»Gesetz« im Staatsrecht und in der Staatsrechtslehre des NS [1 ed.] 9783428423255, 9783428023257


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German Pages 144 Year 1970

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»Gesetz« im Staatsrecht und in der Staatsrechtslehre des NS [1 ed.]
 9783428423255, 9783428023257

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DIETRICH

KIRSCHENMANN

,Gesetz4 i m Staaterecht und i n der Staatsrechtslehre des NS

Schriften

zum öffentlichen

Band 135

Recht

,Gesetz' im Staatsrecht und in der Staatsrechtslehre des NS

Von Dr. Dietrich Kirschenmann

D U N C K E R & H U M B L O T / B E R L I N

Alle Rechte vorbehalten © 1970 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1970 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany D 21

Vorwort Diese Arbeit lag i m Winter-Semester 1969/70 dem Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Tübingen als Dissertation vor. Bei Herrn Professor Bachof, der die Arbeit betreute, möchte ich mich für die aufgewendete Mühe bedanken. Aus den von ihm i n den SommerSemestern 1967 und 1968 abgehaltenen Seminaren über Staatsrecht und Staatsrechtslehre i m NS erhielt ich vielfältige Anregungen. Bedanken möchte ich mich auch bei Herrn Ministerialrat a. D. Dr. Johannes Broermann, der sich bereit fand, die Arbeit i n die ,Schriften zum öffentlichen Recht' aufzunehmen. Dietnch

Kirschenmann

Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis

9

1.

Ziel, Methode und Ausgrenzungen

11

1.1.

Das Z i e l der A r b e i t

11

1.2.

Die Methode der Darstellung

19

1.3.

Die Unterscheidung von Gesetz u n d anderen »Mitteln* des FührerWillens

22

2.

Kategorien nationalsozialistischer Staats- und Rechtsvorstellung

29

2.1.

Das konkrete Ordnungs- u n d Gestaltungsdenken

29

2.2.

Der objektive (absolute) Idealismus

36

2.3.

Der völkische Vitalismus

45

3.

Die materialen Qualitäten des Gesetzes nach nationalsozialistischer Rechtsvorstellung

53

3.1.

Das gemeinsame Element nationalsozialistischer Rechts Vorstellung: die Führer-Formel

53

3.2.

Exkurs: Das Unbehagen a m Rechtsstaat i n der Weimarer Zeit. Carl Schmitts Rechtsstaatskritik als Beispiel

Staats-

und

62

1

3.3.

Die nationalsozialistische »Rechtsurquelle : Legitimität ohne Legalität 69

3.3.1.

V o m »Wesen rechter Ordnung'; dargestellt Methodenlehre völkischen Rechtsdenkens

3.3.2.

V o n der L e g i t i m i t ä t zur »légalité q u i tue 1

83

3.4.

Recht = Gesetz = förmliches Verfahren

88

4.

Die formalen Qualitäten des Gesetzes nach nationalsozialistischer Rechtsvorstellung

96

4.1.

Entstehungsverfahren

98

4.1.1.

E i n Führer, ein Gesetzgeber

an K a r l

Larenz'

(Entstehungsbeteiligte)

4.1.1.1. Der G r i f f nach der Gesetzgebung als T e i l der nationalsozialistischen Machtergreifung

72

98 98

4.1.1.2. Mediale Führer-Gesetzgebung

104

4.1.1.3. Direkte Führer-Gesetzgebung

109

4.1.2.

E i n Führer, mehrere Gesetzgeber

4.1.2.1. Der Beauftragte f ü r den Vier jahresplan

113 113

4.1.2.2. Der Ministerrat f ü r die Reichsverteidigung

114

4.1.2.3. Das Dreierkollegium

116

4.1.3.

117

Drei u n d ein Gesetzgeber: Rang u n d Reihe

Inhaltsverzeichnis

8 4.2.

Erscheinungsform

4.2.1.

Terminologisches oder: Gesetz ist, was so heißt; aber, was so heißt, ist vielleicht Verordnung 121

4.2.2.

Schaubild zur »materiellen 4 Gesetzgebung i m NS-Staat

4.2.3.

Die Publikation des Gesetzes, das »Minimum v o n Form

4

4.3.

Z u r T y p i k des NS-Staates: Die ,geplante Strukturlosigkeit'

Literaturverzeichnis

121

130 129 133

137

Abkürzungsverzeichnis a.a.O.

=

am angegebenen O r t

AöR

=

Archiv f ü r öffentliches Recht

ARSPh

=

Archiv f ü r Rechts- u n d Sozialphilosophie

DJZ

=

Deutsche Juristenzeitung

DR

=

Deutsches Recht

DRW

=

Deutsche Rechtswissenschaft

JöR

=

Jahrbuch des öffentlichen Rechts

JW

=

Juristische Wochenschrift

NJW

=

Neue Juristische Wochenschrift

R Verw.Bl.

=

Reichsverwaltungsblatt

ZAkDR

=

Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht

ZDK

=

Zeitschrift f ü r Deutsche Kulturphilosophie

zstw

=

Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft

1. Ziel, Methode und Ausgrenzungen 1.1. Das Ziel der Arbeit Nach dem Ende des NS-Staates las man es anders als zu dessen Anfang. Sagte einer 1934, es habe ihn als „Juristen zum Nationalsozialismus getrieben" 1 , so sagte er i n seinen „Erfahrungen aus der Zeit 1945/47", die „deutsche Bildungsschicht" — damit auch er — seien die „Beute einer verschworenen Gemeinschaft" geworden 2 , erklärte er 1934 seinen Drang zum NS aus der Erkenntnis des „Bankerott(s) der idées générales" 3 , so wußte er nach 1945, zumindest für den „Forscher und Lehrer des öffentlichen Rechts", zu deuten, daß er sich leicht als Beute des NS schlagen ließ, liege daran: „Der Stoff, aus dem er seine Begriffe bildet, und auf den er für seine wissenschaftliche Arbeit angewiesen ist, bindet i h n an politische Situationen, deren Gunst oder Ungunst, Glück oder Unglück, Sieg oder Niederlage auch den Forscher und Lehrer erfaßt und sein persönliches Schicksal entscheidet 4 ." Der Widerspruch scheint offenkundig, Ironie liegt nahe. Doch was so widersprüchlich klingt: einmal die freiwillige Hinneigung zum, dann wieder Beute des NS, einmal Wendimg gegen positivistischen Rationalismus, gegen die cartesianischen ,idées générales', dann wieder Positivismus — der Stoff, aus dem der Jurist seine Begriffe bildet, ist i h m vorgegeben, ob die Erkenntnis seiner wissenschaftlichen Arbeit richtig oder falsch, darüber entscheidet (wie über sein persönliches Schicksal) letztlich die politische Situation 4 — wie ihn platter selbst ein Bergbohm nicht hätte abziehen können. Die Neigung zum NS, die individuelle Motivation für den Zulauf deutscher Intellektueller zum NS, bringen außer Carl Schmitt auch andere, sogar die Nicht-Betroffenen, variieren sie von ,Opportunismus 4 bis ,Idealismus' 5 . Carl Schmitt steht dafür nur als Beispiel. Und gleich 1

Carl Schmitt, Nationalsozialistisches Rechtsdenken, i n : DR 1934, S. 325. 2 Carl Schmitt, E x captivitate salus, K ö l n 1950, S. 18. 3 Carl Schmitt, Nationalsozialistisches Rechtsdenken, a.a.O. 4 Carl Schmitt, E x captivitate salus, a.a.O., S. 56. Ganz i n diesem Sinne verstand auch E. Jünger die Lage seines Freundes Carl Schmitt i n der NSZeit: „Das sind so Mißgeschicke des Berufs." (E.Jünger, Strahlungen, T ü bingen 1949, S. 455.) s Vgl. zu diesen Erklärungen der individuellen Dispositionen die Analyse der Vorlesungsreihe über Wissenschaft u n d NS von W. F. Haug, Der hilflose Antifaschismus, F r a n k f u r t am Main, 1967, S. 56ff., S. 60ff., S.70ff., S.77ff.

1. Ziel, Methode und Ausgrenzungen

12

i h m versperren sie damit nicht selten die Einsicht i n die objektiven Bedingungen des NS, drängen ins Psychologisierende ab, personalisieren, was sie erklären sollen, wissenschaftliche Auseinandersetzung verharrt dann bei ,Mit-dem-Fingerzeigen' oder bei »menschlichem Verstehen 4 . Freilich gilt es jene individuellen Motivationen zu begreifen, damit die Ursache der Massenbasis des NS (wie auch des Zulaufs von Intellektuellen), einer der Voraussetzungen der NS-Herrschaft, zu erklären, und freilich bedarf es dazu einer verstehenden, einer „apologetischen Dimension" 6 , einer Dimension jedoch, die i m Falschen das Wahre zu erkennen trachtet, die einsichtig macht: „Was jene Individuen ,eigentlich bewegt' hat, was sie anstrebten und erhofften, was ihr Verhalten »eigentlich ausdrückte' etc., zeigt sich i m Effekt meist nur noch ganz verzerrt, entfremdet und verraten 7 ." Nur diese Dimension, die die individuellen Motivationen ,übersetzte', könnte erklären, warum einer tatsächlich (freiwilliger) Befürworter und zugleich (unfreiwillige) Beute des NS werden konnte, warum die NS-Herrschaft „selbst diejenigen noch m i t aller Radikalität t r i f f t und i n sich einbezieht, i m Namen von deren Emanzipation sie zu funktionieren vorgibt" 8 . 2. Z u ,übersetzen' gälte es i n der individuellen Motivation der Neigung zum NS vor allem eine Protest-Haltung: die gegen den Kapitalismus. Kapitalismus nicht eigentlich verstanden als ökonomisches System, beruhend auf zweckrationalen Techniken, vielmehr als ,geistiges' Substrat fortgeschrittener Industrialisierung. Der nicht durchschaute Zusammenhang von Technik, Produktion und Verwaltung i n der industriell fortgeschrittenen Gesellschaft, die Entfremdung, entstanden aus der Diskrepanz stetig erweiterter technischer Verfügungen und der zurückgebliebenen praktischen Beherrschung seines Geschicks durch den Menschen, äußert sich i n Krisen-Gefühl und Krisen-Theorie. Der Protest gegen die Krise verharrt jedoch i m bloßen Hoffen auf Erlösung. Erlösung nicht durch kritische Einsicht i n Gewaltverhältnisse — die schon darum verschlossen bleibt, w e i l nicht das ökonomische System, sondern das ,geistige' Substrat, nicht die Ursache, sondern die Folge, Ziel des Protests bildet — vielmehr durch Wirken geheimnisvoller ,geschichtsmächtiger' Kräfte i n der ,Gemeinschaft' oder aber i n einem einzelnen, dem Heros, der gleichsam von außen an die Geschichte

β a.a.O., S. 79. 7 Ebenda. » Lieber, Die deutsche Lebensphilosophie u n d ihre Folgen, i n : Universitätstage 1966, Nationalsozialismus und die deutsche Universität, B e r l i n 1966. S. 92. Lieber bezieht a.a.O. Emanzipation auf die »Massen4, doch gilt diese Charakterisierung des NS auch f ü r wissenschaftliche »Emanzipations'-Bestrebungen.

1.1. Das Ziel der Arbeit

13

herantritt 9 . Es ist ein Protest der apokryphen Ziele und der apokryphen Mittel, sein Ziel bildet nicht Emanzipation durch praktische Vernunft, seine M i t t e l bezwecken die Fehlentwicklung' des Kapitalismus (synonyme Termini: Liberalismus, Individualismus) einfach rückgängig zu machen. Eben wegen der mangelnden kritischen Aufklärung über seine eigentliche Ursache, eben wegen seiner falschen Mittel, läßt sich der Protest vom NS manipulativ auffangen und gegen die wirklichen Interessen seiner Träger kehren. Der Protest gegen die als schlecht geworden empfundene Welt des Kapitalismus richtet sich vornehmlich gegen zweierlei: die Gesellschaft samt ihrer Form der (unmittelbaren) Herrschaft und das (verkürzt gesagt: cartesianische wie empiristische) rationale Denken. Der industriellen Gesellschaft und den ,liberalistischen Zerreißungen' des Parlamentarismus stellt er die Gemeinschaft, dem rationalen Denken die Hingabe an die Intuition entgegen. Freilich nur i n seiner ersten Zeit, in der Philosophie Nietzsches oder Bergsons, in der impressionistischen Kunst, i n der Jugendbewegung schließlich, sucht dieser Protest den zunehmenden technischen Zwang zu treffen, dagegen ruft er die Möglichkeiten des ,Lebens'. Der Protest verkehrt sich jedoch bald zur A f f i r mation, veräußerlicht, insbesondere nach dem ersten Weltkrieg, zu einem Kampf gegen den Parlamentarismus, wogegen er sich einstmals mit Recht wandte, das versagte Glück des Menschen, das preist er später, pflichtbewußter Gehorsam, selbstloser Dienst, fragloser Einsatz, sie werden Tugenden genannt, die (vom Kapitalismus geprägte) Wirklichkeit gar, sie soll praktischer Vernunft verschlossen bleiben, die „Wirklichkeit läßt sich nicht erkennen, sie läßt sich nur anerkennen" 10 . Die eine Richtung des Protests, den Streit u m das rationalistische Denken, um den positivistischen Rationalismus insbesondere, jene dem kapitalistischen Wirtschaften korrelierende spezifische accidentale Rationalität' (Max Weber), bestimmt vor allem eine Denkart: der Irrationalismus. Der Irrationalismus läßt sich hauptsächlich nur negativ abgrenzen, aus dem Gegenteil dessen bestimmen, was er dem Rationalismus vorwirft: dessen pure Begrifflichkeit, dessen analytische Methode verfehle die Wirklichkeit, da sie zerstöre, was sie begrifflich auflöse. Die bedeutendsten Phänomene des Lebens ließen sich nicht i n abstrakte Merkmale zergliedern, weil sie zergliedert ihren ursprünglichen, vom 9 A l l e diese Züge eines anti-kapitalistischen Protests werden bereits i n den beiden ersten größeren bürgerlichen Protest-Reaktionen auf den fortgeschrittenen Kapitalismus, der Lebensphilosophie und der Jugendbewegung, sichtbar. Vgl. dazu: v. Krockow, Die Entscheidung, Stuttgart 1958, S. 28 ff. 10 H. Forsthoff, Das Ende der humanistischen Illusion, B e r l i n 1933, S. 25. Zusammenfassende Darstellung des Kampfes gegen den Rationalismus bei M . H o r k h e i m e r , Z u m Rationalismusstreit i n der gegenwärtigen Philosophie, i n : Zeitschrift für Sozialforschung, Jg. 3, Paris (1934), S. 1 ff.

14

1. Ziel, Methode und Ausgrenzungen

Denken unabhängigen Sinn verlören, die begriffliche Arbeit müsse vielmehr unmittelbare Anschauung oder auch nur bloße Intuition ersetzen. 3. Den positivistischen Rationalismus kennzeichnen sein Methodenbewußtsein, die am Modell der Naturwissenschaften ausgerichtete empirisch-analytische Erkenntnisweise und sein Erkenntnissubstrat, das vom Sollen getrennte Sein. Die Trennung von Sollen und Sein folgt aus der Trennung von Tatsachen und Entscheidungen, diese aus dem szientistischen Bewußtsein des Positivismus: auf ihre Richtigkeit überprüfen lassen sich empirisch-analytisch nur Hypothesen, die (invariable) Naturgesetze betreffen, warum aber (gesetzte und sanktionierte) soziale Normen gutgeheißen oder abgelehnt werden, kann keinem empirisch-analytischen Richtigkeitsurteil unterliegen. Dieses Urteil entsteht aus Entscheidung; der erfahrungswissenschaftlichen Analyse zugänglich sind darum lediglich Strukturen des gesellschaftlichen Prozesses, nicht aber der Sinn der sozialen Normen, der Zweck geforderter Verhaltensweisen, von denen jener Prozeß geprägt wird. Dieser Dualismus von Entscheidungen und Tatsachen verlangt die Trennung von Werten und Erkennen, die Werturteilsfreiheit. Der positivistisch wissenschaftlichen Erkenntnis und Erörterung zugänglich bleiben Fragen der Lebenspraxis nur soweit, als sie technische Empfehlungen sozialorganisatorischer Verwaltung betreffen. Vernunft w i r d verkürzt auf technische Vernunft, Orientierung zum guten und glücklichen menschlichen Leben und Zusammenleben aber bleibt der — von rationaler Erörterung freigesetzten — Dezision oberster Ziele und Werte überlassen. Technische Vernunft vermittelt ökonomische und effiziente Systeme technischer Verfügung, gegenüber dezidierten Wertsystemen, i n deren Dienst sie steht, bleibt sie jedoch indifferent 1 1 . Versagt sich positivistisch-rationalistische Theorie auch lebenspraktischer Zielsetzung, w e i l darüber verbindliche wissenschaftliche Erkenntnis und Erörterung unmöglich sei, so schließt sie doch eine von Vernunft, d.h. von dem Prinzip vom zureichenden, menschlichem Denken einsichtigen Grunde geleitete Dezision oberster Ziele nicht aus, wünscht sie sogar. Der Irrationalismus verwirft dagegen seiner Idee nach eine vernunftgeleitete Dezision. Wie der Positivismus verzichtet auch er nicht auf technische Vernunft, pflegt sie vielmehr, wie jener zerreißt auch dieser Vernunft i n technische und praktische, vermag Fragen der 11 Z u m positivistischen Rationalismus vgl. J. Habermas, Analytische Wissenschaftstheorie und Dialektik, i n : Topitsch (Hrsg.), Logik der Sozialwissenschaften, K ö l n / B e r l i n 1965, S. 291 ff., insbes. S. 298 ff.; und, derselbe, Theorie u n d Praxis, Neuwied am Rhein u n d Berlin, 2. Aufl. 1967, S. 239 ff. Dort auch über rationalistische Versuche, technische Rationalität f ü r praktische Vernunft fruchtbar zu machen.

1.1. Das Ziel der Arbeit

15

Lebenspraxis nur durch Dezision zu beantworten. Aber versteht der Positivismus Dezision ganz und gar als freigesetzte Entscheidung, so kennt der Irrationalismus nur die »gebundene4 Dezision, nicht an Vernunft gebunden allerdings, sondern an völlig unerhellte Faktoren wie ,Natur 4 , ,Volk 4 , ,Rasse4, ,Ganzheit 4 usw. Sie treten an die Stelle der Vernunft, genauer: sie bringen die technische Vernunft i n ihre A b hängigkeit. Uber der Gemeinsamkeit von positivistischem Rationalismus und Irrationalismus — vorgängige Dezision und davon geschiedene technische Vernunft — darf i h r grundlegender Unterschied nicht künstlich verwischt werden. Der Positivismus intendiert über den ,Glauben an die Vernunft 4 auch eine vernünftige Dezision, der Irrationalismus zerstört kritische Vernunft an der Wurzel. Dennoch berühren sich positivistischer Rationalismus und Irrationalismus: m i t der bewußten Beschränkung des positivistischen Erkenntnissubstrats auf das sollensf reie Sein werden die Weichen für den Einbruch des Irrationalismus gestellt 12 . So läßt sich verstehen, warum — u m auf den engeren Bereich der Rechtswissenschaft zu verweisen — i m NS dem Grunde, wenn auch nicht dem Selbstverständnis der Vertreter nationalsozialistischer Rechtsanschauung nach, rechtspositivistische Techniken, Begriffe und Vorstellungen, bei zugleich irrationalen Zielsetzungen beibehalten werden konnten. 4. Der Positivismiis der Rechtswissenschaft gleicht i n seinen Grundzügen dem philosophischen und sozialwissenschaftlichen Positivismus. Sein szientistisches Bewußtsein prägt die empirisch-analytische Methode der Naturwissenschaften, seine Erkenntnis zielt auf das sollensfreie Sein. Bergbohms unbefangenes positivistisches Methodenverständnis sei zitiert: Jurisprudenz ist „eine dreifach gebundene Wissenschaft. Sie ist gebunden durch die gegebenen Objekte: die Institutionen des positiven Rechts; gebunden durch die einzige wissenschaftliche Methode: einerseits stufenweise Abstraktion und Generalisation an festen Tatsachen empor zu den unmittelbaren Prämissen der Deduktion, anderseits Verifizierung hypothetischer Sätze rückwärts durch die ganze Stufenfolge der Abstraktionen hinab bis auf die rechtlichen Tatsachen; 12 A m Beispiel der wertfreien Erörterung von Industrialisierung und Kapitalismus bei M a x Weber zeigt H. Marcuse besonders eingängig die Tendenz strengsten positivistischen Rationalismus zum Irrationalismus (Industrialisierung u n d Kapitalismus i m Werk M a x Webers, i n : K u l t u r u n d Gesellschaft 2, Frankfurt 1965, S. 207 ff.). Dort auch das bezeichnende Zitat von M a x Weber: „Der Grund, weshalb ich so außerordentlich scharf bei jeder Gelegenheit, m i t einer gewissen Pedanterie meinetwegen, mich wende gegen die Verquickung des Seinsollens m i t dem Seienden, ist nicht der, daß ich die Fragen des Sollens unterschätze, sondern gerade umgekehrt: w e i l ich es nicht ertragen kann, w e n n Probleme von weltbewegender Bedeutung, von größter ideeler Tragweite, i m gewissen Sinne höchste Probleme . . . zu einem Gegenstand der Diskussion einer Fachdisziplin . . . gemacht werden."

16

1. Ziel, Methode und Ausgrenzungen

gebunden endlich durch das Maß des Fortschrittes der anderen Geisteswissenschaften . . ." 1 3 . Solch juristische Methode setzt zum einen voraus die „Anschauung, es gäbe eine von Geschichte, Politik und Philosophie abgehobene juristische Sphäre, i n welche die Problematik der historischsystematischen Begriffsbildung nicht hineinlangt" 1 4 und zum anderen, den (durch Dezision) gegebenen' Stoff, aus dem sich unmittelbar deduzieren läßt. Nur aus diesem gegebenen Stoff, den Institutionen des positiven Rechts, vermag der Rechtspositivismus seine empirischanalytischen Erkenntnisse zu gewinnen, die reine juristische Methode setzt also erst nach der sinngebenden Dezision an, diese selbst, die hinter i h r stehenden Zwecke, bleiben von der positivistisch betriebenen Wissenschaft ausgenommen, vor wissenschaftlicher K r i t i k geschützt. Rechtspositivismus endet demnach bei einem ,positivistisch halbierten Rationalismus' (Habermas), der Rechtspositivismus trennt, was als Verbundenes i h n wesentlich kennzeichnet: die Norm, das ,Gegebene' einerseits und die Dezision, das ,Gebende' anderseits; lediglich die Norm unterzieht er begrifflicher Arbeit, wissenschaftlicher K r i t i k . Solcher Positivismus verträgt sich nur zu gut m i t dem Irrationalismus, von seinem szientistischen Verständnis her gründet sich Rationalität wie Irrationalität der Dezision auf ,Werte', bleibt darum außer seinem Erkenntnisstreben. 5. Juristischer Irrationalismus zeigt sich kraß i n der nationalsozialistischen Rechtsvorstellung. Versuche, nationalsozialistische Rechtsvorstellung begrifflich zu bestimmen, erschwert die nationalsozialistische Ideologieverachtung. Hatte „die nationalsozialistische Herrschaftswirklichkeit . . . Raum für jede zynische Ideologieverachtung, die sich m i t Machtwillen paarte, dagegen nicht für den Willen zur Ideologie, der m i t einer Verachtung der Macht einherging" 1 5 , dann fehlen zumindest eindeutige Merkmale nationalsozialistischen Denkens. Dennoch erlaubt eine bestimmte Diktion und Denkweise, genauer eine von einer bestimmten Denkweise geprägte Diktion, von nationalsozialistischer Rechtsvorstellung zu sprechen. I n dieser Diktion reimt sich vor allem Widervernunft auf Führer. Zwar durchziehen eine Reihe von Wörtern und Phrasen, allen voran das vom Führer, viele, viele der juristischen Reden und Aufsätze, Kommentare und Bücher zwischen 1933 und 1945. 13 Jurisprudenz und Rechtsphilosophie, Leipzig 1892, 1. Bd., S. 32 f. (Hervorhebungen gegenüber dem Original verändert). Ä h n l i c h das Verständnis

Labands »... alle historischen, politischen und philosophischen Betrach-

tungen — so w e r t v o l l sie an u n d für sich sein mögen — sind f ü r die Dogm a t i k eines konkreten Rechtsstoffes ohne Belang." (Zitiert nach H . H e l l e r , Bemerkungen zur staats- u n d rechtstheoretischen Problematik der Gegenwart, i n : AöR, N.F. 16 (1929), S.344.) " H. Heller, a.a.O., S. 43. is J. C. Fest, Das Gesicht des D r i t t e n Reiches, München 1963, S. 227.

1.1. Das Ziel der Arbeit

17

Was aber davon nur geringer Abstand zum Zeitgeschmack, was Mimetik, Tarnung oder was nationalsozialistische Rechtsvorstellung ist, zeigt nicht der bloße Gebrauch der Worte und Phrasen, sondern ein gewisses Verständnis, das damit einhergeht: Nationalsozialistische Rechtsvorstellung rückt das Wort Führer überall dort ein, wo Herrschaftswirklichkeit und Ideologeme auseinanderklaffen, verstandesferne Ziele und Logik einander widersprechen, Recht i n Unrecht umschlägt, Wissenschaft der Propaganda weicht, Vernunft, aus Verstand wie aus Erfahrung gewonnen, aufgegeben wird, kurzum: sie bindet T u n und Theorie i n letzter Instanz an den der Wirklichkeit entnommenen, zugleich entwirklichten Führer, bedient sich einer Führer-Formel 1 6 . Die Berufung auf den Führer bringt —, w e i l das, was der Positivismus idealtypischerweise aus seinem Erkenntnisstreben ausklammert, die dezisionsbestimmenden Werte, i m NS-Staat praktisch-tatsächlich wissenschaftlicher Erörterung verschlossen, nur einem beifälligen Bekenntnis offenblieb — jenes zweigliedrige Rechtsverständnis aus Norm und Dezision, wie es auch dem Positivismus eigen ist, wieder, m i t einer nationalsozialistischen Variante der irrationalistischen ,gebundenen' Dezision allerdings: alle die Gebundenheiten' des Führers aus ,Rasse', ,Blut', ,Gemeinschaft' usw., konkretisiert einzig und allein der FührerWille, dessen Entscheidungen darum für alle wissenschaftliche K r i t i k ebenso ungebunden (in tatsächlich feststellbaren Grenzen) wie verbindlich zu sein haben. Eben w e i l beider, des Rechtspositivismius und der irrationalen nationalsozialistischen Rechtsvorstellung Methodenbewußtsein die dezisionsbestimmenden Werte von wissenschaftlicher Erkenntnis und Erörterung ausnimmt —, der eine, w e i l sein empirisch-analytisches Verfahren dazu keine A n t w o r t auszuwerfen vermag, der andere, weil er glaubt, Werte ließen sich als ,ewige', ,unumstößliche' usw. anerkennen aber nicht erkennen — kann die nationalsozialistische Rechtsanschauung vom Rechtspositivismus die Begriffe übernehmen, kann sogar einem — unbewußten — positivistischen Verständnis verhaftet bleiben. Daraus erklärt sich jenes eingangs angeführte Beispiel Carl Schmitts, der sich gegen die positivistischen cartesianischen idées générales wendet 1 7 und doch auch, wenngleich von seinem Selbstverständnis her i m falschen Zungenschlag, m i t dem Verweis auf den »gegebenen Stoff', aus dem der Jurist seine Begriffe bilde, ein tief positivistisches Denken verrät. Daraus erklärt sich auch die Klage Hohns — soweit ersichtlich, der einzige Jurist, der eine nationalsozialistische Rechtsvorstellung m i t 16

Einzelheiten zur F ü h r e r - F o r m e l s. unten S. 53. Carl Schmitts anti-positivistisches Selbstverständnis zeigt — f ü r die Zeit des NS — am besten seine Schrift: Uber die drei A r t e n des rechtswissenschaftlichen Denkens, H a m b u r g 1934, S. 29 ff. 17

2 Kirschenmann

18

1. Ziel, Methode und Ausgrenzungen

wirklich neuen (inhaltlichen) Begriffen anstrebte (und dabei gleichfalls die Wirklichkeit gründlich verfehlte) — über die Versuche, „die neuen Erscheinungen dem bisherigen Bestand der Wissenschaft einzufügen und sie m i t ihr zu verarbeiten" 1 8 . Die Grenzen zwischen Rechtspositivismus und nationalsozialistischer Rechtsvorstellung sollen, so wenig wie die zwischen Positivismus und Irrationalismus, über die Gemeinsamkeit der vorgängigen, von wissenschaftlicher K r i t i k ausgenommenen Dezision, nicht künstlich verwischt werden. Die nationalsozialistische Rechtsvorstellung verzichtet auf rationales Denken auch i n ihrem Erkenntnissubstrat, sie zerstört die wenigstens formale Rationalität des Rechtspositivismus, entstellt seine exakten Begriffe (auch wenn sie sie dem Wortsinn nach übernimmt), gibt vor allem auf, worauf jener zielt: die Rechtssicherheit. Aber ohne die präformierten irrationalen Tendenzen i m Rechtspositivismus, dessen Postulat der Wertfreiheit ihn u m das sinngebende rationale Ende seiner Wissenschaftlichkeit bringt, wäre doch das — wenigstens i n den ersten Jahren der NS-Herrschaft — i m wortwörtlichen Sinne ,opportunistische 4 , d. h. freiwillig-beitragende Mittun, die Übernahme von NS-Phraseologie und offenkundiger Irrationalismen wie ,Blut 4 ,,Rasse 4 ,,völkische Gemeinschaft 4 usw., bei einer nicht geringen Zahl zuvor am Positivismus orientierter Rechtswissenschaftler (zumindest i n ihrem Methodenbewußtsein, wenn auch vielleicht i m Eigenverständnis von einem Positivismus pur sang eines Laband oder Bergbohm weit distanziert) nicht zu erklären 1 9 . 6. I n dieser Arbeit sollen die Erklärungen aus ,apologetischer Dimension4 der individuellen Motivationen des Zulaufens zum NS, das ,Uberie Die Wandlung i m staatsrechtlichen Denken, H a m b u r g 1934, S. 43. I n dieser Schrift, S. 15, auch die zutreffende Erkenntnis: „Die Aufsätze und Veröffentlichungen, die von staatsrechtlicher Seite nach der Nationalen Revolution erschienen sind, enthalten zwar die Vokabeln (sie!) der neuen Zeit i n weitgehendem Maße: Gemeinschaft, Führer, Volksgemeinschaft, Rasse, B l u t u n d Boden. Wenn es dann aber darauf ankommt, staatsrechtlich n u n mehr diese neuen Prinzipien zur A u s w i r k u n g zu bringen, geht man weiter i n den bisherigen Gedankenbahnen . . . " 19 Damit soll nicht die bekannte Meinung wiederholt werden, es bestehe ein Zusammenhang zwischen Rechtspositivismus u n d NS, w e i l der Rechtspositivismus, verstanden als positivistischer Legalismus, die Juristen gegen den NS »widerstandslos' gemacht habe. N u r Gesetzestreue, Loyalität der Rechtswissenschaftler gegenüber dem NS-Staat dürfte schwerlich der Anlaß jener zumindest anfänglich nicht geringen Zustimmung zu den irrationalen Ideologemen des NS auch bei solchen Juristen, die nicht zu den Vertretern nationalsozialistischer Rechrtsanschauung zählen, die sich später sogar deutlich abwandten, gewesen sein. Solche Identifikation geschieht nicht voraussetzungslos, solche Neigung zum Irrationalismus entsteht nicht an einem Tag. Der Zusammenhang zwischen präformiertem Irrationalismus i m Rechtspositivismus u n d dem offenen Irrationalismus i n der nationalsozialistischen Rechtsvorstellung, dieser Zusammenhang zwischen Rechtspositivismus und dem Einschwenken vieler Juristen aus den NS, besteht allerdings.

1.2. Die Methode der Darstellung

19

setzen4 dieser Motivationen ins »eigentlich' Gewollte, das Aufzeigen der i n diesen Motivationen auffallenden irrationalistischen Protesthaltung gegen den Rationalismus und die i m positivistischen Rationalismus selbst angelegten irrationalen Tendenzen, nicht weiter versucht werden. I n dieser Arbeit soll lediglich das Ergebnis (samt bezeichnender Argumentationsweise und verräterischer Sprache) irrationalen Denkens i n der Rechtswissenschaft am Beispiel des Verständnisses vom Gesetz i n der nationalsozialistischen Rechtsvorstellung gezeigt werden. Grund dafür ist einmal die faktizistische Themenstellung, zum anderen, zugegebenermaßen hauptsächlich, die geringe Kenntnis des Verfassers der zu einer kritischen Theorie unerläßlichen Kategorien sozialwissenschaftlichen und philosophischen Denkens. 1.2. Die Methode der Darstellung Das Ziel — das Ergebnis irrationalen Denkens i n der Rechtswissenschaft am Beispiel des Verständnisses vom Gesetz i n der nationalsozialistischen Rechtsvorstellung aufzuzeigen — bedingt das methodologische Vorgehen: das nationalsozialistische Verständnis vom Gesetz zu beschreiben, i n dieser Beschreibung die nationalsozialistische Rechtsvorstellung sich selbst darstellen zu lassen, demnach eine aus gedanklicher Konstruktion betriebene Deskription (Typologie) m i t der Phänomenologie des nationalsozialistischen Gesetzes-Verständnisses zu verknüpfen, genauer schließlich: die Methodik einer Typologie, ergänzt um eine phänomenologische Darstellungsweise. Typologie erfaßt ihren Gegenstand als gedankliche Konstruktion zusammenhängender wesentlicher Gesichtspunkte. Sie sucht diese Gesichtspunkte als bezeichnende, als typische aus den vielfachen Erscheinungsformen ihres Gegenstandes i n der Wirklichkeit zu gewinnen und prüft umgekehrt die auf den wesentlichen Gesichtspunkten ruhende gedankliche Konstruktion an der Wirklichkeit. „Die typologische Methode macht es also möglich, eine Fülle von Material und eine Anzahl wesentlicher Gesichtspunkte . . . aufeinander zu beziehen, so daß das Wirkliche stets vom Gedanken durchdrungen, der Gedanke durch das Wirkliche verifiziert w i r d 2 0 . " Phänomenologie w i l l ihren Gegenstand aus dessen eigener Sprache und dessen eigenartigem Selbstverständnis begreiflich machen. Sie setzt das Phänomen, bedingt durch ein verlautbartes und erkennbares Selbstverständnis, voraus. Phänomenologie heißt demnach: Verständnis der Phänomene, „wie sie sich von sich aus darstellen. Sie . . . (ist) also entgegengesetzt sowohl einer bloß konsta20 E. Nolte, Der Faschismus i n seiner Epoche, München 1963, S. 51.

2*

20

1. Ziel, Methode und Ausgrenzungen

tierenden Beschreibung von Vorgängen wie einer von außen kommenden K r i t i k " 2 1 . Einwände gegen eine Phänomenologie des Faschismus seien wiedergegeben 22 : sie versperrt die Einsicht i n die materialen Ursachen des Faschismus, sie rückt i n ihrer Übernahme der faschistischen Selbstdarstellung den Führer des »Führer-Staats* zu sehr i n die Mitte, erhöht den Wert der Existenz des Führers für die Bedingungen des Faschismus und verdeckt schließlich m i t ihrem von der Methode her notwendigen Ernstnehmen der faschistischen Ideologie deren propagandistisch-instrumentalen Charakter. Hinzufügen ließe sich noch die aus der Übernahme der eigenen Sprache des Faschismus erzwungene Mimetik i n Worten und Begriffen des Faschismus bei der Darstellung. Diese Mängel, die die Distanz des Dargestellten zu dessen Selbstdarstellung oft verwirrend verringern, lassen sich schwerlich aufheben. Doch bleiben sie überhaupt nur bewußt, wiegen sie als Nachteil nicht allzu schwer. Der Vorteil steht dagegen, daß auf diese Weise des methodologischen Vorgehens das gesetzte Ziel — juristischen Irrationalismus am Beispiel des nationalsozialistischen Gesetzes-Verständnisses aufzuzeigen — am besten sich erreichen läßt. 3. Das i n phänomenologischer Weise dargestellte Verständnis des Gesetzes bei den Vertretern nationalsozialistischer Rechtsvorstellung verbindet die Typologie zu einer Zahl wesentlicher Gesichtspunkte, die sich gegenseitig erhellen und erklären. Vor alles begriffliche Bemühen um qualitativ-materiale oder u m formale Merkmale des Gesetzes stellen die Vertreter nationalsozialistischer Rechtsvorstellung eine Apologie des Führers. Sie erheben eine eigentümliche Führer-Formel zur Prämisse ihres Denkens, aus der sich, weil jenseits allen Verstandes angesiedelt, stets stimmig, aber unüberprüfbar Ergebnisse deduzieren lassen. Der zweigliedrige Begriff des Gesetzes m i t seinem materiellen und formellen Bestandteil, wie er vom konstitutionellen Staatsrecht überkommen ist, w i r d zwar von den Vertretern nationalsozialistischer Rechtsvorstellung scharf abgelehnt, dennoch beibehalten. I n einer fortschreitenden Zerstörung aller materialen wie formalen Qualitäten des Gesetzes durch die NS-Machthaber wächst sogar das Bemühen der Vertreter nationalsozialistischer Rechtsvorstellung, wenigstens die äußere Erscheinungsform (insbesondere die Verkündung) beim Gesetz zu wahren.

21 a.a.O., S. 53. 22

Vgl. Urs Müller-Plantenberg, Neuere L i t e r a t u r über den Faschismus, i n : Das Argument, 6. Jg., 1964, Heft 3, S. 146 f.

1.2. Die Methode der Darstellung

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Die material-qualitativen Anforderungen des nationalsozialistischen Gesetzes, je mehr als wahres, legitimes Recht gepriesen, verkümmern zu einem bloßen Rückgang auf den Willen des Führers. Dessen Emanationen, als unbedingter Ausdruck des wirklichen (nicht unbedingt des tatsächlichen) Wollens des Volkes behauptet, werden zur nationalsozialistischen ,Rechtsurquelle' erhoben, was an materialen oder formalen Qualitäten des Gesetzes das uneingeschränkte Gelten dieses Willens hindern könnte, verworfen. Daraus folgt die Zerstörung der wenigstens formalen Rationalität des Rechtspositivismus, insbesondere dessen spezifischer Rechtssicherheit. Beibehalten bleiben freilich von den Vertretern nationalsozialistischer Rechtsanschauung die rechtspositivistischen Tautologien: Recht = Gesetz = besonderes förmliches Verfahren. Aber die formalen Qualitäten des Gesetzes, seine Entstehungsweise und seine Erscheinungsform verlieren notwendig an Sinn, wenn die Sicherheit des Rechts einzig und allein vom Wissen und Willen des Führers abhängt. Die Folge ist eine weitreichende Verwirrung der Worte und Begriffe auch i n der formellen Bestimmung des Gesetzes bei den Vertretern nationalsozialistischer Rechtsvorstellung. Eine Mehrzahl von Gesetzgebern und eine Mehrzahl von Bezeichnungen für Gesetz 23 , ein nicht mehr durchschaubares Verhältnis von Gesetz, Erlaß und Verordnung, spiegeln am Ende des NS-Staates auch für das Gesetzes-Verständnis jene für diesen Staat so bezeichnende ,Strukturlosigkeit'. Mühsam halten dem die Vertreter nationalsozialistischer Rechtsvorstellung das Postulat von der Klarheit aller Dinge i m Führer-Staat entgegen, indem sie aixf den ,letzten Endes' einzig entscheidenden Führer-Willen verweisen. Diese — als Richtpunkte des Aufbaus wiederkehrenden und i m Verlauf der Arbeit eingehender erörterten — fürs erste grob bestimmten Merkmale des nationalsozialistischen Gesetzes-Verständnisses erlauben eine vorwegnehmende, noch näher zur Anschauung zu bringende Bestimmung des Gesetzes i n den Worten eines Vertreters nationalsozialistischer Rechtsvorstellung: „Das Gesetz ist Entfaltung der völkischen

23 D a m i t ist nicht gemeint die Unterscheidimg zwischen Verfassungsgesetzen, normalen Gesetzen u n d Landesgesetzen. Sie verliert i m NS-Staat an institutioneller Bedeutung, braucht deswegen i n dieser A r b e i t nicht beachtet zu werden. Eine qualitative Verschiedenheit v o n Gesetzen w i r d zwar gelegentlich auch i n der NS-Rechtslehre durch Worte w i e Verfassungs- oder Grundgesetz ausgedrückt, doch entspricht dem keinerlei Besonderheit des Verfahrens oder der Bestandskraft. Landesgesetzen wurde der Charakter von ,reichsgesetzvertretenden Verordnungen' (E. R. Huber) zugesprochen.

22

1. Ziel, Methode und Ausgrenzungen

Lebensordnung gemäß dem Plan und durch den (förmlichen) Entscheid des Führers 2 4 ." 1.3. Die Unterscheidung von Gesetz und anderen Mitteln des Führer-Willens Die Beschreibung des Gesetzes durch die Vertreter nationalsozialistischer Rechtsvorstellung als den i n Satzform gebrachten Willen des Führers drückt eines deutlich aus: nicht soll, wie es rechtsstaatlichem Verständnis entspräche, das Gesetz herrschen, sondern der Wille des Führers, und w i r f t ein anderes zur Frage auf: vermittelt nur das Gesetz den Willen des Führers, oder stehen — wie bei der unumschränkten Führer-Gewalt 2 5 zu vermuten — auch andere ,Mittel' für ihn bereit, außerdem und vor allem: verwirklichen, falls solche anderen ,Mittel' bestehen, alle, Gesetz wie die anderen ,Mittel', den Willen des Führers gleichermaßen oder können (und müssen) Gesetz und andere ,Mittel' nach Rang, Inhalt oder wenigstens Form geschieden werden. Sollte ein unterscheidendes Merkmal sich finden, brauchen die anderen ,Mittel' in dieser Arbeit nicht erörtert zu werden. Die genannten Fragen lassen sich — und werden von den Vertretern nationalsozialistischer Rechtsvorstellung auch so gestellt — m i t vom konstitutionalistischen Staatsrecht überkommenen Begriffen noch einmal formulieren: gilt auch i m ,Führer-Staat' ein Vorbehalt des Gesetzes und gilt ein Vorrang des Gesetzes? Vorbehalt und Vorrang i n dem Sinne verstanden, gewisse Entscheide des Führers könnten nur i n der Form des Gesetzes ergehen und den Gesetzen käme, falls der Wille des Führers sich noch i n anderen ,Mitteln' verwirkliche, erhöhte Bestandskraft zu. Die Antwort fällt bei den verschiedenen Vertretern nationalsozialistischer Rechtsanschauung verwirrend vielfältig, von ihrem allen gemeinsamen Ausgangspunkt, der überragenden Führer-Gewalt her gesehen, bei manchen auch widersprüchlich aus. Einig sind sich die Vertreter nationalsozialistischer Rechtsvorstellung i n einem alle: über einen umfassenden Vorbehalt des Führerwillens gebe es nichts zu streiten 26 . „Die Rechtsgestaltung und Rechtssetzimg ist dem Willen des Führers vorbehalten, und daher muß heute von einem Vorbehalt des Führerwillens gesprochen werden 2 7 ." Scheinbar einig sind 24 E. R. Huber, Verfassungsrecht, Hamburg, 2. A u f l . 1939, S. 240. 25 Z u r F ü h r e r - G e w a l t s. unten S. 59 ff. 26 Vgl. am besten: Ch. Dieckmann, Der Vorbehalt des Führerwillens und der Vorbehalt des Gesetzes i m nationalsozialistischen Verfassungsrecht. Bonner Diss. 1937. Diese Dissertation — die ausführlichste Schrift zum Vorbehalt des Führer-Willens — w i r d i n der nationalsozialistischen staatsrechtlichen L i t e r a t u r häufig u n d beifällig erwähnt. 27 a.a.O., S. 32.

1.3. Die Unterscheidung vom Gesetz

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sich außerdem alle darin, das Gesetz sei nur eines der ,Mittel' des Führers, seinen Willen zu verwirklichen 2 8 . Die Einheit verschwindet jedoch bereits beim Begriff des ,Mittels'. Art, Form, Inhalt der verschiedenen ,Mittel' des Führerwillens werden nirgends i n begrifflichen Merkmalen qualifiziert, nur i n Beispielen aufgezählt. Dabei meinen, so zeigen diese Beispiele, Verschiedene m i t ,Mittel' des Führers Verschiedenes. Köttgen (und ähnlich Scheuner), dem Gesetz nicht mehr die ,vornehmste Äußerungsform des Staates' bedeutet, nennt neben dem ,Befehl' als andere ,Mittel' des Führers: feierliche Staatsakte und große Kundgebungen, E. R. Huber zeigt von der Rede bis zur gestaltenden Tat' noch einige andere Möglichkeiten, Ch. Dieckmann räumt dem Führer — weil er ,unbeschränkte Macht genieße' — ein, seine Anordnungen auch i n jeder beliebigen anderen Form als der des Gesetzes zu erlassen, und Best und Maunz überlassen dem Willen des Führers vollends alles, immer neue ,Mittel' zu schaffen (der Wille des Führers verwirklicht sich auch i n der Einzelbilligung vergangener Handlungen) wie jedes geeignete M i t t e l nach Gutdünken zu gebrauchen 29 . 2. Blieb demnach der Begriff der ,Mittel' des Führer-Willens unklar, daß sie sie — wenngleich sich jeder etwas anderes darunter vorstellen mochte — anerkannten, zwang die Vertreter nationalsozialistischer Rechtsvorstellung, das Verhältnis der verschiedenen ,Mittel' zum Gesetz, Rangfolge und Möglichkeit, Gesetz und andere ,Mittel' abzugrenzen, zu erörtern, zwang sie schon darum dazu, weil sie sich zumindest m i t der überkommenen Auffassung, Gesetz sei das oberste Gebot des Staates, auseinandersetzen mußten, zwang sie deshalb vor allem — darauf verengen sich die Überlegungen meist —, die Frage nach Vorbehalt und Vorrang des Gesetzes zu stellen 30 . Zwei Antworten wurden auf diese Frage hauptsächlich gegeben: der Grundsatz des Vorbehalts und Vorranges des Gesetzes gelte, mit allerlei Ausnahmen, auch i m nationalsozialistischen Staat, oder aber, ob ihrer Gleichheit i m Ursprung stünden alle ,Mittel' des Führers, auch das Gesetz, ohne Unterschied, m i t gleichem Rang und gleicher Wirkung nebeneinander. 28 Beispielsweise: Scheuner, Gesetz u n d Einzelanordnung, Jena 1935, S. 26. Koellreutter, Verfassungsrecht, 2. Aufl. B e r l i n 1936, S. 56. Köttgen, V o m Deutschen Staatsleben, i n : JöR, Bd. 24 (1937), S.70. Ch. Dieckmann, a.a.O., S. 36. Best, Die Deutsche Polizei, Darmstadt 1941, S. 21. Maunz, Gestalt u n d Recht der Polizei, H a m b u r g 1943, S. 27. 29 Fundstellen der genannten Meinungen s. vorherige Fußnote. 30 Als Gesetz galten, insoweit t r a t die erwähnte Überlegung nicht auf, darüber bestand Einigkeit, auch sogenanmten gesetzesgleiche Entscheide (Einzelheiten dazu s. unten S. 121 ff.). Gesetzesgleich meint hier nicht n u r gesetzeskräftig, von gleicher Wirkung, meint vielmehr: an die Stelle des Gesetzes tretend, ohne andere Qualitäten i n F o r m u n d Inhalt, lediglich m i t anderem Namen.

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1. Ziel, Methode und Ausgrenzungen

E. R. Huber w i r f t die Frage, „ob es i n unserem Verfassungsrecht einen ,Vorbehalt des Gesetzes' gibt oder ob jeder Gegenstand nach diskretionärem Ermessen auch i n anderer Form als der des Gesetzes behandelt werden kann", am deutlichsten und nachdrücklichsten auf 3 1 . Solle, so führt er darauf aus, die Volksgemeinschaft ,in Form gehalten' werden, dann dürfe die Form des Gesetzes und der Vorbehalt des Gesetzes nicht zerstört werden. Ähnlich J. Heckel 32 und (einschränkend) W. Weber 33 . Ch. Dieckmann meint, ein Vorbehalt des Gesetzes bestehe zwar nicht mehr, doch ergingen Rechtssätze meist i n der Form des Gesetzes — und am Vorrang des formellen Gesetzes müsse festgehalten werden 3 4 . Scheuner stellt demgegenüber fest, alle „Willensentscheidungen des Führers" — auch ,formlose Rechtsakte' — „sind gleicher rechtlicher W i r k u n g " 3 5 , denkt dabei aber offensichtlich nur an Gesetz und sogenannte gesetzesgleiche Entscheide. Der Vorbehalt und Vorrang des Gesetzes brachte klare Rangordnung unter Gesetz und andere ,Mittel' des Führer-Willens — doch: die W i r k lichkeit des NS-Staates ging darüber verloren. Denn vom Anfang des NS-Staates an verdrängten andere ,Mittel' das Gesetz, durchbrachen Vorbehalt und Vorrang des Gesetzes nach Belieben Hitlers; i n manchen Geschehnissen, etwa den Befehlen zum Massenmord vom 30. Juni 1934, auch durchaus allen augenfällig. M i t verschiedenerlei Ausnahmen vom Grundsatz des Vorbehalts und Vorranges des Gesetzes versuchten darum die, die an diesem Grundsatz festhielten, zugleich wieder Zugang, sei es auch nur durch die Hintertür, zur Wirklichkeit des NS-Staates zu gewinnen. Bei „existentieller Gefährdung von Volk und Staat", was solche Gefährdung sei, stellt selbstverständlich der Führer fest, entfalle der Vorbehalt des Gesetzes, es könnten dann „form- und verfahrensbefreite Maßnahmen" ergehen, räumt E. R. Huber ein 3 6 . Ch. Dieckmann w i l l , wo es dem Führer nötig erscheint, zumindest das Gesetz nicht aufhebende Einzelfalldurchbrechungen mittels ,Anordnung' des Führers zulassen 37 . 31 Besprechung von Werner Weber, Die Verkündung von Rechtsvorschriften, i n : ZStW, Bd. 104 (1944), S. 338. Vorher las man es bei E . R . Huber allerdings w e i t weniger eindeutig; vgl. Verfassungsrecht, a.a.O., S. 242, S. 253 f. 32 Wehrverfassimg u n d Wehrrecht, H a m b u r g 1939, S. 335 f. 33 w . Weber, Die Verkündung von Rechtsvorschriften, a.a.O., Stuttgart u. Berlin 1942, S.38f.

34 a.a.O., S. 49 u n d 35. 35 a.a.O., S. 29.

36 a.a.O. 37 a.a.O., S. 38 f. Das galt i n der nationalsozialistischen juristischen L i t e ratur seit den Röhm-Morden allgemein als ausgemacht. Vgl. Carl Schmitt, Der Führer schützt das Recht, i n : D J Z 1934, Sp. 945 ff.

