, der nach Analyse der Gesetzgebungspraxis unter Kaiser Maximilian II. für den Bereich der „guten Policey“ ebenfalls zum Schluss einer partiell notwendigen Befassung der Landstände kommt: „Der Konsens der Landstände mit dem Landesfürsten in den wichtigsten Fragen der Gesetzgebung schien ein unabdingbares Element der Normproduktion zu sein.“367 Für Bayern bzw. die bayerischen Teilherzogtümer des 15. Jahrhunderts betont Heinz Lieberich, dass die Einbeziehung der Landstände nicht nur, ja nicht einmal primär rechtlich durch die Art der normativ erfassten Rechtsmaterie determiniert, sondern massiv von den jeweils aktuellen politischen Machtverhältnissen zwischen Herzog und Ständen geprägt gewesen sei, wobei sich die Einschaltung der Landschaft häufig als „Ermessens- und Zweckmäßigkeitsfrage“ präsentierte.368 Damit sind die beiden Pole festgelegt, zwischen denen sich Erklärungen für die Einbindung der Stände bewegen: rechtliche Verpflichtung einerseits und rechtlich nicht bindende Zweckmäßigkeitsüberlegungen andererseits. Das angeführte Beispiel von Österreich unter und ob der Enns vermag dabei zudem die Variabilität ständischer Partizipationsmöglichkeiten nicht nur aus synchroner Sicht, d. h. bei einem Vergleich der verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen in unterschiedlichen Territorien, sondern ebenso aus diachroner Sicht zu belegen. Die Niederlage der böhmischen Truppen des „Winterkönigs“ Friedrich von der Pfalz gegen das Heer der katholischen Liga in der Schlacht am Weißen Berg 1620 bedeutete auch für die mehrheitlich protestantischen Landstände von Österreich ob und unter der Enns einen massiven Bedeutungsverlust.369 Eine entsprechende Zäsur, die natürlich auf die legislatorische Praxis Rückwirkungen hatte, fehlt in Tirol und den Vorlanden. 5. 3. 1. 3. Zeitgenössische Tiroler Diskurse Schließlich sind noch zeitgenössische Aussagen über ständische Mitwirkungsbefugnisse bei der Gesetzgebung aufschlussreich, die direkt oder indirekt von der politischen Auseinandersetzung zwischen Landesfürst und Landständen geprägt sind. Gerade hier fällt das Ergebnis überaus dürftig aus. Theoretische Äußerungen über die Notwendigkeit einer legislativen Einbindung der Stände fehlen nahezu völlig. Hierfür dürfte die in Tirol – im Gegensatz zur niederösterreichischen Ländergruppe – weitgehend fehlende Frontstellung zwischen Landesfürst und Ständen Pauser, Maximilian II. und die Landstände, 2002, S. 31. Lieberich, Anfänge der Polizeigesetzgebung, 1969, bes. S. 324–330, Zitat S. 330; vgl. auch Schlosser, Rechtssetzung und Gesetzgebungsverständnis, 1987, S. 52; nunmehr auch für die Zeit vom 15. bis zum beginnenden 17. Jahrhundert Brunner, Polizeigesetzgebung, 2010, S. 22–25. 369 Zu den Auswirkungen auf die Gesetzgebungspraxis Brauneder, Gesetzgebungsgeschichte, 1994 (erstmals 1973), S. 452–453. 367 368
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ausschlaggebend sein. Während in den inner- und niederösterreichischen Ländern der religiöse Gegensatz zwischen den überwiegend protestantischen Ständen und den katholischen Habsburgern erhebliche Spannungen erzeugte, fehlte ein solcher in Tirol, dessen ständische Struktur sich zudem aufgrund des Fehlens eines mächtigen, über große geschlossene Grundherrschaften verfügenden Herrenstandes nicht mit den Verhältnissen in den niederösterreichischen Ländern vergleichen lässt. Das Verhältnis der Landstände und der habsburgischen Landesfürsten war demnach überwiegend – blendet man die Zuspitzung der Jahre 1525/1526 aus – von einem Miteinander geprägt, das im weitgehend konsensualen Vorgehen im gesetzgeberischen Bereich seinen Niederschlag fand. Just der Umstand, dass die Einbindung der Tiroler Landschaft in den Gesetzgebungsprozess in den aus ständischer Perspektive wichtigen Bereichen klaglos funktionierte, ließ eine theoretische Fundierung der eigenen Position – in concreto eine Untermauerung des ständischen Anspruchs auf Einbeziehung in legislative Vorhaben – als entbehrlich erscheinen. Nur ein einziges Mal äußerten sich die Stände im Sinne einer Festschreibung ihrer Mitwirkungsrechte, und zwar im Rahmen einer abschließenden, vom kleinen Ausschuss erarbeiteten Stellungnahme zum Entwurf einer Landes- und Policeyordnung im Jahr 1573.370 Schon auf dem zu Beginn des Jahres 1573 abgehaltenen Landtag hatte die Landschaft gebeten, das ihr zugestellte Konzept, dessen Begutachtung während der Tagung des Landtags zeitlich nicht mehr möglich sei, vor der Drucklegung noch durch den kleinen Ausschuss durchsehen und Beschwerden und Mängel anzeigen zu dürfen.371 In diesem Zusammenhang hatten die Stände zur Untermauerung dieses Wunsches auf die landschaftlichen Freiheiten und das alte Herkommen verwiesen, das ihnen eine solche Möglichkeit einräume.372 Dieser Bitte hatte der Erzherzog entsprochen. Der kleine Ausschuss ging in seiner Stellungnahme zum Entwurf auch auf einen dort enthaltenen Änderungsvorbehalt ein: Diesem zufolge sollte der Landesherr befugt sein, die Landes- und Policeyordnung yederzeit verrer zu erclern, ze mindern, zu meren oder gar aufzuheben. Demgegenüber hatte der in der Landesordnung von 1532 aufgenommene Änderungsvorbehalt noch ausdrücklich darauf verwiesen, dass eine Modifikation nur mit vorwissen und Rat unser Landtschafft erfolgen solle.373 Mit Verweis auf die Landesfreiheiten, wonach ain regierennder herr unnd lanndtsfurst diß lanndt yederzeit mit unnd nach pesstem rath unnd vorwissen ainer lanndtschafft regiern solle – konkret handelt es sich um eine Bezugnahme auf die Landesfreiheit von 1342 –, bittet die Landschaft Erzherzog Ferdinand II. 1573, er möge
TLA, Landschaftliches Archiv, Landschaftliche Landtagsakten, Fasz. 1, Nr. 12b/II, 1573 (ohne nähere Datierung). 371 Vgl. TLA, VdL, Bd. 8, fol. 80v–81v, 1573 Jan. 27. 372 Vgl. TLA, VdL, Bd. 8, fol. 104v–105r, 1573 Jan. 31. 373 TLO 1532, 9. Buch, 31. Titel. 370
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ain ersame lanndtschafft bei derselben iren lanndtßfreihaiten, alten loblichen wolheergebrachten gebreüchen, herkhomen unnd gueten gewonhaiten gnedigist beruen lassen, darbei hanndthaben, beschützen und beschirmen unnd den angedeüten vorbehalt in die ermelt policei sowol auch in die reformation tyrolischer lanndtsordnung, wie von alter heerkhomen unnd gebreüchig gewest, dermassen gnedigist setzten einverleiben lassen, solche policei unnd reformation „uber khurtz oder lanng mit vorwissen unnd rath ainer ersamen lanndtschafft zu mindern oder zu merern“ etc.374 Das ständische Begehren war von Erfolg gekrönt, die Formulierung des Änderungsvorbehalts erfolgte 1573 mit demselben Wortlaut wie schon 1532. Der Klausel im Änderungsvorbehalt, wonach der „Rat“ der Stände vor einer Novellierung einzuholen sei, wurde offensichtlich Relevanz zugeschrieben und diese keineswegs nur als Formalität betrachtet. Die Landschaft hatte erst kurz zuvor auf einem Landtag ihr Recht auf Stellungnahme zur Endredaktion der Landes- und Policeyordnung reklamieren müssen, was ihr die Bedeutung eines entsprechenden Einschubs sicherlich vor Augen geführt hatte. Der einzuholende „Rat“ wurde dabei nicht nur als unverbindliches Anhörungsrecht interpretiert, sondern als Verpflichtung zur Herstellung eines Konsenses betrachtet. Zur Begründung wird zusätzlich zum Verweis auf die bisherige Praxis auf die Landesfreiheit von 1342 rekurriert (ohne diese besonders anzuführen), in der der ausstellende Markgraf Ludwig von Brandenburg zusagte, er werde „alle zeit des landes ze Tyrol reht bezzern und nicht boe sern nach ir [d. h. der Landleute] rat“375. Dies führt zu einem zentralen Punkt, der – es wurde bereits erwähnt – schon von der staatsrechtlichen Literatur zur Begründung der ständischen Mitwirkungsrechte am Gesetzgebungsprozess herangezogen wurde: die Landesfreiheiten bzw. „leges fundamentales“. So zahlreich die von der staatsrechtlichen Literatur unter diesem Begriff subsumierten rechtlichen Regelungskomplexe waren, lassen sich gleichwohl einige Konstanten herausarbeiten:376 Inhalt und Zweck der „leges fundamentales“ sind die Begrenzung der Herrschermacht, was durch die Fixierung und die daraus resultierende Sicherung der ständischen Partizipationsrechte ge schieht, und die Regulierung des Verhältnisses zwischen Landesfürst und Ständen. Gegenstand konnte dabei beispielsweise die Festschreibung von Zustimmungs TLA, Landschaftliches Archiv, Landschaftliche Landtagsakten, Fasz. 1, Nr. 12b/II, fol. 33v, 1573 (ohne nähere Datierung). 375 ����������������������������������������������������������������������������������������� Schwind/Dopsch, Urkunden, 1895, Nr. 96, S. 179–180, hier S. 180; letzte Edition bei Schober, Urkunden, 1990, S. 1–2; vgl. auch den Hinweis bei Hageneder, Gesetzgebungsrecht, 1974, S. 479. 376 Vgl. Mohnhaupt, Verfassung, 1998, S. 62–64; Moraw, „Leges fundamentales“, 2000; Dilcher, Vom ständischen Herrschaftsvertrag zum Verfassungsgesetz, 1988; Oestreich, Vom Herrschaftsvertrag zur Verfassungsurkunde, 1977, bes. S. 46–47; Näf, Herrschaftsverträge, 1949. Zu Tirol vgl. auch Kap. VI.1.3. 374
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und Bewilligungsrechten bei Steuern oder Hilfsgeldern, die Beratungspflicht bei der Führung von Angriffskriegen oder die Ausgestaltung der Landesverteidigung (des Landesdefensionswesens) sein. Jedenfalls wurden als wichtig wahrgenommene Aspekte des Verhältnisses zwischen Landständen und Herrscher in Form einer Vertragsurkunde niedergelegt. Die Affinität zum modernen (formellen) Verfassungsbegriff liegt darin begründet, dass Regelungen dieses Typus eine höhere Dauerhaftigkeit zukam als anderen Normen, wobei insbesondere der Herrscher nicht einseitig Änderungen vornehmen konnte. Das erwähnte Privileg von 1342, in dem Markgraf Ludwig von Brandenburg anlässlich seines Regierungsantritts die Rechte des Tiroler Adels bestätigte und sich an diese gebunden zu sein erklärte, erfüllte sicherlich die Funktion einer entsprechenden „lex fundamentalis“, auch wenn die dem Freiheitsbrief von 1342 von der älteren Forschung zugeschriebene Bedeutung377 mittlerweile stark relativiert wurde.378 Allerdings bleibt die zumindest implizite Bezugnahme auf die Urkunde des Jahres 1342, wie sie uns 1573 begegnet, ein Ausnahmefall. Denn in der politischen Auseinandersetzung zwischen Landesfürst und Ständen spielte ansonsten nur eine einzige (!) der zahlreichen, in die Sammlung der Landesfreiheiten aufgenommenen Privilegien und Urkunden eine signifikante Rolle, und nur bei dieser verwiesen die Landstände ausdrücklich auf den Charakter der Urkunde als eines Vertrags. Es handelt sich dabei um das bereits eingehend besprochene Landlibell von 1511, das bei Reformprojekten im Landesdefensionsbereich im 17. Jahrhundert eine wichtige Rolle spielte. Den anderen „Landesfreiheiten“ kam demgegenüber im politischen und rechtlichen Diskurs keine vergleichbare Bedeutung zu, zumal es sich dabei auch – sieht man von der Urkunde des Jahres 1342 ab – nicht um „leges fundamentales“ im Sinne einer Festschreibung der wechselseitigen Rechte und Pflichten von Landesfürst und Ständen in Vertrags- und Urkundenform handelte. Diese Aussage wird auch dadurch gestützt, dass selbst im 18. Jahrhundert, als der Terminus „lex funda mentalis“ mit erheblicher Verspätung auch in politische bzw. Rechtsdiskurse in Tirol Eingang fand, dieser Begriff vornehmlich im Zusammenhang mit dem Landlibell von 1511 aufscheint. Nur ganz vereinzelt wurde die Urkunde von 1342 darunter subsumiert, niemals hingegen andere Landesfreiheiten. Bei Letzteren handelte es sich vielmehr um Rechtsverleihungen oder -bestätigungen in Privilegienform, die jedoch nicht (und hier liegt der Unterschied zu einer „lex fundamentalis“) das Rechtsverhältnis zwischen Landesfürst und Ständen berührten. Dennoch zeitigten auch diese Landesfreiheiten (wenngleich sowohl quantitativ als auch hinsichtlich ihrer Bedeutung limitierte) Auswirkungen auf die herrscherliche Gesetzgebungsbe fugnis, wie vereinzelte Hinweise belegen.379 Das den Landständen mehrfach (unter Vgl. z. B. Stolz, Magna Charta des Landes Tirol, 1929. Vgl. Hölzl, Freiheitsbriefe der Wittelsbacher, 1982/1983; in diese Richtung gehen auch schon deutlich die entsprechenden Hinweise bei Blickle, Landschaften, 1973, S. 168–168. 379 Vgl. hierzu Kap. VI.1.3.2. 377 378
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anderem 1372 und 1404) urkundlich verbriefte Verbot des Imports ausländischer Weine (zum Schutz der Tiroler Weinproduktion in den Vierteln am Eisack und an der Etsch) wurde von einfachgesetzlichen Maßnahmen flankiert, gegen die sich allerdings in den fünfziger Jahren des 17. Jahrhunderts der Unmut ausländischer Weinproduzenten (in concreto aus dem Veltlin) rührte.380 Zudem beschwerten sich die nördlichen, Wein konsumierenden Landesteile über die einseitige Bevorzugung der südlichen Viertel, deren Preisdiktat sie sich aufgrund des Importverbots ausgeliefert sahen. Im Folgenden ging es in der behördeninternen Diskussion um die Frage, ob das Importverbot, auf dessen Charakter einer „Landesfreiheit“ die südlichen Landesviertel hinzuweisen nicht müde wurden, aufrecht erhalten werden solle oder nicht. Die Regierung wies klar auf den Privilegiencharakter der Landesfreiheit hin, und privilegia etiam gratiosa dürften non nisi ex causis gravissimis revociert werden – womit sie den damaligen Stand der wissenschaftlichen Lehre auf den Punkt brachten.381 Die Regierung plädierte daher deutlich dafür, die Stände bei den Landesfreiheiten – namentlich angeführt wurde die Freiheit von 1404 – zu belassen. Erzherzog Ferdinand Karl teilte diese Ansicht jedoch nicht. Er verwies 1656 auf die durchaus nicht einhellige Meinung unter den Landständen selbst, fühlten sich die nördlichen Landesteile doch durch die vermeintliche „Freiheit“ mehr belastet als begünstigt. Außerdem verwies er auf sein durch die Landesfreiheit von 1404 nicht berührtes Dispensationsrecht. Die Lösung präsentierte sich als ausgewogen und auf einen Interessenausgleich bedacht. Ferdinand Karl unterstrich zwar, die Landstände contra eorum privilegia nit beschweren zu wollen und folglich das gesetzliche Weinimportverbot aufrecht erhalten zu wollen, doch bleibe es allzeit bey unserer landtsfürstlichen authoritet gestelt, ainem oder andern nach unserm gnedigisten belieben und underlauffenden circumstantien Dispensationen zu erteilen.382 Der Unterschied zu einer „lex fundamentalis“ wird im Lauf dieser Diskussion deutlich greifbar, denn hier geht es nicht um einen das Verhältnis zwischen Herrscher und Ständen regelnden Vertrag und die Option einer allfälligen einseitigen Änderung durch den Landesherrn. Vielmehr wird die Frage berührt, welche rechtlichen Möglichkeiten dem Landesfürsten zur Aufhebung oder Beschränkung eines Privilegs, dessen Empfänger in diesem Fall die Landstände waren, zu Gebote stehen. Im Übrigen wird seitens der Regierung nur einmal die rechtlich vorgeschriebene Notwendigkeit angesprochen, im Zuge eines Gesetzesvorhabens die Zustimmung der Landstände einzuholen, da die projektierte Änderung der Rechtslage Zum Folgenden TLA, VfD 1655, fol. 212r–212v, 1655 Mai 10; VfD 1656, fol. 276r–279v, 1656 Jan. 12; TLA, AfD 1656, fol. 94r–97r, 1656 Febr. 14; ebd., fol. 165r–170v, 1656 März 9; ebd., fol. 633r–635v, 1656 Sept. 18; ebd., fol. 695v–699v, 1656 Nov. 9; ergänzend noch TLA AfD 1663, fol. 280r–281r, 1663 April 26; TLA, VfD 1663, fol. 6131, 1663 April 30. 381 Vgl. Mohnhaupt, Erteilung und Widerruf von Privilegien, 2000, 391–399; Lieb, Privileg und Verwaltungsakt, 2004, S. 49–54. 382 Zit. nach TLA, VfD 1656, fol. 276r–279v, 1656 Jan. 12. 380
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einer in einer „Landesfreiheit“ enthaltenen Bestimmung entgegenstehe.383 Dabei handelte es sich ebenfalls um eine vergleichsweise unerhebliche und ebenfalls nicht das Verhältnis zwischen Ständen und Landesfürst berührende Materie. Vielmehr ging es um eine in Betracht gezogene gesetzliche Änderung der Heiratsfähigkeit unter Vormundschaft stehender junger Frauen. Diesbezüglich enthielten ein Privileg von 1451 und das Landlibell von 1511 einschlägige Bestimmungen. Da das entsprechende Gesetzesprojekt nicht weiter verfolgt wurde, blieb es seitens der Regierung bei den kursorischen Andeutungen.384 Jene Fälle, bei denen im zeitgenössischen Diskurs ausdrücklich rechtliche Schranken der landesfürstlichen potestas legislatoria aufgrund von ständischen Rechten angesprochen wurden, sind somit ausgesprochen dünn gesät. Umgekehrt lassen sich praktisch keine Belege anführen, in denen der Landesfürst mit aller Deutlichkeit die potestas legislatoria für sich reklamiert hätte. Am ehesten sind wohl noch einzelne Äußerungen auf dem spannungsgeladenen Landtag im Sommer 1525 in diese Richtung zu interpretieren. Nach Übergabe der Innsbrucker Beschwerdeartikel durch die Vertreter von Städten und Gerichten kam Ferdinand I. nach deren Durchsicht zum Schluss, dass diese offensichtlich von ihren Verfassern für ain gemaine landtßordnung gehalten und die alten gewonhaiten und landsordnung abgethan werden sollen. Da hierdurch jedoch die landtßfirstliche hochait betroffen und ain entliche gemaine veränderung aller stendte bewirkt würde, stellt Ferdinand I. in weiterer Folge klar: Es sei nicht seine Intention, die alt ordnung gar abzuthun, sonnder die allain zu vernewen, wodurch der Landesfürst zumindest implizit betont, dass ihm allein die rechtssetzende Gewalt zukomme.385 Aber selbst in jenen Fällen, in denen die rechtliche Notwendigkeit einer Einbeziehung der Landstände angesprochen wurde, kann sich die legislative Praxis vielgestaltiger präsentieren. Dass die Landstände 1573 erfolgreich eine Modifikation des Änderungsvorbehalts durchsetzten, der ihnen im Fall einer Novellierung der Landesordnung ein Anhörungsrecht einräumte, scheint so tatsächlich den Schluss auf eine rechtliche Beschränkung der potestas legislatoria des Landesfürsten zuzulassen. Dies wird vorderhand durch einen Blick auf die Gesetzgebungsgeschichte der Landesordnung bekräftigt. Sämtliche großen Reformprojekte von 1529 bis 1663, ja noch über den Untersuchungszeitraum hinaus (1695, 1708, 1740), wurden unter bewusster Miteinbindung der Stände betrieben. Und dennoch findet man im Bereich der Landesordnung Beispiele, die landesfürstliche Alleingänge bei Rechtsmaterien belegen, denen in den Augen der Stände sicherlich erhebliche Bedeutung zukam. Ob der Landesfürst die Landstände befasste, war nämlich nicht nur bzw. nicht einmal primär eine Frage der verfassungsrechtlichen Determination. TLA, AfD 1586, fol. 422r–423v, 1586 Juni 13. Vgl. Kap. VI.1.3.2. 385 TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 75r und 85r (Parallelüberlieferung in TLA, Landschaftliches Archiv, Landschaftliche Landtagsakten, Fasz. 1, Nr. 22). 383 384
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Vielmehr war es eine Frage der Abwägung: Durch die Nicht-Einbindung der Landstände riskierte man deren Verstimmung, die sich speziell in Zurückhaltung bei der Steuerbewilligung niederschlagen konnte. Zudem konnte sich dies unter Umständen nachteilig auf die Implementation der auf diesem Weg erlassenen Rechtsnorm auswirken. Wenn man dies in Kauf zu nehmen bereit war, stand einem legislativen Alleingang nichts im Wege. Das Gesagte lässt sich anhand der wiederholten Novellierungen des die Wilderei regelnden 11. Titels des 4. Buchs der Tiroler Landesordnung von 1532 illustrieren.386 Der in der Landesordnung enthaltene Änderungsvorbehalt (9. Buch, 31. Titel) band, wie bereits erwähnt, eine Modifikation an „Vorwissen und Rat“ der Landschaft. Als Ferdinand I. erstmals aufgrund eines Regierungsgutachtens eine Strafverschärfung herbeiführen wollte, bezog er dementsprechend die Stände ein. Unter Darlegung der Motive für die beabsichtigte Novelle, nämlich die beschränkte Effektivität der bisherigen Strafdrohung, unterbreitete er den Landständen auf dem Landtag des Jahres 1555 einen Gesetzgebungsvorschlag, der auf eine grundlegende Novellierung des 11. Titels des 4. Buchs der Tiroler Landesordnung von 1532 hinauslief. Dabei ist deutlich greifbar, wie die entsprechende, den Ständen unterbreitete Proposition um eine möglichst unverfängliche Formulierung bemüht war. Sie trachtete danach, den Eindruck zu vermeiden, dass Ferdinand I. die Stände um eine förmliche Bewilligung seines legislativen Vorhabens ersuche. Nach der Unterbreitung der intendierten Neuregelung stellte Ferdinand I. an die Landschaft ein freuntlichs und gnädigs gesunnen und begern, sie möge die Neuerung freuntlich und guetwillig hallten unndt volziehen unnd dieselb vesstigkhlich hanndthaben helffen. Die Stände hingegen nahmen in ihrer Antwort auf solche semantischen Feinheiten keine Rücksicht. In aller Deutlichkeit brachten sie zum Ausdruck, dass sie dem landesfürstlichen begern zu wilfarn und stat zu thuen [...] bewilligt hätten.387 Bei einer Norm, die nach den in den Jahrzehnten davor gemachten Erfahrungen für die Stände und speziell die Gerichtsvertreter von erheblicher Bedeutung war, hatte Ferdinand I. also nicht nur eine Stellungnahme der Landstände, sondern – wenngleich etwas verklausuliert – überdies im Vorfeld der Novellierung ihre Zustimmung eingeholt. Vorderhand scheint dies den bisherigen Eindruck einer rechtlichen Bindung der landesfürstlichen Gesetzgebungsgewalt an den ständischen Konsens zu bestätigen. Kaum acht Jahre später bekräftigen die Vorkommnisse auf dem Aprillandtag des Jahres 1563 diesen Eindruck. Ein Tirolaufenthalt zu Jahresbeginn hatte in Ferdinand I. die Überzeugung genährt, dass die angestrebte Verbesserung der Situation angesichts der anhaltenden Übergriffe der Untertanen auf die landesfürstlichen Wildbestände nicht eingetreten war. Daher wurde die Wilderei beim folgenden Vgl. zum Folgenden Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007, S. 149–150 und 175–182. 387 TLA, LLTA, 1555. 386
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Landtag neuerlich durch die landesfürstlichen Kommissare thematisiert, wobei diesmal davon abgesehen wurde, den Landständen ein konkretes Gesetzeskonzept zu unterbreiten. Stattdessen wurde die Landschaft aufgefordert, selbst Vorschläge auszuarbeiten, wie dem ungebrochen aktuellen Problem der Wilderei entgegenge wirkt werden könne. Daraufhin schlugen die Landstände Ferdinand I. aus eigenem Antrieb zumindest für Wiederholungstäter eine Strafverschärfung vor und empfahlen die Aussetzung von Ergreiferprämien. Der Landesfürst machte im Folgenden von dieser Ermächtigung nicht Gebrauch. In einem Mandat aus demselben Jahr wurde nur die bereits 1555 erarbeitete Ordnung wiederholt und ergänzend das so genannte Freischießen in ländlichen Gerichten verboten.388 Zwei Gründe waren für die Befassung der Landstände durch Ferdinand I. ausschlaggebend, wobei der eine von der Regierung ausdrücklich angesprochen wurde. Diese hatte nämlich nachdrücklich die Einbindung der Landschaft auf einem Landtag empfohlen. Dabei verwies sie jedoch nicht auf eine rechtliche Notwendigkeit. Vielmehr warnte sie davor, die Landschaft durch eine Übergehung in der heiklen Wildererfrage nachhaltig zu verstimmen und so durch einen Alleingang die landesfürstliche Verhandlungsposition bei anderen Gegenständen zu verschlechtern, wobei sie wohl speziell mögliche Auswirkungen auf die Höhe der Steuerbewilligung im Auge hatte. Darüber hinaus hoffte man auf diese Weise, die Akzeptanz und Durchsetzbarkeit der Normen zu erhöhen. Bezeichnenderweise hoben beide Mandate in ihrer Narratio die Einbindung der Landstände bei ihrem Zustandekommen ausdrücklich hervor. Erzherzog Ferdinand II., ein begeisterter Jäger, machte bereits unmittelbar nach seinem Regierungsantritt 1564 deutlich, dass ihm sehr an einer massiven Strafverschärfung für Wilderer gelegen war. Er wies die Regierung an, in Zukunft ergriffene Wilderer gefangen zu setzen und ohne seine ausdrückliche Genehmigung nicht mehr freizulassen. Eine Änderung der Rechtslage war zu diesem Zeitpunkt von ihm noch nicht geplant. Die Regierung riet dringend ab. Es würde dem Erzherzog nit gebüren, die Strafen für Wilderer ohne vorangehende Landtagsverhandlung und im Widerspruch zu früheren Landtagsabschieden eigenmächtig zu verändern, zumal eine solche Vorgehensweise bei dem gemainen mann, der onedas schwirig, allerlai nachred unnd annders erweckhen könnte.389 Kurzfristig war die Regierung mit sol chen Einwänden erfolgreich, mittelfristig nicht. 1570 erließ Erzherzog Ferdinand II. ohne vorherige Befassung eines Landtags oder eines anderen ständischen Gremiums ein Wildereimandat, das eine drakonische Strafverschärfung mit sich brachte. Der Alleingang blieb ohne Konsequenzen. Weder meldeten die Stände Protest an, noch wurde dieser Vorgang auf dem nächsten Landtag thematisiert.390 TLA, CD 1563, fol. 64, 1563 Juni 30. TLA, AfD 1564, fol. 185, 1564 Nov. 28; TLA, VfD 1565, fol. 110v–111r, 1565 Jan. 8. 390 Vgl. demgegenüber die ganz ähnlichen Vorkommnisse in Württemberg, wo die Stände ab 1551 erfolgreich gegen einen gesetzgeberischen Alleingang des Herzogs protestiert hatten (Fuhrmann, Amtsbeschwerden, Landtagsgravamina und Supplikationen, 1998, S. 86–88); 388 389
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
Die Wildereigesetze der folgenden Jahrzehnte bestätigen das hier gewonnene Bild. Teils ergingen sie ohne jede Befassung der Stände, teils wurden sie nach Beratung und Abstimmung mit den Ständen erlassen, wobei erkennbar pragmatische Überlegungen ausschlaggebend waren. Erhoffte man sich eine erhöhte Akzeptanz der Regelung, befasste man die Landschaft und wies im darauf ergehenden Gesetz ausdrücklich auf deren Einbindung hin (s. u.). In der Tat war die Verbesserung der Durchsetzbarkeit einer Norm ein immer wieder expressis verbis formuliertes Motiv für die Einschaltung der Landstände in den Gesetzgebungsprozess seitens des Landesfürsten. Dieser Grund wird im vorbereitenden Schriftverkehr der Regierung ungleich häufiger genannt als verfassungsrechtliche Notwendigkeiten. Greifen wir ein Beispiel heraus. Als 1526 über Mandate debattiert wurde, die das Verhältnis zwischen Gastwirten und Gästen regeln sollten, fiel die Stellungnahme der Regierungsräte klar aus: Wir achten, diser artickl müeset durch ain gemaine lanndtschafft ainhelligclich furgenomen, beratschlagt und beslossen werden, dann ausserhalb des besorgen wir, den mannd aten würd nit gelebt, deshalben unnsers achtens pesser ist, die diser zeit ruen zu lassen.391 Fast schon resignierend stellte der Kanzler 1536 fest, dass man angesichts der sich inzwischen schon über Jahre erstreckenden Bemühungen der Regierung, dem preistreiberischen ‚Fürkauf ‘ entgegenzuwirken, in Übereinstimmung mit dem Landeshauptmann und dem bereits befassten Adeligen Hofrecht zum Schluss gekommen sei, dass ohne Befassung eines Volllandtags nichts fruchtperlichs herauskommen werde.392 Egal, ob es sich um die sich über Jahrzehnte hinstreckende und überaus konfliktbehaftete Regulierung der Kosten des Gerichtsverfahrens handelte,393 die trotz wiederholter Anläufe nicht zu bewältigende landesweite Vereinheitlichung von Maßen und Gewichten,394 die Erlassung eines Schusswaffenverbots395 oder andere sicherheitspoliceyliche Maßnahmen396 – regelmäßig verwies die Regierung auf die Nützlichkeit, ja Notwendigkeit einer Einbindung der Landschaft, um die Implementationschancen einer Regelung zu erhöhen. Aus landesfürstlicher Sicht bot dieses Prozedere den weiteren Vorteil, dass bei den nach Gesetzeserlass ventilierten Be-
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Herzog Ludwig erließ freilich 1588 eigenmächtig eine neue Wildererordnung und wies eine vom kleinen ständischen Ausschuss dagegen gerichtete Protestation als unrechtmäßig und nichtig zurück (ebd., S. 92–93). TLA, AfD 1526, fol. 350v–352v, 1526 Sept. 22, Zitat fol. 351v. TLA, LLTA, Fasz. 4, 1536 Juni 5. TLA, VfD 1616, fol. 431v–432v, 1616 Juni 30; ebd., fol. 506r, 1616 Juni 3. TLA, GR, AS, Einlauf in Regimentssachen, 1610 Juli 7. TLA, AfD 1533, fol. 157r–159r, 1533 Jan. 19. TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 29, Lit. Bb, fol. 39r–40r, 1508 Jan. 21.
5. Die Landstände
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schwerden, sei es aufgrund von Supplikationen einzelner Betroffener oder aufgrund von Partikulargravamina, ein kurzer Verweis auf die Einbindung der Landstände genügte. Ein inhaltliches Eingehen auf die Beschwerde konnte somit zunächst – sofern die Beschwerde nicht bei späteren Gelegenheiten wiederholt wurde – umgangen werden.397 Mit diesem Befund harmoniert das Ergebnis einer numerischen und inhaltlichen Auswertung jener Gesetze, die in ihren Narrationes auf eine vorangegangene Befassung der Tiroler Landschaft verweisen. Hierbei wird im nächsten Kapitel nachzuweisen sein, dass die Erwähnung einer ständischen Einbindung in den legislativen Prozess im Gesetzestext selbst unter anderem maßgeblich das Ziel verfolgt, bei umstrittenen Gesetzgebungsakten Akzeptanz und Durchsetzbarkeit zu erhöhen.
5. 3. 2. Erwähnung ständischer Beteiligung in Gesetzestexten 5. 3. 2. 1. Quantitative Entwicklung Betrachtet man allein die Narrationes von Gesetzesurkunden,398 erscheint der Anteil landständischer Mitwirkung in Tirol vergleichsweise bescheiden. Ausdrücklich erwähnt wird die ständische Mitwirkung bei bzw. Initiative von Gesetzgebungsakten während des Untersuchungszeitraums nur bei 59 Gesetzen, was einem Prozentsatz von etwas über sechs Prozent an allen legislativen Akten entspricht. Dabei zeigt sich eine markante zeitliche Verteilung: Im 15. Jahrhundert wird sie insgesamt 25mal in Narrationes thematisiert (19,0 %), im 16. Jahrhundert 26-mal (5,1 %) und von 1600 bis 1665 nur achtmal (2,8 %). Besonders hervorzuheben ist – was aus der soeben dargelegten Statistik nicht hinreichend hervorgeht –, dass insgesamt nur in vier Jahrzehnten der Anteil an Gesetzen, die eine wie auch immer geartete ständische Beteiligung erwähnen, über zehn Prozent liegt. Dabei handelt es sich vor allem um die beiden ersten Jahrzehnte der Herrschaft Maximilians I. In den neunziger Jahren des 15. Jahrhunderts führen immerhin 23,2 % der Gesetze die Landstände als am Zustandekommen beteiligt an, im ersten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts noch 15,9 %. Weniger aussagekräftig aufgrund der insgesamt geringeren Zahlen ist der Befund in den siebziger Jahren des 15. Jahrhunderts (Anteil von 14,3 %). Prozentuell genauso viele Gesetze erwähnen schließlich in den vierziger Jahren des 16. Jahrhunderts eine Mitwirkung der Landstände. Vorderhand scheint dies den von der Forschung wiederholt geäußerten Befund eines Nachlassens der ständischen Relevanz für den Gesetzgebungsprozess und die Konzentration der legislativen Kompetenz beim Landesfürsten zu bestätigen. So das bezeichnende Vorgehen bei einer Beschwerde der Bäcker über die Bäckerordnung in TLA, BT, Bd. 14, fol. 638, 1605 März 4. 398 So beispielsweise Wolf, Gesetzgebung, 21996, S. 36–41. 397
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
Man muss sich jedoch vor Augen halten, dass die Erwähnung einer ständischen Beteiligung am Gesetzgebungsprozess nicht primär den Zweck verfolgte, die Einhaltung eines bestimmten Gesetzgebungsverfahrens zu dokumentieren und aus diesem Grund die Beteiligung der Landschaft festzuhalten. Vielmehr diente das Anführen der Einbindung der Landschaft vor allem außerrechtlichen Zielsetzungen, die bereits den zeitgenössischen behördeninternen Tiroler Diskurs (s. o.) dominiert haben. 5. 3. 2. 2. Motiv I: Die Inszenierung eines Herrscherbildes Vornehmlich verfolgt die Erwähnung einer landständischen Beteiligung am Zustandekommen eines Gesetzes zwei Zielsetzungen: Sie dient einerseits der Stilisierung und Inszenierung eines bestimmten Herrscherbildes, das den Normadressaten kommuniziert werden soll, andererseits soll sie die Akzeptanz und damit die Durchsetzbarkeit einer bestimmten normativen Regelung erhöhen. Im Verlauf des Untersuchungszeitraums wird dabei die Tendenz einer allmählichen Schwerpunktverlagerung auf den zweiten Aspekt greifbar. Betrachten wir zunächst die Kodifikationen. Sie enthalten ausnahmslos, von der Malefizordnung von 1499 bis hin zur Landes- und Policeyordnung von 1573, den Verweis auf eine Einbeziehung der Landschaft, womit sie den Entstehungsprozess grundsätzlich korrekt wiedergeben.399 Die Halsgerichtsordnung ist so nach Ausweis der Narratio „auff unndertenig und diemütig bete. egemelter unnser landschafft“400 zustande gekommen. Ferdinand I. weist in der Präambel der Tiroler Landesordnung von 1526 zunächst auf das wiederholte ansuechen / fürbringen / und begeren der Landschaft auf Volllandtagen unter Maximilian I. hin, in den LanndtßOrdnungen / Yntzichtigen / und Malefitzigen Sachen / guete Ordnungen / und Gesetz / auch Eerliche Policeyen aufzurichten und zu setzen, was damals der Krieg mit Venedig ver hindert habe. Daher erlasse er selbst nun eine Landesordnung, zumal er Auch von unserer Landtschaft / obberüerter unser Fürstlichen Grafschafft Tirol / in sonderhait in dem Landtag Jnvocavit / im Fünfzehenhundert und Fünffundzwaintzigisten Jar / jüngst verschinen / in unnserer Statt Jnnßprugk / gehallten / umb egemelt gnedigist Aufrichtung und einsehung zu thun / underthenigist ersuecht worden sei. Der hier geäußerte Hinweis auf den Märzlandtag 1525 als eigentlichem Anstoß für die Ausarbeitung der Landesordnung ist freilich nur teilweise zutreffend. Zwar wurde in der Tat bereits damals die Vorbereitung einer Landesordnung von Land Vgl. hierzu im Einzelnen Kap. IV.7–IV.9. Zit. nach der Edition bei Schmidt, Halsgerichtsordnungen, 1949, S. 95 (hier Anpassung von initialem u/v entsprechend dem Lautwert).
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ständen und Landesfürst gemeinsam beschlossen. Dennoch wird in der Narratio der publizierten Landesordnung bewusst ausgeblendet, dass der im Juni und Juli 1525 auf dem Höhepunkt der Unruhen in Innsbruck abgehaltene Landtag für das Zustandekommen und die Redaktion der Landesordnung entscheidend war. Dieses Verschweigen ist kein Zufall: Die Erinnerung an die mehr als prekäre Lage des Erzherzogs in den damaligen Wochen und der Umstand, dass das nach zwei Jahrzehnten der Debatte endlich unter Federführung der Städte und Gerichte durchgesetzte Projekt einer Landesordnung ohne diesen Anlass wohl kaum zu realisieren gewesen wäre, werden übergangen. Aus einigem zeitlichen Abstand schien eine solche intentionale Ausblendung des Julilandtags 1525 nicht mehr notwendig. Die Präambel der Reformierten Tiroler Landesordnung von 1532 weist aus, dass die Landesordnung auf das „Ersuchen“ der Landschaft auf dem damaligen Landtag zustande gekommen sei – womit freilich eine sehr euphemistische Umschreibung für die brisanten Ereignisse des Sommers 1525 gewählt wird. Im Anschluss hebt die Präambel die für die Reformation als ausschlaggebend bezeichnete Bitte der Landstände hervor, die Lanndsordnung / in ain gůte bestae nndige Form bringen und stellen zu lassen, weshalb Ferdinand diese mit zeitigem Rat unnserer treffenlichen Rae te / und der verordenten von ainer Lanndt schafft / die der Landsfreyhaiten und gebreüch wol erfaren und wissend sein, überar beitet habe. Genau dieselbe Formulierung zur Umschreibung der landschaftlichen Beteiligung an der Überarbeitung der Landesordnung verwendet die Präambel der Landesordnung von 1573. Auch hier wird die ständische Initiative als ausschlaggebend für die Reformation dargestellt, habe doch die Landschaft schon unter der Regierung Ferdinands I. entsprechende Bitten vorgetragen und diese Erbar Redlich und zimblich bitt unter Erzherzog Ferdinand II. wiederholt, der ihr zum Nutzen des Landes und der Landschaft willfahre. Warum die ausführliche inhaltliche Wiedergabe der Narrationes der Kodifikationen? Sie belegen die ständische Mitwirkung (die freilich auch und bei weitem detaillierter aus anderen Quellen zu rekonstruieren ist). Gerade die Präambeln der Landesordnungen von 1526, 1532 und (in geringerem Maße) von 1573 illustrieren, dass die Narratio ein zentrales Element zur herrscherlichen Selbststilisierung ist, bei der es weniger um die korrekte Darstellung des Zustandekommens als vielmehr um den Entwurf eines spezifischen Herrscherbildes geht. Der Landesherr entspricht den vielfältigen Bitten der Landstände und erlässt eine Landesordnung, wodurch er sich als um den „gemeinen Nutzen“ und das Wohl des Landes und der Landschaft besorgter Fürst präsentiert. Der Umstand, dass Ferdinand I. 1525/26 die Landesordnung unter dem Eindruck des Bauernkrieges abgerungen wurde und dass er es war, der nachweislich schon seit 1527 an eine Revidierung der Landesordnung in seinem Sinn dachte, wird beim Entwurf eines solchen Bildes gezielt ausgeblendet. Wie wichtig die fürstliche Selbstinszenierung in Kodifikationen ist, belegt nicht zuletzt die der Landesordnung von 1526 angefügte „Empörungsordnung“ zur Un-
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
terbindung von Aufständen, die sich den einleitenden Worten gemäß als gemeinsames Werk von Ferdinand I. und den Ständen sowie den Bergwerksangehörigen präsentiert. Hinsichtlich der Genese war die Empörungsordnung freilich ein wörtlich in den Anhang der Landesordnung aufgenommenes ausschließliches Werk der Vertreter von Städten, Gerichten, der Bergwerksangehörigen und des Adels, was aus der ursprünglichen, ausführlichen Bezeichnung der Empörungsordnung auch deutlich hervorging.401 Die Intention der Selbstdarstellung des Gesetzgebers als den Beschwerden der Landschaft Rechnung tragender, um deren Wohl besorgter Landesherr schimmert auch in der Narratio der „Sterzinger Ordnung“ von 1496 durch.402 Nach dem Verweis auf frühere Mandate und deren mangelhafte Einhaltung habe Maximilian I. „auff jüngstgehaldem Lanndtag zu Jnnspurgg [!]. durch unser Stathalder Räte und anwält daselbs. mitsamb etlichen treffenlichen aus bemelter unnser Lanndschaft. in die unnd annder manngel gesehen. die ermessen. in etlichen stücken erleütert. Darczu weitter fürgenomen. nemblich zu hannthabung all stät in disem unserm Lannd bey Recht. und dem. dabey yeglicher pillichen gehalden sol werden.“ 403 Die Grundaussage einer intensiven Einbeziehung der Landstände in die Ausarbeitung der Ordnung ist zutreffend.404 Und doch wird die Narratio zusätzlich zu einer allgemeinen Aussage genutzt, die Maximilian als Bewahrer des Rechts darstellt: sowohl in einem objektiven Sinn (der Herrscher als Bewahrer der Rechtsordnung) als auch in einem subjektiven Sinn (jedem Einzelnen solle durch und unter Maximilian I. sein Recht zuteil werden). Der häufigere Fall der Bezugnahme auf eine landständische Beteiligung ist freilich der Verweis auf die dem Gesetzgebungsakt zugrunde liegenden ständischen Gravamina, der schon unter Siegmund gelegentlich aufscheint und besonders unter
TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 90v–93r, hier fol. 90v: Ordnung zu verhüetung der aufrüerigen. Item ainer ersamen lanndtschafft von den dreyen stennden der F. G. Tirol als der herren, ritterschafft und vom adl, stetten und gerichten, fürgenomen ordnung zu verhüetung der aufrüerigen, aigennüczigen und muetwilligen personen practiect [!], fürnemen unnd hanndlungen in allen stetten, märckhten, gerichten und pergkhwerchen gedachter grafschafft Tirol mitsambt den dreyen herrschafften Ratemberg, Kuefstain, Kiczpüchl und allen anndern dits lanndes anhenngeren. 402 Edition bei Schmidt, Halsgerichtsordnungen, 1949, S. 132–140, sowie bei Borger, Innere Geschichte Tirols, 1966, S. 95–96 (Besprechung ebd., S. 107–112); Morscher, Halsgerichtsordnung, 1998, S. 29–30; Brandis, Landeshauptleute, 1847/1850, S. 331–334. 403 Zit. nach der Edition bei Schmidt, Halsgerichtsordnungen, 1949, S. 133; initiales u/v und i/j hier dem Lautwert entsprechend gesetzt. 404 Vgl. nur Wiesflecker u. a. (Bearb.), Regesten, Bd. 2, 1993, Nr. 6905, 1496 März 20; TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 19, Lit. S, S. 246–248. 401
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Maximilian I. frequent ist.405 Auch hier spielt in den Narrationes der Entwurf eines Herrscherbildes eine erhebliche Rolle. Durch das legislative Beheben der seitens der Landschaft vorgebrachten Beschwerden vermag sich der Landesfürst ebenfalls als treu sorgender Landesvater darzustellen. Das Schema des Verweises auf Landtagsbeschwerden ist zumeist ähnlich ausgeprägt. In der Narratio erfolgt die Bezugnahme auf die ständischen Beschwerden, die allenfalls noch kurz inhaltlich rekapi tuliert werden. Im Anschluss wird die Dispositio als eigentlicher Gesetzesbefehl als direkte Reaktion auf die Gravamina präsentiert und die legislativen Maßnahmen zu ihrer Behebung aufgezählt. Exemplarisch lässt sich diese Struktur anhand eines Gesetzes Maximilians I. aus dem Jahr 1501 und anhand des Mandats der recht und redner halben von 1492 illustrieren.406 1501 folgt auf die zu Beginn der Narratio stehende Wendung unns ist auf jungstgehalden lanndtag zu Boczen unnder annderm in beswerungweiß anbracht, daz [...] die kurze inhaltliche Umschreibung von sechs dort ventilierten Gravamina, die in der Dispositio in derselben Reihenfolge wie in der Narratio durch die Erlassung gegensteuernder Normen behoben werden. Genau gleich präsentiert sich der Aufbau des fast ein Jahrzehnt älteren Mandats der recht und redner halben: Auf die Einleitung Als auf negstgehalden lanndtag zu Sterczing durch ew und annder unnser unnderthanen allerlay beswerd anbracht und fürgewendt sein, und nemlichen [...] folgt die Konkretisierung der ventilierten Gravamina. Auf diese reagieren eins zu eins die in der folgenden Dispositio angeführten fünf Normen. Jede einzelne der gesetzlichen Bestimmungen wird auf diese Weise als unmittelbare Reaktion auf eine entsprechende Beschwerde dargestellt.407 Eine gewisse Sonderstellung nimmt die Narratio der Ordnung Siegmunds von 1474 ein, da hier das einzige Mal die Reziprozität zwischen der landständischen Vgl. z. B. TLA, StAM, Urkunde A/I/301, 1474 Juni 29 (siehe die Edition im Anhang); TLA, LLTA, Fasz. 1, 1478 Okt. 7 (siehe die Edition im Anhang); TLMF, FB 2675, fol. 100, 1491 Okt. 25 (Parallelüberlieferung in TLA, VdL, Bd. 1, fol. 130r–131r; Edition bei Schmidt, Halsgerichtsordnungen, 1949, S. 121–122; Erwähnung bei Jäger, Landständische Verfassung, Bd. II/2, 1885, S. 387 und Brandis, Landeshauptleute, 1847/1850, S. 324); Archivio di Stato di Trento, libri copiali, gruppo 1, vol. 1, fol. 23v, 1491 Dez. 8 (Parallelüberlieferung in TLA, VdL, Bd. 1, fol. 131v–132r; Edition bei Schmidt, Halsgerichtsordnungen, 1949, S. 122–123; vgl. auch Brandis, Landeshauptleute, 1847/1850, S. 325); TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 15, lit. O, fol. 75, 1492 Aug. 3; ebd., fol. 76, 1492 Aug. 3; Kopialbuch ÄR, Nr. 24, Lit. W, fol. 48v–49r, 1501 Jan. 9; Kopialbuch ÄR, Nr. 27, Lit. Z, fol. 159r, 1505 Juni 13; Kopialbuch ÄR, Nr. 28, Lit. Aa, fol. 37, 1507 Jan. 11; Kopialbuch ÄR, Nr. 29, Lit. Bb, fol. 136, 1508 Mai 3. 406 TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 24, Lit. W, fol. 48v–49r, 1501 Jan. 9; TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 15, Lit. O, fol. 74r–75r, 1492 Aug. 18. 407 Ebenso die Vorgehensweise beispielsweise in TLMF, FB 2675, fol. 100, 1491 Okt. 25, oder in TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 29, Lit Bb, fol. 136, 1508 Mai 3: Nachdem unns ain zeitheer auf gehalden lanndtegen und in anderweg von unnsern unnderthanen in disem unnderm lannd der grafschafft Tyrol vil beswerungen und clagen zukomen sein von wegen der zollfreiungen, auch des rotwilds und wiltschein halben [...]. 405
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
Steuerbewilligung einerseits und der legislativen Reaktion auf die Landtagsbeschwerden durch den Landesfürsten andererseits nicht nur klar angesprochen, sondern als eigentlicher Beweggrund für die Erlassung der Ordnung angeführt wird.408 5. 3. 2. 3. Motiv II: Die Erhöhung der Akzeptanz eines Gesetzes In nachmaximilianeischer Zeit lässt die Bezugnahme auf Gravamina, die einem Gesetzgebungsakt zugrunde liegen, signifikant nach und ist nur noch sehr sporadisch anzutreffen.409 Hierfür sind zwei Gründe auszumachen: Erstens ist der genetische Zusammenhang zwischen Gravamina und den entsprechenden Gesetzgebungsakten zunehmend schwer zu erkennen. Während noch unter Maximilian I. zwischen dem Vorbringen von Landtagsbeschwerden und den darauf Bezug nehmenden Mandaten zumeist nur Wochen, fallweise sogar nur Tage liegen, erstreckt sich der zeitliche Abstand zwischen der erstmaligen Ventilierung von Missständen durch die Stände und dem normativen Gegensteuern aufgrund des komplizierteren Geschäftsgangs später zuweilen auf mehrere Jahre. Die Herstellung eines Bezugs in der Narratio des Gesetzes erschien dann wohl nicht mehr bzw. nur in Ausnahmefällen sinnvoll.410 Zweitens dominiert in nachmaximilianeischer Zeit in Gesetzestexten eine andere Art der Bezugnahme auf eine landständische Mitwirkung, die zudem eine andere Zielsetzung hatte. Der Verweis auf zugrunde liegende Gravamina als Anlass für einen Gesetzgebungsakt diente zuvor vornehmlich der Inszenierung des Herrschers als treu sorgender Landesvater. Ferner schwang bis dahin der Aspekt eines Gegengeschäfts – legislative Maßnahmen im Austausch für ständische Steuerbewilligungen – TLA, Stadtarchiv Meran, Urkunde A/I/301, 1474 Juni 29 (vgl. die Edition im Anhang): Als unns dann unnser gemaine lanndtschaft unnser grafschafft Tirol von prelaten, adel, stetten und gerichten yeczs auff unnser ernstlich begern ain hilff benentlichen den zehennden phenning dem anslag nach auff dem kayserlichem tag zu Regenspurg fürgenomen ze geben zugesagt, darauff wir unns auff ir anbringen gewilligt in ire mängel und gepresten, die inen zugevallen sind, genedigklichen zu wennden und in ain pessern stand und ordnung ze bringen, nachdem wir aus dem und allem anndern ire lautre trew und gutwilligkeit, so sy zu unns als irm naturlichen herren und lanndsfürsten haben, erkennen, desshalben wir das ze tun das in unnserm fürstlichen gemüt mit gnaden zu versehen fürgenomen haben, in sölh beswärnuss und unfug, so fur unns komen sind, zu wennden. 409 ������������������������������������������������������������������������������������������ Vgl. z. B. TLA, CD 1547, fol. 291r–292r, 1547 Juli 5: Dieses gegen herumziehende, beschäftigungslose Söldner („Gartknechte“) gerichtete Mandat weist auf die auf dem vorangegangenen Landtag ventilierten Gravamina gegen diese Belastung für die Bevölkerung hin (was zutrifft, vgl. nur TLA, VdL, Bd. 3, S. 501): Dieweil wir dann solch ainer ersamen lanndtschafft piten für ganncz pillich achten, auch unns als herr unnd lanndtsfürsst schuldig erkennen, dem armen beschwerdten hierinn zu hilff zu komen unnd sy vor solichen muetwilligen gartknechten zu schüczen und zu schirmen [...], werden entsprechende normative Maßnahmen gesetzt; vgl. z. B. TLA, CD 1547, Beilage zu fol. 306, 1547 Juli 2; TLA, BT, Bd. 20, fol. 236r–237r, 1632 Mai 6; TLMF, Dip. 1092, Nr. 319, 1679 Nov. 27. 410 TLA, FB 6198, Nr. 19, 1617 März 4. 408
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deutlich mit, wenngleich dies, wie dargelegt, in den Gesetzestexten fast nie angesprochen wurde. Dass durch die Erwähnung der Beschwerden unter Umständen die Akzeptanz und folglich Durchsetzbarkeit einer Norm erhöht werden konnte, war jedenfalls nicht primäre Zielsetzung, sondern allenfalls ein nützlicher Zusatzeffekt. Dies änderte sich unter Ferdinand I. und seinen Nachfolgern allmählich. Mit steigender Tendenz wurde die Einbindung der Landstände in Gesetzen nunmehr nur noch erwähnt, wenn deren Implementation gefährdet erschien.411 Dies lässt sich anhand des Wildereimandats Leopolds V. vom 12. Juni 1619 eingängig veranschaulichen.412 Nach dem Tod Erzherzog Maximilians III. war es in Tirol zu erheblichen Übergriffen auf die Wildbestände gekommen, nahm doch die ländliche Bevölkerung nachweislich unter Verweis auf eine alte Rechtsgewohnheit seit einem Jahrhundert eine temporäre Jagdfreiheit nach dem Ableben eines Landesherrn für sich in Anspruch. Auf dem ersten Landtag nach Regierungsantritt Leopolds V. war versucht worden, eine endgültige Regelung dieser Streitfrage auszuhandeln.413 Gegen Zugeständnisse im Bereich der Zaunerrichtung und Hundehaltung sowie gegen eine landesfürstliche Zusage, keine Wildüberhegung zuzulassen und bisher vorgefallene Wildabschüsse nicht zu bestrafen, verzichtete die Landschaft einschließlich der Vertreter der ländlichen Gerichte auf die reklamierte Jagdfreiheit. Gemeinsam entwarfen Regierungs- und Geheime Räte sowie Deputierte der Landschaft eine alle diesbezüglichen Fragen regelnde Ordnung, die von Leopold V. sanktioniert und anschließend gedruckt und publiziert wurde. Die landständische Beteiligung wird im entsprechenden Mandat in aller Ausführlichkeit dargestellt. Die (vermeintlichen) Wildereiumtriebe seien demnach auf dem jüngst erhaltnen Tyrolischen Landtag / mit allen Ständen diser Fürstl. Graffschafft / etc. allhie zu Ynsprugg / nach notturfft conferiert / erwogen / auch endtlich nach reiffer bedenckung aller umbständen / auff solche mitl und weg gerichtet / beschlossen / und von wolermelten Ständen einer Ersamen Landtschafft ainhellig approbiert / angenommen / und verabschidet worden / wie hinnach von Wort zu Wort volgen thuet: Die Fürstl. Durchl. Erczherczog Leopold zu Osterreich [...] haben sich auf N: baider Stifft Triendt / und Brixen / Gesandten / auch dern von ainer Ersamen Tyrolischen Landtschafft klainen Ausschuß darczue gezognen Vgl. z. B. TLMF, FB 6197, Nr. 15, 1538 Jan. 25; TLA, BT, Bd. 5, fol. 188v–189v, 1544 April 26; TLA, CD 1556, fol. 70, 1556 Juni 19; TLA, Buch Jägerei, Bd. 1, fol. 17, 1556 Juli 3; TLA, BT, Bd. 8, fol. 239v–241r, 1561 Juni 10; ebd., fol. 616, 1563 Sept. 20; TLA, BT, Bd. 9, fol. 454, 1568 Dez. (keine nähere Datierung); TLA, CD 1572, fol. 64, 1572 Juni 30; TLA, BT, Bd. 17, fol. 253r–254r, 1617 April 20; TLA, CD 1632, fol. 582, 1632 Sept. 22; TLA, VfD 1633, fol. 211, 1633 Juli 5; TLA, Buch Jägerei, Bd. 2, fol. 127, 1660 Sept. 15. 412 Vgl. TLMF, Dip. 1090, Nr. 121, 1619 Juni 12; TLA, CD 1619, fol. 451. 413 Vgl. hierzu ausführlich Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007, S. 140–142; die Landtagsunterlagen finden sich in TLA, LLTA, Fasz. 12, Bund 4, sowie in TLA, VdL, Bd. 12 (zur Vereinbarung zwischen Landesfürst und Ständen und deren Zustandekommen ebd., S. 443–451, neue Paginierung S. 137–144). 411
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übergebens gehorsamistes guetachten / Das hohe Roth- und Schwarcze Wildpräth betreffendt / dahin gnedigist revolviert. Daß [...]. Durch einen solchen, in den Gesetzestext aufgenommenen und ausgesprochen ausführlichen Hinweis auf eine landständische Mitwirkung sollten die Akzeptanz und Durchsetzbarkeit einer Norm erhöht werden. Dass es sich dabei um eine jagdrechtliche Materie handelt, ist kein Zufall. Gerade in diesem überaus prekären Rechtsbereich erfolgte die Bezugnahme auf ein mit den Landständen hergestelltes Einvernehmen vergleichsweise häufig. Aber es lässt sich auch in anderen Rechtsbereichen konstatieren. So betonte der Gesetzgeber in einem Mandat von 1617, das dem Ratenkauf der Untertanen je nach sozialer Zugehörigkeit des Käufers betragsmäßige Schranken setzte und eine jährliche Abrechnung vorschrieb, dass die Regelung auf eine landständische Beschwerde zurückging. Die entsprechende Anregung war immerhin schon vier Jahre zuvor auf einem Landtag deponiert worden.414 Das Herausstreichen der ständischen Initiative trotz eines mehrjährigen zeitlichen Abstands zwischen deren Deponierung auf einem Landtag und der legislativen Maßnahme sollte den Normadressaten wohl nicht zuletzt vermitteln, dass diese vorderhand wohl auf wenig Verständnis stoßende Vorschrift – deren Motive im Gesetz selbst dargelegt werden – nicht eine Gängelung durch die Obrigkeit darstelle, sondern der Gesetzgeber selbst auf Anregung von außen tätig geworden sei. Insgesamt ist somit die Erwähnung einer landständischen Einbindung in den Gesetzgebungsprozess im Normtext selbst die Ausnahme von der Regel und unterschiedlich motiviert. Sie spiegelt die tatsächlichen Einflussmöglichkeiten der Stände aber nur sehr unvollkommen wider. Um sich einen Eindruck von der tatsächlichen Teilhabe der Landschaft am Entstehen von Gesetzgebungsakten zu verschaffen, ist die Heranziehung weiterer Quellengattungen – insbesondere des behördeninternen Schriftverkehrs und der Landtagsakten – unumgänglich. Die Konzentration allein auf die Verbalisierung ständischer Beteiligung in den Gesetzestexten würde nicht nur zu einer Fehleinschätzung der quantitativen Dimension der ständischen Anteilnahme führen, sondern weitere Fehlschlüsse begünstigen. Allein aus dem Umstand eines prozentuell vom 15. bis zum 17. Jahrhundert sinkenden Anteils an Gesetzen, die expressis verbis eine ständische Beteiligung anführen, darf man beispielsweise keinesfalls auf eine tatsächlich im 17. Jahrhundert verringerte Teilhabe der Landschaft am Gesetzgebungsprozess schließen, die sich vielmehr quantitativ wie qualitativ ganz ähnlich wie im 16. Jahrhundert präsentiert. Ein verstärkter „Absolutismus“ des landesfürstlichen Gesetzgebers im Sinne einer forcierten Verdrängung der Landschaft aus dem legislativen Prozess lässt sich in Tirol – und dieser
TLA, FB 6198, Nr. 19, 1617 März 4; zu den entsprechenden Beschwerden vgl. TLA, LLTA, Fasz. 12, Bund 5.
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Befund ist wohl für die Gesamtheit der oberösterreichischen Länder zu generalisieren – nicht ausmachen.
5. 3. 3. Landständische Mitwirkung im Spannungsfeld der Interessen 5. 3. 3. 1. Typologien landständischer Mitwirkung Schon die einleitenden Ausführungen über die Beteiligung der Landschaft an der Gesetzgebung dürften verdeutlicht haben, dass der Versuch einer rechtlichen Systematisierung der Möglichkeiten einer ständischen Teilnahme – z. B. in die Trias Anhörungs-, Mitwirkungs- und Zustimmungsrechte – der verfassungsrechtlichen Wirklichkeit und dem tatsächlichen Gesetzgebungsprozess nur bedingt Rechnung zu tragen vermag. So kann man zwar rechtliche Schranken extrahieren, die der landesfürstlichen potestas legislatoria, z. B. bei einer Änderung der Landesordnung, gewisse Grenzen setzte. Zugleich ist jedoch deutlich geworden, dass die Entscheidung über einen allfälligen gesetzgeberischen Alleingang unter Umgehung der Landschaft letztlich beim Landesfürsten lag und sich als Ergebnis einer Interessenabwägung präsentiert. Welche Konsequenzen (vor allem im Bereich der Steuerbewilligung) war der Landesherr bereit zu tragen, auch auf das Risiko einer nachdrücklichen Verstimmung der Landstände hin eine Regelung motu proprio und plena potestate zu erlassen? Die Problematik sei im Folgenden anhand der differenzierten und von nachfolgenden Forschungen zur Gesetzgebungsgeschichte wiederholt herangezogenen Typologie des Zustandekommens von Gesetzen bei Gerhard Immel verdeutlicht. Immel unterscheidet sechs Typen:415 1. Die Übereinkunft von Herrscher und Ständen 2. Rat, Zustimmung und Approbation der Stände 3. Ständebeschluss mit Approbation des Herrschers 4. Herrscherbefehl auf Petition der Stände 5. Herrscherbefehl 6. Ständebeschluss Schon das von Immel vornehmlich herangezogene Einteilungskriterium für die Zuweisung eines Gesetzgebungsaktes weist die Fragilität einer solchen Kategorisierung auf, stützt er sich doch – was bei einer den europäischen Rechtsraum abdeckenden Gesamtdarstellung eine notwendige Beschränkung darstellte – maßgeblich auf die Selbstaussagen der Gesetze in den Narrationes. Gerade hier wurde aber soeben dargelegt, dass diese nicht bloß unvollständige Befunde liefern – gerade im 16. und 17. Jahrhundert ist eine Befassung der Landstände in vielen Fällen gar nicht erwähnt –, sondern überdies auch ganz andere Zielsetzungen haben (können) als nur eine Ex Immel, Typologie, 1976, S. 10–25.
415
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plikation für den Prozess des Zustandekommens des Gesetzes zu liefern und dessen Rechtsmäßigkeit darzulegen. Ebenso kann sich die Absicht, ein bestimmtes Herrscherbild zu entwerfen oder die Akzeptanz und damit die Implementationschancen eines Gesetzes zu erhöhen, als ein wesentliches Motiv für die Erwähnung einer ständischen Mitwirkung präsentieren. Zusätzlich erweist sich die Klassifikation in Konfrontation mit dem Quellenmaterial als problematisch. Bei der ersten Rubrik „Übereinkunft von Herrscher und Ständen“ fällt dem Rechtshistoriker sofort das Landlibell von 1511 ein; aber selbst hier wurde bereits dargelegt, dass dessen Rechts charakter in der zeitgenössischen Diskussion je nach dem (mehr landschaftlichen oder mehr landesfürstlichen) Standpunkt des Betrachters sehr umstritten war. Bei einer genaueren Analyse häufen sich in der Tat die Fragen, in welche der Immel’schen Kategorien ein bestimmter Gesetzgebungsakt denn einzureihen wäre. Nur weil sich ein Gesetz von seinem Wortlaut als „Herrscherbefehl“ (Typ 5) darstellt – also keine ständische Mitwirkung erwähnt – besagt dies noch gar nichts über eine allfällige Einbindung der Landstände und lässt insbesondere keinen Schluss darüber zu, ob ein Gesetz nicht doch auf die Initiative der Landstände zurückgeht. Die Ordnung von 1557 zur normativen Regulierung eines Truppendurchmarsches geht beispielsweise nachweislich auf wiederholte ständische Beschwerden zurück; der von der Regierung ausgearbeitete Entwurf wurde nochmals den Ständen vorgelegt, denen keine Ergänzung mehr einfiel. All das wird im Gesetzestext selbst nicht erwähnt. Vom Wortlaut ist die Ordnung eindeutig als „Herrscherbefehl“ zu qualifizieren. Da die Initiative jedoch von den Ständen ausging, könnte man sie ebenso dem Typ vier („Herrscherbefehl auf Petition der Stände“) zuordnen. Schließlich ist es genauso vertretbar, sie in Anbetracht der Vorlage des Konzepts an die Stände als Gesetz des Typs zwei („Rat, Zustimmung und Approbation der Stände“) einzustufen. Greifen wir ein noch prominenteres Beispiel heraus: Nach Immel beispielsweise fällt – explizit angeführt – die Tiroler Landesordnung von 1573 in die besagte Kategorie zwei. Die Tiroler Landesordnung von 1526 ordnet er hingegen ausdrücklich dem Typ drei zu („Ständebeschluss mit Approbation des Herrschers“). Was Immel hier korrekt erfasst, ist die 1526 und 1573 völlig unterschiedliche Intensität landschaftlicher Mitwirkung an der Redaktion des Gesetzestextes. Die Textierung erfolgte 1525/1526 tatsächlich fast ausschließlich durch die Stände. Ferdinand I. wurden nur einige wenige Artikel, über die zwischen Adel, Städten und Gerichten keine Einigung erzielt werden konnte, zur Entscheidung vorgelegt, und auch in den Monaten vor der Drucklegung wurden seitens des Herrschers und seiner Räte nur noch geringfügige redaktionelle Änderungen vorgenommen. Der Schwerpunkt bei der Redaktion lag damals eindeutig bei den Ständen, vor 1573 dagegen trotz intensiver Einbindung der Stände beim Landesfürsten. Die Frage ist, ob dies eine unterschiedliche rechtliche Bewertung der Mitwirkungsrechte der Landschaft (und damit eine unterschiedliche Kategorisierung gemäß der Immel’schen Typologie) rechtfertigt. In der Tat ist die divergierend intensive Einflussnahme der Stände auf
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die Textierung 1525/26 und 1573 primär der jeweiligen machtpolitischen Konstellation und nicht der Vorgabe durch Rechtsvorschriften zuzuschreiben. Diese Einwände ändern natürlich nichts an der prinzipiellen Nützlichkeit der von Immel vorgenommenen Kategorisierung, die die vielfältigen Abstufungen ständischer Mitwirkung im Gesetzgebungsprozess anschaulich vor Augen führt. Schließlich bemühte sich auch schon die frühneuzeitliche Staatsrechtslehre um ähnliche Typologisierungen ständischer Mitwirkungsrechte an der Gesetzgebung, ohne dass diese schon einen solchen Grad der Differenzierung erlangt hätten.416 Methodische Bedenken, da das maßgebliche Einteilungskriterium die Aussage des Gesetzes in der Narratio ist, und die Konfrontation mit dem Quellenmaterial selbst führen allerdings auch die Grenzen des Modells vor Augen. 5. 3. 3. 2. Exklusionsbestrebungen bei Interessenkonflikten Geeigneter als die traditionelle, vom Verfasser an anderer Stelle417 ebenfalls herangezogene Einteilung der ständischen Beteiligung an der Gesetzgebung scheint daher eine interessengeleitete Differenzierung. Es ist somit nicht die Frage ausschlaggebend: „Was kann der Landesfürst alleine regeln und in welchen Bereichen ist er in unterschiedlicher Intensität an die Mitwirkung der Landstände gebunden?“ Vielmehr geht es um die Frage: „Was will der Landesfürst alleine regeln?“ Und in welchen Bereichen ist er gewillt, auch gegen landständischen Widerstand allein gesetzgeberisch tätig zu werden? In weiterer Folge lässt sich herausarbeiten, in welchen Rechtsbereichen Landstände und Landesfürst konsensual vorgehen (ohne dass die vielfach quellenmäßig sehr diffizile Frage im Vordergrund steht, ob die Initiative vom Landesfürsten oder den Ständen ausgeht). Schließlich lassen sich auf diese Weise auch Initiativen der Stände ausmachen, die diese im eigenen Interesse durchzusetzen trachteten. Ein solches Modell, das primär nach dem einer normativen Regelung zugrunde liegenden Interesse fragt, besitzt den Vorteil einer größeren Flexibilität und damit einer größeren Annäherung an die Wirklichkeit des Rechtssetzungsprozesses. Dabei zeigt eine genauere Analyse, dass es während des Untersuchungszeitraums nur vergleichsweise wenige Rechtsbereiche gab, in denen der Landesfürst unter bewusster Ausschaltung jeder landständischen Beteiligung gesetzgeberisch vorzugehen bereit war und dabei auch ohne weiteres eine Verstimmung der Landschaft in Kauf nahm. Es sind dies Rechtsmaterien, die unmittelbar herrscherliche Interessen berühren und relativ genau identifiziert werden können. Es handelt sich vornehmlich um das Jagd- und Forstrecht. In beiden Bereichen waren die Landesfürsten bestrebt, unter Berufung auf den „gemeinen Nutzen“ sowie unter Verweis auf das Vgl. z. B. Moser, Landeshoheit, 1772, 4. Kap., § 32, S. 305–311; zusammenfassend Häberlin, Repertorium, 1793, 3. Teil, Art. „Landstand“, §§ 20–22, S. 124–128. 417 Vgl. Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007, S. 147–150. 416
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Forst-, Allmend- oder Jagdregal konkurrierende Nutzungsrechte zu beseitigen. Die Zielsetzung der landesfürstlichen Gesetzgebung ist hier wie dort gleich: „Die Herren wollen den Bauern aus dem Wald haben.“418 In anderen Bereichen der Policeygesetz gebung419 gab es demgegenüber weite Bereiche, in denen die Ordnungsvorstellungen der Obrigkeit mit denen der Normadressaten zumindest teilweise, wenn nicht sogar zur Gänze deckungsgleich waren. Einem gemeinsamen „Aushandeln“ von Normen durch Landesfürst und Stände stellten sich keine grundsätzlichen Hindernisse in den Weg. Im Jagd- und Forstbereich waren dagegen die Interessenlagen diametral entgegengesetzt. Hier war sich der Gesetzgeber sehr wohl bewusst, dass seine Normsetzung zum Teil mit den Interessen und mit den Nutzungsansprüchen der Untertanen kollidierte, doch nahm er bewusst die abzusehenden Auseinandersetzungen sowohl auf den Landtagen als auch bei der Implementation in Kauf. Gerade diese ausgeprägte Konfliktanfälligkeit hebt die Rechtsgebiete Forst- und Jagdrecht in der Frühen Neuzeit aus dem weiten Feld der Policeygesetzgebung hervor. Die normativen Vorgaben zielten im Falle Tirols eindeutig auf die Restringierung tradierter gewohnheitsrechtlicher, individueller und gemeindlicher Holznutzungsrechte zugunsten des Landesfürsten ab, aus dessen Perspektive der Holzversorgung der Tiroler Bergwerke und der Haller Saline absolute Priorität zukam.420 Dasselbe gilt für das Jagdrecht,421 zumal fast alle habsburgischen Landesfürsten während des Untersuchungszeitraums begeisterte Jäger waren und der Jagd nicht nur als Freizeitvergnügen, sondern auch zur rituellen Machtinszenierung und -demonstration in Mittelalter wie Frühneuzeit eminente Bedeutung zukam.422 Forstgesetze sind somit nicht primär – jedenfalls nicht ausschließlich – als Reaktionen auf Waldentwicklungen zu sehen.423 Nach Joachim Allmann reflektieren Forstordnungen kaum oder gar nicht reale Sachverhalte, und in der Tat wäre es verhängnisvoll, aus den Legitimationstopoi von Forstgesetzen, die in ihren Narrationes mit der Verwüstung und Ausödung des Waldes durch die Untertanen als Anlass Vgl. Blickle, Konflikte zwischen Bauern und Obrigkeiten, 1986, S. 168. ��������������������������������������������������������������������������������������� Zur Zuordnung des Jagdrechts zum materiell umfassenden Bereich der „guten Policey“ nunmehr Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007, S. 16–26; zur Zugehörigkeit des Forstrechts zum Policeyrecht Ernst, Wald entwickeln, 2000, bes. S. 48–52; Ernst, Forstgesetze, 2000; Schennach, Konflikte um den Wald, 2006, S. 214–218. 420 Vgl. nur Mantel, Wald und Forst, 1980, S. 275–277; die Beschränkung der Nutzungsrechte der ländlichen Bevölkerung ist durchaus nicht tirolspezifisch, vgl. nur Köstler, Wald in Altbayern, 1934, S. 55–60; Hägermann, Herrschaftliche Einflußnahme, 2002, S. 368–381; zuletzt für das Erzstift Salzburg auch Putzer, Aspekte der Nachhaltigkeit, 2008, bes. S. 523–524. 421 Hierzu allgemein Eckardt, Herrschaftliche Jagd, 1973. 422 Besonders ausführlich ist die diesbezügliche Literatur für das Mittelalter, z. B. Rösener, Adel und Jagd, 2000 (mit weiteren Literaturhinweisen); für die Frühe Neuzeit zuletzt ausführlich Schunka, Soziales Wissen, 2000, bes. S. 134–143, sowie Knoll, Landesherrliche Jagd, 2004; ferner Rösener, Geschichte der Jagd, 2004, S. 278–304; Allmann, Wald, 1989, S. 63–67; für Tirol siehe u. a. Gasser, Jagd und Fischerei, 2000, bes. S. 411–412. 423 Vgl. die Ausführungen bei Ernst, Forstgesetze, 2000, S. 350–351. 418 419
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für die Rechtssetzung argumentieren, stringent auf vorhandene Defizite schließen zu wollen. Bezeichnenderweise wurden gerade Forstordnungen des 16. Jahr hunderts rezent als Ausdruck landesfürstlicher „Ordnungsvorstellungen“ bzw. als „Anspruchsbehauptungen“424 bezeichnet, sie müssten „als Ausgangspunkte und Versuche einer Konkretisierung herrschaftlicher Ansprüche und deren Verwirklichung gesehen werden“425, bei deren Erlassung man sich teilweise sehr wohl bewusst war, dass sie zumindest in Teilen mit den Rechtsansprüchen anderer kollidieren mussten, doch lotete man das Ausmaß des noch Möglichen und Durchsetzbaren aus. Keine einzige forst- und keine einzige jagdrechtliche Norm verweist somit auf eine landständische Beteiligung. Im Vorfeld keines einschlägigen restriktiven jagdlichen Rechtssetzungsaktes ist zudem die Einbindung der Tiroler Landschaft nachzuweisen. Ähnliches gilt für forstrechtliche Normen, wo sich nur in Randbereichen eine gewisse Überschneidung ständischer und landesfürstlicher Interessen zeigte (z. B. beim Verbot der Brandrodung).426 In Form von Supplikationen oder von Gravamina ventilierten Beschwerden über jagd- und forstrechtliche Normen wurde nur äußerst beschränkter Erfolg zuteil. So führte die Tiroler Landschaft nach Erlass der Tiroler Waldordnung von 1551427 auf Landtagen während mehr als sechs Jahrzehnten mit Verweis auf das „alte Herkommen“ und entgegenstehende eigene Nutzungs- und Eigentumsrechte Klage gegen dieses Gesetzgebungswerk.428 Dabei wurden diese Gravamina nicht etwa nur von den unteren beiden Ständen, von den Städten und Gerichten, getragen, sondern gingen gleichermaßen auf den Adels- und Prälatenstand zurück, die als Grundherren ebenfalls tangiert waren. Und trotz dieses konzertierten Einsatzes war der Erfolg der Bemühungen äußerst bescheiden. Er erschöpfte sich weitgehend in beruhigenden Erklärungen auf den Landtagen, die geltend gemachten Defizite prüfen zu wollen. Eine ähnliche Beschwichtigungs- und Abwiegelungstaktik ist schließlich im Bereich der jagdlichen Gesetzgebung zu bemerken, wo sich gerade Maximilian I. als Meister darin erwies, die Landschaft und speziell die Städte und Gerichte mit wohlklingenden Zusagen auf Landtagen zu kalmieren, ohne dass sich tatsächlich der Wille manifestierte, die Beschwerden substanziell abzustellen. Selbst wenn ausnahmsweise in Bereichen wie dem Recht auf Hundehaltung oder der Zaunerrichtung Zuge So Allmann, Wald, 1989, S. 70, 72 und 347 hinsichtlich der landesfürstlichen Forstord nungen. 425 Vgl. Allmann, Wald, 1989, S. 72. 426 Vgl. z. B. TLA, Sigmundiana V/6, 1474 Juni 20. 427 TLA, Hs. 808, 1551 Aug. 17; Oberrauch, Wald und Weidwerk, 1952, S. 124–125. 428 TLA, Landschaftliche Landtagsakten, Fasz. 1, Nr. 29 (Gravamina des Landtags 1555); die Waldordnung wird zudem in zahlreichen Partikularbeschwerden auf diesem Landtag angeführt, vgl. TLA, LLTA, Fasz. 7, Bund 4; einschlägige Beschwerden werden ferner vorgebracht 1559 (TLA, VdL, Bd. 3, S. 619), 1563 (TLA, LLTA, Fasz. 8, Bund 1), 1567 (TLA, VdL, Bd. 5, S. 35–37), 1568 (TLA, Landschaftliches Archiv, Landschaftliche Landtagsakten, Fasz. 1, Nr. 30), etc. Ein spätes Beispiel in TLA, LLTA, Fasz. 13, Bund 3, 1626 Okt. 23. 424
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
ständnisse auf legislativer Ebene gemacht wurden, sah die Praxis anders aus. Diese war von einer einseitigen Betonung der landesfürstlichen Interessen an einer Hegung der Wildbestände geprägt, während die Wünsche der ländlichen Bevölkerung nach Schutz ihrer Feldfrüchte vor Wildschäden hintangesetzt wurden.429 Die Durch setzung ständischer Interessen gegen den Willen des Landesherrn war hier nur aus nahmsweise in besonderen Konstellationen möglich, wofür die Ereignisse der Jahre 1525/1526 und die Ausarbeitung der Tiroler Landesordnung von 1526 ein Beispiel par excellence darstellen. Bezeichnenderweise waren es dabei just die jagdrechtlichen Bestimmungen, bei denen Ferdinand I. kaum ein Jahr nach Publikation der Landesordnung nachweislich schon wieder auf eine Änderung in seinem Sinne erpicht war. 5. 3. 3. 3. Interessenkongruenz begünstigt ständische Mitwirkung Wohlgemerkt war dieser bewusste legislative Alleingang des Landesfürsten nicht der Regelfall und auf ausgesuchte Materien beschränkt, an denen seitens des Herrschers ein besonderes Interesse bestand. Und diese Frage nach dem Interesse erweist sich auch darüber hinaus als zentral: Welches Interesse sollte beispielsweise Ferdinand I. oder nachmals Erzherzog Ferdinand II. haben, erbrechtliche Bestimmungen der Tiroler Landesordnung gegen den Willen der Landstände beizubehalten oder zu verändern? Bereitwillig wurden daher auch die einschlägigen Anregungen der Landschaft seit den fünfziger Jahren des 16. Jahrhunderts aufgenommen.430 Nur in Bereichen, wo herrscherliche Vorrechte berührt wurden, waren die Auswirkungen landständischer Desiderata und Gravamina gering. Mochten die Stände (und dabei namentlich der Adelsstand) auch über Jahrzehnte hinweg auf allen Landtagen gegen die Möglichkeit der Revision von Urteilen des Adeligen Hofrechts an den Landesherrn zu Felde ziehen, war hier mit keinem Entgegenkommen zu rechnen. Abgesehen von solchen aus ganz spezifischen Interessenlagen zu erklärenden Bruchlinien sprach jedoch nichts gegen eine intensive Einbeziehung der Stände in alle Reformdiskussionen, die die Landes- und Policeyordnung betrafen. Bei sämtlichen Projekten betreffend eine anvisierte Überarbeitung der Landesordnung bis 1740 wird durchgehend die Einbindung landschaftlicher Vertreter als Selbst verständlichkeit angesehen.431 Dabei reklamierte die Regierung nicht einmal ������������������������������������������������������������������������������������������ Vgl. hierzu ausführlich Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007; zur vitalen Bedeutung der Zäune für die frühneuzeitliche Landwirtschaft ausführlich schon Köstler, Wald in Altbayern, 1934, S. 40–41. 430 Vgl. hierzu nur TLA, Ferdinandea, Karton 165, Pos. 165, Erörterungen zum 18. Titel, 3. Buch der Tiroler Landesordnung von 1532. Ausführlich beschäftigte sich hiermit das Kapitel VI.5.6.3.4. der dieser Publikation zugrundeliegenden Habilitationsschrift, das jedoch aus Gründen der Systematik und des Umfangs für die Drucklegung ausgeschieden wurde und gesondert publiziert wird. 431 Vgl. hierzu Kap. IV.7.6. 429
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notwendigerweise die Federführung für sich selbst. Im Jahr 1626 wurde eingehend diskutiert, ob Stände oder Regierung eine Liste der zu reformierenden Titel der Landesordnung samt Verbesserungsvorschlägen als Diskussionsgrundlage für die weiteren Verhandlungen liefern sollten – wobei Regierung wie Landschaft diese aufwändige Vorarbeit gleichermaßen auf die Schultern der jeweils anderen Seite abschieben wollte. Bei einzelnen Reformdiskussionen im landrechtlichen Bereich lassen sich dabei bestimmte Interessenlagen als diskussionsleitend herausarbeiten. Musterbeispiel hierfür sind die ab 1619 wiederholt vorgetragenen Vorstöße der Landschaft betreffend eine Ausdehnung der Näherrechte (Retraktrechts) über den Kreis der bisher Berechtigten hinaus.432 Nach den damals und bis 1646 wiederholt ventilierten Konzepten sollten binnen Jahr und Tag nach Veräußerung einer Immobilie an einen ‚Ausländer‘ (womit jeder Nicht-Tiroler gemeint war) zwar primär, aber nicht nur die nächsten Verwandten des Verkäufers berechtigt sein, anstelle des Käufers in den Kaufvertrag einzutreten, sondern grundsätzlich alle Inländer, wobei sich die Rangfolge der Einstandsrechte nach Maßgabe der räumlichen Nähe des Grundbesitzes des Berechtigten zu der verkauften Immobilie richten sollte (unnd allwög dem negst mit seinen güettern daran confinierendten vor den weiteren).433 Das Einstandsrecht von Familienmitgliedern wäre auf diese Weise zu einem Land mannseinstand (Territorialretrakt) ausgedehnt worden.434 Das Motiv für diese Initiative erscheint durchsichtig, denn durch die auf diese Weise zu erreichende massive Behinderung des Zugangs von ‚Ausländern‘ zum Tiroler Grundstücksmarkt sollte die offensichtlich als negativ empfundene und die Preise in die Höhe treibende Konkurrenz verdrängt werden. Das angestrebte Regelungsziel wäre dabei ���������������������������������������������������������������������������������� Vgl. zum Folgenden TLA, VdL, Bd. 12, 1619, 23. Beschwerdepunkt der Gravamina (Parallelüberlieferung TLA, LLTA, Fasz. 12, Bund 4); der Vorschlag wurde im Gutachten von Regierung und Kammer grundsätzlich gutgeheißen, vgl. TLA, AfD 1619, fol. 61v–69r, hier fol. 69r, 1619 März 19; auch Leopold V. ließ grundsätzliche Bereitschaft erkennen (TLA, VdL, Bd. 12, S. 125–126, 1619 April 2), woraufhin die Stände um die Erlassung der entsprechenden Mandate baten (TLA, VdL, Bd. 12, S. 136, 1619 April); die Publikation erfolgte jedoch nicht, so dass das Projekt auf dem Landtag 1626 nochmals vorgetragen wurde (TLA, LLTA, Fasz. 13, Bund 4, 23. Beschwerdepunkt der Landtagsgravamina); es wiederholten sich die Vorgänge von 1619, weshalb die Landschaft 1632 nochmals um Ausfertigung der Mandate bat (TLA, VdL, Bd. 12, S. 603). Wieder fiel die Stellungnahme von Regierung und Kammer prinzipiell positiv aus (TLA, AfD 1633, fol. 486r–501v, 1633 Mai 4), und wieder blieb die Erlassung entsprechender Gesetze aus. Neuerlich vorgebracht wurde das Projekt auf dem Landtag 1646 (TLA, VdL, Bd. 19, fol. 484v–504r, hier fol. 496, 1646 April 20); 1647 erging neuerlich eine durchaus positive Resolution Ferdinand Karls (VdL, Bd. 20, fol. 263v–271v, hier fol. 268). Wenig überraschend wurde auch diesmal kein entsprechendes Mandat erlassen. 433 Hier zit. nach TLA, VdL, Bd. 19, fol. 484v–504r, hier fol. 496, 1646 April 20. 434 Zu den vielfältigen Ausprägungen der Einstandsrechte vgl. Kocher, Eintrittsrecht, 1979, S. 125–128; Kocher, Historische Dimensionen des österreichischen Bodenrechts, 1979, S. 28–30; Kocher, Oberste Justizstelle, 1979, S. 153–158; Wesener, Vorkaufs- und Einstandsrecht der „gesippten Freunde“, 1966; zu einer speziellen Ausprägung der Näherrecht im Tiroler Alprecht auch Grass, Kontinuität im bäuerlichen Rechte, 1948, S. 522. 432
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
zu Lasten der Grundstücksverkäufer und der Rechtssicherheit erreicht worden.435 Wenn jeder ausländische Käufer nicht nur mit den Verwandten des Immobilienverkäufers als Einstandsberechtigten rechnen müsste, sondern allein schon die Inländereigenschaft für die Ausübung eines Einstandsrechts ausreichen würde, wäre die Wahrscheinlichkeit für jeden nicht-tirolischen Käufer hoch, binnen Jahr und Tag aus dem Kaufvertrag verdrängt zu werden. Eine solche legislative Maßnahme hätte daher im Endeffekt zu einem sehr weitreichenden Ausschluss ‚ausländischer‘ Interessenten vom Tiroler Grundstücksmarkt geführt. Diese Argumentation brachten die Stände natürlich nicht vor, die vielmehr den „gemeinen Nutzen“ als Zielsetzung ihres Gesetzgebungsvorhabens anführten. Ausländer würden die von ihnen erworbenen Grundstücke nicht selbst bewirtschaften, sondern durch schlechte unbrauchsame personen bewirtschaften lassen, die ein Sicherheitsrisiko darstellen würden, im Bedarfsfall weder zu öffentlichen Ämtern noch zum militärischen Aufgebot herangezogen werden könnten und zudem für das Steueraufkommen abträglich seien. Obschon sämtliche Landesfürsten von Leopold V. bis Ferdinand Karl grundsätzlich Verständnis signalisierten, kam es dennoch zu keinem entsprechenden Gesetz, da hier wohl bei einer Interessenabwägung auch die Nachteile mit einbezogen wurden. Nicht zuletzt wäre mit erheblichen diplomatischen Verstimmungen und allfälligen legislativen Retorsionsmaßnahmen zu rechnen gewesen. Die Erfahrung der vorangegangenen Jahrzehnte namentlich auf dem Gebiet der gesetzlichen Regelung der so genannten „Abfahrtsgelder“, d. h. der zu zahlenden Abgaben beim Abzug von Vermögenswerten ins Ausland, hatte deutlich gezeigt, dass jede für bayerische Untertanen nachteilige Tiroler Regelung zum Erlass ähnlicher Normen auf bayerischer Seite führte und umgekehrt.436 Die wiederholten Vorstöße der Land stände sind somit auf eine ganz spezifische Interessenlage zurückzuführen. Sie kollidierten nicht mit herrscherlichen Rechten, so dass seitens der Landesfürsten kein grundsätzlicher Widerstand laut wurde. Dass dennoch kein entsprechendes Gesetz publiziert wurde, lag wohl an der landesfürstlicherseits vorgenommenen abstrakten Interessenabwägung der Vor- und Nachteile der angestrebten Norm. Auf weiten Strecken, wenn nicht völlig kongruent, so doch stark überlappend, präsentieren sich überdies Ordnungswünsche und -vorstellungen des Landesfürsten und der Stände im umfassenden Bereich der Policeygesetzgebung (zu den Ausnahmen des Forst- und Jagdrechts s. o.). Dass die Lebensmittelversorgung unter anderem durch flankierende legislative Maßnahmen sicherzustellen war – beispielsweise durch das Verbot des ,Fürkaufs‘ oder die Verhäng ung von Exportverboten –, dass Ge Zu den schon von den Zeitgenossen wahrgenommenen Nachteilen der Einstandsrechte in ihren unterschiedlichen Ausprägungen vgl. auch Kocher, Historische Dimensionen des österreichischen Bodenrechts, 1979, S. 28–30; Kocher, Eintrittsrecht, 1979, bes. S. 130. 436 Vgl. BT, Bd. 13, fol. 361r–362r, 1600 Sept. 12; ebd., fol. 373, 1600 Sept. 30; ebd., fol. 527, 1600 März 12; TLA, AksM 1600, fol. 225r–226, 1600 Nov. 18; zu späteren Differenzen vgl. auch TLA, BT, Bd. 19, fol. 675r–676v, 1630 April 27; TLA, AfD 1629, fol. 666r–667v, 1629 Dez. 4; TLA, VfD 1630, fol. 317v, 1630 April 26. 435
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setze zur Unterbindung der Fehde, zur allgemeinen Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit – z. B. durch die Bekämpfung von ,Zigeunern‘ und ,Gartknechten‘ – wünschenswert und notwendig waren, dass einem den Zorn Gottes provozierenden unchristlichen Lebenswandel der Bevölkerung angesichts der negativen Auswirkun gen auf das Gemeinwesen auch und vor allem durch entsprechende Verbote gegenzusteuern war, dass exzessiver Branntweinkonsum zu unterbinden war, dass wucherische Praktiken abzustellen seien, dass die Verbraucher vor betrügerischen Schlichen von Müllern, Metzgern, Bäckern oder Krämern zu schützen seien – in all diesen Policeymaterien bestand zwischen Landesfürst und Landständen weitgehende Übereinstimmung hinsichtlich der zu realisierenden Ordnungsziele. Wie der Gesetzgeber auf einen entsprechenden Regelungsbedarf aufmerksam wurde, ob aus eigener Wahrnehmung, durch Berichte lokaler Obrigkeiten, Supplikationen der Untertanen oder Gravamina der Landstände, war dabei weitgehend unerheblich. Egal, ob die Regierung mittels Gravamina oder auf anderen Informationskanälen von einer Lebensmittelknappheit erfuhr, waren die ergriffenen normativen Gegenmaßnahmen stets vergleichbar und bestanden vor allem in der Einschärfung von Export- und Fürkaufverboten. Gerade bei Neuerlassung eines Gesetzes, aber auch bei einer adaptierenden Einschärfung bestehender Mandate konnte eine Einbindung der Landstände nur von Vorteil sein. Diese konnten beispielsweise die Existenz eines Regelungsbedarfs bejahen oder verneinen bzw. ihre bisherigen Erfahrungen mit der Implementation einer Norm einbringen und auf diese Weise zur Praxistauglichkeit einer Norm beitragen. Zugleich konnte sich die Befassung der Landstände positiv auf die Akzeptanz des neuen Gesetzes bei den Normadressaten auswirken. Gegen die Mitwirkung der Landschaft sprachen vergleichsweise wenige Argumente. Zwar wirkte sich die Einbindung der Landstände fallweise verzögernd aus, indem ständische Stellungnahmen zu legislativen Vorhaben von der Regierung zum Teil wiederholt eingemahnt werden mussten (wobei die Regierung bei der Vorbereitung von Gesetzesvorhaben auch nicht immer einen unbändigen Elan an den Tag legte). Gerade wenn von einem geplanten Gesetz keine landesfürstlichen Interessen und Rechte berührt wurden, äußerten weder die Regierung noch der Landesfürst Bedenken gegen eine Einbindung der Tiroler Landschaft. Allenfalls zeigten sich bei konkreten Fragen Differenzen, wie der von beiden Seiten nach einhelligem Bekunden angestrebte „gemeine Nutzen“ am Besten zu verwirklichen sei – wobei dem Landesherrn als Gesetzgeber das letzte Wort zustand – und welcher Weg zu diesem Ziel einzuschlagen sei. Pointiert ausgedrückt: Nicht das Ordnungsziel als solches war umstritten, sondern die hierfür zu ergreifenden Mittel. 1551 schlug so die Landschaft vor, zur Sicherung der Landstraße vor abgedankten Söldnern diese ausnahmslos festzunehmen, unter Anwendung der Folter zu verhören und selbst bei Fehlen weiterer Indizien für ein strafbares Verhalten jedenfalls des Landes zu verweisen.437 Dagegen äußerten die landesfürstlichen Landtagskommissäre grund TLA, LLTA, Fasz. 6, Dezemberlandtag 1551, Landtagsgravamina (5. Beschwerde).
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
legende Bedenken. Die geforderten Mandate seien in dem Punkt, wonach die unschuldigen gleich sowol als die schuldigen zu stund an mit peinlicher frag angriffen solten werden, zu scharff, weshalb sie ein gelinderes Mittel vorschlugen (gründliche Befragung ohne Folteranwendung und anschließender Landesverweis; bei nochmaliger späterer Ergreifung, wenn sie gleichwol nichts höchers verprochen heten, als das sy auf der gart umbgeloffen, sollten sie mit Rutenstreichen bestraft werden). Nach nochmaligen Beratungen auf einem späteren Landtag erging das Mandat schließlich mit dem von den Kommissären vorgeschlagenen Inhalt.438 Trotz dieses hervorzuhebenden breiten Konsenses von Landschaft und Fürst in weiten Bereichen der Policeygesetzgebung zeigt eine Detailanalyse von Einzelregelungen durchaus gewisse divergierende Interessenschwerpunkte. Importverbote für ausländischen Wein gehen fast ausnahmslos auf ständische Initiativen zurück, wobei die Interessen der Wein produzierenden Viertel an der Etsch und am Eisack dominierten. Verbote des Kriegsdienstes für fremde Mächte, die den Untertanen den Solddienst in den Armeen ausländischer Kriegsherren untersagte, gingen hingegen auf Anliegen des Landesherren zurück, der sich auf diese Weise das militärische Leistungspotential seiner Landeskinder vorbehalten wollte.439 Auf ständischen Widerstand stießen die entsprechenden, überaus zahlreichen Mandate freilich nicht, da sie das Arbeitskräftereservoir erhöhten und damit das Lohnniveau niedrig hielten – woran sämtlichen auf den Landtagen vertretenen Ständen (besonders den Gerichten) gelegen war. Beschwerden gegen diese Maßnahmen blieben seitens der Stände daher aus, während die unmittelbar betroffenen Normadressaten – vornehmlich Taglöhner, Bergknappen, Handwerksgesellen, die sich periodisch als Kriegsknechte verdingten – mit Supplikationen um Dispensationen oder um Aufhebung der Mandate baten.440 So breit der Konsens zwischen Landesfürst und Ständen bei den meisten Policeymaterien war, bestätigen vereinzelte Ausnahmen die Regel: Wenn 1550 in allen österreichischen Ländern der ausschließliche Bezug böhmischen Zinns vorgeschrieben und der Handel mit Zinn anderer Provenienz verboten wurde,441 lag diese protektionistische Maßnahme ausschließlich im Interesse Ferdinands I. und schlug sich in Tirol in spürbaren Preissteigerungen nieder. Wiederholte Gravamina mit der Bitte um Aufhebung des Mandats und um Zulassung des Imports von billigerem englischen und Nürnberger Zinn blieben nicht aus,442 zeitigten aber keinerlei Erfolg. Dies bestätigt nachdrücklich die Relevanz der Interessenverteilung für das Ausmaß der Einbindung der Landstände in den Gesetzgebungsprozess. Während Vgl. hierzu (etwas missverständlich) Bechina, Landtage, 1944, S. 112; TLA, CD 1553, fol. 130, 1553 Mai 12. 439 Vgl. hierzu Stolz, Verbot des Kriegsdienstes, 1943; ergänzend Solleder, Reichsverbote, 1955. 440 Vgl. Schennach, Quellen, 2004, S. 92–93. 441 TLA, CD 1550, fol. 74, 1550 Nov. 24. 442 TLA, LLTA, Fasz. 6, Dezemberlandtag 1551, Landtagsgravamina (11. Beschwerde); ebenso TLA, LLTA, Fasz. 7, Bund 3, Oktoberlandtag 1555, Landtagsgravamina (8. Beschwerde); TLA, VdL, Bd. 3, S. 604–637, Aprillandtag 1559, Landtagsgravamina (6. Beschwerdepunkt). 438
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in nahezu sämtlichen Bereichen der Wirtschaftspolicey ein konsensuales Vorgehen von Landesherr und Landschaft dominierte, stand hier die Förderung der erbländischen Zinnproduktion und ‑herstellung im Vordergrund, der gegenüber regionale ständische Wünsche in den Hintergrund zu treten hatten. Ähnliches lässt sich anlässlich der sich über Jahrzehnte erstreckenden Diskussionen über ein allgemeines Schusswaffenverbot feststellen. Wie in anderen frühneuzeitlichen Territorien443 schickte man sich in Tirol in den Jahren nach dem Bauernkrieg von 1525/1526 an, das Führen von Schusswaffen durch die bäuerliche Bevölkerung zu unterbinden und erließ zu diesem Zweck eine Reihe von Büchsenmandaten, die inhaltlich an mehrere Verordnungen unter Maximilian I. anknüpfen konnten.444 Zwei Ursachen waren für die ausgeprägte Skepsis der landesfürstlichen Behörden gegenüber dem Büchsentragen ausschlaggebend, wobei sich das Misstrauen speziell gegen die Landbevölkerung richtete. Man hatte Sorge vor einem Aufstand im eigenen Land und vor zunehmendem Wildern. Die Normen gegen das Waffentragen stellen sich somit gleichzeitig als Maßnahme zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit und als Prävention gegen das Wildbretschießen dar. Gerade die Erinnerung an die Ereignisse des Bauernkrieges unter der Führung Michael Gaismairs wirkten bei der Obrigkeit noch Jahrzehnte nach. Ist das gaismairisch exempel noch in gedechtnus, was schlechte privatpersonen, so inen die waffen gelassen werden, für unrhue [!] in disem landt erweckht haben, darumb jederzeit sicherer, dem gemainen mann die wöhr zu nemmen dann zu geben,445 wie es ein Beamter der Regierung noch 1605 auf den Punkt brachte. Die Gesetze blieben nicht ohne Widerhall: Während in der sicherheitspolitisch überaus angespannten Lage im Vorfeld des Bauernkriegs die Tiroler Landschaft einer Eindämmung des Waffentragens durchaus zugeneigt war446 und das Verbot so genannter „heimlicher“, leicht zu versteckender Schusswaffen von den Ständen auch noch in späterer Zeit ausdrücklich gutgeheißen wurde,447 baten gerade die ländlichen Gerichte nicht nur in Supplikationen um Dispensationen bzw. um die Aufhebung der den Besitz von Waffen allgemein verbietenden Bestimmungen,448 sondern deponierten dies über dies konsequent auf Landtagen. Dabei wurde dieses Begehren jedoch nicht von allen Ständen in den „gemeinen Landsbeschwerden“ vorgetragen – was ein Hinweis auf die diesbezügliche Zurückhaltung der beiden höheren Stände ist, die den Überlegungen der Regierung inhaltlich wohl einiges abgewinnen konnten. Vielmehr fanden die diesbezüglichen Beschwerden nur in zahlreiche Partikulargravamina vornehmlich von ländlichen Gerichten Eingang. Dabei wurde auf das „alte Her Vgl. allgemein Hohn, Rechtliche Folgen, 2004, S. 77–78. Vgl. zum Folgenden Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007, S. 194–200; Schennach, Quellen, 2004, S. 99–102. 445 Vgl. TLA, Cod. 58a, fol. 376v, 14. Juli 1604. 446 Vgl. nur StAM, Hs. III/15 (unpag., unfol.), Landtagsgravamina 1520, 13. Beschwerde. 447 TLA, VdL, Bd. 5, S. 42–79, hier S. 67, 1568 März 19. 448 So z. B. das Gericht Hörtenberg in TLA, Pestarchiv X/17, 1538 April 19. 443 444
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kommen“ verwiesen, wonach das Waffenführen seit alters erlaubt gewesen sei.449 Bei den in Grenznähe zum Hochstift Trient und zum Engadin gelegenen Gerichten wurde ferner die Notwendigkeit der Selbstverteidigung gegenüber allfälligen gewaltsamen Übergriffen der Nachbarn ins Treffen geführt.450 Darüber hinaus wurde generell auf das Sicherheitsbedürfnis hingewiesen, benötige man Schusswaffen gerade in abgelegenen Einzelhöfen zur Selbstverteidigung vor wilden Tieren bzw. allgemein zum Schutz vor Übergriffen von Gartknechten und anderen potentiell gefährlichen Landfahrern.451 Es waren mit Sicherheit nicht die Gravamina, die die Regierung zumindest teilweise von der strengen Linie eines vollständigen Waffenverbots Abstand nehmen ließen. Ausschlaggebend war vielmehr der Umstand, dass sich die Räte sehr wohl der eingeschränkten Möglichkeiten einer Implementation einer solchen Anordnung bewusst waren. Gerade bei den verwegnen personen würde ein derartiges Schusswaffenverbot keinen Effekt haben, sonder allain bey den frommen, gegen denen es ain solch verpot nit bedörfft. Zudem betrachtete die Regierung ein generelles Waffenverbot mit Blick auf die Landesdefension als kontraproduktiv, dieweil die püchsen in disem als ainem pirgigen land die pest wehr ist.452 Der Besitz von Schusswaffen und die Erfahrung im Umgang mit diesen würden sich demnach positiv auf die Kampfkraft der militärischen Aufgebote des Landes auswirken. Kurz gesagt waren es pragmatische Überlegungen, die den Anstoß zu einem Umdenken gaben. Ab der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts war demzufolge zwar der Waffenbesitz grundsätzlich erlaubt, das Mitführen von Büchsen jedoch nur unter restriktiven Bedingungen, wodurch man sicherheitspoliceylichen Bedenken ebenso wie den Notwendigkeiten der Landesverteidigung Rechnung trug. Partikulargravamina der niederen Ständen spielten bei dieser seitens der Obrigkeit als dermaßen heikel betrachteten Materie keine entscheidende Rolle.
5. 3. 4. Gravamina und Gesetzgebung 5. 3. 4. 1. Allgemeines Ungeachtet des für das Waffenrecht soeben dargelegten Befundes waren Gravamina zweifellos ein zentrales Medium für die Landstände, um den Anstoß zu Gesetzen oder zu deren Änderung zu geben.453 Die „Normalität des Mechanismus ��������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. nur TLA, AfD 1614, fol. 593r–619r, hier fol. 596r–597v, 1614 Okt. 23, oder die Beschwerde des Gerichts Stein unter Lebenberg in TLA, LLTA, Fasz. 13, Bund 4, Landtagsbeschwerden 1626. 450 Vgl. z. B. die Beschwerde des Viertels an der Etsch in TLA, LLTA, Fasz. 12, Bund 4, 1619. 451 Vgl. die Beschwerde des Gerichts Rettenberg in TLA, LLTA, Fasz. 12, Bund 4, 1619. 452 TLA, AkM 1555, fol. 582r–585r, 1555 Okt. 8. 453 So schon Lieberich, Anfänge der Polizeigesetzgebung, 1969, bes. S. 324–330; Brauneder, Gehalt der österreichischen Polizeiordnungen, 1994 (erstmals 1976), S. 479; Neuhaus, Sup449
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Gravamen – Gesetz“454 ist in den letzten Jahren verstärkt herausgearbeitet worden. Dabei haben rezente Forschungen zur „guten Policey“ besonders die herausragende Bedeutung von Gravamina für die Entstehung von Policeygesetzen und namentlich von Policeyordnungen gezeigt.455 Für Tirol war der Konnex zwischen ständischen Beschwerden und Gesetzgebung insbesondere im Zusammenhang mit der Tiroler Landesordnung von 1526 thematisiert worden.456 Peter Blickle kam dabei das große Verdienst zu, dieses Phänomen nicht nur in einen überregionalen Kontext eingebettet, sondern das Kausalverhältnis „Gravamen – Gesetz“ auch territorial in einem größeren zeitlichen Rahmen verortet zu haben. Er zeigte erstmals auf, dass die in der Landesordnung von 1526 resultierenden Beschwerden eine teilweise jahrzehntelange Vorgeschichte und schon zuvor wiederholt den Anlass zu Gesetzgebungsakten und teilweise umfassenderen rechtlichen Normenkomplexen gegeben haben.457 Mit dem engen Zusammenhang zwischen Gravamina und Gesetzen steht Tirol nicht alleine da, wie Blicke in die unmittelbare Nachbarschaft belegen. Die frühesten umfangreichen Policeyordnungen für Oberbayern von 1500 bzw. für Niederbayern von 1501 beruhen erwiesenermaßen auf Beschwerdekatalogen der Stände.458 Die 1501 erfolgte Erweiterung der niederbayerischen Ordnung von 1474 um eine Reihe typischer Policeymaterien wie Gotteslästerung, Zutrinken, Fürkauf oder Kirchenrechnungen war dabei unter anderem auf die ständische Initiative zurückzuführen.459 Bereits die erwähnte Landshuter Ordnung von 1474, die neben einigen policeyrechtlichen Materien vor allem das Gerichtswesen regelt, stellte dabei vornehmlich eine herzogliche Reaktion auf einschlägige Gravamina der Landstände dar.460 Noch deutlichere Parallelen zur Tiroler Entwicklung werden im Erzstift Salzburg sichtbar, wenngleich hier die ländlichen Gerichte nicht durchgehend – jedoch zwischen 1462 und 1543 wiederholt – auf Landtagen vertreten waren.461 Auch hier plikationen, 1979, S. 92; Putzer, Legislative der frühen Neuzeit, 1981, bes. S. 719–720; ferner Speck, Vorderösterreichische Landstände, Bd. 1, 1994, S. 332–333 und 336–337; Fuhrmann, Amtsbeschwerden, Landtagsgravamina und Supplikationen, 1997. 454 So Blickle, Politische Landschaften, 2000, S. 29. 455 Vgl. z. B. Pauser, Gravamina und Policey, 1997; Würgler, Desideria und Landesordnungen, 1997; Weber, System der Policeyordnungen, 1998, bes. S. 427–430; Kissling, „Gute Policey“ im Berchtesgadener Land, 1999, S. 55–60 und S. 119–14. 456 So schon Oberweis, Landesordnung, 1865, S. 10–11. 457 Blickle, Landschaften, 1973; zuletzt Blickle, Beschwerden und Polizeien, 2003, S. 554–556. 458 ������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Lieberich, Anfänge der Polizeigesetzgebung, 1969, S. 311–313, 325, 334; Franz, Landesordnung von 1516/1520, 2003, S. 46*–49*. 459 ���������������������������������������������������������������������������������������� Franz, Landesordnung von 1516/1520, 2003, S. 47*–48*, die zu Recht bei der niederbayerischen Ordnung auch auf das Vorbild des Freiburger und Regensburger Reichsabschieds von 1495 bzw. 1498 verweist. 460 Vgl. Follak, Landshuter Landesordnung, 1977, S. 136; Franz, Landesordnung von 1516/1520, 2003, S. 47*. 461 Vgl. Klein, Bauernschaft auf den Salzburger Landtagen, 1949; Blickle, Ständische Vertretung, 1969; ergänzend Koller, Landgemeinde, 1988, bes. S. 93; Ammerer, Feudalverband, 1992, S. 25–28.
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führte der Bauernkrieg zu einer intensiven Diskussion über eine zu mehr Rechtssicherheit führende, bis dahin vergeblich angestrebte Landesordnung auf der Grundlage eines Gravaminakatalogs mit 32 Artikeln, der auf dem im Oktober 1525 abgehaltenen Landtag präsentiert worden war.462 Die folgenden Verhandlungen wurden von einem paritätisch mit ständischen und erzbischöflichen Vertretern besetzten Ausschuss geführt und zogen sich aufgrund von Differenzen in Steuerangelegen heiten zäh dahin. Als Zwischenergebnis erging schließlich im November 1526 ein erzbischöfliches Mandat, das die bisher erarbeiteten Kompromisse zusammenfasste und dadurch den bäuerlichen Beschwerden weitgehend Rechnung trug. Die Arbeiten an einer Landesordnung wurden zwar noch fortgeführt und gediehen bis in ein Entwurfsstadium. Erlassen wurde die Landesordnung freilich nicht, wenngleich entsprechende Wünsche auf Landtagen bis 1620 ventiliert wurden. Jedoch konnte Peter Putzer nachweisen, dass sich dieser Entwurf der Landesordnung „im Salzburgischen einer gesetzesgleichen Geltung erfreute und beträchtliche Verbreitung gefunden hat“463, zumal er aus Sicht der Zeitgenossen offensichtlich weitgehend geltende Rechtsgewohnheiten wiedergab. Der Befund einer Initiierung oder zumindest maßgeblichen Beeinflussung von Gesetzgebungsakten einschließlich umfassenderer Policey- und/oder Landesordnungen durch ständische Gravamina wird durch eine über die angeführten Nachbarterritorien geographisch ausgreifende Betrachtung nur noch bestätigt, egal, ob es sich um die niederösterreichischen Länder,464 Thüringen,465 Preußen466 oder Württemberg467 handelt.468 5. 3. 4. 2. Definitionen Bisher ist bei der Erwähnung von Gravamina als wichtigem Motor im Gesetzgebungsprozess diesem Begriff tacite eine Kurzdefinition im Sinne von „ständischen Beschwerden“ unterlegt worden. Diese Verkürzung scheint auch angesichts des ������������������������������������������������������������������������������������������������ Vgl. Blickle, Ständische Vertretung, 1969, bes. S. 152–166; Putzer, Rechtsgeschichtliche Einführung, 1981; Putzer, Legislative der frühen Neuzeit, 1981; Ludwig, Salzburger Landesordnung, 1982; Ammerer, Feudalverband, 1992, S. 36–39; Blickle, Landschaften, 1973, S. 525–534. 463 Putzer, Legislative der frühen Neuzeit, 1981, S. 726. 464 Vgl. Pauser, Gravamina und Policey, 1997; Pauser, Maximilian II. und die Landstände, 2002. 465 Vgl. Richter, Landesordnungen, 1962, S. 12–16. 466 Vgl. Berg, Landesordnungen, 1998, bes. S. 33–36, 83–92, 164–166, 205–206. 467 Vgl. Scribner, Policey and the Territorial State, 1987, bes. S. 108; Stievermann, Juristen, 1987, S. 268; zum Württembergischen Landrecht von 1555 vgl. Schiemann, Usus modernus und Gesetzgebung, 1998, bes. S. 159, sowie dessen Behauptung eines reinen Werks der gelehrten Räte stark relativierend Fuhrmann, Amtsbeschwerden, Landtagsgravamina und Supplikationen, 1998, bes. S. 89–92. 468 Vgl. allgemein auch Blickle, Beschwerden und Polizeien, 2003, S. 556, unter Hinweis auf Schmelzeisen, Polizei- und Landesordnungen, 1. Halbbd., 1968, S. 156, 161, 373 und 424. 462
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weitgehenden Forschungskonsenses über die Definition von „Gravamina“ berechtigt.469 Unter Ausblendung des Sonderfalls, dass im Vorfeld oder im Verlauf von Aufständen (namentlich während des Bauernkriegs) verfasste Beschwerdekataloge als „Gravamina“ angesprochen werden, sei als Ausgangspunkt der weiteren Diskussion eine allgemeine Definition von Cecilia Nubola und Andreas Würgler heran gezogen: „Die Gravamina wurden anlässlich bestimmter institutionalisierter Momente formuliert – vor oder zu Parlamentssitzungen, Landtagen und Reichstagen oder im Rahmen von Verfahren und Einrichtungen der Gemeinden; sie waren an die obersten Autoritäten – Fürsten, Souveräne, Territorialherren – gerichtet, um die Anerkennung oder die Abänderung von Gesetzen, Vorschriften, Erlassen oder sogar die Befreiung [sic], ein Privileg, die Anerkennung von Freiheiten oder Verträgen einzufordern. Gravamina wurden kollektiv vorgetragen und behandelten vorwiegend Probleme, die als von allgemeinem Interesse betrachtet wurden oder von besonderer Bedeutung für bestimmte Gesellschaftsschichten waren.“470 Mit Blick auf ein Einzelterritorium – hier Tirol – kann man Gravamina somit behelfsweise folgendermaßen definieren: Es handelt sich um von den Landständen auf dem institutionalisierten Forum eines Landtags vorgebrachte, an den Landesfürsten gerichtete Bitten und Beschwerden, bei denen zwar kein Anspruch auf eine positive Erledigung, jedoch zumindest auf eine Behandlung und Stellungnahme durch den Landesherrn besteht. Inhaltlich decken Gravamina ein ausgesprochen weites Feld an Materien ab.471 Grundsätzlich konnte alles, was Gegenstand staatlichen Handelns sein konnte, Inhalt eines Gravamen sein. Zusätzlich gilt es zwischen General- und Partikulargravamina zu unterscheiden. Während Erstere von der Gesamtheit der Stände formuliert und vorgebracht werden, sind Partikulargravamina Beschwerden einzelner Landstände, wobei das Spektrum möglicher Verfasser ausgesprochen groß ist. Typische „Interessengemeinschaften“, die von gleichartigen Problemlagen betroffen waren und entsprechende Partikularbeschwerden äußerten, waren beispielsweise: einzelne, gegebenenfalls auch mehrere (jedoch nicht alle vier) Stände (z. B. allein der Adelsstand, Städte und Gerichte gemeinsam);472 einzelne oder mehrere Landes Vgl. rezent Kümin/Würgler, Petitions, Gravamina and the Early Modern State, 1997, S. 47– 48; Pauser, Gravamina und Policey, 1997, bes. S. 18–21; Nubola/Würgler, Einführung, 2006, S. 8; Würgler, Suppliken und Gravamina, 2006, S. 19; Würgler, Humble Petitions, 2001, S. 14; Quarthal, Bürger und Bauern, 2000, S. 74–75. 470 Nubola/Würgler, Einführung, 2006, S. 8. 471 Vgl. auch Speck, Vorderösterreichische Landstände, Bd. 1, 1994, S. 332. 472 1626 beschwerten sich so Städte und Gerichte über die unausgewogene Belastung durch das Landesdefensionswesen, die vor allem sie betreffe (TLA, LLTA, Fasz. 13, Bund 4); die 469
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viertel (beispielsweise das Land an der Etsch im Sinn der Gesamtheit der südlichen Landesviertel, das Viertel am Eisack oder das Viertel im Unterinntal); einzelne Gerichte; einzelne oder mehrere Landgemeinden.473 Den hier genannten, als Verfasser von Partikulargravamina aufscheinenden Korporationen ist gemeinsam, dass sie durch Vertreter auf Landtagen präsent waren und somit die Landstandschaft, d. h. Sitz und Stimme auf dem Landtag besaßen. Es muss aber betont werden, dass dies kein unabdingbares Kriterium für das Einbringen von Partikulargravamina darstellte. Unter den Einreichern von Partikulargravamina scheinen so auch Zünfte wie beispielsweise die Bozner Metzgerzunft oder Berufsgruppen wie die Krämer sowie zu den Hochstiften Trient und Brixen gehörende – und somit nicht auf Landtagen vertretene – Städte und Gerichte auf. Diese bedienten sich zum Vorbringen ihrer Beschwerden der „HuckepackMethode“, d. h. sie mussten zur Deponierung ihrer Gravamina einen ständischen Vertreter finden, der sich ihres Anliegens annahm und zur Einreichung ihrer Be schwerde bereit erklärte. Für eine im Leben einer Stadt bedeutende Zunft wie jene der Metzger war es offensichtlich durchaus möglich, die städtischen Landtagsboten zur Mitnahme ihrer Beschwerden zu bewegen. Seitens des Bischofs von Trient oder Brixen bestanden keine Vorbehalte, durch Einreichung von Partikulargravamina jener Städte und Gerichte, die seiner Landeshoheit unterstanden, deren Interessen auf dem Forum eines Landtags wahrzunehmen. Ansatzweise lässt sich in diesem Zusammenhang schon das erkennen, was heutzutage als „Lobbying“ bezeichnet würde: die gezielte Beeinflussung von Entscheidungsträgern und deren Umfeld zur Herbeiführung bestimmter, als wünschenswert angesehener legislativer Maßnahmen. 1529 wurden beispielsweise die Gesandten der Stadt Trient, die selbst nicht am Landtag teilnahmen, beauftragt, den dort anwesenden Regierungsräten und ständischen Vertretern der Nordtiroler Gerichte den Nutzen einer Aufhebung oder zumindest einer Lockerung der bestehenden gesetzlichen Importbeschränkungen für Trentiner Weine darzulegen.474 Jedenfalls lässt sich konstatieren, dass Einzelpersonen keine Partikulargravamina einreichen konnten.475 Aber auch hier findet sich eine Ausnahme, nämlich das Beispiel der Adeligen Rosina Erzberger, die 1555 über eine von ihrem Bruder bei Ferdinand I. haimblich und ir der Rosina unverantwurt eingereichte Revision gegen ein Partikulargravamina des Adels, die dieser auf dem Landtag 1646 vorgebracht hatte, finden sich mit gutachterlicher Stellungnahme der Regierung und der Kammer in TLA, AfD 1647, fol. 216r–283r, 1647 Jan. 30. 473 Beispiele für die aufgezählten Möglichkeiten finden sich in TLA, LLTA, Fasz. 6, Landtag 1553, fol. 135r–168v; repräsentativ auch TLA, LLTA, Fasz. 1, Bund 1, April-/Mailandtag 1563, wo sich u. a. das halbe Gericht Ehrenberg oder ein Teil des Landgerichts Kufstein als Beschwerdeführer nachweisen lässt. 474 BCT, Hs. 3870, S. 72–75, hier bes. S. 73. 475 Zu den auch von Einzelpersonen auf steirischen Landtagen eingereichten Supplikationen, deren Beschränkung 1575 und deren Verbot 1592 vgl. Mell, Grundriß, 1929, S. 338 und S. 345–346.
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Urteil des Adeligen Hofrechts Beschwerde führte. Diese Beschwerde wurde vom Adelsstand aufgegriffen und auf dem Landtag thematisiert, verbunden mit dem Begehren, gegen Urteile des Adeligen Hofrechts keine Revision zuzulassen.476 Der Terminus „Gravamen“ selbst scheint in Tirol erst seit dem beginnenden 17. Jahrhundert auf,477 die Komposita „General-“ und „Partikulargravamina“ sind während des Untersuchungszeitraums im Tiroler Quellenmaterial noch nicht belegt.478 Generalgravamina – in den Quellen zur Differenzierung von den sondern beschwerden (Partikulargravamina) zuweilen gemaine (im Sinne von „allgemeine“) beschwerden genannt479 – sind zumeist als geprechen, beschwerungen, beschwerden, obligen, mängl, begerungen bezeichnet.480 Vielfältiger sind die für Partikularbeschwerden verwendeten Termini, wo neben „Mängel“, „Beschwerden“, „Beschwerungen“ auch anhalten, supplication, anmanungszettl oder beschwär und petition belegt sind.481 Demgegenüber wurde „Supplikation“ im Sinn von Generalgravamen nur äußerst selten verwendet.482 Dies führt uns zu der von der Forschung bereits eingehender behandelten Frage der Abgrenzung der Gravamina von Supplikationen (Bitt- und Beschwer debriefen).483 Als Charakteristikum der Supplikation wurde hervorgehoben, dass „mit ihr in untertäniger Form um eine Gnadenbezeugung angesucht wird, auf deren Gewährung der Petent kein subjektives Recht hat.“484 Als Gemeinsamkeit von Supplikationen und Gravamina ist somit die appellative Struktur, die vergleichbare Intention zu erwähnen. Beide Quellentypen dienen dem Aufzeigen von Missstän TLA, LLTA, Fasz. 7, Bund 4 (Etlicher stett und gericht zu Tirol beschwerden im lanndtag anno 1555 übergeben). Der von Rosina Erzberger geltend gemachte Missstand würde dann dem stand vom adel in vil weg zum höchsten beschwerlich sein. 477 Ein früher Beleg in TLA, LLTA, Fasz. 12, Bund 3, Schreiben Maximilians III. an Regierung und Kammer von 1616 Juni 3. 478 In TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, 1525 Juli 29, ist jedoch von den particularbeschwerungen die Rede. 479 ��������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. z. B. TLA, VkgM 1545, fol. 65, 1545 März 19 oder TLA, LLTA, Fasz. 9, Bund 1, Landtag 1568, Abschnitt Abschid auf der stett und gericht sonnderbare beschwärungen; anmanungszettl scheint auf in TLA, LLTA, Fasz. 8, Bund 1 (April-/Mailandtag 1563), fol. 369. 480 Vgl. z. B. TLA, LLTA, Fasz. 1, Landtag 1506: Vermerkcht die begerungen, mängel und beschwerungen gemainer landschafft, die jecz auf gegenwurtigen lanndtag beschlossen und an Kun. Mt. zu pringen sein. Ferner TLA, LLTA, Fasz 1, Julilandtag 1518 (obligen und beschwerungen). Ein frühes Beispiel (geprechen) bei Schwind/Dopsch, Urkunden, 1895, Nr. 181, S. 347–350, hier S. 349. 481 Vgl. z. B. TLA, LLTA, Fasz. 6, Landtag 1554, fol. 136r–144v; die Bezeichnung beschwär und petition scheint auf der Beschwerdeschrift des kleinen Gerichts Virgen im Jahr 1613 auf (vgl. TLA, LLTA, Fasz. 12, Bund 12, Landtag 1613). 482 So z. B. in TLA, UR I/8423 (Lanntschafft supplication); TLA, Landschaftliches Archiv, Landschaftliche Landtagsakten, Fasz. 1, Nr. 30. 483 Vgl. nur Schennach, Supplikationen, 2004, S. 575–576 (mit weiteren Literaturhinweisen). 484 ��������������������������������������������������������������������������������������� So Schennach, Supplikationen, 2004, S. 573; ferner z. B. Hattendorf, Begegnung und Konfrontation, 1988, S. 149–150. 476
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den und bitten den Landesfürsten um deren Abstellung. Beide können auf diese Weise auf den Gesetzgebungsprozess Einfluss nehmen. „Suppliken und Gravamina bewirkten eine Veränderung rechtlicher Normen.“485 Als Distinktionsmerkmal von Gravamina und Supplikationen wird häufig auf die größere Einzelfallbezogenheit der Bitt- und Beschwerdebriefe hingewiesen, was jedoch nur sehr bedingt als Differenzierungskriterium herangezogen werden kann.486 Gerade wenn Partikulargravamina von einzelnen Gemeinden eingereicht wurden, erreichten sie häufig ein erhebliches Maß an Fallbezogenheit und Spezialität, zumal umgekehrt auch ganze Gemeinden Supplikationen einreichen konnten. Während Supplikationen allerdings jederzeit eingereicht werden konnten (woraus die etwas missglückte Bezeichnung als „perpetuelle Supplikationen“487 resultierte), waren Gravamina institutionell gebunden und ihr Einbringen grundsätzlich nur während eines Landtags möglich. Gerade hinsichtlich des Forums, auf dem Grava mina präsentiert werden konnten, zeichnete sich freilich in Tirol im 17. Jahrhundert ein Wandel ab. Die zunehmende Verdrängung der Volllandtage durch Ausschusskongresse brachte es mit sich, dass immer häufiger auch Ausschusskongresse Beschwerden formulierten, was erstmals im Jahr 1609 belegt ist.488 Das Faktum einer institutionellen Bindung von ständischen Beschwerden bleibt hiervon jedoch unberührt. Darüber hinaus gilt es weitere Unterschiede zwischen Gravamina und Supplikationen hervorzuheben. Selbst in Territorien, in denen anders als in Tirol die Masse der bäuerlichen Bevölkerung auf Landtagen nicht repräsentiert war und daher keine Gelegenheit hatte, ihre Wünsche zu ventilieren, stand das Recht zum Supplizieren gewohnheitsmäßig jedermann ohne Rücksicht auf Alter, Stand oder Geschlecht zu, wovon intensiv Gebrauch gemacht wurde.489 Überdies war die Durchsetzungsmöglichkeit bei Gravamina signifikant größer, wenngleich es auch hier kein Recht auf eine positive Erledigung gab. Speziell aufgrund der Steuerbewillig ungskompetenz der Stände konnte allerdings ein gewisser Druck auf den Landesfürsten bzw. dessen Kommissäre ausgeübt werden, ein Mindestmaß an Entgegenkommen an den Tag zu legen.490 Dieser Konnex „Abstellung der Gravamina – Steuerbewilligung“ wurde teilweise von der Landschaft deutlich formuliert. Unverblümt findet er in einem So programmatisch Fuhrmann/Kümin/Würgler, Supplizierende Gemeinden, 1998, S. 317. Kümin/Würgler, Petition, Gravamina and the Early Modern State, 1997, S. 54: „Gravamina [...] are normally distinguished from petitions by the more general nature of their subject matter, but it should be noted that the borderline was not always clear cut.“ 487 Neuhaus, Supplikationen, 1979, S. 63; Fuhrmann/Kümin/Würgler, Supplizierende Gemeinden, 1998, S. 305. 488 Vgl. TLA, VdL, Bd. 6, S. 366–393, 1609 Mai. 489 Vgl. nur Willoweit, Allgemeine Merkmale der Verwaltungsorganisation, 1983, 310–311. 490 ������������������������������������������������������������������������������������������ Vgl. Pauser, Gravamina und Policey, 1997, S. 19–21 (mit weiteren Literaturhinweisen); hinsichtlich des Zusammenhangs mit Erbhuldigungen Holenstein, Huldigung der Untertanen, 1991, S. 350–359. 485 486
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Konzept der Generalgravamina von 1476 seinen Niederschlag, wo auf die Aufzählung der Beschwerden der lapidare Hinweis folgt: Wo solich männgl nicht gewenndt werden, will ain lanndtschafft die stewr nicht geben.491 Auch das Gericht Hörtenberg nahm sich in einer Partikularbeschwerde 1563 kein Blatt vor den Mund: Man werde keiner Steuerbewilligung zustimmen, sofern nicht hinsichtlich der gehassten Waldordnung milterung beschicht.492 Zudem unterscheiden sich Gravamina und Supplikationen hinsichtlich Aufbau, Argumentation und Formulierung üblicherweise deutlich voneinander. Nur im Fall der Partikulargravamina kann es gewisse Berührungspunkte geben,493 was besonders in Ländern mit bäuerlicher Repräsentation auf den Landtagen zutrifft. Die 1495 auf dem Salzburger Landtag vorgebrachten Beschwerden weisen beispielsweise eindeutig Supplikenform auf.494 Partikulargravamina von Gemeinden wiederum konnten sehr spezifischen Inhalts sein und sogar auf Problemlagen eines einzelnen Dorfes aufmerksam machen. Teilweise brachte man nachweislich Anliegen vor, die bereits zuvor in Form von Supplikationen eingebracht worden waren, die man jedoch noch nicht hinreichend erledigt sah und daher im größeren institutionellen Rahmen eines Landtags neuerlich zur Sprache bringen wollte.495 Mit Blick auf die Partikulargravamina monierte die Regierung bereits 1614 in einem Gutachten für Maximilian III., dass die darin geltend gemachten beschwerdten zum merernthail allain parthey- und privatsachen sein, mit denen E. F. D. billich heten sollen verschont werden, sonder da unns solche fürbracht, inen jedesmals gebürender beschaidt ervolgt und notwendig einsehen beschehen wer, also das E. F. D. inen dise unnotwendige clagen billich verweisen und dabei auferladen lassen mechten, das sy mit dergleichen privat- und parthey- oder justitia-sachen bei offenen landtägen als dahin sie nit gehörig, E. F. D. hinfüro verschonen und dieselben gleichwol gehöriger orten für- und anbringen.496
TLA, LLTA, Fasz. 1, fol. 120r–120v, hier fol. 120v; fälschlicherweise eingereiht bei den Landtagsakten des Jahres 1490; zur korrekten Datierung vgl. Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 136. Diese „Holzhammermethode“ erschien den ständischen Deputierten offensichtlich jedoch zu wenig diplomatisch, wurde doch just dieser Satz nachträglich von einer anderen Schreiberhand durchgestrichen. 492 TLA, LLTA, Fasz. 8, Bund 1 (Tirolische Landtagsverhandlungen von den Jahren 1560 bis incl. 1564), April-/Mailandtag 1563, fol. 384r–391r. 493 Neuhaus, Supplikationen, 1978, S. 157–158; Kümin/Würgler, Petitions, Gravamina and the Early Modern State, 1997, S. 54–55. 494 Klein, Quellenbeiträge, 1953, S. 15–16 und 40 (Beschwerde der Urbarsleute im Pongau). 495 Siehe z. B. TLA, Verhandlungen der Landschaft, Bd. 12, S. 190–191 (1620); zu diesem nicht nur in Tirol zu beobachtenden Phänomen auch Neuhaus, „Supplizieren und Wassertrinken sind jedem gestattet“, 2000, S. 491–492. 496 TLA, AfD 1614, fol. 593r–619r, hier fol. 618r, 1614 Okt. 23. 491
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Entsprechend deutlich fiel im Jahr 1616 die Resolution des Erzherzogs auf die Partikularbeschwerden aus. Maximilian III. forderte, man solle nit gleich jede geringe sach auf offne landtag, da man wol andere ding zu verrichten, bringen und nit allein dise querulanten, sonder auch alle andere stendt unnd undterthanen hinfiro zu merer beschaidenhait weisen. Mit dergleichen Anliegen habe man sich fortan supplikationsweise an die Regierung zu wenden.497 Als 1619 Leopold V. noch deutlichere Worte fand, um dem vermeintlichen „Lamentieren“ der Landstände ein Ende zu setzen, fanden die so Kritisierten freilich ebenfalls klare Worte und machten keinen Hehl daraus, dass die Anhörung und Behandlung von ständischen Gravamina als unabdingbare Pflicht des Landesfürsten betrachtet wurde.498 5. 3. 4. 3. Entstehung und Geschäftsgang Den Gravamina vergleichbare Beschwerden gaben schon vor der institutionellen Ausformung der Landstände Anlass zu gesetzgeberischen Akten, wie besonders die Ordnung von 1404 erkennen lässt.499 Diese bestimmt in ihrer Narratio ausdrücklich, dass dem schriftlich festgehaltenen Regelungskomplex entsprechende Bitten des Adels, der Prälaten, der Städte „und gemainlich all landsleut unsers landes“ zugrunde lägen, die von ihnen vorgebrachten „gross und merkleich gepresten“ zu beheben. Nach der Etablierung der Landtage als institutionalisiertem Forum der Begegnung und der Verhandlung von Landschaft und Fürst um 1420 spielte sich der Mechanismus der Abfolge von ständischen Beschwerden und gesetzgeberischen Akten rasch ein. Die Ordnung von 1420500 nimmt so ebenfalls Bezug auf die „beswärnuss, irrsal und bekumernuss“, denen abgeholfen werden solle. Zudem sind die behandelten Materien – neben dem Verbot der außergerichtlichen Selbsthilfe bei gleichzeitiger Vorschreibung der Konfliktaustragung vor Gericht vor allem das Münzwesen, das Verbot des Getreideexports und des Weinimports sowie des Lebensmittelfürkaufs – typische Inhalte von ständischen Beschwerden, die in den darauf folgenden Jahrzehnten immer wieder aufscheinen. Für die Jahre 1423, 1424 und nunmehr TLA, Verhandlungen der Landschaft, Bd. 15, fol. 731, 1616 Juni 3. Vgl. TLA, VdL, Bd. 16, S. 31, 1619 März 15 (landständische Antwort). 499 ���������������������������������������������������������������������������������������� Druck bei Wopfner, Geschichte der freien bäuerlichen Erbleihe, 1903, S. 203–209, und zuletzt bei Schober, Urkunden, 1990, S.11–15 (Bestätigung von 1486 ebd., S. 40–41); ältere Edition bei Brandis, Landeshauptleute, 1847/1850, S. 143–147; Besprechungen bei Riedmann, Mittelalter, 21990, S. 465; Beimrohr, Brief und Siegel, 1994, S. 42; Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 80–82; Blickle, Landschaften, 1973, S. 192–193; Wopfner, Bergbauernbuch, Bd. 1, 1995, S. 465–467; Stolz, Rechtsgeschichte des Bauernstandes, 1948, S. 120–121; Jäger, Landständische Verfassung, Bd. II/1, 1882, S. 226–227. 500 TLA, UR I/8381, 1420 Jan. 9; Edition bei Schwind/Dopsch, Urkunden, 1895, Nr. 171, S. 319–322; Besprechungen bei Blickle, Landschaften im Alten Reich, 1973, S. 193; Köfler, Landtag, 1985, S. 47–48; Jäger, Landständische Verfassung, Bd. II/1, 1882, S. 361; Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 103–104; Stolz, Landstandschaft, 1933, S. 720. 497 498
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auch für 1425 ist die Existenz von Gravamina sicher belegt, wenngleich wir nichts über deren Inhalte erfahren.501 Von den Beschwerden des Julilandtags 1439 werden zumindest zwei Punkte greifbar, die Bitten um Abschaffung von neu eingeführten Zöllen und die Klagen über die erhöhten Salzpreise.502 Die ersten im Wortlaut erhaltenen Gravamina datieren bereits aus dem Jahr 1437. Im Unterschied zu späteren, auf eigenen Schriftstücken überlieferten Gravamina sind diese einer ständischen Kriegssteuerbewilligung und den Bestimmungen zu deren Einhebung beigefügt.503 Die damals vorgebrachten „geprechen“ lassen bereits die für Gravamina charakteristische Vielfalt angesprochener Gegenstände erahnen, die sich keineswegs auf legislative Fragen beschränken. Unter wiederholtem Hinweis auf das alte „Herkommen“ bat die Landschaft um die Einsetzung eines Landeshauptmanns, die Einführung einer guten Münze, die Reduktion des Salzpreises und die Abschaffung neuer Zölle, die Belassung des Erbrechts „bis auf e die funfte sypp“ ohne Eingriffe der Obrigkeiten. Ferner sei kein Landmann ohne Prozess zu bestrafen. Außerdem sollten wegen leichter, nicht an Leib oder Leben zu ahndender Vergehen Inhaftierte gegen Bürgenstellung freigelassen werden. Noch etwas vermögen die bisherigen Ausführungen zu illustrieren: Auch wenn nicht sämtliche Gravamina erhalten sind – was bis in die zwanziger Jahre des 16. Jahrhunderts relativ häufig ist (s. u.) –, erlauben die in Reaktion auf die ständischen Beschwerden ergangenen legislativen Maßnahmen zumindest deren partielle Rekonstruktion. Die Beschwerden von 1451 und 1453 lassen sich auf diese Weise zumindest in den für die Gesetzgebung relevanten Punkten problemlos erschließen. Drei in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang erlassene Mandate vom Januar 1501504 lassen ferner Rückschlüsse auf die auf dem Dezemberlandtag 1500 vorgebrachten Beschwerden zu,505 selbst wenn diese nicht mit den (im Übrigen erhalte Vgl. oben; zu den Vorgängen 1423 vgl. Wallnöfer, Bauern in der Tiroler Landschaft, 1984, S. 104–105; Brandis, Friedrich von Österreich, 1823, S. 494–495; zu den Ereignissen 1424 siehe TLA, UR I/4415, 1424 Mai 11, ferner Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 106; Erwähnung schon bei Brandis, Landeshauptleute, 1847/1850, S. 201–202. Über die Landtagsverhandlungen des Jahres 1425 findet sich im Repertorium von Wilhelm Putsch (TLA, Schatzarchiv, Rep. 4, fol. 19r) ein einschlägiger Eintrag: Ain aufzaichnus etlicher articul, die herczog Friedrich von Osterreich an ain tirolische lanndtschafft hat gelanngen wellen lassen, allerlay lanndspoliceyen halben und anntwurt auf etlich der lanndtschafft beger und meldung etlicher beschwerung der ungehorsame der lanndleut etc. – nichts verfanngenlichs. Das entsprechende Schriftstück ist nicht mehr erhalten. 502 Vgl. Jäger, Landständische Verfassung, Bd. II/2, 1885, S. 18–19; Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 111. 503 Edition bei Schwind/Dopsch, Urkunden, 1895, Nr. 181, S. 347–350; eine weitere, bei Schind/Dopsch nicht erwähnte Überlieferung dieser Quelle findet sich in StAM, Urkundenreihe A/I/180, 1437 Dez. 17. 504 TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 24, Lit. W, fol. 53r–53v, 1501 Jan. 8; ebd., fol. 47v–48r, 1501 Jan. 9; ebd., fol. 48v–49r, 1501 Jan. 9. 505 ��������������������������������������������������������������������������������������� Zum Dezemberlandtag 1500 vgl. Friedhuber-Wiesflecker, Maximilian I., das Reich, die Erbländer und Europa 1500, 1963, S. 183–184; Egger, Geschichte Tirols, Bd. 2, 1876, S. 24. 501
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nen) Landtagsakten auf uns gekommen sind. In diesem Fall erlaubt zudem die eindeutige Bezugnahme in den Narrationes ein solches methodisches Vorgehen. Die Landtagsabschiede der Jahre 1509, 1510 und 1511 (das „Landlibell“) gehen im Anschluss an die Regelung des militärischen Aufgebots im letzten Viertel ausführlich auf die auf dem Landtag vorgebrachten Gravamina ein.506 Noch günstiger ist der Fall bei den Beschwerden eines Landtags des Jahres 1515, da diese in einem eigenen Gutachten des Regiments ausführlich abgehandelt werden.507 Dasselbe gilt für das Jahr 1516.508 Dennoch ist die Überlieferungssituation bei den Landtagsbeschwerden grundsätzlich nicht schlecht. Aus dem Jahr 1474 sind gleich zwei Beschwerdekataloge erhalten, jeweils ein weiterer folgt 1476 und 1478.509 Weitere im Volltext erhaltene Gravamina stammen aus den Jahren 1487, 1491, 1506, 1509, 1512, 1513 (Märzlandtag und Mailandtag), 1517. Ab den dreißiger Jahren des 16. Jahrhunderts kann man schließlich mit einer annähernd vollständigen Überlieferung der ständischen Generalgravamina rechnen. Die Anzahl der auf einem Landtag deponierten „gemeinen Landsbeschwerden“ schwankte dabei in der Zeit von Ferdinand I. bis Sigismund Franz – bei Zugrundelegen der zeitgenössischen Einteilung bzw. Zählung – zwischen sieben (1605) und 33 (1596), wobei der statistische Mittelwert bei 19 Generalgravamina pro Landtag liegt. Noch größer sind die numerischen Schwankungen unter Siegmund und Maximilian. Während 1487 nur vier Beschwerdeartikel vorgebracht wurden, waren es 1478 beträchtliche 44. Dabei sind noch nicht jene Gravamina berücksichtigt, die nicht in eigens eingereichten und förmlich als „Landesbeschwerden“ bezeichneten Beschwerdeartikeln geltend gemacht, sondern im Verlauf eines Landtags in die Verhandlungen eingeführt wurden – was seit der Formalisierung des Ablaufs eines Landtags in Form von Schriftenwechsel (Proposition, Antwort, Replik, Duplik etc.) grundsätzlich jederzeit möglich war. Hier ist es allerdings methodisch überaus schwierig, das intendierte Aufzeigen von Missständen mit der Bitte um Abhilfe von rhetorisch aufgeladenen Darstellungen der misslichen Lage des Landes abzugrenzen, mit denen die Stände die eigene Leistungsunfähigkeit (mit dem Ziel einer geringeren Steuerbe willigung) illustrieren wollten. Deutlich schlechter ist es um die frühesten Partikulargravamina bestellt. Die ältesten Beschwerden, von denen wir Kenntnis haben, sind solche des Gerichts Ehrenberg, die 1488 durch eine erzherzogliche Resolution erledigt wurden.510 Dabei ging es um die Pflicht zur Gerichtsfolge, die Einhaltung von Strafhöhen wie von 508 509 510 506 507
Vgl. schon Schennach, Quellen, 2004, S. 47–48. TLMF, Dip. 1182, Teil I (unfol., unpag.). TLA, LLTA, Fasz. 1, 1516. Vgl. die Edition im Anhang. TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 9, Lit. K, fol. 14r–15v, 1488 Mai 23; Erwähnung bei Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 153, Anm. 1.
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alter herkumen, das ausschließliche Verfassen von Verträgen und Gerichtsbriefen durch den Gerichtsschreiber, das Gebots- und Verbotsrecht des Pflegers und dessen Verhältnis zur landesfürstlichen Gesetzgebung, Jagd- und Fischereirecht, Brückenzoll, die Bestellung von Gerichtsgeschworenen sowie das Verhalten der Forstknechte. Auf einem drei Jahre später abgehaltenen Landtag entdecken wir neuerlich Spuren von Partikularbeschwerden, und zwar von Glurns, Schlanders und Nau ders.511 Die ältesten erhaltenen Beschwerden (der drei Gerichte Landeck, Laudeck und Imst) stammen erst aus dem Jahr 1496.512 Abgesehen von den im Vorfeld und während des Bauernkriegs eingereichten Beschwerden513 wird die Überlieferung erst ab 1543/1544 dichter.514 Die Zahl der auf einem Landtag eingereichten Partikularbeschwerden schwankte dabei zwischen 13 (1613) und 53 (1619). Geht man überschlagsmäßig davon aus, dass jede Partikularbeschwerde durchschnittlich zehn einzelne Punkte geltend machte, erhält man einen Eindruck von den quantitativen Verhältnissen.515 Der Entstehungsprozess der „gemeinen Landsbeschwerden“ lässt sich nach Etablierung der Verhandlungen in Ausschüssen genau nachvollziehen. Nach Konstituierung des kleinen Ausschusses wurden unmittelbar nach Behandlung der landesfürstlichen Proposition die „gemeinen“ Gravamina formuliert und gemeinsam mit der ständischen Antwort dem Landesfürsten überreicht. Der frühe Zeitpunkt der Übergabe erklärt sich aus dem Bestreben, möglichst rasch – allenfalls noch auf dem entsprechenden Landtag selbst – eine landesfürstliche Erledigung („Resolution“) zu erlangen. Komplexer, da vielgestaltiger präsentiert sich das Zustandekommen der Partikulargravamina. Bei Städten und Märkten wurden diese zumeist von Bürgermeister und (Stadt‑)Rat verfasst.516 Bei den ländlichen Gerichten sind wie bei der bereits dargelegten Wahl der Landtagsboten unterschiedliche Varianten denkbar und belegt, beispielsweise dass die Beschwerden auf einer Gerichtsversammlung von der Gesamtheit der ‚angesessenen‘ Untertanen ausgearbeitet wurden517 oder dass der 513 514 515
TLA, Landschaftliches Archiv, Landschaftliche Landtagsakten, Fasz. 1, Nr. 7a, 1491 Okt. 21. TLA, LLTA, Fasz. 1, Landtag 1496. Vgl. Steinegger/Schober, „Partikularbeschwerden“, 1976; Wopfner, Quellen, 1908. Die Partikularbeschwerden finden sich grundsätzlich im Bestand TLA, LLTA. Zum Vergleich: Auf dem offenen Landtag des Jahres 1790 wurden insgesamt 2000 Bitten und Beschwerden vorgetragen (Reinalter, Aufklärung, Absolutismus, Reaktion, 1974, S. 119). 516 ������������������������������������������������������������������������������������������ 1626 ist im Fall des Marktes Matrei am Brenner allerdings nachzuweisen, dass die Beschwerden anlässlich einer Gemeindeversammlung formuliert wurden (vgl. TLA, LLTA, Fasz. 13, Bund 4). 517 Vgl. nur die Instruktion des Landgerichts Kufstein für ihren Landtagsgesandten für den Landtag 1563 in TLA, LLTA, Fasz. 8, Bund 1: Zu merkhen gemainer gerichtsleith und underthanen der herrschaft Kueffstein [...] höchste beschwerung, die sy irn gesannten in jecz gegenwirttigem lanndtag fürzutragen bevelch und gwallt geben haben. Vgl. ferner z. B. die Beschwerde des Gerichts Neuhaus 1626 in TLA, LLTA, Fasz. 13, Bund 4 oder des Gerichts Hörtenberg 1554 (TLA, LLTA, Fasz. 6, Landtag 1554, fol. 80r–81r). 511 512
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Gerichtsausschuss bzw. die Gerichtsgeschworenen für die Formulierung der Gravamina zuständig waren.518 Selbst in diesen Fällen konnte der Landtagsbote des Gerichts zusätzlich ermächtigt werden, während der Landtagsverhandlungen noch Ergänzungen anzubringen.519 Darüber hinaus ist belegt, dass die Landtagsgesandten während des Landtags Partikulargravamina abfassten und einreichten.520 Dies ist bei Beschwerden ganzer Landesviertel der Regelfall, die von den Landtagsboten der betroffenen Städte und Gerichte entworfen wurden. Während, wie bereits dargelegt, bis in die maximilianeische Zeit die Erledigung von Gravamina überaus rasch bewerkstelligt wurde – zwischen der Einreichung der Beschwerden und dem Erlass der Abhilfe versprechenden Ordnung lagen zum Teil nur wenige Tage – zog sich die Behandlung der ständischen Gravamina im 16. und 17. Jahrhundert tendenziell in die Länge. Nach der Übergabe an den Landesherrn bzw. dessen Landtagskommissäre gemeinsam mit der ständischen Antwort auf die Proposition wurden die Beschwerden der Regierung und der Kammer zur gutachterlichen Stellungnahme überlassen. Gutachten wie Beschwerden wurden anschließend dem Landesfürsten vorgelegt, woraufhin die (sich im Allgemeinen eng an das Gutachten anlehnende) landesfürstliche Resolution erging, die an die Stände gerichtet war. Zielten Gravamina konkret auf die Erlassung, Änderung oder Aufhebung von Gesetzen ab, war dies in einem weiteren Schritt zu bewerkstelligen. Wie lange diese geschäftsmäßige Behandlung von Gravamina dauerte, lässt sich allgemeing ültig nicht beantworten. Dies hing von einer Reihe von Faktoren ab wie beispielsweise der An- oder Abwesenheit des Landesfürsten, von der allgemeinen machtpolitischen Konstellation und vor allem von der Intensität ständischen Drängens. Bestand die Landschaft auf einer Resolution zu den eingebrachten Gravamina noch während des Landtags, konnte das beschriebene Prozedere in einigen Tagen erledigt sein. Für die Stände bot eine derart rasche Behandlung der Beschwerden den Vorteil, die ergangene landesfürstliche Resolution noch während des Landtags thematisieren und bei in ihren Augen ungenügender Erledigung Nachverhandlungen führen zu können. Das Gesagte lässt sich anhand des Landtags im Jahr 1619 verdeutlichen: Trotz des Widerstrebens Leopolds V. forderten die Stände unter Verweis auf die insuffiziente Behandlung der 1613 ventilierten Gravamina die Erledigung der Beschwerden noch während des Landtags. Am 15. März 1619 waren diese von der Landschaft Leopold V. überreicht worden, vom 19. März datierte das gemeinsame Gutachten von Regierung und Kammer. Am 2. April wurde die Entschließung Leopolds Nachzuweisen ist dies beispielsweise beim Gericht St. Petersberg im Oberinntal 1626 (TLA, LLTA, Fasz. 13, Bund 4). 519 So ausdrücklich im Fall des Gerichts Stein unter Lebenberg im Jahr 1626 (TLA, LLTA, Fasz. 13, Bund 4). 520 Ein Beispiel hierfür stellt die Beschwerde des kleinen Osttiroler Gerichts Virgen dar, die 1613 während des Landtags vom Gesandten Alban Egger verfasst wurde (TLA, LLTA, Fasz. 12, Bund 12). 518
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den Ständen mitgeteilt, zu der diese am 6. April ausführlich Stellung nahmen.521 Als Leopold V. während des militärischen Konflikts mit Graubünden („Engadiner Krieg“) einen Landtag auf den 28. Juni 1621 anberaumte, kam es im kleinen Ausschuss zu tumultartigen Szenen, als die Verhandlung über die landesfürstliche Proposition begonnen werden sollte. Die Gesandten der von den kriegerischen Ereignissen am meisten betroffenen Grenzgerichte verweigerten den Auszug aus dem Sitzungssaal des Ausschusses, brachten lautstark ihre Klagen vor und bestanden auf der sofortigen Übergabe ihrer Beschwerdeschriften. Die Beratung über die Proposition Leopolds V. musste daraufhin verschoben werden. Erst eine am 8. Juli ergehende, als „Bescheid“ bezeichnete Zwischenerledigung der ständischen Beschwerden ermöglichte die Fortführung des Landtags.522 Solche turbulenten Vorkommnisse waren natürlich nicht die Regel. Als anzustrebender, von Lukas Geizkofler 1601 expressis verbis formulierter Grundsatz kann angesehen werden, dass die landesfürstliche Resolution auf die Beschwerden nach Möglichkeit vor, spätestens auf dem darauf folgenden Landtag erfolgen sollte, um die Stände durch die ausstehende Erledig ung nicht ohne Notwendigkeit zu verstimmen. Dies bedeutet nicht, dass diese Zielvorgabe stets eingehalten wurde. Die Landtagsgravamina von 1596 wurden so trotz neuerlichen Vorbringens und Urgenzen auf den Landtagen der Jahre 1597 und 1601 erst 1603 durch eine Resolution erledigt, wobei die Nachlässigkeit sowohl der oberösterreichischen Regierung als auch der kaiserlichen Kanzlei als Ursache ausgemacht werden kann.523 Im 16. und 17. Jahrhundert ist ein Abstand zwischen der Einbringung der Gravamina und der daraufhin ergehenden Resolution von mehreren Monaten bis zu mehreren Jahren jedenfalls nichts Ungewöhnliches.524 ������������������������������������������������������������������������������������������ Die ausgetauschten Landtagsschriften finden sich in TLA, VdL, Bd. 12, S. 4–144 (neue Paginierung); sämtliche Unterlagen in TLA, LLTA, Fasz. 12, Bund 4; zum Gutachten von Regierung und Kammer vgl. TLA, AfD 1619, fol. 61v–69r, 1619 März 19. 522 Vgl. hierzu TLA, VdL, Bd. 12, bes. S. 245–279 (Parallelüberlieferung in TLA, VdL, Bd. 16). 523 TLA, BT, Bd. 13, fol. 81r–82r, 1597 Okt. 4: Auf die Urgenz des kleinen Ausschusses und des Landeshauptmanns verweist die Regierung auf ihre Inanspruchnahme durch anderweitige Geschäfte und auf die noch notwendigen Konsultationen mit Ständevertretern; TLA, LLTA, Fasz. 10, Bund 2, 1597 Nov. 26: Rudolf II. urgiert in einem Schreiben das ausständige Gutachten der Regierung auf die Landtagsgravamina, ohne das keine Resolution ergehen könne; TLA, AksM 1598, fol. 213r–281v, 1598 Juni 25: Übersendung des Regierungsgutachtens an den Kaiser; TLA, VdL, Bd. 6, S. 171–172, 1601 Mai 7: Die auf dem Landtag anwesenden landesfürstlichen Kommissäre entschuldigen sich angesichts der starken Inanspruchnahme des Kaisers durch den Türkenkrieg für die ausbleibende Erledigung; TLA, VdL, Bd. 6, S. 213–230 (Parallelüberlieferung in TLA, VdL, Bd. 14, fol. 488r–501v, TLA, LLTA, Fasz. 10, Bund 5; TLMF, FB 5028, fol. 431r–455r), 1603 Mai 24: In seiner Resolution erklärt Maximilian III. das Ausbleiben der Resolution: Nach der Übersendung der Gravamina und der Gutachten seien diese unbearbeitet in der kaiserlichen Kanzlei liegen geblieben und ihm auf seine Nachfrage unerledigt zurückgesandt worden. 524 ������������������������������������������������������������������������������������� Einige Beispiele: Die Resolution auf die Landesbeschwerden vom August 1549 erging bereits im September (TLA, VkgM 1549, fol. 380v–383r, 1549 Sept. 8); während die Resolu521
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
5. 3. 4. 4. Auswirkungen auf die Gesetzgebung 5. 3. 4. 4. 1. Methodisches Der unter Umständen erhebliche Abstand zwischen der auf Gravamina ergehenden Resolution und den zugrunde liegenden Beschwerden macht das Herstellen eines kausalen Zusammenhangs zwischen einem Gesetzgebungsakt und Gravamina in nachmaximilianeischer Zeit zu einem erheblichen Problem, zumal da schon im 16. Jahrhundert die Bezugnahmen auf landständische Beschwerden in den Narrationes von Gesetzen massiv abnehmen (s. o.). Dass beispielsweise zwei im Mai 1580 erlassene, die Gerichtskosten sowie die Bettler- und Gartknechtbekämpfung betreffende Mandate525 direkt auf Landtagsbeschwerden des Pustertals aus dem Jahr 1577 zurückzuführen waren, bleibt mangels eines Hinweises im Gesetzestext selbst dem auf die Auswertung der normativen Quellen beschränkten Rechtshistoriker verschlossen.526 Die zeitliche Verzögerung war in diesem Fall begründet. Eine Kommission landesfürstlicher Räte war mit der Verifikation der vorgebrachten Gravamina vor Ort beauftragt worden. Im Zuge dieser Visitation hatte sich nicht nur herausgestellt, dass die Beschwerden begründet waren, sondern überdies, dass wohl landesweit vergleichbare Defizite bestanden. Der Kreis der in die Vorbereitung der Gesetzgebungsakte involvierten Personengruppen wurde daraufhin durch die Einbeziehung des Landeshauptmanns und des Adeligen Hofrechts ausgedehnt. Die Gutachten der Regierung und der Kammer, die die gewonnenen Erkenntnisse zusammenfassten und zugleich Gesetzeskonzepte beinhalteten, lagen schließlich im Mai und Dezember 1579 vor. Die Resolution Erzherzog Ferdinands II. erging im Februar des darauf folgenden Jahres, und bis zur Gesetzerlassung dauerte es weitere drei Monate. Die Gegenüberstellung von „Input“ (Gravamina) und „Output“ (daraufhin erlassene Gesetze) gestaltet sich somit methodisch bei weitem anspruchsvoller und komplizierter, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Wie soeben dargelegt, vermittelt allein die Überprüfung, ob in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit einem Landtag Mandate erlassen wurden, die Gravamina inhaltlich Rechnung tragen, zumindest in der nachmaximilianeischen Zeit ein verzerrtes Bild, da der tion auf die Beschwerden des Jahres 1555 vier Jahre auf sich warten ließ, folgten jene auf die Beschwerden 1573 und 1577 noch im selben Jahr. Die Gravamina von 1577 wurden 1580 „resolviert“, jene von 1590 vier Jahre später, die des Jahres 1613 im Jahr 1616. Noch im Jahr ihrer Einreichung wurden die Gravamina von 1620 und 1626 durch eine Resolution erledigt, während auf die Erledigung jener des Jahres 1646 bis 1647 gewartet werden musste (wenn nicht anders angegeben, sind die Angaben dem Bestand TLA, LLTA entnommen). 525 Vgl. TLA, BT, Bd. 11. fol. 199r–200r, 1580 Mai 14; ebd., fol. 201r–202v, 1580 Mai 26. 526 ������������������������������������������������������������������������������������ TLA, LLTA, 1577 (Landtagsbeschwerden der Pustertaler Gerichte); Gutachten der Regierung und der Kammer ebd., 1579 Mai 5 und Dez. 7; ebd. landesfürstliche Resolution von 1580 Febr. 10.
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Konnex zwischen Gravamina und legislativem Tätigwerden bei weitem komplexer ist. Die im Folgenden vorgenommene Zweiteilung bei der inhaltlichen Analyse der Landesgravamina und ihrer Auswirkung auf die Gesetzgebung erklärt sich vornehm lich aus der nach dem Erlass der Landesordnung ungleich größeren Schwierigkeit, konkrete Aussagen über die Effekte von Landesbeschwerden auf die Gesetzgebung zu machen. Dennoch findet man auch noch in nachmaximilianeischer Zeit Einzelgesetzgebungsakte, die durch Vergleich mit vorgebrachten Gravamina erklärt werden können. Zwei Mandate des Jahres 1547 sind beispielsweise direktes Resultat des kurz davor zu Ende gegangenen Landtags.527 Allerdings ist dieser simple und relativ leicht herzustellende Zusammenhang eben nur mehr die Ausnahme von der Regel. Dies zeigt sich deutlich, wenn man Gravamina der folgenden Landtage mit der anschließenden Gesetzgebung in Relation setzt. Nur die von den Ständen 1553 eingemahnte Neupublikation des „Lastermandats“ schlug sich direkt in einem legislativen Akt nieder.528 Dieser Befund allein erfasst das Bild jedoch nur sehr ungenügend, begannen doch gerade in diesen Jahren die Diskussionen über eine neuerliche Reform der Tiroler Landesordnung respektive über eine neue Policeyordnung. Die Konfrontation der Landesbeschwerden und der gesetzgebenden Tätigkeit allein ist somit nicht zielführend, zumal bei weitem nicht alle Gravamina auf die Erlassung, Änderung oder Kassation von Gesetzen abzielten. Außerdem muss man sich vor Augen halten, dass das Herausarbeiten jener Beschwerden, die tatsächlich mit der Gesetzgebung zusammenhängen, erhebliche Schwierigkeiten aufwirft. Denn nur die wenigsten Gravamina nennen ausdrücklich die Erlassung (die Änderung bzw. die Aufhebung) eines Gesetzes als Zielsetzung. Bei anderen Beschwerden wiederum kann zumindest auf einen Konnex mit der Gesetzgebung geschlossen werden, selbst wenn dieser nicht expressis verbis angeführt wird. Klagen der Land stände über die Belastung durch Fürkauf oder durch die zunehmende Zahl von Bettlern zielen so nicht nur auf die bessere Implementation bestehender Normen, sondern regelmäßig auf die Wiederholung der einschlägigen Mandate ab und sind daher als gesetzgebungsrelevant anzusehen. Das Abstellen auf die implizite Intention der Beschwerde führenden Stellen lässt eine solche Zuordnung als zulässig erscheinen. Freilich verdeutlicht gerade dieses Beispiel, dass die Differenzierung von Gravamina, die Defizite bei der Implementation vorhandener Normen aufzeigen und um Abstellung der Missstände bitten, und solchen, die wenn nicht aus schließlich, so doch auch auf die Abänderung oder Wiederholung von Mandaten abzielen, im Einzelfall kaum stringent durchgeführt werden kann. Bei anderen Gravamina ist der Zusammenhang mit der Gesetzgebung von vornherein fragwürdig. Hier ist die Etikettierung einer Beschwerde als „gesetzgebungsrelevant“ wohl nicht zuletzt davon abhängig, ob man auf den Horizont des Zeitge TLA, CD 1547, fol. 291r–292r, 1547 Juli 7; ebd., Beilage zu fol. 306, 1547 Juli 2. TLA, VdL, Bd. 3, hier S. 566; das entsprechende Mandat in TLA, CD 1553, fol. 130, 1553 Mai 12.
527 528
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
nossen oder des modernen Juristen abzielt. Die ständische Forderung, wonach die Revision von Urteilen des Adeligen Hofrechts an den Landesfürsten ausgeschlossen sein sollte, war beispielsweise aus zeitgenössischer Perspektive nicht primär eine die Gesetzgebung berührende Frage. Die Revision wurde zunächst im Einzelfall durch landesfürstliche Entschließung zugelassen, bevor sich diese Praxis durch Observanz zur Rechtsgewohnheit – zur Überzeugung, dass eine Revision zulässig sei – verfestigte. Es wurde jedoch in den sechziger Jahren des 16. Jahrhunderts kein Gesetz erlassen, das die Revision einführte – folglich zielten die entsprechenden Gravamina auch nicht auf die Aufhebung eines Gesetzes ab. Der heutige, an die Regelung einer solchen eminent wichtigen prozessrechtlichen Frage durch einen gesetzgeberischen Akt gewohnte Jurist und Rechtshistoriker neigt dagegen spontan der Bezeichnung einer solchen Beschwerde als „gesetzgebungsrelevant“ zu. Ganz ähnlich verhält es sich mit Beschwerden der Tiroler Landschaft über die (vermeintliche) Einführung der subsidiären Geltung des römischen Rechts oder über die Inhaftierung ‚angesessener‘ Untertanen wegen geringfügiger, nicht an Leib und Leben zu ahndenden Vergehen. Und dennoch wäre die gänzliche Ausblendung dieser Beschwerden eine unzulässige Verkürzung. Wenn daher im Folgenden die „gesetzgebungsrelevanten“ Beschwerden besonders thematisiert werden, so ist dieser Begriff weit zu verstehen und inkludiert jene Beschwerden, die aus zeitgenössischer Sicht nicht primär auf die Erlassung, Änderung oder Aufhebung von legislativen Akten abzielten, aber für die Rechtsordnung von Relevanz sind. Dabei muss man sich des provisorischen Charakters nicht nur einer solchen Kategorisierung, sondern darüber hinaus jedweder Typologisierung der ständischen Gravamina bewusst sein. Wenn so Josef Pauser eine Analyse der Gravamina als Mittel der Einflussnahme auf die Gesetzgebung grob in die Bereiche „Policey“, „Strafrecht“, „Landrecht“ und „Sonstiges“ gliedert, geschieht dies im Bewusstsein, dass die Rechtsordnung des 16. Jahrhunderts eine genaue Scheidung von Policey-, Strafund Landrecht weder in Theorie noch Praxis kannte.529 Zudem gilt es, bei der Auswertung von Gravamina stets die Kommunikationssituation, in deren Rahmen sie vorgebracht werden, in Rechnung zu stellen. Es war den Zeitgenossen durchaus bewusst, dass hinter den Beschwerden unter Umständen ganz anders gelagerte Intentionen standen, die mit den monierten Missständen nur am Rande zu tun hatten. Das Vorbringen von Gravamina und deren Wiederholung im Fall einer aus ständischer Perspektive ungenügenden Erledigung bezweckten auch, die mangelnde finanzielle Leistungsfähigkeit der Landschaft zu dokumentieren. Wenn über die zunehmende Zahl an Bettlern und Gartknechten oder über die Belastungen durch Truppendurchmärsche geklagt wurde, dient dies auch in erheblichem Maße dazu, die Zurückhaltung bei ständischen Steuerbewilligungen zu erklären. Diese Strategie glaubten zumindest die Regierung und Leopold V. hinter dem repetitiven Vorbringen mancher Beschwerden zu erkennen. Leopold brachte Vgl. Pauser, Maximilian II. und die Landstände, 2003, S. 30.
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dies 1626 in seiner Resolution auf die Landesbeschwerden auch zum Ausdruck. Es würde sich demnach bei etlichen ansehen lassen, das man mehr aus altgewohntem brauch als treibender notturfft dergleichen clagen fürbringet, ob solte gleichsam der landtag nie ohne beschwerungseingebung gehalten werden kinden oder sollen.530 Noch deutlicher ist diese Zielsetzung, die eigene finanzielle Leistungsunfähigkeit trotz des guten Willens darzulegen, in vielen Partikulargravamina greifbar, die gar nicht so selten weniger konkrete Mängel als vielmehr die pitoyable Situation der betreffenden (Gerichts‑)Gemeinde aufzeigen sollten. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang der lapidare Erledigungsvermerk der Regierung auf der Partikularbeschwerde des Gerichts Virgen 1626: allegatio paupertatis, nihil vero gravaminis.531 Zudem kann gerade die Wiederholung inhaltlich identischer, sehr allgemein gehaltener Gravamina weniger einen Reflex auf tatsächliche Missstände darstellen als vielmehr die Zielsetzung einer steten Selbstvergewisserung der eigenen Rechtsposition verfolgen. Dies lässt sich besonders anschaulich bei den gegen die Rezeption des gemeinen Rechts und dessen subsidiäre Geltung gerichteten Beschwerden nachweisen, die sich nicht gegen die tatsächliche Anwendung des gemeinen Rechts wendeten und stets sehr summarisch gehalten waren. Mittels der daraufhin ergehenden landesfürstlichen Resolution, wonach subsidiär zur Tiroler Landesordnung nach den „Landesbräuchen“ geurteilt werden sollte, wollte sich die Landschaft ständig des bestehenden Rechtszustandes versichern und sich diesen konfirmieren lassen.532 Dass diese Strategie landesfürstlicherseits durchaus bekannt war, zeigen einschlägige Äußerungen.533 5. 3. 4. 4. 2. Bis 1526 Es wurde im Verlauf der bisherigen Darstellung schon hinreichend dargelegt, dass sämtliche umfassenderen Ordnungen bis hinauf zur Tiroler Landesordnung von 1526 nachweislich maßgeblich auf vorangegangene Gravamina zurückgehen. TLA, LLTA, Fasz. 12, Bund 5, o. D. (nach 1620 Aug. 29); ähnlich schon das Gutachten von Regierung und Kammer ebd., 1620 Aug. 29. 531 TLA, LLTA, Fasz. 13, Bund 3. 532 ����������������������������������������������������������������������������������� Die entsprechenden Ausführungen waren im Manuskript der zugrundeliegenden Habilitationsschrift (dort Kap. VI.5.6.2) enthalten, wurden jedoch aus Gründen der Systematik und des Umfangs für die Drucklegung ausgeschieden. Sie werden in gesonderter Weise publiziert werden. 533 Besonders bezeichnend ist die Aussage Leopolds V. im Jahr 1626, wo er in seiner Resolution auf die Landesbeschwerden darauf aufmerksam macht, dass es nicht ausreiche, sich über einen vermeintlichen Missstand immer nur ingemain zu beschweren und darüber ein generaldecision zu begeren, dann sollichen falls eines herrn und landtsfürsten landtsfürstliche superioritet, hoch- und gerechtigkait per indirectum nach und nach geschmelert und gentzlichen evacuiert und entzogen würde (TLA, LLTA, Fasz. 13, Bund 3, 1626 Okt. 23; Parallelüberlieferung in TLA, VdL, Bd. 15, fol. 885r–892v). 530
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
Besonders eindringlich lässt sich dies anhand der in den Jahren 1474 und 1478 ergangenen Ordnungen dokumentieren. Auf Erstere ist zwar schon Blickle eingegangen,534 doch erlauben zusätzliche Quellenfunde inzwischen genauere Aussagen. Bei Blickle war, wie sich nunmehr belegen lässt, der Ausgangspunkt bei der Gegenüberstellung von „Input“ (Gravamina) und „Output“ (Gesetz) irrtümlich falsch. Die von ihm als maßgebende Landesbeschwerden des Junilandtags 1474 herangezogenen Gravamina stammen nämlich aus dem Jahr 1478. Das 1478 ergangene Mandat, nach Blickles Ansicht „jedenfalls keine Landesordnung“535, klammerte er hingegen aus seinen Betrachtungen aus. Die am 20. Juni 1474 vorgebrachten Generalgravamina konnten nunmehr zweifelsfrei identifiziert werden.536 In dem (nur im Stadtarchiv Bozen erhaltenen und Blickle unbekannten) Landtagsabschied vom 24. Juni 1474 wurde die gemeinsame Bearbeitung der Beschwerden durch Landesfürst und Landstände beschlossen: Item nachdem sich sein Genad fur und furan begeben, genedigklichen gemainer lanndtschaft auf allen landtegen zugesagt hat, die gebrechen und mengl gemainer landschaft anligende genedigklichen zu wenden, abzetun und verchamen, das sein Genad selbs oder durch seiner Genaden räte und ander von der landschaft darüber zu besiczn und solhen mengel zu wenden und zu verchamen, bestelle und ordene, damit die abgetan werden, auch die lantschaft in gutem willen behalten und solh hilf dester furderlicher eingepracht werde.537 Die hier zum Ausdruck gebrachte gemeinsame Bearbeitung der Beschwerden durch landesfürstliche Räte und landschaftliche Verordnete schlägt sich in der Ordnung von 1474 massiv nieder. Die ersten neun der insgesamt elf Artikel entsprechen voll und ganz den Beschwerdepunkten.538 Die unmittelbare Ableitung der Ordnung aus den Gravamina lässt sich an mehreren Anhaltspunkten festmachen. So weist die Ordnung vom 29. Juni 1474 nicht nur exakt dieselbe inhaltliche Strukturierung wie die zugrunde liegenden Beschwerden auf. Der Wortlaut der Gravamina und der Ordnung ist überdies passagenweise völlig deckungsgleich. Diese Übereinstimmung sei anhand der folgenden auszugsweisen tabellarischen Gegenüberstellung dreier ausgewählter Bestimmungen veranschaulicht (Viehhandel, Fürkauf, Getreideexport):
536 537 538 534 535
Blickle, Landschaften, 1973, S. 193–196. Blickle, Landschaften, 1973, S. 194, Anm. 203. TLA, Sigmundiana V/6, 1474 Juni 20. StAB, Hs. 2540 (= Landtagslibelle 3), 1474 Juni 24. Vgl. die Edition im Anhang. Die unterschiedliche Zählung der Beschwerdepunkte und der Artikel der Ordnung resultiert aus der Anlehnung an die zeitgenössische Strukturierung.
5. Die Landstände
Gravamina vom 1474 Juni 20 Item am ersten furgenommen von des viechz wegen: daz alles viech, so in dem lannd gesumert wirdt, es sey dann lanndoder frombd viech, aus dem lannd nicht getriben noch frombden verkaufft werden, allain auf den freyen merckhten; doch ausserhalb solher merkht mugen die lanndmeczger und yederman im lannd gesessen zu seiner notdurfft an furkauff auf den alben und allenthalben solh viech zu irer notdurfft wol kauffen ungeverlich. Waz aber viech in das lannd getriben und darinne nicht gesumert würde, mag ain yeder in oder ausser lanndes verkauffen und treiben, wa er wil, doch meut und zöll hierinn vorbehalten. Es sullen auch all geverlich furkauff verboten, waz dem lannd tewrung bringen mag bey verliesung der hab, und solhz allenthalben ausgeschriben und berüfft werden. Man sol auch mit dem von Brichsen und Görcz davon reden, damit solhz bey in auch furgenomen, bestellt und gehalten werde Dann von wegen des traids, daran yecz in ganzem lanndt grosser manngel, auch nachdem man sorgveltiger lewff warttend vormals furgenommen, als solh in den lanndsfreyhaiten aigentlich begriffen ist, also, daz neymand dhain korn aus disem lannd füren sol etc.: daz dann solher traid heraus zu verkauffen ernstlich verboten werde, aber bey der peen darauf geseczt; ob aber sach were, daz die von prelaten, adln, steten oder gerichten ubrig traid heten zu verkauffen und im lannd nicht verkauffen möchten, daz sy dann solh koren aus dem lannd wol verkauffen mugen, doch daz solhz mit seiner Gnaden oder seiner Gnaden hawptman wissen und willen und sust nicht beschehe.
411
Ordnung von 1474 Juni 29 Am ersten, das alles vich, so in disem unserm lande der grafschafft Tirol gesümmert wirdet, es sy inlenndigs oder auslenndigs, daraus nicht getriben noch frömbden verkaufft sol werden, allain auff den freyen märgkten; doch ausserhalben sölher märgkt mügen die lanndtmeczger und yederman im lannd gesessen zu seiner notdurfft on fürkauff auf den alben und allenthalben sölh vich zu irer notdurfft wol kauffen ungevärlich. Was aber vich in das lannd getriben und darinn nicht gesümmert würde, mag ain jeder inner oder ausser lannds verkauffen und treiben, wa er wil, doch unnser menigklich mewt und zöll hierinn vorbehalten. Es sol auch hinfür khain gevärlicher fürkauff beschehen, was disem unnserm gemainem lannde tewrung bringen mag, bey verliesung der hab und gut, das wir auch bei sölher peen ze halten ernstlich gepieten. Dann von des traids wegen ordnen, seczen und wellen wir, daz kain traid aus disem unnserm lannde verkaufft oder gefürt werde, bei verlierung des getraids und der hab. Ob aber die von prelaten, adel, steten oder gerichten übrig getraid hetten zu verkauffen und im lannd nicht verkauffen möchten, dasselb mügen sy aus dem lannd wol verkauffen, doch daz sölhs mit unnserm oder unnsers haubtmans wissen und willen beschehe.
412
IV. Das Zustandekommen der Gesetze
Die Edition beider Quellen im Anhang illustriert, dass auch bei den übrigen Bestimmungen der Ordnung von 1474 Ähnliches zu konstatieren ist. Die Übereinstimmung zwischen Gravamina und Norm geht auch hier bis zu wörtlichen Entsprechungen. Nur die letzten beiden der insgesamt elf Artikel der Ordnung von 1474 haben kein Pendant bei den Beschwerden. Inhaltlich handelt es sich allerdings um die legislative Reaktion auf typische, bei späteren Gelegenheiten mit großer Regelmäßigkeit aufscheinende Gravamina, nämlich die Bemängelung vorschneller Inhaftierung ‚angesessener‘ Untertanen wegen geringfügiger Vergehen und die Pflicht zur Aufnahme von Kundschaften durch das Gericht.539 Hier kann vorausgesetzt werden, dass diese beiden Beschwerden anlässlich der mündlichen Beratungen zwischen Räten und landschaftlichen Deputierten von Letzteren nachträglich thematisiert und daraufhin am Schluss der Ordnung angefügt wurden. Insgesamt zeichnet sich die Ordnung von 1474 durch eine ungewöhnliche, teils sogar wörtliche Nähe zum zugrunde liegenden Beschwerdetext aus. Nicht bei jeder Ordnung ist der Konnex mit zuvor eingereichten Gravamina so augenscheinlich. Dies wird im Vergleich zur (bei Blickle nicht berücksichtigten) noch umfangreicheren, 16 Artikel enthaltenden Ordnung vom 7. Oktober 1478 deutlich.540 Auch hier sind die zugrunde liegenden Gravamina erhalten.541 Schon die geringere Anzahl von legislativ behandelten Beschwerden sticht im Vergleich mit 1474 ins Auge. Während damals sämtliche Gravamina unmittelbar in die Ordnung Eingang fanden, ist dies vier Jahre später nur bei knapp einem Drittel der Fall (16 von insgesamt 44). Dieser vergleichsweise geringe Prozentsatz bedeutet jedoch nicht, dass Siegmund die nicht in der Ordnung behandelten Gravamina als ungerechtfertigt abgewiesen hätte, wie namentlich die erhaltenen Erledigungsvermerke auf der Beschwerdeschrift zu erkennen geben. Teilweise waren sie jedoch einer legislativen Erledigung schlichtweg nicht zugänglich. Die Bitte um Ausstellung eines Schadlosbriefs (Nr. 1) wurde durch die Ausfertigung der Urkunde erfüllt; bei der Bitte um Abstellung der Wildüberhegung verwies Siegmund auf die bisherige Gepflogenheit und drückte seine Bereitschaft zur Jagd auf die speziell angeführten Wildschweine aus. Die Geistlichkeit, die die Last der Beherbergung und Versorgung landesfürstlicher Jäger beklagte, wurde zur Spezifizierung der individuellen Beschwerden aufgefordert. Andere Gravamina sahen Siegmund und seine Räte offensichtlich als bereits hinreichend erledigt an. Auf die Bitten, Hofgericht und Lehenhof mit Landleuten zu besetzen (Nr. 7–9), war die erteilte Resolution lapidar: Sein Genad hat sich pißher zimlichen gehalden, daz wil sein Genad hinfüro auch tun. Ganz ähnlich lautete die Antwort auf das ständische Begehren, dass niemand Es ist kein Zufall, dass entsprechende Beschwerden schon 1478 neuerlich ventiliert werden (vgl. TLA, LLTA, Fasz. 1, Landtagsbeschwerden 1478). 540 TLA, LLTA, Fasz. 1, Landtag 1478, 1478 Okt. 7. 541 TLA, LLTA, Fasz. 1, Landtag 1478, Gravamina; diese wurden von Blickle versehentlich auf 1474 datiert und als Ausgangspunkt der Ordnung von 1474 angesehen. Sowohl die Gravamina von 1474 und 1478 als auch die korrelierenden Ordnungen sind im Anhang ediert. 539
5. Die Landstände
413
ohne Gerichtsverhandlung eines Rechtes entsetzt werden sollte: [...] placet nach der landsfreyhait, allfällige konkrete Beschwerden seien Siegmund unmittelbar vorzubringen. Der Vergleich mit 1474 zeigt zudem die intensivere Überarbeitung jener Beschwerdeartikel, die schließlich in der Ordnung von 1478 gesetzlich geregelt wurden. Die wörtliche Übernahme ganzer Passagen in den Normtext ist nicht mehr festzustellen. Da das Konzept der Ordnung erhalten ist, lässt sich dieser Prozess der redaktionellen Überarbeitung bei einzelnen Artikeln genau nachvollziehen, wobei die früheren Redaktionsstufen in ihrem Wortlaut den Beschwerden noch deutlich näher sind.542 So kann man bei nahezu allen Artikeln der Ordnung die zugrunde liegenden Beschwerden identifizieren, wie die folgende Tabelle zeigt: Artikel der Ordnung von 1478 X 7 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
Regelungsgegenstand
zugrundeliegende Beschwerde Rechtswesen v. a. 36 Rednerlohn 10 Verleihung von Gemeindegrund 5 Holzexport 35 Aufnahme von Kundschaften 26 Bestrafung von Unzucht und Frevel 14 Rechtsstreit zwischen Arm und Reich 15 Ahndung von Totschlägen 29 Höhe der Gerichtsbußen keine Vorlage Vormundschaft 25 Fürkauf 20, 30 Weinimport 24, 32 Visitation bei Fischhändlern keine Vorlage Viehhandel/-export 44 Getreideexport 34 Absager, Fehdewesen 13
Zudem basiert die Ordnung von 1478 offensichtlich auf jener von 1474, die eindeutig für manche Artikel als Vorlage diente. Dies lässt sich sowohl aus dem nahezu identischen Wortlaut der Artikel 14 und 15 (Verbot des Vieh- und Getreideexports) als auch aus einem Lapsus des Schreibers der Ordnung von 1478 erschließen. Dieser hatte bei der Niederschrift des Konzepts von Artikel 15 versehentlich die in der Vorlage aufscheinende Formel ordnen, seczen und wellen wir einfach kopiert, sich anschließend jedoch eines Besseren besonnen und eine andere Formulierung gewählt. Dies zeigt sich besonders anschaulich ander ursprünglichen Fassung der Artikel 5 und 6 der Ordnung von 1478 Okt. 7 (vgl. die Edition im Anhang samt textkritischen Anmerkungen).
542
IV. Das Zustandekommen der Gesetze
414
Noch in einem weiteren Punkt ist der Landtag von 1478 bemerkenswert, nämlich hinsichtlich der Anzahl von damals vorgebrachten Gravamina. Dies zeigt auch eine graphische Darstellung der auf den Landtagen unter Siegmund vorgebrachten (und im Original erhaltenen) Gravamina, deren inhaltliche Verteilung ebenfalls ersichtlich wird: 20 18 16 14 12
Policey Strafrecht Landrecht Landständische Rechte Militaria Sonstiges
10 8 6 4 2 0 Landtag 1474
Landtag 1476
Landtag 1478
Landtag 1487
Grafik 3: Inhaltliche Verteilung der Gravamina unter Siegmund Unter Maximilian I. nahm die Anzahl der pro Landtag ventilierten Beschwerden tendenziell deutlich zu, wie die folgende Graphik 4 zu illustrieren vermag. Der inhaltliche Schwerpunkt im Bereich der „guten Policey“ bleibt freilich unverändert. Die nicht im Wortlaut erhaltenen oder zumindest aufgrund von Gutachten vollständig rekonstruierbaren Gravamina wurden aus methodischen Gründen in den Diagrammen nicht dargestellt, dürften aber das gewonnene Gesamtbild nicht signifikant verändern. Insgesamt decken die 182 im Original auf uns gekommenen oder zumindest mit Sicherheit rekonstruierbaren Gravamina aus der Regierungszeit Siegmunds ein ausgesprochen weites Spektrum von Materien ab. Bei der Betrachtung des Diagramms muss man sich des bereits erwähnten nur behelfsmäßigen Charakters der vorgenommenen inhaltlichen Kategorisierung bewusst sein. Unter der Rubrik „Landständische Rechte“ werden dabei Gravamina subsumiert wie Bitten um Bevorzugung von Landleuten vor ‚Ausländern‘ bei der Ämtervergabe, speziell um Heranziehung von Einheimischen in den Zentralbehörden, um die Ausstellung von Schadlosbriefen543, um bevorzugte Vergabe von Gerichtsherrschaften an Tiroler Adelige oder die Bitte um Verzicht auf die Führung von Angriffskriegen ohne Wissen und Willen der Bestätigung, dass landständische Steuerbewilligungen frei und unpräjudizierlich erfolgten.
543
5. Die Landstände
415
18 Policey 16
Strafrecht Landrecht
14
Landständische Rechte Militaria
12
Sonstiges 10 8 6 4 2 0 LT Galli 1491
Landtag 1506
Landtag 1509
LT März 1513
Landtag 1515
Landtag 1516
Grafik 4: Inhaltliche Verteilung der Gravamina unter Maximilian I. Landstände. Auch das Ersuchen, keine Landleute ohne Gerichtsverfahren eines Rechtes zu entsetzen, ist – da in der Landesfreiheit von 1406 verankert – diesem Punkt zuzuordnen. Noch vielfältiger sind die in der Kategorie „Sonstiges“ an den Landesfürsten herangetragenen Bitten, wobei Beispiele aus späteren Jahrzehnten antizipierend ebenfalls angeführt seien. Sie betreffen unter anderem das Steuerwesen, außenpolitische und lehenrechtliche Fragen, man bittet um die Heranziehung tauglicher Geistlicher, moniert die Amtsführung bestimmter landesfürstlicher Beamter, weiters handelt es sich um Beschwerden über die Zunahme von Nobilitierungen, man bittet um die Förderung des Bergbaus sowie von Wild- und Heilbädern oder um die Trockenlegung von Mooren. „Militaria“ betreffende Gravamina beziehen sich auf das militärische Aufgebot des Landes, dessen Organisation und Einsatz und beinhalten überdies einschlägige Bitten wie jene um Verschonung des Landes vor Truppendurchmärschen. Insgesamt zeigt sich folgende Verteilung: Von den 92 Gravamina, die Policeymaterien betreffen, sind immerhin 61 und damit rund zwei Drittel dem wirtschaftlichen Bereich zuzuordnen. Diese massive Dominanz wirtschaftspoliceylicher Fragen, denen gegenüber Policeymaterien wie beispielsweise die öffentliche Sicherheit, Armenwesen, Forst und Jagd deutlich in den Hintergrund treten, setzt sich in den folgenden Jahrzehnten fort. Die Repräsentativität des Tiroler Befunds wird durch ähnliche statistische Ergebnisse für das diesbezüglich von Josef Pauser gut erforschte Österreich unter der Enns bestätigt.544
���������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Pauser, Gravamina und Policey, 1997, S. 28–29; Pauser, Maximilian II. und die Landstände, 2002, S. 30.
544
IV. Das Zustandekommen der Gesetze
416
Sonstiges 16% Militaria 2% Landständische Rechte 8%
Policey 49%
Landrecht 18% Strafrecht 7%
Grafik 5: Inhaltliche Verteilung der Gravamina unter Siegmund und Maximilian I. Blickle hat in seinem epochalen Werk „Landschaften im Alten Reich“ mit Blick auf Tirol sehr zurückhaltend die These einer kontinuierlichen Entwicklung der Gravamina vom 14. Jahrhundert bis zu den Meraner bzw. Innsbrucker Artikeln im Jahr 1525 vertreten.545 Es wird noch darzulegen sein, dass dies nur sehr bedingt zutrifft. Nur 32 und somit rund ein Drittel der insgesamt 96 Innsbrucker Beschwerdeartikel haben inhaltliche Vorläufer in früheren landständischen Gravamina, wobei insgesamt 18 (das entspricht ca. 19 %) dieser im Jahr 1525 vorgebrachten Beschwerden bereits in früheren Jahrzehnten durch Gesetze geregelt worden waren und nun nur noch – allenfalls in leicht modifizierter Form – wiederholt wurden. Im Vergleich zu den Beschwerden über Policeymaterien nehmen auf das Landund Strafrecht bezügliche Gravamina mit 18 bzw. sieben Prozent verhältnismäßig wenig Raum ein. Ähnlich wie die Dominanz policeylicher Beschwerden ist dies ein Befund, der auch auf den übrigen Untersuchungszeitraum zutrifft (vgl. das folgende Kapitel). 5. 3. 4. 4. 3. 1526–1665 Während die unter Siegmund und Maximilian I. vorgebrachten Gravamina (soweit erhalten) vollständig statistisch ausgewertet wurden, fußt die folgende Darstellung auf einer repräsentativen Auswahl von Landtagen und der dort präsentierten Beschwerdeartikel. Schon die ausgeführte Problematik bei der Zuordnung von Be Blickle, Landschaften, 1973, S. 216.
545
5. Die Landstände
417
schwerden zu den Kategorien „Policey“, „Strafrecht“, „Landrecht“, „landständische Rechte“, „Militaria“ und „Sonstiges“ führt dazu, dass selbst eine vollständige Auswertung sämtlicher Gravamina ebenfalls nur Trends aufzeigen könnte, so dass der Erkenntnisgewinn im Vergleich zu einer repräsentativen Auswertung bescheiden wäre. Zudem ist in Rechnung zu stellen, dass bis zum Beginn der vierziger Jahre des 16. Jahrhunderts Gravamina häufig nicht besonders ausgewiesen und eingereicht, sondern in die landständischen Schriften inkorporiert wurden. Zur Schwierigkeit der Zuordnung in eine der Kategorien gesellt sich dann noch das Problem, die in den Landtagsverhandlungen enthaltenen Beschwerden nachvollziehbar zu extrahieren, ist doch der Übergang von der Stellungnahme zu einem Punkt der Proposition zur Äußerung einer (womöglich thematisch verwandten) Beschwerde fließend. Schließlich müsste man im Fall einer vollständigen Erfassung aller Beschwerdepunkte auch die im 17. Jahrhundert von Ausschusstagen ventilierten Beschwerden mit einbeziehen. Dies kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht geleistet werden, die sich somit ganz bewusst darauf beschränkt, grundlegende Entwicklungslinien aufzuzeigen. Die als wesentliche Grundlage bei der Ausarbeitung der Tiroler Landesordnung dienenden Meraner und Innsbrucker Artikel werden schließlich gesondert in jenem Kapitel behandelt werden, das sich mit der Entstehung der Landesordnung beschäftigt. Betrachtet man zunächst die inhaltliche Verteilung ausgewählter Landtage unter Ferdinand I. – das späte Einsetzen der Selektion erklärt sich aus der angesprochenen Problematik, die Beschwerdepunkte nachvollziehbar aus den Landtagsverhandlungsschriften zu extrahieren –, fällt die zwar unterschiedlich stark ausgeprägte, aber durchgehend gegebene Dominanz der Gravamina zur „guten Policey“ auf. Andere Rechtsbereiche (Strafrecht, Landrecht) treten demgegenüber völlig in den Hintergrund, was wohl für die Qualität und infolgedessen für die breite Akzeptanz der Tiroler Landesordnung in diesen Rechtsbereichen spricht. Einzig die Fassung des 3. bzw. 18. Titels des 3. Buches der Landesordnung von 1532 gab Anlass zu Klagen der Stände, die eine Diskrepanz zwischen Gesetzeswortlaut und Gewohnheitsrecht geltend machten, die im Sinne der Adaption der entsprechenden Titel an den bisherigen „Landsbrauch“ gelöst werden sollte. Die zum Teil vergleichsweise hohe Frequenz von das Kriegswesen betreffenden Gravamina erklärt sich jeweils aus aktuellen militärischen Ereignissen (Türkenkrieg, Schmalkaldischer Krieg). Unter Erzherzog Ferdinand II. zeigt sich zwar kein fundamentaler Wandel in der Struktur der Beschwerden – insbesondere dominieren weiterhin jene Gravamina, die Policeymaterien zum Gegenstand haben –, doch treten nunmehr auch andere Bereiche verstärkt hervor. Im Vorfeld der Reformation sticht vornehmlich der Anstieg jener Beschwerden ins Auge, die der Kategorie „Landrecht“ zuzuordnen sind. Hier handelt es sich neben den Klagen über die (vermeintliche) subsidiäre Anwendung des römischen Rechts durch die Regierung unter anderem um Fragen der Exemtion bestimmter Personenkreise von der ordentlichen Gerichtsbarkeit oder der Abgrenzung der Kompetenzbereiche unterschiedlicher Gerichte. Dass gerade 1567 die Einhaltung landständischer Rechte nachdrücklich reklamiert wurde, hängt wohl
IV. Das Zustandekommen der Gesetze
418 14
Policey Strafrecht
12
Landrecht Landständische Rechte
10
Militaria Sonstiges
8 6 4 2 0 Landtag 1544
Landtag 1547
Landtag 1549
Landtag 1551
Landtag 1555
Landtag 1559
Grafik 6: Inhaltliche Verteilung der Gravamina ausgewählter Landtage unter Ferdinand I. maßgeblich damit zusammen, dass es sich damals um den ersten in Anwesenheit Ferdinands II. abgehaltenen Landtag seit dessen Regierungsantritt handelte. Dass auf dem Landtag von 1567 signifikant mehr Gravamina (31) vorgelegt wurden als auf anderen Landtagen unter Erzherzog Ferdinand II., ist ebenfalls kein Zufall. Es handelte sich damals um den Huldigungslandtag, und auf diesem wird die wechselseitige Verpflichtung von Landesfürst und Landschaft regelmäßig besonders deutlich.546 Auf anderen Landtagen manifestiert sie sich „nur“ in der Steuerbewilligung, die von den Ständen bis zu einem gewissen Grad als Druckmittel für eine positive Erledigung oder zumindest eine Behandlung der Beschwerden eingesetzt werden kann. Auf dem Huldigungslandtag, auf dem sich die anwesenden Ständevertreter in einer feierlichen Zeremonie und mit Schwurleistung547 zur Treue und zum Gehorsam gegenüber dem Fürsten verpflichteten,548 kam der Entgegennahme Vgl. allgemein Holenstein, Huldigung der Untertanen, 1991, S. 350–357. Dieser Huldigungseid lautete folgendermaßen (TLA, VdL, Bd. 6, S. 30–31; die Verwendung der 2. P. Pl. erklärt sich aus der Vorschreibung des Huldigungseids an die Schwörenden): [N. N.] geloben und schweren dem allerdurchleichtigisten, auch durchleichtigisten fürsten undt herrn, herren Rudolffen dem andern, erwölten Römischen Kayser [...] und derselben geliebten herrn gebrüdern undt vetern des hochlöblichen haus Österreichs, daz wir der Kays. May. und F. Durchleichtigkheiten als ewern allergnedigisten undt gnedigisten rechten natürlichen erbherren undt lantfürsten undt nach derselben abgang ihren nägsten erben getrew, gehorsamb undt gwertig sein, auch iren frummen fürdern undt schaden wenden wellet, wie daz mit recht undt von alter herkomen ist, als euch Gott helf undt all heiligen treülich ungevärde. Zum inhaltsgleichen Huldigungseid im Jahr 1520 vgl. TLMF, FB 2675, fol. 205r–206r, 1520 Febr. 7. 548 Die erste ausführliche Beschreibung des Ablaufs einer Erbhuldigung in Tirol stammt aus dem Jahr 1596 (TLA, LLTA, Fasz. 10, Bund 2, 1596 Aug. 8): Kurczer summarischer extract 546 547
5. Die Landstände
419
10 Policey 9
Strafrecht Landrecht
8
Landständische Rechte Militaria
7
Sonstiges
6 5 4 3 2 1 0 Landtag 1567
Landtag 1573
Landtag 1577
Landtag 1590
Grafik 7: Inhaltliche Verteilung der Gravamina ausgewählter Landtage unter Ferdinand II. und Erledigung der Gravamina besondere Bedeutung zu. Hier galt es für den Landesfürsten, angesichts des geleisteten Huldigungseids zu versichern, alle zugewohnte threugehorsambiste landtschafft und stende bei frid und recht, gueten ordnungen und policey sovil immer miglichen zu erhalten,549 was durch eine gnädige Aufnahme der Gravamina besonders deutlich signalisiert werden konnte. Diese waren jedoch nicht im Vorfeld der Erbhuldigung zu erledigen – eine Junktimierung von positiver Beilegung der Landesbeschwerden und Erbhuldigung war daher nicht möglich, wenngleich sich ausnahmsweise Ansätze hierzu zeigten. 1596 beispielsweise verweigerten die Vertreter der Städte und Gerichte zunächst die Leistung der Erbhuldigung, bis nicht eine Einigung mit dem kaiserlichem Kommissar, Erzherzog Matthias, zustande gekommen wäre.550 Erst durch das Drängen der beiden höheren Stände wurden sie schließlich zum Einlenken bewogen. Der sich für den Huldigungslandtag von 1567 ergebende Befund einer erhöhten Anzahl eingereichter Gravamina lässt sich nicht generalisieren. Auf dem zu Jahresbeginn 1520 abgehaltenen Huldigungslandtag zählte man nur 13 „gemeine Beschwerden“,551 auf dem Huldigungslandtag für Maximilian III., der 1613 erblicher Landesfürst von Tirol geworden war, 17. 1619 und 1626 (damals wurde der bisher als Gouverneur fungierende Leopold V. erblicher Landesfürst) werden mit der in Tyrol den 8. Augusti diß 96. jahrs aufgenomnen erbhuldigung und deßwegen gehaltnen landtags. 549 TLA, VdL, Bd. 26, fol. 39v–57v, hier fol. 39v, 1663 April (ohne nähere Datierung). 550 Diese Schilderung findet sich auch in TLA, LLTA, Fasz. 10, Bund 2, 1596 Aug. 8. 551 StAM, Hs. III/15; TLMF, Dip. 971, Nr. VI/Teil 2 (unpag., unfol.), 1520 Jan. 24; TLA, VdL, Bd. 3, S. 199–207.
420
IV. Das Zustandekommen der Gesetze
jeweils 25 Gravamina zwar mehr Beschwerden präsentiert als auf anderen Landtagen, doch ist der numerische Unterschied nicht eklatant. Deutlicher tritt er auf den Huldigungslandtagen 1633 und 1646 hervor, für das Jahr 1663 sind mangels ande rer Volllandtage im zeitlichen Umfeld keine Aussagen zu machen. Was jedoch im Rahmen von Huldigungslandtagen stets ins Auge fällt – besonders ausgeprägt ist dieser Trend ab Erzherzogin Claudia de’ Medici –, ist das starke quantitative Hervortreten von Bitten um die Einhaltung und Bewahrung landständischer Rechte und Freiheiten. Ansonsten setzt die inhaltliche Verteilung der Gravamina mit gewissen Variationen das in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts dargebotene Bild fort. Dass während des Dreißigjährigen Krieges zeitweise jene Beschwerden einen größeren Raum einnehmen, die den militärischen Bereich betreffen, überrascht nicht. Die vollständige Absenz von das Strafrecht berührenden Beschwerden folgt dem bereits früher auszumachenden Trend. Auffallend ist die zeitweise hohe Anzahl von das „Landrecht“ berührenden Beschwerden, wo es unter anderem um Verfahrensfragen (Revisionen und deren aufschiebende Wirkung), die allfällige Ausdehnung des Retraktrechtes, Zuständigkeiten und Gerichtsstände (Exemtionen von landesfürstlichen Bediensteten) oder um das im Prozess anwendbare Recht (subsidiäre Geltung des römischen Rechts) geht. Die wichtige Rolle der Policeygravamina setzt sich grundsätzlich fort, wenngleich ihre quantitative Bedeutung in den letzten Jahrzehnten des Untersuchungszeitraums deutlich absinkt Im Einzelnen ergibt sich folgendes Bild: 12
10
Policey Strafrecht Landrecht Landständische Rechte Militaria Sonstiges
8
6
4
2
0 Landtag 1596 Landtag 1601 Landtag 1613 Landtag 1619 Landtag 1620 Landtag 1626 Landtag 1632
Grafik 8: Inhaltliche Verteilung der Gravamina ausgewählter Landtage von Rudolf II. bis Ehz. Leopold V.
5. Die Landstände
421
14 Policey Strafrecht Landrecht Landständische Rechte Militaria Sonstiges
12 10 8 6 4 2 0 Landtag 1633
Landtag 1640
LT Jan. 1643
LT März 1643
Landtag 1646
Landtag 1663
Grafik 9: Inhaltliche Verteilung der Gravamina ausgewählter Landtage von Ehz. Claudia bis Ehz. Sigismund Franz Die Gesamtauswertung aller 436 erfassten Gravamina ergibt folgendes Bild: Sonstiges 20%
Policey 43% Militaria 11%
Landständische Rechte 10% Landrecht 16%
Strafrecht 0%
Grafik 10: Inhaltliche Verteilung der Gravamina ausgewählter Landtage von Ferdinand I. bis Ehz. Sigismund Franz Franz Bei einer gesamthaften Betrachtung des Untersuchungszeitraums zeigt sich die bemerkenswerte Kontinuität in den Inhalten der landständischen Beschwerden. Bei einem Vergleich der Struktur der Gravamina bis in die Zeit Maximilians I. einerseits und unter den folgenden Herrschern andererseits dominiert die Gleich-
422
IV. Das Zustandekommen der Gesetze
förmigkeit, nicht die Differenz. Nur zwei größere Veränderungen sind zu konstatieren: Der Bereich „Militaria“ gewinnt größeres Gewicht (2 % versus 11 %), was aufgrund der fundamentalen Wandlungen im Bereich des Kriegswesens in Verbindung mit einem massiven Anwachsen der Heereszahlen nicht überraschend ist. Und während die Kategorie „Strafrecht“ unter Erzherzog Siegmund und Kaiser Maximilian I. durchaus noch eine gewisse Rolle spielt (insgesamt 7 % der Gravamina beziehen sich darauf ), liegt sie in späterer Zeit mit nur noch einer einzigen diesbezüglichen Beschwerde praktisch unterhalb der Wahrnehmungsgrenze. In den Kategorien „Landständische Rechte“ (8 % bzw. 10 %) und „Landrecht“ (18 % bzw. 16 %) halten sich die Schwankungen hingegen in engen Grenzen. Bei den die Policeymaterien betreffenden Gravamina kommt es zu einem geringfügigen prozentuellen Rückgang (von 49 % auf 43 %), innerhalb dieser Gruppe machen freilich mit 60 % Gesamtanteil weiterhin die die Wirtschaftspolicey berührenden Beschwerden die Mehrheit aus. 5. 3. 4. 5. Erfolg und Scheitern landständischer Beschwerden: zwei Beispiele Die angeführten statistischen Auswertungen der ständischen Beschwerden dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich der Einfluss von Gravamina aus den bereits erörterten methodischen Gründen in absoluten Zahlen nicht erfassen lässt. Schließlich fällt namentlich in nachmaximilianeischer Zeit die eindeutige Herstellung eines Konnexes zwischen einem bestimmten Gesetz und den zugrunde liegenden Gravamina schwer und erfordert unter Umständen erhebliche vertiefende Quellenrecherchen. Nach dem soeben unternommenen Versuch einer quantitativen Durchdringung des Themenkomplexes „Gravamina und Gesetzgebung“ sollen Möglichkeiten und Grenzen ständischer Beschwerdeführung anhand zweier möglichst repräsentativer und aussagekräftiger Rechtsgebiete herausgearbeitet werden. Die erste zu diesem Zweck behandelte Rechtsmaterie zeigt klar die herausragende Bedeutung von Gravamina für die Gesetzgebung: Nahezu sämtliche Normen zur Regulierung der Gerichtskosten sind auf landständische Initiative zustande gekommen. Zudem war die Landschaft intensiv in den Prozess der Ausarbeitung der einschlägigen Gesetze eingebunden. Demgegenüber manifestiert das zweite Beispiel die überaus beschränkten bis nicht vorhandenen Ingerenzmöglichkeiten der Tiroler Landschaft, wenn es sich um die Beeinflussung von Gesetzgebungswerken handelte, die im landesfürstlichen Interesse lagen. Über Jahrzehnte hinweg zogen so alle vier Stände auf Landtagen gegen die Waldordnung von 1551 zu Felde, ohne auch nur die mindeste Veränderung durchsetzen zu können. Beide Fälle bestätigen die Theorie, dass das Ausmaß ständischer Einflussmöglichkeiten auf die Gesetzgebung maßgeblich davon mitbestimmt war, ob landes-
5. Die Landstände
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fürstliche und ständische Interessen weitgehend kongruent waren oder zueinander im Widerstreit standen. Im Fall der Gerichtskosten ist die weitgehende Homogenität herrscherlicher und landschaftlicher Interessen evident. Sowohl im Mittelalter als auch in der Frühneuzeit galt die Aufrechterhaltung nicht nur der äußeren, sondern ebenso der inneren Sicherheit und hier besonders der Rechtssicherheit der seiner Gewalt unterworfenen Personen als eine der zentralen und legitimierenden Aufgaben des Landesfürsten. Dieser Kernbereich herrscherlicher Tätigkeit wird beispielsweise in der Narratio einer von Erzherzog Ferdinand II. 1586 erlassenen Gerichtskostenordnung hervorgehoben. An dieser Stelle wird betont, dass es ihm als Landsfürsten und von Gott fürgesetzten hohen Obrigkait / zuesteht und obligt [...] die hailsame Justitia / Recht und Gerechtigkeit zu administrieren / und einem jeden zu dem jenigen / wessen Er befuegt / durch Rechtlichen austrag und sonsten / von Ambts und Obrigkait wegen zu verhelffen / darbey zu schützen und handzuhaben / und darwider niemands [...] beschweren / noch betrengen zu lassen.552 Außerdem waren sich Landesfürst und Stände über die Bedeutung eines geregelten, kostengünstigen und leicht zugänglichen Rechtswesens für die wirtschaftliche Prosperität des Landes einig.553 Einer weitgehend konsensualen Erarbeitung der Normen auf diesem Gebiet standen somit nur die partikulären Interessen quantitativ nicht ins Gewicht fallender Personengruppen entgegen (s. u.). Ganz anders verhielt es sich bei der Auseinandersetzung um den Wald und dessen Nutzung. Während den Landesfürsten und Behörden gerade mit Blick auf die eminent wichtige Holzversorgung der Bergwerke und die anderweitige pekuniäre Nutzbarmachung der Waldbestände (Holzexport) an rechtlichen Ingerenzmöglichkeiten auf Eigen- und Heimwälder gelegen war, kämpften die Städte und Gerichte für die Bewahrung ihrer bisherigen Nutzungsrechte und gegen jede normative Beschränkung, wobei sie tendenziell Grund- und Gerichtsherren auf ihrer Seite wussten. Die Interessen- und damit die Ausgangslage war in beiden Rechtsgebieten somit eine fundamental andere, und entsprechend divergierten auch die Mitgestaltungsmöglichkeiten der Landstände. 5. 3. 4. 5. 1. Gerichtskosten Unter dem Terminus „Gerichtskosten“ sei im Folgenden eine ganze Reihe von finanziellen Belastungen für den Rechtssuchenden subsumiert. In einem engeren Sinn sind darunter die im Zuge der streitigen und außerstreitigen Zivilgerichtsbarkeit anfallenden Kosten zu verstehen, also unter anderem Sitz- und Siegelgeld der Richter und Gerichtsschreiber, die Aufwandsentschädigungen für die Gerichtsge TLA, BT 1586, fol. 717r–721v, hier fol. 717r, 1586 Mai 19. TLA, LLTA, Fasz. 12, Bund 5, 1620 April 8 (gemeinsames Memorial der Regierung und der Kammer).
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schworenen sowie die verrechneten sonstigen Taxen („Sporteln“)554 für gerichtliche Amtshandlungen wie beispielsweise das Aufnehmen von Inventaren oder „Kundschaften“ (Zeugenaussagen). In einem weiteren Sinne ist unter den Gerichtskosten der gesamte übrige, einer rechtssuchenden Partei im Zuge der Rechtsdurchsetzung erwachsende finanzielle Aufwand zu verstehen, im Speziellen also die Vergütung für einen Redner bzw. Vorsprecher bei Gericht oder aber, wenn der Prozess bei der Regierung anhängig gemacht wurde, für einen gelehrten Advokaten. Damit stimmt im Übrigen die Legaldefinition der Tiroler Landesordnung von 1532 und 1573 überein.555 Von dieser lässt sich leicht auf den Kreis der Begünstigten zu schließen, die von hohen mit der Rechtsdurchsetzung verbundenen Kosten profitierten, nämlich das Gerichtspersonal und andere bei Gericht tätige Personen (Redner, Vorsprecher, Advokaten). Diese konstituierten jedoch keine in sich geschlossene Gruppe, die ihre Eigeninteressen auf Landtagen formulieren und so in den Gesetzgebungsprozess einbringen konnte. Daneben existierte noch ein weiterer, quantitativ zwar marginaler, machtpolitisch jedoch durchaus relevanter Personenkreis, der zumindest mittelbar von hohen Gerichtskosten profitierte: die Gerichtsherren. Für Gerichtsinhaber stellte das Gericht aufgrund der damit verbundenen Einkünfte einen erheblichen Vermögenswert dar, der möglichst großen Gewinn abwerfen sollte. Während die Strafgerichtsbarkeit trotz der daraus lukrierten Strafgelder tendenziell als Negativposten aufschien,556 versprachen die aus der streitigen und außerstreitigen Zivilgerichtsbarkeit erfließenden Einnahmen Gewinne, welche die Aufwendungen für den Unterhalt des Gerichts grundsätzlich deutlich, in Einzelfällen gar um mehrere hundert Prozent überstiegen. Das einer Gerichtsherrschaft innewohnende finanzielle Potential war den Zentralbehörden selbstverständlich bekannt. Ein Gutachten der Regierung brachte dies 1579 unmissverständlich zum Ausdruck. Es sei demnach evident, wann von adl oder anndere personen, die zuvor aines geringen schlechten vermügens gewesen, zu Gerichtsherren oder Pflegern avancieren würden, dass sich dieselben zum tayl in kurzer zeit bereichern und zu ainem statlichen vermügen und güetern komen, welliches aber, als wol zu vermuten, one der underthanen nachtl und schaden nit wol beschehen kann.557 Als Mittel der gerichtsherrlichen Ertragssteigerung bot sich speziell die Maßnahme an, dem Gerichtspersonal keine oder nur eine geringe fixe Besoldung zu reichen und sie stattdessen auf einen Anteil an den Gerichtsgebühren zu verweisen. Auf diese Weise wurde zugleich ihre Motivation erhöht, möglichst viele und hohe Einnahmen zu erzielen. Sporteln sind generell Nebengebühren bei Behörden (vgl. Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 10, 1905, Sp. 2688). 555 TLO 1532 und 1573, Buch 2, Tit. 62. 556 Beimrohr, Brief und Siegel, 1994, S. 61. 557 TLA, LLTA, Fasz. 9, Bund 6, 1579 Mai 5 (Regierungsgutachten über das Problem der Ge richtskosten). 554
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Dieser finanzielle Anreiz für die Einhebung möglichst hoher Gerichtsgebühren konnte freilich auch eine tendenziell einflussreiche Gruppe wie die Gerichtsherren auf einem Landtag nicht zur Sprache bringen. Zu augenscheinlich war die Kollision dieser Wünsche mit dem „gemeinen Nutzen“, der selbstverständlich auch für die gesetzlichen Regulierungen der Gerichtskosten als Leitkategorie fungierte. Ständische Bestrebungen sind folglich stets auf eine Restringierung der mit der Rechtspflege verbundenen Kosten gerichtet, wobei sie aus den bereits angeführten Gründen auf die Unterstützung der Zentralbehörden und Landesfürsten zählen konnten – zumal für Letztere aufgrund der Vergabe der meisten Gerichtsherrschaften die Einnahmen aus der erstinstanzlichen Rechtspflege praktisch keine finanzielle Relevanz hatten. Ständische Gravamina, die auf eine Limitierung der Gerichtskosten abzielten, wurden daher wenig überraschend von den habsburgischen Landesfürsten bereitwillig aufgegriffen und im engen Zusammenwirkung mit den Ständen einer legislativen Lösung zugeführt – dass sich die Implementation dieser Normen vor Ort gegen die Interessen der angeführten Personenkreise (Gerichtspersonal und Gerichtsherren) überaus schwierig gestaltete, stellt dabei die Kehrseite der Medaille dar. Die tägliche Erfahrung der Insuffizienz bisheriger gesetzlicher Regelungen evozierte neuerlich einschlägige Gravamina, diese führten zu weiteren rechtlichen Regelungsversuchen, und der Rückkoppelungseffekt begann von neuem. Auf weitere Landtagsbeschwerden folgten auf diese Weise immer elaboriertere und detailliertere Normenkomplexe. Schon bei der ersten gesetzlichen Bestimmung zur Begrenzung der Gerichtskosten ist anzunehmen, dass sie aufgrund von an Leopold IV. herangetragenen Beschwerden zustande kam.558 Darauf lässt nicht nur die Erfahrung späterer Jahrzehnte schließen, sondern auch die Formulierung – die Norm wird von einem Verweis auf bestehende Defizite eingeleitet, die auch lokalisiert werden („Item als grosser gebresten ist von den gerichten besunder in dem Intal“). Für diese Annahme eines ursächlichen Zusammenhangs zu vorangegangenen Beschwerden spricht überdies der Kontext, werden doch unmittelbar davor und danach Materien behandelt, die nach der vollständigen Ausformung der landständischen Verfassung typische Gravaminainhalte darstellen sollten (z. B. Getreide- und Viehhandel, Weinimport). Dass sich die 1444 während des Vormundschaftsstreits vom ständischen Rat erlassene Ordnung fast ausschließlich mit der Regelung der finanziellen Aspekte des Gerichtswesens beschäftigt, dürfte ebenfalls auf vorgekommene Beschwerden zurückzuführen sein, wenngleich eine explizite Bezugnahme fehlt.559 Dies ändert sich in den folgenden Jahrzehnten. Die Normenkomplexe, die in recht dichter ����������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Schober, Urkunden, 1990, S. 11–15 (Bestätigung von 1486 ebd., S. 40–41); ältere Edition bei Brandis, Landeshauptleute, 1847/1850, S. 143–147; Besprechungen bei Riedmann, Mittelalter, 21990, S. 465; Beimrohr, Brief und Siegel, 1994, S. 42; Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 80–82; Blickle, Landschaften, 1973, S. 192–193; Wopfner, Bergbauernbuch, Bd. 1, 1995, S. 465–467; Stolz, Rechtsgeschichte des Bauernstandes, 1948, S. 120–121; Jäger, Landständische Verfassung, Bd. II/1, 1882, S. 226–227. 559 Vgl. die Edition im Anhang. 558
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Abfolge auf die finanziellen Aspekte der Rechtspflege eingehen, nehmen in ihren Narrationes regelmäßig auf zugrunde liegende Gravamina Bezug. Unter (Erz-)Herzog Siegmund zählt man ihrer sechs, die teilweise in umfangreichere Ordnungen eingearbeitet sind. Im ersten Regierungsjahrzehnt Maximilians I. ergingen weitere fünf einschlägige Gesetze (1491, 1492, 1493, 1496, 1499),560 wobei sich der Konnex mit Beschwerden nicht nur anhand von Arengen rekonstruieren, sondern auch durch einen Vergleich mit erhaltenen Beschwerdeartikeln belegen lässt. So wurde auf dem Oktoberlandtag 1491 seitens der Landstände beschlossen: Item es sol auch mit der Kön. Mt. geredt werden, demnach und die recht mit kostung im obern- und nidern Intal geschehen, das man kostung und lon geit den recht-pesiczeren [!], auch das die richter wellen von den kuntschaften von yedem aide, der im rechten beschiht, 5 lb. perner und weiter dan vom sigln 1 lb. perner zu nemmen, dergleichen die grichtschreiber, deshalben der schaden halben meniger rechtlos mueß steen unvermügens halben.561 Das rund sieben Wochen später ergehende gescheft von wegen der redner, schreiberlon unnd sigelgelt562 verwies einleitend ausdrücklich auf diese Beschwerde. Exakt dasselbe Prozedere wiederholte sich nur einige Monate später, als aufgrund von neuerlichen Beschwerden die erst kurz zuvor erlassenen Bestimmungen teils wiederholt, teils ergänzt wurden (Mandat der recht und redner halben).563 Dass sich 1496 derselbe Mechanismus von Gravamen und darauf folgender Regelung feststellen lässt, überrascht daher nicht.564 Außerdem steht Tirol in diesem Punkt nicht allein da: In Bayern wurden die Herzöge ebenfalls vornehmlich in Reaktion auf ständische Beschwerden über Missstände im Gerichtswesen legislativ tätig.565 Auch die Aufnahme zahlreicher früherer Verordnungen, die die Gerichtskosten regelten, in den Anhang der Tiroler Halsgerichtsordnung von 1499 wird maßgeblich auf ständische Beschwerden zurückzuführen sein. Damit war ein vorübergehender Endpunkt erreicht. Bis zum turbulenten Jahr 1525 sind weder einschlägige Landtagsbeschwerden noch weitere Gesetze nachweisbar. Schennach, Gerichtskosten, 2002, S. 473, führt für diesen Zeitraum nur vier Gesetze an, doch enthält auch die dort nicht erwähnte Ordnung von 1493 März (vgl. die Edition bei Schmidt, Halsgerichtsordnung, 1949, S. 123–132, hier S. 130) einen die Gerichtskosten betreffenden Artikel. 561 TLA, Landschaftliches Archiv, Landschaftliche Landtagsakten, Fasz. 1, Nr. 7a, 1491 Okt. 21. 562 So die Bezeichnung in der Überlieferung in Archivio di Stato di Trento, libri copiali, gruppo 1, vol. 1, fol. 23v (= S. 46), 1491 Dez. 8. 563 TLA, Kopialbuch Ältere Reihe, Nr. 15, Lit. O, fol. 74v–75r, 1492 Aug. 18. 564 ������������������������������������������������������������������������������������������ Zwar sind die Generalgravamina von 1496 nicht überliefert, doch enthalten sogar die Partikularbeschwerden der Gerichte Landeck, Laudeck und Imst einschlägige Klagen (vgl. TLA, LLTA, Fasz. 1, Landtag 1496). 565 Vgl. Schlosser, Spätmittelalterlicher Zivilprozess, 1971, S. 435. 560
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Die intensive Regelung der Gerichtskostenproblematik ist vor dem Hintergrund zweier Entwicklungen zu sehen, die die Frage eines möglichst kostengünstigen Zugangs virulent werden ließen. Zunächst wird im ausgehenden Mittelalter ein verstärktes, zumindest partiell finanziell motiviertes obrigkeitliches Bestreben greifbar, die Rechtsverhältnisse der Untertanen zu regeln.566 Urkunden sollten beispielsweise nur mehr vom Gerichtspersonal ausgefertigt werden, wichtige Rechtsgeschäfte waren ausschließlich mit Beglaubigung der Obrigkeit vor Gericht abzuschließen, außergerichtliche Vergleiche in Zivilrechtssachen (und in verstärktem Maße im Bereich des Strafrechts) hatten zu unterbleiben. Die sukzessive Verdrängung des Südtiroler Notariats durch den Gerichtsschreiber im Verlauf des 15. Jahrhunderts ist ein Ausdruck dieses Bestrebens der erstinstanzlichen Gerichte, konkurrierende Einrichtungen möglichst auszuschalten.567 Im Vorfeld bzw. im Verlauf des Bauernkrieges wurden bezeichnenderweise einschlägige Beschwerden über dieses zunehmende obrigkeitliche Regulierungsbedürfnis laut.568 Die Gerichte Rettenberg und Thaur führten beispielsweise Klage, die Obrigkeiten wollten bei „irsal oder spenn zwischen den nachpauren [...] nit haben, das sy sich vertragen on ir wissen und willen und wellen die darumb straffen, die solich frid und ainigkait machen“569. Dass dabei keineswegs nur an die größere Rechtssicherheit gedacht wurde, sondern handfeste finanzielle Überlegungen eine Rolle spielten,570 zeigt die inhaltlich vergleichbare Beschwerde aus dem Gericht Kaltern: „Item wann zwen nachpuern oder mer sich mit einander umb schuld vertra gen, wie das beschicht, so soll der richter oder anwald dawider nit sein, als dann be schehen ist, sprechendt, man schneid in das prot vor dem mundt ab.“571 Zumindest aus zeitgenössischer Sicht bestand zudem eine gewisse Korrelation zwischen der zunehmenden gesetzlichen Regelung der Gerichtskosten und dem bäuerlichen Fehdewesen.572 Das Verbot der bäuerlichen Fehde und der gewaltsamen, eigenmächtigen Durchsetzung von Rechtsansprüchen implizierte die Verpflichtung, für eine ���������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Wopfner, Bergbauernbuch, 1995, S. 122; Wopfner, Lage Tirols, 1908, S. 173–174; nunmehr auch Bellabarba, Giustizia ai confini, 1996, S. 272. 567 Vgl. Neschwara, Geschichte des österreichischen Notariats, Bd. I, 1996, S. 46–76, bes. S. 74–76. 568 Kurze Erwähnung bei Hoffmann, Geschichte Tirols von 1523–1526, 1948, S. 205. 569 Wopfner, Quellen, 1908, S. 73. 570 ������������������������������������������������������������������������������������������� So andeutungsweise auch Baltl, Ländliche Gerichtsverfassung, 1951, S. 137; etwas relativierend für die Länder Österreich ob und unter der Enns Winkelbauer, Behandlung von Streitigkeiten und von „Injurien“, 1992, S. 137–139. 571 Wopfner, Quellen zur Vorgeschichte des Bauernkriegs, 1908, S. 12; weitere Beispiele bei Schennach, Gerichtskosten, 2003, S. 461–462. 572 Hierzu zuletzt ausführlich Reinle, Bauernfehden, 2003 (zu Tirol und der Fehde des Peter Paßler gegen den Bischof von Brixen 1525 ebd., S. 157–173); allgemein an jüngerer Literatur zudem Patschovsky, Fehde im Recht, 1996 (zur bäuerlichen Fehdeführung, Tirol und Peter Paßler ebd., S. 170–172); Fischer, Rechtscharakter der Fehde, 2000; zu Tirol insbesondere Grass, Cusanus und das Fehdewesen, 1988; Kolb, Ehrgefühl, Fehde und Gerichtsfriede, 1948; Wopfner, Lage Tirols, 1908, S. 174–175; Schennach, Gerichtskosten, 2002, S. 474– 566
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sowohl unparteiische als auch kosteng ünstige Rechtspflege zu sorgen. Trotz aller obrigkeitlichen Verbote indizieren die sich häufenden Klagen und die vielfachen legislativen Regelungsversuche eine Zunahme der (bäuerlichen) Fehden in Tirol im ausgehenden 15. Jahrhundert und im Vorfeld des Bauernkrieges. Bekannt und bezeichnend ist die Feststellung des Tiroler Chronisten Georg Kirchmair, Richter und Amtmann des Neustifter Propstes, im Vorfeld des Bauernkrieges: „Absager sein gar wolfail gewesen die Zeit.“573 Die Zeitgenossen machten hier zwei Ursachen verantwortlich: Viele „Absager“ führten ins Treffen, aufgrund einer tatsächlichen bzw. vermeintlichen Parteilichkeit und Voreingenommenheit des Gerichts oder der Gerichtsherrschaft ihr Recht vorenthalten zu bekommen und nur auf gewaltsamem Weg ihre gerechtfertigten Ansprüche durchsetzen zu können. Als Beispiel hierfür kann die Fehde des Lermooser Niklas Schennach gegen den Richter von Ehrenberg im Jahre 1456 gelten.574 Weniger Begüterte gaben zudem vor, sich trotz prinzipieller Bereitschaft zur friedlichen Streitaustragung schlichtweg aus finanziellen Gründen zum „Absagen“ gezwungen zu sehen, wollten sie nicht ihr Recht von vornherein fahren lassen. Dieser direkt proportionale Zusammenhang zwischen der Höhe der Gerichtskosten und der Anzahl der Absager wurde in den Meraner und Innsbrucker Artikeln des Jahres 1525 treffend auf den Punkt gebracht:575 „Der absager halben ist unnser beger, daz darein gesehen wird und daz man gut ordnung halt, wo ain armer man daz reht nit vermag und doch gut recht hab, auch gern recht nemen und geben wolt, will not sein, daz die herrschafft an denselben ortten im zu recht helff und in costnuß halben nit rechtloß laß, damit werden vil absag und emperung abgestelt.“ Insoweit präsentieren sich die wiederholten Mandate zur Beschränkung der Gerichtskosten auch als Mittel zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit und Ordnung. Überraschenderweise lassen sich nach 1499 für nahezu zwei Jahrzehnte weder Gravamina noch gesetzliche Regelungen nachweisen, die auf eine Begrenzung der Gerichtskosten abzielen. Über die Gründe kann man nur spekulieren. Die Annahme einer Überlieferungslücke erscheint angesichts der insgesamt tendenziell 475; neben Tirol auch den Raum des Hochstifts Trient berücksichtigend Bellabarba, Giustizia ai confini, 1996, S. 272–275. 573 Kirchmair, Denkwürdigkeiten 1519 bis 1553, 1855, S. 418–534, hier S. 466. 574 TLA, Pestarchiv, VIIa, 4 (Urfehde des Niklas Schennach und seiner Helfer nach Beendigung der Fehde). 575 Wopfner, Quellen, 1908, S. 65; vgl. auch den 22. Artikel gemeiner Landschaft zu Salzburg (Franz, Quellen zur Geschichte des Bauernkrieges, 1963, S. 307): „[...] sich der arm gemain Man hoch und seer beclagt, das ain Armer zu khainem Rechten noch rechtlicher Ausfuerung hat khomen mögen, und wer nit Gelt hat, der mag khain Hülf erlangen.“
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guten Quellenlage eher unwahrscheinlich. Dass die Zusammenfassung und Neupublikation einer Reihe früherer Verordnungen, die auf die Limitierung der mit der Rechtsdurchsetzung verbundenen Kosten abzielten, im Anhang der Halsgerichtsordnung temporär erfolgreich war und die Wiederholung der einschlägigen Beschwerden hintan hielt, ist eine mögliche Erklärung. Eine solche Annahme wird dadurch gestützt, dass auch im Gefolge der Tiroler Landesordnung von 1526 für einen längeren Zeitraum keine weiteren normativen Regelungen mehr erfolgten. Schließlich wäre denkbar, dass ab dem beginnenden 16. Jahrhundert schlichtweg andere Materien in den Vordergrund traten, die dringender einer gesetzlichen Regelung zugeführt werden mussten. Hier fällt die Parallelität mit der Gesetzgebung gegen das bäuerliche Fehdewesen auf. Auch in diesem Bereich erging nach dem Erlass der Halsgerichtsordnung von 1499 während der Regierungszeit Maximilians I. nur noch ein Gesetz,576 während diesbezügliche Gravamina nunmehr völlig ausblie ben. Auch die Hinweise auf bäuerliche Fehden verdichten sich erst wieder in den letzten Jahren der maximilianeischen Herrschaft.577 Dies könnte als Indiz dafür gewertet werden, dass in beiden, zumindest aus zeitgenössischer Perspektive in einem gewissen Naheverhältnis stehenden Rechtsbereichen (Fehdeführung und Gerichtskosten) der Regulierungsbedarf als nicht mehr akut angesehen wurde. Dies änderte sich nach dem Tod Maximilians I. Auf dem Januarlandtag 1520 hatten sich neuerlich gemaine stendt undt gesellschafft [...] [wegen] der richter sitzund siglgelt, auch zuelaßgelt, bestetung der gerhabschafften, groß zerungen, schreiberund rednerlohn beschwert. Da nach dem Ableben des Kaisers die sicherheitspolitische Lage im Land ohnehin höchst angespannt war, schien Abhilfe höchst dringlich zu sein. Zu diesem Zweck sollten daher von jedem standt vier und von jedem stüfft zween jetz fürgenomen werden, die sollen sich fürderlichen gegen Botzen verfüegen und noturfften beratschlagen undt in ein ordenlich auszug stellen undt alsdann ein regiment abhörn lassen.578 Ende Februar 1520 wurde als Resultat dieser Bemühungen ein entsprechendes, auf Reduktion der Gerichtskosten abzielendes Mandat erlassen.579 Zu Jahresbeginn 1525 wurden wiederum Anläufe unternommen, dem viel beklagten Ärgernis zu hoher Gerichtskosten Abhilfe zu verschaffen, jedoch auch diesmal ohne durchschlagenden Erfolg.580 Dass das Verlangen nach einer Reduktion der finanziellen Belastung vor Gericht eine im Verlauf des Bauernkrieges regelmäßige, ja mit Vehemenz erhobene Forderung war, wurde bereits erwähnt. Das immer wieder TLA, Kopialbuch Ältere Reihe, Nr. 30, Lit. Cc, fol. 180r–181r, 1509 April 2. TLA, UR I/7147, 1517 März 10; TLA, Kopialbuch Ältere Reihe, Nr. 37, Lit. Ll, fol. 178v– 179v, 1517 April 11; ebd., fol. 178r–178v, 1517 Sept. 11; ebd., fol. 186v–187r, 1517 Okt. 10; Kopialbuch Ältere Reihe, Nr. 38, Lit. Mm, S. 77–78, 1518 Nov. 20; ebd., S. 79–80, 1518 (ohne nähere Datierung); ebd., S. 157–159, 1518 Sept. 21; ebd., S. 176–177, 1518 Dez. 21. 578 TLA, VdL, Bd. 3, fol. 205r. 579 Wiedergabe bei Brandis, Landeshauptleute, 1847/1850, S. 350; vgl. auch Hirn, Tiroler Landtage zur Zeit der großen Bauernbewegung, 1893, S. 106. 580 Hirn, Geschichte der Tiroler Landtage von 1518–1525, 1905, S. 79–80, 94–96. 576 577
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geäußerte Verlangen der ländlichen Gerichte, ihre Richter selbst wählen und absetzen zu dürfen, ist nicht zuletzt mit der (berechtigten) Hoffnung zu erklären, auf diese Weise die Finanzgebarung des Gerichtspersonals kontrollieren und gegebenenfalls Gegenmaßnahmen treffen zu können.581 Als deutlicher Ausdruck des nicht zu unterschätzenden Stellenwerts der Gerichtskostenproblematik im Bauernkrieg kann die 1526 vom Bauernführer Michael Gaismair entworfene Landesordnung gelten.582 Er regelte die Gerichtsbarkeit bezeichnenderweise am Anfang (in den Punkten neun und zehn seiner Landesordnung) und verhältnismäßig ausführlich, wobei er den Wünschen breiter Bevölkerungskreise weitgehend entsprach: freie Richterwahl, wöchentliche Gerichtstagungen, Austragung und Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten ohne weitere Verzögerungen noch am Tag der Klagserhebung und vor allem: „Die richter, gesworn, schreiber, redner und gerichtsdienner söllen in den gerichtshändlen von niemand nicht nehmen, sonder vom land besoldt werden und demnach in jrem cossten alle montag bey der gerichtsstat erscheinen und dem gericht gewertig sein.“583 Die Tiroler Landesordnung von 1526 enthielt zumindest Höchstgrenzen für die mit der Rechtsdurchsetzung verbundenen Kosten; die diesbezüglichen Regelungen wurden in erweiterter Form in die Landesordnungen von 1532 und 1573 übernommen und finden sich dort vornehmlich im zweiten Buch. 1537, 1542 und 1565 wurden den lokalen Obrigkeiten die Titel der Landesordnung, die die Höhe der Gerichtskosten regelten, wiederum eingeschärft bzw. Ergänzungen vorgenommen. Die Anlässe für diese legislativen Maßnahmen lassen sich nicht rekonstruieren.584 Auf das Mandat aus dem Jahr 1565 hin wurden jedenfalls die Stände respektive zunächst der Landeshauptmann tätig. Letzterer mahnte eine umfassende gesetzliche Regelung ein, die von der Regierung zunächst mit Verweis auf die ausreichenden Bestimmungen der Landesordnung für überflüssig erachtet wurde.585 Vielmehr müsse der Landeshauptmann in seinem Zuständigkeitsbe reich für die Implementation der bisherigen Normen Sorge tragen.586 Erst auf dem Landtag des Jahres 1577 brachten die Partikulargravamina der Pustertaler Gerichte über die finanziellen Belastungen durch die Rechtspflege den Stein ins Rollen. In die daraufhin aufgenommenen, sich über mehrere Jahre hinziehenden Beratungen Wopfner, Quellen, 1908, S. 38–39; Macek, Tiroler Bauernkrieg, 1905, S. 208–209. Zur Landesordnung Gaismairs ist – neben den genannten Arbeiten von Politi und Stella – an jüngeren Arbeiten anzuführen: Hoyer, Tiroler Landesordnung des Michael Gaismair, 1996; Schennach, Landesordnung des Michael Gaismair, 1999; Endermann, Michael Gaismairs Tiroler Landesordnung, 2000. 583 Zit. nach der jüngsten Edition bei Stella, Gaismair, 1999, S. 263–270, hier S. 265; in der Edition bei Politi, Statuti impossibili, 1995, S. 339–349, auf S. 340; bei Hollaender, Michael Gaismairs Landesordnung von 1526, 1932, auf S. 427. 584 TLA, BT, Bd. 4, fol. 157, 1537 Sept. 6 (Erwähnung bei Steinegger, Geschichte Tirols von 1528 bis 1539, 1948, S. 22); TLMF, FB 6197, Nr. 20, 1542 März 24 (Parallelüberlieferung in TLA, BT, Bd. 5, fol. 106); TLA, BT 1565, fol. 243, 1565 März 28. 585 Vgl. TLA, CD 1567, fol. 571v–572r, 1567 Sept. 2. 586 Vgl. TLA, CD 1567, fol. 573, 1567 Sept. 4. 581 582
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waren nicht nur die landesfürstlichen Behörden, sondern ebenso der Landeshauptmann, das Adelige Hofrecht sowie die Gerichtsausschüsse eingebunden, zumal die Materie 1582 nochmals in einer Beschwerde aller Stände aufs Tapet gebracht und weiter forciert wurde.587 Damals wurden umfangreiche Erhebungen in die Wege geleitet, um die lokalen Gewohnheiten zu erfassen und die regional unterschiedlichen Problemlagen zu erkennen. Man war sich sehr wohl des Umstandes bewusst, dass derhalben in der furstlichen grafschafft Tirol an allen orten nit ain prauch gehalten588 werde. Lange Zeit war nicht genau geklärt, in welchem Maße neben bzw. subsidiär zu den diesbezüglichen Bestimmungen der Tiroler Landesordnung das Gewohn heitsrecht Platz haben sollte, das sich in der Tat als missbrauchsanfällig erwies.589 Die zwei 1580 und 1582 erlassenen landeseinheitlichen Normenkomplexe hatten dies noch offen gelassen und sich bewusst auf die Vorgabe von Rahmenvorschriften beschränkt, die für lokale Gewohnheiten und Einungen auf Gerichtsebene breiten Raum ließ.590 Erst die 1586 als vorläufiger Abschluss erlassene detaillierte Gerichtskostenordnung, die fortan halbjährlich in jedem Gericht verlesen und neu angeschlagen werden sollte, schrieb im Verhältnis von Landesordnung und Rechtsgewohnheiten das Günstigkeitsprinzip vor.591 Für Gewohnheitsrecht war nur insoweit Platz, als dessen Anwendung für eine Partei kostengünstiger war. Überdies sollten für den Fall, dass die Gebühren in der Landesordnung nicht erschöpfend geregelt wären, Rechtslücken nicht mehr einseitig und unter Hinweis auf das schwer greifbare alte Herkommen durch den Richter, sondern durch Gutachten der Geschworenen gefüllt werden. Weiteren auf dem Landtag des Jahres 1590 vorgebrachten Gravamina über die Gerichtskosten begegnete die Regierung mit dem Hinweis auf das obstruktive Verhalten der Gerichtsherren, durch die die Gerichtskostenordnung mehrernteils schlechtlichen achtgenommen und observiert werde. Dem sollte
Siehe hierzu TLA, LLTA, 1577 (Landtagsbeschwerden der Pustertaler Gerichte); Gutachten der Regierung und der Kammer ebd., 5. Mai und 7. Dez. 1579; ebd., landesfürstliche Resolution vom 10. Febr. 1580; TLA, BT, Bd. 11, fol. 316v–319v, 1582 März 20; TLA, AfD 1582, fol. 379r–380v, 1582 April 3; ebd., fol. 527r–541r, 1582 Juni 4; ebd., fol. 887r–888r, 1582 Okt. 5; TLA, BT, Bd. 11, fol. 328r–328v, 1582 Mai 9; ebd., fol. 344r–345v, 1582 Sept. 1; ebd., fol. 355v–356r, 1582 Sept. 6; ebd., fol. 405, 1583 Febr. 25; ebd., fol. 497v, 1584 Mai 15; ebd., fol. 524, 1584 Aug. 7; ebd., fol. 595v–596r, 1585 April 10; TLA, Ambraser Memorabilien V/46, 1582 Okt. 12. 588 So die Feststellung im Zuge einer Beschwerde des Landgerichts Sonnenburg 1525, zit. nach Steinegger/ Schober, Partikularbeschwerden, 1976, S. 63. 589 So würden sich auch die Richter / da jnen dergleichen unzueläßliche Zerungen und Gerichtscosten / Sitz- und Siglgelt / durch uns oder unser Regierung verwisen oder derwegen von jnen bericht erfordert würdet / auff das alt herkommen und Gerichtsgebreuch ziehen etc. (TLA, BT, Bd. 11, fol. 314v, 1582 Mai 5). 590 TLA, BT, Bd. 11, fol. 201r–202v, 1580 Mai 26; BT, Bd. 11, fol. 314r–315r, 1582 Mai 5. 591 TLA, BT 1586, fol. 717r–721v, 1586 Mai 19 (Parallelüberlieferung in TLMF, FB 6197, Nr. 67). 587
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mit einer verstärkten Kontrolle durch den Kammerprokurator gegengesteuert werden. Neue Normen sah man hingegen als nicht notwendig an.592 Dass die im Jahr 1586 erlassene Ordnung 1607 wiederverlautbart wurde, war nicht auf ständische Beschwerden zurückzuführen, sondern auf eine anonym beim Geheimen Rat eingereichte Schmähschrift, die in satirischer Übersteigerung die finanziellen Missbräuche im Gerichtswesen anprangerte.593 Da dieser Befund im Kern durch die daraufhin durchgeführten Erhebungen des Kammerprokurators und der Regierung bestätigt worden war, sah Maximilian III. die neuerliche Publikation der Gerichtskostenordnung als adäquate Reaktion an. Hingegen wurden die ab 1613 neuerlich intensivierten Beratungen wiederum von ständischen Gravamina initiiert, die auf dem Landtag 1613 ventiliert worden waren.594 In die daraufhin einsetzenden, sich über vier Jahre hinziehenden Diskussionen waren wie schon zuvor neben Regierung und Kammer der Landeshauptmann und der ständische Ausschuss eingebunden.595 Am Ende stand diesmal die Erkenntnis, dass sich eine landesweit einheitliche Gerichtskostenordnung aufgrund der unterschiedlichen Voraussetzungen in den Gerichten nicht werde bewerkstelligen lassen, weshalb es grundsätzlich bei den Vorschriften der Landesordnung verbleiben sollte. Im Übrigen sollte unter Vermittlung der Regierung bzw. des Landeshauptmanns von den jeweiligen Gerichtsausschüssen und lokalen Obrigkeiten gemeinsam eine specialcorrection auf jedes gericht [...] fürgenomen und verfasst werden.596 Zur Vorbereitung wurde neuerlich eine Enquête über die bisherige Praxis der Gerichtskostenberechnung in den einzelnen Gerichten durchgeführt.597 Die Arbeiten gingen jedoch nur sehr schleppend voran, obwohl die Stände auf dem Landtag von 1620 nochmals auf die Wichtigkeit des Vorhabens aufmerksam machten und auch Leopold V. diese Sichtweise teilte.598 Offensichtlich war die Vgl. TLA, LLTA, Fasz. 10, Bund 1 und TLA, VdL, Bd. 5, S. 491–502, 1590 Mai 18; TLA, VdL, Bd. 5, S. 578–601, hier S. 581–583, 1594 Febr. 11. 593 Vgl. hierzu TLA, GR, AS, Einlauf in Regimentssachen, 1607 Aug. 17 samt Beilagen. Ferner TLA, AfD 1607, fol. 566r–570v, 1607 April 17; TLA, VfD 1607, fol. 268, 1607 Okt. 8; ebd., fol. 302r–303r, 1607 Juni 27. 594 ������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Brandis, Landeshauptleute, 1847/1850, S. XVII; TLA, LLTA, Fasz. 12, Bund 12, Generalgravamina 1613; ferner ebd., ständische Antwort von 1613 Febr. 7 und ein undatiertes Memorial der Landstände. 595 Vgl. nur TLA, LLTA, Fasz. 12, Bund 2, 1613 Aug. 20 (Gutachten des Landeshauptmanns von Brandis über die ständischen Beschwerden); ebd., 1614 Febr. 2; TLA, AfD 1614, fol. 593v– 619r, hier fol. 593v–594r, 1614 Okt. 23 (Gutachten der Regierung über die Landtagsgravamina); TLA, VfD 1616, fol. 408r, 1616 Mai 16; ebd., fol. 506r, 1616 Juni 3 (Parallelüberlieferung TLA, VdL, Bd. 15, fol. 719r–731v, hier fol. 719r); TLA, BT, Bd. 17, fol. 201v–202r, 1616 Juli 23; ebd., fol. 209v, 1616 Sept. 15; ebd., fol. 222v, 1616 Dez. 23. 596 ������������������������������������������������������������������������������������������� So TLA, BT, Bd. 17, fol. 227, 1617 Jan. 5; vgl. ferner TLA, GR, AS, Einlauf in Regimentssachen, 1617 Jan. 11; ebd., 1617 Nov. 17; TLA, BT, Bd. 17, fol. 231r, 1617 März 2. 597 TLA, BT, Bd. 17, fol. 239v, 1617 April 8; ebd., fol. 256v, 1617 Aug. 14. 598 TLA, LLTA, Fasz. 12, Bund 5, 1620 Aug. 29 (Regierungsgutachten der Regierung über die Gravamina) und ebd., o. D. (nach 1620 Aug. 29), die entsprechende Resolution Leopolds V. 592
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Regierung aufgrund des damit verbundenen Arbeitsanfalls für diese Verzögerung verantwortlich.599 Die Stände urgierten auf Landtagen 1632, 1640, 1643 und 1646 die Fortführung der Bemühungen,600 ohne dass signifikante Fortschritte zu verbuchen waren. Zwar ermahnte die Regierung die Obrigkeiten, in Zusammenwirken mit den Gerichtsausschüssen endlich zu einem ordenlichen sag und tax zu gelangen, darnach sich die lanndtsunnderthanen unnd partheyen inskhonfftig zu regulieren wüssten, unternahm selbst jedoch keine weiteren Anstrengungen. 1646 sagte die Regierung immerhin zu, dass sich die „Deputation in Policeysachen“ vordringlich mit dem Problemfeld der Gerichtskosten beschäftigen sollte. Unter Heranziehung landständischer Vertreter kam man 1653 jedoch nur zum Schluss, neuerlich die Gerichtsausschüsse und Obrigkeiten zur Ausarbeitung lokaler Gerichtskostenordnungen aufzufordern.601 Seitens des Gesetzgebers selbst ergingen nach 1607 nur mehr zwei sehr kurz gehaltene Mandate, in denen die Gerichtsobrigkeiten summarisch angewiesen wurden, die Rechtssuchenden nicht entgegen der Vorschriften der Landesordnung zu belasten.602 Zusammenfassend lässt sich somit festhalten: Die ständischen Gravamina über die hohe finanzielle Belastung bei Inanspruchnahme des Gerichts gaben durchgehend seit dem 15. Jahrhundert den Anstoß für die normative Regulierung der Gerichtskosten, wobei die Interessen der Landschaft und der jeweiligen Landesfürsten weitgehend homogen und auf die Herstellung eines kostengünstigen Zugangs zum Recht gerichtet waren. Divergierende Interessen namentlich des Gerichtspersonals selbst sowie der Gerichtsherren konnten demgegenüber im Gesetzgebungsprozess erst gar nicht formuliert werden. Zu offensichtlich war die Kollision mit dem „gemeinen Nutzen“. Sie erwiesen sich freilich als Hindernis bei der Implementation der auf ständische Initiative und unter intensiver Einbindung ständischer Vertreter zustande gekommenen Normen.
