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German Pages 419 [424] Year 1966
Friedrich Neumann / Geschichte der altdeutschen Literatur
FRIEDRICH
NEUMANN
Geschichte der altdeutschen Literatur (800-1600)
Grundriß und Aufriß
WALTER
DE G R U Y T E R
& CO • B E R L I N
vormals G. J . Göschen'sche Verlagshandlung buchhandlung
• Georg Reimer
• Karl J
1966
• J
Guttentag,
Trübner
Verlags-
• Veit & Comp.
© A r d i i v - N r . 45 89 66/1 Copyright 1966 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J . Gösdiea'sche Verlagshandlung • J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung • Georg Reimer • Karl J. Trübner • Veit & Comp. • P r i n t e d in Germany • Alle Rechte des Nachdrucks, einschließlidi des Rechtes der Herstellung von Photokopien und Mikrofilmen, auch auszugsweise, vorbehalten. Satz und Druck: T h o r m a n n & Goetsdi, Berlin Umschlagentwurf: Barbara Proksdi
VORWORT Jede Darstellung von Literaturgeschichte muß f ü r sich selbst sprechen. Gleichwohl darf ein „Vorwort" ausschließen, daß sidi ein Leser mit Vorstellungen auf den Weg macht, die ihn behindern können, wenn er sich in das Dargestellte einlebt. Dies gilt um so mehr, als jeder „Titel", mag er noch so gut gewählt sein, das Behandelte immer nur im Ungefähren zu bestimmen vermag. Mit gutem Grunde. Denn ein „Titel" soll kein Inhaltsverzeichnis ersetzen, sondern nur ein Wegweiser sein. Mit Absicht ist hier für eine 'Geschichte der altdeutschen Literatur' der „Titel" 'Deutsche Literatur des Mittelalters' vermieden. Das Wort „Mittelalter" (Lehnbildung zu lateinisch media aetas) entsteht im abendländischen Denken, als sich vom erwachenden Italien aus ein neues Lebensgefühl, das Lebensgefühl der Renaissance, am griechisch-römischen Altertum stärkt. Doch wird der Dreiklang „Altertum — Mittelalter — Neuzeit" erst seit dem 17. Jahrhundert verwandt, um die Geschichte des Abendlandes zu gliedern. Im Begriff „Mittelalter" (dem auch der lateinische Ausdruck medium aevum entspricht) liegt damals ein abwertendes Urteil. Trotzdem kann er um 1800 ins Positive umschlagen, als romantisches Empfinden dazu drängt, die als „Mittelalter" angesprochene Zeit in einer geschichtsfernen Idealisierung zu sehen. Vertiefte Betrachtung der Geschichte hat ihn sodann längst zu einem wertfreien Zeitbegriff abgeschwächt. Auch hat der Gang der Geschichte, der stetig eine „neuste Zeit" entstehen läßt, zunehmend den Begriff „Neuzeit" ins Ungewisse gestellt und dadurch mitgeholfen, den Begriff „Mittelalter" zu entleeren. Frage ist daher nur noch, wie weit der farblos gewordene Ausdrudt „Mittelalter" einen europäischen Zeitraum einzufassen vermag, der trotz aller Bruchstellen gegenüber den als „Altertum" und „Neuzeit" angesprochenen Zeiten einen eigenen Charakter hat.
Vorwort
VI
B e i m Betrachten der d e u t s c h e n L i t e r a t u r sind wir vor dieser F r a g e in günstiger L a g e . D e n n wir brauchen uns nicht viel d a r u m zu k ü m m e r n , unter welch schwierigen Überlegungen die allgemeine Geschichtswissenschaft einen Z e i t r a u m , den sie mehr oder minder behelfsmäßig
„Mittelalter"
nennen will, beginnt
oder
schließt.
D e n n f ü r die „altdeutsche L i t e r a t u r " ist, wie wir sehen werden, mit den Antrieben, die v o n der Welt K a r l s des G r o ß e n ausgehen, eindeutig ein erster A n f a n g „mittelalterlich-literarischen"
Lebens
gesetzt. U n d auch f ü r d a s E n d e solch „mittelalterlich-literarischen" Lebens bietet sich, wenn auch nicht mit gleicher Eindeutigkeit, eine Zeitbestimmung an, die nicht im Zwielicht steht. Wenige H i n w e i s e müssen genügen, u m d a s „literarische" Mittelalter deutscher Sprache v o n einer ihr entsprechenden „literarischen" N e u z e i t abzugrenzen. W a s sich auch seit den T a g e n M a x i m i l i a n s I. im frühen 16. J a h r hundert vorbereitet, m a n sollte nicht bestreiten, d a ß die Welt der Althumanisten u n d die der R e f o r m a t o r e n noch v o n einem spätmittelalterlichen R a u m u m f a n g e n werden, wenn m a n den D r e i k l a n g „ A l t e r t u m — Mittelalter — N e u z e i t " v o m 20. J a h r h u n d e r t aus ein gewisses M a ß an A u s s a g e k r a f t läßt. Doch auch der Augsburger Religions- u n d L a n d f r i e d e des J a h r e s 1555 u n d d a s Ausscheiden K a r l s V . v o m J a h r e 1556 legen f ü r Deutschland auf literarischem F e l d e keine Epoche fest, die E n d e des „ M i t t e l a l t e r s " oder Beginn der „ N e u z e i t " heißen dürfte. D i e s geschieht freilich ebensowenig durch den „Westfälischen F r i e d e n " des J a h r e s 1648, der längst Vollzogenes f ü r die Reichswelt nachträglich anerkennt. Ü b e r V o r bereitendes hinweg ist sinnfällig ein neuer A n f a n g
literarischen
Lebens deutscher Sprache d a , als nach einer Wirrnis v o n zehnten im frühen 17. J a h r h u n d e r t mit „ g e l e h r t e r "
Jahr-
Überlegung
versucht w i r d , d a s deutschsprachige Dichten im Wettbewerb die glücklicheren romanischen Literaturen heranzuheben.
