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German Pages 332 Year 1872
( برع بعد1 )ian Parinti
Geſchichte ber
Engliſchen Regierung und
Verfaſſung von Heinrichs VII. Regierung bis auf die Gegenwart von
Lord John Ruſſel. Nach der vierten Auflage überſekt bon
Dr. Karl Lanz.
Freiburg im Breisgau. Verlag von Franz 301. S d eu ble. 1872.
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Budybru terei ron F. S. S d euble .
Vorwort des Ueberſekers. Dem bedeutenden Werke eines Roryphäen unter den
britiſchen Staatsmännern ein Wort zur Einführung vor zuſetzen, würde anmaßend ſein. Doch über das Verhältniß dieſer leßten Ausgabe zu der vor 50 Jahren erſchienenen
erſten und bald darauf erfolgten zweiten , welche auch in Deutſchland freundlich aufgenommen wurde, mögen einige Worte nicht überflüſſig ſein. Der Verfaſſer gehört zu den Vorfämpfern der freieren
politiſchen und religiöſen Entwickelung des engliſchen Staats und Volkslebens, den hervorragenden Männern jener Whigs partei, welche bis 1830 einem ſtarren Torysmus gegen über die liberalen Grundſäge verfochten, welche feit dieſem
Wendepunkt durchdringend zur Verwirklichung kamen . Seine Betheiligung an der inneren und äußeren Politik war eine vielſeitige und ausgiebige ; ſein Name iſt mit allen bedeut ſamen Reformen der britiſchen Geſetze und Zuſtände der knüpft. Seine Mitwirkung für Durchſeßung der Reform bill war weſentlich für den Erfolg bedeutend; er führte die Oppoſition , welche den Sturz des Toryminiſteriums erzielte ; entwickelte als Staatsſecretär des Innern eine fruchtbare reformatoriſche Thätigkeit, förderte als Miniſter
des Auswärtigen den Krimkrieg und die Beſtrebungen Italiens, und hemmte bei der mericaniſchen Erpedition die Abſichten Napoleons. Seit 1861 in den Beersſtand erhoben gehört er dem Oberhaus an und entwickelte er noch fortwäh
rend eine rühmlich anerkannte politiſde und ſchriftſtelleriſche Thätigkeit. Aus der Feder dieſes mitwirkenden Koryphäen iſt der faſt ein Drittheil des Volumens enthaltende Epilog in einer
Ueberſicht der Errungenſchaften ſeit 1820 eine werthvolle Zugabe.
Bei Gelegenheit der Reformbil werden die
Grundſäße, welche der Verfaſſer jedem Wirken für die Fort bildung der ſtaatlichen und geſellſchaftlichen Zuſtände zu Grunde gelegt haben will, entwickelt, und in der Aufzählung
der gewonnenen Reſultate ſammt der Darlegung, wie ſolche zu Stande gekommen ſind, wird eine Anſchauung deſſen ge geben, welch' bedeutende Fortſchritte und Verbeſſerungen ohne Umſturz und plößliches Niederreißen, vielmehr durch allmäh liches Nachgeben gegen die Forderungen der aufgeklärten öffentlichen Meinung erzielt werden .
Bei der regen politiſchen Thätigkeit, welche gegenwärtig die Fortentwickelung unſerer ſtaatlichen und ſocialen Ver
hältniſſe betreibt, und wobei , obwohl wir andere hiſtoriſche Grundlagen haben , doch mit Recht die Augen gerne auf
das Vorbild Englands gerichtet werden , mag dieſe An ſchauung, wie von Intereſſe, ſo auch von Nußen ſein.
Erftes Kapitel. Erſte Anfänge und Grundſäke der Regierung und Verfaſſung Englands. :
!
Es hätte gewiß einen außerordentlichen Scharfſinn ers fordert , hätte man beim Beginn der Wilfürherrſchaft des vauſes Tudor den Verlauf vorausſagen wollen , welchen dhwache Mißregierung und fühner Widerſtand, der wüthende Kampf und nicht minder grauſame Sieg haben würden,
modurch die Geſchichte des Hauſes Stuart nach einer Reihe von Blutthaten zuletzt mit einer friedlichen Revolution und
der feſten Ginrichtung geregelter Freiheit endigte. Aber wer die Ernte vor Augen hat , kann über die Saat im Bodent
feinen Zweifel haben ; und zu jetziger Zeit dürften wir im Stande ſein , beſtimmt anzugeben , worin die Elemente der
Freiheit im engliſchen Staatsweſen unter der Herrſchaft der Tudor beſtanden, welche ſich ſeitdem in der unvergleichlichen
Verfaſſung entwickelt haben.
Unter dieſe können wir unbe
denklich die folgenden Umſtände zählen. Erſtlich. Die Souveränität Englands ruhte nicht in
dem König allein . Alle Angelegenheiten von großer Wichtigkeit für den Staat waren der Berathung im Parlament als des Königs höchſter Entſcheidungsſtelle unterworfen , und es wurde
bafür ausdrücklich zuſammen berufen . Bei einem Kriegs fall lag es in der Befugniß dieſer Verſammlung, die Mittel zu ſeiner Ausführung in Erwägung zu ziehen ; war die Nachfolge ſtreitig , oder eine Regentſchaft nothwendig , ſo 1
- 2 fand eine Berufung auf ihr Urtheil ſtatt; und alle Geſetze, welche das Volk beſtändig verpflichten ſollten , mußten die Sanktion ihrer Autorität erhalten. Auch unternahmen die
Fürſten des Hauſes Tudor durchaus nichts, um die Bedeu tung des Parlaments zu vermindern oder herabzuwürdigen . Die Krone Heinrichs VII. ruhte auf einem Act des Par
laments . Heinrich VIII. benugte zu wiederholten Malen den Namen, und anerkannte die Macht des Parlaments, die Thronfolge zu ändern . Unter Eliſabeth's Regierung galt die Leußerung, die Königin habe nicht mittels der Autorität des Parlaments die Befugniß über die Thronnachfolge zu
beſtimmen, als Hochverrath während ihres Lebens, und nach ihrem Ableben als Verbrechen mit Verfallen von Hab und
Gut. Alſo erlitt, ſo willkürlich auch die Handlungen dieſer Herrſcher waren , die hohe Achtung keine Einbuße, welche dem Parlament als der großen Rathsverſammlung des Königs, der hohen Unterſuchungsſtelle der Nation und dem höchſten Gerichtshof im Königreich gebührte. Die Heinrich
bem VIII. ertheilte Gewalt, Proclamationen mit Geſekeskraft zu erlaſſen, enthielt zwar eine directe Verlebung der parlamen tariſchen Regierung. Aber dieſer Act war nur acht Jahre in Geltung, und enthielt einen Vorbehalt, daß jene Verord
nungen den beſtehenden Geſetzen des Königreichs nicht zu wider ſein dürften. Während der Regierungen Maria's und Eliſabeth's war das Parlament, ſo unterwürfig es auch ſein modote, doch immer ein Hauptwerkzeug zur Handhabung der
Regierung. Daraus entſprang eine Nothwendigkeit , zwar nicht daß ein König von England alle Hoffnung auf Uebung 1
einer tyranniſchen Gewaltaufgeben müſſe , ſondern daß er, wollte er mit Erfolg auftreten , ſeine Lords und Gemeinen
zu Mitſchuldigen ſeiner Tyrannei haben mußte. Wenn daher dieſe Körperſchaften jemals in Wirklichkeit das Recht
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im Staat, welches ihnen Kraft der Geſege zuſtand, in An ſpruch nahmen , oder wenn ſie den Maßregeln der Krone
ihre Unterſtüßung verweigerten , ſo mußte der König ent weder ihren Anſprüchen Folge geben , oder durch Auflöſung des Parlaments dem Volke den ehrlichen Beſcheid geben, daß die Regierungsform geändert ſei. Zweitens. Der Abel war nicht wie der übrige Feudal
adel in Europa durch gehäſſige Auszeichnungen vom Volfe geſchieden. Man hat verſchiedene liſachen dieſes Unterſchieds angegeben ; ohne dieſe zu erörtern , begnüge ich mich , die Thatjache barzuthun .
Doch würde man nicht mit Recht
annehmen , daß das Feudalſyſtem in England nicht in höchſt widerlicher Geſtalt beſtanden habe. Nach der Eroberung im Jahre 1086 ) ſcheinen alle be deutenden Landeigenthümer die Lebensverbindung in einer
großen Verſammlung angenommen zu haben. Die Lehengs vormundſchaft, Inveſtituren und Lehensnahmen, die Entrich
tungen beim Ende der Vormundſchaft, Brautſchilling, Ritter und Lebensdienſte aller Art, Beiſteuer bei Vermählung einer
Prinzeſſin oder beim Ritterſchlag eines Prinzen ,
alle
dieſe Feudallaſten werden in der Acte Rarls II. , welche ſie abſchaffte , als in England beſtehende Rechte aufgezählt. Glücklicherweiſe jedoch ſollte dieſes Syſtem nicht ſehr tiefe
Wurzeln in dem Boden ſchlagen . Die allgemein üblich ge wordenen Afterbelehnungen , indem ein Vaſall die empfan genen Lehen unter gleichen Bedingungen , wie er ſie erhalten hatte , weiter verlieh , wurden durch die Acte Quia emp
tores ( 18 Edw. I. ) beſchränkt , welche anordnete, daß bei 1
alen Verkäufen oder Afterbelehnungen der Lehensträger von
dem Oberlehensherrn, nicht dem Vaſallen deſſelben, abhängig 1) Blackstone II. 4. 1* .
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Eine weitere Beſchränkung der Tyrannei des
Lebensſyſtems ergab ſich durch die Einführung unſerer Pros
vinzialgerichtshöfe, der Wiege unſerer Freiheiten , welche den Urſprung unſerer Geſchworenengerichte und das Vorbild unſerer Parlamente enthalten. Es kamen dabei die freien
Landeigenthümer zuſammen , um in Nechtsſtreitigkeiten Ur theile zu fällen ; und dabei beriethen ſie auch vermuthlich über die Mittel den Beiſtand zu leiſten , zu welchem ſie für
die Landesvertheidigung verpflichtet waren . So viel in Beziehung auf die freien Landeigenthümer. Der Zuſtand der Bauern iſt vielleicht von noch größerer Bedeutung. Der Hauptunterſchied zwiſchen dieſen beiden Klaſſen beſtand darin, daß der Freiſaße ſein Land unter der
Bedingung gewiffer beſtimmter Dienſtleiſtungen beſaß , der Bauer dagegen zwar auch häufig Grundbeſitz hatte , aber
gegen Dienſte , die ihrer Natur nach herabwürdigend und im Allgemeinen von unbeſtimmter Ausdehnung waren . Dieß war wirkliche Leibeigenſchaft. Wann dieſelbe abge: ſchafft zu merden begann , wiſſen wir nicht , doch berichtet uns Sir Thomas Smith , der Eduards VI. und der Rö:
nigin Eliſabeth Secretär war, es ſei ihm zu ſeiner Zeit in dem Königreich kein Fall eines leibeignen , d. h . perſönlich, ohne Zuſammenhang mit dem Boden, ivorauf er ſaß , ver
käuflichen Bauern bekannt geroorden ; und die wenigen an den Boden gebundenen Bauern, welche noch vorfamen, ſeien le diglich Biſchöfen , Klöſtern oder anderen kirchlichen Korporatio nen angehörig geweſen . Der letzte Anſpruch auf Leibeigenſchaft,
welcher bei unſeren Gerichtshöfen verzeichnet iſt, fällt in das fünfzehnte Jahr Jakobs I. Dieſe große Veränderung in der Lage des engliſden Volkes , welche im Stillen por ſich
gieng , iſt vermuthlich mehreren Urſachen zuzuſchreiben , der Abweſenheit fremder Truppen , der Nothivendigkeit,
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während der bürgerlichen Sîriege ſich das Volk verbindlich zu machen , - und vorzugsweiſe dem der Nation innewoh
nenden Sinn für göttliches und menſchliches Recht.
Ein dem Boden verpflichteter Bauer konnte auf ver ſchiedene Weiſe ſeine Freiheit erlangen. Er konnte freige laſſen werden ; oder wenn ſein Gutsherr eine Klage bei Gericht gegen ihn anſtellte, ſag darin eine Anerkennung ſeiner Freiheit ; oder wenn er ſeinen Wohnſitz in einer Stadt nahm , gelangte er binnen einer gewiſjen Zeit in den Beſitz der Stadtrechte, und wurde damit frei ; oder endlich, wenn er nachweiſen konnte, daß in unvordentlicher Zeit er und ſeine Vorjahren in den Lehensregiſtern ſeines Gutsherrn als Be
figer ſeines damaligen Landes eingetragen waren, jo erlangte er demſelben gegenüber ein Verjährungsrecht. Dieſer Bes
weis wurde durch Vorzeigen einer Abſdrift aus den Lehens regiſtern geführt , woher die Benennung Abſchrifthalter (Copyholder) ſtammt. Manche haben angenommen , dieſe Beweisführung reiche bis in die Zeit vor der Eroberung hinauf. Zu welcher Zeit aber ſie entſprungen fein mag,
die frühzeitig überwiegende Berückſichtigung der Freiheit iſt ein edler Vorzug der engliſchen Nation . In Frankreich war die Leibeigenſchaft bis gegen das Ende des achtzehnten Jahr hunderts bekannt; in Spanien wurde ſie erſt in dieſem
Jahrhundert aufgehoben ; in Deutſchland iſt ſie kaum erſt erloſchen ; in Rußland wurde ſie vom gegenwärtigen Kaiſer im Jahre 1864 311 ſeinem unſterblichen Ruhme abgeſchafft. Aber der Geiſt des engliſchen Volkes und die Gleichmäßig
keit des allgemeinen Rechts ſind ſtets ein tüdytiges Schuß mittel gegen herabwürdigende Staatseinrichtungen und Ge bräuche geweſen , die vom Ausland her eingeführt wurden. Die Magna Charta ſelbſt iſt ein edler und ausgezeichneter Beweis von dem Einvernehmen, welches damals in England 1
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zwiſchen den Baronen und dem Volke beſtand . Philipp von Commines ſpricht von der Menſchlichkeit , womit der Adel 1
zur Zeit der Bürgerkriege dem Volk begegnete. Die Eng länder haben, ſcheint es, ſtets gefühlt, daß , wenn die Ord: nung der bürgerlichen Geſellſchaft höhere und niedere Stände 1
verlangte, doch die Natur ihre Geiſtes - und Gemüthsgaben Allen mit unparteiiſcher Gerechtigkeit zugetheilt hat.
In engem Zuſammenhang mit dieſem nationalen Geiſte ſteht es , daß zwiſchen centleman ind roturier - adelig nicht der mindeſte Unterſchied beſteht. und bürgerlich
Sir Thomas Smith iſt vielleicht der erſte Schriftſteller , welcher auf den verſchiedenen Gebrauch der Benennung Gentle man in England und auf dem Continent aufmerkſam macht. Ich entnehme aus ſeinem Werf ') die folgende Stelle : In der Regel werden nur Ritter, Barone, oder der noch höhere
Adel vom König ernannt ; denn die Gentlemen ſind in Eng land wohlfeiler zu haben. Wer die Geſetze des Königreichs ſtudirt, Univerſitätsſtudien macht, ſich mit liberaler Wiſſen ſchaft beſchäftigt , furz , wer müßig leben kann , ohne grobe 1
Handarbeit zu treiben , und Benehmen und Haltung eines Gentleman zu erkennen gibt, der wird Maſter geheißen, wie man die Squires und andere Gentlemen betitelt , und für einen Gentleman gehalten, ſo daß in Wahrheit bei uns gilt, wie man ſagt : „Was man ſelber aus ſich macht, das gilt
man bei anderen “ . 2) Nöthigenfalls kann er auch von einem Wappenkönig für ſein Geld neu erfundene und gefertigte Wappen bekommen , deren Benennung das Anſehen geben,
als ſeien ſie von Wappenherold in alten Archiven aufges funden, wo ſich ergab, daß ſeine Vorfahren ſchon vor Zeiten 1) De Republica Anglorum 1. I. c . 20. f. 2 ) Tanti eris aliis, quanti tibi feceris.
fich derſelben bedient hätten – mag man zweifeln , ob dieſe Art Gentlemen zu machen zu billigen ſei ; ich für meinen Theil bin der Meinung, daß ſie ſo übel nicht iſt.
Denn
erſtlich verliert der König dadurch nichts, wie das in Frank reich der Fall ſein würde ; denn in England iſt der Gentle man ebenſowohl der Beſteuerung unterworfen, wie der Land
wirth : im Gegentheil, bei jeder Leiſtung an den König iſt der Gentleman mehr belaſtet , und er zahlet williger , weil ſeine Ehre und Credit es verlangen ." Das Geſetz, ſagt
Halam , ') kennt den Gentleman nicht. Seit der Regierung Heinrichs III , wenigſtens war die geſebliche Gleichheit aller Stände unterhalb der Pairswürde in jeder weſentlichen Hin
ſicht ſo vollſtändig , wie jetzt. gleichzeitige Schriftſteller-
Vergleichen wir zwei faſt
Bracton und Beaumanoir
und bemerken, wie verſchieden die Gebräuche Englands und Frankreichis in dieſer Hinſicht find. Der Franzoſe theilt das Volk in drei verſchiedene Klaſſen ein, -- den Adel, die
Freien und die Leibeigenen ; unſer Landsmann fennt nur den Klaſſenunterſchied von Freien und dienſtpflichtigen Bauern. Heirathen ſcheinen keiner Beſchränkung unterwor fen geweſen zu ſein. Die Erwerbung von Landbeſig mit Nitterdienſtleiſtung ſtand ſtets jedem Freien zu. Vor un ſerem Staatsgeſet galt von Anfang an kein Anſehen der
Perſon. Es enthebt nicht den Edelmann von alter Familie dem ordentlichen Schwurgericht, noch entehrender Beſtrafung. Es verleiht und verlieh nicht jene ungerechten Befreiungen
von öffentlichen Laſten , welche ſich die höheren Stände auf dem Continent anmaßten. Darum ſind die Privilegien una ſerer Pairs als erblicher Geſetzgeber eines freien Volkes,
obwohl unvergleichlich höher an Werth und Würdigung, 1) Middle Ages II. 19.
doch in ihrer Ausübung weit weniger gehäſſig, als die eines anderen Adels in Europa. Meiner feſten Ueberzengung nach verdanken wir dieſem eigenthümlich demokratiſchen Cha rakter der engliſchen Monarchie ihre lange Dauer, ibre regels
mäßigen Verbeſſerungen, und ihre gegenwärtige Lebenskraft. Es iſt eine merkwürdige Fügung der Vorſehung, daß unſere Vorfahren zu einer Zeit, wo für den allmählichen Fortſchritt der Bildung und des Handels ſo wenig geſorgt war , ab
weichend von den Gebräuchen unſerer Nachbarländer , wie alis überlegter Abſicht ſich vor den zerſtörenden Kräften ſchüßten, welche jedes thöricht entgegengeſepte Hinderniß über wältigend, Verwüſtung über Europa verbreitet haben .“ So hat alſo der Adel Englands ſich zu feiner beſon deren Kaſte gebildet. Seine Söhne, die erſtgeborenen nicht ausgenommen , gehörten durchaus dem Volke ( commons )
an. Sowohl unter der Regierung Heinrichs VIII., als der
Eliſabeth, entſchied ein Parlamentsbeſchluß , daß der älteſte Sohn des Herzogs von Bedford im Hauſe der Gemeinen
zu ſißen berechtigt ſei. Eine recht bedeutungsvolle Entſchei dung. Die Söhne der Pairs , anſtatt kleinlichem Hochmuth und übermüthiger Unwiſſenheit nachzuhängen, wozu die hohen Stände ſo große Neigung haben , waren Mitglieder einer Verſammlung, worin ſie gemeinſam mit Nittern und Bür gern von Städten und Flecken beriethen : ſo wurden ſie mit den Bedürfniſſen des Volkes befannt und lernten ihre An
ſichten denſelben anpaſſen . Wann ein Kampf für die Frei heit zu erringen war, machten Viele von ihnen gemeinſame Sadhe ; ſelten verließ einer ſein Vaterland ; daher über lebte ihre Bedeutſamkeit ſelbſt die demokratiſche Revolution von 1649.
Drittens. Das bedeutendſte und größte Element der Freiheit in England war die Errichtung des Hauſes der
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Gemeinen. Es ſind zwar Manche der Meinung geweſen, es habe dieſer Körper dird, ein Geleg einrichs VI. , 10 durch das Stimmrecht auf dein Lande den Vierzig Schilling Freeholders ertheilt wurde, alle Vortrefflidfeit verloren ; und es datire der Verfall von Englands Freiheiten von der
Periode an , wo die Leibeigenſchaft allmählich der Freiheit wid). Solch einer Meinung fann ich entſchieden nicht bei : pflichten . Auch liegt es nicht in ineiner Abſicht, mich hier in einen Streit über den llriprimg imjerer Nationalrepräſen
tation einzulaſſen , da die Bejpredung dieſer Frage eigent lich einer früheren Periode angehört, als die in Rede ſtchende ; beſchränke daher jetzt meine Bemerkungen auf die
Prinzipien von Nationalvertretung und die Beſdaffenheit unſerer eigenen im Allgemeinen. Man hat sie Bemerkung gemacht, daß in den alten Republiken das Volt, weldes in den öffentlichen Angelegen
heiten die Entſcheidung gab , durdaus einem höheren Bil dungsſtand angehört habe , als bei uns die ärmere Riiaſſe. welche Zeitungen liest , imd ſich für politidie Fragen in terefſirt. Aber dieß iſt ein vollſtändiger frrthum . Sklaven
waren allerdings unbetheiligt am politiſchen Leben, aber der ärmſte freie Handwerfer hatte Stimme in den Boltäver:
ſammlungen . Die Art und Weiſe der Abſtimmung enthielt Schwierigkeiten , welche von den Staaten des Alterthums nicht durchaus mit Erfolg überwunden wurden. Wenn, wie zu Athen , die Volksmenge ohne Unterſchied mit gleicher 1
Stimmberechtigung in öffentlichen Verſammlungen berieth,
waren ſeine Beſchlüſſe übereilt, leidenſchaftlich, ungerecht und Tannenhaft. Wenn , wie bei den Centurien in Rom , ein Verfahren angewendet wurde, das dem Vermögen ein Ueber gewicht über die Zahl gab , war es ſchwer zu vermeiden ,
daß die Waagſchaale gänzlich zu Gunſten der Reichen ſich
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neigte , indem ſie in Stand geſetzt wurden , die Armen zu überſtimmen, ſo daß ein gehäſſiger linterſchied zwiſchen den reicheren und ärmeren , den höheren und niederen Klaſſen, entſtand . Diejer Uebelſtand wurde zu kom tief empfunden ,
und das Auskunftsmittel, eine andere unabhängige Ver ſammlung, die lediglich durch die Zahl entſchied, daneben zu ſtellen , war ſehr roh und unvollſtändig . ')
Das Repräſentativſyſtem kann dieſe Schwierigkeiten, wenn auch nicht vollſtändig, beſeitigen. Eine gewiſſe Anzahl Männer werden von dem Volfe frei gewählt mit dem Auf
trag, über die Intereſſen der Geſammtheit zu wachen . Da dieß natürlich und unvermeidlich Perſonen von einigen Ver mögen und einiger Bildung ſind , ſo werden ſie nicht ſo leicht als die ungebildete Maſſe von der Gewalt der Leiden
ſchaften fortgeriſſen . Von dem Volke bevollmächtigt, ſind ſie nicht ſo leicht veranlaßt, aus perſönlichem Sntereſſe oder Korporationsgeiſt zu handeln , als eine Verſammlung von Männern , deren Gewalt für die Dauer an ihre Stellung
im Staat gefitüpft iſt. Wenn die das Volt vertretende Verſammlung für nicht zu kurze Zeit mit den Intereſſen des Volkes betraut iſt , und ihre Mitglieder ſtets wieder wählbar ſind , ſo werden ſie offenbar in allen Alugelegen
heiten erfahren und fähig werden , ale wichtigen Staats fachen mit Einſicht zu beſprechen . Die bedeutendſten Köpfe der Nation können ſo in die Lage verſetzt werden , in Be
ziehung auf Politik und Juſtiz wichtige Maßregeln vorzu ſchlagen ; und zugleich kann der Geringſte im Lande ſicher ſein , durch einen oder den anderen Kanal bei den Vers
tretern des ganzen Volkes Gehör für ſeine Beſchwerden zu finden. 1) Vergl. Hume's Essays. Essay on some Remarkable Customs .
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Es iſt als etwas Weſentliches anzuſehen , daß im enga liſchen Unterhauſe die Nitter ihren Sitz unter den Bürgern der Städte und Flecken haben . Dieß war beſonders in der
erſten Zeit unſerer Conſtitution von größter Wichtigkeit. Städte und Flecken , ſo nothwendig auch ihre Mitwirkung iſt, um Steuern und Auflagen zu bekomunen , gerinnen soch in einem Feirdalſtaat nicht leicht bei den übrigen Ständen
das erforderliche Anſehen , um an der politiſchen Macht einen bedeutenden Antheil zu nehmen . Die Abſonderung ber gewerbtreibenden Klaſſe von den übrigen Gliedern des Gemeinweſens war vielleicht eine der Haupturſachen des Unterganges der ſpaniſchen und anderen früheren der un
ſerigen ähnlichen Verfaſſungen. Gegenwärtig (1865 ) beſteht der größte Mangel in der preußiſchen Verfaſſung darin, daß dem Oberhaus jeder volksmäßige Charakter , und der Niepräſentantenkammer das ihr eigenthümliche Gewicht und der mäßigende Einfluß der Landeigenthümer entzogen iſt. In England dagegen gaben die Nitter als Vertreter des Grundbeſites im Lande dem Bau des Interhauſes eine
Feſtigkeit und Gebiegenheit, und eine Stellung auf ſo breiter Grundlage, daß ein Rönig , der dasſelbe umzuſtürzen ver ſuchen wollte, es nicht leicht erſchüttern konnte.
Die Vereinigung der Nitter mit den Bürgern der Städte und Flecken in derſelben Verſammlung iſt vielleicht zum Theil von der oben gedachten Gleichheit bürgerlider Rechte herzuleiten ; kein eingebildeter Unterſchied trennte den alt adeligen Ritter der Landſchaft von dem neuerlich reich ge mordenen Kaufmann der Stadt. Es iſt aber nicht von jeher ſo die Regel geweſen, vielmehr erſt durch eine günſtige
Vereinigung von Glück und Einſicht , welcher die engliſche Verfaſſung ſo viel verdankt, entſtanden. Doch weiß ich für wahr nicht, ob ich es Glück nennen ſoll. Es gehörte zu der
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praktiſchen Weisheit unſerer Vorfahren , daß ſie die Form unſerer Staatseinrichtungen in ihrem Verlauf abänderten,
um ſie den Zeitumſtänden anzupaſſen und den Lehren der Erfahrung gemäß fortzubilden . Wie ein Bildhauer eine
Lieblingsſtatue zu einem Muſterbild zu machen befliſſen iſt, ſo waren ſie unabläſſig bemüht, am Bau unſerer Verfaſſung zu beſſern. In letzterer Zeit hat man dieſe Kunſt außer Uebung kommen laſſen , und im Gefolge dieſer Verſäumniß zeigen ſich bereits Gefahren von höd)ſt beunruhigender Art.
Zweites Kapitel. Heinrich der Sicbeute. Die Schlacht von Bosworth- Field beendigte den langen, perheerenden Kampf , welcher in dem Streit zwiſchen den Häuſern York und Lancaſter das ſchöne England verödet
und ſein Blut vergendet hatte. Solch ein Kampf iſt für die Menſchheit nicht minder ſchmählich , als wenn man die weiße und rothe Noſe , anſtatt zu Symbolen , zum Gegen
ſtand der Feindſeligkeit gemacht hätte , und er gab einem demokratijden Schriftſteller uur zu viel Grund zu der Be hauptung, daß das Erbrecht ebenſo lange ind blutige Kriege verurſacht habe, als die Wahlmonarchie. Heinrich, der auf dem Schlachtfeld gekrönt wurde , be
wies ungeſäumt, daß er ebenſo geſchickt ſei, einen Thron zu behaupten , als zu erwerben . 1
Er berief unverzüglich ein
Parlament, und erlangte von demſelben ein Statut, welches nicht ihn für den rechtmäßigen Erben der Krone erklärte, nicht das Eroberungsrecht oder Wahlrecht behauptete , ſon
dern beurkundete, daß der Erbbeſitz der Krone in dem König ruhen, bleiben und verharren ſolle. Er ſorgte dafür , daß dieſes Statut durch eine Bulle des Papſtes beſtätigt wurde.
In demſelben Geiſte des Friedens und der Mäßigung ver: anlaßte er , daß in die Acte zur Verfolgung der Anhänger König Richards viele Ausnahmen aufgenommen wurden . Einige Jahre hernach ſorgte er für ein Geſet , welches er 1
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klärte, Niemand dürfe belangt werden, weil er einem König de facto Gehorſam geleiſtet habe. Alſo beruhigte er die Geiſter ſeiner Unterthanen , und wirkte dadurch mehr für die Dauer ſeiner Regierung, als ihm möglich geweſen wäre , wenn er die fünffache Verpflichtung – wie Bacoit ſich ausdrückt -
zur Schau getragen hätte -- ſeinen Geiſt , ſeine eigne und der Königin Abkunft, das Eroberungsrecht, die Autorität
des Parlaments und des Papſtes. Unter dieſen Anſprüchen ſcheint der des Hauſes York ihm am wenigſten behagt zu haben , und er ließ geraume Zeit nach ſeiner Vermählung ſich die Krönung ſeiner Königin nicht angelegen ſein. Allerdings iſt es gewiß , daß , ſei es aus Vorurtheil oder Politik , ſein Verhalten während der ganzen Zeit ſeiner Regierung durch Vorliebe für die Partei Lancaſter be ſtimmt wurde.
Vor Allem war Heinrich darauf bedacht, ein Geſetz zur Verhütung von Verſchwörungen unter den Großen und Uufruhr unterm Volk zu Stande zu bringen. Im dritten Jahr ſeiner Regierung ſprach der Erzbiſchof Morton von Canterbury und Kanzler des Königreichs im Parlament folgende Worte : – ,, Sr. Ginaden (d. h. der König ) meint, nicht das auf dem Schlachtfeld vergoſſene Blut würde das Blut in der Stadt ſichern ; noch des Marſchals Schwert das Königreich in vollkommenen Frieden verſeken , ſondern das
richtige Mittel ſei , wenn man die Saat des Aufruhrs und der Empörung im Beginnen unterdrückt, und zu dieſem Be huf gute und heilſame Geſeke entwirft , beſtätigt und in's
Leben einführt gegen Aufläufe und ungeſebliche Volksver ſammlungen , und alle Pläne und Verbindungen desſelben mit Cocarden, Abzeichen und anderen Kennzeichen factioſen Anhanges ; durch ſolche Verordnungen werde der Landfriede
wie mit eiſernen Niegeln tüchtig befeſtigt und geſtärkt, und
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alle Gewaltthat vom Hofe, dem Lande und den Familien ferngehalten. "
Das bedeutendſte Geſetz, welches zu den gedachten Zweck vom Parlament votirt wurde, war eine Beſtätigung der Uutorität der Sternkaminer für gewiſſe Fälle. Die Stern
fammer beſtand aus Prälaten , Pairs, Käthen und Richtern, und hatte eine unbeſchränkte Gerichtsbarkeit ohne Mitwirken einer Jury über manche Vergehen , die nicht capital waren , und Handlungen , welche die Abſicht kund gaben, Verbrechen
zu begehen, ohne ſie wirklich auszuführen. „ Hauptſächlich “, ſagte Lord Bacon , zielte dieſe Acte auf Gewalt und die beiden Hauptſtüßen der Gewalt , Vereinigung von Maſſen , und Leitung oder Anführung durch hohe Perſonen .“ Die Gefahr, welche durch Uebertragung einer ſo umfaſſenden und willkürlichen Gewalt an Männer , welche die Regierung er nannte, für die Freiheit entſtand , ſcheint damals Niemand aufjällig geweſen zu ſein ; und Lord Bacon preist mit ver ichwenderiſchem Lob die Sternkammer als eine der weiſeſten und edelſten Einrichtungen des Königreichs. Aber lange dauernder Bürgerkrieg verleitet ein Volk , die Freiheit für den Frieden hinzugeben , ſowie lange dauernder Friede es 1
verleitet, für die Freiheit ſich ſelbſt in Bürgerkrieg zu ſtür
zen. Eine der nächſtfolgenden Acte des Parlaments war die Genehmigung einer willkürlichen Auflage. Dieſe Art von Steuer , bekannt unter dem Namen Benevolence , war
von Eduard IV. ohne Zuſtimmung des Parlaments aufge bracht , und von Richard III, in einem ſehr merkwürdigen
Statut wieder abgeſchafft worden . Nun wurde ſie durch eine Parlamentsacte aus Veranlaſſung eines Krieges mit Frankreich wieder eingeführt. Aber der wahre Zweck der
ſelben war, Geld zuſammen zu bringen ; denn Heinrich war kaum in Frankreich gelandet , als er wieder Frieden ſchloß,
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wodurch er 745,000 Dukaten (um 186,000 PP.) und einen jährlichen Tribut pon 25 Kronen erhalten ſollte.
Dieſe Regierung wurde ſehr durch Aufſtände beun ruhigt.
Anhänglichkeit an das Haus York und die Steuer
laſt ſcheinen die Haupturſachen der Unzufrieden it geweſen zu ſein. Bacon ſchreibt einen Aufſtand im Nordert dem Andenken an Richard III. 311 ,
ein Beweis , daß ſeine
Regierung, wenigſtens in dieſem Theile des Königreichs, nicht ſehr drückend geweſen iſt. Das Hauptziel von Heinrichs Verwaltung war , die
übermäßige Macht der großen Barone zu beſchränken. Zwei zu dem Ende erlaſſenen Geſetze , von denen das eine den Verkauf der Erbgüter erleichterte , weßhalb man ſagte , es ſtoße die Teſtamente aum , das andere die Retainer (clien tariſch abhängige Anhänger) unterdrückte , waren neben an deren Statuten und der ausgedehnten Gewalt der Stern
kammer in ausgezeichneter Weiſe dem Zweck , wofür ſie gegeben waren , förderlich. Bei ſolcher Nichtung ſeiner Politik folgte Heinrich zwar den Abſichten ſeines eiferſüchtigen Ge 1
müthes, aber ſchließlich gereichten ſie doch zum Wohl ſeines Landes. Die Rechtspflege wurde ſtetig, Unordnungen wur
den beſeitigt , die Nuhe des ganzen Landes geſichert, ſo daß das Volk nicht mehr von feudaler Gewalt unter: 1
drückt oder durch Bürgerkrieg zerriſſen im Stande war, erſt
Wohlſtand, dann Bedeutung , endlich Freiheit zu gewinnen . Doch ſchreibt Bacon die Störungen des Friedens , welche während dieſer Regierung ſtets das Land beunruhigten, zum
großen Theil der Vernachläſſigung und dem Mißtrauen zu, welche der König gegen den Abel zu erkennen gab. Aber der Fehler, wenn es einer geweſen , war hier an der rechten Stelle. Hätte nicht Heinrich ſeinen Abel mit ſtrenger Hand regiert , ſo würde eine mächtige Oligarchie in dieſem Land
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die barbariſche polniſche Zügelloſigkeit fortgeſeßt haben. Die Künſte und Wiſſenſchaften , die Macht des Königreichs unter der Regierung Eliſabeth's ſind größtentheils der Politik ihres Großvaters zuzuſchreiben. Die legten Jahre Heinrich's wurden durch die grau
ſamen und wilfürlichen Erpreſſungen entehrt, deren niedrige und verwünſchte Werkzeuge Empſon und Dudley waren . Sein Nachfolger gab mit der edlen Großmuth , welche in der Welt nicht ungewöhnlich iſt , - die Uebelthäter Preis 1
und zog Vortheil von dem verübten Unredyt. Er ſchickte die Erpreſſer auf's Schaffot, und behielt das Geld in ſeinem Schatz.
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Drittes Kapitel. Heinrich der Achte. Die Regierung Heinrich's VIII. wird mit Necht für die willkürlichſte in unſeren Annalen gehalten. Doch zeigte ſich in einigen merkwürdigen Fällen das Anſehen des Parla ments. Einer der erſten dieſer iſt die Acte , welche das
Tonnen- und Pfundgeld bewilligte. Der König hatte dieſe Abgaben einige Zeit lang aus eigner Machtvollkommenheit erhoben. Aber im ſechsten Jahr ſeiner Regierung ſtieß er auf Widerſtand, und mußte ſich an's Parlament wenden , um ſie beſtätigen zu laſſen. Die Acte iſt merkwürdig ab gefaßt. Sie tabelt diejenigen , welche Widerſtand geleiſtet hatten , aber zu gleicher Zeit verwilligt ſie dem König von Neuem die Auflage des Tonnen- und Pfundgelds. Im Ganzen ſpricht dieſer Fall, obwohl mit ſich ſelbſt im Wider ſpruch , gegen die Macht , welche die Krone ſich angemaßt hatte. Denn hätte der König das Recht, dieſe Abgaben zu
erheben, beſeſſen , ſo hätte die Acte nur einen declaratoriſchen Charakter gehabt. Daß man eine neue Gefeßesurkunde machte, beweist , in welchen Ausdrücken dieſe auch abgefaßt
ſein mochte, daß der König nicht zuvor aus eigenem Vor recht befugt war , das Tonnen- und Pfundgeld zu erheben, und daß alſo in dieſem Punkt ein Widerſtand nicht ſtraf þar war.
So wurde, ſcheint es, in der That die Acte ver
ſtanden ; denn beim Anfang der vier folgenden Regierungen
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finden wir die fraglichen Abgaben regelmäßig im erſten Fahr der Regierung vom Parlament bewilligt. ) Ein anderer merkwürdiger Fall wurde durch einen un vedachtjamen Schritt Wolſey's veranlaßt. Er wünſchte eine recht hohe Steuer aufzulegen , und beſchloß, ſich ſelbſt in's Haus der Gemeinen zu begeben , in Abſicht, durch ſeine An
weſenheit alle Oppoſition zum Schweigen zu bringen. Manche maren der Meinung, ian ſolle ihm den Eintritt in das 1
Saus verweigern ; als aber Siejer Punkt bewilligt war, widerſetzte ſich der Sprecher, Sir Thomas More , der Ma
jorität, welche ihn nur in Begleitung weniger Perſonen 311 laſſen wollte.
Derſelbe war der Meinung , man folle ihn
,mit all ſeinem Pomp und Machtzeichen , ſeinen Pilaſtern, Streitärten, ſeinem Freuz und Hut und dem großen Siegel dazu " aufnehmen. Der Cardinal erſchien alſo und hielt einen langen und beredten Vortrag gegen den König von Frankreich, mit der Erklärung , der König fönne nicht um hin, ſich mit dem Kaiſer gegen denſelben zu verbinden, und forderte von dem Hauſe die Summe von 800,000 pF. als veranſchlagte Koſten des Kriegs. „Auf dieſes Begehren ,," berichtet der Urenkel und Biograph Sir Thomas More's ,
„perhielt ſich das Haus ſchweigend ; und als der Miniſter irgend eine vernünftige Antwort begehrte , blieb jedes Mit glied ſtille. Endlich entſchuldigte der Sprecher mit Kniefall und viel Ehrfurchtsbezeugung das Schweigen des Hauſes,
welches , ſagte er , ganz beſtürzt ſei beim Anblick einer ſo edlen Perſon, die auch den weiſeſten und gelehrteſten Mann des Königreichs betroffen machen fönne ; doch bemühte er ſich , durch viel ſcheinbare Gründe dem Cardinal begreiflich 1) Statutes I. Edw. VI. c. 13. Mary. St. 2. c. 18. I. Eliz. c. 20. 1. James. c . 33.
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zu machen , daß ſeine Anweſenheit den alten Freiheiten des Hauſes weder förderlich noch angenehm ſei ," und ſchließlich erklärte er, daß, ,wofern nicht alle Glieber ihre verſchiedenen
Meinungen ihm in den Kopf zu faſſen gäben, er allein über einen ſo wichtigen Gegenſtand Sr. Guaden eine genügende Antwort zu ertheilen nicht im Stande ſei . Darauf ſtand der Cardinal , unmuthig über den Sprecher , plößlich auf
und ging vol Zorn don dannen.“ Die Geldforderung wurde ſodann, jedoch in weit minderem Betrag, als der Car dinal begehrt hatte, verwilligt. Im Jahre 1526 ſchickte Wolſey Commiffäre aus , um
eigenmächtig ein Sechstheil von den Gütern der Laien, und ein Zehentheil von denen des Klerus zu erheben ; aber die
ſelben ſtießen auf Widerſtand ,1 und Heinrich ſah ſich ge nöthigt, ſeinen Miniſter zu desavouiren und ſeinen Befehl aufzuheben. Doch in demſelben Königreich , wo ſich ſo viel Muth zu erkennen gab, wurde ein Rathsherr zu London , der ſich
weigerte, zu einer vom Parlament nicht verwilligten Abgabe beizuſteuern, nach Schottland in's Feld geſchickt, wo er bald darauf um’s Leben kam. ') Welche Verwirrung von Geſetz und Gebrauch ! Wie unſicher die Grenzlinien zwiſchen Recht urb Vorrecht!
Der willkürliche Charakter der Regierung Heinrich's in jeder Hinſicht, Beſteuerung ausgenommen, iſt hinlänglich be kannt. Bei all ſeinen Verlegungen von Recht und Gerech
tigkeit fand er am Parlament eine kräftige Stüße. Wünſchte er ſich ſeiner Gemahlinnen zu entledigen, ſo ſtand ihm das
Parlament bei ; wollte er ſeine Miniſter hinrichten laſſen, ſo verurtheilte ſie das Parlament underhörter Sache: als :) Henry, History of England.
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es ihm zuleßt beliebte, eigenmächtig allein Gefeße zu er 1
laſſen, gab ihm das Parlament Vollmadit dazu. Kein Wuns ber daher, daß er die Rechte des Parlaments hoch zu halten
bereit war. Ein merkwürdiges Beiſpiel der Art begab ſich in der Sache Ferrers 1, eines Mitglieds der Gemeinen, welcher in Schuldhaft gerieth. Das Haus befreite ihn augenblicklich, und verhängte Gefängniß über die , welche ihit verhaftet
hatten. Bei dieſer Gelegenheit hielt Heinrich in Betreff des Privilegs an das Haus folgende Anſprache : „ Für's Erſte empfahl er ihnen Klugheit in Behauptung der Privilegien des Hauſes , welche er nicht in irgend einen Punft verlegt
ſehen möchte. Er behauptete , daß er , da er an der Spitze des Parlaments ſtebe, und in eigner Perſon den Geſchäften besſelben obliege, mit Recht das Privileg für ſich ſelbſt und
alle feine Diener , die ihm aufwarteten , beſike. Demnach wäre Ferrers nicht Parlaments - Abgeordneter, ſondern nur ſein Diener , ſo gebühre ihm in Nückſicht deſſen ebenſowohl als einem anderen das Privileg. Denn ich bin der Meta 1
nung, ſagte er, daß jhr dasſelbe Privileg nicht allein für Euch ſelbſt genießet , ſondern ebenſo für Eure Köche und Staufnechte. Mein Lord Kanzler , der hier zugegen , hat
mir berichtet, zur Zeit, als er Sprecher des Unterhauſes ge: weſen, ſei der Koch des Tempels zu London in Vollziehung
des Stapelgeſebes verhaftet worden ; und weil beſagter Roch den Sprecher bei dieſem Amt bediente , ſo ſei er durch das Privileg des Parlaments von der Verfolgung frei geweſen. Desgleichen haben uns die Richter mitgetheilt , daß wir zu keiner Zeit in unſerm föniglichen Stand ſo hoch ſtänden, als zur Zeit des Parlaments , da wir als Haupt und Ihr
als Glieder mit einander vereinigt und zu einem politiſchen Körper verbunden ſeien , ſo daß, was immer während dieſer Zeit gegen das geringſte Glied des Hauſes geſchieht oder
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erboten wird, als gegen unſere eigene Perſon und den gan zen Parlamentshof geſchehen erachtet werde. Das Privileg dieſes Hofes iſt ſo groß , daß , wie unſere Rechtsgelehrten uns belehren, alle Acte und Prozeſſe, die von irgend einem anderen geringeren Hofe ausgehen , unterdeſſen ruhen und dem Höchſten nachſtehen müſſen. " Dergeſtalt erhob Heinrich die Macht des Parlaments, welches ihm eine ſo kräftige Stüşe gewährte. Doch ſcheint +
es nicht, daß ſie bei dieſem Verfahren ſich im Widerſpruch
mit den Wünſchen ihrer Wähler befanden. Heinrich ſcheint im Ganzen ein populärer Tyrann geweſen zu ſein ; und es ſcheint etwas Wahres in der Bemerkung Hume's zu liegen, daß die Engländer dieſer Zeit, gleich den Sklaven des Orients, die tyranniſchen Gewaltthaten , welche über ſie und auf ihre
Koſten verübt wurden, zu bewundern geneigt waren.
Piertes Kapitel. Die Reformation. Die Reformation in England glich in ihrer Geſchichte durchaus nicht der großen Revolution der Geiſter, welche in
der Schweiz, Schottland und Deutſchland ſtattgefunden hat. Sie gieng vom König aus in Folge feines Wunſches , ſich von ſeiner Gemahlin zu trennen und eine andere zu neh
men ; und dieſer Streithandel war nicht allein außer Zu ſammenhang mit der Lehre Luthers, ſondern vielmehr wurde dieſe Lehre zu derſelben Zeit verurtheilt und ihre Anhänger
am Leben geſtraft. Wäre der Papſt ſo gefällig geweſen, wie öfters zuvor , ſo wäre Heinrich VIII. , wo nicht einer der reinſten und heiligſten Heiligen , doch einer der treueſten Diener geweſen , deſſen ſich die römiſche Kirche mit Stolz 1
rühmen konnte.
Ja , als der Bruch ſchon unvermeidlich ſchien , wurden 1
von Seiten Noms noch Vorſchläge gemacht, und von Hein rich angenommen ') ; aber da ſein Bote nicht an dem be ſtimmten Tage ankam , ſo benußte die kaiſerliche Partei im
Conſiſtorium dieſen Mangel an Pünktlichkeit, um einen Bea ſchluß herbeizuführen , welcher die Ausſöhnung für immer unmöglich machte.
Des Königs von England Geſandter
langte nur zwei Tage zu ſpät an , um ſeinen Herrn mit 1) Burnet, Hist. of. Ref. vol. I. p. 136.
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dem Papſt zu verſöhnen und dadurch die Verbreitung der religiöſen Aufklärung in dieſem Lande zu hemmen. Der Bruch mit der römiſchen Kirche würde jedoch nicht
unmittelbar zur Neformation geführt haben , hätten nicht der Erzbiſchof Cranmer von Canterbury nebſt Cromwell, viele Pairs und eine große Anzahl Männer der gebildeten
Klaſſe ſich beſtrebt, die Nation nach und nach dahin zu führen , daß ſie dem Aberglauben und den Jrrthümern der
römiſchen Kirche entſagte. Zugleich waren ſie genöthigt, um der Sache ſelbſt willen , welche ſie begünſtigten , manche Ge 1
bräuche, woran das Volk hing, beizubehalten, indem die eng
liſchen Reformatoren ſie von der römiſchen Kirche entliehen, wie dieſe urſprünglich manche ihrer Ceremonien vom Heiden thum entliehen hatte. Der erſte Schritt, welchen Heinrich nach ſeiner Ehe
ſcheidung gegen die römiſche Kirche that, war die Aufhebung der Klöſter. Zu dieſer Maßregel wurde er wahrſcheinlich durch Raubſucht verleitet ; denn bei all' ſeiner Macht fiel es ihm ſehr ſchwer, Geld von ſeinen Unterthanen herauszu preffen.
Mit den Summen , welche durch Verkauf der slöſter aufgebracht werden konnten, ſchlug er vor, an allen Küſten Englands Häfen anzulegen ; mehr ein ſcheinbarer Vorwand, als redlicher Grund zu ſeinen Confiscationer. Diejenigen vom Adel, welche die Lehren der Reformatoren angenommen hatten , giengen gerne auf den Vorſchlag ein , und ohne
Zweifel wurde ihr Eifer durch den Antheil, welchen ſie von ber Beute bekamen, belebt. Jedoch waren die in den Klo ſtern herrſchenden Mißbräuche fein unbegründeter Vormand. Die Erzählungen der Viſitatoren , welche vom König zur
Reformirung der Klöſter beſtellt wurden, förderten in ihren Berichten über den Zuſtand derſelben Gründe zu Tag,
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welche glauben ließen , daß fie eher ſonſt Alles waren ,
als
Pflanzſtätten der Frömmigkeit und Sittlichkeit. ?) Die nächſten auf dem Weg der Reformation vorges nommenen Schritte beſtanden in einigen Vorſchriften in Be
ziehung auf die Verehrung der Bilder und Gebete zu den
Heiligen , und , was weit wichtiger , die dem Volk ertheilte Erlaubniß , eine Ueberſetzung der Bibel in der Paulskirche zu leſen. Das Volk ſtrömte dahin zuſammen , und gewöhns lich wählte man einen Mann , der den Uebrigen laut vor
las, bis der Biſchof, durch den Zuſammenlauf beunruhigt,
die Fortſeßung als eine Störung des Gottesdienſtes verbot. Die Zerſtörung einiger Bilder gab manchen ärgerlichen Be trug fund. )
Der Anfang der Reformation war in England durch eine grauſamere und unerträglichere religiöſe Tyrannei aus gezeichnet, als je unter der päpſtlichen Herrſchaft ſtattgefun den hatte . Zur Zeit des Papſtthums waren die Glaubeng artikel unter die Obhut der Prieſter geſtellt ; und das Volk erhielt von ihnen einige Renntniß der Lehren des Chriſten thums , einige Begriffe von Pflicht und Moral , und eine unbegrenzte Ehrfurcht vor dem Anſehen und der Herrlich
keit der Kirche. Aber Heinrich VIII. geſtattete, nachdem er den Schleier der Unwiſſenheit zum Theil von den Augen des Voltes entfernt hatte , demſelben nicht, einen Schritt
weiter zu gehen , als er ſelbſt ; und befahl der Nation durch eine Parlamentsacte, ſechs darin enthaltene Artikel zu glau ben, und was ſonſt noch der König anzuordnen belieben möchte.
Die Menſchen wegen ihrer Meinungen über ſpeculative
Glaubensartikel zu beſtrafen, iſt eine der lururiofen Erfin 1) Burnet. Hist. of. Ref. vol . I. p. 195. *) S. Beilage I.
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dungen der modernen Tyrannei. Dionyſius und Domitian
kannten ſie nicht. Heinrich ſchwelgte in derſelben vollſtändig: Er war nicht blos, wie Philipp II. und Karl IX . ein Diener des Glaubenshaſjes und Schüler desſelben . Er lehrte mit
eignem Mund die Meinungen , welche ſeinen Unterthanen
vorgeſchrieben werden ſollten ; enthielt in eigner Bruſt die Regel der Orthodorie, und genoß den Triumph , die Keßer
zu widerlegen, welche er ſpäter zu verbrennen ſich vergönnte. Die von Heinrich VIII. eingerichtete Religion ſtimmte ſo wenig zu der reformirten Cirche Luthers oder Calvins, daß er ſich ſelbſt damit brüſtete, den römiſch - katholiſchen Glauben aufrecht zu erhalten, nachdent er des Papſtes Ober herrſchaft abgeſchüttelt. Seine Verordnungen ſchwankten
zwar eine Zeit lang zwiſchen der alten und neuen Religion, je nachdem er Cranmer oder Gardiner Gehör gab ; aber das Geſeß der ſechs Artikel , welche den ſchließlich ſeinem Volke auferlegten Glauben enthielten , hält aufrecht und beſtätigt alle Hauptartikel des römiſchen Glaubens. Sie lauteten wie folgt : I. Beim Sakrament des Altars iſt nach der Einſeg nung die Subſtanz des Brodes und Weines nicht mehr vorhanden , ſondern unter dieſer Form iſt der
Leib und das Blut Chriſti in Natur anweſend. II. Die Communion unter beiderlei Geſtalt iſt nicht
nothwendig zur Erlöſung aller Menſchen durch Gottes Geſek.
III. Die Prieſter follen, nachdem ſie die Weihe empfan gen, nicht beirathen nach Gottes Geſetz.
IV. Keuſchheitsgelübde ſollen nach Gottes Geſetz gehalten werden .
V. Privatmeſſen ſollen fortbeſtehen; denn da dieſer
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Gebrauch nach Gottes Geſeß ihm angenehm iſt , ſo gewinnen die Menſchen dadurch große Gnade.
VI. Die Ohrenbeichte iſt nützlich und nothwendig und muß in der Kirche beibehalten werden .!
Die wirkliche Einführung der Reformation war das Werk des Herzogs von Somerſet, der in der erſten Zeit
der Regierung Eduards VI . Proteftor war. Im erſten Jahr dieſer Regierung ſchickte er Viſitatoren aus , um das Volk zu bereden , daß es nicht zu den Heiligen bete ; dafür zu ſorgen , daß die Bilder vernichtet würden , und um die Nation überhaupt zu ermahnen , daß man die Meſſen , das Singen und Beten in einer fremden Sprache unterlaſſe. In
demſelben Jahr verbot er durch eine Parlamentsacte, gegen die Austheilung des Sakraments unter beider Geſtalt zu ſprechen ; in dieſem und den beiden folgenden Jahren richtete er die liturgie der engliſchen Kirche ein . Das Geſetz in Betreff der recha Artikel wurde aufgehoben. Alſo wurde
die Neformation in England von der Krone und der Ari ſtokratie zii Stande gebracht. Das Volk, obwohl durch reli giöſe Streitreden aufgeregt, ſchien für eine ſo große Revo lution fauin reif zu ſein . Aufſtände ernſter Art fanden
ſtatt in Devonſhire, Norfolk und anderwärts. Die Pre digten der römiſch -katholiſchen Prieſterſchaft machten ſo ſtarken Eindruck , daß alle Mittel der Autorität zur Gegenwirkung
aufgeboten wurden . Zuerſt wurde der Geiſtlichkeit befohlen, nicht ohne Erlaubniſ außerhalb ihrer Pfarreien zu predigen,
und dieſe wurde natürlich nur der begünſtigten Partei er: theilt ; und da dieſes ſich als nicht ausreichend erwies, wurde das Predigen gänzlich gehindert, -)) - ein merkwürdiger Schritt in der Geſchichte der Reformation ! ^) Burnet, Hist. Ref.
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Dagegen war es für Maria, als ſie den Thron beſtieg, ein leichtes Werk , den früheren Gottesdienſt wieder herzu ſtellen . Auch nahm ſie keinen Anſtand , öfters ein neues Parlament zu berufen, von denen eins das andere auf dem 1
Weg der Ausſöhnung übertraf. Das erſte verweigerte die Wiederherſtellung des Geſekes der ſechs Artikel ; aber be reits im folgenden Jahr wurde die Nation förmlich mit der römiſchen Kirche wieder ausgeföhnt, und das Parlament
dankte dem Papſt , daß er derſelben die lange dauernde
Keßerei verzieh. Er erklärte mit eben ſo viel Aufrichtigkeit als Wahrheit , er habe ihm zu danken , daß es ein reiches Land wieder ihm unterworfen habe.
Fünftes Kapitel Königin Eliſabeth.
Königin Eliſabeth iſt die größeſte von den Herr jdern Englands , vielleicht von allen Herrſchern der Neu zeit. In einer durch lange und blutige Kriege ausgezeich neten Periode machte ſie ihren Namen im Ausland geachtet, ohne unnützen Aufmand von Blut oder Geldmitteln ; und
in einer Zeit großer politiſcher Gährung behauptete ſie in ihrem Lande das unbedingteſte Anſehen , ohne dabei irgend der Zuneigung ihres Volkes zu ermangeln. Sie gewann Ruhm ohne Eroberung, und unbegrenzte Macht ohne Haß.
Ein ſo außerordentliches Reſultat zu erreichen, wirkten alle Sprungfedern der äußeren und inneren Politik. Doch laſſen ſich hauptſächlich drei Quellen ihres Nuhmes und Glückes unterſcheiden . Erſtens, fie ſtellte ſich an die Spiße der proteſtan
tiſchen Intereſſen in Europa. Zu dieſem Behufe war es nicht nothwendig, ſich in die Vorderreihe eines Bundes kriegs führender Mächte zu ſtellen . Es genügte , daß der Name
Englands , eines reichen und geeinigten Königreichs , der Sache, welche ſie in Schuß nahm , ſein Anſehen lieh. Der Muth und Unternehmungsgeiſt ihrer Unterthanen , mit einiger Unterſtügung von ihrer Seite , that das Uebrige. Durch dieſe Politik ſchmeichelte ſie auch dem Nationalgefühl ihres Reiches, und öffnete einen Kanal, worin alle unruhige
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Thätigkeit ihres höheren und niederen Adels ausſtrömte. Ebenſo wuchs der Nuf der Nation durch den Ruhm , welchen engliſche Krieger im Kampf gegen die Ligue in Frankreich und Philipp II. in den Niederlanden erfochten. Das Land
nahm
unter den Vertheidigern der Freiheit ſeine Stel
lung in der Vorhut ein ; das Blut Sir Philipp Sid
ney's ward im Intereſſe der Freiheit der Welt vergoſſen ; und Tyrannen zitterten bei den Namen von Eliſabeth und England .
3 weitens, ſie war bedacht, nicht zu viel Geld von dem Volke zu fordern. Ihre Verträge mit Heinrich IV. und den Niederlanden gleichen mehr dem fargen Handel eines Schweizer Kantons , als dem edelmüthigen Bündniß eines mächtigen und wohlwollenden Herrſchers. Sie wußte wohl, daß das Parlament über den Staateſäckel gebot, und daher einen verſchmenderiſchen oder im Nothſtand befind:
lichen Herrn unbedingt in ſeine Gewalt bekam . In ihrer Lage war Sparſamkeit Macht. Für Leo X. 1, Sarl I. und Ludwig XVI. wäre es ein Glück geweſen , wenn ſie und ihre unmittelbaren Vorgänger dieſem Schlußſtein ihres
Schickſals Sorge gewidmet hätten . Die Reformation, die Bürgerkriege Englands und die Revolution in Frankreich entſprangen aus Unordnung in den Finanzen . Man mag ſich wohl einem Drucke fügen , aber nicht leicht verſteht man
ſich dazu, die Unterdrückung theuer zu bezahlen. Drittens , ſie gab der Voltsſtimine nach, und wußte die Volksgunſt zu pflegen , wann es irgend mit Würde und Weisheit geſchehen konnte. Sie konnte abwechſelnd ſtrenge und freundlich ſein. Als ſie einmal durch eine Beſchrän kung der Nedefreiheit im Hauſe der Gemeinen großes Mcurren erregt hatte , hielt ſie es bald für ſchicklich , ihren Befehl
zurückzunehmen . Aber nichts kennzeichnet ihre Politik beſſer,
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als ihr Verhalten in Beziehung auf die Monopole. Es gab kaum einen Gegenſtand, wofür nicht die Krone ein Monopol verliehen hätte. Das llebel wurde ſo arg , daß ſelbſt in Eliſabeth's Unterhaus die allgemeinen Klagen und unmuthige Neden Widerhall fanden . Die Königin gab augenblicklich
nach . Sie geſtand nicht ein , daß die Debatten des Hauſes der Gemeinen Einfluß auf ſie gehabt, ſondern ließ ſie durch
ihren Staatsſecretar wiſſen , daß ſie einverſtanden ſei , die ungeſeblichen Monopole zu unterdrücken , über die anderen
eine Unterſuchung anzuſtellen. Secretär Cecil erflärte ent ſõhuidigend dem Haus, man habe es keineswegs einer Schule gleich geachtet, und beabſichtige nicht die Nedefreiheit zu ver weigern. ) In ihrem Benehmen war die Königin befliſſen , dem
Volke das größte Vertrauen zu zeigen. Niemand verſtand beſſer wie ſie , das Herz der Nation mit einer Phraſe zu gewinnen , wie ſie denn gelegentlich erklärte , ihre Schäße feien beſſer in den Börjen ihrer Interthanen aufgehoben , als in ihrer eignen Schapfammer , und ihres Volkes Liebe
ſei die beſte Leibwache. Sie wußte ſehr wohl , daß nichts ſo ſehr beliebt macht , als Herablaſſung ron Seiten des Herrſchers. Sie zeigte daher ihre Größe im Gepränge des Machthabers, und ihre Güte in der Leutſeligkeit ihrer Sprache. Auf ſolche Weiſe war Eliſabeth im Stande , in einer
ſtürmiſchen Zeit über ein unruhiges Volk mit unerſchütter ter Autorität zu gebieten. Frankreich war vom Bürgerkrieg zerriſſen ; der König von Spanien in einen erfolgloſen blu tigen Kampf mit ſeinen empörten Unterthanen der Nieder lande verwickelt; Deutſchland durch die Reformation auf's Tiefſte erſchüttert ; aber die Königin von England erntete 1 ) S. Beilage II.
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in der Ruhe und dem willigen Gehorſam ihres Reiches und Volkes den Lohn ihrer Klugheit und ihres Muthes. Ihre
Macht war außerordentlich. Wenn das Haus der Gemeinen widerſprach , löste fie es ſofort auf. Einmal ließ ſie ihm erklären , es möge ſich nicht in Staatsangelegenheiten mengen . 1
Noch weniger geſtattete ſie einen Antrag auf Abänderung in der Kirche; und ließ wiederholt in den Kerker werfen, wer in dieſen Angelegenheiten ihrem hohen Belieben wider
ſprach. :) Sie dispenſirte von Geſeßen , welche ihr zuwider waren , und regelte das Verhalten ihres Volkes durch Ordo nanzen und willkürliche Befehle. Sie verbot den Anbau von Waib, weil derſelbe ihren königlichen Rechten zuwider ſei. Da die Sternkammer und die hohe Commiſſion ihr noch nicht genug mit unbeſchränkter Willkür bekleidet waren, jo wurde anbefohlen , daß , wer verbotene Bücher einführe oder andere bezeichnete Vergehungen ſich zu Schuld kommen ließ , nach Kriegsrecht beſtraft werden ſolle. Wer ſich der Preſſe zur Erörterung von Streitfragen bediente, wurde un= derzüglich verurtheilt. John Uball, ein puritaniſcher Pfarrer, wurde beſchuldigt, „eine verläumberiſche Schmähídrift gegen 1
?
der Königin Majeſtät geſchrieben zu haben “, deßhalb wegen Felonie vor Gericht geſtellt und verurtheilt. Das Urtheil wurde zwar nie vollzogen, aber der arme Mann ſtarb nach mehrjähriger Haft im Kerker. Der Richter gab der Jury an, ſie habe nur zu urtheilen , ob er Verfaſſer des Buches
fei, denn darüber, daß es Felonie rei, eine ſolche Schrift zu verfaſſen, ſei bereits abgeurtheilt. Ein Mann von Stande, welcher ein Buch geſchrieben hatte, um der Königin die Heirath mit einem franzöſiſchen Prinzen abzurathen, wurde von der Königin verurtheilt, die Hand zu verlieren. Ein -) S. Beilage III .
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Puritaner , Namens Peney , wurde wegen aufrühreriſcher Schriften, die ſich in ſeiner Taſche fanden , verurtheilt und hingerichtet. Hume hat in Entrüſtung über ſo will fürliches Verfahren die Regierung Eliſabeths mit der in der heuti gen Türkei verglichen, und indem er weiter bemerft, in bei
den Fällen ſei dem Herrſcher die Macht entzogen , Geld von ſeinen Unterthanen zu erheben , behauptet er , in bei:
ben Ländern ſcheine dieſe Beſchränkung ohne die Stüte anderer Privilegien eher zum Nachtheile des Voltes zu gereichen.
Ueber dieſe wunderliche, eines großen Geſchichtſchreibers ſo unwürdige Vergleichung iſt fein Wort zu verlieren . Sit es jemals vorgekommen , daß ein türkiſches Unterhaus den Sultan bewog , den Erpreſſungen ſeiner Paſcha's eine Schranke zu ſeben, wie das engliſche die Königin Eliſabeth
vermochte, die gehäſſigen Monopole aufzuheben ? Hat die Königin Eliſabeth jemals die Inhaber ſolcher Monopole un verhörter Sache hinrichten laſſen , um ihr unrecht erwor benes Gut ſich ſelber zuzueignen ? In der That hat das Haus der Gemeinen unter Eliſabeths Regierung einigen
Fortſchritt gemacht. Gerade die Stärke der Gewalt, welche angewendet wurde , um ihren Widerſtand zu brechen , ent hält einen Beweis der Stärke dieſes Widerſtandes. Die Debatten des Unterhauſes während ihrer Regierung füllen
anderthalb Bände der alten Parlamentsgeſchichte. Ein auf mertjamer Beobachter des Landes in jener Periode kann nicht umhin wahrzunehmen , daß durch Eliſabeths perſön lichen Einfluß die Wirkſamkeit freier Inſtitutionen zwar
ſuspendirt, aber nicht aufgehoben wurde ; und während er anerkennen muß, daß kein Herrſcher je die Regierungskunſt
in ſo hohem Grade geübt hat , wird er einſehen , daß die Nation ihr zwar auf Lebenszeit eine willfürliche Gewalt 3
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eingeräumt, aber nicht für immer der ererbten Freiheit ſich entäußert hat.
Es war ein Glück für das Land , daß Eliſabeth es
ihrem Intereſſe entſprechend fand, dem Proteſtantismus an zuhängen , und daß ſie durch die ſo thörichten als abſcheu lichen Anſchläge der römiſchen Katholiken gezwungen wurde, ſich um die Anhänglichkeit der proteſtantiſchen Partei ſtets 1
ernſtlicher zu bemühen . So ſtolz wir auf unſere Conſti
tution ſein mögen, hätte Eliſabeth dem römiſchen Ratholi zismus angehangen , oder Jakob II. dem Proteſtantismus, ſo würde ſich in England die Freiheit nicht entwickelt haben. 1
Sedistes Kapitel. Jakob der Erſte. Während Eliſabeths legter Regierungszeit richteten alle Klaſſen des Voltes mit ungeduld ihre Blicke auf den Thron
nachfolger. Nichts iſt den Menſchen ſo widerlich, als wenn eine lange Reihe von Jahren hindurch die nämliche Perſon ihre Bewunderung und Dankbarkeit in Anſpruch nimmt. an dem Verhältniß , wie die Neuheit abnimmt, folgt auf die Bewunderung Ueberbruß und auf den Ueberdruß Neid ;
Manche fangen an , gleich heikelen Kritikern , da Fehler zu finden , wo ſie zuvor nur Schönheiten ſahen, und Manche ärgern ſich gar , daß ſie ſo wenig Fehler finden. Die Jungen tadeln gerne , was die Alten übermäßig prieſen, und den Neuerungsſüchtigen behagt die einförmige Vortreff lichkeit nicht. Vielleicht gibt's jedoch noch andere Urſachen, weßhalb die engliſche Nation ſich nach der Regierung Ja kobs Tehnte. In Eliſabeths legten Jahren war in Religion und Politiť ein neuer Geiſt aufgekommen . Es hatte ſich eine zahlreiche Partei, bekannt unter dem Namen Puritaner gebildet, oder vielmehr, ſie war nur ſtärker und einiger ge worden, welche in der Kirche nach weiteren Reformen trach
tete. Die römiſchen Ceremonien , welche in unſerem Gottes dienſt waren beibehalten worden, fanden in den Augen dieſer ſtrengen Sekte keine Gnade ; und wären die Puritaner im Stande geweſen, ihre Wünſche in Ausführung zu bringen, 3*
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ſo wären die Macht und der Reichthum der Biſchöfe in
ihren Schmelztiegel geworfen worden.
Ihre fühnen und
unverträglichen Grundſäße führten ſie auch auf freie Regie rungsprincipien : ihr Verſtand entzog dem König unbedenk lich ſeine göttliche Autorität, und ihr Gefühl erhob den Un terthan auf gleichen Boden mit dem Herrſcher. Außer dem Fortſchritt der öffentlichen Meinung war durch das allge meine Studium der griechiſchen und römiſchen Autoren ein
neuer Muſterbegriff politiſcher Rechte aufgekommen. Es hatte nicht allein der Ruhm der alten Republiken die Gemüther edler Männer entflammt, ſondern die Verbreitung klaſſiſcher Studien hatte die oberen Klaſſen der Geſellſchaft dazu ge bracht, daß ſie aufgeklärtere Methoden des Verfahrens und eine richtigere Vertheilung von Macht und Privilegien ver langten , als man jemals zuvor für nothwendig gehalten hatte. Das Gemeinweſen war in Wohlſtand , Künſten und Wiſſenſchaften , ſowie in Geſittung voran geſchritten. Vor !
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Allem war die Reformation eine fortdauernde Quelle der Unterſuchung und Erörterung ; die Gemüther der Menſchen
hatten einen Trieb zu weiteren Verbeſſerungen bekommen , und nichts fonnte ihren Lauf hemmen.
Die Reformen, welche die neue Welt offenbar erforder lich machte, wurden natürlich bis nach Eliſabeths Tod ver ſchoben. Ihr Alter und Anſehen verdienten , ihre Kraft
und Erfahrung geboten abwartende Geduld. Aber Jakob, ein fremder König , ohne den Ruf von Nuhm oder Feſtig feit, erzwang nicht durd; ſeinen Charakter eine gleiche Unter würfigkeit. Es ſchien , als habe man den Entſchluß gefaßt, auf allen alten Privilegien des Parlaments , ſammt allen !
1
geſetzlichen Freiheiten der Unterthanen zu beſtehen ; und ſoul ten dieſe mit den alten Vorrechten der Krone oder den
neuen Anſprüden der Dynaſtie Tudor unverträglich befun
1
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ben werden, den König zum Nachgeben gegen das Volk zu bringen, nicht das Volt gegenüber dem König. Jakob fand bald hinlänglich Gelegenheit, die Stimmung ſeiner Unterthanen zu erkennen . Alle die Freudensbezeu :
gungen , welche ſeine Reiſe begleiteten , alle die neuen Wür den, welche er verſchwenderiſch austheilte, konnten die Wahr: heit nicht verhüllen. Eine Bittſdrift von mehr als tauſend
puritaniſchen Geiſtlichen wurde dem König auf dem Weg nad London überreicht, worin um eine Reformation des Gottesdienſtes , feiner Diener , ihrer Lebensweiſe und Zucht
nachgeſucht wurde. Bei Berufung des Parlaments ließ er
dem Volk ſeine Anweiſung ertheilen , welcher Art Männer zu wählen ſeien , wobei er ihnen die Wahl von Verbannten
unterſagte, und ſie aufforderte, die Wahlberichte an ſeine Kanzlei zu ſenden , um da geprüft und beurtheilt zu wer den. Dieſen Inſtruktionen gemäß wurde die Wahl eines 1
Verbannten , Sir Francis Godwin , der für die Grafſchaft Buckingham gewählt worden war, für ungültig erklärt ; es wurde von ſeiner Kanzlei eine neue Wahl ausgeſchrieben,
und an ſeine Stelle Sir John Fortescue gewählt. Die Ge meinen erflärten, die erſtere Wahl ſei gültig, und über Alles,
was die Wahl von Parlamentsgliedern betreffe, ſtehe die Er kenntniß einzig dem Hauſe der Gemeinen zu . Es war dieß
idjon ein alter Streitpunkt mit der Königin Eliſabeth ge welen ; man hatte von beiden Seiten ſeine Behauptungen
aufgeſtellt , aber eine beſtimmte Entſcheidung war nicht er folgt. Die Gemeinen hatten den Beſchluß votirt, die Erör terung und Beurtheilung ſolcher Streitigkeiten ſtehe einzig dem Hauſe zu , und hatten die Wahl von Verbannten für
ſtatthaft erflärt : Die Richter dagegen hatten das Gegentheil geurtheilt, und die Königin hatte ſich über ihr legtes Unter: haus beſchwert, daß es Verbannte zugelaſſen habe. Jakob
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beſtritt es ebenfaus, und ſchlug vor , es folle auf Befehl des Hauſes eine neue Wahl vorgenommen werden. So wurde dem Hauſe der Gemeinen das Recht der Entſcheidung in allen Wahlangelegenheiten zuerkannt.
Während derſelben Parlamentsſigung wurde von dem Hauſe ein Seeoffizier verhaftet , weil er ein Mitglied des: ſelben feſtgenommen hatte ; es wurde für die Lehengvormund ſchaft und für die Naturallieferung an den Hof eine Ab findung in Geld vorgeſchlagen , und in Betreff der Reli gion wurde eine Conferenz mit den Lords verlangt. Das 1
Haus der Gemeinen gab den Leitern derſelben merkwürdige
Inſtructionen : es ſollte gegen die, welche das Kreuz bei der Taufe, den Ring bei der Heirath , und das Chorhemd nicht leiden mochten , Nachſicht geübt werden ; aber über Punkte des Glaubens und der Sakramente verlangte das Parla
ment , daß Jedermann im Königreich ſich nach dem Geſetz der Gleichförmigkeit richte. Soweit waren dieſe Reformer von wirklicher Toleranz entfernt. Jakob war über alle und jede Anſprüche des Parlaments aufgebracht, und es iſt noch der Entwurf einer ſehr tüchtigen Adreſſe vorhanden ,
welche von einem Comité des Hauſes verfaßt (aber vom Hauſe ſelbſt nicht votirt) wurde, worin man klagte , daß er übel berichtet worden ſei, und weitläufig über jeden beſpro chenen Gegenſtand ſich ausließ. Dieſelbe erwähnt der übeln
Behandlung, welche das Haus hinſichtlich ſeiner Privilegien während der legten Jahre der Königin Eliſabeth erfahren
habe ; erklärt, es habe aus Rückſicht auf ihr Geſchlecht und Alter ſich dieß gefallen laſſen , und drückt Erſtaunen und Bebauern darüber aus , daß bei dieſem erſten Parlamente König Jakobs ſeine Rechte mehr als je verlebtworden ſeien . ') 1) bume bemüht ſich vergebens, die Aechtheit dieſes Dokuments, welches, wie es ſcheint, ſeiner Theorie widerſpricht, anzufechten . .
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Die Siķung endigte ohne ein entſchiedenes Ergebniß. Der König erhielt außer dem Tonnen- und Pfundgeld keine Be willigung, und die Frage der neuen Wahlen ausgenommen , blieben die Beſchwerden des Hauſes unerledigt.
Die Aufregung über die Pulververſchwörung bewirkte dem König reichliche Bewilligungen . Zu Ende Dezembers 1609 löſte Jakob ſein Parlament auf, und mit Ausnahme der zweimonatlichen Siķung von 1614 verfloſſen über 10 .
Jahre, ohne daß ein Parlament verſammelt wurde. Zwangs
anlehen, willkürliche, von Privatleuten erhobene Taren und neue Monopolien deckten in der Zwiſchenzeit die Bedürf niſſe ſeines Schapes. Zuletzt kam im Jahre 1620 ein Par lament zuſammen ,1 dem jeder Engländer ſeine hohe Achtung nicht verſagen kann . Nachdem es zuerſt dem König zwei Subſidien votirt und jede Wiederholung früherer Klagen zurückgeſchreckt hatte ,
unternahm es mit Nachdruck die
Prüfung der damaligen Beſchwerden der Unterthanen. Ja kob vertagte es und ließ eines der tüchtigſten Mitglieder desſelben , Sir Edwin Sandys in Haft nehmen. Nicht ent muthigt durch dieſen Schritt, bat es bei ſeiner nächſten Zu
ſammenkunft den König , ſeinen Schwiegerſohn , den Kur fürſten von der Pfalz , gegen die katholiſchen Intereſſen Europa's in Schuß zu nehmen , die Heirathsunterhandlungen ſeines Sohnes mit Spanien abzubrechen , und gegen dieſe furchtbare Macht ſein Schwert zu ziehen. Jakob drohte den Gemeinen mit Beſtrafung ; ſie machten ihre Privilegien gel tend ; er ſagte ihnen , dieſe rührten her von unſeren Vor fahren und unſerer Gnade und Verwilligung.“ Dieſe Be
hauptung erwiderte das Haus mit folgender denkwürdiger Antwort :
,, Die gegenwärtig im Parlament verſammelten Ge
meinen, rechtlich dazu veranlaßt , erheben in Betreff etlicher
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Rechte , Freiheiten , Privilegien und Gerichtsbarkeiten des Parlaments folgenden Proteſt : daß die Rechte, Freihei
ten, Privilegien und Gerichtsbarkeiten des Parlaments das alte und unbezweifelte Geburtsrecht und Erbtheil der Unter
thanen Englands ſind, und daß die hochwichtigen und brin
genden Angelegenheiten in Betreff des Königs, des Staates und der Vertheidigung des Königreichs und der Kirche von England, die Errichtung und Aufrechterhaltung von Geſetzen , Abſtellung von Mißbräuchen und Beſchwerden , welche täg
lich in dieſem Königreich vorkommen , Gegenſtände und An gelegenheiten ſind , deren Berathung und Erörterung dem Parlament zuſteht ; daß bei der Verhandlung und dem Ver fahren in dieſen Sachen jedes Mitglied des Hauſes Rede freiheit hat und von Rechtswegen haben muß, um über die ſelben Vorſchläge zu machen , zu handeln, zu urtheilen und zu beſdhließen ; daß die Gemeinen im Parlament gleichermaßen
das Recht und die Freiheit haben, dieſe Gegenſtände in ſol cher Ordnung vorzunehmen , wie es ihrem Ermeſſen am paja
Jendſten erſcheint; daß jedes ſolches Mitglied beſagten Hau res gleidhermaßen frei iſt von jeder Anklage , Einkerkerung und Beläſtigung (es ſei denn nach dem Urtheil des Hauſes felber) wegen oder in Betreff eines Geſetzesvorſchlags, einer Rede, Beurtheilung oder Erklärung über irgend einen Gegen ſtand oder Gegenſtände, welche das Parlament oder Parla: mentsſachen anlangen ; und daß, wenn irgend eines von be ſagten Mitgliedern wegen irgend etwas , was es im Parla ment geſagt oder gethan , beſchuldigt oder zur Rechenſchaft
gezogen wird , dasſelbe , nach Nath und Zuſtimmung aller im Parlament verſammelten Gemeinen , dem König fundge 1
geben werden muß , bevor der König irgend einer Privat mittheilung Glauben ſchenken darf. "
Jakob, höchſt erzürnt über dieſen Schritt, ließ ſich das
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Sournal des Hauſes der Gemeinen in ſein Kabinet bringen ,
und riß den Proteſt eigenhändig heraus. Er löſte das Parlament auf , ließ Coke , Selden , Þym , Philipps und
Mallory, ') ſämmtlich Mitglieder des aufgelöſten Hauſes, in den Kerfer werfen. Er merkte nicht , daß die Kraft der Proteſtation , welche er herausriſ , nicht in dem Pergament !
oder den Buchſtaben eines Buches enthalten war, ſondern im Herzen und Gemüth ſeiner Unterthanen , und ahnte nicht, daß er durch Verhaftung etlicher von den Gemeinen die Einkerferung und den Tod ſeines Sohnes vorbereitete. Werfen wir einen Blick auf die Lage der ſtreitenden
Parteien dieſer Zeit, ſo ſehen wir , daß Jakob den Verſuch einer Aenderung der Regierungsweiſe ſehr zur Unzeit machte.
