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German Pages 144 Year 2012
Geschichte kompakt Herausgegeben von Kai Brodersen, Martin Kintzinger, Uwe Puschner, Volker Reinhardt Herausgeber für den Bereich 19./20. Jahrhundert: Uwe Puschner
Michael Mann
Geschichte Südasiens 1500 bis heute
Wissenschaftliche Buchgesellschaft
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. i 2010 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Einbandgestaltung: schreiberVIS, Seeheim Satz: Lichtsatz Michael Glaese GmbH, Hemsbach Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de
ISBN 978-3-534-22864-5
Inhaltsverzeichnis Geschichte kompakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einführung: Geschichte, Gesellschaft und Kultur . . . . . . . . . . .
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I. Vijayanagara-Reich und Mogul-Reich im 16. Jahrhundert . . . 1. Vijayanagara-Reich zwischen Nayaka-Rajatümern und Shahi-Sultanaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anfänge und Aufbau des Mogul-Reiches . . . . . . . . . . 3. Padshah Akbars imperialer Staat . . . . . . . . . . . . . . . 4. Mamluken, Osmanen und Portugiesen im Indischen Ozean
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II. Das Imperium der Moguln im 17. Jahrhundert . . . . . . . 1. Das Imperium der Timuriden zwischen Safawiden und Osmanen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Territoriale Expansion und innere Konsolidierung . . . 3. Rebellionen und lokaler Widerstand . . . . . . . . . . 4. Stadtentwicklung in Südasien . . . . . . . . . . . . . . 5. Wirtschaft, Handel und Verkehr in Südasien und dem Indischen Ozean . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
III. Umstrukturierung und Reorganisation Südasiens im 18. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Imperium der Moguln als Variante des segmentären Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vom zentralen Reichsverband zum dezentralen Staatenbund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wirtschaftlicher Wandel: Reorganisation von Routen und Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gesellschaftlicher Umbruch und kultureller Wandel . . .
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IV. British-Paramountcy und British Raj im 19. Jahrhundert . . . . 1. Britische Expansion und südasiatischer Widerstand . . . . 2. Südasiatische Waren und Arbeitskräfte auf dem Weltmarkt 3. Koloniale Urbanisierung und die Vernachlässigung der südasiatischen Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Vernetzung des südasiatischen Subkontinents . . . . .
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Auswahlbibliografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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V. Nationalisierung, Unabhängigkeitskampf und post-koloniale Staaten in Südasien . . . . . . . . . . . . . 1. Die gescheiterte indische Nation . . . . . . . . . . . . 2. Der Kampf um Selbstbestimmung und Unabhängigkeit 3. Unabhängigkeit und post-koloniale Staaten: Die Republiken Pakistan und Indien . . . . . . . . . . . 4. Nepal: Vom Königreich zur Republik . . . . . . . . . . 5. Sri Lanka: Bürgerkrieg als koloniales Erbe . . . . . . . .
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Geschichte kompakt In der Geschichte, wie auch sonst, dürfen Ursachen nicht postuliert werden, man muss sie suchen. (Marc Bloch) Das Interesse an Geschichte wächst in der Gesellschaft unserer Zeit. Historische Themen in Literatur, Ausstellungen und Filmen finden breiten Zuspruch. Immer mehr junge Menschen entschließen sich zu einem Studium der Geschichte, und auch für Erfahrene bietet die Begegnung mit der Geschichte stets vielfältige, neue Anreize. Die Fülle dessen, was wir über die Vergangenheit wissen, wächst allerdings ebenfalls: Neue Entdeckungen kommen hinzu, veränderte Fragestellungen führen zu neuen Interpretationen bereits bekannter Sachverhalte. Geschichte wird heute nicht mehr nur als Ereignisfolge verstanden, Herrschaft und Politik stehen nicht mehr allein im Mittelpunkt, und die Konzentration auf eine Nationalgeschichte ist zugunsten offenerer, vergleichender Perspektiven überwunden. Interessierte, Lehrende und Lernende fragen deshalb nach verlässlicher Information, die komplexe und komplizierte Inhalte konzentriert, übersichtlich konzipiert und gut lesbar darstellt. Die Bände der Reihe „Geschichte kompakt“ bieten solche Information. Sie stellen Ereignisse und Zusammenhänge der historischen Epochen der Antike, des Mittelalters, der Neuzeit und der Globalgeschichte verständlich und auf dem Kenntnisstand der heutigen Forschung vor. Hauptthemen des universitären Studiums wie der schulischen Oberstufen und zentrale Themenfelder der Wissenschaft zur deutschen und europäischen Geschichte werden in Einzelbänden erschlossen. Beigefügte Erläuterungen, Register sowie Literatur- und Quellenangaben zum Weiterlesen ergänzen den Text. Die Lektüre eines Bandes erlaubt, sich mit dem behandelten Gegenstand umfassend vertraut zu machen. „Geschichte kompakt“ ist daher ebenso für eine erste Begegnung mit dem Thema wie für eine Prüfungsvorbereitung geeignet, als Arbeitsgrundlage für Lehrende und Studierende ebenso wie als anregende Lektüre für historisch Interessierte. Die Autorinnen und Autoren sind in Forschung und Lehre erfahrene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Jeder Band ist, trotz der allen gemeinsamen Absicht, ein abgeschlossenes, eigenständiges Werk. Die Reihe „Geschichte kompakt“ soll durch ihre Einzelbände insgesamt den heutigen Wissenstand zur deutschen und europäischen Geschichte repräsentieren. Sie ist in der thematischen Akzentuierung wie in der Anzahl der Bände nicht festgelegt und wird künftig um weitere Themen der aktuellen historischen Arbeit erweitert werden. Kai Brodersen Martin Kintzinger Uwe Puschner Volker Reinhardt
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Einführung: Geschichte, Gesellschaft und Kultur Die meisten Geschichten zu Südasien tragen im Titel oftmals den Begriff oder Namen „Indien“. Unter Indien wird nach allgemeinem Verständnis fast ausnahmslos die Republik Indien verstanden, was die anderen Staaten des südasiatischen Subkontinents ausschließt. Der Terminus Südasien hat aber in den letzten beiden Jahrzehnten zunehmend den eurozentrischen Begriff „Indien“ abgelöst und sich an die seit längerem etablierten geografischen Bezeichnungen Südost-Asien und Zentralasien sowie neuerdings auch Ostasien und Westasien angelehnt. Darüber hinaus bezeugt diese neue Begrifflichkeit ein gewandeltes Verständnis von geschichtlichen Zusammenhängen, die nun nicht mehr einseitig von Europa aus konzipiert und geschrieben werden. Die neueste Forschung konzentriert sich auf ein polyzentrisches Weltbild, das allen großen Weltregionen einen gleichwertigen historisch-kulturellen Stellenwert zuschreibt. Eine Geschichte Südasiens zu verfassen heißt folglich auch, sie aus der Perspektive des südasiatischen Subkontinents heraus zu entwerfen und nicht von vorgefertigten Meinungen auszugehen, wie sie in Europa über Jahrhunderte gepflegt wurden und sich in Form von Stereotypen und Vorurteilen manifestiert haben. Geografisch gehören zu Südasien die gegenwärtigen Länder Afghanistan und Pakistan, Indien, Nepal, Bhutan, Sikkim und Bangladesh, Sri Lanka und die Malediven. Südasien ist mit 4,2 Mio. km2 ein Subkontinent, dessen Ausmaße an die der momentanen Europäischen Union heran reichen. Ein Vergleich mit dieser ist nicht nur vor dem Hintergrund der räumlichen Dimension, sondern auch deshalb angebracht, weil die geografische Diversifiziertheit und die sprachliche, kulturelle und ethnisch-gesellschaftliche Vielfalt durchaus mit der Südasiens korrespondiert. Der Subkontinent wird in seiner südlichen Hälfte, der „Halbinsel“, vom Indischen Ozean umspült, deren Spitze Kanya Kumari die Insel Sri Lanka vorgelagert ist. Im Westen begrenzen das Sulaiman- und nördlich davon gelegen das Kirthan-Gebirge die Landmasse. Gen Norden scheint das gewaltige Bergmassiv des Himalaya („Stätte des Schnees“) mit Pamir, Hindukush und Karakorum den Subkontinent abzuschließen, im Osten der Brahmaputra und das Arakan-Gebirge. Wie jedoch bei allen Gebirgsmassiven der Welt zu beobachten, stellen sie keine unüberwindlichen Hindernisse dar, ganz im Gegenteil, sie fordern geradezu die Erschließung von Passiermöglichkeiten heraus. Der Bolan-Pass und der Khaiber-Pass nach Afghanistan zeugen ebenso von der Suche nach solchen Durch- und Übergängen wie der Karakorum-Pass in das westliche Zentralasien. Auch Tibet war keinesfalls unerreichbar, wie die Jahrtausende alten wirtschaftlichen und kulturellen Austauschbeziehungen zwischen Zentralasien, Tibet und Nordindien belegen. Die transkontinentale Seidenstraße mit ihren von Händlern und Kaufleuten im Verlauf der Jahrhunderte erkundeten und erschlossenen nord-südlich verlaufenden Zubringern sorgte ebenso für die weite Verbreitung von Waren und Menschen wie von politischen und religiösen Ideen.
Indien – Südasien
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Einführung Landschaftsräume
Naturräume
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Ähnlich wie Europa ist auch Südasien durch eine stark differenzierte landschaftsräumliche Gliederung gekennzeichnet. Die südliche Festlandmasse des Subkontinents bildet die Halbinsel, die in den Indischen Ozean ragt und dessen westliche Hälfte als Arabisches Meer und dessen östliche Hälfte als Golf von Bengalen bezeichnet wird. So wenig wie die Berge Gesellschaften und Kulturen voneinander isolieren, so wenig geschieht das im Fall von Ozeanen. Seit dem Altertum bestanden rege wirtschaftliche und kulturelle Austauschbeziehungen zwischen den Anrainerregionen des Indischen Ozeans. Bereits die Gesellschaft der Harappa-Zivilisation des 3. vorchristlichen Jahrtausends, deren Kern im nordwestlichen Südasien lag, unterhielt Kontakte zur sumerischen Gesellschaft Mesopotamiens, die zu Land wie zu Wasser gepflegt wurden. Im Verlauf der nachfolgenden Jahrtausende sind diese multilateralen Beziehungen immer weiter entlang der arabischafrikanischen Küste einerseits und andererseits zum malayisch-indonesischen Archipel ausgedehnt worden. Nicht zu unrecht wird deshalb neuerdings von einer „maritimen Seidenstraße“ gesprochen. Ab dem 12. Jahrhundert ließen sich Händler aus Gujarat im Hadhramaut, das in etwa dem heutigen Jemen entspricht, und Afrika sowie tamilische Händlergruppen in Südostasien dauerhaft nieder. Tektonisch kann der südasiatische Subkontinent in drei große Naturräume unterteilt werden. Zum einen liegt, wie bereits erwähnt, das riesige Gebirgsmassiv im Norden des subkontinentalen Festlandplatte. Diese schiebt sich seit etwa 120 Millionen Jahren unter die eurasische Festlandplatte und wirft dabei den Himalaya auf. Zum zweiten gibt es das im Vorfeld dieser Auffaltung liegende Tiefland, das von Ganges und Jamuna, das von dem so genannten Doab, zu Deutsch: Zweistromland, in west-östlicher Richtung durchflossen wird. Westlich davon ergießt sich der Indus, der von vier weiteren Flüssen, die allesamt im Himalaya entspringen, gespeist wird. Vom südlichen Ende des Panjab, dem Fünfstromland, fließt er schließlich weitere 1.000 km bis in das Arabische Meer. Im Osten der submontanen Landschaft formt zusammen mit dem Ganges der Brahmaputra das gewaltige Flussdelta Bengalens, eine einzigartige Landschaft, die nur ein bis zwei Meter über dem Meeresspiegel liegt. Gerade deshalb gehört sie zu einer der fruchtbarsten Regionen des Subkontinents, aber auch zu einer Gegend, die stets von Überschwemmungen, aus dem Landesinneren oder vom Meer her, bedroht war und ist. Die auf jeder Weltkarte so markant erscheinende „indische Halbinsel“ wird an seiner westlichen Seite von den Western Ghats begrenzt, einer Gebirgskette von bis zu 2.600 Metern Höhe, und im Osten von den Eastern Ghats, die mit 1.500 Metern jedoch wesentlich niedriger sind. Das Hochplateau, das in west-östliche Richtung geneigt ist, gleichsam wie eine schiefe Ebene, wird als Dekhan bezeichnet und stellt den dritten großen Naturraum dar. Sämtliche Flüsse, die in den zur Dekhan Seite gelegenen Abhängen der Western Ghats entspringen, fließen aufgrund der tektonischen „Schieflage“ in den Golf von Bengalen. Am bekanntesten sind die großen Flüsse vor Mahanadi, Krishna, Godaveri und Kaveri mit ihren prägnanten Mündungsdeltas. Die beiden Flüsse, die in Ost-West-Richtung fließen, sind die Narbada oder Narmada und die Tapti, die nördlich von Bombay in das Arabische Meer fließen. Die Narmada, meist bekannt durch die
Einführung seit Jahrzehnten anhaltenden Planungen und Baumaßnahmen zur weltweit größten Stauseen-Landschaft, trennt zusammen mit dem Satpura-Gebirge Zentralindien vom nördlich davon gelegenen „Hindustan“ ab, ohne dass auch dieser Fluss samt dem schroffen Bergland je eine unüberwindbare Barriere gewesen ist. Diese so markante geografische Beschaffenheit des südasiatischen Subkontinents, die vor allem durch ihre großräumige Struktur charakterisiert ist, hat unmittelbare Auswirkungen auf die klimatisch-vegetativen Verhältnisse. Sie werden weit über den Subkontinent hinaus vom Monsun (arab. mausim: Jahreszeit) bestimmt, der zunächst einmal nur die sich um fast 180 Grad drehenden Windrichtungen meint. Damit einher gehen gewaltige Niederschläge, die sich über dem Subkontinent, aber auch in Indonesien und Teilen Südchinas ergießen. Allgemein wird unterschieden zwischen dem Sommermonsun, der von Juni bis September aus südwestlicher Richtung über das Arabische Meer weht und mit seinen warmen Winden ungeheure Wassermassen transportiert, und dem Wintermonsun, der von Dezember bis Februar vom asiatischen Inland her weht und nur über dem Golf von Bengalen Wasser aufnimmt. Deshalb sind hier die Niederschläge meist nur in Südindien und auf Sri Lanka zu verzeichnen, während die des Sommermonsuns an den Western Ghats und am Abhang des östlichen Himalaya im Jahresdurchschnitt die höchsten Niederschlagsmengen von bis über 3.000 mm verzeichnen. Auf dem Dekhan sowie im nördlichen Rajastan und Pakistan regnet es indessen am wenigsten. Auffällig an diesen klimatischen Konditionen ist die extrem hohe Variabilität der Niederschlagsmengen, die den Kontrast zwischen den feucht-nassen und den semi-ariden bzw. ariden Regionen prägen. Dies ist für Südasien insofern von großer Bedeutung, als die Menge an Niederschlägen wie die daraus resultierende Verfügbarkeit von Wasser über künstliche Bewässerungsmöglichkeiten mehr als in anderen Weltregionen entscheidend für eine ertragreiche Landwirtschaft ist. Im Laufe der Jahrtausende sind nicht nur ökologisch angepasste Landwirtschaftsformen wie der Terrassenfeldbau in bergigen Regionen entstanden oder ausgedehnte Bewässerungssysteme in Form von Kanälen und Staudämmen angelegt worden, sondern darüber hinaus wurden die Regionen, in denen Wasser ganzjährig reichlich vorhanden war, zu landwirtschaftlichen Kornkammern ausgebaut. Das gilt für Sri Lanka, das weithin berühmt war für seinen artifiziellen Wasserfeldbau, wie auch für das natürlich bewässerte Bengalen sowie für die Deltas von Mahanadi, Krishna, Godaveri und Kaveri, wo über Jahrtausende einzigartige Kulturlandschaften entstanden. An der Wende zum 20. Jahrhundert wurden schließlich die „Kanal-Kolonien“ im Panjab sowie die großräumigen Bewässerungssysteme im Sind am Unterlauf des Indus angelegt. Die Entwicklung einer ertragreichen Landwirtschaft hat im Verlauf der Jahrtausende auf dem Subkontinent dazu geführt, dass sich einzelne Regionen herausgebildet haben, in denen es zu einer Stabilisierung der Landwirtschaft und damit auch der dort ansässigen Gesellschaft kam. Besondere Eigenschaften einer solchen historischen Region sind die religiösen, kulturellen und sprachlichen Gemeinsamkeiten sowie andere Formen der Traditionsbildung wie solche von gemeinsamen Mythen, Legenden und einem Geschichtsbewusstsein im Sinne einer historisch hergeleiteten ge-
Klima und Vegetation
Historische Regionen
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Einführung
Die Regionen Indiens (nach: D. Rothermund, Grundzüge der indischen Geschichte, Darmstadt 1976)
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Einführung meinschaftlichen Zugehörigkeit. Dies leitete Prozesse der Vergesellschaftung und der Reichsbildung in verschiedenen Regionen Südasiens ein, auf denen teilweise der noch heute existierende bundesstaatliche Aufbau der Indischen Union basiert. Auch bei den meisten Provinzen Pakistans ist dieses Phänomen als Ausdruck eines „politischen Regionalismus“ zu verstehen. Bengalen, Awadh und der Panjab in Nord- und Ostindien, Rajastan, Sind und Gujarat im westlichen Südasien sowie Tamilnad und Kerala in Südindien sind solche historischen Regionen, innerhalb derer wiederum Subregionen das historische Landschaftsbild bestimmen. Spricht man von Regionen, so geht man von einem gedachten Ganzen aus. Klimatisch und geografisch stellt das nicht unbedingt ein Problem dar, das wird es aber im Rahmen einer geschichtswissenschaftlichen Analyse. Diese geht meist von der Idee eines „gesamtindischen“ Staates aus, der freilich nur in wenigen subkontinentalen Großreichen wie dem MauryaReich (ca. 320–73 v. Chr.), dem Gupta-Reich (ca. 320 – ca. 500 n. Chr.) und dem Mogul-Reich (1526–1858) sowie schließlich mit Britisch-Indien (1858–1947) realisiert wurde. Vor diesem Hintergrund werden einerseits Großlandschaften und Staaten zu „Regionalstaaten“ degradiert, so als ob, im Vergleich dazu, Frankreich eine europäische Region sei. Andererseits sind die historischen Regionen spezifisch für Südasien, bilden sie doch die Kerngebiete, von denen Reichs- und Staatsbildungen ausgingen, die weit über die eigentliche historische Region hinausgreifen konnten. Das Reich von Vijayanagara südlich von Tungabhadra und Krishna und das MogulReich entlang des Indus und des Ganges umfassten solche landschaftliche Großräume. Sowohl in den Reichen, die im Gebiet der historischen Regionen entstanden, als auch in den Großreichen gab es eine reichhaltige und vielfältige Geschichtsschreibung. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts können grundsätzlich drei Typen unterschieden werden. Zum einen handelt es sich um die indo-persische Hof-Historiografie, die stark von der arabisch-persischen Geschichtsschreibung beeinflusst war, was sich besonders am Genre der Herrscherbiografien, Hagiografien, Chroniken und Annalen festmachen lässt. Gleichzeitig existierte die lange und große Tradition der brahmanischsanskritischen Hof-Historiografie, die ihrerseits stärker auf Chroniken, Annalen, Epen, Balladen und vor allen den Purana basierte. Puranas enthalten die idealtypischen Pflichten eines Herrschers (rajadharma) und dienen als Vorlage für gegenwärtige Herrscher. Puranische Literatur repräsentiert eine Vergangenheit, die auf der Mythisierung geschichtlicher Ereignisse basiert, wie sie für die Selbstdarstellung indischer Eliten typisch ist. Abgesehen von der imperialen und regionalen Hof-Historiografie als Repräsentation von Herrschaft und Macht gab es, drittens, die lokale Geschichtserzählung der Endo-Historie. Sie legitimierte ebenfalls Herrschaft, war aber rein exklusivistisch angelegt und diente überwiegend der inneren Repräsentation in Form eines gruppenintern tradierten historischen Wissens. In der politisch unruhigen Zeit um die Mitte des 18. Jahrhunderts wird deutlich, dass sich vor allem die Geschichtsschreiber im nordöstlichen Südasien, in Bengalen und Awadh, dieser Umbruchphase respektive der Umgestaltung und Neuordnung des Mogul-Imperiums bewusst sind. Entsprechend verfassten die Hof-Historiografen, die zugleich zur Verwaltungselite
Historiografie
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Einführung
Periodisierungen
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des Landes gehörten, ihre Geschichte und sahen sich dabei als ethisch-moralische Sach- und Erbwalter des in ihren Augen bedrohten Mogul-Reiches. Nicht unwesentlich haben sie zum wirkmächtigen Mogul-Mythos des ausgehenden 18. und vor allem des frühen 19. Jahrhunderts beigetragen. Ende des 18. Jahrhunderts trat mit der britischen Kolonialherrschaft in Bengalen eine neue, europäische Form der Geschichtsschreibung auf, die früh den Anspruch auf die exklusive Deutungshoheit der südasiatischen Geschichte erhob und schließlich versuchte, ein Monopol über die gesamte Historiografie zu errichten. Kennzeichen dieser neuen Geschichtsschreibung war zum einen, dass sie den Menschen und Gesellschaften Südasiens ein historisches Bewusstsein grundsätzlich absprach, woraus sie auch die angebliche Armut an historiografischen Zeugnissen ableitete. Mit diesem operativen Zug konnte überhaupt erst die Aneignung der „indischen Geschichte“ eingeleitet werden. Zum zweiten übertrugen britische Amateurhistoriker und europäische Indologen die Dreiteilung der Geschichte nach bekanntem europäischem Muster von Altertum, Mittelalter und Neuzeit, wie sie seit Humanismus und Aufklärung konstruiert wurde, auf Südasien. Zunehmend wurde die „Alte Geschichte“ mit der Geschichte der hochstehenden, sanskritisch-brahmanischen Hindu-Kultur samt hierarchischen Gesellschaften und einer hochstehenden literarischen Produktion gleichgesetzt, während das Mittelalter mit der Errichtung des Delhi-Sultanats durch eine muslimische Dynastie 1207 angesetzt wird, das bis zum angeblichen Niedergang des Mogul-Reiches im 18. Jahrhundert reicht. Charakteristisch für dieses muslimische Mittelalter, so die bald herrschende britisch-europäische Meinung, waren dekadente Herrscher und eine stetig degenerierende Kultur, die allenfalls im MogulReich noch einen letzten Höhepunkt erlebte, aber spätestens seit 1700 den jeglicher muslimischer Kultur angeblich inhärenten Verfallserscheinungen preisgegeben war. Daran schloss sich die „Neuere Geschichte“ an, die nicht ohne Grund mit dem Beginn der britischen Territorialherrschaft in Bengalen gleichgesetzt wurde. Die selbst definierte historische Aufgabe der Briten bestand darin, „Indien“ und seine Gesellschaften aus der angeblichen Unzivilisiertheit heraus- und an die, mit einem gegenwärtigen Begriff treffend ausgedrückt, „Weltgemeinschaft zivilisierter Nationen“ heranzuführen. In der Zivilisationsmission lag demnach die Legitimation der fremden Herrschaft, die über eine solche Geschichtsschreibung hergeleitet wurde, die jedoch nichts anderes als ein koloniales Konstrukt darstellte. Im Prinzip wurden die Menschen Südasiens über die Aneignung ihrer Geschichte entmündigt, während die Briten sich umgekehrt als ihre wohlmeinenden Treuhänder darstellten. Diese Historiografie zeigte und zeigt bis in die Gegenwart eine ungeheure Wirkmächtigkeit, denn sie verursachte recht eigentlich die kulturelle und gesellschaftliche Deformation der Kolonisierten, die sich zumindest beim Mittelstand und teilweise bei den Eliten Südasiens bis heute in Form eines gewissen Minderwertigkeitsgefühls manifestiert. Mit der hier vorliegenden Geschichte zum modernen Südasien soll gezielt von dieser Historiografie abgerückt werden. Dies geschieht zunächst einmal mit der Periodisierung. Gute Gründe sprechen dafür, es bei der bekannten Dreiteilung auch der Geschichte Südasiens zu belassen. Allerdings
Einführung hat die Forschung der letzten beiden Jahrzehnte dazu beigetragen, dass sich die Zäsursetzung erheblich verschoben hat. So wird das Ende des „indischen Mittelalters“ nicht mehr mit dem Beginn der britischen Kolonialherrschaft in der Mitte des 18. Jahrhunderts angesetzt, vielmehr wird der Beginn der Neuzeit aufgrund der modernen zentralstaatlichen Reichsbildung einschließlich bürokratischem Verwaltungsapparat auf die Wende vom 15. auf das 16. Jahrhundert gelegt. Bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts spielten die Europäer auf dem südasiatischen Subkontinent in der Tat eine recht marginale Rolle. Es dauerte noch lange, bis die Briten im Zuge der dynastischen Auseinandersetzungen auf dem indischen Subkontinent mit ihrer East India Company (EIC) die Oberhand gewinnen und zur führenden Territorialmacht werden sollten. Diese Vormachtstellung war schließlich um 1820 gesichert, und die Briten sprachen nun selbst von der „British Paramountcy in India“. Freilich blieb diese neue Machtkonstellation nicht unhinterfragt. Die permanenten Expansionskriege und die zahlreichen Annexionen von südasiatischen Staaten bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts lösten massiven Widerstand aus, der schließlich im Befreiungskrieg von 1857–59 kulminierte. Nach dessen brutaler Niederwerfung durch die Briten setzten diese die Dynastie der Timuriden ab, das englische Parlament nahm der EIC sämtliche Privilegien und gliederte Britisch-Indien als Kronkolonie in das Britische Imperium ein. Im Jahr 1876 wurde per Parlamentsakte Queen Victoria zur Kaiserin erhoben. Zwischen 1858 und 1947, dem Ende der Kolonialherrschaft, bezeichneten schon die Zeitgenossen Britisch-Indien auch als British Raj (Hindustani: Herrschaft, Reich, vgl. Raja = König). Die Unabhängigkeit Britisch-Indiens stellt zweifelsohne die bedeutendste Zäsur in der Geschichte des Subkontinents im 20. Jahrhundert, wenn nicht gar der neueren Geschichte insgesamt dar. Nach einem Jahrhundert der staatlichen Zwangsvereinigung unter dem Kolonialregime wurde mit der Unabhängigkeit Britisch-Indien in die Staaten Pakistan und Indien geteilt. Pakistan bestand zunächst aus den beiden Landeshälften West- und Ost-Pakistan. Letzteres entspricht dem heutigen Bangladesh, das sich 1971 in einem blutigen Krieg und mit Hilfe Indiens von Pakistan loslöste. 1948 entließ Großbritannien auch Ceylon in die Unabhängigkeit, was jedoch aufgrund der tragischen Ereignisse im Verlauf der Teilung Britisch-Indiens international kaum zur Kenntnis genommen wurde. Dass die beiden großen Nachfolgestaaten Britisch-Indiens auch Atommächte sind – Indien seit 1974 und seit den 80er Jahren Pakistan – dürfte einen ebenso wichtigen historischen Einschnitt markieren wie die „Emergency Rule“ von 1975–77 unter Indira Gandhi in Indien und der Militärputsch unter Zia ul Haq in Pakistan im Jahr 1977. Nach dieser Periodisierung bieten sich vom 16. bis zum 20. Jahrhundert jeweils deren Mitte als eine einschneidende Zäsur an. Dem entspricht die zeitliche Organisation des vorliegenden Buches nicht, das sich eher an den Jahrhundertgrenzen des christlichen Kalenders orientiert. Dass gerade eine solche zeitliche Festlegung höchst willkürlich ist, braucht nicht hervorgehoben zu werden. Aus diesem Grund sind auch die einzelnen Jahrhunderte nicht als fixierte Zeiträume zu verstehen, sondern als Orientierungszeitspannen, deren Anfang und Ende den jeweiligen historischen Gegebenhei-
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Einführung ten und Ereignissen angepasst wird. So ist beispielsweise das VijayanagaraReich, dessen Spätphase das 16. Jahrhundert darstellt, zugleich eine Übergangsphase zum Aufstieg und zur Konsolidierung der Mogul-Herrschaft in Delhi. Das 17. Jahrhundert beginnt eher zufällig mit dem Tod von Padshah (Mogul) Akbar im Jahr 1605. Seine zwei Nachfolger Jahangir (reg. –1627) und Shah Jahan (reg. –1658) führten das Mogul-Reich auf seine kulturelle Höhe, während der dritte große Mogul-Herrscher des 17. Jahrhunderts, Aurangzeb (reg. –1707), dessen maximale territoriale Expansion betrieb. Doch bereits in den 1670er Jahren traten erste Formen der inneren Restrukturierung auf, die die Zäsursetzung angelehnt an die christlichen Jahrhunderte verwischt. Im Maratha Desh, dem bergigen Hinter- und Hochland von Mumbai und Goa mit seinen Zentren Satara und Pune entstand ein Königreich, das innerhalb des Mogul-Reiches eine neue Macht etablierte. Dieser Prozess leitete auf lange Sicht in den großen Provinzen des Mogul-Reiches die Staatenbildung des 18. Jahrhunderts ein, so in Bengalen, Awadh, Panjab und Haiderabad. Er nahm schließlich den 1720er Jahren an Intensität zu und sollte erst mit Errichtung der „British Paramountcy“ um 1820 einen Abschluss finden, als die Marathen, eine der letzten verbliebenen Großmächte auf dem indischen Subkontinent, von den Briten militärisch besiegt und ein Teil ihres Territorium annektiert wurde. Unter diesem Gesichtspunkt lässt sich also durchaus von einem „langen 18. Jahrhundert“ sprechen. Die Jahre um die Wende zum 20. Jahrhundert bis zum Ende des Ersten Weltkrieges bedeuteten aus der Sicht der Bevölkerung Südasiens eine der wichtigsten Phasen ihrer Geschichte, denn es ist das entscheidende Vierteljahrhundert, in dem sich aus der bengalischen, marathischen und hindustanischen Nationalbewegung eine gesamtindische Nationalbewegung formierte. Das Massaker von Jallianwalla Bagh in Amritsar, bei dem britisches Militär 1919 auf eine friedlich protestierende Versammlung schießen ließ und dabei bis zu 400 Menschen tötete, markiert den Anfang vom Ende der britischen Herrschaft in Südasien, denn die Gräueltat demonstrierte vor den Augen aller Welt, dass die Macht des Kolonialstaates auf schierer Gewalt und wenig Konsens beruhte. Im selben Jahr gelang es auch Afghanistan in einer kurzen militärischen Auseinandersetzung, sich von den letzten verbliebenen Beschränkungen der Souveränität zu lösen. Vom selben Jahr an nahm schließlich auch die indische Nationalbewegung Gestalt an und an Geschwindigkeit allmählich zu. Wichtigster Organisator war Mohandas K. (Mahatma) Gandhi, der den bislang schwachen Indian National Congress von einer mit dem Kolonialregime kooperierenden Honoratiorenversammlung in eine schlagfertige Massenorganisation transformierte, mit der dann das Ziel der Unabhängigkeit verfolgt werden konnte. Dass sich dieses Ziel nicht in einem subkontinentalen Einheitsstaat realisieren ließ, stellt historisch gesehen keine Tragödie dar, wohl aber, dass die Teilung allein auf der Grundlage religiöser Scheidelinien vollzogen wurde, die unmittelbare Ursache für das einsetzende große Morden war. Langfristig gesehen verursachte das hinduistische Rajatum von Kashmir, dessen Monarch nach der Unabhängigkeit mit dem Gedanken spielte, als souveräner Staat tatsächlich unabhängig zu bleiben, einen bis in die Gegenwart anhaltenden Konflikt, der zu vier ergebnislosen Kriegen und der Tei-
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Einführung lung Kashmirs entlang einer Waffenstillstandslinie geführt hat. Bedeutsam für Südasien insgesamt dürfte indessen die Entscheidung der indischen Regierung 1991 gewesen sein, von der bisherigen Planwirtschaft abzurücken und die Liberalisierung der Wirtschaft einzuleiten. Damit reagierte der Staat unmittelbar auf die sich veränderte global-politische Situation nach dem Fall der Mauer in Berlin und dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1989/ 90. Seitdem hat sich die Indische Union zu einem wirtschaftlichen und politischen global player entwickelt, der seine Hegemonialstellung in Südasien und im Indischen Ozean auch militärisch zielstrebig ausbaut. Pakistan scheint sich nach Jahrzehnten bisweilen höchst instabiler Militärdiktaturen und autokratischen Herrschern auf dem Weg zu stabileren politischen Verhältnissen zu befinden. Es ergibt also durchaus Sinn, die einzelnen Kapitel nach der Abfolge der Jahrhunderte zu organisieren. Freilich lässt sich dieses „chronologische Prinzip“ nicht bei allen historischen Aspekten durchhalten. Ohnehin ist es nicht Absicht des Buches, eine strikt chronologische und ereignisgeschichtliche Darstellung zur Geschichte Südasiens vorzulegen. Stattdessen wird bei spezifischen Fragestellungen zu Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur eine übergreifende Darstellung geboten, die historische Entwicklungen in ihren kausalen Zusammenhängen erkennbar werden lassen. Deutlich dürfte dabei nochmals werden, wie willkürlich Periodisierungen sind, wie sinnvoll und notwendig sie aber auch sind, um überhaupt historische Ereignisse und Prozesse sichtbar, analysierbar und schließlich zu einem Sinn in der Gegenwart interpretierbar zu machen. Dieser Sinn, so scheint es jedenfalls momentan, liegt bei fast allen Geschichtsschreibern dieser Welt darin, die Entstehung der gegenwärtig existierenden Nationalstaaten aus der jeweiligen Geschichte herzuleiten. Den Nationalstaat hat das vorliegende Buch jedoch nicht im Visier. Im Gegenteil, er wird historisiert und damit zu einer geschichtswissenschaftlich-historiografischen Kategorie gemacht. Das nimmt ihm auch den Zauber der teleologischen Geschichtsauffassung, wie sie in den europäischen Geschichtswissenschaften vorherrscht. Ohne einen solchen Ansatz besteht jedoch die Chance, die Geschichte der Gesellschaften und Kulturen Südasiens auch und gerade in globalhistorischen Zusammenhängen zu betrachten. Bezug nehmend auf die eingangs getroffene Feststellung, dass weder Gebirge noch Ozeane trennende Barrieren waren, kann so die Geschichte Südasiens und seiner Menschen in das historisch-kulturelle Umfeld des Indischen Ozeans eingebettet und der Indische Ozean selbst als historische Weltregion verstanden werden. Über eine solche Verortung ergeben sich speziell unter globalgeschichtlichen Aspekten neue historische Erkenntnisse, die die Besonderheit, aber auch die Vergleichbarkeit der südasiatischen Geschichte mit anderen Weltregionen ermöglicht.
Globalgeschichte
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I. Vijayanagara-Reich und Mogul-Reich im 16. Jahrhundert 1. Vijayanagara-Reich zwischen Nayaka-Rajatümern und Shahi-Sultanaten
Modell des Segmentären Staates
Kleinkönig
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Die Wende vom 15. auf das 16. Jahrhundert markiert in Südasien den Übergang vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit. Dieser Wandel lässt sich an verschiedenen Entwicklungen festmachen. So ist im Bereich der Staatsbildung eine zunehmende Zentralisierung erkennbar, die sich in einer gebündelten Administration und den Anfängen einer Bürokratie zeigt. Auf wirtschaftlichem Gebiet ist die Monetarisierung und Kommerzialisierung zu beobachten, basierend auf intensivierten Stadt-Land-Beziehungen. Wachsende ökonomische Aktivitäten führten wiederum dazu, dass Steuereinnahmen nun auch aus Handel und Gewerbe in die Staatskasse flossen und nicht mehr allein auf agrarischen Erzeugnissen fußten. Die steigenden Steuereinnahmen eines solch zentral verwalteten Staates ermöglichten schließlich dessen Militarisierung, was besonders an der teuren Kavallerie und der neuartigen Artillerie erkennbar ist. Dieser Transformationsprozess ist auf dem gesamten südasiatischen Kontinent zu beobachten, im Vijayanagara-Reich und den Nayakatümern in dessen Süden, wie in den zentralindischen Shahi-Sultanaten und schließlich dem Mogul-Reich, das in der Mitte des 16. Jahrhunderts konkrete Formen annahm. Neben den generell zu beobachtenden Formen der frühneuzeitlichen Staatsformierung trat in Südasien eine spezifische Form der Staatsbildung auf, die modellhaft als „segmentärer Staat“ bezeichnet wird. Das Modell geht von einer geteilten Souveränität aus, die sich aus einer pyramidalen Ordnung einer Vielzahl von semi- und quasi-autonomen politischen Zentren zusammensetzt. Eines dieser Zentren besitzt eine rituelle und kulturelle Hegemonie, die meist mit der politischen einhergeht. Wie in einem galaktischen System nimmt die hegemoniale Anziehungskraft des Zentrums zu den Planeten (Staaten) auf den äußeren Orbits stetig ab, ohne dass dies zentrifugale Kräfte auslöst und der segmentäre Staat nur eine Ansammlung lose verbundener Einzelteile ist. Gleichzeitig reproduzieren diese Staaten en miniature das Zentrum. Jedes Segment übt politische Autonomie in seinem Gebiet aus, ist aber rituell, das heißt vor allem legitimatorisch, von einem übergeordneten Segment abhängig. In Südasien definieren daher eher Legitimität und Autorität denn Macht und Befehl die Grundstrukturen des Staates. In diesem kompositen Modell unterschiedlicher Formen und Intensität von Ein- und Anbindungen verschieden gewichtiger Segmente werden die einzelnen Herrscher als „Kleinkönig“ bezeichnet. Dem scheint nomenklatorisch der antike persische „Großkönig“ zugrunde zu liegen. Die südasiatischen Rayas und Rajas, Maharajas und Sultane aber haben sich niemals selbst als Kleinkönige bezeichnet, denn selbstverständlich sahen sie sich, wie das ihre Bevölkerung auch tat, als Könige. Zudem sagt der Terminus Kleinkönig weniger über die Größe eines Herrschaftsgebietes als über die
Vijayanagara-Reich Fähigkeit aus, über Länder, Ämter, Titel und andere Dinge symbolischen Inhalts zu verfügen und sie vergeben zu können. Je mehr ein Herrscher solch rituelle Macht in seiner Person vereinigen kann, desto größer ist sein „universelles“ Königtum, an dem er andere teilhaben lassen kann und muss, um sie in ein System hierarchischer Solidarität einzubinden. Kurz: ein König ist „klein“ in seinen spannungsgeladenen und wechselhaften Beziehungen zu einem anderen König, der als „groß“ gesehen wird. Der Charme des Modells liegt in der abstrakten Zuordnung von Herrschaftsbeziehungen und der sich daraus ergebenden Machtentfaltung. In Bezug auf die Kleinkönige wird schnell ersichtlich, dass eine strikte Trennung zwischen Macht und Ritual nicht aufrechterhalten werden kann. Vielmehr dient die Macht dem Ritual, weshalb das Ritual nicht bloßer zeremonieller Bestandteil zur Inszenierung, sondern schierer Inhalt der Macht ist. In den verschieden gewichteten Zentren eines segmentären Staates sind die Kleinkönige daher ständig bemüht, die Machtverhältnisse zwischen den einzelnen Teilen auszutarieren. In diesem Prozess wird auf vertikaler Ebene Legitimität mittels ritueller An- und Einbindung an und in ein politisches Zentrum (z. B. Hauptstadt) erzeugt, während sie auf horizontaler Ebene über den territorialen Zugewinn peripheren Landes und die Fähigkeit, es zu integrieren, generiert wird. Wesentliches Charakteristikum des segmentären Staates sind folglich seine horizontal territorialen und vertikal politisch-rituellen Beziehungsgeflechte. Mag das Modell der Kleinkönige bisweilen als Ursache für Fragmentierung und Degeneration des segmentären Staates gesehen worden sein, so ist dem zurecht entgegen gehalten worden, dass die Möglichkeiten der Allianzbildung innerhalb, vor allem aber an der Peripherie solcher Staaten stets dafür sorgten, dass der innere Zusammenhalt gestärkt oder neue Machtzentren entstanden, ohne dass es zwangsläufig zur Implosion eines Reiches kommen musste. Andererseits sorgte die innere Dynamik dafür, dass es von unten immer wieder zur Bildung von Großreichen kam, bei der Peripherien weiter annektiert und die dort lebende Bevölkerung einschließlich ihrer Wirtschaft und Kultur integriert wurden. Die Besonderheit des segmentären Staates besteht darin, dass sein rituell-autoritärer Kern erhalten bleibt, selbst wenn sein politisch-militärischer Rahmen entfällt. Weil das Staatsgebilde auf fast unabhängigen Zentren basiert, kann es mit einem solchen Machtverlust weiter existieren. Vor diesem Hintergrund ist die Geschichte der Staatsformierung in Südasien mitnichten eine Abfolge von Aufstieg, Höhepunkt und Niedergang, als vielmehr die eines Schmiedens, Brechens und Ausrichtens von politischen Allianzen. Kleinkönige sind folglich Stabilitätsfaktoren in einer politischen Landschaft, die von weiträumig siedelnden Bauern, lokalen Magnaten und einer dünnen, fernab residierenden Herrscherschicht geprägt war, kurz: einer politischen Landschaft, die ohne die Kleinkönige unregierbar geblieben wäre. Wichtig an diesem Modell ist die Handlungskompetenz aller Beteiligten, die sich besonders darin äußert, dass Identitäten, Titel und Besitztümer, selbst die eines Königs, potenziell allen Schichten der Bevölkerung offen standen und es weder Kshatriya (Krieger)-Blutes noch eines Brahmanen (Priester)-Rituals bedurfte, um sich als Kleinkönig oder König zu legitimieren. Im Rahmen des segmentären Staates war dies ohne besagte Weihen
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Dynamische südasiatische Staatsformierung
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Vijayanagara-Reich und Mogul-Reich im 16. Jahrhundert
I. VijayanagaraImperium
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und Würden möglich. Dies verweist auf die hohe gesellschaftliche Durchlässigkeit und Dynamik der südasiatischen Gesellschaften. Exemplarisch kann das Modell des segmentären Staates anhand des Vijayanagara-Imperiums erläutert werden. Dessen Ursprünge liegen im 14. Jahrhundert, woraufhin es im 15. Jahrhundert zu einer ersten kulturellen Blüte kam, seinen Höhepunkt erlebte es jedoch mit dem beginnenden 16. Jahrhundert. Unter Raya Krishnadevaraya (reg. 1509–29) erfolgte zunächst die maximale territoriale Ausdehnung des Reiches, das nun das Gebiet des lange umkämpften Raichur-Doab von Krishna und Tungabhadra einschloss, im Osten bis an die Koromandel-Küste und im Süden bis zum Kap Kanya Kumari reichte. Doch bereits auf dem Höhepunkt der imperialen Expansion strebten Kerngebiete wie Tanjavur, Madurai, Gingi und Ikkeri nach größerer Autonomie. Diese Transformation der politischen Strukturen konnte auch Rama Rajas (reg. 1543–65) Feldzug nach Tamilnad im Jahr 1544 nicht mehr aufhalten. Ähnliches ist an den nördlichen Rändern des Reiches zu beobachten, wo die fünf Shahi-Sultanate von Ahmednagar, Berar, Bidar, Bijapur und Golkonda nach einer diplomatischen Revolution, die ihre Rivalität kurzfristig unterbrach, 1565 militärisch vereint gegen Vijayanagara vorgingen. Auf beiden Seiten fand nördlich der Krishna ein Aufmarsch gewaltiger Heeresverbände statt. Etwa zwei Millionen Mann lagen sich an einer über 100 km langen Festungs- und Grabenlinie gegenüber, die dadurch entstanden war, dass es den Truppen Vijayanagaras nicht gelang, zwischen fünf Festungen Bijapurs durchzubrechen. Auf beiden Seiten kam es daraufhin zu Truppenkonzentrationen und dem Bau von Grabenanlagen, so dass eine Verteidigungslinie entstand. Der erste Stellungskrieg der Welt zog sich über vier Monate hin, wobei schon damals Artilleriebeschuss eine zentrale Rolle spielte. Erst in der Schlacht von Talikota gelang schließlich der Durchbruch, die Gefangennahme des Rayas und dessen unmittelbare Enthauptung, womit der Krieg sein jähes Ende fand. Zeitgenössische Geschichtsschreiber sahen in der gewaltigen militärischen Konfrontation zum ersten Mal eine Auseinandersetzung zwischen Hindus und Muslimen, eine Wahrnehmung, die indessen bald wieder verblasste. Die ehedem prächtige Hauptstadt Vijayanagara wurde anschließend weitgehend zerstört und dem Verfall überlassen. Das bedeutete jedoch nicht, dass die Macht der Raya gebrochen war. Sie herrschten bis 1650 teilweise von Velur, teilweise von der Festungsstadt Chandragiri aus. Bis ins frühe 18. Jahrhundert nahmen sie nach wie vor die oberste rituelle Stellung im Staatengefüge Südindiens ein, wenn es um die politische Legitimierung der Nayaka-Rajas in Tamilnad ging. Der Kallar von Pudukkottai war der letzte Nayaka-Monarch, der vom Raya den Raja-Titel verliehen bekam. Versuche, die Zentralmacht Vijayanagaras wieder herzustellen, scheiterten indes, und der Bürgerkrieg, der von 1614 bis 1624 tobte, sollte sämtliche Bestrebungen in diese Richtung endgültig zunichte machen. Den Rayas von Vijayanagara gelang es in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts nicht mehr – im Unterschied zum vorausgegangenen Jahrhundert –, die Peripherie politisch und ökonomisch in das Reich zu integrieren. Stattdessen löste die gezielte wirtschaftliche Förderung bei den südlichen Nayaktümern (Kleinkönigtümern) von Tiruchirapalli, Tanjavur, Ramnad, Sivaganga, Madurai, Pu-
Vijayanagara-Reich dukkottai und Tirunelveli deren Streben nach mehr Autonomie aus. Seit dem Ende des 16. Jahrhunderts bauten auch die Wodeyar auf dem Maidan um Maisur einen eigenen Herrschaftsbereich auf. Im Vijayanagara-Imperium trugen die Tempelstiftungen in den Randzonen maßgeblich zur Stabilisierung der Herrschaft und zur Integration des Imperiums bei. Solche Baumaßnahmen leiteten darüber hinaus die Migration und Ansiedlung von Bevölkerungsgruppen vom Maidan, dem Kernland des Imperiums, nach Payenghat ein. Bewässerungsprojekte wie Kanalund Tankbau, zum Ausbau der Landwirtschaft, die im gesamten Vijayanagara-Reich zu beobachten sind, erweiterten die ökonomische und fiskalische Grundlage. Doch war dieser Ausbau wegen der verschiedenen naturräumlichen und ökologischen Voraussetzungen nicht in allen Reichsteilen gleichermaßen möglich. Auf dem Maidan und weiten Teilen das Palaghat leitete die künstliche Bewässerung nur in wenigen Regionen eine Extensivierung und damit einhergehend eine gesteigerte landwirtschaftliche Produktivität ein. Neben Rinder- und Schafzucht ist in solchen ökonomischen Kerngebieten auch der Baumwollanbau für den regionalen Handel belegt. Ochsen waren verstärkt als Transport-, aber auch als Zugtiere für die schweren Kanonen der Artillerie gefragt, die nun in allen modernen Armeen eingesetzt wurden, wie der Krieg der Dekhan-Sultanate gegen Vijayanagara belegt. Hingegen war Payenghat wegen der besseren Bewässerungsmöglichkeiten und der guten Böden für seine allgemein hohe landwirtschaftliche Leistungsfähigkeit bekannt, die auf diese Art weiter gesteigert werden konnte. Teilweise ging man auch zur Nutzfruchtwirtschaft über, so bei Baumwolle. Besonders im Textilgewerbe fand im 16. Jahrhundert ein deutlich zu verzeichnender Aufschwung statt. Er war der Hauptgrund für die nordeuropäischen Ostindiengesellschaften, bei den Nayaka an der südlichen Koromandel-Küste um Privilegien zur Niederlassung und zum Handel zu ersuchen. So stammte ein wachsender Teil der steuerlichen Einnahmen im Payenghat aus den Akzisen auf Gewerbeprodukte und Zöllen für Handelsgüter. Generell können zweierlei Arten von Waren unterschieden werden. Zum einen Luxuswaren, bestehend aus feinen Textilien, Pfeffer, Ginger, Sandelholz, Lederprodukte und Edelsteine, zum anderen Konsumgüter wie Reis, Holz und Kokosfasern. Beide Warengruppen stellten im überregionalen wie überseeischen Handel komplementäre Güter dar und bildeten zusammen das Rückgrat der subkontinental-interregionalen Wirtschaftsbeziehungen. Der Waren- und Güterverkehr wurde über zum Teil neu angelegte Straßen betrieben. Sie verbanden die wichtigsten Produktionszentren mit den überregionalen Umschlagplätzen wie Bankapur und Srirangapattanam sowie den Hafenstädten an der Malabar- und der Koromandel-Küste. Hier sind besonders Motupalli nördlich des heutigen Madras/Chennai, Pulikat und schließlich Masulipatnam zu erwähnen, das nach 1565 Pulikat als Emporium ablöste und bereits Ende des Jahrhunderts etwa 100.000 Einwohner hatte. Emporien Emporien bezeichnen Hochseehäfen, in denen einerseits der Im- und Export für den jeweiligen Staat abgewickelt, andererseits der interkontinentale Handel in Form des reinen Warenumschlags von einer kosmopoliten Kaufmanns- und
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Ökonomische Grundlagen
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Vijayanagara-Reich und Mogul-Reich im 16. Jahrhundert
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Händlerschaft organisiert wird. Auf der Westseite des Subkontinents waren Cannanore im Süden und Chaul im Norden solche Emporien. Über Goa, wo die Portugiesen 1510 ihre erste große Niederlassung auf dem Subkontinent gründeten das sich bald zu einem kleinen Emporium entwickeln sollte, wurde der Pferdehandel für den Dekhan organisiert. Er gewann im Verlauf der staatlichen Reorganisation des Vijayanagara-Imperiums und der zunehmenden militärischen Auseinandersetzungen an Bedeutung.
Hauptstadt Vijayanagara
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Ein weiterer wichtiger Bestandteil des Wandels vom mittelalterlichen Vijayanagara-Imperium zum frühmodernen Staat war die Veränderung im Bereich der Stadtentwicklung. Erste Anzeichen einer Verstädterung sind bereits für das 13. Jahrhundert nachgewiesen, doch erst im 16. Jahrhundert nimmt mit der gezielten Förderung von Landwirtschaft, Handel und Gewerbe gerade die Stadt als Produktions- und Umschlagplatz samt ihren Dienstleistungen wie Lagerung, Transport und Kredit die ihr typische Funktion als Markt ein. Neben dem einsetzenden starken Wachstum der Städte ist es dann auch die Neugründung von Festungs- und Handelsstädten, die die Grundlage für die territoriale Expansion Vijyaynagaras unter seinem tatkräftigen Herrscher Krishnadevaraya gewährleistete. In den Nayaktümern ist zudem zu beobachten, dass hier, allerdings erst ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, so genannte pattai oder pattinam gegründet werden, Ortschaften respektive Marktflecken, die als lokale Gewerbe- und Marktorte dienten, die auf eine ökonomische Verdichtung hinweisen. Glanz und Höhepunkt der stadtplanerischen und städtebaulichen Entwicklung war die Hauptstadt Vijayanagara (Stadt des Sieges). Sie wurde in Anlehnung an die Prinzipien des Städtebaus geplant, wie sie in diversen altindischen Schriften, so dem Arthashastra des Kautilya aus dem 4. Jahrhundert v. Chr., festgelegt sind. Die Stadt Vijayanagara wurde als symbolisches Abbild des Universums in eine bizarr-felsige Landschaft gebaut und war von insgesamt drei Mauerringen umgeben. Im äußeren Mauerring waren zahlreiche Zitadellen platziert, wie es für eine Haupt- und Festungsstadt vorgeschrieben war. Innerhalb dieses Ringes lagen in den suburbanen Zentren kleinbäuerliche Betriebe, die die Stadtbewohner mit frischem Ost und Gemüse versorgten, wie es auch die theoretischen Schriften forderten. Besonders auffällig war hier die Dichte der künstlichen Bewässerungsanlagen, die teilweise heute noch in Betrieb sind. Eine zweite Ringmauer umschloss dann die eigentliche Stadt. Diese war auf der Grundlage eines idealtypischen Quadrats angelegt, real indes in Form einer Raute, in deren Ecken sich jeweils ein großer Tempel befand – abweichend vom Ideal, bei dem ein zentraler Tempel in der Mitte steht. Der südliche Tempel war innerhalb des königlichen Herrschaftskomplexes platziert, der von einer dritten Mauer umgeben war. Soweit es die schroffe Topografie zuließ, wurde ein systematisches Straßenraster angelegt, das neben rechtwinklig verlaufenden auch radiale und axiale Straßen aufwies. Markant waren die breiten Prachtstraßen und Plätze, teilweise von Kolonaden gesäumt und von großen Stadthäusern umgeben. Im Allgemeinen scheinen die Häuser einstöckig gewesen zu sein. In einzelnen Stadtquartieren und Straßenzügen ließen sich spezifische Berufsgruppen sowie Händler und Kaufleute nieder oder mussten sich dort nieder-
Vijayanagara-Reich
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lassen. Auffällig waren die Juwelierläden sowie der Pferdemarkt und die Obst- und Gemüsemärkte. Fremdartige Einwohner wie Muslime und Jainas siedelten in Wohnbezirken, die ihnen wahrscheinlich zugewiesenen wurden. Die Wasserversorgung stellten ein Nebenarm des Tungabhadra sowie zwei Stauseen, aus denen das Wasser in Aquädukten in die Stadt geleitet wurde, sicher. Brunnen, Zisternen und Tanks ergänzten die Wasserversorgung in den einzelnen Stadtquartieren. Ein Drainagesystem sorgte für den Abfluss der Abwässer, womit Vijayanagara in der Tradition aller großen Stadtanlagen Südasiens seit der Harappa-Zivilisation des 3. Jahrtausends v. Chr. steht.
Stadtbeschreibung Vijayanagaras aus dem frühen 16. Jahrhundert Chronicles of Paes and Nuniz. Letter which accompanied the chronicles when sent from India to Portugal about the year 1537 A. D.) in: R. Sewell, A Forgotten Empire (Vijayanagar). A Contribution to the History of India, New Delhi 1980, S. 253 ff.
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Wenn man in die Stadt Bisnagar (Vijayanagara) kommt, muss man wissen, dass, bevor man an den Stadttoren ankommt, es ein großes Tor samt einer Mauer gibt, die alle anderen Festungsanlagen der Stadt umschließt. Die Mauer ist sehr stark und aus massivem Stein gebaut. … Geht man weiter, dann gibt es eine breite und wunderschöne Straße, voll Reihen prächtiger Häuser, die reichen Kaufleuten gehören. In dieser Straße leben viele Händler, und man findet dort alle Arten von Rubinen und anderen Diamanten sowie echte wie auch Zucht-Perlen, aber auch Stoffe. Dort kann man kaufen was man sich auf Erden vorstellt. Jeden Abend gibt es einen Pferdemarkt, daneben auch einen Obstmarkt, auf dem Zitronen, Limetten, Trauben und alle anderen Sorten von Gartenfrüchten verkauft werden. Am Ende der Straße kommt ein weiteres Tor, das schließlich zum Tor in der zweiten Mauer führt, von dem ich oben gesprochen habe, derart, dass diese Stadt drei Festungsanlagen hat, wobei den Königspalast die dritte Festung(smauer) umgibt.
Die zunehmende Verstädterung wurde durch eine wachsende landwirtschaftliche Produktion ermöglicht. Hinzu kam die gezielte Förderung des Handels und des Handwerks durch Steuernachlässe oder -befreiung, was wiederum zur Ansiedlung von Gewerbe, Hand- und Kunsthandwerk in den Städten führte. Die Intensivierung solcher Land-Stadt-Beziehungen wird als „Rurbanisierung“ bezeichnet. Steigende Zoll- und Steuereinnahmen stellten schließlich die Grundlage für die Modernisierung der Armee bereit, ebenso die Mittel für Reinvestitionen in die Infrastruktur und die Förderung der Wirtschaft. In diesem Sektor ist eine Kommerzialisierung zu beobachten, die durch die zunehmende Monetarisierung der Ökonomie eine entsprechend pekuniäre Basis erhielt. Einzig die Verwaltung des Imperiums hielt im Transformationsprozess zum frühmodernen Staat nicht mit, was letztlich auch eine der wesentlichen Ursachen dafür war, dass es langfristig nicht gelang, die unterschiedlichen Reichsteile zu integrieren. So hatten die Rayas von Vijayanagara versucht, durch einen bürokratisch organisierten Steuereinzug, der durch eigens entsandte Staatsbedienstete vorgenommen wurde, die Einnahmen des Staates zu steigern, waren dabei aber nicht flächendeckend erfolgreich.
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Vijayanagara-Reich und Mogul-Reich im 16. Jahrhundert
I. Steuerbemessung
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Wie effizient der Steuereinzug partiell sein konnte, belegt das einzig überlieferte Beispiel der Stadt Aluvakonda im heutigen Kurnool District und damit im Kerngebiet Vijayanagaras aus dem Jahr 1563. In diesem Jahr wurde Aluvakonda einem Offizier als Aufwandsentschädigung für seine Militärdienste überschrieben und aus diesem Anlass ein Steuerinventar erstellt, das auf Bemessungen des beginnenden 16. Jahrhunderts beruhte. Danach betrug das gesamte Steueraufkommen 4.400 gadyana (die StandardGoldmünze im Vijayanagara-Imperium war der shivarai). Drei Viertel dieser Summe setzen sich wie folgt zusammen: Die Trockenfelder um die Stadt waren an 18 verschiedene Personen verpachtet, die neun Prozent des Steueraufkommen erwirtschaften. Insgesamt werden 39 Ladengeschäfte aufgeführt. Sieben Geschäfte bezahlten keine Steuern, während der Rest insgesamt 53 gadyana entrichtete, was etwa einem Prozent des Steueraufkommens entsprach. Des Weiteren ist von 400 Webstühlen in der Stadt die Rede. Auf 41 wurde keine Abgabe erhoben, der Rest bezahlte fünf Prozent der gesamten Steuereinnahmen. Mit 1.217 gadyana, was 27 Prozent des Steueraufkommens sind, entrichteten Betelhändler, Ölpresser, Geldwechsler, Destiller, Baumwollreiniger und Indigoproduzenten den weitaus größten Einzelposten des Steuervolumens. Zu den städtischen Abgaben kamen die Einkünfte aus zwölf Dörfern, die etwa 25 Prozent des Steueraufkommens ausmachten. Ende des 16. Jahrhunderts war Aluvakonda wieder an die Nachfahren des ursprünglichen Steuerpächters zurückgegeben worden. Jetzt gehörten 43 Dörfer zur Stadt, und ihr gesamtes Steueraufkommen betrug etwa 10.000 gadyana, die zum Unterhalt von Tempeln und Brahmanen aufgewendet wurden. Gemessen am Maßstab des 16. Jahrhunderts war Aluvakonda weder ein wichtiger Steuerbezirk noch eine bedeutende Stadt. Jedenfalls dürfte ihre Steuerverwaltung der von großen Städten weit nachgestanden haben. Um so erstaunlicher ist es, wie differenziert das Steueraufkommen bemessen und teilweise sogar namentlich gelistet ist. Vor allem fällt auf, dass zwar fast zwei Drittel der Steuereinnahmen aus der Landwirtschaft stammten, das verbleibende Drittel jedoch über Gewerbe und Handel erhoben und direkt eingezogen wurde. Doch ein solcher Aufwand scheint dauerhaft und vor allem in den Randgebieten des Imperiums zu hoch oder gar nicht möglich gewesen zu sein, denn seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert vergaben die Rayas Rechte zum Steuereinzug an lokale Magnaten, die dazu einzelne Steuerbezirke zugewiesen bekamen. Diese wurden als nayamkam oder nayakkattanam bezeichnet und bildeten die territoriale Grundlage der Nayaktümer des 17. und 18. Jahrhunderts. Diese Verschiebung bedeutete einen Wandel vom direkten zum indirekten Steuereinzug, der in den Händen einer intermediären Schicht von territorial und gesellschaftlich verankerten Würdenträgern lag. Ihre Gruppe umfasste etwa 80 ehemalige militärische Gouverneure. Seit den 1520er Jahren ist dann die dauerhafte Festsetzung der Nayaks von Tanjavur und Madurai zu beobachten. An den südlichen Rändern der späteren Nayaktümer von Madurai und Ramnad waren hingegen die Machtstrukturen durch rivalisierende Palayakkarar bestimmt. Bei diesen handelte es sich ebenfalls um Kleinkönige, allerdings einer nachgeordneten Kategorie.