an
Hand-
greiflichster Beleg d a f ü r : M a r t i n O p i t z legt im J a h r e 1624 mit jugendlichem
Spürsinn
im schmalen
'Buche v o n
der
deutschen
Vorwort
VII
Poeterey' ein Regelheft f ü r deutsches Dichten vor. In welch bedingtem Sinne all das, was sich im späteren 16. Jahrhundert auf diese Regelung hinbewegt, noch dem „Mittelalter" angegliedert werden darf, braucht uns hier am Eingang keine Sorgen zu machen. Damit ist, denke ich, zureichend begründet, daß wir den unsicheren Begriff „Mittelalter" aus dem Spiel lassen, wenn wir uns den spannungsreichen Zeitraum gliedern, der von den Tagen Karls des Großen bis in die Zeit führt, in der sich der „Dreißigjährige Krieg" vorbereitet. Wir müssen vielmehr versuchen, die „Perioden" der deutschen Literatur aus ihr selbst zu entwickeln. Dazu eine Vorbemerkung grundsätzlicher Art. Beim Gliedern der altdeutschen Literatur wollen wir Allgemeinbegriffe vermeiden, die sich an Baustile der alten Zeit (an die Stilbegriffe „Romanik" und „Gotik") anlehnen. Denn da jede Kunstart notwendig unter eigenen Bedingungen lebt, können Allgemeinbegriffe, die an der Architektur festgelegt sind, nur zu leicht in Vorstellungen hineinziehen, die sich ohne Gefahr nur durch Umdeuten auf Sprachwerke anwenden lassen. Dagegen empfiehlt sich, Perioden der Literaturgeschichte und der allgemeinen Geschichte auch in Überschriften zusammenzuhalten, wenn sie aus geschichtlicher Tiefe im Ungefähren zusammenstimmen. Auch dürfte fast selbstverständlich sein, daß wilden Begriff „Mittelalter" als abkürzenden Hinweis gebrauchen können, nachdem er sich uns von jedem Vorurteil abgelöst hat. Wir werden daher gelegentlich im Blick auf deutsche Literatur unbesorgt vom „frühen", „hohen" und „späten Mittelalter" sprechen. Unter dem Begriff „hohes Mittelalter", der in diesem Falle die beiden anderen Begriffe bestimmt, soll dann ohne scharfe Grenzen das spätere 12. und frühere 13. Jahrhundert verstanden werden, mit Vorzug jener Zeitraum, in dem vor und nach dem Jahre 1200, mithin in der mittleren Stauferzeit, die „altdeutsche Literatur" als „Ritterdichtung" in einem „mittelalterlich-höfischen" Bildungsraum ihre Höhenzeit hat. Keinen Augenblick sollten wir
Vili
Vorwort
jedoch vergessen, daß es immer wieder die einzelnen Sprachwerke sind, deren Aussagen wir mit aufgeschlossenem Sinn vernehmen müssen. Sie sind unterhalb aller Gliederung im Strome der Geschichte ein Verfestigtes, das seinen Rang und seine Werte immer wieder in neuer Belichtung zeigt — gestern, heute und morgen. Der „Untertitel" unserer kleinen „Geschichte der altdeutschen Literatur" lautet „Grundriß und A u f r i ß " . Darin wird andeutend ausgesprochen, daß diese Darstellung nicht die Aufgabe hat, die altdeutsche Literatur in der Fülle ihrer Werke nach Art eines Handbuches auszubreiten. Auf das vielgestaltige Ganze literarischen Lebens gerichtet, ist sie eine auswählende Darstellung, der es darauf ankommt, eine große Zahl bezeichnender Werke in den geschichtlichen Ablauf des literarischen Lebens an ihrer Stelle einzuordnen. Wie jeder Auswahl muß auch dieser Auswahl unterhalb der Gipfelerscheinungen etwas Willkürliches anhaften. Aber welche Werke mittleren oder gar geringeren Ranges berührt werden, immer sollen sie geeignet sein, als Vertreter von Werkgruppen oder als Vorläufer neuer Strebungen etwas Allgemeines oder Bezeichnendes auszusagen. Denn der Begriff „Grundriß" meint hier, daß der gegliederte Ablauf des literarischen Lebens unvernebelt und unverfälscht sichtbar wird. Demgegenüber hat der Begriff „Aufriß" ahnen zu lassen, d a ß dieser Ablauf ein vielfach gestufter Ablauf ist. Denn im Nebeneinander und Nacheinander literarischer Gattungen erheben sich auf zeitlich bedingten Ebenen die kurvenreichen Höhenlinien des Geschaffenen. Zugleich soll die Vereinigung von „Grundriß" und „Aufriß" sichern, daß auch das Außerordentliche wie das Ungewöhnliche in den Zusammenhang des Ganzen eingefügt bleibt. Diese Bindung aller literarischer Aufgipfelungen an den geschichtlichen Ablauf verlangt aber von der Darstellung einen eigenen Stil. Sie muß auf Deutungen verzichten, die den Aussagen der Werke mehr zumuten, als sie hergeben, wenn man sie im Geschichtlichen an ihrer Stelle läßt. Doch kann
Vorwort
IX
sie unter diesem Z w a n g mit heilsamer Nüchternheit ein Sachliches vermitteln, das in der notwendigen Bewegung forschender Arbeit eine D a u e r verspricht, die vom schnellen Wechsel zeitbedingter Anschauungen unabhängig ist. Göttingen,
im Oktober
1965
Fr. N n .