Der Charakter der gothiſchen Monarchien war im Allgemeinen derſelbe. Der König, weldier anfänglich gemeinſam mit dem Volte in roher Uebereinſtimmung die Dinge geleitet hatte,
gelangte in Verlaufe der Zeit zur Ausübung gewiffer Re gierungsrechte, welche er ſeine Prärogative nannte ; und das Bolk , welches in früheren Zeiten bei jeder Gelegenheit ver ſammelt worden war , um über Beſchwerden , Geſetze und Verträge zu berathen , vertheilte ſich beim Fortſchritt der Bildung in Städte und bekam ſeine Privilegien in allge meinen und beſonderen Urkunden niedergelegt , welche man 1
Freibriefe nannte.
Privilegien und Prärogative waren dem
Miſverſtehen ausgeſetzt , und traten manchmal aus ihren Schranken heraus. Aber der König ſprach ſtets mit Achtung
don den Freiheiten ſeiner Unterthanen , ſelbſt wann er ihre Perſonen ungeſetzlich verhaften ließ ; und das Volk erklärte feine Verehrung der Monarchie, ſelbſt als es ſeinen König 1) Das Volf jollte dieſe Namen in Erinnerung behalten . Sie waren nebſt John Hampden die Gründer der Freiheit Englands.
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abſette. Die Königin Eliſabeth handelte in dem gleichen Geiſt , indem ſie den Gedanken abſchwor , die Rechte ihrer Unterthanen zu kränken, während ſie gelegenheitlich Eingriffe in dieſelben that, und die Rechte, welche ſie aufrecht zu hal ten erklärte, ſtets zu beſchränken befliſſen war. Sie erkannte die Freiheiten des Volkes ohne Schwanken oder Be denken an , aber bediente ſich ihres eigenen Wörterbuches, um den Begriff des Wortes zu beſtimmen . Jakob verſuchte
ein neues Verfahren : er ſtellte in Abrede , daß es über haupt Privilegien gebe , außer durch nachſichtige Duldung; und ohne den gewöhnlichen Menſchenverſtand zu beſigen, nahm er trotz dem unterſuchenden Forſchungsgeiſte ſeiner Zeit die Unfehlbarkeit Gottes in Anſpruch. „Wie es Atheis mus und Gottesläſterung iſt", ſagte er, „wenn ein Geſchöpf beſtreitet, was Gott verfügt, ſo iſt's Anmaßung und Em
pörung eines Unterthanen, wenn er beſtreitet, was ein Kö nig in ſeiner Machtvollkommenheit thut. Gute Chriſten beruhigen ſich bei dem Willen Gottes , wie er in ſeinem Wort offenbart iſt; ܪund gute Unterthanen fügen ſich in deit Willen des Königs , wie er in ſeinem Gefeß offenbart iſt.“ So gottlos war Jakobs Thorheit ! Seinen Reden nach galt er für einen wißigen Kopf , ſeine Kenntniſſe verriethen Schule, aber ſein Benehmen als König machte ihn verächt 1
lich. Wie nichtig war es damals, zu behaupten , daß alle 1
alten Privilegien der Nation von ſeinem Winke abhingen !
Siebentes Kapitel. Karl der Erſte.
Zur Zeit der Thronbeſteigung Karls I. war die Nation in Krieg mit Spanien verwickelt, welches damals für die mächtigſte Monarchie Europa's gehalten wurde. Man hat dem erſten Parlament Karls I. den Vor
wurf der Unredlichkeit und Mangels an Edelmuth zu machen verſucht, weil es nicht, bevor es in eine Unterſuchung der
Beſchwerden eintrat, dem jungen König eine Summe be willigte , welche ihn in Stand ſeşte , den Krieg , wozu es ſelbſt gerathen und aufgemuntert habe, mit gehörigem Nach druck fortzuſeßen . Nun aber, wäre es auch begründet, daß
der ferieg auf Anrathen der Gemeinen unternommen wors den , ſo würde daraus doch nicht folgen , daß ſie unrecht thaten, die Mißbräuche der ausübenden Gewalt zu prüfen, bevor ſie derſelben neue Mittel bewilligt, gegen das Geſetz und den Staatshaushalt aufzutreten. Eine ſtrenge Prüfung der öffentlichen Einkünfte und Ausgaben ſtand jedenfalls rechtlich der Nation zu , deren Repräſentanten ſie waren .
Was die Thatſache belangt , ſo war der Krieg nicht von ihnen veranlaßt, ſondern von Buckingham ; was dem Wun ſche des Volkes, den eine Parlamentsadreſſe ausſprach , vers weigert worden war , wurde der gereizten Privatleidenſchaft eines Günſtlings ) verwilligt. 1) Anſtatt die Mißverſtändniſſe zwiſchen den beiden Häuſern und dem König mit Vorſicht beizulegen , ſtürzte er unbedachtſam den König
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Nehmen wir die Forderung des Hauſes der Gemeinen zil Anfang dieſer Regierung in Erwägung, ſo dürfen wir, wie auch ſie thaten , nie die alten Grundgeſetze bes Reiches
außer Betracht laſſen.
Die Magna Charta ſtellt feſt, daß
kein Freier in Haft gebracht oder ſonſt gekränkt werden darf , es ſei denn nach dem Urtheil von Seines Gleichen oder dem
Landesgeſetz : demnach wareit die Urtheile der
Sternkammer und die vom Herrſcher willkürlid) erlaſſenen
Verhaftsbefehle geſetzwidrige Neuerungen. Nach einem Geſetz Eduards I. durften Steuern nur mit Bewilligung des Par
laments auferlegt werden . Darum waren Zwangsanlehen, Gunſtbewilligungen und Monopole imgeſetzlich. Givei Gje ſetze Eduards III. beſtimmten , daß Parlamentsverſamm lungen mindeſtens einmal im Jahr gehalten werden ſollten ;
deßhalb hatte ein Verſud) , ohne die regelmäßige Zurathe ziehung und beſtändige Zuſtimmung des Parlaments zul re gieren , die Bedeutung einer Untergrabung der beſtehenden Staatsverfaſſung. Auch kann es nicht zu einem Beweis ad hominem dienen , wenn man anführt, daß unter der Res
gierung verſchiedener Herrſcher, beſonders der Tudor, häufige Verlegungen aller dieſer Geſeke ſtattfanden . Die ununter brochen geübte Anwendung der Schwurgerichte, der förm Fiche Gebrauch von Geldbewilligungen von Seiten des Par laments, und die häufigen Berufungen dieſer hohen Ver ſammlung beweiſen , daß keines jener Grundrechte auzer 1
Uebung gekommen , und daß die damit wverträglichen An 1
wendungen der königlichen Prärogative Unregelmäßigkeiten waren , die man zu beſeitigen , nicht Beiſpiele , welde man .
zu befolgen hatte. in einen Krieg mit Spanien , wo man wegen rückſtändiger Zahlungen ibn beleidigt hatte. Warwick's Memoirs p . 13. (Sir Ph. Warwick war Hofmann .)
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In dem naddrücklichen Widerſtand von Seiten Hamp:
dens und ſeiner Genoſſen gegen die Entrichtung des Schiffs geldes lag die unmittelbare Urjadje, modurch in England die Errichtung einer Wiüfürherrſchaft gleich der in Frank: reich und Spanien verhütet wurde.
Er weigerte dem König
die Zahlung von zwanzig Sdilling; die Richter in Weſt minſter-Hau verurtheilten ihn, aber die Theilnahme des auf geregten Landes überwog den Sprud ; eines Gerichtshofes. Hören wir , wie Lord Clarendon fich darüber ausſpricht ; fein Urtheil iſt jo vollwichtig, daß es feiner Entſchuldigung bedarf , wenn ich ſeinen Bericht ausführlich hier aufnehme. ,, Endlich, um eine unerſchöpfliche Outelle zu haben, und eine
Schatzkammer , die für alle Fälle ausreichende Beihülfe ge währte , wurde an den Sheriff jeder Grajſchaft Englands eine Schrift in Geſetzesform erlaſſen, mit der Auflage , für des Königs Dienſt ein Kriegsſchiff zu ſtellen, und dasſelbe wohl ausgerüſtet und reichlich verſehen an einem gewiſſen
Tag an einen gewiſſen Plaß zu ſchicken . Zugleich mit die jer Schrift wurde jedem Sheriff die Weiſung ertheilt , daß er anſtatt eines Schiffes von ſeiner Grafſchaft ' eine gewiſſe 1
Summe erheben und dem Schaßmeiſter der Flotte zur Verwen dung für Se. Majeſtät einhändigen ſolle ; dabei war das Ver
fahren gegen die, welche Zahlung weigerten , vorgeſchrieben.
Daher bekam dieſe Auflage die Benennung Schiffsgeld, ein Ausbruck, der in dieſem Lande ewig unvergeßlich ſein wird. Wirklich erhielt dadurch der fönigliche Schatz einige Jahre
lang einen Zuwachs, der ſich auf 200,000 Pi. jährlich be lief , und in der That lediglich zu ſeiner eigenen Verwen dung kam. Nachdem dieſe Einnahme ungefähr vier Jahre
hintereinander ununterbrochen bezogen worden war , wurde zulegt
aus Anlaß der Weigerung von Seiten eines
Gentleman , ſeinen Antheil von 20 - 30 Schilling zu ent
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richten die Rechtmäßigkeit derſelben bei dem Schakkam meramt vor allen Richtern Englands unterſucht, und die
Auflage nach Stimmenmehrheit für geſeßlich erklärt. Die ſes Urtheil gereichte mehr zu des verurtheilten Mr. Hamp den Vortheil und Anſehen , als zu des Königs Dienſt. Zur Förderung dieſes außerordentlichen Verfahrens, zur
Stüße der dafür. verwendeten Agenten und Werkzeuge , und um jede kecie Prüfung und Oppoſition zurück zu fcheuchen und niederzuſchlagen , erweiterten die Council Table und Sternkammer ihre gerichtliche Befugniß über die Maßen, indem ſie , wie Thucydides von den Athenern ſagt , für
ehrenhaft hielten, was ihnen beliebte, und für gerecht, was ihnen Vortheil brachte."
Dieſelben Perſonen in verſchiedenen
Stellungen wurden zu Juſtizbehörden , um über Rechte zu beſtimmen , und Finanzbehörden , um den Schaß zu füllen ; die Council Table ſchärfte in Proclamationen dem Volke ein , was die Gelege nicht vorſchrieben , und verbot , was
geſeßlich verſtattet war ; und die Sternkammer beſtrafte die Nichtbefolgung und Verlegung dieſer Verfügungen mit hohen Geldbußen und Gefängniß, ſo daß Mißachtung einer Maß regel des Staates oder der Behörden niemals ſtrenger ge ahndet wurden, und jene Grundlagen des Rechts , wodurch
den Menſchen ihre Sicherheit gewährleiſtet wird , nach dem Urtheil und der Befürchtung weiſer Männer niemals mehr in Gefahr waren, zerſtört zu werden. Und hier kann ich nicht umhin , abermals frei heraus zu ſagen, daß die Umſtände und Verfahrungsweiſe in dieſen
außerordentlichen Fällen , die Argliſt und Bedrückung ſehr unpolitiſch waren , ja dem beabſichtigten Zweck entgegen wirkten . Wäre die Angelegenheit des Schiffsgeldes als eine Auflage von Seiten des Staats unter den Vormand der
Nothwendigkeit im Angeſicht einer Gefahr , welche Privat
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leute nicht beurtheilen zu können ſich beſcheiden mochten , in derſelben außerordentlichen Weiſe betrieben worden , wie die königliche Anleihe
welche nach dem zweiten vorhin ge
bachten Parlament einen fünfmal höheren Betrag erzielte ſo würde man ſich dieſelbe weit leichter haben gefallen laſſen ; denn es iſt ausgemacht, daß der Druck weit williger ertra gen wurde, ehe das Urtheil zu Gunſten des Königs gefällt wurde, als hernach. Denn zuvor gefiel man ſich darin, etwas, wozu man nicht verpflichtet war , zum Beweis ſeiner An
hänglichkeit für den Dienſt des Königs zu leiſten ; Manche auch glaubten an die Nothwendigkeit, und hielten daher die
Auflage für gerechtfertigt; Andere nahmen auch in Betracht, daß durch das dem Einzelnen unbedeutende Opfer der Kö: nig ein großer Vortheil daraus erwuchs ; und alle waren
bei ſich überzeugt, daß , wenn die Belaſtung zu ſchwer wer : den ſollte, oder ſie die Luſt dazu verlören , ſie durch das Geſetz davon befreit werden würden.. Aber als man ver nahm, daß die Leiſtung von einem Gerichtshof als ein Recht !
gefordert, und fand, daß ſie von geſchworenen Richtern aus
ſolchen Gründen zugeſprochen wurde , welche jeder Zuhörer als dem Rechte nicht entſprechend zu erkennen fähig war ; und man ſo die Befriedigung verlor, dem König wilfährig
und gefällig zu ſein , und anſtatt zu geben nur bezahlen ſollte, und zwar nach einer Logik , Sie Niemand etwas ließ,
was er ſein eigen nennen konnte : ſo ſah man die Sache nicht mehr als die eines Einzelnen an , ſondern als eine Angelegenheit des ganzen Staates, und die Bedrückung nicht
mehr von Seiten des Königs, ſondern der Richter; und die ſer ſich nicht zu unterwerfen, glaubte man ſich im Gewiſſen der öffentlichen Gerechtigkeit verpflichtet. Bereits Thucydides macht die Bemerkung, „daß die Menſchen weit mehr durch
Ungerechtigkeit, als durch Gewaltthätigkeit erbittert werden ,
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weil , ſagt er , jene von unſeres Gleichen herrührend wie ein Raub erſcheint, während dieſe von einem Stärkeren aus 1
gebend nur als Nothwendigkeit wirft. " So ſah man , als die Angelegenheit des Schiffsgeldes pom Rabinet des Königs betrieben wurde, ſie als von der Macht ausgehend an , welcher Alle zu vertrauen verbunden
ſind, und in Folge der Vorſorge , worauf ſie natürlich ſich verlaſſen müſſen. Dringende Nothwendigkeit und die öffent liche Sicherheit waren überzeugende Bemeggründe; und es mochte nicht von auffallend üblen Folgen zu ſein ſcheinen, daß bei einem unvorhergeſehenen Anlaß die königliche Macht im Stande ſei , eine Lücke auszufüllen , oder eine ungenü .
gende geſeliche Bewilligung zu ergänzen. Als man aber ſah , wie bei einem Gerichtshof - der den Rechtsanſpruch zu jedem Beſişthum feſtzuſtellen hatte
Staatsrückſichten
als Elemente des Geſetzes geltend gemacht wurden, Richter ſo ſcharfſichtig, wie Staatsſecretäre bei den Staatsgeheim niſſen ſein wollten ; ein rechtliches Urtheil auf factiſchen Beſtand ohne Prüfung und Beweis gegründet wurde , und für die Zahlung der fraglichen dreißig Schilling nur ein Grund angeführt wurde , welcher das Beſikthum aller in
Frage ſtellte, da durfte man nicht mehr hoffen , daß eine Lehre , oder die , welche ſie vorbrachten , ſich irgend in Schranken halten würden ; und es war nicht zu verwun dern, daß Leute, die ſo wenig Grund hatten, mit ihrer Lage zufrieden zu ſein , bedenklich und voll Beſorgniß vor bent
Nachtheilen waren , welche jede Neuerung im Gefolge haben konnte.
Unbeſchreiblicher Nachtheil und Unſegen erfolgte für die Krone und den Staat aus den wohlverdienten Vorwürfen
und der Schande , welche die Richter traf , weil ſie ſich in dieſem und ähnlichen Gewaltacten zu Werkzeugen hergaben ;
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denn die Würde und das Anſehen der Geſeße ſelbſt läßt ſich unmöglich wahren ohne die unbefleckte Charakterreinheit der
Nichter. Dhne allen Zweifel rührten die Ausſchreitungen des Hauſes der Gemeinen beim nächſten Parlament haupt fädlich von ihrer Verachtung der Geſeke her , und dieſe Verachtung von dem Lergerniſ jenes Urtheilsſpruchs ; und daß das Haus der Peers ſich zu demſelben Grad der Leidens
ſchaft fortreißen ließ , iſt vornehmlich der Mißachtung und
dem Hohn zuzuſchreiben , welchem die Richter verfielen . Zuvor hatte man dieſe ſtets als die Oratel des Geſetzes angeſehen, als die beſten Führer, um es in ſeinen Anſichten und Hand
lungen zu leiten, nun hielten ſich die Lords für entſchuldigt, indem ſie von den Regeln und dem Gebrauch ihrer Vorgänger abwichen , - welche , wann ſie Geſetze gaben oder abänder
ten , über Perſonen und Dinge urtheilten , ſich den Nath und das Gutachten dieſer Weiſen zur Nichtſchnur genommen hatten , - nun die Männer nicht mehr beachteten , von denen ſie wußten, daß doch Niemand ihnen Glauben ſchenken
würde. Nun glaubten ſie , indem ſie ſich dasſelbe heraus nahmen , was jene ſie gelehrt hatten , und als Geſetz auf ſtellten , was ſie für vernünftig oder zweckdienlich hielten,
einen gerechten Vorwurf auf die zurückwerfen zu dürfen, welche aus höfidem Sinn ſich dazu herbei gelaſſen hatten ,
die Schwierigkeiten und Geheimniſſe des Geſekes nach der Nichtſchnur deſſen zu bemeſſen , was ſie allgemeine Rück ſichten nannten und nach Gründen der Staatsflugheit er
klärten. Hätten die Richter die ſchlichte Unbefangenheit ihrer Vorfahrern beibehalten , welche ſtreng und pünktlich an dem Geje feſthieiten , ſo hätten auch die Anderen , gleich beſchei ben wie ihre Vorfahren , in duldiger Ehrerbietung ihrem
Beiſpiel gefolgt. Bei dieſer Erwägung iſt wohl zu merken , daß die 4
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Weisheit früherer Zeiten , als die Prärogative auf ihrem Höhepunkt war (wie ſie denn oft über die erſt in unſerer Zeit geſteckten Grenzen hinausging), niemals einen Gerichts hof , ſehr ſelten einen Richter oder Rechtsgelehrten von Nuf beizog , um einen Act der Gewalt zu unterſtüßen. Die Krone verſtand wohl , worauf es ankam , um dieſelben beim 1
Volk in Ehrerbietung und Verehrung z1i halten ; ſie wußte, daß ſie zwar mitunter Eingriffe mittels der Prärogative machen könne, aber doch durch das Geſetz gegen Angriffe von Seiten des Volts geſchüßt ſei , und daß der König nichts zu befürchten habe, ſo lange das Geſetz und die Rich ter von den Unterthanen als das Aſyl ihrer Freiheit und Sicherheit angeſehen werden .
Deßhalb kann man auch
finden , daß die Politik mancher Fürſten ebenſo ſcharfer 1
Kritik und rückſichtsloſem Tadel der Richter ausgeſegt war,
als ihre Frömmigkeit von Seiten der Biſchöfe zu erleiden hatte ; denn jene hatten durch ihren Ruf der Gerechtigkeit auf das Volt nicht minder Einfluß, als Leştere durch Heli
gion und Gewiſſenspflicht. Um dieſe Betrachtung über die Form und Umſtände des Verfahrens in Fällen außergemöhn licher Art noch etwas weiter zu führen , bemerke ich , daß es den Fürſten ſehr erſprießlich iſt, wenn ſie in Gnaden- und
Ehrenſachen , und bei Ertheilung von Gunſtbezeugungen unterm Volk , dabei mit möglichſter Deffentlichkeit zu Werke !
gehen , und dabei entweder ſelbſt oder durch ihre Miniſter
ſich umſtändlich auslaſſen , und durch Musichmückung oder Beredtſamkeit den Glanz zu erhöhen ſuchen , denn jedes 1
freundliche Wort , beſonders aus dem Munde des Fürſten
ſelbſt, wird als eine neue Huld angeſehen ; dagegen in Rechtsſachen , wann mit Tadel und Strafe gegen Perſonen vorgegangen werden ſoll (beſonders wenn der Fall, ſeiner
Beſchaffenheit nach, ungewöhnlich und nach außerordentlichen
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Regeln wenig Denn , leichter
zu beurtheilen iſt) , dasſelbe im Stillen und mit ſo Geräuſch und Wortgepränge als möglich geſchehe. wie überhaupt edle Gemüther einen Verluſt weit ertragen und ſich gefallen laſſen , als eine Kränkung
der Ehre, ſo wirkten auch bei der Angelegenheit des Schiffs geldes und in vielen anderen bei der Sternfammer und im
Kabinet des Königs behandelten Fällen manche Angebührlich feiten, Unſchicklichkeiten und Unverſchämtheiten in den Reden und Aeußerungen der Richter weit mehr beleidigend und er regten Aergerniß , als die Urtheile und Ausſprüche ſelbſt. Außerdem wurde dadurch der Sinn und Verſtand der Leute
weit mehr in Stand geſetzt, die Folgen der Dinge, weldhe ſie zilvor nicht beachteten , zu beurtheilen . Sicherlich wirkte Lord Finch's Rede bei der Finanzkammer weit mehr , das
Schiffsgeld verhaßt und gefürchtet zu machen , als alle Ver haftuugen , welche das Kabinet bejahl und alle Pfändungen , welche die Sheriffs in England vornahmen. Wie überhaupt die Vienſchen bei dem , was Andere zu erleiden haben, gleich gültig ſind , ſo jaben die Meiſten bei dieſen Vorgängen mit
einer Art Befriedigung diejenigen beſtraft, welche anders als ſie verfahren hatten ; dieſe Freude aber hörte bald auf , als ſie durch eine leicht vermeidliche Schlußfolgerung begriffen, daß ihr eigenes Intereſſe nicht minder als Mr. Hampdens dabei betroffen war.
„ Wer die Ereigniſſe der Zeit; wovon wir reden , nur
einigermaßen achtjam beobachtet hat , konnte leicht wahr nehmen , daß mande verſtändige Leute, die über die Zweck mäßigkeit , Nothwendigkeit und Gerechtigkeit mancher Be ſchlüſſe ganz beruhigt waren , demohnerachtet durch die Entſcheidingsgründe und die Ausdrücke , womit dieſe abge faßt waren , äußerſt entrüſtet und geärgert wurden ; denn 1
während ſie nur Zuſchauer deſfen, was Anderen widerfuhr, 4*
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zu ſein meinten , wurden ſie durch einige überflüſſige Neuße rungen oder Erklärungen auf den Gedanken gebracht, daß es ihnen wahrſcheinlich bevorſtehe , demnächſt ſelbſt ſtraf fällig zu werden . “
Dieſe geſchickte Ueberſicht ſeßt uns die Urſachen des üblen Einvernehmens zwiſchen dem König und ſeinein Volk klar auseinander, weiſt die Tyrannei ſowohl als die Thorheit
des Königs nach, und erklärt zur Genüge das Mißtrauen des Volfes .
Lord Strafford trat, zum Ungeil für ihn ſelbſt, ſeinen König und ſein Land, aus den Reihen der Freiheitsfreunde
und ermunterte Karl, auf ſeinem Widerſtand zu beharren , den er ſonſt vielleicht aufgegeben hätte. Aller Staatsgrundſäße baar war er nur ein Sklave ſeiner boshaften Leidenſchaften ; ſelbſt
fein Patriotismus entſprang aus perſönlicher Feindſeligkeit gegen den Herzog von Buckingham . Mit einer Miſchung von Niederträchtigkeit und Recheit, wie ſie ſelten ſich findet,
machte er ſich zum Werfzeug ſeines perſönlichen Feindes, um alle die Schußwehren der Unterthanen zu zerſtören , welche die petition of right enthielt, die hauptſächlich auf ſein Mit wirken nachgeſucht und erlangt worden war. Er konnte ſich
nicht mit der Angabe entſchuldigen , daß er neuen An maßungen der Gemeineren entgegenzutreten habe , oder daß er ſeine Freunde verlaſſen habe , weil dieſe die Grenzen des Geſeblichen und Rechtmäßigen überſchritten. Die Maß regeln, welchen er ſeinen Beiſtand lieh, waren Verlegungen derſelben Geſeße, welche er zu ſeinem Ruhm anerkannt und
feſtgeſtellt hatte. Er ſelbſt hatte geſagt : „Wir müſſen ver theidigen ", — was ? Neuerungen ? – mitein , unſere alten, geſeßlichen , noch nicht erſtorbenen Freiheiten , indem wir den von unſeren Vorfahren errichteten Geſeßen wieder neue -
Kraft geben , und ihnen ein ſolches Gepräge auſdrücken ,
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daß fünftig kein zügelloſer Geiſt ſie anzugreifen wagen ſoll. Als Abgeordneter in Srland machte er , um den damaligen Zmecken des Königs zu dienen , den römiſchen Katholiken große Verſprechungen , ohne alle Abſicht ſie zu halten. Zur Belohnung ſeiner Dienſte forberte er die Grafenwürde mit
einer Zudringlichkeit, welche klar erkennen ließ , daß ſein Ehrgeiz von der niedrigſten Art geweſen iſt. Als er ſich im Norden befand , verfolgte er einen Sir David Foulis mit äußerſter Grauſamkeit, weil derſelbe ein unbedeutendes Zeichen der Ehrerbietung ihm zu leiſten verſäumt hatte. ') Aehnlich benahm er ſich gegen Lord Mountnorris in Irland. Kurz , er war ein gewaltthätiger Mann ohne Grundfäße, ohne alle Seelengröße; denn ſein Geſuch an den König, ihn
ſterben zu laſſen , kann nicht wohl als aufrid tig angeſehen werden ; und faſt ohne allen Zweifel hat er bis an's Ende ſeiner Laufbahn gehofft, dadurch , daß er dem Volt
den Fuß auf den Nacken feßte , zur höchſten Gewalt empor zu kommen . Die Unerſchrockenheit ſeines Charakters , die Macht ſeiner Beredtſamkeit, ſeine Tugenden als Privatmann, und vor Allem die ungeſebliche Art ſeiner Verurtheilung, haben ſeinen Namen von dem Abſcheu gerettet, womit ſonſt jeder Vaterlandsfreund auf ihn geblickt haben würde. Alle Theile der Staatsgewalt ſind durch Straffords Hinrichtung befleckt worden . Das Haus der Gemeinen folgte dem Ant trieb der Leidenſchaft; die Lords handelten aus Furcht, und Karl aus einem oder dem anderen Beweggrund , welcher
jedenfalls nicht der richtige war. Daß man dem Pöbel ge ſtattete, durch Einſchüchterung auf die Verathung des Parla inents einzuwirken , war ein ſicheres Zeichen, daß das Gefeß im Begriff war , zu Grunde zu gehen. :) Macdiarmids Lives Vol, II. p. 121 .
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In einem Kampf zwiſchen einem König , der jede Be ſchränkung ſeiner Vorrechte verweigert, und einem Volt, vas
ſolche verlangt, iſt ein billiger Vergleich nicht möglich. Die geregelte Autorität eines eingeſchränkten Königs , die Be fugniß , eine bewaffnete Macht zu ſammeln , ein Parlament zu vertagen und aufzulöſen, kann einem Herrſcher nicht an 1
vertraut werden , deſjen Hauptabſehen darauf gerichtet iſt,
mit Mülfe einer Partei jede Beſchränkung aufzuheben. Einem Wilhelm III. , Anna und den erſten Herrſchern aus dem Hauſe Braunſchweig konnte man unbedenklich die Kronvorrechte übertragen , weil keine Partei in der Nation ſie mit Willkürgewalt ausgeſtattet wünſchte; aber bei Karl I. war's nicht möglich , weil „die Cavaliere" einmüthig ge
trachtet haben würden , die vom Parlament geſegten Schran ken niederzureißen. Daher mußte die Volkspartei, die bereits
für hinreichendeu Schuß des Volkes gegen einen König ge forgt hatte , gegen Karl auf ganz neue denken. Nach der Verſchwörung der Royaliſten im Heer, und mehr noch als ber Krieg wirklich begonnen hatte, mußte ſie nothgedrungen
nach Sicherheiten trachten , die in gewöhnlichen Zeiten un nöthig und unſtatthaft waren. Dieß allein rechtfertigt die Bil in Betreff des Sèriegsdienſtes, die über Fortbauer des Parlaments und die Artikel von Urbridge.
Es war nicht
zu erwarten , daß die ſiegreiche Partei die Waffen nieder legte, um in Ruhe die der Krone abgerungenen Freiheiten durch ein gewonnenes Parlament ſich wieder entreißen zu
laſſen , und ſelbſt ihr Leben der Gnade eines Königs , dem 1
man die Macht des Schwertes wieder anvertraute, Preis zu geben. Die Schwierigkeit war von der Lage unzertrennlich .
Des Königs Vorrechte ſind ſo groß, daß nur die feſtſtehende Meinung der ganzen Nation verhüten kann , daß nicht jede andere Autorität im Staate von ihnen verſchlungen werde.
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Die Ereigniſſe der Regierung Karls ſind leicht zu er klären , wenn man von den dargelegten Grundſäßen aus
geht. Der König fing damit an , mit dem Parlament 311 habern , und verſuchte, ohne deſſen Genehmigung Geld zu erheben , indem er zugleich gegen Alle , welche zu Gunſten 1
der alten Freiheiten des Landes mündlich oder ſchriftlich ſich zu äußern wagten, mit willfürlichen Strafen verfuhr. Bei dieſem Vorgehen fand er in den höchſten Beamten , und ſelbſt im Richterſtand, willige und grundſayloje Werkzeuge
Endlich war der König doch genöthigt, ein Parlament zu berufen. Dieſes ſtellte die Mißbräuche ab, beſtrafte die Werkzeuge der Wilfürherrſchaft , und beſtand darauf, die
bewaffnete Macht des Landes in die eig'ne Hand zu nehmen , damit nicht der König nach Auflöſung des Parlaments den erſten Anlaß benußen möchte, ſeine ungeſebliche Gewalt wieder herzuſtellen. Karl wollte lieber das Kriegsglück ver ſuchen , als dieſe Bedingungen eingehen. Im Verlauf des Kriegs überzeugten ſeine in der Schlackt von Naſeby er beuteten Papiere die Parlamentspartei, daß er alle Ein räumungen, die er machen würde, als gewaltſam abgedrungen und nicht zu Necht beſtehend anſah, und ſich für berechtigt
hielt , wenn er je die Mittel dafür bekäme, ſich wieder in ben Beſitz ſeiner früheren Macht zu ſeben. Es fam dabei zu Tage, daß er, zur Zeit, als er mit beiden Häuſern unter handelte, im Protokoll ſeines Rabinets einen Proteſt nieder
regte mit der Erklärung , nach ſeinen Begriffen von einem Parlament ſei das oben verſammelte gar keineg. Hieraus erhellte klar , daß er ſich zu jedem Mittel berechtigt hielt, um die unbeſchränkte Gewalt , welche er als ſein ange
ſtammtes Recht anſah , wieder zu erlangen. Hierbei waren auch , meiner Anſicht nach , Lorb Clarendon und die conſti
tutionellen Royaliſten im Irrthum. Buchſtäblich waren ihre
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Proclamationen und Vorſchläge mehr im Einklang mit der Verfaſſung , als die ihrer Gegner. Offenbar ging das Parlament in ſeinen Friedensvorſchlägen über die Schranken der alten Geſetze des Königreichs hinaus, und ſie beabſichtig ten, die Prärogative Karls mehr zu beſchränken , als Her
kommen , Beiſpiel und die Regel des Geſetzes rechtfertigten Halten wir uns aber an den Geiſt der Streitfrage, ſo ſehen wir , daß das Parlament bemüht war , durch neue Be ſchränkungen der königlichen Gewalt eine nothwendige Bürg ſchaft für die Aufrechterhaltung der alten zu bekommen , und daß der König durch das Anerbieten dheinbarer Be
dingungen nur die Macht in die Hand zu bekommen trachtete, um jede Oppoſition und Schranke ſeiner Willfür zu bre chen . Karl fühlte ſich im Gewiſſen gedrungen , durch Täll chung ſeiner Feinde fich unumſchränkt 311 machen . Jin Verlauf des Streites fam man zu einem Hunft,
wo nach Hyde und Falkland's Anſicht die Einräumungen des Königs hinreichend waren und das Parlament nicht
ohne Gefahr für die Monarchie weitere Forderungen machen konnte. Thre Anſichten haben Hallams gewichtvolle Bei ſtimmung erhalten. Derſelbe ſpricht durch Anführung der Worte Lord Chathams, 1) wie ſie Grattan ihm in den Mund legt, ſich alſo aus : „ Aber da ich weiß (und die Ge ( chichte von achtzehn Jahren bezeugt mir's) , wie wenig von der Freiheit, wie meije Männer ſie billigen können , auf der einen Seite 311 finden war , ſo bin ich auch nicht über zeugt, daß die große Menge der Royaliſten , der Peers “) „Da war Ehrgeiz , da war Aufruhr , da war Gewaltthätigkeit ; aber Niemand wird mich überzeugen , daß nicht auf der einen Seite die Sache der Freiheit , auf der anderen Seite die der Tyrannei war .
Lord Chatham , citirt von Grattan (Letter to the Citizens of Dublin . 1797 ).
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Edelleute Englands für die Sache der Tyrannei geſtritten haben ." )
Es war jedoch nicht die Frage , ob die Beers und der engliſche Adel , welcher zu Karl I. hielt , die Sache der Tyrannei verfochten . Hampdeit und Pym hatten die Frage zu erwägen , ob man , wenn man Karl vertraute, irgend welchen Schuß gegen Tyrannei habe.
Der deutſche Kaiſer
Karl V. hatte ein Jahrhundert zuvor in Kaſtilien , Aragon und Toskana die Freiheit unterdrückt und Willtürherrſchaft gegründet; Karl VIII. von Frankreich die Neichsſtände be ſeitigt, wodurch er , wie Comines fagt , ſeine Seele mit einem ſchweren Vorwurf belaſtete. Räumen wir dem Scharf
ſinn des großen Hiſtorikers Halam ?) ein , daß die große ,, Staatsremonſtration ſchwerlich zit etwas anderem dienen konnte, als die bereits beruhigten Unzufriedenen wieder auf zureger , und dem Volt das Vertrauen 311 des Königs Auf
richtigkeit wieder zu benehmen , womit es demſelben zu be gegiten anfinge." Doch Hampden und Þym hatten die
Frage zu erwägen , ob ſie dem Volke rathen oder gutheiſen könnten , des Königs Aufrichtigkeit 311 vertrauen , und ob nicht,
wenn ſie dieſ thäten , die
engliſche Regierung
dieſelbe Verfaſſung bekommen würde , wie die franzöſiſche unter Ludwig XIII . und die ſpaniſche unter Philipp II. Es iſt, denk ich , nicht zu bezweifeln , daß die Majorität 1
der Gemeinen in der großen Staatsremonſtration die Grenzen überſchritten , welche conſtitutionelle Staatsmänner in ge wöhnlichen Zeiten einhalten müſſen . Aber der König hatte offenbar gar nicht die Abſicht, die gegebenen Zuſagen zu hal ten , oder ſich innerhalb der Schranken einer beſchworenen *) Constit. Hist. of Engl. Vol. II. p. 146 ed. 1854. 2) Constit. Hist. of Engl. Vol. V. P. 121 .
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Verfaſſung zu halten . In ſeinen Augen galt Vertragsbruch als kluge Politit , wiltürliche Regierung als gebührendes
Vorrecht, und die Beſtrafung ſeiner Unterthanen für Wider: ſtand gegen ſeinen Willen als rechtmäßige Uebung der Herrſchergemalt.
Die Volkspartei hatte nicht nur ihre Frei
heiten , ſondern ihr Leben zu vertheidigen ; ſie mußte mit Karls Gewaltthätigkeit und Treuloſigkeit kämpfen , um ihre eigenen Köpfe vom Henkerbeil, und ihr Land vor der Sklaverei Frankreichs und Spaniens zu ſchüben . ) 1
Widmen wir einige Augenblicke einer Beleuchtung des Verhaltens des Königs bei dem Verſuch, die fünf Mitglieder zu verhaften. Er hatte kürzlich Falkland zu ſeinem Staatsſecretär
gemacht. Der Treffliche ſträubte ſich ſehr, die Stelle anzu nehmen, und gab nur den dringenden Bitten ſeines Freundes Hyde nad ). So wurde er in des Königs Rabinet der vorzugs meiſe verantwortlidhe Mann . Lord Clarendon ſpricht ſich in einer Stelle, welche in den früheren Ausgaben ſeiner Geſchichte
fehlt und von ſpäteren Herausgebern in einem Anhang ſteht, in Beziehung auf den Plan , die fünf Mitglieder 311 ver haften , alſo aus : „ Bei dieſer Verhaftung faßte der König, indem er vielmeur in Betracht nahm , was gerecht, als was rathſain war , ſeinen Entſchluß, ohne ihn einem von ſeinen Näthen mitzutheilen , ſo daß er die Um
ſtände und Mittel der Ausführung ſowohl , als den Gegenſtand ſelbſt nicht hinlänglich erwog und .... Und ſo hieß er ain dritten Januar um zwei Uhr Nachmittags ſeinen Generalfiskal, Sir Edward Herbert, ) Vgl. Forſter 's „ Essays on the Grand Remonstrance“ und
on the „ Arrest of the Five Members“ , die , beiläufig geſagt , nie !
verhaftet wurde.
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rufen , überreichte ihm ein Schreiben , welches den Auf trag enthielt , die darin gedachten Männer anzuflagen, und
befahl ihm , ſich ſofort in das Oberhaus zu begeben , und in ſeinem Namen die Anklage wegen Hochverraths vor den Peers anzuſtellen . Der Fiskal begab ſich demnach dahin, erhob ſich und erklärte den Lords , daß er im Namen Seiner Majeſtät und aus dem ſpeciellen Auftrag die Klage
wegen Hochverraths und anderer Vergehungen anſtelle gegen : Lord Kimbolton , Mitglied dieſes Hauſes , Mr. Þym , Mr. Denziel Hollis , Mr. John Hampden , Mr. William Strode
und Sir Arthur Haslerig. ) Dieß iſt ganz deutlich . Aber Lord Clarendon geht noch weiter , und nachdem er geſagt, mer den König nicht berieth , erwähnt er ausdrücklich , wer im Rath ertheilte. Nachdem er nämlich angeführt, daß
Lord Digby zu Lord Kimboſton geäußert, er wiſſe nicht, von ivein dieſer Rath ausgegangen ſei , fügt Lord Clarens
don hinzu : „Da nun er (Lord Digby) der einzige Mann mar , welcher den Rath ertheilte , nannte er die Perſonen , und namentlich Lord Kimbolton. " 2)
„ Obwohl Hallam und Forſter dem Bericht Lord Claren dons keinen Glauben beimeſſen , ſo iſt's doch ſehr ſchwer, von dieſem deutlichen Zeugniß los zu kommen. Iſt es 1
wahr , was ich nicht umhin kann zu glauben , ſo beweiſt
es , daß Karl äußerſt unfähig geweſen iſt, als conſtitutio
neller Herrſcher zu handeln ; es läßt erkennen , daß er, nachdem er Lord Falkland , Sir John Culpepper und Mr. Hyde gewonnen , ihm Rathgeber zu ſein , einen Peer und fünf Mitglieder des Iinterhauſes wegen Hochverrath anklagte, ohne ihnen zuvor Kenntniß davon zu geben. Es iſt auch, :) Hist. App . Vol . II. p . 604 .
2) Hist. Vol. II. p. 129 .
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meines Erachtens, nicht daran zu zweifeln , daß er , wäre er im Stande geweſen gewaltſam die Verurtheilung Pyms und Hampdens zu erwirken , dieſelben würde enthauptet 1
haben , wie ſpäter ſein Sohn Ruſſel und Sidner hinrichten ließ.
Seit dem war die Frage nur allein durch Waffen
gewalt zu entſcheiden ; und mögen wir auch ſchwierig fins den , die Sache der Gemeinen für die Sache der Freiheit zu erklären , ſo iſt es doch, denk ich, klar, baß Karls Sache die der Tyrannei war. Karl war in der That unfähig, denen , welche ſeinem Willen fich widerſeşten , Wort zu 1
halten. Als der Bürgerkrieg zu Ende, und der König von ſeinen Unterthanen überwunden war , hatte ſich eine neue
Partei gebildet, welche in Politik und Religion noch weiter gieng , als die Presbyterianer. Die Independenten wollten die Toleranz , welche die Presbyterianer urſprünglich in Hinſicht auf Kleidung und Ceremoniell begehrt hatten, auf
ben Glauben und die Lehre ausgedehnt haben , und waren alſo die früheſten Verfechter der Religionsfreiheit. Die politiſche Freiheit , welcher die Presbyterianer unter der alten königlichen Regierung Englands theilhaft zu werden hofften , glaubten die Independenten am beſten durch eine republikaniſche Verfaſſung geſichert. Ihre Anſichten in Betreff des Königs hatten den Anſtrich Höchſt irriger Bea 1
griffe, welche ſie der hl. Schrift entnahmen. Sie meinten, der König müſſe ſterben , damit die Sünden des Kriegs !
durch ſeinen Tod. , und nicht durch ſie gebüßt würden . 1
Ludlow führt zur Vertheidigung der Hinrichtung des Königs mit Selbſtbefriedigung eine Stelle aus dem zweiten Buch Mofis an : „Das Land iſt mit Blut befleckt, und kann nur durch das Blut deſſen , der es vergoſſen hat, rein gewaſchen werden . “
„Deßhalb “ , fährt er dann fort , „ kann ich dem
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Rathe derer nicht beiſtimmen , welche zufrieden wären , daß die Schuld don ſo viel Blut auf der Nation laſten bliebe, 1
und dadurch die gerechte Nadie Gottes auf uns alle herab gezogen würde , da es doch offenbar iſt, daß der Krieg durd, den Eingriff -in unſere Rechte und die unverkennbare
Verletzung unſerer Geſeze und Verfaſſung von Seiten der Partei des Königs verurſacht worden iſt.“ 1) Wenn dieſer Grund etwas taugen ſoll, gibt er in einem Bürgerfrieg der ſiegenden Partei nicht nur das Recht , ſondern die Pflicht, die Gegner faltblütig zu tödten . Seltſame Bethörung. Karl fiel zuletzt als Opfer , weil Cromwell durch die Unterhandlung mit ihin ſeine Popularität verloren hatte, und ſeinen Credit bei der Armee wieder gewinnen wollte.
Er hatte im Verlauf der Unterhandlung Grund zu dem Ver bacht gefunden , daß Karl, der ſtets unaufrichtig war, nicht wirklich ſich mit ihm auszuſöhnen beabſichtigte, und daß die demokratiſcheu Truppen, an deren Spige er ſtand, in Folge ſeiner vermeintlichen Abtrünnigkeit in Meuterei gerathen würden . In ſeiner Beſorgniß ſagte er : „ Ich will ihm das Haupt abſchlagen ſainmt der Rrone darauf." Cromwells Verſöhnung wurde in des Königs Blut niedergeſchrieben.
Die That , unklug und ungerecht , wie ſie angeſehen werden muß , wurde, wie For geſagt hat , nicht in einem Winkel verübt. Eliſabeth ließ Maria nicht öffentlich verhören . Macchiavelli ſagt in einem Kapitel, worin er darlegt , daß es einem Volk , das unter einem Fürſten zu leben gewohnt iſt , wenn es zufällig frei wird , ſchwer hält , ſeine Freiheit zu behaupten : „ Gegen die Schwierigkeiten und Nachtheile, welche zu beſtehen ſind, gibt es kein kräftigeres, wirkſameres, heilſameres oder nothwendigeres Mittel , als daß man die 1
1) Ludlow's Memoirs I. 267 .
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Söhne des Brutus hinrichte" , d. h . daß man ein ab
ſdirecfendes Beiſpiel der Strenge gegen diejenigen aufſtelle, welche an der Spitze einer Gegenrevolution ſtehen würden . ) Ohne Zweifel jah Cromwell von dieſem Geſichtspunkt aus
den Tod des Königs an . Er machte allem Schwanken ein Ende, brach den Royaliſten den Muth , und verband ihn für immer unauflöslich mit den Feinden der Stuarts. Von der Nation im Ganzen wurde die Hinrichtung des Königs nicht verlangt, und ſehr bald beklagt. Im
Leben war er ein mißachteter Tyrann , nach dem Tode ein königlicher Märtyrer.
Si der That war Karl ein hart
näckiger , vorurtheilsvoller und thörichter Mann, nicht ohne anſehnliche Talente, frei von den meiſten Fehlern, im Beſit von wenig Tugenden . Das Schickjal des Parlaments par für den Staat
weit wichtiger, als das des Königs. Von dem Augenblick an , da es genöthigt war , ein Heer aufzuſtellen , war ſeine
Unabhängigkeit in Gefahr.
Die Ausſchließung der elf
Mitglieder , ein Act der Gewalt , mar ein vernichtender
Schlag für die geſebliche Regierungsverfaſſung. Die Ver minderung ihrer Zaht, bis ſie zuleßt nur aus hundert, und oft noch weniger , beſtand , ihre Unterwürfigkeit unter die militäriſchen Mitglieder, und ihr Flüchten zur Armee ent hielt das Vorſpiel 311 ihrer endlichen Ausſchließung und
Auflöſung. Die Gemüther der Menſchen , welche mit ehr 1
erbietiger Anhänglichkeit an geſebliche Formen und her: kömmliche Einrid tungen ſich in den Krieg eingelaſſen hat
ten, waren nun ohne leitenden Stern oder Kompaß gelaſſen. Viele , ohne Zweifel , hatten gemeint, ein Krieg gegen Karl I. ſei , gleich dem gegen Heinrich III. , ein 1) S. Beilage IV.
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geeignetes Mittel, um Abhilfe von Beſchwerden zu erlangen . Sie dachten , der König werde nach einigem Widerſtreben feinen bewaffneten Unterthanen nachgeben , und der Nation die Wiederherſtellung ihrer Rechte zugeſtehen . Als ſie aber jede beſtehende Autorität umgeſtürzt, jede Regierungsweiſe in Frage und Zweifel geſtellt ſahen, wußten ſie nicht, wohin ſie ſich für Geſep und Freiheit wenden ſollten .
Völlig un
fähig, dieſer Verwirrung abzuhelfen, richteten ſie ihre Augen auf das gewaltſamſte Mittel, um nur Schutz für Leben und Eigenthum zu finden .
/
Achtes Kapitel. Urſachen der Auflöſung der engliſchen Regierungsverfaſſung unter Karl I.
Tacitus ſpricht ſich über die Staatsverfaſſungen der
Nationen Sahin aus , eine aus Monarchie, Ariſtokratie und Demokratie durch Auswahl ihrer Elemente zuſammengeſetzte
Form ſei leichter zu loben als auszuführen, oder, wo dieſes der Fall, könne ſie nicht lange beſtehen . ')
Dieſem durchdachten Urtheil des Tacitus hat zwar der Erfolg wiederſprochen ; demohnerachtet trägt es das Gepräge größter Vollendung der Einſicht, wozu theoretiſche Betrach tung hinanreichen kann. Allerdings gewährt die Geſchichte der engliſchen Regierung , obwohl ſie in ihrem Reſultat die Anſicht des Tacitus widerlegt , doch in ihrem Verlauf eine
umfaſſende Rechtfertigung derſelben. Betrachten wir zuerſt, was ſeinem Stiefen Geiſt am meiſten als Hinderniß aufge fallen iſt, weshalb eine aus Monarchie , Ariſtokratie und Demokratie vereinigte Verfaſſung teinen Erfolg haben könne.
War es die Schwierigkeit, ein Gleichgewicht zwiſchen den
drei Gewalten einzurichten ? Gewiß nicht. Jeder Projekten macher kann den Plan einer Verfaſſung entwerfen , worin ) Cunctas nationes et urbes populus , aut primores aut singuli regunt; delecta ex his et constituta freipublicae forms, laudari facilius, Iquam evenire , vel , si evenit , haud diuturna esse potest.
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jeder der drei Gewalten dasjenige zugetheilt iſt, was ſie in der Theorie haben ſollte. In der That gibt es ſchwerlich
eine von einem verſtändigen Manne entworfene Verfaſſung, die nicht in dieſer Hinſicht dem Anſcheine nach beſſer wäre, als die engliſche. Was iſt der Idee nach abſurder, als daß die Macht , Krieg und Frieden zu ſchließen, allein in des Königs and ſein ſoll, während die Gemeinen allein die Mittel dafür zu gewähren haben ?
Nicht alſo die Schwierigkeit , die Gewalten in ihr Gleichgewicht zu ſeßen , war von unſerer Geſchichte zu übers winden , um mit Erfolg den Ausſpruch des Tacitus zu widerlegen . Das große Problem , welches zu löſen war, beſtand darin , wie die drei Gewalten ohne Störung oder Erſchütterung in Wirkſamkeit zu ſetzen waren . Mancher Künſtler verſteht es, ein Automat zu verfertigen ; aber das Schach ſpielen lehren, fönnen gewiß wenige. Mandie Bild hauer können eine ſchöne Statue machen , aber nur Pro
metheus konnte der ſeinigen Leben einhauchen . Die erſte
Störung, welche bei einer Verfaſſung , wie die unſerige, eintreten kann , iſt eine Colliſion zwiſchen dem König als Souverän und dem aus Lords und Gemeinen gebildeten 1
Parlament, das ihn berathen ſoll.
Nach der Verfaſſung
hat der König nothwendig die Macht, ſeine Diener, welche die ausübende Gewalt zu vollziehen haben, ſelbſt zu wählen. Aber wenn dieſe Diener die Gelege des Landes verlegen,
ſeine Sache verrathen , ſeine Intereſſen ſchädigen , oder das 1
Blut deſſelben vergeuden , ſo muß ohne Zweifel der große Nath ber Nation die Gewalt haben , ihre Entlaſſung zu
verlangen und durchzuſetzen. Aus zwei ſo entgegengeſekten Anſprüchen mußte natürlich Streit und Unheil entſpringen. Unter der Herrſchaft Heinrichs III. , Eduards II. und Richards II. führte die Miſregierung der Diener des 5
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Königs zur gänzlichen Vernichtung ſeiner Autorität ; und bei mehr als einer Gelegenheit wurde vom Parlament eine Commiſſion ernannt, welche alle vom Geſetz dem König verliehenen Vorrechte ausübte.
Solche Maßregeln haben
für die Zeit , da ſie beſtehen , die Bedeutung einer Staats revolution .
Nach der Thronbeſteigung der Tudors fand eine andere Art von Revolution ſtatt , und der König ſeinerſeits ver ſchlang die Gewalt des Parlaments. Als Karl I. und ſein Volt miteinander in Zwiſt ge 1
riethen , öffnete ſich die Kluft , welche einen Theil der Ver
faſſung von dem andern trennte von Neuem , und drohte den Staat ſelbſt zu vernichten. Die erſte Oppoſitionspartei, die ſpäter Presbyterianer genannt wurde , begriff die Schwierigkeit und erſann Mittel und Wege , welche nachher
mit glücklichem Erfolg zur Löſung angewendet wurden. Das Mittel , um unſerer beſchränkten Monarchie friedliche und lange Dauer zu ſichern, beſtand darin , daß die Freunde 1
des Volfs die Diener der Krone wurden .
Karl nahm den
Vorſchlag an , und ernannte die zu befördernden Männer ; aber bald ward ihm ihr Rath zuwider, weil derſelbe ſchlecht zu feinen Willkürbegriffen paßte. Er ſtürzte ſich unbeſonnen in einen Bürgerkrieg, und es war bald zu ſpät, eine Aug gleichung zu hoffen . Es traten natürlich nene Politiker auf, welche behaupteten , es ſei thöricht, für die ungewiſſe Hoff nung , der König werde populäre Männer und populäre Maßregeln genehmigen , ſo viel Blut aufzuwenden ,1 wäh rend durch gänzliche Aufhebung des königlichen Amtes dies ſelben Vortheile geſichert werden könnten . Alſo bewährte ſich
des Tacitus Wahrſpruch von Neuem : der Adel hatte den König und das Volk überwältigt; der König hatte den Adel und das Volt unterworfen ; und nun vernichtete das
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Volt den König ſainmt dem Abel. Obwohl jede der drei Gewalten des Königreichs geſeßliches Anrecht auf ihren
Theil der Staatsautorität hatte , ſo waren ſie doch ſtets in Verwirrung, indem eine die andere triumphirend nieders trat. Die Conſtitution befand ſich noch in ihrem Chaos. 1
Es war die Stunde noch nicht gekommen , wo die Elemente
ſich ſcheiden, Verſchiedenheit und Gegenſaß ohne Unordnung neben einander beſtehen , der König und die Gemeinen von
einander geſondert werden , und ſich einander zur Stüße pienen ſollten.
Zulegt jedoch begriffen Georg I. und ſeine Nachfolger, daß die Harmonie nur dann erzielt würde, wann der
Herrſcher ſein Vertrauen Männern zuwendete, welche bereits das Vertrauen des Hauſes der Gemeinen ſich erworben hätten . Das Haus Stuart verweigerte dieſe weſentliche Bedingung und verlor die Krone; das Haus Hannover erfüllte dieſelbe, und möge noch lange den Thron inne haben !
5*
1
Neuntes Kapitel. Cromwell,. Karl II. und Jakob II. Cromwell hat viel für ſein Land gethan. Er erhöhte deſſen Ruhm zur See, und machte ſeinen Namen von allen Herrſchern gefürchtet, welchen ſeine Geburt ein Gegenſtand des Spottes war.
Der Schrecken in ihren Gemüthern ver
ſcheuchte das Lächeln von ihrem Angeſicht. Dieſe heilſame Einſchüchterung benußte er , um die Freiheit der Proteſtan
ten im Ausland zu ſichern , und vor ſeinem Tode begriff er die Gefahr , womit Europa durch die wachſende Madt
Frankreichs bedroht war , und beſchloß daher , ſie zu be ſūränken. Zu Hauſe hielt er im Ganzen das Gleichgewicht mit Gerechtigkeit und Feſtigkeit; feiner Sekte räumte er in Begünſtigung ein Uebergewicht ein ; und hätte nicht die ſtreitige Beſchaffenheit ſeiner Anſprüche zur Empörung ge
reizt , und ihm Strenge nothwendig gemacht , ſo würde er 1
kein harter Herrſcher geweſen ſein. Manche würden ſeinen Charakter bewundern, wäre er ein geborner Herrſcher ge weſen , und Manche würden noch herzlicher ihn rühmen, wäre er nie einer geworden . Die Streitigkeiten zwiſchen der Armee und dem Parla ment und den Generälen des Heeres untereinander laſſen ſich
mehr als ſonſt irgend etwas in der neueren Geſchichte mit den Zwiſtigkeiten zwiſchen dem Senat und der Soldateska bei einer Kaiſerwahl zu Rom vergleichen .
Sie waren das
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unverfennbare Vorſpiel einer Reſtauration, und dieſe ihrer
ſeits hatte grauſame Hinrichtungen , Treubruch , betrogenes Vertrauen, vorübergehende Freude und bittere Enttäuſchung im Gefolge.
Die Hinrichtung Sir Harry Vane's, eins der grauſam ften und treuloſeſten Ereigniſſe in der engliſchen Geſchichte, ſchändeten Clarendon und Karl. Und es geſchah während einer langen Regierung von Seiten des Königs nichts, um für die Nacheübung wegen des Erils zu verſöhnen . Er trat die Rechte der Nation , von welcher er die Krone em
pfangen hatte , mit Füßen , und vergoß ihr edelſtes Blut: er kroch zu Frankreichs Füßen zu einer Zeit, wo vor allen anderen England hätte deſſen Ehrgeiz entgegen wirken ſollen ; und ſo machte er ſich als Tyrann verhaßt , nur um als
Sklave verächtlich zu werden . Da jedoch die Reſtauration einınal beſchloſſen war , ſo läßt ſich viel zur Entſchuldigung
derer ſagen, welche man ſtets unit Tadel überhäuft hat, daß ſie den König bedingungslos zurück führten. Die beſte Sicherung der Freiheit beſtand darin , daß der König ohne Bewilligung des Parlaments kein Einkommen haben konnte :
wurde dieſes Necht mit Klugheit feſtgehalten , ſo war keine weitere Bedingung nöthig ; wurde es unvorſichtig aufgegeben, ſo war keine von Erfolg. Clarendon ſah dieſes ein , und that ſeine Schuldigkeit gegen das Land. Jakob ſah es eben falls ein , und haßte Clarendon wegen ſeines Verhaltens. Auch gibt der nachfolgende Despotismus Karis keinen Bes weis von der Unvorſichtigkeit derer, welche ihn reſtaurirten. Die von Ludwig XIV. bezogene Penſion war eine Hilfs quelle , die alle Beſchränkungen der königlichen Gewalt un möglich machte: hätte Wilhelm III. vom franzöſiſchen König Penſion angenommen , ſo hätte er über alle Einwendungen feines Parlaments lachen können.
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Karls II. und Schaftesbury's Charakter , der eine indolent und ſorglos , der andere gewaltſam und unbe ſonnen , beide ohne Conſequenz und Grundſätze, gaben der ganzen Regierung ein buntſcheckiges Ausſehen . In dieſer
kurzen Zeit ſah man neben einander einen liederlichen König und ein religiöſes Volk ; Ausſchreitungen der Tyrannei und der Faktionen ; die ſchlechteſte Regierung und die beſten Gefeße ; den Triumph der Parteien , den Sieg bes Despo
tismus. Es iſt ſchwer zu ſagen, aus welchem Grund Karl, ein herzloſer Lebemann von Geiſt, ſich in die ungeheuere Unternehmung einließ , ſich abſolut zu machen.
Vielleicht
machte ſein leichter Charakter ihn nachgiebig gegen die Ein flüſterungen ſeines Bruders ; vielleicht ließ er ſich lediglich durch ſeine Höflinge leiten. Der ſicherſte, bereits eingeſchla gene Weg , um dieſe Abſicht zu erreichen , beſtand ſeiner Anſicht nach darin , daß er ſich Geld und Truppen von Frankreich geben ließ. Und da ſeines Vaters Thron durch religiöſen Fanatismus umgeſtürzt worden war , ſo nahm er ſich vor , den feinigen auf eine Religion blinden Ge
horſams zu gründen . Da jedoch der Plan nicht leicht aus zuführen war , ſo gab er ihn auf, theils aus Schlaffheit, theils aus Klugheit , indem er ſich begnügte , von Zeit zu Zeit milde Gaben aus Frankreich zu erhalten. Schaftes mu bury's heftige Oppoſition , und der Verſuch , feinen Bruder vom Thron auszuſchließen , regten ihn wieder zur Thätig keit an ; und als er ſich des Orforder Parlaments ent
ledigt hatte, ſcheint er beſchloſſen zu haben , nie wieder ein 1
anderes zu berufen .
So waren offenbar alle conſtitutionellen Freiheiten ſuspendirt , das Parlament außer Uebung, die Preſſe in den Feſſeln der Cenſur , die Habeas - Corpus - Acte miß achtet, die Schwurgerichte nur Werkzeuge der Tyrannei. 1
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Dieß beſtimmte, ſcheint es, die Freiheitsfreunde, zit erwägen, ob nicht die Zeit zum Widerſtand gekommen ſei. Barillon berichtet in ſeiner Correſpondenz mit dem
Hof, die Oppoſition ſei damals in zwei Parteien geſpalten geweſen , die eine, von Schaftesbury geführt , welche auf Empörung drang , die andere, Southampton -House- Partei genannt, von Lord Ruſſel, welcher jede Anwendung volt
Gewalt widerrieth. Lord Nuſſel jedoch , obwohl er einſah, daß das Volk ruhig zu bleiben geneigt ſei ; und obwohl er wußte , wie er im Verhör ausſagte , daß ein Aufſtand nicht mehr, wie früher, von einer kleinen Anzahl großer Männer gemacht werden fönne, -- ließ ſich , ſcheint es , bereden , in dem Hauſe des Weinhändlers Shepherd einem Meeting bei zuwohnen , wo über die Mittel des Widerſtands berathen 1
wurde. Lord Nuffel, wie Lord Howard eingeſtehen mußte, ſprach nur wenig , und es fiel ihm , ſeiner eigenen Ausſage zufolge, höchſtens zur Laſt, daß er einen Verrath anzuzeigen unterließ. Denn Lord Nuſſel ſcheint ſeine Anſicht, die ſich
gegen die projeftirte Erhebung ausſprach , durchaus nicht geändert zu haben. Aber dem Gerichtshof genügte der er langte Bemeis völlig, und fo mard er vermittelſt meineidi:
gen Seugniſfes , ungerechter Geſebesauslegung und einer frechtiſchergebenen Jury überwieſen und hingerichtet. Sidney , gegen den noch weniger Erweisliches vorlag , folgte Ruſſel auf das Schaffot. Karl ſchwelgte in ihrem Blut und gieng
weiter auf ſeiner verkehrten ausſchweifenden Bahn . So verſchaffte er ſich, ohne ängſtliche Thätigkeit , indem er lediglich von den Ereigniſſen , wie ſie eintraten , Vortheil
zog, eine Autorität, wie ſie diejenigen ſeiner Familie, welche ſich die Regierungskunſt angelegen ſein ließen , nie beſaßen. Er unterdrückte die Freiheiten Englands , weil dieß ihm weniger zu schaffen machte , als die Aufrechterhaltung ders
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ſelben ; aber dennoch bewieſen die Männer , welche, wenn
auch ohne Erfolg , im Stande waren , einen Geſetzesantrag auf Ausſchließung des nächſten Erben vom Thron beim
Unterhaus einzubringen und durchzuſeßen, einen ehrenhaften Freiheitsſinn , welcher ſich durch Gefahr nid)t einſchüchtern
ließ. Die Ausſchließungsbill enthält eine legale Warnung por der Revolution .
Die Regierung Karls II. war, wie oben bemerkt, eine
Zeit ſchlechter Verwaltung, aber guter Geſeße. Die Habeas Corpus-Acte war das bedeutendſte derſelben , das beſte je mals ausgedadite Bollwerk der Freiheit, welches jedoch nicht während dieſer Regierung erfonnen wurde. Die Urkunde ſelbſt iſt alt , von verſchiedenen Seſeßen erwähnt und be ſtätigt, aber es konnte vor der Zeit Karls II. nie eine ſichere Anwendung davon gemacht werden ; und ſelbſt nach dieſer Zeit wurde die Injel St. Nicolaus im Hafen von Plymouth fortwährend als ein Staatsgefängniß benüßt, das außer dem Bereich des Geſebes lag. Jakob entwarf ſeine Pläne in ganz anderer Weiſe,
wie ſein Bruder. Unbeſonnen, hartnäckig und bigott, nahm er ſelbſt ſich vor , ſich zu einem unbeſchränkten König, und die römiſch -katholiſche Religion zur Staatsreligion zu machen . Welchen von beiden Zwecken er zuerſt zu erreichen beab ſichtigte, ſcheint mir, offent geſtanden, nicht der Mühe werth
zu unterſuchen, da es klar iſt, daß er beide Ziele im Auge hatte. Er verfolgte ſie mit der ſtupiden Hartnäckigkeit, welche ſo häufig talentloſe Männer in's Verderben bringt.
Sein Mangel an geſundem Verſtand war , wie es häufig der Fall iſt , mit Herzloſigkeit gepaart ; und da er ſelbſt nicht vernünftig zu urtheilen im Stande war , gieng ihm auch Mitleid ab mit denen, welche dazu fähig waren . Es ſteht in meiner Gewalt , zu verzeihen “ , ſagte er zu einem ſeiner
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Opfer.
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Ich weiß , daß es in Ihrer Gewalt ſteht , aber
nicht in Ihrem Charakter liegt, zu verzeihen " , war die Ant wort. Seine Meinungen ſah er als unfehlbare Wahrheiten an , und er kannte keine andere Methode , die Zweifler zu überzeugen , als ihre Hinrichtung. Von den ſämmtlichen Fehlern des Hauſes Stuart fine
den ſich die Grundzüge in Jakobs I. ſcholaſtiſcher Pedan terie.
Im Allgemeinen waren dieſe Herrſcher nicht von der
freiwilligen Grauſamkeit ,
der ungerechten Laune,
der
jdmuzigen Furcht erfüllt, welche den Tyrannen ausmacht. Aber ſie waren im Innerſten überzeugt , daß willkürliche Gemalt ihnen als Erbtheil beſchieden ſei ; und ſie dritten
zu Steuern und Bußen , Gitereinziehungen und Hinrich tungen aus der bigotten Anſicht, es ſei ihr göttliches Recht, nach ihrem Belieben zu regieren. Jakob I. ſchöpfte dieſe Anſichten aus den alten Civilrechtslehrern und ihren Nach ahmern in Italien und Deutſchland. Er vererbte ſie an
ſeinen Sohn , der in Folge hartnäckigen Feſthaltens daran Sein Enkel Jakob büßte über dem Verſuch , dieſelben völlig in Ausführung zu bringen , un bemitleidet den Thron ein . Die ganze Familie lebte ſeitdein in Eril , und der lezte männliche Abkömmling Jakobs II. ſeinen Kopf verlor.
ſtarb als Cardinal zu Rom .
Dieß war eine theure Buße
für das Fehlſchlagen einer irrigen Theorie ; aber England würde es noch weit ſchwerer zu büßen gehabt haben , hätte
ſie Erfolg gehabt. Das Haus Tudor hat die Parlamente zu ſeinen Organen gemacht, und dadurch Erfolge gewonnen . Das Haus Stuart trachtete trotz dem Parlament zu regie ren , und gieng darüber zu Grunde. Karl I. ſtarb auf dem Schaffot und Jakob II. im Exil , weil ihre Tyrannei nicht durchdringen konnte.
Zehntes Kapitel. Die Revolution.
Wenige Revolutionen haben unmittelbar zum Guten geführt. Dieſer Gedanke ſollte die Männer von einigem Einfluß bei ihren Landsleuten beſtimmen , ſich mit höchſter I
Vorſicht in Projekte einzulaſſen, welche alles Beſtehende ge fährden können, ſofern ſie nicht eine ganz ſichere Ausſicht haben, den Zweck zu erreichen.
Die Revolution von 1688 iſt ineiner Anſicht nach ein Muſter von Kühnheit und Klugheit.
Die Torypartei im Allgemeinen war nicht ſo ſehr über die Untergrabung der Freiheit in Aufregung, als wegen der Neuerungen bei der Religionsübung. Kirche und König ", in der herkömmlichen Bedeutung, war ihr Wahlſpruch und ihr Glaube. Pengſtlich beſorgt, die Kirche zu retten, riefen ſie den Prinzen von Oranien herbei , ohne die geringſte Abſicht, ihn an die Stelle des legitimen Königs zu ſetzen. Der Earl von Nottingham ſchlug im Oberhauſe den Prins zen von Oranien zum Regenten vor ; die Herzogin von Marlborough bezeugt ihres Gemahls Ueberraſchung, als die Krone auf Wilhelm übertragen werden ſollte, und der Earl
von Danby geſtand bei Sacheverell’s Verhör, daß die Ent thronung Jakob's nie ſeinem Wunſche oder ſeiner Erwar tung gemäß geweſen ſei.
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Hätten diejenigen, welche den Prinzen von Oranien nach England einluden, ſich damit begnügt, Jakob zin " Bes rufung eines Parlaments zu nöthigen, ſo würde die übrige Zeit ſeiner Regierung in fortwährendem Mißtrauen vers laufen ſein. Noch abjurder würde es geweſen ſein , hätte man Silhelm die fönigliche Macht verliehen muid Jakob den Königstitel gelaſſen. Dieſer Titel, der nicht Privater btheil
eines Individuims iſt, kann füglich nur demjenigen ges hören , welcher zur Ausübung des königlichen Amtes geeignet iſt.
Da die Prinzejjin von Oranien die nächſte Bluts
verwandte (mit Ausnahme eines Sohnes Jakobs , der noch ein Sind war) und Proteſtantin war , ſo war der Prinz von Oranien (ſelbſt ein Neffe Jakobs) für die Königswürde geeignet. Er hatte außerdem in den Augen der Whigs das Verdienſt, daß ſein Recht auf die Korone und das Recht des Volkes auf ſeine Freiheiten von nun an auf dieſelbe Bajis und demſelben Prätendenten entgegen geſtellt icurden .') Die heftigſten Ishigs waren mit der Aenderung der
Tynaſtie nodh nicht zufrieden.
Sie hatten ihre Augen auf
ausgedehnte Neformten in Staat und Kirche gerichtet : fie wünſchten eine Aenderung der kirchlichen Gelege und eine Umbildung des Hauſes ber Gemeinen . Andere wünſchten
Abſchaffung der Monarchie und Errichtung einer Republik. Aber die Führer der Nevolution wußten , wie Macchiavelli, daß nichts ſo ſehr einer Aenderung der Staatsverfaſſung Feſtigkeit zu geben geeignet iſt, als ein Feſthalten an alt
ehrwürdigen Formen . Sie wußten wohl, daß ihr Werk bem baldigen Untergang ausgeſetzt merden mürde, wenn 1) Wäre die Krone fortwährend beim Hauſe Stuart geblieben , ſo würde ſie, glaube ich, gegenwärtig auf dem Haupte des Gr-Herzogs von Modena ruben
76 man zu einem folchen Zeitpunkt und einer zahlreichen Partei gegenüber ſich in eine Erörterung neuer Projekte, wenn ſie
ſich auch noch ſehr empfehlen ſollten , einlaſſen wollte, die nur zu endloſen Conflikten und unbefriedigenden Entſchei dungen führen könnten . Aus dieſen Gründen beſchränkten ſich die Führer der Nievolution darauf, in einem feierlichen
Statut alle alten Freiheiten Englands zu beſtätigen, und
gegen die verſchiedenen Verletzungen derſelben, welche unter der vorigen Regierung vorgekommen waren , zu proteſtiren.
Ob die Siderheiten, welche ſie einrichteten, ausreichten, um die Grundlage einer guten Regierung zu bilden , oder nur halbe Maßregeln waren , die nur das Auge, nicht das Bes dürfniß befriedigten , werden wir in den folgenden Kapitein ſehen .
Merkwürdig zu leſen ſind die Conferenzen zwiſchen den Häuſern über die Bedeutung der Worte „ deserted " und „ abdicated" , und die Debatten im Hauſe der Lords,
ob ein urſprünglicher Vertrag zwiſchen dem König und Volk beſtehe. Die Idee eines ſtillſchweigenden Contrakts, durch welchen die gegenſeitigen Beziehungen zwiſchen König und Volf beſtimmt werden, iſt ſicherlich nicht richtig. Der König
iſt ohne alien Contrakt verbunden, die ſeiner Sorge anver trauten Geſeke in Ausführung zu bringen. Dieß iſt die einfache Pflicht ſeines Amtes. Wenn aber zu irgend einer Zeit das Volk neue Freiheiten von ihm begehren ſollte, ſo iſt er verpflichtet, ihm diejenige Art von Regierung zu
geben , welche den Zuſtand der Nation und die Erfenntniß des Zeitalters verlangen. Die Grundlage jeder dauerhaften Regierung iſt die Zuſammenſtimmung des Königreichs. Die Idee eines urſprünglichen Vertrags war jedoch überal in Europa die Theorie der Freiheitsfreunde. Die Spanier behaupteten ſie beim Beginn ihres Streites init
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Karl V. , und ſie gründet ſich in der That auf den Urſprung aller Feudalregierungen . Die Debatten im Oberhaus be trafen nur die Frage, ob der urſprüngliche Vertrag Geltung habe , oder das göttliche Recht der Könige;
ob die Macht
der Könige vom Volke übertragen ſei , oder nicht. Die Ent ſcheidung fiel für das Erſtere, und es knüpfte ſich daran ein Beſchluß des Inhalts, Jakob habe dieſe Macht miß braucht, und ſei dafür der Nation verantwortlich.
Dennt
dieß iſt der klare Sinn des Votums beider Häuſer, welches
ausſprach, Jakob habe den urſprünglichen Vertrag zwiſchen König und Volk gebrochen, die Grundgeſeße verlegt , durch ſeine Entweichung aus dem Lande dem Throne entſagt, und dieſer ſei dadurch vakant geworden. Nichts kann beſſer die
Mäßigung und Gerechtigkeit des engliſchen Volkes beweiſen, als die ruhige Erörterung dieſer Frage ; nichts entſcheis dender eine Weisheit und Freiheitsliebe darthun , als das
Urtheil, welches ſeine Vertreter ausſprachen.
Eifftes Kapitel. Begriffsbeſtimmungen der Freiheit. Man hat von dem Begriff Freiheit verſchiedene Defi nitionen aufgeſtellt, aber keine derſelben iſt umfaſſend genug, und in der That gibt es verſchiedene Arten von Freiheit. Eine Nation kann der einen Art theilhaft, und der anderen pöllig beraubt ſein. Die größten Vortheile jedoch, welche ſich ein Gemeinweſen durch Vereinigung unter einer Regie
rung verſchaffen kann, ſind vielleicht unter den Benennungen bürgerlicher, perſönlicher und politiſcher Frei heit zu begreifen. Bürgerliche Freiheit bedeutet nach meiner Anſicht,
daß man das , und nur das , was von den Gefeßen nicht verboten iſt, thun darf. Dieſe Definition faßt in ſich die Sicherheit der Perſon und des Eigenthums.
Perſönliche Freiheit bedeutet die Befugniß zu thun, was an ſich unſdädlich iſt, wie Sprechen und Schreiben , deren Mißbrauch allein ſtrafbar iſt. Religiöſe Freiheit und Wählbarkeit zu Aemtern ſtehen unter dieſem höheren Begriff.
Unter politiſcher Freiheit verſtehe ich das aner: kannte geſebliche Recht des Volkes, ſeine Regierung zu con troliren, oder an derſelben Theil zu nehmen .
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Jeder dieſer Arten von Freiheit ſollte das Daſein in möglichſt großem Verhältniß eingeräumt ſein . Dieß alles wurde von Cromwell unter dem Ausdruck des „ Frie
dens und der Sicherheit, der Rechte und Privilegien des Volkes “ begriffen .
Zwölftes Kapitel. Bürgerliche Freiheit. „Die Geſeke Englands find das angeborne Erbtheil ſeines Volkes ; und alle Könige und Königinnen, welche den Thron
dieſes Reiches beſteigen werden, ſind verbunden, die Regies rung deſſelben in Uebereinſtimmung mit beſagten Gefeßen
zu führen ; und alle ihre Beamten und Diener ſollen den ſelben gemäß ihnen dienen.“ Statut 12 u. 13.
Wilh . III. Kap. 2.
Bürgerliche Freiheit begreift die Sicherheit von Perſon und Eigenthum in ſich.
Denn wenn ein Mann nur das
thun darf, was die Geſeke verſtatten, ſo iſt er ſtrafbar, wenn er mit Verleßung eines Geſebes ſeine Hand wider
ſeinen Nachbarn erhebt ; und wenn ihm geſtattet iſt Ales zu thun, was nicht durch das Geſetz verboten iſt, ſo kann er fitr eine dem Geſetz entſpechende Ausübung ſeiner Rechte nicht zur Verantwortung gezogen werden . ,, Als Haffan mit etwa dreißig Dienern und Sklaven
über ein großes Feld gieng , ſagte er dem Beſiger , es ſei nicht recht geweſen , daſſelbe mit Gerſte zu beſäen, denn Waſſermelonen würden darauf beffer gedeihen. Darauf nahm er etwas Melonenſamen aus ſeiner Taſche, gab ihn dem Mann und ſagte : „ Es wäre beſſer, die Gerſte auszus
reißen, und dieſes dafür zu fäen .“ Da die Gerſte nahezul
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reif war, entſchuldigte ſich natürlich der Mann, den Befehl zu erfüllen. „Dann will ich für Euch jäen ," ſagte Haſſan , und befahl ſeinen Leuten, das Getreide unverzüglich aus
zureißen und das Feld für die Melonenſaat herzurichten. Darauf wurde die Gerſte in das Boot geladen, und eine
Familie in's Elend verſetzt, damit der Statthalter drei Tage lang ſeine Pferde und Kameele mit Gerſte füttern könne. ) "
Ez leuchtet jedem ein , daß in einem Lande , wo ſo etwas vorgehen kann , Sicherheit des Eigenthums nicht vorhanden ſein kann.
Tavernier erzählt uns von einem König von Perſien, ber befahl einmal, alle Köpfe der auf einer Jagd getödteten Thiere in Form einer Pyramide aufzuſeßen . Als dieß ge ſchehen war, kam der Architekt und ſagte ihm , die Pyramide fei fertig, mit Ausnahme eines großen Kopfs für die Spiße derſelben. „ Ich denke , der Eurige wird gut dazu paſſen," ſagte der König ; und dieſem brutalen Scherze ward ein unſchuldiger Mann geopfert. In ſolch' einem Lande kann es keine Sicherheit des Lebens geben. Als Athen auf dem Höhepunkt ſeines Glanzes ſtand,
kam daſelbſt die verwerfliche Menſchenklaſſe auf , welche ihren Lebensunterhalt durch Anklage ihrer beſten und wür
digſten Mitbürger gewann , und die Raubſucht eines ſouves
rainen Pöbels durch hohe Gütereinziehungen in Verſuchung ſetzte. Wer geneigt iſt eine demokratiſche Regierung zu be wundern , ſollte nie vergeſſen , daß das Wort Syfophant in der populärſten aller Demokratieen feinen Urſprung fand.