Vijayanagara-Reich Nicht alle Nayaktümer organisierten ihr Kleinkönigtum auf die selbe Art und Weise. So zog es der Nayak von Tanjavur vor, brahmanische Siedler zur Unterstützung seiner Macht heranzuziehen, während der benachbarte Nagama Nayak von Tanjavur sein Rajatum mit Hilfe von 72 Palayakkarar verwaltete. Scheint es im 15. Jahrhundert noch eine Schicht intermediärer Verwalter gegeben zu haben, die aus den Kreisen der Brahmanen, Vellalas und Telugu-Heerführern rekrutiert wurde und zwischen den lokalen Institutionen und der Zentralverwaltung der Nayaka agierte, setzte im 17. Jahrhundert eine starke Zentralisierung der Landesverwaltung ein, was sich an der Zahl der zunehmenden, zentral vorgenommenen Verpachtungen von Steuereinzugsrechten ablesen lässt. In den Nayaktümern des ausgehenden 16. Jahrhunderts wird indessen deutlich, dass die oben beschriebene Kommerzialisierung nun in verstärktem Maße auf der regionalen Ebene anzutreffen war, wozu seitens des Nayaka-Staates die Professionalisierung seiner Verwaltung inklusive des Steuereinzugs trat. Die wachsenden wirtschaftlichen und steuerlichen Potenziale versetzten die Nayaka in die Lage, ihre Herrschaft zu konsolidieren und auszubauen, ohne dass das zu einem tatsächlich autonomen Staat mit einer eigenen Legitimität geführt hätte. Solch ein Subordinationsverhältnis gegenüber dem Raya von Vijayanagara schloss jedoch nicht aus, dass dieser nicht militärisch und finanziell von einem Nayak abhängig sein konnte. Das gewachsene Selbstverständnis ihrer Nayaka schlug sich in der Selbstdarstellung nieder. In schriftlicher Form geschah dies unter anderem in einer neuartigen Geschichtsschreibung, die die leidenschaftlichen wie dramatischen Handlungen der Herrscher festhielt. Bislang kannte die tamilisch-telugische Hofhistoriografie eine solche individualisierende Geschichtsschreibung nicht. Erstmals gehörten jetzt menschliches Kalkül und geheime Motivationen zum Kern der geschichtlichen Darstellung, womit auf die rationalen Kausalzusammenhänge politisch Handelnder abgehoben wurde. Architektonisch fand das neue Selbstbewusstsein der Nayaka seinen Niederschlag in den Städten. Allgemein waren Neugründungen wie auch das Wachstum bestehender Städte zu beobachten. Wie oben vermerkt, bildeten Tempelgründungen oftmals den Kern einer religiösen, aber eben auch ökonomischen Einheit und damit oft den Anfang einer einsetzenden Stadtentwicklung. Die Auflistung der Tempelneubauten in den südlichen Nayaktümern während des 16. und 17. Jahrhunderts belegt deren starke Zunahme. Zwischen 1450 und 1550 betrug ihre Anzahl 331, im darauf folgenden Jahrhundert wuchs sie auf 626 an, und zwischen 1650 und 1750 stieg die Zahl der neuen Tempel auf dann insgesamt 899. Aufgrund ihrer Monumentalität waren die neuen Tempelanlagen nicht zu übersehen, dominierten sie doch mit ihren hohen gopuram, den pylonenartigen Torbauten, die Silhouetten der Städte. Die von Raya Krishnadevaraya initiierte Monumentalarchitektur wurde folglich unter den Nayaka fortgeführt, was wiederum als ein Beleg für den Fortbestand des Imperiums gesehen werden kann. Zu den Neubauten von Tempeln kam der Unterhalt, die laufenden Renovierungskosten und der Ausbau bestehender Tempelanlagen. Nur mit Hilfe wachsender steuerlicher Einnahmen ließen sich solch umfassende Bauprojekte finanzieren. Insgesamt deutet dieser Prozess erneut darauf hin, dass es in den Nayaktümern im Verlauf des 16. Jahrhunderts zu einem er-
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Tempelstiftungen in den Nayaktümern
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Vijayanagara-Reich und Mogul-Reich im 16. Jahrhundert
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Perlenhandel
Sultanat von Golkonda
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höhten Konsum an Ge- und Verbrauchsgütern kam. Zur selben Zeit ist auch eine starke Ausrichtung der Wirtschaft auf den Außenhandel zu beobachten. Nachweisen lässt sich das vor allem beim Pferdehandel über die Portugiesen, die nach dem politischen Zusammenbruch Vijayanagaras die Reittiere aus Arabien und Persien nun direkt an die Koromandel-Küste lieferten, während der Elefantenhandel den Payenghat mit Arakan (Birma), Ceylon/Sri Lanka und den Häfen der malayischen Halbinsel verband. Eine ergiebige Einnahmequelle für den Nayak von Madurai war der Perlenhandel über die Häfen der „Perlfischer-Küste“, die gegenüber der Küste Sri Lankas liegt. Im Handel zwischen den Nayaka von Madurai, Tanjavur und Sri Lanka nahm die in den Städten Tamilnads ansässige Gruppe der Chulia und der Chettiyar Kaufleute und Finanziers eine zentrale Stellung ein. Manche Chettiyar ließen sich zur besseren Abwicklung ihrer Geschäfte dauerhaft auf Sri Lanka nieder. Überhaupt wuchs im 16. Jahrhundert die Bedeutung der beiden interregional und transozeanisch operierenden Händlergemeinschaften im Golf von Bengalen. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts kam mit zunehmendem Interesse der Nayaks am Überseehandel den europäischen Handelsgesellschaften wie der East India Company (EIC), die 1600 gegründet wurde, und der Verenigden Oostindischen Compagnie (VOC), 1602 gegründet, eine immer prominentere Rolle unter den ausländischen Kaufmannsgruppen zu, die als Kreditgeber und Handelspartner den Nayaka wertvolle Dienste bei der wirtschaftlichen Expansion und der staatlichen Konsolidierung leisteten. Abgesehen von den politisch wie wirtschaftlich mächtigen Nayaktümern Payenghats erhielt ein lokaler Heerführer namens Chamaraja Wodeyar (1513–53) von Raya Achutadevaraya von Vijayanagara (reg. 1530–42), Bruder und Nachfolger Krishnadevarayas, als dessen unmittelbarem Oberherrn eine handvoll Dörfer entlang des Kaveri-Flusses zugewiesen. Hier errichtete er eine kleine Festung und gab ihr den Namen Mahisuranagara. Es war die ursprüngliche Bezeichnung des späteren Maisur (engl.: Mysore). Die ersten schriftlichen Zeugnisse der neuen Landesherren in Form von Inschriften stammen aus dem Jahr 1551, ein Beleg für die Konsolidierung der Herrschaft und eines allmählichen Statusgewinns auf dem Weg zu einem Kleinkönig. Bis in die 1570er Jahre konnten die Wodeyar ihre Herrschaft auf 35 Dörfer ausweiten, deren steuerliche Einnahmen eine stattliche Kavallerie von 300 Reitern finanzierte. Im Jahr 1610 schließlich verkaufte der letzte amtierende Stadtgouverneur Vijayanagaras Festung und Stadt von Srirangapatanam an Raja Wodeyar (1578–1617), womit die politisch-militärische Basis für die Dynastie der späteren Monarchen von Maisur geschaffen war. Im Sultanat von Golkonda gelang es Sultan Quli Qutb-ul-Mulk und seinen beiden Nachfahren, in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts die Qutb Shahi-Dynastie zu etablieren. Sultan Qutb-ul-Mulk stammte aus Persien und begann als Jugendlicher seine militärische Laufbahn in der Leibwache des regierenden Bahmani-Sultans, Muhammad Shah III. (reg. 1462–82), bis er schließlich Gouverneur von Telingana im Osten des Landes wurde. 1518 hatte Qutb-ul-Mulk eine gewisse Autonomie innerhalb des Bahmani-Sultanats erreicht, weshalb er als Kleinkönig einzustufen ist. In den nachfolgenden Jahren baute er die Festung Golkonda systematisch aus und begann, seinen Einflussbereich auf die nördlich und südlich gelegenen Landstriche
Vijayanagara-Reich
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auszuweiten. In der Mitte des 16. Jahrhunderts sollte schließlich Ibrahim Qutb Shah (reg. 1550–80) nicht nur erstmals den Titel Shah führen und damit die Autonomie des Sultanats von Golkonda sicherstellen, sondern unter seiner Herrschaft wurde Golkonda zur führenden Macht unter den rivalisierenden fünf Sultanaten des Dekhan. Auf deren wechselndes „Allianzspiel“ übten bekanntlich die Raya von Vijayanagara bis zur militärischen Katastrophe von 1565 wirkungsvollen diplomatischen Einfluss aus. Auch im Sultanat von Golkonda expandierten Handel und Wirtschaft. Das lässt sich erneut an den zahlreichen Gründungen von Marktorten ablesen, vor allem aber an der wachsenden Bedeutung von Masulipatnam als subkontinentaler und interkontinentaler Umschlagplatz, über den im 17. Jahrhundert der Außenhandel Golkondas und des gesamten Dekhan lief. Besonders bekannt waren die Diamanten-Minen in Kulur. Wegen ihrer Größe waren die Diamanten Kulurs auf dem indischen Subkontinent und darüber hinaus bekannt und begehrt. Vertrieben wurden sie auch in Vijayanagara, wo sich einige wenige europäische Händler, die über Goa nach Südasien gekommen waren, dauerhaft als Diamanten-Händler niederließen. Anfänglich arbeiteten wohl an die 30.000 Schürfer in den Minen, im 17. Jahrhundert sollten es dann bis zu 60.000 gewesen sein. Zu einem Großteil arbeiteten sie auf Lohnbasis, das heißt, ohne Produktionsmittel zu besitzen, wurde ihre reine Arbeitskraft in Geld oder Naturalien entlohnt. Ebenfalls auf Lohnbasis wurde in staatlichen Betrieben, den Karkhana, gearbeitet, wo die Sultane und die nordindischen Moguln primär Waffen schmieden, aber auch Möbel, Brokatstoffe und andere Luxustextilien für den höfischen Bedarf herstellen ließen.
Indischer Edelsteinhandel Jean Baptiste Taverniér, Reisen zu den Reichtümern Indiens. Abenteuerliche Jahre beim Großmogul 1641–1667. Hgg v. S. Lausch und F. Wiesinger. Stuttgart 1984, S. 191 f.
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Die Arbeiter (in den Minen Kulurs) verdienen im Jahr nur den jämmerlichen Lohn von drei Pagodes. Deshalb versuchen sie oft, einen Stein beiseite zu schaffen. Dies gelingt ihnen auch manchmal, indem sie den Stein verschlucken. Anders können sie ihn nicht verstecken, weil sie nur mit einem Schamtuch bekleidet sind. Einer der Kaufleute zeigte mir eines Tages einen Arbeiter, der schon jahrelang für ihn gearbeitet und ihm einmal einen Stein von ungefähr zwei Karat gestohlen hatte. Den Stein hatte er in seinem Augenwinkel versteckt. Der Stein wurde aber entdeckt und ihm weggenommen. Um zu verhindern, dass weiterhin Diebstähle verübt würden, wurden für je 50 Arbeiter 12 bis 15 Wächter zur Überwachung der Arbeiter angestellt. Die Kaufleute, die nur hierher kommen, um Handel zu treiben, bleiben in ihren Häusern. Jeden Morgen zwischen zehn und elf Uhr bringen ihnen die Kaufleute, die Schürfarbeiten vornehmen lassen, die Steine zur Begutachtung. Sie werden ihnen dann einige Tage zur besseren Überprüfung überlassen. Wenn letztere aber wiederkommen, um ihre Steine abzuholen, muss man schnell handeln und die Diamanten sofort kaufen. Falls man zu lange zögert, bekommt man die Steine nie wieder zu Gesicht. Die Bezahlung erfolgt dann über den Cheraf, der Wechsel ausstellt und einlöst. Wenn der Käufer mehr als vier Tage mit der Bezahlung wartet, werden ihm Überziehungszinsen berechnet, und zwar eineinhalb Prozent pro Monat.
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Vijayanagara-Reich und Mogul-Reich im 16. Jahrhundert
I. Hauptstadt GolkondaHaiderabad
Die Hauptstadt Golkonda baute Ibrahim Qutb Shah zu einer prächtigen und repräsentativen Residenzfestung aus, mit großen Gartenanlagen und Badehäusern (Hamam) sowie zahlreichen Bildungseinrichtungen. Unter Ibrahims Herrschaft erreichte der Qutb-Shahi-Architekturstil seine volle Ausprägung, der sich durch eine besonders ornamentale Fassadengestaltung, Ecktürme, die als kleine Minarette erscheinen, und das deutlich vorspringende Galeriegeschoss auszeichnet. Zur Wasserversorgung der Stadt ließ er zwei große Stauseen anlegen; einen in der Nähe Ibrahimpattams, der andere ist bis heute als Hussain Sagar bekannt. Während Ibrahims Herrschaftszeit nahm die so genannte Dakhani Urdu-Poesie Anfang und Aufschwung. Aber auch andere Literaturen, besonders die Telugu-Schriften, fanden die Patronage des Sultans als Förderer von Kunst und Wissenschaft
Südasien zu Beginn des 17. Jahrhunderts
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Anfänge und Aufbau des Mogul-Reiches
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in seinem Land und besonders an seinem Hof in Golkonda, der sich zu einem Kulturzentrum ersten Ranges auf dem südasiatischen Subkontinent entwickelte. Doch trotz der künstlichen Wasserversorgung wurde die Stadt, auch wegen der wachsenden Bevölkerung, innerhalb weniger Jahrzehnte unbewohnbar. Muhammad Quli Qutb Shah (reg. 1588–1612) verlegte daher 1590 die Residenz in das nahe gelegene Haiderabad am Ufer des Flusses Musi. Eine komplett neue Stadt wurde hier geplant und gebaut. Das bis heute bekannteste Bauwerk der Stadt und zugleich ihr Wahrzeichen ist das Char Minar, ein rechteckiges Gebäude mit vier großen Tordurchfahrten und in seinen Ecken vier Minarette (daher der Name) inmitten einer Straßenkreuzung, die wiederum die Mitte der Stadt markiert. Zur Zeit des Stadtneubaus versuchte Raya Vekata II. von Vijayanagara (reg. 1586–1614) mit einer Armee nach Norden vorzustoßen, um seinen direkten Einflussbereich wieder auszuweiten, doch die Invasion scheiterte. Stattdessen schob Muhammad Quli die Grenzen weiter nach Süden und Westen vor, wobei erneut der Krishna als Grenzfluss zwischen beiden Reichen festgeschrieben wurde. Im Mächtekonzert Karnatakas und im Payenghat versuchte der Raya an den alten imperialen Glanz Vijayanagaras anzuknüpfen, freilich ohne Erfolg. Die Verwaltung des Sultanats von Golkonda beruhte im Wesentlichen auf der Kooperation der Telugu-Kleinkönige und der Brahmanen. Sie bildeten als ubiquitäre Steuerverwalter den Kern der Administration. Die Einnahmen aus Handel und Gewerbe verblieben meist in den Händen von Zunftund Gildenvorstehern, denen die Sultane diesbezüglich freie Hand ließen und nur auf der Abgabe fixer Beträge bestanden. Die Telugu-Nayaka übten die ihnen verbliebene Macht, die unter den Sultanen stark beschnitten worden war, von ihren Festungen aus. Jedoch befanden sich einige dieser Anlagen inzwischen unter der zentralen Kontrolle des Sultans. Den Verlust an militärischer Macht kompensierten sie ihrerseits durch die Vergabe von Ehrentiteln und über rituelle Gunstbezeugungen. Die persönliche Bindung der alteingesessenen Nayaka bildete die Herrschaftsstütze der Sultane auf dem Land und bewirkte hier eine Integration, die weitaus intensiver war, als in diesem Gebiet durchzusetzen es die Raya von Vijayanagara jemals vermocht hatten.
2. Anfänge und Aufbau des Mogul-Reiches Anfang des 16. Jahrhunderts wurde Zahir-ud-din Muhammad Babur (1482–1530), ein Chaghatai-Türke aus Zentralasien, aus seiner Residenzstadt Samarkand vertrieben. Seitdem versuchte er mit militärischer Hilfe des iranischen Safawiden Shah Ismail (reg. 1502–24) in den Panjab und nach Hindustan einzufallen. 1526 gelang es ihm schließlich, die Lodi-Dynastie in Delhi zu stürzen. Babur betrat zu einem Zeitpunkt die politische Bühne Nordindiens, als zwischen Afghanen und Rajputen erbittert um die Macht in Panjab und Doab gekämpft wurde. Die nachfolgenden Jahrzehnte waren
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geprägt von anhaltenden Auseinandersetzungen um die Herrschaft in Hindustan. Erst Baburs Enkel Akbar sollte es gelingen, die Herrschaft der Moguln dauerhaft zu festigen und ein Imperium einzigartigen Ausmaßes und Aufbaus zu etablieren. Dass der Reichsgründung nachhaltig Erfolg beschieden war, hing auch damit zusammen, dass es die Moguln verstanden, sich von Anbeginn als südasiatische Herrscher zu begreifen und die Indigenisierung ihrer Herrschaft zu betreiben, im Unterschied zu der oft als fremd empfundenen afghanischen Lodi-Dynastie.
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Aufbau und Charakter des Mogul-Imperiums
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Moguln Die Herrscher des Mogul-Reiches 1526–1858 werden als Padshah tituliert. Der Mogul ist dem königlichen Shah übergeordnet und mit einem Kaiser zu vergleichen. Der erste Mogul Babur war ein aus Zentralasien stammender Fürst, daher auch die allgemein übliche Bezeichnung Mogul = Mongole. Babur war ein Sprössling der Timuriden-Dynastie. Sie bezeichnet das von Timur (Tamerlan) gegründete Herrscherhaus in Zentral- und Südwestasien, das von 1363–1506 im Gebiet der heutigen Staaten Afghanistan, Iran und Usbekistan regierte.
Zwei Aspekte sind in dieser Eroberungsgeschichte von Bedeutung. Zum einen müssen die nordindischen Kontinuitäten von der Lodi-Dynastie zur Timuriden-Dynastie beachtet werden, denn bei den Feldzügen Baburs handelte es sich keinesfalls um eine bloße Invasion, bei der ein Heerführer kam, sah und siegte und anschließend herrschte. Zum anderen müssen, in der räumlichen Dimension, zusätzlich die Reichsgründungen der Osmanen und der Safawiden berücksichtigt werden, die zur selben Zeit stattfanden. Den Osmanen gelang es nach der Eroberung Ägyptens 1517, der Cyrenaika 1521, Tunesiens 1531 und Baghdads 1534 mit der imperialen Grandeur unter Sultan Süleiman „dem Prächtigen“ (reg. 1523–66) in Westasien und Nordafrika ein Imperium neuer militärischer, kultureller und administrativer Zentralität zu errichten. Gleiches ist in Persien zu beobachten, wo Shah Ismail die Herrschaft der Safawiden begründete, die ebenfalls mit einer Verdichtung der Macht und einer ausgesprochen höfischen Kultur in dem zur Residenzstadt ausgebauten Isfahan einherging. In Forschung und Geschichtsschreibung wird das Mogul-Imperium in Aufbau und Charakter kontrovers diskutiert und dargestellt. Momentan haben sich zwei Positionen herauskristallisiert. Die sicherlich heftigste Debatte wird um den politischen Charakter des Mogul-Reiches geführt, nämlich ob es noch ein spätmittelalterliches Reich oder schon ein frühneuzeitlicher Staat gewesen ist. Verbunden damit ist die Frage, ob es sich bei diesem Reich/Staat eher um einen Leviathan oder eher um einen Papiertiger gehandelt hat. War das Mogul-Reich ein mächtiges, zentral organisiertes, von einer neuzeitlichen Militärmaschinerie beherrschtes und einer bürokratisierten Administration verwaltetes Imperium, das im ausgehenden 17. Jahrhundert inquisitorisch-absolutistische Strukturen aufwies, oder war es ein Reich, das eher auf dem Papier in Form idealtypischer Herrschaftsstrukturen existierte, wie sie mit dem berühmten „Akbarnama“ aus der Feder des Hofhistoriografen Akbars, Shaikh Abu’l Fazls (1551–1602) Ende des 16. Jahrhunderts in die Welt gesetzt wurde? War es ein Reich, das in Wirklichkeit längst nicht so „modern“ war, wie bisweilen behauptet, sondern im Gegenteil ein eher loser, fast anarchischer Bund?
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Besagte „Modernität“, so wird als Argument angeführt, beziehe sich auf die britische Selbstwahrnehmung des eigenen Kolonialreiches in Südasien, das sich gern in der Nachfolge des Mogul-Reiches präsentierte und es infolgedessen als Prototyp mit vergleichbar „modernen“ Strukturen, wie die Briten sie für ihr Raj beanspruchten, erscheinen lassen musste. Das „Akbarnama“ lieferte demnach die Blaupause von Herrschaftskontinuität und der eigenen Herrschaftsvorstellung. Bis in die Gegenwart werden direkte Vergleiche zwischen dem normativen Text des „Akbarnama“ und vor allem seinem umfangreichen statistischen Anhang, dem „Ain-i-Akbari“, zur Steuerbemessung und Steuerverwaltung einerseits und andererseits der bürokratischen Datensammlung in den Settlement Reports der Briten im 19. Jahrhundert hergestellt. Ein solches Konstrukt verweist deutlich auf eine nach wie vor ungebrochene historiografische Tradition, die auf der ehemaligen kolonialen Herrschaftslegitimation basiert. Betonten die Briten ihre Nachfolge auf die Timuriden-Dynastie, so leitete Babur gleichfalls seinen Herrschaftsanspruch auf Nordindien als unmittelbarer Nachfahre Timur Tamerlans (1336–1405) ab. Dieser hatte Ende des 14. Jahrhunderts ein Imperium errichtet, das von Zentralasien und dem nördlichen Südasien bis nach Westasien reichte. 1398 hatte er auch Delhi erobert. Das Imperium zerfiel jedoch nach 1470 wieder. Babur gelang es ab 1526 zwar recht schnell, weitere Teile Hindustans zu unterwerfen, allerdings scheiterte er bei seinem Versuch, seine ehemalige Hauptstadt Samarkand wieder zu erobern. Als Babur 1530 starb, erstreckte sich sein Reich von Kabul bis Bihar und von Delhi bis Gwaliar. Von einer konsolidierten oder gar stabilen Herrschaft der Moguln konnte indes noch nicht die Rede sein. Baburs Sohn Humayun (1508–56) sollte dies am eigenen Leib erfahren. Während Humayun nach 1530 mit mehrjährigen Feldzügen versuchte, die Grenze des Reiches weiter nach Süden Richtung Gujarat auszudehnen, formierte sich unter Sher Shah Sur (1486?–1545), einem afghanischen Fürsten und Heerführer, der Widerstand der Afghanen. Zwei katastrophale Schlachtverläufe 1539/40 beendeten vorerst die Herrschaft der Timuriden in Hindustan, und Humayun musste sich geschlagen nach Kabul zurückziehen. Sher Shah Sur war bis zu seinem Tod 1545 unangefochtener Monarch Hindustans, der seine Herrschaft auf eine feste Grundlage stellen konnte. Zunächst reformierte er den Steuereinzug, der künftig auf nach Ernteerträgen berechneten Steuerbeträgen beruhte und direkt eingezogen wurde (Zabt). Vermutlich ist in den 1540er Jahren auch die Silberrupie als allgemein gültige Währungseinheit durchgesetzt worden, um die Steuerbeträge effizient realisieren zu können, was wiederum wesentlich zur Zentralisierung des Steuersystems beitrug. Die Provinzen seines Reiches, allen voran Gujarat, Bengalen und Berar, behielten jedoch ihre gewohnten Steuersysteme, die, wenn überhaupt, nur geringfügig modifiziert wurden. Von einem uniformen System kann folglich nicht gesprochen werden, wohl aber von einem mit zentralen Strukturen. Zur Verbesserung des Handels und zur militärischen Absicherung ließ Sher Shah Sur ein Basisnetz von Straßen anlegen, dessen Rückgrat die Straße von Kabul nach Dhaka bildete. Sie wurde nach ihm benannt, unter Akbar und seinen Nachfolgern weiter ausgebaut und schließlich unter briti-
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scher Herrschaft als Grand Trunk Road bekannt. Von dieser Hauptachse zweigten große Straßen nach Agra und Burhanpur sowie von Agra nach Jodhpur ab. Nach zeitgenössischen Angaben gewährleisteten 1.700 Sarais, mehr oder weniger befestigte Rastplätze mit Stallungen und Unterkünften, die Sicherheit des Handels. Zugleich dienten die Sarais als Umschlagplätze, an denen Geschäfte auch außerhalb der urbanen Zentren getätigt wurden. Militärischen Verbänden boten die Sarais ebenfalls Schutz, was auf die Doppelfunktion der Gebäude verweist. Auf diese Art und Weise schuf Sher Shah Sur die organisatorischen und infrastrukturellen Voraussetzungen, auf denen Akbar in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bei seiner Expansion nach Gujarat und Bengalen und der Anlage seines Steuersystems aufbauen konnte. Dem Sohn und Thronfolger Sher Shah Surs, Islam Shah Sur (reg. 1545–53), gelang es in dem knappen Jahrzehnt seiner Herrschaft nicht, das Reich zu stabilisieren und die Administration weiter zu zentralisieren. Nach seinem Tod wurde es in drei Teile gespalten, den Panjab, Agra und Delhi sowie Bihar und Bengalen. Das bot Humayun, der inzwischen eine stattliche Armee aufgestellt hatte, die lange gesuchte Gelegenheit, sein Reich zurück zu erobern. 1554 fiel er in den Panjab ein und eroberte binnen kurzem Delhi. In den beiden verbliebenen zwei Jahren seiner Herrschaft gelang es ihm noch, die Dynastie der Timuriden in Hindustan zu restaurieren, so dass sein Sohn Akbar (reg. 1556–1605) eine stabile Machtgrundlage vorfand. Nicht einmal Akbars Minderjährigkeit konnte die junge Herrschaft gefährden. Bis zu seiner Volljährigkeit blieb Akbar in Delhi. Mit der Übernahme der Regierung verlegte er 1561 die Residenz in das neue gegründete Agra, eine großartige Festungs- und Palastanlage, um so seine Unabhängigkeit und seinen Herrscherwillen zu demonstrieren. In mehreren militärischen Kampagnen schob Akbar zwischen 1561 und 1564 die Grenzen auf dem Dekhan nach Süden vor, zunächst in Malwa-Rajputana, dann im Südosten in Richtung des zentralindischen Gondwana. In den 70er Jahren setzte er die weitere Expansion und Arrondierung des Reiches fort, zunächst 1573 mit der Eroberung Gujarats. Damit war der Zugang zum Arabischen Meer und seinen Handelswegen, aber auch den Pilgerrouten gesichert. Unmittelbar im Anschluss daran gelang 1576 die militärische Unterwerfung Bihars und Bengalens. Innerhalb von knapp zwanzig Jahren vermochte es Akbar, die Grenzen seines Reiches über diejenigen Sher Shah Surs auszudehnen. In den anschließenden Jahrzehnten baute Akbar die militärische und die zivile Verwaltung des Imperiums auf. Gleichzeitig installierte er einen Personenkult, der die Grundlage für den späteren Mythos der Moguln in Südasien und darüber hinaus werden sollte. Eine drohende Invasion aus Uzbekistan in die Provinz Kabul zwang Akbar, 1585 die Hauptstadt nach Lahore in den Panjab zu verlegen, um so persönliche Präsenz an der nordwestlichen Flanke des Reiches zu zeigen. Die Bedrohung war schließlich Ende des Jahrhunderts abgewendet und der Handelsweg nach Zentralasien wieder offen. Vor allem der Pferdehandel über Kabul und den Khaiber-Pass nach Hindustan war lebenswichtig für die stetig wachsenden Kavalleriekontingente, aber auch in umgekehrter Richtung war die Route wichtig für den Exporthandel von Textilien aus dem Pan-
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jab, weshalb Akbar der Angelegenheit solch große Aufmerksamkeit widmete. Als die Lage wieder unter Kontrolle war, wandte sich Akbar erneut der Südgrenze zu und schickte 1591 Gesandtschaften zu Ibrahim Qutb Shah von Golkonda (reg. 1550–80) und Ibrahim Adial Shah II. von Bijapur (reg. 1580–1626), um von den beiden Sultanen die Anerkennung der timuridischen Oberherrschaft in Südasien einzufordern, allerdings ohne Erfolg. Nachdem der Sultan von Ahmadnagar 1595 eine ähnliche Gesandtschaft öffentlich brüskiert hatte, entsandte Akbar ein Expeditionsheer. Doch erst 1601 annektierte er die Sultanate Khandesh, große Teile Ahmednagars, sowie Berar. Golkonda und Bijapur sollten indessen bis Ende des 17. Jahrhunderts unabhängig bleiben.
3. Padshah Akbars imperialer Staat Eine der wesentlichen Stützen des Imperiums bildete die neue Nobilität, die Akbar im Verlauf seiner Herrschaft etablierte. Wichtigstes Anliegen Akbars war es zum einen, die Zahl ihrer Mitglieder zu reduzieren, was ihm mit der Verringerung von 222 auf 182 Würdenträgern im Jahr 1595 auch gelang; zum zweiten die dominierenden Chaghatai und usbekischen Turani zu reduzieren und als Ausgleich neue Fürsten aus den indigenen südasiatischen Eliten zu schaffen. Um 1580 bestand die neue Nobilität aus 48 Chaghatai und Turani, hinzu kamen jetzt 47 neue persische Noble und 44 Sayyiden, angebliche Nachfahren des Propheten Muhammed, die im 13. Jahrhundert über Persien in die Nähe von Delhi eingewandert waren und sich von dort im Laufe der Jahrhunderte in der Region ausgebreitet hatten. Die Rajputen stellten 43 Mitglieder der Nobilität. Die Integration der sichtlich heterogenen Elite erfolgte einerseits über Ehrbezeugungen während höfischer Zeremonien, andererseits über die Vergabe von Ämtern in der zivilen und militärischen Verwaltung. Eine auf Ausgleich der unterschiedlichen Interessen zwischen den diversen Gruppen ausgerichtete Innen- und Hofpolitik sollte künftig das wesentliche Merkmal der dynastischen Herrschaftskonsolidierung und der Integration des Imperiums sein. Besonders die Integration der Rajputen in der Provinz Malwa, die einem Hindu-Glauben anhingen, verdient in diesem Zusammenhang Beachtung, zeigt es doch das Bemühen Akbars, seine Herrschaft auf eine breite Akzeptanzbasis in der Bevölkerung Südasiens zu stellen und ein einheimischer Monarch zu werden. Insgesamt lassen sich bei der Politik Akbars gegenüber den Rajputen-Rajas drei Phasen beobachten, die in die Jahrzehnte 1561–70, 1570–80 und 1580–90 eingeteilt werden können. Die erste Phase setzte die Strategie der Sultane von Delhi einschließlich Sher Shah Surs fort, nämlich kleinere Rajputen-Rajas als Alliierte in einem dann gemeinsamen Kampf gegen andere Rajputen-Rajas zu instrumentalisieren. Ein grundlegender Wandel in der Politik setzte in der zweiten Phase ein. Um die Loyalität der Rajputen-Rajas gegenüber Akbar zu erzeugen, verstärkte er die Allianzen und ernannte viele Rajputen-Rajas zu Militärkommandeuren, die er samt ihren Truppeneinheiten in seine Dienste stellte. Gekrönt wurde diese
Nobilität des Mogul-Reiches
Integration der Rajputen-Rajas
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MansabdarHierarchie
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Politik mit dem „Fürstentag“ des Jahres 1570, als fast die Hälfte aller Rajputen-Rajas in Nagaur erschienen, um das Bündnis mit Akbar zu festigen. In der dritten Phase ernannte Akbar zahlreiche Rajputen zu Mansabdar (Ehrenrang, siehe unten) und gab ihnen wichtige Posten in der imperialen Verwaltung. Gleichwohl verschob sich jetzt die Politik Akbars von rein strategischen Allianzen zu einer partizipatorischen Partnerschaft im Mogul-Imperium in Form von Ehrbezeugungen und Ämtervergabe auf den imperialen Hoftagen, den Darbar. Wie stark und nachhaltig diese Einbindung wirkte, belegen regionale Bardentraditionen in Rajputana, die Akbar als Inkarnation Ramas, des Kshatriya(Krieger)-Helden der Rajputen besangen. Die gegenseitige Anerkennung bewirkte einen beiderseitigen Zuwachs an Autorität, wobei sich diejenige Akbars freilich potenzierte und ihn als souveränen Herrscher in Hindustan und Rajputana legitimierte. Eine solche Integration war ein Novum in der Politik islamischer Herrscher in Südasien, die die gewünschte Wirkung nachhaltig sicherstellte. Geschickt war auch die Heiratspolitik, die Akbar gegenüber den Rajputen-Rajas seit seinem Regierungsantritt verfolgte. Akbar selbst ehelichte bereits 1562 eine Rajputen-Prinzessin. Im Laufe der Jahre verheiratete er Töchter aus Rajputengeschlechtern mit den Prinzen seines Hauses wie auch mit Mitgliedern der Nobilität. Solche Heiraten waren unübersehbare Zeichen der Unterwerfung, zugleich aber der Inkorporation in die imperiale Elite. Die Einbindung in den Herrschaftskörper war eine Form der dynastisch-familialen Integration, welche die Basis für eine fast zwei Jahrhunderte währende Loyalität der Rajputen gegenüber den Moguln schuf. Diese enge personelle Bindung ermöglichte es Akbar, die Verwaltung Hindustans auf die Rajputen-Territorien auszuweiten und sie der zentralen Administration direkt anzugliedern. Unangenehm machte sich diese unmittelbare Herrschaft im Falle des Rajputen-Raja von Jodhpur bemerkbar, als Akbar dessen Rajatum wegen Disputen um die Thronfolge kurzerhand von 1563 bis 1583 unter direkte Reichsverwaltung stellte. Es wäre jedoch verfehlt anzunehmen, Akbars Politik wäre durchgängig Erfolg beschieden gewesen. Allein die drei Phasen zeigen an, dass die Integration ein schwieriges politisches Geschäft war. So widersetzte sich Maharana Pratab von Mewar bis zu seinem Tod 1597 erfolgreich allen Unterwerfungsversuchen. Das hielt Akbar allerdings nicht davon ab, 1590 den RajputenRaja Man Sing zum Subadar von Bengalen zu ernennen und mit der schwierigen Aufgabe zu betrauen, den Widerstand der afghanischen Elite in Bengalen zu brechen und die Provinz administrativ in das Imperium zu integrieren. Der Politik der Partnerschaft, wie sie sich gerade in der Person Man Sings zeigte, waren indessen Grenzen gesetzt, denn wegen des Widerstands konservativ muslimischer Mansabdar und der Gelehrtenschaft (Ulema), konnten Akbar, wie auch seine beiden Nachfolger, nur höchst selten Mansab-Ränge an Rajputen-Rajas vergeben. Die neue Nobilität erhielt von Akbar die höchsten Ämter der Reichsverwaltung im militärischen und zivilen Bereich zugewiesen. Hintergrund war der aus Zentralasien stammende Ehrenrang des Mansabdar, der mit der militärischen Rangordnung, wie sie Sher Shah Sur in den 1540er Jahren installiert hatte, verbunden wurde und das Kernstück der Verwaltungsreform bildete. Der Mogul war fortan Quell und Ursprung aller Würden und Ehren
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im Imperium. Insgesamt war die Hierarchie in 33 Stufen gegliedert, wobei die oberen Ränge meist den militärischen Kommandeuren übertragen wurden. Auf- und Abstieg auf der „Karriereleiter“ hing allein von der Gunstbezeugung Akbars und seiner Nachkommen auf dem Timuriden-Thron ab. Allerdings beruhten die Ernennungen auf einem meritokratischen Prinzip und wurden mitnichten willkürlich vorgenommen. Prinzipiell waren die Mansabdar-Ränge nicht vererbbar, was nicht ausschloss, dass der Sohn eines Mansabdar ebenfalls einen Mansabdar-Rang erhielt, der dann allerdings geringer als der des Vaters sein musste. Den 33 Mansabdar-Rängen der Zivil- und Militärhierarchie ordnete Akbar Steuereinkünfte (Zat) zu, die ein Mansabdar zum Unterhalt der festgelegten Kavalleriekontingente (Sawar) erhielt. Zur Finanzierung erhielt der Mansabdar einen Steuerbezirk, ein so genanntes Jagir. Administrativer Rang und fiskalisch-finanzielle Versorgung standen demnach in einem unmittelbaren Bezug zueinander. Die Stärke der Kavallerieeinheiten reichte von bescheidenen zehn bis zu der enormen Zahl von 7.000 Reitern, wobei diejenigen ab 5.000 den Prinzen aus dem Timuriden-Haus vorbehalten blieben. Der Unterhalt schloss die Bereitstellung von Reiter, Ross und Rüstzeug ein. Zu Akbars Zeiten galt als Mitglied der Nobilität, wer mindestens 500 Zat hatte, zu Beginn des 17. Jahrhunderts lag das Kriterium dann bei 1.000 Zat. Jeder Mansabdar unterstand dem direkten Befehl Akbars, was Eigenmächtigkeiten ebenso verhindern sollte wie der regelmäßige Einzug der Steuerbezirke und die Unvererbbarkeit der Ränge. Aus dem gleichen Grund wurden größere Steuerbezirke in mehrere Jagir aufgeteilt, und jene generell alle drei bis fünf Jahre neu vergeben. Rotation, Distribution und Nicht-Vererbbarkeit sollten das Entstehen einer territorialen Hausmacht verhindern. In der Militär und Zivilstruktur des Imperiums bekleidete ein Mansabdar das Amt des Subedar (Gouverneur), als Nazim war er für die militärische Ordnung und die Kriminaljustiz zuständig, als Diwan für die zivile Gerichtsbarkeit und den Steuereinzug. Als Faujdar, Kommandant, unterstand ihm ein bestimmter Thana, ein Militärbezirk, als Bakshi war er Zahlmeister und verantwortlich für den Nachrichtendienst. Auch als Festungskommandant (Qiladar) war ein Mansabdar eingesetzt. Doch achtete Akbar streng darauf, dass es nicht zur Bildung von Personalunionen bei den einzelnen Ämtern kam, die schnell zu einer politisch-militärischen und fiskalen Machthäufung geführt und die dezentralen Substrukturen des Imperiums gefördert hätten. 1595 reformierte Akbar das Mansab-System, indem er zu dessen flexiblen Handhabung die Höhe der Steuereinnahmen (Zat) und die Anzahl der Kavalleristen (Sawar) entkoppelte. Mittels Erhöhung oder Senkung von Zat bzw. Sawar konnte Akbar individuell auf Anzeichen der Insubordination oder umgekehrt auf besondere erwiesene Loyalität reagieren, oder bei der Bestallung eines zivilen Mansabdar die Zahl des Militärs entsprechend gering halten. Im Jahr der Verwaltungsreform umfasste die Nobilität des Imperiums insgesamt 1.827 Personen respektive Amtsträger, die mindestens 141.000 Pferde und Reiter unterhielten, wozu sie etwa 82 Prozent der jährlichen Steuereinnahmen in Anspruch nahmen. Gemessen an diesen hohen Kosten für den Militär- und Zivilapparat nahmen sich diejenigen des imperialen Haushalts einschließlich der Gardeeinheiten, bestehend aus Kavallerie und
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Steuerreformen und Steuerveranlagung 1560–90
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Infanterie, Arsenal und Ausrüstung zusätzlich der Kosten für die imperialen Bautätigkeiten mit Posten von neun bzw. knapp fünf Prozent recht bescheiden aus. Grundlage der Steuereinnahmen, die zu etwa zehn Prozent aus den städtisch-dörflichen Gewerben und zu 90 Prozent aus der Landwirtschaft stammten, war die Reform der Landsteuer, die Finanzminister Raja Todar Mal (gest. 1586) im Namen Akbars in den 1560er Jahren anging. Sie basierte in Hindustan auf der von Sher Shah Sur eingeführten uniformen Steuerveranlagung, die auf der Vermessung des Landes und der daran errechneten Steuer (Zabt) beruhte. Todar Mal sammelte in den darauf folgenden Jahren im ganzen Reich umfangreiches Material zur Steuerbemessung. Teil und Vorläufer der Steuerrevision von 1580 war der Einzug allen steuerfreien Landes im Jahr 1578. Sofern Rechtstitel nicht nachgewiesen werden konnten, wurde das Land konfisziert und zu neuen Konditionen an religiöse Institutionen wieder ausgegeben. Schließlich unterzog Todar Mal dieses System in den 1580ern einer generellen Revision, indem er zunächst alle Jagir einzog, die Vergütungen für die Mansabdar vorübergehend aus der zentralen Kasse (Khalisa) bestritt und über einen Zeitraum von zehn Jahren Daten zu Preisentwicklung und Steuersätzen erfassen ließ. Am Ende der Inspektion legte Todar Mal für jeden einzelnen Steuerbezirk einen nach dem Jahresdurchschnitt errechneten Steuerbetrag fest. Das System ist unter der Bezeichnung Bandobast (systematische Ordnung) bekannt geworden. Auf diese Art und Weise gab Todar Mal dem Steuersystem Flexibilität, denn einerseits nahm es nun Rücksicht auf lokale Unterschiede, andererseits sicherte es den zentralen Zugriff auf die fiskalen Ressourcen. Bandobast Freilich darf bei dieser Steuerveranlagung nicht übersehen werden, dass mehr als ein Drittel allen landwirtschaftlich genutzten Landes zum Zeitpunkt der Steuerrevision weder inspiziert geschweige denn vermessen wurde. Bandobast existierte nur in den Provinzen Hindustans und des Dekhans, nicht jedoch in den Provinzen Thatta, Kabul, Kashmir, Bengalen und Orissa. Hier wurden lediglich fixe Tribute eingefordert, die wie in allen Provinzen in barem Geld zu erfolgen hatten. Abgesehen davon fußte Bandobast, dessen Daten Eingang in das „Ain-i-Akbari“ des Akbarnama fanden, auf zum Teil veralteten Informationen, so wenn beispielsweise der Steuersatz Jama der ost-bengalischen Stadt Gaur auf Angaben aus einer Zeit stammten, in der sie noch blühende Handelsstadt war, bevor sie infolge der Pest zeitweilig verlassen wurde.
Gerade im Steuersektor zeigt sich, dass das Mogul-Imperium weniger einem straff von Wand zu Wand gespannten Teppichboden als einem fest verarbeiteten Flickenteppich glich. Die Steuerverwaltung bestand eher aus verschiedenen Arrangements, die mit Hilfe einer zentralen Administration systematisch erfasst wurden, die wiederum die Weiterleitung der Steuern an die Khalisa organisierte. Der Transfer der Steuereinnahmen geschah zum einen über Geldtransporte, die wegen der latenten Gefahr von Überfällen natürlich unpraktisch waren, zum anderen nahmen die südasiatischen Wechsel, so genannte Hundi, in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu, mit deren Hilfe die Steuern über Bank- und Handelshäuser innerhalb des Imperiums weitergeleitet wurden. Generell verweist die Zunahme der Hundi auf expandierende Wirtschafts- und Handelsgeschäfte. Derzeit ver-
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Padshah Akbars imperialer Staat fügbare Daten zur wachsenden Wirtschaft Südasiens lassen den Schluss zu, dass wohl 90 Prozent aller Importe in das Mogul-Reich aus den Edelmetallen Gold und Silber sowie aus Pferden bestanden, wobei letztere in Silber bezahlt werden mussten. Pferde waren unabdingbar für die leichten Kavallerieverbände, wie sie in allen modernen Armeen Südasiens anzutreffen waren. Für das Mogul-Reich gehen Schätzungen davon aus, dass jährlich mindestens 22.000 Pferde importiert wurden. Da in Südasien selbst keine Pferde gezüchtet wurden, konnten die Bestände nur durch Einfuhren sichergestellt werden. Über den Export sind die vorhandenen Informationen noch spärlicher. Generell kann jedoch davon ausgegangen werden, dass Zucker und Reis aus Bengalen und Gujarat in das Rote Meer, den Persischen Golf und kleinere Mengen auch nach Pegu verschifft wurden. Textilien machten indes den Hauptanteil der Exporte aus. Über See fanden Baumwolltextilien in den Häfen am Roten Meer und dem Persischen Golf Absatz. Auf der Landroute wurden die begehrten Textilien über Isfahan bis nach Istanbul geliefert. Die Portugiesen dehnten den ostafrikanischen Küstenhandel mit „Cambays“, den weißen Baumwollstoffen aus Gujarat, in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bis nach Mosambique aus, was als ein Indikator für einen Anstieg von Produktion wie Handel mit diesen Textilien zu werten ist. Zur Ankurbelung der Wirtschaft hat sicherlich der wachsende Zustrom an Edelmetallen beigetragen. Er ermöglichte auch, dass bereits Sher Shah Sur eine Reform der Steuern durchsetzen konnte, die verstärkt auf deren Einzug in Geld Wert legte. Monitäre Basis des Steuersystems und Wirtschaftskreislaufes im Mogul-Reich stellte die neue Währung von 1556 dar, als der Vormund Akbars, Bairam Khan, Münzen im Namen des Mogul prägen ließ. Um den Steuereinzug und den Handel weiter zu befördern, leitete Akbar in den 1560er Jahren parallel zur Steuerreform eine umfassende Währungsreform ein, die auf einem trimetallischen, uniformen und zentral ausgegebenen Münzsystem basierte. Kupfer-, Silber- und Goldmünzen blieben in ihrem Stil noch denjenigen Sher Shah Surs verpflichtet, doch statt den bisherigen Umschriften in Persisch und Devanagari wurden diese jetzt in Arabisch geprägt. Eine fünfprozentige Prämie auf neue Münzen sorgte dafür, dass die alten schnell aus dem Verkehr gezogen wurden. Das Prägen neuer Münzen durch einen Herrscher ist als Zeichen für den Beginn einer neuen Ära, die ein Monarch einleiten möchte, zu lesen. Ein weiteres Zeichen ist die Einsetzung eines neuen Kalenders. Sich seiner Herrschaft und seines Imperiums sicher, veranlasste Akbar 1585 eine Chronik der Geschichte der Muslime nach dem Tod Muhammads (ca. 570–632) schreiben zu lassen, die dann den Namen „Tarikh-i Alfi“ trug, was etwa mit Tausend Jahre Geschichte wiederzugeben ist. Die geläufige Zählung nach Hijri, die den Wegzug Muhammads aus Mekka nach Medina im Jahr 622 n. Chr. markiert, erschien Akbar allein wegen des Alters der Zeitrechnung als unpraktikabel für seine eigenen Absichten, nämlich ein neues Zeitalter begründen zu wollen, das sich von den bisherigen Jahreszählungen unterscheiden sollte. Letztlich ist es dann bei der gemeinhin üblichen Zählung nach Herrschaftsjahren des Monarchen geblieben. Überhaupt schien ein neues historisches Bewusstsein die zweite Hälfte von Akbars Herrschaft charakterisiert zu haben, ein Bewusstsein, das sich in
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Außenhandel des Mogul-Reiches
Währungsreform
Neue Geschichtsschreibung
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diversen Geschichtswerken zu islamischen Herrschaften in Südasien einschließlich derer Akbars niederschlug. Im Jahr 1579, als Akbar sich aus der verbliebenen Vasallität der Safawiden lösen konnte, erhielt Abbas Sarwani den Auftrag, eine Geschichte Sher Shah Surs zu verfassen, die dann den Titel „Tuhfa-i Akbarshahi“ trug. Wegen ihres Lobes auf Sher Shah Sur und der kritischen Worte über Humayun fand sie bereits unter den Zeitgenossen weithin Beachtung. Aber Akbar hatte mehr im Sinn, als nur eine Vorgeschichte seiner Herrschaft schreiben zu lassen. Um sein neues Selbstverständnis als autokratischer Herrscher in Südasien zu dokumentieren und seinen Anspruch auf eine universelle Monarchie zu begründen, benötigte Akbar eine sinnstiftende historische Herleitung seiner eigenen und generell der Moguln Herrschaft. Zu diesem Zweck sammelte Akbars Hofberichterstatter Abu’l Fazl seit längerem historiografische Materialien unterschiedlichster Art oder ließ sie per Auftragsarbeit anfertigen. Schließlich gab Akbar 1589 Abu’l Fazl die Order, ein umfassendes Geschichtswerk über die Herrschaft der Moguln anzufertigen. Neben den bereits gesammelten Memoiren und diversen archivalischen Dokumenten befragte Abu’l Fazl auch Zeitzeugen und ließ von einem Mitarbeiterstab umfangreiches statistisches Informationsmaterial aus den einzelnen Provinzen des Imperiums zusammenstellen. Noch vor 1595 muss das dreibändige „Akbarnama“ fertig gestellt worden sein. In seinen ersten beiden Büchern werden die Genealogie der Timuriden und in annalistischer Darstellung die Herrschaft Akbars glorifiziert, während das dritte Buch das erst seit Beginn des 17. Jahrhunderts so bezeichnete „Ain-iAkbari“ ist und einen umfassenden statistischen Anhang zur Verwaltung und Wirtschaft des Mogul-Imperiums enthält, der seinesgleichen in der damaligen Welt suchte.
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Auszug aus dem Akbarnama in: Geschichte der Kulturen, S. 213. Gewiss, ich (Abu’l Fazl) habe viel Mühe und viele Nachforschungen darauf verwendet, die Berichte und Erzählungen über die Taten seiner Majestät zu sammeln, und lange Zeit hindurch habe ich die Staatsangestellten und die alten Mitglieder der vornehmen Familien befragt. Ich habe sowohl stolze, die Wahrheit sprechende alte Männer und handlungsorientierte, auf das alte Recht bedachte junge Männer interviewt und ihre Aussagen schriftlich festgehalten. Es ergingen herrscherliche Befehle in die Provinzen, dass diejenigen der Altgedienten, die sich mit Sicherheit oder mit kleinen Zweifeln an die Ereignisse aus der Vergangenheit erinnerten, darüber Notizen und Memoranden anfertigten und diese an den Hof schicken sollten. Da man dieser Aufforderung nicht in großem Umfange nachkam, mein Wunsch somit nicht in Erfüllung ging, erstrahlte alsbald ein zweiter Erlass aus der heiligen Palastkammer, dass die gesammelten Materialien ins Reine zu schreiben und bei der herrscherlichen Anhörung vorzutragen seien. Durch diese herrscherliche Anordnung – letztlich die Übersetzung der göttlichen Verfügung – von den Ängsten meines Herzens befreit, fuhr ich damit fort, die Rohskizzen, die frei waren von der Anmut der kunstvollen Anordnung und des erlesenen Stils, umzuschreiben. Auf diese Weise erhielt ich eine Chronik, die im 19. Jahr der göttlichen Ära begann, als das Archiv durch den erleuchteten Verstand seiner Majestät eingerichtet wurde. Aus seinen reichen Beständen sammelte ich Berichte über viele Ereignis-
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se. Große Anstrengungen wurden ebenfalls unternommen, die Originale oder zumindest Kopien der meisten Befehle abzuschreiben, die in die Provinzen von der Machtübernahme bis zum heutigen Tage – der Morgendämmerung des Glücks – geschickt worden waren. Ihr Inhalt steuerte viel Material zu diesem grandiosen Band bei.
Ohne Zweifel handelt es sich beim „Akbarnama“ um ein panegyrisches Werk, das jedoch auf einer Vielzahl von seriösen historischen Dokumenten basiert und deshalb als ein Geschichtswerk ersten Ranges zu bewerten ist. Sein Narrativ verfolgt nur einen einzigen Zweck, nämlich Akbar eine ideologische Grundlage für seine außergewöhnliche Autorität und Legitimität zu verschaffen. Zuerst verwies Abu’l Fazl auf die Anciennität des Hauses Timur, das in 52 Generationen seine Abstammung (wenig verwunderlich) auf Adam zurückführen kann. Allerdings, und zum Zweiten, sei das Haus Timur seit Babur Träger eines göttlichen Lichts. Anders als sonst bei islamischen Herrschen, die allenfalls der „Schatten Allahs“ sein konnten, waren die Moguln jetzt Lichtquelle. Mit einer solchen Theorie, die der südasiatischen Sufi-Illuminationsidee aus dem 13. Jahrhundert entnommen war, entrückte Abu’l Fazl die Timuriden-Dynastie. In der Komposition von timuridischer Genealogie und Sufi-Illuminationslehre lag letztlich die universelle Souveränität Akbars begründet. Sie schlug sich unter anderem im Volksglauben nieder, wenn Silberrupien mit Akbars Konterfei heilende Wirkung zugesprochen wurde. Nach außen zeigte Akbar seine solcherart legitimierte Herrschaft durch einen ausgesprochenen Personenkult. Eigens inszenierte Rituale rückten Akbar in das Licht der Öffentlichkeit, so wenn er sich auf dem Jharuka, einem kleinen Balkon des Palastes, der Bevölkerung zeigte. Der Ritus bekam bald den Namen Jharuka Darshan, wobei Darshan soviel bedeutet wie (des Herrschers) angesichtig werden. Diejenigen, die des Moguls angesichtig wurden, legten ihre Handfläche auf die Stirn in Anerkennung seiner Autorität und als Zeichen ihrer Unterwerfung. Am deutlichsten wurde der Personenkult jedoch auf den Hoftagen, den Darbar. Für sie wurde ein elaboriertes höfisches Zeremoniell entworfen, das u. a. aus der Platzierung der Anwesenden in einer genau festgelegten Entfernung zum Masnad bestand, dem hexagonalen, podestartigen und mit Kissen versehenen Thron des Mogul, der mit einem Chatra, einem Schirm, versehen war, der auf südasiatische Herrscherattribute verwies. Der Masnad selbst wurde im Laufe des 17. Jahrhunderts immer prächtiger ausgestaltet und ist schließlich als „Pfauenthron“ bekannt geworden. Weiteres Zeichen des Personenkultes war die Neugründung der Residenzstadt Fatehpur Sikri im Jahr 1571. Zehn Jahre zuvor hatte Akbar die Festung mit Palastanlage in Agra erbauen lassen. Nach dem Tod Sheikh Salims, eines der bedeutendsten zeitgenössischen spirituellen Führer Hindustans und Akbars Lehrer, den der Mogul oft im nahe Agras gelegenen Dorf Sikri aufsuchte, beschloss Akbar, seine neue Residenz anstelle dieses Dorfes errichten zu lassen. Ohnehin ließ die momentane innen- und außenpolitische Konsolidierung des Reiches eine neue Residenzstadt opportun erscheinen. Fatehpur Sikri ist ein großartiges Zeugnis indo-persischer Architektur
Residenzstadt Fatehpur Sikri
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und Stadtplanung und zugleich Ausdruck des neuen imperialen Herrscherwillens. Neben den Palastbauten fällt vor allem die Moschee mit dem Grab Selims ins Auge. Hatte schon die Anerkennung Akbars durch Sheikh Selim zur Mystifizierung des Moguls beigetragen, förderte nun die Verehrung Salims durch zahllose Pilger im Wallfahrtsort Fatehpur Sikri Akbars Charisma, was in der Absicht Akbars gelegen haben dürfte. Mit weitreichenden innenpolitischen Reformen setzte Akbar seinen Anspruch auf autokratische Herrschaft auch gegenüber der Ulema, gebildeten Muslimen, die sich mit verschiedenen Aspekten des islamischen Rechts beschäftigen, durch. Bereits 1563 hatte er verfügt, dass Kriegsgefangene nicht mehr versklavt werden dürfen. Zugleich erließ er das Verbot, nicht-muslimische Sklaven zwangsweise zu bekehren. Gekrönt wurde die seit den 1570er Jahren zunehmend liberale Politik gegenüber Glaubensgemeinschaften von der Abschaffung der Jiziya, der Kopfsteuer, die von Nicht-Muslimen ab 1579 nicht mehr entrichtet werden musste. Im selben Jahr setzte Akbar seine höchste Entscheidungsgewalt in allen weltlichen und geistlichen Fragen durch und stellte fortan die alleinige Autorität dar. Das geschah in bewusster Konkurrenz und Abgrenzung zum osmanischen Sultan, der mit der Eroberung der heiligen Stätten von Medina und Mekka 1517 das Kalifat (Kalif = arab.: Nachfolger, gemeint ist Mohammed) exklusiv für sich reklamiert hatte. Sicherlich hingen diese äußere Abgrenzung und inneren Reformen auch mit dem Umstand zusammen, dass Akbar sich im historisch-politisch günstigen Augenblick des Jahres 1579 aus der latent empfundenen Vasallität gegenüber dem persischen Shah lösen konnte. Die Vasallität beruhte auf der militärischen Unterstützung, die die Safawiden-Shahs den ersten MogulHerrschern Babur und Humayun gewährt hatten, woraus dem jungen Herrschergeschlecht auch eine gewisse Legitimität erwuchs. Akbar nutzte die aktuelle innenpolitische Krise im Iran, als die führenden Qizilbash-Emire sich gegen den Shah verschworen und zur offenen Rebellion übergegangen waren. Ihr fiel die Großkönigin zum Opfer, und die Safawiden-Dynastie kam für einen Moment ins Wanken. Aus diesem Grund war eine militärische Intervention unrealistisch. Seit 1579 besaß Akbar und seine Dynastie in Hindustan eine eigene Legitimität, die er, wie gesehen, von nun an systematisch ausbaute und ideologisch fundieren lassen konnte.