Für Ilse
INHALT
I.
II.
Vorwort
V
Im Vorhof der altdeutschen Literatur
1
1. Spätgermanisches Dichten (Ein Ausblick) 2. Das W o r t „deutsch" 3. Voraussetzungen der deutschen Literatur
3 11 15
Das karolingische Jahrhundert
32
1. A n f ä n g e der Literatur 2. Die deutschsprachige Dichtung der Karolingerzeit 3. Karolingisch-lateinische Verswelt
32 37 54
III. Ottonische und frühsalische Zeit
IV.
V.
58
1. Lateinische und deutsche Dichtung a) Dichtung in Versen b) Deutsche Prosa
58 59 65
Frühmittelalterliche Reformzeit
68
1. 2. 3. 4. 5. 6.
68 74 77 89 92 93
Die A n f ä n g e Geistliche Lehrdichtung Frühe Erzählkunst Lyrisches verschiedener Bauart Lehrdichtung früher Stauferzeit Lateinische Verse f r ü h e r Stauferzeit
Dichtung der Stauferzeit (1170/80—1250/60)
96
1. Literarische Bedingungen 96 2. Höfische Epik 101 a) Inseln am mitteldeutschen und norddeutschen Rande 101
XIV
VI.
VII.
Inhalt b) Süddeutsche Ritterkultur c) Der Ausgang der Stauferzeit 3. Literarische Prosa der Stauferzeit 4. Minnesang und Spruchlied a) Grundsätzliches und Allgemeines b) Minnesang im Anstieg c) Erfüllte Zeit d) W a l t h e r von der Vogelweide und N e i d h a r t e) Spätstaufische Lyrik 5. Die Lehrdichtung der Stauferzeit
112 146 154 158 158 168 170 174 181 186
Zwischen hohem und spätem Mittelalter
190
1. 2. 3. 4.
191 219 228 234
Spätmittelalterliche Reformzeit ( 1 3 5 0 — 1 5 2 0 ) . . . • 244 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
VIII.
Episches in mancherlei Gestalt Lyrik auf dem Wege zur Meisterkunst Didaktisches in Strophen und Reimpaarversen Mystische Prosa
Voraussetzungen und Grundlagen 244 Einzelgänger im Vor- und H a u p t f e l d der Konzilszeit . . 249 Episches in Versen 258 Vom Prosaroman zum „Volksbuch" 263 Akademische Kunstprosa deutscher Sprache 272 Anfänge neulateinischer Dichtung 277 Lyrisches deutscher Sprache 282 Didaktische Versreden 287 Das mittelalterliche Spiel 296
Im Zeitalter der Reformation
302
1. 2. 3. 4. 5. 6.
302 306 310 317 329 335
Dichtung in gespaltener Welt Wege der Humanisten Martin Luthers Bibelsprache; neue Prosa Dramatische Versuche Episches vor 1550 Episches an der Jahrhundertwende
Inhalt 7. Strophisches in alten und neuen Klängen 8. A n f ä n g e neuer Lyrik 9. Rückblick und Ausblick
Bibliographisches
XV 346 352 357
362
A. Die altdeutsche Literatur
362
B. Anmerkungen
366
Autoren- und Titel-Verzeichnis
398
I. IM V O R H O F D E R A L T D E U T S C H E N L I T E R A T U R Wer eine „Geschichte der deutschen Literatur" in die H a n d nimmt, erwartet mit Recht eine Betrachtung von Schriftwerken, die der Sprachgebrauch dem Begriff „Dichtung" zuordnet. Gleichwohl ist nicht Zufall, daß wir den Titel „Geschichte der deutschen Dichtung" zu vermeiden pflegen. Der Begriff „Dichtung" birgt in sich einen Anspruch, dem eine „Geschichte der altdeutschen Literatur" auch dann nicht folgen darf, wenn sie auf Auswahl bedacht ist. Um den Begriff „Dichtung" zu bestimmen, hat einmal Wilhelm Grimm gesagt, sie sei „im allgemeinen die Erhebung der Wirklichkeit in die höhere Wahrheit, in ein geistiges Dasein". Dies ist aus einem Denken gesprochen, wie es sich Goethe in den ersten Weimarer Jahren zueignet. Zweierlei ist hier vorausgesetzt. Der Dichtende muß fähig sein, in seiner Sprache eine zweite Welt eigenen Wertes, die Welt der „Dichtung" aufzubauen, und er muß dabei die Kraft haben, seinen prägenden Aussagen in ihrem Zusammenhang den Charakter des Endgültigen zu verleihen. Zeiten, in denen maßsetzende Dichtungen solchem Anspruch genügen, werden gern als literarische „Blütezeiten" bezeichnet. Tut man dies, sollte man eins nicht vergessen. Es gehört zum Geheimnis der Geschichte, daß solche erfüllte Zeiten nicht künstlich gemacht oder gar erzwungen werden können. Ihre Voraussetzungen und Lebensbedingungen aufzuhellen, ist daher eine der wichtigsten Aufgaben, die der Literaturgeschichte zufallen. Hier im „Vorhof" einer „altdeutschen Literaturgeschichte" haben wir daher zu bedenken, daß es nicht ungefährlich ist, bestimmte Zeiten vorausschauend mit 1