1.3. Die Unterscheidung vom Gesetz

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I n einem auffallenden Modell bringt J. Heckel Theorem und Tatsache, Vorbehalt des Gesetzes und Vorbehalt des Führer-Willens, das meint: freies Belieben i n Inhalt wie Form der ,Mittel', zusammen, kommt damit der Wirklichkeit des NS-Staates (allerdings von ihm i n dieser Weise unbeabsichtigt) am nächsten. Diesen Staat kennzeichneten, nach dem „revolutionären Umbruch", zwei ineinanderwirkende „verfassungsrechtliche Lagen". „Während ein Bereich des Volkslebens bereits der neuen gesetzlichen Ordnung unterliegt, w i r d ein anderer durch übergesetzliche Maßnahmen erst für eine kommende gesetzliche Regelung vorbereitet 38 ." Der gleiche Dualismus von Gesetz und Maßnahme, von Gesetz und anderen ,Mitteln', gelte nicht nur, so ergänzt J. Heckel sein B i l d vom NS-Staat, i n Zeiten ,revolutionären Umbruchs', er gelte auch i n Zeiten der Gefahr, es gehöre zur „Kunst einer vorausschauenden Volksführung, künftigen Gefahren des Volkslebens, wenn nötig durch außerordentliche Mittel, so frühzeitig zu begegnen, daß sich eine Krise gar nicht erst entwickeln kann". „ I n der Durchführung" der Gefahrenabwehr lagere sich solch ein ,außerordentliches Mittel' „über das Normalrecht und verdrängt es . . . gleichviel i n welcher Form es erlassen ist" 3 9 . Wenn von J. Heckel auch ganz anders gemeint, nennt er i n diesen Sätzen die Stichworte für den ,Dual State', für den allerdings nicht nur vorübergehend, sondern auf Dauer i n zwei verfassungsrechtlichen Lagen' handelnden NS-Staat. Denn auf die Kunst der immer neuen Gefahrenabwehr, demnach des dauernden Uberlagerns des Gesetzes durch außerordentliche Mittel, verstand sich die nationalsozialistische Führung. 3. Die Ausnahmen vom Grundsatz des Vorbehalts und Vorranges des Gesetzes passen nicht nur die Rechtsanschauungen an die Wirklichkeit an, sie heben auch einen methodischen Widerspruch wieder auf: vom Ausgangspunkt der völlig imbeschränkten Führer-Gewalt her gesehen bleibt unverständlich, warum der Wille des Führers, für den zwar keine inhaltlichen — der Wille des Führers soll ,wesensnotwendig' Recht wie Gesetz sein 40 — Grenzen gälten, i n der Wahl der ,Mittel', die i h n verkörperten, aber doch beschränkt sein solle und warum diese ,Mittel', deren inhaltliche Qualität nur von der doch gleichen Qualität ,FührerWille' bestimmt werde, nicht lediglich, wenn überhaupt, i n der Form, sondern auch i m Rang geschieden werden sollten 41 . Einige Vertreter 38 Wehrverfassung u n d Wehrrecht, a.a.O., S. 324. 39 a.a.O., S. 340 u n d 341. 40 s. unten S. 88 ff. 41 Es ist dies einer jener zahlreichen Fälle, w o Vertreter nationalsozialistischer Rechtsanschauung gleichzeitig (wenn auch unzulänglich, m i t Z u geständnissen an die Wirklichkeit) zu hindern suchten — m i t dem Verlangen nach dem Vorbehalt des Gesetzes geht das nach einer gewissen formellen Sicherheit einher — was sie eifrig propagierten: den ungebundenen FührerWillen.

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1. Ziel, Methode u n d Ausgrenzungen

nationalsozialistischer Rechtsanschauung v e r z i c h t e t e n a l l e r d i n g s folger i c h t i g a u f i r g e n d w e l c h e , auch n u r f o r m a l e H e m m n i s s e d e r F ü h r e r Gewalt, gelangten v o n der Gleichheit i m Ursprung, dem Führer-Willen, z u r G l e i c h h e i t i n R a n g u n d W i r k u n g v o n Gesetz u n d a n d e r e n , M i t t e l n ' dieses W i l l e n s . V o r a l l e m M a u n z u n d Best m i n d e r n das Gesetz z u d e n a n d e r e n , M i t t e l n ' des F ü h r e r - W i l l e n s h e r a b 4 2 . N a c h M a u n z i s t d e r „ F ü h r e r . . . n i c h t auf d e n W e g d e r Gesetzesform beschränkt, sondern k a n n seinen W i l l e n " — der W i l l e des F ü h r e r s löste, w i e M a u n z z u v o r feststellt, i m nationalsozialistischen S t a a t das Gesetz ab — „ i n a n d e r e r Weise u n d auch i n sehr a l l g e m e i n e n U m r i s s e n k u n d t u n " 4 3 . Ä h n l i c h , noch d e u t l i c h e r , Best: „ D e r W i l l e d e r F ü h r u n g , gleich i n w e l c h e r F o r m er z u m A u s d r u c k g e l a n g t — ob d u r c h Gesetz, V e r o r d n u n g , E r l a ß , E i n z e l b e f e h l , G e s a m t a u f t r a g , O r g a n i s a t i o n s - u n d Z u s t ä n d i g k e i t s r e g e l u n g u s w . (sie!) — schafft Recht u n d ä n d e r t b i s h e r geltendes Recht a b 4 4 . " 42 Auch Koellreutter kennt neben — verkündungsbedürftigen — Gesetzen verkündungsbefreite »politische Führungsakte', wobei es dem Führer überlassen bleibt, das »politische Wesen' solcher A k t e zu erkennen. Wenn auch das Verhältnis nicht erörtert w i r d , der K o n t e x t läßt doch auf die Auffassung schließen, Gesetz wie »politische Führungsakte' stünden i n gleichem Rang und gleicher K r a f t . (Recht u n d Richter i n England u n d Deutschland, i n : Verw. Archiv, Bd. 14 [1942], S. 231.) 43 a.a.O. 44 a.a.O. Die Frage stellt sich, w i e w e i t Best die W i r k l i c h k e i t des NS-Staates t r i f f t , oder ob er i n Wunschvorstellungen diese W i r k l i c h k e i t ebenfalls v e r fehlt. (Vgl. H. Buchheim, Anatomie des SS-Staates, Bd. 1, Ölten u n d Freiburg i m Breisgau 1965, S. 16, A n m e r k u n g 5.) Zwischen verschiedenen Bereichen der Exekutive, zwischen herkömmlicher V e r w a l t u n g u n d Sicherheitspolizei etwa, muß dabei unterschieden werden, lassen sich ganz unterschiedliche Grade des Rückgangs des Grundsatzes v o m Vorbehalt u n d Vorrang des Gesetzes feststellen. F ü r die (partielle) Wirklichkeitsnähe des Praktikers Best (SS-Brigadeführer u n d Ministerialdirektor) seien zwei Beispiele des Verhaltens (wobei n u r das objektive Verhalten gewertet werden kann, w i e w e i t i h m eine subjektive Überzeugung entsprach oder wieweit dieses Verhalten etwa durch Druck erreicht wurde, muß, w e i l unüberprüfbar, dahingestellt bleiben) hoher Juristen gegenüber den gesetzesdurchbrechenden Anordnungen zum Massenmord an Geisteskranken genannt: 1. Bereits auf eine mündliche M i t t e i l u n g des Staatssekretärs Schlegelberger hin, der Führer habe die sogenannte Euthanasie-Aktion befohlen, waren die Präsidenten des R G u n d der OLGe u n d die Generalstaatsanwälte bereit, diese A k t i o n zumindest als eine legale zu behandeln, stellten darum eingeleitete Ermittlungsverfahren ein u n d nahmen neue nicht auf, obwohl es sich erkennbar u m Verbrechen nach den bestehenden §§211, 212 StGB handelte, setzten also das (gesetzlich festgelegte) Legalitätsprinzip aufgrund Führer-Befehls insoweit außer Geltung. (Vgl. U r t e i l i m F a l l Schlegelberger ./. L a n d Schleswig-Holstein, mitgeteilt bei Redeker, i n : N J W 1964, S. 1098, Fußnote 6.) 2. „ . . . die Herren Juristen (es bleibt offen, welchem A m t diese Juristen angehörten, da es u m die als geheime Reichssache behandelte EuthanasieA k t i o n ging, k a n n aber m i t ziemlicher Sicherheit angenommen werden, daß es sich u m Juristen aus der Spitze eines Ministeriums handelte), i n

1.3. Die Unterscheidung vom Gesetz

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Doch unabhängig davon, ob gleicher Rang aller ,Mittel· oder Vorrang des Gesetzes, ob Gleichheit aller ,Mittel· oder Vorbehalt des Gesetzes i m nationalsozialistischen Staat gelten sollten 45 , alle Vertreter nationalsozialistischer Rechtsanschauung, auch Maunz und Best, unterscheiden zumindest Gesetz von anderen ,Mitteln 4 des Führer-Willens. Freilich läßt sich das Gesetz von anderen ,Mitteln 4 , da inhaltlich-qualitativ alle, Berlin sagten uns, daß es sich bei dieser Aufgabe (Euthanasie-Aktion) u m eine legale Angelegenheit handele, daß es ein Gesetz Hitlers sei, bzw. ein gesetzkräftiger Erlaß — rechtskräftiger Erlaß, daß dann auch die Frage, ob H i t l e r ermächtigt ist bzw. derartige Erlasse zu geben, wurde besprochen von Juristen u n d w u r d e bejaht — u n d uns w u r d e gesagt, daß es sich u m eine Angelegenheit handelt, die durchaus eine legale Staatsaufgabe sei . . . , u n d daß w i r uns i n keiner Weise irgendwie strafbar machen w ü r d e n u n d i m Gegenteil, daß eine Sabotage dieses Führerbefehls strafbar sei." (Aussage eines an den Morden beteiligten Arztes. Zitiert nach dem Vernehmungsprotokoll, abgedruckt bei: Mitscherlich/ Mielke, Das D i k t a t der Menschenverachtung, Heidelberg 1947, S. 112. Ähnliche, w e n n auch nicht so eindeutig-ausführliche Aussagen machen andere Ärzte i n diesem Zusammenhang.) 45 Noch weniger als den Vertretern nationalsozialistischer Rechtsanschauung gelang es der Rechtssprechungspraxis u n d Rechtswissenschaft nach 1945, das Verhältnis der verschiedenen »Mittel· des Führer-Willens, insbesondere die Frage nach Vorbehalt u n d Vorrang des Gesetzes i m NS-Staat einheitlich zu beantworten. Während der B G H gelegentlich von dem ,als Gesetz eingeschätzten Führerwillen' ausgeht (was i n diesem allgemeinen Umfang i m NS-Staat gar nicht vertreten wurde), spricht er, sowie die meisten U n t e r gerichte, an anderen Stellen den ,Führer-Befehlen', »Führer-Erlassen', also anderen ,Mitteln', die Eigenschaft gültiger »Rechtsnormen' ab. Das soll sich aus formalen Gründen ergeben, w e n n solche Erlasse usw. nicht publiziert wurden (hier w i r d also davon ausgegangen, solche Erlasse usw., seien i n ihren formalen Erfordernissen w i e Gesetze zu behandeln) oder aber aus einer Rangfolge Gesetz — Erlasse usw., wobei Erlasse usw. — und darauf gestütztes Handeln — dann rechtswidrig sind, w e n n sie geltenden Gesetzen widersprachen (Vorrang w i e erhöhte Bestandskraft des Gesetzes gegenüber Erlassen usw. g i l t demnach i m ,Führer-Staat' w i e i m gewaltengeteilten Staat). Meist w i r d zusätzlich noch ein a fortiori Argument eingeführt: w i e immer Rang u n d W i r k i m g nationalsozialistischer Gesetze u n d anderer, den W i l l e n der F ü h r u n g verwirklichender »Mittel· eingeschätzt würden, jedenfalls seien sie dann ungültig, w e n n sie den »Kernbereich des Rechts' verletzten. A u f fallenderweise w i r d m i t dieser Formel — allerdings uneingestanden — von den Gerichten rückwirkende Beurteilung des NS-Staates, insbesondere seiner Rechtsanschauungen erreicht. Auffallend darum, weil, aus rechtsstaatlichen Bedenken, deutsche Gerichte anderseits i m m e r abgeneigt waren, ein v o r handenes rückwirkendes Gesetz, nämlich Kontrollratsgesetz Nr. 10, auf Handlungen aus der NS-Zeit anzuwenden. Dieser Ausschnitt aus dem Problem des Geltens u n d der Gültigkeit nationalsozialistischer Gesetze w i e anderer ,Mittel' braucht allerdings — w i e das gesamte Problem überhaupt — i m Rahmen der Themenstellung dieser Arbeit nicht erörtert zu werden. E i n B i l d v o m Meinungsstand u n d Meinungsstreit der Rechtswissenschaft zu dem genannten Problem v e r m i t t e l n die Aufsätze von Roesen, A r n d t , Welzel, Redeker, Baumann, Lewald, i n : N J W 1964 über Rechtsfragen der Einsatzgruppen-Prozesse; aus letzter Zeit, m i t umfangreicher Verarbeitung der Rechtssprechung, auch noch E.-W. Hanack, Z u r Problematik der gerechten Bestrafung nationalsozialistischer Gewaltverbrecher, Tübingen 1967.

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1. Ziel, Methode und Ausgrenzungen

Gesetz wie andere ,Mittel·, vom Willen des Führers bestimmt werden sollten, nur äußerlich-formal, durch — wie noch zu zeigen sein w i r d — ein ,Minimum von Form' 4 6 und, w e i l die anderen ,Mittel· begrifflich nicht erfaßt wurden, auch nur negativ, abgrenzen. Aber daß diese Trennung möglich ist, daß sie auch von Vertretern nationalsozialistischer Rechtsanschauung beibehalten wurde, erlaubt, andere ,Mittel des Führer-Willens' als das Gesetz i n dieser Arbeit nicht zu erörtern.

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Z u diesem »Minimum von Form 4 unten S. 129 ff.

2. Kategorien nationalsozialistischer Staats- und Rechtsvorstellung Die Vertreter nationalsozialistischer Staats- und Rechtsvorstellung lassen sich hauptsächlich drei Kategorien zuordnen: dem konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenken oder dem absoluten Idealismus oder dem völkischen Vitalismus. 2.1. Das konkrete Ordnungs- und Gestaltungsdenken I m Ausdruck gebildet und i m Inhalt geformt von Carl Schmitt, bleibt das sogenannte konkrete Ordnungs- und Gestaltungsdenken wesentlich dem Dezisionismus verhaftet. Souveräne Dezision und ,Ordnung 4 verstanden als immanentes Prinzip sozialer Gebilde stehen jedoch i n Widerspruch zueinander, i n einem Widerspruch, der sich nicht damit überwinden läßt, Ordnung und Gestaltung einfach i n einem Begriff zusammenzuspannen. Tatsächlich nennt Carl Schmitt nicht einmal nur den Ansatz eines Erkenntnisverfahrens immanenter Prinzipien der ,Ordnungen 4 , zeigt nirgends das Bemühen u m den Inhalt der konkreten ,Ordnungen 4 , feiert stattdessen m i t panegyrischem Lob die konkrete Tat, die Entscheidung, aus der Ordnimg erst wachse. Bildet das konkrete Ordnungs- und Gestaltungsdenken demnach nichts als ein Tarnwort für Dezisionismus, eignet es sich bestens als nationalsozialistische Staats- und Rechtsvorstellung, bestätigt sie doch stets den an Entscheidungen so reichen ,Führer-Staat 4 . Andere folgten darum Carl Schmitt in seiner Methodik nach, übernahmen, nun allerdings i n einem dauernden Rekurs auf den FührerWillen anstatt auf die ,Ordnungen 4 als Dezisionismus überhaupt nicht mehr verhüllt, das konkrete Ordnungs- und Gestaltungsdenken. Insbesondere E. R. Huber stützte sich i n seinen Erörterungen nationalsozialistischen Verfassungsrechts und Maunz i n seinen Darstellungen nationalsozialistischen Verwaltungs- und Polizeirechts auf das konkrete Ordnungs- und Gestaltungsdenken. 2. „Rechtsphilosophie ist für mich . . . die Entwicklung konkreter Begriffe aus der Immanenz einer konkreten Rechts- und Gesellschaftsordnung 1 . 44 Diese Methode Carl Schmitts, materiale Grundtatbestände des Rechts aus einer konkreten gesellschaftlichen Seins-Ordnung zu 1 Carl Schmitt, Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft, i n : V e r fassungsrechtliche Aufsätze, B e r l i n 1958, A n m e r k u n g S. 427.

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2. Kategorien nationalsozialistischer Staats- und Rechtsvorstellung

gewinnen, stellt sie — zumindest auf einen ersten Blick — neben zwei andere Methodenlehren der neueren Rechtswissenschaft: neben die Lehren Savignys und Haurious. Auf Hauriou und seine Institutionenlehre bezieht denn auch Carl Schmitt ausdrücklich sein konkretes Ordnungs- und Gestaltungsdenken 2 . Wenn er außerdem als Vertreter des konkreten Ordnungsdenkens Thomas v. A q u i n neben Luther, Hegel, Fichte, Savigny, Schelling, Santi Romano und den Führer der deutschen Rechtsfront, Hans Frank, stellt 3 , beweist dies nicht nur das ,erstaunliche Fassungsvermögen' seines Ordnungsbegriffs (P. Schneider), sondern auch, daß dieses Denken nicht ausschließlich Geist vom Geiste des Nationalsozialismus prägen sollte. Hauriou 4 sah den einzelnen Menschen, i n seinem Sinnen und Trachten, i n seinem Tun und Lassen, i n all seinen Beziehungen zur Umwelt, gebunden i n eine Vielzahl verfestigter Sozialgebilde, denen, neben anderen, auch rechtliche Eigenschaften entsprechen, die allgemein hingenommen, anerkannt werden. Die Ehe beispielsweise, oder die Familie, oder eine Betriebsgemeinschaft von Arbeitern, w i r d durch ganz bestimmte Anschauungen, Sitten, Bräuche, Meinungen bestimmt. Sie sind vorgegeben, vom Willen des einzelnen unabhängig, nicht subjektivkontraktuell gestaltbar. Dieses objektive Verfestigt-Sein weist sie als Institutionen aus. Die Gemeinschaft eines Volkes erscheint als eine Summe von Institutionen, der Staat, die rechtliche Verfaßtheit einer völkischen Gemeinschaft, umschließt als I n s t i t u t i o n der Institutionen 4 all die vielzähligen anderen Institutionen, er gleicht einem wohlgeordneten Ganzheitsgefüge. Das Recht, soweit es verfaßt ist, kann von der Institutionentheorie nicht als gesetzte Regel, sondern nur als eine aus der ,Anschauung 4 der Institutionen gewonnene Norm verstanden werden. Gerade diese ,Anschauung 4 wechselt m i t Raum (von Volk zu Volk, von Kulturgemeinschaft zu Kulturgemeinschaft) und Zeit. Sie vermittelt also keine Normen von starrer Absolutheit, w o h l aber solche, die von einer Objektivität, d. h. einer von einzel-menschlichem Belieben unabhängigen Gestaltung, getragen sind 5 . 2 z.B. i m V o r w o r t zur 2. Aufl. der „Politischen Theologie" München u. Leipzig 1934. 3 Vgl. Über die drei A r t e n des rechtswissenschaftlichen Denkens, a.a.O., S. 58. 4 Darstellungen der Institutionentheorie Haurious: P. Schneider, i n j Staatslexikon, Bd. 4, 6. Aufl. Freiburg 1959, Stichwort „ H a u r i o u " ; G. Grundlach, i n : Staatslexikon, a.a.O., Stichwort „ I n s t i t u t i o n " ; Leontowitsch, Die Theorie der Institution bei Maurice Hauriou, i n : A R S P h Bd. 29 u. 30, S. 363 ff. bzw. S. 202 ff. Bibliographie der Werke Haurious u n d der Arbeiten über i h n bei R. Schnur, Die Theorie der Institution. B e r l i n 1965. 5 Diese Merkmale weisen die aus ,Anschauung' einer Institution gewonnenen Normen nach der von Fechner, Rechtsphilosophie, Tübingen 1956, S. 220 f ü r das Naturrecht gegebenen Begriffsbestimmimg auch als „rechtverstandenes" Naturrecht aus.

2.1. Das konkrete Ordnungs- und Gestaltungsdenken

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Die Worte und Begriffe der Lehre vom konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenken gleichen denen der Institutionentheorie Haurious — zumindest sprachlich-begrifflich. So bezeichnet Carl Schmitt beispielsweise seine A r t des Rechtsdenkens zunächst als ,institutionelles Denken 4 , dann, um dem Vorwurf zu entgehen, französisches und dazu noch vom Katholizismus geprägtes Rechtsdenken zu rezipieren, benennt er sie i n ,konkretes Ordnungs- und Gestaltungsdenken 4 um 6 . Gleich den Institutionen Haurious sollen diese Ordnungen „eine eigene rechtliche Substanz44 i n sich tragen 7 , alle generellen Regeln, alle Gesetze sind nur ,Ausfluß dieser Substanz4, oder i n den — von Carl Schmitt voller Zustimmung zitierten — Worten Santi Romanos anders ausgedrückt: „Die rechtliche Ordnung . . . ist ein einheitliches Wesen, eine Enität, die sich teilweise nach Regeln bewegt, vor allem aber selber die Regeln bewegt .. A 4 4 3. Wenn Carl Schmitt tatsächlich die Institutionenlehre Haurious für das nationalsozialistische Rechtsdenken rezipierte, zwar von Ordnungen anstatt von Institutionen spräche, aber i n der Sache doch nichts veränderte, erwiese sich das konkrete Ordnungsdenken als Vehikel einer, allerdings völkisch-partikulär verengten ,Naturrechtslehre', gäbe gleichsam das trojanische Pferd ab, m i t dem ein ,deutsches Naturrecht 4 i n die nationalsozialistische Rechtsvorstellung hätte eindringen können 9 . Aber Carl Schmitt übernahm Haurious Lehre nicht nur, er veränderte sie auch zugleich, so daß i m Ergebnis Hauriou nur Begriffe des konkreten Ordnungsdenkens, den Inhalt aber dem nationalsozialistischen Tagesgebrauch angepaßte dezisionistische Gedanken prägten. Carl Schmitt erlag mit seiner neuen Kategorie des rechtswissenschaftlichen Denkens i n konkreten Ordnungen vollkommen einer Gefahr der Institutionenlehre: er setzte den Wert der Institution vor den des Individuums. Hauriou hatte den Menschen i n seinem ,individualisme faillible 4 gesehen und gemeint, der einzelne könne deshalb nur i n der Gemeinschaft Schutz und Sicherheit, und aus der Gemeinschaft Weisung und Gebot erhalten. Aber die Gruppe erlangte dadurch keinen Eigenwert, war um des Individuums willen da — i n Haurious eigenen Worten ausgedrückt: (le groupe) „a une existence objective indéniable . . . mais son existence n'est pas séparable de celle des hommes 4410 . Anders, ganz 6

Über die drei A r t e n des rechtswissenschaftlichen Denkens, a.a.O., S. 58. 7 a.a.O., S. 20. β a.a.O., S. 24. 9 Z u den scheinbaren Übereinstimmungen naturrechtlicher Gedanken m i t der nationalsozialistischen Ideologie u n d ihrem völkischen Pseudo-Naturrecht, vgl. H. Thieme, Das Naturrecht u n d die europäische Privatrechtsgeschichte, 2. Aufl. Basel 1954, S. 49. 10

Zitiert nach P.Schneider, in: Staatslexikon, a.a.O.

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2. Kategorien nationalsozialistischer Staats- und Hechtsvorstellung

anders bei Carl Schmitt. Keine seiner Institutionen bezieht ihren Wert durch den einzelnen, Individualismus erscheint nur noch als Peiorativ, als ,Zerreißung' der Einheit 1 1 . Deshalb feierte er beispielsweise das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit als gelungenen Ausdruck des Ordnungsdenkens: „Unternehmer, Angestellte und Arbeiter sind Führer und Gefolgschaft eines Betriebes, die gemeinsam zur Förderung der Betriebszwecke und zum gemeinen Nutzen von Volk und Staat arbeiten; beide erscheinen als die Glieder einer gemeinsamen Ordnung . . , 1 2 ." Aber nicht so sehr die Verkehrung des Wertranges von Gemeinschaft und Individuum entblößte Carl Schmitts Ordnungsdenken aller Eigenständigkeit, wandelte es zu einer Spielart nationalsozialistischer Propaganda. Dieser Wandel ist vielmehr dem Abrücken von einer anderen Grundposition Haurious zuzuschreiben: wenn das Recht i n der Institution als objektive Idee vorgegeben ist, muß es einmal gegeben worden sein. Gegeben von wem? Haurious A n t w o r t : das i n den Institutionen angelegte Recht, die ,idée directrice' entstammt der ,volonté générale', der ,solidarité sociale' 13 . Nach Carl Schmitt dagegen stiftet ,menschliche Tat' die Ordnimg 1 4 . Doch könnte diese Tat nur als eine vermittelnde gemeint sein, als eine Tat, die danach strebe, rein und unverfälscht eine schon bestehende Ordnung herauszuarbeiten. Denn es mag ein Volk, um den Weg zu seiner „unversehrten, nicht korrupten Natur", „zu dem einfachen Prinzip der eigenen A r t " 1 5 , zu seinem rechtverstandenen Rechte, zurückzufinden der Tat bedürfen, durch die es ,sich selbst begegnet', und es mochte das deutsche Volk — u m „zwei große Invasionen fremden Rechts" — die Rezeption des römischen Rechts und des liberalen Konstitutionalismus — m i t ihrer geistigen „Unterwerfung unter fremde, i n sich formierte, ausgearbeitete Begriffs- und Denksysteme" 16 i n ihren Folgen zu beseitigen, sich auf das ,deutsche Ordnungsdenken' (wenn man einmal von Carl Schmitt übernimmt, es habe diese A r t spezifisch deutschen Rechtsdenkens je gegeben) besinnen. Aber nachdem diese Tat durch den Führer Adolf Hitler vollbracht worden sein soll 1 7 , nachdem gleichsam die Mauer vor dem deutschen n Vgl. beispielsweise: Staat, Bewegung, Volk, Hamburg 1933, S. 33. 12 Über die drei A r t e n des rechtswissenschaftlichen Denkens, a.a.O., S. 64. (Hervorhebungen nicht i m Original.) 13 Vgl. Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung. Tübingen 1968, S. 283 ff. 14 Staatsethik u n d pluralistischer Staat, i n : Positionen u n d Begriffe, H a m burg 1940, S. 144. 15 Formulierungen aus: Das Zeitalter der Neutralisierungen u n d E n t politisierungen, i n : Positionen u n d Begriffe, a.a.O., S. 131. Unsere geistige Gesamtlage u n d unsere juristische Aufgabe, i n : Z A k D R , l . J g . (1934), S . l l f .

So ausdrücklich a.a.O.

2.1. Das konkrete Ordnungs- und Gestaltungsdenken

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Recht „der guten Sache" 18 eimgerissen, die Sicht darein ungehindert war, hätte das Ordnungsdenken seine Aufgabe daraus erhalten, die vorhandenen konkreten Ordnungen aufzudecken und eine umfassende Ordnung aufzuzeigen. Doch dahin gelangt Carl Schmitt nicht: die ordnungsstiftende Tat soll keine gegebene Ordnung vermitteln, sie soll vielmehr die Ordnung dauernd neu gestalten, nicht der objektive Wille einer sittlichen Idee, der schaffende Wille des Führers erhebt sich zum „nomos des deutschen Volkes" 1 9 . Der Staat und seine Gesetze als „Plan und Wille" des Führers, als „Wille, Entscheidung und Tat" des Führers, so lauten die Losungen des konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenkens 20 . Eigentümlich gedoppelt freilich scheint des Führers Wille und Tat: frei und doch gebunden, beliebig und doch verantwortlich. Denn „Wille, Entscheidung und Tat haben nur dann politischen Rang, wenn sie das lebendige Sein zur geordneten Einheit gestalten und wenn sie zugleich aus dieser lebendigen Ordnung hervorgehen" 21 . Einmal mehr — so scheint es — w i r d die Hinneigung des Ordnvings- und Gestaltungsdenkens zur Institutionenlehre Haurious und auch zu Savigny deutlich: die „lebendige Ordnung" bildet den Quell für Wille und Tat des Führers. Doch den Quell allein zu kennen genügt nicht; zu wissen, wie denn daraus zu schöpfen sei, ist auch noch nötig. Wer darauf Antwort weiß, dem mag sich der Weg zum Grund allen Rechts öffnen. U m eine solche Antwort ist das Ordnungs- und Gestaltungsdenken verlegen, dafür bietet es eine andere Lösung: es sei danach zu fragen, wer den Inhalt der konkreten Ordnungen erkenne, nicht wie er i h n erkenne 22 . Die Zweifel um das ,rechte Recht' mögen auch dann noch vielen bleiben, einer ist ihrer jedenfalls ledig, eben der, dessen Wille und Plan zum ,nomos des deutschen Volkes' geworden. Er gestaltet das konkrete ,lebendige Sein', vorgeblich aus der lebendigen Ordnung. Doch zugleich schafft seine Tat erst die Ordnung 2 3 . Nicht die Tat also entspringt der is Ebenda. 19 Der Neubau des Staats- u n d Verwaltungsrechts, i n : Deutscher Juristentag 1933, B e r l i n 1933, S. 252. so Vgl. beispielsweise: Carl Schmitt, i n : Z A k D R , 2. Jg. (1935), S. 439 oder E.R. Huber, i n : ZStW, Bd. 95 (1935), S.29f. 21 E . R . H u b e r , a.a.O. 22 M i t dem höchsten Maß an Sinnfälligkeit stattet Carl Schmitt diesen Gedanken i n : Staat, Bewegung, V o l k (a.a.O., S. 44) aus: „Niemals hat die Frage ,quis judicabit' eine derartig alles entscheidende Bedeutung gehabt wie heute." ,quis' gesperrt u n d fettgedruckt! 23 Die beiden bekanntesten Beispiele dieses Zirkelschlußdenkens bei Carl Schmitt seien genannt: a) Die Apologie der Ereignisse des 30. J u n i 1934, i n : Der Führer schützt das Recht, D J Z 1934, Sp. 945 ff. Dort heißt es: „Der Führer schützt das Recht . . . , w e n n er . . . k r a f t seines Führertums . . . unmittelbar Recht schafft." Indem etwas geschaffen w i r d , w i r d es beschützt! 3 Kirschenmann

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2. Kategorien nationalsozialistischer Staats- und Rechtsvorstellung

Ordnung, vielmehr die Ordnung der Tat. Die Tat, die Entscheidung, w i r d zum höchsten Prinzip staatlichen und rechtlichen Handelns. Sie sieht ab von jedem materialen Gerechtigkeitsinhalt, von jeder Frage nach der iusta causa, sie wertet nicht wie, sondern daß entschieden werde. 4. Für diese A r t des juristischen Denkens gab Carl Schmitt selbst eine treffende Schilderung — allerdings spricht er von Hobbes und dem Leviathan, nicht von Carl Schmitt und Adolf Hitler: „ I n i h m (diesem juristischen Denken) erscheint der große, sämtliche anderen Ordnungen verschlingende Leviathan. Er beseitigt oder relativiert die überkommenen . . . Gemeinschaften . . . , beseitigt jedes auf solche vorstaatlichen Ordnungen gestützte Widerstandsrecht, monopolisiert das Recht beim staatlichen Gesetzgeber und sucht die staatliche Ordnung vom Individuum, also ordnungshaft betrachtet, von einer tabula rasa her, aus einem Nichts an Ordnung und Gemeinschaft zu konstruieren 2 4 ." Dezisionismus nannte Carl Schmitt diese Denkweise, ihr war er während der Zeit der Weimarer Demokratie verpflichtet und ihr blieb er auch nach 1933 verpflichtet, trotz der angeblich neuen A r t des juristischen Denkens, dem konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenken 25 . „Denn die institutionalistische Theorie kann niemals . . . sagen, welche Eingriffe und welche A r t der Normierung der Institution fachgerecht' sind, sie kann nicht aus sich selbst heraus entscheiden, ob die ,konkrete Stellung des Volksgenossen' so und nicht anders sein soll. Diese Entscheidimg fällt der Apparat des autoritären Staates, der sich des Führerbefehls als des technischen Mittels bedient 2 6 ." M i t diesem Dezisionismus bleibt Carl Schmitt auch seinem Begriff des Politischen treu, der erst von der ,tabula-rasa-Situatiön', von dem ,Nichts an Ordnung' her seinen Sinn gewinnt. Das Politische selbst besitzt nach Carl Schmitt keine eigene Substanz, kann verschiedenste Gehalte — konfessionelle, wirtschaftliche oder völkische beispielsweise — umfassen. Der Wert der politischen Einheit liegt lediglich i n dem Grad der Intensität, m i t der sie zu entscheiden vermag und damit „innerhalb ihrer selbst alle anderen gegensätzlichen Gruppierungen daran b) 1939 i n : Der Reichsbegriff i m Völkerrecht, i n : Positionen u n d Begriffe, a.a.O., S. 312 erklärt Carl Schmitt, er habe nicht gewußt, was er an die Stelle der alten (Staaten) Ordnung setzen sollte, bis die T a t des Führers (gemeint ist der Anschluß Österreichs) i h n die geschichtliche Wahrheit gelehrt habe. 24 Über die drei A r t e n des reditswissenschaftlichen Denkens, a.a.O., S. 41. 25 Vgl. H. Hofmann, L e g i t i m i t ä t gegen Legalität. B e r l i n u n d Neuwied 1964, S. 182. „Schmitt verließ den Kreis nicht, i n dem er schon vor 1933 dachte u n d schrieb." 26 Franz L . N e u m a n n , Der Funktionswandel des Gesetzes i m Recht der bürgerlichen Gesellschaft, i n : Demokratischer u n d autoritärer Staat. F r a n k f u r t 1967, S. 74.

2.1. Das konkrete Ordnungs- und Gestaltungsdenken

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hindern kann, sich bis zur extremen Feindschaft (d. h. bis zum Bürgerkrieg) zu dissozieren" 27 . Entscheiden und gestalten, darin erweist sich die wahre politische Einheit, und nachdem die vom pluralistischen Staat der Weimarer Demokratie befreiende, die politische Einheit schaffende Tat geschehen, nachdem die politische Einheit nicht nur vom Führer realisiert, sondern auch i n i h m personifiziert war, konnte das Recht nichts anderes sein als Gestaltung des Führers. Dieses Recht, ungebunden an materiale Prinzipien (nach nationalsozialistischem Selbstverständnis richtiger: gebunden an solche, die nur der Führer vermittelt), zweckvolle Maßnahme lediglich, unterscheidet nichts mehr von der Verordnung des Diktators. Dessen Diktatur nämlich bedeutet — so definiert Carl Schmitt i n seiner Diktaturstudie — die „Herrschaft eines ausschließlich an der Bewirkung eines konkreten Erfolges interessierten Verfahrens, die Beseitigung der dem Recht wesentlichen Rücksicht auf den entgegenstehenden Willen eines Rechtssubjekts, wenn dieser Wille dem Erfolg hinderlich i m Wege steht; demnach die Entfesselung des Zweckes vom Recht" 28 . Damals — 1921 bzw. 1928 — hatte Carl Schmitt Jhering indirekt als Propagandisten einer verabsolutierten Diktatur der Staatsgewalt bezeichnet, w e i l i h m Recht nur Mittel zum Zweck, zum Bestehen der Gesellschaft sei, w e i l ihm „Krieg gegen den äußeren Feind und Unterdrückung eines Aufruhrs . . . nicht Ausnahmezustände (seien), sondern der ideale Normalfall, i n dem Recht und Staat ihre Zweckhaftigkeit m i t unmittelbarer K r a f t " entfalteten 29 . Diese Worte bedeuten für die Zeit des Nationalsozialismus aber auch genau eine „Konsequenz, welcher Schmitt selbst nicht entgangen ist" 8 0 . Weil am Anfang stets die Gestaltung, dann erst die Ordnung war, gelang Carl Schmitt und seinen Anhängern m i t dem Ordnungs- und Gestaltungsdenken lediglich sprach-begrifflich die Spannung, die Dialektik, richtiger noch, die Antinomie, die i n diesem Denken steckt, — das Recht w i r d aus vorgegebenen Ordnungen gewonnen, die Ordnungen werden aber zugleich durch Wille und Tat gestaltet — zu überbrücken, nicht aber gelang es ihnen, das Recht von bloß willkürlicher Gestaltung freizuhalten. So erlagen sie ganz und gar der „Gefahr des zu konkreten Denkens", der Gefahr der „Selbstpreisgabe des Juristischen angesichts der konkreten Situation" 8 1 .

27 Staatsethik u n d pluralistischer Staat, a.a.O., S. 141. 28 Die Diktatur. 2. Aufl. München u n d Leipzig 1928, S. I X . 20 Ebenda. 30 P.Schneider, Ausnahmezustand u n d Norm, Stuttgart 1957, S.264. 31 So das kritische U r t e i l Dahms über Carl Schmitts konkretes Ordnungsund Gestaltungsdenken i n seiner Rezension der Schrift „Uber die drei A r t e n des rechtswissenschaftlichen Denkens", i n : ZStW, Bd. 95 (1θ35), S. 185.

3'

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2. Kategorien nationalsozialistischer Staats- und Rechtsvorstellung

5. Aus der Lehre von den Ordnungen folgt die Verfassungskonstruktion des nationalsozialistischen Führer-Staates, einer „politischen Einheit dreier Ordnungsreihen" 32 : einer unpolitischen Ordnung, die i m ,Schutz und Schatten' des Politischen wächst, dem Volk, einer politisch-dynamischen, der Bewegimg und einer politisch-statischen, dem Staat 33 . Untereinander sind diese Ordnungen nicht gleichgewichtig, die Bewegung „durchdringt und führt die beiden anderen" 34 . Es scheint, als sei damit ein Ansatz zum Denken i n Institutionen gemacht, deren oberste, die Bewegung, als Institution der Institutionen, die anderen umfaßt und ordnet. Doch Carl Schmitt vernichtet diesen Ansatz sofort, indem er ein gestaltendes Prinzip, einen objektiven immanenten Gedanken der ,Ordnung' gar nicht erst zu fassen sucht, sondern lediglich die Realerscheinung dieser Ordnungseinheit, die Partei, als besondere Gestalt der Bewegung vorweist. Die Partei aber — und m i t ihr die durch die verkörperte Bewegung — unterliegt „straffer Führung" 3 5 . Damit dringt, auf kurzgeschlossenem Wege sozusagen, die Gestaltung i n die Ordnung ein, genauer noch, verdrängt die Gestaltung die Ordnung. Carl Schmitt müht sich denn auch kaum, zu verschleiern, daß die Gliederung der politischen Einheit i n drei Ordnungsreihen ihm nicht mehr als bloße Deklamation bedeutet, daß er diese Ordnung bar aller vorgegebenen ordnungshaften Elemente versteht. Den Staat beispielsweise kennzeichnet er als „Befehls-, Verwaltungsund Justizorganisation" 36 , als technischen Apparat, manipulierbar, organisierbar, doch keinesfalls als eine Ordnung. Ein möglicher Gegensatz von Ordnung und Gestaltung w i r d also auch in der Lehre vom nationalsozialistischen Staat durch das Primat der Gestaltung ausgeschlossen. 2.2. Der objektive (absolute) Idealismus Angelehnt nur an Hegels Denken geriet der objektive Idealismus zum Versuch, Hegel ,umzugestalten und zu ergänzen' 37 , strebte er nicht danach, Hegel zu begreifen, vielmehr aus seiner Philosophie herauszugreifen, was dazu eignete, sie ,auf die Füße zu stellen' — diesmal allerdings nicht i m marxistischen Sinne, sondern i m völkisch-nationalisti32 Staat, Bewegung. Volk, a.a.O., S. 12 ff. 33 Das W o r t ,Staat' w i r d i n der vorgenannten Schrift von Carl Schmitt verwirrend unterschiedlich gebraucht. E i n m a l bezeichnet es i m hergebrachten Sinne die höchste politische u n d rechtliche Einheit eines Volkes, dann wieder n u r eine Ordnung neben anderen Ordnungen. 3 4 Staat, Bewegung, Volk, a.a.O., S. 12. 35 a.a.O., S. 13. ™ a.a.O., S. 12. 37 Vgl. Larenz, Rechts- u n d Staatsphilosophie der Gegenwart, Berlin 1935, S. 129.

2.2. Der objektive (absolute) Idealismus

37

sehen. I n einer allgemeinen Hegelrenaissance (Giese, Rosenzweig, Spann, Schönfeld) war es vornehmlich Julius Binder, der den — von ihm so bezeichneten — objektiven Idealismus dem Denken Hegels entlehnte. Doch indem er aus einem Bruchstück ein Ganzes zu schaffen suchte, indem er den Staat und das Recht als Einheit des Volkswillens i n der Dialektik von Persönlichkeit und Gemeinschaft zu begreifen trachtete, dabei aber den einzelnen nur als Gemeinschafts-Teil sah, fälschte er Hegel 38 . Der i n der Synthese von Besonderem und Allgemeinem ,aufgehobene' Wille des Individuums stützt den allmächtigen Staat. Gerade diese Staatsvergötterung begünstigte die Verbindung von objektivem Idealismus und Nationalsozialismus. Zwar lehnte der Nationalsozialismus Hegel ab 3 9 , nicht aber die Neuhegelianer. Der Neuhegelianismus ,vegetierte' (Lukâcs) i n der nationalsozialistischen Zeit nicht, er gedieh, von Binders Schüler K a r l Larenz vollends auf die nationalsozialistischen Erfordernisse eingerichtet, recht gut 4 0 . Denn sicherlich nicht ohne Bedacht wurde eben Larenz auf den Lehrstuhl für Rechtsphilosophie an der beispielhaft nationalsozialistischen Rechtsfakultät der Universität K i e l berufen 41 . 2. Erkenntnis durch Realismus oder Idealismus, Erkenntnis der Gegenstände der Außenwelt mit dem Bewußtsein oder nur i m Bewußtsein, das ist die Frage, an der Binder die Kategorien des objektiven Idealismus entwickelt. Seine Antwort — ganz dem Hegelianischen Denken entsprechend —: alle Dinge der Außenwelt, insbesondere auch die M i t Menschen des erkennenden Subjekts, haben Realität. Eine Realität freilich, die nicht, wie es empirischem Bewußtsein entspricht, ,an sich' ist, eine Realität vielmehr, die nur „ i m Bewußtsein, für das Bewußtsein und als Bewußtsein" des um Erkenntnis bemühten einzelnen Menschen besteht 42 . Anders als die realistische Erkenntnistheorie, die lediglich von einer gegebenen Realität sagen könne, sie sei, nicht aber zu erklären vermöge, wie das Bewußtsein Kenntnis von diesem Sein erlange, sucht die objektive idealistische alle Erkenntnis aus einer Einheit von erkennendem Subjekt und erkanntem Objekt zu begreifen. Die Wirklichkeit 38 Z u Hegels Ansicht über das Verhältnis v o n Staat u n d I n d i v i d u u m vgl. beispielsweise § 124 seiner Philosophie des Rechts (Ausgabe Glockner, S t u t t gart 1938, Bd. 7). „ . . . das Recht der subjektiven Freiheit macht den Wendeund M i t t e l p u n k t i m Unterschied des Altertums u n d der modernen Zeit." 39 Nachweise bei: Lukâcs, Die Zerstörung der Vernunft, Neuwied am Rhein, Berlin-Spandau 1962, S. 202. 40 Vgl. Topitsch, Hegel u n d das Dritte Reich, i n : Der Monat, 1966, Heft 13, S. 36 ff. 41 Z u den Plänen u n d Absichten der Nationalsozialisten an der Kieler Rechtsfakultät: Erich Döhring, Geschichte der juristischen Fakultät 1665 bis 1965; (Bd. 3, T e i l 1 der Geschichte der Christian-Albrechts-Universität K i e l 1665—1965) Neumünster 1965. 42

Binder, Grundlegung zur Rechtsphilosophie, Tübingen 1935, S. 47.

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2. Kategorien nationalsozialistischer Staats- und Rechtsvorstellung

besteht demnach nicht bewußtseins-transzendent, sie besteht vielmehr nur als ein Anderes, Besonderes einer Allgemeinheit, der auch der erkennende einzelne angehört, dessen Bewußtsein die Wirklichkeit begreift, „indem (er) . . . begreift, daß sie und damit zugleich seine Erkenntnis von ihr, das Ergebnis des als Bewußtsein des Menschen denkenden und schaffenden Geistes ist" 4 3 . Dieses — das von Binder philosophisches' genannte — Bewußtsein verhilft dem Menschen also zur Erkenntnis seiner Außenwelt, genauer noch: dieses vom Geiste durchwaltete Bewußtsein schafft i m Vorgestellt- oder Gedachtwerden des Gegenstandes erst den Gegenstand. Doch wäre die Annahme irrig, hiermit sei alle Realität von einem bloßen Subjektivismus abhängig. Zwar bleibe — so der objektive Idealismus — alle Kenntnis der realen Dinge eine subjektive Erkenntnis, aber sie sei damit noch keine w i l l k ü r liche, denn i m Bewußtsein des Menschen lege der objektive Geist sich selbst i n Subjekt und Objekt auseinander, die subjektiv erkannte W i r k lichkeit sei jedoch Ergebnis des gleichen objektiven Geistes, der eben diese Wirklichkeit und die subjektive Erkenntnis von ihr umschließe 44 . Das kann für das Ergebnis der Erkenntnistheorie des objektiven Idealismus gelten: der Mensch muß sich m i t seiner Außenwelt i n einer umfassenden Einheit des Geistes verbunden wissen. Insbesondere darf er sich gegenüber seinen Mitmenschen nicht als das Einmalige und Einzige verstehen, ihnen nur durch bestimmte Merkmale angeglichen und damit zugleich auch wieder von ihnen unterschieden, vielmehr muß er wissen, daß er mit ihnen i n einer Gemeinschaft steht, wenn auch in der Form der Besonderheit, in der Form der konkreten Allgemeinheit. Darum muß er schließlich auch begreifen: „mein Bewußtsein ist nur ein besonderer, individueller Fall des Bewußtseins überhaupt, ist allgemeines Bewußtsein 45 ." 3. Der Rekurs auf den alles durchwaltenden Geist zeigt die Abhängigkeit des objektiven Idealismus von Hegel. Von Hegel w i r d vor allem auch die These übernommen, „der Weg, den die Menschheit als . . . (der) zu sich selbst kommende Geist gehen muß, führt sie durch die geschichtlichen Individualitäten der Völker oder Nationen" 4 6 . Der Geist also ist wesentlich Volks-Geist, er entfaltet sich in Geschichte und K u l t u r eines Volkes, w i r d aber auch „als Geist sich in dem Individualbewußtsein der 43 Binder, Der Idealismus als Grundlage der Staatsphilosophie, i n : Z D K , Bd. 1 (1930), S. 148. Hervorhebung nicht i m Original. 44 Eine knappe Darstellung der positiv-realistischen und der ontologisch (objektiv)-idealistischen Erkenntnistheorie gibt Binder i n : Der Idealismus als Grundlage der Staatsphilosophie, a.a.O., S. 142 ff. Insbesondere S. 144 bis 148. 45 a.a.O., S. 151.

6 Binder, Grundlegung zur Rechtsphilosophie, S. 4 .

2.2. Der objektive (absolute) Idealismus

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Glieder dieses Volkes seiner selbst bewußt . . ," 4 7 . Das seiende Volk, i n seinem So-Sein, i n all seinen Lebensäußerungen erscheint als Ergebnis des Geistes. Die Wirklichkeit also taugt zum Indikator des Geistes. Soll damit nicht das zufällig Wirkliche zum Geist erhoben werden, bedarf es eines Ausweges: der subjektive Wille der Individuen, der die Wirklichkeit gestalte, diene dem Geist nur als Handlanger. Damit aber bleibt ungeklärt, wie es zu Verirrungen des Geistes komme, die offensichtlich auch eintreten, so wenn Binder beispielsweise sagt, nach 1933 sei der deutsche Geist aus der Nacht des Wahns erwacht und habe „ i n dem neuen Geiste i n Wahrheit nur sich selbst wiedergefunden" 48 . Der objektive Idealismus löst diesen Widerspruch nicht, er löst i h n so wenig wie ein — naheliegendes — allzu vordergründiges Verständnis der Hegelschen Identitäts-Formel ihn löste: „Was vernünftig ist, ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig 4 9 ." Wenn auch Hegel selbst verdeutlicht 5 0 , er wolle m i t diesem Satz nicht sagen, „eine zufällige Existenz . . . (verdiene) den emphatischen Namen eines Wirklichen", so offenbart sich doch „verhängnisvoll gerade auf dem Bereich von Staat und Recht hier ein Ungenügen des Hegeischen Systems unter dem Gesichtspunkt menschlichen Lebens"51. Für den wirklichen, i m Staate lebenden Menschen ist höchst bedeutsam, zu wissen, wann denn nun ein Staat verdiene, eine (hegelsche) Wirklichkeit, wann nur eine bloße Existenz genannt zu werden, d. h., wann sich i m Staate die Vernunft, der Geist und damit auch das Recht oder aber der Un-Geist, das Unrecht verwirkliche. Hegel gibt keinen solchen Maßstab — er eröffnet nur die Gefahr, i n jedem existierenden Staat einen ,wirklichen 4 zu sehen, den Geist vom Un-Geist nicht trennen zu können. Eine Gefahr, der die objektiven Idealisten nach 1933 v o l l und ganz erlagen. 4. Die Lehre vom Volksgeist als der umfassenden W i r k - und Prägekraft aller Kultur, des Staates und des Rechts, förderte die Hinneigung des objektiven Idealismus zum Nationalsozialismus am meisten. Larenz vor allem fand damit das Widerlager, auf das sich die Brücke von Hegel zu Hitler stützen ließ. Freilich, vom Volks-Geist blieb i m Grunde nur noch die eine Hälfte, der Bios verdrängte den Logos, Rasse, B l u t und Boden traten an seine Stelle, der einzelne Mensch aber verlor dabei seine Bedeutung. Volksgeist hieß hinfort auch Gemeingeist, und m i t dem 47 a.a.O., S. 49. 48 Binder, Der Deutsche Volksstaart, Tübingen 1934, S. 5. 49 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, a.a.O., Vorrede S. 33. so Hegel, System der Philosophie, Ausgabe Glockner, a.a.O., Bd. 8, S. 48. Vgl. zu diesem Leitsatz der Identitätsphilosophie die kritischen Bemerkungen bei Popper, Was ist Dialektik, i n : L o g i k der Sozialwissenschaften, a.a.O., S. 273 ff. s 1 E.V.Hippel, Geschichte der Staatsphüosophie, 2.Bd., Meisçnhçim Glan 1957, S.224f.

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2. Kategorien nationalsozialistischer Staats- und Rechtsvorstellung

Namen wechselte der Inhalt. Dieser Geist sollte der „Geist eines bestimmten, durch B l u t und Schicksal innerlich geformten Volkes" sein 52 . Ansätze für eine solche Volks-(Gemein-)Geistlehre ließen sich i n der Romantik finden, doch boten sie für ein nationalsozialistisches Rechtsdenken wenig mehr als bloße Schlagworte 53 . Die Entdeckung des völkischen Unterbewußten, des ,still wirkenden Volksgeistes 4 als U r grund allen Rechts (neben anderen Bereichen der Kultur) blieb i n zu geringem Umfang artikuliert oder präzisiert i n der Romantik. Volk, das war — zumindest für den Hauptvertreter der Historischen Rechtsschule, Savigny — „nicht die politische und gesellschaftliche Realität der geschichtlichen Nation, sondern ein idealer Kulturbegriff: die durch gemeinsame Bildimg verbundene geistige und kulturelle Gemeinschaft" 54 . Hatte der Volksgeistbegriff der Historischen Rechtsschule wegen dieser, m i t B l u t und Boden nirgends zu vereinbarenden Auffassung vom Volke bereits wenig Nutzen für eine nationalsozialistische völkische Staats- und Rechtslehre, verlor er für diese Lehre fast allen Sinn mit der von Savigny und Puchta vorgenommenen Gleichsetzung des Volksgeistes m i t einem Organismus, der sich geschichtlich nach seinen eigenen Wesensgesetzen entwickelt, der aber keiner Führung und Gestaltung bedarf 5 5 . Hegels Begriff vom Volksgeist taugte nicht besser für eine völkische Rechtslehre. Doch das System Hegels ließ sich an seiner schwächsten Stelle von den objektiven Idealisten aufbrechen: an dem verwischten Unterschied zwischen ,echter' Wirklichkeit, i n der der Geist ,zu sich selbst komme' und bloßer Existenz, die fern ab vom Walten des Geistes »umzugestalten und zu ergänzen'. Die Umgestaltung zielte auf den entstanden. Hinzu kam der Wille der Neuhegelianer, wo nötig, Hegel Geist, an seine Statt sollte der Führer treten. Zwar hätten Hitlers gelegentliche Bekundungen, den Weg der Vorsehung mit nachtwandlerischer Sicherheit zu gehen, zur Not sich m i t einer allzu vordergründig verstandenen Hegel-Stelle verbinden lassen, die Taten „der großen Menschen i n der Geschichte . . . , (enthalten den) Willen des Weltgeistes" 56 . Dodi die Bindung an den Geist wäre damit wohl zu stark

52 Larenz, Deutsche Rechtserneuerung u n d Rechtsphilosophie, Tübingen 1934, S. 16. 53 Z u r Darstellung der Historischen Rechtsschule vgl.: Wieacker, P r i v a t rechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl. Göttingen 1967, S. 348 ff. 54 a.a.O., S. 393. 55 Die K r i t i k von Larenz an der Historischen Rechtsschule richtet sich darum vornehmlich gegen die Verkennung der „Spannung zwischen echtem Gemeingeist u n d bloßem k o l l e k t i v e m Meinen". Larenz, Volksgeist u n d Recht, i n : Z D K , Bd. 1, S.40ff., insbes. S.52f. 56 Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte (Ausgabe Glockner, a.a.O., Bd. 11). Vorrede S. 60.