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Vgl. auch den Bericht der Regierung an Leopold V. in TLA, GR, AS, Einlauf in Regimentssachen, 1622 April 26, wonach die Arbeiten aufgrund anderweitiger Arbeitsbelastung keine Fortschritte gemacht hätten. Vgl. auch die Anfragen seitens Leopolds V. in TLA, VfD 1630, fol. 425v–426r, 1630 Sept. 21; ebd., fol. 454, 1630 Nov. 12; ebd., fol. 654v–655r, 1631 Sept. 9; ferner TLA, BT, Bd. 20, fol. 138, 1631 Sept. 22. TLA, VdL, Bd. 12, S. 588–601, hier S. 596, 1632 April 5; in ihrer Stellungnahme zu den Landtagsgravamina des Jahres 1632 verwies die Regierung hinsichtlich der Gerichtskostenproblematik nur auf die bisher gesetzten Schritte (TLA, AfD, fol. 486r–501v, hier fol. 497r, 1633 Mai 4); ferner TLA, AfD 1643, fol. 129r–167r, hier fol. 136v–137v, 1643 März 17; TLA, VdL, Bd. 19, fol. 484v–504r, 1646 April 20 (5. Beschwerdepunkt) sowie TLA, AfD 1646, fol. 302v–312r, hier fol. 308, 1646 Mai 1. Vgl. TLMF, FB 5028, S. 561–735, hier S. 706, 1653 April 24. Vgl. TLA, BT, Bd. 19, fol. 762, 1630 Nov. 14; BT, Bd. 22, fol. 330r–331r, 1645 Aug. 4.
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
5. 3. 4. 5. 2. Waldordnung Wie wenig zielführend selbst das hartnäckigste Vorbringen von Gravamina sein konnte, wenn das ständische Begehren mit landesfürstlichen Interessen kollidierte, zeigen die jahrzehntelangen Diskussionen rund um die „gemeine Waldordnung“ von 1551.603 Inhaltlich wich sie nicht grundlegend von der Vorgängerordnung des Jahres 1502 ab. Ein wesentlicher Unterschied war nun aber die strengere Anwendung in der Praxis, die die Kammer in einer 1568 abgegebenen Stellungnahme selbst einräumte: Dass man von alter her nit an allen ortten unnd ennden im lanndt, sonndern allain bei dem pfannhaus unnd salczsieden, auch den perckhwerchen holcz- unnd waldordnungen gehabt unnd waldmaister gehalten, dergleichen das man nit so ernnstlich unnd strenng ob den holcz- unnd waldordnungen gehalten unnd villeicht mit der straff wie yeczo beschicht fürganngen ist, dasselbig wellen wir nit widersprechen.604 Die verschärfte Strafpraxis führte die Kammer auf die neuen Rahmenbedingungen in der Forstwirtschaft zurück. Zwischenzeitlich sei der Waldbestand deutlich zurückgegangen, wofür nicht nur die Inanspruchnahme durch den Bergbau, sondern vor allem die Waldnutzung durch die Untertanen und die Zunahme der Bevölkerung verantwortlich seien. In früheren Zeiten sei zudem die Landbevölkerung nicht so ungehorsam und widerseczig gewesen; nunmehr wolle der „gemeine Mann“ sein verschwenderisches Leben immer öfter durch den Holzhandel bestreiten. Dass diese obrigkeitliche Darstellung der Ursachen einer – vermeintlichen oder tatsächlichen – Holzknappheit sehr einseitig ist, braucht hier nicht eigens betont werden. Die grundsätzliche Zielsetzung der Waldordnung, eine nachhaltige Bewirtschaftung der Waldbestände zu ermöglichen, wurde zwar von den Landständen unter ausdrücklichem Hinweis auf den Holzbedarf der Bergwerke geteilt. Die Stände wiesen aber auch auf die Widersprüche in der Argumentation des Gesetzgebers hin. Dieser stellte zwar die Behauptung auf, durch eine Beschränkung der Nutzungsrechte der Untertanen an den „gemeinen Wäldern“ deren Bestand sichern zu wollen; die Vollzugspraxis durch die Kammer zeige jedoch deutlich, dass die Zurückdrängung anderer Nutzungsrechte nicht dem Walderhalt, sondern eigennützi gen finanziellen Motiven diene. An Wäldern, deren Fortbestand man durch die legislativen Maßnahmen zu sichern vorgab, wurden gegen Entgelt in großem Umfang Rodungsbewillig ungen für Holzhändler erteilt.605 Die vor allem aus dem veneziani TLA, Hs. 808, 1551 Aug. 17 (Holtz- unnd waldordnung; im Jahr 1736 wurde vermerkt, dass diese Ordnung im Jahr 1555 „renoviert“, d. h. neuerlich erlassen worden sei; die Überlieferung in TLMF, Dip. 1224/I. Teil, fol. 1r–8v, trägt die Bezeichnung Holz- und Waldordnung, ist jedoch undatiert); Oberrauch, Wald und Weidwerk, 1952, S. 124–125. 604 TLA, GaH 1568, fol. 248r–346r, hier fol.283r, 1568 März 17. 605 Vgl. auch Bechina, Landtage, 1944, S. 102–103. 603
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schen Raum stammenden Holzhändler konnten durch den Holzexport enorme Gewinne lukrieren, an denen die Kammer durch die Rodungsbewilligungen entsprechend partizipierte.606 Die Landtagsboten des u. a. besonders betroffenen Pustertals machten ihrem Unwillen deutlich Luft, indem sie auf die mit Händen zu greifende Diskrepanz zwischen der in den Normtexten verbalisierten Rechtfertig ung der landesfürstlichen Regelungsansprüche und der primär auf fiskalische Nutzbarma chung der Wälder ausgerichteten Vollzugspraxis durch die Kammer hinwiesen. Es sei demnach völlig unverständlich, dass die Wälder inen zu hayen gebotten und andern niderzuschlagen vergonnt würden.607 Besonderen Unwillen erregte dabei das Faktum, dass zunehmend auch die Holznutzungs- und Holzbezugsrechte der Bevölkerung an ihren „Heim- und Eigenwäldern“ reguliert und restringiert wurden. Dies nötigt zu einem kleinen Exkurs zu den Rechtsverhältnissen am Wald in der Frühen Neuzeit, die mit der Kategorie „Eigentum“ nicht bzw. nur sehr unzulänglich erfasst werden kann,608 stand doch nicht das Eigentum am Wald im Zentrum der Diskussion. Vielmehr handelte es sich um Streitigkeiten über Nutzungs- und Verfügungsrechte, die je nach betroffenem Wald überaus unterschiedlich ausgestaltet sein konnten.609 Amtswälder (bzw. Salinenwälder) dienten vornehmlich der Befriedigung des Holzbedarfs der Haller Salzpfannen und der Bergwerke. Über sie konnte der Landesfürst ungeachtet allfälliger gnadenhalber eingeräumter, frei widerrufbarer Nutzungsrechte uneingeschränkt verfügen. Umgekehrt waren ihm Ingerenzmöglichkeiten bei nach Lehenrecht vergebenen Lehenwäldern weitgehend verwehrt.610 An den Gemeinde- oder Allmendwäldern hatten die Gemeindegenossen Nutzungsrechte, die im Allgemeinen rechtsgewohnheitlich geregelt waren und häufig in den Weistümern ihren schriftlichen Niederschlag fanden. Daneben gab es noch Eigenwälder der Untertanen, an denen ihnen ausschließliche Nutzungsrechte zukamen (zu dieser Kategorie zählten neben jenen Wäldern im Eigentum von Privatpersonen auch z. B. die im 16. Jahrhundert entstandenen Teilwaldrechte).611 Vermittels des Forst- und Allmendregals beanspruchte der Landesfürst ab dem 15. Jahrhundert auch eine Regelungskompetenz über die beiden letztgenannten Kategorien, was den Widerstand der Betroffenen hervorrief, der sich im Gefolge Hierzu nun rezent Occhi, Boschi e mercanti, 2006; einen Überblick bietet Werunsky, Reichsund Rechtsgeschichte, 1894/1938, S. 975–977. 607 Vgl. schon das Zitat bei Bechina, Landtage, 1944, S. 103, aufgrund von TLA, LLTA, Fasz. 9, Bund 3, Partikularbeschwerden 1555 (vgl. auch TLA, Landschaftliche Landtagsakten, Fasz. 1, Nr. 29). 608 Vgl. nunmehr den ausführlichen Forschungsüberblick bei von Below, Eigentum am Wald, 1998; ferner Johann, Entstehung und Entwicklung des Eigentums am Wald, 1983, S. 43–60. 609 Eine gute Übersicht bietet nunmehr Walcher, Bedeutung des Waldes, 2005, S. 18–23; ferner Wopfner, Almendregal, 1906, S. 34; Werunsky, Reichs- und Rechtsgeschichte, 1894/1938, S. 993–994. 610 Vgl. auch Wopfner, Almendregal, 1906, S. 34. 611 Zu den Teilwaldrechten zuletzt Lang, Aspekte einer Rechtlichen Zeitgeschichte, 2005, bes. S. 197–200. 606
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der Waldordnung von 1551 unter anderem in anhaltenden Landtagsgravamina niederschlug.612 Schon 1555 wurde entschieden moniert, dass es nunmehr schon so weit gekommen sei, dass die Untertanen selbst in ihren eigen „Heimhölzern“ zur Befriedigung ihres Eigenbedarfs (ihrer „Hausnotdurft“) oder zum Weiterverkauf nicht mehr ohne die vorangegangene Bewilligung der Waldmeister schlägern dürften – für deren Erteilung die Waldmeister unverfroren Geld und Geldeswert fordern würden.613 Außerdem versuche die Kammer die Nutzungsrechte der Bevölkerung an den Allmendwäldern massiv zu beschneiden. Bei behaupteten Nutzungsrechten verlange sie die Vorlage von Urkunden, und so die Betroffenen ein guete alte ersessene gewöhr anzogen undt fürglegt, so wirdet dargegen von der camer also baldt auß der waldordnung das regal fürgeworffen. Sie verlange dann, dass die Untertanen ihre Ansprüche auf dem Klagswege geltend machen müssten, wo doch die Beweislast genau umgekehrt verteilt sein müsse. Wenn die camer vermein, einiche billiche gerechtigkeit zue haben, müsse sie Klage erheben und den Ausgang des Prozesses abwarten.614 In ihren Beschwerden wurden die Landtagsboten der Gerichte von den Grundherren und Gerichtsinhabern des südlichen Tirol mit Nachdruck unterstützt, da sich auch diese in ihren Rechten beeinträchtigt sahen. Die Waldmeister würden eine eigene Strafkompetenz beanspruchen und Übertretungen der Waldordnung eigenmächtig abstrafen und damit gleichzeitig die Einkünfte der Gerichtsinhaber schmälern. Insbesondere versuchten Adel und Gerichte, gemeinsam das Argument der Zent ralbehörden zu entkräften, dass erst die Waldordnung von 1551 eine bessere Hegung der Forstbestände gebracht hätte. Genau das Gegenteil sei der Fall: Früher hätten Gemeinden, lokale Obrigkeiten und Grundherren selbst auf die Pflege des Waldes geachtet und Übertreter lokaler Ordnungen gestraft. Die Waldordnung und die Amtsführung der Waldmeister hätten demgegenüber große unordnung gebracht. Wer den Waldmeistern und -hütern mit schankhungen entgegen gehet, der darff niederhawen, waß ihme gefellt, zue höchster beschwer der andern unnderthanen, die solches nit vermögen. Entschieden forderte man daher eine Überarbeitung der Waldordnung unter Beiziehung von landständischen Deputierten. Dieses auf dem Landtag 1555 erstmals aufgestellte Postulat wurde auf späteren Landtagen – teilweise sogar wörtlich (1563, 1567 und 1568)615 – in den Generalgravamina wiederholt und in Partikulargravamina mit Blick auf lokale Zustände spezifiziert, so beispielsweise 1559, 1563, 1567, 1568, 1577, 1590, 1596, 1603, 1605, 1626 ����������������������������������������������������������������������������������� Zu den anderen Handlungsmöglichkeiten der Normadressaten vgl. Schennach, Recht, Gesetz und Nutzungskonkurrenzen, 2006, S. 225–228. 613 Vgl. den ersten Punkt der ständischen Generalgravamina auf dem Landtag 1555 in TLA, LLTA, Fasz. 9, Bund 3. 614 TLA, LLTA, Fasz. 9, Bund 3, Landtag 1555, Generalgravamina. 615 TLA, LLTA, Fasz. 8, Bund 1, Landtag 1563; TLA, VdL, Bd. 5, S. 24–41, hier S. 36–37 (1567); TLA, Landschaftliche Landtagsakten, Fasz. 1, Nr. 30, Parallelüberlieferung in TLA, VdL, Bd. 5, S. 135–151 (1568). 612
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und 1633.616 Dass die Waldordnung nicht etwa ein Klagepunkt untergeordneter Bedeutung war, wird nicht nur durch die Frequenz und Ausführlichkeit der Beschwerden nahegelegt, sondern ebenso durch die Schärfe der geäußerten Kritik indiziert. Betrachten wir als Beispiel die Partikularbeschwerde der drei Herrschaf ten Kitzbühel, Kufstein und Rattenberg, die auf dem Landtag von 1563 deponiert wurde und die sich ausschließlich gegen die Waldordnung richtete.617 Ultimativ wurde in der Beschwerde festgestellt, dass die Landtagsboten der drei Herrschaften keiner Steuerbewilligung zustimmen würden, wenn nicht zuvor die Waldordnung „gemildert“ würde. Wie andere Untertanen stießen sich die Beschwerdeführer an der Beschränkung der Nutzung ihrer „Heimhölzer“, die wir und unnsere vorelter ob mannsgedenckhen unndt lennger in rüebiger nucz und gwer innen und ersessen. Unbill erregte ferner die Bestimmung der Waldordnung, wonach aus den Reihen der Untertanen zwei Holzrüger zu bestimmen waren, die Übertretungen der Waldordnung an die Waldmeister zu melden hatten. Hierdurch, so die Argumentation der drei Städte und Gerichte, würden die Normadressaten den bestellten und dafür bezahlten Waldmeistern ire besoldung verdienen, ganz abgesehen von dem auf diese Weise zwischen den Untertanen provozierten Streit.618 Die Vorstöße blieben erfolglos, die Landesfürsten wiesen in ihren Resolutionen die Beschwerden stets als unbegründet zurück, wobei auf den durch die Waldordnung angestrebten „gemeinen Nutzen“ verwiesen wurde. Die Ordnung sei jedermeniglich undt dem gantzen wesen zu besten gemeint, weshalb es sehr guet seye, daz ob derselben gehalten werde, wie es 1605 beschwichtigend (und durchaus repräsentativ) hieß. Ganz ähnliche Topoi wurden z. B. 1596 und 1633 ins Treffen geführt.619 Be Vgl. neben den soeben angeführten Landtagsakten TLA, LLTA, Fasz. 7, Bund 3, Landtag 1559 und Parallelüberlieferung in TLA, VdL, Bd. 3, S. 603–637, hier S. 618–619; TLA, LLTA, Fasz. 9, Bund 5, Landtag 1577; TLA, VdL, Bd. 5, S. 491–502, hier S. 497, 1590 Mai 18; TLA, VdL, Bd. 6, S. 14–25, hier S. 20, 1596 Aug. 5 (Parallelüberlieferung in TLA, LLTA, Fasz. 10, Bund 2 und TLMF, FB 5028, fol. 412v–430v); TLA, VdL, Bd. 6, S. 213–230, hier S. 224, 1603 Mai 24; ebd., S. 244–271, hier S. 264, 1605 Febr. 10; TLA, LLTA, Fasz. 13, Bund 3, 1626 Okt. 23 (Landtagsresolution Erzherzog Leopolds V. auf die ständischen Gravamina). 617 TLA, LLTA, Fasz. 8, Bund 1, Landtag 1563, fol. 384r–391r. 618 Zu den Holzrügern in Tirol zuletzt Schennach, Recht, Gesetz und Nutzungskonkurrenzen, 2006, S. 209–210; ganz ähnlich war im Übrigen die Vorgangsweise im benachbarten Erzstift Salzburg, wo man zur Implementation der Waldordnungen ebenfalls auf die Mitwirkung der Untertanen rekurrierte, vgl. Sonnlechner/Winiwarter, Verbrauch von Holz, 2002, S. 62; ferner Sonnlechner/Winiwarter, Recht und Verwaltung, 1999, S. 80; Koller, Forstgeschichte des Landes Salzburg, 1975, S. 84; einen Überblick über die Forstgesetzgebung im Erzstift Salzburg bietet die Einleitung zu Pallauf/Putzer (Hg.), Waldordnungen, 2001, hier S. 11–26. 619 So hieß es 1596, der Waldordnung sei als einem hailsamen nutzlichen undt nothwendigen werckh nachzukommen (vgl. TLA, VdL, Bd. 5, S. 578–601, hier S. 599–600, 1594 Febr. 11); 1633 erklärte die Regierung lapidar, die Hegung des Waldes und Restringierung des Holzverbrauchs liege schließlich auch im Interesse der Untertanen (TLA, AfD 1633, fol. 499r–500r, 1633 Mai 4). 616
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hördenintern war hingegen völlig klar, dass die Waldordnung vorrangig der Kammer nützte, deren Einkünfte durch merermelte waldordnung umb ain merckhlichs gepessert werden sollten.620 Dass man durch dieses Beharren auf der unveränderten Weitergeltung der Waldordnung für erhebliche Missstimmung bei Städten und Gerichten sowie beim Adel sorgte, war den Innsbrucker Behörden selbstverständlich bewusst. Als nach Bekanntwerden der Aufstandspläne des ehemaligen Landsknechts Bartholomä Dosser über kurzfristige Maßnahmen zur Beruhigung der Situation beratschlagt wurde, beschlossen Regierung und Kammer bezeichnenderweise unter anderem, dass auch die volcziehung der waldordnung bis zu glegner zeyt eingestelt werde.621 Trotz jahrzehntelanger Beschwerdeführung gelang es der Landschaft somit nicht, wie abschließend resümiert werden kann, dem Landesfürsten hinsichtlich der Waldordnung auch nur ein kleines Entgegenkommen abzuringen. Für Letzteren ging es um finanzielle Ressourcen, auf deren Erschließung er trotz entgegenstehender Interessen der Stände nicht verzichten mochte. In Rechtsbereichen, in denen landesfürstliche Interessen tangiert wurden, war der Landesherr somit sehr wohl zur bewussten Missachtung ständischer Positionen und zum legislativen Alleingang bereit. Hier zeigten sich rasch die begrenzten landständischen Inge renzmöglichkeiten auf die Gesetzgebung im Fall divergierender Interessenlagen. Der kurzfristige Verzicht auf die Implementation der ungeliebten Waldordnung im zeitlichen Umfeld des Dosser’schen Aufstandes von 1562 deutet freilich einen erheblichen Faktor an, der ein Einlenken des Landesfürsten bei ständischen Forderungen bewirken konnte, selbst wenn diese den Eigeninteressen des Herrschers zuwiderliefen: die Angst vor einem Aufstand. Besonders eindringlich wird sich dies beim Zustandekommen der Tiroler Landesordnung von 1526 zeigen. 5. 3. 4. 6. Exkurs: Die Bergsynode als funktionales Äquivalent zum Landtag im Bereich des Bergrechts Die ältere wie rezentere montanhistorische Literatur hebt traditionell die Ausnahmestellung der Bergordnungen innerhalb der gesamten Rechtsordnung hervor.622 Diese kämen unter maßgeblicher Initiative und Beteiligung der betroffenen Schmelzer, Gewerken und Verordneten der Bergleute (der „gemeinen Gesellschaft TLA, AfD 1562, fol. 27r–37r, 1562 Jan. 7. TLA, VksM 1562, fol. 265r–270v, hier fol. 268, 1562 Jan. 4. 622 Hierzu zuletzt Hofmann/Tschan, Schwazer Bergrecht, 2007, bes. S. 17–18; Hofmann/ Tschan, Bergordnungen, 2004, S. 257–267; ferner Ludwig, Bergordnungen, 1985; Schreiber, Bergbau, 1962, S. 475–493; mit Blick auf Tirol Mernik, Codex Maximilianeus, 2005; Mernik, Betrachtungen zu Tiroler Bergordnungen, 2003; Palme, Rechtliche Probleme, 2004, S. 161–175; Palme, Rechtliche und soziale Probleme, 1984; die folgenden Ausführungen finden sich bereits bei Schennach, Aushandeln von Gesetzen, 2007. 620 621
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des Bergwerks“) zustande und seien strikt konsensorientiert.623 Dies geht so weit, dass man in den entsprechenden Ordnungen einen vertraglichen Grundcharakter verorten zu können glaubt624 oder sie gar lieber als „autonome Satzungen“ denn als landesfürstliche Gesetzgebung charakterisieren möchte.625 Dieser Entstehungsprozess wird der übrigen legislativen Tätigkeit gegenübergestellt, die von der freien Verfügbarkeit und Gestaltbarkeit der Rechtsordnung durch die voluntas legislatoria geprägt sei. Schon die bisherigen Ausführungen dürften freilich verdeutlicht haben, dass eine solche dichotome Sichtweise der Realität nicht entspricht. Der Befund des weitgehend konsensualen Erarbeitens der Bergordnungen durch landesfürstliche Räte, Vertreter der Bergbauunternehmer und der im Bergbau Beschäftigten (der „Bergverwandten“626 bzw. der gemeinen Gesellschaft der Bergwerke) ist zwar durchaus korrekt, nicht jedoch der Schluss auf die dadurch gegebene singuläre Stellung des Bergrechts im Rahmen der gesamten Rechtsordnung. Bergrechtliche Normen im Allgemeinen und Bergordnungen im Speziellen gingen zweifellos maßgeblich auf Beschwerden zurück, die Bergunternehmer (Gewerken) und ab dem ausge henden 15. Jahrhundert auch die im Bergbau Beschäftigten vorbrachten. Schon die Bergordnung von 1449 präsentiert sich als „erleitrung und erfindung auf etliche angebrachte mengel und beschwehrnus, so das bergwerck zu schwaz begehrt hat an den ehrnvösten camer rath“.627 Daraufhin wurden zwei Räte und etliche Bergleute beauftragt, die monierten Beschwerden „zu erledigen und zu erleuteren, darauf sie die hernach geschribene erfindung und erläuterung firgenommen und gemacht haben“. Ebenso sind die Bergordnungen von 1474, 1479 und 1485 nachweislich auf zuvor vorgelegte Beschwerdeschriften der Gewerken zurückzuführen.628 1485 scheinen auch Bergleute alleine (ohne Gewerken) als Einbringer von Supplikationen auf.629 Die Bezugnahme auf zugrunde liegende Beschwerden blieb in umfangreicheren bergrechtlichen Normenkomplexen auch in den folgenden Jahren und Jahrzehnten der Regelfall,630 wobei zur Ausarbeitung der Ordnungen von den landesfürstlichen Räten Vertreter der Normadressaten und sachverständige Bergleute ������������������������������������������������������������������������������������������ Vgl. auch Fischer, Gemeine Gesellschaft, 2001, bes. S. 75–83; Mutschlechner, Bergwerksordnung, 1969, S. 294. 624 ���������������������������������������������������������������������������������������� Tschan, Geschichte des Schwazer Bergrechts, 2004, S. 50–52; Mernik, Betrachtungen zu Tiroler Bergordnungen, 2003, S. 152–153. 625 So Hämmerle, Geschichte des Schwazer Bergrechts, 1951, S. 155–156. 626 Vgl. hierzu Schreiber, Bergbau, 1962, S. 496–505. 627 Zit. nach Worms, Schwazer Bergbau, 1904, S. 112. 628 Vgl. Worms, Schwazer Bergbau, 1904, S. 152, S. 162–163 und S. 165. 629 Worms, Schwazer Bergbau, 1904, S. 168: vgl. auch Fischer, Gemeine Gesellschaft, 2001, S. 80–81. 630 ������������������������������������������������������������������������������������ Vgl. z. B. Hofmann/Tschan, Schwazer Bergrecht, 2007, S. 14; Mernik, Codex Maximilianeus, 2005, S. 65–66, 116, 216, 218; ferner z. B. TLA, Hs. 3253, fol. 48v, 1512 Dez. 12; ebd., fol. 59v, 1513 Jan. 20; ebd., fol. 67, 1531 Juni 30; TLA, Hs. 3254, fol. 37v, 1505 Jan. 1; ebd., fol. 40r–44v, 1507 Juni 10; TLA, UR I/7435, 1488 Febr. 12. 623
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anderer Bergwerke beigezogen wurden. Alternativ konnte eine Ordnung nach Erhebungen vor Ort bzw. im Anschluss an einen Augenschein erstellt werden. Nach der Entdeckung neuer Erzvorkommen im Berggericht Kitzbühel wurden 1531 beispielsweise infolge einer Anzeige des dortigen Bergrichters und aufgrund von Bitten der Kitzbüheler Gewerken mehrere räte unnd perckleut dahin verordennt unnd darauf nach gnuegsamer erfarung, bsicht unnd bschaw maß unnd ordnung fürgenomen unnd gegeben [...].631 In maximilianeischer Zeit kam es schließlich in der so genannten Bergsynode zur Institutionalisierung eines Beratungsforums zur Rechtsfindung und -besserung im bergrechtlichen Bereich, das vom Landesfürsten anberaumt wurde und auf dem sich landesfürstliche Räte und Amtsträger im Bergbau, Bergbauunternehmer und Vertreter der „Bergverwandten“ zu Beratungen über die von den Beteiligten vorgebrachten Beschwerden zusammenfanden. Auf dieser Grundlage wurden neue Normen erlassen bzw. der vorhandene Rechtsbestand an die Expansion des Montansektors und die technische Entwicklung in diesem Bereich angepasst, wodurch flexibel auf den entstehenden Regulierungsbedarf reagiert werden konnte. Die erste nachgewiesene Bergsynode fand 1490 statt, weitere folgten 1494, 1496, 1498, 1500, 1501, 1502 (2 Synoden), 1506, 1507, 1510 (2 Synoden), 1512 und 1513.632 Fraglich bleibt, ob dieses Forum erst unter Maximilian I. institutionalisiert wurde – die erste belegte Synode wurde in seinem ersten Herrschaftsjahr abgehalten – oder damals bereits verankert war. Für letztere Option spricht die Narratio der Schwazer Bergordnung von 1474, die von Siegmund erlassen wurde mit „zeitigem rathe unser räthe unsers pergrichters pergmaisters der geschworen, gwerkhen hutherrn schmelzern, den knappen und allen andern, so das pergwerch pawen und darinn verwant, die darumb auf unser erfordern mit gewaltsam zu uns gerant sind“ und dort ihre Beschwerden vorgebracht haben, denen durch die neue Ordnung Abhilfe verschafft werden sollte.633 Für die Annahme, dass diese Zusammenkunft zumindest als Präfiguration einer Bergsynode zu gelten habe und Maximilian I. somit keine gänzlich neue Institution ins Leben rief, sprechen die weitgehende Identität der beteiligten Personenkreise, die Einberufung durch den Landesfürsten und der Umstand, dass zumindest einige der Gesandten Vollmachten der von ihnen Vertretenen vorweisen konnten. Zudem ist in der Zielsetzung der Zusammenkunft, nämlich dem Vorbringen und der gemeinsamen Beratung über aufgetretene Defizite sowie dem Entwurf gegensteuernder Normen eine deutliche Analogie zu den späteren Bergsynoden zu sehen. Fraglich bleibt somit nur, ob sich 1474 ausschließlich Schwazer Bergbautreibende oder Vertreter sämtlicher Tiroler Berggerichte einfanden. TLA, Kopialbuch „Bekennen“ 1541, fol. 221–25r, hier fol. 22r, 1541 Febr. 10. Vgl. die Aufzählung bei Mernik, Codex Maximilianeus, 2005, S. 36, der die von Erich Egg, Kommentarband, 1988, S. 20, gelieferten Angaben ergänzt hat; die Institution der Synoden ist auch erwähnt bei Fischer, Gemeine Gesellschaft, 2001, S. 80–81 (mit Hinweisen auf die ältere Literatur). 633 Worms, Schwazer Bergbau, 1904, S. 152. 631 632
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Mit Blick auf das Bergrecht kam den Bergsynoden eine ähnliche Funktion zu wie den Landtagen hinsichtlich der übrigen Rechtsordnung. Es handelte sich um ein Forum, auf dem Beschwerden deponiert wurden und auf dem Räte, Amtsträger, Bergbauunternehmer und Vertreter der „Bergverwandten“ über rechtliche Maßnahmen berieten. Im Vergleich zu den Landtagen kam der Initiierung und Vorbereitung von Rechtssetzungsakten auf Bergsynoden eine noch bei weitem größere Bedeutung zu. Während dies nur eine von mehreren Aufgaben der Landtage war – die zentrale zumindest aus landesfürstlicher Sicht war zweifellos die Steuerbewilligung –, standen die Verhandlung über die vorgebrachten Beschwerden und die entsprechende Anpassung der Bergrechtsordnung bei Bergsynoden im Vordergrund. Bezeichnenderweise hielt man im Jahr 1556 eine neuerliche Bergsynode für überflüssig, da sich das Bergrecht als „gut und verlesslich“ erwiesen habe und daher derzeit nicht zu verbessern sei (wobei die letzte Bergsynode damals schon mehr als vier Jahrzehnte zurücklag).634 Die Ähnlichkeit mit einem Landtag bei gleichzeitiger Fokussierung auf das „Aushandeln“ von Rechtsnormen zeigt sich besonders deutlich in der Analyse des Ablaufs einer solchen Synode, wobei als Beispiel jene vom November 1494 herangezogen sei.635 Die Synode einzuberufen lag in der Kompetenz des Landesfürsten. Vorangegangen waren einzelne an den Landesfürsten herangetragene Beschwerden und Supplikationen verschiedener Bergwerke, die dieser seinen Räten und Amtleuten zur Stellungnahme überstellt hatte. Diese waren zum Schluss gekommen, dass die zur Entscheidung anstehenden Fragen der gemainen versamlung fürge halten werden sollten. Am 9. November 1494 erging ein Ladungsschreiben an die Bergrichter von Schwaz, Hall, Gossensass und Imst, am 24. November samt zwei Berggerichtsgeschworenen und den Schmelzern in Innsbruck zu erscheinen. Außerdem sollten sie mit den Gewerken und den „Bergverwandten“ verhandeln, damit sie etlich der treffenlichisten aus inen ausschiessen und auf sölhen tag mit voller gewaltsam, auch mit den ratschlegen, was zu fürderung und aufnemung unnsers perckwerchs fron und wechsl komen und dienen möcht, schicken; so wellen wir mitsambt unnsern räten und andern unnsern perckleuten die sachen gnedigc lich bewegen und ferrer der notdurft nach darinn handlen.636 Nicht nur das Ladungsprozedere, auch die Auswahl von Vertretern und deren Entsendung mit Vollmachten und Beschwerdeartikeln weisen eine starke Ähnlichkeit mit den Abläufen im Vorfeld eines Landtags auf. Die Bergsynode wurde – wie andere Quellen zu erkennen geben – in Anwesenheit höchster landesfürstlicher Beamter abgehalten, wobei 1512 in concreto Landhofmeister, Marschall, Kanzler Bartels/Bingener/Slotta (Hg.), Schwazer Bergbuch, Bd. III, 2006, S. 842. Vgl. zum Folgenden TLA, Maximiliana XII/112, Teil 1, fol. 62–79. 636 TLA, Maximiliana XII/112, Teil 1, fol. 63, 1494 Nov. 8. 634 635
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und Regimentsräte angeführt werden.637 Nach der Eröffnung wurden den Anwesenden jene Punkte vorgelesen, die ursächlich für die Einberufung der Synode waren. Dass die Verhandlungen, in deren weiterem Verlauf die Beschwerden ventiliert werden konnten, ähnlich wie Landtage wiederholt zur Vornahme von Beratungen unterbrochen wurden, darf trotz des Fehlens eindeutiger Quellenbelege aufgrund der komplexen, Konsultationen und Reflexion erfordernden Gegenstände vorausgesetzt werden. Auf der Bergsynode bestand zudem die Möglichkeit, Beschwerden vorzubringen. Diese betrafen entweder ein Bergwerk insgesamt oder wurden von einzelnen Personengruppen (Schmelzern, Gewerken, „Bergverwandten“) vorgetragen. Das Zustandekommen ähnelte dabei jenem der Partikulargravamina auf Landtagen. So gaben die Arbeiter und Knappen des Rattenberger Bergwerks ihren Gesandten zur Bergsynode eine Beschwerdeschrift mit, die auf einer Versammlung im Vorfeld gemeinsam ausgearbeitet worden war.638 Auch inhaltlich weisen die lancierten Bitten starke Parallelen zu Partikulargravamina auf. Die Rattenberger baten beispielsweise um eine Kompetenzabgrenzung zwischen Berg- und Landrichter, da sie bisher oft von beden richtern gestrafft worden sind, um den Erlass einer Bäcker- und Müller ordnung, um die Vereinheitlichung von Maßen und Gewichten oder um Beibehaltung des Gerichtsstands beim Berggericht auch bei Klagen über im Landgericht gelegenen Grundbesitz. Am Ende einer Bergsynode stand kein gemeinsamer „Abschied“, sondern eine von Maximilian I. erlassene Ordnung, die in ihrer Narratio auf die vorangegangene Beratung durch die Synode verwies. 1501 heißt es beispielsweise: Aufgrund von etlich irrungen, menngl und gebrechen im Schwazer Bergbau sei in Innsbruck ain sinodum und versamblung von den treffennlichisten und verstänndigisten pergkhleuten aus allen pergkhwerchen in unnser grafschafft Tirol gehalten, die solich irrungen, auch menngl und gebrechen notdurfttigclich gehört und erwogen hätten und mit deren Rat die Ordnung erlassen werde.639 Diese weist zudem ein Spezifikum auf, führt sie doch am Ende der Dispositio, einer Zeugenreihe vergleichbar, die 46 am Zustandekommen beteiligten Personen an: Und seind das unnser räte und perkhleuth, so mitsambt unns [Maximilian I.] sölich erfindung und ordnung geraten und beschlossen ha ben.640 Anschließend sind 46 Namen genannt, die ihrerseits wichtige Rückschlüsse auf die Zusammensetzung der Synode und ihre Bedeutung zulassen. Zunächst ist (wenig überraschend) zu konstatieren, dass der Kreis der Versammelten deutlich kleiner ist als auf einem Volllandtag. Die Namen der hier versammelten königlichen TLA, Hs. 3253, fol. 56r–59r, hier fol. 56r, 1512 März 10. TLA, Maximiliana XII/112, Teil 2, fol. 170r–170v, hier fol. 170r: Vermerckht die menngl und beswärd, so die gemain geselschafft der erczknappen unnd arwaiter des perckwerchs zu Ratemberg irem ausschuss umb gnediger enntschittung willen an die Römisch Kunigklich Mayestat unnsern allergnedigisten hern fürzupringen bevolhen haben. 639 TLA, Hs. 3254, fol. 31v–32v, hier fol. 31v, 1501 Sept. 3. 640 TLA, Hs. 3254, fol. 31v–32v, hier fol. 32v, 1501 Sept. 3. 637 638
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Räte (u. a. Philipp von Nassau, Heinrich von Hardegg, Paul von Liechtenstein, Zyprian von Sernthein, Florian Waldauf ) zeugen freilich von der großen Bedeutung dieser Synode, desgleichen die anwesenden Gewerken (u. a. Tänzl, Stöckl, Lang). In den Augen der Zeitgenossen mag die Synode mithin kaum weniger wichtig als ein Landtag erschienen sein. Das Beispiel der 1501 erlassenen Ordnung führt uns zum nächsten Punkt: Am Ende des Landtags steht der Abschied; ob und inwiefern die darin enthaltenen normativen Bestimmungen in anwendbares Recht transformiert werden und den vorgebrachten Gravamina legislative Maßnahmen folgen, lag im Ermessen des Landesfürsten. Am Ende der Synode steht hingegen unmittelbar die Ordnung; der Spielraum Maximilians, dort konsensual Beschlossenes nicht umzusetzen, war dementsprechend gering. Dennoch bleibt als Befund, dass die Rechtssetzung im Einvernehmen mit den Normadressaten, wie sie sich bei Bergordnungen manifestiert, durchaus nicht singulär war, sondern ebenso weite Bereiche der übrigen Rechtsordnung prägte. Supplikationen und Beschwerden – unabhängig davon, ob Letztere auf einer Bergsynode vorgetragen oder auf einem Landtag deponiert wurden – beeinflussten hier wie dort die Gesetzgebung in erheblichem Maße. Jedenfalls inadäquat ist eine dichotome Gegenüberstellung der einvernehmlich geschaffenen Bergordnung mit der vermeintlich von landesfürstlichen Alleingängen geprägten Gesetzgebung in anderen Rechtsbereichen. Insofern erübrigen sich zudem Erklärungsansätze über die Ursachen für diese nur scheinbaren Partikularitäten im bergrechtlichen Bereich. Rudolf Palme sah diese in „den technischen Fähigkeiten der Bergleute, die sie zu einer Art Geheimnisträger machten“641, Peter Fischer betrachtete das scheinbar singuläre konsensual ausgerichtete Zustandekommen bergrechtlicher Normen als „ein Ergebnis der besonderen finanzpolitischen Relevanz des Montansektors, dessen reibungslosen Betrieb es zu gewährleisten galt.“642 Gerd Hofmann und Wolfgang Tschan machen darauf aufmerksam, dass die finanziell sehr potenten Schmelzer und Gewerken „dem Tiroler Landesfürsten und Regalherrn als in ökonomischer Hinsicht völlig autonome und gleichberechtigte Wirtschaftspartner gegenüberstanden.“643 Auf Bitten und Beschwerden wurde jedoch seitens des Landesfürsten auch in anderen Rechtsbereichen Rücksicht genommen, sofern dem keine eigenen Interessen entgegenstanden. Sachverständige, mit einer bestimmten Materie aufgrund der beruflichen Tätigkeit besonders vertraute Personen zog die Regierung ebenso im Vorfeld anderer Rechtssetzungsakte heran, auch wenn sich das Bergrecht sicherlich durch einen besonders hohen Grad an Spezialisierung und Komplexität von anderen Rechtsmaterien abhob – allein dies darf jedoch nicht
Palme, Rechtliche und soziale Probleme, 1984, S. 113. Fischer, Gemeine Gesellschaft, 2001, S. 82–83. 643 Hofmann/Tschan, Schwazer Bergrecht, 2007, S. 17–18, Zitat S. 18. 641 642
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zum Schluss führen, dass die Regimentsräte alleine völlig überfordert und ohne den Rat der Bergleute hilflos gewesen wären.644 Aufschluss bietet auch hier die „Interessentheorie“ als Maßstab und Motiv für die Einbeziehung der Normadressaten. Welches Interesse hätte Maximilian I. oder ein anderer Habsburger an der Regulierung des Bergrechts ohne Zusammenwirken mit den Betroffenen haben sollen? Schließlich gab es bei allen Beteiligten einen Grundkonsens über das anzustrebende Ordnungsziel, das dem Leitmotiv des zu verwirklichenden „gemeinen Nutzens“ im Bereich der Policeygesetzgebung entsprach.645 Der „gemeine Nutzen“ als Leitvorstellung legislativer Tätigkeit wird in Tirol wie in anderen Territorien in unzähligen Narrationes von Gesetzen beschworen. Natürlich konnten im Vorfeld eines Rechtssetzungsakts durchaus Diskussionen über Inhalt und Definition der Kategorie „gemeiner Nutzen“ entstehen, indem Gruppen ihre Partikularinteressen als mit dem „gemeinen Nutzen“ deckungsgleich verkaufen wollten. Die Leitkategorie des „gemeinen Nutzens“ hat im Bereich der Bergordnungen sein Pendant (die Erwähnung des „gemeinen Nutzens“ findet sich hier nur ausnahmsweise646): Regelmäßig stößt man auf Formulierungen wie zu fürdrung nucz und aufnemen unnser fron und wechsel, auch gemains pergkhwerchs, wie es 1501 heißt.647 Eine ganz ähnliche Formulierung begegnet uns vier Jahre später, als eine Ordnung zu guet und aufnehmung unnser pergkhwerch zu Schwacz und zu fürdrung unnser fron und wechsl erlassen wurde.648 Schon die erste maximilia neische Bergordnung für Schwaz aus dem Jahr 1490 sagt in der Narratio, sie diene „zu furderung unnserer fron unnd wechsel und zu fromen und nuz gemains pergkh werchs“649. „Förderung von Fron und Wechsel“ und „Aufnehmen des Bergwerks“ sind dabei einander bedingende Größen. Sie umschreiben in komprimierter Form �������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. nur die Anweisung Maximilians I. an die oberösterreichische Regierung, der niederösterreichischen Regierung Hilfestellung zu leisten, damit bei den Bergwerken in den niederösterreichischen Ländern pesser recht und ordnung eingeführt werde (TLA, Maximiliana XV/82, 1515 Febr. 12). 645 Zum „gemeinen Nutzen“ als Leitkategorie der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gesetzgebung im Allgemeinen und der Policeygesetzgebung im Besonderen vgl. ausführlich Kap. VI.2.; ferner Blickle, Gemeiner Nutzen, 2001; Blickle, Kommunalismus, Bd. 1, 2000, S. 98–106; Hibst, Utilitas publica, 1992; Merk, Gedanke des gemeinen Besten, 1934; Schlosser, Rechtsgewalt und Rechtsbildung im ausgehenden Mittelalter, 1983, S. 45–46; Härter, Policeygesetzgebung und Devianz, 2002, S. 80; Blickle, „Coniuratio“, 2003, S. 347, 354; Härter, Fastnachtslustbarkeiten, 1997/1998, S. 65; Bulst, Problem, 1988, S. 41–43; Maier, Staats- und Verwaltungslehre, 42009, S. 87–88; Axtmann, „Police“ and the formation, 1992, S. 43–44; Willoweit, Gebot und Verbot, 1980, S. 121; Ellrichshausen, Mutterschaft, 1988, S. 30–31; Moraw, Landesordnungen, 1997, S. 197. 646 Eine Erwähnung – bezeichnenderweise im Rahmen der Kontrastierung des zu vermeidenden „Eigennutzes“ mit dem anzustrebenden „gemeinen Nutzen“ – in Mernik, Codex Maximilianeus, 2005, S. 79. 647 TLA, Hs. 3254, fol. 31v–32v, hier fol. 31v, 1501 Sept. 3. 648 TLA, Hs. 3254, fol. 33v–34v, hier fol. 33v, 1505 Jan. 1. 649 Zit. nach Tschan, Geschichte des Schwazer Bergrechts, 2004, S. 44. 644
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die Interessen des Landesfürsten an der Optimierung seiner Einkünfte aus dem Bergbau sowie die Interessen der Bergbauunternehmer und der „Bergverwandten“ am Florieren ihres Wirtschaftssektors.650 Sie erfüllten als unwidersprochene gemeinsame Zielvorstellung denselben Zweck wie sonst der „gemeine Nutzen“ – wobei die Definition, wie dieses Ziel am besten erreicht werden könnte, wohl auch im Einzelnen zwischen Kammer, Schmelzern, Gewerken und der Knappschaft umstritten gewesen sein mag. Die Bergsynoden während der Regierungszeit Maximilians I. sind eine Partikularität. Bei der Bewertung ihrer Bedeutung darf man dennoch nicht vergessen, dass sie rein funktional den Schmelzern, Gewerken und Knappen dieselben Möglichkeiten boten, wie sie die Landstände durch das Ventilieren von Gravamina auf den Landtagen, auf denen die Bergverwandten ja nicht vertreten waren, ohnehin hatten. Hier können die Bergverwandten in einem zumindest rudimentär institutionalisierten Rahmen Mängel aufzeigen, Beschwerden vorbringen und sich an der Ausarbeitung von Normenkomplexen, die diesen wahrgenommenen Defiziten gegensteuern sollen, beteiligen. In vor- und nachmaximilianeischer Zeit waren sie dagegen auf den Supplikationsweg angewiesen, um Mängel zur Kenntnis des Herrschers und seiner Behörden zu bringen und um legislative Adaptionen zu bitten. Auch diese Einwirkungsmöglichkeit auf den Gesetzgebungsprozess war nicht singulär. Es wird noch aufzuzeigen sein, dass Supplikationen – also nicht in einem institutionalisierten Rahmen vorgebrachte Bitten und Beschwerden – auch sonst kumulativ zu Gravamina ein nicht zu unterschätzender Kommunikationskanal zur Initiierung und Weiterentwicklung landesfürstlicher legislativer Tätigkeit wa ren. Dass die Bergsynoden just unter Maximilian I. in dichter Abfolge stattfanden, hängt wohl maßgeblich mit der wirtschaftlichen Dynamik des Bergbaus während seiner Regierungszeit zusammen, der in einem entsprechenden Normierungsbedarf seinen Niederschlag fand. Dabei darf man jedoch nicht übersehen, dass zeitgleich auf den ebenfalls in dichter Abfolge stattfindenden Landtagen eine ähnliche Normierungsdynamik Platz griff, wobei ebenfalls eine ganze Reihe von Ordnungen erund überarbeitet wurden. Bemerkenswert aus rechtshistorischer Sicht bleibt freilich die inhaltliche Ausgestaltung eines Änderungsvorbehalts in einer sich als „Erläuterung“ der Bergordnung von 1490 deklarierenden, im Anschluss an eine Bergsynode erlassenen Ordnung von 1496.651 Darin behält sich Maximilian I. vor, „das zu meren oder zu myndern. Doch wellen wir hierinn weder in ainem noch mer articln kain annderung thuen an gemaine besamblung oder sinodumb aines So auch Tschan, Geschichte des Schwazer Bergrechts, 2004, S. 50. Entsprechend auch die jüngste Feststellung beiHofmann/Tschan, Schwazer Bergrecht, 2007, S. 14: „Besonders bemerkenswert ist die in dieser Erläuterung enthaltene Bestimmung über die Bindung des landesherrlichen Abänderungsrechtes an die Beschlüsse der Bergsynoden.“
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
perkhwerchs, dardurch menigclich auf was gerechtigkhait der paw oder sich sonnst darnach mit seinem rechten oder in annder weg weiss zu richten, als getreulich und ungeverde.“ 652 Jede Modifikation der Bergordnung erfordert demnach ausdrücklich die vorherige Befassung einer Bergsynode. Ein so ausgestalteter Änderungsvorbehalt ist tatsächlich außergewöhnlich. Und dennoch bedarf er zur richtigen Interpretation einer differenzierteren Einordnung. Halten wir uns zunächst vor Augen, dass nicht jede konsensorientierte Aussage wörtlich zu verstehen ist. In den Landtagsabschieden der Jahre 1510 und 1511 sagt Maximilian den Ständen zu (wie im Übrigen fast zeitgleich der bayerische Herzog seinen Ständen), keinen Krieg ohne ihr sonnder wissen und verwilligen anzufangen – zeitgleich machte er während des Venezianer krieges genau das Gegenteil des feierlich Zugesagten. Niemand käme auf die Idee, dass er durch dieses Zugeständnis tatsächlich das ius bellum gerendi aus der Hand gegeben hätte.653 Besser eignet sich freilich ein Vergleich aus dem Bereich der Gesetzgebung. In der Tat knüpften die zuvor besprochenen Änderungsvorbehalte der Landesordnungen von 1526, 1532 und 1573 Änderungen grundsätzlich an den Rat der Stände und forderten somit deren vorherige Anhörung. Dessen ungeachtet konnte der Landesfürst eine Änderung natürlich auch im Alleingang vornehmen. Dies tat er fallweise auch, wie das bereits geschilderte Beispiel Erzherzog Ferdinands II. gezeigt hat. Dabei ging er allerdings das Risiko ein, dass seine Ver handlungsposition bei der nächsten Steuerforderung entsprechend geschwächt würde. Damit ist ein wichtiges Stichwort geliefert: „Verhandlungsposition“. Ein solcher wohlgemerkt äußerst seltener Einschub in einen Änderungsvorbehalt ist vor allem aus der Dynamik von Verhandlungen heraus zu interpretieren. Er ist ein Signal des Entgegenkommens und der Konsensorientierung, die man damit demonstriert. Der Beweggrund, sich zu einem konsensualen Vorgehen bei zukünftigen Veränderungen der Rechtslage bereit zu erklären, wird sogar angedeutet und kann etwas plakativ mit dem Schlagwort „Vertrauensschutz“ wiedergegeben wer den. Angesichts der Höhe der im Bergbau notwendigen Investitionen mussten sich die Bergbauunternehmer darauf verlassen können, dass sich die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Erzabbau nicht unvorhergesehen änderten. Diesen auf der damaligen Bergsynode wohl formulierten Befürchtungen, durch einseitige Änderungen der Rechtslage auf frustrierten Investitionen sitzen zu bleiben, nimmt Maximilian durch den genannten Einschub den Wind aus den Segeln. Es handelt sich somit um eine Absichtserklärung mit Signalwirkung an die Normadressaten, die Frage einer rechtlichen Bindung ist demgegenüber sekundär.
Zit. nach Tschan, Geschichte des Schwazer Bergrechts, 2004, S. 44. Vgl. hierzu Schennach, Quellen, 2004, S. 66.
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6. Die Untertanen
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6. Die Untertanen 6. 1. Annahme von Gesetzen durch die Gerichtsgemeinden? Das bis in die Frühneuzeit regional unterschiedlich gehandhabte Wahlprozedere der Landtagsboten der Gerichte (d. h. ihrer Vertreter auf Landtagen) wurde bereits an anderer Stelle erwähnt.654 Die aus diesem Anlass von der jeweiligen Gerichtsgemeinde (bzw. eines siegelführenden Vertreters) ausgestellten und seit 1453 teilweise überlieferten Urkunden bevollmächtigen die Landtagsboten, statt der sie entsendenden Gerichte auf dem Landtag zu handeln.655 Zugleich sagten die Gerichte zu, die auf den Landtagen getroffenen Entschlüsse mitzutragen und umzusetzen. Man gebe, wie es 1453 schon weitgehend standardisiert formuliert wurde, den Landtagsboten „unser ganze volkumene gebaltsam [...], die sachen, darumb uns der benant u. gn. herr hinaus gevodert hat, mit sein und ander aus seiner Gnaden lantschaft furzunehmen, handlen und wandeln in maß, als ob wie alle gegenburtig da beren und was sy aso [!] furnemen und handeln oder tuen, geloben und verhaissen wir [...] alzeit statt und vest ze haben und ze halten und dawider nicht ze reden noch ze tuen in kainem weg.“656 Neben dieser Vollmacht – die wie im angeführten Fall auf jene Fragen beschränkt werden konnte, die in der Landtagsladung als Verhandlungsgegenstände ausgewiesen worden waren,657 grundsätzlich aber unbeschränkt war – gab es noch die Entsendung von Boten auf „Hinter-sich-bringen“. Hierbei nahmen die Vertreter eines Gerichts zwar an einem Landtag teil, waren jedoch nicht befugt, rechtswirksam für die Gerichtsgemeinde zu handeln. Sämtliche auf dem entsprechenden Landtag gefassten Beschlüsse banden somit das entsprechende Gericht nicht, sondern mussten zuvor noch von der versammelten Gerichtsgemeinde ratifiziert werden. Nach Blickle war die Beschickung von Vertretern auf „Hinter-sich-bringen“
Vgl. Kap. IV.5.1. Zu den Vollmachten bes. Stolz, Landstandschaft, 1934, S. 115–123; kürzer Feller, Il fondo, 2006, S. 83; Blickle, Landschaften, 1973, S. 178; Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 168; Grass, Geschichte der Landstände, 1961, S. 313; Wopfner, Lage Tirols, 1908, S. 118; Jäger, Landständische Verfassung, Bd. II/2, 1885, S. 142; zu Vergleichszwecken instruktiv Fuhrmann, Amtsbeschwerden, 1998, S. 97–105. 656 ������������������������������������������������������������������������������������������ Zit. nach der Edition des Gewaltbriefes des Gerichts Schenna bei Meran für seine Landtagsboten im Jahr 1453 bei Stolz, Landstandschaft, 1934, S. 142. 657 ����������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 168, die dies für das 15. Jahrhundert als Regelfall ausmachen will. 654 655
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
„im 16. Jahrhundert wohl noch die Regel.“658 Zur Untermauerung dieser Behauptung führt er Belege für die Ratifikation von auf Landtagen erarbeiteten Gesetzgebungsakten an, die offensichtlich vor Ort in den Gerichten diskutiert und allenfalls abgelehnt wurden. „Sie zwingen zur Annahme, dass ein Tiroler Landesgesetz ohne Zustimmung eines Gerichtes in dessen Bereich nicht wirksam werden konnte.“659 Hier ist jedoch zu differenzieren und sind die von Blickle herangezogenen Beispiele einer einzelfallspezifischen Betrachtung zu unterziehen.660 Dass die Tiroler Landesordnung in den ehemals bayerischen drei Herrschaften Kufstein, Kitzbühel und Rattenberg nicht eingeführt wurde, sondern dort das Oberbayerische Landrecht in Geltung blieb, erklärt sich eben nicht aus einer fehlenden Ratifikation der Landesordnung durch die betroffenen Städte und Gerichte, wie an anderer Stelle ausführlich darzulegen sein wird.661 Dass die Geltung von Gesetzgebungsakten von ihrer „Annahme“ durch die Gerichtsgemeinden abhängig gemacht wird, bleibt jedenfalls der absolute Ausnahmefall. Dies ist nur ansatzweise im Fall der Hals gerichtsordnung und ausgeprägt bei der Tiroler Landesordnung 1526 festzustellen. Gegen die Annahme, dass die bloße Entsendung auf „Hinter-sich-bringen“ der Regelfall war, spricht das Indiz, dass unter den doch recht zahlreichen erhaltenen Landtagsvollmachten des 15. und beginnenden 16. Jahrhunderts keine aufscheinen, die nicht auch die Landtagsboten zu rechtsverbindlichem Handeln im Namen der Gerichtsgemeinde bevollmächtigt hätten.662 Außerdem hätte eine solche Vorgehensweise, wenn sie nicht die Ausnahme gewesen wäre, die Funktionsfähigkeit und Sinnhaftigkeit eines Landtags in Frage gestellt.663 Die Bestellung von Gesandten auf bloßes „Hinter-sich-bringen“ bleibt folglich, wenn man die wenigen belegten Fälle analysiert, eine exzeptionelle Erscheinung und ist jeweils Ausdruck einer explosiv aufgeladenen politischen Situation. Bezeichnenderweise wurde der auf den Tod
Vgl. Blickle, Landschaften, 1973, S. 178. Vgl. Blickle, Landschaften, 1973, S. 178. 660 So erweist sich gerade das von Blickle als besonders eindrucksvoll bezeichnete Beispiel einer vermeintlichen Ratifikation eines Landtagsbeschlusses vom Jahr 1528 durch das Gericht Villanders (TLA, LLTA, Fasz. 2, fol. 34) als wenig stichhältig. Zwar wird einleitend konstatiert, dass man sich an die vom Gerichtsvertreter auf dem Landtag gemachte Steuerbewilligung gebunden erachtet: In der Folge geht es jedoch nicht um die Ratifikation dieses Beschlusses, sondern um die Frage der Verteilung der Steuerlast auf die einzelnen Gerichte des Viertels an der Etsch, zu dem auch das Gericht Villanders zählte. 661 Vgl. hierzu Kap. VI.5.2.2.1. 662 Vgl. neben den bei Stolz, Landstandschaft, 1934, S. 140–144 edierten v. a. TLA, LLTA, Fasz. 1, fol. 149–165; ergänzend zudem TLA, UR II 8416, 1483 Aug. 20 (Aussteller Bürgermeister, Rat und Gemeinde der Stadt Sterzing), StAM, Urkunde A/I/577, 1511 Okt. 27, oder TLA, Landschaftliches Archiv, Landschaftliche Landtagsakten, Fasz. 2, Nr. 16, 1525 Dez. 1 (Pfaffenhofen). 663 �������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. auch Dillinger, Repräsentation, 2008, S. 498: „Das Hinter-sich-bringen war in den deutschen Vergleichsterritorien unüblich, aber theoretisch möglich.“ 658 659
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Maximilians I. folgende Landtag von vielen Gerichten nur mit auf „Hinter-sichbringen“ abgefertigten Gesandten beschickt: Da ist den gerichten dem alten brauch nach geschriben, daz sy ire gesannten mit voller gwalt auf den lanndtag abferttigen sollen; das ist aber von etlichen nit beschehen, sonder sein vil die gesannten der gerichten on volkomen gewalt erschinen, deßhalben man dest mynnder enntlich besliessen hat mügen.664 Aus diesem Bericht des Regiments an Karl V. von 1520 geht ganz klar hervor, dass die Entsendung von Vertretern mit voller gwalt als Regelfall angesehen wurde. Andernfalls war die Handlungsfähigkeit des Landtags massiv eingeschränkt. Für die Gerichte war eine Beschränkung der Vollmachten ihrer Landtagsboten auf das bloße „Hinter-sich-bringen“ nur sinnvoll, wenn sich in einer bestimmten Situation die allgemeine Entwicklung noch nicht abschätzen ließ. Eine Entsendung von Gesandten auf einen Landtag hielt zwar – im Gegensatz zu einer Obstination durch fehlendes Erscheinen – diesen wichtigen Informationskanal offen, bewahrte dem Gericht bzw. den Gerichten jedoch sämtliche Handlungsoptionen. Musterbeispiel ist der erwähnte Februarlandtag 1519. Die Gerichte waren durch die Berichte ihrer Gesandten auf dem Laufenden, auf welche Maßnahmen sich das Regiment und die Landstände einigten – in concreto vor allem auf die Abstellung zahlreicher bisher wiederholt ventilierter Gravamina im Gegenzug für die Einstellung der verbotenen Übergriffe auf die landesfürstlichen Wildbestände –, ohne hierdurch selbst präjudiziert zu sein. Sie profitierten zwar von den seitens des Regiments gemachten Zusagen, konnten jedoch mit Verweis auf die behauptete Jagdfreiheit weiterhin dem Wild nachstellen, da sie sich auf dem Landtag nicht verbindlich zum Verzicht auf die Jagdausübung bereit erklärt hatten.665 Da somit viele ländliche Gerichte den Landtagsabschied nicht angenommen hatten, musste in der Folge eine Deputation von Regimentsräten und Ständevertretern die einzelnen Gerichte aufsuchen und um Annahme des Abschieds ersuchen. Ein ganz ähnliches Phänomen kann man auf dem im Juni und Juli 1525 in Innsbruck abgehaltenen Landtag beobachten.666 Auch auf diesem Landtag waren die gesanndten von stetten und gerichten allain auf Zit. nach Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007, S. 277. Vgl. zu den Ereignissen zuletzt Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007, S. 123–126 sowie S. 276–285 (Quellenedition); ferner Rebitsch, Kaiser Karl V. als Landesherr, 2004, S. 73–80; Kirchmair, Denkwürdigkeiten, 1855, S. 443–445; ins Neuhochdeutsche übertragen bei Köfler, Land, 1985, S. 414–417; vgl. ferner Egger, Geschichte Tirols, Bd. 2, 1876, S. 80–81 (weitgehend auf Kirchmair beruhende Darstellung); Hirn, Geschichte der Tiroler Landtage, 1905, S. 18–27; Brandis, Geschichte der Landeshauptleute, 1847/1850, S. 510 (Landtag 1519) und 515 (Landtag 1520); Macek, Tiroler Bauernkrieg, 1965, S. 113– 114; Bücking, Gaismair, 1978, S. 37; Sinnacher, Beiträge, Bd. VII, 1830, S. 163–164. 666 Zu diesem Landtag vgl. ausführlich für andere Wopfner, Innsbrucker Landtag, 1900; Macek, Tiroler Bauernkrieg, 1965, S. 221–290. 664 665
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wider-hinder-sich-bringen hieher gefertigt.667 Nach Beendigung des Landtags am 21. Juli 1525 musste Ende Juli eine aus drei landesfürstlichen und drei ständischen Gesandten bestehende Kommission zusammengestellt werden. In deren Instruktion wurden Grund und Ziel ihrer Aufgabe dargelegt.668 So seien zwar auf dem berürten lanndtag zu Ynnsprugg durch unns [Ferdinand I.] und ain ersame lanndtschafft aller sachen halbn, so auf dem gemeltem lanndtag fürgenommen und gehandlt, ain abschid und lanndsordnung, auch ain ordnung der verhüetung halben künftiger emperungen begriffen und beslossen worden [...], welichs alles dann die gesandten von steten und gerichten und pergkwerchen für ire personen wie gemainer stannd vom adl auch angenommen und darumb gedannckht haben; aber dieweil dieselben gesanndten nur auf wider-hinder-sich-bringen abgefertigt gewest, so erfordert die notdurft, solhen abschid, lanndsordnung und ordnung an obberüert und annder stett, gericht und pergkhwerch dicz lannds gelanngen zu lassen, inen die zu eröffnen und weiter davon mit inen hanndlen. Es ist mit Sicherheit kein Zufall, dass just in den Meraner und Innsbrucker Artikeln des bewegten Jahres 1525 gefordert wurde, in Zukunft sämtliche Landtage generell nur noch auf „Wieder-hinter-sich-bringen“ auszuschreiben,669 was Einfluss und Gestaltungsmöglichkeiten der Städte und Gerichte durch die dann stets gegebene Möglichkeit nachträglicher Verhandlungen und Nachbesserungen erheblich vergrößert hätte. Durch ein bloßes Fernbleiben vom Landtag konnte man hingegen die Bindungswirkung der dort getroffenen Entscheidungen – insbesondere wenn es sich um Steuerbewilligungen handelte – nicht umgehen. Dies wurde nur einmal ausdrücklich thematisiert, und zwar auf dem Oktoberlandtag 1491.670 Damals wurde beschlossen, dass alle Ritter, Prälaten und Gerichte, die nicht erschienen seien bzw. keinen Vertreter entsendet hätten, vor das Regiment zu zitieren seien, wo man sie nach der Ursache ihrer Abwesenheit befragen sollte. Im Anschluss solle man sie fragen, ob sie die Beschlüsse des Landtags annehmen wollten. Diese Frage war aber rechtlich unerheblich, denn wo sy des nit enwolten, das sy mit ainer gemainen landt schaft darzue gehalten werden, damit sich nyemand ausziehe und speziell die zugesagte Steuer von allen entrichtet werde.671 So die ausdrückliche Erwähnung in der ständischen Quadruplik (TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/ Julilandtag 1525, hier fol. 87v); dies führt auch schon Wopfner, Innsbrucker Landtag, 1900, S. 97, an. 668 TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 126r–129r, 1525 Juli 29 (Zitat fol. 126r– 126v). 669 Vgl. Wopfner, Quellen, 1908, S. 59. 670 Vgl. zum Folgenden TLA, Landschaftliches Archiv, Landschaftliche Landtagsakten, Fasz. 1, Nr. 7a, 1491 Okt. 21. 671 In der Vorlage statt syntaktisch korrekt sich nyemand ausziehe falsch sy nyemand ausziehe. 667
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6. 2. Untertanen und Obrigkeiten in der „Implementationsarena“ In den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts entwickelte der Politikwissenschaftler Theodore Lowi das „Arenenmodell“, um die Einflussmöglichkeiten von Normadressaten bzw. unterschiedlicher Interessengruppen auf die Ausgestaltung und Handhabung einer Norm zu verdeutlichen.672 Neben der „Gesetzgebungsarena“, d. h. den im Zuge des Gesetzgebungsprozesses selbst von der Planung und Vorbereitung des Gesetzes bis hin zur Publikation gegebenen Möglichkeiten gestaltender Einflussnahme, bietet auch die Rechtsprechungs- bzw. Implementationsarena Chancen, den eigenen Interessen zumindest partiell zum Durchbruch zu verhelfen, indem man einer bestimmten Interpretation respektive Anwendung des Gesetzes Vorschub leistet. Die Niederlage einer Interessengruppe oder auch der Gesamtheit der Normadressaten in der Gesetzgebungsarena heißt somit noch nicht, dass in der Implementationsarena nicht noch Einwirkungsmöglichkeiten bestehen. Diese Vorgänge sind freilich nicht mehr Teil des Gesetzgebungsprozesses. Da sie auf diesen jedoch ihrerseits – zum Beispiel durch supplikationsweise an die Zentralbehörden herangetragene Bitten und Beschwerden (s. u.) – Rückwirkungen zeitigen konnten, seien sie an dieser Stelle zumindest kurz erwähnt, zumal ihnen ein erhebliches Erklärungspotential innewohnt. Gerade die allgemeine Geschichtswissenschaft, aber auch die Rechtsgeschichte haben in den letzten Jahren – teilweise unter Verweis auf Erkenntnisse der Rechtssoziologie – immer wieder auf den prozesshaften Charakter der Normimplementation hingewiesen, der nur sehr eingeschränkt mit plakativen Bewertungen der „Effektivität“ der Gesetze und ihres „Erfolgs“ bzw. „Misserfolgs“ zu greifen ist.673 Ein spätmittelalterliches und frühneuzeitliches Gesetz traf „je nach Materie, auf eine differenzierte Skala der Befindlichkeit der Normadressaten, auf Lauheit und Vergeßlichkeit, aktiven und passiven Widerstand, versteckte oder offene Zustimmung.“674 Ein traditionales Recht fest- oder fortschreibendes Gesetz, ein mit den Ordnungsvorstellungen der Untertanen weitgehend kongruentes Mandat stieß vor Ort auf weniger Widerstand als ein bisherige Rechtsgewohnheiten kassierendes, allenfalls den Interessen der Normadressaten sogar explizit zuwiderlaufendes Gesetz.675 Zudem beruhte der Vollzug zahlreicher Policeygesetze maßgeblich auf Denunziation, d. h. auf Anzeigen von Normübertretungen Vgl. hierzu Voigt, Durchsetzung und Wirkung, 1990, S. 22–23. ������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Kissling, „Gute Policey“ im Berchtesgadener Land, 1999; Landwehr, „Normdurchsetzung“, 2000, bes. S. 154–158; Härter, Sozialdisziplinierung, 1999, bes. S. 367–369; Landwehr, Policey im Alltag, 2000; Landwehr, Policey vor Ort, 2000, bes. S. 59–90; Stolleis, Normdurchsetzung bei Policeyordnungen, 2000; Holenstein, „Gute Policey“ und lokale Gesellschaft, 2003; Holenstein, Kommunikatives Handeln, 2005; Holenstein, Bittgesuche, Gesetze und Verwaltung, 1998; Holenstein, ‚Ordnung‘ und ‚Mißbräuche‘, 1998; Holenstein, Umstände der Normen, 2000; Härter, Policey und Strafjustiz, 2005; Dubach, Policey im Konflikt, 2003. 674 Stolleis, Normdurchsetzung bei Policeyordnungen, 2000, S. 752. 675 Vgl. das instruktive Beispiel bei Iseli, Gute Policey, 2009, S. 108–109. 672 673
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durch die Normadressaten selbst, so dass sich auch aus dieser Perspektive heraus Gestaltungsmöglichkeiten bei der Implementation von Gesetzen eröffneten.676 In diesem Zusammenhang darf man den Blick jedoch auch nicht ausschließlich auf die Normadressaten richten, sondern muss überdies jene Zwänge im Auge haben, denen sich die lokalen Obrigkeiten respektive die Regierung als oberste Verwaltungs- und Justizbehörde selbst ausgesetzt sahen. Die Kontrolle bzw. die Kontrollmöglichkeiten von Richtern, Pflegsverwaltern und Pflegern durch die Zentrale intensivierten sich tendenziell während des gesamten Untersuchungszeitraums. Speziell das Amt des Kammerprokurators und die von ihm durchgeführten Visitationen bedeuteten in dieser Hinsicht einen Quantensprung. Sie ermöglichten erstmals in institutionalisierter Form die unmittelbare und umfassende Überprüfung der Amtsführung der nachgesetzten Obrigkeiten, wobei in dieser Konzeption der Sicherstellung des „korrekten“ Gesetzesvollzugs besondere Bedeutung zugemessen wurde.677 Das heißt freilich nicht, dass die Regierung die vollständige Durchsetzung aller von ihr erlassenen Mandate an der Peripherie erwartete; schließlich war der örtliche Amtsträger nicht nur seitens seiner vorgesetzten Stelle, sondern ebenso seitens der Normadressaten Erwartungshaltungen und Druck ausgesetzt, was sich in Supplikationen (s. u.), passivem oder sogar aktivem Widerstand gegen die Implementation eines Gesetzes niederschlagen konnte. Die lokalen Obrigkeiten befanden sich somit in einer Zwickmühle, die aus dem Eingebettetsein in lokale Gesellschaften und örtliche soziale Netze einerseits und dem Anspruch, als Transmissionsriemen herrscherlicher Ordnungsvorstellungen fungieren zu müssen, resultierte. Dieser zum Teil sehr prekären Situation örtlicher Amtsträger war sich die Regierung selbstverständlich bewusst, wozu noch die beträchtliche Arbeitsbelastung eines Richters kam, der zusätzlich zur Versehung seiner Amtspflichten zumeist noch seinem privaten Broterwerb nachgehen musste. Die Zentralbehörde brachte dies anlässlich der Erörterung der Durchsetzungschancen einer Bettlerordnung auf den Punkt: So ist es doch ainem richter gleichsamb unmüglich, auf obbemelts alles, auch aller orthen und ennden sein acht und notwendige erkhundigung zu haben.678 In zahlreichen Fällen rechnete sie – in Antizipation möglicher Widerstände von Betroffenen oder aufgrund des für eine strenge Handhabung erforderlichen, nicht zu bewältigenden Arbeitsaufwands – von vornherein nicht mit der wörtlichen Befol gung eines Gesetzes bzw. seiner strikten Implementation.679
Vgl. hierzu auch Dubach, Policey im Konflikt, 2003, S. 388; Landwehr, „Denunciatio“, „Rüge“ und „gute Policey“, 2000; Weber, „Anzeige“ und „Denunziation“, 2000, S. 589; Weber, Ständische Disziplinierungsbestrebungen, 1996, S. 355–357; Holenstein, „Gute Policey“ als Institution und Ereignis, 1998, bes. S. 270–273. 677 Vgl. Kap. I.4.2.1.2. 678 TLA, AfD 1603, fol. 1153r–1162v, 1603 Sept. 12. 679 Ein ähnliches Beispiel, dass die Obrigkeit sehr wohl das Verhalten der Normadressaten auf ein Gesetz abschätzen konnte, bringt Kissling, Policey der Nachhaltigkeit, 2003, S. 534. 676
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Mit symbolischer Gesetzgebung hatte dies zunächst allerdings nichts zu tun. Auf Seiten der Regierung pochte man in solchen Fällen nicht auf die lückenlose Befolgung eines Gesetzes, kalkulierte aber im Regelfall gleichwohl eine gewisse Wirkung auf das Verhalten der Normadressaten mit ein. Wenn auch realistischerweise eine vollständige Erreichung des intendierten Ordnungsziels nicht möglich war, so sollte doch zumindest eine Annäherung angestrebt werden. Bei der Erörterung des Zustandekommens der Tiroler Landes- und Policeyordnung von 1573, wo die Protokolle der vorangegangenen Beratungen erhalten sind, wird ausführlich zu zeigen sein, wie zuverlässig die landesfürstlichen Räte gerade bei Policeynormen Implementationschancen abzuschätzen vermochten, wie intensiv bei der Textierung der Bestimmungen auf den Vorgang der Gesetzesdurchsetzung Bedacht genommen wurde.680 Und letslichen, wie solliches alles zu würckhlicher execution zu richten: Diese Frage stand am Schluss eines Reflexionsprozesses über eine allenfalls zu erlassende Policeynorm.681 An dieser Stelle sei zur Exemplifizierung ein anderes konkretes Beispiel herausgegriffen: Angesichts des akuten, sich einer Hungersnot annähernden Lebensmittelmangels zu Beginn der siebziger Jahre des 16. Jahrhunderts plante die Regierung als typische und auf eine lange Tradition zurückblickende wirtschaftspoliceyliche Lenkungsmaßnahme eine Höchstpreisverordnung für Getreideprodukte. Wie vorbereitende Stellungnahmen zu erkennen geben, war man sich der mannigfaltigen Widerstände durch teilweise einflussreiche Interessengruppen durchaus bewusst. Neben den Getreideproduzenten selbst und den Bäckern würden vor allem jene Adeligen, die grundherrschaftliche Abgaben in Naturalien bezögen und von hohen Getreidepreisen profitierten, die Festlegung von Höchstpreisen zu hintertreiben versuchen. Man war sich bewusst, dass die strikte Durchsetzung utopisch war. Dennoch erhoffte man sich eine Wirkung: Unnd ob schon das merangeregt manndat villeicht nit allerdings (welches gleichwol beschwerlich) zu erhalten unnd hanndtzuhaben sein würdet, so ist es doch darzue diennstlich, dass die Getreideverkäufer ihr Produkt wenn auch nicht zum „eigentlich“ gesetzlich vorgeschriebenen Preis, so doch billiger abgeben, als wenn überhaupt keine gesetzliche Regelung bestünde.682 Die juristische Geltung eines Gesetzes blieb von einer solchen Einschätzung seiner Durchsetzbarkeit unberührt. Allerdings verfügte der Gesetzgeber über ein sehr abgestuftes und differenziertes Inventar an Möglichkeiten, um den Obrigkeiten an der Peripherie zu verdeutlichen, welche Bedeutung und welchen Stellenwert er einem bestimmten Rechtssetzungsakt zuschrieb. Alle Gesetze „galten“ gleichermaßen, doch konnte der Grad der ihnen seitens des Gesetzgebers zugeschriebenen Bedeutung erheblich variieren, was auf verschiedenen Wegen Richtern und Pflegern vor Ort vermittelt wurde. Ob ein Einzelgesetzgebungsakt in feierlicher, Respekt heischender äußerer Form oder in simpler, unauffälliger Reskriptform Vgl. Kap. IV.7.5.2. TLA, AfD 1603, fol. 1154v–1155r, 1603 Sept. 12. 682 TLA, AfD 1571, fol. 437r–440r, 1571 Sept. 18. 680 681
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erlassen wurde, ob jedes zur Publikation durch Anschlag bestimmte Gesetz eigenhändig vom Landesfürsten unterschrieben wurde, ob die Kundmachung einmalig, mehrmals oder gar regelmäßig in periodischen Abständen erfolgte, ob über die Art der Vollziehung durch regelmäßige Berichte an die Zentrale Rechenschaft abgelegt werden musste oder nicht – durch diese und andere, dem Gesetzestext immanente Elemente wurde hierarchisch auf derselben Ebene angesiedelten Rechtssetzungsakten unterschiedliche Bedeutung beigemessen. Dieses Konzept der variablen Norm intensität, das den Obrigkeiten deutlich signalisierte, welchen Grad an Engagement sich die Regierung bei einem bestimmten Rechtssetzungsakt erwartete (und von den Obrigkeiten auch in diesem Sinne verstanden wurde), wird an anderer Stelle ausführlich entwickelt werden.683 Aber auch in der Vollzugspraxis konnte die Regierung Schwerpunkte setzen. Indem sie in einem Rechtsbereich wiederholt Anweisungen gab, Erkundigungen einzog, punktuelle oder flächendeckende Kontrollen durchführte – kurz gesagt administrative Ressourcen investierte –, vermochte sie ebenfalls zu verdeutlichen, wo Richter und Pfleger gegen allenfalls wahrnehmbare Implementationswiderstände vorgehen sollten bzw. in welchen Bereichen dies – ungeachtet der juristischen Geltung eines Gesetzes – durch Ausbleiben entsprechender Signale seitens der Zentrale nicht erforderlich war. Wenn die Zentrale einem Einzelgesetzgebungsakt nicht deutlich eine hohe Normintensität zuschrieb, hielten sich die Implementationsbemühungen örtlicher Obrigkeiten nachweislich bis weit in das 17. Jahrhundert hinein in engen Grenzen. Als einigermaßen zuverlässiger Indikator hierfür kann herangezogen werden, ob und in welchem Ausmaß Richter und Pfleger einer ihnen vom Gesetz auferlegten Berichtspflicht über die getroffenen Vollzugsmaßnahmen nachkamen. 1576 wurde beispielsweise ein Mandat betreffend Einhaltung des Fastengebots erlassen, das den Obrigkeiten die Erstattung eines Berichts in Innsbruck zur Pflicht machte. Dieser Verpflichtung kamen von rund 80 betroffenen Amtsträgern nur ganze fünf nach!684 Es bedurfte in den Folgejahren einer massiven Erhöhung der Implementations bemühungen und des Ressourceneinsatzes seitens der Zentrale, um auch nur dieses Gebot, in Innsbruck entsprechende Berichte einzureichen, einigermaßen flächendeckend durchzusetzen.685 Die Schlussfolgerung der Regierung bei ausbleibenden Berichten trotz einer entsprechenden Vorschrift im Gesetzestext selbst war klar und wurde in einem anderen Anlassfall 1585 auf den Punkt gebracht: Hierdurch annders nit zu vermuetten oder zue gedennkchen, weder das sy sollich mandat gleich eben sowol als thails die anndern nachgeseczten obrigkhaiten in windt geschlagen [...] haben mechten.686 Vgl. Kap. VI.4. Vgl. TLA, AfD 1577, fol. 19rv, 1577 Jan. 17. 685 Vgl. exemplarisch TLA, AfD 1580, fol. 1008, 1580 Dez. 31; AfD 1582, fol. 585rv, 1582 Juli 13; AfD 1583, fol. 1010r–1011v, 1583 Dez. 10. 686 AfD 1586, fol. 131v–136v, Zitat fol. 135r, 1586 Febr. 20. 683 684
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Die lokalen Obrigkeiten waren jedoch nicht die Einzigen, die sich unterschiedlich intensivem Druck ausgesetzt sahen respektive bei anderen Rechtsmaterien Freiräume zugestanden bekamen. Auch die Regierung ihrerseits unterlag der Lenkung durch den Landesfürsten (bzw. gegebenenfalls durch den Hofrat bzw. Geheimen Rat), der im Rahmen des Implementationsprozesses in verschiedenem Maß Einfluss nehmen und richtungweisend tätig werden konnte. Innerhalb dieses multipolaren, von vielfältigen, unter Umständen gegensätzlichen Interessen geprägten Spannungs- und Kräftefelds vollzog sich die Implementation eines Gesetzes. Mindestens vier Akteure bzw. Gruppen von Akteuren können dabei ausgemacht werden: der Landesfürst, die Zentralbehörden, die lokalen Obrigkeiten und die Untertanen. Die drei zuletzt angeführten Gruppen von Akteuren sind dabei keine Einheiten, sondern können ihrerseits wieder mehrpolig bzw. inhomogen sein. Regierung und Kammer vertraten keineswegs immer dieselbe Meinung über die zweckmäßigsten Mittel zur Umsetzung legislativer Maßnahmen, auf Ebene der lokalen Obrigkeiten konnten die Interessen eines adeligen Pflegers grundlegend von jenen eines Richters abweichen, der sein Amt nur nebenberuflich versah. Dass die vorhin erwähnte Höchstpreisverordnung für Getreideprodukte von Bäckern wohl anders beurteilt wurde als von Konsumenten, muss ebenfalls nicht betont werden. Es erscheint jedoch unverzichtbar, diese „Implementationsarena“ in die Beurteilung von spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gesetzgebungsakten mit einzubeziehen. Sie wurde nicht nur seitens des Gesetzgebers regelmäßig mitbedacht, sondern entfaltete überdies Rückwirkungen auf den Gesetzgebungsprozess, indem unter Umständen legislative Anpassungen und Nachbesserungen notwendig wurden. Wenn die „Implementationsarena“ im Blick behalten wird, ermöglicht dies zudem erst ein adäquates Verständnis von für den modernen Juristen teilweise irritierenden Phänomenen. Allein mit dem Hinweis, dass Landtage bloß in absoluten Ausnahmefällen nur „Auf-hinter-sich-bringen“ abgehalten wurden und die dort gefassten Beschlüsse daher normalerweise keiner nachträglichen Verhandlungen in den einzelnen Gerichten bedurften, lässt sich die erwähnte, von Blickle formulierte Annahme nicht entkräften, dass „ein Tiroler Landesgesetz ohne Zustimmung eines Gerichtes in dessen Bereich nicht wirksam werden konnte.“687 Vorderhand lassen sich nämlich andere Belege für eine solche These finden. Unter Hinweis auf das alte Herkommen und auf kollidierende Rechtsgewohnheiten bzw. eigene Rechtspositionen ließen so Bürgermeister und Rat der Stadt Kitzbühel mit Blick auf die landesfürstliche Waldordnung im Jahr 1520 verlauten, sy vermainen solcher ordnung ze leben nit schuldig ze sein.688 Auch hier scheint bei oberflächlicher Betrachtung die Erlassung eines Gesetzes an der Zustimmung der Betroffenen zu scheitern, wird doch die Kompetenz des Landesfürsten zur Erlas Vgl. Blickle, Landschaften, 1973, S. 178. TLA, Prozessbuch 1520, fol. 48r–49r, 1520 Mai 14.
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sung von Normen mit dem Verweis auf eigene Rechtspositionen grundsätzlich in Frage gestellt. Das folgende Vermittlungsverfahren der Regierung mündete schließlich in einer Anerkennung der Geltung der Waldordnung durch Kitzbühel – jedoch nur gegen erhebliche Zugeständnisse an die Stadt, mit denen ihren bisherigen Nutzungsrechten an den Wäldern Rechnung getragen wurde.689 Rechtlich geht es somit nicht primär um die Notwendigkeit einer Zustimmung der Betroffenen zu einem bestimmten Gesetzgebungsakt – aus der Sicht der Regierung erlangt das Gesetz mit seiner Kundmachung Geltung –, sondern um die Zulässigkeit eines gesetzlichen Eingriffs in Rechtspositionen der Normadressaten. Es wird in einem anderen Kapitel darzustellen sein, dass derartige Eingriffe nämlich keineswegs ohne weiteres möglich waren, weshalb im angeführten Kitzbüheler Fall der Verhandlungsweg eingeschlagen und schließlich ein für den Landesfürsten und die Stadt Kitzbühel annehmbarer Kompromiss gefunden wurde.690 In den Quellen wird in derartigen Fällen von der „Annahme“ eines kundgemachten Gesetzes durch die Normadressaten gesprochen,691 die jedoch nicht nach Belieben verweigert werden kann. Zulässig ist dies nur im Fall eines behaupteten, nicht gerechtfertigten Eingriffs in bestimmte, rechtsgewohnheitlich oder aufgrund von privilegialer Verleihung abgesicherten Rechtspositionen. Der Erlass eines derartigen, in bestimmte Rechte eingreifenden Gesetzes führte fast immer zu einem „Aushandeln“ von Gesetzen vor Ort, wie ein von Peter Kissling eingehender untersuchtes Fallbeispiel aus dem benachbarten Vorarlberg zeigt, bei dem seitens der landesfürstlichen Obrigkeit freilich auch die Regierung als Akteur auftrat: Eine 1535 erlassene, überaus restriktive und sogar die Holzentnahme zur „Hausnotdurft“ massiv einschränkende Waldordnung für das Montafon stieß auf den erbitterten Widerstand der Normadressaten. Anschließende Verhandlungen zwischen Vertretern des Gerichts und der Regierung in Innsbruck führten zu keinem Ergebnis. Es ist bezeichnend, dass der 1545 aufgezeichnete ‚Landsbrauch‘ des Gerichts Montafon die landesfürstliche Waldordnung vollständig ignorierte und stattdessen demonstrativ an frühere verwillkürte Bestimmungen in Alpordnungen anknüpfte. Genauso hielten es die Untertanen anlässlich der Neuredaktion des ‚Landsbrauchs‘ 1601.692 Insgesamt zeigt sich, dass innerhalb des mehrpoligen Spannungsfeldes zwischen Landesfürst, Zentralbehörden, lokalen Obrigkeiten und Untertanen eine Vielzahl von Konstellationen denkbar sind. Die Entwicklung im Einzelfall hängt nicht nur vom Verhalten der Normadressaten ab, sondern auch von den Intentionen des Gesetzgebers. Die Publikation eines Gesetzes, von dem die Regierung wusste, dass sein Inhalt mit lokalen Rechtsgewohnheiten bzw. mit im alten Herkommen wurzelnden Rechtspositionen kollidieren würde, konnte unterschiedliche Ziele verfolgen. Das Beispiel ist auch erwähnt bei Schennach, Recht, Gesetz und Nutzungskonkurrenzen, 2006, S. 226. 690 Vgl. Kap. VI.1.5. 691 TLA, EuB 1562, fol. 250v–251r, 1562 April 21. 692 Kissling, Policey der Nachhaltigkeit, 2003, S. 532–544. 689
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Die Kundmachung in einem Gericht trotz eines im Vorhinein bekannten Gegensatzes zu Rechtspositionen der Normadressaten konnte sogar ohne jede Implementationsabsicht erfolgen. Man verkündete das Gesetz zwar, das somit formal für das entsprechende Gebiet Geltung erlangte, sah aber bewusst von Umsetzungsversuchen ab. In einem solchen Fall muss es sich nicht um eine „symbolische Gesetzgebung“ handeln; regelmäßig wurde eine solche Vorgehensweise ergriffen, um negative Präjudizwirkungen zu vermeiden. Von vornherein in einem Gericht, allenfalls sogar in mehreren Gerichten, aus diesem Grund auf den Erlass eines Gesetzes zu verzichten, konnte eine nachteilige Vorbildwirkung für andere Gerichte entfalten. Eine solche Vorgangsweise würde nach einer Einschätzung der Regierung nur allzu schnell bekannt, und dann würden gleich anndere auch khomen und ebenmessigs begern thuen.693 Solange man keine Anstalten machte, das betreffende Gesetz auch tatsächlich umzusetzen, rechnete man überdies offensichtlich nicht mit signifikanten Protesten der Betroffenen. Zuweilen lässt sich belegen, dass der Gesetzgeber eine bestimmte gesetzliche Regelung versuchsweise erließ, um die Reaktionen der Normadressaten zu testen; sollte sich dagegen bei der Publikation oder im Verlauf des Implementationsprozesses Unmut artikulieren, war schon im Vorhinein ein Einlenken geplant, das speziell durch Dispensationen im Einzelfall gewährt werden konnte. 1532 wurde beispielsweise behördenintern im Gefolge der Erfahrungen des Bauernkrieges aufgrund des damit verbundenen Sicherheitsrisikos ein generelles Verbot von so genannten „Freischießen“ – d. h. der Kurzweil, Geselligkeit und militärischen Ertüchtigung dienenden Schießwettbewerben – außerhalb von Städten diskutiert. Die Regierung war sich völlig darüber im Klaren, dass speziell die grossen fleckhen als Eppan, Chaltern, Tramynn, Newenmarckht, Läna unnd annder mer stathaffter vermüglicher fleckhen, die sich nit weniger dann die bürger in stetten achten, gegen ein solches Verbot Sturm laufen würden, zumal sie es – nicht ganz zu Unrecht – als Zeichen des Misstrauens seitens der Obrigkeit betrachten würden. Schon in der Vorbereitungsphase wurde daher klar gestellt, dass einschlägigen Beschwerden und Supplikationen durch Dispensationen Rechnung getragen werden sollte. Den Beschwerdeführern respektive Bittstellern sollte stets beschieden werden, dass ihnen die Freischießen ye zu zeitten auf E. Mt. wolgefallen gestattet blieben.694 Die Vorhersagen der Regierung erfüllten sich. Mehrere Dörfer und Märkte beschwerten sich über das Verbot,695 denen auf ihre Supplikation hin Dispensationen erteilt wurden.696 TLA, AfD 1569, fol. 406v–407v, 1569 Juni 14. TLA, AKgM 1532, fol. 38v–39v, 1532 April 27. 695 Dieses findet sich in TLA, BT, Bd. 3, 1531–1534, fol. 99. Trotz der Datierung auf 1532 Jan. 15 dürfte die Publikation erst etwas später erfolgt sein, da das angeführte Gutachten von 1532 April 27 nahe legt, dass es sich um die Diskussion einer geplanten, jedoch noch nicht durchgeführten legistischen Maßnahme handelt. 696 TLA, AkgM 1533, fol. 207r, 1533 Juni 28. 693 694
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
Selbst wenn sich die Regierung bewusst war, dass eine gesetzliche Regelung mit lokalen Rechtsgewohnheiten bzw. Rechtspositionen der Untertanen kollidierte, konnte dennoch eine Publikation veranlasst werden. In der Folge konnte das Gesetz zum Anlass für Verhandlungen der Zentralbehörde mit einem genossenschaftlich organisierten Selbstverwaltungskörper der Untertanen genutzt werden, um das mit dem legislativen Akt angestrebte Regelungsziel wenn nicht vollständig, so zumindest partiell zu erreichen und auf diese Weise zu einer teilweisen Nivellierung der rechtlichen Sonderstellung von bestimmten Gruppen zu gelangen. Gerade im Bereich jagdrechtlicher Normen lässt sich diese Strategie der Regierung mehrmals beobachten, um partikuläre Jagdrechte einiger Gerichte im Oberinntal zu unterminieren.697
6. 3. Supplikationen 6. 3. 1. Definition und Abgrenzung 6. 3. 1. 1. Allgemeines Überheüffen sich die gemaine supplicationes und memorialia solchergestalten, das die maiste rathssessiones auf starckhes nachvolgen der unrüebigen partheyen darmit volbracht werden und andere wichtige Angelegenheiten hintan gestellt werden müssten.698 Mit diesen Worten beklagte sich die oberösterreichische Regierung gegenüber Erzherzogin Claudia de’ Medici im Jahr 1640. Die Klage ist nicht neu. Schon knapp eineinhalb Jahrhunderte früher lässt sich der zunehmende Arbeitsanfall, den die Supplikationen als typisches Massenschriftgut innerhalb eines zunehmend differenzierten Verwaltungsapparates verursachen, deutlich greifen.699 Es ist bezeichnend, dass die Regierungsinstruktion von 1551 ebenso wie sämtliche nachfol genden Instruktionen700 die Behandlung der Supplikationen als einen wesentlichen Tätigkeitsbereich ausdrücklich anführen. Üblicherweise tagte das Regierungskollegium in zwei Senaten, von denen einer die Supplikationen und dergleichen fürfallenden sachen erledigen, der annder yber die grichtlichen und treffenlichen sachen siczen und denselben auswarten sollte.701 Damit stand Tirol nicht allein da. Entgegennahme und Bearbeitung von Supplikationen wurden in den meisten frühneu Vgl. Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007, S. 83–93. Zit. nach Schennach, Supplikationen, 2004, S. 572. 699 Vgl. nur einen Beleg aus dem Jahr 1498 bei Adler, Organisation der Centralverwaltung, 1886, S. 535. 700 ����������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. nur TLA, Hs. 1081, fol. 1r–1v, 1555 Okt. 15; ferner z. B. TLA, Hs. 1076 (unfol., unpag.), 15. Punkt, 1613 Juli 19. 701 Vgl. TLMF, FB 5028, S. 330–362, hier S. 344, 1551 Mai 8. 697 698
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zeitlichen Kanzleiordnungen eigens thematisiert.702 Weder derartige administrative Maßnahmen noch die zunehmende Restringierung des Rechts, Supplikationen einzubringen, konnten freilich den großen Anteil, den die Erledigung von Supplikationen an der gesamten behördlichen Tätigkeit ausmachte, nachhaltig reduzieren. Trotz teilweise abweichender Meinungen703 ist zu betonen, dass nicht nur der Landesfürst persönlich bzw. die landesfürstlichen Behörden Adressaten von Bittund Beschwerdebriefen sein konnten, sondern auch andere Rechts- und Amtsträger wie z. B. Grundherren704 oder Bürgermeister und Stadtrat705. Ihnen stand es ebenfalls frei, im Rahmen ihres eigenen Wirkungsbereichs einer an sie herangetragenen Bitte zu willfahren. Im Fall einer Ablehnung konnte die Supplikation an die nächsthöhere Instanz (Landesfürst, adeliger Stadtherr) gerichtet werden. Schließlich kannte schon die zeitgenössische Terminologie keinen Unterschied zwischen an den Landesherrn gerichteten und sonstigen Bitt- und Beschwerdebriefen; zudem sind trotz gewisser Abweichungen in Anrede, Aufbau und Argumentation hier wie dort die konstitutiven Charakteristika der Textsorte „Supplikation“ gegeben. Freilich werden numerisch an den Landesfürsten und seine Behörden gerichtete Supplikationen überwiegen, zumal die unmittelbare Anrufung des Landesfürsten unter Umgehung der lokalen Obrigkeiten ein häufig festzustellendes Phänomen ist.706 Die vorliegende Arbeit wird sich, da es um die Rekonstruktion der Wechselwirkungen zwischen Supplikationen und (landesfürstlicher) Gesetzgebung geht, auf die an den Landesherren gerichteten Bitt- und Beschwerdebriefe konzentrieren. Supplikationen sind in der vorliegenden Arbeit zwischenzeitlich mehrfach thematisiert worden, unter anderem in Abgrenzung von Landtagsgravamina. In diesem Zusammenhang wurde bereits die Schwierigkeit einer Definition der Supplikation angedeutet, die aus der Affinität zu anderen Quellengattungen und ihrer inhaltlichen Inhomogenität resultiert. Eine grobe Systematisierung der vielfältigen Erscheinungsformen von Supplikationen aus rechtshistorischer Sicht schlug Werner Hülle bereits 1973 vor. Er unterschied zwischen den Rechtssuppliken und den Gnadensuppliken, wobei er zwecks besserer Unterscheidung nur Letztere als „Supplikationen“ bezeichnen möchte. Die Vgl. z. B. Fellner/Kretschmayr, Österreichische Zentralverwaltung, I. Abt., Bd. 1, 1907, S. 139–140; ebd., Bd. 2, 1907, S. 10, 20, 93, 103, 240, 245, 274, 283, 326, 380–381, 426; ferner Neuhaus, „Supplizieren und Wassertrinken sind jedem gestattet“, 2000, S. 489–490. 703 Sengelmann, Zugang, 1965, S. 20; anders zu Recht Fuhrmann/Kümin/Würgler, Supplizierende Gemeinden, 1998, S. 273. 704 �������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. nur z. B. Winkelbauer, Robot und Steuer, 1986, bes. S. 69–72 (mit zwei edierten Suppliken), der eine Flut von Bittbriefen an den Grundherren ausmacht. 705 Vgl. z. B. Stadtrecht und Polizeiordnung von Grieskirchen von 1623, wo die Entgegennahme und Behandlung von Suppliken ausdrücklich behandelt wird: Eberstaller u. a. (Hg.), Ober österreichische Weistümer, III. Teil, 1958, S. 67–68; beispielhaft für den Tiroler Raum die Untersuchung von Garbellotti, Privilegien des Wohnsitzes, 2005. 706 Fuhrmann/Kümin/Würgler, Supplizierende Gemeinden, 1998, S. 312; Blickle, Supplikationen und Demonstrationen, 2000, S. 266. 702
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von ihm als „Supplikationen“ bezeichneten Eingaben erbaten von der Verwaltung einen wie auch immer gearteten „Gunsterweis“, seien jedoch Hülle zufolge „rechtshistorisch unergiebig“707. Demgegenüber würde mit dem Begriff „Rechtssupplik“ „das ungeschriebene, aber dauernd geübte Schutzmittel“ bezeichnet, „das auf ein verletztes oder gefährdetes Rechtsgut des Petenten oder ein ihn belastendes Justizgeschehen (einschließlich der Extrajudizialgeschäfte) bezogen und zumeist dem Landesfürsten als dem Hort des Rechtes zur unmittelbaren Abhilfe unterbreitet wurde“708. Im 17. Jahrhundert habe sich die Supplik schließlich zu einem ordentlichen Rechtsmittel entwickelt.709 Wenngleich die Differenzierung der Gattung „Supplikationen“ in Rechts- und Gnadensuppliken in weiterer Folge von Walter Neuhaus übernommen wurde,710 stieß sie insgesamt auf wenig Gegenliebe, teilweise auf dezidierte Ablehnung.711 Dabei wurde auf die nicht exakte Trennung von Justiz und Verwaltung und die fehlende Unterscheidung in den Quellen selbst hingewiesen. Zudem wurde darauf aufmerksam gemacht, dass von einer mangelnden Ertragsfähigkeit der „Gnadensuppliken“ für die rechtshistorische Forschung keine Rede sein könne. Als typisches Massenschriftgut konnten sie der Zentralstelle Missstände aufzeigen und auf diese Weise normative Regelungen initiieren. Darüber hinaus dienten sie dem Aufzeigen von Implementationsdefiziten bei bestehenden Policeygesetzen und bewirkten so unter Umständen die Adaption bestehender Rechtsnormen.712 Wenngleich der Verfasser selbst an anderer Stelle die Vorbehalte gegen die Unterscheidung zwischen Justiz- und Gnadensuppliken teilte,713 legt eine eingehendere Analyse doch eine Differenzierung zwischen den im Zusammenhang mit einem Gerichtsverfahren eingebrachten und anderen, nicht den Justizbereich betreffen Hülle, Supplikenwesen in Rechtssachen, 1973, S. 194. Hülle, Supplikenwesen in Rechtssachen, 1973, S. 197. 709 Hülle, Supplikenwesen in Rechtssachen, 1973, S. 202. 710 ����������������������������������������������������������������������������������������� Neuhaus, Reichstag und Supplikationsausschuss, 1977, bes. S. 89–98; Neuhaus, Supplikationen als landesgeschichtliche Quelle, 1978, S. 120–122. 711 ���������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. nur äußerst kritisch Blickle, Supplikationen und Demonstrationen, 2000, S. 282; abgeschwächt Würgler, Suppliche e „gravamina“, 1999, S. 518; Würgler, Suppliken und Gravamina, 2005, S. 20; Würgler, Voices, 2001, S. 15; Holenstein, „Gute Policey“ und lokale Gesellschaft, 2003, S. 282, Anm. 178; Härter, Supplikationen in der frühneuzeitlichen Strafjustiz, 2005, S. 245, Anm. 10, sieht die Differenzierung als eine „wenig sinnvolle“ an; ähnlich Härter, Policey und Strafjustiz, 1. Teilbd., 2005, S. 213, Anm. 339. 712 Vgl. an jüngeren Publikationen Dinges, Policeyforschung, 2002, S. 342; Würgler, Voices, 2001; Landwehr, „Normdurchsetzung“, 2000, bes. S. 155–156; Härter, Sozialdisziplinierung durch Strafe, 1999, S. 367; Kümin/Würgler, Petitions, 1997, S. 56–57; Holenstein, Kommunikatives Handeln, 2005, bes. S. 197–208; Holenstein, „Gute Policey“ und lokale Gesellschaft, 2003, 1. Teilbd., S. 282–304; Holenstein, „Ad supplicandum verweisen“, 2005; Landwehr, Policey vor Ort, 2000, S. 59–60; Blickle, Supplikationen und Demonstrationen, 2000, bes. S. 268–273; Schennach, Supplikationen, 2004, S. 581; Fuhrmann/Kümin/Würgler, Supplizierende Gemeinden, 1998, bes. S. 317. 713 Vgl. Schennach, Supplikationen, 2004, S. 573. 707 708
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den Supplikationen nahe (die von Hülle eingeführte Terminologie, nur „Gnadensuppliken“ als „Supplikationen“ zu bezeichnen, erscheint hingegen überflüssig und widerspricht zudem dem zeitgenössischen Sprachgebrauch). Egal in welchem Kontext eine Supplikation eingebracht wurde, stets handelte es sich der ursprünglichen Konzeption nach um das „untertänige“ Bitten eines sich durch einen Missstand beschwert fühlenden Untertanen an den Landesfürsten. Der Bittsteller bittet um einen Gnadenerweis, auf dessen Gewährung er keinen Anspruch hat. Während die Rechtssupplik jedoch in weiterer Folge eine Ausgestaltung und rechtliche Fixierung zu einem Rechtsmittel erfuhr, blieb diese Fortentwicklung bei der Supplikation aus (s. u.). Rückwirkungen auf die Gesetzgebung konnte es in beiden Fällen geben. Die Revisionsordnung von 1573714 reagierte beispielsweise nachweislich auf die Erfahrungen mit dem außerordentlichen Rechtsmittel der Supplikation in Zivilrechtssachen.715 Dass die einem Rechtssuchenden im Zuge der Rechtsdurchsetzung erwachsenden Kosten ein erhebliches Problem darstellten, dem mit legislativen Maßnahmen gegengesteuert werden sollte, konnte die Regierung auch aus den bei ihr anhängigen Prozessen ersehen.716 Von größerer Wichtigkeit für die Gesetzgebung waren freilich die ohne Konnex mit Prozessen eingereichten Supplikationen, auf die daher im Folgenden der Schwerpunkt gelegt sei. Dass die im Zusammenhang mit einem Gerichtsverfahren eingereichten Supplikationen hier im Rahmen eines Exkurses nur kurze Erwähnung finden, liegt zudem daran, dass sie nicht als ein Mittel der intentionalen Einflussnahme der Untertanen auf die legislative Tätigkeit angesehen werden können, um die es in diesem Unterkapitel geht. Charakteristisch ist für die Supplikation – (teilweise) synonym sind die Termini „Anbringen“, „Ansuchen“, „Anliegen“, „Bitte“ („Bittbrief “), „Beschwerde“ („Beschwerdebrief “), „Einbringen“, „(Klag)Zettel“ belegt –, dass mit ihr in untertäniger Form um eine Gnadenbezeugung angesucht wird, auf deren Gewährung der Supplikant kein subjektives Recht hat.717 Jedoch zeigt die Praxis, dass dem Petenten wenigstens de facto ein Recht auf Behandlung seines Gesuchs zukam (allerdings nicht auf eine positive Erledigung); nicht nur, weil die treu sorgende väterliche Fürsorge und Milde ein integraler Bestandteil des spätmittelalterlichen und frühneuzeitli-
���������������������������������������������������������������������������������������� TLA, Hs. 1085, fol. 2v, 1573 März 11; vgl. hierzu die kurze Erwähnung bei Bidermann, Geschichte der landesfürstlichen Behörden, 1866, S. 341, und bei Hirn, Ferdinand II., Bd. 1, 1885, S. 469. 715 Vgl. TLA, VfD 1569, fol. 430r, 1569 Nov. 3. 716 TLA, AfD 1581, fol. 1065v–1068v, 1581 Dez. 12. 717 Siehe z. B. Sengelmann, Zugang, 1965; Hattendorff, Begegnung, 1988, S. 149–150; Pauser, Gravamina und Policey, 1997, S. 18; Würgler, Voices, 2001, S. 14–15; Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 10, Art. „Supplik“ und „Supplikation“, Sp. 1249–1253. Die folgenden Ausführungen sind angelehnt an Schennach, Supplikationen, 2004. 714
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chen Herrscherbildes war.718 Vielmehr lag es aufgrund der positiven Funktionen des Supplikenwesens für den Staat – verwiesen sei an dieser Stelle nur auf die Rolle als Kommunikationskanal zwischen Herrscher und Untertanen, die Kontrolle des Normvollzugs oder die Ventilfunktion der Bitt- und Beschwerdebriefe bei sozialen Spannungen – ebenso im Interesse des Landesfürsten, derartige Anbringen zu erledigen.719 Konstitutiv für eine Supplikation sind also eine entsprechend demütige Formulierung und das Abzielen auf einen Gnadenerweis. Tatsächlich weist die Bitt- und Beschwerdeschrift unabhängig davon, ob eine Einzelperson oder ein Kollektiv bzw. eine Korporation (z. B. Dorf, Stadt, Gericht, Zunft) als Supplikant auftritt, stets eine sehr ähnliche Struktur auf, die sich einerseits aus dem Inhalt, aus der „appellativen Struktur“720, andererseits aus der Determinierung von Formular und Aufbau durch professionelle Schreiber ergab. Diese waren rhetorisch geschult und konnten sich bei der Abfassung an zahlreichen, regelmäßig Suppliken mitbe handelnden Briefstellern und Formularbüchern orientieren.721 Das Grundschema ist fast immer nachzuvollziehen, selbst wenn in concreto einzelne Bestandteile wegfallen oder Übergänge fließend sein können. Der Anrede des Landesfürsten (Titulatio) folgt üblicherweise die Angabe des Grundes, warum man sich zur Behelligung des Landesfürsten verursacht sehe, z. B. aufgrund vorangegangener erfolgloser Versuche bei anderen Stellen, der Schwere der eigenen Notlage oder der Dringlichkeit des Anliegens (Exordium). Im Anschluss folgt die Sachverhaltsdarstellung, verbunden mit der Bitte um Abhilfe (Narratio und Petitio). Den Abschluss der Eingabe bildet die Conclusio, welche Bekundungen der Treue und Demutsformeln oder der Hoffnung auf Behebung der beklagten Missstände enthalten kann. Diese Struktur der Bitten stellt im Fall von „Sammelsuppliken“ (die von einer Personenmehrheit eingereicht werden) das wesentliche Abgrenzungskriterium zu „Beschwerdeartikeln“ dar, wie sie im Verlauf offener, partiell gewaltsamer Konflikte niedergelegt wurden. Zwar werden auch hier Missstände schriftlich festgehalten, doch bittet man nicht mehr um landesfürstliche Gnade, sondern formuliert deutliche Forderungen, wobei für den Fall der Nichterfüllung Konsequenzen in den Raum gestellt oder offen angedroht werden. Derartigen Beschwerdeartikeln konnten durchaus Supplikationen vorausgehen, deren nicht zufriedenstellende Erledigung eine weitere Eskalation des Konflikts nach sich zog.722 Vgl. Müller, Fürstenspiegel, 1985, bes. S. 583–586; vgl. z. B. Lauterbeck, Regentenbuch, 1997 (Nachdruck der Auflage Frankfurt a. M. 1600), 2. Teil, 11. Kapitel, S. 75–79. 719 Vgl. Fuhrmann/Kümin/Würgler, Gemeinden, 1998, S. 301 und 303; Beispiel bei Robi sheaux, Rural society, 1989, S. 195–196. 720 So Schennach, Verhältnis zwischen Tiroler Landbevölkerung und Militär, 2000, S. 47. 721 Vgl. hierzu Nikisch, Brief, 1991, S. 78; eine Übersicht über die vom ausgehenden 15. Jahrhundert bis 1800 erschienenen Briefsteller, die teilweise bereits im Titel auf Vorlagen für Supplikationen verweisen, bei Nikisch, Stilprinzipien, 1969, S. 248–308. Zum Aufbau ferner Schennach, Tiroler Bitt- und Beschwerdebriefe, 1998, S. 9–13. 722 Allgemein Schulze, Widerstand, 1980, S. 95–96. 718
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6. 3. 1. 2. Exkurs: Rechtssupplikationen Bei den im vorigen Kapitel bereits thematisierten Rechtssupplik(ation)en ist wiederum eine Unterscheidung zwischen Straf- und Zivilprozess angebracht. Da im Strafprozess die Appellation von erstinstanzlichen Urteilen ausdrücklich ausgeschlossen war,723 bot die Supplikation dem Verurteilten die letzte Möglichkeit, eine Strafminderung oder eine gänzliche Begnadigung zu erreichen. Der Delinquent bat regelmäßig um einen Gnadenerweis als Ausfluss landesfürstlicher clementia, weshalb in einer Supplikation nur sehr selten die der Strafe zugrunde liegende Tat selbst bestritten oder Verfahrensmängel gerügt wurden. Vielmehr gab sich der Supplikant regelmäßig unter Hinweis auf allfällige, in der Tat bzw. in der Person des Täters gründende Milderungsgründe (wie verminderte Schuldfähigkeit oder berücksichtigenswürdige familiäre Verhältnisse) der Gnade des Herrschers anheim. Eine Supplikation konnte nicht nur vom Malefikanten, sondern auch von ihm nahe stehenden Verwandten eingebracht werden. Daraufhin überprüfte die Regierung, ob die geltend gemachten Milderungsgründe tatsächlich vorlagen. Die Letztentscheidung lag ausschließlich beim Landesfürsten, dem die malleficzstraffen nachzusehen ainig und allain gebürt und der entsprechend sensibel reagierte, wenn sich vereinzelt adelige Gerichtsinhaber oder gar der Landeshauptmann anmaßten, aufgrund von bei ihnen eingebrachten Supplikationen aigens gewalts und ohne vorwissen der landtsfürstlichen herrschaft Strafurteile zu mildern.724 Dem Landesfürsten bot das Supplikationswesen im Strafrechtsbereich die Möglichkeit zu einer gewissen Kontrolle der Spruchtätigkeit der Gerichte. Diese blieb freilich sehr eingeschränkt. Selbst dem Landesherren war es nicht möglich, ein bereits publiziertes Malefizurteil aufzuheben oder eine Strafverschärfung zu verhängen (nur die Option einer Begnadigung bzw. eines Strafnachlasses standen zu Gebote).725 Erst die ab 1562 fallweise eingeführte und in späteren Jahrzehnten generalisierte Pflicht, Strafurteile vor der Verkündung der Regierung zur Konfirmation vorzulegen, schuf hier Abhilfe.726 Dessen ungeachtet boten Supplikationen in ������������������������������������������������������������������������������������� TLO 1526, Buch 1, Teil 2, Tit. 27; TLO 1532 und 1573, Buch 8, Tit. 74; allgemein nunmehr Szidzek, Verbot der Appellation, 2002, der auch dem Appellationsverbot in den einzelnen Territorien breiten Raum einräumt (allgemein S. 86–90, es folgt die Darlegung der Rechtsverhältnisse in ausgewählten Territorien). 724 ���������������������������������������������������������������������������������������� Zitate nach TLA, CD 1638, fol. 200v–201r, 1638 Juni 21; vgl. ferner die allgemeine Feststellung in TLA, AfD 1612, fol. 815r–816v, 1612 Dez. 13, wonach den Gerichtsinhabern die Entscheidung über Supplikationen in Strafrechtssachen nicht zustehe, da sie khain superioritet und hoche obrigkheit zu praetendieren hätten; ein konkreter Fall in TLA, CD 1602, fol. 221, 1602 Dez. 14; zur fehlenden Kompetenz des Landeshauptmanns TLA, VfD 1574, fol. 364v–365r, 1574 Aug. 29; TLA, AfD 1581, fol. 254v–257r, 1581 April 4. 725 Dieser Umstand wird ausdrücklich als Defizit hervorgehoben in TLA, AksM 1562, fol. 112r– 119r, 1562 Jan. 20; vgl. auch schon TLA, VksM 1562, fol. 271r–272v, 1562 Jan. 18. 726 Hierzu mit Quellenangaben Kap. IV.7.6.3.2. Vgl. TLMF, Dip. 913, Teil I, fol. 59r–99r, hier fol. 59, 1695/96 (ohne nähere Datierung; Gutachten der Gerichte an der Etsch); TLA, 723
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Strafsachen dem Fürsten die Möglichkeit, sich den Untertanen gegenüber als mildtätiger Herrscher zu präsentieren. Jüngere, besonders kriminalitätshistorische Studien haben aufgezeigt, wie selbstverständlich und häufig in Strafrechtssachen auf Supplikationen zurückgegriffen wurde und dass das „Aushandeln von Strafen“ eher die Regel als die Ausnahme darstellte.727 Dieser Befund gilt freilich nicht nur für Strafrechtssachen, sondern gleichermaßen für Policeystrafen, die von lokalen Obrigkeiten wegen Verstößen gegen Policeygesetze verhängt worden waren.728 Im Zivilprozess deutet bereits die Tiroler Landesordnung von 1526 die Unterscheidung von Appellation und Supplikation an. In der Tiroler Landesordnung von 1526, Buch 1, Teil 2, Titel 27 wird die Appellation in gewissen Bereichen ausgeschlossen; Titel 32 impliziert freilich, dass diesfalls die Supplikation (Beschwerde) zulässig ist und streicht zugleich den hauptsächlichen Unterschied zur Appellation heraus, nämlich die fehlende aufschiebende Wirkung. Zu diesem Zeitpunkt ist die Supplikation somit schon mehr als die ursprüngliche „zwanglos [...] an den Landesherrn gerichtete[n] Bitte um Korrektur der Entscheidung des ordentlichen Gerichtes“729. Sie hat schon die Entwicklung zum Rechtsmittel durchgemacht. Zu einer Klarstellung, wann die Appellation und wann die Supplikation zulässig ist, kommt jedoch erst die Landesordnung von 1532 und damit übereinstimmend jene von 1573.730 Als Unterschiede werden die fehlende aufschiebende Wirkung der Supplikation – die freilich auf Antrag des Supplikanten zugestanden werden konnte – und nunmehr auch die unterschiedliche Rechtsmittelfrist angeführt (für das Einbringen der Supplikation steht ein halbes Jahr zur Verfügung, während die Appellation sogleich von stund an / nach Eröffnung der Urtail) anzumelden ist. Dass es sich bei der Supplikation um ein Rechtsmittel handelt, dokumentieren auch die Revisionsordnung von 1573 und das Revisionsnormale von 1641. Die Praxis folgte dieser klaren Scheidung von Appellation und Supplikation jedoch nicht. Wie die Regierung 1622 unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Tiroler Landesordnung von 1573, Buch 2, Titel 57 und 60 darlegte, sei tatsächlich noch nie zwischen der Appellation und der Supplikation differenziert worden, sei seitens der Regierung die distinction [...] nach laut obermelter titln schier niemalen attendiert worden, zumal auch die Richter der Unterinstanzen und die Prokuratoren den Unterschied wenig verstanden oder in acht gezogen hätten.731 De facto verhielt es sich so, dass einerseits für die Appellation eine Frist von einem halben Jahr offen stand, andererseits der Supplikation auf Begehren der supplizierenden Partei aufschiebende Wirkung zugesprochen wurde. Da es nach Aussage der Regierung Hs. 1969 (unfol., unpag.), Anm. zu TLO 1573, Buch 8, Tit. 15. Härter, Aushandeln, 2005; Härter, Strafverfahren, 2000. 728 Vgl. Härter, Policey und Strafjustiz, 1. Teilbd., 2005, S. 495–515; Holenstein, Umstände der Normen, 2000, S. 35; Härter, Sozialdisziplinierung durch Strafe, 1999, bes. S. 376–377. 729 Weitzel, Kampf um die Appellation, 1976, S. 287. 730 TLO 1532 und 1573, Buch 2, Tit. 57 und 60. 731 TLA, AfD 1622, fol. 220r–221r, 1622 Juni 30. 727
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schier niemals anderst gehalten worden, plädiert sie für die Beibehaltung der bisherigen Praxis; andernfalls müsse man durch Mandate anordnen, dass man in diesem Punkt in Hinkunft dem Buchstaben der Landesordnung folgen wolle. Leopold V. sah hiervon ab und folgte damit dem Rat der Regierung.732 Während die Revisionsordnung von 1573 der nunmehr als Revision bezeichneten Supplikation nur geringfügige Beschränkungen auferlegte – speziell zu nennen ist die Pflicht des Supplikanten zur Ablegung des Kalumnieneids –,733 kam es unter Erzherzogin Claudia de’ Medici 1641 zu einer massiven Beschränkung der Zulässigkeit der Revision.734 Dass Fragen von erheblicher Tragweite lange Zeit umstritten blieben, sei an dieser Stelle nur angedeutet. Auf die jahrzehntelang zwischen den Landesfürsten und den Landständen geführte Auseinandersetzung über die Zulässigkeit von Supplikationen an die Regierung bzw. den Landesfürsten in Reaktion auf Urteile des Adeligen Hofrechts wird an anderer Stelle eingegangen werden.735 Anlass zu Diskussionen, diesmal jedoch zwischen der Regierung und dem Landesfürsten, gab ferner die Frage nach dem Bestehen eines Rechtszugs außer Landes. Für die Regierung war die Rechtslage klar und schon 1520 deutlich formuliert worden.736 Sie spreche in den oberösterreichischen Landen in Abwesenheit des Landesfürsten loco principis Recht, eine Appellation oder Supplikation sei daher unzulässig. Diesen Standpunkt vertrat sie auch 1532 und 1537 mit aller Deutlichkeit.737 Ferdinand I., so die elaborierte Argumentation der Regierung, sei sich sicherlich bewusst, welhermassen dits lanndt der F. G. Tirol unnder anndern gefreyt und in lanng hergebrachtem prauch ist, das von ainichen urtln, so vor diser regierung ergeen und under ewr Kün. Mt. tittl und secret verferttigt, nit weitter geappelliert noch darvon suppliciert, also das dieselben aus dem lanndt gefüert oder gezogen werden sollten.738 Maximilian I. habe sich daran gehalten, zumal die Etablierung einer weiteren Instanz außer Landes für den Rechtssuchenden beschwerlich wäre. Ausdrücklich berief man sich auf die Landesfreiheit von 1406, wonach kein Prozess außer Lan-
Vgl. die nochmalige Bitte der Regierung in TLA, AfD 1622, fol. 425, 1622 Sept. 6, und die landesfürstliche Zustimmung in TLA, VfD 1623, fol. 425, 1623 Mai 10. 733 ����������������������������������������������������������������������������������������� Zum Kalumnieneid, der den Missbrauch des Rechtsmittels verhindern soll, vgl. Sellert, Geschichte des Kalumnieneids, 2009; der Text des Kalumnieneids in deutscher und italienischer Sprache in TLA, Hs. 1085, fol. 9r, 1573 März 11. 734 TLMF, Dip. 1091, Nr. 187, 1641 Juni 10 (Parallelüberlieferung in TLA, BT, Bd. 21, fol. 469); Erwähnung schon bei Canstein, Lehrbuch, Bd. 1, S. 127. 735 Vgl. Kap. IV.6.3.1.2. 736 TLA, Regierungskopialbuch 1, fol. 64r [1520 Aug.]. 737 TLA, AkgM 1532, fol. 52v, 1532 Mai 25. 738 TLA, AkgM 1537, fol. 183, 1537 Juni 9. 732
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des gezogen werden solle,739 und auf die Tiroler Landesordnung von 1532, Buch 2, Titel 60, der statuiere, dass in Abwesenheit des Landesfürsten an dessen Stelle die Regierung für die Erledigung von Supplikationen zuständig sei. Zwar äußerte Ferdinand I. in seiner Resolution ein gewisses Verständnis für den Standpunkt der Regierung, blieb in der Sache jedoch hart: Zu erhaltung und handthabung unnserer landsfürstlichen macht und hochait müsse er sich die Möglichkeit, an ihn heran getragene Supplikationen zu behandeln, natürlich vorbehalten.740 Nach dem Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) flammten entsprechende Differenzen nochmals auf, wobei diesmal der oberösterreichische Geheime Rat den Part einnahm, den die Regierung 1537 innehatte. Die Revision ging nach 1665 von der Regierung an den Geheimen Rat; da dieser nun in loco principis spreche, sei ein weiteres Rechtsmittel ausgeschlossen. Es sei ein Irrtum, wenn behauptet werde, dass man dagegen noch den recursus ad summum principem zu Wienn nemmen könne, cum tamen de iure non datur appellatio vel revisio a sententia principis.741 Dass sich diese Rechtsansicht ebenso wenig wie 1537 durchsetzte, überrascht nicht.
6. 3. 2. Geschichte „herre wan ich ew in gutem nutz und dinst bin, bit ich ewer genad, daz ir mich iht verderben lat und setzet mich in nutz und in gewer, dar inn ich und mein vodern lang gwesen sein, anders must ich verderben.“742 Mit diesen Worten bat der von seinem Hof vertriebene Ekpreht Smidinger den Landesherren Heinrich von Kärnten-Tirol um Wiedereinsetzung in seine Rechte. Es ist dies im Tiroler Raum wohl die älteste in direkter Rede erhaltene Bitte eines Grundholden an den Landesfürsten. Sie datiert aus dem Jahr 1312. Die damals erfolgte Anlegung eines Steuerregisters nutzten Gemeinden und Einzelpersonen, um Beschwerden vornehmlich gegen Grundherren und landesfürstliche Amtsträger vorzubringen.743 Diese wurden schriftlich festgehalten und, wie man annehmen darf, in der Folge Heinrich von Kärnten-Tirol zur Kenntnis gebracht. Üblicherweise erfolgte damals die schriftliche Fixierung in der dritten Person, auf die unmittelbare Wiedergabe der Rede der Beschwerdeführer wurde nahezu immer verzichtet. Im Fall des Ekpreht Smidinger wurde eine Ausnahme gemacht. Nach der eigentlichen Sachverhaltsdarstellung notierte der Schreiber bei ihm aus nicht näher ersichtlichen Gründen auch den sehr eindringlichen Wortlaut der Bitte. Vgl. die Edition bei Schober, Urkunden, 1990, hier S. 17. TLA, VkgM 1537 Juni 19. 741 ������������������������������������������������������������������������������������������ Vgl. TLMF, Dip. 913, fol. 167r–175v, hier fol. 167 (anonyme Instruktion für einen angehenden Regierungrat, die jedoch Dr. Frölich von Frölichsburg zugeschrieben werden kann). 742 Stolz u. a. Quellen, 1939, S. 51. 743 Stolz u. a., Quellen, 1939, S. 45–87. 739 740
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1312 waren die vorgebrachten Bitten noch ein Nebenprodukt der Anlegung des Steuerregisters gewesen. Anders verhielt es sich offensichtlich 1325, als die Insassen der Gerichte Gufidaun, Villanders und Feldthurns (Südtirol) ihre Beschwerden vorbrachten, wobei als Beschwerdeführer teils ganze Gemeinden, überwiegend aber Einzelpersonen auftraten. Damals wurden die Beschwerden augenscheinlich im landesfürstlichen Auftrag schriftlich fixiert und dem Landesherrn vorgelegt.744 Bittschriften sind kein auf das Spätmittelalter und die Frühe Neuzeit beschränktes Phänomen; Suppliken an den Papst sind seit dem Frühmittelalter belegt und Ausfluss der päpstlicherseits postulierten plenitudo potestatis (ein Großteil des Auslaufs der kurialen Kanzlei ging auf die Initiative von Petenten zurück). Bereits im Hochmittelalter bildete sich in der päpstlichen Kanzlei ein differenzierter Geschäftsgang für die Behandlung von Suppliken heraus, an die hinsichtlich Formular und Inhalt bestimmte Anforderungen gestellt wurden. Eigene päpstliche Supplikenregister sind seit 1342 erhalten, wohingegen nur wenige mittelalterliche Origi nalsuppliken auf uns gekommen sind.745 Anders im weltlichen Bereich; zwar war die Einreichung von Bittschriften auch an weltliche Fürsten „früh üblich“746, doch war das übliche Prozedere der Beschwerdeführung ein mündliches und formloses.747 Dies belegen auch die angeführten Tiroler Beispiele aus den Jahren 1312 und 1325. Für die Ausbildung des Supplikenwesens waren die zunehmende Schriftlichkeit auch an der Peripherie bzw. im ruralen Bereich sowie die Ausdifferenzierung der landesfürstlichen Kanzleien wichtige Voraussetzungen. Außerdem intensivierte sich im ausgehenden Mittelalter und in der Frühneuzeit sukzessive der normative Zugriff der Obrigkeit auf immer mehr Lebensbereiche, womit sich potentielle Anlassfälle für Bitt- und Beschwerdebriefe vermehrten. Die immer komplexer werdende rechtliche Regulierung der Wirtschaft oder der öffentlichen Ordnung zog so eine Zunahme jener Fälle nach sich, in denen Einzelpersonen aus bestimmten Gründen um Dispensationen von der Anwendbarkeit dieser Normen baten. Schon im 15. Jahrhundert erreichte das Phänomen der Supplikationen erhebliche Dimensionen, wurde das „Anlaufen des Hofes“ als etwas Selbstverständliches betrachtet. 1481 befahl Erzherzog Siegmund den lokalen Obrigkeiten, ein rasches und kostengünstiges Arbeiten der Gerichte in ihren Amtsbezirken sicherzustellen, „dadurch die leut nit also an unnsern hof lauffen“.748 Sechs Jahre später wies er Amtleute und Richter neuerlich zur sorgfältigen Führung ihrer Geschäfte an und bediente sich dabei nahezu derselben Worte, jedoch mit dem klärenden Zusatz: „dadurch die leut nit also Stolz u. a., Quellen, 1939, S. 127–139. Frenz, Papsturkunden des Mittelalters und der Neuzeit, 2000, S. 33–35 und 67–68; Herde, Beiträge zum päpstlichen Kanzlei- und Urkundenwesen, 21967, bes. S. 127–128 und 150– 161; Tangel, Kanzleiordnungen von 1200–1500, 1894, Register sub voce „supplicationes“; Frenz, Kanzlei der Päpste, 1986, bes. S. 91–103. 746 Bresslau, Handbuch der Urkundenlehre, Bd. 2, 21915, S. 25–26, Zitat S. 25. 747 Neuhaus, Reichstag, 1977, S. 84–87. 748 TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 3, Lit. B, fol. 28r–28v, 1481 März 14. 744 745
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an unsern hof lauffen mit Suplication. In sachen darinn ir zurichten und zuhandlen habt.“749 In der Tat drang der Fachterminus „Supplikation“ in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in die Rechts- und Verwaltungssprache ein, wo er sich bis um 1800 hielt, um dann durch den Begriff „Petition“ abgelöst zu werden. Die bisher bekannten Erstbelege stammen von 1462 und 1470750, der früheste Nachweis aus dem Gebiet des heutigen Österreich aus dem Erzstift Salzburg bemerkenswerterweise ebenfalls aus dem Jahr 1462.751 Das Tiroler Quellenmaterial kann mit noch früher zu datierenden Erwähnungen von „Supplicanz“ aufwarten, nämlich aus den Jahren 1450 und 1455/1458.752
6. 3. 3. Supplikationen und Gesetzgebung 6. 3. 3. 1. Allgemeines Inhalt eines Bitt- und Beschwerdebriefes konnte jeder Gegenstand staatlichen Handelns im weitesten Sinn sein, damit de facto alle Lebensbereiche.753 Verschiedentlich wurden Versuche unternommen, eine Typologie der Inhalte zu erstellen bzw. diese statistisch auszuwerten.754 Derartige Aufstellungen lassen zwar die breite Streuung der Supplikeninhalte erkennen, sind allerdings schon aufgrund des beschränkten jeweils zugrunde liegenden Quellenkorpus nur punktuelle Befunde, deren Generalisierung sich verbietet. Selbst bei derselben Instanz kann sich der Inhalt der eingereichten Suppliken im Jahresabstand aufgrund äußerer Faktoren wie Abgabenerhöhungen oder Hungersnöten grundlegend verändern. Als Verfasser von Supplikationen konnten sowohl Einzelpersonen als auch Personenmehrheiten auftreten; die Supplikanten kamen aus allen sozialen Schichten, wobei Bitten und Beschwerden des „gemeinen Mannes“ quantitativ sicherlich den größten Teil ausmachten.755 Ein Supplikant musste nicht unmittelbar selbst als Einreicher einer Bitte bzw. Beschwerde aufscheinen, sondern konnte sich auch eines Fürsprechers 751 752
Schmidt, Halsgerichtsordnungen, 1949, S. 114 (1486 Okt. 11). Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 10, 1942, Sp. 1251. Klein, Quellen, 1937, S. 69. Vgl. Chmel, Österreichischer Geschichtsforscher, 2. Bd., 3. Heft, 1842, S. 472–473, hier S. 472 (Bericht der Amtsleute der Saline Hall über eine „Supplicanz“ der Salinenarbeiter); ferner TLA, Sigmundiana VIII/14, 1455/1458 (keine genauere Datierung möglich), Brief von Lienhart Kripp aus Imst an Herzog Siegmund. 753 Vgl. Sengelmann, Zugang, 1965, S. 25–28; Holenstein, Umstände der Normen, 2000, S. 13–15. 754 Siehe z. B. Neuhaus, Supplikationen, 1978, S. 149–157; Holenstein, Bittgesuche, 1998, S. 332– 334. 755 Vgl. Blickle, Beschwerden, 1998, S. 256; Neuhaus, Reichstag, 1977, S. 299; Neuhaus, Supplikationen, 1978, S. 134–135; Ulbricht, Supplikationen, 1996, S. 152. 749 750
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bedienen. Durch dessen Prestige konnten im besten Fall die einer Supplikation seitens des Empfängers zugemessene Bedeutung und folglich auch die Durchsetzungschancen erhöht werden. Ein schönes Beispiel für dieses Prozedere bieten die Proteste der Innsbrucker Wirte bzw. Bäcker im Jahr 1575 gegen kurz zuvor ergangene Einzelgesetzgebungsakte.756 Durch ihre offensichtlich nachdrücklichen Interventionen konnten es die beiden wirtschaftlich potenten Gruppen erreichen, dass der Stadtrat im eigenen Namen eine (wenngleich erfolglose) Supplikation bei der Regierung einbrachte. Wie sehr sich der Stadtrat intern unter Druck gesetzt sah, zeigt seine anschließende Reaktion. Mit Blick auf die vielfältigen Vorstellungen der Bäcker und Wirte beschloss er mit der bezeichnenden Begründung damit aber ain ersamer zuesacz und gmain nit ächten mechte, ain ersamer rat schwig still darzue, sonnder damit sy sehen, das man sich dessen zeitlichen beschwert, die daraufhin an die Regierung adressierten Supplikationen sowie die ablehnenden Erledigungen der Regierung öffentlich zu verlesen.757 Aus der schieren Masse der Supplikationen und der Vielfalt ihrer hier nicht näher auszuführenden Funktionen interessiert uns der Zusammenhang mit der Gesetzgebung. Dabei sind drei Anwendungsfälle zu unterscheiden:758 1. Supplikationen fungieren als Informationsquellen für die Zentrale, die auf das Bestehen von Steuerungs- und Regelungsbedarf hinweisen und auf diese Weise die Ausarbeitung und Erlassung von Gesetzen initiieren. 2. Supplikationen von Normadressaten richten sich gegen den Inhalt eines Gesetzes und zielen auf dessen Modifikation entsprechend den Wünschen des Supplikanten ab, gegebenenfalls auf die vollständige Aufhebung. 3. Supplikationen betreffen die Implementation eines Gesetzes und streben entweder eine Dispensation (bzw. allenfalls die Erlangung einer gesetzlich vorgesehenen Bewilligung) an oder bitten um eine strengere Anwendung des Gesetzes. 6. 3. 3. 2. Supplikationen als Indikatoren für bestehenden Regulierungsbedarf Beim ersten Anwendungsfall, bei dem Supplikationen als Mittel zum Aufzeigen eines gesetzlichen Normierungsbedarfs dienen, kann noch weiter differenziert werden. So vermag eine Vielzahl inhaltlich gleich gelagerter Supplikationen, die sich Es handelt sich um ein Bäckermandat und eine Wirtsordnung, vgl. TLA, BT, Bd. 10, fol. 566, 1575 März 1, und ebd., fol. 567, 1575 April 30. 757 StAI, Ratsprotokoll 1573–1577, fol. 121r, 1575 Aug. 12. 758 Zumindest angedeutet findet sich diese Trias schon bei Härter, Policey und Strafjustiz, 1. Teilbd., 2005, S. 214, wenn er hinweist auf die „Möglichkeit, sich mittels Suppliken an den Landesherren bzw. den Hofrat zu wenden, um entweder Beschwerden gegen Policeynormen vorzubringen, Dispens von den Normen zu erbitten oder Normgebung zu fordern, um ‚Mißständen‘ abzuhelfen.“ 756
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gegen denselben Missstand richten, einen Handlungsbedarf für den Gesetzgeber aufzuzeigen. Dabei überschneidet sich die Funktion der Supplikation häufig mit jener von parallel ventilierten Landtagsgravamina. Beispiele hierfür wurden bereits angeführt. Die zahllosen Klagen über die Umtriebe der ‚gartenden‘ Kriegsknechte, die sich sowohl in einer Unzahl von Supplikationen als auch in zahlreichen Partikular- und Generalgravamina niederschlugen, sind ein treffliches Beispiel für diesen Anwendungsfall.759 Der Gesetzgeber trug regelmäßig den so zu seiner Kenntnis gebrachten Missständen Rechnung, indem er einschlägige Einzelgesetzgebungsakte erließ. Auch die normative Regulierung der Truppendurchmärsche durch Tirol reagierte auf entsprechende Supplikationen und Gravamina.760 Des Weiteren können gezielt bestimmte Personenkreise via supplicationis um die Erlassung eines von ihnen als notwendig erachteten Gesetzes bitten. Dies lässt sich im Bereich der Wirtschaftspolicey besonders gut nachverfolgen, wo es einflussreichen Gruppierungen öfter gelang, durch das einmalige oder wiederholte Einreichen von Supplikationen ein speziell ihren Interessen entgegenkommendes Gesetz zu initiieren. Frühe Mandate gegen Holzverschwendung gehen so nachweislich auf vorangegangene Supplikationen der für die Holzversorgung der Haller Saline zuständigen Holzmeister zurück.761 1496 war es die Schuhmacherzunft, die eine gesetzliche Beschränkung des Lederhandels durch die Metzger durchsetzte.762 Gesetzliche Maßnahmen gegen nicht zunftmäßig organisierte „Stimpler“ gehen auf Supplikationen der Kessler und Kupferschmiede zurück,763 1643 hatten die Apotheker bei der Regierung neben einer Vielzahl von Beschwerdepunkten eine Bitte um Erlassung einer Apothekerordnung deponiert.764 6. 3. 3. 3. Supplikationen zwecks Modifikation oder Aufhebung eines Gesetzes Schon das vorher erwähnte Innsbrucker Beispiel dürfte verdeutlicht haben, dass Metzger und Bäcker ganz allgemein sehr geschickt darin waren, durch Supplikationen und Beschwerden den Gesetzgebungsprozess in eine ihren wirtschaftlichen
Vgl. nur beispielsweise TLA, AkgM 1548, fol. 522, 1548 Juli 9; TLA, CD 1549, fol. 7v–8r, 1549 Febr. 21. 760 Beispiele für zahlreiche entsprechende Supplikationen in TLA, Ferdinandea, Pos. 221. 761 TLA, Hs. 3177, fol. 131v–132r, 1363 Aug. 7; ebd., fol. 132r–132v, 1385 April 13; ebd., fol. 144, 1443 April 27. 762 Vgl. TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 19, Lit. S, S. 340–341, 1496 Juli 29; vgl. auch TLA, BT, Bd. 14, fol. 252r–253r, 1602 Dez. 9; ähnlich auch der Hinweis in TLA, AfD 1651, fol. 668, 1651 Nov. 22. 763 Vgl. BT, Bd. 13, fol. 324r–325r, 1600 Mai 18. 764 Vgl. TLA, BT, Bd. 22, fol. 90, 1643 Aug. 19. 759
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Interessen am meisten dienende Richtung zu lenken.765 Dies galt natürlich auch für den Fall, dass sich Supplikationen gegen den Inhalt eines bereits erlassenen Gesetzes richteten und auf dessen Modifikation bzw. Aufhebung abzielten. Exemplarisch lässt sich dies anhand der Bäckerordnung von 1571 belegen,766 die eine Flut an Beschwerden seitens der Bäcker auslöste. Diese führte zwar zu keiner Aufhebung oder Veränderung der Ordnung und war insofern erfolglos. Immerhin rief sie jedoch nachträglich behördenintern einen Reflexionsprozess aus.767 Bemerkenswerterweise hatte der damalige Gesetzestext der Ordnung Beschwerden der Normadressaten bereits antizipiert und gleichsam als Bestandteil des Gesetzgebungsprozesses einkalkuliert. Dem Anwendungsbefehl, der den Bäckern die Einhaltung der neuen Ordnung auferlegte, folgte die Aufforderung, gegebenenfalls wahrgenommene Defizite der Neuregelung samt Verbesserungsvorschlägen bei der Regierung schriftlich zu melden. Kaum mehr Resultate zeitigte ein vergleichbarer Proteststurm seitens der Müller gegen die Müllerordnung von 1550.768 Binnen eines Monats nach Kundmachung der Ordnung waren die Müller von Schwaz, Hall, Rattenberg sowie der Gerichte Amras, Thaur und Sonnenburg bei der Regierung mit Supplikationen vorstellig geworden. Die Regierung kam jedoch zum Schluss, dass die Beschwerden wenig grundts auf ine tragen, sein inen dieselben nach der lenng abgelaint worden und lassen demnach wir die ordnung in seiner crafft durchauß beleiben, wobei nur bei zwei Artikeln kleine Änderungen zugestanden wurden.769 Dass sich auch die Schwazer Bäcker über die sie zumindest indirekt betreffende Müllerordnung beschwert hatten, da diese unverhört der peckhen (also ohne vorherige Anhörung der Bäckerzunft) erlassen wurde, sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt.770 Einen größeren Erfolg konnten die Fischer entlang des Inns (genauer gesagt von Innsbruck, Hall, Thaur und Kufstein) mit ihren gegen die Fischereiordnung von 1575 gerichteten Supplikationen verbuchen. Die Regierung kam in ihrem daraufhin erstellten Gutachten in der Tat zum Schluss, dass die Fischereiordnung an ir selbs strenge unnd den vischern in mer weg nit wenig beschwerlich sei. Die Bestimmung, wonach das Fischen zur Schonung der Bestände nur noch mit größermaschigen Netzen erlaubt sein solle, wurde als besonders belastend erkannt. Sie machte den Austausch der Fischernetze erforderlich, der den Fischern angesichts ihrer Armut nicht ohne weiteres zugemutet werden könne. Daher wurde eine Übergangsfrist
Vgl. z. B. TLA, BT, Bd. 1, fol. 77v–78r, 1526 Mai 29; BT, Bd. 6, fol. 193v–194r, 1552 April 15; BT, Bd. 7, fol. 188v–189r, 1556 März 29; BT, Bd. 9, fol. 328v–330r, 1568 Sept. 28; TLA, AfD 1604, fol. 207r–214v, 1604 März 23. 766 Vgl. TLA, BT, Bd. 10, fol. 211v–220r, 1571 Juli 30. 767 Vgl. v. a. TLA, BT, Bd. 10, fol. 200v–201r, 1571 Juli 12; ebd., fol. 233v–234r, 1571 Okt. 8. 768 Vgl. TLA, BT, Bd. 6, fol. 92, 1550 Febr. 25. 769 TLA, BT, Bd. 6, fol. 101r–102r, 1550 März 29. 770 TLA, BT, Bd. 6, fol. 121, 1550 Aug. 12. 765
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von zwei Jahren eingeführt, während derer noch die alten Netze gebraucht werden dürften.771 Die Beispiele ließen sich fast beliebig fortsetzen. Auch in diesem Bereich weisen Supplikationen zum Teil dieselbe Stoßrichtung wie zeitgleich eingebrachte Gravamina auf. Diese Doppelgleisigkeit bei der Anbringung von Kritik an gesetzlichen Bestimmungen kam jedoch nur zum Tragen, wenn das bemängelte Gesetz die Interessen zumindest eines Landstands (oder wenigstens einer entsprechend einflussreichen Gruppierung) betraf. Eine wirtschaftlich und machtpolitisch marginale Personengruppe wie die Innfischer hatte nicht die geringste Chance, ihre Interessen auf einem Landtag vorbringen zu können und blieb folglich auf den Supplikenweg angewiesen. Hingegen hatten die Bäcker oder Metzger einer Stadt durchaus die Möglichkeit, ihre Beschwerden gegen ein bestimmtes Gesetz den städtischen Landtagsboten mit auf den Weg zu geben, wodurch diese Niederschlag in den Partikulargravamina fanden. 6. 3. 3. 4. Supplikationen im Implementationsprozess Die dritte Gruppe von Supplikationen mit Gesetzesbezug betrifft Bitten und Beschwerden, die sich auf die Anwendung von Gesetzen beziehen. Wenn wir also das vorher verwendete Bild aufgreifen, so betreten wir damit wieder die Implementationsarena. Hier können zwei Fälle unterschieden werden: Supplikationen, mit denen um Dispensationen vom allgemeinen Gesetzesrecht gebeten wird oder Supplikationen, die auf eine strengere Handhabung bereits bestehender Gesetze abzielen. 6. 3. 3. 4. 1. Supplizieren um Dispensationen bzw. Bewilligungen Jedes gesetzliche Verbot inkludierte unausgesprochen die Befugnis des Landesherren, von seiner Geltung im Einzelfall zu dispensieren, war doch die Dispensationsgewalt integraler Bestandteil der potestas legislatoria. Jede Dispensation ging notwendigerweise auf eine vorangegangene Supplikation zurück, in welcher der Bittsteller die potentiellen Beweggründe für einen solchen Schritt darlegte und um den entsprechenden Gunsterweis bat. Wenig überraschend setzen daher landesfürstliche Dispensationen nahezu gleichzeitig wie die Gesetzgebung selbst ein und sind schon im 15. Jahrhundert eine Selbstverständlichkeit. Vom Verbot des Weinimports wird auf eine Bitte hin ebenso dispensiert wie vom Verbot des Harzboh rens, vom Einreiseverbot für Zigeuner, vom Fischverbot, vom Vieh- und Getreide Vgl. TLA, Buch Jägerei, Bd. 1, fol. 104, 1575 Nov. 4; ebd., fol. 106r–111r, 1576 Juli 20; TLA, AfD 1576, fol. 468v–472r, 1576 Juni 5.
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exportverbot, von einzelnen Bestimmungen der Waldordnung.772 Wie vertraut die Möglichkeit zum Erhalt eines Dispenses aufgrund einer eingereichten Supplikation bereits unter Maximilian I. war, zeigt eine Notiz des Amtmanns des Klosters Tegernsee in Tirol für seinen Amtsnachfolger aus dem Jahr 1498. Nachdem er auf das königliche Verbot hingewiesen hatte, Immobilien an geistliche Personen oder Institutionen zu verkaufen oder zu verschenken, weist er sogleich auf den Ausweg hin: „Darumb wildu etwas kaufen, leg ain supplication an die rät um ain geschäft, so mag dir nit misslingen; wir haben das auch than [...]“773. Schon in frühen Belegen von Dispensen wird der Konnex zu den Gesetzen, von deren Geltung dispensiert wird, hergestellt. Regelmäßig geschieht das durch die Formulierung, dass die Erlaubnis zu einer bestimmten Handlung unangesehen der befelch bzw. unangesehen unser ausgegangen mandat o. Ä. erteilt werde.774 Manchmal wird zudem auf die der Ausnahmegenehmigung zugrunde liegende Supplikation verwiesen, beispielsweise bei Erwähnung der pete der Untertanen, die dem Gnadenerweis vorangegangen sei.775 Dabei wird fallweise auch ein Grund für die Ausnahmegenehmigung angeführt (z. B. in ansehung irer merklichen notturfft).776 In einzelnen Rechtsbereichen entwickelte sich das Dispensationsrecht zu einem wichtigen Instrument der policeylichen Marktsteuerung, ohne dass dies die Geltung der entsprechenden Verbote berührt hätte. So war das Importverbot für fremde Weine in den Landesfreiheiten verankert, weshalb der Landesfürst die korrelierende einfachgesetzliche Verbotsregelung nicht einfach aufheben konnte. Um dennoch den Interessen der Weinkonsumenten zu entsprechen und diese nicht völlig dem Preisdiktat der Gerichte an der Etsch auszuliefern, war es jedoch eine Selbstverständlichkeit, dass je nach Ernteausfall eine größere oder kleinere Anzahl von Dispensationen erteilt wurde, die den Empfängern den Weinimport unangesehen der befelch ermöglichten. Entsprechendes galt für den Fleischmarkt. Bei einem Überangebot von Vieh wurden nicht sogleich die Verbotsmandate, die den
Vgl. nur Ottenthal/Redlich, Archivberichte aus Tirol, Bd. IV, 1912, S. 430, Nachtrag Nr. 295, 1409 Sept. 1; TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 1, Lit. F, fol. 86, 1472 Febr. 13; TLA, Sigm. 02b/43, 1476 März 13; TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 19, Lit. S, S. 250–251, 1496 Aug. 15; TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 24, Lit. W, fol. 58v, 1501 Juni 15; TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 29, Lit. Bb, fol. 33r, 1508 (ohne nähere Datierung); AStTn, Libri copiali, gruppo 1, vol. 2, fol. 4r, 1514 Nov. 23; Schober, Urkunden, 1990, S. 71, 1515 Juni 10; TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 37, Lit. Ll, fol. 194, 1517 Nov. 3; ebd., fol. 195r, 1517 Nov. 18 (Dispens vom Verbot des Getrei deexports); TLA, UR I/6187 (ca. 1508/1519). 773 Tirolische Weistümer, 1. Teil, 1875, S. 7. 774 Zitate aus TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 27, Lit. Ll, fol. 1517 Nov. 3, und TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 43, Lit. Rr, S. 5–6, 1523 Jan. 4; weitere Beispiele für entsprechende Bezugnahmen in TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 41, Lit. Pp, S. 227–228, 1521 Juli 21; ebd., Nr. 43, Lit. Rr, S. 23, 1523 Jan. 24. 775 TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 27, Lit. Ll, fol. 195r, 1517 Nov. 18. 776 So in TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 43, Lit. Rr, S. 5–6, 1523 Jan. 4. 772
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Viehexport untersagten, aufgehoben, sondern eine adäquat erscheinende Zahl von Dispensationen erteilt. Im weiteren Verlauf des 16. Jahrhunderts vervielfachten sich gemeinsam mit der Zunahme der legislativen Tätigkeit die Anlassfälle für mögliche Dispensationen. Egal, ob es sich um Ausnahmen vom sonntäglichen Verbot des Branntweinverkaufs handelte,777 um das eigentlich untersagte Tragen von Schusswaffen oder das Abhalten von Schießveranstaltungen,778 um die Befreiung von Juden von der Verpflichtung, sichtbar einen gelben Kreis auf ihrer Kleidung zu tragen,779 um die Erlaubnis für ausländische Kriegsunternehmer, in Tirol Söldner anzuwerben780 – um alle Dispensationen konnte suppliziert werden. Jedes Gesetz beinhaltete die Möglichkeit einer Dispensation.781 Dies musste erst gar nicht im Gesetzestext erwähnt werden, sondern war für alle Normadressaten eine vertraute Selbstverständlichkeit. Die Entscheidung traf die Regierung bzw. der Landesfürst. Formal handelte es sich zwar um einen Gnadenerweis, doch ist „Gnade“ keineswegs mit „Willkür“ gleichzusetzen. Vielmehr war die Erteilung oder Verweigerung eines Dispenses je nach Materie von einer ganzen Reihe von externen Faktoren abhängig, wie dies bereits bei den Dispensationen vom Verbot des Viehexports und der Einfuhr ausländischer Weine angedeutet wurde. Die Entscheidungsgrundlagen für die Erteilung einer Dispensation mussten daher nach Einlangen einer entsprechenden Dispensation erst in einem eigenen Verfahren erhoben werden (von diesem wird im nächsten Kapitel die Rede sein). Bei der angeführten Bitte dreier Juden aus Bozen bzw. Venedig um Erlassung der Verpflichtung, das für Juden vorgeschriebene Kennzeichen zu tragen, kam die Regierung nach Befragen des Landrichters von Gries und Bozen zum Schluss, dass die Supplikanten ohnehin gut bekannt seien und daher ihrer Bitte entsprochen werden könne – wobei ausdrücklich festgehalten wurde, dass dies für andere Juden nicht gelten solle. Gerade bei erstmalig erlassenen Gesetzen floss zudem stets die mögliche Präjudizwirkung eines Dispenses mit in die Erwägungen ein. Aus Anlass der ersten eingereichten Supplikationen musste sich die Regierung über die bei der zukünftigen Implementation anzuwendenden Richtlinien klar werden. Denn eines war ihr bewusst: Dann da es ainem bewilligt, würden gleich anndere auch khomen und ebenmessigs begern thuen, wie es die Regierung im Juni 1569 aufgrund einer Supplikation von vier Steinacher Bauern konstatierte, die um eine Dispensation von TLA, BT, Bd. 8, fol. 313, 1561 Okt. 16. Vgl. TLA, Pestarchiv X/17, 1536 April 29, und Pestarchiv VIIb/17, 1537 Jan. 22; TLA, CD 1586, fol. 302r, 1585 April 1; TLA, CD 1601, fol. 651, 1601 Juli 9; TLA, AfD 1634, fol. 297, 1634 Juli 13. 779 Vgl. nur TLA, CD 1613, fol. 84v, 1613 Juni 19; ebd., fol. 133v–134v, 1613 Nov. 14. 780 TLA, Kopialbuch Ältere Reihe, Nr. 41, Lit. Pp, S. 223–224, 1521 Juli 15, und ebd., S. 227– 228, 1521 Juli 21; ein späteres Beispiel in TLA, BT, Bd. 17, fol. 331, 1613 Juni 2. 781 Vgl. z. B. Ziegler, De jure interpretandi leges, 1673, Rz XXI; so auch noch Leist, Lehrbuch, 1803, S. 271–272. 777 778
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einem im April 1569 erlassenen, die Stierzucht betreffenden Gesetz baten.782 Derartige Überlegungen, wonach man nicht einem Supplikanten einen Dispens ertei len, einem anderen bei Vorliegen derselben Rahmenbedingungen einen Dispens verweigern könne, kommen immer wieder zum Tragen. Macht man einmal eine Ausnahme, so wirt man’s den andern [...] auch nit künnen erwern.783 Dies belegt, dass der Erteilung von Dispensationen alles andere als Willkür zugrunde lag, sondern konkrete, das Verwaltungshandeln bindende und nachvollziehbar machende Kriterien, die jedoch den Gesetzen nicht zu entnehmen und für den Supplikanten nicht ersichtlich waren. Kam die Regierung bzw. der Landesfürst zum Schluss, dass bei einem Gesetz die strikte Vollziehung notwendig sei, schloss dies die Erteilung von Dispensationen aus. Alle darauf abzielenden Supplikationen wurden in solchen Fällen abschlägig beschieden. Fallweise wies die Regierung die lokalen Obrigkeiten ausdrücklich an, den Untertanen mitzuteilen, dass hinsichtlich eines bestimmten Gesetzes keine Dispensationsgesuche mehr in Innsbruck vorgelegt werden müssten, da derartige Supplikationen ausnahmslos abschlägig beschieden würden.784 Bis in die ersten Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts hinein war es zudem umstritten, wer für die Erteilung von Dispensen zuständig war, ob diese Befugnis auch anderen Amtsträgern bzw. Stellen als dem Landesfürsten respektive der Regierung zustehen sollte (z. B. einem örtlichen Richter, aber auch dem Landeshauptmann). Die Regierung vertrat hier den Standpunkt, dass die Erteilung von Dispensationen in Vertretung des Landesfürsten ausschließlich ihr zustünde. Sie sah sich daher bis in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts immer wieder genötigt, Richter und Pfleger ebenso wie den Landeshauptmann darauf aufmerksam zu machen, dass Supplikanten an die Regierung bzw. den Landesfürsten zu verweisen seien, ihnen selbst jedoch die Dispensationsbefugnis nicht zukomme (was angesichts des Charakters der Dispensationsgewalt als eines Bestandteils der potestas legislatoria nur konsequent ist). Denn gerade in manchen Bereichen hatten die lokalen Obrigkeiten die Dispensationen als mögliche Einnahmequelle entdeckt, was sich speziell bei Luxus- und Aufwandsbeschränkungen bemerkbar machte. Selbst wenn gesetzlich die Anzahl von Gästen bei Hochzeiten und anderen Festlichkeiten beschränkt oder Tanzveranstaltungen generell untersagt waren, bewilligten die lokalen Obrigkeiten gegen entsprechende Zahlungen Ausnahmen. Hier geht der Trend auf lokaler Ebene deutlich in die Richtung, statt absoluter Verbote „Vergnügungssteuern“ als Lenkungsmechanismen einzusetzen785 – wobei man anfügen muss, dass aus Sicht TLA, AfD 1569, fol. 406v–407v, 1569 Juni 14. Zit. nach Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007, S. 197. 784 �������������������������������������������������������������������������������������������� So beispielsweise TLA, BT, Bd. 5, fol. 30, 1540 Juli 31, mit Blick auf die Aufwandsbeschränkungen bei Hochzeiten und anderen Festlichkeiten. Von deren Geltung könne man angesichts der thewren zeitten nicht dispensieren, da dies einer weiteren Verschwendung von Nahrungsmitteln nur Vorschub leisten würde. 785 �������������������������������������������������������������������������������������� Für Kurmainz macht Karl Härter darauf aufmerksam, dass der Einsatz von „Vergnügungsabgaben“ bzw. „Vergnügungssteuern“ als Lenkungsmittel erst ab der zweiten Hälfte des 18. Jahr782 783
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von Pflegern und Richtern das so zu lukrierende Zusatzeinkommen sicherlich im Vordergrund stand.786 1588 wurde diese Praxis eigens verboten, schlich sich aber in den Folgejahren wieder ein.787 Auf staatlicher Ebene spielten fiskalische Maßnahmen im Sinne von „Luxussteuern“ als alternative Steuerungsmechanismen für grundsätzlich unerwünschtes Verhalten demgegenüber während des gesamten Untersuchungszeitraums noch keine Rolle.788 Nur 1556 wurden auf Initiative Ferdinands I. kurzfristig entsprechende Pläne in Betracht gezogen.789 Jedes Gesetz schloss grundsätzlich die Möglichkeit einer Dispensation von seiner Geltung durch den Gesetzgeber ein. Dennoch bedeutete es einen fundamentalen Unterschied, ob ein Gesetz nur potentiell und unausgesprochen eine Dispensationsmöglichkeit inkludierte oder ob das gesetzliche Verbot von vornherein expressis verbis unter Erlaubnisvorbehalt stand. Das Eindringen der Rechtstechnik des Ver- bzw. Gebots mit Erlaubnisvorbehalt790 stellte im Bereich der Verwaltung einen nicht zu unterschätzenden Entwicklungsschritt dar. Schon seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert knüpfen Gesetze bestimmte Tätigkeiten an das Vorliegen einer Bewilligung durch die lokalen Obrigkeiten bzw. landesfürstliche Amtsträger wie den Forstmeister.791 Ab der Mitte des 16. Jahrhunderts kommt es – zunächst noch selten und gleichsam experimentierend – allmählich zur Festschreibung von Bewilligungspflichten durch die oberösterreichische Regierung. In der ersten hunderts eingesetzt wurde, vgl. Härter, Fastnachtslustbarkeiten, Hochzeitsfeiern, 1999, S. 76. Zur Luxusgesetzgebung im Fürstbistum Münster ausführlich König, Luxusverbote, 1999. 786 Dies überrascht nicht: Erst im Verlauf des 17. und vor allem des 18. Jahrhunderts spielen die Luxussteuern neben den Luxusverboten eine zunehmend wichtigere Rolle, wobei die Vorstellung einer bloßen Verdrängung der Luxusverbote durch entsprechende fiskalische Abschöpfungsmaßnahmen zu kurz greift, vgl. Stolleis, Pecunia nervus rerum, 1983, bes. S. 57–61. 787 ������������������������������������������������������������������������������������������ Vgl. die Anweisung in TLA, BT, Bd. 12, fol. 112 und 113, 1588 Jan. 18; zur defizitären Implementation vgl. z. B. die Mitteilung an den Erzbischof von Salzburg über entsprechende Praktiken des Pflegers von Kropfsberg (Zillertal); eine entsprechende Mahnung an den Richter von Stubai in TLA, CD 1596, fol. 131r, 1596 Okt. 1; an den Inhaber der Herrschaft Kitzbühel, Horaz von Wolkenstein, über entsprechende Missstände im Landgericht Kitzbühel in TLA, BT, Bd. 12, fol. 436r–437r; eine entsprechende Mahnung an den Landrichter von Kufstein in TLA, CD 1603, fol. 348, 1603 Aug. 13. 788 Vgl. TLA, BT, Bd. 5, fol. 30, 1540 Juli 30; TLA, AfD 1587, fol. 247, 1587 April 28; TLA, VfD 1587, fol. 217r, 1587 Mai 10. 789 Pauser, Rechtsvereinheitlichungsversuche Ferdinands I., 2008, S. 151–152. 790 Vgl. hierzu ausführlich Becker, Erlaubnis, 1970, S. 9 und 121–122; hierzu auch Holenstein, Kommunikatives Handeln, 2005, S. 197–198; Holenstein, Supplikationen, Dispensationen und die Policeygesetzgebung, 2005, S. 176–178. 791 Vgl. z. B. Wopfner, Almendregal, 1906, S. 126–127 (die Errichtung von Zäunen wird im Jahr 1492 an eine vorangegangene Bewilligung durch die lokale Obrigkeit geknüpft); TLA, BT, Bd. 3, fol. 342, 1532 Jan. 15 (die Einrichtung von Selbstschussanlagen zur Dezimierung von „schädlichem“ Wild wie Bär oder Wolf wird an eine Bewilligung des Forstmeisters geknüpft); ebd., fol. 260, 1534 Febr. 22 (das Mitführen von Schusswaffen zum Zweck des Besuchs von „Freischießen“ wird an die Bewilligung der lokalen Obrigkeit geknüpft).
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Hälfte des 17. Jahrhunderts haben sich schließlich definitiv drei Ebenen herausgebildet, denen die Erteilung von im Gesetz vorgesehenen Bewilligungen zugewiesen wird: der Landesfürst (bzw. stellvertretend der Geheime Rat), die Regierung oder die lokalen Obrigkeiten (bzw. bestimmte landesfürstliche Amtsträger), wobei die Zuständigkeit im Gesetzestext ausdrücklich angeführt wird. Verlagerungen der Zuständigkeiten auf andere hierarchische Ebenen durch nachfolgende gesetzliche Regelungen sind dabei durchaus möglich. Die saisonale Auswanderung von Wanderarbeitern war beispielsweise vom örtlich zuständigen Richter zu genehmigen,792 während die dauerhafte Emigration laut Gesetz von 1635 von der Regierung zu genehmigen war.793 Als die Auswanderung nach dem Friedensschluss von 1648 größere Ausmaße annahm, schrieb ein Gesetz im Jahr 1649 schließlich das Einholen einer landesfürstlichen specialbewilligung vor.794 Im vorliegenden Zusammenhang ist von Relevanz, dass auch das Ansuchen um eine gesetzlich vorgesehene Bewilligung für eine verbotene bzw. Beschränkungen unterworfene Handlung oder Unterlassung in Supplikenform erfolgte. 6. 3. 3. 4. 2. Supplizieren um die striktere Durchsetzung eines Gesetzes Während Ansuchen um Dispensationen darauf abzielten, den jeweiligen Petenten aus bestimmten Gründen aus dem persönlichen Geltungsbereich eines Gesetzes auszunehmen, gibt es auch eine Vielzahl von Supplikationen, die von der Zentrale eine striktere Handhabung eines Gesetzes erbitten, wobei sich auch hier Überschneidungen mit parallel eingebrachten ständischen Gravamina ergeben konnten. Selbstverständlich supplizierten vornehmlich jene Gruppen um eine strengere Implementation von Gesetzen, die zu den Begünstigten der entsprechenden Regelung gehörten oder auf andere Weise an einer genauen Vollziehung Interesse haben mussten. Die Gerichtsgemeinden baten über ihre Gerichtsausschüsse bei der Regierung um die Einhaltung der Gerichtskostenordnung oder um die gesetzeskonforme Ausweisung auswärtiger Bettler und Gartknechte, die Metzger um die Befolgung des Viehex portverbots, die Schuhmacher um die Durchsetzung des Verbots des Lederfürkaufs durch die Rotgerber. Ein Pfarrer supplizierte 1555, das Glücksspiel und Branntweinausschenken während des sonntäglichen Gottesdienstes den gesetzlichen Bestimmungen entsprechend abzustellen – die Liste ließe sich beliebig erweitern.795 Es ist Vgl. z. B. TLMF, Dip. 1091, Nr. 211, 1657 April 16. TLA, BT, Bd. 20, fol. 557, 1635 Aug. 21. 794 TLA, BT, Bd. 23, fol. 63, 1649 Dez. 17; vgl. auch TLA, VfD 1650, fol. 310v–311r, 1650 Febr. 8, wonach aufgrund des Gesetzes nunmehr immerdar supplicanten zu hof einkhommen. 795 Vgl. nur z. B. TLA, CD 1549, fol. 7v–8r, 1549 Febr. 21; TLA, CD 1555, fol. 373v, 1555 Juli 21; TLA, BT, Bd. 6, fol. 188v–189r, 1556 März 29; TLA, BT, Bd. 8, fol. 109r, 1560 Aug. 17; TLA, BT, Bd. 9, fol. 328v–330r. 1568 Sept. 28; TLA, BT, Bd. 15, fol. 58v–59r, 1605 April 28. 792 793
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vor allem diese Kategorie von Supplikationen, die der Zentrale eine Kontrolle der Tätigkeit der lokalen Obrigkeiten gestattete und zumindest ansatzweise erkennen ließ, wie intensiv sich Richter und Pfleger die Implementation eines bestimmten Gesetzes angelegen sein ließen. Hingegen ermöglichten die Dispensationen primär eine adäquate und flexible Reaktion auf örtliche und temporäre Erfordernisse. Eben aufgrund dieser Kontrollfunktion war der Regierung daran gelegen, diesen Kommunikationskanal zu den Obrigkeiten aufrecht zu erhalten. Dies musste auch Degen Fuchs von Fuchsberg 1530 erfahren, als er sich als Inhaber des Gerichts auf dem Ritten (nahe Bozen) anschickte, den Gerichtsinsassen jeglichen Kontakt mit den übergeordneten Instanzen Regierung und Landeshauptmann zu untersagen, und sie mit ihren Supplikationen ausschließlich auf den Richter bzw. Pflegsverwalter verweisen wollte. Hier traf er auf den Widerstand der auf diese Weise in ihrem Handlungsspielraum massiv beeinträchtigten Untertanen, die ob dieser Maßnahme prompt bei der Regierung supplizierten. Fuchs von Fuchsberg handelte sich daraufhin eine Kontrolle seiner Herrschaftspraxis im Gericht Ritten durch den Vizekammerprokurator Dr. Lienhart Jung ein, der die Untertanen in ihrem Begehren unterstützte. Fuchs von Fuchsberg wurde ermahnt, er dürfe selbstverständlich seinen gerichtsleuten nit abstellen, verbietten und sperren, ir notturfft, wo sy von ime oder seinen ambtleuten beswert zu sein [...] vermainten, beim Landeshauptmann oder unmittelbar bei der Regierung anzubringen und so ir zuflucht [...] zu der merer obrigkeit zu haben.796 Als Sonderfall ist abschließend noch die Supplikation eines Normadressaten gegen ein von lokalen gesetzgebenden Ebenen erlassenes Gesetz zu nennen, die der Regierung bzw. dem Landesfürsten eine nachgehende Normenkontrolle der auf untergeordneter Ebene ergriffenen legislativen Maßnahmen einräumte. Es wird noch an anderer Stelle zu zeigen sein, dass das spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Tirol von einer ausschließlichen Konzentration der legislativen Gewalt in der Hand des Landesfürsten weit entfernt war. Ferner wurden bei weitem nicht alle von Gerichtsgemeinden, Stadt- oder Dorfgemeinden erlassenen Rechtssetzungsakte im Vorhinein von der Regierung konfirmiert, geschweige denn auf ihre Vereinbar keit mit dem territorialen Recht hin überprüft.797 Supplikationen gegen solche Rechtssetzungsakte erlaubten der Regierung eine nachgehende Kontrolle. Derartige Beispiele finden sich jedoch nur ausgesprochen selten. 1585 beschwerte sich beispielsweise eine Krämerin aus Hötting über eine Verordnung der Stadt Innsbruck, wonach auf dem samstäglichen Markt nur mehr Waren des täglichen Bedarfs verkauft werden dürften. Die von der Beschwerdeführerin verkauften Strickwaren fielen jedoch nicht darunter, sie sollte ihre Ware nur dienstags feilhalten dürfen, wogegen sie sich bei der Regierung beschwerte. Diese holte zwar auch eine Stellungnahme des Innsbrucker Bürgermeisters und des Stadtrats ein, verwarf dessen Argu TLA, Prozessbuch, Bd. 2, fol. 172, 1530 Nov. 6. Vgl. hierzu Kap. VI.3.2.2.2. und VI.3.2.2.4.
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mentation jedoch. Nicht nur die besagte Höttinger Krämerin, sondern viele anderen Frauen und Kinder würden sich mit der Herstellung der entsprechenden Waren ernähren, und der Verkauf ihrer Produkte sei dem gemeinen Nutzen nicht abträglich. Die Stadt Innsbruck wurde daher angewiesen, die Verordnung aufzuheben.798 Supplikationen stellen in ihrer Masse somit neben den Gravamina ein nicht zu unterschätzendes Medium dar, durch das die Untertanen bzw. Gruppen auf den Gesetzgebungsprozess einwirken oder zumindest auf die Implementation Einfluss nehmen konnten. Aber auch die letztgenannte Kategorie von Supplikationen, die sich auf den ersten Blick auf die Implementationsarena beschränkt, kann wiederum Rückwirkungen auf die Gesetzgebung entwickeln. Eine große Zahl von Supplikationen, die alle gleichermaßen auf die striktere Handhabung eines Gesetzes abzielten, ließ bei den Regierungsräten unter Umständen den Eindruck entstehen, dass eine neuerliche Publikation des betreffenden Gesetzes angebracht sei. 6. 3. 3. 5. Der Geschäftsgang Die persönliche Übergabe von Supplikationen an den Landesfürsten war die absolute Ausnahme.799 Im Allgemeinen waren sie bei einer Behörde einzureichen. Als Einbringungsstellen fungierten (auch in Zeiten einer eigenen in Innsbruck residierenden habsburgischen Nebenlinie) die Regierung und die Kammer in ihren jeweiligen Wirkungsbereichen. Vor den maximilianeischen Reformen ist von der Einreichung der Supplikationen in der landesfürstlichen Kanzlei auszugehen, doch fehlen diesbezüglich Untersuchungen. In Zeiten einer in Innsbruck residierenden habsburgischen Nebenlinie waren die Regierung bzw. die Kammer jedoch nur bei eindeutiger Sachlage, beispielsweise bei offensichtlicher Grundlosigkeit des Antrags, selbst entscheidungsberechtigt und zur Abweisung des Supplikanten befugt. Die überwiegende Anzahl der Bitt- und Beschwerdebriefe wurde tatsächlich dem Landesfürsten zur Entscheidung vorgelegt bzw. wurden ihm deren jeweilige Inhalte referiert. In seiner Abwesenheit oder bei Verhinderung entschied der Hofrat bzw. der Geheime Rat an Stelle und als Immediatrepräsentanz des Landesfürsten. In solchen Fällen bereitete die Regierung die Entscheidung nur vor. Regelmäßig verifizierte man die Richtigkeit der Angaben des Petenten, indem man von den lokalen Obrigkeiten entsprechende Berichte oder Stellungnahmen einholte. Anschließend wurde ein Gutachten erstellt und dieses samt Supplikation zur Entscheidung an den Hofrat bzw. Geheimen Rat weitergeleitet.800 Vgl. den Bericht in TLA, AfD 1585, fol. 431r–433r, 1585 Mai 11. Ein Beispiel bei Grüll, Robot in Oberösterreich, 1952, S. 219; allgemein Blickle, Die Supplikantin und der Landesherr, 1997, S. 89–90; Blickle, Supplikationen und Demonstrationen, 2000, S. 289–290. 800 ��������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. im Übrigen auch die entsprechenden, die Verwaltungspraxis wiedergebenden Anweisungen in TLA, VfD 1575, fol. 441v–442v, 1575 Mai 4; VfD 1578, fol. 10v–11r, 1578 Jan. 28. 798 799
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Wie weitgehend die einer Stellungnahme vorangehenden Erhebungen sein konnten, sei an einem Beispiel illustriert: 1588 hatte der Gerichtsausschuss von Glurns und Mals um einen Dispens vom Exportverbot für Getreide suppliziert. Zur Feststellung der entscheidungsbegründenden Umstände ersuchte die Regierung den Landeshauptmann, die Kammer und den örtlichen Pfleger um Stellungnahmen. Als ausschlaggebend erwies sich die Äußerung des Pflegers, der darauf hinwies, dass die Supplikation wohl auf die Initiative einiger vermögender Männer zurückzuführen sei, die selbst über beträchtliche Getreidevorräte verfügten; sie entspräche aber nicht dem Interesse der Mehrzahl der Untertanen, die wahrscheinlich keine Ahnung von dieser Supplik hätten und sie nicht unterstützen würden. Die Supplikation wurde daraufhin abschlägig beschieden.801 Auch die Vornahme eines Augenscheins durch einen landesfürstlichen Kommissar konnte der Verifikation der von den Supplikanten behaupteten entscheidungsbegründenden Tatsachen dienen.802 Anders war das Prozedere vor 1564 gewesen. Zu jener Zeit hatten Regierung und Kammer nahezu immer autonom Entscheidungen über Bitt- und Beschwerdebriefe gefällt. Forschungsbedarf besteht für diesen Zeitraum (ebenso wie für die Zeit nach 1665) zur Klärung der Frage, ob, in welchem Ausmaß, in welchen Angelegenheiten und von welchen Supplikanten der Herrscher dennoch persönlich angerufen wurde und die Petenten sich nicht mit der Entscheidung ihrer Anbringen in loco durch die Regierung oder die Kammer begnügten. Eines lässt sich jedenfalls feststellen: Bearbeitet wurden praktisch alle Supplikationen. Ein von vornherein aussichtsloser Schritt war das Supplizieren daher in keinem Fall. Über die Erfolgsaussichten des Bittstellers ist damit noch wenig gesagt, und diesbezüglich können auch keine allgemeingültigen Aussagen gemacht werden. Zu sehr hing das Ergebnis vom jeweils berührten Gegenstand ab. Die Beliebtheit des Supplizierens stellte freilich, wie schon eingangs festgestellt, erhebliche Anforderungen an den frühneuzeitlichen Verwaltungsapparat. Um der Flut an Bitt- und Beschwerdeschriften Herr zu werden, versuchte man, die Abstellung von Missständen möglichst auf nachgeordnete lokale Obrigkeiten zu verlagern.803 Das Supplizieren wurde, bei aller Wichtigkeit für die Gesetzgebung, somit selbst Objekt legislativer Tätigkeit. Die ersten einschlägigen, in Tirol nachweisbaren gesetzlichen Maßnahmen von 1481 wurden bereits erwähnt. Regelmäßig wurde gefordert, dass Untertanen mit Bitten und Beschwerden nicht gleich unter Umgehung des Instanzenzugs den landesfürstlichen Hof bzw. die Zentralbehörden anlaufen sollten, sofern nicht Fehlverhalten oder Befangenheit der lokalen Amtsträger Vgl. TLA, AfD 1588, fol. 119v–121v, 1588 Febr. 22. Vgl. TLA, AfD 1660, fol. 284v–286v, 1660 (ohne nähere Datierung). 803 Allgemein zu Restriktionen und Supplikenordnungen Würgler, Suppliche, 1999, S. 536; Hattendorff, Begegnung, 1988, S. 161; Hülle, Supplikenwesen, 1973, S. 198–199; Holenstein, Bittgesuche, 1998, S. 347–348; Neuhaus, „Supplizieren und Wassertrinken sind jedem gestattet“, 2000, S. 489–490. 801 802
7. Die Kodifikationen (1499, 1526, 1532, 1573)
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vorlag.804 Daneben wurde behördlicherseits bereits im 16. Jahrhundert postuliert, dass Supplikationen nur von hierzu befugten Schreibern verfasst werden sollten, keinesfalls jedoch von so genannten Winkelschreibern (diese und die im Folgenden angeführten Beschränkungen galten im Übrigen auch für die eigens besprochenen Rechtssupplikationen).805 Dies war nicht nur eine Maßnahme der Beschäftigungsund Einkommenssicherung für das derart autorisierte Schreibpersonal. Daneben bzw. sogar primär verfolgt man damit obrigkeitlicherseits zwei Ziele: Einerseits wollte man sicherstellen, dass auf diese Weise ausschließlich Supplikationen eingebracht wurden, die den behördlichen Anforderungen genügten und keine anzigigen wort, angriff der obrigkhaiten oder andere Ungebühr enthielten.806 Andererseits wollte man verhindern, dass sich die Untertanen durch nur auf den eigenen Vorteil bedachte Winkelschreiber zu übermäßigem und sinnlosem Supplizieren verleiten ließen, was für den Supplikanten eine unnötige finanzielle Belastung und für die Behörde einen vermeidbaren Mehraufwand nach sich zöge.807 Ausdrücklich ausgeschlossen von jeder Tätigkeit als „Supplikensteller“ wurden zudem Bedienstete der Regierung und der Kammer einschließlich des Kanzleipersonals.808
7. Die Kodifikationen (1499, 1526, 1532, 1573) Die bisherigen Ausführungen widmeten sich dem Entstehungsprozess der Gesetze im Allgemeinen, wobei seit dem 16. Jahrhundert Einzelgesetze mit deutlich über 90 % die große Masse aller erlassenen Gesetzgebungsakte ausmachten und auch im Vergleich zu den Sonderordnungen zunehmend an Bedeutung gewannen. Vom quantitativen Aspekt her demgegenüber zu vernachlässigen, von ihrer Bedeutung für eine Gesetzgebungsgeschichte jedoch umso bedeutsamer sind die Tiroler Kodifikationen der Jahre 1499, 1526, 1532 und 1573. Mit ihnen hat sich zwar Forschung in den letzten Jahrzehnten immer wieder beschäftigt,809 doch liefert eine quellenfundierte Analyse des Gesetzgebungsprozesses neue, zum Teil (wie im Fall des auf So schon TLO 1532 und 1573, Buch 1, Titel 8; entsprechend auch TLA, CD 1561, fol. 558, 1561 Aug. 26 (Mandat und verpot, das die unnderthonen ain regierung zu Ynsprugg mit irem suppliciern vor ersuechung aines yedes obrigkhait nit überlauffen sollen); TLMF, Dip. 1090, Nr. 70, 1605 Jan. 27; TLA, CD 1613, fol. 112, 1613 Aug. 1; TLA, AfD 1640, fol. 794v– 795r (ohne nähere Datierung). 805 Vgl. Valentinitsch, Advokaten, Winkelschreiber und Bauernprokuratoren, 1983; Feigl, Grundherrschaft, 21998, S. 53 und 261; Feigl, Recht und Gerichtsbarkeit, 1989, S. 54; siehe z. B. TLA, BT, Bd. 8, fol. 518r, 1561 Okt. 20. 806 TLA, CD 1635, fol. 605v–606r, 15. Okt. 1635; vgl. auch schon TLA, BT, Bd. 12, fol. 145, 1589 Febr. 1; ferner TLA, VfD 1638, fol. 181v, 1638 Mai 21. 807 Vgl. Mell, Anfänge der Bauernbefreiung, 1901, S. 40. 808 TLA, VfD 1575, fol. 264, 1575 Jan. 14, und TLA, VfD 1577, fol. 680v–681r, 1577 Febr. 13. 809 Vgl. hierzu Kap. I. 2. 2. 804
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gefundenen Erstentwurfs der Tiroler Landesordnung von 1526) weitreichende Erkenntnisse. Wenn im Übrigen hier und im Folgenden von „Kodifikation“ gesprochen ist, so wird diesem Terminus in Übereinstimmung mit Autoren wie Gagnér oder Wolf810 nicht jener Bedeutungsgehalt unterlegt, wie er seit der Formierung des Kodifikationsgedankens in der Aufklärung dominierte.811 Eine „Kodifikation“ früherer Jahrhunderte zielte eben nicht notwendigerweise auf die vollständige, systematische, in sich geschlossene Darstellung eines Rechtsgebietes bzw. einer ganzen Rechtsordnung. Sie beschränkt sich unter Umständen auf die Normierung von als besonders regelungsbedürftig empfundener Rechtsfragen oder auf die Festschreibung eines „ius certum“; Rechtsmaterien werden dementsprechend gegebenenfalls mit einer deutlich unterschiedlichen Regelungstiefe legislativ durchdrungen und andere Rechtsquellen wie beispielsweise Rechtsgewohnheiten keineswegs ausgeschlossen. Und dennoch handelt es sich, wie auch die eingehendere Beschäftigung mit den Tiroler Gesetzgebungswerken von 1499, 1526, 1532 und 1573 zeigen wird, um mehr als bloße „Kompilationen“, die sich mit der schriftlichen Fixierung des geltenden Rechts in unterschiedlicher Intensität beschränken, weshalb der Terminus „Gesetzbuch“ respektive „Kodifikation“ zur Betonung der besonderen Stellung und Bedeutung der betreffenden legislativen Werke im Rahmen der Gesamtrechtsordnung – die schon Zeitgenossen ersichtlich war und sich schließlich auch in den Selbstbezeichnungen niederschlägt – angemessen erscheint.
7. 1. Die Halsgerichtsordnung von 1499 7. 1. 1. Der Weg zur Kodifikation „Als von alterher. in unserm lande der Grafschafft Tirol [...] albeg auff eins yeden übeltätter oder übeltätterin missetat und verhanndlung. allein durch eins yeden Rechtsprechers gewissen. an ainicherlai aufgesatzter oder klarer ausgedruckten gesatzt. darüber erkannt. unnd geurtailt ist worden.“812 So beschreibt die Narratio der Tiroler Malefizordnung von 1499 den vorherigen Rechtszustand.813 Teilweise ist �������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Gagnér, Studien zur Ideengeschichte, 1960, S. 288–366; Wolf, Gesetzgebung und Kodifikation, 1981, S. 148–149 und S. 164, Anm. 26; vgl. ferner auch Mitteis/Lieberich, Deutsche Rechtsgeschichte, 191992, S. 297–299. 811 �������������������������������������������������������������������������������������� Zum Kodifikationsbegriff der Aufklärung (mit zahlreichen weiterführenden Literaturhinweisen) Mertens, Gesetzgebungskunst, 2004, S. 325–326; Schreckenberger, Gesetzgebung der Aufklärung und die europäische Kodifikationsidee, 1995; Caroni, Art. „Kodifikation“, 1978, Sp. 907–922. 812 Halsgerichtsordnung von 1499, zit. nach der Edition bei Schmidt, Halsgerichtsordnungen, 1949, S. 95 (u/v-Verwendung nach dem Lautwert normalisiert). 813 ��������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. auch allgemein Kocher, Umfeld, 2005, S. 65–66, über die in den Narrationes von Malefiz-, Landgerichts- bzw. Halsgerichtsordnungen des 15. und 16. Jahrhunderts enthaltenen Aussagen über die Motivation des Gesetzgebers. 810
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diese Aussage zutreffend. In der Tat existierte in Tirol bis zum Ende des 15. Jahrhunderts kein landesweit einheitliches, von einer übergeordneten Instanz autoritativ gesatztes „staatliches“ Strafrecht. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Gerichtsgeschworenen bei der Urteilsfällung allein auf die Richtschnur ihres Gewissens angewiesen waren. Vielmehr waren auf regionaler Ebene der Städte, Gerichte und Gemeinden eine Vielzahl von Verhaltensweisen als deviant tradiert bzw. festgelegt, die freilich nur partiell in Stadtrechten, Stadtrechtsprivilegien, Weistümern oder Einungen schriftlich fixiert waren.814 Ebenso vielfältig wie die allenfalls gegebene Form ihrer Verschriftlichung war der Geltungsgrund der einschlägigen Normen, der im Herkommen, in der alten Gewohnheit, in genossenschaftlicher Einung oder Satzung liegen konnte. Auch die Scheidung von hoher und niederer Strafgerichtsbarkeit ist im Spätmittelalter in Tirol noch nicht vollständig und landeseinheitlich möglich: Was ein „malefizisches“ Verbrechen war und folglich vor das Hochgericht gehörte, konnte sowohl regional als auch diachron variieren.815 Gesetzgeberisch tätig wurden die Landesfürsten nur in jenem Bereich, wo es um die Herstellung und Erhaltung des Landfriedens ging, nämlich bei der Einschränkung bzw. beim Verbot der Fehde und der Verfolgung von Totschlägern. Nach Vorläufern im 14. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts intensivierte sich die diesbezügliche Gesetzgebung ab den siebziger Jahren des 15. Jahrhunderts,816 wobei die entsprechenden Normen zumindest teilweise auf die Initiative der Tiroler Landstände zurückgingen.817 Entsprechende Regelungen wurden 1474,818 1478,819 1482
Vgl. den zusammenfassenden Überblick bei Stolz, Geschichte der Verwaltung, 1998, S. 123–124. Maßgebliche Quelle sind die Tirolischen Weistümer, 4 Bde und 3 Ergänzungsbde. Als Beispiel für Stadtrechte mit strafrechtlichem Inhalt sei hier nur auf die Stadtrechte von Glurns oder Sterzing verwiesen. Zur Auswertung des strafrechtlichen Gehalts der Weistümer vgl. v. a. Arens, Tiroler Volk in seinen Weistümern, 1904, v. a. S. 250–257, 270–271, 306–308, 318–319, 366, 372–383, 392–394, 423–424. 815 Vgl. Arens, Tiroler Volk, 1904, S. 319 und S. 423–424. 816 Vgl. Stolz, Geschichte der Verwaltung, 1998, S. 112 und 126; Stolz, Geschichte des Landes Tirol, 1955, S. 159; Bestimmungen gegen die (bäuerliche) Fehde finden sich in der umfassenden Ordnung von 1474 Juni 29 (vgl. StAM, Urkunde A/I/301 sowie die Edition im Anhang); TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 4, Lit. C, fol. 386r, 1482 Okt. 8; ebd., fol. 402, 1482 Dez. 2 (Erwähnung bei Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 138, Anm. 3); ebd., fol. 400, 1482 Dez. 3; TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 10, Lit. L, fol. 59 (Edition bei Wopfner, Lage Tirols, 1908, S. 205–207); HHStA, Maximiliana, Ib, fol. 37–40, 1493 März 24; nach der Tiroler Halsgerichtsordnung sind schließlich noch zu nennen: TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 30, Lit. Cc, fol. 180r–181r, 1509 April 2; TLA, BT, Bd. 1, fol. 74, 1525 April 24. 817 Vgl. den kurzen Überblick bei Stolz, Geschichte der Verwaltung, 1998, S. 111–114. 818 Vgl. die Edition im Anhang sowie Blickle, Landschaften, 1973, S. 193–196. 819 Vgl. die Edition im Anhang sowie die kursorische Erwähnung bei Blickle, Landschaften, 1973, S. 194, Anm. 203; ferner Jäger, Geschichte der landständischen Verfassung, Bd. II/2, 1885, S. 268. 814
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(zwei Mandate),820 1489,821 1493822 und schließlich in der Halsgerichtsordnung von 1499 getroffen, wobei diese – mit Ausnahme der beiden Mandate von 1482 – in größere Normenkomplexe eingebettet waren. Sie richteten sich nicht gegen die Adelsfehde, die seit der Niederschlagung der Erhebung der Starkenberger gegen Friedrich IV. (1426) in Tirol nur mehr eine sehr untergeordnete Rolle spielte, sondern zielten auf eine Restringierung der bäuerlichen Fehde ab, die (wie bereits erwähnt) bis weit in das 16. Jahrhundert eine erhebliche Rolle spielte und nicht auf die Totschlagsfehde beschränkt war.823 Die Initiative zu einer Kodifikation des Strafrechts ging eindeutig vom Landesfürsten aus,824 der bereits durch ein Schreiben vom 9. Juli 1493 Vertreter der Landstände zu entsprechenden Beratungen auf das Adelige Hofrecht nach Bozen lud. Als Haupt ursache für die anzustellende Beratschlagung, „wie die maleficz-recht und was den hanndl berüert, hinfür gehalden werden sollen“, werden neben der anzustrebenden Kostenreduktion in der Strafrechtspflege vor allem zu milde Urteile der erstinstanzlichen Gerichte angeführt, was insbesondere beim Vergleich mit anderen Ländern auffalle und, „wo das auswendigen zu gehör kumbt, schimphlich sein wil“.825 Eine bislang unbekannte Quelle lässt eine Rekonstruktion des Anlassfalls zu, der Maximilian I. 1493 von der Reformbedürftigkeit des Tiroler Strafrechts überzeugt hat. Es ist mit Sicherheit kein Zufall, dass Maximilian rund zweieinhalb Monate vor Anberaumung der Konsultationen über eine Malefizordnung den Richter von Hörtenberg, Hans Hagel, wegen eines unformblich vermaint urtail[s] rügt und ihm jedes weitere Tätigwerden in Strafrechtssachen untersagt.826 Nicht nur die zeitliche Nähe legt eine Kausalität nahe, ist doch das Mahnschreiben an den Richter mit 26. April 1493 datiert. Auch das Wiederaufgreifen der im Schreiben an Hans Hagel verwendeten Formulierung vom unformblich vermaint urtail im Ladungsschreiben vom Juli 1493 lässt auf einen Zusammenhang schließen. Hans Hagel wurde von Maximilian heftigst kritisiert wegen des Die Mandate von 1482 erwähnt bereits Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 183, Anm. 3 (vom Mandat von 1483 Dez. 3 kennt Wallnöfer jedoch nur das auf 1483 Dez. 2 datierte Konzept). 821 Edition der Ordnung von 1489 Juni 5 bei Wopfner, Lage Tirols, 1908, S. 205–207. 822 Die Ordnung von 1493 wurde mit der Halsgerichtsordnung neuerlich verlautbart (vgl. die Edition bei Schmidt, Halsgerichtsordnungen, 1949, S. 123–132; die ursprüngliche Fassung in TLA, Kopialbuch Ältere Reihe, Nr. 16, Lit. P, S. 88–93). 823 Allgemein zur Fehdeführung der bäuerlichen Bevölkerung zuletzt Reinle, Bauernfehden, 2003; Reinle, Umkämpfter Friede, 2005 (jeweils mit weiteren Literaturangaben). 824 Durchaus skeptisch demgegenüber Blickle, Landschaften, 1973, S. 198; zur Malefizordnung von 1499 und zu ihrer Entstehung vgl. im Übrigen Wopfner, Lage Tirols, 1908, S. 179–185; Schmidt, Halsgerichtsordnungen, 1949, bes. S. 64–83; zuletzt Morscher, Halsgerichtsordnung, 1998, S. 30–32. 825 Edition der Ladung bei Wopfner, Lage Tirols, 1908, S. 209–210, Zitat S. 209; Original in TLA, Kopialbuch Ältere Reihe Nr. 16, Lit. P, S. 121–122. 826 Vgl. TLA, Kopialbuch Ältere Reihe, Nr. 16, Lit. P, S. 94, 1493 April 26. 820
7. Die Kodifikationen (1499, 1526, 1532, 1573)
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unformblich vermaint urtail, so du am nagsten maleficzrechten von wegen Hannsen Zewner und noch ains slossers hie für den ainen gegeben und dich mit dem ayd, also ob du die sach des anndern nicht versteest, genomen hast, die doch allen und yeden verstenndigen mennschen den mercklichen verhanndlungen nach durch sy beganngen und im rechten fürgewenndt; wellen und emphelhen wir dir das auch ernnstlich, daz du hinfür weder in maleficz- noch anndern rechten nyemand an unnser sonnder erlaubnus redest, urtailest noch ratest bey swerer unnser ungnad und straff zu vermeyden. Im Fall von Hans Zeuner lag somit offensichtlich ein richterlicher Ausspruch Hegels vor, der unter Missachtung der Förmlichkeiten eines Strafprozesses, mithin also unformblich zustande gekommen war und, wie Maximilian I. rechtlich rügt, als vermaint urtail verkündet worden war. Im Fall des namentlich nicht genannten Schlossers handelt es sich hingegen um eine Rechtsverweigerung durch den Richter, der bei Anrufung des Gerichts auf sein Unvermögen (als ob du die sach […] nicht versteest) verwiesen haben dürfte. Im Übrigen erfährt man rückblickend nichts über den zugrunde liegenden Sachverhalt, und ebenso bleibt fraglich, wie das Wissen über das unformblich vermaint urtail bzw. die Rechtsverweigerung an das Regiment bzw. den König gelangt sein könnte, wobei zumindest im Fall der Justizverweigerung an eine Supplikation des Betroffenen bzw. seiner Angehörigen zu denken ist. Maximilian I. konnte damit rechnen, mit seinem 1493 angeregten Plan einer Kodifikation des Strafrechts bei den Ständen auf Verständnis zu stoßen. Schließlich hatte das ständische Regiment bereits fünf Jahre zuvor im Bereich des Strafrechts und der Strafverfolgung Defizite konstatiert und Gegenmaßnahmen zur Diskussion gestellt. Da die malefici-recht schlechtlich beseczt und deshalben vil unformlicher urtail ein zeit her ausgangen seien, wollte man Richter und Pfleger ermahnen, dass sy hinfür bas vleyss und aufsechen haben, damit gestraks nach dem rechten nach gestalt einer yeden übeltat gericht und pöss leut gestrafft und nicht so liederlich fürgeschoben werden.827 Der 1493 seitens des Königs formulierte Befund der zu nachlässigen Strafverfolgung durch die Gerichte wird der Landschaft gegenüber nochmals 1496 als Grund für die Kodifikationsbestrebungen angeführt. In den Landtagsunterlagen heißt es hinsichtlich des Strafrechts: Der malfecicz-recht [sic!] halben, wiewol man nyemand in sein gewissen noch urtail rede, so sehe man doch, daz vil unformlicher urtailen gesprochen, dadurch Vgl. TLA, Hs. 113, fol. 211r–215r, 1488 (ohne nähere Datierung); vgl. die Edition der Quelle in Kap. VIII.2. Wenn zuweilen der Landtag von Meran im Jahr 1487 als Beginn der Bemühungen um eine Kodifikation des Tiroler Strafrechts bzw. um eine „Landesordnung“ genannt wird (vgl. z. B. Baltl, Landgerichtsordnung, 1986, S. 14; Baltl, Geschichte der steirischen und österreichischen Strafrechtskodifikationen, 1951, S. 32), so beruht dies auf einer Fehlinterpretation des damals verwendeten Terminus „Landesordnung“ (hierzu ausführlich Kap. IV.7.2.).
827
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
mercklich täter irer verhanndlung nach nicht gestrafft werden, als zwye, ainder in Taufers und annder mer, das man ordnung gebe und fürnem, die auch begreiffen und beschreiben lasse, wie die hinfür gehalden sollen werden, doch sollen sunst die anndern gemainen landsprauch und recht in iren wirden beleyben.828 Eindeutig geht aus diesem Zitat hervor, dass die Initiative neuerlich vom Landesfürsten ausgeht.829 Der simple Schluss auf Missstände in der Tiroler Strafrechtspflege des Spätmittelalters wäre jedoch verfehlt.830 So wie 1493 konkret ein Urteil als Anlass für die Reformbestrebungen Maximilians ausgemacht werden kann, verwies Maximilian I. 1496 nur auf zwei an ihn gelangte „unförmliche Urteile“, die als Beleg für einen Reformbedarf angeführt wurden. Weder er noch das Innsbrucker Regiment als oberste Justizbehörde hatten zum damaligen Zeitpunkt allerdings einen Überblick über die Straf- und Urteilspraxis der Stadt- und Landgerichte, wenngleich die zahlreichen Supplikationen von Verurteilten bzw. von ihren Angehörigen während oder nach Strafprozessen einen ausschnittsweisen, selektiven Eindruck verschafft haben mögen.831 Dennoch wurden Einzelfälle, die nicht repräsentativ für die Rechtsprechungspraxis gewesen sein müssen, jedoch vom Regiment respektive Maximilian in diesem Sinne interpretiert wurden, als Anlass für die Kodifikationsbemühungen herangezogen. Nach Einsetzung einer aus Adeligen, Pflegern und Richtern zusammengesetzten Kommission im Jahr 1497832 lag spätestens auf dem Oktoberlandtag 1499 die Endredaktion der Malefizordnung vor,833 die im Jahr 1500 (und nochmals 1506) im Druck vervielfältigt und publiziert wurde.834 Da es 1499 nachweislich die Landstände waren, die auf eine Publikation der Malefizordnung drängten, muss die These einer anfänglichen Ablehnung dieser Ordnung durch die Städte und Gerichte, die Blickle vorgebracht hatte,835 als widerlegt gelten. TLA, Kopialbuch Ältere Reihe Nr. 19, Lit. S, S. 246–248, hier S. 248; Regest bei Wiesflecker u. a. (Bearb.), Regesten, Bd. 2, 1993, Nr. 6905, 1496 März 20. 829 ������������������������������������������������������������������������������������������� Dies ergibt sich auch aus der Überschrift, die einer Reihe von Verhandlungspunkten – darunter eben auch den vorzunehmenden Beratungen über das Strafrecht – vorangestellt ist: Item dise nachgeschribnen artickel sein der lanndtschafft auf suntag Iudica furgehalden worden. 830 Keine Quellenbelege oder auch nur Anhaltspunkte finden sich für die Aussage bei Morscher, Halsgerichtsordnung, 1998, S. 27: „Die Mißstände in der Rechtsprechung, die Willkür und Grausamkeit der Urteile empörten die Rechtsunterworfenen.“; vgl. aber auch allgemein in diese Richtung gehend Schmidt, Sinn und Bedeutung, 1966, S. 241. 831 Ein Beispiel für die Begnadigung eines Verurteilten aufgrund einer Supplikation an den Herrscher bietet TLA, UR I/5125, 1497 Juli 15. 832 Vgl. Blickle, Landschaften, 1973, S. 197. 833 Vgl. den Druck des Landtagsabschiedes von 1499 Oktober 26 bei Schennach, Quellen, 2004, S. 146–150, hier S. 149 (Punkt 20). 834 �������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Moeser, Landesordnung, 1955; Palme, Kodifikationsbestrebungen, 1989, S. 158; Morscher, Halsgerichtsordnung, 1998, S. 41. 835 Blickle, Landschaften, 1973, S. 197–198. 828
7. Die Kodifikationen (1499, 1526, 1532, 1573)
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Die inhaltliche Rekapitulation der einzelnen prozess- und materiellrechtlichen Bestimmungen ist an dieser Stelle nicht notwendig. In der rechtshistorischen Literatur dominiert zurecht die Sichtweise, die die Halsgerichtsordnung von 1499 noch stark im mittelalterlichen Rechtsdenken verankert sieht.836
7. 1. 2. Die Implementation Die Halsgerichtsordnung sollte die bis dahin geltenden vielgestaltigen Rechtsgewohnheiten verdrängen, was sich jedoch in der Praxis zunächst als einigermaßen problematisch erwies.837 Verordnete der Oberinntaler Gerichte versammelten sich kurz nach Kundmachung der Malefizordnung und ventilierten das Begehren, die sachen bey dem altn geprauch beleyben zu lassen und weigerten sich, sie anzuwenden. Entschieden widersprach Maximilian diesem Ansinnen. Es stehe den Untertanen nicht zu, die Anwendung einer unter Beteiligung der Landstände zustande gekommenen Ordnung zu verweigern, geschweige denn erst darüber zu ratslagen, ob sy das halden wellen oder nicht. Ausdrücklich betonte er die Derogation des Gewohnheitsrechtes durch die Halsgerichtsordnung, indem sonnst nach dem alten brauch zu richtn aufgehebt, vernicht, todt, cassiert unnd ab sein sol. Dass die Implementation der Ordnung trotz des Mangels einschlägiger archivalischer Überlieferungen in der ersten Zeit schwierig gewesen sein dürfte, wird durch einen Hinweis aus dem Jahr 1501 nahe gelegt: Damals bestellte Maximilian den Haller Bürger Christian Hueber zu seinem Diener, der vornehmlich den Vollzug der neu erlassenen Ordnung überwachen sollte,838 nachdem schon im März 1500 der damalige Verwalter des Kammermeisteramtes der newen ordnung halb in das Ober- und Unterinntal sowie nach Brixen gereist war.839 Der Bozner Landtag von 1501 brachte nochmals eine Nachverhandlung der Malefizordnung, die zwar grundsätzlich bey wirden und kreften beleiben sollte und deren Einhaltung den Gerichtsobrigkeiten nachdrück lich eingeschärft wurde, jedoch in einem Punkt eine Präzisierung erfuhr: Es wurde ergänzt, dass je ein Drittel der zu bestellenden zwölf Gerichtsgeschworenen jährlich ausgewechselt werden sollte.840
Vgl. vor allem Schmidt, Halsgerichtsordnungen, 1949, S. 74–83; Grass, Stellung Tirols, 1978, S. 254–255; Palme, Kodifikationsbestrebungen, 1989, S. 158–159; Hellbling, Strafrechtsquellen, 1996, S. 3; Kocher, Umfeld, 2005, bes. S. 68; die Stimme eines Historikers bei Blickle, Landschaften, 1973, S. 198–199; nunmehr auch programmatisch Morscher, Halsgerichtsordnung, 1998, S. 9; leicht differenzierend Sartori-Montecroce, Reception, 1895, S. 3. 837 ���������������������������������������������������������������������������������������� TLA, Kopialbuch Ältere Reihe Nr. 23, Lit. V, fol. 52v–53v; Edition bei Wopfner, Lage Tirols, 1908, S. 209–210; ein entsprechender Hinweis bei Blickle, Landschaften, 1973, S. 198. 838 Vgl. Wiesflecker u. a. (Bearb.), Regesten, Bd. 3/1, 1996, Nr. 12399, 1501 Aug. 29. 839 Vgl. Wiesflecker u. a. (Bearb.), Regesten, Bd. 3/2, 1998, Nr. 13974, 1500 März 3. 840 TLA, Kopialbuch Ältere Reihe Nr. 24, Lit. W, fol. 53, 1501 Jan. 8. 836
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
Lokal und regional zeigten sich trotzdem Akzeptanzprobleme. Noch ein Vierteljahrhundert später wurde über die Gerichte Naudersberg sowie Glurns und Mals berichtet, dass diese irem alten prauch nach daz malefiz besizen und nit nach lawt der newen ordnung hanndlen noch dieselb angenomen haben.841 Dieses Ergebnis darf aber nicht vorschnell als Indiz für die generell fehlende Implementation der Halsgerichtsordnung interpretiert werden. Die Verhältnisse in den genannten Gerichten im Vinschgau waren nämlich alles andere als repräsentativ für die Grafschaft Tirol, war doch die Position des Tiroler Landesfürsten aufgrund der weltlichen Herrschaftsrechte des Churer Bischofs in diesem Raum vergleichsweise wenig gefestigt, so dass die dort ansässigen Untertanen die regelmäßigen Differenzen zwischen beiden Herrschaftsträgern durch geschicktes Lavieren zwischen beiden Polen zu ihren Gunsten nutzen konnten. Nicht dieser vereinzelte Hinweis auf das Ausbleiben einer raschen Durchsetzung der Malefizordnung ist daher bezeichnend, sondern vielmehr das fast vollständige Schweigen der Quellen über längerfristige Durchsetzungsprobleme. Nur 1560 wurde im Zuge von Beratungen über die Reform der Tiroler Landesordnung thematisiert, dass die 1501 klargestellte und nachmals in der Tiroler Landesordnung fixierte jährliche Auswechslung eines Drittels der Gerichtsgeschworenen in der vorherrschenden Gerichtspraxis nur auf den Zivil-, nicht jedoch auf den Strafprozess bezogen werde. Der Richter des Gerichts Rottenburg monierte, dass das Malefizrecht bei dem offnen schrannen […] in gegenwurttiger grosser anzall der manschafft noch diser zeitt gehalten werde, was doch sonst bei khainem gericht in der gannzen grafschafft Tirol nit gebreuchig sei, weshalb sich auch die Regierung für eine Abstellung dieser Praxis und ein der Landesordnung konformes Verfahren aussprach.842 Für die rasche Durchsetzung und die große Akzeptanz der Halsgerichtsordnung bei den erstinstanzlichen Gerichten sprechen zudem die nur unwesentlichen Änderungen, die seitens des dritten und vierten Standes auf dem Junilandtag 1525 gefordert wurden und schließlich Berücksichtigung fanden.843 Die Frage, ob sich die Halsgerichtsordnung, die auf normativer Ebene im Vergleich zu dem bis dahin geltenden Normenbestand eine signifikante Verschärfung der Strafdrohungen mit sich brachte, in der Rechtssprechung niederschlug und beispielsweise eine strengere Ahndung von Straftaten nach sich zog, lässt sich auf Grundlage des bisherigen Forschungsstandes mangels entsprechender empirischer Untersuchungen im Sinne einer möglichst umfassenden Analyse der überlieferten Spruchpraxis nicht eindeutig beurteilen. Vereinzelte Indizien844 und insbesondere TLA, Buch Tirol, Bd. 1, fol. 55v, 1525 Jan. 13; vgl. auch ebd., fol. 56, 1525 Febr. 10. TLA, Ferdinandea, Karton 165, Position 165, Anmerkungen zum 6. und zum 56. Titel, 2. Buch der TLO 1532. 843 Vgl. die Bestimmungen der Halsgerichtsordnung im Vergleich zu TLO 1526, Buch 2, Teil 1, Titel 32, 36–37, 39–41, 44, 52 der Tiroler Landesordnung von 1526. 844 Vgl. die sehr ähnlichen Strafen für Totschlag, die 1497 und 1501 verhängt wurden: TLA, UR I/5125 und I/3094. 841 842
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das für die frühneuzeitliche Strafjustiz generell charakteristische Aushandeln von Strafen lassen eine derartige fundamentale Änderung der Strafpraxis, wie sie die isolierte Betrachtung der geltenden Normen nahe legen könnte, allerdings als unwahr scheinlich erscheinen. Im Übrigen stellt die Halsgerichtsordnung bzw. das auf ihr beruhende 8. Buch der Tiroler Landesordnung von 1573 auch ein gutes Beispiel für die Möglichkeit der Derogation von Gesetzesrecht durch Gewohnheitsrecht dar. Als 1695, 1708 bzw. 1740 neuerlich eine grundlegende Überarbeitung der Tiroler Landesordnung in Betracht gezogen wurde und die Regierung entsprechende Stellungnahmen seitens der lokalen Obrigkeiten einforderte, war deren Tenor eindeutig: Die Strafdrohungen der Landesordnung seien bei weitem zu streng und diese selbst ohnehin in pluribus casibus nit mer observierlich [...], sondern man sich mehrern thayll nach der peinlichen halßgerichtsordnung Caroli V. in iudicando reguliert (1695).845 1708 regen der Landrichter und der Ausschuss des Gerichts Freundsberg und Schwaz bei Erörterung des 8. Buchs die Behandlung der Frage an: Sodann, weillen fir gewisse verbröchen die aufgesöczten straffen nit mehr in yebung, was an der statt statuiert werdten mechte.846 Zugleich monieren sie, den erstinstanzlichen Richtern genauere Anweisungen über den Ablauf eines Strafverfahrens an die Hand zu geben und auf diese Weise das formelle Strafrecht zu erläutern.847 Ebenso wies der Landrichters von Hörtenberg 1740 auf die mangelnde Observanz der strafrechlichen Bestimmungen der Landesordnung hin, wenn er 1740 konstatierte: Weillen die merern Straffen, so in disem Puech [Buch 8] auf die Missethaten gesözet sein, nicht mehr observiert werden [...].848
7. 2. Auf dem Weg zu einer Landesordnung 7. 2. 1. Zum Terminus „Landesordnung“ 7. 2. 1. 1. Allgemeines Bei Landesordnungen handelt es sich um frühneuzeitliche Rechtsquellen. Zu einem breiteren Konsens hinsichtlich der Definition und speziell hinsichtlich der Abgren ������������������������������������������������������������������������������������������ Vgl. TLMF, Dip. 913, fol. 162r–164v, hier fol. 164v. Aufschlussreich auch das Werk des Regimentsrates Frölich von Frölichsburg, Nemesis romano-austriaco-tyrolensis, 1696. 846 TLA, Hs. 3187, fol. 10r, 1708 (ohne nähere Datierung) (Abschrifft insteender erleiterungspuncten yber die lanndtsordnung der lanndtgerichtsschreiberey zu Freintsperg unnd Schwaz). 847 TLA, Hs. 3187, fol. 10r, 1708 (ohne nähere Datierung): Es werde zugleich für die gemaine pann- und achtrichter ser dienstlich eracht, wann des mallefiz-proces halber, wie sollicher zu fieren unnd anzustellen, ain instruction unnd ordnung geben würde. 848 ����������������������������������������������������������������������������������������� TLA, Hs. 4488, hier fol. 194v–195r; vgl. auch den Hinweis bei Hellbling, Strafrechtsquellen, 1996, S. 189, Anm. 23*. 845
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
zung von der Policeyordnung einerseits und dem Landrecht andererseits ist die Forschung trotz einer in den letzten Jahren deutlich intensivierten wissenschaftlichen Beschäftigung bislang noch nicht gelangt.849 In den meisten Fällen wird „Landesordnung“ als Synonym für „Policeyordnung“ verstanden.850 Jüngst stellte Matthias Weber programmatisch fest, dass sich Landes- und Policeyordnung „inhaltlich nicht voneinander unterscheiden“ ließen.851 Teilweise wird „Landesordnung“ dagegen mit „Landrecht“ gleichgesetzt.852 Dieses „Sprachenbabel“853 führte dazu, dass vereinzelt allgemein verbindliche Definitionsversuche grundsätzlich als nicht zielführend verworfen wurden,854 Gesetze unabhängig von ihrer Selbstbezeichnung von der Forschung als „Landesordnung“ angesprochen oder aber zeitgenössisch als „Landesordnung“ titulierte Gesetzgebungswerke als „Landrechte“ eingestuft wurden.855 Diese Leichtigkeit im Umgang mit dem Begriff „Landesordnung“ zeigt sich nicht zuletzt anhand der Tiroler Landesordnung, die im Druck selbst diese Bezeichnung führt. Dessen ungeachtet entwickelte sich die wissenschaftliche Diskussion, ob sie in Anbetracht der ausgiebigen Berücksichtigung privatrechtlicher Materien nicht zutreffender als „Landrecht“ klassifiziert werden sollte.856 Gesteigert wird die terminologische Verwirrung bei einem Blick in die ältere Literatur, die mehrere Normenkomplexe – so die Ordnungen von 1352, 1420, 1474 und 1478 sowie den Freiheitsbrief von 1404 – ohne längere Reflexion als „Landesordnungen“
Forschungsüberblicke bei Brauneder, Art. „Landesordnungen“, 1978, Sp. 1405–1406; rezent Neumann, Landesordnung, 1998, S. 160–161; zur begrifflichen Problematik auch Moraw, Landesordnungen, 1997, S. 187; Pauser, Gesetzgebung, 2004, S. 228–229; Neumann, Landesordnung, 1998, S. 160–161; ausgesprochen kritisch Schildt, Policey- und Landesgesetzgebung, 2000, S. 232–236. 850 ����������������������������������������������������������������������������������������� So programmatisch Preu, Polizeibegriff und Staatszwecklehre, 1983, S. 21; vgl. Schmelzeisen, Art. „Polizeiordnungen“, 1984, bes. Sp. 1803; Berg, Landesordnungen, 1998, S. 26–28; Schildt, Policey- und Landesgesetzgebung, 2000, S. 232–233; stellvertretend für Lehr- und Handbücher z. B. Bader/Dilcher, Rechtsgeschichte, 1999, S. 202–204; Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, 42004, Rz 1321. 851 Weber, Polizei- und Landesordnungen, 1996, S. 15. 852 Vgl. z. B. Wesener, Bedeutung der österreichischen Landesordnungsentwürfe, 1974; Kocher, Historische Dimensionen des österreichischen Bodenrechts, 1979, S. 27 und öfter; Steppan, Recht an der Liegenschaft, 1995, S. 12–13 und öfter; vgl. auch schon Motloch, Bericht, 1900, hier S. 235. 853 Brauneder, Art. „Landesordnung“, 1978, Sp. 1406. 854 So Neitmann, Landesordnungen, 1992, S. 59. 855 Berg, Landesordnungen, 1998, S. 26. 856 Laufs/Schroeder, Art. „Landrecht“, 1978, hier Sp. 1531; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, 2 1967, S. 195–196; Floßmann, Landrechte, 1976, S. 31, spricht vom „Landrecht Tirols in der Tiroler Landesordnung 1352“ [sic!]. 849
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ansprach.857 Hiergegen haben sich erst in jüngerer Zeit kritische Stimmen erhoben, die eine differenziertere Beurteilung postulieren.858 Zumindest partiell reflektiert der ausgesprochen undifferenzierte Umgang mit dem Terminus „Landesordnung“ die inhomogene Verwendung des Begriffs in den Quellen selbst, der ein breites Bedeutungsspektrum abdeckt. Dabei sind nicht nur zwischen den Territorien Unterschiede zu beobachten, auch in einzelnen Ländern sind in diachroner Sicht bei Einbeziehung handschriftlichen Quellenmaterials Entwicklungslinien auszumachen. In Tirol beispielsweise, dessen erste im Druck erschienene Landesordnung von 1526 fallweise als Beispiel par excellence für diesen Rechtsquellentyp angeführt wird,859 hat der Begriff schon eine Vorgeschichte von einem halben Jahrhundert, wobei er um 1500 eine ganz andere Bedeutung hatte als ein Vierteljahrhundert später. Bei einer induktiven, von der zeitgenössischen Quellensprache ausgehenden Betrachtung lassen sich überregional folgende Eckpunkte herausarbeiten: 1. Der räumliche Geltungsbereich der Ordnung erstreckt sich auf das ganze betreffende Territorium oder zumindest auf den größten Teil.860 2. An ihrem Zustandekommen sind die Landstände in unterschiedlicher Intensität beteiligt.861 3. Regelmäßig behandelt die Landesordnung eine Mehrzahl unterschiedlicher Materien. 4. Häufig ist sie auf eine gewisse Geltungsdauer angelegt, reagiert somit nicht nur auf akute rechts- oder ordnungspolitische Regelungsbedürfnisse.862 Die beiden ersten Kriterien sind conditiones sine quibus non, die gleichwohl keine Spezifika der „Landesordnung“ sind, sondern gleichermaßen auf „Landrechte“ und „Policeyordnungen“ zutreffen. Auch die intendierte längere Geltungsdauer teilen Landesordnungen mit Landrechten und Policeyordnungen, wodurch sie sich von den zahlreichen Einzelgesetzgebungsakten unterscheiden, mit denen Vgl. z. B. Rapp, Statutenwesen, I. Teil, 1827, S. 75 und 87; Canstein, Lehrbuch, Bd. 1, 1880, S. 124–126; Wopfner, Erbleihe, 1903, S. 209; Stolz, Geschichte Tirols, 1955, S. 170, 172 und 516; Blickle, Landschaften, 1973, S. 192–196; Grass, Cusanus und das Fehdewesen, 1988, S. 772–773; vgl. auch Wiesflecker, Maximilian I., Bd. III, 1977, S. 386, der den Anhang der Halsgerichtsordnung als „Landesordnung“ anspricht. 858 �������������������������������������������������������������������������������������� Schubert, Vom Gebot zur Landesordnung, 2001, S. 21–24; Schildt, Policey- und Landesgesetzgebung, S. 233; vor allem Moraw, Landesordnungen, 1997, S. 191. 859 Vgl. Pauser, Gesetzgebung, 2004, S. 229. 860 Vgl. auch Neitmann, Landesordnungen, 1992, S. 60. 861 Vgl. z. B. Berg, Landesordnungen, 1998, S. 26; Neumann, Landesordnung, 1998, 165–166; Neitmann, Landesordnungen, 1992, S. 60–61, 64–65, 71–79; Moraw, Landesordnungen, 1997, S. 188 (der freilich stets den Landesfürsten als federführend ansieht); Maier, Anfänge der Polizei- und Landesgesetzgebung, 1984, S. 208–217. 862 ������������������������������������������������������������������������������������������ Vgl. Weber, Polizei- und Landesordnungen, 1996, S. 17; Schlosser, Gesetzgebung und Rechtswirklichkeit, 1982, S. 536. 857
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
der Gesetzgeber flexibel auf wahrgenommene Missstände reagieren kann. Der umfassendere sachliche Gehalt, der sich nicht auf das Zivil- und Zivilprozessrecht (wie die Landrechte), nicht auf das Straf- und Strafprozessrecht (wie die Halsgerichts-, Malefiz- und Landgerichtsordnungen) und nicht auf das Policeyrecht (wie die Policeyordnungen) beschränkt, hebt die Landesordnungen von anderen frühneuzeitlichen Rechtsquellen ab und erweist sich als ihr konstitutives Element. Die Landesordnung regelt im Vergleich zu Landrechten und Policeyordnungen ein „Mehr“ an Inhalten, ohne dass bei sämtlichen behandelten Materien eine vollständige Normierung angestrebt wird. Diese breite inhaltliche Streuung manifestiert sich geradezu idealtypisch in den Tiroler Landesordnungen von 1526, 1532 und 1573, die neben Verfassungsrecht, Straf- und Strafprozessrecht, Zivil- und Zivilprozessrecht ein breites Spektrum von Policeyrecht (Verwaltungsrecht) abdeckt. Dies ist freilich nur ein Idealtyp. Was in welcher Ausführlichkeit und mit welcher Systematik in einer Landesordnung geregelt wird, hängt von einer Mehrzahl von Faktoren ab. Insbesondere spielen das Fehlen bzw. die Existenz von anderen, sachlich beschränkteren Ordnungen863 und die Größe des Territoriums eine Rolle.864 Daneben sind der Zeitpunkt und die Art des Zustandekommens relevant. Frühe Beispiele von Landesordnungen aus dem 15. Jahrhundert – als älteste nachgewiesene gilt nach derzeitigem Forschungsstand jene des Herzogtums Kleve von 1431865 – sind naheliegenderweise kürzer und unsystemati scher als spätere. Im Umfeld bäuerlicher Erhebungen zustande gekommene Landesordnungen zeichnen sich durch eine intensive Berücksichtigung der im Vorfeld ventilierten Gravamina aus, was nicht nur für die Tiroler Landesordnung von 1526 gilt, sondern ebenso für die (weitgehend Entwurf gebliebene) Salzburger Landesordnung aus demselben Jahr oder für die Klettgauer Landesordnung von 1603.866 Natürlich muss man sich der Tatsache bewusst sein, dass die Frühneuzeit weder eine strenge Scheidung von Straf- und Policeyrecht noch von Policey- und Privatrecht kannte.867 Im Einzelfall kann tatsächlich die Entscheidung schwer fallen, „ob man ein Landrecht mit polizeirechtlichen oder eine Polizeiordnung mit privat ��������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Brauneder, Anfänge der Gesetzgebung, 1994 (erstmals 1977), S. 423–424; Pauser, Gesetzgebung, 2004, S. 228. 864 �������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. beispielsweise die (Entwurf gebliebene) Landesordnung des Grafen Ulrich von Montfort und Rothenfels für die Herrschaften Tettnang, Argen und Wasserburg bei Kuhn, Landesordnung, 2006. 865 Janssen, Gesetzgebung, 1984, S. 27; Moraw, Landesordnungen, 1997, S. 190. 866 ����������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. zu Salzburg Blickle, Ständische Vertretung, 1969, bes. S. 152–166; Putzer, Rechtsgeschichtliche Einführung, 1981; Putzer, Legislative der frühen Neuzeit, 1981; Ludwig, Salzburger Landesordnung, 1982; Ammerer, Feudalverband, 1992, S. 36–39; Blickle, Landschaften, 1973, S. 525–534; Schulze, Klettgau 1603, 1998. 867 ������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. auch Schlosser, Gesetzgebung und Rechtswirklichkeit, 1982, S. 532; Schmelzeisen, Polizeiordnungen und Privatrecht, 1955; Schmelzeisen, Rechtsgebot, 1967; Härter, Policey und Strafjustiz, 2005, S. 173. 863
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rechtlichen Einsprengseln vor sich hat.“868 Doch weist gerade Schmelzeisen darauf hin, dass zur Beurteilung auch die Absichten des Gesetzgebers mit zu berücksichtigen sind.869 In Policeyordnungen werden privatrechtliche Materien regelmäßig aus policeylicher Sicht normiert, also unter dem Aspekt der Bewahrung oder Wiederherstellung der „guten Ordnung des Gemeinwesens“. Das Erbrecht Fremder wird beschränkt, um Geldabflüsse ins Ausland zu restringieren, die Vormundschaft wird reguliert, um das Vermögen der Mündel zu schützen, das Recht auf Eheschließung limitiert, um den unkontrollierten Heiraten potentiell nicht selbsterhaltungsfähiger junger Menschen vorzubeugen.870 Außerdem muss man sich die quantitativen Relationen zwischen den normierten Materien vor Augen halten. In der Policeyordnung ist der Anteil der dem Privatrecht zuzuordnenden Bestimmungen eher gering. Wichtig ist zudem die zeitgenössische Bezeichnung, die nicht ohne weiteres als unerheblich abgetan werden kann. Wenn in Tirol beispielsweise die Sterzinger Ordnung von 1496 zeitgenössisch als gerichts- und lanndsordnung angesprochen wurde, so handelt es sich eben nicht um einen Pleonasmus. Durch die Regelung der Appellation, der Aufnahme von „Kundschaften“, der Pfändung und der Gerichtsgebühren war die Ordnung des Rechtswesens zweifellos ein zentraler Bestandteil des Normenkomplexes, aber bei weitem nicht der einzige. Daneben wurden noch typische strafrechtliche (Absager, Totschlag) und policeyrechtliche Materien (Krämer, Müller, Bäcker, Weinschenken) geregelt. Auch bei anderen zeitgenössischen Paar formeln wie im Fall der Mecklenburgischen „Policey- und Landordnunge“ [sic!] von 1572 ist nicht sogleich auf das Vorhandensein eines Pleonasmus zu schließen, sondern zunächst eine genaue inhaltliche Überprüfung vorzunehmen und in einem zweiten Schritt nach Möglichkeit der frühere Gebrauch des Terminus „Landesordnung“ im betreffenden Territorium (auch anhand nicht gedruckten Quellenmaterials) zu rekonstruieren, blicken doch Landesordnungen vor ihrer Drucklegung regelmäßig auf eine längere, z. T. jahrzehntelange Vorgeschichte zurück (wie auch das Beispiel Tirol zeigen wird). Schließlich charakterisiert auch die einer Landesordnung zugrunde liegende Intention des Gesetzgebers diesen Rechtsquellentyp. Moraw sieht Landesordnungen als Ausdruck von herrschaftlichen und gesellschaftlichen Verdichtungsphasen, in denen sich Einzelregelungen als ungenügend erweisen würden.871 In diesem Sinne kann man freilich auch Policeyordnungen interpretieren. Aufschlussreicher erscheint hier eine Bemerkung Brauneders: In Landesordnungen trete „das Bemühen des werdenden Staates zutage, sich zu strukturieren“,872 was in einer inhaltlich übergreifenderen und umfassenderen Regelung seinen Niederschlag findet. Dies kann Schmelzeisen, Polizeiordnungen und Privatrecht, 1955, S. 10. Vgl. auch Schmelzeisen, Rechtsgebot, 1967, S. 17. 870 ��������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. z. B. Brück, Polizeiordnung, 2003; maßgeblich noch immer Schmelzeisen, Polizeiordnungen und Privatrecht, 1955. 871 Vgl. Moraw, Landesordnungen, 1997. 872 Brauneder, Art. „Landesordnung“, 1978, Sp. 1406–1407. 868 869
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auch als Erklärung dafür dienen, warum der Typus „Landesordnung“ nach derzei tigem Forschungsstand auf die Länder des Heiligen Römischen Reichs und dessen Nachbarterritorien beschränkt ist, während sie in Italien, Frankreich, Spanien oder England nicht anzutreffen sind. Während sich der Prozess der Staatsbildung im Reich auf Ebene der Territorien im ausgehenden Mittelalter vollzog, war die Lage in anderen Teilen Europas grundverschieden. In Italien dominierten Stadtstaaten mit zum Teil erheblichen Territorien (wobei die Geltung des Stadtrechts häufig auf das Land ausstrahlte), während beispielsweise England und Frankreich lange vor dem Reich und auf Ebene der Zentralgewalt einen Integrations- und Konsolidierungsprozess durchlaufen hatten. Landesordnungen waren hier aufgrund des weiter fortgeschrittenen Staatswerdungsprozesses weder notwendig noch aufgrund der ungleich größeren territorialen Ausdehnung der Königreiche sinnvoll. 7. 2. 1. 2. Erstnennungen in Tirol Betrachtet man die Landesordnung von 1526 und ihre Nachfolgeordnungen von 1532 und 1573 isoliert, erweist sich die Definition des Terminus „Landesordnung“ durch Wilhelm Brauneder als zutreffend. Er sieht in Landesordnungen „im spezifischen Sinn [...] Gesetzeswerke, die das Recht des neuzeitlichen Territorialstaates in einer möglichst alle Rechtsgebiete umfassenden Kompilation festhalten wollen, wobei aber keine vollständige Regelung der einzelnen Teilgebiete angestrebt wird, sondern eher nur die Klarstellung besonders wichtiger oder aktueller Fragen.“873 Allerdings hat der Begriff „Landesordnung“ vor der Drucklegung des Gesetzgebungswerkes von 1526 bereits eine Vorgeschichte von fast einem halben Jahrhundert, und während dieser Zeitspanne unterlag er einem erheblichen Bedeutungswandel. Jene materiell übergreifenden Ordnungen von 1352, 1404, 1406, 1420 und 1474, die von der Forschung undifferenziert als Landesordnung angesprochen wurden,874 führten diese Bezeichnung zum Zeitpunkt ihres Entstehens definitiv nicht. Teilweise wurden sie freilich schon im ausgehenden 15. und im beginnenden 16. Jahrhundert als Landesordnung eingestuft, was die Etablierung und Durchsetzung dieses Begriffs in diesem Zeitraum nahe legt.