Neumann, Literatur
2
Im Vorhof der altdeutschen Literatur
dem Begriff der „Blüte" auszuzeichnen. Denn der Begriff der „Blütezeit" (gern dem Begriff der „Klassik" gleichgesetzt) kann dazu verleiten, den Eigenwert des Vorausgehenden oder Nachfolgenden falsch einzuschätzen, im Vergangenen nur „Vorläufer" und im Späteren bloß „Epigonen" zu finden. Schon dies macht uns klar, d a ß wir die Aufgabe einer „altdeutschen Literaturgeschichte" verfehlen, wenn wir f ü r unsere Auswahl den Begriff der „Dichtung" überanstrengen. Es gibt Zeiten, in denen das, was noch in einem weiten Sinne „Dichtung" heißen kann, im besten Falle nur recht bedingt Welten schafft, die über die Wirrnis des Alltags durch die Kraft der Sprache ein Eigenes an Wahrheit sinnbildlich darstellen. Wohl kann auch in solchen Zeiten Redekunst von bindender Kraft auf bewährten oder neuen Wegen zu Werken vordringen, die in ihrer Umwelt Rang haben. Aber das, was diese Werke uns faßbar machen, wirkt weniger aus eigener als aus geliehener Würde. U m solche Möglichkeiten anzudeuten: Gültiges wird gefeiert oder erläutert; Wunschträume und Lebensängste werden zu erregender Aufnahme versinnlicht; bildlich umkleideter Rat bietet sich im Alltag als Helfer an. Gewiß, man darf solche von außen gelenkte Kunst, die vor allem fördern, erbauen oder erhalten will, um so weniger verachten, als auch echte Dichtung solche Aufgaben mitleistet, gleichgültig, ob ihre Schöpfer es wollen oder nicht. Aber das Ziel von Dichtung, erlebte Welt in eigener Weise durch das Wort zu deuten, wird hier nicht erreicht. Außer diesem Grundsätzlichen empfiehlt ein oft nicht genügend beachteter Umstand, mindestens f ü r die älteren Zeiten der deutschen Geschichte dem anspruchsvolleren Begriff „Dichtung" den unverbindlicheren Begriff „Literatur" vorzuziehen. Wenn man den Begriff „Literatur" nicht künstlich erweitert, so liegt in ihm, daß er sich auf Sprachwerke bezieht, die durch den „Buchstaben", kurz: durch die „Schrift" festgehalten werden. Wir dürfen aber nicht daran vorbeigehen, daß Bindung an die Schrift so wenig zum Ursprung
Spätgermanisches Dichten (Ein Ausblick)
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von Dichtung wie zum Ursprung von Sprache gehört. Letztlich ist ja schon in jedem Akt schöpferischen Sprechens der Akt echten Dichtens angelegt und vorweggenommen. Dichtung kann daher auch allein dem Gedächtnis anvertraut werden und so durch Sänger und Erzähler von Mund zu Mund weiterwandern. Ich erinnere zunächst nur an jene mündlich umlaufenden „Gesellschaftslieder", auf die vom späten 18. Jahrhundert an der Begriff „Volkslied" eingeengt wird, sowie an Grundformen des Erzählens, die damals unter die Begriffe „Volkssage" und „Volksmärchen" treten. Solche Gesänge und Geschichten leben nur so lange die ihnen gemäße Lebensweise, als sie sich unverschriftet weiterbewegen und insofern „unterliterarische" Gesänge und Geschichten sind. Sie verlieren an Lebensmächtigkeit, wenn alle Schichten einer Sprachgemeinschaft von Jugend an in Lesen und Schreiben eingewöhnt sind und daher zunehmend schriftsprachlich denken. Nicht zufällig schwinden alte Reste solch freischwebender Dichtung seit dem mittleren und späteren 19. Jahrhundert auch in ländlichen Rückzugsgebieten; ihre wissenschaftliche Aufzeichnung ist kein Ersatz f ü r echtes Leben, auch wenn ihnen so f ü r gewisse Zeit ein künstliches Leben zuwächst. Mindestens f ü r die Zeiten altdeutscher Literaturgeschichte ist aber notwendig, den Sinn f ü r die Möglichkeiten „unterliterarischen" Dichtens und daher auch „unterliterarischer" Dichtung wachzuhalten. Denn wir werden sehen, an günstigen Stellen wirkt solch Dichten und solche Dichtung spürbar auf Dichtungen ein, die von Beginn an und daher ihrem Charakter nach durch Schrift als „Literatur" festgelegt sind.