4. Mamluken, Osmanen und Portugiesen im Indischen Ozean Nach einem guten Jahrhundert der mühseligen Erkundungen entlang der Küste des afrikanischen Kontinents durch portugiesische Schiffe gelang Vasco da Gama 1498 die Überquerung des Arabischen Meeres mit Hilfe eines in Ostafrika angeheuerten Lotsen. Europäer hatten damit den lange gesuchten direkten Seeweg nach Indien und China gefunden. Im Verlauf des 16. Jahrhunderts errichteten die Portugiesen an den Küsten des Indischen Ozeans 26 Festungen, die das Rückgrat des ab der zweiten Hälfte des Jahrhunderts so bezeichneten Estado da India bildeten. Bereits für das Jahr
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Mamluken, Osmanen und Portugiesen
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1502 sind auch die ersten Schutzbriefe, die Cartaz, für Schiffspassagen von Kaufleuten aus Südasien überliefert, Schutzbriefe, die freien Gütertransport garantierten. Bei fehlendem Freibrief sahen sich die Portugiesen berechtigt, Schiff, Mannschaft und Waren zu konfiszieren und alle drei zu verkaufen. Das Cartaz-System war folglich nichts anderes als eine staatlich lizensierte Freibeuterei, die der politischen und weniger der kommerziellen Kontrolle diente. Doch das portugiesische Seehandelsimperium war bei Weitem nicht so straff organisiert und effizient, wie bislang dargestellt. Vor allem regte sich von Anbeginn Widerstand gegen die Okkupation des Meeres. Sinn und Zweck des Estado da India war es, den Handel des Indik mit dem Roten Meer zu blockieren, um selber die Waren der asiatischen Märkte nach Europa transportieren zu können. Daher lag das Gewicht der maritimen Präsenz Portugals auch im Arabischen Meer, während im Golf von Bengalen kaum portugiesische Flottenverbände anzutreffen waren. Gegen die Blockade des Roten Meeres wandten sich die in Kairo herrschenden Mamluken. Nachdem alle diplomatischen Bemühungen zur Beilegung des Konfliks gescheitert waren, sandten sie 1507 eine Flotte in den Indischen Ozean. Vor Chaul an der Konkan-Küste schlug sie 1508 die dort wartenden portugiesischen Schiffe, wurde aber selbst im darauf folgenden Jahr vor Diu vernichtend geschlagen. Unverzüglich machten sich die Mamluken an den Bau einer neuen Flotte, die aber nicht mehr zum Einsatz im Indik kam, weil alle militärischen Kräfte gegen das expandierende Osmanische Reich benötigt wurden. Erst jetzt, 1510, gelang es den Portugiesen, in Goa ihre Hauptniederlassung zu gründen, das sie dem Shah von Bijapur abgetrotzt hatten. 1515 besetzten sie Hormuz und Melaka und legten dort ebenfalls Festungen an. Damit stand die transozeanische Achse des portugiesischen Handelsnetzwerkes im Indik. Nachdem 1517 das Osmanische Reich Ägypten annektiert hatte, übernahmen die Sultane auch den militärischen Schutz der heiligen Stätten von Mekka und Medina. Trotz angestrengter Versuche gelang es den Portugiesen nicht, den Zugang zum Roten Meer mit Waffengewalt zu erzwingen. Abgesehen davon unterschätzten die Kapitäne der portugiesische Flotteneinheiten auch die Schlagkraft der veralteten chinesischen Dschunken und mussten 1521/22 vor der Küste Chinas vernichtende Niederlagen hinnehmen, die alle weiteren Pläne zur Erweiterung des Estado da India in das Chinesische Meer vorerst zunichte machten. Erst 1554 erhielten die Portugiesen die Erlaubnis, in der Nähe von Kanton eine Niederlassung zu errichten, die sie kurz darauf nach Macao verlegen durften. Ab den 1520er Jahren spitzte sich dann der Konflikt mit dem Osmanischen Reich zu, dessen Territorium mit der Eroberung Basras nun den Persischen Golf erreicht hatte. Zur selben Zeit versuchten auch die Herrscher und Händler des Safawiden-Reiches verstärkten Einfluss auf den Handel im Persischen Golf zu nehmen. Mit der Eroberung von Hormuz 1522 am Eingang zum Persischen Golf hielten die Portugiesen eine Schlüsselposition, die es ihnen erlaubte, über die Erhebung von Zöllen den Handel mit der Levante zu kontrollieren und daraus finanziellen Nutzen zu ziehen. Die Einnahmen waren überlebenswichtig für den Estado da India geworden, da die finanzielle, materielle und personelle Unterstützung aus Portugal völlig unzureichend war, um ein maritimes Imperium solchen Ausmaßes zu unterhalten. Ein weiterer wichtiger
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Stützpunkt des Eastado lag vor der Küste des Sultanats von Gujarat, die Insel Diu, die die Portugiesen 1535 vom damaligen Sultan unter Zusicherung eines Geleitbriefes für das jährliche Pilgerschiff nach Mekka sowie militärische Unterstützung gegen das expandierende Mogul-Reich überschrieben bekamen. Allerdings erfüllten die Portugiesen das militärische Bündnis nur unzureichend, weswegen sich der Sultan kurzerhand mit den Osmanen verbündete. Diese politisch-militärische Konstellation bedrohte massiv die wirtschaftsstrategischen Interessen der Portugiesen, die daraufhin die Küste Gujarats blockierten. Die politische Lage eskalierte schließlich 1538, als Süleiman der Prächtige eine Flotte vor die Küste Gujarats schickte, wo sie die portugiesischen Geschwader vernichtete. Allerdings widerfuhr der osmanischen Flotte das gleiche Schicksal wie der mamlukischen, denn im folgenden Jahr wurde sie von einer portugiesischen Flotteneinheit entscheidend geschlagen. Zwischen 1546 und 1554 setzten zahlreiche Geschwader die Interventionspolitik des Osmanischen Reiches im Indik fort. In den 1580er Jahren gelang es ihm zeitweilig, den portugiesischen Handel an der ostafrikanischen Küste massiv zu behindern. Gleichzeitig beeinflusste es maßgeblich die Errichtung des Sultanats von Acheh auf Sumatra. Bislang ist die maritime Präsenz des Osmanischen Reiches im Indischen Ozean zu wenig beachtet worden. Gewöhnlich wird argumentiert, es handele sich beim Osmanischen wie beim Safawiden- und dem Mogul-Reich um rein landgestützte Mächte, die keinerlei Interesse an der Kontrolle des Meeres gezeigt hätten. Ein solches Interesse lag sehr wohl vor. Und immerhin gelang es den Osmanen, die Portugiesen aus dem Roten Meer fernzuhalten und damit den Levantehandel weiterhin maßgeblich zu kontrollieren, was der Primat der maritimen Außenpolitik des Osmanischen Reiches war. Anders formuliert, dem Estado da India gelang es nie, die ihm zugedachte Aufgabe zu erfüllen, nämlich den Handel im Indischen Ozean Richtung Europa zu monopolisieren, indem er den Levantehandel zum Erliegen brachte. Ohnehin war den Portugiesen innerhalb weniger Jahrzehnte bewusst geworden, dass es wesentlich lukrativer war, sich am innerasiatischen Handel zu beteiligen und ihn zu beeinflussen, als ganze Wirtschaftszweige monopolisieren zu wollen. Dass es den Portugiesen überhaupt gelang, so massiv in den Indik vorzustoßen, dürfte indessen an der historisch günstigen Konstellation gelegen haben, dass um 1500 kein Anrainerstaat des Indischen Ozeans über eine schlagkräftige Flotte verfügte. Ähnlich verhält es sich mit dem oben erwähnten Cartaz-System, das in vergleichbaren Formen, jedoch nicht in dem Ausmaß bereits vor dem Auftauchen der Portugiesen in einzelnen Regionen Süd- und Südost-Asiens existiert hatte. Die Portugiesen griffen hier folglich bestehende Strukturen und Systeme auf und bauten sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten aus. Das zeigte sich unter anderem auch daran, dass der Erfolg des Schutzbrief-Systems zu einem erheblichen Teil auf der Kooperation regionaler Herrscher beruhte, die als Verbündete der Portugiesen selbst Schutzbriefe ausstellten. Mittels einer Mischung aus schierer Gewalt, die in den ersten beiden Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts mitunter Dimensionen eines blutigen Terrorregimes annahm, der Hilfe kooperierender lokaler Mächte und einer geschickten Diplomatie bei Konflikten, gelang es den Portugiesen, freilich
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nicht ohne Rückschläge, im Verlauf von gut fünfzig Jahren den Estado da India zu errichten, der wichtige Knotenpunkte im Handelsnetzwerk des Indik besetzte. Über die etablierten Seerouten beeinflussten und stimulierten die Portugiesen einen allgemein wachsenden Handel, an dem sie letztlich erfolgreich partizipierten. Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten führten sie kein neuartiges Element in die Handelswelt des Indik ein. Der Pferdehandel über Hormuz und das Hadhramaut nach Südasien belegt dies deutlich, denn von dem oben erwähnten jährlichen Bedarf von etwa 22.000 importierten Pferden kamen die weitaus meisten, nämlich fast 20.000, auf dem Landweg aus Zentralasien, der Rest wurde überwiegend auf portugiesischen Schiffen angeliefert. Den immer noch größten Anteil am Pferdehandel besaßen demnach zentralasiatische, arabische, afghanische und südasiatische Händler. Neben Goa auf dem südasiatischen Festland dürfte wohl Sri Lanka mit Colombo und Jaffna diejenige Region in Südasien gewesen sein, in der die Portugiesen im 16. Jahrhundert den größten Einfluss ausübten. Doch selbst die Glaubenskonversion des Chakravarti von Kotte und des Raja von Kandy löste keine allgemeine Bekehrungswilligkeit in der Bevölkerung aus, im Gegenteil. Könige und andere prominente Konvertiten waren vor Anschlägen nicht sicher, und im Königreich Kotte, das die gesamte westliche Hälfte der Insel umfasste, schwelten über Jahrzehnte anhaltende Unruhen. Zudem operierten zu wenige Missionare in Sri Lanka, als dass Konversionen hätte Erfolg beschieden sein können. Erst als 1594 in Kandy mit Unterstützung der Portugiesen eine neue Dynastie auf den Thron kam, verlor auch der Chakravarti von Kotte, der der Idee nach die lankanischen Rajatümer Kotte, Jaffna und Kandy unter einem buddhistisch-sinhalesischen Schirm repräsentierte, allmählich seine Vorrangstellung und zu guter Letzt seine Legitimität, denn die Nobilität von Kotte sah nun in dem mächtigen Monarchen von Spanien, der seit 1580 in Personalunion auch König von Portugal war, den legitimen Herrscher über die Insel.
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II. Das Imperium der Moguln im 17. Jahrhundert 1. Das Imperium der Timuriden zwischen Safawiden und Osmanen In dem halben Jahrhundert seiner Herrschaft gab Akbar der Timuriden-Dynastie eine sichere legitimatorische und territoriale Basis. Es waren seine drei Nachfolger, die im 17. Jahrhundert die militärische Expansion auf den Höhepunkt trieben und das Imperium in weiten Teilen konsolidierten. Ende des 17. Jahrhunderts erstreckte sich das Mogul-Reich erstmals seit dem Maurya-Reich unter Ashoka (reg. 268 – 233 v. Chr.) wieder über fast den gesamten Subkontinent zwischen Himalaya im Norden und Kap Kanya Kumari an der Südspitze. In Provinzen (Suba) eingeteilt, über die Mansabdar zentral verwaltet und militärisch straff organisiert, erreichte das MogulReich noch unter Akbar eine Zentralität, die es bislang in diesem Ausmaß in Südasien nicht gegeben hatte. Vorformen existierten freilich im Reich Sher Shah Surs und dem Vijayanagara-Imperium. Ähnlich wie bei diesem traten mit zunehmender Expansion und administrativer Durchdringung die strukturellen Defizite allmählich zum Vorschein. Wie das Imperium der Moguln befanden sich im 17. Jahrhundert auch die Imperien der Safawiden und der Osmanen auf ihrem kulturellen und gesellschaftlich-politischen Höhepunkt. Nicht nur die muslimischen Dynastien und die folglich islamisch geprägte Kultur, sondern auch die Verwaltungsstrukturen machten die drei Imperien einander in mancherlei Hinsicht ähnlich. Trotz der territorialen Rivalitäten und der gelegentlichen Grenzkriege zwischen dem Osmanischen Reich und dem Safawiden-Reich, sowie zwischen diesem und dem Mogul-Reich um das Gebiet von Kandahar, waren die Beziehungen der drei Dynastien untereinander gut. Das galt besonders für Safawiden und Timuriden, die sich über Gesandtschaften und Geschenke gegenseitig als Groß-Könige (Shah-i-Shah und Padshah) bestätigten. Sichtbarer Ausdruck der intensiven politischen Kontakte waren die teilweise staatlich geförderten Handelsbeziehungen zwischen den Imperien, die mit ein Grund waren, warum der Warenverkehr über die etablierten Karawanenrouten von der Levante bis nach Bengalen und im Indischen Ozean von der Arabischen Halbinsel über den Persischen Golf bis in den Golf von Bengalen hin zur Malayischen Halbinsel expandierte und das Netzwerk der Händler und Seespediteure immer dichter wurde. Ausdruck der zunehmenden inneren Geschlossenheit des Mogul-Reiches war die Verstädterung. Die Versorgung der wachsenden städtischen Bevölkerung wurde durch eine Produktionssteigerung im landwirtschaftlichen Sektor ermöglicht. Untereinander standen die urbanen Zentren in regem Handelsaustausch. Im Verlauf des 17. Jahrhunderts entstand auf dem indischen Subkontinent allmählich ein Netzwerk von Karawanenstationen und Kleinmärkten, die in Verbindung zu größeren Marktstädten und Großstädten standen. Oftmals initiierten die Mogul-Herrscher selbst solche Gründungen, darüber hinaus trugen auch die Mansabdar sowie die finanzkräftigen Groß- und Fernhandelskaufleute zur infrastrukturellen Verbesserung und zum wirtschaftlichen Wachstum bei. So bildete sich allmählich eine
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Das Imperium der Timuriden
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kleine Mittelschicht von Händlern, Kaufleuten, Bankiers und Gewerbetreibenden, die sich mitunter gildenartig organisierten. Derartige soziale Verdichtungen leiteten Prozesse der Vergesellschaftung ein, worunter die Intensivierung von gemeinschaftsübergreifenden Gesellschaftsbeziehungen zu verstehen ist. Obwohl es den Moguln im 17. Jahrhundert gelang, im Zuge der territorialen Expansion das Reich in weiten Teilen zu konsolidieren und über die umfangreichen Bautätigkeiten auch ein äußerliches Zeichen des Zusammenhalts zu setzen, konnte von einem straff organisierten Zentralstaat immer noch nicht die Rede sein. Zu groß war das Imperium, als dass es tatsächlich hätte einheitlich verwaltet werden können. Lediglich in den Kernprovinzen Kabul, Lahore, Delhi, Agra und Allahabad war eine unmittelbare und intensive Kontrolle möglich, alle anderen Provinzen blieben auch im 17. Jahrhundert Randgebiete. Sie zeichneten sich durch die relative Autonomie der dortigen Rajas aus. Häufig auftretende Unruhen lassen ebenfalls auf eine relativ schwache administrative Durchdringung schließen. Doch selbst wenn im Mogul-Reich „innere Grenzen“ bestehen blieben – wie in Bengalen, Bihar und Orissa oder jenseits von Kabul –, gelang es den drei so unterschiedlichen Herrscherpersönlichkeiten des 17. Jahrhunderts schließlich doch, die souveräne Oberhoheit über den gesamten südasiatischen Subkontinent zu sichern. Das neue imperiale Bewusstsein schlug sich in einer aufblühenden literarischen Betriebsamkeit nieder. Besonders das Genre der Lyrik erfreute sich einer wachsenden Beliebtheit. Seit dem „Akbarnama“ gab es offensichtlich auch einen Bedarf an Geschichtswerken, denn in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ist hier ein deutlicher Zuwachs zu verzeichnen. Biografien und Autobiografien der einzelnen Herrscher gehören zu den herausragenden historiografischen Zeugnissen. Hatte Babur mit seinem bald weithin beachteten „Baburnama“ einen großartigen Anfang gemacht, setzte das „Akbarnama“ Ende des 16. Jahrhunderts Maßstab für eine künftige höfische Historiografie. Zu der gehörten auch chronologische Abrisse von muslimischen Herrscherdynastien und eine annalistische Geschichtsschreibung. Allmählich entstand neben der etablierten brahmanisch-höfischen Geschichtsschreibung eine imperiale indo-persische Historiografie, die nicht nur am zentralen Mogul-Hof gepflegt wurde, sondern an regionalen Residenzen eigene Formen entwickelte. Gelegentlich mag die nun folgende Darstellung als „Elitengeschichte“ erscheinen. Das ist dem Umstand geschuldet, dass bis in die jüngste Vergangenheit die Forschung zum Mogul-Reich vornehmlich als Diplomatie- und Elitengeschichte betrieben wurde. Erst in den letzten Jahrzehnten haben vereinzelte Studien zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte die Geschichtsschreibung zum Mogul-Imperium ergänzt. Abgesehen davon bestand nach der Unabhängigkeit Britisch-Indiens weder für den pakistanischen noch für den indischen Staat die Notwendigkeit, gezielt das Imperium der Moguln zu erforschen. Pakistan sah im Mogul-Reich lediglich die imperiale Expansion des ursprünglichen Siedlungsgebiets der Muslime in Südasien, nämlich das Territorium des pakistanischen Staates, auf das man sich jetzt wieder zurückgezogen hatte. In der Indischen Union herrschte und herrscht immer noch das Bild von der muslimischen Fremdherrschaft vor, weshalb kein ge-
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Das Imperium der Moguln im 17. Jahrhundert
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steigertes Interesse an der Geschichte des Mogul-Imperiums besteht und dessen Geschichte inzwischen aus der indischen geradezu herausgeschrieben wird.
2. Territoriale Expansion und innere Konsolidierung
Militärstruktur
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Die Expansion des Imperiums machte den Austausch von Informationen über die inneren Zustände immer wichtiger. Mit der Institution des Akhbarats, einem Instrument zum Austausch von Informationen zwischen dem imperialen Hof und den regionalen Höfen, schuf Akbar zunächst einen Nachrichtendienst, dessen Schreiber zum einen die Alltäglichkeiten des Hofes tagebuchartig niederschrieben und zum anderen Informationen des Hofes für die Mansabdar und andere Amtsträger des Reiches verfassten. Diese wiederum unterhielten Schreiber am Mogul-Hof, so dass ein mutueller Informationsfluss weitgehend gewährleistet war. Im 17. Jahrhundert waren Moguln und Mansabdar ständig darum bemüht, das Akhbarat zu perfektionieren und den Nachrichtenfluss zu intensivieren. Allerdings verwundert es nicht, dass gerade mit der Hilfe des eigenen Akhbarat manch Mansabdar in den entfernt liegenden Provinzen des Reiches eine relativ unabhängige weil schwer kontrollierbare Herrschaft errichten konnte. Zu dieser Eigenständigkeit trug auch der Umstand bei, dass bereits unter Akbar die finanzielle Versorgung über Jagir die permanente Vergabe von 75 Prozent des Landes betrug. Zweifelsohne zog das einen erheblichen Verlust an Kontrolle nach sich, denn unter Akbars Sohn Jahangir (reg. 1605–27) wuchs der Anteil auf 95 Prozent an. Die Krondomäne und damit das Ausmaß der direkten Kontrolle der Moguln schrumpfte folglich mit dem Bestreben, das Imperium zu konsolidieren. Parallel zur Intensivierung der Herrschaft erfolgte die Expansion des Reichsterritoriums. Jeder Mogul-Herrscher des 17. Jahrhunderts führte Kriege in den Randgebieten des Imperiums, entweder um die Grenzen zu befrieden und abzusichern oder weiter vorzuschieben, einerseits nach Süden auf den Dekhan, andererseits nach Norden in Richtung Afghanistan und Samarkand. Das hatte zur Folge, dass um 1650 die imperiale Nobilität von 283 Mansabdar auf 445 angewachsen war. Die Erzeugung, Steigerung, effiziente Eintreibung und Verteilung der steuerlichen Einnahmen wurde deshalb zu einer der dringlichsten Aufgaben der lokalen, regionalen wie imperialen Verwaltung, wollten Reichtum, Macht und Status der Nobilität sichergestellt sein. Bemerkenswert ist dabei die Konzentration der steuerlichen Ressourcen in den Händen weniger Mansabdar und Mitgliedern der Padshahi-Familie. Die 73 höchsten Würdenträger verfügten über mehr als 37 Prozent des gesamten Steueraufkommens. Und die obersten vier Mansabdar, allesamt Timuriden-Prinzen, erhielten 4,5 Prozent der Steuereinnahmen zum Unterhalt von zugewiesenen 12.500 Pferden. Das Rückgrat und die schlagkräftigste Einheit der Militärmaschinerie der Mogul bildete bekanntlich die Kavallerie, die wie die osmanische Kavallerie an Schnelligkeit und Wendigkeit nicht zu überbieten war. Daher auch die
Territoriale Expansion und innere Konsolidierung Aufmerksamkeit, die ihrem materiellen Unterhalt gewidmet war. Zu Zeiten Padshah Shah Jahans (reg. 1627–58) umfasste die Kavallerie 200.000 Reiter, zuzüglich Knechten und Tross. Daneben nahm sich die Zahl von 40.000 Infanteristen recht bescheiden aus. Deren Anzahl konnte jedoch durch lokale Miliztruppen schnell erhöht werden, ein Umstand, der sich insofern nachteilig auswirkte, als die Fußtruppen eher einer unorganisierten Ansammlung von Militärhaufen als einer schlagkräftigen Infanterie glichen. Freilich unterschieden sie sich dabei nicht sonderlich von den zeitgenössischen europäischen Heeren des Dreißigjährigen Krieges. Die Infanterie war militärtechnisch nicht mit den neuesten Waffen wie Gewehren ausgestattet, und auch die Artillerie überließen alle Heerführer einschließlich dem Mogul meist europäischen und teilweise osmanischen Kanonieren. Trotz dieser strukturellen und materiellen Mängel, die zunächst nicht gravierend erschienen, denn die Gegner besaßen keine besseren militärischen Mittel, konnten die Moguln erfolgreich Kriege führen. Der Sieg Jahangirs (reg. 1605–27) über den langjährigen Gegner, den Rana von Mewar, ließ allen Widerstand der Rajputen in Rajastan endgültig zusammenbrechen, woraufhin sich die Rajas im südlich gelegenen Gujarat freiwillig dem Padshah unterwarfen und dessen Oberhoheit anerkannten. Ähnliche Erfolge waren auch im Panjab (Lahore Provinz) zu verzeichnen, wo die Gemeinschaft der Sikhs gewaltsam verfolgt wurde. Sie konnte aber nicht restlos unterdrückt werden, da der nahe gelegene Himalaya genügend Raum zum Rückzug bot. Und auf dem Dekhan, wo die Autorität der Raya von Vijayanagara beim Nayaka von Tamilnadu noch bis in die 1640er Jahre nachwirkte, erlosch deren latenter Souveränitätsanspruch erst mit der Annexion der Sultanate von Golkonda und Bijapur und der Absetzung ihrer Herrscher Ende der 80er Jahre. Padshah Jahangir war weder ein begnadeter Militärführer noch zeichnete er sich durch umfangreiche Bautätigkeiten aus, förderte aber stattdessen die Miniaturmalerei, deren über Südasien hinausgehenden Ruf er begründete. Wie kein zweiter Mogul-Monarch prägte er die höfische Kultur und Etikette, die sich an der des safawidischen Hofes in Isfahan orientierte. Besonders das Jharuka Darshan pflegte Jahangir, der die Zeremonie ausgestaltete und es in ein sich Zeigen aus der (entrückten) Distanz transformierte. Das weiter verfeinerte Zeremoniell des Darbar bestand mehr oder weniger unverändert bis zum Ende des Mogul-Reiches 1857. Nach dem Zusammenbruch der politisch-militärischen Vormachtstellung der Moguln in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts trug es wesentlich zum Entstehen des Mogul-Mythos bei. Den zeichnete neben der charismatischen Herrschaft der Timuriden gerade auch die persönliche Verbundenheit aus, die die Moguln seit Jahangir auf den Darbar gegenüber den versammelten Mansabdar des Imperiums zum Ausdruck brachten. Das höfische Zeremoniell war ein wichtiger Bestandteil der ungebrochenen rituell-legitimatorischen Souveränität, die die Moguln als Großkönige in Südasien auszeichnete. Die Darreichung von Geschenken seitens der Nobilität, darunter die symbolische Gabe von Geld, und auf Seiten des Mogul die Überreichung von Kleidungs- und Schmuckstücken oder ganzen Garderoben sowie Pferden belegt die Nähe, die der Monarch zu seinen Stützen des Reiches erzeugen wollte. Wenn der Mogul einzelne Kleidungsstücke gar selbst getragen hatte,
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Höfische Etikette und Herrschaftsrituale
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Das Imperium der Moguln im 17. Jahrhundert
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Wirtschaft und Staatsfinanzen
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demonstrierte das umso mehr die gewünschte Teilhabe an der Macht vor den Augen aller Anwesenden. Monarch und Würdenträger bildeten geradezu einen Herrschaftskörper, in dem der Padshah als Oberherr das Haupt darstellte, die Mansabdar hingegen als Glieder fungierten, was ihre Partizipation an der Souveränität symbolisch zum Ausdruck brachte. Hier vollzog sich eine Abkehr von der exklusiven Autorität, wenn nicht gar von der ungeteilten Souveränität, die Akbar mit seinem ideologischen Konstrukt der Illumination beanspruchte. An dieser Stelle wird einmal mehr die Indigenisierung der Mogul-Herrschaft in Südasien deutlich, wenn die Souveränität nun wieder eine geteilte war. Jahangirs Sohn Shah Jahan arrondierte das Territorium des Imperiums und dehnte es auf 22 Provinzen aus. Unter seiner Herrschaft dürfte der Grad der inneren Konsolidierung sicherlich am höchsten gewesen sein. Die Befriedungsaktionen gegen die Rajas von Rajputana, die Einnahme Ahmadnagars und die anschließende Subordination der Sultane von Gujarat lösten den beabsichtigten Anstieg des Steueraufkommens aus. Laut zeitgenössischen Angaben wuchsen innerhalb von nur zwanzig Jahren die Einnahmen von 1,75 Milliarden Rupien auf 2,2 Milliarden Rupien. Allein in der zentralen Staatskasse, der Khalisa, befanden sich 30 Millionen Rupien. Trotz der massiven Ausgaben für das Militär und der imperialen Baukosten gerade unter Shah Jahan, der unter anderem das Taj Mahal bauen ließ, waren die finanziellen Reserven des Imperiums auf 95 Millionen Rupien angewachsen, was auf durchweg solide Staatsfinanzen schließen lässt. Ermöglicht hatte dieses Wachstum zum einen ein leichter natürlicher Bevölkerungsanstieg. Schätzungen zufolge stieg die Einwohnerzahl des südasiatischen Subkontinents zwischen 1600 und 1800 von 150 Mill. auf 200 Mill. Menschen an. Zum anderen flossen Mehreinnahmen aus den annektierten Gebieten. Ein weiterer Grund war die gesteigerte landwirtschaftliche Produktivität. Sie wurde wiederum durch Intensivierung mittels künstlicher Bewässerungsmöglichkeiten, oft aber durch ihre Extensivierung erreicht, wenn Wald gerodet und das Land urbar gemacht wurde. Aufgrund der in Abständen erfolgten neuen Berechnungen und Abschätzungen des Steuersatzes wuchs das agrarisch genutzte Land im Verlauf des 17. Jahrhunderts von 201,6 Millionen Bigha auf 284,8 Millionen Bigha (ein in Südasien erheblich variierendes Flächenmaß). Großenteils ist dieser Zuwachs durch besagte Rodungen, in vielen Fällen jedoch durch eine genauere Vermessung zu erklären. Der enorme Anstieg belegt auch den wachsenden Zugriff des Fiskus auf die landwirtschaftlichen Ressourcen. Gleichwohl blieb immer noch etwa ein Drittel des Landes unvermessen, dessen Abgaben wie schon unter Akbar in Tributen entrichtet wurden. Konkret kann die Intensivierung der Agrarwirtschaft und die Integration der Bevölkerung einer neuen Provinz im Randbereich des Imperiums in Bengalen nachvollzogen werden. Hier trat im 17. Jahrhundert eine Vielzahl von Menschen zum Islam über. Ausgelöst hat die Diffusion der islamischen Kultur eine Kombination aus der charismatischen Persönlichkeit und den organisatorischen Fähigkeiten muslimischer frommer Männer wie Shaikhs oder Pirs aus dem Kerngebiet des Reiches und aus Persien, die mit dem gezielten Bau von Moscheen in peripher liegenden Landstrichen erste Außenposten errichteten und dabei von Seiten der Subadar staatliche Unterstüt-
Territoriale Expansion und innere Konsolidierung zung erhielten. Das steuerfreie Rodungsland, das die zum Islam konvertierten Neusiedler zugewiesen bekamen, sorgte für die Verbreitung des Glaubens und band es zugleich in die Agrarwirtschaft der Provinz ein. Moschee, Shaikh und Pir leisteten mit Hilfe von Kolonisten Pionierarbeit in der bengalischen Grenzregion, wobei sie das Neuland ökonomisch mit dem Hinterland und die Neusiedler politisch mit dem Staat verknüpften. In diesem Kontext ist auch die Reform des Islam unter Shah Jahan zu sehen, die er als Rückbesinnung auf islamische Werte und Normen der Sharia betrieb. Orthodoxe Sunni-Muslime erhielten jetzt zusammen mit dem konservativen Naqshbandi-Orden ein Forum, das den Raum für eine Bewegung öffnete, die bisweilen höchst puristische Züge annehmen konnte. Drastisch mag der Erlass erscheinen, der den Neubau oder die Reparatur von bestehenden Tempeln hinduistischer Glaubensrichtungen verbot. 1633/34 verfügte Shah Jahan, dass sämtliche unvollendeten Tempelanlagen niedergerissen werden sollten. Aus Gründen der Staatsraison förderte er jedoch gezielt einzelne Tempel mit Stiftungen. Ebenfalls aus Gründen der Staatsraison und ganz im Sinn der Mogul-Ideologie, Herrscher aller Untertanen zu sein, ließ Sah Jahan in den letzten Jahren seiner Herrschaft das „Dabistan-i Mazahib“ verfassen, das bedeutendste Buch, das in Südasien seinerzeit über Glaubensgemeinschaften geschrieben wurde. Es handelt sich um eine ausgewogene und detaillierte Darstellung zu den Parsen, diversen Hindu-Gruppen, Juden und Christen sowie verschiedenen muslimischen Sekten. Selbstverständlich war ein muslimischer Herrscher verpflichtet, besondere Rücksicht auf die Muslime in seinem Land zu nehmen. Daher förderte Shah Jahan islamische Feste, spendete großzügig für religiöse Institutionen und stattete bereitwillig die jährliche Pilgerflotte von Surat nach Mekka und Medina aus. Dorthin entsandte er insgesamt neun Gesandtschaften, die Luxusgüter zum Wohl für die Armen verkauften. Von einer Islamisierung der Gesellschaft kann jedoch kaum gesprochen werden, denn die Förderung des Islam schloss nicht aus, dass Shah Jahan auch Nicht-Muslime in hohe Staatsämter berief. So ist auch der Erbfolgekrieg, der unter seinen drei Söhnen 1657 ausbrach, nachdem Shah Jahan ernsthaft erkrankt war, nicht als eine Auseinandersetzung zwischen orthodoxem und liberalem Islam und damit letztlich als eine Konfrontation mit der andersgläubigen Mehrheit der Bevölkerung zu interpretieren. Der Krieg brach aus, als sich neben Dara Shukoh auch Shah Shuja in Bengalen und Murad Bakhsh in Gujarat zum neuen Padshah ausrufen ließen. Im Verlauf des Jahres 1658 gewann Aurangzeb Alamgir, ein weiterer Sohn, der von Shah Jahan zuletzt als Vizekönig im Dekhan eingesetzt worden war, schließlich die Oberhand, der seinen Vater kurzerhand unter Hausarrest stellte. Unter Aurangzeb Alamgir (reg. 1658–1707) erreichte das Imperium schließlich seine maximale territoriale Ausdehnung, nachdem er 1686 und 1687 die beiden Sultanate Bijapur und Golkonda annektiert hatte. Das Mogul-Reich erstreckte sich nun von Kashmir bis ins Karnatik und von Kabul bis nach Bengalen. Dass die kostenintensiven Kriege überhaupt hatten geführt werden können, war neben den wachsenden internen Steuereinnahmen auch dem kontinuierlichen Zufluss ausländischen Handelskapitals zu verdanken. Die Handelsgesellschaften der Briten, Niederländer, Dänen und Franzosen, die nach 1600 zahlreiche Niederlassungen, Forts und Faktoreien
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Reformen des Islam
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Das Imperium der Moguln im 17. Jahrhundert
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Staatsreformen
Nobilität
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in den Hafenstädten der Reichsprovinzen unterhielten, importierten ebenso wie arabische, armenische und persische Händler überwiegend Edelmetalle und Bargeld. Nur mit diesen Zahlungsmitteln konnten sie in Südasien Waren einkaufen, wo es kaum Bedarf an europäischen Erzeugnissen gab. Aurangzeb Alamgir war schon den Zeitgenossen wegen seines überaus sparsamen, aber auch frommen Lebenswandels bekannt. Damit setzte er die Politik seines Vaters fort, wenngleich in einer radikaleren Form. So untersagte der Padshah allen öffentlich zur Schau gestellten Pomp und Prunk und verbot schließlich den Genuss von Opium und Wein. Dieses Verbot richtete sich jedoch primär gegen den Alkoholkonsum der Nobilität einschließlich der Herrscherfamilie und nicht gegen das „gemeine Volk“, denn von den Eliten des Reiches erwartete der Padshah eine vorbildliche Lebensführung im Sinne des Islam. Wie Shah Jahan engagierte sich auch Aurangzeb Alamgir für die islamischen Feste und übernahm die persönliche Patronage für den Haj. Zweifelsohne war die 1672 angeordnete Konfiszierung allen steuerfreien Landes, das nicht-muslimische Personen und Institutionen besaßen, ein herber Schlag gegen die große Mehrheit der Bevölkerung. Zahllosen Tempeln, Orden und Schulen war nun die finanzielle Grundlage entzogen. Aurangzeb Alamgir verwendete die zusätzlichen Finanzmittel unter anderem zur Förderung der muslimischen Elite. Dazu gehörten großzügige Stiftungen für und Spenden an religiöse Einrichtungen sowie die Unterstützung wichtiger Bildungseinrichtungen wie das um 1695 gegründete Farangi Mahall in Lakhnau, das binnen weniger Jahre neben der Madrasa-yi Rahimiyya in Shahjahanabad/Delhi zu einer der führenden Bildungsinstitutionen im Mogul-Reich avancierte. Um einen breiteren Rückhalt für seine Politik bei den konservativ-orthodoxen Mitgliedern der Mansabdar-Nobilität zu finden, forderte Aurangzeb von den religiösen Führern des Reiches die offene Unterstützung seiner Politik, was bei einigen Mansabdar auf Widerstand stieß. Ähnlich verhielt es sich bei der Einführung der Kopfsteuer für Nicht-Muslime, die Jiziyat, die Akbar abgeschafft hatte. Nun sollte sie einerseits Andersgläubige zur Konversion bewegen, andererseits war hierüber eine Erhöhung der Staatseinkünfte beabsichtigt, die nicht zuletzt der Kriegsfinanzierung diente. Bei einigen Vertretern der Nobilität stieß die Jiziya ebenfalls auf Kritik, fürchteten sie doch um den sozialen Frieden im Land. Der Erlass zum Abriss von Tempeln wurde ohnehin nur vereinzelt umgesetzt, denn die Maßnahme richtete sich primär gegen die kürzlich errichteten Steinbauten in Mathura und Banaras, in Städten, die im Zentrum des Imperiums lagen. Wie ernsthaft Aurangzeb Alamgir um den Ausgleich zwischen den verschiedenen Gruppierungen innerhalb der Nobilität bemüht war, zeigt seine Ernennungspolitik von Nicht-Muslimen. Betrug die Zahl von Rajputen und Marathen sowie anderen Hindu-Mansabdar ab 1.000 Zat zwischen 1658 und 1679 etwa 21 Prozent, lag deren Zahl im Zeitraum von 1679 bis 1707 bei mehr als 31 Prozent. Auch am Rotationsprinzip bei den Subedar lässt sich diese ausgewogene Politik beobachten. Die Amtszeit eines Subedar dauerte im Durchschnitt zwei bis drei Jahre, und maximal waren zwei Amtszeiten möglich. Ausnahmen bestätigen freilich die Regel: Amir Khan war 23 Jahre Subedar der Provinz Kabul, Shaista Khan allein 14 Jahre Subedar von Bengalen und insgesamt 30 Jahre Subedar in verschiedenen Provin-
Rebellionen und lokaler Widerstand zen des Imperiums. Besonders auffallend bei den Subedar war, dass sie inzwischen zu drei Vierteln zur Khanazad gehörten, worunter Familienbindung an Ämter auf der höchsten Verwaltungsebene zu verstehen ist. Die wiederum verweist auf die Formierung einer Verwaltungselite, die mit der Zeit auch ein entsprechendes Klassenbewusstsein entwickeln sollte. Wegen der enormen territorialen Ausdehnung des Reiches wurden zentralstaatliche Kontrollen immer notwendiger, um den inneren Zusammenhalt zu gewährleisten. Den bereits unter Akbar eingerichteten und zu Zeiten Shah Jahans erweiterten Akhbarat baute Aurangzeb als reichsweites Informantensystem aus. Dessen „Spitzel“ überwachten in geradezu inquisitorischer Weise die Bevölkerung, einzelne Institutionen sowie die Stadtkommandanten mit Hilfe eines neuen Amtes, dem des Muhtasib. Die Überwachungsmaßnahmen waren dem Umstand eines allgemein gewachsenen Anspruchs an Sicherheit geschuldet, haben aber sicherlich auch dazu beigetragen, die gesellschaftlich-religiösen Reformen zu überwachen. Allerdings reichte die Dichte der Überwachung und deren Effizienz nicht an die des zeitgenössischen Japan oder manch europäischer Staaten heran, vorneweg Frankreich, das für sein Polizeisystem bekannt war. Zur Standardisierung der Rechtsprechung initiierte Aurangzeb Alamgir 1670 die Niederschrift des „Fatawa-i-Alamgiriyya“. Es handelte sich um die Kompilation der geltenden Jurisdiktion im Mogul-Reich auf der Grundlage von Koran, Sharia und den Kommentaren der Juristen aus der HanafiSchule, einer der vier Rechtsschulen des sunnitischen Islam. Das Rechtskompendium hatte, vom Arabischen ins Persische übersetzt, weitreichende Wirkung auch über die Grenzen des Mogul-Imperiums hinaus. Juristisch nun auf abgesichertem Grund stehend, erließ Aurangzeb 1672 ein Gesetz, das die Strafverfolgung generell erleichterte. Jedoch hatten staatliche Überwachung und Verfolgung auch ihre Grenzen. Als der Guru der Sikh-Gemeinschaft, Tegh Bahadur (1621–75), auf Geheiß Aurangzebs in Shahjahanabad/Delhi öffentlich exekutiert wurde, war er mit einem Schlag als Märtyrer bekannt. Innerhalb weniger Jahre erhielt die Sikh-Gemeinschaft gerade in der Delhi-Agra Region immensen Zulauf seitens der gesellschaftlichen Gruppe der Jat, die zu einem ständigen Unruhefaktor im Kerngebiet des Imperiums wurden. Im Panjab formierte sich unter Tegh Bahadurs Sohn Gobind Singh (1666–1708) eine stärker militärisch ausgerichtete Gemeinschaft, deren Wehrhaftigkeit die Grundlage für das Rajatum der Sikhs bilden sollte, wie es dann in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstand.
II.
Fatawa-iAlamgiriyya
3. Rebellionen und lokaler Widerstand Ähnlich wie im Panjab wies auch in Bengalen die Struktur des Mogul-Reiches Ende des 17. Jahrhunderts ein Phänomen auf, das als zentripetale Dezentralisation bezeichnet wird. Gemeint ist ein Prozess, bei dem das Zentrum der Herrschaft versucht, durch gezielte Übertragung von Machtpositionen periphere Provinzen an sich zu binden. Allerdings konnte das auch mit dem Verlust der direkten Kontrolle einhergehen und somit gerade das Ge-
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Das Imperium der Moguln im 17. Jahrhundert
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Das Kleinkönigtum in Maratha Desh
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genteil dessen auslösen, was beabsichtigt war. Ähnlich wie im Imperium von Vijayanagara einhundert Jahre zuvor sind auch im Imperium der Moguln zum Zeitpunkt der maximalen Expansion und der kulturellen Blüte Entwicklungen eingetreten, bei denen einzelne Segmente des Imperiums nach mehr Autonomie streben. Um die Steuereinnahmen der finanzschwachen Bengal Suba zu erhöhen, entsandte Aurangzeb seinen fähigen General Murshid Quli Khan, dem es dort gelang, die Steuern effizienter einzutreiben. Das bot diesem zugleich Gelegenheit, sich der neuen Strukturen selbst zu bedienen und sich eine solide Herrschaftsgrundlage zu verschaffen. In den 1720er Jahren sollte das den Aufbau einer Territorialmacht in Bengalen unter der Herrschaft Murshid Quli Khans samt der Gründung einer Hauptstadt mit seinem Namen, Murshidabad, nach sich ziehen. Ähnliche Tendenzen waren in anderen Provinzen des Imperiums wie Haiderabad und Karnatik zu beobachten. Keine noch so konsequente Überwachung konnte den inneren respektive den Widerstand an den Rändern des immer größer werdenden Mogul-Imperiums kontrollieren, geschweige denn brechen. Nicht zuletzt wegen der extremen Dimension und der damit verbundenen Schwierigkeit, ein so uneinheitliches Staatsterritorium juristisch, fiskalisch und administrativ zu homogenisieren, existierten bei der Usurpation der Herrschaft durch Aurangzeb Pläne, das Reich unter seinen Brüdern aufzuteilen. Nach Aurangzebs Tod 1707 tauchten kurzfristig ähnliche Pläne auf, doch setzte sich Muhammad Shah (reg. 1720–48) mit der Beibehaltung des Imperiums schließlich durch. Beide Pläne verweisen indes auf das Bewusstsein, das die Moguln in Bezug auf die Regierbarkeit des Imperiums besaßen, und dass sie es eher teilen wollten als in Erbfolge- oder Sezessionskriegen untergehen zu lassen. Der Widerstand hielt gerade in seinen Randgebieten nahezu ungebrochen an. War es Shah Jahan zunächst noch gelungen, die Grenze nach Süden zu schieben und die neue Provinz Gujarat zu integrieren, regte sich bei der nächsten südwärts gerichteten Expansion unter Aurangzeb massiver Widerstand gegen die erzwungene Integration. Bereits in den 1650er Jahren hatte Shivaji Bhonsle (1630–80) im Sultanat von Bijapur als Militärkommandeur erfolgreich eine kleine Hausmacht etablieren können. Shivaji gehörte zu der dünnen Schicht der Marathen, einer Gruppe von lokalen Landbesitzern im bergigen Hinterland von Surat, das als Maratha Desh bezeichnet wurde. Mitte der 1660er Jahre gelang es Shivaji, die unter Aurangzebs General Jai Singh auf den Dekhan vorrückende Armee zu besiegen. In den Jahren 1672 und 1673 brachten die militärischen Erfolge gegenüber dem Sultan von Bijapur Shivaji die politische Eigenständigkeit, zumal die Aufmerksamkeit Aurangzebs zu diesem Zeitpunkt auf Nordindien gerichtet war. In dieser politisch günstigen Situation gründete Shivaji 1674 schließlich sein eigenes Königtum, das des Chatrapati von Satara. Die neu geschaffene Herrschaft basierte auf einem ge- und erfundenen hinduistischen Krönungsritual. Eigens aus Varanasi/Banaras engagierte Brahmanen legitimierten in einer Mischung von vedischen Texten, der Militärtradition von rajputischen Helden und allgemein geforderten Herrscherattributen eine Herrschaft, die in einem Ritus zeremoniell inszeniert werden konnte. Keinesfalls verband Shivaji mit dieser Krönung die Gründung eines exklusiv hinduistischen Königtums, das auf die bewusste Abgrenzung
Rebellionen und lokaler Widerstand gegenüber islamischen Herrschaften ausgerichtet war. Vielmehr reklamierte Shivaji einen separaten Herrschaftsbereich, ein Segment, in dem er weitgehende Autonomie besitzen wollte – folglich handelte es sich um den bekannten Prozess der Staatsformierung von innen heraus, wie im Modell des segmentären Staates beschrieben. Weder Shivaji noch seine Nachfolger, ebenso wenig wie die Peshwa, die seit Beginn des 18. Jahrhunderts in Pune regierenden Ersten Minister der Marathen, scherten aus dem imperialen Reichsverband der Moguln aus, auch nicht, als sie am Ende des Jahrhunderts zur dominierenden Macht in West- und Nordindien aufgestiegen waren und seit 1784 sogar Delhi besetzt hielten. In Bengalen war die latente innere Schwäche des Mogul-Imperiums besonders deutlich zu erkennen. Auf provinzieller Ebene existierten oftmals die gleichen Strukturen wie im gesamten Imperium. Im Kernbereich der Suba, in Dhaka und um die größeren Städte herum, war die Herrschaft am intensivsten, während sie in den Randgebieten Bengalens, so in Assam und in Chatgaon/Chittagong, relativ schwach ausgeprägt war. Hier entrichteten fast unabhängige Kleinkönige und andere lokale Magnaten meist nur Tribute an den Subedar. Das bedeutete auch, dass die fälligen Tribute gelegentlich oder auch regelmäßig mit Waffengewalt eingetrieben werden mussten. Im politischen Zentrum der Provinz saßen hingegen die Mansabdar des Moguls, die sich ihrer Machtposition durchaus bewusst waren. So versuchten sie bereits zu Beginn, verstärkt aber gegen Ende des 17. Jahrhunderts, die Steuern einzubehalten, die sie an die Khalisa abzuführen hatten. Um die Mansabdar und den Subedar botmäßig zu machen, schickte, wie erwähnt, Aurangzeb Murshid Quli Khan nach Bengalen. Nicht nur auf der Ebene der politischen Elite regte sich bisweilen Widerstand, auch die Bauern erhoben sich, sofern die Steuerlast unerträglich wurde. Mitunter konnte es dabei zu Schichten übergreifenden Allianzen zwischen Raja, Zamindar und Bauern kommen, wenn, wie 1615 im Fall eines Landstreifens in Kuch Bihar und Assam, der Subedar entgegen seiner Zusage zwei örtliche Rajas, die sich der direkten Staatskontrolle nicht unterwerfen wollten, abgesetzt und an den Mogul-Hof hatte deportieren lassen. Nur unvollkommen gelang den Mogul-Truppen die Niederwerfung des Aufstands, denn Bauern-Milizen, so genannte Paik, die sich aus lokalen Steuereinnahmen finanzierten, hatten sich aus gutem Grund der Rebellion angeschlossen. Auch nach ihrer Unterdrückung flammte der Widerstand immer wieder auf, denn die Anführer zogen sich in die Berge zurück, von wo sie ihre Aktionen fortsetzten. Fast nahtlos ging diese Rebellion in einen zweiten großen Aufstand über, der 1621 begann. Jetzt erhoben sich die privilegierten Paik, weil sie zu einer Zeit zum „fürstlichen Wildtrieb“ verpflichtet wurden, zu der ihre Arbeitskraft auf den Feldern nötig war. Nachdem der erste Rebellenführer hingerichtet worden war, schlossen sich Bauern und lokale Magnaten auf breiter Front dem Aufstand an, der erst nach Jahren beendet werden konnte. War heftiger Widerstand in den Grenzgebieten fast endemisch, so tauchte in allen Suba des Reiches immer wieder punktueller Widerstand auf. Die meisten Bauern-Rebellionen richteten sich gegen die wachsende Steuerund Abgabenlast. Da diese während Aurangzebs Herrschaft besonders stark zunahm, wuchs fast proportional die Zahl der Aufstände. Zur Befriedung
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Bauernrebellionen
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Das Imperium der Moguln im 17. Jahrhundert
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Nayaka und Palayakkarar
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der Grenzregionen kam also die Unterdrückung innerer Aufstände, was dem Mogul-Imperium mitunter den Anstrich eines Militärregimes gab. Gefährlich wurde die Situation, als 1669, 1681 und 1686 in der Delhi-AgraRegion eine offene Rebellion der Jat ausbrach, an denen sich bis zu 20.000 Bauern beteiligten. Sie wehrten sich nicht mehr allein gegen die wachsende Steuerlast, sondern auch gegen die zunehmenden religiösen Einschränkungen. Gerade der Abriss eines Hindu-Tempels in Mathura, das zwischen den beiden Städten liegt, hatte die religiösen Gefühle der örtlichen Bevölkerung stark getroffen. Die Aufstände kulminierten zwischen der Mitte der 1660er und dem Beginn der 70er Jahre, als sich neben den Jat jetzt auch die Yusufzia nahe Peshawar und die Afridi im benachbarten bergigen Pakhtun-Gebiet erhoben, während im Süden Shivaji 1670 zum zweiten Mal Surat plünderte. Weder an den inneren noch an den äußeren Grenzen gelang eine dauerhafte Befriedung. Trotz aller Anstrengungen zur Zentralisation blieb das Mogul-Imperium ein eher fragmentiertes Staatswesen, wie übrigens alle Großreiche einschließlich Britisch-Indiens. Charakteristisch war der segmentäre Staat, der in Variationen und stets neuen Konstellationen das Imperium nicht nur auf, sondern auch unterhalb der Provinzebene re-organisierte und gegebenenfalls neu ordnete. Über die Teilhabe an der Souveränität und die Erzeugung von Legitimität musste vor Ort immer wieder neu verhandelt werden, unter Umständen militärisch. Maßgeblich beim Tarieren der Macht war die prinzipiell stets neu arrangierbare Kräftekonstellation, die jedoch keinen willkürlichen Verwerfungen unterlag, als vielmehr von Verhandlungen und Bündnissen bis hin zur „Heiratsdiplomatie“ bestimmt war. Das belegt, dass es sich um ein höchst flexibles politisches System handelte. Subedar, lokale Zamindar und Raja entschieden dabei ebenso über die Stabilität einer Provinz oder Sub-Region, wie es die Bauern tun konnten, wenn der fiskale Druck im Rahmen dieser Allianzbildungen zu groß wurde. Erneut wird die Handlungskompetenz aller Untertanen sichtbar. Im Windschatten des expandierenden Mogul-Reiches, das die militärischen Kräfte der Dekhan-Sultanate in deren Norden band, und wegen der militärischen Schwäche Vijayanagaras konnten die Nayaka den Ausbau ihrer Klein-Königtümer im Verlauf des 17. Jahrhunderts nahezu unbehelligt fortführen und sie zu relativ stabilen Herrschaften ausbauen. Mit Siedlungen und Festungs-Marktflecken kolonisierten sie erfolgreich das Land und siedelten darüber hinaus gezielt Handwerker, Händler – darunter die nordeuropäischen Handelsgesellschaften – sowie Bauern an. Weitere Landschenkungen und Stiftungen an Tempel und Pilgerzentren konsolidierten diese Staaten. Um ihre Macht weiter zu festigen, investierten die Rajas von Travancore und Tanjavur sowie der Tondaiman von Pudukkottai und der Satupati von Ramnad in umfangreiche Tempelbau-Programme, wie sie das bereits im vorausgehenden Jahrhundert erfolgreich getan hatten. Verstärkt holten sie nun Brahmanen als Priester und Rechtsgelehrte ins Land, die aus den ehedem „wilden“ Kriegsfürsten „zivilisierte“ Könige machten. Auf diese Art und Weise bestätigten und festigten Brahmanen und Könige gegenseitig ihre Positionen. Allerdings bedrohten die Palayakkarar, die selbst Klein-Königtümer errichten wollten, oft den inneren Frieden der Nayaktümer, so dass sich hier
Stadtentwicklung in Südasien
II.
im Kleinen fortsetzte, was im Imperium Vijayanagaras seit einem Jahrhundert zu beobachten war und im Imperium der Moguln in den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts eingesetzt hatte, nämlich der fortschreitende Prozess der zentripetalen Dezentralisation. Um die Wende zum 18. Jahrhundert annektierte Aurangzeb schließlich die letzten Nayaktümer, hatte danach freilich immense Schwierigkeiten, den Widerstand der Palayakkarar zu unterdrücken. Von einer Integration Tamilnads in das Imperium konnte jedenfalls nicht die Rede sein. Erneut wird deutlich, dass es seitens der Zentralmacht enormer Anstrengungen bedurfte, die Suba des Imperiums zusammen zu halten, Anstrengungen, die mit wachsender territorialer Ausdehnung kaum mehr aufzubringen waren.
4. Stadtentwicklung in Südasien Die islamische Kultur gilt als eine ausgesprochen städtische Kultur. Das gilt auch für Südasien, wo mit der Errichtung des Delhi-Sultanats im Jahr 1207 erneut die Gründungen und das Wachstum von Städten einsetzte. Im 16. Jahrhundert erfolgte dann ein neuerliches Städtewachstum wie auch die Gründung von Marktorten, eine Entwicklung, die im 17. Jahrhundert in ganz Südasien, besonders aber im Mogul-Reich zu beobachten war. Anfang des 17. Jahrhunderts zählte man im damaligen Imperium 15 Provinzstädte, deren Zahl 1707 dann bei 22 lag. Die Zunahme war nicht allein auf die gestiegene Zahl der Suba zurückzuführen, vielmehr war sie ein Zeichen der fortschreitenden Verstädterung. Beachtlich war die Größe mancher Städte. Agra besaß um 1670 etwa 800.000 Einwohner, Lahore um die 700.000, und Delhi etwa 500.000, womit diese Metropolen zu den damals einwohnerstärksten der Welt gehörten. Aber auch in Städten wie Patna, Dhaka, Masulipatnam und Thatta lebten je etwa 200.000 Menschen. Über die städtischen Lebensbedingungen liegen nur wenige Hinweise vor. Im Unterschied zu den prachtvollen Havelis, den Stadtpalais der städtischen Eliten, lebte das Gros der Einwohner in meist einfachen Behausungen. Generell fiel europäischen Reisenden der krasse Gegensatz zwischen den wenigen extrem Wohlhabenden und der Menge der Armen auf. Zugleich wiesen die Städte eine große kommerzielle Geschäftigkeit auf. Das Wachstum der Gewerbe war generell, aber ganz prominent im Textilsektor, zu beobachten. Bei den Händlern und Kaufleuten war wiederum eine gestiegene Mobilität zu beobachten. Deutlichster Ausdruck der zunehmenden kommerziellen Aktivitäten war sicherlich die Gründung von Qasbahs, Markt- und Verwaltungsorten mit einem hohen Anteil an muslimischen Einwohnern. 1647 zählte man im Mogul-Imperium 4.350 Qasbahs, im Jahr 1720 waren es 4.716. Nach Angaben zur Stadtentwicklung in der Suba Gujarat belief sich am ausgehenden 16. Jahrhundert allein die Zahl ihrer Hafenstädte auf 23, eine Dichte, wie sie keine andere Region in Südasien aufwies. Berechnungen über das Steuervolumen der Städte haben ergeben, dass die Verstädterungsrate des Mogul-Imperiums am Ende des 17. Jahrhunderts bei etwa 15 Prozent gelegen haben kann. Damit läge sie
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Das Imperium der Moguln im 17. Jahrhundert
II.
Imperiale Repräsentationen
Shahjahanabad
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über den Schätzungen zum zeitgenössischen Europa, sieht man einmal von den Niederlanden, Flandern und Norditalien sowie einigen Regionen Chinas ab. Ganz wesentlich zur Bedeutung der Städte haben die Bautätigkeiten während Akbars und Shah Jahans, aber auch Aurangzebs Regierungszeit beigetragen. Die imperialen Residenzstädten Lahore, Delhi und Agra entwickelten sich zu Kultur- und Wirtschaftszentren, deren Bedeutung weit über den Subkontinent hinausreichte. Für das 17. Jahrhundert einmalig war die imperiale Repräsentation, wie sie Shah Jahan mit seinen umfangreichen, prächtigen Bauprojekten betrieb. Am bekanntesten ist zweifelsohne das Taj Mahal, das großartigste Zeugnis indo-persischer Monumentalarchitektur, das zwischen 1631 und 1643 als Grabmal für Shah Jahans Frau Mumtaz Mahal errichtet worden war. Unübertroffen an architektonischer Ästhetik und optischer Harmonie war es freilich nicht nur ein „Grabmal der Liebe“, als das es schon die zeitgenössischen Chronisten gerne „romantisierten“, sondern auch, wenn nicht gar zuvorderst, ein Zeugnis imperialen Repräsentationsbedürfnisses. Ausdruck eines starken Willens zur Selbstdarstellung, aber auch zur Inszenierung des Mogul-Reiches als eines mächtigen muslimischen Imperiums, war die Anfertigung des prunkvollen Pfauenthrons, an dem die Goldschmiede über sieben Jahre arbeiteten. Doch die sicherlich umfassendste Baumaßnahme ist die Planung und der Bau der Residenzstadt Shahjahanabad auf dem geschichtsträchtigen Areal von Delhi, das mit zu den ältesten Siedlungsbereichen auf dem südasiatischen Subkontinent gehört. Nachdem die Neugründung Akbars, Fatehpur Sikri, schon im Zuge der Usbeken-Gefahr 1581 zu Gunsten Lahores aufgegeben worden war und die Moguln fortan wieder dort und in Agra Residenz nahmen, entschied sich Shah Jahan 1639 zum Neubau von Stadt samt Palastfestung in Delhi. Oberflächlich betrachtet erscheint Shahjahanabad mit seinen verwinkelten Stadtvierteln zunächst wie eine gewöhnliche muslimische Stadt. Bei näherem Hinsehen fallen jedoch schnell diverse Besonderheiten auf. Zum einen die Prachtstraße Chandni Chauk. Sie führt vom Haupttor der Palastfestung von Ost nach West und trennt die Stadt in zwei ungleiche Teile. Im südlichen Teil und in rechtem Winkel zum Hauptportal der Palastfestung liegt die monumentale Jama Masjid, die große Freitagsmoschee. Zum anderen teilte die Prachtstraße die Stadt in funktionale Areale. Nördlich lagen die vornehmen Viertel mit den weitläufigen Havelis der MogulNobilität, und in ihrer Mitte Shahibabad Bagh, die große Gartenanlage. Im größeren, südlich gelegenen Areal befanden sich hingegen die Handwerkerund Gewerbeviertel, nach Berufssparten separiert, während sich im nordöstlichen Bereich die Palastfestung erhob. In dieser räumlich-sozialen Ordnung sowie in der Achse der Chandni Chauk schlug sich somit auch altindische Stadtplanung nieder. Dass bei der Anlage der Stadt nicht nur südasiatische Planungstraditionen in der Straßenführung und Quatieranlage, sondern auch in der Form der Stadt am Fluss, die aus der Vogelperspektive dem Profil eines Bogenschützens gleicht (der halbkreisförmige Mauerring als Bogen, Chandni Chauk als Arm/Pfeil und die Jamuna als Schütze), berücksichtigt wurden, kann als ein weiteres Indiz für die Indigenisierung der Timuriden-Herrschaft gesehen werden.
Stadtentwicklung in Südasien
II.