Nikophemus und Ariſtophanes, öffentliche Beamte, wur den wegen Unterſchleifs angeklagt. Bei einer Aenderung der Regierung wurden ſie eingekerkert, und heimlich ohne .
) Burckhardt's Travels in Nubia. Vol. I , p. 94. 6
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Berhör auf die Seite geſchafft, ihr Vermögen eingezogen.
Da der Betrag der Erwartung der habgierigen Ankläger nicht entſprach , wurde über den Bruder der Wittme des
Xriſtophanes eine Unterſuchung verhängt, weil er die feh
lende Summe unterſchlagen habe. Advokat bei ſeinem
Wie , äußert ſich, ſein
Proceß ? Wendet er ſich an das Ges
rechtigkeitsgefühl, den Edelmuth ? Nein . Er ſpricht ganz
offen die Raubſucht der Nichter an : „ Ich weiß ,“ ſagte er, ,,wie ſchwer es ſein wird, die verbreitete Meinung von dem
großen Reichthum des Nikophemus zu widerlegen. Der gegenwärtige Geldmangel in der Stadt und das Bedürfniß des öffentlichen Schapes, welches man durch die Confiskation
zu befriedigen im Sinne hat, wirken mir entgegen. “ ?) Während der Schredensherrſchaft in Frankreich wurden Leute hingerichtet wegen Verwandtſchaft mit verdächtigen Perſonen , wegen Bekanntſchaft mit Verurtheilten , weil ſie beim Tode des Königs geweint hatten, und aus unzähligen unbeſtunmten, nichtanußigen Vorwänden . So ergibt ſich, daß der Despotismus ohne Schranken,
und Deinofratie ohne Gegengewicht dem Beſtehen bürger licher Freiheit gleich ungünſtig ſind. Zwar ſind die Beiſpielen welche ich anführte, äußerſte Fälle; aber in jedem Staat, wo entweder dem Monarchen , der Ariſtokratie oder der Maſſe des Volts, eine übermäßige Gewalt eingeräumt, wird, iſt die bürgerliche Freiheit nicht hinlänglich geſichert, d. 5. der Unterthan einer ſolchen Regierung iſt, wenn er auch alle Geſeke befolgt, doch nicht ſicher, durch willkürliche Bea feble, beſteuert oder eingefertert zu werden . Zum Beleg
dienen; die Gabelle und die Baſtille in Frankreich, die Gea fängnifſe Venedigs , , und die Verbannungen zu Florenz. 2
1) Mitford's ,Hists.of. Greece. Vol . V.
P, 96 .
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Alle dieſe Staaten ſtanden angeblich unter der Herrſchaft von Geſegen, aber dieſe Geſeke waren für manche Bürger nur Schilde von Papier. Im Allgemeinen kann indeſſen
bemerkt werden , daß die Verletzungen der Gerechtigkeit in einer Monarchie häufiger, in einer Demokratie auffallender find . Es ſcheint natürlicher und erträglicher, daß ein gleich einem höheren Weſen verehrter König einen Sklaven unter
drückt, als daß eine Verſammlung freier Männer einen ihres Gleichen mißhandelt. Nehmen wir nun in Betracht, wie in England für die bürgerliche Freiheit geſorgt iſt.
In
der Magna Charta , dem älteſten und beſten Geſetze in unſerem Statutenbuch , iſt von Seiten des Königs erklärt, daß kein Freier in irgend einer Weiſe geſchädigt werden
ſoll, es ſei denn durch Urtheil von ſeines Gleichen, oder durch ein Landesgeſetz : „ Nullus liber homo aliquo modo destruatur, nisi per legale judicium parium suorum , aut per legem terrae."
Dieſes bewunderungswürdige
Geſet wurde jedoch ſelten in Zeiten der Unordnung ver lekt. Es wurde ſehr häufig erneuert; aber troß dieſer Er Neuerungen und der Forderungen der petition of right ) hatten
die interthanen keinen wirkſamen Schuß
gegen
Ntechtsverleßung, bis ein Geſet Karls II. die Mittel für leichte Ausführung der alten Habeas Corpus-Urkunde an ordnete. Dieſe wohl bekannte Acte befiehlt, daß auf ſchrift liche, von einer verhafteten Perſon , oder zu : ihren Gunſten
eingereichte Beſchwerde, ausgenommen eine Anklage auf Hodiverrath oder Felonie, der Lord : Kanzler und die Richter, bei Strafe von 500 Pf., ſollen verpflichtet ſein, den ſchrift .
lichen Befehl auszufertigen , daß der Verhaftete por Gericht
geſtellt werde. Der Befehl muß binnen zwanzig Tagen 1) S. oben Kp. 7.
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ertheilt werden und die Stellung vor . Gericht erfolgen ; wenn das ihm zur Laſt gelegte Vergeben eine Caution zu
läſſig macht, ſo muß er auf Erbieten einer ſolchen und ein Angelöbniß, ſich zum Verhör zu ſtellen , frei gegeben werden. Iſt die Anklage wegen Hochverraih oder Felonie erhoben, und wird die Unterſuchung nicht bis zum zweiten Termin nach ſeiner Verhaftung fortgeſetzt, ſo muß er frei gelaſſen werden. Wird in dem Verhaftsbefehl das Vergehen nicht ſpeciell angegeben, ſo iſt die Verhaftung ungeſeßlich, und er muß unverzüglich in Freiheit geſegt werden . Außer dieſer Schusmaßregel müſſen die Richter zweimal jährlich das
Land durchreiſen, mit dem Auftrag, alle Gefängniſſe zu unterſuchen und die Verhafteten
frei zu
laſſen .
Dieſe
Sicherheiten reichten jedoch gegen Jakob II. nicht aus , welcher die Inſel St. Nikolas im Hafen Plymouth , gleich wie früher Cromwell die Inſel Jerſey, als Staatsgefängniß verwendete. Hingegenſeit der Revolution iſt die Habeas Corpus-Acte, wofern nicht ſuspendirt, ſtets als ausreichend
erfunden worden, die Unterthanen zu ſchützen. Xuf die
Suspenſionen dieſes Geſeges werde id) ſpäter zu ſprechen kommen ; jeßt will ich nur bemerken, daß dieſe Suspenſionen die praktiſche Wirkſamkeit der Habeas Corpus-Acte ebenſo
beweiſen, als die Erneuerungen der Magna Charta die praktiſche Unwirkſamkeit dieſes großen Paktes. Doch alle dieſe Vorſichtsmaßregeln , willfürliche Verhaftungen zu verhüten, würden keinen Werth haben, wenn die Unter ſuchung, wo ſie einzutreten hatte, unredlich und bedrückend geführt werden könnte. Einein ſo erſchrecklichen Uebel vor:
zukehren, haben wir die Einrichtung der Schwurgerichte.
Der Sheriff, ein Mann von Bedeutung in der Grafſchaft, verzeichnet zwölf bis drei und zwanzig Freiſaſſen (gewöhn lich Grundbeſitzer ), um als große Jury zu dienen. Vor
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dieſe wird die Anklage (bill of indictment) gebrađit; fie prüfen die zu ihrer Stüße beigebrachten Zeugniſſe, und wenn ſie nicht hinreichenden Grund zu weiterem Verfahren finden, wird die Bill verworfen, und die Sache wird nicht weiter verfolgt. Um die zweite oder kleine Jury zu bilden, por welcher die Sache weiter geführt wird , ſtellt der Sheriff ein Verzeichniß von Freiſaſſen , oder ſonſt dem Geſetz gemäß geeigneten Perſonen auf, nicht unter acht und vierzig, und nicht über zwei und ſiebenzig an Zahl. Die Namen werden in ein Glas gethan, und die zwölf zuerſt
herausgezogenen bilden die Jury. Gegenwärtig fann der Angeklagte jeden verwerfen , den er mit Grund der Partei lidhkeit beſchuldigen kann , oder deſſen Charakter durch den Spruch eines Gerichtshofes gelitteit hat. Bei Hochverrath kann er peremtoriſch fünf und dreißig verwerfen. Wenn die Unterſuchung beendigt iſt, werden die zmölf Geſchworenen zu ſammen eingeſchloſſen , ohne mit anderen verkehren zu dür fen, und bleiben da ſo lange, bis ſie zu einem einmüthigen Ausſpruch gekommen ſind. Der Theorie nach ſcheint es nichts Unvollkommeneres
zu geben , als die Einrichtung des Geſchworenengerichts. Was kann , läßt ſich ſagen, mehr dem Mißbrauch ausgelegt fein, als daß die Auswahl dem Sheriff, einem von der Krone befoldeten Beamten, anheim gegeben iſt ? Was kann für einen Angeklagten nachtheiliger ſein, als daß zwei und Hreißig wohlſtehende und angeſehene Männer eine vorläufige Entſcheidung zu geben haben , nachdem ſie die Frage nur einſeitig behandelt vernommen haben ? Was begründet
mehr die Wahrſcheinlichkeit einer Vermiſchung von Recht mit Unrecht, als das Verlangen eines einmüthigen Spruches, indem die Schuld oder Unſchuld eines Angeklagten von der geiſtigen Unfähigkeit , moraliſchen Hartnäckigkeit, oder gar
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von der phyflichen Kraft eines einzelnen "Geſchworenen ab hängig gemacht wird ? Dieſe Einwendungen zu widerlegen will ich nicht verſuchen ; die Verehrung der Schwurgerichte
in England muß, gleich ihrer Bewunderung Shakeſpeares, als praktiſcher Beweis ihrer Vortrefflichkeit gelten . Wollte iman zu beweiſen verſuchen, daß ein längſt freies Volk ſeine Freiheit einer ſklaviſchen Einrichtung zu verdanken habe, ſo würde man ſich dadurch ebenſo lächerlich machen, als #
Voltaire, indem er zu beweiſen ſich bemüht, daß ein längſt civiliſirtes Volk eine "barbariſche und lächerliche Poeſie bes wundere.
Doch muß man , trots aller Achtung vor bent
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Schwurgericht, 311geben, daß es in verderbten Zeiten eben falls der Verderbniß ausgeſeßt iſt, und daß die Verurthei lung Sidney's ein Act war , der an Gewaltthätigkeit dem Verfahren gegen Strafford nicht nur gleichkommt, ſondern
es noch überbietet.
Daher iſt dieſes Inſtitut vielmehr ein
Inſtrument der Freiheit zur Zeit ihres Gedeihens, als daß es ihr in der Bedrängniß Schuß gewährte; man kann ihm als Genoſſen des freien Parlaments und der freien Preſſe vertrauen, aber ſich nicht darauf verlaſſen, daß es dieſelben überleben werde. Während der Regierungen Heinrichs VIII. und Karls II. erlagen die Schwurgerichte der Verderbniß, und wurden unterwürfige Organe der Tyrannei. Aber
feit der Revolution hat die allgemein vorherrſchende Achtung vor Necht und Gerechtigkeit den Mißbrauch verhütet, und im Allgemeinen hat das Schwurgericht zwiſchen der Sicher heit der Regierung und der Freiheit der Unterthanen das Gleichgewicht erhalten . Eigentlich läßt das Schwurgericht dem Einwirken des Richters wenig Raum . Wenn das Verhör beendigt iſt,
rekapitulirt der Richter das Ergebniß , und erläutert das Geſeß in Beziehung auf den vorliegenden Fall. Die Ent
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ſcheidung über die Thatſachen iſt völlig den Geſchworenen überlaſſen. Finden ſie den Angeklagten ſchuldig , ſo fpricht der Richter das Urtheil nach Beſtimmung des Geſekes aus. Dieſe Einrichtung, welche ſo gut iſt, als man ſie jemals erdenken konnte, überläßt dem Richter nur das, wozu er unbedingt erforderlich iſt, und was nicht leicht gemißbraucht mverden kann . Für die Regelmäßigkeit und Genauigkeit des Urtheils iſt es nothwendig, daß dabei ein Mann an weſend ſei, welcher folche Rechtskenntniß befißt, wie man ſte
nur durch langes und ansídließliches Studium erwirkt; und es iſt viel beſſer, daß er bei der Unterſuchung ein Wort zu ſprechen , als daß er bei der Entſcheidung mitzuwirken hat ; denn die an den Schranken Anweſenden gewahren es gleich, wenn er das Geſetz ſchlecht vertreten würde.
Ohnerachtet dieſer zweckdienlichen Sonderung wurden zur Zeit Karls II . die Sowurgerichte von Hofrichtern
controlirt und angeleitet, welche nach Verhältniß ihrer Will fährigkeit angeſtellt und abgeſetzt wurden . Dieſen Mißbrauch zu beſeitigen , wurde zu Anfang der Regierung König Wil helms bas Gefeß gegeben , daß die Richter bei gutem Verhalten für die Dauer angeſtellt ,, und nur durch Adreſſen beider Häuſer des Parlaments abgeſeizt werden ſollten , - ein Geſetz , das dem Zweck, die richterliche Ge walt von der vollziehenden unabhängig zu machen , "poll
ſtändig entſpricht, und dem Namen und Charakter eines engliſchen Richters ein zuvor ' nie beſeſſenes Anſehen gab. Doch dürfen wir nicht vergeſſen, daß es noch eine Sicher heit gibt, welche vielleicht mehr Werth ' hat, als irgend eine 1
" andere. Der Proceß iſt öffentlich, und der Angeklagte wird por den Augen des Landes ſeinem Ankläger gegenüber geſtellt.
Dieſe Oeffentlichkeit controlirt den Richter und die Geſchworenen. Ebenſo gut iſt für Sicherheit des Eigenthums geſorgt.
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Ein Geſetz Eduards I. verordnete , daß keine Steuern und Auflagen von den Unterthanen erhoben werden ſollten,
außer mit allgemeiner Zuſtimmung des Königreichs. Was dieß bedeutet, werden wir in einem folgenden Kapitel be
trachten . Als es ſich fand , daß ohnerachtet dieſes Geſebes der König im Stande war, vermittelſt der Sternkammer
willfürliche Geldbußen aufzuerlegen, ſo wurde in dem Geſet, welches dieß Tribunal abſchaffte, derordnet , daß es geſetz
widrig ſein ſolle, wenn der König in ſeinem Kabinet, durch eine Bill oder auf ſonſt willkürliche Weiſe das Eigenthum der Unterthanen in Anſpruch nähme.
Die Gerichtshöfe in Weſtminſter-Hall, die Rundreiſen der Richter im Lande, die Korporationen der Magiſtrate , welche aus den hervorragenden Gentlemen der Grafſchaft, worin ſie
thätig ſind, ihnen zu Hauſe beſtändig Gehör geben, und viertel: jährlich in kleinen Sitzungen zuſammen kommen , um un entgeltlich recht zu ſprechen - ſind Werkzeuge für Aus
führung des edlen Artikels der Magna Charta : „ Wir wol len Niemand Recht oder Gerechtigkeit verweigern , verzögern oder verkaufen. /"
Wir müſſen uns über eine Bemerkung De Lolme's freuen, welcher mit Vergnügen erzählt, es ſei in der Umgebung der königlichen Reſidenz zu Windfor bei einem abgeſchloſſenen
Plaße die Juſchrift zu leſen : „Wer über dieſen Platz geht, wird dem Geſetze gemäß beſtraft;" indem ſo für den König die gemeinſame Sicherheit, wie für den ärmſten Hüttenbewohner des Landes , in Anſpruch genommen wird. Auch hat man niemals gefunden, daß die erhabene Stellung der königlichen Familie ſie veranlaßt hätte, ſich an dem Eigenthum zu pers
greifen, oder in die Privatrechte der Unterthanen einzugreifen . ) 1) S. Beilage V.
Dreizeljntes Kapitel. Perſönliche Freiheit.
Unter perſönlicher Freiheit verſtehe ich die Freiheit von Beſchränkung in Beziehung auf Handlungen , welche nicht an fich ſtrafbar ſind. Hierzu gehört hauptſächlich die Frei heit zu ſprechen und zu ſchreiben , und die Gewiſſensfreiheit
in Hinſicht der Neligion . Auch iſt dahin zu rechnen , daß es keine ausſchließlichen perſönlichen Privilegien gibt , als Steuerfreiheit, herrſchaftliche Rechte , ſowie keine Monopole von Civil- und Militärftellen ; denn was Vorrecht für eine Klaſſe iſt , wird den anderen entzogen . Die Freiheit zu ſprechen und zu reden wurde in altert
Zeiten , nicht nur in Freiſtaaten, ſondern auch da gewährt, wo der Despotismus in milder Hand lag ; und die ſtete
Eintönigkeit des Lobes jättigt das Ohr dergeſtalt, daß in dem abſoluten Königreich Perſien, wo der Herrſcher für das wahre Ebenbild der Gottheit gilt , ſtets ein Spaßmacher ge halten wurde, dem es oblag , die Wahrheit zu ſagen , jedoch ſo , daß der König , wenn es ihm beliebte , über die Fabel lachen , und die
Anwendung derſelben bei Seite laſſen
konnte. Der Hofnarr neiterer Zeit entſtand zu demſelben Zweck. Solche Mittel wendeten die ſouveränen Herrſcher an , um ein wenig freie B merkungen zu hören , zu einer Zeit , wo die Nation ſich ir den Hof und das land theilte. Der Hof ſprach von den Handlungen des Königs nur mit 1
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Lobpreiſung , und das Land äußerte überhaupt gar nichts darüber. So war noch der Zuſtand Europa's , als Mac: chiavelli ſeinen „ Fürſten “ ſchrieb , und er nahm in dieſem vielfach angegriffenen Merk als ausgemacht an , daß die M
Maſſe des Volts über den mirklichen Charakter ſeines
Herrſchers in völliger Unwiſſenheit gehalten werden könne. Der Fortſdritt der Aufklärung hat die Baſis dieſes ganzen Syſtems vernichtet, und hätte Macchiavelli heutigen Tages zu ſchreiben , ſo würde er den Königen wahrſcheinlich eine ganz andere Linie des Verhaltens anempfehlen. Die Politik , welche die europäiſchen Regierungen in leßter Zeit verfolgten , war höchſt verſchieden . Deſterreich
und Spanien nahmen längſt als Grundſaß an , daß , weil allgemeine Redefreiheit viel Verläumdung in Privatverhält: niſſen, viel anfrühreriſche Schriften gegen die Staatsgewalt, "auch viel Anlaß zu Verlegung von Religion und Sittlich "keit erzeugen müſſe , die kluge Vorſorge für den Staat, und humane Schonung gegen die Schriftſteller räthlich mache, die Preſſe unter die Aufſicht vom Staate befoldeter Cenſoren zu ſtellen . Auf dieſe Weiſe , behauptete man , ſei jede anſtändige und gemäßigte Beſprechung geſtattet; ver 1
läumderiſche Schriften würden in der Entſtehung unter :
drückt, ehe ſie noch Nachtheile geſtiftet, und die öffentliche Juſtiz ſei der Nothwendigkeit , ſtrenge Strafen zu verhän 1
gen, enthoben. Aber in der That wirkt jedes Verfahren, welches den Mißbrauch der Preſſe vor der Publifation verhindern ſoll, auch hemmend auf deren Gebrauch : der zurückgebliebene Bila 'bungszuſtand Deſterreichs und Spaniens bezeugen dieß. Die franzöſiſche Regierung ſtellte zwar nicht ein ſo ſtrenges
Syſtem der Unwiffenheit auf, als Spanien, verweigerte aber doch unbeſchränkte Freiheit. Aber die milde Ausübung der franzöſiſchen Cenſur trug in gewiſſem Grade dazu bei, falſche
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Vegriffe zu verbreiten , welche im Anfang der Revolution in Umlauf famen . Man konnte Alles angreifen , zwar nicht mit directer Kritik, aber mit zweideutigem Scherz ; und Die gewandten Schriftſteller des vorigen Jahrhunderts fans den bald , daß die beſten Einrichtungen ebenſowohl der Ver Höhnung bloß geſtellt ſeien , als die ärgſten Mißbräuche. Allgemeine Declamationen und affectirte Gefühlsäußerungen 1
1
wurden geſtattet, bis die Meinungen der Menſchen in all
gemeine Verwirrung geriethen. Zulegt war der Thron er chüttert , der Altar untergraben , und eine Mine fertig, um
ihre Grundlagen zu ſprengen , ehe noch jemand ſchidliche Gelegenheit hatte, zu ihren Gunſten aufzutreten . Die Politik
Englands iſt ſeit der Revolution vollſtändig das Gegen theil von der Spaniens und Frankreichs geweſen . Wäh rend der Regierung Eliſabeths wurden , wie wir ſalien , die ſtrengſten Strafen gegen Libelliſten verhängt. Unter Jakob I. und in der erſten Zeit Karls I. wurde vermittelſt
einer licenzacte Cenſur angeordnet. Cromwell befolgte die nämliche Politit, welche auch von Karl un Jakob fortgeſett wurde. Des leßteren Licenzacte war 1694 abgelaufen , und wurde ſeitdem nicht erneuert. So hat die engliſche Regie rung mit ruhigem Bedacht, nicht in der Hiße der Revolu
tion ſelbſt, ſondern ohne Geſchrei , ohne Affectation , ohne 1
Furcht , und mit einem Schlag Preßfreiheit eingeführt.
Der
demnadi feſtgeſtellte Grundſatz iſt: Sprechen , Schreiben und Drucken , an ſich gleichgültige Dinge , ſind in Jedermanns
Belieben geſtellt, bis er durch verläumderiſche oder aufrüh reriſche Schrift den Gefeßen zuwider handelt. Daß die Preßfreiheit der perſönlichen Freiheit 31 großem Vortheil
gereicht, iſt außer Zweifel. Eine nähere Betrachtung übers zeugt uns auch, daß dieſe Freiheit für das Gemeinweſen überhaupt wohlthätig iſt. Der Genius kann niemals ſeine
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Kräfte in vollem Umfang entfalten , wenn ſein Flug be ſchränkt und ihm die Richtung vorgeſchrieben wird. Die Wahrheit kann nie mit Sicherheit ermittelt werden , wenn jede Erörterung von denen geregelt wird , welche die Zügel der Regierung halten , und denen die Entdeckung der Wahr
heit nicht immer angenehm iſt. Auch iſt's ein Irrthum , wie mandie Ausländer meinen , 'daß keine Regierung den täglichen Angriffen der Preſſe widerſtehen könne. Das Volk iſt ſeines Wohlſtandes ſich bewußt, und mag es auch gerne über ſeine Herrſcher murren , ſo kann doch die glänzendſte Beredtſamkeit nicht eine Nation , die ſich im Beſitze der Frei
heit befindet , überzeugen , es ſei räthlich , einen Bürgerkrieg 1
zu wagen , um eine Aenderung in der Regierungsform zu
erlangen . Volfsgeſchrei, wenn es nichts weiter als Geſchrei iſt, erregt mehr Lärm als Furcht, und eine weiſe und wohl thätige Regierung hält wohl dagegen aus. Die verläumderi: ſchen Einflüſterungen der Höflinge beim römiſchen Kaiſer waren für einen guten Miniſter zehnmal gefährlicher, als das zornige Geſchrei der Menge einem König von England ſein kann.
Das Petitionsrecht iſt ein anderes Recht, wodurch bas
Volk ſeine Meinung auszudrüden und ſeine Beſchwerden vorzubringen vermag. Während Karl II. mit ſeinem Parla ment im Streite lag, wurde dieß Recht vielfach verkümmert; daher enthielt die bill of rights die Erklärung - ,,daß den Unterthanen das Recht zuſtehe , eine Bittſchrift an den
König zu richten , und daß alle Verhaftungen und Ver folgungen um ſolcher Bittſchriften willen ungejeklich ſeien ." Dieß Recht iſt immer noch ſehr bedeutend.
Die Preßfreiheit und das Petitionsrecht enthalten für das Volk feine wirkliche Macht oder Autorität ; aber ſie
ſind doch von unendlicher Wichtigkeit, um die erekutive
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Gewalt zu controliren und zu leiten. Da der Einfluß der freien Preſſe nie ſo durchgreifend empfunden worden iſt, wie in jeßiger Zeit , ſo ſpare ich eine weitere Ausführung barüber bis zur Betrachtung dieſer Periode auf.
Zunächſt kommen wir auf die Nieligionsfreiheit, in Beziehung auf welche die Urheber der Revolution ſo viel als möglich thaten ; und durch ihre Marimen legten ſie den Grund zu noch weiterem Fortſchritt.
Wir haben geſehen, wie wenig Heinrichs VIII. Refor mation den Geiſt chriſtlider Liebe und Milde enthielt. Es iſt ein peinlicher Gedanke, daß während Eduards kurzer
Ntegierung Cranmer mit derſelben Strenge fortfuhr , und daß ein unglückliches Weib wegen einer unbegreiflichen Grübelei in Hinſicht auf ein Myſterium unſeres Glaubens perbrannt wurde.
Als durch die Thronbeſteigung Eliſabeths die päpſtliche Macht zum zweitenmale geſtürzt wurde, geſchah damit kein Fortſchritt zur Einführung der Neligionsfreiheit. Aus dieſer Zeit datirt die Spaltung der engliſchen Proteſtanten in die beiden , unter den Namen Puritaner und Conformiſten be kannten Parteien. Eine Gemeinde von Landesflüchtigen ſiedelte ſich zur Zeit der Königin Maria zu Frankfurt an , ließ bei ihrem Gottesdienſt die Litanei und einige andere
Theile der Liturgie König Eduards weg. Andere Gemeinden hatten indeſſen andere Neformen eingerichtet , und als die Landesflüchtigen nach England zurückkehrten 1, zeigte ſich eine offenbare Verſchiedenheit zwiſchen den Conformiſten , unter welchen Grindal, Parfer 2c., und den Puritanern, zu denen John Knor, Bale, For, der Verfaſſer des , Martyrer-Buchs", u. A. gerechnet wurden .
Die hauptſächlid;ſten von den
Puritanern angenommenen Abweichungen betrafen den Ge brauch des Chorhemdes , des Chorroces , des Kreuzes bei
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der Taufe, und des Knieens bei der Communion ; aber in den Grundſäßen fand eine weit größere Spaltung ſtatt. Die Conformiſten erkannten die Kirche zu Rom als wahre, wie 1
wohl entartete, Kirche an und behaupteten, dem König als
Oberhaupt der Kirche gehöre die Befugniß , alle Miß 1
bräuche der Kirchenordnung und des Gottesdienſtes abzu ſtellen . Die Puritaner jagten ſich von der römiſchen Kirche
völlig los , und verweigerten dem König das Recht, über Ceremonien und Gottesdienſt zu entſcheiden , welches der Verſammlung des reformirten Klerus zuſtehe. ') Daß Eliſabeth der Sache der Conformiſten warme Theilnahme bewieß , iſt nicht zu verwundern. Vom Glanz des römiſch - katholiſchen Gottesdienſtes eingenommen , und
im Vollgefühl ihrer höchſten Autorität in der Kirche wie im Staat, perfuhr ſie mit Strafen wider die gegneriſche Sefte. Dabei handelte ſie nach einem beiden Parteien geineinſamen Grundſaß , daß Einförmigkeit in Glaube und Gottesdienſte durchaus nothwendig ſei. Dieſen Begriffen gemäß jetzte fie eine Parlamentsacte durch, für Errichtung eines Ausnahme: gerichts (Court of High Commission ), dem ſie die Gewalt ertheilte; entgegen dem Geſetz , Geldbußen und Gefängniß ſtrafen zu verhängen. Sie bot den Häuptern der Puri }
taner, Miles Coverdale, Knor und Anderen die Biſchofs
würde an , aber vergebens ; ſie fand dieſelben unerſchütterlidy in ihrer Standhaftigkeit. Manche der redlichſten Reformer : mußten ihre Glaubenstreue mit dem Tode büßen. Barrowe, Greenwood und Penry gehörten zu den ausgezeichnetſten
Reformern, welche für ihre religiöſe Ueberzeugung am Leben geſtraft wurden. 1) Neale's History of the Puritans. Vol. I. P. Beilage VI.
144 .
Ugla
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Jakob I. gab ſich ſchon bald nach ſeiner Thronbeſteis gung als einen Feind der Toleranz hinreichend zu erkennen. Er veranſtaltete nämlich zu Hamptoncourt eine Conferenz
zwiſchen Conformiſten und Puritanern , übernahm ſelbſt die Leitung der Debatte , und nach dreitägigem Disputiren , wobei er mit ſchmeichelndem Beifall des Klerus ſprach , wendete er ſich zu den Gegnern mit den Worten : „Wenn
dieg Alles iſt , was Eure Partei gegen die im Königreich eingerichtete Religion einzuwenden hat , ſo will ich ſie ent weder conform machen , oder aus dem Lande treiben ." Und er hielt Wort.
Der hohe Gerichtshof berief die
Diſſenters vor ſich , um eidlich zu bekräftigen , was ihr Gewiſſen ihnen zu glauben verbot , und der Ungehorſam wurde mit ruinirenden Geldbußen und langedauerndem : Ge fängniß beſtraft. Eine Perſon , der man vorwarf , die Gottheit Chriſti zu läugnen , und eine andere, die man ſechs 1
zehn keizeriſcher Meinungen beſchuldigte, wurden lebendig ver: brannt.
Oliver Cromwell war durch eine Sekte emporgekommen ,
welcher zuerſt in England, vielleicht in Europa, die Toleranz aiz Lehre aufſtellte. Aber es war eine Meinungstoleranz, gleich der Kleidertoleranz der Presbyterianer , welche haupt
ſächlich das eigne Belieben im Sinne hatte. Cromwell ſelbſt, der vielleicht ſo ſehr, als irgend ein Menſch ſeiner Zeit zux, Nachſicht geneigt war , Tebt doch in dem Regierungsinſtrui, ment ( Instrument of Government), nach einer feierlichen Erklärung zu Gunſten religiöſer Freiheit, zum Schluß des betreffenden Artikels die ausbrückliche Ausſchließung , der Papiſten und Prälatiſten von der Wohlthat der allgemeinen
Freiheit. Demnach autoriſiit das Geſe , trop der. Liberalia, tät in Worten , in der That die Verfolgung. Karls II. Erklärung von Breda aus erregte, abermals
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Hoffnungen auf ein mildes und verſöhnliches Syſtem . Aber dieſe wurden durch die bald nach ſeiner Thronbeſteigung erlaſſenen Gefeße arg getäuſcht . Wer einer religiöſen Ver ſammlung beiwohnte, die nach anderen Gebräuchen gehalten wurde , als die Liturgie oder das Herkommen der engliſchen
Kirche geſtattete, wurde zum erſten Male mit 5 Pfund Geld buße und drei Monat Gefängniß beſtraft; bas zweite Mal mit 10 Pfund und ſechs Monaten ; zum Dritten Male mit Transportation , und im Falle der Nückkehr mit dem Tode. )
Die Fünfmeilen -Acte verbot difſentirenden Geiſtlichen , in dem Bereiche von fünf Meilen von einer Marktſtadt zu predigen. In den lezten Jahren Karls II. wurden dieſe Geſete gegen die Diſſenters ſtrenge verſchärft. Endlich wurden durch die von Wilhelm und Maria erlaſſene ſogenannte Toleranz- Acte alle diejenigen , welche den Huldi gungs- und Suprematseid leiſteten und die Erklärung gegen bas Papſtthum unterſdrieben , von Strafen freigeſprochen ; auch wurden regelmäßig regiſtrirte Verſammlungshäuſer ge ſtattet, ſofern der Gottesdienſt bei unverſchloſſenen Thüren gehalten wurde. Seit dieſer Zeit iſt den diſſentirenden Proteſtanten Englands erlaubt , ihren Gottesdienſt in der Weiſe zu halten, wie ſie es für Gott wohlgefällig erachteten. Zu derſelben Zeit wurde ein bereits unter Karl II. ge machter Verſuch erneuert , eine Verſöhnung zwiſchen Confor miſten und Diſjenters zu Stande zu bringen. An dieſem
frommen Werk , Comprehension genannt, betheiligten ſich Tillotſon und Burnet in ernſtlicher und chriſtlicher Weiſe. Sie ſchlugen vor , die liturgie in einigen Punkten zu ver
beſſern die kirchlichen Dienſte 311 vertheilen ; diejenigen Stellen der Gebete , welche Anſtoß gegeben hatten , wegzu 1) S. Beilage VII.
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laſſen , und ſo durch einige weiſe und vernünftige Verwilli gungen der Kirche eine große Anzahl ausgeſtoßener Kinder 1
wieder zurückzuführen. Es wurden in dieſem Sinne Artikel
abgefaßt ; allein der zuſammenberufene Klerus verwarf dieſen wohimollenden Entwurf, und beharrte auf Ausſchließung und Zwietracht
Unter den der Religionsfreiheit gemachten Verwili gungen war jedoch keine zu Gunſten der römiſchen Rathos
liken. Im Gegentheil wurden neue Gefeße von ausnehmen der Strenge gegeben , welche darauf abzielten , die römiſchen Katholiken arm und unwiſſend zu machen , Strafen auf
Strafen häuften , um ſie gewiſſermaßen zu Sklaven inmit ten einer Nation von freien Männern zu machen. Doch iſt nicht anzunehmen , daß eine ſo humane Nation , wie die engliſche, ſo hart und ungewöhnlich ſcharf verfuhr ohne tiefen Anlaß dazu. Die Regierungen Eliſabeths, Jakobs I., Karls II. und Jakobs II. wurden durch mehr oder minder blutbürſtige Anſchläge der römiſchen Katholiken in Unruhe
verſetzt, welche durch Ermordung des Herrſchers oder durch Herbeirufen ausländiſcher Truppen den Zweck verfolgten, die Freiheiten zu vernichten und die Unabhängigkeit Eng lands zu gefährden.
Daß die vom engliſchen Parlament
ergriffenen Vorſichtsmaßregeln weiſe waren , will ich nicht
behaupten ; aber in Abrede kann ich auch nicht ſtellen , daß ſie durch vielfaches Unrecht hervorgerufen wurden. Unter die Rubrik perſönlicher Freiheit gehört auch die Wählbarkeit zu bürgerlichen und Militärſtellen . Die Politir ber Großſtaaten iſt in Hinſicht auf dieſe Seite wahrer
Freiheit oft engherzig, illiberal und ungerecht geweſen . Rom entzog Jahrhunderte lang dem Genius und der Tapferkeit ſeiner Plebejer den lohn, welcher ausgezeichneten Verdienſten gebührt. Das neuere Frankreich verſchloß, anfangs durch 7
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herfömmliche Verwaltung, und ſpäter durch ausdrückliche Verordnung jedem Ehrgeiz, der nicht von adeliger Abkunft war, den Weg zu den höheren Militärſtellen. Venedig gab ſeinen Patriciern die Befehlshaberſtellen zur See, und zu Lande Ausländern.
England verwirft alle dieſe ver
haften Unterſcheidungen von Klaſſe und Geburt. Der Bauernſohn kann ſich emporſchwingen bis zu dem Ober befehl über die land- und Seemacht; zu der Stelle des Lord -Staatskanzlers und der Würde des Erzbiſchofs von
Canterbury . Dieſe gerechte und weiſe Gleichheit hat dem Staat , welcher ſie bei ſich einführte, durch gute Folgen reichlich genußt. England hat nicht allein die Frucht ſchöner Talente , die ſonſt im Dunkeln verkommen wären, zum Beſten des Landes geerntet, ſondern auch durch dieſe unpartheiiſche Zutheilung der Würden
im
Staat iſt die
Geſellſchaft, anſtatt zwei feindliche Klaſſen des Adels und
der Plebejer zu bilden , zu einer compakten Macht zuſammen gewachſen . In einer wohl bekannten Conferenz zwiſchen den Lords und Gemeinen wurde von Lord Somers und
anderen Führern auf Seiten der Lords als Grundſaß an genommen , daß es für einen Engländer kaum eine unglüd lichere Lage gebe , als unfähig gemacht zu ſein , in gewiſſen Civil- oder Militärſtellen ſeinem Lande zu dienen. Doch iſt zu hemerken , daß in Beziehung auf religiöſe Meining das Geſet in England eine Unfähigkeit anerkennt.
Die
Teſt- und Korporationsacte ſchloß die Diſſenters von öffent lichen Aemtern aus ; und obwohl ſie ſeit länger als einem Jahrhundert dieſelben durch eine jährlich zu Gunſten derer, welche die Eide nicht geleiſtet, erlaſſene Indemnitätsbill. 3u gelaſſen hat , ſo kann doch ihre Freiheit erſt ſeit 1828 als vollſtändig angeſehen werden. Den römiſchen Katholiken iſt, wie bereits bemerkt, ebenfalls jede Betheiligung an der
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Staatsgewalt verſagt geweſen . Turch verſchiedene Acte Karls II . , Wilhelms III. und Annas wurden ſie von allen Aemtern , bürgerlichen und militäriſchen , und ſelbſt
von den Thüren der beiden Häuſer des Parlaments aus
geſchloſſen. Erſt ſeit 1829 ſind dieſe Schranken gefallen, und die römiſchen Katholiken zum Parlament und den höherent Staatswürdent zugelaſſen .
7*
Bierzehntes Kapitel. Politiſche Freiheit. ,,
halte die Liebe zu politiſcher Freiheit für feinen Frr:
thum ; aber iſt ſie ein ſolcher, ſo werde ich mich ſicherlich nicht von demſelben abwendig machen laſſen, und ich hoffe
auch Sie nicht. Iſt ſie eine Täuſchung, ſo hat ſie doch mehr der beſten Eigenſchaften und Beſtrebungen des menſch lichen Geiſtes hervorgebracht, als alle andern Urſachen zu : ſammen genommen, und ſie gibt ein Intereſſe an den An
gelegenheiten der Welt, welche ohne dieſelbe für uns keinen Reiz haben würden . "
For , Brief an lord Holland. Die zwei Arten von Freiheit, wovon wir bisher (pra
chen , die bürgerliche und perſönliche, haben in den gewöhnlich despotiſch genannten Staaten bis zu einem gewiſſen Grad beſtanden.
Die Monarchien des neueren Europa ſind alle
mehr oder minder nach beſtimmten Gefeßen regiert worden, Sie durch Herkommen geheiligt waren. Die preußiſche durchs
aus unbeſchränkte Monarchie hat ſeit der Zeit Friedrichs II. der Erörterung religiöſer und politiſcher Dinge weiten Raum gewährt.
Es iſt jedoch klar , daß die Definition des Begriffes Freiheit , welche dieſelbe da findet , wo das Geſetz herrſcht, unvollſtändig iſt. So lange die höchſte Staatsgewalt in pänden ruht , die der Controle des Volks entzogen ſind,
muß der Beſtand der bürgerlichen und perſönlichen Freiheit
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unſicher und ſchwach ſein. Das einzige wirkſame Mittel gegen Unterdrückung beſteht darin, daß das Volk einen An
theil an der höchſten Gewalt in eignem Beſit hat. Dieß nennt man politiſche Freiheit. Und Liebe zur Freiheit be ſteht in dem Wunſche des Menſchen , bei der Verfügung 1
über ſein Eigenthum , und bei der Geſetzgebung, welche ſeine natürliche Freiheit beſchränkt, eine Stimme zu haben. Die iſt, wie Algernon Sidney richtig ſagt , ein von der Natur ſelbſt eingepflanzter Trieb. In der Art der Ausübung dieſer Befugniß , um das Verlangen des Volfs zu befriedi gen , und in dem Antheil deffelben an der Controle, findet in freien Staaten eine Verſchiedenheit ſtatt; und die Fors
men für dieſe Ausübung und Controle bilden die verſchie denen Conſtitutionen . Die Schriftſteller über dieſen Gegenſtand haben drei Gewalten unterſchieden, die gelebgebende, die richterliche und
vollziehende , welche, wie ſie behaupten , von einander ge fondert ſein müſſen. Über die geſetzgebende und ausübende ſind dieß nie gänzlich geweſen, und können es nie ſein. Die 1
richterliche, welche eigentlich nichts weiter bedeutet, als die
ſorgfältig unterſcheidende Anwendung allgemeiner Regeln oder Geſetze auf beſondere Fälle, kann allerdings ſo ge ſchieden werden ; und wir haben bereits geſehen, daß in der engliſchen Verfaſſung dieſe Sonderung ſehr weiſe durchges führt iſt.
Die richterliche Gewalt iſt in England, wie wir geſehen haben , in die Hand von Perſonen gelegt , welche durch das 1
Geſep Wilhelms III. von der Krone unabhängig gemacht ſind, indem ſie nur in Folge einer Adreſſe beider Häuſer des Parla ments abgelegt werden können. Seit dieſer Zeit iſt dem Charak ter des engliſchen Richterſtandes die gebührende Achtung zu
Theil geworden ; ſeine perſönliche Unbeſcholtenheit und gewiſſens
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hafte Anhänglichkeit an das Geſetz iſt außer Zweifel und Verdacht geweſen. Treſjilians Beſtechlichkeit und Jeffreys gewiſſenloje Gewaltthätigkeit fanden keine Nachahmung. Das äußerſte , was auf hiſtoriſchem Standpunkt von der Richtern geſagt werden kann, iſt, daß in politiſchen Rechts
fällen die Waage der Richter natürlich und unvermeidlid; zu (Kunſten der Krone neigte. Wer nun den Verhandlun gen bei Staatsprozeſſen ſeine Aufmerkjainkeit widmet , wird wahrnehmen , daß die Richter bei der Auslegung der Geſetze, und noch mehr bei ihren Urtheilsſprüchen , ein allzu leibs
haftiges Bild von der Neigung der Tagesregierung reflek tiren ; mild , wenn der Miniſter gemäßigt, ſtrenge, wenn er leidenſchaftlich iſt. An dieſem Fehler litten die Nichter in England ; doch wird er , und ſelbſt in der Rede , felten
ſehr weit getrieben , und niemals bis zu einer gewaltthäti !
gen und gröblichen Geſetzesverdrehung , ſo daß er vielleicht
auf dem Hermelin der Rechtspflege der geringſte Flecken iſt, welchen die Schwächen der Menſchennatur verſchuldet. Zum Glück ſind jegt die Präcedenzjälle ſo zahlreich und ſo forg
fältig eingetragen , daß der Richter vor den Schranken und im Angeſicht des Landes nicht arg von der Linie ſeiner !
Pflicht ſich entfernen kann. Daher bleibt das Vertrauen des Volfs 311 der Unparteilichkeit der Rechtspflege ſtets un geſchmälert ; und in dein Grabe , fürwahr, daß , wer die Mangelhaftigkeit unfres Coder, und zugleich die Anhänglich keit des Volts an denſelben in Betrachtung zieht, die Anſicht
gewinnt, daß die ehrenhafte Anwendung des Geſeges das Land mit manchen Mängeln des Gefeßes felbſt ausſöhnt. Die beiden anderen Gewalten ſind füglich die voll ziehende und die berathende zu nennen . Der Ausbruct gelegebende umfaßt lediglich das Geben der Geſeke, welches
in keinem Staate , ſo viel ich weiß , gånzlich von der voll
·
ziehenden getrennt iſt.
103
-
Thatſächlich ſtehen dieſe beiden Ge
malten in jeder Conſtitution ununterbrochen in gegen ſeitigem Einfluß und Wechſelwirkung. In dem aus König, Lords und Gemeinen beſtehenden Parlament ruht die höchſte
Regierungsgewalt der Nation : die beiden Parlamentshäuſer bilden des Königs großen Rath ; und bei welchem Gegens ſtand immer ſeine Prärogative thätig ſein will, iſt es ihr Privileg , ihn zu berathen . Die Uebung der vollziehenden
Gewalt jedoch gehört dem König; und wo das Parlament nicht mitwirkt , ſind ſeine Befehle hinreichend.
In der
Gelegebung hat nichts Gültigkeit, außer durch Zuſammen wirten der drei Giewalter .
Dieſe drei Zweige der Geſetzgebung bilden , was man das Gleichgewicht der Verfaſſung genannt hat : richtiger wäre ein Vergleich mit dein , was in der Mechanik eine
Combination der Kräfte genannt wird ; denn das combinirte Wirken (vis impressa) von Seiten der drei Gewalten be ftinumt die Nidtung des Ganzen.
Das Haus der Gemeinen bezweckt, wie oben bemerkt,
die Repräſentation des Volkes im Ganzen ; und ſeit der Zeit der Revolution hat es dieſem Zweck hinreichend gut entſprochen . Selbſt das bezahlte Parlament Rarís II. gab in ſeinen lezten Tagen den Sinn des Volts redlich zu er
fennen . Seit Anfang der Regierung Wilhelms kann man daher das Haus der Gemeinen als eine richtige Repräſen tation der Nation anſehen .
Das nächſte Element der Legislatur iſt das Haus der Cords.
Die Pairs chaſt dient in unſerer Conſtitution zwei großen Zwecken. Erſtlich enthält ſie eine große und glänzende Belohnung
für Dienſte, welche der Nation zu Land oder See , im
104
Heer oder auf der Flotte , in des Königs Rath oder auf der Richterbank geleiſtet wurden . Sie drückt ein Siegel auf hervorragendes Verdienſt , und macht die Nachkommenſchaft der geadelten Perſon zu einem dauernden Abbild ſeiner Voll
kommenheiten , und einem Denkmal ihres Anerkenntniſſes. Zweitens bildet das Haus der Pairs in ſeiner Geſammt heit einen Rath , um die Beſchlüſſe des Hauſes der Ge meinen mit Vorſicht und Ueberlegung zu erwägen. Wenn die mehr populäre Verſammlung mitunter, wie dieß natürlich
ſich begeben kann , ſich von raſchen Antrieben oder einem zeitweiligen Geſchrei fortreißen läßt , ſo tritt dieſer erbliche Senat mit ſeinen gewichtigen und durchdachten Anſichten da zwiſchen , um die Wirkung einer leidenſchaftlichen Abſtim mung einzuhalten. In dem Beſitz einer ſolchen Verjamm lung beſteht allerdings das Unterſcheidende zwiſchen einer
rein -demokratiſchen Verfaſſung und einer ſolchen mit zwei ſich gegenſeitig einſchränkenden Gewalten. Daher ſind auch die Vereinigten Staaten Nordamerikas , deren Regierung
die gegenſeitige Controle in ſtrengem Sinne enthält, eben ſowohl nicht ohne Senat, als ohne Repräſentantenhaus. So iſt das Parlament oder die berathende Macht in England beſchaffen. Zunächſt iſt für einen Staat von Bedeutung , daß die Gemalt Verträge zu unterhandeln , über die auswärtigen 1
Verhältniſſe zu entſcheiden , zu Kriegszeiten die Ope rationen der Land- und Seemacht zu leiten ; kurz , die ge ſammte ſogenannte vollziehende Gewalt, in würdige Hände gelegt werde. Bei Uebertragung dieſer Gewalt hat man im Algemeinen einen von zwei Wegen eingeſchlagen. Der erſte iſt, daß man ſie einer einzigen Perſon, Kaiſer, Sultan oder König genannt , ohne alle Controle .
zu Handen gibt. Der unverkennbare Nachtheil dieſes Ver
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fahrens beſteht darin , daß das Talent ſich nicht forterbt ; „wählt man ja“ ,, wie Lord Halifar richtig bemerkt hat, „ einen Kutſcher nicht deßhalb , weil ſein Vater ein Kutſcher 1
war. "
Dieſe Regierungsform hat nothwendig zur Folge,
daß der Friede und die Sicherheit des Staats gänzlich von einein ſchlecht erzogenen Manne abhängt; denn es iſt äußerſt ſchwierig, wo nicht unmöglich , daß in einer abſoluten Monarchie ein König eine gute Erziehung erhalte. Alle Leidenſchaften und Thorheiten werden ihm nadigeſehen; ſeine
linwiſſenheit wird Genie genannt, ſeine Schwäche Weisheit. Vornehmlich aber , man kann ihm feinen Gegenſtand dars bieten , welcher ihn zu Anſtrengung und Nacheiferung ans
ſpornen könnte. Andere Menſchen, vom Adel oder Gewerb ſtand , können ſich vor ihres Gleichen nur durch ſittliche Charaktervorzüge, Ueberlegenheit an Talenten , ererbten oder erworbenen Reichthum , oder Vorzüge, die ſie ihrer Gewerb
thätigkeit verdanken , auszeichnen .
Aber ein
König hat,
ohne daß er ſich irgend ſittlich oder geiſtig anzuſtrengen
braucht , ſeine Stellung über Allen. Daher trachtet er, wenn ihm jeder nützliche Ehrgeiz mangelt, ſich durch Fahren , Muſiciren oder ſonſt eine andere
leicht zu
erwerbende
Geſchicklichkeit hervorzuthun ; oder ſonſt ſtrebt er , was noch weit ſchlimmer iſt, Surch Heeresführung und Länderver wüſtung Ruhm zu gewinnen. Mittlerweile wird der gänz 1
lich ſeiner Leitung anvertraute Staat durch ſeine Schwäche
ſchwad ), durch ſeine Untugend entartet, durch ſeine Ver ſchwendung arm , durch ſeinen Ehrgeiz unglücklich. Un beſchränkte Monarchie iſt daher eine Einrichtung, welche einen einzigen Mann ſchlechter inacht, als der übrige Theil der Nation iſt, und dann die ganze Nation verbindlich macht , ſeiner Leitung und ſeinem Beiſpiel zu folgen. Ein zweites Verfahren bei Einrichtung der Regierung, 1
-
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welches ſich wenigſtens mehr empfiehlt, beſteht darin, daß man
die vollziehende Gewalt in die Hand eines für einen gewiſſen Zeitraum erwählten, und der Controle des geſammten Volkes unterworfenen Bürgers gibt. Das Mißliche dabei iſt, daß,
wer einmal eine ſo hohe Stellung in der Nation eingenommen hat, und in unbeſtrittenem Vorrang die erſte Perſon im Staat geworden iſt, natürlich die Gewalt länger, als verwilligt war, und ſelbſt auf Lebenszeit, zu behaupten trachtet. Aber ſollte er
auch, was ſelten der Fall iſt, mit einem Drang nach Verrich tung großer Thaten die gehörige Scheu vor Verlegung der
Freiheiten des Landes verbinden, ſo ſind doch die Gemüther der Menſchen von Natur ſo argwöhniſch , daß ſie , ſobald ein vorzüglich begabter Mann ſid) über ſeine Mitbürger emporgeſchwungen, ſogleich ihn im Verdacht haben , er ſtrebe nach unumſchränkter Herrſchaft, und lieber ſeine Dienſte ent
behren wollen, als ſie mit ihrer Freiheit bezahlen zu müſſen. An einer oder der anderen dieſer Klippen , wo nicht an beiden , ſind faſt alle Demokratieen geſcheitert. Athen ver trieb ſeine beſten Bürger durch Dſtracismus. Nom ver bannte ſeinen Camillus, Coriolanus , Marius , und vor 1
nehmlich Scipio , und fiel doch zuletzt als Opfer der 1
Militärmacht Cäjars und ſeines Strebens nach dem König thum . Holland gerieth niach zahlreichen Kämpfen unter die Oberherrſchaft des Prinzen von Oranien. Sparta und Venedig werden von Macchiavelli als Ausnahmen von der
allgemeinen Regel bezeichnet. Aber auch Venedig erkaufte feine Sicherheit theuer , nämlich nur durch die Gewohnheit, ſeinen eigenen Mitbürgern den Oberbefehl im Heere zu ver ſagen , und den koſtbarſten Preis , welchen ein Staat zu
verleihen hat , an Fremde hinzugeben . Das von Sparta befolgte Verfahren war dem Englands ähnlich , welches wir
ießt in Betrachtung nehmen wollen.
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Die vollziehende Gewalt in England ruht dem Namen nach in der Hand eines erblichen Königs. Seine Befugniſſe ſind vom Geſetz anerkannt und feſtgeſetzt, und deßhalb
weniger in Gefahr überſchritten zu werden , als die irgend eines außerordentlichen von der Conſtitution nicht gekannten Amtes. Dieſen ſehr triftigen Grund machten Whitelocke und feine Genoſſen bei dem Protektor Cromwell geltend, als ſie
in ihn brangen , den Königstitel anzunehmen. ') Zugleich bildet die ſtete Wirkſamkeit des Geſetzes und die feſtge gründete Ehrerbietung vor der Majeſtät eine hinlängliche Sdranke gegen jeden großen Mann , welcher nach Umum = ſchränktheit trachten möchte. Die öffentliche Meinung ſteht ſo feſt , baß es einem fiegreichen General nie in den Sinn
kommt, die Freiheiten des Landes zu überwältigen . Der Herzog von Marlborough wurde ſeines Oberbefehls ſo leicht
entlaſſen, wie ein Fähndrich ſeines Dienſtes ; und der Her zog von Wellington kehrte von allen ſeinen Siegen und hohen Auszeichnungen zurück, um eine minder bedeutende Stel
Yung in einem Kabinet einzunehmen , das weber auf beſon dere Popularität ſtolz ſein konnte , noch auf ein Genie an der Spige.
Während nun des Königs Prärogative einerſeits eine ſonſt unüberſteigliche Schranke gegen den Ehrgeiz eines
Unterthanen bildet , der nach der Herrſchaft über den Staat, worin er als Bürger geboren war , trachten möchte, iſt dies ſelbe andrerſeits durch die allgemeine Controle des Volks eingeſdränft. So hat der König kraft ſeiner Prärogative den Oberbefehl über die Armee, aber er hält dieſe Armee
nur fraft eines von Jahr zu Jahr votirten Geſekes , Meu terei und Deſertion zu beſtrafen. Der König hat das Recht, *) Vgl. die Conferenzen darüber in der Parliamentary History.
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Krieg zu erklären ; aber wenn das Haus der Gemeinen die Mittel dazu verſagt , kann er ihn nicht eine Woche lang führen. Der König kann einen Friedensvertrag machen ; aber wenn dieſer ſchimpflich für das Land iſt , können die 1
Miniſter, welche ihn unterzeichnet haben , in Anklage ver
Auch gibt des Königs perſönlicher Befehl keine Entſchuldigung ab für Mißbrauch der Gewalt. Der Earl von Danby wurde wegen eines Briefes mit einem eigenhändigen Poſtſcript des Königs , er ſei auf ſeinen Be
ſetzt werden .
fehl geſchrieben, zur Verantwortung gezogen. Es iſt Maxime der Conſtitution , daß der König nichts ohne dem Geſetz
verantwortliche Nathgeber thun kann ; und dieſe Marime iſt ſo weitreichend , daß ein Verhaftsbefehl des Königs, ob wohl er die Quelle aller Juſtiz iſt, für ungültig gehalten warb , weil er nicht von einem verantwortlichen Miniſter
gezeichnet war. Aus der Lehre von der Verantwortlichkeit der Miniſter
folgt , daß ſie das Zutrauen der Gemeinen beſigen müſſen ; ſonſt wird man ihren Maßregeln entgegen handeln , ihren
Verſprechungen mißtrauen ; und finden ſie ſich auf allen Schritten gehemmt, ſo werden ſich ihre Bemühungen darauf ridhten, die Verfaſſung umzuſtürzen. So geſchah es wirklich unter der Regierung Karls I. und II. Es gab nur ein
Mittel , eine Wiederkehr des Uebels zu verhüten. Daſſelbe beſtand darin , dem König ein ſo beſchränktes Einkommen zu geben , daß er ſich ſtets genöthigt ſah , das Parlament zu verſammeln , um die gewöhnlichen Ausgaben ſeiner Ne gierung zu bekommen . Ueber dieſen Punkt, welcher be deutender iſt, als irgend eine Verfügung der bill of right, gab es zur Zeit der Revolution im Hauſe der Gemeinen
lebhaften Streit. Die Tories , welche dem neuen König gefällig ſein wollten , ſtellten wider alle Gerechtigkeit und 1
1
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Vernunft die Behauptung auf , das dem König Jakob für Lebenszeit gewährte Einkommen gebühre de jure auch dem König Wilhelm für Lebenszeit. Die Whigswiderſtanden mit Erfolg , und es wurden dein König 420,000 Pf.,
in monatlichen Zahlungen , verwilligt. Die Gemeinen be kamen bald hernach die ſämmtlichen Rechnungen von König Jakobs Regierung vorgelegt, und es erhellte daraus,
daß dieſelbe , den Krieg abgerechnet , im Durchſchnitt 1,700,000 pF. gekoſtet hatte ; an Wilhelm wurden jedoch
nur 1,200,000 als Jahreseinkommen, und dafür noch die Ausgaben und Schuld
eines furchtbaren Krieges zu
gewieſen.
Durch dieſe Anordnungen wurde die Krone für immer vom Parlament abhängig gemacht.
Ohne nur eine Meis
nung zu äußern , durch bloße Andeutung der Abſicht, die Verwilligungen einzuſtellen , kann das ganze Regierungs 1
Tyſtem
des Königs geſtürzt , und die Entlaſſung ſeiner
Miniſter bewirkt werden. Seitdem hat das Haus der Ge
meinen die Macht, ganz ſicher und wirkſam die Hand lungen der Staatsregierung zu controliren. Was immer für Kämpfe ſeitdem vorgekommen ſind , ſie haben ſtets im interhaus ſtattgefunden. Ehrgeizige Männer haben , an ſtatt des Verſuchs , je nach ihren verſchiebenen Anſichten
die Monarchie zu ſtürzen oder die Parlamente zu ſuspen diren , entweder durch Gunſt der Volksrepräſentanten in des Königs Kabinet zu gelangen , oder der Krone dadurch zu dienen geſucht, daß ſie dieſe Verſammlung verderbten , und die Quellen ihres Anſehens vergifteten. Was aber auch über das Vorherrſchen der lekteren dieſer Verfahrungs 1
weiſen geſagt worden ſein mag , das iſt gewiß , daß einige Zeitlang nach der Revolution die Macht am längſten in der Hand derjenigen Staatsmänner blieb , deren politiſche
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Grundfäße den Beifall des Landes hatten. Ein Freund der Freiheit war nicht mehr zu der Alternative genöthigt, entweder der Autorität des Herrſchers Trotz zu bieten , oder
unterm Beil des Henkers zu fallen ; was er vor dem Volke ausgeſprochen hatte , durfte er nun vor dem Könige wieder holen ; und dieſelben Maßregeln , welche er als einzelnes Parlamentsmitglied empfohlen hatte , konnte er ſpäter in den Fall kommen , ſeinem Herrider als Nathgeber vorzu
ſchlagen . So wurden die verſchiedenen , bisher mit einan der ſtreitenden Theile unſerer Verfaſſung in Harmonie geſcit , während die Mittel, wodurch dieſe Harmonie erzielt
wurde , zugleich der Nacheiferung Raum , dem Volke Frei heit , dem Parlament Anſchen , dem Ehrgeiz der politiſchen Führer einen Zügel, und dem Chrone Feſtigfeit gaben.
Auf dieſe Weiſe wurden die großen Principien der engli ſchen Freiheit durch die Nevolution von 1688 in Wirkſam keit gebracht, deren Urheber , ohne nach dem Nuhın der Gründung einer neuen Regierungsform
zu trachten , für 1
die Nation den Vollgenuß jener ehrwürdigen Rechte und Freiheiten errangen , für welche ihre Vorfahren und ſie ſelbſt geſtritten und gelitten hatten. Dieß große , ſo glor reich vollendete Werk , enthielt zugleich für die Großen die Lehre , ſich vor Unterdrückung zu hüten , und für das Volt , Mäßigung zu üben .
Wir haben nun die verſchiedenen Theile der Regierungs form durchgemuſtert, welche manche ſeltſame Köpfe unter : ſchäßen zu
ſollen
meinten.
Es gibt Leute, welche den
Lehren der Geſchichte ihr Ohr verſchließen, und fortwährend behaupten , die Freiheit fönne unter unſerer barbariſchen
Feudalmonarchie nicht gedeihen. Auf dieſe mag denn doch vielleicht die folgende Stelle eines unparteiiſchen Beurtheilers
einigen Eindruck machen.
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Herr von Talleyrand nämlich , nachdem
er von der
Vorliebe geſprochen , ivomit die Amerikaner an engliſchen
Marimen und Sitten hängen , fährt alſo fort : „ Es iſt auch nicht zum Erſtaunen , daß ſich eine ſolche Hinneigung zu England in einem Lande findet, wo die unterſcheidenden 11
Züge der Verfaſſung , ſowohl der Bundesunion als der einzelnen Staaten , ſo ſtark das Gepräge der Grundzüge der
engliſchen Verfaſſung an ſich tragen. Worauf beruht gegen wärtig in Amerika die Grundlage der individuellen Frei heit ? Auf den nämlichen Grundlagen , wie die engliſche Freiheit : auf der Habeas Corpus-Acte und dem Geſchworenen gericht. Beſuchen wir die Sigungen des Congreſſes der be ſonderen Geſetzgebungen ; Begleiten wir die Debatten über
die Nationalgeſege: woher nimmt man ſeine Citate , feine Analogieen , ſeine Beiſpiele ? Aus den engliſchen Geſeßen , den Gewohnheiten Großbritanniens, den Parlamentsregle 1
ments. Treten wir in die Gerichtshöfe: welche Autoritäten ruft man an ? Die Statuten , die Urtheile, die Entſcheidun
gen der engliſchen Gerichtshöfe. Offenbar ziehen die Be nennungen Republik und Monarchie zwiſchen den beiden
Negierungen unſcheinbare Unterſcheidungslinien, welche nicht irre machen dürfen : es iſt für jeden , der auf den Grund der Ideen dringt , klar , daß in der Repräſentativverfaſſung Englands ein republikaniſches Element iſt, ſowie in der dollziehenden Gewalt der Amerikaner ein monarchiſches."
Fünfzehntes Kapitel. Die Rechtsgelehrten.
Rex sub lege. Bracton .
Unter die ſpißfindigen Einwürfe gegen die Wirkjam feit unſerer Conſtitution gehört auch das Geſchrei, welches
man wider den Einfluß der Rechtsgelehrten erhoben hat. Es iſt jedoch von den früheſten Zeiten an dieſer Einfluß dem Lande nur wohlthätig geweſen. Zu den früheſten Autoritäten zu Gunſten der Freiheiten des Landes gehören Bracton, Richter unter Heinrich III ., und Fortescue, Oberrichter unter Hein
rich VI. Beim Beginnen des Kampfes mit den Stuarts erſcheinen die Namen Coke und Selden in glücbedeuten dem Glanze auf Seiten der Freiheit. Beim zweiten Kampf mit den Stuarts ſehen wir unter einem Heere von Rechts gelehrten den würdigen Sergeant Meynard an der Spitze,
tugendhaften , gemäßigten , weiſen und verehrten Somers. von ihm wenden wir uns zu dem Whig - Stanzier Lord Cowper , welcher ſich jedoch, entgegen Atterbury , der bill of Pains and Realties als einer unnöthigen Juſtiz
ben
derlegung widerſeşte. Es folgt dann zunächſt in der Reihe der Freiheits
freunde Lord Camden , welcher durch ſeine bewunderungs
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würdige Prüfung der Fragen der allgemeinen Verhafts befehle und Libelle das Land von den ſllaviſchen Lehren befreite , womit es überſchwemmt zu werden bedroht war.
In dem Hauſe der Gemeinen ſind diejenigen Mit glieder , welche an den Debatten einen hervorragenden An theil nahmen, meiſtens Rechtsgelehrte. Es war dieß natür: liche Folge ihrer Gewohnheit zu ſprechen , und wir ſehen ſie auf beiden Seiten des Hauſes. Auf der Seite der Freiheit können wir eine Reihe berühmter Namen zählen , welche
mit dem Anfang unſerer Conſtitution beginnt und , glaub ich , ſo lange dauern wird , als ſie ſelber. Weitere Namen aus neueren Zeiten anzuführen könnte überflüſſig ſein ; doch möcht' ich nicht den Anlaß ver ſäumen , meine Bewunderung für den großen Genius aus zuſprechen , deſſen Schwert und Sdild Gerechtigkeit und
Freiheit während der unheilvollen Periode der franzöſiſchen Revolution beſchützte.
Wenn er ſeinen Schuß lieh , be
gegnete die Regierung bei dem geringſten Individuum , welches ſie angriff, der Zunge eines Cicero und der Seele eines Hampden , einem unüberwindlichen Redner und un erſchrockenen Patrioten. Möge die Erinnerung an dieſe Kämpfe und dieſe Triumphe die legten Tage dieſes berühm ten Mannes erbeitern, und die, welche ſich denſelben Studien
gewidmet haben , zu gleicher Begeiſterung ſpornen ! ' ) Solche Beiſpiele können die Ueberzeugung geben , daß das Studium der Geſeke , indem es die Menſchen ihre Rechte genauer kennen lehrt , ſie auch mit ſtärkerem Ver langen dieſelben zu wahren erfüllt , und durch nähere Einſicht unſerer Verfaſſung ſie fähig macht, ihre Vorzüge 1
2) Lord Erskine war noch am Leben , als dieſe Zeilen geſchrie ben wurden.
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beſſer za würdigen und lieb zu gewinnen . Leider jedoch gibt's dagegen auch Beiſpiele von Männern, welche verlodt von dem glänzenden Lohn , welchen die Krone Den Rechts
gelehrten zu ertheilen im Stande iſt, ſich zu Werkzeugen der Tyrannei und Beſtechung machen laſſen. Allein die ſer Fehler fält durchaus nicht den Rechtsgelehrten aus ſchließlich zur Laſt. Der verächtliche Lord Strafford, der ſein Land um eine Stelle und eine Pairſchaft verkaufte ; und der tüdiſche Lord Bolingbroke , welcher ſeinen Wohl
thäter verrieth , und ein Despotengeſchlecht wieder einzuſeßen ſich bemühte , waren Männer von Geiſt und Stande.
Sedhszehntes Kapitel. Gedeihen des Staatscredits auf Grund einer freien Verfaſſung. Bald nach der Wieberkehr Karls II. wurde ihm von
Sir Georg Downing ein Plan vorgelegt, deſſen ganzes Ver dienſt in Feſtſtellung einer Norm für pünktliche und ges regelte Zahlung der Zinſen aller Summen beſtand, welche der König aufnehmen würde. Um den Rapitaliſten Sicher:
heit für die Durchführung dieſer Anordnung zu gewähren, brachte Downing mit Zuſtimmung des Königs in der Verwilli gungsbill einen Sap an, welcher die Verwendung des in der Bill bemiligten Geldes für die verſchiedenen darin erwähn
ten Zwede gleich beſtimmte. Clarendon , der die Sache er: zählt , war über dieſe neue Beſchränkung der Prärogative ſehr entrüſtet, und beſtritt ſie mit Anderen in den ſtärfſten Ausdrücken. Wir wollen den Schluß ſeines Berichtes wörtlich
aufnehmen . )
Er ( König Karl) ſprach ſich in einer Rede
ausführlich darüber aus, und führte an ,
es werde zum
Darleihen des Geldes aufmuntern, wenn die Zurückzahlung nebſt den Intereſſen ſo feſt beſtimmt würde , daß es feine
Sicherheit im Königreich geben könne, die ihr gleich käme, indem es nämlich durchaus unmöglich gemacht würde, die Rückerſtattung einer morgen gemachten Anleihe vor 1) Clarendon Hist. Rep. Vol. I. p. 316. f.
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einer geſtern entliehenen Summe vorzunehmen ; vielmehr jede Zahlung unfehlbar der Reihe nach geleiſtet werden müßte ; dadurch werde die Schagkammer (welche bankerott und völlig creditlos war) raſch ein ſolches Anſehen gewinnen, daß jedermann ihr gerne ſein Geld anvertrauen werde ; und er hoffe durch Beobachtung dieſes Verfahrens in einigen Jahren ſeine Schakkammer zu der beſten und größeſten Bank
in Europa zu machen ; denn wäre es einmal bekannt, ſo werde wegen des ſichern Nußens, welchen ſie darböte, und der unzweifelhaft zuverläſſigen Zurückerſtattung ganz Europa ſein Geld darin niederlegen ." . " Und mit dieſer Rede vers
ſtand der eitle Mann (Sir Georg Downing ), weicher lange in Holland gelebt hatte und wohl deſſen ganze Politik ſich
zu eigen gemacht zu haben meinte , den König und ſeine beiden Freunde zu täuſchen , indem er ſich anheiſchig machte, des Königs Schaßkammer auf dieſelbe Stufe des Credits zu heben , worauf die Bank zu Amſterdam ſtand, deren Einrichtung er zu kennen und daraus zu beweiſen meinte,
daß dieß alles nach England fich verpflanzen ließe, jo daß alle Nationen ihr Geld lieber der Schatkammer , als
nach Amſterdam , Genua oder Venedig, hingeben würden." Und dabei kann man nicht genug über den Grad der Verblendung ſtaunen , welche keinen Gegengrund anhören
wollte, indem der König nach dieſen Begriffen und den Anſichten dieſer Rathgeber in ſeinen Gedanken die ganze Verwaltung ſeines Schaßes, wobei er keine höheren Beamte mehr haben wollte, bereits umgebildet hatte. Aber dieß hatte er nur in ſeinem Inneren ausgedacht, und nur den jenigen mitgetheilt, welche ihm das Projekt anriethen, ohne zu erwägen, daß die Sicherheit für die in den Banken nie
dergelegten Gelder in dem Staate ſelbſt liegt , welcher eher zu Grunde gehen muß, als die Sicherheit; dieſe 3 uver
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ſicht kann man aber nie in einer Monarchie haben , worin Sas bloße Wort des Monarchen
alle dieſe formellen Sicherheiten , welche man
gegeben haben mag , wieder aufheben kann ( wie ſich dieſes ſpäter klar vor Augen gelegt hat) , indem er die darauf geſtellten Anweiſungen und die betreffenden Parla
mentsacten, auf ſo lange als ein vorhandenes Nothbedürfniß es räthlich macht, für ungültig erklärt ; was gar nicht ſtatt haft ſein ſollte."
Aus dieſer Stelle loro Clarendons erſieht man klar,
daß er den öffentlichen Credit für unvereinbar hielt mit willkürlicher Monarchie. Das ſpätere Verhalten des Königs, welchem er ſeinen Natu ertheitte, rechtfertigt ſeine Anſicht
vollkommen. Karl II. pflegte Geld bei den Bankiers auf
zunehmen , das durch Anweiſung auf die Taren zurüd gezahlt werden ſollte, faſt ebenſo wie mit unſeren Schap kammerſcheinen , nur daß er 8-10 anſtatt 3-4 procent
Zinſen zu zahlen hatte. Beim Beginn des zweiten hollän diſchen Kriegs jedoch, als die Taren eingezahlt worden, verſchloß er die Schagkammerthür und weigerte die Zurück zahlung. Solch ein Benehmen mußte einer ſo empfindlichen Pflanze, wie der öffentliche Eredit iſt, der nur unter dem
milden Einfluß gerechter und freiſinniger Geſeße gedeiht, höchſt verderblich werden. Die Schmach einer ſolchen betrügeriſchen Maßregel Karls wurde unter der Regierung Wilhelms III . einigermaßen wieder gut gemacht, indem ein großer Theil, wenigſtens des ſchuldigen Kapitals als Stock fundirt und zur Nationalſchuld geſchlagen wurde. Mit der Revolution entſprang ein koſtſpieliger Krieg gegen den mächtigſten Monarchen in Europa , und die Nation hatte die Wahl eines Herrſchers, welche ſie getroffen , mit Opfern aller Art zu erkaufen. In dieſer Lage dachte
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die herrſchende Partei des Landes die Hülisinittel des
öffentlichen Credits in Anwendung zu bringen , welche be reits in Holland und Venedig einen bedentenden Erfolg hatten erkennen laffen.
Dieß gab einige Jahre nach der
Revolution der engliſchen Bank ihren Urſprung. Zu ders ſelben Zeit wurde der Silbermünze ihr richtiger Gehalt
wieder gegeben, eine Maßregel, welche eine Zeit lang bield mangel im Land veranlaßte : es trat eine allgemeine Stockung im Handel ein, und die Papiere der engliſchen Banf janken
bald nach ihrer Errichtung um 20 Procent Disconto . Um dieſem Uebelſtand abzuhelfen , ſchlug Montague, welcher als der Gründer unſeres Finanzſyſtems anzuſehen iſt, alle ausſtehenden Schulden , welche ſich bis auf fünf Millionen beliefen, zuſammen, legte Taren zur Rückzahlung des Ganzen auf, und gab, um den Geldmangel zu beſeitigen , die ſeit dem ſogenannten Schapfammerſcheine aus , welche mit dem durch die Taren eingebenden Geld einzulöſen waren . Der
öffentliche Credit lebte wieder auf, das Kapital der Bank wuchs an , und baares Geld kam dem Bedürfniß des Lan des gemäß in Umlauf.
Seitdem wurden mit großer Leichtigkeit und meiſt zu niedrigem Zinsfuß Anlehen von ungeheuer zunehmendem Betrag gemacht, wodurch das Land in Stand gelegt wurde, ſeinen Feinden zu widerſtehen. Die Franzoſen wunderten ſich über die erſtaunlichen Leiſtungen einer ſo kleinen Macht,
und über die Fülle von Gelb, welches in den engliſchen Schap ſtrömte Sie erkannten mit Beſorgniß, daß, wähs rend Ludwig kaum durch die niedrigſten Mittel, die für
den Unterhalt ſeiner Heere erforderlichen Summen aufbrin gen konnte, Großbritannien , ſtark und unerſdrocken im Wohlſtand und Vertrauen ſeiner Kaufleute ſtets
neue
Hüljsquellen jand. Es wurden Bücher geſchrieben, Projekte
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entworfen, Verordnungen erlaſſen, welche Frankreich dieſelbe Bequemlichkeit verſchaffen ſollten, wie ſie England beſaß : jeder Plan, den fiskaliſcher Sdarfſinn ausdenken , jede Be rechnung, die von mühſeliger Wiſſenſchaft aufgeſtellt werden mochte, wurde vorgeſchlagen, verſucht und unzureichend bes funden ; und zwar aus dem einfachen Grund, weil bei all' ihren Entwürfen, die England nachahmen ſollten, ein klei
nes Element fehlte, das, einer freien Verfaſſung. ') Ales Geld, welches das Haus der Gemeinen bewilligt, wird gegenwärtig durch eine Appropriationsacte, die beim Schluß jeder Parlamentsſigung durchgeht , zu beſtimmter
Verwendung angemiejen : eben die Maßregel, welche bei Lord Clarendon den loyalen Schrecken erregte. 1) Unter anderem befahl der König , es ſolle jedes Münzſtüď
fünftig nominell mehr gelten, als bisher. Addiſon ſagte wißig, et habe ebenſo wohl anbefehlen fönnen , jeder Grenadier von ſechs Fuß Länge folle dafür gelten , er habe ſieben Fuß, und zwar in der Mei nung, er vergrößere damit die Stärke ſeines Heeres. Freeholder. 1
Siebenzehntes Kapitel. Parteien.
Die Regierung der Königin Anna iſt ebenſo, wie die Georgs I. , Surd heftige Kämpfe und das vollſtändige
Uebergewicht der Parteien merkwürdig. Es iſt der Mühe werth, die Wirkungen ſowohl des Kampfes, als auch des Sieges in Betracht zu nehmen . Wir wollen zuerſt die Nothwendigkeit des Daſeins verſchiedener Parteien zu er
klären, und die Tadelloſigkeit derer, welche eingeſtehen , daß ſie einer Partei angehören, zu rechtfertigen verſuchen.
Die allgemeine Vertheidigung politiſcher Verbindungen kann man nicht beſſer führen , als mit Burkes' Worten ,
dem Treffendſten und Geſundeſten, was über dieſen Gegen ſtand geſchrieben worden iſt. „ Partei,“ ſagt er, „ iſt eine Geſammtheit zu dem Zweck verbundener Menſchen, um durch
gemeinſame Anſtrengungen, in Gemäßheit beſonderer Grund fäße , worin alle übereinſtimmen , das Nationalintereſſe zu befördern. Frei denkende Menſchen werden in beſonderen Fällen verſchieden denken . Da jedoch ſtets die meiſten Maß
regeln, welche im Laufe der öffentlichen Angelegenheiten er: griffen werden, in Beziehung oder Zuſammenhang mit einigen großen leitenden allgemeinen Grundſäßen der Regierung ſtehen, ſo müßte ein Mann bei der Wahl ſeiner politiſchen
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Geſellſchaft ganz beſonders unglücklich ſein , wenn er nicht wenigſtens in neun Fällen von zehn mit den Leuten ſeines Umgangs übereinſtimmte. Und dieß iſt Alles, was man bedarf, um
einer Verbindung den Charakter der größten
Eintracht und Stetigkeit zu geben . Wie ein Menſch ohne alle Verbindung wirken könne , iſt mir völlig unbegreiflich. Von welchem Stoffe müßte der Mann gemacht, wie müßte er geartet und zuſammen geſeßt ſein , der Jahre lang im Parlament mit fünfhundert und fünfzig ſeiner Mitbürger , mitten im Sturm ſo ungeſtümer Leiden ſchaften , in dem ſcharfen Widerſtreit ſo mancher Köpfe, Charaktere und Temperamente zuſammen
fißen könnte,
bei der Behandlung ſo bedeutender Fragen, bei der Er örterung ſo umfaſſender und gewichtiger Intereſſen, ohne daß er irgend eine Art von Männern erblickte, deren Charakter , Benehmen oder Eigenſchaften ihn veranlaſſen
könnten, mit ihnen zu gegenſeitiger Unterſtüßung bei irgend einem Syſtem öffentlicher Nütlichkeit in Verbindung zu treten ? "
Obwohl nun gegen dieſes Urtheil Burkes ein Widers ſpruch weder erhoben worden iſt, noch ſich erheben läßt, ſo
kann man doch ſtets eines günſtigen Vorurtheils in ge wiſſem Grade ſicher ſein, wenn man erklärt, keiner Partei anzugehören, als wenn man ſich dadurch vor dem Vorwurf einer Unredlichkeit oder Selbſtſucht ſchüßte. Die noch immer dauernde Spaltung Englands in
zwei große Parteien hat meines Erachtens ihren Urſprung in einer großen unvereinbaren Meinungsverſchiedenheit. Die Tories ſahen zu Anfang der Regierung Jakobs I. die Erhöhung der Macht der Krone als Hauptziel ihres Strebens an. Räumen ſie, wie jetzt geſchieht, ein, daß der König zum allgemeinen Beſten mit ſeiner Macht bekleidet iſt,
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ſo find ſie doch der Meinung, das Volkswohl verlange voll ſtändige Freiheit in Ausübung dieſer Prärogative, ſo lange das Geſen nicht verlegt wird . So lange er nun innerhalb
der ihm gezogenen geſetlichen Schranken fich hält, ſind ſie zum Mindeſten ſehr wenig geneigt, ſeiner Macht entgegen zu treten. Ueberſchreitet er dieſelben, oder bringt er das Land in große Gefahr, ſo ſind ſie bereit, bei ihren Abſtim mungen im Parlament oder in anderer geſetzlicher Weiſe ſich der Krone zu widerſeßen .