1. S p ä t g e r m a n i s c h e s D i c h t e n ( E i n
Ausblick)
Wir sind gerüstet, auf Bereiche spätgermanischer Dichtung zu kurzer Betrachtung hinüberzusehen, und wir sind sogar an dieser Stelle dazu verpflichtet. Denn im Spätgermanischen liegen Ursprünge von Dichtung, die durch „unterliterarisches" Weitertragen und Fortent1*
4
Im Vorhof der altdeutschen Literatur
wickeln in „literarische" Dichtung des hohen Mittelalters hineinwirkt und überdies als spätgermanische Dichtung „vorliterarisch" ist, weil sie noch nicht von einer „literarischen" Dichtung germanischer Sprache überlagert wird. Hinzugefügt sei, daß der Ausdruck „Dichtung" hier im engsten Sinne genommen werden will. Denn selbst ausgesprochen hohe Dichtung von gestaltender Kraft wird damals bloß mündlich weitergereicht. Dazu tritt, was den Charakter des „Vorliterarischen" unterstreicht. Auch in hoher Dichtung jener germanischen Zeiten sind als Dichter Begabungen tätig, die ohne Namen schaffen, indem sie Überlieferbares erzeugen, weiterentwikkeln oder nachschaffend verwalten. Doch wir wollen nicht länger im Allgemeinen verweilen, sondern versuchen, uns an Gehalten zweier spätgermanischer „Erzähllieder" das Gemeinte behelfsmäßig zu erläutern. Mit Absicht wählen wir uns zwei Beispiele „vorliterarischen" Dichtens, die den Vorzug haben, uns in die spätgermanische Vorgeschichte des hochmittelalterlichen .Nibelungenliedes' hineinzuführen. Wie wollen wir aber „vorliterarische" Dichtung erreichen, zu deren Eigenart gehört, nur durch das Gedächtnis von Sängern weitergetragen zu werden, ohne durch Schrift verfestigt zu sein? Es ist in der Tat so gut wie selbstverständlich, daß wir ihren ursprünglichen Wortlaut nicht mehr erreichen können. Aber wenn sie auf jüngere Schriftdenkmäler durch Zwischenglieder eingewirkt haben, so dürfen wir versuchen, Aufbau und Gehalt des „Vorliterarischen" wenigstens in Umrissen aus dem Jüngeren zurückzugewinnen. Dabei müssen wir uns bewußt bleiben, daß wir bei solchem Zurücktasten, das sich darum bemüht, im Literarisch-Umgewandelten das Vorliterarisch-Ursprüngliche zu erfühlen, selbst dann nur zu mehr oder minder begründeten Annahmen vordringen, wenn wir unsere Phantasie fest an den Zügel nehmen. Bei jedem unserer beiden „Erzähllieder" sind wir freilich in einer verhältnismäßig glückhaften Lage, was sie neben dem Werte, den sie f ü r die Vorgeschichte des ,Nibelungen-
Spätgermanisches Dichten (Ein Ausblick)
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liedes' haben, in besonderer Weise als Beispiele empfiehlt. Denn wir können ausnutzen, daß je eine ihrer „vorliterarischen" Gestaltungen spätestens im 9. Jahrhundert, also verhältnismäßig früh, nach dem germanischen Norden getragen wird und, sprachlich abgewandelt, um die Mitte des 13. Jahrhunderts in der altisländischen Sammlung der sogenannten „Lieder-Edda" auf das Pergament kommt. Diese abgewandelten Liedfassungen des beginnenden Mittelalters ermöglichen uns, mit Vorsicht noch vor das zurückzugreifen, was an alter Liedsage im Buchwerk des ,Nibelungenliedes' Lebenskraft hat. Das erste Beispiel: Ein altes südgermanisches „Erzähllied" niederrheinischer Herkunft zeigt uns durch den Nebel der Geschichte hindurch seine Umrisse in einer ,Sigurdgeschichte', die uns die nordgermanische ,Lieder-Edda' in einem ergänzbaren „Bruchstück" (Brot) erhalten hat. Wir brauchen hier ebensowenig wie beim nächsten Beispiel davon Rechenschaft abzulegen, wie wir solche Umrisse aus dem Überlieferten altisländischer Sprache herauslösen. Aber um den Anschluß an das Spätere zu sichern, sei ausdrücklich vermerkt, daß wir die Eigennamen der nordgermanischen Fassungen in die Lautformen umsetzen, in denen sie „unterliterarisch" und dann auch „buchliterarisch" auf südgermanisch-deutschen Sprachfeldern leben. Dies heißt fürs erste, daß wir den „Sigurd" des ,Edda'-Liedes, der lautgeschichtlich im Hochdeutschen ein „Siegwart" wäre, mit dem im Süden geltenden Namen „Siegfried" nennen. U n d es heißt fürs zweite, daß wir die weibliche Gestalt, mit der sich Siegfried vermählt, mit einem „ H i l d " - N a m e n als „Grimhild" vorstellen, obwohl sie im Norden den Namen „Gudrun" (hochdeutsch „Gundrun") trägt. Doch was sagte in den Grundzügen dies „Lied" aus, indem es eine ungewöhnliche Kunde gesteigerten Lebens in altgermanische Verse einfügte? Eine Vorgeschichte baut Möglichkeiten f ü r das Eintreten einer gespannten Lage auf. Siegfried ist als mächtiger Fremdling in eine Königsfamilie eingetreten, in der Gunther als ältester der Brüder führt. Die Brüder und ihre Schwester Grimhild erscheinen hier nicht
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I m V o r h o f der altdeutschen Literatur