Unverkennbar ist neben dem politischen der persönliche Repräsentationswille, den schon die Namensgebung Shahjahanabad anzeigt. Allein die für Prozessionen angelegte Prachtstraße sucht in den Städten des südasiatischen Subkontinents ihresgleichen, so wie Jama Masjid bis heute die größte Moscheenanlage geblieben ist. Vergleichbar ist die Stadtanlage Shahjahanabads nur mit zeitgenössischen japanischen, chinesischen, persischen und italienischen Stadtkonzepten. Bei aller politischen Repräsentation darf jedoch nicht übersehen werden, dass Shahjahanabad auch eine erhebliche wirtschaftliche Funktion besaß. Denn von den geschätzten 500.000 Einwohnern war der Großteil Handwerker, Gewerbetreibende und Tagelöhner. Sie begründeten Shahjahanabads Ruf als Händler- und Gewerbestadt, die in ein nordindisches Handelsnetzwerk integriert war. Sher Shah Surs und Humayuns „Große Straße“ verband Shahjahanabad mit Kabul und integrierte das ferne Bengalen in die nordindische Wirtschaft. Über Surat lief der überseeische Handel, der Luxuswaren über Agra nach Delhi und umgekehrt Konsum- und Luxusgüter außer Landes brachte. Der imperiale Gestaltungswille blieb nicht auf Shahjahanabad beschränkt. Die Moguln drückten auch den anderen beiden imperialen Residenzen ihren architektonischen Stempel auf. In der Palastfestung Agra ließ Shah Jahan sämtliche Bauten seiner Vorgänger einreißen und durch neue ersetzen, die in dem für seine Herrschaft typischen Stil errichtet wurden. In Lahore ergänzte Shah Jahan die von Akbar erbaute Palastfestung ebenfalls durch Neu- und Umbauten. Aurangzeb setzte das Bauprogramm in umfassender Weise fort. In Lahore ließ er nach 1673 Badshahi Masjid, die zweitgrößte Moschee im Imperium, in unmittelbarer Nähe zur Palastfestung errichten. Diese wiederum erhielt nun ein monumentales Eingangstor, das genau gegenüber dem Eingang zur Moschee platziert wurde. Aurangzeb schuf so eine Gesamtanlage, die neben Shahjahanabad wie keine zweite Stadt die imperiale Macht repräsentierte und die Bedeutung der Stadt für das Imperium demonstrierte. In zahlreichen Städten wurden auf sein Geheiß Moscheen und repräsentative Stadttore gebaut. Schließlich widmete Aurangzeb seiner neuen Residenzstadt Aurangabad auf dem Dekhan, die er im Zuge der Süderweiterung des Imperiums Ende des 17. Jahrhunderts dorthin verlegte, einige Aufmerksamkeit, wenngleich die Pracht der Residenzstädte des Nordens nie erreicht wurde. Nicht nur die Moguln betätigten sich als Bauherrn, auch die Subedar in den Provinzen und die Mansabdar des Reiches trugen den imperialen Repräsentationswillen in die Städte des Imperiums. In Dhaka errichtete der Subedar nach 1649 Lalbagh Fort, eine weitläufige Palast- und Gartenanlage, die in Stein ausgeführt war, einem Baumaterial, das es in der Deltaregion von Ganges und Brahmaputra nicht gab und allein deshalb Ausdruck der Mogul-Herrschaft war. Shah Shuja, ein Sohn Shah Jahans, errichtete als Subedar in Rajmahal zahlreiche öffentliche Bauten, die seinen Anspruch auf den imperialen Masnad verkörperten. Neben den Residenzstädten Lahore, Agra und Shahjahanabad waren auch Ajmer, Ahmadabad, Dhaka, Lakhnau oder Thatta Städte, in denen die Mansabdar des Reiches baulich aktiv waren und dort das architektonische Bild beziehungsweise die Botschaft des timuridischen Imperiums verbreiteten.
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Das Imperium der Moguln im 17. Jahrhundert
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5. Wirtschaft, Handel und Verkehr in Südasien und dem Indischen Ozean Rückgrat der Ökonomie und der Staatseinkünfte im Mogul-Reich bildete auch im 17. Jahrhundert die Landwirtschaft. Zur Steigerung des Steueraufkommens betrieben die Mogul, ganz besonders Shah Jahan und Aurangzeb, eine staatlich geförderte innere Kolonisation. Nicht nur in Bengalen, auch in anderen Reichsprovinzen versuchten sie, die Krondomäne auszuweiten, indem sie Bauern auf Neuland ansiedelten. Große Waldflächen des Tarai, der submontanen Himalayaregion Hindustans, sind in dieser Zeit gerodet worden. Über die Kultivierung des Bodens sollte langfristig das Steuervolumen angehoben werden. Dem Vorhaben war indes ein nur bescheidener Erfolg beschert. Eher waren es lokale Magnaten, die hier signifikante Ergebnisse erzielten. Rekonstruktionen haben ergeben, dass sich vom Ende des 16. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts die agrarische Anbaufläche in den Suba Allahabad, Awadh, Delhi, Agra, Lahore, Multan und Gujarat mehr als verdoppelt hat. Allein im 17. Jahrhundert dürfte die landwirtschaftliche Nutzfläche um etwa die Hälfte ausgeweitet worden sein, was freilich nicht gleichmäßig in allen Provinzen geschah. Zur Expansion der Anbaufläche kam die Diversifizierung der Landwirtschaft durch neue Feldfrüchte. Hier machte sich die Verflechtung mit dem entstehenden Weltmarkt über den portugiesischen Estado da India und inzwischen auch die nordeuropäischen Handelsgesellschaften bemerkbar. Aus den Amerikas stammten neue Nahrungspflanzen wie Mais und die Genusspflanze Tabak. Er wurde um 1600 zunächst nur an der Westküste Indiens kultiviert. Bis in die Mitte des Jahrhunderts breitete er sich über den gesamten Subkontinent aus und wurde schließlich zum Exportgut. Eine verstärkte Kommerzialisierung war auch im Bereich der Nutzpflanzen Indigo, Zuckerrohr, Opium und Baumwolle zu beobachten. In Bengalen führte die Pflanzung von Maulbeerbäumen dazu, dass sich die Provinz innerhalb eines Jahrhunderts zur weltweit größten Gewerberegion für Seidentextilien entwickelte. Neue Anbau- oder intensivere Düngemethoden waren hingegen noch nicht zu erkennen. Allerdings fanden Innovationen im Bereich der Bewässerung statt, denn Shah Jahan ließ im Doab von Ganges und Jamuna und im westlichen Panjab große Kanäle zur Wasserversorgung der Residenzstädte Lahore und Delhi, aber eben auch zur Förderung der Landwirtschaft anlegen. Der Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen und Gewerbeprodukten war über ein Netzwerk organisiert, das auf den Dörfern, den Katra (lokale Marktorte), und den Qasbah basierte. In den Qasbah waren, neben ihren Funktionen als muslimische Gelehrten- und imperiale Verwaltungsstädten, die Gewerbe wie in den großen Städten nach Berufssparten in Viertel und Straßenzüge aufgeteilt. Die verschiedenen Gewerbe besaßen berufliche Organisationen, so dass die empirisch gewachsene und gesammelte Expertise eine hohe Produktqualität gewährleistete. Die Handelswaren transportierte die Berufsgruppe der Banjara mit Packochsen-Karawanen, die aus bis zu 20.000 Tieren bestehen konnten und dann an die 2.700 t Lasten über
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weite Distanzen transportierten. Sarai in den Städten, vor allem aber entlang der Straßen, wo sie bereits im 16. Jahrhundert unter Sher Shah Sur und nun in Fortsetzung dieser infrastrukturellen Maßnahmen von den Mogul, der Nobilität und den Großkaufleuten in regelmäßigen Abständen errichtet wurden, boten kleineren Karawanen und ihren Führern nächtlichen Schutz, während professionelle Versicherungsagenten, die in den Katra und Qasbah ansässig waren, den Schutz der Waren vor Überfällen absicherten. Städtische Händler zogen über Land und offerierten in den Dörfern dort begehrte Waren aus der Gewerbeproduktion, und „Gemischtwarenhändler“ belieferten die dörfliche Bevölkerung mit Grasmatten, Seilen und Küchenutensilien sowie Devotionalien für die Hausaltäre. In den Suba Thatta, Lahore und Delhi konzentrierten sich einige Berufsgruppen auf die Zucht und den Vertrieb von Vieh, hauptsächlich Ziegen, Schafe und Rinder, für eine speziell muslimische Käuferschaft. Wollzeug aus Kashmir konnte wegen des Klimas nur in Nordindien verkauft werden, Glaswaren aus Delhi hingegen im gesamten Gangestal, ebenso wie Papier aus Agra und Allahabad. Salz wurde in Orissa und dem westlichen Bengalen sowie im Sind gesiedet und auf dem ganzen Subkontinent vertrieben. Diese gewerblichen wie händlerischen Unternehmer bildeten zusammen mit den kleinen ländlichen Magnaten eine wachsende Mittelschicht, die offensichtlich höchst mobil, flexibel und innovativ war. Neben der politischen Stabilität stellte die dichte Infrastruktur des MogulImperiums die wichtigste Voraussetzung für den wachsenden Handel mit Zentralasien dar. In Samarkand, Buchara und Astrachan hatten sich im 17. Jahrhundert indische Textilhändler aus Multan niedergelassen, wo sie auch Waren aus Gujarat und Bengalen vertrieben. Teilweise brachten indische Händler von dort Webermeister in die zentralasiatischen Städte, nachdem usbekische Gesandte am Hof Aurangzebs Musterstücke für eine zeitgemäße fürstliche Kleidung besorgt hatten. Über die zentralasiatischen Khanate reichten am Ende des Jahrhunderts die Kontakte indischer Händler bis nach Petersburg, von wo sie Luxusgüter wie Pelze und Schwerter bezogen. Den größten Posten im transmontanen Handel nahm freilich immer noch der Pferdehandel ein. Nach zeitgenössischen Berichten kauften indische Pferdehändler allein in Kabul jährlich bis zu 100.000 Pferde ein. Die relativ sicheren Straßen ermöglichten schließlich Handelskontakte von Transoxianien und Khurasan bis auf den Dekhan. Eine zentrale Rolle im Handel mit den zentralasiatischen Khanaten nahm im Panjab die Gemeinschaft der Khatri ein, die die Region zur Produktion und Distribution von Textilien und anderen Erzeugnissen aufbauten. Lahore fungierte seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert als wirtschaftliches und logistisches Zentrum, das in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts an Bedeutung weiter zunahm. Erst nach dem Sturz der Safawiden-Dynastie 1722 im Iran und den politischen Unruhen im Panjab ging der Handel nach Afghanistan und Usbekistan allmählich zurück, ohne dass er jedoch zum Erliegen kam. Den transmontanen Handel im Westen Südasiens komplementierte der Handel entlang der Makran-Küste, den die Händler aus Thatta beherrschten. Zentral- und südasiatische Waren wurden in Thatta umgeschlagen und in den Persischen Golf transportiert. Im Jahr 1622 stammte ein Siebtel des gesamten Handelsvolumens in Hormuz aus dem Sind. Händler
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Surat
aus Surat, Khambhat und Thatta unterhielten Beziehungen über Maskat bis nach Ostafrika, von wo Elfenbein und Sklaven nach Arabien, Persien und Indien verschifft wurden. Die bedeutendste Handelsstadt an der Westküste des indischen Subkontinents war im 17. Jahrhundert zweifelsohne Surat. Hier dominierten Großhändler den Exportmarkt, was besonders für Indigo galt. Ihre Geschäfte wickelten sie mit arabischen und europäischen Kaufleuten ab. Gelegentlich knüpften die europäischen Handelsagenten Kontakte zu regionalen Händlern, wie in Agra, um das herum eine der bekanntesten Anbauregionen für Indigo auf dem Subkontinent lag, um so dem Preisdiktat Surats zu entfliehen. Unter den Großhändlern der Stadt befand sich Virji Vora, der zwischen 1620 und 1670 die Handelsgeschäfte in manchen Sparten fast vollständig beherrschte. Über sein Pfeffermonopol diktierte er den arabischen und europäischen Exporteuren die Preise und nutzte dabei vor allem die Konkurrenz der englischen East India Company (EIC) und der holländischen Verenigden Oostindischen Compagnie (VOC) aus. Dem waren nur dann Grenzen gesetzt, wenn beispielsweise die VOC mit frischem Kapital in Surat eintraf und ihre Agenten im Hinterland mit „Dumpingpreisen“ Virji Vora vom Markt drängten. Virji Voras weitreichende Handelsverbindungen erstreckten sich vom Dekhan über Agra nach Zentralasien und überseeisch nach Mokha und Gombrun (Bander Abbas) einerseits, andererseits bis nach Malaya und Sumatra. Seine finanzielle Macht war derart groß, dass die europäischen Han-
Die wichtigsten urbanen Zentren und Handelsplätze Asiens vor 1600
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Wirtschaft, Handel und Verkehr delsgesellschaften bei fehlendem Investitionskapital Kredite bei Virji Vora aufnahmen, was ihn bei Zahlungsverzug veranlasste, seine Güter kostenfrei auf deren Schiffen transportieren zu lassen. Der Überfall und die Plünderung der Stadt durch das Heer des Marathenführers Shivaji 1664 brach Virji Vora das geschäftliche Genick, denn bis zu seinem Tod 1670 konnte er sich von dem Schlag nicht wieder erholen. Nachdem die Stadt in diesem Jahr eine weitere Plünderung durch die Marathen über sich hatte ergehen lassen müssen, danach aber kurzfristig wieder zu den prosperierendsten Hafenmetropolen im Indischen Ozean gehörte, trat an seine Stelle Abdul Ghafur. Er wurde jedoch Zeuge des Niedergangs, den der Hafen und die Stadt in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts erfuhr. Zu den prominenten Händlergemeinschaften, die in Surat ansässig waren, gehörten auch die Armenier, die in einer Kaufmannschaft organisiert waren. Ihr logistisches Zentrum lag in Neu-Julfa, dem armenischen Stadtviertel in Isfahan, wo Shah Abbas II. die Gemeinschaft 1605 zwangsweise angesiedelt hatte. Von hier aus betrieben die Armenier ein Handelsnetzwerk, das sich über fast den gesamten eurasischen Kontinent erstreckte und unter anderem in London, Amsterdam und Marseille, Istanbul, Isfahan und Surat sowie in Makassar, Manila und Kanton Niederlassungen unterhielt. 1688 schlossen die Armenier mit der EIC in Bombay ein Abkommen, das sie als gleichberechtigte Partner des englischen Handelsunternehmens auswies. Im Gegenzug willigten sie ein, ihren bisher landgestützten indo-persischen Handel ausschließlich über die Schiffe der EIC zu tätigen. Das stärkte nicht nur die kommerzielle Position der Engländer im Arabischen Meer, sondern war auch Ausdruck einer langsam wachsenden maritimen Dominanz der europäischen Handelskompanien. Mächtig war in Surat vor allem die Kaufmannschaft der Bania, der wohl bekanntesten Gruppe von Händlern und Bankiers auf dem gesamten Subkontinent. Ihre prominente Position demonstrierten sie offen, wenn Subedar und Qiladar willkürlich Abgaben erhoben oder andere Repressalien ausübten. Dann leisteten sie gemeinsamen Widerstand, wozu Boykott-Aktionen gehörten oder, freilich sehr selten, der zeitweilige Exodus der Gemeinschaft aus der Stadt, wenn beispielsweise im Zuge der Gesetze zur Förderung des Islam ab den 1670er Jahren übereifrige Hafengouverneure meinten, persönlichen Profit aus den veränderten politischen Umständen ziehen zu müssen. Nicht nur in der Stadt, auch auf See dominierten die Bania mit ihren Waren den Handel. In ihren Stapelhäusern lagen indische, vor allem aber ausländische Waren, die aus allen Anrainer-Regionen des Indik stammten und zum ganzjährig verfügbaren reichhaltigen Warensortiment gehörten. Nur Melaka und Hormuz dürften im 17. Jahrhundert eine ähnlich herausragende Stellung eingenommen haben. Überseeische Verbindungen gab es von der indischen Westküste in den Persischen Golf, besonders nach Maskat, Bandar Abbas, Gombrun und Basra, sowie auf die arabische Halbinsel. Hier hatten die hadramischen Händler ihrerseits ein Handelsnetzwerk aufgebaut, das mittlerweile den gesamten Indischen Ozean überspannte. Kaufleute aus Gujarat beteiligten sich in maßgeblichem Umfang an diesem Seehandel, der seit dem 12. Jahrhundert an die Ostküste Afrikas vorgeschoben wurde und inzwischen bis nach Mombasa, Kilwa und Mosambique reichte. Überhaupt fungierten die
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Armenier
Kaufmannschaft der Bania
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Hafenstädte Gujarats als die logistischen Knotenpunkte im maritimen und landgestützten Fernhandelsnetz, verbanden sie doch alle zusammen die Küsten- mit der Hochseeschifffahrt und darüber hinaus mit den Karawanenrouten Südasiens und Zentralasiens. Ihre Bedeutung beruhte obendrein auf der Funktion als transozeanischer und transkontinentaler Umschlagplatz. Wachsenden Einfluss auf die maritimen Exportgeschäfte übten jetzt allmählich auch die nordeuropäischen Handelskompanien aus. Im Jahr 1600 gründeten in London und 1602 in Amsterdam Handelskaufleute die ersten Ostindiengesellschaften als königlich privilegierte Monopolunternehmen für den exklusiven Handel mit asiatischen Gütern in ihren Heimatländern respektive Europa. Am Ende des Jahrhunderts hatten Holländer, Engländer, Franzosen und Dänen zahlreiche Niederlassungen an den Küsten des Subkontinents errichten können, indem sie von den dortigen Herrschern gegen Zahlung Handelsprivilegien erhielten. In Bombay, Mahé und Cochin an der Malabar-Küste, in Madras, Tranquebar, Pondichery und Nagapatnam an der Koromandel-Küste sowie in Calcutta, Chandanagar und Serampur in Bengalen besaßen die europäischen Handelsgesellschaften eigene, zum Teil befestigte Stützpunkte. Mit ihrer Nachfrage nach indischen Textilien und Gewürzen stimulierten die europäischen Kaufleute die Produktion in den jeweiligen Regionen. Allein an der Malabar-Küste steigerte die EIC ihre Pfefferexporte von 7 Mill. Pfund im Jahr 1621 auf 13,5 Millionen Pfund im Jahr 1670. Ähnliche Zahlen sind auch beim Textilexport zu verzeichnen, bei dem allein zwischen 1660 und 1690 die Anzahl der Ballen von 270.000 auf 1,8 Millionen anwuchs. Im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts vermochten es die Kaufleute der EIC, mit ihrem Privathandel allmählich Einfluss auf die Handelsverbindungen Surats in den Persischen Golf und das Rote Meer zu nehmen. Bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts gelang es indessen der VOC, die Portugiesen aus den meisten Festungen des Estado da India zu vertreiben und selbst ein zunächst seegestütztes Handelsimperium aufzubauen. Sie schaffte es schließlich, den Handel mit Muskatnuss und Muskatnussblüten sowie Nelken zu monopolisieren, nachdem sie die von ihr so benannten Gewürzinseln der Molukas besetzt, die Bevölkerung versklavt und die Gewürze auf Plantagenbetrieben anbauen ließ. Allerdings war die Besetzung Bantens auf Java durch die VOC im Jahr 1682 ein empfindlicher Schlag für den Handel Surats mit dem insularen Südost-Asien, denn mit der Umleitung der Geschäfte ins nahe gelegene Batavia ging ein wichtiger „unbhängiger“ Handelshafen verloren. Wie schon die Portugiesen blockierte jetzt auch die EIC diverse Male den Hafen Surats, um günstigere Entscheidungen zu erzwingen, was den Handel zeitweilig beeinträchtigte. Doch kamen in den 60er Jahren auch einzelne „Joint-Venture-Unternehmungen“ zwischen Gujarati-Händlern und EIC-Kaufleuten für den Manila-Handel zustande. Wie schon im 16. Jahrhundert mussten auch jetzt alle ausländischen Handelspartner ihre Waren in Indien mit Münzen oder Metallen einkaufen. Nach 1660 taten das die VOC und die EIC mit jährlich 34 Tonnen Silber; im Vergleich zu den Investitionen der ersten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts eine Verdreifachung. Hinzu kamen die Investitionen der arabischen und persischen Händler, deren Silbereinfuhren nach Surat meist höher lagen als die der Europäer. Diese nahmen nicht nur auf den Finanzmärkten Europas
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Wirtschaft, Handel und Verkehr Kredite zur Vorfinanzierung des Asienhandels auf, sondern es war gerade der innerasiatische Handel, der den Unternehmen zusätzliches Handelskapital bereitstellte, wie bereits die Portugiesen feststellten. Der Handel mit Edelmetallen aus Persien, meist Silber, und mit Silber aus Japan war äußerst lukrativ. Durch diesen Zufluss an Silber stieg in mehreren Schüben die Menge der zirkulierenden Münzen im Mogul-Reich, die sich im 17. Jahrhundert wohl mehr als verdoppelt hatte. Doch schien das keinen Einfluss auf die allgemeine Preisentwicklung in den Empfängerregionen der Edelmetallimporte gehabt zu haben. Entscheidendes Scharnier, über das das Edelmetall in den Finanzkreislauf des Mogul-Reiches eingespeist wurde, waren einerseits die zentralen Münzstätten und andererseits die Sarraf, privatwirtschaftlich operierende Vermittler und Geldhändler. Die geprägten Münzen unterstanden einer unmittelbaren Kontrolle und sind vielleicht das zentrale Element der Mogul-Administration. Allein in Surat stieg der tägliche Ausstoß von Rupien von etwa 9.000 im Jahr 1634 auf 22.000 im Jahr 1645 und runden 30.000 zwei Jahre später. Besonders dominant war die Position der Sarraf in Surat, wo 1660 etwa 300 die Konzession zur Münzprägung von Staat verpachtet bekommen hatten. Der Einfluss der Sarraf regelte Vorzug und Verzug von Prägungen, was speziell die europäischen Kompanien mit ihrem ständigen Finanznöten in arge Schwierigkeiten bringen konnte, wenn sie kurzfristig Kredite für anstehende Termingeschäfte benötigten oder mit der Tilgung alter Außenstände in Verzug geraten waren. Diesen Schluss legt die Überlieferungslage in den europäischen Dokumenten nahe. Wie schon die Portugiesen scheiterten auch EIC und VOC an dem Versuch, den Pfefferhandel an der Malabar-Küste (= Pfefferküste) zu monopolisieren. Trotz eines exklusiven Liefervertrages mit der VOC öffnete der Samudrathiri von Kozhikode (engl. Korrumption: Zamorin of Calicut) arabisch-indischen Händlern für ihren Pfeffereinkauf die Häfen in seinem Reich. Von Cannanore aus betrieb der Handelsfürst Ali Raja einen profitablen Gewürzhandel mit Direktexporten nach Maskat, Mokha und Basra. An der Monopolstellung des Samudrathiri und Ali Rajas änderte auch die Eroberung der Häfen Cannanore, Kozhikode und Quilon durch die VOC in den 1660er Jahren nichts, denn bei der enormen und stetig steigenden Nachfrage ließen sich aufgezwungene Verträge wie der für die exklusive Pfefferbelieferung an die VOC schlecht kontrollieren, vor allem, wenn sämtliche Nachfrage aufgrund des überreichen Angebots stets befriedigt werden konnte. Neben dem Samudrathiri von Kozhikode behaupteten auch der Raja von Travancore sowie die Rani von Attingal ihre ökonomische Position im Pfefferhandel, allzumal die VOC nach dem Fall Bantens und dem dann eingestellten Pfefferhandel mit den europäischen Konkurrenten nun den indischen Produzenten und Kaufleuten neue Märkte öffnete. In Masulipatnam, dem großen Handelshafen des Sultanats von Golkonda und Emporium an der Ostküste Südasiens, ergab sich ein ähnliches Bild wie in Surat. Stadt und Hafen hatten die Sultane ausgebaut. Städtebaulich gesehen machte Masulipatnam einen eher bescheidenen Eindruck. Da die Stadt auf sumpfigem Untergrund stand und Zyklone immer wieder Überschwemmungen und Zerstörungen verursachten, verzichteten die Sultane und ihre Havildar (Stadtkommandant) auf prächtige öffentliche Bauten ebenso wie
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Münzprägung
Masulipatnam
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auf den Bau von befestigten Straßen. Hingegen scheinen die mehrstöckigen Privathäuser der wohlhabenden Händler prächtig gewesen zu sein. Zu diesem Erscheinungsbild haben speziell die in der Stadt ansässigen Händlergruppen aus dem Hadhramaut, aus Acheh und Pegu, der VOC und EIC, ganz besonders aber die persischen Kaufleute beigetragen, die mittels luxuriöser Gebäude ihre ökonomische und gesellschaftliche Stellung demonstrierten. Die persischen Händler dominierten im 17. Jahrhundert die Wirtschaft Masulipatnams, weshalb sie auch die wohlhabendste und zugleich einflussreichste gesellschaftliche Gruppe in der Stadt waren. Anfang der 1670er Jahre gelang es ihnen sogar, eigene militärische Einheiten wie Wachmannschaften aufzustellen und eine kleine Reitergarde zu unterhalten. Masulipatnam verband den Handel des Dekhan mit der Küste und brachte umgekehrt Waren aus den Anrainergebieten des Indik nach Golkonda-Haiderabad. Die Verbindung ins Hochland des Dekhan gewährleistete die große Straße von Masulipatnam nach Golkonda-Stadt, die zugleich die Hauptachse eines Warenverkehrs war, der aus einem Netz von regionalen Produktionszentren in Kleinstädten und Dörfern bestand. Auffällig ist die dichte Besiedlung der Deltas vor Krishna und Godaveri mit Dörfern, in denen Textilien produziert wurden. Edelsteine stammten aus den Minen des Landesinneren. Eisen- und Stahlwaren gelangten ebenfalls aus dem Landesinneren nach Masulipatnam, von wo sie entlang der südasiatischen Küste vertrieben wurden. Ein Teil dieser Güter war für den überseeischen Export bestimmt. Der nahm besonderen Aufschwung, nachdem Sultan Muhammad Qutb Shah (reg. 1612–24) intensive wirtschaftliche und politische Kontakte zum Safawiden-Reich geknüpft hatte. Das erklärt auch die prominente Stellung, die die persischen Händler binnen kurzem einnahmen. Neben Textilien gehörten vor allem Nahrungsmittel wie Reis und Salz zu den hauptsächlichen Exportgütern, die aus dem unmittelbaren Hinterland Masulipatnams angeliefert wurden. In umgekehrte Richtung wurden Pfeffer, Gewürze, Zinn, Elefanten und Farbstoffe importiert. Für den interkontinentalen Handel war Masulipatnam im 17. Jahrhundert Stapelplatz für Sandelholz, Gewürze, Elfenbein, Porzellan und Pfeffer. Zum Hauptgeschäft gehörte immer noch der Umschlag von Reis aus Tamilnad und Textilien aus Bengalen. Beide Waren wurden bis nach Acheh verschifft. Diese Handelsblüte fand ein jähes Ende. In den Jahren 1686 und 1687 herrschte eine extreme Trockenheit in der Region, gefolgt vom Ausbruch der Pest. Im Mai 1687 vernichtete eine Feuersbrunst etwa ein Drittel der Häuser Masulipatnams. Mit der Annexion Golkondas im selben Jahr durch die Truppen Aurangzebs wurde die Hafenstadt unter die Aufsicht eines Havildar gestellt. Daraufhin beschleunigte sich der Niedergang der Stadt zusehends. Inzwischen wirkte sich auch der zollfreie Handel von VOC und EIC, den beide 1636 bzw. 1639 vom Sultan von Golkonda für die Straße zwischen Hafenund Hauptstadt bewilligt bekommen hatten, negativ aus, da er den Warenstrom kanalisierte und empfindlich beeinträchtigte. Ähnlich wie in Surat übten in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die Kaufleute der VOC und EIC wachsenden Druck auf Händler in Masulipatnam aus. Das geschah zu einer Zeit, in der ein allgemeines Wachstum der Handelsgeschäfte zu beobachten war und die europäischen Handelsgesell-
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schaften offensichtlich um die Sicherung von Marktanteilen kämpften. Zeichen dieser wachsenden Rivalität waren unter anderem die Vorschusszahlungen an Textilproduzenten, wie es seit den 1660er und 1670er Jahren nicht nur in Masulipatnam mit seinen 7.000 Webern zu beobachten war, sondern auch in Surat und in Dhaka, den beiden anderen großen Produktionsorten und Umschlagplätzen für Textilien. Die Vergabe von Vorschüssen ist als Dadni-System bekannt geworden. Es schützte die indischen Textilproduzenten davor, eventuell auf den Sonderbestellungen nach europäischen Maßen und spezifischen Muster- und Farbwünschen sitzen zu bleiben. Um ihren Einfluss auf die bengalischen Weber zu erhöhen, begann die EIC seit den 1680er Jahren mit einem verstärkten Import von Baumwoll-Garnen aus Surat. Daraufhin fiel innerhalb von fünf Jahrzehnten in Bengalen der Preis für Garn um 30 Prozent. Ein ebenfalls signifikanter Ausdruck der Handelskonkurrenz waren die wachsenden Zollaußenstände der europäischen Handelsgesellschaften. Repressalien seitens des Havildar-Shahrbandar (-Hafenmeister) begegneten die Europäer bisweilen in konzertierten Aktionen wie der Blockade des Hafens und der Kaperung einlaufender Schiffe. Dem Treiben musste der Havildar tatenlos zusehen, da er nicht über Flottenverbände verfügte, mit denen er die europäischen Schiffe hätte angreifen können. Umgekehrt verstand es Havildar Agha Jalal in den 1670er Jahren jedoch, VOC und EIC in arge wirtschaftliche Bedrängnis zu bringen, als er im Zuge seines Versuches, die Steuereinnahmen der Stadt zu erhöhen auch alte Handelskonzessionen für die beiden Kompanien kassierte. Den massiv protestierenden Europäern schnitt er kurzerhand den Handel mit Gewürzen den Krishna hinauf ab und ließ ihre Schiffe festlegen. Ebenso verhinderte er die Anlieferung von Bauholz, das für die Reparatur der europäischen Handelsschiffe den Fluss hinunter geflößt werden sollte. Der Schiffbau gehörte zu den großen Gewerbezweigen an der Koromandel-Küste. Neben Masulipatnam war Pulikat und obenan Naraspur Peta für seine exquisiten Schiffskonstruktionen mit einer Gesamttonnage von bis zu 600 t bekannt. Baumaterialien wie Eisen und Holz wurden aus dem Hinterland über Masulipatnam angeliefert und in den staatlichen Karkhana für den Schiffsbedarf weiter verarbeitet. Das galt auch für Seilereien und anderes Schiffszubehör. Zimmerleute und Seiler arbeiteten jedoch auch als private Unternehmer und stellten Arbeitskräfte nach Bedarf auf Lohnbasis ein. Auf der westlichen Seite des Subkontinents war Kalyan-Bhivandi an der Konkan-Küste als Werftplatz überregional bekannt. Hier ließen Europäer, aber auch Perser und Araber ihre Schiffe meist ausbessern, teilweise auch neu konstruieren. Wie leistungsstark das Schiffbaugewerbe an diesem Küstenabschnitt war, zeigt allein die Stärke der Kriegsflotte, die Shivaji mit über 200 Schiffen in den 1670er Jahren hat bauen lassen, abgesehen von den Schiffen der Handelsmarine. Detaillierte Berichte aus Masulipatnam wie auch aus Surat oder anderen Städten, in denen die nordeuropäischen Handelsgesellschaften ihre Niederlassungen besaßen, verweisen deutlich auf das Interesse der Europäer an den ökonomischen und politischen Verhältnissen in den Regionen, in denen sie wirtschaftlich aktiv waren. Zugleich verweist es auf den Umstand, dass mit dem Auftauchen der Europäer, angefangen mit den Portugiesen im
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16. Jahrhundert, und nun mit dem der privaten Ostindiengesellschaften Englands, der Niederlande, Dänemarks und Frankreichs Unternehmen in Südasien operierten, die über ihr Geschäftsgebaren in allgemeinen politischen und wirtschaftlichen Berichten, gesonderten Schiffslisten, Kostenaufstellungen, Preisentwicklungen, Angaben zu Angebot und Nachfrage sowie der eigenen finanziellen Situation Rechenschaft ablegten. Kopien dieser diversen Dokumente wurden an die Unternehmensleitungen in London, Amsterdam, Kopenhagen und Lorient geschickt, wo sie schließlich in den Archiven „verschwanden“. In ihrer Dichte an Informationen zu Südasien sind diese Aktenbestände unübertroffen. Daraus ist in der Rückschau der nicht unberechtigte Schluss gezogen worden, dass die Wende zum 16. Jahrhundert lediglich in Bezug auf die Quellenlage, nicht jedoch in Bezug auf die europäische Präsenz eine Zäsur in der Geschichte Südasiens bedeutet. Über den politischen und kulturellen Zustand des Mogul-Imperiums im 17. Jahrhundert sagen diese Dokumentensammlungen indes wenig aus. Anhand der Überlieferungen in südasiatischen Sprachen, zu denen selektiv europäische hinzugezogen werden müssen, kann freilich gefolgert werden, dass das 17. Jahrhundert für das Mogul-Reich die sicherlich prosperierendste Phase darstellte. Gerade unter ökonomischen Gesichtspunkten war dieses Jahrhundert eine Periode des stetigen Wirtschaftswachstums, der Ausweitung der Handelsgeschäfte, der Intensivierung der kaufmännischen Infrastruktur, kurz: der Ausbildung von Netzwerken von subkontinentaler und transozeanischer Dimension. Aus politischem Blickwinkel gesehen war der Zenit sicherlich zu der Zeit überschritten, als die territoriale Expansion des Imperiums mit der Konsolidierung nicht mehr Schritt halten konnte und schließlich ab den 1680er Jahren der innere Zusammenhalt latent gefährdet war. In literarischer, besonders aber in architektonischer Hinsicht nimmt das Imperium der Moguln des 17. Jahrhunderts den vielleicht bedeutendsten Platz in der neueren Geschichte Südasiens ein.
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III. Umstrukturierung und Reorganisation Südasiens im 18. Jahrhundert 1. Das Imperium der Moguln als Variante des segmentären Staates Bis auf wenige Ausnahmen charakterisieren selbst neueste Darstellungen zur Geschichte Südasiens das 18. Jahrhundert als die Periode des Verfalls und Untergangs des Mogul-Reiches. Bestenfalls erscheint das 18. Jahrhundert als eine Periode des Übergangs vom Imperium der Moguln, dem unter Akbar eine gewisse Größe attestiert wird, hin zum Britisch-Indischen Imperium. Zu denken geben sollte freilich, dass nicht einmal die südasiatischen Zeitgenossen die Lage als Untergang eines „alten Reiches“ interpretierten. Wohl aber thematisierten sie den zu beobachtenden Wandel und suchten nach Erklärungen. In Geschichtswerken, die zwischen 1763 und 1819 publiziert wurden, wird die Umbruchphase im Mogul-Reich mit dem persischen Terminus inqilab belegt, der den revolutionären (im Sinne einer horizontalen Rotation) Wechsel von Dynastien und Herrschern bezeichnete, mit der sie sowohl die Veränderungen am Mogul-Hof und im Mogul-Reich erklärten als auch den Umbruch in Bengalen, wie er in den Jahren 1756–65 stattfand. Keinesfalls wurde die Geschichte des Mogul-Imperiums als degenerativer Verfall, vielmehr als renovierende (nicht aber restaurative) Transformation geschildert. Analog zu den in anderen Teilen der Welt zu beobachtenden Phasen des Um- und Aufbruchs im 18. Jahrhundert, wie sie ganz besonders für Europa und Nordamerika gelten, kann für Südasien eine ähnliche Neu- oder Reorganisierung vorhandener politischer Strukturen und gesellschaftlicher Ordnungen beobachtet werden. Vor allem war nicht absehbar, dass Ende des Jahrhunderts das britische Kolonialregime die dominierende militärische Macht sein würde. Unübersehbares Kennzeichen dieses Transformationsprozesses war die einsetzende Deterritorialisierung des Mogul-Imperiums, gefolgt von einer Territorialisierung auf der Ebene seiner Provinzen. Im Zuge dieser Umstrukturierung wurde das Imperium von einem zentralen Reichsverband zu einem losen Staatenbund umgebaut, ohne dass damit ein wirtschaftlicher oder gar administrativer Niedergang verbunden war. Ganz im Gegenteil, denn im Grunde zog die Territorialisierung die Inwertsetzung und die Intensivierung der Strukturen des Mogul-Imperiums nach sich, das in dieser Form in den entstehenden Territorialstaaten seine innere Stärke zeigte und hierüber wesentlich zur Konsolidierung der neuen Dynastien beitrug. Mit dieser Reorganisierung, die die Verdichtung von imperialen Herrschaftsstrukturen ebenso einschloss wie ihren Aus- und Umbau, fügt sich das Mogul-Reich in die Reihe der frühneuzeitlichen Imperien ein, die im Verlauf des 18. Jahrhunderts tief greifende Veränderungen in ihrer inneren Organisation erfuhren. Vergleichbar wäre etwa das Safawiden-Reich, das nach 1722 im afghanischen Reich der Durrani einen Nachfolger fand, ohne dass das persisch-afghanische Imperium je wieder die Macht und Ausstrah-
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Erweitertes Modell des segmentären Staates
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lung erhalten sollte, wie das unter den Safawiden der Fall war. Im MogulReich scheint hingegen ein Prozess induziert worden zu sein, bei dem die zentripetale Dezentralisation als ein von der Zentrale gesteuerter Vorgang zusehends außer Kontrolle geriet. Das Imperium blieb zwar erhalten, doch traten die segmentären Strukturen immer stärker zum Vorschein. Nicht ohne Grund erwog Aurangzeb Alamgir am Ende seiner Herrschaft die Aufteilung des Imperiums in überlebensfähige Einheiten. Das Imperium der Moguln wies wesentliche Strukturelemente des segmentären Staates auf, wie er im ersten Kapitel vorgestellt und anhand des Vijayanagara-Imperiums erläutert wurde. Demnach ist auch kein Zerfall des Mogul-Imperiums in Gang gesetzt worden, das entspräche der Interpretation auf der Basis einer allzu oberflächlichen Betrachtung, sondern es fand eine Erneuerung von innen heraus statt, die die Strukturen des Imperiums nutzte, verstärkte und ausbaute. Dass dies nicht allen Potentaten in allen Provinzen gleichermaßen gelang, weil bereits das Mogul-Reich zu heterogen in seiner gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zusammensetzung war, ist leicht nachzuvollziehen. Wollte man die Entwicklung einer Staatsformierung in einer idealtypischen Weise beschreiben, bei der es den Subedar einzelner Provinzen gelang, allmählich einen autonomen Status innerhalb des Reichsverbandes zu erlangen, dann böte sich, ergänzend zum Modell des segmentären Staates, folgendes Stufenmodell an: In einem ersten Schritt gelingt es einzelnen Subedar, aber auch Faujdar, Steuereintreiber wie beispielsweise einen Zamindar einzusetzen. Der nächste Schritt besteht darin, dass sich Subedar und Faujdar vom Mogul die Erbfolge ihrer gewonnenen Position explizit bestätigen lassen – wie es in den 1720er und 30er Jahren geschah. In den darauf folgenden Jahrzehnten erfolgt diese Bestätigung dann nur noch formal. Gleichzeitig werden in einem dritten Schritt die Steuern, die regulär an den Mogul abzuführen waren, in wachsendem Maße von den Subedar einbehalten. Lediglich symbolische Beträge fließen noch in die Khalisa, die auf den Darbar den Moguln in Form ritueller Handreichungen als Peshkash übergeben werden. Die Subedar führen die Titel, die sie im Rahmen der Mogul-Administration erhalten haben, wie der Wazir-Nawab von Awadh oder der Nizam von Haiderabad, als eigenständige Titel und beginnen, eine eigene Außenpolitik zu betreiben. Sobald die neuen Dynastien etabliert sind, fangen deren Repräsentanten in einem fünften Schritt damit an, neue Residenzstädte zu bauen und dem neuen Herrschaftsstil in Form von Architektur, Literatur und Kunst eine spezifische Prägung zu geben. Als deutliches Zeichen der gewonnenen Eigenständigkeit werden die Steuerbemessungen nun im eigenen Namen und nicht mehr im Namen des Mogul vorgenommen. Des Weiteren erfolgt die Vergabe steuerfreien Landes oder die Befreiung von Steuern oder anderer Abgaben nun ebenfalls in eigenem Namen. Sofern ein ehemaliger Subedar-Mansabdar seine Autonomie weitestgehend erlangt hat, lässt er Münzen in seinem eigenem Namen prägen. Und die Einführung einer neuen Jahreszählung ist ein weiterer Indikator für die gewachsene Selbständigkeit. Der letzte Schritt in Richtung Unabhängigkeit besteht bei muslimischen Dynastien schließlich in der Verlesung des Freitagsgebets (Khutba) im eigenen statt des Mogul Namen. Im 18. Jahrhundert respektive bis zur Absetzung der Timuriden 1857 vollzogen die
Vom zentralen Reichsverband zum dezentralen Staatenbund
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letzten drei Schritte jedoch nur die Sikh-Raja 1765 im Panjab und Sultan Tipu von Maisur im Jahr 1787. Der Versuch des Wazir-Nawab von Awadh, mit Unterstützung der Briten 1817 eine eigene Souveränität als Padshah zu errichten, misslang, weil kein Monarch innerhalb des Mogul-Imperiums, geschweige denn der Mogul selbst, jenen als solchen anerkannte. Deutlicher kann die nominelle Existenz des Mogul-Imperiums als geschlossener Staatenbund zu Beginn des 19. Jahrhunderts wohl kaum zum Ausdruck gebracht werden, dessen Zusammenhalt inzwischen allein die rituelle Souveränität der Timuriden garantierte. Die Modifizierung des Modells vom segmentären Staat birgt den Vorteil, dass die Geschichte des Subkontinents im 18. Jahrhundert nicht als die eines Verfalls oder der reinen Dezentralisierung, gepaart mit teilweise wenn nicht überhand nehmenden anarchischen Zuständen erscheint. Im Vordergrund stehen nun die politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungen, die allesamt Teile des umfassenden Transformationsprozesses sind, den das Imperium der Moguln im 18. Jahrhundert erlebte. Das Modell bietet zudem die Möglichkeit, Erklärungen für die allmähliche territoriale Ausbreitung der EIC im Rahmen von Dynastiekämpfen und der Errichtung von Territorialstaaten in Südasien zu liefern. In einem solchen Licht betrachtet erschiene dann das Mogul-Reich vergleichbar mit der Territorialisierung europäischer Staaten einschließlich der damit einhergehenden Erbfolgekriege. Weiterführend schließt sich daran die Überlegung weltweiter wirtschaftlicher und politischer Verflechtungen an, die offensichtlich in verschiedenen Großregionen der Welt zu ähnlich verlaufenden gesellschaftlichen Wandlungen geführt haben.
2. Vom zentralen Reichsverband zum dezentralen Staatenbund Seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert, spätestens jedoch mit dem Tod Aurangzeb Alamgirs 1707 setzten am Mogul-Hof in Delhi Parteikämpfe innerhalb der Nobilität ein, die auf lange Sicht dazu führten, dass die zentrale politische Macht der Timuriden-Dynastie infrage gestellt und schließlich aufgegeben wurde. Bei den Machtkämpfen zwischen Turani und Sayyiden, Rajputen und Iranern gelang es Aurangzeb und besonders seinen Nachfolgern nicht mehr, zwischen den verschiedenen Fraktionen ausgleichend zu vermitteln. Ein weiterer Grund bestand in der territorialen Ausdehnung, die Aurangzeb in großem Umfang vorangetrieben hatte, so dass es nicht mehr möglich war, das Imperium als einen zentralen Verband von Provinzen mit gleich bleibender Intensität zu regieren. Personelle und institutionelle Systemkrisen sind auch als Gründe für die einsetzende Deterritorialisierung ins Feld geführt worden. Dies zeigte sich unter anderem daran, dass die Nobilität des Imperiums mit seiner Expansion überproportional wuchs, so dass ihre wirtschaftliche Grundlage, die Landsteuer, nicht mehr ausreichte, um den Verpflichtungen gegenüber dem Mogul wie dem Unterhalt von Kavallerieeinheiten nachzukommen.
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Das Mogul-Reich im 18. Jahrhundert
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Zu den inneren strukturellen Schwierigkeiten traten äußere (militärische) und innere (aufrührerische) Bedrohungen. So trugen die afghanischen Invasionen 1739, 1752–53 und 1759–61 einschließlich der Plünderungen Delhis, oder die Expansion der Marathen von Satara und Pune nach Rajastan zum lange anhaltenden Niedergang der zentralen Macht bei. Das trat nirgends offener zu Tage als bei der berühmten Schlacht von Panipat 1761 zwischen Marathen und Afghanen, die die Grenzen der militärischen Kräfte beider expansionistischen Mächte aufzeigte. Zur gleichen Zeit eröffnete diese Entwicklung den Sikh-Raja im Panjab die Möglichkeit, sich vom Mogul loszusagen. Letztlich führte diese offensichtliche Schwäche auch zur beginnenden Territorialherrschaft der EIC in Bengalen und Bihar nach 1765. Zu betonen ist an dieser Stelle erneut, dass die rituell-legitimatorische Integration des Imperiums nie angezweifelt wurde. Freilich war seine politische Handlungsfähigkeit am Ende des 18. Jahrhunderts nur noch ein Schatten seiner selbst, sofern man das Imperium der Moguln allein von der Zentrale in Delhi aus betrachtete. Eine solche Perspektive wird dem Aufbau des Mogul-Reiches allerdings nicht gerecht, denn es erreichte bekanntlich nie den Grad an Zentralisierung, den die zeitgenössische, die britische und selbst die neuere Historiografie Glauben machen will. Charakteristisch für die Umstrukturierung des Mogul-Imperiums ist nämlich nicht sein äußerer Zerfall, sondern die einsetzende innere Zentralisierung der Provinzen. Hier konnte der idealtypischzentralistische Staatsapparat der Mogul überhaupt erst realisiert oder sogar noch weiter vorangetrieben werden, wie die Entwicklung in den Suba Bengalen, Awadh und in Maratha Desh nahelegt. Die Formierung der neuen Staaten fand einerseits auf der Grundlage historischer Regionen statt, will sagen: neue Staaten wie Haiderabad, Awadh oder Bengalen konnten traditionell an vor-mogulische Reiche anknüpfen. Andererseits beruhte die Territorialisierung auf separationistischen Bewegungen, wie sie allen voran bei Afghanen, Marathen und Sikhs zu beobachten war. Das Imperium war durch eine Vielzahl von Gemeinschaften und Gesellschaften innerhalb eines politischen Systems geteilter Souveränität geprägt. Abgesehen von dieser legitimatorisch geschachtelten Struktur ruhte die Macht der Moguln in den Provinzen und Regionen des Imperiums auf verschiedenen Pfeilern, wie in Bengalen, wo schon im 17. Jahrhundert die Macht eher in der Kontrolle der Städte lag, während sie in den nordindischen Suba Awadh, Delhi und Agra auf der intensiven Kontrolle der Landwirtschaft basierte. Als ab den 1720er Jahren die Subedar von Haiderabad, Awadh und Bengalen sowie die Rajas von Maisur und der Marathen-Peshwa in Pune in einem Prozess von etwa zwanzig Jahren allmählich zu semi-autonomen Herrschern aufstiegen, trat lediglich die Heterogenität des Reichsverbandes zum Vorschein. Was eingangs modellhaft als Erweiterung respektive Variante des segmentären Staates beschrieben wurde, soll nachfolgend an einzelnen Staaten exemplarisch erläutert werden. Zur Territorialisierung trug in der Suba Bengalen die Konsolidierung der höchsten Verwaltungsämter von Nazim und Diwan in Personalunion mit dem Amt des Subedar bei. Das versetzte den Nawab in die Lage, bis 1765 den Steuereinzug auf der von Todas Mal gelegten Basis derart zu zentralisieren, dass die staatlichen Einkünfte binnen vier Jahrzehnten auf fast das Dop-
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Vom zentralen Reichsverband zum dezentralen Staatenbund pelte gesteigert werden konnten. Allerdings setzte mit dem Tod Nawab Alivardi Khans (reg. 1740–56) eine innenpolitische Krise ein, als sein Nachfolger Siraj ud Daulah dem wachsenden Druck der wirtschaftlichen und politischen Eliten des Landes nicht gewachsen war. Siraj ud Daulah, der bei zahlreichen politischen Entscheidungen keine glückliche Hand zeigte, besetzte noch im Jahr seiner Thronbesteigung als Strafaktion Fort William und Calcutta, die ohne Genehmigung des Nawab errichtete Festung samt angrenzender Handelssiedlung der EIC in Bengalen, die er in Alinagar umbenannte. Im Unterschied zu den Franzosen, Holländern und Dänen hatten sich die Briten nämlich geweigert, den üblichen Tribut an den neuen Herrscher zu entrichten. Anfang 1757 entsandten die Briten von Madras aus ein Entsatzheer mit 2.400 Mann, das Calcutta wieder befreite, ohne dabei auf größeren Widerstand zu stoßen. Der anschließende Friedensvertrag mit Siraj ud Daula bestätigte die EIC in ihren alten Privilegien. Doch hatte sich inzwischen eine konspirative Koalition mächtiger bengalischer Finanz- und Handelshäuser sowie politischer Rivalen gebildet, die die EIC wegen der vor Ort stehenden Truppen einlud, sich an dem geplanten Staatsstreich zu beteiligen. Ohne deren Beteiligung wäre der coup d’état nicht zu realisieren gewesen. Nach längeren Diskussionen zwischen den zivilen und den militärischen Vertretern entschied der Rat von Calcutta, sich an dem Komplott zu beteiligen. Im Verlauf der Kanonade von Palashi lief der designierte Nawab Mir Jafar, General in der Armee Siraj ud Daulas, zu den Briten über. Der Verrat löste des Nawab Niederlage aus, woraufhin die EIC Mitte des Jahres 1757 die politische Bühne Bengalens betrat. Die Kanonade von Palashi hatte insofern weitreichende Folgen, als sie die EIC in die Lage versetzte, künftig massiv in die Geschicke des Landes und der Provinz des Mogul-Reiches einzugreifen. So ließ sich die EIC von Mir Jafar weitergehende Rechte in Bengalen zusichern, darunter die Überschreibung der Steuereinnahmen aus einem Chakla, einem Distrikt. Hinzu kamen die hohen Reparationszahlungen an die EIC einschließlich der Vergütungen, die in die privaten Schatullen ihrer prominenten Angestellten flossen. Auf Veranlassung der EIC wurde Mir Jafar bereits 1760 abgesetzt und Mir Qasim zum neuen Nawab ernannt, der ihr für diese „Gefälligkeit“ weitere drei Chakla überlassen musste. Allerdings sollte Mir Qasims Herrschaft nur vier Jahre dauern. Während dieser Zeit versuchte er sich in den Norden Bengalens zurückzuziehen, dort die Steuereinnahmen zu erhöhen und das Heer zu reformieren. Für die Briten war das Grund genug, Mir Qasim 1763 wieder gegen Mir Jafar auszutauschen. Mir Qasim zog sich ins benachbarte Nawabtum von Awadh zurück, wo er einer Allianz aus dem dortigen Nawab und Mogul Shah Alam II. (reg 1758–1806) beitrat, mit dem Ziel, die Provinz Bengalen für das Reich zurückzugewinnen. Vertrag zwischen der EIC und Mir Jafar William Bolts, Considerations on Indian Affairs; Particularly respecting the present state of Bengal and its dependenciies. London 1772, Appendix: Copy of a treaty between the English East-India Company and Meer Jaffier Ally Khawn, on their reinstating them in the nabobship of Bengal. Dated 10th July 1763, S. 16 f.
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Die East India Company in Bengalen
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Das Mogul-Reich im 18. Jahrhundert
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On the Part of the Company: We engage to reinstate the Nabob, Meer Mahomed Jaffier Khawn Bahader, in the subahdaree of the provinces Bengal, Bahar, and Orissa, by the disposal of Mahomed Cossim Khawn, and the effects, treasure, jewels, &c belonging to Meer Mahomed Jaffier Khawn, which shall fall into our hands, shall be delivered op to the Nabob aforenamed. On the part of the Nabob First. The treaty which I formerly concluded with the Company upon my accession to the nizamut (…) I now confirm and ratify. Secondly. I do grant and confirm to the Company, for defraying the expenses of their troops, the Chuclahs of Burdwan, Midnipore, and Chittigong, which were befor ceded for the same purpose. Thirdly. I do ratify and confirm to the privilege granted them by their firmaund (Mogul-Privileg) of carrying on their trade (…) free from all duties, taxes, or impositions in all parts of the country, excepting the article of salt, on which a duty of 2 ½ per cent. Is to be levied (…). (…) Ninthly. I will cause the rupees coined in Calcutta to pass in every respect equal to the siccas (Rupien) of Murshidabad, without any deduction of batta (Gebühren). Tenthly. I will give thirty lacks (3 Millionen, etwa £ 300.000) of rupies to defray all the expenses and loss accruing to the company from the war and stoppage of their investment; and I will reimburse to all private persons the amount of such losses proved before the Governor and Council (…)
Steuerveranlagung der Briten in Bengalen
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In der Schlacht bei Baksar besiegten die Briten 1764 dieses Allianzheer, woraufhin Shah Alam II. der EIC im folgenden Jahr zum dritten Mal seit 1758 die Diwani von Bengalen anbot. Nach langem Zögern nahm Robert Clive als Vertreter der EIC schließlich das Angebot an, da er um die personelle Belastung wusste, die die EIC mit einer solchen Amtsübernahme eingehen würde. Shah Alam II. taktierte seinerseits geschickt, denn in der EIC sah er nicht zu Unrecht eine fähige Agentin zum Steuereinzug, die die fälligen Abgaben an die Khalisa weiterleiten würde. Auch trennte er damit wieder die Ämter von Nazim und Diwan. Zudem plante der Mogul, der nach der Schlacht von Panipat in das westliche Hindustan geflohen war, nach Delhi zurückzukehren. Das war jedoch erst möglich, nachdem Shah Alam II. 1771 das Einverständnis des auch über Delhi herrschenden Marathen-Raja von Sindhia erhielt, den der Mogul schließlich 1784 als Subedar der Provinzen Delhi und Agra einsetzte und so dessen politisch-militärische Position in Nordindien reichsweit anerkannte. In Bengalen setzten die Briten die begonnene Zentralisierung der Landsteuer fort und brachten sie mit der Festschreibung des Steuersatzes („Permanent Settlement“) im Jahr 1793 zum Abschluss. Seit 1765 aber floss nun ein wachsender Anteil der Steuereinnahmen in die Kassen der EIC und damit außer Landes, während sie nur zu einem Teil in die Wirtschaft und die Infrastruktur des Landes zurückfloss. Ein Teil der Steuereinnahmen diente jetzt als zusätzliches Investitionskapital der EIC, die damit von der Kreditaufnahme auf den europäischen Finanzmärkten unabhängig werden wollte. Allerdings scheiterte sie mit diesem Unterfangen, und schon 1771 drohte der EIC die Insolvenz. Nur die Intervention der britischen Regierung rettete
Vom zentralen Reichsverband zum dezentralen Staatenbund die EIC vor dem Bankrott, freilich um den Preis der direkten staatlichen Kontrolle und der Anweisung, Bengalen künftig mit eigenem Personal zu verwalten. Der erste Generalgouverneur Britisch-Indiens, Warren Hastings (amt. 1772–84), machte sich unverzüglich an den Auf- und Umbau einer entsprechenden Verwaltung in Bengalen, die er den Bedürfnissen der Briten anpasste. Anschließende Reformen in den Bereichen Justiz und Fiskus schrieben langfristig ein asymmetrisches Herrschaftsverhältnis in der Staatsverwaltung fest. Ebenso wie in Bengalen gehörten in den neuen Staaten Südasiens dynastische Krisen einschließlich der daraus resultierenden Erbfolgekriege mit zu den großen treibenden Kräften des 18. Jahrhunderts. Besonders wird das im südindischen Rajatum von Maisur deutlich, dessen Thron 1761 Haidar Ali (reg. bis 1782), der Heerführer des Wodeyar-Rajas, usurpierte. Ihm und seinem Sohn Tipu (reg. 1782–99) gelang bis 1790 die kontinuierliche Expansion des neuen Sultanats, darüber hinaus aber auch dessen innere Konsolidierung, die 1787 in einer vom Mogul unabhängigen Herrschaft gipfelte. Seine externe Legitimation erhielt Tipu durch den Sultan von Istanbul. Die errungene politische Autonomie sollte künftig auch von einer wirtschaftlichen Autarkie getragen werden. Eine merkantilistische Wirtschaftspolitik förderte die staatlichen Karkhana, in denen Konsumgüter für die heimischen wie auch „internationalen“ Märkte produziert wurden. Mit Hilfe von Schutzzöllen für Gewerbeprodukte stimulierte Tipu Sultan den Export. Ergänzend betrieb er eine aktive Außenhandelspolitik, um auch hierüber die staatlichen Einkünfte zu steigern. Zu den Einnahmen aus Handel und Gewerbe kamen die Einkünfte aus der Landsteuer, deren Volumen ebenfalls wuchs. Ein Großteil der Staatseinnahmen des Sultanats floss in den Ausbau des Militärs und der Infrastruktur des Landes, weshalb analog zu manch westeuropäischen Ländern von einem südindischen „Militär-Fiskalismus“ gesprochen werden kann. Erst die Konfrontation mit den benachbarten Mächten des Marathen-Peshwa von Pune und des Nizam von Haiderabad, zu denen in wechselnden Allianzen in den 1790er Jahren auch die Briten traten, führte 1792 trotz moderner und schlagkräftiger Armee Tipu Sultans zur Niederlage und der anschließenden Annexion der Hälfte des Territoriums von Maisur durch die Allianzmächte. Nach einem Vernichtungsfeldzug, den der expansionistisch höchst ambitionierte Generalgouverneur Richard Wellesley (amt. 1798–1805) 1799 vom Zaum brach, restaurierte die EIC die alte Wodeyar-Dynastie, nachdem der Sultan von Maisur bei der Verteidigung seiner Residenzfestung Srirangapatanam kämpfend gefallen war. Dass die Briten überhaupt in diese strategisch vorteilhafte Stellung kamen, hing zum einen an ihren zusätzlichen, externen (europäischen) Mittel wie Finanzen, Waffen und Soldaten, die sie in Südasien mit letztem Erfolg einsetzen konnten, zum anderen an der geschickten Allianzpolitik, die sie zu ihrem Nutzen gestalteten. Bei allen Bestrebungen nach einer eigenen Souveränität blieben die Briten bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts fest in die Struktur des MogulReiches eingebunden. Im Namen des Mogul schlugen sie Münzen und erkannten dessen Souveränität durch zeremonielle Übergabe (Peshkash) und Annahme von Geschenken (Nazr) an. Das Gleiche galt für die expandieren-
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Sultanat von Maisur
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Das Mogul-Reich im 18. Jahrhundert
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den Marathen, die nach 1784 den Mogul in Delhi eher unter Kuratel stellten als dass sie in seinem Namen die Suba Agra und Delhi verwalteten. Seine symbolische Macht und somit auch seine Legitimität stellten sie allerdings nie infrage. Je mehr indes die politische Macht des Mogul schwand, desto mehr nahm gerade das symbolische Kapital der Timuriden-Herrscher zu, das sich als Mogul-Mythos manifestierte. Ohne die Moguln war der Staatenbund undenkbar. Doch schufen die Briten in Bengalen am Ende des 18. Jahrhunderts etwas Neues, nämlich einen konstitutionellen Staat. Mit dem Cornwallis Code von 1793, einer Kompilation von Rechtstexten, Erlassen und Verordnungen der britischen Kolonialregierung, setzte eine bescheidene, dennoch dem Prinzip nach verfassungsrechtliche Entwicklung nach zeitgenössischem britischen Verständnis ein.