Es folgt jedoch aus ihrer
Lehre, daß ſie ſtets darauf bedacht ſind, den König in erſter Linie und bei all’ ſeinen Maßregeln zu unterſtüßen , und ihre Zuſtimmung nur dann zu verweigern , wenn dieſe Maßregeln das Land in eine ſo drohende Gefahr verſekt haben, daß ſie widerſtrebend ſich genöthigt ſehen, ihre eigenen Meinungen geltend zu machen . Die Whigs richten ihre Blicke auf das Volt, beffen
Wohlfahrt , Ziel und Zweck jeder Regierung iſt. Sie bes haupten, daß, wie des Königs Rathgeber für ſeine Maß regeln verantwortlich ſind, ſo das Parlament die Pflicht
hat, zu prüfen und ſich darüber auszuſprechen, ob dieſe Maßregeln weiſe und heilſam ſind. Deſhalb ſind ſie bereit, ſich jeder Ausübung der Prärogative, welche ſie für unweiſe oder unzuträglich halten, zu widerſeßen, und darauf zu
beſtehen (mitunter vielleicht zů anmaßend), daß diejenige Linie der Politik eingehalten werde, welche ſie für am mei ſten den Bedürfniſſen und Wünſchen des Landes entſprechend anſehen.
Dieſe Darſtellung der Meinungen der Whigs und Tories ſcheint mir vom Anfang der Regierung Jokobs I. bis zum Schluſſe der Georgs II. im Allgemeinen zutreffend. Iſt dieſe meine Anſicht richtig, ſo war es unvermeidlich, daß die beiden Parteien fich trennen und geſchieden bleiben mußten .
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Denken wir uns nun ein junges Parlamentsmitglieb, das zu Anfang der Regierung der Königin Anna nach
London kommt. Es hält ſich , nehmen wir an , 311 den Meinungen der Tories und ſtimmt gewöhnlich, doch nicht immer, mit dieſer Partei. Es wird natürlich mit Einigen derſelben näher befannt; man ſpricht über Fragen , die
einige Zeit vorher angeregt werden. Dieſe Unterhaltungen führen zu einer engeren Verbindung; man gibt ſeinen An ſichten Gehör , und ſeine Zweifel ſchwinden im Laufe einer freundlichen Beſprechung.
Mitunter, wenn es ſich um eine
Maßregel handelt, die mehr der Parteipolitik als einem Grundſatz angehört, unterwirft es ſeine Anſicht der eines Staatsmannes , welcher bei der Geſellſchaft, zu der er ſich hält , am meiſten in Anſehen ſteht. Er hält für wahrſchein
licher, daß manche tüchtige, und eine große Anzahl patriotiſcher Männer, welche von gleichen Grundſägen mit ihm ausgehen , ein richtiges Urtheil fällen, als daß er allein in dem ganzen Hauſe der Gemeinen von gegebenen allge meinen Grundſätzen aus ſollte den richtigen Schluß gezogen haben.
Er iſt, mit einem Wort, ein Parteimann.
SO
bildet ſich ohne alle Verlegung des Gewiſſens eine Partei, wird feſt und gewinnt den genoſſenſchaftlichen Geiſt, welcher in den politiſchen Verbindungen Englands vorherrſchend iſt. Betrachten wir nun die Wirkungen der Parteikämpfe. Zu den Nachtheilen der Parteiung iſt der Mangel an ehrlicher Offenheit zu rechnen , wozu fie nothwendig ver anlaßt. Wenige Menſchen können , geſtügt von einer An 1
zahl Freunde , die ſich einander aufmuntern und beiſtehen, ſich bei einem hißigen politiſchen Parteikampf betheiligen,
ohne ihren Gegnern ſchlechte Abſichten und niedrige Motive
beizulegen, deren dieſelben ſo wenig fåhig ſind, wie ſie ſelbſt.
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Eine andere üble Folge beſteht darin, daß man die Luſt verliert, dem natürlichen Zug ſeines eigenen Geiſtes zu folgen, wenn der Verſtand dazu gebracht wird, einen von den Gegnern gerügten Irrthuin einzuſehen , oder wenn man den Vorwurf der Schwäche und des Mangels an Haltung ſich zuzuziehen fürchtet. Hartnäckiges Feſthalten am
Unrechten, weil ein Zugeben deſſen, was recht und wahr iſt, den Gegnern einen Triumph bereiten würde, hat manchen
Miniſter Englands auf eine dem Lande verderbliche Bahn gebracht.
Sdreibe ich dieſen Nachtheil dem Parteiweſen zu, to
will ich keineswegs aus derſelben Quelle den Tabel der Uebertreibung herleiten , welche politiſche Erörterungen zu begleiten pflegt. Denn ſolche iſt unvermeidlich. Zwar hat allerdings jeder Staatsmann zu Zeiten Gelegenheit, mit
einigem Zweifel die Gründe für oder gegen eine Maßregel abzuwägen , welche er ſpäter mit ſo viel Wärme und Zu verſicht unterſtüßt oder bekämpft, als wenn darüber zwei
Anſichten nicht möglich wären . Daraus folgt aber nicht, daß es recht oder nüblich wäre, alle Gründe, welche vor der Beſdlußfaſſung durch den Kopf giengen, öffentlich vor zubringen. Was würden z. B. die Worte eines Miniſters für eine Wirkung haben, der in einer Rede zu Gunſten eines neuen Krieges die Gefahren, welche vielleicht, und die neuen Laſten, welche unfehlbar dadurch hervorgerufen würs den, mit Nachdruck betonen wollte ? Offenbar nur Ent 1
muthigung und vielleicht ein demüthigender Vertrag. Denn
die leiſeſten Ausdrücke, welche man im Widerſpruch mit ſeiner eignen äußerſten Meinung ſich entſchlüpfen läßt,
haben mehr Gewicht gegen dieſelbe, als die ſtärkſten Beweis: gründe , welche er zu ihren Gunſten vorbringen kann .
Seine Geſinnungsgenoſſen werden dadurch entmuthigt , und
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die Gegner ermuthigt.
Dieß rührt aber nicht aus factioſem
Parteigeiſt her, ſondern aus der menſchlichen Natur ſelbſt. Die öffentlichen Angelegenheiten ſind ſo beſchaffen, daß die Wahrheit kaum je gänzlich auf einer Seite liegt ; und der
menſchliche Geiſt iſt ſo eingerichtet, daß er entweder nur eine Seite erfaſſen, oder in Unthätigkeit ſinken muß. Auch ſchreibe ich nicht dem Parteiweſert die Beſtechung
zur Laſt, womit im Parlament die Stimmen gewonnen
werden. Ich weiß zwar, daß Manche der Meinung ſind, der Miniſter wende fich nur deſhalb zur Beſtechung, weil er fich nothwendig gegen die Oppoſition verſtärken müſſe. Aber es iſt offenbar, daß bei einer freien Regierung, wie unſere iſt, die Miniſter ſtets den Einfluß der Protection, welche ſie in Händen haben, zur Gewinnung von Anhän gern verwenden werden.
Denn ein Miniſter iſt ſich wohl
bewußt, daß er Anhänger haben muß ; und vernünftiger
Weiſe kann er ſeine Verwaltung nicht auf die Stüte grün den, weiche er bei jeder einzelnen Maßregel durch Beweis gründe zu erlangen im Stande ſein mag.
Nun iſt aber
von den zwei Mitteln, fidh Anhänger zu verſchaffen -das leßtere bei weitem das Intereſſe und Parteieifer ich, um einer Stelle willen, fürchte würde, beſte. Mancher
ſeiner Meinung abtrünnig werden und ſeine Grundſäße perläugnen , der doch nicht von einer Partei abfallen will, welcher er ſowohl aus Leidenſchaft und Neigung , als aus Vernunftsgründen angehört. Parteigeiſt iſt daher nicht ſowohl die Urſache eines be ſtochenen und ungebührlichen Einflußes, als vielmehr ein Erſaß deſſelben. Allerdings hält Mancher für möglich, daß die Welt nur durch Ueberzeugung und Beweisgründe regiert werde. Allein es iſt ſehr richtig, was Wilberforce in Be ziehung auf die Neligion ſagt : „ Der Menſch iſt nicht ein
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bloßes Verſtandesmejen. Ich ſehe das Beſſere ein und billige es , wähle aber das Schlechtere, ') iſt eine Klage , die wir leider täglich über uns ſelbſt zu åußern haben. Die leiſeſte Anregung einer Begierbe reicht ojt hin, uns zum Handeln im Widerſpruch mit unſerer
klarſten Einſicht, inſerm höchſten Intereſſe und entſchieden ſten Vorſatz fortzureißen. Dieſe Bemerkung , " fährt der aufgeklärte Verfaſſer fort, ,bewährt ſich in jedem Falle dem
gemäß, wie eine Aufforderung zu angeſtrengten, mühevolen und unausgelegten Thätigkeitsäußerungen vorhanden iſt, wovon wir leicht durch Hinderniſſe abgeſchreckt oder durch Verlockungen des Vergnügens abgezogen werden . Was iſt alſo im Falle einer ſo ſchwierigen als nothwendigen Unter
nehnung zu thun ? Die Antwort iſt leicht begreiflich : Man muß ſich bemühen, nicht allein den Verſtand zu über: zeugen , ſondern auch auf das Herz zu wirken ; und zu die
ſem Zweck muß man der Verſtärkung der Leidenſchaften fich verſichern ." 2 )
Die guten Wirkungen, welche das Parteiweſen für unſer Land äußert, ſind zahlreich und gewichtig. Eine der hauptſächlichen beſteht darin , daß es den ſchattenhaften
Meinungen der Politiker Gehalt gibt, und ſie für die Dauer an ſtetige und bleibende Grundſätze knüpft. Der echte Parteimann findet in ſeinem Geiſte gewiſſe allgemeine Hegeln der Politik, gleich den allgemeinen Regeln der Moral, und entſcheidet nach ihnen jeden neuen und zweifelhaften Fall. Der Glaube an die Richtigkeit dieſer Grundſäße befähigt
ihn , den Verlockungen des Eigennußes und blendender Projekte zu widerſtehen : ſein Verhalten gewinnt etwas von der Sicherheit der Weisheit und Tugend. 1) Video meliora proboque, deteriora sequor. 2) Wilberforce, Practical View of Christianity. p. 60.
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Die Vereinigung Vieler zu denſelben Zwecken rest
eine Partei in den Stand , Maßregeln in Ausführung zul bringen , welche ſonſt keine Beachtung fänden. So geſchieht es oft , daß ein äußerſt nüßlicher Vorſchlag, der jedoch 1
nicht darauf angelegt iſt, nach der Volksgunſt zu haſchen, durch ſtandhaftes thatkräftiges Beſtreben einer Partei endlich
zum Geſetz wird ; daß , was die Kräfte eines Einzelnen überſteigt, durch die geeinigte Stärke einer Anzahl zur Aus
führung kommt. Der Wagen gelangt zulebt zu ſeinem Ziel ; aber ein losgebundenes Pferd wird wahrſcheinlich zu ſeinem Ausgangspunkt zurückkehren. Ebenſo geſchieht es oft , daß eine Partei Erfolg hat , wo das Volt ſeinen Zweck verfehlt. Der Enthuſiasmus einer ganzen Nation iſt ſeiner Natur nach vorübergehend. Wenn man ihm zu Anfang wider ſteht, fällt es oft in Apathie , und das Land bleibt unter dem Druck einer Niederlage unthätig , wenn auch nicht be
friedigt. Aber eine Partei iſt gleichſam durch ein Pfand gebunden ; der Charakter der Einzelnen , welche zu ihr ge hören, hängt von ihrem Zuſammenbeſtehen ab ; ihre Grund fäße vererben ſich vom Vater auf den Sohn und werden das Modell , nach welchem allmählich Generationen Form und Gepräge ihrer Politik erhalten . Andererſeits kann man bemerken , daß ſich manche Beiſpiele von Parteien an führen laſſen , die , wenn ſie die Oberhand bekamen , ihren urſprünglichen Erklärungen untreu wurden ; aber ſie ſind
nicht ſo häufig, als die einer vollſtändigen radikalen Aende rung in der Volksſtimme in Bezichung auf die Gegenſtände ihrer Gunſt oder Die größte verdankt , beſteht Meinungen der
Ungunſt. Wohlthat, welche man dem Parteiweſen vielleicht darin , daß es die verſchiedenen Nation für die laufende Zeit perförpert.
Dieſe Meinungen ſind zu Zeiten ſo ſtürmiſch , daß ſie,
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hätten ſie nicht im Parlament ihre Gelegenheit ſich zu äußern , die Maſchine zerſprengen würden . Als Sir Robert Walpole geſtürzt wurde , wendete zum Glück das Volk ſein (vielleicht wenig gerechtfertigtes ) Vertrauen ſeinen Gegnern 1
zu ; und als es klar wurde, daß Lord North ſein Land
ruinirte, blickte die Nation um ihre Rettung auf Lorb Rockingham und For. Es mag wohl in dieſem Lande eine Revolution möglich ſein ; aber ſchwerlich, ohne daß man zu vor den Verſuch gemacht , was durch eine Aenderung der Rathgeber zu erzielen ſei. So wird von dem großen und legton Hülfsmittel der Nationen , dem Widerſtandsrecht, nicht leicht Gebrauch gemacht werden , ſo lange nicht beſſere und ſicherere Mittel verſucht worden ſind. Solche Mittel zu beſißen , iſt ein großer Vortheil für die Nation, welche ſie zu 1
gebrauchen fähig iſt. Bei Aufzählung der nachtheiligen Wirkungen des Partei
weſens habe ich die Feindſeligkeiten und heftigen Kämpfe, welche es hervorruft, nicht angeführt. Unächte Philoſopher erheben ſtets ein Jammergeſchrei über politiſche Spaltungeu und beſtrittene Wahlen .
Männer von eblem Geiſt erkennen darin die Wert ſtätte der Freiheit und des Glüces der Nation.
Nur durch die Glühhiße und den Hammerſchlag auf dem Ambos erhält die Freiheit ihre Form , ihre Stählung und Stärke.
Adtzehntes Kapitel. Wilhelm und Maria.
Anna.
Gehen wir nun weiter zur Geſchichte der beiden Par teien von der Revolution bis zu der Regierung Georgs I. Wir haben geſehen , daß die Whigs dem Rönig Wils helm ein dauerndes Einkommen , das ihn von ſeinem Volke
unabhängig machen konnte, verweigerten ; und er löste im Jahre 1690 mit einigem Verdruß das Parlament auf. Im nächſten Unterhaus hatten die Tories das Uebergewicht und Sir John Trevor, ein heftiger Tory, wurde erſter Schak
commiffär. Er wußte durch Beſtechungen ſich die Majorität der Stimmen zu verſichern : Das erſte ſyſtematiſche Vorgehen auf dieſem Wege ſeit der Revolution . Trevor wurde ſpäter bei einer die Waiſenbill betreffenden Unterſuchung beſtraft.
Es erhob ſich damals zwiſchen den Whigs und Tories ein heftiger Wettſtreit um die Gunſt des Königs und das Ver trauen des Volkes. Die Entlaſſung Monmouths und Warringtons bezeugte und begründete den Erfolg ber
Tories. Dieſe wurden von den kleinen Grundbeſigern und bem Landabel unterſtüßt, welche auf Seiten der Whigs ein Streben nach Neuerungen in Politik und Religion befürchteten.
Andererſeits ſtanden die Whigs bei dem Volke in Anſehen als die urſprünglichen Gegner der Wilfürgewalt , und be faßen den Credit wie die Verantwortlichkeit der neuen Ein 9
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richtungen. Um dieſe zu ſtüßen , traten ſie zur Zeit einer Verlegenheit mit ihrem Vermögen ein, und vermochten auch ihre Freunde in der City , welche damals , wie in früherer Zeit, ein Boumerk der Freiheit war, der Regierung reichlich Vorſchüſſe zu machen. Dergeſtalt gewannen die Whigs der neuen Staatseinrichtung Leute von bedeutendem Vermögen, und unterſchieden ſich darin vortheilhaft von den Tories, welche nicht Luſt hatten oder unfähig waren, erhebliche Sims men vorzuſchießen. Daher zeigte der König, welcher ſein
Vertrauen den Ranelagh, Rocheſter und Seymour geſchenkt hatte, hernach ſich geneigt den Whigs zu vertrauen, erhob Somers und Schrewsbury zu hohen Stellen, und gab end lich der triennial bill ſeine Zuſtimmung. Nach dem Nys: wicker Frieden vertheidigten die Whigs die Beibehaltung der holländiſchen Garde, vielleicht mit Recht, doch nicht ohne durch dieſes Verhalten ihre Popularität einzubüßen. Daß
unſer Befreier auf dieſen Lieblingswunſch verzichten mußte, beweiſt, wie äußerſt ſchwach zu jener Zeit das königliche Anſehen war. Es würde wohl nicht ſo leicht ſein, die Whigpartei bei ihrem Verhalten in Beziehung auf eine neute
oſtindiſche Compagnie in Schuß zu nehmen. Noch weniger kann ſie dafür dem Tadel entgehen, daß ſie bei Abſchluß des Theilungsvertrags ſich ſchweigend verhielt , durch welchen
Wilhelm unklugerweiſe bem Wort des Königs von Frant reich vertraute, und unverantwortlich über die geſammte ſpaniſche Monarchie bei Lebzeiten des regierenden Herrſchers verfügte. Die alſo zum voraus vereinbarte Theilung reizte zugleich die Spanier und empörte den Kaiſer. Sie
war politiſch übereilt, rechtlich ohne Grund, und für die Ausführung unpraktiſch. Mit ſo unfluge von den Gegnern gelieferten Waffen wurden die Whigs von der Landpartei
heftig im Unterhaus angegriffen : Orford und Somers wur
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den mit Ungnade entfernt, und es wurde ein Toryminiſte
rium errichtet, das legte König Wilhelms. Die Königin Anna beſtieg mit ſtarken Vorurtheilen zu Gunſten der Torypolitik in Hinſicht auf Kirche und
Staat den Thron , und ſtrenge Geſeße gegen etwaige Con formität wurden vom Hauſe der Gemeinen, das vorzugs weiſe aus dieſer Partei beſtand,1 mit Beifall aufgenommen. Doch die natürlichen Neigungen der Königin gaben dem Nathe Marlboroughs nach, welcher, obwohl ſelbſt Tory, über zeugt war, daß Lord Rocheſter den Krieg nicht thätig genug betreiben werde , und daß die Whigs allein mit den Ges ſinnungen König Wilhelms, wie er ſie in ſeiner letzten im
Parlament gehaltenen Rede ausgeſprochen hatte, überein ſtimmen würden. Ueberzeugt , daß die Freiheit Europas nur durch einen kräftigen Widerſtand gegen Ludwigs XIV . Waffenmacht zu retten ſei, rieth Marlborough ſeiner Ges
bieterin , der Whigpartei ihre Gunſt 311zuwenden. Cowper wurde zum Lord -Kanzler gemacht; aber die Königin willigte ſtets nur zögernd ein, Männer, deren Politik ſie verabſchente, in ihr Rabinet aufzunehmen , und es koſtete Jahre lange
Bemühungen am Hofe , um für Sunderland und Somers
die höheren Staatsſtellen zu erlangen. Mit Unrecht würde man dieſes Verlangen der Whigoberhäupter einer bloßen Aemterſucht zuſchreiben : ihr Ehrgeiz war höherer Art.
Sie
trachteten den Staat in Gemäßheit ihres politiſchen Syſtems
zu regieren, fanden aber, daß alle ihre Bemühungen durch die gefliſſentliche Saumſeligkeit der Tories, welche die minder ausgezeichneten Stellen in der Veriraltung einnahmen, ge hindert wurden. Godolphin berichtet uns, es ſei in keiner miniſteriellen Stelle ein Tory geweſen, der nicht zehnmal darum angeſprochen ſein wollte, bevor er etwas Anbefohle nes ausführte , und bann ſei es mit aller erſinnlichen !
9 *
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Schwierigkeit und Langſamkeit vollbracht worben . Dieſes Benehmen , welches inmitten eines gefährlichen Krieges höchſt
bedenklich, wo nicht hochverrätheriſch war, rechtfertigt gewiß den Ungeſtüm , womit die Whigs den Sir C. Hedjes von der Stelle eines Staatsſecretärs entfernten , um ihm ein 1
einträglicheres und dauernderes Amt von minderer Verant wortlichkeit zu geben . ')
Die Whigs waren jedoch nur in ſchwankendem Beſitz der Gewalt. Die Königin, von Anfang an ihnen abgeneigt, war über ihr teckes Eindringen in das Kabinet unverſöhn lich erbittert; und ſie wurde täglich zu kleinen Feindſelig feit durch Mrs. Maſham gereizt, welche der Herzogin von Marlborough für die Aufgabe, ihr ſchwaches und unedles
Herz zu leiten, nachgefolgt war. Da bedurfte es nur eines populären und ſchicklichen Anlaſſes, um den General abzu banken, welcher durch ſeine Siege Englands Name verherr
licht hatte, und den Staatsmann, deſſen Ruf ſich gleich mäßig auf ſeine Weisheit und Freiheitsliebe gründete. Der Anlaß fand ſich bald : Marlborough und Somers fielen; Harley und St. John wurden an ihrer Stelle emporgehoben : nichts als die perſönliche Rivalität dieſer beiden grundſats
loſen Männer rettete die hannover'iche Thronfolge. Geſtehen muß man jedoch, daß die Whigs ſorglos den Plänen ihrer Feinde die Handhabe darboten. Der Proceß des Dr. Sacheverel war unklug. Unter einer begründeten Regierung die Lehre des Widerſtands ohne Noth zu predigen, derrieth keine beſondere Einſicht; und es konnte nicht viel ſchaden, wenn man einen fanatiſchen Geiſtlichen ungehindert mit ſeinen Abgeſchmacktheiten ſich breit machen ließ. Die ) S. Conduct of the Duchess of Marlborough. Coxe's Life of Marlborough .
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Feierlichkeit eines Interſuchungsproceſſes, das Aufgebot aller Staatskräfte gegen einen einzelnen Privatmann mußte wohl von Neuem das Geſchrei zu Gunſten der Hofkirche erregen, welches man nie hätte wachrufen ſollen. In Folge der Popularität Sacheverels und der wohl bekannten Meinungen der Königin erlangte man ein Haus ber Gemeinen , das den Tories durchaus günſtig war. Hiermit beginnt die Geſchichte der legten vier Jahre der Königin Anna, worin die Preſſe beſchränkt, die Intoleranz begünſtigt, unſere Verbündeten im Stich gelaſſen, unſere Feinde ermuthigt, und ein nachtheiliger
Friede geſchloſſen wurde. In der That, wäre nicht die Königin Anna geſtorben , bevor die Maßregeln der Jakobiten vollſtändig vorbereitet waren , ſo würde der Kurfürſt von Hannover niemals im Stand geweſen ſein , den Thron zu beſteigen , auf welchen die Einſepungsacte (act of settle ment) ihn berufen hatte. Wir haben hiermit die Parteifämpfe überblickt, welche
zur Zeit der zwei erſten Serr der nach der Revolution ſtattfanden. Es waren dieß Zeiten, worin politiſche Reds lichkeit ſelten war und politiſche Feindſchaften heftig, aber das Volk wurde als Schiedsrichter zwiſchen den ſtreitenden
Kräften angenommen ; und im Allgemeinen ſcheint das Oba fiegen oder Unterliegen jeder Partei nach Verdienſt einge treten zu ſein. Dabei muß ich jedoch Harley und St. John ausnehmen : Leute, die niederträchtig genug waren, Marl borough zu ſchmeicheln, um ihn einzuſchläfern und zu ſtürzen , hätten in dunkler Vergeſſenheit bleiben ſollen. Mit dieſen Ausnahmen indeſſen war der Kampf zwiſchen den beiden Parteien ein Streit zwiſchen zwei Richtungen der
Politiť, woran die Wohlfahrt des Staates geknüpft war, und zwiſchen zwei großen Grundgedanken, von deren einem oder
deur underen die Grundlagen der engliſchen Regierung abhängig
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ſein mußten . Männer von großen Talenten , ungeheurem
Keichthum und langer Erfahrung zeichneten ſich auf beiden Seiten aus ; und zu welcher Partei auch die Nation fich hinneigen mochte, ſie genoß mehr, als ſonſt je in England der Fall war, praktiſche Freiheit, perſönliche Sicherheit und Ruhe vor religiöſer Verfolgung , dazu Ruhm und Achtung des Auslanbes.
Neunzehntes Kapitel. Unterſuchungsproceß vor dem Parlament Verurtheilungsbill.
Straf: und
Zur Erhaltung einer beſtehenden Regierungsform iſt unbedingt nöthig , daß ein geſetzlidhes Verfahren vorhanden ſei, um diejenigen, welche ſie umzuſtürzen verſuchen, zur Strafe zu bringen. Aus dieſem Grund iſt die vollziehende Behörde ſtets mit den Mitteln ausgerüſtet, um gegen die
jenigen, welche ſich wider ſie oder ihre geſegliche Autorität verſchwören, einen Proceß vorzunehmen . In gleicher Weiſe und aus gleichem Grund muß in einem freien Staat ein Verjahren beſtehen, um diejenigen anzuflagen, welche die ihnen anvertraute Gewalt mißbraucht
haben , um ſich eine ungebührliche Macht anzumaßen , oder die Bürger zur Pflichtverlegung zu verleiten, oder Zwecke zu erreichen, die dem allgemeinen Intereſſe des Gemein weſens zumider ſind: In dieſem Falle kann nicht der voll ziehenden Behörde die unbeſchränkte Gewalt , die Unter ſuchung zu führen, zuſtehen, denn ſie iſt meiſtens der an
geſchuldigte Theil ; ſie muß vielmehr der populären Seite des Staatsweſens zukommen. Es iſt daher in unſerer Verfaſſung eine weiſe Vorſorge, daß dem Hauſe ber Ge meinen das Recht der Anklage ') zugewieſen iſt. Dieſe den ) Impeachment.
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Repräſentanten des Volks anvertraute außerordentliche Ge walt ſeßt ſie in den Stand, jeden, der in dieſer Hinſicht das Gefeß verleßt, des Hochverraths anzuklagen. Dieſelben ſind ferner in den Stand geſeßt, jeden Staatsminiſter, deſſen Ver halten die Intereſſen der Nation beeinträchtigt, wegen ſchwerer Verbrechen und Vergehen 311 belangen. Es haben zwar Manche behauptet , ein Impeachment könne nur wider ein nach gemeinem Recht klagbares Vergeben ſtatthaft ſein ; allein
dieſe Lehre ſteht völlig in Widerſpruch mit drei oder vier Fällen , wo Jmpeachments ſtattgefunden haben. Nehmen wir nur ein Beiſpiel. Gegen die Miniſter, welche den Thei lungsvertrag unterzeichneten , beſchloß das Unterhaus am 1. April 1701, „ daß Wilhelm , Graf von Portland, durch Unterhandlung und Abſchließung des Theilungsvertrags
(welder für den Handel des Königreichs verderblich und für den Frieden Europas gefährlich iſt) ſchuldig geworden; und ſchwerer Verbrechen und Vergehen anzuflagen iſt.“ Welche kleine Jury könnte es nun wohl auf ſich nehmen, zu erklären, daß ein Vertrag für den Handel Englands ver berblich ſei; oder auf eine Anklage, den Frieden Europas zu gefährden, ein Schuldig auszuſprechen ? Eben daſſelbe läßt ſich von dem Verfahren gegen Oxford und Bolingbroke wegen Unterzeichnung des Utrechter Ver trags ſagen. Diejenigen, welche die obgedachte entgegen geſepte Behauptung aufſtellen, erklären : ,,Allerdings fann eine Jury nicht über ſolche Vergehungen urtheilen ; aber das iſt nur ein Einmand wider die Gerichtsbarkeit: jedes Mißs
verhalten im Amt iſt ein Vergehen nach gemeinem Necht.“
Dieſe Antwort führt - offenbar die Streitfrage auf Nichts zurück; denn wenn gemiffe Vergebungen nur durch ein Im peachment verfolgt werden können, ſo kommt nichts darauf an, ob der Grund, weßhalb die Sache vor einen andern
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Gerichtshof zu bringen, in dem Mangel eines Geſeķes zu ſuchen iſt, oder im Nichtzuſtehen einer Gerichtsbarkeit. Es iſt für den König unmöglich, den Fortgang eines
ſolchen Unterſuchungsproceſſes zu hemmen . ' Sein mit dem großen Siegel verſehener Pardon hat vor Gericht keine Geltung. Sein Recht der Vertagung oder Auflöſung fann den Proceß nur ſuspendiren, nicht aber endgültig abſchnei ben. Dieſe beiden Rechtsbürgſchaften wurden unter Karl II., mährend des Proceſſes gegen den Earl von Danby, bes
ſtritten . Zur Zeit der Revolution wurde, bei der Anklage gegen Haſtings , die erſte feſtgeſtellt, die zweite beſtätigt. In einem freien Staate iſt es weit ſchwieriger, unparteiiſche Richter, als muthige Ankläger zu haben. Man kann kaum 1
eine Anzahl Männer finden, die zugleich fähig wären , über politiſche Fragen ein Urtheil zi1 fällen , und nicht unfähig
dadurch , daß ſie ihre Meinung ſchon eher gefaßt hatten , als ſie zum Richteramt berufen wurden .. Dieſer lettere Fehler,
muß man geſtehen , findet ſich in unſerein Oberhaus. Es iſt ſchwer, wo nicht unmöglich, einen erſten Miniſter vor demſelben zu belangen, ohne daß die Mitglieder deſſelben bereits ihr Urtheil über ſein Benehmen zum voraus gefaßt
hätten . Deßhalb finden wir, daß, wenn die Lords dem An geklagten günſtig geſtimmt ſind , Lords und Gemeine meis
ſtens darauf hinwirken , daß beide Häuſer darüber in Streit gerathen, um auf dieſe Weiſe das Fällen eines Urtheils zu vermeiden . So gieng es bei dem Proceſſe wider Lord Danby , Lord Somers und viele Andere.
Die Erfahrung
letzter Zeit hat bei Impeachments nicht ein leichteres Ver fahren , oder ein unparteiiſcheres Urtheil finden laſſen. Der Proceß Haſtings war eine lange dauernde Strafe ; und bei
dem lezten Falle einer ſolchen Anklage fand fich's, daß die Lords weit mehr nach politiſcher oder perſönlicher Freunds
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ſchaft ſtimmten, als der Gerechtigkeit ? gemäß; ja manche kamen zur Entſcheidung , ohne von den Reſultaten der Unterſuchung nur ein Wort pernommen zu haben. Ueber haupt iſt ein Unterſuchungsproceß mehr ein Schreckbild, um von Vergehungen abzuhalten , als eine wirkliche Bürg
ſchaft der öffentlichen Gerechtigkeit, Früher trieb ein ſolcher einen ſchlechten Miniſter aus dem Kabinet ; ießt wird dieſer Zweck , wenn der Fall eintritt , mit einfacheren Mitteln erreicht. Doch iſt das unblutige Reſultat der Impeachments vielleicht nur ein Ergebniß der Milde unſerer Parteien gegen einander.
Bills auf Todes- und andere Strafen , die im Parla ment durchgiengen , ſind von ganz anderer Art , als die Impeachments. Meiſtens, wo nicht ſtets , ſind ſie nur in
Fällen von großer Wichtigkeit und Dringlichkeit vorges tommen . Für alle Bils der Art ſcheinen zwei Umſtände
erforderlich zu ſein : erſtens, daß es unmöglich iſt, beim gewöhnlichen Rechtsverfahren den Uebelthäter zu überführen ; zweitens , daß ſein Entkommen dem Staate im höchſten Grad verberblich ſein würde. Das Unglück, welches aus der Strafloſigkeit eines Verbrechers erfolgen könnte, muß in der That groß ſein , wenn es den Nachtheil überbieten ſoll, daß die allgemeine Sicherheit der Unterthanen erſchüt tert, der regelmäßige Lauf der Gerechtigkeit unterbrochen, und das Beiſpiel einer Beſtrafung gegeben wird , ohne daß die Ueberführung eines Vergehens ſtattgefunden . Beiſpiele von ſolchen Bills finden ſich in unſerem Statutenbuche nur allzu zahlreich ; doch hatten ſie in früheren Zeiten , wie ungerecht auch ihre Anwendung in beſonderen Fällen geweſen ſein mag , nicht den Charakter , welchen ſie jeßt haben. Urſprünglich war das Parlament ein hcher Gerichtshof, nicht blos dem Namen nach, ſondern es war
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ſeine hauptſächliche Beſtimmung , Nechtsſprüche zu fällen, beſonders über ſo große Verbreder , deren Madit ſie der
Jury unerreichbar machte. Die Vergehungen jedoch, wojür ſolche Verbrecher verurtheilt wurden , waren der Art , daß eine Jury hatte geſeßlich darüber erkennen mögen. So mar
es der Fall mit den Spencers, den Anhängern Richards III. und Anderen. Die Regierung Heinrids VIII . zeigt uns einen beunruhigenderen Anblick. Bei ſeiner Thronbeſteigung gieng gegen Empſon und Dudley eine Bill durch wegen der Erpreſſungen , welche ſie unter der Regierung ſeines Vaters verübt hatten. Da dieſe Erpreſſungen durch eine
Parlamentsacte gut geheißen worden waren , ſo war es gewiß eine große Ungerechtigkeit , Diejenigen mit dem Tode zu beſtrafen , welche mit deſſen Genehmigung gehandelt hatten. Das Urtheil war aber auch unnöthig ; denn Empſon und Dudley waren bereits in Guildhall wegen eines Vers
fuchs , ſich mit Gewalt zu behaupten , des Hochverraths überführt worden . ') Die Aufregung des Volks gegen ſie war indeſſen ſo arg , daß ſie vermutlich bei einer Jury
eben ſo wenig Gerechtigkeit gefunden haben würden , als beim Parlament.
Unter deſſelben Heinrichs Regierung wurde die Königin Katharine Howard durch eine ſolche Bill verurtheilt, wegen Unenthaltſamkeit vor ihrer Vermählung mit dem König den Kopf zu verlieren. Vor der Beſchlußfaſſung ſchickten die Lords auf Heinrichs Verlangen eine Botſchaft an ſie, um
ſie zu fragen , ob ſie etwas zu ihrer Vertheidigung zu jagen habe. Sie bekannte ſich jedoch ſchuldig; und ſie dachte in jenen Zeiten nicht daran , ſich zu beklagen , daß ſie für 1
) State Trials. Burnet's Hist. Reformation .
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ein den Gefeßen unbekanntes Vergehen den Tod erleiden ſollte.
Im Jahr 1539 begab ſich ein ſehr gefährliches Präjudiz. Die Marchiſe von Ereter und die Gräfin von Salisbury , welche ſich weigerten , auf die gegen ſie erhobene Anklage zu antworten , wurden durch eine Parlamentsacte verurtheilt.
Es entſtand , wie Burnet ) erzählt , eine Streitfrage , ob dieß mit Recht geſchehen könne; um dieſelbe zu erledigen, 1
ſchickte Cromwell zu den Richtern und legte ihnen die Frage
vor , ob jemand, ehe er dazu gebracht worden , auf die Antlage zu antworten , vom Parlament verurtheilt werden 1
1
könne ? Sie erklärten , dieß ſei eine bedenkliche Frage ; das Parlament müſſe allen niederen Gerichtshöfen zum
Muſter dienen ; und nach der allgemeinen Regel für Recht und Billigkeit müſſe jeder , der eines Verbrechens angeklagt worden, angehört werden, um ſich zu vertheidigen. Da aber das Parlament der hödyſte Gerichtshof der Nation ſei , jo müſſe, welchen Weg derſelbe auch einſchlage , für geſetz mäßig gelten ; es brauche daher gar nicht gefragt zu werden, 1
ob der Angeklagte ſich habe vermögen lajien , zu antworten ,
oder nicht .“ Dieß Präjudiz wurde, wie es bei allen ſchlecha ten Präjudizien geſchieht, bald nachher noch überboten. Dießmal jedoch traf es den rechten Mann : es war Cromwell
ſelbſt. Anſtatt eine Vertheidigung abzulehnen , bat er um Gehör ; aber ſein Begehren wurde abgewieſen , und das Urtheil wurde lediglich auf die Behauptung ſeiner Feinde hin gefällt. Von der Verurtheilungsbill gegen Strafford habe ich
bereits oben geſprochen . Es läßt ſich keine Entiduldigung finden für die Art , wie dieſelbe durchgelegt wurde. 1) Hist. Ref. pag. 265 .
Doch
141
muß bemerkt werden , daß man ſich wenig Fälle denken
kann , wo die politiſde Nothwendigkeit ſo dringend für die Verurtheilung ſprach, als bei Strafford. Einige Gemäßigte von der Presbyterianerpartei ') wünſchten ſein Leben zu retten ; aber ſie wurden von der Blutgierigen Art Anderer fortgeriſſen. Die Verbannungsbill gegen Clarendon hatte
den ſtarken Grund , daß er ſich ſelbſt der Gerechtigkeit ent zogen hatte ; doch ſcheint mir dieſer Grund nicht hinreichend für ſolch ein Verfahren. Indeſſen bin ich nicht ſehr geneigt, die Verurtheilung Sir John Fenwicks zu tadeln. Wer des Hochverraths angeklagt, im Moment, wo er in richtigem Verfahren geſeßmäßig abgeurtheilt werden ſoll, durch das
Vorgeben, er wolle ſein Verbrechen geſtehen, nur betrüglicher Weiſe ſich eines Zeugniſſes zu entledigen ſucht, acheint mir ſich ſelbſt außerhalb des Geſebes geſtellt zu haben. Sein Vergehen war von der gefährlichſten Art. Nicht ſoviel läßt ſich zu Gunſten der Bill gegen Atter
bury ſagen. Es iſt zur Rechtfertigung angeführt worden, Walpole hätte Beweismittel genug gegen ihn beibringen können, um ihn vor einem Gerichtshof des Hochverratys zu überführen. Mag dem ſein wie ihm wole , es bleibt ſtets ein Flecken auf ſeinem Andenken , daß er, um dieſen un
ruhigen Prieſter zu verbannen , das Parlament verleiten konnte, ihn auf das Zeugniß von Briefen hin zu ver urtheilen , die nicht in ſeiner Hand waren , und zwar nach dem Tode des angeblichen Schreibers. Der Proteſt, welchen bei dieſer Gelegenheit Lord Cowper und neun und dreißig andere Pairs erhoben, enthält eine richtige und befriedigende Lehre über alle Bils dieſer Art.
„ Wir ſind der Meinung," ſagen dieſe Lords, „ daß kein ) Graf Bedford, Pym, Selden u. A.
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Geſet durchgehen ſollte, um darzuthun, daß jemand ſchuldig, und demgemäß zu beſtrafen ſei, außer, wenn ſo ein außer ordentliches Verfahren für die Rettung des Staates ganz
offenbar nothwendig iſt. Wir finden einen klaren und ſtarfen Einwand gegen
dieſe Verfahrungsweiſe darin, daß geſegliche Beſtimmungen , rrelche zum Zweck der Sicherheit des Unterthanen getroffen worden ſind, dadurch für ihn fruchtlos werden, und daß
daraus ſehr bündig zu folgern iſt, es dürfe, wie vorhin geſagt, dazu nur in offenbarem Nothfall geſchritten iverden ; über die ausgenommenen Nothfälle wollen wir uns dahin
erklären, daß mir darunter nicht eine Nothwendigkeit zu ver ſtehen meinen , welche lediglich aus der Unmöglichkeit einer Ueberführung auf anderem Wege entſpringt."
Indem wir die Straf- und Verurtheilungsbills als Beiſpiele gefährlicher Art bei Seite ſeßen, läßt ſich in Be ziehung auf den Unterſuchungsproceſs anführen, daß die regelmäßige Bedentung deſſelben in der Sicherung der Ver antwortlichkeit der Miniſter der Krone liegt.
Wie das
Recht der Steuerverweigerung das Unterhaus in Stand feßt, darauf 311 beſtehen , daß nicht Männer, welche nicht das Vertrauten des Hauſes genießen , als Miniſter die Nath geber der Krone ſeien, ſo enthält das Recht der Anklage eine Sicherung gegen ſchwere Vergehen und Verbrechen von
Seiten der Männer, welche dieſes Vertrauen beſißen. Die Anklage Lord Melvilles, welcher das volle Vertrauen des Hauſes beſaß, kann man als einen treffenden Fall anführen.
Aber man muß jerner redlich heraus ſagen, daß dieſe beiden Rechte des IInterhauſes, der Steuerverweigerung in Miniſter anklage, klar bewieſen haben, daß es völlig hinreichend war,
man wußte, daß ſie beſtehen , um all' die Vortheile zu der ſchaffen , welche ſie zu ſichern bezmecken. Eine Verweigerung
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oder auch nur eine Verzögerung der Steuern von Seiten des Hauſes würde das Land in Aufregung verſetzen und den Staatscredit erſchüttern ; die Anfrage eines Miniſters mag im Parlament votirt, fönnte aber bei der Ausführung
ſchwerlich bis zur Ueberführung verfolgt werden . Dieſe Schrecken haben ihre Zeit gehabt, und daß ſie außer Ge brauch gekommen , beweiſt nicht ihre Nußloſigkeit, ſondern ihre Wirkſamkeit.
Zwanzigftes Kapitel. Georg I. und Georg II. Die ruhige Thronbeſteigung des Hauſes Hannover iſt in der Geſchichte dieſes Königreichs das größte Wunder. Das Miniſterium der Königin Anna, ein großer Theil der Kirche und faſt der geſammte Landadel waren dagegen, daß die Regeln der Legitimität verlegt würden , nur um die bürger liche und religiöſe Freiheit des Landes zu erhalten ; es war
der Triumph weniger Aufgeklärter über die Bigotterie von Millionen.
Mit der Regierung Georgs I. wurde in England roll ſtändige Parteiherrſchaft eingeführt. Während der Regie rung Wilhelms waren Whigs und Tories von dem König ohne Unterſchied zuſammen angeſtellt worden ; und obwohl unter Anna die Unterſcheidung eines Tory -Miniſteriums von einem Whig -Miniſterium entſchieben hervortrat, ſo ge
hörten doch Marlborough und Godolphin, welche zum großen Theil die Stärke des Whig -Miniſteriums ausmachten, zu
den Tories ; Harley und St. John , welche an die Spike der Toryverwaltung traten , hatten kurz zuvor unter den Whigs untergeordnete Stellen inne gehabt.. Aber die volls ſtändige Niederlage des Tory-Miniſteriums,1 welches den 1
Utrechter Frieden unterzeichnet hatte ,
und der wohlbes
gründete Verdacht, daß die ganze Partei die Anſprüche des Prätendenten begünſtige, gaben Georg I. völlig in die Hände
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der Whigs. Zu derſelben Zeit wirkten die finanziellen Ver legenheiten, welche die völlige Beendigung des Krieges be gleiteten, und Walpoles große ſtaatsmänniſche Talente zu
ſammen, dem Hauſe der Gemeinen eine größere Bedeutſamkeit als je zu geben, und ſo zu ſagen den Schwerpunkt des Staates in dieſes Haus zu verlegen. Außer dieſen Urſachen wur ben, nach des Sprechers Onslow Meinung, das Gewicht und Anſehen des Unterhauſes nicht wenig durch die Septen vialacte gehoben . Demnach ſehen wir von nun an eine Partei vermittelſt bes Hauſes der Gemeinen das Land beherrſchen ; eine Art von Regierung, welche mit Geiſt und Beredtſamkeit von Swift und Bolingbroke und der ganzen Torypartei unter
Georg I. und II. heftig, und dem Anſcheine nach mit Recht,
angegriffen worden iſt ; ebenſo zu Anfang der Negierung Georgs III. von Lord Bute und des Königs Freunden , ſowie neuerdings von einem Theil der Parlamentsreformer. Ihre Vorwürfe laufen im Ganzen auf Folgendes hinaus : Es würden dadurch die Funktionen des Königs mit denen des Hauſes der Gemeinen vermiſcht und verwirrt; der König büße dabei ſein Vorrecht der Wahl ſeiner Diener ein und werde ein Sllave der Einflußreichen ſeiner Unterthanen, während andererſeits das Haus der Genteinen durch Bethei
ligung an der vollziehenden Gewalt ſeine Thüre der Beſtech lichkeit öffne und, anſtatt wachſamer Hüter des Volksver mögens zu ſein , die Mitſchuld einer ehrgeizigen Oligarchie auf ſich lade. Wäre dieſer Vorwurf gegründet, ſo ſpräche er die Verwerflichkeit unſerer ganzen Conſtitution aus ; denn wir yaben beim Ueberblick über die Regierung Karls I. geſehen, daß ein König, deſſen Diener völlig unabhängig vom Parlament ſind, und ein Parlament, welches allen
Mißbräuchen der Gewalt fich widerſeßt, nicht zuſammen 10 +
1
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beſtehen können : entweder muß ein Theil dem anderen ſich unterordnen , oder es erfolgt Bürgerkrieg. Die Frage alſo, welche wir zu erörtern haben, beſteht
nicht darin, ob die Regierung der beiden erſten Fürſten aus dem Hauſe Braunſchweig die alte engliſche Verfaſſung ver dorben habe , ſondern ob dieſe überhaupt eine gute oder ſchlechte Regierungsform iſt. Dabei muß unſer Urtheil por Allein durch die Er
wägung beſtimmt werden, daß die Freiheit der Unterthanen aufrecht erhalten wurde. Die hauptſächlichſten Ausnahmen davon ſind die Suspenſion der Habeas Corpus -Acte bei der
Entdeckung von Layers Verſchwörung, und der Proceß gegen den Biſchof Atterbury. Von legterem habe ich bereits ge ſprochen . Jene Suspenſion der Habeas - Corpus -Acte hat mir ſtets unnöthig geſchienen ; aber es läßt ſich unmöglich über
dieſen Punkt ein ganz richtiges Urtheil fällen, wenn man unbeachtet läßt , daß :der Zeit in Rom wieder in's Land zu allgemeinen Freiheit
alle Jakobiten häupter Englands zu intriguirten , um den Prätendenten führen. Dieſe Ausnahmen von der der Unterthanen waren unbedeutend
und vorübergehend ; es gibt wenig Perioden in der Geſchichte irgend einer Nation , welche durch Verlegungen der perſön : lichen Freiheit ſo wenig geſtört wurden , als die Zeit der Adminiſtration Walpoles.
Hieran knüpft ſich eine andere nahe liegende Bemer: kung, daß nämlich in England der Parteitriumph nicht, wie es in faſt allen Republiken des Alterthums und der Neu :
zeit der Fall war, von grauſamer und ſchonungsloſer Ver folgung der Gegner bezeichnet war. Die Geſchichte der ariſtokratiſchen und demofratiſchen Parteizmiſte in den klei neren Staaten Griechenlands, die Parteien des Marius und
Sulla, des Cäſar, Antonius und Octavius zu Rom, der
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Welfen und Gibellinen, der Weißen und Schwarzen in Stalien, der Katholiken und Hugenotten in Frankreich, zeigt eine Reihe von Aechtungen , Gütereinziehungen , Megeleien und Mordthaten. Dagegen gibt die Regierung des erſten
Fürſten aus dem Hauſe Hannover wenig Strenge und noch weniger saß zu erkennen . Obwohl viele Tories als Gegner der proteſtantiſchen Regierung bekannt waren, 10
geſchah doch nichts gegen ſie, ausgenommen die Verbannung Bolingbrokes, Ormonds und Atterburys. Walpole mar von Charakter zu Milde und Mäßigung geneigt. Er wußte, daß Mancher mit dem Prätendenten correſpondirte, und
nahm feine Notiz davon. Man erzählt, Wyndham oder Shippen hätten einſt eine heftige Rede gehalten , welche bei ihren Gegnern Murren und den Nuf: ,,Tower ! Tower ! "
erregte. Sir Robert Walpole erhob ſich und ſprach: „Ich weiß , der ehrenwerthe Gentleman hofft mich dazu zu brin gen, daß ich ihn in den Tower ſchicke; aber er ſoll ſich in ſeiner Erwartung getäuſcht ſehen , denn ſo etwas werde ich nicht thun . "
Da die Stärke der Regierung Walpoles hauptjächlich auf dem Oberhauſe und der Ariſtokratie des Landes beruhte, war er im Stande, lange Zeit ein friedliches Syſtem zu verfolgen.
Friede, zit jeder Zeit eine Segnung, war das
mals höchſt wünſchenswerth. Die politiſche Einigung zwiſchen England und Frankreich beſeitigte alte Furcht, welche die maßloſe Ehrſucht Ludwigs XIV. ſo lange eingeflößt hatte, es möge Europa unterdrückt und uns vom Ausland ein
König aufgenöthigt werden. So genoß das Land, unge ſtört im Innern von Eingriffen in die Freiheit , und vom
Ausland durch Kriege, eine Erholung von den heftigen Kämpfen, worin es ſo lange verwickelt geweſen war.
Und
im Ganzen hatte das Volk Recht, mit der Regierung Walpoles 10*
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zufrieden zu ſein. Montesquieu , der am meiſten dazu bei getragen hat, die Bewunderung der engliſchen Verfaſſung über den Continent zu verbreiten , und ſie als ein Muſter für die Nachahmung aufzuſtellen , nahm ſeine Anſchauung derſelben aus dieſer Beriode. Aber zugleich 'enthielt die Nes 1
!
gierung Walpoles einen Fehler, der mehr als irgend etwas der Fortdauer des Freiheitsſinnes in der Nation verderblich ward. Um die gereizten Leidenſchaften , welche den erſten
Theil ſeiner Regierung ſtörten , zu beſchwichtigen, ſchwächte und vertilgte er beinahe jedes weitere und liberale Gefühl
in der Politik. „ Unſere glüdlich eingerichtete Regierung“ aufrecht zu erhalten , war das Hauptziel ſeiner Verwaltung ; ein Zweck, ber, wie preiswürdig auch, doch wenig geeignet war, lebendige Ideen oder thatkräftige Charaktere anzuregen. Dafür iſt er vielleicht nicht mit Recht zu tadeln . Das dürfen wir aber beklagen, daß er bei der Wahl ſeiner Mit
tel eine zu geringe Meinung von der menſchlichen Natur zeigte, und ſich lieber an die eigennüßigen Abſichten der Einzelnen wendete, als an ein öffentliches Gefühl für die Wohlfahrt des Ganzen. So wirkten er und ſein Zeitalter mehr und mehr ſchlimm auf einander ein , bis der Staat endlich in eine Menge kleiner Parteien und unbedeutender Führer zerfiel.
Walpoles Adminiſtration erlag zuleßt einem unge rechten Geſchrei über das Durchſuchungsrecht, und einer all gemeinen Ungeduld nach einer Uenderung. Reine Regierung kann einer Verbindung der Dummen und Narren, oder wie Heinrich VIII. ſich ausdrückte, der „ Schwachtöpfe und Higköpfe" widerſtehen. In England hat die Torypartei ſtets den Vortheil gehabt, das Gewicht und den Einfluß des ungebildeten Theils der Nation auf ihrer Seite zu ſehen . Die unwiſſenden Squires umfaßten mit herzlichem Gemüth
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den Begriff vom göttlichen Recht der Könige. Addiſon hat einen ſolchen in einer Nummer des Freeholders " trefflich gezeichnet. Der Hund, welcher ſo geſcheit iſt einen Diſſen ter anzufallen , beg Squires Klagen über den Fortſchritt
von Handel und Verkehr, und ſein Entſchluß einer Regie: rung entgegen zu ſein , welche nicht für
Nichtwiderſtand
iſt, kennzeichnen den Tory Landjunker jener Zeit. Eben zu der Zeit der Auflöſung des Walpole'ichen Miniſteriums
äußert ſich Pulteney , indem er von Beſeßung der Stellen ſpricht, daß die Tories, da ſie nicht im Rechnungsweſen be wandert oder mit fremden Sprachen bekannt wären , auf höhere Staatsſtellen keine Anſprüche machten . Die Whigs dagegen haben von Anfang an manchen Vortheil von der , Thorheit der Menſcheit gezogen .
Soners Weisheit und
Lord Cavendiſh's ſtandhafter Patriotismus erregten nicht ſo viel Enthuſiasmus, als des Herzogs von Monmouths hübſche Perſönlichkeit ; und die Geſchichte von der Wärmflaſche ge wann der Sade der Revolution eben ſo viele Anhänger, als die Habeas Corpus-Acte und die bill of rights. Die Thoren wurden indeſſen durch Walpoles ruhiges Benehmen
und die anſpruchsloſe Weisheit ſeiner Maßregeln niatürlich ihin entfremdet. Sie vereinigten ſich mit den Dummföpfen und bildeten, wie zu erwarten war, eine überwältigende Majorität der Nation . Es iſt zum Staunen, wie wenig nach zwanzigjähriger
Verwaltung gegen Addiſon von ſeinen Feinden , ſelbſt als ſie am Ruder waren, vorgebracht werden konnte.
Sein
Verhalten in der Südſeeangelegenheit ſcheint ſehr einſichts voll geweſen zu ſein.
Von der geheimen Commiſſion wird
allerdings eine Beſtechung in den Flecken berichtet, von einer ſolchen Ausdehnung, daß ihre Nachkommen Sarüber nicht
erröthen würden. Von großen Summen ferner, worüber
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Teine Agenten keine Auskunft geben wollten, wurde die Vers wendung nicht nachgewieſen. Der Verſuch, ihnen Straf loſigkeit zuzuſichern, um von ihnen Beweismittel gegen ihren
Principal zu erhalten, fiel im Oberhaus durch. Die Wirkungen des lange dauernden Stileſtehens im öffentlichen Geiſte der Nation ſind in jämmerlicher Weiſe aus den Veränderungen zu erſehen , welche nach Walpoles Rücktritt im Miniſterium ſtattfanden . Principien ſcheinen
dem politiſchen Glauben der Staatsmänner fremd geweſen zu ſein ; und aller politiſche Siampf beſchränkte ſich auf ein Haſchen nach Stellen zwiſchen kleinen Haufen von Wien
chen, deren Rang und Vermögen ihr Benehmen nur ver ächtlicher machte. Lord Melconibes Tagebuch gibt eine treue, ſehr widerliche Anſchauung von der Art und Weiſe,
wie dieſe kleinen Faktionen abwechſelnd eine nach der anderen auftauchten, jeden Tag neue Pläne machten, und ihre Ver bindungen auf alle mögliche Weiſe änderten, ohne je auf eine ehrenhafte und conſequente Linie öffentlicher Nedlichkeit einzulenken .
Auffallend und zugleich traurig zu bemerken iſt, wie
viel Einfluß ein Mann, wie der Herzog von Newcaſtle, be haupten konnte, dem es ſo gänzlich an Geiſtesklarheit, und ſogar an gewöhnlicher mannhafter Geſinnung gebrach. Durch Intriguen zum Sturz ſeines Collegen Walpole und durch Beſtechungen in den Flecken ward er zu dem einflußreichſten Haupt der Whigs. Aber ſeine Unfähigkeit und Unehrens haftigkeit waren die Haupturſachen des Verfalls dieſer Partei,
die ſich lange nicht von dem Mißgeſchick erholte, ein ſolches Haupt gehabt zu haben . Eine große Ausnahme jedoch von dem hier Bemerkten macht ein Mann, der viel that, um das Land aus der
Lethargie zu wecken, worin es verſunken war. Man ver
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ſteht, daß ich Lord Chatham meine , in jeder Hinſicht das Gegentheil von Walpole. Walpole ſtiinmte die Spann: traft der öffentlichen Männer herab , bis ſie jedes edleren
Aufſchwimgs unfähig wurden ; Chatham erhob ſeine Stimme gegen Selbſtſucht und Beſtechlichkeit, und ſeine Worte 'wirken noch jetzt, ein Errötheit
der Entrüſtung hervorzurufen .
Walpole benützte die Liebe zur Gemächlichkeit, die Klugheit und Furchtſamkeit der Menſchen ; Chatham wendete ſich an
ihre Thatkraft, Nedlichkeit und Freiheitsliebe. Anzuerkennen iſt, daß Walpole einige Vorzüge hatte, welche Lord Chatham abgiengen. Er verfolgte von Anfang an eine ſtetige und im Ganzen nützliche Richtung der Politik ; Lord Chathain handelte nach Antrieben des Moments, und wenn
Tagesſtimmung folgte, fümmerte es ihn wenig, wie ſehr er dabei in Widerſpruch mit früheren Meinungen trat. Wal pole ſchien auf das zu ſehen, was am leichteſten zum Ziele führte ; Chatham auf das , was am durchgreifendſten war; der erſtere ſicherte der proteſtantiſchen Thronfolge die Garantie
Frankreichs ; der leştere griff ſeine Beſitzungen an , und demüthigte eś. Walpole hatte Wohlſtand und Gedeihen im Auge, Chatham Ehre und Ruhm ; der eine brachte ſorgfältig die Mittel zuſammen , welche der andere großartig ver ſchwendete. Walpole gewann Erfolge bis nahezu an's Ende
ſeines Lebens. Die Urſache ſeiner lange dauernden Macht liegt in der ſteten Conſequenz ſeines Verhaltens , theils in der ſorgfältigen Bemühung, zu Gunſten ſeiner Regie rung eine zahlreiche und geachtete Partei zuſammen zu halten . Lord Chatham hatte nach der Thronbeſteigung Georgs III. keine Erfolge mehr. Er hatte weder Beſtäns digkeit des Charakters genug, um denjenigen, welche mit ihm handeln ſollten, Vertrauen einzuflößen , noch wußte er die Bedeuting der Parteien im Lande gehörig zu ſchäten . ,
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Wenn Walpole den Einzelnen zuviel einräumte, ſo füm merte ſich Lord Chatham zu wenig um ſie. Hatte er nur in ſeinem Geiſt eine Idee gefaßt , ſo ſcheint er gemeint zu
haben , es fänden ſich ſtets Männer zu ihrer Ausführung. Sein Charakter hielt ihn von denen fern, oder in Zwiſt mit ihnen, welche durch Unbeſcholtenheit und allgemeine An ſichten am meiſten zu ſeiner Unterſtützung geeignet, dabei aber in Nebenpunkten mit ihm in Widerſpruch waren ; da gegen ſuchte er den Beiſtand Anderer, die ihm ſchmeichelten und dabei verlachten, ihn täuſchten und zu ſtürzen ſuchten.
Daher kam es, daß der politiſche Charakter Englands durch die glänzenden Talente, edeln Tugenden und erhabenen Ideen des erſten William Pitt, Earl von Chatham , nicht aus dem Schlamm, worin er geſunken war, erhoben werden konnte .
Einundzwanzigſtes Kapitel. Anfang der Regierung George III. Amerifaniſdier Krieg.
Als Georg III. den Thron beſtieg, fand in der inneren
Verwaltung des Landes dem Anſdein nach wenig Verän derung ſtatt. Es gieng eine Acte durch , daß die Nichter 1
ohnerachtet des Thronwechſels an
ihren Stellen bleiben
follten. Obwohl es einleuchtend war, daß durch eine ſolche Acte die Macht Georgs III, nicht im Mindeſten geſchmälert wurde, ſondern nur ſeinem Nachfolger ein Mittel des Ein
fluſſes entzog , ſo wurde doch dieſe Maßregel als ein Act unvergleichlichen Edelmuths von Seiten des jungen Königs dargeſtellt. Als ein Beweis des föniglichen Patriotismus kann ſie nicht gelten ; und als eine Vermehrung der Frei heiten des Landes iſt ſie nicht der Rede werth. Die Acte Wilhelms III. , welche die Richter vom Belieben der Krone
unabhängig machte, und ihnen ihre Stellen auf die Dauer pohlverhaltens ſicherte, enthielt die wahre Sicherung ihrer Unabhängigkeit. Was ſeit dem geſchehen , iſt nur eine äußere Verzierung.
Der wichtigſte Zug der neuen Regierung beſtand in dem Verſuch eines neuen Verwaltungsplans. Zu den übrigen unſeligen Folgen des Mangels an öffentlichem Geiſt in England gehörte die gänzliche Vernachläſſigung der politiſchen
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Erziehung des Königs ; daher gerieth er in die Hände von Männern , die erſt fürzlich der Anhänglichkeit an das Haus Stuart ſich entledigt hatten. Dieſen Menſchen fiel es ein, in dem allgemeinen Vertrockenen politiſcher Tugend und öffentlichen Vertrauens eine gute Gelegenheit zu finden, den Hof des Herrſchers zu einem Sammelpunkte zu machen, um die alten Neſte der Jakobitenpartei in ſeine Umgebung zu
ziehen, nebſt all' Denen, welche bei einer Ausſicht auf Ver änderungen in der Gunſt des Monarchen ebenſowohl einen Vortheil erkannten , als in der Protection irgend eines
Miniſters. Um dieſe Partei zu bilden und zu befeſtigen, verbreiteten ſie eifrig alle die Lehren , welche den ganzen Vorzug einer Monarchie in die allerhöchſte Heiligkeit der königlichen Perſon ſeßen. Sie bemühten ſich , eine gewiſſe Anzahl von Sißen im Hauſe der Gemeinen zu bekommen,
welche mit dem Beiſtand einer verhältniſmäßigen Anzahl von Sdüßlingen die Stellung jedes Miniſteriums unſicher machen konnten .
Bei lautem Bekenntniß einer Redlichkeit
und Gewiſſenhaftigkeit, welche genau beſehen in hartnä Feſthalten gewiſſer engherziger Lehrſäße beſtand , enthielten ſie ſich nicht der ſchandbarſten Verlegungen von Treue und Redlichkeit, ſobald es ihrem Zweck, zu täuſchen und zu betrügen diente. Sie waren unabläſſig bemüht , ihre Regie
rungsmarimen dem Geiſte ihres königlichen Zöglings einzu pflanzen ; und da dieſer von ſchwacher Thatfraſt , folgjain , gutartigem und zähem Charakter war , ſo gab er dieſen
Unterweiſungen ſeiner früheſten Lehrer nur zu leicht Gehör, und hielt nur zu ſtandhaft daran feſt.
Faſt Alles verſchwor ſich zu Gunſten der Pläne dieſer
unſeligen Faktion. Die Uneinigkeit der Whigs ; der per ächtliche Charakter des Herzogs von Newcaſtle ; die Unbes
ſtändigkeit und Eitelkeit Lord Chathams ; der Verfall des
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Jakobitismus ; die Vorliebe des Volks für den jungen König , der erſte aus ſeiner Familie, welcher in England geboren war , - Alles diente zur Verſtärkung der neuen
Sekte. Das Vorurtheil der Nation gegen Bord Bute als Schotten war das einzige, was mit der Menge günſtiger Umſtände in auffallendem Contraſt ſtand. Dieß Syſtem hatte einige Jahre in vollem Gedeihen
geſtanden , als Burke in ſeinen Gedanken über die gegen wärtige Unzufriedenheit “ daſſelbe mit kräftigen Strichen ſchilderte und in geſunder ſtaatsmänniſcher Weiſe widerlegte. Dieſes Werk , eines der wenigen klaſſiſchen über die Praxis der Regierungskunſt, welche eriſtiren , konnte doch nicht ſogleich das angegriffene Ungeheuer erlegen. Aber es erwieſ 11
dieſem Lande einen kaum minder weſentlichen Dienſt, indem
es den Gemüthern der jungen Politiker, deren Zahl zu der Zeit im ganzen Land ſich bedeutend vermehrte , jene weiſen und heilſamen Grundfäße einflößte, welche ihre Whigvor fahren verwirklicht, die alten Intriguanten des Tages aber vergeifen hatten.
Der amerikaniſche Sprieg , ſo verderblich er den Kabi netten wie den Waffen des Landes war , hat doch die Wiederbelebung des Freiheitsſinnes ſehr gefördert.
Lord
Chathams Reden , Burkes Rede über die Ausſöhnung mit Amerika, und vor Allem For's glühende Beredtſamkeit 1
erweckten wieder den Genius der Whigpartei , und machte ſie wahrhaft zur Bewahrerin freier Grundſäge, wie ſie es ſtets ſein muß , wenn ſie die ihr gebührende Stelle im Staat einnehmen will.
Zweiundzwanzigſtes Kapitel. Das Rechtsgefühl.
Es iſt für Aufrechthaltung der Art von Freiheit, welche jede Willkür ausſchließt , eine nothwendige Bedin gung , daß das Volk bereit ſein muß , auf Seiten des unterdrückten Schwachen gegen den mächtigen Unterdrücker zu ſtehen. Frau von Staël macht über das franzöſiſche Volt ihrer Zeit die Bemerkung, es nehme gleich wahr , wo
die Gewalt liegt , und ſtelle ſich auf deren Seite. Die Wahrheit dieſer Behauptung läßt ſich erweiſen , wenn man die Ereigniſſe der franzöſiſchen Revolution berichtet, oder auf das achtet, was alljährlich in Frankreich vorgeht. Die
Freiheit aber erfordert weſentlich gerade das Gegentheil. Das Volk muß eine beſtändige Eiferſucht gegen die Macht empfinden ; und wenn es Jemand ungerechter Weiſe unter
drückt ſieht, muß es unmittelbar empfinden , daß die Sache dieſes Mannes die der ganzen Nation iſt. So iſt’s glücklicherweiſe mit dem engliſchen Volke. Nur durch die Sympathie des Volkes konnte die Sache
Hampdens, als er ſich weigerte, der Krone einige Schillinge zu zahlen , ſolche Bedeutſamkeit und Berühmtheit erlangen. Die Verhaftung eines Franz Jenkes, weil er im Gemeinde rath zu London eine patriotiſche Rede hielt, erregte die
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Entrüſtung aller Vaterlandsfreunde, und war die unmit telbare Veranlaſſung der Habeas Corpus -Acte. So verhielt fich's ferner mit John Wilkes. Obwohl derſelbe als Heuch . ler im öffentlichen, und als liederlicher Menſch im Privatleben
von allen Rechtſchaffenen verachtet und verabſcheut wurde, ſo nahmen doch, als willkürliche Maßregeln zu ſeiner Unter drückung ergriffen wurden , alle Freunde des Landes ihn
in Schuß. Er war kraft eines allgemeinen Verhaftsbefehls, worin er ohne Nennung ſeines Namens nur als Verfaſſer von Nr. 45 des „ Nord Briton " bezeichnet war , in's Ges fängniß gebracht worden . Zugleich entdeckte man durch Beſchlagnahme ſeiner Papiere, daß er der Verfaſſer eines obcönen Schriftchens mit dem Titel „ Verſuch über die Frauen " war. Offenbar war die Befugniß , allgemeine
Verhaftsbefehle zu erlaſſen, ein höchſt gefährliches Macht mittel, das zur Erneuerung ſo willkürlicher Verhaftungen , wie ſie unter den Stuarts ſtattfanden, führen konnte. Daher nahmen ſich alle Freiheitsfreunde der Sache Wilkes an . Lord Chatham, damals Mr. Pitt, ſprach mit Abſcheu von bem Mann und ſeinem Thun, aber mit Unwillen von den
Mitteln , die man zu ſeiner Unterdrückung angewendet hatte ; und das Volk hätte ihn wohl mit Freuden in geſez licher Weiſe beſtraft geſehen , wollte ihn aber nicht wider rechtlich verfolgt haben. Ihr Mitgefühl galt nicht dem Mann, ſondern dem Geſetz ; ſie würden die Jury, welche ihn verurtheilt hätte , geprieſen haben, aber ſie tadelten den Miniſter, der mit Wilkür gegen ihn verfuhr; und bei dem Geſchrei „ Wilkes und Freiheit“ , nahm man ſich einer ver ächtlichen Perſon um eines geheiligten Grundſages willen an. Ein Antrag gegen allgemeine Verhaftsbefehle wurde zwar im Unterhaus mit geringer Majorität abgewieſen , aber Wilkes 1
erlangte endlich reichliche Entſchädigung gegen den Miß
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brauch der Gewalt von Seiten der Miniſter, und die all gemeinen Verhaftsbefehle waren für immer beſeitigt. So hoffe ich, werde es immer gehen, wenn ein Einzelner, mag er auch niedrig, hafſenswerth oder verächtlich ſein, auf un geſeßliche oder ungerechte Weiſe verfolgt wird.
Dreiundzwanzigftes Kapitel. Ein außerordentliches Mittel gegen Mijbrauch der Gewalt ; und Mäßigung im Gebrauch deſſelben.
Da, wie die Erfahrung zeigt, eine ſehr zahlreiche Ver: ſammlung unfähig iſt, die auswärtigen Angelegenheiten ſo geheim , oder bei der Entſcheidung ſo raſch zu behandeln , als die auswärtigen Verhältniſſe eines Staates ſo oft ver langen , ſo hat man in jedem wohl eingerichteten Staat es für zuträglich gehalten, einen bedeutenden Antheil der Ges walt größeren Verſammlungen zu entziehen, und einer eins
zelnen Perſon oder einem engeren Nath zu übertragen. Daher wurde zu Venedig der große Nath nach der Anſicht der weiſeſten Senatoren allmählich von allen Berathungen ausgeſchloſſen, welche Feinheit oder Raſchheit erforderten.
Daher hielt es die Republik Holland für nöthig, einige wenige Männer auszuwählen, um ihnen die auswärtigen Unterhandlungen anzuvertrauen .
Doch für welchen Zweck auch die Gewalt in die Hand Weniger gelegt ſein mag, oder wie würdig dieſe auch des in ſie geſegten Vertrauens ſein mögen, ſo muß der menſch lichen Natur gemäß ſtets dem Volfe ein äußerſtes Mittel bleiben, den Mißbrauch zu beſtrafen , oder die Gewalt ſelbſt,
welche mißbraucht wurde, zu beſchränken. In wahrhaft freien Staaten wird man dieſes Mittel ſtets finden , ſei es
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durch Herkommen oder Geſek.
So zog ſich das römiſche
Volk, wenn es ſich beſchwert fühlte, auf den Mons Sacer zurück, oder weigerte ſich, wenn gegen den Feind ausgerückt werden mußte, als Krieger in die Reihen zu treten . Dem Anſchein nach kann es keine gefährlicheren Mittel geben, als
dieſe ; aber die Mäßigung des römiſchen Volkes war ſo groß, daß es, meines Erachtens, beim Widerſtand nie die vernünftig gerechtfertigte Grenze überſchritt. In der That, 1
die lange Zeit, welche verfloß, ehe die Plebejer für irgeno
ein öffentliches Amt wählbar wurden ; und die vielen Jahre, welche, nachdem das Geſetz ihnen die Kriegstribunen ge
währt hatte, noch verliefen , ehe ein ſolcher Tribun wirklich gewählt wurde, beweiſen hinlänglich ſeine Mäßigung, ſowohi im Betreiben ſeiner Forderungen , als in der Anwendung eines eingeräumten Rechtes.
In gleicher Weiſe haben die Engländer ein äußerſtes Mittel. Wenn der König eine ihm gebührende Gewalt miß braucht, oder eine ungebührliche auszuüben verſucht, ſo haben die Vertreter des Volkes das Recht, die Geldmittel zu verweigern,
welche für Handhabung der Ntegierung erforderlich ſind. Dieſes Mittel war jedoch lange Zeit nicht ſo wirkſam, wie das vom römiſchen Volt angewendete. Trop des Widerſtands der Nation fanden Karl II. und Jakob Mittel, mit Hülfe eines erkauften Parlaments und durch Tratten auf den
franzöſiſchen Schaß die Zügel von ihren Nacken zu ſchütteln .
In der That genoſſen unſere Könige bis zur Vertreibung der Stuarts ein vom Parlament unabhängiges Einkommen, welches ſie' in Stand ſepte, zu gewöhnlichen Zeiten ihr Unterhaus unbeachtet zu laſſen. Die Beſchränkung durch das Parlament ward erſt durch die Revolution vollſtändig;
allein der Einfluß, welchen die Krone auf die Verſammlung ausübte , hat fortwährend ſeine Wirkung ertödtet. Die
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Volksſtimine hat indeſſen mitunter das verfaſſungsmäßige Einwirken des Hauſes der Gemeinen verſtärkt. Vielleicht
bas merkwürdigſte Beiſpiel von der Ausübung dieſes Rechtes fand zu Ende des amerikaniſchen Krieges ſtatt. Das Haus der Gemeinen erklärte inittels eines Beſchluſſes, daß die
Fortſegung eines Offenſivkriegs auf dem Feſtland Nord amerikas zur Schwächung des Landes führen, und eine Ausföhnung mit Amerika hindern werde. Uebereinſtimmend mit dieſem Beſchluß ließ man eine Adreſſe zum Thron ge langen, und da der König eine gnädige beifällige Antwort ertheilte, ſo votirte das Haus, daß es alle diejenigen als
Feinde Sr. Majeſtät und des Landes anſehen werde, welche zur Fortſegung des Krieges in Nordamerika rathen würden, um die aufgeſtandenen Colonien mit Gewalt zum Gehorſam zurück zu führen. Obwohl in dieſem Falle, wie in einigen anderen , die Geldbewilligung nicht ausdrücklich erwähnt wurde, ſo iſt ſie doch ſtets dabei zu verſtehen, und in der That enthält jedes Einmiſchen des Hauſes der Gemeinen
bie Ausübung der Prärogative die ſtille Drohung einer Nichtbewilligung der Steuern . Dieſe Gewalt würde unverkennbar das Haus der Ge meinen in den Stand legen, wenn es die Neigung dazu
hätte, ſich dadurch, daß es der Krone alle wirkſamen Prä rogative entzöge, ſouverän zu machen ; aber die Mäßigung des engliſchen Volks iſt der Art, daß es nie die Macht ſei ner Repräſentanten zu einer ſo furchtbaren Höhe hat an wachſen laſſen wollen . Zur Zeit der Revolution, als die ganze Frage offen war ,1 entzog es der Monarchie nicht das Mindeſte von der zu ihrer Aufrechthaltung nothwendigen Gewalt. So liegt gegenwärtig der wahre Grund, weßhalb die Krone ihre Prärogative, und das Haus der Lords ſeine Privilegien ungeſchmälert behauptet, in dem Charakter der 11
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Nation. Das Land hat eine tiefgewurzelte Anhänglichkeit an fönigliche Regierung, und würde jeden Verſuch, dieſen Schlußſtein der Verfaſſung zu verrücken oder zu zerſtören, ſehr übel aufnehmen : und es beſchränkt ſich dieſes Gefühl,
ſoviel ich wahrnehmen konnte, nicht auf einige Stände, ſon bern das ganze Land iſt von einem Ende bis zum anderen davon durchdrungen .
6
Pierundzwanzigtes Kapitel. Criminalgeſekgebung. Seit der Zeit nach dem Frieden von 1815 hatten unſere Geſetzgeber ſo viel mit politiſchen Ereigniſſen zu thun, daß die Criminalgeſeke wenig Beachtung fanden. So kam denn ein Raufmann oder Squire in's Haus der Gemeinen, auf: gebracht, daß ihm ein Stück Tuch oder ein Fiſch geſtohlen worden, und drang darauf, durch ſtrenge Beſtrafung dem Vergehen zu ſteuern. Burfe erzählte, es habe ihn einmal, als er das Haus zu verlaſſen im Begriff geweſen, ein Geiſt licher gebeten, zu bleiben ; auf ſeine Frage, warum es ſich eben handle, habe er geſagt : ,, Ach , Sir, nur um ein neues
Scapitalverbrechen .“ Daher kam es , weil jeder das Vergehen, worunter er ſelbſt am meiſten zu leiden hat, am meiſten für todesivürdig hält, daß das Parlament ſein Statutenbuch
mit mehr als 200 todeğwürdigen Verbrechen anfüllen ließ. Unter der Art Verbrechen gehört es denn z. B., wenn
Jemand einen Baum umhaut;
auf der Landſtraße mit
geſchwärztem Angeſicht betroffen wird ; in Geſellſchaft mit Zigeunern lebt. Solche Kapitalverbrechen gab es bis zum Jahr 1820, und eins derſelben ſogar nodi långer. So arge Fälle ſind jedoch nicht das Sdhlimmſte.
In
der Abgeſchmacktheit des Geſepzes liegt das Mittel wider 11 *
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ſeine Grauſamkeit. Es gibt noch andere mit Todesſtrafe bedrohte Vergehungen , welche wirklich an ſich ſchwere Ver: brechen ſind, aber doch nicht von ſo ſchrecklicher Art, daß die Menſchlichkeit ſich dabei beruhigte, ſo ſtrenge Strafen darüber zu verhängen. Von der Art ſind viele Vergehungen gegen die Bankerottgeſeße, Raub und Haus- oder Laden diebſtahl u. d. Die nachtheiligen Folgen ſo harter Geſeke zeigten ſich jedoch nicht, wie zu erwarten ſtand, in ſehr häufiger Anwendung der Todesſtrafe und allgemeiner Ge fühlloſigkeit der Nation. Beſonders machten ſich zwei Nachtheile fühlbar : Erſtlich, wie J. Blackſtone richtig angeführt hat, zeigt ſich eine all
gemeine Abneigung, bei Vergehen, wofür eine übermäßige Beſtrafung feſtgeſetzt iſt, ein Schuldig auszuſprechen. In zahlloſen Fällen haben Juries Dinge von großem Werth, ſelbſt Banknoten von 10 und 20 Pfund, keine vierzig oder fünf Schilling werth erachtet, um einen Dieb nicht eines Kapitalverbrechens ſchuldig zu finden .) Harmer, welcher Anwalt von mehr als zweitauſend zum Tode verurtheilter Perſonen war, gab bei der Criminalgeſetz gebungs-Commiſſion an, daß ein erfahrener Verbrecher ſtets lieber um eines Kapitalverbrechens willen in Unterſuchung gezogen werde, weil er dann mehr Ausſicht habe freigeſprochen zu werden . Intereſjant iſt die Wahrnehmung, daß zu Athen etwas Aehnliches vorkam. Wurde ein Rapitalverbrecher überwieſen, fo fragte man ihn vor dem Volk, welche Strafe er fich ſelbſt wähle ; und ein ergrauter Verbrecher bezeichnete dann ſtets die ſtrengſte Strafe, um das Mitleid ſeiner Richter zu erregen. Sokrates wurde zum Theil aus dem Grunde zum Tod verurtheilt, weil er, ſtatt dieſem Gebrauch zu folgen, ) S. die vortreffliche Rede Burtons über die Fälſchungsbill 1821 .
!