���������������������������������������������������������������������������������������� Brauneder, Art. „Landesordnung“, 1978, Sp. 1406; jüngst auch Weber, Polizei- und Landesordnungen, 1996, bes. S. 56–57; Franz, Landesordnung, 2003, S. 13–22. 874 So schon Rapp, Statutenwesen, 1. Teil, 1827, S. 75–76, 87–90; ferner z. B. Wopfner, Erb leihe, 1903, S. 209; Stolz, Geschichte Tirols, 1955, S. 170, 172 und 516; Blickle, Landschaften, 1973, S. 192–196; Grass, Cusanus und das Fehdewesen, 1988, S. 772–773; vgl. auch Wiesflecker, Maximilian I., Bd. III, 1977, S. 386, der den Anhang der Halsgerichtsordnung als „Landesordnung“ anspricht. 873
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Bei Stobbe findet sich ein Hinweis auf eine „Landesordnung“ in Tirol im Jahr 1397.875 Hierbei dürfte es sich jedoch um ein Missverständnis bzw. eine Fehldeutung handeln. Offensichtlich ist die Bestätigung einer „ordenung [!] von der wein wegen“ durch Herzog Leopold IV. gemeint, wobei diese landesfürstlicherseits konfirmierte Ordnung zuvor „ettlich edel und unser pu(e)rger gemeinlich ze Botzen [...] erfunden und gemacht“ hatten.876 In einer ebenfalls von Herzog Leopold IV. ausgestellten Urkunde vom 18. Juni 1396 findet sich zudem die Erwähnung einer ordnung von wegen unser lande,877 doch wird damit zweifellos auf den habsburgi schen Hausvertrag vom März 1396 Bezug genommen.878 Der Erstbeleg für die Verwendung des Terminus „Landesordnung“ in Tirol stammt erst aus dem Jahr 1481.879 Nachdem auf Landtagen im August 1478 und im Februar 1479 angesichts des Vordringens der Türken erste umfassendere Landesverteidigungsordnungen („Defensionsordnungen“) ausgearbeitet worden waren, wurden auf dem Landtag des Jahres 1481 neuerlich Fragen der Landesverteidigung verhandelt. Damals verwiesen die Landstände ausdrücklich auf die 1478/79 getroffenen Regelungen. Siegmund habe damals ain lanndsordnung mit haubtleuten in dem lande fürgenomen und solle nun neuerlich mit denselben gesetzten haubtleuten schaffen, daz solcher lanndsordnung noch fürderlichn nachgangn werde.880 Diese Ordnung hatte verschiedene Maßnahmen zur Türkenabwehr vorgesehen: vor allem die Einteilung des Landes in vier Viertel, die ihre Mannschaften jeweils selbst besolden und verpflegen und nach Ablauf eines Monats durch neue Kontingente ablösen mussten; ferner die Bereitstellung von Munition durch den Landesfürsten; die Bestellung von Hauptleuten und Rottmeistern in den einzelnen Städten und Gerichten; die Aufzeichnung der wehrfähigen Mannschaft in eigenen Musterregistern sowie die Bestimmung von Aufgebotszeichen. Die Bezugnahme einer „Landesordnung“ auf genuin militärische Maßnahmen blieb freilich die Ausnahme und ist nur noch einmal im Jahr 1496 belegt.881 Damals empfahl das Regiment in Inns bruck König Maximilian I., angesichts der von Italien drohenden Kriegsgefahren irer Mt. erblich lannd durch haubtleut, auch annderm, was not ist, zu versehen und Vgl. Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen, 1. Abt., 1860, S. 576, Anm. 92 für das Jahr 1397. 876 Vgl. die Edition der Urkunde von 1397 September 19 bei Schober, Urkunden, 1990, S. 10– 11, Zitate S. 10; Erwähnung auch schon bei Rapp, Statutenwesen, 1. Teil, 1827, S. 87, der trotz generell großzügiger Verwendung des Terminus „Landesordnung“ im Fall des Konfirmationsbriefes von 1397 davon absieht. 877 TLA, UR I/113, 1396 Juni 18; im korrelierenden Urkundenregest ist irreführenderweise ebenfalls von einer landordnung die Rede, doch findet sich dieser Ausdruck nicht in der Urkunde selbst. 878 Zu diesem Niederstätter, Herrschaft Österreich, 2001, S. 194. 879 Vgl. hierzu auch Schennach, Quellen, 2004, S. 46. 880 TLA, Landschaftliche Landtagsakten, Fasz. 1, Nr. 5b, 1481. 881 TLA, Kopialbuch Ältere Reihe, Nr. 19, Lit. S, S. 393–398, 1496 (gegen Jahresende; keine nähere Datierung). 875
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
legte die Bestellung von Hauptleuten nahe, deren vorgeschlagener Aufgabenbereich umschrieben wurde. Als einzige policeyrechtliche Maßnahme wurde damals die Erlassung eines Getreideexportverbots vorgeschlagen – was laut Kanzleivermerk auch geschah.882 Alle diese Vorschläge firmieren unter der Überschrift Lanndsordnung halben, wobei in diesem Zusammenhang eindeutig die militärische Ordnung (im Sinne von „Bewahrung“) des Landes intendiert war. Ab der Mitte der achtziger Jahre des 15. Jahrhunderts kommt es plötzlich zu einer signifikanten Zunahme der Belegstellen, die eine Landesordnung erwähnen. Ausgangspunkt war die vom 23. März bis zum 7. April 1485 zwischen Siegmund und den Tiroler Landständen ausgearbeitete Nachfolgeregelung für den Fall des Ablebens des Erzherzogs ohne Erben.883 Demnach sollte die Erzherzogin Katharina bis zum Eintreffen eines Erben aus dem Hause Habsburg – dies zielte auf Maximilian I. ab – unter Heranziehung eines ständischen Rats die Regierung führen, deren Anweisungen sich alle fügen sollten. Die Einhaltung dieser hier nur grob umrissenen Ordnung war von allen Adeligen, Prälaten, Städten und Gerichten eidlich zu beschwören. Wenn von 1485 bis zum Ende der achtziger Jahre von einer „Landesordnung“ die Rede ist, bezieht sich dies stets und ausschließlich auf diese Nachfolgeordnung, die den geordneten und friktionsfreien Übergang des Landes an die kaiserliche Linie der Habsburger sicherstellen sollte. Auf dem Landtag von 1486 wurde so in der landesfürstlichen Proposition bemängelt, dass ettlich die landsordnung, so wir zu fürsehung unser lannde und leute nach unserm abgang, damit sich nyemand frembder understee einczedringen, fürgenomen haben, noch nit gesworn hätten, was nachzuholen sei.884 Auf dem Novemberlandtag 1487 in Meran885 wurde diese Ordnung im Zusammenwirken Siegmunds, kaiserlicher Gesandter und der Tiroler Landstände modifiziert und ihre Einhaltung neuerlich beschworen.886 Der Übergang des Landes an Maximilian I. ließ diese Landesordnung hinfällig werden. Hierbei dürfte es sich um das in TLA, Kopialbuch Ältere Reihe, Nr. 19, Lit. S, S. 378–379, 1496 Dez. 5 überlieferte Mandat handeln. Alternativ käme infrage ebd., S. 296–297, 1496 Mai 6. 883 Vgl. hierzu Köfler/Caramelle, Frauen, 1982, S. 150–154; Jäger, Landständische Verfassung, Bd. II/2, 1885, S. 293–300; Hegi, Räte, 1910, S. 57–82; Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 139–141; Metz, Königtum und Landstände, 2009, S. 40–41. 884 StAB, Hs. 2542 (= Landtagslibelle 5), 1486 Febr. (Monatsende, keine nähere Datierung); zu diesem Landtag vgl. Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 141–142. 885 Vgl. hierzu Köfler/Caramelle, Frauen, 1982, S. 168–170; Jäger, Übergang Tirols, 1873, S. 355–371; Jäger, Landständische Verfassung, Bd. II/2, 1885, S. 338–346; Hegi, Räte, 1910, S. 98–103; Metz, Königtum und Landstände, 2009, S. 68–73. 886 1487 war ausdrücklich (TLA, Hs. 113, fol. 126v) von landtordnung bzw. landordnung die Rede; 1488 (ebd., fol. 182v) wurde jedes Reden gegen die Landesordnung mit Strafe bedroht; in TLA, Kopialbuch Ältere Reihe, Nr. 9, Lit. K, fol. 52r–54v, ist die Rede von der lanndsordnung halben in den vorderen lannden. Dort heißt es: Darnach wie wir mitsambt unnser lanndtschaften der innern und vordern lannde auf dem negstverganngen lanndtag zu Allerheiligentag an Meran ain lanndsordnung und erbhuldigung gemainigklich durch alle unnsere lannde zu beschehen angesehen [...], und nachdem sich unnser lanndschaft der innern 882
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7. 2. 2. Der Kampf um eine Landesordnung unter Maximilian I. Die Verwendung des Terminus „Landesordnung“ auch für umfassendere gesetzliche Regelungskomplexe ist unter Erzherzog Siegmund, wie soeben dargelegt, noch nicht die Regel. In einem Fall jedoch deutet sie sich zumindest schon an. Als die Ordnung von 1404 im Jahr 1486 auf Bitten der Landstände hin von Erzherzog Siegmund konfirmiert wurde, wird die Urkunde ausdrücklich als lanndtordnung und lanndtgesatz bezeichnet887 – beide Bezeichnungen scheinen, wie an dieser Stelle nochmals betont sei, 1404 nicht auf. Die Ordnung Markgraf Ludwigs des Brandenburgers von 1352 wurde erstmals in einer Abschrift aus dem beginnenden 16. Jahrhundert als „tirolische Landesordnung“ tituliert.888 In der entsprechenden Handschrift (dem so genannten „Codex Wernheri“) wurde zudem wiederum die Ordnung von 1404 als tirolische lanndsordnungen (im Plural!) bezeichnet. Von einer großflächigen Durchsetzung des Begriffs „Landesordnung“ zur Bezeichnung einer inhaltlich übergreifenden Rechtsordnung kann anlässlich der Konfirmation der Ordnung von 1404 durch Erzherzog Siegmund 1486 jedoch noch keine Rede sein. Die umfassende, das Straf- und Strafprozessrecht, Gerichtskosten und diverse Policeymaterien behandelnde Ordnung von 1489, die Hermann Wopfner ebenfalls bereits als „Landesordnung“ ansprach, firmierte zeitgenössisch nicht unter dieser Bezeichnung.889 Die Regierungszeit Maximilians I. stellte hier eine Zäsur dar. Zu Beginn der neunziger Jahre des 15. Jahrhunderts häufen sich in auffälliger Weise Belege, die inhaltlich breiter gestreute Rechtsordnungen, an deren Zustandekommen die Landstände beteiligt waren, als Landesordnungen ansprechen. Zwei Ordnungen aus dem Jahr 1491 und eine von 1493 werden in zeitgleich bzw. in kurzer zeitlicher Distanz angefertigten kopialen Überlieferungen als „Landesordnungen“ eingestuft.890 lannde gar willigclich erzaigt und solhe lanndsordnung und erbhuldigung gesworn hat, solle diese auch in den Vorlanden beschworen werden. Ebd., fol. 58v, 1488 Sept. 9: Und als ain lanndtordnung durch die kaiserlichen und küniglichen rätten und unnser lanndtschaften fürgenomen ist [...]. 1489 schrieb Erzherzog Siegmund an den Landvogt im Elsass, man habe zwei Jahre zuvor auf dem Meraner Landtag ain lanndtordnung, auch ain regiment unns, denselben unnsern lannden und leuten zu guet angenommen (TLA, Kopialbuch Ältere Reihe, Nr. 10, Lit. L, fol. 63r, 1489 Juni 12). In einem im Umfeld der Landstände ausgearbeiteten Konzept über die zu bewältigenden Schwierigkeiten wird die Steuereintreibung nach erfindung der lanndtordnung an Meran als notwendig angesehen (TLA, LLTA, Fasz. 1, fol. 118r–119r, 1489 vor Juni 5). 887 Vgl. die Edition bei Schober, Urkunden, 1990, S. 40–41; zudem Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 144. Die Bestätigung von 1486 ist auch im Stadtarchiv Imst überliefert (vgl. Hölzl, Stadtarchiv, 1992, Nr. S 13). 888 TLA, Codex 195, fol. XXVv. 889 Vgl. Wopfner, Lage Tirols, 1908, S. 205–207, hier S. 205. 890 ���������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Urkunde Nr. 28, 1491 Juni 9 (Edition bei Schober, Urkunden, 1990, S. 47–50), Dorsalvermerk: König Maximilians lanndsordnung. TLA, VdL, Bd. 1, fol. 131v–132r, 1491 Dez. 8 mit der Bezeichnung als Khinig Maximilians aufgerichte
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Dieser Trend setzt sich gegen Ende des Jahrhunderts fort. Die Tiroler Halsgerichtsordnung wurde im zeitlichen Umfeld nicht nur als „Malefizordnung“, sondern alternativ wiederholt auch als „Landesordnung“ bezeichnet, zumal diese Selbstbe zeichnung in der Malefizordnung ebenfalls belegt ist.891 Im August 1501 wurde so der Haller Christian Hueber beauftragt, sich in den Städten und Gerichten vor Ort von der Anwendung der „Landesordnung“ zu überzeugen.892 Da sich nachweislich in den ersten Monaten nach Erlass der Halsgerichtsordnung Widerstände gegen die neue Kodifikation regten, liegt der Schluss nahe, dass es sich hier um eine Kontrollmaßnahme handelte, ob die Malefizordnung pflichtgemäß von den Gerichten als Entscheidungsgrundlage herangezogen werde. Auf dem Landtag zu Bozen im Jahr 1500 war bemängelt worden, dass die im Anhang der Halsgerichtsordnung („Etlich ordnung der Recht ausserhalb der Malefitz“) unter anderem enthaltenen Bestimmungen der kriegsknecht und umblauffer halben laut der newen lanndsordnung wenig oder nicht eingehalten würden.893 In den Gravamina des Jahres 1506 wird wiederholt auf die policeyrechtlichen Bestimmungen der „Landesordnung“ (im Sinne von Malefizordnung) Bezug genommen, wobei die Kodifikation nach der äußeren Form wahlweise auch als „Libell“ bezeichnet wurde.894 In diesem Zusammenhang baten die Landstände Maximilian I. auch, die lanndtßordnung auf vorig Kün. Mt. bewilligung auf pergamen unndter Kün. Mt. sigl zu verfertigen.895 Allerdings verhielt es sich in der Folge nicht so, dass sich der Begriff „Landesordnung“ als Synonym für die Malefizordnung von 1499 eingebürgert hätte. Vielmehr verlagerte sich die Bedeutung von „Landesordnung“ zunehmend in Richtung „Landtagsabschied“. Dies zeichnet sich bereits im angeführten Landtagsrezess des Jahres 1506 ab. Damals ersuchte die Landschaft den Herrscher nicht nur um Ausfertigung der Halsgerichtsordnung von 1499 in Form einer besiegelten Kaiserurkunde auf Pergament, sondern bat, dieselbe Behandlung auch der ordnung zukom-
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lanndtordnung (Parallelüberlieferung in Archivio di Stato di Trento, libri copiali, gruppo 1, vol. 1, fol. 23v, dort jedoch bezeichnet als Gescheft von wegen der redner, schreiberlon unnd siglgelt; Edition bei Schmidt, Halsgerichtsordnungen, 1949, S. 122–123; vgl. auch Brandis, Landeshauptleute, 1847/1850, S. 325); ferner die in die Halsgerichtsordnung von 1499 aufgenommene Ordnung von 1493 März 24 (Edition bei Schmidt, Halsgerichtsordnungen, 1949, S. 123–132), zeitgenössische Überlieferungen: HHStA, Maximiliana Ib, fol. 37–40; TLA, Pestarchiv XV/46; TLMF, FB 2675, fol. 101r–102r (ebd., fol. 101r, Bezeichnung als Künig Maximilians aufgerichte lanndsordnung); TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 16, Lit. P, S. 88– 93 (ebd., S. 88, Bezeichnung als gerichts- und landsordnung; ebenso im zeitgenössischen Repertorium 88). Vgl. die Edition bei Schmidt, Halsgerichtsordnungen, 1949, S. 111: „[...] der geleich [sollen] alle die so frävenlich wider diser unser Landßordnung und fürnemen Reden gestraft werden.“ Wiesflecker u. a. (Bearb.), Regesten, Bd. 3/1, 1996, Nr. 12399, 1501 Aug. 29. So der Hinweis in der Narratio des Mandats von 1501 Jan. 9 in TLA, Kopialbuch Ältere Reihe, Nr. 24, Lit. W, fol. 48v–49r. TLA, LLTA, Fasz. 1, Landtag 1506. Vgl. auch Schennach, Quellen, 2004, S. 53–54.
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men zu lassen, die auf jüngst verschinen, auch gegenwurtigen lanndtag furgenomen worden sei. Diese Bedeutungsveränderung bzw. -verengung hatte ihren Grund. Gerade während der ersten beiden Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts wurden auf Landtagen eine Vielzahl von rechtlichen Bestimmungen zwischen dem Landesfürsten und den Ständen ausgehandelt und in die Landtagsabschiede aufgenommen, wobei sich ein gewisser Schwerpunkt im Bereich der „guten Policey“ abzeichnete (allerdings sind nicht alle entsprechenden Ordnungen auf uns gekommen). Betrachten wir als Beispiel den sehr gut dokumentierten Januarlandtag des Jahres 1509.896 Die Ordnung und abschid des landtags, so in der Fürstlichen Grafschafft Tirol zu Boczen gehaldten worden ist anno etc. 1509, besteht aus drei Teilen. Den ersten Abschnitt bilden die zwischen Maximilian I. und der Landschaft ausgehandelten Vereinbarungen, deren Kern die verabschiedeten Maßnahmen zur Landesverteidigung darstellen.897 Den zweiten Teil stellen die Landtagsgravamina respektive ihre Erledigung dar. Einleitend heißt es hier: Nachdem von den stännden der Fürstlichen Grafschafft Tyrol etlich mengl und weßwärd [d. h. Beschwerden], auch obligennd und notturft ainer landtschafft fürkomen, sein dieselben durch gemain landtschafft, so auf den angezaigten lanndtag zu Boczen versamelt gewesen, bewegen [!] und ermessen und darauf rath geschlagt und beschlossen, wie hernach volgt.898 Wenngleich dieser Wortlaut die anschließenden Bestimmungen, die der Abstellung der Landesbeschwerden dienen sollen, als ausschließliches Werk der Landschaft darstellt, lässt ihre Aufnahme in den Landtagsabschied die Approbation der Maßnahmen durch Maximilian I. als sicher erscheinen. Der für ihn zentrale Teil des Rezesses war zweifellos der erste, in dem die Truppenbewilligung und die militärischen Verteidigungsanstalten behandelt wurden, so dass er bei der Behandlung der Gravamina Entgegenkommen signalisieren wollte. Dass die getroffenen Maßnahmen mit Sicherheit nicht dem Willen Maximilians widersprachen, wird ein drucksvoll durch den Umstand dokumentiert, dass sie nahezu zur Gänze Eingang in den Landtagsabschied vom Januar 1510 und vom Juni 1511 fanden. In einem dritten Abschnitt wurden 1509 schließlich eine Reihe von Normen festgehalten (Verrer seint auch die nachgeschribnen ordnungen und artickl beschlossen und fürgenomen), deren Titel lauten: Dieser findet nur kurz Erwähnung bei Jäger, Landständische Verfassung, Bd. II/2, 1885, S. 459; Skriwan, Kaiser Maximilian I., die Erbländer und das Reich im Jahre 1508, 1971, S. 200–201; Köfler, Land, 1985, S. 277–278. 897 TLA, LLTA, Fast. 1, Landtag 1509, fol. 1r–8r; Edition bei Schennach, Quellen, 2004, S. 156–158. 898 TLA, LLTA, Fasz. 1, Landtag 1509, fol. 8v; die Beschwerden und ihre Erledigung erstrecken sich ebd., fol. 8v–18v. 896
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[1.] Holcz halben, so aus dem lannd geet. [2.] Der khnecht halben, so durchziehen. [3.] Der zoll halben. [4.] Straffen und puessen der handtwercher, auch das sy die hanntwercher, so ainer beschuldigt, eemaln solchs beybracht wirdet, ires hantwerchs etc. entseczen. [5.] Enntwerung halben. [6.] Thayl wein halben. [7.] Der weltlichen güetter halben, so den kirchen und geystlichen verkhauft werden. [8.] Vichkawf halben im lande. [9.] Der tuech halben. [10.] Der frembden wein halben. [11.] Aller hanndtwercher und tagwercher halben. [12.] Purckfrider irer rays und hilf halben. [13.] Der gericht an den confinen stewr und rayß halben. [14.] Herczog Leopold und herczog Fridrich freyhait zu vidimieren und renovieren. [15.] Der kessler halben. [16.] Kirchenschulden und rayttungen. Schon die Aufzählung der Rubriken verdeutlicht den verhältnismäßig großen Anteil policeyrechtlicher Bestimmungen. Trotz der formalen Abtrennung dieser Normen vom zweiten Teil des Landtagsabschieds ist der Unterschied nur graduell. Der zweite Teil behandelt die Gravamina, die hier aufgelisteten Artikel reagieren ebenfalls auf Missstände oder Bitten, die typischerweise auch in Landesbeschwerden vorgebracht werden konnten und teilweise tatsächlich in früheren Jahren auf diesem Wege ventiliert worden waren. Eine ähnliche Bitte um Bestätigung der „Landesfreiheit“ von Herzog Leopold und Friedrich (gemeint ist die Ordnung des Jahres 1404) (Art. 14) lag so sicherlich bereits der erwähnten, 1486 erfolgten Konfirmation zugrunde. Die Steuer- und Aufgebotspflicht der Grenzgerichte (Art. 12) war in maximilianeischer Zeit ein immer wieder thematisierter Streitpunkt, und Beschwerden über den Holzexport, die Hand- und Tagwerkerlöhne, den Import ausländischer Weine oder den Fleischhandel sind geradezu als klassische Inhalte von Gravamina anzusprechen. Dass der dritte Abschnitt des Landtagsabschieds vom Januar 1509 im Grunde nur eine Fortsetzung der Gravamina und ihrer Erledigung darstellt, verdeutlicht schließlich ein inhaltlicher Vergleich: Die Landesbeschwerden behandeln unter anderem Steuerfragen, Maße und Gewichte, das grundherrschaftliche Verhältnis, das Strafrecht, den Handel mit Leder, die Vergabe von Gemeindegrund, das Verbot von Zwangsheiraten, das Münzwesen, das Pfändungsverfahren, die Überhegung des Rotwilds – man wird kaum eine Beschwerde und die korrelierende Erledigung finden, die sich nicht ebenso gut in den dritten Abschnitt des Landtagsabschieds einfügen würde.
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Dass den in einem Landtagsabschied aufgenommenen Normen keine unmittelbare Geltung zukam, wurde bereits mehrfach aufgezeigt.899 Sie wurden nicht unmittelbar von den lokalen Obrigkeiten angewendet, sondern bedurften größtenteils der Transformation durch kaiserliche Rechtssetzungsakte. Der Nachweis für diese Behauptung lässt sich auch anhand des hier besprochenen Landtagsabschieds vom Januar 1509 führen. Am darauf folgenden, im Dezember desselben Jahres abgehaltenen Landtag urgierten die Landstände die Umsetzung der zuvor vereinbarten Artikel, wobei sie widrigenfalls recht unverhohlen mit finanziellen Konsequenzen drohten. Die neu bewilligte Geld- und Mannschaftszusage solle demnach nicht anders zugesagt noch begeben sein, es werden dann die artigkl des verganngen lanndtags zu Boczen Trium Regum anno etc. nono gehalten, vormalen entlich durch Kay. Mt. aufgericht und beschlossen.900 Soweit ersichtlich, kam es nicht zu einer förmlichen Ausfertigung der damaligen Landtagsbeschlüsse seitens des Kaisers. Die ausführliche Behandlung des Landtagsabschieds vom Januar 1509 erklärt sich aus dessen repräsentativem Charakter. Er steht stellvertretend für eine Mehrzahl vergleichbarer, auf Landtagen zwischen Ständen und Herrscher ausgehandelter Normenkomplexe, die in den letzten beiden Regierungsjahrzehnten Maximilians I. in Tirol erarbeitet wurden. Einige von ihnen sind im Wortlaut auf uns gekommen, namentlich die Ordnungen der Jahre 1506, 1509, 1510 sowie vom Juni 1511. Von anderen erfahren wir indirekt durch Quellenhinweise. Diesen lässt sich beispielsweise entnehmen, dass der Ordnung von 1506 eine andere unmittelbar vorhergegangen war; ebenso wurde auf dem Novemberlandtag 1511 eine weitere Ordnung ausgearbeitet, die sich nicht erhalten hat. Diese auf Landtagen erarbeiteten, ständischen Gravamina Rechnung tragenden Normenkomplexe wurden in der Folge unterschiedslos als Landesordnungen angesprochen – weshalb es nicht überrascht, dass zu Beginn des dritten Jahrzehnts des 16. Jahrhunderts der Terminus „Landesordnung“ öfter im Plural vorkommt (s. u.). 1523 sprechen so die Tiroler Landstände bezeichnenderweise von alt und new beslossnen lanndordnungen, freyhaitn und saczungen.901 Überdies ist der Landtagsabschied vom Januar 1509 in einem weiteren Punkt repräsentativ. So wie die Tiroler Landschaft in diesem Fall vergeblich die Transformation aller ausgehandelten Bestimmungen urgierte, waren entsprechende Bemühungen auch in den meisten anderen Fällen nicht von Erfolg gekrönt. Es wurde schon im Kapitel II. 1. über das nachmals so genannte „Landlibell“, d. h. den Landtagsabschied vom 23. Juni 1511, eingehend dargelegt, mit welcher Verve und Beharrlichkeit die Tiroler Landstände die Ausfertigung feierlicher Kaiserurkunden über die Beschlüsse dieses Landtags sowie anderer Landtage angestrebt hatten, wobei sie nach mehreren Jahren und unter Einsatz finanzieller Druckmittel zumindest hin Vgl. v. a. Kap. IV.5.2.1. StAB, Hs. 2545 (= Landtagslibelle 8). 901 TLA, LLTA, Fasz. 1, Landtag 1523, Antwort der Stände 8 (unfol., unpag.). 899 900
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sichtlich des „Landlibells“ schließlich Erfolg hatten. Das Streben nach Ausfertigung einer Kaiserurkunde respektive nach einer Publikation in Druckform beschränkte sich jedoch nicht auf den Landtagsabschied vom Juni 1511, was sich schon auf dem Februarlandtag 1512 in aller Deutlichkeit zeigt:902 Von wegen der landtsordnung, so auf vorigem landtag zu Insprugg [November 1511] erledigt unndt von Kay. Mt. bestätt seindt, begern bayde fürsten mitsambt der lanndtschafft, da dieselbigen verschreibungen volförtigt, auch ohne beschwärung ainer landtschafft übergantwurt werden, gehorsamist bitend, alles das, so dieselbe ordnung begreifft unnd inhalt, genedigclich ze hannthaben unndt besiglt zu volfertigen undt alsdann ainem lanndtshaubtman zu den lanndtsfreyhaiten ze legen verordnen, auch dieselben schrifften in ainem druckh menigclichen im lanndt umb zimbliche bezallung ze bringen ervolgen lassen. Auch im weiteren Verlauf des Landtags postulierte die Landschaft zu wiederholten Malen, die bewillligt und beschlossenn lanndsordnung bzw. die libell der gemain lanndsordnung endlich auszufertigen.903 Es überrascht daher wenig, dass in den Folgejahren ebenfalls regelmäßig von „Landesordnungen“ die Rede ist, wobei damit nicht nur auf das „Landlibell“ Bezug genommen wird. Denn dieses wird spätestens seit der Ausstellung der entsprechenden Kaiserurkunde begrifflich von anderen Landesordnungen unterschieden, indem z. B. von der versiglten gemainer lanndsordnung, [die] an dem dreyundzwainzigisten tag Juny in dem aindlefften jar auf gehallten lanndtag durch gemaine lanndtschafft beslossen ist904, von der lanndsordnung, so in dem kayserlichen libell begriffen905 oder von der landsordnung zu widerstanndt der veind906 gesprochen wird. Dabei wird in den ersten beiden Fällen der Akzent auf die äußere Form und die Art des Zustandekommens gelegt, im letzten Fall hingegen auf den Inhalt. Diese präzisierenden Umschreibungen belegen, dass die Zeitgenossen offensichtlich die Existenz weiterer Landesordnungen voraussetzen. In der Tat zeigt eine nähere Analyse, dass sich um diese Zeit der Terminus „Landesordnung“ allmählich zur Bezeichnung von Landtagsabschieden einbürgerte, wobei vornehmlich Abschiede gemeint waren, die durch landesfürstliche Rechtssetzungsakte in unmittelbar anwendbares Recht zu transformierende Normen enthielten. Daher überrascht es nicht, dass „Landesordnung“ nicht nur im Singular, sondern ebenso im Plural belegt ist.907 So ist 1519 beispielsweise von den früher aufgerichten ������������������������������������������������������������������������������������������ TLA, VdL, Bd. 3, S. 128–136, hier S. 135; Parallelüberlieferung in StAB, Hs. 2548 (= Landtagslibelle 11). 903 StAB, Hs. 2548 (= Landtagslibelle 11), fol 3r und fol. 17v–18r. 904 So TLA, Landschaftliches Archiv, Landschaftliche Landtagsakten, Nr. 13, 1511 Juni 23. 905 Zit. nach Schennach, Quellen, 2004, S. 51 (Belegstelle aus dem Jahr 1516). 906 TLA, LLTA, Fasz. 1, 1516. 907 Vgl. z. B. TLA, Kopialbuch Ältere Reihe, Nr. 39, Lit. Nn, S. 103–106, 1519 Juli 3. 902
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landtsordnungen die Rede,908 1523 wird, wie erwähnt, von alt und new beslossnen lanndordnungn [sic] gesprochen.909 Eine genauere Analyse des Kontexts all dieser Belegstellen zeigt zudem eine Konstante: Der Impetus zur Ausarbeitung einer umfassenden Landesordnung ging durchwegs von den Tiroler Landständen aus, die sich sowohl von einzelnen Urkundenausfertigungen über die in Landtagsabschieden enthaltenen Artikel als auch von einer umfassenden Kodifikation ganz klar eine erhöhte Rechtssicherheit und die dauerhafte Abstellung ihrer Gravamina erhofften. Demgegenüber kam Maximilian I., der bei der Ausarbeitung der Malefizordnung trotz intensiver Einbindung der Landschaft noch die führende Rolle gespielt hatte, nunmehr der Part des Verzögerers bzw. Verhinderers zu. Über die Gründe wurde bereits ansatzweise bei Darstellung der Entstehungsgeschichte des Landlibells gesprochen. Erstens wollte sich der Kaiser dadurch eine größere Flexibilität bewahren. Das Fehlen einer umfassenden Landesordnung ermöglichte es ihm, in Eigenregie zu entscheiden, ob und in welchen Punkten er die zwischen den Ständen und ihm ausgearbeiteten Artikel auch tatsächlich durch Einzelgesetze in anwendbares Recht transferierte. Das Ausbleiben einer Kodifikation bewahrte ihm gerade im Bereich der „guten Policey“ einen deutlich größeren rechtlichen Handlungsspielraum. Die erhaltenen, auf Landtagen ausgearbeiteten Ordnungen wurden somit, wie der Vergleich mit den in zeitlichem Konnex erlassenen Einzelgesetzgebungsakten zeigt, nur selektiv in anwendbares Recht transformiert. Welche Artikel in Mandatsform umgesetzt wurden, blieb dem herrscherlichen Gutdünken überlassen. Schon durch die Ausstellung einer feierlichen Kaiserurkunde wurde dieser Handlungsspielraum empfindlich eingeengt; wenngleich den Landständen zumindest vorerst keine direkten Ansprüche hieraus erwuchsen, verbesserte sich für die Zukunft ihre faktische Verhandlungsposition, indem sie auf die Einhaltung der in feierlicher äußerer Form gemachten Zusagen pochen konnten. Aus eben diesem Grund sträubte sich Maximilian über Jahre hinweg gegen die Ausstellung von Kaiserurkunden über Landtagsabschiede, und nur in einem einzigen Fall (nämlich beim Abschied vom 23. Juni 1511) gab er dem ständischen Drängen aus wohldurchdachten und gut kalkulierten Gründen nach. Durch den Erlass einer materiell umfassenden Landesordnung, deren Abänderung womöglich nur im Konsens mit den Ständen möglich gewesen wäre, hätte er seinen rechtlichen Gestaltungsspielraum noch mehr eingeengt, woran er sichtlich kein Interesse hatte. Im Zusammenhang mit der wiederholt vorgebrachten Forderung der Tiroler Landstände nach Erlass einer Landesordnung ist auch in aller Kürze auf das angeb TLA, VdL, Bd. 3, S. 174–189, 1519 Febr. 9 (Parallelüberlieferung in StAB, Hs. 2556 (= Landtagslibelle 19); StAMHs. III/15, TLMF, Dip. 971, Nr. VI/Teil 1); vgl. hierzu im Übrigen auch Brandis, Landeshauptleute, 1847/1850, S. 512. 909 TLA, LLTA, Fasz. 1, Landtag 1523; entsprechende Erwähnungen von „Landesordnungen“ sind beispielsweise auch aus dem Erzstift Salzburg belegt, vgl. nur Ludwig, Zur Salzburger Landesordnung von 1526, 1982, hier S. 422. 908
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liche Vorhaben Maximilians I. einzugehen, Tirol „ein einheimisches bürgerliches Gesetzbuch“910 zu geben, das seit dem 19. Jahrhundert vereinzelt durch die Literatur geistert und das, wenn die Annahme zuträfe, mit dem Widerstand Maximilians I. gegen eine umfassende Landesordnung nicht recht in Einlang zu bringen wäre. Erstmals wird das vermeintliche Projekt offensichtlich in einer 1780 gedruckten juristischen Dissertation erwähnt, die sich als typisches Produkt der Differentienliteratur mit den Unterschieden zwischen römischem und Tiroler Recht hinsichtlich der Intestaterbfolge beschäftigte.911 Angeblich hätte der Kaiser den Tiroler Ständen auf mehreren Landtagen Entwürfe einer Tiroler Zivilrechtskodifikation vorlegen lassen, was jedoch wegen der stark romanisierenden Stoßrichtung der Entwürfe auf ständischen Widerstand gestoßen sei.912 Dieser vermeintliche maximilianeische Plan einer Zivilrechtskodifikation für Tirol fand auch Eingang in Joseph Rapps Darstellung über die Geschichte des Tiroler Statutenwesens.913 Schon Sartori-Montecroce wies zwar zu Beginn des 20. Jahrhunderts darauf hin, dass sich für diese Behauptung keine quellenmäßigen Belege fänden und insbesondere die Landtagsverhandlungen keinen näheren Aufschluss gäben, stufte die Annahme jedoch insgesamt als „wahrscheinlich“ ein. Aufgrund der mehr als unsicheren Nachrichten übergehen freilich die meisten späteren Autoren stillschweigend dieses angebliche Kodifikationsvorha ben914 – was angesichts der Quellenlage voll und ganz berechtigt ist. Gegen Ende der Regierung Maximilians und vor allem im zeitlichen Umfeld des Ausschusslandtags aller österreichischen Länder, der von Januar bis Mai 1518 in Innsbruck tagte,915 forcierten die Tiroler Stände nochmals ihre Kodifikationsbestrebungen. Nachdem Maximilian I. auf dem Ausschusslandtag im Mai endlich in Form einer feierlichen Kaiserurkunde die Abstellung der ständischen, schon zuvor regelmäßig ventilierten Gravamina zugesagt hatte, teilte die Tiroler Landschaft Maximilian I. im August 1518 ihrerseits die Namen der acht ständischen Deputierten mit, die gemeinsam mit Vertretern des Regiments eine umfassende Landesordnung auszuarbeiten hatten. Als deren Grundlage sollten nicht nur die auf dem Innsbrucker Ausschusslandtag ausgehandelten Bestimmungen, sondern auch frühere, noch Borger, Innere Geschichte Tirols, 1966, S. 120. Hellrigl, Dissertatio de differentia successionis ab intestato, 1780, S. 23, Anm. c: „Tyrolenses consuetudinum suarum Germanicarum adeo fuerunt tenaces, ut illud projectum statuti, quod Imperator Maximilianus I. promulgare voluit, sibi deprecati sint, quia id nimis romanizare credebant.“ 912 Vgl. den Verweis bei Sartori-Montecroce, Reception, 1902, S. 3–4. 913 Rapp, Statutenwesen, II. Teil, 1829, S. 24: „Er [Maximilian I.] ließ den Ständen auf mehreren Landtagen durch seine Räthe verschiedene Entwürfe eines Privatrechtes für Tirol vorlegen; allein er fand damit keinen Eingang, weil alle diese Entwürfe mehr oder minder vom Nazionalen abwichen, und nach den Grundsätzen und Formeln des römischen Rechtes bearbeitet waren.“ 914 ������������������������������������������������������������������������������������������ Dies trifft insbesondere zu auf die einschlägige Arbeit von Palme, Kodifikationsbestrebungen, 1989, sowie auf die Überblicksdarstellung bei Palme, Frühe Neuzeit, 21998, S. 27–29. 915 Vgl. hierzu Zeibig, Ausschuss-Landtag 1518, 1854; Wiesflecker, Maximilian I., Bd. 4, 1981, S. 305–320; Weiss, 1518, S. 150–196. 910 911
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nicht vollzogene Landtagsabschiede fungieren.916 Je ein Gesandter der Hochstifte Trient und Brixen bzw. je zwei Vertreter von Adel, Städten und Gerichten sollten im Zusammenwirken mit dem Regiment die gemainen ordnungen, obligen und beschwerungen, so [...] Kay. Mt. auf anbringen aines ausschuß [...] zu wenden gewilligt hat, erörtern und im Zuge dessen auch in den artigkln, so auf vor verschinen lannd tägen fürgenomen, aber nit vollzogen worden sein, oder anndern Kay. Mt. und gemainer lanndtschafft zu guten khomen mögen, hanndln, ratschlagen und Kay. Mt. auf willen unnd wolgefallen derselben zu beschliessen geschrifftlichn zusammenstellen und dem Kaiser übersenden.917 Die Kodifikationsinitiative der Stände riss nach dem Tod Maximilians I. im Januar 1519 nicht ab, im Gegenteil. Schon auf dem Landtag im Februar 1519 wurde die Publikation nicht nur der aktuellen Landtagsbeschlüsse, sondern ebenso der 1518 zwischen Maximilian und den Ausschüssen der österreichischen Länder getroffenen, bisher nur in Urkundenform vorliegenden Übereinkunft sowie früherer „Landesordnungen“ verlangt.918 Eben jener Landtagsabschied vom Februar 1519 – der aufgrund der angespannten sicherheitspolitischen Lage zu den wenigen gehörte, die ohne Transformation durch landesfürstliche Mandate direkt den Norm adressaten kundgemacht wurden und so unmittelbare Geltung erlangten – wurde später seinerseits mehrfach als „Landesordnung“ angesprochen.919 In diesen Jahren nehmen die Erwähnungen von „Landesordnungen“ in verschiedenen Kontexten so zu, dass aus der Sicht des Rechtshistorikers teilweise der Normenkomplex, auf den damit Bezug genommen werden soll, nicht mehr erschließbar ist.920 Im Oktober 1519 erhalten beispielsweise die lokalen Obrigkeiten die Anweisung, zur Eintreibung einer anerkannten Geldforderung gegen einen genannten Schuldner zugunsten des betreibenden Gläubigers mit phandung, pürgschafft oder vanckhnus nach vermügen und inhalt der neuen landsordnung (wie sich Vgl. TLA, LLTA, Fasz. 1, Landtag 1518. TLA, LLTA, Fasz. 1, Landtag 1518, nach 1518 Aug. 4. 918 Unnd damit menigclich im landt in guetem willen unnd gehorsamb in vertreülichen brüederlichen verainten wesen beleiben, guet ordnung, justitia unnd mannßzucht gehalten werde, deßhalben soll menigclichen im lanndt unnd in beeden stifften offentlich alleß daß, so auf yecz gegenwirtigen landtag beschlossen ist, darzue alleß daß, so jungst zwischen Kay. Mt. hochloblicher gedechtnuß und gemainer erblandt abgerödt, beschlossen und aufgericht ist, darzue die vor aufgerichten landtsordnungen, damit sich menigclich yecz und füran zu richten hab und demselben gestrakhs nachgekhomen und ain ersame lanndtschafft in allen handlungen volziehung zu thuen wissen durch tröfflich ansechenlich personen verlesen, publiciert und verkhündt und, wo daß begert, glaublich abschrifften davon gegeben werden; vgl. TLA, VdL, Bd. 3, S. 174–189, 1519 Febr. 9 (Parallelüberlieferung in StAB, Hs. 2556 (= Landtagslibelle 19); StAM, Hs. III/15, TLMF, Dip. 971, Nr. VI/Teil 1); vgl. hierzu auch Brandis, Landeshauptleute, 1847/1850, hier bes. S. 509 und S. 512. 919 Vgl. Wopfner, Quellen, 1908, S. 75 (und die dazugehörige Anm. 1; Erwähnung vom Mai 1525); ferner TLA, Kopialbuch Ältere Reihe, Nr. 39, Lit. Nn, S. 103–106, 1519 Juli 3. 920 Vgl. so die zweimalige Erwähnung einer „Landesordnung“ durch den Bischof von Brixen im Jahr 1521 bei Wopfner, Quellen, 1908, S. 22–23. 916 917
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gepürt) vorzugehen,921 und ein ganz ähnlicher Beleg findet sich zwei Monate spä ter.922 Zwar war das Verfahren bei Pfändungen in den vergangenen Jahrzehnten wiederholt und unter Einbeziehung der Landstände gesetzlich normiert worden, doch lässt sich im zeitlichen Umfeld von 1519 keine entsprechende Regelung eruieren. Ebenfalls im Dunkeln bleibt der Bezugspunkt einer Äußerung, die im September 1523 die Untertanen von Telvana in einem vor der Regierung geführten Prozess gegen ihren Gerichtsherren vorbringen: Man hat auch in Tirol die newen lanndsordnung truckhn lassn und offenlich faylgehaltn, damit menigklich wiß, was darinn begriffen, sich darwider nit zu vergessen.923 Zunächst fällt die Pluralform bei der Verwendung des Terminus „Landesordnung“ auf (bei Apokope des finalen -en). Um das Jahr 1523 finden sich jedoch keine Spuren einer gedruckten Landesordnung; allenfalls wäre denkbar, dass hiermit auf die 1500 und 1506 erfolgte Drucklegung der Halsgerichtsordnung Bezug genommen wird, die schließlich in ihrem Anhang („Etlich ordnung der Recht ausserhalb der Malefitz“) auch eine Rubrik „Etlich Landsordnung“ enthielt.924 Gegen eine solche These spricht jedoch der irritierende Zusatz „neu“, der für einen vor mehr als eineinhalb Jahrzehnten erfolgten Druck eher unwahrscheinlich anmutet. Aus demselben Grund überzeugt auch die Annahme nicht, dass die gedruckten Landtagsabschiede der Jahre 1508 und 1510 die Referenzobjekte darstellen könnten. Umgekehrt mutet die Annahme, dass sich tatsächlich keine Spur einer um 1520 publizierten umfassenderen Ordnung im Archiv des Ausstellers oder als Empfängerüberlieferung erhalten haben sollte, zunächst befremdlich an. Dass dies im Bereich des Möglichen liegt, dokumentiert eine in einem Gesetzgebungsakt vom März 1519 enthaltene Bestimmung, wonach die eigenmächtige Abhaltung von Versammlungen durch die Untertanen nach inhalt der vorausgangnen druckhten libellen und mandaten verboten sei.925 Dass mit den „Libellen“ auf die Drucke der Malefizordnung von 1500 und 1506 verwiesen wird, scheidet aufgrund des Fehlens einer einschlägigen Bestimmung in der Strafrechtskodifikation aus. Die Erwähnung gedruckter Mandate (im Sinne von Einzelgesetz gebungsakten) ist ebenfalls als Indiz für Überlieferungslücken zu sehen, ist doch für die angesprochene Zeit vor dem März 1519 nach derzeitigem Forschungsstand kein gedrucktes Mandat aus dem Tiroler Raum erhalten. Hinsichtlich der Kodifikationsbemühungen der Tiroler Landschaft ist anzunehmen, dass die speziell ab 1518 vorangetriebenen ständischen Initiativen spätestens bis zum Jahresbeginn 1520 zu Zwischenergebnissen geführt hatten, die zumindest partiell bereits verschriftlicht waren und offensichtlich einen inhaltlichen Schwerpunkt auf den Bereich der Policeygesetzgebung legten. Dieser Schluss wird TLA, Kopialbuch Ältere Reihe, Nr. 39, Lit. Nn, S. 215, 1519 [Okt.] (keine nähere Datie rung). 922 TLA, Kopialbuch Ältere Reihe, Nr. 39, Lit. Nn, S. 239, 1519 Dez. 6. 923 TLA, Kopialbuch Ältere Reihe, Nr. 43, Lit. Rr, fol. 105r–111v, 1523 Sept. 5. 924 Vgl. die Edition bei Schmidt, Halsgerichtsordnungen, 1949, S. 122. 925 TLA, Kopialbuch Ältere Reihe, Nr. 39, Lit. Nn, S. 55–56, 1519 März 9. 921
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jedenfalls durch entsprechende Erwähnungen auf dem zu Jahresbeginn 1520 abgehaltenen Landtag nahe gelegt. Nachdem die Stände schon in ihrer Antwort auf die Proposition um die „Konfirmation“ und „Aufrichtung“ der bereits ausgearbeiteten Landesordnung ersuchten,926 wurde die Frage einer umfassenden Landesordnung in den Gravamina thematisiert:927 Verrer, alß sich gemaine stendt und gesellschafft geringen wahr, auch spezerey, darzue der zünfften der handtwerckh, dienstleith, tagwerkher, wirdt, saffeyer, des fürkhaufs, pfantung, waag undt maaß, der richter sitz- und siglgelt, auch zuelaßgelt, bestatung der gerhabschafften, groß zerungen, schreiber- und rednerlohn zue gueter und etlicher maß gegen den geistlichen und andern dergleichen vordrung, so in dem landt fürgefallen seint, beschwären; deßhalben vormals in etlichen artickhlen bey der malefitzordtnung, auch jungst durch ainen verordneten ausschusß ain ferer fachung beschehen ist; damit aber sollich unordnung abgestelt und guet ordenlich pollicey in dem landt gehalten werde, so sollen von jedem standt vier und von jedem stüfft zwen jez fürgenomen werden, die sollen sich fürderlich gehn Botzen verfüegen undt noturfften berhatschlagen [!] undt in ain ordenlich außzug stellen undt alßdan ein regiment abhören lassen, damit dieselb landßordnung Kün. Mt.en zu irer Mt.en [Karl und Ferdinand] zuekhunfft zue confirmieren undt aufrichten fürtragen werden. Die Mehrdeutigkeit des Terminus „Landesordnung“ kommt freilich sogar in den Gravamina zum Ausdruck, wenn im fünften Gravamen postuliert wird, es solle hinfüro niemandt im landt bixen oder andere verpottene wehren wider gemaine lantßordnung bei sich tragen – womit offensichtlich auf eine schon bestehende Norm verwiesen und deren Einschärfung verlangt wird, nicht jedoch die zwei Beschwerdepunkte zuvor erbetene Kodifikation gemeint ist. In der Folge kommt das Verlangen nach einer Landesordnung und der Drucklegung der Landesfreiheiten erst wieder auf dem für Mitte März 1523 einberufenen Landtag zum Vorschein.928 Nachdrücklich und wiederholt wurde gefordert, die alt und new beslossnen lanndordnungn, freyhaitn und saczungen in ain libell zu bringen und druckhn zu lassen, damit menigklich im lannd derselben wissen tragen muge, was von Ferdinand I. ohne Begründung, aber mit Entschiedenheit abgelehnt wurde. Ferdinand I. lag somit ganz auf der Linie seines Großvaters und dachte nicht daran, Vgl. TLA, VdL, Bd. 3, S. 199–207, 1520 Jan. 24: Zum fünfften, nachdem ain zeither auß dem [!] langwirigen kriegsüebungen merkhlich unordnung fürgefallen sein, deßhalb gemaine landtschafft mit rath aines regimentß zu abstellung unordnung ain loblich ordnung unnd pollicey fürgenomen hat, unterthenigclich bittende, dieselb landtßordnung zu irer Mayestat zukhunfft nach abhörung derselben gnedigclich zu confirmieren und aufzurichten. 927 TLA, VdL, Bd. 3, S. 204–205 (3. Beschwerdepunkt). 928 Vgl. zum Folgenden, wenn nicht anders angegeben, Hirn, Landtage von 1518 bis 1525, 1905, S. 51–52, 57, 61. 926
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seinen Handlungsspielraum durch eine Landesordnung einengen zu lassen, die nur unter Einbeziehung der Landschaft zu modifizieren war. Wie schon unter Maximilian waren es die Landstände, die auf eine Landesordnung drängten, wohingegen der Landesfürst nicht nur Untätigkeit an den Tag legte, sondern dem Vorhaben sogar ausdrücklich ablehnend gegenüber stand. Fassen wir abschließend kurz die Bedeutungsentwicklung des Begriffs „Landesordnung“ von seinem ersten Auftreten in den achtziger Jahren des 15. Jahrhunderts bis zum Beginn der zwanziger Jahre des 16. Jahrhunderts zusammen. Unabhängig vom Verwendungskontext lassen sich zwei Konstanten ausmachen: Eine „Landesordnung“ bezieht sich grundsätzlich auf ganz Tirol, und die Tiroler Landstände sind intensiv an ihrem Zustandekommen beteiligt. Häufig sind zudem in einer solchen „Landesordnung“ mehrere, ein breiteres inhaltliches Spektrum abdeckende Rechtsmaterien behandelt, häufig sind die entsprechenden Normenkomplexe überdies auf eine gewisse Geltungsdauer angelegt – es sind dies für diesen Zeitraum jedoch keineswegs unabdingbare Voraussetzungen. Es ist nicht einmal erforderlich, dass eine Landesordnung überhaupt rechtlich-normativen Inhalts sein muss. Dies illustriert die Landesordnung von 1496, die nur kurzfristige militärische und administrative Maßnahmen zur Landesverteidigung anordnete. Die ersten beiden Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts bringen schließlich eine gewisse begriffliche Einengung des bis dahin weiten semantischen Spektrums des Begriffs „Landesordnung“. Dieser wird nun in zunehmendem Maße als Synonym für einen eine Mehrzahl normativer Bestimmungen enthaltenden Landtagsabschied verwendet.
7. 3. Die Tiroler Landesordnung von 1526 7. 3. 1. Der Entstehungskontext Die Tiroler Landesordnung ist ein Produkt des Tiroler Bauernkriegs. Diese von der Forschung schon seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (Oberrauch, Egger) vertretene Ansicht ist längst zum Handbuchwissen geronnen. Doch gelang es erst Blickle zu Beginn der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts, die Tiroler Landesordnung des ihr zuvor vielfach zugeschriebenen revolutionären Anstrichs zu entkleiden. Die ältere Forschung sah in ihr vornehmlich eine Errungenschaft revolutionärer Bauern, die Ferdinand I. abgetrotzt worden war. Über den einer solchen Sichtweise immanenten und nur durch mühsame Konstruktionen einigermaßen aufzulösenden Widerspruch, was denn die ohnehin durch ihre Landtagsrepräsentation an der politischen Willensbildung partizipierenden Gerichte plötzlich zu revolutionären Forderungen bewogen haben könnte, wurde dabei mit allgemeinen Bemerkungen hinweggegangen.929 Hermann Wopfner beispielsweise verweist vornehmlich auf Vgl. noch im Anschluss an die ältere Tiroler Literatur Palme, Frühe Neuzeit, 21998, S. 42–46.
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den sich unter Maximilian I. intensivierenden landesfürstlichen Absolutismus, der auf das „Selbstbewußtsein der freien Tiroler Bauern“ traf.930 Greifen wir exempla risch die noch 1982 von Fridolin Dörrer gelieferten Erklärungsversuche heraus:931 Einleitend streicht er relativ ausführlich die von der Tiroler Landesgeschichte als Fixum betrachtete, vermeintlich singuläre Rechtsstellung des Tiroler „Bauern“ heraus. Dass dieser sich trotz seiner vermeintlich guten Lage „empörte“, wird unter anderem mit der für die Bauern schlechten Ausgangslage in den Hochstiften Trient und Brixen (keine landständische Repräsentation, angeblich drückendere Handhabung der grundherrschaftlichen Rechte) und dem Aufeinanderprallen des vorgeblich von der Regierung angewandten „absolutistischen Staatsrecht[es]“ mit dem von den Landständen verteidigten historisch gewachsenen „Landesrecht“932 erklärt. Demgegenüber betonte Blickle, dass die meisten der während des Bauernkrieges ventilierten Gravamina alles andere als revolutionär, sondern in einer zum Teil Jahrzehnte zurückreichenden Kontinuität landständischer Beschwerden verankert waren. „Der Bauernkrieg in Tirol steht in der Tradition der bäuerlich-bürgerlichen Repräsentation und stellt in keiner Weise einen Traditionsbruch dar.“933 Dementsprechend hebt er auch hervor, dass die Reformation der Landesordnung keineswegs eine weitgehende Zurücknahme der 1526 gemachten Zugeständnisse bedeutete, sondern nur nicht sehr ins Gewicht fallende, punktuelle Verschlechterungen brachte. Die Landesordnung von 1532 sei somit „nicht das große Werk der Reaktion, als das es in der Tiroler Literatur und besonders auch in der Bauernkriegsliteratur dargestellt wird, sondern eher eine Weiterentwicklung der Ordnung von 1526.“934 Der Entstehungskontext der Tiroler Landesordnung von 1526 – der Tiroler Bauernkrieg – sei an dieser Stelle nur kurz umrissen.935 Der Anlass zum Ausbruch der „Empörung“ war die Befreiung des zum Tode verurteilten Peter Paßler am 9. Mai 1525, dem Tag seiner geplanten Hinrichtung, in Brixen. Paßler hatte zuvor dem Bischof von Brixen, Sebastian Sprenz, wegen einer angeblich ungerechtfertigten Entlassung als bischöflicher Fischereiaufseher im Pustertal die Fehde verkündet. Im Hochstift kam es zu ersten Bauernversammlungen und Plünderungen, am 13. Mai wurde der bischöfliche Sekretär Michael Gaismair zum Führer der Aufstän dischen gewählt. Die Brixner Unruhen griffen in den folgenden Tagen auf andere, vor allem südliche Landesteile über, während es in Nordtirol weitgehend ruhig blieb und sich auch im Süden die Lage bis Ende Mai weitgehend entspannte. Ende Wopfner, Bergbauernbuch, Bd. 2, 1995, S. 139–142, Zitat S. 141. Dörrer, Lage Tirols, 1982. 932 Zit. nach Dörrer, Lage Tirols, 1982, S. 16. 933 Vgl. Blickle, Landschaften, 1973, S. 214–217, Zitat S. 216. 934 Blickle, Landschaften, 1973, S. 218–224, Zitat S. 223. 935 �������������������������������������������������������������������������������������������� Das Standardwerk, v. a. hinsichtlich der Ereignisabläufe, ist noch immer Macek, Tiroler Bauernkrieg, 1965; vgl. ferner u. a. Bücking, Gaismair, 1978; Dörrer (Hg.), Bauernkriege und Michael Gaismair, 1982; Macek, Gaismair, 1982; Politi, Rivoluzione tirolese, 1995; Stella, Gaismair, 1999; einen gelungenen Überblick liefert Palme, Frühe Neuzeit, 21998, S. 46–50. 930 931
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Mai und Anfang Juni traten Vertreter der Städte und Gerichte der beiden Hochstifte und der südlichen Landesviertel in Meran zu einem aus eigener Initiative anberaumten „Teillandtag“ zusammen, der mit der Abfassung einer 63 Artikel umfassenden Beschwerdeschrift abgeschlossen wurde. Inzwischen versuchte Ferdinand I., die Situation durch die kurzfristige Einberufung eines Landtags zu kalmieren. Dieser wurde am 12. Juni 1525 eröffnet, wobei Vertreter der Städte und Gerichte der Grafschaft und der beiden Hochstifte sowie des Adels teilnahmen, während der Prälatenstand trotz aller Proteste und Vorstellungen auf Betreiben der beiden unteren Stände von den Verhandlungen ausgeschlossen blieb. Hier wurden die 63 „Meraner Artikel“ durch einen Zusatz von weiteren 33 Artikeln ergänzt, so dass die „Innsbrucker Artikel“ insgesamt 96 Beschwerdepunkte enthielten. Diese dienten als Grundlage für die weiteren Verhandlungen. Der Landtag endete am 21. Juli „in allgemein versöhnlicher Stimmung“.936 Ferdinand I. erwies sich auf dem Landtag als ausgesprochen geschickter Taktierer und Verhandlungsführer, dem vier Schachzüge glückten: Erstens gelang es ihm, das Bild eines um das Wohl seiner Untertanen besorgten Landesvaters aufrechtzuerhalten, hatte sich doch bislang der Unmut nicht auf seine Person konzentriert, an dessen gutem Willen nur wenige Landtags teilnehmer zweifelten. Zweitens konnte er durch den Hinweis auf seine angebliche Stellung als nicht entscheidungskompetenter „Gubernator“ der oberösterreichischen Lande in vielen Punkten mangelnde Zuständigkeit vorschützen und so explosive Verhandlungsgegenstände auf die lange Bank schieben. Drittens konnte er mit Erfolg einen Keil zwischen die konsens- und verhandlungsorientierte Mehrheit der Landtagsteilnehmer und die Vertreter radikaler Positionen treiben, die im Verlauf des Landtags immer mehr an den Rand gedrängt wurden. Viertens stellte sich aus landesfürstlicher Perspektive der Umstand als äußerst günstig dar, dass der Landtag nicht mit der Vorlage einer vollständig ausgearbeiteten Landesordnung geendet hatte. Zwar sollte der Landtagsabschied als Grundlage der Landesordnung dienen, doch bot dieses Prozedere noch Möglichkeiten zur Beeinflussung einzelner Artikel im landesfürstlichen Sinn. Umgekehrt hatte die Aussicht auf eine in wesentlichen Punkten zwischen Städten, Gerichten, Adel und Landesfürst paktierte Landesordnung weiter zur Konsolidierung der Situation beigetragen. Auch die sukzessive militärische Niederschlagung bewaffneter bäuerlicher „Empörungen“ in anderen Reichsgebieten führte in den Folgemonaten zu einer völligen Mar ginalisierung der Anhänger einer gewaltsamen Konfrontation, Michael Gaismair musste nach Zürich und schließlich nach Graubünden fliehen, wo er im April 1526 sein revolutionäres Konzept in einer „Landesordnung“ zusammenstellte.937 Ein von ihm geplanter militärischer Einfall nach Tirol scheiterte jedoch bereits in den Ansätzen. So Macek, Bauernkrieg, 1965, S. 277. ���������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. hierzu neben den genannten Werken zum Tiroler Bauernkrieg an jüngeren Arbeiten speziell Hoyer, Tiroler Landesordnung des Michael Gaismair, 1996; Schennach, Landesordnung des Michael Gaismair, 1999; Endermann, Michael Gaismairs Tiroler Landesordnung, 2000.
936 937
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Lenken wir unseren Blick nach dieser nur stichwortartigen Skizzierung des geschichtlichen Ablaufs wieder auf den Kodifikationsprozess, den weitere Quellenfunde in ein neues Licht zu rücken vermögen. Dass das auf dem Landtag im Juni und Juli laut gewordene Postulat nach einer umfassenden Landesordnung alles andere als neu war, wurde bereits hinreichend dargelegt. Das Projekt einer materiell umfassenden Landesordnung konnte schon auf eine längere Vorgeschichte zurückblicken, wobei bereits gewisse Zwischenergebnisse in schriftlicher Form vorlagen. Deutlich wurde dies auf dem im März 1525 abgehaltenen Landtag, auf dem es wieder einmal die Stände waren, die zunächst ganz konkret den Erlass bestimmter policeyrechtlicher Bestimmungen betreffend die öffentliche Sicherheit, die Preisregulierung in Wirtshäusern, das Glücksspiel, Gotteslästerung und die Unsitte des „Zutrinkens“ eingefordert hatten; das diesem Begehren großteils Rechnung tragende Mandat erging noch im April 1525.938 Darüber hinaus reklamierten sie die Endredaktion und Publikation einer Landesordnung, die bereits zum tail in schrifft verfast sei.939 Ferdinand I. lenkte zumindest oberflächlich ein und sagte die Überarbeitung des bisher vorliegenden Materials und der vorzunehmenden Ergänzungen durch Vertreter des Landesfürsten und einen ständischen Ausschuss zu.940 Dabei gelang es der Landschaft im Unterschied zu bisherigen Anläufen immerhin, das Vorhaben zu terminisieren:941 Auf dem folgenden Landtag sollte die „gemeine Landesordnung“ verlesen und dann in gedruckter Form publiziert werden.942 Überdies sollten die Landesfreiheiten abschriftlich jedem Landstand auf sein Begehren gegen Entgelt ausgehändigt werden, wobei der Preis für eine Abschrift auf TLA, BT. Bd. 1, fol. 74, 1525 April 24. Vgl. TLA, LLTA, Fasz. 2, Landtag Invocavit 1525 (unfol., unpag.); Parallelüberlieferung in TLA, Hs. 48; StAB, Hs. 2560 (= Landtagslibelle 23); StAM, Hs. III/15. 940 In der ständischen Duplik hatte die Landschaft gebeten, Ferdinand I. solle stathalter und räten die gemain lanndsordnung mitsambt ainer E. L. ausschuss gnedigklich abczuhörn bevelhen, was vom Angesprochenen zugesagt wurde: Die gemain lanndsordnung will F. D. durch ir stathalter und hofrat mitsambt ainer E. L. ausschuss abczuhörn gnedigklich bevelhen (zit. nach TLA, LLTA, Fasz. 2, Landtag Invocavit 1525). 941 Vgl. auch schon Hirn, Landtage von 1518 bis 1525, 1905, S. 97. 942 Vgl. TLA, LLTA, Fasz. 2, Landtag Invocavit 1525 (unfol., unpag.); Ferrer, nachdem vil und manicherlay beschwerungen, auch unordnungen, so in disem lande ain zeither F. D., auch den stenden und insonders dem gemainen man zu beschwerlichm nachtail fürgefalen sein und auf vil verschinen, auch gegenwurtigen landtagen vil beschwerung und supplicierung fürkummen; damit aber in solhm allen zu abstellung aller unbillichn beschwerligkaiten, auch zu fürderung frid und rechtens, guet ordnung fürgenommen werde, hat F. D., auch gemaine L. ain lobliche landtordnung, so zum tail in schrifft verfast, aufczurichten sich entslossen und bewilliget, auch F. D. stathalter und hofrätten mitsambt ainer E. L. verordnten ausschuss solh landordnung und waz ferrer zu furdrung gemains nucz nott sein wil, abzuhörn mit getrewen vleis all artigkl zu bewegen und darauf zu besliessen und aufzurichten gewallt geben, die alsdann auf den nagstkünfftigen landtag gemainer L. vorgelesen und alsdann in ordenliche libell geschriben oder gedruckht und menigklich im lande, wer der begert, damit solher loblicher ordnung allenthalben gelebt, überantburt werden. 938 939
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
Pergament mit 24 fl., auf Papier mit 12 fl. veranschlagt wurde. Dabei wurden speziell sämtliche Städte und Gerichte als bezugsberechtigt genannt, was auf deren be sonderes Interesse an einer größeren Publizität der Landesfreiheiten hinweist. Ohne den Katalysator des Bauernkrieges bliebe es angesichts der Vorgeschichte fraglich, ob die landesfürstliche Zusage tatsächlich zu einem Resultat geführt hätte und eine Landesordnung zustande gekommen wäre. Es ist bezeichnend, dass sich die Landstände – nunmehr nur noch Städte und Gerichte sowie der Adelsstand – im Juni 1525 wieder einmal beklagten, dass auf die auf früheren Landtagen vorgebrachten Beschwerden hin etwas nachleßig undt langsamb gehandlet, auch wenig volczogen worden seien, was nicht unerheblich zur Empörung beigetragen habe; Ferdinand solle daher mit mehr Nachdruck darauf achten, dass den Bestimmungen der Landtagsabschiede hinfüran fürderlicher dan bißher [...] volcziechung beschech.943 Dennoch darf man die Wichtigkeit der Vorarbeiten für die Landesordnung von 1525/1526 wohl nicht unterschätzen respektive nicht das Resultat ausschließlich im Zusammenhang mit den Meraner bzw. Innsbrucker Beschwerdeartikeln sehen, wenngleich deren Bedeutung grundsätzlich unbestritten ist. Dass die bereits verschriftlichten Teile für die Ausarbeitung von erheblicher Relevanz waren, zeigt nicht zuletzt das äußerst zügige Fertigstellen der ersten Fassung der Landesordnung, die Ferdinand I. im Rahmen der ständischen Duplik am 30. Juni 1525 und somit erst gut zweieinhalb Wochen nach Eröffnung des Landtags vorgelegt wurde. Die Innsbrucker Beschwerdeartikel hatten auf Seiten Ferdinands anlässlich ihrer mehr als eine Stunde dauernden Verlesung für Irritation gesorgt.944 Die Intention der Landschaft und namentlich der beiden unteren Stände interpretierte er in seiner Antwort dahingehend, dass nach Absicht der Beschwerdeführer offensichtlich die vorgebrachten Artikel für ain gemaine landtßordnung gehalten und die alten gewonhaiten und landsordnung abgethan werden sollen, wogegen er angesichts der dadurch bewirkten Beeinträchtigung seiner Hoheitsrechte und der veränderung aller stendte deutlich Stellung bezog. Er habe nicht vor, die alt ordnung gar abzuthun, sonnder die allain zu vernewen.945 Ferdinand I. sah die Innsbrucker Beschwerdeartikel somit durchaus als etwas Unerhörtes, in dieser Ausprägung bisher Unbekanntes, als Umbruch der bestehenden (Rechts-)Ordnung an. Hingegen hat Blickle mit überzeugender Argumentation dargelegt, wie stark die 1525 deponierten Gravamina in den Beschwerdepunkten früherer Landtage verankert waren. Weiteren Aufschluss kann eine dreistufige Analyse bringen: 1. ein Vergleich der inhaltlichen Struktur der Innsbrucker Artikel mit jener früherer Landtage; TLA, VdL, Bd. 3, S. 224. Vgl. Wopfner, Quellen, S. XIX, Anm. 4; Macek, Bauernkrieg, 1965, S. 249. 945 TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 75r und 85r (Parallelüberlieferung in TLA, Landschaftliches Archiv, Landschaftliche Landtagsakten, Fasz. 1, Nr. 22). 943 944
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2. eine genaue Untersuchung, welche Punkte tatsächlich ihre (wenn nicht identische, so doch hinsichtlich des angestrebten Regelungsziels zumindest annäherungsweise) Entsprechung auf vorangegangenen Landtagen haben; 3. die Eruierung jener Beschwerden, zu deren Behebung schon früher Gesetze erlassen worden waren. Schon eine flüchtige Betrachtung der nachfolgenden Grafik zeigt, dass die Innsbrucker Artikel inhaltlich in einem erheblichen Ausmaß von früheren Beschwerden abweichen. Vergleicht man die Aufstellung mit der inhaltlichen Streuung der Gravamina unter Siegmund und Maximilian I., zeigen sich deutliche Unterschiede. Speziell zwei Bereiche wurden so auf früheren Landtagen nie (Religion) bzw. fast nie (Grundherrschaft)946 thematisiert und müssen auf die spezifische Situation des Bauernkriegs zurückgeführt werden. Massive Einbußen verzeichnet dafür der policeyrechtliche Bereich, der zuvor knapp die Hälfte (49 %) aller Beschwerden ausgemacht hatte, nunmehr aber auf nur noch gut ein Viertel (26 %) der Gesamtzahl zurückgegangen ist. Deutlich weniger Boden verloren haben demgegenüber die das Landrecht betreffenden Beschwerden (Rückgang von 18 % auf 14 % aller Beschwerden). Dass der strafrechtliche Bereich nur mehr vergleichsweise schwach vertreten ist (ein Anteil von 3 % statt 7 %), ist auch auf das Vorliegen der Halsgerichtsordnung zurückzuführen. Sonstiges 13% Policey 26%
Grundherrschaft 24% Strafrecht 3%
Landrecht 14% Religion 17%
Landständische Rechte 3%
Grafik 11: Inhalte der Innsbrucker Artikel von 1525 Eine Ausnahme stellt der Landtag von 1520 dar, auf dem zumindest ein Punkt thematisiert worden war: Nach der damals erhobenen Beschwerde sollten einem Baumann, der aufgrund nicht von ihm zu vertretender Umstände erhebliche Ernteeinbußen zu verzeichnen hatte und daher mit seinen Zinsen an den Grundherren im Rückstand sei, gewisse Erleichterungen zuteil werden (vgl. StAM, Hs. III/15, unfol., unpag., 7. Beschwerdepunkt).
946
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
Fragt man konkreter, welche der Innsbrucker Beschwerdeartikel ein Pendant in früher vorgebrachten landständischen Gravamina finden, zeigen sich bei genau einem Drittel aller Beschwerden Übereinstimmungen mit Gravamina früherer Landtage. 32 von insgesamt 96 Beschwerden haben somit eine inhaltlich identische oder zumindest vergleichbare Entsprechung in früheren landständischen Gravamina. Konkret trifft dies zu auf: Artikel 12 (Regelung des Instanzenzugs, keine Prozessverschleppung, keine Besetzung der Regierung mit Juristen, Geistlichen oder aus den Vorlanden kommenden Mitgliedern, sondern mit „Landleuten“, die mit dem „Landsbrauch“ vertraut sind); Artikel 14 (soweit die Vergabe von Schlössern und Ämtern an Landleute, die Instandsetzung der Festungen und deren Versehung mit Waffen und Proviant und das Verbot „unverraiteter“ Verpfändungen von Ämtern betroffen sind); Artikel 15 (der den ewigen Beschwerdepunkt überhöhter Gerichtskosten berührt und die feste Besoldung des Gerichtspersonals reklamiert); Artikel 16 (wonach landesfürstliche Freibriefe keinen eigenen Gerichtsstand begründen und den Begünstigten nicht von der Wahrnehmung öffentlicher Ämter befreien sollten); Artikel 18 (Vereinheitlichung von Maßen und Gewichten); Artikel 20 (Verbot des Fürkaufs); Artikel 21 (Verbot des Hausiererhandels durch Savoyer, Schotten und Niederländer); Artikel 22 (Verbot großer Handelsgesellschaften); Artikel 23 (Niederlassungsverbot für Auswärtige und beschäftigungslose Knechte ohne vorhergegangene Vereidigung durch die lokale Obrigkeit); Artikel 24 (Verbot des Schwörens, Gotteslästerns, Ehebruchs und „Zutrinkens“); Artikel 25 (Abschaffung neuer Zölle und Mauten); Artikel 27 (Fixierung der Löhne für Handwerker); Artikel 28 (Beschränkung der Zünfte und Bruderschaften); Artikel 30 (Verbot des Aufenthalts für beschäftigungslose Landfremde, länger als drei Tage in einem Gericht zu verweilen); Artikel 31 (Festlegung der Entlohnung von Rednern und Vorsprechern bei Gericht); Artikel 32 (Bitte um eine gute Münze); Artikel 33 (Anfertigung von Abschriften der Landesfreiheiten); Artikel 38 (Lehenrecht); Artikel 45 (Beschränkungen der Waldnutzung, Verbot des Holzexports); Artikel 49 (abwechselnde Abhaltung der Landtage im südlichen und nördlichen Landesteil); Artikel 53 (Beweiserleichterungen beim Nachweis des Erbrechts); Artikel 60 (Verbot des Viehexports vor dem 14. September);
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Artikel 61 (Verbot von Kirchtagen); Artikel 62 (keine Inhaftierung ‚angesessener‘ Untertanen wegen nicht-malefizischer Vergehen); Artikel 67 und 68 (gerechte Verteilung der Mannschafts- und damit der Steueranschläge zwischen den Städten und Gerichten); Artikel 70 (Verbot der Winkelgasthäuser ohne Schank- und Wirtsgerechtigkeit); Artikel 71 (Verbot des Reitens von Jagdgesellschaften in noch nicht abgeerntete Feldern); Artikel 79 (Vergabe von Gemeindegrund nur mit Zustimmung der betroffenen Gemeinde); Artikel 81 (keine ausschließliche Urkundenerrichtung vor Gericht); Artikel 82 (Absager); Artikel 91 (Besteuerung der Besitzungen der Gotteshausleute im Vinschgau); Artikel 95 (Bitte um Erledigung der Partikularbeschwerden). Nicht alle diese Beschwerdepunkte sind einer gesetzlichen Regelung zugänglich. Wo dies jedoch der Fall ist, zeigt ein Vergleich mit der bis 1525 entfaltenen landesfürstlichen Gesetzgebungstätigkeit, dass viele der 1525 neuerlich vorgebrachten Gravamina ohnehin schon ganz im Sinne der Beschwerdeführer gesetzlich geregelt waren. Genauer gesagt trifft dies auf 18 der 32 neuerlich vorgebrachten Beschwerden zu. Für diese 18 Beschwerdepunkte mussten somit keine Neuregelungen gefunden, sondern die bestehenden nur wiederholt werden. Dabei handelte es sich um die Artikel 15–16, 18, 20–24, 27–28, 30–31, 45, 60–62, 79 und 82. Greifen wir einige illustrative Beispiele heraus: Dass die normative Regelung der Gerichtskosten, die 1525 wieder einmal thematisiert wurde, schon während des gesamten 15. Jahrhunderts ein Gegenstand intensiver Gesetzgebung gewesen war, wurde bereits hinlänglich dargelegt. Alle Bruderschaften, soweit sie nicht religiösen Zwecken dienten, waren schon 1505 auf Bitten der Landschaft durch Maximilian I. verboten worden,947 die Gesetze gegen Schwören, Gotteslästern und „Zutrinken“ konnten bereits auf eine gewisse Tradition zurückblicken,948 dass sich keine beschäftigungslosen oder sonst aus obrigkeitlicher Sicht verdächtigen Personen länger als drei Tage an einem Ort aufhalten sollen, war schon 1491 und 1508 verfügt worden,949 wiederholt war seit 1474 festgelegt worden, dass ‚angesessene‘ Untertanen nur bei Verdacht auf malefizische Verbrechen gefangen genommen werden durften,950 das Verbot der eigenmächtigen Verleihung von Gemeindegrund durch TLA, Kopialbuch Ältere Reihe, Nr. 27, Lit. Z, fol. 159r, 1505 Juni 13. Als rezentes Beispiel sei hier nur verwiesen auf TLA, BT, Bd. 1, fol. 29, 1524 März 26. 949 Vgl. nur die Edition des Mandats von 1491 Jan. 17 bei Schmidt, Halsgerichtsordnungen, 1949, S. 118–119 (Original in TLMF, FB 2675, fol. 98r–99r); Hölzl, Gerichtsarchiv Laudegg, 1984, Nr. 97, 1508 Dez. 30. 950 Zur Ordnung von 1474 Juni 29 vgl. die Edition im Anhang. 947 948
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
landesfürstliche Amtsträger war in Bestätigung der bestehenden Rechtsgewohnheit schon 1503 gesetzlich festgeschrieben worden.951 Dass schon lange vor 1525 Gesetze u. a. gegen den ‚Fürkauf ‘, den Holzexport oder gegen den Hausiererhandel erlassenen worden waren, hat bereits Blickle aufgezeigt.952 Wenn auch die Innsbrucker Artikel partiell stark in der Tradition landständischer Beschwerdeführung verankert waren, gilt dies natürlich nicht für alle. Immerhin zwei Drittel haben schließlich keine Entsprechung auf früheren Landtagen. Selbst wenn man den Unsicherheitsfaktor in Betracht zieht, dass aus der Regierungszeit (Erz-)Herzog Siegmunds und Maximilians I. nicht alle Gravamina erhalten sind, kann man folglich die während des Bauernkriegs laut gewordenen Beschwerden nicht ausschließlich als Weiterentwicklung bisheriger Gravamina sehen. Der mehr als turbulente ereignisgeschichtliche Rahmen führte nicht nur zur Formulierung bisher überhaupt nicht ventilierter Forderungen auf religiösem Gebiet oder hinsichtlich der rechtlichen Ausgestaltung der grundherrschaftlichen Verhältnisse, sondern brachte in einigen Punkten zudem eine Radikalisierung bisheriger Beschwerden mit sich. Hatten die Gerichtsvertreter in früheren Jahrzehnten nur um die Erlaubnis zur Einzäunung ihrer Felder und zur Haltung von Hunden zum Schutz ihrer Äcker vor Wildschäden gebeten, wurde nunmehr die Forderung nach einer völligen Freigabe der Jagd und der Fischerei laut (Art. 19). Der reklamierte Verzicht des Landesfürsten auf Robotdienste und eine ganze Reihe von finanziellen und manuellen Leistungen (z. B. der beiden Jagdabgaben Kuppelfutter und „Kuchelsteuer“, des Vogtei-, Burghut- und Siegelgeldes, Rodfuhren für den Hof und Schaltjahrzinse; Art. 26) ist ohne den Bauernkrieg kaum vorstellbar.
7. 3. 2. Der Erstentwurf der Tiroler Landesordnung Schon am 30. Juni 1525 wurde Ferdinand I. von den Vertretern der Städte, Gerichte und des Adels der erste Entwurf der angestrebten Landesordnung unterbreitet. Dieser war der Forschung bisher unbekannt.953 Nachdem die Landschaft zunächst den of TLA, Ferdinandea, Karton 216, Pos. 222, 1503 März 24. Einige weitere finden sich auch bei Blickle, Landschaften, 1973, S. 214–215, dem freilich die Tiroler Gesetzgebung vor 1525 noch nicht in ihrer Gesamtheit bekannt sein konnte. 953 Dies überrascht in Anbetracht seiner Überlieferung im Bestand TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/ Julilandtag; im Rahmen der ständischen Duplik findet sich auf fol. 31v–36v der Entwurf der Präambel und des Strafrechts; die übrigen 73 erhaltenen Titel finden sich auf zwei Bögen mit eigener Foliierung (fol. 1r–24v). Dass der Entwurf der bisherigen Forschung verborgen blieb, dürfte auf das Versehen eines Archivars zurückzuführen sein, der die beiden Bögen des Entwurfs mit Bleistift falsch beschriftet und flugs zu einem „Bruchstück der Landesordnung 1526, I. Buch, I. Teil“ erklärt hatte, was definitiv nicht zutrifft. Dass diese verhängnisvolle Fehleinschätzung geschehen konnte, ist wohl darauf zurückzuführen, dass just die ersten beiden Titel des Entwurfs ihren wörtlichen Niederschlag in der TLO von 1526 gefunden haben. Auf einen weiteren Wortvergleich hat der Archivar wohl schlichtweg verzichtet. 951 952
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fensichtlichen Unwillen Ferdinands I. kritisiert hatte, über die projektierte „Ordnung des geistlichen Standes“ zu verhandeln, indem er auf die ausschließliche Zuständigkeit eines Konzils zur Regelung der geistlichen Angelegenheiten verwiesen hatte, wird der Entwurf mit dem Bemerken eingeleitet, es sei auf all vorberüert artiggl, beschwärung unnd ordnungen ain gemainer abschidt unnd landsordnung in disem libell begriffen gemacht worden, der von artiggln zu artiggln also lauttet. Zunächst wird auf die entworfene „Ordnung zu Verhütung künftiger Empörung“ Bezug genommen, ohne dass diese wörtlich angeführt würde. Diese Platzierung ist kein Zufall, konnte man auf diese Weise doch schon einleitend das Wohlwollen des Landesfürsten gewinnen. Im Übrigen weist der folgende Entwurf noch einen deutlich anderen Aufbau als die später publizierte Landesordnung auf. Er lehnte sich hinsichtlich der Struktur nämlich unverkennbar an die Halsgerichtsordnung an, indem er zuerst das Strafrecht behandelte, um im Anschluss unter der Überschrift Ordnung gemainer lanndts ausser der maleficz, ynnzicht und unzucht recht alle anderen Materien zu behandeln. Dies entspricht der Malefizordnung, die auch im Anhang („Etlich ordnung der Recht ausserhalb der Malefitz“) eine ganze Reihe von älteren Gesetzge bungsakten wiederholt. Die Landesordnung von 1526 ist demgegenüber in zwei Bücher geteilt, die sich ihrerseits in sieben bzw. zwei Teile untergliedern. Jeder Teil besteht aus einer unterschiedlichen Anzahl von Artikeln („Titeln“). Im Anhang findet sich die Empörungsordnung (27 Titel). Der erste Teil des ersten Buchs behandelt so in elf Titeln vornehmlich das Gerichtspersonal und dessen Pflichten und Entlohnung, der zweite Teil enthält schwerpunktmäßig das Zivilprozessrecht, der dritte Teil des ersten Buchs wiederum Sagt von Vermechten / Testamenten / Gerhabschaften / und Todfae llen und regelt somit in sieben Titeln ausgewählte Fragen des materiellen Privatrechts. Der vierte Teil des ersten Buchs regelt in den ersten sechs Titeln die Vereidigung der Untertanen, dem Landesfürsten und den Obrigkeiten Gehorsam zu leisten, um sich anschließend in weiteren dreißig Titeln einer breiten Palette vornehmlich wirtschaftspoliceylicher Fragen zu widmen. Auch der folgende sechste Teil des ersten Buchs mit seinen 24 Titeln legt einen Schwerpunkt auf Normen zur Aufrechterhaltung der „guten Policey“ (z. B. Regelungen betreffend Bruderschaften und Zünfte oder die Begrenzung des Aufwands bei Hochzeiten), wobei die letzten beiden Titel relativ abrupt die Abhaltung der Landtage und die Aufbewahrung der Landesfreiheiten behandeln. Die 35 Titel des sechsten Teils des ersten Buchs regeln relativ ausführlich das Rechtsverhältnis zwischen Grundherr und „Baumann“ (Grundholde), während sich der siebte Teil in 19 Titeln mit der Nutzung der Allmende, Holz und Forst, Jagd und Fischerei beschäftigt. Der erste Teil des zweiten Buchs entspricht nahezu zur Gänze der Halsgerichtsordnung von 1499 und enthält somit formelles und materielles Strafrecht (60 Titel).954 Der zweite Teil des zwei ��������������������������������������������������������������������������������������� Zur weitgehenden Identität der strafrechtlichen Bestimmungen der TLO 1526 mit der Halsgerichtsordnung auch schon Schmidt, Sinn und Bedeutung, 1966, S. 249.
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
ten Buchs (20 Titel) bringt hingegen policeyrechtliche Bestimmungen; er sagt von Puessen / und Peen / dero / so durch ir Lae sterlich und ungehorsam leben / die Gebot / zů der Zucht fürgenomen / übertretten / Als Gotsloesterer / Eebrecher / und annder. Der am 30. Juni präsentierte erste Entwurf entbehrt noch völlig einer solchen Gliederung in Bücher und Teile. Die insgesamt 73 Artikel sind nicht nummeriert, sondern nur in Absätzen voneinander getrennt. Diese Absätze sind am Rand teilweise mit Rubriken (Titelüberschriften) versehen (z. B. Wie ain yeder in erster instancz sol fürgenomen werden; das hinfür nit nach geschribnen rechten procedirt werden; verlengerung der rechtenn etc.; haltung der recht wintter- und sumerzeiten etc.). Die Rubriken decken sich jedoch nur partiell mit den endgültigen Titelüberschriften. Der erste Entwurf weist nicht nur keine formale Gliederung auf, sondern ist überdies noch weit von einer konsequenten inhaltlichen Durchstrukturierung entfernt. Hinsichtlich der Malefizordnung wird schlichtweg festgehalten, dass diese mit irem anhang beleiben [solle], wie die vorher im gebrauch gewesen, wobei anschließend nur bei einigen Titeln Änderungen vorgeschlagen werden. Diese Vorschläge wurden zumeist wörtlich in den Druck der Landesordnung aufgenommen (s. u.). Sie betrafen die Kostentragung bei Totschlag955 und Diebstahl956, das Vermögen von Selbstmördern,957 die Rechtfertigungsmöglichkeit von Absagern im Fall von Rechtsverweigerung,958 Freiungen,959 Notwehr960 und schließlich die Ächtung und Begnadigung von Totschlägern.961 Die folgenden 73, absatzweise strukturierten Titel des ersten Entwurfs weisen noch keine konsequente Gliederung auf; im Vergleich zur späteren Anordnung der Titel in der gedruckten Landesordnung ist im ersten Entwurf allerdings das rudimentäre Bestreben erkennbar, inhaltlich ähnliche Titel zusammenzufassen. So enthalten die ersten 39 Titel bevorzugt Bestimmungen, die in der Endredaktion der Landesordnung im ersten und zweiten Teil des ersten Buchs enthalten waren. Innerhalb dieser ersten 39 Titel kann man aber nur sehr bedingt von einer konsequenten Anordnung der Titel sprechen. Im Übrigen zeigt der Entwurf folgende Abfolge von Titeln:
TLO 1526, 2. Buch, 1. Teil, Titel 44. TLO 1526, 2. Buch, 1. Teil, Titel 36. Es folgt ohne eigene Rubrik die wörtliche Wiedergabe von Titel 37. 957 TLO 1526, 2. Buch, 1. Teil, Titel 32, wo im Vergleich zum Entwurf noch die Behandlung der Leiche des Selbstmörders thematisiert wird. 958 TLO 1526, 2. Buch, 1. Teil, Titel 52. 959 TLO 1526, 2. Buch, 1. Teil, Titel 46. Es folgt die Wiedergabe von Titel 39 (die Textfassung des Entwurfs, wo es heißt, dass die Begnadigung der Totschläger auch nach Ablauf eines Jahres nur erfolgen soll mit der obrigkaidt vorwissen unnd des entleibten freundtschafft willen, wird in der TLO noch geringfügig präzisiert). 960 TLO 1526, 2. Buch, 1. Teil, Titel 40. 961 TLO 1526, 2. Buch, 1. Teil, Titel 42, 41, 43. 955 956
7. Die Kodifikationen (1499, 1526, 1532, 1573)
Entwurf 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37
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TLO von 1526 Entwurf TLO von 1526 1. Buch, 2. Teil, Tit. 12 38 1. Buch, 3. Teil, Tit. 5–6 1. Buch, 2. Teil, Tit. 13 39 2. Buch, 1. Teil, Tit. 4 1. Buch, 2. Teil, Tit. 1 40 2. Buch, 2. Teil, Tit. 19 1. Buch, 2. Teil, Tit. 2–3 41 2. Buch, 2. Teil, Tit. 17 1. Buch, 2. Teil, Tit. 4 42 1. Buch, 2. Teil, Tit. 58 1. Buch, 2. Teil, Tit. 16–17 43 2. Buch, 1. Teil, Tit. 17 1. Buch, 2. Teil, Tit. 15 44 2. Buch, 1. Teil, Tit. 5 fehlt in der TLO von 1526 45 2. Buch, 1. Teil, Tit. 16 1. Buch, 1. Teil, Tit. 3 46 2. Buch, 2. Teil, Tit. 4–5 1. Buch, 2. Teil, Tit. 26 47 2. Buch, 2. Teil, Tit. 7 1. Buch, 1. Teil, Tit. 14 48 2. Buch, 2. Teil, Tit. 8 1. Buch, 1. Teil, Tit. 5 49 2. Buch, 2. Teil, Tit. 9 1. Buch, 1. Teil, Tit. 4 50 2. Buch, 1. Teil, Tit. 30 1. Buch, 2. Teil, Tit. 8 51 1. Buch, 4. Teil, Tit. 1–2 1. Buch, 2. Teil, Tit. 33 52 1. Buch, 4. Teil, Tit. 3 1. Buch, 2. Teil, Tit. 5 53 1. Buch, 4. Teil, Tit. 4–5 1. Buch, 2. Teil, Tit. 6 54 1. Buch, 4. Teil, Tit. 6 1. Buch, 2. Teil, Tit. 25 55 1. Buch, 4. Teil, Tit. 35–36 1. Buch, 2. Teil, Tit. 18–20 56 2. Buch, 2. Teil, Tit. 10 1. Buch, 2. Teil, Tit. 22–23 57 2. Buch, 2. Teil, Tit. 6 1. Buch, 2. Teil, Tit. 18 (letz58 2. Buch, 2. Teil, Tit. 11 ter Satz) 1. Buch, 2. Teil, Tit. 24 59 2. Buch, 2. Teil, Tit. 1 1. Buch, 2. Teil, Tit. 35 60 2. Buch, 2. Teil, Tit. 2 1. Buch, 2. Teil, Tit. 37–50 61 2. Buch, 2. Teil, Tit. 12–13 1. Buch, 2. Teil, Tit. 51 62 2. Buch, 2. Teil, Tit. 15–16 1. Buch, 2. Teil, Tit. 55–56 63 2. Buch, 2. Teil, Tit. 14 1. Buch, 1. Teil, Tit. 10 64 1. Buch, 5. Teil, Tit. 22 1. Buch, 2. Teil, Tit. 9–11 65 2. Buch, 2. Teil, Tit. 3 1. Buch, 2. Teil, Tit. 28–30 66 1. Buch, 4. Teil, Tit. 19, 23–24 1. Buch, 2. Teil, Tit. 31 67 1. Buch, 4. Teil, Tit. 21–22 1. Buch, 2. Teil, Tit. 27 68 1. Buch, 4. Teil, Tit. 25 1. Buch, 2. Teil, Tit. 32 69 1. Buch, 4. Teil, Tit. 26 1. Buch, 2. Teil, Tit. 17 70 1. Buch, 4. Teil, Tit. 19 1. Buch, 1. Teil, Tit. 6 71 1. Buch, 4. Teil, Tit. 17 1. Buch, 1. Teil, Tit. 11–13 72 1. Buch, 4. Teil, Tit. 18 1. Buch, 1. Teil, Tit. 7–9 73 1. Buch, 5. Teil, Tit. 1–2 2. Buch, 1. Teil, Tit. 15
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
Der sechste und siebte Teil des ersten Buchs der späteren Landesordnung sind freilich im ersten Entwurf noch völlig ausgespart, was mit Sicherheit kein Zufall ist. Schließlich handelte es sich hier um die wohl brisantesten Teile der Landesordnung, bei denen inhaltliche Differenzen zwischen den Ständen untereinander – insbesondere zwischen den Städten und Gerichten einerseits und dem Adel andererseits – als auch zwischen Landschaft und Landesfürst deutlich wahrscheinlicher waren als bei den im ersten Entwurf präsentierten Vorschlägen. Im sechsten Teil wurde das Verhältnis von Grundholden und Grundherren geregelt, im siebten Teil unter anderem die Bereiche Holz und Forst sowie Jagd und Fischerei. Hier waren Konfrontationen absehbar und sollten sich auch zutragen. Der noch unvollständige Erstentwurf war dagegen von einem breiten Konsens von Adel, Städten und Gerichten getragen – was schon durch die rasche Zusammenstellung indiziert wird –, und alle Beteiligten konnten damit rechnen, dass Ferdinand bei diesen Teilen keine größeren Einwände vorbringen würde. Daher überrascht es nicht, dass von den 73 Titeln des Entwurfs nur 14 bis zur Drucklegung der Landesordnung inhaltlich überarbeitet wurden, wobei diese nachträglichen Anpassungen im Allgemeinen nicht besonders umstritten gewesen sein dürften. Es seien hier nur einige Beispiele herausgegriffen:962 Nur ein Titel des Entwurfs wurde ersatzlos gestrichen,963 einer der im Entwurf noch vorgesehenen Befangenheitsgründe von Gerichtsgeschworenen wurde weggelassen,964 die Schätzung des Werts einer gepfändeten Sache sollte durch den Richter und durch drei statt wie im Entwurf noch vorgesehen fünf Geschworene erfolgen. Statt dass die Verkündung einer Kundschaftsaufnahme an die außerhalb Tirols ansässige Gegenpartei von vornherein unterbleiben konnte, wie dies der Entwurf noch vorgesehen hatte, sollte eine solche einem allenfalls im Land anwesenden Amtmann oder Grundholden des (potentiellen) Prozessgegners bekannt gegeben werden. Die zuletzt angeführte Änderung kam wohl insbesondere den Interessen der über Immobilienbesitz in Tirol verfügenden bayerischen Klöster entgegen, die ja wie alle anderen Prälaten nicht auf dem Innsbrucker Landtag des Jahres 1525 vertreten waren. Während der Entwurf die Anwendung des gemeinen Rechts vor Gericht noch ausdrücklich ausgeschlossen hatte, wurde just der entsprechende Passus in der gedruckten Endfassung ausgelassen.965 Von inhaltlichen Änderungen betroffen waren die Titel 3, 6, 8–10, 14, 19, 24–26, 28, 33, 36, 40 des Entwurfs. 963 Es handelte sich um den achten Titel des Entwurfs: Wölhem auch ain rechttag nach ordnung verkündt unnd nicht erscheint oder sich seins ausbleibens mit warhaidt durch schrifft oder scheinpoten ordenlich nit endtschuldigt, dem- oder denselben soll in khunftigen rechten kainer flucht oder auszüg gestat werden. 964 Die Bestimmung Es soll auch kain redner in der sach, darinnen er aines oder des andern taills redner gewesen, zu rechtsprecher gebraucht werden noch urtaill sprechen, findet sich in TLO 1526, 1. Buch, 1. Teil, Tit. 3 nicht mehr. 965 TLO 1526, 1. Buch, 2. Teil, Tit. 1. Der Entwurf hatte demgegenüber noch vorgesehen: Man soll auch in disem unserm lande der F. G. Tyroll ni cht nach d e n g eschribe n rechte n, 962
7. Die Kodifikationen (1499, 1526, 1532, 1573)
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Allerdings ist der Schluss unzulässig, dass sämtliche nachträglich am Entwurf vorgenommenen Änderungen den Interessen der Städte und Gerichte zuwider gelaufen wären. Musterbeispiel hierfür ist die Regelung einer allfälligen Entschädigung für Gesundheitsschäden, die der einzelne Untertan im Rahmen der Gerichtsfolge erlitte. Der Entwurf hatte hier vorgesehen, dass nur der Gerichtsschreiber die Arztkosten vom Gericht refundiert bekäme, während die übrigen Beteiligten leer ausgingen, obwohl die Gerichtsfolge zweifellos im öffentlichen und nicht primär im Interesse des Einzelnen lag. Die gedruckte Landesordnung dehnte dement sprechend den Ersatz der Arztkosten auf alle Untertanen aus, die im Zuge der Gerichtsfolge gesundheitliche Schäden erlitten. Hiermit entsprach sie einer in den Innsbrucker Artikeln erhobenen Forderung (Art. 69). Häufiger als inhaltliche Überarbeitungen waren redaktionelle Anpassungen des Erstentwurfs, die bis zur Drucklegung der Landesordnung an den einzelnen Titeln vorgenommen wurden. So wurden beispielsweise im Entwurf noch vorhandene Narrationes gekürzt bzw. gänzlich ausgelassen, so dass ein Titel im Wesentlichen nur die Dispositio enthielt.966 Insbesondere Titelüberschriften wurden häufiger verändert, gekürzt bzw. präzisiert.967 Halten wir als Zwischenergebnis fest: Der Erstentwurf, der Ferdinand I. am 30. Juni 1525 präsentiert wurde, war das ausschließliche Werk der auf dem Landtag vertretenen Stände, mithin des Adels und der Vertreter der Städte und Gerichte. Es ist noch keine elaborierte Kodifikation, sondern nur eine inhaltlich grob gegliederte und die besonders problematischen Teile bewusst aussparende Zusammenstellung, die freilich die spätere Landesordnung maßgeblich beeinflusste. Dass an der Abfassung des Erstentwurfs irgendein gelehrter Jurist beteiligt gewesen wäre, s on d e r nach saczung, gebrauch unnd herkomen dicz landes in allen hoffgerichten, auch stetten unnd (fehlt: andern) gerichten procedirn und urtailn. Der Sperrdruck kennzeichnet den in der Endredaktion ausgelassenen Passus. Die Frage der Rezeption des gemeinen Rechts in Tirol wurde in der dieser Arbeit zugrundeliegenden Habilitationsschrift noch in einem eigenen Kapitel behandelt (dort Kap. VI.5.6.2), für die Drucklegung jedoch aus Gründen der Systematik und des Umfangs ausgeschieden. Die entsprechenden Ausführungen werden in gesonderter Weise publiziert werden. 966 ������������������������������������������������������������������������������������������ Musterbeispiel hierfür ist der 36. Titel des Entwurfs, wo es einleitend noch unter deutlicher Bezugnahme auf den zugrunde liegenden Beschwerdepunkt der Innsbrucker Artikel (Art. 81) hieß: Nachdem sich etlich gerichtsobrigkaidten unnd gerichtschreyber unnderstanden, den underthonen verboten, das niemandt der gerichtshandl ainich brief sigln noch schreyben soll dan bey inen, des sich die underthanen beschwärt; deshalben verordnen wier, das [...]. In der Endfassung der TLO 1526, 1. Buch, 1. Teil, Tit. 9, blieb nur die Dispositio übrig: Derhalben Ordnen wir / Das an den Ennden [...]. 967 Für viele ähnliche Beispiele vgl. nur den 13. und 14. Titel: Aus der Rubrik Abstellung der rechtsprecher, das die mit den partheyen nit in ratt gen etc. wurde Rechtsprecher sollen mit den partheyen nit in Rat geen (TLO 1526, 1. Buch, 1. Teil, Tit. 4). Aus der Titelüberschrift Güettlich richtung der partheyen etc. wurde Jn allen Burgerlichen sachen / mügen güetlich verträg gemacht werden.
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
lässt sich nicht nachweisen und mutet angesichts des Entstehungskontextes auch unwahrscheinlich an. Die Triplik Ferdinands vom 3. Juli fiel vom Grundtenor versöhnlich und wohlwollend aus,968 der ihm präsentierte Entwurf wurde nur mit der von Ferdinand schon früher geäußerten, allgemeinen Feststellung kommentiert, es entspräche nicht Ferdinands Absicht, die alt ordnung gar abzuthun, sonnder die allain zu vernewen.969 Im Übrigen gingen in der ersten Julihälfte die Verhandlungen auch zwischen den Ständen weiter, wobei nunmehr die konfliktanfällige Bauleuteordnung ebenfalls zur Sprache kam. Dennoch gelang es den Städten und Gerichten einerseits und dem Adel andererseits, in nahezu allen Punkten zu einem Konsens zu gelangen. Nur bei elf Artikeln gelang ihnen keine Einigung, weshalb diese am 16. Juli Ferdinand I. zur Entscheidung vorgelegt wurden.970 Auch aus diesem Schritt kann man deutlich ersehen, dass der Landesfürst und seine Räte in die bisherigen Beratungen über die Landesordnung nicht eingebunden waren. Die nicht konsensfähigen Artikel betrafen die Besetzung des Hofrechts in Meran und des Regiments in seiner Eigenschaft als Höchstgericht, die Rechtsfolgen der Erteilung von Freibriefen und den Gerichtsstand des Adels, die Fischerei, die Frage eines Vorkaufsrechts für die Angehörigen des verkaufenden Baumanns, die Problematik der ‚überzinsten‘ Baugüter, den Zehent, die Leibeigenschaft und die Möglichkeit der Ablöse einer bestimmten Naturalabgabe in Weinanbaugebieten. Die Entschließungen Ferdinands I. kamen tendenziell eher den Wünschen des Adels entgegen, sofern nicht ohnehin landesfürstliche Interessen berührt waren.971 Letzteres war beispielsweise hinsichtlich der Besetzung des Adeligen Hofrechts und des Regiments der Fall, wo sich Ferdinand der schon mehrfach gebrauchten Ausrede bediente, einer solchen Neuerung, die die hechst fürstlich obrigkait und hohait berühre, könne er als seiner Angabe zufolge bloßer Gubernator wider daz alt herkomen der graven zu Tirol und lanndsfürstlich hohait ohne den Konsens des Kaisers als Landesfürsten nicht zustimmen (was natürlich nicht der Wahrheit entsprach). Er konzedierte jedoch, bis auf Widerruf je einen Vertreter der Städte und Gerichte zu seinem Hofgericht (d. h. zur Regierung) hinzuzuziehen. Diese Zusage, die später nicht umgesetzt wurde, war schlichtweg Teil der Kalmierungspolitik Ferdinands, der durch vermeintliche Zugeständnisse zur Entspannung der Lage beitragen wollte. In den übrigen strittigen Punkten folgte Ferdinand I. fast durchgehend der Meinung des Adels. Der Adel hatte sich entschieden gegen ein allgemeines Fischereirecht gewehrt, und seine Argumentation fand sogar wörtlich in den entsprechenden Titel der Landesordnung Eingang (1. Buch, 7. Teil, Art. 19). Die Begründung eines Vorkaufsrechts für die Angehörigen eines Baumanns im Fall eines Hof- bzw. Grundverkaufs wurde dem Begehren des Adels Vgl. Macek, Bauernkrieg, 1965, S. 264–265. TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 85r. 970 Vgl. zum Folgenden TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 95v–102v; Erwähnung auch bei Macek, Bauernkrieg, 1965, S. 277. 971 Vgl. zum Folgenden TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 109v–112v. 968 969
7. Die Kodifikationen (1499, 1526, 1532, 1573)
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entsprechend als wider gemain lanndsfreyhait, gebreuch und alt herkomen abgelehnt. Dem Grundherrn stehe ein Vorkaufsrecht zu, und nur wenn dieser die Liegenschaft wieder verkaufen wolle, müsse er sie zunächst dem ehemaligen Baumann und dessen nächsten Verwandten anbieten (so dann auch die Tiroler Landesordnung von 1526, 1. Buch, 6. Teil, Tit. 6). Dass die Städte und Gerichte mit ihrem Begehren nicht durchdrangen, den Sondergerichtsstand des Adels abzuschaffen und ihn in erster Instanz der Jurisdiktion der Stadt- und Landgerichte zu unterwerfen, überrascht nicht. Auch bei den anderen Streitpunkten setzten die unteren Stände ihren Standpunkt nicht durch. Vielmehr folgte Ferdinand I. – und daher auch die Landesordnung von 1526 – nahezu immer der Meinung des Adels.972 Nur in einem Fall wählte Ferdinand den Weg eines Kompromisses zwischen den Vorstellungen der Städte und Gerichte einerseits und des Adels andererseits.973 Vergleichsweise wenig Einwände erhob Ferdinand I. gegen die bereits erwähnten strafrechtlichen Verbesserungsvorschläge der Landschaft, die nahezu unverändert Eingang in die Landesordnung fanden. Differenzen gab es nicht hinsichtlich des materiellen Rechts – der dem Rechtshistoriker wohl besonders spektakulär erscheinende Rechtfertigungsgrund der Fehde im Fall von Rechtsverweigerung durch das Gericht wurde so beispielsweise von Ferdinand I. ohne weitere Diskussion akzeptiert –, sondern nur hinsichtlich der Kosten. Hier manifestiert sich das deutliche Bestreben des Landesfürsten, die mit der Strafrechtspflege verbundenen finanziellen Belastungen möglichst gering zu halten bzw. diese aus dem Vermögen der Übel täter zu bestreiten. Speziell verwahrte er sich gegen den Änderungsvorschlag der Stände, dass bei Totschlag oder Diebstahl nur die Hälfte der Prozesskosten aus dem Vermögen des Täters bzw. vom Geldwert des gestohlenen Gutes bestritten und die andere Hälfte von der Kammer getragen werden sollte (was zu einer finanziellen Besserstellung der Erben des Verurteilten bzw. des Bestohlenen führen sollte).974 Ebenso wenig konnte er dem ständischen Begehren abgewinnen, dass in Zukunft Hier ging es u. a. um die Behandlung der „überzinsten Güter“, die die auf ihnen lastenden Abgaben unmöglich erwirtschaften könnten und bei denen die Städte und Gerichte einen entsprechenden Nachlass forderten. Demgegenüber wollte der Adel einen Nachlass nur dann gewähren, wenn die Überzinsung nicht vom Baumann zu vertreten sei (d. h. wenn er nicht fahrlässig oder vorsätzlich entsprechende Belastungen aufgehäuft respektive den Ertrag des Gutes geschmälert hätte). Außerdem sollte durch Richter und Gerichtsgeschworene im Einzelfall ein Augenschein vorgenommen werden (vgl. auch TLO 1526, 1. Buch, 6. Teil, Tit. 1); auch hinsichtlich des kleinen Zehents folgte Ferdinand I. der Argumentation des Adels (TLO 1526, 1. Buch, 6. Teil, Tit. 28); mit Verweis auf die ablehnenden Äußerungen der Familien Thun, Trapp und Schrofenstein, die als einzige noch Leibeigene hatten, wurde eine ausdrückliche Aufhebung der Leibeigenschaft abgelehnt (vgl. hierzu auch Stolz, Rechtsgeschichte des Bauernstandes, 1948, S. 132–133; Wopfner, Bergbauernbuch, Bd. 1, 1995, S. 519–520). 973 �������������������������������������������������������������������������������������� Dabei handelte es sich um die monetäre Ablösung einer grundherrlichen Abgabe (der Weisat). Bei deren Bezifferung wurde ein Mittelweg zwischen den Vorstellungen der unteren Stände und des Adels eingeschlagen (vgl. TLO 1526, 1. Buch. 6. Teil, Tit. 18). 974 TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 106v. 972
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
nicht mehr das gesamte Vermögen eines Selbstmörders dem Landesfürsten zufallen, sondern dessen Quote auf ein Drittel reduziert werden sollte und die verbleibenden zwei Drittel an die Erben fallen sollten.975 Die Argumentation Ferdinands ist dabei schon bekannt: Er verwies auf seine mangelnde Kompetenz. Es würde ihm nit gepürn, in einem Fall, der die fürstlich hochait belanngt [...], annders dann von alter in solhen fällen herkomen ist [...], ordnung ze thuen. Die Strategie ging in diesen Fällen nicht auf, vielmehr wurde die Frage der Kostentragung im ständischen Sinne geregelt. Nur in einem Punkt kam die Landschaft Ferdinands Wünschen entgegen. Dies betraf die Verteilung der Haftkosten. Diese hätten der ursprünglichen ständischen Intention entsprechend sämtlichen Haftentlassenen erlassen werden sollen, wenn gegen den Verdächtigen erst gar kein Prozess eingeleitet worden war oder ein solcher ohne Verurteilung endete. Hier kam man schließlich Ferdinands Wünschen entgegen.976 Nur wenn sich die Unschuld des Gefangenen lauter erfindet, ist von einer Verrechnung der Haftkosten abzusehen. Bestehen grundsätzlich Zweifel an der Unschuld, ohne dass die Voraussetzungen für eine Verurteilung gegeben sind, oder hat der Inhaftierte selbst durch sein Verhalten zur Gefangennahme ursach geben, ist die Höhe der zu ersetzenden Haftkosten von den Gerichtsgeschworenen festzulegen (Tiroler Landesordnung von 1526, 2. Buch, 1. Teil, Tit. 17). Festzuhalten bleibt jedenfalls, dass vornehmlich die Kostenfrage im Strafverfahren Anlass zu Differenzen gab. Hier zeigen sich durchaus Parallelen zu früheren Landtagsbeschwerden, wie speziell die 1478 ventilierten Gravamina deutlich zeigen.977 Damals hatten die Stände die aus der Strafrechtspflege erwachsende Kostenbelastung moniert und nachdrücklich gefordert, dass eine Strafverfolgung stets von Amts wegen und ohne vorherigen Blick auf die Sicherstellung eines Kostenersatzes durchzuführen sei. Derzeit verhalte es sich hingegen so, dass vielfach beim Dieb aufgefundene gestohlene Güter nicht dem Bestohlenen ausgefolgt, sondern als Kostenersatz eingezogen würden; überdies würden viele Totschläge der swären kostung halben, so darüber geet, ungestraft bleiben, da die Richter eine amtswegige Strafverfolgung aus Kostengründen verweigern würden, wenn sich keine Verwandten des Tatopfers fänden, die sich umb yr [der Kosten] annemen, oder wenn die Verwandten die Mittel zur Begleichung der Kosten nicht aufzubringen vermöchten.
7. 3. 3. In der Landesordnung verarbeitete Rechtsquellen Dass die Implementation der Tiroler Landesordnung nahezu reibungslos vonstatten ging, ist natürlich auch auf die Art des Zustandekommens unter Federführung der TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 106v–107r. Vgl. TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 107r; das Begehren Ferdinands I. fand nahezu wörtlich Eingang in TLO 1526, 2. Buch, 1. Teil, Titel 17. 977 TLA, LLTA, Fasz. 1, Landtag 1478 (Beschwerdepunkte 12 und 29); vgl. auch die Edition im Anhang. 975 976
7. Die Kodifikationen (1499, 1526, 1532, 1573)
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Landschaft zurückzuführen. Nur im Gericht Naudersberg sträubte sich ein einzelnes Dorf im Herbst 1526 gegen die Einführung der schon gedruckten Landesordnung.978 Ansonsten wird in Gerichtsverhandlungen und Verträgen binnen kürzester Zeit auf die einschlägigen Normen der Landesordnung rekurriert. Diese überaus rasche Anwendung der Landesordnung in der Rechtspraxis – die in der Frühneuzeit alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist –, hängt darüber hinaus maßgeblich mit den Rechtsquellen zusammen. Abgesehen davon, dass die Erlassung und der Druck der Landesordnung endlich seit langem vorgebrachte Desiderate der Landschaft erfüllten, ist der Inhalt der Landesordnung überwiegend alles andere als revolutionär. Im Einzelnen lassen sich folgende Rechtsquellen ausmachen, auf denen die Bestimmungen der Tiroler Landesordnung beruhen:979 Erstens die Landesfreiheiten, deren Bestimmungen nun nicht mehr nur in Privilegien mit ihrer fehlenden Publizität enthalten, sondern in einer Kodifikation verankert sind. Musterbeispiel ist die wörtliche Übernahme der Bestimmungen hinsichtlich der eigenmächtigen Heirat von Töchtern unter 18 bzw. 16 Jahren ohne Zustimmung ihrer Eltern bzw. ihres Vormundes (Buch 2, Teil 2, Titel 15 und 16) aus dem Privileg Herzog Siegmunds aus dem Jahr 1451, die durch die Technik des e Inserts in die Landesordnung eingefügt wird (wie dann die Landtsfreyhait das Clar lichen außtruckht / Welcher Artickel dann in bemelter Freyhait / laut von wort zu wort / wie hernach volgt). Ein Insert bleibt jedoch die Ausnahme, ansonsten dominieren Verweise auf die Landesfreiheiten, die gehäuft im ersten und fünften Teil des ersten Buchs vorkommen.980 Diese Häufung ist kein Zufall, behandeln die beiden Teile doch mit dem Zivilprozessrecht und dem Rechtsverhältnis zwischen Grundholden und Grundherren just zwei in den Landesfreiheiten intensiver geregelte Rechtsmaterien. Zweitens die in den vorangegangenen beiden Jahrzehnten auf Landtagen erarbeiteten „Landesordnungen“. Musterbeispiele hierfür sind die Pfändungsbestimmungen der Tiroler Landesordnung (Buch 1, Teil 2, Titel 34 ff.) oder die Einschränkung der Satzungsautonomie von Zünften und Bruderschaften (Buch 1, Teil 5, Titel1). Drittens früher erlassene Einzelgesetze, die teilweise jüngeren Datums sein können, teilweise auf eine jahrzehntelange Tradition rechtlicher Normierung zurückgehen. Die einzelnen Titel der Landesordnung lassen dabei partiell noch die Struktur der Einzelmandate, speziell die klare Trennung von Narratio und Dispositio, erkennen. Während so die Bestimmungen hinsichtlich der Einschränkungen des Kirchtagsbesuches und der Waldverschwendung bis in die Anfänge landesfürst
TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 193r–193, 1526 Okt. 19. ��������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. schon die Aufstellung bei Schennach, Gewohnheitsrecht, Einzelgesetzgebung und Landesordnungen, 2008, S. 76–77. 980 Vgl. nur TLO 1526, 1. Buch, 1. Teil, Titel 7, 12, 27, 31; 1. Buch, 5. Teil, Titel 1 (ebd., Titel 24, regelt die Aufbewahrung der Landesfreiheiten); 1. Buch, 6. Teil, Titel 5, 17 (wobei die inhaltlichen Bezugnahmen auf die „Bauleuteordnung“ noch bei weitem häufiger als die ausdrücklich angeführten Verweise sind). 978 979
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
licher Gesetzgebung zurückreichen (Buch 2, Teil 2, Titel 12; Buch 1, Teil 7, Titel 7), ist das Verbot der Neuerrichtung von Wirtshäusern und deren Betrieb ohne Schankgerechtigkeit bis hin zur gewählten Formulierung von einem im April 1525 erlassenen Mandat beeinflusst (Buch 2, Teil 2, Titel 10).981 Dieser Bezug auf frühere Normen oder Ordnungen ist dabei kein spezifisches Tiroler Phänomen.982 Viertens das Gewohnheitsrecht respektive das Landrecht der Grafschaft Tirol, das vor allem die Kodifikation des Privatrechts prägt.983 Diese Aufzählung der Rechtsquellen soll natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass manche Titel in ihrer konkreten Ausprägung selbstverständlich auf die spezifische Verhandlungssituation im Juni und Juli 1525 zurückzuführen sind. So verweist die Bauleuteordnung der Landesordnung, das heißt die darin enthaltene Regelung des grundherrschaftlichen Verhältnisses, natürlich wiederholt auf den Freiheitsbrief von 1404984 – die signifikanten Abweichungen zugunsten der Bauleute sind jedoch nur aus dem Entstehungskontext der Landesordnung erklärbar.
7. 3. 4. Die Empörungsordnung In zwei Territorien fand der Bauernkrieg der Jahre 1525/1526 unmittelbar in einer so genannten „Empörungsordnung“ seinen Niederschlag, die dem neuerlichen Ausbruch eines Aufstandes vorbeugen bzw. dessen effektive Bekämpfung sicherstellen sollte.985 Dabei handelte es sich um Tirol und das Erzstift Salzburg,986 wobei die Tiroler Ordnung zu verhueten künfftige Empörung, die als Anhang der Tiroler Landesordnung von 1526 gedruckt und mit dieser vertrieben wurde,987 dem Salzburger Pendant zeitlich voranging und diesem in vielen Punkten als Vorbild diente. Dabei sind die Übereinstimmungen nicht nur inhaltlicher Natur, sondern reichen bis zu wörtlichen Übernahmen.988 TLA, BT, Bd. 1, fol. 74, 1525 April 24. Vgl. Landwehr, Rhetorik der „guten Policey“, 2003, hier S. 259, mit weiteren Literaturhin weisen. 983 Vgl. hierzu Schennach, Gewohnheitsrecht, Einzelgesetzgebung und Landesordnungen, 2008, S. 26–29; vgl. für andere zudem Sartori-Montecroce, Reception, 1895, S. 15–17; Wesener, Einflüsse und Geltung, 1989, S. 28–30. 984 Vgl. nur TLO 1526, 1. Buch, 6. Teil, Titel 5, 17. 985 Vgl. Hohn, Rechtliche Folgen, 2004, S. 355–366. 986 Zur Salzburger Empörungsordnung vgl. Putzer, Legislative, 1981, S. 723; Hohn, Folgen des Bauernkrieges, 2004, S. 362–364; Druck bei Leist, Quellenbeiträge, 1887, S. 385–395. 987 Die Titel der Empörungsordnung sind im Druck nicht durchnummeriert, sondern nur durch Absätze voneinander abgehoben. Die im Folgenden praktizierte fortlaufende Nummerierung dient der besseren Auffindbarkeit der einzelnen Titel. 988 Vgl. Hohn, Rechtliche Folgen, 2004, S. 362; vgl. auch Dopsch, Landesordnung, 1981, S. 45 und 50. 981 982
7. Die Kodifikationen (1499, 1526, 1532, 1573)
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Dass die Empörungsordnung nahezu gänzlich ein Werk der beiden unteren Stände und des Adels war, wurde bereits erwähnt. Eine erste Fassung der Empörungsordnung wurde Ferdinand I. gemeinsam mit dem Erstentwurf der Landesordnung am 30. Juni 1525 vorgelegt.989 Während jedoch die Landesordnung sowohl inhaltlich als auch redaktionell in der Folgezeit noch verändert und erheblich ergänzt werden sollte, stimmt die Erstfassung der Empörungsordnung fast zur Gänze mit der später gedruckten Fassung überein. Die Empörungsordnung wurde von Ferdinand I. ausdrücklich begrüßt, wobei die Abfassung durch die Stände deutlich zum Ausdruck kam. Dass die Stände zu solher abstellung dergleichen aufruern und emperung ain schriftliche ordnung begriffen, des alles hat ir F. D. und sonnderlichen, daz solhe ordnung dermassen mit ernnst und ainem gueten grundt gestelt ist, gnedigs gefallen. 990 Ferdinand brachte nur zwei Änderungswünsche vor: Erstens war er an einer Strafdrohung für jene interessiert, die „leichtfertiges Geschrei“ und „unwahrhafte Reden“ in Umlauf brächten oder verbreiteten und so zum Ausbruch oder zur Verbreitung eines Aufstandes beitrügen. Dies fand schließlich im Titel 16 der Empörungsordnung seinen Niederschlag.991 Das zweite Begehren Ferdinands fand dagegen bei der Landschaft bezeichnenderweise keine positive Resonanz und wurde deshalb nicht in die Druckfassung der Empörungsordnung aufgenommen. Ferdinand hatte den Vorschlag gemacht, bei jeder Strafdrohung hinzuzufügen, dass ein Drittel der verhängten Strafen an den Landesfürsten fallen und ein weiteres Drittel jenen zustehen sollte, so auf erfordern der obrigkait ain oder mer sein ungehorsam zu straffen verhelffen. Das letzte Drittel sollte jenen zugesprochen werden, die ainen oder mer anczaigten, so wider obgemelt ordnung in ainem oder mer puncten hanndlet.992 Eine solche „Denunziationsklausel“, die die Untertanen zur Anzeige von wahrgenommenen Normübertretungen verpflichtete und diese Verpflichtung mit einem finanziellen Anreiz verband, war in der Frühneuzeit sehr häufig anzutreffen, wäre doch der Staat bei vielen Delikten ohne die aktive Mitwirkung breiter Bevölkerungsschichten angesichts der geringen Personaldecke an der Peripherie mit der Aufdeckung und Sanktionierung von Gesetzesverstößen überfordert gewesen.993 Es TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 90v–93v: Ordnung zu verhüetung der aufrüerigen. Item ainer ersamen lanndtschafft von den dreyen stennden der F. G. Tirol als der herren, ritterschafft und vom adl, stetten und gerichten, fürgenomen ordnung zu verhüetung der aufrüerigen, aigennüczigen und muetwilligen personen practiect [!], fürnemen unnd hanndlungen in allen stetten, märckhten, gerichten und pergkhwerchen gedachter grafschafft Tirol mitsambt den dreyen herrschafften Ratemberg, Kuefstain, Kiczpüchl und allen anndern dits lanndes anhenngeren. 990 TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 103r. 991 Vgl. die diesbezügliche Anregung Ferdinands in TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 103r; vgl. ferner Macek, Bauernkrieg, 1965, S. 275. 992 Vgl. TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 103v. 993 Vgl. nur Hoffmann, Nachbarschaften als Akteure und Instrumente, 1999, S. 197–199, hier bes. S. 199; Härter, Sozialdisziplinierung, 1999, S. 374; Landwehr, „Denunciatio“ und „gute Policey“, 2000, bes. S. 26–32; Härter, Policey und Strafjustiz, Bd. 1, 2005, S. 390–399; Beispiele 989
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
ist bezeichnend, dass sich die Tiroler Landschaft diesem Vorschlag, der durchaus nicht unüblich war, im Zusammenhang mit der Empörungsordnung verschloss. Stattdessen bestand sie darauf, dass die einzuziehenden Güter derjenigen, die new empörung machen, ausschließlich dem Landesfürsten und keinen allfälligen Denunzianten zufallen sollten.994 Der Inhalt der 27 Titel zählenden Empörungsordnung sei an dieser Stelle nur kurz umrissen.995 Der erste Teil (Titel 1 bis 14) schafft den organisatorischen Rahmen zur effektiven Aufstandsbekämpfung. Jedes Gericht und jede Stadt sollte in Viertel unterteilt werden, an deren Spitze durch die Obrigkeit vereidete Viertelmeister stehen sollten, die in ihrer Tätigkeit durch „Zusätze“ von sechs bis acht Personen zu unterstützen waren. Die Viertelmeister hatten zunächst Überwachungsund Meldepflichten. Gefährliche Menschenansammlungen waren zu unterbinden, ihr Auftreten im Bedarfsfall zur Kenntnis benachbarter Viertelmeister und der Obrigkeit zu bringen und erste Gegenmaßnahmen einzuleiten. Der Bekämpfung eines ausgebrochenen Aufstandes diente das Aufgebot der Untertanen, das sich an den vorgesehenen Plätzen einzufinden hatte. Der Prävention einer neuerlichen Empörung diente das Verbot, einen „Sturm- und Glockenstreich“ ohne Vorwissen der Obrigkeit und des Viertelmeisters ergehen zu lassen. Dadurch sollten unkontrollierte Menschenansammlungen unterbunden werden. Da das Zusammenrufen der Untertanen zur Bekämpfung einer Feuersbrunst nach ähnlichen Prinzipien wie die Organisation des Aufgebotes funktionierte, wurden der Empörungsordnung drei entsprechende Titel hinzugefügt (Titel 4 bis 6). Der zweite Teil der Empö rungsordnung (Titel 15 bis 27) enthält vornehmlich die Umschreibung strafbarer Tatbestände und die korrelierenden Strafdrohungen.
7. 3. 5. Die Ordnung des geistlichen Standes Den Prälaten war im Juni und Juli 1525 trotz ihres nachdrücklichen Protests seitens der unteren Stände die Teilnahme am Landtag verwehrt worden. Schon in den Meraner Artikeln waren weitgehende Forderungen gestellt worden, die im Fall ihrer Umsetzung für die Geistlichkeit die Einbuße eines Großteils ihrer Herrschaftsund finanziellen Rechte bedeutet hätten. Dass die die Geistlichkeit betreffenden Artikel im Beschwerdekatalog prominent an den Beginn gestellt sind (Artikel 1 bis 9),996 zeigt die ihnen seitens der unteren Stände zugemessene Bedeutung. Hier werden die Säkularisation des Kirchenguts, soweit es nicht zum Unterhalt der Pfarbei Günther, Sittlichkeitsdelikte, 2004, S. 40–42; Härter, Fastnachtslustbarkeiten, 1997/1998, S. 74; Butz, Polizeibegriff, 1986, S. 145; Ernst, Wald entwickeln, 2000, S. 77 und 86. 994 TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 114v. 995 Vgl. auch schon Werunsky, Reichs- und Rechtsgeschichte, 1894/1938, S. 824. 996 ����������������������������������������������������������������������������������������� Edition bei Wopfner, Quellen, 1908, S. 35–37, vgl. auch Bierbrauer, Unterdrückte Reformation, 1993, bes. S. 103–105.
7. Die Kodifikationen (1499, 1526, 1532, 1573)
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rer notwendig ist, die Aufhebung aller Frauen- und Bettelklöster und die Reduk tion der Zahl der übrigen Klöster auf maximal drei, die Beseitigung der weltlichen Herrschaftsrechte der Geistlichkeit im Allgemeinen, die Limitierung der Einkünfte von Priestern und insbesondere das Verbot von Stolgebühren und der finanziellen Nutzbarmachung sakramentaler Handlungen gefordert. Eine zentrale Position nimmt zudem das Postulat der Wahl des Priesters durch die Gemeinde ein. Überdies sollte das privilegium fori der Geistlichen abgeschafft werden.997 Der in den Beschwerden deutlich prononcierte Antiklerikalismus ist freilich kein Tiroler Spezifikum, sondern stellt eine in nahezu allen Aufstandsgebieten der Jahre 1525/26 greifbare Stoßrichtung des bäuerlichen Widerstands dar,998 die vor dem Hintergrund der Reformation verständlich wird. Die seitens der unteren Stände angestrebte „Ordnung des geistlichen Standes“ war zweifellos jener Teilbereich, in dem die ständischen Bestrebungen auf den deutlichsten Widerstand Ferdinands stießen. Am 16. Juli 1525 wurden die kirchenpolitischen Forderungen der Städte und Gerichte dem Landesfürsten nochmals vorgelegt, wobei die Meraner Artikel teilweise wiederholt, teilweise weiter ausgeführt, teilweise auch restringiert wurden.999 Dabei zeichneten sich drei Schwerpunkte ab:1000 der Gerichtsstand der Geistlichen sowie deren Erbrecht; Wahl und Absetzung der Priester; Unterhalt der Geistlichen. Speziell wurden eine Beschränkung der Kompetenz des geistlichen Gerichts auf die Sakramente und die christenliche ordnung berührende (nicht weiter präzisierte) Angelegenheiten postuliert. Im Übrigen sollten die Geistlichen zur Gänze der Jurisdiktion des weltlichen Gerichts unterworfen sein. Das bislang ungeschmälerte Erbrecht der in ein Kloster eintretenden Personen sei abzuschaffen. Ferner seien alle Pfarren ausnahmslos durch den Landesherren zu verleihen, wobei den Gemeinden das Präsentationsrecht und dem Landesfürsten ein reines Konfirmationsrecht zukomme. Unwürdige Priester sollten durch die Gerichtsgemeinde bzw. Bürgermeister und Rat abgesetzt werden können. Die Diskussionen über die einzelnen Punkte zogen sich bis zum Ende des Landtags hin.1001 Hinsichtlich des Gerichtsstands der Geistlichen hatte Ferdinand I. eine ausdifferenzierte Lösung vorgeschlagen, indem Klagen von Geistlichen gegen Weltliche sowie Prozesse um unbewegliche Güter vor dem weltlichen Gericht, sonstige Klagen gegen Geistliche hingegen vor dem geistlichen Gericht anhängig Zum Inhalt der Ordnung ausführlich Bierbrauer, Unterdrückte Reformation, 1993, S. 142–147. Vgl. Blickle, Revolution von 1525, 42004, S. 214. 999 Vgl. hierzu auch schon Wopfner, Landtag, 1909, S. 114–116 (dort fälschlich auf den 16. Juni datiert); kurze Zusammenfassung bei Macek, Bauernkrieg, 1965, S. 274 (mit der korrekten Datierung auf den 16. Juli); überliefert in TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 93v–95v; ferner TLA, VdL, Bd. 3, S. 237–268. 1000 ���������������������������������������������������������������������������������������� Ausführlich zum Inhalt der „Ordnung des geistlichen Stands“ Oberweis, Tiroler Landesordnung, 1866, S. 41–47. 1001 Vgl. Wopfner, Landtag, 1909, S. 116–118; TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni/Julilandtag 1525, fol. 104r, 107v–109v, 112r–114r. 997 998
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
gemacht werden sollten, wobei sich der Landesfürst für den Fall der Rechtsverweigerung oder der ungerechtfertigten Prozessverzögerung Ingerenzmöglichkeiten offen hielt. Gerade in diesem Punkt sah sich Ferdinand aber angesichts des ungebrochenen Beharrens der Stände auf einer Restriktion der Kompetenz des geistlichen Gerichts schließlich zum Einlenken veranlasst.1002 Ansonsten ergaben sich Kompromisse: Das Erbrecht von in ein Kloster Eintretenden sollte beispielsweise nicht ausgeschlossen, jedoch gemäß der auf dem Innsbrucker Ausschusslandtag von 1518 getroffenen Vereinbarung beschränkt werden. Hinsichtlich der Pfarrerwahl gestand Ferdinand den Gemeinden zu, ihm einen Zweier- oder Dreiervorschlag zu präsentieren, aus dem ein Kandidat die landesfürstliche Bestätigung erhalten sollte. Zudem sagte Ferdinand zu, in Zukunft die bisher von Geistlichen verliehenen Benefizien zu vergeben. In der bisherigen Forschung bestand keine Einigkeit darüber, ob diese „Ordnung des geistlichen Stands“ überhaupt Geltung erlangt habe. Hermann Wopfner verneint dies,1003 Josef Oberweis meldet wie zuvor schon Joseph Rapp Zweifel an,1004 während Peter Blickle die Frage überhaupt offen lässt.1005 Fest steht, dass die „Ordnung des geistlichen Standes“ auf einen besonders ausgeprägten Widerstand von Seiten Ferdinands I. gestoßen war. Wiederholt hatte er den (zunächst) vergeblichen taktischen Einwand vorgebracht, nicht er als Landesherr, sondern nur ein allgemeines Konzil sei zur Regelung der von den unteren Ständen erhobenen Forderungen berechtigt.1006 Was Ferdinand mit diesem Hinweis auf seine fehlende Regelungskompetenz zum Ausdruck bringt, ist die Unvereinbarkeit vieler ständischer Forderungen, wie sie in der „Ordnung des geistlichen Stands“ Niederschlag fanden, mit konträren Vorschriften des kanonischen Rechts. Dennoch war Ferdinand I. angesichts der angespannten Sicherheitslage immerhin bereit, der Ordnung des geistlichen Stands provisorischen Charakter zuzubilligen. Spätestens im März 1526 stand jedoch fest, dass der Landesfürst nicht gewillt war, diese Ordnung in einen Druck der Tiroler Landesordnung aufzunehmen. Dabei verwies er auf die nur befristete Geltung der Ordnung, die sich ausschließlich bis zur Verabschiedung einer entsprechenden Regelung durch ein Konzil oder einen Reichstag erstrecke. Zudem sollte die Ordnung nicht außerhalb der Grenzen Tirols bekannt werden und dort womöglich als erstrebenswertes Vorbild erscheinen.1007 Vgl. zum Folgenden auch Wopfner, Landtag, 1909, S. 147–148. Wopfner, Landtag, 1909, S. 147–148. 1004 Oberweis, Tiroler Landesordnung, 1866, S. 41; Rapp, Statutenwesen, 2. Teil, 1829, S. 63, demzufolge die „Ordnung des geistlichen Stands“ „nicht gedruckt, vielleicht auch nie förmlich kundgemacht, oder doch gewiß nicht strenge in Vollzug gesetzt“ wurde. 1005 ����������������������������������������������������������������������������������������� Blickle, Landschaften, 1973, S. 204, Anm. 274. Überhaupt kein entsprechender Hinweis findet sich bei Bierbrauer, Unterdrückte Reformation, 1993, S. 138–148. 1006 ������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. nur TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 31 und 93v; ferner Sartori-Montecroce, Reception, 1902, S. 12–13. 1007 TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 156r–159r, hier fol. 158v, 1526 März 25. 1002 1003
7. Die Kodifikationen (1499, 1526, 1532, 1573)
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Dies bedeutete jedoch nicht, dass die Ordnung keine Geltung erlangte. Das angestrebte, von Ferdinand deutlich formulierte Ziel einer nur temporären Geltung war vielmehr durch eine andere Form der Gesetzespublikation anzustreben, die die Verbreitung der Ordnung limitieren sollte. Noch im März 1526 war vorgesehen, dass die Ordnung den Untertanen mitler zeit [...], wie dann durch die F. D. vormaln bewilligt, wie der selb abschid vermag, in schrifft zugestelt und überantwurt werde – dabei sollte die Vervielfältigung jedoch nicht durch den Druck, sondern handschriftlich erfolgen, und die Ordnung folglich auch nicht – wie beispielsweise die Empörungsordnung – in den Anhang der Landesordnung aufgenommen werden. Dies wurde einen Monat später dahingehend präzisiert, dass die betreffenden Artikel gemäß dem innhalt des lanndtagabschids den gerichten unnd obrigkaitn in schrift zuezestellen seien, damit sie die, wo die not ervordert, geprauchen mügen, doch der gemain nit offenlich zu verlesen, es were dann, daz sy des ye haben wölten.1008 Nachdrücklich wurde den mit der Publikation der Landesordnung in den Gerichten beauftragten landesfürstlichen und ständischen Kommissaren im Juli 1526 darüber hinaus eingeschärft, dass die Ordnung ausschließlich bei der Obrigkeit aufzubewahren sei und niemandem Abschriften ausgehändigt werden dürften.1009 Sowohl die nach Möglichkeit zu unterbindende Kundmachung der geistlichen Ordnung an die Gesamtheit der Untertanen als auch das Verbot, Kopien anzufertigen und zu verbreiten, lassen das deutliche Bestreben erkennen, die Ordnung dem Vergessen anheim zu stellen und so den weitgehenden Widerspruch zwischen ihren Vorschriften und der Rechtslage nach kanonischem Recht gar nicht virulent werden zu lassen. Dabei war man im Übrigen einigermaßen erfolgreich. Nur einigen wenigen gedruckten Exemplaren ist die handschriftlich vervielfältige Ordnung des geistlichen Standes beigebunden.1010 Dennoch wurde sie offensichtlich noch 1527 als Teil der Rechtsordnung angesehen.1011 Ansonsten hätte der – schon seit Herbst TLA, LLTA, Fasz. 2, 1526 April 27 (Instruktion für Christoph Philipp von Liechtenstein, Kapsar Khünigl, Hans Flösser, Peter Braunecker als Verordnete und Gesandte der Regierung und des großen und kleinen ständischen Ausschusses). 1009 TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 163r–163v, 1526 Juli 30: Dann die artickl den geistlichen stannd betreffend, dieweil die nit auf ewig, sunnder auf ain concili oder erleutterung der reichsstend gestelt, die sein in sunder schrifften ausserhalb des gedruckten libels verfasst, derselben solln die comissarien den bürgermaistern und rat in stetten und sunst den gerichtßoberkaiten aine zustellen, daz sy die, wo not wirdet, gebrauchen mugen. Doch sollen unnser commissari (als vil mit fueg sein mag) verhüettn, daz bemelte geistlich ordnung nit offenlich verlesen werde, es wer dann, daz es die gemainen ye haben wolten. Es sollen auch von den gedachtn articklen niemands kain abschrifft gegeben, sunder also zu obberürter notturfft pey der obrigkait beleiben und behalten werden. 1010 Vgl. schon die entsprechende Bemerkung bei Oberweis, Tiroler Landesordnung, 1866, S. 41; ein Beispiel findet sich in TLMF, Dip. 907, Anhang, fol. 3–6 (freundlicher Hinweis von Josef Pauser, Wien). 1011 Vgl. auch schon Sartori-Montecroce, Reception, 1902, S. 23–24; Egger, Geschichte Tirols, Bd. 2, 1876, S. 137–138; Oberweis, Tiroler Landesordnung, 1866, S. 47–48, sowie Hormayr, Historisch-statistisches Archiv, 1807, S. 313. 1008
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
1525 wieder auf Landtagen vertretene – Prälatenstand auf dem im November 1527 abgehaltenen Landtag nur um die Aufhebung der seinen Rechtsansprüchen widerwerttig[en] Artikel der Landesordnung gebeten.1012 Darüber hinaus wurden die Prälaten jedoch mit der Bitte bei Ferdinand vorstellig, man möge die Ordnung des geistlichen Standes wieder abschaffen. Hinsichtlich der angestrebten Änderung der Landesordnung sagte Ferdinand I. eine Behandlung der Wünsche des Prälatenstandes durch die mit der Ausarbeitung der Reformation beauftragten Regierungsräte zu.1013 Noch ausgeprägter war sein Entgegenkommen mit Blick auf die Ordnung des geistlichen Standes, wobei seine Entschließung diese Ordnung de facto außer Kraft setzte. Er ließ die Prälaten wissen, dass in Zukunft jedem, der wider die Geistlichkeit suppliziere und sich bei seinem Vorbringen auf die Ordnung des geistlichen Standes berufe, beschieden werde, dass diese durch den Reichsabschied von Speyer von 1526 aufgehoben sei. Ferdinand vermied dadurch die formelle Aufhebung der Ordnung durch einen actus contrarius und entsorgte sie vielmehr durch die Hintertür. Inhaltlich war eine solche Feststellung freilich falsch. Zwar hatte sich der Große Ausschuss des Reichstags unter Federführung reformfreudiger Reichsstände mit den bäuerlichen Beschwerden, die zum Aufstand geführt hatten, auseinandergesetzt und am 18. August 1526 einen „Ratschlag des Grossen Ausschuß Der Mißbreuch vnnd beschwerung halb der vnderthanen“ vorgelegt, der sich in rund der Hälfte der darin geäußerten Vorschläge mit Missständen in der Seelsorge und mit der geistlichen Gerichtsbarkeit beschäftigt.1014 Abgesehen von der Priesterbestellung, bei der keine Rede mehr von einer Mitwirkung der Gemeinden ist, werden hier in der Tat die Mehrzahl der in Tirol wie in anderen Territorien aufgezeigten Defizite behandelt und Empfehlungen zu deren Abstellung abgegeben, die weitgehend den im Bauernkrieg ventilierten Forderungen Rechnung tragen (beispielsweise durch das Votum, Geldforderungen für sakramentale Handlungen abzustellen oder die Kompetenz der geistlichen Gerichte zu beschneiden). Doch hatte dieser Ratschlag nur empfehlenden Charakter, zumal er nur sehr eingeschränkt in den Reichsabschied Eingang fand. Er ließ den Territorialfürsten einen großen Handlungsspielraum, den Ferdinand I. hinsichtlich der die Geistlichkeit betreffenden Bestimmungen nicht zu nutzen trachtete. Im Gegenteil, er instrumentalisierte den Speyrer Reichstag, um durch den entsprechenden Hinweis der missliebigen Ordnung des geistlichen Standes den Todesstoß zu versetzen.
TLA, VdL, Bd. 3, S. 295–321, hier S. 319, 1527 Nov. 25 (Parallelüberlieferung in StAB, Hs. 2562 (= Landtagslibelle 25)). 1013 TLA, VdL, Bd. 3, S. 321 (Erledigungsvermerk Ferdinands I. zu den Beschwerden des Präla tenstandes). 1014 Besprechung bei Blickle, Revolution, 42005, S. 246–253; ferner Hohn, Rechtliche Folgen, 2004, S. 332–340; Vogler, Bauernkrieg, 1975, S. 1404–1408; eine Teiledition des Ratschlags bringt Franz, Quellen zur Geschichte des Bauernkrieges, 1963, S. 593–598; Volledition bei Ranke, Deutsche Geschichte, Bd. 6, 21926, S. 32–54. 1012
7. Die Kodifikationen (1499, 1526, 1532, 1573)
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Dennoch scheint sich die Geistlichkeit dieser Zusage nochmals versichern zu wollen. Anders ist es wohl nicht erklärbar, dass der Brixner Rat noch im März 1531 ein Schreiben an Dr. Jakob Frankfurter und Sigmund von Brandis richtete, man möge im Zuge der im Gange befindlichen Reformation der Landesordnung – an der von Brandis und Frankfurter als landesfürstliche Vertreter teilnahmen – die Ordnung des geistlichen Standes abschaffen.1015
7. 3. 6. Vom Juli 1525 bis zur Drucklegung und Publikation 1526 Als der spektakuläre, von den Ereignissen des Bauernkriegs geprägte Landtag am 21. Juli 1525 endete, lag somit eine Erstfassung der Landesordnung vor. Dass diese gedruckt werden sollte – womit eine ebenfalls schon während zweier Jahrzehnte hindurch wieder und wieder vergeblich vorgebrachte Forderung erfüllt werden würde –, war allen Beteiligten klar und wurde noch im Sommer des Jahres 1525 ausdrücklich zugesichert. Ferdinand sagte zu, er werde die soeben im Wesentlichen ausgearbeitete Landesordnung in ainen rechten form und libell stellen, in den druckh bringen und alsdann allen lanndleuten, stetten und gerichten ain gleiblich libell in gleichem laut und umb ain zimlich gelt under unnserm secret verfertigt davon verfolgen lassen, dardurch dann solicher sachen menigklich ain lauteren gleichmässigen verstand und wissen zu verhüetung künftiger irrung und mißverstand haben muge.1016 Bis zur Drucklegung sollte es jedoch noch nahezu ein Jahr dauern. Schließlich waren die Gesandten der Städte und Gerichte auf dem im Juni und Juli 1525 abgehaltenen Landtag in bewusster Abweichung vom sonstigen Usus nicht als bevollmächtigte „Gewalthaber“ und Vertreter der sie entsendenden Stände erschienen, sondern waren nur auf „Hinter-sich-bringen“ abgefertigt worden. Obwohl somit die Deputierten der beiden unteren Stände maßgeblich und führend am Zustandekommen der Erstfassung der Landesordnung beteiligt gewesen waren, waren die Landtagsboten nicht dazu befugt, den Landtagsabschied respektive die Landesordnung im Namen und als Bevollmächtigte der von ihnen vertretenen Städte und Gerichte anzunehmen. Aus diesem Grund war es notwendig, solhen abschid, lanndsordnung und ordnung [Empörungsordnung] an obberüert [...] stett, gericht und pergkhwerch dicz lannds gelanngen zu lassen, inen die zu eröffnen und weiter davon mit inen [zu] hanndlen.1017 Zu diesem Zweck wurden in jedes Landesviertel je drei Vertreter des Landesfürsten und drei Deputierte der Landschaft – die sich Vgl. TLA, BT, Bd. 3, fol. 36r, 1531 März 11. TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 126r–129r, hier fol. 128v, 1525 Juli 29. 1017 TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 126r–129r, hier fol. 126r–126v, 1525 Juli 29. 1015 1016
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
paritätisch aus den Reihen des Adels, der Städte und Gerichte rekrutierten – abgesendet, um vor Ort zu verhandeln.1018 Im Zuge dessen waren nicht nur die lokalen Obrigkeiten – Pfleger und Richter bzw. Bürgermeister und Rat in den Städten – vorzuladen, sondern sämtliche vollberechtigten (volljährigen, männlichen und ‚haushäblichen‘) Gemeindemitglieder zu versammeln.1019 Anschließend sollten die Kommissare den obberüerten abschid, lanndsordnungen und ordnung den gedachten von stetten, lanndtgerichten, gerichten und pergkwerchen fürhalten, inen die nach lenngs verlesen und die ursachen und beweglichaiten, warumb die dermassen gestelt und wie die gemainem lannd nüczlich sein, wie dann etlich derselben comissarien und die gedachten solich sachen auf dem gemelten lanndtag bewegen und beratslagen haben helffen, mit pessten füegen anczaigen und darauf von unnsern und gemelter ausschüss wegen mit ernstlichem vleiß an sy begeren und mit inen hanndlen.1020 Daraufhin sollten die Normadressaten den Kommissaren zuesagen, den Landtagsabschied ebenso wie die Landesordnung einzuhalten und zu vollziehen. Die erhaltene Instruktion für die mit den Verhandlungen beauftragten Kommissare enthält jedoch auch Anweisungen für den Fall, dass eine Stadt, ein Gericht oder die im Bergbau Beschäftigten begründete Beschwerden gegen einzelne Titel vorbrächten oder aber überhaupt neue, noch nicht in der Landesordnung behandelte Mängel aufzeigen würden. Die Kommissare hatten dann diese Beschwerden an die Regierung und den ständischen Ausschuss zur weiteren Behandlung weiterzuleiten, sollten freilich dessen ungeachtet mit der handlung aller annderer artigkl [...] wie sich gebürt verfaren.1021 Die Entsendung der landesfürstlichen und ständischen Kommissare in die Städte und Gerichte verfolgte somit eine doppelte rechtliche Zielsetzung: Erstens diente sie der Approbation der Landesordnung durch die Gerichtsgemeinden, die durch ihre Landtagsboten an ihrer Ausarbeitung maßgeblich mitgewirkt hatten. Zweitens zielte sie auf eine Verbesserung der vorliegenden Fassung ab, indem die Erörterung der bei den Verhandlungen vor Ort nachträglich deponierten Änderungswünsche und Beschwerden durch die Regierung und den ständischen Ausschuss vorgesehen war. Vgl. die entsprechende Instruktion für die in das Unterinntal abgesandten landesfürstlichen Kommissare und ständischen Deputierten in TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 126r–129r, 1525 Juli 29. Als Kommissare im Unterinntal fungierten dabei folgende Personen: Christoph Philipp von Liechtenstein, Hans Pamharter und Wolfgang Engenharter (alle drei als landesfürstliche Kommissare), Hans Stöckl, Thomas Zott und Klinger (ohne Nennung eines Vornamens) (als Vertreter der Landschaft). 1019 TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 126r. 1020 TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 126v. 1021 TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 127r–127v. 1018
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Allerdings war dieser primär rechtliche Zweck nicht der einzige, den die gemischten landesfürstlich-ständischen Deputationen verfolgten – aus Sicht Ferdinands I. bzw. der Zentrale war es wahrscheinlich nicht einmal die wichtigste Aufgabe. Die Kommissionsreisen stellten darüber hinaus ein ganz wesentliches Instrument zur Konsolidierung der sicherheitspolitischen Lage im Land dar, die im südlichen Landesteil im Gegensatz zum Norden alles andere als beruhigt war. Schon von der Verlesung der ausgearbeiteten Landesordnung durfte man sich eine positive Wirkung erhoffen, nahm diese doch in hohem Maße auf die Meraner bzw. Innsbrucker Artikel Bezug und führte diese vielfach einer Erledigung im Sinne der Beschwerde führer zu. Durch die Bekanntgabe des Verhandlungsergebnisses an der Peripherie durch eine aus Regierungs- und ständischen Vertretern bestehende Kommission demonstrierte Ferdinand sein Entgegenkommen und signalisierte zugleich, dass auch nachträglich formulierte Beschwerden noch Berücksichtigung finden könnten. Außerdem nahmen bezeichnenderweise jene Anweisungen in der angeführten Instruktion für die Kommissare Ferdinands I. und der Tiroler Landschaft einen breiten Raum ein, die auf die Pazifizierung des Landes und auf die Verhinderung eines neuerlichen Aufstands ausgerichtet waren. Während die Einhaltung der Landesordnung von den Normadressaten nur „zuzusagen“ war, hatten die Untertanen die Einhaltung der ebenfalls verlesenen Empörungsordnung zu beschwören.1022 Gleichzeitig waren sie in den südlichen, noch von Unruhen heimgesuchten Landesteilen aufzufordern, ihren Obrigkeiten wieder Gehorsam zu leisten und inen alles daz [...] [zu] thun, wie vor der emperung, daz in gedachtem abschid und lanndsordnung nit veränndert worden ist.1023 Bei dieser Gelegenheit war gleichzeitig von allen Bewohnern des Landes eine Erneuerung des Huldig ungs- und Gehorsamseides nach Maßgabe der Landesordnung vorzunehmen.1024 Im Rahmen ihrer Kommission stießen die landesfürstlichen und ständischen Gesandten nur in einigen wenigen Gerichten auf Schwierigkeiten.1025 Im generell ������������������������������������������������������������������������������������������ Die bisher ausführlich wiedergegebene Instruktion von 1525 Juli 29 differenziert ausdrücklich zwischen der bloßen „Zusage“, die Landesordnung einzuhalten, und dem zu leistenden „Schwur“ auf die Empörungsordnung, was durchaus die Prioritäten der Regierung und Ferdinands I. widerspiegelt. Keine entsprechende Unterscheidung findet sich im 26. Titel der (im Anhang der Landesordnung) gedruckten Empörungsordnung. In diesem wird abschließend mit Blick auf das vorangegangene Prozedere festgestellt, Ferdinand habe die Landes- und die Empörungsordnung den vermüglichen angesessnen Unnderthanen / in yeder Statt / und Gericht / Auch den vom Perckhwerch / aigentlichen Eroe ffnen / verkünden / und verlesen lassen / Die also solh unnser Landtordnung / Satzung / und dise Empoe rungOrdnung / underthenigklich angenomen / die zuhalten / und den gehorsamlich nachzukomen / Unns als Regierendem Herren / und Landtßfürsten / von new~ em Phlicht und Ayd / gethan und gesworen. 1023 TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 127r. 1024 ��������������������������������������������������������������������������������������������� TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 127r; es handelt sich in der gedruckten Landesordnung von 1526 um 1. Buch, 4. Teil, Titel 1–5. 1025 Vgl. Wopfner, Innsbrucker Landtag, 1909, S. 141, und Wopfner, Bergbauernbuch, Bd. 2, 1995, S. 170. 1022
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ruhigeren Nordtirol ergaben sich nur in Steinach Probleme, wohingegen im südlichen Tirol mehrere Gerichte im Burggrafenamt und in der Brixner Gegend die Annahme des Landtagsabschieds zunächst verweigerten. Die Bedeutung der Landesordnung für die Befriedung des Landes erklärt zudem, warum mit dem landesfürstlichen Rat (und späteren Obristen Feldhauptmann von Tirol) Franz von Castelalto, dem Landrichter von Gries und Bozen Johann Baptista Pils und Lorenz von Zyls auch drei Kommissare in die Gerichte an der südlichen Landesgrenze und im Hochstift Trient (!) geschickt wurden, zumal die betreffenden Gebiete zum damaligen Zeitpunkt noch nicht befriedet waren bzw. über eigene – inhaltlich im Allgemeinen eng an das Stadtrecht von Trient angelehnte – Statuten verfügten.1026 Konkret handelte es sich um anzustrebende Verhandlungen mit den Obrigkeiten und Untertanen der Herrschaften Arco, Riva, Tenno, Mezzolombardo, in Judikarien, Castelfondo, Flavon, Sporminore und Spormaggiore (d. i. Neu- und Altspaur) sowie Val di Sole und Val di Non. Insbesondere der Umstand, dass diese Kommissionsreise auch im weltlichen Herrschaftsgebiet des Bischofs Bernhard von Trient gelegene Gerichte berührte, erklärt wohl, weshalb in der entsprechenden Instruktion peinlichst die Erwähnung des Wortes „Landesordnung“ vermieden und stattdessen vom abschid gemainer ordnungen und der emperung-ordnung, so auf jüngstgehaltem hieigem lanndtag [...] fürgenomen und beslossen sein, die Rede ist. Zwar wird den betreffenden Gerichten versichert, dass man nicht vorhabe, ihre Statuten und ihren althergebrachten gebrauch durch die davon abweichenden Titel der Landesordnung zu ersetzen: Aber die annderen artigkl in dem abschid unnd in den berürten gemainen ordnungen, sovil die ire statuta nit berürn, deßgleichen in der emperung-ordnung begriffen, vermainen wir [Ferdinand I.], daz [die Untertanen] dieselben, wie sy inen dann durch die comissarien nach lenngs erczelt werden sollen, gehorsamlichen annemmen und demselben geleben und nachkommen.1027 Speziell bei Verlesung der Empörungsordnung sollten die Kommissare im Einzelnen erläutern, welche Erwägungen für deren Abfassung ausschlaggebend waren, warumb die dermassen gestelt und gemainem lannd nuczlich und notdurfftig sei.1028 Des Weiteren hatten sie den Untertanen jene Titel der Landesordnung zu verlesen, die auch in den angeführten Gerichten und Herrschaften Geltung erlangen sollten, ohne dass davon – dies sei nochmals wiederholt – die schon vorhandenen Statuten berührt werden sollten. Die einschlägigen Bestimmungen der Landesordnung, deren Geltungsbereich sich somit ungeachtet existierender Partikularrechte auf die ge Die entsprechende Instruktion findet sich in TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 130r–133r, 1525 Aug. 7. 1027 TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 130v–131r. 1028 TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 131r. 1026
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nannten Gebiete an der südlichen Landesgrenze und im Hochstift erstrecken sollte, waren dabei verschiedenen Rechtsbereichen zuzuordnen: Betroffen waren vor allem die Regelung des Rechtsverhältnisses zwischen Baumann und Grundherr, Jagd und Fischerei, Maße und Gewichte und eine Vielzahl weiterer policeyrechtlicher Mate rien.1029 Auch hier bestand für die Untertanen die Möglichkeit, Beschwerden über die Landesordnung oder einzelne ihrer Normen zu deponieren, die im Fall der hoch stiftischen Gebiete zunächst an den Bischof zu leiten waren und nur dann an die Innsbrucker Regierung gelangen sollten, wenn in Trient keine einvernehmliche Lösung erarbeitet würde.1030 Dieser Umstand unterstreicht nochmals die wesentliche Zielsetzung der Deputation, beruhigend auf die Sicherheitslage einzuwirken. In jeder anderen Konstellation hätte ein solches Ansinnen des Landesfürsten, die Innsbrucker Zentralbehörde unverhohlen als eine dem Bischof in dessen eigenem Herrschaftsbereich übergeordnete Instanz etablieren zu wollen, zu geharnischtem Widerstand seitens des Bischofs geführt. Die Etablierung der Regierung als Schlichtungsstelle bei anhaltenden Differenzen zwischen Bischof und stiftischen Untertanen präsentierte sich 1525 hingegen als weitere Deeskalationsmöglichkeit. Statt der Fortsetzung gewaltsamer Widersetzlichkeiten waren die Untertanen zur (friedlichen) Ventilierung wahrgenommener Defizite zu animieren. Auch die für die meisten Normadressaten durchaus positiv zu wertende Erstreckung des räumlichen Geltungsbereichs be stimmter Teile der Landesordnung auf Gerichte mit eigenen Statuten war in diesem Zusammenhang als Demonstration landesfürstlichen Entgegenkommens zu werten. Dies erklärt zudem das Faktum, warum im Jahr 1526 von diesem Schritt abgesehen wurde, wobei sowohl die Tiroler Landschaft als auch Ferdinand I. dies ausdrücklich als Sanktion für die anhaltenden, erst durch den Einsatz von Landsknechten niedergeschlagenen Unruhen im südlichen Tirol bezeichneten.1031 Zwar Vgl. die Aufzählung der betroffenen Artigkl aus der lanndsordnung gezogen in TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 132r–133r: Der unschuldigen gefangenen Aczung und thurngelt / Warumb angesessen leut vängklichen angenomen werden sollen / Thurngelt und aczung / Selbslagend püchsen / Verpoten wör / Müessiggeer / Sprecher, singer etc. / Zygeiner / Bürger, gerichtsleut und ynwoner phlicht / Sapfoier, schotten und annder frembd kramer / New wirtsheuser / Pettler / Kirchensambler / Gotslessterung / Abstellung der kirchtäg / Hochczeit zuetrinckher / Fürkauff und wuecher / Fürkauff leders / Wuecherisch fürleichen / ungebürlich aufsleg / Hanndtwercher und Bruederschafften / Müllner / Peutgelt / Pawleut, taglöner unnd diennstleut / Aussteung der ehalten / Schweintreiber / Fürkauff traids / Mitleiden der wasserpew und wirtschafften / Beseczung der slosser und gericht / Vogtey, robat etc. / Länen und wassergüss / Überzynste güeter / Taylung der güeter / Zehennden / Weisat / Leibaigenschafft / Wein-, traidzins, so die nit geraten / Gefärlich verhaltung der zinss / Zinsfuer / Antwortung der Zins / Zalung der versossen Zins / Triendtner wein / new aufsleg der zoll / Aussteckhung der gemaind / Verlassung der Waid / Verkauffung des vichs / Gwer und entwerung / Jagen, vischen, vogtey / Wildsee und gross fliessend wässer / die päch nit zu fischen / Ellen / Gewicht / Werchschuech / Stär / Yrn / Auf- und abzug / Verleichung nach lanndsrecht / Rot- und swarczwild. 1030 TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 131r–131v. 1031 ������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. zu den militärischen Maßnahmen Macek, Gaismair, 1988, S. 147–152; Macek, Bauernkrieg, 1965, S. 330–340; Franz, Bauernkrieg, 1965, S. 164; Hoffmann, Geschichte Tirols 1029
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hätten, wie Christoph Philipp von Liechtenstein, Kaspar Khünigl, Hans Flaser und Peter Braunecker im März 1526 Ferdinand I. berichteten,1032 anlässlich der Deputationsreisen auch etlich welsch partheien Änderungswünsche hinsichtlich einzelner Titel angebracht oder allgemeine Beschwerden deponiert. Da gerade die italienisch sprachigen Gebiete großteils nicht das im Sommer 1525 landesfürstlicherseits gemachte Angebot eines Generalpardons angenommen hätten, sonnder der merer tail mit der straff zu gehorsam gebracht worden sei, werden weitere Strafmaßnahmen vorgeschlagen: Deßhalben hat man sy über die straff, die F. D. commissarien und kriegsrät inen mit urtl und recht aufgelegt, bey iren alten statuta, gepreüchen und gewonhaiten beleiben zu lassen für guet und notturfftig angesehen.1033 Diesem Vorschlag erteilte Ferdinand seine Zustimmung.1034 Diese Vorgehensweise wird auch noch in anderem Zusammenhang von Interesse sein, illustriert sie doch eindringlich, dass eine Rechtsvereinheitlichung auf territorialer Ebene zum damaligen Zeitpunkt noch keine relevante Denkkategorie war.1035 Der 1525 in Aussicht gestellten Aus dehnung des räumlichen Geltungsbereichs von zumindest Teilen der Landesordnung lag mit Sicherheit keine einschlägige Planung zugrunde. Der angeführte Bericht der landschaftlichen und landesfürstlichen Kommissare Liechtenstein, Khünigl, Flaser und Braunecker lässt darüber hinaus erkennen, dass es bei der Verlesung und Erläuterung der Erstfassung der Landesordnung an der Peripherie teilweise durchaus zu Problemen und Widerständen kam. Es seien demnach in eröffnung desselben abschids von merern orten irrungen fürgefallen [...], darinnen ännderungen beschehen müessen.1036 Konkret waren vier Normen bzw. Bereiche betroffen: das anzuwendende Weinmaß, das Kornmaß, das intendierte vollständige Verbot der Kirchtage und schließlich die auf das Pfändungsverfahren bezüglichen Titel der Landesordnung. Hinsichtlich des Weinmaßes war in der Erstfassung noch die Vereinheitlichung gemäß dem Meraner Maß vorgesehen, doch hatte sich im Zuge der Verhandlungen vor Ort gezeigt, dass das Bozner Maß weiter verbreitet war und der Wunsch nach dessen Anwendung dominierte. Umgekehrt war ursprünglich vorgesehen worden, das Hohlmaß für Getreide gemäß dem in Bozen gebrauchten Maß zu vereinheitlichen, doch plädierten die Kommissare nunmehr für die landesweite Anwendung des zu Schwaz verwendeten Getreidehohlmaßes, angesehen, das solich stär [Maßeinheit] das gelegnist maß zum roggenfueter und allem traid ist.1037 Ferner erwies sich das zunächst vorgesehene, fast vollständige Verbot der Kirchtage als Stein des An1523–1526, 1948, S. 260. TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 156r–159r, 1526 März 25. 1033 TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 157v. 1034 TLA, LLTA, Fasz. 2, 1526 April 27. 1035 Vgl. Kap. VI.5.3. 1036 TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 156r–157v. 1037 TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 156v. 1032
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stoßes, an dem die stennd ainer ersamen lanndschafft beswer tragen.1038 Häufig würden gleichzeitig Märkte abgehalten, eine Einstellung der Kirchtage würde folglich wohl zu einem Verschwinden dieser Märkte führen und sei daher bedenklich. Am aufschlussreichsten erscheinen freilich die Bemerkungen über die Pfändungsbestimmungen der Landesordnung. Hier hatte sich im Zuge der Darlegung der Landesordnung durch die Kommissare gezeigt, dass der phanndt- und ganntartickl im abschid etwas vinster und nit gnuegsam außgefüert, deßhalbn der dem gemainen mann nit vil verstänntlichen gewesen ist, daraus etwo vil irrung und rechtverttigung entstanndn weren.1039 Die Konsequenz war die Überarbeitung der entsprechenden Bestimmungen durch Regierung und ständischen Ausschuss, wobei die Neufassung Ferdinand gemeinsam mit dem Bericht vom 25. März 1526 übersendet wurde. Als besonders aufschlussreich erscheint in diesem Zusammenhang die greifbar werdende Orien tierung der Normsetzung an der „Verständlichkeit“ für den Normadressaten, die offensichtlich auch bei der Präsentation der Erstfassung der Landesordnung in den Städten und Gerichten eingemahnt worden war. Sämtliche Vorschläge, die von der Regierung und dem landständischen Ausschuss aufgrund der vor Ort geführten Verhandlungen und der eingebrachten Beschwerden ausgearbeitet worden waren, wurden von Ferdinand I. mit Schreiben vom 27. April 1526 gutgeheißen.1040 Der 25. März 1526 (weniger wohl der 27. April 1526 selbst, s. u.) ist somit als der terminus post quem anzusehen, der die Datierung eines weiteren Entwurfs der Tiroler Landesordnung ermöglicht. Dieser ist in der Handschrift 2888 des Tiroler Landesarchivs erhalten und enthält schon die im Schreiben vom 25. März 1526 erwähnte Neufassung der Pfändungsbestimmungen. Terminus ante quem für die Datierung dieser Version der Landesordnung ist der 1. Mai 1526, als Ferdinand I. die ihm vorgelegte Fassung approbierte und den Anwendungsbefehl erteilte, d. h. sämtlichen Vollzugsorganen und der Gesamtheit der Untertanen die Einhaltung der Landesordnung auftrug. Dieser Anwendungsbefehl ist in Handschrift 2888 noch nicht enthalten, ebenso wenig wie das am 10. Mai in Esslingen von Kaiser Karl V. ausgestellte Druckprivileg für den Augsburger Drucker Silvan Ottmar, das die Druckfassung der Landesordnung einleitet. Die Datierung des in Tübingen ausgestellten Anwendungsbefehls auf den 1. Mai 1526 lässt tendenziell auf den 25. März 1526 als terminus post quem für die zeitliche Einordnung von Handschrift 2888 schließen, erscheint doch der 27. April bei Berücksichtigung des Postwegs Innsbruck-Tübingen und der vornehmlich redaktionellen Überarbeitung, die diese Zweitfassung der Landesordnung nochmals erfuhr, mehr als unwahrscheinlich.
TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 156v–157r. TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 157r. 1040 TLA, LLTA, Fasz. 2, 1526 April 27. 1038 1039
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
In der Tat lässt die in Handschrift 2888 vorliegende Zweitfassung der Tiroler Landesordnung die letzten vor der Drucklegung vorgenommenen Änderungen erkennen, sind doch im Text von derselben Schreiberhand noch Korrekturen eingefügt, die schließlich eins zu eins in die endgültige, gedruckte Version Eingang fanden. Dabei handelt es sich weniger um inhaltliche Modifikationen als vielmehr um redaktionelle Anpassungen. Insbesondere wurden im Zuge dessen 1. einzelne Titel verschoben, indem sie an der ursprünglich vorgesehenen Stelle ausgestrichen und an einer systematisch adäquater erscheinenden Stelle eingefügt wurden;1041 2. Rubriken (Titelüberschriften) bei jenen Titeln eingefügt, die noch keine aufwiesen;1042 3. Rubriken umformuliert, indem speziell die konzise, verständliche Wiedergabe des wesentlichen Inhalts angestrebt wurde;1043 4. Trennungen von zu umfangreichen Titeln vorgenommen, indem diese geteilt und mit eigenen Titelüberschriften versehen wurden;1044 5. der Sprachduktus im Bedarfsfall geglättet1045 sowie 6. sprachliche Präzisierungen vorgenommen.1046 Beispielhaft sei verwiesen auf TLO 1526, 1. Buch, 1. Teil, Titel 9 (Schreiben / und Sigeln / ausser Gerichts), der ursprünglich nach Titel 14 (Der Redner / oder Advocaten Besoldung [...]) platziert war; TLO 1526, 1. Buch, 2. Teil, Titel 12 und 13 standen ursprünglich noch ganz am Beginn des 2. Teils des ersten Buchs. Hier wurde ein Verweiszeichen eingefügt mit dem Bemerken dise zwen artigkl gehören hinhinder [sic] zu stellen negst vor dem artigkl „adlsdiener“. Dort wiederum wird mit Wiederholung des Verweiszeichens klargestellt: Daher gehören die artigkl „wie ain yeder in ersster instancz soll gerechtvertigt werden“. 1042 So z. B. bei TLO 1526, 1. Buch, 1. Teil, Titel 12; TLO 1526, 1. Buch, 2. Teil, Titel 3, 10, 11, 17, 19–21, 24, 29, 36. 1043 Vgl. nur TLO 1526, 1. Buch, 2. Teil, Titel 2 (Wie die Recht Ersuecht / und gehalten / auch die Verlengerung Rechtens abgestelt werden söllen); hier lautete die Rubrik ursprünglich: Verlengerung Rechtens abzustellen. Die schwerfällige Titelüberschrift So ainer nit kuntschaft oder ander urkunden hat, mag er aines zehen und läugnen begern und nemen wird abgekürzt auf Von dem Aid / erstattung der beweysung (TLO 1526, 1. Buch, 2. Teil, Titel 24); die Rubrik Das kain tochter haimlichen heyraten sol wird korrigiert in Wer ainem sein Kind Verkupelt / wie er Gestrafft werden soll (TLO 1526, 2. Buch, 2. Teil, Titel 14). 1044 ������������������������������������������������������������������������������������������� So bildeten TLO 1526, 1. Buch, 6. Teil, Titel 14 und 15 ursprünglich nur einen einzigen Titel. TLO 1526, 1. Buch, 2. Teil, Titel 35–41 waren in der Zweitfassung der Landesordnung gar nur auf zwei Titel aufgeteilt gewesen. 1045 Vgl. TLO 1526, 1. Buch, 6. Teil, Titel 16: Statt des endgültigen Geben wir dise Erleüterung und Ordnung / Das es damit hinfüro / also gehalten werden soll / Nemlichen hieß es zunächst Geben wir dise erleutterung und ordnung, das es hinfüro also gehalten sollen [!] werden: Welhes Jars [...]. 1046 Vgl. z. B. TLO 1526, 1. Buch, 2. Teil, Titel 30, wo der präzisierende Gliedsatz der appeliert hat erst bei der Endredaktion eingefügt wurde; bei TLO 1526, 1. Buch, 4. Teil, Titel 28 wurde der Zusatz, dass der Import von Fleisch in dits unnser lannde verboten sei, ebenfalls erst nun angebracht. Dasselbe gilt für die Präzisierung des Sitzes der Statthalter und Räte in Innsbruck oder wo die zu yeder zeit sein werden (TLO 1526, 2. Buch, 1. Teil, Titel 48). 1041
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Zu inhaltlichen Korrekturen kam es hingegen in diesem Stadium nur noch in äußerst seltenen Fällen.1047 2. Buch, 1. Teil, Titel 10, der die Verschriftlichung der Urgicht (des Geständnisses) des gefolterten Verdächtigen und deren Verlesung vor den Gerichtsgeschworenen und dem Richter im Vorfeld der Urteilsfällung behandelt, folgte so auch in der Zweitfassung ursprünglich noch ganz dem Wortlaut der Halsgerichtsordnung von 1499.1048 Diese Version wurde jedoch durchgestrichen, völlig neu gefasst und deutlich präzisiert. Als inhaltlich bedeutendste Neuerung ist wohl die entschiedene Milderung der Strafdrohung für Urfehdebruch anzuse hen.1049 Auch hier sah die vorliegende Zweitfassung der Landesordnung noch in Übereinstimmung mit der Malefizordnung von 1499 die Hinrichtung des Malefikanten durch das Schwert (bei einem Mann) bzw. durch Ertränken (bei einer Frau) vor. Diese Strafdrohung wurde jedoch noch in eine poena arbitraria umgewandelt. Die Übeltäter sollten fortan nur mehr nach gelegenhait jrer verhanndlung / und gegeben Urphed / gestraft werden. Die in der Handschrift 2888 des Tiroler Landesarchivs enthaltene Fassung der Landesordnung erlaubt somit das Nachvollziehen der letzten, der Drucklegung selbst unmittelbar vorangegangenen Änderungen. Die in einer letzten Redaktionsstufe vorgenommenen Korrekturen gingen eins zu eins in die gedruckte Landesordnung ein. Umgekehrt wurden danach – sieht man vom ganz anders zu beurteilenden Einfügen des Anwendungsbefehls Ferdinands I. und des Druckprivilegs Kaiser Karls V. ab – keinerlei Veränderungen am Textbestand der Landesordnung mehr vorgenommen. Die Handschrift 2888 stellt also mit Sicherheit die letzte Fas sung der Landesordnung vor dem Druck dar, und nur die Frage, ob für den Druck vorgang selbst noch eine Reinschrift unter Einarbeitung der Korrekturen angefertigt wurde, bleibt offen.1050 Keine nachweislichen Auswirkungen auf den Inhalt der Landesordnung hatte im Übrigen der in Augsburg vom 12. Dezember 1525 bis Anfang März 1526 abge ���������������������������������������������������������������������������������������������� So wurde beispielsweise erst jetzt die Ergänzung in TLO 1526, 1. Buch, 2. Teil, Titel 18, eingefügt, wonach unter den umschriebenen Voraussetzungen auch dem nicht in Tirol wohnhaften (potentiellen) Prozessgegner die Aufnahme von Kundschaften anzuzeigen sei; TLO 1526, 2. Buch, 1. Teil, Titel 10, wurde noch deutlich ausführlicher formuliert. 1048 Vgl. Schmidt, Halsgerichtsordnungen, 1948, S. 99. 1049 TLO 1526, 2. Buch, 1. Teil, Titel 25. 1050 Vgl. die Ausführungen Ferdinands auf den Vorschlag Liechtensteins, Khünigls, Flasers und Brauneckers in TLA, LLTA, Fasz. 2, 1526 April 27: Als die gesanndten begern, zu fürdrung der sach ain collationiert libel des abschid gehalten lanndtags etc. versecretiert der regierung zuezeschreiben, mit bevelh, des zu Schwacz trukhen zu lassen unnd nachmals in die tirolisch cannczley zu anntwurten, damit die der notdurfft nach collationiert unnd unnderschriben mug werden, unnd darnach der cannczler daselbst die nach rat stathalter unnd hofrats innhalt des abschid lanndtags den commissarien, sovil not ist, überanntwurten, des will F. D. zu thun bewilligen, vegönnen unnd der regierung derhalben also bevelhen. [...] Fürstlich Durchleichtigkait will auch den truckh bemelten abschids auf der gesanndten begern cum privilegio beschehen unnd verfolgen lassen. 1047
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haltene Generallandtag der österreichischen Länder,1051 wenngleich in der Literatur fallweise ins Treffen geführt wird, dass hier „die Endfassung der Ordnung zustande kam.“1052 Quellenbelege für eine solche Behauptung lassen sich nicht finden, und die dafür sprechenden Indizien sind mager. Eine Verbindung lässt sich nur insofern konstruieren, als auf dem Generallandtag viele auch in Innsbruck verhandelten Gegenstände neuerlich zur Sprache kamen. Das allein ist jedoch kein überzeugendes Argument. Schließlich thematisieren die auf dem Reichstag zu Speyer 1526 angestellten Beratungen ebenfalls zahlreiche auf dem Julilandtag 1525 in Innsbruck erörterten Materien, ohne dass sich ein unmittelbarer Konnex herstellen lässt. Kommen wir wieder auf die Drucklegung der Landesordnung zurück: Zwar hatten Christoph Philipp von Liechtenstein, Kaspar Khünigl, Hans Flaser und Peter Braunecker Ferdinand I. im März 1526 vorgeschlagen,1053 dass diese in Schwaz er folgen sollte, wo seit 1521 eine Druckerei bestand,1054 doch lautete das kaiserliche Druckprivileg auf den Augsburger Drucker Silvan Ottmar. Die Landesordnung wurde in einer unbekannten Auflage sowohl auf Papier als auch auf Pergament ge druckt1055 und jedes einzelne Exemplar durch die eigenhändige Unterschrift des Statthalters Rudolf von Sulz gefertigt und vom Kanzler Dr. Baldung gegengezeichnet. In einem anderen Punkt folgte Ferdinand I. hingegen der ebenfalls von den Regierungs- und ständischen Deputierten im März 1526 vorgebrachten Anregung. Dieser betraf die Kundmachung der Landesordnung in den Städten und Gerichten. Diese sollte wiederum durch gemischte Kommissionen geschehen, die sich aus Regierungsräten und je einem Vertreter des Adels, der Städte und der Gerichte zusammensetzten. Ende Juli 1526 war es schließlich soweit: Die erforderlichen Exemplare der Landesordnung lagen vor, und die Kommissionsmitglieder waren ernannt. Dabei wurde für jedes Landesviertel eine eigene Deputation gebildet, um den Publikationsvorgang einigermaßen gleichzeitig vornehmen zu können.1056 Schon an dieser Hierzu Mayr, Generallandtag, 1894. Speziell ist darauf hinzuweisen, dass die ständischen Vertreter aus Tirol – gerade im Vergleich zu den anderen Erbländern – ausgesprochen wenige und nicht die Landesordnung tangierende Beschwerden vorbrachten (vgl. ebd., S. 119). 1052 So ausdrücklich Köfler, Land, 1985, S. 432; vgl. auch Wopfner, Innsbrucker Landtag, 1909, S. 191. Diese Sichtweise dürfte darauf zurückzuführen sein, dass die gemeinsamen Beschwerden aller österreichischen Länder inhaltlich teilweise Affinitäten mit den in der Tiroler Landesordnung geregelten Materien aufweisen (vgl. Mayr, Generallandtag, 1894, bes. S. 71–88). 1053 TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 156r–159r, hier fol. 158v, 1526 März 25. 1054 Vgl. Waldner, Quellenstudie, 1888, S. 25–30. 1055 Vgl. Waldner, Quellenstudie, 1888, S. 31. 1056 Vgl. TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 162r–165v, hier 165r–165v, 1526 Juli 30; ferner TLA, LLTA, Fasz. 2, 1526 Juli 29 (Befehl der Regierung an die Kammer, für die genannten Kommissare, so den lanndtagsabschib sambt den particularbeschwerungen [...] zu eröffnen fürgenomen sein, das Zehrgeld auszuzahlen). Aus den Reihen der Stände kamen dabei folgende Kommissare (Vertreter des Adelsstandes/der Städte/der Gerichte): Viertel an der Etsch: Wilhelm von Liechtenstein; Christoph Rottenpuecher; Lienhart Vinschgauer; 1051
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Stelle sei mit Hinweis auf frühere Ausführungen darauf aufmerksam gemacht, dass eine dieser Kommissionen die Publikation der Landesordnung auch im Gebiet des Hochstifts Brixen vornahm, wohingegen das Hochstift Trient ausgespart blieb.1057 Die Kommissare sollten gemäß Instruktion nach Zusammenrufen der lokalen Obrigkeiten und der Gerichtsinsassen darlegen, wie Ferdinand I. nach abhörung obgedachten landtagabschids und particularbeswerungen verordent haben, daz der landtagabschid sambt unnsern darinn bewilligten landtordnungen, saczungen und fürgenomner empörungordnung, wie die auf obgemeltem lanndtag beslossen worden, libellweis in druck gebracht und an die statt geferttigt worden sein, dero dann unnsere comissarien yeder statt und gericht und pergkwerch ains gegen beczalung der tax ains gulden reinisch zustellen und überanntwurtten sullen.1058 Sollten sich die Städte und Gerichte bei diesem Anlass beschweren, dass im Vergleich zu der 1525 verlesenen Landesordnung mehrere Titel verändert worden seien – in concreto wurden die bereits erwähnten Änderungen beim Hohlmaß für Wein und Getreide, die Regelung der Kirchtage und die Pfändungsbestimmungen angeführt –, waren die Kommissare angehalten, die diesen Modifikationen zugrunde liegenden Motive darzulegen und auf den erteilten Konsens des ständischen Aufstandes hinzuweisen. Wie schon die paritätisch besetzten Deputationen zur Präsentation und Nachverhandlung der Landesordnung im Sommer 1525 maßgeblich auch der Pazifizierung und Konsolidierung der mehr als angespannten Sicherheitslage dienen sollten, kam dieser Zielsetzung einer nachhaltigen Beruhigung der Situation ebenso 1526 eine zentrale Rolle zu. Dabei darf man nicht vergessen, dass der jüngste militärische Einfall des führend am Tiroler Bauernkrieg beteiligten Michael Gaismair nach Tirol erst Anfang Juli 1526 stattgefunden hatte. Dies hatte der Regierung in Innsbruck mehr als deutlich vor Augen geführt, dass eine dauerhafte Befriedung des Landes noch in weiter Ferne und die Gärung in Teilen der Landbevölkerung noch nicht abgestellt war. Dies lässt sich eindrücklich anhand der über die Publikation der Landesordnung hinausgehenden Aufträge erkennen, die den Kommissaren in Viertel Wipptal: Wilhem Schurff; Andre Flam; Ulrich Praunhofer; Viertel am Eisack: Reinprecht von Payrsberg; Hans Preu; Ulrich Kemater; Viertel Vinschgau: Jakob Trapp der Ältere oder Arbogast von Annenberg; Hans Frölich (aus Glurns); Gothart Mair; Viertel Oberinntal: Ulrich von Maltitz; Hans Erlpeckh; Konrad Schroff; Viertel Unterinntal: Christoph Phillip von Liechtenstein; Siegmund Halbhein; Andre Tunauer; äußeres Pustertal: Jörg Botsch; Jörg Lenghofer; Aschhofer (ohne Vorname); inneres Pustertal: Kaspar Khünigl; Hans Seel; Peter Traier; Strift Brixen: Anthoni Brandisser; Leoy Clainung; Lienhart Arland; Drei Herrschaften: Degen Fuchs; Jakob Gratt; Adlgeier Waltel; Burggrafenamt: Ulrich von Wanng; Benedikt Maininger; Lienhart Goldegger. 1057 Siehe oben S. 537–538. 1058 TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 163r.
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ihrer Instruktion erteilt wurden. Diesen wurde zunächst eingeschärft, den Untertanen in den Städten und Gerichten die Gnade vor Augen zu führen, die ihnen Ferdinand durch die Erlassung der Landesordnung erwiesen habe und derer sie sich als würdig erweisen müssten, indem sie die Empörungsordnung genauestens einhielten und den practickn, anraiczen und aufwigln von Rädelsführern des Bauernaufstandes aktiv entgegentreten.1059 Gleichzeitig wurde den Kommissaren eingeschärft, darauf zu achten, ob sich anlässlich der Kundmachung der Landesordnung irgend jemand anschicke, ainichen unwillen in den gemainen man zu bringen oder sunst ichts ungebürlichs einczufüern, was sofort zu unterbinden sei. Außerdem sollte die Kundmachung der Landesordnung vor Ort bezeichnenderweise mit einer weiteren Agende verbunden werden, mit der ebenfalls die Berücksichtigung der gerechtfertigten Beschwerden durch die landesfürstliche Obrigkeit demonstriert werden konnte. Denn die Kommissare sollten den Untertanen gleichzeitig die Erledigung der Partikularbeschwerden der Gerichte und Gemeinden durch die Regierung und den ständischen Ausschuss mitteilen. Zu diesem Zweck waren die Beschwerden in drei Gruppen eingeteilt worden: erstens jene Beschwerden, die das landesfürstliche Kammergut und die Hoheitsrechte betroffen hätten. Hinsichtlich dieser vermeint lichen Missstände sei nichts beschlossen worden, da – so die von den Kommissaren anzuwendende Argumentation – auf dem im Juni und Juli 1525 abgehaltenen Landtag von den Abgeordneten einhellig erklärt worden sei, man wolle dem Landesfürsten keinen Abbruch an Herrschaftsrechten und Kammergut tun. Zur zweiten Gruppe zählten jene monierten Missstände, die ohne die Vornahme eines Augenscheins zur Erhebung der Fakten nicht beurteilt werden könnten. Hier sollten die Deputierten zusagen, dass die Regierung auf Antrag der Betroffenen und auf deren Kosten Kommissare entsenden würde, die den Sachverhalt vor Ort beurteilen würden. In die dritte Kategorie wurden jene Beschwerden eingereiht, die nunmehr durch die Landesordnung erledigt seien.1060 Die Vorgehensweise zur Kundmachung der Tiroler Landesordnung von 1526 wich somit ganz massiv vom sonst üblichen Publikationsmodus ab. Dies zeigt sich besonders deutlich bei einem Vergleich mit dem 1532 und 1574 anlässlich der Kundmachung der reformierten Landesordnung angewendeten Prozedere. Hier waren nur die lokalen Obrigkeiten damit beauftragt, den Normadressaten die Erlassung der Landesordnung und deren wesentliche Inhalte zur Kenntnis zu bringen, wobei parallel entsprechende Anwendungsbefehle in Form von feierlichen Mandaten durch Anschlag an öffentlichen Orten angebracht wurden.1061 Demgegenüber galt es 1526, den Landesfürsten Ferdinand I. als treu sorgenden, die Beschwerden seiner Untertanen ernst nehmenden Gesetzgeber zu inszenieren. Zugleich sollte der TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 164r. TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 162r–163r. 1061 Vgl. die Erwähnung in TLA, BT, Bd. 4, fol. 45v, 1532 Dez. 1; TLMF, FB 6197, Nr. 51, 1574 Mai 20. 1059 1060
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Bevölkerung eindringlich vor Augen geführt werden, dass für die gewährte Gnade der Erlassung der Landesordnung eine Gegenleistung erwartet wurde, die in der Absage an jede gewaltsame Widersätzlichkeit und in der Unterstützung des Landesfürsten bei allenfalls wieder auffl ammenden Unruhen bestand. Insofern ging die Aufgabe der im Sommer 1526 die Städte und Gerichte bereisenden Kommission weit über die bloße Kundmachung der Landesordnung hinaus. Die Kundmachung der Landesordnung ist in nahezu allen Städten und Gerichten problemlos vonstatten gegangen.1062 Eine Ausnahme scheint das am Reschen pass gelegene Dorf Nauders dargestellt zu haben, dessen Bewohner zunächst die Annahme der Landesordnung verweigerten.1063 Sie wollten sich mit annemung desselben lanndtagabschids und newer landsordnung etwas ungehorsam erzaigen und demselben nit nachzugleben oder nachzukumen, sunder vermainen pey iren stattuten, eehafften und welschen rechten zu beleiben. Allerdings war dies innerhalb des Gerichts Naudersberg eine auf die Gemeinde Nauders beschränkte Minderheitenmeinung. Der merer tail der unnderthanen (namentlich genannt werden die vier Gemeinden auf der Malser Heide) hatte die Landesordnung sehr wohl angenommen, bereits die vorgesehenen Gerichtsgeschworenen bestellt und zugesagt, die neue Kodifikation einzuhalten. Grundsätzlich stellte die Regierung in ihrem Schreiben an den Pfleger klar, dass Ferdinand eine solche Vorgehensweise nicht zu tolerieren gedachte, zumal sie wider gemainer landtschafft und ir selbs aigen bewilligung geschehe. Schließlich sei die Landesordnung von den Ständen insgesamt und von den Landtagsboten des Gerichts Naudersberg „bewilligt“. Die Regierung entschloss sich zum Einschlagen des Verhandlungsweges. Der Pfleger von Glurns und Mals, Jakob Trapp, wurde beauftragt, sich nach Nauders zu begeben und die Gemeinde gutwillig und durch Zusprechen zur Annahme der Landesordnung zu bewegen. Dabei sollte er auf die bereits erwähnten Argumente zurückgreifen, d. h. auf die Annahme der Landesordnung sowohl durch die Landschaft selbst als auch durch die Landtagsboten des Gerichts Naudersberg und anlässlich der Publikation überdies durch die Mehrheit der Gerichtsinsassen, weshalb die Ablehnung durch Nauders nicht akzeptiert werden könne. Würde Jakob Trapp im Verlauf der Gespräche feststellen, dass einzelne Personen in ihrer Ablehnung besonders hervortreten, die ain gemain an dem ennd auf solh ungehorsam und widerwertig fürnemen [...] bewegten und stifften, sollte er diese gesondert vor sich laden und ihnen subtil mit Konsequenzen drohen, ohne diese zu konkretisieren. Der Bericht Trapps über seine Mission ist leider nicht erhalten, doch finden sich auch keine weiteren Quellen über allfällige Widersetzlichkeiten im betreffenden Gericht. Vereinzelt kam es zu Unmutsäußerungen, vgl. nur TLA, Hofregistratur, Reihe A, Abt. IV, Pos. 30, Teil 2, fol. 31r, wo einer der Anwesenden anlässlich der Verlesung, als das gericht pei ainander gebest [...], geret [hat], er well nichtz annemen, man went dan alle peschwärungen; ist also hinweggangen und nit pei dem peschluß plibn. 1063 TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 193r–193v, 1526 Okt. 19. 1062
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Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass gerade dieser geographische Bereich von einer intensiveren Verzahnung von Hoheitsrechten des Tiroler Landesfürsten einerseits und des Bischofs von Chur andererseits geprägt war.1064 Zudem hatten sich zu diesem Zeitpunkt noch erhebliche romanische Bevölkerungsteile im Gericht erhalten1065 (für das Jahr 1516 erfahren wir, dass die Gerichtsverhandlungen noch in romanischer Sprache durchgeführt wurden1066). Insofern ist der Befund von Nauders wohl nicht repräsentativ, ist nicht überall mit vergleichbaren Implementationsschwierigkeiten zu rechnen. Überdies ist es wohl kein Zufall, dass just für das Gericht Naudersberg noch aus dem Jahr 1525 ein Bericht vorliegt, wonach die Besetzung des Malefizrechts nicht nach den Vorschriften der ein Vierteljahrhundert zuvor erlassenen Halsgerichtsordnung erfolge.1067
7. 4. Die Landesordnung von 1532 Schon kurz nach der Publikation der Landesordnung stand für Ferdinand I. fest, dass eine „Reformation“ der Kodifikation in seinem Sinn unabdingbar war. Bereits im Jahr 1527 wollte er die Amtsinstruktion des Forstmeisters in einigen während des Bauernkriegs besonders umstrittenen jagdrechtlichen Punkten modifizieren, um auf diese Weise gleichsam durch die Hintertür und ohne formelle Derogation wieder zur Rechtslage zurückzukehren, wie sie bis zum Bauernkrieg bestanden hatte. Aufgrund des deutlichen Widerspruchs der Regierung unterblieb dieser Schritt schließlich.1068 Ein Indiz weist darauf hin, dass schon 1527 einige Regierungsräte mit der Überarbeitung der Tiroler Landesordnung von 1526 befasst waren. Dies legt die bereits erwähnte Antwort Ferdinands I. auf die Bitte des Prälatenstands, die seiner Rechtsstellung abträglichen Bestimmungen der Landesordnung zu verändern, nahe. Ferdinand I. versicherte daraufhin den Prälaten, ihre Beschwerden würden von den Regierungsräten, so zu aufrichtung der newen landtsordnung verordnet, berücksichtigt werden.1069 Auf demselben Landtag monierte darüber hinaus die Gesamtheit der Stände, dass die in der Landesordnung enthaltenen Vorschriften bezüglich der Wein- und Kornmaße sowie der Elle (Längenmaß) zu Missverständnissen Anlass gäben und
Stolz, Landesbeschreibung von Tirol (Nordtirol), 1926, S. 739–741. Stolz spricht gar von einem „Zustand der Doppelherrschaft und staatsrechtlicher Verworrenheit“, ebd., S. 740. 1065 Vgl. Stolz, Landesbeschreibung von Tirol (Nordtirol), 1926, S. 736, Anm. 3 und S. 738. 1066 Vgl. TLA, UR II/5836, 1516 Okt. 13. 1067 TLA, BT, Bd. 1, fol. 55v, 1525 Jan. 13; vgl. auch ebd., fol. 56, 1525 Febr. 10. 1068 Vgl. Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007, S. 112–113 und S. 161; TLA, BT, Bd. 1, fol. 438r–439r, 1527 April 3; ferner Oberrauch, Wald und Waidwerk, 1952, S. 101. 1069 TLA, VdL, Bd. 3, S. 318–321, hier S. 321 (Erledigungsvermerk Ferdinands betreffend die vorgebrachte Supplikation des Prälatenstandes). 1064
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zu einer Verteuerung der entsprechenden Waren führten.1070 Diesen aufgetretenen Vollzugsdefiziten wollte man rasch entgegenwirken, und schon Ende Dezember 1527 wurden die Viertelhauptleute – die von den Ständen nominiert wurden, deren Hauptaufgabe jedoch eigentlich im militärischen Bereich lag1071 – beauftragt, den Städten und Gerichten ihres Viertels gewisse „Erläuterungen“ der Landesordnung mitzuteilen.1072 Jeder Viertelhauptmann hatte einleitend unter Verweis auf aufgetretene Probleme darzulegen, dass in der Landesordnung etliche artickl ainer verännderung notdurfftig sein, weshalb von Landesfürst und Landschaft erleütterung und ordnung fürgenomen unnd einsehung gethan worden sei. Im Anschluss daran war im Einzelnen darzulegen, wie bestimmte, Maße und Gewichte betreffende Titel der Landesordnung auszulegen und anzuwenden seien. Dass just dieser Themenbereich präzisiert wurde, ist kein Zufall, mussten doch sämtliche Abgaben den neuen Maßeinheiten angepasst und in die Urbare eingetragen werden, was durchaus konfliktanfällig war. Darüber hinaus wurde ein weiterer, eine Policeymaterie betreffender Titel der Landesordnung modifiziert und ein anderer ergänzt.1073 Den endgültigen Anstoß zur Überarbeitung der Landesordnung gab das Begehren des Januarlandtags 1529, das maßgeblich auf die Initiative des Prälaten- und Adelsstandes zurückging.1074 Damals wurde ins Treffen geführt, dass die Landesordnung von 1526 in beden stifften Triennt und Brichsen nicht gehalten, darzue an vil orten in dem lannde der weniger tail derselben artiggl angenomen und gehalten werden, auch vil irrungen mit wag und mass und in annder weg zu menigklichs schaczung und abfal daraus unczher erfolgt hat: Ain yeder nimbt an die artiggl, so im gefallen, aber die anndern artiggl lassen sy beleyben.1075 Vgl. StAB, Hs. 2562 (= Landtagslibelle 25), 1527 Nov. 25. ������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Schennach, Quellen, 2004, S. 81; zu den Viertelhauptleuten im 17. Jahrhundert ausführlich Schennach, Tiroler Landesverteidigung, 2003, S. 123–134. 1072 TLA, LLTA, Fasz. 2, 1527 Dez. 24 (Instruktion für den Viertelhauptmann des Viertels an der Etsch, Jakob Fuchs von Fuchsberg, der die entsprechende Aufgabe auch im Viertel Burggrafenamt wahrnehmen solle). 1073 Es handelte sich um TLO 1526, 1. Buch, 5. Teil, Titel 20: Darin war vorgesehen, dass zur Schonung der Straßen keine Weinfässer mit einem Fassungsvermögen über 18 Yhrn transportiert werden sollten, was sich jedoch negativ auf die Zolleinnahmen auswirke. Das Limit wurde daher auf 22 Yhrn erhöht. Ferner wurden nunmehr Höchstpreise für die von den Wirten zu verlangenden Preise für Stallmiete und Pferdefutter festgelegt. 1074 Vgl. schon Rapp, Statutenwesen, 2. Teil, 1829, S. 64–65; Oberweis, Tiroler Landesordnung, 1865, S. 11; Egger, Geschichte Tirols, Bd. 2, 1876, S. 137–139; Motloch, Art. „Landesordnungen“, 1907, S. 352–353; Werunsky, Reichs- und Rechtsgeschichte, 1894/1938, S. 719; Steinegger, Tiroler Geschichte von 1527 bis 1539, 1948, S. 4–5; Köfler, Land, 1985, S. 436; Palme, Frühe Neuzeit, 21998, S. 55–56. 1075 ������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. TLA, Landschaftliches Archiv, Landschaftliche Landtagsakten, Fasz. 1, Nr. 23 (gedruckter Landtagsabschied; Parallelüberlieferung in TLA, VdL, Bd. 3, S. 342–373 und StAB, Hs. 2563 (= Landtagslibelle 26)). 1070 1071
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Die Argumentation verschleiert die wahren Motive, die dem Verlangen nach einer Reformation seitens des Adels und der Prälaten zugrunde lagen. Für diese stand sicherlich die Überarbeitung des 5. Teils des 1. Buchs der Landesordnung von 1526, der das grundherrschaftliche Verhältnis regelte, im Vordergrund. Eine solche Motivation offen zu artikulieren, war freilich trotz der seit 1525/1526 geänderten Rahmenbedingungen angesichts der Anwesenheit der Vertreter der Städte und Gerichte auf dem Landtag nicht ratsam. Von vornherein das Zurücknehmen aller 1525/1526 gemachten Zugeständnisse als Ziel zu deklarieren, hätte die Verhandlungen erschwert. Eine solche Frontstellung von Anfang an konnte zudem nicht im Interesse Ferdinands I. sein, da man hier unnötigerweise Probleme bei Steuerbewillig ungen provoziert hätte. Mit den angeführten angeblichen Implementationsschwierigkeiten, die eine Anpassung der Landesordnung nötig machen würden, konnten hingegen auch die anwesenden Vertreter der Städte und Gerichte leben, zumal sie die Hoffnung hegen konnten, viele der 1525/1526 erreichten Verbesserungen in eine reformierte Ordnung hinüberzuretten. Daran anschließend brachten die Stände die Bitte vor, hinsichtlich der Landesordnung mit rat der herrn von der regierung, auch der stännde gnedig einsehung zu thun. Das Ziel wurde folgendermaßen formuliert: Wölhe artiggl loblich, nucz und guet sein beleyben zu lassen und die anndern nachtailigen artiggl ab und in pesser ordnung zu stellen.1076 Dem Wunsch der Landschaft wurde von Ferdinand I. natürlich entsprochen, der, wie erwähnt, ohnehin entsprechende Pläne hegte. Gemäß dem Landtagsabschied vom 6. Januar 1529 sollte sich eine Deputation der Regierung und der Stände nach dem Osterfest anschicken, die unformlichait des libels [d. h. der Landesordnung] zu beseitigen und gemeinsam saczungen und ordnungen, dem rechten, der pillichait und dem lanndsprauch gemess vergreiffen und diese König Ferdinand I. zur Bestätigung übersenden.1077 Die Landschaft entsandte je zwei Personen jedes Standes in diese Kommission: Die Geistlichkeit vertraten der Domdekan von Brixen Johann Rieper und der Abt von Marienberg, für den Adel wurden der Landeshauptmann Leonhard von Völs d. Ä. und Georg von Firmian entsandt, für die Städte wurden die Bürgermeister von Innsbruck und Meran tätig, während die Gerichte durch Leonhard Mair von Taufers und Hans Mag von Igls (bei Innsbruck) an der Überarbeitung der Landesordnung teilnahmen.1078 Auf Seiten der landes fürstlichen Räte sollte sich Dr. Jakob Frankfurter federführend an der „Reformation“ der Landesordnung beteiligen. Dieser war 1523 zum Kammerprokurator der oberösterreichischen Ländergruppe ernannt worden, nachdem er zuvor als Advo TLA, Landschaftliches Archiv, Landschaftliche Landtagsakten, Fasz. 1, Nr. 23. Zit. nach StAB, Hs. 2563 (= Landtagslibelle 26; unfol, unpag.). 1078 Die landschaftlichen Gesandten zur Reformation der Landesordnung sind auch erwähnt bei Egger, Geschichte Tirols, 2. Bd., 1876, S. 138 (dort wohl verlesen Moy statt Mag) und Steinegger, Geschichte Tirols von 1527 bis 1539, 1948, S. 5 (mit der korrekten Lesung „Mag“). 1076 1077
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kat bei der Regierung in Innsbruck tätig gewesen war.1079 Diese Stellung bekleidete er bis zu seinem Tod im Jahr 1544.1080 Im Vergleich zur Tiroler Landesordnung von 1526 ist das Zustandekommen der Nachfolgeordnung um einiges spärlicher dokumentiert. Die Konstituierung der im Januar 1529 beschlossenen Gesetzgebungskommission zog sich jedenfalls in die Länge. Der vorgesehene Termin, der eine Zusammenkunft nach Ostern vorsah, ließ sich nicht einhalten. Auf dem für September 1529 anberaumten Landtag dominierte die von Tirol zu leistende finanzielle und militärische Hilfe für den Türkenkrieg.1081 Daraufhin sollte die Kommission auf dem folgenden Landtag, der schon im November 1529 abgehalten wurde, zusammentreten. Doch auch hier schoben sich offensichtlich andere Agenden in den Vordergrund. Damals wurde eine eigene Zusammenkunft vereinbart,1082 die jedoch wieder auf sich warten ließ. Auf dem Landtag im Mai 1530 waren es neuerlich die (höheren) Stände, die auf eine Beschleunigung drängten.1083 Dasselbe wiederholte sich auf dem Septemberlandtag 1530. Damals wurde zudem der Wunsch geäußert, weitere Policeybestimmungen in die Landesordnung aufzunehmen, da sich in den letzten Jahren Preissteigerungen bei Lebensmitteln sowie bei Hand- und Tagwerkerlöhnen ergeben hätten, denen durch die Vorgabe eines normativen Rahmens entgegengewirkt werden sollte – damit ain loblichen [sic!] policey in sollichen allem [...] auffgericht werde.1084 Des �������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. TLA, Kopialbuch „Bekennen“ 1523, fol. 58r–60v, 1523 Juni 1; vgl. auch die Wiedergabe des Inhalts bei Tezner, Verwaltungsrechtspflege in Österreich, I. Heft, 1898, S. 193. 1080 Vgl. TLA, Kopialbuch „Bekennen“ 1544, fol. 36v–39r, 1544 Mai 9. 1081 So auch Egger, Geschichte Tirols, Bd. 2, 1876, S. 126. 1082 Vgl. TLA, VdL, Bd. 3, S. 387–391, hier S. 389, 1529 Nov. 15. Neben der Randnotiz Erleü trung deß landtagsabschid anno 1525 solt befürdert werden finden sich folgende Ausführungen: Unnd alß der ausschusß, so des landtagsabschieds, der in vergangner empörung des XXV. jars inhalt der getruckhten libell aufgericht ist, sampt Kün. Mt. etc. verordneten räthen auf jezt gehaltnen lanndtag einsehung zu thuen beschriben, aber ander ansehlicher ehehafften halben demselben nachzukhomen die zeit nicht stat haben migen, ist gmainer stende unterthenig begern, mit dem fürderlichen ainen tag, damit die unordnungen abgestelt unnd ordnung fürgenommen unnd gehalten werden mige, fürzunemen. 1083 ������������������������������������������������������������������������������������� Dies ergibt sich aus einer entsprechenden Erwähnung auf dem folgenden Landtag im September 1530 (vgl. TLA, LLTA, Fasz. 4, Septemberlandtag 1530); aus den Akten des im Mai abgehaltenen Landtags ist dies nicht ersichtlich (vgl. TLA, VdL, Bd. 3, S. 392–400; Erwähnung des Landtags auch bei Egger, Geschichte Tirols, Bd. 2, 1876, S. 126). 1084 ���������������������������������������������������������������������������������������� TLA, LLTA, Fasz. 4, Septemberlandtag 1530, ständische Antwort von 1530 Sept. 14. Im Einzelnen heißt es dort: Verrer als sich Kün. Mt. wegen der lanndordnung, so in dem XXV. Jar aufgericht ist, auff begerung ainer E. L., damit die beschwerrlichen, nachtailigen artiggl abgetan, etlich in besser ordnung gestelt und welliche artickl mit guetter ordnung begriff beleiben zu lassen und solliches alles in geschrifft zu vervassen, darpey auch der fürvallenden theurung und ungepürlichen staigerung, auch nachtailigen auffschleg, so in allem khauff und verkhauff des gedraids, wein, vich, fleisch, käß, schmalcz, ziger, darzue der möczger, beckhn, würt, weinschenkhn und inn ander wege ain zeit her fürgefaln ist, gnedig einsechung zu thuen, damit guet ordnung, ain erloblichen policey in sollichen allem zu abstellung obangezaigter ungepürlichn auffslegen auffgericht und alsdan den acht verordntn vonn ständn zu überantwurtn auf jüngst gehaltem land1079
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Weiteren wiesen die Stände auf eine Gesetzeslücke hin, da die Kompetenzlage im Bereich der Strafverhängung bei Policeydelikten bisher nicht geklärt sei. Die Landesordnung weise zwar den Gerichtsstand bei „bürgerlichen Sachen“ und bei Malefizfällen aus: Welicher gestalt aber umb unczucht und gemain frävenlich übertrettung procediert werden sol, in sollichem libel nicht ausgefüert noch begriffen ist.1085 Zudem wurde damals noch der schon altvertraute Wunsch nach einer Aufnahme der Landesfreiheiten in die reformierte Landesordnung geäußert. Die Landesfreiheiten würden schließlich ebenfalls viele nützliche Bestimmungen enthalten, die jedoch aufgrund der mangelnden Publizität nicht hinreichend bekannt seien. Das Projekt kam nunmehr in Schwung. Schon auf dem nächsten Landtag im Januar 1531 bitten die Stände, die zwischenzeitlich von der Regierung und den landständischen Deputierten ausgearbeitete Landesordnung zu drucken und zu publizieren.1086 Es erfolgte die Zusage, dass Ferdinand I. die ausgearbeitete Ordnung durchsehen und der Landschaft seine Entscheidung zukommen lassen werde.1087 Die maßgeblichen Arbeiten hatten somit zwischen September 1530 und Januar 1531 stattgefunden. Ergänzende Quellen liefern einigen Aufschluss über das genaue Zustandekommen. Der (nicht erhaltene) Erstentwurf der Reformation wurde nachweislich von Dr. Frankfurter mit grossem fleiß concipiert und begriffen.1088 Er wurde durch Frankfurter sowie Hildebrand von Spaur als landesfürstliche Räte und durch die acht ständischen Deputierten beratschlagt. Als auch dieselben sich deßhalben beratenlich underredt unnd enntslossen, hat bemelter Frannckhfurter sollich reformation in schrifft gestelt1089 und anschließend dem Regierungskollegium zukommen
tag zu Hall sich gnedigklich gewilligt unnd erpoten hat, dieweil dann durch alle handtwercher, darczu durch die tagwercher auch dienstleutt irer underhaldung, auch belonung und besöldung halber nicht weniger unordnlich, auch unleidliche staigerung und saczung fürgefallen sein und zu abstellung sollicher beschwärde, demnach erfordert die notturfft, das in sollichm alm, auch khauff und verkhauf notturfftig einsehung und massigung darinnen virgenomen werden [sic!]. 1085 ������������������������������������������������������������������������������������� TLA, LLTA, Fasz. 4, Septemberlandtag 1530, ständische Antwort von 1530 Sept. 14. Weiters wird darin diesbezüglich ausgeführt: Dieweil aber in solichen straffn und buessen der pän und väl halben vil irrungen fürvalln und durch etlich umb gemain übertrettung zwifach hecher dan sich gemainer landordnung nach gebürt zu straffn, darczue beschwärlichen gerichtscostn auff dieselben zu schlagen understen; damit aber in sollichm ain ordnliche gepürliche gleichait der straffn in alln und yedn frävenlichn übertrettungen gehaldtn werde, so ist ainer E. L. bitt, in solichem (wie dan auf vorgehaltenn landtägn auch davon gehandlt ist) guet ordnung fürzenemen. 1086 Vgl. TLA, VdL, Bd. 3, S. 401–415, hier S. 412, 1531 Jan. 7; ferner TLA, LLTA, Fasz. 4, Januarlandtag 1531: Ein Memorial der Regierung weist aus, die römisch Kün. Mt. [...] hienachvolgennder artickl zu vermanen und zu erinnern. Dabei wird auch die Landesordnung erwähnt: Von wegen der lanndtordnung-libells zu besliessen und das im druck ausgeen zu lassen zu bevelhen. 1087 Vgl. TLA, LLTA, Fasz. 4, Januarlandtag 1531, landesfürstliche Replik. 1088 Zit. nach TLA, AkgM 1531, fol. 401v–402r, 1531 Aug. 21. 1089 Zit. nach TLA, AkgM 1531, fol. 342v–343v, 1531 Mai 29.