2.2. Der objektive (absolute) Idealismus

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gewesen für einen Mann, der beanspruchte, aus eigenem Willen und eigener Tat für immer Gültiges zu schaffen. So galt es einen anderen Weg zu wählen, den Führer, wenn schon nicht wortwörtlich zum personifizierten Volksgeist zu erheben, wenigstens i n seinem Tun und Lassen m i t dem Volksgeist völlig einig zu erklären, oder besser noch, umgekehrt den Volksgeist als mit dem Wollen des Führers völlig einig. Dies zu behaupten, gab man sich große Mühe, mehr versuchte man kaum. Wo man es versuchte, mußte man folgerichtiges Denken biegen und brechen: Das Wesen des Volksgeistes sei es, so sagt beispielsweise Larenz 57 , Gestalt zu werden, Gestalt aber vermöge er nur zu gewinnen, wenn das Volk sich handelnd und entscheidend zu seinem Wesen bekenne. I n einer solchen Entscheidung und i n einem solchen Bekenntnis des Volkes liege zum Beispiel auch „die Notwendigkeit und sogar das Vorrecht einer Gesetzgebung, deren Wesen Entscheidung durch Führung" sei 58 . Den verwunderlichen Schluß, die Entscheidung des Volkes aus seinem Wesen und das Bekenntnis des Volkes zu seinem Wesen, erfolge i n der Entscheidung des Führers, vermag der leicht einzusehen, aber auch nur der, der mit Larenz weiß, daß der Führer „eins m i t der Substanz" ist, darum auch stets „ w i l l , was er soll, aus eigener Wesensnotwendigkeit" 59 . Genau m i t diesen Worten, die den Willen des Führers aus einer ,existenziellen Gebundenheit 4 erklären, bestimmt Binder aber auch den absoluten Geist: der sei absoluter Geist, weil er „ w i l l , wie er muß und so muß, wie er w i l l " 6 0 . Was zu beweisen war: den Führer unterscheidet nichts vom Volksgeist, wer Führer sagt, sagt Volksgeist, wer Volksgeist sagt, sagt Führer 6 1 . 5. Verflüchtigt, doch nicht verschwunden, verzerrt, doch nicht beseitigt war Hegels Volksgeist i m völkischen Gemeingeist. Immer noch bestand der i m Führerstaat unerträgliche Anspruch, der Geist kehre nicht nur i m Willen des Führers hervor, vielmehr werde er sich auch „ i n dem Individualbewußtsein der Glieder dieses Volkes seiner selbst bewußt" 6 2 . Der Begriff kehrte sich so gegen die Tatsächlichkeit, fiel auf die zurück, die i h n zu mißbrauchen trachteten. Denn nur zu leicht 57 E i n Beispiel seines Zirkel-Schluß-Denkens, Volksgeist u n d Recht, a.a.O., S. 55. 58 Ebenda. Hervorhebung nicht i m Original. 5» a.a.O., S. 58. 60 Binder, Grundlegung zur Rechtsphilosophie, a.a.O., S. 79. 61 Binder gibt sich i m übrigen gegenüber der Annahme einer Einheit von Volkswille u n d F ü h r e r w i l l e (Führer allerdings allgemein verstanden, nicht konkret Adolf Hitler) kritisch. Der Führer müsse sich dem Geist verantworten. Doch vor A d o l f H i t l e r verhält diese K r i t i k selbstverständlich: i n seiner „Schlichtheit u n d Selbstlosigkeit" gebe er Gewähr, nichts anderes zu wollen denn die Gemeinschaft zu verkörpern (Der Idealismus als G r u n d lage der Staatsphilosophie, a.a.O., S. 157). 2

Binder, Grundlegung zur Rechtsphilosophie, S. 4 .

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2. Kategorien nationalsozialistischer Staats- und Rechtsvorstellung

mochte der i m Bewußtsein des Führers verwirklichte Geist in Widerspruch zu dem i m Bewußtsein der Individuen verwirklichten Geist geraten, eine dialektische Situation von Position und Negation entstehen, die zwar aufgehoben, aber nicht einseitig zugunsten der Position des Führers aufgehoben werden konnte. Sonst nämlich würde geschehen, was Hegel gänzlich zuwiderliefe, der i n der Synthese erreichte objektive Geist wäre ersetzt durch den — nach Hegel eben auch nur subjektiven — Geist des Führers. Es bot sich eine Lösung, auf kurzgeschlossenem Weg sozusagen, dem unerwünschten Gegensatz zu entgehen: Hegels Lehre nicht ganz zu beseitigen, einen möglichen Widerspruch nicht völlig auszuschließen, wohl aber die Einheit von Position und Negation i n einer anderen denn der dialektischen zu erreichen. Zwar trage „die Idee des Volkes das gestaltende Gesetz" der Wirklichkeit des Volksgeistes i n sich 68 , aber diese Idee dürfe nicht als empirisch-psychologische Volksanschauung verstanden werden (wie es angeblich die Historische Rechtsschule tat), die Volksanschauung enthalte Wahrheit und Irrtum, jedoch das Wahre, die Idee i n i h r zu finden, sei „Sache des großen Mannes" 6 4 . Seine Sache sei es, der Volksmeinung das Echte abzulauschen und i n seine Entscheidung zu übernehmen. Ist so erst einmal „das rechte Wort gefallen und der rechte Weg gewiesen, dann erkennen auch die Schwankenden oder V e r w i r r ten darin i h r eigenes, ihnen selbst verborgenes Streben und folgen dem Zug des Gemeingeistes, der ihnen entgegentritt" 6 5 . Doch brauchte das Volk nicht so offenkundig entwürdigt, der dialektische Denkprozeß nicht so deutlich verdreht zu werden, um das gleiche Ergebnis zu gewinnen. Binder wies die Richtung. Ergebnis seiner Theorie von der Erkenntnis der Außenwelt war auch, der Mensch stehe zu seinem Mitmenschen i m Verhältnis der konkreten Allgemeinheit, sei kein für sich Seiender, vielmehr werde i n den einzelnen Menschen nur die Gemeinschaft wirklich. Ebenso könne das Bewußtsein des Menschen nur als individueller Fall des Bewußtseins überhaupt begriffen werden. Der Wille des Menschen, so erklärt Binder weiter, sei eine andere Form des Bewußtseins, nicht erkennendes, sondern praktisches Bewußtsein, mittels dessen der Mensch, „wollend und gestaltend i n die denkend erfaßte Wirklichkeit" eingreife 66 . Der Wille, das Bewußtsein ist die „restlose A k t i v i t ä t und Spontaneität des Geistes", ist demnach auch frei gleich dem Geiste, der „als die Bedingung aller W i r k 63 Larenz, Rechts- u n d Staatsphilosophie der Gegenwart, B e r l i n 1935, S. 163. 64 Larenz, Volksgeist u n d Recht, a.a.O., S. 53. (Vgl. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, a.a.O., Zusatz zu §318.) 65 a.a.O., S. 57.

66 Binder, Grundlegung zur Rechtsphilosophie, a.a.O., S. 48.

2.2. Der objektive (absolute) Idealismus

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lichkeit und aller i n der Wirklichkeit sich auswirkenden Mächte von ihnen unbedingt und unabhängig ist" 6 7 . Nur: des objektiven Idealismus' „Freiheitsbegriff ist von allen sonstigen Vorstellungen von der Freiheit grundverschieden" 68 . Der Mensch, das Gemeinschaftswesen, muß sich aus der willkürlichen Wahl, sich zu diesem oder jenem entschließen zu können, lösen, muß auch darüber hinaus gelangen, nur das zu wollen, was seinem Wohle nützlich erscheint, die Stufe der bloßen Subjektivität übersteigen, u m wahre Willensfreiheit zu erlangen: nämlich die Einheit von besonderem und allgemeinem Willen. Darum handelt der Mensch i n freiem Entschluß seines Willens, der sich über seine Vereinzelung erhebend „seiner Volksverbundenheit unmittelbar gewiß ist, sie als für i h n notwendig begreift und bejaht und demgemäß sein individuelles Leben nach den Notwendigkeiten des Lebens seiner Nation als für i h n selbst notwendig i n Freiheit bestimmt" 6 9 . Der dialektische Schritt, die Einheit aus Position und Negation, von besonderem und allgemeinem Willen, von individuellem und gemeinschaftlichem Leben, besteht also i n der eigentümlichen Freiheit des Besonderen zum Allgemeinen, nicht aber auch vom Allgemeinen. Demnach i n der bedingungslosen Unterordnung des Individuums unter die Gemeinschaft. Verkehrt i m Ansatz, weil die vorgegebene Synthese keine echte Negation der Position erlaubt, keinen unabhängigen, dem Gemeinw i l l e n entgegenstehenden Einzelwillen zuläßt, richtet sich der dialektische Prozeß des objektiven Idealismus danach, wie der Gemeinwille verwirklicht werde, genauer: wer i h n verwirkliche. Die A n t w o r t : der Gemeinwille „ist wirklich als Bewußtsein und Wille des Führers zum Staate" 7 0 , i m Führer w i r d „der Wille des Volkes zu Dasein und W i r k samkeit Wahrheit" 7 1 . A m Ende, i m Ergebnis trafen sich also Larenz und Binder wieder. Dem einzelnen war sein eigener Wille für w i r kungslos erklärt, verbindlich gewußt wurde der Volksgeist nur noch vom Führer, Hegels Begriffe und Kategorien waren so mißbraucht zur Knechtung des Menschen. 6. Für Staat und Recht blieben danach i m objektiven Idealismus nur noch leere Hülsen. Die bloßen Formeln kehren wieder: „das Recht würde sich nicht durchsetzen, die Macht der Regierenden würde sich schließlich doch als Ohnmacht erweisen, wenn nicht der subjektive Wille das Recht schließlich doch anerkennen müßte, weil es seine eigene 67 a.a.O., S. 58. 68 a.a.O., S. 79. β» Binder, Der Idealismus als Grundlage der Staatsphilosophie, a.a.O., S. 153. 70 Binder, a.a.O., S. 153.

71 Binder, Der Deutsche Volksstaat, a.a.O., S. 31.

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2. Kategorien nationalsozialistischer Staats- und

echtsvorstellung

Substanz ist 7 2 ." Das Recht, vom Führer gesetzt, dem zugebilligt wird, die Substanz des Volkes am reinsten zu verwirklichen, wie könnte es anders denn sich stets durchsetzen. Nicht anders als der Geltungsgrund des Rechts, die ,völkische Substanz', soll auch sein Entstehungsgrund der „lebendige Wille der Rechtsgemeinschaft, des Volkes" sein" 7 *. Die immergleiche A n t w o r t auf die Frage, wie denn dieser ,lebendige Wille des Volkes' sich i n geltendes Recht verwandle, lautet, der Führer sei Garant, Hüter und Verwirklicher „der ungeschriebenen konkreten Rechtsidee seines Volkes" 7 4 . Folgerichtig dürfen Gesetze darum auch nicht i m Geiste des Volkes, sondern i m Geiste des Führers angewendet werden 7 5 . Zynisch w i r k t , wenn Binder dieses Recht (1935) zur „Wirklichkeit der Freiheit" erklärt, freilich gilt dies nur, so merkt er einschränkend an, für den, dem es gelungen, die Einheit von besonderem und allgemeinem Willen zu erlangen 76 . Den anderen, deren Bewußtsein diese Stufe nicht zu erreichen vermag, denen freilich ist das Recht „seiner Idee nach ,Zwang des Einzelnen zur Gemeinschaft'. (Dieser Zwang hat) den tieferen Sinn, dem widerstrebenden Einzelnen die Hoheit der Gemeinschaft vor Augen zu führen, die notwendige Bedingtheit des Einzelnen durch das Ganze i n jedem Augenblick sichtbar zu machen" 77 . Die Deklamation von Volkes-Wille und die Argumentation, dieser Wille werde i n Wahrheit nur vom Führer gewußt, der Ersatz des Beweises durch das Postulat, kehrt auch beim Begriff des Deutschen Volksstaates wieder 7 8 . „Der Staat ist Einheit i n der Mannigfaltigkeit seiner Gliederung; er ist das Volk, das als dieses gegliederte Volk i n der Form des Rechts lebt; ist Wille des Volkes zur Einheit seines völkischen Daseins und zur Selbstbehauptung und Auswirkung i n der geschichtlichen und politischen Welt 7 9 ." Was zuvor allerlei Euphemismen verdeckten, bei der Bestimmung der Eigenschaften des Staates t r i t t es deutlich hervor: auf die konkrete Situation des NS-Staates angewendet, erweist sich der objektive Idealismus als philosophisch verbrämte Theorie des Satzes, ,Du bist nichts, Dein Volk alles' — und bei der Gleichsetzung von Führer und Volk durch den objektiven Idealismus müßte dieser Satz richtiger noch lauten: D u bist Nichts, 72 Binder, Grundlegung zur Rechtsphilosophie, a.a.O., S. 153. 73 Larenz, Deutsche Rechtserneuerung u n d Rechtsphilosophie, a.a.O., S. 26. 74 a.a.O., S. 34. 75 a.a.O., S. 36. 76 Binder, Grundlegung zur Rechtsphilosophie, S. 116 f. 77 Larenz, Rechts- und Staatsphilosophie der Gegenwart, S. 104. Er bezieht sich dabei auf die Rechtsphilosophie Binders. 78 Vgl. beispielsweise: Binder, Der Idealismus als Grundlage der Staatsphilosophie, S. 154—157. 79 a.a.O., S. 155 f.

2.3. Der völkische Vitalismus

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Dein Führer alles. Nicht nur die K r i t i k des Individuums am Staate w i r d für unstatthaft erklärt 8 0 , es ist vielmehr auch „klar, daß es sich bei der Frage nach der Berechtigung des Staates überhaupt nicht darum handelt, was er für die einzelnen Individuen leistet; daß er von ihrer Billigung oder Mißbilligung nicht abhängig ist und daß sie, weil sie ohne ihr Zutun zu diesem Staat gehören, w e i l sie i n ihn ebenso wie i n ihren Geburtszusammenhang, ihre Nation, hineingeboren werden, ihn auch nicht willkürlich aufkündigen oder i n seiner Wirksamkeit beschränken, den Maßnahmen des Staates keinen Widerstand entgegensetzen und vor allem auch ihn nicht umstürzen können" 8 1 . Staat und Recht instrumentalisiert, das Individuum allen Schutzes vor W i l l k ü r beraubt, die Herrschaft Adolf Hitlers aus philosophischen Kategorien begründet, das stand am Ende der neuhegelianischen Rechtsphilosophie; Hegels Warnung war verklungen: „Der Gedanke des Rechts ist nicht etwa, was jedermann aus erster Hand hat, sondern das richtige Denken ist das Kennen und Erkennen der Sache, und unsere Erkenntnis soll daher wissenschaftlich seyn 82 ." 2.3. Der völkische Vitalismus Als Sammelbegriff gemeint umschreibt völkischer Vitalismus ,lebensgesetzliche Weltanschauungen' von schillernder Vielfalt, geeint nur i n dem Postulat, alles menschliche Handeln, alle Formen menschlichen Zusammenlebens, insbesondere i n Recht und Staat, entsprängen dem Bewußtsein des ,rassereinen Volkes'. Lebensphilosophischer Irrationalismus vermischt m i t verinnerlichter Rassetheorie (Rosenberg: Seele bedeutet Rasse von innen gesehen) beanspruchte den Rang einer Philosophie, erlangte wenigstens die Geltung, nationalsozialistische Weltanschauung zu sein. Eine Philosophie des Rechts und des Staates vermochte der völkische Vitalismus nicht zu begründen, denn mit der Berufung auf Volk und Volksgeist, Rasse und Rasseseele ließ sich lediglich alles (auch das jeweilige Gegenteil) behaupten — die Apologeten völkischer Rechtsauffassungen stritten darum auch untereinander ebenso heftig wie gegen ihre Antagonisten dezisionistischer oder idealistischer Provenienz 83 . Helmut Nicolai kündete als einer der ersten — schon vor 1933 — eine ,rassengesetzliche Rechtslehre', ihm ähnlich suchten Otto Koellreutter, Reinhard Höhn, Paul Ritterbusch und Gustav Adolf Walz das artgleiche Volk als Ursprung und Ziel des nationalsozialistischen Staates und seines Rechts zu deuten. Apodiktische so ei 82 83

Binder, Grundlegung zur Rechtsphilosophie, S. 96. Binder, Der Deutsche Volksstaat, a.a.O., S.21f. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, a.a.O., Vorrede S. 25. Beispielsweise: H ö h n gegen Koellreutter, i n : JW 1934, S. 1635 f.

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2. Kategorien nationalsozialistischer Staats- und Rechtsvorstellung

Gleichsetzung des Seienden mit dem Gesollten i m nationalsozialistischen Staat, eklektische Führerzitate, Erbhofrecht und Rassegesetzgebung dienten zum Beweis — die Wirklichkeit des vom Willen des Volkes gänzlich unabhängigen Führers, des von ihm benützten Staatsapparates, seiner schrankenlosen Gewalt, vermochten sie allerdings nicht zu erklären, es sei denn, man wolle in ihren Tautologien reiner Tatsächlichkeit Erklärungen sehen. 2. Das System der völkisch vitalistischen Vorstellungen von Staat und Recht gleicht in der Form dem System von Basis und Überbau. Freileich nicht die ökonomisch-materialistische Basis, vielmehr eine rassisch-vitalistische, eine lebensgesetzliche Basis sollte den Überbau tragen: „Die nationalsozialistische Auffassung von der Bedeutung der Rasse i n einem Volk" gewinnt dadurch einen Sinn, „daß die Geschichte als eine Auswirkung der wirkenden rassischen Kräfte i n einem Volk anzusehen ist, daß man i n allen großen geschichtlichen Ereignissen das Wirken der rassischen Substanz sieht" 8 4 . A u f den rassischen Kräften also gründet die Geschichte, der Uberbau überhaupt. Diese rassischen Kräfte wissenschaftlich zu bestimmen, die Ergebnisse der Geschichte auf ihr Wirken zurückzuführen, die notwendige Bedingtheit von Recht und Staat — einem Teil des Überbaus — durch die Rasse aufzuzeigen, das mußte zur entscheidenden Aufgabe des völkischen Vitalismus werden, wollte er dem V o r w u r f entgehen, bloße Spekulation zu sein. Nicolai verstand diese Aufgabe offenbar, wenn er erklärt, es handele sich bei dieser Rassenseele „nicht um Romantik, sondern um eine naturwissenschaftlich und geisteswissenschaftlich in gleicher Weise erkennbare reale Größe" 85 . Doch gibt er zur Bestimmung dieser Größe einen naturwissenschaftlich (und geisteswissenschaftlich) wenig tauglichen Maßstab: „Die Rassenseele äußert sich i m einzelnen Menschen durch das Gewissen oder durch das Gefühl 8 6 ." Die Suche bei anderen völkischen Vitalisten nach einer Bestimmung des Unterbaus durch Rassenseele, Volk, Volksgemeinschaft führt zu immer neuen Worten, zu einer »erkennbaren realen Größe' führt sie nicht. Weder Koellreutters „Philosophie der Frontsoldaten" 8 7 noch Hohns Lehre von der Volksgemeinschaft, der „Gemeinschaft der T a t " 8 8 , hilft dabei weiter. Volk und Volksgemeinschaft, Rasse und Rasseseele

ei Höhn, Volk und Verfassung, i n : DRW, Bd. 2 (1937), S. 195. 85 Nicolai, Die rassengesetzliche Rechtslehre — Grundzüge einer nationalsozialistischen Rechtsphilosophie, 3. Aufl. München 1934, S. 28. 86 Ebenda. 87 Koellreutter, V o l k u n d Staat i n der Weltanschauung des Nationalsozialismus, Berlin-Charlottenburg 1935, S. 24. 88 Höhn, Rechtsgemeinschaft und Volksgemeinschaft, Hamburg 1935, S. 74.

2.3. Der völkische Vitalismus

47

als objektive, nicht lediglich subjektiv-relative Größen wenigstens zu erkennen versuchen, vereitelte schon das irrational-lebensphilosophische Selbstverständnis der völkischen Vitalisten, denen das ,Erlebnis', die Intuition zu Begriffen verhilft, die „demjenigen, der dieses geistige Erlebnis nicht gehabt hat, (wenigstens zunächst) unverständlich" bleiben müssen 89 . Darum kann — versucht man die A r t des Staats- und Rechtsdenkens der völkischen Vitalisten zu verstehen — die völkisch-rassische Basis, die Bedingung der Geschichte, des Staates, des Rechts gar nicht kritisch untersucht werden, kann sie vielmehr nur übernommen, geglaubt, aber nicht bezweifelt werden. Kennzeichen der völkisch-rassischen Basis wie sie die völkischen Vitalisten verstehen, bildet die ,Gleichheit', die ,Gemeinsamkeit'. Gleiche Rasse, gleicher Raum, gleiche K u l t u r 8 0 , kurzum und gemeinsam: ,Artgleichheit', daraus entstehen Staat und Recht. Zwar — soviel w i r d immerhin anerkannt — das deutsche Volk sei rassisch nicht gleichartig, aber: die Artgleichheit w i r d trotzdem ohne weiteres für das deutsche Volk — und damit insbesondere auch für den Willen und das Wollen jedes einzelnen — angenommen 91 . Vor der Artgleichheit verflüchtigt sich die Rasse als biologischer Begriff, sie ,verinnerlicht' — und relativiert damit — die wenigstens objektiven rassischen (anthropologischen) Merkmale zu einer „Grundhaltung, von der der Biologe lernen, die er aber selber nicht mehr mit seinem System lehren kann!" 9 2 . Artgleichheit ist demnach ohne weiteres, nicht ableitbar, zugleich aber durch die reine Rasse bestimmt, jedoch trotz der — eingestandenen — vermischten Rasse des deutschen Volkes vorhanden — Wirrungen ohne Ende, fern alles folgerichtige Denken. Doch aus allzu engen Banden des Verstandes sprengt das Gefühl den Weg: es vergeistigt Artgleichheit zum „eigentümlichen Lebensgrundgefühl", zum „unmittelbaren Lebensgrundwert" 9 3 , zum „gleichen weltanschaulichen" Wollen 9 4 . Die ,Basis' Artgleichheit bildet die notwendige Bedingung des geistigen ,Überbaus', der Uberbau w i r k t jedoch auch auf die Basis zurück. Denn eine der „wichtigsten Aufgaben der nationalsozialistischen Gesetzgebung" sei, so erklärt Koellreutter, „die Erhaltung und Stärkung

89 Koellreutter, V o l k u n d Staat i n der Weltanschauung des Nationalsozialismus, a.a.O., S. 24 (Klammern nicht i m Original). 90 Diese Aufzählung findet sich beispielsweise bei: Koellreutter, Deutsches Verfassungsrecht, 2. Aufl. B e r l i n 1936, S. 67. 9 * a.a.O., S. 68. 9 2 Walz, Artgleichheit gegen Gleichartigkeit. Hamburg 1938, S. 49. 9 3 a.a.O., S. 15.

9

4 Höhn, Volk und Verfassung, a.a.O., S. 207.

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2. Kategorien nationalsozialistischer Staats- und Rechtsvorstellung

wertvollen, artgleichen Blutes" 9 5 . I n recht voluntaristischer Weise w i r d Basis und Überbau auf den Kopf gestellt, muß das aus der Artgleichheit entstandene Recht erst einmal die Artgleichheit verfestigen, die Basis verbreitern. Blutschutzgesetz, Arierparagraphen i m Beamtengesetz, i n den Ärzte- und Anwaltsordnungen, Erbhofgesetz, sie sollen die ,zerkreuzte Gemeinschaft 4 (Nicolai) zur Artgleichheit zurückführen, dann erst gelte: „reines Recht kann . . . nur aus einem rassereinen Volk entstehen 96 ." Doch den Mangel eines »rassereinen 4 deutschen Volkes rügen die völkischen Vitalisten nur, keinen hindert er, Staat und Recht, so wie sie nun einmal sind, als wahrhaft völkisch-nationalsozialistisch anzupreisen. Freilich dürfte der Widerspruch zwischen staatlichem und rechtlichem Sein und Sollen, zwischen Wirklichkeit und Weltanschauung, weniger ein Fehler — entstanden vielleicht aus mangelnder »rassischer Instinktsicherheit 4 (Walz) bei den völkischen Vitalisten selbst — sein, vielmehr kennzeichnet er nur das probate und billige M i t t e l des völkischen Vitalismus, programmatischen Anspruch und Realität zu einen: die Flucht aus der Wirklichkeit; oder genauer noch, Unbeweisbar-Gefühltes i n die Wirklichkeit hineinzugeheimnissen. Beispielsweise sieht Höhn zwar die Gefahren der diktatorischen Herrschaft Hitlers, benennt den Führerstaat als totalen Staat, warnt vor einer Gewaltherrschaft. Aber nicht i m tatsächlichen nationalsozialistischen Staat drohe solches Unheil — nur wer E. R. Hubers Verfassungslehre kritisch zu Ende denke, müsse zu solchen Ergebnissen kommen 9 7 . Wenn Höhn dann fortfährt, wer den Führer und seine Führung wahrhaft begreifen wolle, müsse „die alte Welt der Staatsgewalt 44 verlassen, müsse umdenken, damit er i m Führer nicht eine individuelle Person, die alle Macht i n Händen halte, sehe 98 , so zeigt dies nur, wie wenig das Denken der völkischen Vitalisten von dieser, nämlich der wirklichen Welt war. 3. Der irrational-lebensphilosophische Ausgangspunkt des völkischen Vitalismus versagt insbesondere vor allen praktischen Erfordernissen des Rechts und des Staates, das ,Erlebnis 4 sperrt sich gegen die Nüchternheit, gegen die aus der Natur der Sache erzwungene Rationalität von Gesetzgebung und Verwaltung. Entstanden auch aus Abneigung gegen eine »verwaltete Welt 4 , lehnt der völkische Vitalismus es ab, sich m i t den ,Technizismen4 i n Recht und Staat zu beschäftigen, sieht nur deren Entstehungsgrund — das Volk —, beachtet aber nicht ihre Entstehungs- und Wirkungsweise. Die immer wiederkeh9

5 96 97 98

Koellreutter, Deutsches Verfassungsrecht, a.a.O., S. 68. Nicolai, Die rassengesetzliche Rechtslehre, a.a.O., S. 30. Höhn, V o l k und Verfassung, a.a.O., S.207. a.a.O., S. 215.

2.3. Der völkische Vitalismus

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rende Behauptung, Staat und Recht lebten i m Volk, bekämen ihren Sinn und ihre Aufgabe aus dem V o l k " , entspricht zwar dem B i l d von Basis und Uberbau, nach welchem organischen Prinzip aber der Uberbau aus der Basis sich entwickle — wie es einer echt vitalistischen Fragestellung entspräche —, das bleibt unerörtert. Vielmehr verkehrt sich der völkische Vitalismus angesichts dieses Problems i n sein Gegenteil, w i r d zur mechanischen Betrachtungsweise: Staat und Recht taugen nur zu Instrumenten der Führung, der Staat verkümmert zum Apparat, für „Zwecke der Führung" einsetzbar 100 , das „Gesetz ist der Ausdruck des politischen Willens der Führung" 1 0 1 . Der Apparat und seine Handhabung, daß bloße technische ,Machen', dahin also verflüchtigt sich die ,lebens-(rassen)gesetzliche' Lehre des völkischen Vitalismus von Recht und Staat. Der Widerspruch zwischen Wirklichkeit und Lehre war damit so offensichtlich, konnte so wenig verborgen bleiben, daß die völkischen Vitalisten einen Ausweg finden mußten: ließ sich Staat und Recht schon nicht anders denn mechanistisch erklären, wenn den beiden gegensätzlichen Ansprüchen des Nationalsozialismus genügt werden sollte, nämlich, alle Gewalt i m Staate gehe vom Volke aus 1 0 2 , alle Macht i m Staate liege zugleich aber auch beim Führer, dann mußte, sollte über diesem Gegensatz nicht unversehens die Wahrheit der unumschränkten Herrschaft des Führers ans Licht kommen, das mechanische Machen des Rechts und Handhaben des Staates vergessen, mußten geheimnisvolle Kräfte benannt werden, die Gewalt wie Gewalt, die das Gesetz als „ A k t des Führers", und den Staat als „ M i t t e l zum Zwecke" des Führers 1 0 3 wirken ließen und doch zugleich jede persönliche Macht des Führers verhinderten. Diese Kräfte sollen i n einem artgleichen Führer-Gefolgschafts-Verhältnis, i n einer artgleichen Gemeinschaft von Führer und Gefolgschaft, hervortreten: „Dem Nationalsozialismus kommt es darauf an, daß der Führer aus einer Gemeinschaft von Menschen emporwächst und i h r richtunggebend vorangeht 1 0 4 ." „So wuchs (beispielsweise) Adolf Hitler aus der Gemeinschaft des Frontsoldatentums, schuf die Gemeinschaft der Bewegimg und führt zur Gemeinschaft des ganzen Volkes 1 0 5 ." Der Führer t r i t t an 99 Vgl. Höhn, a.a.O., S. 200. Koellreutter, Deutsches Verfassungsrecht, a.a.O., S. 54. 100 Höhn, a.a.O.. S. 199. ι 0 1 Koellreutter, Deutsches Verfassungsrecht, a.a.O., S. 56. 102 Adolf H i t l e r i n seinem Erlaß v o m 2. 8.1934 zum Vollzug des Gesetzes über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches. R G B l I 1934, S. 751. 103 Höhn, Staat als Rechtsbegriff, i n : DR, 4. Jg. (1934), S. 324. 104 Höhn, V o l k und Verfassung, a.a.O., S. 207.

los Höhn, Rechtsgemeinschaft und Volksgemeinschaft, a.a.O., S. 75. 4 Kirschenmann

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2. Kategorien nationalsozialistischer Staats- und Rechtsvorstellung

Rang und Bedeutung also gegenüber der Gemeinschaft zurück, er ist nur bedingt durch die Gefolgschaft. Darum gilt auch, „ein Führer, der diese Gefolgschaft nicht mehr hat, ist eben nicht mehr Führer" 1 0 6 . Der Gedanke jedoch, die Gefolgschaft bestimme damit ihren Führer, wäre verfehlt, würde verkennen, daß der „weltanschaulich einheitliche Wille der Volksgemeinschaft" zwar den Führer und das Volk umschließt, die Volksgemeinschaft und ihr einheitlicher Wille aber selbst vom Führer geschaffen wurde 1 0 7 . Aus diesem Zirkel löst sich der völkische Vitalismus nicht 1 0 8 . Der immerfort verkündete Programmsatz, i m nationalsozialistischen Staate ist „das Volk die entscheidende politische Größe" 1 0 9 , das „politische A und Ο der nationalsozialistischen Weltanschauung ist das V o l k " 1 1 0 , endet i n der Tautologie: „Der deutsche Volksstaat ist der deutsche Führerstaat 1 1 1 ." Wenn die Verbundenheit des Führers mit der Gemeinschaft und die Gebundenheit des Führers an die Gemeinschaft „durch Volksabstimmung immer wieder unter Beweis gestellt" werde 1 1 2 , so dürfe allerdings nicht vergessen werden, daß „bei einer solchen Volksabstimmung keine andere Möglichkeit (bestehe) als eine Mehrheit festzustellen" 1 1 3 , daß es außerdem eben Fälle gebe, i n denen der „Führer" sich seine Gefolgschaft erzwingen muß gegen den Mehrheitswillen" 1 1 4 . Den Führer, der den Willen der Gemeinschaft selber gestaltet und nötigenfalls erzwingt, den kann man ohne Sorge, m i t der Wirklichlichkeit des nationalsozialistischen Staates i n Widerspruch zu geraten, für an den Gemeinschaftswillen gebunden erklären. 106 Höhn, V o l k u n d Verfassung, a.a.O., S. 208. io? Ebenda. Siehe auch unten Fußnote 114. los Den räsonierend-utopischen Charakter des Verlangens nach Volksgemeinschaft t r i f f t i n einem Satz am besten H.Marcuse: „Die klassenlose Gesellschaft . . . ist das Ziel (des Verlangens nach Volksgemeinschaft), aber die klassenlose Gesellschaft auf der Basis u n d i m Rahmen — der bestehenden Klassengesellschaft" (Der K a m p f gegen den Liberalismus i n der totalitären Staatsauffassung, i n : Zeitschrift f ü r Sozialforschung, Jg. 3, Paris 1934, S. 176.) i ° 9 Koellreutter, Deutsches Verfassungsrecht, a.a.O., S. 65. no Koellreutter, Der Deutsche Führerstaat, Tübingen 1934, S. 8. m Koellreutter, Deutsches Verfassungsrecht, a.a.O., S. 145. uz Ebenda. 113 a.a.O., S. 147. 114 Höhn, V o l k u n d Verfassung, a.a.O., S. 208. Eindeutig entscheidet Höhn allerdings nicht, wer w e n bedinge: der Führer die Gefolgschaft oder umgekehrt. A n der zitierten Stelle ist H ö h n alles andere als klar. Z w a r setzt er zunächst als entscheidend die Gemeinschaft u n d Gefolgschaft voraus, denn „ e i n Führer, der diese Gefolgschaft nicht mehr hat, ist eben nicht mehr Führer". Doch dann schränkt er ein, sicherlich gebe „es Ausnahmefälle", i n denen „ein Führer sich seine Gefolgschaft erzwingen muß gegen den M e h r heitswillen". Die deutsche Volksgemeinschaft jedenfalls, so stellt Höhn zwischen diesen beiden widersprüchlichen Ansichten fest, wurde v o m Nationalsozialismus (und d a m i t v o m Führer) geschaffen.

2.3. Der völkische Vitalismus

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4. Die „Souveränität der Gemeinschaft" und die „rechtlich nicht mehr ableitbare schöpferische Gestalt des Führers" 1 1 5 , dieser Gegensatz, den der völkische Vitalismus i n der — von seinem Selbstverständis her gesehen — unbegreiflichen Fehlleistung der Verkehrung der Rangfolge von Führer und Gemeinschaft zu verdecken suchte, setzt sich in dem Widerspruch der Lehre vom Staat und vom Recht und der Wirklichkeit des nationalsozialistischen Staates nur fort. Emphatische Deklamationen erheben zum „Grund- und Eckstein des Staatsrechts unserer Zeit . . . das Prinzip der Volksgemeinschaft" 116 , in geschwollenen Wortreihungen w i r d erklärt: „die substanzielle Sicherung der Ordnung ist durch die lebendige Gemeinschaft des rechtstragenden Arttypus gewährleistet 1 1 7 ." Die Tatsache der völligen Bedeutungslosigkeit des Volkswillens gegenüber dem Führerwillen w i r d darob nicht verkannt, sie w i r d einfach nicht beachtet. Dazu dient vor allem, über Recht und Staat, Gesetzgebung und Regierungsform nur Allerallgemeinstes zu sagen oder Unvereinbares als vereinbar zu nehmen. Muster solcher Denk- und Darstellungsweise bilden die beiden Aufsätze Hohns „Staat als Rechtsbegriff" und „Das Gesetz als A k t der Führung 1 1 8 . Der Begriff der Volksgemeinschaft „zersetzte" „als Ausgangspunkt eines neuen Staatsrechts das gesamte bisherige Rechtssystem 119 , so beginnt Höhn seine Argumentation, fährt dann fort, nicht mehr, wie i m überkommenen Staatsystem sei der Staat „unsichtbare Persönlichkeit", sei das Gesetz „ A k t des souveränen Willens einer unsichtbaren Staatspersönlichkeit" 120 und endet schließlich m i t der Erkenntnis, an die Stelle des unsichtbaren — aber immerhin vom Volk beeinflußbaren — ,Staatswillens' liberaler Regierungssysteme trete i m nationalsozialistischen Staat der persönliche Wille des Führers 1 2 1 . Offensichtlich selbst erschrocken über die Widersprüche der von i h m konstruierten gegensätzlichen Einheit zweier oberster Werte — des bestimmenden Volkes und des bestimmenden Führers —, bleibt Höhn — pars pro toto aller völkischen Vitalisten — am Ende, i m Ergebnis, nur, den Gegensatz noch zu steigern, um i h n wenigstens i n seiner eigentlichen Form nicht mehr deuten und erklären zu müssen: „ . . . der Staat (lebt) i m Volk und bekommt vom Volk seine Aufgabe gestellt". — „Der Führer hat . . . viel größere Möglichkeiten i n der Handhabung lis ne U7 ne us 120 121

Walz Artgleichheit gegen Gleichartigkeit, a.a.O., S. 42. Höhn, Staat als Rechtsbegriff, a.a.O., S. 323. Walz, Artgleichheit gegen Gleichartigkeit, a.a.O., S. 43. I n : DR, 4. Jg. (1934), S. 322 ff.; bzw. DR, a.a.O., S. 433 ff. a.a.O., S. 434. Ebenda. Ebenda.

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2. Kategorien nationalsozialistischer Staats- und Rechtsvorstellung

des Staatsapparates, als die Zwangsgewalten (des überkommenen Staatssystems) auszudrücken vermögen 1 2 2 ." So lautet der Gegensatz, gesteigert hebt er sich (scheinbar) auf: „Er (der Führer) führt die Seelen der Menschen, er beherrscht deshalb auch die Apparatur und leitet ihre Funktionen 1 2 3 ."

122 Höhn, V o l k u n d Verfassung, a.a.O., S. 200 bzw. 214. 123 a.a.O., S. 214.

3. Die materialen Qualitäten des Gesetzes nach nationalsozialistischer Rechtsvorstellung 3.1. Das gemeinsame Element nationalsozialistischer Staats- und Rechts Vorstellung: die Führer-Formel Vom Führer sagen und schreiben alle Vertreter nationalsozialistischer Staats- und Rechtsvorstellung. Aber sie tun's fast beiläufig. Nicht dem Umfang, vielmehr dem Rang nach: immer bindet den Führer ein ,höheres Gesetz', über ihm stehen die Ordnungen, der Volksgeist, die Kräfte von B l u t und Boden. Zwischen den Führer und das ,höhere Gesetz' aber t r i t t noch einmal — der ,Führer'. Anders gesagt: dem realen Führer Adolf Hitler liefern die Weltanschauungen, auch die Anschauungen zu Staat und Recht „jene geistige Maskerade, ohne die i n einer wissenschaftsgläubigen Zeit die kleinbürgerlichen Massen nicht zu gewinnen sind: selbst die Verleugnung der Vernunft muß sich i n rationalen Formeln präsentieren" 1 . Doch die Wirklichkeit kann erst dann mit der Maskerade verdeckt werden, wenn beide nicht unvermittelt nebeneinander bleiben, wenn es gelingt, die Theoreme m i t den Tatsachen, das ,höhere Gesetz' m i t dem Willen Adolf Hitlers zu verbinden. Eben diese Aufgabe fällt dem ,Führer' zu, er transformiert das Sollende i n das Seiende, genauer: er schafft jenes Seiende, das zugleich auch das Gesollte ist. Dieser ,Führer' w i r d so zur Formel einer Technik der Entwirklichung, zum Vorspann eines offensichtlichen, auch unverhohlen eingestandenen Anti-Rationalismus, der — immer unüberprüfbar, aber stets stimmig — das Handeln des Führers Adolf Hitler m i t dem höheren Gesetz i n Einklang bringt. Zu der »Rationalisierung', der Verleugnung der Vernunft, den Fremdund Selbsttäuschungen, die m i t der Führer-Formel betrieben werden, brauchte, so plump, so offenkundig sind sie, kein weiteres Wort gesagt zu werden, entwickelten nicht die nationalsozialistischen Staats- und Rechtsvorstellungen daraus ihr spezifisch juristisches M i t t e l der Entwirklichung: die Führer-Gewalt. Gerade aber der Führer-Gewalt entstammt das (juristische) Gesetz i m NS-Staat. Als den ersten Schritt — bei dem es manche allerdings auch beließen —, die Führer-Formel zu bilden, taten die meisten Vertreter ι J. C. Fest, Das Gesicht des D r i t t e n Reiches, München 1963, S. 340.

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3. Die materialen Qualitäten des Gesetzes

nationalsozialistischer Staats- und Rechtsvorstellung, den konkreten Führer Adolf Hitler m i t allerlei unerhörten Fähigkeiten auszustatten, ihn so über die Wirklichkeit hinaus zu steigern. Uberzeugt davon, es sei unmöglich, „der Führung als einem der politischen Erlebnis weit verhafteten Vorgang abstrakten Ausdruck zu geben" 2 , besetzten sie — ausschließlich oder wenigstens zunächst einmal — ihren ,Begriff' vom Führer m i t personalen Eigenschaften, die der Person Adolf Hitlers eignen sollten. Der Führer müsse i n seiner „Einmaligkeit" 3 verstanden werden, als dem Volke von „höherer Stelle" geschenkt 4 , vom „Volksgeist . . . zu seinem Geschäftsführer erkoren" 5 , in seiner „Begnadung" 6 mit — an anderen Menschen unvorstellbaren — Gaben ausgestattet, insbesondere m i t einem „politischen ingenium" 7 bedacht 8 . Kurzum: Charisma zeichnet den Führer aus9. Gerade das Charisma, das Adolf Hitler angeblich auszeichnete, mußte die Vertreter nationalsozialistischer Weltanschauung i n erhebliche Verlegenheit bringen: der charismatische Führer — i n seiner Einmaligkeit, Übernatürlichkeit, Schicksalgesandtheit — unterliegt keinen, weder allgemein noch konkret darstellbaren Bedingungen, da eben außer ihm niemand m i t Eigenschaften begnadet sein kann, die diese Bedingungen erahnen lassen, die erlaubten, über das Tun und Lassen, Sinnen und Trachten des charismatischen Führers zu urteilen. Einziger Sinn der nationalsozialistischen Weltanschauung, insbesondere auch der Staats- und Rechtsvorstellung wäre dann noch, das Belieben, die W i l l k ü r des Führers aufzuzeigen — und i n der Tat fanden sich A n sätze hierzu: „Das Denken beschäftigt sich nicht mehr ängstlich mit der Frage: Es könnte doch aber einmal der Führer von seiner Macht-

2 Forsthoff, Der totale Staat, 2. Aufl. H a m b u r g 1934, S. 37. 3 H. Lange, V o m Gesetzesstaat zum Rechtsstaat. Tübingen 1934, S. 37. 4 H. Krüger, Führer u n d Führung, Breslau 1935, S. 27. 5 W. Schönfeld, Z u r geschichtlichen u n d weltanschaulichen Grundlegung des Rechts, i n : DRW, Bd. 4 (1939), S. 215. β H. Krüger, a.a.O., S. 26. 7 Binder, Der deutsche Volksstaat, a.a.O., S. 5. 8 Die angeführten Beispiele sind w i l l k ü r l i c h herausgegriffen, sollen nicht typisch sein. Es gab k e i n Halten, keine Grenzen guten Geschmacks, w e n n es galt, den Führer m i t Prädikaten zu versehen. 9 Da charismatische Herrschaft nach M.Webers bekannter Typologie ein allgemeines Einteilungsprinzip verschiedener Formen legitimer Herrschaft bedeutet, k a n n — w e i l ,EinmalïkeiV gerade ein Kennzeichen des charismatischen Herrschers abgibt — der jeweils konkrete charismatische H e r r scher von den Apologeten seiner Macht nicht dem Weberschen T y p zugeordnet werden. Das W o r t Charisma w i r d darum auch v o n Nationalsozialisten i m Zusammenhang m i t H i t l e r selten gebraucht. H. Krüger, a.a.O., S. 8 lehnt es empört ab, den Führer i n diese „merkwürdige Gesellschaft" (der charismatischen Herrscher) einzureihen.

3.1. Die Führer-Formel

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fülle einen willkürlichen Gebrauch machen. . . . Sondern es überläßt diese Dinge dem Schicksal 10 ." 2. Scheuten die meisten Theoretiker des NS-Staates und seines Rechts verständlicherweise ein solches Eingeständnis der Hilflosigkeit, der Ohnmacht, der Selbstpreisgabe letzter Reste wissenschaftlichen Denkens, mußten sie die Führer-Formel anders zu gewinnen suchen. Die Leerformel vom Charisma Adolf Hitlers taugte bereits zu jener Technik der Entwirklichung, die alles Handeln des Führers überprüfbaren Maßstäben entzog, aber sie barg den Nachteil, die Gefahr w i l l kürlichen Gebrauchs' der unbeschränkten Macht des Führers, den sein Charisma über alle Bindungen erhebt, nicht ganz leugnen zu können, sogar eingestehen zu müssen. U m diesen Nachteil auszuschließen, vermischte die nationalsozialistische Staats- und Rechtsvorstellung die Leerformel vom Charisma Adolf Hitlers m i t einer zweiten, der vom ,höheren Gesetz' 11 . Das Charisma trat dabei hinter das ,Gesetz', die Person hinter die Institution, der Führer Adolf Hitler erschien nur noch als ein Einzelfall des Führertums — und seine Macht konnte er niemals mehr willkürlich gebrauchen, gründete sie doch i m ,Gesetz'. Freilich bleibt dunkel, wie dieses ,Gesetz' beschaffen, wenn es nicht anders, nicht näher bezeichnet werden kann — und weder mit den ,Grundkräften der Gemeinschaft', noch m i t der ,sinngebenden Idee' noch m i t der i m ,rechtstragenden Arttypus' angelegten Gesetzlichkeit w i r d irgendein Begriff verbunden —, denn so: das Gesetz ist „ i n der Wirklichkeit des deutschen Volkes unmittelbar lebendig", bildet „eine verpflichtende Ordnung, i n die der Mensch sich hineingestellt sieht. Das . . . Wissen u m diese Ordnung ist außerhalb rationaler menschlicher Ordnungen . . . gewonnen worden. . . Es wurde lebendig i m Kampf u m ein V o l k 1 2 . " Darum bleiben alle Versuche, zu klären, was ίο H. Krüger, a.a.O., S. 126. 11 Die nationalsozialistische Rechtslehre unterscheidet — w e n n auch nicht immer ausdrücklich — Gesetz u n d »Gesetz' (vgl. Köttgen, V o m deutschen Staatsleben, JöR Bd. 24 [1937], S.64). Das staatliche Gesetz sollte n u r Ausdruck des »höheren Gesetzes' — das unter verschiedenen Namen, bei gleichem Sinn eingeführt w i r d , beispielsweise ,Gesetz' (Köttgen), ,Grundkraft der Gemeinschaft' (E. R. Huber), ,sinngebende Idee' (Larenz), ,rechtstragender Arttypus' (Walz) usw. — sein. Die Theoretiker des Totalitarismus verweisen darauf, k e i n totalitärer Staat komme ohne eine solche „ f ü r den Totalitarismus typische Form des Gesetzesbegriffs" aus. „Dieser Gesetzesbegriff betrifft die Gesetze des n a t ü r lichen Gesellschaftsprozesses. Denn diese A r t Gesetze, nach denen sich angeblich der Geschichtsablauf vollzieht, sind gar nicht Normen i m eigentlichen Sinne, sondern Urteile existentieller A r t . " (C.J.Friedrich, Totalitäre Diktatur, Stuttgart 1957, S. 15.) 12 Köttgen, a.a.O., S. 64. Solche Sätze finden sich häufig. Es sei noch H. Frank zitiert, der fast die gleichen Worte gebraucht: Das T u n des Führers

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3. Die materialen Qualitäten des Gesetzes

Führertum sei, i n der Verunklärung stecken. Unter denen, die sich vergeblich bemühten, sei, weil er ob seiner bestechenden Analysen sonst stets gerühmt wird, Carl Schmitt herausgegriffen. 3. Das Führertum, diesen Gedanken, der den nationalsozialistischen Staat „von oben bis unten und i n jedem A t o m seiner Existenz" beherrsche 13 , entwickelt Carl Schmitt aus der Immanenz der Artgleichheit von Führer und Gefolgschaft — ,Artgleichheit' heißt bei ihm das ,höhere Gesetz', das den Führer bindet —, der Weg zur Erkenntnis des Führertums geht darum durch die Erkenntnis der Artgleichheit. Die Artgleichheit als zentraler Begriff einer Staats- und Regierungsform entstammt Carl Schmitts Lehre von der Demokratie 1 4 . Letzter, überragender Gedanke der vielgestaltigen Idealauffassungen von der Demokratie sei der der Gleichheit. Gleichheit jedoch als etwas anderes verstanden denn die allgemeine Gleichheit der Menschen. Umgekehrt, die Gleichheit als substanzielle Gleichheit begriffen, in ihrer Substanz festgelegt durch die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Volk, wobei diese Zugehörigkeit durch sehr verschiedene Momente (Vorstellungen gemeinsamer Rasse, Glauben, gemeinsames Schicksal und Tradition) bestimmt sein könne 15 . Eine solche substanzielle Gleichheit sei wesentlich die Gleichartigkeit eines Volkes in nationalem Bewußtsein oder religiöser Überzeugung oder rassischer Herkunft. Die Artgleichheit insbesondere, jene „unumgänglichste Voraussetzung und Grundlage" des nationalsozialistischen Führerstaates 16 , ist demnach eine stark verengte Gleichartigkeit, beschränkt auf die gemeinsame rassische Herkunft des deutschen Volkes 17 . Die Gleichartigkeit ( = Artgleichheit) bringt eine einzige — nach Carl Schmitt jedoch entscheidende — Gleichheit aller innerhalb eines bestimmten Volkes, eine Gleichheit, die Herrscher und Beherrschte, Regierende und Regierte, Befehlende und Gehorchende umfaßt. Diese ,Gleichheit i n der Substanz4 (Religion, Rasse usw.) schließt es aus, daß innerhalb des Staates die Unterscheidung von „Regieren und Regiertwerden eine qualitative Verschiedenheit ausdrückt oder b e w i r k t " 1 8 . ist der „strenge Vollzug ewiger Lebensgesetze, die sich i m Werden des deutschen Volkes offenbaren". (Der Führer u n d das Recht, i n : Z A k D R , Bd. 4 [1937], S. 290.) 13 Staat, Bewegung, Volk, a.a.O., S. 33. 14 Verfassungslehre, München und Leipzig 1928, S. 226 ff. is a.a.O., S. 227. 16 Staat, Bewegung, Volk, a.a.O., S. 42. ι 7 Die gemeinsame rassische H e r k u n f t des deutschen Volkes w i r d von Carl Schmitt als Postulat einfach aus der nationalsozialistischen Propaganda übernommen. Ganz widersprüchlich hierzu erklärt er sie an anderer Stelle als Produkt eines intimen Wachstumsprozesses der kommenden deutschen Geschlechter. Vgl. H. Hofmann, a.a.O., S. 196 f. m i t Nachweisen. is Verfassungslehre, a.a.O., S. 235.