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erwiderte , er verdiene ſein Leben lang auf Koſten des Staats unterhalten zu werden . Troß dieſer wohl bekannten Neigung der menſchlichen
Natur ſind wir doch gewohnt, auf die Wirkſamkeit der Todesſtrafen ein ſolches Gewicht zu legen, daß, wenn über
die Aufhebung eines Criminalgeſebes debattirt wird, Viele ſich nicht die Frage ſtellen, ob durch das Geſet wirklich das Verbrechen verhütet werde, ſondern ob daſſelbe ſchwer genug ſei, um eine ſo ſchwere Strafe darüber zu verhängen. Man
pflegt lieber ſeinen eignen Kopf darüber zu Rathe zu ziehen, als daß man beachtet, wie die Geſchwornen dabei verfahren.
Zweitens. Ein anderer großer Nachtheil des früheren Zuſtandes der Criminalgeſetzgebung war die Unſicherheit des Rechtes. Zwei Männer 3. B. wurden zu Launceſton wegen 4
Schaafdiebſtahls vor Gericht gezogen und beide ſchuldig er kannt; der eine aber wurde mit dem Tode beſtraft, der andere auf ſieben Jahr transportirt. Offenbar ſtanden
dieſe Strafen nicht im rechten Verhältniß. Aus welchem Grund ? Der eine hatte einen guten Charakter, der andere
einen ſchlechten . So wurde alſo in England ein Mann gehängt, nicht wegen des Verbrechens, deſſen er ſchuldig
erkannt worden war, ſondern wegen ſeines Lebenswandels im Allgemeinen. Aber deßhalb wurde der Angeklagte nicht vor Gericht gezogen . Solch ein Syſtem führt zu Unges rechtigkeit, Grauſamkeit und Verwirrung.
Es entzieht den
Todesſtrafen ihren einzigen Zweck, das Abſchreckende des Beiſpiels, und trägt wenig oder nichts zur Unterdrückung des beſtraften Verbrechens bei. Es macht die Todesſtrafe
nušlos, und alſo grauſam ; denn jeder Verbrecher wird hoffen , ſein Charakter werde nicht für ſo ſchlecht erkannt, um dafür ſein Leben zu verlieren. Es zieht einen Men ſchen vor Gericht wegen Handlungen , welche dem Geſetz
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gemäß nicht vor Gericht gehören, und wofür er nicht mit Vertheidigung verſehen iſt. So geſchah es vor einigen Jah ren , daß ein Mann von notoriſch ſchlechtem Charakter, nachdem er eine Reihe von Diebſtählen und Einbrüchen un geſtraft begangen hatte, endlich, zum großen Erſtaunen ſeiner Nachbarn, ſeiner Fury und ſeines Anklägers gehängt wurde, weil er junge Bäume, abgeſchnitten hatte. ") Es gibt jedoch, bis auf die neneſte Zeit, Menſchen, welche es für äußerſt gefährlich halten zuzugeben , daß unſere Geſetzgebung der Verbeſſerung bedarf. Abſolute
Herrſcher haben nie Beſorgniß vor dieſer Gefahr gehabt. Friedrich der Große von Preußen unterzog während eines Theils ſeiner langen Regierung ſein ganzes Geſepſyſtem einer Prüfung, und während der übrigen Zeit wurde ein neuer Geſetzentwurf dem Publikum zu allgemeiner Beurthei lung und Kritik vorgelegt ; ſo entzog der König dem alten Geſeß einen Theil ſeines Anſehens, ohne noch etwas Neues an ſeine Stelle geſetzt zu haben . Katharine von Rußland und Napoleon ließen neue Geſekbücher verfaſſen. Manche der Herrſcher Europas haben ihr ganzes Criminalrecht um geſtaltet. Woher kommt's, daß alle dieſe Regierungen ohne q
Scheu oder Furcht das Werk unternahmen , und daß eine
Partei in England ſo lange vor jeder Abänderung unſeres veralteten Syſtems ſich ſcheute ?
Der Grund liegt meines
Erachtens darin, daß eine ſehr große Anzahl von Leuten der höheren Stände in England niemals begriffen hat und nie begreifen wird, worir die Sicherheit der engliſchen Ne glerung eigentlich beſteht. Da dieſe Leute die Autorität be:
ſtändig angegriffen ſehen , bilden ſie ſich ein, der Thron 1) Der Fall wurde vor der Criminalgeſeßgebungs - Commiſſion dargelegt .
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werde umgeſtürzt werden, wenn irgend ein Theil unſerer ſchlechten Geſetze aufgehoben würde. Sie begreifen nicht, daß der wahre Grund des Königthums und der Ariſtokratie
in England in der Meinung beſteht, welchen das Volk von ihrem Nuten für das Land hat, und daß die Beibehaltung einer abſurden , bigotten oder grauſamen Einrichtung die Achtung untergräbt und zerſtört, nicht aber erhält, welche man den Verſammlungen zollt, die den Auftrag haben, den
Umfang unſerer Geſeße ſowohl zu prüfen und zu verbeſſern, als zu ſtärken und zu bewahren . Die Frage der ſecundären - nicht fapitalen
- Stra
fen gehört zu den ſchwierigſten. Harmer's Worte enthalten über dieſen Gegenſtand vielleicht in Kürze die beſte Regel.
Wenn ich gefragt würde, " ſagte dieſer Gentleman vor einer Commiſſion des Hauſes der Gemeinen, welche Art von Strafen meiner Meinung nach von heilſamer Wirkung ſein möchte, ſo würde ich antworten : folde, welche den Verbrecher
zu einer ſeiner bisherigen Gewohnheit gerade entgegengeſepten Lebensweiſe nöthigen würden . Ein Theil ſeines Charakters beſteht ſicherlich in Trägheit, welche ihn von redlichem Er werb abhielt. Man gebe ihm Arbeit. Er führte wahr ſcheinlich einen unordentlichen Wandel, und Enthaltſamkeit würde ſeinem Geiſt und Körper heiljam ſein : man wende
ſie an. War er an liederliche Geſellſchaft gewöhnt, und eine Trennung von derſelben würde für ſeine Beſſerung weſentlich ſein : man halte ihn in Abſonderung. Schwärmte er bisher in ungezügelter Freiheit der Thätigkeit, ſo ſchlage
ich vor, daß ihm eine Einſchränkung und die Beobachtung gehörigen Anſtandes auferlegt werde." .
Fünfundzwanzigſtes Kapitel. Deffentlicher Unterricht.
Die Jugenderziehung, welche ſo viele Federn beſchäftigt, ſo viele vortreffliche Schriften veranlaßt, und im Praktiſdjen
ſo wenig Aenderungen erfahren hat, läßt ſich nicht in wenig Worten gründlich beſprechen. Doch ſeien mir einige Bemer: kungen verſtattet, die mehr aus Beobachtung im Leben, als aus originaler Speculation entſprungen ſind. Männer von umfaſſenden Anſichten und warmer Mens ſchenliebe haben oft die Idee gehabt , daß der Jugend mehr
Kenntniſſe beigebracht, und weniger Fehler zugelaſſen oder überſehen werden müßten , als in Englands öffentlichen Schulen der Fall iſt. Mit dieſen Gedanken im Kopf und Lobenswerther Elternliebe im Herzen, haben viele Eltern
vorgezogen, ihren Kindern eine Privaterziehung zu geben. Sie haben ſie in zehn Unterrichtszweigen unterwieſen, anſtatt in zwei, und haben ihre Sitten und Geſundheit während der erſten achtzehn oder vielleicht zwanzig Lebensjahren ge hütet. Aber wie oft haben wir dieſe viel verſprechenden Blüthen hinwelten ſehen, ehe ſie zeitige Früchte trugen ! Die
Kenntniſſe, welche ein Knabe bei der ſchlaffen und unleben digen Weiſe des Privatunterrichs, ohne die Anregung des Wetteifers, vielleicht ohne die Scheu vor Zurechtweiſung,
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fich aneignet, haften nicht dauernd in dem Geiſt. Nach einer zwanzigjährigen Abgeſchloſſenheit der Hauserziehung gewinnen die Vergnügungen um ſo mehr Reiz, und die Verirrungen, gegen welche die Knabenzeit nicht hinreichend Schuß gab , um Die Periode , wo die Talente und Manneskraft fich entfalten ſollten, wird in dem neuen Leben in ſo mehr Locfendes.
Müſſiggang und Schwelgerei vergeudet. Zugleich machen ihn die im Hauſe angenommenen Gewöhnungen , wo der junge Patricier nicht mit ſeines Gleichen in Berührung kam, un geſchickt für die Reibungen in der großen Welt , und be
feſtigen dauernd die Mängel des Charakters , welche früher Widerſpruch und frühe Geſellſchaft hätte vertilgen können . Ein ſolches Ergebniſ hat oft, obwohl nicht zuverläſſig, eine
Erziehung, welche ein Wunder von Vollkommenheit erzielen wollte, und von der Hoffnung ausgieng, dem unglückſeligen Gegenſtand einen Vorzug vor der ſchlecht erzogenen Genes ration ſeiner Standes- und Zeitgenoſjen zu geben. In dies ſen Fällen ſdeint der Irrthum von einem Mangel an der Einſicht herzurühren, daß man den Zögling nicht allein mit Kenntniffen auszuſtatten , ſondern auch ſeinen Charakter zu bilden hat. Es nügt wenig , wenn ein Schüler einige Brocken Mineralogie verſteht, und ſein Mund von botani ſchen Namen überſtrömt; es wird ihn wenig fördern, wenn er von Thonerde und Polyandria ſchwagt, und iſt unge ſchickt und zaghaft , wann er Fangball ſpielen ſoll. Eine öffentliche Schule nun bildet den Charakter.
Sie verſekt
den Snaben aus dem Elternhauſe, wo er verhätidelt wird , wo ſeine Thorheit Wib, und ſein Eigenſinn Geiſt genannt wird,
an eine Stelle, wo er ſeinen wirklichen Kräften und Talenten nach geſchäßt wird. Iſt Sit er grämlich , ſo wird er nicht be achtet; iſt er zornig, ſo bekommt er eine Ohrfeige. Kurz, fein Charakter wird vorbereitet für die Reibungen unter 1
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erwachſenen Männern, für die zähe Ausdauer eines Juriſten oder die Kämpfe eines Soldaten . Dieß hat doch für das Leben weit mehr Bedeutung, als die bloße Erwerbung vont
Kenntniſſen. Manche fangen erſt zwiſchen dem zwanzigſten und dreißigſten Jahre an, Kenntniſſe zu ſammeln , wenige ändern nach dem zwanzigſten ihren Charakter. Ermägt man die Fragen von dieſem Geſichtspunkt aus, ſo will es nicht viel bedeuten, wenn man die Nanten ausgezeichneter
Männer in England herzählt , die nicht in öffentlichen Schulen erzogen wurden . Manche von dieſen ſtammen aus mittleren Ständen, worauf der von mir angeführte Grund nicht paßt.
Der Sohn eines Krämers oder Pächters ſtößt
im Leben auf genug Verkehrsbeſchwerden, ohne dafür in die Schule gehen zu müſſen ; er muß Kunden bedienen oder nach den Feldarbeiten ſehen, und macht ſo bälder praktiſche Erfahrungen , als dem Sohn eines Gentleman möglich iſt.
Sind die hier ausgeſprochenen Anſichten richtig, ſo ſollteit die Eltern ſich hüten , ihren Knaben , falls ſie geſund und kräftig genug dafür ſind, die Vortheile der öffentlichen Schule 311 entziehen. Der demokratiſche Charakter des engliſchen
Adels , bie Demokratie der Ariſtokratie , wenn man ſich ſo ausdrücken darf, iſt zum großen Theil der Gemeinſamkeit der Erziehung ziizuſchreiben , welche den Sinaben zu Theil wird. Auf dieſe Weiſe gehören die öffentlichen Schulen zur Verfaſſung des Landes. Wenn dieſe auch manche Fehler 1
und einen guten Theil Derbheit erzeugen, ſo unterdrücken fie auch den Hochmuth, den Eigenſinn und die Selbſtſucht;
ſie führen Nacheiferung herbei, regen zu Freundſchaft und Wahrheitsliebe an, und bilden die Stärke des Mannes charakters aus. Betrachten wir dagegen die Erziehung eines
jungen Menſchen, der zu Erwartungen berechtigt, in Spanien und Deſterreich : man ſieht ihn allerwärts von einem ſervilere
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Schmeichler, genannt Hofmeiſter, begleitet, von dem er, Stolz ſeiner Eltern und die Pein ſeiner Freunde, nur Firniß und die Falichheit der Welt lernt. Männer geſundem Verſtand , welche dieſe gefährliche Feuerprobe
der den von be
ſtanden haben , ſprechen mit Neid und Bewunderung von
Englands öffentlichen Schulen. Geben wir immerhin zu , daß im Privatunterricht mehr gelernt werden mag. Damit aber erkenne ich keineswegs an , daß deßhalb der Zögling irgend einen Vorzug vor dem der öffentlichen Schule habe . Seine Renntniſſe werdent
nicht an ihrer Stelle ſein ; ſeine Geiſtesanſtrengungen ihre Wirkungen verfehlen , weil ſie ſich nicht in den Sinn Ant
derer zu ſchicken wiffen. Seine lieberlegertheit in manchen Zweigen des Wiſſenswird unbeachtet bleiben , und ſeine Mangelhaftigkeit in anderen ihn lächerlich machen . Ueber haupt gibt es vielleicht keinen Ausgangspunkt für das Stre
ben eines Mannes, ſei es im Berufsleben oder ſonſt, der ſo vortheilhaft wäre, als die vollſtändige und genaue Be kanntſchaft mit dem ,1 was andere junge Leute, unter denen man ſich auszeichnen will, verſtehen .
Mit der Einräumung, daß ein Knabe , der zu Er wartungen berechtigt, die Schule beſuchen muß, will ich jedoch nicht behaupten, daſs die Erziehung unſerer öffent lichen Schulen gerade muſterhaft oder imverbeſſerlich ſei. Dieſe Staatsſchulen wurden zu einer Zeit errichtet, wo alle erſtrebten Kenntniſſe in den lateiniſchen und griechiſchen Klaſſikern enthalten waren , und man nur in den gelehrten Sprachen geſundes Urtheil und gebildeten Geſchmack fand.
Auf dieſer Grundlage jedoch hat die neuere Zeit ein ſtaunens werthes Gebäude von Wiſſenſchaft und Literatur aufgeführt, von welchem unſere Schulerziehung vom achten bis zum acht
zehnten Jahre bis vor Kurzem nicht die mindeſte Notiz
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nahm . Vor Allem aber, das muß man zugeben, iſt zu lernen , wie man lernen muß ; und dafür iſt erforderlich,
daß das Erſte, was man lernt, nicht leicht zu erwerben ſei, und wenn es erworben iſt, feſtgehalten werde. Ich kenne nichts, was dafür ſo tauglich wäre , wie die lateiniſche Grammatik. Man ſagt, die Kinaben verſtehen ſie nicht. Sie verſtehen jedoch, daß ein Nominativ dem Zeitwort vor
ausgeht; und können in kurzer Zeit begreifen, welche Stelle jeder Nedetheil einzunehmen hat , und wie einer von dem anderen abhängt. Wenn Locke in ſeiner Würdigung der Bedeutſamkeit der Worte Recht hat , ſo iſt dieß ein Punkt von großer Conſequenz. Und wer kann zweifeln , daß er Recht hat ? Daß in England die Geiſtesbildung der Män
ner im Vergleich zu der weiblichen eine größere Beſtimmt heit hat, iſt vielleicht zum großen Theil der lateiniſchen Grammatik zuzuſchreiben . ')
Iſt die lateiniſche Grammatik begriffen , ſo kommen wohl in richtiger Folge : eine leichte Proja , Virgils Gedichte, etwas Arithmetik, griechiſche Grammatik , Homer , etwas Geometrie und ein wenig Geographie. Vor Allem möchte ich die Knaben einen Ueberblick der engliſchen Geſchichte tüchtig lernen laſſen , ſowie den erſten und den legten Band von Bladſtone.
Franzöſiſch ſollte frühzeitig gelernt werden , um die richtige Ausſprache ſich zu eigen zu machen, und weil es in Europa die allgemeine, überal verſtandene Sprache iſt; Deutſch und andere Sprachen , ſo fern es möglich iſt. Es
wird hinreichend ſein, einen Grund dafür zu legen , um in 1) Id höre mit Vergnügen, daß die Directoren unſerer öffentlichen Schulen über eine Verbeſſerung der lateiniſchen Grammatik einver ftanden ſind .
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reiferein Alter diejenigen Wiſſenszweige zu lernen, von wel chen anzunehmen iſt, daß man ſie freiwillig, und dann mit Leichtigkeit ſich zu eigen macht.
Ich weiß nicht, ob es ausführbar iſt, Verbeſſerungen der an geführten Art in unſeren großen öffentlichen Schulen einzufüh ren. Sollten die Directoren dem entgegen ſein, ſo wäre es ein Leichtes , für eine Anzahl Knaben, Söhne armer Offiziere, die ſpäter ihren Beruf zu wählen hätten, eine Muſterſchule zu errichten , wo die Erziehung auf eine den Kenntniſſen der Gegenwart angemeſſene Weiſe geleitet würde. ') So wie es jest ſteht, haben unſtreitig die Frauen ber
höheren Stände, wenn ihre Erziehung mit Sorgfalt be trieben wurde, weit mehr Renntniſſe und Bildung, als die Männer. Aber ich ſehe durchaus keinen Grund , weßhalb
unſere Knaben nicht ſollten ,
während ſie die Vor
theile öffentlicher Schulen genießen , fähig gemacht werden,
ein Erempel aus der Regeldetri auszurechnen , und die Thatſache ſich zu eigen zu machen , daß Jakob I. nicht ein Sohn der Königin Eliſabeth war. 2) 1) Dieß iſt in gewiſſem Umfang im Wellington College ausgeführt worben.
( 1864.)
2) Alle, die in dieſem vor fünf und vierzig Jalren geſchriebenen
Kapitel angedeuteten Verbeſſerungen ſind ſeitdem theils angenommen worden, theils iſt man damit beſchäftigt, und der Fortſchritt wird durch den vortrefflichen Bericit der Commiſſion für das öffentliche Schul weſen (1864) bedeutend gefördert werden.
1
Sechsundzwanzigftes Kapitel. Armen - Gefeße. Seit den letzten vierzig Jahren hat vielleicht nichts im ganzen engliſchen Staat ſeine innere Ruhe und das Fort
Beſtehen ſeiner Verfaſſung To ſehr bedroht, als die Verwal
tung ſeiner Armengeſetze. Die verkehrte Anwendung, welche man von dem Statut der Königin Eliſabeth gegen den urſprünglichen Sinn deſſelben gemacht hat, iſt zuleßt mit aller Wucht auf diejenigen zurückgefallen, welche aus dieſem
Mißbrauch einen ſelbſtſüchtigen Gewinn zu ziehen meinten. Das Statut des 49ſten Parlaments der Königin Eliſa Beth ſcheint durch eine allgemeine Vermehrung unbeſchäftigter Armen im ganzen Königreich veranlaßt worden zu ſein. Man hat die Annahme, daß dieſe Vermehrung durch Auf
hebung der Klöſter entſtanden ſei, neuerdings aufgegeben, da es klar nachgewieſen wurde , daß zu derſelben Zeit auch in Spanien dieſelben Klagen ſtattfanden . ) Wahrſcheinlicher
iſt, daß die Einführung geſetzlicher Ordnung, und die nicht lange zuvor ſowohl in England als Spanien eingetretene Beendigung eines inneren Kriegsſtandes, die Geſellſchaft mit 1) Die Edinburgh Review hat dieſe wichtige Thatſache zuerſt an's Licht gezogen.
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einer Menge Vagabunden belaſtete , die von Landſtrei cherei und Plündern zu leben gewohnt waren . Eliſabeths Acte nun verordnete, daß für die Alten und Arbeitsunfähigen geſorgt, den Nüſtigen und Geſunden Beſchäftigung gegeben werden ſollte. Die erſte dieſer Anordnungen , der Ausdruck
eines humanen, mitleidigen Voltes, wird, hoffe ich, ſtets im Statutenbuch Englands bleiben ; die zweite iſt nicht ebenſo leicht auszuführen. Für eine geringe Anzahl zufälliger Bettler kann wohl auf dieſe Weiſe geſorgt werden ; wenn aber in Folge einer Wandelsſtockung oder ſonſt einer Ur
fache eine übergroße Bevölkerung vorhanden iſt, ſo leuchtet ein , daß , wollte man die Unbeſchäftigten durch Arbeit verſorgen, die Vorräthe eines bereits überfüllten Marktes dadurch nur vermehrt werden würden. Trat dieſer Fall wirklich ein, ſo reichten die Armenpfleger, anſtatt mit Arbeit zu verſehen , eine Geldunterſtützung.
Durch Schwankungen
im Handel, die Circulation falden Papiergeldes, die unge heitere Erhöhung der Steuern , und vorzugsweiſe die Theuerung
während der Kriegsjahre , entſtand eine neue Schwierigkeit: Männer, die zahlreiche Familien hatten , ſahen ſich außer Stand ſie zu nähren, obſchon die Glieder derſelben auch
Verdienſt hatten, weil die Löhne im Verhältniſ zum Preis der Lebensínittel allzu niedrig waren . Anſtatt den Arbeits lohn zu erhöhen, - die begreiflich natürlichſte Abhülfe beliebte man , dem Familienvater für jedes Kind eine Geld
unterſtügung zu reichen. In dieſer Vorſorge, die unterm Druck zeitweiliger Noth getroffen wurde, erſah der Landwirth ein Mittel, den Arbeitslohn noch mehr herab zu drücken. Da der Arbeitermarkt überfüllt, und daher von ihm ab
hängig war, ſo verweigerte er dem unverheiratheten Arbeiter einen höheren Lohn , als zu ſeinem Lebensunterhalt gerade nöthig war ; dem Verheiratheten gab er nicht mehr, und
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zahlte als Armenſteuer gerade ſoviel als für den Unterhalt ſeiner Kinder nöthig war. Auf dieſe Weiſe meinte der un wiſſende Arbeitgeber den Arbeitslohn möglichſt herabgedrückt zu haben ; und es fehlte nicht an aufgeklärten Männern, die geneigt waren , darin eine Vervollkommnung der Land wirthſchaft zu finden. Die natürliche Folge eines ſolchen Verfahrens war jedoch erſtlich , daß der Charakter des Arbeiters herabgedrückt wurde: er mußte ſein Leben in Ab hängigkeit hinbringen , und anſtatt eine betriebjame Familie
von den Erſparniſſen ſeiner Löhnung zu erhalten, ſich in der Lage eines öffentlichen Bettlers ſehen. Dieſe Folge würde indeſſen dem Arbeitgeber wenig Sorge gemacht haben ; aber es tritt noch eine andere ebenſo ſicher als nothwendig ein : die Verheirathungen richten ſich nicht mehr nach dem Ver
hältniß der Nachfrage; findet der Arbeiter, daß für die Er nährung ſeiner Kinder aus öffentlichen Mitteln geſorgt wird, ſo heirathet er, ſobald er Luſt dazu hat, ohne einen Pfenning in der Taſche. Daraus folgt ein unermeßlicher
Anwachs der Bevölkerung, während der Markt kleiner wird ; ein raſch zunehmender Vorrath ohne dem entſprechenden Nach
frage. So konnte man vor vierzig Jahren nicht abſehen, warum das Uebel nicht ſtets zunehmen ſollte, bis zuleßt der ganze Gewinn des Landbaus von den Koſten der Unter haltung einer Colonie unnüßer Mäuler verſchlungen wurde.
Trat dieſer Fall ein , ſo müßten der Landwirth und die Arbeiter mit einander zu Grunde gehen ; und es würde der Geſellſchaft eine Menge Volfs zur Laſt gefallen ſein, das keine Pflichten kannte, allen Sinn für Unabhängigkeit verloren und ſich gewöhnt hatte, daß die Bedürfniſſe eines arbeitloſen Daſeins aus öffentlichen Mitteln beſtritten würden . Solch' ein Ergebniß würde offenbar unheilvoller geweſen ſein , als je eine Revolution in der Welt geweſen iſt. Zum Glück
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haben die Landwirtye dieſes Uebel endlich eingeſehen und
ſich beſtrebt, auf eine oder die andere Weiſe abzuhelfen . Die Nachtheile der Armengeſeße wurden zuleşt ſo groß,
daß man geneigt war, ihre gänzliche Abſchaffung zu wünſchen. Ich aber neige zu der Anſicht, daß, ſo groß auch der Nach theil des früheren Syſtems war , die gänzliche Abſchaffung der Armengeſeße ein noch größerer geweſen wäre. In einem Lande, das ſo raſch wechſelnden Aenderungen im Handel
und Verkehr ausgeſetzt iſt , würde es grauſam und uns menſchlich ſein, die Arbeiterklaſſen dem Ruin auszuſeßen, welcher zur Zeit eines Nothſtandes der Landwirthſchaft und Induſtrie eintreten müßte. Die Armengeſetze müſſen be
ſchnitten , nicht aufgehoben werden ; es bedarf dafür des Meſſers, nicht der Art.
Zum Glück fand ſich endlich die
richtige Abhülfe.
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Siebenundzwanzigftes Kapitel. Krieg mit der franzöſiſchen Republif.
Wir ſchicken voraus, was Macchiavelli Bezügliches in ſeinen Discorſi ſagt : „ Es iſt unklug, ein in Zwietracht getheiltes Volk anzugreifen, in Abſicht, daſſelbe ſeiner Uns einigkeit wegen zu erobern. Solch eine Zwietracht herrſchte in der römiſchen Republik zwiſchen dem Volk und Adel, ſo daß die Bewohner von Veji, vereint mit den Etrusfern,
meinten in Benußung dieſer Mißhelligkeit den römiſchen Namen austilgen zu können . Sie ſammelten daher ein Heer und fielen damit in's römiſche Gebiet ein ; der Senat ſchickte ihnen Ca. Manlius und M. Fabius entgegen. Als deren Heer dem Feinde gegenüber lag , ward es von den Vejentern unabläſſig mit Waffen und Schmähreden angegriffen, und zwar mit ſolchem Uebermuth und Ungeſtüm , daß die in Zwietracht zerfallenen Römer dadurch wieder einig wurs ben, den Feind angriffen und gänzlich nieder warfen . Wir ſehen daraus, wie ſehr ſie in ihrer Berechnung und ihrem Verhalten ſich ſelbſt täuſchten, indem ſie, wie es häufig ge ſchieht, zu gewinnen meinten, aber zu Verluſt kamen. Die Vejenter meinten bei einem Angriff auf die zwieträchtigen
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Nömer dieſelben zu ſchlagen ; dagegen hatte ihr Angriff die Einigung der Römer und ihr eigenes Verderben zur Folge : Denn die Zwietracht in den Republiken entſpringt gewöhn lich aus Mangel an Beſchäftigung im Frieden ; Beſorgniß
und Krieg dagegen führen zur Einigung. - Die Vejenter täuſchten ſich daher ſelbſt, und wurden an einem Tag von den Römern überwältigt. Und ſo wird ſich in Zu kunft ſtets jeder täuſchen , wer in gleicher Weiſe und aus demſelben Grund eine Nation zu unter: drücken meint."
Dieſes weiſe Urtheil Macchiavellis fand in dem 1793 gegen Frankreich unternommenen Krieg gleich Anfangs ſeine
Beſtätigung. Je augenfälliger die Verſuche der alliirten Mächte waren , die inneren Angelegenheiten der Franzoſen zu ordnen , um ſo feuriger war deren Muth, glänzender
ihre Siege, umfaſſender ihre Eroberungen. Zulebt, verlockt durch Trophäen und erfolgreiche Unterhandlungen , vers trauten ſie ſich einem Herrſcher an, der, ſein Genie und ſeine Kraft mißbrauchend, ſich zum Gewaltherrſcher über das
ganze europäiſche Feſtland zu machen trachtete. Das Whigs Miniſterium von 1806 fand es unmöglich, mit ihm Frieden zu ſdhließen ; und mit geringen Ausnahmen ſtimmten alle Parteien in England über die Nothwendigkeit und Gerech tigkeit des Krieges überein . Das ſpaniſche Volt erhob ſich im Jahre 1808 aus gleichem Grund, wie das franzöfiſche im Jahre 1793, für die nationale Unabhängigkeit. Trunfen
zuleßt durch beiſpielloſen Ruhm und Macht, und getrieben von beſtändigem Thatendurſt , führte der Kaiſer von Frank:
reich ſein großes Eroberungsheer zum Untergang auf Ruß lands Eisfeldern . Die Nationen ſtanden auf , ſtellten ihre
nationalen Regierungen wieder her, und ſtürzten den Eroberer 12
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vom Throne. Die Republik hatte triumphirt, die Univerſal monarchie ward vernichtet.
Mit anderen Worten ,
die
Könige Europas bekriegten das Volk Frankreichs, und wur: den geſchlagen : ſpäter bekriegten die Nationen Europas den Herrſcher Frankreichs und gewannen den Sieg.
Adjtundzwanzigftes Kapitel. Freiheit, die Hauptquelle des Nationalreichthums, insbeſondere des engliſchen.
„Freiheit die Mutter des Handels , die Mutter des Wohls ſtandes , die Mutter der Kenntniſſe, die Mutter jeglicher Tugend !"
Sir James Macintoſh.
Gegenſtand der Staatswirthichaftslehre iſt bekanntlich
der Nationalreichthum . Quesnay, der gewöhnlich als Grün der dieſes Zweiges der Wiſſenſchaft genannt wird , ſieht die Landwirthſchaft als die einzige Quelle des öffentlichen Wohl
ſtandes an . Smith, der weiter geht, lehrte, Reichthum be ſtehe in allen materiellen Produkten . Die Arbeit nun , wodurch ſolche dem Boden abgewonnen , oder deren Werth mittels Induſtrie erhöht wird, nannte er produktive Arbeit ; nicht produktive dagegen die , welche weder ſolche hervorbringt,
noch ihren Werth ſteigert. Zur erſten Klaſſe gehören Land bauer und Fabrikanten ; zur zweiten Könige, Nichter, Geiſt liche, Soldaten, Schauſpieler uc.
Say hat
ſeitdem dieſe
Definition erweitert, indem er vorſchlug, mit dem Begriffe produktive Arbeit alle diejenige zu bezeichnen, welche ents weder dem Körper oder dem Geiſte Nußen bringt. Alſo ſieht er die Arbeit eines . Profeſſors des Civilrechts für eben
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ſo viel werth an, als die eines Strumpfwirkers. Obwohl er jedoch dieſe Unterſcheidung macht, läßt er ſie doch bald außer Augen, und wir finden in dem übrigen Theil ſeines Werkes kaum noch Spuren dieſer Anſicht. Die Meinung Adam Smith's iſt ſtets der Edſtein ſeines eigenen Syſtems,
und deſſen ſeiner Schüler geweſen. Ohne dieſe Definitionen, welche nicht wahrhaft wiſſen
ſchaftlich ſind, zu erörtern, erkenne ich als Ziel der Staats wirthſchaff, die Hinderniſſe zu entfernen, welche den Fort ſchritt einer Nation im Wohlſtand hemmen. Zum Behuf der Unterſuchung, wie dieſes Ziel am beſten erreicht werde, wollen wir einen Blick auf diejenigen Staaten werfen, deren Geſchichte oder dermaliger Zuſtand uns entweder ein
beſonderes Gedeihen zeigt , oder eine beſondere Vermlichkeit. In letzteven erkennt man eine Schlaffheit, Arbeitsſcheu, Gleichgültigkeit für Nacheiferung, kleinliche Sparſamkeit und ariſelige Lebensweiſe; in den erſteren nimmt man meyr unabläſſige Thätigkeit, kräftigen Unternehmungsgeiſt, Blüthe der Künſte, Aufmunterung der Wiſſenſchaften, Verbreitung
von Wohlfeint uitd Zufriedenheit durch alle Klaſſen wahr. Fragen wir dann weiter nach den Umſtänder , welche die fen Unterſchied hervorrtefen, ſo finden wir, daß in den 1
Staaten, deren glücklicher Wohlſtand am meiſten hervorſtach,
Freiheit die große wirkende Urſache der Induſtrie geweſen iſt. és zeigt fich unverkennbar, daß überall, wo der Geiſt der Regierung nicht, wie zu Sparta, die Liebe zum Gewinn ünterdrückt hat, die Betriebſamkeit freier Bürger fich aus
zeichneté vot den Anſtrengungen von Sklaven , welchen der Argwohn der Gebieter die Triebkraft nahm. Richten wir unſere Blicke auf die ſtolzen Kaufleute in Florenz, Venedig und Holland, welche ihr kleines Gebiet zum Gegenſtand des Neides und Schreckens für große Monarchien machten. Wendent 1
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wir uns dann zu Frankreichs Volt, das in Fläglicher 46
hängigkeit unter willkürlicher Beſteuerung lebt, und genöthigt iſt, aus Furcht vor ſeiner Regierung ſeine Nahrungeweiſe geheim zu halten . Verweilen wir einen Augenblick dabei, die verſchiedene Lage, worin ſich vor vierzig Jahren Eng land und Spanien befanden, zu betrachten. Nach dem Be
richt eines Ausſchuſſes der Cortes war der äußerſte Betrag von Steuern, welche Spanien ſeinem Ermeſſen nach ertragen
könnte, 6,000,000 Pfo.; und in demſelben Jahr können England und Schottland nicht weniger als 60,000,000 be zahlt haben, und mit Einſchluß der Armentaren und Graf ſchaftſtenern nahezu 70,000,000. Worin lag der Grund
dieſer erſtaunlichen Verſchiedenheit des Wohlſtandes ? Etwa darin , daß die engliſchen Geſetze über Handel und Verkehr
die ſpaniſchen ſo ſehr an Weisheit übertrafen ? Man kann ſchwerlich behaupten, daß dieſes der Fall geweſen : unſere Geſebe in Beziehung auf dieſen Gegenſtand waren bis zum Jahr 1814 die Ergebniſſe des Prohibitiv- und Schußſyſtems, des abſurdeſten und unvernünftigſten der Nationalökonomie.
Hat Spanien ſo gänzlich die Auftlärung der Zeit unbeachtet gelaſſen ? Im Gegentheil gründete es bei der Univerſität Salamanka einen Lehrſtuhl der Staatswirthſchaft; ein Schritt, welchen, meines Wiſſens, bis dahin noch kein ans derer großer Staat Europas gethan hatte. Es hatte im
Lauf des verfloſſenen Jahrhunderts Miniſter, welche über Nationalwohlſtand die aufgeklärteſten Anſichten hatten ; aber der Despotismus ließ alle ihre Bemühungen ſcheitern, und jeder von ihnen gepflanzte Baum mußte nach einigem ſchwachem Sproſſen unter feinern verpeſtenden Einfluß verborren und hinſterben ; ſelbſt der Trieb zu ſammeln giertg ab , weil
alle Vorrechte der Civiliſation, der erweiterte Geiſt und das edlere Wiſſen eines freien Mannes von der Inquiſition
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verboten waren . England dagegen, das mit angemeſſenen Gefeßen geſegnet iſt, und der Entfaltung der beſten Fähig keiten des Menſchen ein Ziel vorhält, erntete den Lohn fei ner Freiſinnigkeit in dem Aufſchwung , welchen Induſtrie, Genius und Talent jederzeit machen werden, wenn ſie nicht durch despotiſche oder ſchlechte Regierungen gehemmt werden . Doch hören wir über dieſen Punkt zwei große Redner, welche zu einer Zeit auftraten, als die Bemühungen des Landes, ſeine Verluſte während des amerikaniſchen Krieges wieder zu erſetzen, mit beiſpielloſem Erfolg gekrönt wurden . Der Miniſter Pitt ſprach :
,, Dieſe Umſtände ſcheinen mir am unmittelbarſten zu unſerem gegenwärtigen Wohlſtand beigetragen zu haben. Aber dieſe hängen wieder mit anderen, noch wichtigeren zu ſammen . Sie ſind natürlich und nothwendig mit der Er haltung des Friedens verknüpft, deſſen Fortbeſtehen auf fidheren und dauernden Fuße ſtets das erſte Ziel der aus:
wärtigen Politik dieſes Landes ſein muß. Noch enger ſind ſie mit ſeiner inneren Ruhe und den natürlichen Wirkungen
einer freien, doch gut geordneten , Regierungsweiſe verknüpft. Was hat in den letzten hundert Jahren einen ſo reißenden Fortſchritt hervorgebracht, der Alles übertrifft , was irgend eine andere Periode unſerer Geſchichte aufzuweiſen hat ? Was anders als daß während dieſer Zeit unter der milden
und gerechten Regierung der erlauchten Fürſten des jeßt auf dem Throne herrſchenden Hauſes eine allgemeine Ruhe im Lande herrſchend ward, wie ſie nie zuvor erlebt worden war ? Daß wir ferner uns in größerer Reinheit und Voll endung der ſegensreichen Folgen jener urſprünglichen Grund fäße unſerer Verfaſſung erfreuten, welche durch die dent würdigen Ereigniſſe am Schluß des vorigen Jahrhunderts beſtätigt und feſtgeſtellt wurden ?
Dieß iſt die große be
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herrſchende Urſache, deren Wirfen allen übrigen von mir aufgezählten Umſtänden ein Ziel geſteckt hat. Es iſt die Vereinigung von Freiheit und Geſetz, welche, indem ſie ebenſo gegen Eingriffe von Seiten der Macht, wie gegen die Gewaltthätigkeit der Volksbewegungen eine feſte Schranke aufrichtet, dem Eigenthum ſeine rechte Sicherheit gewährt, die Thätigkeit des Genius und der Arbeit, die Erweiterung und Gebiegenheit des , Credits, den Umlauf und die Ver mehrung des Kapitals hervorruft; den Nationalcharakter
bildet und erhebt , und alle Springfedern in Bewegung ſeßt, welche die Thätigkeit der großen Maſſe der Geſammt heit durch alle verſchiedenen Gattungen antreiben . Die fleißige Betriebſamkeit jener nützlichen , verbreiteten Klaſſen, der Bauern und Freiſaſſen des Landes; die Geſchicklichkeit und das Genie der Handwerker und Künſtler; die Verſuche und Verbeſſerungen der wohlhabenden Gutsbeſiker; Sie füh
nen Speculationen und glücklichen Wagniſſe der reichert Kaufleute und unternehmenden Fabrikanten : -- dieſe müſ ſen jämmtlich in die gleiche Bahn des Fortſdritts gezogen
werden , und leiten ihre Aufmunterung und Belohnung aus dieſer Quelle ab.
Auf dieſen Punkt wollen wir daher
unſer Hauptaugenmerk richten ; halten wir dieſes erſte und weſentliche Ziel feſt, ſo wird jedes andere in unſere Hand
kommen !
Gedenken wir, daß die Liebe zur Verfaſſung, ob
wohl ſie in den Herzen der Engländer wie ein Naturinſtikt
wirkjam iſt, durch Vernunft und Ueberlegung verſtärkt, und durch Erfahrung täglich beſtätigt wird ; daß wir dieſe Vers
faſſung nicht blos aus herkömmlicher Verehrung bewundern, nicht aus Vorurtheil oder Gewohnheit fie preiſen , ſondern ſie lieb und werth halten, weil wir wiſſen, daß ſie practiſch die Ruhe und Wohlfahrt der Einzelnen und der Geſammt
heit ſichert, und mehr als jede andere jemals vorhandene
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Schranke der Regierung für die wirklichen und nüßlichen
Zwecke ſorgt, welche zugleich die einzig richtige Grundlage und das einzig vernünftige Ziel aller politiſchen Geſell
ſchaften iſt .“ For, der Führer der Oppoſition dagegen ergriff die Gelegenheit, die Beredtíamkeit des Herrn Pitt und die philoſophiſchen Grundſätze zu begrüßen , worauf ſeine Aus
einanderſeßung fich ſtüşte. ,, Der ſehr ehrenwerthe Gentleman, " ſagte er, „ habe die Urſachen der nationalen Wohlfahrt wahr heitsgemäß und glänzend dargeſtellt. Er ſtimme ſeinen
Aeußerungen mit voller Ueberzeugung bei, und indem er über denſelben Gegenſtand ſich nicht weiter auslaſſe, geſchehe es nur, weil er zu dem bereits Geſagten nichts mehr hin zuzufügen habe. Doch bitte er, ihn ſo zu verſtehen, daß dieſe Gründe ſämmtlich auf die Wohlfahrt des Landes ans
zuwenden ſeien, nicht blos auf den Wohlſtand der Einkünfte. Treffend habe der ſehr ehrenwerthe Vorredner erklärt, daß diefelbert der glücklichen Form unſerer Verfaſſung zuzuſchrei ben ſeien ." ') Die Ausſage zweier ſoldher Zeugen können uns zur Bekräftigung der Thatſache genügen , daß unſere freie Ver faſſung die Quelle unſeres Wohlſtandes iſt. Die erſte und hauptſächliche Urſache des Nationalreich:
thums iſt alſo die Freiheit. Das zweite große Anreizungs mittel zur Betriebſamkeit iſt Ordnung.
Dieſe kann allein
durch die Vereinigung von Religion, Sittlichkeit und Geſetz geſchaffen werdenr. Drönung ſichert einem jeden den ruhigen
Beſiß des erworbenen Vermögens ; das regelmäßige Anſehen des Gefeßes verleiht einem Hauſe in Middleſer einen höhe ren Werth, als einen in der Türkei. 1) Parliamentary Debates, 1792,
Wer möchte ſein
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Kapital auf den Ankauf eines noch ſo herrlichen Anweſens in den Wildniſſen der Tartarei verwenden ? Die Ordnung und die Achtung, welche dem Eigenthum von dem Geſetz gezollt wird, hängt zuſammen mit der Reds lichkeit auf Seiten der Regierung. Jeder würde den Schuld
ſchein eines Amſterdamer Bankiers dem eines Arabcrhaupt lings vorzichen ; oder das Wort eines Londoner Kohlen händlers der feierlichſten Verſchreibung des Sultans von
Bokhara. Dieſe drei Dinge hat man alſo als die wahren Quellen des Nationalreichthums anzuſehen : Freiheit, Ord nung und öffentliche Redlichkeit. Zunächſt dieſen großen Triebfräſten ſteht eine weiſe
Anordnung der wirthſchaftlichen Geſeße der Nation . Die ſämmtlichen Vorſchriften jedoch, welche man in dieſer Beziehung geben kann, ſind in der einen zuſammen zu faſſen :
Be
ſeitige alle Hinderniſſe der Induſtrie. Bei allem , was das Vermögen betrifft, iſt, je weniger Einſchränkungen, im ſo beſſer. Dieß iſt die große Wahrheit, welche Smith und Teine Anhänger in Frankreich und England bewieſen haben,
im Gegenſaß zu den Abgeſchmacktheiten des Merkantilſyſtems. ,,Laſſen Sie thun, taſſen Sie gewähren,“ ſagte der franzöſiſche Kaufmann zu Colbert ; und nach zwei Jahr
hunderten des Kampfs gegen Einſchränkungen , Monopole, Schuşmaßregeln, Prämien, Differentialzölle und Anordnungeu
zur Leitung der Induſtrie und Feſtſtellung der Löhne können wir nichts ſagen , was bei aller Kürze mehr Weisheit enthielte.
Reunundzwanzigſtes Kapitel. Nationalſchuld. „ Das Volk arbeitet in der Regel nicht aus Luſt zur Arbeit,
ſondern aus Nothwendigkeit. Wehlfeilheit der Lebensmittel macht es unthätiger; dann wird weniger gearbeitet und
es entſteht mehr Nachfrage , wodurch natürlich verhältniß mäßig die Preiſe ſteigen . Theuerung der Lebensmittel nöthigt den Fabrikarbeiter, mehr Tage und Stunden zu arbeiten ; ſo wird mehr gearbeitet, als der gewöhnlichen Nachfrage gemäß iſt'; dadurch wird die Arbeit natürlich
wohlfeiler, und in Folge deſſen die Fabrikate. Franklin. ( Polit. Fragmente.)
Das Kapital der Nationalſchuld belief ſich bei der Chronbeſteigung Georgs I., und als, wie man anehmen
kann, alle Rechnungen des großen Erbfolgekriegs abgeſchloſ ſen waren , auf 54,000,000 Pf., die Intereſſen auf 3,351,000 . Sir Robert Walpole gründete einen Tilgungsfonds, der fehr geprieſen wurde, auf welchen man große Hoffnung ſetzte. Im Jahre 1739 betrug das Kapital der Schuld 46,954,000 Pf., die Intereſſen 1,963,000 ; ſo daß die letzte ren um 1,400,000, das Kapital um 7,000,000 Pf. herabgebracht waren . Jedoch der ſpaniſche Krieg, welcher 1739 ausbrach, vergrößerte wieder die Schuld um 31,300,000 Pf., und die
Intereſſen um 1,096,000 Pi. Der darauf folgende Friede
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verminderte das Rapital um 3,700,000 Pf., und die Intereſien .
um 664,000. Aber nach dem ſiebenjährigen Krieg, 1763, belief ſich die Nationalſchuld auf 146,000,000 Pf. Bis zum Ausbruch des amerikaniſchen Kriegs war ſie um 10,739,000 Pf. vermindert ; beim Ende deſſelben bis auf
257,000,000 Pf. geſtiegen. Der geprieſene, im Jahre 1786 geſtiftete Tilgungsfonds Pitts brachte ſie während des Friedens um 4,751,000, und die Intereſſen um 143,000 pF. herab. - Am 5. Januar 1817 betrug jie 848,282,247 Pf. In vier Jahren hernach, 5. Januar 1821, ') war dieſelbe um etwas mehr als 3 Millionen vermindert.
Im Verlauf
eines Jahres wurde ein neuer Tilgungsfonds geſchaffen, wofür das Parlament jährlich 5,000,000 Pf. bewilligte. Dieß waren die wechſelnden Fortſchritte der National ichulb und des Tilgungsfonds , - die erſtere ricienmäßig anwachſend, während der letztere, ſo ſehr er auch geprieſen
wurde, in einem ganzen Jahrhundert nicht halb ſo weit vorwärts kam, als die Nationalſchuld in dem einzigen Jahre 1815. Man muß in der That ſehr ſanguiniſch ſein, will man hoffen, der Tilgungsfonds werde einmal ſeinen Gegner bewältigen. Bei dieſer Lage der Dinge iſt es dringender als je, zu
prüfen, was es mit der Nationalſchuld für ein Bewandtniß hat, wie ſie auf die Nationalwohlfahrt wirft, und was
vermuthlich das Endergebniß ſein werde.
Dieſer leştere
Punkt unterliegt großer Unbeſtimmtheit: es können durchaus unvorausgeſehene Fälle eintreten und den Lauf der politiſchen Ereigniſſe gänzlich ändern . Die erſte Operation bei der Nationalſchuld iſt folgende : 1) Bericht über den Geſammtbetrag der Nationalſduld von England und Jrland, erſtattet dem Hauſe der Gemeinen in der Sißung 1821.
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Der Miniſter borgt , wir wollen annehmen 300 Pi. bei
einem Kaufmann, der den Betrag in Kaſſe hat, und macht ſich verbindlich 15 Pf. Intereſſen zu zahlen. Zu dieſem Behuf legt er eine Abgabe von 5 Pf. auf den Landeigen thümer, andere 5 Pf. auf einen Pächter, und weitere 5 Pf. auf einen Kaufmann, vorausgeſegt vorerſt, daß fie gleiches
Einkommen haben , und daß die Abgabe ſie gleichermaßen trifft. Die Abgabe wirkt gewöhnlich zuerſt in folgender Weiſe : Der Pächter und Kaufmann ſchlagen die Abgaben auf den Preis ihrer Waaren. So hat der Kaufmann einen
Theil von der Abgabe des Pächters zu zahlen , und der Pächter einen Theil von der des Kaufmanns. Ein Theil, das iſt klar , bleibt dabei noch einem jeden zur Laſt. Der Kaufmann und der Pächter müſſen daher entweder ſtärker arbeiten, um mehr zu produciren , oder ſie müſſen ſich mit
weniger Profit begnügen , ihre Ausgaben beſchränken , und weniger von den Waaren ihres Nadibars kaufen. Das erſtere findet ſtatt, wenn ein Gemeinweſen in blühendem Zuſtand iſt, das zweite bei einem armen , ſchwachen und er ſchöpften Zuſtand. Durch die beſtändigen Anſtrengungen der Menſchen , mehr zu produciren und zu ſammeln, ſteigt
der Wohlſtand eines Landes ; durch Sparen und Beſchränken der Ausgaben und des Sammelns kommt eine Nation herab.
Es gibt noch eine andere Art eine Abgabe zu decken, die ſchlimmer iſt: nämlich wenn man den Gewinn eines
beſonderen Handelszweiges ſchmälert.
So würden , wenn
eine hohe Auflage auf Schuhſchnallen gelegt würde, die Verkäufer dieſes Artikels , um die Abgabe bezahlen zu kön nen , ſich mit weniger Profit begnügen müſſen , und der Handel mit einem ſo ungleich beſteuerten Artikel würde bald eingehen .
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Wir dürfen jedoch dabei nicht den Landbeſitzer oder
ben Kapitaliſten aus dem Auge verlieren . Es iſt klar, daß der Gutsbeſißer außer ſeinem eigenen Theil , auch einen Theil von der Auflage auf den Pächter und Kaufmann zu bezahlen hat , und es gehen ihm die Mittel ab, ſich wieder bezahlt zu machen. Aus dieſem Grund nehmen die Volks wirthſchaftslehrer an , daß die Landbeſiger die geſammte
Auflage treffe. Aber dieſe können , wenn ſie mögen , ihren Verbrauch einſchränken, und zwar weit leichter, als der Kaufmann ; denn man kann eher einen Livreybedienten ent behren, als einen Handwerker.
Der Kapitaliſt indeſſen , welcher ſein Geld in Staats papieren anlegt, hat, wenn er Verbraucher iſt, dem Kauf mann und dem Pächter einen Theil der beſonders zu ſeinem Vortheil erhobenen Auflage zu zahlen. Doch er kann leich ter, als ein Anderer, ſeine Ausgaben einſchränken. Für eine Zeit lang hat eine Nationalſchuld unſtreitig wohlthätige Folgen . Sie regt einen raſchen Geldumſaß an ; bringt neue Kapitaliſten auf den Markt, die mehr Specu
lations- und Unternehmungsgeift haben, als die alten Land eigenthümer ; ſie nöthigt die Arbeiter zu mehr Arbeitſamkeit, und veranlaßt zugleich mehr Nachfrage nach Arbeit.
Aber
wenn die Auflagen einer Nation einen gewiſſen Höhepunkt erreicht haben, treten faſt die entgegengeſepten Folgen ein. Die Preiſe ſind für den Verbraucher ſo hoch geſtiegen , daß jeder vorſichtige Mann ſowohl ſeinen Verbrauch , als auch
die Verwendung der Arbeit einſchränkt. Das allgemeine Landeseinkommen wird zum größeren Theil den Händen
derjenigen entzogen, welche in der Lage ſind, es in Landbau oder der Induſtrie anzuleger, und gelangt in die Hand der großen Kaufleute, deren Kapital den Markt überfluthet, und nur in Form von Hypotheken wieder dem Lande fich zu :
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wendet. Zugleich entſteht in manchen Gegenden ein großer Geldmangel, in anderen ein großer Ueberfluß. Von einem anderen Geſichtspunft aus iſt aber dieſe Schuld nur von
üblen Folgen : ſte ſchwächt und erſchöpft nämlich die Hülfs Die Ausgaben für frühere Kriege machen es am Ende einer Nation ſchwer, die Auflagen zu ſeiner Vertheidigung zu tragen . Dem Landbeſiger wird von ſeinem Einkommen ſoviel genommen , daß der Miniſter es mittel des Staates .
nicht wagen darf, ihin noch mehr abzufordern, weil es dann
ebenſoviel wäre, ihm das Land ſelbſt zu confisciren. Hume hat über die Folgen einer bis zu dieſem Höhe punkt geſteigerten Nationalſchuld ſehr ſcharfſinnige Betrach tungen angeſtellt. Er nimmt an , „daß man nur von drei 1
Wegen einen wählen könne. Der erſte wäre, die Vorſchläge einiger Projektmacher zu befolgen, welche nur die Verwirrung
und das Mißbehagen vermehren könnten, ſo daß die Nation „ an dem Doctor “ ſterben würde. Der zweite, ein National bankerott, ein Plan, den er nicht eben zu mißbilligen ſcheint. Der dritte und lebte wäre, daß die Nation fortführe , die
vollen Intereſſen zu zahlen. Indem er für dieſen ſich zu entſcheiden im Sinne hat, vergleicht er ihn in folgender Weiſe mit den beiden anderen : „ Dieſe beiben angeführten Auskunſtsmittel ſind verberblich, aber nicht die verderb lichſten . Es werden babet Tauſende geopfert, um Millionen
zu retten. Aber wir ſind nicht ohne Gefahr, daß das Ent gegengeſeßte ſich ereignen werde, indem Millionen für immer der vorübergehenden Rettung von Tauſenden geopfert werden.
Unſere populäre Regierung wird es vielleicht einem jedeit bedenklich machen, ſo ein verzweifeltes Mittel, wie einen freiwilligen Bankerott, zit magen. Und obwohl das Haus
der Lords ganz , und das der Gemeinen zum großen Theil aus Landbeſigern beſteht, und folglich nicht vorausgeſet
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werden kann, daß ſie viel Vermögen in den Fonds haben ; ſo iſt wohl die Verbindung ihrer Mitglieder mit den Guts beſißern ſo groß, daß ſie dadurch zäher am Staatscredit feſthalten , als Klugheit, Politik oder, genau genommen , ſelbſt Gerechtigkeit verlangen. . . . Unſere Großväter, Väter und wir haben das Gleichgewicht der Macht in Europa für zu .
wenig geſichert gehalten, um ohne unſeren wachſamen Beis
ſtand aufrecht erhalten werden zu können.
Aber unſere
Kinder werden wohl, erſchöpft vom Kampf und durch Bes
laſtungen gefeſſelt, ſich ruhig verhalten und zuſehen müſſen , wie ihre Nachbarn unterdrückt und erobert werden, bis ſie
zuletzt ſelbſt ſamint ihren Gläubigern der Gnade des Er oberers anheim fallen ." ") Die Lage der Dinge im Inneren ſchildert er alſo : ,Aufſtände zu unterdrücken oder zu verhüten iſt kein Mittel mehr vorhanden, als gemiethete Heere ; gar keines mehr, um der Tyrannei zu widerſtehen ; die Wahlen werden nur durch Käuflichkeit und Beſtechungen beherrſcht; und da die zwiſchen König und Volk vermittelnde Macht gänzlich zurück gedrängt
iſt, ſo wird ein drückender Despotismus vorherrſchen. Die Landbeſitzer, wegen Armuth verachtet, und wegen Unter drückungen verhaßt, werden am allerwenigſten geeignet ſein , demſelben Widerſtand zu leiſten .“ 2) Blicken wir auf die auswärtigen Nationen, ſo ſehen wir, wie Venedig nach ruhmvollen Kriegen zu Anfang des vorigen Jahrhunderts zu dem Grad von Verfall herabgekommen 'war, wie Hume ihn ſchildert. Sein Einkommen reichte 1) Dieſes, alſo von hume befürwortete Berfahren iſt neuerdings als eine neue und weiſe Politik empfohlen worden ; es iſt aber in der That die Politik der Tories unter der Königin Anna. (1864.) 2) Hume Giaye. Eliay über den offentlichen Grebit. 13
194
nicht aus, die Zinſen der Staatsſchuld zu decken. Es ſtellte ſeine Zahlungen ein , war aber fortwährend nicht im Stand,
ſeine Verwaltungsausgaben zu beſtreiten. Doch würde es zu weit ab führen, in die verwickelten Urſachen des Verfalls dieſer Republik tiefer einzugehen.
Holland iſt ebenfalls in leßten Zeiten durch das Ge wicht ſeiner Nationalſchuld herabgeſunken.
Dieſelbe iſt im
Verhältniß zu dem Vermögen und der Bevölkerung noch immer enorm.
Frankreich begann ſeine Revolution mit einer Schulb , die nicht mehr zu tragen war.
Mitten in ſeinem Kriege
entledigte es ſich derſelben zum größten Theil durch ein ſummariſches Verfahren.
Doch iſt noch nie ein Land genau
in derſelben Lage, wie England, geweſen. Handel und Credit ſind da nicht auf einen Ort beſchränkt, ſondern ſie durch ſtrömen alle Adern des Staatskörpers ; und ein National bankerott würde der Induſtrie einen plöblichen Schlag der
Urt verſeßen, daß die Folgen nicht leicht wieder gut zu machen ſein würden. Es herrſchen ganz falſche Begriffe in Hinſicht der guten Folgen, welche eintreten ſollen, wenn man die Schuld mit einem Schwamme tilgt. Von dieſen Frr: thümern iſt keiner unſeliger , als die von Manchen unter
haltene und eingeprägte Meinung, es werde der Arbeiter, welcher wöchentlich 18 Sch. Lohn erhält, wovon jedoch ver ſchiedener Aufwand auf Bier u. a. in Abzug kommt, dann, wenn dieſer Aufwand beſeitigt iſt, die nämlichen 18 Sch. bekommen, ſo daß er mehr als das Doppelte erhielte. Der wahre Preis der Arbeit, iſt zu bedenken, richtet ſich nach dem Vorrath und der Nachfrage. Der Werth des Geldes ändert
ſich natürlich mit dem Preis der Lebensmittel, Wohnungs miethe, Kleider zc. , welche der Arbeiter für ſeinen Lebens unterhalt bedarf. Bleibt die Nachfrage nach der Arbeit
-
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gleich, es fällt aber der Preis der Bedürfniſſe des Arbeiters von 18 Sch. auf 8, ſo wird auch ſein Lohn von 18 auf
8 herabſinken. Man wird dagegen vorbringen, daß, wenn der Pächter und Fabrikant mehr Rapital auf die Arbeit zu verwenden hat, bie Herabſeßung der Abgaben eine größere Nachfrage herbeiführen werde. Dieß mag wohl allerdings ſchließlich der Fall ſein, aber es iſt nicht wahrſcheinlich, daß dieſe Wirkung in Folge einer plötzlichen Stockung der Zins zahlung ſofort eintreten werde. Es ſind im ganzen Lande ſo viele Conſumenten, welche ihr Einkommen mittelbar oder unmittelbar aus den Staatsjonds beziehen, daß als erſte
Folge eines Nationalbankerotts eine große Verminderung der Nachfrage eintreten, und dadurch die Preiſe aller Er
zeugniſſe der Landwirthſchaft und Fabrifen im ganzen Lande herabgedrückt werden würden . Glücklicherweiſe haben wir gegenwärtig keinen Grund zu fürchten , daß wir in die ſchlimme Alternative eines Nationalbankerotts oder nationalen Ruins verſetzt werden
ſollten ; darum dürfen wir aber nicht das Uebel einer großen Nationalſchuld unterſchätzen.
Eine Einkommenſteuer von
zıpei Schilling vom Pfund würde gerade nur ausreichen zur Zinſenzahlung der Summen, welche zur Beſtreitung der Koſten unſerer Kriege mit Amerika und Frankreich erborgt murden , und möchte Niemand es mit dieſer Laſt leicht neh
men , welche zur Beſtreitung der Koſten neuer Kriege bes deutend anwachſen müßte.
)
13 *
Dreißigſtes Kapitel. Daß eine freie Regierungsjorm beſtändiger Eiferſucht und bäufiger Erneuerung bedarf. „Die Regierung Englands iſt weiſer, weil eine Körperſchaft. vorhanden iſt, welche ſie ſtets prüft, und ſich ſelbſt ſtets prüft;
und ihre Frrthümer ſind der Art, daß ſie nie lange dauern, und häufig badurch nüßen, daß fie die Achtſamkeit der Nation anregen.“
Montesquieu , Grandeur et Décadence des Romains , ch . VIII.
Alle Erfahrungen über die menſchliche Natur lehren uns die Thatſache, daß, wer eine wirkliche oder eingebildete Ueberlegenheit über ſeine Mitmenſchen beſigt, die Vortheile
dieſer Lage zu mißbrauchen geneigt iſt. Wer im Einſpänner fährt, kann nicht umhin, auf die Fußgänger herabzuſehen ; noch weniger kann ein Sterblicher mit der unbeſchränkten Leitung eines Reiches betraut ſein, ohne ſich des Uebermuthes oder der Unterdrückung gegen die ſchuldig zu machen, welche man ſeine Unterthanen nennt.
Die Geſchichte, von welcher wir einen Ueberblick ge nommen haben, iſt reich an Beiſpielen von Uebergriffen der Gewalt , und Herabſinken der Tugend auf Seiten derer, welche zum Regieren beſtimmt waren . Das Haus Tudor erweiterte ſeine Prärogative über alle Grenzen früherer
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Zeiten hinaus ; das Haus Stuart gieng auf dieſem verwerflichen Weg weiter , und nahm die despotiſche Gewalt, welche die Tudor thatſächlich geübt hatten , als rechtlich beſtehend in Anſpruch. Als dieſe Sünde mit
bem Blute des königlichen Märtyrers geſühnt war, benüşte Cromwell, dem der Oberbefehl der Truppen eines freien Ges
meinweſens gegen einen ehrgeizigen Herrſcher übertragen worden war, den Einfluß der errungenen Stellung, ſich eine noch höhere Macht anzueignen, als Englands erb
liche Könige jemals beſeſſen hatten. Als Karl II. durch die Nachſicht einer vergebenden Nation wieder auf den Thron
ſeines Vaters gelangt war, legte er ihr ein Joch auf, das verhaßter und herabwürdigender war, als das irgend eines früheren Herrſchers. Wilhelm III. verbrachte ſein Leben in beſtändigen Kämpfen mit ſeinen Unterthanen , um neue
Vorrechte zu erlangen oder ſich neuer Beſchränkungen der königlichen Gewalt zu erwehren. Als durch die Thron beſteigung des Hauſes Hannover die Whigs endlich voll ſtändig triumphirten , entäußerten auch ſie ſich der Tugend, und es folgte auf die Märtyrer und Patrioten des ſieben
zehnten Jahrhunderts im achtzehnten ein Geſchlecht von Zungendreſchern und Beraubern des Staatsguts. Nichts beweiſt mehr die Nothwendigkeit einer beſtändigen Eiferſudit, als die Verderbniß der Whigpartei : im Erbbeſit aller großen Grundſäße der Freiheit bilbeten ſie die einzige
freie Regierung von Bedeutung in Europa ; aber die Macht ward ihnen ein Capua, und der Erfolg verleitete ſie, die Mittel zu vergeſſen, und die Eigenſchaften zu verläugnen , wodurch ſie dieſelbe erlangt hatten. Allerdings hat die unaufhörliche Erörterung öffentlicher Fragen in England für Manche in der Entfernung etwas
ſehr Beunruhigendes. Id erinnere mich, daß, als bei den
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ſpaniſchen Cortes von 1811 die Freiñeit der Preſſe zur Sprache kam, ein Redner, der gegen dieſelbe ſprach, England als warnendes Beiſpiel anführte , und die Verſammlung fragte, ob ſie ſo viele Parteien und Tumulte, als in Eng land an der Tagesordnung wären , in Spanien zu haben wünſche. Aber dieſe Dinge haben mehr Schreckhaftes dem
Anſchein nach, als in der Wirklichkeit. Wirthshausreden , Wahlſtreitigkeiten, öffentliche Verſammlungen im Freien und lärmende Aufzüge ſcheinen oft die ſofortige Auflöſung der
geſellſchaftlichen Ordnung zu bedeuten ; aber der Lärm und Rauch ſind dabei größer als der Schaden ; und das Volk, an das Getöſe gewöhnt, geht ſeinen Geſchäften mit eben ſo viel Seelenruhe nach, als die Schiffsmannſchaft einer Fre
gatte mitten im Brüllen des Sturmes ihr Werk verrichtet. Die ſchlimmen Folgen des Despotismus, obſchon fie minder augenfällig ſind, verurſachen ein tieferes Leiden. Jene Er ſcheinungen gleichen einem Hautaus dlage von wenig Be
deutung, der aber jedermann ſichtbar iſt, dieſe dagegen einem lebensgefährlichen, tiefliegenden Uebel, welches unſichtbar die edeljten und weſentlichſten Theile des Organismus angreift. Dieje Bemerkungen ſind, meines Erachtens , auf die ſo Yebhaft betriebene Frage der Parlamentsreform anzuwenden. Die öffentliche Beſprechung dieſes Gegenſtandes ſcheint Manchen, ſelbſt in England, mit den größten Gefahren ver
bunden ; ſie könne, meinen ſie, nur zur einer krampfhaften Erſchütterung der Geſellſchaft führen. Mir dagegen ſcheinen dieſe Erörterungen , welche aus dem Zuſtand des Volkes 1
entſpringen und ſo geführt werden , daß fie dem Urtheil der
ganzen Nation unterliegen , ſo wenig ſchädlich zu ſein, daß ſie vielmehr dahin wirken, jenen Geiſt des Prüfens und Forſchens anzuregen , welcher für die Freiheit des Staates nothwendig iſt.
199 +
Mag nun die Reform durchgeführt werden oder nicht, es fann nur in hohem Grade dienlich ſein, die Aufmerkſam 1
keit des Volts auf das Verhalten des Unterhauſes zu rich ten , ſo daſs dieſes genöthigt wird, ſei es der Verfaſſung gemäß, oder aus Scheu vor der öffentlichen Meinung, ein wachſamer Hüter der Volksintereſſen zu ſein. Die Beſpre chung der Reformfrage wirkt wohlthätig jenem Stilleſtehn
des öffentlichen Geiſtes entgegen, ſowie jenem blinden Ver trauen auf die Inhaber der Gewalt, welche für einen freien Staat verderblich ſind. ' )
Nur eine traurige Wahrnehmung ſcheint ſich aus dem Geſagten zu ergeben. Die Freiheit, welche beſtändige Bes wegung , ſtete Eiferſucht und fortwährende Aenderungen verlangt, muß mehr den Einwirkungen zufälliger Umſtände ausgeſekt, und daher ſeiner Natur nach minder dauerhaft ſein, als der Despotismus, welcher für ſein Beſtehen nur das Eine bedarf, daß keine Aenderungen vorgenommen wer den . In der That iſt auch ein Despotismus , welcher auf
Umiviſſenheit gegründet ſorgfältig die von außen kommende Aufklärung abwehrt, ſo lange nicht eine fremde Macht in
das Land dringt, die dauerndſte von allen Regierungsweiſen ; denn die Herabwürdigung des Volks, welche zu den Mit
teln einer ſolchen Regierung gehört , enthält auch eine Sicherung gegen fünftige Aenderungen. Es möchte in der That ſcheinen, als gehöre die Freiheit gleich allen edelſten und beſten Erſcheinungen dieſer Welt, zu den gebrechlichſten und vorübergehendſten. Aber der Despotismus rühme ſich deßhalb ſeines Vortheils nicht: ein halbes Jahrhundert Freiheit innerhalb des Umfangs weniger Meilen auf uner
giebigem Boden bringt mehr der herrlichſten Eigenſchaften ) Geſchrieben im 3. 1821, aber einigermaßen noch 1865 paljeno.
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unſerer Natur zur Vollendung, entfaltet vollſtändiger die menſchlichen Fähigkeiten , weiſt mehr Beiſpiele von Helden
muth und Seelengröße auf, und läßt das göttliche Licht der Poeſie und Philoſophie leuchtender ausſtrahlen , als binnen Jahrtauſenden einem Volke von Millionen, das ſich im größten Reich der Welt zuſammen findet, in der Finſter niß des Despotismus jemals erreichbar wäre.
1
-
Einunddreißigftes Kapitel. Verfaſſung des Hauſes der Gemeinen . „ Unläugbar iſt das Herfömmliche , wenn auch nicht immer gut, doch wenigſtens paſſend. Was lange Zeit mit ein ander zuſammen beſtanden hat, iſt gewiſſermaßen innerlich verbunden . Neue Dinge dagegen paſſen nicht ſo redit; vielmehr, wenn auch ihre Nüblichkeit dienlich iſt, ſtören fie doch durch. Mangel an Gefügigkeit. Dieß Alles ſtände richtig, wenn die Zeit ſtill ſtände; allein ſie iſt in ſo
raſcher Bewegung, daß ein hartnädiges Feſthalten am Herkömmlichen ebenſo ſtörend iſt, als eine Neuerung; und wer allzuſehr der alten Zeit huldigt, wird der neuen zum
Spott. Es wäre daher gut, daß man bei Neuerungen bas Beiſpiel der Zeit ſelbſt befolgte, welche babei großartig, aber ruhig verfährt.“ Lord Bacon.
Wir haben bisher von dem Unterhaus kaum einige Worte geſagt. Daſſelbe. beſtand ſeit der Zeit Eduards I. aus Rittern, welche die Freeholder oder das Landeigenthum der Grafſchaften vertraten, und Bewohnern der Städte und Flecken (citizens and burgesses) , welche dieſe mit ihrem Handelsintereſſe repräſentirten. Die Frage, was dieſe ſo
bevorrechteten Flecken waren, verliert ſich im fernen Alter thum. Soviel iſt jedoch klar , daß die an den Sheriff er
laſſenen Berufungsſchreiben zum Parlament demſelben nur
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auftrugen , für die Flecken aus ſeiner Grafſchaft Bewohner
aus denſelben zu ſchicken, und daß der Sheriff ſeine Ladung an diejenigen Ortſchaften mit der Benennung Flecken ergehen ließ, welche er für tauglich hielt. Ob dieſe Benennung durch
Urkunde oder Verjährung erlangt war, iſt nicht gewiß. Da dieſe Dienſtleiſtung von den Mitgliedern gegen Gehalt ver ſehen wurde, ſo murde die Abſendung als eine Laſt angeſehen , und manche Flecken erbaten ſich und erlangten Nachlaß vont
der Verbindlichkeit. Als jedoch während des Streites der Häuſer York und Lancaſter die Bedeutſamkeit des Unter hauſes wuchs, indem es nicht ſelten bei der Verfügung über die Krone mit zu reden hatte, wurde das Recht, Mitglieder in daſſelbe zu jenden, ein wünſchenswerthes Privileg. Die von Eduard IV. verliehene Urkunde von . Wenlock, welche die erſte ſein ſoll , worin das Privileg Mitglieder in's Parlament zu ſenden ausdrücklich erwähnt wird , gewährt
dieß Privileg als Gunſt und zur Belohnung von Dienſten, welche der Eigenthümer des Fleckens geleiſtet hatte. Kiurz zuvor war das Necht bei den Wahlen der Grafſchaften zu potiren auf die 40 -Schilling- Freeholder beſchränkt worden ,
in Betracht, wie geſagt iſt, der Tumulte und Schredens auftritte, welche ſonſt bei dieſen Wahlen vorkommen möchten : ein Beweis, daß man ſich bereits für die Theilnahme daran intereſſirte. Die Könige des Haujes Tudor , erinnere man ſich, obwohl ſie ſich über das Volk erhoben, handelten nicht ohne, ſondern durch das Parlament. Unter den Herrſchernt
dieſer Familie begann das Unterhaus in der jebigen Form zu debattiren . Unter Eliſabeth geſchah es zum erſten Male, daß ein Mitglied idhuldig befunden wurde, durch Beſtechung
ſeine Wahl bewirft zu habe. Unter der Regierung Jakobs wurde für Agmonbesham nach vierhundertjähriger Unterbre chung das Recht Mitglieder in's Parlament zu ſenden erneuert;
203
zu derſelben Zeit geſchah es
für Wendover
auch
und
Marlom. Als Grund für dieſes Recht finden wir in einem Auszug in betr. eines ſolchen Falles folgendes angegeben : ') ,Drittens, da es in dieſen alten Zeiten Gebrauch war, daß
die Flecken für ihre Repräſentanten im Parlament die Unter haltungskoſten zu tragen hatten , ſo verſäumten dieſelben , wenn ſie verarmten, allein aus dieſem Grunde die Sendung von Vertretern. Da ſie nun aber erflärten dieſe Laſt übernehmen zu wollen , oder ſolche Repräſentanten 311 wäh len, welche die Koſten tragen wollten : ſo iſt kein Grund vorhanden, ihr Geſuch abzuweiſen. Schließlich wird 3t
Gunſten derſelben angeführt, daß das Nedit, Vertreter in's Parlament 311 dhicken, von folder Natur und Eigenſchaft fei, daß es durch feine Verabſäumung verloren werden könne ; denn jeder Bürger, der ſo zu dem Parlament ge jendet werde , lei Mitglied des großen Nathes des König
reichs, und werde auf Koſten ſeiner Ortſchaft unterhalten ; und wenn ſolch eine Verabſäumung dem einen Flecken ge ſtattet werde, ſo fönne es auch in mehreren und folglich auch in allen geſchehen ; und dann fönne der Fall eintreten,
daß aus Mangel an Vertretern der Flecken ein Parlament gar nicht gehalten werden fönne. "
In Folge dieſer Entſcheidung wurde John Hampden, „,welcher die Koſten ſelbſt trug “ , für Wendover gewählt. Unter dieſer und der folgenden Regierung wurden folgende Flecken in ihr Recht vom Parlame it wieder eingeſeßt: Jlcheſter , Agmondesham , Wendover, Great-Marlow unter
Jakob I. ; Cockermouth , Ofehampton , Honiton , Aſhburton , Milborne Port , Morton , Northallerton , Seaford unter 1
1) 21. Jac. I. - Browne Willis, Notitia Parlamentaria. Vol. 1. p . 120.
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Carl I. -- Vierundzwanzig wurden von dem Herrſcher ſelbſt in ihr altes Necht wieder eingeſetzt: dieſe waren offenbar bereit , die Koſten zu tragen ; 51 Flecken, welche früher Ab geordnete geſchickt hatten , ſind nicht wieder in das Stecht eingeſeßt worden.
Von der Regierung Heinrichs VIII. an
bis zur Thronbeſteigung Karls I. bekam das Unterhaus einen Zuwachs von 156 Mitgliedern. In Cornwall allein fügte Eduard VI. 12, Maria 4 , Eliſabeth 10 Abgeordnete hinzu.
Cornwall wurde, ſcheint es , als der geeignetſte Ort außerſehen, um ſich dieſer Mitglieder zu verſichern, weil die Krone mittels des Herzogsrechts daſelbſt durch Gruben- und
Landbeſitz großen Einfluß übte. Dieſe Vermehrungen laſſen klar erkennen , daß die Krone ſich Anhänger im Hauſe der Gemeinen zu gewinnen trachtete. Solche ungeſunde Aus wüchſe verhinderten jedoch nicht die Rechtsforderung ( petition of right) , oder ſchüßten den Thron vor den Puritanern. Zu einer Zeit , da nach allen Nichtungen hin Projecte zur Verbeſſerung der geſammten Geſetzgebung , der Kirche und des Staats , auftauchten , konnte es nicht fehlen , daß ſich auch im Unterhaus Reformer fanden. Jusbeſondere
ſtand zu erwarten, daß ein Plan für gleichmäßige und ein förmige Nationalrepräſentation werde empfohlen werden . So kam denn auch ein Vorſchlag der Art von der Seite her, wovon damals alle Reformen ausgiengen -- der Armee. Der Plan wurde in ſeinen Grundzügen von Cromwell in
den beiden Parlamenten, welche er, als er Protektor gewor den , berief , angenommen ; aber weder der Charakter der Zeit , noch der Genius des Mannes geſtatteten , daß der Verſuch in einer Weiſe gemacht wurde , welche ihm die geringſte Dauer hätte geben können. Von Seiten des erſten dieſer beiden Parlamente hatte Cromwell eine entſchiedene
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Oppoſition gegen ſeine Autorität zit erleiden, und es wurde
aufgelöſt, weil es ſich herausnahm , die Frage zu beſprechen , ob die Regierung in der Hand eines einzelnen Mannes
ruhen dürfe. Bei dem zweiten wurde, nadidem man zuvor verſchiedene Mittel die Wähler zu beeinfluſſen angewendet,
Niemand der Eintritt geſtattet ohne ein Zeugniſ von Seiten des Staatsraths ; und es wurden ſo hundert Mitglieder
ausgeſchloſſen. Nichard Cromwell, entweder durch dieſe Vera ſuche entmuthigt, oder der zunehmenden Vorliebe für alte Formen und Verfahrungsweiſen nachgebend , verſammelte ein Parlament in der früheren Weiſe. Lord Shaftesbury jedoch, .
welcher zuerſt nach der Reſtauration die Unabhängigkeit des Parlaments antaſtete , indem er darauf beſtand , daß alle Wahlberichte in der Kanzlei geprüft werden ſollten , war
auch der Erſte, durch welchen die Lehre von einer Parla mentsreform erneuert und bei Leben erhalten wurde. In einer nach ſeinem Tode veröffentlichten Schrift flagt er nicht allein über die ingebührliche Länge der Parlamente,
und die der Beſtechung zugängliche Praris der Flecken, ſondern hebt auch die große ſpeculative Beſchwerde hervor, daß Cornwall mehr Abgeordnete, als Wales ſchickt. Einige ſeiner Freunde, insbeſondere Samuel Johnſon, Lord Ruſſels Kaplan, verſuchten bei der Revolution die Frage anzuregen ,
aber die beiden großen Parteien wichen der Erörterung ſorg fältig aus. Von dieſer Zeit an bis 311 der Lord Chathams, ſcheinen die Reformprincipien , obwohl von einigen berühm
ten Männern, beſonders inter den Tories, begünſtigt, in Frieden geſchlafen zu haben ; doch nahmen zu eben dieſer Zeit die Beſchwerden bedeutend zu. Die Flecken murden mehr und mehr käuflich und die Anzahl der Stelleninhaber
in einem Hauſe von 556 Mitgliedern ſoll nicht weniger als 200 betragen haben. Aber das Volk nimmt wenig
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oder keinen Antheil an der Reformfrage, oder überhaupt an
jeder reinen Verfaſſungsfrage, außer wenn es von einer ſchlechten Regierung wirklichen Druck zu erleiden hat. Zu erwähnen jedoch iſt , daß im Jahre 1745 ein Antrag von Seiten der Tories auf jährliche Parlamente, welcher ver
muthlich die hannover'ſche Thronfolge zu erſdhüttern beab fichtigte, nur mit einer Majorität von 32 Stimmen ver worfen wurde.
Da Lord Chatham die Erfahrung gemacht hatte, wie ſchwer es war, im Hauſe der Gemeinen den rechten Sinn für Miniſtermißbräuche anzuregen , ſchlug er als ein Aus
kunftsmittel vor, die Mitglieder für die Grafſchaften um hundert zu vermehren. Dieſer Plan war augenſcheinlich nur auf Zweckdienlichkeit berechnet: nach ſeines berühmten Urhebers Ausdruck, ſollte er ,,ber Verfaſſung neues Leben einflößen."