als Burgunden, sondern als Kinder König Gibichs, als solche wohl (nach einem andeutenden Worte) der Königsfamilie der „Nibelungen" zugehörig. Siegfried verbindet sich durch Eide mit den Gibichsöhnen, zugleich auch durch Vermählung mit der Schwester der Könige. Seine erprobte Männlichkeit entscheidet, daß Gunther auf Werbefahrt die mächtige Brünhild gewinnt, mit der die zweite Trägerin eines „Hild"-Namens in das Geschehen eintritt. Damit sind wir vor dem Kerngeschehen angelangt, dessen Ablauf im Grundriß Jahrhunderten standhalten wird. J ä h entspringt es einem Dialog der beiden Frauen Grimhild und Brünhild. Die Frau Siegfrieds und die Frau Gunthers (die Schwester des Königs und die Gemahlin des Königs) ringen in einem weiblichen Urstreit um die Frage, wer nicht nur den vollbürtigsten, sondern auch den mächtigsten, in jedem Falle, wer den wertvollsten Mann hat. Der Dialog schließt in einer tödlichen Beleidigung ab. Indem Grimhild einen Ring vorzeigt, der einst vor der Werbefahrt Brünhild gehört hat, weist sie, ein Geheimnis preisgebend, der Gegnerin ein Doppeltes nach: Siegfried und nicht Gunther war derjenige, der auf der Werbefahrt Brünhild durch seine Macht zu Gunther hingezwungen hat; die Umworbene, die nach einem elementaren Empfinden dem echten Sieger, nämlich Siegfried gehört hätte, ist demnach an den schwächeren und darum geringwertigeren Mann gegeben worden. Die tief getroffene Brünhild rückt in zwielichtiger Rache, die nicht nur den Veranlassern ihrer Schmach, sondern vor allem auch Grimhild gilt, die Verhältnisse zurecht. Indem sie Siegfried des Eidbruchs bezichtigt, reizt sie Gunther, den mächtigen Schwager und Fremdling einem Morde auszuliefern. Diesen Mord kennzeichnet, daß Gunther den Eid, der ihn an Siegfried bindet, durch die Wahl des Täters umgeht. Nicht sicher, aber wahrscheinlich ist, daß Hagen, der Halbbruder oder Waffenmeister der Könige, die Tat ausführt, die ihm die im Norden überlieferte Fassung nicht zuteilt. Brünhild dürfte immer durch ein Bekenntnis, in dem sie Siegfried freispricht, Gunther, den Bruder
Spätgermanisches Dichten (Ein Ausblick)
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Grimhilds, in der Verantwortung f ü r Siegfrieds Tod festgehalten haben. Im Unentschiedenen liegt, ob sie sich nach dem Bekenntnis opfert oder im Abseitigen dahinschwindet. Wie aber auch der Ausgang gewesen sein mag, die Geschichte bleibt für zukünftige Phantasie offen, da die königlichen Schwurbrüder ungefährdet aus dem Unabwendbaren hervorgehen müssen. Denn als Namensträger waren sie sagenmäßig mit einem späteren Geschehen verbunden, in dem sich ihr Schicksal erfüllt. Damit sind wir bei dem zweiten Liedgehalt angelangt. Das zweite Beispiel: Die gleiche „Lieder-Edda" erzählt uns eine älteste „Atligeschichte". Ihr liegt voraus, daß sidi der Hunnenkönig „Atli-Attila" mit der Schwester der Gibichsöhne vermählt hat, die hier noch nicht an einen Siegfried gebunden ist, daher noch sagenmäßig gleichsam im Freien steht. Auch diesmal heißt sie im Norden wie in der „Sigurdgeschichte" „Gudrun" (hochdeutsch „Gundrun"), und wiederum wählen wir beim Ertasten eines alten südgermanischen Liedgrundrisses im Blick auf das Spätere den Namen „Grimhild"; diesmal mit besonderem Recht, weil ihr in dieser „Atligeschichte" von ihrem Ursprung ein „ H i l d " - N a m e zugekommen sein wird. U n d fast mit Sicherheit haben hier die Gibichsöhne mindestens in einem Teile der Uberlieferung den Königsnamen „Nibelungen" getragen. Zusätzlich sei uns gestattet, auch schon f ü r „AtliAttila" seinen späteren hochdeutschen N a m e n „Etzel" eintreten zu lassen. Wiederum hebt die H a n d l u n g mit einer Vorgeschichte an. Der Hunnenkönig ladet die Gibichsöhne mit Versprechungen ein. Aus der Ferne warnt die mit Etzel vermählte Schwester die Brüder. Der Halbbruder Hagen, Berater ohne letzte Verantwortung, spricht gegen die Fahrt. Aus dem „starken Mut" des Verantwortlichen der sich nichts vergibt, nimmt Gunther trotzdem die Einladung an. Das Kerngeschehen setzt ein. Am Hunnenhofe werden Gunther und Hagen gefangen. Hagen erst nach heißem Streit. Gunther soll frei-
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Im Vorhof der altdeutschen Literatur