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Faktische Kontrolle durch die Engländer Gulam Hussain Salim Zaidpuri, Riyaz as-salatin = Sultansgärten (etwa 1787/88 verfasst), in: Südasien – Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Band II: Conermann (Hg.), Die muslimische Sicht, S. 286 f. Wie bereits zuvor erzählt worden ist, traf Nawab Siraj ad-Daula, der Statthalter (nazim) von Bengalen, der aufgrund seiner Unerfahrenheit einen Stein in ein Hornissennest geworfen hatte, der unvermeidliche Stich, und Nawab Jafar Ali Khan, der die Engländer in der Statthalterschaft von Bengalen als seine Vertrauten und Kollegen ansah, erlaubte ihnen, die Kontrolle über die administrativen Angelegenheiten auszuüben. Insofern, als dass eine vollständige Auflösung das muslimische Reich von Delhi befallen hatte, gewannen die Provinzgouverneure jeder Suba an Macht und wurden zu halbwegs unabhängigen Feudalherren. Nun sind die Provinzen Bengalen, Bihar und Orissa 30 Jahre im Besitz und unter der Oberhoheit der englischen Führer. Ein englischer Führer, der Generalgouverneur genannt wird, kommt aus England und residiert in Kalkutta. Er wählt Stellvertreter aus und schickt sie in alle Richtungen, damit sie einerseits die Steuern für die Verwaltung der Zivil- und Strafgerichtsbarkeit einsammeln und andererseits die Handelsgeschäfte führen. Sie haben einen obersten Steuerbevollmächtigten in Kalkutta eingesetzt, wobei der englische Gouverneur die Steuerschätzung jedes Distrikts in seinem eigenen Namen durchführt. Abgeordnete und die Statthalter jedes Distrikts ziehen die Steuern ein und senden sie nach Kalkutta. Im Jahr 1178 (1764–65), nachdem die Engländer über Nawab Wazir al-Mulk Shuja ad-Daula, den nazim in der Provinz Avadh und Allahabad, gesiegt hatten, wurde ein Vertrag geschlossen, in dem die Engländer den Nawab-Wazir in seinem Land (formell) beließen. Von jener Zeit an übten sie demgemäß auch in jener Provinz Einfluss aus, wobei sie, nachdem sie Banaras erobert hatten, dies (1775) von jener Provinz trennten. Ihre Soldaten bezogen Quartier in den Herrschaftsgebieten des Nawab Wazir und hatten, in dessen Dienst stehend, das Sagen in allen Angelegenheiten.
Dass am Ende des 18. Jahrhunderts die Briten Südasien militärisch und politisch dominieren sollten, war zu dessen Beginn nicht abzusehen. Allein unter den europäischen Handelsgesellschaften bestand noch bis in die 60er Jahre hinein die Möglichkeit, dass Frankreichs Einfluss auf dem Subkontinent zunehmen würde. Abgesehen davon besaßen sowohl die Sultane von Maisur als auch die Marathen das militärische und fiskalische Potenzial, den expansiven Briten Einhalt zu gebieten und selbst zur dominierenden
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Vom zentralen Reichsverband zum dezentralen Staatenbund Macht aufzusteigen. Zudem kämpften die Briten nie alleine, sondern beherrschten auf lange Sicht die Regeln zum Wechsel der Allianzen in Südasien besser und konnten so den besten Nutzen daraus ziehen. Als einziger südasiatischer Herrscher seiner Zeit dürfte wohl Tipu Sultan die neuen globalen Zusammenhänge in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht erkannt haben, weshalb er all seine menschlichen und materiellen Ressourcen zu einem Abwehrkampf mobilisierte und dazu auch französische Militärberater ins Land holte. Um die Wende zum 19. Jahrhundert standen noch wenige Rajatümer unter britischem Einfluss, wie das Beispiel des Rajatums von Kota belegt, eines Klein-Königtums in Rajputana. Kota ist ein weiteres Beispiel für das polyzentrische Modell des segmentären Staates mit seinen wechselnden Allianzen, ein Rajatum, das seit 1631 mit einer eigenen Legitimität dem Mogul unterstand, 1738 in die Abhängigkeit der expandierenden Marathen geriet, bis schließlich die Briten nach ihrem dritten Krieg gegen die Marathen von Sindhia 1818 ihre indirekte Herrschaft über Kota errichteten, ohne dass sie dabei die legitimierende Souveränität des Mogul antasteten. Ähnlich wie bei den Marathen von Pune bestimmte auch in Kota der Erste Minister, der Rajrama, die Richtlinien der Politik. Rajrama Zalim Singh (1739–1819) demonstrierte offen seine Machtstellung, ohne jedoch die des nominell herrschenden Raja anzutasten. In diesem Sinn ließ Zalim Singh in den 1770er Jahren in der Palastanlage des Rajas einen eigenen Wohnbereich errichten, der den des Rajas an Höhe übertraf. Abgesehen davon gerierte sich Zalim Singh gern als fürstlicher Potentat, wenn er Stiftungen an Tempel gab und die Künste förderte. Mit Hilfe weitreichender Landreformen zog Zalim Singh zahlreiche Jagirs ehemaliger Mansabdar ein und konnte so ein Heer von 16.000 Mann samt modernen Artillerieeinheiten aufstellen. Dagegen nahmen sich die Kavallerieeinheiten der Mansabdar mit insgesamt 7.000 Mann recht bescheiden aus. Von einer modernen Armee konnte indes noch nicht die Rede sein, dazu fehlte es an einer hierarchischen Ordnung einschließlich stringenter Befehlsstruktur. Modern mutet indessen eine staatliche Invalidenversorgung an, und eine Lebensversicherung machte den Militärdienst bei den Familien des Landes höchst attraktiv. Zwischen 1774 und 1805 führte Zalim Singh zahlreiche Kriege gegen benachbarte Rajputen-Rajas, die zur Erweiterung des Territoriums von Kota führten. Das verhinderte freilich nicht, dass er 1779 gegen die Marathen eine herbe Niederlage einstecken und ihnen gegenüber die bestehende Abhängigkeit in Form einer erhöhten jährlichen Tributzahlung bestätigen musste. Innenpolitisch betrieb Zalim Singh eine gezielte Wirtschaftsförderung, die mit einer systematischen Erfassung der Abgaben und der Ansiedlung von Bauern auf verödetem Land begann. Grundlage bildete zunächst die Steuerbemessung Akbars, die nun mittels detaillierter Vermessungen und Festlegung der Abgaben in Geldbeträgen perfektioniert wurde. Eine administrative Reform diente der Zentralisierung des Steuereinzugs. Weitere Bestandteile der inneren Kolonisation waren die Verbesserung der Infrastruktur durch Bewässerungsanlagen, die Züchtung neuen Saatgutes, die Entwicklung neuer Anbaumethoden und der Aufbau einer Rinderzüchtung. Landwirtschaftliche Messen verbreiteten die Ergebnisse und trugen zum allge-
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Rajatum Kota in Rajastan
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Das Mogul-Imperium um 1760
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Wirtschaftlicher Wandel
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meinen wirtschaftlichen Aufschwung des Landes bei. Der war auch an der wachsenden Zahl der Qasbahs abzulesen, in denen hochwertige Textilerzeugnisse des Landes für Abnehmer auf dem Subkontinent und Persien vertrieben wurden. Die hohe Zahl der Qasbas deutet erneut auf die hohe Verstädterungsrate in Kota hin, die sich nach zeitgenössischen Schätzungen auf etwa zwanzig Prozent der Bevölkerung belaufen haben soll. Neue Schichten wie grundbesitzende Bauern und wohlhabende Händler (Mahajans) waren signifikanter Ausdruck dieses gesellschaftlichen Wandels.
3. Wirtschaftlicher Wandel: Reorganisation von Routen und Ressourcen Die Umwälzungen auf politischer Ebene waren von weiterreichenden Umwandlungsprozessen auf wirtschaftlichem Gebiet begleitet. Über Jahrzehnte veränderten sich allmählich und mit unterschiedlicher Geschwindigkeit und nicht immer gleichen Resultaten die Strukturen auf dem Arbeitsmarkt und in den Produktionsmethoden. Im 18. Jahrhundert setzten sich zunächst Prozesse fort, die im ausgehenden 17. Jahrhundert ihren Anfang genommen hatten. Das traf besonders für den Textilsektor zu. Südasiatische Produzenten und Händler bestimmten die Konditionen des Marktes und konnten die wachsende Nachfrage befriedigen. Im Exportgeschäft begannen die europäischen Handelsgesellschaften allmählich an Gewicht zu gewinnen. Für die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts ist aber noch keinesfalls ausgemacht, dass die englische gegenüber der holländischen oder französischen Ostindiengesellschaft im Vorteil war. Ganz im Gegenteil, bis um 1750 tätigten Letztere weitaus bessere Geschäfte als die Briten. Zudem muss bedacht werden, dass die bengalischen Kaufleute allein den Markt für Seidenstoffe, dem Hauptprodukt, mit zwei Dritteln der Exporte dominierten. Erst im Verlauf der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gelang es den Briten allmählich, die Wirtschafts- und Handelsstrukturen Bengalens umzubauen. Als Erstes bekamen dies die Seidenhändler zu spüren, deren Exporte im Jahrzehnt nach der britischen Machtergreifung in Bengalen an Volumen und Wert um mehr als die Hälfte zurückgingen. Im Zuge dieses Wandels gerieten die Weber zusehends in Abhängigkeit von den Produktionsvorgaben der EIC und ihrer südasiatischen Agenten. Kreditvergabe, Knebelverträge, Androhung von Rechts- und Zwangsmitteln bewirkten zunächst das Gegenteil dessen, was erwünscht war, nämlich die Textilproduktion am europäischen Bedarf auszurichten. Dann aber bekamen die bengalischen Spinner auch die Folgen der englischen Industrialisierung auf dem Textilsektor zu spüren. So lag im Jahr 1800 der Wert der EIC-Exporte noch bei £ 1,4 Millionen, 1809 betrug er nur noch £ 0,3 Millionen. Umgekehrt stieg der Wert der Einfuhren industriell produzierter Textilien im selben Zeitraum von £ 6 Millionen auf £ 18 Millionen. Weber und Spinner mussten zunehmend ihre Tätigkeiten aus dem handwerklichen Bereich in die Landwirtschaft verlegen, um dem finanziellen Ruin zu entgehen.
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Das Mogul-Reich im 18. Jahrhundert
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MaraikkayarHändler
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In Südindien, im Hochland von Karnataka und an der Koromandel-Küste, verlief die wirtschaftliche Entwicklung in gewisser Weise ähnlich. Am Ende des 17. Jahrhunderts war noch ein allgemeiner wirtschaftlicher Aufschwung zu beobachten. Doch seit Beginn des 18. Jahrhunderts stagnierte er und unterlag seit den 1740er Jahren einer Rezession. Besonders die ehemals so bedeutsame Hafenstadt Masulipatnam litt unter diesem fast einzigartigen Niedergang, sieht man einmal von Surat ab. Das hing zum einen mit der bereits erwähnten fast tyrannischen Politik des Mogul-Havildar zusammen. Hinzu kam, dass wie bereits im vorausgehenden Kapitel erwähnt, die VOC mit ihrem Monopol auf der Handelsroute Masulipatnam — Haiderabad die wirtschaftlichen Aktivitäten ihrer Konkurrenten in der gesamten Region lähmte. Handwerker und Handelskaufleute, vor allem die transkontinental geschäftigen Armenier verließen frustriert die Stadt und wanderten in die Hafenstädte an der südlichen Koromandel-Küste ab. Mit Zollerleichterungen und staatlichen Subventionen schufen hier einige Nayaka-Rajas Anreize, die die Kaufleute veranlassten, sich in Hafenstädte entlang der Küste niederzulassen. Vor allem im Textilbereich war daraufhin ein partieller Aufschwung zu verzeichnen. Nach 1740, als die südindischen Erbfolgekriege in Haiderabad und Karnataka an Heftigkeit zunahmen und immer größere Mengen an Material und Menschen beanspruchten, war der Handelsrückgang auch hier unübersehbar. Das lässt sich im Detail anhand der Rechnungsbücher der europäischen Handelsgesellschaften nachvollziehen. Einerseits ging das Investitionsvolumen zurück, andererseits sanken die Warenexporte nach Europa. Im Indik wurde schließlich der Handel mit südindischen Textilien, das Hauptexportprodukt der Koromandel-Küste, zunehmend über Häfen entlang der birmanischen und malayischen Küste abgewickelt. Produzenten wie Händler waren zumindest teilweise in der Lage, flexibel auf die Veränderungen zu reagieren, weshalb es zunächst nicht zu dramatischen Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt kam. Das Netzwerk der muslimischen Maraikkayar-Händler steht für einen solch kontinuierlichen wirtschaftlichen Aufstieg und die Formierung neuer gesellschaftlicher Schichten an der Südspitze des Subkontinents im 17. und 18. Jahrhundert. In den Hafenstädten der südlichen Payanghat wie Nagore, Kayalpatanam, Kilakkarai und Adiranampatanam organisierten sie den interregionalen und überseeischen Handel mit Textilien im Indischen Ozean. Ein Zweig der Maraikkayar-Familie in Kayalpatanam spezialisierte sich auf die Perlfischerei und organisierte Boote und Taucher für die saisonale Arbeit vor den Küsten Sri Lankas. Wie die regionalen Klein-Könige stifteten die Maraikkayar-Familien als fromme Muslime Schreine und Moscheen und gewannen so in den örtlichen Gesellschaften an sozialem Prestige. Die Maraikkayar waren (und sind es teilweise bis heute) eine endogame Händlergemeinschaft mit intensiven Kontakten zu muslimischen Kaufleuten an der Westküste des Subkontinents, so den Mapilla von Malabar, den Nachfahren der im 13. Jahrhundert eingewanderten Araber, darüber hinaus auch zu den arabischen Ländern sowie nach Südostasien. Shaikh Abdal Qadir (ca. 1650–1709), Nachfahre einer lange etablierten Schiffseigner- und Handelsfamilie der Maraikkayar, besaß aufgrund seiner wirtschaftlichen Stellung großen Einfluss am Hof Raghunatha Satupatis von Ramnad. Der potente Unternehmer leistete unverzichtbare Dienste beim
Wirtschaftlicher Wandel Aufbau und der Konsolidierung des Klein-Königtums. Ihm unterstand die Organisation der Perlfischerei entlang der Küste, wozu auch die Erhebung des Zolls gehörte, von dem er einen Teil für die geleisteten Dienste einbehalten durfte. Auch tat sich Abdal Qadir als Förderer der Literatur hervor und war obendrein selbst schriftstellerisch tätig. Seine Position im Handel war derart beherrschend, dass sich die Kaufleute der VOC, die ebenfalls an der Perlfischerei beteiligt waren, bei Raghunata Satupati des öfteren über eigenwillige Maßnahmen Abdal Qadirs beschwerten – jedoch ohne Erfolg. Derart wertvolle Verdienste schlugen sich in der Verleihung fürstlicher Titel an die Kaufleute der Maraikkayar nieder, die nun neben arabischen Familiennamen tamilische Ehrenbezeichnungen trugen. In den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts begannen die Maraikkayar in Kayalpatanam und anderen bedeutenden Handelsstädten ihren Reichtum in prächtigen Privatbauten zu präsentieren, die einen betont arabischen Baustil aufwiesen. Sie prägten in für Südindien einzigartige Weise die Stadtstruktur von Kayalpatanam, Kilakkarai und Adiranpatanam. Mit ihren winkeligen Gassen und den darauf ausgerichteten Vierteln (Mohalla) wiesen alle drei Orte die typischen Merkmale einer islamischen Stadt auf. In jedem Mohalla stand eine Moschee, die wiederum die Identitätsbildung des Wohnviertels förderte. Auf die ganze Stadt bezogen, erzeugten diese morphologischen und architektonischen Charakteristika auch eine muslimische Konformität, die bis in die Gegenwart zu beobachten und in Südindien unvergleichlich ist. Ebenfalls bedeutsam ist der wirtschaftliche und soziale Aufstieg der Parava. Um 1800 siedelten etwa 40.000 Parava an der Küste zwischen Ramnad und Kanyakumari. Als Fischer und Schauerleute gehörten sie ursprünglich einer sozial niedrig stehenden gesellschaftlichen Gruppe an. Im frühen 16. Jahrhundert konvertierten sie zu Tausenden zum Christentum. Die Portugiesen förderten diese Berufsgruppe dann ebenso wie später die Holländer und schließlich der Satupati von Ramnad. Er stattete prominente Personen der Parava-Gemeinschaften mit Privilegien aus, um sie für den wirtschaftlichen Aufstieg seines Rajatums einzuspannen. Im 18. Jahrhundert gelang den Paravas dann allmählich der soziale Aufstieg. Im Zuge dessen entwickelten sie auch einen eigenen religiösen Ritus, der stark auf den dörflichen Strukturen und den örtlichen Gegebenheiten aufbaute. Katholische und lokale hinduistische Elemente verschmolzen in synkretischer Form miteinander, zu der ganz prominent der Marienkult von Tuticorin gehörte. Um die Wirtschaft zu fördern, investierten südindische Rajas wie anderswo in Südasien in den Ausbau der landwirtschaftlichen Infrastruktur. Neben Straßen und Brücken wurden alte Bewässerungssysteme repariert und neue Kanäle, Staudämme und Teiche angelegt. Regional konnten dadurch die Erträge erhöht werden. In einzelnen Sektoren der Landwirtschaft war wiederum eine gewisse Kommerzialisierung festzustellen, wenn Kapital in den extensiven Anbau von marktfähigen Produkten wie Zuckerrohr investiert wurde. Der Ausbau der Handelskontakte zu den europäischen Handelsniederlassungen, über die zusätzliches Handelskapital ins Land floss, förderte ebenfalls die Kommerzialisierung. Freilich bildete das europäische Kapital nach wie vor nur einen Teil des gesamten ausländischen Handelskapitals, das über arabische, persische, armenische und malayische Händler
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Parava-Fischer und Schauerleute
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Pauperisierung und Verelendung in Karnataka/Tamilnad
Niedergang Surats
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nach Südindien kam, zumal bei den europäischen Handelsniederlassungen die Bereitschaft zu Investitionen wegen der konjunkturell knappen Unternehmenskassen und der kriegsbedingt klammen Kreditlage in Europa allmählich nachließ. Die fast permanente Kriegsführung der verschiedenen Mächte Südindiens einschließlich der EIC wirkte sich ab der Mitte des 18. Jahrhunderts katastrophal auf die Wirtschaft und die Steuereinnahmen aus. Zum ökonomischen Niedergang trat die soziale Verelendung ganzer Landstriche. Plünderungen, Zerstörungen der Infrastruktur, Ausfall von Ernten, einsetzende Hungersnöte und Epidemien schwächten die Bevölkerung. Sie versuchte, durch Flucht in die Küstenstädte dem Elend zu entgehen. Umgekehrt flohen die Menschen von hier ins Hinterland, in der Hoffnung, dort ein besseres Nahrungsangebot vorzufinden. Aus einigen Regionen wanderten im ersten Krieg der Briten gegen Haidar Ali von Maisur von 1780 bis 1784 etwa 400.000 Menschen ab, was fast 40 Prozent der Bevölkerung entsprach. Während der Kriege kam es auch zu Vertreibungen und Zwangsumsiedlungen. Tipu Sultan ließ nach dem Krieg gezielt Textilhandwerker ins Hochland von Maisur deportieren. Bauern waren indessen relativ leicht zur Umsiedlung zu gewinnen, denn ihnen versprach er landwirtschaftlichen Grundbesitz. Neben dem jähen Niedergang Masulipatnams ist sicherlich das Schicksal Surats symptomatisch für die ökonomische Krisenhaftigkeit, die viele Regionen Südasiens bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts erlebten. Surat, wo die großen europäischen Handelsgesellschaften ebenfalls Niederlassungen unterhielten, war noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts ein Emporium mit bedeutenden maritimen Wirtschaftsbeziehungen, die in Konkurrenz zum Handel mit den Imperien der Safawiden und der Osmanen standen. Im Verlauf der ersten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts wurden Hafen und Stadt jedoch zum Fanal der politischen Ohnmacht des Mogul-Reiches. Mehrere Gründe sind hierfür auszumachen. Den dramatischen Niedergang leitete zweifelsohne die Expansion der Marathen aus Pune nach Norden ins heutige Rajastan ein, denn sie kontrollierten nun die Handelsstraßen des Hinterlandes und blockierten damit das Rückgrat des Mogul-Außenhandels. Vom Niedergang Surats hat sicherlich auch das Rajatum von Kota profitiert. Ähnlich wie in Masulipatnam trug die Politik des Mogul-Stadtkommandanten zum Niedergang Surats bei. Politisch nicht mehr kontrollierbar, bereicherte er sich an den Einkünften der Stadt, um mit deren Hilfe eine unabhängige Stadtherrschaft zu errichten, ohne dabei seinen eigentlichen Aufgaben nachzukommen, nämlich den Händlern Schutz zu gewähren. Allerdings beteiligten sich auch einzelne Kaufleute der Stadt aus Profitgier an den politischen Machenschaften. Innerhalb weniger Jahre paralysierten die unterschiedlichen Interessengruppen die wirtschaftlichen Aktivitäten Surats. Den Niedergang beschleunigten schließlich die Händler, die ins nördlich gelegene britische Bombay abwanderten. Dessen Flotte bot ohnehin mehr Sicherheit und Schutz, nachdem sie ihre Fähigkeiten durch die gelegentliche Entführung der Handelsflotte und Blockade Surats demonstriert hatte. Mitte des 18. Jahrhunderts war Surat vom Emporium im Indischen Ozean zur Hafenstadt Gujarats herabgesunken. Keinesfalls leitete die Abwanderung von Händlern und Kapital aus Surat den sofortigen Aufstieg Bombays ein – im Gegenteil. Die britische Hafen-
Wirtschaftlicher Wandel
III.
stadt war selbst für die Handelsgeschäfte der EIC nicht sehr attraktiv. Zudem verursachte der Unterhalt der Flotte hohe Kosten, die über die Einnahmen nicht gedeckt waren. Noch Ende des 18. Jahrhunderts erwogen die britische Regierung und der Aufsichtsrat der EIC in London, Bombay als Hafen und Marinestützpunkt aufzugeben. Erst der Druck der privaten britischen Baumwollhändler, die in Gujarat im Baumwollgeschäft involviert waren und den Anbau gerne großflächig betreiben wollten, löste eine Revision der Politik aus. Bombay wurde nun, sicherlich auch vor dem Hintergrund der global geführten Napoleonischen Kriege (1799–1815), systematisch zum Flottenstützpunkt, Schiffsbauplatz und zur Handelsmetropole ausgebaut. Dem folgte die Annexion des Hinterlandes nach den Kriegen gegen die Marathen 1805 und 1818, das nun wie kaum eine andere Landschaft Indiens systematisch zur „Cash-Crop-Region“ umstrukturiert und ausgeweitet wurde. Im Nordwesten des Subkontinents konsolidierten die Sikh-Rajatümer des Panjab in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ihre 1765 gewonnene unabhängige Herrschaft, indem sie gezielt die Landwirtschaft durch steuerliche Anreize förderten. Innerhalb weniger Jahrzehnte war auch hier eine Kommerzialisierung der Landwirtschaft zu beobachten. Vor allem Baumwolle wurde nun als Exportware auf den nordindischen Markt gebracht. Inwiefern eine gestiegene Nachfrage an Rohprodukten und ihrer Veredelung auf dem südasiatischen Subkontinent oder in Europa, in Afrika und der Karibik zu dieser Neuorientierung beigetragen haben, ist im Einzelnen nicht nachzuvollziehen. Wie in manch anderen Regionen des Subkontinents war nun offensichtlich auch im Panjab ein allmählicher Übergang von der reinen Subsistenzwirtschaft mit ihrer geringen Überschussproduktion für den lokalen und regionalen Markt auf eine kommerzialisierte Agrarökonomie mit ihren überregionalen und exportorientierten Strukturen zu beobachten, ohne dass es dazu eines europäischen Anschubs bedurft hätte. Dass es im Panjab überhaupt zu dieser partiellen Neuausrichtung der Handelsstrukturen kam, hing auch mit der Stabilisierung des afghanischen Reiches unter der Durrani-Dynastie zusammen. Das Tal des Indus konnte jetzt wieder intensiv als Handelsroute genutzt werden, was sich besonders beim Pferdehandel bemerkbar machte, der über Kabul und Qandahar in die nordindischen Städte Delhi, Lakhnau, Banaras und Jaipur oder über den Seeweg nach Karachi organisiert war. Über den wachsenden Handel mit dem Persischen Golf verdrängte Karachi den alten Hafen Thatta. Gleichzeitig erlebte Haiderabad im unteren Sind als Gewerbe- und Handelszentrum einen rasanten Aufschwung, während Händler-Bankiers Shikapur als neuen Finanzplatz im oberen Sind etablierten. Die Transformation dieser ökonomischen Strukturen war Ende des 18. Jahrhunderts insofern abgeschlossen, als der Handel mit dem Persischen Golf fast ausschließlich über Karachi abgewickelt wurde. Über den Sind fand nun auch der Opium-Handel des östlichen Rajastan einschließlich dessen von Kota-Malwa statt, der von hier wegen des britischen Monopols den weiteren aber unabhängigen Weg nach China nahm. Die dezentralen Strukturen des Mogul-Reiches im 18. Jahrhundert bewirkten unter anderem auch die Konzentration der wirtschaftlichen Aktivitäten in den urbanen Zentren. In einem expandierenden und gut funktionierenden Netzwerk von Gewerbestandorten, Handelsplätzen und Finanzzent-
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Das Mogul-Reich im 18. Jahrhundert
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Opiumhandel der EIC
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ren, gestützt durch gildenartige Organisationen, spielten sie eine gewichtige Rolle im Wirtschaftsleben vor allem Hindustans. Die Kommerzialisierung der Landwirtschaft unter dem frühen britischen Kolonialregime, das zwischen 1775 und 1805 die Region zwischen Banaras und Delhi und damit das Kerngebiet Hindustans annektierte, führte zu einer Neuausrichtung und Verlagerung der kommerziellen Infrastruktur. So stieg Mirzapur im westlichen Bihar neben Banaras zum prominenten Umschlagplatz auf. Zudem weisen auch die zahlreichen Neugründungen von Marktflecken in Hindustan, die heute noch an ihren ganj-Endungen zu erkennen sind, auf allgemein stabile Handelsverhältnisse hin. Erst in den 1830er Jahren setzte ein dann rapide voranschreitender Verfall der Städte ein, der auch für den urbanen Bereich den kolonialen Umbruch der wirtschaftlichen Strukturen bezeugte. Regional waren im ausgehenden 18. Jahrhundert noch durchaus positive Entwicklungen in der städtischen Wirtschaft zu verzeichnen. Zu dieser Zeit waren die britischen Handelsmetropolen Calcutta, Madras und Bombay auch bei Weitem noch nicht die den Subkontinent deformierenden Exporthäfen, wie sie es 50 Jahre später sein sollten. Zwar war Surat von den kosmopoliten Händlergemeinschaften aufgegeben worden und Masulipatnam in die Bedeutungslosigkeit gefallen, doch zog das keineswegs den unmittelbaren Aufstieg der britischen Häfen nach sich. Bombay vermochte es lange nicht, der Konkurrenz Karachis entgegen zu treten; das gelang erst nach der Annexion Sinds 1843. Nun kontrollierten die Briten auch den Opiumhandel Malwas, leiteten ihn nach Bombay um und etablierten die Stadt innerhalb weniger Jahrzehnte zum Nachteil Karachis als Handels- und Finanzplatz Britisch-Indiens. Erst jetzt waren die Briten in der Lage, den höchst lukrativen Dreieckshandel zwischen China, Indien und Europa aufzubauen, bei dem mit zunächst bengalischem Opium als Substitut für südasiatische Steuergelder Tee im chinesischen Kanton eingekauft und in London auf den Auktionen schließlich versilbert wurde. Wenige Zahlen verdeutlichen den kolonialen Umbruch: Exportierte die EIC im Jahr 1729 gerade einmal 200 Kisten Opium und 1773 immerhin schon 1.000, so stieg die Zahl der Kisten 1790 auf knapp 5.000 und erreichte 1834 schließlich fast 24.000 Kisten. Ähnlich sprunghafte Zuwachsraten sind beim Tee zu beobachten. Hier stiegen die Importzahlen von 2,15 Mio. Pfund im Zeitraum 1713–20 auf 37,4 Mio. Pfund im Zeitraum 1751–60. Der Wert der Teeverkäufe stieg von £ 4,36 Mio. in der Dekade 1761–70 auf £ 14 Mio. im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts. Keine andere Sparte des Kolonialhandels der EIC verzeichnete derart rasante Zuwächse. Sie belegen zugleich die fortschreitende ökonomische Penetration von Teilen Britisch-Indiens wie auch Teilen Chinas. Von dieser Handelsexpansion profitierten partiell auch die Häfen entlang der Malabar-Küste. Sie nahmen weiterhin eine wichtige Position als regionale Umschlagplätze ein. Dazu trug auch der Großhandel der Musa bei, die Anfang des 19. Jahrhunderts den Holz- und Pfefferhandel fast vollständig kontrollierten, weil er noch auf Tipu Sultans Pfeffermonopol basierte. An der gegenüber liegenden Koromandel-Küste kämpfte Madras, obwohl es sein Hinterland seit 1750 arbeitsmarktpolitisch in wachsendem Maße strukturierte, am Ende des 18. Jahrhunderts mit den demografischen, sozialen
Gesellschaftlicher Umbruch und kultureller Wandel
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und ökonomischen Folgen der südindischen Kriege. Einzig Calcutta war es zu diesem Zeitpunkt gelungen, die anderen europäischen Handelsniederlassungen und bengalische Häfen entlang des Hugli sowie Dhaka im Osten des Landes zu dominieren. Den Wandel Calcuttas reflektiert auch der Handel der Städte New York und Philadelphia mit Bengalen, deren Schiffe seit der Unabhängigkeit der USA im Jahr 1783 nun selbst Calcutta anliefen, wo sich das Volumen der US-Importe allein zwischen 1795 und 1806 verzehnfachte. Vor diesem wirtschaftlichen Hintergrund begann der Ausbau Calcuttas zur Hauptstadt Britisch-Indiens, während zur gleichen Zeit der Aufstieg zur bengalischen Kulturmetropole einsetzte.
4. Gesellschaftlicher Umbruch und kultureller Wandel Die Verdichtung der politischen und die Transformation der wirtschaftlichen Strukturen erzeugte Verschiebungen und Verwerfungen in der sozialen Landschaft. Nicht minder einflussreich waren die wachsenden interkontinentalen Verflechtungen der Kredit- und Warenmärkte. Schließlich sollte die britische Kolonialherrschaft in Bengalen und an der Koromandel-Küste in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Wirtschaft und Gesellschaft nachhaltig verändern. In Hindustan, wo der fiskalische Druck auf die Zamindar und Bauern am höchsten war, kam es bereits zu Beginn des Jahrhunderts zu sozial motivierten Aufständen. Die meisten Erhebungen gingen hier bekanntlich von den Jat-Zamindar aus, die versuchten, die Bauern für die Unabhängigkeit vom Steuerregime der Moguln zu gewinnen. Allerdings gelang es den Zamindar nur selten, im Zuge solch lokaler Rebellionen auch eine regionale Herrschaft aufzubauen. Vielfach zogen sie mit ihren Bauernbanden marodierend durchs Land und überfielen Händlerkarawanen, Dörfer und Kleinstädte. Mit solchen Aktionen trugen die Zamindar nicht unwesentlich zum anarchischen Erscheinungsbild der nordindischen Gesellschaft bei. Inwieweit sich im 18. Jahrhundert die soziale Stratifikation der südasiatischen Gesellschaften tatsächlich veränderte, ist, wenn überhaupt, nur partiell nachzuvollziehen, wie am oben genannten Beispiel der Perlfischer-Küste demonstriert. Regional betrachtet lässt sich für Bengalen feststellen, dass eine staatlich betriebene Zentralisierung des Steuereinzugs in den Händen der Zamindar stattfand, die die neue politische Elite des Staates bilden sollten. Um den sozialen Wandel an der Spitze der gesellschaftlichen Hierarchie in Gang zu setzten, „versetzten“ die Nawab von Bengalen die alte Mogul-Elite der Mansabdar an die Ränder des Landes und schufen durch die Umverteilung der Steuereinzugsrechte eine Schicht von loyalen Zamindar. Mit dem „Permanent Settlement“ von 1793, das die Briten vom leidigen Geschäft der ständigen Abschätzungen und Berechnungen von Landsteuersätzen entlastete, wurde die soziale Mobilität innerhalb der bengalischen Gesellschaft keinesfalls unterbunden. Aufgrund der weiterhin bestehenden höchst unterschiedlichen Rechtsverhältnisse war das Gesetz in weiten Teilen Bengalens nicht zu implementieren, so dass sich auch noch am Anfang
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Arbeitsmarkt in Karnataka
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des 19. Jahrhunderts die bengalische Agrargesellschaft durch eine recht hohe vertikale Mobilität auszeichnete. Allerdings wechselte in den beiden Jahrzehnten nach Einführung des „Permanent Settlement“ nahezu die Hälfte des steuerlich veranlagten Landes den Besitzer, weil diese wegen Fehleinnahmen ihre Steuern oft nicht zum festgelegten Zahltag entrichten konnten und das Land nach britischem Recht der Pfändung verfiel. In den Gebieten, die dauerhaft veranlagt waren, wuchs auch die Zahl der landlosen Bauern, so dass allgemein von einer Pauperisierung, wenn nicht gar Verelendung der ländlichen Bevölkerung gesprochen werden muss, die genau dort stattfand, wo der Kolonialstaat seinen unmittelbaren Zugriff auf die ländliche Steuerveranlagung und den Landbesitz hatte. Nach wie vor blieb ein Gutteil des Landes nach den örtlichen Gepflogenheiten steuerlich abgeschätzt, und oft wurden nur tributartige Summen entrichtet. Auch der britische Kolonialstaat musste in Bengalen mit der Tatsache leben, dass nicht einmal diese eine Provinz mit einem einheitlichen Steuersystem zu verwalten war, entgegen aller offiziellen Darstellung in den so genannten Settlement Reports, die stets die Systematik der britischen Steuerveranlagung als Kennzeichen einer modernen Verwaltung und damit auch einer gerechten Herrschaft hervorhoben. Ein Blick nach Südindien zeigt, dass im Textilsektor eine stärkere Differenzierung der Berufe einsetzte. Das galt zunächst einmal für die Trennung von Handwerk und Landwirtschaft. Einzelne Bereiche wie Spinnen, Weben, Färben und Stoffdruck blieben zwar ein wichtiger Einkommensfaktor für die ländliche Bevölkerung, aber die steigende Exportnachfrage an Textilien führte dazu, dass städtische Händler mitunter gezielt Produzenten anwarben und in separaten Weberdörfern ansiedelten. Die Herstellung von Textilien diente dann meist dem hauptsächlichen oder gar ausschließlichen Erwerb. Mit der fortschreitenden Trennung der Berufe wurde auch der Unterschied von Stadt und Land schärfer. Zugleich veränderte sich das Weichbild der Hafenstädte an der Koromandel-Küste, denn in ihrer unmittelbaren Nähe entstanden allmählich Webersiedlungen. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist eine solche Entwicklung verstärkt für Madras zu beobachten. Da jedoch Arbeitskräfte stets knapp waren, zeitigte die „Siedlungspolitik“ meist nur im Fall von Krieg, Dürre und Hunger den gewünschten Erfolg, wenn flüchtende Menschen in den Städten am Meer Schutz suchten und sich dann oft dauerhaft niederließen. Mit der Differenzierung der Berufe setzte auch die Teilung der Arbeitsprozesse ein. Ergab sich beim Textilhandwerk allein durch die unterschiedlichen Ressourcen eine Trennung in einzelne Produktionssparten und -phasen, so trat die arbeitsteilige Produktion bei der Zuckergewinnung, der Eisenverarbeitung und beim Schiffbau am Produktionsort selbst hervor. Auf privaten Werften arbeiteten bis zu 100 Zimmerleute, Schreiner, Schmiede und Seiler. In den staatlichen Betrieben, wie sie Tipu Sultan in Maisur aufgebaut hatte, waren bis zu 50 Arbeitsleute angestellt, die größtenteils auf Lohnbasis arbeiteten. In den staatlichen Textilbetrieben war ebenfalls eine zunehmende Arbeitsteilung zu beobachten. Frühkapitalistische Verhältnisse existierten, wenn Weber nur noch wenige oder gar keine Produktionsmittel mehr besaßen und das Garn vorgestreckt oder die Webstühle zur Verfügung gestellt wurden, und Spinner, Weber und Färber obendrein auf der Basis
Gesellschaftlicher Umbruch und kultureller Wandel von Lohnarbeit oder Werkverträgen beschäftigt waren. Ungeklärt ist indes noch, ob und in welchem Maß die wachsende Verflechtung in interkontinentale Wirtschaftsnetzwerke die Rationalisierung von Produktionsverhältnissen ausgelöst hat. Die Kriegswirtschaft, die Südindien in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts prägte, bot vereinzelt die Chance zu Beschäftigung, obenan im Bereich des Militärs als Soldat, aber auch im Dienstleistungsbereich des Trosses und in kriegswirtschaftlich wichtigen Betrieben wie der Munitions- und Waffenherstellung. Allerdings hatte der weitaus größte Teil der Bevölkerung unter den Folgen der Kriegs- und der allmählich um sich greifenden Mangelwirtschaft zu leiden. Ländliche Besitzverhältnisse wurden ebenso aufgebrochen wie die Sozialbeziehungen in den Dörfern. Kommunale Rechte an Nießbrauch und Nutznieß zerbrachen zugunsten von Privatbesitz an Grund und Boden. Als Folge dieser sozialökonomischen Umbrüche war in weiten Teilen Südindiens das Paradoxon von einerseits verstärkter Einbindung agrarischer Arbeitskräfte in die Landwirtschaft („Bindung an die Scholle“) und damit die Reduzierung ihrer Mobilität, andererseits die Pauperisierung ganzer Bevölkerungsschichten mit zunehmender Mobilität zu beobachten. Besonders betroffen waren die demobilisierten Soldaten, die nur zum Teil in die bäuerliche Gesellschaft re-integriert werden konnten und bald zum Synonym des sozialen Abstiegs wurden. Zu einem erheblichen Teil waren diese Verwerfungen auf die Politik des jungen Kolonialregimes zurückzuführen. Das Problem der Demilitarisierung und Verbäuerlichung der Gesellschaft tauchte auch in anderen Regionen des indischen Subkontinents, in die der britische Kolonialstaat expandierte, auf. So waren die Gesellschaften des Gangestals in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts noch durch eine relativ hohe vertikale und horizontale Mobilität geprägt, mit Chancen, die sich besonders den Miliztruppen der lokalen Magnaten von Jat und Ruhela boten. Im letzten Viertel des Jahrhunderts und zu Beginn des 19. Jahrhunderts verursachten die Annexionen der Briten im mittleren Gangestal (Banaras) und im Doab von Ganges und Jamuna bis nach Delhi und die anschließende Entlassung der Milizionäre immense soziale Probleme, da sich auch hier die große Zahl der ehemaligen Söldner nur schwer in die ländliche Gesellschaft als Bauern reintegrieren ließ. Mangelnde Arbeitsmöglichkeiten führten nicht selten zu sozialen Spannungen. Erst die Rekrutierungen der Briten für ihre ab den 1820er Jahren stark wachsende Besatzungs-Armee, und ab den 1840er Jahren dann für die Plantagenbetriebe in Britisch-Indien, Mauritius und der Karibik brachte eine Erleichterung auf dem Arbeitsmarkt. Allerdings entstand durch die permanente Rekrutierung innerhalb weniger Jahre ein Arbeitskräftemangel. Zur gleichen Zeit gelang es in Nordindien einzelnen Familien von Händlern und Bankiers, wie beispielsweise aus der Glaubensgemeinschaft der Jaina oder muslimischen Händlergemeinschaften wie den Khattri, Khayastha und Agarwal aus dem östlichen Panjab, über die Ausweitung ihrer Handelsnetzwerke in der urbanen Gesellschaft Delhis wirtschaftlich und sozial innerhalb kurzer Zeit aufzusteigen. Dabei profitierten sie unter anderem auch von den weit reichenden Handelskontakten des Durrani-Reiches in den zentralasiatischen und osteuropäischen Raum. Zusammen mit zuwandernden Pandit aus Kashmir und der stadtansässigen muslimischen Ashraf,
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Demilitarisierung und Verbäuerlichung
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Das Mogul-Reich im 18. Jahrhundert
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Kultureller Wandel und Aufbruch
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der ursprünglich aus Arabien und Persien immigrierten muslimischen Elite, sowie der Ulema, die Teil der Ashraf sein konnte, formten diese Klassen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die neue ökonomische und intellektuelle Elite Delhis. Eine ähnliche gesellschaftliche Formierung ist auch in Banaras und Lakhnau festzustellen. Nicht nur in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht war Nordindien im 18. Jahrhundert eine in weiten Teilen mobile Gesellschaft. Auch und gerade im gesellschaftlich-kulturellen Bereich zeichnete es sich durch die Neuausrichtung von Traditionen und durch mannigfaltige Innovationen aus. Unabhängig von europäischen Denkanstößen verfassten in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts muslimische Geistliche in Delhi Traktate, die über die Verbindung von Philosophie und Theologie gesellschaftliche Reformen initiieren sollten. Im Bereich der Literatur und der Musik ging man am Hof Mogul Muhammad Shahs (reg. 1719–48) neue Wege, als monumentale poetische Werke in Hindustani, der weit verbreiteten Umgangssprache, vorgetragen und erst im Nachhinein im höfischen Persisch niedergeschrieben wurden. In der Musik wichen die Interpreten von den strengen „klassischen Formen“ ab und schufen größeren Raum für Variationen und Improvisationen. Bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts blieb der Mogul-Hof das kulturelle Gravitationszentrum Südasiens. Im südlich gelegenen Haiderabad war ebenfalls eine gewisse Öffnung der höfischen Kulturszene zu beobachten, wenn als Literatursprache neben dem Persischen nun Urdu aufkam. Über Urdu wurde in einigen Werken der Austritt des Menschen aus der göttlich determinierten in eine selbstbestimmte Welt thematisiert. Zu den kulturellen Reformen gehörte auch, dass das muslimische Bildungssystem allmählich für die Koranschulen verbindlich erklärt wurde. Mit dem in Delhi lebenden Shah Wali Allah (1703–61) erfuhr der südasiatische Islam erste Reformen, und sein Sohn Shah Abdal Aziz (1746–1824) übersetzte den Koran ins Urdu – eine Leistung, die seit Luthers Bibelübersetzung gemeinhin als der markanteste Indikator für den Beginn einer gesellschaftlich-kulturellen Modernisierung angesehen wird. Freilich blieb die theologisch-rituell einzig verbindliche Version das in Arabisch geoffenbarte und niedergeschriebene Wort Allahs, was nichts an der Tatsache ändert, dass mit der Urdu-Übersetzung weite Bevölkerungsschichten angesprochen und religiöse Debatten auf breiter Ebene geführt werden konnten. Die Umbruchsituation, wie sie mit Territorialisierung und wirtschaftlicher Integration einher ging, scheint auch in Südasien einen gesellschaftlichen Reformbedarf ausgelöst zu haben. Außerhalb der Höfe in Delhi und Lakhnau kultivierten literarische Salons, die meist von prominenten Kurtisanen unterhalten wurden, die neuen künstlerischen Strömungen. Auch in manchen Garnisonsstädten entstanden solche Kultur-Salons. Repräsentanten des Militärs, der Kaufmannschaft, der Administration sowie die urbanen Notabeln trafen sich hier in ungezwungenem Rahmen. Vielerorts griffen die Salons über die elitären Klassen hinaus und öffneten sich den unteren sozialen Schichten. Wenn aber Barbiere, gemeine Soldaten, Maurer, Weber und Schreiner Zugang zu solchen Kulturzirkeln erhielten, hieß das, dass sich die Gesellschaft insgesamt in einem erheblichen Maße geöffnet haben muss. In dieser kommunikativen Umwelt konnte ein Klima des freieren Umgangs und der offenen Debatte entstehen.
Gesellschaftlicher Umbruch und kultureller Wandel In Westeuropa wurde dieses gesellschaftliche Phänomen als „Öffentlichkeit“ identifiziert und zum wesentlichen Kriterium beim Entstehen der modernen bürgerlich-liberalen Gesellschaft deklariert. Hier wie dort ist es freilich nur in wenigen Städten zur Ausbildung einer solchen „Öffentlichkeit“ gekommen. Dem Machtverlust der Moguln nach der dritten Plünderung Delhis 1759 folgte die kulturelle Austrocknung der Stadt. Hatte der Nawab-Wazir von Awadh, Safdar Jang (reg. 1739–54), seine Bautätigkeiten allein auf Delhi konzentriert und kein einziges repräsentatives Gebäude in seiner Residenz Faizabad errichten lassen – offensichtlicher Ausdruck seiner Loyalität als Stellvertreter des Mogul –, so drückte Asaf ud Daulah (reg. 1775–98) seiner Residenz Lakhnau, die in unmittelbarer Nähe Faizabads lag, mit Prachtbauten seinen Stempel auf. Die zahlreichen Bauwerke waren nicht nur Ausdruck einer selbstbewussten Dynastie und ihrer nun visualisierten Distanz zu Delhi, sondern auch einer weiter entwickelten Architektur. Parallel zur Architektur förderte Asaf ud Daulah Literatur und Musik. Besondere Aufmerksamkeit schenkte er der Poesie, welche innerhalb weniger Jahre ein persianisiertes Urdu als neue Literatursprache etablierte. Zahlreiche Poeten verließen den Mogul-Hof in Delhi, um in Lakhnau eine neue künstlerische Heimat zu finden. Gleiches war im Bereich der Wissenschaften zu beobachten. Innerhalb weniger Jahrzehnte stieg Lakhnau in Südasien zum Kultur- und Wissenschaftszentrum ersten Ranges auf. Im Sultanat von Maisur investierten Haidar Ali und sein Sohn Tipu Sultan den größten Teil der staatlichen Einkünfte in den Militärapparat. Für große Repräsentationsbauten blieb wenig Geld übrig. Lediglich für seine Bibliothek stellte Tipu Sultan Geld bereit, die nach seinem Tod 1799 von den Briten geraubt und der Royal Asiatic Society of Bengal geschenkt wurde. Um jedoch seiner neuen Legitimität und seinem Anspruch auf unabhängige Hofhaltung angemessenen Ausdruck zu verleihen, ließ Tipu Sultan das neue und für seine imperial verstandene Herrschaft typische Flammen-Zeichen als abstrahiertes Tiger-Motiv entwerfen und überall im Land auf öffentlichen Gebäuden als Dekoration anbringen. So sollte eine möglichst hohe Identifikation der Bevölkerung mit seiner Herrschaft erzeugt werden. Zu dieser Politik gehörte auch eine mitunter pompöse Schaustellung der Macht, was wiederum Gelegenheit bot, die der südasiatischen Symbolik bislang ungewohnte Emblematik als eine Gesellschafts- und Glaubensgemeinschaft übergreifende zu popularisieren. Raja Serfoji II. von Tanjavur (reg. 1798–1832), der von den Briten unter Kuratel gestellt und dessen Rajatum von Madras/Chennai aus verwaltet wurde, entwickelte am Ende des 18. Jahrhundert ein für das Südasien des 19. Jahrhunderts später typisch hybrides Kulturverhalten. Erzogen vom Missionar Christian Friedrich Schwartz der protestantischen Mission im dänischen Tranquebar, bildeten europäische Bücher und indische Manuskripte den Grundstock einer Bibliothek, die noch zu Lebzeiten Serfojis auf 5.000 Bände und 25.000 Palmblatt-Manuskripte anwachsen sollte und in Südasien als eine der umfangreichsten Privatbibliotheken seiner Zeit galt. Im Unterschied zu seinen Standesgenossen des späten 18. Jahrhunderts legte Serfoji systematische Sammlungen von Büchern und Naturalia an und trug keine Sammelsuria an Kuriositäten zusammen. Unter Anleitung und Einfluss
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Kultur- und Wissenschaftsmetropole Lakhnau
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Das Mogul-Reich im 18. Jahrhundert
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Buchdruck und Pressewesen
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eines europäischen Missionars machte Serfoji den Wandel vom leidenschaftlichen Sammeln eines europäischen Renaissancefürsten zum wissenschaftlichen Sammeln des gebildeten Monarchen mit, wie er zur selben Zeit in manchen Ländern Europas stattfand. Den Buchdruck Südasiens belebten die protestantischen Missionare Anfang des 18. Jahrhunderts wieder, nachdem portugiesische Jesuiten von der Mitte des 16. Jahrhunderts an für gut hundert Jahre christliche Werke in Latein und seit den späten 1570er Jahren auch in Konkani- und Tamil-Lettern gesetzt hatten. Die protestantischen Missionare der Dänisch-Englisch-Halleschen Mission knüpften an diese Tradition an, als 1713 mit einer Druckerpresse auch lateinische und tamilische Lettern in Tranquebar eintrafen. Ermöglicht hatte den Kauf die Society for Promoting Christian Knowledge (SPCK) mit Sitz in London, die von Anfang an die Mission ideell und materiell unterstützte. Noch im selben Jahr erschien das Neue Testament in Tamil. Im Jahr 1714 kam aus der Missionsdruckerei das erste englische Buch von Thomas Dyche „A Guide to the English Tongue“. Mit Bartholomäus Ziegenbalgs „Grammatica Damulica“, die 1716 in Halle gedruckt wurde, begann dann die indologische Erschließung Südasiens durch Europäer. Im bengalischen Hugli ließ Nathaniel B. Halhed 1778 seine „A Grammar of the Bengal Language“ drucken. Berühmter wurde er allerdings mit „A Code of Gentoo Laws, or Ordinations of the Pundits“, der jedoch in London gedruckt wurde. In Europa war dieses Werk durch Übersetzungen ins Französische und Deutsche weithin bekannt, und es sollte nachhaltig das Bild vom brahmanischen Indien prägen. Charles Wilkins, Leiter der Government Press, übersetzte die Bhagavadgita, die 1785 gedruckt erschien und Grundlage dessen wurde, was zu Beginn des 19. Jahrhunderts dann im Rahmen der „Bengal Renaissance“ als reformfähiger Hinduismus galt. Beachtenswert ist auch die gedruckte Übersetzung von Abu’l Fazls „Ain-i Akbari“, deren drei Bände von 1783 bis 1786 erschienen. Schätzungsweise sind in Calcutta vor 1800 weit über 400 Werke gedruckt worden. Darunter befanden sich regierungsamtliche Publikationen wie eine Bengali-Übersetzung des „Cornwollis Code“, Wörterbücher für verschiedene südasiatische Sprachen, diverse Übersetzungen aus der persischen Literatur und Geschichte, desgleichen aus dem Sanskrit. In den 1780er Jahren kam in Calcutta auch ein englischsprachiges Pressewesen auf. Berühmt wurde James A. Hickeys „Bengal Gazette“, die im Jahr 1780 gegründet wurde. Neben den üblichen Anzeigen und lokalen Nachrichten wurde in bissigen Beiträgen die Regierungspolitik der führenden Kolonialadministratoren kritisiert. Wegen ihrer korrupten Amtsführung gerieten besonders Generalgouverneur Warren Hastings und der Oberste Richter am Supreme Court in Calcutta, Sir Elijah Impey, in die Schusslinie der Journalisten. Nur in Zusammenarbeit mit Impey und mit Hilfe inszenierter Gerichtsprozesse gelang es Hastings, Hickey für vier Jahre inhaftieren zu lassen. Die Zeitung erschien jedoch weiterhin. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts erblickten mehr als 20 weitere Journale, Magazine und Zeitungen das Licht der britisch-indischen Pressewelt. Thematisch richteten sie sich an ein englischsprachiges Lesepublikum, recht eigentlich aber nur an die europäischen Händler und Kaufleute, die mit den wichtigsten Nachrichten aus der Wirtschaft versorgt wurden.
Gesellschaftlicher Umbruch und kultureller Wandel Nachrichten aus Südasien fehlten hingegen ganz. Mit dem Pressewesen entstand in Südasien eine zweigeteilte Öffentlichkeit, eine britisch-koloniale und eine aus deren Sicht uninteressante indische, denn die Mitglieder der britischen Kolonialelite betrachteten ihre „Öffentlichkeit“ als die einzig existierende. Freilich gab es in den verschiedenen Staaten und Städten Südasiens lebhafte Öffentlichkeiten, die oft performativen Charakter besaßen, aber auch schon Formen einer bürgerlichen Öffentlichkeit annahmen. Dass im kolonialen Kontext die Freiheit der Presse, die zu dieser Zeit in Europa, aber auch in Calcutta heftig diskutiert wurde, wegen der besonderen Herrschaftsverhältnisse oft eingeschränkt wurde, mag nicht weiter verwundern. Als im Zuge des Vernichtungsfeldzuges Richard Wellesleys gegen Tipu Sultan von Maisur im Jahr 1799 in dem in Madras erscheinenden „Asiatic Mirror“ ein Beitrag über das wachsende Missverhältnis zwischen der beherrschten indischen Bevölkerung und der Stärke der Europäer publiziert und somit, wenn auch nur indirekt, die Kolonialherrschaft generell kritisiert, wenn nicht gar infrage gestellt wurde, verfügte Wellesley kurzerhand eine Pressezensur, mit der Folge, dass in den nächsten beiden Jahrzehnten kaum neue Presseerzeugnisse erschienen. Das Pressewesen ist nur ein kleiner Teil dessen, mit dem die Briten seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert die Grundstrukturen ihres Kolonialimperiums in Südasien anlegten. Substanziell gehörte hierzu der Cornwallis Code, der als eine Art Grundgesetz für Britisch-Indien diente. Mit ihm usurpierten die Briten endgültig die Kriminalgerichtsbarkeit in Bengalen und hielten damit die wichtigsten Herrschaftsinstrumente Steuer, Justiz und Militär in ihren Händen. Hierüber reklamierten sie letztlich auch ihre zumindest de facto territoriale Souveränität. Wirtschaftlich begann die EIC, das Bengalen benachbarte Nawabtum von Awadh zu durchdringen und mittels erzwungener Präferenzzölle die Konkurrenz der Awadhi-Händler auszuschalten – ein erstes Beispiel für so genannte „Ungleiche Verträge“, wie sie auch die Nawab von Bengalen abschließen mussten. Zur selben Zeit, als Lakhnau zur Kulturmetropole Hindustans, wenn nicht ganz Südasiens aufstieg, setzte ein schleichender wirtschaftlicher Verfall ein, der gepaart war mit einer bewusst betriebenen politischen Destabilisation des Nawabtums. Wesentlichen Anteil daran hatte, zum zweiten, das Residenten-System, das die Briten als indirektes Herrschaftsinstrument entwickelten, um hierüber die südasiatischen Monarchen zu kontrollieren. Gerade die Nawab von Awadh mussten erfahren, wie sehr sie sich durch die Anmietung britisch-indischer Soldaten (Sipahi) zur Expansion des eigenen Territoriums in die Abhängigkeit der EIC gebracht hatten. Subsidiärverträge, die den Unterhalt der nun zwangsweise zum Schutz stationierten Sipahi-Einheiten regelten, legten auch die Gelder fest, die zum Unterhalt der Truppen aufgebracht werden mussten. Als der Nawab 1803 nach eigenen Angaben zahlungsunfähig war, annektierten die Briten kurzentschlossen die fiskalisch und wirtschaftlich profitabelsten Gebiete Awadhs, den unteren Teil des Doab von Ganges und Jamuna wegen der Fruchtbarkeit der Böden und des bereits existierenden Nutzfruchtanbaus. Diese agrarökonomischen Strukturen benötigten die Briten dringend zur Ausweitung ihrer wirtschaftlichen und steuerlichen Basis, wollten sie dem latent drohenden Bankrott der EIC entgehen.
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Residenten-System
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Das Mogul-Reich im 18. Jahrhundert
III.
Staatlich protektionierte Privatwirtschaft entwickelte sich so zum virulenten Kolonial-Kapitalismus. Generell betrachtet bedeutete das 18. Jahrhundert für Südasien zunächst eine Phase der politischen Konsolidierung auf der Provinzebene und der ökonomischen Integration. Den europäischen Handelsunternehmen gelang es bis in die 1750er Jahre nicht, entscheidend auf die Produktion und die Distribution vor allem im umkämpften Textilsektor einzuwirken, geschweige denn diesen zu kontrollieren. Erst der Übergang von der Handelszur Territorialgesellschaft, der allein der EIC gelang, gab dieser die Möglichkeit, langfristig die wirtschaftlichen Strukturen zu verändern und die Voraussetzungen für den Kolonial-Kapitalismus zu schaffen. Im Wesentlichen konstituiert er asymmetrische Beziehungen, wobei politisch-juritische Regularien die wirtschaftliche Deformation festschrieben. Im 18. Jahrhundert waren solche asymmetrischen Wirtschaftsverhältnisse jedoch nur regional auszumachen. Von einer flächendeckenden ökonomischen Penetration seitens europäischer Handelskompanien respektive der EIC konnte bei weitem nicht die Rede sein, auch noch nicht um die Wende zum 19. Jahrhundert, als die EIC ihre Herrschaft über weite Teile des Subkontinents ausgedehnt hatte. Anders hingegen die politische Entwicklung. Sofern zu Beginn des 18. Jahrhunderts von einem zentralen Verband des Mogul-Reichs überhaupt gesprochen werden kann, war an dessen Ende nur ein loser Staatenbund übrig geblieben, dominiert vom Marathen-Verband einerseits und den britischen Kolonialterritorien andererseits. Die Entscheidung, wer letztlich den südasiatischen Subkontinent unter seiner Herrschaft vereinen konnte, fiel mit dem Sieg der Briten gegen die Marathen 1805, dem die endgültige Niederlage von 1818 folgte. Das 18. Jahrhundert lediglich als eine Übergangszeit vom niedergehenden Imperium der Timuriden zum aufsteigenden britischen Kolonialstaat zu interpretieren, ginge an der historischen Realität vorbei und würde zudem der britischen Kolonialhistoriografie, die genau dieses Szenario konstruiert hat, das Wort reden. Ohne die Reorientierung, die Reorganisation und die Umstrukturierung des Mogul-Imperiums samt der militärischen und fiskalischen Zentralisierung in kleineren staatlichen Einheiten wäre es in Südasien nicht zu der Dynamik in der politischen und gesellschaftlichen Landschaft gekommen, in die sich die Briten offensichtlich mühelos eingliedern konnten, weil es sich um zur damaligen Zeit vergleichbare interkontinentale (globale) Strukturen gehandelt hat.
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IV. British-Paramountcy und British Raj im 19. Jahrhundert 1. Britische Expansion und südasiatischer Widerstand Die aggressiven Expansions- und Vernichtungskriege der Briten, die sie zwischen 1799 und 1805 gegen das Sultanat von Maisur im Süden Indiens und den Verband der Marathen im Westen und Norden führten, löste den Zusammenbruch fast allen Widerstandspotenzials südasiatischer Staaten aus. Lediglich das Rajatum der Sikhs im nordindischen Panjab blieb vorerst unabhängig, bis es 1849 von den Briten militärisch besiegt und annektiert wurde. Andere Staaten wie das Nawabtum von Awadh, das Nizamat von Haiderabad oder das südindische Rajatum von Tanjavur waren durch ungleiche Handelsverträge und die im vorausgegangenen Kapitel geschilderten Subsidiärverträge in ökonomische und politische Abhängigkeit gebracht worden. Allerdings unterhielt die britische Kolonialmacht in Indien auch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch keine übermächtige Militärund Verwaltungsmaschinerie, die den gesamten Subkontinent in ein uniformes Herrschaftssystem gepresst hätte. Entgegen zeitgenössischer und historiografischer Selbstdarstellung mussten die Briten mit der Tatsache leben, dass auch ihr Imperium eher einem losen Flickenteppich denn einem straffen Teppichboden glich. So gelang den Briten weder die territoriale Expansion ohne militärische Rückschläge – man denke nur an die Katastrophe in Afghanistan 1842, als ein britisches Expeditionscorps bis auf einen Mann vernichtet wurde – noch konnte die britisch-indische Kolonialverwaltung die annektierten Territorien immer effektiv durchdringen, bisweilen auch nach Jahrzehnten nicht. Gerade gegenüber den Residenten behielten die indischen Monarchen ein großes Maß an Handlungskompetenz, wenn sie den Informationsfluss an den britischen Vertreter blockierten und er bisweilen fast völlig isoliert war. Gleichzeitig kommunizierten viele Monarchen untereinander; geheime diplomatische Aktivitäten, die die Briten um so weniger kontrollieren konnten, desto mehr sie ihre Herrschaft ausweiteten und zu intensivieren versuchten. Fast kurios mag es da anmuten, dass die Briten den politisch geschwächten fast 600 Monarchen und Duodezfürsten mit der Demilitarisierung genau die Finanzmittel beließen, die halfen, das Bild vom märchenhaft reichen „indischen Maharaja“ zu schaffen. Auf dem indischen Subkontinent entstand in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die verfassungsrechtlich seltsame Situation, dass einerseits das Mogul-Reich mit seinem in Delhi residierenden Oberhaupt weiter existierte, dem sich nicht nur die indische Monarchen unterordneten („verfassungsrechtlich“ blieben die Nawab und der Nizam nämlich Subedar), obwohl er über keinerlei machtpolitische Mittel mehr verfügte, sondern dass sich auch die EIC in diesen Staatenbund integrierte und die Oberhoheit des Mogul akzeptierte, wenngleich höchst widerwillig. Nicht nur der Mythos, der von den Moguln ausging, zwang die Briten, sich in das politische System der geteilten Souveränitäten ein- und unterzuordnen, denn zu schwach war ihre rein auf militärischen Machtmitteln beruhende Fremdherrschaft. So waren
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British-Paramountcy und British Raj im 19. Jahrhundert
IV.