Als der amerikaniſche Krieg die Verkehrtheiten unſerer Staatsmänner in noch helleres Licht geſetzt hatte , ſtellte Pitt in den Jahren 1781, 82 und 85 im Hauſe der Gez meinen ſelbſt Anträge auf verſchiedene Reformpläne, die 1
jedoch alle nur eine theilweiſe Verbeſſerung wollten und, gleich denen ſeines Vaters, auf der Baſis der Nüßlichkeit und Erfahrung ruheten . Es waren jedoch damals noch andere Lehren im Schwung. Dr. Jebb, und nach ihin Cartwright, brachten die Theorie perſönlicher Repräſentation
auf, indem ſie in weiterer Entwicklung der Grundſätze Locke's das Stimmrecht jedes einzelnen Menſchen als natür
liches und unentreißbares darzuſtellen meinten. aber weder dieſe Theorie, noch Pitts Entwurf, Horne Tooke und allen gemäßigten Reformern unterſtüßt wurde, irgend Erfolg. Pitt verlor erſt dafür, und ſchwieg dann gänzlich darüber.
Es hatte der von der Zeit den Eifer
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Die Frage ruhte dann bis zur franzöſiſchen Revolution, welche bei der allgemeinen Gährung ſie wieder aufweckte. Eine aus vielen der geſchickteſten Männer der Zeit beſtehende' Geſelli haft entwarf die , Petition der Volksfreunde." Sie enthielt nichts minder als eine Anklageſchrift wider die
nationalvertretende Verſammlung Englands. Die Geſchichte und der Zuſtand der Flecken iſt darin bis in die kleinſten Einzelheiten dargeſtellt, und es wird in ſorgfältiger Weiſe zu zeigen verſucht, daß das Interhaus, und folglich Per
fonen und Vermögen aller britiſchen Unterthanen, von den Weiſungen einer geringen Anzahl von Individuen abhängig feien.
Es iſt jedoch ein Punkt dieſer Darſtellung offenbar
für den Gegenſtand ganz ohne Bedentung. Es wird eine große Anzahl von Abgeordneten der Grafichaften , und an bere aufgezählt als durch den Einfluß von Pairs oder ge
wiſſer reicher Unterhausmitglieder gewählt. Es wird an geführt, daß nicht allein 84 Perſonen unmittelbar 157 Mitglieder wählen, ſondern daß andere 70 durch indirecten Einfluß in großen Städten und Grafſchaften weitere 150 in das Haus bringen ; und ſo wird vermeintlich der Beweis
geliefert, daß die Majorität des Unterhauſes von Wenigen gewählt würde. Nun weiß jeder, der England kennt, daß die Freeholder derſelben politiſchen Meinung in einer Graf ſchaft, ſeien es Magiſtratsperſonen oder Krämer, im Au gemeinen gern ihre Stimmen dem nämlichen Candidaten
geben. Die Eigenſchaften, welche ſie bei einem Candidaten verlangen, ſind befanntlich in der Regel nicht Beredtſam keit oder auch Fähigkeiten , ſondern Verſtand , Unbeſcholten heit und Vermögen. Dieſes wird gewiſſermaßen als eine Bürgſchaft des Charakters angeſehen. Daher kommt's, daß derjenige unter ihnen, welcher am meiſten Land beſikt, und
dabei nur die gewöhnlichen Eigenſchaften hat , Mitglied
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wird ; und wenn dieſer etwa Pair iſt, ſein Bruder oder Sohn. Demnach ſind es nicht die Hinterjaſſen eines Länberei
beſigers, welche ihn zum Vertreter der Grafſchaft machen, ſondern ſeine Partei in Verbindung mit denſelben . ES kann alſo der Vorwurf, daß der älteſte Sohn eines gewiſſen Pairs ſtets zum Vertreter der Grafſchaft, worin er großes Beſitzthum hat , gewählt werde , anſtatt des verſtändigſten Keräiners oder Arbeiters in der Grafſchaft, nicht dem Hauſe der Gemeinen gemacht werden , obwohl er in einer Abhand lung über den Charakter des engliſchen Volfes oder der menſchlichen Natur überhaupt an der Stelle ſein mag. Abgeſehen von dieſem Einwand läßt der Hauptgedanke
ber Petition folgende Erwiderung zu : „Ihr klagt über die Bildung des Unterhauſes, wie ſie von der Revolution his
jeßt beſtanden hat. Ihr meint zu beweiſen , daß das Ge bäude unſerer Regierungsform während dieſes Zeitraums eine verdorbene Combination für Privatzwecke geweſen ſei. Aber unſere Väter und Großvater haben uns geſagt, fie
ſeien während dieſer Zeit wirklich frei geweſen . Ihr Zeugniß wird von den gelehrten, den größten Philoſophen und tern der Zeit beſiätigt. Euere Theorie eines Blackſtone, Montesquieu, Thomſon, dert Anderen verwerfen, welche erklären, zu ihrer Zeit im Genuß vollſtändiger
und redit glücklich tüchtigſten Rechts begeiſtertſten Dich : will bas Zeugniß Cowper und hun England habe ſich Freiheit befunden.
Nun iſt aber die Regierungsform eine Sache der Erfahrung, und nicht der Speculation ; wir wollen daher mit den Din gen, wie ſie eben ſind, zufrieden bleiben . "
Eine ſolche Erpiderung dünkt mir vernünftig. Denn die Klage betrifft nicht eine einzelne oder beſondere Bes
ſchwerde, ſondern iſt gegen eine zur Staatsverfaſſung ge hörige Verſammlung gerichtet, die ſo oder faſt ſo ſeit hun
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dert Jahren der Freiheit und des Kuhms beſtanden hat. Dieſes näher zu erläutern : Wenn eine Bittſchrift ſich über die Bankerottgeſeße beklagte, ſo wäre es offenbar ein ſchlechs ter Einwand, zu ſagen : „ unſere Vorfahren ſind bei dieſen Bankerottgeſeßen frei und glücklich geweſen, darum wollen 1
wir nichts daran ändern . "
Wenn aber eine Vittſchrift die
Behauptung aufſtellte, die Eintheilung unſerer Regierung in die drei Gewalten ſei höchſt abſurd ; es ſei lächerlich, einem einzigen Mann ſo viel Gewalt zu geben, wie 658 Reprä ſentanten des geſammten Volkes ; es ſei wider alle Vernunft,
daß ein Verſchwender oder unwiſſender Menſch nur deß halb im Oberhaus fine, weil ſein Vater ein Staatsmann
oder ein Günſtling geweſen ; das Veto des Königs ſei eine barbariſche, einer gebildeten Nation unwürdige Erfindung; ſo würden wir ermidern : „ Mag die Theorie ſchlecht ſein , aber die Praris iſt vortrefflich geweſen." Durchbrungen von der Bedeutſamkeit dieſer Erwiderung
trat For im Jahre 1797 auf und ſtellte die Frage auf eine ganz verſchiedene Baſis. Er erklärte die Lage des
Landes für ſo äußerſt gefährlich, daß man an der Sicher heit des Staates verzweifeln müſſe. Er behauptete, das Verhalten der Miniſter habe das Gemeinweſen an den
Kand des Verderbens gebracht; und es ſei kein anderes Mittel geblieben, als daß man auf die erſten Principien zurückkomme und den Staat von Neuem conſtituire. Zu gegeben, das Uebel ſei ſo groß geweſen , wie vor es bars
ſtellte, ſo war doch ſeine Auseinanderſeßung weit entfernt, die Richtigkeit des Gegenmittels zu beweiſen. Denn der Grund des Uebels lag ſicherlich nicht in der Mißachtung der Volksſtimme während des amerikaniſchen und franző ſiſchen Krieges. „ Die Freiheit iſt in Gefahr, den Eng ländern unpopulär zu werden," ſagte Burke zur Zeit des 14
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amerikaniſchen Krieges.
Kurz," ſagte For während des
franzöſiſchen Krieges, „die Freiheit iſt nicht populär. Das Land iſt getheilt ( ſehr ungleich, räum ' ich ein) zwiſchen der von Furcht überwältigten und von Hoffnungen verleiteten Majorität und einer Minorität , welche verdroſſen auf Gelegenheit zu gewaltjamen Gegenmittein lauert." 1) Wie ſeltſam iſt aber das Gegenmittel, die Legislatur demokrati ſcher zu machen !
Indem wir nun die Grundgedanken der engliſchen Ver faſſung zu prüfen haben, müſſen wir nach Kräften einige allgemeine Regeln für die Bildung des Unterhauſes einer beſchränkten Monarchie aufzuſtellen verſuchen. Es können wenige genügen , ſowohl für den Autor als den Leſer. Erſtlich.
Ale Theile des Landes und alle Sclaffen
des Volkes müſſen einen Antheil an den Wahlen haben. Iſt dieſ nicht der Fall, ſo wird der ausgeſchloſſene Theil der Nation in den Augen der übrigen an Bedeutung ver lieren ; Niemand wird nach ſeiner Gunſt ſtreben , und ſeine
Intereſſen werden bei der Legislatur nicht ſo achtſam ges wahrt werden ; folglich wird, nach Maßgabe der allgemeinen Freiheit des Gemeinweſens der hintangeſeşte Theil durch die Verurtheilung zu Unbedeutendheit und Unthätigkeit, zur Unzufriedenheit gereizt werden. Jedes Syſtem gleichförmigen Stimmrechts, außer dem univerſellen, enthält dieſen dunklen Flecken ; das Leştere aber , welches dieſen vermeiden ſoll, theilt die ganze Macht den Höchſten und den Niedrigſten, bem Geld und der Menge zu, ſo daß der Mittelſtand, wel cher die Uneigennüßigſten , Unabhängigſten und Vorurtheils 1) Brief an lord Holland. Vgl. auch For's Briefe zu Anfang des Kriegs, die voll Eingeſtändniſſen ſind, daß ſeine Oppoſition gegen denſelben ihn unpopulär machte.
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freieſten enthält, ſeine Unabhängigkeit verliert. Obwohl nun aber jede Klaſſe bei den Wahlen einen Einfluß haben ſollte, ſo iſt darum nicht nöthig , daß jedes Mitglied jeder Klaſſe das Stimmrecht auszuüben habe. Ein Fleiſcher zu Hackeney, der ſeine Stimme vielleicht ein einziges Mal in zwölf Jahren
bei einer Wahl der Grafſchaft Middleſſer abgibt, hat kaum einen Vortheil vor einem anderen Fleiſcher deſſelben Ortes, der überhaupt keine Stimme hat, voraus ; und hätte er ihn auch, ſo iſt doch in dieſen Dingen das Staatsintereſſe haupt fädlich zu Rathe zu ziehen ; und dieſem wird ebenſo wohl
entſprochen , wenn das Stimmrecht von Einigen aus jeder Klaſſe, als wenn es von jedem Einzelnen ausgeübt wird.
Ein weiterer Grund dagegen, daß man das Stimmrecht zu allgemein mache, beſteht darin, daß das Vorrecht an Werth
gewinnt, wenn es nicht zu allgemein und zu häufig geübt wird.
Würde es jedes Jahr von Jedermann auszuüben
ſein, ſo würde es ebenſo wenig beachtet, als die goldenen Spielſteine von den Kindern zu Eldorado. 3 weitens. Aufgeklärte Männer jeder Klaſſe ſollten
wählbar ſein. Die höchſten im Rang nach den Pairs foll ten zugelaſſen werden , weil ſie die Bedeutung einer popu
lären Verſammlung von Neuem haben , und ihre Stetigkeit dadurch nur vermehrt wird. Vor Allem wirkt ihre Anweſen heit und Betheiligung auf die Einigung der Ariſtokratie
und des Volks zu gemeinſamer Sympathie, indem ſie einer ſeits den Hochmuth, andererſeits den Neid benimmt.
Mäns
ner, die ſich durch Handel emporgeſchwungen haben , ſouten ohne allen Zweifel ebenfalls wahlfähig ſein, ſowohl um den
ehrenwerthen Beſtrebungen jeder Gattung von Menſchen Aufmunterung, als auch jeder Klaſſe die innerſte Ueberzeu gung zu geben , daß ſie eben ſowohl der That als dem Namen nach vertreten ſind. Dieſe beiden Gattungen von 14*
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Männern bedürfen nur der legalen Erlaubniß zum Eintritt in die Legislatur, um der wirklichen Theilnahme daran ſicher zu ſein. Doch gibt es noch eine andere Klaſſe, die an einer guten Nationalvertretung Theil nehmen ſollte, aber ihrer Wahl nicht ſo verſichert ſein kann ; nämlich die durch Wiſſen ſchaft oder Talente ausgezeichnet ſind, nicht aber durch Ver
mögen oder . Verbindungen mit der Welt ; Männer die ihre Jugendjahre auf das Studium der engliſchen Geſetze, des Völkerrechts , der Geſchichte, der Verfaſſung , der Staatswirthſchaft verwendet haben , aber durch Mangel an
Geldmitteln , durch ihren Charakter oder ihre Gewohnheiten abgehalten ſind, um die Volksgunſt ſich zu bewerben . Denn
unläugbar wird eine Maſſe von zehntauſend Pächtern oder Krämern Niemand wählen, der ihnen nicht bekannt iſt ent weder durch ſeine Stellung in der Grafſchaft, oder durch eine Reihe von Neben in Volksverſammlungen . Wenn man
nun jämmtliche Wahlen nur zahlreichen Wahlverſammlungen anheim gibt, ſo ſchließt man entweder die Ariſtokratie des
Talents von der Nationalvertretung aus und macht ſie zu einer der Verfaſſung feindſeligen Maſſe, oder man nöthigt 1
ſie, Demagogen von Profeſſion zu werden ; beides aber iſt für den Staat gefährlich und verderblich. Darum wäre es
nüblich, man hätte einige Wahlen durch Männer, die durch ihre Stellung in der Geſellſchaft mit dem Charakter der
talentvollen Männer der Zeit bekannt ſind. Dieß kann geſchehen entweder durch Bildung einiger Wahlkörper aus wenigen aber ſehr ausgezeichneten Männern , oder dem Eigenthum einen vorherrſchenden Einfluß gibt für die Wahl einer angemeſſenen Zahl von Mitgliedern . Drittens. Der Hauptgrundſaß , welcher ſich aus ben beiden vorhergehenden ergibt, beſteht darin , daß die I
Verjammlung der Repräſentirenden ein Abbild der Repräs
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ſentirten ſei :
es joliten darin nicht blos das Eigenthum
oder die Menge, nicht allein die Landwirthe oder Kaufleute oder Fabrikanten vertreten ſein ; es ſollte weder der Stolz einer abgeſonderten Ariſtokratie barin herrſchen, noch die Verſammlung vor dem Wehen einer vorübergenden Popu:
larität hin und her ſchwanken ; ſondern es jolten alle dieſe Elemente darin vereinigt und die mancherlei Farben zu einem ſchönen Gemälde in Harmonie gebracht ſein . Das Haus der Gemeinen ſollte, wie Pitt jagt, eine mit dem Volke
durch die innigſte Sympathie verbundene Verſammlung ſein . Mit dieſem Ausdruck iſt aber nicht gemeint, dieſelbe folle ſtets ſich den äußerſten Leidenſchaften des Volts anſchließen .
Die Beſchlüſſe dieſes Hauſes ſollten der Art ſein, daß ſie entweder das Volk augenblicklich befriedigen , oder auf eine einfache Darlegung, nachdem
die Thatſachen und ihre Be
gründung ihm vorgelegt worden. Sind dieſelben nicht deſſen fähig, ſo iſt nicht nur das Unterhaus ein ſchlechtes, ſondern ſeine Glieder würden auch einen ſchlechten Senat oder einen ſchlechten Cabinetsrath bilden.
Sehen wir nun, ob das engliſche Haus der Gemeinen nach ähnlichen Grundſägen, wie die angeführten gebildet iſt. 1. Der allgemeine Plan der Repräſentation iſt augen ſcheinlich darauf berechnet, das Stimmrecht an Perſonen aller Klaſſen zu geben, Landeigenthum iſt in den Graf
ſchaften vertreten , der Handel in den Städten ; in den Flecken finden verſchiedene Arten der Abſtimmung ſtatt, unter mans cherlei Einflüſſen ; hier eines großen Gutsbeſigers, dort eines Clubs, anderswo der großen Menge. Dieſe wirken gegen ſeitig auf einander ein : die Städte haben ſo viel Einfluß bei den Wahlen der Grafſchaft und die Landeigenthümer fo piel in den benachbarten Städten, daß nicht die eine Art von Mitgliedern viel Eiferſucht gegen die andere empfindet.
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Es iſt ſtets ein großes Unglück, wenn ſie gegen einander in Spannung ſind. Obſchon jedoch keine Klaſſe von unſerer Nationalver tretung ausgeſchloſſen iſt, ſo waren doch vor der Reform acte manche Theile des Landes ſehr ungleichmäßig vertreten. Die Grafſchaften Lancaſter und York, worin Mancheſter, Bolton, Leeds, Sheffield, Halifar und Huddersfield, mit 2,500,000 Bewohnern, waren nur von vier Abgeordneten vertreten. Dieß war offenbar ein praktiſcher Uebelſtand und wurde auch als ſolcher empfunden . 2.
Aufgeklärte Männer jeder Selaſje haben zu jeder
Zeit ihren Weg in das Unterhaus gefunden . Wer Grund beſit hat, trat als Candidat in ſeiner Grafſchaft auf ; wer im Handel oder Fabrikweſen ſein Glück gemacht hat , kann leicht ein Intereſſe für ſich in Städten begründen , wo einige Verbindungen hat, oder in ſolchen, wo, ohne Bes 1
ſtechung, die Bewohner eines reichen Mannes bedürfen, der
ihren öffentlichen Einrichtungen eine Stüße bietet und ſeine Kapitalien bei ihnen anlegt. Die Ariſtokratie des Talents gelangte vor der Reformacte mittels der abgeſchloſſenen Flecken ( close boroughs) in das Unterhaus, indem ſie ihre Wahl meiſt Pairs ober Unterhausmitgliedern verdankte, welche im Beſit des Landeigenthums dieſer Flecken waren. Auf dieſe Weiſe hat der größere Theil unſerer ausgezeichneten
Staatsmänner ſeinen Plaß im Parlament bekommen . Uns ſchäßbar iſt der Nußen ſolcher Mitglieder für das Haus und für das Land. Ihre Renntniſſe und Talente geben den Berathungen erhöhte Bedeutung und flößen für die Parlamentsdebatten eine Achtung ein, welche zu gewinnen in jeßigen Zeiten feiner Verſammlung leicht iſt. Ferner machen die Reden tüchtiger und beredter Männer einen Eins druck in Land, welcher wieder auf das Parlament zurück
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wirft ; und ſo hat oft der Vertreter eines unbedeutenden Fleckens durch eine Rede der Sache der Wahrheit und des
Rechts mehr genügt , als die Abſtimmung von zwanzig ſtillen Mitgliedern . 3. Haben vor der Neformacte die Gemeinen wirklich das Volt repräſentirt ? Ganz gut, menn Volt und Regie rung übereinſtimmten ; giengen ſie aber auseinander, ſo mehr nach ber neigten die Beſchlüſſe des Hauſes mehr Seite der Regierung, als des Volks. Dieß läßt ſich durch einen näheren Blick in die Geſchichte der zwei legten Jahre des amerikaniſchen Krieges beweiſen. Bei dieſen Anläſſen waren die Majoritäten ſchwach und be ſtanden hauptſächlich aus Vertretern von Flecken. Ebenſo
war es bei Gelegenheit der Erpedition nach Walchern, und nach dem Pariſer Frieden , indem die Abſtimmungen im Verhältniß zu dem von den Miniſtern dafür aufgewendeten
Geld ſtanden. Das Land erklärte ſich entſchieden in einer Richtung ; und die Beſchlüſſe des Hauſes der Gemeinen fielen , mit ſchwachen Majoritäten, im entgegengeſeßten Sinne aus !
Der Beweis ergibt ſich aus einer näheren Anſicht
der Abſtimmungen, indem man darauf merkt, wie die Mit glieder aus den Grafſchaften votirten .
So zählten bei
Dunnings Motion 1780 die Miniſter von 215 Mitgliedern nur 11 aus den Grafſchaften für ſich, während die Oppo ſition von 233 deren 69 hatte. Der Uebertritt von 20
Mitgliedern war dann ſchon hinreichend, für die Miniſter den Ausídlag zu geben. Bei der Walcherer Erpedition war das Verhältniß der engliſchen Grafſchaftsmitglieder
gegen die Regierung faſt wie drei gegen zwei, aber die Majorität des ganzen Hauſes ſtimmte doch für die Regies rung. Im Jahre 1817, als es ſich um die Errichtung einer Finanz-Commiſſion mit weniger als fünf dazu gezoges
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nen Stelleninhabern handelte, ſtimmten von den Grafſchafts mitgliedern 27 gegen 15 für die Oppoſition ; das Haus im Ganzen mit 178 gegen 136 311 Gunſten der Miniſter. Bei einem Antrag auf Reduction von zwei Lords der Admi
ralität waren die Grafſchaftsmitglieder 35 zu 16 ; das Haus im Ganzen ſtimmte aber in entgegengeſeptem Sinne mit 208 gegen 152. Es iſt alſo klar, daß während zwei kriti den Perioden die Grafſd; aftenmitglieder, welche, wie wir ſahen , Männer von Grundbeſit ivaren, ſtets durch ihre
Stellung und meiſt auch aus Parteigeſinnung der Krone geneigt, und meiſt nur in Minoritäten, auf der Volfsſeite Es iſt nun hinreichend klar , daß auch andere
waren .
Theile des Hauſes der Gemeinen in der That weit entfernt ſind, das Volk zu repräſentiren.
Dieſer Vorwurf trifft
beſonders die Flecken. Im Allgemeinen gaben ſie den Mi
niſtern eine große Majorität ; die kleineren aber fünf und ſechs gegen eine, und die aus Cornwallis ſechszehn oder ſiebenzehn gegen eine. Vor der Reformacte war beſonders eine Art von Flecken als Urſache dieſes Unweſens bekannt;
diejenigen nemlich, wo der Sitz im Parlament von den Wählern an den Meiſtbietenden verkauft wurde. Viele von ben Repräſentanten dieſer Art famen mit ſogenannten fanf= männiſchen Anſichten in's Parlament. Dieſe beſtanden darin, ihre eigenen Intereſſen ſo nahe als möglich mit denen
des Schakes in Verbindung zu bringen , und daher in allen Fragen und zu allen Zeiten mit dem Schatz zu ſtimmen. Manche Flecken hatten auch einen ſogenannten Patron
bald ein Anwalt, bald ein Baronet, auch initunter ein Pair welcher den Parlamentsſit öffentlich verkaufte 50 Procent für ſeine Bemühung nahm.
und
So ſind wir nun zu dem Schluß gekommen, daß das
Haus der Gemeinen nicht angemeſſen das Volk vertreten,
217
und daß durch die kleinen Flecken die ſorgſame Ueberwachung des öffentlichen Einkommens gehindert war, wie es Pflicht und Schuldigkeit dieſer Verſammlung iſt.
Es folgt daraus
unmittelbar, daß die kleinen Flecken das Vertrauen täuſchten , welches zum Beſten des Gemeinweſens auf ſie geſetzt wurde, und daß es keine ungerechtigkeit ſei, denſelben ihr Vorrecht zu nehmen . Doch ſtoßen wir hier auf eine andere Frage.
Weil wir das Recht haben, ſo zu verfahren , ſo iſt es damit doch nicht ſicher, ob es nicht beſſer wäre, das Uebel ferner zu dulden, oder daß das Gegenmittel nicht ſchlechter ſei, als das Uebel.
Betrachten wir denn näher eins oder zwei von
dieſen Mitteln .
Erwägen wir z. B. die Wirkungen eines Plans, das Land in Diſtrikte zu theilen und das Stimmrecht auf Alle auszudehnen , welche directe Steuern zahlen . Wäre dieſer
Plan von einer Dreijährigkeits -Bill begleitet , ſo würde er gewiß das Haus der Gemeinen zu einer dem Volfswillent ſehr fügſamen Verſammlung machen ; aber es iſt zu beſorgen, daß manche Vortheile der Repräſentation dabei eingebüßt würden . Mit einer Repräſentation bezweckt man doch eigent
lich eine auserleſene Körperſchaft zu haben, welche nicht allein das Vertrauen des Volkes beſitzt, ſondern auch, durch die Geſchäftsbekanntſchaft, welche man bei ihrer Anzahl vors
ausſegen darf, und dem Urtheil, welches durch ihre Wahl bezeugt wird, für die Intereſſen des Landes etwas beſſer ſorgen kann, als es einer jeden Stadt oder Grafſchaft durch Petitionen und öffentliche Verſammlungen möglich wäre. Macht man das Haus der Gemeinen zu einem bloßen Echo
des Volksgeſchreis, ſo büßt man bei vielen Fragen den ganzen Vortheil ein , daß man eine Körperſchaft hat, welche in ge wiſſem Grad die öffentliche Meinung zu leiten fähig iſt. Ich verkenne nicht, daß man bei dieſem Punkt leicht zu
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weit gehen kann. Um mich deutlich auszudrücken , kann ich nur wiederholen, daß das Haus der Gemeinen ſolche Be ſchlüſſe faſſen ſollte, welche entweder ſogleich den Beifall des Landes haben , oder doch durch das Gewicht ihrer Gründe fähig ſind, das Land in kurzer Zeit zu überzeugen, daß der I
Beſchluß des Hauſes nicht aus einem ſchlechten oder ver:
kehrten Motiv, ſondern aus umfaſſender und ſcharfſichtiger Einſicht in die öffentlichen Intereſſen gefaßt wurde. Es laffen ſich inanche Gründe anführen, um zu zeigen, daß ein nur von einer einzigen Klaſſe gewähltes Unterhaus nicht ſo geeignet ſei, das Volk zu repräſentiren , als ein ſolches , das von mehreren verſchiedenen Klaſſen gewählt wird. Es mag jedoch genügen, in der Hinſicht zu bemerken, daß es darum nicht nöthig zu ſein ſcheint , das ganze Ge bäude der Vertretung umzuändern . Ich meines Theils kann
nicht begreifen, wie ein Engländer, nachdem er die Geſchich ten von Athen, Sparta, Venedig, Frankreich oder Spanien geleſen , nachdem er nur einen Blick in die Weltgeſchichte gethan , nachdem er die zit Ende des achtzehnten Jahr hunderts in der Welt beſtehenden Regierungen in Anſchauung genommen , und die kläglichen Ergebniſſe der wohlwollend ſten Pläne und glänzendſten Verfaſſungsentwürfe in Er wägung gezogen, nicht um ſo inniger an ſein Heimathland ſich ſollte angezogen fühlen. Was auch theoretiſche Schrifta
ſteller geſagt haben mögen, man kann unmöglich verkennen, daß die Geſeße in England der bürgerlichen , Perſönlichen und politiſchen Freiheit einen größeren Schuß gewähren, als im Allgemeinen durchſchnittlich die anderen Regierungen .
„Die Segnungen der Verfaſſung, worunter wir leben ," iſt nach Allen nicht eine nichtsſagende Phraje. Sie ſind von fremden Nationen und der großen Majorität des Volks in dieſem Lande anerkannt. Die echte Miinge
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unſerer Freiheit mag beſchnitten und abgegriffen worden ſein, ſie iſt immer noch beſſer, als jede papierne Siderheit, die man uns bieten möchte. Wir ſprechen , wir ſchreiben, wir denken und handeln ohne Furdt vor einer Baſtille oder Inquiſition. Die Freiheit umgibt uns wie ein Gewand, und die Reſte des Geiſtes alter Zeiten ſind geſunder und munden uns beſſer, als eine noch ſo bewundernswerthe
neue Verfaſſung, welche neue Marimen des Handelns er fordern, und nieue Ideen von Recht und Gerechtigkeit er zeugen würde. Es gab indeſſen noch einen Grundſatz oder eine Baſis,
worauf im Jahre 1821 Reformmaßregeln ſich gründen ließen .
Wir haben geſehen , daß gegen das Ende des amerikas
niſchen, und nach Beendigung des franzöſiſchen Krieges die Beſchlüſſe des Unterhauſes im Widerſpruch mit der wohl waren . Aber die Majoritäten wird man kaum einen Fall vielleicht und waren gering bekannten Volfsmeinung
finden, wo die Majorität mehr wie hundert betrug, und zwar bei einer Frage, worin das Land ſelbſt nicht ſehr ge theilter Meinung war. Wie es nun eine Marime Newtons und ſeiner Nachfolger iſt, nicht mehr Urſachen anzunehmen , als zur Erflärung einer Erſcheinung hinreichen, ſo ſollte
ein Staatsmann dieſem Beiſpiel folgen, und nicht mehr Neuerungen vorſchlagen, als zur Heilung des Uebels erfors berlich ſind.
Ich habe indeſſen anderwärts ') meine Meinung dar über vollſtändig ausgeſprochen . Zum Schluß will ich nur noch anführen, daß über 1 ) S. Reden über die Reform im Hauſe der Gemeinen gehalten 1821--22. 1831-32.
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haupt die Autorität unſerer größten Staatsmänner zu einer theilweiſen, und nicht einer allgemeinen Reform geneigt iſt. Pitt's erſter Vorſchlag gieng auf Vermehrung der Mitglie der der Grafſchaften um 100 ; ſodann beantragte er ein Comité ; und als er zum legtenmal in Verbindung mit Wyvill und der großen Menge der Reformer den Gegens ſtand vorbrachte, ſchlug er vor, die Freiheiten von 36 Flecken und einiger geſchloſſener Corporationen , welche zum
Verzichten geneigt waren , zu erkaufen . Niemals aber war er der Meinung, das Haus niederzureißen, um es vom Boden bis zum Giebel nach einem neuen Plan wieder auf zubauen . For gieng während des franzöſiſchen Revolutions:
krieges viel weiter. Doch die Nüchternheit ſeiner Anſichten ſowohl, als die eines Mannes, der durch ſeinen Charakter und ſeine Freundſchaft mit For ausgezeichnet iſt, kann man , denk ich , aus einer Rede des Lord Grey abnehmen, worin er 1810 einen Antrag uuf ein Comité in Betreff des Zu
ſtandes der Nation empfahl. ") *) S. das Schlußfapitel.
Zweiunddreißigftes Kapitel. Stehendes Heer. In jedem freien Staate hat man ein ſtehendes Seer
mit argwöhniſchen Augen angeſehen und man iſt in ver ſchiedener Weiſe bemüht geweſen, den Gefahren vorzubeugen, womit ein fo furchtbares Machtmittel die Freiheit bedroht.
In einem Ueberblick der Verfaſſung Englands darf daher das ſtehende Heer nicht übergangen werden. In alten Zeiten hatte der König das Recht, bei einem Krieg, worin
das Königreich verwickelt ſein möchte, den Zuzug ſeiner kriegsfähigen Unterthanen zu fordern , aber die Zeit des Dienſtes erſtreckte ſich nur auf einen Sommer und die Lehenstruppen 1!nter den Bannern ihrer Lords blieben in
ihrer beſonderen Lehenspflicht, ohne der bürgerlichen Auto rität des Königs einen Zuwachs 311 geben. Heinrich VII. ſoll der erſte von unſeren Herrſchern geweſen ſein , der ſich eine Leibgarde hielt. Heinrich VIII . und hernach die Könis gin Elijabeth führten den Gebrauch ein , Lord Lieutenants
in die Graficaften zu jenden mit dem Auftrag, einen Theil
der Bevölkerung zur Vertheidigung der Grafſchaft aufzu bieten und anzuführen.
Aus dieſer Einrichtung entſprang der mohlbekannte Anſpruch Karls I. auf den Oberbefehl der Miliz ; ein An ſpruch , der , wenn auch durch die Praxis ſeiner unmittel baren Vorgänger geſtügt, nicht geſeblich begründet war.
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Bei der Thronbeſteigung Karls II. wurde jedoch die Frage vom Parlament zu Gunſten der Krone entſchieden, und es gieng ein Statut durch , welches feſtſtellte, daß der Ober befehl über die Miliz ſowohl , als über andere im König reich aufgebotene Streitkräfte , dem König zuſtehen ſolle. Karl war auf dieſen Theil ſeiner Prärogative äußerſtl eifers i
im ſüchtig und ſagte bei Gelegenheit, als eineliczb Hauſe der Gemeinen durchgieng, er werde die Miliz nicht auf eine Stunde aus ſeiner Hand geben. Er übte die vom Parlament ihm eingeräumte Gewalt, ein ſtehendes Heer zu
halten, indem er gemäß der feindlichen oder kriegeriſchen Zeitumſtände deſſen Zahl änderte , und in Friedenszeit ſich
von Ludwig XIV. mit Hülfsgeldern unterſtüßen ließ. Er ſoll der erſte engliſche König geweſen ſein , der unter dem Schuß des Schwertes zur Eröffnung des Parlaments (chritt. Jakob II. vergrößerte das ſtehende Heer bis auf 30,000 Mann und verſuchte, ſie dadurch zu Werkzeugen ſeiner Ub ſichten zu machen, daß er ihnen eine große Anzahl römiſch
katholiſcher Officiere gab ; aber die engliſchen Soldaten ent tăuſchten ihn bald, indem ſie durch ihr Freudengeſchrei bei Freiſprechung der Biſchöfe den Tyrannen überzeugten , daß
ſeine Mühe umſonſt geweſen.
Zur Zeit der Revolution
verordnete ein Geſet, daß in dieſen Königreiden ein ſtehen des Heer nur mit Genehmigung des Parlaments gehalten werden dürfe. Seit dieſer Zeit wird der König durch eine jährlich erneuerte Acte mit der Erlaubniß verſehen, Meuterei, Deſertion und andere militäriſche Vergehen zu beſtrafen ; die Anzahl der Truppen , welche während des Jahres gehalten werden dürfen, wird ſtets in jener Acte beſtimmt. So find
wir wenigſtens gegen die Erneuerung eines Verſuchs derart geſichert, welchen Karl und Jakob machten, trok dem Wilen des Parlaments und mit andermärtsher bezogenen Mitteln
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eine Heeresmacht zu halten. Dieſe Vorkehr wil übrigens nicht viel bedeuten ; die Unterhaltungskoſten eines Heeres ſind ſo groß , daß ſie ſchwerlich anders als durch Parla mentbewilligung beſtritten werden können .
Während der Regierung Wilhelms gab das Haus der Gemeinen die größte Eiferſucht gegen ein ſtehendes Heer zu erkennen. Nach dem Ryswicker Frieden nöthigte es den König, ſeine niederländiſchen Garden zu entlaſſen , obgleich Wilhelm ein eigenhändiges Sendſchreiben an das Haus
richtete, worin er auf's Dringendſte bat , es möge ihin die Veibehaltung ſeiner begünſtigten Veteranen geſtattet werden. Allein die Gemeinen waren unerbittlich .
Ja ſie potirten zu
gleicher Zeit, daß das ganze ſtehende Heer folle aufgelöſt werden ; doch in Erwägung der Nothwendigkeit von Wachen und Beſatzungen , genehmigten ſie im folgenden Jahr 7000
Mann zur Vertheidigung Englands und 12000 für Frland. Bemerken wir dabei , daß zu der Zeit Ludwig XIV. auf dem Throne Frankreichs ſaß, der die Anſprüche des ent thronten Rönigs von England unterſtützte , und in ſeinem Lager bei Compiègne ein Heer von 80,000 Mann muſterte, einen Theil der 450,000, welche er während des Krieges gehalten hatte.
Manche unter uns werden vielleicht ſtaunen über die Kühnheit, womit das engliſche Unterhaus ſeinem eigenen Könige entgegentrat und einen fremden Herrſcher heraus
forderte. Doch finden wir nicht, daß daſſelbe Grund be kam, ſeine. Unvorſichtigkeit zu bereuen ; denn während des nachfolgenden Kriegs erneuerte der Sieger von Blenheim und kamilies für England den Kriegsruhm der Tage von Crecy und Azincourt.
Bei der Thronbeſteigung des Hauſes Hannover wurde das ſtehende Heer augenſcheinlich verſtärkt. Fünfzehn, ſeches
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zehn und ſiebenzehntauſend Mann wurden vom Parlament gewöhnlich votirt , und für Jrland eine beſondere Anord nung getroffen. Dieſe Anzahl ſcheint im Laufe des vorigen Jahrhunderts die durchſchnittliche geweſen zu ſein. In uns ſeren Tagen iſt die Anzahl bedeutend erhöht worden .
Da das ſtehende Heer alſo im Verhältniß zur Ver faſſung Englands geſetzt iſt, bleibt noch zu unterſuchen, wie es auf die Regierung wirke, und ob von demſelben eine wirkliche Gefahr zu befürchten ſei. Seit der Revo lution bis zur Gegenwart hat es ſtets eine Anzahl Männer gegeben, welche aus Patriotismus oder Parteigeiſt das Land vor den Gefahren warnten , womit ein Militar ſtaat es bedrohe, und haben den Umſturz der Freiheit Noms und anderer volksmäßig regierter Staaten als ein Beiſpiel, das wir zu vermeiden haben, hervorgehoben. Ich bin jedoch geneigt zu zweifeln, ob die Vergleichung richtig iſt. Nepu bliken ſind durch ſtehende Heere umgeſtürzt worden , weil die Truppen ihre Oberanführer zur Errichtung einer be ſtändigen Dictatur und zum Sturz des Senats und der Gefeße zu Gunſten eines Militärdespotismus unterſtützten, aber in England kann weder die Erfahrung, noch der gegen wärtige Zuſtand des Landes eine vernünftig begründete Furcht vor der Uſurpation eines glücklichen Generals er:
regen. Die monarchiſche Form unſerer Regierung ſcheint gegen dieſes Uebel zu ſichern . Auch iſt nicht ſehr zu be fürchten, daß der Herrſcher ſelbſt das ſtehende Heer ge brauchen werde , um das Parlament aufzuheben und die Verfaſſung gewaltſam umzuſtoßen. Die öffentliche Meinung iſt zu feſt begründet und die Inſtitutionen des Landes ſind zu lebenskräftig, als daß ein ſo verzweifelter Anſchlag Statt haben könnte; das Heer ſelbſt iſt ferner zu enge mit der anderen Volksklaſſen des Landes verbunden , um bei einem 1
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Plan zum Umſturz der beſtehenden Autoritäten des König reichs mitzuwirken . Allerdings iſt, wie Lord Chatham ſagt, der tüchtige Charakter des Heeres unſer Hauptſchutz gegen dieſe Gefahr ; doch ſehen wir die Zuſammenſetzung der
Armee, ſo liegt darin eine genügende Sicherheit. Der offenbare Umſturz unſerer Freiheiten durch die Gewalt des ſtehenden Heeres iſt zwar nicht unmöglich, aber doch höchſt unwahridheinlich. Sodefjen wollen wir daraus,
daß wenig Gefahr vorhanden iſt, das Heer möge gleich den Truppen des Marius oder Cäſar unſere Freiheit vernichten oder das ſervile Werfzeug eines Königs werden , um ihn
abſolut zu madjen, doch nicht den Schluß ziehen, ein großes ſtehendes Heer gebe nicht vernünftiger Weiſe Anlaß, mo nicht zur Beunruhigung, doch zu Argwohn und Eiferſucht.
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Dreiunddreißigftes Kapitel. Von dem Einfluß der Geſchworenengerichte auf Auslegung und Abänderung der Geſeke. Der Saß, daß gute Geſetze ohne Tugend in der Geſells ſchaft, für welche ſie gegeben wurden , wenig oder nichts frommen, iſt ſo allgemein anerkannt, daß es unnöthig ſcheint,
ein Wort darüber zu verlieren. Vielleicht gibt's kein um faſſenderes oder humaneres Gefeßbuch , als das , welches in Spanien für die Regierung in Mexico und Peru gegeben wurde; aber leider befanden ſich die Geſebgeber zu Madrid, und das Volt, welches geſchüßt werden ſollte, im Zwangs
dienſte ſeiner Gebieter , ohne die Macht, ſeine geſetzlichen Nechte zu vertheidigen ; und ſo hatte denn das Geſetzbuch durchaus keine Kraft noch Werth. Obwohl dem oben auf
geſtellten Saß vielleicht nicht förmlich widerſprochen wird, ſo iſt er doch nicht allgemein unſerer Weberzeugung einge
prägt. Die Menſchen ſind leicht zu dem Glauben veranlaßt, daß , wo Freiheit und Wohlſtand geblüht haben , den Ge
feßen , wonach die Staaten regiert wurden , ein gewiſſer ausgezeichneter Vorzug, eine unfehlbare Trefflichkeit einges wohnt haben müſſe. Es würde nicht ſchwer ſein zu beweiſen, daß weder zu Athen , noch zu Rom , noch in Florenz oder
Holland die Form der Geſeße eine große Vollendung gehabt
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hat.
Dieß würde vielleicht zugegeben , und doch würde !
Mancher auf dem Glauben beharren , unſere Vorfahren in
England ſeien im Beſitz eines geheimen Mittels geweſen , untadelhafte Gefeße zu geben. Zur Verbreitung dieſer Ans ficht hat Bladſtone viel beigetragen. Alles Beſtehende hat in ſeinen Augen eine beſondere Heiligkeit, und er preiſt die engliſche Verfaſſung mit dem Enthuſiasmus eines Schülers, dem man das Gemälde eines großen Meiſters zu betrachten
geſtattete. Der Jrrthum hat indeß ſein Gutes gehabt. Hielt er gleich ab, manche einleuchtende Verbeſſerungen her: vorzuheben , jo hielt er doch auch jene Achtung vor unſeren alten Freiheiten wach, worin ſpeculative Staatsmänner das
größte Hinderniß willkürlicher Neuerungen finden. Doch kann man unmöglich nur einen überſichtlichen Blick auf die Geſchichte unſerer Verfaſſung werfen, ohne auffallende Modi
ficationen und gezwungene Auslegungen 311 gewahren , zu denen man ſich verſtand, um das Geſetz des Landes mit der Sidherheit des Staates und dem Wohl der linterthanen in
Einklang zu bringen. Als erſtes Beiſpiel habe ich das Hochverrathsgeſetz zu
erwähnen. Drei Jahrhunderte lang waren wir gewöhnt, die 25. Regierungsacte Eduards III. als ein Muſter von Weisheit und Freiheit in Beziehung auf Hochverrath anzu
führen. Doch ſieht man das Geſet näher an , was enthält es denn ? Den kühnen und tropigen Vertrag eines un ruhigen Adels mit einem Feudalfönig, der für eine civilis firte Geſellſchaft und eine Handelsnation durchaus unpaſſend iſt. Es beſtimmt, daß die Strafen für Hochverrath nur diejenigen treffen ſollen , „ welche gegen das Leben des Königs ſich verſchworen , oder wirklich die Waffen wider ihn er:
griffen haben." Solch ein Geſetz war offenbar darauf be rechnet, die Barone vor Verhaftung wegen Feindſeliger Ge 15 *
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ſinnung zu ſchüben, und ihnen die Erlaubniß zu verſchaffen , ihre Privatverſammlungen zum Zwecfe Aufruhrs ingeſtört
zu halten. Mit dem Fortſchritt der Geſellſchaft wurde man jedoch inne, daß eine Verſchwörung, um Serieg zu beginnen, keineswegs ein gewöhnliches oder leichtes Vergehen ſei, ſon bern ein äußerſt großes Verbrechen , woduro zugleich die Sidherheit des Königs und die Ruhe des Landes gefährdet
wird . Was war zu thun ? Es war klar , daß eine Ver ſchwörung, Krieg zu beginnen, nicht als Fodhverrath vor dem Geſetz bezeidhnet war ; denn Niemand hätte jo lächers lich verfahren können , die wirkliche Ergreifung der Waffen ſpeciell als Hochverrath anzuführen , wenn er unter der Nubrik der Nachſtellung nach des Königs Leben bereits eine
Verſchwörung, Krieg zu beginnen , einbegriffen hätte. Wenn eine ſolche Verſchwörung der Nachſtellung nach des Königs Leben gleich geachtet wurde, ſo war damit auch der wirklich begonnene Krieg gemeint. Hätte man das Vergehen einer Verſchwörung, Krieg zu beginnen , in das Statut auf
nehmen wollen, ſo hätte man ohne Zweifel geſagt : Krieg anfangen wider den König oder ſich zu dieſem Zweck ver ſchwören." In der That war der Sinn des Geſetzes Eduards ſo zweifellos, daß ein neues Geſet, welches die Verſchwörung , Krieg zu beginnen , für Hochverrath erklärte, gegeben, und ſpäter, zu Anfang der Regierung Marias, nebſt anderen Hochverrathserklärungen zurückgenommen wurde. In dieſer Verlegenheit hieben die Rechtsgelehrten
den gordiſchen Knoten entzwei. Sie erklärten , „daß auf den Tod des Königs ſinnen oder darnach trachten". ebenſoviel bedeute, als ſich verſchwören, um ihn abzuſeßen , einzuferfern
oder eine Gewalt anwenden , um ihn zu Aenderung ſeiner 1
Rathgeber oder ſeiner Maßregeln zu bewegen ; denn eine
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jede dieſer Handlungen könne ſeinen Tod herbeiführen '). Als Verbrechen, Krieg gegen den König erhoben zu haben, deutete man jeden Aufſtand für gemeinſame Ziece, z. B.
Verzäunungen oder Verſammlungshäuſer niederzureißen. Dieſe gewaltſamen Rechtsverdrehungen , welche zuerſt unter den Tudors ausgedacht, und unter den Stuarts angewendet
wurden , um das Blut vortrefflicher Männer zu vergießen, nahmen zu und gediehen weiter, bis ſie unter Georg I. die Sanction des biederen und ehrwürdigen Nichters Foſter er hielten. Jedoch bedurfte man unter dieſer milden Regierung wenig dieſes Kunſtgriffs und es blieb Pitt vorbehalten, zur Zeit des franzöſiſchen Revolutionstrieges denſelben gegen die Reformer, welche früher ihn unterſtügt hatten , zu rid ten .
Aber die Geſchworenen weigerten ſich, die Auslegung nach dem Wunſch des Miniſters in Geltung zu bringen. Es wurde zwar bewieſen , und ſie waren damit einverſtanden, daß Hardy und Andere im Vereine zuſammen getreten waren zu feinem anderen Zweck , als die den Thron um
gebenden Einrichtungen ſämmtlich umzuſtürzen. Der Ober richter erklärte, hinſichtlich der Anwendung des Geſetzes könne kein Zweifel ſtattfinden. Aber es war unmöglich, Hardy für überführt zu erklären, ohne daß man alle politiſchen Vereine, die in Oppoſition gegen das Miniſterium gebildet waren , einer peinlichen Anklage ausſekte, und die Angeklaga ten wurden daher freigeſprochen. Nach dem Frieden von 1) Foſter, die große Autorität über dieſen Punkt, ſagt : „ ſich ver : ſdwören , um den König gefangen zu ſeben , ſei ebenſoviel, als ihm nach dem Leben trachten , weil die Gräber der Fürſten ihren Gefängs niſſen nahe fümen.“ Dieſe abgebroſchene moraliſde Bemerkung zu
einer Schlinge zu machen, um unterm Vorwand der Auslegung eines Geſeķes aus dem vierzehnten Jahrhundert einen Mann ums Leben zu bringen, iſt eine ſo abſurde wie graujame Spitfindigkeit.
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1815 giengen einige wahnwißige Demagogen über Ales hinaus, was bei Hardy und der conſtitutionellen Geſellſchaft vorgefoinmen iſt. Sie beſchloſſen , den Geſezen nicht Folge zu leiſten und empfahlen in ihren Neden phyſiſche Gewalt als das einzige Mittel , Abſtellung der Beſchwerden zu er langen. Einige derſelben wurden des Hochverraths ange
klagt. Aber die Regierung, die ſich erinnerte, was für eine Lection ihre Vorgängerin erhalten hatte, ſtand von der Ver folgung ab, und ſo ließ ſie ſchweigend eine der allgemeinen Sicherheit des Landes gefährliche Anmaßung gewähren. Zu derſelben Zeit würden ohne Zweifel die Geſchworenen einen Angeklagten, dem es bewieſen worden , daß er Truppen in der unmittelbaren Abjicht eines Aufſtandes gegen den König
geworben , des Hodiverraths für ſchuldig erkannt haben . So iſt das Hochverrathsgeſetz, welches zuerſt für die Sicher heit des Staates nicht ausreichte und nachher zu einer Schlinge gegen die Unterthanen verwendet wurde, zuletzt zu einer Schranke ausgebildet worden, welche in gleicher Weiſe
der Feſtigkeit des angegriffenen Thrones und der Sicherheit bes unſchuldig Angeklagten zum Schutze dient. Gehen wir nun über zu dem Bibelgeſetz, welches die Preßfreiheit ſichern ſoll. Nach Blackſtone find Libelle, in
dem Sinne, wie hier gemeint iſt : „boshafte Verunglimpfungen einer Perſon, beſonders einer obrigkeitlichen, welche durch Schrift, Druck, Zeichen oder Gemälde in der Abſicht ver öffentlicht werden, ſie zum Zorn zu reizen , oder dem Haß , der Verachtung oder dem Spott der Menſchen Preis zu geben.“ Er ſagt uns, „die Mittheilung des Libells an irgend Femand ſei in den Augen des Geſetzes eine Ver
öffentlichung“ , und „ es ſei in Hinſicht auf das Weſen eines Libell's von keinem Belang, ob der Inhalt wahr oder falſch
ſei. " Wenn demnach jemand etwas über das Verhalten
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eines Miniſters ſchrieb , das man boshafte Verunglimpfung nannte, wodurch er öffentlich verhaßt, verachtet oder lächer
lich werden konnte , ſo wurde er ſtraffällig , wenn auch der Inhalt des Geſchriebenen wahrheitsgemäß war, und er das ſelbe auch nur einer einzigen Perſon mitgetheilt hatte. Um
dieſe Gewalt noch furchtbarer zit machen, pflegten die Richter vormals zu behaupten, es ſtehe ihnen allein die Entſcheidung
zu, ob das Geſchriebene ein Libell ſei, oder nicht; und die Geſchworenen ſeien nur berufen, über die Thatſache der Ver
öffentlichung z11 urtheilen . Das iſt doch wahrhaft ein Tyrannengeſetz ! Wie hat nun die Preſsfreiheit daſſelbe über dauert ?
Das Wunder iſt raſch erklärt. -
Der Ankläger von
Seiten der Krone begnügte ſich vormals damit, das Papier zu ſich zu ſtecken und damit die Veröffentlichung zu be weiſen , indem er dem Nichter überließ zu urtheilen, ob daş ſelbe ein Libell ſei. Der Anwalt des Angeklagten verweilte
dann gewöhnlich dabei, darzuſtellen, wie hart es ſei, Jemand der Veröffentlichung einer Schrift wegen zu verurtheilen, ohne zu unterſuchen , ob die Schrift Unſduldiges oder Ge fährliches enthalte. Die Geſchworenen fühlten die Ungerecha tigkeit des Verfahrens und ſprachen gewöhnlich den Beklagten
frei. So gewährt die libellbill, welche For 1791 beantragte, nicht allein der Preßfreiheit den gebührenden Schuß, ſondern entſprach auch einem Bedürfniß der Regierung ſelbſt. Dieſe
Biú machte die Geſchworenen zu Nichtern nicht allein über die Thatſache, ſondern auch über das Geſetz, d . h. ſie wur den ermächtigt zu entſcheiden , nicht allein ob die fragliche
Schrift veröffentlicht, ſondern auch ob ſie ein libell ſei. So hat demnach der Geiſt des Volkes die Verbeſſerung eines ſchlechten Geſetzes bewirkt. Es können noch viel andere Fälle angeführt werden,
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wo die Sprüche der Geſchworenen die Wirkung hatten , die
Vollziehung eines grauſamen oder drückenden Geſeķes zu hindern, und ſchließlich die Beſeitigung oder Abänderung des
Geſetzes ſelbſt zu veranlaſſen. Die Meineidigkeit, womit die
Geſchworenen bei Criminalgeſeken verfuhren , iſt bereits oben erwähnt worden ; ihre Ausſprüche in Bankerottfällen würden noch manche andere Beiſpiele der Art aufweiſen. So find in England die Geſchworenen nicht allein in der Chat die
wirklichen Richter, ſondern ſie beſitzen eine Macht, welche ein Richter nicht würde auszuüben wagen , nämlich zu ver hindern, daß das Geſetz in Ausführung komme. Unſtreitig
iſt dies eine ſehr gefährliche Autorität , insbeſondere, weil die Geſchworenen geheim berathen, ohne Entſcheidungsgründe beſchließen und auseinandergehen , ohne hernach verantwort lich zu ſein, frei von jeder Controle, außer ihrem Gewiſſen ; doch mit der Mäßigung und Beſonnenheit, wie bisher, aus geübt, hat ſich das Ermeſſen der Geſchworenen nur ſehr heilſam erwieſen. Es hat die Verbeſſerung mancher ſchlech
ten Gefeßę veranlaßt , welche von den Richtern mit pünkt licher Strenge ausgeführt und mit zunftmäßiger Bigotterie vertheidigt worden wären ; und vor allem hat es die be deutende und nüßliche Folge , daß Geſeke, welche dem Ge
fühl des Gemeinweſens , für welche ſie gemacht ſind, durchaus widerſtreben , in England ſich nicht lange erhalten können .
Ich habe für nüßlich gehalten , dieſes Kapitel einer bisher noch wenig bemerkten Wirkung des Geldhworenen
proceſſes zu widmen ; ich will es aber nicht ſchließen, ohne auf das Stärkſte meine eigne Anſicht über den Werth des Inſtituts ſelbſt auszuſprechen . Dem Geſchworenen
gericht verdankt das Volk vielleicht ebenſo ſehr , als der
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Nationalvertretung ſeinen Antheil an der Regierung des Landes ; desgleichen verdankt die Regierung hauptſächlich dieſer Proceßführung die Anhänglichkeit des Volks an die Geſetze.
Bierunddreißigſtes Kapitel. Einfluß der Krone. „ Die Menſchen ſind von Natur zur Beſtechlichkeit geneigt; und wann, wer zu beſtechen den Willen und das Intereſſe hate mit Mitteln verſehen iſt, wird er ſeines Zweckes nie verfehlen. Machi, Ehre und Reidythum ſammt den Annehmlichkeiteni,fdie
er verſchafft, ſind der Köder, welcher die Menſchen verlodt, ihren perſönlichen Vortheil bem öffentlichen Wohl vorzu ziehen . Die Zahl derer, welche darnach gelüſten , iſt lío groß, daß, wer reichlich damit verſehen iſt, ſo Viele für
ſeinen Dienſt gewinnen kann , als er bedarf , ſum die Uebrigen zu unterjochen . Es gibt kaum eine Tyrannei in der Welt, die nicht durch dieſes Mittel gegründet wurde. " Algernon Sidney.
Der geprieſene Beſchluß von 1780, „daß der Einfluß der Krone gewachſen iſt, fortwährend wächſt, und vermindert werden muß, “ ſcheint ſeine Widerlegung in ſich ſelbſt zu 1
haben . Ein Haus der Gemeinen, kann man wohl ſagen, das im Stande iſt, einen der Krone fo feindſeligen Beſchluß zu faſſen, mag wohl wenig von jenem Einfluß zu fürchten haben. Dieſer ſcheinbare Einwand iſt jedoch nicht ſtichhaltig. Der Einfluß der Krone wirkt mit ſtillem aber fortwähren dem Druck ; die öffentliche Meinung durch plößliche Stöße.
So kann eine Reihe von Maßregeln, welche die Intereſſen
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und Ehre eines Landes beeinträchtigen, geraume Zeit durch bloße Regierungsgewalt und den Privatvortheil , welchen Einzelne durch Unterſtüßung derſelben finden , fortgeſetzt werden. Endlich wird das Uebel unerträglich : das Volk ſieht ein , daß es mißleitet und im Irrthum gehalten worden
war, und entſchließt fich, ſeine Führer zu entlaſſen. Aber auch dann noch ſtehen den Inhabern der Gewalt unzähliche
Mittel zu Gebot, ſeinen Unwillen zu beſchwichtigen und vielleicht gänzlich von ſich abzulenken ; ſie fahren dann noch einige Zeit fort, die Nation in neue Verlegenheiten zu brin
gen , und den Staat in noch größere Gefahren zu verwickeln. So geſchah es 1780 : die Partei, welche den oben gedachten abſtrakten Beſchluß durchgeſetzt hatte, fand ſich einige Wochen
hernach in der Minorität, als ſie es angriff, ein praktiſches Reſultat baraus zu ziehen . Zur Zeit Karls II., ſagt man, wurde der Plan, die Mitglieder des Unterhauſes durch Gaben und Gunſtbezelis
gungen von Seiten der Rrone zu beeinflußen , zuerſt ſyſte
matiſch betrieben . Die Benennung „ penſionirtes Parlament“, welche man dem Hauſe gab, das während dieſer Regierung ſiebzehn Jahre lang unaufgelöſt blieb, gibt hinlänglich zu
erkennen, was die öffentliche Meinung davon hielt. Manche der ärmeren Mitglieder verkauften ihre Stimmen um eine
ſehr geringe Erkenntlichkeit.
Den Sprechern , welche des
Kaufes am meiſten werth waren , wurden Stellen und Gnadenbezeugungen zugewieſen, die übrigen begnügten ſich mit einer Geldſumme. Lord Clifford verwendete auf Bes ſtechung der Mitglieder die unbedeutende Summe von
10,000 Pf., Lord Danby erhöhete den Betrag. Aus dem Bericht eines im Jahre 1678 errichteten geheimen Comité ergibt ſich , daß viele Mitglieder auf eine oder die andere Art Geld oder Gunſtbezeugungen empfingen.
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Daß dieſes Unweſen unter Wilhelm fortbeſtand , iſt nicht zu bezweifeln. Sir John Trevor wurde überführt, daß er als Sprecher ſich von der Stadt London beſtechen
ließ, das Durchgehen der Waiſenbill zu befördern. Hunger ford wurde wegen deſſelben Vergehens ausgeſtoßen. Dieſe Thatſachen beweiſen die Unrichtigkeit des Vor wurfs, welchen man Walpole macht, zuerſt in England mit Hülfe von Beſtechungen regiert zu haben. Daß er inter feinen Mitteln auch Beſtechung verwendete, iſt allerdings nicht zu läugnen . Er verfuhr dabei mit einer Plumpheit, welche durch Vernichtung der Scham die noch beſtehende ſchwache Schugwehr der Tugend beſeitigte , und damit dem Uebel, das nun unverhüllt auftrat, Verbreitung gab. Man ſagte, er habe behauptet, es ſei ihm gleichgültig, wer die Parlamentsmitglieder mache, ſofern es ihm nur geſtattet ſei, nach ihrer Wahl mit ihnen zu handeln. Vielleicht ſind dieß unbegründete Anecdoten ; aber ſie verbreiteten Mißtrauen gegen die Regierung.
Während Lord North's Verwaltung wurde der Ein fluß der Krone in maßloſeſter, ſchamloſeſter und herab würdigendſter Weiſe geltend gemacht. Den Freunden und Günſtlingen des Miniſters wurde verſtattet, an den An leihen einen Antheil zu nehmen , welchen ſie augenblicklich nachher mit 10 Procent Gewinn verkauften . ) For macht in ſeinen Neben dem Lord North mehr als einmal den Vors wurf, 900,000 Pf. von einem Anlehen geopfert zu haben,
um ſich Unterſtützung zu gewinnen. Merkwürdig dabei iſt,
daß For es als eine ſelbſtverſtändliche Sache einräumt, daß ein Miniſter, wenn er ein Anlehen macht, dabei ſeinen Freunden einen Vortheil zuwendet, und daß man nicht er: 1) Roſe's „ Einfluß der Krone. “
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warten müffe, irgend ein Miniſter werde es anders machen . Er iſt nidyt ſo freiſt, Lord North wegen dieſes Mißbrauchs
zu tadeln , ſondern nur, daß er's ſo arg freibe. Damals erhielten einige Parlamentsmitglieder wirklich eine Geld fumme für ihre Stimme. Jede Regierungsſtelle war eine Scene der Verwirrung, Verſchwendung und Ausſchweifung,
welche trefflich dem Intereſſe Aler diente, die auf Koſten der Ehre, des Patriotismus und des Gewiſſens ſich zu be reichern trachteten. Es erhob ſich ein Geſchrei nach Be ſchränkung der Ausgaben, lauter als das, welches Walpole ſtürzte, und rief den im Eingang dieſes Kapitels erwähnten Beſchluß hervor. Die Wünſche der Nation erſtreckten ſich auf die parlamentariſche Reform ebenſo wie auf die finanzielle.
Pitt machte ſich mit Geſchick zum Organ beider und erwarb ſich durch ſeine nachdrücklichen Erklärungen das Vertrauen des Volfs, welches derjenigen Partei entzogen wurde, welche
nach langer, aber unpopulärer Oppoſition gegen den amerika niſchen Krieg die Früchte ihrer Anſtrengungen dadurch ein
büßte, daß ſie ſich mit dem Miniſter verband, der ihn ange fangen hatte.
Nach Beendigung des amerikaniſchen Kriegs wurden in Folge der Bil Burkes und den Anordnungen Lord Shel burnes 216 Stellen abgeſchafft. Pitt hob 200 unter geordnete Stellen im Salzdepartement auf, deren Gehalte
jährlich 25,000 Þf. betragen hatte. ") Zudem wurden ſeit 1780 zwei und dreißig Stelleninhaber vom Parlament ausgeſchloſſen, wozu Roſe noch fünfzehn Lieferanten fügt. Fernier wurden Sinecuren abgeſchafft.
1) Rose , on the Influence of the Crown, Edinb . Review Vol. XVI . p . 191 .
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Ale dieſe Beſchränkungen der Mittel des Einwirkens ſind jedoch von geringer Bedeutung ; die öffentliche Meinung hat en Einfluß der Krone weit überwogen und ihrer durchdringenden Gewalt Alles unterworfen.
Fünfunddreißigftes Kapitel. Preiſfreiheit.
Wahrſcheinlides Schidfalder engliſchen Verfaſſung. Es iſt von großem Intereſſe, den gegenwärtigen Zu ſtand unſerer Geſege und Sitten zu prüfen, um über das wahrſcheinliche Schickſal unſerer Verfaſſung ſeine Ueber zeugung feſt zu ſtellen .
Bei Erwägung dieſer Frage bietet uns für Hoffnung und Vertrauen die Preßfreiheit den breiteſten Grund dar. Es ſcheint dwer begreiflich , daß ein Volk auf einmal von
allgemeiner Verbreitung politiſcher Einſicht zur Verfinſterung des Despotißmus übergehen könne, ſo daß es möglich wäre, ſowie es dieſer bedarf , die öffentliche Beſprechung zu hindern.
Dabei wollen wir jedoch ſtets eingedenk ſein, daß man nicht wohl von der Freiheit der Preſſe reden kann, ohne
auch ihren Mißbrauch zu beſprechen. Jeder Verſuch, ihren Ausſchreitungen anders zu begegnen, als durch Urtheil des Schwurgerichts nach vollbrachtem Vergehen, mußte auch ihr Freiheit ſelbſt einſchränken. Eins ohne das andere zu thun, wäre ſo ſchwierig, als wenn man dafür ſorgen wollte, daß die Sonne zwar unſere Blüthen und Früchte zur Entwicke lung und Reife bringe, aber unſer Angeſicht nicht bräune.
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Manche haben von der Preſſe unrichtige Begriffe. Sie
nehmen ſie für eine regelmäßige unabhängige Gewalt, wie die Krone oder das Haus der Gemeinen. Die Preſſe gibt uns aber nur ein Mittel in die Hand, um mit tüchtigen Gründen und in richtiger Sprache den Meinungen zahl reicher Klaſſen der Geſellſchaft Ausdruck zu geben. Denn wenn dieſe Meinungen , ſo gut ſie auch unterſtützt werden,
nur Paradoren eines Individuums ſind, das ſie ausſpricht, ſo fallen ſie inmitten von dreißig Millionen Menſchen eben ſo unſchädlich nieder, als es in einer Privatgeſellſchaft von drei Perſonen der Fall ſein würde.
Der wahre Eenſor
der Preſſe iſt alſo der Nationalgeiſt ; denn nicht die An ſichten dieſes oder jenes Zeitungsſchreibers können den Gang einer Regierung controliren . Dieſe Herren ſind wenig oder gar nicht bekannt; einen oder den anderen ausgenommen , werden ihre Namen nirgends erwähnt. Sie verſtehen ſich darauf, die Stimmungen und Irtheile in Beziehung auf die Angelegenheiten und Gemüther eines großen Theils ihrer Landsleute in einem täglich erſcheinenden Blatte aufzuneh men , ſo daß ſie dadurch Nuf und allgemeinen Beifall ernten. Aber es würde dieſen Perſonen, trotz der Macht der Tages preſſe, unmöglich ſein , das Volk auf die Dauer mit Geſetzen, die es mit Ehrfurcht betrachtet, oder einem Miniſter, den es hochachtet, unzufrieden zu machen. Ein Blatt, das ſich
ſo verirrte, würde keine Leſer finden. Ebenſo wenig würde es einer verkehrten , bebrückenden und verhaßten Megierung gelingen, die Preßfreiheit aufzuheben. Meder hat die Preſſe Karl I. geſtürzt, noch die Inquiſition Ferdinands VII. des potiſche Gewalt zu retten vermocht. Die im Dunkeln ſchleis chende Rabale, die heimliche Verſchwörung, der unvermuthete Aufruhr, der verdeckte Mörder finden ſich da, wo Prefa freiheit nie ſtattfand. Und mollte eine Regierung ſie da, wo
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ſie beſteht, unterdrücken, ohne zugleich die den Aufruhr näh rende Urſache zu beſeitigen, ſo würden wahrſcheinlich Ver mehrung der Verbrechen und mindere Sicherheit die Folgen der töörichten Furcht und ohnmächtigen Vorſicht ſein . Bliden wir auf die berühmten Staaten des Alter
thums und diejenigen der neueren Zeit, welche Preßfreiheit nicht geſtatteten, ſo muß es jedem auffallen, daß ſie nicht durch Fehler ihrer Regierungsverfaſſung in Verfall geriethen, ſondern durch das allmähliche Sinken nationaler Tugend
und die zunehmende Verderbniß des Volkes ſammt ſeinen Führern. In Sparta und Rom tann dieſe Entartung in ihrem Beginnen der Wirkung des Reichthums auf eine
Nation zugeſdhrieben werden, deren Freiheit und Sittlichkeit auf Armuth und Verachtung des Reichthums gegründet waren . Aber das jähe Hinabſinken eines Staates wie Rom in einen Abgrund von Verdorbenheit und Feilheit kann nur dann eintreten, wenn das ganze Volt, mit politiſchen und moraliſchen Laſtern beſudelt, bei dem Mangel wirf ſamer Schranken ſeines Thuns dieß Schamgefühl verloren hat. In beider Hinſicht iſt England in Seſſerer Lage als Nom .
Seine
Inſtitutionen find nicht auf die Voraus
bedingung roher Sitten und Armuth der Geſetzgeber ge gründet. Handel und Gewerbe aller Art hat das Geſetz von Anfang an begünſtigt.. auch würde es nicht leicht fein, unſere Staatslenfer oder unſere Nationalvertreter dahin zu bringen, daß ſie die Scham ablegen. Jhre Handlungen ſind nicht der Meinung einer einzelnen Stadt, ſondern dem Öffentlichen Urtheil eines Volts von dreißig Millionen
ja Europas, Amerikas, der ganzen Welt unterworfen. Die Nation ſelbſt iſt zu zahlreich, um im Ganzen von den Kronbeamten verleitet werden zu fönnen . In einem Dorfe von hundert Familienvätern laſſen ſich wohl zwei, oder viel 16
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leicht vier durch Regierungseinfluß gewinnen ; aber die übrigen ſechs und neunzig wählen ſich unabhängig ihre Politik und ihre Zeitungen. Auch kann kein anonymer Schriftſteller es wagen, ſich auf etwas anders als die guten Grundſäße unſerer Natur zu berufen.
Noch nie hat man
erfahren , daß ein Zeitungsblatt oder ein Pamphlet öffent lich die Käuflichkeit der Richter, oder die Anwendung der Tortur in Schuß genommen hätte , ſo wenig als die Tra gödie Feigheit als bewundernswerth, oder den Reid als
liebenswürdig darſtellen will. Selbſt die ſchlechteſten Men fchen zollen in der Idee der Tugend ihr Lob. Offenbar muß in gewöhnlichen Zeiten die Ausübung
einer ſolchen Cenſur wohlthätig für das Land wirken. Kein Staatsmann darf hoffen, daß ſeine verwerflichen Mittel, ſeine
Schliche, Zweideutigkeiten und Winkelzüge einer Wachjam keit, die nie ſchlummert, und einer Emſigkeit, die nie erſchlafft, entgehen können. Auch kann es eine geſunde Meinung nicht ers heblich beeinträchtigen, daß die Tagesblätter mehr Parteiadyo katen , als Wahrheitsforſcher ſind ; ſie gleichen Anwälten, die in einem großen nationalen Proceß für die eine oder die
andere Partei auftreten ; und die Nation hat gleich der Jury, nachdem ſie beide Theile gehört, das entſcheidende Urtheil zu ſprechen. Auch gehören die Vortheile, welche die Deffentlichkeit gewährt, nicht blos der Idee an . Wir ſehen die Belege täglich vor Augen. Als eine der anerkennens:
wertheſten Wirkungen der öffentlichen Meinung kann man wohl die perſönliche Unbeſcholtenheit unſerer Staatsmänner hinſichtlich des Geldes anführen. Zur Zeit Karls II. und geraume Zeit nachher waren die hochgeſtellten Männer im Staate dem , was man jegt Verkäuflichkeit nennen würde, nicht unzugänglich . Zu Lord North's Zeit ließen ſich viele Parlamentsglieder in plumpſter und handgreiflichſter Weiſe
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durch Geld gewinnen. In unſeren Tagen kann man nicht umhin einzugeſtehen , daß bei unſern Staatsmännern weit mehr perſönliches Zartgefühl, mehr Nedlichkeit und , wie ich gerne hinzufüge, lebhafteres Ehrgefühl als früher zu finden iſt.
Die größte Wohlthat jedoch , welche die Deffentlichkeit uns erweiſt, beſteht darin, daß ſie die Mängel unſerer In ſtitutionen rügt und, wenn ſie nicht unmittelbar deren Ab ſtellung bewirken kann , ihre ſchädlichen Wirkungen hemmt. So war, um gleich den bedeutendſten Fall anzuführen , das Unterhaus, ehe die Neformacte durchgegangen war, ſo zu ſammengeſetzt, daß , wäre es abgeſchloſſen und allem Einfluß von außen entzogen geweſen , das Volk gefunden haben würde, daß ſein Geiſt ſo gewichen , ſeine Organe ſo herab gekommen, ſeine Handlungen ſo widerlich waren, daß es ſolch' eine Regierung ſich nicht länger hätte gefallen laſſen. Aber das Talent eines einzigen Mannes überwiegt oft den Sinn des ganzen Hauſes ; und ein Miniſter, der Jahre lang durch vertrauliche Unterredungen und überwältigende Majoritäten beliebte Mißbräuche in Schutz genommen hatte , zieht ſich
im Stillen zurück und räumt den Plaß , worauf er eine unangreifbare Stellung eingenommen zu haben ſchien. Dazu kommt, daß auch das Haus der Gemeinen bei wichtigen
Fragen unfehlbar den Einfluß der allgemeinen Meinung des Volts außerhalb des Sißungsſaales zu empfinden hat. Hätten dieſelben Tag für Tag zuſammenkommen , über Staatsangelegenheiten ſich
berathen und
Neden halten
können , die man in Cork und Caithneß las ; hätten ſie ſo, mit ihrem ganzen Verhalten und Urtheilen den Blicken des Landes ausgeſetzt , dennoch die Stimmung deſſelben miß achten können, ſo hätten ſie mehr oder weniger als Menſchen ſein müſſen . 16 *
244
Wir haben alſo zur Stüße unſerer freien Verfaſſung die allgemein verbreitete Aufklärung , die tief begründete Gewohnheit der Freiheit, und die von legterer abhängige Sicherheit der Staatsgläubiger. Wir haben ein Volt pon herkömmlichen Tugenden , einen hohen Maßſtab für Sittlich keit , eine Ausbildung und Verſchönerung des Lebens ver bunden mit Thatkraft und Sittenreinheit, in größerer Fülle, als vielleicht je mit einander vereinigt war.
Wir haben
eine politiſche Verfaſſung, welche Reichthum , Handel, Wiſſen dhaft und Künſte fördert, nicht hemmt ; wir haben die ganze
gebildete Welt zum Forum , vor welchem unſere Staats männer ihr Verhalten zu rechtfertigen haben. ,
Dieſe Betrachtungen ſcheinen einen Rettungsweg aus Wir haben sejehen , daß, wenn unſer Volk kräftig und männlich ſeine Meinung zu allen Gefahren zu bezeichnen .
erkennen gibt, ſeine Stimme burddringt. Wenn es alſo den ſchleichenden Mißbräuchen und den gewaltſam über: eilten Neuerungen, welche den Bau unſerer Freiheit unter graben und verunſtalten , ſich mit Energie widerſet, jo fann es völlig geſchüßt fein.
Aber dafür müſſen unſere
vornehmen Leute (gentlemen) ſich darein ſchicken , under: zagt lärmende Redner zu hören ; ſie müſſen mit feſter Hand bie kranke Stelle ausſchneiden , welche die edleren Theile
unſeres politiſchen Gebäudes bedroht. Mit klaren Worten, ſie müſſen eine Reform alles beſſen zugeben, was in unſeren Einrichtungen barbariſch, was ſervil, was verdorben iſt. Sie müſſen die Theile unſerer Regierung gegenſeitig in
Einklang bringen und dem Bildungsſtande der Nation an paſſen. Ich möchte gerne hoffen, daß es ſo kommen werde : ich habe das Vertrauen , daß das Volk dieſes großen Ge
meinweſens, unterſtützt von den höheren Ständen , einen An blick gewähren werde, weldier die Bewunderung der Welt
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verdient Ich hoffe, die gebildeten Stände werden ehren werth gegen das Land handeln und das Land wird nicht auf die glüdlichen Errungenſchaften verzichten wollen, die es durch alle Drangſale gewonnen hat , die eine Nation be treffen können - Verfolgungen , Kampf mit der Tyrannet,
Bürgerkrieg, Märtyrerthum und offenen Krieg gegen Mächte, vor welchen das übrige Europa erzitterte. Gerne möcht ich glauben, daß alle Stände und Klaſſen des Landes der Worte unſers unſterblichen Milton ſtets eingebent bleiben mögent : „ Laſſet England nicht vergeſſen, daß es mit lehrendem Bets ſpiel den Nationen gezeigt hat, wie ſie zu leben haben. "
Epilog. Gang der Regierung und Entwickelung der Verfaſſung feit 1820 . 1.
Bis zur Parlamentsreform . Mit ſolchen Hoffnungen, ſolchen Zweifeln und Beſorg niſſen blickte ich ums Jahr 1820 auf die Zukunft der Nie gierung und Verfaſſung Englands. In der Vorrede des Werfes, welches ich hier in neuer Auflage vorlege, ſagte ich : „Die Engländer mögen eingedenk ſein, daß die alten Monarchien des Feſtlandes in ihrem Bau ſo fehlerhaft und in ihrem weſentlichen Beſtand ſo ab
genußt ſind, daß ſie einer vollſtändigen Erneuerung be dürfen , während die Fehler unſerer Verfaſſung Verbeſje
rungen zulaffen, die in engem Anſchluß an ihren Geiſt der Erhaltung derſelben in hohein Grade förderlich ſind." Wie richtig dieſe Unterſcheidung war , haben die Er: eigniſſe gezeigt. Frankreich hatte die Revolutionen zu be ſtehen, welche Karl X. und Ludwig Philipp ſtürzten . Stalien hat eine vollſtändige und glüdliche Revolution zu Stande gebracht. Deſterreich iſt im Begriff, eine glückliche Umbil dung vorzunehmen ; Preußen hat den Proceß ernſthaft be gonnen ; Spanien und Portugal haben ihn noch nicht voll
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ſtändig zu Ende gebracht. England dagegen hat viele fried liche Neformen vorgenommen , deren Grundzüge ich hier dar ſtellen will.
So lange als die durch die franzöſiſche Revolution hervorgerufene Beunruhigung dauerte, hielt die Partei , welche
Lord North im amerikaniſchen und Pitt im franzöſiſchen Krieg ſtützte, feſt zuſammen. Während faſt ſechszig Jahren ihrer Gewalt hat dieſe Partei all' ihre Thatkraft auf die Unterdrückung aufſtändiſcher Bewegungen in den Colonieen oder dem Mutterlande und die Fortführung des Kriegs gegen einen äußeren Feind verwendet.
Die wenigen Maßregeln von liberalem Charakter, welche in dieſer Epoche hervortraten , Burkes ſtaatswirthſchaft liche Reformbill, die Abſchaffung des Sklavenhandels, waren eine Frucht der kurzen Zwiſchenzeit, da die Whig - Partei, in den Jahren 1782 und 1806, am Kuder war. A13 aber die Furcht vor dem Fafobinismus des Aus
landes und Aufſtänden im Inland ſich legte , gewann die Whig - Partei allmählich an öffentlichem Vertrauen. Doch ihr Triumph über alte Vorurtheile und feſt zuſammenhaltende Parteiſtärfe würde noch ferne geblieben ſein , hätte nicht die
große Tory: Partei ſich in zwei Theile geſpalten. Die Einen bedienten ſich zwar Pitt's Namen, verwarfen
aber ſeine weiſen Anſichten in Beziehung auf die Zurück ſeßung der Ratholiken und die Handelspolitik, und betete ihn, nach Cannings treffender Vergleichung, nur an, wie die Sonne zur Zeit einer Verfinſterung.
Die Anderen hielten zwar feſt an der alten Kriegs politik von 1793 und den ſtrengen Gefeßen der Nieder haltung im Gefolge derſelben, doch ſahen ſie in den geänder ten Zeitverhältniſſen Gründe , die Schranken , welche einen
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Theil der Interthanen des Königs von dem andern trennten , niederzureißen , lieber die Vernunft, als die paſſive Inter
werfung des Volfs gelten zu laſſen, und der ,,Ueberzeugung zu geſtatten , das Werk der Furcht zu thun “. Dieſe Meinungsverſchiedenheit verurſachte von Zeit zu Zeit viel Lärm und Unruhe, und ſchließlich hob ſich das thatkräftige Element dergeſtalt, daß der feſte Zuſammenhang ſich löſte und das niederhaltende Schwergewicht, weldies über ein halbes Jahrhundert lang den Boden Großbritanniens belaſtet hatte, zerbarſt.