stehen, durch Hergabe des „Nibelungenhortes", der auch „Nibelungenerbe" heißt, sein Leben zu erkaufen. Vor seiner Antwort verlangt er Hagens Herz, um durch den Tod des nicht voll verantwortlichen Waffengefährten ein Geheimnis gegen jede Gefahr der Bekanntgabe f ü r immer zu verschließen. Nach Hagens Tod verweigert er den Hunnen das im Rhein versenkte Nibelungenerbe, in der Gewißheit, daß es jetzt allein in seiner H u t ist. „Grimmgemut" kommt er, H a r f e spielend, in einem Schlangengehege um. Eine Nachgeschichte folgt, die an die Katastrophen griechischer Sagen und Tragödien erinnert. Grimhild rächt den Tod der Brüder an Etzel, dem eidbrüchigen Gemahl: „Sie läßt (wie es im Norden heißt) das Verhängte walten". Sie setzt Etzel die Herzen der beiden Söhne vor, sie erstickt den Trunkenen, und sie zündet die Halle an, ursprünglich wohl ihr Leben im Brande endend. Uns geht es hier weder um Sagenkunde noch um Sagengeschichte. Daher auch nicht um die Frage, wie sich das, was in das Buchwerk des ,Nibelungenliedes' nach alten Grundrissen eingebaut ist, zu jenen Liedgehalten verhält, die wir aus den ,Edda'-Liedern für zwei südgermanische Erzähllieder ertasten zu können glaubten. Uns lag nur daran, am ,Liede von Siegfrieds Tod' und am ,Liede vom Untergang der Nibelungen' (an zwei Beispielen, die auch f ü r Späteres nützlich sind) Aufbaumöglichkeiten solcher spätgermanisch-,, vorliterarischer" Erzähldichtungen erkennbar zu machen. Trotzdem müssen wir mindestens im Ungefähren bestimmen, wann diese Liedgehalte in dei uns greifbaren Fassung zufrühst entstanden sein werden. Denn erst dann, wenn eine Schöpfung zu uns aus ihrer Zeit heraus spricht, offenbart sie sich dem, der um ihr Verständnis wirbt, als Ganzes. Dabei braudien wir die Frage nicht aufzuwerfen, ob diese beiden Lieder in sich nicht Grundrisse bergen, die schon aus Älterem, Archaischerem hergenommen sind. Das ,Lied vom Untergang der Nibelungen' setzt den Tod Attilas vom Jahre 453 voraus, es kann also nicht vor dem späteren 5. Jahr-
Spätgermanisches Dichten (Ein Ausblick)
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hundert seinen Weg angetreten haben. D a in ihm die Königsfamilie erscheint, die auch im ,Liede von Siegfrieds Tod' das Geschehen tragen hilft, obwohl beide Liedgehalte noch nicht wie später im ,Nibelungenliede' aufeinander bezogen sind, haben wir an jenen burgundischen König Gundihari zu denken, der im Jahre 438 in einem linksrheinischen Gebiete an unbekannter Stelle durch einen hunnischen Überfall mit seinem Anhang umkommt. Denn soviel auch im Dunkeln bleibt und immer bleiben wird, Siegfrieds Heldenname weist in eine nordrheinisch-fränkische Welt, die seit den Tagen des im Jahre 511 gestorbenen Chlodowech in die Unruhe der merowingischen Verhältnisse hineingezogen ist. Der Aufbau der Siegfrieddichtung, die einen Helden, der nicht im Kampfe fällt, in einen nahezu novellistischen Streit zwischen zwei Frauen stellt, wirkt ohnedies jung; mit der Merowingerwelt des 6. Jahrhunderts hat sie Atmosphärisches gemeinsam. Falls der Name der Merowingerkönigin Brunichild, jener spanisch-westgotischen Königstochter, die nach bewegtem Leben im Jahre 613 unter Foltern stirbt, in die uns zugängliche älteste Fassung des Siegfried-Liedes aufgenommen ist, könnte sie nicht vor dem frühen 7. Jahrhundert entstanden sein. Doch ist in Brunichilds Lebensgang nichts, was so in die „Geschichte von Siegfrieds Tod" als Anstoß hineinwirkt, wie in die ,Geschichte vom Ende der Nibelungen' der Tod des Burgunders Gundahari und des Hunnen Attila. In jedem Falle dürfen wir vermuten, daß die uns greifbare älteste Fassung vom Ende der burgundischen Nibelungen älter sein wird als die uns greifbare älteste Fassung vom Tode Siegfrieds. Doch erinnern wir uns wieder daran, warum wir diese beiden Erzähllieder wählten. Sie sollen uns in zwei M o d e l l f ä l l e n die eigenwertigste Gattung jenes „vorliterarischen" Dichtens ins Gesichtsfeld rücken, die aus spätgermanischer Zeit als „unterliterarische" Gattung des Dichtens durch Unbekannte in das höhere und spätere Mittelalter hinübergetragen wird. Das Spätgermanische in dem hier gemeinten Sinne umspannt in
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Im Vorhof der altdeutschen Literatur
den uns hier allein angehenden südgermanischen Bereichen eine Zeit, die etwa vom späten 4. Jahrhundert, in dem die Hunnen über die Wolga brechen, bis zum frühen 8. Jahrhundert reicht, in dem die fränkische Merowingerzeit ausläuft. Doch hört die schöpferische Epoche, in der solche Erzähllieder germanischen Charakters aufsteigen, um das Jahr 600 auf: Der Langobardenkönig Albwin (an der Macht von 568 bis 573) und der Hildebrand des Hildebrandsliedes sind die letzten Gestalten des germanischen Südens, die noch in eine heroische Welt alten Stiles eingehen. Damit ist freilich noch nicht genug für all die Jahrhunderte gesagt, in denen diese Erzähllieder entstehen und in freiem Vortrag mehr oder minder unverändert weitergetragen werden. Die weit auseinandergezogenen germanischen Stammeseinheiten sind zwar längst dabei, sich bis ins Sprachliche auseinanderzuleben, indem sie sich in verschiedener Weise mit den spätantiken Bildungswelten