British Paramountcy in India
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die Briten zugleich unfreiwillige Teilhaber an einer geteilten Souveränität, die sie mit den oben beschriebenen Strategien zu unterminieren versuchten und der sie ihre Auffassung von der British Paramountcy in India entgegen setzten, der ungeteilten souveränen Herrschaft, im Gegensatz zum herkömmlichen Konzept einer gestuften Herrschaft. Doch erst seit 1818, als die Briten den Verband der Marathen unterwarfen, konnte tatsächlich von dieser Paramountcy gesprochen werden. Fortan dominierte die EIC die politischen und wirtschaftlichen Geschicke weiter Teile des Subkontinents, wobei sie ihren Machtbereich nicht nur ausweitete, sondern allmählich auch intensivierte. Expansionskriege fanden nach Nepal (1814–16), Birma (1824–26), nach Afghanistan (1838–42) und in den Panjab (1847–49) statt. Im Inneren des wachsenden britisch-indischen Imperiums erfanden die Briten die politischen Instrumente des „Mismanagements“ und der „Doctrine of Lapse“, mit Hilfe derer sie die Annexion von bereits abhängigen Gebieten und kleinen, noch unabhängigen Fürstentümern vorbereiteten und, sofern opportun, umsetzten. Doctrine of Lapse und Mismanagement Mit der „Doctrine of Lapse“ war die Erbfolge von Adoptivkindern gemeint, die die Briten nicht akzeptierten und zum Anlass für die Absetzung der Dynastie und Annexion des Territoriums nahmen. Mit „Mismanagement“ war die angeblich schlechte Verwaltung eines Staates gemeint, die der Bevölkerung schade. Zu ihrem Schutz musste eine solche Regierung abgesetzt und das Land annektiert, zumindest aber zeitweilig verwaltet werden. Nach britischer Auffassung war dies Bestandteil der selbst auferlegten und selbst legitimierenden Pflicht ihrer zivilisatorischen Mission.
Zu einer solch aggressiven Expansionspolitik konnten die Briten allerdings erst übergehen, nachdem sie in der europäischen Auseinandersetzung um eine globale Hegemonialstellung mit den erfolgreichen Kriegen auf der iberischen Halbinsel die Wende bei den Napoleonischen Kriegen eingeleitet und auf dem Wiener Kongress (1814/15) nicht nur das europäische Mächtegleichgewicht der Pentarchie wieder hergestellt, sondern danach auf den Weltmeeren die Pax Britannica als Friedensordnung ausgerufen hatten. Freilich bedeutete das nur „Frieden und Freiheit“ zu Wasser und eine damit verbundene liberale Freihandelspolitik, die jedoch zunehmend auf eine weltweite britische Interessenwahrung ausgerichtet wurde. Insgesamt legte die Pax Britannica den Grundstein für eine beispiellose kolonial-imperiale Expansionspolitik, die nicht nur, aber vor allem auf dem indischen Subkontinent verfolgt wurde. Darüber hinaus durchdrangen die Briten auch SüdostAsien und fielen schließlich mit dem „Opium-Krieg“ 1839–42 auch in China ein. Bengalisches Opium, dessen dramatisch wachsende Importe die chinesischen Behörden unterbinden wollten, war Ursache für den Waffengang. In Britisch-Indien sahen sich die Briten, wie zwei Jahrhunderte zuvor die Moguln, bei ihrer Expansion und Herrschaftskonsolidierung fortgesetztem Widerstand ausgesetzt. Gegen die neuen Machthaber gab es seit den ersten Jahren ihrer Herrschaft in Bengalen nahezu permanent Unruhen, die mit Terroraktionen gegen Bauerndörfer gewaltsam unterdrückt wurden. Zu Beginn der 1780er Jahren kam es zu einem Flächenbrand gegen die britische
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Britische Expansion und südasiatischer Widerstand Herrschaft in Bengalen, Bihar und Banaras, der nur mit äußerster Mühe bekämpft werden konnte. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts fanden in Hindustan Erhebungen allen Ortes statt. Besonders die harsche Steuerpolitik der Briten stellte immer wieder einen Grund für lokale Rebellionen dar, in deren Verlauf sich Bauern oft mit der örtlichen Elite wie den Zamindar oder Taluqdar verbanden. Aber auch die Demilitarisierung der Milizeinheiten und die Beraubung traditioneller Herrschaftsrechte wie der niederen Gerichtsbarkeit boten immer wieder Anlass zu lokalen Aufständen einzelner Klein-Könige und örtlicher Magnaten. In den 1820er Jahren trat zu der über die Maßen belastenden Steuerpolitik die Furcht vor einer tatsächlich stattfindenden kulturellen Überfremdung, die sich unter anderem an den wachsenden Aktivitäten protestantischer Missionare manifestierte. Dies ging einher mit höchst fragwürdigen Gesellschaftsreformen, die die Briten initiierten, denn sie wählten lediglich diejenigen Aspekte aus, an denen sie die angebliche Rückständigkeit und Unzivilisiertheit der indischen Gesellschaft festmachten, ohne dabei den kulturellen Kontext zu beachten. Das galt auch für die „Doctrine of Lapse“, die nicht nur geltendes Thronfolgerecht, sondern aus Geldgier auch Erbschaftsrechte durchaus absichtsvoll missachtete. Die Absetzung der Dynastie von Awadh wegen Misswirtschaft und die Annexion des Landes 1856 war eine der wesentlichen Ursachen für den Ausbruch des Befreiungskrieges im darauf folgenden Jahr. Obendrein hatte die Kolonialverwaltung kurz vor dem Aufstand eine massive Kürzung der Sold- und Rentenansprüche für ihre indischen Soldaten beschlossen, weshalb diese sich von einem sozialen Abstieg bedroht sahen. Kern der Erhebung war die Region zwischen Delhi und Lakhnau, den Residenzen des Mogul und des abgesetzten Nawab von Awadh. Der Aufstand wurde zwar von Soldaten ausgelöst – daher in der britischen Geschichtsschreibung bis in die jüngste Vergangenheit als „Mutiny“, als Meuterei bezeichnet –, indes schnell von Bauern, Großgrundbesitzern und Händlern getragen. Aus der Sicht Mogul Bahadur Shah II. (1837–58), um den sich die Aufständischen scharten, hatten jedoch die Briten den Staat bedroht, denn es waren tatsächlich sie, die das rajadharma, die gesellschaftlich-moralisch Ordnung des Mogul-Reiches missachteten. Politisch betrachtet war der Befreiungskrieg eine restaurative Bewegung, die in Delhi eine zunächst funktionsfähige Regierung mit dem Mogul an der Spitze etablierte. Gesellschaftlich gesehen gab es keinerlei Anzeichen für Reformen, und unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten versprachen sich nicht alle indischen Landbesitzer und Geschäftsleute einen Vorteil vom Ende des britischen Kolonialregimes, schließlich zählte man unter ihnen die meisten seiner Profiteure. Geschichtlich gesehen bedeutet der Befreiungskrieg in jedem Fall eine Zäsur, die den Übergang vom Imperium der Moguln zu dem der Briten markiert. In den ersten Monaten nach seinem Ausbruch im Mai 1857 drohte der indische Befreiungskrieg der britischen Kolonialherrschaft in Südasien ein Ende zu setzten. Dass dies nicht geschah, verhinderte im Wesentlichen die Loyalität der Sikh-Truppen im Panjab, die von den Briten nach der Annexion des Sikh-Rajatums in das britisch-indische Militär integriert worden waren und strategisch im Rücken der „Rebellen“ standen. Auch das rasche Eintref-
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internationale Grenze 1857 Kernregionen der militärischen Aktionen von indischen Aufständischen erobert, 1857 britischer Territorialerwerb bis 1797 1819 1857
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Britische Expansion und südasiatischer Widerstand fen von britischen Truppen in Calcutta sorgte für einen wirkungsvollen Gegenschlag. Auf Seiten der Befreiungstruppen war der Krieg von Anfang an recht unkoordiniert, was nebst Materialmangel und einer fehlenden politischen Vision letztlich dazu führte, dass die Briten noch im Laufe des Jahres 1857 die Oberhand gewannen. Furchtbar war die Rache der Sieger, die bisweilen die gesamte männliche Bevölkerung von Dörfern auf den bloßen Verdacht hin, sie hätten „Aufständischen“ Unterschlupf gewährt, summarisch exekutierte. Um dem selbst auferlegten Anspruch auf Rechtsstaatlichkeit Genüge zu tun, wurde dem gefangen gesetzten Mogul in seiner Funktion als Staatsoberhaupt und „Rädelsführer“ von einem britischen Tribunal erstmals in der Geschichte ein Hochverratsprozess gemacht, das ihn zum Exil in Rangun (Birma) verurteilte. Zweifelsohne sollte damit die zivilisatorische Überlegenheit des britischen Kolonialregimes gegenüber einem „orientalischen Despoten“ vor aller Welt demonstriert werden. Angesichts der von einem britischen Offizier kaltblütig erschossenen Söhne des Mogul war das bereits den indischen Zeitgenossen nur schwer zu vermitteln. „Moderne“ Rechtsstaatlichkeit war denn auch das Credo, mit dem die Briten ihre Herrschaft nach dem gescheiterten Befreiungskrieg zu konsolidieren versuchten. Am deutlichsten war das an der Verabschiedung des Indian Penal Code 1862 und anderer Rechtskodizes zu beobachten, die für ganz Britisch-Indien ein einheitliches Recht schufen, ohne Rücksicht auf nach wie vor bestehende regionale kulturelle Unterschiede, ganz zu schweigen von juristischen Gewohnheiten. Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert usurpierten die Briten allmählich die Rechtsprechung in den neu annektierten Territorien. Ihren Ausgang nahmen die „Reformen“ der Jurisdiktion in Bengalen. Im bereits erwähnten Cornwallis Code von 1793 fanden erstmals europäische Rechtsvorstellungen Eingang in die bengalisch-britische Rechtsprechung. Im 19. Jahrhundert lässt sich dann gerade bei der Entwicklung bis zum Penal Code die Durchsetzung römisch-rechtlicher Vorstellungen von Privateigentum finden, was sich besonders auf den Landmarkt auswirkte. Schon mit dem Cornwallis Code war festgelegt worden, dass bei Verzug der Steuerzahlung das Ackerland als nun gesetzlich definierter Grundbesitz in Höhe der Außenstände oder auch gesamt konfisziert und veräußert werden konnte. Ähnliches war auch beim Vertragsrecht zu beobachten, an dem den Briten sehr gelegen war, schließlich waren sie zu einem Großteil immer noch Agenten einer Handelsgesellschaft. Freilich wurde kein völlig neues Recht geschaffen, im Gegenteil. In vielen Bereichen setzten die Briten das geltende Recht, das ihrer Auffassung nach aus einem islamischen Kriminal- und Zivilrecht sowie einem hinduistischen Gewohnheitsrecht bestand, fort. Oftmals zogen sie lokale Rechtsgelehrte, Maulvis und Pandits, zur Urteilsfindung heran. Ziel der Reformen, wie sie dann ab den späten 1820er Jahren verfolgt wurden, war es, von eben diesen Rechtsinterpreten und deren Rechtsgutachten (Fatawa und Vyavasta) völlig unabhängig zu werden, was jedoch angesichts der Komplexität der Rechtslandschaft nicht in dem Maße wie angestrebt gelang. Auch nach 1862 mussten bei Gelegenheit noch Maulvis und Pandits herangezogen werden. Zugleich versuchten die britischen Justizreformer, die Brutalität des islami-
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Britisch-Indische Justiz
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British-Paramountcy und British Raj im 19. Jahrhundert
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Britisch-Indien als Kronkolonie
bengalischer Nationalismus
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schen Rechts zu mildern. In der Tat gab es einige Gesetze, die Verstümmelungen als Strafe vorschrieben. Allerdings war die Beweisführung bei einem Verbrechen, das eine Verstümmelung forderte, meist so kompliziert, dass es zu grausamen Bestrafungen wie Hand- oder Fußabschlagen nur selten kam. Hingegen waren die Briten nicht zimperlich, wenn es um die Verhängung der Todesstrafe ging, die in Britisch-Indien weitaus häufiger exekutiert wurde, als es unter der Jurisdiktion der Nawab und Raja der Fall gewesen war. Verfassungsrechtlich änderte sich die Lage nach 1858 nur insofern, als die EIC als koloniale Administrationsagentur abgeschafft und Britisch-Indien in eine Kronkolonie umgewandelt wurde. Die britischen Gesetzesakte, die 1772 und 1784 das Grundgesetz für die Territorien der EIC in Südasien schufen, blieben im Wesentlichen bestehen. Königin Victoria (reg. 1837–1901) wurde 1876 zur Kaiserin von Indien ausgerufen, und fortan trugen alle englischen Monarchen bis zum Ende der Kolonialherrschaft 1947 den Titel Queen-Empress bzw. King-Emperor. Es wundert deshalb nicht, dass der British Raj insgesamt sehr konservative Züge annahm. Wie in einer imaginierten und idealisierten mittelalterlichen Feudalgesellschaft wurden die indischen Monarchen, die nach der offiziellen Nomenklatur lediglich „Princes“, also Fürsten waren, in eine hierarchische Ordnung gebracht, deren Oberherrscher nun der englische Monarch war. Eigens geschaffene Orden und andere Ehrbezeugungen wie Umhänge und Titel zeitigten zunächst nicht den erhofften Erfolg. Erst um die Jahrhundertwende fügten sich die letzten indischen Herrscher widerwillig in die Ordnung ein. Um die Legitimation, zumindest aber einen gewissen Enthusiasmus für den British Raj, wie das britisch-indische Imperium nun auch genannt wurde, zu erzeugen, beschloss die britisch-indische Regierung, zu Ehren Victorias eine pompöse Proklamationsfeier auszurichten. Diese fand 1877 an symbolträchtigem Ort statt, in Delhi, der alten Residenz der Moguln. Gezielt wurde nicht Calcutta als Hauptsitz der englischen Kolonialverwaltung, sondern Delhi als repräsentativer Ort ausgewählt, um so auch die Rechtsnachfolge zu den Moguln im Rahmen eines Darbar nach eigenem Verständnis zu demonstrieren und zugleich die neue verfassungsrechtliche Ordnung zu visualisieren. Bei der Thronbesteigung der künftigen englischen Herrscher wurden diese imperialen Veranstaltungen wiederholt und perfektioniert. Doch weder der ausufernde Pomp noch die zunehmend martialisch inszenierten Großveranstaltungen erzeugten den gewünschten Enthusiasmus, geschweige denn, dass sie zur Steigerung der Herrschaftslegitimation beitrugen. Die Bevölkerung Delhis bezeichnete diese Feiern despektierlich aber durchaus treffend als Mela, zu Deutsch: Jahrmarkt. Die fehlende Legitimation des Kolonialregimes zeigte sich nicht nur in solchen Äußerungen, sondern manifestierte sich schließlich in einem aufkommenden Nationalismus. Den Anfang machten die Intellektuellen Bengalens, die meist in Calcutta lebten. Von hier erfolgte zu Beginn der 1880er Jahre der Aufruf des bengalischen Schriftstellers Bankimchandra Chattopadhyay (1838–94), die Bengalen mögen endlich ihre eigene Geschichte schreiben. Nicht, dass zu ihr nicht schon eine Reihe von Werken vorlag, doch bestanden sie nach Auffassung Bankimchandra Chattopadhyays aus einem Sammelsurium von Geschichten und Erzählungen ohne erkennbaren
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Wert. Eine durchaus ähnliche Entwicklung ist auf der westlichen Seite des südasiatischen Subkontinents zu beobachten, im heutigen Maharashtra, wo sich seit etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts Journalisten und Schriftsteller als Geschichtsschreiber betätigten und in dem von der lokalen Bevölkerung weithin verehrten Chatrapati Shivaji (1627–1680), dem Begründer der Maratha-Reichs, bereits die Führungsqualitäten der Politikergeneration eines künftig unabhängigen Indien verwirklicht sahen. Die Suche nach der indischen Nation fand folglich nicht bloß in Form eines Abklatschs zum britischen Kolonialismus statt, sie bediente sich vielmehr eigener patriotischer Traditionen, die sich nun sinnstiftend verwenden ließen.
Bengalischer Patriotismus Bankimchandra Chattopadhyay, Über die Geschichte von Bengalen (1882–83), in: Gottlob (Hg.), Historisches Denken im modernen Südasien, S. 222 f.
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Eine Nation mit historischer Erinnerung an ihren vergangenen Ruhm versucht, diesen Ruhm zu bewahren, und wenn er verloren gegangen ist, versucht sie ihn zurückzugewinnen. Die Erinnerung an Crécy und Azincourt hatte Blenheim und Waterloo zur Folge, Italien richtete sich nach seinem Niedergang wieder auf. Heutzutage wollen die Bengalen groß sein. Aber ach! Wo ist die historische Erinnerung an Bengalen. Eine Geschichte Bengalens muss her, anders werden aus den Bengalen keine vollständigen Wesen. Eine Person, die glaubt, dass ihre Vorfahren nichts Wertvolles erreicht haben, wird selbst nichts erreichen. Sie glaubt, dass dieser Defekt mit dem Blut vererbt worden ist. (…) Bengalen, die denken, ihre Vorfahren seien schwach gewesen, wertlos, ohne etwas zu erreichen, ohne Größe, erwarten von sich selbst nichts anderes, als schwach, wertlos und ohne Ruhm zu sein. Sie hoffen und streben nicht danach, viel mehr zu erreichen. Und ohne Anstrengung erreicht man nichts. Aber sind die Bengalen immer ohne Wert gewesen, schwach und ruhmlos? Die Eroberung Ganeshas, Chaitanyas Religion, Raghunatas, Gangadharas und Jagadishas Systeme der Logik, die Dichtung von Mukundadasa, Joydeva und Vidyapati – woher kamen sie? Es gibt viele andere wertlose und ruhmlose Nationen auf dieser Erde. Doch welche von ihnen hat uns eine solch große und dauerhafte Errungenschaft hinterlassen wie die hier genannten Werke? Meint ihr nicht, dass es eine wahre Substanz in der Geschichte Bengalens geben muss? (…) Es gibt keine Geschichte von Bengalen. Was als solche bezeichnet wird, ist nicht Geschichte. Es ist teils Dichtung, teils der Bericht über das Leben einiger wertloser Unterdrückter, die Ausländer waren und einer anderen Religion angehörten. Wir brauchen eine Geschichte von Bengalen, andernfalls gibt es keine Hoffnung für Bengalen. Aber wer wird sie schreiben? Ihr werdet sie schreiben, ich werde sie schreiben, alle werden diese Geschichte schreiben. Wer auch immer Bengale ist, wird sie schreiben.
Sprache und Raum schienen die beiden Triebkräfte des Nationalismus zu sein. Das galt auch für Orissa, das zwischen drei Verwaltungseinheiten aufgeteilt war, nämlich der Bengal Presidency, der Madras Presidency und den Central Provinces. Abgesehen davon befanden sich auch noch einige Oriya sprechende Bevölkerungsgruppen in benachbarten Fürstentümern. Bereits in den 1860er Jahren, also lange vor Bankimchandras Aufruf in Bengalen, setzte hier eine Nationalbewegung auf der Grundlage der gemeinsamen
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Sprache ein, die von der britischen Kolonialmacht die administrative Zusammenlegung der verschiedenen Landesteile in einer separaten Provinz Orissa forderte. Historisch konnte der Anspruch auf eine solche Eigenständigkeit ohne Weiteres auf das mittelalterliche Königreich Kalinga zurückgeführt werden. Obendrein sei Orissa, so die Argumente der Nationalisten, erst 1568 als Provinz in das Mogul-Reich integriert worden, weshalb das Land als ein Hort der Freiheit und der Unabhängigkeit in ganz Südasien zu verstehen sei. Deutlich sind hier erste anti-muslimische, aber auch anti-indisch-nationale Töne zu vernehmen. Offensichtlich reihten sich nicht alle nationalen Bewegungen in eine gesamtindische Nation ein. Ohnehin stellte sich innerhalb kurzer Zeit die Frage, wer oder was die indische Nation eigentlich konstituiere, denn viel leichter ließen sich „regionale“ Nationalbewegungen ins Leben rufen. Sie waren historisch wesentlich einfacher ableit- und konstruierbar, weil sie auf den Traditionen der kulturellen und historischen Regionen des Subkontinents basierten, innerhalb derer es immer wieder zu Prozessen der Staatsbildung gekommen war. Sie zeichneten sich durch langlebige staatliche Strukturen aus bzw. existierten in politischen und kulturellen Kontinuitäten. Die Identifikation mit einem wie auch immer gearteten gesamtindischen Staat war vor dem Hintergrund der regionalen Diversifikation nicht leicht herbeizuführen, ohne dabei die spezifischen kulturellen und historischen Charakteristika solcher Regionen zu übergehen. Betont wurde seitens der hindu-indischen Nationalisten deshalb immer stärker die großindische Tradition, die sich angeblich an einem wie auch immer gearteten Hindutum festmachen ließ. Erst in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts sollte der Durchbruch zu einer indischen Nation erfolgen, als Hindu-Hindi-Hindustan schließlich zum Schlachtruf der radikal-indischen Nationalisten wurde. Dessen Ursprünge liegen jedoch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die nordindischen Protagonisten einer Hindi-Nationalsprache bürdeten sich hier eine doppelte Pionierarbeit auf, nämlich einerseits nach Themen für eine Hindu-nationale Geschichte zu suchen und andererseits ein geeignetes sprachliches Medium wie das in Devanagri-Schrift geschriebene Hindi als nationale Sprache etablieren zu wollen. Wesentliche Vorarbeit dazu leistete der bedeutende Schriftsteller Bharatendu Harishchandra (1850–85), dessen publizistisches Werk dem bis in die 1860er Jahre als ungeschliffen und unreif charakterisierten Hindi die Basis für eine Literatursprache gab. Doch erst Mahavir Prasad Dvivedi (1864–1938) gelang es am Ende des 19. Jahrhunderts, Hindi als eine von umgangssprachlichen Formulierungen gereinigte und stilistisch durch grammatikalische Standardisierung sowie sanskritische Lehnwörter gehobene Sprache zu etablieren, mit der nun auch in Presse und Buch meinungsbildend im Sinne einer Hindu-Hindi-Nation gewirkt werden konnte. Unüberhörbar anti-muslimische Töne waren bereits in Bankimchandras historischen Romanen zu vernehmen, wenn sich Hindus heldenhaft gegen muslimische Invasoren zur Wehr setzten. Allzu leichtfertig hatte er in seinem Roman Anandamath (1882) die anfänglich wegen anti-britischer Handlung zensierte Version zu Ungunsten der Muslime abgeändert, um den Roman besser verkaufen zu können. Damit öffnete er jedoch in unver-
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Britische Expansion und südasiatischer Widerstand antwortlicher Weise der Religion die Tür zur Politik. Das aber war überhaupt Bankimchandras Ansinnen, freilich eher im Rahmen einer HinduEthik, was aus zahlreichen seiner Schriften hervorgeht. Auch Chatrapati Shivaji ließ sich bestens als Moslem-Hasser und Verteidiger des HinduGlaubens inszenieren, der sein Reich dem angeblich grausamen Mogul Aurangzeb abtrotzte. In diesem Fall instrumentalisierten Politiker und Geschichtsschreiber nun die Religion, um einerseits die politische Arena zu besetzen und um andererseits darin die Bevölkerung für ihre Sache, die Schaffung einer Hindu-Nation, zu mobilisieren. Sie bedienten sich der britisch-europäischen Wahrnehmung von südasiatischen Gesellschaften und riefen damit zugleich Geister, die die Politik in den Ländern Südasiens bis in die Gegenwart nicht wieder los geworden ist. Zur Inszenierung nationaler Identität schuf der Politiker Bal Gangadhar Tilak (1856–1920) einen regelrechten Shivaji-Kult, der 1896 mit Feierlichkeiten, patriotischen Gedichten, nationalen Reden und einem pathetischen Fackelzug abgehalten wurde. Parallel dazu sollte das Ganapati-Fest zu Ehren des indischen Gottes Ganesha, wie es in Maharashtra regional gefeiert wurde, an die Volksfrömmigkeit breiter Bevölkerungsschichten appellieren. Aus einem ehedem familiär begangenen Fest wurde in der popularisierten Form eine Massenveranstaltung, die nun auf kollektives Handeln abhob. Die Presse trug die Botschaft nach Maratha Desh, und binnen weniger Jahre fanden die Feiern dort in fast 70 Städten statt. Der zunehmend militante Ton der Ganapati-Feste veranlasste die Kolonialregierung, sie 1910 zu verbieten. Gleichwohl konnten während der kurzen Dauer der Festlichkeiten radikale Ideen verbreitet und vor allem die untere Mittelklasse von kleinen Staatsangestellten bis hin zu Handwerkern für national-hinduistische Ideen sensibilisiert werden. Allerdings war schnell ersichtlich, dass die Wirkung begrenzt war, und besonders die politische Klasse an der Dauerhaftigkeit der Agitation zweifelte. Deren Repräsentanten versammelten sich im 1885 gegründeten Indian National Congress (INC), der einmal jährlich in einer ausgewählten Stadt Britisch-Indiens tagte. Indian National Congress (INC) Der INC war eine reine Honoratiorenversammlung, die sich aus in Britisch-Indien und England ausgebildeten Rechtsanwälten, Richtern, Ärzten sowie indischen Großgrundbesitzern zusammensetzte. Mit seinen Resolutionen und Reformvorschlägen und der darin geäußerten konstruktiven Kritik arbeitete der INC der Kolonialregierung zu und wirkte dadurch systemstabilisierend.
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Indian National Congress
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Heftige Auseinandersetzungen entbrannten um den Kurs des INC, nachdem die britisch-indische Regierung auf Betreiben von Vizekönig Lord Curzon (1859–1925) die Provinz Bengalen 1905 hatte teilen lassen. Pläne dazu existierten seit den 1860er Jahren, denn die große Provinz wurde schon damals als verwaltungstechnisch unhandlich empfunden. Die Teilung entlang religiöser Scheidelinien schuf keinesfalls ein nur muslimisch majorisiertes Bengalen-Assam und ein hindu-majorisiertes Bihar-Westbengalen, denn in Konsequenz daraus erfolgte im Jahr 1906 die Gründung der All-India Muslim League als eine politische Organisation von Muslimen in Dhaka, der neuen Provinzhauptstadt Bengalen-Assams. Ein zweites Resultat dieser politischen
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Spaltung waren die separaten Wählerschaften, wie sie in der Verfassungsreform von 1909 festgeschrieben werden sollten. Statt mehr Stabilität trugen sie jedoch eine wachsende Gewaltbereitschaft in die Politik. Der politische Alleinvertretungsanspruch des INC war auf diese Art unterhöhlt worden, auch wenn sich die Mitglieder der Muslim League nicht unbedingt im Widerspruch zu seiner Politik sahen. Innerhalb des INC war jedoch die Frage, wie man sich angesichts der Teilung Bengalens gegenüber der britisch-indischen Regierung verhalten solle, gespalten. Das führte unter der Führung Bal G. Tilaks 1907 zur Sezession der Extremisten, die den Weg des terroristisch organisierten Widerstands einschlugen, während die Moderaten weiter mit der Kolonialmacht kooperierten und hierüber die Revision der Teilung suchten. An der Teilung Bengalens, die als Willkürakt der RajRegierung empfunden wurde und Höhepunkt des imperial-autokratischen Herrschaftsstils Curzons war, schärfte sich erstmals ein gesamtindischer Nationalismus. Die Swadeshi-Bewegung (swa = selbst; desh = Land) mit ihrem Boykott englischer Industriewaren, vor allem von Textilerzeugnissen, die stattdessen die Herstellung landeseigener Produkte forderte, schuf ein allgemeines Bewusstsein, das die bengalisch-indische Politik bis dahin nicht gekannt hatte und nun weit über Bengalen hinaus strahlte. Jetzt schlossen Südasiaten über konfessionelle und soziale Schranken hinweg als „Inder“ die politischen Reihen.
2. Südasiatische Waren und Arbeitskräfte auf dem Weltmarkt Im Agrarsektor setzten die Briten in den landwirtschaftlichen Kernregionen oftmals eine Revolution der Anbauverhältnisse in Gang. Die Landvermessungen und die daraus resultierenden hohen Steuersätze trugen dazu bei, dass Bauern sich gezwungen sahen, ihre besten Böden mit Nutz- statt mit Nahrungsfrüchten zu bestellen. Im nordindischen Ganges-Jamuna Doab, in Bengalen und im Süden des Subkontinents sowie, gegen Ende des 19. Jahrhunderts, auch im Panjab, förderten Briten und indische Kreditgeber zielstrebig den kommerziellen Anbau von Nutzfrüchten. „Cash crops“ wie Baumwolle, Indigo, Zuckerrohr und Jute, aber auch Reis und Weizen wurden verstärkt für die regionalen oder überregionalen Märkte angebaut und gezielt für einen gerade hierdurch entstehenden Weltmarkt von Rohstoffen produziert. Gujarat und das im Hinterland von Bombay gelegene Khandesh ist bekanntlich eigens wegen seines dort intensiv betriebenen Baumwollanbaus zu Beginn des 19. Jahrhunderts annektiert und anschließend systematisch zur exportorientierten Baumwollregion ausgebaut worden. Auf diese Art und Weise wurden Kultivierungsgrenzen permanent vorgeschoben. Allerdings traten bald die ersten Krisen dieser global ausgerichteten, kapitalintensiven Landwirtschaft auf. Zwischen 1825 und 1831 löste der Zusammenbruch des Indigo-Marktes in London den Bankrott der so genannten Agency Houses in Calcutta aus. Ihre Mitarbeiter hatten die hohen Kapitalbeträge bereit gestellt, die zum An-
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Südasiatische Waren und Arbeitskräfte auf dem Weltmarkt schluss der Agrarökonomie an den Weltmarkt notwendig waren. Die Krise zog sich bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts, als die Leidensfähigkeit der Bauern, die von den meist britischen Indigopflanzern zum erweiterten Anbau des „Färbemittels“ gezwungen wurden, um den Preisverfall auf dem Weltmarkt aufzufangen, zu Ende war. Während der „Blue Mutiny“ der Jahre 1859–62 säten die Bauern Bihars Reis statt Indigo und fochten ihre Sache vor den Kolonialgerichten bisweilen erfolgreich aus. Wie stark sich die einsetzende Globalisierung auf die kolonialen Produktionsverhältnisse auswirkte, zeigt die Umwandlung der Anbauflächen in Bengalen. Hier waren gegen Ende des 18. Jahrhunderts noch etwa 46 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche mit Reis bestellt, während auf ungefähr 20 Prozent Nutzfrüchte standen. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte sich das Verhältnis bei gestiegener Bevölkerung und kaum expandierenden Anbauflächen nahezu umgekehrt: 56 Prozent „cash crops“ gegenüber 26 Prozent Reis. Einer wachsenden Bevölkerung standen demnach immer weniger Nahrungsmittel zur Verfügung. Besonders gewinnträchtig war der Betrieb von Teeplantagen. Das Beispiel Ceylon zeigt, wie auch hier im Zuge der Globalisierung von einer in Monokultur angebauten Nutzpflanze, nämlich Kaffee, nach Vernichtung der Büsche durch Pilzbefall zu Beginn der 1880er Jahre binnen kurzer Zeit auf eine andere Nutzfrucht umgestellt werden konnte: Tee. Ursprünglich wurde Tee nur in China angebaut, dort auch fermentiert und über chinesische Agenten in Kanton vertrieben. Die EIC bezahlte den Tee zunächst mit ihren Steuereinnahmen aus Bengalen, substituierte jedoch das Edelmetall seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert mit Opium, das in Bihar prächtig gedieh und hier nun extensiv angebaut wurde. Nachdem es englischen Botanikern 1820 in Calcutta und London gelungen war, eine Teepflanze nicht nur zu identifizieren, sondern sie nach zwei Jahrzehnten weiteren Experimentierens auch zu kultivieren und zu verarbeiten, begannen britische Kapitalinvestoren seit den 1860er Jahren in Assam mit dem systematischen Anbau von Tee auf Plantagen; seit den 1890er Jahren dann auch auf Ceylon. Hier hatten die Holländer, die weite Teile der Insel bis 1810 beherrschten, den aus Java eingeführten Kaffeebusch durch ortsansässige Bauern pflanzen lassen. Die Briten stimulierten den Anbau weiter, so dass allein zwischen 1820 und 1824 die Exportzahlen von 539.662 Pfund Kaffee auf 1,213 Mio. Pfund hochschnellten. Seit den 1830er Jahren wurde der Kaffee dann kapitalintensiv und monokulturartig auf Plantagen angebaut, deren Flächen zwischen 1844 und 1847 fast verdoppelt wurden. Ebenso stark stiegen die Umsätze mit anscheinend sicheren Gewinnmargen, denn zwischen 1850 und 1869 fand nochmals eine Verdreifachung des Exports statt. Mit dem Pilzbefall brachen die Zahlen dann innerhalb weniger Jahre dramatisch ein: wurde 1880 Kaffee im Wert von £ 3,3 Mio. angebaut, waren es 1886 gerade noch £ 830.000. Angesichts dieser Einbußen suchten die britischen Plantagenbesitzer nach Ersatz und fanden ihn im Teebusch. Im Jahr 1883 standen Teebüsche auf 19.800 acre (1 acre = 4047 m2) Bergland, 1886 waren es schon 146.730 acre. Bis zu Beginn der 1890er Jahre kamen pro Jahr durchschnittlich 20.000 acre hinzu. Entsprechend rückläufig waren die Anbauflächen für Kaffeebüsche.
IV.
Ceylonesische Plantagenökonomie
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British-Paramountcy und British Raj im 19. Jahrhundert
IV.
Migration „indischer Kulis“
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Da die Teeblatt-Ernte arbeitsintensiver als die Kaffeebohnen-Ernte ist, mussten mit der Expansion der Tee-Anbauflächen zusätzliche Arbeitskräfte angeworben werden. Wander- und Saisonarbeit von Arbeitern aus dem südindischen Tamilnad und Kerala nach Ceylon existierte schon seit Jahrhunderten. Die saisonale Wanderung wurde von den an der Koromandel-Küste ansässigen Chettiyar-Händlern organisiert. An deren Stelle traten nun die Briten und organisierten die Arbeitskräfte mit Hilfe des ebenfalls lange etablierten Kangany-Systems, das aus einem Netz eigenständig arbeitender lokaler Anwerber zur finanziellen Abwicklung und Zuführung der Arbeitskräfte bestand. Zwischen 1839 und 1886 wanderten nahezu drei Millionen SüdinderInnen nach Ceylon, die die 200 km lange Wegstrecke von der Küste in die Bergregion zu Fuß zurücklegen mussten. Im selben Zeitraum verließen etwa 2,2 Millionen SaisonarbeiterInnen die Insel wieder. Die Differenz erklärt sich zum einen aus den teilweise im Hochland gebliebenen ArbeiterInnen, teilweise aber auch aus der hohen Zahl an Toten, die nach der Kräfte zehrenden Erntesaison den strapaziösen Rückmarsch nicht überlebten. Erst 1922 kam es zu einer bilateralen Regulierung der Migration zwischen den beiden britischen Kolonien, woraufhin die Zahl der SaisonarbeiterInnen drastisch zurückging. Die Organisation der global zusammenwachsenden Arbeitsmärkte, zumindest im Bereich der Plantagenwirtschaft, respektive der arbeitsteiligen Weltwirtschaft, war besonders in den 1830er Jahren ein Anliegen der Plantagenbesitzer und der Kolonialverwaltungen im gesamten britischen Imperium. Mit den englischen Gesetzgebungen zur Abschaffung des Sklavenhandels 1807 und 1811 sowie der Aufhebung der Sklaverei im Britischen Empire 1834 entstand das Problem eines akuten Arbeitskräftemangels. Statt dass, wie erhofft, die freigelassenen Sklaven als Lohnarbeiter auf den Plantagen um Arbeit suchten, zogen sie es vor, sich als Kleinbauern und Händler niederzulassen. Aufgrund der Erfahrungen, die französische Pflanzer auf Réunion, das seit 1810 als Mauritius zum Britischen Empire gehörte, mit der Anwerbung von südindischen Arbeitskräften gemacht hatten, schnürten zwischen 1839 und 1871 Vertreter der Pflanzerklasse in der Karibik und im Indischen Ozean, die britisch-indische Regierung, der Gouverneur von Mauritius und die imperiale Regierung in London Zug um Zug ein Gesetzespaket, das die Anwerbung, Verschiffung, Arbeitsleistung und Rückführung der Vertragsarbeiter regelte. Diese gesetzlichen Regulierungen wurden im Verlauf des 19. Jahrhunderts modifiziert und präzisiert. Damit beispielsweise die Plantagenarbeit in Assam überhaupt ein lohnenswertes Geschäft werden konnte, führte der britisch-indische Kolonialstaat in Analogie zum englischen Mutterland 1859 den Workman’s Breach of Contract Act ein. Er machte die Entlohnung unter den allgemein ortsüblichen Löhnen möglich, was bedeutete, dass sie gegebenenfalls unter dem Existenzminimum lagen. Stellten Plantageneigner den ArbeiterInnen Land zur Verfügung, waren diese gezwungen, dort zur eigenen Existenzsicherung in der arbeitsfreien Zeit Nahrungsmittel anzubauen. Weitere Gesetze billigten den Plantagenbesitzern eine disziplinarische Strafgewalt zu, die bis hin zu Auspeitschungen bei Verweigerung, Fernbleiben oder Flucht von der Arbeit reichen konnte und das Plantagensystem in die Nähe eines Gefängnisregimes rückte. Die Lockerung der
Südasiatische Waren und Arbeitskräfte auf dem Weltmarkt Transportbestimmungen nach Assam löste bei den Tee-ArbeiterInnen Widerstand aus, die unter anderem kollektiv die Plantagen verließen, so dass sich die Repräsentanten des Kolonialstaats und die Plantagenbesitzer zu einer konzilianteren Politik veranlasst sahen. Nachdem für die Vertragsarbeit auf den Plantageninseln in der Karibik und im Indischen Ozean die gesetzliche Grundlage 1842 geschaffen worden war, setzte eine gewaltige überseeische Migration von „Kulis“ ein, so die aus dem Tamil übernommene Bezeichnung für Arbeitsleute. Zwischen 1834, der ersten Anwerbung von indischen Arbeitskräften, und 1917, als die offizielle Rekrutierung von Kulis wegen allzu vieler Übergriffe sowie der vielfach unmenschlichen Arbeits- und Lebensbedingungen nach Agitation des INC eingestellt wurde – allerdings auch, weil die Kriegsnation England an der kolonialen Arbeiterfront Ruhe brauchte –, wanderten weit mehr als 30 Mio. InderInnen für ihre vertraglich vereinbarte Zeit von drei bis fünf Jahren aus. Im selben Zeitraum kehrten etwa 26 Mio. Arbeitskräfte wieder nach Südasien zurück, die Übrigen ließen sich auf den Inseln oder in Südafrika, Malaya, Ostafrika und dem holländischen Surinam nieder. Ungezählte starben an den Strapazen der Überfahrt, an den harschen Arbeitskonditionen sowie durch schlechte Versorgung. Es ist davon auszugehen, dass ein nicht weiter zu beziffernder Teil der indischen Migranten ihren Kontrakt auf der Plantage verlängerten oder sich aber nach einer Zeit zu Hause im Dorf für einen weiteren Zeitvertrag anwerben ließen. Folglich kehrten die weitaus meisten Kulis nach Ablauf ihrer zeitlich befristeten Arbeitsverträge wieder in ihre südasiatischen Heimatregionen zurück. Die wenigsten ArbeiterInnen waren Emigranten in dem Sinn, dass sie bei der Anwerbung tatsächlich auch an die Niederlassung im Arbeitsland dachten. Ihre Perspektive war nicht dorthin, sondern auf die ökonomische und soziale Verbesserung in der heimischen Dorfgesellschaft ausgerichtet. Diejenigen, die sich mehrfach anwerben ließen, werden auch als Zirkulanten bezeichnet, vor allem wenn man bedenkt, dass aus den einschlägigen Anwerbungsregionen Südindiens und Bihars oft mehrere Mitglieder eines Familienverbandes oder eines Dorfes auf einer überseeischen Plantage arbeiteten, und ein Teil einer solchen Dorfgesellschaft sich demnach in einem permanenten Arbeitskreislauf befand, der auf Migration beruhte. Diejenigen Inder und Inderinnen, die sich in Übersee niederließen, stellten dort auf manchen Inseln im Verlauf von Jahrzehnten die Mehrheit der Bevölkerung. Das gilt für Mauritius ebenso wie für Trinidad, wo bis 1917 mehr als 450.000, respektive knapp 144.000 InderInnen geblieben waren. In anderen Kolonien, so in Fiji mit über 65.000 oder in Britisch Guiana, das gemeinhin als Demarara bekannt war, mit fast 240.000 InderInnen, bildeten sie eine bedeutende Minderheiten. Ebenso in Südafrika, wo Mohandas K. Gandhi – der erst ab 1930 Mahatma genannt wurde – als Rechtsanwalt für indische Mandanten, die sich als Händler und Kaufleute unter anderem zur Versorgung der indischen Kulis mit heimischen Gebrauchsgütern niedergelassen hatten, eine bescheidene Karriere begann, ehe er sich als Widerständler gegen ungerechte Gesetze der südafrikanischen Kolonie einen großen Namen machte. Zu einer Integration der verschiedenen Bevölkerungsgruppen, auch der südasiatischen Immigranten untereinander, kam es indes
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Migration und Zirkulation
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Exporthandel
Industrialisierung
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nicht. Vielmehr entstanden guppenorientierte Parallelgesellschaften, was eine spezifisch „trinidadische“ oder „südafrikanische“ Identität im Sinn einer „nationalen Volkskultur“ verhinderte. Das war durchaus im Interesse der plantokratischen Kolonialregime, die trans-ethnische Fraternisationen und die mögliche Formierung einer Widerstandsfront stets (und zu Recht) fürchteten. Auf dem indischen Subkontinent selbst waren Saisonarbeit und temporäre Wanderschaft keine Erscheinung des 19. Jahrhunderts. Sie sind auch nicht durch das Kolonialregime verursacht worden. In zahlreichen Regionen Südasiens gab es stets landlose Bauern, die ihr existenzielles Auskommen nach der eigenen Ernte in benachbarten Regionen suchen mussten. Allerdings ist zu beobachten, dass mit der Erhöhung der Landsteuer und ihrer rigiden Eintreibung durch den britisch-indischen Fiskus im Verlauf des 19. Jahrhunderts die Zahl der verschuldeten und enteigneten Bauern wuchs und so ein ländliches Proletariat entstand, das außer seiner Arbeitskraft nichts mehr zu Markte tragen konnte. Verstärkt suchten Bauern in den ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts rapide wachsenden Industriestädten nach Arbeit. In Bombay, Ahmedabad, in Kanpur und Calcutta entstanden Textil und Leder verarbeitende Industrien. Aufgebaut wurden sie mit überwiegend britischem Kapital, indische Investoren trugen jedoch in erheblichem Maße zum Aufbau der Baumwollindustrie in Bombay bei. Die langfristigen Folgen dieser Einbindung Indiens in den Weltmarkt zeigten sich einerseits in der Transformation der subkontinentalen Migrationsrichtungen, sei es in den landwirtschaftlichen Regionen mit Nutzfruchtanbau, sei es in den wachsenden Industriezentren, andererseits in der Transformation der Handelsrichtungen, die jetzt verstärkt exportorientiert und auf die großen kolonialen Hafenstädte Bombay, Karachi, Calcutta und Madras ausgerichtet waren. Zwischen 1814 und 1854 wuchs der Außenhandel Britisch-Indiens von knapp 70 auf über 180 Mio. Rupien. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts stieg der Export allein zwischen 1868 und 1886 von gut 500 auf fast 900 Mio. Rupien. Zahlen zu einzelnen Gütern verdeutlichen den immensen Zuwachs. So stieg der Wert der Exporte bei Baumwolle von 137 auf 201 Mio. Rupien, der der Rohjute von 34 auf 154 Mio. Rupien, der der Juteprodukte von fünf auf 124 Mio. Rupien, der des Tees von 22 auf 94 und der von Reis von 60 auf 176 Mio. Rupien. Über den Hafen Calcutta wurden die meisten Waren exportiert, deren Wert im Zeitraum 1871–1911 von 241 Mio. auf 924 Mio. Rupien wuchs, in Bombay von 67 auf 240, in Madras von 221 auf 580 und in Karachi von elf auf 240 Mio. Rupien. Zur selben Zeit etablierten die Briten den Hafen von Colombo als „Kohlebunker“ für ihre wachsende Flotte an Dampfschiffen im Indischen Ozean. Solch drastisch steigende Zahlen für den Warenumschlag, der nur in den britisch dominierten Hafenstädten Südasiens zu verzeichnen war, verdeutlichen, wie deformatorisch die Kolonialherrschaft allein im ökonomischen Bereich wirkte. Das zeigte sich dann in verstärktem Maße im Zuge der Industrialisierung. Während der Kolonialzeit fand sie eigentlich nur in den bereits erwähnten Städten Bombay, Ahmedabad, Kanpur und Calcutta statt. Die von den Briten systematisch aufgebaute Leder verarbeitende Industrie Kanpurs avancierte schließlich zum Hauptlieferanten aller britischen Truppen im asiatischen und ost-afrikanischen Raum. Ahmadabad in Gujarat so-
Südasiatische Waren und Arbeitskräfte auf dem Weltmarkt wie das südlich gelegene Bombay wurden zu Baumwolle verarbeitenden Zentren entwickelt, während in Calcutta fast ausschließlich schottische Investoren am Aufbau der dortigen Jute verarbeitenden Industrie beteiligt waren. Allein in Bombay stieg die Zahl der Fabriken zwischen 1875 und 1919 von 47 auf 258 und die der beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen von etwa 60.000 auf fast 300.000. Für Calcutta sehen die Daten ähnlich aus, denn hier stieg zwischen 1854 und 1919 die Anzahl der Fabriken von einer auf 76 und die der Arbeiterschaft von knapp 50.000 auf 275.000 Menschen. Zusammen erwirtschafteten die beiden Industrieregionen zwei Drittel der gesamten Industrieproduktion Britisch-Indiens. Das restliche Drittel fiel auf das Stahlwerk Jamshedji Tatas (1839–1904), des Begründers der indischen Industrialisierung, das er zu Beginn des 20. Jahrhunderts im südlichen Bihar errichten ließ. Bald wurde die Tata Iron and Steel Company (TISCO) zum nationalen Fanal einer eigenständig indischen Industrialisierung im Sinne der Swadeshi-Bewegung stilisiert. Ein weiterer Beleg für die asymmetrischen Wirtschaftsbeziehungen, die eine bisweilen systematisch betriebene Entwicklung zur Unterentwicklung war, ist in Bezug auf den Eisenbahnbau festzustellen. Hier blieb der so genannte Lokomotiv-Effekt aus, womit der Nachzug von Industrie und Gewerbe entlang der Schienenstränge gemeint ist. Da die Briten jedoch keinerlei Technologietransfer zuließen – unter anderem sämtliches zu verlegendes wie rollendes Material aus Großbritannien importiert wurde – und die Ausbildung von Südasiaten zu Maschinisten nur auf der Ebene von Hilfspersonal praktiziert wurde, übte dieser wichtige Industriesektor kaum Einfluss auf die indische, und gar keinen auf die ceylonesische Industrialisierung aus. Analog zum fehlenden Technologietransfer erfolgte mit dem „modernen“ Bildungssystem, das die Briten ab der Mitte des 19. Jahrhunderts allmählich einführten, die einseitige Förderung von Personal, das dem Kolonialstaat dienlich sein sollte. Missions- und Regierungsschulen ersetzten in nur geringem Ausmaß die alten Elementarschulen Patshala und Maktab sowie die weiterführenden Tol respektive Madrasa. Neue Curricula sorgten für neue Bildungsinhalte wie englische Literatur sowie antike europäische und neuzeitlich britische Geschichte, die die Geschichte Südasiens derjenigen Europas unterordnete. Die Universitäten von Bombay, Calcutta und Madras, alle 1857 gegründet, gefolgt von der Lahore University 1882 und der Allahabad University 1887, waren im Grunde nichts anderes als reine Examinierungsanstalten. Unterrichtet wurde an den zugeordneten Colleges, wo der Fächerkanon ebenfalls sehr beschränkt war. Jurisprudenz und Medizin bildeten das Rückgrat des universitären Bildungsangebots. Allerdings zeigen die Abschlusszahlen von 1920, dass die europäische Medizin mit 1.000 Ärzten im höheren und 4.000 im niederen medizinischen Dienst eine eher insulare Erscheinung in den Städten Britisch-Indiens blieb und die Mehrheit der Bevölkerung nach wie vor Ayurveda oder Yunani bevorzugte bzw. sich nur diese ärztliche Versorgung leisten konnte. Naturwissenschaftlich-technische Fächer wurden erst nach 1868 angeboten. Ausbildungen in dieser Hinsicht waren freilich nur auf der unteren Ebene möglich, was sich unter anderem an den aufkommenden Forstwissenschaften zeigte, deren Führungspersonal aus Europa stammte, während
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Bildungswesen
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die Inder ausschließlich subalterne Posten einnahmen. Wenn überhaupt, wurde auf südasiatisches Wissen nur sporadisch zurückgegriffen, so bei der Konstruktion von Kanälen und Dammanlagen. Die Zahl der indischen Angestellten im Public Works Department im Jahr 1879 verdeutlicht den eklatanten Ausbildungsmissstand: Auf den 72 Führungspositionen war kein Inder anzutreffen, nur neun von 516 leitenden Ingenieuren waren Inder, wohingegen fast 500 der 768 Aufseher Inder waren. Graduiertenausbildung und Forschung wurde erst mit dem Universitätsgesetz von 1904 eingeführt. Wenig verwunderlich, dass bereits 1876 die Indian Association for Cultivation of Sciences gegründet wurde, die die Nationalisierung der Wissenschaften und Bildungsinstitutionen forderte. Noch vor der Jahrhundertwende zeichnete sich ein bildungspolitisches Dilemma ab. Trotz der mangelnden Bildungsmöglichkeiten produzierten die britischen Universitäten zu viele Akademiker, die auf dem begrenzten Arbeitsmarkt immer weniger Chancen besaßen, in adäquaten Berufsfeldern Arbeit zu finden. In ihrer Not engagierten sich arbeitslose Rechtsanwälte in der Politik, was wiederum die Briten beunruhigte. Auf den Mangel an Bildungsmöglichkeiten und die gleichzeitige Akademikerschwemme, ein typisch koloniales Paradoxon, reagierten die Inder in doppelter Weise. Zum einen entwarfen sie ein nationales Schulsystem, dessen prominentestes Zeugnis der 1902 gegründete Gurukul Kangri in Hardwar am Fuße des Himalaya war. Äußerlich zwar an die Patshala angelehnt, glich die Bildungsinstitution jedoch eher der elitären englischen Public School und sollte eine nicht minder elitäre hindu-nationale Elite heranziehen. Curricular war die Schule eine Kreuzung von südasiatischen und europäischen Bildungsinhalten, was sich besonders an der Einführung naturwissenschaftlicher Fächer zeigte. In ähnlicher Weise engagierten sich übrigens auch einige indische Monarchen, wenn sie in ihren Staaten Bildungseinrichtungen mit einem gemischten Curriculum finanziell und materiell förderten. Zum anderen gründeten national gesinnte Politiker im Zuge der Swadeshi-Bewegung, die durch das eben erwähnte Universitätsgesetz massiven Zulauf unter den Studenten erhielt, den National Council for Education (NCE), der binnen kurzem eine Technische Hochschule ins Leben rief. Da die Briten die Abschlüsse nicht anerkannten, besaßen ihre Absolventen von vornherein keine Chancen auf dem Arbeitsmarkt, so dass die erste unabhängige Hochschule mit dem Ende der Swadeshi-Bewegung nach 1908 ebenfalls zugrunde ging. Zur materiellen Ausbeutung und zum mangelnden Wissenstransfer kam folglich die gezielte Unterentwicklung der geistigwissenschaftlichen Fähigkeiten, ebenfalls ein Ausdruck der asymmetrischen Herrschaftsbeziehungen zwischen Großbritannien und Südasien. Ebenfalls bezeichnend für das koloniale Verhältnis ist die Konzentration der universitären Bildungsinstitutionen auf zunächst lächerliche fünf Großstädte, darunter die drei britisch-indischen Metropolen Bombay, Calcutta und Madras, was dazu führte, dass die gesellschaftlichen und politischen Widersprüche gerade im urbanen Bereich besonders spürbar waren. Die kolonial bedingte Asymmetrie schlug sich sichtbar in der gesamten Stadtentwicklung nieder, mit Folgen, die bis in die Gegenwart hinein unübersehbar sind. Die Republik Indien gehört am Beginn des 21. Jahrhunderts zu den Ländern, in denen eine immer noch ungleichmäßige Wirt-
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Koloniale Urbanisierung
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schaftsentwicklung stattfindet, was sich auch im Paradoxon der indischen Urbanisierung widerspiegelt. Beim Volkszensus 2001 lagen in der Indischen Union drei der sieben Megastädte dieser Erde, doch während weltweit knapp die Hälfte aller Menschen in Städten lebt, sind es in Indien nicht einmal 30 Prozent. Nicht nur in den Industrieregionen der Erde, auch in den Ländern Lateinamerikas und in China liegt die Urbanisierungsrate weit höher. Andererseits ist der Anteil der Megastädte gemessen an der gesamten städtischen Bevölkerung wesentlich größer als in allen anderen Ländern der Welt. Die Ursachen für diese Asymmetrie sind in der historischen Entwicklung dieser Städte und in der Urbanisierungsgeschichte Südasiens zu suchen.
3. Koloniale Urbanisierung und die Vernachlässigung der südasiatischen Stadt Bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts ist vor allem in Nordindien noch ein bescheidenes Wachstum einiger mittlerer und größerer Städte zu verzeichnen. Auch entstanden neue wirtschaftliche Zentren, die überregionale Märkte integrierten. Aus unterschiedlichen Gründen setzte dann ab etwa den 1830er Jahren ein allgemein zu beobachtender Niedergang der Städte in Britisch-Indien ein. Zum einen hing dieser Niedergang, der am demografischen Schwund ablesbar war, mit dem rapiden Wachstum der wenigen neuen Industriezentren zusammen. Die neuen Industriemetropolen Bombay, Ahmedabad und Calcutta zogen nicht nur Menschen vom Land, sondern auch aus anderen Städten an. Zum zweiten aber bedeutete der wachsende Import britischer Fertigwaren, dass zahlreiche in britischindischen Städten angesiedelte Gewerbe nicht mehr konkurrenzfähig waren. Oftmals konnten diese, wenn die Städte an das wachsende Eisenbahnnetz angeschlossen wurden, dem Druck der Importe nicht standhalten. Lakhnau ist das traurigste Beispiel eines solchen demografischen wie ökonomischen Niedergangs. Einige wenige Gewerbe, darunter Goldwirkerei, Lederverarbeitung, Teppichknüpferei und Messingutensilien, konnten indes auch unter den kolonialen Wirtschaftsbedingungen überleben, freilich nur deshalb, weil sich das Kolonialregime für diese Erzeugnisse nicht interessierte. Die rapide fortschreitende Industrialisierung war wie in anderen Industrieregionen der Welt auch an das rapide Wachstum einzelner Großstädte gekoppelt, eine Entwicklung, die mit Urbanisierung bezeichnet wird und mit der ganz spezifische Probleme verbunden sind. So tauchte mit dem permanenten Zuzug von Arbeitsuchenden unweigerlich das Problem des ausreichenden Wohnraumes auf. Hinzu traten schnell Fragen der städtischen Wasserversorgung und der Entsorgung von Abwässern und Fäkalien, kurz: das Problem der städtischen Hygiene. Nicht, dass solche Fragen seit Langem viele städtische Gremien dieser Welt beschäftigt hätten, doch mit der Urbanisierung traten diese Probleme in den Vordergrund. Das galt ganz be-
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Bombay
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sonders für die britisch-indischen Städte Calcutta und Bombay. Allein in Bombay wuchs die Bevölkerung von etwa 180.000 Einwohnern im Jahr 1814 auf fast 1,2 Mio. im Jahr 1921. Fast Gleiches ist für Calcutta zu beobachten, wo die Einwohnerzahl von ebenfalls 180.000 im Jahr 1821 auf über eine Million im Jahr 1921 anstieg. Beachtenswert ist, dass das Wachstum der Bevölkerung in beiden Städten bereits vor der Industrialisierung einsetzte, so dass auch Faktoren wie der zunehmende Handel als Grund für den frühen Zuzug von Menschen ausschlaggebend gewesen sein müssen. Mit dem Brand Bombays 1803 hätte sich die Chance ergeben, die Stadt nach den neuesten Erkenntnissen des Städtebaus zu errichten. Doch blieben die planvollen Wiederaufbaumaßnahmen auf die Wohnviertel der Europäer und der wohlhabenden Inder beschränkt, deren großflächige Grundstücke im Vergleich zur immer dichter werdenden Bebauung in den rein indischen Stadtvierteln ins Auge stachen. Im Vergleich zu London, eine der damals weltweit größten Stadt, lebten in Bombay siebenmal mehr Menschen auf derselben Fläche. Die Verdichtung des Wohnraums wird noch deutlicher, bedenkt man, dass 37 Prozent der Einwohner Bombays auf vier Prozent der städtischen Fläche wohnten. Diese Stadtviertel lagen in der Senke der Stadt, die sich aus den aufgeschütteten sieben Inseln Bombays ergeben hatte und eine der primären Ursachen für die katastrophalen hygienischen Verhältnisse war. Zwar begann man 1845 mit dem Bau von Trinkwassersystemen, die aber konnten wegen technischer und finanzieller Schwierigkeiten erst Ende des Jahrhunderts vollständig in Betrieb genommen werden. Aufgrund der fehlenden Drainage ertrank Bombay bald in seinen Abwässern. So wundert es wenig, dass nach der Pestepidemie von 1896 zwischen 1904 und 1912 die Sterblichkeitsrate noch immer bei exorbitanten 35 bis 60 Prozent der mit Seuchenkrankheiten Infizierten lag und der Stadt weltweit der Ruf eines Seuchenherdes vorauseilte. Bereits die Internationale Gesundheitskonferenz von Konstantinopel hatte 1867 Bombay zu einem Krankheitsherd erklärt. Mit dem Ausbruch und der Verbreitung der Pest 1896 manifestierte sich der schlechte Ruf endgültig. Aber nicht nur Bombay galt als Seuchenherd, das traf auch auf Calcutta zu. Diese Stadt hatte sich den Ruf zugezogen, Ursprungs- und Verbreitungsort der Cholera zu sein. Tatsächlich war die Cholera weltweit bis in das zweite Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts in Bengalen endemisch. Epidemisch trat sie erstmals zwischen 1818 und 1823 auf und erreichte 1832 zum ersten Mal pandemische Dimensionen. Dass Calcutta als internationale Hafenstadt ebenso in die Schusslinie der europäischen Gesundheitspolitiker geriet wie Bombay, ist daher leicht nachzuvollziehen. In den britisch-indischen Hafenstädten, die unter der unmittelbaren Kontrolle des Kolonialregimes standen, wurde der europäische Hygienediskurs einerseits in eine klimatisch und geologisch fremde Umwelt übertragen, mit katastrophalen Folgen für die städtischen Entwicklungen, auch deshalb, weil sie oft auf die von Europäern bewohnten Stadtviertel beschränkt blieben. Andererseits diente Stadthygiene den herrschenden Klassen, wie in den europäischen und anderen Metropolen der Welt auch, zur Sozialdisziplinierung des wachsenden und für unruhig und unzivilisiert erachteten Proletariats. Nicht nur die gesundheitlichen Probleme mussten mit Hilfe einer effizienten Verwaltung – den Anspruch, eine solche zu leiten, erhoben
Die Vernetzung des südasiatischen Subkontinents
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die Briten in Indien aus herrschaftslegitimatorischen Gründen allemal – in den Griff bekommen werden, sondern zugleich sollten die sozialen Probleme einer sich wandelnden städtischen Gesellschaft gelöst werden. Im Gegensatz dazu blieben die kaum 300 indischen Städte, denen die britische Administration eine bescheidene Munizipalverfassung zugestanden hatte, die sie freilich am finanziellen Gängelband der Provinzregierungen hielt, wie die meisten anderen südasiatischen Städte bis weit ins 20. Jahrhundert unbeachtet und über die Maßen dreckig und dunkel.