3.1. Die Führer-Formel

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Umgekehrt jedoch darf die Verschiedenheit von Regierenden und Regierten quantitativ ungeheuer verstärkt und gesteigert werden, wenn nur die eigentliche, existenzielle Gleichheit i n der substanziellen Gleichartigkeit erreicht wird. Verbleiben die „Personen, die regieren und befehlen, i n der substanziellen Gleichartigkeit des Volkes . . . , so (kann) ihre Herrschaft strenger und härter, ihre Regierung entschiedener sein" 1 9 als i n allen anderen Staatsformen. Folgerichtiges Ergebnis: „Eine Diktatur insbesondere ist nur auf demokratischer Grundlage möglich 20 ." Nichts denn Zutat des Liberalismus ist jenens System von Kontrollen und Hemmungen der Macht des Staates. „Der Demokratie als politische Form ist diese Tendenz nicht wesentlich, vielleicht sogar fremd 2 1 ." Die Artgleichheit von Führer und Volk sei, nach Carl Schmitt, dem deutschen Führertum einfach immanent, darin übertreffe es jedes noch so kluge demokratisch-rechtsstaatliche System, sei nicht bloße Schranke der Macht des Führers, sei vielmehr Urgrund des fortwährenden untrüglichen Kontaks zwischen Führer und Volk und könne darum verhindern, daß die Macht des Führers Tyrannei und W i l l k ü r werde 2 2 . Deshalb sei auch Führen Nicht-Kommandieren, Nicht-Diktieren, überhaupt der Gegensatz allen „normativistischen und funktionalistischen Machens 23 ." Darüber hinaus brauche das i n der Artgleichheit gründende Führertum keiner Klärung, keines Bildes, keines Vergleiches. Nicht das B i l d von H i r t und Herde, nicht das von Steuermann und Schiff, nicht das von Roß und Reiter, treffe den ,deutschen Sinn' der Worte Führer und Führertum. Sie seien Begriffe „ganz aus dem konkreten substanzhaften Denken der nationalsozialistischen Bewegung", Begriffe „unmittelbarer Gegenwart und realer Präsenz 24 ." Führung ist, w e i l sie Führung ist und Führung ist, wie sie ist, Führung. ,Das Sagen der Dinge', von Carl Schmitt sonst so glänzend, so wortmächtig beherrscht, beim Begriff des Führertums, dem Angelpunkt der nationalsozialistischen Staats- und Rechtslehre, verflüchtigt es sich ins Nicht-Sagen, ins Nichtssagende. Jenseits allen rationalistischen Verständnisses steht das Führertum, entrückt i n den ,großen M y thus' 2 5 . Den Mythus aber darf man nicht als ein „Produkt räsonieren19 a.a.O., S. 236. so a.a.O., S. 237. 21 Ebenda. 22 Staat, Bewegung, Volk, a.a.O., S. 42. 23 Staat, Bewegung, Volk, a.a.O., S. 32. 24 Staat, Bewegung, Volk, a.a.O., S.42. 25 Das W o r t „großer M y t h u s " stammt aus Carl Schmitts „Die politische Theorie des M y t h u s " (1923), i n : Positionen u n d Begriffe, a.a.O., S. 8 ff.

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3. Die materialen Qualitäten des Gesetzes

den Denkens" verstehen 26 , er ist geschöpft nur aus der Intuition und läßt sich nicht i n Systeme und allgemeine Begriffe pressen. Carl Schmitt (und i h m gleich die anderen Theoretiker des nationalsozialistischen Staates und seines Rechts), von dem das Wort der Prämie auf den Machtbesitz stammt, einer politischen Prämie für den Inhaber der Staatsmacht, die i h m i m Zweifelsfall die Vermutung der Legalität seines Handelns sichert, verschaffte m i t der Rückführung aller politischen Entscheidungen auf die Artgleichheit von Führer und Volk dem Führer eine ,über-legale' Prämie auf die Macht. Losgelöst von allen wirklich substanzhaften Ordnungen konnte die nichtssagende und an nichts gebundene Artgleichheit alles Nicht-Zustimmen und Nicht-Vertrauen i n die Führung aus der Sicht des Führers zum Mißtrauen und Treuebruch werden lassen; der Mißtrauische und Treubrüchige stellte sich selbst außer die Gleichheit, wurde zum Ungleichen, und damit — hors la loi — verfiel er der Stärke, Strenge und Härte des Führers. Doch solche Folgen des Führertums beachtet Carl Schmitt wenig. Einzelne Hinweise auf die mögliche ,strenge und harte' Herrschaft des Führers oder auf die Weise dieser Herrschaft, die der Gegensatz ,allen funktionalistischen Machens' sei, bleiben bei Carl Schmitt nebensächlich. Das höhere Prinzip, das ,Gesetz', Artgleichheit genannt, überschattet den ,real-präsenten' Führer — obgleich dessen reale Präsenz immerhin seinen Begriff ausmachen soll. 4. Damit ließ sich die Technik der Entwirklichung nicht erfolgreich betreiben, die unbeschränkte Macht des ,real-präsenten' Führers Adolf Hitler einfach zu vergessen, leichthin zu übergehen, bestand doch der oft und deutlich genug verkündete nationalsozialistische Grundsatz des an Macht alles überragenden Führers Adolf Hitler und bestand doch auch eine dem entsprechende Wirklichkeit. Es galt vielmehr, das ,Gesetz' nicht unvermittelt über die tatsächliche Herrschaft Adolf H i t lers zu stellen, es galt jene Formel zu finden, die diese Herrschaft deutlich m i t dem ,Gesetz' verband, sie gleichzeitig aber auch mittels dieser Formel dahin zu entwirklichen, daß W i l l k ü r als ,gesetzesmäßig', freies Belieben als gebunden, Zwang als Freiheit erschien. Und wenn der Verstand keinen Ausweg wußte, solche Gegensätze aufzuheben, dann hieß es, diesen Ausweg außerhalb, oder richtiger: entgegen der Vernunft zu suchen. Wer stolz zum Irrationalismus sich bekannte, wer froh „aus der versachlichten Sphäre des Geistes i n das wohnlichere Halbdunkel metaphysischer Ersatzbereiche floh 2 7 , den schreckte sol-

26 a.a.O., S. 13. 27 J.C.Fest, a.a.O., S.339.

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3.1. Die Führer-Formel

cher Ausweg nicht, der konnte daran gehen, über einen ,Führer' zu spintisieren, bei dem nichts unmöglich ist. Das Ergebnis sei kurz zusammengefaßt: „Führung ist . . . : die aus den Grundkräften der Gemeinschaft unmittelbar erwachsende, auf der Verbindung von Autorität und Macht beruhende verantwortliche Bestimmung einer geschlossenen Lebenseinheit 28 ." Andere nationalsozialistische ,Anschauungen' über den ,Führer' lauten anders, aber allermeist besteht die Führer-Formel aus diesen drei Teilen — und nur dann vermag sie ihren Zweck zu erfüllen: die Herrschaft Adolf Hitlers ( = die „auf der Verbindung von Autorität und Macht beruhende . . . Bestimmung") gründet i n einem höchsten ,Gesetz' ( = „den Grundkräften der Gemeinschaft"), das aber nur der ,Führer' vermitteln kann ( = „die aus den Grundkräften der Gemeinschaft unmittelbar erwachsende" Befähigung und Befugnis des Führers zur „Bestimmung einer geschlossenen Lebenseinheit"). Zwar soll der auf diese Formel gebrachte ,Führer' — so lauten nationalsozialische Weltanschauungen, sofern sie überhaupt differenziert darlegen — eins sein mit dem Führer Adolf Hitler, aber nicht die ,reale Präsenz' Adolf Hitlers macht den ,Führer', Adolf Hitler ist vielmehr deswegen Führer, weil er den ,Führer' — das meint: den Führer schlechthin — ,in sich trage', weil er der Vollstrecker der geschichtlichen Sendung der deutschen Volksgemeinschaft sei 20 . Aus dieser Führer-Formel läßt sich — wenn auch nur in Tautologien der Tatsächlichkeit — der Lauf der Welt stets stimmig deduzieren. Zwar bleibt auch der Führer Adolf Hitler eigentlich eingebunden i n das ,höchste Gesetz', zwar vollstreckt er eigentlich nur dieses ,Gesetz', doch dieses eigentlich' ist entscheidend: wenngleich der Inhalt, die Forderung, die Gebote des ,Gesetzes' ewig unumstößliche Wahrheiten sein sollen, ohne den Führer ließe sich der Inhalt nicht wissen, die Forderung nicht durchsetzen, das Gebot nicht einhalten. Und hat sich ein Führer, so wie Adolf Hitler, erst einmal gefunden, kann das ,Gesetz' ruhig hintangestellt werden, zur entscheidenden Kraft, zur wahren Prämisse erhebt sich dann doch der ,real-präsente' Führer. Lieferte die Führer-Formel das M i t t e l zur Entwirklichung — von Adolf Hitler zum ,Führer' und zurück zum Führer Adolf Hitler —, brauchte niemand mehr davor zurückzuschrecken, die Allmacht Hitlers herauszustellen, denn „selbstverständlich erschöpft sich Führung nicht i n der Anwendung der Macht" — obgleich — „wer die Wirklichkeit einer Führungsordnung zu sehen vermag, . . . sich nicht darüber täu28 E. R. Huber, Reichsgewalt u n d Reichsführung Bd. 101 (1941), S. 538.

29 E. R. Huber, Verfassungsrecht, a.a.O., S. 239.

i m Kriege, i n :

ZStW,

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3. Die materialen Qualitäten des Gesetzes

sehen (wird), daß i n ihr die Macht als ein mitgestaltendes Moment des Ganzen kräftig und deutlich entwickelt ist" 3 0 , vielmehr ist Führung wie „jede echte Herrschaft — und dies unterscheidet sie von Willkür, Despotie und Tyrannis — durch eine sittliche Gebundenheit bestimmt 3 1 ." I n der nationalsozialistischen Staats- und Rechtsvorstellung wurde für die so entwirklichte Allmacht des Führers eine spezifische juristische Formel geschaffen: die Führer-Gewalt 3 2 . Führer-Gewalt nennt E. R. Huber immer wieder, als ob er keine Mißverständnisse aufkommen lassen wollte, das was sie ist, unbegrenzte brutale Gewalt: „Daß hier (im Führer-Staat) Befehl und Zwang nicht entbehrt werden können, daß diese notwendig sind nicht nur als M i t t e l des Kampfes gegen gemeinschaftsfeindliche Elemente, die es niederzuhalten oder auszumerzen gilt, sondern daß sie unter mannigfachen Umständen auch angewandt werden müssen, um die Gefolgschaft selbst als eine geordnete, disziplinierte, einsatzbereite Einheit zu erhalten, liegt für eine realistische Betrachtung auf der Hand." Doch sogleich verläßt er diese tatsächlich Realistische Betrachtung', wenn er fortfährt: „Uns besteht das Besondere der Führung darin, daß Befehl und Zwang hier M i t t e l einer Zucht sind, die an das in einer Gemeinschaft lebendige Grundgefühl appellieren kann, so daß Befehl und Zwang nicht einfach die Knechtung des autonomen W i l lens bedeuten, sondern i n dem Angesprochenen den i n i h m selber lebendigen, wenn vielleicht auch überdeckten oder erlahmten Gemeinschaftswillen bewußt werden lassen und verstärken 3 3 ." A n anderer Stelle verdeutlicht Huber i n ähnlicher Weise die Führer-Gewalt: sie „ist nicht durch Sicherungen und Kontrollen, durch autonome Schutzbereiche und wohlerworbene Einzelrechte gehemmt, sondern sie ist frei und unabhängig, ausschließlich und unbeschränkt 34 ." Aber solch umfassende Macht bedeutet „keine W i l l k ü r , sondern trägt ihre Bindung in sich selbst" 35 , denn der Willp des Führers „ist nicht der subjektiv individuelle Wille eines für sich stehenden Menschen, sondern 30 E. R. Huber, a.a.O., S. 532. 31 a.a.O., S. 537. 32 Den Ausdruck Führergewalt prägte E. R. Huber, der sich bemühte, i h n als Element einer nationalsozialistischen Verfassungslehre einzuführen. Der Zwist m i t H ö h n über die Führer-Gewalt (s. Höhn, V o l k u n d Verfassung, a.a.O., S. 212 ff.) bleibt — v o m Ergebnis her gesehen — ein Streit u m leere Worte. Ob gleiche oder andere Worte, am Ende, i m Ergebnis, bestritt keiner der Vertreter nationalsozialistischer Staats- u n d Rechtsvorstellung, was E. R. Huber m i t Führer-Gewalt meinte. Bei i h m jedoch herrscht darüber noch am meisten Klarheit, i h m soll d a r u m auch i n der Darstellung gefolgt werden. 33 a.a.O., S. 537. 34 Verfassungsrecht, a.a.O., S. 230.

35 Ebenda.

3.1. Die Führer-Formel

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i n i h m v e r k ö r p e r t sich d e r G e s a m t w i l l e des V o l k e s als o b j e k t i v e geschichtliche G r ö ß e " 3 6 . W e g e n dieser G e b u n d e n h e i t des F ü h r e r s a n d i e »objektive geschichtliche G r ö ß e V o l k 4 u n t e r s c h e i d e t sich seine F ü h r e r - G e w a l t n i c h t n u r v o n g e w ö h n l i c h e m s t a a t l i c h e m B e f e h l u n d Z w a n g , i s t sie v i e l m e h r qualitativ e t w a s anderes als S t a a t s g e w a l t , ist sie n i c h t l e d i g l i c h eine „ S u m m e v o n s t a a t l i c h e n Einzelbefugnissen, s o n d e r n d i e e i n h e i t l i c h e , u n t e i l b a r e u n d a l l u m f a s s e n d e F ü h r u n g des V o l k e s u n d Reiches 3 6 *." D a r u m auch l e i t e t sich „ a l l e ö f f e n t l i c h e G e w a l t i m S t a a t . . . v o n d e r F ü h r e r g e w a l t " a b u n d „ n i c h t d e r S t a a t als eine u n p e r s ö n l i c h e E i n h e i t i s t d e r T r ä g e r d e r p o l i t i s c h e n G e w a l t , s o n d e r n diese ist d e m F ü h r e r als d e m V o l l s t r e c k e r des v ö l k i s c h e n G e m e i n w i l l e n s g e g e b e n " 3 7 . W a s i m m e r n u n d i e ,unpersönliche E i n h e i t 4 S t a a t q u a l i t a t i v v o m F ü h r e r t r e n n e , w a s i m m e r a n q u a l i t a t i v e n U n t e r s c h i e d e n zwischen Staatsgew a l t u n d F ü h r e r - G e w a l t b e h a u p t e t w e r d e n mag, quantitativ könnte k e i n e S t a a t s g e w a l t g r ö ß e r sein als d i e F ü h r e r - G e w a l t . D e n n die ist „ u m f a s s e n d u n d t o t a l ; sie v e r e i n i g t i n sich a l l e M i t t e l d e r p o l i t i s c h e n 36 a.a.O., S. 196. Aus dieser Gebundenheit des Führers an die »objektive geschichtliche Größe Volk' leiten die Vertreter nationalsozialistischer Staatsund Rechtsvorstellung ohne weiteres der Sache nach (das W o r t erscheint allerdings auffallend selten) die Legitimität der Führer-Herrschaft ab. Ohne den Z i r k e l der Gleichsetzung von F ü h r e r - W i l l e u n d Volkes-Wille genauer zu kennen, w i r d die Eigenart der Gebundenheit des Führers und damit auch die eigenartige L e g i t i m i t ä t seiner Herrschaft jedoch leicht m i ß verstanden. U m bei dem Beispiel E. R. Huber zu bleiben: er unterscheidet — wie auch die anderen Vertreter nationalsozialistischer Rechtsvorstellung — zwischen V o l k und ,Volk', zwischen sogenanntem naturhaftem u n d politischem, zwischen lebendem u n d objektivem Volk. (Vgl. Verfassungsrecht, a.a.O., S. 150 ff., 194 ff.) (Wenn Höhn, V o l k u n d Verfassung, a.a.O., sich gegen eine solche Unterscheidimg wendet, w i l l er d a m i t keinesfalls Hubers Ergebnis angreifen: auch i h m ist der ,wahre' W i l l e des Volkes eine objektive Wahrheit, die beispielsweise nichts m i t dem Abstimmungsergebnis einer Volksabstimmung zu t u n haben muß, auch f ü r i h n äußert sich ,wahrer' Volks-Wille n u r i m Führer-Willen. H ö h n übertrifft allerdings Huber an Zirkel-Schlüssigkeit, bei i h m ist nicht n u r ,wahrer' V o l k s - W i l l e u n d FührerWille eins, auch das lebende V o l k sei schon, w e i l dies der Nationalsozialismus bedinge, eines einheitlichen Willens.) „Das V o l k ist eine objektive selbständige Erscheinimg; es erschöpft sich nicht i n den jeweils lebenden Gliedern. So ist auch der ,Wille des Volkes' eine objektive Gegebenheit, die von der subjektiven ,Volksüberzeugung', d. h. den Meiungen, Bestrebungen und Befürchtungen der jeweils lebenden Volksangehörigen unterschieden werden muß." (E. R. Huber, a.a.O., S. 195.) Dieser W i l l e des Volkes, der völkische Gemeinwille, der „wahre W ü l e des Volkes . . . (wird) n u r durch den Führer rein und unverfälscht hervorgehoben" (a.a.O., S. 194). Allerdings besteht zugleich „das eigentliche Wesen des Führertums" aus „Gebundenheit an das V o l k " (a.a.O., S. 195). Des Führers-Willen ist gebunden an des Volkes W i l l e n ist gebunden an des Führers-Willen, das macht: der Führer ist n u r an seinen W i l l e n gebunden. 36a Reichsgewalt und Reichsführung, a.a.O., S. 540. 37 Verfassungsrecht, a.a.O., S. 230.

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3. Die materialen Qualitäten des Gesetzes

Gestaltung; sie erstreckt sich auf alle Sachgebiete des völkischen Lebens; sie erfaßt alle Volksgenossen, die dem Führer zu Treue und Gehorsam verpflichtet sind 3 8 ." Aber „wenn auch die Führergewalt i n sich einheitliche und unteilbare Hoheitsgewalt darstellt, so bleibt doch die Notwendigkeit bestehen, sie inhaltlich nach Funktionen zu gliedern" 3 9 . Eine dieser Funktionen der Führer-Gewalt bildet die „Rechtsgewalt, d. h. die Zuständigkeit zur Verwirklichung und Wahrung des Rechts" 40 .

3.2. Exkurs: Das Unbehagen am Rechtsstaat in der Weimarer Zeit. Carl Schmitts Rechtsstaatskritik als Beispiel Den Rechtsstaat — der später einmal der ,bürgerliche 4 genannt werder sollte — definierte F. J. Stahl: „Dieß ist der Begriff des Rechtsstaates, . . . er bedeutet überhaupt nicht Ziel und Inhalt des Staates, sondern nur A r t und Charakter, dieselben zu verwirklichen 4 1 ." Von Anfang an, so scheint es, kennzeichnet den Rechtsstaat eines: er kennt kein Ziel, keinen Inhalt, keine material-qualitativen Werte, er ist nur Verfahren. Verfahren, bestimmt durch beziehungslosen Formalismus, wertneutralen Funktionalismus, bedingungslosen Positivismus, Verfahren, festgelegt durch Organisationssätze und Organisationsgrundsätze. Inhalt und Form gelten als getrennt, das Recht folgt der staatlichen Macht. Das Gesetzgebungsverfahren w i r d so das M i t t e l staatlicher Herrschaft i m Rechtsstaat, die ,Herrschaft des i n bestimmten Verfahren entstandenen Gesetzes4 damit zum eigentlichen Wahrzeichen des rechtsstaatlichen Staates. Doch nicht das — möglicherweise leerlaufende — Verfahren, aus dem die Gesetze hervorgehen, steht am Anfang des Rechtsstaates, die ,Herrschaft des Gesetzes' steht dort. Das Verfahren folgt nach, w i r d erst aus dem Ruf nach der ,Herrschaft des Gesetzes' verständlich. Dieser Ruf ist der Ruf des Menschen nach Freiheit, ist der Ausdruck der Maxime: „Frei ist der Mensch, wenn er nicht mehr Menschen, sondern nur noch Gesetzen gehorchen muß. Unter Gesetz aber versteht man je länger je mehr . . . die über alle Willen und jedwede W i l l k ü r erhabene Norm; den Inhalt dieser Gesetze w i l l man i n zunehmendem Maße aus dem diesseitigen und vernünftig erkennbaren Sein von

38 Ebenda. 3» Reichsgewalt u n d Reichsführung i m Kriege, a.a.O., S. 542 f. 40 a.a.O., S. 548. Philosophie des Rechts, Zweiter Band (Rechts- u n d Staatslehre), 3. A u f lage, Heidelberg 1856, S. 137 f.

3.2. Exkurs: Das Unbehagen am Rechtsstaat in der Weimarer Zeit

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Natur und Gesellschaft ablesen 42 ." Darum mußte ein Verfahren geschaffen werden, das W i l l k ü r ausschloß und vernünftigen Inhalt der Gesetze zu finden versprach. Die Gefahr der W i l l k ü r war dem Bürgertum eine politische Erfahrung der Monarchie, vernünftige, und das hieß für das wirtschaftlich aufstrebende Bürgertum vor allem, seine Freiheit garantierende und berechenbar machende Gesetze, meinte es am besten selbst zu schaffen. W i l l k ü r hoffte es durch Gewaltenteilung zu verhindern. Normen durch ein Organ zu gewinnen, i n dem es selber die Beschlüsse faßte. Die Organisationsform des gewaltengeteilten Gesetzgebungsstaates wurde darum das ,Verfahren' des Rechtsstaats, aber dies sollte kein funktionalistisch-wertneutrales Verfahren sein, der Wert lag i n der ,Gewißheit der gesetzmäßigen Freiheit', in der Wendung gegen persönliche W i l l k ü r und zum entpersönlichten Gesetz. Zwei qualitative Merkmale bestimmen, so scheint es, demnach den rechtsstaatlichen Begriff des Gesetzes, damit den Rechtsstaat selbst: das Gesetz dient der Verwirklichung menschlicher Freiheit und das Gesetz w i r d Wirklichkeit i m Beschluß der gesetzgebenden Körperschaft, dem Parlament. Ein materiales und ein politisches Merkmal mischen sich — und das materiale, auf die Vermittlung durch das Parlament angewiesen, t r i t t leicht hinter das politische zurück, das Organ verdeckt das Ideal, dem es dienen soll, es entsteht so der Gesetzgebungsstaat, i n dem als Gesetz nur die i n vorgeschriebenem Verfahren vom Parlament beschlossene Norm gilt, umgekehrt aber auch alles Gesetz ist, was aus solchem Verfahren hervorgeht. Es kommt dann „ n u r noch auf diese Rechenhaftigkeit und bourgeoise Sekurität des Gesetzes an, nicht mehr auf seine Richtigkeit 4 3 ." 2. So unangefochten dieser — schlagwortartig — Rechtspositivismus i n der Zeit der konstitutionellen Monarchie galt, so heftig kämpfte ein gut Teil der Staatsrechtler i n der Weimarer Zeit gegen ihn. Der Kampf vereinte getrennte Geister, Dezisionisten und Demokraten, Revolutionäre und Konservative, Irrationalisten und Neuhegelianer, er vereinte Carl Schmitt und Hermann Heller, Niekisch und Triepel, Kaufmann und Schönfeld 44 . Doch dieser Kampf brachte nur äußerlich die unterschiedlichsten Meinungen und Bestrebungen zusammen, tatsächlich muß man bei ihm „zwei Formen der K r i t i k unterscheiden, die täuschend ähnlich scheinen, aber durch den entgegengesetzten Grundwillen getrennt sind: K r i t i k , die zur Demokratie und Freiheit 4

2 H. Heller, Rechtsstaat oder Diktatur? Tübingen 1930, S. 7. 43 a.a.O., S. 9. 44 Vgl. beispielsweise Sontheimer, Antidemokratisches Denken Weimarer Republik, München 1962, S. 82 ff.

in

der

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3. Die materialen Qualitäten des Gesetzes

vorantreibt, und K r i t i k , die die Demokratie und Freiheit haßt und abschaffen w i l l " 4 5 . Der Kampf gegen Rechtspositivismus bedeutet für die einen Rückkehr zum, für die anderen Abkehr vom Rechtsstaat. Was sie trennte, hatten sie dennoch gemeinsam, die Erkenntnis, der politische Begriff des Gesetzes — der Beschluß des Gesetzes durch das Parlament — mache noch nicht eigentlich das rechtsstaatliche Gesetz, den Rechtsstaat. Keiner stellte das so trefflich heraus wie Carl Schmitt, und trotzdem führte seine K r i t i k nicht zum Rechtsstaat, trachtete i h n vielmehr zu vernichten. Er gestand zu, aber verstand dennoch nicht, daß tatsächlich, ursprünglich, idealiter, nicht zwei qualitative Merkmale — ein materiales und ein politisches — das rechtsstaatliche Gesetz, die ,Herrschaft des Gesetzes' bestimmen, daß vielmehr nur das Ziel gilt, die Freiheit des Menschen zu verwirklichen, daß der politische Teil beim rechtsstaatlichen Gesetz, der Parlamentsbeschluß, lediglich dazu dienen soll, diese Freiheit mitzuschaffen, daß der Sinn des Parlaments m i t darin liegt, zu kontrollieren und selbst kontrolliert zu werden, daß diese Kontrolle das entpersönlichte, von der Gefahr einzelpersönlicher W i l l k ü r befreite Gesetz sichert. Er begnügte sich damit, einen entarteten, seinem Selbstverständnis entfremdeten Parlamentarismus i m Weimarer Staat aufzuzeigen. Aber er wußte keinen Rat dafür, wer die entscheidende Funktion des Parlaments — staatliche Macht zu kontrollieren und selbst öffentlich kontrolliert zu werden — und dadurch erst die entpersönlichte, rechtsstaatliche ,Herrschaft des Gesetzes' zu ermöglichen — übernehmen könnte; er zeigte nur einen Ausweg, der vom Rechtsstaat weg, i n die Sackgasse persönlicher Herrschaft, i n ein autoritär-diktatorisches Regime führen sollte. 3. Carl Schmitt versteht den Staat — das meint: jeden Staat — als Rechtsstaat, wenn er sich nur „ i n der Sache darauf beruft, Recht zu verwirklichen, unrichtiges altes Recht durch richtiges neues Recht zu ersetzen und vor allem die normale Situation zu schaffen, ohne die jeder Normativismus ein Betrug ist" 4 6 . Damit werden scheinbar zwei Kriterien des Rechtsstaats herausgestellt: es genügt nicht nur die ,normale Situation', i n der irgendein Recht ohne Rücksicht auf dessen 45 K . Jaspers, A n t w o r t . Ziur K r i t i k meiner Schrift „ W o h i n treibt die B u n desrepublik", München 1967, S. 193. Jaspers fährt an dieser Stelle fort: „ I n den zwanziger Jahren stellte die antidemokratische u n d freiheitsfeindliche Gesinnung den bestehenden politischen Zustand und die Politiker bloß, — sehr oft m i t Recht —·, u m dann den Zustand durch das eigene Reden und T u n noch zu steigern (in der weiten Spanne v o m Tatkreis bis Carl Schmitt zu Hitler). Sie w a r der Todfeind jener aufbauenden K r i t i k , die inhaltlich so vielfach m i t i h r zusammenfiel." 46 Carl Schmitt, Legalität u n d Legitimität, München und Leipzig 1932, S. 19.

3.2. Exkurs: Das Unbehagen am Rechtsstaat in der Weimarer Zeit

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Ziel und Inhalt gälte, es soll vielmehr auch Richtiges Recht 4 herrschen. Tatsächlich aber bilden normale Situation und richtiges Recht nicht Begriffe, die, zusammen gesehen, den Begriff des Rechtsstaats ergäben, sondern sie selbst gewinnen Sinn und Inhalt erst von einem dritten, gemeinsamen Wert: der Ordnung. Und zwar der Ordnung i n der zweifachen Bedeutung des Wortes bei Carl Schmitt: sowohl der faktischen, machtvoll durchgesetzten Ordnimg, die die »normale Situation' schafft und sichert wie auch der apriorisch begriffenen, substanzhaften Ordnung, die festlegt, was »richtiges Recht' sei. Diese doppelte Ordnung „muß hergestellt sein, damit die Rechtsordnung einen Sinn hat" 4 7 . Die Lehre des Montesquieu, es gebe Staaten, deren Zweck und Ziel ihr Ruhm sei und andere, deren Zweck und Ziel die politische Freiheit ihrer Bürger sei, diese „fundamentale Unterscheidung von Freiheit und Macht, liberté und gloire" 4 8 , gibt i n Carl Schmitts System des Rechtsstaates keine rechte Alternative mehr ab. Denn auch die Freiheit bedarf der machtvoll durchgesetzten Ordnung, soll sie nicht zur bloßen ,funktionalistischen Wertneutralität' mißraten. Ist allerdings die Ordnung einmal erstellt, dann t r i t t eine „Phase" ein, in welcher das ,Politische' zurück-, das Rechtliche hervortritt" 4 9 . Aber immer hängt das »Rechtliche' am »Politischen'. Jederzeit kann erneut die Unordnung drohen und so einen Szenenwechsel erfordern, damit wieder „eine normale Situation geschaffen werden (kann), und souverän ist derjenige, der definitiv darüber entscheidet, ob dieser Zustand w i r k lich herrscht" 50 . Einem solchen aktiven, mächtigen Staat, der die Ordnung schafft und sichert, der Freund und Feind unterscheiden kann, deshalb erst wirklich das Prädikat Rechtsstaat verdient, steht ein anderer ,Rechtsstaat' gegenüber, der besser Rechtsbewahrstaat genannt werden sollte, denn er enthält „nur eine Reihe von Schranken und Kontrollen des Staates, ein System von Garantien der bürgerlichen Freiheit und der Relativierung staatlicher Macht. Der Staat selbst, der kontrolliert werden soll, w i r d i n diesem System vorausgesetzt" 51 . Auch dieser Staat kennt politische und rechtliche Elemente, aber das rechtliche hängt nicht ausschließlich am politischen. Ein Stück der staatlichen Allmacht scheint gleichsam ausgeschnitten, das Ziel geht dahin, den Staat i n all seinem Tun und Lassen der Rechtskontrolle zu unterziehen, er w i r d 47

Carl Schmitt, Politische Theologie, München u n d Leipzig 1922, S. 13. Carl Schmitt, Verfassungslehre, a.a.O., S. 38. 49 P. Schneider, Ausnahmezustand u n d Norm, a.a.O., S. 263. so Politische Theologie, a.a.O., S. 13. 51 Verfassungslehre, a.a.O., S. 200. 48

5 Kirschenmann

3. Die materialen Qualitäten des Gesetzes

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„einem geschlossenen System von Rechtsnormen unterworfen oder einfach mit diesem Normensystem identifiziert, so daß er nichts ist als Norm oder Verfahren" 5 2 . Der Staat w i r d angeblich ganz in den Dienst des Rechts gestellt, tatsächlich aber all seiner eigentlichen Würde und Macht beraubt, an seiner Aufgabe, die politische Einheit des Volkes zu wahren, gehindert. Der Staat verbleibt ohnmächtig eingesponnen i n lauter Rechtsverhältnisse, Rechtsverhältnisse, die nur dem Kampf gegen den Staat dienen. Carl Schmitts Ausgangspunkt, »richtiges 4 Recht bestehe nur i n der durch die politische Einheit geschaffene Ordnung, führt unausweichlich zu dem Ergebnis: Freiheiten und Freiheit vom Staat bedeutet Auflösung, darum darf der Staat nicht von einem i h m vorgehenden Begriff des Rechtsstaates, sondern der Rechtsstaat muß vom Staat her verstanden werden. Den deutschen Staat habe i m 19. Jahrhundert — so Carl Schmitt — vor allem seine Trennung von der Gesellschaft gekennzeichnet. Staat, das sei die vom M i l i t ä r und Beamtentum getragene Monarchie gewesen, Gesellschaft alles, was nicht zum Staat gehörte. Die Tendenz der Gesellschaft sei dahin gegangen, den Staat — nötigenfalls mit revolutionären M i t t e l n — auf ein M i n i m u m zu beschränken, Eingriffe in alles Gesellschaftliche zu hindern. Seien solche Eingriffe dennoch notwendig gewesen, dann hätten sie zumindest nicht einseitig durch die Regierung erfolgen dürfen, sondern nur unter Teilnahme der Volksvertretung. „Das Parlament, die gesetzgebende Körperschaft, war als der Schauplatz gedacht, auf dem die Gesellschaft erschien und dem Staat gegenübertrat 53 ." Solange der monarchische Staat ein starker Beamten- und Soldatenstaat blieb, war er „eine Balancierung von zwei verschiedenen Staatsarten" 5 4 , eine Balancierung von Regierungsstaat und Gesetzgebungsstaat. Der Dualismus von Regierung und Parlament, von Staat und Gesellschaft verlor aber seinen Sinn i m gleichen Maße, in dem das Volk und die Volksvertretung die monarchische Regierung verdrängten — die Revolution von 1848 und die Indemnitätsfrage i m preußischen Verfassungskonflikt markieren Wenden, der 1. Weltkrieg das Ende dieses Prozesses — und der parlamentarische Gesetzgebungsstaat sich vollendete. Nicht mehr die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft kennzeichnet nun den deutschen Staat, der Staat w i r d vielmehr zur ,Selbstorganisation der Gesellschaft 4.

52 a.a.O., S. 125. 53 Carl Schmitt, Die Wendung zum totalen Staat, i n : Positionen u n d Begriffe, a.a.O., S. 147.

a.a.O., S. 4 .

3.2. Exkurs: Das Unbehagen am Rechtsstaat in der Weimarer Zeit

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Fällt der Dualismus von Staat und Gesellschaft, der Gegensatz von Regierung und Parlament, vollendet sich der parlamentarische Gesetzgebungsstaat, dann t r i f f t das Parlament die Aufgabe, die politische Einheit, die Ordnung zu verwirklichen, so die Voraussetzungen für den Rechtsstaat zu schaffen. Doch „das Parlament, die gesetzgebende Körperschaft, der Träger und Mittelpunkt des Gesetzgebungsstaates, wurde i n dem gleichen Augenblick, i n dem sein Sieg vollständig zu sein schien, ein i n sich selbst widerspruchsvolles, die eigenen Voraussetzungen und die Voraussetzungen seines Sieges verleugnendes Gebilde" 5 5 . Einstmals habe sich — so Carl Schmitt — aus der Zusammensetzung des Parlaments, aus der Herkunft der Parlamentarier, der Repräsentanten von Bildung und Besitz, die Möglichkeit ergeben, „ i n öffentlicher Diskussion die vernünftige Wahrheit und die gerechte Norm" zu finden 56; diesem Parlament konnte das Vertrauen entgegengebracht werden, es gebrauche die Gesetzgebungsbefugnis vernünftig, es trage „seiner Natur und seinem Wesen nach i n sich selbst die eigentliche Garantie der Verfassung" 5 7 . N u r dieses Vertrauen rechtfertigte eine „Reihe einfacher Gleichungen . . . : Recht = Gesetz; Gesetz = die unter M i t w i r k u n g der Volksvertretung zustande gekommene staatliche Regelung. Das war das Gesetz, das praktisch gemeint war, wenn man die ,Herrschaft des Gesetzes' und das ,Prinzip der Gesetzmäßigkeit allen staatlichen Handelns' als Wesensmerkmal des Rechtsstaates forderte" 5 8 . I m Weimarer Staat dagegen sei das „Parlament aus dem Schauplatz einer einheitsbildenden, freien Verhandlung freier Volksvertreter, aus dem Transformator parteilicher Interessen i n einen überparteilichen Willen, zu einem Schauplatz pluralistischer Aufteilung der organisierten gesellschaftlichen Mächte" 5 9 geworden, die „zu jeder positiven Arbeit unfähig, sich immer nur i m Negativen begegnen und höchstens einmal — wie bei Mißtrauensbeschlüssen . . . — in einem Nullpunkt treffen" 6 0 . 4. Das Parlament des Weimarer Staates, die pluralistisch aufgeteilte gesetzgebende Körperschaft, vermag also nicht mehr die politische Einheit herzustellen, die Ordnung einer ,normalen Situation', i n der Richtiges Recht' gilt, zu schaffen, den — i m Sinne Carl Schmitts — echten, mächtigen Rechtsstaat zu verwirklichen. Wer dann, nachdem das Parlament unfähig geworden, die politische Einheit und damit jene Ordnung, in der erst die Rechtsordnung einen Sinn' hat, zu rea55 56 57 58 59 60 und 5*

a.a.O., S. 155. Verfassungslehre, a.a.O., S. 315. Die Wendung zum totalen Staat, a.a.O., S. 150. Legalität und Legitimität, a.a.O., S. 21. Die Wendung zum totalen Staat, a.a.O., S. 156. Weiterentwicklung des totalen Staates i n Deutschland, i n : Positionen Begriffe, a.a.O., S. 189.

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3. Die materialen Qualitäten des Gesetzes

lisieren vermöge, ob nur ein bestimmt qualifizierter einzelner oder jeder beliebige Staatsbürger oder alle Staatsbürger zusammen, hat Carl Schmitt lange Zeit offen gelassen. Jede der genannten Möglichkeiten w i r d i n dem Aufsatz „Staatsethik und pluralistischer Staat" angedeutet. Daneben zeigt Carl Schmitt als Weg zur Ordnimg auch die Möglichkeit, daß sie „schweigend und i m Dunkeln" wachse 61 — und widerspricht damit den zuerst genannten Möglichkeiten. Erst 1932, i n „Legalität und Legitimität" wagt er dann eine entschiedenere, eindeutigere Antwort. Er empfiehlt für den deutschen Staat die Verfassungskonstruktion: ,Autorität von oben, Vertrauen von unten 4 . Diese auctoritas soll sich zwar auf eine plebiszitäre Legitimität stützen, entstehen kann sie aber nur aus personaler Legitimität, „aus der W i r k i m g und dem Eindruck eines großen politischen Erfolges; aus den etwa noch vorhandenen autoritären Residuen einer vordemokratischen Zeit; oder aus dem politischen Ansehen einer nebendemokratischen Elite" 6 2 . Der Kreis Schloß sich bald nach Erscheinen von „Legalität und Legitimität". Es kam einer, der die auctoritas für sich i n Anspruch nahm und dem Carl Schmitt sie zugestand, darum wollte er auch zuerst den nationalsozialistischen Staat nationalsozialistischer deutscher Rechtsstaat Adolf Hitlers 4 nennen 63 . Doch dann besann er sich anders: die „Frage nach dem endgültigen geistesgeschichtlichen Schicksal44 des Rechtsstaates i m zukünftigen nationalsozialistischen Staat beantwortete er dahin, „das Wort Rechtsstaat 4 . . . (dürfte) überflüssig werden 4 4 6 4 . Carl Schmitt wurde nur als Beispiel genommen. Allerdings ist er eines der treffendsten, denn kaum einer der Staatsrechtler i m Weimarer Staat bezog so entschieden Position, prägte so scharfe Begriffe gegen Parlamentarismus und Rechtsstaat. Der Geist, der Witz, die bestechende Analyse, die darauf verwendet werden, den ,letzten Kern dieser Institutionen zu treffen 4 , verglichen m i t dem, was getan wurde, ein positives Ziel zu nennen, das Neue zu umreißen, das an die Stelle 61 Das Zeitalter der Neutralisierungen u n d Entpolitisierungen, i n : Positionen und Begriffe, a.a.O., S. 131. 62 Legalität u n d Legitimität, a.a.O., S. 94. Gesagt ist damit über die Voraussetzungen der legitimierenden A u t o r i t ä t wenig, u n k l a r bleibt, ob es sich u m eine »reflektierte u n d respektierte oder eine produzierte u n d konsumierte A u t o r i t ä t ' (Wiethölter) handelt. I n bezeichnend dezisionistischem ,Verharren i n der Entschlossenheit' (v. Krockow), i m Warten auf die geschichtsmächtige Tat — i n ihrer Geschichtsmächtigkeit durch nichts denn einen politischen Erfolg ausgewiesen — fiel bei Carl Schmitt auctoritas u n d produzierende' T a t zusammen, erwies sich denn auch i m historischen Ergebnis die Schmittsche auctoritas als »produzierte und konsumierte'. 63 Vgl. den A r t i k e l „Der Rechtsstaat", i n : Frank (Hrsg.), Nationalsozialistisches Handbuch f ü r Recht u n d Gesetzgebung, München 1935. 64 ZStW, Bd. 95 (1935), S. 200 u n d S. 201.

3.3. Die nationalsozialistische „Hechtsurquelle"

69

des ,bürgerlichen' Rechtsstaates treten sollte, zeigt am deutlichsten jenen „improduktiven Ressentimentcharakter des Diktaturgedankens", von dem H. Heller gelegentlich spricht 65 . Das ,zurück zur personalen Autorität', das ,weg vom Glauben an das entpersönlichte Gesetz', war ein politischer und geistesgeschichtlicher Schritt hinter die Position des 18. Jahrhunderts, i n dem das Bürgertum den absoluten Monarchen bekämpfte, weil i h m die Gewißheit der gesetzesmäßigen, nicht von persönlichem Belieben abhängigen Freiheit unentbehrlich wurde, war ein Schritt zurück i n eine A r t ,Neo-Feudalismus' (H. Heller). 3.3. Die nationalsozialistische „Rechtsurquelle" 66. Legitimität ohne Legalität Nicht unvermittelt stehen Führer-Formel und Rechtsstaats-Kritik der Weimarer Zeit nebeneinander: i n der Führer-Formel endet die Suche und die Sucht nach personaler Legitimität 6 7 . Legitimität und die korrelierende Legalität sind Begriffe soziologischer Herrschaftstypik und normativer Rechtslehre 68 . Unterschied beider Betrachtungsweisen: die soziologischen Strukturtypen legitimer Herrschaft stellen das Ergebnis empirisch anzutreffender Vorstellungen dar, die normative Rechtslehre sagt, welcher normative Sinn Legitimität und Legalität der Herrschaft und des herrschaftlich gesetzten Rechts idealiter, richtigerweise zukommen sollte. „ A u f die Unterscheidung juristischer und soziologischer Betrachtungsweise (muß besonders streng) geachtet werden 6 9 ." Herrschaft allgemein, staatliche Herrschaft insbesondere sucht Grund und Anlaß ihrer Herrschaft zu rechtfertigen, sucht „den Glauben an es a.a.O., S. 20. ββ Meist w i r d i n der nationalsozialistischen Rechtslehre das W o r t Rechtsquelle verwendet; w e r ein übriges t u n wollte, u m zu zeigen, Recht u n d Gesetz müsse i m NS (wenn auch nur) formalsystematisch unterschieden werden, sprach von Rechtsurquellen (— Recht), aus denen sich das Gesetz als eine mögliche Rechtsquelle ableite; vgl. H. Hildebrandt, Rechtsfindung i m neuen deutschen Staate, B e r l i n u n d Leipzig 1935, S. 32 ff. 67 Personale L e g i t i m i t ä t meint, daß eine Legitimitätsvorstellung an eine bestimmte Person gebunden ist, der Ursprung der L e g i t i m i t ä t dieser Person bleibt offen. 68 Sie sind auch Schlagworte politischer Polemik, Schlagworte, die sich über verschiedenen O r t u n d verschiedene Zeit hinweg erstaunlich ähneln, so etwa die Formel v o m ,pays réel' u n d von den ,substanzhaften Ordnungen', die, einmal von der französischen Opposition u m 1900, insbesondere von Maurras u n d seiner A c t i o n française, u n d ein andermal v o n Carl Schmitt 1932 der bloßen Legalität, dem Gegensatz ,wahrer', substanzhafter L e g i t i m i tät gegenüber gestellt w i r d . 60 M a x Weber, Rechtssoziologie, Neuwied u n d B e r l i n 1960, S. 69; dort auch eingehend zu dieser Unterscheidung.

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3. Die materialen Qualitäten des Gesetzes

ihre ,Legitimität' zu erwecken und zu pflegen" 70 . Nach empirisch anzutreffenden Kategorien von Legitimitätsvorstellungen lassen sich soziologische Strukturtypen — und wegen der empirisch ebenfalls allgemein anzutreffenden Verbindung von Herrschaft und herrschaftlicher Rechtsetzung, mittelbar auch des Rechts — aufzeigen. Max Weber beispielsweise nennt „drei reine Typen legitimer Herrschaft": rationale, traditionelle und charismatische 71 . Die Legitimitätsgeltung rationaler Herrschaft beruhe „auf dem Glauben an die Legalität gesatzter Ordnungen", auf der Vorstellung, daß beliebiges Recht durch Paktierung oder Oktroyierung rational, zweckrational oder wertrational orientiert (oder beides) gesatzt werden könne m i t dem A n spruch auf Nachachtung . . ." 7 2 . Normative Rechtslehre nimmt Legitimität der Herrschaft zur Voraussetzung der Legitimität des Rechts, der Legitimität herrschaftlich gesetzten Rechts, legt idealtypische Merkmale der Geltung von Herrschaft und Recht fest. Sie bestimmt jedoch die Legitimität des Rechts nicht notwendig allein durch die Herkunft vom legitim herrschenden Gesetzgeber, der Ursprungslegitimität, vielmehr unabhängig davon durch gewisse, außerhalb positiven Rechts geltende, material-qualitative Normen, durch Inhaltslegitimität. Und dieses ,Recht des Rechts', die Inhaltslegitimität, ist die „spezifische und einzige konsequente Form der Legitimität eines Rechts, welche übrigbleiben kann, wenn religiöse Offenbarungen und autoritäre Heiligkeit der Tradition und ihrer Träger fortfallen" 7 3 , prägt also — i n den Weberschen Kategorien legitimer Herrschaft — die Legitimität des von rationaler Herrschaft gesetzten Rechts 74 . Diese material-qualitative Legitimität beschränkt demnach die Möglichkeit rational-legaler Herrschaft beliebiges Recht' zu schaffen, Legitimität limitiert Legalität. Genauer noch: Legalität an sich trägt nichts zur Legitimität bei, ist kein essentiale (deswegen aber auch kein Gegensatz zur Legitimität), sichert vielmehr nur die 70 M a x Weber, Wirtschaft u n d Gesellschaft, 4. Aufl., Tübingen 1956,1. H a l b band, S. 122. M a x Webers Strukturanalyse der Herrschaft geht von diesem soziologischen Refund aus. A . Gehlen hält M a x Webers Typenlehre der Herrschaft f ü r überholt (Deutsches Verwaltungsblatt 1955, S. 577), bekräftigt aber zugleich Webers Ausgangspunkt von den von jeder staatlichen H e r r schaft ausgehenden Legitimitätsbestrebungen. 71 Wirtschaft u n d Gesellschaft, a.a.O., S. 124. 72 Ebenda u n d S. 125; zum Unterschied von zweckrationaler u n d w e r t rationaler Legalität vgl.: Johannes Winckelmann, L e g i t i m i t ä t u n d Legalität i n M a x Webers Herrschaftssoziologie, Tübingen 1952. 73 M a x Weber, Rechtssoziologie, a.a.O., S. 317. 74 Die ratìonal-legalistische Herrschaft kennt jedoch auch eine ausschließliche Ursprungslegitimität der Gesetze: die Uberzeugung, die i n der parlamentarisch-legalen Gesetzgebung einen A k t der sich sittlich selbst bestimmenden Vernunft sah u n d daraus das prinzipiell unbeschränkt gedachte Gesetzgebungsrecht des parlamentarischen Gesetzgebers herleitete.