Unter Denjenigen , welche über die Intereſſen ihres
Landes die aufgeklärtere Anſicht hegten , waren die Erſten
Canning, Huskiſſon , Grant und Lord 1
al
merſt ont.
Später fanden Sir Robert Peel , Lord Aberdeen , Lord Bincoln , Gladſtone und Sidney Herbert das 1
Joch der Tories unerträglich und ſchloſſen ſich der Fort drittspartei an . Zu derſelben Zeit war die radicale Partei, welche wäh
rend des Krieges auf wenige zerſtreute Keſte zuſammen geſchmolzen war, unter Joſeph Hume eine anſehnliche, feſt
zuſammenhängende und thätige Körperſchaft geworden. Die Trennungen, Ánſdließungen und Parteibildungen fanden zu verſchiedenen Zeiten und über verſchiedene Fragent ſtatt. Aber die großen Aenderungen , welche ſeit vierzig 1
Jahren, von 1823--1863 eintraten , ſind hauptſächlich das Werk dieſer Parteien geweſen, die zuweilen gemeinſam han :
belten, oder, was häufiger der Fall war, von entgegengeſekten Seiten her zujammenwirkten und in verſchiedenen Colonnen vordrangen, doch mit gleicher Rückſicht auf die großen Neform principien.
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Die Lage Englands war 1823 keine günſtige. Die Habeas - Corpus- Acte war 1817 ſuspendirt worden , und es giengen Spione vom Miniſterium des Innern in die
Manufacturbezirke aus, welche ihrem Charakter aber nicht ihrer Inſtruction gemäß zu den Verbrechen anreizten , die ſpäter auf dem Schaffot beſtraft wurden . ') Im Jahre 1819 wurden von Lord Eaſtlereagh Geſetzes: anträge eingebracht, die er als Maßregeln für , ſtrenge Nes preſſion“ bezeichnete.
Im Allgemeinen war der Zuſtand des Rechts- und Finanzweſens, ſowie des Handels von England ſehr zurück. Der Criminalcober wimmelte von Strafbeſtimmungen auf Tod und Leben, mitunter für ſehr unbedeutende Vergehen, 3. B. einen heranwachſenden Baum 311 fällen , oder wenn man mit geſchwärztem Geſicht auf offener Straße geſehen
wurde. Die nothwendigſten Lebensbedürſniſſe wurden mit Steuern belegt ; die Acciſen laſteten ſchwer , und die Zölle, auf viel hundert Artikel ausgedehnt, wurden eine Placerei für die Kaufleute und beſchränkten das Wohllein des Wolfes .
Die proteſtantiſchen Diſſenter founten nur indirect zu Staatsämtern fommen . Römiſche Katholiken und Juden waren vom Parlament und politiſchen Aemtern ausdrücklich
ausgeſchloſſen. Einer Reform des Parlaments wurde mit Erfolg Widerſtand geleiſtet. Selbſt wenn ein verfallener Flecken erloſch , wurde das volfreiche blühende Leeds nicht mit Stimmrecht begabt, weil es eine Neuerung geweſen wäre.
Die Preſſe wurde durch einen Stempel von vier Pence auf 1) S. State Trials Vol. XXXII., p. 859 und Parliam. De bates Vol. XXXV). p . 1003 und 1006, nebſt anderen Autoritäten in den State Trials 1. c. Der Spion Oliver bot Alles auf, um einen Aufſtand zu erregen .
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jedes Blatt beſchränkt , und Verfolgungen gegen allzu freie Kritik wurden allgemein.
Die Lage der auswärtigen Politik war ſehr kläglich. Die drei nordiſchen Großmächte , Rußland, Deſterreich und Preußen , deren Despotismus auf dem Continent an die
Stelle dejen von Napoleon , jedoch ohne deſſen Genie, ge treten war, hatten verfügt, daß ohne ihre Genehmigung keine Freiheit eingeräumt, keine Reform eingeführt werde. ') In dieſem Geiſt hatten ſie 1821 und 1823 die Revolutionen in Neapel, Piemont und Spanien unterdrückt ; dergeſtalt tåuſchten und betrogen ſie die Völker Europas, welche 1813
und 1814 ebenſomohl für die Freiheit als für die Unab hängigkeit gefochten hatten . Gegen dieſes abſcheuliche Ver fahren hat England 1821 ſdhwachen , 1823 nachdrücklichen Proteſt erhoben , beidemal ohne Erfolg . Als 1823 die Torypartei im Beſitz der Macht war,
mußte natürlich der Verſuch einer Neuerung mit einer Frage beginnen, wobei nach Maßgabe früherer Fälle die Angreifer ſich den Beiſtand der Tories verſprechen konnten.
Der franzöſijche Handelsvertrag von 1793 war von den Tories zu Stande gebracht, von den Whigs wieder zer riſſen worden .
Der von 1786 war von dent Tories mit
Widerſtand der Whigs geſchlofſen worden.
Auf dieſer Seite nun begannen Canning und Huskiſſon, Peel und Robinſon ihre Angriffe auf die Außenwerke des beſtehenden Syſtems
Die Seidenmanufactur lag ſeit ihrer Kindheit noch in den Windeln des Staats eingewickelt.
Huskiſſon ſchlug in Beziehung auf dieſen Gegenſtand ) S. d. Circular der Bevollmächtigten der drei Mächte aus Laibady, 21. Mai 1821 im Anhang.
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ein liberales, aber zugleich ſehr gemäßigtes Verfahren ein. Die Einfuhr ausländiſcher Seidenfabrikate war bisher ver
boten ; er ſchlug vor, dieſelben nach einer Vorbereitung von zwei Jahren mit einem 301 von 30 Procent belaſtet zuzulaffen .
Zunächſt wurde ſodann, doch von den Whigs und nicht
von Seiten der Regierung, die Beſeitigung der Beſchränkun gen der Religionsfreiheit in Angriff genommen . Im Jahre 1828 verwilligte das Unterhaus die Aufs
hebung der Teſt- und Corporationsacte, welche, ein Ueber reſt von Intoleranz, den diſſentirenden Proteſtanten einen unverdienten Schimpf auferlegte.
Die Maßregel kam zum
erſten Male trop den Gegenbemühungen der Regierung zu Stande, obwohl ſpäter Sir Robert Peel ſich derſelben befreundete.
Im folgenden Jahr wurde die Rechtsbeſchränkung, welche die römiſchen Katholiken Englands und Jrlands
unterdrückte und herabwürdigte , auf den Vorſchlag des Herzogs von Wellington, Sir Robert Peels und des Lords Lyndhurſt aufgehoben. Seit Anfang dieſes Jahrhunderts hatten For und Pitt, Windham und Lord Grenville, Sheri
dan und Canning, Lord Eaſtlereagh und Grattan im Par lament bewieſen, daß es von der Gerechtigkeit und Weisheit geboten fei, die römiſchen Ratholiken aller Wohlthaten der Verfaſſung theilhaft werden zu laffen . Aber bevor O'Connel die phyſiſche Kraft Irlands bis zu einem Punkt des Unge
ſtüms, der an Aufruhr gränzte, aufwiegelte , konnte eine Einräumung nicht erlangt werden. Was den Vernunfts
gründen und der Beredtſamkeit mit Verachtung geweigert worden war , verwilligte man 1829 reichlich der drohenden Maffenbewegung.
Doch Sir Robert Peel ließ, als er die Maßregel vor
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ſchlug, ben Whigs, welche ſie ſo ausdauernd verfochten hatten, volle Gerechtigkeit widerfahren.
Als bei der zweiten Leſung der Katholiken- Emanci pationsbil die Debatte ſich dem Schluß näherte , und der Triumph der großen Sache der Religionsfreiheit geſichert war, ertheilte Sir Robert Peel am Schluß jeiner Rede den Verdiens ſten ſeiner Vorgänger und ſeiner Gegner ein edelmüthiges Zeug
niß. „Ein Wort noch zum Schluß“, ſprach er. „Ich habe in der Nebe meines edlen Freundes , des Mitglieds für Donegal, Zeugniſſe von Billigung erhalten, die mein Herz mit Dank pernahm ; und ſie ſind mir von einem Ehren
manne der andern Seite des Hauſes großmüthig in einer Weiſe zu Theil geworden, welche der Mäßigung des Partei geiſtes unter uns Ehre macht. Dieſelben haben mir jedoch ſämmtlich einen Nuhm zuerkannt, welchen ich nicht verdiene, nämlich die Frage zur Löſung gebracht zu haben . Dieſer Ruhm gebührt Anderen , nicht mir. Er gebührt den Herren For, Grattan, Plunkett, den Ehrenmännern der Gegenpartei, und einem berühmten und ſehr ehrenwerthen Freund von
mir, der nicht mehr am Leben iſt. Durch ihre Bemühungen, troß meines Widerſtandes, iſt ſie zum Siege gelangt“. ') Die politijde Partei , welche mit ſehr kurzen Unter brechungen ſechszig Jahre lang die Geſchicke des Staats ges leitet ; welche die Nation zum Krieg mit Amerika und mit Frankreich hingeführt; welche jeder Reform Widerſtand ge Teiſtet und jedem Mißbrauch Schuß gewährt, alles Bigotte beſchüßt, alles Liberale verfolgt hatte -- brach unter dieſer großen Niederlage zuſammen .
Nun drang die Einſicht herein : nach den allgemeinen Wahlen ſah ſich das Miniſterium geſchlagen , und der neue 1) Parliam, Debates, new series, Vol . XX. p . 1289.
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Premier, Lord Grey , verkündete die Anfunft von Friede, Einſchränkung und Reform .
In Hinſicht auf den Frieden gab die Erhebung Belgiens Lord Grey eine günſtige Gelegenheit, als Miniſter die Grundſätze in Ausführung zu bringert, welche er in der Oppoſition erfolglos perjochten hatte . Die bei der belgiſchen Empörung entſtandenen Fragen waren verwickelt; die Nordmächte ſahen auf eine durch eine
Volkserhebung zu Stande gebrachte Revolution mit einiger Beſorgniß , und die franzöſiſche Regierung vermochte kaum die auf Annerion gerichteten Wünſche der Nation zu hemmen . Am 21. Juni, bei Eröffnung des Parlaments , enthielt
die Thronrede folgende Ankündigung : „ Die Verhandlungen, welche in Betreff der Angelegenheiten Belgiens ſtattfinden, ſind noch nicht zum Schluß gekommen, aber es beſteht fort während die vollſtändigſte llebereinſtimmung zwiſchen den Mädyten , beren bevollmächtigte Vertreter die Conferenz zu London bilden. Dieſe Conferenz hat ſich über den Grund
ſaß geeinigt, dem Recht des belgiſchen Volkes nicht zu wider ſprechen , daß es ſeine inneren Angelegenheiten ſelbſt ordne und ſeine Regierung nach ſeinen eigenen Anſichten einrichte, wie es ſeiner fünftigen Wohlfahrt und Unabhängigkeit am
förberlichſten ſein werde, unter der einzigen , durch die Praris der Nationen beſtätigten, auf die Principien des öffentlichen Nechts gegründeten Bedingung, daß bei der Ausübung dieſes unbezweifelten Rechtes die Sicherheit der Nachbarſtaaten nicht gefährdet werde." ")
Die Verhandlungen , von welchen der König im Juni 1831 erklärt hatte, ſie ſeien noch nicht zum Abſchluß ge kommen, dauerten noch einige Jahre fort , wurden jedoch 1) Hansards Debates, third series Vol. IV. p . 85.
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durch die Feſtigkeit, Standhaftigkeit und Geſchicklichkeit Lord Palmerſtons endlich zum Ziel gebracht, und durch die An = erkennung und Verbürgung aller Großmächte die Selbſt ſtändigkeit Belgiens feſtgeſtellt. Die Aufgabe der Einſchränkungen wurde lebhaft be: trieben und viele unnüße Stellen abgeſchafft, während die
Beſoldung der bedeutendſten und wirkſamſten Staatsbeamten erheblich heruntergelegt wurde.
2.
Parlamentsreform . Vald nachdem Lord Grey ſein Miniſterium gebildet hatte, beauftragte er Lord Durham , über die Bildung eines Comites zur Entwerfung des Plans einer Parlamento: reform mich zu Rathe zu ziehen. Wir ſchlugen vor, daß Sir James Graham , damals erſter Lord der Admiralität , und Lord Duncannon , damals erſter Commiſjär der Wal bungen nebſt uns beiden das Comite bildeten. Lord Durham bat mich, die Hauptpunkte für eine Reformmaßregel zu formu
liren , um ſie dem Cabinet zur Billigung vorzulegen. Durch dieſe Einladung fühlte ich mich verpflichtet, die allgemeinen Grund fäße, worauf eine verſtändige Reform beruhen müſſe, noch mals in Erwägung zu ziehen .
Ueber dieſen Punkt pflegte ich auf Burkes Betrach tungen zurückzukommen .
„Nur Unfähigkeit mit Schwierigkeiten zu ringen “, ſagt dieſer bewundernswerthe Mann, „hat in Frankreich jene despotiſche Verſammlung beſtimmt, ihre Reformpläne mit
255
Niederreißen und gänzlichem Zerſtören 311 beginnen . Aber iſt denn im Zerſtören und Niederreißen Geſchick und Kunſt zu erkennen ? Euer Pöbel kann das wenigſtens ebenſo gut leiſten, als Eure Verſammlungen. Der dummſte Verſtand, die roheſte Hand iſt dieſer Aufgabe mehr als gewachſen.... Die Mängel und Irrthümer alter Einrichtungen ſind ſicht:
bar und handgreiflich. Es bedarf nur geringer Fähigkeit, ſie anzugeben ; und wenn man mit abſoluter Gewalt bekleidet
iſt, bedarfs nur eines Wortes, um das Mangelhafte ſammt ber Einrichtung ſelbſt zu vernichten.... Zu erhalten aber und zu beſſern iſt etwas ganz anderes. Wenn die brauch baren Theile einer alten Einrichtung beibehalten und das
Hinzugefügte dem Vorhandenen angepaßt werden ſoll, bedarfs für die Ausführung lebhafter Geiſteskraft, ſtetig ausdauern der Achtſamkeit, mancherlei Fähigkeiten für Vergleichung und Verknüpfung, und der Hülfsquellen eines unerſchöpflichen
Verſtandes ; und dieß hat , um wirkſam zu ſein , einen be ſtändigen Kampf mit der vereinigten Kraft entgegengeſepter Fehler zu beſtehen , mit der Hartnäckigkeit, weldie jeder Ver beſſerung widerſtrebt, und dem Leichtſinn, der alles, was er beſißt, überdrüßig wird." ") Lord Grey , der For's Grundſätze am beſten darzu legen verſteht, und nun berufen war in Ausführung zu bringen, was er oft vergeblich angerathen hatte, hat in ſeiner großen Rede von 1810 die folgenden weiſen und merkwür digen Anſichten der Erwägung des Oberhauſes empfohlen : „ Der muß entweder eine frühreife Weisheit beſeſſen , oder wenig aus der Erfahrung gelernt haben, wer nach Ver lauf von zwanzig Jahren einen Gegenſtand dieſer Art in jeder Hinſicht in demſelben licht erblicken kann. Indeſſen 1) Burke's Reflections & Works Vol. V. p. 303-4.
206
nach einer ſo ernſtlichen und leidenſchaftsloſen Erwägung, als er einer Frage zu widmen vermochte, welche er für die wichtigſte hielt, womit die Aufmerkſamkeit der Lords ſich zu beſchäftigen hatte, war er der gewiſſenhaften Ueberzeugung, daß viel gute Folgen aus der heilſamen. Annahme der Reforingrund ſätze ſich ergeben würden, wenn ſie auf Beſſerung der Miß= bräuche, welche im Verlaufe der Zeit nothwendig eingetreten waren , allmählich in Anwendung gebracht würden , mit be
ſonderer Rückſicht, daß die Reformmaßregel durch die Con ſtitution ſelbſivorgezeichnet wäre und in keinem Falle ihre heilſamen Gränzen überſchritte. Nachdem Lord Grey ſeine Bewunderung gegen For
ausgeſprochen, „der mehr, wie irgend ſonſt Jemand die Grundfäße unſerer ehrwürdigen Verfaſſung verſtanden, und die Segnungen derſelben zu würdigen wußte" , fuhr er fort :
„ Unvergeßlich ſind mir, Mylords, ſeine gewichtigen Bemer kungen, als er an ſeiner Siclc im Parlament ſeine Ueber zeugung ausſprach, daß es abſolut unmöglich ſei, bei einem voraus erdachten Plan alle bie mancherlei menſchlichen Zu fälle vorſorglich zu bedenken . Denn, ſagte er, wenn eine
Anzahl der weißeſten , fähigſten und tüchtigſten Männer, welche jemals bem menſchlichen Leben zur Zierde und Ver: vollkommnung dienten , perſammelt um eine Tafel fäßen , um a priori über eine Staatsverfaſſung zu berathen, ſo bin ich
überzeugt, es würde trotz ihrer Fähigkeit und Tüchtigkeit ihnen nicht gelingen , ein bein Plane ganz entſprechendes Syſtem aufzufinden , vielmehr müßten ſie es der Nothwen digkeit anheim geben, durch große Aenderungen bei der Aus führung, und durch manche Abweichungen vom urſprüng lichen Plan es paſſend zu machen .“ Und dieſe Anſicht pflegte er durch die paſſende Vergleichung mit einem Hang bau zii erläutern, melder trotz aller ' zum vorauch auf dent
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Plan verwendeten Studien und Ueberlegungen doch nie allen Bedürfniſſen genügte oder für jede Bequemlidifeit ſorgte, welche ſpäter beim Bewohnen
für nothwendig erfunden
wurden . Ja, er pflegte zu bemerken, ſo ſchön auch ein nach einem regelmäßigen Plan gebautes Haus ſich ausnehme, ſo ſei doch keines ſo wohnlich und bequem , wie eines , das ſtüd weiſe nach und nach ohne vorgezeichneten Bauriß aufgeführt werde. Solchen Principien praktiſcher Reform , wie ſie der
große Staatsmann ſo weiſe anempfohlen, bin ich entſchloſſen Folge zu geben " u. . w .
in derſelben Nede führte Lord Grey eine Erklärung
der , Aſſociation der Voltsireunde" an, welche vom Herzog von Bedford, damals Lord John Ruſſel, interzeichnet war : -,,Wir ſind überzeugt," ſagen die Verfaſſer dieſer De claration , „ daß das Volk unſerer glücklichen Regierungsform und den ächten Principien unſerer Verfaſſung init feſter Anhänglichkeit ergeben iſt. Wir lieben dieſe als Gegenſtand ſolcher Anhänglichkeit, nicht aus blinder Verehrung oder
herfömmlichem Aberglauben , ſondern weil es Einrichtungen ſind , am beſten darauf berechnet, das Glück der Menſchen in der bürgerlichen Geſellſchaft zu befördern ; und weil wir überzeugt ſind, daß Mißbräuche fie untergraben und ver
derben, ſo haben wir uns 311 dem Zweck verbunden, jene Principien feſtzuhalten . Wir wünſchen die Verfaſſung zu reformiren, weil wir ſie zu erhalten wünſchen ." ) ,, Als ich nun von Lord Grey und Lord Durham auf gefordert wurde, einen Plan zu entwerfen, der dem Parla:
ment vorgelegt und vielleicht Landesgeſet werden Route, durfte ich nicht, dem Beiſpiel der Medea folgend, den Körper unſerer alten Mutter in Stücke zerſchneiden und dieſe in :) Erklärung der Aſſociation der Volksfreunde, 12. Mai 1792. Hansard's Debates, Vol. XVII. p. 562. 564. 17
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den Reſſel werfeni, in Hoffnung , ſie da mit neuer Jugend fraft zu beleben .
Das würde eine Thorheit geweſen ſein ,
gegen welde ich mich bereits im Jahre 1819 ( 14. December ) erklärt hatte."
„ Die Grundgedanken der Einrichtung dieſes Hauſes ,“ ſagte ich , „ ſind rein und würdig. Wollten wir ſie alles ſammt zu ändern verſuchen , ſo würden wir die gleiche Thor:
heit begehen , wie die Magd in der Geſchichte Aladins, welche ſich durch das Geſchrei „ Neue Lampen ſtatt der alten " täuſden ließ. Unſere Lampe iſt zwar ſchmutig und roſtig, hat aber eine Zauberkraft in ſich. Sie hat dem Land das
freundlich lächelnde Ausſehen geſchaffen, daſſelbe zwar nicht mit übermäßigen Paläſten bedeckt, aber mit dichtgejäeten Wohnungen , deren jede im Beſitz eines jreien Mannes iſt, der gleidjes Niedt und gleichen Schutz genießt, wie ſein
ſtolzeſter Mitunterthan im Land . Sie hat alle die fleißigen Schöpfungen der Blüthe des Handels hervorgerufen. Und wenn das Land Männer für ſeine Aufklärung und Verthei digung bedurfte, ſo hat es auch daran nicht Mangel gehabt. Wenn das Schickjal der Nation von der Linie der Politik,
welde einzuhalten war, abhing, ſo traten Nedner vom erſten Rang auf , welche die Gründe für Krieg oder Frieden in helles Licht ſepten. Waren wir in Krieg verwickelt, ſo hatten wir Krieger, die fähig und bereit waren, uns zu Land Lora
beeren zu erringen, oder zur See unſere Geſchüße zu richten. Als wir wieder im Frieden lebten, fanden ſich für die Fra gen der inneren Politik, der Armenerziehung, der Criminal 3gebung Männer, die bereit waren , die glänzendſten Fähigkeiten dem Wohle der dürftigſten Klaſſen des Gemein
weſens zu widmen. Und ſollen wir ein Werkzeug, das ſo Wundervolles geſchaffen hat, mit dem glänzenden Flitter
eines modernen Fabrikartikels vertauſchen ? Nein ! ſo gering
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auch das noch bleibende Gute der Conſtitution ſein mag, ich kann nicht dazu ſtimmen, es in den Schmelztiegel zu werfen, um einen Preis in der Verfaſſungslotterie zu gewinnen !" ^) Bei dieſen ſtarkwirkenden Motiven war es nicht ge rathen, ſich von dem Geleiſe der Verfaſſung in das Labyrinth der Phantaſie oder die Wildniß abſtracter Rechte zu begeben. Sin Jahre 1797 wurde von Grey der Vorſchlag ge
macht, die Anzahl der Mitglieder aus den Grafſchaften zu vermehren, und vierhundert den Bezirken von Städten und Landſchaften zu geben, worin jeder Hausvater ſollte ſtimms fähig ſein . Am 19. April 1821 wurde von Lambfon ein ähnlicher Plan vorgeſchlagen 2).
Im Jahre 1822 gieng ich ſehr tief in die Frage ein und beantragte eine Reſolution, „daß der gegenwärtige Zu ſtand der Volksvertretung im Parlament eine ernſtliche Er wägung von Seiten des Hauſes verlange." Canning erklärte am Schluß einer langen und glän
zenden gegen meinen Antrag gehaltenen Rede, ich dürfe er warten, in einem ſpäteren Jahre durchzudringen. Ich kann nicht umhin ,“ ſagte er , „ den edlen Lord zu beſchwören, ſich zu bedenken , ehe er wieder öffentlich darauf bringt.
Wenn er jedoch darauf beſtehen und ſeine Beharrlichkeit Erfolg haben und das Ergebniß der Art ſein ſollte, wie
ich befürchten muß, ſo wird er den Triumph haben , daſſelbe übereilt , ich dagegen den Troſt , ihm nach Kräften den äußerſten Widerſtand geleiſtet zu haben. “ 3) 1
Dieſe Warnung und Ermuthigung ließ ich nicht unbeachtet.
Es gab augenſcheinlich zwei Verfahrungsweiſen, um die ') Parliam, Debates, Vol. Xll. p. 1105. 3) Hansard's Parliam. Debates, new series Vol. V. p . 369, den Plan betr. Anhang beſſ. Bandes. 8) Parliam. Debates, new series Vol . Vil. p. 136. 17 *
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Reform in Ungriff zu nehmen. Die eine ſah das Stimm recht als ein perſönliches an , das jedem Manne von ge fundem Verſtand und mündigem Alter zuſtehe, als ein an
geborenes unveräußerliches Recht, das ihm als Bürger eines freien Landes gehöre. Nach dieſer Theorie bildet die Ab ſtimmung der geſammten erwachſenen männlichen Bevölkerung
die einzige Baſis einer legitimen Regierung. Andere politiſche Sdrijtſteller und hervorragende Staats
männer erkennen, obwohl der Meinung, daß eine freie und vollſtändige Repräſentation des Volts die nothwendige Be dingung einer freien Regierung bilde, doch nicht ein perſön
lidhes Stimmrecht als ein unveräußerliches und weſentliches an. Sie bringen in Anſchlag, daß eine gute Regierung der zu erreichende Zweck iſt: Freiheit des Volkes im Staat und deſſen Sicherung nach außen ; und daß die zu löſende Auf
gabe in dem beſten Verfahren dieſe Zwecke zu erreichen beſteht. Dieſes legtere Urtheil ſcheint mir das richtige zu ſein. Eine Vertretung , welche chlechte, übereilte , leidenſchaftliche,
ungerechte und unwiſſende Beſchlüſſe hervorbringen würde, könnte nicht das Wohl des Volkes erzielen, welche das hödiſte Geſep iſt. Wenn man geſagt hat, und mit Recht, daß die Regierung ohne ausdrückliche oder ſtillſchweigende Zuſtim mung des geſammten Volts feinen Theil vom Eigenthum deſſelben als Steuer erheben darf , ſo kann man erwi dern, daß eines Mannes Leben und Freiheit ihm eben ſo viel Werth find, als ſein Beſişthum ; und doch behauptet
Niemand , daß die Richter und Geſchworenen in Criminal fällen durch allgemeine Volksabſtimmung gewählt werden ſollen. Im Gegentheil iſt man mit größter Sorgfalt dar auf bedacht, die Nichterbank mit Männern zu beſeßen , die
durch Wiſſenſchaft und Erfahrung dazu geeignet ſind, und die Geſchworenenliſte aus einem Theile der Geſammtheit zu
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entnehmen , deren Lebensſiellung einige Sicherheit bietet für ihre durchichnittliche Bildung, Einſicht und Ehrenhaftigkeit.
Man jollte gleidie Sorge dafür tragen, daß die bedeutende Vollmacht, das Haus der Gemeinen zu wählen, einem Theile des Gemeinweſens anvertraut würde , welcher durch Chren haftigfeit und Einſicht dazu geeignet wäre. Mills Theorie, daß Jedermann ein Stimmrecht haben folle, aber eine Stimme, die mit einer Art Waage ) abgewogen
werden ſoll, ſcheint mir äußerſt phantaſtiſch zu ſein . Sollte einmal im Princip zugegeben ſein , daß , um eine freie Re gierung zu haben , das allgemeine Stimmrecht nothwendig ſei, ſo kann ich doch nicht begreifen , wie es möglich oder
ausführbar iſt, Jedermanns Stimme abzuwägen ; einem Kaufmann oder Banfier mehr Stimmen zuzuzählen , als einem Bäcker oder Gewürzkrämer; und noch weniger, wie iſt es möglich, den Verſtand der Arbeiter oder Künſtler von
höherem Talent oder Wiſſenſchaft abzuwägen , und ihnent Zutritt zu geben , als mehr wiegend, wie ein Beſiger von
Staatspapieren oder Bankier, ein Gutsbeſiger oder großer Capitaliſt, deren Geiſt nicht ausgebildet worden , oder von Fähigkeiten nicht beſonders glänzend geweſen. Denn, ab geſehen von unendlichen Gezänk, unabläſſiger Eijerſucht, der Berufung auf einen geſcheidten Bäcker gegenüber einem dums men Bankier, dem Zweifel oder Argwohn gegen die Nedlich feit der Prüfenden, welde thatſächlich über die Wahl zwiſchen einem liberalen und conſervativen Candidaten zu entſcheiden haben, - kann man dam , nach Allem , mit Grund ſagen,
daß ein Mann, der die höhere Mathematik treibt , in der Zinjenzinsrechnung und Geographie vortrefflich bewandert 1) Handicap, über welches Wort vgl. Heyſe : „Sportausdruck für ein Nennen, bei dem das Gewicht, welches jedes einzelne Pferb tragen ſoll, nadı Alter und bisherigen Leiſtungen feſtgeſett wird. " d. U.
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iſt, ſich beſſer auf die Wahl eines Parlamentsgliedes ver ſtebe, als ein Mann, der Samſtags den Markt beſucht, oder Montags Morgens ſich in der Werkſtätte findet ? Nach
Alem , ivären nicht bereits von unſeren Vorfahren die Be ſtimmungen getroffen , daß ein Mann , der ein Freigut von 40 Sch. Jahreszins beſitzt, für die Grafſchaft. Stimmrecht habe, und wer Schoß und Steuern zahlt , für den Flecken,
und daß, wer dieſe beiden Eigenſchaften nicht hat, gar nicht abſtimme, ſo wäre es weit einfacher, dieſe Beſtimmungen einzuführen , die weit weniger gehäſſig , weit leichter durch --
Fleiß und Sparſamkeit zu erreichen, und nach Alem eine ebenſo philoſophiſche Baſis der Vertretung ſind, als die metaphyſijden Kategorien der Neuzeit ).
Es ſchien mir wenigſtens hinreichend, als nothwendige
Eigenſchaften für die Wählerſchaft einige Bedingungen der Art aufzuſtellen :
1. Daß die Wähler ſollten eine gewiſſe Durchſchnittsvil bung haben.
2. Sie ſollten überhaupt eine Bürgſchaft für beſtändiges Eigenthum darbieten.
3. Obwohl ſich Beſtechung nicht völlig beſeitigen läßt, ſo ſollte der Wahlkörper als Ganzes derſelben nicht zu gänglich ſein .
4. Der Wahlkörper müſſe mit dem allgemeinen Sinn des Gemeinweſens kurz mit der öffentlichen Meinung der Zeit übereinſtimmend ſein. Bei ſolchen Zielpunkten gab es zwei Arten dieſelben zu erreichen : erſtens, durch Beſtimmung der Wahlberechti:
gung ; zweitens durch Vertheilung der Abgeordnetenſtellen oder Siße im Parlament. 1) S. Beilage 10 .
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Daß die erſtere allein nicht hinreichen würde, war mir einleuchtend. In großen Städten würde die Volksmenge überwiegen ; in ausgedehnten Grafſchaften würde der Grundbeſitz ein
Gegengewicht bilden . Um dem Bedürfniß des Unterhauſes vollſtändig zu entſprechen, waren eine Anzahl Siße erforder lich, wobei das Eigenthum den Anſprüchen auf Intelligenz dienlich ſein fönnte, die bei den Maſſen nicht populär, und vielleicht an Landbeſitz oder Capitalien nicht reich genug wäre.
Bei dem bisherigen Syſtem konnte Burke , als er zu Briſtol unterlag, eine Vertretung für Walton finden ; For, in Gefahr, in Weſtminſter zu unterliegen , trat für Orkney ein ; und als Grey in Northumberland durchfiel, ward ihm ein Sig zu Appleby. Solche Gulfsmittel ſollten, dächt' ich ,
nicht ganz aufgegeben werden . Kurz, meinem Ermeſſen nach war es wünſchenswerth, daß wir, neben der Beſeitigung großer Mißbräuche, den bez ſtehenden Bau und das Ganze unſerer Inſtitutionen mög 1
lichſt beibehielten.
Demnach , wenn durch Beibehaltung der Vertretung eines Theils der kleinen Flecken mit verbeſſerter Gerecht ſame das gehörige Gewicht und der Einfluß des Eigenthums gewahrt werden könnte , war es wünſchenswerth , lieber auf der alten Grundlage zu bauen, als unſerer Phantaſie und
dem Verſtand einzuräumen , in einer anderen Lage und auf neuem Grund
vielleicht auf Sand - ein von allem
bisher Beſtehenden völlig verſchiedenes Gebäude aufzu führen.
Zugleich theilte ich völlig die Ueberzeugung lord Grey's, daß nur eine umfaſſende Maßregel heilſam ſein könne; daß,
mollte man bei Entziehung von Berechtigungen nicht durch
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greifend verfahren , und durch pedantiſches Feſthalten an be ſtehenden Rechten die Reform verkümmern , dieſes die Er wartung täuſchen, die Begehrlichkeit reizen, und die Revo lution, deren Abwendung mir bezweden , hervorrufen würde.
Ich war daher darauf bedacht, das Verdorbene zu be ſeitigen ; zu bewahren, was fortzubeſtehen verdiente, und ein zuführen , was eine Verbeſſerung enthalten und Stärke ge währen konnte.
Nach dieſen Grundjäßen machte ich auf Lord Durhams
Wunſch einen Entwurf, der in Berathung mit demſelben in einigen Punkten modificirt wurde, und wir ſtellten ein Vers
zeichniß der Städte und Grafichaften auf, welche in Gemäß heit deſſelben mit Stimmrecht begabt werden ſollten ; für Irland hatten wir den Beiſtand des Lord Duncannon, für Schottland des Herrn Cockburn, und für Wales Lord
Stanley's. Die Aufgabe war ſchwierig , und es waren im Einzelnen Irrthümer nicht zu vermeiden , im Ganzen aber hatte der Plan merkwürdigen Erfolg. Unſere Vorſchläge, von Bord Durham mit einem treff
lichen Bericht begleitet, wurden dem Cabinet vorgelegt, welches ſie einſtimmig annahm . Lord Grey überbrachte den Plan ſelbſt nach Brighton dem König, entwickelte ihm denſelben
gründlich, und derſelbe gab ſogleich freudig ſeine Genehmi gung. Ich hatte bei Beſprechung der Sache mit Lord Grey
die Meinung geäußert, wenn der Plan geheim gehalten würde, bis er vor das Parlament käme, ſo würde ſeine Popularität den Erfolg ſichern ; dagegen könne, wenn zu
frühe davon geſprochen würde, eine ungünſtige Abſtimmung das Kind in der Wiege erſticken. Lord Grey ſtimmte voll kommen bei und wußte das Geheimniß ſo ſtrenge anzus
empfehlen, daß von mehr als 30 Perſonen, die darum wußten, nicht eine die Verſchwiegenheit verleşte.
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Als das Cabinet den Reformplani angenommen , und der König ihn beſtätigt hatte, mußte er dem Kriegsſecretär Wynn, und dem Lord Stanley, Secretär des Lord -Lieutenant von Irland mitgetheilt werden .
Ich übernahm es , bem
Erſteren die Mittheilung zu machen, konnte aber leider nicht ſeine Bedenklichleiten beſeitigen, und er zog vor ſeine Stelle niederzulegen. Lord Althorp, der das Gleiche bei Lord Stanley verſuchte , zog mich zu ſeinem Beiſtand hinzu, und es gelang, ſeine Mitwirkung dafür bei den Debatten 31i ge winnen .
Beiſpiellos war, was ſich am 1. März im Unterhaus begab. Der Plan kam ſo völlig unerwartet, daß die Whigs zweifelten, ob es möglich ſei, ihn durchzubringen ; die Tories hielten ganz ſicher es für unmöglich ; und die Radikalen waren mit berechtigtem Jubel überzeugt, daß eine zeitweilige
Niederlage einen Plan nicht beſeitigen konnte , welchem die Führer der Whigs, Cannings Freunde und die Reformer im ganzen Lande fünftig inviderruflich verpfliditet ſein würden . - Lauter, jubelnder Beifall erſcholl von den
Bänken der Oppoſition, wie von den Anhängern der Miniſter. Sir Robert Peel berieth mit einigen Häuptern ſeines Anhanges, und ſie beſchloſſen, ſich der Einführung der Bill nicht zu widerſetzen. Dieſer Beſchluß, der alle ſpätere Oppo
ſition hoffnungslos machte, war ein offenbarer Mißgriff, der von Seiten eines ſo großen Parteiführers auffallen muß. Die ſiebentägige Debatte gewährte Zeit genug, den Enthuſiasmus zu entflammen, nicht ihn niederzuſdlagen .
Ein zweiter Verſtoß der Tories machte möglich , die Majo rität zu erlangen , und gab Lord Grey einen erwünſchten
Anlaß, den er ſogleich benüßte , dem König die Auflöſung des Parlaments anzurathen . Der Triumph der Nejcrmer, welche ſo lange in der Minderheit geweſen, war auffallend
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und allgemein ; denn von zweiundadītzig Mitgliedern für die vierzig Grafſchaften Englands hatten ſich ſechsundſiebenzig gegen ihre Wähler verpflichtet, die Reformbill Lord Grey's zu unterſtüben .
Es würde zu weitläufig ſein, das Schickſal der Reform bill weiter im Einzelnen zu verfolgen. Sie gieng im Unter hauſe durch , hauptſächlich durch das vollſtändige Vertrauen zu der Redlichkeit und dem geſunden Urtheil Lord Althorps.
„ Sir“, ſagte er bei der Erwiderung auf eine ſdjarfſinnige und geiſtreiche Rebe, ,, des ehrenwerthen und gelehrten Vor redners Beweisgründe ſind ſehr ſcheinbar. Ich will die Beweiſe der Grundloſigkeit ſeiner Einwände nicht wieder holen, aber ich weiß, daß ſie meiner Ueberzeugung voll ſtändig genügen ." Und das Haus ſtimmte mit großer Majo rität gegen die ſcheinbaren Bemeisgründe zu Gunſten der unausgeſprochenen Erwiderung. Lord Althorp als Führer des Hauſes beſchloß, daß die Reformbil nicht ohne ſeine oder meine Anweſenheit ſolle zur Berathung gebracht werden . Er übernahm als beſondere Aufgabe für ſich die Formulirung der Klauſeln, welche er mit Beiſtand der rechtskundigen Beamten und der Reformjuriſten des Unterhauſes vorbe
reitete, während ich die Eintheilung der Grafichaften und die Begränzung der Flecken mit Hülfe Lord Hathertons und des Admirals Beaufort , welche als Commiſjäre dafür beſtellt
wurden , beſorgte.
So gieng die Bill glücklich burch's
Unterhaus.
Im Hauſe der forbs wurde der hartnäckige Wider: ſtand, der unter des Herzogs von Wellington Autorität und
Lord Lyndhurſts geſchickter Leitung auftrat, endlich durch die ſcharfſichtige Weisheit und unerſchütterliche Redlichkeit Lord Grey's, mit Unterſtütung von Lord Broughams
wundervoler Berebtſamkeit und Kraft endlich überwunden ,
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und durch des Volfes unbeſiegliche Energie und Enthuſias mus zum Triumph gebracht.
So wurde die Reformbill zur Parlamentsacte.
Seit
länger als dreißig Jahren iſt ſie ein Theil der Verfaſſung dieſes Königreiches ,
feit dreißig Jahren iſt dieſe Ver faſſung mehr als je zuvor geliebt und geachtet worden, -
ſeit dreißig Jahren iſt der Erfolg von Maßregeln, die nach freier, allgemeiner Berathung gebilligt worden, nicht mehr durch Abgeordnete, die von Einzelnen ernannt waren, oder don Repräſentanten gehemmt worden , welche ſich von ver fallenen Flecken Siße erkauften , um Monopole zu bedüben , die Sklaveret in den Colonien aufrecht zit erhalten , und die
Anſprüche auf bürgerliche und religiöſe Freiheit zurückzu weiſen.
Da wir nun ſolche Erfahrungen über das reformirte Par lament haben, können wir ſagen, wie fern es in ſeinem Wirken den Erwartungen entſprochen und die Abſichten der Urheber erfüllt hat. Lord Grey hat dieſe Abſichten in der ihm eigen :
thümlichen klaren und conſtitutionellen Sprache ausgeſprochen, als er im Juni 1831 dem König in ſeiner Thronrede die folgenden Worte lieh : Ich habe die erſte Gelegenheit ergriffen ſeit Auflöſung
des letzten Parlaments mich an Ihren Kath und Beiſtand zu wenden.
Ich griff zu dieſer Maßregel, um mich in Betreff einer Reform der Nationalvertretung der Meinung meines Volkes zu vergewiſſern.
Nun habe ich dieſe wichtige Frage Ihrer
unverweilten und ſorgfältigſten Erwägung zu empfehlen , mit dem Vertrauen, daß Sie bei einigen Maßregeln, welche Sie für Einführung derſelben vorbereiten mögen , fidh genau an die anerkannten Principien der Verfaſſung halten werden , wodurch die Prärogative der Krone, die Autorität beider
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Häuſer des Parlaments und die Rechte und Freiheiten des Volks gleichmäßig geſichert ſind ." ;) Es iſt nicht zu leugnen , daß unter der Wirkſamfeit der
Reformacte die Prärogative der Krone, trojz mancher bedent lichen Warnungen, unangefochten geweſen ſind. Ebenſowenig kann man behaupten, daß das Anſehen des Oberhauſes geſchmächt oder bedroht worden ſei. Trotz den beunruhigenden Prophezeiungen Cannings, mit Unterſtüßung ſeiner Citate aus For, das Haus der Lords werde, wenn
es dein Hauſe der Gemeinen mißfiele, von dieſem demokra tiſchen Körper in ſeiner rejorinirten Geſtalt überwältigt
werden, iſt das Anſehen des Oberhauſes von dem Unterhauſe werth gehalten und geſchützt worden .
Aber die Thätigkeit des Hauſes der Gemeinen iſt ſeit Walpoles Tagen weit bedeutender geweſen, als die der Lords. Ihm liegt es ob, die Freiheiten des Volfs zu mahren ,
jeden Unterthan des Königreichâ im Beſitz ſeines Eigen thums und ſeiner gefeßinäßigen Nechte zu ſchüßen. Som ſteht es zu, dadurch, daß es der einen Partei ſein Vertrauen zuwendet, einer andern entzieht, gewiſſen Männern es zu
erkennen gibt , anderen verſagt , der Krone diejenige Partei und die Staatsmänner zu bezeichnen , welche geeignet ſind, dieſes mächtige Reich zu regieren , ſeine Gefeße in Ausfüh: rung zu bringen, ſeine Ehre anderen Nationen gegenüber zu wahren, die Krone in Hinſicht auf Krieg und Frieden zu berathen , den Charakter der Nation unbefleckt zu erhalten und ſeine Stellung weder durch Verzagtheit bloszuſtellen, noch durch Uebereilung zu gejährden. Es iſt einleuchtend, daß ein Unterhaus, völlig im Stande, die Freiheiten des Volfes zu ivahren , und es gegen ungelca 1) Hansard's Debates , third series. Vol. IV .
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liche und ungerechte Eingriffe in ſein Eigenthum 311 ſichern, doch unfähig ſein kann, die dritte von der Verfaſſung ihm zugewieſene Funktion zu erfüllen. Offenbar hat das reformirte Unterhaus die erſte und
zweite dieſer Obliegenheiten hinreichend erfüllt; iſt es auch der dritten gewachſen geweſen ? Hierauf möchte ich in allgemeinen Ausdrücken erwidern , es müſſe zugegeben werden, daß, ſei es von der liberalen
oder der conſervativen Partei , der Krone und der Nation in den verſchiedenen Regierungsdepartements Männer zu Gebote ſtanden , welche für die Aufgabe tüchtig waren.
Aber ſind nicht ſtets Verbeſſerungen ſtatthaft ? Jebes der vier legten Miniſterien iſt Willens geweſen , zur Reform acte wo möglich eine Ergänzung hinzuzufügen . Ich meines
Theils würde froh ſein , wenn ich die geſunde Moral und klare Einſicht der Beſten aus der Arbeiterklaſſe vollſtändiger repräſentirt ſähe.. Sie ſind von der Gerechtſame, welche Miniſter der Krone wiederholt für ſie in Anſpruch genom
men haben , ausgeſchloſſen, zum Theil durch die Eiferſucht der gegenwärtigen Inhaber des Stimmrechts , zum Theil durch eine unbeſtimmte Beſorgniß, ſie möchten durch ihre große Mehrzahl alle andern Klaſſen verſchlingen . Dieſe beiden Hinderniſſe laſſen ſich dadurch beſeitigen, daß die vors geſchlagenen Stimmen richtig vertheilt werden, und daß das Volt den glücklichen Sinn dafür hat, daß eine Vermehrung 1
der Stimmen im conſtituirenden Körper mit denen der Eins
fidjtvollſten aus der Arbeiterklaſje eine Sicherheit erhalten
wird, nicht eine Gefahr. Die Zehn - Pfund - Hausbeſißer haben, wie Jedermann zugiht , keine Luſt, ihr Stimmrecht für Parlamentsabgeordnete mit Anderen zu theilen. Dieſer Widerwille würde, denk ich, minder fühlbar ſein, wenn die Ausdehnung des Rechts nach der Seite, nicht nach unten hin,
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vorgenommen würde, mit andern Worten , wenn der Vor
ſchlag dahin gienge, einen Flügel an das Haus anzubauen, anſtatt ein Stocwerk aufzuſeßen .
Ohngeachtet dieſes Widerſtrebens dürfen wir vorausa ſeßen, daß die Zehn - Pfund -Hausbeſiger der öffentlichen Meis
nung mindeſtens ebenſo zugänglich ſein werden , als die
alten geſchloſſenen Corporationen zu Bath , Scarborough, Portsmouth 2c. Wenn dem ſo iſt, werden ſie einer klaren Kundgebung des Nationalmillens , wie er durch Sahlen ,
öffentliche Verſammlungen , die Preiſe und andere Kanäle der öffentlichen Meinung ausgedrüdt wird, nachgeben. Hinzufügen muß ich, daß die Gegner eines Planes für Herabſegung der Stimmbereditigung ihren Widerſtand auf den verhaßteſten , wie unhaltbarſten Grund geſtellt haben. Die kleinen Krämer haben keine ſehr verſchiedene Lebens
ſtellung und ſtehen an Einfluß durchaus nicht höher , als die Arbeiter, welche zwanzig, dreißig oder vierzig Schil ling Wochenlohnt erhalten und in derſelben Stadt wohnen. Die Ausſchließung der Arbeiter mit der Erklärung; ſie ſeien
unmäßig und unwiſſend , iſt ſo gehäßig, daß die , welche ihnen zunächſt höher ſtehen, weil ſie in Zehn-Pfundhäuſern wohnen, wohl nicht lange mehr in der Lage bleiben werden,
den beſten ihrer Kunden und den aufgeklärteſten ihrer Nachbarn die Thüre zu verſchließen . Der andere Einwand, welcher mehr Grund zu Beſorg niß geben könnte, beſteht in der Annahme, die neuen An
kömmlinge würden die alten Stimmberechtigten in eine Ueberichwemmung verſeßen. Dieſe beruht , ohne ſehr ſorg liche Unterſcheidung oder Zergliederung von Seiten derer, welche den Einwand machen , auf einem zweifachen Grund. Erſtens meint man , die Abſtimmenden , welche in einem Syauſe wohnen, das keine zehn Pfund werth iſt, ſeien un .
-
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fähig eine Stimme zu führen ; zweitens beſorgt man , dieſe Klaſſe werde , wenn zugelaſſen , durch ihre Ueberzahl alle anderen Klaſſen in der That ihres Vorrechtes berauben .
Auf den erſten Einwand iſt zu erwidern , daß in der That die Arbeiter Englands in ihrer Geſammtheit nicht unmiſſend oder unehrenhaft ſind. Sie benüşen gerne die Gelegenheiten , politiſche und hiſtoriſche Kenntniſſe ſich zu erwerben , welde durch die Wohlfeilheit von Büchern und
Zeitungen in legterer Zeit ſich ſo ſehr vermehrt haben. Shre tägliche Beſchäftigung , welche, wie es der Fall iſt, von ihrem Fleiß, Geſchick und ausdauernden Eifer abhängt, gewährt eine Bürgſchaft für den Charakter der Mehrzahl unter ihnen.
Wenn nun die Anzahl der Wähler durch ſolche Leute
vermehrt wird , ſo liegt darin eine Sicherung , nidit eine Gefahr.
Es wird dieß dazu führen , die Beſchaffenheit des
gewählten Körpers zu verbeſſern , und dem Parlament mehr Geſundheit in allgemeinen Anſichten, und mehr Achtſamkeit auf die nationalen
Intereſſen zuzuführen. In der Chat,
wer den Arbeiter Englands für unfähig erklärt das Stimm recht auszuüben , errichtet eine Schranke , die nicht beſtehen ſollte.
Denn die Arbeiter bilden keine Kaſte für ſich , die in ihren Gefühlen und Intereſſen von dem übrigen Theil des Gemeinweſens abgeſchieden wäre ; ſie werden wahrſcheinlich jene Bande, welche ſie, gleich den Ober- und Mittelklaſſen,
mit ihrer politiſchen Partei oder Religionsgenoſſenſchaft verbinden würden , nicht mißachten ; auch iſt nicht zu ver 1
muthen , daß ſie meniger Gefühl für die Ehre und Wohls fahrt Englands haben werden , als die andern Klaſſen der Nation .
Alle Beſtrebungen der conſervativen Partei in dieſer
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Richtung ſind, meines Erachtens, irrig in Hinſicht des Ur theils, und unklug in Nüdjicht der Politit. Sie führen
dahin , eine Demokratie da hervorzurufen, wo keine beſteht; unſere politiſde Conſtitution mit der Schranke eines Pri vilegs einzuengen, und Menſchen , die um ihrer Redlichkeit und Einſicht willen geehrt zu werden verdienten , mit Herab würdigung zu brandmarken .
Die Bemühungen derer, welche behaupten, bie Stimm berechtigung dürfe nicht herabgeſet werden , oder , wenn eine Ausdehnung erforderlich , dürfe ſie nicht in der Rich tung nach unten geſchehen , führen daher , anſtatt unſerer
Verfaſſung eine Sicherung zu geben , nur dahin , eine neue Gefahr zu ſdi affen . Die Arbeiterklaſſen ſind auf dieſes Recht nicht ſehr verjeffen.
Es iſt ein Privileg , welches
einen vermehrten Anlaß zu Ziviſt und Streit zwiſchen den Arbeitgebern und Werkleuten nothwendig im Gefolge haben würde. Sagt man aber, die Arbeiter ſeien eine unwiſſende,
unmäßige und unehrenhafte Klaſſe, ſo werden diejenigen, welche die Uingerechtigkeit mit Geduld ertragen haben wür: den, ſich ſchwerlich die Beleidigung gefallen laſſen. Der Vorwurf iſt ebenſo unklug, als unwahr. Er wirft darauf hin, die Feindſeligkeit der Klaſſen , welche er abzuwenden vorgibt , zu erzeugen .
Die Ausdehnung der Stimmberechtigung ſollte bem nach ſowohl nach unten, als nach der Seite hin vorgenoms men werden . Die Menge hat ſich als tüchtig erwieſen ; ſo
geſtatte man ihr auch die Betheiligung. Ich will mich hier nicht anmaßen, zu beſtimmen , wie hoch ſich die Rente oder Steuer belaufen ſolle, um den Bes
wohnern eines Fledens die Berechtigung zum Abſtimmen zu geben, oder ob nicht das alte Hausväterrecht nach dreis jährigem Beſiß zur Probe dienlich ſei. Eine Berechtigung
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der Miether von 10 Pf. Einkommen möchte vielleicht hin zuzufügen ſein. Auf den Einwand , daß ſolch ein Zuwachs von Stimmen aus den Flecken die ganze Vertretung in die Hand einer Klaſſe brächte, würde , ich das größte Gewicht legen , wenn er irgend einen Grund hätte. IQ müßte dieſes Gewicht zugeben , nicht weil ich glaube, daß
ein Unterhaus, welches ausſchließlich die Arbeiter repräſen tirt, die Anarchie hineinbringen, das Eigenthum vernichten , die Monarchie untergraben würde. Ich bin überzeugt, dieß würde nicht der Fall ſein . Vielmehr würde ich deßhalb den Einwand für bedeutend halten , weil ich glaube, die Piepräſentation einer einzigen Klaſſe würde nicht ein Eben bild von dem Eigenthun, der Erfahrung, der Wiſſenſchaft und Weisheit Englands, ſowie von dem Charakter unſeres
gegenwärtigen Unterhauſes abgeben. Denn morin beſteht dieſer Charakter ?
Derſelbe ſtellt
die äußerſte Verſchiedenheit der Repräſentation dar. Den Wahlen großer Körperſchaften zur Vertretung des Land baus, Handels oder der Gewerbe in unſeren Grafſchaften
und großen Städten iſt ein Gegengewicht in der Wahlbe rechtigung kleiner, ſchwach bevölkerter Flecken gegeben , welche zur Ergänzung der Mängel und zur Vervollſtändigung un ferer Repräſentation hinzugefügt wurden.
3. B. Mr. Thomas Baring wäre wegen ſeiner her vorragenden Bedeutung im Handel, ſeines großartigen Cha rafters und ſeiner weiten Weltſtellung ein würdiges Mits
glied des Unterhauſes. Seine politiſchen Meinungen, und nur dieſe, ſtehen jedoch im Wege, daß er, obwohl die geeignetſte Perſönlichkeit, die Stadt London vertrete. Aber der Flecken Hun tingdon mit 2654 Einwohnern und 393 eingetragenen Stimm Sir George Grey follte wegen gebern wählt ihn gerne. 18
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ſeines geſunden Urtheils und ſeiner Erfahrung in politi ſchen Dingen jeder berathenden Verſanımlung, welche Enga land zu repräſentiren beſtimmt iſt, als Mitglied angehören. Aber in Northumberland muß der Einfluß , welchen der
Herzog von Northumberland durch ſeinen Landbeſitz hat, ihn ſtets von der Vertretung der Grafichaft ausd ließen . Morpeth, mit 13,796 Einwohnern , aber nur 446 Wählern , jendet ihn ins Parlament. -- Sir Roundel Palmer iſt
nach allgemeinem Urtheil trefflich geeignet, das Unterhaus bei jeder Frage des municipalen oder internationalen Nech tes aufzuklären, und die wahre Theorie und Praris einer Geſebesreform zu entwickeln . Er bekommt einen Sitz zu Richmond, einem Flecken mit 5134 Berpohnern und nur 306 eingetragenen Stimmgebern.
Dr. Temple ſagt in einem Schreiben an die „Daily Nemo's “ (19. Mai 1865) : „Ich weiß, daß Emerſon, als er in England ſich befand ,1 gegen mich das Bedauern aus: ſprach, daß alle gebildeten Klaſſen in Amerika ſich von der
Politik fern halten, weil ſie ſich hoffnungslos überſchwemmt ſehen .“
Man findet ſehr ſelten einen Mann von literariſcher Bildung und feinerem Verſtand , der ſich der rohen Auf
nahme von Seiten der Wähler einer großen Stadt aus ſeßen mag. Die kleinen Flecken ſtellen das Gleichgewicht wieder her, welches Marylebone und Mancheſter, wenn ſie, ſelbſt bei dem Zehnpfundvorrecht , unbeſtritten des Feldes Meiſter blieben , gründlich ſtören würden . Doch abgeſehen
von dieſem Vortheil geben ſie gemeinſam mit den Graf ſchaften dem Eigenthum den gebührenden Einfluß , ohne welchen unſer Haus der Gemeinen die Nation ſehr unvoll
ſtändig repräſentiren würde, und ſo machen ſie es möglid, die Hausväter unſerer großen Städte in einem Unfang
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zuzulaſſen , welcher ſonſt ungerecht ſein und möglicherweiſe zu ſchädlichen Rejuítaten führen würde.
Aus dieſen Gründen iſt es , meines Erachtens , nach
dem durch die Neformacte 141 Sitze aufgehoben worden, nicht zuträglich, die kleinen Flecken gänzlich aufzuheben . Die an zwölf Pfund Steuern geknüpfte Gerechtſame, welche jetzt in Irland Geſetz iſt, möchte wohl für engliſche
und iriſche Grafſchaften anzunehmen ſein. Aber dieſe Dinge verlangen Zeit, Ueberlegung und Uebereinſtimmung. Ein land muß vorbereitet ſein , eine Neformbill zu begehren , und ein Unterhaus bereit , ſie zit genehmigen . Das Parlament ſollte dann die Verfaſſung behandeln , wie ein geſchickter Urzt einen angeſehenen Patienten , nicht wie
der Chirurg im Gefängniß mit dem Leichnam eines Ver Þrechers umgeht, der ihm zur Sektion übergeben wurde. Auf dieſe Weije wird die Verſammlung, welche Sir James Graham mit Necht die edelſte Verſammlung freier Män ner in der ganzen Welt " genannt hat , inverfümmert in
ihrem Geiſt erhalten werden. Solch eine Verſammlung er theilt der Krone Nath, ohne ſie zu beleidigen ; vermag das Haus der Lords 311 ſpornen , ohne je die Adhtung zu ver
lezen. Auf ſolche Weiſe wird eine Regierung geführt, welche die Liberalen der ganzen Welt wegen ihrer Freiheit lieben, und die Conſervativen der Welt wegen ihrer feſten Stetigkeit beneiden ! Wenn die Frage füglich beſprochen werden kann , bin
ich überzeugt, daß das Stimmrecht nach gut alt engliſchen Grundjätzen , und in Uebereinſtimmung mit gut alt eng liſchen Begriffen von Niepräſentation ausgedehnt werden wird. Ich würde bedauern , wenn man die Gefahren allge
meiner Abſtimmung und unbeſchränkter Demokratie durch
ſo verhafte Pläne abzuwenden gedächte, wie durch Zuthei18*
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lung mehrerer Stimmen an die Reichen , oder durch Kunſt griffe, die unſeren Gewohnheiten durchaus freund ſind , wie der Plan Mr. Hare's , wenn er ſchon auf die Autorität eines ſo tiefen Denfers, wie Mill, ſich ſtüßt.
Wenn eine Abweichung von unſeren altherfömmlichen Gewohnheiten und geläufigen Ideen über Repräſentation Statt haben ſollte , ſo würde ich eine Aenderung der Art
billigen, wie ich ſie einmal vorſchlug, um in großen volk reichen Grafſchaften und Städten eine Vertretung der Min derzahl zu erhalten. Wenn die Abgeordneten zu wählen wären, und ein Wahlmann hätte das Recht, einem Candi baten zwei Stimmen zu geben , ſo könnten wir einen libe ralen Mann vom Stande aus der Grafichaft für Bucking
ham haben und einen conſervativen Fabrikanten für Mans cheſter. Die liberale Majorität würde zwei gegen einen im Hauſe der Gemeinen haben , und die Minorität würde ſich nicht unvertreten und herabgewürdigt fühlen. Doch ſelbſt dieſe Aenderung einzufiihren , würde Schwie rigkeiten haben , und vielleicht bei erſter Wirkſamkeit keinen Beifall finden .
Unſer Volk liebt unſere freien Inſtitutionen nicht allein weil ſie gut , ſondern auch weil ſie alt ſind. Als unſere Vorfahren Jakob II. verbannten und die ganze Praxis der Conſtitution änderten, hüteten ſie ſich doch , den Thron
für abgeſchafft zu erklären, und Richards II. Beiſpiel zur Nechtfertigung ihres Verhaltens anzuführen . Zwar wachſen bie Inſtitutionen nicht wie die Bäune
auf ; ſie ſind das Werk von Menſchenhand und nicht geeignet, daß man ſie wie göttliche verehrt. Aber altherkömmliche Privi legien haben doch etwas Ehrwürdiges. Mechaniſche Erfindungen und phyſiſche Entdeckungen haben keine beſtimmbaren Gren
zen, aber in dieſem Zeitalter der Welt iſt es nicht leicht zu 2
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glauben, daß es noch ingeprüfte Muſter von Negierungen gebe, welche einen Genuß von Glück und Freiheit verſprächen, den England noch nicht gekoſtet hätte. Meines Erachtens hat Lord Grey die Grenze rich tig geſteckt. Was darauf hinzielt, der Prärogative der Krone, dem Anſehen beider Parlamentshäuſer, ſowie den Rechten und Freiheiten des Volfs mehr Sicherheit zu geben ,
mag willkommen ſein ; der Plan, weldier andere Ziele ver folgt , und ſein Abſehen auf eine Aenderung der Regie rungsform gerichtet hat, müſste ein für allemal abgewieſen werden.
Vergeſien wir nicht, daß in der gemäßigten Zone una ferer altherfömmlidien Verfaſſung die Intoleranz eines Des potismus und der lebermuth einer Demokratie gleich inn
bekannt ſind; daſ die Freiheit 311 denken, was uns beliebt, und zu ſprechen , wie wir denken --- zur Zeit des römis ſchen Reiches ein ſeltenes Glück – das allgemeine, inter
einen britiſchen Herrſcher von Jedermain genoſſene Glück iſt; daß die Freiheit zu denken , 311 erfinden und zu ents decken, zu ſchreiben und zu veröffentlichen, worin eine Bürg fchaft liegt für den Fortſchritt mjeres Bolfes in Wiſſens ſchaft, Neligion und Sittlichkeit, auch die beſte Bürgidhaft
für unſere politiſchen Freiheiten gewährt. Dieſe allgemeine Verbreitung der öffentlichen Meinung ergänzt manche Lücke in der Form unſerer Einrichtungen. Aber ich bin nicht ohne Veſorgniß aus einem andern Grund.
Es ſcheint mir eine andere Gefahr weit dringen
der und nachtheiliger, als die des allgemeinen Stimmrechts und der Deinofratie.
Dieſe Gefahr beſteht darin , daß in Abſicht den For derungen derer z11 genügen , welche eine Ausdehnung des Stimmr:chts begehren , eine augenſcheinliche Conceſſion ge
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macht werden möge, verbunden mit Sicherheiten, wie man's zu nennen beliebt , um der großen conſervativen Partei in
beiden Häuſern damit zu gefallen. Das iſt keine eingebil dete Gefahr : Lord Althorp warnte vergebens die Mitglieder ſeiner Partei davor, den 50 Pfund Lehenträgern nach Wunſch
daſſelbe Stimmrecht in den Grafſchaften einzuräumen, welches bisher die unabhängigen 40 Schilling - Freiſaſſen genoſſen hatten. Das Wort „ Ausdehnung des Stiinmrechts “ ſchmei chelte den Ohren der Neformer ; die Chandos-Klauſel gieng durch, und wie Lord Althorp vorausſagte, der Einfluß der
großen Landeigenthümer überwog die Nepräſentation der Grafichaft.
Zur Zeit eben , als die Neformbill durchgieng, ſuchten die ſogenannten „ Schwankenden “ Lord Grey zu vermögen , den Wahlkörper der Grafichaften durch Uebertragung der
Stimmen der 40 Schilling- Freiſaffen auf die Flecken noch mehr herabzubringen . – Durch eine ähnliche Maßregel,
verbunden mit der Erlaubniß , Abſtimmungen durch Poſt zu überſenden , würde die letzte conſervative Neformbill 30–40 Ernennung- Flecken geſchaffen haben , und dieß auf eine Weiſe, die von den Urhebern der Bil nicht verſtanden wurde.
In der That iſt der Gegenſtand voll ungekannter Fall gruben , und es iſt weit beſſer für die große liberale Partei
im Land, nicht das Gewicht auf die Wagſaale gegen die De: mokratie zu legen, nicht kleinlichen ſtaatsmänniſchen Siniffen zu vertrauen , nicht feinen Erfindungen ſcharfſinniger Theo retiker, um ſich einem ſcheinbaren Syſtem anzuſchließen, das unter dem Schein einer Fortbildung der Reformacte Lord Grey's die Früchte derſelben abſtreifen und werthloſe Schalen dafür tauſchen möchte.
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3.
Weitere Entwicklung des Fortſchritts. Der Schatz von Popularität, welchen das Miniſterium
durch die Neformacte gewann , legte ihm die Verpflichtung auf, dieſelbe einzuſetzen , um verjährte Mißbräude abzu ſtellen, welche arg die Intereſſen ſchädigten. Zu dieſen gehörte vor allem die verkehrte Anwendung des Armengeſetzes , wodurch die öffentliche Wohlfahrt beeinträchtigt, der Friede des Gemeinweſens bedroht war. Während der bedenklichſten Zeit des franzöſiſchen Kriegs 1
war im Süden Englands der Gebrauch aufgekommen , auf die Arbeitslohne einen Theil aus der Armentare 311zulegen ,
welcher Theil nach der Anzahl der Kinder einer Familie bemeſſen wurde. Dadurch wurden die Eltern Söldlinge
des Kirchſpiels, und ihr Einkommen richtete ſich nicht nach ihrem Gewerbfleiß, ſondern nach der Anzahl ihrer Kinder.
Auf dieſe Weiſe wurden die Söhne unnüße und überflüſ ſige Glieder einer Gemeinde, welche nid)t in Gemäßheit des Naturgeſetzes , ſondern nach künſtlicher Veranſtaltung anwuchs .
Im Jahr 1830 hatten die Nachtheile, welche aus dieſem Fehlgriff der Uuwiſſenheit und des Mangels an Voraub ficht entſprangen , einen höchſt beunruhigenden Grad erreicht.
Seit einigen Sintern hatte man junge Leute von achtzehn und zwanzig Jahren angeblich zur Arbeit verwendet, als Vorwand, in um ihnen ein Armengeld als Almoſen zuzu : wenden .
Nun hatten dieſe ihre Tage in Faullenzen ver
bracht, ihre Nächte zu Nauben, Stehlen , Trinken und ans deren Erceffen verwendet. Die Unordnung ſtieg bis zu Gewaltthätigkeiten und Aufruhr; der Himmel röthete ſich
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von nächtlichem
jenter ; die Felder waren Scenen von
Schlägereien, und die Pächter bildeten eine berittene Land miliz, um die Auſlehnung ihrer Arbeiter zu unterdrücken . Cord Althorp, der Herzog von Richmond und die an beren Mitglieder von Lord Grey's Cabinet entidoſjen ſich, das ſchreitliche Uebel zu bekämpfen . Mir. Senior , der Grz
biſchof Whately und Andere hatten auf dem wiſſenſchaft lidhen Grund der Volkswirthdajt den verderblichen Charat ter der herrſchenden Mißbrände nachgewieſen. Es wurde ein Comité beſtellt, ein Abhilfemittel empfohlert, eine Bill
abgefaßt, erwogen und von dem Cabinetsausiduß gebilligt, wozu Lord Melbourne, Lord Althorp, der Herzog von Nich mond, Lord Nipon und ich als Mitglieder gehörten.
Es wurde demnach die Verbeſſerungsacte des Armen geſetzes entworfen, und von Lord Althorp in's Unterhaus gebracht; aber es war eine ſo ſchwierige Aufgabe, daß es nur ſeiner ausdauernden Geduld und gründlichen Saengni3 des Gegenſtandes gelingen konnte, ſie gegen die Jutereſſen, die Unwiſſenheit und die eingewurzelten Vorurtheile durch
zubringen, womit es zu kämpfen hatte. Eine andere nicht minder dringende Aufgabe war
grland ſeine Ruhe wieder zu geben , und die dortigen agrariſchen Unruhen zu unterdrückert.
Jin Jahre 1833
wurde zu dem Ende eine ſtrenge, doch vorübergehende Maß regel ergriffen . Zugleich wurde die iriſche Kirche refor mirt, die Zahl der Biſchöfe beſchränkt, und die Einrichtung wirkſamer gemacht.
In demſelben Jahr wurde die Sklaverei in unſeren Colonien abgeſchafft und zwanzig Millionen zur Entſchädi
281
gung der Šilavenbeſitzer votirt,, - eine zwar edle, aber zum Erſatz inzureichende Gabe. Immer war die Wegtilgung eines ſolchen Schandfleds von unſerer inneren Politit, und die Gewährung der Freiheit von 800,000 menſchlichen Weſen ein Act, worauf das reformirte Parlament ſtolz ſein durfte. Der gegenwärtige Lord Derby brachte auf Seiten der Re
gierung dieſe Maßregel in Anregung und erhöhte ſeinen Ruhm als Geſetzgeber und Redner durch Beredtíamkeit bei
der Debatte und ausnehmende Energie bei der Ausführung. Im Jahr 1835 wurden die Municipalcorpora:
tionen in England, Schottland und Srland reformirt und dieſe Körper dhaften , welche oft Sige von Monopolen
und Vrutſtätten der Verderbniß waren , einer wachſamen Controle des Volfs unteriporfen .
Zwei Jahre ſpäter erklärte Sir Robert Peel , dieſe
Maßregel habe ſich, wie zu erwarten, als eine conſervative erwieſen . In der That muß man ſagen, daß jede Maßregel, welche einen Gegenſtand gerechter Beſdywerden beſeitigt und eine Abhülfe inperkennbarer und ſchädlicher lebelſtände ge währt, dahin führt, die Anhänglichkeit des Volfs an ſeine
Viegierung zu befeſtigen ; daß ſie demnach eine conſervative Maßregel iſt.
„ Es gibt “, ſagte Lord Palmerſton in ſeiner großen Rede von 1850 , „ wei Arten von Revolutionäre
in der
Welt. Erſtlich jene gewaltjamen , gedankenloſen Hilföpfe, welche 311 den Waffen greifen , beſtehende Regierungen um ſtürzen und rückſichtslos , ohne die Folgen zu beachten , die Schwierigkeiten und Kräfte zu ermeſſen, ihr Vaterland mit Blut überſchwemmen und das größte Unheil über ihre Mit bürger bringen. Zur zweiten Klaſſe gehören jene blinden Geiſter, die von veralteten Vorurtheilen beſeelt, und durch Befürchtungen der Unwiſſenheit eingeſchüchtert, ſich gegen
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den Strom menſchlichen Fortſchritts ſtemmen , bis Sie unwiderſtehliche Gewalt aufgehäuſter Unzufriedenheit die Sdranten durchbricht , und jene guten Einrichtungen um ſtürzt und den Boden gleich macht, weldie durch zeitige Anwendung erneuernder Mittel ſtark und dauernd gemacht werden konnten ." )
Pon folchem Charakter waren die er:
neuernden Mittel, deren Anwendung von 1830 bis 1850 unſeren Inſtitutionen eine Stärke , welche zu jdwinden im
Begriff war, wieder herſtellten. In demſelben I. 1835 wurde die Umwandlung des
Zehntens in eine firirte Abgabe - eine Maßregel, welche Pitt einzuführen vergeblich bemüht war , -- init Erfolg durchgeſetzt. Anfangs waren die Landedelleute im Hauſe
der Gemeinen geneigt zu glauben , die vorgeſchlagene Maß regel jei zu ſehr zum Vortheil der Kirche ; aber indem mant
den Betrag der Auflage herabſeşte , wurde die Umwandlung mit einigen Modificationen von allen Parteien angenommen .
Im Verlauf von zwanzig Jahren kam die ganze Aenderung in Ausführung ; und ſeit dieſer Zeit war der Geiſtlidhe nicht länger der Mißlichkeit ausgeſetzt , mit ſeinen Pfarrkin dern in Streitigkeiten zu gerathen , und der Pächter war nicht länger genöthigt, die Früchte von Verbeſſerungen , beren
Koſten er mit dem Landeigenthümer zi1 tragen hatte , mit dem Beſitzer des Zehntens zu theilen . So wurden nun auch Werke für Bewäſſerung, und der Anbau unbenügter Land ſtreden , welche beim bisherigen Zuſtand der Dinge als zu wenig lohnend unterblieben waren , ausführbar , und wurden
zum großen Vortheil des Landes in Vollziehung gebracht. Nehnliche Veränderungen fing man ſeitdem an auch mit 2) Debatte beim ausw . Amt, 25. Juni, 1850. Hansard, Vol. CXII. p. 432.
283
den Pachtungen kirchlichen Guies vorzunehmen , indem man dem Kapital und dem Erweibfleiß eine Sicherheit gab , während die Kirche eine billige Vergütung erhielt.
Während lord Brougham Groß -Siegelbewahrer war, wurden bedeutende Reformen in der Geſellgebung vorge nommen . Er ſchaffte viele Stellen ab, beſchränkte andere, und hob eine Sinecure von 10,000 Pib . jährlichen Ein kommens gänzlich auf, welche faſt ein halbes Jahrhundert lang zur Verſorgung der Familie eines ſeiner Vorgänger
gedient hatten . Dieſe ökonomiſchen Reformen Lord Broug hams, ſein unbedingtes Aufgeben von Vortheilen, die recht lich mit ſeiner hohen Stelle verbunden waren , fein Opfern
der Mittel für eine reiche Verſorgung ſeiner Familie, waren nur einzelne Seiten ſeiner großen öffentlichen Laufbahn. Die außerordentliche Nebe über Reform der Geſetzgebung, welche er im Jahr 1826 hielt, die umjafjenden Grundſäße,
welche er ausſprach, und die merkwürdigen Details, welche leicht und angenehm ſeinem fähigen Geiſt entſtrömten , ſetzten die Welt in freudiges Erſtaunen . Was er im Jahr 1826 anrieth, geſtaltete ſich 1831 zu Entwürfen ; und mögen wir auf den höchſten Gerichtshof blicken, oder die gewöhnlichen des Landes ; auf die Organiſation der Gerichts -Commiſſion
an Stelle des allgemeinen unregelmäßigen Geheimen Raths und des ſchwerfälligen Delegatenhofs , oder auf die Eins
richtung von Provinzialgerichtshöfen mit ihren Hemmungen, Verzögerungen und endlichen Beſchlüſſen ; ſo ſehen wir bei all' dieſen Stellen und Inſtanzen ſeine große Einſicht durch die dichten Nebel des Geſetzes dringen , die Mängel eines
ehrwürdigen Baues beleuchten , und die Spinneweben wegkeh ren, welche ſo lange das Ungeſunde und lingeſehene verhüllten . Lord Brougham betheiligte ſich ferner bei einem anderen
284
Werke des Fortſchritts, welches von Sir Samuel Romilly und Sir James Macintoſh begonnen und von Sir Robert Peel einigermaßen gefördert worden war, nämlid der Re:
form der Criminal -Gefeßgebung. Als Sir Samuel Nomilly zuerſt die Stimme aufgeklärter Humanität über dieſen Gegenſtand erhob , erklärten die größten Nechtsgelehrten , wenn nicht der in einem Wohnhaus verübte Diebſtahl im Betrag von 40 Sch. mit dem Galgen beſtraft würde, ſci
kein Menſch in ſeiner Wohnung ſicher . Am 31. Mai 1823 beantragte Sir James Macintoſh eine große Reform durch Abſchaffung der Todesſtrafe bei einer Menge von Vergehun gen und nicht erheblicher Verbredien . Ihm witerſprad, Sir Nobert Peel , der ſich nicht von den
Gedanken losjagen
konnte, daß ohne die Todesſtrafe auf Hausdiebſtahl die Siderheit nicht beſtehen könne. - Doch führte er einige ſchätzbare Verbeſſerungen ein . Erſt im J. 1832, unter Lord Grey's Verwaltung und in den folgenden Jahren , erfolgte die Beſeitigung der Todesſtrafe bei einer Neihe von Ver gehungen , bis bei Gelegenheit der Thronbeſteigung der Königin dieſelbe noch auf einige wenige Fälle von Naub mord, Brandſtiftung 11. a. beſdhränkt wurde. Weitere Be chränkungen erfolgten 1841 und ſeit 1861 beſteht die Todes : ſtrafe nur noch für Mord und Hochverrath.
Die praktiſche Wirkung dieſer Aenderungen ergibt ſich aus folgender Scala : Todesurtheile. 968
1823 1824
1825
1837 1838 1839
.
. .
1066 . 1036 438 116 56
inrichtingent. 54
49 50 8
6 11
285
Todesurtheile. 48 50 29
1860
1861
.
1862
.
.
Hinrichtungen . 12 15 15
Im Durchſchnitt zehnjähriger Perioden finden wir : 1823-32
1833-42 1843--52 1853--62
Todesurtheile. 1279.5 325.2 61.6
Hinrichtungen .
50.9
11.1
56.3
17.1 10.7
Im Verhältniſ zur Bevölkerung zeigt ſich die Ver minderung noch auffallender : Zum Tode verurtheilt. Giner auf 10.123
1823-32
1833-42 1843-52 1853-62
.
43.834 274.692 373.220
Hingerichtet. Einer auf 229.177 813.185
1,581.390
1,711.434
Erſehen wir hieraus die Zunahme der Humanität in unſerem Volfe, ſo fragt ſich's wohl, ob durch Beibehaltung der Hinrichtung von 10-15 Perſonen jährlich der Mord ver hütet wird.
Ich meines Theils zweifle keinen Augenblick, weder an dem Recht eines Gemeinweſens, bie Todesſtrafe zu verhängen, noch an der Zuträglichkeit, dieſes Recht in gewiffen Zu ſtänden der Geſellſchaft auszuführen. Wende ich mich aber
von dieſein abſtrakten Recht und dieſer abſtrakten Zuträglich keit zu unſerm gegenwärtigen Geſellſchaftszuſtand, -- erwäge ich, wie ſchwierig es für jeden Nichter iſt, die Fälle , wo 1
unerbittliche Gerechtigkeit nothwendig iſt, von denen , welche
die Nöthigung mildernder Umſtände zulaſſen ,
wie ges
häſſig die Aufgabe des Staatsſecretärs bei Anwendung der Gnade von Seiten der Krone, - wie bedenklich die vom
286
Publikum gemachten Erklärungen ſind ,
wie raſch dem Gegenſtand allgemeinen Abſcheu's ſich die Sympathie und das Mitleiden zuwendet , -- wie beſchränkt an Umfang die
warnende Wirkung dieſer erſchrecklichen Beſtrafung , wie 10 komme ich zu brutal die Scene der Hinrichtung iſt, dem Schluß, daß weder für Gerechtigkeit, noch für die Er haltung unduldigen Lebens eine Einbuße gedräbe , wenn die Todesſtrafe gänzlich abgeſchafft würde.
In dieſem Falle würde ein Spruch auf eine lange dauernde Einzelhaft mit nachfolgend langer Danier harter Arbeit und dmaler Koſt nicht mehr als Anwendung der Gnade angeſehen werden .
Wenn das Urtheil gegen einen Mörder auf lebensläng liche Einſperrung lautete, ſo würde ſchwerlich je eine Bitt ſchrift auf Erlaß der Strafe einlaufen.
Der Schuldige
würde unbemitleidet Zeit und Gelegenheit finden , ſich reue voll an den Thron der Gnade zit wenden .