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lassen, das den Entwurf in Gegenwart Frankfurters nochmals durchging.1090 Dies war der Stand der Dinge auf dem erwähnten Januarlandtag 1531, als die Landschaft bereits auf die Drucklegung drängte. Die Verhandlungen gingen jedoch noch in eine weitere Runde. Nochmals wurden die acht landständischen Deputierten auf den 8. März 1531 nach Bozen geladen, um gemeinsam mit Dr. Frankfurter und Sigmund von Brandis als Regierungsvertreter ein weiteres Mal über die Reformation zu verhandeln und diese zu ennde zu bringen. Der zwischenzeitlich verstorbene Landeshauptmann Leonhard von Völs d. Ä. wurde durch Sigmund Thun ersetzt.1091 Nach diesem Durchgang ging der Entwurf nochmals an die Gesamtheit der Regierungsräte und wurde von diesen neuerlich und also zum vierten mal mit grossem fleiß unnd allwegen in beysein vilgemelts doctor Jacoben Frannckhfurters übersehen und beratslagt.1092 Die Einflussnahme des Königs war bis zu diesem Zeitpunkt noch eine sehr geringe. Nachweislich hatte er nur in einem Rechtsbereich bei der Kommission von vornherein seine Intentionen deponieren lassen. Dies betraf gewisse jagdrechtliche Bestimmungen, die 1525/1526 entsprechend den Forderungen der ländlichen Bevölkerung und daher zum Missfallen des begeisterten Jägers Ferdinand geregelt worden waren (u. a. die Niederjagd und das Recht der Zaunerrichtung und der Hundehaltung). Für Ferdinand stand fest, dass sämtliche Missstände in den landesfürstlichen Jagdrevieren aus der fürgenomen landsordnung, so das xxv. jar für genomen worden ist, ersteen. Daher beauftragte er Wilhelm Schurff und Friedrich Franz von Schneeberg damit, die mit der Überarbeitung der Landesordnung befassten Regierungsräte und landschaftlichen Deputierten über seine Reformvorstellungen zu informieren. Sie sollten ihnen die betreffenden Titel zur Kenntnis bringen, die nach der Vorstellung Ferdinands entweder zur Gänze ausgelassen oder zumindest so umformuliert werden sollten, dass die herrschaftliche Jagd in Hinkunft ohne die entsprechenden normativen Beschränkungen ausgeübt werden könne.1093 Diese direkte Intervention Ferdinands in die Arbeit der mit der „Reformation“ der Landesordnung befassten Kommission ist die einzige nachweisbare und zeigt deutlich, welche Prioritäten der Herrscher setzte. Anlässlich der zweiten Beratung durch die ständischen Vertreter in Bozen gab es nur einen Streitpunkt, über den die Stände zu keiner Übereinkunft gelangen konnten und der folglich Ende Mai 1531 Ferdinand I. zur Entscheidung vorgelegt wurde. Dabei ging es um die Textierung des 16. Titels des 2. Buchs der Tiroler Lan �������������������������������������������������������������������������������������� Die ausführlichsten Beschreibungen des Zustandekommens bieten die beiden bereits angeführten Berichte der Regierung an König Ferdinand in TLA, AkgM 1531, fol. 342v–343v, 1531 Mai 29, sowie ebd., fol. 401v–402r, 1531 Aug. 21. 1091 Vgl. TLA, BT, Bd. 3, fol. 22, 1531 Febr. 11; die Beteiligung von Sigmund von Brandis neben Dr. Frankfurter ergibt sich aus TLA, BT, Bd. 3, fol. 36r, 1531 März 11. 1092 Zit. nach TLA, AkgM 1531, fol. 401v–402r, 1531 Aug. 21. 1093 ��������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. TLA, Pestarchiv XV/43 und die entsprechende Edition bei Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007, S. 286–288. 1090
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desordnung von 1532, der in der Vorgängerordnung noch nicht enthalten war und festlegte, dass kein Laie umb weltlich sachen vor das geistliche Gericht geladen werden dürfe. Der Wortlaut folgte dabei der Landesfreiheit von 1404, wie dies vom ständischen Ausschuss nahezu einhellig gefordert worden war. Nur der Dekan von Brixen und der Bischof von Trient hatten sich entschieden dagegen ausgesprochen. Der Bischof brachte einen (nicht erhaltenen) Alternativvorschlag in die Diskussion ein. Das Kollegium der Regierung, der die Debatte unterbreitet worden war, plädierte für die der Landesfreiheit entsprechende Fassung, wofür nach Meinung der Räte mehrere Gründe sprachen: Die Landesfreiheiten seien bereits von Ferdi nand I. bestätigt worden, weshalb eine Beibehaltung tunlich sei. Außerdem sei diese Freiheit bisher nie von der Geistlichkeit in Frage gestellt worden. Gebe man nun deren Drängen nach und gehe vom Wortlaut der Landesfreiheit ab, riskiere man, dass sunst alles guts, das fürgenomen, zerrüt unnd die reformation durchaus abgeslagen werden möcht.1094 Die Entscheidung Ferdinands I. schloss sich demzufolge auch der Meinung der drei weltlichen Stände an.1095 Im selben Schreiben von Ende Mai 1531 drängte die Regierung auf eine Entschließung Ferdinands über das weitere Prozedere, da die Stände der reformation gancz begierig seien. Dabei stellt sie drei Szenarien in den Raum: Ferdinand I. könne den vorliegenden Entwurf der reformierten Landesordnung selbst noch durchsehen und seine Approbation erteilen oder aber durch einen von ihm nominierten Vertrauten bei Hof überprüfen lassen. Wahlweise könne sich Ferdinand auf die Regierung verlassen und ohne weitere Überprüfung seine Zustimmung zur Drucklegung und Publikation geben. Sollte sich der Herrscher für eine der ersten beiden Optionen entscheiden, empfiehlt die Regierung, dass sollich buech E. Kün. Mt. durch doctor Jacoben Frannckhfurter fürbracht werde, der waist (wo E. Kün. Mt. oder derselben verordenten in ainem oder mer artiggln bericht bedörfften) allweg guete unnderricht zu geben.1096 Die Antwort belegt, dass die Reformation der Landesordnung von Ferdinand trotz seiner bisherigen Zurückhaltung bei inhaltlichen Fragen als wichtig wahrgenommen wurde. Jedenfalls wollte er den Entwurf persönlich kontrollieren, wobei er auf die Anwesenheit von Dr. Frankfurter verzichtete und die Übersendung der Vorlage auf dem Postweg forderte.1097 Diese geplante Vorgehensweise stieß allerdings auf Bedenken. Die Stände, denen die königliche Entschließung auf dem im Juli 1531 stattfindenden Landtag mitgeteilt wurde, drängten deutlich auf die Beiziehung von Dr. Frankfurter.1098 Dies dokumentiert das große Vertrauen, das der bei der Ausarbeitung der Landesordnung maßgeblich beteiligte Kammerprokurator bei der Landschaft genoss und lässt zudem die Besorgnis durchschimmern, dass TLA, AkgM 1531, fol. 342v–343v, 1531 Mai 29. Vgl. TLA, VkgM 1531, fol. 332v–333r, 1531 Juli 11. 1096 TLA, AkgM 1531, fol. 342v–343v, 1531 Mai 29. 1097 TLA, VkgM 1531, fol. 332v–333r, 1531 Juli 11. 1098 Vgl. TLA, AkgM 1531, fol. 390v–391r, 1531 Juli 31, sowie ebd., fol. 380v–381r, 1531 Juli 18. 1094 1095
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ohne die Erklärungen Frankfurters Ferdinand unvorhergesehene Einwendungen machen oder Bedenken anmelden könnte, die das bisher von Ständen und Regierung gemeinsam Erarbeitete in Frage stellen könnten. Zunächst sah es auch so aus, als sollte dem Wunsch der Landschaft entsprochen werden. Einige Tage später teilte Ferdinand I. der Regierung seinen Meinungsumschwung mit. Aus nicht weiter ausgeführten Ursachen wolle er vor der Absegnung des Landlibells persönlich mit den Regierungsräten sprechen. Eine Konsultation von Dr. Frankfurter allein sei unzureichend. Zu diesem Zweck wolle er bei nächster Gelegenheit persönlich in Innsbruck vorbeischauen.1099 Just diese Gelegenheit ließ aber auf sich warten, so dass Ferdinand Ende August schließlich doch die Übersendung des Entwurfs an seinen Hof forderte.1100 Dort wurde sie im königlichen Hofrat erörtert.1101 Das königliche Plazet ließ auf sich warten. Dieses wurde erst zu Jahresbeginn 1532 anlässlich eines Aufenthalts Ferdinands in Innsbruck erteilt. Es ist nicht ersichtlich, ob der König in diesem Stadium noch Änderungen reklamierte oder nicht. Nun war es die Regierung, die sich eine rasche Drucklegung angelegen sein ließ. Um diese zu beschleunigen, wurde die kollationierte Abschrift der Landesordnung dem Augsburger Drucker in zwei Teilen übersendet. Solange die Abschrift des zweiten Teils hergestellt und gegengelesen würde, sollten die ersten Bögen bereits gedruckt werden. Dieses Prozedere wurde im März 1532 beschlossen,1102 vom 10. April 1532 datiert der in die Landesordnung aufgenommene Anwendungsbefehl Ferdinands I., der am 8. Juli die Anweisung zur Drucklegung gab.1103 Spätestens zu Jahresende 1532 lagen die gedruckten Exemplare der reformierten Tiroler Landesordnung vor (die Auflagenhöhe ist unbekannt). Am 1. Dezember 1532 erging das (leider nicht erhaltene) Mandat, das die Derogation der Ordnung von 1526 durch die reformierte Landesordnung anordnete und die Ablieferung sämtlicher Exemplare der nunmehr überholten Ordnung von 1526 bei der Regierung in Innsbruck befahl.1104 Als Ferdinand I. daher im Februar 1533 kurzfristig die Auslieferung der reformierten Landesordnung stoppen wollte1105 – ihm war zur Kenntnis gebracht worden, dass etlich artickl in solcher Vgl. TLA, VkgM 1531, fol. 364v–365r, 1531 Aug. 10. ��������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. TLA, VkgM 1531, fol. 371v, 1531 Aug. 31. Da die Regierung Bedenken gegen die Übersendung auf dem Postweg angemeldet hatte, da der possterey sorgklich zu vertrawen ist, wurde der Entwurf der Landesordnung persönlich durch den Rat Christoph Fuchs von Fuchsberg zugestellt. 1101 Dies ergibt sich aus dem Bericht in TLA, AkgM 1533, fol. 170r–171r, 1533 Febr. 24. 1102 Vgl. TLA, AkgM 1532, fol. 21r, 1532 März 16. 1103 �������������������������������������������������������������������������������������� TLA, VkgM 1532, fol. 89, 1532 Juli 8; vgl. auch schon die Erwähnung bei Sartori-Montecroce, Reception, 1902, S. 24. 1104 Erwähnt wird das Mandat in TLA, BT, Bd. 4, fol. 45v, 1532 Dez. 1. Der Hinweis auf die darin enthaltene Ablieferungspflicht für die Exemplare der Landesordnung von 1526 ergibt sich aus TLA, AkgM 1533, fol. 170r–171r, 1533 Febr. 24. 1105 Vgl. TLA, VkgM 1533, fol. 144v–145r, 1533 Febr. 19; auch erwähnt bei Sartori-Montecroce, Reception, 1902, S. 25. 1099 1100
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lanndsordnung sein, die, wo sy nit geenndert, kunfftigclich in rechtfertigung vil irrung bringen solten1106 –, war es bereits zu spät. Die Regierung riet nachdrücklich von einem solchen Schritt ab.1107 Zu diesem Zeitpunkt war schon ein beträchtlicher Teil der Auflage verkauft. Nunmehr plötzlich den Verkauf der Landesordnung einzustellen und deren Geltung zu suspendieren würde Ferdinand und allen denen, so darinn gehanndlt, bey dem gemainen mann [...] ungehorsam unnd verachtung bringen. Zudem verwies die Regierung auf die Rechtssicherheit. Auf welcher Grundlage sollte dann Recht gesprochen werden, da doch die alte Landesordnung kassiert sei? Diesen Argumenten schloss sich Ferdinand an.1108 Zusammenfassend ist somit festzustellen: Wenngleich die Initiative zur Reformation der Landesordnung von den beiden höheren Ständen Adel und Geistlichkeit ausging und sich mit den Wünschen Ferdinands I. traf, war der Prozess der Überarbeitung selbst von einem Konsens aller beteiligten Stände und der Regierungsvertreter getragen. Dr. Frankfurter erfreute sich erkennbar großer Wertschätzung sowohl bei den Deputierten der Landstände als auch bei der Regierung, die ihn dem König nachdrücklich für eine Belohnung empfahl. Die romanisierenden Elemente gehen mit hoher Wahrscheinlichkeit auf den unmittelbaren Einfluss Frankfurters zurück.1109 Es sei aber betont, dass sich diese in engen Grenzen halten und sich dagegen nicht die Spur eines Widerstandes seitens der Landschaft ausmachen lässt. Bezeich nend erscheint überdies, dass sich in den Quellen keinerlei Spuren von Spannungen und inhaltlichen Differenzen zwischen den Vertretern der Städte und Gerichte einerseits und des Adels und der Prälaten andererseits nachweisen lassen. Nur in einem Punkt gelangten die Stände zu keinem Einvernehmen und stellten die Entscheidung Ferdinand I. anheim. Zwar dürfte den zur Reformation Deputierten der ländlichen Gerichte Leonhard Mair und Hans Mag und den Bürgermeistern von Innsbruck und Meran als Vertretern der Städte klar gewesen sein, dass sich nicht alle 1525/1526 durchgesetzten rechtlichen Konzessionen würden halten lassen; umgekehrt waren sich Adel und Geistlichkeit wohl bewusst, dass man das Rad der Zeit nicht einfach zurückdrehen und die Ereignisse von 1525/1526 ungeschehen machen könnte. Das hier erstmals in dieser Ausführlichkeit dargelegte Zustandekommen der reformierten Landesordnung erklärt denn auch den von Blickle in Abkehr von der älteren landesgeschichtlichen Forschung formulierten Befund, dass von einer radikalen Verschlechterung der bäuerlichen Position durch die Landesordnung von 1532 keine Rede sein kann.1110 Dies wird bereits durch einen ersten quantitativen Vergleich verdeutlicht: Nahm die Landesordnung von 1526 in 70 Titeln unmittelbar auf die Meraner bzw. Innsbrucker Beschwerdeartikel Bezug, so wurden von diesen Zit. nach TLA, VkgM 1533, fol. 151v–152r, 1533 März 9. TLA, AkgM 1533, fol. 170r–171r, 1533 Febr. 24. 1108 TLA, VkgM 1533, fol. 151v–152r, 1533 März 9. 1109 Vgl. im Einzelnen den Überblick bei Sartori-Montecroce, Reception, 1902, S. 28–33. 1110 Blickle, Landschaften, 1973, S. 218–223, zusammenfassend bes. S. 223. 1106 1107
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70 Titeln immerhin 50 von der reformierten Landesordnung von 1532 wörtlich oder zumindest inhaltlich übernommen. Nur sechs Titel wurden 1532 zur Gänze ausgelassen, weitere rund 15 Titel wurden in unterschiedlicher Intensität modifiziert.1111 Verschlechterungen für die ländlichen Gerichte ergaben sich vornehmlich im Bereich des Jagdrechts und der Grundherrschaft, wobei im einen Fall Ferdinand I., im anderen Fall die beiden höheren Stände federführend waren. Mit Blick auf jagdrechtliche Vorschriften im weiteren Sinn statuierte die reformierte Landesordnung eine ganze Reihe von Restriktionen.1112 Das Recht auf Hundehaltung und auf Errichtung von Zäunen zum Schutz der Feldfrüchte wurde limitiert, die zuvor freie Jagd auf so genannte schädliche Tiere wie Wölfe, Füchse und Bären räumlich beschränkt, so dass sie nur mehr auf den eigenen Gütern des Bauern zulässig war.1113 Am fühlbarsten waren die wirtschaftlichen Einschnitte wohl im Bereich des grundherrschaftlichen Verhältnisses.1114 So wurde beispielsweise das Recht auf Ablösung von Afterzinsen beschränkt, die 1526 statuierte Abschaffung bestimmter Zehnten nunmehr wieder weitgehend zurückgenommen, die 1526 nahezu erlassenen Auf- und Abzugsgelder wurden wieder eingeführt, Ansprüche auf Robotleistungen mussten nicht mehr über eine Zeitdauer von 50, sondern nur von 40 Jahren nachgewiesen werden.1115 Die Möglichkeit der gerichtlichen Schätzung der Ertragsfähigkeit eines grundherrlich gebundenen Gutes, um im Fall einer „Überzinsung“ inadäquate Zinsforderungen reduzieren zu können, fiel überhaupt weg.1116 Allerdings sollten sämtliche seit 1525 bis zum Inkrafttreten der Landesordnung von 1532 zwischen Grundherren und Grundholden abgeschlossenen Verträge, die die Verpflichtungen der Bauern gegenüber ihren Grundherren neu regelten, von den Vorschriften der neuen Landesordnung unberührt und in Kraft bleiben.1117 Bereits diese Bestimmung, die mit großer Wahrscheinlichkeit von den Vertretern der Gerichte in die Reformation hineinreklamiert worden war, führt vor Augen, dass von einer klaren Dominanz der beiden höheren Stände im Zuge der Vorarbeiten keine Rede sein kann und Adel und Prälaten weit davon entfernt waren, Städten und Gerichten ihre Regelungswünsche aufoktroyieren zu können. Die meisten Veränderungen lassen sich bei einer inhaltlichen Gegenüberstellung der Landesordnung von 1526 und der Reformation von 1532 freilich im Bereich der policeyrechtlichen Bestimmungen ausmachen. Da sich schon 1527 her Vgl. die ausführliche Darlegung bei Blickle, Landschaften, 1973, S. 219. Vgl. im Einzelnen den Überblick bei Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007, S. 160–161, 167. 1113 TLO 1532, Buch 4, Titel 12–13, 15. 1114 TLO 1532, Buch 5. 1115 Vgl. TLO, Buch 5, Tit. 6, 13, 22; weitere Beispiele bei Blickle, Landschaften, 1973, S. 221– 222, und Steinegger, Geschichte Tirols von 1527 bis 1539, 1948, S. 7. 1116 Vgl. TLO 1526, Buch 1, Teil 6, Tit. 1. 1117 Vgl. auch Sartori-Montecroce, Reception, 1902, S. 27, und Hirn, Landtage von 1518−1525, 1905, S. 125–126. 1111 1112
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auskristallisiert hatte, dass die Vorschriften hinsichtlich Maß und Gewicht auf eine Vielzahl von Schwierigkeiten gestoßen und in dieser Form nicht zu implementieren waren (s. o.), sich jedoch auch die damals vorgenommenen Modifikationen offensichtlich nicht bewährt hatten, kam es in diesem Bereich zu deutlichen Veränderungen. Die 1526 projektierten einheitlichen Maße und Gewichte wurden folglich deutlich aufgeweicht.1118 Die damals als aufgrund der negativen Auswirkungen auf die Zolleinnahmen als untunlich erachtete Beschränkung der Größe der Weinfässer, die der Schonung der Straßen hätte dienen sollen, wurde konsequenterweise 1532 ausgelassen.1119 Und auch der schon 1527 bewusst gewordene Bedarf nach einer Preisregulierung in Wirtshäusern fand im Zuge der Reformation in einem eigenen Titel Berücksichtigung.1120 Die auf dem Septemberlandtag 1530 ventilierten Normierungsbedürfnisse hinsichtlich des Fürkaufs von verschiedenen Lebensmitteln und die Begrenzung der Löhne von Handwerkern, Dienstleuten und Taglöhnern fanden in der Landesordnung ebenfalls ihren Niederschlag.1121 Hier rekurrierte man zumindest teilweise auf zwischenzeitlich erlassene Einzelgesetzgebungsakte.1122 Gerade im 6. Buch der Landesordnung von 1532 wird generell der Trend zu weitaus ausführlicheren Regelungen deutlich. Einzelne Titel der Landesordnung von 1526 werden nicht nur sprachlich präzisiert,1123 sondern inhaltlich ausgestaltet. Musterbeispiel hierfür sind die das Müllerhandwerk betreffenden Bestimmungen, die von drei eher kurz gefassten Titeln auf acht ausführliche Titel ausgebaut werden und damit den zwischenzeitlich laut gewordenen Beschwerden über Übervorteilungen der Konsumenten durch Müller Rechnung tragen.1124 Die Beispiele für Ergänzungen, Zusätze und Lückenschließungen, aber auch für gänzlich neue Titel lassen sich gerade bei den Policeybestimmungen unschwer vermehren. Während so unter anderem das Goldschmiede- und Zinngießerhandwerk ebenso wie der Verkauf von Spezereien 1532 erstmals eine zumindest rudimentäre Reglementierung erfuhren,1125 wurden beispielsweise jene Vorschriften deutlich überarbeitet und ergänzt, die die Modalitäten des Getreidehandels, den Fürkauf oder den Wucher betrafen.1126 TLO 1532, Buch 6, Tit. 1–11. Der Grund für die Auslassung der entsprechenden Bestimmungen (TLO 1526, Buch 1, Teil 4, Tit. 20) war der Regierung selbst schon 1534 nicht mehr bewusst, vgl. TLA, AkgM 1534, fol. 310v–312r, 1534 April 24. 1120 TLO 1532, Buch 6, Tit. 15. 1121 Vgl. z. B. TLO 1532, Buch 6, Tit. 12, 14, 20–22, 35–36. 1122 Vgl. nur die Vorbildwirkung von TLA, BT, Bd. 2, fol. 187v–188r, 1530 Aug. 14, für TLO 1532, Buch 6, Tit. 22. 1123 Inhaltlich trotz präziserer Formulierung grundsätzlich gleich bleibend TLO 1532, Buch 6, Tit. 30, im Vergleich zu TLO 1526, Buch 1, Teil 5, Tit. 4 (Lehrjungen betreffend). 1124 Vgl. TLO 1532, Buch 6, Tit. 37–44, im Vergleich zu TLO 1526, Buch 1, Teil 5, Tit. 8–10. 1125 TLO 1532, Buch 6, Tit. 12, 14. 1126 TLO 1532, Buch 6, Tit. 16, 23 und 26. Dasselbe gilt u. a. für TLO 1532, Buch 6, Tit. 13, 18–19 oder 28. 1118 1119
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Die Aufnahme neuer und die ergänzende Überarbeitung bereits in der Ordnung von 1526 vorhandener Policeynormen werden nicht auf die ausschließliche Initiative der beiden höheren Stände Adel und Geistlichkeit zurückgeführt werden können. Diese Erweiterung wurde sicherlich von der Gesamtheit der Landstände einvernehmlich getragen, wobei man aufgrund der tendenziell größeren Nähe der Bestimmungen zur bäuerlichen und städtischen Lebenswelt sogar von einer starken Mitwirkung der Vertreter von Städten und Gerichten ausgehen darf. Hinsichtlich der policeyrechtlichen Bestimmungen legt vorderhand die zeitliche Nähe der Reformation der Landesordnung mit der 1530 verabschiedeten Reichspoliceyordnung eine inhaltliche Beeinflussung der Tiroler Kodifikation durch das Reichsrecht nahe, zumal die jüngere Forschung zur „guten Policey“ die nicht zu unterschätzende Beeinflussung des territorialen Policeyrechts durch die Reichspoliceyordnungen aufgezeigt hat.1127 Einen deutlicheren Beleg als in Tirol, dass dies bei der Tiroler Landesordnung nicht der Fall war, kann man sich jedoch gar nicht wünschen. Am 30. Mai 1531 und somit während der zweiten Phase der Überarbeitung des Entwurfs der reformierten Landesordnung wies Ferdinand I. die oberösterreichische Regierung auf die auf dem Augsburger Reichstag beschlossene Reichspoliceyordnung hin und verlangte Vorschläge für eine mögliche Umsetzung der Reichspoliceyordnung in den österreichischen Ländern: So wir dann in unnsern österreichischen lannden gleichermassen ain guet ordnung unnd policey aufzurichten unnd zu halten gedennckhen, ist unnser bevelch, daz ir gemelte ordnung und policey im reichstag zu Augspurg aufgericht für die hannd nemet, übersehet unnd beweget, unnd unns dann darauf, wie wir aine derselben nach oder ain anndere in unnsern lannden aufrichten und zu halten verordnen möchten, eurn rat unnd guetbeduncken, fürderlichist zueschreibet unnd anzaiget.1128 Die Regierung signalisierte daraufhin mehr als deutlich, dass ihr eine solche Vorgangsweise überflüssig erschien. Im Antwortbrief an den König umriss sie kurz den derzeitigen Stand der Kodifikationsarbeiten, der eine Berücksichtigung der Reichspoliceyordnung überflüssig mache. Nach Einschätzung der Regierung enthalte der vorliegende Entwurf der Landesordnung ohnehin guet ordnungen und policeyen, sovil diss lannd nach seiner gelegenhait erleiden mag, wovon sich der König anlässlich der Approbation der Reformation selbst einen Eindruck verschaffen würde. Der Subtext dieses Antwortschreibens wird deutlich greifbar. Eine Einarbeitung der Reichspoliceyordnung sei überflüssig.1129 Vgl. z. B. Härter, Gute Ordnung und Policey, 2005; Weber, Reichspolizeiordnungen, 2002, S. 36–42; Härter, Policey und Strafjustiz, 2005, S. 240; Weber, Sozialdisziplinierung, 1998, S. 427–428; Härter, Entwicklung und Funktion, 1993, S. 61–141, bes. S. 134–136. 1128 TLA, VkgM 1531, fol. 323v, 1531 Mai 30. 1129 TLA, AkgM 1531, fol. 361, 1531 Juni 23. 1127
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
Gerade das vornehmlich im sechsten und siebten Buch der Tiroler Landesordnung von 1532 behandelte Policeyrecht bestätigt somit die Einschätzung Blickles, der die Ordnung von 1532 primär als Weiterentwicklung der Ordnung von 1526 eingestuft hatte. Dies wird durch den Aufbau der Landesordnung von 1532 unterstrichen. Nur auf den ersten Blick erscheint hier nämlich eine Zäsur zwischen den Landesordnungen von 1526 und 1532 vorzuliegen, tatsächlich ist der Unterschied nur ein verhältnismäßig oberflächlicher. Die Landesordnung von 1526 ist, wie bereits dargelegt wurde, in zwei Bücher untergliedert, wobei sich diese Zweiteilung an die Struktur der vergleichbar aufgebauten Tiroler Halsgerichtsordnung anlehnen dürfte. Die beiden Bücher ihrerseits umfassen sieben bzw. zwei „Teile“, die einzelnen Titel sind noch nicht durchnummeriert. Hier kam es 1532 zu einer Vereinfachung, wobei gleichzeitig nach inhaltlichen Kriterien umgruppiert wurde. Simplifizierend lässt sich sagen, dass einem „Teil“ der Landesordnung von 1526 ein „Buch“ von 1532 entspricht, wobei nunmehr die einzelnen Titel eines Buches durchnummeriert wurden. Diese Strukturierung erleichterte die Handhabung der Landesordnung und ermöglicht das leichtere Auffinden der Titel. Sehr klar zeigt sich das nunmehr zugrunde gelegte Ordnungsprinzip an den ersten drei Büchern, die inhaltlich den ersten drei Teilen des ersten Buchs der Landesordnung von 1526 entsprechen und (grob vereinfachend) die verschiedenen Gerichtsämter, den Zivilprozess und das materielle Zivilrecht behandeln, wobei der zuletzt genannte Rechtsbereich – der 1526 wirklich nur in Einzelaspekten Berücksichtigung fand – deutlich ausführlicher normiert wurde. Bei den folgenden Büchern zeigt sich 1532 jedoch das Bestreben, die Gliederung und Abfolge der Bücher stärker nach inhaltlichen Kriterien auszurichten. 1526 war speziell das Policeyrecht stark zersplittert und wurde in den Teilen 4 und 5 des 1. Buchs und im 2. Teil des 2. Buchs der Landesordnung behandelt. Buch 1, Teil 7 enthielt zudem forst-, jagd- und fischereirechtliche Normen, deren Zuordnung zum materiell umfassenden Bereich der „guten Policey“ ebenfalls legitim ist.1130 Hier wurde 1532 eine deutliche Bereinigung vorgenommen: Buch 4 enthielt nunmehr die forst-, jagd- und fischereirechtlichen Bestimmungen sowie Vorschriften bezüglich Straßenerhalt und Steuerwesen. Etwas deplaziert nehmen sich hier nur die Titel 24 und 25 aus, die eine Kostenreduktion bei Hochzeiten und die geographisch ausgewogene Abhaltung der Landtage intendieren. Buch 5 regelt das grundherrschaftliche Verhältnis (und entspricht insofern dem 6. Teil des 1. Buchs der Tiroler Landesordnung von 1526). Buch 6 regelt schwerpunktmäßig den Bereich der Wirtschaftspolicey, Buch 7 widmet sich vor allem der Sicherheits- und Sittlichkeitspolicey und entspricht weitgehend Buch 2, Teil 2 der Landesordnung von 1526. Ein genauer inhaltlicher Vergleich zeigt auch in diesem Bereich gewisse Änderungen. Einige Tatbestände sind neu aufgenommen (u. a. das Gebot der Heili Zum Jagdrecht vgl. Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007, S. 16–26; zum Forstrecht vgl. Ernst, Forstgesetze, 2000; Schennach, Recht, Gesetz und Nutzungskonkurrenzen, 2005, S. 214–218.
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gung der Feiertage oder der Felddiebstahl),1131 während die 1526 noch im 2. Teil des 2. Buchs angedrohte Sanktionierung des Ehebruchs 1532 bezeichnenderweise nicht in das 7., sondern in das 8. Buch der Landesordnung (Tit. 40) aufgenommen und somit den Malefizsachen zugeordnet wurde (das Verbot des Ehebruchs wurde 1537 durch Mandat neuerlich eingeschärft).1132 Die Möglichkeit der Minderung der durch die lokalen Obrigkeiten verhängten Policeystrafen durch das Gericht scheint erstmals 1532 auf.1133 Dieser Titel, der mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Desiderat der Städte und Gerichte aufgreift, dokumentiert einmal mehr, dass die unteren Stände ihre Positionen und Wünsche bei der Reformation der Landesordnung durchaus einbringen konnten. Das achte Buch behandelt das Straf- und Strafprozessrecht und entspricht dem ersten Teil des zweiten Buchs der Landesordnung von 1526. In diesem Bereich dominierte inhaltlich die Kontinuität, wenngleich auch hier die Gelegenheit zur stärkeren Reihung der Titel nach inhaltlichen Kriterien sowie zum Hinzufügen respektive zur Modifikation einzelner Bestimmungen genutzt wurde. Die Reduktion der Anzahl von Freiungen für Totschläger und das Einfügen des Musters einer Urfehde finden sich erst 1532.1134 Und während 1526 die im Bergbau Beschäftigten unter Verweis auf die Bergordnungen noch ausdrücklich vom Anwendungsbereich der strafrechtlichen Bestimmungen der Landesordnung ausgenommen worden waren,1135 wurde anlässlich der Reformation klar gestellt, dass die „Bergverwandte“ betreffenden Malefizfälle ebenfalls vor dem Landgericht zu verhandeln seien.1136 Zur Neustrukturierung der Landesordnung von 1532 ist abschließend noch zu bemerken, dass die sechs Jahre zuvor nur im Anhang der Landesordnung publizierte „Empörungsordnung“ nunmehr das neunte Buch und damit den Abschluss der Tiroler Landesordnung von 1532 bildete.
7. 5. Die Landes- und Policeyordnung von 1573 7. 5. 1. Zu den Reformplänen ab 1555 Sowohl die Landesordnung von 1526 als auch die Reformation von 1532 waren vergleichsweise rasch zustande gekommen. Demgegenüber lagen zwischen den ersten Plänen zur Überarbeitung der bisherigen Landesordnung und der Publikation TLO 1532, Buch 7, Tit. 1, 14 und 16. Vgl demgegenüber noch TLO 1526, Buch 2, Teil 2, Tit. 1; das Mandat von 1537 in TLA, BT, Bd. 4, fol. 120, 1537 April 19. 1133 TLO 1532, Buch 7, Tit. 17. 1134 Allgemein zur Zurückdrängung von Freiungen durch den frühneuzeitlichen Territorialstaat vgl. Härter, Asylrecht und Asylpolitik, 2003, S. 306–308. 1135 TLO 1526, Buch 2, Teil 1, Tit. 55. 1136 TLO 1532, Buch 8, Tit. 68. 1131 1132
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
der Nachfolgeordnung im Jahr 1574 nahezu zwei Jahrzehnte. Am Anfang dieses langen, immer wieder unterbrochenen Gesetzgebungsprozesses stand die Initiative Ferdinands I., der Anfang der fünfziger Jahre den Tiroler Landständen die Übernahme der niederösterreichischen Policeyordnung von 1542 bzw. von 1552 nahe legte.1137 Die Tiroler Stände zierten sich unter Verweis auf die umfassende Berücksichtigung von Policeymaterien in der Tiroler Landesordnung von 1532 und auf die Inadäquanz der dort nicht enthaltenen Bestimmungen für die Tiroler Verhältnisse. Immerhin stellten sie damals in den Raum, die Landesordnung, die bisherigen Tiroler Einzelgesetzgebungsakte und die ihnen zur Beratung vorgelegte niederösterreichische Policeyordnung von einer landständischen Deputation und der Regierung gemeinsam erörtern zu lassen. Dieser Vorschlag dürfte freilich mehr als Ablenkungsmanöver denn als ernsthafter Vorschlag einer Neuredaktion der Landesordnung zu verstehen sein, war doch die Tiroler Landschaft zum damaligen Zeitpunkt einer Übernahme der niederösterreichischen Policeyordnung gegenüber skeptisch eingestellt. Die Einrichtung einer Beratungskommission musste als der geeignete Weg erscheinen, um Zeit zu gewinnen und die Idee in Vergessenheit geraten zu lassen. Mit dieser Strategie war die Landschaft offensichtlich auch erfolgreich, schlief das Projekt in der Folge doch rasch ein. 1555 veränderte sich die Ausgangslage. Nun waren es die Landstände, die auf eine Überarbeitung der Tiroler Landesordnung von 1532 drängten, während der entsprechende Vorschlag 1552 ohne Ernsthaftigkeit aus verhandlungstaktischen Gründen vorgebracht worden war. Die Ursache für diesen plötzlich ventilierten Bedarf nach einer neuerlichen Reformation der Landesordnung lag in den Meinungsdifferenzen begründet, die zwischen dem Adeligen Hofrecht und der Regierung hinsichtlich der Auslegung des 18. Titels des 3. Buchs der Tiroler Landesordnung von 1532 aufgetreten waren.1138 Nach Ansicht der Tiroler Landstände widersprach dessen Text dem „Landsbrauch“, der Titel sei daher bislang in der Rechtsprechung des Adeligen Hofrechts nicht zum Tragen gekommen. Da sich die Regierung aber im Unterschied zum Hofrecht nunmehr anschicke, auf dem 18. Titel des 3. Buchs basierende Urteile zu fällen, solle dieser entsprechend korrigiert und dem „Landsbrauch“ angepasst werden.1139 Nun war es Ferdinand I., der auf eine kommende Überarbeitung der Landesordnung hinwies. Neben dem monierten 18. Titel des 3. Buchs gebe es Vgl. zum Folgenden ausführlich Pauser, Rechtsvereinheitlichungsversuche Ferdinands I., 2008, S. 149–156. 1138 Vgl. TLA, LLTA, Fasz. 7, Bund 3, Oktoberlandtag 1555, fol. 36r–37r, 1555 Okt. 8. 1139 Zum Streit Wesener, Erbrecht, 1957, S. 70–72; Sartori-Montecroce, Reception, 1895, S. 31– 32 und 58–59; Kogler, Repräsentationsrecht, 1932, S. 191–192; Floßmann, Privatrechtsgeschichte, 62008, S. 326–327; für Vorarlberg nunmehr Burmeister, Einführung, 1988; für das Gebiet der Eidgenossenschaft Schott, Bartele und Baldele, 1983, S. 26–30. Die Frage der Rezeption des gemeinen Rechts in Tirol wurde in der dieser Arbeit zugrundeliegenden Habilitationsschrift noch ausführlich behandelt (dort Kap. VI.5.6.2), die Ausführungen wurden für den Druck jedoch aus Gründen der Systematik und des Umfangs ausgeschieden. Sie werden in gesonderter Weise publiziert werden. 1137
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noch etwo vil artiggl in der lanndsordnung [...], die etwas zu khurzc ausgefüert, angedeit unnd mißverstenndig sein sollen, dergleichen das sonnst ermellte lannds ordnung mit merern artiggln, die darein zu bringen hoch von nötten, erleüttert, gepessert und dardurch vill irrungen unnd widerwertigkhaiten verhüet werden mochten, derhalben so seien ir Kün. Mt. gemainem vatterlanndt unnd allem wesen zu gnaden und guetten gnedigiclich dahin bedacht und enntschlossen irer Mt. tails ettliche gelerte, geschickhte und verstenndige personen darczue zu verordnen, die sambt inen der stennde darzue erkhiessten die gemelt lanndsordnung zu ehister gelegenhait furhannden nehmen, dieselb durchaus mit hochstem getreuen fleiss zu ersehen, zu beratschlagen unnd zu vergreiffen hetten, wie und wellichermassen ermellte lanndordnung gemert, erleuttert und gepessert werden möchte.1140 Diesen Vorschlag griffen die Landstände dankend auf und sagten zu, die ständischen Deputierten zur Überarbeitung auf dem nächsten Hofrecht zu Bozen auszuwählen. Sie unterließen freilich nicht den Hinweis, dass hinsichtlich des Ausgangspunktes – nämlich des 18. Titels des 3. Buchs – gar keine weitere Diskussion nötig sei, da die von der Landschaft vorgeschlagene Textfassung jedenfalls den „Landsbrauch“ wiedergebe.1141 Im Übrigen bat sie abschließend, die anvisierte Reformation möge nicht anders als vermüg ainer tyrolischen lanndtschafft freyhaiten unnd lanndsgebrauch geschehen.1142 Diese Intention deckte sich nach eigenem Bekunden mit der des Landesfürsten, der zudem die Bereitschaft signalisierte, den umstrittenen Titel umzuformulieren.1143 Von einer sofortigen Aufhebung des Titels war allerdings keine Rede. Insofern ist es wohl kein Zufall, dass die Stände just in den Gravamina des Jahres 1555 den Vorschlag äußerten, die den Kleideraufwand beschränkenden Bestimmungen der Reichspoliceyordnung von 1548 zu übernehmen.1144 Dies erfloss wohl weniger einem wahrgenommenen Regelungsdefizit als vielmehr der in den Jahren zuvor gewonnenen Überzeugung, dass die Policeyordnung Ferdinand I. am Herzen lag. Hier bot sich die Chance einer Verquickung der ständischen Reformationswünsche hinsichtlich einiger Titel der Landesordnung und des landesfürstlicherseits an den Tag gelegten Strebens nach einer eigenen Policeyordnung an.1145 Dass dies durchaus die Intention der Stände war, zeigte sich auf dem Landtag im April 1559 in aller Deutlichkeit. Ferdinand griff damals in Erledigung der Be TLA, LLTA, Fasz. 7, Bund 3, Oktoberlandtag 1555, fol. 72v–73r, 1555 Okt. 10. TLA, LLTA, Fasz. 7, Bund 3, Oktoberlandtag 1555, fol. 78v–79r, 1555 Okt. 12. 1142 TLA, LLTA, Fasz. 7, Bund 3, Oktoberlandtag 1555, fol. 89v–90r, 1555 Okt. 14. 1143 TLA, LLTA, Fasz. 7, Bund 3, Oktoberlandtag 1555, fol. 83v, 1555 Okt. 13. 1144 ������������������������������������������������������������������������������������������ Vgl. die Erwähnung bei Sartori-Montecroce, Reception, 1902, S. 46; ausführlich hierzu nunmehr Pauser, Rechtsvereinheitlichungsversuche Ferdinands I., 2008, S. 140–141. 1145 Dass Ferdinand die Policeyordnung tatsächlich am Herzen lag, zeigen auch seine 1556 neuer lich in die Wege geleiteten Bemühungen, vgl. Pauser, Rechtsvereinheitlichungsversuche Ferdinands I., 2008, S. 152. 1140 1141
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schwerden die ständischen Anregungen bezüglich der Ausarbeitung einer Kleiderordnung auf, wollte jedoch noch weitere Policeymaterien berücksichtigt wissen, namentlich die Beschränkung des Aufwands bei Festlichkeiten. Die Landschaft trat daraufhin etwas auf die Bremse und schlug Verhandlungen mit einem ständischen Ausschuss vor – wobei man das Verhandlungsmandat auf die 1555 von Ferdinand I. zugesicherte Reformation der Landesordnung erweitert sehen wollte.1146 Die Konstituierung des ständischen Ausschusses und der Beginn der Verhandlungen zogen sich jedoch in die Länge. Zwar wurden schon im Jahr 1560 Gutachten und Enquêten über die zu reformierenden Punkte der Landesordnung eingeholt (s. u.), doch wurde eine Verhandlungsrunde mit einem eigenen ständischen Ausschuss seitens der Regierung erst für Juli 1561 anberaumt.1147 Dieser Deputation gehörten die Äbte bzw. Pröpste von Wilten, Stams und Neustift als Vertreter des Prälatenstandes, Blasius Khuen, Jakob von Brandis, Christoph von Wolkenstein, Degen Fuchs von Fuchsberg und Jakob von Payrsberg als Gesandte des Adels und Georg Zötl, Zyprian Treibenreif, Michael Schenk, Georg Jenbacher, Hieronymus Goldegger, Jakob Saurwein, Georg Schärdinger und Hans Strobl als Repräsentanten der Städte und Gerichte an.1148 Zum angesetzten Termin blieben jedoch die Vertreter des Adels aus, so dass wiederholt Verschiebungen notwendig waren. Insbesondere durch Überschneidungen mit den Sessionen des Adeligen Hofrechts und durch Verhinderungen von Sigmund von Thun und Simon Botsch, deren Anwesenheit die Regierung wünschte, kam es immer wieder zu Verzögerungen und Verschiebungen.1149 Schließlich sah man in einer Verkleinerung des Ausschusses eine Lösung, der zunächst im kleinen Kreis die Landesordnung unter Zugrundelegung der eingeholten Berichte von Artikel zu Artikel durchgehen, über eine Policeyordnung beraten und einen ersten „Ratschlag“ verfassen sollte. Erst in diesem Stadium sollte wieder der gesamte ständische Ausschuss befasst werden.1150 Dieses Prozedere schien sich zunächst auch zu bewähren, die ersten vier Bücher der Landesordnung wurden auf diese Weise bereits um den Jahreswechsel 1561/1562 durchgearbeitet. Der nur knapp gewaltsam unterdrückte Aufstandsversuch des Bartholomä Dosser zu Jahresbeginn 1562, die dadurch bei der Regierung entstandene Hektik und der zusätzliche Arbeitsanfall setzten den Bemühungen aber vorerst ein Ende.1151 Vgl. die genaue Darstellung bei Pauser, Rechtsvereinheitlichungsversuche Ferdinands I., 2008, S. 153. 1147 Die folgenden Ausführungen nach Pauser, Rechtsvereinheitlichungsversuche Ferdinands I., 2008, S. 154–155. 1148 Vgl. TLA, BT, Bd. 8, fol. 222v–223r, 1561 Mai 16. 1149 Vgl. Pauser, Rechtsvereinheitlichungsversuche Ferdinands I., 2008, S. 154–155. 1150 Vgl. den Bericht der Regierung an Ferdinand I. in TLA, Ferdinandea, Karton 165, Pos. 165, 1572 Aug. 26. 1151 ���������������������������������������������������������������������������������������� Dass in der Tat die „Dosser’sche Empörung“ ausschlaggebend für die Unterbrechung der Beratungen war, wird ausdrücklich erwähnt in TLA, LLTA, Fasz. 8, Bund 1, Landtag 1563, 1563 [März], Ferdinand I. an die Regierung über die Landtagsproposition, sowie in TLA, VfD 1566, fol. 503r–504r, 1566 Juli 22. 1146
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Auf dem folgenden Märzlandtag des Jahres 1563 wurde die Frage einer Reformation der Landesordnung und der Ausarbeitung einer Policeyordnung zwar nochmals thematisiert, sie war jedoch erkennbar in den Hintergrund getreten.1152 Während Ferdinand I. im Schriftverkehr mit der Regierung speziell die Beratung einer Policeyordnung zumindest einforderte,1153 war das Engagement der Landstände offensichtlich deutlich abgekühlt. Nur in den Partikularbeschwerden des Viertels Pustertal wurde die anzustrebende Reformation der Landesordnung nochmals thematisiert.1154 Der Tod Ferdinands I. und der anschließende Regierungswechsel ließen das kaum in Schwung gekommene Projekt schließlich erlahmen, ohne dass es völlig aus den Augen verloren worden wäre. Einmal mehr waren es die Landstände, die die Idee einer Reformation der Tiroler Landesordnung nach einiger Zeit wieder aufgriffen, wobei wie schon im Jahr 1555 die Debatte um die erbrechtlichen Bestimmungen des 3. Buches der Ausgangspunkt für diese Pläne war. Die Landstände baten auf dem Landtag des Jahres 1567 in ihren Gravamina nachdrücklich um die Anpassung der einschlägigen Bestimmungen an den „Landsbrauch“, wobei dies mit einer Überarbeitung der gesamten Landesordnung verbunden werden sollte. Diese sollte ebenfalls unter dem Leitgedanken stehen, dass die tunckhlen, stritigen undt irrigen artiglen nach den alten freiheiten, gueten gewonheiten undt gebreichen dises landts erleitert undt extendiert werden sollten, wie dies zu Beginn des Jahrzehnts schon begonnen worden sei. Dabei verwies man auf die Vorgangsweise im Vorfeld der Reformation des Jahres 1532, die ebenfalls unter Einbeziehung eines ständischen Ausschusses vor sich gegangen sei.1155 Hier zeigt sich das schon früher zu beobachtende Phänomen, dass die Landstände aus Sorge um eine Bewahrung der „Landsbräuche“, die zumindest in (als wesentlich erachteten) Teilen als gefährdet wahrgenommen werden, die Reformation der Landesordnung anstreben. Das Projekt einer eigenen Policeyordnung, das schon unter Ferdinand I. vornehmlich vom Landesfürsten initiiert worden und bei der Landschaft nur auf gedämpfte Zustimmung gestoßen war, lag ihnen dagegen weitaus weniger am Herzen. Verhalten war dementsprechend die Reaktion Erzherzog Ferdinands II., der zunächst der reklamierten Reformation der Landesordnung keineswegs Priorität einräumte. In seiner auf dem folgenden Landtag im März 1568 abgegebenen Resolution auf die zuletzt vorgebrachten Landtagsbeschwerden ging er auf diese Forderung überhaupt nicht ein, sondern sicherte nur summarisch Vgl. TLA, VksM 1563, fol. 507v–508r, 1563 Febr. 27. Vgl. auch TLA, AksM 1563, fol. 580r–582r, 1563 März 18. 1154 TLA, LLTA, Fasz. 8, Bund 1, Landtag 1563, Beschwerden des Pustertals. Dort heißt es: Zum beschluß, weill auch die tirolisch lanndtordnung inn villen articlen ganncz vinster und nit genueg ausgefüert oder lautter, dardurch die unnderthan inn uncosten und schaden geratten, ist desswegen des Pussterthals unnderthenigist pith, weeg unnd mitl fürzunemen, auf das dieselb zum thail verpessert unnd erleüttert werde. 1155 ��������������������������������������������������������������������������������������� TLA, VdL, Bd. 5, S. 27–41, hier S. 26–29 (vierter Punkt der auf dem Landtag 1567 vorgebrachten Landesbeschwerden). 1152 1153
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zu, dass subsidiär zur Landesordnung der „Landsbrauch“ und nicht das gemeine Recht gelten solle.1156 Die Landstände ließen jedoch nicht nach. Sie bezeichneten die Reformation der Landesordnung als notwendig, um unnötige, aus Ausle gungsstreitigkeiten resultierende Prozesse hintanzuhalten, zumal die ersten vier Bücher ohnehin schon bearbeitet seien. Sie baten Ferdinand II., zur Fortsetzung dieser Arbeiten einen ständischen Ausschuss heranzuziehen.1157 Geschickt versuchte man, das Projekt einer Policey- und besonders einer Kleiderordnung, wo man in Erinnerung an Ferdinand I. wohl mit mehr Interesse seitens des Landesfürsten rechnete, mit der angestrebten Reformation der Landesordnung zu verquicken.1158 Das Drängen und die Strategie der Stände waren von Erfolg gekrönt, noch im März 1568 erging der Grundsatzbeschluss Erzherzog Ferdinands II., dass die Beratungen über eine Reformation der Landesordnung durch die Regierung und eine ständische Deputation wieder aufgenommen werden sollten. Wie schon zu Beginn der sechziger Jahre lag zwischen dieser grundsätzlichen Entscheidung und dem Beginn der konkreten Verhandlungen einige Zeit. Im Januar 1569 ließ die Regierung Ferdinand II. wissen, dass sie sich aufgrund anderweitiger Inanspruchnahme bisher noch nicht mit der Reformation hätte näher befassen können. Die turbulente Zeit der Fastnacht erachtete sie ebenfalls als untunlich, im Anschluss würde die Session des Adeligen Hofrechts wichtige Ständevertreter in Anspruch nehmen.1159 Am 18. April 1569 war es schließlich soweit, und die Beratungen begannen in Innsbruck.1160 Was hier zunächst auffällt, ist die Zusammensetzung des Gremiums, wo zu Beginn neben dem Landeshauptmann Wilhelm von Wolkenstein1161 als einzigem Vertreter der Stände ausschließlich Angehörige von Regierung und Kammer aufscheinen – die freilich ausnahmslos einflussreichen Tiroler Adelsgeschlechtern angehörten (in concreto eingeladen waren Christoph von Wolkenstein, Blasius Khuen, Jakob von Payrsberg, Wilhelm von Wolkenstein, Sigmund von Thun, von denen nach den erhaltenen Beratungsprotokollen zunächst nur die drei Erstge-
Vgl. TLA, VdL, Bd. 5, S. 63. Vgl. TLA, VdL, Bd. 5, S. 70, 1568 März 19. Zentral ist die Passage: Alß auch die angefangen undt fürgenomen reformation tirollischer landtßordnung noch nit gar zue ent beschlossen undt aber einer ersamen tyrollischen lantschafft auß villerlay hohen bedenckhen undt zue verhüetung allerlay ungereümbter rechtfertigungen größlichen von nöten, damit dieselb reformation ermelter landtordnung zum ehisten beschehe, weil daz bißher schon biß in daß fünfte puech fürgeschritten, so bitten ewer F. D. die vier stendt einer ersamen tirollischen lantschafft ewer F. D., die wollen einer ersamen lantschafft zue guetem zum fürderlichsten verstendig leüt gnedigist fürnemen undt durch dieselben mit berhatschlagung ermelter landtordnung fürgehen lassen. Daran beschieht Gott dem herrn zue befürderung der justicia ain sonder angenems werckh. 1158 Vgl. TLA, VdL, Bd. 5, S. 72–73, 1568 März 19. 1159 Vgl. TLA, AfD 1569, fol. 36v–38r, 1569 Jan. 27. 1160 Vgl. TLA, BT, Bd. 9, fol. 471r–472, 1569 März 2. 1161 Zu seiner Teilnahme vgl. das Schreiben der Regierung an Wilhelm von Wolkenstein von 1569 April 27 in TLA, Ferdinandea, Karton 165, Pos. 165. 1156 1157
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nannten teilnahmen).1162 Diese personelle Komposition des mit der Durchsicht der Landesordnung beauftragten Gremiums überrascht freilich nur auf den ersten Blick. Diese Deputation von Regierung und Kammer unter Beiziehung des Landeshauptmanns hatte nämlich den Auftrag, das Projekt zunächst in einem kleineren Kreis zu beraten und einen ersten Entwurf zu Papier zu bringen. Erst dieser schriftliche Entwurf sollte dann mit dem nominierten ständischen Ausschuss eingehend diskutiert werden.1163 Eben jene erhaltenen Protokolle dokumentieren zudem, dass die Beratungen in der Tat dort fortgesetzt wurden, wo 1561 aufgehört worden war, nämlich beim fünften Buch der Landesordnung. Den Beratungsprotokollen zufolge war dieser erste Durchgang noch im April 1569 beendet, wobei man sich nicht auf die Landesordnung beschränkte, sondern gleichzeitig den ersten Entwurf einer Policeyordnung ausarbeitete.1164 Die Beratungen über eine Policeyordnung wurden in der zweiten Augusthälfte des Jahres 1570 fortgesetzt. Aus nicht ersichtlichen Gründen blieben die Vorbereitungen anschließend bis 1572 stecken. Im März fand sich nochmals ein aus Vertretern der Kammer und Regierung zusammengesetztes Gremium in Anwesenheit des Landeshauptmanns zusammen.1165 Doch erst Ende Juni 1572 brachte die Regierung die Frage einer Reformation der Landesordnung und einer eigenen Policeyordnung neuerlich bei Erzherzog Ferdinand II. vor.1166 Daraufhin wurde auf den 27. Juli 1572 eine Konferenz mit Vertretern der Tiroler Landschaft anberaumt, an der neben je einem Gesandten der Hochstifte Trient und Brixen und den Äbten von Stams und Wilten für die Prälaten je vier Vertreter des Adels sowie der Städte und Gerichte teilnehmen sollten.1167 Das erhaltene Verhandlungsprotokoll belegt, dass die einzelnen Titel der Landesordnung und des Policeyordnungsentwurfs von den ständischen Vertretern sehr rasch und im Allgemeinen ohne große inhaltliche Diskussionen besprochen Die Beratungsprotokolle finden sich in TLA, Ferdinandea, Karton 165, Pos. 165, Bund 2. Zu Beginn jeder Session werden die Anwesenden vermerkt. 1163 So die rückblickende Darstellung in TLA, BT, Bd. 10, fol. 318v–319v, 1572 Juli 11. 1164 ������������������������������������������������������������������������������������������� Dieser Entwurf ist erhalten und eindeutig zu identifizieren. Das mit einem „E“ gekennzeichnete Manuskript wurde nämlich im August 1572 an die Hofkanzlei übersendet, vgl. TLA, Ferdinandea, Karton 165, Pos. 165, Schreiben der Regierung an Ferdinand II. von 1572 Aug. 26. 1165 TLA, Ferdinandea, Karton 165, Pos. 165, 1572 März 11 und folgende. 1166 Vgl. TLA, AfD 1572, fol. 346r–349r, 1572 Juni 27. 1167 Vgl. TLA, BT, Bd. 10, fol. 318v–319v, 1572 Juli 11; die von der Landschaft nominierten Mitglieder waren neben den Vertretern der beiden Hochstifte und den zwei geladenen Äbten der Landeshauptmann Hans Römer, Wilhelm von Wolkenstein, Hans Botsch, Hans Khuen – die Adeligen Christoph von Welsberg und Degen Fuchs von Fuchsberg nahmen als landesfürstliche Räte teil –, die Bürgermeister von Meran (Christoph Zöttl), Bozen (Zyprian Treibenreif ), Innsbruck (Michael Lustrier) und Hall (Thomas Rauscher), der ehemalige Landrichter von Sonnenburg Jakob Saurwein, Niedermayr von Lana (kein Vorname erwähnt), Sebastian Wörz von Stans sowie Jakob Egger von St. Lorenzen im Pustertal. Die Erwähnung der Mitglieder findet sich auch schon bei Sartori-Montecroce, Reception, 1902, S. 52. 1162
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wurden. Nur über die Wucherbestimmungen, die schon länger ein überaus heikles Thema darstellten, entspann sich eine längere Debatte.1168 Dieser Befund deckt sich weitgehend mit dem Bericht der Regierung an Erzherzog Ferdinand II., wonach nur die Vertreter des Adels mit einer substanziellen inhaltlichen Einwendung hervorgetreten seien: Während der Entwurf der Policeyordnung hinsichtlich der Kleiderordnung – den Vorlagen entsprechend (s. u.) – zwischen Herren- und ein fachem Adelsstand differenzierte, wollte der Tiroler Adel mit Hinweis auf die fehlende Trennung in zwei Kurien von einer solchen rechtlichen Unterscheidung nichts wissen. Darüber hinaus wiesen die ständischen Vertreter darauf hin, dass sie für ihren Teil die Ordnungen zwar guthießen, jedoch seitens der Landschaft nicht bevollmächtigt seien, Zugeständnisse zum Abbruch und zum Schaden der ständischen Rechte und Landesfreiheiten machen zu können. Deshalb sei die neuerliche Befassung der Landschaft vor der endgültigen Beschlussfassung über die Landesund Policeyordnung unabdingbar.1169 Vor diesem finalen Schritt erhielten die Kammer und die Regierung den Auftrag, nochmals den Entwurf der reformierten Landes- und Policeyordnung zu überprüfen, wobei allfälligen negativen Auswirkungen der darin enthaltenen Normen auf das landesfürstliche Kammergut besonderes Augenmerk geschenkt werden sollte.1170 Bei der geplanten Befassung der Landschaft legte die Regierung Erzherzog Ferdinand II. im Übrigen eine auf dem nächsten Landtag vorzubringende Formulierung nahe, die ganz bewusst die Rolle des Landesfürsten in der Gesetzgebung unterstreichen sollte. Anstatt – wie von der ständischen Deputation anlässlich der Durchsicht der beiden Entwürfe angeregt – diese zuvor der Landschaft vorzulegen, sollte den Landständen auf dem nächsten Landtag mitgeteilt werden, dass der Landesfürst die Landes- und Policeyordnung gebilligt und sich zur Drucklegung entschlossen habe. Es sei der Landschaft jedoch unbenommen, allenfalls noch vorhandene Bedenken zu äußern, über die Ferdinand entscheiden werde und die dann gegebenenfalls noch für die Drucklegung Berücksichtigung finden könnten.1171 Diese Empfehlung belegt zweierlei: erstens die hohe Bedeutung, die der genauen Umschreibung des wechselseitigen Machtverhältnisses von den beteiligten Akteuren zugemessen wurde; zweitens die Subtilität der entsprechenden Formulierungen, die bis ins Detail überlegt wurden und in feinen Nuancen Machtansprüche zum Ausdruck bringen konnten. Vom Effekt her besteht zwischen beiden Vorgangsweisen schließlich kein Unterschied, wird doch in jedem Fall der auf dem Landtag versammelten Tiroler Landschaft die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt. In der von der Regierung empfohlenen Variante wurde jedoch durch die bereits erfolgte und den Ständen nachträglich mitgeteilte Beschlussfassung Ferdinands si TLA, Ferdinandea, Karton 165, Pos. 165, 1572 Juli 28. TLA, AfD 1572, fol. 521r–524v, 1572 Aug. 26. 1170 TLA, LLTA, Fasz. 9, Landtag 1572, 1572 Nov. 14 (Regierung an Erzherzog Ferdinand II.), sowie ebd., 1572 Nov. 23 (Erzherzog Ferdinand II. an die Regierung und die Kammer). 1171 Vgl. TLA, LLTA, Fasz. 9, Landtag 1572, 1572 Nov. 14 (Regierung an Erzherzog Ferdinand II.). 1168 1169
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gnalisiert, dass ihre Einbindung ein Ausdruck landesfürstlichen Entgegenkommens und keine Voraussetzung für das Zustandekommen der Ordnungen sei. Erzherzog Ferdinand II. folgte dem Rat der Regierung und teilte dem im Januar 1573 versammelten Landtag seine Resolution über die Landes- und Policeyordnung mit. Demonstrativ wurde festgestellt, dass der beschlusß dises handls bei ir F. D. selbs als herren und lantsfursten stehet unnd ir D. von unnöthen gehalten, das einer ersamen landtschafft angeregte lannts- und policeiordnung verrer fürgebracht. Die Einräumung der Gelegenheit zur nochmaligen Stellungnahme wird so subtil als landesfürstliche Gnade präsentiert.1172 Ein landständischer Protest blieb gleichwohl aus. Vielmehr bedankte sich die Landschaft für die ihr gegebene Möglichkeit zur Stellungnahme, wies aber darauf hin, dass die Durcharbeitung der ihr zugestellten Entwürfe während des Landtags kaum möglich sei bzw. den Landtag erheblich in die Länge ziehen und so erhebliche Mehrkosten verursachen würde. Daher bat sie um die Gelegenheit, die projektierte Landes- und Policeyordnung nach dem Ende des Landtags durch den kleinen und großen ständischen Ausschuss begutachten zu lassen und daraufh in ihre Beschwerden deponieren zu dürfen. Dies wurde vom Erzherzog zugestanden.1173 Eine weitere Verzögerung der Drucklegung war die Folge. Erst am 22. Juli 1573 versammelten sich der kleine und der große Ausschuss, um die ihnen vorgelegten Entwürfe der Landes- und Policeyordnung von Artikel zu Artikel durchzugehen, allfällige Kollisionen mit den Landesfreiheiten und den „Landsbräuchen“ aufzuzeigen und ihre Beschwerden schriftlich festzuhalten.1174 Als Kuriosum sei an dieser Stelle festgehalten, dass dabei die Bürgermeister der drei Städte Kufstein, Kitzbühel und Rattenberg sowie ein Vertreter der entsprechenden ländlichen Gerichte ebenfalls anwesend waren, wenngleich die betreffenden drei Städte Kufstein, Kitzbühel und Rattenberg auf dem Landtag zu Jahresbeginn geschlossen darum gebeten hatten, bei der in ihrem Gebiet geltenden „Buchsage“ Kaiser Ludwigs verbleiben zu dürfen – was von Erzherzog Ferdinand II. auch genehmigt worden war.1175 Während die ständischen Deputierten, die im Juli des Vorjahres zur Durchsicht der Ent Vgl. TLA, VdL, Bd. 8, fol. 45v–48v, hier fol. 46, 1573 Jan. 20; dieses Zitat auch schon bei Sartori-Montecroce, Reception, 1902, S. 53. 1173 Vgl. auch TLA, VdL, Bd. 8, fol. 80v–81v, 1573 Jan. 27; ebd., fol. 104v–105r, 1573 Jan. 31; ebd., fol. 115, 1573 Febr. 2; vgl. auch schon Sartori-Montecroce, Reception, 1902, S. 52–53. 1174 Vgl. TLA, BT, Bd. 10, fol. 403, 1573 Juli 11. Erwähnung bei Sartori-Montecroce, Reception, 1902, S. 54. Die Ladung erging an: Bernhard Khünigl, einen Vertreter des Sequesters des Hochstifts Trient, Kaspar Payr als Gesandten des Hochstifts Brixen, die Äbte von St. Georgenberg, Marienberg, Wilten, Neustift, Gries, Innichen und Schnals, Kaspar von Spaur, Hans Khuen (oder einen Ersatz), Simon Botsch, Viktor von Neideck, die Bürgermeister von Bozen, Hall, Sterzing, Glurns, Rattenberg, Kufstein, Kitzbühel, je einen Vertreter der Gerichte des Viertels am Eisack, an der Etsch, im Vinschgau, Oberinntal, Wipptal, Pustertal und der drei Herrschaften Kitzbühel, Kufstein und Rattenberg. 1175 Vgl. die am 1. Febr. 1573 überreichten Partikulargravamina der Städte und Gerichte in TLA, LLTA, Fasz. 9, Bund 3, Nr. 1: Beschwerde der Städte Kufstein, Kitzbühel und Rattenberg. 1172
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würfe herangezogen worden waren, nahezu keine Bemerkungen anzubringen wussten, übergaben der kleine und große Ausschuss einen umfangreichen Katalog, der Anmerkungen, Beschwerden und Verbesserungsvorschläge zu den begutachteten Entwürfen enthielt.1176 Daraufhin bildeten die Regierung und die Kammer einen Ausschuss, um das ständische Gutachten zu erörtern und allenfalls darin enthaltene Anregungen oder aufgezeigte Defizite zu berücksichtigen. Diesem Gremium gehörten neben dem Statthalter Schweikhart von Helfenstein und dem Kanzler Dr. Christoph Klöckler seitens der Regierung die Räte Dr. Justinian Moser, Dr. Ludwig Fuchs, Dr. Johann Chrisostomos Hochstetter, Dr. Zyriak von Haidenreich, Anton von Brandis, Christoph Vintler und Christoph von Waltenhofen an, seitens der Kammer deren Präsident Blasius Khuen von Belasi sowie die Räte Leo von Brandis, Rochus Kastner und Georg von Haidenreich.1177 Diese Konsultationen nahmen nochmals etwas mehr als zwei Wochen in Anspruch (5. August bis 21. August 1573). Weitere Beratungsrunden fanden vom 8. bis zum 15. Oktober 1573 und schließlich am 20. November 1573 statt, wobei nur landesfürstliche Räte (sechs von der Regierung, drei von der Kammer) teilnahmen.1178 Erzherzog Ferdinand II. erteilte der Landes- und der Policeyordnung am 14. Dezember 1573 die landesfürstliche Genehmigung, wobei dem Regierungssekretär Johann Ernstinger ein Druckprivileg auf zehn Jahre erteilt wurde.1179 Mit feierlichem Mandat vom 20. Mai 1574 wurde die Landesordnung von 1532 aufgehöbt / Cassiert / unnd gentzlichen abgethan. Den lokalen Obrigkeiten wurde befohlen, In allen sachen und hendlen nach der neuen Landes- und Policeyordnung zu Prodeciern / richten und handlen. Der Anwendungsbefehl trug auch den Untertanen auf, sie müssten fortan derselben [Landes- und Policeyordnung] geleben und nachkomen.1180 Wie schon 1532 wurde eine Ablieferungspflicht für die nunmehr außer Kraft gesetzte Landesordnung von 1532 statuiert, deren Exemplare binnen zwei Monaten in der Regimentskanzlei abgegeben werden sollten.
TLA, Landschaftliche Landtagsakten, Fasz. 1, Nr. 12b/II. TLA, Ferdinandea, Karton 165, Pos. 165, 1573 Aug. 5 bis 21; umfassende Informationen zu den betreffenden Personen liefert Schmid, Behörden- und Verwaltungsorganisation Tirols, 1971; z. T. ergänzend nunmehr auch Matschinegg, Österreicher als Universitätsbesucher in Italien, 1999. 1178 TLA, Ferdinandea, Karton 165, Pos. 165. 1179 ����������������������������������������������������������������������������������������� Sartori-Montecroce, Reception, 1902, S. 54; eine sehr ausführliche Wiedergabe der Bestimmungen der Policeyordnung findet sich bei Rapp, Statutenwesen, 2. Teil, 1829, S. 101–110. 1180 TLMF, FB 6197, Nr. 51, 1574 Mai 20. 1176 1177
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7. 5. 2. Zu den Beratungsprotokollen 7. 5. 2. 1. Quelle und Quellenwert Das Druckprivileg wurde Johann Ernstinger nicht ohne Grund erteilt, hatte er doch seit 1569 durchgehend als Schriftführer bei den Beratungen und Verhandlungen über die Landes- und Policeyordnung fungiert, weshalb die Regierung diese Vergünstigung als Belohnung für seine Verdienste wärmstens befürwortet hatte.1181 Für den Rechtshistoriker ist die Arbeit Ernstingers rückblickend unbezahlbar, haben sich doch die von Ernstinger geführten Protokolle einigermaßen vollständig erhalten und besitzen einen unvergleichlichen Quellenwert. Die Qualifikationen als „unbezahlbar“ und „unvergleichlich“ sind dabei keine Euphemismen.1182 Entwürfe von Kodifikationen des 16. und 17. Jahrhunderts haben sich schließlich – wenn auch nicht in großer Zahl – des Öfteren erhalten, wobei nicht nur auf die beiden neu entdeckten Entwürfe der Tiroler Landesordnung von 1526, sondern auch auf erhaltene und von der Forschung bereits intensiver ausgewertete Landrechtsentwürfe in Österreich unter und ob der Enns verwesen werden kann.1183 Die Protokollaufzeichnungen Ernstingers, die den Zeitraum von 1569 bis 1573 bestreichen, geben hingegen die Wortmeldungen der Beteiligten anlässlich der Beratungen über die Landes- und Policeyordnung wieder. Die Struktur ist stets vergleichbar: Zu Beginn jeder Vormittags- und Nachmittagssitzung wurden das Datum und die Namen der Anwesenden festgehalten. Nach Anführen des im Folgenden erörterten Titels gibt Ernstinger die Stellungnahmen und Diskussionsbeiträge der jeweils namentlich genannten Beteiligten wieder. Anlässlich der zeitgleich mit den Diskussionen angefertigten Protokolle darf man sich keine ausgefeilten syntaktischen Konstruktionen, häufig nicht einmal ganze Sätze erwarten. Vielfach beschränkt sich Ernstinger auf das Festhalten von Stichwörtern.1184 Die an Ernstinger gestellte Anforderung, die Diskussionen und Argumente mitzuprotokollieren, hat zwei Konsequenzen. Die erste ist inhaltlicher Natur: Aus quellenkritischer Sicht kann grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden, dass es im Zuge der Protokollniederschrift zu Fehlern gekommen sein könnte, indem der sicherlich angespannt arbeitende Ernstinger entweder eine Wortmeldung miss verstand, oder dass Ernstinger in der Eile bei der Verschriftlichung irre führende oder falsche Formulierungen gewählt haben könnte. Wenngleich eine solche Feh Vgl. Sartori-Montecroce, Reception, 1902, S. 52. Die entsprechenden Protokolle finden sich in TLA, Ferdinandea, Karton 165, Pos. 165. 1183 Vgl. Motloch, Landesordnungen (geschich.) und Landhandfesten, 21907; Wesener, Landordnungsentwürfe, 1974; Strätz, Landtafel, 1990; Strätz, Landtafel von 1616–1629, 21997; für Bayern vgl. z. B. Günter (Hg.), Landrecht, 1969, S. 147–153. 1184 Vgl. immerhin die Protokolle der im Zuge der Ausarbeitung des bayerischen Landrechts von 1616 geführten Beratungen, die im Jahr 1606 zwischen vier landesfürstlichen Räten und den Landschaftsdeputierten geführt wurden (Günter (Hg.), Landrecht, 1969, S. 135–136). 1181 1182
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lerquelle im Einzelfall denkbar ist, besticht Ernstingers Mitschrift insgesamt freilich nicht nur durch ihre Ausführlichkeit, sondern überdies durch ihre Qualität. Teilweise gelingt es Ernstinger bezeichnenderweise sogar, die Äußerungen der Diskussionsteilnehmer im Konjunktiv wiederzugeben. Diese Indizien sprechen wiederum eher für eine geringe Fehleranfälligkeit Ernstingers. Die zweite Konsequenz, die aus der Mitprotokollierung der Wortmeldungen durch Ernstinger resultiert, ist arbeitspraktischer Natur und betrifft den auswertenden Rechtshistoriker. Ernstingers Konzeptschrift, die aus anderen Texten gut bekannt ist, stellt schon im Normalfall erhebliche paläographische Anforderungen an den Leser, wobei sie durch ihre starke individuelle Prägung den generell hohen Schwierigkeitsgrad von Konzeptschriften des 16. Jahrhunderts übertrifft. Bei der Mitprotokollierung treten zwei weitere Umstände erschwerend hinzu. Ernstinger war aufgrund des Zeitdrucks zur stärkeren Kursivierung und zum teilweise starken Gebrauch von Abkürzungen genötigt, was in der Kombination die Lektüre der Protokolle auch für den mit frühneuzeitlichen Schriften sehr Vertrauten zur paläographischen Herausforderung werden lässt. Dieser Umstand erklärt wohl auch die bemerkenswerte Zurückhaltung von Rechtshistorikern wie Historikern, wenn es darum ging, diese immerhin schon seit mehr als einem Jahrhundert in der Forschung bekannte Quelle auszuwerten. Nur Sartori-Montecroce hat einmal nachweislich die Verhandlungsprotokolle herangezogen, ansonsten harren sie noch der Aufbereitung. Diese kann an dieser Stelle natürlich nicht in extenso und nicht mit Blick auf jeden Titel der Landesordnung erfolgen. Was jedoch sehr wohl im Folgenden dargestellt werden soll, ist die Vorgangsweise bei der Über- bzw. Ausarbeitung der Kodifikation und die dabei angewendeten methodischen Prinzipien. 7. 5. 2. 2. Kleiderordnungen als Beispiel inhaltlicher Auswertung Dass eine inhaltliche Auswertung zu einzelnen Rechtsbereichen überaus aufschlussreich sein kann, sei an dieser Stelle in der Hoffnung auf intensivere Berücksichtigung dieser Quelle durch zukünftige Forschungen nur summarisch aufgezeigt und an einem konkreten Beispiel kurz exemplifiziert: Die frühneuzeitlichen Kleiderordnungen, die den Angehörigen der verschiedenen Stände unterschiedliche Vorschriften hinsichtlich der zulässigen Kleidungs- und Schmuckstücke sowie hinsichtlich des damit verbundenen finanziellen Aufwandes machten, wurden in den letzten Jahrzehnten von der Rechtsgeschichte und der Geschichtswissenschaft eingehend untersucht.1185 Sie wurden dabei großteils als normativer Versuch zur Aufrechterhaltung der Ständeordnung durch die Visualisierung der Ständegrenzen ��������������������������������������������������������������������������������������� Die Literatur zu Kleiderordnungen ist (gerade seitens der allgemeinen Geschichtswissenschaft) überaus umfangreich, vgl. an älteren Werken u. a. Eisenbart, Kleiderordnungen, 1962; Hampel-Kallbrunner, Beiträge zur Geschichte, 1962; Baur, Kleiderordnungen in Bayern, 1975; Stolleis, Luxusverbote und Luxussteuern, 1983; Bulst, Problem städtischer und terri-
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mittels Kleidung interpretiert.1186 Darüber hinaus wurde die sich in einer Kleiderordnung niederschlagende „obrigkeitliche Regelungsphantasie“1187 zugleich als Chance für die Normadressaten gesehen, durch die bewusste Usurpation von höhergestellten Personen vorbehaltenen Schmuck- und Kleidungsstücken eigene gesellschaftliche Statusansprüche inszenieren zu können: „Wer sich distingieren will, der weiß genau, mit welchen Kleidungsstücken er die Rangerhöhung andeuten kann und welche Schwellen er einreißen muß.“1188 Verfolgt man hingegen die 1569/1570 von den Vertretern der Regierung und der Kammer geführten Diskussionen, ist der Tenor ein grundverschiedener. Von der Notwendigkeit einer sozialen Distinktion durch policeyrechtliche Vorschriften findet man keine Spur, obwohl die anwesenden Räte nahezu ausschließlich adelig sind und sogar überwiegend führenden Tiroler Geschlechtern angehören. Im Gegenteil, die Äußerungen sind überwiegend skeptisch bis dezidiert ablehnend, wobei der Wortführer der Opponenten gegen eine Kleiderordnung der Regierungsrat Khuen von Belasi war (wobei die Khuen ebenfalls zu den angesehensten und ein flussreichsten Adelsfamilien Tirols gehörten). Schon die Wortmeldung, man müsse wegen Gürteln kein Gesetz machen – eine Allusion auf die häufig in Kleiderordnungen zu findenden, dieses Accessoire betreffenden Vorschriften – zeigt die dominierende Skepsis. Khuen geht noch weiter: Die Einführung einer Kleiderordnung hieße für ihn die alt welt einfüeren und sei vast [sehr] altfatterisch (was eine gewisse Offenheit für Modeströmungen indiziert). Programmatisch stellt Leo von Brandis in den Raum, man solle kleider, ketten nit verbietten, ainem yeden frey lassen. Im Übrigen sind die Reaktionen verhalten bis ablehnend. Dr. Moser entschuldigt sich, er wisse es nit, wie man vorgehen sollte. Fuchs von Fuchsberg fürchtet offensichtlich divergierende Ordnungsvorstellungen unterschiedlicher Stände (ain yeder standt welt ain gsacz machen), Wehingen verstet nit, warum diskutiert werde und schlägt schlichtweg vor, jeder solle seine Kleider wie vor gemacht anfertigen lassen. Dr. Hochstetter stimmt der Kritik Khuens grundsätzlich zu. Von dieser Vielzahl skeptischer bis negativer Stellungnahmen hebt sich nur die Stimme des Kammerrats Haidenreich ab, der ausführlich den mit einer Kleiderordnung verbundenen Sparaspekt betont, indem einschlägige Rechtsvorschriften den Einzelnen vor Verschwendung und Verschuldung durch Kleiderluxus bewahren und einen mit dem Import von Luxuswaren verbundenen Geldabfluss ins Ausland verhindern sollten. Als am 26. August 1570 neuerlich über die Policeyordnung debattiert wurde, hatte sich die Argumentation Haidenreichs durchgesetzt. Jedenfalls wurde nun torialer Kleider-, Aufwands- und Luxusgesetzgebung, 1988; nunmehr auch König, Luxusverbote, 1999; Jaritz, Leggi suntuarie, 2003. 1186 �������������������������������������������������������������������������������������������� So prägnant Dinges, Soziale Funktion, 1992, bes. S. 57–58; vgl. ferner auch Brauneder, Stellung und Verhältnis, 1997, S. 210; den Aspekt der Aufrechterhaltung der Sittlichkeit betont hingegen Günther, Behandlung der Sittlichkeitsdelikte, 2004, S. 16–17. 1187 Dinges, Soziale Funktion, 1992, S. 60. 1188 Dinges, Soziale Funktion, 1992, S. 60.
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nicht mehr über das „Ob“, sondern nur noch über das „Wie“ gesprochen. Dabei dürfte durchaus das Faktum eine Rolle gespielt haben, dass die für die nunmehrige Diskussion maßgeblichen Vorbilder – die Reichspoliceyordnung, die niederösterreichische Policeyordnung von 1552 bzw. 1568 und die bayerische Landesordnung von 1553 – durchwegs Kleidungsvorschriften enthielten. Dieses Beispiel vermag den Quellenwert der Protokolle zu illustrieren und ermahnt gleichzeitig zu größerer Vorsicht, dem frühneuzeitlichen Gesetzgeber allein unter Berufung auf die Normtexte sehr subtile Regelungsziele zu unterstellen, deren Fundierung in anderen Quellen nicht möglich ist. Das Streben nach einer Aufrechterhaltung der ständischen Ordnung durch die rechtliche Vorschreibung differenzierter Kleidung lässt sich 1569/70 jedenfalls nicht ausmachen. Dies bedeutet natürlich nicht, dass beim Erlass von Kleiderordnungen nicht auch andere Motive als die von Haidenreich dargelegten Argumente eine Rolle spielen konnten. Auch Tirol bietet hierfür Beispiele. Als man 1523 neuerlich das Vordringen der Türken fürchtete und Hochwasserwarnungen Schrecken verbreiteten, reagierten die Stände prompt mit der Ausarbeitung einer (nicht erlassenen) Kleiderordnung. Die Motive werden deutlich formuliert: Item nachdem denn der almechtig Gott uns taglich strafft umb unser sünde, wer furczunemen die hoffartt czu straffen alz in menikglichen ist und insonderm in dem gemain man und frawen [...].1189 Der dieser Vergeltungstheologie zugrunde liegende Gedankengang ist simpel: Der sich in Heimsuchungen der Menschen niederschlagende Zorn Gottes ist zu besänftigen, was unter anderem durch die Bekämpfung der Todsünde Hoffart mittels Kleiderordnung geschehen kann. Wenn die Tiroler Landschaft, wie erwähnt, in den fünfziger und sechziger Jahren des 16. Jahrhunderts eine gewisse Skepsis gegenüber einer eigenen Policeyordnung an den Tag legt, sich mit der Einführung einer Kleiderordnung unter Verweis auf die Reichspoliceyordnung jedoch einverstanden erklärt, liegt dieser Vorgehensweise eine Verhandlungstaktik zugrunde. Eine Kleiderordnung war bei der Implementation unproblematisch in dem Sinne, dass sie trotz enthaltener Strafdrohungen relativ zahnlos war. Es ist bezeichnend, dass sich kein einziger Quellenhinweis auf das tatsächliche Aussprechen von Strafen aufgrund von Verstößen gegen Kleiderbestimmungen findet (obwohl diese rudimentär schon in der Landesordnung von 1532 enthalten waren). Hier konnten die Landstände durch das Angebot, eine eigene Kleiderordnung zu erlassen, Entgegenkommen signalisieren, ohne mit einschneidenden Konsequenzen rechnen zu müssen. 7. 5. 2. 3. Arbeitsweise der Gesetzgebungskommission Die Erkenntnismöglichkeiten, die die Verhandlungsprotokolle der im Vorfeld der Reformation geführten Beratungen eröffnen, können anhand des Beispiels der TLA, LLTA, Fasz. 1, Landtag 1523, o. D. (Von wegen der thurgken).
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Kleiderordnungen bestenfalls angedeutet werden. Gleichzeitig sei an dieser Stelle mit Nachdruck auf den Ertragswert dieser auch im überregionalen Vergleich einzigartigen Quelle hingewiesen. Im Folgenden soll zumindest die aus den Beratungsprotokollen zu extrahierenden Vorgehens- und Arbeitsweisen der Gesetzgebungskommission näher erläutert werden. Der Terminus „Gesetzgebungskommission“ ist dabei insofern zu vertreten, als die Protokolle nahezu ausschließlich die im Kreis der Regierungs- und Kammerräte geführten Diskussionen enthalten, an denen freilich stets der Landeshauptmann als Vertreter der Landstände teilnahm. Nur die ab dem 27. Juli 1572 unter Beteiligung der ständischen Deputation abgehaltenen Beratungen haben ebenfalls in den Protokollen ihren Niederschlag gefunden, sind jedoch vergleichsweise wenig ergiebig, da die ständischen Vertreter kaum Einwendungen machten. Vorausschickend lässt sich festhalten, dass sich eine bestimmte methodische Vorgehensweise der involvierten Regierungs- und Kammerräte nicht ausmachen lässt, vielmehr wird man richtigerweise von einer Mehrzahl von Arbeitsweisen sprechen, die zudem nicht durchgehend angewendet werden. In der ersten Beratungs- und Diskussionsrunde im April 1569 diskutierten die beteiligten Räte jeden einzelnen Titel der Landesordnung nahezu ausschließlich auf der Grundlage der vom Viertel an der Etsch, vom Viertel am Eisack und vom Viertel im Pustertal eingeholten drei Gutachten bzw. Gewohnheitsrechtsenquêten, während ausländischen Vorbildern überhaupt keine Beachtung geschenkt wurde. Im August 1570 war die Vorgehensweise eine grundsätzlich andere, nämlich eine primär rechtsvergleichende. Nun wurden sämtliche policeyrechtlichen Titel der Tiroler Landesordnung und die präsumtiven Inhalte einer eigenen Policeyordnung unter Heranziehung und steter Konsultation der Reichspoliceyordnung, der niederösterreichischen Policeyordnung von 1552 und der (zwar gedruckten, jedoch nicht publizierten1190) Policeyordnung für Österreich ob und unter der Enns von 15681191 sowie der bayerischen Landesordnung von 1553 diskutiert und vornehmlich auf dieser Grundlage Verbesserungen bzw. der Wortlaut eines Titels formuliert. Im Einzelnen wird argumentativ im Verlauf der Diskussionen auf eine ganze Reihe von Vorgehensweisen rekurriert respektive auf unterschiedliche Referenzpunkte Bezug genommen. Besondere Bedeutung kommt dabei zu: 1. Gewohnheitsrechtsenquêten bzw. aus der Praxis der Rechtsanwendung heraus erstellten Gutachten sowie eng damit verbunden 2. Beschwerden; ����������������������������������������������������������������������������������������� Hierzu Pauser, Maximilian II. und die Landstände, 2002, S. 36–37. Zum Verhältnis der Ordnung von 1568 zu jenen von 1552 und 1566 ebd., S. 53. 1191 Dass diese als eine der Vorlagen diente, legt bereits der Umstand nahe, dass ein Exemplar der Ordnung von 1568 bei den Beratungsunterlagen in TLA, Ferdinandea, Karton 165, Pos. 165 liegt; zur Beeinflussung der Tiroler Policeyordnung durch die niederösterreichische Ordnung von 1552 ausführlich Thiel, Handwerkerordnung, 1909, S. 35–36; Erwähnung auch bei Brauneder, Gehalt der österreichischen Policeyordnungen, 1994 (erstmals 1976), S. 474. 1190
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3. der Rechtsvergleichung; 4. der bisherigen (Einzel-)Gesetzgebung und den historischen Entwicklungslinien in einem bestimmten Rechtsbereich; 5. Präjudizien; 6. Überlegungen zu den Implementationschancen einer in Betracht gezogenen Regelung; 7. dem gelehrten Recht. 7. 5. 2. 3. 1. Enquêten Bei sämtlichen Plänen zu einer Reform der Landesordnung nach 1532 (1560, 1629 bis 1640,1192 1663,1193 1695,1194 17081195 und beim letzten Anlauf im Jahr 17401196) war es stets einer der ersten Schritte gewesen, Gutachten der lokalen Obrigkeiten einzuholen. Diese sollten unter der Beiziehung rechtserfahrener Männer erstellt werden und ausweisen, was in berüerter landt- und policeyordnung zweifelig, nachgedenckglich und zu verbößern oder declarieren sein möchte und welche Rechtsgewohnheiten noch aufzunehmen seien.1197 1560 war man nicht anders vorgegangen. Damals waren Gutachten der einzelnen Viertel angefordert worden. Daraufhin liefen erwiesenermaßen Stellungnahmen des Viertels an der Etsch, des Viertels am Eisack, des Viertels im Inntal und des Viertels Pustertal ein, von denen sich freilich nur das Gutachten des Pustertals erhalten hat.1198 Die anderen Gutachten sind jedoch partiell (ab dem 5. Buch) inhaltlich gut rekonstruierbar, da die Beratungsprotokolle Ernstingers bei jedem diskutierten Titel der Landesordnung ausweisen, welche Anreg ungen, Vorschläge bzw. Beschwerden die Viertel zum soeben besprochenen Titel vorbringen. Das erhaltene Gutachten des Viertels Pustertal erlaubt zudem, das Zustandekommen einer solchen Enquête darzustellen, die vornehmlich von den lokalen Obrigkeiten getragen wurde. Aufgrund des landesfürstlichen Befehls hatte der Pfleger von Rodeneck, Hans von Wolkenstein, am 13. August 1560 in einem Gasthaus in Rodeneck Hans von Rost als Pfleger von Uttenheim, Joachim von Winkelhofen als Pfleger von Toblach, Christoph Rumbl als Amtmann von Bruneck, den Landrichter TLA, VfD 1628, fol. 679r–680r, 1628 Okt. 14; TLA, BT, Bd. 19, fol. 412r–413r, 1629 Jan. 18; TLA, BT, Bd. 21, fol. 71v–72r, 1637 Dez. 23; TLA, VfD 1639, fol. 670v–671v, 1639 Okt. 22; TLA, VfD 1640, fol. 188, 1640 Juni 30; TLA, BT, Bd. 21, fol. 335, 1640 Juli 2; TLA, VfD 1643, fol. 473, 1643 März 30. 1193 TLA, BT, Bd. 24, fol. 240v–241r, 1663 März 28. 1194 TLMF, Dip. 1093, Nr. 407, 1695 März 8. 1195 TLMF, Dip. 1093, Nr. 501, 1708 Juli 27. 1196 TLA, AksM 1740, fol. 133v, 1740 April 9. 1197 Zit. nach TLA, BT, Bd. 19, fol. 412r–413r, 1629 Jan. 18. 1198 TLMF, Dip. 904, Teil II, fol. 16r–27v. 1192
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von Taufers Christian Talhammer sowie Georg Schärliner, Christoph Goldwurm und Christoph Ochsen als der gerichts-und landtsgepreuch erfarne zusammengerufen. Ob die betreffenden Personen bereits vorher Überlegungen angestellt und Vorarbeiten geleistet hatten, geht aus dem Gutachten nicht hervor. Die Erörterung und die Erstellung des Gutachtens gingen jedenfalls relativ schnell vonstatten. Das Gutachten datiert vom 29. August, jedoch legen die der landesfürstlichen Kammer verrechneten Kosten von 25 fl. für die Gutachtenerstellung nahe, dass sich die Beratungen selbst nicht über zwei Wochen erstreckten, sondern binnen weniger Tage abgeschlossen waren. Dabei wurde mit 31 kritisierten oder als verbesserungsfähig angeführten Titeln nur bemerkenswert verhaltene Kritik angebracht,1199 vor allem im Vergleich mit den offensichtlich deutlich anmerkungsfreudigeren Gutachten der Viertel an der Etsch und am Eisack. Abgesehen von den bemängelten Artikeln wurde in der Landesordnung nichts unlautters, mißverstenndigs noch tisputierlichs entdeckt, sondern die Kodifikation als verstenndlich gnugsam, woll und guet eingefüert befunden.1200 Die deponierte Kritik bezog sich dabei überwiegend auf das zweite und dritte Buch (mit 13 bzw. neun kritisierten Titeln).1201 Die inhaltlichen Schwerpunkte der Beschwerden lagen somit sehr deutlich auf dem dort enthaltenen formellen und materiellen Zivilrecht. Im ersten Buch werden hingegen nur zwei Titel kritisiert, im vierten nur einer, im das grundherrschaftliche Verhältnis normierenden fünften Buch finden sich nach Einschätzung des Pustertaler Gutachtens immerhin fünf verbesserungswürdige Artikel, im sechsten Buch dagegen nur zwei. Allerdings weist man gerade hinsichtlich der Policeynormen der Landesordnung – in concreto werden die Bestimmungen über landesweit einheitliche Maße und Gewichte erwähnt – auf Implementationsdefizite hin. Jene Artikel der Landesordnung, sovil der bißher nit in wirckhung khumen sein, sollten nun endlich mit mehr Elan durchgesetzt werden.1202 Bei der Beratung der Landesordnung durch deputierte Regierungs- und Kammerräte im April 1569 ist denn auch die Berücksichtigung der eingelangten Gutachten sehr ausgeprägt, während diese bei späteren Diskussionen nicht mehr ausdrücklich angesprochen werden. Die 1560 und bei späteren Plänen einer Reformation der Landesordnung an der Peripherie durchgeführten Enquêten sollen dabei nicht nur Verbesserungsmöglichkeiten, sondern auch Missstände aufzeigen.
Vgl. TLMF, Dip. 904, Teil II, fol. 16v–26v. TLMF, Dip. 904, Teil II, fol. 27r. 1201 Im Einzelnen werden die nachstehend angeführten Titel der Tiroler Landesordnung von 1532 behandelt: Buch 1, Tit. 5, 7; Buch 2, Tit. 6, 8–10, 14, 21, 22, 50–51, 57, 60, 62–63, 84; Buch 3, Tit. 1, 9, 13, 18–19, 34–35, 39, 41; Buch 4, Tit. 11; Buch 5, Tit. 7, 8, 10–11; Buch 6, Tit. 1, 17. 1202 TLMF, Dip. 904, Teil II, fol. 27r. 1199 1200
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7. 5. 2. 3. 2. Gravamina Insofern weisen die Enquêten eine gewisse Affinität zur zweiten Textsorte auf, die im Vorfeld einer Reformation mögliche Normierungsdefizite in der Landesordnung anführen konnte: ständische Gravamina. Insbesondere die Fassungen des 18. und 19. Titels des 3. Buchs der Landesordnung von 1532 waren schon in den fünfziger und sechziger Jahren wiederholt Zielscheibe von Landtagsgravamina1203 und wurden in der Landesordnung von 1573 im ständischen Sinn geändert bzw. – aus der Sicht der Stände – in Übereinstimmung mit dem „Landsbrauch“ gebracht.1204 Schließlich nahmen der kleine und der große ständische Ausschuss im Juli 1573 die Entwürfe der Landes- und Policeyordnung an die Hand, haben sie von articl zu articl, auch puncten zu puncten alles getreuen embsigen angelegnen fleiß durchsehen, abgehört unnd was wir darinnen fur menngl unnd beschwerde, so den tyrolischen lanndtsfreihaiten, auch alten gueten gewonnhaiten unnd gebreüchen zuwider befunden, schriftlich festgehal ten.1205 Im Anschluss wurden diese Beschwerden zur Grundlage weiterer Besprechungen durch die deputierten Regierungs- und Kammerräte.1206 Wieder zeigt eine Durchsicht der von den Ständen aufgezeigten Beschwerden eine gewisse Schwerpunktsetzung auf dem zweiten und dritten Buch der Landesordnung und somit auf dem Zivilprozess- und Zivilrecht, während die anderen Bücher nur wenig Berücksichtigung finden.1207 Darüber hinaus nehmen die ständischen Ausschüsse zu sechs Titeln des Policeyordnungsentwurfs Stellung und geben Empfehlungen ab. Ingesamt werden die Anregungen und Kritikpunkte der Landschaft nahezu vollständig in die endgültigen Ordnungstexte übernommen. Wenn beispielsweise die Stände anregen, zum geplanten 81. Titel des 6. Buchs einen Zusatz aufzunehmen, wonach für die Untertanen günstigere, auf Ebene der Städte und Gerichte erlassene Ordnungen von den Bestimmungen der Landesordnung unberührt bleiben sollten, so findet sich dieser Ergänzungsvorschlag wörtlich in der publizierten Lan Vgl. hierzu TLA, LLTA, Fasz. 6, Bund „Landtag 1554“, fol. 187r, 1554 Juli 10; ebenso TLA, VkgM 1554, fol. 85v, 1554 Juli 10; TLA, LLTA, Fasz. 7, Bund 3, fol. 36r–37r, 1555 Okt. 8; ebd., fol. 72v–73r, 1555 Okt. 10; ebd., fol. 78v–79r, 1555 Okt. 12; Vgl. TLA, AfD 1568, fol. 137v–140r, hier fol. 139v, 1568 März 23. 1204 ������������������������������������������������������������������������������������� Es geht um das Erbrecht, konkret um das Repräsentationsrecht und dessen konkrete Ausgestaltung; zu diesem Fragekomplex allgemein Wesener, Erbrecht, 1957, S. 70–72; SartoriMontecroce, Reception, 1895, S. 31–32 und 58–59; Kogler, Repräsentationsrecht, 1932, S. 191–192; Floßmann, Privatrechtsgeschichte, 62008, S. 326–327; für Vorarlberg nunmehr Burmeister, Einführung, 1988; für das Gebiet der Eidgenossenschaft Schott, Bartele und Baldele, 1983, S. 26–30. 1205 TLA, Landschaftliche Landtagsakten, Fasz. 1, Nr. 12b III, fol. 14r. 1206 TLA, Ferdinandea, Karton 165, Pos. 165, Protokoll der Verhandlungen ab 1573 Aug. 5. 1207 Im Einzelnen werden die nachstehend angeführten Titel der Tiroler Landesordnung von 1532 behandelt (TLA, Landschaftliche Landtagsakten, Fasz. 1, Nr. 12b III, fol.15v–28r): Buch 1, Tit. 8; Buch 2, Tit. 17, 62; Buch 3, Tit. 3, 22, 54; Buch 6, Tit. 2, 81; Buch 7, Tit. 7. 1203
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desordnung von 1573 wieder.1208 Dass auch die Bitte der Stände Berücksichtigung fand, man möchte wie schon 1532 in den Änderungsvorbehalt der Landesordnung die Klausel einfügen, dass eine Veränderung der Landesordnung nur mit dem Rat der Landschaft erfolgen sollte, wurde bereits an anderer Stelle erwähnt.1209 Die Beispiele lassen sich vermehren.1210 Allerdings übernahmen die landesfürstlichen Räte die Vorschläge der Tiroler Landschaft nicht immer wörtlich, sondern fanden teilweise legistisch elegantere Formulierungen. So normiert der 8. Titel des 1. Buchs unter anderem die Erfordernisse für Supplikanten, um die Erstinstanzen übergehen und sich gleich an die höhere Instanz – im Fall des südlichen Tirols der Landeshauptmann, ansonsten die Regierung bzw. der Landesfürst – wenden zu können. Die ständischen Deputierten legten einen umständlichen For mulierungsvorschlag zur Umschreibung der Strafkompetenz bei Verstößen vor; hier fanden die Räte eine ungleich elegantere und kürzere Formulierung, die gleichwohl dem ständischen Einwand Rechnung trug.1211 Im Einzelnen muss man jedoch sehr wohl differenzieren: So macht es einen großen Unterschied, ob Anregungen und Textierungsvorschläge der Landstände wie in den angeführten Fällen wörtlich oder sinngemäß übernommen werden oder ob sich der Gesetzgeber dafür entscheidet, durch Weglassung der seitens der Stände inkriminierten Passage deren Wünschen zumindest oberflächlich entgegenzukommen. Tatsächlich wurde auf diese Weise jedoch eine Lücke geschaffen, die der Landesfürst nach seinem Gutdünken füllen konnte. Dieser Weg wird dabei vornehmlich bei Rechtsfragen eingeschlagen, die schon in den Jahrzehnten zuvor immer wieder Anlass zu Differenzen zwischen Landständen und Regierung bzw. Landesfürst gegeben hatten. Zwei Beispiele bei der Behandlung der im Juli 1573 von den beiden ständischen Ausschüssen deponierten Beschwerden vermögen dies besonders gut zu illustrieren: Am Schluss des Entwurfs zum 17. Titel des 2. Buchs, der die sachliche und örtliche Vgl. TLA, Landschaftliche Landtagsakten, Fasz. 1, Nr. 12b III, fol. 27v. Vgl. hierzu IV.5.3.1.3. mit dem Hinweis auf TLA, Landschaftliches Archiv, Landschaftliche Landtagsakten, Fasz. 1, Nr. 12b/II, fol. 33v, 1573 (ohne nähere Datierung). 1210 ��������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. nur die Anregung der Stände zum 7. Titel des 7. Buchs, die Beherbergung von Zigeunern unter Strafe zu stellen (TLA, Landschaftliche Landtagsakten, Fasz. 1, Nr. 12b III, fol. 28r), die ebenfalls wörtlich übernommen wurde. Die Policeyordnung bietet auch entsprechende Beispiele: Die Anregung eines Zusatzes zum 11. Titel (ebd., fol. 29r) wurde ebenso übernommen wie der Vorschlag, im Rahmen der Kleiderordnung klarzustellen, welche Vorschriften für die Bediensteten der Kammer und der Regierung und deren Ehefrauen gelten sollten (ebd., fol. 30r, und der korrelierende Tit. 4, Abs. 3 der Policeyordnung), ferner die Umschreibung eines verbotenen wucherischen Umgehungsgeschäftes (ebd., fol. 30v und Tit. 19 der Policeyordnung), die Aufnahme der Bestimmungen gegen die „Fürdinger“ (ebd., fol. 31r–32r und Tit. 25 der Policeyordnung) und der Pflicht zur halbjährlichen Visitation der Ingehäusen (ebd., fol. 33v, und Tit. 25, letzter Satz, der Policeyordnung). 1211 TLO 1573, Buch 1, Tit. 8: Der Zuwiderhandelnde sollte demnach durch die höher Oberkait / wie sich gebürt und von alters herkumen gestrafft werden. Ob mit „höherer Obrigkeit“ die Regierung oder der Landeshauptmann gemeint war, ergab sich im Einzelfall. 1208 1209
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Kompetenz der Gerichte festschrieb, fand sich die Bestimmung, dass es dem Landesfürsten frei stünde, yederzeit auf menigchlichs anrueffen in allen sachen, die er für redlich unnd ehehafft erkhennen würde, comissari und alle pillichait zu verordnen. Eine solche Bestimmung hätte bei wörtlicher Interpretation in der Tat jedweden Eingriff des Landesfürsten in die Gerichtsbarkeit aller Instanzen abgedeckt. Als einziges Erfordernis wurde angeführt, dass er nicht aus eigenem Antrieb, sondern nur auf menigchlichs anrueffen tätig werden dürfte. Gegen diese Passage im 17. Titel des 2. Buchs verwahrte sich die ständische Stellungnahme unter Verweis auf das durch die Lan desfreiheiten abgesicherte Recht auf den gesetzlichen Richter.1212 Die Landschaft äußerte den Wunsch, dass die Entsendung einer Kommission durch den Landesfürsten in partheyensachen, so sonnsten für ir ordenlich gericht [...] güetlich oder rechtlich abzuhanndlen unnd zu verrichten gebürt, nur unter sehr restringierten Voraussetzungen möglich sein dürfe (in concreto müssten Zweifel an der Unbefangenheit der Erstinstanz geltend gemacht und diese Zweifel als erheblich anerkannt werden und zudem der Landeshauptmann und die Regierung die Einsetzung einer Kommission verweigern). Diesem Vorschlag wurde seitens der Räte nicht entsprochen. Allerdings wollten sie auch nicht eine wenig zuträgliche Debatte entzünden. Die Endfassung der Tiroler Landesordnung von 1573 verzichtet demnach einfach auf die Um schreibung der rechtlichen Voraussetzungen für die Entsendung von Kommissionen durch den Landesfürsten, setzt deren Existenz jedoch als selbstverständlich voraus. Buch 2, Titel 17 weist nur mehr aus, dass der Prozess vor einer Kommission (Wo aber in ainer Sach / aus Redlichen Eehafften ursachen / ain Commission verordent wurde) nach denselben Vorschriften abzuwickeln sei wie vor dem ordenlichen gericht. Welche Voraussetzungen konkret gegeben sein mussten, wurde bewusst ausgespart, die ein schlägigen ständischen Wünsche fanden bezeichnenderweise keine Beachtung. Das angeführte Beispiel untermauert im Übrigen nochmals die „Interessentheorie“, wonach das Ausmaß der Berücksichtigung landständischer Partizipationsrechte am Gesetzgebungsprozess maßgeblich von der Frage abhing, ob entgegenlaufende landesfürstliche Interessen tangiert waren. Die bewusste Schaffung einer Rechtslücke zeigt sich auch im Gefolge der Diskussion über die Frage des Gerichtsstands der landesfürstlichen Diener und Amtleute. Diese konnte ebenfalls auf eine längere Vorgeschichte zurückblicken und betraf gleichermaßen den 17. Titel des 2. Buchs. Der Entwurf hatte vorgesehen, dass deren ausschließlicher Gerichtsstand vor der Regierung in Innsbruck sein sollte, wobei Ausnahmen nur für Rechtsstreitigkeiten über unbewegliche Güter (forum rei sitae) und für Malefizfälle (Zuständigkeit des Landgerichts) gelten sollten. Mit Verweis auf die alten gueten gewonhaiten unnd heerkhomen protestierten die ständischen Ausschüsse gegen diese Bevorzugung der Amtleute, die bisher außer bei ihre Dienstverrichtung betreffenden Angelegenheiten stets der Jurisdiktionsgewalt der erstinstanzlichen Gerichte unterworfen gewesen seien. Wenn Amtleute nun selbst TLA, Landschaftliche Landtagsakten, Fasz. 1, Nr. 12b/III, fol. 17v.
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in Prozessen, die in keinem Zusammenhang mit ihrem Dienst stünden und nur ire personen oder aigenthum unnd privathänndl antreffen, ihren Gerichtsstand vor der Regierung hätten, würde dies für ihre Prozessgegner eine unerträgliche Erschwernis ergeben, ganz abgesehen von der dadurch bewirkten Schmälerung der Kompetenzen der bisher zuständigen Instanzen.1213 Die beteiligten Räte setzten sich in ihren Diskussionen intensiv mit diesem Problem auseinander, wobei grundsätzlich am bevorzugten Gerichtsstand für in landesfürstlichen Diensten stehende Personen festgehalten wurde. In der gedruckten Endredaktion wurde gleichwohl die von der Landschaft bemängelte Passage ausgelassen. 7. 5. 2. 3. 3. Rechtsvergleichung Ein gar nicht zu unterschätzender Stellenwert bei der Vorbereitung der Landesund Policeyordnung von 1573 kommt zudem dem Rechtsvergleich zu. Dieses Phänomen ist keineswegs auf dieses eine große Gesetzgebungsvorhaben beschränkt. Die konsequente Heranziehung und Berücksichtigung ausländischer Vorlagen erscheint im 16. und 17. Jahrhundert vielmehr als Konstante des Gesetzgebungsprozesses, wobei man nicht nur zufällig zur Kenntnis der Regierung gelangte ausländische Gesetzgebungsakte berücksichtigte, sondern aktiv nach potentiellen Vorlagen und Beispielen suchte.1214 Bezugsraum war dabei normalerweise primär der oberdeutsche Raum und signifikant weniger die anderen österreichischen Erbländer. Insofern war die Vorbereitung der Policeyordnung von 1573, die u. a. (aber nicht ausschließlich) von einer Beeinflussung durch die niederösterreichische Policeyordnung von 1552 bzw. 1568 geprägt ist,1215 eine Ausnahmeerscheinung. Das Faktum der Einarbeitung der niederösterreichischen Ordnung ist dabei nicht ausschließlich auf deren Qualität zurückzuführen, sondern nimmt wohl bis zu einem gewissen Maß auf politische Wünsche Rücksicht. Schließlich war es gerade Ferdinand I. gewesen, der die Tiroler Stände seit den beginnenden vierziger Jahren für eine Rezeption der niederösterreichischen Policeyordnung gewinnen wollte, was den unter Erzherzog Ferdinand II. handelnden Räten sicherlich noch im Gedächtnis war. Festzuhalten bleibt jedoch, dass sich unter Ferdinand II. keinerlei entsprechende Tendenzen zeigen. Insbesondere der Erzherzog selbst lässt in keiner einzigen Äußerung erkennen oder nur erahnen, dass ihm eine stärkere Berücksichtigung just der niederösterreichischen Policeyordnung ein besonderes Anliegen wäre (sei es aus TLA, Landschaftliche Landtagsakten, Fasz. 1, Nr. 12b III, fol. 22r–22v. Vgl. hierzu Kap. VI.5.4. 1215 Hierzu Thiel, Handwerkerordnung, 1909, S. 35-36; Brauneder, Gehalt der österreichischen Policeyordnungen, 1994 (erstmals 1976), S. 474; zur Policeyordnung für Österreich ob und unter der Enns, die bei den Konsultationen in Tirol nachweislich herangezogen wurde, vgl. Pauser, Maximilian II. und die Landstände, 2002, S. 36–37. Zum Verhältnis der Ordnung von 1568 zu jenen von 1552 und 1566 ebd., S. 53. 1213 1214
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Gründen der „Rechtsvereinheitlichung“ oder des dynastischen Zusammenhalts). Auch im Zuge der Verhandlungen zwischen den Räten selbst lässt sich nicht ausmachen, dass der niederösterreichischen Ordnung unter den anderen Vorlagen eine besonders hervorgehobene Stellung zugekommen wäre. Bei den Verhandlungen im April 1569 wurde beispielsweise zunächst nur auf die Reichspoliceyordnung und auf die in einigen Reichsstädten geltenden Regelungskomplexe, nicht jedoch auf die niederösterreichische Policeyordnung rekurriert.1216 Geradezu exemplarisch zeigt sich das rechtsvergleichende, unterschiedliche Vorlagen in die Diskussion über die beste rechtliche Lösung miteinbeziehende Verfahren in der zweiten Augusthälfte des Jahres 1570.1217 Bei jeder zu normierenden Materie wird jeweils referiert, welche Lösung jeweils die Reichspoliceyordnung, die bayerische Landesordnung und die niederösterreichische Policeyordnung anbieten. Des Weiteren werden allenfalls bereits vorhandene Regelungen der Tiroler Landesordnung von 1532 oder früherer Einzelgesetzgebungsakte mit ins Kalkül gezogen. Greifen wir das Beispiel der Kleiderordnung heraus, wo am 26. August 1570 der Landeshauptmann zunächst die Regelung der Reichspoliceyordnung darlegte, der Kanzler jene der niederösterreichischen Policeyordnung, von der ausgehend sich anschließend die Diskussion entwickelte; bei der anschließend erörterten Beschränkung des Aufwands bei Hochzeitsfeiern dominierte hingegen die Bezugnahme auf die bayerische Landesordnung, wobei immerhin Hans Römer für die Übernahme des niederösterreichischen Vorbilds unter Berücksichtigung der bisher ergangenen Tiroler Mandate plädierte. Die Entscheidung im Gremium selbst fiel jeweils durch Majoritätsvotum. Diese Vorgehensweise zeigt, dass die Klassifikation der Tiroler Policeyordnung als Ableger der niederösterreichischen Policeyordnung von 1552 bzw. 1568 nur einen (und keineswegs den dominierenden) Aspekt des Entstehungsprozesses der Tiroler Ordnung zu verdeutlichen imstande ist.1218 7. 5. 2. 3. 4. Bisherige Tiroler Gesetzgebung Die soeben angeführten Beispiele ergeben übrigens den wenig überraschenden Befund, dass selbstverständlich auch eine allenfalls bereits in der Tiroler Landesord-
Vgl. z. B. die Debatte über TLO 1532, Buch 6, Tit. 6–12, und den entsprechenden Hinweis des Landeshauptmanns auf reichsstädtische Regelungen (TLA, Ferdinandea, Karton 165, Pos. 165 (unfol., unpag.), 1569 April 21); bei der Diskussion über TLO 1532, Buch 8, Tit. 40, wird zu Vergleichszwecken auf die Reichsordnung (d. h. die Reichspoliceyordnung) verwiesen (ebd., 1569 April 23). 1217 Vgl. TLA, Ferdinandea, Karton 165, Pos. 165 (unfol., unpag.), 1570 Aug. 25 bis 28. 1218 Vgl. die Grafik bei Brauneder, Gehalt der österreichischen Polizeiordnungen, 1994 (erstmals 1976), S. 475; auf diese Grafik verweist auch Brauneder, Strafrecht, 1994, S. 489 (erstmals 1988; dort ebd., S. 1, auch nochmalige Abbildung der entsprechenden Grafik). 1216
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nung von 1532 enthaltene gesetzliche Regelung und die seit 1532 erlassenen Gesetzgebungsakte in der Diskussion eine erhebliche Rolle spielten. Über das Verhältnis von Einzelgesetzgebung, Sonderordnungen und Landesordnungen wurde bereits an anderer Stelle gesprochen, so dass hier keine Darlegung in extenso mehr notwendig ist.1219 Überaus häufig wurde jedenfalls während der Debatten im Vorfeld der Landes- und Policeyordnung von 1573 von Anwesenden auf zwischenzeitlich ergangene, die Vorschriften der Tiroler Landesordnung von 1532 präzisierende Einzelgesetzgebungsakte verwiesen.1220 Fallweise wurden diese in der Folge in den Text der Reformation inseriert, wobei man ein durchaus differenziertes Vorgehen an den Tag legte. Rechtstechnisch war es zumeist notwendig, von den als Vorlage dienenden Mandaten allain di disposition und substanz und nit den ganzen inhalt zu inserieren.1221 Wenn beispielsweise die sehr kurze Regelung des 8. Titels des 1. Buches der Landesordnung von 1532, die eine weitgehende Entlastung der Regierung von den überhand nehmenden Supplikationen intendierte, 1573 durch eine überaus umfangreiche und detaillierte Norm ersetzt wurde, so geschah dies in Übernahme eines 1561 ergangenen Mandats.1222 Während dementsprechend bei einigen Titeln zumindest die Dispositio bereits vorhandener Mandate oder auch ganzer Sonderordnungen übernommen wurde – Letzteres trifft beispielsweise auf die Müllerordnung zu1223 –, wurde bei anderen Materien ganz bewusst der Weg beschritten, nur die grundsätzliche Regelung in die Landesordnung aufzunehmen und den zu erlassenden Mandaten die auf die aktuellen Erfordernisse flexibel reagierende Ausführungsgesetzgebung zu überlassen.1224 7. 5. 2. 3. 5. Präjudizien Beachtung im Zuge der Kodifikationsarbeiten, freilich in quantitativ bescheidenem Ausmaß, fanden außerdem Präjudizien und historische Entwicklungslinien. Präjudizien finden nur zweimal ausdrückliche Erwähnung und dies bezeichnenderweise Vgl. hierzu Kap. III.2.3.4. Vgl. z. B. TLA, Ferdinandea, Karton 165, Pos. 165 (unfol., unpag.), 1569 April 22, wo der Landeshauptmann nicht nur die Inserierung der Müllerordnung vorschlug, sondern wo auch bei der Besprechung von TLO 1532, Buch 6, Tit. 1, 2, 3 auf frühere Mandate verwiesen wurde; ebenso war die Vorgehensweise ebd., 1569 April 23, bei Besprechung von TLO 1532, Buch 8, Tit. 40. 1221 ������������������������������������������������������������������������������������������ So die Feststellung anlässlich der Beratungen zu TLO 1532, Buch 1, Tit. 17 (TLA, Ferdinandea, Karton 165, Pos. 165, 1572 März 12). 1222 Vgl. TLA, CD 1561, fol. 558, 1561 Aug. 26 (Mandat und verpot, das die unnderthonen ain regierung zu Ynsprugg mit irem suppliciern vor ersuechung aines yedes obrigkhait nit überlauffen sollen). 1223 Vgl. TLA, Buch Tirol, Bd. 6, fol. 92, 1550 Febr. 25; ebd., Bd. 7, fol. 271, 1557 Febr. 10. Die Müllerordnung ersetzte die Titel 38 bis 44 des 6. Buchs der Tiroler Landesordnung von 1532. 1224 Vgl. hierzu Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007, S. 181. 1219 1220
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bei zwei besonders bedeutungsschweren bzw. im Vorfeld besonders umstrittenen Titeln. Die Frage der Rechtsquellenqualität der Präjudizien wurde in diesem Zusammenhang nicht erläutert.1225 Sie dienten ausschließlich als Hilfsmittel zur Feststellung der Rechtslage und der den Wortlaut der Landesordnung von 1532 ergänzenden Rechtsgewohnheiten. Besonders markant zeigt sich dies bei der Erörterung des 7. Titels des 5. Buchs der Tiroler Landesordnung von 1532, der die überaus brisante Frage behandelt, in welcher Konstellation ein zu Erbrecht verliehener Grund vom Baumann an den Grundherrn zurückfällt. Im dritten Absatz des betreffenden Titels wird festgehalten, dass kain Bawmann / seines herren Gue tter / daraus Er Zinsen ist / ainem anndern Affterpawmann / nicht hinlassen oder verleihen / auf Jar noch auf Ewigkait / on seines Herren wissen und willen könne, widrigenfalls das Rechtsgeschäft nicht nur nichtig sei, sondern zudem der Baumann von allen seinen Rechten geschaiden sein solle. Im Zuge der Beratungen im Vorfeld der Landesordnung1226 wurde hier freilich auf die vorhandene Rechtsprechung sowohl des Adeligen Hofrechts als auch der Regierung hingewiesen (wobei Letztere erwiesenermaßen dem Urteil des Hofrechts gefolgt war1227). Im Gefolge des (nicht überlieferten) Rechts streits Baumgartner contra Liechtenstein, in dessen Verlauf der 7. Titel des 5. Buchs hoch disputiert worden war, erging eine declaration im hofrecht, die den 7. Titel in Übereinstimmung mit dem Landsbrauch auszulegen vorgab und der sich im Jahr 1560 auch die Regierung anschloss (ob hier tatsächlich eine richterliche Rechtsfortbildung vorliegt oder einer Rechtsgewohnheit gefolgt wurde, lässt sich rückblickend nach derzeitigem Kenntnisstand nicht entscheiden). Diese declaration war für den Baumann deutlich günstiger. Die Vergabe von Grund durch den Baumann nach Erbrecht an einen Afterbaumann, ebenso die Vergabe auf eine Dauer von zehn Jahren oder länger erforderten nach Ausweis der declaration zwar eine Genehmigung durch den Grundherrn. Unabhängig vom Vorliegen einer grundherrlichen Erlaubnis gestattet blieb gleichwohl, dass der Baumann seine Pawrecht / gar oder zum tail / ainem anndern [...] umb ainen Zinnß / bestanndsweise von jar zu jar / oder auf etliche / doch under zehen Jaren hinlasst. Diese für den Baumann deutlich günstigere declaration des Bozner Hofrechts fand schließlich auch wörtlich Eingang in die reformierte Tiroler Landesordnung von 1573, wie dies im Übrigen die Vertreter der Gerichte gefordert hatten. Diese Lösung war durchaus auf Widerstand gestoßen. Khuen von Belasi hatte sich prononciert gegen eine Änderung ausgesprochen, wohingegen die Mehrheit der Räte der Meinung des Landeshauptmanns gefolgt war, wonach man von der declaration des Hofrechts nicht abgehen solle, damit der gmain man nit beschwerdt werde.1228
Vgl. hierzu nunmehr Seif, Richterrecht und Präjudizienbindung, 2006. TLA, Ferdinandea, Karton 165, Pos. 165, 1569 April 20. 1227 Vgl. nur TLA, BT, Bd. 8, fol. 145v–146v, 1560 Dez. 4. 1228 TLA, Ferdinandea, Karton 165, Pos. 165, 1569 April 20. 1225 1226
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Erwähnung finden Präjudizien überdies bei der Diskussion der Titel 18 und 19 des 3. Buchs der Tiroler Landesordnung von 1532, deren Auslegung und Inhalt ohnehin seit den fünfziger Jahren des 16. Jahrhunderts sehr umstritten waren.1229 Da hier jedoch Auslegungsdifferenzen (und daher eine uneinheitliche Rechtsprechung) zwischen dem Hofrecht und der Regierung herrschten, trug die Zusammenstellung einiger Urteile nicht zur Klärung der Rechtslage bei. Dass im Vorfeld der Beratungen umfangreichere, über die Eruierung von Präjudizien hinausgehende Nachforschungen in der Registratur angestellt wurden, ist nur äußerst selten belegt. Wenig überraschend geschah auch dies nur bei Artikeln, denen eine gewisse Sprengkraft innewohnte bzw. die schon zuvor umstritten gewesen waren. Als sich die Räte im August 1573 über die Frage Gedanken machten, ob die Möglichkeit einer Appellation vom Adeligen Hofrecht an die Regierung in das zweite Buch aufgenommen werden sollte, konsultierte man die Registraturen und Archive. Zur Klärung dieser zuvor und danach überaus umstrittenen Frage sei vill daran gelegen, den ursprung des Hofrechts zu finden. Die Recherchen führten jedoch nicht weiter, da Aufzeichnungen erst ab 1523 vorlägen, so dass die wenig ergiebige Feststellung übrig blieb, dass es das Hofrecht seit uralten jaren gebe.1230 Historische Argumente wurden überdies ins Treffen geführt, als in Reaktion auf die (durchaus nicht exzeptionelle) ständische Forderung, primär Landleute zu Räten zu ernennen, die personelle Zusammensetzung der Regierung besprochen wurde. Den Rat als Organ glaubte man bis in die Zeit Herzog Friedrichs IV. zurückverfolgen zu können, wobei der Landesfürst nie gehindert worden sei, auch Landfremde in sein Ratsgremium zu berufen.1231 7. 5. 2. 3. 6. Implementationschancen Noch ein Aspekt spielte bei den Beratungen über die Landes- und Policeyordnung im Kreise der landesfürstlichen Räte eine erhebliche Rolle: die Frage der Anwendund Durchsetzbarkeit der anvisierten Regelungen, wobei dies insbesondere bei policeyrechtlichen Bestimmungen immer wieder thematisiert wurde. Die beteiligten Räte bedachten die einer Implementation entgegenstehenden Hindernisse regelmäßig mit. Dabei trat namentlich der Regimentskanzler Dr. Christoph Klöckler häufig mit einschlägigen Diskussionsbeiträgen hervor. Als die potentielle Übernahme der Wirtsordnung von 15681232 in die Landesordnung besprochen wurde, war der Kommentar des Kanzlers lapidar, er halt unnot TLA, Ferdinandea, Karton 165, Pos. 165, 1573 Aug. 12. ������������������������������������������������������������������������������������������ Dies zeigt, dass man nur die (eben 1523 einsetzende) Kopialbuchreihe der Regierung konsultiert hatte, nicht aber ältere Quellenbestände. 1231 TLA, Ferdinandea, Karton 165, Pos. 165, 1573 Aug. 5. 1232 TLA, BT, Bd. 9, fol. 454, 1568 Dez. (keine nähere Datierung; Parallelüberlieferung in TLMF, FB 6197, Nr. 44; Mandat, wie die wiert den gössten die malczeiten, auch fueter und 1229 1230
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ordnung einzeseczen, man khan’s doch nit halten, wobei er mit seinen Bedenken von Wolkenstein sekundiert wurde. Dieser trag sorg, wirdt di ordnung hart erhalten.1233 Dass die Vereinheitlichung der Maße und Gewichte ein auf breiter Front geteiltes und angestrebtes Ziel war, wurde bereits erwähnt. Gerade hier hatte jedoch eine jahrzehntelange Erfahrung gezeigt, dass die Verwirklichung dieses legislativen Vorhabens in der Praxis auf unüberwindbar scheinende Hindernisse stieß. Bei der Debatte über den 1. Titel des 6. Buchs der Tiroler Landesordnung von 1532 konnten demnach Überlegungen nicht ausbleiben, wie man’s anordnen bzw. wie es in die execution gelegt werden möchte,1234 ohne dass man sich auf zielführende Strategien hätte einigen können. Bei der Debatte über die Bestimmungen der Landesordnung, die den Besitz und das Führen von Schusswaffen regelten,1235 trat wiederum der Re gimentskanzler mit skeptischen Wortmeldungen hervor. Ein generelles Büchsenverbot werde sich nit thuen lassen. Er plädierte sogar für einen völligen Verzicht auf entsprechende Normen, eben weil sich’s nit thuen lasst (diese von ihm in leicht variierter Form öfter gebrauchte Redewendung scheint allein bei der Erörterung dieser Titel drei Mal auf ). Damit setzte er sich jedoch nicht durch. Der Kanzler war es überdies, der die Fürkaufbestimmungen der niederösterreichischen Policeyordnung als für Tirol inadäquat verworfen hatte. Diese würden sich hie nit lassen thuen.1236 Diese exemplarisch herausgegriffenen Beispiele illustrieren vor allem, dass die Landes- und Policeyordnung alles andere als ein am sprichwörtlichen grünen Tisch entstandenes Werk war. Gerade die an den Verhandlungen führend beteiligten Regierungsräte, zu deren Alltagsgeschäft als oberster Verwaltungsbehörde der oberösterreichischen Ländergruppe die Überwachung und Steuerung der Rechts implementation gehörte, konnten sicherlich mit großer Treffsicherheit die Durchsetzungschancen einzelner Titel und den zur Zielerreichung allenfalls notwendigen Verwaltungsaufwand abschätzen. 7. 5. 2. 3. 7. Gelehrtes Recht Diese Prägung der mit den Vorbereitungsarbeiten befassten Räte durch die Verwaltungs- und Rechtsprechungspraxis scheint sogar größer gewesen zu sein als die Prägung durch das gelehrte Recht. Einen solchen Schluss legen jedenfalls die Durchsicht und die Auswertung der Beratungsprotokolle nahe. Hält man sich die rechtswissenschaftliche Ausbildung vieler der beteiligten Räte vor Augen, ist es stalmüet geben und rechnen, item das inen die wein geschäczt werden sollen und abstellung der grossen hochzeiten, tayl- und kindlpethmäler, auch winckhlwiert). 1233 TLA, Ferdinandea, Karton 165, Pos. 165, 1570 Aug. 26. 1234 TLA, Ferdinandea, Karton 165, Pos. 165, 1569 April 21. 1235 TLO 1532, Buch 7, Tit. 3–4; vgl. die Debatte in TLA, Ferdinandea, Karton 165, Pos. 165, 1569 April 22. 1236 TLA, Ferdinandea, Karton 165, Pos. 165, 1570 Aug. 26.
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zweifellos frappierend zu sehen, welch geringes Gewicht dem gelehrten Recht in den Diskussionen zukommt.1237 Dass konkret auf das römische oder kanonische Recht rekurriert wird, lässt sich überhaupt nicht nachweisen, wenngleich die rechts wissenschaftliche Ausbildung gleichwohl immer wieder in einzelnen Wortmeldungen durchschimmert.1238 Selbst sehr summarische Verweise auf das gemeine oder kanonische Recht muss man gleichsam mit der Lupe suchen. Am substantiiertesten ist noch die Wortmeldung zum 8. Titel des 5. Buchs der Tiroler Landesordnung von 1532, ob die dort erwähnten Verwandtschaftsgrade nach den geistlichen oder weltlichen rechten bestimmt werden sollten.1239 Bei den schon in den Jahrzehnten zuvor immer wieder aufflammenden Diskussionen über die Wucherbestimmungen wurde mehrmals auf das dabei zu beachtende „göttliche Recht“ verwiesen.1240 Den Regimentsadvokaten war im Übrigen bereits 1561 aufgetragen worden, einen Entwurf des den Wucher behandelnden Titels der Landesordnung anzufertigen. Da sie dieser Aufgabe bis 1568 nicht nachgekommen waren, wurde dieser von der Regierung nochmals eingemahnt.1241 Angesichts dieses den Verhandlungsprotokollen zu entnehmenden Befunds, dass das gelehrte Recht in den Diskussionen offensichtlich keine signifikante Rolle spielte, überrascht es nicht, dass von einer stärkeren Romanisierung der Tiroler Landesordnung von 1573 im Vergleich zu jener von 1532 nicht die Rede sein kann.1242
����������������������������������������������������������������������������������� Vgl. demgegenüber die Situation im benachbarten Bayern im Zuge der Arbeiten am bayerischen Landrecht von 1616; hierzu Günter (Hg.), Landrecht, 1969, S. 140–141 und S. 266–268. 1238 So beispielsweise, wenn der Regimentskanzler erläutert: nova lex fangt erst an, wann’s publiciert wirdt (TLA, Ferdinandea, Karton 165, Pos. 165, 1572 Dez. 18). 1239 TLA, Ferdinandea, Karton 165, Pos. 165, 1569 April 20. 1240 Vgl. z. B. TLA, Ferdinandea, Karton 165, Pos. 165, 1572 Juli 28, wo der Kanzler dezidiert feststellt: Wider Gots recht kan man nichts zuelassen. Deutlich differenzierter seine Wortmeldung ebd., 1570 Aug. 26: Wenn man allen Geldverleih verbieten wollte, würden gleichermaßen Schuldner und Gläubiger aufschreien; würde man den Wucher jedoch hingeen lassen, reichte es dem Land zum Verderben. Wann ir D. wollte ain saczung furnemen, müesst es den rechten gemeß sein und kain milterung darinn zuelassen: nit in des fürsten, pabst, auch kaisers macht: der wuecher nit weniger ain diebstal ist. 1241 Vgl. TLA, BT, Bd. 9, fol. 369, 1568 Febr. 6. 1242 Vgl. Blickle, Landschaften, 1973, S. 225; Sartori-Montecroce, Reception, 1902, S. 62–63. Ebd. auch Ausführungen über die sonstigen inhaltlichen Veränderungen im Vergleich zu 1573. Einen umfassenden Textvergleich bietet auch schon Rapp, Statutenwesen, II. Teil, 1829, S. 98–101. 1237
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7. 6. Pläne zur Reform der Tiroler Landesordnung bis 1740 7. 6. 1. Reformbestrebungen unter Leopold V. und Claudia de’ Medici Die nach 1573 geführten Diskussionen über eine neuerliche Reformation sowohl der Tiroler Landes- als auch der Policeyordnung wurden bislang von der Forschung stets nur kurz und en passant erwähnt.1243 Der Grund für das weitgehende Ausblenden dieser Reformdiskurse durch die Wissenschaft liegt in deren Ergebnislosigkeit. Trotzdem wurden entsprechende Pläne bis 1740 periodisch immer wieder ventiliert und gediehen streckenweise zu intensiven Vorarbeiten. 1603 blieben Reformdiskussionen noch völlig aus. Damals war es unter Maximilian III. zu einer Neuauflage der Tiroler Landes- und Policeyordnung gekommen, ohne dass die Gelegenheit des Neudrucks zu einer inhaltlichen Überarbeitung der Kodifikation benutzt worden wäre. Erstmals angedacht wurde eine neuerliche Reformation in einem Schreiben Maximilians III. an die Regierung und die Kammer aus dem Jahr 1616, in dem der Erzherzog auf die auf dem Landtag 1613 ventilierten Landtagsgravamina einging. Damals waren seitens der Stände Preissteigerungen bei Eisen, Flachs und Wachs moniert worden.1244 Deputierte der Kammer und der Regierung hatten daraufhin auf Abhilfe gesonnen und dem Landesfürsten diverse Maßnahmen vorgeschlagen.1245 Diese zielten sowohl auf eine legistische Verbesserung als auch auf eine optimierte Implementation der bereits existierenden Policeynormen ab und fanden grundsätzlich die Zustimmung Maximilians III. Er betonte in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit einer effektiven Normdurchsetzung. Denn würden nur einmal die hailsame mandata, bevelch und landsordnung observiert, könnten hierdurch gleichsam die maiste und fürnembste sowohl jetzt als anvor vast bei allen landtägen fürkomne gravamina und beschwerden genzlich aufgehebt und abgelegt werden. Von dieser Feststellung erfolgte der Brückenschlag zum Projekt einer Reformation der Landes- und Policeyordnung. Dieses sollte auf dem nächsten Landtag erörtert und zwischenzeitlich zur Vorbereitung dem kleinen ständischen Ausschuss unterbreitet werden.1246 Hierzu kam es offensichtlich nicht. Es existieren keine Quellenbelege, dass der ständische Ausschuss mit diesem Vorhaben befasst worden wäre, und der Tod Maximilians III. setzte derartigen Plänen, so sie überhaupt noch präsent waren, ein Ende. Aktuell wurde die Frage erst 1626. Ab diesem Zeitpunkt sollte sie freilich für Jahrzehnte eine viel diskutierte Konstante der Innenpolitik werden. Es war Erzherzog Leopold V., der die Idee am 9. Mai 1626 in die Landtagsdiskussionen einbrach-
Vgl. nur Weiss, Claudia de’ Medici, 2004, S. 148. Vgl. TLA, LLTA, Fasz. 12, Bund 12, Landtag 1613, Generalgravamina. 1245 TLA, AfD 1614, fol. 593v–619r, 1614 Okt. 23. 1246 Vgl. TLA, LLTA, Fasz. 12, Bund 3, 1616 Juni 3. 1243 1244
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te.1247 In den vorangegangenen Wochen findet sich freilich im behördeninternen Schriftverkehr keine Spur entsprechender Überlegungen. Dies legt den Schluss auf eine relativ kurzfristige Einführung dieses Gegenstandes in die Landtagsverhandlungen nahe. Plausibel wäre es, in diesem Schritt eine Reaktion auf die am 7. Mai 1626 von den Ständen vorgelegten Gravamina zu sehen, in denen unter anderem die unbefriedigende Behandlung der auf früheren Landtagen vorgebrachten, vor allem das Rechtswesen und die Policeymaterien betreffenden ständischen Beschwerden bemängelt wurde.1248 Hierauf geht Leopold V. nicht konkret ein. Indem er jedoch eine allgemeine Reformation der Landes- und Policeyordnung in den Raum stellt, gelingt es ihm, die Diskussion auf dem Landtag von den einzelnen Beschwerdepunkten wegzuführen und auf eine allgemeinere Ebene zu heben. Die Gravamina der Stände konnten so kanalisiert werden. Im Einzelnen führt Leopold V. aus, dass zahlreiche Titel der Landesordnung in den verschiedenen Gerichten ungleich geüebt würden. Die Bestimmungen seien theils zu kuerz angeregt, derntwegen mehrer erleiterung, außfier- undt verpesserung betirfftig. Deshalb wurde ein Gutachten der Stände angefordert, wie die Landes- und Policeyordnung verbessert werden könnte.1249 Besonders hervorgehoben wurde die Notwendigkeit einer Aufwands- und Luxusbeschränkung bei Bewirtungen, Hochzeiten und Kleidern und einer verstärkten Berücksichtigung der Strafbemessungsgründe im Malefizprozess.1250 Die landesfürstliche Strategie ging auf, indem die Diskussionen in der Folge in der Tat von den Beschwerden weg auf diese neuen Themen gelenkt wurden. Das Vorhaben wurde von den Landständen grundsätzlich auch begrüßt, die vorbereitenden Arbeiten oblägen ihrer Ansicht nach jedoch der Regierung und der Kammer, als die darumben pösste erfarung und wissenschafft tragen miessen.1251 In der Folge einigte man sich auf die Konstituierung einer Gesetzgebungskommission, die vom Geheimen Rat, von der Regierung und der Kammer einerseits und von den Landständen andererseits beschickt werden sollte.1252 Die Landschaft benannte sogleich ihre Vertreter, wobei die fehlende Vertretung des Prälatenstandes und die Absenz von Gesandten der beiden Hochstifte (namentlich von Brixen) auffallen. TLA, VdL, Bd. 12, S. 398–408, hier S. 404, 1626 Mai 9 (Parallelüberlieferung in TLA, VdL, Bd. 16, Teil 3, fol. 33v–34r). 1248 TLA, VdL; Bd. 12, S. 382–396, 1626 Mai 7 (Parallelüberlieferung in TLA, LLTA, Fasz. 13, Bund 4). 1249 TLA, VdL; Bd. 12, S. 398–408, hier S. 404, 1626 Mai 9. 1250 TLA, VdL; Bd. 12, S. 398–408, hier S. 406, 1626 Mai 9: Seitemahlen auch bey den lantgerichten undt criminalprozessen merfeltige beschwerligkeiten undt mißordnung verspirt, indeme bißweillen auf die plosse facta unndt thaten gesehen, di erwegliche circumstantien undt umbstendt aber nit erwogen, weshalb ungleiche absolutiones oder condemnationes firlauffen, praecise auf den buchstab undt inhalt der landtßordnung gesehen, undt was darinnen außtruckhlich nit befunden durch die gemeine beysitzer in geringe berathschlagung genomen, noch der rechtsgelerten bedenckhen darüber eingeholt werden. 1251 TLA, VdL, Bd. 16, Teil 3, fol. 50v–51v, Zitat fol. 51v, 1626 Mai 22. 1252 TLA, VdL, Bd. 16, Teil 3, fol. 59, 1626 Mai 25. 1247
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Der Landeshauptmann Jakob Andrä von Brandis und Hans Georg Khuen (alternativ Ehrenreich von Trauttmansdorff ) waren Gesandte des Adelsstandes, Hans Kaufmann von Meran und Georg Miller jene der Städte und Paul Franzin und der Richter von Rodeneck Kaspar Remich jene der Gerichte.1253 Seitens des Geheimen Rats, der Regierung und der Kammer waren Berchtold von Wolkenstein, Melchior Grebmer, Dr. Matthias Burgklechner sowie Karl und Ferdinand Fieger nominiert.1254 Obwohl auf dem im Mai 1626 abgehaltenen Landtag bereits über konkrete Termine für die ersten Beratungen diskutiert worden war, zog sich die Angelegenheit in der Folge in die Länge. Dieser Umstand legt ebenfalls die geäußerte Vermutung nahe, dass das Aufbringen dieses Themas nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Dynamik der Landtagsverhandlungen zu sehen ist. Erst mehr als zwei Jahre nach dem Mailandtag 1626 wird das Projekt von Leopold V. relativ unvermittelt wieder aufgegriffen, wobei vor der Durchführung von Beratungen zunächst Berichte und Gutachten der fürnembsten oberkhaiten eingeholt werden sollten.1255 Die entsprechenden Aufträge wurden im Januar 1629 erteilt,1256 bevor die Sache neuerlich aus dem Blick geriet. Weder die Zentralbehörden noch die Stände verfolgten die Reformation mit Elan. Der Eindruck, dass beiden Seiten nicht sonderlich viel an substanziellen Fortschritten lag, wird durch die Ereignisse auf dem ständischen Ausschusskongress im November 1629 bekräftigt. Einen eigenen Verhandlungspunkt stellten die Überarbeitungspläne nicht dar, vielmehr wurden sie erst in der landesfürstlichen Triplik und somit zu einem re-
TLA, VdL, Bd. 16, Teil 3, fol. 66v–67r, 1626 Mai 28. TLA, VdL, Bd. 16, Teil 3, fol. 108r, 1626 Juni 10. 1255 TLA, VfD 1628, fol. 679r–680r, 1628 Okt. 14. 1256 TLA, BT, Bd. 19, fol. 412r–413r, 1629 Jan. 18: [...]: Demnach bey jüngst erhaltenen landtag und darundter gepflognen consultationes neben andern vorgefallenen nottwendigkhaiten auch dise befunden worden, daß nach gestaltsame der zeit und leüff in tyrolischer landt- und polliceyordnung ein reformation und mehrere erleütterung fürzunemmen, vor solch haubtsechlicher deliberation aber und zu deren facilitierung für rathsam angesehen, was in berüerter landt- und policeyordnung zweifelig, nachgedenckglich und zu verbößern oder declarieren sein möchte, die für- und nachgeseczte obrigkhaiten vorhero darüber anzuhören, alß werdet ir mit zueziehung der gerichtßverstendigen selbiger ende diß werckh uneinstellig für handen und nach erforderung der umbstend, puncten und articl in reifflichen bedacht nemen, auch volgents euern bericht mit müglichister befürderung an unns gelangen lassen. Entsprechende Aufträge ergingen an: die Städte Innsbruck, Sterzing und Hall; an Fortunat und Michael von Wolkenstein, Christoph von Welsberg, an den Herrn von Schneeberg, an den Landeshauptmann Hans von Wolkenstein, an Engelhart Dietrich von Wolkenstein sowie an Veit Khünigl. Im Oberinntal wurden die lokalen Obrigkeiten Abraham und Jakob Stöckl, Elias Gfässer, Johann Pinggera und Karl Paldauf, im Unterinntal der Pfleger von Thaur, der Gerichtsverwalter von Rattenberg, der Pflegsverwalter von Schwaz und jener von Rotholz angeschrieben. Die Einbindung des Pflegsverwalters von Rattenberg ist dabei besonders zu bemerken, galt dort doch die Landesordnung gar nicht. Das Fehlen der Städte und Gerichte im südlichen Tirol ist zu relativieren: Hier war der Landeshauptmann für die Einholung der Gutachten zuständig. 1253 1254
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lativ späten Zeitpunkt in die Ausschussdiskussionen eingebracht.1257 Unvermittelt bringt Leopold V. die 1626 getroffene Vereinbarung einer Reformation der Landesund Policeyordnung in Erinnerung, wobei er speziell auf die damals thematisierten Aufwandsbegrenzungen bei Festen und Kleidungen zu sprechen kommt. Dies ist wohl kein Zufall, war doch unmittelbar davor noch von erhöhten Steuerbewilligungen die Rede. Hier zeigt sich ein Konnex, auf den Josef Pauser aufmerksam gemacht hat. Es besteht ein Zusammenhang zwischen Steuerforderungen und Aufwands- und Luxusbeschränkungen, sollte doch das durch entsprechende legislative Maßnahmen verfügbar gehaltene Geld fiskalischen Zwecken dienstbar gemacht werden. Der Kerngedanke lautet somit auf den Punkt gebracht: Finanzielle Ressourcen, die bei Festlichkeiten und Kleidern eingespart werden, kann der Landesherr eher abschöpfen.1258 Dass diese Strategie den Zeitgenossen durchaus bewusst war – dies wird später noch eindeutig nachzuweisen sein –, legt die auffallend zurückhaltende bis ablehnende Antwort der Landstände auf das landesfürstliche Ansinnen nahe.1259 Wenn der Landesfürst darauf bestehe, so die ständische Quadruplik, werde die Landschaft ihren Teil am Reformwerk leisten. Man weist jedoch darauf hin, dass seitens der Städte und Gerichte des südlichen Tirols noch keiner der angeforderten Berichte über wahrgenommene Mängel und Verbesserungsmöglichkeiten eingetroffen sei. Im Übrigen gibt der ständische Ausschuss klar zu erkennen, dass man die Re formation nicht als prioritär ansieht. Auf dem Landtag 1626 habe man schließlich den Erzherzog gebeten, Maßnahmen zur Förderung von Handel und Gewerbe zu ergreifen, doch sei nit zu verspiern, das von denen selben [den Behörden] darynnen yechtewas firgenomen worden, deß doch als ain lanndtnuczliche sachen nit aufzuschieben ist. Der Subtext scheint deutlich: In den Augen der Stände kommt der Wirtschaftsförderung größere Bedeutung zu. Sie weisen die Pläne Leopolds V. zu einer Reformation zwar nicht offen zurück, ihr mangelnder Elan ist allerdings augenscheinlich. Jedoch legten auch die Regierung und der Geheime Rat nicht viel Engagement an den Tag. Wenn die Sache in den folgenden Jahren zur Sprache kam, dann seitens des Erzherzogs. Zweimal erinnerte Leopold V. im Jahr 1630 die Regierung, endlich die Vorarbeiten aufzunehmen und speziell die Enquête bei den lokalen Obrigkeiten ernsthaft voranzutreiben.1260 Zu Jahresbeginn 1632 brachte Leopold seine Überzeugung zum Ausdruck, dass die Regierung nun wohl endlich die notwendigen Vorbereitungsmaßnahmen abgeschlossen haben werde, damit auf dem nächsten Landtag ain entlicher entschluß gefasst werden könne.1261 Rasch hatte die Regierung Ent TLA, VdL, Bd. 16, Teil 4, fol. 65, 1629 Nov. 14. Pauser, Rechtsvereinheitlichungsversuche Ferdinands I., 2008, S. 143–144, 166. 1259 Vgl. zum Folgenden TLA, VdL, Bd. 16, Teil 4, fol. 73r, 1629 Nov. 15. 1260 TLA, VfD 1630, fol. 723v–724r, 1630 Juli 20; ebd., fol. 437, 1630 Sept. 13. 1261 TLA, VfD 1623, fol. 14r, 1632 Jan. 29. 1257 1258
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schuldigungen für ihre bisherige Untätigkeit zur Hand: Die Rückmeldungen aus den erstinstanzlichen Gerichten auf die Aufforderung zur Abgabe von Gutachten und Verbesserungsvorschlägen seien aus ihrem räumlichen Zuständigkeitsbereich bis auf ein bis zwei Ausnahmen ausgeblieben, doch hoffe sie, dass der Rücklauf von den der landeshauptmannschaftlichen Verwaltung unterstehenden Städten und Gerichten besser ausgefallen sei. Erst bei Vorlage der Gutachten sei man bereit, in disem weitleiffigen werckh mitelst sonderbarer deputierung oder sonsten nach glögenhait mit der consultation firzugehen.1262 Man darf das Verhalten der Regierungsräte wohl nicht auf fehlenden Arbeitseinsatz zurückführen. Schon seit den zwanziger Jahren hatten sich die Organisation und Optimierung der Landmiliz und die immer weiter zunehmenden Truppendurchmärsche im Gefolge des Dreißigjährigen Krieges als große administrative Herausforderungen erwiesen, die im steigenden Maße die Arbeitskraft der Regierung absorbierten.1263 Das Vorhaben einer groß angelegten Reformation der Landes- und Policeyordnung musste demgegenüber aus der Perspektive der Regierung zurücktreten. Dass die Kriegsgefahr eine der Ursachen für die eingetretene Verzögerung war, wurde dementsprechend von Leopold V. auf dem nächsten Landtag im März 1632 angesprochen.1264 Nunmehr findet sich das Projekt einer Überarbeitung der Landes- und Policeyordnung an durchaus prominenter Stelle in der landesfürstlichen Landtagsproposition angesprochen; neuerlich ist es also der Landesfürst, der sich als treibende Kraft erweist. Die diesbezüglichen Verhandlungen des Folgemonats sind davon dominiert, welche Seite die notwendigen Vorarbeiten übernehmen sollte. Die Stände waren bestrebt, diese möglichst auf die Regierung abzuwälzen. Die Regierung solle eine Kompilation der reformbedürftigen Titel anfertigen, zu der eine ständische Deputation dann Stellung nehmen wolle. Im Übrigen könne man das Unterfangen einer Reformation der Landesordnung ohne das Vorliegen der Berichte und Gutachten der lokalen Obrigkeiten sinnvollerweise nicht angehen.1265 Leopold V. schrieb jedoch eine Arbeitsteilung vor: Sowohl die landschaftlichen Vertreter als auch die Regierung sollten getrennt voneinander zunächst Verbesserungsmöglichkeiten aufzeigen und anschließend die Anregungen der jeweils anderen Seite diskutieren. Auffällig sticht wieder die Betonung der notwendigen Luxus- und Aufwandsbegrenzungen bei Festlichkeiten und Kleidungen durch den Landesfürsten ins Auge. Durch diese Maßnahmen würden der Geldabfluss verhindert und die Hoffart der Untertanen gedämpft; zum derzeitigen Zustand könne die fürstliche Durchlaucht ohne verletzung ihres gewissens lenger nicht schweigen.1266 Schließlich wurde die Aufnahme der Verhandlungen über die Landes- und Policey TLA, AfD 1632, fol. 48v, 1632 Febr. 12. Vgl. Schennach, Tiroler Landesverteidigung 1600–1650, 2003. 1264 Vgl. hierzu und zum Folgenden TLA, VdL, Bd. 12, S. 500–501, 1632 März 8. 1265 Vgl. TLA, VdL, Bd. 12, S. 513–514, 1632 März 12. 1266 TLA, VdL, Bd. 12, S. 525–526, 1626 März 13. 1262 1263
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ordnung auf September anberaumt, wobei mit der Policeyordnung begonnen werden sollte. Die Zusammensetzung der ständischen Deputierten entsprach jener von 1626, indem Adel, Städte und Gerichte mit je zwei Vertretern eingebunden waren. Für den Adelsstand nahmen der Landeshauptmann Hans von Wolkenstein und Hans Georg Khuen teil, für die Städte der Innsbrucker Stadtrat Paul Atlmayer und der schon das letzte Mal nominierte Meraner Stadtschreiber Hans Kaufmann, für die Gerichte der ebenfalls schon aus dem Jahr 1626 bekannte Kaspar Remich sowie Christoph Leiss.1267 Die Hochstifte Trient und Brixen lassen verlauten, dass sie sich nicht an der Reformation beteiligen wollten. Sie bitten nur, keine den kirchlichen Rechten und Freiheiten abträglichen Bestimmungen aufzunehmen und keine bereits vorhandenen, die Geistlichkeit betreffenden Artikel abzuändern.1268 Dass der Septembertermin nicht zustande kam, überrascht nicht. Mit den Kämpfen im Nordosten Tirols erreichten die Ausläufer des Dreißigjährigen Kriegs Tirol, und der Tod des Erzherzogs im September tat ein Übriges, um das Reformprojekt vorübergehend gänzlich in den Hintergrund treten zu lassen. Auf dem ersten Landtag der Regentschaft der Erzherzogin Claudia de’ Medici im April 1633 dominieren, ebenfalls wenig überraschend, Angelegenheiten der Landesdefension und der Militärfinanzierung. Dennoch wird gleichsam am Rande ein neuer licher Anlauf vereinbart. Nachdem die Landschaft in einer auf 10. April datierten Nebenschrift unter anderem eine endgültige Lösung der oft beklagten Missstände hinsichtlich der bei Gericht anfallenden Kosten, des Fürkaufs und der Wirtsordnungen postuliert hatte,1269 legte Claudia de’ Medici in der Landtagsproposition nahe, dass die reformation der lanndtsordnung lennger nicht retardiert werden solle.1270 Im Vergleich zu früheren Gelegenheiten zeigte sich die Tiroler Landschaft diesmal überraschend offen und begrüßt sogleich den Vorstoß.1271 Die bisher üblichen Plänkeleien, ob Regierungsräte oder die ständischen Deputierten die Hauptlast der Vorbereitungsarbeiten tragen sollten, blieben ebenfalls völlig aus. Es wurde vereinbart, dass beide Seiten der Erzherzogin absonderlich Verbesserungsvorschläge unterbreiten, die anschließend durch eine gemischte landesfürstlich-ständische Kommission erörtert werden sollten. Claudia war nicht blauäugig: Auch wenn absehbar war, dass dises werckh zwar gueter zeit bedürfftig sei, müsse man dennoch bald damit anfangen.1272 Trotz dieses hoffnungsfrohen Neubeginns verstrich der für die Aufnahme der Beratungen angesetzte Septembertermin ergebnislos.1273 TLA, VdL, Bd. 12, S. 539, 1632 März 20. TLA, VdL, Bd. 12, S. 568–569, 1632 April 4. 1269 TLA, VdL, Bd. 18, fol. 69r–72v, hier fol. 70v, 1633 April 10. 1270 TLA, VdL, Bd. 18, fol. 83r–83v, 1633 April 14. 1271 TLA, VdL, Bd. 18, fol. 98r–99r, 1633 April 22. 1272 TLA, VdL, Bd. 18, fol. 110, 1633 Mai 4. 1273 Vgl. zur Anberaumung des Termins TLA, VdL, Bd. 18, fol. 125, 1633 Mai 14, und ebd., fol. 140, 1633 Mai 30. 1267 1268
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Wieder vergingen mehrere Jahre, bevor Claudia de’ Medici einen neuen Anlauf unternahm. Im Oktober 1637 erteilte die Erzherzogin der Regierung den Auftrag, ein Gutachten über die zu reformierenden Titel der Landes- und Policeyordnung vorzulegen; die angesprochenen Räte verwiesen auf die (angeblich) bereits erfolgte Konsultation der Registraturen, wiesen jedoch darauf hin, dass angesichts der Komplexität und Wichtigkeit der Materie die so rasche Erstellung eines Gutachtens nicht möglich sei.1274 Immerhin erging am 23. Dezember 1637 nochmals der Befehl an die Erstinstanzen, mit zueziehung der gerichtsverstendigen selbiger enden zu diskutieren, wie nach gestaltsame der zeit und leiff in tyrolischer landt- und policey ordnung ein reformation und merere erleiterung fürzunemen sei.1275 Dass dieser Auftrag den Adressaten im März 1638, Oktober 1639 und Juli 1640 nochmals eingeschärft werden musste, legt bereits nahe, dass es gewisse Widerstände zu überwinden galt. Die Angesprochenen scheuten sichtlich den damit verbundenen Aufwand. Ausflüchte ließ die Regierung nicht gelten. Die anlässlich der Beratungen anfallenden Kosten hatten die Gerichte selbst zu tragen, da es sich nach Aussage der Regierung um ein dem gesamten Land zum Vorteil gereichendes Vorhaben handle und zudem jedwederer privat wolangestellter policeyordnung zu genüessen habe.1276 Abgewiesen wurden auch inhaltliche Ausflüchte. Ein Richter, der sich samt seinen Gerichtsgeschworenen der geringen experienz halber entschuldiget unnd zu consultierung dises werckhs fir wenig sufficient unnd tauglich befindet und die Beratung durch Rechtsgelehrte empfahl, wurde darauf aufmerksam gemacht, dass die Regierung gerade auf die in der Gerichts- und Verwaltungspraxis gemachten Erfahrungen Wert legte. Die eingeforderten Berichte sollten aufgrund der an die lokalen Obrigkeiten herangetragenen Beschwerden und aufgrund der Bewährung der Landes- und Policeyordnung im Rechtsalltag wahrgenommene Mängel und die korrespondierenden Verbesserungsvorschläge zur Kenntnis der Regierung bringen.1277 Die Rückmeldung des Bürgermeisters und des Stadtrats von Innsbruck, derzufolge es keine Klage über die Landes- und Policeyordnung gäbe und es allein an der gehörigen Implementation der Kodifikationen gebräche, wurde von der Regierung als völlig unzureichend zurückgewiesen, da Defizite nach Feststellung der Zentralbehörde augenscheinlich seien.1278
Vgl. hierzu TLA, AfD 1637, fol. 415r, 1637 Dez. 7; TLA, VfD 1637, fol. 129r, 1637 Dez. 19. TLA, BT, Bd. 21, fol. 71v–72r, 1637 Dez. 23. Die Adressaten entsprachen weitgehend jenen von 1629. 1276 So die Feststellung der Regierung gegenüber dem Landrichter von St. Petersberg in TLA, BT, Bd. 21, fol. 257r, 1639 Okt. 1; ähnlich die Auskunft an Jakob Stöckl: Die anfallenden Kosten hätten die Gerichte selbst zu tragen, weilen es ain ehehaffte sache und dieselbig [die Gerichte] maistens beriert (TLA, BT, Bd. 21, fol. 103, 1638 März 16). 1277 TLA, BT, Bd. 21, fol. 95v, 1638 Febr. 13. 1278 TLA, BT, Bd. 21, fol. 368, 1641 Febr. 14. 1274 1275
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Um 1640 kommt es insgesamt gesehen freilich zu einem bemerkenswerten Umschwung. Waren bislang sowohl Leopold V. als auch Claudia de’ Medici beim Vorantreiben des Reformvorhabens federführend gewesen, heben auf dem im Sommer 1640 abgehaltenen Landtag erstmals die Tiroler Landstände die Notwendigkeit einer Reformation hervor.1279 Das Vorliegen eines konkreten Anlasses für diesen Schwenk liegt nahe und ist wohl in der 1638 erstmals nachweisbaren und in den Folgejahren anhaltenden Debatte über die Auslegung der Pfändungsvorschriften der Titel 62 bis 73 des 2. Buchs der Tiroler Landesordnung von 1573 zu sehen.1280 Die exakte Problemlage lässt sich zwar nach derzeitigem Kenntnisstand nicht eruie ren – hier dürfte erhellendes Quellenmaterial fehlen –, der Konnex mit der veränderten Haltung der Landstände gegenüber einer Reformation der Landesordnung ist aber plausibel. Zeitgleich mit dem Anliegen um Fortführung der Überarbeitung der Kodifikationen äußern sie die Bitte, es bis zu deren Abschluss bei den bisherigen Pfändungsbestimmungen der Landesordnung zu belassen. Hier zeigt sich eine Parallele zu den Abläufen im Vorfeld der Reformation von 1573. Auch damals waren es die Landstände gewesen, die Mitte der fünfziger Jahre des 16. Jahrhunderts aufgrund ganz konkreter Veränderungswünsche bei einzelnen Titeln der Landesordnung von 1532 die Reformation angestoßen hatten. 1640 beschränkte sich Claudia de’ Medici in ihrer Stellungnahme auf einen Verweis auf die derzeit laufende Enquête bei den lokalen Obrigkeiten.1281 Das plötzlich (wieder) erweckte Interesse der Tiroler Landschaft an der Landes- und der Policeyordnung setzte sich auf dem folgenden Landtag im März 1643 fort, wobei nunmehr der Schwerpunkt auf die Policeyordnung gelegt wurde. Speziell wiesen sie auf die Notwendigkeit einer umfassenden Luxusgesetzgebung (einschließlich einer Kleiderordnung) hin, die den Geldabfluss begrenzen sollte.1282 1629 hatte Erzherzog Leopold V. mit einer inhaltlich identischen Begründung die Ausarbeitung entsprechender legislativer Maßnahmen gefordert und war auf eine deutliche Zurückhaltung, ja Ablehnung der Landschaft gestoßen. Nun schlägt diese selbst genau das damals ihrerseits mit Skepsis aufgenommene Projekt vor, wohingegen 1643 Regierung und Kammer diesem Vorstoß gegenüber Zurückhaltung an den Tag legen. In einer kurz darauf abgegebenen Stellungnahme kommt die Regierung zum Schluss, dass in der Policeyordnung in substantialibus nit wol etwas zu veröndern sein wirdet, sondern es vielmehr an der Durchsetzung der Bestimmungen durch die lokalen Obrigkeiten fehle. Als Gegenmaßnahme schlägt man überraschende Visitationen in ausgewählten Gerichten vor, um Pfleger und Richter zur gehörigen Amtsverrichtung anzuhalten.1283 Vgl. TLA, VdL, Bd. 19, fol. 88v–89v, 1640 Juni 19. Vgl. TLA, VfD 1638, fol. 219v, 1638 Juni 13; TLA, AfD 1646, fol. 129v–136v, 1646 Febr. 26. 1281 ������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. TLA, VdL, Bd. 19, fol. 168v–169r, 1640 Juli 17; irreführend Brugger, Erzherzogin Claudia, 1952, S. 51. 1282 Vgl. TLA, VdL, Bd. 19, fol. 256r–1265v, hier fol. 263, 1643 März 4. 1283 TLA, VdL, Bd. 19, fol. 129r–167r, hier fol. 135v–136r, 1643 März 17. 1279 1280
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Dieser markante Positionswechsel von Landständen und Landesfürst bzw. Zentralbehörden, die sich 1643 im Vergleich zu 1629 mit vertauschten Rollen gegenüberstehen, hat natürlich seinen Grund: 1629 hatte Leopold V. Luxus- und Aufwandsbeschränkungen mit der greifbaren Zielsetzung in den Raum gestellt, die finanzielle Leistungskraft der Normadressaten durch die Hintanhaltung vermeintlicher Verschwendung zu stärken, um mehr Steuer abschöpfen zu können. In dieser Konstellation konnten die Stände nicht auf diese Linie einschwenken, ohne sich der Gefahr höherer Steuerforderungen ausgesetzt zu sehen. Umgekehrt führten sie 1643 zunächst ausführlich den Mangel an finanziellen Ressourcen ins Treffen. Mit dem Hinweis auf notwendige legislative Maßnahmen, um den Geldabfluss ins Ausland durch den Import von Luxuswaren zu verringern, ließen sie gleichzeitig einen Hoffnungsschimmer erahnen, dass sich die finanzielle Situation dann bessern könnte – aber erst in der Zukunft, am akuten aktuellen Geldmangel änderte sich dadurch natürlich nichts. In einer solchen Verhandlungskonstellation taten sich die Regierung und die Kammer natürlich schwer, der Argumentation der Stände zu folgen – womit sie gleichzeitig zumindest implizit das damalige finanzielle Unvermögen der Landschaft anerkannt hätten. Mittelfristig hatte die geänderte Haltung der Landstände freilich durchaus positive Auswirkungen auf den Fortgang des Projektes, dessen Schwerpunkt für die nächsten Jahre unverkennbar auf einer Reformation der Policeyordnung liegen sollte. Nachdem schon 1641 eine zumindest rudimentäre Koordinationsstelle in Policeysachen eingerichtet worden war,1284 wurde zu Jahresende 1643 endlich eine dauerhafte Deputation institutionalisiert. Sie bestand aus drei Regierungsräten (Karl Philipp von Mohr, Dr. Kaspar Pansa und Dr. Johann Theobald Zeller) und einem Kammerrat (Dr. Hans Georg Witweiler).1285 Einmal wöchentlich, im Bedarfs fall öfter, hatten die Räte zu deliberieren, wie den entstandenen confusiones in der Tiroler Landes- und Policeyordnung begegnet werden könnte.1286 Zwei neue Elemente werden 1643 greifbar: Erstens kommt es zu einer ansatzweisen Institutionalisierung der Reformbestrebungen, zweitens dominieren in diesem Gremium erstmals gelehrte Juristen. Ergebnisse zeitigte ihre Tätigkeit kurzfristig jedoch nicht.
7. 6. 2. Reformbestrebungen unter Ferdinand Karl und Sigismund Franz Immerhin hatte die Schaffung eines gewissen organisatorischen Rahmens zu einer Verfestig ung der Reformpläne geführt. Bei der nächsten Gelegenheit, bei der das Vorhaben wieder zur Sprache kam, wurde jedenfalls sowohl von landesfürstlicher als auch von ständischer Seite auf diese Einrichtung verwiesen. TLA, VfD 1641, fol. 562v–563r, 1641 Mai 16. Vgl. TLA, AfD 1643, fol. 503v–504r, 1643 Dez. 7; BT, Bd. 22, fol. 142v, 1643 Dez. 19. 1286 BT, Bd. 22, fol. 142v, 1643 Dez. 19. 1284 1285
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Allerdings ließ die nächste Thematisierung der in Aussicht gezogenen Reformation der Landes- und Policeyordnung auf sich warten. Sie erfolgte erst 1646 auf dem Huldigungslandtag für den soeben volljährig gewordenen Erzherzog Ferdinand Karl. Es war die Tiroler Landschaft, die in ihren Gravamina namentlich das Erfordernis einer Überarbeitung der Policeyordnung aufzeigte. Dabei wurden speziell sechs Punkte als einer Neuregelung bedürftig hervorgehoben: erstens die Erstellung einer Höchstpreisverordnung für eine Reihe von Handelswaren sowie die Implementation der Wirtsordnungen; zweitens eine Kleiderordnung; drittens die Aufwandsbeschränkung bei Mahlzeiten und Festlichkeiten; viertens das Verbot von Monopolen und Fürkauf; fünftens eine neue Gerichtskostenordnung sowie sechstens die Ausweisung sozialer Randgruppen wie Zigeuner (die damals nicht als ethnische Gruppe zu verstehen sind), ‚Gartknechte‘ und Bettler.1287 Angesichts des dargelegten Konnexes zwischen Steuern und legislativen Maßnahmen zur Luxus- und Aufwandsbegrenzung wäre zu erwarten, dass die Behörden vorsichtig bis abweisend reagierten, um keine Argumente für eine Zurückhaltung bei den Steuerbewilligungen zu liefern. Auf die Regierung und die Kammer traf dies auch zu. In ihrer Stellungnahme unterstrichen sie, dass das Notwendige ohnehin schon in der Policeyordnung enthalten bzw. Ergänzendes durch Einzelgesetzgebungsakte verfügt worden sei. Sie negierten somit einen Handlungsbedarf.1288 Der junge Ferdinand Karl folgte allerdings nicht der Meinung seiner Räte, sondern begrüßte den ständischen Vorschlag und stellte zudem unbefangen den bis dahin immer nur aus dem Kontext resultierenden Bezug zur steuerlichen Leistungsfähigkeit her. Durch die bisher getätigten Ausgaben bei Kleidung und Festlichkeiten sei der gemaine mann ganz erschöpfft unnd ime die mitl zu bezahlung der ordinari steur benomben. Dem sollte abgeholfen werden.1289 Die Tiroler Landschaft nahm den Ball auf, betonte die Vordringlichkeit einer Kleiderordnung und sparte nicht mit einem kleinen Seitenhieb auf die bisherige Arbeit der landesfürstlichen Gesetzgebungskommission, deren Arbeit sollicher policeyordnung zu kheinem entlichen effect geraicht. Von einer aktiven Beteiligung mit eigenen Deputierten wollte man zunächst jedoch nichts wissen, sondern legte nur die Bereitschaft an den Tag, die seitens der Zentralbehörden ausgearbeiteten Vorschläge zu begutachten.1290 Immerhin kam in der Folge ein wenig Schwung in die sich bisher mehr als schleppend hinziehenden Vorbereitungen. Schon im Juni 1646 legten die Regierung und die Kammer auf Drängen des Landesfürsten1291 ein erstes, noch kurz gehaltenes Gutachten über die bei der Policeyordnung anzustellenden Verbesserungsmöglichkeiten vor.1292 Gegen Jahresende 1646 kam doch noch eine dreiköpfige ständische Verhandlungsdelega TLA, VdL, Bd. 19, fol. 184v–504r, 1646 April 20. TLA, AfD 1646, fol. 265v–277v, hier fol. 273r, 1646 Mai 1. 1289 TLA, VdL, Bd. 19, fol. 519r–520r, 1646 Mai 3. 1290 TLA, VdL, Bd. 19, fol. 546, 1646 Mai 15. 1291 Vgl. TLA, VfD 1646, fol. 124v–125v, 1646 Mai 15. 1292 Vgl. TLA, AfD 1646, fol. 419v–422v, 1646 Juni 22. 1287 1288
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tion zustande, die aus Johann von Spaur, dem Sonnenburger Landgerichtsschreiber Johann Paul Schluderpacher und dem Innsbrucker Christoph Kolb bestand.1293 Gemeinsam mit der landesfürstlichen Kommission begannen sie am 22. November 1646 die Verhandlungen.1294 Wie intensiv diese waren und welche Ergebnisse sie zeitigten, lässt sich nicht konkret sagen. Jedenfalls gibt es in den folgenden drei Jah ren deutliche Hinweise auf Aktivitäten ihrerseits. Im April 1647 wurde beispielsweise nachweislich über eine Kleiderordnung beraten,1295 im März 1648 lud man Bürgermeister und Rat der Stadt Innsbruck ein, um gewisser ursachen wiln bericht und information einzuholen.1296 Immer deutlicher kristallisiert sich der Zusammenhang der Policeyordnung, ja teilweise des gesamten Reformationsprojekts, mit fiskalischen Motiven heraus. Von Ende 1648 datiert ein Gutachten der ständischen Steuerkompromissarien, wie die behauptete fehlende finanzielle Leistungskraft der Tiroler Landschaft behoben werden könnte. Dabei wurde neuerlich die Notwendigkeit flankierender legislativer Maßnahmen herausgearbeitet.1297 In concreto regten die Steuerkompromissarien an, durch gesetzliche Bestimmungen die lantverderblichen, unnotwendigen unnnd gar zu yberflissigen rechtsförtigungen abzustöllen und den eigennützigen, auf Gewinn abzielenden Umtrieben der Advokaten und Prokuratoren einen Riegel vorzuschieben (womit sie natürlich einen schon Jahrhunderte nachweisbaren Topos aufgriffen, wonach die Rechtsgelehrten zu irem gewin die Parteien in Prozesse verstricken würden).1298 In diesem Zusammenhang wurde die Reformation der Landesordnung bzw. der darin enthaltenen zweiflhafften puncten angeregt, um den Advokaten weniger Gelegenheit zu geben, einen jeden zweifl so hoch aufzuziehen. Ferner legten die Steuerkompromissarien eine bessere Implementation der Policeyordnung und die Durchführung von überprüfenden Visitationen nahe.1299 Der enge Konnex mit Steuerfragen blieb in der Folgezeit erhalten. Am 10. März 1653 konstituierte sich ein aus Regierungsräten und landschaftlichen Deputierten bestehendes Beratungsgremium, das mit jenem der Jahre 1646 bis 1649 offensichtlich nicht identisch war.1300 Es sollte – diesmal unter Beteiligung des Prälatenstandes und der beiden Hochstifte – erstens über eine Reform des Steuerwesens und die Möglichkeiten einer nachhaltigen Verbesserung der ständischen Finanzlage, zweitens über die anstellung gueter policey und drittens über eine Reform der Landmiliz beraten werden.1301 Vgl. TLA, BT, Bd. 22, fol. 431, 1646 Nov. 9. Vgl. TLA, BT, Bd. 22, fol. 433v–434r, 1646 Nov. 22. 1295 Vgl. TLA, AfD 1647, fol. 827, 1647 Dez. 13. 1296 Vgl. TLA, BT, Bd. 22, fol. 535v, 1648 März 28. 1297 Vgl. zum Folgenden TLA, VdL, Bd. 20, fol. 373r–376v, 1648 Dez. 15. 1298 TLA, VdL, Bd. 20, fol. 373r–376v, hier fol. 374r, 1648 Dez. 15. 1299 TLA, VdL, Bd. 20, fol. 373r–376v, hier fol. 374v, 1648 Dez. 15. 1300 Vgl. auch die kurze Erwähnung bei Egger, Geschichte Tirols, Bd. 2, 1876, S. 415. 1301 Vgl. TLA, AfD 1653, fol. 312r–317r, 1653 April 26. 1293 1294
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Rund eineinhalb Monate später lag das Resultat vor. Es handelte sich um ein umfassendes Memorial, in dem allein die Erörterung der Reformpläne bezüglich der Policeyordnung fast hundert Seiten ausmacht.1302 Das Heranziehen ausländischer Vorlagen bzw. Vorbilder ist bei dieser Beratung nicht nachzuweisen. Ausgangspunkt der angestellten Überlegungen waren grundsätzlich die Bestimmungen der Policeyordnung von 1573, die Titel für Titel durchgegangen und erörtert werden. Nur ein ganz neuer Regelungskomplex wird einleitend als notwendige Ergänzung dargestellt und ausführliche einschlägige Normierungsvorschläge unterbreitet. Dies betrifft die Titulaturen und Anreden, die nach dem Reformvorschlag von 1653 einer umfassenden Ordnung unterworfen werden sollten. Das Gutachten unterschied so sehr genau, wem die Anreden „hoch geboren“, „wohlgeboren“, „edel gestreng“, „edelfest“, „edel hochgelehrt“, „hochgelehrt“, „ehrenfest“ etc. zustanden. Selbst die Selbstbezeichnungen auf Grabsteinen und Einladungsschreiben sollten rechtlich festgeschrieben werden. Dies entsprach durchaus dem Sprachgebrauch des Barockzeitalters, der jede geringfügige soziale Differenzierung durch ein System fein abgestufter Anredeformeln reflektierte. Nun sollte jedoch die strikte Einhaltung dieser bisher informellen Regeln durch Strafdrohungen abgesichert werden. Dass dieser Schritt etwas bisher völlig Unbekanntes gewesen wäre, war den Gutachtern dabei durchaus bewusst.1303 Im Übrigen behandelt das Gutachten sämtliche Titel der Policeyordnung von 1573. Dabei zeigt sich die Tendenz zur Erweiterung und Verfeinerung der vorhandenen Bestimmungen unter Berücksichtigung der Implementationschancen und der bisher ergangenen einschlägigen Einzelgesetzgebungsakte.1304 Einige Beispiele seien herausgegriffen: Der Titel, der die Zauberei und das Wahrsagen betraf,1305 sollte präzisierend auch die Tätigkeit der „Nativitätssteller, Astrologen, Planetenleser, Segensprecher und Schatzgräber“ verbieten und zudem jene mit Strafen bedrohen, die vorgaben, durch magische Praktiken ‚schuss- und stichfest‘ zu machen und so vor Verletzungen schützen zu können.1306 Bei den Be Vgl. TLMF, FB 5028, S. 561–745, hier S. 651–745, 1653 April 24: Haubtberatschlagung in beysein zwayer von der gnedigisten lanndtsfürstlichen herrschafft deputierten herrn commissarien, auch von baiden loblichen fürstlichen stüfften Triendt und Brixen herrn gesannten unnd von loblicher tyrolischer lanndtschafft aus dem pralathen-, riterstanndt, stetten unnd grichten herrn deputierten, wie soliche zu Ynnsprugg anno etc. 1653 erhalten. 1303 Der gesamte Regelungskomplex wird behandelt in TLMF, FB 5028, S. 652–657. Man hebt hervor, dass ein solches Unterfangen in diser eurer F. D. F. G. Tyrol etwas ungewohnliches und unnsers wissens vorher niehmals geschechen sei (Zitat ebd., S. 656–657). 1304 ���������������������������������������������������������������������������������������� Zur Berücksichtigung von Einzelgesetzgebungsakten vgl. z. B. die Ausführungen zu den Titeln 14 (Kleiderordnung; TLMF, FB 5028, S. 685–686), 17 (Wirtsordnungen; ebd., S. 700), 20 (Gerichtskostenordnung; ebd., S. 706); auch im Zusammenhang mit der Bettlerordnung und der Bekämpfung der Gartknechte verwies das Gutachten auf bestehende Mandate (ebd., S. 728–729). 1305 TPO 1573, Tit. 3. 1306 TLMF, FB 5028, S. 664–665. 1302
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stimmungen zur Kleiderordnung hingegen wird die Notwendigkeit einer Anpassung an die aktuellen Modeströmungen gefordert, da sich seit 1573 die trachten in villen geänndert hätten.1307 Den besonderen Wert des Gutachtens macht freilich die intensive Diskussion der bisherigen Rechtspraxis und der Implementationschancen bestehender und allenfalls neu einzuführender Regelungen aus. Die Vorschrift im Rahmen des Verbots der Gotteslästerung, die all jene mit derselben Strafdrohung belegte wie den unmittelbaren Täter, die ihrer Anzeigepflicht bei der Obrigkeit nicht nachkämen,1308 wurde von einigen Gutachtern als zu scharff angesehen. Andere wollten sie unverändert lassen, sofern sie allain zu merern nachtruckh unnd schröckhen gemaint sei.1309 Die immer wieder diskutierte Aufwandsbeschränkung bei Hochzeiten wurde wiederum als äußerst problematisch angesehen; nicht nur aufgrund der regional variierenden Hochzeitsbräuche, sondern insbesondere aufgrund der vielfältigen Möglichkeiten zur Umgehung der Bestimmungen (beispielsweise durch die Veranstaltung des Hochzeitsmahls im Elternhaus statt im Gasthaus).1310 Bei der Sanktionierung des Ehebruchs empfahl man nachdrücklich die Substituierung der bislang dominierenden Geldstrafen durch die bei weitem abschreckenderen Leib- und Ehrenstrafen.1311 Überhaupt sollten zumindest zwei Räte abgestellt und im optimalen Fall von sämtlichen anderen Dienstpflichten befreit werden, um auf angeregte polliceyordnung und dern wirckhlicher volziechung guete obacht zu geben, alle von denen obrigkheiten einkhomennde bericht zu ersöchen, ferner was der importanz und sie nit selbs resolvieren khinden bei bestimbter regierung zu referieren.1312 Darüber hinaus machte sich die Kommission bereits Gedanken über zweckmäßige redaktionelle bzw. gesetzestechnische Schritte. Sobald die Vorschläge das landesfürstliche Plazet erhalten hätten, gäbe es die Option eines Neudrucks der Policeyordnung. In diesem Fall gelte es, weil in der lanntsordnung unnterschiedlicher piecher vil articl einkhomen, so merers auf das pollicey- als justiti-weesen berieren, diese endlich in die Policeyordnung zu integrieren. Sei an keinen Neudruck der Policeyordnung gedacht, sollte man die Neuerungen je nach Materie durch Einzelgesetzgebungsakte einführen oder sie per appendicem der Policeyordnung hinzufügen.1313 Engagiert legte die Kommission dem Landesfürsten in ihrem Gutachten zudem die als nächstes anstehende Reformation der Landesordnung ans Herz, wobei sie das
Vgl. TLMF, FB 5028, S. 679–691, hier bes. S. 679–680. TPO 1573, Tit. 2, § 9. 1309 TLMF, FB 5028, S. 662. 1310 Vgl. TLMF, FB 5028, S. 695–696. 1311 Vgl. TLMF, FB 5028, S. 679. 1312 Vgl. TLMF, FB 5028, S. 734. 1313 TLMF, FB 5028, S. 734. 1307 1308
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Einziehen von Gutachten der lokalen Obrigkeiten, die Beteiligung von Rechtsgelehrten und die umfassende Einbindung der Landstände empfahl.1314 Derart ambitionierte Vorstellungen erwiesen sich in der Folgezeit als utopisch. Eine landesfürstliche Resolution über die 1653 von der Kommission unterbreiteten gutachterlichen Vorschläge blieb aus. Es war zwar vorgesehen, dass diese im Herbst 1653 die Beratungen über das Steuerwesen, die landschaftlichen Finanzen, Wirtschaftsförderung, Landmilizreform und schließlich über das Policeywesen fortführen sollte. Weiter als bis zur Besprechung des Steuerwesens kam man jedoch nicht.1315 Zehn Jahre lang ruhten anschließend die Diskussionen rund um eine Reformation der Landes- und Policeyordnung. Im Dezember 1662 verstarb Erzherzog Ferdinand Karl.1316 Schon kurz nach dem Regierungsantritt seines Bruders und Nachfolgers Sigismund Franz entfaltete dieser jedoch schon ein ganzes Bündel einschlägiger Aktivitäten. Den ersten, schon von früheren Anlässen her bekannten Schritt stellte die Durchführung einer groß angelegten Enquête bei den lokalen Obrigkeiten dar. Die geplante Vorgehensweise ist schon vertraut: Pfleger und Richter sollten sich neben jedes orths gerichtsschreibern, auch mit zueziechung practicierter persohnen in angedeiter landtsordnung von articul zu articul ersehen und die so erarbeiteten Verbesserungsvorschläge einsenden.1317 Zudem sollten nach der Vorstellung von Sigismund Franz konsequent Rechtsgelehrte in die Beratungen einbezogen werden. Es sei erforderlich, im Vorfeld etwelche rechtsgelehrte mit ihren bedenckhen und mainungen zu vernemmen, weshalb entsprechende Aufträge an Dr. Johann Baptista Träxl, Dr. Johann Schaiter, Dr. Johann Bernhard Schmid und Dr. Georg Welt erteilt wurden. Auch sie wurden zur Durchsicht der Landesordnung und zur Unterbreitung von Verbesserungsvorschlägen aufgefordert.1318 Die führende Rolle bei der Reformation war jedoch offensichtlich Dr. Paul Hocher (geb. TLMF, FB 5028, S. 734–735: Es sollte demnach auch das justiti-weesen seiner hochen notturfft nach deliberiert unnd mit abhelffung etwo erscheinennder defecten in ein ordnung gebracht, zu dem ennde dann thails etwas zweiflhaffte articl in tyrolischer lanndtsordnung erleitert wurden; diesfahls etwo fürstenndig wehre, die sachen yber die von etwellichen an der Etsch erthailte guetachten, auch durch die rechtsgelerte diser ennden zu consultieren, mitlst der lanndthaubtmannschafft dem grafen-, herrn-, und riterstanndt wie nit wenigers die viertl des lanndts dariber zu vernemmen und nach allerseits gnuegsamb angehörten notturfften mit zethueung ainer ersamen lanndtschafft ein entlichs zu statuieren, massen auch weegen einziechung der schädlichen execution-process sowohlen des abzug- oder zuesaczes halber, dann abstöllung unnotwenndiger rechtsfertigungen, auch bestraffung muetwilliger litiganten, item bestimbung der advocatensolarien [!] (ditsfals abermal die lanndthaubtmannschafft anzuhören notwenndig) die sachen al dort bei reformierung der lanntsordnung erörtert werden sollen. 1315 Vgl. TLA, AfD 1653, fol. 616v–648v, 1653 Sept. 30; ferner AfD 1657, fol. 111v–112v, 1657 April 10. 1316 Vgl. Egger, Geschichte Tirols, Bd. 2, 1876, S. 420. 1317 TLA, BT, Bd. 24, fol. 240v–241r, 1663 März 28. 1318 TLA, BT, Bd. 24, fol. 239v–240r, 1663 März 28. 1314
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1616, gest. 1668) zugedacht. Dr. Hocher, zunächst Advokat in Bozen, zum damaligen Zeitpunkt Regierungskanzler und unter Leopold I. schließlich Oberster Hofkanzler, war als Verfasser einer Reihe von (nur handschriftlich vervielfältigten, aber weit verbreiteten) Kommentaren zur Tiroler Landesordnung hervorgetreten.1319 Er sollte baldmöglichst ein Gutachten abliefern, wie und wasgestalt die tyrolische landtsordnung verbessert werden könne.1320 Darüber hinaus ließ sich Sigismund Franz auch die Einbindung der Landstände angelegen sein. Der Landeshauptmann Johann Dominikus von Wolkenstein wurde von der Regierung aufgefordert, unter Beiziehung sachkundiger ständischer Vertreter Notanda über die zu reformierenden Bestimmungen der Landesordnung einzureichen. Als die Tiroler Landschaft folglich auf dem Huldigungslandtag im April 1663 ihre schon 1646 in nahezu identischer Weise ventilierte Bitte um Erlassung einer neuen Policeyordnung wiederholte, zeigte sich Erzherzog Sigismund diesem Vorhaben durchaus gewogen.1321 Die bisherigen Erfahrungen mit den Reformationsplänen legen allerdings eine gewisse Skepsis hinsichtlich des Fortschreitens der Arbeiten nahe. Diese Skepsis erweist sich in der Folge als berechtigt. Zwar gibt es in den nächsten Monaten noch vereinzelte Quellenhinweise, dass am Projekt gearbeitet wurde.1322 Letztlich verläuft es jedoch im Sand, da sich mittelfristig weder der Erzherzog noch die Stände mit Nachdruck in dieser Frage engagierten.
7. 6. 3. Neuerliche Reformansätze 1694/95, 1708 und 1740 7. 6. 3. 1. Der Ablauf Dieses enden wollende Interesse des Landesfürsten und der Tiroler Landschaft wird durch den Umstand illustriert, dass der nächste Anlauf, endlich eine Reformation der Landes- und Policeyordnung zu erreichen, mehr als dreißig Jahre auf sich warten ließ. Auf dem Landtag des Jahres 1691 war das Vorhaben von den Ständen in den Generalgravamina aufgegriffen worden. Unter Verweis auf die 1663 gemachten Anläufe wurde die Erläuterung einzelner umstrittener Punkte der Landesordnung gefordert.1323 Es dauerte noch immerhin rund drei Jahre, bis der Geheime Rat diese Anregung aufgriff. In einem Schreiben vom April 1694 ließ der Geheime Rat der oberösterreichischen Ländergruppe als Immediatrepräsentanz Leopolds I. gegenüber der Regierung seine Absicht verlauten, die Landesordnung pro consolatione Vgl. Sartori-Montecroce, Reception, 1895, S. 86 und 88. TLA, BT, Bd. 24, fol. 237, 1663 März 23. 1321 TLA, VdL, Bd. 26, fol. 39v–57v, hier fol. 56v–57v, 1663 April (landständische Gravamina des Huldigungslandtags 1663). 1322 Vgl. TLA, BT, Bd. 24, fol. 252, 1663 April 23; ebd., fol. 332r, 1663 Mai 3. 1323 Vgl. Egger, Geschichte Tirols, Bd. 2, 1876, S. 470. 1319 1320
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subditorum von einer Deputation des Geheimen Rats, der Regierung und der Kammer überarbeiten zu lassen. Dieses Vorhaben sollte den Landständen mitgeteilt sowie vorbereitend – diese Arbeitsschritte sind zwischenzeitlich hinlänglich vertraut – Gutachten von Rechtsgelehrten und von den lokalen Obrigkeiten eingeholt werden. Überdies wurde die Regierung angewiesen, frühere Beratungsunterlagen herauszusuchen. Die landesfürstliche Deputation, deren Mitglieder für die Dauer der Überarbeitung von den üblichen Ratssessionen zu dispensieren waren, sollte anschließend jeweils vormittags und nachmittags gemeinsam mit ständischen Vertretern über das Vorhaben beraten. Allerdings war das Ziel etwas bescheidener an gelegt als bei den bisherigen Versuchen. Die Landesordnung sollte nunmehr zwar gar nicht muttiert oder umbgedruckht, sonder nur diejenig materien, welche dubios und aus denen bisher die maisten stritt erwaxen, in die consultation gebracht, und wie es mit denen bey denen gerichtern firohin zu halten und darauf mit ausserachtlassung der alten zu iudiciern seye, genuegsam ercleret und ausgefierhrt, in ein absonderliches libell eingerichtet und selbiges von denen obrigkhaiten der landtsordnung beigelegt werde.1324 Schließlich scheint es der Geheime Rat Franz Eusebius Trautson gewesen zu sein, der ein erstes Memorial über die reformbedürftigen Titel der Landesordnung verfasst hatte, das im Februar 1695 mit dem Ersuchen um Stellungnahme an die Regierung und die Kammer weitergeleitet wurde, die es anschließend den Ständen zukommen ließen.1325 Hier wird neuerlich das Bestreben greifbar, dass vorhero aber die sambtenliche landtstende umb ihre disen so importirlichem werkh etwo beyzutragen habende mainungen vernomben werden solen. Insgesamt haben sich sechs der damals angefertigten Gutachten erhalten. Eines stammt offensichtlich aus dem Jahr 1696 – eine genauere Datierung ist nicht möglich – und wurde von Vertretern des Adels in und umb Meran (also aus dem Burggrafenamt) verfasst.1326 Diese Stellungnahme lehnt sich eng an ein früher entstandenes TLA, VksM 1694, fol. 531v–532r, 1694 April 6. TLA, AksM 195, fol. 100, 1695 Febr. 22; vgl. auch schon zuvor TLA, AfD 1694, fol. 605v– 606r, 1694 Dez. 9 (wonach die Regierung den Regierungsvizepräsidenten Johann Anthoni von Spaur zu den Beratungen deputiert). 1326 ������������������������������������������������������������������������������������������� TLMF, Dip. 992, Teil II, fol. 276r–284r, 1696 (ohne nähere Datierung; eine Parallelüberlieferung findet sich in TLA, Dip. 913, Teil I, fol. 127v–141v). Einleitend wird dort über das Zustandekommen Folgendes dargelegt: Demnach des Herrn Graff Landtshaubtmanns Exc. crafft dero unterm 26. Juni des verweilten 1695. jahrs an den hochedlgebohrnen herrn Leopoldt von Rosst [...] alß von seitthen ainer Löblichen Tyrollischen Landtschafft in sachen deputierten in gnaden abgebnen missivs dahin zu erindern beliebt hat, daß über die daselbst beygeschlossene von seithen ainer löblichen landtsfürstlichen deputation beraits entworffene und andere in der tyrolischen landtsordtnung villeicht enthaltene noch mehrere dubiosi passus eine bessere erleitterung verfast, vorhero aber die sambtenliche landtstende umb ihre disen so importirlichem werkh etwo beyzutragen habende mainungen vernomben werden solen, als hat man an seithen des in 1324 1325
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Gutachten an bzw. greift die dort gemachten Anregungen auf. Der Verfasser dieses zeitlich vorangehenden Gutachtens wird namentlich nicht fassbar. In der Überschrift ist nur die Rede von Unvorgreiffliche erinnerungen, waß [...] bei der vorhaben den conferenz an unnterschidlichen orthen der tyrolischen landtsordnung mehrers erleitert, verpessert oder wohl gar geendert werden mechte.1327 Der Schluss liegt nahe, dass es sich dabei um das Memorial von Franz Eusebius Trautson handeln dürfte. Eine Verifikation dieser Annahme ist freilich nicht möglich. Erhalten sind ferner das Gutachten der Gerichte an der Etsch,1328 der Stadt Meran und des übrigen Viertels Burggrafenamt,1329 das gemeinsame Gutachten der Oberinntaler Gerichtsobrigkeiten1330 und ein weiteres Gutachten eines unbekannten Verfassers.1331 In allen diesen Fällen ist keine Bezugnahme auf das angeführte anonyme Gutachten ersichtlich. Der Umstand, dass das Gutachten des Meraner Adels aus dem Jahr 1696 stammen dürfte, lässt auf damals noch laufende Vorarbeiten schließen. Allerdings verläuft sich dann die Spur, und wieder dauert es mehr als ein Jahrzehnt, bis man neuerliche Hinweise auf Reformüberlegungen findet. Im Jahr 1708 wurde als Begründung für die Unterbrechung der Arbeiten der militärische Einfall des bayerischen Kurfürsten Maimilian Emmanuel im Jahr 1703 genannt, doch erscheint dies angesichts der schon zuvor jahrelang fehlenden Nachweise für einschlägige Tätigkeiten unglaubwürdig.1332 Standen seit 1626 stets landesfürstliche oder ständische Initiativen am Anfang von Reformbestrebungen, so war der Anstoß im Jahr 1708 ein ausgesprochen konkreter und fallbezogener: Venerand von Wolkenstein als des Mordes an Guidobald von Spaur Verdächtiger hätte seine Aussage gemäß des 11. Titels des 8. Buchs der Tiroler Landesordnung von 1573 mit einem argerlichen aydt bekräftigen sollen, was er prompt verweigerte und sich über dieses Ansinnen beim Geheimen Rat beschwerte.1333 Dieser teilte die Ansicht Wolkensteins.1334 Die eidliche Bekräftigung der Aussage eines Verdächtigen würde eine allzu offenbare gefahr eines mainaydts mit sich bringen und sei daher in Zukunft nicht mehr zu fordern. Dies wurde seitens der Regierung im folgenden Monat durch Einzelmandate angeordnet und hierdurch in diesem Punkt der Tiroler Landesordnung von 1573, Buch 8, Titel 11 derogiert.1335 Dies wurde zum Anlass genommen, sich wieder an die Reformation der und umb Meran sesshafften ritter und adels volgende puncta ad statum reformandi und respective melius declarandi an handt geben wollen, nemblich [...]. 1327 TLA, Dip. 992, Teil II, fol. 284r–288r. 1328 TLA, Dip. 913, Teil I, fol. 59r–99r (ohne nähere Datierung). 1329 TLA, Dip. 913, Teil I, fol. 99r–127r (ohne nähere Datierung). 1330 TLA, Dip. 913, Teil I, fol. 142r–161v (ohne nähere Datierung). 1331 TLA, Dip. 913, Teil I, fol. 162r–164r (ohne nähere Datierung). 1332 TLA, VksM 1708, fol. 595v–596v, 1708 Aug. 18. 1333 Vgl. TLA, VksM 1708, fol. 595v–596v, 1708 Aug. 18. 1334 TLA, VksM 1708, fol. 566v–567v, 1708 Aug. 20. 1335 TLA, CD 1708, fol. 415v–416r, 1708 Sept. 10.
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Landes- und Policeyordnung zu machen, zumal dem Geheimen Rat noch die Äußerungen der Regierung über die vielfältige Reformbedürftigkeit der Landesordnung in Erinnerung waren. Dabei schraubte man die Ansprüche und Erwartungen von vornherein auf ein angesichts der in den vorangegangenen Jahrzehnten gemachten Erfahrungen realistisches Niveau zurück. In Anbetracht der Rahmenumstände – der Spanische Erbfolgekrieg suchte Europa unvermindert heim – wollte der Ge heime Rat von Anfang an die Endredaktion des Reformationsprojektes und die definitive Übereinkunft mit den Ständen über die zu publizierende Endfassung ad tempora tranquilliora verschieben. Doch wollte man das Vorhaben zumindest nicht ganz ins Stocken geraten lassen, weshalb mehrere Regierungsräte deputiert werden sollten, die ihrer Arbeitsbelastung entsprechend nach und nach die Bestimmungen der Tiroler Landesordnung durchgehen, Verbesserungsvorschläge anfertigen und allenfalls bereits vorhandene Vorarbeiten zusammentragen sollten. Mit Verweis auf die bereits 1663 und 1695 ergangenen Aufforderungen ersuchte die Regierung als erste Maßnahme die lokalen Obrigkeiten um die Abgabe von Gutachten über die zu reformierenden oder zu ergänzenden Bestimmungen der Tiroler Landesordnung (von der Policeyordnung ist 1708 wie schon 1694/95 keine Rede mehr). Es gelte, dieses so nutzliche Werck seiner Erheblichkeit nach auch pro statu moderno einzurichten. Zwar wären schon bei den früheren Anlässen thails Obrigkeiten dieser Verpflichtung nachgekommen, doch seien die damals in Innsbruck eingereichten Schriften nit gleich bey Handen.1336 Tatsächlich erinnerte man in den Folgemonaten wiederholt einzelne Richter und Pfleger, ihrer Verpflichtung nachzukommen und ihre Memoriale einzusenden – insgesamt blieben die Fortschritte aber eher bescheiden. Als die Regierung im Januar 1709 ermahnt wurde, die die Reformation betreffenden Schriften zusammenzustellen und samt ihrem eigenen Gutachten an Kaiser Leopold I. zu übersenden, fiel die Antwort fünf Monate später ernüchternd aus. Die Räte wiesen auf ihre Arbeitsbelastung hin und auf die Notwendigkeit, bei früheren Anlässen entstandenes Schriftgut herauszusuchen; kurz gesagt war nicht viel passiert. Von den damals erstellten Beratungsunterlagen sind zwei Dokumente erhalten: erstens das Gutachten des Landgerichts Freundsberg und Schwaz (in zweifacher Ausfertigung),1337 zweitens die am Ende der Enquête wohl durch die Regierungskanzlei vorgenommene Zusammenstellung der als reformbedürftig angesehenen Bestimmungen der Landesordnung (Abschrifft Nottierungen über vorhabende Reformation tyrolischer Landordnung).1338 Bei erstgenanntem Gutachten ist zudem der Prozess des Zustandekommens dokumentiert. Zunächst hatte der Landrichter von Freundsberg und Schwaz alleine eine Zusammenstellung der verbesserungs TLMF, Dip. 1093, Nr. 501, 1708 Juli 28. Vgl. TLA, Hs. 3187 (Abschrifft insteender Erleiterungspuncten yber die Lanndtsordnung der Lanndtgerichtsschreiberey zu Freintsperg unnd Schwaz); Parallelüberlieferung in TLA, Hs. 3188. 1338 TLA, Hs. 1969 (ohne nähere Datierung). 1336 1337
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würdigen Titel der Landesordnung vorgenommen, die er anschließend mit dem Gerichtsausschuss diskutiert hatte. Ungeachtet der erhaltenen Gutachten ist nicht ersichtlich, dass sich die Anstalten zu einer Reformation der Landesordnung in konkreten legislativen Maßnahmen niedergeschlagen hätten. Wie bei früheren Gelegenheiten schlief das Reformprojekt wieder ein. Eine letzte, wenngleich kaum mehr ernst zu nehmende Initiative zur Reformation der Landesordnung ist im April 1740 und somit am Ende der Regierungszeit Kaiser Karls VI. nachweisbar. Aus einem nicht mehr ersichtlichen Anlass erteilte der Geheime Rat der Regierung damals den Auftrag, Überlegungen zur Reform der Landesordnung anzustellen und den Landeshauptmann und die Landstände von diesem Vorhaben zu informieren.1339 Da die daraufhin vom Landeshauptmann und den lokalen Obrigkeiten abgeforderten Gutachten weitgehend ausblieben – erhalten blieb allein das gemeinsame Gutachten der Obrigkeiten der Gerichte Hörtenberg, Imst und St. Petersberg (Oberinntal)1340 –, verlief auch dieser Ansatz im Sand. So der Gedanke daran überhaupt noch präsent war (wofür sich keine Quellenbelege mehr finden lassen), setzten spätestens der Tod Karls VI. und die mehr als turbulente Folgezeit wohl allen einschlägigen Überlegungen ein definitives Ende.1341 7. 6. 3. 2. Inhaltliche Diskussionen der Jahre 1695, 1708 und 1740 Die erwähnten erhaltenen Gutachten über die reformbedürftigen Titel der Tiroler Landesordnung lassen in ihrer Gesamtheit Schlüsse auf die inhaltlichen Diskussionen und von den ungelehrten wie gelehrten Zeitgenossen wahrgenommenen Desiderata zu. Freilich muss man bedenken, dass die Dichte der auf uns gekommenen Stellungnahmen beträchtlich variiert. Sind aus den Jahren 1695/96 immerhin sechs einschlägige Schriften erhalten, reduziert sich diese Zahl 1708 auf zwei, während aus dem Jahr 1740 nur eine Stellungnahme erhalten ist. Zum Teil ist der Entstehungskontext dabei durchaus vergleichbar. Die meisten Memoriale aus dem Jahr 1695/96, jenes des Landgerichts Freundsberg und Schwaz von 1708 sowie jenes der drei Oberinntaler Gerichte von 1740 sind aus der Rechtspraxis an der Peripherie heraus erstellt worden; während jedoch das Meraner Mémoire von 1696 sichtlich auf ein zum Zeitpunkt der Abfassung bereits vorliegendes Gutachten von offizieller Seite Bezug nimmt – es könnte sich dabei um das Gutachten des Geheimen Rats Trautson oder aber der landesfürstlichen Deputation handeln (s. o.) –, bildet das Schwazer Gutachten von 1708 gemeinsam mit weiteren (nicht erhaltenen) ver Vgl. TLA, VksM 1740, fol. 133v, 1740 April 9; TLA, AksM 1740, fol. 233, 1740 April 1. TLA, Hs. 4488. 1341 Zur Derogation der Tiroler Landesordnung vor allem durch die josephinische Gesetzgebung vgl. schon ausführlich Rapp, Statutenwesen, 2. Teil, 1829, S. 111–118. 1339 1340
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gleichbaren Stellungnahmen die Grundlage für die offizielle, durch die Zentrale vorgenommene Zusammenstellung der als reformbedürftig wahrgenommenen Titel der Landesordnung. Zwei der 1695/96 und die zwei 1708 entstandenen Gutach ten stehen somit in einem gewissen Verhältnis zueinander. Die Stellungnahme des Meraner Adels nimmt so sichtlich auf die offiziellen Überlegungen und Vorschläge Bezug, was sich sowohl am Inhalt als auch anhand der Identität der jeweils behandelten Titel zeigt. Eine Gemeinsamkeit zwischen allen Schriften zeigt sich insofern, als sie ausnahmslos die Policeyordnung aus ihren Betrachtungen ausklammern. Dies hat durchaus seinen Grund: Sie wurde damals schon als in großen Teilen durch desuetudo außer Kraft getreten betrachtet. Dass ihr im Rechtsalltag (wenn überhaupt) tatsächlich nur mehr eine marginale Observanz zukam,1342 belegt eine abschließende Bemerkung im Meraner Gutachten von 1696. Demnach würde es dem gemeinen Nutzen dienen, wenn die alberait gahr zu poden ligende polliceyordtnung (wie solche dem landtsgesaz in fine annectiert) sovil müglich pro re nata bey dermahligen umbstenden observiert, widerumb in gang gebracht, daß daselbst villeicht unpracticierliche nach jezigen leüffen zu des landts bestem eingericht und also daß fundament zu allgemainem aufnemben gelegt wurde.1343 Dies führt gleich zu einer weiteren Konstante bei allen erhaltenen Gutachten, die sich in der Beurteilung des achten Buchs der Tiroler Landesordnung zeigt. Dies betraf sowohl das materielle als auch das formelle Strafrecht. Hinsichtlich des materiellen Strafrechts war der mehr als deutliche Tenor, dass die Strafdrohungen der Tiroler Landesordnung zumeist deutlich zu streng seien und daher in fast allen Fällen nicht mehr verhängt würden. De facto wurde in Tirol mehr und mehr die Constitutio Criminalis Carolina, die Halsgerichtsordnung Karls V. von 1532, als Grundlage der Rechtsprechung herangezogen. So heißt es in einem 1695/96 anonym verfassten Gutachten, dass die Tiroler Landesordnung in statuendis poenis absonderlichen das 8te buech sehr rigoros, auch solches in viridi observantia in pluribus casibus nit mer observierlich ist, sondern man sich mehrern thayll nach der peinlichen halßgerichtsordnung caroli V. in iudicando reguliert.1344 Diese Feststellung wird üb ���������������������������������������������������������������������������������������� Dies belegt schon eine 1648 in einem Gutachten der Steuerkompromissarien zu findende Bemerkung (vgl. TLA, VdL, Bd. 20, fol. 274v, 1648 Dez. 15): Es sei notwendig, die policeyordnung zu erfrischen unnd wider in notwenndige observanz [zu] bringen, sonderlich in stuckhen der klaiderordnung, auch anderer ybermessigkheiten in gasthaltungen unnd dergleichen, dann abschaffung zu viller gartkhnecht und fremder petler, auch andern herrnlosen gesindl. 1343 TLMF, Dip. 992, Teil II, fol. 276r–284r, hier fol. 282v–283r, 1696 (ohne nähere Datie rung). 1344 TLMF, Dip. 913, Teil I, fol. 162r–164v, hier fol. 164v (ohne nähere Datierung); vgl. auch Dip. 913, Teil I, fol. 99r–127r, hier fol. 126v, 1695/96 (ohne nähere Datierung; Gutachten der Stadt Meran und der Gerichte des Burggrafenamts); ebd., fol. 162r–164v, hier fol. 164v (1695/96, anonymer Verfasser); ebenso das Gutachten der Obrigkeiten von Hörtenberg, 1342
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IV. Das Zustandekommen der Gesetze
rigens durch den in der Praxis weit verbreiteten, 1696 erschienenen Kommentar zu dem in Tirol bzw. den oberösterreichischen Landen anwendbaren Strafrecht „Nemesis romano-austriaco-tyrolensis“ des Innsbrucker Universitätsprofessors und Regimentsadvokaten Johann Christoph Frölich von Frölichsburg untermauert.1345 Und noch etwas belegt die große Relevanz, die die Constitutio Criminalis Carolina zu Beginn des 18. Jahrhunderts in Tirol erlangt hatte. Aus dem erwähnten Anlassfall – dem erkannten Mangel des 11. Titels des 8. Buchs der Landesordnung von 1573 – ordnete der Geheime Rat in einer Weisung an die Regierung an, es sollten fortan die Malefizprozesse in Tirol nach denen gemainen geschribnen [Rechten] und der peinlichen Halßgerichtsordnung mehrer ausgesezten Gesäzen auf die alldort enthaltne Orth [!] und Formb ausgefiert werden.1346 Die Regierung unterließ es jedoch, diese Bestimmung in das kurz darauf erlassene, dem als reformbedürftig erkannten Titel derogierende Mandat aufzunehmen.1347 Dies ist wohl weniger mit Nachlässigkeit ihrerseits als mit dem Umstand zu erklären, dass in der Rechtspraxis in den Landgerichten ohnehin schon eine diesbezügliche Observanz bestand. Angesichts dieser Tatsache überrascht es auch nicht, dass in mehreren Gutachten der Wunsch nach einer neuen Strafprozessordnung laut wurde.1348 Teilweise wurde in diesem Zusammenhang das Faktum, dass sich die Gerichtsgeschworenen aus dem Kreis der ‚angesessenen’ Untertanen rekrutierten, die keine rechtswissenschaftliche Ausbildung aufwiesen, als Manko wahrgenommen. Die beratende Heranziehung von Rechtsgelehrten zu Strafprozessen, wie sie seit 1650 vorgeschrieben1349 und schon in den vorangegangenen Jahrzehnten fallweise praktiziert worden war,1350 Imst und St. Petersberg vom September 1740 in TLA, Hs. 4488, hier fol. 194v–195r; TLA, Hs. 3187, fol. 10r (1708); TLA, Hs. 1969 (unfol., unpag.), Anm. zu TLO 1573, Buch 8, Tit. 15. Hier heißt es: Weillen die mereren Straffen, so in disem Puech auf die Missethaten gesetzet seindt, nicht mehr observieret werden, als würde ein ganz nützlich unnd hailsambes Werckh sein, wann auf eine jede Missethat die gepierende Straf neuerlichen statuiert oder wohl glaterdingen Kayser Carls des Finften peinliche Halsgerichtsordnung zu observiern verordnet [...]. Vgl. ausführlich Kap. IV.7.1.2. 1345 Frölich von Frölichsburg, Nemesis, 1696. 1346 TLA, VksM 1708, fol. 566v–567v, 1708 Aug. 20. 1347 Vgl. TLA, CD 1708, fol. 415v–416r, 1708 Sept. 10. 1348 Vgl. TLMF, Dip. 913, Teil I, fol. 99r–127r, hier fol. 126v, 1695/96 (ohne nähere Datierung; Gutachten der Stadt Meran und der Gerichte des Burggrafenamts); ebd., fol. 162r–164v, hier fol. 164v (1695/96, anonymer Verfasser); ebenso das Gutachten der Obrigkeiten von Hörtenberg, Imst und St. Petersberg vom September 1740 in TLA, Hs. 4488, hier fol. 194v– 195r; TLA, Hs. 3187, fol. 10r (1708); TLA, Hs. 1969 (unfol., unpag.), Anm. zu TLO 1573, Buch 8, Tit. 15. 1349 Vgl. hierzu und zu den vorangegangenen Diskussionen TLA, AfD 1649, fol. 475r–476r, 1649 Sept. 25; TLA, VfD 1649, fol. 241v, 1649 Okt. 9; TLA, AfD 1659, fol. 5v–6r, 1650 Jan. 4, sowie schließlich die landesfürstliche Resolution in TLA, VfD 1650, fol. 304v, 1650 Jan. 22. 1350 Vgl. nur die Aufhebung eines Strafurteils des Gerichts Neuhaus durch die Regierung samt Zurückverweisung zur neuerlichen Urteilsfällung mit folgenden Bemerkungen (TLA, CD
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bezeichnete ein Gutachten dabei ausdrücklich als geeignete Maßnahme, diesem Defizit gegenzusteuern.1351 Dasselbe gilt für die im Jahr 1562 zunächst noch einzelfallspezifisch eingeführte und unter Erzherzog Leopold V. generalisierte Konfirmati onspflicht für Malefizurteile durch die oberösterreichische Regierung, die auf diese Weise die Gesetzmäßigkeit der Strafrechtspflege sicherstellen wollte.1352 Aber auch in anderen Bereichen zeigen sich bemerkenswerte inhaltliche Parallelen in den von Verfassern mit unterschiedlichem sozialen und bildungsmäßigen Hintergrund eingereichten Memorialen. Insbesondere manifestiert sich nahezu durchgehend eine vergleichbare Schwerpunktsetzung, indem alle Denkschriften dem zweiten und dritten Buch der Tiroler Landesordnung besondere Aufmerksamkeit zukommen lassen; abgeschlagen, wenngleich teilweise immer noch mit einer erklecklichen Anzahl von Anmerkungen und Verbesserungsvorschlägen versehen folgen die Bücher 1 und 5 der Tiroler Landesordnung von 1573.1353 Sieht man von der sehr summarischen Erwähnung des Straf- und Strafprozessrechts im obgenannten Sinne ab, werden die übrigen Bücher der Landesordnung nahezu kaum mehr diskutiert und annotiert.1354 Dieses nahezu vollständige Übergehen der Bücher 4, 6 und 7 dürfte einen ähnlichen Grund haben wie das weitgehende Schweigen zum Strafrecht respektive zur Policeyordnung. Da sie überwiegend policeyrechtliche 1639, fol. 346v, 1639 Juli 6): Da die Regierungsräte das Urteil dem sanktionierten laster nit gemeß zu sein befinden, als haben wir euch die vellige acta hiemit widerumb zurugg senden wollen mit dem Auftrag, beynebens die umbstendt angeregten verbrechens in pessere consideration zu nemben, mit zueziechung eines rechtsgelehrten ain andere urthl zu schöpfen und dies neuerlich nach Innsbruck zu senden. 1351 ������������������������������������������������������������������������������������������� TLMF, Dip. 913, Teil I, fol. 59r–99r, hier fol. 59, 1695/96 (ohne nähere Datierung; Gutachten der Gerichte an der Etsch). 1352 ������������������������������������������������������������������������������������������� TLMF, Dip. 913, Teil I, fol. 59r–99r, hier fol. 59, 1695/96 (ohne nähere Datierung; Gutachten der Gerichte an der Etsch); TLA, Hs. 1969 (unfol., unpag.), Anm. zu TLO 1573, Buch 8, Tit. 15. 1353 Exemplarisch seien hier für eine Reihe von Gutachten die behandelten Titel aufgelistet. TLMF, Dip. 992, Teil II, fol. 284r–288r, und das darauf Bezug nehmende Gutachten ebd., Teil II, fol. 276r–288v, 1696/96, behandeln jeweils: TLO 1573, Buch 2, Tit. 1, 10, 17, 42, 51, 75–61, 63, Buch 3, Tit. 1, 3, 9, 16, 19, 22, 24, 35, 36, 38, 46, 54, 56, Buch 5, Tit. 4–8, 14; TLMF, Dip. 913, Teil II, fol. 59r–99r (Gutachten der Gerichte an der Etsch von 1695/96) behandelt TLO 1573, Buch 2, Tit. 8, 10, 17, 24, 42, 48, 51, 63–85 (Pfändungsbestimmungen, summarisch), Buch 3, Tit. 1–3, 9, 16, 22, 35, 56, Buch 5, Tit. 4, 7, 39; TLA, Hs. 3187 (Zusammenstellung der zur Landesordnung eingereichten Verbesserungsvorschläge, 1708 wahrscheinlich durch die Regierung angefertigt) behandelt TLO 1573, Buch 1, Tit. 7–10, Buch 2, Tit. 4–6, 8–14, 16, 24, 35, 42, 45, 49, 52–53, 55, 60, 62, 63–83 (Pfändungsbestimmungen, summarisch), Buch 3, Tit. 2, 4, 9, 19, 25, 35–36, 38, 41, Buch 5, Tit. 6–7, Buch 6, Tit. 6, 36, Buch 7, Tit. 3, Buch 8, Tit. 15, 27; TLA, Hs. 4488 (Gutachten der Gerichte Hörtenberg, St. Petersberg und Imst von 1740) behandelt TLO 1573, Buch 1, Tit. 7, Buch 2, Tit. 1, 8–10, 12–14, 17–19, 22–35, 39, 42, 48, 51–53, 56–57, 61–69, 77, 80, Buch 3, Tit. 1–5, 7–9, 13, 16, 18–20, 22, 23, 34, 35, 38, 40, 42, 44–45, 52, 53; Buch 5, Tit. 3–8, 14, 39. 1354 �������������������������������������������������������������������������������������� Zumindest ansatzweise geschieht dies noch im 1695/96 verfassten Gutachten der Oberinntaler Gerichtsobrigkeiten: TLMF, Dip. 913, Teil II, fol. 142r–161v.
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Vorschriften enthielten, war ihnen im Verlauf der seit der Publikation der Landesordnung verflossenen Jahrzehnte weitestgehend durch Einzelgesetzgebungsakte derogiert worden bzw. waren sie durch fehlende Observanz außer Kraft getreten. Letzteres wird durch eine anonyme Stellungnahme von 1695/96 mit Blick auf das 6. Buch der Landesordnung ausdrücklich formuliert, verbunden mit der Aufforderung, die darin enthaltenen gar hailsamme[n] ordnungen [...] wieder durchgeendt ad viridem observationem zu bringen.1355 Eines ist somit deutlich festzuhalten: Dass gerade die Bücher 2 und 3, die vornehmlich jene Rechtsbereiche normierten, die man in der heutigen Terminologie als Zivilprozess- und Zivilrecht ansprechen würde, reformbedürftig waren, war um 1700 offensichtlich communis opinio.1356 Auf die zahlreichen, in den Gutachten unterbreiteten Verbesserungsvorschläge kann an dieser Stelle nicht en détail eingegangen werden. Dies muss einer späteren Untersuchung vorbehalten bleiben. Einiges soll hier jedoch teils exemplarisch, teils aufgrund des besonderen Interesses hervorgehoben werden. Zunächst fällt auf, dass dem gelehrten Recht in mehreren Stellungnahmen eine gewisse Funktion zukommt, wenn es um die Diskussion einzelner Titel der Landesordnung geht.1357 Auch bei Vorschlägen, wie erfahrungsgemäß besonders konfliktträchtige Bestimmungen präzisiert werden könnten, wird immer wieder das gelehrte Recht ins Treffen geführt, wobei teilweise auch auf rezentere rechtswissenschaftliche Literatur verwiesen wird (früher erlassene, den Titeln der Landesordnung derogierende Einzelgesetzgebungsakte werden demgegenüber nur in zwei Gutachten erwähnt).1358 Im Zusammenhang mit der Morgengabe verweist das Gutachten der Gerichte an der Etsch beispielsweise auf ein Werk von Antonius Faber.1359 Diese zwar nicht massiv hervortretende, aber doch deutlich greifbare Rolle des gelehrten Rechts bei der Erörterung potentiell reformbedürftiger Titel der Tiroler Landesordnung unterscheidet die vorliegenden Gutachten signifikant von den Vorgängen im Vorfeld der Reformation der Landesordnung von 1573, als das gelehrte Recht – soweit anhand der Verhandlungsprotokolle nachweisbar – bestenfalls marginal in Erscheinung trat. Auch die Sprache ist zwischenzeitlich deutlich fachspezifischer und folglich präziser geworden, aber auch mit mehr Latinismen durchsetzt. Dabei darf man nicht vergessen, dass die erhaltenen Gutachten großteils nicht von den TLMF, Dip. 913, Teil II, fol. 162r–164v, hier fol. 164r. Ausdrücklich formuliert wurde dies hinsichtlich des dritten Buchs 1695/96 in TLMF, Dip. 913, Teil II, fol. 163. 1357 Vgl. z. B. TLMF, Dip. 913, Teil II, fol. 64v–65r (zu TLO 1573, Buch 2, Tit. 48); ebd., fol. 65r–65v (zu TLO 1573, Buch 2, Tit. 51); ebd., fol. 85v (zu TLO 1573, Buch 5, Tit. 4); TLMF, Dip. 992, Teil 2, fol. 276r–288v, hier fol. 278r (zu TLO 1573, Buch 3, Tit. 1). 1358 ���������������������������������������������������������������������������������������� Eine – hier allerdings recht ausführliche – Berücksichtigung finden Einzelgesetzgebungsakte in dem Gutachten der Gerichte an der Etsch von 1695/96 in TLMF, Dip. 913, Teil I, fol. 59r–99r, sowie im Oberinntaler Gutachten von 1740. 1359 TLMF, Dip. 913, Teil I, fol. 59r–99r, hier fol. 70v, Anmerkung zu TLO 1573, Buch 3, Tit. 1. 1355 1356
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gelehrten Räten des Geheimen Rats oder der Regierung erstellt wurden, sondern an der Peripherie. Es wird an anderer Stelle nachzuweisen sein, dass diese Entwicklung wohl kein Zufall ist. Seit der Gründung der Universität Innsbruck erfuhren die Rechtswissenschaften einen deutlichen Aufschwung,1360 der sich nicht zuletzt in einer verstärkten rechtswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem heimischen Recht – und in concreto mit der Tiroler Landesordnung – niederschlug. Ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurden eine ganze Reihe von Arbeiten und Kommentaren zur Landesordnung verfasst, die zwar teilweise nur handschriftlich vervielfältigt wurden, jedoch große Verbreitung fanden und erheblichen Einfluss auf die Rechtspraxis hatten.1361 Die inhaltlichen Anregungen, Verbesserungswünsche und aufgezeigten Mängel lassen sich grob vereinfachend in drei Gruppen unterteilen. In einigen Fällen werden ganz konkrete Wünsche an den Gesetzgeber herangetragen. Sei es, dass gebeten wird, bislang unbekannte Rechtsinstitute in Tirol einzuführen, sei es, dass die Ausscheidung bzw. Modifikation von als nicht zielführend wahrgenommenen Titeln aus der Landesordnung angeregt wird. Musterbeispiel für Ersteres ist die in nahezu allen Gutachten vorgeschlagene Einführung des beneficium inventarii in Tirol,1362 während der 22. Titel des 3. Buchs der Tiroler Landesordnung von 1573 an die Erstellung eines Inventars keine entsprechenden Rechtsfolgen knüpfte. Sobald ein Erbe erklärt hatte, das Erbe antreten zu wollen, haftete er unbegrenzt für sämtliche Nachlassschulden, unabhängig davon, ob diese zum Zeitpunkt der Inventarerrichtung (so eine solche überhaupt erfolgte) schon bekannt gewesen oder erst nachträglich ans Licht gekommen waren. Auch Beispiele für Änderungswünsche lassen sich unschwer erkennen: Weit verbreitet war so das Bedürfnis, zu einer Vereinfachung der komplexen Formalvorschriften bei Pfändungen zu gelangen.1363 Mehrfach wurde der Wunsch deponiert, in Fällen der außerstreitigen und streitigen Zivilgerichtsbarkeit aus Kostengründen die bislang vorgeschriebene Zahl von Gerichtsgeschworenen zu reduzieren.1364 Dies hätte zumindest teilweise wohl nur den status quo gutgeheißen, wies doch beispielsweise das Memorial der Gerichte an der Etsch von 1695/96 darauf hin, dass in Angelegenheiten der außerstreitigen Gerichtsbarkeit regelmäßig nur zwei (statt wie im 4. Titel des 2. Buchs der Tiroler Landesordnung von 1573 vorgeschrieben fünf bzw. sieben) Geschworene herangezogen würden.1365 Zum Teil wurden in den Stellungnahmen durchaus entgegengesetzte Standpunkte ������������������������������������������������������������������������������������������ Vgl. Wretschko, Geschichte der Juristischen Fakultät, 1904; Huter, Anfänge der Juristenfakultät, 1968. 1361 Vgl. hierzu Sartori-Montecroce, Reception, 1895, S. 85–88. 1362 Vgl. z. B. TLMF, Dip. 992, Teil II, fol. 276r–288v, hier fol. 279r; TLMF, Dip. 913, Teil II, fol. 59r–99r, hier fol. 80r. 1363 TLO 1573, Buch 2, Tit. 63 ff.; vgl. besonders ausführlich TLMF, Dip. 913, Teil II, fol. 59r– 99r, hier fol. 67r–70r (Gutachten der Gerichte an der Etsch von 1695/96). 1364 Vgl. z. B. TLA, Hs. 3187, fol. 1r. 1365 TLMF, Dip. 913, Teil II, fol. 59r–99r, hier fol. 59v. 1360
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vertreten. So schlug beispielsweise 1696 der Meraner Adel vor, die im 19. Titel des 4. Buchs der Landesordnung von 1573 vorgesehene Scheidung des Nachlassvermögens in Erbgut und gewonnene Güter abzuschaffen.1366 Auch im Schwazer Gutachten von 1708 wird diese Frage angesprochen, da die Scheidung in ererbtes Gut und erworbenes Gut in der Praxis vill difficulteten mit sich bringt, wie es der Schwazer Landrichter wohl in Anbetracht der Beweisproblematik ausdrückte.1367 Mit Blick auf den Nutzen, den diese Bestimmung für die jeweiligen eheleiblichen geschwistrigethen bringe, bejaht er jedoch den Sinn und die Zweckmäßigkeit des Titels. Dies führt zur zweiten Gruppe von Verbesserungsvorschlägen. Sie zielen auf die Kodifikation des Gewohnheitsrechtes ab bzw. wünschen bei (vermeintlich) zweifelhaften Titeln, dass eine Präzisierung im Sinne des Gewohnheitsrechtes vorgenommen wird. Musterbeispiel hierfür ist der 9. Titel des 3. Buchs der Tiroler Landesordnung von 1573 und die korrespondierenden leges speciales des 34. und 35. Titels des 3. Buchs der Tiroler Landesordnung von 1573. Der 9. Titel des 3. Buchs sah eine grundsätzliche Gleichstellung männlicher und weiblicher Deszendenten des Erblassers vor (Erbt yedes kind für sein haubt / ain gleichen Tail), enthielt aber (abgesehen von den Sonderbestimmungen für Heergerät und Gerade) eine deutliche Einschränkung. Den Söhnen sollte nämlich nach irem herkumen / und gelegenhait des Guts / ain zimlicher Vortail zu erhaltung Stammens und Namens / nach erkanntnuss Erbarer lewt / oder des Rechtens zukommen. An dieser Bestimmung und sonderlich an der Formulierung zimblicher Vortail entzündeten sich die Diskussionen. Die Problematik war schon in einem in der Regierungszeit von Claudia de’ Medici entstandenen Gutachten auf den Punkt gebracht worden:1368 Die verba legalia ließen nämlich völlig offen, wie groß dieser so genannte „Mannsvortl“ (d. h. „Mannesvorteil“) sein sollte. Dies sei weder ex consuetudine, als welche ganz difformis, und noch ex statuto determiniert, da die beiden an die Hand gegebenen Kriterien (nach Herkommen und Gelegenheit des Guts) als nicht aufschlussreich wahrgenommen wurden. Dementsprechend abweichend waren die Vorschläge einer Präzisierung. Die Gerichte an der Etsch hoben unter Verweis auf das Gewohnheitsrecht hervor, dass es von etlich sibenzig jahren hero jederweillen observierlichen gewösen, dass der „Mannsvortl“ ein Drittel des väterlichen Vermögens umfasse.1369 Demgegenüber schlug der Meraner Adel vor, dass dem „Mannsvortl“ eine Höchstgrenze gesetzt werden sollte; er sollte demnach nicht mehr als ein Drittel des Nachlassvermögens betreffen.1370 Hingegen proponierte das Gutachten des Landgerichts Freundsberg und Schwaz die Fixierung des „Mannsvortls“ auf rund zehn Prozent des Nachlass TLMF, Dip. 992, Teil II, fol. 276r–288v, hier fol. 278v–279r; TLA, Hs. 3187, fol. 5r. Ähnlich auch TLA, Hs. 1969 (unfol., unpag.), Anm. zu TLO 1573, Buch 3, Tit. 3. 1368 TLMF, Dip. 1042, fol. 69r–84r, anonymes Guetachten, die tyrolische landtsordnung betreffend, verfasset unter der regierung der erzherzogin Claudia. 1369 TLMF, Dip. 913, Teil II, fol. 59r–99r, hier fol. 78v. 1370 TLMF, Dip. 913, Teil II, fol. 127v–141v, hier fol. 133r. 1366 1367
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vermögens.1371 Andere Gutachten wiederum forderten ohne inhaltliche Vorgaben bloß eine nähere Präzisierung,1372 die Oberinntaler Obrigkeiten regten schlichtweg die einzelfalladäquate Fixierung des „Mannsvortls“ durch das Gericht unter Ausschluss jedes Rechtsmittels an.1373 Beim 9. Titel des 3. Buchs der Tiroler Landesordnung von 1573 war jedoch nicht einmal der persönliche Geltungsbereich klar. Galt die Bestimmung nur für den Adel, für den Adel und den „gemeinen Mann“ oder nur für den „gemeinen Mann“? Im zuletzt angeführten Fall hätten die Titel 34 und 35 als leges speciales im Verhältnis zum Titel 9 den „Mannsvortl“ für den Adel geregelt und näher bestimmt. Der Wortlaut legt eine solche Unterscheidung nahe, unbestritten war sie gleichwohl nicht. Auf den Punkt bringt dies das Gutachten der Gerichte an der Etsch aus den Jahren 1695/1696, das bei der Erörterung des betreffenden Titels bezeichnenderweise anführt: Manicher alter rechtsgelehrter unnd gerichtspracticant hat sich fieglich zu verwundern, das die landtsordnung so gar in ihrem haitern verstand nit will eingenommen und in villen sachen der adl unter der burgerschafft unnd dem gemeinen mann vermischet werden; jedoch von denen verständigen der 9. Titel 3. Buchs einzig unnd allein von gemeinen mann verstanden.1374 Das Schwazer Gutachten von 1708 weist demgegenüber nur aus, dass die Einräumung eines „Mannsvortls“ im Erbgang auch bei Personen gemeinen Stands an theills orthen practiciert würde. Überall war dies demnach nicht der Fall,1375 und von einer auf den „gemeinen Mann“ restringierten Interpretation des 9. Titels war keine Rede. Eine ähnliche Präzisierung der Landesordnung in Übereinstimmung mit dem Gewohnheitsrecht wurde hinsichtlich des 1. Titels des 3. Buchs der Tiroler Landesordnung von 1573 postuliert, wo die Morgengabe zwar erwähnt, im Übrigen diesbezüglich jedoch auf den gemainen Lanndsbrauch verwiesen wird. Schon das Pustertaler Gutachten von 1560 weist aus, dass im ganzen Land ein Rechtsbrauch bestehe, wonach die Morgengabe auch ohne ausdrückliche Vereinbarung zwischen den Ehegatten ein Drittel des von der Frau in die Ehe eingebrachten Vermögens umfassen solle.1376 Das Memorial der Gerichte an der Etsch erwähnt auch 1695/1696 eine entsprechende Rechtsgewohnheit, fordert jedoch deren Abstellung.1377 Ebenso legen die Stadt Meran und das Viertel Burggrafenamt dem Gesetzgeber die Präzisie
TLA, Hs. 3187, fol. 4v. TLMF, Dip. 913, Teil II, fol. 99r–127r, hier fol. 113v. 1373 TLA, Dip. 913, Teil II, fol. 127v–141v, hier fol. 145. 1374 TLMF, Dip. 913, Teil II, fol. 59r–99r, hier fol. 78v. 1375 TLA, Hs. 3187, fol. 4v. 1376 TLMF, Dip. 904, Teil II, fol. 16r–27v, hier fol. 21v–22r. 1377 TLMF, Dip. 913, Teil II, fol. 59r–99r, hier fol. 70v. 1371 1372
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rung nahe, dass eine Morgengabe ausdrücklich vereinbart werden müsse und tacite, wie in theyls orthen gebreichig, nit gelten solle.1378 Kommen wir abschließend noch auf die dritte Kategorie von Verbesserungswünschen zu sprechen. Dies sind Anregungen, Bestimmungen auszuscheiden, die zwar zum Zeitpunkt der Erlassung der Landesordnung noch geltende Rechtsgewohnheiten widerspiegelten, zwischenzeitlich jedoch durch fehlende Observanz ihren Geltungsgrund verloren hatten.1379 Geradezu mustergültig lässt sich dies anhand der prozessualen Vorschrift im 43. Titel des 2. Buchs der Tiroler Landesordnung von 1573 nachweisen. Hier war der einhellige Tenor, dass die drei dort vorgesehenen, je nach Streitgegenstand variierenden Rechtstage für die Urteilsfällung nicht mehr in observanz seindt [sind] und daher aufgehöbt werden sollten.1380
TLMF, Dip. 913, Teil II, fol. 99r–127r, hier fol. 111r. Zum Geltungsgrund der Observanz vgl. Simon, Geltung, 2005, hier bes. S. 119. 1380 So das 1695/96 verfasste Gutachten der Oberinntaler Gerichtsobrigkeiten: TLMF, Dip. 913, Teil II, fol. 142r–161v, hier fol. 142; die anderen Gutachten fallen gleich aus: vgl. nur ebd., fol. 59r–99r, hier fol. 63v–64r (Gutachten der Gerichte an der Etsch); TLA, Dip. 992, Teil II, fol. 284r–188r, hier fol. 284r; TLA, Hs. 3187, fol. 1v (die Bestimmung kunte als ein nunmehr ungewondliche observanz cassiert werden); ebenso das Gutachten der drei Gerichte Hörtenberg, Imst und St. Petersberg von 1740: Hs. 4488, fol. 21v–23r. 1378 1379
V. Die Publikation der Gesetze 1. Materielle und formelle Publikation Die Kundmachung einer Norm ist Geltungs- und Wirksamkeitsvoraussetzung und wird in Spätmittelalter und Frühneuzeit zu den konstitutiven Elementen des Gesetzesbegriffs gerechnet.1 Ein legislativer Akt vermag seine verhaltenssteuernde Funktion nur dann zu entfalten, wenn er zur Kenntnis der Normadressaten gelangt.2 Zur Erreichung dieses Ziels stehen dem Gesetzgeber zwei unterschiedliche Möglichkeiten offen, wobei für Österreich der 1. November 1849 die entscheidende Zäsur darstellte: Mit dem Erscheinen des „Reichsgesetz- und Regierungsblattes für das Kaiserthum Österreich“ löste in der österreichischen Monarchie auf Gesamtstaatsebene das Prinzip der formellen Gesetzespublikation das bis dahin praktizierte so genannte materielle Publikationsprinzip ab.3 Die theoretische Differenzierung zwischen materieller und formeller Publikation wurde 1903 von Josef Lukas getroffen.4 Im Fall der formellen Publikation begnügt sich der Gesetzgeber damit, einen bestimmten formellen Akt zu vollziehen, der potentiell allen Normadressaten die Möglichkeit bietet, sich von einem Norminhalt Kenntnis zu verschaffen. Im Allgemeinen wird dieser formelle Akt die Veröffentlichung einer Norm in einem staatlichen Gesetzblatt oder in einem anderen amtlichen Publikationsorgan sein. Damit geht die Rechtsfiktion einher, sämtliche gehörig kundgemachten Normen seien allgemein bekannt. Der Verweis auf angeb liche Rechtsunkenntnis stellt somit grundsätzlich keinen Schuldausschließungs grund dar.5 Im Normalfall muss sich der Normadressat mit den für seinen Lebens
Vgl. hierzu Kap. II.3.2.5. Die folgenden Ausführungen erweitern den Aufsatz von Schennach, Publikation und Normintensität, 2008. 2 �������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. auch schon Holzinger, Kundmachung von Rechtsvorschriften, 1988, S. 304; ganz ähnlich schon die frühneuzeitliche Staatslehre, vgl. z. B. von Stökken, De potestate legislatoria, 1619, These 42, S. 24: „Leges autem nisi promulgatae obligare non dicuntur.“ Pufendorf, Elementa jurisprudentiae universalis, Nachdruck 1990, Definitio XIII, § 10 (hier S. 88–89); vgl. auch noch Kreittmayr, Grundriß, II. Teil, § 88, S. 151; differenzierend freilich Meisner, Dissertatio de legibus, 1616, S. 294–295. 3 Vgl. Pauser, Gesetzblätter (e-text); zur Einführung eines Gesetzblattes in der österreichischen Monarchie im Jahr 1849 auch Wunder, Vom Intelligenzblatt zum Gesetzblatt, 1997, S. 75– 76; ferner (v. a. auch zu § 2 ABGB) Brauneder, „Gehörige Kundmachung“, 2001. Die in Österreich seit 2004 vorgeschriebene Kundmachung der Bundesgesetzblätter in authentischer Form im „Rechtsinformationssystem des Bundes“ ist hingegen trotz der dadurch für die über einen Internetzugang verfügenden Normadressaten bewirkten leichteren Zugänglichkeit der Bundesrechtsvorschriften unverändert eine Ausprägung des formellen Publikationsprinzips. 4 Vgl. Lukas, Über die Gesetzes-Publikation, 1903, bes. S. 7–15. 5 ������������������������������������������������������������������������������������������ Vgl. § 5 Abs. 2 VStG (Verwaltungsstrafgesetz); einen komprimierten Überblick über die einschlägige Lehre und Judikatur bietet Brauneder, „Gehörige Kundmachung“, 2001, S. 16; vgl. auch schon Mayer-Maly, Rechtskenntnis und Gesetzesflut, 1969. 1
614
V. Die Publikation der Gesetze
bereich maßgeblichen Rechtsvorschriften vertraut machen: „Formelle Publikation ist somit eine Holschuld des Rechtsunterworfenen.“6 Demgegenüber setzt der Normgeber bei der materiellen Publikation konkrete Maßnahmen, um eine Norm allgemein bekannt zu machen und die effektive Kenntnisnahme ihres Inhalts durch die Normadressaten sicherzustellen. Die Techniken, derer er sich dabei bedienen kann, können vielfältig ausgestaltet sein (Verlesung der Gesetze von Kirchenkanzeln oder auf öffentlichen Versammlungen, Anschlag an öffentlichen Orten wie Kirchentüren oder Stadttoren). Die Darstellung dieser Publikationstechniken wird einen der Gegenstände dieses Kapitels bilden. Während der Vorteil dieser Publikationsmethode evident ist – anknüpfend an das Postulat effektiver Rechtsvermittlung servierte sie in Spätmittelalter und Frühneuzeit den Normadressaten die Norminhalte gleichsam auf dem Präsentierteller –, warf sie zugleich erhebliche Probleme auf. Zahlreiche Hindernisse konnten die Kundmachung vor Ort vereiteln oder zumindest verzögern; nie konnten alle Normadressaten auch tatsächlich erreicht werden, geschweige denn zur gleichen Zeit. Stets bestand für den Normunterworfenen die Möglichkeit, auf fehlende Kenntnisnahme des Gesetzes zu verweisen. In diesem Fall musste erhoben werden, ob und zu welchem Zeitpunkt die Kundmachung im fraglichen Gebiet erfolgte und ob dem Einzelnen die Kenntnisnahme der Norm zumutbar war. Rechtssicherheit, territoriale Rechtsgleichheit und verwaltungsökonomische Überlegungen sprechen daher gegen die materielle Publikation. Sie war jedoch schon mit Blick auf die weit verbreitete Illiteralität der frühneuzeitlichen ländlichen Gesellschaft und den noch verhältnismäßig geringen Grad herrschaftlich-administrativer Raumdurchdringung die selbstverständliche Publikationsmethode des Ancien Régime. Dies änderte sich erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts.7 Nachdem 1795 erstmals das revolutionäre Frankreich ein staatliches Gesetzblatt, das „Bulletin des lois de la République“, mit der Wirkung der formellen Publikation ausgestattet hatte, trat die formelle Publikationsmethode ihren Siegeszug in ganz Europa an.