3.3. Die nationalsozialistische „Rechtsurquelle"

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Legitimität 7 5 . Legalität, formales Gesetzgebungsverfahren rational-legitimer Herrschaft, „hat lediglich den Zweck, die Rechtssicherheit zu garantieren, ist also lediglich ein technisches Mittetl, das über die Richtigkeit des Rechts nichts besagt" 76 . Die soziologischen Strukturtypen legitimer Herrschaft geben nur ,Vorstellungen' von Legitimität wieder, verwerten ,Legitimitätsglauben' (Max Weber), sind phänotypisch, nicht idealtypisch, sagen, was Legitimität der Herrschaft (und mittelbar des Rechts) empirisch feststellbar sei, nicht was sie sachinhaltlich sein soll. Die Suche nach dem Sachinhalt von Ursprungs- und Inhaltslegitimität, von legitimer Herrschaft und legitimem Recht, die Suche danach, was als wahrhaft legit i m anzusehen sei, sie hebt erst dort an, wo soziologische Empirie endet, der Suchende w i r d sich zwar nicht außerhalb dieser Wirklichkeit stellen, entnimmt ihr vielmehr einen Teil der Realfaktoren, der Vorgegebenheiten des Rechts 77 , erschöpft aber sein Suchen auch nicht in bloßen Bestätigungen dieser Wirklichkeit, sondern strebt ergänzend neben den Realfaktoren nach den Wertideen des Rechts. Freilich, die Verwechslung des sittlichen m i t dem soziologischen Geltungsgrund des Rechts verlockt, bringt sie doch, nicht als einzig mögliches, aber als naheliegendstes Ergebnis, das vom Recht des Stärkeren (und damit zugleich den Vorteil, auf der Seite der stärkeren Bataillone zu stehen) ein, demnach eine Legitimität, die i n einem Weltenplan gründet, der vorsieht, wer sich politisch durchsetze, stehe sittlich höher, — die Suche nach Legitimität mündet i n eine ,Legitimier rungsideologie' (H. Heller). „Gerade weil er (der Glaube an das Recht des Stärkeren) m i t der wirklichen Geschichte nichts zu t u n hat, w i r d er regelmäßig ergänzt durch einen Historismus, für den die grundsätzliche Verwechslung von politischer Wirkung und sittlichem Wert, von ideeller und politischer Geltung typisch ist. . . . Man vergißt, daß es eine spezifische Menschen- und Kulturgeschichte nur deshalb gibt, weil der Mensch wesensmäßig ,utopisch', d. h. fähig ist, dem Sein ein Sollen entgegenzustellen und die jeweilige Macht an einer Rechtsidee zu messen" 78 . Allerdings führen die Legitimierungsideologien vom Recht 75 H. Heller, Staatslehre, 3. Aufl. Leiden 1963, S. 221. 76 Ebenda. 77 Vgl. Henkel, Einführung i n die Rechtsphilosophie, München u n d B e r l i n 1964, S. 162 ff. 78 H . H e l l e r , Staatslehre, a.a.O., S.220. Das ganze schwierige Problem der Rechtsgeltung, ein »Brennpunkt von Grundfragen der Rechtsphilosophie' (Henkel), soll u n d braucht hier nicht weiter ausgeführt zu werden. Der Z u sammenhang und Unterschied v o n Herrschaft (Herrschaftsmacht) u n d Recht, von soziologischer u n d normativer Legitimität, v o n Legalität u n d L e g i t i m i tät, v o n Ideal- u n d Realfaktoren des Rechts schlägt sich i n einer zu vielgestaltigen Topik der Rechtsgeltung u n d i n zu zahlreichen normativen Gel-

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3. Die materialen Qualitäten des Gesetzes

des Stärkeren — die das Recht eigentlich auf den einen Realfaktor Macht verkürzen — verschiedentlich den ihnen so entsprechenden Historismus (oder auch Biologismus) vom höheren Wert des Stärkeren nur versteckt als Theorem ein, bemühen sich vielmehr, durch Benennung noch verschiedener anderer,höchster'Werte und Ideale das ergänzende Nebeneinander von Realfaktoren (Vorgegebenheiten des Rechts) und Idealfaktoren (Aufgegebenheiten des Rechts), das den Sachinhalt legitimen Rechts prägt, dem Schein nach gleichfalls zu erreichen. Wie sehr Legitimitätsvorstellungen, die auf einem Recht des Stärkeren gründen, sich doch um eine Legitimierungsideologie zur Verbrämung, zur Staffage, zur Täuschung bemühen, zeigen die propagandistischen Postulate über die Legitimität der Herrschaft und des Rechts i m nationalsozialistischen Führer-Staat. Obwohl die nationalsozialistische Weltanschauung m i t ihrer sozialdarwinistischen Gesetzmäßigkeit vom Kampf und Sieg oder Untergang der höheren Rasse, i m politischen Sieg die einzige, nicht zu überbietende Legitimität hätte erblicken müssen, obwohl Hitler völlig folgerichtig i n einer Geheimrede meinte: „Es ist nun so, daß das letzte Recht immer i n der Macht liegt" 7 9 , öffentlich hörte man es meist anders, das »letzte Recht' lag i n mancherlei, in der Macht aber sollte es eigentlich nicht liegen. 3.3.1. Vom ,Wesen rechter Ordnung1; dargestellt an Karl Larenz' Methodenlehre völkischen Rechtsdenkens80 A m Anfang war das Volk: „ W i r verstehen das Recht . . . als die unserem Volke eigentümliche Ordnung, die sich i n dem Leben der Getungsbegründunigen des Rechts nieder, u m m i t wenigen Sätzen m e h r als angedeutet werden zu können. Soweit hier diese Zusammenhänge und U n terschiede angedeutet wurden, dienen sie lediglich dazu, die nationalsozialistischen Legitimitätsvorstellungen i m folgenden besser darstellen zu können. 79 Picker, Hitlers Tischgespräche, Bonn 1951, Anhang S. 447. so Die Legitimitäts-Vorstellungen der verschiedenen Vertreter nationalsozialistischen Rechtsdenkens bewegen sich alle i n einem uniformen Modell: das nationalsozialistische Recht bestimmen materielle Werte u n d das nationalsozialistische Recht bestimmt der W i l l e des Führers A d o l f Hitler. Daß zwischen beiden k e i n Widerspruch entstehe, das b e w i r k t — der ,Führer'. Diesen, von allen nationalsozialistischen Rechtslehrern i n gleichen oder ähnlichen Worten wiederholten Modellaufbau m i t seinen stets ergebnisgleichen verbalen Varianten i n mehr als einem Beispiel darzustellen, brächte nichts denn Langeweile. A n einem Modellfall soll darum die nationalsozialistische Vorstellung v o m legitimen Recht i m folgenden aufgezeigt werden. Z u den beiden entscheidenden Stellen: Recht = materialer Wert u n d Recht = F ü h r e r w i l l e w i r d jeweils eine (nicht abschließend gedachte) Zahl v o n V e r tretern nationalsozialistischer Rechtsvorstellung m i t ihren Ansichten zitiert werden, u m die Gleichförmigkeit zu belegen. Die alle möglichen Widersprüche aufhebende Führer-Formel ist bereits bekannt. A m besten geeignet f ü r diesen Modellfall erscheinen die beiden Schriften von Larenz „Uber Gegenstand u n d Methode des völkischen Rechtsdenkens",

3.3. Die nationalsozialistische „Rechtsurquelle"

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m e i n s c h a f t als dessen inneres M a ß u n d Gesetz h e r a u s b i l d e t u n d e n t f a l t e t , u n d die d i e E i n h e i t u n d G a n z h e i t dieses Gemeinschaftslebens zu gewährleisten hat81." ,Still wirkende Volkskräfte' tragen die Ordn u n g , aus d e m v ö l k i s c h e n U n t e r b e w u ß t e n , aus d e m L e b e n der G e m e i n s c h a f t l ä u t e r t i n n e r e s M a ß u n d Gesetz. U n d alles u m f a ß t d i e i n n e r e E i n h e i t e i n e r „ s i n n g e b e n d e n I d e e " 8 2 . „ S i e i s t . . . d i e eigentliche Rechts-,quelle', a u f sie müssen d a h e r l e t z t e n Endes a l l e Rechtssätze zurückbezogen w e r d e n 8 3 . " A u s i h r e m a n i e r t das Recht z u g l e i c h a l l j e n e m a t e r i a l e n W e r t e , d i e es als l e g i t i m , r i c h t i g , s u b s t a n z h a f t ausweisen. Das Z i e l des Suchens i s t b e s t i m m t , d e r W e g d e r E r k e n n t n i s gezeichn e t : j e n e „ l e t z t e n Endes e i n e " O r d n u n g des V o l k e s , j e n e „ E i n h e i t sei-

B e r l i n 1938 u n d „Sittlichkeit u n d Recht", i n : Reich u n d Recht i n der deutschen Philosophie, Bd. 1, Stuttgart u n d B e r l i n 1943. Larenz zählt nicht i n jenem Sinne zu den beispielhaftesten Vertretern nationalsozialistischen Rechtsdenkens, daß seine Schriften krause, i n apodiktischen Gleichsetzungen des Seins m i t dem Sollen sich erschöpfende Gedankengänge kennzeichneten. Doch je mehr sich Larenz v o n dieser A r t den Denkens abhebt, desto besser eignet sich seine ,Methodeiniehre' völkischen Rechtsdenkens zur Darstellung. U n d sie zeigt auch neben der Methodik völkischer Rechtsanschauung, w i e ein selbständiger, wissenschaftlicher Ansatz (der gleiche, der sich i n Larenz' heutiger Methodenlehre zum »apriorischen Sinnbegriff' wiederfindet), zum völkischen Rechtsdenken verwendet, i n bloßen Behauptungen endet. 81 Larenz, Über Gegenstand u n d Methode des völkischen Rechrfsdenkens, a.a.O., S. 10. D a h m : „ . . . das Recht ist die auf die Gerechtigkeit gegründete Lebensordn i m g des Volkes, die Volksgemeinschaft sein Ursprung u n d Ziel." (Deutsches Recht, H a m b u r g 1944, S.86.) Fauser: „Das Gesetz hat das Rechtsempfinden des Volkes u n d damit zugleich die Sehnsüchte seiner Rassenseele i n F o r m zu bringen." (Das Gesetz i m Führerstaat, i n : AöR, N.F. 26 [1935], S. 132.) Höhn: „Unser Gesetz w i r d . . . Ausdruck des Geistes der Volksgemeinschaft . . . " (Gemeinschaft als Rechtsprinzip, a.a.O., S. 302.) Koellreutter: „Letzte u n d oberste Rechtsquelle i m nationalsozialistischen Rechtsstaat ist . . . die nationalsozialistische Rechtsidee, die i m Rechtsgefühl des Volkes ihren Ausdruck findet." (Deutsches Verfassungsrecht, a.a.O., S. 55.) H. Lange: „Das Recht . . . wurzelt als Lebensordnung des Volkes i m Volke, ist Ausfluß u n d Ausdruck des Geistes des deutschen Volkes." (Vom Gesetzesstaat zum Rechtsstaat, a.a.O., S. 22.) Scheuner: „ . . . das nationalsozialistische Rechtsdenken (bindet) das Gesetz innerlich an eine höhere Rechtsidee . . . , an die i m Gemeingeist des Volkes lebendigen Wertungen." (Gesetz u n d Einzelanordnung, a.a.O., S. 25.) Carl Schmitt: „ W i r wissen . . . , daß alles Recht das Recht eines bestimmten Volkes ist." (Staat, Bewegung, Volk, a.a.O., S. 55.) F. H. Stratenwerth: „Es gehört zu den Kennzeichen der Echtheit der nationalsozialistischen Revolution, daß sie eine zuvor versiegte Rechtsquelle, das gleichartige Rechtsbewußtsein der blutsverwandten Volksgenossen, wieder erschlossen hat." (Verordnung u n d Verordnungsrecht i m Deutschen Reich, Berlin 1937, S. 131.) 82 Larenz, Über Gegenstand u n d Methode des völkischen Rechtsdenkens, a.a.O., S . l l . 83 Ebenda.

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3. Die materialen Qualitäten des Gesetzes

ner sinngebenden Idee" 8 4 , gilt es zu finden, alle i m Recht wirkenden Faktoren, die realen und die idealen, vereinigen sich dort zur tragenden, treibenden Kraft. Das scheint weiter nicht schwierig, denn die sinngebende Idee verbirgt sich nicht, w i r k t nicht i m Unbekannten, sie äußert sich vielmehr „als die unserem Volke eigentümliche, seinem Gemeinschaftsleben immanente (wenn auch nicht zu jeder Zeit mit gleicher K r a f t von i h m festgehaltene und verwirklichte) Anschauung vom Wesen rechter Ordnung und Gemeinschaft, von der all unsere Urteile über ,recht' und ,unrecht' letzten Endes getragen werden" 8 5 . Nur, diese Anschauung darf nicht „ i n einem rein psychologischen Sinn verstanden werden", „es handelt sich nicht u m eine durchschnittliche Meinung, u m eine bloß tatsächliche Überzeugung einiger oder vieler oder aller" 8 6 . Das, freilich, erschwert die Erkenntnis, und den Suchenden w i r d es vollends verwirren, wenn er erfährt, es handele sich bei dieser Anschauung „ u m die innere geistige Ausrichtung und Haltung unseres völkischen Gesamtdaseins, das heißt: u m seine metaphysische ,Idee"' 87 . „Diese Idee läßt sich nicht eigentlich rational erschöpfend aussprechen und bestimmen; sie läßt sich innerlich ,anschauen' und darstellen nur als das sinngebende Prinzip, die innere Übereinstimmung aller der Sätze und Urteile, die uns das ,Recht' bedeuten 88 ." Hier angelangt, w i r d der Suchende auf dem Weg zur Erkenntnis jener tragenden Volks-Ordnung, aus der alles nationalsozialistische Recht herkomme, verweilen und zurückblicken: i m Volke, so hatte Larenz i h m gesagt, gebe es eine Anschauung, eine nicht psychologisch' zu verstehende allerdings, vielmehr eine innerlich-geistig ausgerichtete, eine metaphysische Idee des völkischen Gesamtdaseins, die ausdrücke, was Recht sei. Diese metaphysische Idee selbst soll nun wiederum mittels innerlicher Anschauung' des sinngebenden Prinzips dessen, was dem Volk das Recht bedeute, erkannt werden. Etwas verwundert stellt der Suchende fest, sein Bestreben sei gewesen, von der sinngebenden Idee auf das Recht zu schließen, nicht vom Recht auf die sinngebende Idee, denn was er wissen wollte, war doch, was völkisches Recht sei. Aber Larenz verspricht ihm: was m i t der sinngebenden Idee, und damit eigentlich auch m i t dem völkischen Recht, „gemeint ist, w i r d weiterhin noch deutlicher werden" 8 9 . Deutlicher macht Larenz die Methode völkischen Rechtsdenkens, der Erkenntnis des Rechts aus der Ordnung, aus der sinngebenden Idee 84

Ebenda. Ebenda. (Hervorhebung nicht i m Original.) 8 6 a.a.O., S. 11 und 12. 87 a.a.O., S. 12. 88 Ebenda. 89 Ebenda. 85

3.3. Die nationalsozialistische „Rechtsurquelle"

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des Volkes am Beispiel der Lückenergänzung eines Gesetzes durch den Richter. Daß der dabei eingeschlagene erkenntnistheoretische Weg nur als Beispiel für das Erkenntnisverfahren schlechthin des völkischen Rechts gemeint ist, w i r d deutlich, wenn Larenz für den Richter zur Lückenergänzung den gleichen methodischen Weg vorschreibt wie für den Gesetzgeber zur Rechtsfindung überhaupt. Gesetzgeber wie Richter gestalten das Recht — so Larenz — „gemäß dem inneren Lebensgesetz der Gemeinschaft", indem sie „auf die Grundlagen unserer völkischen Ordnung, letzten Endes die unserm Volk eigentümliche Rechtsidee" zurückgreifen 90 . A m Fall eines Landwirts, der, w e i l ein Gesetz nichts derartiges vorschreibt, seine Ernte, statt sie einzubringen, auf dem Felde stehen läßt, zeigt Larenz, wie aus „dem ungeformten Recht der Gemeinschaft", auch ohne Gesetz, Recht gefunden werde 9 1 . U m das angestrebte Ziel, Gestaltung des Rechts gemäß völkischer Rechtsidee zu erreichen, „müssen w i r auf das ungeformte Recht der Gemeinschaft zurückgreifen, indem w i r es konkretisieren 9 2 ." Auch hier w i r d also nur wiederholt, es gebe einen Fundus ungeformten Rechts, doch immerhin, das Erkenntnisverfahren selbst w i r d wenigstens genannt: Konkretisierung. Und dabei bleibt es. Nur scheinbar nämlich fährt Larenz auf dem eingeschlagenen Weg fort, wenn er fragt: „ A u f welche Weise geht nun die Konkretisierung eines Grundgedankens unserer völkischen Ordnung . . . vor sich? 93 ". Das ungeformte Recht der Gemeinschaft wollte er eigentlich konkretisieren, an einem bereits geformten Grundgedanken soll das nun auf einmal geschehen. Was Larenz zu klären versprach, wie der Inhalt der völkischen Ordnung erkannt werden könne, muß doppelt dunkel bleiben, wenn er nicht wenigstens erhellt, wie er die Grundgedanken dieser Ordnung gewinnt. Für den Landwirt, der seine Ernte nicht einbringt, entwickelt Larenz eine Rechtspflicht zum Ernten aus dem allgemeinen Grundgedanken' der völkischen Ordnung, „daß jeder Volksgenosse verpflichtet ist, der Gemeinschaft auf dem Platze, auf den sie ihn gestellt hat, nach seinen Kräften zu dienen" 9 4 . Doch u m zu erklären, wie er diesen Grundgedanken aus dem ungeformten Recht der Gemeinschaft erkenne, weiß Larenz nichts anderes, nicht mehr zu sagen, als, der Grund zu einer solchen Verpflichtung sei „unmittelbar m i t der Zugehörigkeit zur Volksgemein-

90 »ι 92 93

a.a.O., F ü r den Gesetzgeber: S. 13 f., für den Richter: S. 17 f. a.a.O., S. 15. a.a.O., S. 18. Ebenda. (Hervorhebung nicht i m Original.)

94 Ebenda.

3. Die materialen Qualitäten des Gesetzes

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schaft gegeben" 95 , auch weil eine „Rechtsanschauung i n unserem Volke . . . durchgedrungen war, die eine solche Pflicht des Landwirts als ein selbstverständliches Gebot erscheinen läßt" 9 6 , oder, w e i l eine solche Pflicht, „zum mindesten als ,moralische' Verpflichtung i m Bewußtsein des Volkes durchaus lebendig" sei 97 . Ob richtig oder falsch, woher Larenz weiß, welche ,unmittelbaren' Pflichten die Volksgemeinschaft auferlegt, was nach völkischer Rechtsanschauung die selbstverständlichen' Gebote sind, welche ,moralischen' Verpflichtungen das Volksbewußtsein kennt, diese, die entscheidende Frage nach dem ,Wie' der Erkenntnis, sie ist m i t den gegebenen Auskünften nur verschoben, nicht beantwortet. Die Erkenntnis des Sachinhalts legitimen völkischen Rechts endet bei — mehr oder weniger einsichtigen — apodiktischen Behauptungen, das Verfahren mündet i n den Zirkel der Erkenntnis der ,Volksanschauung vom Wesen rechter Ordnung' aus der ,Volksanschauung vom Wesen rechter Ordnung'. Doppelt waltet die ,sinngebende Idee' dieser Ordnung, sie ist einmal der i n der „Wirklichkeit erschaute Sinn und Gehalt" und doch auch zugleich wieder „die innere T o t a l i t ä t . . ." 9 8 , doppelbödig w i r d von äußerer Wirklichkeit auf ,wirkliche', innere W i r k lichkeit verwiesen und umgekehrt, läßt sich innerlich gegen äußerlich kehren, vom Recht das aus der wirklichen Ordnung des Volkes komme reden, und dabei i n innerer, intuitiver Schau vom nur , äußerlichen' Wollen des Volkes absehen 99 . Damit der doppelte Boden für einen gelte, Wirklichkeit und Innerlichkeit sich entsprächen, Anschauung nicht mit Belieben gleichgesetzt werde, muß Larenz i n den Erkenntnisprozeß völkischen Rechts noch ein weiteres Element einfügen, ein Element freilich, das nicht objekt i v überprüfbare Maßstäbe setzt, vielmehr umgekehrt, die Maßstäbe gänzlich ins Subjektive verrückt: den „von den lebendigen Grundwerten der Gemeinschaft" durchdrungenen Menschen 100 . Nur er vermag das rechte Recht zu schauen, nur i h m erschließt sich das sinngebende Prinzip, denn: „Die Gewähr für die Einhaltung des Rechts wie überhaupt für die Erhaltung einer jeden Ordnimg und Institution liegt letzten Endes immer nur i n dem Menschen 101 ." 9

5 Ebenda. 96 a.a.O., S. 16. 97 a.a.O., S. 19. 08

a.a.O., S. 12. (Hervorhebung nicht i m Original.) 99 Vgl. Larenz, Volksgeist u n d Recht, a.a.O., S. 53. 100

S. 22.

Über Gegenstand u n d Methode des völkischen Rechtsdenkens. a.a.O.,

M Ebenda.

3.3. Die nationalsozialistische „Rechtsurquelle"

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Und so beantwortet Larenz »letzten Endes4 die Frage nach der Erkenntnis der Ordnung, aus der das Recht komme, m i t der neuen Frage nach dem, der diese Ordnung erkennen könne. 2. Bleibt offen, auf welche Weise der umfassende Sachinhalt jener Volks-Ordnung, die alle Wirkfaktoren des Rechts, die realen und die idealen vereinigt, zu erkennen sei, so müßten doch wenigstens der Sachinhalt selbst dieser Ordnung, die wirkenden Real- und Idealfaktoren nennbar sein, denn daß eine solche Ordnung, die »eigentliche Rechtsquelle', bestehe, ist nach nationalsozialistischer Rechtsanschauung uneingeschränkte Gewißheit 1 0 2 . Einige Vertreter nationalsozialistischer Rechtsvorstellung ergänzen die an sich als vollkommene normativ-materiale gedachte Volks-Ordnung durch eine Topik zusätzlicher materialer Rechtsbegriffe, bieten also auf diese Weise einen Ansatz, die einzelnen bestimmenden Faktoren nationalsozialistischen Rechts zu erkennen. Der umfassendste Topos dieser Denkweise ist jener, wonach alle bestehenden und künftigen Setzungen des nationalsozialistischen Staates, die dieser als Recht verstanden wissen w i l l , einfach als Recht bezeichnet werden, bei dem per definitionem bestimmt w i r d : „der nationalsozialistische Staat ist ein gerechter Staat" 1 0 3 , nach dem also Gerechtigkeit gefunden wird, indem etwas Gerechtigkeit genannt wird. Andere Topoi legen teils ähnlich umfassend, teils ein wenig näher kennzeichnend, das nationalsozialistische Recht fest: „Recht ist, was dem deutschen Volke n ü t z t " 1 0 4 , oder: „Gemeinschaftsrecht ist gekennzeichnet durch die beiden Leitsätze des Nationalsozialismus: ,Gemeinnutz geht vor Eigennutz', ,du bist nichts, dein V o l k ist alles"' 1 0 5 , schließlich auch m i t dem „altpreußischen Grundsatz: suum cuique — jedem das Seine!" 1 0 6 . Zumindest das suum cuique tribuere böte einen Ansatz für materiale Richtpunkte des nationalsozialistischen Rechts. Doch müßte diese Formel, soll sie nicht Leerformel bleiben, durch nähere, richtungsweisende und auch verwirklichte Inhaltsmerkmale bestimmt werden. Das geschieht bei ihr ebenso wenig wie bei den anderen Topoi. Wie in102 „ . . . was ,Volk' u n d ,Volksgeist' bedeuten, das ist uns vor aller Defin i t i o n eine lebendige u n d nicht zu bezweifelnde Wirklichkeit, deren w i r i n unserem eigenen Selbstbewußtsein gewiß sind, u n d zu der w i r uns als zu unserem eigenen Lebensgrunde bekennen." (Larenz, Volksgeist u n d Recht, a.a.O., S. 41.) 103 Carl Schmitt, Neue Leitsätze f ü r die Rechtspraxis, i n : J W 1934, S. 2793 f.; der fünfte Leitsatz. 104 Dieser Satz aus dem gängigen Propaganda-Repertoire benützte besonders H. Frank gern; vgl. etwa die Hinweise bei H. Hildebrandt, a.a.O., S. 32. 105 Lange, a.a.O., S. 27 f. 106 H. Göring, Die Rechtssicherheit als Grundlage der Volksgemeinschaft, H a m b u r g 1935, S. 21.

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haltsleer, nur als ausschmückende Floskeln, sie gebraucht werden, zeigt das Beispiel vom Satz ,Gemeinnutz geht vor Eigennutz': i n der Deutschen Gemeindeordnung vom 30.1.1935 w i r d gemeindliche Selbstverwaltung damit begründet, die Gemeinden sollen imstande sein, an dem Staatsziel, „Gemeinnutz vor Eigennutz zu setzen", mitzuwirken. Aus dem gleichen Satz (ergänzt um: ,du bist nichts, dein Volk ist alles') leitet H. Lange auch die Rechtserkenntnis ab, daß „das Konzentrationslager gerade für den Gmeinschaftsgedanken ebenso eine Form der Rechtsordnung, wie die Schutzhaft, die Untersuchungshaft, die Strafhaft und die Sicherungsverwahrung (ist)" 1 0 7 . Ohne feste Merkmale, ohne klare Aussage über das Maß der Sollensgeltung läßt sich die genannte Topik nationalsozialistischen Rechts beliebig hinschreiben oder daherreden, zur Erkenntnis des Inhalts der bestimmenden Faktoren richtigen Rechts trägt sie nichts bei. 3. Sagt die nationalsozialistische Topik vom richtigen Recht nichts näheres über dieses Recht, dann bleibt nur der Versuch, seine sinngebenden Faktoren aus den Auskünften, die über den Inhalt der VolksOrdnung gegeben werden, zu erkennen. Gerade m i t solchen Auskünften halten allerdings die Vertreter nationalsozialistischen Rechtsdenkens zurück, vergessen sie meist über der Versicherung, daß eine alles tragende und bestimmende Ordnung bestehe. Denn, das darf nicht vergessen werden, diese Ordnung, die sinngebende Idee des Volkes, „läßt sich nicht eigentlich rational erschöpfend aussprechen" 108 . U m wenigstens ihre nicht-rationalen, i n ,innerer Anschauung' gewonnenen Kenntnisse vom Recht, das aus der Volks-Ordnung kommt, gegen den V o r w u r f zu wappnen, sie seien aus nichts denn freiem Belieben entstanden — sofern die Vertreter nationalsozialistischen Rechtsdenkens sich, was selten geschieht, mit solch selbstkritischem Denken überhaupt abmühen — bringen sie einige von ihnen mit der ebenfalls i n der Ordnung des Volkes gründenden ,Sittlichkeit' zusammen, suchen, indem sie die Sittlichkeit bestimmen, auch Kenntnis vom richtigen Recht zu erhalten. Meist freilich bleibt auch dabei Recht wie Sittlichkeit ungeklärt, w i r d nur von einem aufs andere verwiesen, oder i n apodiktischen Deklamationen das eine mit dem anderen gleichgesetzt, vom ,unmittelbar' gerechten „auf Recht und Gerechtigkeit gerichteten, Recht und Sittlichkeit nicht mehr trennenden Weltanschauungsstaat" geredet 109 . 107 a.a.O., S. 30. los Larenz, Uber Gegenstand u n d Methode des völkischen Rechtsdenkens, a.a.O., S. 12. 109 So Carl Schmitt, Was bedeutet der Streit u m den „Rechtsstaat", i n : ZStW Bd. 95 (1935), S. 198. Besonders i n der nationalsozialistischen Strafrechtslehre stehen Recht u n d Sittlichkeit eng beieinander und gehen oft

3.3. Die nationalsozialistische „Rechtsurquelle"

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Larenz greift den Gedanken der Einheit von Sittlichkeit und Recht, einer konkreten Einheit, die verlange, in der Einheit die immanente Verschiedenheit ihrer Glieder mitzudenken und erscheinen zu lassen, gründlicher auf 1 1 0 . Er nennt diese Einheit ,objektive Sittlichkeit', und geht „davon aus, daß der Begriff der (objektiven) Sittlichkeit . . . nicht nur vom Einzelnen her, als sittliche Gesinnung und sittliches Handeln, sondern ebenso von der Gemeinschaft her, als für ihre Glieder verbindliche, i n der allgemeinen Handlungsweise wirkliche Ordnung des Ganzen verstanden werden m u ß " 1 1 1 . Die ,Ordnung des Ganzen', die Volks-Ordnung, so wiederholt Larenz, entstehe — und das weist auch zugleich auf ihren Inhalt hin — aus „der Wirklichkeit eines sich i n der gleichbleibenden Handlungsweise aller ständig verwirklichenden Gemeingeistes und Gemeinwillens" 1 1 2 . Die objektive Sittlichkeit, das „Gesetz der Gemeinschaft" 113 zeigt sich „ i m näheren als Sitte und Recht" 1 1 4 . Das Recht unterscheidet von der Sitte — dem „gleichsam unmittelbare(n) Ausdruck und Niederschlag des Gemeingeistes und der ethischen Grundeinstellung eines Volkes, oder noch häufiger, eines engeren Lebenskreises" 115 — vor allem die überlegte „Gestaltung durch die Gesetzgebung" 116 . Bei der überlegten Gestaltung durch die Gesetzgebung müsse allerdings unterschieden werden, „zwischen dem Recht i m engeren Sinne, nämlich i m Sinne der von einem bestimmten Ethos und Gemeingeist getragenen, als dauerhaft betrachteten Lebensordnung des Volkes" und einem „Recht i m weiteren Sinne", den zweck- und situationsbedingten Wirtschaftsund Plangesetzen 117 . Nur das „Recht ,im engeren Sinne' ist unmittelbar ein Ausdruck . . . der objektiven Sittlichkeit'" 1 1 8 , das Recht ,im weiteren Sinne' verbindet lediglich sein Zweck, „das Gemeinwohl und die äußere und innere Festigung der Gemeinschaft" zu erreichen, mittel-

durcheinander: Verbrechen ist pflichtvergessene A u f l e h n i m g gegen Forderungen der Gemeinschaft, Strafe darum »Sühne f ü r sittliche Schuld' (Dahm). Bei H. Frank, dem obersten nationalsozialistischen Rechtswahrer, Jieißt es zum Problem des Verhältnisses von Recht u n d Sittlichkeit, dem ,Kap H o r n der Rechtswissenschaft' (v. Ihring), schlicht: „Der Satz des Führers, daß Recht und Sittlichkeit eine Einheit bilden, ist uns heute eine Selbstverständlichkeit." (Der Führer u n d das Recht, a.a.O., S. 290.) uo Sittlichkeit u n d Recht, a.a.O. m a.a.O., S. 378. 112 Ebenda, us a.a.O., S. 380. h 4 Ebenda, us Ebenda, ne a.a.O., S. 382. i n a.a.O., S. 396. us Ebenda.

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bar mit der objektiven Sittlichkeit 1 1 9 . Gestaltung des wahren, von der objektiven Sittlichkeit bestimmten Rechts sei eigentlich nur Verdeutlichung der „Lebensordnimg des Volkes" 1 2 0 . Ein wenig verwirrt, wenn man erfährt, solche Rechtsgestaltung durch Verdeutlichung bringe auch Gesetze hervor, die „einen neuen oder einen vielleicht i m Laufe der Zeit verloren gegangenen Rechtsgedanken, ein neues oder vorher nicht mehr oder noch nicht wirkungsmächtiges sittliches Prinzip i n die Rechtsordnung einführen und dadurch die objektive Sittlichkeit selbst neu gestalten, vertiefen und bereichern" 1 2 1 . Objektive Sittlichkeit war von Larenz als Ergebnis ,gleichbleibender Handlungsweise aller', als ,dauerhaft betrachtete Lebensweise des Volkes' eingeführt worden. Nun zeigt sich, daß die objektive Sittlichkeit durchaus sich nicht nur als Gemeingeist niederschlage, sondern auch von außen gestaltbar sei, gestaltbar durch „die schöpferischen Taten eines wahrhaft revolutionären Gesetzgebers" 122 . Freilich, der echt revolutionäre wie jeder andere echte Gesetzgeber verfährt bei der Rechtsgestaltung aus objektiver Sittlichkeit „nicht willkürlich . . , sondern gemäß einer tiefen sittlichen Notwendigkeit; schöpferisch' ist sein Tun gerade insofern, als es die sittlichen Grundlagen, die Wesensgesetze der völkischen Gemeinschaft wiederherstellt oder, indem er sie ausspricht, sichtbar und deutlich macht" 1 2 3 . „ I n diesem Sinne stellen etwa aus der jüngsten Zeit das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit und das Erbhofgesetz Bestandteile einer schöpferischen Gesetzgebung dar, die es vermocht hat, die objektive Sittlichkeit, die völkische Lebensordnung i n entscheidenden Punkten weiterzubilden und neu zu gestalten 124 ." Denn die Grundgedanken dieser Gesetze sind „keineswegs vom Gesetzgeber frei erfunden oder w i l l k ü r l i c h gesetzt, sondern von i h m als notwendige Folgerungen aus dem Wesen echter Volksgemeinschaft oder dem immanenten Sinngehalt dieser Lebensverhältnisse erschaut, ausgesprochen und i n das allgemeine Bewußtsein gehoben worden. . . . So ist etwa die Idee der Betriebsgemeinschaft nichts anderes als eine bewußte Erfassung der gemeinschaftsbildenden Kraft, die der gemeinsamen A r beit von Volksgenossen innewohnt, und die Forderung der Erhaltung seiner rassischen Eigenart ergibt sich für ein Volk aus der Einsicht in die Grundbedingungen seines Seins" 1 2 5 .

no Ebenda. 120 a.a.O., S. 387 ff. 121 a.a.O., S. 389 (Hervorhebungen nicht i m Original). 122 Ebenda. 123 a.a.O., S. 390. 124 Ebenda. 125 Ebenda.

3.3. Die nationalsozialistische „Rechtsurquelle"

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Was das große Wort von der objektiven Sittlichkeit verdeckte, das konkrete Beispiel bringt es an den Tag: auch beim Inhalt der VolksOrdnung ersetzt das A x i o m den Beweis, w i r d i n apodiktische Deklamationen ausgewichen, wo es gälte, darzutun, warum die Regelungen von Erbhof und Arbeitsordnung aus der ,gleichbleibenden Handlungsweise aller' hervorgehe. Kein Wort w i r d darauf verwendet, kein Beweis dafür angeboten, warum Betriebsgemeinschaft die ,bewußte Erfassung der gemeinschaftsbildenden Kraft, die der gemeinsamen Arbeit von Volksgenossen innewohnt', sei, wenn das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit zwar die Bezeichnung Unternehmer und Arbeiter nicht verwendet, an ihre Stelle aber den Betriebsführer und die Gefolgschaft setzt, kein Blick w i r d auf die Wirklichkeit der tradierten kapitalistischen Verhältnisse in der nationalsozialistischen Wirtschaftsverfassung verwendet, obwohl doch die der Wirklichkeit immanente Wesensgesetzlichkeit ausgesprochen werden soll 1 2 6 . 4. Daß die Suche nach einem bestimmenden Faktor des völkischen Rechts nicht vergeblich bleibe, dafür sorgt Larenz allerdings doch noch: zwar vermag er zum Inhalt der »objektiven Sittlichkeit', der ,Ordnung des Ganzen', nicht mehr und nichts anderes als den Verweis auf die ,Schau aus der Immanenz' beizutragen, aber er ergänzt diese Schau um ein neues Element der ,objektiven Sittlichkeit, um Has gleiche, nur deutlicher gekennzeichnete Element, das auch schon fetzten Endes' das Erkenntnis ver fahr en des völkischen Rechts ausmachte: ein m i t besonderen Qualitäten ausgestatteter Mensch. Die Ausgestaltung der Rechtsordnung setzt eine Verbindung des Rechts mit der hoheitlichen Gewalt voraus, stellt Larenz fest. „Durch diese enge Verbindung mit der politischen Gewalt hört das Recht nicht etwa auf, objektive Sittlichkeit zu sein; vielmehr ist der völkische Staat seiner Idee nach selbst eine objektiv-sittliche Macht 1 2 7 ." Grundlage dieser objektiv-sittlichen Macht bildet i m völkischen Staat das zwischen dem Führer und der „Gefolgschaft bestehende sittliche Band der Gemeinschaft, auf das" — und hier setzt der für den Führer-Staat entscheidende Gedanke an — „die objektive Sittlichkeit in all ihren Erscheinungsformen, als Sitte, Gewohnheitsrecht und ungeformtes Recht, als Gesetz und Richterspruch gegründet i s t " 1 2 8 . Folge: wahre ,objektive Sittlichkeit', wahre Volks-Ordnung setzt wahre Gemeinschaft voraus. Im ,organisch-ganzheitlichen' Staat aber prägt der Füh126 Z u r nationalsozialistischen Wirtschafts Verfassung, insbesondere zur Arbeitsverfassung vgl.: Schoenbaum, Die braune Revolution. K ö l n und Berlin 1968, S. 108 ff.; Kuczynski, Die Geschichte der Lage der Arbeiter unter dem Kapitalismus, Berlin (Ost) 1963, Bd. 16, S. 147 ff. 127 Sittlichkeit u n d Recht, a.a.O., S. 386. 128 a.a.O., S. 398.

6 Kirschenmann

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3. Die materialen Qualitäten des Gesetzes

rer die Gemeinschaft, er ist „Repräsentant nicht der Einzelnen, sondern des i n der Gemeinschaft als einem Ganzen höherer Ordnung lebenden Gemeinwillens . . . , der durch ihn ausgesprochen, gestaltet und verwirklicht w i r d " 1 2 9 . Die Geführten, sie bestätigen den Führer nur, mit ihrem „Vertrauen und der ,GefOlgsbereitschaft"' 130 . So geht der Schritt von der ,objektiven Sittlichkeit' über die Gemeinschaft zum Führer, der den Inhalt der ,objektiven Sittlichkeit' kennt und weiß, wie er ihn erkennt, der aber vom Volke, aus dem die ,objektive Sittlichkeit' komme, unabhängig ist, denn: seine „Berufung gründet sich . . . entweder auf die geschichtliche Kontinuität seines Amtes oder auf einmalige geschichtliche Berufung und Leistimg" 1 3 1 . Die Geführten mögen sich zur Gemeinschaft u m i h n scharen und i h n durch ihre ,Gefolgsbereitschaft' bestätigen, sie berufen i h n nicht, u n d ihnen ist er auch nicht verantwortlich, das „ist er nur seinem eigenen Gewissen, Gott und der Geschichte" 132 . War beim Verfahren zur Erkenntnis des richtigen Rechts von Larenz nur etwas zaghaft, nebenbei, auf den besonders qualifizierten, den gemeinschaftsdurchdrungenen Richter verwiesen worden und blieb die Folgerung, umso mehr qualifiziert müsse der Gesetzgeber sein, unausgesprochen, bei der Inhaltsbestimmung des völkischen Rechts w i r d nun dieser einmalig qualifizierte Gesetzgeber i n aller Deutlichkeit herausgestellt. Aus seiner persönlichen Legitimität kraft sachlicher Kompetenz, kraft des i m Volke gründenden »höheren Gesetzes', das ihn ermächtigt, bindet und das er zugleich vermittelt, entsteht legitimes Recht. Da lediglich er den Gemein willen, die ,objektive Sittlichkeit' ausspricht, gestaltet und verwirklicht, bleibt alles Mühen u m die Erkenntnis und das Erkenntnisverfahren des legitimen völkischen Rechts vergeblich, aber auch unnötig. Jenes Nebeneinander von Real- und Idealfaktoren des Rechts, jenes Herkommen des legitimen Rechts von legitimer Herrschaft, all jene Kennzeichen der Legitimität des Rechts, sie sind i m Führer verwirklicht. Und i m ,Führ er' sind auch all jene Kennzeichen verwirklicht, die eine Legitimitätsideologie ausmachen. Hermann Heller verwies auf den Historismus, für den Verwechslung von politischer Wirkung und sittlichem Wert bestimmend sei, der immer m i t der Legitimitätsideologie vom Recht des Stärkeren einhergehe; das entsprechende Spezifikum der Führer- Legitimierungsideologie ist das Charisma aus ,einmaliger geschichtlicher Berufung und Leistung'. A m Ende, i m Ergebnis t r i f f t sich Larenz m i t all den anderen Vertretern nationalsozialistischen Rechtsdenkens, die zwar auch vom Volk 12

9 a.a.O., S. 397. (Hervorhebung nicht i m Original.) Ebenda. 131 Ebenda. 132 Ebenda.

3.3. Die nationalsozialistische „Rechtsurquelle"

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und seiner Ordnung redeten, aber viel weniger Gedanken darauf verwendeten, zügiger vom Volk zum Führer kamen. Beispielsweise E. R. Huber, der auf einer halben Seite seines Verfassungsrechts zum gleichen, nur viel bündiger ausgedrückten Ergebnis wie Larenz gelangt: „Das Recht ist . . . der unmittelbare Ausdruck des völkischen Lebens und der völkischen Ordnung. . . . I m Führerwillen erlangt dieses Recht seine verbindliche Gestalt. . . . Denn der Führer ist als Wahrer und Vollstrecker der völkischen Ordnung an erster Stelle berufen, das völkische Recht zu erkennen und i n der Form des Gesetzes zu entfalten 1 3 3 ." Verkürzt, auf eine Formel gebracht, ergeben diese Sätze die nationalsozialistische Bestimmimg schlechthin des Rechts: der Führerwille, das ist das Recht 134 . 3.3.2. Von der Legitimität zur »légalité qui tue* Legitimität limitiert Legalität, hindert Setzungen beliebigen Inhalts, ohne Frage nach der justa causa, nach materialem Wertgehalt. Umgekehrt sichert Legalität Legitimität, verbürgt ein Verfahren, das Gesetze legitimen Inhalts hervorbringt und offenkundig macht, schafft damit Rechtssicherheit i m zweifachen Sinne: die Sicherheit, daß aus einem bestimmten Verfahren legitimes Recht hervorgehe und die Sicherheit, die aus unverbrüchlich geltenden, vorherbestimmten ^berechenbaren') Gesetzen entsteht. Insbesondere kann Legalität die die Ursprungslegitimität ergänzende Inhaltslegitimität sichern, dem legitimen Gesetzgeber gegenüber seine Abhängigkeit von einem höheren Recht zum Ausdruck bringen. Das legale Verfahren limitiert also möglicherweise auch umgekehrt die (Ursprungs-)Legitimität. iss a.a.O., S. 244. 184 Damit ist nicht n u r gemeint, dem Führer komme organisatorisch die Gesetzgebungsbefugnis zu, sondern auch, i n seinem W i l l e n äußere sich der materiale Wertgehalt des Rechts. I n diesem Sinne beispielsweise: F r a n k : „ V o n i h m (dem Führer) geht . . . alles Recht aus." (Der Führer und das Recht, a.a.O., S. 290.) ^ Franzen: Der Führer ist „Vollzieher u n d Interpret des Rechtsgewissens (des Volkes)". (Gesetz u n d Richter, Hamburg 1935, S. 27.) H. Lange: „ F ü h r e r w i l l e u n d Recht (sind) inhaltsgleich." (a.a.O., S. 37.) Larenz: Der Führer ist „ k r a f t seines Führertums der ,Hüter der Verfassung', und d. h. hier: der ungeschriebenen konkreten Rechtsidee seines Volkes". (Deutsche Rechtserneuerung, a.a.O., S. 34.) Scheuner: „ . . . das Gesetz (ist) unmittelbare Entscheidung des Führers." (Gesetz u n d Einzelanordnung, a.a.O., S. 26.) Carl Schmitt: „ A d o l f Hitler, der Führer des deutschen Volkes, dessen W i l l e heute der nomos des deutschen Volkes ist . . . " (Der Neubau des Staats- u n d Verwaltungsrechts, i n : Deutscher Juristentag 1933, Berlin 1933, S. 252.)



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3. Die materialen Qualitäten des Gesetzes

Einen Gesetzgeber wie den Führer, der legitimes Recht aus persönlicher Qualität kraft sachlich-inhaltlicher Kompetenz, aus vereinter, von i h m »innerlich 4 getragener Ursprungs- und Inhaltslegitimität schöpft und schafft, i n seiner Gesetzgebung irgendwelchen formallegalen Beschränkungen unterwerfen, hieße Form vor Recht, Regel vor Gerechtigkeit, Legalität vor Legitimität setzen. Wenn seine Befugnis zur Rechtsetzung aus der Führer-Gewalt herkommt, die ,frei und unabhängig, ausschließlich und unbeschränkt 4 ist (E. R. Huber), wenn weiterhin nur er den Sachinhalt des legitimen Rechts kennt — es ist nicht „zulässig . . . , das Führergesetz am ungeschriebenen Recht zu messen und i h m die Anwendung zu versagen, wenn sich vermeintlich ein Widerspruch zwischen Gesetz und Recht ergibt" 1 3 5 — läßt sich auch kein legales Verfahren vorstellen oder gar rechtfertigen, das solche Legitimität begrenzen könnte oder dürfte. Suchte der Außenstehende, der an der Legitimität des Führers und an dessen Möglichkeiten zur Erkenntnis der Legitimität nicht teil hat, die Befugnisse des Führer-Gesetzgebers zu umschreiben, verwendete er am besten folgende Formulierung: „Der Gesetzgeber ist selbstherrlich und an keine anderen Schranken gebunden als an diejenigen, die er sich selbst i n der Verfassung oder i n anderen Gesetzen gezogen hat 1 3 6 ." Zwar, die Vertreter nationalsozialistischer Rechtsvorstellung hielten i h m entgegen ,der Führer sei nicht nur gebunden, er sei sogar existentiell gebunden, i n die Wesensgesetze und an das Wohl des Volkes nämlich. Für ihn gelte deshalb „am wenigsten der Satz: princeps legibus solutus" 1 3 7 . Doch müßten die Vertreter nationalsozialistischen Rechtsdenkens zugeben, der Führer sei das Gesetz, nur er kenne A r t und Umfang seiner Bindungen, letztlich also errichte doch der Führer allein die Schranken seiner Gesetzgebungsmacht, niemals dürften sie von außen, i n der Form des eine bestimmte Inhaltslegitimität sichernden Legalitäts-Verfahrens an i h n herangetragen werden. 2. So schlägt die extreme, ungebundene »Führer-Legitimität 4 um, gleicht der extremen, inhaltsleeren Nur-Legalität. Was beide inhaltlich voneinander trennen soll, besteht aus bloßen Behauptungen, beide eignen sich für einen unbegrenzten Setzungs-Positivismus, ,FührerLegitimität 4 endet darum, wie einer ihrer Propagandisten später erkannte, gleich der Nur-Legalität bei ,motorisierter Gesetzgebung 4138 . ISS E. R. Huber, Verfassungsrecht, a.a.O., S. 244. 136 So das als Ausdruck krassen Gesetzespositivismus gewertete V e r ständnis des R G von der Gesetzgebungsbefugnis des parlamentarischen Gesetzgebers (RGZ 118, 327). 137 Lange, a.a.O., S. 37. 138 Carl Schmitt, Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft, a.a.O., S. 404 ff.

3.3. Die nationalsozialistische „Rechtsurquelle"

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A l l das aber, was die aus einem nur noch technisch begriffenen Verfahren entstandenen Gesetze kennzeichnet — ihre Unverbrüchlichkeit, Vorherbestimmtheit, kurzum, ihre spezifische Rechtssicherheit —, vernichtet die ,Führer-Legitimität' zusätzlich. Gewiß, Rechtssicherheit war den Nationalsozialisten ein gerngebrauchtes Wort, Göring erhob sie sogar zur „Grundlage der Volksgemeinschaft" 139 , doch nationalsozialistische Rechtssicherkeit meint „Sicherheit des Rechts" 1* 0. Und das Recht, das war der Wille des Führers 1 4 1 . Damit dieses Recht sich i n jedem Falle verwirklichen lasse, damit nicht „feste Normierungen . . . zwischen den Staat und die unmittelbare Gerechtigkeit des Einzelfalls" gestellt würden 1 4 2 , auch weil den Führer-Staat ,Vertrauen von unten' trage, gesetzesstaatliche Legalität aber einem Denken entspreche, das „keinem Menschen, keinem König und keinem Führer traut, sondern sich an fixierte, unverbrüchliche, vorherbestimmte, berechenbare, feste Regeln h ä l t " 1 4 3 , deshalb dürfen sich i m Führer-Staat nicht „vor die offenkundige substantielle Gerechtigkeit der Sache . . . eine Reihe von formalen Methoden, Grundsätzen, Normen und Einrichtungen, bei denen es nicht auf Gerechtigkeit, sondern vor allem auf Rechtssicherheit' ankommt", schieben 144 . Eben weil der Führer absolut, existentiell gebunden ist, bedarf es seiner Rechtsmacht gegenüber nicht der trügerischen „Bindung an die verdrehbaren Buchstaben von tausend Gesetzesparagraphen" 145 . Für i h n dürfen keine äußeren Bindungen gelten, i m gestalteten wie i m ungestalteten Recht nicht. Er schafft Recht i m ,formgebundenen' Verfahren ,er schafft Recht aber auch durch die formlose T a t 1 4 6 , und er schafft Recht durch das Einzelfall-Gesetz 147 , wie durch eine gesetzesdurchbrechende Verfügung 1 4 8 , wie durch rückwirkende Gesetze. 139 Vgl. seine gleichnamige Schrift, a.a.O. 140 Larenz, Über Gegenstand u n d Methode des völkischen Rechtsdenkens. a.a.O., S. 22. 141 Besonders die konservativen unter den Vertretern völkischen Rechtsdenkens — beispielsweise Koellreutter — verstanden Rechtssicherheit durchaus i m herkömmlichen Sinne. Aber auch sie hatten gegen Einzelfalldurchbrechungen ,aus wichtigem Grunde 4 — den festzustellen beim Führer lag — nichts einzuwenden. 142 Carl Schmitt, Was bedeutet der Streit u m den „Rechtsstaat", a.a.O., S. 190. 143 Carl Schmitt, Nationalsozialismus u n d Rechtsstaat, a.a.O., S. 714. 144 Ebenda. 145 Carl Schmitt, Staat, Bewegung, Volk, a.a.O., S. 46. 146 H. Hildebrandt, a.a.O., S. 37. 147 E. R. Huber, Verfassungsrecht, a.a.O., S. 259 ff. m i t Beispielen. i4s Solche Gesetzesdurchbrechungen w u r d e n als rechtserhaltend bezeichnet, denn es „ergibt sich aus dem Vertrauen zu der gerechten Entscheidimg des Führers das Vertrauen, diaß »unter allen Umständen Recht geschieht' auch

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3. Die materialen Qualitäten des Gesetzes

Die Gesetzgebungsmacht des Führers, ohne jede überprüfbare 1 4 9 , dem freien Belieben entzogene Bestimmtheit des Ursprungs oder des Inhalts ihrer ,Legitimität', umgeschlagen in die Nur-Legalität, diese Nur-Legalität ohne formal-festes Verfahren dem Führer zur w i l l k ü r lichen Handhabung überlassen, vernichtete so jene zweifache Rechtssicherheit, die aus der Ergänzung von Legitimität und Legalität entsteht. Die personale Legitimität, ursprünglich gegen die Funktionalisierung des Rechts gestellt, endet selbst bei restloser Funktionalisierung, bei motorisierter Gesetzgebung mit einer Vielzahl von nur noch zweckrationalen Gesetzen und einer Mehrzahl von Gesetzgebern 150 , und sie endet auch, da entgegen aller historischen Erfahrung, entgegen aller geistesgeschichtlichen Erkenntnis, aller rationalen Kontrolle entledigt, nur irrationalen ,Bindungen 4 unterworfen, bei einer ganz bestimmten Nur-Legalität, bei der völlig enthemmten, bei der »légalité qui tue 4 1 5 1 . 3. Hitler soll „die für ihn schicksalhafte Rolle der Legalität stets bewußt geblieben 44 sein 1 5 2 . Diese, m i t dem Hinweis auf eine i m NS angeblich geübte formale Legalität bei der Gesetzgebung, oft geäußerte Ansicht 1 5 3 , wiederholt nur nationalsozialistische propagandistische Behauptungen, beispielsweise die von der ,legalen Revolution 4 . Tatsächlich verstand Hitler die Legalität nicht als ,schicksalhaft 4, er gebrauchte und mißbrauchte sie vielmehr, er benützte sie, wo es i h m günstig erschien und er verzichtete aus dem gleichen Grunde auf sie. Von den zwei häufig genannten Beispielen für Hitlers Streben nach Legalität, der „Beschluß des Großdeutschen Reichstages vom 26. A p r i l durch die gesetzesdurchbrechende Verfügung des Führers". (Ch. Dieckmann, Der Vorbehalt des Führerwillens u n d der Vorbehalt des Gesetzes i m nationalsozialistischen Verfassungsrecht, a.a.O., S. 38.) 149 Die Führergewalt Schloß ein richterliches Prüfungsrecht — direktes oder indirektes, allgemeines oder bei einem besonderen Gericht konzentriertes — gegenüber Gesetzen, Emanationen dieser Gewalt, aus. (Ganz h. M., vgl.: E.R. Huber, i n : Z A k D R , 7. Jg. [1940], S. 261 ff.; Koellreutter, i n : Dt. Verwaltungsarchiv, Bd. 47 [1942], S. 208ff.; Lobe, i n : AöR, N.F.27 [1937], S. 194 ff.). Maßstäbe, an denen das Gesetz zu messen gewesen wäre — dem völkischen Recht zu entnehmen — d u r f t e n die Richter an ein Gesetz nicht anlegen, sie verblieben einzig dem Führer zur beliebigen Konkretisierung. (Uber Versuche, ein richterliches Prüfungsrecht i m NS zu wahren, siehe H. Schneider, Gerichtsfreier Hoheitsakt, Tübingen 1951, S. 10 ff.) Verordnungen der mittleren u n d unteren Verwaltungsinstanzen unterlagen dagegen richterlicher Inzident-Kontrolle, bei den gesetzesabhängigen Verordnungen der Reichsmimister u n d Reichsstatthalter blieb ein richterliches Prüfunigsrecht umstritten (dazu E. R. Huber, a.a.O., S. 262). Ausnahmen galten f ü r Verfügungen u n d Angelegenheiten der Polizei, insbesondere der Gestapo. 150 Dazu s. u. S. 113 ff. 151 Z u r Geschichte dieses Wortes vgl.: Carl Schmitt, das Problem Legalität, i n : Verfassungsrechtliche Aufsätze, a.a.O., S. 445. iss Carl Schmitt, a.a.O., S. 450. 153 Jüngst wieder Rüthers, a.a.O., S. 131 m i t Fußnote 44.

der

3.3. Die nationalsozialistische „Rechtsurquelle"

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1942" 154 und der „Erlaß des Führers über die Regierungsgesetzgebung vom 10. M a i 1943" 155 , zeigt das erste recht gut Hitlers Verhältnis zur Legalität, das zweite sagt darüber wenig aus, es verdeutlicht vielmehr die staatsrechtliche Wandlung i n der Führer-Gewalt. Anlaß für den ,Beschluß' des Reichstags war die Weigerung des Generaloberst Hoeppner, außer seiner Entlassung auch die Aberkennung des Rechts zum Tragen der Uniform und der Orden sowie der Pension hinzunehmen. Von den Juristen des O K H und O K W darauf hingewiesen, nur i n einem Disziplinarverfahren — dessen Ausgang zugunsten Hoeppners außer Zweifel stand — könnten Hoeppners Rechte aberkannt werden 1 5 6 , ließ Hitler den Reichstag beschließen, er sei befugt „ . . . — ohne an bestehende Rechtsvorschriften gebunden zu sein — . . . jeden Deutschen . . . zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten und bei der Verletzung dieser Pflichten . . . m i t der ihm gebührenden Sühne zu belegen . . . " Hitler entschloß sich i m Falle Hoeppner zur ,Legalität', offenbar w e i l sie i h m i n diesem Fall günstig erschien, keineswegs weil er ihrer bedurfte oder weil er i n seinen Handlungen immer um Legalität bemüht gewesen wäre, denn er tat bei Hoeppner — post factum — legal, was er vorher bereits mehr als einmal illegal getan, nämlich jemanden „ohne Einleitung vorgeschriebener Verfahren aus seinem Amte, aus seinem Rang und seiner Stellung zu entfernen" 1 5 7 . Der ,Erlaß des Führers über die Regierungsgesetzgebung', wonach der Reichsregierung weiterhin die Befugnisse aus dem Gesetz vom 24.3.1933 (sog. Ermächtigungsgesetz) zugestanden wurden, bedeutet nicht, wie es scheinen könnte, eine Verlängerung der Ermächtigung durch den Ermächtigten selbst, entstanden aus dem Bemühen Hitlers u m formale Legalisierung seiner Macht. Vielmehr wurde m i t diesem Erlaß durch den Führer — der Führer stand nach seinem Selbstverständnis und nach dem Verständnis der nationalsozialistischen Rechtsvorstellung außerhalb, über der Reichsregierung 158 — der Reichsregierung, nicht dem Führer, die Gesetzgebungsmacht zugesprochen 159 . Adolf Hitler verschaffte sich also m i t diesem A k t nicht Legalität, er stellte nur seine — nach seinem Selbstverständnis — vollkommene Legitimität und Legalität, die Gesetze wie Gesetzgeber schaffen konnte, unter Beweis. 154 R G B l I, S. 247. 155 R G B l I, S. 295. 156 Vgl. H. Schneider, a.a.O., S. 20. 157 So der genannte ,Beschluß' des Reichstags. 158 Dazu s. u. S. 106; H. Buchheim, Die SS — Das Herrschaftsinstrument a.a.O., S. 13 ff. 159 So, v ö l l i g richtig, Wacke i n dem einzigen zu diesem ,Erlaß 4 während der NS-Zeit erschienenen Aufsatz, Staatsrechtliche Wandlung, i n : ZStW Bd. 104 (1944), S. 298.