Im J. 1837 wurde eine bedeutende Frage in Beziehung auf die Regierung in Canade vor's Parlament gebracht. Pitt und Lord Grenville hatten im I. 1791 dieſer Provinz eine unpraktiſche Verfaſſung gegeben. Die Provinz war von Franzoſen bewohnt, deren Sitten und Gemohn heiten aus der Zeit Ludwigs XIV. ſtammten , ohne einen Anflug von Revolution, ohne ein Zeichen von Fortſchritt. Die engliſche Regierung hätte fich's zur Aufgabe machen ſollen, engliſche Freiheit, engliſche Betriebſamkeit und engliſche Geſetzlichkeit einzuführen . Anſtatt dieſes verſtändigen Verfahrens arbeiteten Pitt und Lord Grenville darauf hin , engliſche Thatkraft von franzöſiſcher Trägheit zu ſondern ; die Induſtrie der Eng
länder am obern Theile der Colonie abzuſcheiden , und
287
Nieder- Canada zu einer Art Muſeum zu machen, wo eine franzöſiſche Nobleſſe mit feudalen Titeln und Mitterorden, mit Zehenten und Herrenrechten ſich für immer kryſtallifiren möchten, zum Andenken an die Glückſeligkeit Frankreichs vor der jatobiniſchen Revolution . Aber die hübſchen Froſtblumen der Phantaſie" ſchmol zen beim Sonnenlicht menſchlichen Fortſchritts hinweg. Die projectirten Titel und Orden wurden nie geſchaffen ; es ge rieth Alles in Verwirrung; ein legislativer Nath, aus auf
geklärten, der Verbindung mit England anhänglichen Männern gebildet , bekam
die Gunſt der Krone als Monopol und
wurde der franzöſiſchen Nationalpartei verhaßt.
Die res
präſentative Verſammlung von Nieder -Canade weigerte die Steuern.
Als der Colonialſecretär Lord Bathurſt ſah , daß er eine Uhr hatte, die nicht gehen wollte, nahm er die Regu
lirung derſelben in ſeine Hand.
Er votirte aus eigener
Machtvollkommenheit die Steuern , welche die Verſammlung nicht bewilligen wollte. Allein dieſe Politik konnte nicht lange dauern. Die Vorſchläge der franzöſiſchen Canadier , ihren legislativen
Rath ſelbſt ernennen zu dürfen, wurden auf den Rath der Miniſter vom Parlament verworfen. Die Folgen traten raſch ein Nieder -Canada, am Feudalismus hängend, em pörte ſich für Titel und Privilegien , Ober - Canada , demo kratiſch erzogen , für eine Republik. Lord Durham wurde von Lord Melbournes Regierung entſendet, dieſe verworrene Aufgabe zu löſen . Er prüfte ſie mit ſtaatsmänniſchem Auge,
durchdrang die Abſichten der widerſtreitenden Parteien und ſprach ſich für Union aus. Es war ein kritiſcher Moment. Die Einen ſagten, „ Laſſet die Franzoſen in Canada ihren Weg gehen; ſonſt gibt's einen neuen Amerikaniſchen Krieg.“
288
Andere ſagten, die Verwilligung der ſogenannten „verant wortlichen Regierung“ bedeutet Unabhängigkeit, man muß dem Widerſtand leiſten.
Zwiſchen dieſen beiden Ertremen nahm die britiſche
Regierung ihre Stellung. Sie kam mit den Repräſentanten der Liberalen Canadas überein, der Ausdruck „,verantwort liche Regierung“ ſolle alle inneren Fragen in ſich begreifen, aber keine der alswärtigen Politik. Unter dieſer Bedeutung wurde die verantwortliche Regierung bewilligt. Powlett Thomſon , der als Statthalter geſchickt wurde,
die Union in's Werf zu ſeßen , ſtellte ſich die Frage „ Bin idh Herrſcher oder Miniſter ?" und er beantwortete ſie dahin, daß er Miniſter ſei.
U : ſtreitig wurde die Einrichtung einer Colonialre gierung, deren innere Angelegenheiten der Leitung eines
Colonialminiſteriums anheim gegeben, die äußeren Angelegen heiten ſammt Heer und Flotte unter den Befehl der königl. Negierung geſtellt wurde, äußerſt verwickelt, mehr als die der britiſchen Verfaſſung ſelbſt. Aber bei gutem Willen und Verſtand iſt nichts unmöglich ; Empörung und Widerwille
waren das Ergebniß der Acte von 1791 ; Gehorſam und Geſeßlichkeit der Picte von 1837. Die Unionsacte enthielt einen zwar unvermeidlichen, aber nicht unverbeſſerlichen Mangel. Lord Sydenham konnte eine Majorität für dieſelbe nur durch die Verwilligung erhalten , daß die Anzahl der Vertreter von Ober- und
Nieder- Canada gleich ſein ſolle. Und doch war és augen fällig , daß , wenn die Bevölkerung von Ober- Canada nach Beſeitigung der von England trennenden Schranken bei ſeiner natürlichen Fruchtbarkeit die des untere ! Landes be deutend überwiegen ſollte , Gerechtigkeit und Politik gleich
mäßig eine Abänderung der auf ſchwankenden Bodert ge
289
stellten Gleichheit erfordern würde. Dieſer Fall iſt jeßt eingetreten. Es wird die Weisheit des Parlaments in An ſpruch nehmen , um das Fundament des neuen Gebäudes
zu befeſtigen ; aber die Voranzeigen ſind günſtig.
Viele Gegenſtände von großer Wichtigkeit beſchäftigten damals die Aufmerkſamkeit des Parlaments.
Frland wurde im 3. 1829 ſo behandelt, mie Pitt im
J. 1800 vorgeſchlagen hatte.
Aber dieſe lange Ver
weigerung der Gerechtigkeit hatte Unzufriedenheit und Ab neigung erzeugt; hatte Gewaltthätigkeiten des Pandvolfs von erid rectlichem Charafter veranlaßt; hatte das Land
Tyrannei der Landherren , ſowie den Verſdwörungen und Comploten der Prieſter und Bauern Preis gegeben. Lord Angleſey äußerte, als er Lord lieutenant war, der König habe in Irland keine andere Partei, als ſeine Truppen . Die Regierung Lord Melbournes und ſeines Nachfol
gers that viel, um abzuhelfen , wo allein Zeit und Ge rechtigkeit Heilung bringen kann . Die Zehentfrage ward geordnet, und die Laſt von den Schultern der Bauern auf die der Landherren gelegt. Es wurde ein Armengeſeß erlaſſen, das in der That nicht ſowohl ein Geſetz der Barmherzigkeit
als der öffentlichen Ordnung war. Die im J. 1847 ein gebrachte und ſpäter durch Sir John Romilly verbeſſerte En cumbered Estate- Acte bahnte den Weg zu beſſeren Ver hältniſſen zwiſchen Landeigenthümern und Pächtern. Das Stimmrecht in Grafſchaften wurde im J. 1829 den Vierzig Schilling - Freeholder genannten Vajallen entzogen und den Eigenthümern , welche 12 Pid. jährlich ſteuerten , zuge 1
theilt. Eine Summe von acht Millionen wurde zur Zeit 19
290
ber Kartoffelnoth im I. 1848 von der Regierung aug getheilt .
Die im I. 1835 eingebrachte Maßregel, welche einen Theil der Einkünfte vom Kirchengut Srlands zu Erziehungs
zwecken beſtimmte, war in England unpopulär und ging im Oberhauſe nicht durch. Aber es iſt ſchwerlich möglich, daß ſich ein Kirchenvermögen für etwa ein Neuntheil der Bea völkerung Irlands unvermindert erhalten ließe. Wenn Eng
land dieſe Frage leidenſchaftslos prüfen wird, ſteht zu er warten , daß , obſchon der Staat ſich nicht damit befallen
wil, einen römiſch -katholiſchen Klerus zu unterſtügen, doch, wie Pitt vorhatte, dem ganzen Volk von Irland eingeräuint werden wird , einigen Nußen aus dem ſo reichen Einkommen zu ziehen. Nationalerziehung und verbeſſerte Einrichtungen für Volksbildung verſchiedener Art dürften mindeſtens einen Theil des Einkommens erhalten , welches vom Land zum Beſten des Vorks aufgebracht wird. In den Jahren 1828 und 29 hat das Parlament den von der Staatskirche abweichenden Proteſtanten und römi
ſchen Katholifen Zulaſſung zu Beamtenſtellen und zur Legislatur gewährt. Die zehn Jahre von 1831 bis 1841 ſind der Bemil:
ligung politiſcher und municipaler Berechtigungen in den drei Theilen des Königreichs gewidmet worden.
Im Jahr
1840 wur die Zeit gekommen , um die Zölle herabzi: feßen , Monopole aufzuheben , und den Handel von manchen Beſchränkungen zu befreien. Die beiden Hume das Parlamentsglied und der Zollbeamte -- bahnten den Weg , auf welchem das Heer der Freihandelsfreunde , erſt mit unentſchiedenem Kampf.
zuletzt aber mit ſicherem Triumph voranſchritt . Charles Villiers , Cobden und Bright bean
291.
tragten die gänzliche und alsbaldige Aufhebung der Korngefeße. Das Whig- Miniſterium , ohne ſoweit zu gehen , ſchlug vor , den veränderlichen Zoltarif auf Waizen mit einer feſten Auflage von acht Schilling zu vertauſchen ; anſtatt des Verbots fremden Zuckers einen Differentialzoll von zwölf Schilling auf den Gentner einzuführen, und den Sduzzoll auf Bauholz abzuändern . Aber der Antrag auf Zulaſſung fremden Zuckers wurde von den Protektioniſten mit einer Majorität von ſechsunddreißig verworfen , und in Folge einer Auflöſung brachte eine Majorität von ein undneunzig Sir Robert Peel an die Spiße einer neuen Verwaltung
Zählten aber die Protektioniſten darauf, Sir Robert
Peel werde die Herrſchaft der Monopole befeſtigen , ſo täuſchten ſie ſich arg. Zwar ließ er mit eigenthümlicher Klugheit eine Zeit lang das Rorn der Landedelleute und den
Zucker der weſtindiſchen Colonieen inangefochten. Aber er hob alle kleineren Monopole auf, und ließ , wie ein großer General vordringend, die Feſtungen Korn und Zucker nur mit Garniſonen beſegt im eroberten Land. So kam es, daß im Jahr 1846 die Einfuhr fremden Rorns mit einer Auflage von einem Schilling genehmigt wurde , und Sir
Robert Peel , unter Verwünſchungen ſeiner Partei , aber dem
Beifall ſeines Volfes, dem Lande eine undägbare unſchäßbare
Wohlthat erwies .
Bei dieſer Gelegenheit, wie bei der Katholikenemanci
pation, ließ Robert Peel dem Manne, der lange ſein Gegs ner geweſen , zuerſt Anerkennung widerfahren. „ Der glück liche Erfolg dieſer Maßregeln ,“ ſprach er , „iſt durch eine Combination verſchiedener, ſonſt entgegengeſetzter Parteien unter dem Einfluß der Regierung bewirkt worden ; aber der Name, welcher hauptſächlich mit dieſem Erfolg verknüpft 19 *
292
ſein muß und wird , iſt der eines Mannes , welcher, wie ich überzeugt bin , aus reinen, uneigennützigen Motiven mit unermüdlicher Energie an unſere Vernunft appellirt, und dabei eine Beredtſamkeit entfaltet hat , die um ſo mehr
zu bewundern iſt , als ſie natürlich und ſchmuclos war : der Name Richard Cobden s." )
In demſelben Jahr 1846 räumte das ihm nachfolgende
Miniſterium die Differentialzölle auf Zuder hin weg, und ſetzte die Zölle herab. Im Jahr 1848 wurden die Schifffahrtsgeſeße aufgehoben ; und bei diejer Gelegenheit prieß Sir I. Graham in einer denkwürdigen Rede den Triumph des Freihandels.
Im Jahr 1861 wurden durch einen Handelsver:
trag mit Frankreich die Feſſeln zerbrochen , welche una ſeren Handelsverkehr mit einem Land heinmten, welches an Wein, Del, Seide und ſchönen Fabrikaten Ueberfluß, aber
an Kohlen , Eiſen und wohlfeilen. Fabrikerzeugniſſen Mangel hat. Der Kaiſer von Frankreich machte den Vorſchlag, das britiſche Cabinet nahm ihn an ; aber Richard Cob den war es hauptſächlich, durch den die Verwirklichung deſſelben zu Stande kam . Die Maßregel hatte nicht allein die Bedeutung freien Handelsverkehrs. Zwei Nationen vom erſten Niang in der Welt in Hinſicht auf Triumphe im Frieden , wie im Krieg, wurden durch denſelben mit tauſend Banden verknüpft, welche , wie zu hoffen iſt , ein Verhältniß eingewurzelter
Feindſeligkeit in freundlichen und friedliden Wetteifer um zuwandeln fähig ſind. 1) Parliament. Debates , ser. Ill , Vol. LXXXVII. p . 1054.
293
Merken wir die Reſultate dieſer Maßregel. Vergleichen wir zuerſt den amtlich a gegebenen Werth der Einfuhr und Ausfuhr von britiſchen Cononial- und
ausländiſchen Waaren aus den Jahren 1842, 1853 und 1863. Einfuhr 1842
65,253,286 Pf.
1853
123,099,313 171,913,852 113,841,802 Pi.
1863
Ausfuhr 1842 1853 1863
242,072,224 313,113,188
Sodann den wirklichen Werth der Ausfuhr britiſcher und irländiſcher Fabrikate 1842
47,381,023 Pf. 98,933,781
1853 1863
146,489,768 Heben wir weiter einige der bedeutendſten Artikel bri tiſcher Manufaktur hervor : 1842.
1853 . Pf.
1863 .
Pf.
Baumwollenwaaren 13,907,884 . 25,817,249.39,424,010 . Leinenmanufaktur 2,346,749. 4,758,432 . 6,509,970. Maſdinen 554,653. 1,985,563. 4,365,023. Eiſen und Stahl 2,457,717. 10,845,422. 18,111,477.
Wollenmanufaktur
5,185,045. 10,172,182. 15,518,842.
Dabei will ich in Erinnerung bringen , daß Huskiſſon
im Jahr 1823 unter einem Sturm von Widerſpruch be hauptete, die Seidenmanufaktur könne, nach gehöriger Zeit zur Vorbereitung, unterm Schuß eines Zolles von nur 30 pCt. eine Concurrenz beſtehen ; daß im Jahr 1845 Sir
Robert Peel dieſen Schußzoll auf 10 pCt. Herabſeşte ; und
294
1861 Gladſtone ihn ganz beſeitigte. Doch im Jahr 1823 betrug der deflarirte Werth der Ausfuhr der geſammten britiſchen Seidenwaaren nur 351,409 Pf. und im Jahr 1863 ber verarbeiteten Seide 2,229,000 PF.
Nehmen wir noch den Artikel Zuder in Vergleichung. Im Jahr 1841 ſchlug ich vor, die Zölle auf Colonial und ausländiſchen Zucker auf 24 und 36 Sch. herabzu ſetzen , ſo daß dem Colonialzucker nod; ein Schuß von 12 Sch. per Centiter bleiben ſollte. Dieß wurde als un genügend verworfen . Im Jahr 1846 lug id) einen Zoll von 14 Sch. per Centner auf Kobzucker aus den britiſchen Colonieen vor , und anſtatt eines Prohibitiozols von
63 Sch. auf ausländiſchen Zucker einen Zoll von 21 Sch . auf ausländiſchen Konzucker ; und daß vom Juli 1851 aller Nohzucker gleichmäßig mit 14 Sch. belaſtet ſein , alſo die Protektion megiallen ſolle. Dieß gieng durd). Der Verbrauch von Rohzucker iſt tro nachfolgender Zoller höhung während des ruſſiſchen Kriegs , die noch 1863 dauerte, folgender geweſen : 1842 : 3,868,437 Ctr. 1853 : 7,272,833. 1
1863 : 9,202,524, Im Jahr 1841 betrug der Verbrauch an Zuder 17 Pf. per Kopf ; 1853, 26 %. Pi .; 1863 belief er ſich per
Ropi auf 363. Pf. So war alſo durch die Zollermäßigung dem Volfe der Genuß eines ſo geſunden Nahrungsmittels erleichtert. ) Werfen wir noch einige Blicke auf die Aenderung in unſeren Finanzen .
Vor mehr als einem Jahrhundert,
1) Hansard's Debates Vol . LXXXVII . p. 1319. Vgl. Vol. XXXVIII . pp . 250, 251 .
295
nach dem ſiebenjährigen Krieg , hoben Geſchichtſchreiber und Philoſophen hervor , daß wir ſchwere Auflagen auf Salz, Lichter, Leder und Seife hätten ; auf zur See beigeführten
Kohlen, auf jeden nicht verbotenen Manufakturartikel, auf Malz, Bier, Glas, Papier, Zeitungen.
Die Grundſteuer
betrug 3 Sch. vom Pf. Man folgerte, die Sduld würde uns erbrücken . )
Sezt , nach koſtſpieligeren und drückenderen Kriegen ,
als wir je zuvor zu dulden hatten , ſind die Steuern von nothwendigen Bedürfniſſen entfernt; die Auflagen auf Glas
und Papier und die meiſten der Acciſe ſind aufgehoben ; und die Grundſteuer, welche unverändert blieb, iſt doch viel leichter, weil das Einkommen vom Landgut ſehr gewachſen iſt. Zugleich hat ſich der Reichthum des Landes jo ſehr vermehrt, daß die Einkommenſteuer von 2 Sch . perf.,
welche 1855 uur 15 Millionen eintrug, 1864 26 Millionen eingebracht haben würde. Führt man an , daß grland nun der Steier inter
worfen iſt, ſo muß man andererſeits in Anſchlag bringen,
daß das Papiergeld , welches 1815 um 25 pct. im Werth herabgeſunken war, nun 1865 dem Gold an Werth gleich ſteht. Man pflegt jedoch in zweifacher Weiſe eine übertriebene Anſchauung unſerer Ausgaben und Beſteuerung z11 geben. Von unſeren Ausgaben dadurch, daß man zum Beweis in ſerer jährlichen Verſchwendung im Ganzen zuſammenfaßt: die zu den Juterefjen unſerer Nationalſchuld angeſetzten Steuern ; die Koſten der Gerichts- und Polizeieinrichtungen des Landes ; die Civilliſte; die Gehalte und den Halbjold für die Offiziere, Soldaten und Matroſen unſerer Arinee und Flotte.
Rein Menſch macht einen Vorſchlag, die unter
1) S. beſonders Sinclair, History of the Revenue, nebſt Anhang.
we
296
dieſen Nubriken zu zahlenden ungeheueren Summen um einen Schilling zu vermindern , ſie ſind nur aufgeſtellt, um als Geſammtbeträge unſerer Ausgaben zu figuriren und zum
Beweis unſerer nationalen Verſchwendung und Vergeudung gemuſtert zu werden . Zweitens pflegt man hie Belaſtung durch Auflagen dadurch zu übertreiben , daß man nicht die Nate der Steuer
anführt, ſondern die gezahlte Summe. Demnach, wenn der Centner Zucker mit 24 Sch. belaſtet war , und dieſe Nate wird auf 12 Sch. herabgeſetzt, ſo iſt doch klar , daß damit eine Belaſtung des Volts ſehr gemindert wurde.
Aber
menn die unter der hohen Steuer Verbrauchte Quantität weniger als vier Millionen Centner betrug, und unter der niederen Steuer über neun Millionen , ſo ſpringt in die Augen , daß die von dieſem Poſten gezogene Simme ver größert wurde, woraus man den Vormand nimmt, zu ſagen , die Belaſtung der Unterthanen ſei vermehrt. Demnach, wenn ein Schilling Einkommenſteuer im Jahr 1815 einen Ertrag von 7 , Millionen brachte, und im Jahr 1865
ein halber Schilling fönnte 8 Millionen bringen , würde man ebenſo ſagen, die Laſt auf dem Volke ſei erhöht.
In Wirklichkeit muß man ſich darüber vergeriſſern , wie hoch ein Menſch in Verhältniß zu ſeinen Mitteln be ſteuert iſt; eine Auflage von einer Million in einem armen Lande kann weit drückender ſein , als bei gleicher Einwoh nerzahl fünf Millionen in einem Reiche, das im Wohlſtand 1
und hoher Bildungsſtufe die Segnungen des Friedens
genießt. ) 1) Ingeniis opibusque et festa pace virentem,
297 4.
Auswärtige Politik. ') In Beziehung auf die ausmärtige Politik herrſcht viel Unklarheit in den Anſichten über die Grundſätze, welche England bisher geleitet haben und fünftig leiten werden. Dieſe Unklarheit entſpringt größten Theils aus dem dop
pelten Sinn , welchen man mit dem Begriff Intervention verbindet. Die gewöhnliche und eigentliche Bedeutung des Wortes Intervention iſt, die Einmiſchung in die innern Angelegenheiten anderer Nationen . Neuerdings gebraucht man das Wort minder genau von jeder Einmiſchung in die Streitigkeiten
unabhängiger Nationen .
Richtig iſt ſeine
Anwendung auf das Eingreifen von Seiten Deſterreichs, Preußens und Nußlands in die inneren Angelegenheiten Piemonts und Neapels im I. 1821, ſowie von Seiten Frankreids und der nordiſchen Mächte in die inneren An
gelegenheiten Spaniens im J. 1823. linrichtig wird das Wort gebraucht , wenn man es auf das Einſchreitet von
Seiten Cannings im 3. 1826 anwendet, als England, wie es vertragsmäßig verpflichtet war , zur Vertheidigung der Unabhängigkeit Portugals auftrat. Es iſt einleuchtend, daß große Verwirrung entſtehen
würde, wollte man bei beiden Arten von Einmiſchung den ſelben Begriff und denſelben Beweis in Anwendung bringen . Alle Publiciſten ſtimmen in der Erklärung überein , daß eine Nation berechtigt iſt, ihre Regierungsform nach eignem Belieben einzurichten , vorausgeſeßt, daß ſie nicht andere 1) Vergl. das im vor. Jahr erſchienene Schriftchen vom Verfaſſer dieſes Werks : Englands auswärtige Politik 1570—1870.
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in ihrem gleichen Rechte beeinträchtige ; gerade wie jeder Fa milienvater ſeine Hausordnung machen kann , nur daß er ſeinen Nachbaren dabei keinen Schaden verurſache. Aber wenn eine Nation eine andere angreift , ſteht
es alen Nationen frei, zu urtheilen, ob ihre Intereſſen und die Unabhängigkeit Aller dabei beeinträchtigt ſei. Demnach ſollte die erſtere Art von Intervention der Regel nach unterſagt und zu vermeiden ſein . Neuerlich habent
wir der Art Einmiſchung in die inneren Angelegenheiten anderer Nationen erlebt, gegen welche Lord Caſtlereagh im Fall Neapels 1821 proteſtirt hat, ſowie Canning im Fall Spaniens 1823 ; dagegen hat ſich jüngit im Falle Italiens ſowohl Deſterreich als Frankreich eines ſolchen enthalten . Zwar hat ſich Frankreich in die inneren Angelegen heiten von Rom und Merico gemiſcht und England in die von China ; aber in dieſen Fällen wurde erklärt, das die
Einmiſchung mur ausnahmsweiſe und für eine Zeit lang Statt fand , und den allgemeinen Principien widerſprac ), auf welchen die auswärtige Politik Englands und Frant reichs ruht.
Ganz anders aber wäre der Fall, wenn , im Fall eine große
Macht einen kleinen unabhängigen Staat angreift, um ihn zu erobern , die anderen Mächte es ſich zur Nichtichnur machten, ſich ruhig zu verhalten. In dieſem Falle würden ſicherlich zwei Folgen eintreten : erſtens würde es balb nur noch Großmächte geben ; und zweitens, alle dieſe Großmächte würden eine despotiſche Regierungsform haben, da in den Augen mächtiger Herrſcher an der Spitze zahlreicher un furchtbarer Armeen eine andere nicht ſtatthaft iſt. Von folch' einer großen Gefahr war Europa in der That vor und nach der Kataſtrophe von 1814 bedroht.
Gegen ſolche Gefahren ſind freie und unabhängige
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Staaten verpflichtet Vorkehrungen zu treffen. Eine ſolde zu Gunſten der chwächeren Staaten iſt in der That das
ſogenannte Gleichgewichtsſyſtem , welches alle enropäiſchen Nationen bei ihren Verträgen und Erwerbungen zu berück fichtigen ſich verbunden erachten. Es folgt jedoch nicht daraus, daß bei jedem Einfall in
einen Staat mit dem Ziveck der Einmiſchung in ſeine inneren Angelegenheiten neutrale Staaten verbunden ſeien , dem Ein bringenden Widerſtand zu leiſten. Demnach entſtand im 3. 1823, als Frankreich unter dem Schirm von Oeſterreich, Preußen und Rußland in
Spanien einzubringen und ſeine freie Conſtitution zu unter: drücken beabſichtigte, eine ſehr ſchwierige Frage für Groß britaniens Regierung und Parlament. Englands Miniſter, obwohl ſie gegen dieſe Einmiſchung in die inneren Ange legenheiten eines unabhängigen Staates proteſtirten , zwei felten doch, ob nicht Spanien flug und weiſe handeln würde, wenn es ſeine Verfaſſung ſoweit abänderte, um dadurch die Feindſchaft Frankreids 311 entwaffnen . Der Herzog von
Wellington, welchem Spanien ſeine Unabhängigkeit verdankte, ertheilte dieſen Nath. Die ſpaniſche Regierung wieß den ſelben gänzlich ab und beſtand, wozu ſie auch befugt war, auf ihrem Recht.
War aber England verbunden , Spanien bewaffneten Beiſtand zu leiſten, was auch für Folgen daraus entſtehen mochten ? Lord Liverpool und Canning lehnten ſolchen Bei ſtand ab , und ſtellten ihre Weigerung außer andern Grün
den auf den folgenden. Der Erſtere äußerte ſich, als er im Oberhaus von den Unterhandlungen ſprach, folgendermaßen : Ich muß die Gründe darlegen , warum Sr. Maj. Regierung Neutralität für die nothwendige Politik des Landes hält. Dafür haben wir zuerſt unſere eigene politiſche !
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Lage zu erwägen. Ich wiederhole in dieſer Hinſicht, was ich bei Eröffnung der Sißungen ausgeſprochen habe , daſ wir, wenn es die Ehre oder die weſentlichen Intereſſen diejes Landes verlangen, die Mittel haben , einen Krieg mit Er folg zu unternehmen .
„Aber Mylords, indem ich dieſe Erklärung abgebe, muß ich hinzufügen , daß nach dem beiſpielloſen Kampi, welchen wir zweiundzwanzig Jahre lang zu beſtehen hatten, von dem wir uns eben erſt erholen, - nach einem an Größe, ilm fang und Dauer beiſpielloſen Kampf, nach allen den
Drangſalen und Leiden, welche wir in Folge unſerer unver : gleichbaren Anſtrengungen auszuſtehen hatten , -- es ſich mit
wahrer Weisheit oder geſunder Politik unmöglich verträgt, das Land wieder in die Leiden und Nachtheile eines neuen Krieges zu verſenken, ohne eine klar und deutlich vorliegende
Nothwendigkeit, insbeſondere zu einer Zeit , da wir jahen, daß injer Handel und und unſere Induſtrie nicht allein
von dem Druck , den ſie bei Abſchluß des Friedens noch fühlbarer zit empfinden hatten , als während des Krieges , ſich wieder erholt , ſondern im Vorſchreiten begriffen ſind, zu einem Grad von Gedeihen, wie ſie noch nie zuvor ge noſſen hatten ; und daß unſer Landbau von den Schwierig keiten und Bedrängniſſen, worunter er gelitten, wieder auf lebt. Joh frage, Mylords, ob es einen vernünftigen Men îchen gibt, der nicht fühlt, daß zu einer ſolchen Zeit es für
das Land höchſt wünſchenswerth iſt, in Frieden zu bleiben, wenn deſſen Beibehaltung ſich mit unſerer Ehre und unſerert weſentlichen Intereſſen verträgt ; und daß wir nicht einen großen Theil der Vortheile, welche wir jeßt genießen, anderen Ländern zufließen laſſen, denn dieß würde eine imanga weichliche Folge ſein , wenn , unter welchen Umſtänden auch,
das Unglück eines Krieges hereinbrechen ſollte ! Ich will,
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Mylords , dieſe Vortheile nicht höher anſchlagen , als ſie werth ſind; aber ſie ſind viel werth und ſollten nach ihrem Gewicht gehörig erwogen werden ." Canning ſprach in gleichem Sinn :
„Ich will nicht nochmals in die bereits hinlänglich be ſprochene Frage eingehen, ob es ſtatthaft ſei,Spanien ledig lich durch einen Seefrieg zu unterſtützen . Die wahre Alter
native ſtellt ſich ſo, daß wir entweder zu Gunſten Spaniens einen Krieg mit Frankreid ) wagen müſſen , direkt , ohne Stargheit, kräftig, - mit Herz und Hand ihm verbunden , oder uns in eine wirkliche und ehrliche Neutralität hüllen.
,, Nun noch ein Wort an den ehrenwerthen Abgeord neten von Weſtminſter und ſeine Mandanten . Haben Sie in Erwägung genommen , was der Krieg auf der Halbinſel
gekoſtet hat ? Gott verhüte, daß wir, wenn Chre, Treue oder Nationalintereſſe es verlangen, den Weg der Pflicht ver laſſen, weil er mit Schwierigkeiten umgeben iſt. Aber wir follten doch wenigſtens in Gedanken dieſelben erwägen. Wir haben Erfahrungen, die uns mit ziemlicher Genauigkeit be
lehren können , mit welchen Geldmitteln wir bereit ſein müſſen,
menn wir auf der Halbinſel einen Krieg anfangen wollen . Nehmen wir nur die letzten zwei und ein halb Jahre des letzten dort geführten Krieges , wovon ich gerade die Ntech
nungen zur Hand habe, von Anfang 1812 bis zum Ende des glorreichen Feldzuges von 1814 , ſo ſtoßen wir auf einen Koſtenbetrag von etwa 33,000,000 Pid. " An einer anderen Stelle äußert er über die Ausſichten
eines Krieges : „ Schmeidile ſich Niemand, daß ein jeßt aus brechender Krieg von kurzer Dauer ſein werde. Haben wir ſo bald vergeſſen , wie es im Laufe des leßten Krieges gieng ? Ich meines Theils erinnere mich wohl an die Voraus ſegungen, womit er begann. Ich hörte ſelbſt einen Mann,
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ber anerkanntermaßen einen ſo ausgezeichneten Scharfſinn
beſaß , wie er einem vollendeten Staatsmann eigen iſt, ---ich hörte Pitt, nicht an ſeiner Stelle im Parlament, ſondern im Privatzirkel ſeines Hauſes inter vertrauten Freunden,
im J. 1793 ſagen , er erwarte , der Krieg werde von ſehr kurzer Dauer ſein .
Dieſe Dauer erſtreckte fich über die
Lebenszeit des Prophezeienden hinaus, über das Leben ſeines Nachfolgers und der Nadifolger defjelben, und endigte zuletzt plötzlich und unerwartet durch ein Zuſammenwirken minder barer Ereigniſſe, wie ſie die ſanguiniſdiſte Phantaſie nicht
hätte ahnen können . Bei dieſer Erinnerung könnte ich nicht die Vorausſeßung hegen, daß ein neuer Krieg, wenn er ein
mal ausgebrochen, ſobald zu Ende ſein werde. Solch eine Erwartung dürfte uns nicht verleiten , einen Weg zu be treten , der uns in ein Labyrinth führen könnte, aus welchem nicht nur wir , ſondern die kommende Generation vielleicht
vergeblich herauszukommen trachten würde" . ') Viele, beſonders von der Whigpartei , haben Lerð Liver pool wegen ihres bei dieſer Gelegenheit eingeſchlagener Ver: fahrens getadelt. Aber nun wird es, glaub ich , allgemein anerkannt ſein, daß ſie alles thaten, was ihnen oblag, uns daß ein damals für Spanien begonnener Krieg ein unno
thiges und vermuthlich fruchtloſes Opfer an Blut und Gelb geweſen wäre.
Zwei Angelegenheiten haben in legter Zeit die öffent Theilnahme in hohem Grade erregt.
Die Sache Polens, das ſo grauſam erobert und bei
ſeiner erſten Theilung ſo verrätheriſch mißbraucht worden :) Hansard's Debates, new series Vol. VIII.
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war, mufte ſich ſtets dem Herzen einer edlen Nation ems pfehlen.
Die Sache Dänemarks , als es von Mächten ange griffen wurde, die ſich durch Vertrag verpflichtet hatten, die Integrität , welche ſie zuerſt verlegten , zu achten , erregte natürlich Mitleiden und Entrüſiung. Wenn ſich aber die Frage aufwarf, ob England in einem oder dem andern Falle die Waffen ergreifen ſolle, ſo war es nothwendig, die Sadie, für welche die Waffen er griffen werden ſollten, etwas genauer anzuſehen. War die Sache ber polniſchen Inſurgenten identiſch
mit dem Wiener Vertrag ? Aber jene verwarfen den letzteren, und ſagten ſich von ihm los, und würden, hätten ſie Erfolg gehabt, niemals haben an denſelben gebunden ſein wollen . In der däniſchen Sache brachte Großbritannien im
Sept. 1862 Vergleichsunterhandlungen in Vorſchlag, welche die Integrität Dänemarks geſichert, und den Zuſagen , die 1851 von Oeſterreich und Preußen Dänemark gegeben worden waren , entſprochen hätten , ſo daß dadurch die Einmiſchung Deutſchlands in die inneren Angelegenheiten Dänemarks für immer abgeſchnitten worden wäre. Von wem wurde dieſer Vorſchlag angenommen , von wem verworfen ?
Dänemark verwarf, während Deſterreich und Preußen annahmen . Wenn nun die Polen ein großes Polenreich ſchaffen wollten , das außer dem unter dieſem Namen be kannten Gebiet noch Lithauen , Podolien und Volhynien
einbegriff, war dann England verbunden, dafür einen Krieg anzufangen ? Ober wenn die Dänen , entgegen ihren Zuſagen , Schleswig dem Königreich Dänemark einzuverleiben ſuchten, war England verbunden, ſolchem Uebergriff Vorſchub zu thun ?
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In allen ſolchen Fällen, wenn das ſtrenge Niecht nicht
zu erlangen , iſt das einzig richtige Verfahren , daß man beiden Theilen empfiehlt, ſich auf billigen Vergleich einzii laſſen ; daraus folgt jedoch nicht, weil ſolche Unterhandlungen zur Zeit mit ſtolzer Verachtung abgewieſen werden, daß ſie nicht dienen ſoliten, die Gewaltſamkeit ſelbſt derer zu mößigen , welche in Uebermuth und Leidenſchaft ſie verwarfen . Eine weitere Bemerkung drängt ſich in Beziehung auf die Beſtimmungen der Verträge von Wien und London auf. Die Großmächte verbürgten ſich, daß Rußland jedenfalls die Verfaſſung Polens beſtehen laſſen werde ; aber ſie konnten nicht eine Verpflichtung eingehen , daß die Polen ihre Ver bindung mit Nußland aufrecht erhalten wollten, ſelbſt wenn
Nußland ihnen die liberalſte Verfaſſung gab, und ſie auf's treueſte beobathtete. Ebenſo bezüglich Dänemarks . Die Groß mächte verpflichteten ſich, die Integrität Dänemarks zu achten .
Aber ſie konnten nicht ſich verbindlich machen, daß Dänemark feine deutſchen Unterthanen gerecht und redlich behandelte, Daher ſind alle ſolche Verträge , weldhe innere und äußere Verhältniſſe vermiſcht enthalten , und den einen Theil,
nicht aber den anderen verbindlich machen , faſt unmöglich auszuführen, und das Beſte für die Zukunft iſt, alle ſolche unausführbare Verträge zu vermeiden. Auch darf man nicht folgern , daß ein Staat , weil er ſchwach iſt, ſtets Recht haben müſſe ; noch, weil er ſtark ift,
daß er ſtets im Unrecht ſei. Eine gehörige Prüfung der ſtreitigen Frage, und eine gehörige Ausgleichung widerſpre chender Anſprüche und Beſchwerden iſt oft ein langer und mühſeliger Proceß, welchem Nationen ſich ſchwerlich unter : ziehen. Es iſt weit leichter , aus Sympathie, Zorn oder Stolz zu handeln. Und doch, hätte man unparteiiſcher Ver nunft Gehör gegeben , wie manche fruchtloſe Kriege mären 1
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vermieden , wie viel Blut und Mittel wären den Nationen erſpart worden . 5.
Zuſammenfaſſung der Reſultate.
Faſſen wir, wenn auch unvollſtändig , die vielen Ver beſſerungen zuſammen , welche ſeit 1824 in dem vereinigten Königreich, ſeinen Colonien und ſeinen auswärtigen Be ziehungen eingetreten ſind, ſo finden wir in erſter Reihe :
die Neform des Parlaments , Abſchaffung der Sklaverei, der Teſt- und Corporationsacte , Aufhebung der Zurück feßimg der römiſchen Katholiken und theilweiſe der Juben ,
Umwandelung der Zehenten in England und Jrland, Ne form der Gemeindecorporationen in England; Schottland und Irland, der Armengeſeße in England , ſowie Einfüh rung derſelben in Schottland und Irland. Es wurden ferner
die Einkünfte der Biſchöfe in England gleichgeſtellt, große Sum men für Jrren- und Krankenhäuſer verfügbar gemacht, die Erzie hung der Armen gefördert, die Zölle von viel hundert auf zwölf herabgeſeßt, die Differenzialzölle abgeſchafft, Schutzölle beſeitigt oder vermindert , die Korngeſetze abgeſchafft, ſowie die Auflagen auf Glas, Seife, Kohlen , Lichter, Papier, Zei tungen und viele andere Artikel ; die Unabhängigkeit Belgiens 1
und Griechenlands begründet, die Einigung Italiens anerkannt.
In Erwägung dieſer bedeutenden Aenderungen , welche
von der parlamentariſchen Regierung in regelmäßiger Wirk ſamkeit vollzogen wurden, und in Betracht, wie verſchieden die Volfsgeſinnung im Jahr 1863 von der in den Jahren 1817, 1819 und 1830 herrſchenden war , äußerte ich in einer Rede in Schottland, das Volk ſcheine als Motto die
Inſchrift eines Gedenkſteines an einer Straße auf der Höhe der ſchottiſchen Gebirge genommen zu haben, welche lautet : 20
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Weile dankbar.“ Ich fügte bei , ich meines Theils ſei nicht geneigt, mich mit dem Volksgefühl der Zeit in Widers ſpruch zu jetzen, obwohl ohne Zweifel noch andere Höhen zu erſteigen und andere Wege zu bahnen ſeien . Bei Erwägung, ob das Volk diejer Juſeln durch wohl bedachte Aneignung oder unbewußte Annahme einer mehr
demokratiſchen Regierungsform einen höheren Grad poli tiſcher Freiheit und ſocialen Glückes finden werde , ſollten
wir uns hüten , daß wir uns nicht durch die Idee irre leiten laſjen, es würde dadurd, bei uns die reine Vernunft
zur Serrſchaft gelangen.
In Nordamerika waren nach der
Trennung von England Monardjie, Ariſtokratie und firch
liche Staatseinrichtung unmöglich ; aber die weiſejten unter den Gründern der großen Republik, Männer wie Waſhing ton und Samilton, ſahen init Beſorgniß den Mangel dieſer
Schranken , wodurch der Strom der Demokratie hätte etwas
beſchränkt werden können . Sie wußten wohl, daß die Hoff nung , eine Regierung der reinen Vernunft zu gründen, bloße Täuſchung war.
Der Menſch kann durch einen ho
heren Bildungsgrad humanier gemacht, durch Erziehung beſſer gebildet werden ; aber ſeine Leidenſchaften auszurotten , die Abirrungen ſeines Willens zu verhüten, iſt unmöglich.
Der Menſd der Eiſenbahnen und Panzerſchiffe , des elektriſchen Telegraphen und der Dampipreſſe; der Menſch, welcher die Anziehungskraft der Planeten zu einander meſſen, und einen zou in 10,000 Theilden ſcheiden kann ; beſſen Teleſtop den Mond bis auf 500 Meilen der Erde nabe
bringen, und deſſen Zerlegungkunſt die Beſtandtheile der Sonne beſtimmen kann ,
dieſer Menſch , an Fähigkeit
Gott ſo ähnlich, iſt doch in ſeinen Beſtrebungen und Leiden
Tchaften, ſeiner Liebe und ſeinem Haß, in ſeiner Naus- und
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Ehrſucht nur grabweiſe von Achilles und Agamemnon Somers verſchieden . War es reine Vernunft, was die Menſchen von 1864
in Europa, wie in Amerika, gegeneinander trieb ? Weil der Menſch ein Geſchöpf, ebenſowohl der Leiden ſchaft und Phantaſie, als der reinen Vernunft iſt, ſo müſſen
bei Einrichtung einer Regierung, welche dieſelben leiten und beherrſchen ſoll, weiſe und fernſehende Männer darauf be dacht ſein, alle die Einflüſſe zu benüßen , welche der höch ſten Autorität Mäßigung, Sraft und Weihe geben können. Dahin gehören in einer Monarchie die Ehrfurcht, welche
man dem Königthum zollt, die Scheu , welche die Religion einflößt, die Achtung , weldhe eine alte Ariſtofratie umgibt, 1
die Anhänglichkeit an altherkömmliche Geſetze, die Verfeine
rung gebildeter Sitten, und das gefällige Wohlwollen , welches die häuslichen Verhältniſſe eines cultivirten Volkes ſchmückt und belebt. Denke K'einer, daß ohne ſolche Einflüſſe, oder wenigſtens einige derſelben , eine politiſche Verfaſſung ihre höchſte Vollendung erreichen fönne. Auf gleiche Weiſe können , das iſt klar, auch in einer Republik die Hauptzwecke der Regierung erreicht werden, wenn man einem wohl eingerichteten Senat eine ziemliche Dauer, und die Handhabung feſter und unparteiiſcher Ge ſebe in die Hand gelehrter und ehrlicher Nichter gibt. Denn I
worin beſtehen die hauptſächlichen Regierungszwecke ? Es gab eine Zeit (die noch in unſerer Erinnerung lebt), wo man annahm , es ſei Schuldigkeit der Regierung, religiöſen Glauben einzubläuen, und die Lehrer religiöſer Irrthümer zu beſtrafen.
Es war eine Zeit, da man annahm , es ſei Regierungs pflicht, für den Reichthum des Gemeinweſens zu ſorgen ; da die Staatsinquiſitoren Venedigs Mörder ausſchickten, um 20*
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Leute zu tödten, welche die Geſchidlichkeit venetianiſcher Ar
beiter in's Ausland verpflanzten, eine Zeit , da Colbert franzöſiſche Weber an den Pranger ſtellen ließ , welche den Zettel und Einſchlag nicht ſo lang und breit machen woll
ten, als er in ſeiner Weisheit ihnen vorſchrieb; eine Zeit, da derſelbe Miniſter mit großer Strenge die Kaufleute be ſtrafte, welche holländiſche Manufakturwaaren gegen frans zöſiſche Weine tauſchten .
Es gab ferner eine Zeit, da man es für Regierungs pflicht hielt , den Preis von Brod und Fleiſch, und die Höhe der Arbeitslöhne vorzuſchreiben ; da man diejenigen , welche ſich weigerten, ihr Getreide unter ſeinem Werth ab zugeben , oder für eine Arbeit mehr , als ſie werth war, zu zahlen , als Verbrecher peinlich verfolgen zu müſſen meinte.
Aber dieſe Frrthümer, und viele andere der Art , find
in raſchem Verſchwinden begriffen . Nun iſt's anerkannt, daß der eigentliche Regierungszweck darin beſteht, Freiheit und Ordnung im Innern, und Unabhängigkeit gegen jeden äußeren Feind zu ſichern . Dieſe Aufgabeit ſind ſchwer und
edel genug, um die Thaikraft der hödſten politiſchen Geiſter zu ihrer Ausführung in Anſpruch zu nehmen . Zugleich ſollten die äußerſte Freiheit der Gedanken und ihres Aus drucks, die äußerſte Verbreitung des Gewerbfleißes im In
nern und des Handels nach Außen die ſchönſten Früchte einer freien Verfaſſung ſein . Seit einem halben Jahrhun dert iſt es die Aufgabe der engliſchen Geſeßgebung geweſen, die Ketten zu zerbrechen , welche die bürgerliche, Handels und Religionsfreiheit feſſelten. Habe ich bisher von den Maßregeln geſprochen, welche während dieſer vierzig denkwürdigen Jahren vorgeſchlagen
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und ausgeführt wurden , ſo muß ich nun noch einen ſchul digen Tribut den abgeſchiedenen Führern zollen, welche vor unb rüdwärts ſchauend mit der Fülle ihrer Reden dieſe
Maßregeln beriethen , und deren noch lebende Anhänger ſie aufrecht erhalten und vertheidigt haben. Voran in dieſer Reihe ſteht Earl Grey , welchem
dieſes Werk in erſter Ausgabe gewidmet war. Begabt mit dem edelſten Geiſt und ächter Weisheit , ſtritt er mit allen
Kräften für die Bewilligung aller Verfaſſungsrechte an die irländiſchen römiſchen Ratholiken , und für eine umfaſſende Verbeſſerung der Nationalvertretung. Er ſtand For zur Seite, während er gegen den Krieg mit Frankreich ſo eifrig ſtritt. Seine Privatbriefe, die von ſeinem Sohne veröffent licht wurden , laſſen einen Abdert gegen alles Gemeine und
Pleinliche erkennen.
Vradite ihn dies um ſeine Macht
ſtellung unter Georg III. und IV., ſo mar es ſeiner ruhi
vollen Laufbahn würdig , und mußte ihn der Verehrung der Nachwelt empfehlen .
Georg Canning gehörte während des Kriegs zu Pitt's Schule. Er war während des ſpaniſchen Befreiungs
kriegs ihr lebender Genius , -- 311 einer Zeit , wo , nach einem Ausdruck der Frau von Stael, „die Tories in Eng Yand die Whigs Europas waren ;" und hätte er den glück lichen Gedanken gehabt, das Miniſterium des Auswärtigen, als es gegen Ende dieses Kriegs ihm angeboten wurde,
anzunehmen , ſo würde er ſicherlich dem Wiener Vertrag von 1815 etwas von der Achtung vor der Unabhängigkeit der Nationen , etwas von der dankbaren Berückſichtigung Der Rechte und Freiheiten des deutſchen , ſpaniſchen, italieni ſchen und polniſchen Volfes eingeflößt haben , welche er
ſelbſt empfand, und woran dieſer Vertrag ſo kläglichen Mangel hat. Denn als Canning im Jahr 1823 Lord
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Caſtlereaghs Nachfolger ward , jil einer Zeit , da wenig mehr geſchehen konnte, un frühere Fehler wieder gut zu machen , ſo vermodite er doch durch den erhabenen Ton ſeiner Reden , und durch eine oder zwei energiſche Sant
lungen den Geiſt der Nation mäd,tig aufzurichten , und jenen Freiheitsfreunden auf dem Continent Hoffnung zu machen, welche , nachdem ſie für die Abſchüttelung fremder 1
Militärherrſchaft ihr Blut vergoſſen hatten , nach Europas Befreiung hintangeſetzt, und für das, was ſie zu Gunſten der 1
Freiheit Großes gethan , eingekerkert oder verbannt worden waren .
Canning beſaß nicht die Kraft in Streitreden , mie
Plunkett oder Brougham , aber ſein Geſchmack war klaſſiſch, fein Vortrag ſchön , und ſein Witz höchſt fein und pifant. Wer ſich einer Verbeſſerung widerſetzt, weil es eine Neue !
M
rung iſt," ſagte Canning, „ wird eines Tages ſich einer
Neuerung unterwerfen müſſen , die keine Verbeſſerung iſt.“ Der Art war ſein fluger Geiſt, und in dieſem Geiſte unter ſtüßte er warm Huskiſſon's Freihandelsmaßregeln. Sir Robert Peel war der dritte von den aus dein
Leben geſchiedenen Koryphäen, welcher durch ſeinen Einfluß, ſeine Fähigkeiten , ſeine Herrſchaft über die Gemüther der jungen Staatsmänner der conſervativen Partei dazu bei trug, das mit den Wogen tämpfende Schiff ſeines Landes
in den Hafen der Sicherheit zu bringen. Ich brauche nicht von ſeinem gewaltigen Verſtand zu reden , von ſeinem leb haften Gedächtniſ für Alles, was die Entſcheidungen, wozu er die höchſte Verſammlung des Reiches zu führen wünſchte , beleuchten oder durchſeßen konnte ; von ſeiner Beredtſamkeit, mo folde , erforderlich war , von ſeiner noch wirfjameren
Fähigkeit, Thatſachen aufzuführen, ſtatiſtiſches Detail zu be leben ; von ſeiner Fähigkeit , den Geldcurs zu beſſern , ben
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Finanzen wieder aufzuhelfen , die Würde der Regierung zu wahren.
Denn dieſes glänzende Licht iſt nicht ſo tief in's
Dunfel der Vergangenheit hinabgejunfent, daß nicht ſeine
Strahlen noch den Sorizont erhellten und erwärmten . Aber eine ſeltſame Erſcheinung in der Laufbahn Sir Robert Peels wird noch lange die Leſer der Gejdiid) te dieſer Zeit in Staunen und Vermundering ſetzen . Sein Vater erklärte bei einer feierlichen Gelegenheit, er habe ihn als
Nachfolger Pitt's zum Dienſte ſeines Vaterlandes bejtimmt. Zweimal war er das unbeſtrittene Saupt der Torrpartei, ein Miniſter im Beſite des Vertrauens der Krone, Führer einer compacten Majorität im Hauje der Gemeinen .
Zweimal ſezte er dieſe hohe Machtſtellung auf's Spiel, und zweimal verlor er ſie jamit der Anhänglichkeit einer Par
teimajorität. Zum erſtenmal geſchah es , um fricaid in Frieden zu ſetzen und einen gefährlichen Conflikt zu vermeiden . GC ſagte am Schluß einer bereits von mir angeführten Nede: „ Ich bin mir wohl bewußt, daß das Schickſal dieſer Maßregel nicht mehr z11 ändern iſt: wenn ſie durchgeht, wird der Ruhm Anderen zufallen ; fällt ſie durd , lo !
wird die Verantwortung mir und denen , welche mit mir
dabei wirkten , zugewieſen werden . Dieje Ausſichten, ſammt dem Verluſt von Privatfreundſchaften und der Entfremdung öffentlichen Vertrauens habe ich als unfehlbar vorausge
ſehen und in Anſchlag gebracht, bevor ich es unternahm . dieſe Maßregeln zu empfehlen . Ich verſidere das Saus, daß bei Führung derſelben ich auf deit härteſten Sdlag geſtoßen bin , welchen je zit erfahren mein Loos geivejen iſt ;
doch bin ich überzeugt, daß die Zeit kommen wird, obwohl
ich ſie nicht mehr erlebe, wo alle Parteien den Motiven, aus welchen ich gehandelt habe , werden volle Gerechtigkeit
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wiberfahren laſſen, - wenn dieſe Frage zit ihrer volen
Erledigung, und Andere 311 der Einſicht gekommen ſein werden , daß ich nicht anders handeln konnte, als ich gethan habe.
Sie werden dann zugeſtehen , daß das von mir ein
geſchlagene Verfahren , welches ich ſtets einzuhalten ent (chloſſen bin , welchen Vorwürfen auch ich mich ausſetzen werde, das einzige Verfahren iſt , wie es ießt zur Moth 1
wendigkeit geirorden , um die ungebührliche , geſetzwibrige
und gefährliche Macht der römiſchen Katholiken herabzu mindern, und die Sicherung der proteſtantiſchen Intereſſen für die Dauer zıl mahren .“ ?) Bei ſeinem letzten Zurücktritt 1846 , nachdem er das Vertrauen ſeiner Partei ebenjo iiber der Kornfrage verloren hatte, wie in 3. 1829 über der Ratholifenfrage, ſagte er am
Schluß ſeiner Rede am 29. Juni: ,,Binnen wenigen Stunden
wird dieſe Gewalt, welche ich fünf Jahre lang beſeſſen habe, vermuthlich in andere Hände übergehen, chre Verbruß, ohne Klage meinerſeits , mit lebhafterer Erinnerung an die 1
Unterſtützung und das Vertrauen , welches ich einige Jahre lang gefunden habe, als auf den Widerſtand, auf den ich in letzter Zeit geſtoßen bin . Indem ich vom Nuber zurücktrete, wird mein Name, fürcht' ich, ſtrengem Tabel anheimfallen von Seiten Vieler , die aus öffentlichen Gründen die Auf
löſung von Parteiverbindungen tief bedauern , nicht aus eigennütigen oder perſönlichen Motiven , ſondern aus der feſten Ueberzeugung, daß treues Feſthalten an Parteivers bindlichkeiten, das Beſtehen und die Fortdauer einer großen
Partei ein mächtiges Werfzeug der Regierung bildet. Ich werde bei meinem Zurücktritte auch von Anderen ſtrenge 1) Parliam . Debates, new. ser. Vol. XX. p. 1290.
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getadelt werden , die nicht aus eigennützigen Motiven am
Princip des Schutzzols hängen , indem ſie die Beibehaltung deſſelben als weſentlich für die Wohlfahrt und die Intereſſent
des Landes anſehen . Aber mein Name wird auch verwünſcht werden von jedem Monopoliſten , der aus unehrenhaften Gründen für den Schutzzoll lärmt, weil derſelbe ſeinem
eigenen Nutzen dient. Doch mag es auch der Fall ſein , daß meines Nainens mitunter auch mit Ausdrücken des Wohl
wollens gebacht wird in den Wohnungen derer , denen es beſchieden iſt von ihrer Arbeit zu leben und ihr täglich Brod in Schweiße ihres Angeſichts zu verdienen , wenn ſie
ihre erſchöpften Kräfte mit weichlicher unbeſteuerter Nahrung erſetzen können , die ihnen umſo beſſer ſchmeckt, als fie
nicht mehr durd, ein Gefühl von Ungerechtigkeit verfittert wird " ).
Es iſt, glaub' ich, Niemand zweifelhaft, daß im erſten Falle die Gerechtigkeit und Rathſamkeit einer Beſeitigung der Zurückſetzung der römiſchen Katholiken , – im zweiten die Gerechtigkeit und Rathſamkeit einer Aufhebung der Korn geſetze ſeinen klaren und ſcharfſichtigen Geiſt völlig durch drungen hatte. Daß er nun ſeine Ueberzeugungen ver wirklichte, verwirfte ihin das Vertrauen der Partei , welche
ſeine Talente auferzogen und ihn als ihr Lieblingskind zum Vorkämpfer gewählt hatte. In dieſer Hinſicht ,hat er ſeine Mutter — trefflich verläugnet“ 2 ). Aber er hatte auch einen Vater, dem er noch ſtärker verpflichtet war zu höheren An forderungen , ſein Vaterland , deſſen Wohlfahrt und Sicher
heit Anſpruch auf ſeine Kindespflicht hatte. :) Parliam. Debates, Vol . LXXXIX p. 1054 . 2) „ Fuit in parentem Splendide mendax. “
Ilm deßwillen
314
brachte er zweimal ein Opfer , wofür ihm ewig eine banke bare Erinnerung gebührt.
Aber, nadidem er tief gewurzelte Meinungen und Partei verbindungen, die ihm lieb und werth waren, geopfert, kann Niemand, glaub ich , in Zweifel ſein , daß er Necht daran that , bei der erſten Gelegenheit, wo ſich ihm Mangel an Vertrauen kundgab, ſein Amt niederzulegen. Bei Maßregeln, welche im I. 1831 zu der Parlamentsreform , and 1846 zur Abſchaffung der Differenzialzölle auf Zucker und Be ſeitigung der Schifffahrtsgeſetze führen mußten, fich auf frühere Gegner zu ſtüßen , wäre ein ſchwaches und unwür diges Verfahren geweſen. Ein Zurücktreten vom Ruder war die einzig ſchickliche Vollendung einer Laufbahn, welche fonit 1
in ihren Motiven nicht unbeſtritten ſein, oder wahrlich ſein Herz befriedigen konnte. Doch Sir Robert Peel war mir nur ein öffentlicher Cha
rakler. Andere von den Abgeſchiedenen muß ich ſtets lieben, ehren , beklagen : Lord Holland, der Erbe von For's Grundſätzen , der warme Freund Lord Grey's ; Lord Bands
down, der gemäßigte und weiſe Förderer jeder liberalen Reform ; Lord Althorp , der redlichſte, uneigennüizigſte Staatsmann, Holland, Althorp, Landsdowne, Melbourne, Carlisle , waren Freunde, an deren Seite ich in den wichtigſten Angelegenheiten , welche das Schickſal der Nation in ſich ſchloſſen , geſtritten , mit welchen ich die vertrauteſlen 1
Stunden verlebt , into bei allen Gelegenheiten , öffentlichen
oder privaten , ernſten oder heiteren , mit vollkommenei Vertrauen in gegenſeitige Trene ohne einen Tropfen Mei 1
des oder Eiferſucht verkehrt habe. Von ihren hervorragenden, glücklichen und liebenswürdigen Eigenſchaften möcht' ich gerne
aus der Fülle dankbaren Herzens Zeugniß geben . Zum Schluß muß ich bemerken , daß dieſer Abſchnitt
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in's licht ſtellen wollte, wie Earl Grey nebſt der Generation von Staatsmännern , welche ſeit Ende des großen Krieges ale Führer an der Spige der Nation ſtanden , mit der Aufgabe, ihre Wunden zu heilen , und im Gefolge des Friedens die Fülle des Wohlſtandes zu befördern , ſich wohl um ihr Vaterland verdient gemacht haben .
2 n đ n g. I. 31 Seite 25. Von den verehrten Bildern wurden einige nach London
gebracht und in der Paulskirdie im Angeſicht des Voltes zerſchlagen, um den damit getriebenen Betrug offenbar zu machen. So geſchah es mit dem Gnadenbild zu Bopley in Nent, weldhes durch angebrachte Sprungfedern im Stande war, den Kopf, Hände und Glieder, die Lippen und Augen brauen 2c. 31. bewegen. Zu Hailes in Glouceſterſhire
fand ſich eine Phiole mit angeblichem Blut Chriſti, bas balo ſichtbar war, bald nicht ; es war Entenblut, das all wöchentlich erneuert wurde, und auf reichliche Gaben der Pilger zum Vorſchein kam . – Der am reichſten begabte
Reliquienſchrank war der des Märtyrer-Erzbiſchofs Thomas Beckett in der Kirche zu Canterbury. Näheres bei Burnet's
History of the Reformation. Vol. I. p. 242. 244. II. zu Seite 31 . Die charakteriſtiſche Nebe des Secretärs Cecil über
die Monopolien , worin er ausführlich über den Unfug
derſelben , und der Königin Entſchluß , denſelben gänzlich
zu beſeitigen ausſpricht , ſ. New Parliamentary History, Vol. I. p. 934. 1601.
317
III. Zu Seite 3 2. Wentworth war auf Befehl des Unterhauſes in den
Tower geſeßt worden, weil er in einer Rede geäußert , die Königin habe gefährliche Fehler begangen. Bei Erzähl ung dieſer Begebenheit ſagt Hume, die Königin habe nach einem Monat Haft das Haus wiſſen laſſen , „ ſie habe aus beſon derer Gnade ihm
ſeine Freiheit und ſeinen Plaß im Par
lament wieder gegeben ; und Sir Walter Mildmay habe dem Hauſe die Güte Shrer Maj. beſonders angeprieſen,
indem ſie ſo gnädig Nachſicht gehabt.“ Dieſer Bericht iſt ungenau. Das von Hume citirte Tagebuch des Sir Simon
d'Emes ſagt nur aus , „nachdem Wentworth wegen Belet digung Ihrer Majeſtät von dem Hauſe war in den Tower geſchickt worden, geruhte Ihre Maj. gnädig , ihr gerechtes Mißfallen über die Beleidigung fallen zu laſſen , und die Befreiung des Mannes anheim zu geben .“ –
IV. Zu Seite 62. Macchiavelli ſcheint in dem übrigen Theil dieſes Kapi tels Männern in der Lage Cromwells und Napoleons
Unterweiſung gegeben zu haben, indem er ſagt, die, welche Tyrannen ihres Landes geworden, müßten beobachten , worin des Volkes Wünſche beſtänden , und würden finden , daß dieſelben auf zwei Dinge giengen : erſtlich, Beſtrafung derer, welche ſeine Knechtſchaft verſchuldeten , ſodann Wiederher ſtellung ihrer Freiheit. Im erſten Punkt müſſe der neue Fürſt ſie vollſtändig befriedigen , im zweiten zum Theil.
Denn prüfe man genauer die Freiheitsliebe des Volkes , ſo werde man finden , daß die große Majorität die Freiheit nur deßhalb liebe, um in Sicherheit zu leben . Dieſe ſeien
318
durch gute Geſeßgebung und ſtrenge Handhabung der Ge ſetke zu befriedigen, die übrigen entweder zu beſeitigen oder durch Stellen und Würden zufrieden zu ſtellen .“
V. 31 Seite 88. Intereſſant ſind zwei merkwürdige frühere Fälle, wo der arme Mann vom Geſetz gegen die höchſten Perſonen des Königreichs geſchützt wurde. Der erſte iſt eine Klage wider die Prinzeſſin Amelia wegen Verbot eines Fußpfads im Park Nichmond. Der Anwalt der Krone, Sir Richard Loyd , machte Winkelzüge, um die Competenz zu beſtreiten, hob die Gnade des Königs hervor, daß er die Proceßführung nur geſtatte, da er ihn mit einem Athemzug durch einen Specialbefehl niederſchlagen könne. Der Nichter, es war der berühmte Foſter, verwies die Winkelzüge als unwürdig, da es der Krone mehr Ehre machen würde, in ſolch' kleiner Sache es auf einen Proceß
ankommen zu laſſen , viel weniger eine Rechtsverfolgung zu hindern. Der Spruch fiel denn auch klar und bündig zu Gunſten des Klägers. ') Der zweite war die Klage eines Geflügelhändlers es war der Vater Horne Tooke's – zu London gegen S. Königl. Hoheit, den Prinzen Friedrich v. Wales, der zu Leicester House Hof hielt , und Nachbar jenes Mannes war. Da es einigen ſeiner Hofbedienten bequem war, ließen ſie ohne Weiteres durch eine dem Nachbar gehörige Scheibes
wand ein Thor brechen , um über ſein Grundſtück ihren Weg zu nehmen. Da die Gegenvorſtellungen Horne's ver 1) Life of Sir M. Foster p. 85.
319
geblich waren, kam es zur Klage, und der Händler gewann ſeinen Proceß wider den Thronerben . ') VI. 311 Seite 9 4.
Hume inad)t in ſeiner Geſchichte Karls I. eine Bes merkung, welche irre zu führen geeignet iſt , indem er ſich bafür ausſpridit: ,,Ginige Männer von den größten An
lagen und umfaſſendſten Kenntniſſen konnten ſich in ihrer Seele nicht dabei beruhigen , daß ihre Prieſter in einem
weißen leinenen Gewand zu Gott beten ſollten .“ Ehrlich geſagt, geſtanden beide Parteien zu , daß das Chorhemd an ſich eine gleichgültige Sache ſei. Die Ein wände der Parteieit waren :
1 ) Da der Punkt ein weſentlich gleichgültiger ſei , dürfe er nicht als Glaubensartikel aufgenöthigt werden , ſondern es folle derſelbe den Beliebert eines jeden anheim ge geben werden.
2 ) Wenn auch an ſich ein gleichgültiger Gegenſtand , ſei erºs doch nicht in den Augen des gemeinen Volks ; denn
Manche hielten eine gottesdienſtliche Verrichtung nicht für wirkſam , wenn ſie nicht in einem geweiheten Gewand angenommen werde ; und ſo würde durch den Gebrauch
ein abergläubiſcher Begriff lebendig erhalten. 3) Vor allem aber beſtanden die Puritaner darauf , daß 1
keine weltliche Perſon berechtigt ſei , über dieſen Gegen
ſtand Anordnungen zu treffen. „ Chriſtus, und ſonſt Niemand , iſt Haupt der Kirche,“ ſagte Cartwreight. Die Lehre der Puritaner oder Presbyterianer ſtellte auf : „ Gottes Wort, wie es im Alten und Neuen Teſta 11
9) Life of Horne Tooke. Vol . I. p. 11 .
320
ment enthalten , ſei vollfommen ausreichend als Richt=
ſchnur für Glauben und Sitten ." . Sie behaupteten, die Kirche dürfe nur durch dieſe Richtſchnur geleitet werden ; Ceremonien ſollten ſo wenig als möglich ſein, und nicht durch Befehl irgend eines Vorgeſekten auferlegt werden, vielmehr der Wahl der Kirche ſelbſt überlaſſen bleiben .
Wir ſehen , die Frage des Chorhemds hing mit einem wichtigen Syſtem firdlicher Reform zuſammen , welches in Humes Heimath angenommen und herrſchend geworden iſt. Vgl. Neale Vol. I. p . 133. 230. 260. Confession of Faith of Members of the Prophesyings bei Neale p. 276 .
VII. Z u Seite 96.
Dieſer Fall creignete ſich 1664. Die Diſſenters haben , dein allgemeinen Beſten zu Liebe , edelmüthig die Strenge, womit ſie behandelt wurden , vergeſſen. Im I. 1762 be trieben ſie im Unterhaus die Teſtacte, ohne irgend eine Clauſel zu ihren Gunſten , indem ſie ſich mit dem Antrag auf eine beſondere Toleranz-Bill , welche feine Ausſicht hatte durch
zugehen , befriedigen ließen. Nach der Verfolgung unter Karl II. hielten ſie ſich während Jakobs Regierung zur Kirche, ohne ſich durch die zuvor erlittene harte Behandlung ab ſchrecken , noch durch die vom König angebotene Nachſicht anlocken zu laſſen. Zu bebauern iſt, daß die Kirche es für nicht vereinbar mit ihrer Pflicht hielt, die Freiſinnigkeit und den patriotiſchen Sinn ihrer abweichenden Brüder nachzit ahmen.
321
VIII. Z u Seite 250.
Circularnote der Miniſter Deſterreichs, Preu : feng und Rußlands an die a uswärtigen Höfe. Laybach 21. Mai 1821. (Au8zug.)
„ Die in der Gefeßgebung und Verwaltung der Staaten nothwendigen oder zuträglichen Aenderungen dürfen nur von dem freien Willen , dem überlegten und aufgeklärten Antrieb Derer ausgehen, welchen Gott die Macht anvertraut hat. Alles was dieſe Linie überſchreitet, führt nothwendig
zit Unordnung, Umſturz, zu weit unerträglicheren Uebeln, 1
als die find, welche man 311 heilen vorgibt.
Durchdrungen von dieſer ewigen Wahrheit , haben die Souveränepnicht geſchwankt, ſie offen und nachdrücklich kund zu geben ; ſie haben erklärt, daß ſie in Beachtung der Rechte
und Unabhängigkeit der legitimen Gewalt jede angebliche Neform , die von Aufſtand und der offenbaren Gewaltthat vorgenommen worden , als geſeßlich nichtig und nicht im Einklang mit den Principien, worauf das öffentliche Recht Europa's ruht, anjähen . In Gemäßheit dieſer Erflärung
haben ſie bei den Ereigniſſen in Neapel und Piemont, und ſelbſt bei denen verfahren , welche unter ſehr verſchiedenen Umſtänden, aber nach ebenſo verbrecheriſchen Anſchlägen den
öftlichen Theil Europa's unberechenbaren Erſchütterungen Preis gegeben haben. “
IX. Zu Seite 251 . Eine im Februar 1824 überreichte, von allen oder faſt allen bedeutenden Seidenfabrikanten der City von London unterzeichnete Bittichrift fann, in jenen Tagen , einiges Be 21
322
fremden erregen. Sie war hauptſächlich gegen die von Huskiſſon vorgeſchlagene Herabſeßung der Prohibitivzölle auf verarbeitete
Seide bis auf 40 procent des Werthes gerichtet, mit der Erklärung , alle Zweige dieſes Handels ſeien durch die überraſchende ſo bedeutende Maßregel in größte'Beſtürzung und Unruhe verſeßt. Hansard's Debates new ser. Vol. X. p.371. Am 24. Febr. 1826 begann die entſcheidende Debatte und Abſtimmung, welche den Sieg der Sache des Freihandels entſchieb .
X. zu Seite 262. Die folgenden Auszüge aus Mill's Werk ') werden zeigen, daß ich ihm nicht unrecht gethan habe. Seite 172. Wenn zwei Perſonen , die gemeinſames Intereſſe bei einer Angelegenheit haben , verſchiedener Meinung ſind, verlangt die Gerechtigkeit, daß beiden Meinungen gleicher Werth beigelegt werde ? Wenn bei gleicher Tugend der eine dem anderen an Renntniß und Einſicht überlegen iſt, - oder bei gleicher Einſicht einer den anderen an Tu
ſo gilt die Meinung , das Urtheil des gend übertrifft , an Sittlichkeit oder Moral höher Stehenden mehr , als die -
des Niedrigeren ; und wenn die Einrichtungen des Landes
thatſächlich feſtſtellen , ſie ſeien von gleichem Werth , ſo be haupten ſie etwas , was nicht iſt. Einer von den beiden , 1
der weiſere oder beſſere Mann , haben Anſpruch , höher ge ſchäßt zu werden ; die Schwierigkeit liegt nur darin, zu be ſtimmen, wer von beiden es iſt; was bei zwei Individuen unmöglich iſt, kann, die Menſchen in Menge und Geſamt
heit genommen , mit annähernder ziemlicher Genauigkeit der Fal ſein. * ) John Stuart Mill , Essay on Representativ Government.
323
Seite 173. Nationale Angelegenheiten ſind nun gerade ſolche von gemeinſamem Intereſſe, mit dem Unterſchied , daß
Niemand ſeine Ueberzeugung völlig zu opfern braucht. Man fann ſtets zur Berechnung gezogen , und zu einer gewiſſen Ziffer in Anſchlag gebracht werden , während eine höhere Ziffer den Stimmen derer zugetheilt wird , deren Meinung zit größerem Gewicht berechtigt iſt. Bei dieſem Verfahren
iſt nichts , was für diejenigen , welchen es einen niederen Grad von Einfluß beſtimmt, gehäßig wäre. Ausſchließung vom Abſtimmen über gemeinſame Angelegenheiten iſt das Eine; die Einräumung einer gewichtigeren Stimme an An dere auf Grund höherer Fähigkeit für die Behandlung gemein ſamer Intereſſen iſt etwas anderes . Dieſe beiden Dinge ſind nicht blos verſchieden , ſie ſind nicht mit demſelben Maßſtabe zu meſſen. Jeder darf ſich gekränkt fühlen, wenn man ihn zu einem Nichts macht, und als einen Menſchen ſtempelt, der gar nicht in Nechnung kommt. Nur ein Narr von beſonderer Art fühlt ſich beleidigt , wenn anerkannt wird , daß es Andere gibt , deren Meinung, und ſelbſt Wunſch , zu einem höheren Grad von Beachtung berechtigt, als ihm zukommt.
gerne ein, betreffen , Theil ihn, zeugt, daß
Niemand räumt
bei Dingen, die zum Theil ſeine eignen Intereſſen keine Stimme zu haben ; aber wenn etwas zum zum Theil auch Andere angeht, und er iſt über der Andere die Sache beſſer, als er, verſteht, ſo
widerſpricht es nicht ſeinen Erwartungen und dem Verfahren , wobei er in allen anderen Angelegenheiten des Lebens ſich
zufrieden zu geben pflegt, wenn die Meinung Anderer höher, als die feinige, in Anſchlag gebracht wird.
Es iſt nur no
thig, daß dieſer höhere Einfluß auf Gründe geſtüßt werde, welche er begreifen, und von deren Gerechtigkeit er ſich über zeugen kann.
Seite 176.
Es iſt noch nicht die Zeit gekommen , um 21 *
324
ſolchen Plänen praktiſche Form zu geben ; auch wünſchte ich nicht, mich für die beſonderen Vorſchläge, welche ich gemacht habe, verbindlich zu machen. Aber es iſt mir klar, daß in dieſer
Nichtung das wahre Joeal der Repräſentativ -Regierung liegt ; und auf dieſes Ziel hinzuarbeiten init den beſtmöglichen praktiſchen Veranſtaltungen , iſt der Weg für wirklichen politiſchen Fortſchritt.
SRITIS BY 74
Prisht
Inhalt. Seite.
Kap.
1
I. Orſte Anfänge und Grundſäße der Regierung und Verfaſſung Englands Il . III. IV. V.
Heinrich der Siebente Heinrich der Achte Die Reformation Königin Eliſabeth
1. 13 .
18 . 23 . 29.
VI. Jikob der Erſte 43.
Karl der Erſte
VIII. Utrfachen der Auflöſung der engliſchen Regierungs Verfaſſung unter Rari 1.. N
11
IX. Cromwell, Karl II. und Jatoh II . X.
Die Revolution
XI . Begriffebeſtimmungen der Freiheit XII. Bürgerliche Freiheit XIII . Perſönliche Freiheit •
XIV. Politiſche Freiheit XV. Die Rechtsgelehrten
•
.
XVI . Gedeihen des Staatscredits auf Grund einer freien Berfaſſung XVII.
XVIII.
Parteien
Wilhelm und Maria. Anna
XIX. lInterſuchungsproceß vor dem Parlament. Strafs und Berurtheilungsbil . XX . Georg I. und Georg II. XXI. Anfang der Regierung Georgs JII. Amerifani icher Arteg
64.
68 . 74. 78.
80 . 89. 100 , 112.
115.
120. 129. 135. 144. 153.
ఈ
VII .
Seite. 156 .
Kap. XXII. Das Rechtsgefühl XXIII. Ein außerordentliches Mittel gegen Mißbrauch der Gewalt ; Mäßigung im Gebrauch deſſelben XXIV. Criminalgeſebgebung . XXV. Deffentlicher Unterricht XXVI. Armengeſebe #
XXVII. Krieg mit der franzöſiſchen Republik XXVIII. Freiheit, die Hauptquelle des Nationalreichtoums, insbeſondere des engliſchen XXIX . Rationalſchuld XXX. Daß eine freie Regierungsform beſtändiger Gifer .
ſucht und häufiger Erncuerung bedarf
XXXI. Berfaſſung des Sauſes der Gemeinen
168. 174 . 178.
181 . 188 . 196, 201
221.
XXXII. Stehendes Seer
#
159. 163.
XXXIII. Von dem Einfluß der Geſchworenengerichte auf Auslegung und Abänderung der Geſebe XXXIV. Einfluß der Krone XXXV. Preßfreiheit. Bahrſcheinliches Schidjal der engli ſchen Verfaſſung .
226 .
234.
239.
E p ilog. Gang der Regierung und Entwidelung der Verfaſſung ſeit 1820 . Seite .
246.
1. Bis zur Parlamientsreform II. Parlamentsrefornr
254.
III. Weitere Entwickelung
279.
297.
IV. Auswärtige Politik
305 .
V. Zuſammenfaffung und Schluß
316.
Anhang
RATUITSA 7 HY 74
E
UN
Im Worlage von
J. Scheuble (norm . fr. Xai. Nalec)
ifreiburg im Breisgau iſt erfohlenuen :
Seitdirift Geſellſchaft fiir Beförderung der Gejaisto-, Alitetinumo Hd Vollslundc Voit
Freiburg, dem Breisgau und den angrenzenden Canaruhaſtın. 1.1. II, Band (à 3 befie). 1867-72.50 Preis per Band : 25/1. 2. 12 Eyr. Fl. 9.12. ing. Dit rig. 1 haft: I. Bd. (XVI 1. 427 SE .) Die römische Töpferei 211 Siem
$ . Sorriber --- (Ein gleichzeitiger Bericht über dus 2015.01. 1632 in Nüfiige!! dugeridtete Blutsad, vor fibra Notb von Soredelſteini.
Beiträge zur Coul ano pia
Igrier chrichte 1. (Croning der greiburgir Latiinſänkt can 105 , nebit Otll Gutzdier des (Silazcan ind pictung), rei Fr. !!!. Der Bullolulfſtand im gav 1460, von Th. b. Fierit, Briefe des Siraren Wolfgang zil prſtenberg z!lr Gelidade de Meerfahrt des s . Boilipp vont Satilicil, rous 4 Freita Noth) Wort Schredericini. Die Piplinge Biolaht, lur;
Geldiſocrt von einem augenzenuen , you smirentie. konfranzer Welníronik aus dein Ende des 14. jalzano mio, It Milcinere. Mittheiluu gen . fins Offifuga
Ti). V. Si erat.
zur Gedichte der Fejermirung der Herrſc :it Badrumet. 'r, i . Wartini. Tie crite Zerſtöring der Stadt Martina 1622 .
Ein Beitrag zur heimidite des " treißigjährigent Rrieg: . . Fidlor. fine line or
aist Oberriecin , von S. F.
die Negoldanig ber bülerliden Laſten 1.10 Medite zu Haule kui Fegail, 1536, von §. It'önig. Die gedvidilice Literalitr tez Breisgaucs und der angrenzenden Landschafteil, 1963--1868, von Th . 4. Kcr n . Nachiräge zum erſten Bind. Ort: verzeichniß. Riduit.
II. Bd. (XII 1.. 468 SS . Der Herenprozeß gegen den wir uns bergiſchen Regiſtrator Obervegteiverweier und Retrii
Five
Tuctorius und Conforten in Müfingen , von Urdrivruth ju af. ordinal L. ( .Nohat zu Ettenheim , non albert 31. Das zähringer (Frbſchafengebiet der Grajen por lirtió patet Freiburg -Fürſtenbergiſche Bauwewad ſeine Femis- und Kulturjaltitec in 13. Jahrhundert, von Dr. W. fraid . Hleinere Nitres hungen . Berzcianin der Mitglieder der hiſter. Scilice;t an! Erzherzogin Dichthild, Gemahlin Aleris Vl . 1. Jall . 1871. pen Deſterreich ,von Procijor Ernſt Mortin. Graf Trierricht von fürſtenberg cis Stifter eines fatívor. Souißründniſies , 21 Dr. Š . Niezler. Freiburg im Jubre 1641, von A. Mch Dict Kleinere Mitteilungel. Delsohn - Bartholds.
dhichtliche Literatur der Preisgaues und der angrenzeniau! PAS 1. v . ReiR . Perjoneiderzeichnis. --- Orisverzeichniß, ihaſten , 1869-1871, von