2. Forschungsstand Der Verweis auf Josef Lukas hat es bereits gezeigt: Die Beschäftigung mit Formen, Funktionen sowie der Entwicklung der Gesetzespublikation hat im Rahmen der Rechtsgeschichte wie der Geschichtswissenschaften eine lange Tradition,8 die bis in
Pauser, Gesetzblätter (e-text). Vgl. zum Folgenden Wunder, Vom Intelligenzblatt zum Gesetzblatt, 1997; ferner Ruppert, Entstehung der Gesetz- und Verordnungsblätter, 1999. 8 ���������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. neben Lukas, Über die Gesetzes-Publikation, 1903, auch Hubrich, Entwicklung der Gesetzespublikation, 1918. 6 7
2. Forschungsstand
615
jüngste Zeit nicht abriss.9 Entscheidende Impulse ergaben sich im vergangenen Jahrzehnt im Zuge des Aufblühens der Forschung zur „guten Policey“. Bei der Untersuchung der umfangreichen Policeygesetzgebung des Ancien Régime wurden sowohl die mannigfaltigen Kundmachungsformen frühneuzeitlicher Gesetze dargestellt als auch die Ursachen für frequente Normwiederholung und -einschärfungen analysiert.10 Die ältere Forschung sah hierin in häufiger Übereinstimmung mit den verba legalia, die in den Narrationes regelmäßig und wortreich die mangelnde Einhaltung früherer Vorschriften beklagten, einen Beleg für fehlende oder zumindest sehr defi zitäre Gesetzesdurchsetzung im Ancien Régime.11 Aus dieser Prämisse abgeleitet wurde das Theorem symbolischer Gesetzgebung im Alten Reich.12 Die umfangreiche Normsetzung und Normwiederholung auf dem Gebiet der „guten Policey“ sei von vornherein nicht primär auf Durchsetzung angelegt gewesen; vielmehr dienten der Gesetzgebungsprozess und die Publikation vornehmlich der Herrschaftsinszenierung und ‑demonstration des frühmodernen Staates. Beide Ansätze sind inzwischen erheblich revidiert worden. Erstens wurde die vermeintliche Frequenz von Normwiederholungen relativiert, da zwischen dem Erlass eines Gesetzes und seiner Einschärfung durchaus Jahre bis Jahrzehnte liegen können. Nur aus der Perspektive ex post des betrachtenden (Rechts-)Historikers scheinen derartige Zeiträume zu vernachlässigbaren Größen zusammenzuschrumpfen, zumal eine neuerliche Publikation zudem nicht selten mit inhaltlichen Adaptierungen einherging. Zweitens wurde aufgezeigt, dass vom Faktum der Normwiederholung allein nicht linear auf Vollzugsdefizite geschlossen werden dürfe. Die entsprechenden Passagen in den Narrationes landesfürstlicher Gesetze haben nicht zuletzt toposartigen Charakter und sollen die Notwendigkeit einer Regelung unterstreichen.13 Ein simpler Schluss auf fehlende Normdurchsetzung orientiere sich zudem relativ naiv an dem anscheinend „effizienten“ und durchgängigen Gesetzes
Vgl. nur Willoweit, Gesetzespublikation und verwaltungsinterne Gesetzgebung, 1997; Wolf, Publikation von Gesetzen, 1990, Sp. 85–92; Kocher, Rechtsverständnis und Rechtsreformen, 1983, S. 60–62; Wolf, Gesetzgebung in Europa, 21996, S. 55–58; Gestrich, Absolutismus und Öffentlichkeit, 1994, S. 148–150; Scheutz, Öffentlichkeit und politische Partizipation, 2001, S. 383–385; Seggern, Herrschermedien, 2003, S. 49–52 und S. 227–269; Seggern, Publikation von Münzordnungen, 2005; vgl. ferner die bereits angeführten Beiträge von Brauneder, „Gehörige Kundmachung“, 2001; Wunder, Vom Intelligenzblatt zum Gesetzblatt, 1997; Ruppert, Entstehung, 1999; Cauchies, Législation, 1982, S. 181–238. 10 ������������������������������������������������������������������������������������������ Vgl. nur Weber, Polizei- und Landesordnungen, 1996, S. 164–172; Dehesselles, Policey, Handel und Kredit, 1999, S. 54–59; Dubach, Gesetz und Verfassung, 2001, S. 262–277; Härter, Gesetzgebungsprozess und gute Policey, 2002; Holenstein, „Gute Policey“ und lokale Gesellschaft, 2003, S. 191–233; Härter, Policey und Strafjustiz, 1. Teilbd., 2005, S. 221–244; Brück, Polizeiordnung Herzog Christians, 2003, S. 54–56. 11 Beispielhaft sei verwiesen auf Raeff, The Well-ordered Police State, 1983, S. 50–53; vgl. auch den Überblick bei Stolleis, „Normdurchsetzung“, 2000, bes. S. 744–746. 12 Vgl. hierzu vor allem Dinges, Normsetzung als Praxis, 1997; Schlumbohm, Gesetze, die nicht durchgesetzt werden, 1997. 13 So auch schon Schlosser, Gesetzgebung und Rechtswirklichkeit, 1982, S. 538. 9
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V. Die Publikation der Gesetze
vollzug des modernen Staates, ohne die Erkenntnisse moderner Rechtssoziologie zur Kenntnis zu nehmen.14 Dagegen wurde zuletzt darauf hingewiesen, dass die ständige Wiederholung von Gesetzen in der Frühen Neuzeit in Anbetracht der weit verbreiteten Illiteralität schlichtweg eine unverzichtbare Wirksamkeits- und Geltungsvoraussetzung darstelle. Der Forschungsstand zum Themenbereich „Gesetzespublikation“ ist somit inzwischen als durchaus zufrieden stellend zu bezeichnen. Dennoch bieten die im Fall Tirols ausgezeichnete Quellenüberlieferung sowie inhaltliche Aspekte zusätzliche Erkenntnismöglichkeiten. Hierzu sei nur ein Beispiel herausgegriffen: Während sich im hochstiftisch-augsburgischen Amt Rettenberg, das im Nordwesten an die Grafschaft Tirol grenzte, die Kundmachung von Mandaten durch Anschlag erst in den achtziger Jahren des 16. Jahrhunderts durchsetzte,15 war dies in den ländlichen Gerichten Tirols bereits sechs Jahrzehnte früher die Regel gewesen. Erste Beispiele lassen sich bereits in den achtziger Jahren des 15. Jahrhunderts nachweisen. Auch ein weiter entferntes Vergleichsbeispiel vermag den Befund des hohen administrativen Niveaus in Tirol und der dadurch gegebenen, tendenziell starken herrschaftlichen Durchdring ung des peripheren Raums zu erhärten: In Kurmainz findet sich so das erste Indiz für ein Anschlagen gedruckter Gesetze erst für das Jahr 1642.16
3. Der technische und administrative Rahmen Es wurde an anderer Stelle bereits ausführlich dargestellt, dass sich die landesfürstliche Kanzlei besonders seit den siebziger Jahren des 15. Jahrhunderts vermehrt der schon seit dem 14. Jahrhundert bekannten Gesetzesform zur Erlassung generellabstrakter normativer Regelungen mit landesweitem Geltungsbereich bediente.17 Früher praktizierte Möglichkeiten der landesfürstlichen Normsetzung an der Peripherie wurden durch den bald standardisierten Vorgang der Publikation von Gesetzen zwar nicht gänzlich beseitigt, jedoch quantitativ an den Rand gedrängt. Bis zur Dominanz der Gesetzesform ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, die einerseits Resultat der zunehmenden Differenzierung und Expansion der landes fürstlichen Kanzlei war, andererseits aber auch als fördernder Faktor auf diesen Differenzierungs- und Expansionsprozess einwirkte, wählte die landesherrliche Kanzlei andere Optionen zur Normsetzung an der Peripherie wie z. B. mittels In Vgl. nur Landwehr, „Normdurchsetzung“, 2002, bes. S. 155; Härter, Sozialdisziplinierung durch Strafe?, 1999, S. 369–371. 15 Dubach, Gesetz und Verfassung, 2001, S. 266. 16 Härter, Policey und Strafjustiz, 2005, S. 229. 17 ���������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Kap. II.3.2.5. sowie Schennach, Gewohnheitsrecht, Einzelgesetzgebung und Landesordnungen, 2008, S. 44–50. 14
3. Der technische und administrative Rahmen
617
struktionen.18 Diese traditionaleren Formen der Normsetzung verschwanden im Zuge der Intensivierung landesfürstlicher Gesetzgebung nicht, wurden jedoch relativ rasch marginalisiert.19 Die ersten gedruckten Einzelmandate auf Landesebene stammen aus den Jahren 1523/1524. Zwar hatte man sich schon früher vereinzelt der neuen Vervielfältigungs- und Kommunikationstechnik bedient, jedoch bezeichnenderweise nicht bei Einzelgesetzen. In den Jahren 1500 und 1506 war beispielsweise die Tiroler Malefizordnung (Halsgerichtsordnung) gedruckt worden, die in ihrem Anhang („Etlich ordnung der Recht ausserhalb der Malefitz“) auch einige früher erlassene Mandate wiedergab.20 Hinsichtlich der nunmehr immer zahlreicher werdenden landesfürstlichen Einzelgesetze auf Landesebene – auf Reichsebene ist hier wenig überraschend ein zeitlicher Vorsprung von mehreren Jahrzehnten zu beobachten21 – verblieb man auch in maximilianeischer Zeit noch bei der traditionellen Verbreitungsmethode durch Abschreiben. Dass sich schließlich gerade in den Jahren 1523/1524 der Druck von Einzelmandaten in kürzester Zeit durchsetzte und in der Folge nur noch Gesetze mit räumlich beschränktem Geltungsbereich handschriftlich erlassen und vor Ort publiziert wurden, liegt in einem banalen Umstand begründet: Damals öffnete die erste Druckerei auf dem Gebiet der Gefürsteten Grafschaft ihre Pforten, nämlich in Schwaz und somit in der Nähe des Sitzes der Zentralbehörden in Innsbruck.22 Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Regimentskanzlei ein jahrzehntelang praktiziertes Prozedere zur Verbreitung von Gesetzen an der Peripherie gepflogen, dessen Rekonstruktion dank Vermerken in den Kanzleiregistern möglich ist. Die Kanzlei selbst stellte abschriftlich einige wenige Exemplare des Mandats her – die belegte Anzahl schwankte zwischen zwei und sechs, wobei sich drei als Standard herauskristallisiert zu haben scheint.23 Diese drei Exemplare wurden dann expediert. Ein Bote suchte die lokalen Obrigkeiten im Unterinntal, ein weiterer im Oberinntal und Außerfern auf. Der dritte machte sich auf den Weg zum Landeshauptmann und frequentierte dabei noch die Obrigkeiten im Tiroler Wipptal. Für die weitere Verbreitung des Gesetzestextes im südlichen Tirol war schließlich der Landeshauptmann zuständig. Hier ließ sich die Zustellung der Gesetze an die lokalen Obrigkei Hierzu Kap. II.3.2.5. Ausführlich auch Schennach, Publikation und Normintensität, 2008, S. 140–141. 19 Vgl. auch Willoweit, Gesetzespublikation und verwaltungsinterne Gesetzgebung, 1997, S. 612–613. 20 ���������������������������������������������������������������������������������������� Edition bei Schmidt, Halsgerichtsordnungen, 1949, S. 112–142. Näheres bei Schennach, Publikation und Normintensität, 2008, S. 141. 21 Vgl. nur Eisermann, Verzeichnis der typographischen Einblattdrucke, 2004, M 41–42 sowie M 114–117. 22 Vgl. Waldner, Quellenstudie, 1888, S. 25–28; Andresen, Erfindung, 2000, S. 228. 23 Vgl. z. B. TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 4, Lit. C, fol. 391r, 1482 Okt 24; Kopialbuch ÄR, Nr. 38, Lit. Mm, S. 55, 1518 Juni 4; Kopialbuch ÄR, Nr. 43, Lit. Rr, fol. 94, 1523 Okt. 5. 18
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V. Die Publikation der Gesetze
ten beschleunigen, indem gegebenenfalls zusätzliche Boten in das Wipp- und Pustertal entsendet wurden, sodass dem für den Landeshauptmann bestimmten Boten weitere Verzögerungen erspart blieben. Nach der Ankunft bei den lokalen Obrigkeiten mussten diese das jeweilige Mandat abschreiben, bevor sich der Überbringer auf den Weitermarsch machen konnte. Insofern bedeutete die Vervielfältigung durch den Druck eine erhebliche Rationalisierung und Beschleunigung. Im Fall von Mandaten, denen herausragende Bedeutung zugemessen wurde, konnte von den Obrigkeiten verlangt werden, den Erhalt des Normtextes zu bestätigen. Dieses Prozedere lässt sich erstmals 1498 belegen, als alle landesfürstlichen Amtleute mit ihrer Petschaft nachweisen mussten, eine das bäuerliche Leiherecht regelnde Ordnung erhalten und eine Abschrift davon angefertigt zu haben. Dieser Schritt erfüllte eine doppelte Kontroll- und Sicherungsfunktion: Zunächst wurde sichergestellt, dass sich die Boten nicht durch das Aussparen einzelner, unter Umständen abgelegener und nur mit einigem Aufwand zu erreichender Gerichte die Arbeit erleichterten – was wiederholt vorkam.24 Außerdem konnte das Regiment bzw. die Regierung als oberste Verwaltungsbehörde derart die prinzipielle Bereitschaft der lokalen Obrigkeiten zur Publikation überprüfen. Fallweise ist nämlich belegt, dass Richter oder Pfleger mit Verweis auf entgegenstehende lokale Rechtsgewohnheiten oder aus nicht näher ersichtlichen Gründen die Entgegennahme und/oder Publikation landesfürstlicher Mandate ablehnten.25 Dies geschah auch 1498:26 Der Landrichter des Landgerichts Sonnenburg lehnte ebenso wie sein Gerichtsschreiber die Übernahme des entsprechenden Mandats ab, woraufhin das Regiment entsprechende Erhebungen gegen sie einleitete. Das Verlangen nach einer Unterschriftsleistung blieb aber die absolute Ausnahme und wurde nur bei Rechtsmaterien zur Anwendung gelangt, denen besondere Relevanz zugemessen wurde.27 Im Übrigen sollten die Boten stets und unabhängig von einer allfälligen Pflicht zur Abgabe einer schriftlichen Empfangsbestätigung gewisse Kontrollfunktionen wahrnehmen.28 Durch die regelmäßige Benützung des Kommunikationsmediums „Druck“ ab 1523/1524 konnte die Zustellung der Mandate an die lokalen Obrigkeiten signifikant beschleunigt werden. Binnen einer Woche war auch das abgelegenste Gericht
�������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. nur TLA, CD 1596, fol. 106v–107v, 1596 Aug. 2; schon 1582 hatte die Regierung moniert, dass Mandate und Befehle von den mit der Zustellung beauftragten Kammerboten offt und mermals sonnderlichen denen, so nit gleich bey der strassen oder aber sonst in den tälern wonen, nit zuegestellt, sonnder dieselben mandata und bevelch annderer ortten gelassen würden, sodass die entsprechenden Schriftstücke den Adressaten entweder verspätet oder gar nicht zukämen. 25 Vgl. z. B. TLA, CD 1579, fol. 167r–168r, 1579 März 9. 26 Wiesflecker u. a. (Bearb.), Regesten, Bd. 2, 1993, Nr. 6152, 1498 Mai 12. 27 Vgl. hierzu Schennach, Publikation und Normintensität, 2008, 143. 28 Beispiel bei Schennach, Publikation und Normintensität, 2008, S. 143. 24
3. Der technische und administrative Rahmen
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erreicht.29 Rechnet man großzügig zwei bis drei Wochen für den Publikationsvorgang vor Ort hinzu, ergibt sich der Befund, dass spätestens einen Monat nach Expedierung der Mandate durch die Regierung der Publikationsvorgang in sämtlichen Landesteilen als abgeschlossen betrachtet werden konnte. Auch der Bedarf an gedruckten Mandaten ist gut zu erschließen. Für die gesamte Grafschaft war für den Fall, dass eine Kundmachung durch Anschlag vorgesehen war, eine Druckauflage von 300 bis 400 Stück erforderlich (bei Reskripten, deren normativer Inhalt von den Obrigkeiten zwar verlautbart werden musste, die jedoch nicht kumulativ durch Anschlagen publiziert wurden, liegt die Auflage demgegenüber deutlich niedriger).30 Nur ausnahmsweise sind geringere Auflagehöhen dokumentiert.31 Da die räumliche Ausdehnung der Gerichte und ihre Bevölkerungsdichte stark schwankten, erhielten Pfleger und Richter auch jeweils eine unterschiedliche Anzahl von Exemplaren ausgehändigt.32 Wurde ein Gesetz für die Gesamtheit der oberösterreichischen Länder erlassen, erhöhte sich die Druckauflage entsprechend, da für die Vorlande zwischen 200 und 300 Druckexemplare, mithin etwas weniger als für Tirol, vorgesehen waren.33 In diesen (prozentuell im unteren einstelligen Bereich bleibenden) wenigen Fällen, in denen Mandate in der ganzen oberösterreichischen Ländergruppe publiziert wurden, betrug die übliche Auflage 600 Stück.34 Ein Augenblicksbefund aus dem Jahr 1539 zeigt uns, dass dieselbe Zahl für eine Publikation in der niederösterreichischen Ländergruppe vorgesehen war.35
Beim gut dokumentierten Beispiel des Lastermandats aus 1564 begann die Zustellung am 12. Juni und war am 20. Juni abgeschlossen, vgl. TLA, LLTA, Fasz. 8, Bund 1. 30 Vgl. z. B. TLA, AkgM 1544, fol. 248, 1544 April 15; TLA, VkgM 1551, fol. 248, 1551 Aug. 8; TLA, VkgM 1555, fol. 395, 1555 Dez. 6. Schon 1524 wurde der Schwazer Drucker Josef Pernsieder angewiesen, ein Mandat mit einer Auflagenstärke von 400 Exemplaren zu vervielfältigen, vgl. TLA, BT, Bd. 1, fol. 25, 1524 März 14; bei Reskripten waren nur knapp unter 100 Stück erforderlich, vgl. TLA, CD 1559, fol. 263v–264r, 1559 Nov. 24 (in Gerichten, in denen das Amt des Richters von jenem eines Pflegers getrennt war, erhielten beide Funktionsträger je ein Exemplar). 31 Als die Druckerei in Innsbruck aufgrund des Einfalls des Moritz von Sachsen im Jahr zuvor noch nicht wieder einsatzbereit war und eine Augsburger Druckerei mit der Vervielfältigung eines Mandats beauftragt wurde, begnügte man sich mit einer Auflage von 200 Stück; vgl. TLA, AkgM 1553, fol. 470r, 1553 April 30. 32 Ausführlicher Schennach, Publikation und Normintensität, 2008, S. 144–145. 33 ������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. z. B. TLA, CD 1582, fol. 19, 1582 Juni 7 (Übersendung von 250 Exemplaren in die österreichischen Vorlande; die einzelnen Empfänger samt der Anzahl der jedem von ihnen zugestellten Mandate ebd., fol. 450v–451r; ebenso in TLA, CD 1571, fol. 456v, 1571 Jan. 23). 34 Vgl. z. B. TLA, AkgM 1543, fol. 136v, 1543 Aug. 25. 35 TLA, VkgM 1539, fol. 193, 1539 Jan. 27; für Bayern siehe vergleichsweise die Angaben bei Brunner, Polizeigesetzgebung, 2009, S. 15–19. 29
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V. Die Publikation der Gesetze
4. Vorgang der Kundmachung Für die Publikation selbst, also die Bekanntgabe der Norminhalte an die Rechtsunterworfenen, bestanden unterschiedliche Möglichkeiten. Wie vorzugehen war, wurde den Obrigkeiten seitens des Normgebers regelmäßig im Normtext selbst angezeigt. Dies geschah zu Beginn der Dispositio der Gesetzesurkunde in der ab den neunziger Jahren des 15. Jahrhunderts weitgehend standardisierten Publicatio (Notificatio, Promulgatio). Demnach emphelhen wir ew allen und yedem insonnders, daz ir allenthalben in ewrn verwesungen fürderlichen und offenlichen berueffen und verpieten lasset, auch darob und daran seiet, das niemand hinfür [...].36 Davon emphelhen wir ew allen und ewr yeden insonders ernnstlich gebietend und wellen, daz ir allennthalben in den gerichten ewrer verwesung bey swerer unnser ungnad und straff an leib und gut zu vermeyden offennlich berueffen und gepieten lasset, damit hinfur kain [...].37 Bis in die achtziger Jahre des 15. Jahrhunderts hatte der Publikationsbefehl auch noch am Ende der Dispositio stehen können.38 Erst im weiteren Verlauf des 16. Jahrhunderts, als die in den Gesetzen enthaltenen Kundmachungsanordnungen immer detaillierter wurden, wanderten sie neuerlich an das Ende der Dispositio, ohne dass sich das Urkundenformular entsprechend verfestigte. Daneben konnten die Anweisungen an Richter und Pfleger, wie die Kundmachung vor Ort vorzunehmen sei, nämlich auch in eigene Begleitschreiben Eingang finden.
4. 1. Publikation durch mündliche „Berufung“ Die älteste Kundmachungsform bestand in der mündlichen Verkündung des Gesetzes an die Adressaten. Hier stellen sich drei Fragen: „Was“, „Wo“, „Durch wen“. Die Frage nach dem Gegenstand der Ausrufung (zeitgenössisch „Berufung“ genannt) scheint die am einfachsten zu beantwortende. Kundzumachen war selbstverständlich das Gesetz selbst, zumal sich die Adresse (Salutatio) des Gesetzes in vielen Fällen nach Aufzählung aller denkbaren Funktionsträger expressis verbis auch an „alle Untertanen gemeiniglich“ wendet und diese teilweise in der zweiten Person Plural direkt anspricht. Einige wenige Mandate fordern in der Publikationsanweisung ausdrücklich die Verlesung „von Wort zu Wort“. Bei der Kundmachung von TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 16, Lit. P, S. 77–78, 1493 Okt. 24. TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 18, Lit. R, S. 93–94, 1495 Juni 30. 38 Vgl. Schennach, Publikation und Normintensität, 2008, S. 146. 36 37
4. Vorgang der Kundmachung
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kurz gefassten Normtexten mag dies auch ein gangbarer Weg gewesen sein; die lautstarke „Berufung“ eines umfangreiches Gesetzes wie des Forstmandats von 1604, das eng auf einen Bogen von 50 mal 80 Zentimetern gedruckt war, war jedoch nur schwer anzustellen. Sie stellte die stimmliche Belastbarkeit des Ausrufenden auf eine gewisse Probe – eine einigermaßen verständliche Verlesung dauerte wohl mindestens eine halbe Stunde – und belastete auch die mnemotechnische Aufnahmefähigkeit der Zuhörerschaft. Für diese musste der Norminhalt aufbereitet werden. Eine solche Überarbeitung von Gesetzen vor der Berufung war tendenziell der Regelfall, wobei dieser Schritt grundsätzlich in den Aufgabenbereich der lokalen Obrigkeiten fiel. Nur in Ausnahmefällen fertigte die Regierung selbst auf der Grundlage der Mandate entsprechende Extrakte oder „Rufzettel“ an.39 Dessen ungeachtet blieb die Aufbereitung von Mandaten für die Berufung üblicherweise Aufgabe der lokalen Obrigkeiten. Ein Glücksfall der Überlieferung ermöglicht es, in einem Fall konkrete Aussagen über das dabei angewandte Prozedere zu treffen. Christoph von Wolkenstein als Gerichtsinhaber der Herrschaft Lienz ließ im ausgehenden 16. Jahrhundert einzelne in seinem Auftrag vorgenommene „Berufungen“ in das Gerichtsprotokoll aufnehmen. Eingeleitet von der Formel Hört und merkt ir menigclich erfolgte die Berufung im Namen des Gerichtsinhabers mit dem summarischen Verweis auf einen zugrunde liegenden landesfürstlichen Befehl, dessen Inhalt anschließend etwas vergröbert, in Summe jedoch recht ausführlich wiedergegeben wurde.40 1610 war der Kufsteiner Stadt- und Landrichter dazu übergegangen, für die Bekanntmachung früherer Mandate auf den Ehafttaidingen, auf denen sich alle volljährigen, ‚angesessenen’ (somit über Grund und Boden verfügenden) Männer einfinden mussten, Extrakte mit den zentralen Bestimmungen anzufertigen.41 Diese Vorgehensweise wurde dort noch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts unverändert praktiziert.42 Wie bereits erwähnt, wurde den Obrigkeiten nur in äußerst wenigen Fällen ausdrücklich aufgetragen, dass die Verlesung eines Mandats „von Wort zu Wort“ zu geschehen habe.43 In den italienischsprachigen Gebieten Tirols entlang der Südgrenze zur venezianischen Terra Ferma und in den Gebieten des Hochstifts Trient war die Extrahierung Beispiele bei Schennach, Publikation und Normintensität, 2008, S. 147. Als repräsentativ seien angeführt: TLA, Gerichtsbuch Anwaltschaft Lienz/Zweite Instanz, Bd. 8, fol. 8, 1590 Juli 11; ebd., Bd. 9, fol. 8r–9r, 1594 März 3; Feigl, Rechtsentwicklung und Gerichtswesen, 1974, S. 133, weist für Österreich ob der Enns darauf hin, dass bei der Kundmachung landesfürstlicher Mandate durch die Amtleute einer Grundherrschaft „in der Regel nicht der volle Wortlaut der landesfürstlichen Anordnung, sondern nur ihr wesentlicher Inhalt wiedergegeben“ wurde, „wobei man eine für die Untertanen verständliche Formulierung suchte.“ 41 ������������������������������������������������������������������������������������������ Tirolische Weistümer, 1. Teil, 1875, S. 42; Zitat auch bei Schennach, Publikation und Normintensität, 2008, S. 148. 42 Vgl. nur die Beispiele in Tirolische Weistümer, 1. Teil, 1875, S. 48–50. 43 Vgl. TLA, CD 1566, fol. 358, 1566 April 26 (Lastermandat); TLA, CD 1590, fol. 661r– 664r, 1590 Juni 14 (Bettlerordnung). 39 40
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V. Die Publikation der Gesetze
der wesentlichen Bestimmungen samt Übersetzung ohnehin eine Selbstverständlich keit. Anlässlich des Erlasses eines gegen das vermeintliche Banditenunwesen im südlichen Tirol gerichteten Mandats sollte dieses in jenen Gerichten, in denen die Untertanen des Deutschen nicht mächtig seien, in Welsche Sprach tranßferiert / oder doch Summariter articulsweise Extrahirt werden und auch beim Anschlag der Mandate die Übersetzung bzw. der Extrakt neben den Originalen aufgehängt werden.44 Der Druck von Gesetzen in beiden Landessprachen ist erst eine Erscheinung des 18. Jahrhunderts, wobei sich die Frage nach einer authentischen Version damals noch nicht stellte. Solange das materielle Publikationsprinzip galt und sich auch die deutschsprachigen Obrigkeiten bei der Kundmachung nicht sklavisch an den Wortlaut hielten, waren subtile Interpretationsmethoden, die an Fragen des authentischen Gesetzestextes anknüpften, nicht zu erwarten. Das Risiko bestand hier wohl eher darin, dass die Übersetzung und damit auch die mündliche Kundmachung des Normtextes unterblieben.45 Was den Ort der Berufung des Gesetzesinhalts betraf, so resultierte dieser maßgeblich aus der Zielsetzung des Publikationsvorganges, die Normadressaten möglichst vollständig zu erreichen. Hierzu bot sich zunächst der sonn- und feiertägliche Kirchgang an, wobei sich unterschiedliche Optionen eröffneten: Sollte die Berufung vor der Kirche oder „von der Kanzel“ erfolgen? Als Grundsatz kann festgehalten werden, dass sämtliche Normen, die Fragen einer christlichen, gottgefälligen Lebensführung betrafen, in der Kirche von der Kanzel herab verkündet werden sollten. ‚Lastermandate’, die sich beispielsweise gegen außerehelichen Geschlechtsverkehr, Wucherei, Gotteslästerung, Glückspiel, Völlerei und Trunksucht richte ten, oder ‚Fastenmandate’, die unter Androhung weltlicher Strafen die Einhaltung der christlichen Fastengebote einschärften, sahen im Regelfall die Publikation von der Kanzel herab vor. In den Adressen (Salutationes) der einschlägigen Mandate werden die Seelsorger ausdrücklich angeführt und häufig im Normtext selbst oder in den Begleitschreiben aufgefordert, in ihren Predigten die Notwendigkeit der Einhaltung zur Abwendung von Gottes Zorn eindringlich zu unterstreichen.46 Der während des ganzen Untersuchungszeitraums geltende Grundsatz, dass alle von geistlichen, khürchensachen oder sonst gotseligen ordnungen handelnden landesfürstlichen Gesetzgebungsakte von der Kanzel herab kundgemacht werden sollten,47 fand hinsichtlich der Diözese Brixen sogar in einen 1605 zwischen Erzherzog Ma-
TLA, CD 1598, fol. 401, 1598 Juni 25. Ein Beispiel hierfür bei Schennach, Publikation und Normintensität, 2008, S. 149. 46 Vgl. z. B. TLA, CD 1538, fol. 121, 25. Jan. 1538; besonders repräsentativ TLA, CD 1593, fol. 191, 24. Nov. 1593. 47 ��������������������������������������������������������������������������������������� So die 1639 gewählte Formulierung, vgl. TLA, AfD 1639, fol. 28v–30r, 1639 Febr. 7; ähnlich war die Kundmachungspraxis im Herzogtum Bayern, vgl. Brunner, Polizeigesetzgebung, 2010, S. 26. 44 45
4. Vorgang der Kundmachung
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ximilian III. und dem Bischof von Brixen abgeschlossenen Vertrag Eingang.48 In der Publikationspraxis stellte die Abgrenzung im Regelfall offensichtlich kein Problem dar, diesbezügliche Differenzen zwischen geistlichen und weltlichen Stellen sind nur selten belegt.49 Wurde einem solchen Gesetzgebungsakt besondere Bedeutung zugemessen, war ungeachtet der Kundmachung in der Kirche eine kumulative Publikation durch die weltliche Obrigkeit möglich.50 Bei anderen Mandaten bestand die Möglichkeit, sie vor der Kirche oder an anderen Örtlichkeiten berufen zu lassen, wobei die Regierung hier keine klare Linie verfolgte; teils sollten sie vor, teils in der Kirche kundgemacht werden.51 Aber selbst bei dieser Kundmachungsform waren noch weitere Abstufungen möglich. So war es durchaus aussagekräftig für die einem Gesetz obrigkeitlicherseits zugesprochene Bedeutung, ob die Berufung allein durch den Gerichtsboten (Fronboten) erfolgte oder ob der Pfleger bzw. Richter als örtlich höchster Repräsentant des Landesfürsten anwesend war.52 1528 wurde seitens der Regierung bemängelt, dass vergangene Mandate gegen den preistreiberischen Aufkauf von Getreide und den Viehexport an etlichen orten [...] etwas liderlichen und nit offenlichen, wie sich gepürt, publiciert und verkündt und alain durch die fronboten etwas ain claine berueffung und vermeldung davon beschehen sey. Nachdrücklich wurde den lokalen Obrigkeiten eingeschärft, dass diese Mandate in eur selbs beywesen und gegenwürtigkait kundzumachen seien.53 Deren Anwesenheit empfahl sich allerdings fallweise nicht nur aus symbolischen Gründen, sondern auch aus ganz pragmatischen Überlegungen. Gerade bei Erlass potentiell konfliktträchtiger Normen konnten die Re Vgl. TLA, BT, Bd. 15, fol. 194r–198v, hier fol. 196v, 1605 Dez. 13 (Parellelüberlieferung in TLMF, FB 5028, fol. 523r–5329r). Zum Vertrag generell Bücking, Frühabsolutismus und Kirchenreform, 1972, S. 106–115, Wiedergabe des Inhalts S. 112–113; ferner Hirn, Maximilian der Deutschmeister, Bd. 1, 1981 (1915), S. 339–340. Nur eine kursorische Erwähnung des Vertrags bei Kögl, Sovranità, 1964, S. 259. Die entsprechende Bestimmung lautet: Anlangendt fürs drit die landtsfürstliche mandata, als diejenigen, so von geistlichen und kirchensachen oder sonsten gotseligen ordnungen (doch hierinnen dem ordinario in seinem officio unvergriffen) tractieren, mögen gleichwol in der kirchen durch die curates publiciert, entgegen sollen merè politica, vana et profana vermüg ss. canonum und concilii Tridentini von den kirchen und geweihten orten abgeschaffen werden. 49 Vgl. z. B. TLA, AfD 1624, fol. 339, 1624 Aug. 17: Damals verweigerte der Pfarrer der St.Jakobs-Pfarrkirche in Innsbruck die Kundmachung eines die Jagd auf Wachteln und Rebhühner verbietenden Mandats, da dergleichen temporalsachen nicht von der Kanzel publiziert werden dürften. Ein weiteres Beispiel in TLA, AfD 1633, fol. 432r–433r, 1633 April 2. 50 Vgl. TLA, CD 1617, fol. 18r, 1617 Febr. 19; TLA, CD 1619, fol. 398r, 1619 Febr. 20; TLA, CD 1623, fol. 479r, 1623 März 4. 51 Hierzu Schennach, Publikation und Normintensität, 2008, S. 149–150. 52 Dass die Autorität einer Person, die ein Schriftstück rechtlicher Bedeutung präsentiert, für die jeweilige Bedeutungszuschreibung von Relevanz ist, thematisierte jüngst auch Teuscher, Erzähltes Recht, 2007, S. 273, ohne dabei konkret Gesetze im Blick zu haben. 53 TLA, BT, Bd. 2, fol. 83r–84r, 1528 Sept. 17; der zugrunde liegende Bericht des Landrichters findet sich im StAM, Stadtverwaltung 294, 1528 Sept. 15. 48
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V. Die Publikation der Gesetze
aktionen der Untertanen während des Publikationsvorganges, die bis zu lautstarken Missfallensbekundungen reichten, einen ersten Eindruck von der Akzeptanz der Norm durch die Rechtsunterworfenen verschaffen.54 Ein möglicher Ort der Kundmachung war zudem das periodisch (häufig vierteljährlich) abgehaltene Ehafttaiding in den ländlichen Gerichten respektive die Bürger- und Inwohnerversammlung in den Städten. In der Tat sahen einige wenige Mandate von vornherein die (kumulative, nie exklusive) Verkündung auf den Ehafttaidingen vor. Wie das Beispiel des Landgerichts Kufstein schon vor Augen geführt hat, benutzten lokale Obrigkeiten diesen Anlass teilweise auch, um von ihnen selbst zusammengefasste, summarische Kompendien relevanter landesfürstlicher und lokaler Gebote einzuschärfen. Hiervon wird später noch die Rede sein. Es bestanden darüber hinaus weitere Möglichkeiten, Normen kundzumachen oder einzuschärfen, wobei bei den im Folgenden besprochenen Techniken der Übergang von der Normpublikation zur Normdurchsetzung fließend ist. Die Gerichte waren, wie bereits mehrfach erwähnt, nicht nur Verwaltungs- und Jurisdiktionssprengel, sondern zugleich genossenschaftlich organisierte Selbstverwaltungskörper mit einem Gerichtsausschuss als Organ der Selbstverwaltung an der Spitze, der aus einer regional schwankenden Anzahl von ‚angesessenen’ Männern bestand. Bei Gesetzen, denen besondere Bedeutung zugemessen wurde oder die man seitens der Regierung oder der lokalen Obrigkeiten in ihrer Geltung bzw. Akzeptanz gefährdet sah, konnten die Mitglieder des Gerichtsausschusses ersucht werden, entsprechend auf ihre Gerichtsgenossen einzuwirken, ihnen die Normen neuerlich vor Augen zu halten und sie zur Einhaltung aufzufordern. Schon die Aus wahl dieses Prozederes war äußerst selten,55 ist jedoch bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts belegt.56 Als absolut singulär ist es dagegen anzusprechen, wenn der Stadtund Landrichter von Schwaz den Dorfmeistern und Viertelmeistern 1595 auftrug, daß derselben yeder in seinem gezirgg von hauß zu hauß gen und menigclich anzeigen sollen, dass das Schießen von landesfürstlichem Wildbret untersagt sei.57
4. 2. Publikation durch Anschlag Der Anschlag von Mandaten war vor der Durchsetzung des Drucks bei der Gesetzespublikation primär auf den städtischen Bereich beschränkt, was angesichts Vgl. Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007, S. 154. Beispiele in TLA, Ferdinandea, Karton 216, Pos. 222, 1595 Febr. 1, Febr. 4 und Febr. 19, 1595 März 3 und 1599 März 9 (wobei es sich überall um gegen das Wildbretschießen gerichtete Mandate handelt). 56 Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Abt. Kriegsarchiv, Feldzugsakten B, Krieg gegen Österreich und Tirol 1809, Bund 468, 1809 Nov. 27 (Bericht des Landgerichtes Schwaz an die bayerische Hofkommission). 57 Vgl. TLA, Ferdinandea, Karton 216, Pos. 222, 1595 Febr. 3. 54 55
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der kleinräumigeren Strukturen in der Stadt und den im Verhältnis höheren Alphabetisierungsraten nahe liegend ist. Normen, die in ländlichen Gerichten nur durch Berufung verkündet wurden, wurden in den Städten bereits durch Anschlag kundgemacht.58 Soweit die wenigen Hinweise Aussagen zulassen, scheint aber selbst im städtischen Bereich die Publikation durch Anschlag nicht die Regel, sondern tendenziell als überdurchschnittlich wichtig angesehenen Regelungsgegenständen vorbehalten gewesen zu sein.59 Außerdem bedeutet dies nicht, dass auf dem Land als herausragend angesehene Normen nicht ebenfalls kumulativ durch Anschlag publiziert werden konnten, wie ein im Dezember 1482 auf diese Weise kundgemachtes Mandat gegen die bäuerliche Fehdeführung zu illustrieren vermag.60 Zentrales Motiv für diesen Schritt war die mit dem Anschlag verbundene Symbolwirkung. Nicht das Verständnis für das geschriebene Wort – das bei einem überwiegenden Teil der Normadressaten nicht gegeben war – stand im Vordergrund, sondern die mit dem Anschlag verbundene symbolische Durchdringung des Raumes. Dies galt auch noch, als sich nach 1523/1524 die Publikationsform des Anschlags für sämtliche landesfürstlichen Mandate durchsetzte. In der Diplomatik ist das Wissen um die bildliche Bedeutung von mittelalterlichen Herrscherurkunden, die nicht zuletzt der Visualisierung von eigenen Rechtsansprüchen dienten, ein Gemeinplatz. Der Anschlag der Gesetze diente in ähnlicher Weise bei einem weitgehend illiteraten Adressatenkreis61 der Visualisierung landesfürstlicher Herrschaftsund Normierungsansprüche. Dies zeigt bereits die äußere Form der gedruckten Mandate, z. B. die vergrößerte Initiale, die einer Elongata nachempfundene Schrift der ersten Zeile bzw. der ersten beiden Zeilen. Nicht zuletzt illustriert die Größe mancher Mandate die große Bedeutung der äußeren Form. Das bereits erwähnte Forstmandat von 1604 wies nicht aus Gründen der Praktikabilität und Alltagstauglichkeit Dimensionen von 50 mal 80 Zentimetern auf. Für die Handhabung bei der täglichen Normdurchsetzung hätte sich eher ein kleinformatigerer Druck in Libellform empfohlen. Die Wichtigkeit der mit dem Anschlag von Mandaten verbundenen symbolischen Besetzung des Raums zeigt sich auch in der Bedeutung, die vermeintlichen Kleinigkeiten bei der äußeren Gestaltung der Mandate zugemessen wurde. Für die Geltung von Gesetzen war es gleichgültig, ob dessen Unterfertigung durch eigenhändige Unterschrift des Landesfürsten, durch Unterschriftenstempel oder durch die Unterschrift des Regierungspräsidenten bzw. Statthalters in Vertretung des Landesfürsten erfolgte. Rechtlich war diese Differenzierung unerheblich. Mit Blick auf die damit verbundene symbolische Wirkung stellte die Regierung im Vorfeld von Gesetzespublikationen aber durchaus Überlegungen an, welcher Option der Un Vgl. hierzu die ergänzenden Ausführungen bei Schennach, Publikation und Normintensität, 2008, S. 151. 59 Vgl. z. B. TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 19, Lit. S, S. 318, 1496 Juni 13 (Fischverbot). 60 Näher hierzu Schennach, Publikation und Normintensität, 2008, S. 152. 61 Zur Alphabetisierungsrate vgl. z. B. Münch, Lebensformen, 1992, S. 506–513. 58
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terfertigung der Vorzug zu geben sei. Unter Ferdinand I. war eine klare und letztlich wenig überraschende Hierarchie bei der Unterfertigung gegeben. Als am meisten respektheischend galt selbstverständlich die eigenhändige Unterschrift, gefolgt vom Unterschriftenstempel; entsprechende Mandate mussten entweder zwecks Unterfertigung an die Hofkanzlei übersendet werden oder wurden von vornherein auswärts gedruckt, von der Hofkanzlei durch den Unterschriftenstempel beglaubigt und an die Regierung in Innsbruck übersendet.62 Am weitaus häufigsten belegt ist schließlich die Unterfertigung durch den Regierungspräsidenten bzw. Statthalter in Vertretung Ferdinands. Auch unter Erzherzog Ferdinand II. war man sich be wusst, dass die eigenhändige Unterschrift unter ein zu publizierendes Mandat diesem besonderes Gewicht zumaß. So monierte die Regierung 1567 gegenüber dem Erzherzog, die zur Publikation anstehenden Gesetze sonnderlichen umb merers ansehens willen unnder derselben aigen signatur verfertigen unnd ausgeen zu lassen.63 Natürlich spielten bei der Entscheidung über die im Einzelfall gewählte Form der Unterfertigung auch jenseits der Symbolik liegende, alltägliche Umstände eine Rolle, wobei insbesondere die Präsenz des Landesfürsten in Innsbruck, seine anderweitige zeitliche Inanspruchnahme und wohl auch persönliche Präferenzen des Herrschers zu nennen sind. Bei einem Herrscher wie Ferdinand I. blieb die eigenhändige Unterfertigung die Ausnahme, bei Claudia de’ Medici (reg. 1632–1646) ist sie dagegen relativ häufig festzustellen. Noch 1663 hob ein Begleitschreiben zu einem kundzumachenden Mandat gegenüber den lokalen Obrigkeiten die eigenhändige Unterschriftsleistung durch den Landesfürsten auf jedem einzelnen Exemplar hervor.64 Jedenfalls eigenhändig waren auf jedem einzelnen Mandat bis zum Aussterben der habsburgischen Nebenlinie in den oberösterreichischen Landen 1665 die Gegenzeichnung durch den Kanzler sowie der Fertigungsvermerk eines Kanzleibediensteten. Darüber hinaus war auf dem für den Anschlag bestimmten Mandat das landesfürstliche Siegel unter Papier angebracht. Hier stellte erst der Anfall der oberösterreichischen Ländergruppe an die kaiserliche Linie (1665) eine Zäsur dar, die den Rechtsunterworfenen nicht verborgen blieb. Statt des bisher stets angebrachten Siegels wurde nur mehr ein Kreis mit der darin platzierten Buchstabenkombination „L. S.“ (für „locus sigilli“) angebracht, um die Besiegelung des anschließend vervielfältigten Originals zu dokumentieren. Doch schon kurz darauf legte die oberösterreichische Regierung (vergeblich) die Rückkehr zur bisherigen Gepflogenheit nahe,
Besonders deutlich wird dies im Vorfeld der Erlassung des Lastermandats von 1544, vgl. nur TLA, VkgM 1544, fol. 286, 1544 Febr. 9; ebd., fol. 306v–307r, 1544 März 29; ebd. fol. 388r, 1544 Mai 19 sowie TLA, AkgM 1544, fol. 248, 1544 April 15. 63 TLA, AfD 1567, fol. 445v–446r, 1567 Jan. 29; vgl. ferner auch explizit TLA, AfD 1566, fol. 254r–257r, 1566 Aug. 8 sowie ebd., fol. 245v–247r, hier fol. 247r, 1566 Juli 27. 64 Vgl. TLMF, Dip. 1091, Nr. 227, 1663 April 20. 62
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da die Untertanen wider jenige mandata, welche mit dem kayserlichen sigillo nit verfertigt worden, nur den spoth daraus treiben.65 Hinsichtlich des Ortes des Anschlags sind Quellenhinweise rar gesät. Konkret genannt werden im Allgemeinen die Kirchentüren;66 ansonsten findet man üblicherweise nur den Hinweis, dass die Kundmachung an orten unnd ennden, [wo] sollichs bisheer gebreuchig gewest, beschehen solle.67 1526 erfahren wir, dass die Mandate nach der Berufung an die kirchenthürn und anndere ort, da in stetten und fleckhen die maist versamlungen unnserer underthanen sein, angeschlagen werden sollten.68 Im Fall der Residenzstadt Innsbruck ist bekannt, dass das Burgtor einer der Plätze für die Affichierung von Gesetzen war.69 In ländlichen Gebieten wird man auch mit den Türen des Gerichtsgebäudes als potentiellen Örtlichkeiten für den Anschlag von Mandaten rechnen können. Anders verhielt sich die Problemlage, wenn nicht nur Landesbewohner, sondern auch und eventuell sogar in höherem Maße Ausländer von einer Regelung betroffen waren und von dieser Kenntnis erhalten sollten. Mandate, die sich gegen auswärtige Bettler, Vaganten oder Gartknechte (abgedankte Kriegsknechte, die das Land auf der Suche nach einem neuen Kriegsherren durchquerten) richteten oder die das Führen von Feuerwaffen untersagten, wurden regelmäßig an den Grenzen (Wachund Zollhäusern) angeschlagen.70 Zusätzlich hatten Zöllner oder eigens aufgestellte Grenzposten den Inhalt der Mandate den betreffenden Personenkreisen bekannt zu geben.71 Besonders geeignete Orte, um Normen Auswärtigen bekannt zu machen, mussten zudem Gasthäuser sein. 1558 wurden die Wirte beauftragt, ihren Gästen ein einschlägiges, gegen das Führen von Feuerwaffen innerhalb von Ortschaften gerichtetes Mandat anzuzeigen. Im Fall einer Normübertretung durch einen Gast sollte sonst der Gastgeber bestraft werden.72 Einige Jahrzehnte später begnügte man sich mit der Verpflichtung der Gastwirte, ein entsprechendes Mandat in ihren Gast räumen lesbar anzubringen. Eine Haftung ihrerseits für das Verschulden Dritter war nun nicht mehr vorgesehen.73 Vgl. TLA, Buch Jägerei, Bd. 2, fol. 339v–340r, 1665 Sept. 26. Vgl. z. B. TLA, CD 1570, fol. 292, 1570 Febr. 3. 67 Vgl. TLA, Buch Jägerei, Bd. 1, fol. 61, 1565 März 15; vgl. z. B. auch TLA, CD 1572, fol. 23, 1572 Febr. 8; TLA, CD 1576, fol. 562, 1576 Febr. 23; TLA, BT, Bd. 11, fol. 3, 1578 Febr. 1; TLA, GR, Truppenwerbung und -musterung, Pos. 24, 1632 Aug. 18. 68 TLA, VfD 1526, fol. 52v–53r, 1526 Jan. 26. 69 ������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007, S. 138. Städtische Verordnungen wurden hingegen, wie aus einer späteren Quelle hervorgeht, am Rathaus angeschlagen, vgl. TLMF, FB 3626, Nr. 14, 1700 (ohne nähere Datierung). 70 Das erste diesbezüglich eindeutige Mandat datiert von 1528, vgl. TLA, BT 1528, fol. 69r– 71v, 18. Aug. 1528. 71 Beispiel in TLA, GR, AS, Auslauf in Regimentssachen, 1612 Juni 27. 72 TLA, BT, Bd. 7, fol. 392, 1558 Dez. 5 (Parallelüberlieferung in TLA, CD 1558, fol. 218v– 219r). 73 TLA, CD 1603, fol. 363, 1603 Aug. 30. 65 66
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V. Die Publikation der Gesetze
Gewisse Ordnungen mit einem eingeschränkten Adressatenkreis wurden von vornherein nur an ausgewählten Örtlichkeiten angeschlagen. Musterbeispiele hierfür sind die Schulordnung von 1586, die in sämtlichen Schulgebäuden dauernd und für jedermann einsehbar anzuschlagen war,74 sowie für sämtliche Wirtsordnungen, beginnend mit jener aus dem Jahr 1575. Von Letzterer mussten die Wirte eine obrigkeitlicherseits hergestellte Kurzfassung (Vergriff) abschreiben, diese auf eine Tafel anschlagen und in der Gaststube gut sichtbar aufhängen.75 Der Anschlag von Mandaten an öffentlichen Orten führte freilich auch zum Entstehen eines eigenen Delikts, des so genannten „Publikationsfrevels“. Hiermit war das mutwillige Beschädigen oder Abreißen der ausgehängten Gesetze gemeint, für das sich frühzeitig Belege finden lassen.76 Die Regierung reagierte auf dieses Phänomen, indem sie gewisse Vorsichtmaßnahmen anordnete, die erstmals 1568 nachweisbar sind. Die Einblattdrucke sollten auf Tafeln angebracht werden, die man zu nachts verwaren / und morgens wider fürhengen möge.77 Diese präventive Anordnung wurde dabei nur bei jenen Regelungen getroffen, bei denen seitens der Regierung mit mangelnder Akzeptanz oder mit Widerstand von Teilen der Norm adressaten gerechnet wurde. Wie bereits dargelegt, unterscheidet die fehlende Publikation mittels Anschlags das Reskript vom Mandat. Das Reskript wendet sich in der Adresse formal nur an die lokalen Obrigkeiten und ist – obwohl regelmäßig auch gedruckt – schon aufgrund seiner bescheidenen äußeren Form nicht zum Anschlag bestimmt. Dies ändert nichts daran, dass es durchaus nicht nur bereits existierende Normen einschärfen, sondern ebenso neues Recht setzen konnte, welches Richter und Pfleger anschließend durch Berufung kundzumachen hatten. Daher konnten auch Reskripte normative Außenwirkung entfalten.78
TLA, CD 1586, fol. 396r–410r, 1586 Dez. 16; vgl. auch TLMF, Dip. 1090, Nr. 25. Detaillierter Schennach, Publikation und Normintensität, 2008, S. 156. 76 Vgl. z. B. einen entsprechenden Vorfall im Landgericht Schwaz, wo 1562 nächtlicher weil ein Mandat wider Aufruhr und Empörung abgerissen worden war. Dieses Mandat war in Reaktion auf einen kurz zuvor niedergeschlagenen Aufstandsversuch erlassen worden (vgl. TLA, CD 1562, fol. 658v–659r, 1562 Juni 9); weitere Beispiele in TLA, CD 1610, fol. 266, 1610 Sept. 18; TLA, AfD 1649, fol. 502, 1649 Okt. 5, und TLA, VfD 1649, fol. 130v, 1649 Juni 21. 77 TLA, CD 1568, fol. 91, 1568 Dez. 23. Ähnlich wieder TLA 1576, fol. 474, 1576 Mai 31. 78 Vgl. Kap. II.3.2.5.3. 74 75
4. Vorgang der Kundmachung
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4. 3. Zielgruppenspezifische Kundmachung Schon die zuletzt behandelten Anwendungsfälle der Publikation durch Anschläge berühren den Fragenkomplex einer möglichst zielgruppenspezifischen Normkundmachung. Viele Regelungen richten sich a priori nur an eine überschaubare Zahl von potentiellen Normadressaten, so dass hier eine allgemeine Kundmachung überflüssig ist. Eine solche würde in derartigen Fällen nicht nur eine Ressourcenverschwendung darstellen, sondern könnte sich sogar als kontraproduktiv erweisen, da unter Umständen die Aufnahmefähigkeit der Untertanen durch die Berufung von sie nicht tangierenden Normen beeinträchtigt würde. Das Gesagte gilt im Speziellen für berufsspezifische Vorschriften, die sich nur an bestimmte Handwerker oder Gewerbetreibende richten.79 Nur weil ein Mandat einen persönlich eingeschränkten Geltungsbereich hatte, sprach dies jedoch nicht automatisch für die ausschließliche Kundmachung an den zur Vollziehung berufenen Personenkreis. War mit einer Regelung eine Schutzwirkung zugunsten Dritter verbunden, empfahl sich gegebenenfalls eine allgemeine Publikation, um den Schutzzweck zu erreichen. Hierfür stellen Bestimmungen über die Höhe der Gerichtskosten ein gutes Beispiel dar.80 Zur Vollziehung berufen waren ausschließlich die Gerichtsobrigkeiten, deren Einkommen von den entsprechenden Regelungen direkt betroffen waren. Die entsprechenden Nor menkomplexe dienten jedoch vor allem dem Schutz der Rechtsunterworfenen, die in Sachen der außerstreitigen oder streitigen Gerichtsbarkeit mit den Gerichten in Berührung kamen und nicht durch übermäßige Geldforderungen des Personals belastet werden sollten. Bei den zahlreichen Gerichtskostenordnungen war die allgemeine Kundmachung unverzichtbar: Erstens sollten die Untertanen erfahren, dass der Landesfürst ihre häufig ventilierten Beschwerden ernst nehme und Abhilfe zu verschaffen suche; zweitens konnte nur durch die Information der Bevölkerung einigermaßen sichergestellt werden, dass eine Durchsetzung der Ordnungen möglich und wahrscheinlich wurde; denn freiwillig hätten wohl nur wenige Richter, Gerichtsschreiber oder Fronboten auf Einkommensteile verzichtet. Einen Sonderfall zielgruppenspezifischer Kundmachung stellt schließlich die Publikation eines handelsrechtlichen, den Warenvertrieb auf den überregional bedeutsamen Märkten Hall und Bozen regelnden Gesetzes aus dem Jahr 1576 dar. Dieses war nämlich nicht nur zu Marktzeiten in den Städten anzuschlagen, sondern darüber hinaus im Vorfeld an die süddeutschen und oberitalienischen Handelsstädte zu senden (an die ort unnd ennd, wo die betroffenen ausländischen Kaufleute wohnhaft seien).81
Ausführlich Schennach, Publikation und Normintensität, 2008, S. 157. Vgl. zum Folgenden Schennach, Gerichtskosten, 2002. 81 Vgl. TLA, CD 1576, fol. 598, 1576 Febr. 27. 79 80
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V. Die Publikation der Gesetze
5. Sicherstellen von „Erinnerung“ – das Einschärfen von Gesetzen „Damit sich niemand der Unwissenheit zu entschuldigen habe“ – diese Zweckbestimmung ist ein nahezu fixer Bestandteil des Formulars eines frühneuzeitlichen (nicht nur Tiroler) Mandats, das den Rechtsunterworfenen Normen einschärfen soll. Es gilt heutzutage als Stand der Forschung, dass Normwiederholungen nicht monokausal auf beträchtliche Vollzugsdefizite zurückzuführen, sondern ganz wesentlich durch die Notwendigkeit bedingt sind, in einer primär oralen Gesellschaft Verhaltensregeln präsent zu halten. Dabei ist zu beachten, dass die oberösterreichische Regierung grundsätzlich nicht über genaue Informationen über die Häufigkeit von Devianz und über deren regionale Verbreitung verfügte. Supplikationen, das (sich zunehmend entwickelnde) Berichtswesen der lokalen Obrigkeiten an die Innsbrucker Behörden oder Gravamina lieferten nur gewisse Ansatzpunkte für die Beurteilung des Durchsetzungsgrades eines Gesetzes, zumal es in Tirol während des 16. und 17. Jahrhunderts nur bei einem einzigen Delikt (der Wilderei) zu einer Zentralisierung der Entscheidungs- und Strafk ompetenz bei der Regierung kam.82 Alle anderen Vergehen und Verbrechen waren von den lokalen Gerichten oder den lokalen Obrigkeiten zu ahnden. Dennoch ist die summarische Aussage, Normwiederholungen vorderhand nicht als Beleg für Vollzugsdefizite zu sehen, sondern aus der Notwendigkeit der Einschärfung von Normen zu erklären, präzisierungsbe dürftig. Hierbei kann man deutlich materienspezifisch differenzieren.83
5. 1. Normwiederholung als Reaktion auf (vermeintliche) Vollzugsdefizite Dass die Vorwürfe mangelhafter Normdurchsetzungen in den Narrationes landesfürstlicher Rechtsetzungsakte toposartigen Charakter haben können und nicht zuletzt der Legitimation einer (partiellen) Neuregelung dienen, ist unbestritten, zumal die Regierung aufgrund des nur selektiven Informationsflusses von der Peripherie an die Zentrale kein genaues Bild über die Entwicklung der Devianz erhalten konnte. Dennoch sind Klagen über die fehlende Implementation landesfürstlicher Gesetze nicht nur Bestandteil des Formulars eines Gesetzestextes und haben weit mehr als nur legitimierende Funktion für eine weitere Entfaltung der Recht setzungstätigkeit. Denn auch im rein behördeninternen Schriftverkehr wird regelmäßig über Vollzugsdefizite lamentiert, auf die man durch die Neuerlassung und Einschärfung von Mandaten reagieren müsse. Derartige Wortmeldungen kann man Vgl. hier Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007, S. 133–134. Vgl. zum Folgenden auch schon Schennach, Gesetzgebung als Erinnern an Normen, 2007, bes. S. 400–415.
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5. Sicherstellung von „Erinnerung“ – Das Einschärfen von Gesetzen
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im Einzelnen kontextabhängig interpretieren: Wenn beispielsweise die Regierung gegenüber Ferdinand I. mit der Untätigkeit von Richtern und Pflegern argumentierte oder der Forstmeister sich dem Landesfürsten gegenüber über die mangelnde Kooperationsbereitschaft der Regierung und der lokalen Obrigkeiten beschwerte, dienten solche Bekundungen selbstverständlich auch der eigenen Rechtfertigung und Entschuldigung.84 Dennoch wird man nicht die Gesamtheit aller einschlägigen (überaus zahlreichen) Quellenbelege auf diese Weise erläutern können. Vielfach glaubte die Regierung Vollzugsdefizite zu erkennen; als adäquate Maßnahme des Gegensteuerns erschien hier die Einschärfung der Normen. Wohlgemerkt musste der Regierungsbefund defizitärer Normimplementation nicht zutreffen. Häufig handelte es sich nur um die Feststellung punktueller Missstände, welche die Regierung als potentiell weit verbreitet einstufte und auf die sie mittels Mandatserlassung reagierte. Dieser Zusammenhang lässt sich bereits in den letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts sehr klar herausarbeiten, beispielsweise im Bereich der gegen die bäuerliche Fehdeführung gerichteten Gesetzgebung.85 Besonders deutlich wird der Konnex zwischen (mehr oder weniger spektakulären) Anlassfällen und Mandaten mit landesweitem Geltungsbereich auch im Bereich der Holz- und Forstwirtschaft. In den siebziger und achtziger Jahren des 15. Jahrhunderts erfuhr die landesfürstliche Kanzlei von Verstößen gegen frühere Verordnungen in einzelnen Gerichten – damit rechnend, dass diese eingeschränkten Beobachtungen wohl auf allgemeine Defizite hinweisen müssten, begnügte sie sich nicht mit Anweisungen an einzelne Amtsträger, sondern schärfte sämtlichen Obrigkeiten nochmals die früheren Mandate ein. Darüber, ob hier tatsächlich Vollzugsdefizite in großem Maßstab vorlagen, ist damit natürlich noch nichts gesagt, und dies lässt sich für diesen Zeitraum auch nicht beurteilen.86 Auch in der Frühneuzeit ist dieses Prozedere selbstverständlich.87 Unter Umständen sind Normwiederholungen und -einschärfungen auch mit der Prioritätensetzung einzelner Landesfürsten zu erklären. So kommt es im ersten halben Regierungsjahrzehnt Maximilians I. zu einem signifikanten Anstieg bei der Einschärfung jagd- und fischereirechtlicher Normen, die zu einem großen Teil mit der anhaltenden Missachtung der Vorschriften durch die Bevölkerung argumentieren. In diesem Fall erklären sich die Wiederholungen vor allem aus dem leiden-
Vgl. z. B. TLA, VkgM 1535, fol. 443, 1535 März 3; TLA, GvH 1539, fol. 51v–59v, 1539 Febr. 28; TLA, VKsM 1560, fol. 515v, 1560 Jan. 15; TLA, AksM 1563, fol. 593r–601r, 1563 März 19. 85 Vgl. Schennach, Publikation und Normintensität, 2008, S. 152. 86 Für derartige Zusammenhänge vgl. nur: TLA, Cod. 123, fol. 173v, 1473 Juli 26, und ebd., fol. 174r, 1473 Juli 27; ebd., fol. 75r, 1473 Jan. 10; TLA, Kopialbuch ÄR, Nr 4, Lit. C, fol. 364r, 1482 April 16; ebd., fol. 365, 1482 März 2; weitere Beispiele bei Schennach, Gewohnheitsrecht, Einzelgesetzgebung und Landesordnungen, 2008, S. 46–48. 87 Vgl. Schennach, Publikation und Normintensität, 2008, S. 160–161. 84
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V. Die Publikation der Gesetze
schaftlichen Interesse Maximilians an der Jagd und an der Wildhegung, die er ohne dauernde Einschärfung als nicht hinreichend gewährleistet ansah.88
5. 2. Normwiederholung als Anlassgesetzgebung Zwei Rechtsmaterien weisen vom ausgehenden 15. bis in das 17. Jahrhundert eine nahezu unübertroffene Frequenz von Normwiederholungen auf, die selbst regelungsintensive Gegenstände wie die Bettlerbekämpfung quantitativ in den Hintergrund stellte: die Verbote des Kriegsdienstes für fremde Mächte einerseits und die Kontrolle von Gartknechten (beschäftig ungslosen Landsknechten) andererseits.89 Hier erklärt sich die dauernde Wiederholung, die partiell mit Strafverschärfungen einherging, nicht mit Vollzugsdefiziten. Dass gerade diese Mandatsgruppe so häufig belegt ist, hängt vor allem mit einem Charakteristikum der Policeygesetzgebung zusammen: ihrer Flexibilität.90 Geradezu exemplarisch lässt sich der Automatismus der Normpublikation und -einschärfung bei den zahlreichen Verboten, sich in auswärtige Kriegsdienste zu begeben, nachvollziehen.91 Wenn die Regierung die Meldung erhielt, dass die Republik Venedig oder andere, potentiell feindliche Mächte sich anschickten, heimliche Söldnerwerbungen in Tirol anzustellen oder gar lokale Obrigkeiten bereits von den einsetzenden Umtrieben von Werbern in ihren Bezirken berichteten, reagierte sie unverzüglich mit der Publikation einer einschlägigen Verbotsnorm. Ein solches Verbot musste nicht durch ständige Wiederholung bei den Untertanen dauernd präsent gehalten werden – es reichte, es ihnen aus gegebenem Anlass wieder einzuschärfen.92
5. 3. Normwiederholung als Erinnerungshilfe Bisher war die Rede von Normeinschärfungen und wiederholten Gesetzespublikationen als Reaktion auf (vermeintliche) Vollzugsdefizite oder als flexible Anlassgesetzgebung, wobei die Grenzen als fließend anzusehen sind. Ebenso ist die einer neuerlichen Kundmachung immanente „Erinnerungsfunktion“ von den bisher erörterten Zielsetzungen nicht zu trennen. Ein Raufhandel in Innsbruck wurde so 1615 vom Geheimen Rat als Indiz dafür gewertet, dass die einschlägige Innsbrucker Vgl. hierzu Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007, S. 88–89, 95. �������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. hierzu Stolz, Verbot des Kriegsdienstes, 1943, der jedoch bei weitem nicht alle Rechtssetzungsakte erfasst; betreffend Gartknechte in Tirol ergänzend nunmehr Schennach, Quellen, 2004, bes. S. 91–93. 90 Vgl. nunmehr auch Simon, Was ist und wozu dient Gesetzgebung, 2008, bes. S. 645–646. 91 Vgl. beispielhaft TLA, VkgM 1534, fol. 354v, 1534 April 19; AfD 1573, fol. 121v–122r, 1573 Febr. 9; TLA, CD 1586, fol. 332, 1586 Aug 21. 92 Ergänzend Schennach, Publikation und Normintensität, 2008, S. 162. 88 89
5. Sicherstellung von „Erinnerung“ – Das Einschärfen von Gesetzen
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Mannszuchtordnung etlichermassen in vergessenhait khommen sei und daher neuerlich publiziert werden sollte.93 Freilich gab es eine Gruppe von Rechtsnormen, bei denen die Regierung von vornherein und unabhängig von mehr oder weniger spektakulären Anlassfällen Wert darauf legte, dass sie den Normadressaten länger bzw. dauernd im Gedächtnis blieben. Um die Erreichung dieses Ziels sicherzustellen, standen ihr mehrere Optionen der Kundmachung zur Verfügung. Zunächst bestand die Möglichkeit, ein Mandat nicht nur einmal berufen zu lassen, sondern zu wiederholten Malen an aufeinander folgenden Sonn- und Feiertagen respektive für einen bestimmten Zeitraum in gewissen Abständen.94 Durch diese Vorgehensweise konnte man die Chance, möglichst weite Bevölkerungskreise zu erreichen, signifikant erhöhen und zudem die Norm im Bewusstsein der Adressaten besser verankern. Dasselbe Ziel verfolgte die Regierung mit jener Gruppe ausgewählter Gesetze, die schon bei ihrer Erlassung dazu bestimmt waren, regelmäßig neuerlich kundgemacht und angeschlagen zu werden. Dies betraf nur einen Bruchteil des gesamten Normbestandes, und die Wahl der Regierung für eine periodisch wiederkehrende Publikation hatte unzweifelhaft die Signalwirkung sowohl an die Untertanen als auch an die zur Vollziehung berufenen lokalen Obrigkeiten, dass die Zentralbehörden der Durchsetzung der entsprechenden Verordnungen besondere Bedeutung beimaß. Nur wenigen Rechtsmaterien und Regelungsgegenständen wurde ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine derartige Relevanz zugeschrieben, dass sie in regelmäßigen Abständen (vierteljährlich oder jährlich) neuerlich verkündet werden sollten, ohne dass eine Erinnerung seitens der Regierung notwendig war. Die Publikation geschah dabei üblicherweise auf den Ehafttaidingen, zu deren Besuch alle volljährigen Männer verpflichtet waren. Ab 1556 wurde dies bei sämtlichen Wildereimandaten praktiziert – was sehr eindrucksvoll die große Bedeutung widerspiegelt, welche die Regierung der Exekution der entsprechenden Vorschriften beimaß.95 Dasselbe galt ab 1604 für forstrechtliche Vorschriften,96 und auch die wesentlichen Bestimmungen der Tiroler Holz- und Waldordnung von 1626 waren auf diese Weise regelmäßig einzuschärfen.97 Dass damit gerade die Rechtsmaterien „Holz/Forst“ sowie „Jagd/Wilderei“ massiv vertreten waren, ist kein Zufall, zählten diese doch zu jenen Regelungsgegenständen, bei denen die Interessengegen-
TLA, GR, AS, Auslauf in Regimentssachen, 1615 Sept. 11. Mehrere Beispiele bei Schennach, Publikation und Normintensität, 2008, S. 162–163. 95 Vgl. hierzu Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007, S. 138–139; zuvor war dies schon praktiziert worden beim Mandat vom 18. Okt. 1547, vgl. TLA, Ambraser Memorabilien V/72. 96 Vgl. TLA, CD 1604, fol. 524, 1604 Mai 24; TLA, Buch Jägerei, Bd. 1, fol. 381, 1643 Mai 12; TLMF, Dip. 1091, Nr. 227, 1663 April 20. 97 TLA, Buch Jägerei 1, Anhang, 1626 Aug. 3. 93 94
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V. Die Publikation der Gesetze
sätze zwischen Landesfürst und ländlicher Bevölkerung äußerst ausgeprägt waren.98 Andere Materien sind demgegenüber in dieser Gruppe nur spärlich und erst seit den letzten beiden Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts vertreten.99 Die Gruppe jener Ordnungsvorschriften, die für eine regelmäßige Kundmachung vorgesehen waren, sollte nicht zu groß werden, um nicht die Aufnahmekapazität der Adressaten zu erschöpfen und um den Hervorhebungseffekt, der damit verbunden war, nicht zu beeinträchtigen. Daher überrascht es nicht, dass im Vorfeld eines Rechtsetzungsaktes durchaus Überlegungen angestellt wurden, ob eine Materie als so zentral anzusehen sei, dass das entsprechende Gesetz periodisch erneuert werden müsse.100 Punktuelle Befunde zeigen, dass die periodische, einschärfende Gesetzespublikation durchaus zufriedenstellend funktionierte. Dass ein Gesetz auf diese Weise bis zu drei Jahrzehnte hindurch erneuert wurde, ist des Öfteren belegt.101 In Zweifelsfällen fragte die Regierung bei Richtern und Pflegern nach, ob die Publikation noch wie vorgeschrieben vorgenommen werde.102 Wollte die Regierung freilich sicherstellen, dass ein Mandat zu bestimmten Terminen eingeschärft wurde, konnte sie auch den Weg beschreiten, dasselbe Gesetz im Jahresabstand immer wieder neu zu erlassen und Drucke an die Obrigkeiten zur Publikation zuzustellen, was mit einem finanziellen und administrativen Mehraufwand verbunden war. Musterbeispiel hierfür ist ein Mandat, das die Einhaltung des christlichen Fastengebotes vorschrieb, den Untertanen die Ablegung der Beichte in vorösterlicher Zeit befahl und Verstöße dagegen durch die weltliche Obrigkeit sank-
������������������������������������������������������������������������������������������ Vgl. zum Bereich des Jagdrechtes nur Eckardt, Herrschaftliche Jagd, 1976; für das Untersuchungsgebiet Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007; zum Konfliktpotential forstrechtlicher Regelungen z. B. Blickle, Konflikte, 1986; Fetzer, Kampf um den Wald, 2002; Kissling, Policey der Nachhaltigkeit, 2003; Schennach, Recht, Gesetz und Nutzungskonkurrenzen, 2006. 99 Vgl. TLA, CD 1585, fol. 129, 1585 Jan. 7 (Mandat in Religionssachen); CD 1590, fol. 661r– 664r, 1590 Juni 14 (Bettlerordnung); CD 1598, fol. 401, 1598 Juni 25 (Banditenmandat, dessen räumlicher Geltungsbereich de facto auf die Welschen Konfinen beschränkt ist). Auch die bereits erwähnte Schulordnung von 1586 war jährlich zu publizieren. 100 Vgl. hierzu die Überlegungen im Vorfeld eines Mandats wider die klandestinen Heiraten: TLA, VfD 1578, fol. 24v–25r, 1578 März 12; TLA, AfD 1579, fol. 1064, 1579 Dez. 30; TLA, AfD 1580, fol. 127r–131r, 1580 Febr. 26. Das entsprechende Mandat erging am 28. März 1580, vgl. TLA, BT 1580, fol. 169. 101 Bürgermeister und Rat von Bozen weisen so in einem Brief an Erzherzog Leopold V. vom 25. Nov. 1631 (Stadtarchiv Bozen, Archivkiste 219) darauf hin, dass das erwähnte Forstmandat von 1604 seitdem jerlich am tag der heiligen drei könig aufm rathshaus bei versamblung der ganczen burgerschafft und gmain nach lengs publiciert [werde] mit erynnerung, darwider nichts fürzunemen; das Generalforstmandat von 1773 war nachweislich bis 1795 jährlich auf den Ehafttaidingen der Gemeinden Leifers und Gries (bei Bozen) verlesen und angeschlagen worden (vgl. Stadtarchiv Bozen, Archivkiste 219). 102 Vgl. z. B. TLA, CD 1595, fol. 303, 1595 Jan. 27. 98
5. Sicherstellung von „Erinnerung“ – Das Einschärfen von Gesetzen
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tionierte.103 Entsprechende Mandate waren bereits 1550 und 1556 erlassen worden, ohne dass die Regierung damals signifikante Anstrengungen zur Durchsetzung unternommen hätte, die ausschließlich und ohne Einflussnahme der Zentrale in den Händen der lokalen Obrigkeiten lag. Dies änderte sich in der Folge: Ab 1566 ging man auf Anordnung Erzherzog Ferdinands II. zur jährlichen Publikation über. Damit nicht genug, man verlangte nun auch die Einsendung der anzulegenden Beichtregister an die Regierung; bislang hatten die Pfarrer diese nur den zuständigen Richtern übergeben müssen. Bis 1584 war das Mandat nahezu jedes Jahr in identischer Form versendet und publiziert worden. Auf Betreiben Ferdinands II. potenzierte die Regierung zudem ihre Bemühungen, die lokalen Obrigkeiten zur Durchsetzung anzuhalten. Man forderte Berichte über die Normimplementation an und monierte in einer Vielzahl von Einzelanweisungen die Einhaltung der Bestimmungen. In der im Mandat auferlegten Einsendepflicht für die Beichtregister glaubte man seitens der Regierung überdies, einen zuverlässigen Detektor für den Grad der Normdurchsetzung gefunden zu haben; während 1576 nur fünf Gerichte dieser Obliegenheit nachgekommen waren – was bei insgesamt etwa 80 Gerichten noch keinen durchschlagenden Erfolg darstellte –, langten 1583 bis auf sechs sämtliche Beichtregister zeitgerecht in Innsbruck ein. Prompt änderte die Regierung ihre Vorgehensweise, stellte in Anbetracht der (vermeintlichen) Zielerreichung die Gesetzespublikation im Jahresrhythmus nach 1584 ein und reklamierte auch nicht mehr die Einsendung der Beichtregister. Erst als man 1596 neuerlich punktuell Missstände bei der Vollziehung der Fastenmandate festzustellen glaubte, kam es 1597 wiederum zur Drucklegung und Publikation des schon altbekannten Mandats. Das Beispiel der Fastenmandate verdeutlicht, dass die periodische Kundmachung eines inhaltlich gleichen oder zumindest ähnlichen Mandats nicht nur die Erinnerung an den Norminhalt bei der Masse der Bevölkerung wach halten sollte. Ebenso war sie ein deutlicher Hinweis an die lokalen Obrigkeiten, dass eine seitens der Regierung respektive des Landesfürsten für wichtig erachtete Materie vorliege, die entsprechendes Handeln der zum Vollzug berufenen Organe erfordere. Es ist der Wink mit dem Zaunpfahl, das Mandat nach der Kundmachung nicht einfach aus der Hand zu legen, sondern sich die Durchsetzung angelegen sein zu lassen. Um dies zu verdeutlichen, standen der Regierung noch weitere Instrumentarien zur Verfüg ung. Effektive Signalwirkung hatte dabei insbesondere die Statuierung von Berichtspflichten über den Gesetzesvollzug. In regelmäßigen Abständen hatten Richter und Pfleger über die zur Umsetzung einer gesetzlichen Vorschrift getroffenen Maßnahmen an die Regierung Bericht zu erstatten. Eine allgemeine Berichtspflicht über grundsätzlich alle Policeygesetze wurde in Tirol erst im ausgehenden
��������������������������������������������������������������������������������������� Das Folgende nach Schennach, Publikation und Normintensität, 2008, S. 165–166. Ein solches Mandat ist natürlich alles andere als tirolspezifisch, vgl. zum Kontext nur Willoweit, Katholische Reform und Disziplinierung, 1993, S. 123.
103
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V. Die Publikation der Gesetze
17. Jahrhundert festgeschrieben.104 Schon mehr als einhundert Jahre früher war jedoch das Vorschreiben spezieller Berichtspflichten nicht nur als ein wesentliches Mittel zur Informationsgewinnung für die Regierung, sondern ebenso zur Diszipli nierung der Obrigkeiten erkannt und seither mit zunehmender Tendenz praktiziert worden. Dabei ist es kein Zufall, dass gerade jene Mandate, die eine periodische Publikation vorsahen, tendenziell am frühesten Pflegern und Richtern eine Berichtspflicht auferlegten. Im Rahmen der Durchsetzung der jährlich neu kundzumachenden Schulordnung von 1586 forderte so die Regierung immer wieder neue Berichte ein: Ob die Ordnung entsprechend kundgemacht worden sei, an welchen Orten und zu welchen Stunden die vorgesehenen Katechismusstunden abgehalten würden, wie viele Kinder sie besuchen würden, welche Eltern oder Pfarrer nicht kooperieren würden etc.105
Vgl. nur TLA, CD 1699, fol. 277v–278r, 1699 Aug. 21. Vgl. z. B. TLA, CD 1588, fol. 467, 1588 Juli 21, oder CD 1596, fol. 62, 1596 Mai 6.
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VI. Leitkategorien und Ordnungsprinzipien der Gesetzgebung 1. Grenzen des Gesetzgebungsrechts 1. 1. Allgemeines Die Formulierung „Grenzen der Gesetzgebung“ wird beim Leser wahrscheinlich Assoziationen mit den Grundrechtsbegriff evozieren, zumal die Bindung des Gesetzesgebers aktuell – auch mit Blick auf die rezente Entwicklung der Judikatur des österreichischen Verfassungsgerichtshofs – als der „zentrale Gehalt der Grund rechte“1 verstanden wird. Dennoch bestehen erheblich Vorbehalte, für die Zeit des Ancien Régime ohne weiteres mit dem Terminus „Grundrechte“ zu operieren, zumal nach dem derzeitigen Forschungsstand ein inhaltsbezogener Konsens über einen Grundrechtsbegriff im Ancien Régime zwischen Rechtshistorikern und Historikern einerseits, aber auch unter Rechtshistorikern andererseits kaum zu erzielen ist.2 Einen methodischen Ausweg hat schon vor mehr als zwanzig Jahren Berthold Sutter im Rahmen einer Untersuchung über den Schutz der Persönlichkeit im mittelalterlichen Recht aufgezeigt. Nachdem er einleitend die unkritische Verwendung moderner juristischer Begrifflichkeiten auf historische Phänomene verworfen hat, kommt er zum Schluss: „Der primäre Ausgangspunkt hat die historische Faktizität in ihrer Pluralität zu sein.“3 In steter Konfrontation mit den Quellen wird es somit darum gehen, jene inhaltlichen Schranken zu eruieren, die der landesfürstlichen Gesetzgebung während des Untersuchungszeitraums gewisse Grenzen setzen bzw. sie inhaltlich determinieren. Es geht somit um die Frage, ob und gegebenenfalls welche Begrenzungen der kompetenziellen Reichweite der landesfürstlichen potestas legislatoria sich während des Untersuchungszeitraums ausfindig machen lassen. Durch die Fokussierung auf inhaltliche Schranken werden das Gesetzgebungsverfahren betreffende Fragestellungen (wie z. B. eine allfällige Beteiligung der Landstände), die bereits an anderer Stelle erörtert wurden,4 aus der Untersuchung ausgeklammert. Bei einem solchen Vorhaben kristallisieren sich bald zwei Bereiche heraus, die aus dieser Perspektive für die landesfürstliche Gesetzgebung von Bedeutung sind: erstens die landständischen „Rechte und Freiheiten“ (Kap. VI. 1. 2); zweitens vermögenswerte, argumentativ mit dem „alten Herkommen“ begründete Rechtspositionen der Untertanen, in die der Gesetzgeber nicht ohne Rechtfertigungsgrund eingreifen durfte (Kap. VI. 1. 3.). Während landständische „Rechte und Freiheiten“ 3 4 1 2
Öhlinger, Verfassungsrecht, 82009, S. 313, Rz 709 (Fettdruck der Vorlage nicht übernommen). Vgl. Schennach, Begriff der „Grundrechte“ im Ancien Régime (im Erscheinen). Sutter, Schutz der Persönlichkeit, 1987, S. 19. Vgl. Kap. IV.5.
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VI. Leitkategorien und Ordungskategorien der Gesetzgebung
auf einen Übertragungs- und Aneignungsvorgang zurückgehen und durch Privilegien abgesichert sind,5 ist dies bei den nur im Gewohnheitsrecht bzw. im „alten Herkommen“ wurzelnden Rechtspositionen nicht notwendigerweise der Fall. Und während im ersten Fall die Tiroler Landschaft berechtigt wird, sind es regelmäßig Dorf-, Stadt- oder Gerichtsgemeinden, die gegen gesetzliche Eingriffe in gewohnheitsrechtlich abgesicherte Rechtspositionen vorgehen.
1. 2. Die Landesfreiheiten 1. 2. 1. Begriff Der Terminus „Landesfreiheiten“ ist eine Bezeichnung, die in Tirol erstmals unter Herzog Siegmund belegt ist.6 Vorher war nur unspezifisch von „Rechten und Freiheiten“ die Rede, wohingegen das Kompositum „Landesfreiheiten“ zum Ausdruck bringt, dass es sich um „Rechte und Freiheiten“ der Tiroler Landstände handelt. Formal handelt es sich um eine Reihe von Privilegien, deren Aussteller der jeweilige Landesfürst der Grafschaft Tirol und deren Empfänger die Tiroler Landstände waren (bzw. vor deren institutioneller Ausformung und Konsolidierung die führenden Tiroler Adelsgeschlechter). Materiell können die als „Landesfreiheiten“ bezeichneten Urkunden grob in drei Kategorien unterteilt werden: Urkunden, die Rechte verleihen respektive landesfürstliche Zusagen eines bestimmten Tuns oder Unterlassens beinhalten; Konfirmationsurkunden, die früher verliehene Rechte bestätigen; schließlich als besondere Gruppe die Schadlos- oder Rekognitionsbriefe, die im Anschluss an Steuer- bzw. Truppenbewilligungen bestätigen, dass diese unpräjudizierlich und aus freiem Willen der Stände erfolgt sind, d. h. keinen Rechtsanspruch des Landesfürsten auf diese Leistungen begründen. Die erste und zentrale Kategorie setzt mit dem Freiheitsbrief Ludwigs des Brandenburgers von 1342 ein; weitere wichtige Urkunden dieser Kategorie sind die Freiheitsbriefe von 1404 (die „Bauleuteordnung“), von 1406, 1451, 1511 (das „Landlibell“) und die auf dem Augsburger Ausschusslandtag des Jahres 1518 ausgestellten Urkunden. Diese Urkunden enthalten neben politischen Partizipationsrechten – so beispielsweise der Zusage, bevorzugt Tiroler für die Besetzung landesfürstlicher Ämter heranzuziehen – auch die Verleihung von privilegialen Sonderrechten wie zum Beispiel der Zusicherung an die Tiroler Adeligen, nicht über einen Monat Kriegsdienst leisten zu müssen.
5 6
Vgl. hierzu auch Mohnhaupt, Entwicklungsgang, 2004, S. 604. Der älteste mir bekannte Beleg für das Kompositum „Landesfreiheiten“ stammt von 1474 Juni 20 (TLA, Sigmundiana V/6): [...] als solh in den lanndsfreyhaiten aigentlich begriffen ist [...].
1. Grenzen des Gesetzgebungsrechts
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Welche Privilegien im Einzelnen unter dem Begriff „Landesfreiheiten“ subsumiert wurden, kann nicht abschließend beurteilt werden. Im Gegensatz zu anderen österreichischen Erbländern kam es in Tirol nie zu einer landesfürstlicherseits konfirmierten Zusammenstellung der Landesfreiheiten. Überlieferte, im Umkreis der Stände oder der landesfürstlichen Behörden angefertigte abschriftliche Sammlungen sind hinsichtlich ihrer Zusammensetzung und der Anordnung des Materials durchaus inhomogen und berücksichtigen bis zu hundert verschiedene Urkunden.7 Dass gerade die ältesten auf uns gekommenen übergreifenden Ordnungen auch Privilegienform aufweisen, wurde bereits ausführlich dargelegt, ebenso das daraus resultierende Problem der unter Umständen fehlenden Publizität. 1423 und 1502 erfahren wir von Verlesungen der Landesfreiheiten, die auf Initiative der Landstände vorgenommen wurden.8 Die 1508, 1523 und 1525 seitens der Tiroler Landschaft lancierten Initiativen einer offiziellen Zusammenstellung und Drucklegung bzw. beglaubigten Vervielfältigung der Landesfreiheiten verliefen im Sand.9 Während des 15. Jahrhunderts kam es nach derzeitigem Kenntnisstand noch zu keinen Kompilationen der Landesfreiheiten in eigenen Handschriften; allenfalls finden sich Abschriften einzelner Urkunden in Sammelhandschriften, die jedoch noch keine Zusammenstellung der Landesfreiheiten bieten wollen.10 Hingegen ist aus dem 15. Jahrhundert bekannt, dass im Bedarfsfall von Urkunden Abschriften angefertigt wurden. Die ältesten (erhaltenen) Sammelhandschriften mit Zusammenstellungen der Landesfreiheiten datieren erst aus dem beginnenden 16. Jahrhundert. Die nach derzeitigem Wissensstand älteste auf uns gekommene Handschrift stammt aus dem Jahr 1501,11 und schon in den kommenden Jahrzehnten vervielfacht sich die Zahl der einschlägigen Kompilationen.12 Dass die planmäßige Anlegung von Kompilationen just in die maximilianeische Zeit fällt, ist wohl kein Zufall: Gerade in einer Zeit, die von zunehmenden Forderungen des Landesfürsten an die Leistungskraft der Stände geprägt war, war das Bedürfnis, sich der eigenen Rechte zu versichern, bewusst zu werden und sie in einer Kompilation zu fixieren, um diese gegebenenfalls landesfürstlichen Ansprüchen entgegenhalten zu können, wohl ausgeprägt.13 Die Landesfreiheiten wurden von jedem Landesfürsten von 1415 bis 1712 (Kaiser Karl VI.) im Anschluss an die Erbhuldigung der Tiroler Landstände sum 9
Vgl. Wretschko, Geschichte der Tiroler Landesfreiheiten, 1925, S. 311–312. Vgl. Wretschko, Geschichte, 1925, S. 322, 328–328; TLA, VdL, Bd. 3, S. 54, 1502 Aug. 24. Vgl. Wretschko, Geschichte, 1925, S. 327–328. 10 Vgl. Wretschko, Geschichte, 1925, S. 327. 11 TLMF, Dip. 1234. 12 Vgl. z. B. TLMF, Dip. 859, Nr. I; Dip. 904, Teil I; Dip. 1327, Teil I; Dip. 1151; Dip. 2675; Dip. 3586; Dip. 3699. 13 �������������������������������������������������������������������������������������� Auf Reichsebene weist Peter Moraw darauf hin, dass die Corpusbildung der „leges fundamentales“, beginnend mit der Goldenen Bulle von 1356, ab der Mitte des 15. Jahrhunderts stärker einsetzte und ab 1469 schließlich „außerordentlich rasch“ vor sich ging (Moraw, Gesammelte „Leges fundamentales“, 2000, S. 15). 7 8
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VI. Leitkategorien und Ordungskategorien der Gesetzgebung
marisch bestätigt; die aus diesem Anlass ausgestellten Urkunden bildeten ihrerseits wieder einen Bestandteil der „Landesfreiheiten“.14 Nachdem Maria Theresia und Joseph II. bezeichnenderweise von einer Konfirmation der Landesfreiheiten abgesehen hatten, erfolgte die letzte – allerdings ohne vorangehende Erbhuldigung – 1794 durch Franz II., der jedoch eine neue Einschränkung hinzufügte: Die Bestätigung der Landesfreiheiten erfolge nur insoweit, als diese „wirklich in Übung und der dermaligen allgemeinen Staatsverfassung angemessen“15 seien.
1. 2. 2. Auswirkungen auf die Gesetzgebung 1. 2. 2. 1. Allgemeines Die Auswirkungen der Landesfreiheiten auf die Gesetzgebung waren vergleichsweise gering. Nur in wenigen Fällen bzw. Rechtsbereichen wird greifbar, dass die Landesfreiheiten der landesfürstlichen Gesetzgebung Grenzen setzten. Zudem ginge man fehl, wollte man die Effekte der ständischen „Rechte und Freiheiten“ auf die Gesetzgebung nur im Sinne eines Stufenbaus der Rechtsordnung verstehen. Vielmehr sind zwei mögliche Anwendungsfälle zu differenzieren, wie sich die Landesfreiheiten auf Gesetzgebungsakte auswirken konnten. Erstens konnte die Bitte nach einer Positivierung von Mitwirkungsrechten im Gesetzgebungsprozess unter Hinweis auf die Landesfreiheiten argumentativ unterstützt werden. Musterbeispiel und überraschenderweise gleichzeitig einziges Beispiel hierfür ist die Argumentation der Tiroler Landschaft, warum die in der Tiroler Landesordnung von 1532 noch enthaltene (Buch 9, Titel 31) und im Entwurf der Reformation von 1573 zunächst fehlende Passage beibehalten werden sollte, wonach eine Änderung der Landesordnung nur mit Vorwissen und Rat der Landschaft erfolgen solle. Die Stände verwiesen hier (ohne diese ausdrücklich anzu führen) auf die Landesfreiheit von 1342, wonach ein Landesfürst „nach der Besten Rat“ regieren solle.16 Zweitens konnten in den Landesfreiheiten bereits enthaltene Normen Eingang in landesfürstliche Gesetzgebungsakte finden. Die hierfür angewandten Rechtstechniken waren das Insert17 sowie die Verweisung.18 Darüber hinaus konnte sich eine in den Landesfreiheiten enthaltene Bestimmung tacite, d. h. ohne einen ent Vgl. hierzu Stolz, Bestätigung, 1947. Zit. nach Stolz, Bestätigung, 1947, S. 324. 16 TLA, Landschaftliches Archiv, Landschaftliche Landtagsakten, Fasz. 1, Nr. 12b/II, fol. 33v, 1573 (ohne nähere Datierung); ausführlich hierzu Kap. IV.5.3.1.3. 17 Hier sei nur die TLO 1526 als Beispiel herausgegriffen: Buch 1, Teil 2, Tit. 5, 7, 12, 27, 31; Buch 1, Teil 6, Tit. 5, 17. 18 Wiederum ein Beispiel aus der TLO 1526: Buch 2, Teil 2, Tit. 14–16. 14 15
1. Grenzen des Gesetzgebungsrechts
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sprechenden Hinweis auf die zugrunde liegende „Freiheit“, in einem landesfürstlichen Gesetzgebungsakt wiederfinden. Die Erklärung, wonach in diesen Fällen „einfachgesetzliche“ Regelungen das „höherrangige“ Recht der Landesfreiheiten inkorporieren würden, ist jedoch unge nügend. Der Grund für diese Übernahme von ursprünglich in einer Landesfreiheit enthaltenen Rechtsnormen durch spätere Gesetzgebungsakte liegt vornehmlich im bereits ausführlich erläuterten Phänomen begründet, dass sich die frühe landesfürstliche Gesetzgebung im hohen Maße der äußeren Form des Privilegs bediente. Diese Normen konnten später vom Gesetzgeber aufgegriffen, gegebenenfalls auch ausgebaut werden. So baten die Landstände in den Gravamina des Jahres 1474, man möge doch angesichts des akuten Getreidemangels das bereits im Freiheitsbrief 1404 enthaltene Verbot des Getreideexports (dessen Eingangsworte sogar zitiert werden) erneuern: Dann von wegen des traids, daran yecz in ganzem lanndt grosser manngel, auch nachdem man sorgveltiger lewff warttend vormals furgenommen, als solh in den lanndsfre yhait en aigentlich begriffen ist, also, daz ne ymand dhain korn aus disem lannd füren sol etc.: daz dann solher traid heraus zu verkauffen ernstlich verboten werde [...].19 Dass es sich nicht um eine strikte rechtliche Bindungswirkung handelte, wird zudem dadurch belegt, dass inhaltliche Abweichungen und Änderungen ohne weiteres möglich waren. Die „Bauleuteordnung“ der Landesordnung von 1526 (Buch 1, Teil 6) und ebenso der Reformationen von 1532 und 1573 (Buch 5) verweist so zwar wiederholt auf den Freiheitsbrief von 1404, enthält jedoch hinsichtlich der Regelung des Rechtsverhältnisses zwischen Grundherren und Grundholden auch abweichende Normen. Jene Rechtsbereiche, in denen der Inhalt von Gesetzen durch die Landesfreiheiten determiniert wurde, sind verhältnismäßig rar. Zwei Gesetze, bei denen eine mögliche Kollision mit Bestimmungen der Landesfreiheiten zur Debatte stand, wurden bereits an anderer Stelle behandelt, so dass hier der Hinweis genügen kann. Der eine Problemkreis betraf die Frage, ob der Landesfürst ein bestehendes „einfachgesetzliches“ Einfuhrverbot für ausländische Weine aufheben dürfe oder nicht;20 schließlich war in den Landesfreiheiten gleich mehrfach die Zusicherung enthalten, dass zum Schutz der inländischen Weinproduktion der Gerichte an der Etsch und am Eisack ein Import ausländischer Weine verboten sein solle. Während dies eine grundsätzlich heikle und wiederholt thematisierte Frage war – die Wein konsumierenden Städte und Gerichte waren daran durchaus interessiert –, wurde bei einem 1586 geplanten Gesetz über die Verheiratung von Waisen ein potentiel TLA, Sigmundiana V/6, 1474 Juni 20. Vgl. Kap. IV.5.3.1.3.
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ler Widerspruch mit der in der Landesfreiheit von 1406 erstmals privilegial zugesicherten Aufhebung des Ehezwangs nur am Rande erwähnt.21 Gerade die Debatte rund um das Einfuhrverbot fremder Weine zeigt jedoch die rechtliche Beurteilung dieses Problems durch die Zeitgenossen. Die Regierung wies in aller Deutlichkeit darauf hin, dass es im Wesentlichen um die Frage der Zulässigkeit der Aufhebung von Privilegien ging. Darf ein Landesherr ein den Privilegienempfänger begünstigendes Privileg aufheben oder in seiner Wirkung einschränken und, wenn ja, welche Voraussetzungen müssen für einen solchen Schritt vorliegen?22 Im Fall des Importverbots machte die Regierung selbst darauf aufmerksam, dass der nördliche Landesteil unter der weitgehenden Monopolstellung der Weinproduzenten leide und einer Aufhebung des Privilegs sicher nicht abgeneigt sei. Die Frage wurde jedoch nicht weiter verfolgt, da Erzherzog Ferdinand Karl 1656 die seit Jahrzehnten angewandte Strategie fortsetzte und den Marktpreis für Wein durch die Vergabe von Dispensationen vom Importverbot steuerte. Konflikte um die Landesfreiheiten blieben während des Untersuchungszeitraums weitgehend aus – zumindest, wie einschränkend festgestellt werden muss, soweit die Gesetzgebung betroffen war. Gerade im militärischen Bereich war die Diskussion dagegen erheblich intensiver, wobei in diesem Zusammenhang auch der Rechtscharakter der Landesfreiheiten bzw. konkret des Landlibells erörtert wurde.23 Im Vergleich zu den nieder- und innerösterreichischen Ländern jedoch, wo der konfessionelle Gegensatz zwischen (überwiegend) protestantischen Landständen und katholischen Habsburgern zu massiven, teils eskalierenden Konflikten führte, die auch in einer elaborierten juristischen Argumentation ihren Niederschlag fan den,24 nehmen sich selbst die Differenzen rund um das Landlibell in Tirol verhältnismäßig geringfügig aus. 1. 2. 2. 2. Recht auf einen Prozess vor dem ordentlichen Gericht Was man plakativ und in Anlehnung an die moderne Terminologie als „Recht auf den gesetzlichen Richter“ bezeichnet könnte,25 findet in Tirol erstmals im Freiheitsbrief von 1406 seinen Niederschlag. Nachdem die Herzöge Friedrich IV. und Leopold IV. zuvor zugesichert hatten, sie würden „nyemand an recht entwern“ – auf TLA, AfD 1586, fol. 422r–423v, 1586 Juni 13; TLA, VfD 1586, fol. 231r–232r, 1586 Juni 23. Vgl. zum Problem TLA, VfD 1655, fol. 212r–212v, 1655 Mai 10; VfD 1656, fol. 276r–279v, 1656 Jan. 12; TLA, AfD 1656, fol. 94r–97r, 1656 Febr. 14; ebd., fol. 165r–170v, 1656 März 9; ebd., fol. 633r–635v, 1656 Sept. 18; ebd., fol. 695v–699v, 1656 Nov. 9; ergänzend noch TLA, AfD 1663, fol. 280r–281r, 1663 April 26; TLA, VfD 1663, fol. 6131, 1663 April 30. 23 Vgl. Kap. II.1. 24 Vgl. dazu für die niederösterreichischen Länder nunmehr Strohmeyer, Konfessionskonflikt und Herrschaftsordnung, 2006, bes. S. 177–198. 25 Vgl. hierzu auch Seif, Historische Grundlagen des gesetzlichen Richters, 2003, hier bes. S. 38. 21 22
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diese Zusage wird an späterer Stelle noch einzugehen sein –, garantierten sie in der folgenden Bestimmung, dass jeder in Tirol entstehende Rechtsstreit während ihrer Abwesenheit von Tirol „in denselben unsern landen vor unsern haubtleuten und den gerichten, als das von alter her ist komen,“ ausgetragen werden müsse, „und sol daraus nicht getzogen werden [...].“26 Der Rechtsinhalt dieser Zusage zum Zeitpunkt seiner Bestimmung war klar. Es war dies keine allgemeine Schranke zur Verhinderung landesfürstlicher Machtsprüche; hauptsächlich zielte dies auf die Bewahrung der Gerichtsstandprivilegien des Tiroler Adels ab.27 Dies zeigte sich schon bald während der Auseinandersetzung Herzog Friedrichs IV. mit Ulrich und Wilhelm von Starkenberg als Exponenten eines der mächtigsten Tiroler Adelsgeschlechter, die 1426 in einer Niederlage der Starkenberger endete. Ein Adeliger dürfe, so die Argumentation der Starkenberger, nur von seinesgleichen verurteilt werden; dem Landesfürsten sei es nicht erlaubt, einen Rechtsstreit außer Landes zu ziehen und den Gerichtsumstand in der Folge nach seinem Gutdünken zusammenzustellen (um durch die Bestimmung der Urteiler den Prozessausgang von vornherein in seinem Sinn zu determinieren).28 Die anfängliche, noch restringierte Bedeutung dieser Bestimmung der Landesfreiheit von 1406, die dem Tiroler Adel Verfahrensgerechtigkeit beim gerichtlichen Austrag von Streitigkeiten mit dem Landesfürsten garantieren sollte, erfuhr in späteren Jahrzehnten jedoch eine dynamische Interpretation. Die ursprüngliche Bedeutung trat zurück, zumal die Tiroler Adelsopposition unter Herzog Friedrich IV. gewaltsam ausgeschaltet worden war. Stattdessen wurde die Bestimmung der Landesfreiheit nun in dem Sinn interpretiert, dass grundsätzlich die Kompetenz der sachlich und örtlich zuständigen Gerichte gewahrt bleiben sollte und Eingriffe in die Jurisdiktionsgewalt der erstinstanzlichen Gerichte nur unter genau beschrie benen Voraussetzungen zulässig sein sollten. Bei flüchtiger Analyse drängt sich der Eindruck auf, dass hiermit eine Barriere gegen landesfürstliche Willkürakte errichtet werden solle. Eine solche Interpretation könnte verhindern, dass der Landesfürst bestimmte Prozesse an sein Hof- und Kammergericht in Innsbruck ziehe oder in bestimmten Fällen die Kompetenz der zuständigen Gerichte durch das Mittel der kommissarischen Gerichtsbarkeit untergrabe. Eine derartige Interpretation griffe allerdings zu kurz. Zielsetzung ist nämlich nicht primär die Abwehr landesfürstlicher Eingriffe in die Gerichtsbarkeit, derer man sich zu erwehren trachtete. Dies deutet schon die erste einschlägige Beschwerde aus dem Jahr 1474 an.29 Unter dem Beschwerdepunkt Commission machte die Landschaft damals in ihren Gravamina geltend: Edition nach Schober, Urkunden, 1990, S. 17. Vgl. zum Folgenden Hageneder, Verfahrensgerechtigkeit, 1999; Kranich-Hofbauer, Rotulus, 1994; Schennach, Oswald von Wolkenstein, 2010 (im Erscheinen). 28 Kranich-Hofbauer, Rotulus, 1994, hier bes. S. 65. 29 ������������������������������������������������������������������������������������������ Vgl. auch noch TLA, VdL, Bd. 26, fol. 39v–57v, 1663 April (Landtagsgravamina, 9. Beschwerdepunkt); ebd., fol. 153r–184r, 1665 Okt. (Landtagsgravamina, 10. Beschwerdepunkt). 26 27
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Alß dann menig auf ir suplication commission erwerben, die den gerichten ir herkomen enczichen, desshalben auch die armen lewt in gros verderben und kostung geweist werden, solh commission vormals durch sein Gnad abgeschaffen sind und furgenomen, daz einer den anndern suchen und beklagen sol in dem gericht und vor richter, darinn sich die ansprach haltet, das dann die bemelt lanndsfreihait auch ausweisen tut. Wer aber sach, daz ain pfleger oder richter einem recht nicht wolt ergeen lassen oder geverlich verziehen thün, so mecht solhz über denselben richter oder pfleger beklagt und herumb solh commission widerumb abgenommen, auch mit seiner Gnaden canzley aigentlich geschaffen, solhe nicht ausgeen lassen [...].30 Die einige Tage später erlassene Ordnung reagierte auf den beklagten Missstand. Herzog Siegmund legte darin dar, dass er bisher aufgrund vielfältiger an ihn herangetragener Supplikationen im allerpesten Kommissionen eingerichtet habe, dass er dies fortan unterlassen wolle und jeder seine Klage beim zuständigen Gericht einbringen und den Prozess dort abwickeln solle. Fälle von Rechtsverweigerung oder Prozess verzögerung durch den Richter sollten die Betroffenen weiterhin an ihn gelangen lassen.31 Inhaltlich vergleichbare Gravamina wurden vier Jahre später vorgebracht.32 In der Beschwerde von 1474 und der darauf folgenden legislativen Gegenmaßnahme zeigt sich das eigentliche Beschwerdeobjekt der Landschaft: die Zunahme an Kommissionen. In der Tat lassen sich in den Jahren vor 1474 problemlos zahlreiche Beispiele kommissarischer Gerichtsbarkeit finden.33 Allerdings wird auch in diesen Fällen das sichtbar, was die angeführten landständischen Beschwerde aus den Jahren 1474 und 1478 ebenfalls zu erkennen geben: Es ist nicht Herzog Siegmund, der die Fälle an sich zieht, um womöglich gar das Urteil in seinem Sinn zu beeinflussen. Es sind vielmehr Prozessparteien, die bei Hof aus verschiedenen Gründen um Einsetzung einer Kommission supplizierten. In manchen Fällen wird Befangenheit oder Fehlverhalten des erstinstanzlichen Richters eine Rolle gespielt haben, zuweilen könnten aber ebenso prozesstaktische Gründe den Ausschlag gegeben haben. Die anfallenden Gerichtskosten waren im Fall der Streitaustragung vor einer Kommission deutlich höher als vor dem ordentlichen Gericht, und auf diese Weise konnte man hoffen, den Prozessgegner vielleicht doch noch abzuschrecken oder zumindest zugänglicher für einen Vergleich zu stimmen. Dass nicht unbedingt TLA, Sigmundiana V/6, 1474 Juni 20. TLA, StAM, Urkunden A/I/301, 1474 Juni 29. 32 TLA, LLTA, Fasz. 1, Landtag 1478, 36. Beschwerdepunkt: Item von wegen der commission und ander anbringen, sol ain yder den anderen umb seine sprüch vor seinem richter furnemen und daselbs recht ergeen lassen als landsrecht ist, im geschehen dann geverlich verzüg, die mag er an sein Genad wol pringen. 33 Vgl. nur z. B. TLA, Hs. 111, fol. 340v, 1468 Sept. 30 (in einem Erbschaftsstreit zwischen zwei Gerichtsinsassen wird der Landeshauptmann Oswald Sebner als Kommissar eingesetzt und dem Richter des betroffenen Gerichts aufgetragen, in dieser Angelegenheit keine weiteren Schritte zu setzen); TLA, Hs. 110, fol. 58v, 1471 Nov. 21; ebd., fol. 111r, 1472 März 9. 30 31
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der Landesfürst bzw. die Regierung im Visier derartiger Beschwerden standen, bezeugen spätere vergleichbare Gravamina, die sich gegen den Landeshauptmann als Vorsitzenden des Adeligen Hofrechts richteten.34 Auch dieser setzte vielfach auf Begehren von Prozessparteien Kommissionen ein, was ebenfalls Beschwerden hervorrief, da dardurch die underthanen für frembde gericht35 gezogen und die Jurisdiktionsgewalt der ersten Instanzen untergraben wurden. Der Landesfürst bzw. die Regierung sahen sich somit in einer Zwickmühle. Einerseits reagierten sie durch die Einsetzung von Kommissionen auf Supplikationen von Parteien, die aus bestimmten Gründen Vorbehalte gegen das sachlich und örtlich zuständige Gericht hatten und diese plausibel darlegen konnten. Andererseits gaben sie eben durch das Eingehen auf derartige Supplikationen neuerlich Anlass zu Beschwerden, wenngleich unter umgekehrten Vorzeichen. Derselbe Zwiespalt zeigte sich wohl auch auf Ebene der Rechtsuchenden. Die Möglichkeit, statt des zuständigen Richters die Einsetzung eines kommissarischen Richters erwirken zu können, war eine Chance, solange sie die eigenen Erfolgsaussichten vergrößern konnte. Die Rechtsuchenden werden die kommissarische Gerichtsbarkeit hingegen stets dann als Belastung wahrgenommen haben, wenn sich der Prozessgegner deren Vorteile zunutze machte. Grundsätzlich stand für die Regierung außer Frage, dass die Befugnis des Landesherren als oberstem Richter nicht beschränkt sei, wie sie es in einem Gutachten aus dem Jahre 1626 auf den Punkt brachte:36 Da der Landesfürst mit allen nachgesczten obrigkhaiten im landt concurrentem jurisdictionem hab, könne sich die Landschaft nicht über Eingriffe in die Gerichtsbarkeit beschweren.37 Dies erklärt auch, warum Erzherzog Ferdinand II. einem Textiervorschlag der Landstände über die Neufassung der Tiroler Landesordnung von 1532, Buch 2, Tit. 17 nicht folgen wollte. Der den Ständen vorgelegte Entwurf hatte vorgesehen, dass dem Landesfürsten die Einsetzung von Kommissionen jederzeit auf eine Supplikation hin möglich sein sollte. Die Stellungnahme der ständischen Deputation wollte diese Möglichkeit auf den Fall einschränken, dass ehehafft redlich unnd bewärtlich ursachen wider die gerichtsobrigkhaiten vorlägen, die zudem gesetzlich festgelegt werden sollten (Befangenheitsgründe). Dem folgte Ferdinand II. nicht, ließ aber ebenso die inkriminierte Passage aus, die sein Recht festgeschrieben hätte, jederzeit Kommissionen einzusetzen.38 Allerdings stand für die Regierung ohnehin durchgehend fest, dass keine Kommissionen ohne erhebliche ursachen eingesetzt würden. Als „erhebliche Ursache“ Vgl. nur TLA, Prozessbuch, Bd. 2, fol. 172, 1530 Nov. 6; TLA, AfD 1643, fol. 129r–167r, hier fol. 140 (Partikularbeschwerde der Stadt Meran), fol. 151v (Partikularbeschwerde des Gerichts Villanders), 1643 März 17; TLA, AfD 1647, fol. 216r–282r, hier fol. 230v–231r, fol. 269r–270r, 1647 Jan. 30. 35 So TLA, Ambraser Memorabilien IV/75, 1575 Dez. 5. 36 TLA, AfD 1626, fol. 467r–472r, 1626 Dez. 13. 37 Ähnlich auch schon TLA, AfD 1605, fol. 481r–502r, hier fol. 484v, 1605 Juli 18. 38 TLA, Landschaftliche Landtagsakten, Fasz. 1, Nr. 12b/III, 1573 (ohne nähere Datierung). 34
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galt dabei insbesondere eine Befangenheit des Richters, die von einer der Streitparteien geltend gemacht wurde und deren Gründe bereits in der Tiroler Landesordnung von 1526 ebenso wie in den nachfolgenden Reformationen von 1532 und 1573 festgelegt worden waren.39 Entsprechende Anweisungen, wann Kommissionen zulässig waren, waren auch wiederholt dem Landeshauptmann erteilt worden. In keinem einzigen Fall enthielten Bitten um Belassung der Zuständigkeit der Erstinstanzen auch nur die Andeutung der Möglichkeit, dass ansonsten die Gefahr von Machtsprüchen des Landesfürsten bestünde. An der strikten Beachtung der Kompetenz der Erstgerichte hatten freilich zwei Gruppen ein besonders ausgeprägtes Interesse, und man wird nicht fehl gehen in der Ansicht, dass es vornehmlich dieser Personenkreis war, der nachdrücklich auf die Einhaltung der Kompetenzverteilung pochte: das Gerichtspersonal selbst, das schließlich einen Teil seiner Einkünfte aus ihrem Anteil an den Gerichtsgebühren bezog, und vor allem die adeligen Gerichtsinhaber, für die ihre pfand-, lehen- oder eigentumsweise innegehabten Gerichte einen finanziellen Wert darstellten, der möglichst großen Ertrag abwerfen sollte. Daher überrascht es nicht, dass gerade die Gerichtsinhaber wiederholt gegen Eingriffe in die Kompetenz der erstinstanzlichen Gerichte Sturm liefen.40 1. 2. 2. 3. Prozessuale Rechte Das im letzten Unterkapitel über die Einsetzung von Kommissionen und die Gravamina über die Beeinträchtigung der erstinstanzlichen Jurisdiktionsgewalt Gesagte gilt ausschließlich für den Bereich privatrechtlicher Streitigkeiten. Bei Strafprozessen stand für die Regierung die ausschließliche Zuständigkeit der gemäß Tiroler Landesordnung zuständigen Gerichte außer Frage, und sie selbst war es, die wiederholt auf ihre Unzuständigkeit hinwies.41 Doch wurden gerade im ausgehenden Mittelalter auch im strafrechtlichen Bereich landständische Forderungen vorgebracht, die sich auf landschaftliche „Rechte und Freiheiten“ beriefen und in weiterer Folge in landesfürstlichen Gesetzen ihren Niederschlag fanden. Namentlich handelt es sich um das wiederholt positivierte landständische Postulat, dass über niemanden Vgl. TLA, VdL, Bd. 5, S. 581 und 586–587, 1594 Febr. 11; TLA, AfD 1608, fol. 148v–151r, 1608 März 26; TLA, CD 1607, fol. 458, 1607 Jan. 4; TLA, LLTA, Fasz. 12, Bund 4, 1619 März 19; TLA, AfD 1633, fol. 493r, 1633 Mai 4; TLA, AfD 1640, fol. 793r–795r, 1640 Juli 23; TLA, BT, Bd. 22, fol. 3r–4r, 1643 Jan. 9; TLA, AfD 1644, fol. 1159r–1160v, 1644 Dez. 16. 40 Vgl. besonders eindringlich TLA, Prozessbuch 2, fol. 172, 1530 Nov. 6; TLA, AfD 1575, fol. 96v–901r, 1575 Nov. 21. 41 Vgl. z. B. TLA, CD 1575, fol. 410, 1575 Sept. 14; ebenso TLA, CD 1583, fol. 608, 1583 Okt. 26 (hier erteilen die Regierungsräte dem Stadt- und Landrichter von Rattenberg die Auskunft, dass sie in Angelegenheiten, die maleficz berüern mechten, ainichen beschaid, maß oder ordnung zu geben nit im gebrauch haben. Vielmehr solle der Richter stets nach dem Erkenntnis der Gerichtsgeschworenen vorgehen). 39
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ohne einen ordentlichen Prozess strafrechtliche Sanktionen verhängt werden sollten. Ergänzend tritt die über Jahrzehnte immer wieder vorgetragene Bitte hinzu, das niemand ohne das Vorliegen von Verdachtsfällen inhaftiert werden sollte, die auf die Begehung eines an Leib und Leben zu ahndenden Verbrechens hinweisen. Letztere gründet zwar nicht in einer Landesfreiheit, sei aber an dieser Stelle aus Gründen der Vollständigkeit mitbehandelt. Wieder führt uns die erste Festschreibung eines entsprechenden Rechts zum bereits bekannten Freiheitsbrief von 1406. Im Anschluss an die soeben erläuterte Bestimmung, dass kein Verfahren außer Landes gezogen, sondern vor den nach altem Herkommen zuständigen Gerichten ausgetragen werden sollte, folgt die in unserem Zusammenhang interessante Zusage. Hätte jemand „ichtes verschuldet oder verworcht“, solle man die entsprechende „straffung und besserung [...] mit dem rechten erfinden“. Die als Urkundenaussteller aufscheinenden Herzöge Friedrich IV. und Leopold IV. würden die auf diese Weise verhängten Strafen nicht verändern. Auch diese Zusage, obwohl bei wörtlicher Interpretation ausdrücklich das „Land volk“ einschließend, richtete sich primär an den Tiroler Adel. Wie schon bei der vorangegangenen Bestimmung erweist sich der Streit zwischen Friedrich IV. und den Starkenbergern als Nagelprobe dieser privilegialen Zusicherung. Diese wurde von Ulrich und Wilhelm nämlich argumentativ sehr geschickt ins Treffen geführt, um die Vorgangsweise des militärische Maßnahmen gegen sie ergreifenden Herzogs als rechtswidrig zu brandmarken und mit Verweis auf den Bruch der Landesfreiheit und des Landrechts auf den Solidarisierungseffekt der Landschaft zu setzen. Demgegenüber reklamierte Friedrich IV. eine beding ungslose Unterwerfung auf Gnade und Ungnade, wobei er auf das Hausrecht des Hauses Österreich Bezug nahm. In concreto war damit die Bestimmung des Privilegium maius gemeint, demzufolge jeder offene oder geheime (!) Widerstand gegen den Herzog ausreichte, um den vermeintlichen Missetäter ohne Verfahren um seine Güter und sein Leben zu bringen.42 Von einer solchen spektakulären innenpolitischen Konfrontation abgesehen gab die Norm des Freiheitsbriefes, niemanden ohne Verfahren zu bestrafen, freilich nur die communis opinio des Spätmittelalters wieder.43 Schon die Kanonisten des 12. Jahrhunderts hatten das Recht auf eine Verteidigung als zentral erachtet, und Kenneth Pennington zieht ausdrücklich einen Vergleich zwischen der von den Juristen des Spätmittelalters entwickelten Konzeption prozessualer Rechte des Individuums und modernen Konzepten: „They [the conceptions of procedural rights] seem to anticipate modern conceptions and language“.44 Für die oberösterreichische Regierung war die ausschließliche Strafverhängung durch das Gericht eine Selbstverständlichkeit, wie insbesondere die Diskussion Vgl. Hageneder, Politik und Verfahrensgerechtigkeit, 1999, S. 25–26; Kranich-Hofbauer, Rotulus, 1994, S. 101–102; Lhotsky, Privilegium maius, 1957, S. 22. 43 Vgl. auch Hageneder, Politik und Verfahrensgerechtigkeit, 1999, bes. S. 35. 44 Pennington, Spirit of Legal History, 1997, S. 1109. 42
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nach dem niedergeschlagenen Aufstandsversuch des Bartholomä Dosser (1562) deutlich macht. Damals wurde kurzfristig die Frage aufgeworfen, wie die Aufständischen bestraft werden sollten, wobei seitens Ferdinands I. auf die Erfahrung des Bauernkriegs von 1525/1526 verwiesen worden war: Die Strafverhängung durch das Landgericht, dessen Gerichtsgeschworene sich aus dem Kreis der angesessenen Untertanen rekrutierten, hatte sich damals als aus obrigkeitlicher Sicht zu milde erwiesen. Die Regierung stellte jedoch ausdrücklich fest, dass den Landgerichten ihre Kompetenzen nicht entzogen werden dürften. Niemand dürfe in peinlichen sachen, wo es eer, leib oder leben antrifft, annders dann mit urthail und recht gestrafft oder getödt, sonnder ainem jeden nach seinem verschulden rechts gestatt werden solle.45 Als Ausweg führte man damals, wie bereits erwähnt, – zunächst noch in beschränktem Umfang – die Konfirmationspflicht für Strafurteile ein. Diese durften erst nach einer Überprüfung durch die Regierung vor Ort kundgemacht und in der Folge vollstreckt werden. Dieses Recht, dass über Schuld und Unschuld in einem gerichtlichen Prozess entschieden werden müsse, galt freilich nur für den Bereich des Strafrechts. Bei Policeydelikten entschied die lokale Obrigkeit allein. Ihre Entscheidung konnte anschließend auf dem Supplikenweg bekämpft werden.46 Bereits im November 1444 war offensichtlich eine Erörterung dieses Problemkreises geplant gewesen. Darauf deutet zumindest ein Konzept des ständischen Rats zu Meran hin, das die dem bevorstehenden Landtag zu unterbreitenden Agenden behandelt.47 Im einschlägigen Entwurf war vorgesehen, dass in Zukunft nymant, armer noch reicher, yederman in seinem stand und wesen, wy der ist, an redlich verhörung oder recht nicht gestrafft oder zu handen genomen werden dürfe. Nur wer sich weigere, zum Verhör und zur Gerichtsverhandlung zu erscheinen, nach demselben mag ma[n] greiffen und den gehorsam machen und straffen, doch an ware redlicher ursach nicht getrewlich und ungevärlich. Es bleibt jedoch unklar, ob diese Passage dem Volllandtag überhaupt zur Beratung unterbreitet wurde.48 Diesbezügliche gesetzliche Maßnahmen lassen sich in den folgenden Monaten jedenfalls nicht nachweisen. TLA, AksM 112r–119r, hier fol. 115r, 1562 Jan. 20. Auf den absoluten Sonderfall der Ahndung von Wildereidelikten sei an dieser Stelle nicht näher eingegangen, vgl. hierzu Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007. 47 StAM, Hs. III/36 (Landtagsprotokolle 1), 2. Teil, fol. 7r, 1444 Nov. 16. 48 ������������������������������������������������������������������������������������������������ Irritierend ist insbesondere, dass die entsprechende Passage durchgestrichen ist. Sie weist folgenden vollständigen Wortlaut auf: Item das auch furer nymant, armer noch reicher, yederman in seinem stand und wesen, wy der ist, an redlich verhörung oder recht nicht gestrafft oder zu handen genomen wird. Wurd aber yemant dem gesworen ratt der landsch[afft] oder haubtleütten, purggraffen, pflegern, richteren, verbesern oder andern mit verhandlung wort oder werch, dy sollen vor gefodert werden, sich irer handlung zu verantwurtten; wer sich des nach notdurfft und mit pillichen sachen nicht veranttwurtten mocht, der wird gestrafft nach gelegenhait der sachen. Welher aber zu recht oder verhörung nicht komen wolt, nach demselben mag ma[n] greiffen und den gehorsam machen und straffen, doch an ware redlicher ursach nicht getrewlich und ungevärlich. 45 46
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Das Recht auf einen fairen Strafprozess wurde freilich insgesamt nur verhältnismäßig selten thematisiert. Wenn es im folgenden Jahrhundert angesprochen wurde,49 dann in Zusammenhang mit einem ähnlichen, jedoch gerade im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts offensichtlich weitaus brisanteren Problem. Wiederholt wurde damals in Gravamina der Missstand überstürzter und ungerechtfertigter Inhaftierung ‚angesessener‘ Untertanen angesprochen. Die Rechtsfrage war: Unter welchen Voraussetzungen darf eine ‚angesessene‘, d. h. über Grund und Boden verfügende Person, die ihr Erscheinen zum Strafprozess zudem durch Bürgenstellung sicherstellen kann, in Haft genommen werden? Schon die Ordnung vom Juni 1474 enthielt (zweifellos auf Drängen der Städte und Gerichte) eine einschlägige Vorschrift.50 Dennoch wurde der Missstand willkürlicher bzw. zumindest unverhältnismäßiger Haftverhängung durch örtliche Richter im Vorfeld des Strafprozesses in den folgenden Jahrzehnten immer wieder gerügt. Exemplarisch sei eine Landtagsbeschwerde von 1476 herausgegriffen, in der bemängelt wird, dass die gesessenn lewt durch pfleger und richter in gerichtenn allenthalben umb slecht sachenn angenomen und in fanckhnuss eingelegt werdenn, damit in zwangnuss beschicht, purgschafft zu thun und abzuchomen nach ains pflegers und richters gefallenn, das wider lanndsfreyhait ist, das dhain gesessner man umb dhain sachen nicht angenomen sol werdenn, dann umb sachen, die in maleficz berueren. Das solichs auch gewenndt und abgeschaffen und gehalten werde nach lanndsfreyhait.51 1478 wurde die Beschwerde präzisiert und namentlich drei Voraussetzungen umschrieben, die einem Verdächtigen die Inhaftierung ersparen sollten: Der Betreffende musste wolgesessen, gnuegsam zum rechten und als drittes Erfordernis nicht flüchtig sein, wobei Letzteres wohl nicht nur wörtlich zu interpretieren war, sondern das Fehlen einer Fluchtgefahr mit einschloss.52 Der Erledigungsvermerk Siegmunds wies lapidar aus, dass es diesbezüglich wie von alter herkommen gehandhabt werden sollte. Einer der sehr raren Belege stammt aus dem Jahr 1567, als die Landschaft bat, ewer F. D. welle niemant in peinlichen sachen ohne vorgehendt erkantnuß zue straffen [...] gestaten (TLA, VdL, Bd. 5, S. 30). 50 Vgl. StAM, Urkunde A/I/301, 1474 Juni 29: Item wir ordnen und wellen auch, das hinfür kain gesessen man umb sachen, die nit maleficzs berüren, und dem rechten genugsam und gesessen sein, gevangen, sonder pürgschafft von den- oder demselben genomen sol werden [...]. 51 ������������������������������������������������������������������������������������������� TA, LLTA, Fasz. 1, fol. 120; fälschlicherweise bei den Landtagsakten des Jahres 1490 eingereiht, Datierung nach Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 136. 52 TLA, LLTA, Fasz. 1, Landtag 1478: Item. Darnach das sein Genad aus versagen oder sunst kainen edlmann oder anderen, der dann wolgesessen, gnugsam zum rechten und nicht flüchtig sein, an recht und gnugsame verhörung nicht turnen noch vahenn lasse, sunder ob der ainer icht verhanndelt hiet durch seiner Gnadenn gleich besetzt recht gestrafft werde; das auch seiner Gnaden phleger und richter das nicht thunn, wann das auch der landschafft freyhait ynnhelt [...]. 49
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Ein ständisches Gravamen, dass das Recht von Verdächtigen auf einen ordentlichen Strafprozess und auf die Möglichkeit einer Verteidigung gewährleistet werden müsse, findet sich nochmals im innenpolitisch überaus bewegten Jahr 1487. Obwohl damals in summarischer Form ausdrücklich auf Anlassfälle verwiesen worden war, die der Beschwerde zugrunde lägen, lassen sich diese rückblickend nicht mehr erschließen. Als bemerkenswert hervorzuheben bleibt der Umstand, dass damals jedes abweichende, den Beschuldigten seiner Rechte entkleidende Vorgehen als erschrecklich qualifiziert wurde.53 Die wiederholt ventilierte ständische Forderung, ‚angesessene‘ Untertanen nur bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen inhaftieren zu lassen, richtete sich allerdings nicht primär gegen den jeweiligen Landesfürsten. Weshalb man immer wieder mit Beschwerden vorstellig wurde, lag vor allem im eigennützigen Verhalten der lokalen Obrigkeiten begründet. Dies bringt schon die angeführte Beschwerde aus dem Jahr 1476 relativ unverhohlen zum Ausdruck: Richter und Pfleger benutzen die Haft, um auf diese Weise ihr Einkommen zu steigern, musste der Verhaftete doch für jeden Hafttag eine bestimmte, regional variierende Summe („Turmgeld“ o. ä. genannt) bezahlen. In aller Deutlichkeit bringt die Partikularbeschwerde des Gerichts Landeck von 1496 diesen Vorwurf auf den Punkt: Demnach würden etlich phleger oder richter, wan sy gerichtzleut fahen und sy für maleficzig achten und, wo etwo ainer vermugelich ist, lang gefankhlich halten, weitter dan von alter herkomen ist, ee man in recht ergen lad – hier wird mehr als deutlich, dass die finanziellen Aspekte der Strafrechtspflege eine wichtige Rolle spielten.54 Dies korreliert mit dem Befund, dass die amtswegige Strafverfolg ung,55 die sich in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts immer mehr durchsetzte und von den Landständen lautstark eingefordert wurde, vor allem auf einen Widerstand stieß: nämlich jenen von Richtern und Pflegern, die häufig überaus wenig Bereitschaft an den Tag legten, sich bei der Verfolgung eines Täters zu engagieren, ohne dass ihre Bemühungen finanziell honoriert würden.56 TLA, UR I/8423, 1487 ca. (ohne nähere Datierung): Am ersten das in disen vergangen zeytten ettwo vil vonn der lanndschafft durch anpringen gefangen unnd mit inn gehanndelt an zime liche verho r unnd das wider das loblich alt herkomen ist: Wer zum rechten gut unnd sich auch e verpu rgen mag, peswart und nicht darzu komen lassen, angesehen, ob yemant etwas verhandelt e e het, den mit verho r und recht fu rnemen an ainer yeden stat unnd gericht wie pillich ist nach dem e landsrechten, das aber weitter gepraucht wirdt, damit der lanndtman sich nit unpillich beswa rt und erschrecklich ist. 54 TLA, LLTA, Fasz. 1, Landtag 1496. 55 Vgl. hierzu allgemein Schuster, Dynamik und Grenzen des öffentlichen Strafanspruchs im Mittelalter, 2002, S. 138–139 und 142–151; His, Strafrecht des deutschen Mittelalters, 1. Teil, 1920, S. 378–382; Schmidt, Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 31965, S. 86–91. 56 Vgl. nur die sehr repräsentative, im Jahr 1478 vorgebrachte Beschwerde (TLA, LLTA, Fasz. 1, Landtag 1478): Item nachdem und [sic!] vil todsleg in dem land geschehen, die ungericht und ungestrafft beleiben, etwen der swären kostung halben, so darüber geet, auch das zu zeitten der 53
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Die Forderung der Landstände nach Inhaftierung ‚angesessener‘ Untertanen nur bei Vorliegen bestimmter Haftgründe – bei ‚unangesessenen’ Taglöhnern, Knechten und Handwerksgesellen wurde offensichtlich grundsätzlich vom Bestehen einer Fluchtgefahr ausgegangen – fand auch nach der erwähnten Ordnung von 1474 im positiven Recht ihren Niederschlag. Während eine entsprechende Bestimmung in der Halsgerichtsordnung von 1499 noch fehlte, fand sie schließlich in die Tiroler Landesordnung von 1526 Eingang (Buch 2, Teil 1, Tit. 5: Umb was Sachen / ain angesessne person / fenngklich angenomen werden mag). Dieser Titel fasste die Voraussetzungen für eine Inhaftierung aber sehr weit. Demnach konnte ein ‚Angesessener‘ unter anderem wegen jedem Hanndel der Yntzicht oder Malefitz betrifft sowie wegen Ungehorsams gegen die Obrigkeit gefangen genommen werden. Die Haftgründe wurden freilich 1532 deutlich präzisiert. Programmatisch wird zudem zu Beginn des Titels festgestellt, dass ‚angesessene‘ Personen, die einen tadellosen Leumund e haben, nit fanngklichen angenomen werden sollen; eine Festnahme ist (neben anderen Haftgründen) nur wegen des „hohen Verdachts“ eines an Leib und Leben zu strafenden Verbrechens zulässig, wobei eine Anzeige aus „Neid“ oder „Feindschaft“ sowie von „leichtfertigen“ Personen nicht für eine Inhaftierung ausreiche (Tiroler Landesordnung von 1532, Buch 8, Tit. 6). Allerdings waren die Möglichkeiten für den Einzelnen sehr beschränkt, gegen eine nicht die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllende Inhaftierung vorzugehen. Immerhin stand ihm die Option offen, nach einem erfolgten Freispruch auf zivilrechtlichem Weg gegen den die Haft verhängenden Richter vorzugehen. Der Aufenthalt im Gefängnis und eine allenfalls erfolgte Folterung des Gefangenen wurden als Beeinträchtigung der Ehre angesehen, gegen die auf dem Klagsweg vorgegangen werden konnte. Mustergültig zeigt sich dies bei der Injurienklage der Anna Mittermüller aus Sterzing gegen den dortigen Landrichter Josef Grebmer 1537.57 Anna Mittermüller brachte die Klage unmittelbar bei der Regierung an.58 Der Sachverhalt ist rasch umrissen: Sie war von einem Knecht – der zu den nicht angesessenen Bevölkerungsschichten gehörte – des Diebstahls von 43 fl. bezichtigt und daraufhin von Grember in Haft genommen worden. Die Klägerin wies ausdrücklich auf die Rechtswidrigkeit der Haft aufgrund der Tiroler Landesordnung von 1532, Buch 8, Tit. 6, hin: Sie sei eine statthaffte angesessen unverleumde person, der Knecht als Anzeiger hingegen ein „argwöhniger Anzeiger“ im Sinn der Tiroler Landesordnung. Obwohl sie dem Landrichter mehrmals angeboten habe, durch die Stellung von Bürgen ihr Erscheinen zu Prozessbeginn sicherzustellen, habe dieser sie festgenommen und eine Hausdurchsuchung angeordnet, bei der das Geld nicht gefunden erslagen wirt nit frundt hat, die sich umb yr annemen, auch das offt kostung halben nit vermogen, auch ander sachenn halbn die ledig gelassen werden, das sein Gnad daran und darob sey, damit das gestrafft werde. 57 Vgl. zum Folgenden TLA, Prozessbuch, Bd. 3, fol. 144v–148v, 1537 März 17. 58 Dieser Gerichtsstand resultiert aus der Stellung Grebmers als landesfürstlicher Amtsträger.
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VI. Leitkategorien und Ordungskategorien der Gesetzgebung
worden sei. Durch beide Maßnahmen – Inhaftierung und Hausdurchsuchung – sei sie geschennt [worden], als ob sy ain offne und bezeugte diebin were. Außerdem sei sie insgesamt drei Mal einer Folter unterzogen worden (zuletzt auf der Streckbank), wodurch nie ein Resultat erzielt worden sei. Das Gefühl ihr widerfahrener krasser Willkür verstärkte sich bei der Klägerin, da alle von ihr vorgebrachten, ihrer Entlastung dienenden Beweisanträge vom Richter völlig ignoriert worden waren. Sie hatte ihre Magd Anna Siggin als potentielle Täterin ins Spiel gebracht, die in der Tat kurz darauf verschwunden war. Obwohl sie sogar angeboten hätte, die Kosten für die Verfolgung der vermutlich „abgetauchten“ Anna Siggin zu übernehmen, habe der Richter seine Ermittlungen weiterhin ausschließlich auf die Klägerin beschränkt. Selbst nach dreimaliger vergeblicher Folterung sei sie erst freigelassen worden, als ihr Ehemann dem bestohlenen Knecht die angeblich von ihr entwendeten 43 fl. gezahlt habe. Wie wichtig die Causa und das Reinwaschen ihres angegriffenen Rufs für die Klägerin waren, zeigen ihre weiteren Schritte. Sie ließ der vermeintlich flüchtigen Magd auf eigene Kosten nachstellen und wurde ihrer schließlich im Gericht Passeier habhaft. Vor Gericht bekannte die Magd tatsächlich ihre Schuld, der Ehemann Mittermüller erhielt seine ausgelegten 43 fl. zurück. Genau darauf baute die (in den Prozessunterlagen nur kurz wiedergegebene) Argumentation des Landrichters auf: Der Klägerin sei kein Schaden entstanden. Sowohl die Verhängung der Haft als auch die Folterung seien nit wider unnsern tirollischen landsprauch oder das geschriben recht [!]. Bemerkenswerterweise berief sich der Landrichter, der selbst kein gelehrter Jurist war, im Rahmen seiner Verteidigung darauf, dass selbst die rechtsgelehrten disputieren würden, wann ein hinreichendes Indiz für die Folter bestünde. Grebmer blieb erfolgreich, die Klage wurde von der Regierung abgewiesen – leider ohne dass man etwas über die Entscheidungsgründe erfahren würde. Der Prozess der Anna Mittermüller gegen den Sterzinger Landrichter illustriert freilich, dass sich die Tiroler Landesordnung von 1532, Buch 8, Tit. 6, nicht nur an das Gerichtspersonal wandte, sondern im Fall eines behaupteten Verstoßes dem Untertanen eine Anspruchsgrundlage bot: Wegen der mit der Haft verbundenen Beeinträchtigung der Ehre – die nicht nur eine soziale, sondern auch eine rechtliche Kategorie war – konnten auf zivilrechtlichem Weg Schadenersatzansprüche geltend gemacht werden. Mangels weiterer Untersuchungen lässt sich jedoch nicht sagen, ob die Regierung in ihrer Rechtsprechung dazu neigte, dem Richter einen weiten Ermessensspielraum einzuräumen. Das Urteil im Fall Anna Mittermüller könnte als entsprechendes Indiz aufgefasst werden.
1. 3. Gewohnheitsrechtlich geschützte Rechtspositionen Während die bisher besprochenen Determinanten bzw. Grenzen der landesfürstlichen Gesetzgebung aus landständischen „Rechten und Freiheiten“ (und somit aus Privilegien) resultierten und von der Tiroler Landschaft mittels Gravamina
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eingefordert wurden, ist dies bei der im Folgenden zu besprechenden Kategorie von Rechtspositionen nicht zwingend der Fall. Jagdrechte der Untertanen oder Nutzungsrechte am Wald können so zwar auf privilegialen Verleihungen beruhen, müssen dies aber nicht. Gerade in den darzustellenden Beispielfällen beruhen die gegen Gesetzeseingriffe zu schützenden Rechte nicht bzw. nicht ausschließlich auf vom Landesfürsten ausgestellten Privilegien, sondern wurzeln im „alten Herkommen“. Dennoch darf der Gesetzgeber nicht ohne Rechtfertigungsgrund in derartige Rechte eingreifen.
1. 3. 1. Forstrecht 1. 3. 1. 1. Herrschaft Rovereto contra Ferdinand I. (1562) In der vorliegenden Arbeit wurde schon mehrmals auf die besondere Konfliktträchtigkeit forstrechtlicher Normen hingewiesen, die mit unterschiedlicher Zielsetzung auf die Beschränkung oder vollständige Beseitigung von Nutzungsrechten der Untertanen abzielten. Aus diesem Rechtsbereich stammt ein besonders illustratives Beispiel, das nicht nur die grundsätzliche Anerkennung von Rechten vor Augen führt, die während des Untersuchungszeitraums bis zu einem gewissen Grad gegen gesetzliche Eingriffe geschützt sind. Darüber hinaus belegt es, dass den Normadressaten mit der Option des Beschreitens des Prozessweges durchaus die Möglichkeit offen stand, behauptete Eingriffe in ihre geschützten Rechtspositionen geltend zu machen. Ende der fünfziger Jahre des 16. Jahrhunderts waren die wesentlichen Bestimmungen der Tiroler Waldordnung, die umfangreiche Eingriffsrechte des Landesfürsten in die Gemeindewälder vorsah, auch in der Herrschaft Rovereto eingeführt worden,59 die als Teil des Viertels „Welsche Konfinen“ seit dem Venezianerkrieg Maximilians I. Teil der Grafschaft Tirol war und an der Grenze zur venezianischen Terra Ferma lag. Der Geltungsbereich der 1502 erlassenen maximilianeischen Waldordnung hatte sich somit bisher noch nicht auf die Herrschaft Rovereto erstreckt. Dies überrascht nicht, war doch das Prinzip der Angleichung des Rechtsbestands eines territorialen Zuwachses an die Rechtsordnung des nunmehr vergrößerten Ter ritoriums der Frühen Neuzeit noch fremd. Im Vergleich zum übrigen Tirol waren die Welschen Konfinen durchaus bevorzugt: Während der venezianischen Herr �������������������������������������������������������������������������������������� Das Faktum der Erlassung einer Waldordnung für die Herrschaft Rovereto mit dem korrekten Datum 1558 Jan. 3 ist auch erwähnt bei Oberrauch, Wald und Waidwerk, 1952, S. 148, der jedoch keine Angaben zum Fundort macht. Dasselbe gilt für die Angabe bei Occhi, Traffici di legname, 2006, S. 202. Die Waldordnung ist überliefert in TLA, Buch Jägerei, Bd. 1, Anhang (unfol., unpag.). Die Erlassung von Waldordnungen an den Welschen Konfinen war von Ferdinand I. durchaus begrüßt worden, vgl. TLA, GvH 1556, fol. 111v, 1556 Juli 24.
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schaft waren – im Gegensatz zur zeitgleichen Tiroler Entwicklung – keine Anstalten gemacht worden, herrschaftliche Rechte an den Wäldern geltend zu machen.60 Wenngleich die Waldordnung für die Herrschaft Rovereto mit Januar 1558 datiert ist, formierte sich der Widerstand dagegen erst mit einiger zeitlicher Verzögerung zu Beginn des Jahres 1560. Die Gründe hierfür sind nach derzeitigem Kenntnisstand nicht auszumachen, es liegt aber im Bereich des Möglichen, dass sich erst allmählich die obrigkeitlichen Implementationsbemühungen intensivierten. Die Untertanen der Herrschaft Rovereto hatten sich jedoch der Einführung verwidert und auf die Kollision mit dem „alten Herkommen“ und ihren Freiheiten verwiesen. Als die Beschwerden bei den Innsbrucker Behörden – speziell bei der für die Implementation zuständigen Kammer – erfolglos blieben,61 schlugen die Unterta nen eine in vergleichbaren Problemlagen häufig anzutreffende Strategie ein: Sie schickten im Frühsommer 1560 eine Gesandtschaft nach Wien, die Kaiser Ferdinand I. eine Supplikation übergeben und auf diesem Weg die Aufhebung der Waldordnung erreichen sollte.62 Grundsätzlich erkannte der Kaiser die Problematik und forderte ein Gutachten der Kammer an, mit was fueg und recht die Finanzbehörde den Untertanen die hollczer eingezogen hätte.63 Die Gesandten von Rovereto trieben in Wien währenddessen die Sache ihrer Auftraggeber hartnäckig voran; mehrmals urgierte der Hof das angeforderte Kammergutachten, da Ferdinand I. endlich des höfftigen anlauffens überhöbt sein wolle.64 In Wien erhielten die bis in den Herbst 1560 vertrösteten Gesandten nur die wenig befriedigende Auskunft, dass der Landesfürst grundsätzlich das Recht habe, zur Bekämpfung von Missständen auch die Gemeindewälder betreffende Ordnungen zu erlassen, doch sollten sie sich mit ihrer Bitte an die Regierung wenden.65 Diese wurde zeitgleich von Ferdinand I. ermächtigt, bei Vorsprache der Gesandtschaft von Rovereto Entgegenkommen zu signalisieren und in einigen der inkriminierten Bestimmungen den Wünschen der Betroffenen entgegenzukommen. Schließlich sei man bereit anzuerkennen, dass solliche ordnung nit an allen unnd yeden ortten durchaus unnnd zugleich statt haben müge, sondern ettwan ain unnderschidt hierinnen gehalten werden mueß, in ansehung und betrachtung, daz die wäld unnd hölczer an aim ortt nit wie am annderen befunden würden.66 Vgl. Oberrauch, Wald und Waidwerk, 1952, S. 121. Vgl. die Erwähnung der zunächst bei der Kammer angebrachten Beschwerden in TLA, GaH 1560, fol. 264r–267r, hier fol. 265, 1560 Juni 20. 62 Zu den Supplikationen an den Kaiser unter Umgehung der Regierung in Innsbruck Ulbrich, Charakter bäuerlichen Widerstands, 1983, S. 211–214. 63 TLA, GvH 1560, fol. 136v, 1560 Juni 5. 64 TLA, GvH 1560, fol. 205r–206v, hier fol. 206r, 1560 Juli 22; ebd., fol. 339, 1560 Sept. 17; ebd., fol. 376v–377r, 1560 Okt. 22. 65 Vgl. TLA, GvH 1560, fol. 136v, 1560 Juni 5; vgl. hierzu und zum Folgenden überdies den Bericht der Regierung in TLA, AksM 1562, fol. 27r–36r, 1562 Jan. 7. 66 Zit. nach TLA, VksM 1562, fol. 31r–33v, 1562 Febr. 27. 60 61
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Die Regierung setzte zunächst auf gütliche Verhandlungen. Der Kammerprokurator Dr. Raban Eisenhut als Vertreter des Landesfürsten und die Vertreter der Herrschaft Rovereto sollten unter Vermittlung der Regierung einen Kompromiss eingehen. Die Untertanen zeigten aber wenig Bereitschaft zu einem Vergleich, sondern beharrten auf ihrer Forderung nach Aufhebung der Waldordnung. Sie waren fest entschlossen, rechtlich gegen das Gesetz vorzugehen und beauftragten den Juristen Dr. Matthias del Bono mit ihrer Rechtsvertretung. Dieser ließ in Innsbruck klar erkennen, welche Bedeutung seine Mandanten dem Prozessausgang zumessen würden. Seine Bemerkung, es sei sogar von denen von Rovereidt [Rovereto], wo man sy nit bey irem alten wesen und iren vermainten wäldern bleiben lassen welle, [...] ainer rebellion und aufstandts zu befarn, trug ihm eine Verwarnung ein.67 Da Rovereto zu Vergleichsverhandlungen nicht bereit war und Klage erhob, musste der Streit über die Zulässigkeit der Erlassung der Waldordnung auf dem Rechtsweg ausgetragen werden. Leider haben sich die Prozessunterlagen nicht erhalten, so dass das exakte Klagsbegehren der Untertanen zu Rovereto nicht ersichtlich ist; die erhaltenen Berichte lassen jedoch den Schluss zu, dass dieses auf Bestätigung der (wohl spezifizierten) Rechte und Freiheiten der Herrschaft Rovereto an ihren Wäldern und unmittelbar auf die Aufhebung der Waldordnung abzielte.68 Eines bedingte das Andere. Aus der Feststellung der Rechte und Freiheiten von Rovereto resultiert aufgrund von deren Unvereinbarkeit mit der Waldordnung mittelbar die Unzulässigkeit ihrer Erlassung. Eines muss dabei hervorgehoben werden: Es ging hier nicht allein um die Frage nach der Zulässigkeit der Aufhebung allfälliger Privilegien, da offensichtlich nicht alle Nutzungsrechte an den Wäldern in der Herrschaft auf diese Weise abgesichert waren, sondern sich die Untertanen nur auf das Gewohnheitsrecht berufen konnten. Im August 1561 hatten der Kammerprokurator und Dr. del Bono ihre Argumente vorgebracht, die Sache war grundsätzlich entscheidungsreif. Der ursprüngliche Termin für die Urteilsverkündung wäre Martini 1561 gewesen, doch trat eine Verzögerung ein.69 Diese ergab sich nicht nur aus den umfangreichen, von beiden Parteien eingereichten Schriftsätzen und der anderweitigen Arbeitsbelastung der Regierung, sondern resultierte zudem aus einer bewussten Verzögerungstaktik der Räte. Obwohl sich die Untertanen von Rovereto beschwerten, dass sie zwischenzeitlich durch den von der Kammer angestellten landesfürstlichen Waldmeister und durch die Bannlegung der meisten Gemeindewälder70 irer possession und innha TLA, VksM 1562, fol. 233r–234r, 1562 Jan. 15. TLA, AksM 1562, fol. 27r–36r, hier fol. 32v–33r, 1562 Jan. 7: Die Herrschaft Rovereto habe bei der Regierung ire beschwerungen [gegen die Waldordnung] [...] nach lenngs fürbracht und darauf gepeten, die angedeite waldordnung aufczeheben und sy bei irem lannghergebrachten freyen holczschlagen und verfüeren beleiben zu lassen. 69 TLA, AksM 1562, fol. 27r–36r, hier fol. 27v–28v, 1562 Jan. 7. 70 Vgl. zu diesen Maßnahmen der Kammer auch schon TLA, GaH 1560, fol. 264r–267r, 1560 Juni 20. 67 68
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bens [...] enndtseczt würden und die armen unnderthanen irer narung endtzwischen zum thail in manngl stehen miesten, sah sich die Regierung als zuständiges Gericht veranlasst, einen Zwischenbericht an den Kaiser zu erstatten.71 Darin teilte sie ihm warnend den absehbaren Prozessausgang mit. Die von Rovereto zum Beweis der eigenen Nutzungsrechte an den Wäldern vorgelegten Urkunden und Kundschaftsaussagen ließen ihre Beschwerden als gerechtfertigt erscheinen. Das Urteil werde zu ihren Gunsten ausfallen. Die Rechte der Untertanen an den Wäldern waren, soweit ersichtlich, vom Kammerprokurator nicht einmal bestritten worden. Dieser stützte sich weniger auf das Forstregal, sondern vielmehr auf das Argument des „gemeinen Nutzens“.72 Ein Eingriff sei notwendig, da Holzverschwendung vorliege und dies dem Land schade. Mit dieser Rechtfertigung folgte Dr. Eisenhut der von Wien aus vorgegebenen Linie. Ferdinand I. hatte nachdrücklich hervorgehoben, dass im Zusammenhang mit der Waldordnung der Eindruck vermieden werden müsse, als ob wir hiedurch die wäld unnd hölczer für unns selbst, unnser camer zu guetem, einzuziehen gedennkchen.73 Just dieses ausschlaggebende Argument des gemeinen Nutzens war die Regierung jedoch nicht bereit zu akzeptieren. Sie war sich darüber im Klaren, dass die Waldordnungen, die 1558 nicht nur in Rovereto, sondern ebenso in den Herrschaften Primiero, Ivano, Telvana und Valsugana erlassen worden waren, eben nicht dem Schutz des Waldbestandes, sondern fiskalischen Zwecken dienten. Jene Wälder, an denen Nutzungsrechte anderer ausgeschlossen worden waren, konnten gewinnbringend für den Holzexport ausgebeutet werden. Dass tatsächlich dieses Ziel hinter den angeführten Waldordnungen an den Welschen Konfinen stand, wurde durch rezente Forschungen bestätigt.74 Des Weiteren wurde die Position von Rovereto durch die summarische Konfirmation ihrer Rechte und Freiheiten, die den Insassen der Herrschaft Rovereto wie anderen Städten und Gerichten im Gefolge der Erbhuldigung durch Ferdinand I. selbst erteilt worden war, massiv gestärkt. Diese früher bestätigten, wenn auch in der Konfirmationsurkunde nicht in concreto aufgezählten Rechte und Freiheiten umfassten ebenfalls die Nutzungsrechte an den Wäldern, selbst wenn diese auf keiner urkundlichen Verleihung beruhten. Diese zuvor bestätigten Rechte der Untertanen nunmehr ohne Rechtfertigungsgrund durch Gesetz einzuschränken bzw. aufzuheben, war aus Perspektive der Regierung unzulässig. Das bedeutete nicht, dass ein gesetzlicher Eingriff in das Nutzungsrecht nicht grundsätzlich statthaft gewesen wäre, nur bedurfte es hierfür einer tragbaren Begründung. Der durch eine gesetzliche Regelung anzustrebende gemeine Nutzen konnte durchaus eine solche Legitimationsfigur sein (s. u.). Doch nur die Behauptung, dass ein Gesetz dem gemeinen Nutzen diene, war für die Regierung nicht aus 73 74 71 72
TLA, AksM 1562, fol. 27r–36r, hier fol. 31r–32r, 1562 Jan. 7 Hierzu auch Erwin, Machtsprüche, 2009, S. 128–130. TLA, GvH 1561, fol. 145r–146r, hier fol. 145v–146r, 1561 März 2. Vgl. Occhi, Traffici di legname, 2006, S. 202.
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reichend, zumal wenn das Gegenteil – die dominierende fiskalische Zielsetzung des Gesetzes – mit den Händen greifbar war. Angesichts dieses Befunds legte die Regierung Ferdinand I. dringend nahe, vor der Urteilsverkündung zugunsten der Untertanen von Rovereto einen Vergleich anzustreben. Sie machte keinen Hehl daraus, dass es seitens des Landesfürsten schon ein Fehler gewesen sei, es überhaupt erst zum Prozess kommen zu lassen. Damit teilte sie dem Kaiser nichts Neues mit. Sowohl die oberösterreichische Kammer als auch der Kammerprokurator hatten schon im Herbst 1560 aufgrund der Unsicherheit der landesfürstlichen Rechtsposition davon abgeraten, es zu einem Prozess kommen zu lassen.75 Die Entscheidung, den Konflikt um die Waldordnung von Rovereto nicht im Vorfeld im Vergleichsweg zu bereinigen, ging auf den Kaiser selbst zurück,76 der freilich vor seiner Entscheidung nachweislich Rechtsgelehrte und den Hofrat konsultiert hatte. Die Regierung teilte diese Einschätzung nicht. Es wäre ihrer Meinung nach besser gewesen, dass man dise sachen in khain rechtliche ausfüerung unnd disputation khommen oder erwachsen lassen, sonnder durch anndere fürträgliche mittl unnd weeg one ainiche weitleuffigkhait denen von Rovereidt irer angezognen beschwerden abgeholfen hätte.77 Es wird an anderer Stelle noch nachzuweisen sein, dass eine solche gütliche Einigung bei entsprechend gelagerten Fällen jener Weg war, den die Obrigkeit üblicherweise einschlug. Speziell warnte die Regierung vor den negativen Vorbildwirkungen, die ein Urteil zugunsten der Untertanen haben könnte. Es würde bey und gegen anndern [...] unnderthanen und an anndern ortten diser F. G. Tyrol ain beschwerliche und nachthailige consequencz in vil weeg verursachen.78 Es war zu erwarten, dass mehrere dem Beispiel derer von Rovereto folgen würden. Dringend riet die Regierung Ferdinand, nicht die Urteilsverkündung abzuwarten. Vielmehr solle er vorher die Aufhebung der Waldordnung anordnen. Dabei könne er die Untertanen zu Rovereto darauf aufmerksam machen, dass die Ordnung aufgrund der Ergebnisse der Waldbereitung des Jahres 1557, die gravierende Missstände an den Tag gebracht hätte, ergangen sei zu gemains lanndts [...], auch sonnderlich ir der unnderthanen [...] und derselben nachkhomen selbs aignen scheinperlichen nucz und wolfart. Ferdinand I. könne durchaus unterstreichen, dass er als Landesfürst gemainen nucz und sonnderlichen iren unnderthanen selbs zu guetem und wolfart ordnungen und saczungen zu machen und aufzurichten befugt sei, da auf diese Weise sein Normsetzungsanspruch erhalten bleibe.79 Großzügig solle er den Untertanen jedoch die Aufhebung der Waldordnung zugestehen, wenn sy selbs ordnung fürnemen und es dahin richten wolten, dass das Regelungsziel des Walderhalts erreicht werde. Diese von den Un Vgl. TLA, GaH 1560, fol. 527v–529v, 1560 Okt. 22. ���������������������������������������������������������������������������������������� TLA, VksM 1561, fol. 114, 1561 Febr. 25; zur Konsultation des Hofrats und von (nicht genannten) Rechtsgelehrten TLA, GvH 1561, fol. 145r–146v, 1561 März 2. 77 TLA, AksM 1562, fol. 27r–36r, hier fol. 31v, 1562 Jan. 7. 78 TLA, AksM 1562, fol. 27r–36r, hier fol. 31v, 1562 Jan. 7. 79 TLA, AksM 1562, fol. 27r–36r, hier fol. 33r–33v, 1562 Jan. 7. 75 76
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tertanen selbst zu erlassende Ordnung müsse aber der landesfürstlichen Ordnung gemeß und gleichformig sein und sei der Regierung zur Konfirmation und allenfalls zur Ergänzung zu übersenden.80 Die Durchsetzung solle dadurch garantiert werden, dass statt des von der Kammer eingesetzten Waldmeisters die Untertanen selbst so genannte Rüger und Waldmeister bestellen müssten, wobei die verhängten Strafgelder der Herrschaft Rovereto (im Sinne des genossenschaftlichen Verbands der dort angesessenen Untertanen) zufließen sollten.81 Falls die Untertanen ihren Verpflichtungen nicht nachkämen, d. h. die Ordnung nicht in der entsprechenden Form erlassen würde oder sie sich bei der Implementation als nachlässig erweisen sollten, würde die Regelungskompetenz des Landesfürsten greifen und die nunmehr aufgehobene landesfürstliche Waldordnung wieder in Kraft gesetzt. Dieser Kompromissvorschlag der Regierung barg grundsätzlich für beide Streitparteien große Vorteile. Ferdinand I. betonte derart trotz Aufhebung der Waldordnung von 1558 seine grundsätzliche Regelungsbefugnis über die Gemeindewälder an den Welschen Konfinen. Dies erschien besonders mit Blick auf die übrigen Herrschaften an den Welschen Konfinen als unverzichtbar, für die schließlich 1558 ebenfalls Waldordnungen erlassen worden waren. Überdies sollte sich die von den Untertanen auszuarbeitende Waldordnung an dem Vorbild und den Grundsätzen der landesfürstlichen Ordnung orientieren. Durch das der Regierung zukommende Konfirmationsrecht konnte dies sichergestellt werden. Auf diese Weise bewahrte die Zentrale inhaltliche Einflussmöglichkeiten. Schließlich darf man nicht vergessen, dass die subsidiär auf regionaler Ebene zu erlassende Regelung unter einem Vorbehalt stehen sollte: Würde sie sich nicht bewähren oder nicht hinreichend durchgesetzt werden, käme wieder die landesfürstliche Waldordnung zum Tragen. Umgekehrt musste der Kompromiss den Untertanen durchaus vielversprechend erscheinen. Das Faktum, dass sowohl die Ausarbeitung und Erlassung als auch die Umsetzung der Ordnung ihnen selbst und nicht Ferdinand I. und den landesfürstlichen Organen zukam, vergrößerte im Vergleich zum status quo ihren Handlungsspielraum beträchtlich. Ferdinand I. griff daher den Vorschlag der Regierung auf.82 Anders jedoch die Untertanen von Rovereto, die weiterhin auf einen Abschluss des Prozesses und ein Urteil drängten.83 Dr. del Bono hatte schon im Januar 1562 die Prozessverzögerung moniert. Es seye zu erparmen, das den armen unnderthanen zu Rovereydt das recht versagt werde.84 Die Situation wurde kritisch. Für die Regierung war klar, dass das Urteil nur zugunsten Roveretos ausfallen und nicht weiter verzögert werden könne. Anderes kam aus grundsätzlichen Erwägungen nicht in Frage, wie die Regierung TLA, AksM 1562, fol. 27r–36r, hier fol. 34r, 1562 Jan. 7. TLA, AksM 1562, fol. 27r–36r, hier fol. 34v, 1562 Jan. 7. 82 Vgl. nur TLA, EuB 1562, fol. 81, 1562 Jan. 30; ebd., fol. 81v–83v, 1562 Jan. 19; ebd., fol. 147r, 1562 Febr. 25. 83 Vgl. hierzu ausführlich TLA, EuB 1562, fol. 177v, 1562 März 3. 84 TLA, AksM 1562, fol. 56r–57v, 1562 Jan. 22. 80 81
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dem Kaiser im Juli 1562 mitteilte.85 Eine andere Vorgehensweise berge das Risiko, dass sie bey vilen ain solches aufsehens haben und diese nachred geperen mechte, das eur Mt. unnderthanen in sachen E. Mt. unnd derselben camer betreffenndt rechtlos gelassen würden.86 Im selben Schreiben ließ die Regierung Ferdinand I. wissen, dass sie sich außerstande sehe, ihn in dieser Sache zu beraten. Diese Aufgabe komme dem Kammerprokurator zu, nicht ihr als Richter (wobei trotz dieser bemerkenswerten Feststellung schon der im Februar erteilte Ratschlag, dringend einen Vergleich anzustreben, die hier verbal postulierte Unabhängigkeit der Regierung relativiert). Seitens des Kammerprokurators ging es nun nur mehr darum, die Urteilsverkündung zu verhindern. Dieses leitende Interesse ergab sich nicht nur aus der befürchteten Präjudizwirkung, sondern auch aus symbolischen Gründen. Die Aufhebung eines landesfürstlichen Gesetzes im Gefolge eines Urteils wäre aus der obrigkeitlichen Perspektive heraus für das Ansehen und die Außenwahrnehmung der landesfürstlichen Macht überaus nachteilig gewesen. Im letzten Augenblick ging der Kammerprokurator auf sämtliche Forderungen der Herrschaft Rovereto ein: Aufhebung des Gesetzes bei gleichzeitiger Anerkennung ihrer Nutzungsrechte, Verzicht auf eine inhaltlich ähnliche, durch die Insassen der Herrschaft selbst bzw. ihre Organe erlassene Waldordnung. Dies kam einem vollständigen Obsiegen der Position der Untertanen der Herrschaft Rovereto gleich. Von einer Verkündung der Gesetzesaufhebung an die Normadressaten durch einen actus contrarius, also im Wege der Publikation, wurde jedoch abgesehen. Eine solche lässt sich jedenfalls nicht nachweisen. Dies ist wohl kein Zufall, ging es hier doch auch um Symbolik. Durch das unbedingte Einlenken des Kammerprokurators in der Endphase der rechtlichen Auseinandersetzung mit den Untertanen von Rovereto sollte vor allem eines vermieden werden: Aufsehen. Aus herrscherlicher Sicht mussten po tentiell oder faktisch öffentlichkeitswirksame Akte wie die Urteilsverkündung oder die Kundmachung einer Gesetzesaufhebung zur Vermeidung einer „Vorbildwirkung“ der Strategie von Rovereto und zur Bewahrung der unbedingten Autorität der landesfürstlichen Gesetze äußerst unerwünscht sein. Es war primär dieses Bestreben, das das völlige Nachgeben Ferdinands I. und seinen Verzicht auf die Regelungskompetenz motiviert hatte. Die Untertanen der Herrschaft Rovereto hatten somit rechtlich einen Sieg davon getragen und nicht nur eine Modifikation, sondern die gänzliche Aufhebung der ungeliebten Waldordnung durchgesetzt. Es zeugt allerdings von einer gewissen Dreistigkeit, dass die Herrschaft Rovereto kaum einen Monat später mit der Bitte um ein Zollprivileg bei der Kammer in Innsbruck vorstellig wurde. Da örtliche Holzhändler das Holz für den Export in die venezianische Terra Ferma nicht nur aus den Wäldern der Herrschaft Rovereto bezogen, sondern auch aus nördlich im Viertel an der Etsch gelegenen, supplizier TLA, AksM 1562, fol. 260r–261r, 1562 Juli 15. TLA, AksM 1562, fol. 260r–261r, 1562 Juli 15.
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ten sie um eine Zollbefreiung für das dort gekaufte Holz. Die Ablehnung ließ nicht lange auf sich warten, ebenso wenig der damit verbundene Seitenhieb auf die zu Fall gebrachte Waldordnung: Solange die Roveretaner nicht nur unvermindert ihre eigenen Forstbestände ausbeuten, sondern überdies die „Annahme“ jeder Waldordnung verweigern würden, könne man sie respektive die Eigennützigkeit der feder führenden Holzhändler nicht noch mit Zollbefreiungen fördern.87 1. 3. 1. 2. Weitere Fälle Schon der ausführlich wiedergegebene Prozess der Herrschaft Rovereto, der gegen die Eingriffe der Waldordnung in die Nutzungsrechte der Untertanen gerichtet war, hat es gezeigt: Der frühneuzeitliche Tiroler Gesetzgeber war weit davon entfernt, beliebig in Rechtspositionen der Untertanen eingreifen zu können, und im Fall eines ungerechtfertigten Eingriffs standen den Normadressaten Möglichkeiten zur Verfügung, gegen ein entsprechendes Gesetz vorzugehen. Der Fall „Rovereto contra Ferdinand I.“ ist nicht der einzige, wenngleich die Unnachgiebigkeit Ferdinands I. hier zu einer Eskalation führte. Üblicherweise erreichten Differenzen über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit eines gesetzlichen Eingriffs in geschützte Rechtspositionen erst gar nicht dieses Stadium, sondern wurden bereits früher beigelegt. In anderen Fällen war schon die Drohung mit einem Prozess seitens der aktiv Klagslegitimierten ein ausreichender Schritt, um den Gesetzgeber zum Einlenken zu bewegen respektive den Boden für einen Kompromiss zu bereiten. Ein Musterbeispiel dafür ist der von den drei Gemeinden Fritzens, Baumkirchen und Mils im Unterinntal eingelegte Protest gegen die Waldordnung Maximilians I. von 1502.88 Diese verbot den Verkauf von Holz generell und beschränkte zudem den Holzbezug für den Eigenbedarf, indem sie Letzteren an die vorher einzuholende Bewilligung des örtlichen Waldmeisters band. Dadurch sollten die Waldbestände für den Bedarf der Haller Saline geschont werden. Die betroffenen Gemeinden betrachteten dies als Eingriff in ihre bisherigen Rechte, ohne dass sie freilich entsprechende Privilegien vorweisen konnten. Es ging also nicht, wie an dieser Stelle festgehalten sei, um die Rechtsfrage, ob Privilegien vom Landesfürsten kas siert werden dürften. Den Eingriff wollten die drei Gemeinden nicht hinnehmen, wobei sie auf die lange, ungestörte Ausübung ihrer Rechte verwiesen.89 TLA, EuB 1562, fol. 250v–251r, 1562 April 21. Vgl. TLA, Kopialbuch Ältere Reihe, Nr. 25, Lit. X, fol. 24v–27r, 1502 April 24; Edition bei Wopfner, Almendregal, 1906, S. 128–132; vgl. auch Oberrauch, Wald und Waidwerk, 1952, S. 65–66. 89 Vgl. zu den folgenden Ausführungen die Schriftstücke unter der Sammelsignatur TLA, UR I/6187, die zwar nicht datiert sind, jedoch vom registrierenden Archivar dem Zeitraum von 1508 bis 1519 zugewiesen wurden. 87 88
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Die Argumentation von Baumkirchen, Fritzens und Mils in ihrer in Reaktion auf die Waldordnung eingereichten Beschwerdeschrift wirkt auf den ersten Blick einfach, bringt bei genauerer Analyse freilich konzis eine Mehrzahl von Gründen vor, die die Rechtsposition der Supplikanten stärken konnten. Die Untertanen hätten ir holczbesuech von iren eltern ererbt, dieser sei also von ainem stamen auf den anndern erblichen komen, und sie hätten ihn bisher in ruhiger nucz und gewer ynngehabt. Das Holznutzungsrecht sei Gegenstand von Erbeinsetzungen, Erbteilungsverträgen und anderen Verträgen gewesen. Im Rahmen der Erbhuldigungen sei ihnen zudem sowohl von Maximilian I. als auch von seinem Vorgänger Siegmund zugesagt worden, sy bey altem herkomen, nucz und gewer beleiben zu lassen mit vil mer dergleichen worten. Schließlich wiesen sie implizit darauf hin, dass ihren Rechten schließlich Pflichten gegenüber stünden. Für diesen holczbesuech müssten sie schließlich „steuern und raisen“, womit die von den Untertanen zu erbringenden Leistungen an den Landesherren – das Zahlen von Steuern und die Leistung von Kriegsdiensten im Rahmen des Aufgebots – in aller Kürze zum Ausdruck gebrachten wurden. Dadurch wurde angedeutet, dass die Beseitig ung eines Rechts bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Pflichten nicht angehe. Überdies sei der Holzverkauf, so das abschließende Argument, für sie angesichts ihrer Armut eine Überlebensnotwendigkeit. Ihr eigentliches Petitum wird mit einer Unterwerfungsgeste eingeleitet: Wie ir Mayestät mit inen hanndlet, das müssten sy gedulten, aber – im Anschluss wird genau das Gegenteil dargelegt: Wenn Maximilian I. auf der Waldordnung verharren würde und sie ihres lanngen ynnhaben, nucz und gewer so ganncz enntweren wollte, kündten [sie das] aus der grossen nott [...] nit gedulten, sonnder müessen sich recht und urtail darumben enntschaiden lassen. Deutlicher kann nicht zum Ausdruck gebracht werden, dass den Untertanen sehr wohl rechtliche Möglichkeiten zu Gebote standen, sich gegen Eingriffe des Gesetzgebers in ihre Rechte zur Wehr zu setzen. In aller Klarheit wird Maximilian I. vermittelt, dass man bereit ist, um den Bestand der eigenen Holznutzungsrechte notfalls zu prozessieren und auf diese Weise rechtlich gegen die neue Waldordnung vorzugehen. Das Regiment wollte es erst gar nicht soweit kommen lassen; vielmehr entsandte es eine aus vier Personen bestehende Kommission, die vor Ort mit den Gemeinden über die Waldordnung verhandeln, die Beschwerden anhören und Lösungswege finden sollte. In der Tat fand man schließlich einen Kompromiss: Die Holznutzung für die „Hausnotdurft“ blieb den Untertanen weiterhin ohne Einschränkung erlaubt. Grundsätzlich blieb der Verkauf von Holz ebenfalls gestattet, wurde jedoch an eine vorangegangene Bewilligung durch den Waldmeister geknüpft. In Summe bedeutete dies somit, dass die supplizierenden Gemeinden ihre Rechtspositionen – insbesondere bei einem Vergleich mit der ungleich strengeren Waldordnung – in hohem Maße bewahren konnten. Umgekehrt konnte Maximilian I. mit dem Ergebnis auch zufrieden sein, schließlich hatte er den Untertanen im Vergleich zum Rechtszustand vor der Ge-
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setzeserlassung einige Zugeständnisse abgerungen. Aus dieser Perspektive war das Gesetz, wenngleich es sich nicht vollständig durchsetzen ließ, ein Erfolg gewesen. Eines dürften die bisherigen Beispiele hinreichend deutlich gemacht haben: Die Forstgesetzgebung war ein Bereich, der besonders konfliktanfällig war, und bei dem das Spannungsverhältnis zwischen landesfürstlichem Regelungsanspruch und den Eigentums- bzw. Nutzungsrechten der Untertanen besonders gut greifbar wird. Dasselbe Prozedere, das sich nach dem Erlass der maximilianeischen Waldordnung und den anschließenden Beschwerden der drei Unterinntaler Gemeinden beobachten ließ, kam in ähnlichen Konstellationen in vergleichbarer Weise zur Anwendung. Auf den Gesetzeserlass folgte eine im Supplikenwege vorgebrachte Rechtsbehauptung von Normadressaten, die auf die Unvereinbarkeit ihrer Rechtspositionen mit dem Gesetz hinwiesen. Darauf folgten Verhandlungen zwischen Untertanen und Regierung, in deren Zuge behördlicherseits je nach Einzelfall in unterschiedlichem Ausmaß den Einwendungen und Beschwerden der Betroffenen Rechnung getragen wurde. Allerdings hing die Intensität einer solchen Konfliktaustragung nicht zuletzt von den Intentionen des Gesetzgebers und der Zentralbehörden ab. Vereinzelt ist auch dokumentiert, dass die Regierung vom Vorhaben einer Implementation von vornherein Abstand nahm, sobald Widerstand deutlich artikuliert wurde. 1613 machten beispielsweise die Gerichte Steinegg und Welschnofen geltend, dass sie seit jeher gegen jede Waldordnung mit Verweis auf ihre Rechte protestiert hätten und unbehelligt geblieben wären.90 Wie selbstverständlich es für die Regierung war, die Rechtspositionen der Untertanen mitzubedenken, zeigt eine Stellungnahme von 1622, die auf ein Gutachten der Kammer Bezug nahm.91 Die Kammer hatte darin den Vorschlag unterbreitet, zum Nutzen des Bergbaus sämtliche Rechte an Wäldern (unabhängig von der Rechtsqualität der Wälder!) den Berechtigten – egal, ob geistliche Institutionen, Gerichtsgemeinden, Gemeinden oder Privatpersonen – bis auf die „Hausnotdurft“ (den Eigenbedarf ) durch Gesetz entschädigungslos (ohne alle widerlag und bezalung) zu entziehen. Die Regierung sprach sich deutlich gegen eine solche Vorgehensweise aus.
1. 3. 2. Wirtschaftsrecht Die Frage, ob, in welchem Ausmaß und unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber in bestimmte Rechtspositionen der Untertanen eingreifen kann, tangierte auch wirtschaftspoliceyliche Bestimmungen. Als besonders konfliktanfällig erwiesen sich dabei Gesetze, die Erwerbsmöglichkeiten beschränkten oder überhaupt untersagten. Derartige Konflikte manifestierten sich bereits Ende des 15. Jahrhun TLA, LLTA, Fasz. 12, Bund 12, Landtag 1613, Partikularbeschwerden. TLA, VfD 1622, fol. 153v–154r, 1622 Juli 16.
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derts, als die wirtschaftspoliceyliche Gesetzgebung unter Maximilian I. deutlich zunahm. Hier zeigt sich gerade in maximilianeischer Zeit ein interessanter Konnex zwischen der persönlichen Freiheit und der Freiheit, über sein Eigentum ohne Einschränkungen zu verfügen. Fassbar wird dies bereits in der Partikularbeschwerde der Insassen des Gerichts Landeck von 1496, die auf ihre persönliche Freiheit und die daraus resultierende Steuerleistung verweisen. Dies empfinden sie als mit einem (nicht erhaltenen) Verbot der Lebensmittelausfuhr unvereinbar: Zuerst daz frey leüt sullen sein nach laut irer freyhait, daraus sy järlich geben hundert und XXV mr., damit man in yecz verpiet, das sy kainerlay fih aus dem land geben sullen, dergleich kess und schmalcz [...].92 Noch deutlicher wird der Protest gegen landesfürstliche Gesetzgebungsakte, die in ihre Erwerbsfreiheit eingreifen, im 1517 aufgezeichneten Weistum von Fließ: „Mer ist zu wissen, das iedermann sein hab hingeben und verkaufen mag, wem er will, es sei koren, wein, eisen, salz, schmalz oder käs oder was ain mann fail hat [...] und das seind unsere alten recht, und dannen seind wir frei leut, das wir mit unser hab thuen mügen, was wir wollen, außgenomen heu und stro [...]“93 Die „Freiheit“ wird im Fließer Weistum nachweislich als persönliche Freiheit in Abgrenzung zur Leibeigenschaft verstanden.94 Aus der persönlichen Freiheit resultiert die Freiheit, ohne Einschränkungen über seine Habe verfügen zu können. Die Aufnahme einer solchen ausführlichen, eine Begründung enthaltenden Rechtsfeststellung in das Weistum erfolgte natürlich nicht willkürlich, sondern richtete sich ganz bewusst gegen einschlägige Rechtssetzungsakte Maximilians I.95 Das Regiment setzte freilich nicht auf die rigorose Implementation der Exportverbote – zumal ein direkter Zusammenhang zwischen der Kundmachung der Ausfuhrverbote und der Zunahme von Schmuggel, der den landesfürstlichen Zoll- und Mautein nahmen Abbruch tat, augenscheinlich war.96 Vielmehr rekurrierte man häufig auf die Möglichkeit, leges speciales mit räumlich beschränktem Geltungsbereich zu erlassen, um die allgemeine Norm den regionalen Spezifika und somit auch regionalen Rechtsgewohnheiten anzupassen, so dass diese – wenn auch nicht eins zu eins, so doch mittelbar – in der landesfürstlichen Gesetzgebung ihren Niederschlag fanden 94 95
TLA, LLTA, Fasz. 1, Landtag 1496. Zingerle/Inama-Sternegg (Hg.), Weistümer, 2. Teil, 1877, S. 217. Zingerle/Inama-Sternegg (Hg.), Weistümer, 2. Teil, 1877, S. 214. Vgl. nur TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 20, Lit. T, S. 265, 1497 Aug. 16; ebd., Nr. 25, Lit. X, fol. 30r, 1502 Dez. 9; ebd., Nr. 27, Lit. Z, ������������������������������������������������� 1506 Aug. 11 (Regest auch bei Hölzl, Gemeindearchiv Kauns, Gerichtsarchiv Laudegg, 1984, Nr. 79); TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 29, Lit. Bb, fol. 123v und 139v–140r, 1508 Dez. 18. 96 Hier sei nur repräsentativ verwiesen auf entsprechende Überlegungen aus dem Jahr 1527: TLA, BT, Bd. 1, fol. 149r, 1527 April 2; ebd., fol. 157v–158r, 1527 Mai 12; ebd., fol. 232v, 1527 Okt. 11; ebd., fol. 236, 1527 Okt. 18 u. ö. 92 93
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und in Einzelfällen auch in der Tiroler Landesordnung verankert wurden.97 Wie viel die Regierung grundsätzlich der Argumentation, wie sie von den Landeckern 1496 und im Weistum von Fließ vorgebracht wurde, abgewinnen konnte, zeigt sich noch in einem Regierungsgutachten von 1663, wo die Regierung aus Anlass von geplanten Handelsbeschränkungen folgende Überlegungen anstellte:98 Demnach seien das khauffen und verkhauffen ohne erhebliche ursachen niemand zu benemen, insonderheit dessen, was Got ainem auf sein gietern waxen last. Wieder scheint die schon aus der Beschwerdeschrift der Gemeinden Baumkirchen, Fritzens und Mils bekannte Überlegung auf, dass den zu erfüllenden Pflichten der Untertanen zu bewahrende Rechte gegenüberstehen. Die Untertanen müssen „steuern und raisen“, der Landesfürst muss dafür ihren Grundbesitz und die diesem abgerungenen Erträge respektieren. Allerdings schließt das Regierungsgutachten die Möglichkeit mit ein, beim Vorliegen „erheblicher Ursachen“ diese Freiheit zu beschränken. Dieser unbestimmte Begriff „erhebliche Ursachen“ wird in der legislativen Tätigkeit auf eine Formel reduziert: „gemeiner Nutzen“. Diesem zu realisierenden Endzweck dienen wesentliche Teile der Gesetzgebung, und gerade wirtschaftspoliceyliche Maßnahmen lassen sich mit Verweis auf den gemeinen Nutzen des Landes trefflich begründen.99 Um das Preisniveau für Lebensmittel niedrig zu halten, dürfen Lebensmittelexporte verhängt werden. In solchen Fällen müssen die grundsätzlich von der Rechtsordnung anerkannten individuellen Interessen und Rechtspositionen zurückstehen.100 Der Grundsatz der Überordnung des gemeinen Nutzens über individuelle Interessen war von den Normadressaten anerkannt, die jedoch je nach Sachlage ihre Argumentation weiterentwickelten. Dies belegen die 1613 vom Viertel Vinschgau und 1620 vom Landgericht Kitzbühel auf dem Landtag eingebrachten Partikulargravamina. Die Gerichte im Viertel Vinschgau beschwerten sich über frühere Verbote bzw. Beschränkungen des Getreideexports.101 Zunächst führen sie die bereits vertrauten Argumente ins Treffen: Es sei von alter herkhomen ain jeder im lanndt mit seinem frey und ein zuwider laufendes Gesetz sei den landtsfreyhaiten gar nit gemäss. Der Gesetzgeber dürfe daher niemandem seine Erwerbsmöglichkeiten sper ren, außer es erfordere [...] dann ain sonderer landtshungernoth oder ander erhebliche wichtigkait, da man sich vorderist willig zum vatterlandt ze halten erkhent. Die Untertanen des Viertels Vinschgau zeigen somit durchaus Verständnis dafür, dass Markant hierfür TLO 1526, Buch 1, Teil 4, Tit. 33 und 34 (der Ausnahmetatbestand im Verhältnis zu Titel 32 ist auf regionale Rechtsgewohnheiten zurückzuführen). 98 TLA, AfD 1663, fol. 387v–392r, 1663 Juni 2. 99 Hier zeigt sich eine klare Übereinstimmung mit der zeitgenössischen Publizistik, vgl. schon Wessel, Zweckmäßigkeit als Handlungsprinzip, 1978, S. 121–122. 100 Ganz ähnliche Argumentationsmuster finden sich schon 1283 anlässlich eines Streites zwischen dem Wormser Stadtrat und der örtlichen Geistlichkeit über ein Lebensmittelausfuhrverbot, vgl. Eberhard, Kommunalismus und Gemeinnutz, 1988, S. 286–289. 101 TLA, LLTA, Fasz. 12, Bund 12, Landtag 1613, Partikulargravamina. 97
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temporäre Einschränkungen verfügt werden können. In der Folge zeigten die Viertelsvertreter noch weitere, bei der Gesetzeserlassung zu berücksichtigende Faktoren an. Nachdrücklich wiesen sie darauf hin, dass der Vinschgau in einer ganz anderen Lage als die anderen Tiroler Gerichte sei und dass dieser Landesteil von Getreideexportverboten ungleich härter getroffen werde als andere Gegenden. In der Tat war der Vinschgau die Kornkammer des spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Tirol und produzierte als einzige Region des Landes signifikante Getreideüber schüsse. Genau hier hakte die Argumentation der Vinschgauer ein: Andere Viertel würden von Getreideexportverboten nur am Rande tangiert; ihnen jedoch die Getreideausfuhr ins benachbarte Engadin zu untersagen, hieße, ihnen die wesentliche Einnahmequelle wenn nicht ganz zu nehmen, so doch massiv zu beeinträchtigen. Ein solches Gesetz verlange also aufgrund ihrer spezifischen Situation von ihnen besondere Opfer, während andere davon primär profitieren (und das noch auf ihre Kosten). Implizit verlangt das Viertel Vinschgau somit ein Gesetz, das fundamentalen Unterschieden in der Wirtschaftsstruktur der Landesteile Rechnung trägt und entsprechend differenzierte Regelungen vorsieht. In modifizierter Form scheint dieser Gedanke in der Beschwerde des Landgerichts Kitzbühel aus dem Jahr 1620 auf. Dieses klagte über das Verbot, Vieh außerhalb des Gerichts zu verkaufen, wohingegen andere landwirtschaftliche und gewerbliche Produkte sehr wohl in andere Teile der Grafschaft verkauft werden dürften.102 Hier richtet sich die Beschwerde nicht gegen die vermeintlich unsachliche Ungleichbehandlung von Landesteilen, sondern von Produktkategorien (und folglich von Produzenten). Und dennoch waren die Erfolgschancen der Beschwerdeführer bei wirtschaftspoliceylichen Normen sehr beschränkt. Übermächtig lastete die finale Zielprogrammierung „gemeiner Nutzen“ über den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften, und gegen diese war schwer zu argumentieren. Im Forstrecht war dies, wie die Beispiele gezeigt haben, durchaus möglich – namentlich, wenn wie im Fall des Prozesses der Herrschaft Rovereto gegen Ferdinand I. die Diskrepanz zwischen dem angeblich dem gemeinen Nutzen dienenden Ordnungsziel und den tatsächlichen Intentionen des Gesetzgebers so augenscheinlich war.
1. 3. 3. Jagdrecht In Bereichen, in denen der Landesfürst Eingriffe in Rechtspositionen der Untertanen von vornherein nicht mit dem anzustrebenden gemeinen Nutzen rechtfertigen konnte, waren umgekehrt seine Eingriffsmöglichkeiten entsprechend restringiert bzw. schlichtweg nicht vorhanden. Am deutlichsten zeigt sich dies im Jagdrecht. Beschränkungen der originären Jagdrechte der Untertanen verfolgten vor allem ein Ziel: Jagdrechte und Jagdreviere TLA, LLTA, Fasz. 12, Bund 5, Partikularbeschwerden.
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ausschließlich für den Landesfürsten zu reservieren und dem entgegenstehende Rechte zu beseitigen. Der „gemeine Nutzen“ ließ sich hier unmöglich ins Treffen führen, und in der Tat war das Jagdrecht eines der raren Rechtsgebiete, auf denen in keinem einzigen Rechtssetzungsakt mit dem gemeinen Nutzen argumentiert wird. Die engen Grenzen, die dem landesfürstlichen Gesetzgebungsrecht im Bereich des Jagdrechts gesetzt waren, sofern Gesetze mit Rechtspositionen der Untertanen kollidierten, lassen sich geradezu exemplarisch anhand der so genannten „Freigerichte“ Landeck, Laudeck und Imst im Tiroler Oberinntal aufzeigen.103 Diese Freigerichte hatten sich seit dem Spätmittelalter umfassende Jagdrechte bewahren können; grob gesprochen war nur das Rotwild dem Landesfürsten vorbehalten. Diese Jagdrechte waren jedoch nicht durch Privilegien verliehen worden, sondern nur in den Weistümern der betreffenden Gerichte schriftlich fixiert. Im Juni 1523 erließ Ferdinand I. anlässlich seines ersten längeren Tirolaufenthalts ein Mandat, das diese Jagdrechte substanziell beeinträchtigte: Fortan sollte landesweit ausnahmslos das Erlegen von rot[wild], gämbss, swarz[wild] und annder wildprät Tirol bei Strafe untersagt sein.104 Die Betroffenen, die in diesem Einzelgesetzgebungsakt zu Recht einen massiven Eingriff in ihre Rechte sahen, reagierten prompt. Die Landecker wurden in Innsbruck mit dem Begehren vorstellig, ihre schriftlich festgehaltenen Weistümer („Ehaften“) zu bestätigen.105 Ebenso protestierten die Imster gegen das Mandat und verwiesen darauf, sy seyen sambt etlichen anndern gerichten im obern Yntal deshalben vur anndere gerichte gefreyt.106 Die Geltung des Gesetzes sollte somit für die Freigerichte ausgeschlossen werden. Für Ferdinand I. war dies der Anlass, nach Möglichkeiten zu suchen, die ungeliebten Jagdrechte der Freigerichte endlich zu beseitigen. Die Argumentation der Regierung war in diesem Zusammenhang wohl überlegt. Sie versuchte, das Rechtsproblem zu verlagern, indem sie für jegliche Ausnahme vom Gesetzesrecht ein Privileg forderte. Nur das Vorliegen eines Privilegs befreie die Berechtigten von der Geltung des Gesetzes. Baut man diesen Gedanken aus, wären sämtliche anderen, nicht durch förmliche Privilegienverleihung nachweisbaren und abgesicherten Rechte von Untertanen nicht eingriffsfest und für die landesfürstliche Gesetzgebung nach Belieben disponibel. Und genau hier konnte die Regierung einhaken, vermochten die Freigerichte doch nur ihre Ehaften zum Nachweis ihrer Rechte vorzulegen. Diese reichten nach Ansicht der Regierung aus zwei Gründen nicht zum Nachweis aus: erstens aus formalen und zweitens aus inhaltlichen. Nach Einsichtnahme in die von den Freigerichten vorgelegten Schriften kam die Regierung nämlich zum Schluss, dass sollichs unlautter, widerwertig, irrig und unversiglt schrifften seyen, daraus zwischen der oberkait und den unnder Vgl. zum Folgenden ausführlich Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007, S. 81–100. 104 TLA, BT, Bd. 1, fol. 421, 1523 Juni 4. 105 TLA, Buch Jägerei, Bd. 1, fol. 385r, 1523 Nov. 27. 106 TLA, BT 1523, fol. 387v–389v. 103
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thanen vil irrung und widerwertigkait endtspringen möcht.107 Demgegenüber hatten die Freigerichte keineswegs das Vorhandensein privilegialer Verleihungen behauptet, sondern auf die bisher stets ungestörte faktische Ausübung des Rechts hingewiesen. Die Ehaften der Gerichte dienten dabei nur dem Beweis des Rechtes, wobei dieser Beweis nicht der einzige war. Die Freigerichte waren daher auch weitsichtig genug, sich nicht weiter auf die Argumentation der Regierung einzulassen, sondern unbeirrt auf dem bestehenden Jagdrecht zu beharren. Wie es uns schon 1502 im Zuge der Verteidigung von Holznutzungsrechten gegen die Beschränkungen der maximilianeischen Waldordnung begegnet ist, beriefen sich die Gerichtsinsassen auch hier auf die summarischen Bestätigungen ihrer alten Rechte und Freiheiten durch die Vorgänger Ferdinands I. (wenngleich diese die Jagdrechte nicht ausdrücklich erwähnten). Zudem hatte Ferdinand I. selbst sämtlichen Landständen anläss lich der Erbhuldigung die Respektierung ihrer Rechte und Freiheiten zugesichert, somit auch den auf dem Huldigungslandtag vertretenen Gerichten. Wieder scheint hier die Überzeugung auf, dass der Treue- und Gehorsamspflicht der Untertanen auf der einen Seite die Pflicht des Landesherren zu Schutz und Schirm auf der anderen Seite gegenüber stehe – wobei sich „Schutz und Schirm“ gleichermaßen auf die Rechte der Untertanen bezog. Die Regierung war sich über die beschränkten Durchsetzungsmöglichkeiten des Jagdmandats von 1523 durchaus im Klaren und schlug daher eine inzwischen schon vertraute Strategie ein: den Verhandlungsweg. Man konstituierte eine aus drei Personen bestehende Kommission, die mit den drei Gerichten jeweils einzeln zu einer gütlichen Einigung kommen sollte.108 Zumindest gewisse Eingeständnisse hoffte die Regierung auf diese Weise den Gerichtsinsassen abringen zu können. Diesen wurde wiederum aufgetragen, bevollmächtigte Ausschüsse zu bilden, die mit den Kommissaren verhandeln sollten. Das Forderungsprogramm Ferdinands I. war dabei umfassend. Den Freigerichten sollte nur – ausschließlich aus gnaden bys auf wolgevallen (also ohne die Anerkennung eines Rechtes) – unter Verzicht auf Schusswaffen die Niederjagd zugestanden werden. Diese dachten jedoch gar nicht daran, auf ihre Rechte zu verzichten. Sie wollten khain mässigung irer eehafften zulassen.109 Zwar wurden die Verhandlungen fortgeführt, doch musste die landesfürstliche Kommission ihre Forderungen immer weiter zurückschrauben, um überhaupt noch irgendetwas erreichen zu können. Der Ausgang war aus landesfürstlicher Sicht schließlich mehr als ungenügend: Imst und Laudeck hatten überhaupt keine Zugeständnisse gemacht, das Gericht Landeck hatte sich dazu herbeigelassen, Ferdinand I. zwei Lustjagden auf Lebenszeit einzuräumen – wobei man nicht ver TLA, BT, Bd. 1, fol. 391v. Vgl. hierzu und zum Folgenden TLA, BT, Bd. 1, fol. 385r, 1523 Nov. 27; ebd., fol. 385v, 1523 Nov. 23; ebd., fol. 386v–387r, 1523 Dez. 4; ebd., fol. 387r und fol. 394, 1523 Dez. 7; ebd., fol. 387v–389v, 1523 Dez. 11; ebd., fol. 400v–401r, 1523 Dez. 11. 109 So die rückblickende Beschreibung der Verhandlungen durch die Regierung in TLA, AfD 1577, fol. 737v–742r, 1577 Nov. 14. 107 108
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gaß anzufügen, dass dies unpräjudizierlich geschehe und ihren Rechten keinen Abbruch tun solle.110 Der Erlass des Jagdverbots in den Oberinntaler Freigerichten hatte also keineswegs zu dem aus landesfürstlicher Sicht erwünschten Resultat geführt. Nun könnte man einwenden, dass zum damaligen Zeitpunkt – kurz vor dem Tiroler Bauernkrieg – die Rahmenumstände der Durchsetzung landesfürstlicher Rechtssetzungsakte nicht günstig waren, dass also die Geschehnisse von 1523/1524 keineswegs repräsentativ und aussagekräftig seien. Dass dieser Einwand unzutreffend ist, dokumentieren spätere Auseinandersetzungen. Der Konflikt rund um die Jagdrechte der Freigerichte flammte 1532 wieder auf. Zu Jahresbeginn ergingen Einzelgesetzgebungsakte, die das Führen von Schusswaffen grundsätzlich untersagten.111 Die Protestreaktionen der Freigerichte blieben nicht aus, da die Gerichtsinsassen natürlich in Ergänzung zu ihrer Jagdfreiheit das Recht zum Führen von Schusswaffen ausübten und postulierten. Diesen Anlass griff die Regierung auf, um in einem neuerlichen Anlauf die Jagdfreiheiten ins Visier zu nehmen. Hinsichtlich des gesetzlichen Verbots des Büchsentragens gab sich die Regierung von vornherein unnachgiebig. Dabei berief sie sich darauf, dass die Verbotsmandate mit Zustimmung der Tiroler Landstände ergangen seien. Unbeirrt weigerten sich die Vertreter der Freigerichte, auf ihre Rechte Verzicht zu leisten. Die Fronten schienen festgefahren. Der Sommer 1532 brachte jedoch zumindest in dieser Angelegenheit Entspannung. Aufgrund der Inanspruchnahme Ferdinands I. durch den wieder ausgebrochenen Türkenkrieg beschloss die Regierung, die prekären Verhandlungen zu verschieben. Sie wurden unter Ferdinand I. nicht wieder aufgenommen. Zwar entsann man sich in Innsbruck noch sporadisch der Jagdrechte der Freigerichte, ohne jedoch etwas Substanzielles zu unternehmen. 1557 hatte selbst der Kammerprokurator feststellen müssen, dass die Rechtspo sition der Freigerichte wohl unanfechtbar sei und jedes Vorgehen gegen sie keine großen Erfolgsaussichten hätte.112 Dies änderte sich erst unter Erzherzog Ferdinand II., der wie sein Vater ein begeisterter Jäger war.113 Er zog 1577 in Betracht, die Jagdrechte einseitig durch Gesetz außer Kraft zu setzen. Als Begründung führte der Erzherzog gegenüber der Regierung einen vermeintlichen Rechtsmissbrauch durch die Freigerichte ins Treffen.114 Von einer derartigen Vorgehensweise riet ihm die Regierung allerdings entschieden ab.115 Diesmal ist es die Regierung, die intern auf die Bedeutung der Erbhuldigung aufmerksam machte, die nicht nur dem Erzherzog das Recht auf Treue 112 113
Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007, S. 86–87. Siehe z. B. TLA, BT, Bd. 3, fol. 357v, 1532 Jan. 17. Vgl. den Bericht in TLA, AfD 1577, fol. 737v–742r, 1577 Nov. 14. Vgl. zum Folgenden auch schon Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007, S. 91–92. 114 Vgl. TLA, VfD 1577, fol. 380v–381r, 1577 Sept. 1. 115 Siehe hierzu das Regierungsgutachten in TLA, AfD 1577, fol. 737v–742r, 14. Nov. 1577. 110 111
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und Gehorsam der Untertanen verleihe. Schließlich habe er aus diesem Anlass zugesagt, die Freigerichte (wie andere Städte und Gerichte auch) bei ihren Rechten und Freiheiten zu belassen. Angesichts dessen erschien der Gedanke der Regierung ser bedenckhlich und nit ratsam [...], sy derselben unverhört und ausserhalb rechtlicher erkhanntnus zu entsetzen. Hätten Einzelne Rechte missbraucht, müsse man diese Personen bestrafen, doch könne man deren Verfehlungen billicherweis [...] die gericht in gemain nit entgelten lassen. Die in diesem Zusammenhang auch zu erörternde Frage, ob die Untertanen mit der Büchse jagen und diese folglich auch mit sich führen dürften oder ob sie auf die Schwarzwildjagd mit „Eisen und Schaft“ beschränkt wären, sei überaus diffizil. Bei einem Rechtsstreit, der bei Maßnahmen gegen die Freigerichte wahrscheinlich sei, wäre diese Frage wohl disputierlich. Der Umstand, dass die Freigerichte in den letzten Jahrzehnten konsequent alle Verbote des Büchsentragens missachtet und immer mit Schusswaffen jagen gegangen seien, spreche jedoch für das Bestehen eines einschlägigen Rechts. Auf einen Prozess, der von der Regierung als Konsequenz eines Vorgehens gegen die Freigerichte eingeplant wurde, wollte es Ferdinand II. offensichtlich nicht ankommen lassen. Die Jagdrechte der Freigerichte (einschließlich des Rechts auf das Führen von Schusswaffen) hatten sich trotz aller Versuche einer Unterminierung bzw. Beseitigung behauptet.
1. 3. 4. Schlussfolgerungen Der Tiroler Gesetzgeber war somit in Spätmittelalter und Frühneuzeit weit davon entfernt, ohne Rechtfertigung nach Belieben in Rechtspositionen der Untertanen eingreifen zu dürfen, auch wenn diese nicht durch Privilegien abgesichert waren. Diese Begrenzung der potestas legislatoria war nicht nur faktischer Natur, d. h. sie fand ihre Grenzen nicht (nur bzw. primär) darin, welche Gesetze mithilfe des noch überschaubaren bürokratischen Apparates an der Peripherie durchsetzbar waren. Vielmehr war die Limitierung der Gesetzgebung vor allem rechtlicher Natur: Bei nicht gerechtfertigten Eingriffen in ihre besonders geschützten Rechtspositionen konnten die Untertanen dagegen rechtlich vorgehen, was allen Beteiligten bewusst war und von der Regierung gerade bei heiklen Materien mitbedacht wurde.116 Dieses Faktum wirft die Frage nach der Rechtsgrundlage auf. Die bisher wiedergegebene Argumentation der Normadressaten wirkt verhältnismäßig abstrakt, beispielsweise der öfter anzutreffende Rekurs auf das durch die Erbhuldigung begründete wechselseitige Treue- und Pflichtenverhältnis. Für die Leistung des Treue- und Gehorsamseids durch die Untertanen sei der Landesherr im Gegenzug zur Respektierung der Rechte der Untertanen verpflichtet.
Dies erkennt schon Tezner, Verwaltungsrechtspflege, I. Heft, 1898, S. 69–70.
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VI. Leitkategorien und Ordungskategorien der Gesetzgebung
Ergänzend kann einmal mehr auf die Landesfreiheit von 1406 verwiesen werden. Vor den bereits besprochenen Zusagen, keinen Rechtsfall den zuständigen Gerichten zu entziehen bzw. außer Landes zu ziehen sowie über niemanden ohne Gerichtsverfahren Strafen zu verhängen, findet sich eine weitere Bestimmung, deren Interpretation in den folgenden Jahrhunderten eine zum Zeitpunkt der Urkundenausstellung 1406 wohl nicht absehbare Dynamik entwickeln sollte. Im Wortlaut heißt es 1406: „Wir wellen auch in deselben unsern landen nyemand an recht entwern, noch ander yemand das gestatten ze tůn ungeverlich.“117 Empfänger dieser privilegialen Zusicherung, niemanden „an recht“ – d. h. ohne Rechtsverfahren – zu „entwehren“ und eines Rechts bzw. einer Rechtsposition entsetzen zu wollen, war zum Zeitpunkt der Urkundenausstellung vornehmlich der Tiroler Adel. Dies zeigt sich besonders eindringlich während des Konflikts Friedrichs IV. mit Wilhelm und Ulrich von Starkenberg zeigte: Letztere bezogen sich ausdrücklich auf die angezogene Bestimmung der Landesfreiheit, um die Rechtswidrigkeit des herzoglichen Vorgehens gegen sie hervorzuheben.118 Es sei wider die Landesfreiheit von 1406, ihnen die Pfandschaft Schlanders ohne Rechtsverfahren zu entziehen. Der Anwendungsbereich des Grundsatzes, dass Rechte den Berechtigten nicht durch einseitige Maßnahmen ohne rechtliches Verfahren entzogen werden dürften, war jedoch in weiterer Folge nicht auf den Adel beschränkt. Schon 1478 moniert die Landschaft ganz allgemein, dass sein Genad darob sey, damit nymant entsetzt oder entwert werde an recht, auch darauff dhain geschäfft lass ausgeen.119 Der Erledi gungsvermerk Siegmunds erkannte dieses Recht vorbehaltlos an, und es fand ebenso in die daraufhin ergangene umfassende Ordnung vom 7. Oktober 1478 Eingang.120 Bis zum Landlibell von 1511 finden sich wiederholt in Landtagsabschieden Zusagen der Landesfürsten, niemandem ohne Prozess ein Recht entziehen zu wollen.121 Im weiteren Verlauf des 16. und 17. Jahrhunderts taucht die entsprechende Formulierung regelmäßig auf. Der derzeitige Forschungsstand lässt dabei keine Aussage darüber zu, ob den Beschwerdeführern stets noch der ursprüngliche Konnex mit der Landesfreiheit von 1406 bewusst war. 1533 machten so die Außerferner Gemeinden Biberwier und Lermoos in einem vor der Regierung geführten Prozess um ein Zollrecht nur sehr summarisch geltend, dass niemannds seiner langherge-
���������������������������������������������������������������������������������������� Schober, Urkunden, 1990, S. 17 (die dortige Kombination tu(o)n wurde hier mit einem Sonderzeichen wiedergegeben). 118 Hagender, Politik und Verfahrensgerechtigkeit, 1999, S. 20; Kranich-Hofbauer, Rotulus, 1994, S. 89–90, 99, 276, 284–285, 320. 119 TLA, LLTA, Fasz. 1, Landtag 1478, 6. Beschwerdepunkt. 120 TLA, LLTA, Fasz. 1, 1478 Okt. 7. 121 Vgl. nur TLA, LLTA, Fasz. 1, 1506/1507 ca. (Schreiben der oberösterreichischen Kammer an Maximilian I. mit entsprechenden Hinweisen); ebd., 1509 Jan. 9 (Landtagsabschied); zur Zusage im Landlibell von 1511 vgl. die Edition bei Schennach, Quellen, 2004, S. 171. 117
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brachten recht unnd gerechtigkhait, auch freyhaitten an ervolgt rechtens enntseczt [...] werden solt.122 Ein Hinweis auf die Landesfreiheit fehlt. Geschützt war nicht nur das Eigentum; vielmehr waren bis zu einem gewissen Grad sämtliche (potentiell) vermögenswerten Rechte von Untertanen eingriffsfest und konnten somit nicht ohne weiteres vom Gesetzgeber beseitigt werden. Das Beispiel des Rechts auf das Führen von Schusswaffen im Fall der Freigerichte belegt, dass der Kreis der geschützten Rechte offensichtlich weit zu fassen war. Das Führen von Schusswaffen war eine notwendige Voraussetzung für die ungestörte Ausübung des Jagdrechtes und deshalb eingriffsfest. Andernfalls hätte der Gesetzgeber die Jagdrechte als primär geschützte Rechte auf indirektem Weg erheblich einschränken können. Der Schutz der vermögenswerten Rechte vor Eingriffen durch den Gesetzgeber war kein absoluter. Allerdings war ein Eingriff an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. Der zentrale Rechtfertigungsgrund für Eingriffe in geschützte Rechtspositionen war der gemeine Nutzen.123 Diente eine gesetzliche Regelung der Verwirklichung des gemeinen Nutzens als einer der Leitkategorien spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Gesetzgebung, waren Eingriffe unter Umständen gerechtfertigt. Die Beurteilung der zentralen Frage, ob eine dem gemeinen Nutzen dienende Regelung vorlag oder nicht, lag nicht ausschließlich im subjektiven Ermessen des Gesetzgebers. Gerade der Fall „Rovereto contra Ferdinand I.“ belegt anschaulich, dass die bloße Behauptung, den gemeinen Nutzen verwirklichen zu wollen, für eine Ein schränkung oder Beseitigung von geschützten Rechten nicht ausreichte. Vielmehr musste dieses Kriterium objektiv erfüllt sein. Genau dies sprach freilich die Regierung als höchste Gerichtsinstanz der 1558 für die Herrschaft Rovereto erlassenen Waldordnung ab. Nach derzeitigem Forschungsstand lassen sich vornehmlich drei Rechtsbereiche ausmachen, in denen die angesprochene Problematik besonders schlagend wurde: die Wirtschaftspolicey (vornehmlich aufgrund verhängter Handelsbeschränkungen), die Forstgesetzgebung und das Jagdrecht. Das Verfahren zur Geltendmachung von derart geschützten Rechtspositionen bei vermeintlichen Eingriffen durch den Gesetzgeber lässt sich rekonstruieren. Zunächst war es von zentraler Bedeutung, ein Gesetz, das nach Ansicht der Normadressaten in ihre geschützten Rechtspositionen eingriff, nicht zu befolgen. Eine widerspruchslose Befolgung eines Gesetzes konnte als konkludenter Verzicht auf die eigene Rechtsposition interpretiert werden, wohingegen die konsequente Missachtung eines Gesetzes – wir erinnern uns an die Aussage der Regierung im Jahr 1577 bezüglich des Ignorierens der Büchsenverbote durch die Freigerichte – als Indiz für das Bestehen des Rechts gedeutet werden konnte. Diese Notwendigkeit, sich über das Gesetz hinwegzusetzen, barg für den einzelnen Untertanen freilich TLA, Prozessbuch, Bd. 2, fol. 396r–398r, 1533 April 25. Vgl. auch schon Merk, Gedanke des gemeinen Besten, 1934, hier S. 42–44.
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VI. Leitkategorien und Ordungskategorien der Gesetzgebung
ein gewisses Risiko. Denn die Geltung des Gesetzes vom Zeitpunkt der materiellen Publikation an blieb vom monierten Verstoß gegen Rechte der Normadressaten unberührt. Damit bestünde die Möglichkeit, das zuwiderhandelnde Individuum wegen Gesetzesverstoßes zu bestrafen. Der derzeitige Forschungsstand lässt aber nicht erkennen, ob und in welchen Maßen dies der Fall war und inwieweit sich dies auf den weiteren Konfliktverlauf auswirkte. Die Normadressaten hatten somit drei Optionen, wollten sie ihre Rechte nicht preisgeben: erstens das Ignorieren des betreffenden Gesetzes als eine bestimmte Ausprägung des Widerstands. Diese Strategie war vor allem dann erfolgreich, wenn es dem Gesetzgeber aus im Einzelfall genau zu verifizierenden Gründen tatsächlich nicht darum ging, ein Gesetz ungeachtet entgegenstehender Rechte zu implementieren. Den Motiven für eine solche Gesetzeserlassung ist dabei genau nachzuspüren, ist doch die Behauptung, dass es dem Gesetzgeber „eigentlich“ gar nicht um die Durchsetzung des Gesetzes ging, sondern dieses aus anderen Gründen publiziert wurde, methodisch durchaus heikel. Die zweite, wohl am häufigsten wahrgenommene Möglichkeit war der in Supplikationsform deponierte, förmliche Protest gegen das Gesetz unter Anführung der Gründe. Dies war der Regelfall. Normalerweise wurden im Anschluss daran Verhandlungen zwischen den Berechtigten und der Regierung geführt, deren Ausgang maßgeblich von den Erfolgschancen einer Klage determiniert wurde. Die Einbringung einer Klage war die dritte und letzte Option. Hier sind definitive Aussagen zum derzeitigen Zeitpunkt kaum möglich. Der bisherige Forschungsbefund legt nahe, dass dieser Weg nur in Ausnahmefällen beschritten wurde. Das Beispiel der sich gegen die maximilianeische Waldordnung zur Wehr setzenden Unterinntaler Gemeinden insinuiert, dass es zumeist ausreichend war, eine Klage als Drohgeste in den Raum zu stellen, um den Gesetzgeber bzw. konkret die Regierung zur Aufnahme von Verhandlungen zu bewegen. Aktiv klagslegitimiert war, soweit ersichtlich, nicht das Individuum, in dessen Rechtssphäre ein Gesetz eingriff. Nur eine Körperschaft – genauer gesagt: eine Dorf- bzw. Stadtgemeinde oder eine Gerichtsgemeinde – konnte die Verletzung geschützter Rechte durch den Gesetzgeber geltend machen. Passiv klagslegitimiert war der Landesfürst, der im Prozess durch den Kammerprokurator vertreten wurde. Der Gerichtsstand war bei der Regierung als Höchstgericht der oberösterreichischen Ländergruppe. Halten wir jedoch nochmals fest: Gerade in diesem Punkt besteht noch er heblicher Forschungsbedarf, da dieser Thematik auf territorialer Ebene bisher weder von der rechtsgeschichtlichen noch von der landesgeschichtlichen Forschung Aufmerksamkeit zuteil wurde. Die oben stehenden Ausführungen können daher nur als ein Erst- bzw. Zwischenbefund angesehen werden.
2. Der gemeine Nutzen als Leitkategorie der Gesetzgebung
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2. Der gemeine Nutzen als Leitkategorie der Gesetzgebung 2. 1. Allgemeines Der gemeine Nutzen diente, wie im vorigen Kapitel dargelegt, nicht nur der Legitimation von Gesetzgebung, sondern stellte zugleich eine Schranke für die gesetzgebende Gewalt des Herrschers dar. Was sich im frühneuzeitlichen Tirol ganz konkret in der Gesetzgebungspraxis nachweisen lässt, ist vom Prinzip her nicht neu. Schon seit dem 12. Jahrhundert bewerten Fürstenspiegel die Rechtmäßigkeit und Gerechtigkeit fürstlicher Herrschaft maßgeblich mit Blick auf die Zielsetzung des gemeinen Nutzens.124 Sowohl Marsilius von Padua in seinem Werk „Defensor pacis“ (1324) als auch Nikolaus Cusanus in seiner „De concordantia catholica“ (1433) sehen in der (fehlenden) Realisierung des gemeinen Nutzens den zentralen Unterschied zwischen einem gerechten Monarchen und einem Tyrannen: In der Monarchie strebe der Herrscher als Einzelner den allgemeinen Nutzen an, während der Tyrann seinen eigenen Nutzen zu verwirklichen trachte.125 Insofern mutet der vorderhand banal anmutende Streit um die Jagdrechte der Oberinntaler Freigerichte im 16. Jahrhundert wie ein Lehrstück an. Es ist der Eigennutz, das Streben nach Ausschließung Dritter vom Jagdrecht und nach Monopolisierung der Hochjagd zum Zweck der fürstlichen Erbauung und der herrscherlichen Repräsentation, der Ferdinand I. 1523 zum Erlass des gesetzlichen Jagdverbots bewegt. Dass es nicht um den gemeinen Nutzen geht, ist jedem Beteiligten klar, und dementsprechend führen weder dieses noch vergleichbare Jagdgesetze jemals den „gemeinen Nutzen“ als Ordnungsziel an – da der Widerspruch zu den offensichtlichen Intentionen zu augenscheinlich wäre. Eben weil eine Legitimation mit dem „gemeinen Nutzen“ nicht zu Gebote stand, war die landesfürstliche Verhandlungsposition äußerst schwach und führte letztlich zu einem nahezu vollständigen Scheitern der einschlägigen Gesetzgebungsvorhaben. Dass der anzustrebende gemeine Nutzen im ausgehenden Mittelalter und in der Frühen Neuzeit als wichtiges Motiv und legitimierendes Fundament der Gesetzgebung diente, ist von der Rechtsgeschichte wie der Geschichtswissenschaft nachdrücklich betont worden.126 Hans Schlosser bezeichnet so den gemeinen Nutzen Vgl. Eberhard, „Gemeiner Nutzen“ als oppositionelle Leitvorstellung, 1984, S. 201–202. ����������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Eberhard, Legitimationsbegriff, 1986, S. 248; weitere Beispiele bei Böckenförde, Gemeinwohlvorstellungen, 2002. 126 Vgl. nur Blickle, Gemeiner Nutzen, 2001; Blickle, Kommunalismus, Bd. 1, 2000, S. 98–106; Iseli, Gute Policey, 2009, S. 125–131; Hibst, Utilitas publica, 1992; Walder, Überwindung des Ancien Régime, 1953, S. 132–134; Merk, Gedanke des gemeinen Besten, 1934; Schlosser, Rechtsgewalt und Rechtsbildung im ausgehenden Mittelalter, 1983, S. 45–46; Franz, Landesordnung von 1516/1520, 2003, S. 31–32; Härter, Policeygesetzgebung und De vianz, 2002, S. 80; Blickle, „Coniuratio“, 2003, S. 347, 354; Schulze, Policey und Gesetzge124 125
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als „Regulativ, Quelle und theoretisches Prinzip der Gesetzgebung“127, Karl Maier betont „dessen zentrale Stellung für das politische und rechtliche Denken der Zeit [...]. Die Förderung des Allgemeinwohls erscheint als erster Zweck des Staatswesens, gemeiner Nutzen als richtungweisende und allgemeinverbindliche Maxime obrigkeitlichen Handelns und letztlich als Konstituante obrigkeitlicher Rechtsset zung“128, Peter Blickle konstatiert, dass die „steil aufsteigende legislatorische Tätigkeit des frühmodernen Staates [...] ihre Legitimation in der Förderung des Gemeinen Nutzens“129 fand. Die Belege ließen sich problemlos vermehren. Keine Einigkeit besteht hingegen über die Traditionsstränge, innerhalb derer der Gemeinnutz als zentrale Leitkategorie der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gesetzgebung zu verorten ist.130 Dabei stehen sich zwei Theorien gegenüber: Die eine betont stärker die Verwurzelung des Begriffs des gemeinen Nutzens im bonum commune der spätmittelalterlichen theoretischen Politikliteratur, die vor allem im Gefolge der Aristotelesrezeption des 13. Jahrhunderts einsetzt.131 Hinzu kommen die Bedeutungsstränge der römischrechtlichen salus publica bzw. der utilitas publica, die ebenfalls in mittelalterliche Rechtstexte einfließen.132 Die Politik literatur findet in der frühen Neuzeit in zahlreichen Handbüchern praktischer Regierungs- und Verwaltungstätigkeit ihre Fortsetzung, die regelmäßig als „Policey-“ bzw. „Regimentstraktate“ bezeichnet werden.133 Letztere wenden sich nicht mehr nur bzw. nur vorwiegend an die Fürsten, sondern betrachten alle frühneuzeitlichen „Obrigkeiten“ (einschließlich der städtischen) als potentielle Rezipienten und werden zudem verstärkt von Verwaltungspraktikern verfasst. Dennoch lässt sich kein grundsätzlicher thematischer Bruch zwischen den Fürstenspiegeln des Mittelalters und den Regimentstraktaten der Neuzeit ausmachen. In beiden Fällen sind die prä-
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bungslehre, 1982, S. 41–42; Maier, Anfänge der Polizei- und Landesgsetzgebung, 1984, bes. S. 230–249; Härter, Konzepte und Maßnahmen frühneuzeitlicher Sicherheitspolicey, 2003, S. 164; Härter, Fastnachtslustbarkeiten, 1997/1998, S. 65; Bulst, Problem, 1988, S. 41–43; Maier, Staats- und Verwaltungslehre, 42009, S. 87–88; Axtmann, „Police“ and the Formation of the Modern State, 1992, S. 43–44; Ellrichshausen, Mutterschaft, 1988, S. 30–31; Moraw, Landesordnungen, 1997, S. 197; vgl. auch zum aktuellen Begriff des Gemeinwohls als höchstem bzw. anzustrebendem Ziel der Rechtsordnung Brugger, Gemeinwohl als Ziel von Staat und Recht, 2000; ferner Isensee, Salus publica, 2006 (mit Hinweisen auf weitere Literatur ebd., S. 7, Anm. 1). Schlosser, Rechtsgewalt und Rechtsbildung, 1983, S. 45. Maier, Anfänge der Polizei- und Landesgesetzgebung, 1982, S. 232. Blickle, Der Gemeine Nutzen, 2001, S. 101. Vgl. den Forschungsüberblick bei Hibst, Utilitas Publica, 1992, bes. S. 26–120. Vgl. Simon, Gemeinwohltopik, 2001. Hierzu auch Mayer-Maly, Gemeinwohl und Necessitas, 1976; Isensee, Salus publica, 2006, bes. S. 12–13; Simon, Gemeinwohltopik, 2001, S. 131; allerdings ist auffallend, dass das „bonum commune“ in den Arengen mittelalterlicher Herrscherurkunden verhältnismäßig selten erwähnt wird und selbst dann konturlos bleibt, vgl. Fichtenau, Arenga, 1957, S. 81–82. Vgl. Simon, „Gute Policey“, 2004, S. 98–104; Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, Bd. 1, 1988, S. 85 und S. 345–354; Maier, Staats- und Verwaltungslehre, 42009, S. 147–204.
2. Der gemeine Nutzen als Leitkategorie der Gesetzgebung
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sentierten Ordnungsentwürfe dieselben.134 Dem gemeinen Nutzen kam dabei vom Hohen Mittelalter bis zur Politikliteratur des 17. Jahrhunderts durchgehend ein zentraler Stellenwert zu, er ist mit den Worten Winfried Schulzes „ganz gewiß der zentrale programmatische Begriff des spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Staatsdenkens“135. Dabei zeigt sich bei näherer Analyse, dass der Gemeinwohltopos im Hochmittelalter „eine besondere Affinität zum neuartigen politischen Handlungsfeld gesetzgebender und normschöpfender Tätigkeit“ aufweist.136 Gesetzgebung wurde, wie bereits aufgezeigt, damals noch keineswegs als selbstverständliches, sondern als exzeptionelles rechtliches Steuerungsinstrument wahrgenommen, das in zweierlei Hinsicht der Fundierung bedurfte. Erstens diente der gemeine Nutzen als Zielvorgabe legislativer Tätigkeit, die den anzustrebenden Zustand der guten Ordnung des Gemeinwesens beschrieb. Was dieser ideale, als Richtschnur fungierende Ordnungszustand bedeutete, stand für das Mittelalter fest: Im Anschluss an Augustinus waren pax und stabilitas ordinis, die in enger Verbindung miteinander standen, die Fundamente des geordneten Gemeinwesens. Alle Elemente, alle Glieder des als Körper verstandenen politischen Gemeinwesens müssen im harmonischen Gleichklang stehen. Dies wird vornehmlich dadurch erreicht, dass jeder Einzelne seinen Platz und folglich die ihm dadurch zugewiesenen sozialen Funktionen im Rahmen und unter Respektierung der mittelalterlichen ständischen ordo erfüllt.137 Zweitens erforderten die Intensivierung und Ausdehnung politischer Herrschaft im Mittelalter, deren Ausdruck und gleichermaßen Werkzeug die legislative Tätigkeit ist, ebenso eine Legitimation, die auch vom gemeinen Nutzen geliefert wird. Dieser ist als Zielvorgabe herrscherlichen Handelns grundsätzlich konsensfähig. Diese doppelte Funktion der Kategorie des gemeinen Nutzens, der einerseits die Ausübung der Herrschaft bindet und sie andererseits legitimiert, bleibt grundsätzlich in der Frühneuzeit unverändert. Die semantischen Bedeutungsfelder, die dem Terminus „gemeiner Nutzen“ im 16. Jahrhundert zukommen konnten, führt das – von der Forschung entsprechend oft und gerne herangezogene – 1533 in Marburg erschienene Werk „Von dem gemeinen Nutze“ besonders eindringlich vor Augen. Verfasser war der Marburger Rechtsprofessor Johann Eisermann, dem humanistischen Zeitgeist entsprechend latinisiert als Ferrarius bezeichnet.138 Bei ihm zeichnen sich drei Bedeutungsvarianten mit fließenden Übergängen ab.139 „Gemei 136 137 138
Vgl. Simon, „Gute Policey“, 2004, S. 98–99. Schulze, Vom Gemeinnutz zum Eigennutz, 1986, S. 597. Vgl. zum Folgenden Simon, Gemeinwohltopik, 2001, S. 136–138, Zitat S. 136. Vgl. Simon, „Gute Policey“, 2004, S. 22–28. Vgl. Maier, Staats- und Verwaltungslehre, 42009, S. 138; Schulze, Vom Gemeinnutz zum Eigennutz, 1986, S. 598–599; Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, Bd. 1, 1988, S. 86– 87; Simon, „Gute Policey“, 2004, S. 105–106. 139 Vgl. Simon, Gemeinwohltopik, 2001, S. 129–130. 134 135
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VI. Leitkategorien und Ordungskategorien der Gesetzgebung
ner Nutz“ bezeichnet zunächst das Gemeinwesen selbst, die res publica;140 ferner benennt der gemeine Nutzen den für eben dieses Gemeinwesen anzustrebenden Ordnungszustand, schließlich die „gemeinen Dinge“, die von allen Mitgliedern des betreffenden Gemeinwesens gemeinsam zu nutzenden Sachen (also die Allmenden und Gemeindegüter). Es wird zu zeigen sein, dass diese aus der politischen Theorie entwickelten Bedeutungsvarianten des Terminus „gemeiner Nutzen“ signifikante Überschneidungen mit dem genossenschaftlich geprägten Begriff des „gemeinen Nutzens“ aufweisen. Freilich manifestieren sich in den Hand- und Lehrbüchern der praktischen Regierungs- und Verwaltungslehre ab dem ausgehenden 16. Jahrhundert markante Akzentverschiebungen beim Ausfüllen des unbestimmten Begriffs „gemeiner Nutzen“. Nunmehr tritt der Aspekt der finalen Bindung der herrscherlichen Gewalt durch den „gemeinen Nutzen“ zunehmend in den Hintergrund, während die Legitimierung der Herrschaft immer deutlicher hervortritt. Der Fürst soll nicht durch das Gemeinwohl in seiner Handlungsfähigkeit beschränkt werden, vielmehr soll er das Gemeinwohl bewusst zur Stärkung seiner Herrschaft nutzen und intentionalen Rechtsbrüchen unter Hinweis auf das Gemeinwohl eine größere Akzeptanz verschaffen.141 Im Vergleich zu diesen Ausführungen, die den gemeinen Nutzen als Leitkategorie von Herrschaftsausübung im Allgemeinen und von Gesetzgebung im Speziellen in der staatstheoretischen und Politikliteratur verortet haben, beschreitet Peter Blickle einen anderen Weg.142 Schon sein methodischer Weg bei der Bestimmung von Inhalt und Funktionen des gemeinen Nutzens ist ein grundsätzlich anderer: „Die Klärung muß über Quellen erfolgen, die nicht theoretischer Natur sind, sondern die konkreten rechtlichen Verhältnisse wiedergeben.“143Ausgangspunkt für seine Überlegungen sind daher grundlegend andere Quellencorpora, wobei ländliche Rechtsquellen und landesfürstliche Gesetzgebungsakte im Zentrum stehen. Darüber hinaus Aktenmaterial in erheblichem Ausmaß miteinzubeziehen, war ihm verständlicherweise aus arbeitsökonomischen Gründen nicht möglich.144 Aus diesem Quellenmaterial schöpfend kommt er zu weitreichenden Schlussfolgerungen: Der gemeine Nutzen sei demnach nicht einfach eine Eindeutschung der bis in die Antike zurückreichenden rhetorischen Formel des bonum commune. Vielmehr entwickle er sich vor allem im kommunalen Umfeld, also in Städten und Dörfern. ���������������������������������������������������������������������������������������� Diese Tendenz ist seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert verstärkt auszumachen, vgl. Eberhard, Kommunalismus und Gemeinnutz, 1988, S. 272; vgl. jedoch schon die Hinweise auf frühere Belege bei Pichler, Necessitas, 1983, S. 55. 141 Simon, Gemeinwohltopik, 2001, S. 138–143. 142 Blickle, Beschwerden und Polizeien, 2003, bes. S. 560–563; Blickle, Der Gemeine Nutzen, 2001; Blickle, Kommunalismus, Bd. 1, S. 88–106; Blickle, Kommunalismus, Parlamentarismus, Republikanismus, 1986, S. 540–544. 143 Blickle, Kommunalismus, Bd. 1, 2000, S. 88. 144 Vgl. auch Blickle, Kommunalismus, Bd. 1, S. 2000, S. 89, Anm. 6. 140
2. Der gemeine Nutzen als Leitkategorie der Gesetzgebung
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Er präsentiere sich hinsichtlich seiner Genese als Weiterentwicklung einer lehensrechtlichen Formel – der Verpflichtung des Lehensmannes, seines Herren Nutzen zu mehren und seinen Schaden zu wenden –, die im Interesse der Gemeinde umgedeutet werde. Der starken Verankerung des gemeinen Nutzen in den Gemeinden stellt Blickle die fast vollständige Absenz der Herren und Fürsten bei der Formierung und Durchsetzung des Begriffs gegenüber, die keinen signifikanten Anteil an der Ausbildung des gemeinen Nutzens als wesentlicher Kategorie menschlichen Zusammenlebens gehabt hätten. Hierfür führt er mehrere Argumente ins Treffen: Das wesentliche Fundament von Königs- und Fürstenherrschaft im Mittelalter sei – auch noch, als sich der gemeine Nutzen auf kommunaler Ebene als wichtigste Leitkategorie etablierte – das Lehenswesen gewesen, dessen Basis die Treue, nicht das Gemeinwohl gewesen seien. Belege für die Verwendung des gemeinen Nutzens in den Stan darddarstellungen zur literarischen Gattung der Fürstenspiegel145 würden zudem dokumentieren, dass diese großteils aus der nachreformatorischen Zeit stammten respektive in die verhältnismäßig wenigen früheren Belegstellen im Zuge der Interpretation zu viel hineinprojiziert worden sei.146 Die Zielsetzung des gemeinen Nutzens auf kommunaler Ebene deckt sich in den Augen Blickles jedoch bemerkenswert mit dem, was Thomas Simon für die staatsund politiktheoretische Literatur ausgemacht hat. Auch in Städten und Dörfern legitimiert der gemeine Nutzen legislative Ordnungsmaßnahmen, die der Steuerung des zunehmend verdichteten sozialen und wirtschaftlichen Lebens dienen. Gleichzeitig stellt der gemeine Nutzen das Leitziel eben dieser gesetzgebenden Tätigkeit dar, die auf vielfältigem Weg – z. B. in Form von genossenschaftlichen „Einungen“ (coniurationes) oder von obrigkeitlichen, vom Stadtrat erlassenen Geboten und Verboten – zustande kommen kann. Im kommunalen Bereich seinen Ausgang nehmend, werde der Begriff des „gemeinen Nutzens“ auf der Ebene des Territoriums übernommen und adaptiert. Als Vorreiter erweisen sich nach Blickle republikanisch organisierte Gemeinweisen wie Appenzell oder die Eidgenossenschaft. Dabei versteht er unter „republikanisch“ nicht-monarchische politische Körper, die mehrere Gemeinden umfassen, ihr Zusammenleben selbst organisieren und keine „Herrschaft“ ertragen.147 Von hier setze sich der Siegeszug des gemeinen Nutzens über die Fürstentümer bis auf die Ebene der Reichsgesetzgebung fort.148 Insbesondere die Landes- und Policeyordnungen greifen den Begriff des gemeinen Nutzens in Reaktion auf vorgebrachte ständische Gravamina auf. Die Badische Landesordnung von 1495 weist als Zielsetzung der Gesetzgebung den Dienst an Berges, Fürstenspiegel, 1983; Singer, Fürstenspiegel, 1981. Vgl. pointiert Blicke, Der Gemeine Nutzen, 2001, S. 99. 147 Vgl. hierzu Blickle, Kommunalismus, Parlamentarismus, Republikanismus, 1986, S. 546–555. 148 �������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. die zahlreichen Beispiele bei Blickle, Beschwerden und Polizeien, 2003, S. 560–562; zusammenfassend Iseli, Gute Policey, 2009, S. 126–127. 145 146
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VI. Leitkategorien und Ordungskategorien der Gesetzgebung
„guter Polizei und gemeinem Nutze“149 aus,150 die bayerische Landesordnung von 1516 weist in ihrer Narratio aus, dass sie von den Herzögen Wilhelm IV. und Ludwig X. in Abstimmung mit den bayerischen Landständen „zů gemainem nütz, auch lannden vnd leüten in vil weg nottürfftig, dinstlich und gůt“ erlassen worden sei,151 die bayerische Landesordnung von 1553 zielt auf die „Fürderung und Erhaltung ains gmainen Nutz“ ab.152 In ganz ähnlicher Weise beruft sich die württembergische Landesordnung von 1515 auf den von ihr intendierten „vffgang gemains nutzen“.153 Die Preußische Ordnung aus dem Jahr 1577 soll Gott „zu Ehren und den Untertanen zu aller Wolfart“154 gereichen, die Policeyordnung für Schleswig-Holstein verschreibt sich der „befürderung unserer Fürstenthumb und Unterthanen gemeinnützigen Wolfahrt“155, und in ähnlicher Weise dient die um 1591 erlassene Landesordnung des Hochstifts Kempten „zubefürderung und unterhaltung gemeinen nuz, frid, einigkeit und rechtens“156. Bei dieser bloß repräsentativen Aufzählung sei die in unserem Kontext besonders interessierende Tiroler Landesordnung von 1526 nicht vergessen, die nach Ausweis der Narratio von Ferdinand I. ebenfalls zu „fürdrung des gemainen / und unnserer Lanndtschafft frumen und nutzen“ erlassen wurde. Entsprechende Entwicklungslinien lassen sich bei der (im Vergleich zur territorialen Gesetzgebung mit einer gewissen Retardierung einsetzenden) (Policey‑)Gesetzgebung des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation ausmachen. Schon die Policeygesetzgebung des Reichs um 1500 führt regelmäßig den gemeinen Nutzen als Begründung für legislative Maßnahmen an,157 und auch in späteren Jahrzehnten erlassen Reichstage Policeygesetze „allen Ständen desselben zu Wohlfahrt und Gutem, auch zu Fürderung und Mehrung des gemeinen Nutzens“158. Die Reichspoliceyordnung von 1530 wurde ebenfalls „zu auffnemen und gedeihen gemeynes nutz [...] fürgenommen unnd auffgericht“159, und exakt dieselben Formulierungen scheinen in den nachfolgenden Reichspoliceyordnungen von 1548 und 1577 auf.160 Dass die Proliferation des gemeinen Nutzens als zentrale Leitkategorie bei der normativen Ordnung des menschlichen Zusammenlebens auch auf territorialer bzw. staatlicher Ebene und schließlich auf Reichsebene so erfolgreich war, sieht 151 152 153 154 155 156 157 158
Vgl. Schmelzeisen, Polizei- und Landesordnungen, 2. Bd., 1. Halbbd., 1968, S. 156. Vgl. hierzu auch Maier, Anfänge der Polizei- und Landesgesetzgebung, 1984, S. 227–229. Franz, Landesordnung von 1516/1520, 2003, S. 17. Schmelzeisen, Polizei- und Landesordnungen, 2. Bd., 1. Halbbd., 1968, S. 162. Blickle, Kommunalismus, Parlamentarismus, Republikanismus, 1986, S. 541. Vgl. Schmelzeisen, Polizei- und Landesordnungen, 2. Bd., 1. Halbbd., 1968, S. 373. Tilgner, Sozialdisziplinierung und Sozialregulierung, 2000, S. 207. Kissling, Landesordnung des Fürststifts Kempten, 2003, S. 35–36. Blickle, Der Gemeine Nutzen, 2001, S. 99–101. So der Reichsabschied von 1541 Juli 29, § 76 in Neue und vollständigere Sammlung, II. Teil, 1747, S. 428–444. 159 Weber, Reichspolizeiordnungen, 2002, S. 165. 160 Weber, Reichspolizeiordnungen, 2002, S. 214 und 271. 149 150
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Blickle vornehmlich als staatliche Strategie der Krisenbewältigung. In den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts wurde das Heilige Römische Reich, ja ganz Europa von einer ganzen Reihe von Revolten erschüttert, die im Reichsgebiet in den Bauernkriegen von 1525/1526 kulminierten. Schon zuvor war in ständischen Gravamina und eingereichten Supplikationen der gemeine Nutzen beschworen worden, an dem sich aus Sicht der Untertanen die Obrigkeiten orientieren sollten. Auch vor und besonders während des Bauernkrieges nahm der (unter dem Eindruck der Reformation religiös aufgeladene) gemeine Nutzen einen prominenten Platz in den Forderungskatalogen und Beschwerden der Aufständischen ein.161 Schon in den einleitenden Worten beschwört der Entwurf einer Landesordnung, die aus der Feder des prominentesten Aufstandsführers Tirols, Michael Gaismairs, stammt und auf das Frühjahr 1526 zu datieren ist, „zum ersten die Eer Gottes und darnach den gemainen Nuz zu suechen“.162 Im folgenden Punkt wird die Vertreibung aller „gotlosen Menschen, die [...] den gemain armen Man beschwären und den gemainen Nuz verhindern“163, gefordert. Die Inanspruchnahme und Instrumentalisierung des Terminus „gemeiner Nutzen“ durch Aufstandsbewegungen dokumentiert die inhaltliche Flexibilität des Begriffs. Er konnte auch in einem oppositionellen Sinn aufgeladen werden und in dieser Ausprägung Widerstand gegen eine Herrschaft legitimieren, die gegen das Postulat zu verstoßen schien, den gemeinen Nutzen zu fördern.164 Durch die kontinuierliche Betonung, seinerseits durch seine Ordnungsund Gesetzgebungstätigkeit dem gemeinen Nutzen zu dienen, konnte sich ein Herrschaftsträger gegenüber den Normadressaten legitimieren und als fürsorgliche Obrigkeit profilieren. Die starke Verankerung des gemeinen Nutzens im kommunalen Umfeld, das Peter Blickle als Brutkasten des späteren Siegeszugs dieses Topos ausmacht, wird von Thomas Simon keineswegs bestritten. Die ausschließliche Verortung des gemeinen Nutzens im gemeindlichen Bereich erscheint ihm allerdings überspitzt.165
Vgl. nur Blickle, Revolution von 1525, 42004; weitere Literaturhinweise bei Blickle, Beschwerden und Polizeien, 2003, S. 564, Anm. 73. 162 Letzte Edition bei Politi, Statuti impossibili, 1995, S. 339–345; leicht zugängliche Edition bei Franz, Quellen, 1963, S. 285–290, Zitat hier nach Franz S. 285. Ausführungen über die Landesordnung Gaismairs finden sich in jedem Werk über den Tiroler Bauernkrieg, siehe nur z. B. Macek, Gaismair, 1965, S. 370–380; Stella, Rivoluzione, 1975, bes. S. 114–127; Bücking, Gaismair, 1978, S. 82–92; für jüngere Spezialuntersuchungen siehe u. a. Hoyer, Tiroler Landesordnung, 1996; Schennach, Zur Landesordnung, 1999; Endermann, Tiroler Landesordnung, 2000. 163 Zit. nach der Edition bei Franz, Quellen, 1963, S. 285. 164 Vgl. auch schon die mehr als deutliche Kritik der bayerischen Landschaft am „unordentlichen Regiment“ Herzog Wilhelms im Jahr 1514 unter Verweis auf den von ihr zu wahrenden „gemeinen Nutzen“ bei Rankl, Staatshaushalt, Stände und „gemeiner Nutzen“, 1976, S. 16–17. 165 Vgl. zum Folgenden Simon, Gemeinwohltopik, 2001, bes. S. 133–136. 161
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Unter Hinweis auf Eberhard166 macht er darauf aufmerksam, dass damit der ältere Traditionsstrang marginalisiert wird, der den gemeinen Nutzen mit dem Königtum in Zusammenhang bringt. „Das öffentliche Wohl, der gemeine Nutzen wird nicht aus dem Konsens bestimmt, sondern von oben herrschaftlich gesetzt. Es ist Königs amt und Königsrecht, alles zu entscheiden und auszuführen, was dem allgemeinen Wohl des Reiches dient.“167 So bringt es Winfried Eberhard auf den Punkt, dem zufolge es die Städte sind, die im 12. und vor allem 13. Jahrhundert den öffentlichrechtlichen Begriff des „gemeinen Nutzens“ als eine bereits existente Begründung monarchischen Handelns übernahmen und in steigendem Maße eigenständig auslegten und anwandten.168 Wichtiger erscheint Thomas Simon jedoch noch ein anderer Zusammenhang: So wie das gehäufte Rekurrieren auf den gemeinen Nutzen in der politiktheoretischen Literatur des Hochmittelalters zumeist in einem Zusammenhang mit dem damals neuen Steuerungsinstrument der Gesetzgebung steht, zeigt sich derselbe Konnex auf kommunaler Ebene. Auch im genossenschaftlichen Umfeld wird auf den gemeinen Nutzen zurückgegriffen, um der sich intensivierenden städtischen Gesetzgebung – die maßgeblich die später einsetzende territoriale Policeygesetzgebung für einen kleineren räumlichen Bereich präfigurierte – Legitimation zu verschaffen und ein Ordnungsziel zu geben. Städtische und mit einem gewissen zeitlichen Abstand ländliche genossenschaftliche Verbände bedurften im Hoch- und Spätmittelalter einer stärkeren Regulierung des komplexer werdenden Zusammenlebens, wobei sich der gemeine Nutzen als Fundament anbot. Insofern misst Simon der Frage nach der wechselseitigen Beeinflussung der Gemeinwohltopik in den Fürstenspiegeln des Hochmittelalters einerseits und der Verwendung des gemeinen Nutzens in den Kommunen andererseits eine untergeordnete Bedeutung zu. Er betont die Parallelität der beiden Phänomene und erkennt ihre inhaltliche Vergleichbarkeit. In beiden Kontexten steht der gemeine Nutzen in einem engen Zusammenhang mit der Gesetzgebung. Richtig hebt er hervor, dass es zu Konflikten erst kommen konnte, als der Territorialstaat in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts seine legislative Tätigkeit auf immer mehr Bereiche der „guten Policey“ ausdehnte – Bereiche, die unter Umständen schon vorher auf kommunaler Ebene normativ durchdrungen worden waren. Erst in diesem Stadium konnte es zu Konflikten kommen, wem die Konkretisierung dessen, was unter gemeinem Nutzen zu verstehen sei, zukommen sollte – den genossenschaftlichen Verbänden oder dem frühmodernen Staat?169 Mitte des 15. Jahrhunderts ist es dem Recht des (damals zum Erzstift Salzburg gehörenden) Gerichts Windisch-Matrei170 zufolge der Salzburger Erzbischof als Landesherr, der sich die Definition des Gemeinwohls vorbe Vgl. Eberhard, Legitimationsbegriff, 1986, S. 245–246, und Eberhard, Kommunalismus und Gemeinnutz, 1988, S. 273–274. 167 Eberhard, Kommunalismus und Gemeinnutz, 1988, S. 273. 168 Vgl. auch Eberhard, Kommunalismus und Gemeinnutz, 1988, S. 293. 169 Vgl. Simon, Gemeinwohltopik, 2001, S. 135–136. 170 Heute Matrei in Osttirol. 166
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hält und dieses als Richtschnur allen Handelns erklärt. Dabei hebt er bezeichnenderweise hervor, dass er sich den Erfordernissen des Gemeinwohls entsprechend eine Änderung der aktuellen Rechtsordnung vorbehalte.171 Dass die Definitionsgewalt über den gemeinen Nutzen und dessen konstitutive Elemente in Konflikten um Gesetzgebungsrechte und -inhalte von eminenter Bedeutung sein konnten, belegt auch ein Konflikt zwischen der im bernischen Territorium gelegenen Landschaft Saanen und dem Berner Rat.172 Erstere beanspruchte unter Verweis auf das alte Herkommen eine autonome Ordnungs- und Satzungskompetenz, die ihr vom Berner Rat jedoch nur sehr beschränkt zugestanden wurde. Der Berner Rat bediente sich dabei unter anderem des gemeinen Nutzens als zentralem Topos des Ordnungs- und Policeydiskurses. Allerdings verwies die Landschaft Saanen in ähnlicher Weise auf den gemeinen Nutzen, um ihre autonome Satzungskompetenz zu begründen. Entscheidend in diesem Konflikt war die Frage, wer die Definitionsmacht über den gemeinen Nutzen durchsetzen bzw. behaupten konnte, d. h. wer verbindlich festlegen sollte, was unter dem gemeinen Nutzen zu verstehen sei und wie dieser erreicht werden solle. Aus dem angeführten Beispiel des Verfassungsstreits zwischen der Stadt Bern und der Landschaft Saanen folgert Holenstein, dass letztlich die Landeshoheit ihren Anspruch durchsetzte, den gemeinen Nutzen zu vertreten und wahrzunehmen: „Wer unter diese Hoheit (später Souveränität) fiel, dem blieb das Gemeinwohlargument im Fall einer Interessenkollision mit der Obrigkeit verschlossen und einzig der defensive Rückzug auf partikulares Recht und alte Freiheiten offen.“173
2. 2. Gemeiner Nutzen und „gute Policey“ Die bisherigen Ausführungen dürften deutlich gemacht haben, dass der gemeine Nutzen ab dem ausgehenden 15. Jahrhundert in eine große Nähe zur „guten Policey“ rückt. Doch muss diese Formulierung im Grunde auf den Kopf gestellt werden: Die „gute Policey“ rückt in die Nähe des gemeinen Nutzens. Es ist vor allem die policeyliche Ordnungsgesetzgebung, die der Realisierung des Gemeinnutzes dient.174 In Zusammenhang mit rein „privatrechtlichen“ Materien wird man das Siegel/Tomaschek (Hg.), Salzburgische Taidinge, 1870, S. 315: „Item es will auch der von Salzburg mit ainem pfleger schaffen und selber darob sein, was gemainer landpott in gemainem nutz beschechen und offenlich berueft werden, das die vesticlichen gehaltn dem armen als dem reichen, doch ob si sich icht merklich sache darin begäbe, das man die ändern oder verkern muge nach notturft und gelegenhait der sach und händl auch ungeverlich.“ 172 Vgl. zum Folgenden Holenstein, Struktur- und Kompetenzkonflikte, 1998. 173 Holenstein, Struktur- und Kompetenzkonflikte, 1998, S. 84. 174 Vgl. Baum, Bürokratie und Sozialpolitik, 1988, S. 79: „Die Einheit von ‚guther [!] Policey’ und ‚gemeinem Besten’ muß also in ihrer Dialektik verstanden werden; ‚guthe Policey’ war Bedingung und Folge des ‚gemeinen Besten’; das ‚gemeine Beste’ konnte sich nur unter der Bedingung realisieren, dass das Prinzip der ‚guthen Policey’ entfaltet war, und gleichzeitig 171
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Argument des gemeinen Nutzens nie finden, während es im Kontext der Policeygesetzgebung überaus frequent ist. Wie stark die Nähe der beiden semantischen Felder „gemeiner Nutzen“ und „gute Policey“ ist, zeigt besonders eindrucksvoll die (nur einmal belegte) Kontaminationsform „gemeine policey“, wie sie in einer Beschwerde der Stadt Kitzbühel aus dem Jahr 1526 gebraucht wird. Die städtische Obrigkeit klagt darin über grundherrschaftliche Beamte, die in der Stadt wohnen und Handel treiben, das „Mitleiden“ mit der Stadt im Sinne eines Mittragens der gemeinschaftlichen Lasten aber verweigern. Eben dies sei „doch wider gemaine policey“ und müsse abgestellt werden.175 Trotz der engen Verflechtung beider Termini kann jedoch von Deckungsgleichheit keine Rede sein. Der um die Mitte des 15. Jahrhunderts zunächst im urbanen Bereich auftauchende Begriff der „guten Policey“ – der Erstbeleg stammt aus einer Wiener Handwerksordnung von 1451176 – entwickelte sich im ausgehenden 15. Jahrhundert auf territorialer und Reichsebene rasch zu einer der Leitkategorien von Gesetzgebung und Verwaltungshandeln.177 Unter „guter Policey“ verstand man dabei die gute Ordnung des Gemeinwesens im Allgemeinen und eng damit zusammenhängend sämtliche Maßnahmen, die der Herstellung oder Bewahrung dieses Zustandes dienen sollten.178 Peter Preu hat diesen polysemen Charakter der „guten Policey“ mit der Bezeichnung der „Policey“ als Zustand und Tätigkeit treffend auf den Punkt gebracht:179 Die („gute“) „Policey“ umfasst sowohl den geordneten Zustand der Gesellschaft als auch die zur Zielerreichung ins Werk gesetzten obrigkeitlichen Bemühungen. Unter diesen kam den Policeygesetzen eine zentrale Rolle zu. Erst ab circa 1700 trat eine weitere, institutionell ausgerichtete Begriffsnuance der „Policey“ hinzu, die nun die organisatorischen Mittel und Wege zur Etablierung des „guten“ Zustands und des korrelierenden Gesetzes einschließt.180 war die ‚guthe Policey“ nur realisiert, wenn das ‚gemeine Beste’ realisiert war.“ Vgl. z. B. auch Mühleisen, Gerechtigkeitsvorstellungen in „Fürstenspiegeln“, 1999, S. 83. 175 Steinegger/Schober, Partikularbeschwerden, 1976, S. 37. 176 Vgl. Pauser, Gravamina und Policey, 1997, S. 18 ; ferner Härter, Statut und Policeyordnung, 2010, S. 128–129. 177 ���������������������������������������������������������������������������������������� Zu Begriff und Herkunft der „Policey“ vgl. Knemeyer, Art. „Polizei“, 1978; Knemeyer, Policeybegriffe, 1967; Nitschke, Von der politeia zur Polizei, 1992; Iseli, Gute Policey, 2009, S. 14–16; kurz schon Oestreich, Policey und Prudentia civilis, 1980, S. 370; nur oberflächlich Harnischmacher/Semerak, Polizeigeschichte, 1986, S. 17–18. 178 Vgl. jüngst Simon, „Gute Policey“, 2004, bes. S. 111–120; Härter, Policey und Strafjustiz, 2005, bes. S. 118–123; Pauser, Maximilian II. und die Landstände, 2002, S. 17–18; Winkelbauer, Gundaker von Liechtenstein, 2008, S. 53; Baum, Bürokratie und Sozialpolitik, 1988, S. 81–82 und 96–99 (jeweils mit zahlreichen weiteren Literaturhinweisen). 179 Preu, Polizeibegriff und Staatszwecklehre, 1983, S. 33–36. 180 Nitschke, Von der politeia zur Polizei, 1992, S. 12–13; Nitschke, Verbrechensbekämpfung und Verwaltung, 1990, S. 29–30; Preu, Polizeibegriff und Staatszwecklehre, 1983, S. 35–36; vgl. aber auch Härter, Policeygesetzgebung auf dem Wormser Reichstag, 1995, S. 84; zur Entwicklung im 18. Jahrhundert zuletzt sehr differenziert Behrisch, Von der ‚Policey’ zur ‚Politik’, 2007.