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3. Die materialen Qualitäten des Gesetzes 3.4. Recht = Gesetz = förmliches Verfahren

Den tautologischen Gleichungen: Recht = Gesetz, Gesetz = Entscheid aus besonderem Verfahren, diesem Rechtspositivismus des parlamentarischen Gesetzgebungsstaates wollten die Vertreter nationalsozialistischer Rechtsanschauung nach eigenem Verständnis entgegentreten — und genau bei diesem Positivismus endeten sie. Rechtsbegriff und Gesetzesbegriff sollen nach nationalsozialistischer Rechtsanschauung nicht nur nicht verschieden sein, sie werden meist nicht einmal unterschieden. Selten findet sich so klares Denken wie bei Ch. Dieckmann: „Das Gesetz ist die dem Rechtssatz gemäße Form und auch umgekehrt ist der Rechtssatz der der Gesetzesform gemäße I n h a l t 1 6 0 . " Meist geht vielmehr Recht und Gesetz durcheinander, wie bei E. R. Huber, der innerhalb weniger Zeilen zweimal den Begriff des Gesetzes definiert: „Das Gesetz . . . ist ein Entscheid des Führers, der den Willen i n einem förmlichen Befehl zum verbindlichen Rechtssatz erhebt", und dann: „Das Gesetz ist der vom Führer bindend festgestellte Ausdruck des völkischen Rechts 1β1." Gesetz, so wie E. R. Huber es umschreibt, i n seinem unterschiedslosen Nebeneinander einmal als formeller Entscheid, dann wieder als objektives Recht, t r i f f t genau die nationalsozialistische Rechtsvorstellung. Denn der Nationalsozialismus, „Feind alles normativistischen und funktionalistischen Machens" 162 , findet das Recht, konkretisiert nur vorgegebenes Recht i m Gesetz 163 , kann deshalb Gesetz m i t Recht gleichsetzen. Wenn auch die materialen Wirkfaktoren des Rechts vorgegeben sein sollen, wäre es dennoch „romantische Schwärmerei, i m Gesetz einfach den formulierten Ausdruck der in der Volksgemeinschaft bereits

160 a.a.O., S. 49. lei Verfassungsrecht, a.a.O., S. 242. (Hervorhebung nicht i m Original.) 162 Carl Schmitt, Staat, Bewegung, V o l k , a.a.O., S. 32. 163 Z w a r streiten die Vertreter nationalsozialistischer Rechtsvorstellung nicht ab, es gebe zweck- u n d situaitionsgebundene Gesetze, aber sie sind keine »eigentlichen 4 Gesetze, stehen daher, obwohl den allergrößten Teil nationalsozialistischer Gesetze n u r der Zweck u n d die Situation bedingte, außerhalb der Betrachtung (vgl. oben S. 79). V o n Carl Schmitts mittelbar fortschrittlichem Ansatz abgesehen (dazu gleich unten) d r i n g t deshalb auch keiner der Vertreter nationalsozialistischen Rechtsdenkens zu einer Analyse jener i m NS-Staat zwar nicht zum erstenmal, aber doch besonders augenfällig u n d vielfältig ergangenen zweck- u n d situationsbestimmten ,Plan'-Gesetze, ,Maßnahme'-Gesetze vor. Erst i n den letzten Jahren des NS-Staates, unter dem Eindruck der immer umfangreicheren Wirtschaftsgesetzgebung entstanden einige, mehr beschreibende, noch k a u m analysierende Arbeiten zu dieser Erscheinungsform des Gesetzes. Vgl. Busse, Wirtschaftspolitische Praxis u n d Rechtsbildung, Stuttgart und B e r l i n 1941; Emig, Die A n o r d n i m g als M i t t e l nationalsozialistischer Rechtssetzung u n d Rechtsgestaltung, i n : DRW, Bd. 7 (1942), S. 205 ff.

3.4. Recht = Gesetz = förmliches Verfahren

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entwickelten Lebensordnung zu sehen; Gesetzgebung ist mehr als bloße Rechtsfindung"' 1 6 4 . Sie sei vielmehr etwas Aufgegebenes aus Vorgegebenem, sei dem Führer zur schöpferischen Gestaltung aufgegeben 165 ; was er dann gestalte und so wie er es gestalte, werde Gesetz, werde zum i n Satzform gebrachten Recht, denn „der i m Gesetz hervortretende Wille des Führers kann nichts anderes sein, als die bewußte und geprägte Form der völkischen Gerechtigkeit" 1 6 6 . Der nationalsozialistische Gesetzesbegriff umschreibt demnach Formalstruktur wie Inhalt, scheidet nicht mehr Gesetz und Recht, braucht keine inhaltlichen Erfordernisse aufzustellen, weil eben das Gesetz ,nichts anderes sein kann' als Recht. Deshalb gelten alle Eigenschaften, die zum Begriff des Gesetzes von den nationalsozialistischen Rechtsvorstellungen dann i m näheren benannt werden wie ihr jeweiliges Gegenteil: Generalität kennzeichnet i n einem Fall das richtige Gesetz ebenso wie i m anderen Fall Spezialität, zukünftige Wirkung ebenso wie rückwirkende Kraft, Bestimmtheitsgrundsatz wie ausfüllungsbedürftige Formeln 1 6 7 . Diese widersprüchliche Vielfalt von Eigenschaften beim nationalsozialistischen Gesetz erklärt sich nämlich aus seiner einen umfassenden und vorrangigen Qualität: Ausdruck des Willens des Führers zu sein 1 6 8 , der stets zugleich auch Ausdruck des Rechts ist. Weil er Recht i n der jeweils einzig richtigen Weise verwirklicht, verlieren alle anderen Eigenschaften des Gesetzes an Bedeutung, genauer erlangen nur Bedeutung, soweit es der jeweilige Wille des Führers erlaubt; weil der nationalsozialistische Gesetzesbegriff vom „Vorbehalt des Führerwillens aus zu erfassen (ist) . . . muß aus diesem Begriff ausgeschaltet werden, was nicht zu diesem Vorbehalt gehört" 1 6 9 . 2. Das ,autoritas, non Veritas' des Hobbes, jene klassisch kurze Formel für die beiden grundlegend gegensätzlichen Positionen i m Begriff 164 E. R. Huber, a.a.O., S. 241. 165 Ebenda. 166 a.a.O., S. 244. 167 Gerade die Unbestimmtheit des Inhalts trägt viel zur praktischen Zerstörung der Form des Gesetzes, damit auch der formal-rationalen Rechtssicherheit i m NS bei. Der »unbegrenzten Auslegung' (Rüthers) ist jedenfalls T ü r und Tor geöffnet m i t Auffassungen w i e der A. Röttgens: „ I s t das Gesetz ,Offenbarung', so w i r d m a n vielfach die Bedeutung der Präambel fast höher einschätzen müssen als die der nachfolgenden Gesetzesbefehle." (Vom Deutschen Staatsleben, a.a.O., S. 143.) 168 F ü r die Definition: Gesetz, W i l l e des Führers, sei beispielhaft je ein Vertreter der drei hauptsächlichen Kategorien nationalsozialistischer Rechtsvorstellungen zitiert: „Gesetz ist Plan u n d W i l l e des Führers." (Carl Schmitt, Die Rechtswissenschaft i m Führerstaat, a.a.O., S. 439.) „Das Gesetz als Ausdruck des Willens der F ü h r u n g . . . " (Larenz, Rechts- und Staatsphilosophie, a.a.O., S. 155.) „Gesetz ist der Ausdruck des politischen Willens der F ü h rung." (Koellreutter, Deutsches Verfassungsrecht, a.a.O., S. 56.) 169 Ch. Dieckmann, a.a.O., S. 42.

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3. Die materialen Qualitäten des Gesetzes

des Gesetzes, jener Gegensatz von voluntas und ratio verschwindet, wenn der Wille des Führers notwendig i n einem Recht schöpferisch schafft wie Gesetze prägt, wenn der Wille des Führers nicht einfach gilt, w e i l er Befehl ist, als bloße voluntas, vielmehr kraft besonderer Qualität, also ratio gubernativa, wie Carl Schmitt i m Rekurs auf Thomas von A q u i n feststellt 1 7 0 , verschwindet i n dem spezifisch nationalsozialistischen Gesetzesbegriff, i m „politischen Gesetzesbegriff" 171. Dieser politische Gesetzesbegriff überwinde, gleich dem Begriff des politischen Volkes, der den Begriff der bürgerlichen Gesellschaft i m nationalsozialistischen Staate abgelöst habe, den bürgerlich-rechtsstaatlichen Gesetzesbegriff. „Das Gesetz ist der konkrete Gemeinwille dieses politischen Volkes. Es ist nicht Ausgleich zwischen widerstreitenden subjektiven Interessen, sondern der Ausdruck objektiver völkischer Seinsgrundsätze und Lebensnotwendigkeiten. . . . Die Lebensnotwendigkeiten des Volkes, die Prinzipien der völkischen Existenz werden i m Reiche durch die Führergewalt verwirklicht, und das Gesetz ist eines der Mittel, die dem Führer für diese Aufgabe zu Gebote stehen. Das politische Gesetz ist also unmittelbarer Ausdruck der politischen Führergewalt 1 7 2 ." Die kursorische Kürze, m i t der i n dieser Bestimmung des politischen Gesetzesbegriffs' von den völkischen Seinsgrundsätzen zu der sie verwirklichenden Führergewalt und von dort zum Gesetz als einem M i t t e l dieser Gewalt geschritten wird, kennzeichnet alle nationalsozialistischen Abhandlungen zum Gesetzesbegriff. Knapp, aber mit großen Worten geht der Schluß vom Führer, der erst einmal i n all seinen Fähigkeiten erkannt und benannt werden muß, zum Recht wie Gesetz prägenden Führerwillen. Verbale Unterschiede beim Begriff des Gesetzes bestehen zwar zwischen den verschiedenen Kategorien nationalsozialistischer Rechtsvorstellung, das Ergebnis gleicht sich jedoch völlig. Höhn — völkischer Vitalist — bestimmt das Gesetz als „ A k t der Führung" 1 7 3 . Er versteht ein solches Gesetz als das Gegenteil eines „Akt(s) des souveränen W i l lens einer unsichtbaren Staatspersönlichkeit . . . , die sich an die ihr gegenüberstehenden Untertanen m i t verbindlicher K r a f t wendet" 1 7 4 . no Vergleichender Überblick über die neueste Entwicklung des Problems der gesetzgeberischen Ermächtigung; „Legislative Delegationen"; i n : Positionen u n d Begriffe, a.a.O., S. 228. 171 E. R. Huber, a.a.O., S. 230. Der Ausdruck .politischer Gesetzesbegriff' w i r d von anderen Vertretern der nationalsozialistischen Rechtsvorstellung k a u m verwendet, i n seiner näheren Kennzeichnimg durch E.R. Huber gibt er jedoch das allgemeine Verständnis der nationalsozialistischen Rechts Vorstellung v o m Gesetzesbegriff wieder, k a n n deshalb als Stichwort f ü r eine allgemeine Auffassung verwendet werden. 172 Ebenda. (Hervorhebung nicht i m Original.) 173 Das Gesetz als A k t der Führung, a.a.O., S. 434. 174 Ebenda.

3.4. Recht = Gesetz = förmliches Verfahren

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Der spezifische Sinn dieses Gesetzesbegriffs, die spezifische ratio gubernativa erschließt sich aus dem rechten Verständnis der ,Gemeinschaft'. Nur weil das „Prinzip der Volksgemeinschaft heute auch i n das Rechtsdenken" eingezogen sei, sei „Gesetz . . . heute A k t der Führung und nicht mehr Willensäußerung einer Staatspersönlichkeit" 175 . Formal mag ein solcher A k t der Führung sich möglicherweise i n nichts von der Dezision eines Souveräns unterscheiden — Höhn sagt dazu nichts — qualitativ jedenfalls verändert die K r a f t der Gemeinschaft offenbar alles. — Allerdings, auch die Volksgemeinschaft und ihren einheitlichen Willen schafft der Führer selbst 176 . Larenz — Vertreter des objektiven Idealismus — versteht Gesetz als unmittelbar substanziiertes Recht, als Formalbegriff des Rechts: „das Gesetz . . . ist selbst nur ein Ausdrucksmittel für die Darstellung der völkischen Rechtsidee. Es w i r d also nicht lediglich i n seinem empirischen Dasein, sondern zugleich i n seiner überempirischen Bedeutung als Konkretion des Volksgeistes betrachtet 1 7 7 ." Nicht zweckgerichteter Verstand, nicht formal-rationale Überlegung bestimmt das Gesetz, „über allen Zwecken steht als die ursprüngliche Sinngebung durch den Volksgeist die konkrete Rechtsidee." „ I n einer ursprünglichen Sinngebung aus dem (Volks-) Geiste begründet und begrenzt sich alle Zwecksetzung durch den planenden Verstand 178." — Allerdings: „Die Aufgabe der Konkretion des völkischen Rechtsgeistes ist als eine Aufgabe der Gestaltung des Gemeinschaftslebens in erster Linie Sache der politischen Führung 1 7 9 ." Eine gegenüber dem völkischen Vitalismus und dem objektiven Idealismus eigenständige, sogar (mittelbar) fortschrittliche Bestimmung des Gesetzesbegriffs versucht Carl Schmitt (und i n seinem Gefolge einige andere Vertreter des konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenkens). Er definiert: „Gesetz ist Plan und Wille des Führers 1 8 0 ." Daskalakis' K r i t i k , Carl Schmitt habe diesen seinen Begriff vom Gesetz nicht weiter untersucht, bediene sich seiner aber mit Erfolg 1 8 1 , t r i f f t 175 Ebenda. ne v g l . oben S. 50, Fußnote 114. 177 Rechts- u n d Staatsphiilosophie, a.a.O., S. 155. 178 Volksgeist u n d Recht, a.a.O., S. 44 u n d 45. 179 Rechts- u n d Staatsphilo9ophie, a.a.O. 180 Die Rechtswissenschaft i m Führerstaiat, a.a.O. Ähnliche Definition bei Maunz: i m Gesetz „offenbart sich . . . ein bereits Rechtsgebot gewordener Plan des Führers". (Die Rechtmäßigkeit der Verwaltung, i n : Frank [Hrsg.], Deutsches Verwaltungsrecht, München 1937, S. 64). E.R. Huber: „Das Gesetz ist Entfaltung der völkischen Lebensordnimg gemäß dem Plan u n d durch den Entscheid des Führers." (Verfassungsrecht, a.a.O., S. 240.) 181 G. D. Daskalakis, Das Gesetz als konkrete Seinsordnimg u n d Planverwirklichung, Berliner Habilitationsschrift 1939, S. 192. Trotz Daskalakis 1

92

3. Die materialen Qualitäten des Gesetzes

zu, doch läßt sich Carl Schmitts Auffassung vom Gesetz als Plan und Wille des Führers — aus einem anderen Zusammenhang heraus — etwas näher erläutern. Plan als Begriff steht gegen die liberale Theorie, Wirtschaft und Gesellschaft als Ganzes erreiche von selbst eine durch ratio bestimmte Harmonie, einen Ausgleich von Privat- und Allgemeininteresse, wenn nur das private Handeln rational bestimmt sei und die Allgemeinheit — durch entsprechende Herrschaftsweise — die organisatorischen Voraussetzungen für solch freies, rationales Handeln des einzelnen schaffe. Doch die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse, wie sie der Liberalismus ermöglichte, w i l l Carl Schmitt keineswegs geändert wissen. Der Plan dient ihm deshalb nicht, die sozio-ökonomischen Grundlagen umzugestalten, vielmehr auf diesen Grundlagen und mit unveränderten Zielen ein effektiveres Gemeinwesen, einen ,totalen Staat' wie er ihn nennt, zu errichten. Denn das Versagen der liberalen Theorie, die i m bürgerlichen Staat m i t seinen gesellschaftlichen Gegensätzen und ökonomischen Krisen verfehlte Harmonie — für Carl Schmitt eine geschichtliche Erfahrung — führt er vor allem auf ein Versagen des Staates, auf seine ,schlechte Totalität', seine Unfähigkeit zu entscheiden zurück 1 8 2 . I h m stellt er den totalen Staat mit seiner „unvermeidlichen Tendenz zum ,Plan' (statt, wie vor hundert Jahren, zur »Freiheit')" entgegen 183 , den er — in kategorialer Einteilung — als Verwaltungsstaat begreift. Der „Verwaltungsstaat . . . findet . . . sein Daseinsprinzip in der Zweckmäßigkeit, Nützlichkeit und, i m Gegensatz zur Normgemäßheit des auf Normierungen beruhenden Gesetzgebungsstaates, i n der unmittelbar konkreten Sachgemäßheit seiner Maßnahmen, Anordnungen und Befehle. Sowohl der Regierungswie der Verwaltungsstaat erblicken eine besondere Qualität i m konkreten, ohne weiteres vollziehbaren oder zu befolgenden Befehl. Den Advokatenplädoyers, die den Juridiktionsstaat begleiten, wie den ebenfalls endlosen Diskussionen des parlamentarischen Gesetzgebungsstaates machen sie ein Ende und erkennen schon i m Dezisionismus der programmatischen Anspruchs, das von Carl Schmitt und anderen Versäumte nachzuholen (a.a.O., S. 194), entbehrt auch sein Verständnis v o m Gesetz als Plan an entscheidenden Stellen der konkreten Begrifflichkeit. So w e n n er schreibt: „Der Plan ist kein willkürliches Produkt des Plangebers. Der Gemeingeist (der objektive Geist) gewinnt f ü r die Entfaltung des Plans w i e auch i m Plan selbst eine weitgehende Bedeutung." (a.a.O., S. 211.) Oder: „Plangeber und insbesondere der Plangeber des Gesetzesplanes k a n n keine beliebige Person sein." „ . . . der Plangeber (ist) das Ursprüngliche, Primäre eines Volkes, einer Gemeinschaft." (a.a.O., S. 198 u n d S. 199.) 182 Vgl. die Aufsätze „Das Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen"; „Die Wendung zum totalen Staat"; „Weiterentwicklung des totalen Staats i n Deutschland", alle i n : Positionen u n d Begriffe, a.a.O.

183 Legalität und Legitimität, a.a.O., S. 11.

3.4. R e t

Gesetz

förmliches Verfahren

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sofort vollziehbaren Anordnung an sich einen positiven Rechtswert. Hier gilt: ,Das Beste i n der Welt ist der Befehl' 1 8 4 ." Diese Stelle wurde, weil in ihrer raschen Aufeinanderfolge von ,Sachgemäßheit' und ,Befehl an sich' besonders sinnfällig, ausführlich zitiert; mit ihr verrät Carl Schmitt sich. Der ,Plan', die Maßnahme des Verwaltungsstaates, w i r d durch Sachgemäßheit bestimmt, aber durch die Sachgemäßheit der Dezision, durch den ,Befehl an sich', durch die ,sofort vollziehbare Anordnung'. Der rationale Ansatz, die ,Sachgemäßheit' w i r d einer außer-rationalen Bestimmung, dem ,Befehl an sich' unterworfen, das Verlangen nach Rationalität, wie es i m Begriff des Planes angelegt ist, damit aufgehoben, ins Irrationale abgedrängt. Dieses Verständnis des ,Plans', bezeichnenderweise vor 1933 gewonnen, kann Carl Schmitt dann ohne weiteres i n seine Bestimmung des nationalsozialistischen Gesetzes einbringen. Das Gesetz als Plan und Wille des Führers, genauer: als Plan nach dem Willen des Führers, wiederholt nur die Abkehr von allen Qualitäten i m Begriff des Gesetzes, die diesen mit der ratio verbinden. Denn der Wille des Führers — allen Kontrollen entzogen, i n seinen Entschlüssen ungehindert — läßt sich rational nicht mehr fassen. Die Bestimmung des nationalsozialistischen Gesetzes als sachgemäßer Plan zerstört sich so selbst. Völlig zu Recht (wenn auch von i h m ganz anders gemeint) hält J. Heckel Carl Schmitts stolzem Anspruch, mit dem nationalsozialistischen Gesetzesbegriff wieder zu dem Gesetzesbegriff des Aristoteles und des Thomas von A q u i n zurückgekehrt zu sein 1 8 5 entgegen: „Die ethische Kraft des völkischen Gesetzes-,Willens' stammt aus einer ganz andern geistigen Welt als die ratio, die den Gesetzes-,Plan' der griechischen Philosophie und der Scholastik schuf. Eine Rückkehr oder Annäherung an diesen Gesetzesplan kann man m. E. nicht feststellen 1 8 6 ." 3. Ist Recht wie Gesetz Wille des Führers, fallen Gesetz und Recht i m Willen des Führers zusammen, verschwindet die Frage, ob denn das Gesetz nicht auch vom Recht abweichen könne. Doch t r i t t die neue Frage auf, wie zu erkennen sei — wenn den Begriff des Gesetzes letztlich entscheidend keine andere Qualität kennzeichne als eben die, Wille des Führers, M i t t e l zur Verwirklichung des Führerwillens zu sein 1 8 7 —, i n welchem Falle der Wille des Führers habe gerade Recht «4 a.a.O., S. 12 f. !85 Die Rechtswissenschaft i m Führerstaat, a.a.O., S. 439. Vergleichender Überblick über die neueste Entwicklung des Problems der gesetzgeberischen Ermächtigungen „Legislative Delegationen", a.a.O. 186 Wehrverfassung u n d Wehrrecht, a.a.O., S. 331, Fußnote 12. 187 Auch andere, zusätzliche Bestimmungen des Gesetzes neben der, k o n kretisierter Führerwille zu sein, — etwa das Gesetz entscheide über völkische

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3. Die materialen Qualitäten des Gesetzes

setzen wollen. Der Wille des Führers verwirklicht sich nämlich nicht nur i m Gesetz, er „hat vielfältige Möglichkeiten der Verkörperung; er äußert sich i n Buch und Rede, i n Regierungserklärungen und i n internen Anweisungen und, nicht zuletzt, i n der gestaltenden T a t " 1 8 8 . Zwar fordere er auch dann noch rechtliche Beachtung, sei aber nicht Rechtssatz, „sondern verbindlicher Maßstab für die Auslegung von Rechtssätzen" 189 . M i t der A n t w o r t auf die Frage, wie zu erkennen sei, ob der Wille des Führers sich in einem Gesetz verwirklicht habe, muß von den nationalsozialistischen Rechtsanschauungen noch einmal eine Antwort darauf gegeben werden, was den Begriff des Gesetzes — außer dem Willen des Führers — noch bestimme. Und mit dieser A n t w o r t w i r d der qualitative, Form wie Inhalt umfassende Gesetzesbegriff zerstört, endet die nationalsozialistische Bestimmung des Gesetzesbegriffs bei plattem Nominalismus: „Das Gesetz . . . ist ein Entscheid des Führers, der den Willen i n einem förmlichen Befehl zum verbindlichen Rechtssatz erhebt" 1 9 0 . Anders antwortete auch der Gesetzespositivismus — den ,Willen des Führers' durch den ,Willen des Parlaments' ersetzt — nicht auf die Frage nach dem Gesetzesbegriff 191 . I n der Tautologie: bestimmtes förmliches Verfahren = Gesetz = Recht gleichen sich nationalsozialistischer und positivistischer Gesetzesbegriff. Wogegen die Vertreter nationalsozialistischer Rechtsvorstellung — nach ihrem Selbstverständnis — auszogen, die Auffassung des Gesetzespositivismus, alles was m i t dem ,Zauberstab des Gesetzgebungsverfahrens' (Carl Schmitt) berührt werde, sei Gesetz und damit auch Recht, dorthin kehren sie zurück. Zwar, die Vertreter nationalsozialistischer Rechtsvorstellung hielten dem entgegen, solch formale Betrachtungsweise verdecke den entscheidenden Unterschied des parlamentarisch-gesetzespositivistischen und des nationalsozialistischen Gesetzesbegriffs; das Verfahren klassifiziere die Äußerung des Führerwillens nur als Gesetz, der Wille Gemeinschaftswerte (Fauser) oder, es gestalte die Rechtsstellimg des Volksgenossen (Ch. Dieckmann) — bleiben Tautologien, denn nicht das Gesetz, sondern der W ü l e des Führers entscheidet über völkische Gemeinschaftswerte oder bestimmt die Rechtsstellung des Volksgenossen, das Gesetz wiederholt diesen W i l l e n nur. Sinnfälliger Beweis: w o der W i l l e des Führers anders entscheidet als das Gesetz, g i l t der Führerwille. (Vgl. dazu Ch. Dieckmann, a.a.O., S. 38 f.) ISS E. R. Huber, a.a.O., S. 242. 189 Ebenda. 190 Ebenda. Z u diesem Rückgang auf die bloße Form bei der Bestimmung des Gesetzesbegriffs auch noch: Koellreutter, Deutsches Verfassungsrecht, a.a.O., S. 56; Kümmerling, Der Sinnwandel des Gesetzesbegriffs i m nationalsozialistischen Staate. Dissertation Münster 1938; sowie die unten S. 97 genannten. 191 Vgl. statt aller, Anschütz, A r t i k e l „Gesetz", i n : Wörterbuch des deutschen Staats- u n d Verwaltungsrechts, Tübingen 1913.

3.4. echt = Gesetz = förmliches Verfahren

95

des Führers qualifiziere es erst als Recht. Doch die Qualitäten des Führerwillens bleiben das Geheimnis der nationalsozialistischen Rechtsanschauung. Tatsächlich jedenfalls bestimmte auch i m NS nur die Form (und nicht auch rational überprüfbare inhaltliche Erfordernisse) was Gesetz, nur das Gesetz was ,Recht4 sei. Die nationalsozialistische Bestimmung des Gesetzesbegriffs und seiner Beziehung zum Recht wiederholt, was die nationalsozialistische Auffassung vom Recht schon zeigte: bei den Vertretern der nationalsozialistischen Rechtsvorstellung vollendet sich die Nur-Legalität des Gesetzespositivismus, wie sie i m parlamentarischen Rechtsstaat angelegt war, allerdings — angeblich um den Gesetzespositivismus zu beseitigen, tatsächlich, u m ihn i n all seinen Folgen zu übersteigern — zusätzlich noch der Vorteile beraubt, die sich aus seiner wenigstens formalen Rationalität, aus seiner spezifischen ,Rechtssicherheit' ergeben hatten. Denn das förmliche Verfahren bei der Gesetzgebung als der Verwirklichung des nationalsozialistischen Rechts, sollte — wie noch zu zeigen sein w i r d — seine Unverbrüchlichkeit ebenfalls einbüßen.

4. Die formalen Qualitäten des Gesetzes nach nationalsozialistischer Rechts Vorstellung Die qualitativ-materialen Merkmale bestimmen zwar den Inhalt, aber sie taugen nicht für den praktischen Gebrauch des Gesetzes. Was ein Gesetz sei, muß an äußerlich-formalen Kriterien erkennbar sein — auch wenn das Gesetz nur gelten und bestehen soll, falls sein Inhalt den qualitativ-materialen Merkmalen entspricht 1 . Die Definition eines von allen qualitativen Voraussetzungen absehenden formellen Gesetzesbegriffs lautet: Gesetz ist „ein A k t der obersten Rechtsautorität, der in bestimmter äußerer Gestalt einen rechtsverbindlichen Satz ausspricht" 2 . Entstehungsweise und Erscheinungsform, Verfahren und Gestalt, bestimmen also die äußere Form des Gesetzes. Verfahren der Gesetzgebung, Vorschriften über den ,Weg der Gesetzgebung', Funktionalismus der Legalität, das waren polemische Parolen des Liberalismus gegen den Absolutismus, auch bezeichnende Errungenschaften und Einrichtungen des bürgerlichen Rechtsstaats. Die Definition des formellen Gesetzesbegriffs liberal-rechtsstaatlicher Provenienz i n Zusammenhang m i t der Lehre vom Gesetz i m Nationalsozialismus, der sich stets als Uberwinder des Liberalismus verstand und rühmte, zu bringen, scheint falsch und ist auch falsch, zugleich aber auch wieder nicht verkehrt. Falsch, weil Verfahren der Gesetzgebung, Form des Gesetzes i m NS-Staat wenig bedeuteten, fast verschwanden, nicht verkehrt, weil die Vertreter nationalsozialistischer Rechtsvorstellung nahezu einhellig in vom bürgerlichen Rechtsstaat überkommenen Worten den formellen Gesetzesbegriff an der Wirklichkeit vorbeidefinierten. Als Gesetz galt ihnen weiterhin, das „ i m formgebundenen Verfahren (Weg der Gesetzgebung) zum Volksrecht obersten Ranges erklärte hoheitliche Rechtsgebot des Führers", der „Entscheid des Führers, der den Willen i n einem förmlichen Befehl zum verbindlichen Rechtssatz erhebt", das „ i n besonderem Verfahren erlassene Rechts-

1

Z u r allgemeinen Gesetzeslehre, insbesondere z u m Erfordernis eines formellen Gesetzesbegriffs Laband, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 5. A u f l . Tübingen 1911—14, 4. Bd., S. 1 ff., S. 61 ff. u n d G. Jellinek, Gesetz u n d Verordnung, Freiburg 1887, insbes. S. 226 ff., S. 312 ff. 2 So statt vieler, den Worten nach ähnlicher, dem Sinn nach gleicher Definitionen, die von Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, 2. Aufl. Einsiedeln/ Zürich/Köln 1948, S. 71, gegebene.

. Die

malen Qualitäten des Gesetzes

gebot des Führers" 3 . Wirklichkeitsgetreuere Definitionen bleiben vereinzelt. Beispielsweise Ch. Dieckmann: das „Gesetz kommt nun nicht mehr, wie i m liberalen Staatsrecht, auf einem typischen Weg der Gesetzgebung zustande, aber es heißt immerhin noch Gesetz und w i r d i n einem bestimmten Verfahren verkündet" 4 . Wesentliche Merkmale des NSGesetzes sind demnach: Gesetz ist, was so heißt und Gesetz bedarf einer formgebundenen Verkündimg. Auf die Form des Gesetzgebungsverfahrens wurde von der nationalsozialistischen Staatsrechtslehre nur verwiesen, aber sie wurde kaum beschrieben 5 , konnte auch nicht beschrieben werden, denn der freie, ungebundene Wille des Führers vertrug keine Form. I n dem gleichen Maße, i n dem Hitler die Gesetzgebung an sich zog, verschwanden darum festgelegte oder durch Gewohnheit verfestigte Regeln über die Gesetzgebung, bedeutete es nichts mehr, wie Gesetze entstünden, wichtig war, wer über das Entstehen der Gesetze entscheide. Darum verschiebt und verengt sich die Darstellung der Entstehungsweise des Gesetzes i m Nationalsozialismus auf die Darstellung der Gesetzgebungsorgane, alte Reste oder neue Ansätze eines formgebundenen Verfahrens können — ob ihrer geringen Bedeutung — i n diese Darstellung einbezogen werden. M i t der Entstehungsweise der Gesetze, dem Verfahren, hängt eng zusammen die zweite Komponente des formellen Gesetzesbegriffs, die Erscheinungsform, die (äußere) Gestalt des Gesetzes. Versucht aber der, der das Gesetz i m nationalsozialistischen Staat darstellen w i l l , beide, Verfahren und Gestalt, zugleich zu erörtern, stiftet er nur Verwirrung, müßte beinahe ebensoviele Ausnahmen benennen, wie er Regeln aufstellen könnte. U m die Ausnahmen nicht zu häufen, u m wenigstens ein, wenn auch nur beschränkt gültiges System aufzeigen zu können, ist es darum besser, Entstehungsverfahren — für den nationalsozialistischen Staat genauer: Entstehungsbeteiligte (Gesetzgeber) — und Erscheinungsform des Gesetzes getrennt zu beschreiben.

3 Stratenwerth, Verordnung u n d Verordnungsrecht i m Deutschen Reich, Berlin 1937, S. 137. E. R. Huber, Verfassungsrecht, a.a.O., S. 242. Scheuner, Gesetz u n d Einzelanordnung, a.a.O., S. 26. (Hervorhebungen jeweils nicht i m Original.) 4 a.a.O., S. 33. (Hervorhebung nicht i m Original.) s Soweit ersichtlich ist der Aufsatz von Hoche, Das Zustandekommen der Reichsgesetze, i n : Reich u n d Länder, Bd. 10 (1936), S. 65 ff. die einzige — etwas ausführlichere — Darstellung des Gesetzgebungsverfahrens geblieben. 7 Kirschenmann

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. Die

malen Qualitäten des Gesetzes

4.1. Entstehungsverfahren (Entstehungsbeteiligte) 4.1.1. Ein Führer, ein Gesetzgeber 4.1.1.1. Der Griff nach der Gesetzgebung als Teil der nationalsozialistischen Machtergreifung A n dem Eid, den Hitler 1930 i m Ulmer Hochverratsprozeß auf die Legalität leistete, schien nichts fehl und nichts zu deuteln; Hitler schwor, „seine Ziele nur noch auf streng legalem Wege" zu verfolgen, und die Köpfe seiner Gegner sollten erst dann rollen, wenn ein nationalsozialistischer Staatsgerichtshof, „der nach der Erringung der Gewalt auf legalem Wege seines Amtes walten werde", das Urteil gesprochen habe 6 . Der Schwur klang klar und wies dennoch i n die falsche Richtung. Legalität, Verfassungstreue, so sollte er verstanden werden, galt den Nationalsozialisten als Weg zur Macht und als Art, die erlangte Macht zu gebrauchen. Aber dahinter verbarg sich, kaum getarnt jedoch, eine Maxime umstürzlerischen Handelns, eine Weise der Usurpation: der Weg zur Macht führt über die Legalität, deutlicher: der Griff nach der Legislative dient entschieden der Machtergreifung, dient dazu, daß die Köpfe der Gegner ,legal' rollen. Der Hinweis auf die instrumentalisierte Legalität als entscheidendes M i t t e l der Machtergreifung und Machterhaltung war ein deutlicher Fingerzeig auf jene nach 1933 vielfach so benannte „legale Revolution" 7 und wurde dennoch, obgleich noch 1932 eine treffende Analyse dieser Art, Legalität auszunutzen, erfolgte 8 , nicht begriffen; anders jedenfalls läßt sich schwerlich das Zustandekommen des sogenannten Ermächtigungsgesetzes vom 24. 3.1933 erklären. Eine ,legale Revolution' — eine contradictio i n adjecto nur dann, wenn Legalität nicht als bloßer Funktionsmodus, inhaltlich indifferent, von jeder materialen Gerechtigkeit absehend, verstanden w i r d — durchzuführen, erlaubt jene Prämie auf den Machtbesitz, die dem zufällt, der die geltenden Gesetze erläßt. Er macht die geltenden Gesetze nicht nur, darüber hinaus „macht er die von ihm gemachten Gesetze selber geltend. Geltung und Geltendmachung, Produktion und Sanktion der Legalität ist sein Monopol. Das Wichtigste ist aber, daß das Monopol der Geltendmachung des geltenden Gesetzes ihm den legalen Besitz der staatlichen Machtmittel und damit eine über die bloße Normen-,Geltung' weit hinausgehende politische Macht verleiht" 9 : er ist der ,Staat' (Staatsapparat). Einmal i m Besitze 6 Das U r t e i l des Ulmer Hochverratsprozesses v o m 4.10.1930 ist abgedruckt i n : Die Justiz, Bd. V I (1930/31), S. 187 ff., S.213. 7 Umfassende Darstellung bei Scheuner, AöR, N.F. 24 (1934), S. 166 ff. 8 Carl Schmitt, Legalität u n d Legitimität, a.a.O., insbes. das Kapitel: Legalität u n d gleiche Chance der politischen Machtgewinnung.

a.a.O., S. 3 .

4.1. Entstehungsverfahren (Entstehungsbeteiligte)

99

der legalen Gewalt, vermag der, der den Legalitätsanspruch erhebt, wenn i h m die Gesinnung für das Recht fehlt oder ein Dritter, der von seinem Legalitätsanspruch unberührt bleibt, nicht hindernd i n den Weg trittt, „sich i m Besitz der Macht zu verschanzen und die Tür hinter sich zu schließen, also auf legale Weise das Prinzip der Legalität zu beseitigen" 10 . Soweit Hitler verfassungsgetreue Gesinnung beschwor, leistete er ohne Skrupel und ohne großen Hehl einen Meineid, einen Dritten, der seinen ,legalen' Griff nach der Macht vereitelte, einen ,Hüter der Verfassung', brauchte er nicht zu fürchten: ein Verfassungsgericht nicht, denn für die Weimarer Verfassimg galt, sie sei i n recht funktionalistischer Wertneutralität ihrer eigenen Geltung gegenüber neutral 1 1 , und den Reichspräsidenten nicht, denn auch er ,hütete' nur eine Verfassung, die jedem, auch ihren Gegnern, die gleiche Chance gab, sie i m Legalitätsverfahren aufzuheben. Für Hitler, für die Nationalsozialisten kam es darum „schließlich nur noch darauf an, wer zuletzt, wenn es wirklich so weit ist, i n dem Augenblick, in dem das ganze Legalitätssystem beiseite geworfen wird, die legale Macht i n der Hand hat und dann seine Macht auf neuer Grundlage konstituiert" 1 2 . Und als es soweit war, nutzten sie ihre Chance, führten die Legalität ins Feld, zwangen so, ohne sie i n einer Revolution erobern zu müssen, mittels Gesetz die traditionellen Träger und Garanten staatlicher Gewalt, Wehrmacht und Beamtentum, aber auch alle anderen Posten und Positionen der Staatsmacht i n ihren Bann 1 3 . 2. Gesetze zu setzen erfordert, methodisch-logisch stets, institutionellverfassungsmäßig je nach Regierungsform, dreierlei: Anregung, Beschluß und Kundgabe; die eigentliche Gesetzgebung freilich besteht nur i m Beschluß, Gesetzgeber ist darum, wer darüber entscheidet, was

io a.a.O., S. 38. u Statt vieler: Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches, 14. Aufl., Berlin 1933, S.404f. 12 Carl Schmitt, a.a.O., S. 40. Die »faktizierende K r a f t der N o r m a t i v i t ä t 4 soll damit nicht generell behauptet werden. Die spezifische historische Situation i n Deutschland, die auf »Legalität 4 eingeschworene Beamtenschaft, die i m Legalitätswahn befangenen Oppositionsparteien (vgl. den L e i t a r t i k e l des „Vorwärts" v o m 30.1.1933: „ . . . die Sozialdemokratie (stellt sich) . . . m i t beiden Füßen auf den Boden der Verfassung u n d Gesetzlichkeit. Sie w i r d den ersten Schritt von diesem Boden nicht tun.") erst erlaubten es, jeder m i t formaler Legalität gedeckten Staatsstreichmaßnahme Hitlers den M a k e l des Staatsstreichs u n d damit den G r u n d eines Widerstands dagegen zu nehmen. 13 Es sollen i m folgenden nicht die Stufen der nationalsozialistischen Machtergreifung mittels Gesetz dargestellt werden (dazu am besten: K a p i t e l I — I I I i n : Bracher, Sauer, Schulz, Die nationalsozialistische Machtergreifung, K ö l n u n d Opladen 1960), es soll vielmehr n u r der G r i f f nach der Gesetzgebung, die Konzentration der Gesetzgebung beim Führer aufgezeigt werden.

τ

100

. Die

malen Qualitäten des Gesetzes

Gesetz werden soll und ob etwas Gesetz werden soll 1 4 . Beschluß eines Gesetzes meint deshalb, seinen Inhalt festlegen und sein Gelten (können) wollen, meint Formulierung und Sanktion. Der Beschluß, die Dezision und Sanktion des Gesetzes, muß ob des hohen Ranges der Gesetzgebung als Machtposition i m modernen Staate, nach Laband, „Ausfluß und Betätigimg" der Staatsgewalt bilden, oder anders gesagt: „die Frage nach dem Subjekt der gesetzgebenden Gewalt (ist) identisch m i t der Frage nach dem Träger der Staatsgewalt 15 ." Damit soll allerdings nicht etwa, wie es demokratischem Selbstverständnis entspräche, auf den einheitlichen Organträger von Legislative und Exekutive, auf den ,Souverän' Volk, i n dessen Namen getrennte Gewalten die Macht i m Staate ausübten, hingewiesen werden. Vielmehr steckt dahinter die Erkenntnis, wer Gesetze beschließe oder, was als Machtposition dem gleichkommt, wer erreiche, daß nach seinem Willen Gesetze beschlossen würden, übe, solange Gesetze den Funiktionsmodus staatlicher Herrschaft bildeten, echte Macht aus, sei i m tatsächlichen Sinne Träger ( = Inhaberi der Staatsgewalt. Dem Gesetzesbeschluß steht als Position der Macht im Staate nicht gleich, aber wenig nach, der Zugang zum Gesetzgeber, zur Gesetzgebung. J. J. Mosers Wort, „wer den Aufsaz (d. h.: Begehren, Initiative) eines Gesetzes, Vergleiches usw. machen darff, der hat viel gewonnen" 16 , gilt unvermindert. Denn das Recht, den Beschluß eines Gesetzes anzuregen, zu begehren, das Initiativrecht, mag zwar, wenn es mehreren zukommt, als Machtposition wenig gelten, aber je geringer die Zahl der möglichen Initianten, desto gewichtiger ihre Position, bis schließlich i m Grenzfall eines einzigen Initianten, das Initiativrecht beliebig nutzbarer Auslöser oder Sperriegel der Gesetzgebung wird, die Gesetzgebung in unmittelbare Abhängigkeit des Initianten gerät. 3. Wollten die Nationalsozialisten erfolgreich gemäß ihrer Maxime staatsumstürzlerischen Handelns, der ,legalen Revolution', vorgehen, mußte als wichtiger Schritt auf dem Wege der Machtergreifung der Griff nach den beiden entscheidenden Positionen der Gesetzgebung, dem Initiativ- und dem Beschlußrecht, liegen. Gesetze zu beschließen stand nach der W V i m Regelfalle dem Reichstag zu (Art. 68 WV). Doch blieb neben, genauer: über dem Beschlußrecht des Parlaments das Beschlußrecht des Volkes (Art. 73, 76 WV). Schließlich, für den Fall der Staatsnot, den Ausnahmefall, stand, allerdings weniger durch die Verfassung als durch allgemeine Anerkennung 14 Z u r allgemeinen Gesetzgebungslehre vgl.: H. K i p p , A r t i k e l „Gesetzgebung", i n : Staatslexikon, Bd. 3, a.a.O. is Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reichs, a.a.O., Bd. 2, S. 4. 16 J. J. Moser, Von der Landeshoheit i n Regierungssachen überhaupt usw. ; 1772, S. 312; zitiert nach: Mallmann, Die Sanktion i m Gesetzgebungsverfahren, Emsdetten 1938, S. 72, A n m . 18.

4.1. Entstehungsverfahren (Entstehungsbeteiligte)

101

sanktioniert, ein theoretisch beschränktes, tatsächlich aber umfassendes, gesetzesgleiche Normen schaffendes Verordnungsrecht des Reichspräsidenten (Art. 48) neben dem Gesetzgebungsrecht des Reichsvolks und des Reichstags. Das Initiativrecht verteilte die W V außer an die drei genannten ordentlichen und außerordentlichen Gesetzgeber noch an die Reichsregierung, den Reichsrat und den Reichswirtschaftsrat 17 . Sieht man einmal von der historischen Situation ab, dann schien mit dem sogenannten Ermächtigungsgesetz vom 24. 3.1933 18 zu diesen vielfachen Initianten und Gesetzgebern nur noch ein Gesetzgeber mehr zu kommen 1 9 . Denn lediglich „außer i n dem in der Reichsverfassung vorgesehenen Verfahren" sollten auch noch Regierungsgesetze erlassen werden können (Art. 1 ErmG.). Doch dieser Schein trog. Die Nationalsozialisten zeigten, wie es möglich ist, m i t irgendeinem Legalitätsanspruch jede Gegenwehr zum Unrecht, zur Illegalität werden zu lassen, wie ein Gesetzgeber — immer m i t dem M i t t e l einer instrumentalisierten Legalität — auch neben-, sogar übergeordnete Gesetzgeber ausschalten konnte, wie sich die Legalität als Hebelstange verwenden ließ, ein Staatsgefüge aus den Angeln zu heben. Vom 24. 3.1933 an gerechnet, benötigten sie ungefähr 16 Monate, bis sie das letzte, noch außerhalb ihres unmittelbaren Einflusses verbliebene Beschlußrecht, das Verordnungsrecht des Reichspräsidenten gem. Art. 48 WV, vereinnahmten, aber nicht einmal ganz so viele Wochen dauerte es, den beiden ,Regel-Gesetzgebern', Reichstag und Reichsvolk, ihre Initiativrechte zu nehmen, ihr Beschlußrecht also zu entwerten. M i t der Kassation der verschiedenen Initiativ- und Beschlußrechte begannen die Nationalsozialisten allerdings — von ihrem Ziel her jedoch ganz folgerichtig — i n dem Organ, das hinfort alle anderen Gesetzgebungsorgane verdrängen sollte, der Reichsregierung. Die Regierungsgesetzgebung, eine Institution, die zwar den Grundsatz der Gewaltentrennung i n seinem Kern trifft, durfte dennoch, angesichts zweier Jahre eines ,Präsidialregimes', i n denen weit mehr Verordnungen denn Parlamentsgesetze ergingen, für machtverteilend, Einzelmacht hemmend, gelten. Denn A r t . 58 WV, der über A r t . 1 ErmG weiter galt, schrieb für die Beschlußfassung der Reichsregierung Abstimmimg und Mehrheitsentscheid vor. Doch die damit erhoffte Kontrolle Hitlers Z u r Gesetzgebung nach der W V siehe statt anderer, W. Jellinek, i n : Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Tübingen 1932, Bd. 2, S. 160 ff. 18 I m folgenden: ErmG. 19 Über das Zustandekommen des Ermächtigungsgesetzes vgl. Bracher, a.a.O., S. 152 ff.; H.Schneider, Das Ermächtigungsgesetz v o m 24. März 1933. Bericht über das Zustandekommen u n d die A n w e n d i m g des Gesetzes, i n : Vierteljahreszeitschrift f ü r Zeitgeschichte 1 (1953), S. 197 ff.

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4. Die formalen Qualitäten des Gesetzes

durch ein Kabinett, dessen Mitglieder i n der Mehrheit Nicht-Nationalsozialisten waren (drei Parteimitglieder, sieben Nicht-Parteimitglieder), die oftgenannte ,Zähmung', Beweggrund vieler, dem ErmG zuzustimmen — eine ,Objektivierung', eine Fremd- und Selbsttäuschung von Anfang an freilich —, versagte 20 . Ohne daß Widerstand bekannt wurde, hob das erste Kabinett Hitler bereits i m A p r i l 1933 A r t . 58 W V ,wegen der Unvereinbarkeit m i t dem Führergrundsatz' auf 2 1 , räumten v. Papen und seine Gefolgsleute wieder ein Stück ,Zähmungspolitik' aus dem Weg. Regierungsgesetze entstanden demnach hinfort aus einem autonomen A k t des Führers, aus seinem freien Entschluß, sein ungebundener, keinen weiteren Kontrollen unterworfener Wille erhob sich zum Gesetz. Ausgestattet mit diesem Legalitätsanspruch verdrängte Hitler nun Reichstag und Reichsvolk als Gesetzgeber, beseitigte zwar nicht offiziell ihr Initiativ- oder Beschlußrecht 22 , funktionierte es jedoch so geschickt um, daß am Ende nur eine leere Hülle blieb. M i t einem Gesetz am 31.3.1933 und einer Verordnung am 7. 7.1933 23 hob er die Zuteilung von Sitzen auf die Wahlvorschläge der kommunistischen bzw. der sozialdemokratischen Partei auf 2 4 , die damit einhergehende freiwillige Selbstauflösung der anderen Parteien und das Gesetz gegen die Neubildung von Parteien vom 14. 7.1933 verschaffte den Nationalsozialisten einen Reichstag, i n dem sie völlig unter sich waren. Zwar konnte dieser Reichstag weiterhin Gesetzesvorlagen ,aus seiner Mitte' einbringen, zwar bestritt i h m niemand das Recht, Gesetze zu beschließen 25 , nur: 20 Z u r Zähmiungspolitik u n d i h r e m Versagen, Bracher, a.a.O., S. 156 ff., 205 ff. Überrascht u n d frohgemut schrieb Goebbels am 22.4.1933 i n sein Tagebuch: „ I m Reichskabinett ist die A u t o r i t ä t des Führers n u n ganz durchgesetzt. Abgestimmt w i r d nicht mehr. Der Führer entscheidet Alles geht viel schneller als w i r zu hoffen gewagt hatten." (Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei, München 1934, S. 302.) 21 Poetzsch-Heffter, V o m deutschen Staatsleben, i n : JöR, Bd. 22 (1935), S. 70. Diese Gesetzesänderung geschah bezeichnenderweise ohne aufhebendes Gesetz. 22 Das Initiativrecht des Reichtags w i r d ausdrücklich erst durch den Führererlaß über die B i l d u n g eines Ministerrats f ü r die Reichsverteidigung v o m 30. 8.1939, beseitigt. I n A r t . I I dieses Erlasses bestimmt Hitler, er könne die Verabschiedung eines Reichstagsgesetzes „anordnen". (Das Reichsvolk als Gesetzgeber w i r d i n diesem Erlaß einfach übergangen.) 23 Vorläufiges Gesetz zur Gleichschaltung der Länder m i t dem Reich, R G B l I 1933, S. 153 u n d Verordnimg zur Sicherung der Staatsführung, R G B l I 1933, S. 462. 24 Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie zu sehen, w i e den Sozialdemokraten ihre Chimäre v o m legalen Widerstand auf .legale' Weise ausgetrieben wurde. Selbst die Feinde u n d ersten Opfer der Nationalsozialisten scheinen keine Vorstellung von der Wirkweise einer n u r noch funktionalistisch gehandhabten Legalität besessen zu haben.

25 Art. 68 WRV galt gemäß Art. 1 ErmG weiter.

4.1. Entstehungsverfahren (Entstehungsbeteiligte)

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die Mandatsfreiheit des Art. 21 W V galt nicht mehr, die Reichstagsabgeordneten, i n ihrer überwiegenden Mehrzahl Mitglieder der NSDAP, unterstanden dem Führer als dem „Herren der Partei" 2 6 , ihre Initiative und ihr Beschluß folgte nur noch dem „Appell des Führers" 2 7 . Das Gesetzgebungsrecht des Reichsvolks blieb ebenfalls unangetastet, indem man es vergaß. A m 14. 7.1933 erging ein Gesetz über Volksabstimmung, durch das, wie die Reichsregierung es begründete 28 , ein neuer Weg der Gesetzgebung geschaffen werden sollte, „bei dem das Volk i n seiner Gesamtheit der Gesetzgeber ist". Der ,neue Weg' brachte gegenüber dem an sich völlig genügenden alten nach A r t . 73 W V eine wesentliche Änderung: nicht mehr das Reichsvolk konnte den Erlaß eines Gesetzes begehren, „die Reichsregierung kann das V o l k befragen", ob es einem von der Regierung beabsichtigten Gesetz zustimme (§ 1). Zwar derogierte dieses Gesetz den Art. 73 W V nicht — weder erging es als verfassungsänderndes Gesetz, noch bezog es sich auch nur auf Art. 73 W V 2 9 — aber offenbar war neben der rein propagandistischen an eine solche derogierende Wirkung gedacht. Danach blieb das Recht des Reichspräsidenten, gesetzesgleiche Normen gemäß A r t . 48 W V zu verordnen, als einziges Gesetzgebungsrecht unangetastet, aber auch unausgenutzt, w e i l angeblich die Voraussetzungen des Art. 48 W V entfallen waren. M i t dem Gesetz über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches vom 1. 8.1934 übertrug sich Hitler dann alle Rechte des Reichspräsidenten, auch das Verordnungsrecht nach Art. 48 WV. Hitler w a r am Ziel seiner (innenpolitischen) Machtergreifung. Zufrieden stellte er i n seiner Proklamation an das deutsche Volk vom 20. 8.1934 (anläßlich der Volksabstimmung zum Staatsoberhauptgesetz) fest: „Der Kampf um die Staatsgewalt ist m i t dem heutigen Tag beendet 30 ." Hinfort hatte er keinen anderen Gesetzgeber mehr neben sich. 3. Diese Rechtstatsachen prägten die Staatsrechtslehre, eindeutiger Gesetzeswortlaut und ebenso eindeutig entgegenstehende Gesetzesanwendung bekümmerte sie wenig. Wenn sie solche Widersprüche überhaupt zu lösen suchte, dann m i t knappen Hinweisen auf die eben so seiende „Auswirkung der Führergewalt" 3 1 oder auf das bloß f o r m a l e ' 26 Mallmann, a.a.O., S. 223. 27 Carl Schmitt, Staat, Bewegung, Volk, a.a.O., S. 10. 28 Die Begründung ist abgedruckt bei Hoche, Die Gesetzgebung des Kabinetts Hitler, B e r l i n 1933, Bd. 3, S. 66 f. 29 Carl Schmitt, a.a.O., S. 10 nennt folgerichtig auch noch zwei A r t e n der Volksabstimmung, die nach A r t . 73 W V u n d die nach dem Gesetz über Volksabstimmung. 30 Die Proklamation ist abgedruckt bei: Röttgen, a.a.O., S. 79 f.