4. Die Vernetzung des südasiatischen Subkontinents Neben der sporadischen, einseitigen oder partiellen Ausstattung südasiatischer Städte mit Technologien wie Trinkwasserversorgung und Kanalisation trug auch der Transfer der neuesten technologischen Errungenschaften wie Kanalbau, Eisenbahnen und Telegrafie zur wirtschaftlichen wie kulturellen Deformation des Landes bei. Mit dem Kanalbau verbanden die Briten in Indien seit den 1830er Jahren den eigenen, sichtbar gemachten zivilisatorischen Fortschritt, für den sich der „Modernisierer“ und Generalgouverneur Lord Bentinck (amt. 1828–35) stark machte. Gigantische Kanalprojekte durchzogen im fortschreitenden 19. Jahrhundert die agrarischen Regionen Süd-, Ost- und Nordindiens, um so die Launenhaftigkeit des Monsuns mit seinen unregelmäßigen Niederschlägen in geordnete Bahnen zu lenken und die Nahrungsversorgung der Bevölkerung, in jedem Fall aber die Steuereinnahmen des Staates zu sichern. Bis 1920 waren 3.000 km Haupt- und mehr als 20.000 km Seitenkanäle fertig gestellt. Allerdings durchzogen die neuen Kanalkonstruktionen meist die alten Agrarregionen, trugen also nur zu einer Intensivierung, nicht aber zur Extensivierung der Landwirtschaft bei. Der intensiv betriebene Ackerbau hatte wiederum zur Folge, dass viele Böden aufgrund ihrer geologischen Beschaffenheit und der ökologisch-klimatischen Bedingungen schnell auslaugten oder versalzten. In Nordindien waren davon zwischen Lahore und Calcutta schätzungsweise zehn Prozent der agrarischen Nutzflächen betroffen. Die Misere der Modernisierung war besonders in Nordindien und schließlich im Panjab zu beobachten. Auf den Plateaus zwischen den fünf Strömen des Panjab siedelten die Briten seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert ihr pensioniertes indisches Militärpersonal im Rahmen eines inneren Kolonisationsprogramms an. Aufgrund der Bodenbeschaffenheit traten bald großflächige Versalzungen auf. Abgesehen davon versumpften in den Regionen mit Bewässerungsfeldbau mangels Drainageanlagen agrarische Nutzflächen. Hinzu trat das Problem der Malaria, wenn sich die die Krankheit übertragenden Mückenlarven nun stark in den stehenden Wasserflächen vermehrten. Kaum dass die ersten Kanäle in Betrieb genommen worden waren, stiegen im Panjab die Malariainfektionen in den Jahren 1876, 1878, 1892 und 1908 sprunghaft an. Die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion durch moderne Technologie war folglich eine zweischneidige Angelegenheit.
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British-Paramountcy und British Raj im 19. Jahrhundert
IV. Eisenbahnbau
Telegrafie
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Das galt auch für den Eisenbahnbau. Erneut ist zu beobachten, dass die Briten lediglich die bestehenden infrastrukturellen Netzwerke durch den Verlauf des Schienennetzes ersetzten, zum anderen aber durch die Ausrichtung dieses Netzes auf die großen Hafenstädte die Warenströme dorthin lenkten, so dass ein englischer Zeitgenosse treffend feststellte, das Eisenbahnnetz Indiens sei die bloße Verlängerung dessen von Lancashire, womit die unmittelbare Anlieferung von Baumwolle von den Feldern Gujarats in die Fabriken Manchesters gemeint war. An einen Technologietransfer war beim Eisenbahnbau, wie gesehen, ohnehin nicht gedacht. Und statt des „Lokomotiveffekts“ in Bezug auf Gewerbe und Industrien breiteten sich entlang der Schienenstränge wie bei den Kanalanlagen Krankheiten wie Cholera und Malaria aus und gelangten so in Regionen, in denen sie bisher nicht aufgetreten waren. Auch hier ergibt sich ein recht zwiespältiges Bild, eines, das belegt, dass Modernisierung nicht immer Fortschritt bedeutet. Der Aufbau des Telegrafensystems und die telekommunikative An- und Einbindung des British Raj in das British Empire war ein weltweit kaum beachtetes Ereignis. An dieser Wahrnehmungsstille, die im Unterschied zur lautstarken und weithin sichtbaren Eisenbahn von der geräuschlosen Technik selbst ausgehen mag, arbeitete jedoch auch der imperiale britische Staat selbst. Dessen Interesse war aus Sicherheitserwägungen ganz auf den telegrafischen Verbund seines Kolonialreiches ausgerichtet. Ganz anders hingegen die transatlantische Telegrafenverbindung: Sie erfuhr durch die Sensationspresse eine immense Öffentlichkeit. Tatsächlich aber verband das erste funktionierende Unterwasserkabel 1865, ein Jahr vor dem ersten transatlantischen, den indischen Subkontinent über den Persischen Golf und von dort über den Land- und Meeresweg mit London. Abgesehen davon erfand parallel zu Samuel Morse William O’Shaughnessy in Calcutta ein Telegrafiesystem und verlegte schon in den 1840er Jahren ein isoliertes Unterwasserkabel. Während in Großbritannien und den USA Privatunternehmen schnell den Nutzen des neuen Kommunikationssystems erkannten und für eine landesweite Installation plädierten, staatliche Institutionen dagegen ziemlich zögerlich reagierten, trieb in Britisch-Indien gerade der Staat den Bau der Telegrafenleitungen voran. Hier war es vor allem der begeisterte „Technikfreund“ und Generalgouverneur Lord Dalhousie (amt. 1848–56), der parallel zum Eisenbahnbau den zügigen Ausbau eines subkontinentalen Telegrafennetzes anstrengte, nachdem er den Nutzen der wenigen Leitungen im Krieg gegen Birma 1852–54 erkannt hatte. Schon 1855 existierte ein rudimentäres Leitungssystem, das von Calcutta das gesamte Ganges-Tal über den Panjab hinauf bis nach Peshawar reichte, einen Abzweig in der Höhe Agras Richtung Bombay besaß und von dort quer über das südindische Hochplateau weiter nach Madras führte. Bei der Routenplanung standen ausschließlich militärische Interessen im Vordergrund, die meist an den bestehenden Eisenbahnlinien orientiert waren. Der Erfolg des rudimentären Netzes sollte sich unmittelbar einstellen, denn mit Ausbruch des indischen Befreiungskrieges 1857 besaßen die Briten einen erheblichen kommunikationstechnischen Vorsprung, den die „Rebellen“ nie aufholen konnten, weil sie nicht in der Lage waren, das System zu bedienen.
Die Vernetzung des südasiatischen Subkontinents
Briefauszüge des Generalgouverneurs Lord Dalhousie, 30. März 1854 und 5. Februar 1855 in: J. G. A. Baird (Hg.), Private Letters of the Marquess of Dalhousie, Edinburgh and London 1910, S. 293 und S. 336 f.
IV.
Q
Vor fünf Tagen habe ich eine Nachricht aus Agra erhalten – 800 Meilen entfernt –, übertragen in 1 Stunde und 50 Minuten! und vor ein paar Minuten habe ich die Hauptnachrichten Ihrer Post vom 24. Februar über Bombay erhalten. In kurzer Zeit werden wir die Telegrafenlinie nach Bombay fertigstellen, und so in ein paar Monaten die Kommunikation mit England von fünfunddreißig auf sechsundzwanzig Tage verringern. Die Konsequenzen in Krieg und Frieden sind jenseits aller Berechnungen. Ich habe die Nachricht aus Agra mit einer zweiten beantwortet, mit dem Inhalt, dass es einen doppelten Monatslohn geben wird für den Monat, in dem die Verbindung nach Agra fertig war. In ganz Indien wird der Rest (der Arbeiter) wie Elefanten arbeiten in der Hoffnung auf das gleiche Trinkgeld. (…) Gestern wurde die Bengal Eisenbahn auf einer Länge von 122 Meilen eröffnet. (…) Zwei Tage zuvor wurde die Telegrafenleitung von Calcutta nach Bombay, nach Madras, und nach Attock am Indus der Öffentlichkeit übergeben. (…) Nun haben wir 3.050 Meilen zur Verfügung. Vor einem Monat benötigte die direkte Verbindung von Calcutta nach Madras noch zwölf Tage, gestern brauchte die Kommunikation nach Bombay und zurück zwei Stunden. Ich darf nochmals fragen: sind wir hier draußen wirklich so lahme Schnecken?
Hatte der Kolonialstaat bei der Installation der Telegrafie strategische Sicherheitsinteressen im Sinn, so nutzten, nachdem das Netz bereits 1855 für private Zwecke freigegeben worden war, indische Kaufleute, Händler, Unternehmer, Journalisten und Aktienbesitzer das neue Medium so intensiv, dass bereits 1859 mehr als zwei Drittel aller Telegramme von Privatpersonen aufgegeben wurden. Bald zeigte sich auch bei der Telegrafie die Zweiteilung der kolonialen Gesellschaft, da Indern der Zugang zur Technik durch die Lage der Telegrafenämter in den europäischen Wohnvierteln erschwert war. Umgekehrt stiegen die Zustellgebühren proportional zur Distanz. Benutzten Briten das Telegrafennetz zur subkontinentalen und interkontinentalen Kommunikation, beschränkte sich diese bei Indern meist auf Britisch-Indien. Wie beim Eisenbahnbau kam es aus Sicherheitsgründen zu keinerlei Technologietransfer. Noch stärker als bei den anderen modernen Techniken, blieben Ausbildung und Betrieb exklusiv in britischen Händen oder in denen der so genannten Anglo-Indians, der „Mischlinge“, die in den indischen Gesellschaften nicht verankert waren. Der Telegraf sorgte in Britisch-Indien dafür, dass auch hier, wie in anderen Regionen der Welt, das Pressewesen einen ungeheuren Aufschwung nahm. Schon wenige Jahre nach dem Befreiungskrieg wurden zahlreiche neue Zeitungen, Magazine und Journale in diversen südasiatischen Sprachen gegründet, ganz abgesehen natürlich von den englischsprachigen Zeitungen. Vielen von ihnen war jedoch kein langes Leben beschieden. Gleichzeitig setzte eine wachsende Nachfrage nach aktuellen Nachrichten nicht nur aus Südasien, sondern auch darüber hinaus ein. Meldungen aus West- und Zentralasien sowie aus Nordafrika standen bei indischsprachigen Zeitungen im Vordergrund. Von nachrangigem Interessen waren Nachrichten aus Europa. Innerhalb kurzer Zeit wurden aus Monats- und Wochenblättern
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British-Paramountcy und British Raj im 19. Jahrhundert
IV.
Religion und Politik
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Tagesblätter. Argwöhnisch beobachteten die Briten diese neue mediale Umtriebigkeit und erließen gegebenenfalls, wie schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts, scharfe Zensurgesetze, die unter anderem verhindern sollten, dass sich Inder in der „Öffentlichkeit“ auf gleicher Augenhöhe mit den Briten sahen. Aus zivilisatorischer, und im 19. Jahrhundert dann zunehmend aus rassistischer Überzeugung von der eigenen Überlegenheit, hegten die Briten grundsätzlich Zweifel an der Loyalität ihrer südasiatischen Untertanen. Generell wurde ihnen das Verständnis für Technik und Technologie abgesprochen, was vor allem dann zutage trat, wenn sie sich kritisch über Missstände äußerten und konstruktive Verbesserungsvorschläge machten. Die Briten setzten alles daran, dieses selbst konstruierte Bild aufrechtzuerhalten. Erste, außerhalb Südasiens sichtbare Risse bekam es allerdings, als Swami Vivekananda (1863–1902), einer der großen südasiatischen Gesellschaftsreformer des 19. Jahrhunderts, vor dem Weltparlament der Religionen auftrat, das im Rahmen der 1893 in Chicago stattfindenden Weltausstellung tagte. Eigentlich verfolgten die Organisatoren mit dem Kongress die Absicht, die Überlegenheit des Christentums gegenüber den anderen Weltreligionen Islam, Buddhismus und Hinduismus vorzuführen. Doch genau der gegenteilige Effekt trat ein, denn unverhofft präsentierten sich die Vertreter dieser Religionen höchst souverän, was nicht zuletzt an den elaborierten Reden und den darin geäußerten Ideen lag, darunter Vivekanandas Vorschlag, der Osten solle seine „spirituellen Weisheiten“ dem Westen vermitteln, während umgekehrt der Osten von der rationalen Organisation der westlichen Gesellschaften lernen könne. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts wurde(n) die Religion(en) Südasiens zusehends zur Verfolgung von parteipolitischen Zielen instrumentalisiert. Dass dies überhaupt möglich war, hing mit der britischen Wahrnehmung der südasiatischen Gesellschaften zusammen, die davon ausgingen, dass deren maßgebliches Unterscheidungsmerkmal die Religionen seien. Nirgends sollte sich das deutlicher niederschlagen als in den Volkszählungen, die ab 1871 alle zehn Jahre durchgeführt wurden. In ihrem Verlauf hatten sich die indischen Untertanen einer Religionsgemeinschaft zuzuordnen. Abgesehen von dieser reduktionistischen Wahrnehmung der südasiatischen Gesellschaften zementierten die Zensus von 1901 und 1911 das, was die Briten als das Wesensmerkmal des Hinduismus ausmachten, die „Kaste“. Doch selbst der Hinduismus ist ein europäisches Konstrukt, mit dem schon die Portugiesen diejenigen Glaubensgemeinschaften, die nicht muslimisch, christlich, jüdisch und buddhistisch waren, als lat. gentes, also Stämme, Geschlechter und im kolonialen Kontext auch Heiden, erfassten und unter diesem Begriff subsumierten. Als Antwort auf die britische Kategorisierung des ausgehenden 19. Jahrhunderts versuchten indische Gesellschaftsreformer wenn schon kein homogenes, so doch ein geschlossenes Bild des Hinduismus zu vermitteln und dessen generelle Erneuerungsfähigkeit zu demonstrieren. Dabei verfuhren sie oft nicht minder essentialistisch, indem sie die Vielfalt der Glaubensformen und -praktiken auf wenige Wesensmerkmale reduzierten und diese dann umso stärker betonten. Der sicherlich bekannteste Reformer ist Raja Ram Mohan Roy (1772–1833) aus Bengalen, der mit seinen die Religionen
Die Vernetzung des südasiatischen Subkontinents vergleichenden theologischen Abhandlungen auch in Großbritannien Aufsehen erregte. In der Geschichtsschreibung firmiert dieses Bemühen als „Bengal Renaissance“, die demnach die beginnende „Modernität“ des Hinduismus und damit ganz Indiens bezeichnet, ohne freilich zu bedenken, ob diese „Wiedergeburt“ seitens der Mehrheitsbevölkerung hinduistischer Glaubensrichtungen überhaupt wahrgenommen wurde und sie nicht bloß ein Produkt britischer Wahrnehmung, wenn nicht gar Wunschdenkens ist. Ähnlich verhielt es sich mit dem Begriff der „Kaste“. Seine Einführung sollte weitreichende Wirkungen auf die Gesellschaften des indischen Subkontinents haben. Kaste Der Begriff stammt aus dem Portugiesischen und bezeichnete ursprünglich den „Vermischungsgrad“ und die abgestuften Hautfarben der kolonialen Gesellschaft Brasiliens, wobei in der Hierarchie der weiße Europäer oben und der schwarze Afrikaner unten stand. Die Bezeichnung übertrugen die Portugiesen im 16. Jahrhundert auf die südasiatischen Gesellschaften. Jedoch gab es in keiner südasiatischen Sprache das Wort „Kaste“, weshalb es auch nur in historisch korrektem Kontext verwendet werden sollte. Wohl aber existieren die Begriffe Varna und Jati. Varna bezieht sich auf die idealtypische Gesellschaftsordnung nach Brahmanen (Priester), Kshatria (Krieger), Vaishya (Händler), Shudra (Handwerker, Bauern und Dienstleistende) und Panchama, den Unberührbaren, wie sie von Brahmanen im Norden des Subkontinents vor mehr als 2.000 Jahren entworfen wurde. Varna bedeutet jedoch auch Farbe, bezeichnet aber je nach Helligkeit die entsprechende rituelle und keinesfalls die „rassische“ Reinheit. Portugiesen wie Brahmanen diente offenkundig die Hautfarbe als Grundlage für ein gesellschaftliches Ordnungsschema.
IV.
Varna und Jati
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Daneben gab und gibt es die Jati, die berufsständische und genealogische Ordnung. Auf sie bezogen sich die Briten bei der gesellschaftlichen Systematisierung. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren sie sich allerdings selbst noch nicht schlüssig darüber, wie sie den Begriff „Kaste“ definieren sollten, ob als „Stamm“, „Clan“, „Sippe“ oder einfach nur als Berufsgruppe. Mit den Bevölkerungszählungen nahmen sowohl Varna und Jati als gesellschaftliche Klassifizierungseinheiten immer rigidere Formen an, bis sie schließlich im Zensus von 1901 zu unveränderlichen und damit starren Kategorien einer imaginierten uniformen südasiatischen Gesellschaft wurden. Folglich konstruierten die Administratoren der britischen Kolonialmacht eine südasiatische Gesellschaft, die sich an einem ehedem regionalen brahmanischen Modell orientierte, überzogen jedoch den Subkontinent unterschiedslos mit diesem groben Raster. Hierüber generierten sie ein Herrschaftswissen, das sicherlich ihren Verwaltungsbedürfnissen und Herrschaftsinteressen entsprach, die gesellschaftlichen Realitäten jedoch nicht widerspiegelte. Die so erfassten Inder und Inderinnen wussten sich des „Kastensystems“ durchaus zu bedienen, wenn sie sich im häufig auftretenden Zweifelsfall einer höherwertigen „Kaste“ zuordneten. Auch in Bezug auf die Religionsgemeinschaften tauchten immer wieder Unsicherheiten auf, da die Grenzen oft fließend waren, gerade in Regionen mit stark ausgeprägten synkretischen Glaubensformen. Weder Muslime noch Hindus ließen sich unter- und gegeneinander „sauber“ trennen. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts benutzten indische Gesellschaftsreformer, vor allem aber Politiker die Religion zur Ge-
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British-Paramountcy und British Raj im 19. Jahrhundert
IV.
staltung eigener Positionen. Gerade die Politiker mussten ihren Visionen und Positionen eine Massenbasis verschaffen, wollten sie bei den Briten Gehör finden, und mit der grobschlächtigen Unterscheidung von Hindus und Muslimen trafen sie auf offene Ohren. National(istisch)-indische und britisch-imperiale Politiker schufen in tragischem Wetteifer gegenseitig das, was seit Beginn des 19. Jahrhunderts allmählich als Communalism bezeichnet wurde und die gewaltsamen Konflikte zwischen den Gemeinschaften der Hindus und Muslime meinte. Tatsächlich kam es immer wieder zu Eskalationen der Gewalt, doch in vielen Fällen waren sie eher Ausdruck sozialer und ökonomischer Spannungen als religiöser Feindschaften. In den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts sollte der Communalism oft den urbanen politischen Alltag bestimmen und seine strikte Kategorisierung schließlich zur Teilung des gesamten Subkontinents bei der Unabhängigkeit Britisch-Indiens 1947 führen.
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V. Nationalisierung, Unabhängigkeitskampf und post-koloniale Staaten in Südasien 1. Die gescheiterte indische Nation Die Nationalbewegungen in Maharashtra und Bengalen um die Wende zum 20. Jahrhundert zeugten von ersten politischen Willensbildungen in Britisch-Indien. Zwar war der INC bekanntlich schon 1885 gegründet worden, doch aufgrund seiner elitären Struktur mitsamt seiner Politik der Kooperation diente er sich als Honoratiorenversammlung dem Kolonialregime eher an, als dass er ihm kritisch-ablehnend gegenüber stand. Daher war er auch nicht willens, den radikalen Flügel Bal G. Tilaks zu unterstützen. Lange vor Mohandas K. Gandhi kritisierte Tilak den INC mit seinen moderaten Loyalisten und forderte eine Ausrichtung auf breitere Bevölkerungsschichten. Gegen die Briten ging Tilak scharfzüngig vor, deren mangelhafte Interventionspolitik während der Pest in Bombay in den Jahren 1896–97 er öffentlich anprangerte. Übereifrige Nationalisten nahmen das zum Anlass, drei hochrangige Briten zu ermorden. Nicht in dieser Form, aber generell wollte Tilak mit offen sichtbaren Aktionen das Kolonialregime provozieren und dazu bringen, Indien zu verlassen. Diesem Zweck dienten Aktionen wie der Boykott britischer Waren im Rahmen der Swadeshi-Bewegung und natürlich die von ihm selbst initiierten Ganpati- und Shivaji-Feste.
Boykottbewegung Ansprache Bal G. Tilak an die Textilarbeiter in Bombay im Dezember 1907, in: Dietmar Rothermund (Hg.), Der Freiheitskampf Indiens. Stuttgart 1967, S. 36.
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Da wir zu Bettlern erniedrigt worden sind, ist es unsere Pflicht, die Boykott-Bewegung und die Bemühungen um den Aufbau einer nationalen Industrie zu unterstützen, damit wir genug zu essen haben werden. Was unsere Herrscher tun, ist nur natürlich, sie arbeiten im Interesse ihrer eigenen Landsleute, warum hätten sie sonst wohl ein Weltreich aufgebaut? Die britische Regierung tut genau das, was ich auch getan hätte, wenn ich ein Weltreich hätte. Jedermann steht im Kampf ums Dasein. Die Schuppen fallen einem erst von den Augen, wenn man alles verloren hat. Siebzig Millionen Menschen unter uns haben nicht einmal eine volle Mahlzeit pro Tag. Das einzige Heilmittel gegen unsere völlige Verelendung ist die Bewegung zum Aufbau nationaler Industrien. Um diese Bewegung wirkungsvoll zu machen, muss sie mit Boykott verbunden werden. Ihr sollt euch diesen beiden Bewegungen feierlichst verpflichten.
Da der INC nach der Teilung Bengalens 1905 lediglich bereit war, den Boykott als politische Waffe zu legitimieren, die Swadeshi-Bewegung als Teil der politischen Willensbildung zu akzeptieren und Swadeshi, die „Selbstregierung“ als politisches Ziel aufzugreifen, betrieb Tilak zusammen mit Lala Lajpat Rai (1865–1928) aus dem Panjab und Aurobindo Ghose (1872–1930) aus Bengalen die Spaltung des INC. Die Sezession der „Extre-
INC-Spaltung 1907
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V.
Amritsar Massaker 1919
All-India Muslim League 1906
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misten“ – sie selbst nannten sich freilich „Nationalisten“ – fand auf der Jahrestagung des INC 1907 in Surat statt. Die neue Partei forderte sofort die Ausweitung der Boykott-Aktionen auf ganz Britisch-Indien. Inzwischen war es auch in Bengalen zu zahlreichen versuchten und einigen geglückten Attentaten gegenüber hohen Kolonialbeamten gekommen. Der INC der Mehrheits-Moderaten schloss nun seine Reihen, indem er die „Extremisten“ ausschloss. Die fanden jedoch 1916 wieder Aufnahme in den INC und dominierten ihn dann binnen kurzem derart, dass die Moderaten freiwillig den INC verließen. Sie gründeten die National Liberal Federation, eine Partei, die kaum zur Kenntnis genommen werden sollte. Die Extremisten wurden nun tatsächlich zu den Führern der Nationalbewegung, die nach dem Ersten Weltkrieg die politische Willensbildung in Britisch-Indien maßgeblich bestimmte. Die Swadeshi-Bewegung und die sich ihr anschließende Initiative für eigenständige bengalische Bildungsinstitutionen flauten nach 1908 ebenso ab wie die Feste in Maharashtra. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs entstand innerhalb weniger Jahre eine gesamtindische Unabhängigkeitsbewegung, die zugleich auf der Suche nach einer nationalen Identität war. Die Ursachen für die Radikalisierung der Politik sind unter anderem in der Demobilisierung der britisch-indischen Truppeneinheiten zu suchen. Die überwiegende Zahl der in Flandern und Mesopotamien eingesetzten Soldaten stammte aus dem Panjab. Nachdem die versprochenen Verfassungsreformen weit hinter den Erwartungen zurückblieben waren und obendrein mit den Rowlatt-Gesetzen 1919 ein striktes Notstandsregime für die Provinz Panjab etabliert wurde, mit dem zu befürchtende Unruhen im Keim erstickt werden sollten, eskalierte die Lage. Als sich im umfriedeten Gartengelände Jallianwala Bagh in Amritsar eine Menschenmenge friedvoll versammelte, statuierte der britische General Dyer ein Exempel zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung, indem er mit Gewehrsalven auf die Demonstranten schießen ließ. Unterschiedlichen Angaben zufolge wurden zwischen 300 und 600 Menschen getötet und weit über Tausend verwundet. Zwar versuchte der britische Kolonialstaat mit einer eigens eingesetzten Untersuchungskommission die Repressionsmaßnahmen zu rechtfertigen, sie in ihrer Härte aber zumindest partiell zu missbilligen, doch die vom INC bestellte unabhängige Untersuchungskommission kam angesichts der Tatsache, dass fast jede Kugel ihr Ziel getroffen hatte, zu weitaus nüchterneren Ergebnissen. In jedem Fall verlor der britische Kolonialstaat durch das Massaker an unschuldigen Menschen seine Herrschaftslegitimation. Ohnehin schien mit dem Ende des Ersten Weltkrieges die Begeisterung der Briten für ihr Raj abzunehmen, was sich nicht zuletzt an den rückläufigen Zahlen der britischen Beamten im Indian Civil Service zeigte. Auf dem Zenit des Britischen Imperiums, das mit der Friedensordnung von Versailles seine maximale territoriale Ausdehnung erreicht hatte, begann, getragen vom Kampf der indischen Nationalisten um Unabhängigkeit, der weltweite Prozess der zweiten Dekolonisation. Doch erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges sollte er dann mit der Unabhängigkeit Britisch-Indiens im Jahr 1947 wirklich eingeleitet werden. Allerdings war die Unabhängigkeitsbewegung nicht von einer homogenen Gruppe von Freiheitskämpfern getragen. Allein die Spannungen im INC
Die gescheiterte indische Nation verdeutlichen das. Zudem fanden sich die Muslime in Britisch-Indien im INC nicht ausreichend repräsentiert, so zumindest nach Ansicht manch muslimischer Politiker. Sie nutzten die Teilung Bengalens, um in der muslimisch dominierten neuen Provinz Assam-Bengalen unter der Schirmherrschaft des Nawab von Dhaka Pläne für eine muslimische Partei aus dem Jahr 1901 umzusetzen und 1906 die All-India Muslim League ins Leben zu rufen. Deren Bestand schien in der ersten Dekade bisweilen unsicher, doch konnte sie bis 1916 ihre Position schließlich so weit festigen, dass sie im selben Jahr mit dem INC den so genannten Lucknow Pact einging. Im Wesentlichen vereinbarte er eine gemeinsame Strategie der beiden Organisationen gegen die Briten im Vorfeld der anstehenden Verfassungsreformen. Entscheidende Übereinkunft war die Festlegung des Repräsentationsverhältnisses der beiden Religionsgruppen in einem künftig zu wählenden Parlament. Auf Solidarität zwischen den Religionsgruppen war auch die KhilafatBewegung der Jahre 1919–22 angelegt. Sie versuchte, nicht zuletzt auf Betreiben von Mohandas Gandhi, der nach über 20 Jahren aus Südafrika zurückgekehrt war, eine Agitationseinheit von Hindus und Muslimen in Britisch-Indien herzustellen, um so dem Ansinnen der Signatarmächte des Ersten Weltkrieges entgegenzutreten, das Khalifat der Osmanen abzuschaffen und die heiligen Stätten Medina und Mekka zu besetzen. Doch beide Versuche, zu einem einvernehmlichen Bündnis zu gelangen, scheiterten. Prominente indische Politiker aller Couleur und Glaubensgemeinschaften benutzten auf fatale Weise ein transnationales Problem zur Förderung einer kaum erkennbaren und allemal brüchigen national-indischen Einheit. Nachdem das Khalifat 1922 endgültig abgeschafft worden war, brach die Solidaritätsfront, und die angestauten Spannungen entluden sich nun umso gewaltsamer. Die einmal gerufenen und auf vielerlei Weise mobilisierten religiösen Geister sollte die Politik in Britisch-Indien nicht mehr loswerden. Das britische Kolonialregime leitete nur zögerlich, wenn nicht gar widerwillig Verfassungsreformen ein, zu denen es sich aber letztlich gezwungen sah, wollte es der Formierung politischer Organisationen und nationaler Bewegungen effizient begegnen und verhindern, dass eine gesamtindische Nationalbewegung entstand. Im Jahr 1909 bestimmte die Morley-Minto-Reform (benannt nach dem damaligen Indienminister sowie Vizekönig), die Anzahl der Mitglieder in den Legislative Councils der Provinzen und des Generalgouverneurs zu erweitern. Das sollte den Besonderheiten der Provinzen Rechnung tragen, ohne dabei die Einheit Britisch-Indiens anzutasten. Auch wurde die Zahl der indischen Mitglieder erhöht. Gravierend war indessen die Entscheidung, den Muslimen separate Wählerschaften zuzugestehen, denn damit reagierten die Briten auf die Forderungen der Muslim League und trugen zur Spaltung der politischen Bewegung in Britisch-Indien bei. Das war freilich beabsichtigt. An ein „responsible government“, das ein gewisses Maß an Eigenverantwortung in indische Hände gelegt hätte, war zu keiner Zeit gedacht, womit die politischen Probleme auf die lange Bank geschoben waren. Weitere Reformen behielten sich die Briten als nächsten Schritt vor, der dann mit den 1917 angekündigten Reformen unter Indienminister Chelms-
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Khilafat-Bewegung 1919–22
Morley-MintoReformen 1909
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V. MontagueChelmsfordReformen 1919
„Non-Cooperation“Kampagne 1920–22
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ford und Vizekönig Montague eingeleitet wurde. Kern der Reformen war die so genannte „Dyarchie“, die Doppelherrschaft, die einerseits eine Kompetenzübertragung an Inder in „weichen“ Ministerämtern wie Bildung und Gesundheit auf Provinzebene vorsah, andererseits die „harten“ Ressorts wie Finanzen, Justiz und Polizei weiterhin in britischem Verantwortungsbereich beließ. Auf der Ebene der Zentralregierung fanden keinerlei Reformen statt. Die hierarchische Herrschaftsstruktur blieb prinzipiell unangetastet und wurde über den britischen Monarchen, das Parlament, den Indienminister und den Vizekönig mit seinem uneingeschränkten Vetorecht aufrecht erhalten. In dieser Struktur war die Partizipation von Indern an der Macht nicht vorgesehen, was bei vielen indischen Politikern, Teilen der Bevölkerung und den demobilisierten Soldaten großen Unmut auslöste und im Panjab zu den massiven Protesten des Jahres 1919 führte. Die Reformen waren derart unzureichend, dass die Briten bereits in den frühen 1920er Jahren mit den Vorbereitungen für die nächste Verfassungsreform begannen. Doch die politische Landschaft Britisch-Indiens veränderte sich in der Zwischenkriegszeit extrem, was die Briten zwang, mehr Zugeständnisse zu machen, als sie zunächst gewillt waren. Die Grundlage zu diesem Wandel legte Mohandas K. Gandhi, der den INC zu Beginn der 1920er Jahre neu strukturierte und ihn in eine schlagkräftige Massenorganisation umbaute, die programmatisch weite Teile der Bevölkerung in die Politik mit einbezog. Mit zwei politischen Kampagnen erregte Gandhi in Südasien und weltweit Aufsehen. In der „Non-Cooperation“-Kampagne von 1920–22 manifestierte sich Gandhis agitatorischer Durchbruch, denn erstmals agierten Inder und Inderinnen klassen- und schichtenübergreifend gegen die britische Kolonialmacht, indem sie die Zusammenarbeit mir ihr aufkündigten und landesweit ihre Institutionen boykottierten. Anlass bot die repressive Politik der Briten nach dem Ersten Weltkrieg, die ganz offensichtlich nicht im Interesse der Menschen in Britisch-Indien war, weshalb Tilaks alte Forderung nach Swaraj nun auch zum offiziellen politischen Ziel des INC erklärt wurde. Um agitatorisch politische Ziele zu verfolgen, hatte Gandhi in Südafrika eine gewaltfreie Form des Widerstands entwickelt, die auf dem von ihm entwickelten Prinzip „Satyagraha“ basiert. Gedanken dazu formulierte Gandhi in seiner 1908 erschienenen Schrift „Hind Swaraj“ (Indiens Selbstregierung). Satyagraha bedeutet „Festhalten an der Wahrheit“ und ist als ganzheitliche Lebensphilosophie zu verstehen. Nur mit äußerster Selbstdisziplin durfte Widerstand geleistet werden, bei dem auch der Tod durch die Gewalt des Gegners in Kauf zu nehmen war. Zugleich zielte Satyagraha darauf ab, den politischen Gegner von der Fehlerhaftigkeit seines Handelns zu überzeugen und ihn zum Einlenken zu bringen. Folgerichtig brach Gandhi die Kampagne der „Non-Cooperation“ ab, als es 1922 im nordindischen Chauri Chaura zu gewaltsamen Übergriffen auf eine Polizeistation kam – sehr zum Missfallen führender INC-Politiker, die hier die Chance zu einer nationalen Erhebung witterten. Gandhi aber zog sich aus der Politik zurück und betrat erst 1930 wieder die politische Szene. Während nun die Briten nach passablen verfassungsrechtlichen Modellen suchten, dominierten kommunalistische Gewaltausbrüche die politische (Stadt-)Landschaft Britisch-Indiens.
Die gescheiterte indische Nation
Mohandas K. Gandhi, Hind Swaraj Auszug in: Dietmar Rothermund (Hg.), Der Freiheitskampf Indiens. Stuttgart 1967, S. 40.
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Gewaltloser Widerstand ist eine Methode der Erringung von Rechten durch persönliches Leiden: es ist das Gegenteil von bewaffnetem Widerstand. Wenn ich mich weigere, etwas zu tun, das gegen mein Gewissen geht, dann setze ich meine Seelenstärke ein. Nehmen wir an, die Regierung hat ein Gesetz erlassen, das mich betrifft, das ich jedoch nicht billigen kann. Wenn ich die Regierung durch Gewaltanwendung dazu zwinge, das Gesetz zu widerrufen, wende ich sozusagen die Stärke meines Körpers an. Wenn ich jedoch das Gesetz übertrete und die Strafe für diese Übertretung auf mich nehme, dann wende ich meine Seelenstärke an. Es geht dabei um die Selbstaufopferung. Jedermann gesteht ein, dass die Selbstaufopferung weit höher zu bewerten ist als die Aufopferung anderer. Es kommt hinzu, dass man, wenn man die Seelenstärke in den Dienst einer ungerechten Sache stellt, nur selbst darunter leidet. Man kann nicht andere unter den eigenen Fehlern leiden lassen. (…) Es ist eine Tatsache, dass die indische Nation im Allgemeinen den gewaltlosen Widerstand in den verschiedenen Lebensbereichen angewandt hat. Wir arbeiten mit unseren Herrschern nicht zusammen, wenn sie uns zuwider sind. (…) Wirkliche Selbstregierung ist nur dort möglich, wo gewaltloser Widerstand die leitende Kraft des Volkes ist. Jede andere Regierung ist eine fremde Regierung.
Inzwischen machten sich auch die indischen Monarchien Gedanken um ihre Einbindung in eine neue Verfassung. Aus diesem Grund favorisierten die Briten zunehmend ein föderales Modell, in dem sie die Monarchen als konservative Alliierte auf ihrer Seite wussten und hofften, ihre Fremdherrschaft mittels der indischen Staaten weiter stabilisieren zu können. Daran fanden die Monarchen keinen besonderen Gefallen, denn die zahlreichen kleineren unter den etwa 600 Staaten fürchteten nicht zu Unrecht, bei einer solchen politischen Ordnung übergangen zu werden. Abgesehen davon war den Mitgliedern der Muslim League unwohl bei dem Gedanken, in einer künftigen Verfassung über die separaten Wählerschaften als Minderheit im eigenen Land definiert zu werden, was grundlegend an das Selbstverständnis der Muslime ging, deren Elite sich nach wie vor zur Herrschaft berechtigt sah. Die Idee der Repräsentation, wie sie in den westlichen Staaten Europas und den USA entwickelt worden war, schien für das Kolonialregime Britisch-Indiens aus Sicht mancher Bevölkerungsgruppen keine sinnvolle Option darzustellen. Um die zukünftigen verfassungsrechtlichen Möglichkeiten auszuloten, entsandte die britische Regierung 1927 in London die so genannte SimonCommission, benannt nach ihrem Vorsitzenden Sir John Simon. Ungeschickter Weise bestand sie allein aus britischen Mitgliedern, ein Umstand, der die Vertreter des INC und anderer politischer Organisationen verständlicher Weise empörte. Der Führer des nationalistischen Flügels im INC, Subhas Chandra Bose (1897–1947), forderte daraufhin in einem radikalen Antrag die sofortige Unabhängigkeit Indiens, dessen Verabschiedung Gandhi nur durch massive Intervention verhinderte, denn er fürchtete nicht zu Unrecht den Ausbruch von Gewaltaktionen. Nachdem die Briten sich jedoch weiterhin weigerten, Britisch-Indien in absehbarer Zeit innerhalb des Briti-
Simon-Commission 1927
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V.
„Cicil Disobedience“ Kampagne 1929–30
India Act 1935
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schen Imperiums den Dominion-Status gleich Australien, Kanada und Südafrika zuzugestehen, was der Gewährung von Swaraj entsprochen hätte, akzeptierte Gandhi im darauf folgenden Jahr einen Resolutionsentwurf Jawaharlal Nehrus (1889–1964), der Purana Swaraj – gemeint ist nun die völlige Unabhängigkeit – zum politischen Ziel des INC erklärte. Im Rahmen der Aktionen gegen das Kolonialregime beauftragte der INC Gandhi 1929 mit der Organisation einer weiteren Kampagne, die den Namen „Civil Disobedience“ erhielt. Der bürgerliche Ungehorsam musste effizient in Szene gesetzt werden, sollte er sein Ziel nicht verfehlen. Für seine Kampagne suchte sich Gandhi, der gelernte Rechtsanwalt, ein einfaches aber wirkungsvolles Gesetz aus, das möglichst viele Inder und Inderinnen übertreten konnten, das aber zugleich die Ungerechtigkeit der britischen Herrschaft vor aller Welt demonstrierte. Im Salz-Monopol, das alle Bewohner Britisch-Indiens zwang, Steuern auf Salz zu entrichten, fand Gandhi das entsprechende Gesetz. Am Ende eines pressewirksam inszenierten Marsches mit ausgesuchten Satyagrahi entlang der Küste Gujarats bis nach Dandi, wo sich Tausende versammelt hatten, um Salzkristalle vom Strand aufzulesen, übertraten sie und in den darauf folgenden Wochen hunderttausende Menschen, die Salz siedeten, das Monopolgesetz auf solch einfache Weise. Wie nicht anders zu erwarten, waren innerhalb kurzer Zeit die britisch-indischen Justizbehörden lahmgelegt und die Gefängnisse überfüllt. Genau darin bestand der Sinn und Zweck der Aktion, nämlich zu demonstrieren, dass auf Dauer die Briten nicht gegen die Inder regieren konnten. Generalgouverneur und Vizekönig Lord Irwin (amt. 1926–31) sah sich vor dem Hintergrund der immer weiter ausgreifenden Weltwirtschaftskrise und ihren gravierenden Folgen auch für Britisch-Indien veranlasst, Mahatma Gandhi, wie er nun häufig genannt wurde, zu einem offiziellen Gespräch zu empfangen. Politisch brachte der so genannte Gandhi-Irwin-Pact nicht viel ein, jedoch war der Achtungserfolg für Gandhi und „Indien“ unermesslich, denn erstmals verhandelte ein Inder auf Augenhöhe mit einem Briten. Teil des Abkommens war es, dass der INC Vertreter zu den in London anberaumten „Round Table Conferences“ entsenden sollte, nachdem er sich wegen der Zusammensetzung der Simon-Commission geweigert hatte, zur ersten Konferenz Repräsentanten zu schicken. Zwischen 1930 und 1932 fanden insgesamt drei solcher Konferenzen statt, die verfassungsrechtlich keine nennenswerten Fortschritte brachten. Zwar hatte man sich auf das föderale Modell geeinigt, aber alle Beteiligten zeigten in den darauf folgenden Jahren wenig Interesse an dessen Umsetzung im Rahmen einer Verfassung. Vom gleichen Unwillen zeugte denn auch die nächste Gesetzgebung zu Britisch-Indien, die 1935 im englischen Parlament verabschiedet wurde. Sie stand zunächst ganz in der Tradition der vorausgegangenen Reformen, denn am verfassungsrechtlichen Status änderte sich nichts. Nach wie vor behielten die Briten die wichtigsten Ministerien in ihren Händen, und das Vetorecht galt weiter in uneingeschränkter Form. Auf der Zentralebene wurde ein Zweikammersystem nach britischem Vorbild eingerichtet. Allerdings lag es im alleinigen Ermessen des Vizekönigs, wann er das Parlament zusammenrufen, entlassen oder auflösen wollte. Auf der Provinzebene wurde die „Dyarchie“ von 1919 abgeschafft und alle Ministerien Indern übertragen. Lediglich den britischen Gouverneur, der seine umfassenden Rechte eben-
Die gescheiterte indische Nation falls behielt, worunter Prärogativen fielen wie die Provinzregierung zu suspendieren und sie autokratisch zu verwalten, ernannte der Indienminister in London. Wesentlich gravierender war jedoch die Tatsache, dass der Föderation keine verfassungsrechtliche Grundlage gegeben wurde, da es den Monarchen anheim gestellt blieb, den India Act zu ratifizieren, was sie nie taten. Dieses Selbstbewusstsein der Monarchen spiegelt die sich wandelnde politische Szene Britisch-Indiens wider. Ihnen war bewusst, dass sie die inzwischen wichtigste Herrschaftssäule der Briten in Indien waren, die allein ein Gegengewicht zum INC bilden konnte. Aber nicht nur auf imperialer Ebene gewannen einige Monarchen an Selbstbewusstsein. Es wurde nachhaltig durch eine zunehmend eigenständige Innenpolitik gestärkt. Diese schloss die Gründung wissenschaftlicher Bildungsinstitutionen ebenso ein wie den Aufbau eigener Industrien. Ganz besonders taten sich hier der Raja von Maisur und der Gaekwad von Baroda in Gujarat hervor. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden in Maisur die Mysore Spinning and Manufacturing Mills gegründet, zwei Jahre darauf im ebenfalls zum Rajatum Maisur gehörenden Bangalore die Woolen, Cotton and Silk Mills. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gründete der Erste Minister der Regierung, M. Visvesvaraya, mit Hilfe des Großindustriellen Jamshedji Tata das Indian Institute of Technology, und 1913 die Mysore Bank, der 1916 die Handelskammer und die Mysore University folgten. Der Versuch, Ende der 1930er Jahren eine eigene Automobilindustrie aufzubauen, die in Lizenz Autos von Chrysler gebaut hätte, scheiterte an der massiven Intervention der britischen Kolonialmacht, die der eigenen Automobilindustrie die Absatzmärkte sichern wollte. Gerne gesehen war dagegen die Gründung der Hindustan Aircrafts, einer Flugzeugfabrik, während des Zweiten Weltkrieges, denn die Briten konnten Produktion, Ingenieure und Konstrukteure für ihre aktuellen Kriegsziele einspannen. Im Jahr 1937 wurde in Bangalore ein Ammoniumsulfat-Werk gegründet, das die selbständige Herstellung von Kunstdünger in Britisch-Indien einleitete. Zu einem Großteil beruht der gegenwärtige Erfolg der indischen IT-Branche gerade in Bangalore auf diesen frühen Investitionen der damaligen Regierungen in entsprechende Bildungszweige. Jawaharlal Nehru setzte als erster Premierminister der Indischen Union (amt. 1947–64) im Rahmen seiner Industrialisierungspolitik die Gründung technologischer Institute auf die bildungspolitische Agenda. Ähnlich innovativ erwies sich auch der Gaekwad von Baroda. Mit Hilfe staatlicher Investitionsprogramme betrieb er die Modernisierung seines Landes. Wie der Raja von Maisur veranlasste auch der Gaekwad die Gründung einer Industrie- und Handelskammer sowie einer Staatsbank, der Bank of Baroda. Während der Swadeshi-Bewegung schuf er die Zölle ab, was ein weiterer Indikator dafür ist, dass die Bewegung weit über Bengalen hinausgriff und durchaus patriotische, wenn nicht gar proto-nationale Züge aufwies. An fürstliches Mäzenatentum erinnert die Förderung der chemischen und pharmazeutischen Industrie durch Landschenkungen und gezielte Investitionen, womit der Gaekwad die Grundlage für die späterhin höchst produktive und autarke Pharmaindustrie der Indischen Union schuf. So folgenreich die Weltwirtschaftskrise für den Agrarsektor des indischen
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Indische Monarchen
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Subkontinents war, so stimulierend, zumindest teilweise, wirkte der anschließende Zweite Weltkrieg für einige Gewerbe- und Industriesparten, wenn mangelnde Importe durch eigene Herstellung substituiert werden mussten oder neue Industriezweige entstanden. Beide globalen Ereignisse belegen jedoch erneut die deformatorische Wirkung von asymmetrischen Herrschaftsbeziehungen, wie sie ein Kolonialregime etabliert.
2. Der Kampf um Selbstbestimmung und Unabhängigkeit
Zwei-NationenTheorie
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Der Zweite Weltkrieg wirkte als Katalysator, der die globale Dekolonisation initiierte, die wiederum durch die Unabhängigkeit Britisch-Indiens eingeleitet wurde. Bereits zwei Jahre nach Kriegsende war die größte Kolonie des Britischen Imperiums unabhängig. Weltweit gesehen löste dieses Ereignis einen Dominoeffekt aus, der bis weit in die 1970er Jahre anhielt und langfristig das Ende der direkten Beherrschung von Boden und Bewohnern durch Kolonialmächte bedeutete. In Britisch-Indien hatte sich die politische Lage mit Beginn des Zweiten Weltkrieges zugespitzt, als Generalgouverneur Linlithgow (amt. 1936–43) ohne Rücksprache mit den politischen Parteien den Kriegseintritt an der Seite der Alliierten verkündete. Die Minister des INC legten aus Protest ihre Ämter in den Provinzregierungen nieder, woraufhin die britischen Gouverneure die Provinzen autokratisch verwalteten. In der Provinz Panjab bildeten jedoch die Unionist Party, in der sich konservative Grundbesitzer organisiert hatten, und in Bengalen die Krishak Proja Party, die Partei muslimischer Pächter, Koalitionsregierungen, die bis Kriegsende im Amt blieben. Noch schienen Trennungen allein auf der Basis von Religionsgemeinschaften nur bedingt tauglich für politische Programme und Visionen. Leicht verständlich, dass bei solch regionalen Unterschieden die muslimischen Parteien den Alleinvertretungsanspruch der All-India Muslim League, wie ihn Muhammad Ali Jinnah (1875–1947) Ende der 1920er Jahre beansprucht hatte, nicht akzeptierten, da sie ihre partikularen Belange nicht ausreichend repräsentiert sahen. Die Weichen zu einem engeren Schulterschluss zwischen Muslim League und den anderen muslimischen Parteien stellte indessen der INC, der seinen Alleinvertretungsanspruch des politischen Indien glaubte damit durchsetzen zu können, dass er bei den Wahlen von 1937 Koalitionsregierungen mit der Muslim League kategorisch ausschloss. Derart in die Ecke gedrängt, konnte Jinnah auf der Jahrestagung der Muslim League in Lahore 1940 erstmals die Vorstellung von zwei Nationen in Indien formulieren, die der Hindus und die der Muslime, die sich, so habe der Verlauf der Geschichte gezeigt, fundamental unterschieden in Religion, Gesetzen, Sitten und Gebräuchen. Freilich war die Idee der zwei Nationen nicht neu, zeigte aber in der momentanen politischen Situation Wirkung, nachdem zur spaltenden Politik der Briten die polarisierende des INC getreten war. In seiner Rede und der Resolution griff Jinnah Vorstellungen Rahmat Ali Chowdhuris (1895–1951) und Muhammad Iqbals (1873–1937) auf, die
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beide zu Beginn der 1930er Jahre formuliert hatten, ohne diese Gewährsleute namentlich zu erwähnen. Iqbal, der Philosoph und Schriftsteller, dachte vor dem Hintergrund der Round Table Conferences und des Problems des muslimischen Minoritätenstatus zum einen an eine muslimische Heimstätte, wohl ähnlich der der jüdischen in Palästina, und zum anderen an einen Bund von Staaten mit entsprechender Mehrheitsbevölkerung. Den Namen Pakistan, den Rahmat Ali 1930 als Akronym aus den Anfangsbuchstaben der Provinznamen Panjab, Afghanistan (gemeint sind die North-West Frontier Provinces), Kashmir, Sind sowie Baluchistan geschaffen hatte und der in seinen Vorstellungen von einem unabhängigen Staat im Nordwesten Britisch-Indiens wesentlich konkreter als Iqbal war, fügte Jinnah bewusst nicht in die Resolution ein, denn an einem separaten Staat war er (noch) nicht interessiert. Eine solche recht unverbindliche Idee fand Zustimmung auch bei anderen muslimischen Organisationen, schien sie doch eine annehmbare Lösung für das Dilemma anzubieten, das den Muslimen bei einer föderal-repräsentativen Lösung drohte. Der Zweite Weltkrieg und allen voran der Imperialist der letzten Stunde, Premierminister Winston Churchill (1874–1965), verhinderten vorerst eine verfassungsrechtliche und politische Reform für Britisch-Indien. 1942 hatten die Japaner Singapur eingenommen und befanden sich über Malaya und Birma auf dem Vormarsch nach Bengalen. Unterstützt wurden sie dabei von der Indian National Army (Azad Hind Fauj), die Subhas Chandra Bose (1897–1945?) aus Exilindern und indischen Kriegsgefangenen in Südostasien rekrutiert hatte. Nicht nur für Hindu-Nationalisten gilt er deshalb und in bewusster Abgrenzung zum pazifistischen Gandhi als der wahre Freiheitskämpfer Indiens. In dieser militärisch prekären Lage sah sich Winston Churchill auf äußeren Druck der USA und inneren der Labour Party veranlasst, eine Kommission nach Britisch-Indien zu schicken, um Fragen der politischen Zukunft des Landes erörtern zu lassen. Da der Kommissionsleiter, Sir Stafford Cripps (1889–1952), jedoch keinerlei Entscheidungsbefugnisse besaß – ein Mangel, mit dem Churchill die Initiative von vornherein hintertrieb –, und der INC bei der Bildung einer nationalen Regierung als Vorleistung die sofortige und daher unannehmbare Übergabe des Verteidigungsministeriums forderte, war die Cripps-Mission gescheitert, noch ehe sie ihre Arbeit begonnen hatte.
Churchill in einer Regierungserklärung zum Scheitern der Cripps-Mission in: Dietmar Rothermund (Hg.), Der Freiheitskampf Indiens. Stuttgart 1967, S. 19 f.
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Die Angebote von Sir Stafford Cripps sind von der Kongresspartei in Indien abgelehnt worden. Aber damit ist die Angelegenheit nicht beendet. Die indische Kongresspartei vertritt nicht ganz Indien. Sie vertritt nicht einmal die Massen der Hindus. Sie ist eine politische Organisation, die sich um eine Parteimaschinerie gruppiert, die von gewissen Industrie- und Finanzkreisen unterstützt wird. Die Partei umfasst nicht die 90 Millionen Mohammedaner, die gegen diese Partei sind und ein Recht darauf haben, ihre eigene Meinung zum Ausdruck zu geben, und sie umfasst auch nicht die 50 Millionen Parsen (…) und die 95 Millionen Untertanen der indischen Fürsten, die uns durch Verträge verpflichtet sind. Diese drei großen Gruppen umfassen alleine 235 Millionen der 390 Millionen Indiens.
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(…) Ich möchte hinzufügen, dass große Verstärkungen in Indien eingetroffen sind, und dass die Zahl der weißen Soldaten, die zur Zeit in Indien stationiert sind – obwohl gering im Vergleich mit der Zahl der Bevölkerung – größer ist als je zuvor unter britischer Herrschaft.
August-Revolution 1942
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Als Reaktion auf die mangelnde Bereitschaft der Briten, sich den indischen Belangen ernsthaft zu widmen, beschloss der INC am 8. August 1942 die Quit-India-Resolution, worin er die Briten zum sofortigen Verlassen des Landes aufforderte und das Land zugleich als Mitglied der Vereinten Nationen empfiehlt. Mit dem Slogan „Do or Die“ wurden Millionen Inder und Inderinnen in einen Kampf gegen die Kolonialmacht geschickt, dessen gewalttätige Aktionen sich gegen Sachen richteten. Die „August-Revolution“ breitete sich von den Städten, wo sie von Studenten und Arbeitern getragen wurde, schnell auf das Land aus, wo Bauern Steuer- und Katasterämter in Brand steckten, Telegrafenleitungen kappten, Bahngleise demontierten und auf Regierungsgebäuden die Trikolore des INC hissten, einer Flagge ähnlich der der heutigen Indischen Union. Erstmals seit dem Befreiungskrieg von 1857–59 kam es zu einer landesweiten Erhebung gegen das Kolonialregime, nun jedoch getragen von einem nationalen Geist. Trotz des tobenden Weltkrieges gelang es den Briten, die Erhebung durch den massiven Einsatz von Gewalt zu beenden. Vizekönig Linlithgow hatte gleich zu Beginn des Aufstands die gesamte Führung des INC inhaftieren lassen und mit seinen Maßnahmen gezeigt, dass weder er noch die britische Regierung in London gewillt waren, auf Druck irgendwelche Zugeständnisse an indische Politiker zu machen.
Aus der Quit-India-Resolution in: Dietmar Rothermund (Hg.), Der Freiheitskampf Indiens. Stuttgart 1967, S. 37. Das All-Indische Kongresskomitee stellt fest, (…) dass die unmittelbare Beendigung der britischen Herrschaft über Indien eine dringende Notwendigkeit ist, und zwar sowohl für Indien als auch um des Erfolgs der Sache der Vereinten Nationen willen. Die Fortdauer dieser Herrschaft degradiert und schwächt Indien und macht es ihm immer weniger möglich, sich selbst zu verteidigen und zur Sache der Freiheit der Welt beizutragen. Diese Politik (der Alliierten) gründet sich nicht so sehr auf Freiheit als vielmehr auf Herrschaft über Kolonialvölker und die Fortführung imperialistischer Traditionen und Methoden. (…) Indien, das klassische Land des modernen Imperialismus, wird zur Kernfrage, denn Großbritannien und die Vereinten Nationen werden nach ihrer Stellungnahme zur Frage der Freiheit Indiens befragt. Die Beendigung der britischen Herrschaft über Indien ist daher für den weiteren Verlauf des Krieges und für den Sieg der Freiheit und der Demokratie von größter Wichtigkeit. Ein freies Indien würde diesen Sieg sichern, indem es all seine Kräfte dem Kampf um die Freiheit und gegen den Nazismus, Faschismus und Imperialismus zur Verfügung stellen würde. Die würde nicht nur den Verlauf des Weltkrieges beeinflussen, sondern auch die ganze unterdrückte und unterworfene Menschheit auf die Seite der Vereinten Nationen bringen, und es würde diesen Vereinten Nationen, die Bundesgenossen Indiens wären, die moralische und geistige Führerschaft in der Welt verleihen.
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Erst als das Kriegsende abzusehen war, kam wieder Bewegung in die Politik. Wie nach dem Ersten Weltkrieg standen die Briten auch jetzt wieder vor dem Problem, nach ausgebliebenen politischen Reformen 1,5 Millionen Soldaten der britisch-indischen Armee demobilisieren zu müssen. Konfus wurde die Lage, als nach den Wahlen zum britischen Unterhaus Premierminister Winston Churchill 1945 unverhofft sein Amt an Clement Attlee (1883–1967) von der Labour Party abgeben musste. In den kommenden zwei Jahren führte eine Serie von Fehlentscheidungen und Unterlassungen seitens der Labour-Regierung zu dem unkoordinierten und letztlich chaotischen Abzug der Briten aus Südasien. Den Beginn machte Attlee selbst, der es versäumte, zu seiner Indienpolitik eine Regierungserklärung abzugeben. In Britisch-Indien setzte Muhammad Ali Jinnah auf der Simla-Konferenz von 1945 ein Vetorecht der Muslim League, recht eigentlich aber seiner Person, durch, bei allen künftigen Entscheidungen nicht übergangen zu werden. Gleich die erste Forderung beinhaltete, dass in einer Interimsregierung, die den Übergang zur Unabhängigkeit ausarbeiten sollte, alle muslimischen Minister aus der Muslim League kommen sollten. Dem gaben die Briten nach, eventuell ohne zu bedenken, in welche Lage sie Jinnah und die Muslim League damit versetzten. Mit nur wenigen Repräsentanten des politischen Indien verhandeln zu müssen, lag wiederum im Interesse der Briten, weshalb die Entscheidung, das Veto Jinnahs zu akzeptieren, eventuell ganz bewusst gefällt wurde. Gleichzeitig schien es, dass die Führung des INC aus Gründen der persönlich-politischen Besitzstandswahrung in einem unabhängigen indischen Staat die Teilung Britisch-Indiens billigend in Kauf nahm, freilich um den Preis, sich das Heft des politischen Handelns in einem entscheidenden historischen Augenblick aus der Hand nehmen zu lassen. Als die „Cabinet Mission“ 1946 in New Delhi zu Verhandlungen eintraf, besaß diese wiederum keine umfassenden Vollmachten, ein weiterer schwerer politischer Fehler. Darüber hinaus hatte es Attlee ein zweites Mal versäumt, eine Regierungserklärung über die anstehende Unabhängigkeit Britisch-Indiens abzugeben. Wie planlos die Machtübergabe stattfand, belegt die persönliche Entscheidung des letzten Vizekönigs, Lord Mountbatten (amt. 1947), die für August 1948 vorgesehene Unabhängigkeit um ein Jahr vorzuziehen, weil die politische Lage zu eskalieren drohte. Dass die Lage bereits höchst dramatisch war, belegt der „Direct Action Day“, den Jinnah für den 16. August 1946 ausrief, nachdem der noch amtierende Vizekönig Lord Wavell (1943–47) in die Interimsregierung einen Muslim berufen hatte, der nicht der All-India Muslim League angehörte. Da niemand in der Muslim League so recht wusste, was mit der Aktion bezweckt war und was getan werden sollte, verhallte der Aufruf. Allerdings organisierte in Calcutta der dortige Führer der Muslim League und Chef der Provinzregierung, Huseyn S. Suhrawardy (1892–1963), Gewaltaktionen gegen die Hindu-Bevölkerung der Stadt, die in einem viertägigen Blutbad mit schätzungsweise 5.000 Toten und mehr als 15.000 Verletzten endeten. Es deutete die eskalierende Gewalt an, wie sie im Zuge der Teilung ausbrechen sollte. An der Teilung Britisch-Indiens als Folge der Unabhängigkeit der Kolonie zweifelte im Frühjahr 1947 keiner der Beteiligten mehr. Offen war lediglich die Frage, nach welchem Modus sie vollzogen werden sollte.