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Der Zusammenhang von „Ordnung“ und „Policey“ zeigt sich auch in der Kanzleisprache: guet ordnung und policey ist eine regelmäßig aufscheinende Paarformel,181 die sowohl die geordnete Verfasstheit des Gemeinwesens als auch das korrelierende Gesetz meinen kann. Fallweise schwingen beide Nuancen mit.182 Wenn die oberösterreichische Regierung dem landständischen Ausschuss 1542 das Vorhaben mitteilt, ain ordnung unnd policey [...] aufzurichten,183 ist damit natürlich eine Policeyordnung gemeint.184 Wenn dagegen die Regierung 1553 in einem Gutachten von einer bayerischerseits an sie herangetragenen Initiative berichtet, auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit zusammenzuwirken, damit also guette pollicey unnd ordnung desst stattlicher in daz werckh gericht werden müge, zielt dies auf den anzu strebenden Zustand des Gemeinwesens ab.185 Die Erwähnung der Policeygesetze führt uns bereits zu einer Gemeinsamkeit mit der Kategorie des „gemeinen Nutzens“. So wie der gemeine Nutzen anlässlich seiner Verbreitung im Hochmittelalter in einem engen Konnex mit dem damals noch ungewohnten Instrument des Gesetzes steht, beginnt der Siegeszug der „guten Policey“ ebenfalls mit der zunehmenden Ordnungstätigkeit der Städte und – wenn auch etwas später – der Territorien und schließlich des Heiligen Römischen Reichs. Die frühesten Belege für die Verwendung von „policey“ stammen aus einem städtischen Umfeld. Die Wiener Handwerksordnung von 1451, die unter den Handwerkern guete mantzucht und policey erhalten wollte,186 wurde bereits erwähnt. In einem Privileg Kaiser Friedrichs III. für Nürnberg von 1464 wurde zugestanden, die Stadt dürfe „Polletzey und regirung in allen Sachen ordnung, setzen und fürnehmen“.187 1476 konfirmierte Friedrich eine „Ordnung und Satzung“, die von den Städten Krems und Stein (Österreich unter der Enns) zur Bestätigung eingereicht worden war, damit „Got zu lob und eer gute ordenung und policey da gehalten werde.“188 Im selben Jahr erlässt der Fürstbischof von Würzburg eine Hygieneverordnung für die Vgl. z. B. TLA, LLTA, Fasz. 1, Landtag 1518 Aug., 1518 Aug. 4; TLA, AfD 1614, fol. 367v– 369r, 1614 Aug. 30 (die Ablieferung der Meldezettel würde den Wirten nur einen geringen Mehraufwand verursachen, hierdurch aber guete policey und ordnung erhalten). 182 So auch treffend Preu, Polizeibegriff und Staatszwecklehre, 1983, S. 34–35. 183 TLA, BT, Bd. 5, fol. 108v–109r, 1542 April 3. 184 �������������������������������������������������������������������������������������� Ähnlich beim Begehren der Tiroler Landschaft im Jahr 1523, endlich die schon unter Maximilian I. versprochene ordnung unnd pollicey diss lannds zu erlassen (TLA, LLTA, Fasz. 1, Landtag 1523). 185 TLA, AkgM 1553, fol. 619r–621r, 1553 Nov. 14; vgl. auch die Antwort der Stände auf die landesfürstliche Proposition auf dem Septemberlandtag 1530 in TLA, LLTA, Fasz. 4, 1530 Sept. 14. Darin unterbreiten die Stände auch einige Vorschläge, damit guet ordnung ainer loblichen policey in sollichen allem zu abstellung obangezaigter ungepürlichn auffslegen auffgericht werde. 186 Zit. nach Pauser, Gravamina und Policey, 1997, S. 18, Anm. 20. 187 Hier zit. nach Unruh, Polizei, Polizeiwissenschaft und Kameralistik, 1983, S. 389; vgl. auch Knemeyer, Art. „Polizei“, 1978, S. 878; Nitschke, Von der politeia zur Policey, 1992, S. 11. 188 Pauser, Gravamina und Policey, 1997, S. 18. 181
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Stadt mit der einleitenden Bemerkung, die Stadt sei „mit vil loblichen polliceien und guten ordnunge versehen“.189 In Nürnberg wird die „Policey“ in den Jahren 1482 und 1485 in Stadtordnungen erwähnt,190 in Kurmainz findet die „Policey“ erstmals ebenfalls in einer Stadtordnung im Jahr 1488 Erwähnung: Die Bürger wurden verpflichtet, „Regiment Pollocey und bestellung [...] getrewlich und onverbrochlich“ zu halten.191 Im ausgehenden 15. Jahrhundert wird der Terminus „Policey“ auch auf territorialer und Reichsebene ein integraler Bestandteil des politischen Wortschatzes.192 Es erscheint symptomatisch für die angesprochene Affinität zwischen „gemeinem Nutzen“ und „guter Policey“, dass beide Begriffe nahezu zeitgleich Eingang in die Reichsgesetzgebung und die Reichstagsakten fanden. Auf dem Wormser Reichstag von 1495 forderten so die Reichsstände, man solle zur Bekämpfung von unnützem Aufwand und Luxus entsprechende „ordenung und policey furnemen“.193 Die damaligen Ansätze zu einer Reichspoliceygesetzgebung wurden auf den folgenden Reichstagen in Lindau (1497), Freiburg (1498) und Augsburg (1500) aufgegriffen, ausgebaut und etablierten den Begriff „Policey“ endgültig auf Reichsebene.194 In die Landtagsakten der österreichischen Erbländer fand die „Policey“ ebenfalls in maximilianeischer Zeit Eingang.195 Das gilt auch für Tirol, wo die Tiroler Landstände im Zusammenhang mit typischen Policeymaterien wie Gotteslästerung und Alkoholmissbrauch im August 1518 baten, solch unordnungen abtzustellen und in guet ordnung und pollicey zu bringen.196 Nicht hinreichend wurde von der bisherigen Forschung beachtet, wie sich die „gute Policey“ im ländlichen Bereich als Ordnungskonzept durchsetzte. Zumindest im Fall Tirols zeigt sich jedoch eine gewisse Verzögerung. In ländlichen Rechtsquellen, namentlich in Dorfordnungen scheint die „gute Policey“ als Richtlinie gemeindlichen Zusammenlebens erst im 17. Jahrhundert häufiger auf.197 Die Dorfordnung von Seefeld nahe Innsbruck von 1656 dient so dazu, die in der Narratio Härter, Policeygesetzgebung auf dem Wormser Reichstag, 1995, S. 82. Vgl. auch Axtmann, „Policey“ and the Formation of the Modern State, 1992, S. 36. 191 Härter, Policey und Strafjustiz, 1. Teilbd., 2005, S. 118, und Härter, Fastnachtslustbarkeiten, 1997/1998, S. 56. 192 Vgl. z. B. zu Baden Maier, Anfänge der Polizei- und Landesgesetzgebung, 1984, S. 218–219. 193 ���������������������������������������������������������������������������������������� Zit. nach Härter, Entwicklung und Funktion der Policeygesetzgebung, 1993, S. 69; zur damaligen Policeygesetzgebung auch Härter, Policeygesetzgebung auf dem Wormser Reichstag, 1995. 194 Vgl. Härter, Entwicklung und Funktion der Policeygesetzgebung, 1993, S. 71–72; ferner Oeschger, Kulturgeschichtliche Aspekte der Policeygesetzgebung, 1998; Schmidt, „Aushandeln“ oder „Anordnen“, 2006, S. 109. 195 Pauser, Gravamina und Policey, 1997, S. 18. 196 Vgl. TLA, LLTA, Fasz. 1, Landtag 1518 Aug., 1518 Aug. 4. 197 Vgl. z. B. die programmatischen Erwähnungen in: Tirolische Weistümer, 1. Teil, 1875, S. I, 286 (Steinacher Ordnung von 1688); Tirolische Weistümer, 2. Teil, 1877, S. 7 und 10 (Telfs 1631); Tirolische Weistümer, 3. Teil, 1880, S. 206. 189 190
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relativ ausführlich dargelegten Missstände zu beseitigen, um „pessere policei und ordnung aufzurichten“.198 Der enge Zusammenhang von „Policey“ und legislativer Tätigkeit bleibt gewahrt, scheint doch der Begriff ausnahmslos im Kontext genossenschaftlicher Rechtssetzung auf. Hier manifestiert sich eine weitere Gemeinsamkeit des gemeinen Nutzens mit der „guten Policey“: die Legitimationsfunktion für obrigkeitliche Normierungsbestrebungen, die hier wie dort in ähnlicher Weise gegeben ist. Die Kompetenz, die Inhalte und Ziele der unbestimmten Begriffe „gemeiner Nutzen“ und „gute Policey“ verbindlich festlegen zu können, besitzt zudem erhebliche machtpolitische Relevanz. Der Betreffende kann vorgeben, mit welchen Maßnahmen dem gemeinen Nutzen bzw. der „guten Policey“ am Besten gedient wird und wie der zu erreichende Endzustand aussehen soll. Wenn Michael Stolleis konstatiert, dass es „Kompetenzausweitung und Zuwachs an Definitionsmacht für denjenigen [bedeutete], der die Inhalte der Policey festlegen konnte“199, so trifft dies in gleicher Weise für den gemeinen Nutzen zu. Während jedoch der „gemeine Nutzen“ zumindest bis zum Ende des 16. Jahrhunderts nicht nur herrschaftslegitimierend wirkte, sondern gleichzeitig der Ausübung der Herrschaft Grenzen setzte, ist diese herrschaftsbegrenzende Funktion dem Policeybegriff nicht immanent. Schließlich haben beide Begriffe ihre Gegenpole: Der Eigennutz ist der Widerpart des gemeinen Nutzens,200 und so wie die „gute Policey“ die Ordnung des Gemeinwesens bezeichnet, sind „Rumor“ (Unruhe) und „Unordnung(en)“ Erscheinungsformen der „bösen Policey“.201 Analysiert man die beiden semantischen Felder „gemeiner Nutzen“ und „gute Policey“, zeigen sich jedoch weitgehende Unterschiede. Hierzu bietet sich die methodische Herangehensweise an, die Kontexte näher zu betrachten, in denen sie in den Normtexten selbst sowie im behördeninternen Schriftverkehr Verwendung finden. Dabei zeigt sich, dass der gemeine Nutzen die bei weitem umfassendere Ordnungskategorie ist. Die „gute Policey“ dient dem gemeinen Nutzen, sie ist ein integraler Bestandteil zu dessen Realisierung – aber sie ist ihm nachgeordnet. Materiellrechtlich ist der Bereich des Policeyrechts überaus umfassend,202 doch lassen sich trotz des großen Umfangs konkrete Bereiche „guter Policey“ ausmachen: Egal Tirolische Weistümer, 2. Teil, 1877, S. 28. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, Bd. 1, 1988, S. 369–370. 200 Vgl. auch Blickle, Kommunalismus, Bd. 1, 2000, S. 98; vgl. beispielsweise TLA, BT, Bd. 10, fol. 363v–365v, hier fol. 364r, 1573 Jan. 9; TLA, Ferdinandea, Karton 216, Pos. 222, 1490 Juli 28 (Gerichtsurkunde wegen der Bärenjagd im Gericht Gufidaun); TLA, BT, Bd. 16, fol. 14, 1609 März 20; vgl. z. B. auch Lauterbeck, Regentenbuch, 1997 (Nachdruck der Auflage Frankfurt a. M. 1600), S. 185. 201 So sehr anschaulich in TLA, BT, Bd. 3, fol. 156v, 1532 Nov. 20. 202 Vgl. für viele andere nur die exemplarische Auflistung bei Oestreich, Policey und Prudentia civilis, 1980, S. 370; vgl. zudem die einzelnen Bände des „Repertorium der Policeyordnungen der Frühen Neuzeit“. 198 199
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ob Sittlichkeits-, Religions-, Wirtschafts- oder Sicherheitspolicey, um nur einige repräsentative Bereiche herauszugreifen – die „gute Policey“ lässt sich konkretisieren und in umschreib- und definierbare Rechtsbereiche aufsplittern. Dass die „gute Policey“ gleichzeitig als übergeordnete, abstrakte Leitkategorie der Gesetzgebung und des Verwaltungshandelns fungiert, tut dem ihr immanenten Konkretisierungspotential keinen Abbruch. Dessen sind sich die Zeitgenossen sehr wohl bewusst, wie die Ehaftordnung des Landgerichts Kufstein vom beginnenden 17. Jahrhundert zu erkennen gibt. Mit Blick auf die landesfürstlichen Einzelgesetzgebungsakte, die auf dem Ehafttaiding des Gerichts (wieder) publiziert werden sollen, umschreibt es deren Stoßrichtung: Sie dienen zu „erhaltung cristlichen und obrigkeitlichen gehorsam, manszucht, ehr- und befürderung gemainer rechten und haltung anderer gueter pollicei“, womit sehr summarisch einige typische Inhalte der Policeygesetzgebung wiedergegeben sind.203 In vergleichbarer Weise greift die landesfürstliche Gesetzgebung wiederholt exemplarische Regelungsgegenstände der guten Policey heraus, die unter anderem zu erhaltung pillichs und gleiches gerichts, merer frids, rue, guetter mannzucht, [...] abstellung des fürkauffs uunnd annderer gemainer beswerden diene.204 Demgegenüber wird im Zusammenhang mit der Leitkategorie „gemeiner Nutzen“ auf ähnliche Versuche der Konkretisierung durch die Aufzählung bestimmter, umschreibbarer Rechtsmaterien verzichtet. Der gemeine Nutzen bleibt somit – hierin vergleichbar der necessitas („Notdurft“)205 – ein bei weitem abstrakte res Ordnungsleitbild, in dessen Rahmen die gute Policey eine wichtige, aber nicht die einzige Rolle spielt. Herrschaft- und policeysachen, woran der gemaine nucz des ganczen landts gelegen, wie es der Geheime Rat 1642 formulierte, sind zentrale Elemente des gemeinen Nutzens, aber nicht mit ihm deckungsgleich.206 Geradezu exemplarisch kommt dieses Verhältnis zwischen gemeinem Nutzen und guter Policey in der Ordnung des Marktes St. Lorenzen im Pustertal aus dem Jahr 1565 zum Ausdruck. In dieser wird unter Hinweis auf die Vorgängerordnung von 1509 ausgeführt, dass damals von den Gemeindegenossen „von wegen befürderung und erhaltung gemaines nuz ain pollicei und ordnung, wies in der nachperschaft mit verordnung aines haubtmans, aufnemung aines mezgers, waidnung und behüetung des vichs, erhaltung der hirten und einnemung der ingeheusen und in anderweg solte gehalten werden, fürgenommen“ worden sei.207 Wie es uns schon zuvor auf Ebene der landesfürstlichen Gesetzgebung begegnet ist, werden der Inhalt und die Gegenstände „guter Policey“ demonstrativ aufgezählt und hervorgehoben, dass diese Regelung der Verwirklichung des gemeinen Nutzens, der seinerseits keine Konkretisierung erfährt, diene. Ebenso fehlen inhaltliche Umschreibungen 205 206 207 203 204
Tirolische Weistümer, 1. Teil, 1875, S. 42. So TLA, BT, Bd. 4, fol. 45v–46r, 1535 Sept. 28. Vgl. Pichler, Necessitas, 1983. TLA, GR, AS, Ausgegangene Schriften, 1642 Dez. 4. Tirolische Weistümer, 4. Teil, 1.Hälfte, S. 458.
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bzw. Präzisierungen dessen, was den gemeinen Nutzen überhaupt ausmacht, im behördlichen Schriftgut (einschließlich der landesfürstlichen Gesetzgebungsakte) völlig. Man maß dem Terminus nur implizit eine gewisse Bedeutung bei, die sich speziell aus der Abgrenzung vom Eigennutzen ergab. So war selbstverständlich der ‚Fürkauf ’ dem gemainen nucz vast [sehr] widerwertig und schedlich,208 galten größere Preisaufschläge auf Waren als dem gemeinen Nutzen nachteilig,209 und der Verstoß gegen landesfürstliche Policeygesetze wurde als Ausdruck aignen nuczes und gesuechs angesehen.210 Etwas deutlicher wird der Inhalt des gemeinen Nutzens in einzelnen ländlichen Rechtsquellen greifbar (vgl. das folgende Kapitel).
2. 3. Der gemeine Nutzen in Tirol Tirol nimmt in der Argumentation Blickles über den Siegeszug des gemeinen Nutzens als Leitkategorie der Gesetzgebung eine Schlüsselrolle ein, da sich hier die Verortung des gemeinen Nutzens im dörflichen und städtischen Umfeld und seine Übernahme auf territorialer Ebene besonders gut dokumentieren lasse.211 Als Begründung für die gemeindliche Satzungstätigkeit dienend, sei der gemeine Nutzen schließlich „zur leitenden Norm der Gesetzgebungstätigkeit des Landesherrn geworden.“212 Zunächst weist Blickle im Zuge seiner Argumentation zurecht auf die starke Verankerung des gemeinen Nutzens in den ländlichen Rechtsquellen hin, wo er anhand eines konkreten Beispiels – der soeben angeführten Dorfordnung von St. Lorenzen – drei verschiedene Bedeutungen des gemeinen Nutzens ausmacht, nämlich „die Nutzungsrechte der Mitglieder der Gemeinde (Realgerechtigkeit), die Satzung beziehungsweise Legitimation der Satzungstätigkeit der Gemeinde und die Verpflichtung gemeindlicher Amtsinhaber“213. Hinsichtlich der ersten von Blickle herausgearbeiteten Bedeutung des gemeinen Nutzens überschneidet sich der Sprachgebrauch der ländlichen Rechtsquellen mit der politischen Theorie. Es wurde bereits erwähnt, dass bei Ferrarius die materielle Basis der Gemeinwesen ebenfalls als „Gemeiner Nutzen“ bezeichnet wurde.214 Die anderen von Blickle angeführten Bedeutungen sind aber weniger substanzielle Inhalte des Begriffs „gemeiner Nutzen“ als vielmehr dessen Funktionen. Der „gemeine Nutzen“ ist das Ziel, auf das gemeindliche Amtleute und Funktionsträger festgelegt werden. Im 16. Jahrhundert 210 211
TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 25, Lit. X, fol. 29r, 1502 Okt. 28. TLA, BT, Bd. 16, fol. 405v–408v, 1612 März 12. TLA, AfD 1587, fol. 247, 1587 April 28. Blickle, Beschwerden und Polizeien, 2003, bes. S. 560–563; Blickle, Der Gemeine Nutzen, 2001, hier bes. S. 93; Blickle, Kommunalismus, Bd. 1, S. 98–101; Blickle, Kommunalismus, Parlamentarismus, Republikanismus, 1986, S. 540–544. 212 Blickle, Kommunalismus, Bd. 1, 2000, S. 100. 213 Blickle, Kommunalismus, Bd. 1, 2000, S. 98. 214 Vgl. Simon, Gemeinwohltopik, 2001, S. 129–130. 208 209
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sollen so die Mitglieder des Gemeindeausschusses des Dorfes Oberperfuß (die aufgrund ihrer Zahl so genannten „Sechser“) bei der Versehung ihres Amtes „ainen gemainen Nutz betrachten“215, die Dorfmeister der Gemeinde Bichlbach im Außerfern müssen ebenfalls „ainer ganzen gemain nutz und frumben in allem [...] nach irem pesten vermugen betrachten“216, in Imst sollen sie im 17. Jahrhundert „ain gemainen nutz firdern und schaden wenden“217, die „Gewalthaber“ der Gemeinde Telfs sind angehalten, alles zu verrichten, „was zu erhaltung gemainen nutzens und gueter pollizei firstendig und thunlichen sein wirdet“218. Die Beispiele ließen sich problemlos vermehren.219 Die Aufgabenbesorgung durch Gemeindeorgane wird auf diese Weise grundsätzlich determiniert, ohne dass eine inhaltliche Präzisierung erfolgte. Dasselbe gilt für die Legitimierung genossenschaftlich-gemeindlicher Satzungstätigkeit durch den Verweis auf den gemeinen Nutzen. 1506 hob die Ordnung von Reutte hervor, dass die kommunalen Ordnungen und Satzungen dem gemeinen Nutzen dienen würden.220 1616 betonte die Dorfordnung von Silz beispielsweise abschließend, dass ihre Einhaltung notwendig sei, damit „sich ain ieder vor nachtl und schaden, auch beschwärung seines negsten und schmöllerung des gemainen nuc genzlichen und in alweg hieten soll“221. Die Dorfordnung von Wildermieming wurde 1691 von der dortigen Nachbarschaft erlassen, „auf das nun der gmain nutzen umb sovil eifriger in obacht gezogen“ werde.222 In der Ordnung von Bichlbach wurde 1575 festgehalten, dass frühere „Dorfbriefe“ „von wegen des gemainen nutz aufgericht worden“ seien.223 Eine präzisere Umschreibung dessen, was eigentlich der gemeine Nutzen genau sei, erfolgt in keinem Fall. Die Rechtsgenossen setzten also bei der Satzungstätigkeit voraus, dass die Leitkategorie „gemeiner Nutzen“ selbsterklärend und daher allen Adressaten einer Dorfordnung vertraut sei.224 Nur in absoluten Einzelfällen lassen die Narrationes von Dorfordnungen erkennen, was die Zeitgenossen unter „gemeinem Nutzen“ verstanden, wobei es sich dabei auffallenderweise weitgehend um Definitionen ex negativo handelt. Ein spätes Beispiel stellt die Dorfordnung von 217 218 219 215 216
222 223 224 220 221
Tirolische Weistümer, 2. Teil, 1877, S. 17. Tirolische Weistümer, 2. Teil, 1877, S. 133. Tirolische Weistümer, 2. Teil, 1877, S. 160. Tirolische Weistümer, 2. Teil, 1877, S. 7. Vgl. nur z. B. Tirolische Weistümer, 1. Teil, 1875, S. 60 (Unterlangkampfen, 1585); Tirolische Weistümer, 2. Teil, 1877, S. 38 (Silz, 1616); ebd., S. 146 (Biberwier, 1598); ebd., S. 170 (Tarrenz, 1580); ebd., S. 328 (Graun, 1617); Tirolische Weistümer, 3. Teil, 1880, S. 34 (Tartsch, 1724); ebd., S. 175 (Tschengels, 1611); ebd., S. 261 (Laatsch, 1607); Tirolische Weistümer, 4. Teil, 2. Hälfte, 1891, S. 776 (Ulten, 1595). Hölzl, Gemeindearchive des Bezirkes Reutte, 1. Teil, 1997, Nr. 6/2, 1506 Juli 14. Tirolische Weistümer, 2. Teil, 1877, S. 48. Tirolische Weistümer, 2. Teil, 1877, S. 91. Tirolische Weistümer, 2. Teil, 1877, S. 137. Ähnlich bereits für das 13. Jahrhundert Eberhard, Kommunalismus und Gemeinnutz, 1988, S. 283.
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Reschen aus dem Jahr 1794 dar, die den gemeinen Nutzen schlicht dem zu vermeidenden Eigennutz gegenüberstellt.225 Etwas umfangreicher fällt die Dorfordnung von Kauns von 1624 aus, die nach Ausweis der Narratio diente „zer firkomung und verhietung nachtl und schadens und zu befirderung des allgemainen nutzes (damit ains von dem andern, es sei reich oder armb, in der gemaind wider alt herkomen, auch gebür- und billichait nit betrangt, vervortailt, übernomen oder beschwert wirde)“.226 In dieser Passage wird der gemeine Nutzen ansatzweise fassbar als Ausgleich zwischen unter Umständen entgegengesetzten Einzelinteressen, deren Abwägung nach Billigkeit und gemäß dem alten Herkommen unabhängig vom sozialen Status der Betroffenen erfolgen sollte.227 In eine ähnliche Richtung geht die Narratio der Dorfordnung von Sautens von 1547. Sie ist in diesem Punkt am ausführlichsten. Zunächst wird der bisherige Status quo dargelegt, der durch das Fehlen einer Dorfordnung geprägt sei. Wegen dieses als defizitär wahrgenommenen Zustands gebe es vor allem keine normative Regelung über die Benützung der Gemeindegüter, woraus Missbräuche und Schindluder resultierten, da jeder möglichst viel für sich herauszuschlagen trachte. Konflikte zwischen Gemeindemitgliedern blieben nicht aus, die „Beschwärung, nachtail und menngl ab unnd gegeneinannder triegen, spann und irrungen hetten. Unnd damit hinfuran khunfftiger krieg, unrat, costen und schaden, so mittlerzeit zwischn ir erwachsen het mugen, verhuett unnd gleiche burde – als sich gezimbt dem reichen als dem armen und dem armen als dem reichen – gemainer nuz befurdert unnd betrachtet, auch guette nachtpaurschafft erhalten unnd kainer fur den anndern beschwärt“ werde, wurde die Dorfordnung erlassen.228 Auch hier lassen sich gewisse Elemente greifen, deren Fehlen bzw. Vorhandensein den gemeinen Nutzen konstituieren: Ganz zentral sind die Abwesenheit von kostspieligen Streitigkeiten und Miss helligkeiten und damit korrelierend der Erhalt eines friedlichen, gutnachbarlichen Zusammenlebens, ferner eine gleichmäßige, der individuellen Leistungsfähigkeit Rechnung tragende Aufteilung der von der Allgemeinheit zu tragenden Lasten. Dass dem gemeinen Nutzen als Leitkategorie der genossenschaftlichen Satzungstätigkeit in den Gemeinden eine zentrale Bedeutung zukam, dürfte mithin unbestritten sein. ������������������������������������������������������������������������������������������ Tirolische Weistümer, 2. Teil, 1877, S. 322: „[...]: „denn in gemeinsachen muß man den eigenen nutzen vergessen und blos auf den gemeinen sehen, weil ohne arbeit und ohne eigene unkösten nie ein gemeinnutzen, woran iedem insbesondere und iederzeit daran liegt, kann beförderet werden.“ 226 Tirolische Weistümer, 2. Teil, 1877, S. 304. 227 �������������������������������������������������������������������������������������� Zur Formel „dem Armen wie dem Reichen“ o. ä. vornehmlich in richterlichen Angelobungseiden vgl. nunmehr Kocher, „... dem armen als dem richen, dem richen als dem armen, ...“, 2002. 228 Tirolische Weistümer, 6. Teil, 2. Erg.bd., 1994, S. 289–290. 225
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Nicht definitiv verifizieren lässt sich hingegen die These Blickles von der Übernahme des gemeinen Nutzens als Legitimationsgrundlage durch die territoriale Gesetzgebung. Stimmt es tatsächlich, dass die Leitkategorie des „gemeinen Nutzens“ in kommunalen Satzungen schon lange belegt ist, bevor sie in der Landesgesetzgebung verankert wurde?229 Genau dieser zentrale Punkt, der eine Voraussetzung für die behauptete spätere „Verstaatlichung“ der aus dem kommunalen Umfeld kommenden Begründungsfigur des gemeinen Nutzens ist, lässt sich nicht schlüssig argumentieren. Zwei gewichtige Argumente sprechen dagegen: Frühe Quellenbelege für den gemeinen Nutzen bis in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts stammen überwiegend aus der territorialen Gesetzgebung. In Dorfordnungen und anderen ländlichen Rechtsquellen lässt sich der „gemeine Nutzen“ hingegen erst im 16. Jahrhundert in größerer Zahl nachweisen. Dies hängt freilich auch mit der Rechtsquelle „Dorfordnung“ zusammen, die von den Rechtsgenossen durch Einung gesetzt bzw. von einem für die Gesamtheit der Gemeindemitglieder handelnden Organ erlassen wird.230 Vor 1500 sind Dorfordnungen nur überaus spärlich und zudem regional unterschiedlich überliefert. Am besten ist die Überlieferungslage im Burggrafenamt: Von 57 Orten verfügen immerhin 25 über Dorfordnungen, von denen zwölf vor 1540, sieben sogar vor 1500 erlassen wurden.231 Von den 30 Gemeinden des Vinschgaus hatten zwar 24 Dorfordnungen, von denen jedoch nur zwei aus der Zeit vor 1540 stammten (nämlich von 1532 und 1538). Eine noch ausgeprägtere zeitliche Verschiebung erweist ein Blick auf das Oberinntal, wo zwar bei 64 Orten immerhin 43 Dorfordnungen vorliegen, von denen jedoch nur 12 aus der Zeit vor 1600 stammen. Gar bloß fünf datieren vor 1580.232 Ein ähnlicher Befund ergibt sich für das Unterinntal, wo bei 64 Orten 34 Dorfordnungen vorliegen, von denen jedoch nur fünf eine Entstehungszeit vor 1540 aufweisen und keine in die Zeit vor dem Bauernkrieg einzuordnen ist.233 Dies beweist vor allem eines: Selbst wenn man erhebliche Überlieferungslücken mit einkalkuliert, ist die genossenschaftliche Satzungstätigkeit in Landgemeinden vor 1500 wenig ausgeprägt. Stahleder zufolge zeigt sich ein deutlicher zeitlicher Vorsprung im Burggrafenamt als dem ehema ligen Herrschaftszentrum der Grafen von Tirol um das Stammschloss Tirol und die Stadt Meran, ohne dass er hierfür Gründe anführt. An dieser Stelle bleibt jedoch festzuhalten, dass die Satzungstätigkeit in Landgemeinden der Überlieferungslage zufolge im 15. Jahrhundert noch nicht sehr ausgeprägt war. Daher überrascht es nicht, dass der gemeine Nutzen im Zusammenhang mit genossenschaftlicher Rechtssetzung in Dorfgemeinden vor der Zeitenwende nicht aufscheint. Dies er 231 232 233 229 230
So pointiert Blickle, Kommunalismus, Parlamentarismus, Republikanismus, 1986, S. 542. Vgl. Stahleder, Weistümer und verwandte Quellen, 1969, S. 856–857. Vgl. Stahleder, Weistümer und verwandte Quellen, 1969, S. 851. Vgl. Stahleder, Weistümer und verwandte Quellen, 1969, S. 852. Vgl. Stahleder, Weistümer und verwandte Quellen, 1969, S. 852.
2. Der gemeine Nutzen als Leitkategorie der Gesetzgebung
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fasst auch Blickle, der dieses Dilemma auf methodisch etwas problematische Weise lösen möchte: Ausgehend von vereinzelten Erwähnungen des gemeinen Nutzens in anderen Kontexten im 15. Jahrhundert möchte er den erst für das 16. und 17. Jahrhundert eindeutigen Befund der zentralen Bedeutung des gemeinen Nutzens auf das 15. Jahrhundert zurückprojizieren: „Wiewohl die Taidinge mehrheitlich später abgefaßt sind, erlaubt doch die Gleichförmigkeit der Wortwahl über all die Jahrhunderte hinweg, den Gemeinnutz als Wert [...] als verbindlich auch für das 15. Jahrhundert anzunehmen.“234 Eine solche Vorgehensweise vermag allerdings nicht restlos zu überzeugen. Die „gute Policey“ findet so beispielsweise erst im 17. Jahrhundert in Tiroler ländliche Rechtsquellen Eingang und wird im 18. Jahrhundert ebenfalls häufig erwähnt. Daraus lässt sich jedoch nicht der Schluss ableiten, dass die „gute Policey“ bereits im 16. Jahrhundert eine Leitkategorie kommunaler ländlicher Rechtsetzung gewesen wäre. Der Befund einer sehr geringen Frequenz des Terminus „gemeiner Nutzen“ in ländlichen Rechtsquellen des 15. Jahrhunderts in Tirol spricht somit zunächst gegen die These Blickles von einer Übernahme des Begriffs durch die landesfürstliche Gesetzgebung, ist aber seinerseits aus zwei Gründen zu relativieren. So sind andere Belege für den Gebrauch des Terminus „gemeiner Nutzen“ außerhalb der landesfürstlichen Gesetzgebung respektive auf kommunaler Ebene im 15. Jahrhundert durchaus nachweisbar.235 Just die von Blickle angeführten Beispiele sind diesbezüglich jedoch unzutreffend: Wenn 1423 im Weistum des Gerichtes Schenna (Südtirol) als zentrale Aufgabe des Propstes – der vom Gerichtsinhaber mit Zustimmung der Gerichtsgemeinde einzusetzen ist – angeführt wird, er solle „der herrschaft und der gemain nutz sein“, ist „gemain“ nämlich nicht als attributives Attribut, sondern im Dativ Singular im Sinn von „Gerichtsgemeinde“ als Pendant zur „Herrschaft“ verwendet. Wenn die Stadt Lienz 1460 den Landesherren um die Erlassung einer Reihe von Policeybestimmungen bat, „daraus dann eurn furstleich gnaden, auch uns ain gemainer nutz entspringen mecht“236, ist dies ein Beleg für die Verwendung des Begriffs „gemeiner Nutzen“ im Zusammenhang mit der Gesetzgebung – doch nicht aus der Grafschaft Tirol, sondern aus der Vorderen Grafschaft Görz, zu der Lienz bis zum Tod des letzten Görzers Leonhard im Jahr 1500 gehörte. Ähnlich wie beim angeführten Weistum von Schenna wird in einer Brunecker Rechtsaufzeichnung aus dem ausgehenden 15. Jahrhundert festgelegt, dass der neu gewählte Bürgermeister einen Amtseid schwören müsse, stets das zu tun, was „einem herren von Brixen, dem gotshaus und der stat nutz und guet sei“.237 Aus der Eidesformel erhellt bereits, dass Bruneck damals bestenfalls im geographischen Sinn als Tiroler Stadt anzusprechen war, da sie zum Hochstift Brixen gehörte. 236 237 234 235
Blickle, Kommunalismus, Bd. 1, 2000, S. 100, Anm. 100. Vgl. auch Blickle, Kommunalismus, Bd. 1, 2000, S. 100. Tirolische Weistümer, 4. Teil, 2. Hälfte, 1891, S. 600. Tirolische Weistümer, 4. Teil, 1. Hälfte, 1888, S. 473.
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Diese Einwände ändern freilich nichts daran, dass in anderen Quellengattungen der „gemeine Nutzen“ sehr wohl als gängiges Argumentationsmuster aufscheint. An dieser Stelle sei nur auf ein Urteil des fürstlichen Kammergerichts in Innsbruck aus dem Jahr 1490 verwiesen, das in letzter Instanz in einem Rechtsstreit zwischen dem Gericht Gufidaun und einigen sich separierenden Grödner Gemeinden entschieden hatte. Das Gericht Gufidaun hatte Klage geführt, dass sich die Grödner Gemeinden einer Reihe von Aufgaben, die zum gemeinen Nutzen des gesamten Gerichts einschließlich der Grödner erfüllt würden, entziehen wollten.238 Fallweise (freilich nicht in der von Blickle nahe gelegten Häufigkeit) wird der gemeine Nutzen in landständischen Gravamina des 15. Jahrhunderts erwähnt. In den Gravamina des Jahres 1474 findet der gemeine Nutzen keine Erwähnung, bei den 44 Beschwerdepunkten der Gravamina von 1478 rekurriert die Landschaft nur zwei Mal auf den gemeinen Nutzen.239 Und selbst wenn „gemeiner Nutzen“ im 15. Jahrhundert noch nicht im Zusammenhang mit genossenschaftlicher Rechtssetzung im ländlichen Bereich belegt ist, sagt dies noch nichts über die Häufigkeit der Leitkategorie „gemeiner Nutzen“ im städtischen Bereich aus. In diesem Bereich stehen Forschungen noch aus. Zwei Umstände stimmen jedoch skeptisch, ob hier ein grundlegend vom ländlichen Bereich abweichender Befund hinsichtlich der Frequenz des gemeinen Nutzens in Rechtssetzungsakten zu erwarten wäre. Erstens zählen die Tiroler Städte im Spätmittelalter und in der Frühneuzeit fast ausschließlich zur Kategorie der Klein-, maximal (Innsbruck) zu jener der Mittelstädte. Zweitens ist die städtische Rechtssetzung gerade im 15. Jahrhundert nur rudimentär fassbar, da die für die Überlieferung zentralen Ratsprotokolle im Allgemeinen erst im 16. Jahrhundert einsetzen (z. B. Innsbruck 1526, Hall 1557). Bemerkenswert ist immerhin eine Formel, die bereits 1345 im Kontext mit dem städtischen Gesetzgebungsrecht der Hauptstadt Meran aufscheint und inhaltlich den erwähnten Beispielen aus Lienz und Bruneck ähnelt. Damals wurde urkundlich festgehalten, dass der Rat der Stadt Meran befugt sei, „ze setzen alles daz, daz der Herschaft und auch der Stat nutz und ere sei“240. Jedoch ist die Verwendung der Formel nicht der Stadt, sondern der Umgebung des Landesfürsten zuzuschreiben, scheint doch der Burggraf von Schloss Tirol als Aussteller der betreffenden Urkunde auf. Im Jahr 1358 bestätigt Ludwig von Brandenburg das Satzungsrecht des Meraner Stadtrats mit ganz ähnlichen Worten.241 Sehr frequent ist die Erwähnung des „gemeinen Nutzens“ in ländlichen und städtischen Tiroler Rechtsquellen des Spätmittelalters somit nicht. Auffällig bleibt TLA, Ferdinandea, Karton 216, Pos. 222, 1490 Juli 28. TLA, LLTA, Fasz. 1, Landtag 1478, Landtagsgravamina (21. und 30. Beschwerdepunkt; Letzterer fordert z. B. ein Verbot des ‚Fürkaufs’, der ainen gemainen nutz des landes verhinderen und verderben mag). 240 Zit. nach Stampfer, Geschichte von Meran, 1889, S. 356. 241 Vgl. Stampfer, Geschichte von Meran, 1889, S. 359. 238 239
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demgegenüber, wie häufig und wie früh man den Begriff „gemeiner Nutzen“ in landesfürstlichen Gesetzgebungsakten als leitende Ordnungsvorstellung antreffen kann. Ein sehr frühes und zu diesem Zeitpunkt noch singuläres Beispiel stellt das nur fragmentarisch erhaltene Landrecht Meinhards II. von 1286/1289 dar.242 Ein erstes Bruchstück des Landrechts ist in einem Transsumpt des Notars Otto, das dieser 1289 mit Erlaubnis des Landrichters von Gries und Bozen angefertigt hat, überliefert und enthält die für uns wesentliche Passage. In der Narratio führt Meinhard II. nämlich aus, dass er das Landrecht „mit ersamer weiser leute und weiser dienstmanne rat [...] der g epesserung e und g emeinen nutz aller leute g emeinlich“243 erlassen habe. Die Arbeits- und Lohnordnung Markgraf Ludwigs von Brandenburg für Tirol von 1349 weist in ihrer Narratio aus, dass Ludwig „durch gemainen frumen und nucz unser und dez Landes und menniclichs, edeler und unedeler, purger, reicher und armer, die in dem Lande geseezzen sint [...] ain gemains gesatzt und gepot gemachet“ habe.244 Fast dieselben Worte verwendet die Ordnung Ludwigs von 1352, die ebenfalls „durch gemeinen frum und nutz unser und des Landes gesetzet und gemachet“ worden ist.245 Besonders instruktiv ist der Vergleich mit der Lohn- und Preisordnung der Stadt Meran von 1352, die den „gemeinen Nutzen“ nicht erwähnt.246 Zumindest sinngemäß kehrt das Gemeinwohlmotiv im Freiheitsbrief von 1404 wieder, der der Arenga zufolge sowohl dem Landesfürsten als auch dem Land „aufnemen und frumen“ bringen sollte.247 Die Ordnung des Kornhandels im Vinschgau von 1416 führt die dem Gesetz vorangegangenen Supplikationen an, die mit Verweis auf Gots und gemayns landes nucz um eine normative Regelung baten.248 Ein Verbot des ‚Fürkaufs’ von 1453 betont dessen preistreiberische Folgen, weshalb er den gemainen nücz verhinderen würde.249 Damit wird eine Wendung aufgegriffen, die sich bereits zwei Jahre zuvor in einer materiell übergreifenden Ordnung Siegmunds findet.250 Nicht zur Rechtssetzung zählt der fünfjährige Landfrieden, den Herzog Siegmund und Graf Leonhard von Görz 1462 „umb gemaines Nuz. frids. und gemachs willen. unnser Lannde und Leüth“ abschlossen.251 Als Herzog Siegmund im Jahr zuvor der Gemeinde Matrei Vgl. hierzu Wiesflecker, Meinhard der Zweite, 21995, S. 178–180; Stolz, Land und Landesfürst, 1942, S. 220–221; Wiesflecker, Landrecht Meinhards II., 1969; Wiesflecker, Bruchstück, 1954; Palme, Meinhard II., 1995, S. 685–686; Obermair, Landrecht, 1995, S. 130. 243 ������������������������������������������������������������������������������������������ Edition bei Stolz, Ausbreitung des Deutschtums, Bd. 3/2, 1932, S. 18–19, Zitat S. 19 (Hervorhebung M. S.). 244 Zit. nach Moeser, Wirtschaftsordnungen, 1959, S. 255. 245 Zit. nach Moeser, Wirtschaftsordnungen, 1959, S. 257. 246 Vgl. die Edition bei Moeser, Wirtschaftsordnungen, 1959, S. 260–263. 247 Zit. nach der Edition bei Schober, Urkunden, 1990, S. 11–15, Zitat S. 11. 248 StAM, Urkunde A/I/142, 1416 Sept. 12. 249 Zit. nach Steinegger, Münz- und Wirtschaftsordnung, 1994, S. 52. 250 Vgl. die Edition bei Schober, Urkunden, 1990, S. 25–27, hier S. 26. 251 ������������������������������������������������������������������������������������������� Zit. nach Brandis, Landeshauptleute, 1847/1850, S. 255 (initiales „v“ dem Lautwert entsprechend als „u“ wiedergegeben). 242
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VI. Leitkategorien und Ordungskategorien der Gesetzgebung
eine Rodungsbewilligung erteilte, nutzte er die Arenga zu einer herrscherlichen Selbststilisierung: Als Landesfürst würde er „aus sunder Miltigkeit unser Undertanen gemainen Nucz furnemen“.252 In der Verleihungsurkunde eines Wochenmarkts für Borgo in der Valsugana von 1473 führt der Herzog als Rechtfertigung für die Privilegienausstellung an, „damit ein gemainer Nutz gefurdert werde.“253 Exakt dieselbe Formulierung tritt in einem Privileg für einen Empfänger in San Michele aus demselben Jahr auf.254 Die Intensivierung der landesfürstlichen Gesetzgebung ab den siebziger Jahren des 15. Jahrhunderts führt konsequenterweise zu einem Anstieg der Nennungen des gemeinen Nutzens als Leitmotiv der legislativen Tätigkeit. Die Anordnung eines periodischen Austauschs der Gerichtsgeschworenen im Gericht Salurn erfolgt 1471 gemains nucz wegen,255 die Getreidehortung gereicht „zu abpruch und hynndrung gemains nutz“ und wird daher gesetzlich untersagt,256 die bisher wider den gemainen nucz gerichteten Geschäftspraktiken ambulanter Händler werden reguliert,257 die Sterzinger Ordnung von 1496 verweist allgemein auf früher erlassene Gesetze, die zur Förderung des gemeinen Nutzens ergangen seien,258 die Tiroler Halsgerichtsordnung von 1499 wird als dem gemainen nucz dienstlich qualifiziert.259 Auch im 16. und 17. Jahrhundert lassen sich, angefangen von den Landesordnungen von 1526, 1532 und 1573, zahlreiche Rechtssetzungsakte finden, deren Erlass mit dem Hinweis auf den anzustrebenden „gemeinen Nutzen“ gerechtfertigt wird.260 Auffällig bei der inhaltlichen Analyse der Tiroler Gesetzgebungsakten ist die im Vergleich weitgehende Absenz der „necessitas“ (der „Notdurft“) als Topos zur Legitimation landesfürstlicher Gesetzgebung. Pichler hat zwar nachdrücklich auf den ausgesprochen engen Konnex zwischen Gemeinwohl und necessitas im Rahmen
Zit. nach Stolz, Land und Landesfürst, 1942, S. 229. Stolz, Land und Landesfürst, 1942, S. 230. 254 Vgl. Stolz, Land und Landesfürst, 1942, S. 230–231. 255 �������������������������������������������������������������������������������������������� TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 1, Lit. F, fol. 137r–138r, 1471 Okt. 25; Edition bei Stolz, Ausbreitung des Deutschtums, Bd. 2, 1928, S. 271–272, hier S. 271. 256 Gesetz von 1491 Okt. 25, zit. nach Schmidt, Halsgerichtsordnungen, 1949, S. 121. 257 TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 17, Lit. Q, S. 82–83, 1494 Sept. 24. 258 Vgl. Schmidt, Halsgerichtsordnungen, 1949, S. 132. 259 TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 24, Lit. W, fol. 53, 1501 Jan. 8. 260 Vgl. z. B. TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 24, Lit. W, fol. 68v–69r, 1501 Nov. 24; TLA, BT, Bd. 3, fol. 251, 1534 Febr. 21; TLA, BT, Bd. 9, fol. 454, 1568 Dez. (ohne nähere Datierung); TLA, BT, Bd. 10, fol. 673r–674v, 1577 Febr. 20; auch der Vertrag zwischen dem Hochstift Trient und der Grafschaft Tirol über die sicherheitspoliceyliche Zusammenarbeit bei der Verbrechensbekämpfung (worin unter anderem eine grenzüberschreitende „Nacheile“ bei der Verfolgung eines Täters bis zu drei Meilen jenseits der Grenze und eine Auslieferungspflicht von bestimmten Straftätern vorgesehen waren) berief sich einleitend auf den „gemeinen Nutzen“ (vgl. TLA, CD 1598, fol. 587v–588r). 252 253
2. Der gemeine Nutzen als Leitkategorie der Gesetzgebung
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der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gesetzgebung hingewiesen,261 die im Tiroler Quellenmaterial jedoch nur in geringem Ausmaß manifest wird. Hier dominiert klar der gemeine Nutzen als Begründungsfigur und leitende Ordnungsvorstellung der Gesetzgebung, wenngleich sich vereinzelte Belege für das Motiv der Notdurft durchaus finden lassen. 1482 wird beispielsweise erklärt, dass der gesetzlich vorgeschriebene Ersatz der Pferdefuhrwägen durch Ochsengespanne als von mercklicher notdurft dicz unsers lands induziert sei,262 1525 wird die Brandrodung der notturfft nach untersagt.263 Im Übrigen taucht der Begriff der „Notdurft“ in Tiroler Gesetzen weniger als deren Legitimation als vielmehr in zwei anderen Kontexten auf. Erstens dient der Rechtsbegriff „Notdurft“ (bzw. konkretisiert die „Hausnotdurft“) der inhaltlichen Fixierung von Rechten, die in einem bestimmten Umfang – nämlich zur Deckung des Eigenbedarfs – von einer gesetzlichen Regelung unberührt bleiben sollen.264 Einschlägige Verwendungen des Begriffs „Notdurft“ bzw. „Hausnotdurft“ sind vom 15. Jahrhundert an überaus häufig.265 Zweitens wird auf diese Weise das Ausmaß bzw. die Zielrichtungen von poenae arbitrariae in Policeygesetzen konkretisiert. Ohne Vorschreibung einer bestimmten Strafhöhe oder Strafart wird die lokale Obrigkeit angewiesen, den Umständen des Einzelfalls und dem Telos des Gesetzes entsprechend adäquate Strafen auszusprechen. Die poena arbitraria, die gerade im Bereich des Policeyrechts die häufigste Strafdrohung ist, weist die jeweils zur Vollziehung berufenen Organe formelhaft an, Übertreter des Gesetzes der notdurft nach bzw. notdurftiglichen zu strafen.266 Dies ermöglicht in der Strafpraxis eine außerordentlich große Flexibilität.267
263 264 265
Vgl. Pichler, Necessitas, 1983. TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 4, Lit. C, fol. 279v, 1482 April 29. TLA, BT, Bd. 1, fol. 76v–77r, 1525 Mai 8. Blickle R., Hausnotdurft, 1987; Blickle, Bauernaufstände, 2007, S. 358–359. Vgl. schon den Freiheitsbrief von 1404 Okt. 23 nach der Edition bei Schober, Urkunden, 1990, S. 11–15, hier S. 15 (jeder „Landmann“ dürfte zu seiner Notdurft, jedoch nicht zum Weiterverkauf Korn kaufen); ferner z. B. StAM, Urkunde A/I/301, 1474 Juni 29; TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 3, Lit. B, fol. 48v, 1481 Okt. 1; TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 24, Lit. W, fol. 68v–69r, 1501 Nov. 24; TLA, BT, Bd. 1, fol. 426v–427r, 1524 April 13; TLA, BT, Bd. 2, fol. 70v–71r, 1528 Aug. 4; TLA, BT, Bd. 6, fol. 197v–199r, 1552 Mai 2; TLA, BT, Bd. 6, fol. 37v, 1560 April 27; TLMF, FB 6197, Nr. 47, 1571 April 3; TLA, LLTA, Fasz. 10, Bund 3, 1602 Mai 24; TLA, Landgericht Steinach, Akten, Fasz. 84, Lit. O, Chronologische Mandatsreihe, 1619 Dez. 30. 266 Vgl. z. B. TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 15, Lit. O, fol. 75, 1492 Aug. 3; Nr. 16, Lit. P, S. 99, 1493 April 23; TLA, BT, Bd. 4, fol. 344, 1538 Nov. 29; TLA, BT, Bd. 5, fol. 123, 1542 Aug. 18; TLMF, FB 6197, Nr. 24, 1554 Jan. 4. 267 ����������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. auch allgemein Härter, Policey und Strafjustiz, 2. Teilbd., 2005, S. 587–588; Härter, Verhältnis von Policey und Strafrecht, 2000, S. 200–201; Härter, Freiheitsentziehende Sanktionen, 2003, S. 68. 261 262
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VI. Leitkategorien und Ordungskategorien der Gesetzgebung
3. Subsidiarität als Ordnungsprinzip 3. 1. Allgemeines Ob im politischen Diskurs auf europäischer und nationaler Ebene, ob in der rechtsund staatswissenschaftlichen Literatur, ob in der (rechts)historischen Forschung – seit den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts sind das Reden und Schreiben über das Subsidiaritätsprinzip en vogue.268 Als Katalysator für diese „Renaissance des Subsidiaritätsprinzips“269 fungierten dabei wohl primär die durch den europäischen Integrationsprozess forcierten, intensiven Diskussionen über eine optimale Aufgaben- bzw. Zuständigkeitsverteilung zwischen verschiedenen Ebenen. Auf europäischer Ebene ging und geht es um die brisante Frage der Kompetenzver teilung zwischen Union und Nationalstaaten, wo das Subsidiaritätsprinzip – nicht zuletzt aufgrund der Initiative der deutschen Länder, die dadurch im Sinne einer „Föderalismussicherung“ eine weitere Aushöhlung ihrer Kompetenzen verhindern wollten270 – durch den Vertrag von Maastricht 1993 Eingang in das Gemeinschaftsrecht gefunden hat. Art. 5 Abs. 2 EGV statuiert, dass die Gemeinschaft in nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallenden Bereichen nur tätig wird, sofern und soweit die Ziele der anvisierten Maßnahmen auf mitgliedsstaatlicher Ebene nicht ausreichend realisiert und folglich wegen Umfangs oder Wirkungen besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können.271 Wenngleich eine Verletzung des Subsidiaritätsgrundsatzes durch Gemeinschaftsorgane demnach Gegenstand eines Vertragsverletzungsverfahrens sein kann, erweist sich Art. 5 Abs. 2 EGV als schwer justiziabel.272 Zeitgleich gab und gibt es auch innerstaatliche Diskussionen um Kompetenzverteilungen und Aufgabenwahrnehmungen zwischen der zentralstaatlichen Ebene und regionalen Einheiten.273 Im Rahmen dieser Diskurse erwies und erweist sich das semantische Feld des Lexems „Subsidiarität“ als außerordentlich weit, kann „Subsidiarität“ als Projektionsfläche durchaus divergierender gesellschaftlicher, politischer und rechtlicher Vgl. stellvertretend nur Isensee, Subsidiaritätsprinzip, 22001, sowie die Sammelbände Gamper/Bußjäger (Hg.), Subsidiarität anwenden, 2006; Blickle/Hüglin/Wyduckel (Hg.), Subsidiarität als rechtliches und politisches Ordnungsprinzip, 2002; Nörr/Oppermann (Hg.), Subsidiarität, 1997; Rauscher (Hg.), Subsidiarität, 2000. 269 So der von Gamper, Subsidiarität und Kompetenztheorie, 2006, S. 109, gewählte Ausdruck. 270 Vgl. Laufer/Fischer, Föderalismus als Strukturprinzip, 1996, S. 87; Oppermann, Subsidiaritäts prinzip, 1997, S. 217–218; Pernthaler, (Kon‑)Föderalismus und Regionalismus, 1999, S. 60. 271 Vgl. z. B. Isensee, Subsidiarität, 2002, S. 151–154. 272 Vgl. zuletzt Ranacher, Subsidiaritätsprinzip in der Rechtsprechung, 2006. 273 ������������������������������������������������������������������������������������ Vgl. Gamper, Regionen mit Gesetzgebungshoheit, 2004; für die Bundesrepublik Deutschland z. B. Oppermann, Subsidiarität, 1997. 268
3. Subsidiarität als Ordnungsprinzip
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Ordnungsvorstellungen herangezogen werden.274 In seiner Vagheit und Offenheit bietet sich das Subsidiaritätsprinzip als Konsens stiftender Bezugspunkt an, ohne dass damit notwendigerweise viele inhaltliche Festlegungen verbunden sind – über die konkrete Zuweisung bestimmter Zuständigkeiten an die unterschiedlichen Ebenen eines Gemeinwesens ist durch die bloße Einigung über die Wichtigkeit des Subsidiaritätsgrundsatzes noch wenig gesagt.275 Definitorisch ist das Subsidiaritätsprinzip – soviel kann als gemeinsamer Nenner festgehalten werden – „ein staats- und gesellschaftspolitischer Ordnungsgrundsatz über den Aufbau mehrgliedriger Gemeinwesen ‚von unten nach oben’“.276 Dabei wird die Zuordnung einer bestimmten Aufgabe an eine untergeordnete Ebene regelmäßig dann postuliert, wenn diese eine Aufgabe aus eigenen Kräften besser als eine übergeordnete Einheit wahrnehmen könne. In diesem Zusammenhang erfreut sich übrigens der Rückgriff auf die einschlägigen, in der Tradition der katholischen Soziallehre stehenden Ausführungen der päpstlichen Enzyklika „Quadragesimo anno“ (1931) besonderer Beliebtheit.277 Die soeben nur angedeuteten Diskurse einschließlich ihrer (verfassungs)rechtlichen Resultate wirkten als Stimulans für verstärkte historische Forschungen. Diese stießen jedoch nicht auf ein Vakuum, sondern konnten an eine bis Otto von Gierke zurückreichende, am Genossenschaftsgedanken ausgerichtete Verfassungs- und Geschichtsinterpretation anknüpfen,278 deren prominentester Vertreter in den letzten Jahrzehnten Peter Blickle war. Vornehmlich anhand von Beispielen aus dem oberdeutschen Raum gelang es Blickle, die schließlich im Konzept des „Kommunalismus“ methodisch fundierte, herausragende Bedeutung der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen (Land-)Gemeinden nicht nur für die Ordnung des alltäglichen Zusammenlebens, sondern vor allem für die Staatswerdung nachzuweisen.279 Durch die Repräsentation der Gemeinden auf Landtagen, durch die Landschaften
Vgl. Baumgartner, Begründung der Subsidiarität, 1997, S. 13–14. Auf den „Schlagwortcharakter“ des Terminus Subsidiarität macht z. B. auch aufmerksam Pernthaler, (Kon‑)Föderalismus und Regionalismus, 1999, S. 56. 276 So Pernthaler, Bundesstaatsrecht, 2004, S. 216 (Kursivierung der Vorlage nicht übernom men). 277 Vgl. nur Isensee, Subsidiarität, 2002, S. 130–131; Hense, Subsidiaritätsprinzip, 2002, S. 406– 407; Gamper, Subsidiarität und Kompetenztheorie, 2006, S. 111; Baumgartner, Begründung der Subsidiarität, 1997, S. 15; trotz der lange zurückreichenden Traditionslinie des Subsidiaritätsprinzips in der katholischen Soziallehre führte gerade die Enzyklika von Papst Pius XI. zu einer starken Intensivierung der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Subsidiaritätsprinzip (vgl. die Hinweise bei Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, 1957, S. 429, Anm. 21, sowie S. 431). 278 ����������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Willoweit, Genossenschaftsprinzip, 1986; ausführlich zudem Blickle, Gierke als Referenz?, 1995; Fell, Origins of Legislative Sovereignty, 1991, S. 36–37. 279 Vgl. v. a. Blickle, Kommunalismus, 2 Bde, 2000; kürzer und programmatisch Blickle, Mit den Gemeinden Staat machen, 1998, hier bes. S. 18–20. 274 275
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VI. Leitkategorien und Ordungskategorien der Gesetzgebung
als „Korporationen von Untertanen“280 gelang es ihnen, in erheblichem Ausmaß auf den Staatswerdungsprozess und in diesem Zusammenhang auch auf den Gesetzgebungsprozess einzuwirken. Die grundsätzliche Frage, ob es während des Untersuchungszeitraums Ordnungsvorstellungen gab, die inhaltlich dem entsprechen, was nunmehr mit dem Terminus „Subsidiaritätsprinzip“ ebenso konzis wie verschwommen zum Ausdruck gebracht wird, ist mit Blick auf die Forschungslage somit vorbehaltlos zu bejahen. Bestärkt wird eine solche Aussage durch einen Blick auf die zeitgenössische staatsrechtliche Literatur, namentlich auf das 1603 erschienene Werk „Politica“ des Johannes Althusius.281 Dieser geht, wie bereits in einem anderen Kontext dargelegt wurde, bei seiner Betrachtung des menschlichen Zusammenlebens nicht von der Souveränität des Herrschers, sondern von den lokalen und ständischen Gewalten aus und entwickelt darauf aufbauend eine genossenschaftlich orientierte Staatstheorie, deren Fundament die „consociatio“, der freiwillige Zusammenschluss der Menschen, darstellt. So intensiv sich jedoch gerade die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Œuvre Althusius’ ausnimmt, so unbefriedigend erscheint noch immer der Forschungsstand, wenn es um die Frage nach den konkreten Auswirkungen von am Subsidiaritätsprinzip orientierten Ordnungsvorstellungen auf den spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gesetzgebungsprozess geht. Immerhin haben die Forschungen zur „guten Policey“ deutlich vor Augen geführt, dass im Bereich des Heiligen Römischen Reichs die territoriale Gesetzgebung inhaltlich in hohem Maße durch die signifikant früher einsetzende kommunale (genossenschaftliche) Rechtssetzung präfiguriert wurde.282 Nicht nur, aber nicht zuletzt hiervon ausgehend drängt sich die Interpretation der frühneuzeitlichen Gesetzgebungsgeschichte als eines teleologisch auf das Ziel eines landesfürstlichen (staatlichen) Gesetzgebungsmonopols ausgerichteten Prozesses auf. Arno Strohmeyer sah im Bestreben der Landesherren, sich in ihren Territorien ein Ge setzgebungsmonopol zu verschaffen und „andere Recht erzeugende Quellen zum Versiegen zu bringen“ – womit neben dem Gewohnheitsrecht auch das autonome Satzungsrecht lokaler Einheiten gemeint ist – gar einen rechtshistorischen Funda So Blickle, Politische Landschaften, 2000, S. 15. Vgl. zum Folgenden v. a. die Sammelbände Carney/Schilling/Wyduckel, Jurisprudenz, 2004; Bonfatti/Duso/Scattola, Politische Begriffe und historisches Umfeld, 2002; Duso/Krawietz/ Wyduckel, Konsens und Konsoziation, 1997; ferner Adamovà, Souveränität und Gesamtstaat, 2002; Blickle, „Consociatio“ bei Althusius, 2002; zusammenfassend noch immer Wyduckel, Princeps, 1979, S. 19–21; Wyduckel, Ius publicum, 1980, S. 137–139; ferner Winters, „Politik“ des Althusius, 1963. 282 ��������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Maier, Staats- und Verwaltungslehre, 2009, S. 113–114; Buchholz, Anfänge der Sozialdiziplinierung, 1991, bes. S. 130–313; Dubach, Policey auf dem Lande, 2004, S. 414 (mit weiteren Literaturhinweisen); vgl. aber auch schon Oestreich, Policey und Prudentia civilis, 1969, S. 368–369 und 374; Raeff, Well-Ordered Police State, 1983, S. 167 und 169; Preu, Polizeibegriff und Staatszwecklehre, 1983, S. 31–32. 280 281
3. Subsidiarität als Ordnungsprinzip
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mentalvorgang.283 Diese im Kern richtige These lässt zwar zumindest implizit die Verlagerung von legislativen Kompetenzen auf eine höhere, staatliche Ebene als evolutionäre Notwendigkeit erscheinen. Sie wird allerdings vom gerade von der rechtshistorischen Forschung aufgrund von Untersuchungen zur Rangordnung von Rechtsquellen gelieferten Befund bekräftigt, wonach Rechtssetzungsakte regionaler Einheiten im Verlauf der Frühneuzeit immer mehr in den Ingerenzbereich des Landesfürsten geraten. So gelangt Bernd Schildt für den frühneuzeitlichen thüringischen Raum zum Urteil: „Die Dorfordnungen selbst sind im Grunde nur eine spezifische lokale Form landesherrlicher Gesetzgebung.“284 Aufgrund der ausgezeichneten Quellenlage bietet sich das Tiroler Beispiel zu einer näheren Untersuchung der Fragen an, welche Rolle dem Subsidiaritätsprinzip in der Tiroler Gesetzgebung zukam und welche Wandlungs- und Verschiebungsprozesse während des Betrachtungszeitraums konkret auszumachen sind. Weillen die gebreich [...] durchgehennt nit gleich, sonnder nach eines ieden orths commoditet und gelegenhait gehalten, als wirdet nit wol annders gesein khinden, dann ieder statt, gericht, dorf oder gemaind ire bishero gehabte observationes zu lassen, allain die fürlaufende excess dabei abzustellen.285 Diese Passage findet sich in einem Gutachten der Landstände aus dem Jahr 1653 über die Reform der Tiroler Policeyordnung, die einen Kerngedanken der Subsidiarität treffend auf den Punkt bringt: Der Landesgesetzgeber solle, ja dürfe nicht in jeder Materie eine einheitliche Regelung erlassen, da lokale Regelungen den örtlichen Rahmenbedingungen angemessener sein können. Die Rolle des Landesgesetzgebers müsse sich auf eine Aufsichtsfunktion beschränken, indem er nur wahrgenommene Defizite (excess) abzustellen habe. Ist eine solche Aussage aus dem Jahr 1653 jedoch repräsentativ? Zunächst drängt sich der Einwand auf, dass das oben zitierte Postulat von den Landständen formuliert wurde, deren Interessen anders gelagert waren als die des Landesfürsten bzw. der Innsbrucker Zentralbehörden, speziell der oberösterreichischen Regierung. Dass dieser Einwand nicht zutrifft, zeigt ein Blick auf eine Reihe von programmatischen Äußerungen der Regierung im Zuge der Vorbereitung von Gesetzgebungsakten. Als Erzherzog Ferdinand II. 1577 die Erlassung einer Handwerksordnung vorschlug, die nicht nur in der Residenzstadt Innsbruck gelten, sonder durchs ganncz lannd publiciert und darob gehalten werden solle, wies die Regierung mit Nachdruck auf die Unmöglichkeit eines solchen Vorhabens hin. Eine derartige Ordnung würde sich ihrer Meinung nach nit thuen lassen. Sie müsste nämlich auf eine Weise konzipiert sein, wie dies die glegenhait und notturfft ains yeden ortes erfor Strohmeyer, Disziplinierung der Vergangenheit, 2002, S. 125. Schildt, Bauer – Gemeinde – Nachbarschaft, 1996, S. 73. 285 TLMF, FB 5028, S. 561–735, hier S. 722, 1653 April 24. 283 284
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VI. Leitkategorien und Ordungskategorien der Gesetzgebung
derte, welliches wir, wie es die glegenhait unnd notturfft aines yeden orts geben würde, nit wissen khünden.286 Wenn man eine entsprechende Regelung für notwendig erachte, solle man vielmehr den lokalen Obrigkeiten die Weisung geben, gemeinsam mit Vertretern der Untertanen diesbezügliche Normenkomplexe auszuarbeiten – was Ferdinand II. in der Folge auch veranlasste.287 1616/1617 kam der Geheime Rat bei der Vorbereitung einer landesweiten Gerichtskostenordnung zu einem ähnlichen Schluss: Man könne sich eines gewissen allgemeinen modi nit vergleichen, [...] weiln es mit verschaidenen gerichten auch underschidliche beschaffenhait habe, weshalb jedes Gericht (hier im Sinne des genossenschaftlichen Verbandes verstanden) sinnvollerweise selbst eine Ordnung erlassen solle.288 Nur wenn sich vor Ort unüberbrückbare Interessendivergenzen zwischen dem Gerichtspersonal und den Gerichtsausschüssen zeigten, solle sich die Regierung (im nördlichen Tirol) bzw. der Landeshauptmann (im südlichen Tirol) vermittelnd einschalten.289 Die Relevanz des Subsidiaritätsprinzips als Ordnungsgrundsatz der Tiroler Gesetzgebung in der Frühen Neuzeit vermag zudem ein Blick in die Tiroler Landesordnung zu untermauern. Im 81. Titel des 6. Buchs der Tiroler Landesordnung von 1573 wird beispielsweise im Anschluss an die in den vorangehenden Titeln enthaltene PeckenOrdnung des Brotbachen (Tiroler Landesordnung von 1573, Buch 6, Tit. 75–80) nicht nur festgeschrieben, dass die lokalen Obrigkeiten in Städten und Gerichten die vorherigen Bestimmungen dynamisch yederzeyt / nach gelegenhait der thewrn oder wolfailn Traidtkeuff [...] Regulieren sollten. Außerdem sollten nicht nur bereits bestehende, sondern auch zukünftige lokale Ordnungen der in der Landesordnung enthaltenen Ordnung vorgehen: Wo aber in Stetten unnd Gerichten [...] ain mer Nutzlichere Ordnung fürgenommen [...] darbey solle es auch beleiben. Die Beurteilung der entscheidenden Frage, wann eine im Vergleich zur Landesordnung mer Nutzlichere Ordnung vorliege, blieb den Rechtsanwendern vor Ort überlassen. Dabei wurden die stets gegebene Option der Supplikation an den Landesfürsten für diejenigen, die sich durch eine lokale Ordnung benachteiligt fühlten, und die in der Folge mögliche inhaltliche Überprüfung der regionalen Ordnung durch die Zentrale offensichtlich als ausreichende Regulative angesehen. Bei der angeführten Klausel des 81. Titels des 6. Buchs der Tiroler Landesordnung von 1573, die den in der Landesordnung enthaltenen Bestimmungen nur eine subsidiäre Geltung für den Fall des Fehlens oder der mangelhaften Qualität einer lokalen Ordnung zugestand, lässt sich zwar nachweisen, dass sie in Inhalt und Tex ����������������������������������������������������������������������������������������� TLA, VfD 1577, fol. 765, 1577 Aug. 14; die Stellungnahme der Regierung (aus der die angeführten Zitate entnommen sind) findet sich in TLA, AfD 1577, fol. 629. 287 Vgl. TLA, VfD 1577, fol. 779, 1577 Sept. 12. 288 Zit. nach TLA, BT, Bd. 17, fol. 227, 1617 Jan. 5. 289 Vgl. auch TLA, GR, AS, Einlauf in Regimentssachen, 1617 Jan. 11; TLA, BT, Bd. 17, fol. 238v, 1617 April 8. 286
3. Subsidiarität als Ordnungsprinzip
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tierung auf einen Ergänzungsvorschlag der Tiroler Landschaft zurückgeht.290 Wie selbstverständlich es für den frühneuzeitlichen Gesetzgeber war, dass bestimmte Ordnungsaufgaben besser von untergeordneten Ebenen wahrgenommen werden sollten, fand jedoch schon in der Tiroler Landesordnung von 1532 seinen Nieder schlag, wo wiederholt auf lokale Ordnungen bzw. Regelungen Bezug genommen wird. Dies geschieht durch unterschiedliche legistische Techniken, die an anderer Stelle noch eingehend zu besprechen sein werden:291 Ein Titel der Landesordnung kann so hinsichtlich einer Regelung summarisch auf bestehende örtliche Ordnungen verweisen bzw. diese nur durch einzelne Bestimmungen ergänzen. Die Tiroler Landesordnung von 1532, Buch 4, Titel 2, verweist so bezüglich der Nutzung des Gemeindeguts, dass diese nach ainer yeden Gemaind ordnung erfolgen solle, schreibt aber gleichzeitig vor, dass einzelne genannte Personengruppen wie auswärtige Kaufleute jedenfalls von der Nutzung ausgeschlossen seien.292 Die Landesordnung kann jedoch auch vorschreiben, dass die zuständigen lokalen Organe eine Ordnung mit einem bestimmten Inhalt zu erlassen hätten (Rahmengesetzgebung). Der 4. Titel des 6. Buchs der Tiroler Landesordnung von 1573 statuiert beispielsweise, dass betreffend Wirte und Weinschenken und ihres Verhältnisses zu ihren Kunden in allen Stetten unnd Gerichten / Märckten und Dörffern / gůte ordnung und Gesetz gemacht werden sollten.293 Soviel lässt sich schon aufgrund dieser Belegstellen konstatieren: An der grundsätzlichen Anerkennung des Prinzips, dass der Landesfürst als territorialer Gesetzgeber und die landesfürstlichen Zentralbehörden nicht alle gesetzlichen (und in weiterer Folge administrativen) Aufgaben selbst wahrnehmen sollen und auch gar nicht optimal wahrnehmen können, kann während des gesamten Untersuchungszeitraums kein Zweifel bestehen. Die Begründungen für dieses grundsätzlich außer Frage stehende Phänomen mögen dabei allenfalls variiert haben. Für die Landstände, namentlich für die besonders betroffenen Städte und Gerichte, ging es hierbei sicherlich maßgeblich um die Bewahrung von Autonomie, wobei „Autonomie“ in diesem Kontext seiner etymologischen Herkunft entsprechend interpretiert werden kann: Ihnen ging es wohl wesentlich auch um das Bewahren einer eigenständigen Rechtssetzungsbefugnis. Während aus ständischer Perspektive somit „Subsidiarität“ im Sinn der Bewahrung einer (weitgehend) autonom auszuübenden Kompetenz zur normativen Regelung der Angelegenheiten des engeren Lebensbereichs wahrgenommen wurde, dürften aus Sicht der oberösterreichischen Regierung pragmatischere Überlegungen im Zentrum gestanden haben. Schon die angeführten Zitate legen nahe, dass sich die Regierungsräte an Effizienz- und Op timierungsgeboten orientierten. Die normative Regelung einer bestimmten Materie ������������������������������������������������������������������������������������������ TLA, Landschaftliche Landtagsakten, Fasz. 1, Nr. 12b/II, 1573 (ohne nähere Datierung) (Anmerkungen der Landstände zum vorliegenden Entwurf der Landes- und Policeyordnung). 291 Vgl. Kap. VI.3.2.2.3.2. 292 Ähnlich z. B. TLO 1532, Buch 4, Tit. 5 oder Tit. 19. 293 Ähnlich z. B. TLO 1532, Buch 6, Tit. 35. 290
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VI. Leitkategorien und Ordungskategorien der Gesetzgebung
sollte jener Ebene zukommen, die diese Aufgabe am zweckmäßigsten wahrnehmen kann, was bei einer größeren Sachnähe zum Regelungsgegenstand ohne weiteres auch hierarchisch unterhalb des Landesfürsten bzw. der landesfürstlichen Zentralbehörden angesiedelte Ebenen mit autonomen Rechtssetzungskompetenzen sein konnten.294 Am Resultat, der Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips für die frühneuzeitliche Gesetzgebung, ändern derartige unterschiedliche Akzente in der Bewertung durch die historischen Akteure jedoch nichts. Die Relevanz des Subsidiaritätsprinzips für die spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Verwaltungs- und Gesetzgebungspraxis kann dabei folgendermaßen auf den Punkt gebracht werden (wobei die Ähnlichkeit mit definitorischen Ansätzen des 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts ins Auge sticht): Sowohl legislative als auch administrative Aufgaben sind vornehmlich von jener Ebene wahrzunehmen, die diese Aufgabe am besten und zielführendsten erfüllen kann. Diese Sichtweise impliziert eine gewisse Dynamik. Mit der Expansion des staatlichen bzw. territorialen Verwaltungsapparates konnten die Voraussetzungen für eine optimale Aufgabenwahrnehmung einer Wandlung unterliegen. Eine mit den der Zentrale im 15. Jahrhundert zur Verfügung stehenden administrativen Ressourcen unmöglich befriedigend wahrzunehmende Aufgabe konnte sich aufgrund der allgemeinen Verdichtung staatlicher Aktivität im Verlauf der Jahrhunderte in zunehmendem Maß als Materie erweisen, die zentralstaatlichen Ingerenzbestrebungen offen stand. Zudem eröffnet die angeführte Perspektive einen Blick auf die machtpolitische Komponente der Zuständigkeitsverteilung zwischen den verschiedenen Ebenen. Jene Ebene erfährt einen Machtzuwachs, die für alle Beteiligten verbindlich die maßgeblichen Kriterien festlegen kann, wann eine optimale Aufgabenerfüllung gegeben ist. Trotz aller bereits eingehend dargelegter Partizipationsmöglichkeiten der Normadressaten auf den Gesetzgebungsprozess kam diese Definitionsmacht grundsätzlich nur einem zu: dem Landesfürsten und in seiner Vertretung den landesfürstlichen Zentralbehörden, namentlich der Regierung. Das soeben Ausgeführte kann an einem Exempel verdeutlicht werden. Die Normierung und Handhabung der Armenfürsorge stellten während des gesamten Mittelalters eine ausschließlich von den Gemeinden wahrgenommene Kompetenz dar.295 In den ersten Jahrzehnten nach dem verstärkten Einsetzen der landesfürstli ��������������������������������������������������������������������������������������������� Zur Subsidiarität als Effizienz- und Optimierungsgebot einerseits und als Prinzip der Selbstverwaltung andererseits vgl. Pernthaler, Bundesstaatsrecht, 2004, S. 216–217. 295 Zu Tirol vgl. Beimrohr, Armenfürsorge in Tirol, 1988; Stolz, Geschichte der Verwaltung, 1998, S. 78–80; allgemein Wagner, Konzepte der Armenfürsorge, 2006, bes. S. 228; die Armenfürsorge und die obrigkeitliche Bekämpfung des Bettels gehören zu einem der beliebten Themen der Forschungen zur frühneuzeitlichen „Sozialdisziplinierung“. Entsprechend zahlreich sind die einschlägigen Untersuchungen, vgl. nur die umfangreichen Literaturangaben bei Härter, Policey und Strafjustiz, 2005, 2. Teilbd., S. 930–947; für viele andere Stolleis, Bettler, Vaganten und Gaukler, 1995; Schepers, Bettel in Bayern, 2000; Battenberg, Obrigkeitliche Sozialpolitik und Gesetzgebung, 1991; Dinges, Armenfürsorge als Sozialdisziplinierung, 1991; Jütte, Prolegomena, 1991; Jütte, Armenfürsorge, 1984. 294
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chen Gesetzgebung in den siebziger Jahren des 15. Jahrhunderts ändert sich dies zunächst nahezu nicht. Nur hinsichtlich des konzertierten Vorgehens gegen ausländische Bettler, für die eine Abschiebepflicht eingeführt wurde, machte die Regierung seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert normative Vorgaben.296 Zu Kompetenz verschiebungen kam es erst im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts. 1576 erließ Erzherzog Ferdinand II. eine Bettlerordnung, die den Gemeinden auch hinsichtlich der Versorgung der „Hausarmen“, d. h. der ansässigen, auf Almosen angewiesenen Bevölkerung Vorschriften machte297 – eine Tendenz, die sich mit der Folgeordnung von 1590298 und im Verlauf des 17. Jahrhunderts noch verstärkte (Bettlerordnungen von 1603 und 1630) 299 und im Übrigen keineswegs auf Tirol beschränkt war.300 Nunmehr wurden den Gemeinden detaillierte Anweisungen hinsichtlich der Einhebung, Verwaltung und Verteilung der Almosen sowie hinsichtlich der Überwachung der Bettler gemacht. Die Einhaltung der zentralen Vorgaben wurde in der Folge in zunehmendem Maße durch Visitationen des Kammerprokurators in den Gerichten und Gemeinden überprüft und bei Verstößen Strafen gegen lokale Obrigkeiten verhängt.301 In den Bereichen der Armenfürsorge und der Bekämpfung des Bettels kam die Regierung zum Schluss, dass dieses Problem nicht nur die einzelnen Gemeinden und Gerichte beträfe bzw. nicht hinreichend auf diesen Ebenen bewältigt werden könnte, sondern das gannze lanndt in mer weg berüert, weshalb Maßnahmen gesetzt werden müssten, damit im gannzen lanndt ein durchgeende gleichait [...] erhalten werden könne.302
������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. TLMF, FB 2675, fol. 99r–100r, 1491 Sept. 7; das Mandat wurde auch in die Halsgerichtsordnung aufgenommen, vgl. die Edition bei Schmidt, Halsgerichtsordnungen, 1949, S. 119–120; Erwähnung bei Borger, Innere Geschichte Tirols, 1966, S. 95; Brandis, Geschichte der Tiroler Landeshauptleute, 1848/1850, S. 323; an Einzelgesetzgebungsakten ist ferner zu nennen TLA, BT, Bd. 3, fol. 265v–266r, 1534 April 28; TLA, BT, Bd. 4, fol. 28v– 29r, 1535 Juni 21; TLA, BT, Bd. 6, fol. 158, 1551 Aug. 4; TLA, CD 1568, fol. 93r–94r, 1568 Dez. 17; TLA, CD 1571, fol. 495, 1571 April 1. 297 TLA, CD 1576, fol. 503r–508r, 1576 Sept. 15 (Ordnung der haußarmen leuth unnd weckhschaffung der frembden pettler). 298 TLA, CD 1590, fol. 661r–664r, 1590 Juni 14. 299 TLA, CD 427, 1603 Dez. 20 (Parallelüberlieferung in TLMF, Dip. 1090, Nr. 66); TLA, BT, Bd. 19, fol. 692, 1630 Juni 1. 300 Vgl. nur die Aussage bei Battenberg, Obrigkeitliche Sozialpolitik und Gesetzgebung, 1992, S. 35: Als Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz 1574 eine Almosenordnung erließ, ging es ihm nicht um „die Begründung einer Allzuständigkeit“ als absolutistischer Gesetzgeber, sondern „um eine Absicherung der eigenen Herrschaft durch eine Reglementierung von Bereichen, die inzwischen auf lokaler Ebene nicht mehr sachgerecht verwaltet werden konnten.“ 301 Vgl. z. B. TLA, CD 1599, fol. 296r–297v, 1599 Dez. 20; ebd., fol. 297v–298r, 1599 Dez. 20; CD 1612, fol. 472v–473r, 1612 April 12. 302 Das erste Zitat aus TLA, CD 1599, fol. 165v–166v, 1599 Jan. 7; das zweite Zitat ebd., fol. 167r–168r, 1599 Jan. 8. 296
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Das angeführte Beispiel der Bettelgesetzgebung vermag freilich auch zu illustrieren, dass die (zumindest partielle) Verlagerung von legislativen Kompetenzen auf eine höhere Ebene nicht notwendigerweise auf Widerstände stieß.
3. 2. Rechtssetzende regionale Ebenen 3. 2. 1. Grund- und Gerichtsherrschaften 1568 spricht die oberösterreichische Kammer mit Blick auf die ausschließliche Rechtssetzungskompetenz des Landesfürsten im Bereich des Forstrechts den Grundherren programmatisch jegliche Befugnis ab, für ihre Grundholden Recht zu setzen. Der von der Regierung gelieferte Begründungszusammenhang ist altbekannt. Da die Grundherren über keine eigene Jurisdiktionsbefugnis verfügten (dann die grundtgerechtigkhait tregt khainen gerichtszwangg auf ir), kämen ihnen auch keine legislativen Kompetenzen zu.303 Die Gesetzgebungsbefugnis wird somit aus der Jurisdiktionsbefugnis abgeleitet. Mit beiden Aussagen – dass der Grundherrschaft in Tirol im Allgemeinen keine jurisdiktionellen und konsequenterweise keine rechtssetzenden Kompetenzen zukommen – hatte die Kammer grundsätzlich Recht. Neben landesfürstlichen Grundherrschaften gab es kaum räumlich geschlossene Grundherrschaften anderer Grundherren. Und selbst wo solche existierten (Münster, Amras, Wilten u. a.), umfassten diese Hofmarken nur eine vergleichsweise verschwindend geringe Anzahl von Gerichtsinsassen. Für diese war zwar im Regelfall in erster Instanz das Hofmarksgericht zuständig, doch resultierte hieraus noch keine Gesetzgebungsbefugnis des Grundherren. Das von Grundherren in ihren Hofmarken allenfalls ausgeübte Gebotsrecht war im alten Herkommen verankert, durch dieses beschränkt und brachte jedenfalls keine Kompetenz zur intentionalen Veränderung der Rechtsordnung mit sich.304 Aus dem Gesagten ergibt sich bereits, dass ein Grundherr erst recht keine Kompetenz zur einseitigen Veränderung des durch das Landrecht determinierten Rechtsverhältnisses zwischen ihm und seinen Grundholden hatte. Das Fehlen einer grundherrschaftlichen Ebene mit Rechtssetzungskompetenzen unterscheidet Tirol erheblich von anderen spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Territorien,305 namentlich auch von den niederösterreichischen Ländern.306 Teilweise die das alte Herkommen festhaltenden Weistümer und Taidinge TLA, GaH 1568, fol. 248r–346r, hier fol. 300r, 1568 März 17. Vgl. allgemein auch Willoweit, Gebot und Verbot, 1980, bes. S. 115–116. 305 Allgemein z. B. Raeff, Well-ordered Police State, 1983, S. 44; für Schlesien Weber, Ständische Disziplinierungsbestrebungen, 1996, S. 337 und S. 347–349; Weber, Polizei- und Landesordnungen, 1996, S. 105–125. 306 Vgl. hierzu nur Feigl, Grundherrschaft, 1964, S. 41–42, 164 und 205; Winkelbauer, Sozial disziplinierung und Konfessionalisierung, 1992, S. 327–329 (Beispiele ebd., S. 329–335); 303 304
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ersetzend, erließen Grundherren in den niederösterreichischen Ländern vor allem seit der Mitte des 16. Jahrhunderts zunehmend umfassende herrschaftliche Dorf-, Stadt- und Polizeiordnungen. Neben dieser Rechtssetzungstechnik, eigene herrschaftliche Ordnungen zu publizieren, bestand noch die Möglichkeit der Inkorpo ration herrschaftlicher Normen in andere Rechtsquellen, vor allem in die genannten Weistümer bzw. Taidinge.307 In derartigen Ordnungen wurde häufig das gesamte Spektrum des Policeyrechts abgedeckt, wobei rechtstechnisch oft auf die landesfürstlichen Policeyordnungen bzw. Einzelgesetzgebungsakte verwiesen wurde. Dies muss gerade während des 16. und der ersten beiden Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts nicht als zwingender Beleg für ein Verhältnis der Unter- bzw. Überordnung zwischen grundherrschaftlichen und landesfürstlichen Gesetzen gewertet werden, war doch diese Zeitspanne von einem massiven konfessionellen und machtpolitischen Konflikt zwischen dem überwiegend protestantischen Adel und den katholischen Habsburgern geprägt. Die inhaltlichen Affinitäten einschließlich der Verweise auf landesfürstliches Recht resultieren während des genannten Zeitraums wohl auch aus einem trotz aller Spannungen gegebenen Grundkonsens zwischen adeligen Grundherren und Landesfürsten über fundamentale Ordnungsvorstellungen.308 Das Fehlen der Grundherrschaft als regionaler rechtssetzender Ebene unterscheidet Tirol zwar von den niederösterreichischen oder böhmischen Ländern, begründet jedoch keine wie auch immer geartete Sonderstellung Tirols, wie sie die ältere landesgeschichtliche Forschung allzu gerne beschworen hat. Wendet man den Blick von den niederösterreichischen Ländern auf den Südwesten des Heiligen Römischen Reichs einschließlich der österreichischen Vorlande, erscheint das Fehlen ausgedehnter Grundherrschaften, bei denen Landesfürst und Grundherr nicht identisch sind, nämlich wieder als Regelfall.309 Als potentielle normsetzende Ebenen unterhalb des Landesfürsten sind neben den Grund- noch die Gerichtsherren zu nennen, die aufgrund von rechtlich unWinkelbauer, Gundaker von Liechtenstein, 2008, S. 60–70; Ellrichshausen, Uneheliche Mutterschaft, 1988, S. 35–36; vor allem Brauneder, Stellung und Verhältnis, 1997, S. 204, 206–207; Brauneder, Frühneuzeitliche Gesetzgebung, 1998, S. 115–116; Feigl, Rechtsentwicklung und Gerichtswesen, 1974, S. 121–131. 307 Vgl. Brauneder, Stellung und Verhältnis, 1997, S. 206–207; Feigl, Rechtsentwicklung und Gerichtswesen, 1974, S. 119–120. 308 Brauneder, Frühneuzeitliche Gesetzgebung, 1998, S. 116, macht allerdings auf das Beispiel der Aufhebung eines „täding-biechl“ (Weistums) durch den Landesfürsten im Jahr 1612 aufmerksam, da dieses „unser landesfürstlichen pollicei und landgerichtsordnung“ widerspreche. Nach der Schlacht am Weißen Berg hatten sich die Rahmenbedingungen für eine eigenständige grundherrschaftliche Rechtssetzung gewandelt: „Besonders nach der gewaltsamen religiösen ‚Säuberungs’politik während des 30jährigen Krieges konnte es kaum eine Lokale Herrschaft wagen, eine kaiserliche Anordnung nicht wenigstens formal zu befolgen.“ (so Marquardt, Reich als Segmentäres Verfassungssystem, 1999, S. 199; ganz ähnlich Feigl, Rechtsentwicklung und Gerichtswesen, 1974, S. 135; ausführlich zum entsprechenden Problemkreis auch Feigl, Rechtsentwicklung und Gerichtswesen, 1974, S. 134–137). 309 Vgl. nur die Beiträge in Blickle (Hg.), Landschaften und Landstände, 2000.
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terschiedlich konstruierten Vergabungen seitens des Landesfürsten eine Gerichtsherrschaft einschließlich des darin gelegenen Urbars zu Eigen, Lehen oder Pfand innehatten.310 Es wurde bereits ausgeführt, dass sich der Landesherr anlässlich solcher Vergabungen eine Reihe von Herrschaftsrechten förmlich vorbehielt, ohne dass dabei die Gesetzgebungsbefugnis expressis verbis genannt worden wäre. Ein derartiger ausdrücklicher Vorbehalt schien angesichts seiner Selbstverständlichkeit wohl entbehrlich. Allerdings verfügte der Gerichtsherr grundsätzlich, dem Grundherrn vergleichbar, über ein im alten Herkommen wurzelndes und durch dieses beschränktes Gebots- und Verbotsrecht.311 Der Inhaber des Landgerichts Sterzing wurde beispielsweise 1602 von der Regierung dafür kritisiert, dass er wider altes herkhomben sonndere gebott und verbott auf den canzlen publicieren habe lassen.312 Ebenso wie somit ein Gerichtsherr landesfürstlicherseits bei Überschreitung der Gebots- und Verbotskompetenz gerügt werden konnte, wurden umgekehrt die Untertanen im Bedarfsfall angewiesen, ihm in allen gebotten und verbotten die schuldige gehorsam [zu] laisten.313 Im Übrigen hatte ein Gerichtsherr im Bereich seiner Gerichtsherrschaft für die Kundmachung und Implementation des landesfürstlichen Gesetzesrechtes Sorge zu tragen. Und dennoch: Was sich in der Theorie schlüssig anhört, erweist sich in praxi als durchaus komplexer Problemkreis. Denn gerade in jenen Fällen, in denen Gerichtsherrschaften über Jahrzehnte und Jahrhunderte in der Hand einer Adelsfamilie blieben, verwischten sich wohl die Grenzen zwischen dem im traditionalen Recht wurzelnden Gebots- und Verbotsrecht und einer eigenständigen Rechtssetzungsbefugnis – woraus auch Konflikte mit den Gerichtsinsassen resultieren konnten. Als Beispiel sei an dieser Stelle auf die Gerichtsherrschaft Lienz im heutigen Osttirol verwiesen, die in der Frühneuzeit durch Jahrhunderte die Wolkensteiner innehatten. Da Christoph von Wolkenstein in den letzten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts die „Berufungen“ (Kundmachungen) landesfürstlicher und eigener Rechtssetzungsakte in das Gerichtsbuch der Anwaltschaft Lienz eintragen ließ, bietet sich das Beispiel der Gerichtsherrschaft Lienz für eine nähere Analyse an. Im Jahr 1600 schritt der Wolkensteiner so beispielsweise zu einer normativen Regelung des Münzwesens in „seiner“ Herrschaft, wobei er diese immerhin unter dem Vorbehalt publizieren ließ, dass sie nur bis zum Erlass landesfürstlicher Münzmandate
Vgl. ausführlich bereits Kap. I.4.2.2.; ferner Stolz, Geschichte der Gerichte, 1913, S. 236–249; Stolz, Geschichte der Verwaltung, 1998, S. 42–45; Stolz, Landesbeschreibung von Südtirol, 1. Lieferung, 1937, S. 37–40; Stolz, Landesbeschreibung von Tirol, 1. Teil/1. Hälfte, 1923, S. 32–41; Stolz, Urkunden über Vergabung, 1955; Wopfner, Bergbauernbuch, Bd. 1, 1995, S. 467–468; Beimrohr, Brief und Siegel, 1994, S. 61–63. 311 Vgl. z. B. Tirolische Weistümer, 4. Teil, 1. Hälfte, 1888, S. 247. 312 TLA, CD 1602, fol. 221, 1602 Dez. 14. Eine inhaltliche Spezifizierung erfolgt jedoch nicht. 313 TLA, BT, Bd. 12, fol. 89r, 1588 März 30. 310
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in Geltung stehen sollten.314 Wenngleich Wolkenstein somit den höherrangigen Charakter der landesfürstlichen Gesetzgebung anerkannte, kann kein Zweifel bestehen, dass eine Regulierungskompetenz des Münzwesens sicherlich nicht im „alten Herkommen“ einer Gerichtsherrschaft wurzelte. 1580 erließ er aufgrund von Beschwerden der Gerichtsinsassen (auf fürkhomen beschwerden unnd beschehens anrueffen) ein Verbot, Getreide ohne Bewilligung des Gerichtsinhabers außerhalb der Herrschaft Lienz zu verkaufen; es habe vielmehr auf den örtlichen Wochenmärkten feilgeboten zu werden. Für Zuwiderhandlungen drohte er den Verfall des Getreides und abgestufte Strafen von 10 fl. bis hin zu Leibesstrafen an.315 1591, 1594 und 1595 ließ Wolkenstein das Verbot wiederholen und fügte 1594 und 1595 eine Reihe weiterer Policeybestimmungen an, wobei nur in einem Fall ein Verweis auf die Tiroler Landesordnung angefügt wurde.316 Auch bei der Kundmachung landesfürstlicher Einzelgesetzgebungsakte beschränkte sich Wolkenstein nicht immer auf die inhaltliche Wiedergabe des Mandats, sondern nahm gegebenenfalls Modifikationen und Ergänzungen vor.317 Letzteres wurde landesfürstlicherseits wohl bis zu einem gewissen Grad toleriert. 1594 ließ Erzherzog Ferdinand II. in Beantwortung einer Landtagsbeschwerde beispielsweise wissen, dass allfällige Lücken oder Unklarheiten der Landesordnung hinsichtlich der Befugnisse der Siegelfähigen in Außerstreitsachen durch die Gerichtsherren durch offene verbott geregelt werden könnten.318 In den genannten Fällen liegt somit zweifellos die Ausübung einer über das Gebots- und Verbotsrecht der Gerichtsherren hinausgehenden Rechtssetzungskompe tenz durch Christoph von Wolkenstein vor. Als dieser 1594 ein Verbot der Getreideausfuhr aus der Herrschaft Lienz verkündete, wies er zudem ausdrücklich darauf hin, dass auch umliegende Gerichtsherrschaften entsprechende Maßnahmen ergriffen hätten – zumindest diesbezüglich stand Wolkenstein somit offensichtlich nicht allein. Eben weil derartige normative Maßnahmen der Gerichtsherren nicht im „alten Herkommen“ verankert waren, führten sie freilich auch zu Beschwerden und Gravamina seitens der betroffenen Gerichtsinsassen. Dies lässt sich speziell bei den Beschränkungen, mit Getreide über Gerichtsgrenzen hinweg Handel zu treiben, anschaulich belegen. Schon 1573 führten die Städte und Gerichte über jene Gerichtsherren Beschwerde, die den Verkauf von Getreide bzw. anderen Lebensmitteln in benachbarte Gerichte untersagen würden, welches von alters nit gewest ist.319 TLA, Gerichtsbuch Anwaltschaft Lienz/zweite Instanz, Bd. 12, fol. 29v–30r, 1600 Nov. 18. TLA, Gerichtsbuch Anwaltschaft Lienz/zweite Instanz, Bd. 5, fol. 15r–16r, 1580 April 8. 316 TLA, Gerichtsbuch Anwaltschaft Lienz/zweite Instanz, Bd. 8, fol. 64v, 1591 April 25; ebd., Bd. 9, fol. 31r–33r, 1594 Sept. 2; ebd., fol. 92v–94r, 1595 Juli 24. 317 Ein gutes Beispiel bietet TLA, Gerichtsbuch Anwaltschaft Lienz/zweite Instanz, Bd. 9, fol. 8r–9r, das nach Ausweis der Arenga zu gehorsambister volcziehung landesfürstlicher Mandate erging, de facto aber erhebliche Modifikationen und Ergänzungen enthielt. 318 TLA, VdL, Bd. 5, S. 578–601, hier S. 598, 1594 Febr. 11; die entsprechende Beschwerde findet sich in TLA, VdL, Bd. 5, S. 491–502, hier S. 497, 1590 Mai 18. 319 Vgl. die Landtagsgravamina von 1573 in TLA, Hs. 45, fol. 177r–187r, 13. Beschwerdepunkt. 314 315
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Dieses Gravamen wurde 1590 und 1619 wiederholt, wobei der Landesfürst stets die Abstellung dieser Praktiken zusagte.320 1619 wurde dabei nicht nur auf die Kollision derartiger Verordnungen mit dem „alten Herkommen“ (weil’s von alters nit gewesen), sondern überdies auf den kontraproduktiven Effekt der dadurch bewirkten wirtschaftlichen Segmentierung des Landes hingewiesen: Schließlich seien alle Gerichte glider aines leibs, die miteinander steurn, raisen, heben undt legen müessen. Dass rechtssetzende Maßnahmen von Gerichtsherren, die den Rahmen des „alten Herkommens“ sprengten, Beschwerden seitens der betroffenen Untertanen bei den landesfürstlichen Zentralbehörden hervorriefen, ist im Übrigen öfters belegt.321 Schon in den Innsbrucker Artikeln von 1525 führten die Städte und Gerichte Klage, dass viele Pfleger unter Strafdrohung öffentlich verbieten ließen, „daz niemanndt ausser der gerichtzhanndl im gericht kain brief schreiben noch siglen soll dann sy, daz ist ain newerung [...].“322 Dem trug der 9. Titel des 1. Buchs der Tiroler Landesordnung von 1526 Rechnung, der unter Verweis auf das „alte Her kommen“ ausdrücklich statuierte, dass dieselben Gepot abgethan sein sollten. Gerade im Bereich der Gerichtskosten war die Versuchung für die Gerichtsherren groß, zur Erhöhung ihrer Einnahmen neues Recht zu schaffen. Ein illustratives Beispiel für dieses Bestreben und für sich daran unter Umständen entzündende Konflikte stellt eine Verordnung des Gerichtinhabers von Laudeck, Christoph von Knüllenberg, aus dem Jahr 1583 dar.323 Diese wurde auf der Gerichtsversammlung kundgemacht und sah vor, dass fortan außergerichtliche Vergleiche in Zivil- und Strafrechtssachen unzulässig seien. Zuwiderhandelnden wurde eine Strafe von 20 fl. angedroht. Nun stellte die außergerichtliche, von der „Nachbar schaft“ oder Verwandten vermittelte Konfliktbeilegung zwischen Gerichtsinsassen eine (bislang auch von der landesfürstlichen Gesetzgebung unberührt gebliebene) Selbstverständlichkeit im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Tirol dar. Die Norm barg also von vornherein erhebliches Streitpotential. Schon ein Jahr später versuchte von Knüllenberg, an einem Gerichtsinsassen, der eine von seinem Sohn begangene Körperverletzung außergerichtlich beigelegt hatte, ein Exempel zu statuieren, und verhängte die angedrohte Strafe. Der zur sozialen Elite des Gerichts gehörende Betroffene dachte allerdings nicht daran, sich dem zu fügen, sondern verwies auf die Unzulässigkeit eines solchen Verbots außergerichtlicher Vergleiche, die dem „Gerichts- und Landsbrauch“ entsprechen würden. Die Konfrontation TLA, VdL, Bd. 5, S. 578–601, hier S. 593–594, 1594 Febr. 11; die entsprechende Beschwerde findet sich in TLA, VdL, Bd. 5, S. 491–502, hier S. 494, 1590 Mai 18; TLA, LLTA, Fasz. 12, Bund 4, Landtagsgravamina 1619 (Parallelüberlieferung in TLA, VdL, Bd. 12, S. 87–113, hier S. 108–109, 21. Beschwerdepunkt). 321 Vgl. z. B. TLA, AfD 1614, fol. 593r–619r, hier fol. 597v–598r, 1614 Okt. 23. 322 Wopfner, Quellen, 1908, S. 65; ganz ähnlich eine Pustertaler Beschwerde, wonach ein solches Verbot außergerichtlicher Vergleiche „von alter nie gewesen“ (Steinegger/Schober, Partikularbeschwerden, 1976, S. 68). 323 Zum Folgenden Heidegger, Beziehungen und soziale Dramen, 1999, S. 292–295. 320
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endete ohne Einschaltung der landesfürstlichen Zentralbehörden mit einem Kompromiss: Von Knüllenberg hob die Verordnung für zwei Jahre auf (!), während sich der Bestrafte zur Zahlung der 20 fl. bereit erklärte. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Gerichtsherrschaft in Tirol genauso wenig wie die Grundherrschaft als eigenständige rechtssetzende Ebene unterhalb des Landesfürsten begriffen werden kann, sondern auf die Ausübung des im alten Herkommen und lokalen Gewohnheiten wurzelnden Gebots- und Verbotsrechts beschränkt war. Wollte sie diesen Rahmen sprengen, war die Wahrscheinlichkeit von Konflikten mit den Gerichtsinsassen groß, die zum Teil unter Einschaltung der oberösterreichischen Regierung ausgetragen wurden. Sonderfälle stellen die Grafen von Lodron und die Grafen von Arco dar, die für sich die Kompetenz einer eigenständigen Gesetzgebung in ihrem Herrschaftsbereich in Anspruch nahmen.324 Diese Inanspruchnahme einer legislativen Kompetenz präsentiert sich hier jedoch nicht primär als Ausfluss einer Gerichtsherrschaft, sondern als Bestandteil der von diesen beiden Adelsfamilien bis in die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts reklamierten Unabhängigkeit von der Grafschaft Tirol. Wenn selbst Gerichtsherren über keine eigenständige, autonome Rechtssetzungskompetenz verfügten, so gilt dies umso mehr für die Richter. Auch diese waren zwar grundsätzlich dazu berufen, althergebrachte Ge- und Verbote durchzusetzen und gegebenenfalls durch neuerliche Kundmachung in Erinnerung zu rufen.325 Doch kam es Richtern weder zu, landesfürstliche Rechtssetzungsakte zu verändern, noch die Grenzen des Gebots- und Verbotsrechts zu überschreiten. Das Gesagte vermag eine Begebenheit im Landgericht Meran zu Beginn des 17. Jahrhunderts zu veranschaulichen. Der dortige Landrichter (der gleichzeitig das Amt des Stadtrichters von Meran bekleidete) hatte selbständig und aus eigenem Antrieb eine Policeyordnung für das Landgericht ausgearbeitet, die eine Reihe von typischen Policeymaterien einer Regelung zuführte.326 Dass diese auch von der Landesordnung abweichende Normen enthielt, sei an dieser Stelle nur am Rande vermerkt, zumal sich nicht daran die Geister scheiden sollten.327 Daraufhin lud er sämtliche Dorfmeister des Landgerichts in das Rathaus von Meran, wo ihnen in Gegenwart des Meraner Bürgermeisters und eines Ratsmitglieds die neue Ordnung vorgelesen wurde und sie unter Strafdrohung zur Kundmachung in ihren Gemeinden und zur Bertoldi, I proclami, 1998; Martinelli/Miorelli (Hg.), Statuti, 2003, S. 20. Vgl. nur Tirolische Weistümer, 4. Teil, 2. Hälfte, 1891, S. 639 („Was gepott und verpott durch ainan pfleger oder richter mag ausgeen, und [wie] die ubertretter gestraft werden.“); Tirolische Weistümer, 1. Teil, 1875, S. 33; Steinegger/Schober, Partikularbeschwerden, 1976, S. 38 (das Verbot eines Pflegers verstoße gegen das „alte Herkommen“) und S. 61. 326 Vgl. zum Folgenden StAM, Gemeindearchiv Obermais, Gemeindeordnungen 1540–1685, Nr. 1, 1592 Febr. 8. 327 So sollten beispielsweise die „Kirchenraitungen“ ( Jahresabrechnungen über die Gebarung des Kirchenvermögens) durch den Dorfmeister statt durch den Kirchpropst in Gegenwart des Landrichters vorgenommen werden. 324 325
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Einhaltung der Normen verpflichtet wurden. Die Dorfmeister nahmen bei dieser Gelegenheit inhaltlich nicht Stellung, baten jedoch um eine schriftliche Ausfertigung der fraglichen Policeyordnung. Dabei gilt es zu bedenken, dass der Erlass einer Policeyordnung für ein einzelnes Gericht – wie noch zu zeigen sein wird – durchaus nicht unüblich war. Allerdings wurde diese nicht einseitig vom Landrichter ausgearbeitet und publiziert; vielmehr gaben sich die durch den Gerichtsausschuss handelnden Gerichtsinsassen selbst in Form einer Einung eine entsprechende Ordnung und gelobten deren Einhaltung. Die einseitige Rechtssetzung durch den Richter, wie sie im Landgericht Meran 1603 versucht wurde, war hingegen nicht vorgesehen, da der Richter über keine legislativen Kompetenzen verfügte. Die erste erhaltene Reaktion auf den landrichterlichen Versuch war eine Mitteilung des Dorfmeisters von Mais (bei Meran).328 Er verwies auf die Notwendigkeit, die Policeyordnung bei der Maiser Gemeindeversammlung vorzutragen und die entschliessung der Dorfgemeinde entgegenzunehmen. Wie diese ausfiel, ist zwar nicht überliefert. Es ist aber eine spätere Stellungnahme sämtlicher Dorfmeister des Landgerichts Meran zur landrichterlichen Policeyordnung erhalten,329 die belegt, dass sich die Ortsvorsteher getroffen und zu einer gemeinsamen Vorgehensweise entschlossen hatten. In diesem Positionspapier brachten die Dorfmeister ihre einhellige Ablehnung der richterlichen Policeyordnung zum Ausdruck. Man sei zwar verpflichtet und bereit, den gepotten und verbotten des Landrichters nachzukommen, doch würde ihnen mit gehörter sondern pollicey ain solche beschwerliche neuerung zuegemueth werden, die wider allt herkhomben, wir nit eingeen noch auf unns laden khünden. Nicht die Kollision mancher Artikel der geplanten Policeyordnung mit der territorialen Tiroler Landes- und Policeyordnung stellten aus ihrer Perspektive den Stein des Anstoßes dar, sondern vielmehr der aus der landrichterlichen Policeyordnung sehr deutlich hervortretende Versuch, die Implementation der Vorschriften an Gemeindeorgane – speziell an die Dorfmeister – zu übertragen und dadurch das Gerichtspersonal (namentlich sich selbst und den ihn unterstellten Fronboten) zu entlasten. Die dörflichen Funktionsträger erkannten die zugrunde liegende Strategie und argumentierten dagegen: Die Durchsetzung der Bestimmungen komme der Gerichts obrigkeit zu, die mit irer forcht und ernst ain guette polliceiordnung auferpauern und erhallten solle. Es ist nicht ersichtlich, dass die vom Landrichter ausgearbeitete Policeyordnung in der Folge in der ursprünglichen oder einer überarbeiteten Fassung tatsächlich erlassen und angewendet wurde.
StAM, Gemeindearchiv Obermais, Gemeindeordnungen 1540–1685, Nr. 2a, 1592 Febr. 17. Vgl. StAM, Gemeindearchiv Obermais, Gemeindeordnungen 1540–1685, Nr. 2b, 1592 Febr. 21.
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3. 2. 2. Gemeinden und Gerichte 3. 2. 2. 1. Allgemeines Da somit Gerichts- und Grundherrschaften in Tirol nicht zu den rechtssetzenden Ebenen unterhalb des Landesfürsten zu zählen sind, verbleiben als Ebenen, die über autonome legislative Kompetenzen verfügten, die (Stadt- und Land)Gemeinden und die Gerichtsgemeinden. Ihre rechtssetzende Befugnis war eine zeitlich der territorialen landesfürstlichen Gesetzgebung vorangehende und diese inhaltlich erheblich präfigurierende.330 Sie war ursprünglich zudem eine originäre, nicht von der landesfürstlichen legislativen Kompetenz abgeleitete,331 deren Geltungsgrund die Selbstbindung der Rechtsunterworfenen durch die „coniuratio“ war. Die Angehörigen einer örtlichen Gemeinschaft gaben sich, der Etymologie des Terminus „Autonomie“ entsprechend, selbst Normen zur Sicherstellung und Ausgestaltung des friedlichen Gemeinschaftslebens. Die Einhaltung dieser selbst gesetzten Normen wird durch Eid zugesagt.332. Diese Art der Rechtssetzung, die von der rechtshistorischen Forschung allgemein als „Willkür“ oder „Einung“ bezeichnet und dem obrigkeitlichen Rechtsgebot entgegengestellt wird,333 war auf Gemeinwesen mit einer überschaubaren Zahl von Mitgliedern und/oder mit einer geringen Zahl von auf diesem Weg zu setzenden Normen beschränkt. In manchen ländlichen Gemeinden oder kleineren Gerichten spielt sich die „Einung“ noch im 17. und 18. Jahrhundert in diesen bis in das Hochmittelalter zurückreichenden idealtypischen Formen ab. Nahm jedoch die Zahl der Rechtsunterworfenen zu und gestaltete sich das gemeinsame Zusammenleben komplexer – wobei aus diesem Verdichtungsprozess ein erhöhtes Normierungsbedürfnis resultierte –, erwies sich die „Willkür“ in ihrer originären, sämtliche (vollberechtigten) Normadressaten unmittelbar in den Rechtssetzungsprozess einbindenden Ausprägung als zunehmend insuffizient. Dies führte zur Übertragung von Zuständigkeiten an die sich ausbildenden Organe der betroffenen genossenschaftlichen Korporationen, wobei die Delegation rechtssetzender Befugnisse in unterschiedli Vgl. nur das Kapitel über die Entstehung der Gesetzgebung; für andere sei hier nur verwiesen auf Oestreich, Policey und Prudentia civilis, 1980, S. 368–371. 331 So ausdrücklich schon Werunsky, Reichs- und Rechtsgeschichte, 1894/1939, S. 723–724; ferner auch Ebel, Willkür, 1953, S. 52. Wenn in Stadtrechtsprivilegien das städtische, durch den Rat auszuübende Satzungsrecht ausdrücklich festgehalten wird, so wird damit nur ein Zustand bestätigt, der „mit alter gewonhait vormaln her chomen ist“ (Zitat aus dem Jahr 1358 nach Stampfer, Geschichte von Meran, 1889, S. 357). 332 Vgl. hierzu Ebel, Geschichte der Gesetzgebung, 21958, S. 20–25; Ebel, Willkür, 1953; Bader/ Dilcher, Rechtsgeschichte, 1999, S. 613–616; Blickle, „Consociatio“, 2002; Scheper, Land, Stadt und Herrschaft, 1988, S. 238; vgl. auch Godding, Administrer une ville, 1996; Cauchies, L’activité législative communale, 2001. 333 Vgl. für andere Ebel/Thielmann, Rechtsgeschichte, 32003, Rz 22; Willoweit, Rechtsbegründung und Rechtsbegriff, 2000, S. 317. 330
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chen Abstufungen vor sich gehen konnte. Ein genossenschaftliches Organ konnte die Vorbereitung einer „Einung“ übernehmen und den ausgearbeiteten Vorschlag bei nächster Gelegenheit der Gesamtheit von Genossen zur Approbation vorlegen. Ein Organ konnte während eines bestimmten Zeitraums für alle (Gemeinde- oder Gerichts)Genossen verbindliche Normen setzen, deren Einhaltung auf der folgenden Gemeinde- oder Gerichtsversammlung von der Gesamtheit der Genossen beschworen wurde. Dieser Vorgang manifestierte sich zuerst in den expandierenden Städten, wo die Delegation von Rechtssetzungskompetenzen der Bürgergemeinde an städtische Organe auch die ausgeprägteste Form annahm.334 Die städtische Normsetzung kam schließlich unbeschränkt dem Bürgermeister und dem städtischen Rat zu, der Konsens und das Beschwören der so gesetzten Normen in jedem Einzelfall oder auch nur in periodischen Abständen durch die Bürgerschaft war nicht mehr vorgesehen. Und dennoch blieb der Charakter der „Einung“ als gewillkürtes Recht im Prinzip erhalten. Der bei der Aufnahme als Bürger und somit als vollberechtigtes Mitglied der städtischen Gemeinschaft zu leistende Bürgereid war unter anderem Ausdruck der freiwilligen Unterwerfung sowohl unter das bisher von Bürgermeister und Rat gesatzte städtische Recht als auch unter das zukünftig zu satzende.335 So verpflichtete sich beispielsweise ein Bewohner von Bozen gemäß dem um 1578 schriftlich festgehaltenen Bürgereid anlässlich seiner Aufnahme als Bürger unter anderem ausdrücklich, den „gepott“ (als Pluralform) des Stadtrats „in allen, was pillichen, volg und statt [zu] thuen“336. Überdies werden – ungeachtet der sehr vielfältigen konkreten Wahlmodi337 – die für den Rechtssetzungsprozess wesentlichen städtischen Organe (Bürgermeister und Rat) in Tirol während des Untersuchungszeitraums grundsätzlich aus dem Kreis der Bürger rekrutiert, teilweise sogar von der jährlich stattfindenden Gemeindeversammlung aus dem Kreis der Bürger gewählt. Festzuhalten ist allerdings, dass diese vollständige Delegation von Rechtssetzungsorganen in Tirol nicht auf die Städte beschränkt ist, sondern in teilweise identischer Form in anderen bevölkerungsreicheren Gemeinden unabhängig von ihrer Rechtsstellung als „Stadt“ anzutreffen ist. Imst im Oberinntal, dessen Erhebung zur Stadt schon unter Meinhard II. erwogen, von der Gemeinde selbst wegen der Kosten für die zu errichtende Stadtmauer abgelehnt worden war, war zwar Vgl. z. B. zusammenfassend Schmieder, Mittelalterliche Stadt, 2005, S. 128–133; Iseli, Gute Policey, 2009, S. 85; Härter, Statut und Policeyordnung, 2010, S. 136–137; vgl. auch schon Gierke, Genossenschaftsrecht, Bd. 2, 1873 (Nachdruck 1954), S. 735; grundlegend nunmehr Isenmann, Gesetzgebung und Gesetzgebungsrecht, 2001; exemplarisch Wolf, Gesetzgebung und Stadtverfassung, 1968. 335 Vgl. Ebel, Bürgereid, 1958; zusammenfassend Bader/Dilcher, Rechtsgeschichte 1999, S. 613–615; zudem Dilcher, Deutsche Stadtrechte, 1989, S. 38–39; Ebel, Gesetzgebung und Verwaltungshoheit, 1992, S. 102. 336 Vgl. die Edition im Bozner Bürgerbuch, 1. Teil, 1956, S. 1. 337 Hierzu ausführlich Hye, Städte Tirols, 2 Teile, 1980/2001. 334
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während des gesamten Untersuchungszeitraums ein Markt. Nichtsdestoweniger ist ein Bürgermeister seit 1493 nachweisbar, ein Ratsgremium seit dem beginnenden 16. Jahrhundert.338 Anlässlich der Aufnahme eines Mannes als vollberechtigter „Bürger“ war ein „Bürgereid“ zu schwören, woraufhin der Betreffende ab 1571 in ein eigenes „Bürgerbuch“ eingetragen wurde.339 Die konkrete Ausprägung des genossenschaftlichen Rechtssetzungsverfahrens in einer dörflichen oder städtischen Siedlung orientierte sich somit nicht primär an der Rechtsstellung der Siedlung als Stadt, Markt oder Dorf, sondern an den örtlichen Voraussetzungen für eine gewillkürte Rechtssetzung. In einer Kleingemeinde wie der Stadt Glurns vollzog sich die städtische Rechtssetzung wohl in ganz ähnlichen Formen wie in der hinsichtlich Sozial- und Wirtschaftsstruktur vergleichbaren benachbarten Gemeinde Mals, der nicht der Status einer Stadt zukam.340 Hier wie dort waren die Möglichkeiten für die Partizipation der Rechtsgenossen an der gewillkürten Rechtssetzung ähnlich. Umgekehrt war im Markt Schwaz, der während der Blütezeit des Bergbaus in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts die mit Abstand bevölkerungsreichste Siedlung Tirols darstellte,341 trotz Fehlens der Rechtsstellung als Stadt an eine Beteiligung breiterer Bevölkerungskreise an der lokalen Rechtssetzung nicht zu denken. Überhaupt muss an dieser Stelle auf die sehr vielfältige Ausprägung der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Tiroler Gemeinde hingewiesen werden, die nur sehr beschränkt Verallgemeinerungen zulässt, die zudem stets mit dem Risiko einer unzulässigen Simplifizierung behaftet sind.342 Die dörflichen Strukturen und Gemeindeämter, aber auch die normativen Regelungsbedürfnisse variierten so massiv zwischen einer großflächigen, aus einer Mehrzahl von Weilern zusammengesetzten Talgemeinde und einem dicht besiedelten, kleinräumigen, mithin stärker von der Enge des Zusammenlebens und größerer wirtschaftlicher und sozialer Differenzierung betroffenen Markt. Bei allen folgenden Ausführungen muss man sich somit der großen Bandbreite in den Erscheinungsformen der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Tiroler Gemeinde bewusst sein, die sich in einer entsprechenden Bezeichnungsvielfalt niederschlägt. In den Quellen findet man unter anderem die Termini „Gmain“, „Gmainschaft“, Nachbarschaft“, „Oblai“, „Stab“, „Kirchspiel“, wobei die verschiedenen Ausdrücke nicht mit Bedeutungsunterschieden einhergehen müssen.343 Festzuhalten bleibt an dieser Stelle jedenfalls: Zumindest hinsichtlich des gemeindlichen Rechtssetzungsprozesses erweist sich der Versuch einer strikten Schei Vgl. Hye, Städte Tirols, 1. Teil, 1980, S. 62–63. Stadtarchiv Imst (Depositum im Tiroler Landesarchiv), Schuber 13. 340 Zur innerstädtischen Verfassung der Stadt Glurns vgl. v. a. Bliem, Stadtgeschichte, 1962, S. 16–22, wo auf Fragen städtischer Rechtssetzung jedoch nicht eingegangen wird. 341 Vgl. Egg, Schwaz, 1986. 342 Vgl. nur Grass, Frühzeit der ländlichen Gemeinde, 1988; Wopfner, Bergbauernbuch, Bd. 2, 1995, S. 270–274. 343 Vgl. hierzu Stolz, Geschichte der Gerichte, 1913, S. 202–203. 338 339
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dung von „Stadt“ und „Dorf “ als unzulässig und verfehlt.344 Hier wie dort beruht der Geltungsgrund gemeindlicher Normen auf der normativen Selbstregulierung genossenschaftlicher Zusammenschlüsse und der freiwilligen Selbstunterwerfung der Rechtsgenossen unter die so zustande gekommenen Gesetze. Bei kleineren Gemeinden mit ephemären Normierungsbedürfnissen bleibt dieser originäre Charakter einer autonomen Gesetzgebung der Gemeindegenossen und der freiwilligen Selbstverpflichtung in der „coniuratio“ noch während der gesamten Frühen Neuzeit deutlich greifbar, wie im folgenden Kapitel darzulegen sein wird.345 Bei größeren Gemeinden einschließlich der meisten (aber keineswegs aller!) Städte greift eine Weiterentwicklung, indem die Normsetzungskompetenz in unterschiedlichem Ausmaß an gemeindliche Organe transferiert und die Partizipation aller vollberechtigten Gemeindegenossen gemindert, auf eine weitgehende Formalität reduziert oder fast gänzlich ausgeschlossen wird. Über den dörflichen Gemeinden findet man in Tirol während des Untersuchungszeitraums eine weitere Ebene mit autonomen legislativen Kompetenzen: die Gerichte. Dabei ist der polyseme Charakter von „Gericht“ zu berücksichtigen. Hier wird nicht auf die Funktion des Gerichts als Jurisdiktions- und Verwaltungssprengel Bezug genommen, sondern auf seine Eigenschaft als genossenschaftlicher Verband aller Gerichtsinsassen. Dieser handelte durch den Gerichtsausschuss und die Vollversammlung aller (männlichen, volljährigen, ‚angesessenen’) Gerichtsinsassen auf dem periodisch stattfindenden Ehafttaiding, wobei das Gericht in ähnlicher Weise wie die Gemeinden in Form der „coniuratio“ Normen zur Regelung des lokalen, gleichwohl überörtlichen und den Raum einer einzelnen Gemeinde sprengenden Zusammenlebens erlassen konnte. Schon im 17. Jahrhundert ist dabei sehr vereinzelt festzustellen, dass sich Gerichte im Vorfeld von Normsetzungsakten koordinierten und inhaltlich vergleichbare bzw. zumindest ähnliche Regelungen erließen. Spätestens im 18. Jahrhundert ist nachweisbar, dass diese Koordination auf Ebene der Viertel vorgenommen wurde. Bei den Vierteln handelte es sich um eine seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert nachweisbare Gliederung des Landes zur Organisation der Steuereinhebung und des militärischen Aufgebots der Untertanen.346 Nachweislich seit dem 18. Jahrhundert nahmen Vertreter der Städte und Gerichte auf dem institutionalisierten Forum der so genannten Viertelskonferenzen Beratungen über zweckmäßige gemeinsame administrative, aber auch legislative Maßnahmen vor. 1713 berieten beispielsweise Deputierte der Unterinntaler Städte und Gerichte gemeinsam über Schritte, wie den aus der zunehmenden Zahl Aus rechtshistorischer Sicht aufschlussreich zum Begriff der Stadt Cordes, Burger und Baur scheydet nichts dann die Maur, 2003; ferner Schott, Zwischen Dorf und Stadt, 2002; für Tirol zuletzt Obermair, ‚Bastard Urbanism’, 2007. 345 Ein noch eingehender zu besprechendes Musterbeispiel findet sich in Tirolische Weistümer, 2. Teil, 1877, S. 219–224. 346 ���������������������������������������������������������������������������������������� Allgemein zur Vierteleinteilung Stolz, Geschichte der Gerichte, 1913, S. 287–292; Schennach, Quellen, 2004, S. 77–78; ausführlich Kap. I.4.2.2.6. 344
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herumziehender Bettler und Vaganten resultierenden Problemen auf überörtlicher Ebene begegnet werden könnte.347 Das Resultat derartiger Diskussionen konnten nicht nur konzertierte Maßnahmen auf Gerichtsebene sein, sondern auch ständische Gravamina an die Landesfürsten, um diese bzw. die Innsbrucker Behörden zum Handeln zu bringen. Nachdrücklich ist festzuhalten, dass die Viertel und Viertelskonferenzen nach derzeitigem Wissensstand nur der Koordination der Vorgehens weise der einzelnen Gerichte dienten. Die Viertel stellten keine genossenschaftlichen Verbände dar und verfügten über keine Rechtssetzungsbefugnis. Allerdings ist an dieser Stelle ebenfalls auf den eminenten Forschungsbedarf hinsichtlich der Viertel, ihrer Funktionen und ihrer Bedeutung während der Frühneuzeit hinzuweisen. Die obigen Ausführungen bedürfen noch der ausführlichen Verifikation anhand vertiefender Quellenstudien. 3. 2. 2. 2. Organe und Verfahren Im Gerichtsbuch des Landgerichts Sonnenburg findet sich im Jahr 1571 eine ländliche Rechtsquelle in Abschrift überliefert, die die Selbstbezeichnung Der nachtperschafft zu Ygls waldordnung führt.348 Das Zustandekommen dieser örtlichen, genossenschaftlichen Waldordnung wird in der Narratio ausführlich dargelegt. Auf dem Ehafttaiding der Gemeinde im Mai 1571, auf dem sämtliche ‚angesessenen’ Dorfgenossen zu erscheinen verpflichtet waren,349 war zunächst ein Normierungsbedürfnis festgestellt worden: Durch das ungeregelte Holzfällen entstünde dermassen ain solche grosse unordnung mit verschwenndung unnd auseedung irer wälder, dass ohne entsprechendes Gegensteuern sie selbst unnd sonnderlich ire nachkhomen sich fürohin nit allain mer zu behülczen hätten. Im Sinne einer nachhaltigen Bewirtschaftung der Gemeindewälder350 haben daraufhin die siebzehn anwesenden und namentlich angeführten Männer die gemeinsam ausgearbeitete Waldordnung fürgenomen und dieselb in die feder komen lassen. Darin wurden vor allem die Holznutzungsrechte jedes Gemeindegenossen auf sein getaillet, so ime zu irer holcztaillung zuetailt wirdet, beschränkt (womit es sich um ein frühes Beispiel so genannter Teilwaldrechte handeln dürfte).351 Sollte jemand im Zuge eines Bauvorhabens einen darüber hinausgehenden Holzbedarf haben, müsse er diesen beim Dorfmeister melden, der Vgl. Gemeindearchiv St. Johann, Pos. 308 „Policey und Gewerbe“ 1636–1850, 1713 April 20 (Depositum im TLA). 348 TLA, Gerichtsbuch Landgericht Sonnenburg, Bd. 9, fol. 135v–138r, 1571 Mai 15. 349 Diese Gemeindeversammlungen sind selbstverständlich nicht auf den „Deutschtiroler“ Raum beschränkt, vgl. nur Nequirito, A norma di regola, 2002, S. 33–34. 350 Zur Nachhaltigkeit als Regelungsziel nunmehr auch Frenzel, Nachhaltigkeit als Prinzip der Rechtsentwicklung, 2005. 351 Zu den Teilwaldrechten vgl. zuletzt Lang, Aspekte einer Rechtlichen Zeitgeschichte, 2005, hier S. 197–200. 347
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das Vorhaben mit drei weiteren Gemeindegenossen prüfen solle. Dieses Gremium hatte seine Einschätzung der Gemeindeversammlung zukommen zu lassen und nach einer positiven Entscheidung dem Bauwerber das Holz zuzuteilen. Nach Ausformulierung der Ordnung und deren nochmaliger Verlesung schwören sämtliche Gemeindegenossen die Einhaltung: Solchem [...] getreulichen und erberlichen zu gleben und nachzekomen unnd darwider in ewig zeit nit zu schreitten hat ain ersame nachperschafft (als die hievor mit namen beschribnen personen) für sich, ire erben und nachkomen dem ersamen [...] lanndtgerichtsschreiber [...] mit mundt und hanndt gelobten trewen zuegesagt und versprochen.352 Außerdem baten die Gemeindemitglieder den in Vertretung des Landrichters anwesenden Landgerichtsschreiber um Ausfertigung der erlassenen Ordnung in Form einer Siegelurkunde, damit sie sich darnach zu verhalten wissen.353 Anhand des soeben ausführlich wiedergegebenen Beispiels einer genossenschaftlichen Normsetzung und einer freiwilligen Unterwerfung der Rechtsgenossen unter das selbst gesetzte Recht lassen sich einige verallgemeinerungsfähige Aussagen treffen. Im Vorfeld des Rechtssetzungsaktes muss Konsens über das Bestehen eines einschlägigen Normierungsbedarfes bestehen. Die im Jahr 1656 erlassene Dorfordnung von Seefeld schildert beispielsweise in ihrer Narratio ausführlich die aufgetretenen Missstände. Das Regelungsziel des daraufhin ausgearbeiteten Normenkomplexes verfolge das Ziel, „nun deme firzukomen und zu vermeiden, auch pessere policei und ordnung aufzurichten“.354 Öfters wird in den Arengen von Dorfordnungen expressis verbis auf vorangegangene Streitigkeiten zwischen Dorfgenossen hingewiesen, die durch die verbindliche Regelung in einer Ordnung endgültig beigelegt werden sollen.355 Schließlich konnte sich eine frühere Dorfordnung aufgrund neu aufgetretener oder veränderter Problemlagen als insuffizient erweisen, was eine Ergänzung oder Neuregulierung erforderte.356 Die Dorfordnung der Gemeinde Mötz im Oberinntal von 1629 macht so einleitend auf eine frühere Ordnung aus dem TLA, Gerichtsbuch Landgericht Sonnenburg, Bd. 9, fol. 135v–138r, hier fol. 137r, 1571 Mai 15. 353 TLA, Gerichtsbuch Landgericht Sonnenburg, Bd. 9, fol. 135v–138r, hier fol. 137v, 1571 Mai 15. 354 Tirolische Weistümer, 2. Teil, 1877, S. 28; ganz ähnlich z. B. in Tirolische Weistümer, 6. Teil, 1994, S. 156 (Silz, 1683). 355 �������������������������������������������������������������������������������������������� So z. B. Tirolische Weistümer, 5. Teil, 1966, S. 278–279 (Kematen, 1589); ebd., S. 304 (Tulfes, 1619); ebd., S. 336 (Telfes, 1436); Tirolische Weistümer, 5. Teil, 1966, S. 8 (Niederndorf, 1549); Huter, Tscharser Dorfbuch von 1432, 1955, S. 101. 356 Vgl. z. B. die Dorfordnung von St. Lorenzen im Pustertal von 1565, die auf Defizite in der Ordnung von 1509 verweist (Tirolische Weistümer, 4. Teil, 1. Hälfte, 1888, S. 458). 352
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Jahr 1491 aufmerksam, die „dann noch vorhanden und durch ain ersame nachperschaft in yeblichen gebrauch gewesen“ sei.357 Nun hätten sich „aber seithero vilfeltige veränderungen begeben und zuegetragen, also, das noch vil andere puncten, so in geherter ehehaft nit begriffen, abzuröden und zu beschließen, die notturft erfordert“ hätte.358 Ebenso weist die Dorfordnung von Silz aus dem Jahr 1683 auf die entstandenen Unzulänglichkeiten der Vorgängerordnung von 1616 hin, aus der man zwar alle als „dienstlich“ erachteten Bestimmungen übernommen, jedoch „nach erwegung der sachen umbsteend“ neue Artikel aufgenommen habe.359 Wie selbstverständlich die Erlassung einer umfassenden, eine Mehrzahl von Angelegenheiten des dörflichen Zusammenlebens regelnden Dorfordnung war, vermag ein aufschlussreicher Hinweis aus dem Jahr 1715 zu verdeutlichen. Damals wurde im Dorf Ötz die erste Dorfordnung erlassen, wobei einleitend darauf hingewiesen wird, dass das Fehlen einer solchen Ordnung angesichts der weiten Verbreitung in anderen Gemeinden – „fast überall“ gäbe es demnach entsprechende Normenkomplexe – bereits als Manko wahrgenommen wurde, woraus „schädliche mißbräuche“ entstanden seien.360 Wie beim einleitenden Beispiel Igls erfolgt die Ausarbeitung und Formulierung der zu setzenden Normen in kleineren Gemeinden durch die Gesamtheit der Gemeindegenossen. Es „wart [...] erfunden durch die ganntz gemainde“, wie es 1432 im Dorf Tschars im Vinschgau heißt.361 In der umfassenden Ordnung des Marktes St. Lorenzen von 1509 wird diese Rechtssetzungskompetenz der „ganzen Gmain“ auf dem mindestens einmal jährlich abzuhaltenden Taiding ausdrücklich angesprochen.362 Eine dementsprechend große Rolle kommt dem Einstimmigkeitsprinzip zu, demgegenüber sich das Mehrheitsprinzip nur sehr langsam durchsetzt. Zeigen sich Meinungsdifferenzen, wird regelmäßig bis zum Herstellen eines allgemeinen Konsenses weiterverhandelt.363 Es wurde „von gesambter dorfschafft dahin beschlossen“364, es hat sich die „ganze gemaine nachpauerschaft [...] diser ordnung verglichen und entschlossen“365, es wurde durch „ain gesambte gmain“ „ainhellig erwogen, beratschlagt und beschlossen“366, einer gemeinsam erarbeiteten Regelung „haben gesambte benachberte des ganzen dorfs [...], kainer außgenomen, seinen Tirolische Weistümer, 6. Teil, 1994, S. 181. Tirolische Weistümer, 6. Teil, 1994, S. 181. 359 ������������������������������������������������������������������������������������������ Tirolische Weistümer, 6. Teil, 1994, S. 156–157; ganz ähnlich ebd., S. 220 und S. 231 (Umhausen, 1700 und 1736). 360 Tirolische Weistümer, 6. Teil, 1994, S. 273; ganz ähnlich in Vorst (Südtirol) im Jahr 1692, vgl. Tirolische Weistümer, 4. Teil, 1. Hälfte, 1888, S. 143. 361 Huter, Tscharser Dorfbuch von 1432, 1955, S. 101. 362 Tirolische Weistümer, 4. Teil, 1. Hälfte, 1888, S. 457. 363 Vgl. z. B. Tirolische Weistümer, 6. Teil, 1994, S. 40. 364 Tirolische Weistümer, 1. Teil, 1875, S. 70. 365 Tirolische Weistümer, 1. Teil, 1875, S. 62. 366 Tirolische Weistümer, 6. Teil, 1994, S. 38. 357 358
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consenß hierein erthailt“367, auf dem Inzinger Ehafttaiding 1559 haben sich „alle ainhelligclichen miteinannder beschlossen, verglichen und veraindt“368, einem Regelungskomplex der Gemeinde Zirl von 1493 liegt eine „ainhelige fürbetrachtung, verwilligung, abred und beschlus“369 der Rechtsgenossen zugrunde, wobei das Resultat der gemeinschaftlichen Rechtssetzung bezeichnenderweise mit der Paarformel „ordnung und ainigkait“ bezeichnet wurde. Dass das Mehrheitsprinzip noch gegen Ende des 17. Jahrhunderts bei Erlass gemeindlicher Normen keineswegs selbstverständlich war, belegt eine Bitte der Gemeinde Mais (bei Meran) an Kaiser Leopold I. um Ratifikation der Dorfordnung von 1683. Letztere sei auf einer Gemeindeversammlung von allen Gemeindegenossen angenommen und beschworen worden – mit Ausnahme eines Einzigen, der sie zum Schaden des gemeinen Nutzens hartnäckig zu contradicieren versuche. Mit einem bemerkenswerten Rekurs auf das gelehrte Recht macht die Gemeinde Mais in ihrer Supplikation geltend, dass es in einem solchen Fall rechtens sei, daß wann dergleichen ordnung dem mehrern thail gfellig, das soll für vest und stät gehalten werden.370 Kurz darauf erfolgte die landesfürstliche Approbation, die ausdrücklich die Befolgung der Dorfordnung durch sämtliche Rechtsunterworfene anordnete.371 In diesem Zusammenhang sei bereits kurz auf die Funktion der Ratifikation einer Dorfordnung bzw. eines gemeindlichen Rechtssetzungsaktes durch den Landesfürsten oder durch den örtlich zuständigen Richter hingewiesen. Diese diente nicht bzw. nur in äußerst eingeschränktem Maße der inhaltlichen Kontrolle eines gemeindlichen Rechtssetzungsaktes durch den Landesfürsten bzw. die lokalen Obrigkeiten. Dasselbe gilt für die Anwesenheit eines Vertreters der Obrigkeit bei der Aushandlung des Rechtssetzungsaktes durch die Rechtsgenossen. Der häufig gegenwärtige Landrichter sollte nicht primär auf die Übereinstimmung mit landesfürstlicherseits gesetztem Recht achten, sondern durch die Vermittlung eines Außenste henden die auf Einstimmigkeit abzielende Willensbildung auf Gemeindeebene erleichtern. Ebenso dient eine von einer Gemeinde vorgebrachte Bitte um obrigkeitliche (landesfürstliche) Ratifikation eines gemeindlichen Rechtsetzungsaktes – die wohlgemerkt rechtlich nicht vorgeschrieben war – vor allem der Erhöhung von dessen Autorität: Spätere Dispute sowie das Ausscheren einzelner Gemeindegenossen sollten dadurch hintangehalten werden.372 So weist die Dorfordnung von Stilfes 369 370 371 372 367 368
Tirolische Weistümer, 5. Teil, 1966, S. 306. Tirolische Weistümer, 5. Teil, 1966, S. 57. Tirolische Weistümer, 5. Teil, 1966, S. 81. StAM, Gemeindearchiv Mais, Gemeindeordnung 1540–1685, Nr. 13. Edition in Tirolische Weistümer, 4. Teil, 1. Hälfte, 1888, S. 129–143. Ähnliches zeigt sich schon beim Weistum von Partschins im Jahr 1407, als der „merar tail der leuten“ wegen anhaltender gemeindeinterner Differenzen über dessen Inhalt um eine Konfirmation des Weistums durch den Landesfürsten bat, vgl. Tirolische Weistümer, 4. Teil, 1. Hälfte, 1888, S. 30; ausdrücklich angesprochen ist diese Funktion der landesherrlichen Ratifikation bereits bei Ebel, Willkür, 1953, S. 67, die maßgeblich den Zweck erfüllte, dass
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ausdrücklich aus, dass die Ausstellung einer Urkunde durch die Gerichtsobrigkeit dem Zweck diene, „daß diser ordnung nachgelebt“ werde.373 Geradezu mustergültig lässt sich dies anhand des bereits angeführten Maiser Beispiels nachweisen. Obwohl Dorfordnungen von Mais schon seit dem 16. Jahrhundert nachweisbar sind,374 supplizierte die Gemeinde erstmals 1683 angesichts von internen Meinungsdifferenzen bzw. angesichts des Widerstands eines einzelnen Rechtsgenossen gegen die neue Ordnung um die Ausstellung einer landesfürstlichen Ratifikationsurkunde, die den bislang Widerstrebenden zum Einlenken und zur Anerkennung des gemeindlichen Rechtssetzungaktes bewegen sollte. Die Bedeutung des Einstimmigkeitsprinzips zeigt sich zudem daran, dass manche (namentlich frühe) Dorfordnungen die Zulässigkeit von Mehrheitsentscheidungen – offensichtlich als Abweichen von der Norm – ausdrücklich anführen.375 In der Oberperfer Holzordnung von 1516 verpflichteten sich die Gemeindegenossen, dass bei zukünftigen Beschlüssen betreffend Wasserschutzbauten „der weniger taill“ dem „nachkomen“ sollte, was „der merer tail [...] dem gemaynen nuz nach“ anordnen würde.376 Die Durchsetzung des Mehrheitsprinzips ist ein langsamer, sich regional mit unterschiedlicher Geschwindigkeit vollziehender Prozess.377 Im Weistum des Gerichts Villanders aus dem ausgehenden 15. Jahrhundert wird es beispielsweise bereits als altes Herkommen ausgewiesen, dass die Normsetzung durch Mehrheitsbeschluss der Gerichtsgenossen zu erfolgen habe (wobei es hier zu berücksichtigen gilt, dass die Rahmenbedingungen der genossenschaftlichen Willensbildung auf Gerichtsebene aufgrund der größeren Anzahl von Genossen von vornherein andere sind als auf Gemeindeebene): „Was ain ainung ist in dem gericht, von welicherlai sach wegen das ist, wes der merär tail über ain wirt, des hat die gemainschaft gewalt, auf oder ab ze nemen, und bei welicher pen es verpunten [d. h. verboten] wirt, da hat der richter gewalt, umb ze nöten.“378 Im Markt St. Lorenzen lässt sich die Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip bei der kommunalen Normsetzung sogar terminlich fixieren: Anlässlich der Ausardie obrigkeitlicherseits bestätigten Willküren „der Anfechtung entzogen wurden.“ Vgl. ferner auch Birr, Ordnung im Dorf, 2010, S. 163–164. 373 Tirolische Weistümer, 4. Teil, 1. Hälfte, 1888, S. 416. 374 Vgl. den Bestand StAM, Gemeindearchiv Obermais, Gemeindeordnung 1540–1685. 375 ���������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. z. B. Tirolische Weistümer, 4. Teil, 1. Hälfte, 1888, S. 149, 151; ebd., S. 416 (die Dorfordnung von Stilfes bei Sterzing von 1712 weist es als „altes Herkommen“ aus, dass in Gemeindeangelegenheiten das Mehrheitsprinzip gilt); 376 Tirolische Weistümer, 6. Teil, 1994, S. 67. 377 Vgl. auch Maleczek, Abstimmungsarten, 1990, hier bes. S. 97 (mit weiteren Literaturhinwei sen). 378 Tirolische Weistümer, 4. Teil, 1. Hälfte, 1888, S. 258.
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VI. Leitkategorien und Ordungskategorien der Gesetzgebung
beitung der neuen Dorfordnung im Jahr 1565 beschlossen die anwesenden 19 Gemeindegenossen ausdrücklich, dass all dem, „was kunftigclichen durch den merrern thail der nachperschaft vonwegen gemaines nuz fürgenomen, gehandelt und verordent wirdet, das sollen die abwesenden oder beiwesenden nachpern zu halten [...] schuldig sein“.379 Am Schluss des gemeindlichen Rechtssetzungsprozesses steht das feierliche Schwören ihrer Einhaltung durch die Rechtsgenossen als förmlicher Akt der freiwilligen Unterwerfung unter das „selbs aufgesözte“380 Recht. Dieser regelmäßig für sich selbst und für die Erben bzw. Nachkommenschaft geleistete Schwur, den gemeinsam erarbeiteten „puncten und articlen iederzeiten und in die ewigkeit wahr, vest, stät und ganz [...] nachzukomen und darwider nichts zu röden, fürzunehmen oder zu handlen“381, erfolgte mit „Mund und Hand“, d. h. unter Aufsagen einer Schwurformel und Erheben der Schwurfinger.382 Trotz dieser grundsätzlichen Gleichförmigkeit sind regionale Varianten denkbar: Bei Abwesenheit eines Vertreters der Obrigkeit konnten die Gemeindegenossen den Schwur schlichtweg „ainander“383 oder dem Dorfmeister gegenüber leisten.384 Normalerweise leisteten die Gemeindegenossen den Schwur jedoch dem anwesenden Landrichter. Dabei wurde im Einzelfall sogar spezifiziert, dass der Schwur „am gerichtsstab“ (d. h. unter Auflegen der Schwurfinger auf den Richterstab) erfolgte.385 Das Beschwören der genossenschaftlichen Rechtssetzung konnte auch dann noch in der soeben beschriebenen Form erfolgen, wenn ein größerer Personenkreis betroffen war. Belegt ist, dass selbst bei mehr als fünfzig Schwörenden der Eid auf diese Weise abgelegt wurde.386 Ab einer gewissen Anzahl von Rechtsgenossen lag es jedoch nahe, das Prozedere zu vereinfachen. Dies führte dazu, dass statt der gesamten Gemeinde nur noch ein kleinerer Kreis „als gwalthaber und von der gmain abgeordnete“387 den Schwur leistete, beispielsweise der Dorfmeister und der Gemeindeausschuss.388
Tirolische Weistümer, 4. Teil, 1. Hälfte, 1888, S. 461. ���������������������������������������������������������������������������������������� So die aufschlussreiche Bezeichnung in der Feuerordnung von Telfes in Tirolische Weistümer, 5. Teil, 1966, S. 341. 381 So durchaus repräsentativ Tirolische Weistümer, 6. Teil, 1994, S. 194. 382 Vgl. z. B. Tirolische Weistümer, 6. Teil, 1994, S. 229; Tirolische Weistümer, 2. Teil, 1877, S. 207; Hölzl, Gemeindearchive des Bezirkes Reutte, I. Teil, 1997, Nr. 5/1; ebd., Nr. 8/12; ebd., Nr. 9/4. 383 Vgl. z. B. Tirolische Weistümer, 2. Teil, 1877, S. 197; ebd., 5. Teil, 1966, S. 306. 384 Ein Beispiel hierfür bei Moser, Archiv der „Anwaltschaft Lermoos“, 1976, Nr. 12, 1686 März 10. 385 �������������������������������������������������������������������������������������������� Tirolische Weistümer, 5. Teil, 1966, S. 304; zur Symbolik des Richterstabs vgl. Kocher, Zeichen und Symbole, 1992, S. 141–142. 386 So in Niederdorf im Jahr 1602, vgl. Tirolische Weistümer, 4. Teil, 1. Hälfte, 1888, S. 549. 387 So in Tirolische Weistümer, 6. Teil, 1994, S. 173. 388 Beispiele in Tirolische Weistümer, 6. Teil, 1994, S. 172, 194, 289; ebd., 5. Teil, 1966, S. 126; Hölzl, Gemeindearchive des Bezirkes Reutte, I. Teil, 1997, Nr. 24/4 und Nr. 24/7. 379 380
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Am Ende des gemeindlichen Rechtssetzungsprozesses stand häufig die Beurkundung des legislativen Aktes. Im ländlichen Bereich erfolgte diese zumeist durch einen Vertreter der gerichtlichen Obrigkeit, d. h. durch den Richter oder in dessen Stellvertretung durch den Gerichtsschreiber. Alternativ konnte selbstverständlich der Landesfürst einen gemeindlichen Rechtssetzungsakt konfirmieren. In Städten von Bürgermeister und Rat erlassene Normen und Normenkomplexe wurden gegebenenfalls vom Landesfürsten konfirmiert. Nachdrücklich muss betont werden, dass es während des gesamten Untersuchungszeitraums keine rechtliche Verpflichtung zur gerichtlichen bzw. landesfürstlichen Ratifikation und Beurkundung eines genossenschaftlichen Rechtssetzungsaktes gab. Während beispielsweise die Stadt Bozen 1523 beim Regiment in Innsbruck um die Konfirmation einer städtischen Policeyordnung ansuchte,389 erließ die Stadt Innsbruck 1526 eine Sonderordnung zur Begrenzung des Aufwands bei Hochzeiten und anderen Festivitäten ohne einen derartigen Schritt.390 Nach Erlass einer ähnlichen Ordnung supplizierte die Stadt Hall 1553 ebenfalls um die landesfürstliche Konfirmation,391 während sie bei einer 1557 publizierten Ordnung der maschgereyen und burgertäncz halb davon absah.392 Eine Stadt konnte sich ohne weiteres auf die mündliche Publikation und die Eintragung eines Rechtssetzungsaktes in das Ratsprotokoll oder ein Stadtbuch beschränken. Mit der Verdrängung des Einstimmigkeits- durch das Mehrheitsprinzip sowie mit der Schwurleistung durch Stellvertreter statt durch die Gesamtheit der Rechtsunterworfenen sind bereits zwei Möglichkeiten der Vereinfachung des genossenschaftlichen Rechtssetzungsverfahrens genannt. Eine solche Simplifizierung des Verfahrens, das in seiner idealtypischen Ausprägung zwar zu einer breiten Partizipation der Rechtsunterworfenen und zu einer in der Schwurleistung versinnbildlichten Selbstunterwerfung führte, musste bei Vorliegen gewisser Faktoren angebracht bzw. notwendig erscheinen.393 Als wesentliche, miteinander in engem Zusammenhang stehende Faktoren können dabei die Größe des betroffenen genossenschaftlich organisierten Gemeinwesens, die Komplexität der sozialen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Rechtsgenossen und die Intensität des Normierungsbedarfs ausgemacht werden. Überstieg die Anzahl der mitwirkungsberechtigten Gemeindemitglieder eine bestimmte Größenordnung, waren die Mitwirkung aller bei der Ausarbeitung des Rechtssetzungsaktes und das Herstellen von Einstimmigkeit nur mehr erschwert möglich und führte die Schwurleistung durch jeden Einzelnen zu einer erheblichen zeitlichen Verzögerung. Da das Taiding aller 391 392 393 389 390
Vgl. TLA, Hs. 5342, 1523 Dez. (ohne nähere Datierung). Vgl. StAI, Ratsprotokoll, Bd. 1, Nr. II. Vgl. TLA, Konfirmationsbuch, Reihe II, Bd. 1, fol. 317v–318r, 1553 Mai 13. StAH, Stadtschreiber-Ratsmemorial 1557, unfol., unpag. Vgl. auch schon Ebel, Willkür, 1953, S. 53: „Freilich hat die unmittelbare Beratung durch die Gesamtheit der persönlich teilnehmenden Gemeindegenossen nur in dörflichen und in den städtischen Verhältnissen der Frühzeit stattfinden können.“
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VI. Leitkategorien und Ordungskategorien der Gesetzgebung
Gemeindegenossen zudem je nach örtlichem Herkommen nur ein- oder zweimal im Jahr stattfand, war eine flexible, rasche Reaktion auf akute Normierungsbedürf nisse nicht möglich. In einer kleinen, agrarisch geprägten und weitgehend auf die lokale Selbstversorg ung abzielenden Gemeinde mit einer großen Konstanz der Lebensverhältnisse und folglich mit quantitativ und qualitativ überschaubaren gemeindlichen Regulierungsnotwendigkeiten war eine solche idealtypische genossenschaftliche Rechtssetzung ohne weiteres praktikabel. Exemplarisch lässt sich dies anhand des Dörfchens Fließ im Oberinntal nachweisen, dessen 15 Artikel umfassende Dorfordnung aus dem Jahr 1519 stammte und bis zum Ende des 17. Jahrhunderts nur marginal überarbeitet wurde: 1546 wurden von der „Gmain“ auf dem Gemeindetaiding ein Artikel modifiziert und eine weitere Norm hinzugefügt. Zur nächsten Ergänzung durch zwei zusätzliche Bestimmungen kam es erst knapp ein Jahrhundert später (1643), 1694 wurde ein weiterer Artikel angefügt.394 Erst im Jahr 1801 kam es zur Erlassung einer neuen, nunmehr 60 Artikel umfassenden Dorfordnung. Die große Konstanz der Lebens- und Wirtschaftsverhältnisse erforderte also keine raschen Anpassungen des lokalen Rechts, eine Vereinfachung des kommunalen Rechtssetzungsprozesses war somit nicht notwendig. Bei größeren, arbeitsteilig strukturierten, am überregionalen Handel partizipierenden Gemeinden war hingegen ein langfristiges Festhalten am Idealtyp der Einung kaum mehr möglich. Dies gilt natürlich umso mehr für die Ebene des mehrere Gemeinden umfassenden Gerichts, das mit dem Ehafttaiding auch eine zumeist ein bis zwei Mal jährlich stattfindende Zusammenkunft aller vollberechtigten (volljährigen, ‚angesessenen’) Gerichtsgenossen kannte. Das Beschwören der genossenschaftlichen Rechtssetzung durch Stellvertreter und vor allem das Mehrheitsprinzip stellen Schritte auf dem Weg zur Simplifizierung des Rechtssetzungsverfahrens dar. Eine weitere war die Übertragung der vorbereitenden Arbeiten und der Ausformulierung der zu erlassenden Norm auf ein Organ der Genossenschaft oder auf ein ad hoc konstituiertes Gremium. Als dafür in Frage kommende Organe boten sich auf der Ebene der Landgemeinde der Dorfmeister (Dorfvorsteher, Dorfvogt) und der je nach Anzahl der Mitglieder zumeist „Vierer“, „Sechser“ oder „Zwölfer“ genannte Gemeindeausschuss an.395 Die Dorfordnung von Umhausen aus dem Jahr 1605 wurde beispielsweise durch den Dorfmeister, die „Sechser“ sowie durch zwei zu diesem Zweck zusätzlich herangezogene Gemeindemitglieder entworfen. Zuvor waren sie von der „Gmain“ ausdrücklich dazu „verordnet und erkiest“ worden.396 Das von ihnen erstellte Konzept wurde anschließend auf einem Taiding der „ganzen gmain fürgehalten, abgelesen“, von dieser für gut befunden und daraufh in die Einhaltung beschworen.397 396 397 394 395
Vgl. Tirolische Weistümer, 2. Teil, 1877, S. 219–224. Vgl. Werunsky, Reichs- und Rechtsgeschichte, 1894/1938, S. 727. Tirolische Weistümer, 6. Teil, 1994, S. 213–214, Zitat S. 213. Tirolische Weistümer, 6. Teil, 1994, S. 214.
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Eine vergleichbare Vorgehensweise finden wir im Jahr 1646 im Markt Imst, wo eine von „Bürgermeister“ und „Rat“ erstellte Sonderordnung der „Bürgerschaft“ vorgelesen und von dieser angenommen wurde.398 Und ein ganz ähnliches Prozedere ist bereits für das Jahr 1530 in der Gemeinde Pfunds im Oberinntal belegt:399 Auf der Gemeindeversammlung hat „ain gmain nachpaurschaft“ zwölf Männer (einschließlich des Dorfmeisters) ermächtigt, alles das „zu ordnen und zu setzen“, was zur Regelung des Zusammenlebens und des gemeinen Nutzens notwendig wäre. Allerdings stellte die „Gmain“ ausdrücklich klar, dass die gemeindliche Rechtssetzungskompetenz bei ihr lag. Zwar verpflichtete sie sich grundsätzlich: „Wie es dieselben [die zwölf Ermächtigten] setzen und ordnen: Darpey zu bleiben.“ Diese Selbstbindung stand aber unter einem großen Vorbehalt. Dessen ungeachtet hatte nämlich „die gmaine, angesessne nachpaurschaft allezeitt gwalt: Wo es inen in ainem arttickl oder mer zu schwer oder zu gring (...) were – oder ettliche gar abzuthun oder weitters furnemen –, dasselb mügen wennden und verendren allweg, was ainer gmaind nutz, erlich und gutt ist.“ Von hier bis zur vollständigen Delegation der genossenschaftlichen Rechtsset zungskompetenz auf ein Organ der Genossenschaft war es schließlich nur noch ein Schritt, der auch in einem Markt wie Reutte oder Matrei a. Br. bereits im 16. Jahrhundert erreicht war.400 Schon 1506 erlassen beispielsweise Bürgermeister und Rat von Reutte eine mehrere Policeymaterien regelnde Ordnung.401 1664 wird „zu erhaltung und befürderung gemaines nutz“ eine Ordnung vom Bürgermeister und vom Rat des Marktes „anstatt ainer ganzen gmain“ erlassen,402 wodurch die Delegation der legislativen Befugnisse an den Rat unterstrichen wird. Bei Städten war die Normsetzung durch den Rat schon im Spätmittelalter der Normalfall:403 „Die Kompetenz, das soziale, wirtschaftliche und in bestimmtem Umfang auch das politische Leben, das Gemeinschaftsleben insbesondere unter den Gesichtspunkten von Sicherheit, Gefahrenabwehr, Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern und Gemeinwohl in der Stadt durch Statuten zu regeln, war dem Vorgang der Gemeindebildung und der Etablierung einer Ratsherrschaft gedanklich inhärent und wurde Städten mit einem anerkannten und handlungsfähigen Rat kaum je grundsätzlich bestritten.“404 In Tirol lässt sich dies schon in den ersten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts im Zuge der Verfestigung der städtischen Ratsverfassung nachweisen. So bestätigte Herzog Heinrich 1317, dass Kaufverträge zwischen Bürgern, die den Wert von zehn Pfund Berner übersteigen, schriftlich und unter dem Siegel der Stadt Vgl. Hölzl, Imst, 1992, Nr. M2. Zum Folgenden (einschließlich der Zitate) vgl. Tirolische Weistümer, 7. Teil, 1994, S. 263. 400 Zu Matrei vgl. z. B. Tirolische Weistümer, Bd. 5, 1966, S. 345. 401 ������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Hölzl, Gemeindearchive des Bezirkes Reutte, I. Teil, 1997, 1506 Aug. 14; zu den Rahmenumständen auch Palme, Rechts-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte, 1989, S. 48. 402 Tirolische Weistümer, 2. Teil, 1877, S. 96. 403 Vgl. die flüchtige Erwähnung bei Stolz, Geschichte der Gerichte, 1912, S. 200. 404 Isenmann, Gesetzgebung spätmittelalterlicher deutscher Städte, 2001, S. 52. 398 399
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zu beurkunden sind – eine Norm, die zuvor vom Innsbrucker Richter (ein Bürgermeister ist in Innsbruck erst seit 1354 belegt405) und den geschworen von der stat ze Jnspruk gesetzet worden war.406 Geradezu mustergültig findet sich das Satzungsrecht des Stadtrats in einem Privileg für Meran aus dem Jahr 1345 umschrieben. Damals wurde festgehalten, dass der Stadtrat „vollen gewalt“ habe, „[...] ze setzen alles daz, daz der Herschaft und auch der Stat nutz und ere sei, sunderlich an chäuffen, an weine, an chorn, an prot, an fleysch, an futer, und gemainlich an allen andern dingen und sachen, als sey ir sinne und ir gewizzen lautent und auch die selben gesetzte, die si tunt, ze verchern, ze minren und ze meren, als oft si sich versehen, daz sein [sic] not sei [...].“407 Die einzelnen Bürger sind in der Folge nicht mehr direkt an der städtischen Rechtssetzung beteiligt,408 die alljährlich (in Bozen z. B. am 6. Januar) stattfindende Bürgerversammlung dient nicht der Approbation der vom Rat erlassenen Ge- und Verbote oder dem Beschwören ihrer Einhaltung, sondern der Publikation bzw. Wiederholung von (vornehmlich) städtischen Rechtssetzungsakten. Dennoch blieb der Einungscharakter greifbar. Als so der Bozner Bürgerschaft am 6. Januar 1656 eine Reihe von städtischen Normen kundgemacht wurde, wies man ausdrücklich auf den Bürgereid als Verpflichtungsgrund hin: Sy die bürgerschafft und gemain (und jede persohn auß ihnen besonders) sei ihrem ainem rath gethanen versprechen und leiblich erstaten aydt gemeß als gethreu gehorsame bürger zur Befolgung der vom Rat erlassenen Normen verpflichtet.409 Der originäre einungsrechtliche Charakter der Satzungen bleibt zudem durch das Faktum erhalten, dass Bürgermeister und Rat ungeachtet lokal divergierender Wahlmodi aus den Reihen der Bürgerschaft stammen. Ein hier nicht abundant zu behandelnder Fragenkomplex betrifft die Einflussmöglichkeiten des jeweiligen Stadtherren, in Tirol in concreto des Landesfürsten, die in Spätmittelalter und Frühneuzeit unterschiedlich zu bewerten sind. Im Spätmittelalter darf man in Tirol tendenziell von einer Emanzipation der städtischen Rechtssetzung vom stadtherrlichen, d. h. landesfürstlichen Einfluss ausgehen, spezi Hye, Städte Tirols, I. Teil, 1980, S. 99. Zit. nach HHStA, Cod. 391, fol. 72 (alt) bzw. fol. 77 (neu), Nr. 175, 1317 Dez. 21; Edition bei Rapp, Statutenwesen, 1. Teil, 1827, S. 129. 407 Zit. nach Stampfer, Geschichte von Meran, 1889, S. 356–357 (inhaltlich hierzu auch ebd., S. 41–42). 408 ����������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. auch Bader/Dilcher, Rechtsgeschichte, 1999, S. 616: „Indem dann im 14. und 15. Jahrhundert der Rat sich langsam aus dem Verständnis als Organ der Bürgergenossenschaft löst und sich als gesetzte Obrigkeit versteht, konnte aus der alten Willkür ein Gebots- und Verordnungsrecht der ‚Herren vom Rate’ werden.“ 409 ������������������������������������������������������������������������������������� StAB, Archivkiste 219, Extrakt über die 1656 Jan. 6 vorgenommene Normpublikation, unfol., unpag. 405 406
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ell wenn die Mitwirkung des (in Innsbruck vom Stadtherrn im Einvernehmen mit dem Rat eingesetzten) Stadtrichters am städtischen Rechtssetzungsprozess – wie sie beim angeführten Beispiel aus dem Jahr 1317 noch gegeben ist – ausgeschaltet wird.410 Gerade im Fall von Innsbruck zeigt sich jedoch namentlich ab Erzherzog Ferdinand II. eine zunehmende Einflussnahme des dort residierenden Erzherzogs auf das städtische Policeyrecht (s. u.). Auf Ebene des Gerichts als eines genossenschaftlichen Verbandes ist es im Allgemeinen der Gerichtsausschuss,411 der legislative Akte ausarbeitet und die Einhaltung stellvertretend für die „Gmain“ der Gerichtsinsassen beschwört. Der Gerichtsausschuss besteht dabei regelmäßig aus zwölf Personen, die sich aufgrund von gewohnheitsrechtlich vorgegebenen Wahlmodi aus dem Kreis der vollberechtigten, über Grund und Boden verfügenden Gerichtsinsassen rekrutieren und üblicherweise zugleich die Funktion von Gerichtsgeschworenen wahrnehmen. Dabei ist öfters belegt, dass der Gerichtsherr und/oder der örtliche Richter an der Ausarbei tung des genossenschaftlichen Rechtssetzungsaktes beteiligt wurden, wenngleich es der derzeitige ungenügende Forschungsstand noch nicht zulässt, den Umfang der obrigkeitlichen Ingerenz auf die genossenschaftlichen Rechtssetzungsakte zuverlässig zu beurteilen.412 Dass diese legislative Tätigkeit der Gerichte „in der Regel mit Zustimmung oder in Zusammenarbeit mit der Obrigkeit erfolgen“ musste, wie dies Niederstätter für die vorarlbergischen Gerichte ausmacht,413 dürfte vorbehaltlich der empfindlichen Forschungslücken wohl auch auf Tirol zutreffen.414 Dabei ist zu betonen, dass die Heranziehung einer Person, die bei einer grundsätzlich autonom zu regelnden Materie keine Eigeninteressen verfolgte, durchaus im Sinne der Gerichtsinsassen sein konnte. Ein solcher Außenstehender war schließlich in besonderem Maße zum Vermitteln zwischen Gruppierungen mit divergierenden Interessen geeignet.
Zum Fragenkomplex allgemein Isenmann, Gesetzgebung und Gesetzgebungsrecht, 2001, S. 57–76. 411 Zum Gerichtsausschuss vgl. Stolz, Rechtsgeschichte des Bauernstandes, 1948, S. 316; nicht erwähnt bei Beimrohr, Brief und Siegel, 1994, und Werunsky, Reichs- und Rechtsgeschichte, 1894/1938, die die Gerichte in ihrer Eigenschaft als Selbstverwaltungskörper nicht behandeln. 412 Vgl. z. B. Hölzl, Gerichtsarchiv Laudegg, 1984, Nr. 38; Moser, Anwaltschaft Lermoos, 1976, Nr. 8. 413 Niederstätter, Bürger und Bauer, 2000, S. 124. 414 �������������������������������������������������������������������������������������������� Zur ausgeprägten legislativen Tätigkeit der Vorarlberger Gerichte ausführlich Blickle, Landschaften, 1973, S. 295–303. 410
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3. 2. 2. 3. Inhalte 3. 2. 2. 3. 1. Autonome Rechtssetzung Die Rechtssetzungskompetenz der Gemeinden war, wie bereits mehrmals hervorgehoben, eine der territorialen Gesetzgebung zeitlich vorangehende, nicht vom Landesfürsten abgeleitete, sondern originäre Befugnis. Materiell war sie sehr umfassend415 und schloss tendenziell nur zwei Rechtsbereiche aus: das Strafrecht sowie die Regelung jener Rechtsverhältnisse, die modernrechtlich als „Privatrecht“ bezeichnet werden können. Diese inhaltliche Limitierung unterliegt jedoch ihrerseits einer Beschränkung, da sie für die spätmittelalterlichen Städte nicht generalisierbar ist.416 Üblicherweise finden sich im Straf- und Zivilrecht bestenfalls in Randbereichen ergänzende Bestimmungen.417 Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die Dorfordnung von Rietz aus dem Jahr 1652 Strafsätze für den Diebstahl von Obst und Feldfrüchten festlegt418 oder vielfach die (offensichtlich überaus konfliktanfällige) Pfändung beweglicher Sachen von den Gemeindegenossen eingehend geregelt wird.419 Insofern ist der zusammenfassenden Feststellung Karl Siegfried Baders zuzustimmen, dem zufolge es sich bei der Gemeinde „niemals um volle Satzungsautonomie handeln kann. [...] Immer geht es allenfalls um Satzungsrecht in einem beschränkten kommunalen Wirkungskreis.“420 Der regional in Spätmittelalter und Frühneuzeit stark variierende Umfang des kommunalen Satzungsrechts ist dabei unbestritten ein zentrales Indiz für das Ausmaß gemeindlicher Autonomie.421 Die Tiroler Gemeinde konnte während des Untersuchungszeitraums jedenfalls sämtliche Angelegenheiten des örtlichen Zusammenlebens grundsätzlich unbeschränkt regeln.422 Dabei erweist sich die von Bernd Schildt anlässlich seiner Untersuchung thüringischer Dorfordnungen vorgeschlagene Dreiteilung der legislativen Kompetenzen der Gemeinde in die Rechtsbereiche Policeyrecht, Gemeindeverfas Vgl. nur die Feststellung bei Marquardt, Reich als Segmentäres Verfassungssystem, 1999, S. 192: „Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das in den Lokalen Herrschaften autonom geregelte Recht umfassend war und nahezu alle menschlichen Lebensbereiche durchdrang.“ 416 Vgl. Mitteis/Lieberich, Deutsche Rechtsgeschichte, 191992, S. 297. Für den Tiroler Raum fehlen einschlägige Untersuchungen. 417 Diese Feststellung gilt selbstverständlich nicht für die Weistümer im engeren Sinn, die jedoch kein Recht setzen, sondern dieses „weisend“ feststellen. 418 �������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Tirolische Weistümer, 6. Teil, 1994, S. 121; ähnlich auch in der Dorfordnung von Nassereith von 1667, vgl. Tirolische Weistümer, 7. Teil, 1994, S. 17; vgl. auch schon die Gemeindeordnung von Lermoos von 1495 in Moser, Anwaltschaft Lermoos, 1976, Nr. 1. 419 ������������������������������������������������������������������������������������������ Vgl. z. B. Hölzl, Gemeindearchive des Bezirkes Reutte, I. Teil, 1997, Nr. 24/7; Hölzl, Gemeindearchive des Bezirkes Landeck, 1991, Nr. 8/13. 420 Bader, Dorfgenossenschaft und Dorfgemeinde, 1962, S. 335. 421 Vgl. Bierbrauer, Ländliche Gemeinde, 1991, bes. S. 176. 422 Beispiele für Regelungsgegenstände bei Werunsky, Reichs- und Rechtsgeschichte, 1894/1938, S. 724–725. 415
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sung und (ländliche) Wirtschaftsführung als durchaus nützliche Orientierungshilfe.423 Die gemeindliche Normierungskompetenz umfasste insbesondere die Regelung folgender Angelegenheiten: die Festlegung der Gemeindeorgane (Dorfmeister, Gemeindeausschuss, weitere Gemeindeämter), ihrer Wahl, ihrer Aufgabenbereiche und ihrer Verantwortlichkeit gegenüber der Vollversammlung der Gemeinde mitglieder; die Bewirtschaftung und Nutzung des Gemeindevermögens, namentlich der Allmende; das Bauwesen einschließlich der Errichtung und Erhaltung öffentlicher Einrichtungen; den Zuzug und die Aufnahme von Auswärtigen in den Ort; örtliche Sicherheitspolicey (z. B. Beherbergung von Vaganten und Ortsfremden); Wald-, Feld- und Flurpolicey (z. B. Zaunerrichtung und -erhaltung; Bannleg ung von Gemeindewäldern); Feuerpolicey. Gerade im Bereich des Policeyrechts war die Regelungskompetenz der Gemeinde jedoch keineswegs auf Angelegenheiten des örtlichen Zusammenlebens beschränkt. Just in den Bereichen Wirtschafts- und Sittlichkeitspolicey zeigen sich erhebliche Überschneidungen der gemeindlichen und der landesfürstlichen Rechtssetzung, auf die im nächsten Kapitel noch ausführlicher einzugehen sein wird. Die gemeindliche Rechtssetzungskompetenz fand ihren Niederschlag nicht allein in Dorfordnungen. Neben diesen umfassenden, materiell übergreifenden Ordnungen gibt es – ähnlich wie es sich auf territorialer Ebene beobachten lässt – eine Vielzahl von Sonderordnungen, beispielsweise Alm-, Weide-, Hirten-, Brunnen-, Archen-, Holz-, Niederlassungs-, Pfändungs- und Handwerkerordnungen.424 Die Ausübung der kommunalen legislativen Kompetenz bedeutete in der ländlichen Gemeinde nicht zwangsläufig, dass Gemeindeorganen (zumeist den Dorfmeistern, u. a. auch anderen Inhabern von Gemeindeämtern) die Vollziehung zukam. Dies wurde zwar häufig in einer am Ende einer (Dorf )Ordnung stehenden Vollzugsklausel ausdrücklich angeordnet. Abweichende Regelungen sind allerdings so frequent, dass die Vollziehung kommunaler Satzungen durch Gemeindeorgane nicht als Regelfall bezeichnet werden kann. Oftmals wurde nämlich die Implementation kommunaler Vorschriften expressis verbis dem Richter jenes Gerichts, in dessen Zuständigkeitsbereich die Gemeinde lag, übertragen. Im Gegenzug erhielt der Richter einen bestimmten Anteil (üblicherweise die Hälfte) an den von ihm verhängten und eingezogenen Bußgeldern. Die „Gmain“ verzichtete somit freiwillig auf die Durchsetzung der von ihr selbst erlassenen Vorschriften und übertrug diese einem Vertreter der Herrschaft. Auf den sozialen Frieden im Dorf konnte sich eine solche intentionale „Auslagerung“ der Strafkompetenz jedoch positiv auswirken. Die Implementation durch einen Außenstehenden, der bei der Sanktionierung von Vgl. Schildt, Normgebundenheit und Funktionalität, 2001, S. 182; Schildt, Bauer, 1996, S. 53; etwas abweichend Marquardt, Reich als Segmentäres Verfassungssystem, 1999, S. 186–192. 424 Vgl. hierzu die Editionen in den Tirolischen Weistümern, 7 Teile, 1870–1994, die jeweils auch Dorf- und Sonderordnungen aufnehmen. 423
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Verstößen nicht bzw. in einem geringeren Maße durch Eigeninteressen, verwandtschaftliche Beziehungen oder Rücksichtnahmen auf dörfliche Führungsschichten geleitet war, bot aus dieser Perspektive durchaus Vorteile. Über der Ebene der Gemeinden gab es zudem noch die Gerichte als genossenschaftlich organisierte Selbstverwaltungskörper mit einer eigenen, nicht vom Landesfürsten abgeleiteten Rechtssetzungskompetenz. Schon bei diesem ersten Satz ist eine Präzisierung angebracht: Wie bei den Gemeinden muss man sich ebenso bei den Gerichten der überaus großen Varietät in den Ausprägungen eines Gerichts bewusst sein.425 Ein Gericht musste so nicht zwangsläufig mehrere Gemeinden umfassen, sondern konnte mit einer Gemeinde zusammenfallen. Eine „Gerichtsordnung“ erfüllte dann dieselbe Funktion wie anderwärts eine „Dorfordnung“. Die Beispiele der Kleingerichte Forst und Mölten verdeutlichen, dass in solchen Fällen auch inhaltlich keine Abweichungen festzustellen sind.426 Ähnliches gilt für Fälle wie das mehrere Weiler umfassende Gericht Altenburg.427 Bei aller Problematik einer Generalisierung, die angesichts des ungenügenden Forschungsstandes über die legislative Tätigkeit der Tiroler Gerichte noch verschärft wird, lässt sich Folgendes konstatieren: Grundsätzlich kann man bei den in die autonome Regelungskompetenz eines Gerichts fallenden Rechtsbereichen wie bei der Gemeinde in Anschluss an Bernd Schildt eine Dreiteilung (Gerichtsverfassung, Policeyrecht und Wirtschaftsführung) vornehmen.428 Dabei konnten durchaus umfassende Normenkomplexe zustandekommen. 1582 reichte beispielsweise das Landgericht Glurns und Mals, das neben einigen Dörfern vor allem die Stadt Glurns und den Markt Mals umfasste, eine vom Glurnser Bürgermeister und Rat sowie vom Gerichtsausschuss ausgearbeitete umfangreiche policeyordnung [...] in allen dingen, in welchen ordnung fürzenemen und zu geben notwenndig, zur Ratifikation in Innsbruck ein.429 Neben solchen materiell umfassenden Ordnungen existierten ebenfalls auf Gerichtsebene Sonderordnungen. Als Beispiel sei an dieser Stelle nur auf die vom Gerichtsausschuss ausgearbeitete Laudecker Jagdordnung von 1571 hingewiesen, die die Ausübung der Jagd regelte, die dort mit Einschränkungen allen vollberechtigten Gerichtsgenossen gestattet war.430
Hierzu noch immer maßgebend: Stolz, Landesbeschreibung von Tirol, 2 Teile, 1923/1926; Stolz, Landesbeschreibung von Südtirol, 1937 (Nachdruck 1971). 426 Vgl. Tirolische Weistümer, 4. Teil, 1. Hälfte, 1888, S. 142–145 und S. 175–183. 427 Zur Ausdehnung des Gerichts Altenburg Stolz, Landesbeschreibung von Südtirol, 1937, S. 184–185; die Gerichtsordnung ist ediert in Tirolische Weistümer, 4. Teil, 1. Hälfte, 1888, S. 285–291. 428 Vgl. Schildt, Normgebundenheit und Funktionalität, 2001, S. 182; Schildt, Bauer, 1996, S. 53. 429 Vgl. TLA, BT, Bd. 11, fol. 383r, 1582 Okt. 26. 430 ������������������������������������������������������������������������������������� Gemeindearchiv Pfunds, Urkunde Nr. 32, 1571 Juli 25 (TLA, Mikrofilm 0989/2). Ausführliches Regest bei Hölzl, Gerichts- und Gemeindearchiv Pfunds, 1982, S. 21–22; Inhalt wiedergegeben bei Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007, S. 93. 425
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Insgesamt dürfte jedoch die faktisch ausgeübte autonome Rechtssetzung der Gerichte in Tirol quantitativ und qualitativ weit hinter jener der Gemeinden zurückgestanden sein. Der tendenziell geringe Umfang der autonomen Satzungen auf Gerichtsebene in Tirol erschließt sich insbesondere bei einem Vergleich mit den Vorarlberger Gerichten, deren legislative Tätigkeit auf Gerichtsebene deutlich ausgeprägter war. Dies liegt nicht an einer größeren Autonomie der Vorarlberger Gerichte, sondern an den größeren überörtlichen Regelungserfordernissen. Diese resultierten aus dem Fehlen einer materiell umfassenden, der Tiroler Landes- und ab 1573 der Policeyordnung vergleichbaren landesfürstlicherseits erlassenen Ordnung. In den Vorarlberger Gerichten existierte keine einheitliche „Landesordnung“, die habsburgischen Landesfürsten begnügten sich mit dem Erlass von Einzelgesetzgebungsakten und Sonderordnungen. Somit war nur ein vergleichsweise schmales Spektrum durch landesfürstlicherseits gesetztes Recht abgedeckt, weshalb die Gerichte als Selbstverwaltungskörper die Lücken in Abstimmung mit Vertretern der Obrigkeit durch eigene Rechtssetzungstätigkeit ausfüllen mussten, soweit nicht bereits einschlägige Rechtsgewohnheiten vorhanden waren.431 In Tirol waren demgegenüber aufgrund des Vorhandenseins einer (fast) landesweit geltenden Landes- und Policeyordnung überörtliche Regelungsnotwendigkeiten in viel geringerem Ausmaß gegeben als in Vorarlberg. Dennoch darf man die legislative Tätigkeit der Gerichte nicht unterschätzen: Wenngleich der Umfang der autonom ausgeübten legislativen Aktivität der Tiroler Gerichte tendenziell gering war, spielte die im folgenden Kapitel zu besprechende „Auftragsgesetzgebung“, d. h. die landesfürstlicherseits induzierte Gesetzgebung auf Gerichtsebene, eine erhebliche Rolle. Dies gilt speziell für den Bereich der Wirtschaftspolicey: Lohn-, Preis- und Handwerksordnungen wurden beispielsweise auf Gerichtsebene von den Ausschüssen und den lokalen Obrigkeiten gemeinsam erarbeitet. 3. 2. 2. 3. 2. Auftragsgesetzgebung Wie soeben erwähnt, ist unter „Auftragsgesetzgebung“ die vom Landesfürsten bzw. von der oberösterreichischen Regierung im weitesten Sinne veranlasste Rechtssetzung von Gemeinden und Gerichten zu verstehen. In einem quantitativ bedeutenderen Umfang sind Phänomene der Auftragsgesetzgebung erst ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu beobachten. Die Auftragsgesetzgebung konnte dabei in verschiedenen Ausprägungen auftreten, die sich durch das Ausmaß landesfürstlicher Ingerenz auf die Inhalte der dezentral durch Kommunen oder Gerichte zu erlassenden Normen unterschieden. Vgl. auch Blickle, Landschaften, 1973, bes. S. 301–302; Bierbrauer, Ländliche Gemeinde, 1991, S. 178; programmatisch schon Klein-Bruckschwaiger, Gab es in Vorarlberg österreichische Landesordnungen?, 1973, S. 122.
431
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VI. Leitkategorien und Ordungskategorien der Gesetzgebung
Der Landesgesetzgeber konnte Gemeinden bzw. Gerichten zunächst unverbindliche Anregungen geben, eine bestimmte Regelung zu erlassen. Diesem Phänomen werden wir im Zusammenhang mit Prozessen innerterritorialen Rechtstransfers noch begegnen.432 Stufte die Regierung eine zu ihrer Kenntnis gelangte lokale Ordnung als nützlich ein, leitete sie diese üblicherweise an die Städte und Gerichte weiter. Damit verband sie den Auftrag, die Ordnung zu prüfen und zu überlegen, ob und mit welchen Anpassungen eine entsprechende Ordnung auch bei ihnen vor Ort vorgenommen werden könne.433 Die Regierung beschränkt sich hier auf die Wahrnehmung einer Vermittlungsfunktion, inhaltliche Vorgaben wurden nicht gemacht, und der Erlass einer am übersendeten Vorbild orientierten Regelung war nicht verpflichtend. Anders verhielt sich dies bei der „delegierten Gesetzgebung“ und bei der Rahmen- und Ausführungsgesetzgebung. Bei der „delegierten Gesetzgebung“ trug die Regierung lokalen Einheiten die Normierung einer bestimmten, als regelungsbedürftig erachteten Angelegenheit auf. Dies trifft auch auf die landesfürstliche Rahmengesetzgebung zu. Während der Landesgesetzgeber im erstgenannten Fall von einem eigenen Gesetzgebungsakt absieht und zudem den untergeordneten Einheiten keine (detaillierten) inhaltlichen Vorgaben macht – vereinfacht gesprochen schreibt er nur das „Dass“, nicht aber das „Wie“ vor –, erlässt er in anderen Fällen selbst einen die Eckpunkte und wesentlichen Inhalte festschreibenden Gesetzgebungsakt. Ein frühes, allerdings noch vereinzelt dastehendes Beispiel einer Auftragsgesetzgebung findet sich schon unter Maximilian I. 1508 wurde den Richtern und Gerichtsausschüssen respektive in den Städten den Räten vorgeschrieben, den Lederhandel lokal so zu regulieren, dass die Schuster den von ihnen benötigten Rohstoff zu angemessenen Preisen beziehen könnten.434 1569 erging die Anweisung, den regionalen Schmalzhandel abgestimmt auf die örtlichen Erfordernisse einer Ordnung zuzuführen und im Zuge dessen die Gewinnspannen des Handels zu begrenzen.435 1577 und nochmals 1631 schrieb die Regierung vor, dass in den Städten und Gerichten Lohnordnungen für bestimmte Gruppen von Handwerkern auszuarbeiten seien.436 Das letztgenannte Beispiel vermag freilich gleichzeitig zu illustrieren, dass sich der in der Theorie so klare Unterschied zwischen Ausprägungen der „delegierten Gesetzgebung“ einerseits und der Rahmen- und Ausführungsgesetzgebung andererseits in der legislativen Praxis durchaus verwischen kann. Dies zeigt bereits
Vgl. Kap. VI.5.3.3. Vgl. z. B. TLA, CD 1542, fol. 405, 1542 Juli 28; TLA, BT, Bd. 12, fol. 51v–52r, 1587 Sept. 19; ebd., fol. 276v–277r, 1590 Aug. 30; TLA, AfD 1591, fol. 366v–368v, 1591 Juli 11; TLA, CD 1598, fol. 321, 1598 Dez. 23. 434 TLA, Kopialbuch Ältere Reihe, Nr. 29, Lit. Bb, fol. 124 und fol. 140r, 1508 Dez. 18. 435 TLA, BT, Bd. 9, fol. 470, 1569 Jan. 21. 436 Vgl. TLA, VfD 1577, fol. 779, 1577 Sept. 12; TLA, AfD 1631, fol. 114v–115r, 1631 März 14. 432 433
3. Subsidiarität als Ordnungsprinzip
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die Wirtschaftsordnung von 1352,437 die in Reaktion auf die Bevölkerungsverluste durch die Pestepidemie von 1348/1349 u. a. die Löhne für Tag- und Handwerker begrenzen wollte. Für manche Tätigkeiten schrieb das Gesetz die Entlohnungen genau vor, für andere fixiert es nur, dass „die richter und die gemeine in iedem gerichte überain werden [sollen], wie si dunchet nah iren triwen, daz es nah des Landes frum und nutz allerredlichiste sey“.438 Die Vorschrift zur Erlassung einer einschlägigen Regelung ist in einem landesfürstlichen Gesetz enthalten, so dass die lokale normative Regelung plausibel als „Ausführungsgesetz“ bezeichnet werden kann.439 An dieser Stelle seien nur drei Musterbeispiele für das Verhältnis von Rahmenund Ausführungsgesetzen angeführt. Diese betreffen die Regelung des Verhältnisses von Wirten und ihren Gästen (speziell die Verrechnungsmodalitäten), die Festlegung der Gerichtskosten und die Armenfürsorge. Mit Blick auf die Bewirtung und den Weinausschank hatte bereits die Tiroler Landesordnung von 1532, Buch 6, Titel 15, vorgeschrieben, dass diesbezüglich in e e allen Stetten unnd Gerichten / Marckten und Dorffern / gůte ordnung und Gesetz gemacht werden sollten, wobei sich die Landesordnung damals noch mit wenigen inhaltlichen Vorgaben begnügt hatte (z. B. hinsichtlich der zulässigen Gewinnspanne). In den folgenden Jahrzehnten wurden den untergeordneten Einheiten in Mandaten und schließlich in der Tiroler Landesordnung von 1573, Buch 6, Titel 15, zunehmend detaillierte Vorschriften gemacht, was in welcher Weise auf lokaler Ebene zu regeln sei.440 Unter Erzherzog Ferdinand II. wurden die lokalen rechtssetzenden Ebenen zudem angewiesen, die von ihnen ausgearbeiteten Ordnungen vor der Publikation zur inhaltlichen Überprüfung nach Innsbruck zu übersenden und erst nach Ratifikation durch die Regierung vor Ort kundzumachen. In diesem Zusammenhang ist auch ein Beispiel für eine Ersatzvornahme belegt: Da zu Jahresbeginn 1575 trotz der gesetzlichen Vorschrift noch kaum lokale Wirtsord Letzte Edition bei Schober, Urkunden, 1990, S. 5–9; Schwind/Dopsch, Urkunden, 1895, Nr. 100, S. 184–188; Brandis, Landeshauptleute, 1847/1850, S. 72–76; Moeser, Wirtschaftsordnungen, 1959, S. 256–260; Besprechung bei Köfler, Landtag, 1985, S. 41–42; Riedmann, Mittelalter, 21990, S. 451; Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 65–66; Reiterer, Entwicklung des Arbeits- und Sozialrechtes, 1985, S. 22–23; Schröder, Arbeitsverfassung des Spätmittelalters, 1984, S. 76–78; Stolz, Rechtsgeschichte des Bauernstandes, 1948, S. 119; Wopfner, Geschichte der freien bäuerlichen Erbleihe, S. 117; Blickle, Landschaften im Alten Reich, 1973, S. 191; Jäger, Landständische Verfassung, Bd. I, 1882, S. 566– 567; Fahlenbock, Der Schwarze Tod in Tirol, 2009, S. 170–173. 438 Zit. nach Moeser, Wirtschaftsordnungen, 1959, S. 259. 439 Ein solches „Ausführungsgesetz“ ist auch aus dem Jahr 1352 erhalten, nämlich aus der Stadt Meran: „Hie ist ze merchen das gesetzt, daz den arbaytern und den antwerchern aufgesetzet ist [...]“ (vgl. Moeser, Wirtschaftsordnungen, 1959, S. 260–263, Zitat S. 260; vgl. auch Fahlenbock, Der Schwaze Tod in Tirol, 2009, S. 175–178). 440 Vgl. TLA, BT, Bd. 4, fol. 149v–150v, 1537 Juli 23; ebd., Bd. 7, fol. 4r–7v, 1554 Jan. 4; ebd., Bd. 9, fol. 454, 1568 Dez. (ohne nähere Datierung); ebd., Bd. 11, fol. 3, 1578 Febr. 1; ebd., Bd. 11, fol. 578, 1584 Okt. 25; ebd., Bd. 12, fol. 16, 1587 April 30; ebd., Bd. 12, fol. 535, 1595 Nov. 20; ebd., Bd. 14, fol. 248v–250r, 1602 Nov. 21. 437
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VI. Leitkategorien und Ordungskategorien der Gesetzgebung
nungen in Innsbruck eingereicht worden waren, erließ der Landesfürst selbst eine entsprechende Ordnung.441 Im 17. Jahrhundert war der Vorgang der jährlichen Einsendung der auf lokaler Ebene ausgearbeiteten Ordnungen und ihrer Ratifikation durch die Regierung hingegen schon so eingespielt, dass bereits vorgedruckte Ratifikationsschreiben der Regierung versendet werden konnten.442 In Meran sind einige dieser auf kommunaler Ebene erlassenen, überaus detaillierten Wirtsordnungen erhalten,443 die in ihren Narrationes den Entstehungszusammenhang mit der landesfürstlichen Rahmengesetzgebung erkennen lassen, ergehen sie doch zue gehorsamen volziehung 15. titls 6. puechs tyrolischer lanndtordnung und des deshalb von ainer hochlöblichen oberösterreichischen regierung erteilten Befehls.444 In der Bettlerordnung von 1576 wurden den Städten und Gerichten ebenfalls die Eckpfeiler der dezentral zu erlassenden ergänzenden Ordnungen vorgegeben, auf deren Grundlage diese von stund an gleichmessige ordnung an und ins werckh richten mussten.445 Nachfolgende Bettlerordnungen verstärkten noch die landesfürstlichen Vorgaben. Ein Blick auf die überlieferte Bettlerordnung des Dorfes Mais, die zu unndtherthenigister unnd gehorsamister volcziechung der landesfürstlichen Ordnung ausgearbeitet wurde, zeigt, dass der Umfang ergänzender örtlicher Regelungen erheblich variieren konnte, begnügten sich der mit der Ausarbeitung befasste Dorfmeister und der Gemeindeausschuss von Mais doch mit der weitgehenden Wiedergabe der rahmengesetzlichen Vorgaben, die nur vereinzelt durch eigenständige kommunale Satzungen weiter ausgeführt wurden.446 Dass die Regierung im 17. Jahrhundert wiederholt Anläufe unternahm, das brisante Problem der Gerichtskosten einer Regulierung auf Gerichtsebene zuzuführen, wurde bereits in einem eigenen Kapitel ausführlich dargelegt.447 Gerade das Beispiel der Gerichtskosten verdeutlicht, warum sich die Regierung bei einzelnen, nachweislich besonders konfliktbehafteten Materien immer wieder in den Rechtssetzungsprozess auf kommunaler oder gerichtlicher Ebene einschaltete.448 Durch die Entsendung landesfürstlicher Kommissare – regelmäßig handelte es sich dabei um Regierungsräte – in die betroffenen Städte und Gerichte, in denen einschlägige Ordnungen erlassen werden sollten, oder durch die Vorladung von Vertretern der Vgl. TLA, BT, Bd. 10, fol. 566, 1575 März 1. Vgl. z. B. TLMF, Dip. 1091, Nr. 146, 1623. 443 StAM, Stadtverwaltung, Nr. 31 (erhalten sind die Wirtsordnungen von 1603, 1605, 1614, 1629, 1632, 1634, 1640, 1668, 1674 und 1685). 444 So StAM, Stadtverwaltung, Nr. 31, Wirtsordnung von 1603 (ohne nähere Datierung). 445 TLA, CD 1576, fol. 503r–508r, hier fol. 507v, 1576 Sept. 15; noch ausführlicher ist die Ordnung von 1590 Juni 14, vgl. TLA, CD 1590, fol. 661r–664r. 446 ��������������������������������������������������������������������������������� StAM, Gemeindearchiv Obermais, Gemeindeordnungen 1540–1685, Nr. 7, 1603 (ohne nähere Datierung). 447 Vgl. Kap. IV.5.3.4.5.1.; ausführlich hierzu ferner Schennach, Gerichtskosten, 2002. 448 Vgl. die im Beitrag von Palme, „Rod“-Verkehr durch Tirol, 2000, S. 527, dargestellte Vermitt lung landesfürstlicher Kommissare bei der Erstellung von lokalen, das Transportwesen regelnden „Rodordnungen“. 441 442
3. Subsidiarität als Ordnungsprinzip
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Obrigkeit und der Selbstverwaltungskörper nach Innsbruck konnten Vermittlungsfunktionen bei divergierenden Interessenlagen wahrgenommen werden. Gerade im Bereich der Gerichtskosten standen sich schließlich die finanziellen Interessen des Gerichtspersonals und der Rechtssuchenden diametral entgegen, was die Konsensfindung auf regionaler Ebene erheblich erschwerte. Greifen wir ein Beispiel heraus, das die Vorteile der Einbindung landesfürstlicher Kommissare in den lokalen Rechtssetzungsprozess exemplarisch darstellt:449 Hinsichtlich der Gerichtskosten waren im Landgericht Rattenberg bis 1662 zwischen dem Richter und dem Gerichtsschreiber einerseits und den Gerichtsinsassen andererseits grosse inconvenientien underloffen. Die territorialen Rechtsvorschriften hatten sich als ungenügend erwiesen, eine konsensuale Beilegung der Differenzen durch die Ausarbeitung einer örtlichen Gerichtskostenordnung war bisher an der Unversöhnlichkeit der Positionen der Beteiligten gescheitert. Daraufhin entsandte die Regierung zwei ihrer Räte als Kommissare in das Gericht, die zunächst das Gerichtspersonal, die Gerichtsprokuratoren und die Mitglieder des Gerichtsaus schusses über die bisherige Praxis und die jeweiligen Beschwerden befragten. Aufgrund dieser Informationen entwarfen die Kommissare eigenständig einen neuen gerichtstax und ordnung, die genau fixierte, für welche gerichtlichen Tätigkeiten welche Gebühren zu entrichten waren. Auf einer Zusammenkunft des Gerichtsausschusses, des Gerichtspersonals und von Vertretern der einzelnen Gemeinden des Gerichts wurde die von den Kommissaren erarbeitete Ordnung verlesen und schließlich von allen für gut und den unterschiedlichen Interessen gleichermaßen Rechnung tragend befunden. Dennoch wurde die Ordnung nicht als landesfürstliches Gesetz erlassen: Vielmehr unterwarfen sich die Rechtsgenossen freiwillig der neuen Ordnung, wobei der einungsrechtliche Charakter durch das kollektive Beschwören der Einhaltung der Ordnung durch die Anwesenden (einschließlich der ebenfalls betroffenen Gerichtsobrigkeit) in Gegenwart der landesfürstlichen Kommissare verdeutlicht wurde. Die kurz darauf ergehende landesfürstliche Konfirmation war daher nur mehr ein Formalakt.450 Für die Vollziehung von genossenschaftlichen Rechtssetzungsakten, die dem Bereich der „Auftragsgesetzgebung“ zugeordnet sind, gilt dasselbe wie für die autonome genossenschaftliche Rechtssetzung. Soweit sich die Vollzugskompetenz (wie beispielsweise bei den normativen Regelungen der Gerichtskosten) nicht ohnehin zwangsläufig aus der Materie ergibt, konnte die Implementation wahlweise genossenschaftlichen oder herrschaftlichen Organen aufgetragen werden.451
Vgl. zum Folgenden TLA, AfD 1662, fol. 498r–500v, 1662 Sept. 5. Vgl. TLA, VfD 1662, fol. 329v–330r, 1662 Sept. 12. 451 ��������������������������������������������������������������������������������������� Zur allgemein stärkeren Einbindung kommunaler bzw. genossenschaftlicher Amts- und Funktionsträger in den frühmodernen Staat mit weiterführenden Literaturhinweisen Brakensiek, Herrschaftsvermittlung im alten Europa, 2005, S. 10–11. 449 450
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VI. Leitkategorien und Ordungskategorien der Gesetzgebung
3. 2. 2. 4. Anmerkungen zum Verhältnis landesfürstlicher und genossenschaftlicher Rechtssetzungsakte Soweit es sich um landesfürstliche Rahmen- und genossenschaftliche Ausführungsgesetze handelt, besteht kein Diskussionsbedarf. Schon die erwähnten Verweise in den Narrationes der ausführenden legislativen Akte der Kommunen und Gerichte lassen deutlich werden, dass eindeutig ein Verhältnis der Über- und Unterordnung besteht. Die territoriale Gesetzgebung gibt den Inhalt der genossenschaftlichen Rechtssetzungsakte in unterschiedlicher Intensität vor, der Konfirmation der von den Gemeinden und Gerichten ausgearbeiteten Normen durch die Regierung geht eine inhaltliche Prüfung der Konformität mit dem Rahmengesetz voraus. Zudem haben wir ein Beispiel dafür, dass im Fall der Säumigkeit der untergeordneten rechtssetzenden Ebenen der Regierung die Möglichkeit einer Ersatzvornahme offenstand, d. h. sie den ausständigen Gesetzgebungsakt selbst erlassen konnte. Bei weitem komplexer gestaltet sich hingegen das Verhältnis von landesfürstlicher und genossenschaftlicher Gesetzgebung im Bereich der autonomen Rechtssetzung der Dörfer, Städte und Gerichte. Eine flächendeckende inhaltliche Prüfung der lokalen Rechtssetzungsakte durch die Zentrale in Innsbruck auf ihre Konformität mit dem landesfürstlicherseits gesetzten Recht war allein schon aufgrund des Fehlens einer Konfirmationspflicht nicht möglich. Wenn Normsetzungsakte von Kommunen oder Gerichten seitens des Landesfürsten oder der Regierung bestätigt wurden, dann geschah dies im Bereich der autonomen Rechtssetzung nicht aufgrund einer rechtlichen Verpflichtung, sondern stets aufgrund einer vorangehenden Supplikation der betreffenden Gemeinde bzw. des Gerichts. Die Gründe für eine solche nicht obligatorische Vorgehensweise sind innergenossenschaftlich zu suchen. Bei Regelungen, die intern umstritten waren, empfahl sich eine Konfirmation durch den Landesfürsten, um ihre Autorität und damit ihre Implementationschancen zu erhöhen. Geradezu exemplarisch ließ sich das anhand der Dorfordnung von Mais von 1683 nachweisen: Erst als diese innergemeindlich auf Widerspruch stieß, suchte man in Innsbruck um eine Ratifikation an, während man bei Vorgängerordnungen von diesem Schritt abgesehen hatte.452 Dies ist bezeichnenderweise auch einer der Gründe, aus denen die Rechtswissenschaft des 17. Jahrhunderts – in concreto Caspar Heinrich Horn in seiner 1694 erstmals veröffentlichten Schrift „De confirmatione statutorum municipalium“ – die als nicht zwingend erforderlich erachtete Konfirmation städtischer Rechtssetzungsakte durch den Landesfürsten dennoch empfahl. Zwar wird das Gesetzgebungsrecht der Städte von Horn selbstverständlich aus der landesfürstlichen potestas legislatoria abgeleitet, indem er von einer zumindest stillschweigenden Übertragung des Rechtes zur normativen Regelung der gemeindlichen Angelegenheiten ausgeht.453 Deshalb sei eine Konfirmation StAM, Gemeindearchiv Mais, Gemeindeordnung 1540–1685, Nr. 13. Horn, De confirmatione, 1737 (erstmals 1694), S. 24–25.
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nicht notwendig, aber anzuraten, denn: „Refractariis Civibus præciditur ansa impugnandi Statuta“.454 Generell erweisen sich moderne Vorstellungen von Derogationszusammenhängen oder einem strengen hierarchischen Stufenbau der Rechtsordnung zur Klärung des Verhältnisses von genossenschaftlichen und landesfürstlichen Rechtssetzungsakten außerhalb der „Auftragsgesetzgebung“ als unzulänglich. Dass ein Sachverhalt bereits durch einen landesfürstlichen Gesetzgebungsakt normiert war, schloss so eine Regelung desselben Sachverhalts durch einen kommunalen Rechtssetzungsakt keineswegs aus. Umgekehrt derogierte ein landesfürstliches Mandat nicht notwendigerweise einer bereits bestehenden kommunalen Policeynorm. Diese Parallelität von Rechtssetzungskompetenzen, die das Festlegen unterschiedlicher Rechtsfolgen bei einem Verstoß, ja fallweise selbst inhaltlich widersprechende Regelungen nicht ausschloss, manifestiert sich besonders in den Sektoren der Wirtschafts- und der Sittlichkeitspolicey. So konnten Gemeinden die Einhaltung von Sonn- und Feiertagen vorschreiben, Verbote des Fluchens und der Gotteslästerung aussprechen oder den Aufwand bei Feierlichkeiten beschränken, selbst wenn diese Angelegenheiten bereits durch landesfürstliches Policeyrecht normiert waren. Obwohl die Stadt Hall 1553 hinsichtlich der Luxusbeschränkungen bei Hochzeiten Vorschriften erließ,455 die vom einschlägigen 24. Titel des 4. Buchs der Landesordnung von 1532 abwichen, erhielt die städtische Ordnung dessen ungeachtet die Ratifikation der Regierung. Diese stieß sich demnach nicht an einer – inhaltlich en détail sogar divergierenden – Doppelnormierung durch landesfürstliche und städtische Vorschriften. Dieser Befund ist im Übrigen nicht einmal einzigartig für Tirol, sondern wurde von Bernd Schildt bereits für das frühneuzeitliche Thüringen erhoben.456 Ob Abweichungen zwischen genossenschaftlichen und landesherrlichen Normen tatsächlich Ausdruck eines Mangels an Durchsetzungsfähigkeit der landesfürstlichen Gesetzgebung waren, wie dies Schildt vermutet, sei zwar dahingestellt. Schildt ist aber zuzustimmen, dass grundsätzlich Doppelregelungen die Durchsetzungschancen einer Norm erhöhten, indem ein Normverstoß als doppelter Rechtsbruch zweifach (durch die Gemeinde- und die Amtsbuße) sanktioniert werden konnte. Zu Recht macht Schildt zudem auf die häufig festzustellende Vorbildfunktion der landesfürstlichen Gesetzgebung für kommunale Satzungen aufmerksam, die ebenso in Tirol seit dem 16. und verstärkt im 17. Jahrhundert festzustellen ist und Horn, De confirmatione, 1737 (erstmals 1694), S. 49–50. Des Weiteren betont er, dass die Stadt auf diese Weise ihren Gehorsam gegenüber dem Fürsten dokumentieren könne und verhindere, dass dieser die getroffene Regeluing aus unsachlichen Gründen aufheben würde. Zugleich gewährleiste man in einem höheren Maße die Anwendung der Rechtssetzungsakte durch höhere Instanzen, die nicht konfirmierte Statuten häufig übergehen würden. 455 ���������������������������������������������������������������������������������������� In concreto erwies sich die Haller Regelung bei der Begrenzung des Werts von Hochzeitgeschenken an das Brautpaar als restriktiver als die Landesordnung. 456 Vgl. Schildt, Normgebundenheit und Funktionalität, 2001, S. 196–197; Schildt, Bauer, 1996, S. 73–74. 454
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VI. Leitkategorien und Ordungskategorien der Gesetzgebung
die sich in sinngemäßen oder wörtlichen Übernahmen und ausdrücklichen Verweisen niederschlagen konnte.457 Die territoriale Gesetzgebung fungierte hier als ein „übergeordnete[r] Orientierungsrahmen“458 für die Normsetzung auf gerichtlicher und kommunaler Ebene, die jedoch die Adaption und gegebenenfalls Modifikation landesherrlicher Vorschriften nicht zwangsläufig ausschloss. In eine ähnliche Rich tung zielt der von Bernd Marquardt verwendete Terminus der „Transformationsoffenheit“, der zur Beschreibung des Verhältnisses von Lokalrecht zu Reichs- und Landesgesetzen herangezogen wird.459 Marquardt kommt zum Schluss, dass lokale Herrschaften und deren Rechtsordnungen bei Rechtsmaterien, die nicht die weiterhin autonom geregelten Angelegenheiten des örtlichen Zusammenlebens betrafen, durchaus für die Übernahme und Anwendung landes- oder reichsgesetzlicher Normen „offen“ waren, zumal die Vorstellungen von Gesetzgeber und Normadressaten über die anzustrebenden Regelungsziele häufig kongruent waren. Dem Problem der Normenkollision kam im frühneuzeitlichen Tirol in der Rechtspraxis – bei allem noch bestehenden Forschungsbedarf – offensichtlich nur geringe Relevanz zu. Zuweilen waren von vornherein unterschiedliche Organe zur Vollziehung berufen. Aber selbst bei Identität der vollziehenden Organe – ein Richter als grundsätzlich landesfürstlicher Amtsträger konnte so ohne weiteres mit der Implementation von Normen betraut sein, welche die Gerichtsgemeinde oder in ihrer Vertretung der Gerichtsausschuss erlassen hatte – dürfte primär das Kriterium der Observanz den Ausschlag über die im Einzelfall anzuwendende Norm gegeben haben.460 Dabei darf man einen Umstand nicht aus den Augen verlieren: So wie Reichspoliceyrecht und territoriales Policeyrecht durch einen Grundkonsens über fundamentale Ordnungsziele „guter Policey“ verklammert waren, gilt dies gleichermaßen für das Verhältnis von Landesrecht und genossenschaftlich gesetztem Recht. Innerhalb eines Territoriums kam landesherrlichen Policeyordnungen und Policeymandaten im Verhältnis zur Rechtssetzung untergeordneter Ebenen in Angelegenheiten „guter Policey“ eine vergleichbare Leit- und Orientierungsfunktion zu, die sie aufgrund der weiten Übereinstimmung über die darin festgeschriebenen Regelungsziele entfalten konnten. Wie der Landesfürst gesetzgeberisch für das Herstellen einer gottgefälligen Lebensführung seiner Untertanen zur Abwehr und Besänftigung des göttlichen Zorns Sorge tragen musste, trugen z. B. auch die
�������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. nur tirolische Weistümer, 2. Teil, 1877, S. 371, wo sich alle drei Ausprägungen festmachen lassen: Das Verbot bestimmter Waffen entspricht inhaltlich TLO 1532, Buch 7, Tit. 7; die Beschränkung des Aufwands bei Hochzeiten übernimmt wörtlich ein landesfürstliches Mandat von 1545 (BT, Bd. 5, fol. 258, 1545 Mai 5); Gotteslästerung u. a. wird inhalt des fürstlichen bevelchs verboten; ferner z. B. Tirolische Weistümer, 4. Teil, 1. Hälfte, 1888, S. 265. 458 ���������������������������������������������������������������������������������������� So Weber, Reichspolizeiordnungen, 2002, S. 40, zum Verhältnis von Reichs- und territorialem Policeyrecht. 459 Vgl. Marquardt, Reich als Segmentäres Verfassungssystem, 1999, S. 192–200. 460 Vgl. hierzu Simon, Geltung, 2005, S. 100–137. 457
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Gemeindegenossen durch kommunale Rechtssetzung dieser „Vergeltungstheologie“ Rechnung, um Naturkatastrophen von ihrem Dorf fernzuhalten.461 Von einer Monopolisierung und Zentralisierung der Gesetzgebung durch den Landesfürsten kann somit während des Untersuchungszeitraums nicht gesprochen werden. Nichtsdestoweniger nahm die Regierung einen gewissen Vorrang für die landesherrliche Gesetzgebung in Anspruch, der jedoch durch den bloßen Hinweis auf ein Stufenbaumodell oder auf Derogationszusammenhänge nicht hinreichend zu erklären ist, sondern insgesamt ein durchwachsenes Gesamtbild zeigt. Als beispielsweise der Bozner Rat 1523 eine städtische Policeyordnung erlassen wollte und im Vorfeld in Innsbruck um deren Konfirmierung ansuchte,462 zierte sich die Regierung zunächst. Sie verwies auf eigene einschlägige Gesetzgebungspläne und wies daher die Stadt an, bis auf weiteres von der Verkündung abzusehen.463 Kurz darauf kam es zwar zu einem Meinungsumschwung, und die Regierung gestattete die Publikation der städtischen Policeyordnung. Allerdings hielt sie ausdrücklich fest, dass die städtische Ordnung nur so lange Geltung haben sollte, uncz die manndata von der F. D. ausgeen.464 In diesem konkreten Fall trat die Regierung einer ansonsten sehr oft anzutreffenden und ohne weiteres tolerierten Doppelnormierung auf landesfürstlicher und kommunaler Ebene entgegen. Einen postulierten Vorrang der landesfürstlichen vor der genossenschaftlichen Gesetzgebung lassen zudem Schadlosklauseln in Konfirmierungsurkunden greifen, die einer auf gemeindlicher oder gerichtlicher Ebene erlassenen Satzung zwar das landesfürstliche Placet erteilen, dabei jedoch festhalten, dass dies der lanndtsordnung und den außganngnen mandaten unvergriffenlich geschehe.465 Wie bereits angeführt, schloss eine solche Klausel keineswegs aus, dass sogar inhaltlich abweichende genossenschaftliche Rechtssetzungsakte die landesfürstliche Konfirmation erhielten. Insofern liegt es nahe, die Inserierung einer solchen Schadlosklausel als Betonung der von der kommunalen bzw. gerichtlichen Rechtssetzung unberührt bleibenden (Weiter)Geltung der landesherrlichen Normen zu interpretieren. Das Einfügen einer derartigen Klausel ist dabei keineswegs obligatorisch. Ein Landesfürst bzw. die Regierung konnte sich �������������������������������������������������������������������������������������������� Mustergültig zeigt sich die Parallelität der Begründungsmuster beispielsweise in der „Feierabendordnung“ des Dorfes Absam in Tirolische Weistümer, 5. Teil, 1966, S. 125–127; dies bestätigt den Befund von Stolleis, „Konfessionalisierung“ oder „Säkularisierung“, 1993, S. 15–17. Er macht darauf aufmerksam, dass sich gesetzgeberische Maßnahmen zur Sicherstellung einer christlichen Lebensführung aus Sicht der Normadressaten wohl als „legitime (d. h. als berechtigt und notwendig empfundene) gemeinwohlbezogene Sozialgestaltung“ (Zitat ebd., S. 16) ausgenommen haben; ähnlich auch Marquardt, Reich als Segmentäres Verfassungssystem, 1999, S. 178–186, hier bes. S. 180–181. 462 TLA, Hs. 5342. 463 Vgl. TLA, BT, Bd. 1, fol. 13v, 1524 Jan. 3. 464 TLA, BT, Bd. 1, fol. 14v, 1524 Jan. 15. 465 So TLA, BT, Bd. 6, fol. 106v–107r, 1550 Mai 6; ähnlich TLA, Konfirmationsbuch, Reihe II, Bd. 1, fol. 317v–318r, 1553 Mai 13. 461
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VI. Leitkategorien und Ordungskategorien der Gesetzgebung
ebenso mit der formlosen Mitteilung begnügen, dass man sich eine bey [...] gemainer stat fürgenombne und gemachte ordnung gnedigist wol gefallen lasse.466 Konkrete inhaltliche Einflussnahmen seitens der Zentrale auf genossenschaftliche legislative Akte außerhalb des Bereichs der „Auftragsgesetzgebung“ sind während des Untersuchungsraums extrem selten. Soweit dörfliche oder gerichtliche Satzungen betroffen sind, ist bisher nur ein Fall bekannt, wo bei der Erteilung einer landesfürstlichen Bestätigung für eine Gerichtsordnung eine inhaltliche Änderung vorgenommen wurde (wobei sich leider weder ersehen lässt, worin diese Änderung in concreto bestand, noch, aus welchen Beweggründen sie angeordnet wurde).467 Bei den Städten präsentiert sich das Bild sehr uneinheitlich. Erhebliche Eingriffe lassen sich in Innsbruck belegen, speziell in Perioden, während derer Innsbruck Residenzstadt war. Die quantitativ und qualitativ intensivierte landesfürstliche Ingerenz lässt sich damit begründen, dass die Sicherstellung „guter Ordnung und Policey“ mittelbar auch den Hofstaat betraf und zudem die jeweils residierenden Erzherzöge Missstände selbst wahrnahmen. In den anderen Städten lässt sich während des Untersuchungszeitraums Vergleichbares nicht beobachten. Bezeichnend ist die Reaktion auf einen Vorstoß des Landrichters von Gries und Bozen, Dr. iur. Johann Baptista Girardi, im Jahr 1639.468 Dieser hatte die vilen unordnungen moniert, die aus der alleinigen Zuständigkeit des Rats der Stadt Bozen für Poli ceyangelegenheiten resultiere und eine sehr weitgehende Beteiligung des (durch den Landesfürsten bestellten) Landrichters am städtischen Rechtssetzungsprozess eingefordert. Städtische Verordnungen in Policeysachen (policeyordnungen) sollten fortan im rath mit beywesenhait und consens des Landrichters erlassen werden, der zudem die Implementation beaufsichtigen sollte. Der Vorschlag ging der Regierung offensichtlich zu weit. Nachdem sie ein (nicht erhaltenes) Gutachten beim Landeshauptmann in Auftrag gegeben hatte, ob eine solche weitgehende Kontrolle der städtischen Satzungen überhaupt mit den Privilegien der Stadt Bozen vereinbar wäre, hört man jedenfalls nichts mehr von derartigen Plänen. In aller Kürze kann man den derzeitigen Forschungsstand somit folgendermaßen umreißen: Zwar kam dem landesfürstlichen Gesetzgebungsrecht zweifellos ein gewisser Vorrang zu, nur lässt sich dieser nicht mit modernrechtlichen Derogations TLA, CD 1576, fol. 551, 1576 Nov. 26. Vgl. Tirolische Weistümer, 4. Teil, 1. Hälfte, 1888, S. 287. Die Gerichts- und Holzordnung des Gerichts Altenburg von 1570 wurde aus nicht näher ersichtlichen „ursachen [...] etlichermassen corrigiert und geendert“. Nicht in diesem Zusammenhang anzuführen – da es sich beim Streitobjekt nicht um eine genossenschaftliche Rechtssetzung handelt – ist die Aufhebung der bisher rechtsgewohnheitlich gegebenen jurisdiktionellen Befugnisse des Dorfmeisters von Wenns im Gericht Imst im Jahr 1560, die der (dabei durchaus Eigeninteressen wahrnehmende) Gerichtsherr mit der Kollision mit der Tiroler Landesordnung begründete, vgl. Tirolische Weistümer, 5. Teil, 1966, S. 44–48, und Stolz, Landesbeschreibung von Tirol (Nordtirol), 1926, S. 527–528. 468 Vgl. zum Folgenden (einschließlich der Zitate) TLA, AfD 1639, fol. 258r–262r, 1639 Aug. 23. 466 467
4. Abgestufte Normintensität
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oder Stufenbaumodellen umschreiben. Tatsächlich war die Ingerenz des jeweiligen habsburgischen Landesherrn und der Zentralbehörden auf Akte genossenschaftlicher Rechtssetzung außerhalb der „Auftragsgesetzgebung“ – von der Residenzstadt Innsbruck abgesehen – nur sehr schwach ausgeprägt, eine konsequente inhaltliche Überwachung von deren Konformität mit der landesfürstlichen Gesetzgebung war weder rechtlich vorgeschrieben noch wurde sie offensichtlich angestrebt.469 Zudem finden sich in Teilbereichen des Policeyrechts (unter Umständen en détail voneinander abweichende) Doppelnormierungen durch genossenschaftliche und landesfürstliche Rechtssetzungsakte, ohne dass dies einen quellenmäßig fassbaren Widerspruch seitens der Zentrale hervorgerufen hätte.
4. Abgestufte Normintensität 4. 1. Allgemeines Der Abschnitt über die Gesetzespublikation hat es deutlich gemacht: Gesetz ist nicht gleich Gesetz, Mandat nicht gleich Mandat.470 Spätestens in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts hatte sich ein breites Spektrum möglicher Publikationsformen für eine Rechtsvorschrift herausgebildet. Auf der einen Seite des Spektrums steht das simple Reskript, wobei die darin enthaltene Rechtsvorschrift den Rechtsunterworfenen nur mündlich kundzumachen ist (sofern sich das Reskript nicht ohnehin darauf beschränkt, Richtern und Pflegern die Befolgung früherer Mandate einzuschärfen, ohne eine Pflicht zur neuerlichen Kundmachung der Norm zu enthalten). Auf der anderen Seite des Spektrums steht das großformatige Mandat, das alle äußeren Merkmale einer feierlichen Urkunde aufweist, das kumulativ durch periodische „Berufung“ und Anschlag publiziert werden sollte, das eigenhändig vom Landesfürsten unterfertigt war und über dessen Durchsetzung die Obrigkeiten zur regelmäßigen Berichterstattung angehalten waren. Zwischen diesen beiden Extremen konnte die Regierung aus einer Vielzahl von fein abgestuften Kundmachungsmöglichkeiten wählen, und es lässt sich anhand der oberösterreichischen Ländergruppe festmachen, dass der Wahl der Publikationsart eine durchaus erhebliche Relevanz zugemessen wurde. Dass die Form der Kundmachung Aus druck einer Bedeutungszuschreibung sein konnte, deutete bereits Achim Landwehr an, ohne den Gedanken in der Folge weiterzuentwickeln. Mit Blick auf die frequenten Wiederverlautbarungen frühneuzeitlicher Gesetze hob er hervor, dass In diesem Punkt dürfte, soweit die noch rudimentäre Forschungslage schon eine derartige Generalisierung zulässt, Tirol wohl nicht repräsentativ sein, vgl. Härter, Statut und Policeyordnung, 2010, S. 129, 136, 146–150; Birr, Ordnung im Dorf, 2010, S. 156. 470 ������������������������������������������������������������������������������������� Die folgenden Ausführungen folgen weitestgehend Schennach, Publikation und Normintensität, 2008, S. 167–180. 469
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VI. Leitkategorien und Ordungskategorien der Gesetzgebung
„durch Wiederholung bestimmte, medial vermittelte Informationen überhaupt erst als bedeutsam eingestuft werden“471 können. Und schon 1983 konstatierte Hans Schlosser, es korrespondiere „die jeweilige Publikationsform mit der Gewichtigkeit der konkreten Rechtsetzung.“472 Die von diesem Befund ausgehende und im Folgenden zu entwickelnde Vorstellung einer unterschiedlichen Normintensität ist nicht zu verwechseln mit der hierarchischen Abstufung von Rechtsnormen.473 Dass es in der Frühneuzeit eine gewisse Hierarchie von gesatzten Rechtsnormen gibt, „ein hierarchisch gestaffeltes System von Gesetzen“474, ist unbestritten;475 sie unterscheiden sich vornehmlich durch die Recht setzende Instanz und den räumlichen Geltungsbereich. Unterhalb des Reichsrechtes gab es auf Ebene der Territorien in den einzelnen Ländern neben den „leges fundamentales“ bzw. „Landesfreiheiten“ Kodifikationen und Einzelgesetzgebungsakte; je nach regionalen Verhältnissen konnte Grundherren eine Rechtsetzungskompetenz zukommen; schließlich gab es eine Rechtssetzung in den Städten (durch den Rat) und partiell – so auch in Tirol – in ländlichen Gemeinden oder anderen genossenschaftlichen Verbänden (im Allgemeinen in Form von Einungen bzw. „coniurationes“).476 Natürlich impliziert dies eine gewisse hierarchische Schichtung von Rechtsnormen, zumal viele Landesherren mit unterschiedlichem Erfolg versuchten, in ihrem Territorium ein Gesetzgebungsmonopol zu erlangen bzw. zumindest die Rechtssetzungskompetenz untergeordneter Instanzen inhaltlich zu determinieren und zu überwachen. Dennoch muss man sich für die Frühneuzeit gerade (aber nicht nur) im materiell umfassenden Bereich der „guten Policey“ von jeder modernen Vorstellung eines elaborierten „Stufenbaus der Rechtsordnung“ deutlich distanzieren.477 Die Gesetzgebungspraxis zeigt, wie im vorangehenden Kapitel gezeigt wurde, ein bei weitem vielgestaltigeres, bunteres Bild. Landwehr, Rhetorik der „guten Policey“, 2003, S. 264. Schlosser, Rechtsgewalt und Rechtsbildung, 1983, S. 31; eine in diese Richtung gehende Andeutung findet sich auch bei Feigl, Rechtsentwicklung und Gerichtswesen, 1974, S. 133 („[...] Patente, die wegen ihrer allgemeinen Bedeutung bei jeder Versammlung verlesen werden sollten [...]“). 473 Zum Konzept der variablen Normintensität vgl. bereits die vorbereitenden Ausführungen und Überlegungen bei Schennach, Publikation und Normintensität, 2008, S. 167–180, sowie zusammenfassend Schennach, Gesetzgebung als Erinnern an Normen, 2007, bes. S. 415. 474 So Weber, Reichspolizeiordnungen, 2002, S. 36. 475 ���������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Duchhardt, Gesetzgebung im Alten Reich, 1997; Brauneder, Frühneuzeitliche Gesetzgebung, 1998. 476 �������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. zur Beschränkung der landesherrlichen potestas legislatoria durch landständische „Freiheiten“ z. B. Mohnhaupt, Potestas legislatoria, 1973, S. 195–196; Mohnhaupt, Konstitution, Status, Leges fundamentales, 1995, S. 62–66; zur genossenschaftlichen Rechtsetzung sowohl in der Stadt wie auf dem Land zuletzt Blickle, „Coniuratio“, 2003, S. 341–360; Bader/Dilcher, Rechtsgeschichte 1999, S. 204–208. 477 ������������������������������������������������������������������������������������� Zu dem von Julius Adolf Merkl ausgearbeiteten Modell eines „Stufenbaus der Rechtsordnung“ vgl. u. a. Öhlinger, Stufenbau der Rechtsordnung, 1975. Weitere Literaturhinweise bei Schennach, Publikation und Normintensität, 2008, S. 169, Anm. 134. Fragen der Kon471 472
4. Abgestufte Normintensität
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Dies gilt nicht nur mit Blick auf das Verhältnis von Reichs- und Landesrecht.478 Auch innerhalb Tirols kann man im 16. und 17. Jahrhundert nur mit Vorbehalten von einer Hierarchie von Rechtsnormen sprechen.479 Selbst das Verhältnis von landesfürstlichem Gesetzesrecht zu genossenschaftlich (auf Ebene des Gerichts oder der Land- bzw. Stadtgemeinde) gesatztem Recht war im frühneuzeitlichen Tirol nicht zwangsläufig eines der Über- und Unterordnung, wie soeben ausführlich dargelegt wurde.480 Das Tiroler Fallbeispiel darf nicht verallgemeinert werden; jedes Territorium verlangt eine gesonderte Betrachtung. Die Verortung sämtlicher Rechtssetzungsakte unterschiedlicher Normgeber in eine zu wahrende, einheitliche Gesamtrechtsordnung erscheint jedoch insgesamt zur Erfassung frühneuzeitlicher Verhältnisse nur bedingt geeignet, da gerade im 16. und 17. Jahrhundert trotz deutlich greifbarer Interferenzen und gemeinsamer grundlegender Ordnungsvorstellungen und Leitkategorien wie beispielsweise der anzustrebenden Optimierung des „gemeinen Nutzens“ noch das Nebeneinander verschiedener Rechtskreise dominierte. Verfehlt wäre jedenfalls die Übertragung geltendrechtlicher Vorstellungen von Derogations zusammenhängen auf die Frühneuzeit.481 Die hier formulierte und in den Kapiteln über das Verhältnis von Reichsrecht zu Landesrecht und von Landesrecht zu lokalen Rechtsordnungen bzw. lokalen genossenschaftlichen Rechtssetzungsakten weiter ausgeführte und empirisch fundierte Skepsis gegenüber der historisierenden Anwendung eines linear-hierarchischen Stufenbaumodells auf die frühneuzeitliche Rechtsordnung weist übrigens Berührungspunkte mit rezenten staatsrechtlichen Diskussionen auf. Bemerkenswerterweise wählte Wilfried Ludwig Weh bereits 1997 für eine Darstellung der Stellung des Gemeinschaftsrechts in der nationalen Rechtsordnung den bezeichnenden Übertitel „Vom Stufenbau zur Relativität“.482 Bußjäger wies zuletzt nach, dass ein strikt linear-hierarchisches Modell („Tortenschichtmodell“) weder dem Verhältnis zwischen Gemeinschaftsrecht und staatlichem Recht, weder rechts- noch sozialwis-
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kurrenz von Rechtsquellen verschiedenen Ranges werden demgegenüber im 16. und 17. Jahrhundert von der Rechtswissenschaft noch kaum thematisiert und treten erst im 18. Jahrhundert verstärkt ins Blickfeld; vgl. Schröder, Recht als Wissenschaft, 2001, S. 17, 19–21. Vgl. z. B. Härter, Gute Ordnung und Policey, 2005; Weber, Reichspolizeiordnungen, 2002, S. 36–42; Härter, Policey und Strafjustiz, 2005, S. 240; Weber, Sozialdisziplinierung, 1998, S. 427–428; Härter, Entwicklung und Funktion, 1993, S. 61–141, bes. S. 134–136; eingehend hierzu nunmehr auch Pauser, Rechtsvereinheitlichungsversuche Ferdinands I., 2008, bes. S. 135–141. Vgl. auch Kap. VI.5.2.1.2. und insbesondere das dort zu besprechende Gutachten der Regierung von 1577 in TLA, AfD 1577, fol. 722r–728r, 1577 Nov. 10. Vgl. auch für Baden-Durlach Holenstein, Gesetzgebung und administrative Praxis, 1998, hier bes. S. 192. Vgl. Kap. VI.3.2.2.4.; allgemein Schröder, „Stadtrecht bricht Landrecht“, 2001, S. 477–492, hier S. 486 und 489–491. Hierzu ausführlich Kap. VI.3.2.2.4. und Kap. VI.5.2.1. Weh, Vom Stufenbau zur Relativität, 1997, bes. S. 213–240.