31 E. R. Huber, Verfassungsrecht, a.a.O., S. 237.

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. Die

malen Qualitäten des Gesetzes

einer Gesetzesvorschrift, das am ,Wesen' gemessen werden müsse 32 . Normtreue brachte nur wirklichkeitsfremde Ergebnisse, so wenn Carl Schmitt (allerdings noch am Anfang der nationalsozialistischen Regierung) gemäß den geltenden Gesetzen fünf Gesetzgeber benennt 33 — die Reichsregierung, der Reichstag, der Reichspräsident und das Reichsvolk in gleich zweifacher Form, nämlich als Gesetzgeber nach Art. 73 W V und nach dem Gesetz über Volksabstimmung. Andere formulieren in der ersten Zeit der Regierung Hitlers vorsichtiger, sprechen von einer Gesetzgebung, die „ i n die Hand des Führers und seines Führerrates gelegt" sei 34 oder auch von „der Führung" als dem Gesetzgeber 35 . E. R. Huber nennt als einer der ersten das Gesetz „die vom Führer getroffene . . . Entscheidung" 36 und macht damit klar, wovor andere zunächst offenbar noch eine gewisse Scheu empfanden, Adolf Hitler sei nicht nur praktisch-tatsächlich, sondern auch i n der Rechtstheorie als der einzige Gesetzgeber anzusehen. I n dieser Meinung folgten die übrigen Staatsrechtslehrer dann bald alle nach 37 . Röttgens Bericht „Vom deutschen Staatsleben" gibt zugleich auch zusammenfassend das Ergebnis der Lehre vom Gesetzgeber i n der Zeit „Vom 1. Januar 1934 bis zum 30. September 1937" 38 wieder, wenn er feststellt: „Der Gesetzesbefehl liegt i n jedem Falle beim Führer" und: „Die Gesetzesinitiative liegt heute allein beim Führer .. . 3 9 ." Die viel benannte ,Einheit' war somit von der Staatsrechtslehre um eine Variante erweitert: Ein Führer, ein Gesetzgeber. 4.1.1.2. Mediale Führer-Gesetzgebung Das von Hitler 1934 proklamierte erfolgreiche Ende des Kampfes um die Staatsgewalt, eines Kampfes auch um die alleinige Gesetzgebungsgewalt Hitlers, entsprach den Tatsachen und widersprach gel32 Beispielsweise Koellreutter, Deutsches Verfassungsrecht, a.a.O., S. 147: „Wenn . . . der § 2 des Gesetzes über Volksabstimmung bestimmt, ,bei der Volksabstimmung entscheidet die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen 4 , so ist diese Vorschrift n u r von formaler Bedeutung. Denn es gibt bei einer solchen Volksabstimmung keine andere Möglichkeit als eine Mehrheit festzustellen." 33 Staat, Bewegung, Volk, a.a.O., S. 10 f. 34 Poetzsch-Heffter u. a., a.a.O., S. 258. 35 Maunz, Neue Grundlagen des Verwaltungsrechts, Hamburg 1934, S. 17; Höhn, „Gesetz als A k t der Führung" a.a.O., S. 434 ff. 36 I n : DJZ 1934, Sp. 956. 37 Soweit ersichtlich ist Mallmanm der einzige, der noch 1938 nicht den Führer, sondern die Reichsregierung als Gesetzgeber ansieht — allerdings m i t der Einschränkung: „Gegen den W i l l e n des Führers ist kein Gesetz möglich, m i t seinem W i l l e n ein jedes." (a.a.O., S. 258.) 38 a.a.O.

3 a.a.O., S. 4 .

4.1. Entstehungsverfahren (Entstehungsbeteiligte)

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tenden Gesetzen, Gesetzen, die teils erst unter Hitlers Einfluß und Herrschaft entstanden waren. Vorwurfsvoll rügt E. R. Huber noch 1939 diesen Widerspruch von Norm und Wirklichkeit: „Die bisher erlassenen Verfassungsvorschriften bringen den . . . Wandel (in der Gesetzgebungsgewalt) noch nicht i n völliger Klarheit zum Ausdruck 4 0 ." Der Kummer der Staatsrechtslehre lag freilich nicht darin, das staatliche Sein dem gesetzlichen Sollen, die Verfassungswirklichkeit dem Verfassungsrecht entfremdet zu sehen, er galt vielmehr einem Gesetzgeber, der sein eigenes Gesetzgebungsverfahren unzulänglich regele und verschiedene Gesetzgeber schaffe, anstatt, wie es „einem ,Führerstaat', der durch den Grundsatz von der Einheit der politischen Gewalt bestimmt ist" 4 1 , entspräche, alle gesetzgebende Gewalt auch formal, äußerlich sichtbar i n einer Hand zusammenzufassen. Denn die ,Verfassungsvorschriften' des nationalsozialistischen Staates konstituierten die Gesetzgeber Reichsregierung, Reichstag und Reichsvolk 42 , zu keiner Zeit aber einen FührerGesetzgeber 43 . 2. Der Staatsrechtslehre fiel die Aufgabe zu, die tatsächlich umfassende Macht Hitlers, die stets gerühmte alles beherrschende Gewalt des Führers, mit Verfassungsvorschriften zu vereinbaren, die eben diesem Führer kein Gesetzgebungsrecht zugestanden. Dieses Unvereinbare zu vereinbaren mißlang, die A n t w o r t geriet widerspruchsvoll: dem Führer stehe zwar alle gesetzgebende Gewalt zu, aber sie äußere sich dennoch nur medial, durch die Medien Regierung, Reichstag, Volk. Den Widerspruch eines allmächtigen Führers und seiner bloß medialen Willensäußerung suchte die Staatsrechtslehre nicht zu lösen, sie beantwortete die Frage nicht, warum der Führer nicht uneingeschränkt, frei und direkt seine Gesetze gebe, warum er des ,Rahmens' (Huber), der ,äußeren Erscheinung' (Heckel), des ,Resonanzbodens' (Röttgen) der Regierung, des Reichstags oder des Volkes bedürfe. Die Frage blieb auch dann noch offen, als Hitler Gesetze direkt i n seinem Namen erließ, nebeneinander also mediale und direkte Gesetze des Führers ergingen. Die Staatsrechtslehre löste das Problem, indem sie es negierte, suchte keine Antwort, sondern einen Ausweg — und kam dabei der Wahrheit der totalen, allumfassenden und willkürlichen Herrschaft Adolf Hitlers so nahe, daß sie, zwangsläufig, einige propagandistische Postulate nationalsozialistischer Staats- und Rechtsvorstellung verletzen mußte, insbesondere die Behauptung, i m ,völkischen Führerstaat gehe alle Gewalt 40 E. R. Huber, Verfassungsrecht, a.a.O., S. 237. 41 Ebenda. 42 Z u den ab 1936 noch hinzukommenden Gesetzgebern s. unten S. 113 ff. 43 Lediglich das Verordnungsrecht nach A r t . 48 wäre als einziges (Ausnahme·) Gesetzgebungsrecht nach dem Gesetz über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches v o m 1.8.1934 (RGBl I, S. 747) auf H i t l e r übergegangen.

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vom Volke aus'. Der Ausweg der Staatsrechtslehre war nämlich, hinter allen Entscheiden, allen Gesetzesbeschlüssen der Regierung, des Reichstags oder des Volkes den immer letztlich' einzig bedeutsamen Willen des Führers aufzuzeigen. 3. Für die Gesetzgebungsbefugnis der Reichsregierung stellt E. R. Huber dies ohne Umschweife fest: „Auch wo die Gesetze eine bestimmte Aufgabe der ,Reichsregierung' zuweisen, ist es der Führer, dem die letzte verantwortliche Entscheidung zukommt 4 4 ." Eine Reichsregierung, wie sie das ErmG voraussetzte und der es die Aufgabe der Regierungsgesetzgebung zuwies, bestand allerdings ohnehin nur in den ersten Jahren des NS-Staates 45 . Etwa seit 1937, immer stärker dann seit Beginn des Krieges veränderte sich Form, Struktur und Aufgaben der Reichsregierung vollkommen. E. R. Huber rechnet 194146 zur Reichsregierung 39 dem „Führer unmittelbar untergeordnete Reichsstellen": 3 Kanzleien, 19 Reichsministerien, 4 „Träger der Reichshoheit i n eingegliederten oder zugeordneten Gebieten", 3 Chefs der Zivilverwaltung, 4 Oberste Reichsbehörden und 6 selbständige Zentralstellen. Unvorstellbar, diese monströse Regierung, ausgewuchert und vielfach ohne deutliche Trennimg der Zuständigkeiten, vermöchte Gesetze i n der A r t zu beschließen, wie sie vom Ermächtigungsgesetz vorgesehen war. Außerdem kam ab 1937 die Reichsregierung zu keiner gemeinsamen Sitzung mehr zusammen 47 . So entsprach es nur einer rechtstatsächlichen Entwicklung, wenn die Staatsrechtslehre ein Gesetzgebungsrecht der Reichsregierung ablehnte. Doch Grund und Anfang dieser Ansicht lagen außerhalb solcher Rechtstatsachen, entstanden, ehe die Reichsregierung als ganze ob ihrer Schwerfälligkeit zur Gesetzgebung i m Sinne des ErmG, m i t Beratung und Abstimmung i n der Kabinettssitzung, nicht mehr taugte. Die Minister (und später auch die anderen Regierungsmitglieder) — so argumentierten die Vertreter nationalsozialistischer Staats- und Rechtsvorstellung — könnten nicht auf einer Ebene m i t dem Führer stehen, dieser sei nicht nur primus inter pares 48 , wähle sie vielmehr zu 44 Verfassungsrecht, a.a.O., S. 223. 45 Damit soll nicht die Frage angeschnitten werden, ob die Gesetzgebung«befugnis der Reichsregierung aufgrund des E r m G nicht gem. A r t . 5 E r m G bereits am 29. 6.1933 (Ausscheiden Hilgenbergs aus dem 1. Kabinett Hitlers) geendet hätte. 46 Reichsgewalt u n d Reichsführung i m Kriege, a.a.O., S. 561. Dieser A u f satz bringt eine der besten u n d zugleich auch letzten zusammenfassenden Darstellungen der,Verfassung 4 des deutschen Staates der totalen nationalsozialistischen Herrschaft. 47 Vgl. Carl Schmitt, Der Zugang zum Machthaber, ein zentrales verfassungsrechtliches Problem, i n : Verfassungsrechtliche Aufsätze, a.a.O., S. 432; E.R. Huber, a.a.O., S. 554 nennt keine Jahreszahl, bestätigt aber auch, daß keine allgemeinen Kabinettssitzungen mehr stattfänden. 48 Diese Formel w i r d besonders gern zur negativen Kennzeichnung des Verhältnisses Führer-Regierungsmitglieder verwendet. Sie kehrt beispiels-

4.1. Entstehungsverfahren (Entstehungsbeteiligte)

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Beratern 4 9 , ihm durch besonderen Treueid verpflichteten, abhängigen ,Amtswaltern' (Höhn) und Erfüllungsgehilfen. A n seinen Entscheiden könnten sie daher mitwirken, aber nicht mitbestimmen. Regierungsgesetze entstünden darum einzig und allein aus dem D i k t u m des Führers. Freilich trat i n der Wirklichkeit der Regierungsgesetzgebung an die Stelle des ausdrücklichen Alleinentscheids des Führers vielfach eine Gesetzgebung, die „ i n dem üblich gewordenen Umlauf verfahren" erfolgte 50 . Gesetzgebung i m Umlauf verfahren geschah so: „Soll das Gesetz i m Umlaufwege beschlossen werden, so übersendet die Reichskanzlei den Entwurf den Mitgliedern der Reichsregierung m i t dem Vermerk, daß Einverständnis angenommen wird, wenn nicht binnen bezeichneter Frist Widerspruch erhoben wird. W i r d während dieser Frist kein Widerspruch erhoben, so gilt das Gesetz nach Ablauf der Frist als von der Reichsregierung beschlossen51." Allerdings, entscheidend i n der Gesetzgebung blieb der Wille des Führers, konnte, wann immer es Hitler beliebte, in die Tat umgesetzt werden. Aber gerade dieses gänzlich beliebige Wollen, Zeichen der Allmacht, setzte doch auch — sollte es wirklich für ganz ,frei', ^ g e bunden' gelten können — Allwissenheit voraus. Sie ließ sich jedoch lediglich behaupten, von Lobrednern propagieren. Die praktische Frage war, „wer dem allmächtigen Führer das Material zubrachte, auf Grund dessen er seine Willensentschlüsse faßte und seine Entscheidungen traf, und wer aus der Menge der einlaufenden Eingänge die Auswahl traf und bestimmte, was überhaupt vorgelegt und was nicht vorgelegt wurde" 5 2 . Tatsächlich stand also auch umgekehrt der allmächtige Führer i n der Abhängigkeit zu seinen untergebenen Beratern und ihrem Apparat, m i t am engsten i n der zum Chef der Reichskanzlei 53 , dem es oblag, darüber zu entscheiden, „ob und i n welcher Form dem Führer ein unmittelbares Eingreifen anzuempfehlen ist" und „inwieweit

weise wieder bei: Röttgen, a.a.O., S. 71; E. R. Huber, Verfassungsrecht, a.a.O., S. 227; Stödter, Verfassungsproblematik u n d Rechtspraxis, i n AöR, N.F. 27 (1936), S. 166 ff., S. 195. 49 So Röttgen, a.a.O., S. 74: „Der Reichsminister (ist) . . . ganz allgemein zur Beratung des Führers berufen . . Λ R. Rrüger, Die Stellung der Reichsminister, i n : DR, 7. Jg. (1937), S. 311: Die Minister sind „Berater des Führers". Stödter, a.a.O., S. 194: „Der Ranzler ist Führer der Mitglieder des Rabinetts, die seine Unterführer u n d Berater sind." Lediglich E. R. Huber, Verfassungsrecht, a.a.O., S. 227, sucht die Minister i n ihrem Rang aufzuwerten: „Der Führer benutzt die Reichsminister nicht als untergeordnete ausführende Organe . . . " 30 E. R. Huber, Reichsgewalt u n d Reichsführung i m Rriege, a.a.O., S. 555. si Hoche, Das Zustandekommen der Reichsgesetze, a.a.O., S. 67. 52 Carl Schmitt, a.a.O., S.431. 53 Z u Rang u n d Stellung des Chefs der Reichskanzlei i m nationalsozialistischen Staatsapparat siehe auch Carl Schmitt, a.a.O.

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er auf alle Fälle von Vorgängen im öffentlichen Leben unterrichtet werden muß" 5 4 . Wer darüber bestimmt, ob, inwieweit und i n welcher Form jemand unterrichtet wird, der fällt zwar nicht die Entscheide des Unterrichteten, aber er beeinflußt sie doch erheblich. Auch die selbstherrlichsten Gesetzesbeschlüsse Hitlers blieben darum fremdem Rat, zumindest fremder Information verhaftet. Hinzu kam, daß der Chef der Reichskanzlei „ i n die Vorbereitung der Gesetze . . . frühzeitig eingeschaltet" war und darum zu Recht „ i n einem gewissen Sinne . . . ,Gesetzgebungsminister'" 55 genannt werden konnte 5 6 . Die Staatsrechtslehre vermochte solche tatsächlichen Entwicklungen nicht zu fassen, auf Begriffe zu bringen oder i n ein System zu ordnen 57 . Alle geregelten und berechenbaren Zuständigkeitsverteilungen, alle sachlich durchdachten und institutionell verfestigten Kompetenzen beim Regierungsgesetzgebungsverfahren entfielen. So blieb nur die hilfslose staatsrechtliche Konstruktion vom Gesetz als dem alleinigen Entscheid, dem unabhängigen D i k t u m des Führers. Der Einfluß, die indirekte Machtfülle des Apparates der Ministerialbürokratie und derer, die sich seiner bedienten, verdeckte ein solches Postulat vollkommen. Blieben beim Regierungsgesetz wenigstens vielerlei tatsächliche Gestaltungs- und Einwirkungsmöglichkeiten auf den Entscheid Hitlers, so verkümmerte andererseits die Funktion des Reichstags und des Volkes bei der Gesetzgebung zur bloßen Affirmation und Akklamation 5 8 . Aber selbst dazu nur selten aufgerufen, erschienen beide, Reichstag und Volk, der Staatsrechtslehre i m Gesetzgebungsverfahren als unnütz. Die Zahl der vom Reichstag nach dem 24. 3.1933 beschlossenen Gesetze

51 v. Sutterheim, Die Reichskanzlei, zitiert nach E. R. Huber, a.a.O., S. 554. (Hervorhebung nicht i m Original.) 55 E. R. Huber, a.a.O., S. 555.

56 U m nicht mißverstanden zu werden: Der Chef der Reichskanzlei Lammers w a r nicht der »Diktator i m Vorzimmer'. Dieses Prädikat gebührt Bormann. N u r Lammers Einfluß auf den Gang der Gesetzgebung darf als erheblich gelten, aber die Gesetzgebung selbst w a r i m konsolidierten NSStaat kein entscheidender Bereich der Machtausübung mehr. Zur Stellung des Chefs der Reichskanzlei vgl. noch unten S. 116. Z u dem Gegensatz des das „Recht aus reinster Quelle weisenden Führers u n d der Realität der Gesetzgebungsarbeit" vgl. Gernhuber, Das völkische Recht, i n : Festschrift für Eduard Kern. Tübingen 1968, S. 182 f. 57 E. R. Huber, a.a.O., S. 561 spricht eher eine Hoffnung denn eine Tatsache aus, wenn er meint, „ . . . m i t der Errichtimg des Ministerrats f ü r die Reichsverteidigung (ist) ein bedeutender Anfang f ü r die rationale Gliederung und planvolle Zusammenfassung aller entscheidenden Aufgaben i n der Hand eines engen, arbeitsfähigen Kreises gemacht." 58 U m den Akklamationscharakter der Reichstagsgesetzgebung noch zu unterstreichen, ersetzte der Reichstag die dreimalige Lesung des Gesetzes durch eine einmalige Verlesung des Textes (Köttgen, a.a.O., S. 78).

4.1. Entstehungsverfahren (Entstehungsbeteiligte)

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beträgt acht 59 , zwei davon Verlängerungen des ErmG; das Volk beschloß kein Gesetz 60 . Wenn der Reichstag oder das Volk schon an der Gesetzgebung beteiligt würden, dann doch nur — so die Staatsrechtslehre — u m ihre „Ubereinstimmung m i t dem Willen des Führers, der der Gesetzgeber des deutschen Volkes i s t " 6 1 zu erklären, u m „den Willen des Führers nach außen zu kräftigen und deutlich als Willen der völkischen Einheit i n die Erscheinung treten zu lassen" 62 . M i t solchen Formeln und Sprüchen verhedderte sich die Staatsrechtslehre freilich: da der eigentliche Willensträger des Volkes der Führer sei 63 und nur er, nicht aber das Volk selbst, den wahrhaften Volkswillen kenne, bleibt unklar, warum er denn noch der Bekräftigung seines Gesetzgebungswillens durch das Volk oder die Volksvertretung bedürfe. Solche Widersprüche bekümmern die Staatsrechtslehre allerdings wenig, über allerlei pathetischen Kennzeichnungen des Reichstags als des modernsten Parlaments der Welt 6 4 oder des Führers, der dem Volk diene 65 , vergißt sie geflissentlich nach dem einst so nachhaltig verkündeten Gesetzgebungsrecht des Volkes zu fragen. 4.1.1.3. Direkte

Führer-Gesetzgebung

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Der Wille des Führers, nach Carl Schmitts Wort der Nomos des deutschen Volkes, bedurfte also der Vermittlung anderer, konnte nur als Regierungs-, Reichstags- oder Volksbeschluß Gesetz werden. Alle Mühe s» 1. Gesetz über den Neuaufbau des Reiches v o m 30.1.1934. 2. Reichsflaggengesetz, Reichsbürgergesetz, Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes u n d der deutschen Ehre. A l l e drei Gesetze wurden auf dem Parteitag i n Nürnberg am 15. 9.1935 beschlossen. 3. Verlängerung des E r m G a m 30.1.1937. Verlängerung des E r m G am 30.1.1939. 4. Gesetz über die Wiedervereinigung der Freien Stadt Danzig m i t dem Deutschen Reich v o m 1. 9.1939. 5. Beschluß über Vollmachten des Führers v o m 26.4.1942. 60 Das Gesetz über Volksabstimmung sah i n § 1 vor, die Reichsregierung könne das V o l k befragen, ob es einem beabsichtigten Gesetz zustimme. Über beabsichtigte Maßnahmen stimmte das V o l k nie ab, lediglich über vollzogene. 61 E. R. Huber, Verfassungsrecht, a.a.O., S. 208. 62 a.a.O., S. 208. Ä h n l i c h Röttgen, a.a.O., S. 77. 63 Vgl. E. R. Huber, a.a.O., S. 196 ff. 64 Röttgen, a.a.O., S.78. 65 E. R. Huber, a.a.O., S. 210. 66 Die direkte Führer-Gesetzgebung vermehrte die Sprach- u n d Begriffsw i r r n i s i m Staatsrecht, schuf das Durcheinander von Gesetz, Erlaß u n d Verordnung. Sich selbst nannten Führer-Gesetze Erlaß oder Verordnung, niemals Gesetz, w e n n sie hier dennoch so bezeichnet werden, dann ob der ihnen tatsächlich zukommenden K r a f t u n d W i r k u n g eines staatlichen Gebotes obersten Ranges. Begriffliche Einzelheiten s. unten S. 121 f.

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der Staatsrechtslehre, hinter der jeweiligen Weise der Gesetzgebung den allein entscheidenden Führer sichtbar zu machen, verdeckte doch nur unzulänglich das Fehlen einer der politischen Form des ,Führer-Staates 4 entsprechenden Form der Gesetzgebung. Und es zeugt von der Rolle der bloßen Affirmation, die der Staatsrechtslehre zukam, daß sie auch keine solche Form entwickelte oder auch nur suchte. Doch folgte sie willig, die Tatsachen durch allerlei theoretische Erwägungen bekräftigend, nachdem Hitler selbst die ersten Schritte von der medialen Gesetzgebimg weg, zur direkten Gesetzgebung h i n tat. 2. Die Form der direkten Führer-Gesetzgebung entstand auf einem eigentümlichen Umweg: über den Bereich der Partei trat sie i n den Bereich des Staates. Durch ein Regierungsgesetz hatte Hitler sich selbst i m § 1 des Gesetzes zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat vom 1.12.1933 die Befugnis zum Erlaß einer Satzung für die Körperschaft des öffentlichen Rechts NSDAP zugesprochen. Damit waren die Befugnisse Hitlers eindeutig festgelegt — um überschritten zu werden. Denn bald ergingen vom ,Führer i n seiner Eigenschaft als Parteiführer' Verordnungen, die, wie ζ. B. die Führerverordnung über Wesen und Aufgabe der Deutschen Arbeitsfront vom 24.10.1934 67 , weit über den Bereich der Partei hinausgriffen, unmittelbar Rechte und Pflichten für einzelne Staatsbürger, auch Nicht-Parteimitglieder 6 8 , begründeten, denen demnach die tatsächliche K r a f t und Wirkung eines Gesetzes zukam. J. Heckel bezeichnete als erster diese — wie er sagte NS Führerverordnungen als Gesetz 69 . Fern der geltenden Normen postulierte er, und mit ihm die uneingeschränkt zustimmende übrige Staatsrechtslehre 7 0 : „Die Rechtsetzungsgewalt der Partei ist originär. Sie ist nicht vom Staate verliehen, sondern nur als bereits vorhanden anerkannt 7 1 ." Ungeklärt, nicht einmal gedeutet blieb die Frage, warum denn diese so offenliegende Rechtsetzungsgewalt nur als Satzungsgewalt umschrieben worden war, warum die ,originäre Rechtsetzungsgewalt der Partei' ohne weiteres auch staatliche Rechtsetzungsmacht ablösen konnte 7 2 . Veröffentlicht nicht i m Reichsgesetzblatt, sondern i m Völkischen Beobachter v o m 26.10.1934. 68 § 1 der Verordnung über Wesen u n d Aufgabe der Deutschen Arbeitsfront bestimmte die Geltung dieser Verordnung f ü r jeden „schaffenden Deutschen der Stirn u n d Faust". 69 J. Heckel, Berichte über die Lage u n d das Studium des öffentlichen Rechts. Staats-,Verwaltungs- u n d Kirchenrecht i m D r i t t e n Reich, Hamburg 1935, S. 19 ff. 70 Vgl. E . R . H u b e r , Verfassungsrecht, a.a.O., S.300; Köttgen, a.a.O., S.49; Dahm, Deutsches Recht, a.a.O., S. 232. Scheuner, Gesetz u n d Einzelanordnung, a.a.O., S. 29. 71 J. Heckel, a.a.O., S. 21. 72 Bezeichnend beispielsweise Scheuner, der einfach feststellt: „ U n d es wäre auch falsch, anzunehmen, daß etwa seine (NS-Führerverordnungsrecht) Geltung auf Angehörige der Bewegung beschränkt sein müßte." (a.a.O., S. 29.)

4.1. Entstehungsverfahren (Entstehungsbeteiligte)

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Gerade die „Zweiheit des formellen Rechtsetzungsverfahrens, nämlich einerseits i m Rechtsraum der Partei, anderseits i m Rechtsraum der allgemeinen völkischen Herrschaftsordnung" 73 betonte die Lehre nachdrücklich. Die Folge dieses — unbestimmten — Nebeneinanders von NS Führerverordnimg und staatlichem Gesetz, die Beseitigung des „Monismus der obersten formellen Rechtsetzung durch Gesetz" 74 , damit das Aufkommen von zweierlei Recht', sollte einzig durch die „Einheit der Rechtsquelle", nämlich „den Führer als Recht-Sprecher des Volkes" 7 5 wieder behoben werden. Der Rekurs auf die letztlich' einheitliche Rechtsquelle lenkte von den verwischten Grenzen zwischen dem ,Recht i n der Partei' und dem ,Recht i m Staate' ab, förderte zugleich das Überschlagen der parteiinternen Rechtsetzung auf den Staat. Aus den verwischten Grenzen wurden leicht offene, die Transformation der Führerverordnung vom Bereich der Partei auf den Bereich des Staates geschah darum fast unbemerkt. Die erste 76 völlig außerhalb des Kreises der Partei liegende Führer-Verordnung erging am 18.10. 1936, ohne Bezug auf ein — auch nur irgendwie — ermächtigendes Gesetz und ohne Kontrasignatur, unterzeichnet lediglich vom „Führer und Reichskanzler Adolf Hitler". Obwohl der politischen Form des ,Führer-Staates' m i t seinem allmächtigen Führer an der Spitze folgerichtig die Form des unabhängigen, direkten Führer-Gesetzes zugeordnet ist, beachtete die Staatsrechtslehre den Erlaß des ersten, ohne ,mediale Umschweife' entstandenen, direkten Führer-Gesetzes wenig 7 7 . 73 J. Heckel, a.a.O. 74 Ebenda. 75 a.a.O., S. 22. 76 Die nationalsozialistische Rechtslehre nennt ganz einhellig die FührerVerordnung zur Durchführung des Vier jahresplanes v o m 18.10.1936 das erste direkte ,Führer-Gesetz'. Das erscheint als w i l l k ü r l i c h , ergingen doch zuvor bereits höchst bedeutsame gesetzesunabhängige Führer-Erlasse. (Beispielsweise Erlaß v o m 17. 6.1936, R G B l I, S. 487, i n dem ein Chef der deutschen Polizei bestimmt und H i m m l e r dazu bestellt wurde.) Solche Erlasse wurden jedoch i n der nationalsozialistischen Rechtslehre als Verwaltungs(Organisations-)Erlasse gewertet, Führer-Erlasse i m Sinne direkter FührerGesetze zunächst n u r die gesetzesunabhängigen Erlasse genannt, die Fragen des Staatsaufbaus regelten. A b etwa 1939 setzt sich ein anderes formales Unterscheidungsmerkmal durch: gesetzesgleiche Führer-Erlasse u n d -Verordnungen werden, unabhängig von i h r e m Erscheinungsgebiet, solche Erlasse u n d Verordnungen Hitlers genannt, die sich auf k e i n Gesetz stützen, gesetzesabhängige (also Erlasse u n d Verordnungen i m herkömmlichen Sinne) solche, die aufgrund eines Gesetzes ergingen. 77 i n den ersten Reaktionen w i r d der Unterschied zwischen medialer u n d direkter Führer-Gesetzgebung zwar gesehen, aber n u r nebenbei erwähnt. Vgl. Bossung ,Der Vier jahresplan u n d das Verordnungsrecht, i n : Reichsverwaltungsblatt, Bd. 58 (1937), S. 115 ff. E. R. Huber, Verfassung, a.a.O., S. 134, Fußnote 1; Zinser, Verfassungs- u n d verwaltungsrechtliche Fragen des V i e r jahresplanes, i n : AöR, N.F. 29 (1938), S. 204 ff.

112

. Die

malen Qualitäten des Gesetzes

Wenngleich auch i n der nationalsozialistischen Staatsrechtslehre die Idealform der ,Führer-Staat'-Gesetzgebung i m direkten Führer-Gesetz gesehen wurde — beispielsweise spricht E. R. Huber davon, zwar sei bei allen Gesetzen der Führer alleiniger Träger der Entscheidung, aber das direkte Führer-Gesetz bringe den höchstpersönlichen Entschluß des Führers am besten zum Ausdruck 7 8 —, reichte i h r die einmal gefundene Formel, ,alle gesetzgebende Gewalt gehe auf den Führer zurück 4 , aus, u m jede Weise, diese Gewalt auszudrücken, einfach billigend hinzunehmen. Die affirmative A r t der Staatsrechtslehre ließ diese erst dann auf die direkte Führer-Gesetzgebung reagieren, erst dann Sinn und System aufzeigen, als solche Gesetze immer stärker hervortraten, die Regierungsgesetze zurückdrängten, überwucherten 79 . Dies geschah tastend, langsam anwachsend, und zu keiner Zeit wurde die mediale Gesetzgebung gänzlich von der direkten Führer-Gesetzgebung verdrängt. Ziemlich unklar und unerklärbar bleibt, warum Hitler erst spät eine direkte Führer-Gesetzgebung verwirklichte und warum er sie nur teilweise verwirklichte. Die Praxis der Gesetzgebung gibt wenig Aufschluß für diese Frage. Exemplarisch sei das Jahr 1942 herausgegriffen 80 : es ergingen 38 direkte Führer-Gesetze (gesetzesunabhängige Verordnungen und Erlasse) und 8 Regierungsgesetze. Von den 38 direkten Führer-Gesetzen betrafen 16 die Staatsorganisation (Errichtung neuer Reichsbehörden, Vereinfachimg der Verwaltung und der Rechtspflege, besondere Vollmachten für den Justizminister, Rechtsverhältnisse der Beamten), 9 die Stiftung oder Verleihung von Orden und Ehrenzeichen, 8 städtebauliche und Wohnungsbaumaßnahmen, 2 den Schutz der Land- bzw. Rüstungswirtschaft, schließlich je eines die Bildung eines Reichsforschungsrates, die Betreuung von Kindern deutscher Wehrmachtsangehöriger und die Stellung der NSDAP; von den 8 Regierungsgesetzen betrafen 5 Unfall- und Rentenversicherung sowie Fürsorgeund Versorgungspflichten, je eines den Mutterschutz, den Aufbau einer Reichsbehörde und Strafvorschriften über Landesverrat. Zwar lassen sich Sachgruppen der direkten Führer-Gesetzgebung und der medialen Gesetzgebung einigermaßen aufzeigen — direkte Führer-Gesetze: Staatsaufbau, Orden und Ehrenzeichen, Städtebau (was Hitlers Neigung zur Architektur entspringen dürfte); mediale Gesetzgebung: Strafgesetze und Fürsorgegesetze —, aber unklar bleibt, warum welche Gruppe von welcher Weise der Gesetzgebung geregelt wurde, warum etwa für Organisationsdetails der Verwaltung oder des Städtebaues ein ™ Verfassungsrecht, a.a.O., S. 253. 79 Erste Versuche eines Systems bei: E. R. Huber, Verfassungsrecht, a.a.O., S. 252 ff.; J. Heckel, Wehrverfassung u n d Wehrrecht, a.a.O., S. 324 ff. 80 N u r die i n R G B l I verkündeten Vorschriften wurden erfaßt.

4.1. Entstehungsverfahren (Entstehungsbeteiligte)

113

höchstpersönlicher Entscheid des Führers erforderlich sein sollte, für die viel bedeutsamere Strafgesetzgebung dagegen der mediale Beschluß genügte. E. R. Huber deutet eine Lösung dieser Frage, darüber hinaus den Grund für das Durcheinander i n der nationalsozialistischen Gesetzgebung überhaupt, an: „Es sind . . . nicht i m Wesen des behandelten Gegenstandes liegende Kriterien, sondern es ist der freie Entschluß des Führers, der darüber befindet, ob die Rechtsetzung i m Wege der Gesetzgebung oder i m Wege des gesetzesgleichen Entscheids vorgenommen werden soll 8 1 ." Das war es: allem normativ Verfestigten abgeneigt, damit auch jeder solche Verfestigung erst ermöglichenden klaren Form und abgegrenzten Zuständigkeit, vermied Hitler bewußt, klar und bestimmt zu regeln, wie sein freier Entschluß jeweils i n die Bahnen der Legalität umgesetzt werden sollte. 4.1.2. Ein Führer, mehrere Gesetzgeber Die »Einheit4, Schlagwort und polemischer Schlachtruf gegen die ,liberalen Zerreißungen 4 , steigerten Lehrer wie Lobredner des nationalsozialistischen Staates und Rechts geradezu zur eineinigen Einheit, täuschten sich selbst und andere m i t der ,Einheit der Führer-Gewalt 4 über Gegensätze und Cliquenkämpfe innerhalb der nationalsozialistischen Herrschaft hinweg, erklärten alles für klar, einfach und bestimmt, was sich auf die ,Einheit 4 zurückführen ließ. Aus der Einheit der Führer-Gewalt folgte die einheitliche gesetzgebende Gewalt 8 2 — klar, einfach und bestimmt, nur: Hitler tat das Gegenteil, sprengte vielfach die Einheit der gesetzgebenden Gewalt, ließ keine Klarheit, Einfachheit, Bestimmtheit zu, schaffte neben sich und seinen medialen Gesetzgebern drei weitere Gesetzgeber. 4.1.2.1. Der Beauftragte

für den Vierjahresplan

(BfdV)

Der erste, den Hitler als Gesetzgeber neben sich stellte, war der „Beauftragte für den Vierjahresplan 44 . I n der „Verordnung des Führers zur Durchführung des Vier jahresplanes 44 vom 18.10.1936 wurde klipp und knapp verkündet, dem „Ministerpräsidenten Generaloberst Göring" obliege es, den Vier jahresplan durchzuführen und alle dafür notwendigen Maßnahmen zu treffen. Solche Maßnahmen könnten — neben Einzel- und Organisationsanordnungen — auch, wenn nicht i n Form, so doch m i t K r a f t eines Gesetzes ergehen. Die Macht des Beauftragten, 81

Verfassungsrecht, a.a.O., S. 253. (Hervorhebung nicht i m Original.) Vgl. diese K a p i t e l - u n d Titelfolge bei E . R . H u b e r , Verfassungsrecht, a.a.O., §20 u n d §21. 82

8 Kirschenmann

114

. Die

malen Qualitäten des Gesetzes

Gesetze zu geben, war allerdings beschränkt, beschränkt auf die „Durchführung des Vierjahresplans", zugleich jedoch höchst unbestimmt ausgeweitet auf ,alle' notwendigen Maßnahmen. Es scheint deshalb, als ob aus der allumfassenden Gesetzgebungsgewalt des Führers ein Bereich ausgegrenzt wäre, i n dem der Beauftragte allein Gesetze erließe. Diesen Bereich bestimmt das Ziel des Vierjahresplans, „die Erreichimg und Sicherung der wirtschaftlichen Unabhängigkeit des deutschen Volkes" 8 3 . Aber obgleich der Beauftragte „die" — d. h. alle — erforderlichen Maßnahmen zu treffen hatte, u m dieses Ziel zu erreichen, ergingen innerhalb seiner Zuständigkeit immer wieder Regierungsgesetze84, entstanden i n einem ungeklärten Kompetenzen-Nebeneinander mediale Führer-Gesetze und Beauftragten-Gesetze 86 . So unbestimmt und unbestimmbar blieb die Befugnis des Beauftragten zur materiellen Gesetzgebung, daß auch noch 1938 der Kommentator nur feststellen konnte: über ihre „Grenzen (kann) . . . noch nichts ausgesagt werden. W i r können lediglich nachträglich feststellen, bis zu welcher Grenze er (der Beauftragte) gegangen ist" 8 6 . Die Befugnis des Beauftragten Göring, Gesetze „zur Durchführung des Vierjahresplanes" zu setzen, sollte — so der „Zweite Erlaß über die weiteren Aufgaben des Beauftragten für den Vierjahresplan vom 20. September 1944" 87 — „bis zur Beendigung des Krieges" gelten. 4.1.2.2. Der Ministerrat

für die Reichsverteidigung

(MfdR)

Den zweiten Gesetzgeber neben sich bestimmte Hitler mit dem Erlaß über die Bildung eines Ministerrats für die Reichsverteidigung vom 30. 8.1939 88 . War dem Beauftragten für den Vierjahresplan ein zwar nicht klar umrissenes, aber doch durch das Ziel, den Vierjahresplan zu erfüllen, eingeschränktes Gebiet zur Gesetzgebung überlassen worden, so verkehrte der Erlaß über den Ministerrat dagegen die Reihenfolge von Regelgesetzgeber und Ausnahmegesetzgeber, stellt die Einheit der Staatsgewalt auf den Kopf: der Ministerrat sollte die Gesetze er83 Zinser, a.a.O., S. 209. 84 Beispielsweise Gesetz v o m 29.10.1936, R G B l I, S. 727 (Bestellung eines Reichskommissars f ü r die Preisüberwachung) oder Gesetz v o m 1.12.1936, R G B l I, S. 999 (Wirtschaftssabotage). es Das v ö l l i g systemlose Durcheinander bleibt unbegreiflich: der Verordnung zur Durchführung des Vierjahresplans v o m 18.10.1936 folgte beispielsweise das (Regienmgs-) Gesetz zur Durchführung des V i e r jahresplanes v o m 29.10.1936 u n d diesem wieder die zweite Verordnimg zur Durchführung des Vierjahresplans v o m 5.11.1936. 80 Zinser, a.a.O., S. 212. 87 R G B 1 I 1944/45, S.211. 88 R G B l I, S. 1539.

4.1. Entstehungsverfahren (Entstehungsbeteiligte)

115

lassen, H i t l e r b e h i e l t sich l e d i g l i c h f ü r einzelne F ä l l e v o r , eine andere Weise d e r Gesetzgebung »anzuordnen 4 ( A r t . I I ) 8 9 . Z w a r b e a u f t r a g t e H i t l e r den Ministerrat n u r m i t der „einheitlichen L e i t u n g der V e r w a l t u n g u n d W i r t s c h a f t " , begrenzte d e m n a c h d e n B e r e i c h d e r Gesetzesmacht des M i n i s t e r r a t s , w e i t e t e i h n aber zugleich, i n d e m e r d e m M i n i s t e r r a t ganz a l l g e m e i n die „ R e i c h s v e r t e i d i g u n g " ü b e r t r u g , u n d „ i m t o t a l e n K r i e g e (stehen) a l l e A n g e l e g e n h e i t e n i n i r g e n d e i n e r B e z i e h u n g z u r R e i c h s v e r t e i d i g u n g " 9 0 . Scheuner m e i n t d a r u m , d e r M i n i s t e r r a t k ö n n e „ a l l e A n g e l e g e n h e i t e n . . . r e g e l n " 9 1 , E. R. H u b e r s t i m m t zu, n i m m t jedoch „ a u s w ä r t i g e P o l i t i k u n d e i g e n t l i c h e K r i e g s f ü h r u n g " a u s 9 2 . Tatsächlich bilden z w a r „ V e r w a l t u n g u n d Wirtschaft" keine Schranke f ü r die Gesetzgebungsgewalt des M i n i s t e r r a t s , aber t r o t z d e m ü b e r w i e g e n die d i r e k t e n u n d m e d i a l e n F ü h r e r - G e s e t z e — entgegen A r t . I I d e r V e r o r d n u n g ü b e r die B i l d u n g eines M f d R — die M i n i s t e r r a t s - G e s e t z e . D e n n auch die F ü h r e r - G e s e t z g e b u n g g r i f f — o b w o h l als A u s n a h m e g e s e t z g e b u n g k o n s t i t u i e r t — d a u e r n d i n die „ L e i t u n g der V e r w a l t u n g u n d W i r t s c h a f t " ein. Z u m Z a h l e n v e r g l e i c h d i e Gesetzgebung des Jahres 1942 9 3 : es e r g i n g e n 38 d i r e k t e Führer-Gesetze, 8 Regierungsgesetze u n d 17 Gesetze des M i n i s t e r r a t s f ü r d i e R e i c h s v e r t e i d i g u n g . Z w a r mochte die gesetzliche Z u s t ä n d i g k e i t s v e r m u t i m g f ü r e i n T ä t i g w e r d e n des 89 Durch den Erlaß über den Ministerrat geriet ein Grundsatz nationalsozialistischer Rechtsvorstellung ins Wanken: der Grundsatz v o m Vorbehalt des Führer-Willens. Dieser Grundsatz verlieh — f ü r den Bereich der Gesetzgebung — der Führer-Gewalt spezifisch juristischen Ausdruck. Vorbehalt des Führer-Willens besagte, der Führer sei „der einzige, der befugt ist, neues Recht der Gemeinschaft zu schaffen,... Die gesamte Gestaltung der Rechtsordnung k a n n nur durch den Führer erfolgen". (Ch. Dieckmann, a.a.O., S. 32. Hervorhebungen nicht i m Original.) Insbesondere sollte sich der V o r behalt des Führer-Willens auch i n einem Vorrang ausdrücken, der bedeutete, „daß Anordnungen des Führers allen Anordnungen anderer Staatsorgane vorgehen u n d n u r von i h m selbst aufgehoben, abgeändert u n d für den Einzelfall durchbrochen werden könnten". (a.a.O., S. 35.) Dieser festgefügte Grundsatz: die sogenannte Rechtsschaffung bleibt ausschließlich dem Führer vorbehalten, verlor m i t dem Erlaß über den Ministerrat durch des Führers eigenes W o r t an Gültigkeit. Die Vertreter nationalsozialistischer Rechtsvorstellung gerieten dadurch i n dreifache Verlegenheit: der Vorrang des Führer-Willens galt überhaupt nicht mehr, alle Entscheide der verschiedenen Gesetzgeber sollten sich gegenseitig aufheben können (dazu unten S. 120), der Vorbehalt des Führer-Willens galt n u r noch beschränkt, mehrere Gesetzgeber traten nebeneinander (dazu unten S. 117 ff.) —, und dem allem widersprach die W i r k l i c h k e i t der gänzlich unabhängigen, auch die selbstgesetzten Schranken beliebig mißachtenden Herrschaft Hitlers. Die nationalsozialistische Rechtsanschauung registrierte diese »staatsrechtliche Wandlung 4 n u r noch, Sinn u n d System vermochte sie nicht mehr aufzuzeigen. 90 91

S. 32. 92 9

E . R . H u b e r , Reichsgewalt u n d Reichsführung i m Kriege, a.a.O., S. 571. Scheuner, Die deutsche Staatsführung i m Kriege, i n : DRW, Bd. 5 (1940),

a.a.O., S. 571. Ebenso Wacke, Staatsrechtliche Wandlungen, a.a.O., S. 286. 3 N u r die i n R G B 1 I verkündeten Vorschriften wurden erfaßt.

8*

116

. Die

malen Qualitäten des Gesetzes

Ministerrats sprechen, i n der Wirklichkeit standen eher zwei ,RegelGesetzgeber denn ein Regel- und ein Ausnahmegesetzgeber nebeneinander. Dem Ministerrat gehörten an: als Vorsitzender Göring — dessen Gesetzgebungsgewalt als Beauftragter für den Vierjahresplan erhalten blieb und auch ausgeübt wurde — der „Stellvertreter des Führers", die beiden Generalbevollmächtigten für die Reichsverwaltung und für die Wirtschaft, der Chef der Reichskanzlei und der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht. Initiative zu einem Gesetz, Entscheid über ein Gesetz und Verkündung des Gesetzes lagen v o l l und ganz beim Ministerrat 9 4 , zeichneten i h n demnach als echten Gesetzgeber aus. A n dem Schnittpunkt der gesetzgeberischen Tätigkeit des Ministerrats und Hitlers direkter Gesetzgebimg zeigt sich noch einmal deutlich die einflußreiche Stellung des Chefs der Reichskanzlei, der „einmal Geschäftsführer des Ministerrats für die Reichsverteidigung ist, gleichzeitig aber i m Gesetzgebungsverfahren nach der Geschäftsordnung der Reichsregierung gewissermaßen auch deren Geschäftsführer darstellt, sich immer also entscheiden muß, ob er eine Vorlage dem Ministerrat für die Reichsverteidigung überläßt oder sie dem Führer zur weiteren Bestimmung vorlegt" 9 5 . Der Ministerrat, berufen für die Zeit einer „außenpolitischen Spannung" (Vorspruch des Erlasses), erließ bis zum Ende des NS-Staates Gesetze. 4.2.2.3. Das Dreierkollegium Die sechs Mitglieder des Ministerrats bildeten einen Gesetzgeber, drei von ihnen bildeten auch einen Gesetzgeber, den dritten neben Hitler. U m das Kompetenzendurcheinander noch zu steigern, berief Hitler i n einem nicht veröffentlichten Erlaß 9 6 , der vermutlich gleichzeitig m i t dem veröffentlichten Erlaß über die Bildung des MfdR erging 9 7 , den Generalbevollmächtigten für die Reichsverwaltung zusammen m i t dem Beauftragten für den Vier jahresplan und den Chef des 94 Wacke, a.a.O., S. 286. Die Verordnungen des Ministerrats hatten die ständige Eingangsformel: „Der Ministerrat f ü r die Reichsverteidigung verordnet m i t Gesetzeskraft", w u r d e n v o m Vorsitzenden des Ministerrats ausgefertigt u n d von allen oder einem T e i l der Mitglieder des Ministerrats mitgezeichnet. 95 Wacke, a.a.O., S. 284. 06 Die »Verordnungen' (Gesetze) des Dreierkollegiums ergingen stets „aufgrund gesetzlicher Ermächtigung", jedoch w u r d e diese Ermächtigung nie näher bezeichnet. 97 Die erste Verordnung des ,Dreierkollegiums' datiert vom 1.9.1939 (RGBl I I , S. 958).