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Konflikte im modernen Südasien
Schließlich entschied Sir Cyril Radcliff (1899–1977), ein britischer Beamter, der Südasien nie zuvor gesehen hatte, über den Grenzverlauf, der in den Provinzen Panjab und Bengalen zwischen den Distrikten mit mehrheitlich Hindu- und Muslim-Bevölkerung verlaufen würde. Übergangen wurde bei diesem administrativen Akt die im Panjab lebende Gemeinschaft der Sikhs, deren Siedlungsgebiet nun beiderseits des künftigen Grenzverlaufs lag. Da die Grenzziehung erst nach dem Tag der Unabhängigkeit, also am 16. August 1947, verkündet wurde, war die Spannung in der Bevölkerung unerträglich. In den vorausgegangenen Monaten war es immer wieder zu Gewaltausbrüchen zwischen Hindus und Muslimen gekommen, geschürt von der Angst um die Zukunft. Mit der Teilung war auch ein Bevölkerungsaustausch vorgesehen. Über zehn Millionen Menschen verließen nach 1947 ihre Heimat. Verzweiflung und Wut endeten nicht selten in Gewaltorgien, im Verlauf derer Züge leergemordet, Flüchtlingskarawanen abgeschlachtet, Häuser und ganze Dörfer abgefackelt und Frauen systematisch vergewaltigt wurden. Vorsichtige Schätzungen gehen von bis zu einer Mil-
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lion Toten aus. Diese unvorstellbare Tragödie, die bisweilen Formen eines „ethnic cleansing“ annahm, prägt bis zum heutigen Tag Geschichte und Gesellschaft der Nachfolgestaaten Britisch-Indiens, die Republiken Indien und Pakistan sowie Bangladesh, das ehemalige Ost-Pakistan.
3. Unabhängigkeit und post-koloniale Staaten: Die Republiken Pakistan und Indien In der ehemaligen Provinz Punjab zeigte die Teilung ihre tragischsten Konsequenzen. Vor allem bewahrheiteten sich die Befürchtungen der Sikhs, die bei dem Teilungsplan nicht berücksichtigt worden waren. Bei ihrem Abgang von der kolonialen Bühne reduzierten die Briten ein letztes Mal die indische Gesellschaft nun auf gerade einmal zwei Religionsgemeinschaften. Nahezu alle Sikhs verließen daraufhin den pakistanischen Teil der ehemaligen Provinz Panjab – die jedoch den eigentlichen (geografischen) Panjab (= Fünfstromland) umschließt –, denn sie wollten nicht in einem muslimisch definierten Staat leben und zogen stattdessen die säkulare Verfassung der Indischen Union vor. Kushwant Singh hat in seinem Roman „Train to Pakistan“ in beeindruckender Weise eingefangen, was sich an Unfasslichem und an Gräueln in Dorfgemeinschaften abspielte, deren Einwohner bislang friedlich zusammen gelebt hatten, und unter Menschen, die auf dem Weg in ein anderes Land waren, in das niemand wollte. Literarisch beschäftigte sich ein ganzes Genre an Vertreibungsliteratur in den nächsten Jahrzehnten beiderseits der Grenze mit den traumatischen Folgen der Teilung, die Landschaften und Gemeinschaften nachhaltig veränderte. Städte wie Delhi und Lakhnau verloren einen Großteil ihrer muslimischen Bevölkerung, während die über sieben Millionen Emigranten in Pakistan, was damals zehn Prozent der Bevölkerung entsprach, meist im Panjab oder im Sind angesiedelt wurden, oder im Zuge von Kettenmigration im Laufe von Jahren nachzogen. Die ortsansässige Bevölkerung, die über die massive Zuwanderung alles andere als erfreut war, gab den Einwanderern den Namen Muhajir: Migranten. Karachi, dessen Einwohner bei der letzten Bevölkerungszählung von 1941 noch zu einem Drittel aus Hindus bestand, verlor diese fast vollständig, während die Muhajirs aus Nordindien nun die Stadt, aber auch den Islam nachhaltig veränderten. Calcutta wiederum verlor nicht nur die meisten seiner muslimischen Einwohner, sondern auch sein agrarisches Hinterland. Amritsar, das religiöse Zentrum der SikhGemeinschaft, wurde im Zuge der Teilung der Indischen Union zugeschlagen, während das nur 40 km entfernte wirtschaftliche und politische Zentrum der Provinz Panjab und die ehemalige Hauptstadt des Sikh-Rajatums, Lahore, wegen seiner muslimischen Mehrheit an die Republik Pakistan fiel. Doch sind die Grenzziehungen nicht einmal konsequent nach den festgelegten Prinzipien erfolgt. So wurde der Distrikt Ferozepur mit einer mehrheitlich muslimischen Bevölkerung wegen seiner militärischen (Kasernenanlagen) und landwirtschaftlichen (Kopf eines Bewässerungssystems im
Flucht und Vertreibung 1947–50
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West- und Ost-Pakistan
Bangladesh
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künftigen Pakistan) Bedeutung, wohl auf Intervention Mountbattens, in letzter Minute an Indien gegeben, was pakistanische Politiker von Anfang an argwöhnisch auf Indien und den INC unter Premierminister Jawaharlal Nehru schauen ließ. Da Pakistan seitens des INC und der von ihm dominierten öffentlichen Meinung als Sezessionsstaat betrachtet wurde, kamen Zugeständnisse an den per se feindlich gesinnten Nachbarn politischem Verrat gleich. Vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen um Kashmir bekam dies niemand Geringeres als Mahatma Gandhi zu spüren, der im Zuge der Teilung auch auf eine gerechte Aufteilung der Staatskasse bestand – Britisch-Indien war während des Zweiten Weltkrieges aufgrund seiner Kriegsproduktion erstmals in der „gemeinsamen Geschichte“ zum Gläubiger Großbritanniens geworden –, was den Hindu-Extremisten Nathuram Godse veranlasste, am 30. Januar 1948 Gandhi zu erschießen. Ein besonderes Problem des pakistanischen Staates lag in seinen beiden Landesteilen begründet. West- und Ostpakistan waren zwei geografisch am jeweils anderen Ende des südasiatischen Subkontinents gelegene Regionen, die auch kulturell, sprachlich und historisch wenig verband. Jegliche Bestrebung nach Eigenständigkeit unterband die politische Führung Pakistans, die sich überwiegend aus der Elite West-Pakistans rekrutierte. Das galt vor allem für das dominierende Militär, dessen Personal hauptsächlich aus dem Panjab stammte. Etablierte koloniale Strukturen fanden auf diese Art und Weise ihre Verstärkung in einem post-kolonialen Staat, der auf einem präsidialen System und militärischer Intervention beruhte. Obendrein verschärfte sich die Heterogenität Britisch-Indiens innerhalb der Nachfolgestaaten. An der Frage der kulturellen und sprachlichen Identität Ost-Pakistans – die Bevölkerung sprach überwiegend Bengali, Amtssprache aber war das nur von einer kleinen Minderheit gesprochene Urdu West-Pakistans, das auch hier nur die Muttersprache einer Minderheit war – sollte sich der Konflikt 1951 erstmals entzünden. Die anhaltende wirtschaftliche und politische Benachteiligung des östlichen Landesteiles ließ die spannungsgeladene Lage schließlich 1971 eskalieren. Im Jahr zuvor hatte das pakistanische Militär geputscht und die vorausgegangenen Wahlen annulliert, bei denen die (West-)Pakistan People’s Party unter der Führung von Zulfikar Ali Bhutto (1928–79) und die ost-pakistanische Awami League unter Mujibur Rahman (1920–75) als regionale Parteien jeweils die absolute Mehrheit der Parlamentssitze errungen hatten. Ein solcher Ausdruck von Partikularismus musste die Idee des pakistanischen Zentralstaates in den Grundfesten erschüttern. Diese akut empfundene Bedrohung der nationalen Einheit verwies auf ein Problem, das beide Nachfolgestaaten Britisch-Indiens aus der kolonialen Erbmasse mitnahmen, nämlich die verfassungsrechtlich starke Stellung der Zentralregierung. Einerseits weil die föderale Organisation der beiden Staaten unvermeidlich war, andererseits wurde gerade diese föderale Neuordnung als latente Gefahr für die nationale Einheit gesehen, weshalb man sich zentralstaatliche Zwangsmittel wie die Absetzung von Landesregierungen und der kommissarischen Verwaltung seitens der Regierungen in Delhi und Karachi/Islamabad vorbehielt. In den sich anbahnenden inneren Auseinandersetzungen Pakistans, wo das Militär den deutlichen Separatismus Ost-Pakistans nicht hinnahm, sollte
Die Republiken Pakistan und Indien dieses zentralstaatliche Instrumentarium zur Regelung eigentlich außenpolitisch-internationaler Konflikte zur Lösung innenpolitischer Probleme herangezogen werden. Als nach den viel sagenden Wahlergebnissen in Ost-Pakistan Unruhen ausbrachen, entsandte West-Pakistan Truppen, um den Widerstand zu brechen. Innerhalb eines knappen Jahres fanden mehr als drei Millionen Menschen den Tod. Erst als Premierministerin Indira Gandhi (1917–1984) den Befehl zum Einmarsch der indischen Armee nach Ost-Pakistan gab, war der Weg frei für die Gründung des Staates Bangladesh. Nach dem Morden 1947/48 prägte nun das weitaus größere Morden von 1971 das nationale Bewusstsein des neuen Staates. Die Indische Union vermied es indessen tunlichst, das Land zu annektieren und so die Teilung von 1947 zumindest partiell zu revidieren, denn sie wollte nicht noch mehr muslimische Bewohner haben – ein Indikator dafür, dass auch die säkulare Republik Indien unter der mit absoluter Mehrheit herrschenden Regierung des INC und der Tochter Jawaharlal Nehrus stets eine hindu-lastige Politik verfolgte. In Kashmir sind die politischen Folgen der Teilung Britisch-Indiens bis in die Gegenwart zu verspüren. Das Rajatum von Kashmir, dessen Bevölkerung überwiegend muslimisch ist, dessen Maharaja jedoch einem HinduGlauben anhing, erklärte erst nach langem Zögern seinen Beitritt zur Indischen Union. Über Monate hatte der Maharaja mit dem durchaus realistischen Gedanken eines unabhängigen Himalaya-Staates gespielt, mit direkten Grenzen zur Afghanistan, Pakistan, Indien und China. Wegen der demografischen, aber auch geostrategischen Konstellation erhob jedoch Pakistan Anspruch auf das Territorium Kashmirs. Von beiden Seiten nahm daher der Druck auf den Maharaja zu, sich zu entscheiden. Das überhaupt zu können, war mit dem Instrument of Accession geregelt worden, das es den indischen Monarchen anheim stellte, sich dem einen oder anderen Nachfolgestaat anzuschließen, oder aber, wie es vorerst Kashmir und das Nizamat von Haiderabad taten, unabhängig zu bleiben. Um einem Präventivschlag Pakistans zuvor zu kommen, entsandte die indische Regierung 1948 Truppen nach Kashmir, allerdings erst, nachdem der Maharaja den Beitritt seines Landes zur Indischen Union erklärt hatte, woraufhin der erste Krieg zwischen Pakistan und Indien ausbrach. Auf Vermittlung der Vereinten Nationen kam noch im selben Jahr ein Waffenstillstand zustande. Ein zweiter Krieg um Kashmir folgte 1965. Seit 1972 trennt die „Line of Control“ als Waffenstillstandslinie die Himalayaregion, ohne dass das Konfliktpotential dadurch gemindert werden konnte, wie der letzte Waffengang im Kargil 1999 belegt. In nicht zu unterschätzendem Maße definiert sich über Kashmir das nationale Selbstverständnis der beiden großen südasiatischen Staaten. Ein einseitiger Verzicht auf die Region käme einem politischen Selbstmord gleich – oder der tatsächlichen Ermordung desjenigen, der sich in dieser Hinsicht äußert. Seit dem Ende des Kalten Krieges und den neuen Staaten in Zentralasien geht es bei dem Konflikt freilich nicht mehr allein um nationale Gesichtswahrung, sondern um den Einfluss auf heiß begehrte Rohstoffquellen, wie das globale Engagement im benachbarten Afghanistan unter Einbeziehung Pakistans als logistischer Basis zeigt. Für die Globalisierung regionaler Konflikte steht die Region von Hindukush,
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Kashmir-Konflikt
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„Grüne Revolution“
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Pamir und Karakorum geradezu paradigmatisch, wenn neben der Präsenz von Truppen der „Internationalen Weltgemeinschaft“ das Atomwaffenpotenzial Indiens, das seit 1974 Atommacht ist, und Pakistans, das seit Beginn der 1980er über Atomwaffen verfügt, im Falle politisch-militärischer Konvergenzen zur Eskalation beitragen kann. Derartige Konvergenzen sind besonders seit den Terrorangriffen auf New York und Washington am 11. September 2001 zu beobachten. Anschläge auf das indische Parlamentsgebäude im Dezember 2001, auf einen Pendlerzug in Mumbai (Bombay) im Juli 2006 und geradezu invasionsartig auf das Taj Mahal Hotel ebenfalls in Mumbai im Dezember 2008 stellen Höhepunkte solch terroristischer Aktionen mit mutmaßlich pakistanisch-islamistischem Hintergrund dar. Vorübergehend schien der Friede zwischen beiden Staaten gefährdet. Ermutigend ist allerdings, dass sich trotz anhaltender politischer Divergenzen und gelegentlicher militärischer Drohgebärden die politischen Führer Indiens und Pakistans treffen, wie zuletzt im November 2006 geschehen, um ihre grundsätzliche Gesprächsbereitschaft zu demonstrieren. In Bezug auf Kashmir wird angesichts dieses Bedrohungsszenarios von der Bevölkerung inzwischen der Ruf nach einem unabhängigen Staat als Ausweg aus der bilateral und international verfahrenen Situation immer lauter, womit eine alte Option neue Aktualität erhält. Trotz aller Schwierigkeiten, die die beiden Staaten im bilateralen Umgang haben, gelang es ihnen unmittelbar nach der Unabhängigkeit, Ansprüche zur Verteilung von Wasser über die Bewässerungssysteme wie in Ferozepur, vor allem aber in den submontanen Regionen des Himalaya so zu regeln, dass sie über alle Konflikte hinweg Bestand hatten. Mit der Unabhängigkeit sahen sich die beiden Nachfolgestaaten nicht nur mit solchen Konsequenzen der Kolonialherrschaft konfrontiert. Hinzu kam die asymmetrische Industrialisierung, die sich in der Indischen Union mit Calcutta, Bombay und den wenigen anderen Industriezentren bemerkbar machte, während in Pakistan fast sämtliche Arten von Industriebetrieben fehlten. Ebenso fehlten moderne Bildungseinrichtungen mit adäquaten Curricula, die zur Ausbildung einer gesellschaftlichen Elite notwendig waren, was die Briten systematisch verhindert hatten. Abgesehen davon galt es, eine seit den 1920er Jahren rapide wachsende Bevölkerung mit ausreichend Lebensmittel zu versorgen. Hier schien sich zunächst das dringlichste Problem aufzutun, denn in Pakistan wuchs die Bevölkerung laut Zensus von 1951 bis 1961 von annähernd 34 Millionen auf fast 43 Millionen Einwohner, und die der Indischen Union im selben Zeitraum von 361 auf gut 439 Millionen Einwohner. Der sich abzeichnenden Überbevölkerung, die ab den 1970er Jahren deutlich wurde, begegneten die beiden Staatsregierungen mit der so genannten „Grünen Revolution“. Im Zuge derer ist die radikale Modernisierung der Landwirtschaft betrieben worden. Neues, ertragreiches Saatgut bei den Grundnahrungsmitteln Weizen und Reis, kombiniert mit einem hohen Einsatz an Dünge- und Schädlingsbekämpfungsmitteln, die beide einen Ausbau der Bewässerungsanlagen notwendig machten, sowie dem verstärkten Einsatz von landwirtschaftlichen Maschinen ermöglichten binnen zweier Jahrzehnte geradezu fantastische Ertragssteigerungen. Der indische Bundesstaat und die pakistanische Provinz Panjab beiderseits der neuen
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Grenze wurden dazu ausgewählt, die Agrarrevolution in Gang zu setzen. Sie setzte also in einem Gebiet an, das bereits die Briten in Bezug auf die künstlichen Bewässerungsmöglichkeiten infrastrukturell gefördert hatten. Einwohner Pakistans und Indiens in Millionen Pakistan
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Zwischen 1955 und 1980 stiegen in Indien die Anbaufläche von Reis von 31 auf 40 Mio. ha, und die Erträge von 874 auf 1.338 kg/ha. Ähnliche Zahlen liegen auch für Weizen vor, dessen Anbaufläche von 12 auf 22 Mio. ha und dessen Erträge von 708 auf 1.648 kg/ha wuchsen. Für Pakistan liegt vergleichbares Datenmaterial vor. Hier wuchs der Ernteertrag bei Weizen von 3,9 auf 14,3 Mio. Tonnen im Zeitraum 1949/50 und 1989/90, während der von Reis von 0,8 auf 3,2 Mio. Tonnen stieg. Dass mit der „Grünen Revolution“ nicht allein die Nahrungsmittelversorgung sichergestellt werden sollte, sondern auch ebenso hohe Raten bei den Erträgen für Nutzfrüchte beabsichtigt waren, die für den Weltmarkt produziert wurden, belegen die Zahlen zur Produktionssteigerung bei Zuckerrohr. Dessen Erträge stiegen im letztgenannten Zeitraum von 7,8 auf 35,5 Mio. Tonnen. Entsprechend wuchs auch der Verbrauch an Düngemitteln. 1970 wurden in der Indischen Union gerade einmal 2,2 Mio. Tonnen benötigt, 1990 waren es stattliche 12,5 Mio. Tonnen. Die intensive Beanspruchung des Bodens hat inzwischen dazu geführt, dass allein in der Indischen Union auf 40 Prozent der agrarischen Nutzfläche die Fruchtbarkeit der Böden ernsthaft bedroht ist. Im Zuge der „Grünen Revolution“ wuchs die regionale Disparität zwischen den einzelnen Provinzen, sowohl in Pakistan als auch in Indien. Erneut fand die Agrarrevolution in den infrastruktrell bereits gut erschlossenen Gebieten statt, besonders im Panjab, im Sind und im südindischen KaveriDelta. Die Selbstversorgungskräfte der örtlichen Bauern, vor allem derjenigen, die nicht über entsprechenden Zugang zu Maschinen, Chemikalien, Wasser und Saatgut verfügten, wurden dabei weiter geschwächt. Zahlreiche landwirtschaftliche Kleinbetriebe mussten aufgegeben werden, was zu einer erhöhten Land-Stadt-Migration führte. So folgte die Agrarpolitik auch auf diesem Feld der Politik des Kolonialregimes, das einerseits etablierte Anbauregionen durch Bewässerungsanlagen gestärkt hatte, und das andererseits vom freien Markt und seinen distributorischen Kräften ausging, ohne zu berücksichtigen, dass kleinbäuerliche Existenzen von diesen Entwicklungen, allzumal auf einem globalisierten Weltmarkt, durch eine solche Subventionspolitik akut bedroht sind und Menschen zur Migration zwingen.
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Rohstoff Wasser
Post-koloniale Industrialisierung
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Erst in den vergangenen beiden Jahrzehnten hat man sich in einigen Landstrichen der Indischen Union seiner kleinräumigen Bewässerungssysteme, die über mehr als hundert Jahre vernachlässigt worden waren, erinnert und sie reaktiviert, mit teilweise beachtlichen Erfolgen auf lokaler Ebene. In Pakistan gelang es zahlreichen mittleren Landwirtschaftsbetrieben (3–5 ha), Erträge und Einkommen zu steigern, was aber nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass die feudalen Landwirtschaftsstrukturen mit Großgrundbesitz, wie sie im Sind existierten, durch solche Modernisierungsmaßnahmen nur schwer aufzubrechen waren; im Gegenteil, oftmals halfen sie diese Strukturen zu stabilisieren. In Bezug auf die „Netto-Resultate“ der „Grünen Revolution“ schneidet Pakistan im Vergleich zu Indien besser ab. Allerdings verfügte Pakistan mit drei Viertel des bewässerbaren Bodens und mindestens einem Drittel davon mit zwei Ernten pro Jahr über die zweifelsohne besseren Voraussetzungen. Auch Bangladesh erzielte aufgrund des Wasserreichtums mit seiner „Grünen Revolution“ bessere Ergebnisse. Zum Streitpunkt ist inzwischen das Wasser des Ganges geworden, das die Indische Union vor der Grenze zu Bangladesh stauen und für einen ausgedehnten Bewässerungsfeldbau im Bundesstaat Bihar nutzen will. Politiker und Bauern Bangladeshs fürchten nun um einen ausreichenden Wasserzufluss, auf dem die Landwirtschaft des Landes wegen der wasserintensiven neuen Getreidesorten, vor allem aber wegen des enormen Einsatzes von chemischem Dünger sowie Pestiziden, Fungiziden und Herbiziden mittlerweile basiert. Staudammprojekte sind in der Indischen Union zum Fanal der Modernisierung geworden. Im Narbada-Staudammprojekt fand und findet die Gigantomanie des Staates ihren wohl größten Niederschlag. Über 3.200 Dämme sollen das Wasser der Narbada und diverser Zuflüsse auf einer Länge von etwa 1.000 km stauen, in einem Gebiet, das etwa so groß wie Österreich ist. In Kanalanlagen von mehr als 75.000 km Länge wird das Wasser hauptsächlich der Landwirtschaft im Bundesstaat Gujarat zugute kommen. Über die ökologischen Konsequenzen des Mammutprojektes, das auch deshalb massiven Widerstand seitens der ortsansässigen Bevölkerung hervorgerufen hat, gehen die Meinungen weit auseinander. Für beide Nachfolgestaaten war im Industriesektor von großem Nachteil, dass die administrativen und juristischen Strukturen des Vorgängerregimes nahezu unverändert übernommen wurden, die einer unabhängige Entwicklung von vornherein Grenzen setzten. Im Industriesektor waren die Voraussetzungen in Pakistan allerdings weitaus schlechter als in Indien. In Pakistan nahm die Industrialisierung ihren zunächst bescheidenen Ausgang von Karachi, dem etablierten Handelshafen und der provisorischen Hauptstadt. In den 1950ern wurden hier zahlreiche Textilbetriebe gegründet, vom gleichzeitig wachsenden Baumwollanbau mit Rohmaterial gespeist. Gleiches gilt auch für Peshawar im Pakhtunengebiet, wo sich eine baumwollverarbeitende Industrie ansiedelte. In Lahore wurde in den 1960ern, in Karachi 1970 ein Stahlwerk gegründet, um auch auf dem Gebiet der Schwerindustrie zumindest teilweise Autarkie zu erreichen. Erfolge zeichneten sich auf diesem Sektor indessen nicht ab. Eher war es die Kleinindustrie mit DreschMaschinen, Diesel-Motoren, vor allem aber die lederverarbeitende Industrie für Sportwaren und generell die hochwertige Textilindustrie, die nach
Die Republiken Pakistan und Indien der Liberalisierung der Wirtschaft ab den 1990er Jahren auch ausländische Investoren anlockte. In der Indischen Union fand zunächst eine staatliche Wirtschaftsplanung statt, die mit dem Industries Development and Regulation Act von 1951 an die Planwirtschaft der Kriegsjahre anknüpfte. Eine Planungskommission wies im Rahmen von Fünfjahresplänen Investitionsausgaben und -bereiche aus und setzte genaue Zielvorgaben. Mit Hilfe eines Lizensierungssystems sollten darüber hinaus die knappen Ressourcen des Landes sinnvoll genutzt werden. Hauptaugenmerk galt der Schwerindustrie, von der besonders Jawaharlal Nehru der Meinung war, sie werde die Zugmaschine der gesamten indischen Wirtschaft. Zunächst profitierten von der Planwirtschaft etablierte Konzerne wie Birla und TISCO, die ihre dominierenden Stellungen weiter ausbauen konnten. Landesweit erkennbare Produktionssteigerungen waren jedoch erst Mitte der 1960er Jahre – zur Zeit des dritten Fünfjahresplanes – zu verzeichnen, als beispielsweise die Stahlproduktion von drei auf sechs Mio. Tonnen wuchs. Bis 1980 sollte sie auf zehn Mio. Tonnen anwachsen. Ähnliche Zahlen liegen für die Roheisenherstellung vor: hier stieg die Erzeugung von vier Mio. im Jahr 1960 auf acht Mio. Tonnen 1980. Dass die indischen Wirtschaftsplaner auf Investitions- und kaum auf Konsumgüter setzten, zeigt die Fahrradproduktion, deren Stückzahl von jährlich einer auf vier Mio. wuchs. Noch eklatanter war die Produktionssteigerung bei der jährlichen Fabrikation von Radios, deren Zahl im selben Zeitraum von 0,3 auf 1,9 Mio. Geräte stieg, während die Bevölkerung von 548 auf 846 Mio. Menschen wuchs. Ein weiteres Dilemma bestand in der Importsubstitution, die zwar die indische Wirtschaft ankurbelte, aber auch zu extremen Verzerrungen führte. Denn während die Baumwollindustrie in Bombay-Pune-Ahmedabad bereits zur Kolonialzeit für den Binnenmarkt produzierte und das nun weiterhin tat, litt die zweite große Industrieregion, die primär exportorientierte Jute- und Teeindustrie des östlichen Indien mit Hauptsitz Calcutta, das obendrein von seinem agrarischen Hinterland OstPakistan abgeschnitten war, unter der Konvergenz von politischen und ökonomischen Entwicklungen. Insgesamt war in Indien zu beobachten, dass seine Wirtschaft nach 1965 stagnierte und in den 1970er Jahren keine durchgreifenden Reformen angegangen wurden, weshalb dieses Jahrzehnt im Rückblick oft als ein vertanes beschrieben wird. Da beide Nachfolgestaaten auf den zügigen Ausbau des Industriesektors setzten, vernachlässigten sie lange Zeit die Infrastruktur ihres Landes. Der Aus- und Umbau des Schienennetzes in der Indischen Union begann erst in den 1970er Jahren, zur gleichen Zeit setzte auch der allmähliche Neubau von Straßen ein. In Pakistan legte der Staat keinen Wert auf den Ausbau des Schienennetzes und investierte vor allem in den 1970er Jahren in den umfassenden Neubau eines Straßensystems, dessen Länge von 66.000 km im Jahr 1960 auf 171.000 km 1990 wuchs. Abgesehen von solch partiellen Förderungen behinderten beide Staaten durch zahllose Regulierungen die wirtschaftlichen Aktivitäten ihrer Bevölkerung, was langfristig die gesamte Ökonomie lähmte. In den 1980er Jahren war die Indische Union zuerst darum bemüht, Maßnahmen zur Öffnung der Wirtschaft zu ergreifen, wozu zunächst einmal die Importzölle gesenkt wurden. Das führte innerhalb weniger Jahre zu einem dramatischen Rückgang der Zolleinnahmen. Die geopo-
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Infrastruktur
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Wirtschaftsliberalisierung in Südasien
Bildungspolitik: Elementarbildung
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litische Wende nach dem Ende des Kalten Krieges ließ schließlich auch in Südasien das herkömmliche Blockdenken obsolet werden und schnell stellte man sich den globalen Herausforderungen, indem man bisherige Maßnahmen zur Deregulierung der Wirtschaft verstärkte und konsequent implementierte. Der Golfkrieg des Jahres 1990/91 wurde in der Indischen Union zum Zünder der Wirtschaftsliberalisierung, nachdem das Land aufgrund des massiven Kapitalabzugs von Auslandsindern in eine akute Zahlungsbilanzkrise geraten war. Um ein solches Szenario künftig zu vermeiden, entschloss sich die neue indische Regierung unter Premierminister P. V. Narasimha Rao (1921–2004) mit Finanzminister Manmohan Singh (der seit 2004 nun selbst Premierminister ist) zu durchgreifenden Reformen. Kernpunkte waren die Abwertung der indischen Rupie um 18 Prozent sowie die Abschaffung der Lizenzverordnungen und anderer Regulierungen. Innerhalb weniger Jahre stellte sich der Erfolg ein, der mit kleinen Unterbrechungen bis in die Gegenwart anhält und der Indischen Union wirtschaftliche Wachstumsraten von sechs bis acht Prozent pro Jahr beschert. Drei neue Sektoren der Industrie befördern das wirtschaftliche Wachstum am stärksten, zum einen die Diamantenschleiferei, zweitens die Produktion von Fertigkleidung und drittens die Softwareherstellung. Mit 40 Mrd. US-$ machten die Ausfuhren der drei Branchen 2005 mehr als die Hälfte der indischen Exporteinnahmen aus. Im Bereich der Textilproduktion, deren Maschinenpark in der Indischen Union nach dem Zweiten Weltkrieg aufgrund fehlender Devisen nicht modernisiert werden konnte, weshalb sie einem langen Verfall und Sterben ausgesetzt war, konnten Pakistan und vor allem Bangladesh in den 1990er Jahren auch durch die internationalen Investitionen profitieren. Sonderwirtschaftszonen, in denen gewerkschaftliche Rechte und Arbeitsschutzbestimmungen eingeschränkt oder ganz außer Kraft gesetzt wurden, lockten ausländische Investoren an, denn sie trugen und tragen so gut wie kein Risiko. In (neo-)kolonialer Manier werden billige Arbeitskräfte ausgebeutet, während die Gewinne fast sämtlich ins Ausland transferiert werden, so verbreitet geschehen in Bangladesh. Sonderwirtschaftszonen hat seit der Jahrtausendwende auch die Indische Union eingerichtet, in denen es umfassende Zoll- und Steuererleichterungen gibt. Problematisch ist hier das Enteignungsverfahren, das auf dem Land Acquisition Act aus dem Jahr 1894 beruht, nach dem auch landwirtschaftlich genutztes Land enteignet werden kann, obwohl dies für Sonderwirtschaftszonen nicht vorgesehen ist. Klagen von Bauern gegen solche Enteignungen sind vor indischen Gerichten bislang erfolglos geblieben, was wieder auf die Langlebigkeit von kolonialer Legislative und Jurisdiktion verweist. Das Defizit in der Bildungspolitik versuchten die beiden Nachfolgestaaten sukzessive auszugleichen. Die Briten hatten sich geweigert, eine allgemeine Schulpflicht einzuführen, denn die hätte das Kolonialregime in eine finanzielle Pflicht genommen, die es nicht übernehmen wollte. So lag die Priorität der Bildungspolitik zunächst im massiven und rapiden Ausbau der Elementarbildung. Die mageren Erfolgszahlen lassen erkennen, wie schwer sich die Nachfolgestaaten mit der Alphabetisierung der Bevölkerung bis in die Gegenwart hinein tun. Im Jahr 2002 lag die Alphabetisierungsrate unter
Die Republiken Pakistan und Indien den jungen Menschen in der Republik Indien bei 73,3, in der Republik Pakistan bei 53,9 und in Bangladesh bei 49,7 Prozent. Allerdings muss vermerkt werden, dass erst seit 1981 die Alphabetisierungsrate in der Indischen Union um etwa 20 Prozent zugenommen hat, nachdem auch der Bildungsetat drastisch erhöht worden war. Mit 97 Prozent stellt das ehemalige Ceylon alle anderen südasiatischen Länder in den Schatten. Und ist in den drei erstgenannten Ländern die Zahl der illiteraten Frauen mit maximal 50 Prozent extrem hoch, ist in Sri Lanka die „Lücke“ zwischen den Geschlechtern fast geschlossen. Im universitären Bereich wurden zwar zu britischen Kolonialzeiten noch zahlreiche neue Institutionen gegründet, auch änderte sich nach dem Universitätsgesetz von 1904 die Ausbildungslage, doch von wissenschaftlichen Institutionen konnte beileibe nicht gesprochen werden. Das große Manko bestand noch immer in der sträflichen Vernachlässigung der Naturwissenschaften und der Technik. So wundert es denn nicht, dass Nehru gerade in die technische Ausbildung investierte. Nach dem Vorbild des Massachusetts Institute of Technology (MIT) gründete er die Indian Institutes of Technology (IIT), das erste 1951 in der Nähe Calcuttas. Im Jahr 2001 kam als siebtes und vorerst letztes IIT dasjenige von Roorkee hinzu, das die Briten bereits 1848 als Civil Engineering College zur Ausbildung ihres subalternen Technikerpersonals gegründet hatten. Als Institute von nationaler Bedeutung genießen sie weitgehende Privilegien, darunter die völlig freie Gestaltung der Curricula. Die IIT sind zu regelrechten Kaderschmieden geworden, unter deren gegenwärtig nahezu 5.000 jährlichen Absolventen sich auch das weltweit beachtete Reservoir an IT-Ingenieuren befindet. In Bangladesh laufen die privaten Universitäten den staatlichen inzwischen den Rang ab. 30 staatlichen Universitäten stehen momentan 50 private gegenüber, die sich zu einem Großteil naturwissenschaftlichen Bildungsprogrammen verschrieben haben. Forschung wird an ihnen eher klein geschrieben. Auch lässt der Standard der Ausbildung in vielen dieser Universitäten zu wünschen übrig. Finanziell werden sie zu einem Großteil von den Rücküberweisungen der Auslandsbangladeshi gefördert, um so eine neue Elite im Land ausbilden zu lassen. Besagte Auslandsüberweisungen verweisen wiederum auf den großen Posten im Bruttosozialprodukt, den dieses Kapital inzwischen in der Wirtschaft des Landes einnimmt. Das gilt auch für Sri Lanka, Indien und Pakistan. Gastarbeiter aus den genannten Ländern, die in den Golfstaaten befristet arbeiten, sorgen für einen enormen Zufluss an Devisen, dessen Unterbrechung zu Zeiten des ersten Golfkrieges innerhalb weniger Wochen eine akute Finanzkrise auslösen konnte, wie in der Indischen Union geschehen. Der Wohlstand der Golfstaaten, der nach den „Ölpreisschocks“ der Jahre 1973/74, 1979 und 1981 einsetzte, als der Preis für das Barrel Öl von drei auf 34 US-$ stieg, wonach es zu umfangreichen Investitionen in den Ausbau der petro-industriellen Infrastruktur und der urbanen Zentren kam, eröffnete für die Einwohner der Staaten Südasiens die Möglichkeit, Arbeit am Golf zu finden. Zur Regelung der Arbeitsverhältnisse zogen die Agenturen Bestimmungen aus den 1930er Jahren heran, als zum ersten Mal Gastarbeiter aus Britisch-Indien zur Ölförderung durch britische und US-amerikanische Unternehmen an den Golf geholt wurden. Diese Verträge knüpften
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Universitäre Bildungs- und Forschungseinrichtungen
Südasiatische „Gastarbeiter“
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Auslandsüberweisungen
Investitionsverhalten der Zirkulanten
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wiederum an die ehemaligen „Kuli-Kontrakte“ aus dem 19. Jahrhundert an. Die meisten Arbeitsverhältnisse waren auf ein Jahr beschränkt, in Ausnahmefällen konnten es zwei bis fünf Jahre sein. Nach einer „Pause“ von einem Jahr durfte ein neues Arbeitsverhältnis eingegangen werden. Diese Staffelung hat dazu geführt, dass Mitglieder zahlreicher Familienverbände und Dörfer im Golf arbeiten und so innerhalb weniger Jahre ein zirkuläres Arbeitsregime entstand. Bis 1990 zirkulierten aus Indien 2,0 Mio. Menschen, aus Pakistan etwa 1,5 Mio., aus Bangladesh circa 200.000 und aus Sri Lanka geschätzte 70.000 Arbeiter und Haushaltshilfen. Inzwischen geht man für die genannten Länder Südasiens von mehr als fünf Mio. Zirkulanten aus. Ihre Rücküberweisungen stiegen allein zwischen 1999 und 2003 von 14 Mrd. US-$ auf fast 26 Mrd. US-$. Den deutlichsten Zuwachs verzeichneten dabei die pakistanischen Anweisungen, die von 0,1 auf 4,0 Mrd. US-$ stiegen. Auf das Bruttosozialprodukt der Länder bezogen, ergeben sich folgende Prozentsätze: In Sri Lanka stieg der Anteil von 6,8 auf 7,1, in Indien von 2,5 auf 2,9, in Pakistan von 1,7 auf 6,0 und in Bangladesh von 2,6 auf 3,5 Prozent. In diesen Zahlen sind nicht die inoffiziellen Auslandsüberweisungen berücksichtigt, welche anhand von simulierten Kalkulationen mittlerweile mehr als 40 Prozent der gesamten Auslandsüberweisungen betragen sollen. Sehr zum Missfallen des jeweiligen Staates, denn es gehen ihm erhebliche Steuereinnahmen verloren. Andererseits bringen die inoffiziellen Geldtransfers umfangreiches Investitionskapital ins Land, auf das mittlerweile nicht mehr verzichtet werden kann. Höchst unterschiedlich sind indessen die Folgen des Kapitaltransfers. Generell lässt sich festhalten, dass in die Verbesserung von Immobilien investiert wird. Da die meisten ZirkulantInnen aus dem ländlichen Bereich kommen, wird auch in Ackerland investiert, um so die wirtschaftliche und soziale Basis im Dorf zu verbessern. Der Statuserhöhung dienen auch zahlreiche Neubauten, die den Wohlstand der Neureichen im etablierten Sozialgefüge anzeigen und nicht selten zu Spannungen mit der alteingesessenen Elite führen. Der Status der Frauen innerhalb einer Familie kann mitunter erheblich zunehmen, wenn, wie in Pakistan zu beobachten, die Männer im Golf sind und die Ehefrauen die klein- und mittelständischen bäuerlichen Betriebe leiten müssen. Allerdings lösen solch veränderte Rollen auch innerfamiliäre Konflikte aus, wenn, wie beispielsweise in Sri Lanka zu beobachten, die daheim gebliebenen Männer mit der gewachsenen ökonomischen Position ihrer Frauen nicht zurechtkommen. Bisweilen brechen dann Familien auseinander. Andererseits ist hier mitunter festgestellt worden, dass der Familienverband gerade wegen der abwesenden Ehefrau und Mutter stärker zusammenhält. Neben der Zirkulation in den Golf sowie nach Europa und in die USA kommt vor allem der inländischen Migration und Zirkulation eine große Bedeutung zu. Abzulesen ist der Stellenwert an den wachsenden Städten. Karachi, Mumbai, Delhi, Kolkata und Dhaka sind mit einer Bevölkerung von jeweils mehr als fünf Millionen Menschen zu Megacities geworden. Auch hier ist das Phänomen der Zirkulation und der temporären Migration zu beobachten, wenn meist männliche Familienmitglieder zunächst vorübergehend Arbeit in der Stadt suchen. Oft kommt es zu permanenten Niederlas-
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sungen, wenn dauerhafte Arbeit im meist informellen Sektor gefunden wurde. Wie in den meisten Ländern außerhalb des europäisch-nordamerikanischen Arbeitsmarktes ist der informelle Sektor sicherlich der unsicherste und derjenige, der die geringsten Löhne zahlt. Allerdings bieten, wie gesehen, die Sonderwirtschaftszonen im formellen Sektor auch nicht die anderswo üblichen Standards. Zugleich ist der informelle Sektor derjenige mit den größten Wachstumsraten, und obendrein ist er höchst innovativ, wenn es darum geht, Marktlücken zu schließen oder Marktnischen zu entdecken.
4. Nepal: Vom Königreich zur Republik Die politischen Entwicklungen der vergangenen zwei Jahre haben Nepal in den internationalen Blickwinkel gerückt, das erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts unter der Shah-Monarchie in seiner heutigen Form politisch vereint wurde. Bis in die Gegenwart ist Nepal jedoch ein multi-ethnischer, multi-kultureller und multi-lingualer Staat geblieben. Vom Land und seinen Menschen nahm man kaum Notiz, was ein Erbe der britischen Kolonialherrschaft in Südasien ist, die das Königreich gezielt isolierte, es aber nicht annektierte, weil die Briten um die Heterogenität seiner Gesellschaft(en) wussten. In solchem Windschatten sicherte die Rana-Dynastie der Ersten Minister in dem Jahrhundert ihrer ungestörten, fast absoluten Machtausübung den Brahmanen und Kshatria des Landes die prominentesten Positionen in Wirtschaft und Gesellschaft zu. Langfristig zeichnet dieses Regime selbst für die Abschaffung des monarchischen Systems im Jahr 2008 verantwortlich. Allerdings trug der Staatsstreich König Mahendras (reg. 1955–72) vom 15. Dezember 1960 und die Errichtung eines autokratischen Regimes seit Mitte der 1990er Jahre zur Eskalation der Gewalt bei. Bewegung kam in die politische Landschaft Nepals, als sich der Nepali Congress mit den kommunistischen Splittergruppen, die zur United Left Front fusioniert hatten, zu einer wirkmächtigen Opposition zusammen schloss und den damaligen König Birendra (1972–2001) 1990 binnen zwei Monaten dazu brachten, sich einem konstitutionellen Regime zu unterwerfen. Zu weiteren verfassungsrechtlichen, geschweige denn gesellschaftlichen Reformen kam es indessen nicht, so dass die Unzufriedenheit in der Bevölkerung wuchs. Zahlreiche neue Parteien versuchten, die politischen Geschicke des Landes in die Hände zu nehmen. 1995 wurde schließlich die Communist Party of Nepal (Maoist) (CPN-M) gegründet. Mit brutalen Polizeiaktionen versuchte die Regierung zu verhindern, dass in den Distrikten des Landes Ortsvereine der CPN-M entstanden. Daraufhin wandten sich die „Maoisten“ mit einem 40-Punkte-Programm an die Regierung, die jedoch nicht reagierte. Im Januar 1996 begann die CPN-M dann den angekündigten „Volkskrieg“, der sich über zehn Jahre hinzog und allein im Zeitraum 2001–2006 etwa 13.500 Tote forderte, was zwei Drittel aller Opfer des Bürgerkrieges entspricht. Nachdem König Birendra 2001 einem Massaker unter der königlichen Familien zum Opfer gefallen war, das sein Sohn und Thronfolger initiiert hatte,
Politische Willensbildung in Nepal nach 1990
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bestieg Birendras Bruder Gyanendra den Thron. Gyanendra verfolgte eine ähnlich restaurativ-autokratische Politik wie ehedem Mahendra, indem er vermeintliche Lücken in der Verfassung erfolgreich zu seinen monarchischen Gunsten auslegen ließ. Mit Hilfe der Armee vollendete schließlich Gyanendra am 1. Februar 2005 seinen Staatsstreich und übernahm danach höchstselbst die Regierungsgeschäfte. Für einen Zeitraum von drei Jahren wollte er diktatorisch herrschen, wozu er den Notstand ausrief. Die daraufhin einsetzende Inhaftierungswelle und Schikanierungen der Bevölkerung weckte deren zivilgesellschaftlichen Mut. Bereits Ende April 2005 musste Gyanendra seine Machtposition aufgeben und das Parlament wieder einsetzen. Für Anfang Mai 2008 wurden schließlich Wahlen zu einer verfassungsgebenden Versammlung angesetzt. Zuvor gelang es den „Maoisten“, die Abschaffung der Monarchie zum Gegenstand der konstituierenden Sitzung zu machen, mit Erfolg, denn seit dem 28. Mai 2008 ist Nepal eine Republik.
5. Sri Lanka: Bürgerkrieg als koloniales Erbe Im Vergleich zu Britisch-Indien vollzog sich die Unabhängigkeit Ceylons 1948 geradezu geräuschlos. Nicht dass die Briten keinen gesellschaftlichen Sprengstoff hinterlassen hätten, aber die weitreichendsten Verfassungsreformen in Bezug auf eine „farbige“ Kolonie, darunter das 1931 eingeführte allgemeine und gleiche Wahlrecht, haben die friedliche Übergabe der Macht wohl mit ermöglicht. Allerdings hatte die Annexion des Nayaktum Kandy im Hochland der Insel durch die Briten im Jahr 1818 ebenso Unzufriedenheit geschaffen, wie die einseitige Bevorzugung der Tamilen im Nordosten der Insel in der Kolonialverwaltung, die beim Zensus von 1931 auf 15 Prozent gegenüber 72 Prozent der sinhalesischen Mehrheit kamen. Dieses Missverhältnis in Politik, Bildung und Wirtschaft aufzuheben, war das Anliegen der Sri Lanka Freedom Party (SLFP), die die Wahlen von 1956 gewann. Mittel dazu war die einseitige Förderung von Sinhala als Nationalsprache und des Buddhismus als einer Religion mit nationalem Charakter. Die Quotierung von Studienanfängern auf der Grundlage ihrer Herkunft zielte indessen recht eigentlich auf die Diskriminierung der Tamilen als überproportional vertretene Elite des Landes ab. Die Marginalisierung der Tamilen durch die offizielle Regierungspolitik führte in den 1970er Jahren zunächst zur Gründung der Tamil United Liberation Front, aus der dann die Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) mit ihren radikalen Forderungen nach einem eigenen Staat im Nordosten der Insel hervorging, dessen historische Wurzeln im alten Königreich Jaffna liegen. Zur Radikalisierung der politischen Positionen trug schließlich die Verfassungsänderung im Jahr 1977 bei, die die United National Party mit ihrer Mehrheit durchsetzte. Danach wurden den tamilischen Abgeordneten die quotierten Parlamentssitze verweigert und die Tamilen sämtlich zu Staatsfeinden erklärt. Um ihre Ziele zu erreichen, schreckte die LTTE vor terroristischen Gewaltakten nicht zurück. Nachdem 1983 Aktivisten der LTTE 13 Regierungssoldaten erschossen hatten, brach mit einer Welle der Gewalt
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Sri Lanka: Bürgerkrieg als koloniales Erbe
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der Bürgerkrieg aus, dem innerhalb weniger Monate etwa 3.000 Tote zum Opfer fielen, abgesehen von den geschätzten 150.000 geflohenen Tamilen, die in Großbritannien, Kanada und Australien Aufnahme fanden. Bis in die Gegenwart schwelt der Konflikt. Diverse Waffenstillstandsabkommen zwischen der LTTE und der Regierung wurden immer wieder einseitig gekündigt. Der Versuch der indischen Regierung unter Rajiv Gandhi, friedensstiftend in den Konflikt einzugreifen und dazu 1987 Truppen nach Sri Lanka zu entsenden, führte zum vorübergehenden Schulterschluss der Kontrahenten, um die hegemonialen Attitüden der Indischen Union zurückzuweisen, die sich binnen kurzem als Besatzungsmacht gerierte. Die stillschweigende Billigung der USA und der UdSSR bestätigte zudem die Rolle der Indischen Union als Ordnungsmacht in Südasien. 1991 fiel Rajiv Gandhi während des Wahlkampfes im südindischen Tamilnadu einem Selbstmordattentat zum Opfer, das höchstwahrscheinlich von einer LTTEAktivistin ausgeübt wurde. Nicht zu unrecht musste die LTTE fürchten, dass Gandhi im Falle eines Wahlsieges die indische Interventionspolitik in Sri Lanka intensivieren würde. Die letzten Friedensverhandlungen zwischen der lankanischen Regierung und den tamilischen Rebellen scheiterten 2006 in Genf. Im darauf folgenden Jahr startete die Regierung eine massive Offensive gegen die LTTE, die erneut 150.000 Menschen entwurzelte. Der Waffenstillstand hielt nur bis zum 2. Januar 2008, als die Regierung das Abkommen aufkündigte und anschließend erneut mit Waffengewalt gegen die LTTE vorging. Ein Jahr später eroberten Regierungstruppen die letzte Stadt, die von der LTTE gehalten wurde. Ob der seit einem Vierteljahrhundert anhaltende Befreiungskampf der LTTE damit beendet ist, darf angesichts der Langlebigkeit des Konflikts und der gravierenden Interessenunterschiede arg bezweifelt werden.
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Auswahlbibliografie Hier werden nur die einschlägigen Darstellungen und Untersuchungen zur neueren Geschichte Südasiens aufgeführt. Sie sind einerseits periodisch geordnet, andererseits innerhalb der zeitlichen Einteilung nach Themen sortiert. Die Auflistung erfolgt in den Rubriken wie den Unterrubriken nicht in alphabetischer Reihenfolge, sondern ist nach Sinnzusammenhängen geordnet. 1. Gesamtdarstellungen zur Geschichte Südasiens und seiner gegenwärtigen Staaten
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Sammelbände mit den maßgeblichen Artikeln
Wirtschaft und Gesellschaft
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Ortsregister Afghanistan 1, 8, 22 f., 26, 35, 38, 51, 59, 62, 73, 83 f., 115, 121 Afrika 2, 22, 29, 32, 34, 52 f., 73, 95 f., 103, 105, 109 f., 112 Agra 24, 31, 37, 43, 46 ff., 62, 64, 66, 102 f. Ahmednagar 12, 25 Aluvakonda 16 Amritsar 8, 108 f., 119 Arabien 5, 18, 29, 35 f., 42 f., 52 ff., 70 ff., 78 Arabisches Meer 2 f., 24, 32 f., 53 Arakan 18 Arakan-Gebirge 1 Awadh 5, 8, 50, 60 f., 79, 81, 83, 85 Bangladesh 1, 7, 119 ff., 124, 126 ff. Basra 33, 53, 55 Bhutan 1 Bidar 12 Bijapur 12, 25, 33, 39, 41, 44 Bolan-Pass 1 Bombay/Mumbay 2, 8, 53 f., 72 ff., 92, 96 ff., 107, 122, 125, 128 Brahmaputra 1, 2, 49 Burhanpur 24 Calicut 55 Cannanore 14, 55 Chandragiri 12 Chaul 14, 33 Dekhan 2 f., 13 f., 19, 24, 28, 38 f., 41, 44, 46, 49, 51 f., 56 Derar Doab 2, 21, 50, 77, 81, 92 Eastern Ghats 2 Ganges 2, 5, 49 ff., 77, 81, 92, 102, 124 Gaur 28 Gingi 12 Goa 8, 14, 19, 33, 35 Godaveri 2 f., 56 Golf von Bengalen 2 f., 18, 33, 36 Golkonda 12, 18 ff., 25, 39, 41, 55 f. Gombrun 52 f. Gondwana 24 Gujarat 2, 5, 23 f., 29, 34, 39 ff., 44, 47, 50 f., 53, 72 f., 92, 96, 102, 112 f., 124 Hadramauth 2, 56 Haiderabad 8, 20 f., 44, 56, 60, 62, 65, 70, 73, 78, 83, 121 Harappa-Zivilisation 2, 15 Hardwar 98
Himalaya 1 ff., 36, 39, 50, 98, 121 f. Hindukush 1, 121 Hindustan 3, 8, 21 ff., 26, 28, 31 f., 50, 64, 74 f., 78, 81, 85, 90, 113 Hormuz 33, 35, 51, 53 Indien 1 ff., 12 f., 19, 21, 23, 32, 37, 44 ff., 50 ff., 54, 58, 64 f., 69, 70 ff., 80 f., 83 f., 87 ff., 91, 95 ff., 105 ff., 130 Indonesien 2 f. Indus 2 ff., 73, 103 Isfahan 22, 29, 39, 53 Istanbul 29, 53, 65 Jamuna 2, 48, 50, 77, 81, 92 Jemen 2 Jodhpur 24, 26 Kabul 23 f., 28, 37, 41 f., 49, 51, 73 Kalkutta/Calcutta/ Kolkata 54, 63 f., 66 74 f., 80 f., 87 f., 92 f., 96 ff., 117, 119, 122, 125, 127 f. Kanton 33, 53, 74, 93 Kanya Kumari 1, 12, 36 Karakorum 1, 122 Kashmir 8 f., 28, 41, 51, 78, 115, 120 ff. Kaveri 2 f., 18, 123 Kerala 5, 94 Khaiber-Pass 1, 24 Khambhat 52 Khandesh 25, 92 Kirthan-Gebirge 1 Konkan-Küste 33, 57 Koromandel-Küste 12 f., 18, 54, 57, 70, 74 ff., 94 Krishna 2 f., 5, 12, 21, 56 f. Kulur 19 Lahore 24, 37, 39, 47 ff., 97, 101, 114, 119, 124 Levante 33 f., 36 Macao 33 Madras/Chennai 13, 18, 61 f., 65 ff., 72, 76, 78, 81, 83, 113 Mahanadi 52, 95, 115 Maidan 13 Maisur 13, 18, 61 f., 65 ff., 72, 76, 78, 81, 83, 113 Malaya 52, 95, 115 Malediven 1 Malwa 24 f., 73 f. Maratha Desh 8, 44 f., 62, 91 Masulipatnam 13, 19, 47, 55 ff., 70, 72, 74 Medina 29, 32 f., 41, 109
Mekka 29, 32 ff., 41, 109 Melaka 33, 53 Mesopotamien 2, 108 Mokha 52, 55 Narbada 2, 124 Nepal 1, 84, 129 f. Orissa 28, 37, 51, 64, 66, 89 f. Ostasien 1 Pakistan 1, 2, 3 ff., 7, 9, 37, 115, 119 ff. Palaghat 13 Pamir 1, 122 Panjab 2 ff., 8, 21, 24, 39, 43, 50 f., 61 f., 73, 77, 83 ff., 92, 101 f., 107 f., 110, 114 f., 118 ff., 122 f. Payenghat 13, 18, 21 Persien 5, 10, 18, 22, 25, 31 f., 37, 40, 42 f., 48 f., 52 ff., 59, 69, 72, 78 ff. Persischer Golf 29, 33, 36, 51, 53 f., 73, 102 Portugal 15, 33, 35 Pudukkottai 12, 46 Pune 8, 49, 62, 65, 67, 72, 125 Qandahar 73 Raichur-Doab 12 Rajastan 3 ff., 39, 62, 65, 67 f., 72 f. Ramnad 12, 16, 46, 71 Rotes Meer 29, 33 f., 54 Satara 8, 44, 62 Satpura-Gebirge 3 Sikkim 1 Sind 3 ff., 51, 73 f., 115, 119, 123 f. Sri Lanka 1, 3, 18, 35, 70, 127 f., 130 f. Srirangapattanam 13 Südost-Asien 2, 70, 115 Sumatra 52 Tamilnad 5, 12, 18, 39, 47, 56, 72, 94, 131 Tanjavur 12, 16 ff., 46, 79, 83 Tapti 2 Thatta 28, 47, 49, 51 f., 73 Tibet 1 Tungabhadra 5, 12, 15 Uzbekistan 22, 24, 51 Velur 12 Westasien 1, 22 f. Western Ghats 2 f.
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Personenregister Abdul Ghafur 53 Achutadevaraya von Vijayanagara (reg. 1530–42) 18 Akbar, Padshah (reg. 1556–1605) 8, 20, 22 ff., 36 ff., 40, 42 f., 48 f., 59, 67, 80 Alivardi Khan, Nawab von Bengalen (reg. 1740–56) 63 Aurangzeb Alamgir (reg. 1658–1707) 41 ff., 60 f. Babur (1482–1530) 21 ff., 31 f., 37 Bahadur Shah II. (1837–57) 85 Bentinck, Lord Cavendish, Governor General 1828–35 102 Bhutto, Zulfikar Ali (1928–79) 120 Birendra, Maharaja von Nepal (reg. 1972–2001) 129 f. Bose, Subhas Chandra (1897–1947) 111, 115 Chamaraja Wodeyar (1513–53) 18 Chatrapati von Satara 44, 89, 91 Chattopadhyay, Bankimchandra (1838–94) 88 f. Chowdhuri, Rahmat Ali (1895–1951) 114 Dalhousie, James Marquess, Governor General 1848–56 102 f. Dvivedi, Mahavir Prasad (1864–1938) 90 Dyche, Thomas 80 Gandhi, Mohandas karamchand (Mahatma) 8, 95, 107, 109 ff., 115, 120 f. Ghose, Aurobindo (1872–1930) 107 Gyanendra, Maharaja von Nepal (reg. 2001–08) 130 Halhed, Nathaniel B. 80 Harishchandra, Bharatendru (1850–85) 90 Hastings, Warren, Governor General der EIC 1772–85 65, 80
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Hickey, James A. 80 Ibrahim Adial Shah von Bijapur (reg. 1580–1626) 25 Ibrahim Qutb Shah von Golkonda (reg. 1550–80) 19 f., 25 Iqbal, Muhammad (1873–1937) 114 f. Irwin, Edward Lord, Governor General (amt. 1926–31) 112 Islam Shah Sur (reg. 1545–53) 24 Jahangir (reg. 1605–27) 8, 38 ff. Jinnah, Muhammad Ali (1875–1947) 114 f., 117 Linlithgow, Lord Victor, Governor General 1936–43) 114, 116 Mahendra, Maharaja von Nepal (reg. 1955–72) 129 f. Mir Jafar, Nawab von Bengalen (reg. 1757–60, 1763–5) 63, 66 Mir Qasim Ali Khan (reg. 1760–3) 63 Morse, Samuel 102 Mountbatten, Lord Louis, Governor General 1947 117, 120 Muhammad Quli Qutb Shah von Golkonda (reg. 1588–1612) 21 Muhammad Shah (reg. 1720–48) 44, 78 Murshid Quli Khan, Nawab von Bengalen 1722–36 44 f. Nehru, Jawaharlal (1889–1964) erster Premierminister der Indischen Union, amt. 1947–64 112 f., 120 f., 125, 126
Raja Todar Mal (gest. 1586) 28 Rani von Attingal 55 Raya Krishnadevaraya von Vijayanagara (reg. 1509–29) 12, 14, 17 f. Raya Vekata II von Vijayanagara (reg. 1586–1614) 21 Roy, Raja Ram Mohan (1772–1833) 104 Samudrathiri von Kozhikode 55 Shah Abdal Aziz (1746–1824) 78 Shah Ismail von Persien (reg. 1502–24) 21 f. Shah Jahan (reg. 1627–58) 8, 39 ff., 48 ff. Shah Wali Allah (1703–61) 78 Shaik Abdal Qadir 70 f. Shaik Abu’l Fazl (1551–1602) 22, 30 f., 80 Sher Shah Sur (1486?–1545) 23 f., 26, 28 ff., 51 Shivaji Bhonsle (1630–80) 44 Singh, Rajrama Zalim (1739–1819) 67 Suhrawardy, Huseyn S. (1892–1963) 117 Süleiman der Prächtige (reg. 1523–66) 22 Tilak, Bal Gangadhar (1856–1920) 91 f., 107, 110 Timur Tamerlan (1336–1405) 22 f., 31 Victoria, Königin von England und Schottland (1837–1901), Kaiserin von Indien (1876) 7, 88 Virji Vorja 52 f. Vivekananda, Swami (1836–1902) 104
O’Shaughnessy, William 102 Radcliff, Sir Cyril (1899–1977) 118 Rahman, Mujibur (1920–75) 120 Rai, Lala Lajpat (1865–1928) 107 Raja Serfoji von Tanjavur (reg. 1798–1832) 79 f.
Wavell, Lord Archibald, Governor General 1943–47 117 Wellesley, Richard, Governor General der EIC 1798–1805 65, 81 Wilkins, Charles 80