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VI. Leitkategorien und Ordungskategorien der Gesetzgebung
senschaftlich als ein „holistisches Bild der Komplexität der Realität“ gerecht wird.483 Ganz ähnlich, jedoch noch pointierter drückte sich Lachmayer aus, der das Stufenbau-Modell als „autoritäre Hierarchieprojektion“484 bezeichnete. Den Schwerpunkt auf das komplexe Verhältnis zwischen Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht legend, sah er in ihm ein zu Beginn des 20. Jahrhunderts erarbeitetes „Theorieanbot“, das „heute nicht mehr sehr zeitgemäß“485 sei: „Die lineare Abfolge der Rechts stufen (Verfassung, Gesetz, Verordnung, Bescheid) erscheint viel zu simpel, als dass es der Realität des zu beschreibenden Gegenstandes angemessen wäre.“486 Die gesamthafte Betrachtung der Komplexität des Organisationsgrades und der Schichtungen von Rechtsvorschriften innerhalb der Europäischen Union sieht Lachmayer kaum im Stufenbau-Modell verwirklicht; vielmehr weist er auf die Affinität mit der Komplexität des spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Heiligen Römischen Reichs hin.487
4. 2. Zum Begriff „Normintensität“ Die Hierarchie von Rechtsnormen ist zu unterscheiden vom Erklärungsmodell einer unterschiedlichen Normintensität der einzelnen Gesetzgebungsakte. Letztere bezieht sich nur auf Normen eines identischen Gesetzgebers (des jeweiligen Landesherrn) mit im Allgemeinen identischem räumlichen Geltungsbereich. Doch auch hier gibt es eine formale und eine inhaltliche Einschränkung: Eine unterschiedliche Intensität von Rechtsnormen lässt sich nur bei Einzelgesetzgebungsakten (d. h. bei gesetzgeberischen Akten außerhalb einer größeren Kodifikation) im Bereich der „guten Policey“ feststellen. Auf die Gründe hierfür wird noch einzugehen sein. Schon die Ausführungen über die unterschiedlichen Möglichkeiten der Gesetzespublikation haben deutlich gemacht, dass bei weitem nicht jedem Rechtssetzungsakt seitens des Normgebers dieselbe Relevanz zugemessen wurde, obwohl sämtliche Mandate auf derselben hierarchischen Ebene angesiedelt waren. Insofern weisen die Gesetze eine jeweils divergierende Normintensität auf. Dies bedeutet, dass Gesetzen trotz Gleichrangigkeit auf formaler Ebene eine unterschiedliche Relevanz auf inhaltlicher Ebene zukam.
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Vgl. Bußjäger, Homogenität und Differenz, 2006, S. 18–26, Zitat S. 23. Lachmayer, Relativierung des Stufenbau-Modells, 2001, S. 58. Lachmayer, Relativierung des Stufenbau-Modells, 2001, S. 65. Lachmayer, Relativierung des Stufenbau-Modells, 2001, S. 64. Lachmayer, Relativierung des Stufenbau-Modells, 2001, S. 74–76. Der Gedanke erscheint dem Verfasser aus rechtshistorischer Perspektive grundsätzlich intellektuell sehr anregend; es ist im Übrigen kein Zufall, dass gerade ein Jurist auf die Vorbildhaftigkeit des Heiligen Römischen Reichs hinweist (vgl. hierzu auch Schilling, Reichs-Staat und frühneuzeitliche Nation, 2001, S. 383).
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Zwar ist die Art der Publikation ein wesentliches Indiz für die Beurteilung der Normintensität eines Mandats, jedoch keineswegs das einzige. Hiervon wird später noch die Rede sein. Das Signalisieren, dass bestimmten Normen besondere Bedeutung zukommen solle, die sie aus der Masse von Edikten, Patenten, Mandaten und Reskripten hervorhob, war in der Frühneuzeit eine verwaltungspraktische Notwendigkeit. Seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert hatte die legislative Tätigkeit in allen Territorien des Reichs nahezu exponentiell zugenommen. Die landesherrlichen Zentralbehörden hatten parallel zu diesem Vorgang personell und kompetenzmäßig expandiert. Zwar war auch bei den lokalen Obrigkeiten mit dem steigenden herrschaftlichen Zugriff ein gewisser personeller Zuwachs zu verzeichnen, dieser blieb jedoch in Summe deutlich hinter der Ausweitung der Zentralverwaltung und der gestiegenen Zahl an zu vollziehenden Normen zurück.488 In Tirol beispielsweise kam es von der Zeit Maximilians I. bis weit ins 17. Jahrhundert zu keinem signifikanten Anstieg der Zahl von Richtern und Pflegern oder ihrer Hilfsorgane; diese Entwicklung blieb dem 18. Jahrhundert vorbehalten.489 Somit wurden die Obrigkeiten vor Ort für die Durchsetzung von immer mehr Normen verantwortlich, ohne dass jedoch die diesen zur Verfügung stehenden materiellen und personellen Ressourcen entsprechend vermehrt worden wären. „Überforderung der Amtsträger und der Normadressaten wegen einer unübersehbaren Normenflut“490 ist demzufolge ein nahe liegender Befund. Das offensichtliche Missverhältnis zwischen der Anzahl der an der Peripherie für die Normdurchsetzung zuständigen Funktionsträger und der schieren Menge zu vollziehender Gesetze wird häufig mit Verweis darauf abgemildert, dass der frühmoderne Staat zur Implementation seiner Gesetze noch vielfach auf die Einbindung und Inanspruchnahme traditioneller lokaler Institutionen (z. B. genossenschaftlicher Rüge-, Frevel-, Dorf- oder Vogteigerichte) angewiesen blieb.491 Dabei war deren Kompetenz zur Ahndung von als deviant sanktioniertem Verhalten jedoch beschränkt; zudem bestanden hinsichtlich der Verbreitung vergleichbarer Einrichtungen erhebliche territorienspezifische Unterschiede. Im Fall von Tirol gab es so zwar entsprechende Rügegerichte, deren Bedeutung ist insgesamt Vgl. hierzu zuletzt den Sammelband: Holenstein u. a. (Hg.), Policey in lokalen Räumen, 2002; vgl. allgemein die jeweiligen Ausführungen über die Verwaltung auf unterer und mittlerer Ebene in: Jeserich u. a. (Hg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 1, 1983. 489 Vgl. auch die allgemeine Aussage bei Brakensiek, Herrschaftsvermittlung, 2005, S. 9, der auf die europaweit phasenverschobene Entwicklung von zentraler Normproduktion einerseits und dem Ausbau der Lokalverwaltung andererseits aufmerksam macht: „Vor Ort beließ man es häufig bei den bereits im Spätmittelalter geschaffenen Exekutivorganen. [...] Der politische Körper verfügte zwar über einen mächtigen Kopf und einen wachsenden Rumpf, der allerdings mit schwächlichen Gliedmaßen ausgestattet war.“ 490 So Dinges, Policeyforschung statt „Sozialdisziplinierung“, S. 342, mit Bezug auf Landwehr, Policey im Alltag, 2000, bes. S. 82–83. 491 Vgl. z. B. Härter, Policey und Strafjustiz, 2005, S. 274–284; Landwehr, Policey im Alltag, 2000, S. 141–165. 488
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VI. Leitkategorien und Ordungskategorien der Gesetzgebung
jedoch als marginal anzusprechen.492 Angesichts der Vielzahl von Policeynormen bei gleichzeitiger Beschränktheit der administrativen Ressourcen zu deren Durchsetzung an der Peripherie ist die Theorie einer variablen Normintensität plausibel, ermöglicht diese doch eine Kanalisierung jener Normen, „die in einem regelmäßigen Strom ins Land flossen“ 493. Hiermit soll im Übrigen nicht durch die Hintertür die Vorstellung von einer primär „symbolischen Gesetzgebung“ in der Frühneuzeit reaktiviert werden. Keinesfalls bedeutet die Behauptung einer abgestuften Normintensität, dass all jene Mandate, denen keine besondere Bedeutung zugeschrieben wurde, nicht auf Umsetzung abzielten und nur oder zumindest primär der Inszenierung und Repräsentation von Herrschaft dienten. Grundsätzlich waren nach der (auch im behördeninternen Schriftverkehr vielfältig belegten) Intention des frühneuzeitlichen Gesetzgebers sämtliche erlassenen Normen auf Implementation angelegt, da die offene Missachtung herrschaftlicher Gebote eine verkleinerung irer Fürstlichen Durchleutigkeit lantsfürstlichen hocheit undt reputation verursacht.494 Dies ändert aber nichts daran, dass der Verwaltungsalltag dazu zwang, Vollzugsschwerpunkte und Prioritäten zu setzen, die sowohl den lokalen Obrigkeiten als auch den Normadressaten zu kommunizieren waren. Und während die Vertreter einer Lesart frühneuzeitlicher Mandate als „symbolische Gesetzgebung“ just die Wiederholung von Mandaten als Beleg für deren vermeintliche „Unwirksamkeit“ sehen, werden demgegenüber nun die abgestuften, fein differenzierten Möglichkeiten der Kundmachung von Normen als Beleg für die Annahme einer variablen Normintensität betrachtet. Außerdem wäre es verfehlt, die Normintensität isoliert zu betrachten. Vielmehr ist sie im Beziehungsdreieck zwischen Regierung (Gesetzgeber), lokalen Obrigkeiten und Untertanen zu sehen, wobei auch stets die behandelte Materie im Blickfeld zu behalten ist: Bei Mandaten, die voraussichtlich auf breite Akzeptanz bei den Untertanen stoßen würden oder die nur Rechtsgewohnheiten festschrieben, war es so schlichtweg nicht notwendig, alle möglichen Register zu ziehen, um die dem betreffenden Gesetz zugeschriebene Bedeutung zu signalisieren. Anders verhielt es sich bei Normen, bei denen mit Widerstand seitens der Adressaten zu rechnen war oder die mit lokalen Rechtsgewohnheiten respektive dem Rechtsempfinden der Bevölkerung kollidierten. Diesen musste der Gesetzgeber a priori eine höhere Normintensität zumessen und dies auch an der Peripherie vermitteln, um die Chancen der Implementation zu erhöhen. Mandate zur Reduktion der Gerichtskosten stießen so wenig überraschend auf Widerständigkeiten seitens des Gerichtspersonals, das seine Einkommensquellen gefährdet sah; die Tiroler Untertanen wiederum betrachteten die temporäre Freigabe der Jagd beim Tod eines Landesfürsten als einen ihnen rechtsge Forschung hierzu fehlt bezeichnenderweise völlig; Hinweise auf die Existenz entsprechender Rügegerichte lassen sich jedoch finden, vgl. z. B. TLA, Verfachbuch Landgericht Sonnenburg, Bd. 2 (1578/1579), fol. 74v–75r, 78, 84v, 89v, 90v usw. 493 Landwehr, Policey im Alltag, 2000, S. 324. 494 TLA, VdL, Bd. 5, S. 582 (1590). 492
4. Abgestufte Normintensität
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wohnheitlich zukommenden Anspruch, was seitens der Regierung vehement bestritten und auf normativer Ebene verboten wurde. In beiden Fällen musste der Gesetzgeber klar signalisieren, welche Bedeutung er den entsprechenden Mandaten beimaß. Dies verdeutlicht zugleich, dass das Konzept einer variablen Normintensität nicht einseitig etatistisch ausgerichtet ist. Die Bedeutungszuschreibung durch den Gesetzgeber erfolgte nicht im luftleeren Raum, sondern nahm durchaus auf die vielfältigen Interaktions- und Kommunikationsprozesse im Vorfeld eines Gesetzgebungsaktes und bei dessen Durchsetzung Rücksicht. Glaubte die Regierung beispielsweise, dass der bisher gewählte Publikations- und Implementationsvorgang noch nicht die intendierten Wirkungen erzielt hatte, konnte sie darauf reagieren und die dem Mandat zugewiesene Normintensität erhöhen oder aber als Allokationsentscheidung davon absehen und sich mit dem Erreichten zufrieden geben. Insofern fügt sich das Konzept der abgestuften Normintensität klar in das jüngst vor allem seitens der Geschichtswissenschaft elaborierte Modell frühneuzeitlicher Herrschaft als multipolarem Kommunikationsprozess.495
4. 3. Beurteilungskriterien Die einem Gesetzgebungsakt zugeschriebene Normintensität richtet sich nach der Bedeutungszuschreibung durch den Gesetzgeber und orientiert sich somit an einer subjektiven Kategorie. Dennoch kann sie präzise beschrieben werden, da sich der die Bedeutung zuschreibende Wille des Gesetzgebers in definierbaren Kriterien niederschlägt, die im Folgenden dargelegt werden sollen. Dabei ist die Art der Publikation ein wesentliches Indiz für die Beurteilung der Normintensität eines Mandats, jedoch keineswegs das einzige. Grundsätzlich ist für eine zuverlässige Aussage über die einem Gesetzgebungsakt seitens des Normgebers zugesprochene Relevanz eine möglichst umfassende, mehrere Faktoren miteinbeziehende Betrachtungsweise anzustreben. In diesem Zusammenhang muss betont werden, dass die folgenden Beurteilungskriterien keineswegs erschöpfend sind. Sie wurden anhand der Ge setzgebungspraxis der oberösterreichischen Ländergruppe vornehmlich im 16. und 17. Jahrhundert entwickelt; diesbezüglich sind Verschiebungen und Differenzen in anderen frühneuzeitlichen Territorien denkbar. Ein gewichtiger und zuverlässiger, jedoch methodisch schwer handhabbarer Indikator für die Normintensität eines Mandats ist zunächst die Investition administrativer Ressourcen in die Durchsetzung eines speziellen Gesetzes durch den Gesetzgeber. In vielen Fällen sind dabei – namentlich bei einer so geschlossenen archivalischen Überlieferung wie im Fall der oberösterreichischen Ländergruppe – klare Unterschiede greifbar. An dieser Stelle sei nur ein besonders markantes Bei Vgl. nur Meumann/Pröve, Faszination des Staates, 2004; Kaak/Schattkowsky, Einleitung, 2003; Brakensiek, Lokale Amtsträger, 2005 (jeweils mit weiterführenden Literaturangaben).
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spiel herausgegriffen: In den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts führte die oberösterreichische Regierung eine äußerst umfangreiche Korrespondenz mit den nachgesetzten Obrigkeiten über die Eindämmung des „Fürkaufs“, d. h. des preistreiberischen Aufkaufs vornehmlich von Lebensmitteln. Unzählige Beratungen wurden zu diesem Sujet abgehalten, Dutzende von Normen mit teils landesweitem, teils räumlich beschränktem Geltungsbereich erlassen; kurz gesagt wurden erhebliche Mittel in die legislative Verfeinerung und administrative Umsetzung dieser zunehmend differenzierten Mandate investiert. Auf der anderen Seite steht, beginnend mit dem 1517 erlassenen Mandat „wegen der unehelichen Beiwohnung“496, eine verhältnismäßig geringe Zahl von ‚Lastermandaten’, die eine möglichst den christlichen Geboten entsprechende Lebensführung breiter Bevölkerungskreise herbeiführen sollten. Betrachtet man vergleichsweise, wie viele (oder vielmehr: wie wenige) Ressourcen die Regierung hier investierte, wird die Diskrepanz augenscheinlich. Die Regierung mischte sich bei der Normdurchsetzung praktisch nicht ein, sondern überließ diese nahezu ausschließlich den lokalen Obrigkeiten – und diese wussten sicherlich sehr genau, dass sie weitgehend freie Hand hatten bzw. niemand Zeter und Mordio schreien würde, wenn sich ihre diesbezüglichen Aktivitäten in überschaubaren Grenzen halten würden. Erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und namentlich unter Erzherzog Ferdinand II. entfaltete die Regierung in diesem Rechtsbereich mehr Aktivitäten. Für den Zeitraum von 1520 bis 1550 wird man jedoch das Verhältnis der Ressourcen, die in die Durchsetzung der den Fürkauf einerseits und den lasterhaften Lebenswandel andererseits bekämpfenden Gesetze plakativ mit 100:1 beziffern können. Auch die in Tirol im 16. und 17. Jahrhundert angewendete Kontrolle der lokalen Amtsträger bestätigt die Theorie variabler Normintensität. Grundsätzlich fiel diese Überwachung in den Aufgabenbereich des oberösterreichischen Kammerprokurators, der auf Anweisung der Regierung neben anderen Dienstpflichten zu verifizieren hatte, ob und inwieweit landesfürstliche Mandate vor Ort durchgesetzt wurden. Dabei wurde er stets schwerpunktmäßig tätig, indem er keineswegs die Befolgung sämtlicher, sondern jeweils nur ausgewählter Normen überwachte – eben jener Normen, denen seitens des Gesetzgebers besondere Bedeutung zugemessen wurde und die somit eine erhöhte Normintensität aufwiesen. Die ausschließliche Zuhilfenahme des Kriteriums, wie viele der nur beschränkt vorhandenen administrativen Ressourcen der Gesetzgeber in die Durchsetzung einer Norm zu investieren bereit war, würde jedoch für den Rechtshistoriker erhebliche Probleme aufwerfen. Die zeitgenössischen lokalen Obrigkeiten mögen zwar aufgrund ihrer Korrespondenz mit den Zentralbehörden jeweils rasch begriffen haben, welche Vollzugsschwerpunkte die Regierung augenblicklich setzte (zumal diese Prioritäten ja durchaus Schwankungen unterworfen sein konnten, wie das bereits erwähnte Beispiel der Fastenmandate illustriert). Der sich primär auf die Normtexte TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 37, Lit. Ll, fol. 143, 1517 Juli 24.
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selbst konzentrierende Rechtshistoriker vermag diese aber aus dem Gesetzeswort laut allein nicht zu erschließen. Und selbst wenn er bereit ist, weiteres administratives Schriftg ut mit zu berücksichtigen, ist dieses unter Umständen gar nicht erhalten und sind somit diesbezügliche Aussagen nicht möglich. Außerdem genügt es nicht, die für die Durchsetzung eines bestimmten Mandats gesetzten Aktivitäten absolut zu erfassen. Für eine zuverlässige Bewertung muss der entsprechende Befund auch im Vergleich zu anderen Verwaltungsmaterien gesehen werden. Ein weiterer Indikator für die Normintensität eines Einzelgesetzgebungsaktes ist die Normierungsintensität im betreffenden Verwaltungsbereich. Als Faustregel kann dabei gelten: Je mehr Normen zur Regelung eines speziellen Lebensbereiches in einem bestimmten Zeitraum ergehen, desto höher ist grundsätzlich die Normintensität, wobei auch in diesem Punkt eine relative Betrachtungsweise wünschenswert ist (Verhältnis zur Gesamtzahl der Mandate im entsprechenden Zeitraum). Ein Beispiel wurde bereits kurz angesprochen: Während der ersten drei Regierungsjahre Maximilians I. in Tirol sind insgesamt 18 Gesetzgebungsakte für die Grafschaft Tirol belegt, von denen acht (44 %) jagd- und fischereirechtliche Fragen behandeln – was angesichts der Jagdleidenschaft des Königs wohl kein Zufall war. Dem entspricht auch der Befund, dass bei einem dieser Mandate nachweisbar ist, dass Abschriften davon auch in den ländlichen Gerichten durch Anschlag kundgemacht werden sollten, was vor Einführung des Drucks die absolute Ausnahme war und schon für sich die hohe der betreffenden Norm zugesprochene Relevanz dokumentiert. Indizienwirkung kommt ferner in bestimmten Fällen der Verweistechnik zu. In der Narratio von Mandaten enthaltene Verweise nehmen häufig auf vorangegangene, inhaltlich identische oder ähnliche Regelungen Bezug, bevor die Dispositio diese frühere Bestimmung wiederholt oder gegebenenfalls geringfügig ändert. Die Wirtsordnung von 1585497 verweist so auf die entsprechenden Vorgängermandate von 1575, 1577, 1579 und 1581. Dies ist rechtlich nicht notwendig, die Funktion dieser Verweise erhellt sich jedoch vor dem Hintergrund unterschiedlicher Normintensität. Ihnen kommt vor allem Signalwirkung sowohl an die Normadressaten als auch in noch höherem Maße an die zur Vollziehung berufenen Amtsträger zu, sich die Durchsetzung der einschlägigen Ordnung angelegen sein zu lassen, damit es nit not seye / yederzeit mit einigem uncosten / mühe und arbayt / auch verklainerung unserer Fürstlichen Reputation / Newe Mandata außfertigen zu lassen. Die Anzahl von Vorgängerregelungen, auf die ein Mandat verweist, kann dabei im Extremfall fast in den zweistelligen Bereich gehen.498
Vgl. TLA, BT, Bd. 11, fol. 696, 1585 März 15. ����������������������������������������������������������������������������������� Vgl. die entsprechende Rubrik in den bisherigen Bänden im „Repertorium der Policeyordnungen der Frühen Neuzeit“; zwei illustrative Beispiele aus Tirol in TLMF, Dip. 1091, Nr. 231, 1663 Juli 30, und ebd., Nr. 240, 1665 Febr. 2.
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VI. Leitkategorien und Ordungskategorien der Gesetzgebung
Für die Beurteilung der Normintensität eines Rechtssetzungsaktes kommt überdies, wie schon eingehend dargelegt wurde, der Publikationsweise eines Mandats herausragende Bedeutung zu. Wie bei der Verweistechnik handelt es sich auch hierbei um ein innerrechtliches Kriterium, da der Publikationsbefehl in der Frühneuzeit grundsätzlich im Mandat selbst enthalten ist und allenfalls noch in einem Begleitschreiben präzisiert wird. Ob sich die Regierung für den Publikationsvorgang beispielsweise eines einfachen Reskripts an die Obrigkeiten mit einmaliger „Berufung“ bediente oder eines feierlichen Mandats, das mehrere Wochen hintereinander jeden Sonntag kundgemacht und zudem angeschlagen wurde oder das gar die periodische Berufung anordnete – die Unterschiede waren sowohl den Untertanen als auch den lokalen Obrigkeiten bewusst. Dass die Art und die Umstände der Kundmachung zur Visuali sierung der einem Gesetz seitens des Gesetzgebers zugeschriebenen Relevanz von erheblicher Bedeutung waren, war noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts vertraut.499 Die Normintensität musste jedoch nicht landesweit einheitlich sein. Auch Richter und Pfleger selbst konnten diese in ihrem Zuständigkeitsbereich beeinflussen, indem sie ihrerseits – sofern keine Anweisungen seitens der übergeordneten Behörde griffen – Mandaten unterschiedliche Relevanz zumaßen. So wurden auf Ehafttaidingen eben nicht nur jene Mandate in regelmäßigen Abständen kundgemacht, welche die Regierung hierzu bestimmt hatte. Die Obrigkeiten konnten in diesem Forum zusätzlich Mandate, die ihnen mit Blick auf die regionalen Verhält nisse besonders wichtig erschienen, neuerlich berufen. Die Normintensität ist zudem, wie dargelegt wurde, keine statische Größe. Nur schlagen sich Wandlungen nicht zuletzt in der veränderten Publikationsform nieder. Wenn die besagten Fastenmandate plötzlich jährlich erlassen werden, zeigt dies klar den veränderten Stellenwert, welcher der entsprechenden Regelung beigemessen wurde (wobei man in weiterer Folge nach den Gründen fragen kann). Im Fall der Fastenmandate wird der Befund einer erhöhten Normintensität bei der Analyse des administrativen Schriftguts bestätigt: Ab dem Zeitpunkt der periodischen Publikation treibt die Regierung die Normdurchsetzung mit deutlich mehr Elan voran als in den Jahren zuvor.
4. 4. Normintensität und Kodifikation Grundsätzlich lässt sich nur bei Einzelgesetzgebungsakten zur „guten Policey“ von abgestufter Normintensität sprechen. Was jedoch ist mit den Kodifikationen, Dies vermag ein Beispiel aus dem Königreich Bayern von 1809 anschaulich zu illustrieren. Damals wurden weitreichende Überlegungen angestellt, wie man das am 27. Juli 1809 erlassene „Gesetz über die Staatsverbrechen“ am zielführendsten kundmachen machte, um den Normadressaten die Wichtigkeit der Sache vor Augen zu führen. Vgl. nur Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, Ministerium des Äußeren, Pos. 6981, 1809 Sept. 10 und ebd., 1809 Sept. (ohne nähere Datierung).
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4. Abgestufte Normintensität
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mit Landrechten, Malefiz- oder Halsgerichtsordnungen, Landes- oder Policeyordnungen? Wird diesen seitens des territorialen Gesetzgebers nicht besondere Bedeutung zugemessen? Die für die Beurteilung der Normintensität angeführten Kriterien, im Speziellen die Publikationsart und die äußere Form, sind in diesen Fällen nicht fruchtbringend anzuwenden, selbst wenn unter Umständen mit feierlichem Mandat das Inkrafttreten einer Kodifikation kundgemacht wurde.500 Hier muss differenziert werden: Bei dem in Kodifikationen des 16. und 17. Jahrhunderts enthaltenen Privat- und Strafrecht im engeren Sinn ist die Zielsetzung eine andere als im Fall der Einzelgesetzgebung zur „guten Policey“. Privatrechtliche Bestimmungen, die in Landrechten enthalten sind, muss man nicht immer wieder einschärfen, weder den Untertanen noch den lokalen Obrigkeiten. Eine grobe Vorstellung vom Rechtsgeschäft „Kauf “ darf man so in der Frühneuzeit bei nahezu allen Rechtsunterworfenen voraussetzen, und der geringe Prozentsatz von strittigen Fällen konnte vor Gericht geklärt werden. Ebenso erübrigte es sich, den Untertanen wieder und wieder einzuschärfen, keinen Diebstahl zu begehen oder seinen Nach barn nicht zu erschlagen – die Rechtswidrigkeit einer solchen Tat musste niemandem durch wiederholte Publikation vor Augen geführt werden, während sich der Unrechtsgehalt des Branntweintrinkens vor der Kirche während des Gottesdienstes nicht so leicht erschloss und unter Umständen sowohl Richtern und Pflegern als auch den Untertanen regelmäßig eingetrichtert, die Bedeutung der Norm hervorgehoben und in ausführlichen Narrationes begründet werden musste. Geradezu mustergültig lässt sich dies anhand des Publikationsvorgangs der Tiroler Landesund Policeyordnung von 1573 in Innsbruck illustrieren. In Anwesenheit des Bürgermeisters, des Rats und des Stadtrichters wurde der allgemainen burgerschafft und gmain alhie auf dem tannczpoden fürgehallten die new reformiert tyrolisch lanndordnung und darauß etlich articl, so vernewert, sonnderlichen des fürkaufs halber, item die darinnen begriffen müller- und peckh enordnung und dann die pollicey von anfanng bis zu ennd verlesen worden.501 Die privat- und strafrechtlichen Teile der Landesordnung im Einzelnen kundzumachen wurde offensichtlich nicht für notwendig gehalten. Zur Gänze las man hingegen die wesentlichen Änderungen bei den policeyrechtlichen Bestimmungen sowie die neu hinzugekommene Policeyordnung vor. Angesichts des Gesagten überrascht es nicht, dass policeyrechtliche Normen in Landesordnungen bzw. Landespoliceyordnungen ebenfalls immer wieder durch Einzelgesetze eingeschärft und gegebenenfalls präzisiert wurden. Wurde den lokalen Obrigkeiten und den Untertanen nicht auf diese Weise die Bedeutung der Poli ������������������������������������������������������������������������������������������ Vgl. z. B. TLA, BT, Bd. 3, fol. 45v, 1532 Dez. 1, zum Inkrafttreten der Tiroler Landesordnung 1532. 501 StAI, Ratsprotokoll 1573–1577, fol. 74v. 500
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VI. Leitkategorien und Ordungskategorien der Gesetzgebung
ceynormen einer Kodifikation in Erinnerung gebracht, lief die Regierung aufgrund des vorherrschenden „usualen Rechtsgeltungsverständnisses“502 Gefahr, dass diese entweder gar nicht erst angewendet wurden oder rasch ihre „Observanz“ verloren.
5. Rechtsvereinheitlichung und Rechtstransfer 5. 1. Begriffe Die rechtswissenschaftliche Literatur (einschließlich der Rechtsgeschichte) kennzeichnet bei der Bearbeitung der hier zu thematisierenden Phänomene eine erhebliche Begriffsvielfalt, die fallweise in eine regelrechte „Sprachenverwirrung“503 überzugehen droht: „Rechtsangleichung“, „Rechtsvereinheitlichung“, „Rechtstransfer“, „Rezeption“, „Rechtsharmonisierung“ oder „Einheitsrecht“ finden dabei teilweise als Oberbegriffe, teilweise als Bezeichnungen spezifischer Erscheinungsformen und Ausprägungen von intentionalen Rechtsübernahme- und -anpassungsphänomenen Verwendung. Im Folgenden seien als Arbeitsbehelfe die Termini „Rechtsvereinheitlichung“ und „Rechtstransfer“ verwendet. Unter Rechtsvereinheitlichung sei dabei im Anschluss an Taupitz ganz allgemein „das aktive Verändern von Recht durch Beseitigung von Rechtsunterschieden“504 verstanden. Dabei müssen als Referenzobjekte zwei Rechtsordnungen vorhanden sein, zwischen denen bestehende Unterschiede beseitigt werden sollen.505 Die Rechtsvereinheitlichung kann dabei auf verschiedenen Wegen erfolgen: durch die Rechtswissenschaft, die Rechtsprechung und die Verwaltung sowie durch den Gesetzgeber.506 So der von Simon, Geltung, 2005, S. 101, geprägte Terminus. So schon Posch, Rechtssetzungsprobleme in der Rechtsvereinheitlichung, 1988, S. 259. 504 ���������������������������������������������������������������������������������������� Taupitz, Rechtsvereinheitlichung, 1993, S. 2; so wohl auch jüngst Giménez-Candela, Europäische Rechtsvereinheitlichung, 2009, ohne dass die Abgrenzung vom auch aufgegriffenen Begriff einer „Harmonisierung des Rechts“ klar vorgenommen würde (vgl. ebd., S. 378). 505 Vgl. neben Taupitz, Rechtsvereinheitlichung, 1993, S. 2–8, auch die Darstellung bei Pauser, Rechtsvereinheitlichungsversuche Ferdinands I., 2008, S. 131–133. 506 Vgl. Starck, Einführung, 1992, S. 11–12; Stolleis, „Innere Reichsgründung“, 1992, S. 15; Taupitz, Rechtsvereinheitlichung, 1993, S. 14–18; Pauser, Rechtsvereinheitlichungsversuche Ferdinands I., 2008, S. 131; am diskutabelsten mögen die Möglichkeiten einer Rechtsvereinheitlichung durch die Rechtswissenschaft erscheinen, wenngleich gerade für diesen Bereich in der Literatur besonders häufig auf historische Vorläufer – speziell die Tradition des Ius commune – verwiesen wird (vgl. nur für andere Kötz, Rechtsvereinheitlichung, 1986, bes. S. 13–17; Kötz 1992, Alternativen zur legislatorischen Rechtsvereinheitlichung 1992, S. 17; Flessner, Rechtsvereinheitlichung durch Rechtswissenschaft und Juristenausbildung, 1992, bes. S. 244–245). 502 503
5. Rechtsvereinheitlichung und Rechtstransfer
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Im Folgenden soll es nur um die Rechtsvereinheitlichung durch Gesetzgebung gehen, die im Allgemeinen eine charakteristische politische Dimension aufweist. Die Rechtsvereinheitlichung verfolgt implizit oder explizit über den rechtlichen Bereich hinausreichende Zielsetzungen. Sie vermag durch die am Ende stehende gemeinsame Rechtsordnung Identität zu stiften und fördert die Zusammengehörigkeit zwischen den beteiligten regionalen Einheiten. Durch die mittels Rechtsvereinheitlichung zu erzielende Rechtssicherheit begünstigt sie die wirtschaftliche und politische Integration und Verflechtung. Nicht nur, gegebenenfalls nicht einmal primär das Herbeiführen des als optimal erkannten Rechtszustandes motiviert den das Recht vereinheitlichenden Gesetzgeber. Die erwähnten positiven Effekte sind ihm bewusst und tragen den Prozess der legislativen Rechtsvereinheitlichung zu einem erheblichen Teil mit.507 Historische Musterbeispiele für Rechtsvereinheitlichungsprozesse stellen die im 19. Jahrhundert konstituierten Nationalstaaten (vor allem das Deutsche Reich und Italien) dar. Diese politische Implikation unterscheidet die legislative Rechtsvereinheitlichung zumeist vom Rechtstransfer. Dieser Terminus bezeichnet die intentionale Übertragung von Rechtsnormen von einer Rechtsordnung auf eine andere. Auch hier gibt es somit zwei verschiedene Rechtsordnungen als Bezugspunkte. Jedoch spielt die Beseitigung von Rechtsunterschieden beim Rechtstransfer im Gegensatz zur Rechtsvereinheitlichung durch Gesetzgebung nur eine untergeordnete Rolle. Im Zentrum steht der Gedanke, eine als praktikabel und zielführend erkannte Norm bzw. einen entsprechenden Normenkomplex in die eigene Rechtsordnung zu übernehmen. Für den Gesetzgebungsprozess bedeutet dies eine erhebliche Erleichterung, da – pointiert gesprochen – das Rad nicht ein zweites Mal neu erfunden werden muss. Man kann an in der Regel bereits bewährtes Recht anknüpfen und allenfalls noch eine Anpassung an die Spezifika der empfangenden Rechtsordnung vornehmen. Der alternativ zu verwendende Begriff der „Rezeption“ verdeutlicht, dass es eine fremdes Recht aufnehmende Rechtsordnung gibt, wobei freilich unter Rezeption im deutschen Sprachraum primär die Rezeption des römischen Rechts verstanden wird.508 Man muss sich jedoch der fließenden Grenzen zwischen „Rechtstransfer“ und „Rechtsvereinheitlichung“ bewusst sein, zumal für die Beseitigung von Unterschieden zwischen zwei Rechtsordnungen mehrere Wege offen stehen:509 Rechtsvereinheitlichung kann nicht nur erreicht werden, indem alle fraglichen Rechtsordnungen verändert und durch eine neue, nunmehr vereinheitlichte Rechtsordnung ersetzt werden. Ebenso besteht für den Gesetzgeber die Möglichkeit, nur eine der beteiligten Rechtsordnungen zu modifizieren und sie der anderen anzugleichen. Gerade im letztgenannten Fall können sich unter Umständen die Grenzen Vgl. nur Brauneder, Faktoren der Rechtsvereinheitlichung, 1993. Vgl. auch Giesen, Art. „Rezeption fremder Rechte“, 1990, hier bes. Sp. 996. 509 Vgl. Pauser, Rechtsvereinheitlichungsversuche Ferdinands I., 2008, S. 131. 507 508
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VI. Leitkategorien und Ordungskategorien der Gesetzgebung
zum Rechtstransfer verwischen, da sich das jeweilige Prozedere rechtstechnisch ent sprach. Zur Differenzierung kann man in diesem Fall nur noch auf die Intentionen des Gesetzgebers abstellen. Stehen Zweckmäßigkeitserwägungen im Vordergrund – soll also vor allem eine als praktikabel erachtete Norm bzw. ein Normenkomplex übernommen werden – oder dominieren politische Implikationen?510 Die Unterscheidung von Rechtsvereinheitlichung und Rechtstransfer entsprechend den Intentionen des Gesetzgebers erscheint jedoch mit Blick auf den Untersuchungsraum und den Untersuchungsgegenstand als durchaus praktikabel. Die Quellen lassen in den meisten Fällen deutlich fassbar werden, welche Motive im Vordergrund stehen. Soviel sei vorweggenommen: Bei den im Folgenden zu besprechenden Phänomenen dominieren Zweckmäßigkeitserwägungen massiv. Überlegungen, die aus weit reichenden politischen Erwägungen auf eine planmäßige Beseitigung von Rechtsunterschieden abzielen, lassen sich kaum finden. Am ehesten trifft dies noch auf vereinzelt greifbare Bestrebungen zu, lokale Rechtsordnungen innerhalb der Grafschaft Tirol zu nivellieren. Dessen ungeachtet lässt sich deutlich feststellen, dass die Rechtsvereinheitlichung im Sinne einer planmäßigen Beseitigung von rechtlichen Unterschieden während des Untersuchungszeitraums in Tirol nur eine marginale Rolle spielt. Es dominiert der Typus des Rechtstransfers, der auf Zweckmäßigkeitsüberlegungen beruht.
5. 2. Vertikale Rechtsvereinheitlichung (vertikaler Rechtstransfer) Es wurde bereits angedeutet und wird noch zu vertiefen sein: Die Vorstellung eines strikten Stufenbaus der Rechtsordnung vermag die spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Gesetzgebung im Heiligen Römischen Reich nur sehr unvollkommen zu erfassen. Dessen ungeachtet gibt es hierarchisch auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelte gesetzgebende Instanzen und Rechtsordnungen, deren Rechtssetzungsakte zueinander in einem gewissen Verhältnis der Über- und Unterordnung stehen, ohne dass man hier moderne Vorstellungen von Derogations- und Entstehungszusammenhängen anlegen darf. Je nach der verfassungsrechtlichen Einordnung der Rechtsordnungen kann man daher sowohl bei der Rechtsvereinheitlichung als auch beim Rechtstransfer zwischen einer vertikalen und einer horizontalen Ausprägung differenzieren.511 Eine vertikale Rechtsvereinheitlichung (ein vertikaler Rechtstransfer) ist demnach bei einem Verhältnis der Über- und Unterordnung gegeben, so beispielsweise zwischen territorialen und regionalen Rechtsordnungen Musterbeispiel für die fließenden Grenzen zwischen Rechtsvereinheitlichung und Rechts transfer ist die Übernahme des französischen Code civil in einigen Rheinbundstaaten, vgl. Schubert, Französisches Recht in Deutschland, 1977; Philipps, Erscheinungsformen, 1965, S. 13–14; Alliot, Arten des „Rechts-Transfers“, 1980, S. 169–171; Schöler, Deutsche Rechtseinheit, 2004, S. 47–49 511 Vgl. Pauser, Rechtsvereinheitlichungsversuche Ferdinands I., 2008, S. 131. 510
5. Rechtsvereinheitlichung und Rechtstransfer
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oder dem Heiligen Römischen Reich und den einzelnen Reichsterritorien. Als horizontale Rechtsvereinheitlichung (horizontaler Rechtstransfer) kann man dementsprechend das Angleichen von Rechtsordnungen bezeichnen, die auf einer Stufe angesiedelt sind: Dies trifft z. B. auf die Beseitig ung von Unterschieden zwischen territorialen Rechten zu, ist aber ebenso der Fall, wenn innerhalb eines Territoriums eine Sonderordnung einer einzelnen Stadt den anderen Städten des Territoriums zur Übernahme empfohlen wird. In diesem Kapitel sei zunächst das Phänomen der vertikalen Rechtsvereinheitlichung bzw. des vertikalen Rechtstransfers erörtert.
5. 2. 1. Reichsrecht und Landesrecht 5. 2. 1. 1. Allgemeines In Übereinstimmung mit der Reichspublizistik des 17. und 18. Jahrhunderts betont die (rechts)historische Forschung den „Vergleichs- und Vertragscharakter“512 der Reichsgesetzgebung:513 „Für die Reichsgesetzgebung ist vor allem der vertragliche Rechtscharakter der Reichsgesetze kennzeichnend“, wie Heinz Mohnhaupt programmatisch feststellt.514 Seit dem Wormser Reichstag von 1495 hatte sich das Gesetzgebungsverfahren des Reichstags zu einem maßgeblich durch das „Reichsherkommen“ und die eingespielte gewohnheitsrechtliche Vorgehensweise geprägten, auf eine Konsensfindung zwischen dem Kaiser und den in drei Kollegien gegliederten Reichsständen ausgerichteten Verfahren entwickelt.515 Dieses wurde durch die konfessionelle Spaltung im Reich nochmals komplexer.516 Der am Ende des Verfahrens des Reichstags stehende Beschluss wurde als „consultum imperii“ bzw. Reichsgutachten dem Kaiser zur Erteilung seiner Zustimmung (Sanktion) zugeleitet. Durch diese wurde das Reichsgutachten zum Reichsschluss („conclusum imperii“), der bis 1654 im Reichsabschied („recessus imperii“) zusammengefasst wurde. Daran schloss sich eine feierliche Verlesung im Reichstag an, womit der Reichsabschied in Kraft gesetzt war. Nach 1663 kam es zu einer Änderung der Modalität, indem von nun an das Reichsgutachten mittels kaiserlichen Edikts bzw. �������������������������������������������������������������������������������������������� Weber, Bereitwillig gelebte Sozialdisziplinierung, 1998, S. 427–428; Härter, Reichsgesetzgebung und Reichsrecht, 2004, S. 313, spricht vom „Vereinbarungs- und Vertragscharakter“ der Reichsgesetzgebung. 513 Vgl. z. B. Mohnhaupt, Potestas legislatoria, 1972, S. 191; Härter, Gute Ordnung und Policey des Alten Reichs, 2005, S. 191–192; Schmidt, „Aushandeln“ oder „Anordnen“, 2006, S. 95. 514 Mohnhaupt, Gesetzgebung des Reichs, 1998, S. 98. 515 Vgl. zum Beschlussverfahren des Reichstags Mohnhaupt, Gesetzgebung des Reichs, 1998, S. 94–95; Härter, Reichsgesetzgebung und Reichsrecht, 2004, S. 313–314; Härter, Deutsches Reich, 1996, S. 38–40 (alle mit weiteren Literaturhinweisen); Conrad, Rechtsgeschichte, Bd. 2, 21966, S. 88–101 und S. 360–363; vgl. z. B. auch die Beschreibung bei Pufendorf, De Statu Imperii Germanici, Nachdruck 1910, Cap. V, §§ 23–26 (hier S. 110–113). 516 Vgl. auch Schlaich, Verfahren im Reichstag, 1998. 512
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VI. Leitkategorien und Ordungskategorien der Gesetzgebung
Mandats kundgemacht wurde. Die Umsetzung in territoriales Recht erfolgte durch die Reichsstände in ihren Herrschaftsbereichen, die reichsrechtlich zur Transformation der Reichsgesetze verpflichtet waren. Daneben gab es speziell auf dem Gebiet des Policeyrechts kaiserliche Edikte und Mandate, die sich an einen unbegrenzten Adressatenkreis richteten, inhaltlich jedoch nicht gegen Reichsgesetze verstoßen durften. „Bei ihnen stand der Befehls charakter des Gesetzgebungsaktes im Vordergrund.“517 Freilich manifestiert sich in der Gesetzgebungspraxis auch hier ein weit gehender Konsenscharakter, ergingen entsprechende Mandate doch zumeist auf Initiative von Reichstag, Kurfürsten bzw. Reichskreisen. Wenngleich die praktische Gesetzgebungstätigkeit des Reichs auf dem Gebiet des Privatrechts bescheiden blieb,518 ist die große Bedeutung der Constitutio Criminalis Carolina von 1532 unbestritten.519 Zuletzt wurde auch die lange Zeit in ihrer Relevanz verkannte Policeygesetzgebung des Reichs als wichtiges Produkt der Reichsgesetzgebung erkannt, wobei die Reichspoliceyordnungen von 1530, 1548 und 1577 besondere Beachtung fanden.520 Die Reichspoliceygesetzgebung und speziell die Reichspoliceyordnungen, die auf einem breiten Konsens der Reichsstände und des Kaisers beruhten, dienten vielfach als Vorbilder, Initialzündungen und Legitimation territorialer Policeygesetzgebung.521 Ihnen kam der „Status eines Referenz- und Legitimationsregelwerks“ zu.522 Im Gefolge der Reichspoliceygesetz gebung lässt sich so in zahlreichen Territorien in den dreißiger Jahren, ab Ende der Mohnhaupt, Gesetzgebung des Reichs, 1998, S. 100. Vgl. nur die Aufzählung bei Gehrke, Gesetzgebung im Deutschen Reich, 1976, S. 312–318; eine allgemeine Übersicht über die Reichsgesetzgebung bietet jedes rechtshistorische Handbuch (vgl. z. B. Willoweit, Verfassungsgeschichte, 52005, S. 142–143, 175; Conrad, Rechtsgeschichte, Bd. 2, 21966, S. 358–363; vgl. auch den rezenten Überblick bei Buschmann, Heiliges Römisches Reich, 2006, S. 32–33), weshalb an dieser Stelle auf abundante Literaturhinweise verzichtet werden kann. 519 Vgl. hierzu u. a. Landau/Schroeder (Hg.), Grundlagen, Entwicklung und Wirkung, 1984; Schroeder (Hg.), Peinliche Gerichtsordnung, 1986; Ignor, Geschichte des Strafprozesses, 2002; vgl. auch die repräsentative Wertung bei Buschmann, Kaiser, Reich und Landesherren, 2000, S. 462, wonach die Carolina „zu den bedeutendsten Reichsgesetzen des Heiligen Römischen Reichs überhaupt gehört.“ 520 Vgl. nur einige rezente Ausführungen bei Härter, Gute Ordnung und Policey des Alten Reichs, 2005; Schmidt, „Aushandeln“ oder „Anordnen“, 2006, S. 109–111; Wüst/Schümann/Schuh, Policey im regionalen Kontext, 2006; Wüst, Die „gute“ Policey im Reichskreis, Bd. III, 2004, S. 56–65; stellvertretend für regionale und/oder materienspezifische Untersuchungen Pauser, Rechtsvereinheitlichungsversuche Ferdinands I., 2008, S. 135–141; König, Luxusverbote, 1999, S. 1–4. 521 ������������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. auch Härter, Policey und Strafjustiz, 1. Teilbd., 2005, S. 134; Gittel, Aktivitäten des Niedersächsischen Reichskreises, 1996, S. 246; Schmidt, „Aushandeln“ oder „Anordnen“, 2006, S. 110–111; siehe aber auch schon Hartz, Gesetzgebung des Reichs und der weltlichen Territorien, 1931, z. B. S. 20, 32, 24–27 (Österreich unter der Enns) und S. 39–44 (Bayern). 522 Pauser, Rechtsvereinheitlichungsversuche Ferdinands I., 2008, S. 139. 517 518
5. Rechtsvereinheitlichung und Rechtstransfer
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vierziger Jahre und neuerlich ab den ausgehenden siebziger Jahren eine deutliche Intensivierung der territorialen Gesetzgebung feststellen, die sich inhaltlich deutlich an den Reichsgesetzen orientierte.523 In manchen Territorien war die Übernahme der Reichsgesetzgebung überaus ausgeprägt. So ist belegt, dass die kursächsische Policeygesetzgebung bis in die Anfangsjahre des Dreißigjährigen Krieges in sehr hohem Maß von der Reichsgesetzgebung beeinflusst wurde, indem praktisch alle Policeynormen „entweder in direkter Übernahme publiziert oder in die kursächsische Policeygesetzgebung aufgenommen“524 wurden. Häufig muss der Rechtshistoriker freilich nicht einmal durch die vergleichsweise umständliche methodische Vorgangsweise des Vergleichs inhaltliche Parallelen respektive Vorbilder rekonstruieren, stellen doch zahlreiche Gesetze mittels Verweistechnik unmittelbar und leicht nachvollziehbar den Bezug zu den zugrunde liegenden Reichspoliceynormen her.525 Stellvertretend für eine Vielzahl vergleichbarer legistischer Verweistechniken,526 die nicht nur der Erfüllung der reichsrechtlichen Verpflichtung des jeweiligen territorialen Gesetzgebers dienten, sondern nicht zuletzt der eigenen legislativen Tätigkeit ein erhöhtes Gewicht und in der Folge erhöhte Implementationschancen verleihen sollten, seien nur zwei repräsentative Beispiele herausgegriffen: Die von Markgraf Georg Friedrich von Brandenburg-Ansbach erlassene Landes- und Policeyordnung von 1566 führt einleitend – wie schon nahezu wortgleich die Vorgängerordnung von 1549 – die Reichspoliceyordnung von 1548 als Anlass für das legislative Tätigwerden ins Treffen: „Polliceyordnung etlicher punct unnd artickel, in welchen vermög des Heiligen Römischen Reichs, verschinen [15]48. jars, uff deme dazumal zu Augspurg gehaltenem reichstag, uffgerichten und publicierten ordnung und reformation guter pollicey, einer jeden obrigkeit selbsten fürsehung zuthun bevolchen, wie die in des durchleuchtigen hochgebornen fürsten und herrn, herrn Georgen Friderichen marggraffens zu Brandenburg etc., [...] fürstenthumb, jetzo widerumb von newem übersehen unnd außgangen. Anno 1566.“527 Die bayerische Landes- und Policeyordnung Herzog Maximilians I. von 1616 wiederum verweist unter anderem in jenen Bestimmungen, die das Policeydelikt der Gotteslästerung behandeln, auf das Vorbild der Reichsgesetze: „Als hievor in vil ergangnen reichsabschiden, sonderlich aber im jüngsten, deß acht und viertzigisten jars gehaltnem reichstag zu Augspurg, bey grossen peenen Vgl. Härter, Gute Ordnung und Policey des Alten Reichs, 2005, S. 194–196. Härter, Verhältnis von Policey und Strafrecht, 2000, S. 189. 525 Vgl. hierzu Brauneder, Frühneuzeitliche Gesetzgebung, 1998, S. 113–114. 526 Vgl. auch Härter, Gute Ordnung und Policey des Alten Reichs, 2005, S. 200–206. 527 ��������������������������������������������������������������������������������������� Zit. nach Wüst/Schümann/Schuh, Policey im regionalen Kontext, 2006, S. 179 (der Kursivdruck der Vorlage wurde weggelassen, u/v entsprechend dem Lautwert gesetzt). 523 524
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VI. Leitkategorien und Ordungskategorien der Gesetzgebung
zu verbieten geordnet ist, daß die gottslästerung und das schwören bei dem namen Gottes [...] vermitten werden sol [...]. Demnach und zu weiter fürkommung solcher gottslästerung, ordnen, setzen und wöllen wir hiemit ernstlich [...]“528 Der Verweis ist hier inhaltlich natürlich nicht korrekt. Zum Zeitpunkt der Erlassung der bayerischen Landes- und Policeyordnung von 1616 war nicht mehr die Reichspoliceyordnung von 1548 die rezenteste, sondern jene von 1577. Dieser scheinbare Falschverweis ist nur mit einer wörtlichen Übernahme aus der vorangegangenen bayerischen Landes- und Policeyordnung von 1553 zu erklären, die einen gleichlautenden Artikel enthalten hatte.529 An der autoritätssteigernden und legitimierenden Bedeutung, die einem Verweis auf ein Reichsgesetz vom territorialen Gesetzgeber offensichtlich zugeschrieben wurde, ändert dies aber nichts. 5. 2. 1. 2. Reichsrecht und Landesrecht in Tirol Das Verhältnis zu Reichsrecht und Landesrecht gestaltet sich in Tirol bei weitem vielgestaltiger und uneinheitlicher, als es die bisherige Forschungslage und die anhand der Untersuchung anderer Territorien gewonnenen Erkenntnisse erwarten ließen. Auf die Bedeutung der „Carolina“ für die Strafgerichtsbarkeit spätestens ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurde bereits an anderer Stelle eingegangen.530 Da das einschlägige achte Buch der Tiroler Landesordnung – das, wie dargelegt wurde, inhaltlich in weiten Strecken auf die Tiroler Halsgerichtsordnung von 1499 zurückging – als nicht mehr adäquat angesehen wurde, rekurrierte die Rechtsprechung in zunehmendem Maße auf die Carolina. Mit der generell vorgeschriebenen subsidiären Geltung der Carolina531 allein ist dieses Phänomen nur unzureichend zu erklären. Vielmehr zeigt sich hier, wie der strafrechtliche Teil eines Gesetzbuches – nämlich der Tiroler Landesordnung – durch fehlende Observanz weitgehend außer Kraft treten konnte.532 Im Verlauf dieses Prozesses begünstigte die subsidiäre Geltung der Carolina die Entwicklung, statt der strafrechtlichen Normen der Lan Zit. nach Wüst, Die „gute“ Policey im Reichskreis, Bd. III, 2004, S. 544 (in Abweichung von der Vorlage wurde u/v entsprechend dem Lautwert gesetzt); der entsprechende Ausschnitt findet sich auch bereits in der Einleitung, vgl. ebd., S. 59 und (!) S. 63. Das Zitat (Buch 5, Titel 6, Artikel 1) wurde verifiziert anhand des Exemplars der bayerischen Ordnung in TLMF, FB 3619, S. 444–728, hier S. 694. 529 Die bayerische Ordnung von 1553 ist großteils ediert bei Kunkel/Schmelzeisen/Thieme, Quellen zur Neueren Privatrechtsgeschichte, Bd. II/1, S. 161–324; just der entsprechende Titel (Buch 6, Titel 7, Artikel 1) ist jedoch nicht ediert; ergänzend wurde herangezogen ein zeitgenössischer Druck in TLMF, FB 4136, hier fol. CLXXIX. 530 Vgl. Kap. IV.7.6.3.2. 531 Schmidt, Sinn und Bedeutung, 1966, S. 252–253; Neumair, Von der Subsidiaritätsklausel zum Analogieverbot, 1996, S. 495; Ignor, Geschichte des Strafprozesses, 2002, S. 42. 532 Allgemein hierzu Simon, Geltung, 2005; vgl. auch Kap. VI.7.1.2. 528
5. Rechtsvereinheitlichung und Rechtstransfer
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desordnung die Constitutio Criminalis Carolina heranzuziehen – was jedoch mehr als eine subsidiäre Geltung ist, treten die Vorschriften der Carolina durch Observanz doch an die Stelle der strafrechtlichen Teile der Landesordnung. Die Landesordnung selbst weist nur sehr wenige Einflüsse der Carolina auf. Tatsächlich auf das Vorbild der Carolina zurück gingen zunächst die im Zuge der Überarbeitung der Tiroler Landesordnung von 1532 eingefügten Erweiterungen zum 49. Titel des 8. Buchs: Die Bestimmungen „Von Rechter Notwör, wie die enntschuldigt“, „Was ain Recht Notwör ist“ und „Dasz die Notwör bewisen werden solle“ präsentieren sich in der Tat als wörtliche Übertrag ung der Artikel 139 bis 141 der Carolina.533 Auf wörtlicher Übernahme des Artikels 135 der Carolina beruht zudem der 43. Titel des 8. Buchs der Tiroler Landesordnung von 1573, soweit er das rechtliche Schicksal des Vermögens eines Selbstmörders behandelt.534 Damit ist der nachweisbare Einfluss der Carolina jedoch schon erschöpft, wenngleich in jüngerer Zeit Michael Neumair die Behauptung aufgestellt hat, dass „die Tiroler Ordnung von 1573 nicht nur einzelne Bestimmungen, sondern vielmehr die leitenden Grundprinzipien der Carolina rezipiert hatte.“535 Die von ihm angeführten Beispiele werden jedoch durch ein methodisches Defizit verfälscht: Da es wörtliche Übereinstimmungen zwischen Carolina und der Tiroler Landesordnung von 1573 abgesehen von der angeführten Bestimmung nicht mehr gibt,536 stellt er auf inhaltliche Parallelen ab. Dabei beschränkt sich der Vergleich jedoch auf die Carolina einerseits und die Landesordnung von 1573 andererseits; die Vorgängerordnungen von 1532 und 1526 werden in den Vergleich hingegen nicht mit einbezogen, wenngleich sie für die Beurteilung einer allfälligen Übernahme von Elementen der Carolina von erheblicher Relevanz sind. Eine Anlehnung an die Carolina scheidet nämlich definitiv aus, sofern eine strafrechtliche Norm in der Tiroler Landesordnung von 1573 bereits ihre wörtliche Entsprechung in der Landesordnung von 1532, vielleicht sogar 1526 hat. Dass die Carolina nämlich die Landesordnung von 1532 beeinflusst haben könnte, ist auszuschließen. Noch Ende Februar 1533 (!) verfügte so die oberösterreichische Regierung nachweislich über kein Exemplar der Constitutio Criminalis Carolina. Damals bat sie nämlich Ferdinand I., ob er ihr nicht ein Exemplar der Carolina, von deren Erlass man erfahren habe und zu der man gerne Stellung nehmen möchte, übersenden könne.537 Eine genauere Analyse der von Neumair zur Vgl. auch Neumair, Von der Subsidiaritätsklausel zum Analogieverbot, 1996, S. 499. So im Übrigen schon Sartori-Montecroce, 1895, S. 61, ferner Hellbling, Strafrechtsquellen, 1996, S. 39–40. 534 Vgl. Sartori-Montecroce, Reception, 1895, S. 61. 535 Neumair, Von der Subsidiaritätsklausel zum Analogieverbot, 1996, S. 500. 536 Schmidt, Sinn und Bedeutung, 1966, S. 249–252, weist freilich darauf hin, dass wörtliche Übernahmen von Bestimmungen bzw. Teilen der Carolina nur in verhältnismäßig wenig Territorien zu beobachten seien. 537 ���������������������������������������������������������������������������������������� TLA, AkgM 1533, fol. 169v, 1533 Febr. 22; zu den ersten Drucken der Carolina vgl. Güterbock, Entstehungsgeschichte, 1876, S. 209–213. 533
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Untermauerung seiner These angeführten Belegstellen aus der Landesordnung von 1573 führt so zum Ergebnis, dass zwar inhaltliche Parallelen zur Carolina gegeben, diese aber nicht auf deren Vorbildwirkung zurückzuführen sind. Dass der 6. Titel des 8. Buchs der Tiroler Landesordnung von 1573 die Voraussetzungen für die Inhaftierung ‚angesessener‘ Personen ausführlich regelt, ist eben nicht auf die Carolina zurückzuführen, sondern entspricht der wortgleichen Vorgängerregelung in der Landesordnung von 1532.538 Diese wiederum präsentiert sich ihrerseits als nur geringfügige Modifikation des 5. Titels des 2. Buchs der Tiroler Landesordnung von 1526. Dasselbe gilt für die in den Titeln 8 bis 10 des 8. Buchs der Tiroler Landesordnung von 1573 geregelten Voraussetzungen für die Anwendung der Folter: Zwar ist durchaus zutreffend, dass von der Landesordnung und der Carolina „die zugrundeliegende Tendenz geteilt“539 wird, doch geht dies nicht auf eine allfällige Vorbildwirkung der Carolina zurück.540 Hauptsächlich betraf die Übernahme von Reichsrecht jedoch den Bereich des Policeyrechts. Spätestens seit der Regierungszeit Ferdinands I. ist die regelmäßige Kenntnisnahme von Reichsabschieden und Reichsgesetzen durch die oberösterreichische Regierung nachweisbar, wobei die Zusendung durch die Hofkanzlei erfolgte.541 Die Übersendung konnte allenfalls mit dem Auftrag verbunden werden, Gutachten über die dadurch notwendigen legislativen Schritte zu erstellen bzw. die zur Umsetzung erforderlichen Mandate zu erlassen. In den Zeiten einer in Innsbruck residierenden habsburgischen Nebenlinie geschah die Vermittlung von Reichsabschieden durch den Reichstagsgesandten der jeweiligen Erzherzöge. Vom Hofrat bzw. Geheimen Rat wurden die Unterlagen anschließend, gegebenenfalls mit entsprechenden Aufträgen, an die Regierung weitergeleitet.542 Geradezu exemplarisch lässt sich dies anhand des Reichsabschieds von 1551 nachweisen.543 Dieser wurde der oberösterreichischen Regierung mit folgendem Auftrag übersendet: Nachdem auf yeczbeschlossnen alhieigen reichstag widerumb die policeyordnung fürgenomen und zu halten verabschidt worden, und aber darinn ain articl von wegen der wullen tüecher, wie die verkaufft werden sollen, begriffen, und sich nun gebüren will, das solhem articul auch gebürende volziehung beschehe, so ist an euch unnser gnediger bevelch, das ir beradtschlagt und bedenckht, wie derselb TLO 1532, Buch 8, Tit. 6. Neumair, Von der Subsidiaritätsklausel zum Analogieverbot, 1996, S. 499. 540 Dass die Frage der Anwendung der Folter dem Ermessen von Gerichtsgeschworenen bzw. Stadträten überlassen wird, ist zudem in keiner Weise spezifisch für Tirol, vgl. Trusen, Strafprozeß und Rezeption, 1984, S. 79. 541 Vgl. z. B. TLA, VksM 1555, fol. 384, 1555 Nov. 19. 542 Vgl. TLA, AfD 1567, 2. Teilband, fol. 819r–823r, 1567 Mai 28; TLA, AfD 1582, fol. 966v– 977r, 1582 Nov. 10; TLA, VfD 1655, fol. 19r. 543 Zum Inhalt Härter, Entwicklung und Funktion, 1993, S. 83. 538 539
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mit wenigistem nachtail und schaden der hanndls- und gewerbsleut, deßgleichen unnserer getrewen underthanen verkindt und in würckhliche volziehung gericht werden möge. Und was euch also dißfals für das pest und unbeschwerlichist ansehen wirdet, das wellet alßdann berüerts articuls halben publiciern lassen und in volcziehung zu bringen verordnen. Und damit ir auch solches desto pesser thuen müget, so übersenden wir euch hieneben, was in yeczigem reichsabschid und bemelter policeyordnung derhalben staluiert [sic!] und versehen ist.544 Dennoch kam es zu keinem Erlass eines entsprechenden Gesetzes. Erst in Umsetzung des Reichsabschieds von 1555 wurde schließlich ein Exportverbot für Wolle verhängt.545 Das soeben angesprochene Beispiel des Reichsabschieds von 1551 führt zu einer weiteren Frage: Inwiefern territoriale Gesetzgeber, hier in concreto Ferdinand I. als Tiroler Landesfürst, zur Umsetzung von Reichsrecht verpflichtet waren. Die reichsrechtliche Lage war grundsätzlich klar und den Regierungsräten selbstverständlich vertraut. Beim Fehlen allfälliger salvatorischer Klauseln, die bestehende, vom Reichsrecht abweichende territoriale Bestimmungen ausdrücklich in Geltung beließen bzw. beim Fehlen umfassender Vorbehaltsklauseln, die nicht nur bereits existierende abweichenden Regelungen unberührt ließen, sondern die Transformation des Reichsrechts dem Belieben des Landesgesetzgebers anheim stellten,546 hatte der territoriale Gesetzgeber reichsrechtliche Vorgaben umzusetzen. Ferdinand I. sei, wie die Regierung nach Durchsicht des Reichsabschieds von 1555 in aller Deutlichkeit konstatierte, verpunden, allem dem, so der abschid vermag, nachzukhomen und sich also von dem reich nit zu sonndern.547 Diese Feststellung stimmte mit dem von der staatsrechtlichen Literatur bis in das 18. Jahrhundert hinein formulierten Befund überein.548 Die Gesetzgebungspraxis sah jedoch anders aus. Spätestens seit Erzherzog Ferdinand II. lässt sich unzweifelhaft nachweisen, dass ungeachtet aller reichsrechtlichen Vorgaben und de jure bestehenden Transformationsverpflichtungen die Tiroler Landesfürsten für sich das Recht in Anspruch nahmen, eigenständig zu entscheiden, ob und in welchem Ausmaß sie Reichsrecht in Landesrecht transformieren. In zwei zeitlich weit auseinander liegenden Gutachten wies die Regierung ausdrücklich auf diese Diskrepanz zwischen reichsrechtlicher Lage und der tatsächlichen Handhabung hin. 1654 thematisierte die Regierung anlässlich der Erörterung eines bei ihr anhängigen Rechtsfalls ausdrücklich und grundsätzlich die Wirkungen des Reichsrechts 546 547 548 544 545
TLA, VkgM 1551, fol. 200r–201r, 1551 Febr. 22. Vgl. TLA, CD 1555, fol. 390, 1555 Nov. 29. Vgl. hierzu auch Conrad, Rechtsgeschichte, Bd. 2, 21966, S. 357–358. TLA, AksM 1555, fol. 616v–618v, hier fol. 618r, 1555 Nov. 12. Vgl. Härter, Reichsgesetzgebung und Reichsrecht, 2004, S. 319–320; Schmidt, „Aushandeln“ oder „Anordnen“, 2006, S. 95–96.
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auf die territoriale Rechtsordnung.549 Unter Hinweis auf den zwischen Kaiser und Reichsständen paktierten Charakter der Reichsabschiede kam die Regierung (freilich nur mit einem Majoritätsvotum) zum Schluss, dass eine Verpflichtung bestehe, beim Fehlen von salvatorischen Klauseln bzw. Vorbehaltsklauseln Reichsgesetze in Landesrecht zu transformieren.550 Gleichzeitig wies die Regierung jedoch darauf hin, dass ungeachtet dessen weder der regierende Erzherzog Ferdinand Karl noch dessen Vorgänger sich vormals zu dergleichen reichsrecess nit haben wellen verbinden lassen, selbst wenn ein Erzherzog persönlich oder dessen Gesandter am Reichstag vertreten gewesen sei.551 Der Widerspruch zwischen der Beteiligung eines Gesandten der oberösterreichischen Länder am Zustandekommen des Reichsabschieds und der gleichzeitigen Mentalreservation, als Landesfürst in der Folge selbst über dessen Transformation in Landesrecht und damit dessen Anwendung zu entscheiden, kommt dabei klar zum Ausdruck. Warum man diese Diskrepanz bewusst in Kauf nahm, geht aus einer Stellungnahme der Regierung anlässlich der Reichspoliceyordnung von 1577 hervor,552 die Dr. Wendl Arzt, der Gesandte Ferdinands II. auf dem mit der Ausarbeitung befassten Reichsdeputationstag in Frankfurt, überschickt hatte.553 Inhaltlich hatten die Räte gegen diese zwar keine Bedenken, handle es sich doch um dem „gemeinen Nutzen“ dienende, „heilsame“ Normen. Gleichzeitig wies man jedoch auf die bisherige Praxis hin, dass die Tiroler Landesfürsten stets das Recht für sich in Anspruch genommen hätten, selbst über eine allfällige Transformation in Landesrecht zu entscheiden und diesbezüglich keine Vorschriften seitens des Reichs zu akzeptieren. Allerdings warfen die Räte aus Anlass der Reichspoliceyordnung von 1577 die Frage auf, ob nicht zur Verhinderungen eines Präjudizes außenwirksame Schritte gesetzt werden sollten. In diesem Zusammenhang wurde speziell in Betracht gezogen, ob der Gesandte dem Gesetzgebungswerk nur unter dem Vorbehalt zustimmen sollte, dass dieses Erzherzog Ferdinand II. als Konkret ging es um die Auslegung der §§ 170–174 des Reichsabschieds von 1654 (in der leicht greifbaren Edition von Buschmann, Kaiser und Reich, II. Teil, 21994, auf S. 254–258). 550 So auch z. B. Häberlin, Repertorium, 4. Teil, 1795, Art. „Promulgation der Gesetze“, § 5, S. 298: „Unterläßt ein Reichsstand diese Publication, so kann derselbe darüber zur Verantwortung gezogen, und auch wohl nach Beschaffenheit der Umstände deshalb in Strafe genommen werden, […]“. 551 TLA, AfD 1654, fol. 386r–393r, 1654 Juli 29. 552 Die entsprechende Episode wird bereits erwähnt bei Hirn, Erzherzog Ferdinand II., Bd. 1, 1885, S. 459, der jedoch aufgrund eines Missverständnisses davon ausgeht, dass der Gesandte der oberösterreichischen Länder den Auftrag erhalten habe, die Reichspoliceyordnung unter Verweis auf die bereits existierende Tiroler Policeyordnung abzulehnen. Diese Interpretation übernimmt Bücking, Frühabsolutismus und Kirchenreform in Tirol, 1972, S. 60. Vgl. nunmehr auch Pauser, Rechtsvereinheitlichungsversuche Ferdinands I., 2008, S. 142. 553 TLA, AfD 1577, fol. 722r–728r, 1577 Nov. 10; zur Ausarbeitung der Reichspoliceyordnung von 1577 vgl. Weber, Reichspolizeiordnungen, 2002, S. 32–33; Neuhaus, Reichsständische Repräsentationsformen, 1982, S. 476–477 und 489–490; Härter, Entwicklung und Funktion, 1993, S. 84. 549
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Gesetzgeber in den oberösterreichischen Ländern nicht binden sollte – immerhin schärfte die Instruktion von Dr. Arzt diesem ohnehin ein, dass die oberösterreichische Ländergruppe jedenfalls bei ihren Ordnungen und Satzungen zu verbleiben habe und sich des heilligen reichs ordnungen nit unnderwerffen khunde.554 Allerdings sah die Regierung einen solchen förmlichen Protest gegen jede Bindungswirkung der Reichspoliceyordnung für den territorialen Gesetzgeber aus diplomatischen Rücksichten als kontraproduktiv an. Nach ihrer Einschätzung würde man durch eine solche Vorgehensweise nur unnötigerweise andere Reichsstände verstimmen; die bisherige Praxis gerade in Tirol habe gezeigt, dass man auch bei Fehlen von Vorbehaltsklauseln immer nur jene reichsrechtlichen Vorgaben in Landesrecht transformiert habe, die man als zielführend erachtet habe. Diese Einschätzung der Regierung trifft – nicht nur für die Regierungszeit Erzherzog Ferdinands II. – in der Tat zu. Nicht nur, dass die Umwandlung von reichsrechtlichen Vorgaben in Tirol in verhältnismäßig geringem Ausmaß geschah (s. u.); darüber hinaus findet man auch Beispiele, in denen der Landesgesetzgeber von zwingenden Vorgaben des Reichsrechts abwich. Hierfür ist die Schaffung einer Rechtfertigungsmöglichkeit für Fehdehandlungen im Fall von Rechtsverweigerung durch das Gericht, was in klarem Widerspruch zum Ewigen Landfrieden stand, ein besonders prominentes Beispiel.555 Immerhin wurde 1654 von der Regierung die unter bestimmten Umständen denkbare Möglichkeit einer unmittelbaren Anwendbarkeit nicht transformierten Reichsrechts in Betracht gezogen. Konkret handelte es sich dabei um eine allfällige unmittelbare Anwendbarkeit eines im Reichsabschied von 1654 enthaltenen Moratoriums. Dass dieses mangels Umsetzung in Landesrecht in Tirol nicht anwendbar sei, stand für die Regierung zwar außer Frage. Sehr wohl diskutiert wurde diese Variante jedoch für bei Tiroler Gerichten anhängige Zivilprozesse zwischen extranei, wo der Gerichtsstand in Tirol aus bestimmten Anknüpfungspunkten wie z. B. der Lage des Streitgegenstandes resultiere.556 Allerdings kam die Regierung – nachdem sie diesbezüglich auch bei der niederösterreichischen Regierung über die dortige Praxis Erkundig ungen eingeholt hatte – schließlich zum Schluss, dass eine unmittelbare Anwendung nicht zum Tragen kommen solle, sondern vielmehr die am Ort des Gerichtsstandes geltende Rechtsordnung zur Anwendung kommen müsse.557 Wie die Transformation des Reichsrechts vor sich ging, hatte sich schon unter Ferdinand I. herauskristallisiert: Erst durch einen landesfürstlichen territorialen Rechtssetzungsakt wurde Reichsrecht für ain lanndsaczung und recht urkhund 556 557 554 555
TLA, AfD 1577, fol. 722r–728r, hier fol. 727r, 1577 Nov. 10. TLO 1526, 2. Buch, 1. Teil, Titel 52. TLA, AfD 1654, fol. 386r–393r, 1654 Juli 29. Vgl. TLA, AfD 1654, fol. 487v–388r, 1654 Sept. 19; TLA, AfD 1655, fol. 119v–121v, 1655 März 15; TLA, VfD 1655, fol. 243r, 1655 Dez. 1; TLA, VfD 1656, fol. 52r–53r, 1656 Febr. 10; ausführlich schließlich TLA, AfD 1656, fol. 123v–133v, 1656 Febr. 8.
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geseczt und geordnet.558 Es war dabei vor allem die Regierung, die wiederholt und regelmäßig darauf drängte, dass Reichsrecht und speziell kaiserliche Mandate und Edikte nicht unmittelbar publiziert, sondern hinsichtlich der äußeren Form klar als Gesetzgebungsakte des territorialen (d. h. Tiroler respektive oberösterreichischen) Gesetzgebers erkennbar sein sollten. Hierauf legte die Regierung selbst in jenen Zeiten Wert, in denen der Tiroler Landesfürst und das Reichsoberhaupt identisch waren. 1555 machte sie darauf aufmerksam, dass bißheer in vil weg hoch verhüet worden, Reichsgesetze kundzumachen, sonnder, wo etwo auf den reichstegen der allgemain nucz oder lanndtfriden fürgenomen und betrachtet worden (wie dann mit der straff der widertäuffer und derselben vorsteer auch beschehen), so hat doch eur Kün. Mt. dieselben nit als ain romischer khunig, sonnder als ain erczherzog zu Osterreich und graf zu Tirol allenthalben in disem eur Mt. lanndt der F. G. Tirol und den vordern österreichischen lannden mit meldung, das solliches durch die stennd des reichs also beschlossen, auch mit einleibung des reichs constitution und ordnung ausgeen und publiciern lassen. Damit ist also die publicierung der kay. Manndata zu verhüetung aines khunfftigen nachtailigen einganngs verhüet worden.559 Angesichts dieser Gesetzgebungspraxis stellt ein kaiserliches Mandat aus dem Jahr 1641, das unter Verweis auf eine Reihe von Reichsabschieden (beginnend im Jahr 1541) den Kriegsdienst für Reichsfeinde verbot, gleichzeitig jedoch alle Soldaten, die freiwillig aus dem Dienst der Schweden und ihrer Verbündeten ausschieden und sich der kaiserlichen Armee anschlossen, eine absolute Ausnahme dar. Ein an die lokalen Obrigkeiten gerichtetes Reskript von Erzherzogin Claudia de’ Medici schrieb die Kundmachung des kaiserlichen Mandats selbst vor; von einem eigenständigen Gesetzgebungsakt der Tiroler Landesfürstin wurde abgesehen.560 Während (reichsrechtlich induzierte) Verbote, sich in fremde Kriegsdienste zu begeben, in anderen Fällen regelmäßig als eigenständige Gesetzgebungsakte publiziert wurden, ist das 1641 belegte, einmalige Prozedere wohl nicht auf einen Lapsus der Regierung zurückzuführen. Die direkte Publikation des kaiserlichen Mandats erschien angesichts des darin ebenfalls enthaltenen Generalpardons für in schwedischen Diensten stehende Reichsangehörige im Fall ihres Übertritts in die kaiserliche Armee sicherlich angemessener. Claudia de’ Medici konnte ihren Untertanen So die Regierung in TLA, AksM 1561, fol. 652v–655v, hier fol. 653v, 1561 März 28. Vgl. TLA, VksM 1555, fol. 386r, 1555 Nov. 12; derselbe Tenor einige Tage später ebd., fol. 384, 1555 Nov. 19: Soverr eur Kün. Mt. dergleichen mandate, so villeicht zu erstattung des reichsabschid von nöten sein wirdet, in eur Mt. erblannden außgeen lassen wollte, das eur Mt. dieselben nit als ain römischer kunig, sonnder als ain erczherczog zu Österreich ausgeen unnd publiciern lasse; ebenso TLA, VfD 1524, fol. 155v–156r, 1524 Sept. 10. 560 Vgl. TLA, CD 1641, fol. 741 und 742, 1641 Okt. 1 und 13 (Parallelüberlieferung in TLMF, FB 6198, Nr. 51). 558 559
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den Dienst in der schwedischen Armee verbieten und mit Sanktionen drohen; zur Pardonierung war sie jedoch nicht berechtigt. Legistisch bestanden mehrere Optionen, um das Reichsrecht zu übernehmen:561 Eine nur äußerst selten gewählte Technik war das Insert, d. h. die als solche gekennzeichnete, wörtliche Einfügung der reichsrechtlichen Vorgabe in den territorialen Gesetzgebungsakt.562 Eines der raren Beispiele für diese Vorgehensweise stellt ein Mandat gegen die Täufer von 1544 dar, dem ein Reichsabschied zugrunde lag. In der Narratio hebt das Mandat hervor, dass im vorangegangenen Reichsabschied zu Speyer auch Bestimmungen über die Bestrafung der Täufer enthalten seien, innhalt aines sondern Artickels in bestimbten Speyerschen ReichsAbschid begriffen von wort zu wort also lauttendt: [...]. Nach der Wiedergabe des betreffenden Artikels folgt der Gesetzesbefehl Ferdinands I., dass diese Satzung und vergleichung auch in seinen Erbländern gelten solle.563 Weitaus häufiger ist allerdings die Anwendung der Verweistechnik, um hervorzuheben, dass ein territorialer Gesetzgebungsakt auf Reichsrecht beruht. In der Narratio der Gesetzesurkunde wird dargelegt, dass die im Folgenden getroffene Bestimmung reichsrechtliche Vorgaben umsetze. Diese reichsrechtlichen Vorgaben (wie z. B. Reichsabschiede oder die Reichspoliceyordnung) können dabei konkret angeführt werden. So verweist beispielsweise das erwähnte Exportverbot für Wolle von 1555 auf die Reichspoliceyordnung und den Reichsabschied von 1555.564 Auf das Reichsrecht kann jedoch auch nur summarisch verwiesen werden. Ein gegen Gotteslästerung und Fluchen gerichtetes Mandat von 1636 verwies so einleitend ohne weitere Präzisierung auf bereits zuvor erlassene einschlägige Gesetze, das göttliche und weltliche Recht sowie abschließend auf die wolgeordneten ReichsConstitutio nen.565 Derartige summarische Verweise auf das Reichsrecht dienten vor allem der Legitimation und erhöhten die Autorität des betreffenden Rechtssetzungsaktes, dessen Implementationschancen man dadurch zu verbessern hoffte. Der Verweis auf eine reichsrechtliche Fundierung eines Gesetzes konnte allerdings auch andere Funktionen haben. Handelt es sich um ein Gesetz, das absehbarerweise bei den Normadressaten auf Widerstände stoßen würde, konnte der Hinweis auf zugrunde liegende reichsrechtliche Vorgaben für den territorialen Gesetzgeber den Vorteil haben, den sich gegen ein Gesetz artikulierenden Unmut von sich ab- und auf das Reich lenken zu können. Exemplarisch brachte dies die Regierung gegenüber Ferdinand I. in einer Stellungnahme zum Reichsabschied von Vgl. zum Folgenden auch Brauneder, Frühneuzeitliche Gesetzgebung, 1998, S. 113–115. Vgl. z. B. Mecenseffy, Quellen, Bd. I, 1964, Nr. 126, 1529 Mai 9. 563 TLA, CD 1544, fol. 111, 1544 Dez. 10; Mecenseffy, Quellen, Bd. III, 1983, Nr. 803, 1544 Dez. 10; zu den reichsrechtlichen Bestimmungen und den erbländischen Mandaten wider die Täufer vgl. nunmehr Winkelbauer, Stellung der Täufer, 2007, S. 36–41, hier auch auf S. 41 die Erwähnung des Mandats von 1544 Dez. 10. 564 Vgl. TLA, CD 1555, fol. 390, 1555 Nov. 29. 565 TLA, CD 1646, fol. 802, 1636 Sept. 2. 561 562
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1555 zum Ausdruck, der unter anderem ein Exportverbot für Silber vorsah. Schon im Vorfeld eines entsprechenden territorialen Gesetzgebungsaktes protestierten die Schwazer Bergbauunternehmer gegen ein solches Vorhaben. Unverblümt empfahl die Regierung angesichts dieser Widerstände Ferdinand I. – sollte er den Erlass eines Verbots des Silberexports aus dem Reich für angebracht erachten –, man möge im betreffenden Mandat einen Verweis auf den Reichsabschied aufnehmen, damit man den absehbaren Unmut mit dest mererm füegen von sich auf das reich legen möge.566 Eine dritte Möglichkeit der Transformation von Reichsrecht bestand in der stillschweigenden Übernahme, d. h. eine reichsrechtliche Norm wurde wörtlich oder zumindest inhaltlich in einem territorialen Gesetzgebungsakt übernommen, ohne dass die reichsrechtliche Wurzel wie bei der Insert- oder Verweistechnik deutlich gemacht würde. Ein Beispiel hierfür stellen die angeführten Notwehrbestimmungen der Tiroler Landesordnung von 1573 dar. Abschließend sollen noch die qualitative und die quantitative Beeinflussung des Tiroler Landesrechts durch das Reichsrecht thematisiert werden. Dass die Reichsgesetzgebung vielfach Anlass, inhaltliches Vorbild und Legitimation territorialer Gesetzgebung war, steht außer Frage.567 Diese Wirkung konnte sie aufgrund des breiten Konsenses über die angestrebten Regelungsziele entfalten.568 Jedoch variierte der Umsetzungsgrad von Reichsrecht bzw. das Ausmaß der Beeinflussung je nach Territorium erheblich.569 Dem zuvor angeführten Beispiel Kursachsens, das die Reichspoliceynormen in sehr hohem Maße übernahm, steht auf der anderen Seite der Skala die Policeygesetzgebung des kleinen Fürststifts Kempten gegenüber, dessen Policeygesetzgebung sich insgesamt als nur gerinfügig von der Reichspolicey ordnung beeinflusst zeigt. Die Landes- und Policeyordnung von Kempten von 1591 zeigt so nur in neun von 95 Artikeln Überschneidungen mit der Reichspoliceyordnung, wobei nur fünf wörtliche Übernahmen nachzuweisen sind.570 Der letztgenannten Kategorie von Territorien mit einer vergleichsweisen geringen Übernahme von Reichsrecht ist Tirol zuzuordnen. Der Einfluss des Reichsrechts auf die Tiroler Gesetzgebung ist bis 1665 in der Tat in Summe eher gering zu veranschlagen, wobei grundsätzlich drei Erfordernisse für eine Transformation von TLA, AksM 1555, fol. 616v–618v, hier fol. 618r, 1555 Nov. 12. Vgl. nur Härter, Gute Ordnung und Policey des Alten Reiches, 2005; Weber, Reichspolizei ordnungen, 2002, S. 36–42; Härter, Policey und Strafjustiz, 2005, S. 240; Weber, Sozialdisziplinierung, 1998; Härter, Entwicklung und Funktion, 1993, bes. S. 134–136; eingehend hierzu nunmehr auch Pauser, Rechtsvereinheitlichungsversuche Ferdinands I., 2008, S. 135–141. 568 ���������������������������������������������������������������������������������������� In eine ähnliche Richtung weist der von Marquardt verwendete Terminus der „Transformationsoffenheit“ (vgl. Marquardt, Reich als Segmentäres Verfassungssystem, 1999, S. 192–200); hierzu Kap. VI.3.2.2.4. 569 Vgl. hierzu schon die Dissertation von Hartz, Gesetzgebung des Reichs und der weltlichen Territorien, 1931, die Österreich, Nieder- und Oberbayern, Sachsen, die Mark Brandenburg, Jülich-Berg und Kleve-Mark, Hessen sowie Württemberg untersucht. 570 Gisi, Landespolicey und Reichspolicey, 2005, S. 296. 566 567
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Reichsrecht in Landesrecht gegeben sein mussten: das Fehlen einer einschlägigen Tiroler Regelung, kein zu erwartender Widerstand seitens der Tiroler Landstände gegen eine Übernahme sowie das Bestehen eines entsprechenden Regelungsbedarfes. Am Beispiel Tirol bestätigt sich das jüngst von Lucas Marco Gisi entworfene thesenhafte Modell der Interferenz von Landes- und Reichspoliceyrecht: Das Landespoliceyrecht sei demnach maßgeblich Resultat einer seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts stattfindenden, weitgehend autonomen territorialen Entwicklung, die auf lokale Ordnungsbedürfnisse reagiere. Erst im 16. Jahrhundert, vor allem im Gefolge der Reichspoliceyordnung von 1548 trete die territoriale Policeyrechtsordnung in einen komplexen Rezeptions- und Interaktionsprozess mit der Reichspoliceygesetzgebung. In der Tat vermag gerade das im Zuge der Ausarbeitung der Tiroler Policeyordnung bzw. bei der Reformation der Tiroler Landesordnung von 1532 angewandte Prozedere die Komplexität dieses Prozesses zu demonstrieren. Bei der Erörterung der einzelnen Bestimmungen wurde auf die bisherigen Tiroler Normen, die Reichspoliceyordnung, die bayerische Landesordnung von 1553 sowie die Policeyordnung der niederösterreichischen Länder rekurriert und auf diese Weise die adäquateste rechtliche Lösung erarbeitet. Wie unterschiedlich das Ergebnis dieses Rezeptionsprozesses ausfallen konnte, illustriert nicht zuletzt die oberösterreichische Ländergruppe. Der Gesetzgeber in Tirol und den vorderösterreichischen Herrschaften war derselbe – der jeweilige habsburgische Landesfürst –, und stets war die oberösterreichische Regierung in Innsbruck federführend in den Transformationsprozess eingebunden (daran änderte auch der Bestand einer eigenen vorderösterreichischen Regierung nichts, unterstand diese doch der oberösterreichischen Regierung in Innsbruck, die für die Vorbereitung der Gesetzgebungsakte zuständig war). Wenngleich die (Policey) Gesetzgebung der Vorlande bislang nicht einmal annähernd vollständig erhoben wurde, lässt bereits eine kursorische Durchsicht deutlich erkennen, dass der Umsetzungsgrad von Reichsrecht in den vorderösterreichischen Herrschaften deutlich größer war als in Tirol. Es ist dies ein Umstand, dessen sich die oberösterreichische Regierung selbst bewusst war. Zwei Gründe sind für diese divergierende Entwicklung trotz der Identität des Gesetzgebers ausschlaggebend, von denen einer bereits von der Regierung ausdrücklich thematisiert wurde: Die vorderösterreichischen Herrschaften befanden sich häufig in einer Gemengelage und engen Verzahnungen mit anderen Territorien, mit denen sie intensive wirtschaftliche Beziehungen unterhielten. Die Übernahme von Reichspoliceyrecht bot hier Ansatzmöglichkeiten für eine überregionale Ordnungspolitik.571 Dementsprechend sah sich die oberösterreichische Regierung mit Blick auf die Vorlande auch einem deutlichen diplomatischen Druck seitens ande Vgl. auch Wüst, Gute Policey im fränkischen Reichskreis, 2000, S. 177–199; Wüst/Schümann/Schuh, Policey im regionalen Kontext, 2006, bes. S. 187–206; Schmidt, „Aushandeln“ oder „Anordnen“, 2006, S. 111.
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rer Reichsstände ausgesetzt, sich die Umsetzung von Reichspoliceyrecht gerade in den Bereichen Wirtschafts- und Sicherheitspolicey angelegen sein zu lassen. Sehr prägnant bringt die Regierung diesen fundamentalen Unterschied zwischen der an der Südgrenze des Reichs gelegenen, großflächigen Grafschaft Tirol und den im Vergleich kleinräumigen und teilweise geographisch verstreuten vorderösterreichischen Herrschaften 1577 auf den Punkt: Letztere seien den reichsstenden benachpert, weshalb sich dort mit denselben täglichs allerhannd spenn unnd irrungen zuetragen. Als Folge würden die reichsstennd imerdar darauf dringen, E. F. D. [Erzherzog Ferdinand II.] unnd deren hochloblich haus Österreich zu allen des Reichs allgemainen saczungen unnd ordnungen zu verbinden.572 Die Ausgangslage war somit in Tirol und den Vorlanden eine gänzlich andere. Dieser Befund trifft freilich ebenso auf die Rechtslage zu. Tirol verfügte seit der Tiroler Landesordnung von 1526 über eine eigene Kodifikation, die zudem viel Policeyrecht enthielt. 1573 trat schließlich noch eine eigene Policeyordnung hinzu. Demgegenüber verfügten die Vorlande über keine vergleichbare gemeinsame umfassende Ordnung des Policeyrechts. Wo in Tirol die Umsetzung von Reichsrecht mit Blick auf die bereits vorhandenen „autochthonen“ Regelungen als mangels Regelungsbedarfs überflüssig zurückgewiesen wurde, konnte sie die Transformation in den vorderösterreichischen Ländern in Ermangelung einer bereits existenten einheitlichen Norm sehr wohl empfehlen. Das soeben Gesagte lässt sich anhand eines Beispiels mustergültig nachvollziehen. Der Reichsabschied von 1566 hatte wie schon jene von 1551 und 1559 eine Reihe von Regelungen gegen Missstände im Handwerk ergriffen. Betroffen waren unter anderem auch die so genannten „geschenkten Handwerke“, d. h. die bislang verbreitete Praxis, Handwerksgesellen bei ihrer Ankunft und ihrem Abschied kleinere Geldgeschenke zu reichen und sie zu bewirten.573 Dies sollte als „Missbrauch“ abgestellt werden. Der Erlass eines entsprechenden Gesetzes in Tirol wurde von der Regierung mangels Regelungsbedarfs abgelehnt.574 In der Tat hatten schon die Tiroler Landesordnung von 1526 und die Nachfolgeordnung von 1532 Bestimmungen gegen die „geschenkten Handwerke“ enthalten.575 Anders lag die Sache in den Vorlanden, wo die Regierung ein einschlägiges Mandat als durchaus sinnvoll bzw. als diskutable Möglichkeit ansah. Dort erhob man zunächst im Wege der lokalen Obrigkeiten Daten für eine Beurteilung, ob und inwiefern eine Regelungsnotwendigkeit bestand bzw. ob es allenfalls schon einschlägige lokale Normen gab. Die Rückmeldungen waren unterschiedlich. Teils machten die Obrigkeiten in ihren Berichten auf Missstände aufmerksam und begrüßten eine gesetzliche Regelung, teils sahen sie keine Defizite. Die Regierung kam jedenfalls in ihrem an Erzherzog Ferdi TLA, AfD 1577, fol. 722r–728r, hier fol. 726v, 1577 Nov. 10. Vgl. hierzu auch Gittel, Aktivitäten des sächsischen Reichskreises, 1996, S. 264–265 (mit weiteren Literaturhinweisen); Bade, Altes Handwerk, Wanderzwang und gute Policey, 1982, S. 26. 574 TLA, AfD 1567, 2. Teilbd., fol. 815v–817r, 1567 Mai 30. 575 TLO 1526, Buch 1, Teil 5, Tit. 5; TLO 1532, Buch 6, Tit. 31. 572 573
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nand II. gerichteten Bericht zum Schluss, dass ein Gesetzeserlass angeraten schien. Interessanterweise regte sie jedoch hinsichtlich der Rechtstechnik ausdrücklich an, in der Narratio auf einen Verweis auf die Initialzündung des Mandats durch den Reichsabschied zu verzichten, sondern das Gesetz mit dem bloßen Hinweis auf bestehende Missstände aus landesfürstlicher Macht zu erlassen. In Tirol könne man die Gelegenheit allenfalls nützen, um den Obrigkeiten die Bestimmungen der Tiroler Landesordnung einzuschärfen.576 Die Anregungen der Regierung wurden von Erzherzog Ferdinand II. vollinhaltlich übernommen.577 In Entsprechung des Vorschlags der Regierung ordnete er expressis verbis an, dass auf eine Erwähnung des Reichsabschieds in der Narratio verzichtet werden sollte, wobei Letzteres belegt, dass Verweise auf das Reichsrecht vom zeitgenössischen Gesetzgeber nicht vorbehaltlos positiv im Sinne einer Erhöhung der Autorität und des Ansehens des legislativen Aktes gesehen wurden. Im vorliegenden Fall wurde es als vorteilhafter erachtet, den Landesgesetzgeber selbst als denjenigen zu präsentieren, der auf wahrgenommene Missstände reagierte. Einige Zeit später wurden die Reichsstädte Augsburg, Nürnberg, Ulm und Regensburg mit Eingaben in Innsbruck vorstellig, in denen sie hinsichtlich der „geschenkten Handwerke“ um eine Umsetzung des Reichsabschieds in den Vorlanden baten. Hier konnte der Erzherzog den Reichsstädten bereits eine Vollzugsmeldung übermitteln, der er je ein Exemplar der von ihm erlassenen Mandate beischloss.578 Die Entstehungsgeschichte des betreffenden Gesetzes zeigt somit exemplarisch und deutlich die divergierenden Rahmenumstände auf, die den unterschiedlichen Umsetzungsgrad von Reichsrecht in Tirol und den Vorlanden erklären. Zudem zeigt sich eine unterschiedlich intensive Bezugnahme auf das Reichsrecht. Trotz des im angeführten Beispiel belegten, bewussten Verzichts auf die initiale reichsrechtliche Regelung sind Verweise auf Reichsrecht in den Vorlanden signifikant häufiger als in Tirol. Besonders illustrativ zeigt sich dies bei Einzelgesetzgebungsakten, die in allen oberösterreichischen Ländern, mithin in Tirol und den Vorlanden erlassen wurden. Trotz inhaltlich identischer Dispositio wurden für Tirol und die Vorlande jeweils eigene Exemplare gedruckt, die sich nicht nur in ihrer Salutatio unterschie den, sondern sich überdies einer unterschiedlichen Verweistechnik bedienten. Die in Tirol publizierte Version eines gesetzlichen Verbots der Gotteslästerung aus dem Jahr 1631 verweist so auf den 2. Titel des 7. Buchs der Tiroler Landesordnung von 1573 sowie auf ein früheres Verbot von 1617, während die für die Vorlande bestimmte Fassung in ihrer Narratio summarisch auf frühere Mandate, das göttliche und weltliche Recht und die ReichsConstitutionen Bezug nimmt.579
578 579 576 577
TLA, AfD 1567, 2. Teilbd., fol. 1361r–1362v, 1567 Dez. 3. TLA, VfD 1567, fol. 826r–827r, 1567 Dez. 9. Vgl. TLA, VfD 1569, fol. 448, 1569 Nov. 14. TLA, BT, Bd. 20, fol. 30 und 31, 1631 März 20.
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Ein erster Hinweis auf die Wahrnehmung von Reichsrecht in Tirol datiert bereits aus dem Jahr 1500.580 Auf dem im Dezember 1500 in Bozen abgehaltenen Landtag ließ König Maximilian I. den Ständen eine zusammenfassende, inhaltlich weitgehend ungeordnete Liste von Policeynormen vorlegen, die in den Reichsabschieden von Worms (1495) und Freiburg (1498) enthalten waren. Ob hierüber beraten wurde, lässt sich nicht mehr eruieren. Eine entsprechende Ordnung kam jedenfalls nicht zustande, und auch der Landtagsabschied enthält keine weiteren Hinweise.581 Qualitativ am wichtigsten ist wohl die Rezeption von Bestimmungen der Reichspoliceyordnungen. So wie Ferdinand I. zu Jahresende 1531 die niederösterreichische Regierung anwies, die Reichspoliceyordnung in die Beratungen über eine (schließlich erst 1542 erlassene) Policeyordnung für die niederösterreichische Ländergruppe einzubeziehen,582 wurde der oberösterreichischen Regierung schon im Mai 1531 der Auftrag erteilt, ein Gutachten zu erstellen, wie wir [Ferdinand I.] aine derselben nach oder ain anndere in unnsern lannden aufrichten und zu halten verordnen möchten.583 Die Begeisterung der oberösterreichischen Regierung hielt sich in Grenzen. Sie wies darauf hin, dass der Entwurf der reformierten Tiroler Landesordnung bereits vorliege und nur die landesfürstliche Approbation fehle, um mit der Drucklegung zu beginnen. Eine Berücksichtigung der Reichspoliceyordnung erübrige sich, da in der reformierten Landesordnung guet ordnungen und policeyen, sovil diss lannd nach seiner gelegenhait erleiden hat mögen, außgefüert unnd fürgenomen sind.584 Nicht viel ergiebiger war der Niederschlag der Reichspoliceyordnung von 1548 auf den Tiroler Rechtsbestand, wenngleich sie in der Diskussion zwischen den Tiroler Landständen und Ferdinand I. in den fünfziger Jahren vereinzelt thematisiert wurde.585 Immerhin wurde sie, wie bereits dargelegt, im Zuge der Reformation der Landesordnung von 1532 bzw. der Erarbeitung der Policeyordnung von 1573 neben der bayerischen und niederösterreichischen Policeyordnungen von 1552 und 1568 ebenfalls in die Beratungen einbezogen. Wenngleich sie nachweislich in den Diskussionen im Vorfeld immer wieder ins Treffen geführt wurde, blieb der tatsächliche Einfluss gering. Übernahmen sind fast mit der Lupe zu suchen. Eine Beeinflussung lässt sich beispielsweise bei den Vorschriften über die Behand Vgl. Pauser, Rechtsvereinheitlichungsversuche Ferdinands I., 2008, S. 138–139; Wopfner, Lage Tirols, 1908, S. 150; Wiesflecker-Friedhuber, König Maximilian I., die Erbländer, das Reich und Europa im Jahre 1500, 1963, S. 183; vgl. neben der von Pauser angeführten Überlieferung in TLA, LLTA, Fasz. 1, Landtag 1500 auch die Überlieferung in StAM, Hs. III/35, hier fol. 7r–11v. 581 Vgl. StAM, Hs. 35/III, fol. 12r–14v. 582 Vgl. Pauser, Rechtsvereinheitlichungsversuche Ferdinands I., 2008, S. 139. 583 TLA, VkgM 1530, fol. 323v, 1531 Mai 30. 584 TLA, AkgM 1531, fol. 361, 1531 Juni 23. 585 ���������������������������������������������������������������������������������������� Hierzu nunmehr Pauser, Rechtsvereinheitlichungsversuche Ferdinands I., 2008, S. 140; ergänzend ebd., S. 149, Anm. 55. 580
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lung der Zigeuner nachweisen (TLO 1573, Buch 7, Tit. 7), die einzelne Sätze der Reichspoliceyordnung wörtlich übernahmen.586 Derselbe Befund einer nur marginalen Auswirkung auf die Landesrechtsordnung ergibt sich bei einem Blick auf die Reichspoliceyordnung von 1577. Im Übrigen zeigen sich bestimmte, zahlenmäßig beschränkte Materien, bei denen speziell bei Einzelgesetzgebungsakten Bezugnahmen auf das Reichsrecht mittels Verweistechnik auszumachen sind. Hinsichtlich der niederösterreichischen Gesetzgebung nannte schon Josef Pauser religions- und münzrechtliche Mandate.587 Dies trifft gleichfalls auf Tirol zu, wobei namentlich die Täufergesetzgebung von zahlreichen Verweisen auf Reichsabschiede geprägt war.588 Häufig zur Anwendung kommen Verweise auf das Reichsrecht darüber hinaus bei gesetzlichen Verboten, sich in die Kriegsdienste fremder Fürsten zu begeben.589 Dem militärischen Bereich gehören zudem Gesetze wider umherziehende, beschäftigungslose Kriegsknechte an, die ebenfalls vereinzelt nach ausdrücklichem Ausweis der Narrationes durch reichsrechtliche Vorgaben induziert sind.590 In sehr geringem Ausmaß zeigen sich zudem wirtschaftspoliceyliche Einzelgesetzgebungsakte durch das Reichsrecht beeinflusst.591 Festzuhalten bleibt somit in Summe, dass von einer umfangreichen Initialisierung oder Legitimierung der Landesgesetzgebung durch die Reichsgesetzgebung im Fall Tirols keine Rede sein kann. Zwar lassen sich eine Wahrnehmung des Reichsrechts und eine gewisse Auseinandersetzung mit demselben ausmachen, doch erschiene es für den Untersuchungszeitraum übertrieben, mit Blick auf Tirol von einer durch das Reichspoliceyrecht bewirkten „Homogenisierung des territorialen Policeyrechts“592 zu sprechen.
������������������������������������������������������������������������������������ Damit stimmt der Befund anlässlich der Beratungen am 27. Aug. 1570 überein: Die Kommission kam bei der Erörterung der die Zigeuner betreffenden Bestimmungen zum Schluss, man solle beim bisherigen Titel der Landesordnung die reichspolliceyordnung einziechen (TLA, Ferdinandea, Karton 165, Pos. 165, Bund 1). 587 Vgl. Pauser, Rechtsvereinheitlichungsversuche Ferdinands I., 2008, S. 141. 588 Vgl. nur Mecenseffy, Quellen, Bd. I, 1964, Nr. 3, 1527 Aug. 27; ebd., Nr. 126, 1529 Mai 9; Mecenseffy, Quellen, Bd. III, 1983, Nr. 803, 1544 Dez. 10; ebd., Nr. 1044, 1561 Juli 5. 589 Vgl. z. B. TLA, CD 1628, fol. 86 und 129, 1628 April 3; TLA, CD 1641, fol. 741 und 742, 1641 Okt. 1 und Okt. 13; TLA, VkgM 1541, fol. 517v, 1541 Aug. 24; TLA, VkgM 1545, fol. 18v, 1545 Febr. 17. 590 Vgl. z. B. TLA, CD 1555, fol. 434, 1555 Nov. 29, und darauf Bezug nehmend TLA, AksM 1555, fol. 623r–626v, 1555 Nov. 30. 591 Ein vereinzeltes Beispiel bietet TLA, CD 1555, fol. 390, 1555 Nov. 29. 592 Härter, Deutsches Reich, 1996, S. 37. 586
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5. 2. 2. Landesrecht und lokale Rechtsordnungen 5. 2. 2. 1. Die „drei Herrschaften“ Kitzbühel, Kufstein, Rattenberg 5. 2. 2. 1. 1. Allgemeines Der Codex XVIII des so genannten „landschaftlichen Archivs“, d. h. des Archivs der Tiroler Landstände, enthält in seinem ersten Teil eine Abschrift der bayerischen Buchsage von 1346, die nach dem paläographischen Befund eindeutig in das 17. Jahrhundert zu datieren ist.593 Den zweiten Teil dieses Kodex bildet der Nachdruck der Tiroler Landesordnung von 1573 aus dem Jahr 1603. Beide Teile waren, wie der zeitgenössische Bucheinband zu erkennen gibt, schon ursprünglich zusammengebunden. Leider enthält der Band keine Besitz- oder Provenienzvermerke, so dass über die Herkunft nur spekuliert werden kann. Der sowohl eine Abschrift der bayerischen Buchsage als auch einen Druck der Tiroler Landesordnung enthaltende Codex wirft aber grundsätzlich die Frage nach dem Verhältnis beider Kodifikationen auf. Am naheliegendsten erscheint zunächst eine Herkunft des Bandes aus dem Gebiet der „drei Herrschaften“ Kufstein, Kitzbühel und Rattenberg. Dass auch nach dem Wechsel in der territorialen Zugehörigkeit 1504/1506 in den drei Herrschaften weiterhin die so genannte Buchsage,594 also das Oberbayerische Landrecht Kaiser Ludwigs des Bayern von 1346 in Geltung stand, gehört zu den Standardhinweisen in sämtlichen Ausführungen zur Geschichte von Kufstein, Kitzbühel oder Rattenberg.595 Dieser Befund wird durch die Überlieferung von in diesem Raum angefertigten Abschriften der Buchsage aus dem 16. und 17. Jahrhundert nachdrücklich bestätigt.596 Das heißt jedoch nicht, wie noch darzulegen sein wird, dass die Tiroler Landesordnung in diesem Gebiet keine Relevanz hatte. Die erwähnte Handschrift wirft hier exemplarisch die Frage nach dem Verhältnis der beiden Kodifikationen auf, das sich einer raschen Antwort (zum Beispiel im Sinne einer subsidiären Geltung der Landesordnung) entzieht. An eine Rechtsvereinheitlichung wurde mehrmals gedacht, namentlich 1525, 1532 und 1536, ohne dass diese umgesetzt wurde (s. u.). Interessanterweise stand damit die Buchsage in dem an Tirol abgetretenen Gebiet länger in Geltung als in Bayern selbst, wo sie 1516/20 durch ein umfassendes neues Kodifikationswerk abgelöst wurde.597 Zingerle und Inama-Sternegg hatten die von Michael Mayr598 auf TLA, Landschaftliches Archiv, Hs. XVIII. Schlosser/Schwab, Landrecht, 2000; Schwab, Landrecht, 2002. 595 Vgl. z. B. Widmoser, Blick, 1971, S. 248; Kogler, Stadtrechtsquellen, 1908, S. 59. 596 ����������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. nur die aus dem ausgehenden 16. Jahrhundert stammende, vom Berggericht Kitzbühel angefertigte Abschrift der Buchsage in TLA, Montanistika, Berggericht Kitzbühel, Karton 673. 597 Franz, Landesordnung, 2003. 598 Mayr, Kufstein, 1893, S. 9. 593 594
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gestellte Behauptung übernommen, dass Maximilian Kufstein, Kitzbühel und Rattenberg im Jahr 1506 das Recht zugestanden hätte, „sich der bairischen Buchsage und der tirolischen Landesordnung electiv zu bedienen“599. Ein Quellenbeleg hierfür lässt sich jedoch nicht finden. Auch mutet die gewählte Formulierung nebulos an. Überdies ist zu berücksichtigen, dass es zum Zeitpunkt des Übergangs der „drei Herrschaften“ 1504/06 in Tirol mit der Halsgerichtsordnung Maximilians von 1499 zwar eine Kodifikation des Strafrechts, jedoch keine umfassende Kodifikation des in Tirol gültigen Privatrechts gab.600 Eine „Rechtsvereinheitlichung“ wäre in den Jahren 1504/1506 somit in Ermangelung eines Pendants zur Buchsage auf Tiroler Seite nicht nur auf praktische Umsetzungsprobleme gestoßen, sondern hätte auch im Vergleich zum Status quo in den „drei Herrschaften“ einen Verlust von Rechtssicherheit bedeutet, zumal bis zum Ende des Ancien Régime ein Wechsel in der staatsrechtlichen Zugehörigkeit eines Gebietes dessen Rechtsquellenbestand im Allgemeinen nicht berührte.601 Die Weitergeltung der Buchsage nach 1504 in der Praxis lässt sich anhand des Gerichtsbuches des Stadt- und Landgerichts Kufsteins belegen, das in sehr summarischer Weise die dort anhängig gemachten Prozesse wiedergibt und die Jahre 1508 bis 1545 bestreicht.602 Dasselbe Resultat zeitigt ein Blick in die Verfachbücher (Gerichtsbücher) von Kufstein, Kitzbühel und Rattenberg, in denen regelmäßig die Formel „wie nach Buchsag’ Recht ist“ aufscheint. Beim Erlass der Tiroler Landesordnung von 1526, die policey- und strafrechtliche Bestimmungen enthielt und darüber hinaus ausgewählte privatrechtliche Fragen regelte, war zunächst durchaus daran gedacht, diese in den „drei Herrschaften“ einzuführen. Hier werden tatsächlich zumindest rudimentär Ansätze von Rechtsvereinheitlichungstendenzen greifbar. Dies zeigt sich 1526 bereits am Fehlen eines Titels, der den räumlichen Geltungsbereich der Landesordnung restringierte (wie es schließlich 1532 der Fall war). Überdies haben wir für diese Intention auch quellenmäßige Belege: In einem an Bürgermeister und Rat der Stadt Rattenberg gerichteten Schreiben von 1527 weist Ferdinand I. aus,603 dass diese zugesagt hätten, die Landesordnung anzunehmen und vom bisher geübten bayerischen Recht abzulas sen, ohne dass dies ihren bisherigen Privilegien und Freiheiten Abbruch tun sollte. Das bisher durch Heirat, Erbgang oder Vermächtnis Erworbene solle von der Landesordnung nicht erfasst werden – auf derartige vor der Einführung der Landesordnung realisierte Sachverhalte sei demnach weiterhin das bayerische Recht anzuwenden, auf danach verwirklichte Sachverhalte jedoch die Tiroler Landesordnung. Vor Ort stieß die Einführung der Landesordnung jedoch auf Hindernisse. So forderte Ferdinand I. 1528 vom Rattenberger Pfleger, dass in Zukunft beim Male 601 602 603 599 600
Tirolische Weistümer, 1. Teil, 1875, S. 10. Vgl. auch Wopfner, Bergbauernbuch, Bd. 2, 1995, S. 114. Mohnhaupt, Potestas legislatoria, 1972, S. 233–234. Vgl. TLA, Hs. 1354. Zit. nach Kogler, Beiträge, 1912, S. 22.
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fizprozess die formellen und materiellen Normen der Landesordnung beachtet werden sollten, während bisher gerade die Gerichtsbesetzung noch nach der Buchsage bzw. dem „bayerischen Brauch“ erfolge. In der Tat sah die Tiroler Landesordnung die Beiziehung von zwölf Gerichtsgeschworenen vor,604 die auch für die Urteilsfällung zuständig waren, wohingegen nach oberbayerischem Recht der Richter selbst das Urteil fällte.605 Überhaupt solle der Rattenberger Pfleger auch seine Amtskollegen von Kufstein und Kitzbühel, ferner die Stadt- und Landrichter und die Bürgermeister von Kufstein, Kitzbühel und Rattenberg zusammenrufen und „mit inen mit allem fleys und ernst“ verhandeln, „damit sy solh ordnung auch annemen und sweren und hinfüro nach derselben inhalt erkennen und richten.“606 In diesem Fall wurde offensichtlich tatsächlich die Zustimmung der Normadressaten als Voraussetzung für eine Rechtsvereinheitlichung angesehen. Dabei zeigte sich, dass zwischen den betroffenen Städten und Gerichten kein Konsens herrschte. Im Jahre 1532 hatten zwar die Landgerichte ausdrücklich um Einführung der Landesordnung auch in ihrem Gebiet suppliziert, die Städte Kufstein, Kitzbühel und Rattenberg jedoch mit Verweis auf die Unvereinbarkeit derselben mit ihren städtischen Freiheiten dagegen Stellung bezogen.607 Eine ähnliche Interessendivergenz zwischen den Landgerichten einerseits und den Stadtgerichten andererseits ist bereits 1525/26 und nochmals 1536 auszumachen.608 Bezeichnenderweise hatten die Landgerichte schon 1523 über die Weitergeltung der Buchsage Beschwerde geführt.609 Warum just die Landgerichte die Tiroler Landesordnung gegenüber der Buchsage bevorzugten, ist wohl nicht nur mit Hinweis auf die Artikel 144 ff. des Oberbayerischen Landrechtes zu erklären, die das Rechtsverhältnis des bäuerlichen Hintersassen zum Grundherren regeln und die in Summe wohl als für den Bauern ungünstiger angesprochen werden müssen als die Tiroler Landesordnungen von 1526 und 1532. Zudem dürften die Landgerichte die Bestimmungen der Landesordnung gegen den ‚Fürkauf ’ als potentiellen Hebel zur Beseitigung der von ihnen heftig bekämpften Handelsprivilegien der Städte betrachtet haben.610 Nach Einholung von Informationen bei den lokalen Obrigkeiten kam die Regierung zum Schluss, dass die Einführung der Landesordnung in den „drei Herrschaften“ nicht nur mit den städtischen Privilegien nicht vereinbar sei, sondern „auch seiner Kunigelichen Majestät Camerguet, Renten, Zinsen, Ungelt und anderem nachteilig wäre und dieweil man dann die Stett zu Annemung beruerter Landesordnung nit TLO 1532, Buch 8, Titel 1. �������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Rosenthal, Geschichte des Gerichtswesens, Bd. 1, 1889, S. 74–75; Leiser, Strafgerichtsbarkeit, 1971, S. 95–98. 606 Kogler, Beiträge, 1912, S. 23. 607 Stolz, Rechtsgeschichte des Bauernstandes, 1949, S. 220–221. 608 Vgl. Wopfner, Quellen zur Vorgeschichte, 1908, S. 189. 609 Wopfner, Quellen zur Vorgeschichte, 1908, S. 30–31. 610 Vgl. nur TLA, AkgM 1537, fol. 157v–158r, 1537 April 9; TLA, VkgM 1537, fol. 480, 1537 Mai 9. 604 605
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bringen mugen, so hat man Stett und Gericht, dieweil sie ein corpus sein, von den alten iren bayrischen Bräuchen nit dringen wellen.“611 Dementsprechend enthielt dann sowohl die Tiroler Landesordnung von 1532 als auch jene von 1573 einen eigenen Titel – es handelt sich jeweils um den 29. Titel des 9. Buches –, der die „drei Herrschaften“ vom Geltungsbereich der Landesordnung ausnahm.612 Dies wurde von Erzherzog Sigismund Franz 1663 und Kaiser Leopold I. 1668 nochmals ausdrücklich bestätigt.613 Man muss sich allerdings vor Augen halten, dass diese rechtliche Sonderposition der drei Städte und Gerichte keine einmalige war, waren doch auch die Welschen Konfinen bei ihren bisher geltenden Statuten belassen worden. Außerdem muss man sich dreier weiterer Restriktionen bewusst sein: So galt erstens die als Anhang zur Landesordnung kundgemachte Empörungsordnung sehr wohl auch in den drei Herrschaften, und dasselbe galt zweitens für die Polizeiordnung von 1573. Drittens erlangten jene Titel der Tiroler Landesordnung, die Angelegenheiten der „guten Policey“ behandelten, auch in den „drei Herrschaften“ Geltung. Dies geschah zunächst durch landesfürstliche Einzelgesetzgebungsakte, die bestimmte einschlägige Materien regelten und dabei regelmäßig auf die Landesordnung verwiesen, diese zum Teil jedoch durch detailliertere Bestimmungen konkretisierten. Dies wurde 1541 aus einem konkreten Anlassfall seitens der Regierung mit aller Deutlichkeit betont:614 Dann wiewol unnser tirolisch lanndordnung von unsern dreen herrschafften Ratemberg, Kueffstain unnd Kiczpühel nit angenomen, sy die auch nitt bynnt, so seind doch dieselben herrschafften unnserer fürstlichen grafschaft Tirol incorporiert unnd unnseren manndaten unnd gebotten, so wir yederzeitt unnd fürnemblichen dem gemainen unnserm lannd unnd unnderthanen zu gnaden unnd guettem [sic!], gleichergestalt wie anndere unnsere underthanen zu gehorsamen schuldig unnd gebunnden. Schließlich (spätestens im 17. Jahrhundert) rekurrierte man in solchen Angelegenheiten direkt auf die Tiroler Landesordnung, deren diesbezügliche Normen als unmittelbar in den „drei Herrschaften“ geltend (und somit nicht der Umsetzung
���������������������������������������������������������������������������������������� Zit. nach Stolz, Rechtsgeschichte des Bauernstandes, 1948, S. 220–221; siehe auch ergänzend TLA, BT, Bd. 3, fol. 166v, 1533 Jan. 31; TLA, AkgM 1536, fol. 11, 1536 Mai 1. 612 Ausznemung / wen die LanndtOrdnung nit bindet. Doch den dreyen Herrschafften Radtemberg / Kufstain und Kitzpühel / Die nach Buchsag hanndlen / Auch den Wälschen / und die an Wälschen Confinen ligen / Und Jre ordenlichen Statuten haben / an denselben Rechten und Statuten / Ausserhalben diser vorgeschriben Empörung Ordnung / sunst unvergriffenlich und unschädlich. 613 Widmoser, Blick, 1971, S. 248. 614 TLA, BT, Bd. 5, fol. 56v–58v, 1541 Mai 21. 611
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durch landesfürstliche Spezialmandate bedürfend) betrachtet wurden.615 Ausdrücklich formuliert wurde dies von der Regierung im Jahr 1640, als der Richter Cornel Gigele die im Zuge der Reformprojekte vorgeschriebene Begutachtung der Tiroler Landesordnung mit dem Vermelden abgelehnt hatte, dass in den „drei Herrschaften“ schließlich die Buchsage gelte. Er wurde von den Regierungsräten in Innsbruck eines Besseren belehrt. Sie wies ihn darauf hin, dass die „drei Herrschaften“ zum wenigisten in den puncten, welche wegen der pollicey und gerichtscosten disponieren, an die Landesordnung gebunden wären, so dass Gigele der Zentrale sehr wohl über wahrgenommene Mängel der Landesordnung Bericht zu erstatten habe.616 Entschieden traten Landesfürst und Regierung im Jahr 1663 einer sich in den erstinstanzlichen Gerichten abzeichnenden Tendenz entgegen, bei Gerichtsprozessen nicht auf das Oberbayerische Landrecht von 1346 zu rekurrieren, sondern das geltende bayerische Landrecht zur Hand zu nehmen und diesem gemäß zu urteilen. Die Regierung, die im Zuge mehrerer bei ihr anhängig gemachter Appellationsprozesse auf das Problem aufmerksam geworden war, sah ein solches Prozedere vor allem aus zwei Gründen als untunlich an:617 Erstens betrachtete sie die ungebrochene Geltung der Buchsage in den „drei Herrschaften“ als Resultat eines anläss lich des Übergangs der Gebiete an Tirol stillschweigend erteilten Privilegs (eine solche Sichtweise zeigte sich schon bei früherer Gelegenheit, s. u.). Es ginge natürlich nicht, dass die auf diese Weise Privilegierten den Geltungsbereich des Privilegs nach Belieben ausdehnen würden. Bei weitem gewichtiger erschien der Regierung das zweite Argument: Würde man erlauben, dass in den „drei Herrschaften“ nach dem bayerischen Landrecht judiziert würde, räumte man dadurch dem bayerischen Kurfürsten de facto ein Gesetzgebungsrecht über Tiroler Untertanen ein, die dadurch ainem ausländischen potentaten [...] gleich subiect würden. Dies sei mit der eigenen Landeshoheit völlig unvereinbar. Dem schloss sich Sigismund Franz an. Den gerichtlichen Obrigkeiten in den „drei Herrschaften“ wurde in der Folge eingeschärft, dass sie allein nach der alten buechsag, in mangl dern disposition nach tyrolischen landtsrechten und cessante statuto den allgemeinen beschribnen rechten gmeß procediern sollen.618 Dem ausdrücklichen Verbot, das bayerische Landrecht in den drei Gerichten heranzuziehen, war in der Folge nur bedingt Erfolg beschieden. Wenngleich im Einzelnen noch Untersuchungen anhand von Prozessakten ausstehen, suggeriert eine im Jahr 1708 anlässlich neuerlicher Reformpläne der Landesordnung seitens der Regierung gemachte Bemerkung, dass das bayerische Landrecht von den erst instanzlichen Gerichten zumindest für die Auslegung der Buchsage herangezogen ������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. hierzu nur das Weistum von Kufstein aus dem 17. Jahrhundert mit zahlreichen Verweisen auf die Tiroler Landesordnung (Tirolische Weistümer, 1. Teil, 1875, S. 8–42, hier S. 15–33). 616 TLA, BT, Bd. 21, fol. 346r, 1640 Sept. 15. 617 TLA, AfD 1663, fol. 506, 1663 Juli 14. 618 TLA, BT, Bd. 24, fol. 287v–288v, 1663 Aug. 9; vgl. auch die entsprechende Resolution des Erzherzogs in TLA, VfD 1663, fol. 790, 1663 Juli 23. 615
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würde. Damals wurde eruiert, in welchen Bereichen das in den „drei Herrschaften“ geltende Recht von dem der Tiroler abwich. Im Zuge dessen ergab sich Folgendes: In succession- und erbsfahlen, auch executionen wollen sich selbe [die „drei Herrschaften“] nach begriff ihrer auf die payrische lanndtsordnung interpraetendierenden [!] puechsag, observanz unnd hergebrachten gewohnheit bezochen haben, sonnsten aber zu cessando dises statuti nach dem tyrollischen lanndtsgesacz und in dessen mangl an die gemaine recht zu regulieren khein bedenckhen tragen.619 Die oben angeführte Anweisung der Regierung aus dem Jahr 1663 ist noch in einem weiteren Punkt relevant: Sie regelt schließlich in aller Deutlichkeit das Verhältnis zwischen Buchsage, Landesordnung und gemeinem Recht, das in den Jahrzehnten zuvor durchaus noch umstritten gewesen war. 1663 wird definitiv klargestellt, dass subsidiär zur Buchsage zunächst die Tiroler Landesordnung und erst, wenn auch in dieser keine einschlägige Regelung zu finden ist, das gemeine Recht zur Anwendung komme. Die immer wieder zu findende Aussage, dass die Buchsage in den „drei Herrschaften“ Kitzbühel, Kufstein und Rattenberg bis zum Inkrafttreten des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches in Tirol 1814620 in Geltung geblieben sei, ist jedenfalls stark zu relativieren. Selbst im Bereich des Privatrechts derogierten landesfürstliche Gesetzgebungsakte, die keine Einschränkung ihres räumlichen Geltungsbereiches mehr aufwiesen, speziell im 18. Jahrhundert den entsprechenden Bestimmungen der Buchsage. Spätestens die josephinische Gesetzgebung ließ das Oberbayerische Landrecht von 1346 schließlich auch in den „drei Herrschaften“ zur Makulatur werden. Als der Appellationsrat Andreas von Dipauli im Auftrag des österreichischen Hofkommissärs Andreas Roschmann ein Gutachten über die Rechtslage Tirols bis zum Übergang Tirols an Bayern (1806) erstellte, fielen seine Bemerkungen über die Buchsage entsprechend dürr aus. Summarisch stellt Dipauli fest: Die baiersche Buchsage ist durch die österreichische Gesetzgebung ausser Anwendung gekommen. Das wichtigste darin war, daß die Intestaterbfolge sich im Wesentlichen nach dem gemeinen Rechte richtete.621 5. 2. 2. 1. 2. Notegger contra Wilhelmstettersche Erben (1629/1630) Die komplizierte Rechtslage in früheren Jahrzehnten lässt sich exemplarisch anhand zweier Rechtsfälle demonstrieren, die 1629/1630 bzw. 1646 (1629/1630 im TLA, Hs. 3187, fol. 10. Faistenberger/Niedermayr, Ratsprotokolle, 2003, S. 5; Busch/Besenböck, Einführung des ABGB, 2007, S. 563–564. 621 TLMF, FB 8705, fol. 145r–148v, 1815 April 21. 619 620
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Wege der Appellation) bei der Regierung anhängig gemacht worden waren und bei denen just die Frage der subsidiären Geltung von Landesordnung bzw. gemeinem Recht thematisiert wurde. Die jeweiligen Sachverhalte sind in unserem Zusammenhang sekundär. In einem Fall (1629/1630, Geschwister Georg und Anna Notegger contra Erben nach Valtin Wilhelmstetter, Urteil des Landgerichts Kitzbühel) ging es um eine erbrechtliche Frage, im andern Fall um die Rechtskraft eines Erbverzichts einer adeligen Frau anlässlich ihrer Heirat (1646, Karl Raitner nomine seiner Gattin Anna Regina geb. Schurff contra die Gebrüder Karl und Ferdinand Schurff ). In beiden Fällen enthielt die Buchsage keine Regelung, während die Landesordnung und das gemeine Recht voneinander abwichen. Für den Ausgang beider Fälle war somit die Frage entscheidend, welches Recht subsidiär zur Buchsage zur Anwendung kommen sollte. 1629 hob die Regierung zunächst unter summarischem Verweis auf die rechtswissenschaftliche Literatur die kontroversielle Diskussion über die Frage hervor, um sogleich ihre eigene Rechtsmeinung zu präsentieren:622 Grundsätzlich sei davon auszugehen, dass eine Stadt oder Herrschaft, die über keine eigenen Statuten verfüge, sich des praedominierenden landtsstatuten und ordnungen zu underwerffen habe. Aber selbst wenn lokale Partikularrechte vorhanden seien, seien diese so zu interpretieren, dass die Abweichungen vom territorialen Recht möglichst gering sind (dass inferiorum statuta ita debent concordari et interpretari ut minus laedant superiorum statuta). Abgesehen von diesen allgemeinen Überlegungen sei jedoch etwas anderes maßgeblich, wobei man sich sowohl auf die Präambel der Tiroler Landesordnung als auch auf rechtswissenschaftliche Literatur (in concreto Jakobus Menochius) bezog: In erster Linie entscheidend sei die observanz, wölchergestelt es yeblichen heergebracht worden. Genau hier zeigte sich nun aber ein Problem. Es ließ sich gerade im Landgericht Kitzbühel keine Observanz ausmachen, da beide Parteien divergierende Präjudizien anführen konnten. Daher weitete die Regierung den Untersuchungsraum aus und holte entsprechende Auskünfte von den Landrichtern von Rattenberg und von Kufstein ein, wo die Problemlage schließlich dieselbe war.623 Von dort erhielt man die Auskunft, dass dort grundsätzlich nur die Tiroler empör- und pollizeiordnung eingehalten werde. Außerdem rekurriere man hinsichtlich des Retraktrechts unmittelbar auf die Tiroler Landesordnung, da die Buchsage diesbezüglich keine Regelung enthalte. Ansonsten gelte subsidiär zur Buchsage das gemeine Recht.624 Aus den durchgeführten Enquêten ergab sich für die Regierung die Schlussfolgerung, dass bisher in denen fählen, sonderlich aber erbstritigkhaiten, so von der Buechsag nit decidiert, vilmer ad jus commune caesareum als provinciale recurriert und observiert worden seyen, wobei der Befund jedoch nicht ganz eindeutig ausfiel. Im Anlassfall „Georg und Anna Notegger contra Erben nach Valtin Wilhelmstetter“ wählte man TLA, AfD 168, fol. 619r–621v, 1628 Dez. 12. Vgl. auch die entsprechende Anweisung in TLA, VfD 1629, fol. 6v–8r, 1629 Jan. 24. 624 TLA, AfD 1629, fol. 152v–155r, 1629 Juni 6. 622 623
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mit Zustimmung Erzherzog Leopolds V. daher die dem gemeinen Recht entsprechende Lösung und bestätigte folglich das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Kitzbühel. Allerdings nahm Leopold V. den Appellationsprozess zum Anlass, um die bisher nicht eindeutig gelöste Frage des Verhältnisses von Buchsage, Landesordnung und gemeinem Recht einer seiner Meinung nach definitiven Lösung zuzuführen: Weil aber vor disem fürkhomen die observanz ungleich, thails auf das jus commune, thails tyrolische landtsrecht gesehen worden seye, ist unser gnedigist gemaint, weilen die drey herrschafften anjeczo unserer F. G. Tyrol incorporiert, erbgehuldigte underthonen und ausserhalb der buechsag oder sonderbare reformierte freyhaiten andern unsern erbunterthonen gleichgehalten und billich geachtet werden sollen, das khünfftigclich und hinfüro wegen merern conformitet und gleichait, auch mindern confusion, irrung oder mißverstandt das tyrolische landtsrecht introduciert und observiert werden mechte.625 In dieser Passage wird zumindest der Anklang an eine Idee von Rechtsvereinheitlichung (wegen merern conformitet) sichtbar. Da die Insassen der „drei Herrschaften“ Untertanen wie alle anderen seien, solle subsidiär die Landesordnung zur Anwendung kommen. Allerdings wird diese Verfügung gleich wieder relativiert. Leopold V. konzediert, dass ihm bei seiner Entscheidung zwei Umstände nicht hinreichend bekannt gewesen seien: Erstens könne er nicht ausschließen, dass anlässlich des Übergangs von Kitzbühel, Kufstein und Rattenberg unter Maximilian I. ain anders verglichen worden sein, d. h. dass den „drei Herrschaften“ in einem Privileg weitreichende Zugeständnisse gemacht worden seien. Außerdem zieht er (respektive der Geheime Rat) in Betracht, dass auch ain rechtmessige consuetudo die vim legis würckhlichen underhaben khündte, woraus etwas mit seiner Entscheidung Unvereinbares resultieren könne. Angesichts dieser Unsicherheitsfaktoren forderte Leopold V. ein weiteres Rechtsgutachten der Regierung an, das diese Fragen zu klären hatte. Vorher sollte seine oben wiedergegebene Resolution den lokalen Obrigkeiten in den „drei Herrschaften“ nicht bekannt gegeben werden. Die Regierung blieb jedoch säumig, das vom Erzherzog in Auftrag gegebene Gutachten kam nie zustande. Daher unterblieb die Bekanntmachung der landesfürstlichen Entscheidung über das Verhältnis von Buchsage, Landesordnung und gemeinem Recht an die örtlichen Richter und Pfleger. 5. 2. 2. 1. 3. Raitner contra Gebrüder Schurff (1646) Es war daher nur eine Frage der Zeit, bis das Problem neuerlich aktuell wurde. Dabei zeigte sich, dass eine Spanne von 16 Jahren ausreichte, um selbst bei den Regie TLA, VfD 1630, fol. 421v–423r, 1630 Sept. 2.
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rungsräten die Erinnerung an die Resolution Leopolds aus dem Jahr 1630 verblassen zu lassen. Anlassfall war der Prozess, den Karl Raitner bzw. seine Gattin Anna Regina geb. Schurff gegen die Brüder Karl und Ferdinand Schurff führten.626 Die Regierung fungierte dabei als Gerichtsstand erster Instanz, da es sich bei den Beklagten (und im Übrigen auch beim Kläger) um landsässige Adelige aus dem Landgericht Kufstein handelte. Es ging um die seitens des Klägers behauptete Nichtigkeit eines Erbverzichts, die von den Beklagten bestritten wurde. Zunächst drehte sich der Prozess auch ausschließlich um den einschlägigen 34. Titel des 3. Buchs der Tiroler Landesordnung. Erst in der Quadruplik führte der Kläger die Buchsage als eigentlich heranzuziehende Rechtsgrundlage für eine Entscheidung in den Prozess ein. Da für den gerichtsanhängigen Fall die Landesordnung, die aus Sicht des Klägers offensichtlich keine hinreichende Anspruchsgrundlage für das Klagsbegehren bot, keine einschlägige Regelung enthalte, müsse das (für seinen Anspruch geeigneter scheinende) gemeine Recht zur Anwendung kommen. Genau dies wurde von der beklagten Partei, die sich auf der Grundlage der Landesordnung gute Chancen auf eine Klagsabweisung ausrechnete, bestritten. Dabei bezogen sich die Schurffen auf die algemeine observanz und stylum regiminis, chrafft dessen was in der buechsag abgehet, selbiges nach dem tyrolischen landtsrechten solle erseczt werden.627 Zunächst galt es für die Regierung nunmehr, die Anwendbarkeit der Buchsage im vorliegenden Fall zu prüfen. Bei näherer Prüfung konnten sich nämlich durchaus Zweifel einstellen, wurde doch der Prozess aufgrund der Zugehörigkeit der Beklagten zum Adelsstand in erster Instanz vor der Regierung geführt und nicht in den „drei Herrschaften“, die allein von der Geltung der Landesordnung ausgenommen waren. Die Regierung warf somit die berechtigte Frage auf, welcher der für die Anwendbarkeit der Buchsage entscheidende Anknüpfungspunkt sein sollte: der Ort der Prozessführung (die Regierung in Innsbruck, was für die Landesordnung spräche), die persönliche Herkunft (sozusagen der „Wohnsitz“) der Beklagten oder die geographische Lage des Streitgegenstandes. Ausschlaggebend aus Sicht der Regierung waren die letzten beiden Anknüpfungspunkte. Der Großteil des Streitgegenstandes – es handelte sich um die Erbschaft nach Karl Schurff sen. – lag in den „drei Herrschaften“ bzw. im Landgericht Kufstein. Würde es sich bei den Beklagten um Nicht-Adelige handeln, wäre der Gerichtsstand aufgrund der eindeutigen Vorschrift des 17. Titels des 2. Buchs der Tiroler Landesordnung von 1573 (forum rei sitae) klar beim örtlich zuständigen Landgericht Kufstein. In einer solchen Konstellation wäre somit die Geltung der Buchsage klar. Die Standesqualität der Beklagten vermochte daran nichts zu ändern. Nach Kenntnisstand der Regierung werde die Buchsage in den „drei Herrschaften“ auch auf Rechtsverhältnisse von Adeligen angewendet, was ihrer Ansicht nach auch sachlich richtig war. Die Räte betrachteten die Geltung der Vgl. zum Folgenden TLA, AfD 1646, fol. 213v–214v, 1646 April 14 und ebd., fol. 318r– 346v, o. D. 627 TLA, AfD 1646, fol. 318r–346v, hier fol. 332v. 626
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Buchsage in den drei Unterinntaler Gerichten als Privileg, a quo privilegio nobiles velle excludere absurdum est.628 Nach Klärung der Vorfrage, ob die Buchsage im anhängigen Prozess überhaupt anwendbares Recht darstelle, kam die Regierung zur problematischen Frage nach dem subsidiär zur Buchsage geltenden Recht. Auch die Räte kamen zum Schluss, dass die Buchsage hinsichtlich der Nichtigkeit eines Erbverzichts bei adeligen Töchtern aus Anlass ihrer Heirat keine Regelung enthalte. Die von den Beklagten vorgebrachte Meinung, dass subsidiär die Landesordnung als ius praedominans und nicht das gemeine Recht herangezogen werde müsse, wurde von den Räten als fragwürdig angesehen – obwohl die Resolution Leopolds V. dies ausdrücklich angeordnet hatte. Ihre Argumentation knüpfte an die Rechtslage in Bayern an, wo zum damaligen Zeitpunkt unbestritten subsidiär zum Landrecht das gemeine Recht galt. Nun sei die Buchsage ja nichts anders als ain altbayerisches landtsrecht, das 1346 vom bayerischen Herzog (!) erlassen worden sei. Weil aber notorisch sei, dass das bayerische Landrecht etiam ex antiquo von den gemainen rechten suppliert werde, ergo et die buechsag.629 Die Argumentation der Regierung vollzieht also im Vergleich zu den Jahren 1629/1630 einen Perspektivenwechsel, indem nunmehr von der Subsidiarität des gemeinen Rechts in Bayern auf die Subsidiarität des gemeinen Rechts in den „drei Herrschaften“ geschlossen wird, da die Buchsage nur ein altes bayerisches Landrecht sei. Die Frage, ob sich die „drei Herrschaften“ nicht viel mehr am territorialen ius praedominans orientieren sollten, wird hingegen tenden ziell verneint. Allerdings nützt die Regierung die Gelegenheit für grundsätzlichere methodische Ausführungen. Methodisch, so fährt sie fort, sei nämlich die Frage nach dem subsidiär anwendbaren Recht erst zu einem viel späteren Zeitpunkt zu stellen und daher beim anhängigen Fall „Raitner versus Gebrüder Schurff “ (noch) nicht aktuell. Weise ein Statut (Partikularrecht) Lücken auf, muss man nämlich nicht sofort auf das gemeine Recht oder gar andere Statuten rekurrieren: Zudeme mues man gleich in defectum alicuius statuti vel iuris scripti auch nit auf das ius commune (zu geschweigen auf ain statut) khomen, sonder das statutum interpretieren und à similibus argumentiern oder vorhin auf die gewonhaiten desselben orths gehen.630 Statt der Heranziehung des gemeinen Rechts oder der Landesordnung plädiert die Regierung somit dafür, zunächst zu einer Interpretation (v. a. im Wege der Analogie) zu schreiten bzw. örtliche Rechtsgewohnheiten heranzuziehen. Hinsichtlich der Rechtsgewohnheiten greift sie in der Folge eine Parteienbehauptung auf. Die Beklagten hatten nämlich angeführt, dass selbst im Fall der Nichtigkeit des Erbverzichts ihrer Schwester jedenfalls die Rechtsgewohnheit bestünde, dass adelige Töchter anlässlich ihrer Hochzeit auf ihre Erbsportion verzichten würden. Dem kann die Regierung nicht folgen. Zwar sei notorium, dass in vielen Adelsfamilien TLA, AfD 1646, fol. 318r–346v, hier fol. 342r. TLA, AfD 1646, fol. 318r–346v, hier fol. 342v–343r. 630 TLA, AfD 1646, fol. 318r–346v, hier fol. 343r. 628 629
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in den „drei Herrschaften“ die Töchter anlässlich ihrer Verheiratung auf ihren Erbteil verzichten würden, doch könne man mangels opinio iuris daraus keineswegs ableiten, dass eine entsprechende Rechtsgewohnheit bestünde und für einen Verzicht keine ausdrückliche Willenserklärung notwendig sein sollte. Im Wege einer Gesamtanalogie kommen die Räte vielmehr zu einem anderen Schluss. Bei gesamthafter Betrachtung zeige sich, dass im Erbgang Frauen und Männer grundsätzlich gleichberechtigt seien. Als Ausnahme, die daher eng zu interpretieren sei, weist man – etwas inkonsequent, da dadurch die eigene Arg umentation etwas konterkarie rend, nicht sogleich auf subsidiär anzuwendendes Recht rekurrieren zu wollen – auf den 34. Titel des 3. Buchs der Tiroler Landesordnung von 1573 hin. Die im Wege der Gesamtanalogie gewonnene Erkenntnis von der weitgehenden Gleichstellung von Mann und Frau im Erbweg weist somit deutlich in Richtung eines Urteils zugunsten des Klägers. Wie Hinweise im Bestand „Prozessbücher“ zu erkennen geben, fiel das Urteil tatsächlich zug unsten der klagenden Partei aus, ohne dass man jedoch etwas über die maßgeblichen Entscheidungsgründe erfährt. Eine Revision der beklagten Gebrüder Schurff an den Erzherzog wurde abgewiesen.631 Was der besagte Fall – insbesondere im Vergleich mit der früheren Causa „Georg und Anna Notegger contra Erben nach Valtin Wilhelmstetter“ – jedenfalls dokumentiert, ist das anhaltende Fehlen einer klaren Rechtsprechung und Rechtslage, was das subsidiär zur Buchsage anzuwendende Recht betrifft. 1646 wich die Argumentation der Regierung signifikant von jener von 1629/1630 ab; die (den lokalen Obrigkeiten ohnehin nicht publizierte) erzherzogliche Resolution von 1630 fand überhaupt keine Beachtung mehr. Erst die landesfürstliche (nunmehr auch gehörig kundgemachte) Verordnung von 1663 scheint die zuvor schwelende Problematik einer Lösung zugeführt zu haben. Freilich wird dieser vorläufige Befund noch anhand später vor der Regierung geführter Prozesse zu verifizieren sein. 5. 2. 2. 2. Das Gericht Kaltern In Italien ist häufig festzustellen, dass städtische Statuten mit geringfügigen Adap tionen im ländlichen Umfeld einer Stadt bzw. (im Fall einer Stadtrepublik) im städtischen Herrschaftsgebiet in allenfalls modifizierter Form Geltung erlangen.632 Ein ähnlicher Prozess ist im weltlichen Herrschaftsgebiet des Bischofs von Trient festzustellen. Die Statuten von Trient erlangten in den zum Hochstift Trient gehörenden ländlichen Gerichten weitgehende Geltung, wenngleich sie vielfach den
Vgl. TLA, Prozessbuch, Bd. 17, fol. 159r und fol. 358v–359r, 1647 Jan. 1; ferner ebd., fol. 604, 1648 Febr. 2. 632 Vgl. Chittolini, La validità degli statuti cittadini nel territorio, 2001. 631
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lokalen bzw. regionalen Gegebenheiten angepasst wurden.633 Noch vor 1307 hatte der bischöfliche Rat auf der Grundlage älterer Rechtsaufzeichnungen und unter Rezeption der Statuten von Vicenza und Verona eine (nicht im Original erhaltene) Kompilation der Statuten zusammengestellt, die – wenngleich nie förmlich approbiert bzw. erlassen – durch Observanz Geltung erlangte.634 1425 erfolgte eine Überarbeitung, die 1427 vom Bischof von Trient Alexander von Masowien approbiert wurde.635 Die letzte „Reformation“ des Statuts erfolgte – nach Anläufen seit 1499 – im Jahr 1528 unter Bischof Bernhard von Cles.636 Zu diesem Zeitpunkt gehörte das Gericht Kaltern schon längst nicht mehr zum Hochstift. Nachdem Markgraf Ludwig das Gericht Kaltern bereits in den ersten Jahren seiner Herrschaft (jedenfalls vor 1347) in seine Gewalt gebracht hatte, fiel es 1415 definitiv an die Grafschaft Tirol.637 Auf die Geltung der Trienter Statuten in Kaltern hatte dies (wie nicht anders zu erwarten) keine Auswirkungen. 1502 teilte so der Richter von Kaltern auf eine Anfrage des Landeshauptmanns hin mit: „Man haltet alle Recht zu Kaltern nach den walischen Rechten und Stattuten von Triendt, es sey in Criminalen oder in Civilen.“638 Wohl schon im 15. Jahrhundert kam es zu einer Übersetzung der Trienter Statuten ins Deutsche, aus dem 16. Jahrhundert stammt die deutschsprachige Handschrift „Drey puecher der statut des loblichen gerichts Calthern“.639 In einer Beschwerdeschrift an das Regiment aus dem Jahr 1519 bitten die Untertanen von Kaltern ausdrücklich, dass „ain yeder richter urtail und recht sprech nach innhallt unnser loblichen statuttn, auch guetten allten aprobyerten gebrauch und gewonhait“640. Angelegenheiten des örtlichen Zusammenlebens – vor allem jene Materien, die später unter dem Begriff der „guten Policey“ subsumiert wurden – regelte die 1434 schriftlich festgehaltene Gemeinde ������������������������������������������������������������������������������������������������ Vgl. nur Bellabarba, La giustizia ai confini, 1996, S. 262–266; es gebe im Hochstift Trient keinen Gegensatz zwischen Landrecht und Stadtrecht, vielmehr gelten die Statuten von Trient „come unica legge territoriale“ (Zitat S. 263); ganz ähnlich Bellabarba, Norme e ordini processuali, 1994, S. 351 („gli statuti del capoluogo sono la legge applicata in tutto il territorio e la fonte di molte consuetudini valligiane“); ferner Bellabarba, Gli statuti del principato vescovile di Trento, 1995; Bellabarba, Legislazione statutaria cittadina e rurale, 1989; vgl. ferner Giacomoni, Carte, 1991. 634 Vgl. schon Werunsky, Reichs- und Rechtsgeschichte, 1894/1938, S. 538; Voltelini, Statuten von Trient, 1902. 635 ������������������������������������������������������������������������������������������ Vgl. ergänzend zur bisher angeführten Literatur auch den Überblick bei Bellabarba, Principato vescovile nel Quattrocento, 2000, S. 391–393. 636 Vgl. Bellabarba, La giustizia ai confini, 1996, S. 303. 637 Vgl. Stolz, Landesbeschreibung von Südtirol, 1937, S. 192–193; von Egen, Dreihundert Jahre Tiroler Landesordnung, 1981, S. 367. 638 ������������������������������������������������������������������������������������������� Zit. nach Stolz, Landesbeschreibung von Südtirol, 1937, S. 195, Anm. 1 (Sperrdruck der Vorlage weggelassen). 639 TLMF, FB 992; vgl. den Hinweis bei von Egen, Dreihundert Jahre Tiroler Landesordnung, 1981, S. 371. 640 Wopfner, Quellen, 1908, S. 9 (diakritische Zeichen der Vorlage weggelassen); entsprechende Erwähnung auch bei Stolz, Ausbreitung des Deutschtums, Bd. 2, 1928, S. 84. 633
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ordnung von Kaltern (z. B. die Ausübung des Metzger- und Bäckerhandwerks, die Brandbekämpfung).641 Es waren die Tiroler Landstände, die erstmals auf eine Rechtsvereinheitlichung drängten. Auf dem im Juni und Juli 1525 in Innsbruck abgehaltenen Landtag führten sie Klage, dass die Gerichtsleute von Kaltern aus dem Tiroler „Landsbrauch“ respektive den Statuten von Kaltern stets die jeweils für sie günstigsten Bestimmungen herausgreifen würden.642 Die Tiroler Landschaft forderte daher, dass die Bewohner des Gerichts Kaltern nun hinfür nit mer nach den stattuten, sonnder nach dem lanndsprauch der F. G. Tirol innhalt newer lanndsordnung recht nemen und geben, dergleichen die anndern gericht, wo teutsche sprach ist.643 Diesem Ansinnen gegenüber zeigte sich Ferdinand I. mehr als zurückhaltend, indem er auf die seinerseits erfolgte Bestätigung der Rechte und Freiheiten des Gerichts hinwies und eine Einführung der Landesordnung ohne Zustimmung der Betroffenen als unzulässig bezeichnete. Allerdings stellte er es den Landständen anheim, selbst mit Kaltern in Verhandlungen einzutreten, um das Gericht freiwillig zu einem Verzicht auf seine Statuten und zu einer Annahme der Landesordnung zu bewegen.644 Die Landstände gaben jedoch noch nicht auf. Sie hoben hervor, es sei bei einer fortgesetzten Weigerung der Gerichtsinsassen von Kaltern, die Landesordnung zu übernehmen, zu gedennckhen und auch müglich, daz inen die annderen artigkl und des lanndsfreyhaiten auch nit zustatten komen würden.645 Der rechtliche Eklektizismus der Gerichtsinsassen von Kaltern hatte demzufolge bei benachbarten Gerichten für erhebliche Missstimmung gesorgt. In der Tat wurde schließlich die Ende Juli 1525 konstituierte, aus je drei landesfürstlichen und landständischen Vertretern bestehende Kommission, die den Städten und Gerichten im Viertel an der Etsch die Ergebnisse des Landtags und speziell die Landesordnung zur Kenntnis bringen sollte, mit Verhandlungen beauftragt. Sie sollten den Gerichtsinsassen von Kaltern zureden, damit sy ire statuta vallen lassen, in solhem anndern stetten und gerichten in disem lannd gleichfarmig und gemäß halten und von dem gemainen lanndsprauch Ediert in Tirolische Weistümer, 4. Teil, 1. Hälfte, 1888, S. 294–321; sie wird bei von Egen, Dreihundert Jahre Tiroler Landesordnung, 1981, S. 370, auf das Jahr 1458 datiert. 642 Vgl. Sartori-Montecroce, Reception, 1895, S. 14, Anm. 2. 643 TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 90r. 644 TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 106: [...] so will irer F. D. die gemelten von Kaltharen mit solher newerung über ir alten herkomen, geprauch und gerechtigkaiten zu beschwaren nit gepüren, wäre auch irer F. D. zuesagen in einganng der regierung diser F. G. Tirol gethan ungemäß; sover aber ain E. L. bey den von Kaltharen solich newerung zu willigen erlanngen mugen, daz will ir F. D. gern geschehen lassen. Dergleichen will sich F. D. der anndern gerichten halb, da teutsch sprach ist, und ire alte statut haben, wo solh newerung mit irem willen durch ain E. L. erhalten werden mag, auch gnedigklich erpeten haben. 645 TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 112r; die Antwort Ferdinands I., er wolle diesbezüglich mit Vertretern des Gerichts Verhandlungen führen, in TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 114r. 641
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lennger nit sonnderen, dann sich ain E. L. beclagt, daz sich die von Kaltaren, so es inen gelegen und füeglich ist, der statuta oder des landsprauchs nach irem gefallen gebrauchen und vermaint ain landschaft, dieweil die von Kaltharen merers tails teutscher zungen seyen, daz sy sich auch des teutschen lanndsprauchs billichen gebrauchen und sich in solhem mit dem gemainen lannd vergleichen, so sy sich doch des yeczigen abschids und lanndsordnung in annderen stückhen zu gebrauchen vermainen.646 Aufgrund der anhaltenden Weigerung des Gerichts Kaltern kam eine solche Ausdehnung des räumlichen Geltungsbereichs der Landesordnung nicht zustande. In der reformierten Ordnung von 1532 wurde Kaltern wie andere im Süden Tirols gelegene und über eigene Statuten verfügende Gerichte aus dem Geltungsbereich der Landesordnung herausgenommen (TLO 1532, Buch 9, Titel 29).647 Als überaus aufschlussreich erweist sich eine Entscheidung der oberösterreichischen Regierung anlässlich eines Konfliktes zwischen der Gerichtsgemeinde Kaltern und dem dortigen Pflegsverwalter Hans Popp im Jahr 1582. Letzterer hatte sich beschwert, dass die Gerichtsleute „zwayerlay statuta als lateinisch und teutsch“ besäßen, „die einander zuwider und ungleichsam“ wären; je nach Bedarf würden die Betreffenden einmal die eine, dann die andere Fassung heranziehen.648 Die Regierung kam zum Schluss, dass es sich bei der deutschen Fassung um einen Extrakt der lateinischen Version handle, die dem besseren Verständnis seitens des „gemeinen Manns“ diene. Ausdrücklich wurde nunmehr klargestellt, dass in Zukunft die deutsche Fassung die authentische Version darstellen sollte, jedoch mit einer gewichtigen Einwendung: Sämtliche Artikel der deutschsprachigen Statuten von Kaltern, die den reformierten (lateinischen) Statuten der Stadt Trient von 1528 widersprächen, sollten ausdrücklich „kassiert und aufgehoben“ werden, ohne dass die Regierung die betroffenen Artikel jedoch spezifizierte bzw. anführte. In den Statuten von Kaltern, das immerhin in der ersten Hälfte des 15. Jahrhundert definitiv zu einem Bestandteil der Grafschaft Tirol wurde, sollten somit ausdrücklich zwischenzeitliche Änderungen des als Vorbild dienenden Trienter Statuts berücksichtigt und übernommen werden. Hierin liegt ein erheblicher Unterschied zur Entwicklung in den „drei Herrschaften“ Kitzbühel, Kufstein und Rattenberg, wo die Regierung großen Wert darauf legte, dass die Weitergeltung der Buchsage keineswegs bedeute, dass bayerische Landesordnungen des 16. bzw. 17. Jahrhunderts in den „drei Herrschaften“ angewendet werden durften. Die rechtliche Situation war zwar durchaus mit jener im Gericht Kaltern vergleichbar, nicht jedoch die machtpolitische. In den „drei Herrschaften“ galt es von vornherein, gegenüber dem mächtigen nördlichen Nachbarn nachdrücklich jeden geringsten An TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 128, 1525 Juli 29. Vgl. auch Sartori-Montecroce, Reception, 1895, S. 24; von Egen, Dreihundert Jahre Tiroler Landesordnung, 1981, S. 372. 648 Stolz, Ausbreitung des Deutschtums, Bd. 2, 1928, S. 85, Anm. 5. 646 647
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VI. Leitkategorien und Ordungskategorien der Gesetzgebung
flug einer Beeinträchtigung der Tiroler Landeshoheit augenfällig und demonstrativ zurückzuweisen. Gegenüber dem Hochstift Trient war eine so deutliche Abgrenzung nicht notwendig, war doch von dieser Seite keine ernsthafte Konkurrenz zu erwarten. Daher überrascht es nicht, dass in der etwas südlicher gelegenen (Tiroler) Herrschaft Königsberg (Montereale) eine ähnliche Rechtsentwicklung festgestellt werden kann. Auch dort waren seit alters nit allain die Trientnische statuten in üblicher observanz; vielmehr wurde ebenfalls den seitens des Bischofs von Trient fortlaufend darüber aldort nach und nach gevolgten declarationen und neuen sazungen allerdings nachgelebt, ohne dass hierin eine mögliche Gefährdung der Tiroler Landeshoheit über die Herrschaft Königsberg ausgemacht wurde.649 Ein weiterer Anlauf zu einer Rechtsvereinheitlichung wurde erst 1586 aus nicht näher rekonstruierbarem Anlass unternommen. Dass die geschilderte durchaus komplexe Rechtslage und die daraus resultierenden Schwierigkeiten – es galt, wie soeben dargelegt, die deutsche Fassung der Statuten, freilich unter Ausschluss sämtlicher den Clesianischen Statuten von 1528 widersprechenden Artikeln – den Anstoß zu entsprechenden Überlegungen gegeben hatten, ist möglich, nach derzeitigem Wissensstand jedoch nicht zu belegen. Diesmal erwies sich der Landesfürst als treibende Kraft. 1586 erteilte Erzherzog Ferdinand II. dem Landeshauptmann den Auftrag, auf dem nächsten Adeligen Hofrecht mit den ausgewählten Adeligen in gehaimb und stille zu erörtern, ob die Tiroler Landesordnung von 1573 nicht auch im Gericht Kaltern eingeführt werden sollte. Aus gnuegsamen wolbegründten ursachen hielt es der Erzherzog nämlich für ain guet nuczlich werckh, [...] in der pfleg und gericht Calthern [...] die Triendtischen statutrecht abzuethuen.650 Nachweislich wurde bei derselben Gelegenheit auch der damalige Gerichtsinhaber von Kaltern, Erasmus von Liechtenstein, mit der Erstellung eines entsprechenden Gutachtens beauftragt. Zumindest von Letzterem wissen wir definitiv, dass er im Januar 1587 dieser Aufforderung nachkam,651 doch ist weder seine Stellungnahme noch ein allenfalls vom Landeshauptmann abgegebenes Memorial erhalten. Definitiv kam es in der Folge jedoch zu keiner Änderung der Rechtslage. Als den Obrigkeiten an der Etsch im Jahr 1638 eingeschärft wurde, im Zuge von Pfändungen die Bestimmungen der Titel 63 bis 72 des 2. Buchs der Tiroler Landesordnung von 1573 einzuhalten,652 erbat der Gerichtsausschuss prompt einen Revers vom Pflegsverwalter, dass dieses Mandat das Gericht Kaltern nicht tangiere, sondern sie bei ihren Statuten und ihrem „alten Herkommen“ belassen würden.653 Erst nachdem sich Kaltern selbst um eine Ausdehnung des räumlichen Geltungsbereichs der Tiroler Landesordnung bemüht hatte, trat diese 1681 schließlich 651 652 653 649 650
TLA, BT, Bd. 19, fol. 247, 1627 Nov. 4. TLA, BT, Bd. 11, fol. 746, 1586 Aug. 4. Vgl. TLA, BT, Bd. 12, fol. 2, 1587 Jan. 24. TLA, BT, Bd. 21, fol. 145, 1638 Juli 12. Vgl. TLA, BT, Bd. 21, fol. 160v.
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auch dort in Geltung. Am Anfang dieses Prozesses stand eine Versammlung der Gerichtsgenossen im Oktober 1677, auf der über die Annahme der Landesordnung diskutiert wurde. Damals wurde offensichtlich noch kein Konsens gefunden, denn erst im April des Folgejahres baten der Bürgermeister und der Rat von Kaltern Kaiser Leopold I. um die weitgehende Verleihung des „Tiroler Landrechts“, die im Jahr 1681 in Form eines Privilegs erfolgte. In diesem wurden freilich, der Supplikation derer von Kaltern entsprechend, einige vornehmlich erbrechtliche Bestimmungen der bisherigen Statuten beibehalten.654 Das kaiserliche Privileg von 1681 nennt in der Narratio die zwei maßgeblichen Motive, welche die Gerichtsleute von Kaltern zu einem Überdenken ihres in den Jahrhunderten zuvor ausgeprägten Festhaltens an ihren Statuten bewogen hätten.655 Erstens wird auf die anhaltenden Streitigkeiten, Misshelligkeiten und auf die zahlreichen Prozesse hingewiesen, die aus der Verschiedenheit der Rechtsordnungen resultieren würden. Zweitens werden die Nachteile hervorgehoben, die sich aus der Geltung der Statuten für die Verheiratung der Töchter an Insassen der benachbarten deutschsprachigen, der Landesordnung unterworfenen Gerichte ergeben. Die massive erbrechtliche Benachteiligung der Töchter gegenüber den Söhnen speziell im Vergleich zur Landesordnung führte offensichtlich zur nachvollziehbaren Reaktion, dass die Männer umliegender Gerichte auf Eheschließungen mit Frauen aus dem Gericht Kaltern nicht sonderlich erpicht waren, da von diesen finanziell – selbst bei Herkunft aus wohlhabenden Familien – nicht viel zu erwarten war. Aus dieser Perspektive musste die Heirat mit einer Frau aus einem der Landesordnung unterworfenen Gericht deutlich attraktiver erscheinen. Gleichwohl sind es besonders erbrechtliche Bestimmungen der früheren Statuten, deren Weitergeltung das Privileg Leopolds I. von 1681 vorsieht.656 Aber auch hinsichtlich des Zehents, welcher den elften Teil umfasste und bestimmte Zehentarten ausdrücklich ausschloss, sollte es beim „alten Herkommen“ bleiben. 5. 2. 2. 3. Die Welschen Konfinen Im Frieden von Brüssel des Jahres 1516 erhielt Maximilian I. unter anderem das Lagertal (Vallagarina) südlich von Trient (einschließlich der Stadt Rovereto), Riva am
Das Privileg wurde 1683 gedruckt (Privilegia und Freyheiten Von der Römischen Kayserlichen Majestät etc. Leopoldo I. [...] dem Marckt und Gericht Caltern Bey Annemung allgemeiner Tyrolischer Landts-Rechten [...] unter den Ersten September 1681. allergnädigist erthailt). Ein Nachdruck erfolgte 1766 in Bozen. 655 Vgl. auch von Egen, Dreihundert Jahre Tiroler Landesordnung, 1981, S. 373; Rapp, Über das vaterländische Statutenwesen, II. Teil, 1829, S. 124. 656 Vgl. die ausführliche Wiedergabe bei von Egen, Dreihundert Jahre Tiroler Landesordnung, 1981, S. 372–373; Rapp, Über das vaterländische Statutenwesen, 1829, S. 125. 654
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VI. Leitkategorien und Ordungskategorien der Gesetzgebung
Gardasee sowie die Vier Vikariate Ala, Avio, Mori und Brentonico.657 Neben den Herrschaften der Grafen von Arco, deren Streit mit den Tiroler Landesfürsten über die behauptete Reichsunmittelbarkeit der Grafen von Arco sich bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts hinzog,658 erfuhr damit jener Bereich der Grafschaft Tirol eine Ausdehnung, der über eigene, eng an das Trienter Vorbild angelehnte Statuten verfügte.659 Dies gilt nicht nur für Städte wie Riva und Rovereto, sondern ebenso für ländliche Herrschaften wie Ivano, Telvana, Castelalto, Penede oder Pergine,660 die ebenfalls über eigene Statuten verfügten, die nicht nur eine starke Affinität zu den Trienter Statuten, sondern auch untereinander eine enge inhaltliche Interdependenz aufwiesen.661 Dies wird in Einzelfällen noch gesondert aufzuzeigen sein. Im Kern gingen diese Statuten zumeist auf das 14., partiell auf das 13. Jahrhundert zurück und erfuhren häufig im 16. und 17. Jahrhundert noch „Reformationen“ sowie eine oder mehrere Drucklegungen.662 Die Vorstellung der Schaffung eines einheitlichen, in der gesamten Grafschaft Tirol geltenden Rechts unter Beseitigung der Statuten ist der Frühneuzeit noch gänzlich unbekannt. Im Sommer 1525 war immerhin kurzzeitig in Betracht gezogen worden, zumindest jene Teile der Landesordnung, die die Statuten nicht berührten, auch in den südlichen Grenzgebieten der Grafschaft Tirol einzuführen,663 wovon jedoch wieder Abstand genommen wurde. Policeymaterien berührende Einzelgesetzgebungsakte wurden immerhin grundsätzlich auch in den Herrschaften an den Welschen Konfinen erlassen, wenngleich sich die Implementation gerade der sicherheitspoliceylichen Bestimmungen im Grenzgebiet zwischen der veneziani schen Terra Ferma, dem Hochstift Trient, der Grafschaft Tirol und den Herrschaftsgebieten der Grafen von Arco als überaus schwierig erwies. Vgl. Wiesflecker, Maximilian I., Bd. 4, 1981, S. 255–256; Palme, Frühe Neuzeit, 21998, S. 12. Vgl. Voltelini, Welschtirol, 1918, S. 135; Riedmann, Landeshoheit, 1994, S. 150. 659 Zu den Statuten von Riva und Rovereto vgl. nur Orlando, Statuti di Riva del Garda, 1994; Groff, Statuti di Rovereto del 1570 e del 1610, 1995; Ortalli, Statuti di Rovereto 1425– 1570, 2001; Parcianello, Statuti di Rovereto del 1425, 1991; Bellabarba, La giustizia ai confini, 1996, S. 262–266; Bellabarba, Gli statuti del principato vescovile di Trento, 1995; Bellabarba, Norme e ordini processuali, 1994; Bellabarba, Legislazione statutaria cittadina e rurale, 1989; Bertoldi, I proclami, 1998, S. 135–155; vgl. ferner Giacomoni, Carte, 1991. Es sei an dieser Stelle auf das seit den neunziger Jahrens des 20. Jahrhunderts laufende Editionsvorhaben des Corpus statutario delle Venezie hingewiesen, das sich auch auf das Gebiet des heutigen Trentino erstreckt (vgl. hierzu auch die Hinweise bei Obermair, ‘Bastard Urbanism’, 2007, S. 48). 660 Vgl. nur Gentilini, Statuti di Pergine, 1994; Nequirito, Principi, feudi e comunità, 1988. 661 ����������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. exemplarisch zum Verhältnis der Statuten von Telvana zu jenen der benachbarten Herrschaft Pergine Degaudenz, Statuti della Guirisdizione di Telvana, 1999, S. 69–76. 662 Vgl. neben den angeführten Werken auch Fanizza, Poteri e stati, 1980/1981, S. 57–69, bes. S. 60–61; die dort vornehmlich für die im Hochstift Trient verbreiteten Statuten getroffene Aussage trifft in ähnlicher Weise für die Statuten im Gebiet der Grafschaft Tirol zu. 663 Die entsprechende Instruktion findet sich in TLA, LLTA, Fasz. 2, Juni-/Julilandtag 1525, fol. 130r–133r, 1525 Aug. 7. 657 658
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Wie komplex die Rechtslage tatsächlich war, zeigt die Diskussion über die Wuchergesetzgebung in den siebziger Jahren des 16. Jahrhunderts in der Herrschaft Telvana. Eine ganze Reihe von Einzelmandaten hatte diese brisante Rechtsmaterie geregelt,664 die auch in der Herrschaft Telvana publiziert worden waren. Gleichwohl wandten sich einige Kreditnehmer im Jahr 1574 mit einer Sammelsupplikation an die Regierung und beschwerten sich über ihnen abgeforderte Zinssätze von bis zu 10 % pro Jahr. In einem Schreiben an den Gerichtsinhaber von Telvana, Christoph Freiherr von Welsberg, ließ die Regierung ihren Willen erkennen, dass der vorgeschriebene Höchstzinssatz von jährlich 5 % jedenfalls einzuhalten sei und als „wucherisch“ zu qualifizierende Übertretungen einschließlich denkbarer Umgehungs geschäfte den Mandaten entsprechend zu bestrafen seien.665 Prompt reagierten ausgewählte Kreditgeber mit einer Gegensupplikation, in der sie unter anderem das in unserem Zusammenhang interessante Argument ins Treffen führten, dass die landesfürstlichen Wuchermandate in ihrer Herrschaft keine Geltung hätten, da sie nach ihren eigenen Statuten lebten, die derartige Verträge nicht verbieten würden. Zur Untermauerung ihrer Rechtsposition brachten sie das (nicht erhaltene) Gutachten eines Juristen, Dr. Albertus de Alberti, ein.666 Diese Rechtsansicht teilte die Regierung zwar nicht, sah sich jedoch nichtsdestoweniger im Zuge der Diskussionen zu einem Überdenken ihrer Position veranlasst. Zwei Gründe waren hierfür ausschlaggebend: Erstens hatten schon früher gemachte Erfahrungen gezeigt, dass sämtliche Anläufe zu einer rigiden Umsetzung der Wuchergesetzgebung zu einer kontraproduktiven und auch für die Kreditnehmer unerwünschten Kapitalflucht in die benachbarte Terra Ferma führten.667 Solange sich im unmittelbar anschließenden venezianischen Territorium problemlos Renditen von 7 bis 10 % jährlich erwirtschaften ließen, ließ sich die Tiroler Wuchergesetzgebung nicht durchsetzen, ohne sämtliche lokalen Kapitalgeber zu vergrämen und zu vergleichsweise gewinnträchtigeren Investitionen im benachbarten Gebiet der Serenissima zu animieren.668 Den einzigen Ausweg sah die Regierung 1574/1575 in einer auf die lokalen Umstände abstellenden Gesetzgebung mit räumlich beschränktem Geltungsbereich. Daher wurden die Gerichtsinhaber der drei Herrschaften Ivano, Telvana und Castelalto (Christoph von Welsberg, Christoph von Wolkenstein und Dietrich von Trauttmansdorff ) unter Hinzuziehung eines Kammerrates und eines gelehrten Juristen beauftragt, gemeinsam mit Vertretern der Herrschaftsinsassen eine lokale Wucherordnung auszuarbeiten, die von der Regierung nur konfirmiert werden sollte – vom Prozedere her ein Musterbeispiel der besprochenen delegierten Gesetzgebung. Eine solche Ordnung kam jedoch offensichtlich aus nicht mehr rekonstruierbaren Vgl. z. B. TLA, BT, Bd. 5, fol. 188v–189v und (Druck) fol. 191, 1544 April 26; TLMF, FB 6197, Nr. 49, 1572 Juni 30. 665 Vgl. TLA, CD 1574, fol. 214v–215r, 1574 März 5. 666 Vgl. TLA, AfD 1574, fol. 706r–718r, hier fol. 709r, 1574 Dez. 24. 667 So der ausdrückliche Erfahrungsbericht in TLA, CD 1572, fol. 117, 1572 Nov. 20. 668 TLA, AfD 1574, fol. 706r–718r, hier fol. 709r, 1574 Dez. 24. 664
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Gründen nicht zustande. Als sich 1588 neuerlich Kreditnehmer in Innsbruck über Wucherzinsen und Umgehungsgeschäfte beschwerten, pochte die Regierung jedenfalls auf die Einhaltung der bisher erlassenen (Tiroler) Wuchergesetze.669 Die Komplexität der Rechtslage in den Gerichten und Herrschaften im südlichen Tirol wird auch durch das Beispiel der (nicht zu den Welschen Konfinen gehörenden) Herrschaft Königsberg (Montereale) illustriert. 1627 musste die Regierung feststellen, dass dort unter Verweis auf die Geltung der Trienter Statuten die früher daselbst observierte publicatio der landtsfürstlichen mandaten von etlich mer jaren her ausser obacht gelassen worden sei, worüber man vom Landeshauptmann nähere Aufklärung verlangte.670 Nur einmal lässt sich zumindest der Ansatz zu einer Rechtsvereinheitlichung nachweisen, demzufolge in einem Teilgebiet der Welschen Konfinen die hergebrachten Statuten aufgehoben und durch die Tiroler Landesordnung ersetzt werden sollten. Dieses Projekt wurde 1647 von Erzherzog Ferdinand Karl angedacht, wobei weniger der rechtliche Aspekt der Schaffung einer einheitlichen, landesweiten Rechtsordnung als vielmehr die machtpolitische Signalwirkung eine Rolle spielte. In diesem Jahr waren die von Graf Gerhard von Arco konfirmierten, aus dem Lateinischen ins Italienische übersetzten Statuten von Arco im Druck erschienen, was natürlich ebenfalls eine bewusste Provokation von Seiten Arcos gegenüber dem Tiroler Landesfürsten war. In dem damals auch in anderen Punkten eskalierenden Streit der Grafen von Arco mit Innsbruck671 war diese demonstrative Inanspruchnahme eines zentralen Herrschaftsrechtes – Gerhard von Arco, nicht der Erzherzog bestätigte die Statuten von Arco – von gar nicht zu übersehender Signalwirkung und wurde in Innsbruck entsprechend wahrgenommen. Erzherzog Ferdinand Karl war erbost: Arco habe durch diesen Schritt in die landesfürstlichen hochen regalien [...] eingegriffen,672 das ius superioritatis (und damit das Recht der Gesetzgebung) stünde ausschließlich dem Tiroler Landesfürsten und nicht dem Grafen von Arco zu, da Letzterer nicht mehr als ein landtsass sei.673 Ferdinand Karl ordnete dementsprechend schon im Sommer 1647 die Einziehung der gedruckten Statuten ein, deren Aufhebung förmlich kundgemacht werden sollte.674 Bei seinem Gegenüber, der dieses Recht bewusst zur Inszenierung seiner Unabhängigkeit von Tirol für sich in Anspruch genommen hatte, stieß er hiermit natürlich auf wenig Verständnis. Ein in seinen Diensten stehender Jurist, Dr. Nikolaus Bassattus, hatte zudem durch den (in diesem Zusammenhang gewagten) Hinweis auf den 29. Titel des 9. Buchs der TLA, AfD 1588, fol. 221r–222v, hier fol. 221v, 1588 April 4. TLA, BT, Bd. 19, fol. 247, 1627 Nov. 4; die Aufklärung blieb aus, vgl. die diesbezügliche (offensichtlich ebenfalls vergebliche) Mahnung ebd., fol. 410, 1629 Jan. 11. 671 Vgl. nur Schennach, Tiroler Landesverteidigung, 2003, S. 211 (mit weiteren Literaturhin weisen). 672 So TLA, AfD 1649, fol. 399, 1649 Aug. 14. 673 TLA, AfD 1648, fol. 702v–703r, 1648 Nov. 20. 674 Vgl. TLA, VfD 1647, fol. 190r, 1647 Aug. 15. 669 670
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Tiroler Landesordnung von 1573 – der freilich nur über eigene Statuten verfügende Herrschaften an den Welschen Konfinen vom Geltungsbereich der Landesordnung ausnimmt – zu belegen versucht, dass durch diesen Schritt kein landesfürstliches Prärogativ verletzt werde.675 Die Einziehung der gedruckten Exemplare der Statuten verlief aufgrund des Boykotts durch die Grafen von Arco schleppend. Der Vize-Kammerprokurator an den Welschen Konfinen, Dr. Cosmos de Cosmis, hatte sich während eines halben Jahrzehnts mit Verzögerungstaktiken herumzuschlagen, blieb aber letztlich erfolgreich.676 Im Anfangsstadium dieses Konflikts hatte Erzherzog Ferdinand Karl in Betracht gezogen, ob nit die underthanan zu Arch und Penede vil mehr den gemainen tyrolischen als Trientischen statuten in puncto der policey, haereditatem, successionem und andern mehr dergleichen ordnungen geleben sollen und hatte ein Gutachten der Regierung eingefordert.677 Bei diesen Überlegungen stand zweifellos die politische Signalwirkung im Vordergrund. Wenn Gerhard von Arco die Konfirmation und Drucklegung der Statuten von Arco als Demonstration seiner Unabhängigkeit in Szene setzt, sollte die Ausdehnung des Geltungsbereichs der Tiroler Landesordnung die Zugehörigkeit der Arco’schen Herrschaftsgebiete zur Grafschaft Tirol für jeden deutlich sichtbar machen. Das Gutachten der Regierung fiel jedoch eindeutig aus. Mit dem in diesem Kontext nunmehr zutreffenden Verweis auf den 9. Titel des 9. Buchs der Tiroler Landesordnung von 1573 und in Anbetracht des Umstandes, dass sich die dortigen Untertanen die trientischen gesacz à tempore immemoriali continuierlichen gebraucht hätten, sahen die Regierungsräte keine Möglichkeit, wie die Herrschaften Arco und Penede zu dern tyrolischen statuten (es werde dann sach, das sy sich von selben gietlich darzue verstehen wolten) astringiert werden mögen.678 Ansonsten hielt sich Innsbruck mit Eingriffen in den Rechtsbestand der Gerichte an den Welschen Konfinen sehr zurück. Von Rechtsvereinheitlichung findet sich keine Spur, allenfalls bescheidene Ansätze für einen Rechtstransfer. Bei der Reformation der Statuten von Arco 1585 hatte die Regierung im Vorfeld der damals von Erzherzog Ferdinand II. vorgenommenen Konfirmation den Ersatz der bisherigen, als zu mild wahrgenommenen Strafe bei Totschlag durch eine strengere Strafdrohung, wie sie im Statut von Rovereto enthalten war, durchgesetzt. Als 1573 die reformierten Statuten der Herrschaft Telvana zur Konfirmation bei der Regierung eingereicht wurden, fand diese nur die krasse erbrechtliche Benachteiligung der weiblichen Nachkommen eines Erblassers bei Vorhandensein männlicher Deszendenten in den Artikeln 103 bis 105 zu bemängeln. Diese wurden demzufolge Vgl. TLA, AfD 1648, fol. 228r–230r, 1648 April 18. Vgl. nur TLA, AfD 1648, fol. 511r–513v, hier fol. 513, 1648 Aug. 8; TLA, VfD 1652, fol. 579v–580r, 1652 Dez. 12; TLA, AfD 1653, fol. 131v–132r, 1653 März 18; ebd., fol. 374r–375r, 1653 Juni 28. 677 Vgl. TLA, VfD 1647, fol. 176, 1647 Juli 10; hier zit. nach TLA, AfD 1647, fol. 548v–549r, 1647 Aug. 16. 678 TLA, AfD 1647, fol. 548v–549r, 1647 Aug. 16. 675 676
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von der Erbfolge ausgeschlossen und mussten sich mit einem auf maximal 300 fl. beschränkten Heiratsgut zufrieden geben.679 Dies stufte die Regierung als sehr unmilt und scharff und der natürlichen billichait zuwider ein und regte bei Erzherzog Ferdinand II. erfolgreich eine Änderung zugunsten der weiblichen Nachkommen an. Aufgrund einer Supplikation der Herrschaft Telvana nahm man diese Neuerung allerdings wenige Jahre später zurück. Die Rechtsunterworfenen hatten darauf hingewiesen, dass die angrenzenden Gebiete der venezianischen Terra Ferma, wo das Statut von Carrara gelte, in ähnlicher Weise Töchter von der Erbfolge ausschlössen. Aufgrund der diesbezüglichen Modifikation der Statuten von Telvana seien sie nun gezwungen, ihren ins Venezianische verheirateten Töchtern ihr Erbteil zukommen zu lassen, während umgekehrt ihre aus dem Territorium der Serenissima stammenden Ehefrauen weiterhin erbrechtlich schlechter gestellt seien.680 Dieselben Artikel der Statuten wurden anlässlich der neuerlichen Reformation der Statuten im Jahr 1609 wiederum von der Regierung bemängelt.681 Auch bei den Straftatbeständen und den jeweiligen Strafen sah sie Verbesserungsbedarf, namentlich aufgrund der ihrer Einschätzung nach zu milden Strafen – als Vergleichsobjekt diente dabei jedoch nicht etwa die Tiroler Landesordnung, sondern das gemeine Strafrecht.682 Nur bei der Strafdrohung für das Policeyvergehen der Gotteslästerung schlug die Regierung ausdrücklich eine Angleichung an den Tiroler Rechtsbestand, d. h. an die Tiroler Policeyordnung (Tit. 1) vor.683 Von einer planmäßigen Rechts vereinheitlichung ist freilich keine Spur greifbar. Im Gegenteil, gerade im Jahr 1609 geht eine solche – wenngleich in nur in bescheidenem räumlichen und qualitativen Ausmaß – von der Peripherie selbst aus. 1609 hatten sich nämlich Vertreter der Insassen von Telvana, Ivano und Castelalto zur Schaffung eines einheitlichen Statuts für alle drei benachbarten Herrschaften zusammengefunden und eine solche gemeinsam ausgearbeitet. Bis dahin hatten Telvana, Ivano und Castelalto jeweils über eigene Statuten verfügt, die allerdings aufgrund ihrer gemeinsamen Wurzel in den Trienter Statuten vom Grundbestand große Ähnlichkeiten aufwiesen. Hier waren es jedoch die Rechtsunterworfenen selbst, die teilweise unterschiedliche Rechtsvorschriften in einem sehr kleinräumigen Gebiet als unzweckmäßig betrachteten und eine Vereinheitlichung betrieben. Zusammenfassend lässt sich somit konstatieren: Abgesehen von kurzen, ephemären Intermezzi, von denen das Projekt des Jahres 1647 noch der konkreteste Vorstoß war, ist während des Untersuchungszeitraums keine Tendenz zu einer Rechts Vgl. TLA, BT, Bd. 10, fol. 394r–395r, 1573 Mai 19; ebd., fol. 416r–417r, 1573 Aug. 22; ebd., fol. 453v, 1574 Mai 5; TLA, VfD 1574, fol. 345, 1574 April 29; TLA, AfD 1577, fol. 553r– 554v, 1577 Aug. 23. 680 Vgl. TLA, BT, Bd. 10, fol. 245v–246v, 1580 April 1; TLA, AfD 1580, fol. 707v–709r, 1580 Sept. 13; TLA, BT, Bd. 11, fol. 337–338, 1582 Mai 31. 681 Vgl. TLA, AfD 1609, fol. 313r–333v, hier fol. 317v–319v, 1609 Juli 10. 682 Vgl. TLA, AfD 1609, fol. 313r–333v, hier bes. fol. 321r–322r, 1609 Juli 10. 683 Vgl. TLA, AfD 1609, fol. 313r–333v, hier fol. 325v–322r, 1609 Juli 10. 679
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vereinheitlichung in den südlichsten Tiroler Herrschaften auszumachen. Eine solche bleibt dem ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert vorbehalten. Nachdem schon die österreichische Gesetzgebung seit Joseph II. den Anwendungsbereich der Statuten massiv eingeschränkt hatte und die bayerische Regierung per 1. Juni 1807 die österreichischen (!) Gesetze auch in den Gebieten des ehemaligen, 1803 zu Tirol gekommenen Hochstifts Trient eingeführt hatte, bedeuteten die Vereinigung des südlichen Tirol mit dem Königreich Italien am 28. Februar 1810 und die Einführung des Code Napoléon das endgültige Ende für die Statuten.684
5. 3. Horizontale Rechtsvereinheitlichung (horizontaler Rechtstransfer) 5. 3. 1. Erbländerübergreifend „Monarchische Union von Ständestaaten“ – mit dieser auf Otto Brunner zurückgehenden Formel wird regelmäßig der staatsrechtliche Charakter des habsburgischen Länderkomplexes in Spätmittelalter und Frühneuzeit auf den Punkt gebracht.685 Er bringt sehr konzis zum Ausdruck, dass die Habsburger über mehrere Territorien mit jeweils eigenen Ständen (Landtagen), einer eigenen Verfassung und einer eigenen Rechtsordnung herrschten, die primär durch die Person des Landesfürsten miteinander und in wachsendem Ausmaß durch gemeinsame Zentralbehörden verbunden waren. Historisch bedingte Zusammengehörigkeiten – man denke nur an die Landwerdung des Landes ob der Enns –, gemeinsame Behörden, Kooperati onsnotwendigkeiten angesichts der Bedrohung der Erbländer durch die Osmanen sowie die habsburgischen Erbteilungen des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit führten zur Bildung von zwei, schließlich drei Ländergruppen (der ober-, niederund innerösterreichischen Ländergruppe). Die oberösterreichische Ländergruppe umfasste dabei, wie bereits mehrfach erwähnt, Tirol und die Vorlande.686 Wenn von erbländerübergreifender Rechtsvereinheitlichung bzw. erbländerübergreifendem Rechtstransfer die Rede ist, muss folglich zwischen Vereinheitlichungstendenzen innerhalb einer Ländergruppe – bei unserem Untersuchungsgegenstand mithin zwischen Tirol und den Vorlanden – und über eine Ländergruppe hinausgehenden Vereinheitlichungsbestrebungen differenziert werden. Vgl. das Gutachten von Andreas von Dipauli in TLMF, FB 8705, fol. 145, 1815 April 21. Brunner, Land und Herrschaft, 51965, S. 447; Winkelbauer, Ständefreiheit und Fürstenmacht, Teil 1, 2003, S. 25; vgl. ferner z. B. Mitterauer, Warum Europa?, 42004, S. 150; Pauser, Maximilian II. und die Landstände, 2002, S. 26–27; Blickle, Landschaften, 1973, 36–37. 686 ������������������������������������������������������������������������������������������ Vgl. Noflatscher, Räte und Herrscher, 1999, S. 133; noch immer grundlegend Zöllner, Österreichbegriff, 1988, hier S. 51–52; Zöllner, Österreichbegriff, 1995, S. 25–26; rezente Kurzfassung bei Brauneder, Habsburgermonarchie als zusammengesetzter Staat, 2006, S. 203–204. Die Vorlande umfassten die (räumlich nicht geschlossenen) habsburgischen Besitzungen vor dem Arlberg, d. h. in Vorarlberg, Schwaben, im Breisgau, Schwarzwald und Elsass. 684 685
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Jüngst verwies Josef Pauser auf die im 16. Jahrhundert auszumachende Tendenz, „formelle Einheitsgesetze“ zu erlassen, deren räumlicher Geltungsbereich sich auf zumindest eine Ländergruppe erstrecke. Dieser Befund trifft auch auf die ober österreichische Ländergruppe zu: Während des gesamten Untersuchungszeitraums lassen sich immerhin 62 Einzelgesetzgebungsakte ausmachen, deren räumlicher Geltungsbereich sich auf die gesamten oberösterreichischen Erbländer erstreckt, was bei einer Gesamtzahl von 917 während des Untersuchungszeitraums in der und für die Grafschaft Tirol erlassenen Gesetzen einem Prozentanteil von 6,8 % entspricht. Die zeitliche Verteilung ist jedoch uneinheitlich. Für die Regierungszeit Maximilians I. lässt sich so nur ein einziges Mandat nachweisen – ein Verbot des Kriegsdienstes für fremde Mächte –, das gleichermaßen für die Vorlande wie für Tirol erlassen wurde (1518).687 Unter Ferdinand I. nimmt die Frequenz signifikant zu, zählt man doch während seiner bis 1564 währenden Herrschaft 31 legislative Akte mit einem entsprechend erweiterten räumlichen Geltungsbereich. Unter Erzherzog Ferdinand II. (1564–1595) gibt es 14 derartige Einzelgesetzgebungsakte. Wer jedoch im 17. Jahrhundert eine Zunahme rechtsvereinheitlichender Tendenzen erwarten würde, wird enttäuscht. Es ist nicht nur kein Zuwachs, sondern im Gegenteil eine deutliche Abnahme in der Häufigkeit zu verzeichnen. Nach einem einschlägigen Mandat im Jahr 1598 kommt es sowohl während der Herrschaft von Erzherzog Maximilian III. als Gubernator bzw. erblicher Landesfürst (1602–1618) als auch unter Erzherzog Leopold V. (1619–1632) jeweils nur zu sechs entsprechenden Gesetzen. Danach werden legislative Akte mit einem erweiterten räumlichen Geltungsbereich eine Seltenheit. Nach dem Tod Leopolds V. (1632) bis zum Aussterben der in Innsbruck residierenden habsburgischen Nebenlinie werden nur noch vier (!) Gesetze dieser Art erlassen. Eine Erklärung für diesen Umstand bietet eine inhaltliche Auswertung der Gesetzgebungsakte mit einem erweiterten räumlichen Geltungsbereich. Es handelt sich nämlich keineswegs um Ansätze zu einer planmäßigen Herstellung von Rechtseinheit in der oberösterreichischen Ländergruppe. Vielmehr ergriff die Regierung die Option, ein Gesetz in Vorderösterreich und Tirol zu erlassen, nur in jenen Fällen, in denen sie hier wie dort einen gleich gelagerten Regelungsbedarf zu erkennen glaubte. Nicht eine intentionale Veränderung der Rechtsordnung mit dem Ziel einer Angleichung der verschiedenen Rechtsordnungen stand im Vordergrund, vielmehr ging man überaus pragmatisch vor. Bei gleichartigen Ordnungs problemen ist eine einmal als zielführend erkannte Regelung hier wie dort zur Anwendung zu bringen. Von den 62 Gesetzgebungsakten, deren Geltungsbereich sich auf Tirol und die Vorlande erstreckte, betreffen immerhin 21 Fälle – also mehr als ein Drittel! – das inhaltlich banal anmutende gesetzliche Verbot des Kriegsdienstes für fremde Mächte, das bei Verdacht auf bevorstehende Söldnerwerbungen durch auswärtige Mächte in den oberösterreichischen Ländern erlassen wurde. TLA, Kopialbuch ÄR, Nr. 38, Lit. Mm, S. 55, 1518 Juni 4.
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Ebenso wenig spektakulär sind andere in derartigen Gesetzen normierte Materien. Religionsmandate (insbesondere gegen die Täufer gerichtete Mandate) und sitten policeyliche Vorschriften bilden zusammen die größte Gruppe betroffener Gesetze (33). Nur mehr eine sehr untergeordnete Rolle spielen sicherheits- und wirtschaftspoliceyliche Gesetzgebungsakte (8). Ein ganz ähnliches Bild ergibt sich bei Analyse jener 22 bisher nachweisba688 ren „formellen Einheitsgesetze“, die nicht nur für die oberösterreichische Ländergruppe, sondern für die Gesamtheit der österreichischen Erbländer erlassen wurden. Hinsichtlich der zeitlichen Verteilung fallen diese fast ausschließlich in die Regierungszeit Ferdinands I.; unter Maximilian I. ist bislang nur eines aus dem Jahr 1507 belegt;689 in der Zeit einer eigenen habsburgischen Nebenlinie in den ober österreichischen Ländern ist eine derartige Vorgehensweise fast überhaupt nicht mehr anzutreffen. Allenfalls sind zwei Sonderfälle anzuführen: 1568 wiederholte Erzherzog Ferdinand II. ein 1548 in den gesamten österreichischen Erbländern kundgemachtes Mandat, das aus konfessionellen Gründen den ausschließlichen Besuch der Universitäten Wien und Freiburg vorschrieb.690 1641 wurde auch in den oberösterreichischen Ländern ein kaiserliches Mandat publiziert, das den Kriegsdienst für Reichsfeinde untersagte, freiwillige Rückkehrer in die Reihen der kaiserlichen Armee jedoch pardonierte.691 Inhaltlich zeigen sich dabei ähnliche Tendenzen wie bei der zuvor genannten Gruppe von Mandaten, die ausschließlich in den oberösterreichischen Ländern erlassen wurden. Wieder spielen Mandate wider die Täufer eine wichtige Rolle, daneben finden sich Verbote auswärtiger Kriegsdienst leistung, vereinzelt sicherheits- und wirtschaftspoliceyliche Maßnahmen. Hervorzuheben sind allenfalls die gesetzliche Begrenzung der Kompetenz des geistlichen Gerichts unter Maximilian I. im Jahr 1507 sowie die Einschränkungen der Vermächtnisse ad pias causas 1524. Festzuhalten bleibt, dass während des Untersuchungszeitraums jedenfalls kein breit angelegter Plan einer konsequenten Beseitigung von Rechtsunterschieden auszumachen ist. Diese Entwicklung setzt erst im 18. Jahrhundert ein. Sofern „formelle Einheitsgesetze“ erlassen werden, dann bei Policeymaterien, wo man unabhängig von regionalen Besonderheiten gleich gelagerte Probleme zu erkennen glaubte, denen man mit einem einheitlichen Gesetz gegensteuern zu können glaubte. Einen Sonderfall stellen in diesem Zusammenhang am ehesten die kurz nach Erlass der niederösterreichischen Policeyordnung von 1542 und in noch ausgeprägterer Form nach der Publikation der Nachfolgeordnung von 1552 greifbaren ������������������������������������������������������������������������������������ Das Erscheinen des die Länder Österreich ob und unter der Enns behandelnden Repertoriums der frühneuzeitlichen Policeyordnungen, das Dr. Josef Pauser ausarbeitet, wird einen besseren inhaltlichen Vergleich ermöglichen. 689 Und auch dieses ist nur kopial überliefert, vgl. TLA, Schatzarchiv-Repertorium, Bd. 4, S. 66 (ohne nähere Datierung). 690 TLA, CD 1568, fol. 82, 1568 Sept. 22. 691 TLA, CD 1641, fol. 741 und 742, 1641 Okt. 1. 688
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Bemühungen dar, den Geltungsbereich dieser Policeyordnungen auf andere österreichische Länder zu erstrecken. Diese Versuche wurden jüngst von Josef Pauser eingehend dargestellt.692 1542 zeigen sich dabei bemerkenswerterweise die niederösterreichischen Landstände als eine der treibenden Kräfte neben dem Landesfürsten, die auf die Einführung der Policeyordnung in anderen österreichischen Ländern (namentlich in Mähren) drängten. Schlüssig vermag Pauser dabei den engen Konnex dieser Vereinheitlichungsbemühungen mit der neuerlich akuten Türkengefahr nachzuweisen. Da diese aus zeitgenössischer Perspektive als Strafe Gottes galt, musste es im Sinne dieser „Vergeltungstheologie“ anzustreben sein, durch die Sicherstellung einer als gottgefällig qualifizierten Lebensführung der Bevölkerung diesen Zorn zu besänftigen. Hierzu diente auch das Mittel des Policeyrechts.693 Tirol blieb von den Bestrebungen 1542 weitgehend verschont. Im März 1542 überschickte Ferdinand I. zwar die Policeyordnung an die oberösterreichische Regierung mit dem Auftrag, nach deren Konsultation zu beratslagen, wie nach gstallt unnd gelegenhait des lannds [...], auch der personen darinn gesessen, in Tirol eine „Ordnung und Policey“ erlassen werden könnte.694 Große Bedeutung wurde diesem Vorstoß offensichtlich nicht zugemessen. Eine Reaktion der Regierung auf diese Aufforderung ist nicht überliefert, doch kam es trotz Ausbleibens einer Rückmeldung zu keiner Urgenz seitens Ferdinands I. Intensiver gestalteten sich die Beratungen über eine Annahme bzw. Adaption der niederösterreichischen Policeyordnung von 1552. Tirol ist hier nur eines von mehreren habsburgischen Territorien, in denen sich Ferdinand I. in Verhandlungen mit den Landständen um eine Übernahme der Ordnung durch andere Länder bemühte. Zu Versuchen, die niederösterreichische Policeyordnung einzuführen, kam es nämlich nicht nur in Tirol, in den Herrschaften vor dem Arlberg (Vorarlberg) und den übrigen Vorlanden. Auch an eine Einführung in Böhmen und seinen Nebenländern sowie in Ungarn war offensichtlich gedacht, doch sind keine entspre chenden Umsetzungsversuche nachweisbar. Diese Intention hatte König Ferdinand offensichtlich schon im Stadium der Ausarbeitung der Policeyordnung verfolgt, ließ er doch bereits Ende 1551 verlauten, das Endprodukt solle volgendts bei den andern irer khu. m. khunigreichen unnd landen nach gelegenhait derselben gleichergestallt auch eingeführt werden.695 Hier lassen sich tatsächlich konkrete Tendenzen zu einer über den bloßen Rechtstransfer hinausgehenden Rechtsvereinheitlichung wahrnehmen, wenngleich die einschränkende Formulierung, wonach die Übernahme der niederösterreichischen Policeyordnung in anderen Ländern nur „nach gelegenhait derselben“ erfolgen solle, die Möglichkeiten von Anpassungen an regionale Erfordernisse offen lässt. Vgl. Pauser, Rechtsvereinheitlichungsversuche Ferdinands I., 2008, S. 148–165. Vgl. auch Winkelbauer, Gundaker von Liechtenstein, 2008, S. 57–58. 694 ����������������������������������������������������������������������������������������� TLA, VkgM 1542, fol. 30r, 1542 März 7; zit. auch bei Pauser, Rechtsvereinheitlichungsversuche Ferdinands I., 2008, S. 148. 695 Zit. nach Pauser, Rechtsvereinheitlichungsversuche Ferdinands I., 2008, S. 148. 692 693
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Die Anläufe scheiterten jedoch ausnahmslos an ständischen Vorbehalten, wobei sie in Vorarlberg und Tirol noch am weitesten gediehen.696 In den vorarlbergischen Herrschaften scheiterten die Bemühungen schließlich an Meinungsunterschieden zwischen den Vorarlberger Ständen (die sich nur aus Vertretern der Städte, Märkte und ländlichen Gerichte zusammensetzten697) und den landesfürstlichen Kommissaren. Erstere wollten die Policeyordnung in den Gemeinden und Gerichten verlesen und diskutieren lassen, was Ferdinand I. unter Hinweis auf die ausschließlich landesfürstliche Kompetenz zur „Aufrichtung“ einer Policeyordnung zurückwies. Landesfürstlicherseits wollte man offenbar nicht das Risiko eingehen, mit einer Vielzahl von Änderungswünschen der Gerichte konfrontiert zu sein, geschweige denn Einzelpoliceyordnungen für jede Herrschaft zuzulassen. Schließlich wurden die Verhandlungen 1553 unterbrochen, um das Ergebnis der Tiroler Beratungen abzuwarten. Diese entwickelten sich jedoch nicht viel besser. Den ersten Vorstoß – noch 1551 wurde der Entwurf der neuen Policeyordnung den Tiroler Landständen zur Beratung auf dem anstehenden Bozner Landtag übersandt – schmetterte die Landschaft mit dem Hinweis ab, dass die meisten Bestimmungen in einer den Landesverhältnissen angemesseneren Form bereits in der Tiroler Landesordnung von 1532 enthalten seien. Was nicht bzw. nicht in solcher Ausführlichkeit in der Landesordnung geregelt sei, habe der Landesfürst wiederholt in Einzelgesetzen normiert. Die Stände sahen somit keine Notwendigkeit für eine Übernahme der Policeyordnung. Auf dem Landtag vom 1553 unternahm Ferdinand I. einen neuerlichen Anlauf. Jetzt schwenkte die Landschaft offensichtlich auf eine Verzögerungstaktik ein. Die im Vergleich zur Landesordnung von 1532 neuen Artikel seien in Tirol nit gebreuchig, auch zu diser landtsart gantz undienstlichn,698 weshalb ausführliche Diskussionen notwendig seien. Die Quellenlage legt nahe, dass die angekündigten Konsultationen zwischen Regierung und Ständen gar nicht stattfanden. Bis zum Ende der Regierungszeit Ferdinands I. wurde das Projekt von landesfürstlicher Seite zwar noch wiederholt thematisiert, ohne jedoch zu tatsächlichen Ergebnissen zu führen. Dass im Zuge der Reform der Tiroler Landesordnung von 1532 und der Ausarbeitung einer Tiroler Policeyordnung unter Erzherzog Ferdinand II. auch die niederösterreichische Policeyordnung von 1552 und die (gedruckte, aber nicht kundgemachte) Policeyordnung für Österreich ob und unter der Enns von 1568 herangezogen wurde, ist bereits ausführlich dargelegt worden.699 Die Kom mission zog jedoch gleichermaßen die Reichspoliceyordnung und die bayerische Zum Folgenden ausführlich Pauser, Rechtsvereinheitlichungsversuche Ferdinands I., 2008, S. 149–160. 697 Hierzu zuletzt Niederstätter, Bürger und Bauern, 2000 (mit weiteren Literaturhinweisen). 698 Pauser, Rechtsvereinheitlichungsversuche Ferdinands I., 2008, S. 151. 699 Vgl. Kap. IV.7.5. Zur Policeyordnung für Österreich ob und unter der Enns von 1568, die bei den Konsultationen in Tirol nachweislich herangezogen wurde, vgl. Pauser, Maximilian II. und die Landstände, 2002, S. 36–37; Winkelbauer, Gundaker von Liechtenstein, 2008, S. 696
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Landesordnung heran; den niederösterreichischen Ordnungen wurde bei den vorbereitenden Diskussionen jedenfalls in keiner Weise eine Sonderstellung eingeräumt. Dementsprechend darf man den Einfluss der niederösterreichischen Policeyordnungen auf die policeyrechtlichen Bestimmungen in der Tiroler Landesund Policeyordnung von 1573 nicht überschätzen. Anlehnungen und zum Teil wörtliche Übernahmen zeigen sich weniger in den policeyrechtlichen Büchern der Tiroler Landesordnung als vielmehr in der Policeyordnung selbst. Dabei stellen die Handwerker- und die Kleiderordnung jene Materien dar, in denen die Beein flussung besonders deutlich wird.700
5. 3. 2. Die Hochstifte Trient und Brixen 5. 3. 2. 1. Einzelgesetzgebungsakte Dass den beiden Hochstiften Trient und Brixen als de iure selbständigen Reichsfürstentümern in Spätmittelalter und Frühneuzeit innerhalb des stiftischen Territoriums eine eigenständige Gesetzgebungsgewalt zukam, steht trotz der vielfältigen Nahebeziehungen der beiden Stifter zu respektive Abhängigkeiten von der Gefürsteten Grafschaft Tirol grundsätzlich außer Frage. Im Rahmen der zum Teil weitgehenden, sich mit periodischem Aufflackern über Jahrhunderte hinziehenden Auseinandersetzungen zwischen den Bischöfen und den Habsburgern über Ausmaß und Intensität der Abhängigkeit der Stifter von der Grafschaft Tirol spielte das Gesetzgebungsrecht nur eine untergeordnete Rolle.701 So heftig Diskussionen zwischen den Stiften und den Grafen von Tirol über Fragen wie die genaue Abgrenzung der jeweiligen jurisdiktionellen Kompetenzen, über die Steuerpflicht der Bischöfe mit den Tiroler Landständen, über Aspekte der Landesverteidigung, über die Intensität landesfürstlicher Ingerenzbefugnisse in den Hochstiften (z. B. über den vom Landesfürsten eingesetzten capitano der Stadt Trient) geführt wurden, so gering war der Stellenwert, der der gesetzgebenden Gewalt bei diesen Auseinandersetzungen zukam. Es gab Konflikte, doch erreichten diese bei weitem nicht die Dimensionen anderer Streitpunkte im Verhältnis zwischen den Hochstiften und 54–55. Zum Verhältnis der Ordnung von 1568 zu jenen von 1552 und 1566 vgl. Pauer, Maximilian II. und die Landstände, 2002, S. 53. 700 Zur Beeinflussung der Tiroler Policeyordnung durch die niederösterreichische Ordnung von 1552 ausführlich Thiel, Handwerkerordnung, 1909, S. 35–36; Erwähnung auch bei Brauneder, Gehalt der österreichischen Policeyordnungen, 1994 (erstmals 1976), S. 474. 701 Vgl. hierzu u. a. die einschlägigen Ausführungen bei Benvenuti (Hg.), Storia del Trentino, Bd. 1 und 2, 1994/1995; Riedmann, Mittelalter, 21990; Palme, Frühe Neuzeit, 21998; Di Simone, Legislazione, 1992, bes. S. 182–186; Bellabarba, La giustizia ai confini, 1996; Bonazza, Il fisco, 2001; Göbel, Entstehung, Entwicklung und Rechtsstellung, 1976; Kögl, Sovranità, 1964; Bücking, Frühabsolutismus und Kirchenreform, 1972.
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der Grafschaft. Es soll dabei im Folgenden nicht um den Rechtstransfer zwischen den zur Grafschaft Tirol gehörenden Städten und Gerichten und den Hochstiften bzw. um die wechselseitige Beeinflussung der territorialen und lokalen Rechtsordnungen gehen. In diesem Zusammenhang wäre insbesondere auf die Bedeutung der Trienter Statuten für viele Tiroler Herrschaften und Städte in den Welschen Konfinen hinzuweisen. Die nachstehenden Ausführungen sollen sich ganz bewusst auf die landesfürstliche Gesetzgebung beschränken. Die einschlägigen Hinweise in der Trentiner und Tiroler wissenschaftlichen Literatur sind beschränkt: Marco Bellabarba diagnostiziert hinsichtlich des Hochstifts Trient für die Regierungszeit Maximilians I. „una crescente osmosi tra i due territori“ auf dem Gebiet der Gesetzgebung, indem der Bischof von Trient als Landesfürst eine Reihe von Gesetzen, die Maximilian I. für die Grafschaft Tirol erlassen habe, übernahm und in seinem Territorium in seinem Namen publizierte.702 In der Tat verzeichnen die ab 1488 erhaltenen Kopialbücher der hochstiftischen Verwaltung eine ganze Reihe von Tiroler Mandaten, die dem Bischof zugesandt und von diesem kundgemacht wurden. Da die stiftischen Registerbücher aus diesem Zeitraum den Ein- und Auslauf nicht vollständig verzeichneten, sind quantitativ fundierte Aussagen über das Ausmaß der Übernahme von Tiroler Gesetzen durch das Hochstift Trient nicht möglich. Ein früher Jahrgang sei herausgegriffen, ohne dass die Repräsentativität dieses Befunds abgesichert werden kann: Von den elf für das Jahr 1491 nachweisbaren Gesetzgebungsakten Maximilians I. für Tirol sind immerhin sechs auch in kopialer Form im hochstiftischen Archiv erhalten und wurden vom Bischof durch eigene Mandate transformiert. Dazu gehören jagd- und fischereirechtliche Vorschriften, Verbote des Bierbrauens und des ‚Fürkaufs’ sowie Beschränkungen der Gerichtskosten.703 Der Befund einer intensiven Beeinflussung der gesetzgeberischen Tätigkeit der Bischöfe durch Tiroler Vorbilder wird durch die Innsbrucker Überlieferung bestätigt. Bei vielen kopialen Abschriften von Tiroler Gesetzen finden sich seit der Regierungszeit Maximilians bis zum Ende des Untersuchungszeitraums Kanzleivermerke, wonach je ein Exemplar des Gesetzes an den Bischof von Trient und Brixen zu übersenden sei. Die Zustellung wurde mit dem Begehren verbunden, das Gesetz in ihren weltlichen Herrschaftsbereichen zu erlassen.704 Sowohl die Motive für diese Bellabarba, La giustizia ai confini, 1996, S. 276. AStTn, libri copiali, gruppo 1, vol. 1, fol. 19v, 1491 Okt. 21; ebd., fol. 20v–21r, 1491 Nov. 3; ebd., fol. 20r, 1491 Nov. 14; ebd., fol. 24r, 1491 Dez. 4; ebd., fol. 23r, 1491 Dez. 4; ebd., fol. 23v, 1491 Dez. 8 (Parallelüberlieferung in TLA, VdL, Bd. 1, fol. 131v–132r, Edition bei Schmidt, Halsgerichtsordnungen, 1949, S. 122–123). 704 Ein frühes Beispiel eines solchen Schreibens findet sich abschriftlich in AStTn, libri copiali, gruppo 1, vol. 1, fol. 19v: Auf die Beschreibung des Missstands und der daraufhin getroffenen Regelung folgt die Aufforderung: Und begern darauf an dein andacht mit besonderm vleisse, du welest allenthalben in deinen herschafften und gepietten bestellen und ernnstlich geschefft usgeen lassen, damit [...]. 702 703
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Vorgehensweise als auch der legistische Aspekt selbst werden in einem Schreiben Erzherzog Ferdinands II. an den Bischof von Brixen 1571 auf den Punkt gebracht: Damit ain gleichait unnd guete nachparliche correspondenz gehallten werde, wellet dieselben gleichmessig im stifft Brichsen ausgeen unnd publiciern lassen. Darauf wellen wir euch nit pergen, nachdem es von allter [...] allso herkhomen unnd gehallten worden, wann im namen aines lanndtsfürsten allennthalben in der fürstlichen Grafschafft Tirol offne manndata ausganngen, daz man jederzeit derselben abdruckh oder abschrifften ainen bischoff zu Brichsen oder desselben statthalter unnd räthen zugeschickht, unnder dessen tittel volgenndts dieselben ausganngen unnd publiciert worden [...].705 Die „Gleichheit“ und das „alte Herkommen“ erwiesen sich auch bei späteren Gelegenheiten als Argumente von Tiroler Seite, um die Publikation von Gesetzen in den hochstiftischen Gebieten zu reklamieren.706 Eine auf diese Weise zu erlangende wenn nicht Rechtsvereinheitlichung, so doch zumindest Harmonisierung der policeyrechtlichen Vorschriften wurde in manchen der davon betroffenen Rechtsbereiche in der Tat als notwendige Voraussetzungen dafür angesehen, damit die legislativen Maßnahmen ihr Ordnungsziel erreichen konnten. Ohne eine entsprechende Abstimmung mit den Hochstiften Trient und Brixen würde, wie es die Regierung im Jahr 1575 mit Blick auf sicherheitspoliceyliche Vorschriften formulierte, alles, was E. F. D. [Erzherzog Ferdinand II.] hierinnen fürnemen, mandieren und bevelchen würden, umbsonnst und vergebens sein.707 Diese Aussage trifft im Kern wohl für die meisten von dieser Vorgehensweise erfassten Rechtsmaterien zu. Es wurden nämlich keineswegs alle erlassenen Einzelgesetzgebungsakte sofort den Bischöfen zwecks Publikation in ihren Territorien zugestellt. Primär fand dieses Prozedere in folgenden Bereichen Anwendung: An erster Stelle stand sicherlich die Sicherheitspolicey im weitesten Sinne (einschließlich der Bekämpfung gesellschaftlicher Randgruppen wie fahrender Leute oder beschäftig ungslos umherziehender Kriegsknechte).708 Es folgten das Münzwesen und die Wirtschaftpolicey,709 mit deutlichem Abstand schließlich die Religionspolicey.710 Während im zuletzt ge ���������������������������������������������������������������������������������������� TLA, BT, Bd. 10, fol. 140r–141r, 1571 Febr. 9; auch schon erwähnt bei Bücking, Frühabsolutismus und Kirchenreform in Tirol, 1972, S. 61. 706 Vgl. TLA, CD 1598, fol. 423v, 1598 Juli 15. 707 TLA, AfD 1575, fol. 982r–993v, hier fol. 985v, 1575 Dez. 20. 708 Vgl. z. B. TLA, BT, Bd. 6, fol. 509v–510r, 1559 Dez. 1; BT, Bd. 7, fol. 509v–510r, 1559 Dez. 1; TLA, AfD 1583, fol. 551r–555r, 1583 Juli 6; TLA, BT, Bd. 19, fol. 762v, 1630 Nov. 20. 709 Vgl. z. B. TLA, BT, Bd. 6, fol. 282, 1553 Sept. 6; TLA, CD 1571, Bd. 10, fol. 1571 März 10; TLA, CD 1628, fol. 100v–101r, 1628 Mai 8; TLA, CD 1639, fol. 303v, 1639 März 12. 710 Vgl. z. B. TLA, CD 1530, fol. 77r–79v (entsprechender Kanzleivermerk fol. 80r), 1530 April 9; TLA, VfD 1567, fol. 573r–574r, 1567 März 8; TLA, CD 1596, fol. 58v–61r, 1596 April 29. 705
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nannten Bereich von vornherein mit einer großen Übereinstimmung zwischen den Bischöfen und der Regierung hinsichtlich der anzustrebenden Ordnungsziele zu rechnen war, trifft dies mit Abstrichen ebenfalls auf die anderen angeführten Materien zu. Keines der involvierten Fürstentümer konnte ein Interesse daran haben, dass die eigenen legislativen Maßnahmen (und die darauf basierenden administrativen Schritte) durch die jeweils anderen konterkariert und torpediert wurden. Dementsprechend überrascht es nicht, wenn die weitgehende Rechtsangleichung gerade von Tiroler Seite mit dem Hinweis auf den anzustrebenden „gemeinen Nutzen“ gerechtfertigt wurde.711 Dass meist das gemeinsame Interesse an einem koordinierten Prozedere dominierte, erklärt wohl maßgeblich die trotz gelegentlicher Differenzen überwiegend problemlos verlaufende Übernahme der Tiroler Gesetze durch Trient und Brixen. Im Einzelfall wies die Narratio eines hochstiftischen Gesetzgebungsaktes sogar ausdrücklich darauf hin, dass die legislative Maßnahme in Reaktion auf ein Tiroler Vorbild gesetzt werde.712 Das Phänomen einer aufeinander abgestimmten Vorgehensweise in der Gesetzgebung ist durchaus nicht singulär. Die Sicherstellung einer gewissen Einheitlichkeit bzw. Koordination zwischen verschiedenen Territorien war gerade im Bereich von Wirtschafts- und Sicherheitspolicey eine der wesentlichen Aufgaben der Reichskreise.713 Zudem zeigen sich ebenso – wenngleich rudimentär bleibende – Ansätze, zumindest die sicherheitspoliceylichen Gesetzes- und Verwaltungsmaßnahmen Tirols mit dem großen nördlichen Nachbarn Bayern abzustimmen,714 um zu fürderung gemaines nucz und abwendung allgemainer beschwerden inhaltlich entsprechende (gleichmessige) Bestimmungen zu erlassen, damit also guette pollicey unnd ordnung desst stattlicher in daz werckh gericht werden müge .715 Diese Worte wählte der bayerische Rat Dr. Johann Waltermayr 1553 gegenüber der oberösterreichischen Regierung. Doch ließen sich die Beziehungen zwischen Tirol und Bayern in keiner Weise mit jenen zwischen der Grafschaft und den ungleich kleineren Hochstiften vergleichen, die sich nicht nur geographisch teilweise in engster Gemengelage mit Tiroler Gebiet befanden, sondern auch staatsrechtlich und politisch eng mit Tirol verzahnt waren. Dass sich die Abstimmung fast vollständig auf die TLA, BT, fol. 6, 1523 Okt. 15. Vgl. z. B. AStTn, libri copiali, gruppo 1, vol. 2, fol. 48v–49r, 1525 Jan 17: Nachdem S. D. [Ferdinand I.] allennthalben inn der grafschaft Tyroll der morderey, auch der selbstschlagenden feurpüchsen halben offen mandata unnd bevelh außgeen hat lassen unnd wir aber gleycherweyse inn unserm stifft gern sehen wolten, das yederman bey tag unnd nacht sicher hin unnd wider wanndlen mocht unnd kainer von dem andern geweltigt wurde, emphelhen wir euch mit ernst, das ir [...]. 713 Wüst, Reichskreis und Territorium, 2000; Wüst, Policey im fränkischen Reichskreis, 2000; vgl. auch die von Wüst herausgegebene Reihe „Die gute Policey im Reichskreis“ (Wüst, Gute Policey, Bd. 1–3, 2000–2004). 714 Vgl. z. B. TLA, AkgM 1553, fol. 581v–584r, 1553 Sept. 7; TLA, VkgM 1553, fol. 620, 1553 Okt. 26; TLA, BT, Bd. 8, fol. 119v–120r, 1560 Okt. 4; ebd., fol. 640r–641r, 1553 Nov. 29. 715 TLA, AkgM 1553, fol. 619r–621r, 1553 Nov. 14. 711 712
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Übernahme Tiroler Gesetze durch Trient und Brixen beschränkte, ist für dieses Machtgefälle symptomatisch. Ein gewisses Konfliktpotential resultierte in diesem Zusammenhang aus drei Fragenkomplexen. Die erste Frage betraf eine allfällige Verpflichtung des Bischofs von Trient bzw. Brixen, auf Ersuchen des Tiroler Landesfürsten im eigenen weltlichen Territorium ein entsprechendes Gesetz zu erlassen. Die Antworten fielen sehr deutlich aus, wenngleich diametral entgegengesetzt.716 Die oberösterreichische Regierung beharrte auf der Publikationspflicht, wobei sie als zentrales Argument – neben dem „gemeinen Nutzen“ – das „alte Herkommen“ ins Treffen führte.717 Eben weil die Bischöfe in der Regel auf die Übersendung der Tiroler Gesetzgebungsakte nicht mit einem förmlichen Protest reagiert bzw. die Publikation in ihrem Namen nicht unter ausdrücklichem Vorbehalt ihrer Hoheitsrechte vorgenommen hatten, war aus der Perspektive der Regierung ein entsprechender Anspruch des Tiroler Landesfürsten auf eine entsprechende Vorgehensweise entstanden. Genau dies wurde von den Hochstiften bestritten, die in diesem Kontext auf die Freiwilligkeit der Übernahme pochten. Da jedoch dem Tiroler Landesherrn keine Möglichkeiten zur Verfügung standen, eine Gesetzeserlassung durch den jeweiligen Bischof zu erzwingen, beschränkten sich die vereinzelt aufflackernden diesbezüglichen Meinungsunterschiede auf den Austausch entsprechender Mitteilungen. Die zweite Frage ist im Grund nur eine Variation der ersten. Dürfen die Hochstifte materiell vom Tiroler Pendant abweichende Gesetze erlassen oder müssen sie sich darauf beschränken, die Regelung des Tiroler Vorbilds inhaltlich zu übernehmen? Letzteres liefe dabei de facto darauf hinaus, dass als Aussteller der Gesetzes urkunde der Bischof anstelle des Tiroler Landesfürsten aufscheint. Die Positionen waren wieder erwartungsgemäß geteilt. Die Tiroler Seite beharrte darauf, dass inhaltliche Abweichungen unzulässig waren, während Trient und Brixen auf die freie Ausübung ihrer potestas legislatoria bestanden.718 Die dritte Frage zielte darauf ab, ob Tiroler Gesetze direkt – d. h. im Namen des Tiroler Landesfürsten und ohne eine zumindest formale Transformation in einen bischöflichen Gesetzgebungsakt – auf hochstiftischem Territorium kundgemacht werden durften. Ganz vereinzelt ist eine solche Vorgangsweise einer unmittelbaren Publikation tirolerseits belegt, wobei unklar bleibt, ob dies eine bewusst eingeschla Vgl. nur z. B. TLA, CD 1527, fol. 54v–55r, 1527 Juli 30; TLA, BT, Bd. 5, fol. 232v–324v, 1542 Mai 3; TLA, AfD 1585, fol. 659v–660v, 1585 Aug. 19; ausführlich TLA, Parteibuch 1612, fol. 594, 1612 Okt. 20; TLA, CD 1612, fol. 622, 1612 Dez. 13; ebd., fol. 650r, 1612 Dez. 7, und TLA, AfD 1612, fol. 758v–759r, 1612 Nov. 20. Davon, dass im Hochstift Brixen „nach dem staatsrechtlichen Verhältnisse [...] die [Tiroler] landesfürstlichen Gesetze ebenfalls publicirt werden mussten“ (so Mages von Kompillan, Justizverwaltung, 1887, S. 17), kann in dieser Form jedenfalls nicht die Rede sein. 717 Die Argumentation mit dem „alten Herkommen“ findet sich ebenfalls in TLA, CD 1599, fol. 274, 1599 Nov. 5; vgl. im Übrigen auch Bücking, Frühabsolutismus und Kirchenreform in Tirol, 1972, S. 61. 718 Vgl. TLA, AfD 1609, fol. 149, 1609 Mai 2. 716
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gene Strategie darstellte oder ob es sich um schlichte Versehen handelte. Daraufhin reagierten die Bischöfe stets mit einem förmlichen Protest, woraufhin die oberösterreichische Regierung jedwede Absicht dementierte.719 Dass es in einem Fall belegt ist, dass der Bischof von Trient in seiner Eigenschaft als weltlicher Fürst Gesetze zur Publikation auch an lokale Tiroler Obrigkeiten zustellen ließ, wird man jedenfalls als Lapsus der fürstbischöflichen Kanzlei werten können.720 Wenn hingegen der Bischof von Brixen zu Beginn des 17. Jahrhunderts in den ihm verpfändeten, zur Grafschaft Tirol gehörenden Gerichten im Pustertal das Gesetzgebungsrecht auszuüben versuchte, ist hier der Gedanke an eine geplante Aktion nicht gänzlich auszuschließen.721 Vorsorglich deponierte Erzherzog Maximilian III. einen förmlichen Protest. 5. 3. 2. 2. Die Tiroler Landesordnungen Als Sonderfall des Rechtstransfers ist die Tiroler Landesordnung zu betrachten, wobei hier zwischen den Verhältnissen in Trient und Brixen differenziert werden muss. Im August 1525 und somit während jener Phase des Tiroler Bauernkrieges, während derer die effektive Herrschaft des Bischofs über sein Territorium angesichts der Unruhen sehr beschränkt war, wurde in Betracht gezogen, den räumlichen Geltungsbereich von Teilen der soeben ausgearbeiteten Landesordnung auf das Gebiet des Hochstifts Trient zu erstrecken. Grundsätzlich verfügten sämtliche Städte und Gerichte des Hochstifts zum damaligen Zeitpunkt schon längst über eigene Statuten, die im Allgemeinen inhaltlich eng an das Statut der Stadt Trient angelehnt waren. Die entsendeten Kommissare sollten den Untertanen versichern, dass die Statuten von der Landesordnung unberührt bleiben würden; gleichzeitig waren die Gesandten jedoch angehalten, die Betroffenen nach Möglichkeit zu überzeugen, die ausgearbeitete Empörungsordnung und die die Statuten nicht betreffenden Bestimmungen des Landtagsabschieds vom Juli 1525 zu übernehmen. Hiervon waren namentlich die Regelung des Rechtsverhältnisses zwischen Baumann und Grundherr sowie Jagd und Fischerei, Maße und Gewichte und eine Vielzahl weiterer policeyrechtlicher Materien betroffen.722 Mit der Wiederherstellung der fürstbischöflichen Macht zerschlugen sich derartige Projekte von vornherein, da eine solche Beeinträchtigung seiner Herrschaftsbefugnis und Gesetzgebungs kompetenz vom Bischof wohl nicht hingenommen worden wäre. Fortan war klar, dass die Tiroler Landesordnung in ihrer Gesamtheit für die hochstiftischen Gebiete keine Geltung hatte. Zu kurzfristigen diplomatischen Differenzen kam es erst einige Jahre nach dem Druck der reformierten Landesordnung, wobei sich der Bi 721 722 719 720
Vgl. exemplarisch RLA, AfD 1585, fol. 659v–660r, 1585 Aug. 19. Vgl. TLA, CD 1613, fol. 74, 1613 Juni 1; ebd., fol. 109, 1613 Aug. 16. Vgl. TLA, BT, Bd. 14, fol. 638r–672v, hier fol. 652, 1605 März 4. Vgl. Kap. IV.7.3.6.
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schof von Trient konkret am 28. Titel des 9. Buchs der Tiroler Landesordnung von 1532 stieß (Begriff der Fürstlichen Grafschafft Tirol). In diesem Titel waren die Grenzen der Gefürsteten Grafschaft umschrieben und dabei auch einige Gebiete in Judikarien und der Val Rendena inkludiert, die eindeutig der stiftischen Landeshoheit unterstanden. Ferdinand I. versicherte, dass dies keine Gebietsforderungen zum Ausdruck bringe. Da zum Zeitpunkt des bischöflichen Protests die reformierte Landesordnung schon längst gedruckt und eine Neuauflage untunlich war, wurde eine Lösung zur Beruhigung Trients gefunden. Ferdinand I. stellte drei feierliche Urkunden aus, in denen er versicherte, dass die im 28. Titel des 9. Buchs vorgenommene verzaichnus der graniczen dem eebemelten stifft Triendt und desselben gegenwürtigen und nachkhomenden regierenden herrn unnd bischoven ohn allen schaden unnd nachthail und nit minder sein soll. Um vollends alle Bedenken zu zerstreuen, ordnete Ferdinand I. an, dass die Urkunde zu merern gewishait [...] in die drey versigelten lanndtsordnungen, dero wir die ain in unnserm schaczgewelb in unnser statt hie zu Innsprugg, die annder zu der behaltnus der lanndtsfreyhaiten diser unnser grafschafft und die drit merbenannten cardinalen und bischoven zu Triendt zuegestelt haben, zu- unnd einschreiben lassen.723 In den späteren Druckauflagen der Tiroler Landesordnung von 1532 findet man daher den beeinspruchten Titel durch die Worte „Bleibt bey jren Confinen. Unnot hierinn zu melden“ ersetzt, während die Landesordnung von 1573 wieder den ursprünglichen Wortlaut aufgreift. Diesmal blieben Proteste seitens des Bischofs jedoch aus.724 Während die Landesordnungen im Hochstift Trient somit definitiv keine Geltung erlangten, ist die Sachlage im Hochstift Brixen komplizierter. Die wissenschaftliche Literatur begnügte sich bislang mit der summarischen Formulierung, das Hochstift habe sie „imitativ“ angenommen.725 Einen bischöflichen Gesetzgebungsakt, der die Geltung der Landesordnung oder ausgewählter Teile davon im Hochstift anordnet, gab es jedenfalls nicht. Die Umschreibung deutet demnach eher in Richtung einer gewohnheitsrechtlichen Übernahme der Landesordnung durch die erstinstanzlichen Brixner Gerichte und das bischöfliche Hofgericht in Brixen. Aufschluss in dieser Frage bringt eine wohl gegen Ende des 17. Jahrhunderts im Umfeld des Brixner Bischofs anonym verfasste, überaus umfangreiche „Gründliche Vorstellung eines Herrn Bischofen und des H[eiligen] R[ömischen] R[eichs] Fürsten zu Brixen Territorialrechtes“.726 Schon die Anführung der Stellung des Bischofs von Brixen als eines geistlichen Reichsfürsten lässt erkennen, dass in diesem Werk das Brixner Staatsrecht aus einer dezidiert pro-brixnerischen Perspektive dargelegt wird. Die zweibändige „Vorstellung“ zielt primär darauf ab, eine Argumentations TLA 1536, fol. 552r–555v, 1536 Juli 20. Vgl. auch schon Sartori-Montecroce, Reception, 1905, S. 26–27. 725 Vgl. nur Köfler, Land, Landschaft, Landtag, 1985, S. 436; Tölzer, Geschichte Tirols von 1553 bis 1564, 1950, S. 86; so schon die Formulierung bei Rapp, Statutenwesen, 2. Teil, 1829, S. 21–22. 726 TLMF, FB 2671 und FB 2672. 723 724
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basis im sich hinziehenden Streit mit den Habsburgern über die Stellung Brixens zur Grafschaft Tirol zu schaffen. Im Rahmen dieses Werkes findet auch die potestas legislatoria des Bischofs von Brixen Erwähnung, wenngleich angesichts des Gesamtumfangs des Werks in einem eher bescheidenen Ausmaß.727 Die angesichts der Gesamttendenz der Darstellung wenig überraschende Grundaussage kann in einem Satz zusammengefasst werden: Dem Bischof kommt als Landesherrn eine unbeschränkte potestas legislatoria zu. Einführend wird (grundsätzlich korrekt) der Zustand vor Einsetzen der Gesetzgebung dargelegt. Damals habe es in den einzelnen Gerichten Gerichtsbücher gegeben, die alle erforderlichen Rechtsmaterien geregelt hätten und jährlich auf den Ehafttaidingen verlesen worden seien, wobei die darin begriffnen recht denen tyrolischen maistenthails ähnlich gewesen seien.728 Als Reichsstand habe der Bischof jedoch auch das ausschließliche Gesetzgebungsrecht ausgeübt (über die zeitliche Entstehung dieses Gesetzgebungsrechtes wird hingegen nichts ausgesagt). Zur Förderung des „gemeinen Nutzens“ habe der Bischof propria authoritate bald für gewisse gerichter, bald universalstatuten erigiert und zu halten anbefolchen, wie es bei andern reichsstenden yeblich und rechtens ist.729 Die tatsächliche, lang anhaltende Ausübung der potestas legislatoria finde ihren Niederschlag in einer Vielzahl von Bänden, die „Mandatbücher“ genannt würden und bis zum Jahr 1521 zurückreichten. In diese „Mandatbücher“ würden Abschriften der Gesetzgebungsakte eingetragen bzw. jeweils ein gedrucktes Exemplar eingeheftet. Was die Landesordnung betrifft, so wird diese vom anonymen Verfasser als ein aus allerhandt alten gewohneiten und gebreichen formblich zusammengetragenes statutum bezeichnet. Wegen der engen Verzahnung und dem intensiven wirtschaftlichen Austausch sei diese Kodifikation von den Brixner Gerichten successive mehr und mehr imitiert worden.730 Dies wird aber im folgenden Satz sogleich relativiert: Auf diese Weise sei das stiftische alte Recht und Herkommen gewahrt worden, da schließlich die Tiroler Rechtsgewohnheiten in vielen Bestimmungen aus den stifftischen uhralten gewohneiten und gebreichen hergenommen seien.731 Als Beleg wird auf das Gerichtsbuch von Salern (südlich des Landgerichts Sterzing gelegen) verwiesen.732 Allerdings macht der Autor ebenfalls darauf aufmerksam, dass von einer gewohnheitsrechtlichen Observanz der gesamten Tiroler Landesordnung im hochstiftischen Gebiet nicht die Rede sein könne, sondern die Übernahme nur selektiv erfolgte.733 So galten ihm zufolge nicht: der Titel wegen der Erbhuldigung der Untertanen (TLO 1573, Buch 1, Titel 1; dies resultiert bereits aus der staatsrechtlichen Stellung des Hochstifts, müssen die Untertanen den Huldigungseid doch 729 730 731 732 733 727 728
Vgl. v. a. TLMF, FB 2671, fol. 89r–102r. TLMF, FB 2671, fol. 93v. TLMF, FB 2671, fol. 94v–95r. TLMF, FB 2671, fol. 95r. TLMF, FB 2671, fol. 95r. Vgl. die Edition in Tirolische Weistümer, 4. Teil, 1. Hälfte, 1888, S. 395–412. Vgl. die Aufzählung in TLMF, FB 2671, fol. 96v.