4.1. Entstehungsverfahren (Entstehungsbeteiligte)

117

Oberkommandos der Wehrmacht 98 , zu einem neuen, selbständigen Gesetzgeber, der befugt war, „Rechtsverordnungen zu erlassen, die von den bestehenden Gesetzen abweichen" 99 . Sinn und Zweck des Dreierkollegiums als Gesetzgebungsorgan bleiben unbegreiflich: soweit aus den ergangenen Gesetzen ersichtlich, deckte sich seine Gesetzgebungsgewalt i m Umfang mit der des Ministerrats 1 0 0 , auch ist kaum anzunehmen, daß ein Kollegium von drei Mitgliedern wesentlich schneller entscheide, denn ein Kollegium von sechs. Allerdings ging die Zahl der vom Dreierkollegium erlassenen Gesetze bereits i m Jahre 1940 merklich zurück und blieb dann bis zum Ende des NS-Staates gering. 4.1.3. Drei und ein Gesetzgeber: Rang und Reihe Der formelle Gesetzesbegriff i m nationalsozialistischen Deutschland verengte sich, da ein festes Verfahren der Gesetzgebung entfiel, auf den Satz: Gesetz (bzw. gesetzesgleiche Verordnung oder Erlaß) ist das, was von den für Gesetzgebung zuständigen Stellen vorgenommen wird, oder auch: es genügt, den Gesetzgeber zu kennen, u m die Gesetze zu erkennen. I m absoluten Staat den Gesetzgeber zu kennen, sollte nicht schwer sein, i m ,Führer-Staat' gar, m i t seinen i n einer Person geeinten Gewalten, t r i t t überhaupt kein Zweifel auf. Aus der Einheit der Führer-Gewalt folgerte E. R. Huber darum 1939: es gibt „ n u r einen Gesetzgeber i m Deutschen Reich: das ist der Führer selbst" 1 0 1 . 1941 jedoch spricht E. R. Huber ganz unvermittelt von der (Kriegs)Gesetzgebung des MdfR, des ,Dreierkollegiums' und auch des BfdV, kennt er also mehrere Gesetzgeber 102 . Diese mehreren Gesetzgeber, ein „überraschendes Ergebnis i n einem ,Führerstaat', der durch den Grundsatz von der Einheit der politischen Gewalt bestimmt i s t " 1 0 3 , überraschte, freilich E. R. Huber nicht, und auch die anderen Rechtslehrer 98

Ursprünglich gehörte anstelle des Beauftragten f ü r den Vier jahresplan der Generalbevollmächtigte f ü r die Wirtschaft diesem Sonderkollegium an. I n einem Machtkampf verlor dann aber F u n k seine Stellung i m Dreierkollegium an Göring. Vgl. E. R. Huber, a.a.O., S. 572. 99 Frick, Maßnahmen zur Durchführung der Reichsverteidigung i m Innern, i n : R Verw.Bl. Bd. 61 (1940), S. 126. Dieses Manuskript einer Rede Fricks vermittelt einen — kleinen — Einblick i n die Interna der Reichsregierung zu Beginn des 2. Weltkriegs. mo Vgl. die bei E. R. Huber, a.a.O., S. 573 f., Fußnoten 4—7 angeführten Verordnungen. ιοί Verfassungsrecht, a.a.O., S. 237. 102

Reichsgewalt u n d Reichsführung i m Kriege, a.a.O., S. 568 ff. 103 So E. R. Huiber noch 1939 i n seinem Verfassungsrecht, S. 237 m i t leichter Ironie gegen die Ansicht, es gebe i n Deutschland drei Gesetzgeber, die Regierung, den Reichstag u n d das Volk,

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. Die

malen Qualitäten des Gesetzes

nicht, jedenfalls drückt keiner sein Erstaunen aus. Ohne K r i t i k , ohne Zweifel, ohne Hinweis auf den Selbstwiderspruch, w i r d i n den nach 1939 erschienenen staatsrechtlichen Aufsätzen und Büchern einfach konstatiert, es gebe mehrere Gesetzgeber 104 . Kein Grund wurde gefunden oder auch nur gesucht, für diese dem Postulat der Einheit der Führergewalt entgegengesetzte Vielheit der Gesetzgebungsgewalt. Gelegentlich, selten jedoch, trachtete allerdings auch noch jemand entgegen der herrschenden Meinung die Einheit der Gesetzgebungsgewalt, die Lehre von dem ,nur einen Gesetzgeber i m Deutschen Reich', aufrecht zu erhalten 1 0 5 , behauptete dazu apodiktisch: „Keinesfalls w i r d man sich damit einverstanden erklären können, daß die Verordnungen des Ministerrats für die Reichsverteidigung neben die Regierungsgesetze und die Reichstagsgesetze als weiterer Weg der ordentlichen Gesetzgebung gestellt werden 1 0 6 ." Dem Ministerrat sei vielmehr, gleich anderen Verwaltungsstellen, vom Reichsgesetzgeber nur ein Verordnungsrecht übertragen worden. Hier t r i t t also deutlich die Denkweise von der legislativen Delegation an die Exekutive hervor, eine Denkweise, die i m gewaltenteilenden Staat ihren Grund und Sinn erhält, aber i m F ü h r e r Staat* m i t seiner allumfassenden Einheit nicht paßt. A u f legislativer Delegation beruhe, so nahm freilich die überwiegende nationalsozialistische Gesetzeslehre an, die Gesetzgebungsgewalt des MfdR, usw. durchaus, allerdings auf einer Delegation, die diese Organe zu Gesetzgebern erhebe und nicht nur als Verwaltungsstelle einrichte 1 0 7 . Hitler, der delegierende Legislator, tat nichts, den Rechtscharakter seiner Delegation aufzuhellen: der BfdV wurde ermächtigt, Verordnungen, der MfdR und das ,Dreierkollegium', gesetzesgleiche Verordnungen zu erlassen 108 . 2. Der Rang des MfdR usw. als Gesetzgeber, oder als Gesetzgeber ohne Gesetzgebungsbefugnis oder nur als Verordnungsgeber, läßt sich aus den ermächtigenden Akten Hitlers nicht erklären, und aus den knappen apodiktischen Behauptungen der nationalsozialistischen Staatsrechtslehre auch nicht. Es bleibt dann nur, diesen Rang durch Induktion 104 v g l . beispielsweise: Scheuner, Die deutsche Staaitsführung i m Kriege, a.a.O., S. 25, S. 33 ff.; E. R. Huber, Reichsgewalt u n d Reichsführung i m Kriege, a.a.O.; Dahm, Deutsches Recht, a.a.O., S. 233. los ζ. β . Rosen-v. Hoewel, Fragen der Gesetzessystematik u n d Gesetzestechnik, i n : R Verw.Bl., Bd.Ö9 (1942), S. 243 ff. loo a.a.O., S.244. io? v g l . statt anderer: E. R. Huber, Reichsgewalt u n d Reichsführung i m Kriege, a.a.O., S. 571. Wie bei Huber w i r d auch bei den anderen die legislative Delegation stets n u r erwähnt, nie aus einem Verfassungssystem heraus begründet. los so die Führer-Verordnung v o m 18. IQ. 1936 bzw. der Führer-Erlaß vom 39T 8.1939,

4.1. Entstehungsverfahren (Entstehungsbeteiligte)

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zu bestimmen, also aus der Weise ihrer Tätigkeit auf den Rang des MfdR usw. zu schließen 109 . Die Initiative stand ihnen v o l l und ganz zu, ihre Willensbildung geschah ungehindert — jedenfalls sind keine institutionellen Schranken bekannt. Das dritte, neben freier Initiative und Willensbildung bzw. -Verwirklichung, zum Gesetzgeber gehörende Essential, die oberste, nicht weiter ableitbare Macht aber, wollte keiner der nationalsozialistischen Staatsrechtler dem MfdR, dem ,Dreierkollegium' und dem BfdV zugestehen. Bei deren Verordnungen handele es sich, so wurde i n gleichen oder ähnlichen Worten argumentiert, „ u m Rechtsetzungsakte einer ihm (dem Führer) nachgeordneten Stelle" 1 1 0 . Freilich leitete der eine aus diesem Argument die Eigenschaft des MfdR usw. als Exekutivorgane, der andere als Legislativorgane her. Der eine wie der andere kam zu seinen Ergebnissen, indem er Begriffe, Gedanken und Systeme des gewaltengeteilten Staates auf den ,Führer-Staat' zu übertragen versuchte. I m gewaltengeteilten Staat leitet der Gesetzgeber seine Gesetzgebungsmacht ebenfalls ab, vom Träger sämtlicher Staatsorgane nämlich. Dieser kann — direkt oder über einen dazwischengeschalteten Verfassungsgeber — Gesetzgeber schaffen — wobei Verfassungsakte und Gesetze durchaus vom gleichen Organ auszugehen vermögen. Ein solches System folgerichtig auf den nationalsozialistischen Staat übertragen, bedeutete: der Führer ist Verfassungsgeber und Gesetzgeber, eine Stellung, die i h m tatsächlich auch niemand bestritt. Nur: das Theorem der Einheit gebot, keinesfalls den Verfassungsgeber vom Gesetzgeber (formell) zu scheiden, das wäre einer von den Vertretern nationalsozialistischer Rechtsvorstellung sonst stets geschmähten Fiktion gleich109 M i t diesem methodischen Vorgehen w i r d nicht etwa — w i e es scheinen könnte — die aufgestellte Definition des formellen nationalsozialistischen Gesetzesbegriffs, ,Gesetz ist das, was von den f ü r Gesetzgebung zuständigen Stellen vorgenommen w i r d ' , hinfällig, genauer: i n i h r Gegenteil verkehrt. Es soll eben nicht von einem feststehenden Begriff des Gesetzes auf den Gesetzgeber geschlossen werden, es sollen w i e l m e h r aus der Weise der Tätigkeit des MfdR, usw. bestimmte Einzelmerkmale herausgestellt werden, aus denen sich möglicherweise i h r Rang als Gesetzgeber herleiten läßt. Das erfordert allerdings, die i n d u k t i v e Methode umzukehren, das Ergebnis (im konkreten F a l l : den Begriff des Gesetzgebers) vorauszusetzen, u n d davon ausgehend dann Tatsachen zu suchen, aus denen dieses Ergebnis hergeleitet werden kann. E i n abstrakter, allgemeingültiger Begriff des Gesetzgebers findet sich i m nationalsozialistischen Staatsrecht nicht, i m m e r h i n läßt sich, w e n n auch nirgends ausführlich gekennzeichnet, ein (offener) Typus aufzeigen. Auch i h n prägen, w i e so viele Begriffe des NS-Staatsrechts, Vorstellungen des liberalen Rechtsstaates. A l s Gesetzgeber gilt, w e r f ü r alle, oder bestimmte, gegen andere Gesetzgeber abgegrenzte Gebiete des staatlichen Zusammenlebens Gebote oberster Macht erlassen kann, w e r außerdem i n seiner W i l lensbildung niemandem unterstellt ist, w e m also auch die I n i t i a t i v e zusteht und schließlich, w e r seinen Willensentschluß auch frei verwirklichen kann, " o Rosen-v. Hoewel, a.a.O., S, 264.

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gekommen. Die durchaus mögliche Theorie, der Führer als Verfassungsgeber schaffe neben dem Führer als Gesetzgeber andere Gesetzgeber, entstand deshalb nicht. Das Theorem der Einheit forderte, eine legislative Delegation des Führers schlechthin (ohne Scheidung des Verfassungsgebers vom Gesetzgeber) anzunehmen und zeitigte damit höchst verwirrende Ergebnisse: den ,Verordnungen' des MfdR usw. kam nicht nur die K r a f t zu, mediale und direkte Führer-Gesetze abzuändern 111 , sie brauchten auch „vor der »Verfassung' des Reiches nicht unbedingt Halt zu machen" 1 1 2 . I m Führer-Einheits-Staat gab es demnach nicht nur mehrere Gesetzgeber, sogar mehrere Verfassungsgeber teilten sich die Macht! Obgleich niemand zwischen dem Führer-Verfassungsgeber und dem Führer-Gesetzgeber unterschied, konstruierten die meisten nationalsozialistischen Staatsrechtler mittels legislativer Delegation mehrere Gesetzgeber — wenn auch bei legislativer Delegation die Gewalt des Delegierten nur noch eine abgeleitete ist, das dritte Essential des Gesetzgebers, die oberste Gesetzgebungsmacht, bei dieser Konstruktion also gar nicht vorliegt. Dennoch: Gesetzgeber sollten der MfdR usw. sein, ihre Verordnungen' allerdings nur ,materielle', aber keine formellen Gesetze 118 . 3. Dreien — dem MfdR, dem ,Dreierkollegium' und dem BfdV — und einem — dem Führer — kam also i m nationalsozialistischen Staat der Rang des Gesetzgebers zu; ob der Rang ihrer Gesetze, Erlasse und Verordnungen aber gleich oder unterschieden, in welcher Reihenfolge sie standen, läßt sich damit noch nicht sagen, denn dem anerkannten Vorrang des Führers widerspricht der gleichzeitig abgelehnte Bestandsvorrang der direkten Führer-Gesetze. Die meisten der nationalsozialistischen Staatsrechtler fanden die Antwort, indem sie folgerten, was sie zuerst postulierten: Regierungs-, Reichstags- und Volksgesetzgebung, Führer-Erlaß und -Verordnimg entstammten alle dem Willen des Führers, also seinen jedenfalls mediale und direkte Führer-Gesetze m Ganz h. M.; vgl. E . R . H u b e r , a.a.O., S. 571 ff. Bzgl. der Verordnungen des B f d V ausführlich Zinser, a.a.O., S. 213 f. Beispiele f ü r solche gegenseitige Abänderungen aus der Gesetzgebung bringen allerdings die staatsrechtlichen Abhandlungen nie. Solche Beispiele zu finden ist deswegen schwer, w e i l i n der NS-Gesetzgebung die durch ein neues Gesetz möglicherweise geänderten bestehenden Vorschriften nicht erwähnt werden, u n d auch „ a n der Fasssimg der abgeänderten Bestimmung nichts geändert w i r d " . (Rosen-v. Hoewel, a.a.O., S. 244.) Rosen-v. Hoewels ebenda geübte K r i t i k an dieser Methode der NS-Gesetzgebung zeigt die verfahrene Lage, i n die das Durcheinander der Zuständigkeiten den Gesetzesanwendenden brachte: es ist „heute (1942) bei manchen Rechtsvorschriften infolge mehrfacher Änderungen u n d Ergänzungen m i t u n t e r nicht mehr möglich festzustellen, welche Bestimmungen noch i n Geltung sind u n d welche Fassung ihnen zukommt". 112 Wacke, a.a.O., S. 290. na Z u dieser Unterscheidung s. u. S. 128 f.

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gleich 1 1 4 ; es sollen aber auch die „Anordnungen (des BfdV, des MfdR und des ,Dreierkollegiums') nach dem Willen des Führers seinen eigenen Weisungen gleichgestellt werden" 1 1 5 ; demnach standen i n gleicher Reihe: mediale und direkte Führer-Gesetze und die Verordnungen' der drei anderen Gesetzgeber. Sollte dieses verwunderliche Ergebnis nicht die Grundsätze des ,Führer-Staates' sprengen, dann mußte der Führer wenigstens gleicher sein als die anderen Gleichen: „Aber auch bei . . . gleichem Range würde der Führererlaß, da die gesamte gesetzgebende Gewalt vom Führer ausgeht und daher der Führererlaß gewissermaßen die reinste Form der heutigen Rechtsetzung darstellt, i n der systematischen Darstellung der Rechtsquellen an erster Stelle zu nennen sein 1 1 6 ." Der Unterschied zwischen gesetzgebender Gewalt und der Gewalt, zur Gesetzgebung zu ermächtigen, bleibt auch hier verschwommen, w i r d undeutlich gespürt, keinesfalls klar gesehen. Letztlich verschwanden jedoch i n der Theorie des nationalsozialistischen Staatsrechts auch solche Ansätze zur Unterscheidung i m m e r 1 1 7 : es standen i n gleichem Rang und gleicher Reihe (die einzigen als Gesetz bezeichneten) Regierungs- und Reichstagsgesetze, die Führer-Erlasse und -Verordnungen und die Verordnungen der drei anderen Gesetzgeber.

4.2. Erscheinungsform 4.2.1. Terminologisches oder: Gesetz ist, was so heißt; aber: was so heißt, ist vielleicht Verordnung Die Form (nicht die Frage des ,ob überhaupt') der Promulgation und der Publikation, der Ausfertigung und der Verkündung, der Uber- und Unterschriften, der Einleitungs- und Schlußworte, das zählt zur Erscheinungsform des Gesetzes. Ende des streng geregelten ,Weges der Gesetzgebung', Bestandteil des Gesetzesbegriffs des gewaltengeteilten Staates und bezeichnende Wendung gegen das Belieben des absoluten Herr-

114 So beispielsweise Wacke, a.a.O., S. 281 f. us Scheuner, a.a.O., S.36. ne Wacke, a.a.O., S. 280. Wenn Wacke an dieser Stelle den K o n j u n k t i v wählt, ist dies ganz mißverständlich. Aus dem K o n t e x t egibt sich nämlich klar, daß er von einer Ranggleichheit ausgeht. h 7 Vgl. dazu noch W.Weber, Führererlaß u n d Führerverordnung, i n : ZStW, Bd. 102 (1942), S. 135 f. Auch Weber entdeckt unter den FührerGesetzen Erlasse, die allen anderen Gesetzen überlegen sind. „Es ist das die Überlegenheit des Verfassungsrechts gegenüber dem einfachen Gesetzesrecht, . . D o c h dann zwingt i h n das Theorem der Einheit wieder zu dem Ergebnis: „Dieser Vorrang schließt freilich die spätere Ergänzung, Durchbrechung, Änderung oder Aufhebung des Führererlasses durch Regierungsgesetz (und Ministerratsverordnung) nicht aus." (a.a.O., S. 136.)

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schers auch in der äußeren Form der Gesetzgebung, dient sie dazu, ad oculus das Gesetz als solches kenntlich zu machen. Verkürzt und i m bekannten Schlagwort gesprochen: Gesetz ist, was so heißt. Doch darf dies nicht als plattes nominalistisches Denken mißverstanden werden, seine Erscheinungsform kennzeichnet das Gesetz nur äußerlich, ausgezeichnet dagegen wurde es i m gewaltengeteilten konstitutionellen oder parlamentarischen Staat durch das Bewußtsein: „Die oberste A r t von Staatswillen ist die, so da unter dem Namen Gesetz ausgesprochen w i r d 1 1 8 . " Andere Zeiten, andere staatliche Herrschaftsweisen kannten nicht nur andere Namen, sie kannten vor allem vielerlei Namen für die ,oberste A r t von Staatswillen 4 , beispielsweise der Absolutismus Verordnung, Mandat, Patent, Publikandum, Deklaration usw. 2. I m nationalsozialistischen Staat zeigt sich ähnliche Vielfalt. Zwar werden Form und Formeln für Ausfertigung und Verkündung, für Über- und Unterschriften meist aus dem nach-absolutistischen Staatsrecht übernommen, aber ein eindeutig festgelegtes Erscheinungsbild des Gesetzes besteht nicht mehr, beliebig veränderte Formen, bewußt gesprengte Regeln gehören i m NS-Staat auch zum äußeren Erscheinungsbild. Insbesondere der Namen für staatliche Gebote höchsten Ranges wechselt, neben Gesetz t r i t t als Bezeichnimg auch Verordnung und Erlaß 1 1 9 . Gesetz, Verordnung und Erlaß kennzeichnen i m gewaltengeteilten Staat Gebote verschiedener getrennter Gewalten, stehen i n bestimmtem Bezug zueinander, gelten darum als klar festgelegte, ,besetzte' Begriffe. Entfiel die Gewaltentrennung, wurde der Staat als Einheits-Staat organisiert, entfiel folgerichtig auch die Notwendigkeit, Gebote der einen staatlichen Gewalt verschieden zu benennen, brach vor allem auch der Bezug, in dem Gesetz, Verordnung und Erlaß vorher standen, ns O.Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, 3. Aufl. München und Leipzig 1924, S. 64. 119 Allerdings konnte aiuch der NS-Gesetzgeber auf die äußere Form beim Gesetz nicht verzichten. Doch ob oder w a r u m die Ausfertigung des Gesetzes durch den ,Führer' oder den »Führer u n d Reichskanzler' erfolgte, ob oder w a r u m Präambeln zur Einleitung gehörten oder nicht, ob oder w a r u m eine Kontrasignatur vorgenommen wurde, v o m Chef der Reichskanzlei allein oder von anderen Ministern, das w a r keine Frage festgelegter Form, sondern feststellbaren, aber k a u m oder gar nicht erklärbaren Beliebens. (Versuche solcher Erklärung s. bei Wacke, a.a.O., S. 291 ff.) D a r u m soll hier keine Darstellung dieser Erscheinungsformen des Gesetzes gegeben werden. Wenn i m folgenden vielmehr n u r der eine zum äußeren B i l d des Gesetzes gehörende Bestandteil, der der Bezeichnung, der T e r m i n i Gesetz, Verordnung, Erlaß erörtert w i r d , dann nicht, w e i l der bloßen Terminologie Bedeutung zukäme, sondern w e i l m i t dem Versuch, diese Terminologie zu deuten, die Darstellung des entscheidenden Teils des nationalsozialistischen formalen Gesetzesbegriffs, des Entstehungsverfahrens, genauer: der Entstehungsbeteiligten, ergänzt werden k a n n u n d muß.

4.2. Erscheinungsform

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g a l t k e i n V o r r a n g des Gesetzes m e h r 1 2 0 . A l l e obersten staatlichen Gebote m u ß t e n i m ,Führer-Staat* B e f e h l e des F ü h r e r s sein, q u a l i t a t i v n i c h t unterschieden, höchstens q u a n t i t a t i v , j e n a c h G e l t u n g f ü r den E i n z e l f a l l oder f ü r eine a b s t r a k t generelle O r d n u n g . I n diesem S i n n e spricht beispielsweise R ö t t g e n v o m F ü h r e r b e f e h l , teilt i h n lediglich nach A r t u n d U m f a n g der getroffenen A n o r d n u n g i n u n t e r s c h i e d l i c h b e n a n n t e , aber g l e i c h r a n g i g e „ F o r m e n " auf, i n die F o r m e n Gesetz, F ü h r e r - V e r o r d n u n g u n d F ü h r e r - E r l a ß 1 2 1 . A n d e r e d a gegen k e n n e n — n a c h d e m sie z u v o r d e n F ü h r e r u n e i n g e s c h r ä n k t z u m I n h a b e r d e r Gesetzgebungsgewalt e r k l ä r t e n — gesetzesabhängige F ü h r e r · V e r o r d n u n g e n 1 2 2 . I n diesem N e b e n e i n a n d e r z w e i e r v ö l l i g verschiedener D e n k w e i s e n — d e r einen, die a l t e B e g r i f f e ohne a l t e n I n h a l t (Gesetz, V e r o r d n i m g , E r l a ß g e l t e n als s y n o n y m e T e r m i n i f ü r staatliche Gebote obersten Ranges) u n d d e r anderen, d i e a l t e B e g r i f f e mit a l t e m I n h a l t ( V o r r a n g des Gesetzes v o r V e r o r d n u n g u n d Erlaß) a u f e i n neues S y s t e m staatlicher H e r r s c h a f t a p p l i z i e r t e n — l i e g t U r s p r u n g u n d A n f a n g 120 Die Begriffe Verordnung u n d Erlaß u n d die Frage nach ihrem Bezug zum Gesetz treten innerhalb des NS-Staates i n zwei Bereichen auf, die deutlich auseiniandergehalten werden müssen: einmal bei den Gesetzgebern »Führer', BfdV, M f d R u n d ,Dreierkollegium', zum anderen bei den diesen Gesetzgebern nachgeordneten Verwaltungsstellen (deren Spitzen allerdings teilweise m i t den Mitgliedern des BfdV, M f d R u n d ,Dreierkollegiums' identisch waren). I m folgenden werden die Begriffe Verordnung u n d Erlaß u n d i h r Bezug zum Gesetz lediglich i m ersten der beiden Bereiche erörtert. F ü r die nachgeordnete (herkömmliche) V e r w a l t u n g galt i m NS-Staat weitgehend der Grundsatz des Vorranges des Gesetzes bzw. der gesetzesgleichen E n t scheide. Z w a r wurde das Erfordernis des Vorbehalts des Gesetzes gelockert, insbesondere durch die Lehre v o n der ,Rechtmäßigkeit' der V e r w a l t u n g (vgl. dazu: Maunz, Neue Grundlagen des Verwaltungsrechts, H a m b u r g 1934, S. 33 ff. ; E. R. Huber, Verfassungsrecht, a.a.O., S. 274 f.), praktisch auch durch einen i n vielen Gesetzen eingeräumten weiten Ermessensspielraum. Aber stets w a r es „selbstverständlich, daß die Verwaltungsbehörden bei ihrer Tätigkeit an die Führergesetze (und an die gesetzesgleichen Entscheide der anderen Gesetzgeber) gebunden sind". (E. R. Huber, a.a.O.) Die Rangfolge von Gesetz bzw. gesetzesgleichen Entscheiden u n d Rechtsverordnungen, Verwaltungsverordnungen u n d Anordnungen (zu den Anordnungen, den »motorisierten Verordnungen', vgl. Emig, a.a.O.), die i n aller Regel einer legislativen Ermächtigung bedurften, blieb also i m Bereich der herkömmlichen V e r w a l t u n g gewahrt (vgl. Röttgen, Deutsche Verwaltung, B e r l i n 1944, S. 16 ff.). Allerdings wurde der Vorrang des Gesetzes auch i m Bereich der herkömmlichen V e r w a l t u n g ausgehöhlt, nicht formal, aber praktisch. V o m A n fang des NS-Staates an ergingen Gesetze, deren Vorrang an W i r k i m g verlor, w e i l sie Verordnungen nicht niur m i t gesetzesergänzenden, sondern auch m i t gesetzesabweichendem I n h a l t zuließen (vgl. f ü r die Jahre 1933/34 PoetzschHeffter, u.a., a.a.O. [1935], S.74). U n d von Anfang des NS-Staates an zerstörten andere Gesetze ihren formalen Vorrang, indem bei ihnen — den sogenamnten Rahmen- oder Ermächtigungsgesetzen — der Bestimmtheitsgrundsatz bewußt vernachlässigt w u r d e (Beispiele solcher Gesetze bei Ch. Dieckmann, a.a.O., S. 54 f.). 121 V o m Deutschen Staatsleben, a.a.O., S. 145 ff. 122 E. R. Huber, Verfassungsrecht, a.a.O., S. 254 ff.

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der terminologischen Wirrnis i m nationalsozialistischen Gesetzesbegriff. Genauer gesagt, nicht die Denkweisen der Staatsrechtslehre, die W i r k lichkeit der Gesetzgebung schuf das Durcheinander. Die Lehre folgte, wie meist, nur der Wirklichkeit; alle Versuche der Lehre, der Wirklichkeit Sinn und System abzugewinnen, gerieten freilich entweder zur bloßen Beschreibung und verstießen dann gegen allerlei Postulate des Führer-Staates, oder aber gelang ein widerspruchsfreies theoretisches System — unter eigenartigen (Miß-)Deutungen der Wirklichkeit. 3. V o l l Eifer wandte die NS-Staatsrechtslehre sich gegen den formellen Gesetzesbegriff des parlamentarischen Gesetzgebungsstaates, ,alles was i m Wege der Gesetzgebung zustande kommt, ist Gesetz4 — zugleich benützte sie i h n uneingeschränkt weiter. Die Verordnungen des MfdR seien Verordnungen und keine Gesetze, so folgert beispielsweise Scheuner, weil sie „nicht i m Gesetzesverfahren" ergingen 123 , ähnlich sind für E. R. Huber diese Verordnungen „ f o r m e l l . . . nur sekundäre Rechtsgebote" 124 , und Heckel kennt gar i n bester Tradition des parlamentarischen Gesetzgebungsstaates die Möglichkeit, bestimmten Akten „durch die Einkleidung (!) als Gesetz eine besondere formale Würde" zu verleihen 1 2 5 . Dabei hatte E. R. Huber selbst allen Sinn einer Unterscheidung von formellem und materiellem Gesetzesbegriff i m nationalsozialistischen Staatsrecht totgesagt 126 , und auch für Heckel stellte Gesetz ein „Gebot obersten Ranges" dar, dessen „Beziehung zum Recht" — und nicht zur bloßen Form — „ i h m eine eigentümliche Weihe gibt"127. Solche Widersprüche spiegeln beispielhaft für die gesamte nationalsozialistische Staatsrechtslehre einen Widerspruch, der i n der Funktion des nationalsozialistischen qualitativ-materialen Gesetzesbegriffs angelegt ist: dazu geschaffen, eine pure Legalität, die auch bloßes Belieben m i t der Form des Gesetzes ausstattete, zu kaschieren, m i t allerlei ,Weihen des Rechts' zu verbrämen, mußte dieser materielle Gesetzesbegriff völlig imbestimmt geraten. Was »Entfaltungen der völkischen Lebensordnung', des »rechtlichen Willens der Nation' usw. seien, das verlangte schon u m der „Praktikabilität w i l l e n nach der Evidenz i m Gesetz" 128 , w i l l sagen: was i m Gesetz evident geworden, das läßt sich dann als ,Entfaltung der völkischen Lebensordnung' usw. bezeichnen, oder auch: der materielle Begriff des Gesetzes folgt dem formellen.

123 124 125 126 127 128

Die deutsche Staatsführung i m Kriege, a.a.O., S. 36. Reichsgewalt u n d Reichsführung, a.a.O., S. 571. Wehrverfassung u n d Wehrrecht, a.a.O., S.329f. Verfassungsrecht, a.a.O., S. 245 ff. a.a.O., S. 325. Köttgen, a.a.O., S. 142.

4.2. Erscheinungsform

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4. Demnach scheint Gesetz — ähnlich wie i n einem extrem parlamentarischen Gesetzgebungsstaat — zur formalen Legalität verflacht, tatsächlich veräußerlichte es i m NS-Staat noch weiter zum bloßen Terminus, zum Wort, das zweifachem Zufall entsprang: dem Zufall, ob das Organ, das einen bestimmten staatlichen A k t erließ, Gesetzgeber' hieß und dem Zufall, ob Hitler dieses Organ einschaltete, denn das war „an sich völlig i n das Belieben des Führers gestellt" 1 2 9 . Gesetzgeber, dies galt einhellig i m nationalsozialistischen Staatsrecht, w a r nur der Führer, ,Gesetz'-Geber, dies galt ebenso einhellig, waren lediglich Regierung, Reichstag und Volk. Differenzierter betrachtet: Hitler stand alle Gesetzgebungsgewalt zu — Gesetz verstanden als das staatliche Gebot obersten Ranges, wobei dieses Gebot jedoch Gesetz, Verordnimg oder Erlaß genannt werden konnte; Regierung, Reichstag und Volk dienten als Medien der Gesetzgebungsgewalt des Führers, und nur die von diesen drei Medien ausgehenden Akte trugen speziell den Namen Gesetz. Bis zum Beginn der direkten Führer-Gesetzgebung entstand aus der Trennung von Gesetzgeber und Medien der Gesetzgebung keine Begriffswirrnis, da die von den verschiedenen Medien ausgehenden Akte einheitlich Gesetz genannt wurden und da weiterhin einzig die drei Medien Regierung, Reichstag und Volk staatliche Gebote obersten Ranges verabschieden konnten. Erst die direkte Führer-Gesetzgebung brachte das Begriffsdurcheinander: die ,oberste A r t von Staatswillen' konnte nun unter verschiedenen Namen ausgesprochen werden, Gesetz war nur noch das, was so hieß. Doch der Titel Gesetz, alleräußerlichstes Kennzeichen auch des Gesetzes i m parlamentarischen Gesetzgebungsstaat, verwies nicht mehr zuvorderst auf Rang und Würde eines staatlichen Gebots, er verwies zunächst einmal lediglich auf die erlassenden Organe. 5. Der Rang, der Vorrang des Gesetzes insbesondere, schien verflüchtigt, wenn nur noch der „freie Entschluß des Führers . . . darüber befindet, ob die Rechtsetzung i m Wege der Gesetzgebung oder i m Wege des gesetzesgleichen Entscheids vorgenommen werden soll" 1 3 0 . Tatsächlich aber bleibt, obwohl die nationalsozialistische Staatsrechtslehre der Vielzahl gleichwirkender, gleichrangiger oberster staatlicher Gebote mit neuen Rechtsquellentheorien hätte folgen müssen, die Diktion dieser Lehre tief geprägt von der (unbewußten) Vorstellung des »eigentlichen', nicht tatsächlichen, aber qualitativen Vorranges des Gesetzes. Meist verdeutlicht sich diese Diktion erst im Kontext 1 3 1 , klar zeigt sie sich beispielsweise bei W. Weber, der die „Frage nach dem Verhältnis (der Führer-Erlasse) zur eigentlichen (!) Reichsgesetzgebung" " β Köttgen, a.a.O., S. 148. Ganz h. M., vgl. noch E. R. Huber, Verfassungsrecht, a.a.O., S. 253. 130 E. R. Huber, ebenda. 131 Vgl. beispielsweise Fußnoten 123 u n d 124 oben S. 124.

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damit beantwortet, daß der „rechtsetzende Führererlaß selbständig und mit nicht geringerem Rang neben dem Reichsgesetz stehe" 1 3 2 . Zwar verrät diese Diktion das Verharren der Staatsrechtslehre i n hergebrachten Denkweisen, ihren Unwillen oder ihre Unfähigkeit, neue Begriffe mitsamt neuem Inhalt zu schaffen, ihr Bestreben, die veränderte Wirklichkeit des ,Führer-Staates 4 vom überkommenen System des gewaltengeteilten Staates her zu erklären, aber auch die Praxis der Gesetzgebung selbst unterstützte solche Neigungen. Obwohl nämlich „schon i m Jahre 1934 und vollends 1935 . . . sich die Erkenntnis durchgesetzt (hatte), daß Regierungs- und Reichstagsgesetze i n Wahrheit Ausdrucksformen der Führerrechtsetzung geworden seien" 1 3 3 , erließ Hitler noch längere Zeit — etwa bis 1940 — Verordnungen und Erlasse „auf Grund" eines Gesetzes, blieb also der Vorrang des Gesetzes zumindest formal gewahrt 1 3 4 . Daneben erschienen dann — beginnend mit der Verordnung zur Durchführung des Vier jahresplanes vom 18.10.1936 — die auch äußerlich von keinem Gesetz mehr abhängigen Führer-Verordnungen und Führer-Erlasse. Verordnung bedeutet demnach hinfort: Begriff mit hergebrachtem Bezug zum Gesetz und: Begriff mit neuem Sinn; nicht mehr alles, was Verordnung hieß, konnte deshalb auch Verordnung sein. E. R. Huber leitete als erster aus diesem BegriffsDualismus eine ,Zwei-Arten-Theorie' ab: „Verordnungen (oder Erlasse) des Führers können als »abhängige4 oder als selbständige' Führerverordnungen ergehen. Abhängige Führerverordnungen ergehen auf der Grundlage eines Gesetzes, zu dessen Ergänzung oder Durchführung sie dienen . . . Selbständige Führerverordnungen ergehen an der Stelle eines Gesetzes 135 ." Ganz i m Denken des Konstitutionalismus verfangen ist J. Heckel, der — wirklichkeitsgetreu — ebenfalls zwei Arten von Führer-Verordnungen unterscheidet, die »übergesetzlichen' und die ,gesetzesgebundenen'136. Der Vorrang des Gesetzes bleibe i m nationalsozialistischen Staatsrecht gewahrt, lediglich Ausnahmesituationen w ü r den mit gesetzesunabhängigen Maßnahmen, eben den »übergesetzlichen' 132 Führererlaß u n d Führerverordnung, a.a.O., S. 128, S. 134. Z w a r sagt W. Weber an anderer Stelle, der Führer-Erlaß derogiere das Gesetz, aber das angeführte Zitat zeigt doch eine Denk- u n d Sprachweise, der die V o r stellung v o m obersten Rang des Gesetzes, dem der Führer-Erlaß n u r gleichkomme, deutlich wird. 133 w . Weber, a.a.O., S. 133. 134 Das allmähliche Verwischen der Grenzen zwischen Gesetz u n d Verordnung, die „Wendung", die dadurch eintrat, „daß die Verordnungen u n d Erlasse des Führers i n der Sache i m m e r stärker ihre »Gesetzesgebundenheit 4 abstreiften, obwohl sie sie äußerlich noch zur Schau trugen", schildert anschaulich W. Weber, a.a.O., S. 132 ff. 135 Verfassungsrecht, a.a.O., S. 251 ff.

136 Wehrverfassung und Wehrrecht, a.a.O., S. 340 ff.

4.2. Erscheinungsform

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Verordnungen des Führers gemeistert. Diesen — entweder bloß registrierenden oder höchst unzulänglich erklärenden — Adepten der Wirklichkeit treten Scheuner und W. Weber entgegen 137 : Der Führer bedürfe, um ,Hecht zu setzen', nicht der Ermächtigung durch ein Gesetz. Eine solche Annahme brächte eine „zweistufige Regelung desselben Gegenstandes durch den Führer, nämlich i n einem Reichsgesetz und der dazu ergehenden Durchführungsverordnung zugleich" 1 3 8 . Tatsächlich sei des Führers „Rechtsetzungsgewalt i n jedem Falle (ob Gesetz oder Führer-Verordnung) eine ursprüngliche" 1 3 9 . Eine solche Vorstellung vom qualitativ gleichartigen Führerbefehl, entspricht zwar dem Staatsaufbau des gewaltengeeinten Staates, widerspricht aber zugleich einer Wirklichkeit, i n der allenthalben Führer-Verordnungen sich als Durchführungsverordnungen zu Gesetzen bezeichneten. Scheuner und W. Weber deuten diesen Widerspruch von Theorie und Praxis m i t redaktionellem Ungeschick: auch wenn bei einer Führer-Verordnung i n der Einleitungsformel ausdrücklich erklärt werde, sie ergehe ,auf Grund' eines Gesetzes, so sei tatsächlich gemeint, sie stehe m i t einem Gesetz i n Zusammenhang, sei ,gesetzesbezogen' (W. Weber). E. R. Huber bleibt demgegenüber auch noch 1941 bei seiner Einteilung: bei den „höchst persönlichen Rechtsetzungsakten, die der Führer vornimmt", seien die „selbständigen und die gesetzesabhängigen" zu unterscheiden. Der Begriff der Verordnung werde „jetzt den gesetzesabhängigen Führerakten vorbehalten, so daß nunmehr alle Führerverordnungen als Rechtsgebot zweiten Ranges erscheinen" 140 . M i t dieser Aufteilung stellt sich nun umgekehrt E. R. Huber gegen die Wirklichkeit, denn etwa seit 1941 erläßt Hitler keine Verordnungen mehr, die nach eigener Formulierung ,auf Grund' eines Gesetzes ergangen sein sollen 141 . Dafür weiß E. R. Huber allerdings eine Erklärung: bei den „gesetzesabhängigen Führerverordnungen (wird) gelegentlich die Bezugnahme auf die gesetzliche Grundlage unterlassen" 142 . Beispiele solcher Unterlassung seien die Führer-Verordnungen über Stiftung von Orden und Ehrenzeichen, die sich eigentlich auf das Gesetz über Titel, Orden und Ehrenzeichen beziehen müßten.

137 Scheuner, a.a.O., S. 34; W. Weber, a.a.O., S. 112 ff. 138 w . Weber, a.a.O., S. 112. 139 a.a.O., S. 118. 1 4 0 Reichegewalt u n d Reichsführung i m Kriege, a.a.O., S. 550. 141 Allerdings ergehen stattdessen gelegentlich — nicht minder dem A x i o m der allseitigen Gesetzgebungsgewalt des Führers widersprechend — Führer(Durchführungs-)Verordnungen zu Führer-Verordnungen bzw. F ü h r e r - E r lassen (z.B. Durchführungsverordnung z u m Erlaß über die Bestellung eines Reichsministers für Bewaffnimg u n d M u n i t i o n v o m 20. 3.1940; R G B l I, S. 514).

a.a.O., S. 5 .

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Abgesehen von dem dürftigen Hinweis, auch wenn sich die FührerVerordnungen nicht auf ein Gesetz bezögen, stillschweigend täten sie es doch, beobachtet E. R. Huber 1941 eines richtig: Stiftungen von Orden oder Ehrenzeichen ergehen als Führer-Verordnungen, die meisten anderen Führerakte als Erlaß. Damit ordnet sich bei den direkten Führerakten das Bezeichnungsdurcheinander, — wenngleich nicht gänzlich —, das dadurch entstand, daß „ohne immer erkennbaren Sinn ,Erlasse' des Führers neben seinen »Verordnungen' i n Erscheinung treten" 1 4 3 . I m allgemeinen werden — etwa seit 1939/40 — die direkten Führerakte zum Staatsaufbau (die rein organisatorischen wie die »verfassungsrechtlichen') und zum Städtebau Erlaß betitelt, die zur Stiftung von Orden und Ehrenzeichen und die i m militärischen Bereich Verordnung. Doch auch hier sträubte Hitler sich gegen Regelmäßigkeit und Folgerichtigkeit: Ergänzungen zu Führer-Erlassen werden meist Verordnung genannt, gelegentlich jedoch Erlaß 1 4 4 ; auch die Stiftung von Orden und Ehrenzeichen konnte durch Erlaß geschehen 145 . 6. Das Durcheinander von Name und Rang, von Eigenbenennung und Fremddeutung, von Theorie und Praxis bei Gesetz, Verordnung und Erlaß vermochte die nationalsozialistische Staatsrechtslehre nicht zu ordnen, so aufeinander zu beziehen, daß die Wirklichkeit und die Postulate des ,Führer-Staates' übereinstimmten. Allgemein bestand die Neigung, die Wirrnis nicht aufzulösen, sie vielmehr unter einem Schlagwort zusammenzufassen. Dazu wurde, gemäß dem heftig geschmähten Vorbild des parlamentarischen Gesetzgebungsstaates, der formelle vom materiellen Gesetzesbegriff getrennt. Freilich verkehrte sich diese Unterscheidung i n ihr Gegenteil: bedeutete sie ursprünglich, neben formell-materiellen Gesetzen könnten auch nur-formelle ergehen, so besagte sie jetzt, außer formell-materiellen Gesetzen (den medialen Führer-Gesetzen) gebe es auch (und sogar hauptsächlich) nur-materielle Gesetze. I h r formeller Unterschied zu den formell-materiellen Gesetzen bestand nur darin, nicht von den sogenannten ,Gesetz-Gebern — deren Titel Residuen des Weimarer Staates waren — erlassen worden zu sein. ,Materielles Gesetz' wies nicht wie bisher auf bestimmte qualitative Merkmale, es wies — höchst formal — auf die erlassenden Organe, denen der Name fehlte, aber der Rang eines Gesetzgebers zukam. I n diesem Sinne wurde »materielles Gesetz' zum umfassenden Begriff für alle staatlichen Gebote obersten Ranges, 143 w . Weber, a.a.O., S. 102. So die unter Fußnote 141, S. 127 genannte Durchführungsverordnung zu einem Erlaß. Erlaß zur Durchführung eines Erlasses: R G B l I 1940, S. 803. 145 Hitlers letzter Erlaß ist der über die Stiftung des Ritterkreuzes des Eisernen Kreuzes m i t dem Goldenen Eichenlaub u n d Brillanten v o m 29.12. 1944 (RGBl I 1945, S. 11). 144

4.2. Erscheinungsform

129

die (Regierungs- und Reichstags-) Gesetze gerieten zum Unterfall des »materiellen Gesetzes4. Nicht nur die Regierungs- und Reichstagsgesetze oder die Führer-Verordnungen und Führer-Erlasse ließen sich auf den Begriff ,materielles Gesetz4 bringen, es ließen sich hierunter auch die Verordnungen des BfdV, MfdR und des ,Dreierkollegiums 4 stellen. Wenn allerdings gegenüber diesen Verordnungen, gleich wie bei den Führer-Verordnungen oder -Erlassen, den formellen (Regierungs- oder Reichstags-) Gesetzen in der Diktion der Lehre doch ,eigentlich 4 ein Vorrang, wenn auch nicht mehr i m Sinne des herkömmlichen Bezugssystems, vielmehr i m Sinne, Gesetz sei etwas anderes, ,höheres 4 — unter steter Betonung des gleichen Ranges und der gleichen K r a f t — zugewiesen wird, zeigt dies nur, wie gering durchdacht solche Ordnungsversuche der nationalsozialistischen Staatsrechtslehre waren. Dennoch erlaubt der tatsächlich vorhandene und auch von der Lehre — obwohl nicht sehr folgerichtig — anerkannte gleiche ,materielle 4 Rang der Gesetze der Regierung und des Reichstags, der Verordnungen und Erlasse Hitlers und der Verordnungen des BfdV, des MfdR und des ,Dreierkollegiums 4 , all diese Organe — verkürzt und einheitlich — Gesetzgeber zu nennen. 4.2.3. Die Publikation des Gesetzes, das ,Minimum von Form' Verschwand die Form des Gesetzes 146 immer mehr aus der nationalsozialistischen Rechtsvorstellung (genauer: aus der Wirklichkeit der Gesetzgebung), verengte sich die Bestimmung des Gesetzes immer mehr auf den Satz: man muß den (die) Gesetzgeber kennen, u m das Gesetz zu erkennen, zwang doch zugleich die Lehre (und Tatsache), der Wille des Führers äußere sich nicht nur i m Gesetz, das Gesetz von anderen — seien sie als gleichrangig, seien sie als niederrangiger angesehen — »Mitteln 4 des Führer-Willens, durch wenigstens formelle Kriterien, zumindest durch ein formelles K r i t e r i u m abzugrenzen 147 . Dieses formelle Kriterium, dieses „ M i n i m u m von Form 44 , auf das nicht verzichtet werden könne, „wenn nicht überhaupt das Gesetz als Erscheinungsform des Rechts zerstört werden soll 44 , das sollte die Verkündung, die Publikation des Gesetzes sein 148 . Das ergebe sich axis den „Erfahrungen einer langen abendländischen Geschichte 44149 ebenso wie aus dem dem „Rechts- und Gesetzesbegriff 44 eigenen „Sinn 4 4 1 5 0 . Gesetz steht i m folgenden allgemein f ü r »materielles 4 Gesetz i m Sinne der nationalsozialistischen Rechtsvorstellung. 147 v g l . dazu auch oben S. 22 ff. 148 E. R. Huber, Besprechung v o n W. Weber, Die Verkündung von Rechtsvorschriften, a.a.O., S. 336. 149 w . Weber, Die Verkündung von Rechtsvorschriften, a.a.O., S. 10. 150 Koellreutter Recht u n d Richter i n England u n d Deutschland, a a.O., S. 231. 9 Kirschenmann

Verordnung

MfdR

'Dreierkollegium'

Verordnung

BfdV

Gesetz

Orden- und Ehrenzeichen; Gesetzgebung im militärischen Bereich

Erscheinungsgebiet

nicht klar abgegrenzt;

nicht klar abgegrenzt;

wie bei MfdR

Zivile „Reichsverteidigung"

„Durchführung des Vierjahresplans"

Alle Gebiete staatlichen Handelns

Hauptsächlich: Staatsaufbau, Städteplanung,

Verordnung

Verordnung oder Erlaß des Führers

Eigenbezeichnung des 'materiellen'Gesetzes

. Die

medial über: Regierung Reichstag Volk

Der Führer direkt

Gesetzgebungs-Organ

4.2.2. Schaubild zur »materiellen* Gesetzgebung im NS-Staat

130

malen Qualitäten des Gesetzes

4.2. Erscheinungsform

131

2. Dieses Besinnen auf die Form w i r k t darum verwunderlich, w e i l nationalsozialistische Staatsrechtler, denen oft aus Form leichthin bloß Formales, damit Bedeutungsloses, geworden war, gerade bei der Verkündung den Wert der Form hochhielten, i h n nachdrücklich verteidigten. Das Besinnen auf die Form, sowie auch der Anlaß für einige nationalsozialistische Staatsrechtler, auf die Publikation des Gesetzes als unabdingbares ,Minimum von Form 4 hinzuweisen, erscheinen deshalb gesucht, deuten auf eine andere, unausgesprochene Absicht. Den Anlaß gab J. Heckeis i m Zusammenhang mit Kriegsmaßnahmen geäußerte Ansicht, für den „Führer und Obersten Befehlshaber der Wehrmacht (bestehe) kein Zwang zur ,öffentlichen 4 , d.h. an die Allgemeinheit gerichteten Verkündung 44 von Verordnungen 1 5 1 . Heckel bezog an anderer Stelle dann auch noch das Gesetz i n diese Absicht ein, machte jedoch deutlich, sie gelte nur für eine begrenzte A r t von Gesetzen, für ein „Staatsrecht i m Panzerschrank 44 wie Mobilmachungsbestimmungen und ähnliches 152 . Trotz dieser Einschränkung wurde an J. Heckel heftig K r i t i k geübt 1 5 3 . Dabei blieb er m i t seiner Ansicht, Gesetze bedürften nicht unbedingt der Publikation, weitgehend allein, sie fand nirgends einen Anklang, der die K r i t i k notwendig erscheinen ließ. Vielmehr behielten alle Vertreter nationalsozialistischer Rechtsanschauung die Verkündung (und die damit verbundene Benennung) als das (formelle) Merkmal des Gesetzesbegriffs, als das Merkmal, das das Gesetz von allen anderen ,Mitteln 4 des Führers unterscheide, bei — wenn auch meist eher als Selbstverständlichkeit erwähnend, w e i l von dem überkommenen, immer mehr verschwundenen ,Weg der Gesetzgebung4 als der einzige denknotwendig-selbstverständlich erachtete Bestandteil, der die Verbindlichkeit des Gesetzes gegenüber dem Gesetzesunterworfenen herstelle, selten so ausführlich erörternd wie E. R. Huber, Koellreutter, W. Weber 1 5 4 . Lediglich die gesetzesgleichen Entscheide sollten nach vereinzelt geäußerter Meinung auch dann verbindlich sein, wenn sie nicht veröffentlicht wurden 1 5 5 . Die wirkliche, aber nur versteckt ausgesprochene Absicht, die sich hinter dem Beharren auf der Publikation des Gesetzes verbirgt, deutet E. R. Huber an, wenn er ausführt, die Verkündung des Gesetzes habe 151

Wehrverfassung u n d Wehrrecht, a.a.O., S. 350. 152 Wehrrecht u n d Wehrmachtbeamtentum, i n : Die Heeresverwaltung, Bd. 6 (1941), S. 58. 153 v g l . die unter Fußnote 147—150, S. 129, genannten, insbesondere K o e l l reutter. 154 Siehe für die Zeit nach der Diskussion u m Heckeis Ansicht, Wacke, a.a.O., S. 300 f. iss So Scheuner f ü r Verordnungen des MfdR, a.a.O., S. 32; Köttgen für Führer-Erlasse, a.a.O., S. 148, wobei jedoch u n k l a r bleibt, ob der gesetzesgleiche Führer-Erlaß gemeint ist.

9*

132

4. Die formalen Qualitäten des Gesetzes

i m nationalsozialistischen Staat an Bedeutung zugenommen, denn „sie erfüllt gewisse Funktionen n u n allein, die früher auf eine Mehrzahl von Formelementen verteilt w a r e n " 1 5 6 . Diese »gewissen Funktionen' der Form des Gesetzes nennt E. R. Huber allerdings nicht ausführlich, spricht n u r davon, die Publizität garantiere das öffentliche Ansehen und die allgemeine Verbindlichkeit des Gesetzes. Publizität erscheint i h m — u n d denen, die gleich i h m die Verkündung des Gesetzes für unabdingbar halten — demnach als Mittel, die gesetzlichen Maßnahmen dem öffentlichen U r t e i l darüber, ob ihnen ein ,Ansehen' u n d eine ,Verbindlichkeit' zukomme, zu unterwerfen, genauer gesagt: den Gesetzgeber durch den Zwang, seine Maßnahmen coram publico darlegen zu müssen, von Maßnahmen jener A r t abzuhalten, w i e sie H i t l e r i n seinen Geheimbefehlen anordnete 1 5 7 . Es soll nicht verkannt werden, daß es sich bei dem Verlangen E. R. Hubers u n d anderer nach Publizität des Gesetzes u m einen verzweifelten, vielleicht auch n u r noch i n dieser Weise möglichen, aber doch ganz und gar hilflosen Versuch handelt, i n der Situation der letzten Jahre des NS-Staates, i n der die gesetzesdurchbrechenden, nicht veröffentlichten Anordnungen zum M i t t e l des Terrors wurden, zu widerrufen, was man vorher verkündete: das freie Handeln des Führers. Hilflos geriet dieser Versuch schon i n seinem theoretischen Ansatz, w e i l a l l die Postulate und Theoreme über den W i l l e n des Führers als ,Nomos des deutschen Volkes' unverändert blieben, das freie Wollen des Führers lediglich u m die Forderung eingeschränkt wurde, es müsse ordnungsgemäß publik gemacht worden sein. H i t l e r hätte demnach dieser Forderung folgen können u n d wäre dann — theoretisch — durch nichts an einem Gesetz über die Tötung von Juden gehindert gewesen, n u r i n der Form, nicht i m Inhalt von seinen geheimen Mord-Anordnungen geschieden. Denn was Recht sei u n d Gesetz werden sollte, das wußte — oft w a r es gesagt worden — n u r der Führer. Das Verlangen nach Publizität des Gesetzes blieb aber vor allem auch darum schon i n seinem theoretischen Ausgangspunkt hilflos, w e i l selbst die, die am Vorrang des Gesetzes vor anderen ,Mitteln' des Führer-Willens festhielten, dem Führer doch stets ein Ausweichen auf ,form- u n d verfahrensbefreite Maßnahmen' gestatteten 1 5 8 — die Einschränkungen, die m i t Formeln

156 a.a.O., S. 336. 157 e. R. Huber knüpft damit — bewußt oder unbewußt — an die Theorie an, aus der Anerkennung entstehe die verpflichtende K r a f t der Rechtsbestimmungen, die auch heute wieder, gerade i m Hinblick auf die Gültigkeit nationalsozialistischer Gesetze und anderer den W i l l e n Hitlers verkörpernder »Mittel· vertreten w i r d (beispielsweise: H. Welzel, Die Frage nach der Rechtsgeltung, K ö l n und Opladen 1966).

iss s. oben S. 24.

4.3. Zur Typik des NS-Staates: Die »geplante Strukturlosigkeit'

133

wie existentielle Gefährdung von Volk und Staat' gemacht wurden, gehörten sowieso zur nationalsozialistischen Legitimierungsideologie 159 . Obwohl also auch i n der Theorie die Vertreter nationalsozialistischer Staats- und Rechtsanschauimg den Sinn der Forderung nach Publizität des Gesetzes weitgehend wieder aufhoben, zählte doch die Verkündung zu jenem allgemein anerkannten ,Minimum von Form', das Gesetz und andere ,Mittel' des Führer-Willens unterscheidbar machte. 4.3. Zur Typik des NS-Staates: Die ,geplante Strukturlosigkeit' Die Widersprüche von Theoremen und Tatsachen, von Worten über die Einheit i m Führer-Staat und der Wirklichkeit der mehreren Gesetzgeber, die Wirrnisse der Befugnisse und der Bezeichnungen von Gesetzgebern und Gesetzesakten lassen sich feststellen, ob aber das Durcheinander Zufällen, vielleicht auch Launen Hitlers entspringe oder ob Sinn und Zweck dabei zu finden sei, läßt sich so leicht nicht sagen. Der eigenartige Gegensatz von vielfach behaupteter ,monolithischer Einheit', von »straffster Organisation' und tatsächlich ungeklärter, sich überschneidender, sogar deckender Zuständigkeit verschiedener I n stanzen, kennzeichnet nicht nur auf dem Gebiet der Gesetzgebung den NS-Staat. Damit ist nicht gemeint der ,Dual State', jener Staat, i n dem die „Staatsautorität die ohnmächtige Fassade" abgibt, „hinter der sich die wirkliche Macht der Partei verbirgt und nach außen schützt" 1 6 0 . 159 Etwa die Scheinbegründung militärischer Notwendigkeit i m sogenannten Kommissar-Befehl (H.-A. Jacobsen, Kommissarbefehl u n d Massenexekutionen sowjetischer Kriegsgefangener, i n : Anatomie des SS-Staates, a.a.O., Bd. I I , S. 163 ff.). Unter den nationalsozialistischen Rechtfertigungstheorien f ü r GeheimAktionen w i e die Ermordung von Juden, polnischer Intelligenz usw., fehlt lediglich bei der Tötung Geisteskranker das Gegner- u n d Gefahr-Argument. 160 H. Arendt, Elemente u n d Ursprünge totaler Herrschaft, Frankfurt 1955, S. 62