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selbstverständlich dem Bischof als ihrem Landesherren leisten); die Titel betreffend die Gerichtskosten (TLO 1573, Buch 2, Tit. 8–15); die erbrechtliche Schlechterstellung von Personen, die in Klöster gehen (TLO 1532, Buch 3, Tit. 36) oder das Retraktrecht von Angehörigen bei Immobilien, die an juristische oder natürliche geistliche Personen verkauft werden (TLO 1532, Buch 5, Tit. 14); die Bestimmungen hinsichtlich des Zehents (TLO 1573, Buch 5, Tit. 22–24) sowie hinsichtlich der Feiertage (TLO 1573, Buch 7, Tit. 1). Diese Aufzählung des Verfassers war nur demonstrativ (dass die Vorschriften über den Instanzenzug in Brixen keine Geltung haben konnten, versteht sich beispielsweise von selbst). Keine Geltung im Hochstift hätten nach Ausweis des Verfassers darüber hinaus viele andere, nicht weiter präzisierte Titel. Es sei aber fur die polliceyordnung in meisten puncten khein[en] placz, zumal diese in vielem dem geistlichen Recht zu nahe trete.734 Alle Titel der Landesund Policeyordnung, die mit Vorschriften des kanonischen Rechts kollidierten, die mit der staatsrechtlichen Stellung des Hochstifts als eines selbständigen, reichsunmittelbaren geistlichen Fürstentums unvereinbar waren oder die nicht mit dem Selbstverständnis eines geistlichen Landesherren vereinbar schienen, hatten somit auf brixnerischem Gebiet keine Geltung. Überhaupt legt der anonyme Autor wiederholt Wert darauf, dass die partielle Übernahme der Landesordnung freiwillig erfolgt sei.735 Dies wiederholt er in seiner „Vorstellung“ des Brixner Territorialrechts an anderer Stelle, nämlich im Zusammenhang mit der Beschreibung des Streits zwischen Brixen und Tirol unter Erzherzogin Claudia de’ Medici über die Reichsunmittelbarkeit Brixens.736 Wenn sich der Disput vor allem an steuerlichen und militärischen Fragen festmachte und weitgehend auf diesem Terrain ausgetragen wurde, erfuhr die gesetzgebende Gewalt zumindest am Rande Erwähnung. Von Seiten Tirols wurde nämlich unter anderem ins Treffen geführt, dass sich die brixnerische Behauptung – die dem Beleg der unbeschränkten Brixnerischen Landeshoheit dienen sollte –, nicht beweisen lasse, dass die Tiroler Landesordnung in Brixen nur imitative und aus guetem willen observieret werde.737 Dem begegnete man von Seiten Brixens mit der Forderung nach einer Beweislastumkehr: Nicht Brixen müsse belegen, dass die Übernahme der Landesordnung freiwillig erfolgt sei. Vielmehr müsse Claudia de’ Medici beweisen, dass der Tiroler Landesfürst das Hochstift zwingen könne, die Landesordnung zu observieren. Denn schließlich habe die oberösterreichische Regierung noch 1564 eingestanden, dass sie khein statutum machen khönne, zu welchem der stüfft Brixen verpunden were.738 Zwar habe das Stift Brixen aufgrund einer Aufforderung der Regierung vom 21. Juli 1572 einen Gesandten zu den Verhandlungen über die Reformation 736 737 738 734 735
TLMF, FB 2671, fol. 96v. So auch nochmals ausdrücklich in TLMF, FB 2671, fol. 96v. Vgl. hierzu Bücking, Frühabsolutismus und Kirchenreform, 1972, S. 155–174. TLMF, FB 2671, fol. 406, Zitat fol. 406r. TLMF, FB 2672, fol. 1625v–1626v, Zitat fol. 1626.
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der Landesordnung entsandt, doch sei dies unter dem ausdrücklichen Vorbehalt geschehen, dass dieser nichts den stiftischen Rechten Nachteiliges vornehmen und keine verbindlichen Zusagen machen dürfe.739 Dass der habsburgische Landesfürst keine Gesetze für das Hochstift erlassen durfte und dies natürlich auch für die Tiroler Landesordnung galt, war der Regierung in Innsbruck selbstverständlich bewusst. Bei neuerlichen Überlegungen über eine Reform der Landesordnung im Jahr 1639 – der Streit zwischen Tirol und dem Hochstift hielt unverändert an – regte die Regierung an, man möge nunmehr im Gegensatz zu den Jahren vor 1573 Vorkehrungen treffen, damit nit etwan dem bischoffen zu Brixen abermahls zu ainer separation und pretendierenden aigen territorium, auch formierung aignen gesacz anlaß gegeben werde.740 Dass sich dies nicht verwirklichen ließ, muss kaum betont werden. An den sich lange hinziehenden Reformverhandlungen nahm in der Folge zwar auch ein Deputierter aus Brixen teil, der sich freilich hütete, die Rechtsstellung seines Herrn in irgendeiner Weise zu präjudizieren. Noch auf dem Landtag von 1632 hatte hingegen das Hochstift Brixen ebenso wie das Hochstift Trient erklärt, sich überhaupt nicht an der Reformation der Landesordnung beteiligen zu wollen.741 5. 3. 2. 3. Einflüsse Trients und Brixens auf die Tiroler Gesetzgebung Bislang ist der Rechtstransfer zwischen Tirol und Brixen bzw. Trient ausschließlich als „Einbahnstraße“ beschrieben worden, was mit dem machtpolitischen Gefälle und den territorialen Größenverhältnissen begründet wurde. Dieser Befund gilt grundsätzlich unbeschränkt. Es lässt sich kein Tiroler Gesetzgebungsakt nachweisen, der unmittelbar durch ein Brixner oder Trienter Vorbild induziert worden wäre. Allerdings heißt dies nicht, dass den Bischöfen von Brixen und Trient nicht Optionen zu einer inhaltlichen Beeinflussung von Tiroler Gesetzen offen gestanden wären. Zunächst ist ihre Anwesenheit auf Tiroler Landtagen bzw. ihre Vertretung in den meisten landständischen Gremien zu nennen, die eine Mitwirkung im Vorfeld eines Gesetzgebungsaktes ermöglichten.742 Diese Beteiligung am Gesetzgebungsprozess ist jedoch inhaltlich bzw. qualitativ in den meisten Fällen schwer zu greifen. Darüber hinaus konnten die Bischöfe in ihrer Eigenschaft als Diözesanbischöfe Gesetze in Religionsangelegenheiten anregen. 1567 schlug der Bischof von Trient Erzherzog Ferdinand II. beispielsweise vor, die Einfuhr von (potentiell als „sektisch“ angesehenen) Büchern generell zu untersagen,743 nachdem sein Amtsvorgänger bereits 1537 aufgrund eigener Wahrnehmung von Missständen der Regierung pro TLMF, FB 2671, fol. 94r. TLA, AfD 1639, fol. 315r–318r, hier bes. S. 316r–317r, 1639 Okt. 12. 741 TLA, VdL, Bd. 12, S. 568–569, 1632 April 4. 742 ����������������������������������������������������������������������������������������� Bei der Beratung über die neue Policeyordnung 1653 war so jeweils ein Gesandter der Hochstifte Trient und Brixen beteiligt, vgl. TLMF, FB 5028, S. 561–735. 743 TLA, VfD 1567, fol. 573r–574r, 1567 März 8. 739 740
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poniert hatte, lutherische Bücher zu verbieten und die Einhaltung der christlichen Fastengebote mittels weltlicher Gesetze einzuschärfen.744 Diese zuletzt erwähnten Anregungen führen uns zu einer notwendigen Differenzierung. Bei der Analyse der Frage, in welchem Umfang die Bischöfe von Trient und Brixen die Tiroler Gesetzgebung beeinflussten, muss man zwischen ihrer Rolle als geistliche Reichsfürsten und als geistliche Oberhäupter ihrer Diözesen – die auch beträchtliche Teile der Grafschaft Tirol umfassten – unterscheiden. Wenn ihr Einfluss als Reichsfürsten auf die legislative Tätigkeit in Tirol auch gering war, so spielten sie dennoch als Diözesanbischöfe eine gewisse Rolle. Bei Beratungen über Aspekte der Wuchergesetzgebung wurden sie beispielsweise eingebunden, um die Problematik des Zinsnehmens aus geistlicher Sicht zu beurteilen.745 Während in puncto Wuchergesetzgebung durchaus auf eine Übereinstimmung mit den (hier Brixner) Synodalstatuten geachtet wurde,746 sind in Einzelfällen Kollisionen zwischen der weltlichen und geistlichen Gesetzgebung belegt. Nachdrücklich betonte so Erzherzog Ferdinand II. 1582, dass dem Bischof von Brixen keine Kompetenz zur Regelung der „Kirchenraitungen“ zukomme. Die normative Regelung, wie die Kirchpröpste – die als Laien mit der Verwaltung des Vermögens einer Ortskirche betraut waren – ihr Amt zu versehen hätten, stehe ausschließlich dem Landesfürsten zu.747 Umgekehrt konzedierte die Regierung zwar, dass der weltlichen Gesetzgebung keine Befugnis zukomme, die Eheschließung directe zu regeln. Sehr wohl nahm sie jedoch – verstärkt seit dem beginnenden 17. Jahrhundert – für sich Anspruch, die Befugnis zur Eheschließung unter dem Aspekt des gemeinen Nutzens zu normieren. Man wollte „unzeitige“ Heiraten bzw. Heiraten von „liederlichem Gesindel“, d. h. von nicht selbsterhaltungsfähigen jungen Leuten, verhindern, damit die Paare und ihre Nachkommen nicht der öffentlichen Armenfürsorge zur Last fallen. Deshalb habe der weltliche Gesetzgeber zu regeln, welche materiellen Voraussetzungen junge Leute für eine Eheschließung aufzuweisen hätten.748 Eine weitere mittelbare Einflussmöglichkeit auf Gesetzgebungsakte resultierte aus geistlichen Visitationen, die seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts geistlicherseits – jedoch unter Assistenzleistung durch die lokalen weltlichen Obrigkeiten – in größerem Umfang durchgeführt wurden. Als beispielsweise 1596 eine Visitation in der Diözese Trient ergab, dass die Schulordnung, die Bestimmungen TLA, BT, Bd. 4, fol. 125v, 1537 April 28. Vgl. VfD 1606, fol. 550r–562r, hier fol. 553v, 1606 Febr. 6; TLA, AfD 1608, fol. 486v–488r, 1608 Mai 6. 746 Vgl. nur TLA, AfD, 1615, fol. 493v–495v, 1615 Sept. 5. 747 TLA, AfD 1582, fol. 424r–426v, 1582 April 28. 748 Vgl. schon TLA, CD 1578, fol. 15v–16v, 1578 März 21; TLA, VfD 1578, fol. 24v–25r, 1578 März 12; TLA, AfD 1580, fol. 127r–131r, 1580 Febr. 26; TLA, VfD 1580, fol. 254v–255r, 1580 März 16; TLA, BT, Bd. 11, fol. 169, 1580 März 28; ferner TLA, AfD 1613, fol. 229, 1613 Juni 28; TLA, BT, Bd. 17, fol. 242, 1617 April 12; TLA, BT, Bd. 19, 1628 März 18; zur späteren Entwicklung Mantl, Obrigkeitliche Heiratsbeschränkungen, 1997. 744 745
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hinsichtlich der verbotenen, potentiell protestantischen Bücher oder die Wuchermandate sowohl seitens der Geistlichkeit als auch der örtlichen Beamten nur ungenügend umgesetzt würden, führte dies zu einer entsprechenden Meldung an die Regierung und in der Folge zu einer neuerlichen Publikation der Gesetze.749 Nachdrücklich muss man jedoch betonen: In den zuletzt nur sehr kursorisch angedeuteten Fällen liegt kein Rechtstransfer vor, vielmehr handelt es sich um Möglichkeiten der Bischöfe zur Einflussnahme auf den Gesetzgebungsvorgang in Tirol. Der Rechtstransfer blieb eine einseitige Angelegenheit und verlief ausschließlich von Norden (Grafschaft Tirol) in Richtung Süden (Hochstifte Trient und Brixen).
5. 3. 3. Innerhalb der Grafschaft Tirol Zu Phänomenen eines horizontalen Rechtstransfers kam es nicht nur zwischen den österreichischen Erbländern bzw. der Grafschaft Tirol und den beiden südlich angrenzenden Hochstiften Trient und Brixen, sondern auch innerhalb des Territoriums selbst. Dabei geht es nicht um den bereits behandelten Fragenkomplex des Verhältnisses von Landesrecht zu lokalen Rechtsordnungen. Erscheinungen des Rechtstransfers innerhalb Tirols beziehen sich vielmehr auf die Übernahme lokaler, in einer Stadt oder einem Gericht entstandener Ordnungen durch andere Städte und Gerichte, wobei die Regierung regelmäßig als Vermittler auftrat. Die dabei angewandte Vorgehensweise ähnelt dem, was wir soeben im Zusammenhang mit den Diskussionen rund um die landesfürstlicherseits anvisierte Übernahme der niederösterreichischen Policeyordnung kennen gelernt haben. Der Landesgesetzgeber erlässt normalerweise nicht selbst eine zu seiner Kenntnis gelangte und als nützlich erkannte lokale Ordnung in anderen Städten und Gerichten, wenngleich es auch hierfür Beispiele gibt. So wurde 1571 in den wichtigeren Tiroler Städten (Innsbruck, Hall, Kufstein, Kitzbühel, Rattenberg, Sterzing, Bozen, Meran) eine Bäckerordnung erlassen, die sich sehr stark an die Schwazer Bäckerordnung anlehnte (welche ihrerseits gemeinsam vom Schwazer Pfleger, einem Bergbeamten, einem Kammerrat, den Schwazer Bäckern und Vertretern der Bergbauunternehmer erarbeitet worden war).750 Dies war jedoch nicht das Standardprozedere. Üblicherweise leitete die Regierung eine derartige Ordnung vielmehr abschriftlich an andere lokale Obrigkeiten weiter mit dem Auftrag, diese durchzusehen und zu erörtern, ob und mit welchen Anpassungen eine entsprechende Ordnung auch bei ihnen vor Ort vorgenommen werden könne.751 Vgl. TLA, CD 1596, fol. 62, 1596 Mai 6, und ebd., fol. 58v–59v, 1596 April 29. Vgl. TLA, BT, Bd. 10, fol. 211v–220r, 1571 Juli 13; zur Vorbereitung auch ebd., fol. 200v– 201r, 1571 Juli 12. 751 Vgl. z. B. TLA, CD 1542, fol. 405, 1542 Juli 28; TLA, BT, Bd. 12, fol. 51v–52r, 1587 Sept. 19; ebd., fol. 276v–277r, 1590 Aug. 30; TLA, AfD 1591, fol. 366v–368v, 1591 Juli 11; TLA, CD 1598, fol. 321, 1598 Dez. 23. 749 750
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Hier sei nur ein völlig unspektakuläres, alltägliches Beispiel herausgegriffen: In der Herrschaft Kitzbühel hatten der Pfleger, der Berg-, Stadt- und Landrichter, die Ausschüsse der Gerichtsviertel sowie die Bergbauunternehmer gemeinsam eine Ordnung erstellt, welche die Versorgung der Bevölkerung und der Bergbaubezirke mit Lebensmitteln (speziell mit Schmalz) sicherstellen sollte. Zur Bestätigung wurde die Ordnung an die Regierung übersendet, die in ihr ein geeignetes und innovatives normatives Steuerungsinstrument erkannte. Prompt schickte sie Abschriften der Ordnung in andere Tiroler Bergbaubezirke mit der Frage, ob nicht auch dort die Erlassung einer allenfalls adaptierten Ordnung wünschenswert sei.752 Nur in einem Fall lässt sich nachweisen, dass die Regierung den Adressaten einer solchen Aufforderung die Anweisung gab, jedenfalls eine Ordnung zu erstellen, wobei die genauere Ausgestaltung trotzdem den zuständigen lokalen Obrigkeiten bzw. Gremien überlassen und nur die Konfirmation der vor Ort ausgearbeiteten Ordnung durch die Regierung vorgeschrieben wurde. Bei gleichzeitiger Übersendung der neuen Innsbrucker Feuerordnung schrieb die Regierung 1609 ausgewählten Tiroler Städten und Märkten (Hall, Meran, Rattenberg, Kitzbühel, Glurns, Sterzing, Rovereto, Arco, Matrei, Innichen, Imst, Neumarkt, Kaltern, Eppan) vor, unter Heranziehung des Innsbrucker Vorbilds eigene Ordnungen zu erstellen und zur Bestätig ung nach Innsbruck zu senden.753 Dieser Schritt ging auf Erzherzog Maximilian III. zurück, der kurz zuvor angesichts eines Brandes in der Kufsteiner Vorstadt nachdrücklich darauf aufmerksam gemacht hatte, dass die notturfft und bonum publicum die Einhaltung einer Feuerordnung nicht nur in der Residenzstadt erfordere.754 Dabei wurde den Adressaten auch ein Minimalinhalt der auszuarbeitenden Feuerordnungen vorgegeben. In der Tat wies die Regierung in der Folge einzelne auf diese Weise entstandene lokale Ordnungen als in bestimmten Punkten unzureichend zurück und verlangte eine Neubearbeitung.755 Dass das Zurückgreifen auf Vorbilder für die Vorbereitung von lokalen Rechtssetzungsakten eine Arbeitserleichterung bedeuten konnte, musste den Städten und Gerichten freilich nicht erst seitens der Regierung eingeschärft werden. Als die Stadt Bozen beispielsweise bereits 1629 zur neuerlichen Überarbeitung ihrer Feuerordnung schritt, zog man aus eigenem Antrieb die Innsbrucker Ordnung heran,
Vgl. TLA, BT, Bd. 11, fol. 532, 1584 Aug. 21; ebd., fol. 627v–628r, 1585 Aug. 5. Vgl. TLA, BT, Bd. 16, fol. 142r–143r, 1609 Dez. 18. 754 TLA, VfD 1609, fol. 642v–644v; im Gefolge des Brands in der Kufsteiner Vorstadt hatte man festgestellt, dass es in Kufstein keine eigene Feuerordnung gegeben hatte. Auch die in der Folge von Bürgermeister und Rat ohne Heranziehung einer Vorlage ausgearbeitete Feuerordnung erwies sich nach Ansicht der Regierung aufgrund der inhaltlichen Unvollständigkeit als schlechtlich verfasst. 755 Vgl. TLA, BT, Bd. 16, fol. 290r, 1610 Dez. 15; ebd., fol. 290r–290v, 1610 Dez. 16; ebd., fol. 302r, 1611 Jan. 19; TA, CD 1610, fol. 215v–216r, 1610 Mai 8; TLA, BT, Bd. 17, fol. 94v– 95r, 1615 Febr. 3; ebd., fol. 96v–97r, 1615 März 21; ebd., fol. 98v–99r, 1615 März 30. 752 753
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um zu schauen, ob wir was dienstlichs daraus nemen khundten.756 Bei der Suche nach potentiellen Vorlagen beschränkte man sich dabei nicht auf den Tiroler Raum. 1686 erhielt Bozen von der Reichsstadt Nürnberg die dortige Bauordnung (GebäuOrdnung),757 1731 besorgte sich die Stadt die Feuerordnung von Augsburg.758 Das bekannteste und zweifellos auch wichtigste Beispiel für innerterritorialen Rechtstransfer findet sich im Bereich des Bergrechts. Das für den Schwazer Bergbau geltende Recht, das im Rahmen einer Reihe von Bergordnungen und „Erfindungen“ schriftlich fixiert und landesfürstlicherseits erlassen worden war, entwickelte sich spätestens unter Maximilian I. zum unbestrittenen rechtlichen Vorbild der anderen Tiroler Bergbaubezirke. Es ist bezeichnend, wenn eine im 16. Jahrhundert entstandene, das Schwazer Bergrecht enthaltende Handschrift den aussagekräftigen Titel „Erfynndung unnd pergkhwerchs ordnunng der loblichen Graveschafft Tirol“ führt.759 Schon die Zeitgenossen waren sich der großen Strahlkraft der Schwazer Bergordnungen und Erfindungen bewusst: „Dann zu Persen halt mans [...] wie zu Schwaz. Zu Lientz ist auch Schwazer ordnung“.760 Auch bei der im Februar 1541 von Ferdinand I. erlassenen Bergordnung für das neue Bergrevier am Reropichl bei Kitzbühel diente das Schwazer Bergrecht als explizit genanntes Vorbild.761 Selbst in Bergrevieren, die bereits über eigene ältere Bergordnungen verfügten, entfalteten die Schwazer Ordnungen und Erfindungen eine starke Vorbildwirkung. Musterbeispiel hierfür ist das Bergrevier in Sterzing-Gossensass, für das Herzog Friedrich IV. zwar schon 1427 eine maßgeblich auf dem Bergbrief von Schladming von 1408 beruhende Bergordnung erlassen hatte,762 dessen Recht sich jedoch später maßgeblich am Schwazer Muster orientierte. Entsprechende Tendenzen lassen sich bereits in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ausmachen. 1468 war dem Bergrichter und mehreren Berggerichtsgeschworenen von Gossensass von Herzog Siegmund die Erörterung von in Schwaz aufgetretenen „Mängeln und Beschwerden“ aufgetragen worden. Im Zuge dessen erkannten die Gossensasser, dass einerseits in ihrer Bergordnung viele Regelungslücken bestanden und andererseits „etlich artigkl“ enthalten seien, denen „nicht nachgangen wirdt“.763 Schon damals lag es nahe, diesbezüglich auf Schwazer Normen zu rekurrieren. Die von Maximilian 1510 er-
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StAB, Archivkiste 219, 1629 März 21. StAB, Archivkiste 219, 1686 Jan. 8. StAB, Instruktionen und Ordnungen 9 (= Hs. 2342). Zit. nach Hofmann/Tschan, Schwazer Bergrecht, 2007, S. 24. Zit. nach Hofmann/Tschann, Schwazer Bergrecht, 2007, S. 24. Hofmann/Tschan, Schwazer Bergrecht, 2007, S. 24. Edition bei Worms, Schwazer Bergbau, 1904, S. 99–103, und zuletzt Steinegger, Schladminger Bergbrief, 2002, hier S. 287–305; zum Einfluss des Schladminger Bergbriefs ebd., S. 284–285. 763 Vgl. Worms, Schwazer Bergbau, 1904, S. 148–151, Zitat S. 149. 756 757
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lassene Bergordnung für Sterzing-Gossensass enthielt zahlreiche an das Schwazer Vorbild angelehnte oder von diesem wörtlich übernommene Bestimmungen.764 Fraglich ist, inwiefern im Bereich des Bergrechts – das im Übrigen auch außerhalb Tirols von exzeptioneller Vorbildwirkung war – tatsächlich von einem planmäßigen Beseitigen von Rechtsunterschieden gesprochen werden kann, wie es die montanhistorische Forschung annimmt.765 Liegt der Rezeption wesentlicher Elemente des Schwazer Bergrechts in anderen Tiroler Bergbaubezirken und außerhalb Tirols tatsächlich das „Bestreben nach territorialer Rechtsvereinheitlichung“ zugrunde?766 Angesichts des allgemeinen Befunds, dass die Vorstellung einer durch den Gesetzgeber herzustellenden Rechtseinheit diesem während des Unter suchungszeitraums nahezu unbekannt war und keine Richtschnur seines Handelns darstellte, würde der Befund einer Ausnahmestellung der Bergrechtsordnung überraschen und müsste argumentativ stärker begründet werden. Ohne diesen Problemkreis an dieser Stelle erschöpfend behandeln zu können, liegt der Schluss näher, dass hier ein Rechtstransfer vorliegt, für den ähnliche pragmatische Überlegungen ausschlaggebend waren wie in anderen Fällen von Rechtstransfer: Eine Regelung bzw. wie im vorliegenden Fall ein Regelungskomplex wurde als zielführend erkannt und hatte sich in der Praxis bewährt – was lag näher, als diesen Normenkomplex auf andere Bergreviere zu übertragen, ohne die Möglichkeit der Adaption der Vorbilder an lokale Besonderheiten auszuschließen? Zwei Umstände lassen dieses Erklärungsmuster als wahrscheinlicher anmuten als die Vorstellung, Maximilian I. habe sich um eine territoriale (und überterritoriale) Vereinheitlichung des Bergrechts bemüht: Erstens gingen die Bestrebungen, das Schwazer Bergrecht mit Adaptionen auf andere Bergbezirke in Tirol zu transferieren, nachweislich keineswegs immer vom Landesfürsten aus, sondern häufig auch von den Rechtsunterworfenen. Die soeben erwähnte Begebenheit in Sterzing-Gossensass ist hierfür ein frühes Beispiel. Unter Maximilian I. baten beispielsweise die im Bergbau von Pergine (Persen) Beschäftigten 1494 ausdrücklich, man möge ihnen dieselbe Rechtsstellung verleihen, wie sie den Schwazern bereits zukäme.767 Noch ein weiteres Argument spricht dafür, die Vorstellung einer geplanten Rechtsvereinheitlichung unter Maximilian I. durch das Modell einer pragmatischen Übertragung von als bewährt und zielführend wahrgenommenen bergrechtlichen Normen auf andere Bergbezirke zu ersetzen. Schließlich rekurrierten auch auswärtige Fürsten schon frühzeitig auf Schwazer bergrechtliche Regelungen, die sie für in ihren Herrschaftsgebieten gelegene Bergreviere adaptierten. Die Kitzbü Vgl. Hofmann/Tschan, Schwazer Bergrecht, 2007, S. 24; Tschan, Geschichte des Schwazer Bergrechts, 2004, S. 58. 765 Vgl. nur Hämmerle, Codex Maximilianeus, 1951, bes. S. 154–155. 766 So Hofmann/Tschan, Schwazer Bergrecht, 2007, S. 24; wörtlich ebenso Tschan, Geschichte des Schwazer Bergrechts, 2004, S. 58. 767 TLA, Maximiliana XII/112, Teil 1, fol. 170r–171r. 764
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heler Bergordnung von 1483 lehnte sich so ebenfalls an das Schwazer Vorbild an, obwohl Kitzbühel damals noch bayerisch war.768
5. 4. Geographische Bezugspunkte Im Zuge der Vorbereitung eines Rechtssetzungsaktes war es gerade im Bereich des Policeyrechts spätestens unter Ferdinand I. gängige Praxis der oberösterreichischen Regierung, aktiv nach möglichen Vorlagen zu suchen. Die Räte begnügten sich somit nicht damit, allenfalls zu ihrer Kenntnis gelangte ausländische Gesetze zum Anlass für eine gesetzliche Regelung in Tirol zu nehmen (was durchaus belegt ist). Vielmehr fragte man bei einer geplanten Regelung gezielt im Ausland an, um auf diese Weise an potentielle Vorbilder zu gelangen. Diese Vorgehensweise war schon im 16. Jahrhundert weitgehend eingespielt. Erst wenn man keine befriedigenden Vorbilder eruieren konnte oder diese nicht zur Verfügung gestellt wurden, arbeitete man eine einschlägige Ordnung ohne Heranziehung möglicher Vorlagen aus. Als es um 1641 beispielsweise um mögliche gesetzliche Maßnahmen zur Reduktion der Prozesshäufigkeit bei der Regierung ging, haben es die Räte selbstverständlich nit unterlassen, sich im Vorfeld auswärts umb dergleichen mandata [...] zu bewerben. Mangels Erfolges musste man schließlich ohne ausländische Vorlagen ein Konzept erarbeiten.769
5. 4. 1. Oberdeutschland Eine genauere Analyse zeigt dabei, dass mögliche Vorlagen am häufigsten im oberdeutschen (süd- und südwestdeutschen) Raum gesucht wurden. Dabei scheinen die Reichsstädte Nürnberg, Ulm, Augsburg am öftesten als „Ideenlieferanten“ auf.770 Im Regelfall stellten sie ihre Ordnungen auch ohne weiteres zur Verfügung; nur ausnahmsweise verweigerte eine Reichsstadt die Übersendung einer Ordnung. Dies geschah wohl hauptsächlich dann, wenn man durch die Weitergabe eigene (vor allem wirtschaftliche) Interessen beeinträchtigt sah, wie es bei der Augsburger Weberordnung der Fall gewesen sein dürfte, deren Übermittlung die Reichsstadt 1610 ablehnte.771 Als Nürnberg und Augsburg ihre Feuerordnungen nicht nach Innsbruck schicken wollten, beauftragte die Regierung den habsburgischen Landrichter in Vgl. Rupert, Berg- und Hüttenwesen, 1985, S. 32. Vgl. TLA, AfD 1642, fol. 556v, 1642 Jan. 24; ebd., fol. 810 (Zitat ebd.). 770 ��������������������������������������������������������������������������������������� Auf die Vorbildwirkung der Nürnberger Bettelordnung von 1522 für das kurz darauf erlassene Straßburger Pendant machte zuletzt aufmerksam Wagner, Konzepte der Armenfürsorge, 2006, S. 240–241. 771 TLA, CD 1610, fol. 234v, 1610 Juni 11. 768 769
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VI. Leitkategorien und Ordungskategorien der Gesetzgebung
Schwaben mit der Beschaffung der Ordnungen, was diesem jedoch nicht gelang.772 Dies blieben aber Ausnahmen. Ob es um die Ausarbeitung einer Goldschmiede-, Zinngießer-, Bäcker-, Metzger- oder Apothekerordnung ging oder ob es sich um Normen gegen vorehelichen Sexualverkehr oder um Wuchergesetzgebung handelte – die Anfrage bei den Reichsstädten Augsburg, Nürnberg oder (seltener) Ulm war selbstverständlich.773 Dies deckt sich mit der von Wolfgang Wüst getroffenen Feststellung, dass die süddeutschen Reichsstädte ganz allgemein für den Rechtstransfer – speziell im Bereich des Policeyrechts – in Oberdeutschland eine herausragende Rolle spielten.774 Es musste freilich nicht eine Reichsstadt sein. Vereinzelt fragte man auch bei Bürgermeister und Rat der Stadt München oder der Stadt Salzburg an.775 Im Zuge der Vorbereitung einer Marktordnung für Reutte versuchte die Regierung zu eruieren, wie es hinsichtlich ausgewählter Bestimmungen bei denen von Füessen und anndern umbligenden orten gehalten werde.776 Nur äußerst selten zog man hingegen beim bayerischen Herzog bzw. Kurfürsten Erkundigungen über die bayerische Rechtslage ein.777 Die Regierung verfügte über andere Kanäle, um sich über bayerische Rechtsnormen zu informieren. Insbesondere der Burghauptmann bzw. der Landrichter von Kufstein war es, der die Regierung in Innsbruck über aktuelle bayerische Rechtssetzungsakte auf dem Laufenden hielt. Dieser verfolgte die bayerische legislative Tätigkeit mit Aufmerksamkeit, wobei sich Kontakte mit seinem Amtskollegen in Rosenheim nachweisen lassen. Erschien ihm ein in Bayern erlassenes Gesetz bemerkenswert, übersendete er ein Exemplar nach Innsbruck. 1641 schickte er so Karl Schurff als Kufsteiner Burghauptmann das Exemplar eines kurz zuvor publizierten bayerischen Policey mandats gegen Gotteslästern und Ehebruch an die Regierung.778 Kurz nach Erscheinen der bayerischen Landesordnung von 1553 hatte sein Amtsvorgänger Vgl. TLA, AfD 1573, fol. 408, 1573 Juli 15. Vgl. z. B. TLA, BT, Bd. 4, fol. 368r, 1539 Okt. 23; TLA, BT, Bd. 5, fol. 106r, 1542 Febr. 13; TLA, AfD 1580, fol. 127r–131r, 1580 Febr. 26; TLA, CD 1598, fol. 291v–292v, 1598 Okt. 4; die Augsburger Apothekerordnung von 1564 fungierte beispielsweise als Vorbild für den einschlägigen Titel der Landesordnung von 1573 (TLO 1573, Buch 6, Tit. 12), vgl. Moser, Geschichte des Gesundheitswesens, 1996, S. 311–312; Huter, Apothekenwesen, 1997 (erstmals 1979), S. 391. 774 Vgl. Wüst, Normen als Grenzgänger, 2003, bes. S. 304. 775 Vgl. BT, Bd. 1, fol. 127v, 1526 Dez. 13 (München, Salzburg und Augsburg); TLA, BT, Bd. 11, fol. 78r, 1578 Sept. 21 (Salzburg und Wien); TLA, BT, Bd. 4, fol. 368r, 1539 Okt. 23 (neben Nürnberg, Ulm und Augsburg wurden auch in München Erkundigungen über eine allenfalls bestehende Ordnung den Lederhandel betreffend eingezogen); ebenso TLA, AfD 1572, fol. 814v–820r, 1572 Dez. 20. 776 TLA, KsM 1558, fol. 205, 1558 Aug. 6. 777 ������������������������������������������������������������������������������������� Ein Beispiel wird erwähnt in TLA, AksM 1557, fol. 357r, 1557 Jan. 12, wo man aus München jedoch keine Rückmeldung erhielt. 778 Vgl. TLA, AfD 1641, fol. 256v–257r, 1641 Juni 12. 772 773
5. Rechtsvereinheitlichung und Rechtstransfer
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prompt Auszüge aus der neuen bayerischen Kodifikation nach Innsbruck übersendet, von denen er negative Auswirkungen auf die Tiroler Wirtschaft befürchtete.779 Wollte die Regierung von sich aus an ein bayerisches Gesetz gelangen, waren der jeweilige Kufsteiner Burghauptmann oder der dortige Landrichter ebenfalls wich tige Ansprechpartner.780 Im Einzelfall konnten gesetzliche Maßnahmen Bayerns auf Tiroler Seite Retorsionsmaßnahmen hervorrufen. Als Bayern ein „Abzuggeld“ von 10 % auf in Bayern liegendes bewegliches und unbewegliches Vermögen erhob, das im Erbweg an einen Tiroler gelangte, reagierte der Tiroler Gesetzgeber prompt mit einem entsprechenden Mandat, das eine Abgabe in selber Höhe bei Erbschaften von bayerischen Untertanen in Tirol vorschrieb.781 Dass, wie bereits mehrfach erwähnt, die bayerische Landesordnung auch zur Reformation der Tiroler Landesordnung von 1532 und zur Ausarbeitung einer eigenen Policeyordnung herangezogen wurde, überrascht angesichts des Gesagten nicht. Die legislative Tätigkeit im Erzstift Salzburg wurde von Innsbruck deutlich weniger intensiv wahrgenommen. Nur in einem einzigen Fall ist nachweisbar, dass ein Salzburger Mandat (gegen Wucher) als Vorlage für eine Tiroler Regelung diente.782
5. 4. 2. Die österreichischen Erbländer Das wohl älteste Beispiel eines Rechtstransfers nach Tirol stellte der Bergbrief von Schladming (Steiermark) von 1408 dar, der die normative Grundlage für das Bergwerk von Sterzing-Gossensass bildete und dessen strikte Einhaltung Herzog Friedrich IV. in der Gossensasser Bergordnung von 1427 vorschrieb.783 Auf das seit dem 16. Jahrhundert zu beobachtende Phänomen der Erlassung von „formellen Einheitsgesetzen“ für mehrere habsburgische Länder ist bereits ausführlich eingegangen worden. Abgesehen davon ist es erstaunlich, in welchem geringen Ausmaß sich die oberösterreichische Regierung als Schaltzentrale des Gesetzgebungsprozesses um die Beschaffung von möglichen Vorbildern für eigene Gesetzgebungsvorhaben aus den niederösterreichischen Ländern bemühte. Vor allem und primär orientierte man sich zweifelsohne am oberdeutschen Raum, die Ausrichtung Daraufhin wurden die lokalen Obrigkeiten in den „drei Herrschaften“ Kufstein, Kitzbühel und Rattenberg mit Erhebungen über die voraussichtlichen Auswirkungen der neuen Landesordnung auf die lokale Wirtschaft beauftragt, um gegebenenfalls beim bayerischen Herzog vorstellig werden zu können, vgl. TLA, BT, Bd. 7, fol. 17v–18r, 1554 April 13. 780 Vgl. nur TLA, CD 1557, fol. 99r, 1557 Febr. 17; ebd., fol. 99v, 1557 März 4. 781 Vgl. BT, Bd. 13, fol. 361r–362r, 1600 Sept. 12; ebd., fol. 373, 1600 Sept. 30; ebd., fol. 527, 1600 März 12; TLA, AksM 1600, fol. 225r–226, 1600 Nov. 18; zu späteren Differenzen vgl. auch TLA, BT, Bd. 19, fol. 675r–676v, 1630 April 27; TLA, AfD 1629, fol. 666r–667v, 1629 Dez. 4; TLA, VfD 1630, fol. 317v, 1630 April 26. 782 ������������������������������������������������������������������������������������������ Vgl. TLA, AfD 1618, fol. 471v, 1618 April 5 (das entsprechende Salzburger Mandat ist überliefert in TLMF, Dip. 1090, Nr. 140 ½). 783 Steinegger, Schladminger Bergbrief, 2002, S. 284–285. 779
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VI. Leitkategorien und Ordungskategorien der Gesetzgebung
nach Osten trat demgegenüber deutlich in den Hintergrund. Die Abläufe im Zuge der Vorbereitung der Innsbrucker Feuerordnung unter Erzherzog Ferdinand II. sind hierfür überaus aussagekräftig. Nachdem sie von der Reichsstadt Augsburg kein Exemplar der dortigen Feuerordnung erhalten hatten, wandten sich die Innsbrucker Regierungsräte an ihre Kollegen von der niederösterreichischen Regierung, ob diese vielleicht über die Augsburger Ordnung verfüge. Sie verneinte, verwies jedoch auf die kaiserliche Hofkanzlei, wo freilich auch kein Exemplar auffindbar war. Allerdings schickte die Hofkanzlei die Wiener Feuerordnung nach Innsbruck, in der Hoffnung, dass diese vielleicht auch den Zweck erfüllen würde. Danach hatte die oberösterreichische Regierung aber nicht gefragt. Selbst als die ersten Bemühungen um die Augsburger Ordnung gescheitert waren, rekurrierte sie nicht etwa ersatzweise auf das Wiener Pendant. Sie fragte zwar bei den niederösterreichischen Kollegen an – aber wohlgemerkt nicht, um die Wiener Ordnung zu erhalten. Die Verbindung der österreichischen Länder durch das gemeinsame Band der „domus Austriae“ war zum damaligen Zeitpunkt offensichtlich noch nicht ausgeprägt genug, um die Orientierung nach Norden, wenn es um die Eruierung von möglichen Gesetzesvorlagen ging, durch eine Orientierung nach Osten abzulösen. Denn der Befund rund um die Feuerordnung ist generalisierbar; es lässt sich während des gesamten Untersuchungszeitraums nur einmal belegen, dass bei der Stadt Wien zwecks Übermittlung einer gesetzlichen Regelung angefragt wurde.784 Trotzdem bleibt festzuhalten, dass Ferdinand I. der Regierung in Innsbruck 1530, 1542 und 1552 von sich aus die niederösterreichische Policeyordnung übermittelte. Obwohl schließlich jene von 1552 ebenso wie die (gedruckte, jedoch nicht kundgemachte) Policeyordnung für Österreich ob und unter der Enns von 1568 in die Beratungen über die Reformation der Tiroler Landesordnung und die Vorbereitung der Tiroler Policeyordnung unter Erzherzog Ferdinand II. Eingang fanden,785 waren diese österreichischen Vorlagen nur zwei von mehreren. Und trotz der ausgesprochen guten Dokumentation über das Zustandekommen der Tiroler Ordnungen von 1573 ist in keiner Weise ersichtlich, dass die niederösterreichischen Policeyordnungen allein deshalb eine besondere Rolle gespielt hätten, weil es sich um „österreichische“ Ordnungen handelte.
TLA, BT, Bd. 11, fol. 78r, 1578 Sept. 21 (Salzburg und Wien betreffend eine Goldschmiedeund Zinngießerordnung). 785 Vgl. Kap. IV.9; zur Beeinflussung der Tiroler Policeyordnung durch die niederösterreichische Ordnung von 1552 ausführlich Thiel, Handwerkerordnung, 1909, S. 35–36; Erwähnung auch bei Brauneder, Gehalt der österreichischen Policeyordnungen, 1994 (erstmals 1976), S. 474; zur Policeyordnung für Österreich ob und unter der Enns von 1568, die bei den Konsultationen in Tirol nachweislich herangezogen wurde, vgl. Pauser, Maximilian II. und die Landstände, 2002, S. 36–37. Zum Verhältnis der Ordnung von 1568 zu jenen von 1552 und 1566 ebd., S. 53. 784
5. Rechtsvereinheitlichung und Rechtstransfer
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5. 4. 3. Oberitalien Die große Bedeutung der Trienter Statuten für die an der Südgrenze der Grafschaft gelegenen Tiroler Städte und Gerichte wurde schon hinreichend dargelegt. Im Bereich des Policeyrechts ergeben sich hingegen während des Untersuchungszeitraums kaum Berührungspunkte zwischen dem oberitalienischen Raum und der Tiroler Gesetzgebung. Nur in einem Fall aus dem Jahr 1613 lässt sich nachweisen, dass ein venezianisches sicherheitspoliceyliches Mandat zu erhaltung gueter nachperschafft vom Tiroler Gesetzgeber auch in den Welschen Konfinen publiziert wurde.786 Der herausragende Einfluss Oberitaliens zeigt sich vor allem im Handels- und Wechselrecht, wobei speziell die Markt- und Wechselordnung für die Bozner Märkte aus dem Jahr 1635 zu erwähnen ist.787 Es handelte sich dabei nicht nur um „die erste auf deutschem Boden erfolgte Kodifikation des Wechselrechts“788; zudem wurde eine autonome Handels- und Wechselgerichtsbarkeit durch den Bozner Merkantilmagistrat eingerichtet. Dies ermöglichte ein rasches Verfahren in Handels- und Wechselstreitigkeiten. Mit der Einrichtung des Merkantilmagistrats reagierte Erzherzogin Claudia auf das Drängen der Bozner Kaufmannschaft, die Konkurrenz durch die Märkte im nahe gelegenen Verona fürchtete.789 In der zur venezianischen Terra Ferma gehörenden Stadt war ebenfalls ein Handels- und Wechselgericht eingerichtet worden. In dieser Konkurrenzsituation wollte man die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Bozner Märkte, die damals noch eine zentrale Rolle im Handelsverkehr zwischen Süddeutschland und Oberitalien spielten, optimieren, um einen Standortnachteil zu verhindern. Entsprechend eng lehnte sich daher die Bozner Markt- und Wechselordnung an die Veroneser Vorlage an – um in der Folge selbst Vorbild für andere Handelsgerichte im Heiligen Römischen Reich zu werden (s. u.).
5. 5. Die Ausstrahlung des Tiroler Rechts Bisher wurden ausschließlich die Einflüsse fremder Rechtsordnungen auf das Tiroler Recht dargestellt. Der daraus eventuell entstehende Eindruck, Rechtstransfer sei eine ausschließlich nach Tirol führende „Einbahnstraße“, wäre jedoch verfehlt. Zit. nach TLA, VfD 1613, fol. 107v, 1613 Juni 21; ferner TLA, CD 1613, fol. 97, 1613 Juli 4. An älterer Literatur maßgebend Huter, Quellen, 1927; Bückling, Bozener Märkte, 1907; in jüngerer Zeit Sprung, Das Privileg und die Ordnung Erzherzogin Claudias, 1981; Grass, Vom Messegericht zum Merkantilmagistrat, 1986; Heiss, Ökonomische Schattenregierung, 1992; ein umfassendes Literaturverzeichnis bietet Obermair, Archiv des Merkantilmagistrats, 2002, S. 5–6; zuletzt Weiss, Claudia de’ Medici, 2004, S. 151–152; Denzel, Bozner Messen und ihr Zahlungsverkehr, 2005, S. 51–59. 788 Sprung, Das Privileg und die Ordnung Erzherzogin Claudias, 1981, S. 12. 789 So auch explizit Denzel, Bozner Messen und ihr Zahlungsverkehr, 2005, S. 55–56; Denzel, Bargeldloser Zahlungsverkehr, 2007, S. 154. 786 787
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VI. Leitkategorien und Ordungskategorien der Gesetzgebung
Im Gegenteil, gerade in Teilbereichen des Rechts erreichten Tiroler Regelungskomplexe eine weit über die Landesgrenzen reichende Vorbildwirkung. Dabei kann man gleich an die soeben besprochene Bozner Markt- und Wechselordnung anknüpfen, die inner- und vor allem außerhalb der österreichischen Länder eine erhebliche Strahlkraft entfaltete.790 Dem 1661 in Frankfurt am Main eingerichteten Messgericht diente sie ebenso als Muster und Quelle wie der Leipziger Handelsgerichtsordnung aus dem Jahr 1682 oder dem Braunschweiger Kaufgerichtsprivileg von 1682. Der Wiener bürgerliche Handelsstand regte 1700 expressis verbis die Schaffung eines Merkantilmagistrats nach dem Vorbild Bozens an. Noch weitreichender waren die Wirkungen des Tiroler respektive Schwazer Bergrechts sowohl in den vorder- als auch in den niederösterreichischen Ländern.791 Bei den vorderösterreichischen Ländern lag ein entsprechender Transfer Tiroler Bergrechts nahe, unterstanden sie doch ebenfalls der oberösterreichischen Regierung.792 Im Jahr 1517 erließ Kaiser Maximilian I. eine Bergordnung für die vorderösterreichischen Länder (konkret werden die habsburgischen Besitzungen im Elsass, Sundgau, Breisgau und im Schwarzwald genannt), die zuvor von fünf Tiroler Montansachverständigen unter maßgeblicher Zugrundelegung des Schwazer Bergrechts ausgearbeitet worden war. Sie wurde 1562 von Ferdinand I. mit geringen Modifikationen neu erlassen und erst durch die 1731 von Karl VI. erlassene „Bergwerks-Erfind und Ordnung“ abgelöst.793 Als Ferdinand I. 1527 eine Ordnung für die Bergbaue im elsässischen Leber- und Eckrichertal erließ, folgte diese teilweise wörtlich der Ordnung von 1517.794 Aber auch anderen Herrschern war das Tiroler Bergrecht als taugliche Grundlage eigener Gesetzgebungsakte erschienen. Auf die an Schwaz ausgerichtete bayerische Bergordnung für Kitzbühel von 1483 wurde bereits hingewiesen.795 Ebenso orientierte sich die 1463 vom bayerischen Herzog Ludwig für das bayerische Rattenberg erlassene Bergordnung nicht nur am Schladminger Bergbrief, sondern ebenso am Schwazer Vorbild.796 Vgl. zum Folgenden Sprung, Das Privileg und die Ordnung Erzherzogin Claudias, 1981, S. 14; Grass, Vom Messegericht zum Merkantilmagistrat, 1986, S. 219; Denzel, Bargeldloser Zahlungsverkehr, 2007, S. 183; Denzel, Bozner Messen und ihr Zahlungsverkehr, 2005, S. 434. 791 Vgl. hierzu Palme, Überblick, 2000, S. 31; Hofmann/Tschan, Bergordnungen, 2004, S. 258– 259; Grass, Stellung Tirols, 1978, S. 251–254; Hofmann/Tschan, Schwazer Bergrecht, 2007, S. 24–26; Stolz, Bergbau im Elsaß, 1939, v. a. die Wertung S. 171. 792 Vgl. hierzu Dörrer, Behörden, 1989; Stolz, Geschichtliche Beschreibung, 1943. 793 Vgl. insbesondere die Hinweise bei Grass, Stellung Tirols, 1978, S. 252–253; ferner Palme, Rechtliche Probleme, 2004, S. 167; zur Bergordnung nunmehr Westermann, Montanregionen, 2009, S. 138–139. 794 Hofmann/Tschan, Schwazer Bergrecht, 2007, S. 25; Stolz, Bergbau im Elsaß, 1939, S. 136, Westermann, Montanregionen, 2009, S. 141–149. 795 Vgl. Rupert, Berg- und Hüttenwesen, 1985, S. 32. 796 Vgl. Walcher, Ältere Bergrechtsquellen, 2007, S. 279–280. 790
5. Rechtsvereinheitlichung und Rechtstransfer
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Anlässlich der Verleihung einer Grube im Murgtal bezog sich Markgraf Christoph von Baden 1488 auf das Tiroler Vorbild, erfolgte die Verleihung doch „nach berckwercks recht besunder nach herkomen und inhalt der freyheyten der bergwerck an der Etsch, zu Swatz und Sterzingen“.797 Das badische Bergrecht blieb im weiteren Verlauf des 16. Jahrhunderts vom Tiroler Muster geprägt. Vorbildwirkung entfaltete die vorderösterreichische Bergordnung von 1517 zudem für die 1529 erlassene fürstenbergische Bergordnung.798 Georg Schreiber hatte Tirol für die frühneuzeitliche Entwicklung der Bergordnungen sogar „die führende Rolle“799 zugesprochen. Eine Ausstrahlung des Tiroler Bergrechts auf die östlichen habsburgischen Länder blieb ebenfalls nicht aus. Im böhmischen Niklasdorf im Erzgebirge galt beispielsweise eine aus dem Jahr 1496 datierende, die Erweiterungen bis 1500 rezipierende Fassung der Schwazer Ordnung.800 Dass die im Tiroler und speziell im Schwazer Bergrecht festgeschriebenen Grundsätze überdies die maximilianeische „Pergckhwerchs ordnung auff die niderösterreischen lannde“ von 1517 maßgeblich beeinflussten,801 ist schon lange bekannt.802 Ein neuer Quellenfund untermauert diese bisher aufgrund eines inhaltlichen Vergleichs gewonnenen Befunde auf eindrucksvolle Weise, wobei zudem ein Schlaglicht auf den Vorgang des Rechtstransfers geworfen wird.803 Im Februar 1515 teilte Maximilian dem Regiment in Inns bruck mit, dass er dem niederösterreichischen Regiment den Auftrag erteilt habe, bei den Bergwerken in ihrem Zuständigkeitsbereich pesser recht und ordnung vorzunehmen. Hier erschien jedoch die Hilfestellung durch die erfahrenere oberösterreichische Regierung angebracht. Sie wurde daher angewiesen, Sachverständige zur Vornahme eines Augenscheins und zur Feststellung von Defiziten und Regelungsbedürfnissen zu entsenden. Auf deren Bericht aufbauend solle sie dann guet recht und ordnung aufrichten. 1549 schickte die oberösterreichische Regierung der niederösterreichischen Kammer eine Abschrift der Schwazer Ordnungen und Erfindungen, die als Vorlage für eine neue Bergordnung für die Bergbaue im ungari schen (heute slowakischen) Neusohl dienen sollten.804 Wenig überraschend ist es daher, dass sich gleichermaßen die ferdinandeische Bergordnung von 1553, die sich in der Narratio als Überarbeitung der Vorgängerordnung von 1517 ausweist, als Weiterentwicklung des Tiroler Bergrechts präsentiert. Diese Bergordnung von
799 800 801 802
Zit. nach Grass, Stellung Tirols, 1978, S. 252. Vgl. Grass, Stellung Tirols, 1978, S. 253. Schreiber, Bergbau in Geschichte, Ethos und Sakralkultur, 1962, S. 477. Vgl. Tschan, Geschichte des Schwazer Bergrechts, 2004, S. 59; Grass, Stellung Tirols, 1978, S. 252. Vgl. TLA, Hs. 511. Vgl. Hofmann/Tschan, Schwazer Bergrecht, 2007, S. 25; Tschan, Geschichte des Schwazer Bergrechts, 2004, S. 59; Westermann, Bergordnungen in Vorderösterreich, 2007, S. 292–293. 803 TLA, Maximiliana, VI/82, 1515 Febr. 12. 804 Hofmann/Tschan, Schwazer Bergrecht, 2007, S. 25. 797 798
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1553 wurde noch im 19. Jahrhundert als „in einigen Provinzen des österreichischen Kaiserstaates“ geltend bezeichnet.805 Vergleichsweise gering waren die Ausstrahlungen anderer Tiroler Ordnungen des Spätmittelalters und der Frühneuzeit. Zeitlich an erster Stelle ist dabei die umfassende Ordnung Herzog Siegmunds aus dem Jahr 1453 zu nennen, die im ersten Teil bestimmte 1451 in Privilegienform getroffene Regelungen in eine „Entbieten“-Urkunde transformiert und im zweiten Teil einer Reihe von Gravamina der Tiroler Landschaft Rechnung trägt.806 Sie diente der von der Forschung als „Landesordnung“807 bezeichneten Ordnung des Grafen Johann von Görz als unmittelbare Vorlage. Ihrer Narratio folgend wurde diese Ordnung für die Vordere Grafschaft Görz auf Bitte der görzischen Landschaft zum „gemeinen Nutzen“ und zum Nutzen des Grafen und seiner Brüder (Ludwig und Leonhard) erlassen. De facto handelt es sich aber um nichts anderes als um die wörtliche Übernahme der Ordnung Siegmunds von 1453, wobei nur die Abfolge der Bestimmungen modifiziert worden war (ohne dass dies zu einer größeren Systematik geführt hätte). Zwar liegt die görzische Ordnung nur in einer nicht ganz vollständigen Überlieferung aus dem ausgehenden 15. Jahrhundert vor,808 an der (von der Arenga abgesehen) wörtlichen Übereinstimmung mit der Tiroler Ordnung besteht jedoch kein Zweifel.809 Diese vollständige Identität ist von der bisherigen Forschung nicht erkannt worden, die nur auf die Identität mit den auch im Tiroler Freiheitsbrief von 1451 enthaltenen Normen hingewiesen hat.810 Die in der görzi schen Ordnung von 1456 enthaltenen Tiroler Bestimmungen gehen weitgehend wörtlich bzw. mit geringfügigen Ergänzungen in das kurz nach dem Anfall der Vorderen Grafschaft Görz an König Maximilian I. entstandene Statutenbuch der Stadt Lienz und in die Gerichtsordnung der Herrschaft Heinfels ein.811 In chronologischer Reihenfolge ist als nächstes die Tiroler Halsgerichtsordnung von 1499 zu nennen. Im selben Jahr, in dem diese ihre zweite Druckauflage erlebte Tschan, Geschichte des Schwazer Bergrechts, 2004, S. 59–60; das dort angeführte und hier wiedergegebene Zitat stammt aus dem Kommentar zur ferdinandeischen Bergordnung von Max Joseph Gritzner aus dem Jahr 1843. 806 Steinegger, Münz- und Wirtschaftsordnung, 1994, hier S. 51. 807 Vgl. Beimrohr, Landrecht, 2002. 808 TLA, Hs. 2627. 809 Im Einzelnen zeigen sich folgende Übereinstimmungen (der jeweils zuerst genannte Artikel verweist auf die görzische Ordnung (GO 1456) gemäß der handschriftlichen Überlieferung in TLA, Hs. 2627, der zweitgenannte Artikel verweist auf den Artikel der Tiroler Ordnung von 1453 (TO 1453) entsprechend der Edition bei Steinegger, Münz- und Wirtschaftsordnung, 1994): Art. 1–5 GO 1456 = Art. 6–11 TO 1453; Art. 6 GO 1456 = Art. 18 TO 1453; Art. 7 GO 1456 = Art. 21 TO 1453; Art. 8–13 GO 1456 = Art. 12–17 TO 1453; Art. 14–15 GO 1456 = Art. 19–20 TO 1453. 810 Beimrohr, Landrecht, 2002, S. 59. 811 Tirolische Weistümer, IV. Teil, 1891, S. 554–571, hier S. 556–558, sowie ebd., S. 604–617, hier S. 610–611. 805
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(1506), erließ Maximilian I. am 18. Dezember 1506 eine Malefizordnung für die Stadt Radolfzell, die mit der Tirolensis in Reihenfolge und Umfang vollständig, in der Formulierung nahezu wörtlich übereinstimmt.812 Nur bei der Adaptierung der Amtsbezeichnungen an die städtischen Gegebenheiten unterliefen einige redaktionelle Fehler. Schon Stobbe konnte eine weitere städtische Strafrechtsordnung ausmachen, die auf die Tiroler Malefizordnung zurückging.813 Es handelt sich dabei um die im Jahr 1514 von Maximilian I. für die Stadt Laibach erlassene Halsgerichtsord nung. Auch hier kam es nur zu redaktionellen Anpassungen an lokale Spezifika; überdies werden zwei Normen der im Anhang der Tiroler Malefizordnung wiederverlautbarten Sterzinger Ordnung vom April 1496 von der Laibacher Ordnung übernommen.814 Im Jahr 1530 ist belegt, dass die oberösterreichische Regierung die Tiroler Malefizordnung (die nunmehr den 1. Teil des 2. Buchs der Tiroler Landesordnung von 1526 bildete) an ihre Amtskollegen vom niederösterreichischen Regiment schickte.815 Es darf als sicher angenommen werden, dass dies aufgrund einer Anfrage des niederösterreichischen Regiments geschah, deren Anlass sich nicht rekonstruieren lässt. Die Übersendung scheint nach derzeitigem Kenntnisstand keine weiteren Auswirkungen gezeitigt zu haben. Zu einem bemerkenswerten, bislang unbekannten Rechtstransfer der inzwischen im 8. Buch der Tiroler Landesordnung von 1532 enthaltenen Tiroler Strafrechtsordnung kam es im Jahr 1548. Im Gegenzug für die Bewilligung eines Ungelds erhielt die vorländische Landvogtei Schwaben von Ferdinand I. die Tiroler Malefizordnung verliehen. Den Untertanen der Landvogtei Schwaben wurde gemäß der Verleihungsurkunde diese gnad und freyhait gethan und gegeben, [...] also das sy [...] in peinlichen sachen [...] nach laut unnserer fürstlichen grafschafft Tyrol lanndsordnung im achtenden puech begriffen geregiert und gehalten und mitnichten darwider beschwerdt werden sollen.816 Dementsprechend wurde dem dortigen Land richter ein Exemplar der Tiroler Landesordnung von 1532 zugesandt.817 Zu einer Übertragung der gesamten Tiroler Landesordnung kam es innerhalb der österreichischen Länder hingegen nicht. Als der Hubmeister von Feldkirch 1543 von der Regierung die Zusendung eines Exemplars der Landesordnung erbat, Vgl. schon Stobbe, Geschichte, 2. Abt., 1864, S. 239; Schmidt, Halsgerichtsordnungen, 1949, S. 70; Grass, Stellung Tirols, 1978, S. 254; Morscher, Halsgerichtsordnung, 1999, S. 60–66. 813 Vgl. Stobbe, Geschichte, 2. Abt., 1864, S. 239; insofern ist der Titel bei Morscher, Ein neuer „Ableger“ der Tiroler Halsgerichtsordnung, 2000, missverständlich. 814 Vgl. Morscher, Ein neuer „Ableger“ der Tiroler Halsgerichtsordnung, 2000, S. 126–127; Morscher, Halsgerichtsordnung, 1999, S. 66–72; eine Edition samt Übersetzung ins Slowenische sowie eine Reihe einschlägiger Beiträge über die Laibacher Malefizordnung und deren Umfeld enthält nunmehr der Sammelband Kambič/Kodrič (Red.), 1514. Deren von Laibach Malefitzfreyhaittn, 2005. 815 TLA, CD 1530, fol. 106, 1530 Juni 11. 816 TLA, Kopialbuch Bekennen 1648, fol. 102r–103r, 1548 Okt. 27. 817 TLA, Gemeine Missiven 1548, fol. 749, 1548 Dez. 4. 812
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VI. Leitkategorien und Ordungskategorien der Gesetzgebung
wurde ihm dies mit dem Bemerken verweigert, dass sich der räumliche Geltungsbereich der Landesordnung ausschließlich auf die Grafschaft Tirol erstrecke und die herrschaft Veldtkirch danach nit dirigirt werden mag.818 Dass hingegen die Hennebergische Landesordnung von 1539, die 1720 mit einem Anhang neuerlich publiziert wurde, nur eine etwas erweiterte Bearbeitung der Tiroler Landesordnung von 1532 darstellt, war schon 1831 in der Jenenser Dissertation von Karl Ernst Schmid aufgezeigt worden.819 Welche Faktoren und Überlegungen für diese überraschend anmutende Übernahme ausschlaggebend waren, ist derzeit noch nicht vollständig geklärt. Plausibel erscheint die These, dass der mit der Ausarbeitung einer hennebergischen Landesordnung beauftragte Kanzler Johannes Gemel im kurz zuvor erschienenen Tiroler Pendant eine für die hennebergischen Verhältnisse taugliche Vorlage zu erkennen glaubte.820 Dabei übernahm Gemel weite Passagen der Tiroler Vorlage teils wörtlich, teils sinngemäß bzw. unter Anpassung der tirolspezifischen Termini (z. B. hinsichtlich der Gerichtsorganisation) an die hennebergischen Gegebenheiten. Darüber hinaus berücksichtige er jedoch auch die hennebergische Rechtsprechungspraxis und machte Anleihen beim römischen, sächsischen und fränkischen Recht.821 1720 wurde die Landesordnung Hennebergs mit einem Anhang neuerlich publiziert. Sie blieb grundsätzlich bis 1865 in Kraft.822 Die in den Anhang der Tiroler Landesordnung von 1526 aufgenommene „Empörungsordnung“ zur Verhinderung und raschen Niederschlagung eines neuerlichen Aufstandes diente nachweislich dem noch im selben Jahr erlassenen Pendant im Erzstift Salzburg als Vorbild.823 Die Auswirkungen der Tiroler Gesetzgebung auf die beiden Hochstifte Trient und Brixen wurden bereits ausführlich thematisiert. So wie die oberösterreichische ���������������������������������������������������������������������������������������������� Zit. nach Pauser, Rechtsvereinheitlichungsversuche Ferdinands I., 2008, S. 157; vgl. auch Bilgeri, Geschichte Vorarlbergs, Bd. III, 1977, S. 98–99. 819 Schmid, De ordinationis provincialis Hennebergicae origine, 1831, S. 3–7, bes. S. 5–6 („Per scrutabar itaque leges et statuta regionum vicinarum, ut fontes, ex quibus Gemelius hausisset, detegerem, sed diu incassum laboravi. Tandem fortuna benignior obtulit mihi ordinationem provincialem comitatus Tyrolensis et quod quaerebam inveni statim. Tantus enim tamque manifestus inter ambas ordinations apparuit consensus, ut unam ex alteram desumtam, immo descriptam esse dubitari non possit.”). Vgl. ferner Stobbe, Geschichte, 2. Abt. 1864, S. 405, Anm. 8. Dort auch Hinweise auf die ältere Literatur. Ergänzend zu nennen ist noch Simon, Henneberger Landesordnung, 1898. Das Faktum der Übernahme der TLO 1532 durch die Henneberger Landesordnung erwähnt auch Grass, Stellung Tirols, 1978, S. 255. 820 ����������������������������������������������������������������������������������� Zur Entstehung der hennebergischen Landesordnung schon Schmid, De ordinationis provincialis Hennebergicae origine, 1831, S. 7–11; ähnlich auch der Tenor bei Henning, Gefürstete Grafschaft Henneberg-Schleusingen, 1981, S. 140–141. 821 ��������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Henning, Gefürstete Grafschaft Henneberg-Schleusingen, 1981, S. 141; zusammenfassende Wertung bei Simon, Güterrecht, 1898, S. 236. 822 Henning, Gefürstete Grafschaft Henneberg-Schleusingen, 1981, S. 141, Anm. 636. 823 Vgl. Hohn, Folgen des Bauernkrieges, 2004, S. 362; Edition der Ordnung bei Leist, 1882, S. 385–395. 818
5. Rechtsvereinheitlichung und Rechtstransfer
821
Regierung selbst bei der Suche nach möglichen Vorlagen für geplante Gesetze standardmäßig vor allem im oberdeutschen Raum, seltener bei der niederösterreichischen Regierung entsprechende Anfragen deponierte, gab man umgekehrt auch nach Möglichkeit Auskunft. Als beispielsweise die niederösterreichische Regierung 1537 um eine Abschrift der Tiroler Brot- und Fleischordnung ersuchte, musste die oberösterreichische Regierung zwar mitteilen, dass eine solche landesweite Ordnung nicht existiere. Sie übermittelte jedoch eigens von Schwaz, Hall, Innsbruck und Rattenberg, Kitzbühel und Kufstein eingeholte einschlägige städtische Ordnungen.824 Als sich die Reichsstadt Ulm 1539 in Innsbruck wegen einer den Lederhandel normierenden Ordnung erkundigte, teilte man ihr selbstverständlich bereitwillig die in Tirol bestehende Regelung mit.825
������������������������������������������������������������������������������������������� TLA, CD 1537, fol. 53r, 1537 April 27; ebd., fol. 65r, 1537 Mai 15; über ein ähnliches Prozedere auch TLA, VfD 1570, fol. 495r, 1570 März 4. 825 Vgl. TLA, BT, Bd. 4, fol. 365v–366r. 824
VII. Schlussbetrachtungen In der Einleitung wurde der Anspruch der vorliegenden Arbeit formuliert, die legislative Tätigkeit eines spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Territoriums umfassend zu analysieren. Dabei war es aufgrund der günstigen Quellenüberlieferung möglich, die Beschränkung auf die Gesetzestexte zu sprengen und zahlreiche weitere Quellengattungen wie z. B. Landtagsakten, die behördeninterne Korrespon denz oder das bei Implementation von Gesetzen anfallende Schriftgut in die Untersuchung miteinzubeziehen. Es konnte so beispielsweise dargelegt werden, wie und unter welchen Voraussetzungen sich die landesfürstliche Kanzlei seit den siebziger Jahren des 15. Jahrhunderts verstärkt des schon seit langem bekannten Instrumentariums der Gesetzesurkunde bediente und wie sich die insgesamt 917 Gesetzgebungsakte des Untersuchungszeitraums zeitlich verteilen.1 Dabei zeigt sich, dass die legislative Produktion in der Gefürsteten Grafschaft Tirol im Vergleich zu anderen spätmittelalterlichen Territorien bis in die Regierungszeit Maximilians I. quantitativ durchaus beträchtliche Ausmaße annahm, was unter anderem auf die fortschrittliche, differenzierte Zentralbürokratie in Innsbruck sowie auf die intensive administrative Durchdringung der Peripherie zurückgeführt werden kann.2 Dass die Gesetzgebung im weiteren Verlauf des 16. und 17. Jahrhunderts trotz gewisser Schwankungen im Unterschied zu anderen Territorien nicht signifikant zunahm, ist maßgeblich mit der ungebrochenen legislativen Tätigkeit regionaler rechtsetzender Einheiten (Gerichte, Städte und Landgemeinden) zu erklären. Als überzeugendes Erklärungsmodell für die plötzliche Intensivierung der Gesetzgebung in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts konnte die schon von Thomas Simon lancierte Verdichtungstheorie ausgemacht werden, wonach zunehmend komplexere und damit störanfälligere soziale und wirtschaftliche Verflechtungen einen Steuerungsbedarf erzeugten, auf den obrigkeitlicherseits mittels Normenproduktion reagiert wurde.3 Dem Juristenstand hingegen konnte keine herausragende Rolle bei der Zunahme der Gesetzgebung unter (Erz)Herzog Sigmund zugeschrieben werden; vielmehr ist das vermehrte Auftreten gelehrter Juristen in diesem Zeitraum als eines von mehreren Elementen zu werten, die gemeinsam die infrakstrukturellen Voraussetzungen für das gesetzgeberische Tätigwerden in einem spätmittelalterlichen Territorium konstituierten.4 Inhaltlich sind die meisten landesfürstlichen Gesetze policeyrechtlichen Inhalts, wobei Einzelgesetzgebungsakte im Vergleich zu Sonderordnungen bzw. materiell 3 4 1 2
Vgl. Kap. III. Vgl. Kap. III.2. Vgl. Kap. III.1.1. Vgl. Kap. III.1.2.
824
VII. Schlussbemerkungen
übergreifenden Ordnungen bis in das 17. Jahrhundert zunehmend an Bedeutung gewinnen. Dieser Trend ist sicherlich auch mit einer gewissen Konsolidierung der Rechtslage nach Erlass der Tiroler Landesordnungen zu erklären.5 Ein besonders Augenmerk wurde neben der Ausarbeitung eines tragfähigen rechtshistorischen Gesetzesbegriffs vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Staatslehre6 vor allem der Diplomatik der Gesetzesurkunde geschenkt,7 wobei sich deutlich belegen lässt, dass die Wahl der äußeren Form keineswegs willkürlich erfolgte, sondern mit dem Inhalt sowie der einem Gesetzgebungsakt seitens des Legislators zugemessenen Bedeutung Hand in Hand ging. Das reichhaltige Quellenmaterial ermöglichte zudem Einsichten in den Gesetzgebungsprozess und ließ deutlich die vielfältigen daran beteiligten Personenkreise hervortreten.8 Es lassen sich breite Partizipationsmöglichkeiten ebenso erkennen wie die zahlreichen Informationskanäle, mittels derer die Innsbrucker Regierung einen normativen Regelungsbedarf feststellen konnte bzw. feststellen zu können glaubte. Einer der Schwerpunkte lag in diesem Zusammenhang auf dem Fragenkomplex der Einbindung und der Gestaltungsmöglichkeiten der Tiroler Landstände.9 Insgesamt zeigt sich hier, dass das Ausmaß ständischer Teilnahme und Teilhabe am Erlass landesfürstlicher Gesetze nicht primär rechtlich determiniert war, sondern sich als maßgeblich durch die einem Gesetz zugrunde liegenden Interessen bestimmt erweist.10 Dass sich die Interessen der jeweiligen Landesfürsten und der Tiroler Landschaft in weiten Bereichen stark überlappten oder sogar identisch waren, war der Einbindung der Stände in den legislativen Prozess günstig – wohingegen Interessendivergenzen oder -konflikte zuweilen zu einer bewussten Exklusion der Landstände durch den Landesfürsten führten, selbst wenn dieser im Gegenzug mit Nachteilen im Bereich der Steuerbewilligung rechnen musste. In einem eigenen Kapitel wurde die Entstehung der Tiroler Kodifikationen der Jahre 1499, 1526, 1532 und 1573 behandelt,11 womit ihrer herausragenden Bedeutung für die Tiroler Rechtsordnung, aber auch ihrer überregionalen Relevanz Rechnung getragen wurde. In diesem Zusammenhang erlaubten beispielsweise das Auffinden und erstmalige Auswerten des auf Juni 1525 zu datierenden Erstentwurfs der 1526 publizierten Tiroler Landesordnung vertiefte, weit über die bisherige Bauernkriegsforschung hinausgehende Einsichten,12 zumal die konsequente Berücksichtigung der bis dahin ergangenen Gesetze ein abschließendes Urteil darüber zu 7 8 9
Vgl. Kap. III.2.3. Vgl. Kap. II.2 und II.3.2. Vgl. Kap. II.3.3. Vgl. Kap. IV. Vgl. Kap. IV.5. 10 Vgl. Kap. IV.5.3.3. 11 Vgl. Kap. IV.7. 12 Vgl. Kap. IV.7.3. 5 6
VII. Schlussbemerkungen
825
lässt, welche Artikel der Landesordnung von 1526 tatsächlich einen Bruch mit dem bis dahin geltenden Recht bzw. mit der früheren legislativen Tätigkeit darstellen. Bei gesamthafter Betrachtung des Gesetzgebungsprozesses und seiner Entwicklung wird man freilich kaum von einer „absolutistischen“ Gesetzgebung sprechen können, zumal sich bis 1665 keine deutlichen Zäsuren bzw. fundamentalen Wandlungen beim Zustandekommen von landesfürstlichen Gesetzgebungsakten ausmachen lassen. Zudem waren der landesfürstlichen potestas legislatoria durchgehend gewisse Grenzen gesetzt,13 wobei weniger die „Rechte und Freiheiten“ der Tiroler Landschaft die Reichweite der Gesetzgebungsgewalt limitierten,14 sondern vielmehr durch sonstige Privilegien oder auch gewohnheitsrechtlich geschützte Rechtspositionen bestimmter Personenkreise eine Rolle spielten.15 In derartige Rechtspositionen konnte der Gesetzgeber nur unter bestimmten Voraussetzungen eingreifen, wobei dem Argument des „gemeinen Nutzens“, den es durch eine legislative Regelung zu realisieren gelte und der sich generell als eine der Leitkategorien der Gesetzgebung während des Untersuchungszeitraums erweist,16 als Legitimationsfigur eine herausragende Bedeutung zukam. Der lange Untersuchungszeitraum lässt zudem Entwicklungstendenzen besonders deutlich hervortreten. Man kann so nachvollziehen, wie sich allmählich und gleichsam experimentierend unterschiedliche Publikationstechniken entwickeln17 oder wie sich verschiedene Möglichkeiten für den territorialen Gesetzgeber herauskristallisieren, hierarchisch auf derselben Ebene angesiedelten Gesetzen unterschiedliche Bedeutung zuzuschreiben und dies den lokalen Obrigkeiten und den Normadressaten entsprechend zu kommunizieren.18 Ebenso wird die während des gesamten Betrachtungszeitraums ungebrochene Relevanz regionaler rechtssetzender Ebenen (Städte, Märkte, Land- und Gerichtsgemeinden) offensichtlich,19 ohne dass die Ingerenz der habsburgischen Landesfürsten bzw. der Innsbrucker Zentralbehör den massiv zugenommen hätte – zumal sich das Verhältnis der entsprechenden genossenschaftlichen Rechtssetzungsakte zur landesfürstlichen Gesetzgebung nicht stringent mit modernrechtlichen Kategorien wie Derogationszusammenhängen beschreiben lässt. Auch Ansätze zu einer konsequenten Rechtsvereinheitlichung wird man bis 1665 sowohl innerhalb der Grafschaft Tirol als auch innerhalb der ober österreichischen Ländergruppe vergeblich suchen;20 ungebrochen dominiert die Rechtsvielfalt, ohne dass sich der territoriale Gesetzgeber daran sichtbar gestoßen oder gar die Gesetzgebung zur Formierung eines „Gesamtstaats“ eingesetzt hätte. 15 16 17 18 19 20 13 14
Vgl. Kap. VI.1. Vgl. Kap. VI.1.2. Vgl. Kap. VI.1.3. Vgl. Kap. VI.2. Vgl. Kap. V. Vgl. Kap. VI.4. Vgl. Kap. VI.3. Vgl. Kap. VI.5.2 und VI.5.3.
826
VII. Schlussbemerkungen
Die Schlussbetrachtungen sollen sich jedoch nicht darin erschöpfen, repetitiv die soeben nur schlaglichtartig angedeuteten Erkenntnisse der Arbeit perlenkettenartig aneinander zu reihen und so dem Leser nochmals vor Augen zu führen. Vielmehr sei abschließend auch die Frage des „cui bono?“ aufgeworfen, die sich angesichts der rezent immer wieder hinterfragten Verankerung der Rechtsgeschichte an den rechtswissenschaftlichen Fakultäten des deutschen Sprachraums aufdrängen mag. Es wurde bereits aufgezeigt, dass die rechtshistorische Beschäftigung mit der Gesetzgebung aus wissenschaftsgeschichtlicher Geschichte durchaus nicht linear-kontinuierlich verlief, sondern sich stets dann besonderer Konjunktur erfreute, wenn sich der moderne Staat selbst mit neuen Herausforderungen bzw. mit tiefgreifenden Wandlungsprozessen konfrontiert sah – was nicht zuletzt das im letzten Jahrzehnt markant gestiegene Interesse an den Forschungen zur „guten Policey“ erklärt. Gegenwärtige, nicht nur gesamtgesellschaftlich, sondern auch von der Rechtswissenschaft als Brüche und partiell als Degradationen wahrgenommene Phänomene wie „Globalisierung“, „Privatisierung“, „Europäisierung“ – kurz gesagt der Eindruck einer allmählichen Desintegration des souveränen Nationalstaates – evozieren offensichtlich auch ein gewisses Bedürfnis nach einer historischen Orientierung und Verortung. Nichts liegt ferner, als von Spätmittelalter und Frühneuzeit direkte Kontinuitätslinien zu konstruieren, rechtsphilosophische Fragen der Wiederkehr von Rechtsfiguren bzw. Regelungsinstrumentarien o. Ä. zu entwickeln oder die Gegenwart des Rechts und der staatlichen Ordnung als zwangsläufige Derivation der Vergangenheit erscheinen zu lassen.21 Was aber bleibt, ist eine potentiell neue Sicht auf die gegenwärtige Rechtsordnung, die es – um die in anderem Zusammenhang geäußerten, aber sehr treffenden Worte Pio Caronis zu zitieren – ermöglichen kann, „die heutige pluralistische Komplexität der Rechtserfahrung nicht als unerwünschte Frucht einer perversen Entwicklung, sondern eher als moderne Verkörperung einer historisch leicht belegbaren Tendenz erscheinen“22 zu lassen. Die europäische Integration und die zunehmende Internationalisierung der (Privat)Rechtsordnung führen zum Verlust des zuvor selbstverständlichen Bezugs des Rechts zum Nationalstaat und zu dessen Souveränität. Fallweise finden sich dabei in entsprechenden rechtswissenschaftlichen Darstellungen dieser Transformationen durchaus Anklänge von Wehmut, womit gegenwärtige Wandlungsprozesse zumindest implizit eine historische Dimension erhalten und durch den Vergleich mit einer – vielleicht idealtypischen – Vergangenheit dramatisiert werden.23 So manifestiert sich ein erkennbares Bedauern, wenn beispielsweise der Präsident des österreichischen Verwaltungsgerichtshofes die „Herrschaft des Gesetzes“ u. a. durch Vorgänge der „Entstaatlichung“ und „Privatisierung“ und durch die daraus resultierende Zurückdrängung traditioneller öffentlich-rechtlicher Mechanismen der Kon Sehr anregend noch immer Mayer-Maly, Wiederkehr von Rechtsfiguren, 1971. Caroni, Einsamkeit, 2005, S. 114. 23 Vgl. hierzu auch die Ausführungen bei Vec, Recht und Normierung, 2006, S. 16–17. 21 22
VII. Schlussbemerkungen
827
fliktaustragung beeinträchtig sieht.24 Auch die von Theo Öhlinger als Konsequenz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts diagnostizierte „Abwertung des staatlichen Gesetzes“25 impliziert aufgrund der negativen Konnotation von „Abwertung“ einen Anflug bitteren Beigeschmacks.26 Der vergleichende Blick in die Vergangenheit vermag in diesem Zusammenhang die vermeintliche Singularität gegenwärtiger Transformationen zu relativieren, indem er vor Augen führt, dass frühere Juristengenerationen mit zumindest strukturell vergleichbaren Grundmustern konfrontiert waren und dass jene Ausprägung des „souveränen Nationalstaats“, wie er uns auf weiten Strecken des 19. und 20. Jahrhunderts in Europa entgegentritt, trotz aller Wirkmächtigkeit für die allgemeine Staatslehre und mittelbar in weiterer Folge für das idealtypische Bild, das sich Juristen vom „Staat“ mach(t)en, nicht notwendigerweise Vergleichs- und Bezugspunkt für die Bewertung gegenwärtiger Entwicklungen sein muss. Vergegenwärtigt man sich beispielsweise, mit wie vielen Rechtsordnungen sich die Regierung in Innsbruck als Höchstgericht der oberösterreichischen Ländergruppe konfrontiert sah – von der Tiroler Landesordnung über die bayerische Buchsage, die zahlreichen einzelnen Statuten an den Welschen Konfinen bis hin zum gemeinen Recht –, erscheint der heutige, aus dem komplexen Verhältnis des nationalen zum Europarecht resultierende Rechtspluralismus plötzlich nicht mehr als singuläre Erscheinung, sondern als eine früheren Jahrhunderten wohl vertraute Herausforderung juristischen Arbeitens. Und so wie die heutige Verwaltung neue Rahmenbedingungen und Handlungsformen des administrativen Handelns entwickelt – als Stichworte seien hier nur E-Government und New Public Management angeführt27 –, mussten auch das ausgehende Mittelalter und die Frühe Neuzeit allmählich Steuerungsmittel entwickeln und im administrativen Alltag mit Blick auf die vorhandenen Ressourcen optimieren. Manchmal sehen wir uns aber direkter als Erben einer Entwicklung, die während des Untersuchungszeitraumes einsetzte: In den letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts setzt – nicht nur in Tirol – ein sich in der Frühneuzeit nochmals
Jabloner, Gesetz als Problem, 2006, bes. S. 410–411. Öhlinger, Transformation der Verfassung, 2002. 26 Hiermit stehen die genannten Autoren freilich weder national noch international alleine da: Eine ähnliche Wertung lässt die von Louis Dubois mit Blick auf die französische Rechtsordnung getroffene Feststellung erkennen, dass das Gemeinschaftsrecht „den Ursprung des grundlegenden Niedergangs bildet, den die Souveränität des Gesetzes erlebt hat.“ (Dubois, Einfluss des Europarechts, 2001, S. 494); vgl. auch die Diagnose von Michael Stolleis, der „einen unüberhörbaren nostalgischen Ton“ in den Ausführungen von Josef Isensee über den Paradigmenwechsel weg vom „Staat“ hin zu „Verfassung“ und „Demokratie“ ausmacht (Stolleis, Was kommt nach dem souveränen Nationalstaat?, 2004, S. 24). 27 Vgl. für andere nur Holzinger/Oberndorfer/Raschauer, Verwaltungslehre, 22006; Wimmer, Verwaltungslehre, 22010. 24 25
828
VII. Schlussbemerkungen
akzelerierender Prozess einer Verrechtlichung ein.28 Es kommt (vor allem unter der ordnungspolitischen Leitvorstellung der „guten Policey“) zu einer massiven Ausgreifen gesetzlicher Regelungen in bisher rechtlich nicht normierte Lebensbereiche bzw. zu einer rechtlichen Verdichtung durch eine Steigerung der Regelungstiefe.29 Dieser Prozess ist, ohne simple Kontinuitätslinien konstruieren und teleologischen Erklärungsmodellen verfallen zu wollen, nicht abgeschlossen. Der spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Gesetzgeber musste auf beschleunigte soziale und wirtschaftliche Veränderungen reagieren, was vor allem durch legislatives Handeln und durch den Ausbau des administrativen Apparats zur Implementation der erlassenen Normen geschah. Insofern erscheint der Untersuchungszeitraum in der Tat als „Experimentierfeld der Moderne“. Ganz ähnliche Prozesse wurden von Miloš Vec für die Jahrzehnte vor dem Ersten Weltkrieg thematisiert,30 als die mit der Industriellen Revolution einhergehenden technischen Neuerungen entsprechenden Regelungsbedarf auslösten, der nicht durch den nationalen Gesetzgeber allein bewältigt wurde, sondern sowohl mit einem expandierenden Vertragsvölkerrecht als auch mit Selbstnormierung(sversuchen) der Industrie einherging. Ein vergleichbares Phänomen ist heute wieder zu beobachten, gilt es doch, den aus der Informationstechnologie und der zunehmenden transnationalen wirtschaftlichen Verflechtung resultierenden Transformationen einen rechtlichen Rahmen zu verleihen – was eine Vielzahl unterschiedlicher Rechtsgebiete sowohl des Öffentlichen als auch des Privatrechts berührt. Zu Recht hat Michael Stolleis jüngst hervorgehoben, dass aus der deskriptiven Schilderung eines vergangenen Seins, wie es Aufgabe der Rechtsgeschichte sei, keine Schlüsse auf ein gegenwärtiges oder gar zukünftiges Sollen möglich seien.31 Und dennoch ermöglicht die Kenntnis der Entstehung und Ausformung des Gesetzgebungsstaates eine andere Perspektive auf die Gegenwart. In diesem Sinne kann auch auf eine Feststellung des Appellationsrates Andreas Alois von Dipauli aus dem Jahr 1815 verstanden werden, die dieser im Kontext der Einführung des ABGB im nunmehr wieder habsburgischen Tirol mit Blick auf die bisherige Rechtslage traf: weil überhaupt jedem Justizmann daran gelegen seyn muß, die Verhältnisse des Landes in Bezug für gewesene Justizverfassung sich gegenwärtig zu halten.32
Vgl. zum Prozess der Verrechtlichung Teubner, Verrechtlichung, 1984; Voigt, Verrechtlichung, 1980; Werle, Aspekte der Verrechtlichung, 1982; Vec, Recht und Normierung, 2006, S. 15; Dipper, Stationen der Verrechtlichung, 2000, S. 13–14; zur „Verrechtlichung“ aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive im Sinner einer juristischen Kanalisierung von Konflikten zwischen Obrigkeit und Untertan vgl. z. B. Schulze, Bäuerlicher Widerstand, 1980, S. 76–85. 29 Vgl. für andere Simon, „Gute Policey“, 2004. 30 Vec, Recht und Normierung, 2006. 31 Stolleis, Was kommt nach dem souveränen Nationalstaat?, 2004, S. 26. 32 TLMF, FB 8705, fol. 150r–151r, Zitat fol. 151r, 1815 April 23. 28
VIII. Edition ausgewählter Quellen 1. Vorbemerkung und Editionsrichtlinien Der folgende Editionsteil ist bewusst kurz gehalten, um die vorliegende Arbeit nicht noch voluminöser zu gestalten. Aufgenommen wurden daher ausschließlich noch nicht anderweitig edierte Quellen. Zudem beschränkt sich die Edition weitgehend auf Quellen, denen eine besondere Aussagekraft zukommt, was die starke Fokussierung auf das 15. Jahrhundert zu erklären vermag. Nur vereinzelt wurden Quellen berücksichtigt, denen (auch oder vornehmlich) repräsentativer Charakter zukommt. Das Privileg für die Stadt Meran von 1416 wurde beispielsweise nicht wegen des Inhalts ediert, sondern soll die Technik der Rechtssetzung in der äußeren Form eines Privilegs illustrieren. Das Mandat von 1492 steht stellvertretend für eine Vielzahl von in Reaktion auf Landtagsbeschwerden erlassenen Gesetzgebungsakten und lässt exemplarisch den typischen Aufbau einer Gesetzesurkunde erkennen. Hinsichtlich der Editionsrichtlinien (die im Übrigen auch für die kursiv gesetzten Quellenzitate im Darstellungsteil gelten) ist die vorliegende Edition um eine möglichst buchstabengetreue Textwiedergabe bemüht, wobei folgende Grundsätze zur Anwendung kommen: Vokalismus. Der Vokalbestand wurde weitgehend unverändert übernommen. Diakritische Zeichen wurden nur beachtet, sofern ihnen ein Lautwert zuzusprechen war: Dient so der Akzent über u der Differenzierung von n, wurde er nicht wiedergegeben. Kennzeichnet er dagegen den Umlaut, so wurde in der Edition ü gesetzt. u und v sowie i und j wurden nach dem Lautwert gesetzt (und statt vnd, in statt jn), y für i wurde generell beibehalten. w für u wurde im Allgemeinen entsprechend der Vorlage gesetzt. Konsonantismus. Konsonantenhäufungen wurden nicht vereinfacht. Groß- und Kleinschreibung. Großschreibung wurde nur am Satzanfang, bei Eigennamen und topographischen Bezeichnungen sowie für Gott, bei Monatsnamen sowie bei Siglen für Titel und Anredeformen gesetzt.1 Auszeichnungsschriften. Auszeichnungsschriften werden in der Edition durch Sperrdruck kenntlich gemacht. Interpunktion. Die Anpassung der Zeichensetzung an die heutigen Interpunk tionsregeln bietet eine wesentliche Möglichkeit, frühneuzeitliche Texte leichter ver ständlich zu machen. Fehler. Offensichtliche Flüchtigkeitsfehler, die auf bloße Versehen des Schreibers zurückzuführen sind, wurden stillschweigend korrigiert. 1
Eine Ausnahme gilt für die (kursiv gesetzten) Quellenzitate im Darstellungsteil, die nach 1700 datieren. Den fachüblichen Gepflogenheiten folgend wurde in diesen Fällen die Großund Kleinschreibung den heutigen Regeln angeglichen.
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VIII. Edition ausgewählter Quellen
2. Texte 1. Herzog Friedrich IV. verfügt, dass aufgrund der Beschwerden über den anhaltenden Getreidefürkauf in Zukunft der gesamte Kornhandel im Vinschgau unter Ausschaltung anderer Zwischenhändler über die Stadt Meran abzuwickeln ist. Meran, 1416 September 12 Überlieferung: Stadtarchiv Meran, Urkunde A/I/142. Beschreibung: Originalurkunde auf Pergament, Format 43 cm x 17,5 cm, Plica 5 cm, anhangendes Siegel des Ausstellers (leicht beschädigt); verso Notiz (15. Jh.) kornkauf 1416; No: 32 (Archivsignatur, ca. 17. Jh.). Wir Fridreich von Gots gnaden herczog ze Österreich, ze Steyr, ze Kernden und ze Krain, graf ze Tyrol etc. Tun kunt, daz uns gross swer klag von unsern arm leuten gemainlich in dem lande sind fürkomen, wie sy an den kornkauff gar vast beswert werden, dacz sy das von den, die das furkaufen, nicht mugen umb aynen geleichen kauf und phenning bestellen und kauffen, damit sy sich und ire kinder nicht erneren und auch unser und reicher und armer weingarten nicht gepawen mugen, und baten uns gar diemutiklich durch Gots und gemayns landes nucz willen, daz wir sy darinn als ayn landsfurst gnediklich bedenken und versorgen wolten. Also haben wir solh gross geprechen des landes angesehen, daz uns und unsern arm leuten die furbasser gewendet werden. Und haben hinfur ewiklich ayn solh ordnung gemacht und machen die wissentlich in kraft dicz briefs, dacz man alles korn aus allem Vinschgew und aus andern tellern und ab dem lande nu furbasser an Meran an offem placz ze vailem kauff furen sol, dasselb korn, wie das genant ist, daz sullen denen unser burger und stat an Meran in iren kasten ungeverlich kauffen, daz sullen sy edelen und unedelen, reichen und armen, wer des an sy begeret, herwider aus ze kauffen geben, und sullen von den, die das also von in kauffen, von ydem ster nicht mer ze gewin nemen denn aynen krewczer. Auch haben wir denselben unsern burgern und der stat an Meran empholhen, welih die wern, die ausserhalben korn kaufen oder das verfuren wolten, wa sy das begreiffen, daz sy das zu unsern handen nemen und uns das ze stund auf Tyrol oder in ayn ander unser nachstes slos anwurtten, und daz auch die stat an Meran vail prot in rechtem kauff selber, ob sy wellen, pachen mugen, doch daz reich noch arm davon nicht beswert werden. Und ob das von des korn und pachens wegen yndert ubervaren wurde, was dann peen darauf ist, die sol uns und der stat vorbehalten sein angeverde. Davon so emphelhen wir unsern lieben getrewen allen unseren haubtleuten, burggraven, phlegern, rittern und knechten, richtern, ambtleuten und allen andern unsern undertanen gegenwurtigen und kunftigen, daz sy die egenanten unser bur-
2. Texte
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ger an Meran bey der obgenannten unser emphelchnuss und unserm gescheft hant haben und schirmen und nicht gestatten, daz in dawider yemant kain irrung noch invell tu, noch des selber nicht entun, sonder wa sy ew furkauffer, die korn furkauffen, zaigen, dacz ir die an leib und gut zu unsern handen darumb swerlich straffet. Das maynen wir ernstlich bey unsern hulden und gnaden. Mit urkunt dicz briefs geben an Meran an samstag vor des heiligen krewcztag exaltationis nach Krists gepurde virczehenhundert jar, darnach in dem sechczehenden jare. 2. Beschlüsse des in Meran tagenden Landtags, schwerpunktmäßig die Gerichtskosten und Rechtspflege betreffend. Meran, 1444 Juni 15 Überlieferung: StAM, Hs. III/36, Landtagsprotokolle I, 1. Teil, fol. 5v–8r. Beschreibung: zeitgenössischer Kopialbucheintrag, Papier. Einleitende Datierung auf fol. 4r In die Vitii anno etc. 1444. Literatur: Kurze Erwähnungen bei Jäger, Landständische Verfassung, Bd. II/2, 1885, S. 37; Stolz, Geschichte der Verwaltung, 1998, S. 200, Anm. 479; Schennach, Gerichtskosten, 2002, S. 472; kurze Wiedergabe des Inhalts bei Jäger, Streit der Tiroler Landschaft, 1872, S. 162–163. [...]2 Item von der rattschetcze und vorsprechern wegen hat der rat bracht, das allen haubtleuten, purggraven, phlegern, richteren, sindici3, ambtleutten, purgermaistern, rätten, urtailsprechern, gesworn, rattmassigen, edlen, unedlen und mänikleichen, die zum rechten sprechen und ratten gepraucht werden und prauchsam sind, kainen rattschatcz, klein noch gross, wenig noch vil, an geltt oder an andern nemen sullen, hindan gesetczit, ob ir ainer oder mer ain beschaiden erung mitt ettwe beschähe, doch obir ain phunt perner nicht ungeverlich4, in iren aiden gegeben werd, das si das haltten und welhe, die oder der es überfüre und mitt bewartten sachen erfünde, daz durch solh nit daz recht krenchet wurd:5 Was haubtleut, purchkgrafen, phleger, ambtlewt, richter oder ir ve[r]besär6 wären, das die drey jar darumb irer ambt entsetczit süllen sein. Was ainer der andern obgeschriben weren, zu gleicher weise si auch drew jar nacheinander verschlagen und verborffen sullen sein, recht7, urtailsprechens und alles des, darinne sy vormals verpraucht sind zum rechten. 4 5 6 7 2 3
Bestimmungen bezüglich Auswahl und Zusammensetzung des Rats zu Meran auf fol. 4r–5r. sindici durch Marginalnotiz hinzugefügt. ungeverlich durch Marginalnotiz hinzugefügt. durch solh […] wurd durch Marginalnotiz hinzugefügt. oder ir ve[r]besär durch Marginalnotiz hinzugefügt. Danach durchgestrichen und.
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VIII. Edition ausgewählter Quellen
Item von der redner wegen, die sullend lon nehmen in yedem gericht, darunder sie sein8, als von alter gewonhait auf hat iii fl.; welhe redner gedingt oder verpraucht werdent in das nachst gericht, der soll haben von yedem tag und reden ain phund perner (darunter wol und daruber nicht)9; wer aber, das die verdingt werden über solch nachst gericht, das wer an das dritte, vierde oder funftte gerichtt oder ferrär (doch inner lants)10, das dann der redner von yedem tag und reden haben soll i lb. perner und nicht mer (doch darunter wol und daruber nicht)11; darczu sullend si auch mitt kost, zerung und pharden verphlegen und gehaltten werden ungever leichen; und wer es übervertt, das es sich mit bewartten sachen erfunde, der sol hinfur nicht mer reden umb lon (vorbehallt yedem gericht sein ehafft und gerechtichait, aber ausserhalben der obgenanten punct und artichklen).12 Es sol auch kain gesworner oder gesaczt vorsprecher kain procurey aufnemen noch furen, und kain edelman gegen ainen armen man desselben geleich pey der obgenanten pen.13 Item von des versigels wegen: Was gerichtsbriefe ausgiengen zu versigeln, davon man nicht nemen sol. Was aber ander (gedingurtail, sprüchbriefe oder von anderley händlen und leuffe) briefe ausgiengen zu versigeln, da sol man von ainem igleichen sigel nicht mer nehmen dan i phunt perner. Item was kuntschafften zu versigelen sein von aigen gerichtsleiten, davon sol man nichtcz nemen. Item was aber küntschafftt zu versigeln sein von frombden gerichtleuten, da14 sol man von ider kuntschafftt brieff nehmen i lb. perner, darober nicht und daruntter15 wol, treulich und ungevärlich zu halten an all aufsäcz und arglist. Dannn von den hoffgeding wegen16, dy da gedingt werden an Meran, sol man dem sigler i lb. perner, dem schreiber i lb. perner, den zwain redneren yedem i lb. perner geben, und mit der urtail schreiben, zerung, den sy machen, über drey lb. perner nicht, darunder wol.17 Das sol in auch in den ayd gegeben werden, wer das ubervertt, der ist vervallen als oben geschriben stet.
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darunder sy sein durch Marginalnotiz hinzugefügt. darunter wol und daruber nicht durch Marginalnotiz hinzugefügt. oder ferrär […] lants) durch Marginalnotiz hinzugefügt. (doch darunter wol und daruber nicht) durch Marginalnotiz hinzugefügt. Vorbehallt [...] articklen am Seitenende nachgetragen und durch Verweiszeichen im Fließtext plaziert. Es sol auch [...] pey der obgenanten pen auf fol. 6r am Seitenende nachgetragen, durch Pfeil entsprechend platziert. Durchgestrichen mag. Danach durchgestrichen nicht. Danach durchgestrichen so man dem schreiber 1 lb. perner. treulich und ungevärlich […] darunder wol am Ende des Absatzes nachträglich (von anderer Hand?) hinzugefügt.
2. Texte
833
Es sol auch kain gesworen oder gesaczt varsprech kain procurey aufnemen noch furen und kain edelman gegen ainan armen man, desselben geleich pey der obgenantten pen. Wer aber18 yemant under der saczung hie und der19 obschriben articl ain oder mer uberfur mit bebarten sachen, als vor stet, der sol darumb gestrafft werden nach des rats erkantnuz als ainer, der sein ayd nicht gehalten und sich darin vergessen hiet. Und welcher aygen geslos, gericht oder herschafft hat, desselben gleich mit der straff [entsetzt sein]20. Wär aber yemant, der ainen darumb beschw[ar] oder zig, daz er21 der obgeschriben articl ain [oder] mer überfaren hiet und zu im nicht bringen mächt mit redlicher weysung als zum rechten gehort, daz der darumb gestrafft wird an leib und gut nach des rats erkantnüzs22. Item so vermaint die lantschaft alles das gehaltten und volfürtt werden durch die haubtleut, phleger, ambleut, richter und von mäniklich der grafschafft Tyrol, was der gesworn rate schaffet, erfindet und gepietet, pei der erfindung am Meran beschehn. Item das der gesätcztte rat von der lantschafft sweren sol ir igleicher besunder ainen gestaltten ayd gen allen gotsheilige, also, das si unsers gnädigen h[er]rns her zcog Sigmunds und seiner lantschafft an seiner Gnaden statt in iren raetten nutcz und frummen in alle weg auf die verschreibung zu Hall beschehen und auf die erfindung an Meran gemacht getrewleich und ungevarleich furnemen, volfüren, auch ydermann geleich ze sein dem armen als dem reichen23 und darczu nicht nemen sullen weder miet noch gabe, auch darinne nicht fürsetzcen die vorcht, neid, hass, frewntschafft, veintschafft noch kainerlay sache, auch iren ratt versweigen pis in den tod getreuleichen und ungevarleich als sy darumb Got und der welt24 verantwortten wellen. Item wann ain verbesär ainem phleger oder richter den ayd geben wil, so sol man die gerichtsleuten zueinander pieten, damit si dyselben phleger oder richter sweren sehen.25 Item es ist auch erfunden worden, daz yets gericht pey seiner ehafft peleib und umb ein yetwedre sach gericht werd vor dem stab, dafur si gehört. Welcher tayl sich aber beswärt däucht, der mag dingen an Meran an den rat gegen hoff26 als von alter 20 21 22 18 19
25 23 24
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durchgestrichen ainer. danach durchgestrichen articl. Text bricht ab, hakenförmiges Verweiszeichen geht ins Leere. Er überschrieben. Am äußeren Rand rechts, leicht nach oben versetzt mit einem Hinweiszeichen mit unklarem Bezugspunkt oder (anschließend ungefähr vier unleserliche Buchstaben mit Kürzungszeichen) walten. dem armen als dem reichen durch Marginalnotiz hinzugefügt. und der welt durch Marginalnotiz hinzugefügt. Item wann ein [...] sweren sehen am Seitenende (von anderer Hand?) nachträglich hinzugefügt. gegen hoff überschrieben statt durchgestrichen an den rat und seinerseits anschließend durchgestrichen.
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VIII. Edition ausgewählter Quellen
herkomen ist. Was aber geding von dem haubtmann27 geschähe, dy mag man dingen in den ratt an Meran als in unsers genädigen herren herczog Sigmunds kamer. Desgeleichen mag man von dem hofgeding an Meran auch in den rat an Meran als in unsers gnädigen herren herczog Sigmunds kamer dingen. Item es sol kain her phleger noch richter nymant nötten noch dringen zu hindergengen oder zu pänn geben, nur allain waz sich durch ein recht erfunden und darumb ein unverzogen recht lassen gen, es wolt dann ainer mit willen mit herren phlegeren, richteren abkomen.28 Waz ein yeder phleger sweren sol:29 Item ir wert sweren ein gestaltten ayd gegen Got und allen heiligen, daz ir mit dem gesloss n. nymant anders gewertig und gehorsam seyt noch das abtrettet dann unserm gnädigen herrn herczog Sigmunden, wann der als ein freyer und unbekumerter furst und herr zu seinen landen und lauten kämpt und das an euch ervordert, es sey briefflich oder under augen, oder seiner lantschafft der grafschafft Tyrol an seiner Gnaden stat, oder, ob es notdurfft wurd, daz dy lantschafft daz benannt gsloss n. anstat unsers gnädigen herczog Sigmunds etc. ervordratt (es sey briefflich oder under augen), so sullt ir oder eur erben oder wer daz gslos n. von euren wegen inhatt in des obgenantten gsloss n. abtreten an als verzihen und furw[...]30 und der obgenantten lantschafft an stat unsers vorgenantten gnädigen herren herczog Sigmunds etc. inantwurtten an all einred, furzug, arglisst, püntt und articl, dy ir oder ymant von euren wegen erdenken möcht treulich und ungevärlich. 3a. Auf dem im Juni 1474 in Bozen abgehaltenen Landtag bringen die Tiroler Landstände Gravamina betreffend Viehhandel, Import ausländischer Weine, Getreide- und Holzhandel, gerichtliche Kommissionen und das Fehdewesen vor. (Bozen), 1474 Juni 20 Überlieferung: TLA, Sigmundiana V/6. Beschreibung: Papier, 2 Bl. Literatur: Zu dem im Juni 1474 abgehaltenen Landtag und zur damals vorgenommenen Ordnung vgl. die Literaturangaben unter 3c. Dass die zugrunde liegenden Gravamina überliefert sind, war der Forschung bislang unbekannt.
haubtmann überschrieben statt durchgestrichen hofrechten. Item es sol kain [...] abkomen am Seitenende (von anderer Hand?) nachträglich eingefügt. Davor durchgestrichen ein Absatz zur Regelung der Ratsstunden (von sechs bis zehn Uhr vormittags und von zwei bis fünf Uhr nachmittags; Strafdrohung von je einem Pfund Berner Pfennige pro versäumter Ratssitzung). 29 Davor durchgestrichen eine halbe, weitgehend unleserliche Zeile, eingeleitet mit Item von. 30 Es folgen ca. drei unleserliche Buchstaben. 27 28
2. Texte
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Item als unnser genediger herr herczog Sigmund, herczog ze Österreich etc. gemeiner lanndschafft die menngl und gepresten ir anligennd genediklich abzetun und zu wenden etc. und darauf solhe zu verkemmen seiner Gnaden rete und lanndlewten bevolhen31 firzunemen. [1.] Item am ersten furgenommen von des viechz wegen: daz alles viech, so in dem lannd gesumert wirdt, es sey dann lannd- oder frombd viech, aus dem lannd nicht getriben noch frombden verkaufft werden, allain auf den freyen merckhten; doch ausserhalb solher merkht mugen die lanndmeczger und yederman im lannd gesessen zu seiner notdurfft an furkauff auf den alben und allenthalben solh viech zu irer notdurfft wol kauffen ungeverlich. Waz aber viech in das lannd getriben und darinne nicht gesumert würde, mag ain yeder in oder ausser lanndes verkauffen und treiben, wa er wil, doch meut und zöll hierinn vorbehalten. Es sullen auch all geverlich furkauff verboten, waz dem lannd tewrung bringen mag bey verliesung der hab, und solhz allenthalben ausgeschriben und berüfft werden. Man sol auch mit dem von Brichsen und Görcz davon reden, damit solhz bey in auch32 furgenomen, bestellt und gehalten werde. [2.] Item von der frombden wein wegen, die in das lannd gefurt, damit die lanndt wein verlegt, dadurch sy in schäden geweist werden und doch die lanndsfreihaiten aigentlich innhalten und seczen, daz man dhainer frombder wein ausgenomen malfaczir, rayfel etc. in das lannd füern sol; ist furgenommen, daz solh frombd wein ausserhalb der obgenanten die für den Pewtenstain und durch Mullbacher Klausen gefürt hinfur herin ze fürn verboten, nachdem die lanndtwein dadurch verlegt, darmit seiner Gnaden lanndlewt in gross verderben und schaden gewist, auch desshalben seinen Gnaden an seiner Gnaden wein abgangk in seiner Gnaden ämbtern mag haben, alß dann des sein Gnad von denselben seiner Gnaden ambtlewten mag bericht werden. Dann von der Velteliner wein weg, die [mag]33 man uber Wurmser joch in das lannd füren, da das beschaidenlich beschicht, daz ainer die zu seiner selbz notdürfft kauffen tüt und also, wie vor herkommen ist, gefürt, daz dann solhz vergund werde. [3.] Dann von wegen der trienndtner und nonser34, soverr die mit seinen Gnaden mitleiden haben und das thun yecz und hinfür, so annder seiner Gnaden lannd lewt tun, daz sy dann ire wein, so in selbz wachßen oder verzinst, verkauffen und als annder wein gefürt werden, doch also, daz sy außerhalb irer wein dhain frembde wein füren, auch zu verkauffen in begen35, doch gemeiner lanndschafft hiemit in 33 34 35 31 32
Danach durchgestrichen hat. Danach durchgestrichen gehalden. mag wohl versehentlich ausgelassen. Danach durchgestrichen wein. Versehentlich für in begern (?).
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VIII. Edition ausgewählter Quellen
iren privilegien, rechten und herkommen unvergriffen. Ob aber die benanten von Triendt und Nonns solhz als annder lanndlewt nicht tun wolten in maß obbegriffen, daz in dann solh wein in das lannd ze füeren verboten, auch sein Gnad alsdann daran sey, damit die lanndschafft bey gemainer lanndsfreihait gehalten werde. Man sol auch allenthalben als bey dem slozz Stain, Nummy36, Toblin, Castelmeny, auf dem Nons und an anndern ennden und pessen bestellen und schaffen, aufsehen zu haben, damit und davor zu sein, daz solh wein in das lannd nicht gefürt werden, sondern solhe verboten bey der peen und hat vor nach lawt der egenanten lanndsfreihaiten darauf geseczt. Desgleichen so mugen annder unnßers genedigen herren lanndlewt ausserhalb und umb Triend als zw Bysein37, Persen38 und Vallzugan39 wonende zu irer notdurfft traid, wein und annders in seiner Gnaden gebieten, bestellen mit kauffen und verkauffen zu irer notdurfft in mass und die benanten von Triend tun und sich annder unnßers genedigen herren lanndtlewt sich geprauchen. Koren [4.] Dann von wegen des traids, daran yecz in ganzem lanndt grosser manngel, auch nachdem man sorgveltiger lewff warttend vormals furgenommen, als solh in den lanndsfreyhaiten aigentlich begriffen ist, also, daz neymand dhain korn aus disem lannd füren sol etc.: daz dann solher traid heraus zu verkauffen ernstlich verboten werde, aber bey der peen darauf geseczt; ob aber sach were, daz die von prelaten, adln, steten oder gerichten ubrig traid heten zu verkauffen und im lannd nicht verkauffen möchten, daz sy dann solh koren aus dem lannd wol verkauffen mugen, doch daz solhz mit seiner Gnaden oder seiner Gnaden hawptman wissen und willen und sust nicht beschehe. Holcz [5.] Item, nachdem grosser mangel und abganngk ist oder sein wirdet an holcz zum perkwerckh, pfannhaws, weinpaw und anndern sachen notdurfft ze haben, das dann durch holczprannd, auch aus dem lannd ze furen solh menngel bringen ist etc.; daz sein Gnad allenthalben mit aller seiner Gnaden pfleger und richter ernstlich gebiete in der verwesung, dann solh welde und holcz irgend sein und verprend oder hingefurt werden, damit solh40 merklich holczprandt abgetan, auch furer solhz aus seiner Gnaden lannde ze füren verboten werde, ausgenommen flozholcz; doch daz in solhem flozholcz beschaidenhait gehalten, damit das zu unfug und mangel disem lannd nicht gefürt werde. Darauf die pfleger und richter guten fleiz und aufsehen
38 39 40 36 37
Schloss Nomi. Beseno. Pergine. Valsugana. Danach durchgestrichen holcz.
2. Texte
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haben sullen, damit solh menngel verkommen und die ding ungeverlich gepraucht und gehalten werden. Commission [6.] Alßdann menig auf ir suplication commission erwerben, die den gerichten ir herkomen enczichen, desshalben auch die armen lewt in gros verderben und kostung geweist werden, solh commission vormals durch sein Gnad abgeschaffen sind und furgenomen, daz einer den anndern suchen und beklagen sol in dem gericht und vor richter, darinn sich die ansprach haltet, das dann die bemelt lanndsfreihait auch ausweisen tut. Wer aber sach, daz ain pfleger oder richter einem recht nicht wolt ergeen lassen oder geverlich verziehen thün, so mecht solhz über denselben richter oder pfleger beklagt und herumb solh commission widerumb abgenommen, auch mit seiner Gnaden canzley aigentlich geschaffen41, solhe nicht ausgeen lassen und das allenthalben in stet und gericht wie vor beschehen ausgeschriben wirdet. Absager [7.] Item von der droer und absager wegen, die dann meniger aus leichtvertigkh ait furnemmen tut etc., desshalben vormals geschefft allenthalben ausganngen sind, also daz man dem- oder denselben absager fleissigklich nachstellen und ain gericht dem anndern darin hilfflich sein, damit der oder die betreten und zu gerichtz hannden gebracht werden, alßdann die lanndsfreyhait solh auch ausweisent ist. Man sol auch solh droer und absager weder hawsen, hofen noch lifern oder furschieben, auch dhain pfleger oder richter gelaitt geben oder mit in an wissen und willen unnsers genedigen herren abkommen lassen. Wer aber solhe hawset oder hofet, daz der- oder dieselben in solher straff und peen, da dann die absager und droer inne sein. 3b. Landtagsabschied mit der abschließenden Bitte an Herzog Siegmund, die ständischen Gravamina zu erörtern und abzustellen. Innsbruck, 1474 Juni 24 Überlieferung: StAB, Hs. 2540 (Landtagslibelle 4), fol. 1r–2v, hier fol. 2v. Beschreibung: zeitgenössische Abschrift, Papier, 2 Bl. Literatur: Zu dem im Juni 1474 abgehaltenen Landtag und zur damals vorgenommenen Ordnung vgl. die Literaturangaben unter 3c. Dass der entsprechende Landtagsabschied erhalten ist, war der bisherigen Forschung unbekannt. [...]
Item nachdem sich sein Genad fur und furan begeben, genedigklichen gemainer lanndtschaft auf allen landtegen zugesagt hat, die gebrechen und mengl gemainer Danach durchgestrichen werden.
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VIII. Edition ausgewählter Quellen
landschaft anligende genedigklichen zu wenden, abzetun und verchamen, das sein Genad selbs oder durch seiner Genaden räte und ander von der landschaft darüber zu besiczn und solhen mengel zu wenden und zu verchamen, bestelle und ordene, damit die abgetan werden, auch die lantschaft in gutem willen behalten und solh hilf dester furderlicher eingepracht werde. Actum ze sunbennden zu Insprugk im LXXIIII jar. 3c. Herzog Siegmund erlässt in Reaktion auf die ständischen Gravamina eine Ordnung betreffend Viehhandel, Import ausländischer Weine, Getreide- und Holzhandel, gerichtliche Kommissionen, das Fehdewesen, die Inhaftierung ‚angesessener‘ Untertanen und die Aufnahme von Kundschaften. Innsbruck, 1474 Juni 29 (30) Überlieferung: A: StAM, Urkunde A/I/301; B: StAB, Hs. 2540 (Landtagslibelle 4), fol. 3v–5r; C: TLA, Hs. 195, fol. 19v–21r; D: TLA, Landschaftliches Archiv, Landschaftliche Landtagsakten, Fasz. 1, Nr. 4b. Beschreibung: A: zeitgenössische Abschrift, wohl Empfängerüberlieferung, Papier, 2 Bl.; fol. 2r am unteren Seitenrand rechts der Kanzleivermerk d[ominus] d[ux] per se ipsum in consilio; B: zeitgenössische Abschrift, Papier, Marginalnotizen aus dem 18. Jahrhundert mit schlagwortartiger Wiedergabe des Inhalts der einzelnen Bestimmungen; C: Abschrift um 1500, Papier; Überschrift: der lanndschafft beschwerung, darauf mein gnediger herr sy gefreyt hat; Marginalnotizen des 17. Jahrhunderts mit schlagwortartiger Wiedergabe des Inhalts der einzelnen Bestimmungen; D: Abschrift aus dem 18. Jahrhundert, einleitende Worte Nun folgen die landesfürstlichen Resolutiones auf die angebrachten Landesbeschwerden, und zwar erstlich wegen des Viches; als Marginalnotiz die Bezeichnung Sigmundeische Landsordnung. Trotz identischen Textbestands weicht die Datierung in den verschiedenen Überlieferungen voneinander ab: Die Überlieferungen A und C tragen das Datum „Pfinztag nach St. Peter- und Paulstag“, während B und D als Datum „St. Peter- und Paulstag“ anführen. Da speziell die zeitlich der Urkundenausfertigung am nächsten stehenden Überlieferungen A und B divergierende Datierungen aufweisen, ist eine endgültige Entscheidung hinsichtlich der Datierung nicht möglich. Literatur: Zum Landtag selbst und zur Ordnung ausführlich Köfler, Landtag, 1985, S. 397–398; Blickle, Landschaften im Alten Reich, 1973, S. 192–196; Jäger, Landständische Verfassung, Bd. II/2, 1885, S. 249–251; Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 137. Der von Blickle vermutete Verlust der Originalüberlieferung (vgl. Blickle, Landschaften im Alten Reich, 1973, S. 193, Anm. 203) trifft, wie schon Wallnöfer festgestellt hat, nicht zu.
2. Texte
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Wir Sigmund42 von Gotes genaden Herczog ze Ostereich, ze Steyr, ze Khernden und ze Krain, Grave ze Tirol etc. bekennen für unns, unnser erben und nachkomen, als unns dann unnser gemaine lanndtschaft unnser grafschafft Tirol von prelaten, adel, stetten und gerichten yeczs auff unnser ernstlich begern ain hilff benentlichen den zehennden pfenning dem anslag nach auff dem kayserlichem tag zu Regenspurg fürgenomen ze geben zugesagt, darauff wir unns auff ir anbringen gewilligt in ire mängel und gepresten, die inen zugevallen sind, genedigklich ze wennden und in ain pessern stand und ordnung ze bringen, nachdem wir aus dem und allem anndern ire lautre trew und gutwilligkeit, so sy zu unns als irm naturlichen herren und lanndsfürsten haben, erkennen, desshalben wir das ze tun das in unnserm fürstlichen gemüt mit genaden zu versehen fürgenomen haben, in sölh beswärnuss und unfug, so fur unns komen sind, zu wennden: [1.] Am ersten, das alles vich, so in disem unnserm lande der grafschafft Tirol gesümmert wirdet, es sy inlenndigs oder auslenndigs, daraus nicht getriben noch frömbden verkaufft sol werden, allain auff den freyen märgkten; doch ausserhalben sölher märgkt mügen die lanndtmeczger und yederman im lannd gesessen zu seiner notdurfft on fürkauff auff den alben und allenthalben sölch vich zu irer notdurfft wol kauffen ungevärlich; was aber vich in das lannd getriben und darinn nicht gesümmert würde, mag ain jeder inner oder ausser lannds verkauffen und treiben wa er wil, doch unnser und menigklich mewt und zöll hierinn vorbehalten. [2.] Es sol auch hinfür khain gevärlicher fürkauff beschehen, was disem unnserm gemainem lannde tewrung bringen mag bey verliesung der hab und gut, das wir auch bei sölher peen ze halten ernstlich gepieten. [3.] Item wir ordnen, seczen und gepieten auch43, daz kayn frömbder wein (ausgenomen mallvasier, rainfal oder passaner) ausserhalb des Pewtenstains in diczs unnser lannde gefürt sol werden. Ob aber yemandt für den Pewtenstain durch die clausen zu Mülbach annder wein füren würde, der sol unns allweg von ainem vass wein zwen rheinisch gulden zu zoll geben, doch sol der auffslag des mallvasiers, rainfals und passaner wie vor beleiben; auch so vergunnen wir, veltliner beschaidenlich zu füren und zu kauffen, sovil ainer des zu seiner notdurfft in sein haus kauffet. [4.] Dann von der Trienntner und Nonser wein wegen, soverr dieselben von Trienndt und Nons sölhs tun, das ander unnser lanndtleut44 tun, so mugen si ir wein, so in selbs wachsen, oder verczinnst werden, wol verkauffen und füren, doch daz sy ausserhalben derselben nit frömbde wein inlegen oder verkauffen; und solichs sol gemainer gemelten unnser lanndtschafft an iren privilegien, rechten und herkummen unvergriffen und an allen schaden sein; ob aber dy bemelten von Trienndt und ab dem Nons solhs nit tetten, sunder sich des widern und seczen würden, alsdann
B: Wir Sigmund Nachtrag des 17. Jahrhunderts, anschließender titulus maior fehlt. B, D: wellen statt gepieten auch. 44 B, D: lanndtleut fehlt. 42 43
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VIII. Edition ausgewählter Quellen
sol in45 verpoten sein, daz sy ir wein in diczs lannd nit verkauffen sullen oder die zu füren vergünnt werden, wann wir die bemelt unnser lanndtschafft bei irer gemainer lanndsfreyheit hallten wellen. Und bei den slössern Stain, Nümy, Toblin, Castel mani und auff dem Nons und an anndern ennden und pässen46 haben wir fürgesehen, damit an denselben enden kain frömbd wein herein in diczs lannd gefürt, sonnder also bestellt und geordnet, damit sölhs fürkumen werde. [5.] Es mügen auch all unnser lanndtlewt und unndertan ausserhalb und umb Triennd, als zu Pysein, Persen und in Valczugan wonend zu irer notdurfft trayd, wein, salczs und annders in allen unnseren gepieten bestellen mit47 kauffen und verkauffen zu irer notdurfft, als die von Trienndt tun und sich annder unnser landlewt geprauchen ongeverde. [6.] Dann von des traids wegen ordnen, seczen und wellen wir, daz kain traid aus disem unnserm lannde verkaufft oder gefürt werde, bei verlierung des getraids und der hab. Ob aber die von prelaten, adel, steten oder gerichten übrig getraid hetten zu verkauffen und im lannd nicht verkauffen möchten, dasselb mügen sy aus dem lannd wol verkauffen, doch daz sölhs mit unnserm oder unnsers haubtmans wissen und willen beschehe. [7.] Item wir wellen und maynen auch, daz hinfur dye wäld48 und holczs gehayet, die nit verprennt, geswenntet oder aus dem lannd verkauft werden, nachdem sölhs in künfftigen zeiten mercklichen abgang und mangel bringen möchte; doch vergönnen wir flossholczs nach zymlikeitt und beschaidenlich daraus ze füren. [8.] Item und als bisher vil sachen in klag- und supplicacionweis an unns bracht und darauff wir dann als genediger herr49 und lanndsfürst im allerpessten commission haben lassen aussgeen, und sy aber vermainen, in sölhs etwas beswärung bracht habe, ist unnser maynung, dacz ainer den andern suchen und beklagen sol inn dem gericht und richter, darinn sich die ansprach heltet und dy nicht in klagweise an uns bringe. Ob aber ainem oder mer geverlichen verczüg beschehen, durch unnser pfleger oder richter, der mag sölhs wol an unns gelangen lassen. [9.] Item und als yecz kurczlichen vil droer und absager aus leichtvertigen sachen aufferstannden sind, maynen und wellen wir ernstlichen, das all hawptlewt, ritter, knecht, pfleger, lanntrichter, richter und menigklichen, an wen sölhs gelangt, dem- oder denselben droeren oder absagern vleissigklichen nachstelle und ain gericht dem andern darzu hilflich sey, damit sölher droer und absager50 zu gerichts hannden bracht und darumb gestrafft werden. Dieselben droer und absager sol auch nyemant weder hausen noch hofen oder lyfern noch fürschieben. In sol auch dhayner unnser pfleger, lanntrichter oder richter dhain gelait geben noch mit im 47 48 49 50 45 46
A: im statt in. C: paser statt pässen. C: nit statt mit. A: wayd. A: herr statt davor durchgestrichen fürst. A: damit solhen droern und absagern.
2. Texte
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on unnser51 sunder wissen, willen und erlawbnuss abkümen lassen. Wer aber sölhe hawset oder hofet oder in aynich weg fürschübe, der wisse sich inn derselben droer oder absager straff und peen gevallen sein. [10.] Item wir ordnen und wellen auch, das hinfür kain gesessen man umb sachen, die nit maleficzs berüren, und dem rechten genugsam und gesessen sein, gevangen, sonder pürgschaft von den- oder demselben genomen sol werden; und ob yemant gegen uns versagt würde, wellen wir unns darin halden, wie das in irer vordern freihait begriffen ist, doch vorbehalden, welher ainen lewmat52 oder inczicht auff im hette. [11.] Item wir seczen auch, das hinfür alle kuntschafften vor den richtern, darunder sölh kuntschafftlewt gesessen sind, genomen und versigelt, darauff all richter vleissig auffsehen sullen haben, damit man nit gevärlikeit darinn brauche, doch ausgenomen dy, so umb kuntschaft ze geben angelangt werden und selbs sigl hetten, dy mügen nach sölher ermanung die kuntschaft vertigen, wie vor herkomen ist. Ob aber sölh kuntschaft, wie obgemelt ist, ausserhalben der geordenten richter gegeben würden, das alsdann die krafftlos und allenthalben lass und van sein sullen; auch die sölhs täten darumb gestrafft werden. Und ob hinfür icht zu unnser oder unnser bemelten lanndtschaft notdurft zu mynnren oder zu meren wäre, behalten wir unns bevor, alles getrewlich und angeverde. Mit urkund diczs briefs geben zu Jnnsprugk an pfinncztag nach53 sannt Peterund Paulstag54 nach Crists geburde tausentvierhundert und in dem vierundsybenczigisten jaren. 4. Auf einem wahrscheinlich 1476 abgehaltenen Landtag bringen die Städte und Gerichte an der Etsch Gravamina vor betreffend das Steuerwesen, das Jagdrecht, die Verleihung von Gemeindegrund, die Inhaftierung ‚angesessener’ Personen, die behaupteten Exemtionen wappenführender Männer, Zölle und den Import ausländischer Weine. (1476?) Überlieferung: TLA, LLTA, Fasz. 1, fol. 120r–120v. Beschreibung: Dem Landesfürsten ausgehändigtes Original mit als Marginalnotizen angebrachten Erledigungsvermerken der landesfürstlichen Kanzlei (die, falls vorhanden, in der Edition nachgestellt und durch einen Gedankenstrich abgesetzt werden); fol. 120v, links unten der Adressvermerk Dem Mäntlberger zu Ysprughk die von der Etsch; Papier, 1 Bl. Literatur: Inhaltswiedergabe bei Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 136–137; dort auch die Datierung auf das Jahr 1476, wenngleich die 53 54 51 52
A: unnser überschreibend nachgetragen. B: lewmand. B, D: pfinncztag nach fehlt. B, C, D: danach der heiligen zwelfboten.
842
VIII. Edition ausgewählter Quellen
Gravamina irrtümlich bei den Landtagsakten des Jahres 1490 eingereiht sind; kurze Erwähnung des jagdrechtlichen Inhalts bei Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“, 2007, S. 149. Vermerckht hernach die männgl der gemainen lanndtschafft, stet und gericht an der Etsch und im Inntal: [1.] Zum erstenn, das erlewtert werde, was soldhewser und fewrstet sind, damit stet und gericht die wissenn zu verstewren und an in und ainer herrschafft recht thun, und stet und gericht nicht also ersuecht werden, wie das jar beschehenn ist, das sich die einlöser nicht benüegen haben wellen lassen an den alten quittungen lawt derselbenn die stewren zu geben, sunnder zum mereren tail die stet und gericht müessen stewren oed hoffstat und soldhewser, die vor in die stewr nye komen noch verstewret sind. – Treulich und ungeferlich zu halden. [2.] Zum andern, das vormals dem gemainen man alle wild, pernn, gämss, hasen, rebhüener, haslhüener und fogel, auch zu fischen auff den gemainen wassern frey gewesen; das alles yetzund verbotenn und berueffung beschehenn und das sich nyemands der unnderstee zu fahenn; und ob ain eehaltenn oder knab dawider thue und befunnden werde, der herr sol darumb gestrafft werden, als het der herr das selbs getan; das solichs wider abgeschaffen und wider erlaubt werde, als von alter herkomen; aber rotwild, wildswenn, fashuener, da redt ain lanndtschafft nicht inn und last das ainer herrschafft verbotten wild sein. – Expeditum. [3.] Zum dritten, das man an etlichen ennden gemainden hingelassen und vergunnt; das solichs wider abgeschaffen und ainem yeglichen gericht sein gemain an holcz, waid und annderm gefreyt und gelassen werde als von alter herkomen sey. [4.] Zum vierdenn, das die gesessenn lewt durch pfleger und richter in gerichtenn allenthalben umb slecht sachenn angenomen und in fanckhnuss eingelegt werdenn, damit in zwangnuss beschicht, purgschafft zu thun und abzuchomen nach ains pflegers und richters gefallenn, das wider lanndsfreyhait ist, das dhain gesessner man umb dhain sachen nicht angenomen sol werdenn, dann umb sachen, die in maleficz berueren. Das solichs auch gewenndt und abgeschaffen und gehalten werde nach lanndsfreyhait. – Die phleger und ambtleut wissen sich darin wol zu halden. [5.] Zum fünfftenn, das die gericht beseczt werdenn mit etlichen pflegernn und richtern und verwesernn, dann der arm gemain man gedrunngen und beswärt wirdet in puessen, pännen und fallen wider alts herkomen, und dadurch dieselbenn auffnemen und der arm gemain man dadurch verderbt wirdet; das solichs auch verkomen werde. – Fiat55; einbinden, daz die phleger die unnderthanen mit [...]56 puzzen wider pilligkait und alter herkommen nit besweren.
Davor ca. drei unleserliche Worte (so mag etwa?). Danach zwei unleserliche Worte (die aufgrund des Kontextes naheliegenden fallen, penen lassen sich jedoch ausschließen).
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2. Texte
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[6.] Zum sechstenn, das die, so mit schilt und wappen versehenn sind, das sich dieselbenn weder zu recht, sprüch noch tägen als ain annder gemainer man brauchen wellenn lassen, sunnder darinn gefreyt sein wellen und darumb freysässen sein, und doch mit ainer gemainschafft aller gemainden an holcz, wunn und waid und annderm mitnyessen; das solichs auch verkomen werde. – Fiat; ausgenommen die, so geadlt werden. [7.] Zum sybennden, das an etlichen zöllen die lewt beswärt und ye zu zeyten new zöll auffgeslagenn, ye gemert und genomen werdenn wider alts herkomen; das solichs gewenndt und verschaffen werde zu hallten als von alter herkomen ist. – Man mag endrungen [!], wo das ist. [8.] Zum achtenn, das zu gueter zeit abgeschaffenn werde, das die frömbden wein vor sannd Georgenn-tag nicht in das lannd gelassen und deshalben gehaltenn werde als von alter herchomen ist laut lanndsfreyhait.57 – Expeditum. 5a. Die Tiroler Landschaft bringt auf dem im September 1478 in Bozen abgehaltenen Landtag eine Reihe von Gravamina vor und bittet um deren Behebung. (Bozen,) zwischen 1478 September 14 und Oktober 7 Überlieferung: TLA, LLTA, Fasz. 1, fol. 31r–36r. Beschreibung: Dem Landesfürsten übergebenes Original mit als Marginalnotizen angebrachten Erledigungsvermerken (die, falls vorhanden, in der Edition nachgestellt und durch einen Gedankenstrich abgesetzt werden), Papier, 6 Bl. Literatur: Eingehend zum Landtag des Jahres 1478 und den damals geäußerten Beschwerden Jäger, Landständische Verfassung, Bd. II/2, 1885, S. 261–268; bei Blickle, Landschaften, 1973, S. 193–196, werden die Gravamina irrtümlich auf 1474 datiert und mit der damals erlassenen Ordnung (vgl. Text 3c der vorliegenden Edition) in Zusammenhang gebracht; inhaltliche Wiedergabe der Beschwerden auch bei Köfler, Landtag, 1985, S. 401–402. [1.] Item am erstenn unnsern genädigen herrn von Osterreich zu bitten, das sein furstliche Genaden gemainer landschafft ain brieff geb (als dann sein Genad vormals auch gethan hat), das solh hilf, so sein Genaden yecz beschehenn soll unnd auf drey jar zugesagt ist worden, prelaten, adel und gemayner landschafft an irenn freihaitten, rechten und altem herkomen und ydem in seinem stand und wesenn unvergriffen und an schaden sey; und derselbig brief unentgolten aus der kanczlei yecz der lanndschafft geantwurt, damit yderman dester williger und das gelt dester furderlicher mug einbracht werden, als dann sein furstlich Genad zugesagt hat.
Danach folgt ein von anderer Hand durchgestrichener Satz Wo solich männgl nicht gewenndt werden, will ain lanndtschafft die stewr nicht geben.
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VIII. Edition ausgewählter Quellen
[2.] Item darnach das sein Genad aus versagen oder sunst kainen edlmann oder anderen, der dann wolgesessen, gnugsam zum rechten und nicht flüchtig sein, an recht und gnugsame verhörung nicht turnen noch vahenn lasse, sunder ob der ainer icht verhanndelt hiet durch seiner Gnadenn gleich beseczt recht gestrafft werde; das auch seiner Gnaden phleger und richter das nicht thunn, wann das auch der landschafft freyhait ynnhelt. Ob aber sich warlich erfunde, das das maleficz darinn er gefanngen wirt, nicht gefuert werdenn, sunder daselbs mit recht furgenomen und gestrafft werden. – Wie das von alter herkomen ist. [3.] Item als dann der gemain man hoch beswärt ist hervor mit dem rotwild und an der Etsch mit den wildswein, das sein Genad das gedencken welle und sy daran nach gestalt der sachen genädigklich fursehen und wenden welle. – Wie von alter herkomen ist; die schwein wil sein Gnad seine jeger jagen lassen. [4.] Item das unnser genädiger herr mit seiner Gnaden jagermaister unnd jägeren darob sein welle, das sy die prelatten und pharrer nicht als vast beswären und über acht tag auf kainem nicht ligen, sunderlich wann sy nicht jagen; ausgenomen etliche klöster, das sy gewondlich lenger zu ligen vielleicht geschaffen sind oder vonn alter herkomen, sunderlich bei denn armen pharreren kurtzer dann pei den reichen ligen und darinn erber aufsehen und underschaid haben. – Fiat nach glegenhait und wie von alter herkomen ist; welher beswerung hiet, mug sy anpringen. [5.] Item der gemain halben, das seiner Gnaden forstmaister, phleger und richter dieselben nicht verleyhe, wo das denn edlleutten, der herren gutter, auch den gemainen zu schaden käm irs gesuchs oder ander sachen halben noch darauf pawen lassen nach pillichen dingen. – Sol an seiner Genaden willen nicht mer beschehen. [6.] Item das sein Genad darob sey, damit nymant entseczt oder entwert werde an recht, auch darauff dhain geschäfft lass ausgeen, auch der perckrichter halben, das die ydenn lassen beleiben bei iren gütteren und altem herkomen und verrer geschefft sich darinn nit understeen. – Der erst artikl placet nach der landsfreyhait, welhe ab in vermainen beswert zu sein, die mugen das anpringen, wie sein Gnad solh anpringen hilden. [7.] Das die geding treffenlich mit den landleutten und anderen erlewttert und furgenomen werden, wann der landtschafft vil daran ligt. – Sein Genad hat sich pißher zimlichen gehalden, daz wil sein Genad hinfüro auch tun. [8.] Item desgleichen, das meins genädigen herren hoffgericht mit landlewtten und anderen wie oben begriffen stet beseczt werden. – Ut supra. [9.] Item auch die lehennrecht desgeleichen beseczt wer, damit mennigklich gleich und wol beseczt recht ergee. – Ut supra. [10.] Item das die gericht in den landgerichten furgenomen und beseczt werden, darinn ain ordnung gemacht, damit grosser kostung, als verr das gesein mag, verkumen werde, auch gesaczt redner und yn ir lon bestymbt und sunst nymant durch redner, procuratores, gerichtschreiber und sigler, auch richter beswert werde, auch das der reder halben ordnung beschech und die gerichtznoder nit procuratores sein und die lewt nit beswären.
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[11.] Item das sein Genad darob sey, das aus der canczley gerichtbrieff und ander gegeben werden, wie von alter das gehalten ist unnd nymant dardurch beswärt werde. [12.] Item das die diebstall gestrafft werden, wo gnugsam lewmant auf die lewt geet, wellen die richter nit darin thun, sunder sy haben klager und sparen darinn die kostung, auch die gutter, so verstolen werden, sich underwinden und nit widervolgen wellen lassen, wiewol der, dem das gestoln ist, dem richter das veranfengen58 und underwinden will; auch die gericht der kostung halbn dem, so gestolen wirt, zu swär sein, zu volfueren, das darinn auch ordnung furgenomen, das unrecht gestrafft, das gestolen gut dem werde, dem das gestolen ist, und davon dem richter ain gulden gevall, so man das bei dem dieb vyndet; und ob das gestolen gut verrer verkaufft oder verseczt59 von dem kauffer mit drey kreuczeren muge erlost werden, als von alter herkomen ist.60 [13.] Item der absager halben, ob das auch pas mocht versehen werden und dieselben absager sullen die haubtleut, phleger und richter nachstellen und ain gericht dem anderen zu hilff komen, damit die gestrafft werden; es sol auch die troer nymant hausen noch herbergen noch furschieben, und sol den kain phleger noch richter gelait geben an sunder61 vergünnen bei der straff desselben absager. [14.] Item die, so in denn gerichten manigermal fraveln, sich trosten, nit zu verliesen haben, das die dannach gestrafft werden, auch die muesgenger, die merklich zern, derhalben ordnung furgenomen würde. [15.] Item62 so sich irrung haltet zwischen ainem reichenn (er sey edl oder unedel) und ainem arm und darumb fur mein genädigisten herren oder ainem hauptman, phleger oder richter ervordert und der reich an leib und an gut gestrafft, wenn er unrecht gewint, sol desgeleichen der arm man auch gestrafft werden, ob er ain reichen furnäm unpillicher, damit das furbaser von ainem armen unpillichs furbringen vermitten werde; und ob der arme man das am gut nit het an dem leib darumb gestrafft werde, auch sein furstlich Genad mit phlegern und richteren darob sein, damit nymant mit peen und vällen unpillichen beswärt, sunder mit recht genomen werden und wie von alter herkomen ist. [16.] Item das nymant gelayt geben werde an seiner widersachers willen allain zum rechten, wie von alter herkomen ist. [17.] Item das sein Gnad der zoll halben, die auf widerruffen, auch ander seiner Gnaden zoll halben von seinen Gnaden gegeben seiner Gnaden landschafft genedigklich versehen welle. das veranfengen von derselben Hand zu einem späteren Zeitpunkt in ein Spatium in deutlich kleinerer Schrift nachgetragen. 59 oder verseczt von derselben Hand überschreibend ergänzt. 60 als von alter herkomen ist von derselben Hand nachgetragen. 61 Davor durchgestrichen unser. 62 Danach durchgestrichen am ersten. 58
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VIII. Edition ausgewählter Quellen
[18.] Item des newen zoll zu Rattenberg in herczog Ludwigs landt mag sein Gnad auch ansehen, auch des zolls zu Sigmundkron, das prelaten, adel und ander von dem, so sy in irer hewser kauffen und von iren zinsen haben, umb zoll angelangt und daselbs und an andern zolln wider alts herkomen beswärt werden. [19.] Item nachdem und sein Gnad vil dinstleut, so in den gerichten sindt, so mit der gemayn vor mitleiden gehabt haben, freyhet, dardurch manger gegen denselben dest herter zu recht komen mag und gemaynd enplost, darinn welle sein Gnad auch nach pillichen dingen sehen. [20.] Item der ledigen knecht halben, die ym lannd furkauff treibenn mit allerhand gewerb, wein, vich und anders, das das auch gewend werde. [21.] Item der kessler halben, die besunder freyhait von E. G. vermainen zu haben, dadurch die lewt beswärt werden und eur Genad an zollen auch grossen abganng [!]; auch nachdem und in den freyen jarmärckten ain tag oder zwen den gesten tuch waigeren und anderen zugeben wirdet; von gemains nutz wegen, das sy der fremden kesler halben nicht nachgeben wellen, dadurch der gemain man auch beswärt wirt; das auch die suntag und gepotten täg gefeyert werden. [22.] Item das die keslär ain furnemen und ainigkait under in selbs gemacht haben, das alt kupfer nur umb i gulden nemen und das new umb vi oder vii gulden geben, damit menigklich beswärt, auch unser genädiger [herr] in seinen zollen durch sy villeicht gevortailt wirdt, indem das sy sein Gnaden järlich63 ain zenten newes gearbaitz kupfer in sein kuchen geben und sovil altes da entgegen nemen und sovil kupfers des jars fueren, das seinen Gnaden vil mer nucz villeicht64 pracht; das solt auch furkomen werde. [23.] Item als dann die kaufflewt und geselschafft ausserhalb landes gesessen ir hantirung in disem lannd vast taglich halten und üben mit kauffen und verkauffen, auch knecht darauf halten auserhalb der freyen märckt, dadurch die lanndlewt, so sich auch damit geren aufenthielten, beswärt und von der hantirung lassen, auch die gest, so die märckt ersuchen und sich derhalten, die märckt dester mynder ersuechen und dardurch das lannd ersawgen, gross gut und gult davon ausserhalb haben und mit der landschafft wenig mitleiden haben, das darein auch gnedigklich gesehen und nach pillichen dingen gewendet werde. [24.] Item das sein Genad das pulver, damit man die wein behaltet, damit sy suess beleiben, das man nennet rogketa, verpiette vail zu haben und zu verkauffen und kauffen, allein den apoteckeren zu ercznei bei ainer peen, auch verliesung der hab, die damit gemacht werde, und ander gemacht, die nit naturlich und unzimlich sein. [25.] Item das sein Genad furnem ain ordnung, das die kinder nach irer elteren abgang mit gerhaben, inventarien auch raittung zu sein zeitten die hab und gut bei seinen zeitten unengolten der frawen an irem gut aufgemerck werde und di ding notturfftigcklichen furgesehen. järlich von derselben Hand überschreibend hinzugefügt. villeicht von derselben Hand überschreibend hinzugefügt.
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[26.] Item der kundtschafft halben, das die furgesehen werden, damit die nit so slechtlich genomen und manger unwissent verkundschafft wirt, ym sein trew und eer, leib und gut beruren und manger ainfaltiger man durch ain wort, so zu zeitten gevarlich oder ungeverlich mag geseczt werden, maint recht gesagt haben, auch manger dem lat zusprechen allain umb ain artikl und den anderen nit nemen will, der dem anderen taill dient; das man kain kuntschafft verhör, man lass dann den widersacher, so der bei land ist, darzu wissen und ob die darinn schrittig [!] wurden, mit urtaill zu entschaidenn fuderlich. [27.] Item der geding halben, so von Meran genn hof gedingt und wie das erlost widerumb an Meran yecz herschickt sein worden, darauf gros kostung an nutz get, wann doch die von Meran über ewer Gnaden als des obristen richters erleutrung nicht zu handelen haben, damit die in die gericht, davon si ausgeen, die dann die urtaill handhaben sullen, geschickt werden, vil kostung zu ersparen. [28.] Item so yn dem Ynntal ainer urtail gedingt wirdet und das geding beslossen und versigelt, so sol ainer das fueren in vierzehn tagen an Meran und herwider; und ist nit gewonhait yn dem Yntal, das der, so das gedingt fuert, dem, dawider er das furt, vor verkunde; er mag auch von stund an oder über 8 tag sich an Meran fugen. Solt dann der ander taill fur sich an Meran ligen, ging auch kostung und schaden darauf, so maynen villeicht die von Meran, das der, dawider gedingt ist, zu dem geding an Meran nit geladen und erst in dem gericht hervor der urtaill erlewtterung höret, nit hervor appelliren mug fur ewer Gnad, sunder da innen das gethan haben, darauf kostung und schaden get, das dem, der die urtail nit fueret, hervor zu appelliren nit beslossen werde und die sachen nach pillichem furgenomen; wann auch den von Meran nit vil daran leitt, ob der, so hervor ist, die urtailt vernimbt, der urtail dingt, damit nit notturfftig werd, sich hinein zu fuegen, wann nur gros kostung an nutz darauf geet. [29.] Item nachdem und vil todsleg in dem land geschehen, die ungericht und ungestrafft beleiben, etwen der swären kostung halben, so daruber geet, auch das zu zeitten der erslagen wirt nit frundt hat, die sich umb yn annemen, auch das offt kostung halben nit vermogen, auch ander sachenn halbn die ledig gelassen werden, das sein Gnad daran und darob sey, damit das gestrafft werde. [30.] Item das alle gemayne furkäuff, die geverlich sind, es sey an wein, koren und ander essender kostung, das ainen gemainen nucz des landes verhinderen und verderben mag, verpotten werd, dadurch gemaine landschafft nit in grosser verderben geweist werde. [31.] Item vonn wegen der wirdt, die im lanndt gross auffsleg tunn mit den malen, wein, futer und ander tewrung, damit dieselben solich mall, wein und futer, stalmiet umb ain geleichen pfennyng gebenn nach gelegenhait der sachen, und das uber solh artikel in yeder stat, gerichten und dorfferen durch die phleger und richter an denselben enden lewt darzu geordent werden, damit dem allenthalben trewlichen nachgangen und briefflich geschäfft von meinem genedigisten herren darumb ausgangen werde.
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VIII. Edition ausgewählter Quellen
[32.] Item es sol auch dhain fromder wein ausgenomen malmasier, rainfal, passaner ausserhalb des Pewttenstains in das land gefurt werden; ob aber dawider gethan wurd, der sol von ydem vass wein zwen reinisch gulden verfallen sein zu zoll geben werde, doch sol der anslag des malmasiers, rainfals, passaner wie vor beleiben. [33.] Item veldliner beschaidennlich zu aines yden haussnotturfft ze fueren. [34.] Item vonn des traids wegen, der sol kains aus dem lannd verkaufft noch gefuert werden; doch ob prelaten, adl oder stet oder gerichczlewt ubrig trayd hetten und das man ym land nit kauffen wolt, mochten sy es ausserhalb verkauffen und das fueren lassen mit wissen des hauptmans. [35.] Item von wegen der wäld und hölczer, das die nit geprenndt, geswendt oder aus dem land verkaufft, damit deshalben nit manngel werd, doch flosholcz zimlichen zu fueren. [36.] Item von wegen der commission und ander anbringen, sol ain yder den anderen umb seine sprüch vor seinem richter furnemen und daselbs recht ergeen65 als landsrecht ist, im geschehen dann geverlich verzüg, die mag er an sein Genad wol pringen. [37.] Item es wär auch notturfft, das sein furstlich Genad fierer liess slahen, damit der arm man, der ye umb ain kreuczer muess kauffn, das er umb mynder kauffen möcht. [38.] Item der petbrieff66 umb schuld, damit der nit mer ausgeben werde. [39.] Item das auch sein Gnad mennygklich well bei iren freyhaitten, auch briefen und altem herkomen beleiben lassen, die perckrichter auch mit67 vergunnen, mit pew und anderem darein nit greiffen, wie dann pillich ist. – Sein Genad wil sich gepurlichen halten, und ob yemand in ichte beschwert wurde, mag man an sein Genad gelangen lassen. [40.] Item nachdem und mannger gütter gar lanng bei achzig jarenn inngehabt und nit wais, das es lehen ist und alt brieff funden werden, das es lehen sull sein und derselb mit recht wirdt furgenomen, auch so lehen zu zeitten an eur Genad vallen, so hat ewr Genaden vatter loblicher gedechtnüß von genaden das geslächt dannoch mit ainem zimlichen abpruch widerumb darhinder komen lassen oder mit dem, so das gelihen ist, daran gewesen, damit dasselbig geslächt wie vor darhinder komen ist, auch zu zeitten den gelihen wirdet, die der lehen nit genoß sein, auch durch ringer lewt die lewt mit alten briefen umbtreiben und sy deshalben in schaden weysen und in grosse kostung komen und pracht werden, darinn well sein Genad die landschafft genädigklichen bedencken, auch der paurecht halben der lehen fursehen. – Sein Genad wil sich gepurlichen darinn halten.
Danach durchgestrichen lassen. pet- nachträglich von derselben Hand interlinear eingefügt. 67 mit wohl versehentlich statt korrekt nit. 65
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[41.] Item das auch kainer der erblichen gewer der lehenn an recht entwert werde. – Es beschicht. Dann kumen die erben und wellen abkumen, so wil sein Genad sich gnedigklichen darinn halten und in fur ander werden.68 [42.] Item wiewol sein Genad das holcz ze hayen sei, das doch sein Genad etlich staudach den gutteren gelegen, auch sunst ausserhalb der swarczwäld gestat zu brennen und zu reitten, wie vor von alter herkomen ist. – Sein Genad [...]69 das im pesten, nachdem fursorg ist, an holcz abgangs mechte werden. [43.] Das auch ain yglicher bei der wag und mass, so er einnymbt, dabei wider ausgebe und mennigklich rechte wag und mass gegeben werde. – Fiat, es sey gelihen oder ander. [44.] Item von des vichs wegen, so in dem lannd gesumert wirdt, es sey inwendigß oder auswendigs, sol kainem fromden verkaufft werden, sunder in den freyen marckten und die landmeczker zu irer notturfft; was aber vichs in das land getriben wirdet, mag ain yeder kauffen und treiben, wohin er will. – Doch sol das vor auch auf die markt getriben werden, er hab dann das nur ausserhalben bestelt.70 Darauff b i tt d i e g emayn lan d s cha f f t m i t d i emuti g er g ena d , da s s o l he mang el f ud erl i c h f ur g en omen un d g en e d i g kl i c h g e wen de t werde, a ls sein f ur stl i c h G ena d zug e s a g t hat . 71 5b. Erzherzog Siegmund erlässt in Reaktion auf die ständischen Gravamina eine Ordnung betreffend Prozessrecht, Gerichtskosten, Verleihung von Gemeindegrund, Holzexport, Handhabung der Strafgerichtsbarkeit, Bestellung von Vormündern für Waisen, Verbot des Fürkaufs und des Weinpanschens, Fisch-, Vieh- und Getreidehandel sowie Fehdewesen. Meran, 1478 Oktober 7 Überlieferung: TLA, LLTA, Fasz. 1, fol. 37r–39v. Beschreibung: Konzept mit zahlreichen Korrekturen, Papier, 3 Bl. Literatur: Neben der unter 5a genannten Literatur ist auf die Erwähnung der Ordnung bei Wallnöfer, Bauern in der Tiroler „Landschaft“, 1984, S. 137, hinzuweisen. Wir Sigmund etc. embieten unnsern getrewen lieben allen phlegeren, lanndrichteren und richtern, so mit disem brieve ermandt werden, unnser gnad und alles gut. 70 71 68 69
Lesung von abkumen und werden im Erledigungsvermerk unsicher. Unleserliches Wort mit drei bis vier Buchstaben. Lesung von nur im Erledigungsvermerk etwas unsicher. Zuvor durchgestrichen Darauf bitt die landschafft sein furstlich Genad [es folgen zwei getilgte unleserliche Worte] damit das alles ynhalt der briefe gehalten werde. Anschließender Erledigungsvermerk (ein Wort) unleserlich.
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VIII. Edition ausgewählter Quellen
Als wir vormals ettlicher mangl halben, die unns gemain unnser lanndschafft der grafschaft Tyrol anbracht, einen brief gegeben und deshalben bevelh habn lassen ausgeen, dem aber bißher nit ernnstlichen, als wir vernemen, nachganngen ist worden, und wir aber angerufft sein auf dem yecz gehalden lanndtag zu Boczen, darob zu sein, daz dieß volczogen und darein mitsambt andern ettlichen beswerungen gesehen werde. Wann wir aber genaygt sein, sy mit gnaden darinn furzusehen, demnach emphelhen wir ew: [1.] Am ersten, daz ir yederman, von wem ir angelangt werdet, furderlich recht, wie sich nach dem landsrechten unnser grafschaft Tyrol gepürt, ergeen lasset, auch darob seyet, damit demselben menigklich als sich gepürt gehorsam sey und nyemand den andern unpillichen umb für- oder außzüg suche; woo das aber geverlichen beschehe, den- oder dieselben wie pillich ist darumb straffet, damit die sachen, so ir ausrichten sullet, nit an uns in supplicationsweyse gelanngen, an allain, ob yemand beschech geverlich verczug von ew, darumb wolten wir ew auch ungestrafft nit lassen; darzu nyemand an recht entwern lasset, sunder yederman bey sei ner berübten gewer72 hannthabet. [2.] Auch den rednern ir lon nach laut der freyhaitten bestymbet und daran seyt, damit nyemand durch sy, desgleichen von notarien73, die sich kainerlay procurey annemen sullen, auch procuratoren, gerichtschreybern und siglern mit dem lon74 übernomen noch beswert werde, sunder in der volge75 nach laut der benanten freyhaiten76 wie sich gepürt. [3.] Ir sullet auch nyemand kain gemain verleyhen oder lassen noch des yemand zu tun gestatten an unnser sunder bevelh. [4.] Ir sullet auch schaffen die holczer und weld zu hayen und verpieten, daz das holcz77 nit aus dem lannd an unnser sunder bevelh78 verkaufft werde, ausgenommen flosholcz und was man zu unnserm perkhwerkh nit bedarff, dasselb ir zymlichen daraus furen und verkauffen muget79 lassen. [5.] Darnach von der kuntschafft wegen schaffet und darob seyet,80 so ainer kuntschaften ervordert, daz alweg die widerparthey darzu verkünnt werde, und sy 74 75 76 77 78 79 80 72
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Danach durchgestrichen beleyben lassen. notarien interlinear eingefügt statt durchgestrichen nodern. Danach durchgestrichen nit. Danach durchgestrichen [volge]n sol. Danach durchgestrichen als. holcz interlinear hinzugefügt. an unnser sunder bevelh durch Marginalnotiz hinzugefügt. muget statt durchgestrichen mugen. Nach darob seyet ist ein ganzer Absatz durchgestrichen und darunter in Konzeptschrift von derselben Hand die endgültige Fassung notiert. Die durchgestrichene Passage und somit die Erstversion lautet: [darob seyet,] was der ainer wider den andern vermaint zu suchen in sachen, sy undereinander berüerend, sullen albeg in gegenwurt eins yeden widerparthey vor ewr gehört, genomen; wes sy aber darinn schrittig würden, das sol mit urtayl erkant und entschaiden werden. Durch eine ihrerseits durchgestrichene Korrektur wurde die Formulierung sullen albeg in
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käm oder nit, mecht desterminder sol [!] dem begerenden seine kuntschafft gehört, doch daz die sag81 lauter, genczlich und ungetailt angeben und aufgeschriben werden, des82 ir auch ainen yeden ermanen und darauf zusprechen solt. [6.] Und83 als vil frevel und mutwil beschehen84 sullet ir85 nach gestalt einer yeden sachen straffen mit recht wie recht ist; welhe aber solhs an gut nit vermochten, die sullen nach gestalt86 yeder87 verhandlung am leib straffen [!]. [7.] Desgleichen88 ob sich hinfür irrung begeben würd zwischen ainem reichen und ainem armen, sol der arm, wann er das verschuldt, als ob der reich das verschuldt hette, gestrafft werden; woo er das aber am gut nicht vermochte, sol er nach gestalt der sachen am leib gestrafft werden.89 [8.] Ir sullet auch alle todsleg, durch wen oder wie die beschehen, es seyen frund verhannden oder nit, straffen und darumb recht wie sich gepürt ergeen lassen. [9.] Es sol auch ewr yeder die vell und peenn wie von alter herkumen und recht ist einziehen und darüber nyemand besweren. [10.] Ir sullet auch die kinder nach abgang90 ir elteren mit erbern gerhaben nach notdurfft versehen, auch inventari-zedln von wegen der verlassen hab und gut, so in zugehorn sol, machen und aigentlichen aufschreiben lassen, damit die gerhaben raittung davon wissen zu tun, doch den frawen an dem, so in pillichen zugehort, nach dem lanndsrechten unvergriffennlichen. [11.] Es sol auch ewr yeder in seiner verwesung ernnstlichen schaffen und verpieten bey verlierung der hab und guts, damit kain geverlich furkauff von niemand beschehe, es sey an wein, koren oder ander essennder speis. [12.] Darnach von der wein wegen sol ewr yeder in seiner verwesung ernstlich bey ainer peen (nemlich von der yren ein reinischen gulden und verlierung der
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gegenwurt eins yeden widerparthey ersetzt durch sullen albeg die widerparthey darzu ervordert werden, sy käm oder nit, kuntschaft [...]. doch daz die sag durch Marginalnotiz nachgetragen statt durchgestrichen und sein sag. des statt durchgestrichen darumb interlinear hinzugefügt. Die ursprüngliche Fassung wurde durchgestrichen, die endgültige Version darunter in Konzeptschrift von derselben Hand nachgetragen. Die durchgestrichene Erstversion lautet: Und als vil frevel beschehen und ettlich sich trosten, daz sy nit zu verliesen haben, deshalben sy dester freyer sein, dieselben zu begeen, sullet ir auch ungestrafft nit lassen, sunder nach gestalt ainer yeden sachen straffen, wie recht ist, also daz der- oder dieselben, so das an gut nit haben, tagwerkh tun an den ennden, da wir pawen und sich an der speis benüegen lassen. Danach durchgestrichen und irrung aufferstend. Danach durchgestrichen ungestrafft nit. Danach durchgestrichen einer. Danach durchgestrichen sachen. Desgleichen statt durchgestrichen Und. sol er nach gestalt der sachen am leib gestrafft werden durch Marginalnotiz hinzugefügt statt durchgestrichen man in nach gestalt der sachen yeder verhandlung darzu halten, daz er arbait an unnsern pewen wie oben gemeldet ist, damit er ungestrafft nit beleybe, dardurch unpillich umbfueren und anbringen verhüet und vermitten werde. Danach durchgestrichen mit tod.
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VIII. Edition ausgewählter Quellen
wein) verpieten und schaffen, daz nyemandt die wein mit rokheta noch anderm unzymlichen gemechten mache, auch yemand darzu orden, der die besicht, und, woo das also veracht und überfaren würde, alsdann die benant peen unableslichen zu unnsern hannden nemet. [13.] Desgleichen von der todten visch wegen als hering und annder sollen auch besicht und, woo die faul und nit gut gefunden91, verprenndt werden. [14.] Dazu schaffen und darob sein,92 das alles vich, so in disem unnserm lande der grafschaft Tyrol gesumert wirdet, es sey ynnlendigs oder auslendigs, daraus nicht getryben noch fromden verkaufft93 werde allain auf den freyen marckhten, doch ausserhalben solher märkht mügen die lanndmeczger und yederman im lannd gesezzen zu seiner notdurfft an furkauff auf den alben und allenthalben solh vich zu irer notdurfft wol kauffen ungeverlich; was aber vich in das land getriben und darinn nicht gesumert wurde, mag ein yeder ynner- oder auser landes kauffen oder94 verkauffen und treyben, woo er will, doch unnser und menigklichen meut und zoll hierinn vorbehalden. [15.] Dann von des trayds wegen sullet ir auch schaffen und darob sein95, das kain trayd aus dem bemelten unnserm lannde verkaufft oder gefurt werde bey verlierung des getraids und der hab; ob aber die von prelaten, adl, stetten oder gerichten übrig getraid hetten zu verkauffen und im lannd nit verkauffen möchten, dasselb mugen sy aus dem lannd wol verkauffen, doch daz solhs mit unnserm oder unnsers haubtmans wissen beschehe. [16.] Dann als wir vormals brief haben lassen ausgeen von wegen der absager, sullet ir auch, wann ir darumb angelanngt werdet, dem- oder denselben, so also abgesagt haben, nachstellen. Auch wellen wir96, daz ain gericht dem anderen hilfflichen und furderlichen sey, damit dieselben betretten, angenomen und wie sich gepürt gestrafft werden. Dieselben sol97 auch nyemand hausen, hofen, äczn oder trennkhen, auch98 ewr kainer kain glait geben oder in annder weg ainicherlay furschub tun bey swerer unnser straff und ungnad zu vermeyden. Und99 tut hierinn kein anders. Das ist unser will und ernstliche maynung. Geben an Meran mitwoch nach sand Michels tag anno domini etc. LXXVIIIo.
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98 99 96 97
gefunden durch Marginalvermerk hinzugefügt. Dazu schaffen und darob sein durch Marginalnotiz hinzugefügt statt durchgestrichen Auch. Danach durchgestrichen sol. kauffen oder interlinear hinzugefügt statt durchgestrichen wol. sullet ir auch schaffen und darob sein interlinear hinzugefügt statt durchgestrichen orden, seczen und wellen wir. wellen wir durch Marginalnotiz hinzugefügt statt durchgestrichen schaffen. Danach durchgestrichen sol man. Danach durchgestrichen sol. Davor durchgestrichen Und ir tut.
2. Texte
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6. Das ständische Regiment erstellt eine Übersicht über zu erlassende Gesetze und umreißt deren wesentlichen Inhalt. (1488) Überlieferung: TLA, Hs. 113, fol. 211r–215r. Beschreibung: Kopialbucheintrag, Konzept mit einigen Verbesserungen, Papier. Nota was zu vertigen ist und anders: [1.] Von der absager wegen gemain geschefft ausgen zu lassen auf all haubtleut etc., daz sy in irn verwesungen offenlich beruffen lassen, wo oder in welches verwesung einer betretten wirdet, den anzunemmen, desgleichen all die, so in furschub tun und zu recht aufhalten, darnach meniklich furderlichs recht zu in gestaten. Es sol auch kein gericht die, so abgesagt ist, dringen sich zu vertragen, dieweil einer sich zu er und recht erbeutet. Wo aber ainer so arm wer und der absager nicht benügen daran möcht haben, so er dann trostung tut, also was er im mit recht ze tun werde, damit er des habend sey, so sol keiner daruber weiter ersucht werden, sunder in ein gancz gericht dabey handthaben, reten und schirmen als wer es ir aigen sach. Es sol sich keiner mit keinem absager oder mutwiller versunen an der herrschaft willen und wissen, alles bey vorchtlichen penen (gleich den absagern ist der pen)100. [2.] Von der todsleger wegen: den mit vleyss nachzustellen und von gericht in gericht nachschreiben, also das sy nindert kain furschub oder sichrung ausserhalben der rechten101 sullen haben. Und wo die im land betretten werden, die aufzuhalten und menigklich, so das begert, furderlich recht zu in ergeen lassen. Wo aber nye mand nachvolget, in von stund an auf sein aygen gut zu rechtvertigen; ob er aber sovil nit het, das von gerichts wegen tun. Wo aber einem nit zukert mag werden, in von stund an auf anruffen der fruntschaft, wo die anders vorhanden wer und solhs vermocht, oder auf sein aygen gut, wo sovil vorhanden wer; wo aber nit sovil da wer von gerichts wegen in die acht zu berechten. Es sol auch kein todsleger in jarsfrist begnadt oder glait geben werden allein zu recht.102 [3.] Man sol auch hinfur, so man einen in die acht berechten wil, vor drey tag nacheinander dem totsleger offelich [!] ruffen als sust gewonhait ist und am dritten tag under einst endtlich ergen lassen, was recht ist. [4.] Item ein geschefft auf all phleger, ir richter dermassen zu besölden, damit sy ir ambt verwesen mugen, wann in sein Gnad furan fur malefici-recht [!] zu besiczen nicht mer geben will. Desgleichen allen seiner Gnaden richter zu schreiben, daz in sein Gnad fur solh recht zu beseczen nit mer tun wil.
gleich den absagern ist der pen zeitgenössische Ergänzung von anderer Hand. Danach durchgestrichen freyungen. 102 allein zu recht nachträgliche Ergänzung von derselben Schreiberhand.
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VIII. Edition ausgewählter Quellen
[5.] Phleger und richter sullen auch bey den rednern darob sein, damit nyemand durch sy beswert oder ubernommen werd. [6.] Item auch ein gemain geschefft, nachdem die malefici-recht schlechtlich beseczt, deshalben vil unformlicher urtail ein zeit her ausgangen sein, dadurch menig gross übeltat ungestrafft ist beliben, und das sy hinfür bas vleyss und aufsechen haben, damit gestraks nach dem rechten nach gestalt einer yeden103 übeltat gericht und pöss leut gestrafft und nicht so liederlich fürgeschoben werden. Item in die geschefft zu seczen, daz ein yeder phleger oder richter des dem boten urchund geb, daz im solhs geschefft geantwurt sein.104 [7.] Ettlich ratsleg sten auf den supplicacion.105 [8.] In die gemain geschefft zu seczen und auch zu verbieten die grossen hochczeiten, also daz ein burger hinfür zu nacht 2 und ze morgens 4 tisch, hantwercher und pawren ze nacht 1 und ze morgen 2 tisch, arm gesellen ze abends ½ und ze morgens ein tisch haben sullen. [9.] Desgleichen kindelmal sol nit mer dann zu einen tisch ungeverlich geladen werden. [10.] Desgleichen zu jartagen sol nyemand geladen werden dann die nagsten frund in derselben pharr. [11.] Item all kirchtag zu verbieten, also daz nyemand mit keiner besammung oder weer darauf gen sol noch tanczen, spilen oder anders anfachen, daraus aufrur entsten mag bey sweren pennen.106 Noteln umb solhs alles zu stellen und im rat hören ze lassen. [...]107 Vom fürkauf ist geredt, aber nichts entlich beslozzen.
[...]108
7. König Maximilian I. erlässt aufgrund von ständischen Gravamina ein Gesetz betreffend Redner und Gerichtskosten, Fürkauf, Jagd und Fischerei, das Pfändungsverfahren sowie die Heranziehung von wappenführenden Personen und landesfürstlichen Dienern zu Gerichtsämtern. Innsbruck, 1492 August 18 Irrtümlich yden. Item in die geschefft zu seczen [...] geantwurt sein nachträgliche Ergänzung von derselben Schreiberhand. 105 Ettlich ratsleg sten auf den supplicacion nachträgliche Ergänzung von derselben Schreiberhand. 106 Marginalvermerk Expeditum. 107 Es folgen Bemerkungen betreffend die vorzunehmende Urgenz beim Kaiser, er möge Herzog Georg von Bayern wegen der Herausgabe von (nicht spezifizierten) Urkunden ermahnen; ferner hinsichtlich der Bestellung eines Bergmeisters und Zeugmeisters. 108 Erwähnung fünf weiterer politischer oder administrativer Agenden, neben zweien der Marginalvermerk expeditum. 103 104
2. Texte
855
Überlieferung: TLA, Kopialbuch Ältere Reihe, Nr. 15, Lit. O, fol. 74r–75r. Beschreibung: Kopialbucheintrag, Papier. Mandat der R e cht un d R e d n er ha l b en Embieten den edlen unnsern lieben und getreuen allen haubtleuten, graven, freyen herrn, rittern, knechten, burggrafen, phlegern, lanndtrichtern und richtern, so mit disem unnserm brief ermandt werden, unnser gnad und alles gut. Als auf negstgehalden lanndtag zu Sterczing durch ew und annder unnser unnderthanen allerlay beswerd anbracht und fürgewendt sein, und nemlichen der recht und redner halben, daz die mit grossen kosten gehalden und belont werden, der fürkewff, phanndt und anndern, und wiewol vor deshalben bey regierung des hochgeborn Sigmunden erczherzogen zu Österreich etc., unnsers lieben vettern und fürsten, genugsam entschayd und bevelch ausganngen sein, so wirdet doch denselben durch ewr als ambtleut nachlässigkait und unfleyss nicht nachgeganngen, das wir unns zu seiner zeit, nachdem wir dich dieselben bevelch all und yede in sunnders zu halden ernstlichen ausgeschribn und bevolchen haben, zu straffen gegen ew vorbehalden. [1.] Emphelhen wir ew allen und ewr yedem in sonnders ernstlich gepietend und wellen, daz ewer yeder in den gerichten seiner verwesung ettlich gesworn redner verordne, die alczeit zu dem rechten zu reden berait und geschickht seyen, in einem zymlichen lon. Wo aber yemand redner ausser gerichts, darinn er ze schaffen hiet, prauchen wolt, daz derselben ainem ein tag über die zerung nicht mer für sein lon dann zway phund perner gegeben, und welher tail verlustig und im die schäden zu beczalen zuerkannt wurden, so sol doch derselb nicht mer dann wie von alter heer die schäden beczalen; auch in alweg darein sehet, damit die gericht mit dem myndisten kosten gehalden und der unvermügend armut halben nicht rechtsloss gelassen werd. [2.] Dann der fürkeüff halben, die auch noch ernstlichen bey hohen pännen und puessen verpieten und das alles offenlichen berueffen lasset. [3.] Und des waydwerchs, auch vischens halben (ausgenommen in den nachsten gerichten umb Ynsprugk, da wir umb vischen und jagen für unns selbs, so wir da sein, und sunst stätes für den hochgeborenen Sigmunden erczherzogen zu Osterreich etc., unnsern lieben vettern und fürsten, und seiner lieb gemahel hofs-notdurfft und lust vorbehalden) menigclichen beleiben lasset und haldet laut irer freyhaiten und gnaden, so sy von unns und unnsern vordern, wie sy dann das dem also nach löblich hergepracht und genossen haben, doch allain auf unnser widerrueffen und unns in all weg an unnser obrikait [sic!] und gerechtikait unvergriffenlich. [3.] Als der phannd halben zu zeiten irrung ist, wo die gerechtvertigt werden, die sollen in den gerichten, da die sein, berecht und angefochten; [4.] Und ewr yeder unnser leut in seiner verwesung mit vänncknus, vällen, pannen und puessen nicht beswern, sonnder die halden und beleiben lassen wie von alter herkomen und pillich ist, doch daz unns an unnser obrikait unnd herrlikait nicht enczogen wird.
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VIII. Edition ausgewählter Quellen
[5.] Und daz die, so mit schildt-, helm- oder dienstbriefen versehen, dem rechten als annder gehorsam sein, ausgenommen109, die wern insonnders laut irer brief dafür gefreyt und geadelt. Und welhe dise unnsre bevelch ains oder mer überfarn und sich warlich erfynden wurden, den- oder dieselben darumb, wie sie gepürt, straffet. Und sey hierinn nicht nachlässig, damit ir unns nicht ursacht, ew umb sölh und die vordern verachtung fürzunemmen und gegen ew zu hanndlen als die notdurfft eraischet und ander beyspil davon nemen. Das ist ganncz unnser will und ernstlich maynung. Datum Jnsprugg an sambstag nach unnser lieben Frawen tag assumptionis anno ut supra [1492].
In der Vorlage wohl fälschlich ausganngen.
109
Abkür zungsver zeichnis ABGB Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch AStBz Archivio di Stato di Bolzano/Staatsarchiv Bozen AStTn Archivio di Stato di Trento AfD An die Fürstliche Durchlaucht AkgM An die Königliche Majestät AkM An die Kaiserliche Majestät AÖG Archiv für österreichische Geschichte ÄR Ältere Reihe AS Aktenserie Bd. Band BHStA Bayerisches Hauptstaatsarchiv (München) BT Buch Tirol B-VG Bundes-Verfassungsgesetz CD Causa Domini Cod. Codex Dip. Dipauliana DRW Deutsches Rechtswörterbuch. Wörterbuch der älteren deutschen Rechts sprache. Weimar u. a. 1914 ff. E. L. ehrsame Landschaft (in Quellenzitaten) E. T. L. ehrsame tirolische Landschaft (in Quellenzitaten) EuB Entbieten und Befehl FB Ferdinandeumsbibliothek F. D. Fürstliche Durchlaucht (in Quellenzitaten) F. G. Fürstliche Gnaden (in Quellenzitaten) fl. Gulden GaH Gutachten an Hof GM Gemeine Missiven GR Geheimer Rat GvH Geschäft von Hof HHStA Haus-, Hof- und Staatsarchiv (Wien) HRG Erler, Adalbert/Kaufmann, Ekkehard (Hg.): Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. 5 Bde. Berlin 1971–1998 HRG2 Cordes, Albrecht/Lück, Heiner/Werkmüller, Dieter (Hg.): Handwörter buch zur deutschen Rechtsgeschichte. Begründet von Adalbert Erler u. a. 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Berlin 22004 ff. Hs. Handschrift JBl Juristische Blätter kr. Kreuzer Kün. Mt. Künigliche Majestät (in Quellenzitaten)
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Abkürzungsverzeichnis
LGBl. Landesgesetzblatt LLTA Landesfürstliche Landtagsakten MGH Monumenta Germaniae Historica MIÖG Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung Pos. Position RGBl. Reichsgesetzblatt Rz Randzahl SA Sammelakten SL Selekt Leopoldinum SLA Südtiroler Landesarchiv SP Sonderposition(en) StAB Stadtarchiv Bozen StAH Stadtarchiv Hall i. T. StAI Stadtarchiv Innsbruck StAM Stadtarchiv Meran StGB Strafgesetzbuch TLA Tiroler Landesarchiv TLMF Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum TLO Tiroler Landesordnung TPO Tiroler Policeyordnung UR Urkundenreihe VdL Verhandlungen der Landschaft VfD Von der Fürstlichen Durchlaucht VfGH Verfassungsgerichtshof VkgM Von der Königlichen Majestät VkM Von der Kaiserlichen Majestät W. Winkler-Bibliothek ZHF Zeitschrift für Historische Forschung ZNR Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte ZRG Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte
Ungedruckte Quellen 1. Österreichisches Staatsarchiv, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Wien Maximiliana Ib Handschrift 391 2. Bayerisches Hauptstaatsarchiv, München Abt. II, Ministerium des Äußeren, Pos. 6981 3. Tiroler Landesarchiv, Innsbruck Hofrat/Geheimer Rat (ehemalige Hofregistratur) Akten – Sonderbestände Maximiliana Ferdinandea Leopoldina Selekt Leopoldinum Sammelakten Ambraser Memorabilien Pestarchiv Kopialbücher der oberösterreichischen Regierung Kopialbücher Ältere Reihe An die Fürstliche Durchlaucht (An die Königliche/Kaiserliche Majestät) Von der Fürstlichen Durchlaucht (Von der Königlichen/Kaiserlichen Majestät) Causa Domini Buch Tirol Prozessbücher Parteibücher Konfirmationsbücher Kopialbücher der oberösterreichischen Kammer Gutachten an Hof Geschäft von Hof Raitbücher (Auswahl) Gemeine Missiven (Auswahl) Entbieten und Befehl Bekennen Handschriften Urkundenreihe I und II / Parteibriefe Landesfürstliche Landtagsakten Obristjägermeisteramt Buch Jägerei
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Ungedruckte Quellen
Landschaftliches Archiv Verhandlungen der Landschaft (Landständische) Landtagsakten Handschriften Urkunden Verfachbücher (der Gerichte Kitzbühel, Kufstein, Rattenberg sowie Sonnenburg) Gerichtsakten Laudeck 4. Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck Ferdinandeumsbibliothek Winkler-Bibliothek Dipauliana 5. Archivio di Stato di Bolzano, Bozen Hochstiftsarchiv Brixen, Lade LXXXVII, Nr. 1–13 Codices 6. Südtiroler Landesarchiv, Bozen Akten des landeshauptmannschaftlichen Gerichts Bozen Akten der landeshauptmannschaftlichen Kommissionsschreiberei Meran 7. Archivio di Stato di Trento, Trento Principato vescovile di Trento Libri copiali, gruppo 1, vol. 1–2 Atti Tridentini, serie 1, busta 2, fasc. 14 (ordinanze di polizia) 8. Stadtarchiv Bozen Landtagslibelle Instruktionen und Ordnungen Archivkiste 219 (Feuerordnungen, Bau-, Wald-, Wassereinbruchs-, Empörungs-, Bettler- und Saltnerordnungen) 9. Stadtarchiv Hall i. T. Stadtschreiberratsmemorial 1557 Raitbuch, Bd. 6 (1474–1480) 10. Stadtarchiv Innsbruck Ratsprotokolle 1527–1541, 1570–1577 11. Stadtarchiv Meran Urkunden Handschriften
Ungedruckte Quellen
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Stadtverwaltung Nr. 31, 45, 219, 221, 227, 294 Gemeindearchiv Obermais, Gemeindeordnungen 1540–1685 12. Biblioteca comunale di Trento/Archivio storico, Trento Archivio consolare, libri actorum 1518–1526, 1529 (Cod. 3867–3688, 3870) Cod. 2150 13. Stadtarchiv Imst (Depositum im TLA) 14. Gemeindearchiv St. Johann (Depositum im TLA) 15. Arbeitsstelle der Regesta Imperii (Institut für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaft), Graz Regesten zu Maximilian I.
Literatur und gedruckte Quellen 1. Gedruckte Quellen, Regestenwerke und Literatur bis 1800 Acta regni Ludewici IV. et Friderici III. (continuatio) (MGH, Constitutiones VI/1). Hannover 1914/1927 Appelt, Heinrich (Bearb.): Die Urkunden Friedrichs I. 1152–1158 (MGH, Diplomata X/1). Hannover 1975 Appelt, Heinrich (Bearb.): Die Urkunden Friedrichs I. Einleitung. Verzeichnisse (MGH, Diplomata X/5). Hannover 1990 Bartels, Christoph/Bingener, Andreas/Slotta, Rainer (Hg.): „1556 Perkwerch etc.“. Das Schwazer Bergbuch. Bd. I: Der Bochumer Entwurf von 1554. Bd. II: Der Bochumer Entwurf und die Endfassung von 1556. Textkritische Editionen. Bd. III: Der Bergbau bei Schwaz in Tirol im mittleren 16. Jahrhundert (Veröffentlichungen aus dem Deut schen Bergbaumuseum 142). Bochum 2006 Bertieri, Joseph: Tractatus de legisbus. Wien 1771 Bodin, Jean: Les six livres de la République. Paris 1583 (Reprint Aalen 1977) Bozner Bürgerbuch 1551 bis 1806. Teile I–III (Schlern-Schriften 153–154). Innsbruck 1956 Burmeister, Karl Heinz (Hg.): Vorarlberger Weistümer. Teil 1: Bludenz – Blumenegg – St. Gerold (Österreichische Weistümer 18). Wien 1973 Buschmann, Arno (Hg.): Kaiser und Reich. Verfassungsgeschichte des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation vom Beginn des 12. Jahrhunderts bis zum Jahre 1806 in Dokumenten. Bd. 1: Vom Wormser Konkordat 1122 bis zum Augsburger Reichsab schied von 1555; Bd. 2: Vom Westfälischen Frieden 1648 bis zum Ende des Reiches im Jahre 1806. Baden-Baden 21994 Buschmann, Arno (Hg.): Textbuch zur Strafrechtsgeschichte der Neuzeit. Die klassischen Gesetze (Rechtshistorische Texte). München 1998 Caspar, Erich (Hg.): Das Register Gregorii VII. Bd. 1: Buch I–IV (MGH, Epistolae selectae in usum scholarum. Tom. II, Fasc. 1). Berlin 1920 Chmel, Joseph: Materialien zur österreichischen Geschichte. Aus Archiven und Bibliotheken. 2 Bde. Wien 1839 (photomechanischer Nachdruck Graz 1971) Chmel, Joseph: Der österreichische Geschichtsforscher. 2. Band, 2. und 3. Heft. Wien 1841/1842 Conring, Hermann: De nomothetica seu recta legum ferendarum ratione et in specie de legum constitutione in imperio Germanico. Helmstedt 1663 Corpus iuris canonici. Editio lipsiensis secunda. Post Aemilii Ludovici Richteri curas ad librorum manu scriptorum et editionis romanae fidem recognovit et adnotatione critica instruxit Aemilius Friedberg. Vol. 1: Decretum magistri Gratiani. Vol. 2: Decretalium collectiones. Unveränderter Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1879. Graz 1955 Corpus iuris civilis. Vol. I: Institutiones, hg. von Paul Krueger/Digesta, hg. von Theodor Mommsen. Berlin 81963 (unveränderter Nachdruck Hildesheim 2000); vol. 2: Codex Iustinianus. Berlin 111954 (unveränderter Nachdruck Hildesheim 1997); vol. 3: No vellae, hg. von Rudolf Schoell und Wilhelm Kroll. Berlin 61954 (unveränderter Nach druck Hildesheim 2005)
Gedruckte Quellen, Literatur und Regestenwerke bis 1800
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Degaudenz, Nicola (Hg.): Gli statuti della Giurisdizione di Telvana (1574). Studio ed edizione del Ms. 4111 della Biblioteca Comunale di Trento. Tesi di laurea Trento 1999 Deutsche Reichstagsakten. Mittlere Reihe. Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I. 5. Reichstag zu Worms 1495. Bd. 1–2: Akten, Urkunden und Korrespondenzen. Bearb. von Heinz Angermeier. Göttingen 1981; Bd. 3: Berichte und Instruktionen. Bearb. von Heinz Angermeier. Göttingen 1981 Deutsche Reichstagsakten. Mittlere Reihe. Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I. 6. Reichstage von Lindau, Worms und Freiburg 1496–1498. Bearb. von Heinz Gollwit zer. Göttingen 1979 Deutsche Reichstagsakten. Jüngere Reihe. Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V. 18. Der Reichstag zu Augsburg 1547/48. Bd. 1–3. Bearb. von Ursula Machoczek. Mün chen 2006 Dopsch, Alfons/Schwind, Ernst von (Hg.): Ausgewählte Urkunden zur Verfassungsge schichte der deutsch-österreichischen Erblande im Mittelalter. Innsbruck 1895 (Nachdruck Aalen 1968) Eberstaller, Herta u. a. (Hg.): Oberösterreichische Weistümer. III. Teil (Österreichische Weistümer 14). Graz/Köln 1958 Eisenhardt, Ulrich (Hg.): Die kaiserlichen privilegia de non appellando. Mit einer Abhandlung eingeleitet und in Zusammenarbeit mit Elsbeth Markert regestiert und in einer Auswahl herausgegeben (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 7). Köln/Wien/Weimar 1980 Eyben, Huldericus: Discursus politico-juridicus de jure majestatico circa leges quem sub patrocinio […] Hulderici Eyben […] submittit Gosvinus von Eßbach. Gießen 1662 Faistenberger, Christoph/Niedermayr, Monika (Hg.): Ratsprotokolle Oberste Justizstelle Tyrol.-Vorarlberg. Senat 1814–1844. Bd. 1 (Veröffentlichungen der Universität Inns bruck 244). Innsbruck 2003; Bd. 2 (Veröffentlichungen der Universität Innsbruck 249). Innsbruck 2004; Bd. 3 (The Innsbruck University Press. Monographs). Innsbruck 2006 Fellner, Thomas/Kretschmayr, Heinrich: Die österreichische Zentralverwaltung. I. Abteilung. Von Maximilian I. bis zur Vereinigung der österreichischen und böhmischen Hof kanzlei (1749). Bd. 1: Geschichtliche Übersicht. Bd. 2: Aktenstücke (Veröffentlichung der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs 5–6). Wien 1907 Franz, Günther (Hg.): Quellen zur Geschichte des Bauernkrieges (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe II). Mün chen 1963 Franz, Monika Ruth (Hg.): Die Landesordnung von 1516/1520. Landesherrliche Gesetzge bung im Herzogtum Bayern in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts (Bayerische Rechtsquellen 5). München 2003 Frölich von Frölichsburg, Johann Christoph: Nemesis romano-austriaco-tyrolensis. Das ist: Kurtze, doch gründtliche Unterweisung [...]. Innsbruck 1696 Gentilini, Gianni (Hg.): Statuti di Pergine del 1516 con la traduzione del 1548 (Corpus statutario delle Venezie 11). Venezia 1994 Giacomoni, Fabio (Hg.): Carte di regola e statuti delle comunità rurali trentine. Vol. 1: Dal ‚200 alla metà del ‚500. Vol. 2: Dalla seconda metà del ‚500 alla fine dell‘età dei Ma druzzo (Edizioni universitarie Jaca 85). Milano 1991 Grimm, Jacob: Deutsche Rechtsalterthümer. 2 Bde ( Jacob und Wilhelm Grimm. Werke, Abt. I, 17). Hildesheim u. a. 1992 (unveränderter Nachdruck der vierten, vermehrten Ausgabe Leipzig 1899)
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Literatur und gedruckte Quellen
Groff, Silvano (Hg.): Statuti di Rovereto del 1570 e del 1610. Con la ristampa anastatica dell’edizione del 1617 (Corpus statutario delle Venezie 13). Venezia 1995 Günter, Helmut (Hg.): Das bayerische Landrecht von 1616. 1. Halbbd.: Text. 2. Halbbd.: Apparat (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 66). München 1969 Häberlin, Carl Friedrich: Repertorium des Teutschen Staats- und Lehnrechts […]. Teil 3 und 4. Leipzig 1793/1795 Hagen, Joachim Heinrich vom: De arte interpretandi statuta [...]. Diss. Straßburg 1688 Haidacher, Christoph: Die älteren Tiroler Rechnungsbücher. Analyse und Edition. 3 Bde (Tiroler Geschichtsquellen 33, 40 und 52). Innsbruck 1993–2008 Hartinger, Walter (Hg.): Dorf-, Hofmarks-, Ehehaft- und andere Ordnungen in Ostbayern. „... wie von alters herkommen ...“. Bd. 1: Niederbayern (Passauer Studien zur Volkskunde 14). Tittling 1998; Bd. 2: Oberpfalz (Passauer Studien zur Volkskunde 15). Tittling 1998. Bd. 3: Nachträge: Ehehaft-Gewerbe (Bader, Schmiede, Wirte) und andere Detail-Ordnungen (Passauer Studien zur Volkskunde 20). Tittling 2002 Heinrici VII. constitutiones (MGH, Constitutiones IV/1). Hannover/Leipzig 1906 Hellrigl, Andreas Aloysius: Dissertatio de differentia successionis ab intestato jus inter civile Romanum et Provinciale Tyrolense. Innsbruck 1780 Hofmann, Gerd/Tschan,Wolfgang: Das Schwazer Bergrecht in der frühen Neuzeit. Eine Quellenedition. Reutte 2007 Hölzl, Sebastian: Urkunden und Akten der Gemeindearchive Serfaus und Tösens (Tiroler Geschichtsquellen 8). Innsbruck 1980 Hölzl, Sebastian: Regesten zu den Urkunden und Akten der Gemeindearchive Fließ und Nauders (Tiroler Geschichtsquellen 7). Innsbruck 1980 Hölzl, Sebastian: Gerichts- und Gemeindearchiv Pfunds (Tiroler Geschichtsquellen 12). Innsbruck 1981 Hölzl, Sebastian: Gemeindearchiv Kauns, Gerichtsarchiv Laudegg (Tiroler Geschichts quellen 14). Innsbruck 1984 Hölzl, Sebastian: Urkunden und Akten der Gemeindearchive Fiss und Stanz (Tiroler Ge schichtsquellen 15). Innsbruck 1985 Hölzl, Sebastian: Die Gemeindearchive des Bezirkes Landeck (Tiroler Geschichtsquel len 31). Innsbruck 1991 Hölzl, Sebastian: Stadtarchiv und Museumsarchiv Imst (Tiroler Geschichtsquellen 32). Innsbruck 1992 Hölzl, Sebastian: Die Gemeindearchive des Bezirkes Imst (Tiroler Geschichtsquellen 35). Innsbruck 1995 Hölzl, Sebastian: Die Gemeindearchive des Bezirkes Reutte. II Teile (Tiroler Geschichts quellen 37–38). Innsbruck 1997/1998 Hölzl, Sebastian: Bezirk Kitzbühel – Markt- und Gemeindearchive (ohne Kitzbühel Stadt) (Tiroler Geschichtsquellen 43). Innsbruck 2000 Hölzl, Sebastian: Die Gemeinde-, Markt- und Stadtarchive des Bezirkes Kufstein samt Schlossarchiv Matzen (Tiroler Geschichtsquellen 46). Innsbruck 2002 Horn, Caspar Heinrich: De confirmatione statutorum municipalium per superiorum [!] dissertatio juridica. Oder: Von der durch den Landes Herrn gethanen Confirmirung der hergebrachten Gewohnheiten und Statuten der Städte. Wittenberg 1737 (erstmals 1694) Huter, Franz (Bearb.): Tiroler Urkundenbuch. 1. Abt.: Die Urkunden zur Geschichte des deutschen Etschlandes und des Vintschgaues. Bd. I–III. Innsbruck 1937–1957
Gedruckte Quellen, Literatur und Regestenwerke bis 1800
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Literatur und gedruckte Quellen
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Ortsver zeichnis Ein der Seitenangabe nachgestelltes Asterisk bezieht sich auf Erwähnungen in den Anmerkungen. Scheint auf einer Seite ein Name sowohl im Fließtext als auch in den Fußnoten auf, wird nur die entsprechende Seitenzahl angeführt. Die geographische Bezeichnung „Tirol“ wird aufgrund ihrer Häufigkeit nicht verzeichnet. In Intitulationes aufscheinende topographische Namen werden im Allgemeinen nicht verzeichnet, ebenso nicht die im Rahmen des Quellenanhangs in der Datumzeile aufscheinenden Ortsangaben. Bologna 120, 122 Absam 310, 737* Borgo 694 Ala 42, 786 Bozen 40, 42, 45, 73 101, 129, 174, 200, Algund 341* 217–218, 274, 284, 324–330, 332–333, Alpen 250 338, 342, 351, 351*, 357, 396, 410, 429, Altenburg 728, 738* 474, 484, 487, 495, 498–499, 501, 507, Altspaur (Spormaggiore) 536 536, 538, 551, 561, 567*, 582, 600, 629, Amras 471, 704 634*, 693, 712, 721, 737–738, 768, Anras 42, 195 795–796, 807–808, 815–816, 834, 843, Appenzell 227 850 Arco 536, 788, 808 Brandenberg 310 Argen 492* Brandenburg 764* Ariano (Assisen von) 127 Braunschweig 816 Arlberg 44, 793 Breisgau 44, 791*, 816 Aschau im Lechtal 341* Augsburg 539, 541–542, 553, 616, 619*, Bretonico 786 Brixen 39–43, 45, 82–83, 97, 99–100, 102– 684, 755, 767, 811–812, 814 103, 195, 234, 260, 329, 337–338, 340, Außerfern 82, 339*, 617, 670, 688 342, 353*, 379, 396, 411, 487, 505, 509, Avio 786 533, 536, 543*, 547–548, 552, 565, 567, Axams 79 587, 591, 597*, 622–623, 691, 797–807, 820, 835 Baden 53, 241, 675, 817 Bruneck 338, 574, 691, 692 Baden-Durlach 741* Brüssel 70, 785 Baumkirchen 660–661, 664 Bayern 7–8, 41, 49, 53, 58, 82, 84, 133*, 236, Burggrafenamt 74, 341–342, 536, 543*, 547*, 601–602, 605*, 606*, 611, 690 241, 243, 250–251, 275, 426, 446, 520, 569*, 573, 585, 619*, 622*, 678, 679*, Burgund 3, 61, 68, 200* 683, 748*, 754*, 755–756, 764*, 765, 768, 770, 774, 779, 783, 791, 795, 799, Caldonazzo 352* 811–813, 816 Carrara 790 Berchtesgaden 138 Castelalto 144*, 786, 787, 790 Berg 168 Castelfondo 536 Bern 681 Castelmeno 836, 840 Beseno 836, 840 Chur 41, 203, 488, 546 Biberwier 670, 688* Bichlbach 688 Deutschland 6, 26, 28, 31 Böhmen 45, 133, 196, 364, 390, 794, 817 Deutschordensland 241
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Ortsverzeichnis
Drei Herrschaften siehe Kufstein, Kitzbühel, Gossensass 73, 198*, 217, 269, 271, 441, 809–810, 813 Rattenberg Graubünden 299, 405, 510 Graun 688* Eckrichertal 816 Gries (bei Bozen) 129, 217, 326*, 338, 474, Ehrenberg 170, 312, 396*, 402, 42 536, 567*, 634*, 693, 738 Eisack (Viertel am) 334, 353, 368, 390, 396, Grieskirchen 459* 543*, 567*, 573–575, 641 Gröden 692 Elsass 126, 497*, 791*, 816 Gufidaun 467, 685*, 692 Engadin 405, 665 England 128, 132, 275, 390, 494 Hall 40, 45, 54, 87, 125, 144*, 151* 174, Enn und Kaldiff (Gericht) 151, 224 181, 187, 190, 198, 203, 215, 217, 271, Enns 64 310, 318, 338, 342, 384, 435, 441, 468, Eppan 151, 457, 808 470–471, 487, 498, 550*, 565*, 567*, Erzgebirge 817 588*, 629, 660, 692, 735, 807–808, 821, Esslingen 539 833 Etsch (Viertel an der) 164–165, 260, 292, 293*, 326, 333, 353, 368, 390, 392*, 396, Hamburg 239 473, 542*, 547*, 567*, 573–574, 598*, Heiliges Römisches Reich siehe Reich, Hei602, 607*, 608–611, 612*, 659, 782, liges Römisches 784, 817, 841, 842, 844 Heinfels 42, 195, 818 Europa 21–22, 494, 603, 614, 679, 827 Henneberg 820 Hennegau 51 Feldkirch 819–820 Hessen 17, 169, 241, 764* Feldthurns 467 Hörtenberg 151, 224, 311, 320*, 398, 403*, Flavon 536 484, 489, 604, 605*, 607*, 612* Fließ 663–664, 722 Hötting 246, 478, 479 Florenz 123 Forst 728 Igls 548, 715, 717 Franken 169 Imst 84–85, 152, 153, 155, 204, 219, 224, Frankfurt am Main 7, 760, 816 338, 403, 426*, 441, 497*, 604, 606*, Frankreich 128, 131, 132, 275, 494, 614 607*, 612*, 666–667, 688, 712, 722– Freiburg i. Br. 239, 268, 305, 393*, 684, 768, 723, 738*, 808 793 Inn 186, 270, 277, 471–472 Freundsberg, Gericht 340*, 489, 603, 604, 610 Innerösterreichische Länder 3, 5, 33, 45, Friesland 3 326*, 337, 365, 642, 791 Fritzens 660–661, 664 Innichen 338, 341*, 567* Fürstenberg 817 Innichen 808 Füssen 812 Innsbruck 3, 6, 34, 52, 57, 62–64, 69, 73–74, 83, 87, 97–98, 102, 125, 154, Galtür 81 164, 174, 177–178, 185, 199, 201, 203, Gardasee 41, 786 208, 219, 224, 233, 239, 246, 253, 257, Geldern 49* 265, 272–274, 281, 283–284, 295, 296, Glarus 227 298, 302–303, 305, 311, 317, 319–320, Glurns 203, 338, 339*, 403, 480, 483*, 488, 325–327, 338, 342–346, 349, 354, 357– 543*, 545, 567*, 713, 728, 808 358, 369, 375–376, 416–417, 428, 438, Görz, Vordere Grafschaft 41, 48, 186, 411, 441–442, 449–450, 454–456, 469–471, 691, 818, 835 478–479, 486, 495, 502, 504, 510, 512,
Ortsverzeichnis 514, 516, 520–521, 530, 535, 537, 539, 540*, 542*, 548–549 553–554, 564, 565*, 588*, 591, 596, 597*, 603, 609, 617–618, 623*, 626–627, 630, 632, 635, 643, 654–655, 666, 668, 684, 692, 699, 708, 715, 721, 724–725, 728, 732–734, 737–739, 758, 765, 767, 774, 778, 782, 788–789, 797, 802, 807, 811–814, 817, 821, 824–825, 827, 837–838, 854–855 Inntal 164, 188, 270, 292, 574, 842, 847 Inzing 718 Ischgl 81 Italien 46, 123–124, 218, 250, 494, 780, 791 Ivano 144*, 315, 352*, 656, 786–787, 790 Jena 820 Judikarien 536, 802 Jülich-Berg 764* Kaldiff siehe Enn und Kaldiff Kaltern 144*, 332, 427, 457, 780–785, 808 Kärnten 41, 45, 63, Kauns 689 Kematen 716* Kempten 678, 764 Kitzbühel 42, 82, 85, 103, 207*, 271, 311, 338–339, 437, 440, 455–456, 476*, 527*, 567, 664–665, 682, 770–773, 775–777, 783, 807–810, 813*, 816, 821 Kleve 49*, 240–241, 492 Kleve-Mark 764* Köln 168, 242 Königsberg (Montereale) 784, 788 Konstanz 124 Krain 45, 63 Krems 683 Kropfsberg 476* Kufstein 42, 84–85, 103, 179, 217, 310, 338, 396*, 403*, 437, 471, 476*, 527*, 567, 621, 624, 686, 770–773, 774*, 775–778, 783, 807–808, 812, 813*, 821 Kurköln siehe Köln Kurpfalz siehe Pfalzgrafschaft bei Rhein Laatsch 688* Lagertal siehe Vallagarina
975
Laibach 819 Laimburg 341* Lana 457 Landeck 152, 224, 327, 403, 426*, 650, 663–664, 666–667 Landshut 393 Latzfons 172 Laudeck 41, 151*, 152, 159, 224, 327, 403, 426*, 666–667, 708, 728 Lebertal 816 Leifers 634* Leipzig 816 Lermoos 428, 670, 726* Lichtenwert 341* Lienz 65, 621, 691–692, 706, 809, 818 Lindau 684 Linz 34, 64 Mähren 794 Mailand 76, 120 Mainz 235, 475*, 616, 684 Mais (bei Meran) 710, 718–719, 732, 734 Mals 203, 480, 488, 545, 713, 728 Malser Heide 545 Marburg 675 Mariastein 341* Marienberg 338, 341*, 548, 567* Matrei am Brenner 204, 338, 403*, 693, 723, 808 Matrei in Osttirol 680 Matsch 341* Matzen 341* Mecklenburg 341*, 493 Meißen 125 Melfi 127 Meran 40, 54*, 59, 67, 73, 74*, 137, 143, 144*, 221, 224, 246, 257, 260–261, 266, 267, 275, 280, 324–330, 332, 338, 340*, 341–342, 352*, 353*, 416–417, 428, 450, 485*, 496, 497*, 510, 512, 522, 528–529, 535, 538, 548, 554, 565*, 588, 591–592, 601–602, 605, 610, 645*, 648, 690, 692–693, 709–710, 724, 731*, 732, 807–808, 830–834, 847, 849 Mezzolombardo 536 Mils 660–661, 664 Mitteldeutschland 241
976
Ortsverzeichnis
Mitteleuropa 92 Mölten 728 Montafon 456 Montan 341* Montani 152, 224 Montecassino 123 Montereale siehe Königsberg Mori 786 Mötz 716 Mühlbacher Klause 835, 839 München 812 Münster 79, 476*, 704 Münstertal 237, 238 Murgtal 817 Nassereith 726 Naturns 341* Nauders 327, 403, 545–546 Naudersberg 203, 488, 525, 545–546 Neuhaus 403*, 606* Neumarkt 457, 808 Neusohl 817 Neuspaur (Sporminore) 536 Neustift (bei Brixen) 338, 341*, 428, 562, 567* Niederbayern 241, 393, 764* Niederlande 46, 514 Niederndorf 716* Niederösterreichische Länder 3–4, 16, 31, 45, 62–63, 65, 98–99, 276, 284, 337, 364–365, 394, 444*, 619, 642, 704–705, 765, 768–769, 791, 813, 816–817, 822 Niederrhein 16, 241 Niklasdorf 817 Nomi 836, 840 Non, val di 327, 835–836, 839–840 Nonsberg siehe Non, val di Norditalien 154 Nordtirol 396, 509 Norital 42 Nürnberg 64, 239, 390, 683–684, 767, 811– 812
602, 604, 607*, 608*, 611, 612*, 617, 666, 668, 673, 690, 712, 716, 722–723 Oberitalien 3, 45–46, 121, 123–124, 235, 629, 815 Obermais 341* Obernberg 204 Oberösterreichische Länder 3, 5–6, 34*, 40, 43, 45, 47, 58–59, 61–63, 65, 70–71, 99, 196, 199, 203, 210, 212–214, 268, 295– 296, 298, 308, 315, 318, 381, 465, 510, 548, 584, 600, 606, 619, 624, 739, 745, 760–761, 765, 767, 791–793, 825, 827 Oberperfuß 688, 719 Oberrhein 43, 45 Österreich 16, 28, 30–32, 49–50, 60–61, 85, 196, 200*, 236, 261, 285, 468, 613, 762, 826; siehe auch österreichische Länder; innerösterreichische Länder; oberösterreichische Länder; niederösterreichische Länder; Österreich ob der Enns; Österreich unter der Enns; Vorderösterreich Österreichische Länder 3–4, 30, 60, 62, 68–70, 91, 98, 100, 103, 162, 163*, 178, 303, 335, 351, 360*, 361, 390, 504–505, 542, 557, 579, 684, 793–794, 813–814, 816 Österreich ob der Enns 4, 33, 45, 63, 162, 251, 285, 363–364, 427*, 569, 573, 579*, 621*, 791, 793*, 795, 814 Österreich unter der Enns 33, 45, 51, 53, 62–63 163*, 251, 285, 326*, 363–364, 415, 427*, 569, 573, 579*, 683, 754*, 793*, 795, 814 Osttirol 706–707 Ötz 717
Paris 121 Partschins 341*, 718* Passau 45 Passeier 652 Penede 786, 789 Pergine (Persen) 352*, 786, 809–810, 836, 840 Oberbayern 393, 794* Oberdeutschland 3, 235, 241–242, 252, Persen siehe Pergine Perugia 239 337, 579, 697, 811–813, 821 Oberinntal 75–76, 82, 189, 270, 311, 339*, Peutenstein 835, 839, 848 353, 404*, 457, 487, 543*, 567*, 588*, Pfalz 49
Ortsverzeichnis Pfalzgrafschaft bei Rhein 242, 250 Pfunds 151*, 723 Pillersee 341* Pisa 123 Polen 132 Preußen 180, 394, 678 Primiero (Primör) 155, 207*, 270, 271, 656 Pustertal 42, 73, 75–76, 82, 103, 195, 281, 292*, 322, 327, 338, 406, 430, 431*, 435, 509, 543*, 563, 565*, 567*, 573–574, 611, 618, 686, 708*, 716*, 801 Radolfzell 819 Rattenberg 42, 103, 203, 338–339, 437, 471, 527*, 567, 588*, 646*, 733, 770–777, 783, 807–808, 813*, 816, 821, 846 Regensburg 378*, 393*, 767 Reich, Heiliges Römisches 5, 8, 45–47, 50, 60, 62, 64, 91, 124, 129, 132–134, 243, 250–251, 290*, 360, 494, 678, 679, 683, 698, 705, 742, 752–754, 762, 764, 766, 802, 815 Rendena 802 Reropichl 809 Reschen 545, 689 Rettenberg 203, 392, 427, 616 Reutte 688, 723, 812 Rietz 726 Riffian 341* Ritten (bei Bozen) 478 Riva 42, 45, 536, 785–786 Rodeneck 352*, 574, 588 Roncaglia 120, 124 Rosenheim 812 Rotholz 588* Rottenburg 488 Rovereto 42, 144*, 304, 339, 653–657, 659– 660, 665, 671, 785–786, 789, 808 Saanen 681 Sachsen 241, 755, 764 Salern 803 Salurn 236, 237, 694 Salzburg 30, 42, 48, 82, 235, 271, 384*, 393– 394, 398, 428*, 468, 476*, 492, 503*, 526, 680, 681*, 812–813, 814*, 820 San Michele an der Etsch 338, 694
977
Sautens 689 Savoyen 514 Schenna 691 Schladming 809, 813, 816 Schlanders 85, 203, 403, 670 Schleswig-Holstein 678 Schnals 338, 567* Schottland 514 Schwaben 44, 791*, 812, 819 Schwarzwald 44, 791*, 816 Schwaz 55, 151, 203, 207, 269–272, 276, 282, 322, 340*, 439–443, 471, 489, 538, 541*, 542, 603–604, 610–611, 617, 619*, 624, 628*, 713, 764, 807, 810– 811, 816–817, 821 Schweden 250, 762 Schweiz 3, 28, 132 Seefeld 684, 716 Sigmundskron 846 Silz 688, 717 Sizilien 127 Slowakei 817 Sole, val di (Sulztal) 536 Sonnenburg (Landgericht) 311, 431*, 471, 565*, 596, 618, 715 Sonnenburg (Kloster) 338 Spanien 128, 132, 494 Speyer 532, 542, 763 Spormaggiore siehe Altspaur Sporminore siehe Neuspaur Sprechenstein 341* St. Georgenberg 338, 567* St. Johann 41 St. Lorenzen 565, 686–687, 716*, 717, 719 St. Michael an der Etsch siehe San Michele St. Petersberg 155, 311, 404, 592*, 604, 606*, 607*, 612* Stams 5, 338, 341*, 562, 565 Stans 565* Steiermark 16, 33, 45, 103*, 354*, 396*, 813 Stein am Kallian (Burg) 836, 840 Stein 683 Stein unter Lebenberg 392, 404 Steinach 34, 184, 474, 536, 684* Steinegg 662 Sterzing 73, 85, 93, 154, 210, 264, 269, 271, 306, 327, 338, 339*, 342, 376, 448*,
978
Ortsverzeichnis
483*, 493, 567*, 588*, 651–652, 694, 706, 803, 807–810, 813, 817, 819, 855 Stilfes 718, 719* Straßburg 45, 811* Stubai 150, 476* Stumm 341* Süddeutschland 45, 629, 815 Süditalien 123, 127* Südtirol 691 Sulztal siehe Sole, val di Sundgau 816
Ulten 688* Umhausen 722 Ungarn 45, 62, 132, 196, 794, 817 Unterinntal 75–76, 310, 353, 396, 487, 534*, 543*, 588*, 617, 660, 662, 671, 690, 714, 779 Unterlangkampfen 688* Untermais 341* Uttenheim 574
Vallagarina 785 Valsugana 656, 694, 836, 840 Vellenberg bei Zirl 181 Tarrenz 152, 204, 224, 688* Veltlin 368, 835, 839 Tartsch 688* Venedig 41, 58, 65, 96, 155, 248, 318, 354– Taufers 486, 548, 575 355, 434*, 446, 474, 621, 632, 653, 659, Tegernsee 473 786–787, 790, 815 Telfes 716*, 720* Verdings 172 Telfs 688 Telvana 144*, 352*, 506, 656, 786–787, Verona 781, 815 Vicenza 781 789–790 Villanders 448*, 467, 645*, 719 Tenno 536 Vinschgau 41–42, 221, 232, 327, 488, 515, Tettnang 492* 543*, 567*, 664–665, 690, 693, 717, Thaur 151*, 320*, 427, 471, 588* 830 Thierberg 341*, Virgen 397, 404*, 409 Thüringen 241, 394, 699, 726, 735 Vorarlberg 44, 58, 337, 456, 725, 729, 791*, Thurn an der Gader 173 794, 795 Tirol (Schloss) 47, 51–52, 73, 690, 692 Vorderösterreichische Länder 58, 64, 203*, Toblach 574 276, 364, 496*, 497*, 514, 619*, 705, Toblin 836, 840 762, 765–767, 791–792, 794, 816–817 Toscana 200*, 274* Vorlande, österreichische siehe VorderösterTramin 152, 224, 457 reichische Länder Tratzberg 341* Trentino 786* Trient 39–43, 45, 97, 99–100, 102–103, Wangen 172 141, 144, 233, 235, 304, 325, 329, 337, Wasserburg 492* 339–340, 379, 392, 396, 427*, 505, 509, Welsche Konfinen 42, 144, 192*, 304, 315, 536–537, 547, 552, 565, 567*, 591, 597*, 327, 334, 340, 634*, 653, 656, 658, 773, 621, 694*, 780–781, 783, 785–786, 788, 786, 788–789, 797, 815, 827 790–791, 796–802, 805–807, 815, 820, Welschnofen 662 835–836, 839–840 Wenns 738* Trier 16 Wien 6, 40, 62, 64, 98, 654, 656, 682–683, Tschars 717 793, 812*, 814, 816 Tschengels 688* Wiener Neustadt 65, 69 Tübingen 539 Wildermieming 688 Tulfes 716* Wilten 79, 338, 341*, 562, 565, 567*, 704 Windisch-Matrei siehe Matrei in Osttirol Ulm 767, 811–812, 821 Wipptal 75, 188, 543*, 567*, 617
Ortsverzeichnis Wolfsthurn 341* Worms 70, 239, 664*, 684, 753, 768 Wormser Joch 835 Württemberg 53, 241, 371*, 394, 678, 764* Würzburg 683 Zillertal 42, 271, 476* Zirl 181, 718 Zürich 510
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Personenver zeichnis Ein der Seitenangabe nachgestelltes Asterisk bezieht sich auf Erwähnungen in den Anmerkungen. Scheint auf einer Seite ein Name sowohl im Fließtext als auch in den Fußnoten auf, wird nur die entsprechende Seitenzahl angeführt. Namen von Rechtshistorikern/Historikern/Juristen (Rechtshistorikerinnen/Historikerinnen/Juristinnen) des 19. und 20. Jahrhunderts werden nicht erfasst. Adlgeier, Waltel 543* Alberti, Albertus de Dr. 787 Albrecht II., Herzog von Österreich 275 Albrecht III., Herzog von Österreich 51, 236 Albrecht IV., Herzog von Bayern 58 Alexander III., Papst 117 Alexander von Masowien, Bischof von Trient 781 Alfons X. (der Weise), König von Kastilien und Léon 128 Althusius, Johannes 135–136, 698 Andreas, Kardinal 45 Anna von Braunschweig 198 Annenberg, Arbogast von 543* Anselm von Lucca 116 Arco, Grafen von 42, 709, 786, 789 Arco, Gerhard von 788 Arco, Vinciguerra von 42 Aristoteles 674 Arland, Lienhart 543* Arz, Herren von 55 Arzt, Wendl Dr. 760, 761 Aschhofer 543* Atlmayer, Paul 591 Baldung, Pius Hieronymus Dr. 542 Baldus de Ubaldis 122, 129 Bartolus 135, 153 Bassattus, Nikolaus Dr. 788 Baumgartner 582 Behaim, Bernhard 187 Bernhard, Herzog von Weimar 250 Bernhard, Bischof von Trient 536 Biener, Wilhelm 107 Blanot, Jean de 128 Blumenau, Laurentius 233 Bodin, Jean 129–134, 362
Bonifaz VIII., Papst 117, 119 Botsch, Hans 565* Botsch, Jörg 543* Botsch, Simon 323, 562, 567* Brandis, Anthoni von 543* Brandis, Anton von 568 Brandis, Franz Adam von 106 Brandis, Jakob Andrä von 74*, 99, 432*, 562, 588 Brandis, Leo von 568, 571 Brandis, Sigmund von 533, 551 Braunecker, Peter 531*, 538, 541*, 542 Braunschweig, Anna von siehe Anna von Braunschweig Bulgarus 120 Burgklechner, Matthias Dr. 588 Calapinis, Calapinus de 233 Castelalto, Franz von 536 Chartres, Ivo von siehe Ivo von Chartres Christian V., König von Dänemark 137 Christoph I., Markgraf von Baden 817 Clainung, Leoy 543* Claudia de’Medici, Erzherzogin von Österreich 45, 105, 199–200, 206, 209, 213, 252, 274*, 296, 303, 320*, 350, 356, 420–421, 458, 465, 586, 591–593, 610, 626, 762, 804, 815 Clemens III., Papst 117 Cles, Bernhard von, Bischof von Trient 781, 784 Cölestin III., Papst 117 Cosmis, Cosmos de Dr. 789 Cusanus, Nikolaus 43, 234, 673 Del Bono, Matthias Dr. 655, 658 Deusdedit, Kardinal 116
Personenverzeichnis
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Dipauli, Andreas Alois von 107–108, 775, Ferdinand Karl, Erzherzog von Österreich 45, 72, 107, 199, 296, 310, 312, 368, 791*, 828 387*, 388, 594–595, 599, 642, 760, Dosser, Bartholomä 64, 438, 562, 648 788–789 Drexl, Johann Baptista Dr. 599 Ferrarius 675, 687 Durantis, Guilelmus 118 Fieger, Andrä 320 Fieger, Ferdinand 588 Egger, Alban 404* Fieger, Karl 588 Egger, Jakob 565* Firmian, Georg von 548 Eiberg, Karl von 108 Firmian, Nikolaus von 298 Eisenhut, Raban Dr. 655, 656 Flam, Andre 543* Eisermann, Johann siehe Ferrarius Eleonore von Schottland, Herzogin von Flaser, Hans 538, 541*, 542 Flösser, Hans 531* Österreich 56, 198 Frankfurter, Jakob Dr. 308, 533, 548, 550– Engenharter, Wolfgang 534* 554 Erlpeckh, Hans 543* Ernst (der Eiserne), Herzog von Österreich Franz II., Kaiser 640 Franzin, Paul 588 220 Freundsberger 55 Ernstinger, Johann 568–570, 574 Friedrich I. (der Schöne), Herzog von ÖsterErzberger, Rosina 396, 397* reich (Friedrich III. als römisch-deutscher König) 125 Faber, Antonius 608 Faber, Michael Dr. 343–344, 346 Friedrich I. Barbarossa, Kaiser 120–122, 124 Ferdinand I., Kaiser 30, 44, 59, 69–70, 177, Friedrich II., Erzbischof von Salzburg 235 188, 196, 199, 209, 241, 249, 271, 276, Friedrich II., Kaiser 62, 125, 127 296, 298, 300–303, 304*, 307, 313–315, Friedrich III., Kurfürst von der Pfalz 703* 329*, 338, 344, 369–371, 374–376, Friedrich III., Kaiser 59, 45, 125,143, 247, 379, 382, 386, 390, 396, 402, 417, 421, 341, 353, 683 450, 465–466, 476, 507–508, 510–512, Friedrich IV., Herzog von Österreich 44, 516–517, 521–524, 527, 529–530, 52–53, 56, 73, 201, 206*, 236, 260–261, 532–533, 535, 537–539, 542, 544–546, 338, 357, 401*, 484, 500–501, 583, 548, 550–555, 557, 560–564, 626, 631, 642–643, 647, 670, 809, 813, 830 648, 653–654, 656–660, 665–668, 671, Friedrich V., Kurfürst von der Pfalz (Fried673, 678, 757–759, 761, 763–764, 768, rich I. als König von Böhmen) 364 782, 792–793, 795, 802, 809, 811, 814, Friedrich Wilhelm III., König von Preußen 816–817, 819 136 Ferdinand II., Erzherzog von Österreich 35, Frölich, Hans 543* 44, 71, 199, 210, 249, 251, 255, 272*, Frölich von Frölichsburg, Johann Christoph 276, 279*, 282–283, 286, 290*, 294, Dr. 466*, 489*, 606 296–297, 300, 302, 303*, 305–306, Fuchs von Fuchsberg, Christoph 553* 313, 317, 323, 328, 331, 342, 357*, 365, Fuchs von Fuchsberg, Degen 477, 543*, 562, 371, 375, 386, 406, 417–418, 423, 446, 565* 563–567, 626, 635, 645, 668–669, 699– Fuchs von Fuchsberg, Jakob 547* 700, 703, 707, 725, 731, 746, 759–761, Fuchs von Fuchsberg, Ludwig Dr. 568 766–767, 771, 784, 789–790, 792–793, Fuchsmagen, Leopold 188, 226, 271* 795, 798, 805–806, 814 Ferdinand II., Kaiser 45, 200* Gaismair, Michael 391, 430, 509–510, 543, Ferdinand III., Kaiser 45, 70, 199 679
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Personenverzeichnis
Geizkofler, Lukas 405 Gemel, Johannes 820 Georg Friedrich, Markgraf von Brandenburg-Ansbach 755 Gfässer, Elias 588* Gigele, Cornel 774 Girardi, Johann Baptista Dr.738 Goldegger, Hieronymus 562 Goldegger, Lienhart 543* Goldwurm, Christoph 575 Görz, Grafen von 78 Görz, Johann Graf von 818 Görz, Leonhard Graf von 41, 691, 693, 818 Görz, Ludwig Graf von 818 Gottfried von Viterbo 121 Gratian 116–118 Gratt, Jakob 543* Grebmer, Josef 651, 652 Grebmer, Melchior 588 Gregor I. (der Große), Papst 123 Gregor VII., Papst 116–117 Gregor VIII., Papst 117 Gregor IX., Papst 117, 119 Guilelmus Durantis 118 Gufidaun, Berthold von 52 Habsburg, Haus 43, 46, 48, 52, 55, 60, 100, 196, 209–210, 296, 307, 365, 425, 444, 466, 479, 495–496, 626, 642, 705, 729, 765, 791, 796, 803, 805, 825 Hagel, Hans 484 Haidenreich, Georg von 568 Haidenreich, Zyriak von Dr. 568, 571–572 Halbhein, Siegmund, 543* Halbhirn, Sigmund 186 Hardegg, Heinrich von 443 Heimburg, Gregor von 233 Heinrich I., König von England 128 Heinrich II., Kaiser 121 Heinrich III., Kaiser 121 Heinrich IV., Kaiser 122 Heinrich V., Kaiser 122 Heinrich VII., Kaiser 125 Heinrich, Herzog von Kärnten-Tirol (König von Böhmen) 54–55, 137, 150, 158, 466, 733 Helfenstein Schweighart, Graf von 568
Hilland, Jan 312 Hocher, Paul Dr. 321, 599 Hochstetter, Johann Chrisostomos Dr. 568, 571 Horn, Caspar Heinrich 734 Hueber, Christian 487, 498 Hugo 120 Huguccio 136 Humel, Hans 186 Hungersbach, Simon von 62 Innocenz III.,Papst 117–118, 362* Innocenz IV., Papst 118 Isidor von Sevilla 153 Ivo von Chartres 116 Jacobus 120 Jenbacher, Georg 562 Joseph II., Kaiser 86, 640 Jung, Lienhart Dr. 477 Justinian I., Kaiser 122 Karl I. (der Kühne), Herzog von Burgund 60 Karl IV., Kaiser 126 Karl V., Kaiser 166, 449, 489, 507, 539, 605, 606* Karl VI., Kaiser 604, 639, 816 Karl, Erzherzog von Österreich 45 Karl, Markgraf von Burgau 45 Kastner, Rochus 568 Katharina, Erzherzogin von Österreich 496 Kaufmann, Hans 588, 591 Kemater, Ulrich 543* Khuen von Belasi 571 Khuen von Belasi, Hans 565*, 567* Khuen von Belasi, Hans Georg 588, 591 Khuen von Belasi, Blasius 562, 568, 571, 564, 582 Khünigl, Bernhard 567* Khünigl, Kaspar 531*, 538, 541*, 542, 543* Khünigl, Veit 588* Kirchenfein, Wilhelm 304* Kirchmair, Georg 428 Klinger 534* Klöckler, Christoph Dr. 568, 583 Knüllenberg, Christoph von 708–709
Personenverzeichnis Kolb, Christoph 596 Krackowizer, Johann Stephan 34* Kues, Nikolaus von siehe Cusanus, Nikolaus Lang (Gewerkenfamilie) 443 Lang, Matthäus, Erzbischof von Salzburg 82 Langebeke, Hermann 239 Leiss, Christoph 591 Lenghofer, Jörg 543* Leopold I., Kaiser 600, 603, 718, 773, 778, 785 Leopold III., Herzog von Österreich 153, 215 Leopold IV., Herzog von Österreich 144, 215, 219–220, 260, 425, 495, 500, 642, 647 Leopold V., Erzherzog von Österreich 45, 105–107, 200, 296–297, 299, 303*, 343, 346, 349, 379, 387*, 388, 400, 404–405, 408, 409*, 419–420, 432, 433*, 465, 586–590, 593–594, 607, 634*, 777, 779, 792 Liechtenstein 582 Liechtenstein, Christoph Philipp von 531*, 534*, 538, 541*, 542, 543* Liechtenstein, Erasmus von 784 Liechtenstein, Paul von 60, 331, 443 Liechtenstein, Wilhelm von 542* Lodron, Grafen von 42, 44, 709 Lothar von Supplinburg 122 Lucca, Anselm von 116 Ludwig, Markgraf von Brandenburg, Herzog von Bayern, Graf von Tirol 55, 126, 259, 274, 366, 367, 497, 638, 692, 693, 781 Ludwig (der Bayer), Kaiser 125, 160, 567, 770 Ludwig IX., Herzog von Bayern-Landshut 816, 846 Ludwig X., Herzog von Bayern 678 Ludwig, Herzog von Kärnten-Tirol 54 Ludwig, Herzog von Württemberg 372* Lustrier, Michael 565* Mag, Hans 548, 554 Maininger, Benedikt 543* Mair, Gothart 543* Mair, Leonhard 548, 554 Maltitz, Ulrich von 543*
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Margarethe (Maultasch), Herzogin von Kärnten-Tirol 43 Maria von Burgund 60 Maria-Theresia, Erzherzogin von Österreich, Königin von Böhmen und Ungarn 59, 69, 640 Marsilius von Padua 135, 673 Martinus 120 Matthias, Erzherzog von Österreich 419 Maximilian I., Kaiser 3, 38, 41, 44, 59–62, 64, 66–70, 91, 94–97, 100–101, 141, 143, 164–165, 178, 186, 198, 202, 208– 209, 218, 220, 223, 233, 239, 243, 245, 248, 251, 256, 262, 264–268, 277–278, 296–300, 310, 312, 331–332, 341–343, 347–351, 353–355, 358, 373–374, 376–378, 385, 391, 404, 414, 416, 421– 422, 426, 429, 440, 442, 444–446, 449, 465, 473, 484–487, 495–499, 503–505, 508–509, 513, 515–516, 631–632, 639, 653, 660–663, 667, 670*, 671, 683*, 684, 730, 743, 747, 768, 771, 777, 785, 792–793, 797, 810, 817–819, 823, 854 Maximilian I., Herzog von Bayern 755 Maximilian II, Kaiser 45, 251, 364 Maximilian II. Emanuel, Herzog von Bayern 602 Maximilian III., Erzherzog von Österreich 45, 70–72, 195, 200, 213, 296, 298, 303, 328, 343, 346, 379, 397–400, 405*, 419, 432, 586, 623, 792, 801, 808 May, Gedeon 311 Medici, Claudia de’ siehe Claudia de’ Medici Meinhard II., Graf von Tirol 5, 42–43, 47– 49, 52–54, 78–80, 126, 236, 258, 693, 712 Menochius, Jakobus 776 Miller, Georg 588 Mingius, Christoph 134 Mirana, Anthonius 233 Mittermüller, Anna 651–652 Mohr, Karl Philipp von 594 Molinaeus, Carolus 316 Molitoris, Ulrich 233 Montfort-Rothenfels, Ulrich Graf von 492* Moritz, Herzog von Sachsen 619*
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Personenverzeichnis
Moser, Johann Jakob Dr. 148, 347 Moser, Justinian Dr. 568, 571 Nassau, Philipp von 443 Neideck, Viktor von 567* Niedermayr von Lana 565* Notegger, Anna 775–776, 780 Notegger, Georg 775–776, 780 Ortenburg, Albert von 43 Otacher aus der Geul 127 Ottmar, Silvan 539, 542 Otto II., Kaiser 121 Otto III., Kaiser 121 Otto, Herzog von Kärnten-Tirol 54 Otto, Notar 693
Remich, Kaspar 588, 591 Rieper, Johann 548 Roger II., König von Sizilien 127 Römer, Hans 565*, 580 Roschmann, Andreas 775 Rost, Hans von 574 Rost, Leopold von 601* Rottenpuecher, Christoph 542* Rudolf II., Kaiser 45, 196, 296, 405*, 418*, 420 Rudolf IV., Herzog von Österreich 43, 52, 125–126, 201 Rumbl, Christoph 574
Salisbury, Johannes von 128 Saurwein, Jakob 562, 565* Schaiter, Johann Dr. 599 Schärdinger, Georg 562 Paldauf, Karl 588* Schärliner, Georg 575 Pamharter, Hans 534* Schenk, Michael 562 Pansa, Kaspar Dr. 594 Schennach, Niklas 428 Paßler, Peter 427*, 509 Schlandersberg, Herren von 44 Paur, Hans 35 Schluderpacher, Johann Paul 596 Payr, Kaspar 567* Schmid, Johann Bernhard Dr. 599 Payrsberg, Jakob von 562, 564 Schneeberg, Friedrich Franz von 551 Payrsberg, Reinprecht von 543* Schneeberg von 588* Peñaforte, Raimund von 119 Schottland, Eleonore von siehe Eleonore Pernsieder, Josef 619* von Schottland Petrus Crassus 122 Schrofenstein, Familie 523* Petrus de Vinea 127 Philipp (der Gute), Herzog von Burgund 60 Schroff, Konrad 543* Schurff, Ferdinand 776–780 Philipp, Pfalzgraf bei Rhein 240 Schurff, Karl 776–780, 812 Pils, Johann Baptista 536 Schurff, Karl d. Ä. 778 Pinggera, Johann 588* Pius XI., Papst 697* Schurff, Wilhelm 543*, 551 Popp, Hans 783 Sebner, Oswald 644* Praunhofer, Ulrich 543* Seel, Hans 543* Preu, Hans 543* Sernthein, Zyprian von 60, 443 Sevilla, Isidor von siehe Isidor von Sevilla Putsch, Wilhelm 401* Siegmund, (Erz)Herzog von Österreich 4, Pütter, Johann Stephan 362 6, 38, 43–45, 56–59, 68, 110, 143, 154, 170, 178, 198, 201–202, 207, 219, 223, Raimund von Peñaforte siehe Peñaforte, 233–234, 236–237, 239, 245, 247, 261– Raimund von 262, 265, 267, 269*, 280–281, 329, 341, Raitner, Anna Regina 776–779 351, 353, 357–358, 377, 412, 414, 416, Raitner, Karl 776–778 422, 426, 440, 467, 496, 497, 513, 516, Ramung, Wilhelm 225 525, 638, 644, 649, 661, 670, 693, 809, Rapp, Joseph Dr. 34 818, 823, 833–834, 837–839, 849, 855 Rauscher, Thomas 565*
Personenverzeichnis Siggin, Anna 652 Sigismund Franz, Erzherzog 5, 45, 72, 199, 296, 298, 344, 402, 421, 594, 599, 600, 773, 774 Sigismund, Kaiser 44 Sinibaldus Fliscus 118 Smid, Wölzl 224 Smidinger, Ekpreht 466 Spaur, Franz Anthoni von 601* Spaur, Guidobald von 602 Spaur, Hildebrand von 550 Spaur, Johann von 596 Spaur, Karl von 310 Spaur, Kaspar von 567* Sprenz, Sebastian 509 Stampp, Albrecht von 188 Starkenberg, Herren von 44, 484, 643 Starkenberg, Ulrich von 643, 647, 670 Starkenberg, Wilhelm von 220, 643, 647, 670 Staufer 124 Stöckl, Abraham 588* Stöckl, Hans 443, 534* Stöckl, Jakob 588*, 592* Stöckl, Jörg 443 Strobl, Hans 562 Stürtzel, Konrad 233 Sulz, Rudolf 542 Supplinburg, Lothar von siehe Lothar von Supplinburg Svarez, Carl Gottlieb 136 Talhammer,Christian 575 Tänzl, Veit Jakob 443 Teck, Konrad 259 Thun 523* Thun, Sigmund von 551, 562, 564 Traier, Peter 543* Trapp 523* Trapp, Jakob d. Ä. 543*, 545 Trautson, Franz Eusebius 601, 602, 604 Trauttmansdorff, Dietrich von 787 Trauttmansdorff, Ehrenreich von 588 Treibenreif, Zyprian 562, 565* Tunauer, Andre 543* Ubaldus, Erzbischof von Mailand 120
985
Ulrich V., Graf von Württemberg 239 Urban III., Papst 117 Vend, Lienhart 352* Vinschgauer, Lienhart 542* Vintler, Christoph 568 Viterbo, Gottfried von 121 Völs, Leonhard d. Ä. von 325, 548, 551 Waldauf, Florian 443 Waltenhofen, Christoph von 568 Waltermayr, Johann Dr. 799 Wanng, Ulrich von 543* Wehingen 571 Welsberg, Christoph von 78, 565*, 588* Welser, Philippine 45 Welt, Georg Dr. 599 Wilhelm I., Graf von Hennegau 51 Wilhelm IV., Herzog von Bayern 678, 679* Wilhelmstetter, Valtin 775–776, 780 Winkelhofen, Joachim von 574 Wittweiler, Hans Georg Dr. 594 Wittweiler, Johann Dr. 316* Wolkenstein 44, 706 Wolkenstein, Berchtold von 588 Wolkenstein, Christoph von 562, 564, 584, 621, 706–707, 787 Wolkenstein, Engelhart Dietrich von 588* Wolkenstein, Fortunat von 588* Wolkenstein, Hans von 574, 588*, 591 Wolkenstein, Horaz von 476* Wolkenstein, Johann Dominikus von 600 Wolkenstein, Michael von 60, 588* Wolkenstein, Oswald von 238 Wolkenstein, Veit von 60 Wolkenstein, Venerand von 602 Wolkenstein, Wilhelm von 564, 565* Wörz, Johann Georg 34 Wörz, Sebastian 565* Zasius, Ulrich 239 Zeller, Johann Theobald Dr. 594 Zeuner, Hans 485 Zötl Georg 562, Zott, Thomas 534* Zött, Christoph 565* Zyls, Lorenz von 536