auseinandersetzen. Auch sind sie so gut wie alle mindestens in ihren führenden Schichten f ü r das Christentum aufgeschlossen. Ich erinnere nur an den Franken Chlodowedi (482—511) und den Ostgoten Theoderidi (471—526). Gleichwohl verbindet sie noch eine gemeinsame Weltsicht, wenn sie erlebte Geschichte in „Sage" umdichten: in „Sage", die aus der Kraft gebundener Rede, das Dasein deutend, über die Nöte des Alltags hinaushebt. Sie stellen daher in ihren „unterliterarischen" Erzählliedern geformte Gehalte von Dichtung f ü r jene Stammeswelten bereit, aus denen sich unter geschichtlichen Bedingungen eine deutsche Sprachwelt literarischer Prägung aufbauen wird. Wie von selbst kommt nunmehr auf uns die Frage zu, was diese „vorliterarische" Dichtungen spätgermanischer Jahrhunderte auszeichnet, gleichgültig ob sie später auf deutschsprachigen Feldern in Buchdichtungen (wie etwa im Nibelungenlied) als Grundrisse eingesetzt werden oder nicht. In der Antwort auf diese Frage begnügen wir uns mit wenigen vereinfachenden Feststellungen. Diese spätgermanischen Dichtungen sind in einer gesteigerten
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Das Wort „deutsch"
Sprache von Tradition in Stabreimverse eingefügt, deren Eigenes uns noch beschäftigen soll. An ausgezeichneten Stellen öffnet sich das Kerngeschehen in Dialogszenen; die innere H a n d l u n g w i r d daher stärker als die äußere H a n d l u n g belichtet. Was die Geschichten meinen, wird nicht erklärend ausgebreitet, sondern nur im Ablauf der H a n d l u n g versinnlicht. Ein unruhiges H a l b d u n k e l w i r k t auf die Einbildungskraft des Hörers. In den ethischen Entscheidungen sind innere und äußere Ehre u n t r e n n b a r miteinander verwoben; auf ihren H ö h e n liebt diese Dichtungsart, in tragische Ausgänge zu treiben. U m das Gattungsmäßige zu bezeichnen, hat man sich angew ö h n t von „Heldenliedern" zu sprechen, indem man f ü r die H a n d lungsträger ein K e n n w o r t verwendet, das in altdeutscher Zeit den hervorragenden M a n n schlechthin bezeichnet, in neuerer Zeit mit archaischem Klange den, der sich handelnd im Kernzug eines Geschehens bewegt. M a n darf sich jedoch durch diesen Sprachgebrauch nicht verdecken lassen, d a ß diese spätgermanischen „Erzähllieder" bei ihrem Entstehen mit Vorzug das unruhige u n d gefährliche D a sein einer Adelsgesellschaft sinngebend überhöhen wollen. Auch die schaffenden oder vermittelnden Sänger werden in spätgermanischer Zeit noch fast durchgehend dieser Gesellschaftsschicht angehören. M a n darf wohl annehmen, d a ß die Versreden dieser Lieder in einer A r t Sprechgesang vorgetragen wurden.
2. D a s W o r t
„deutsch"
Als eine ausgesprochen literarische Dichtung einsetzt, lebt dieses „vorliterarische" Erbe im Bereich des „Unterliterarischen" weiter, um nur gelegentlich in gewandelter Gestalt nach oben zu dringen. D a m i t stehen wir vor der Frage, w a n n
denn eigentlich die „Ge-
schichte der deutschen L i t e r a t u r " anhebt. Eine grundlegende Antw o r t liegt in der V o r f r a g e bereit, seit w a n n wir auf eine uns zugängliche literarische Sprache das W o r t „deutsch" anwenden dürfen.
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Im V o r h o f d e r altdeutschen L i t e r a t u r
Denn wir haben das Glück, auf der Suche nadi dem zeitlichen und örtlichen Ursprung des Wortes, „deutsch" von einem festen Punkt ausgehen zu können. Im Jahre 788 wird der Bayernherzog Tassilo, der Schwiegersohn des Langobardenkönigs Desiderius, auf einem Tag zu Ingelheim verurteilt, auf dem nicht nur die Franken, sondern auch die dem Frankenreich eingegliederten Bayern, Langobarden und Sachsen vertreten sind. Für den Beschluß greift man aus fränkischer Sicht darauf zurück, daß der Herzog im Jahre 763 König Pippin auf einem gegen Aquitanien gerichteten Feldzug verlassen hat. Von diesem Vorfall heißt es, er werde in der tbeodisca lingua (in der „deutschen Sprache") harisliz („Heereszerspleißung") genannt. Dieser Satz spricht mit urkundlicher Bestimmtheit die Sprache der beteiligten „Stämme" über alle lautlichen Spannungen hinweg in dem mit lateinischer Endung versehenen Eigenschaftswort theodisk als Einheit an. Wir müssen einen Augenblick bei diesem bedeutungsvollen Zeugnis verweilen. Das Eigenschaftswort theodisk ist zu einem Stammwort gebildet, das in der Form diet nach dem 13. Jahrhundert verschwindet, soweit es sich nicht in Personennamen wie Dietrich hält, und ursprünglich einen landsmannschaftlichen Geschlechterverband (eine gens) bezeichnet. Es sagt daher von einer Sprache aus, daß sie ihren Sprechern im Unterschied von anderen Sprachen als heimische Sprache (als propria lingua) zugehört. Durch den Vokalklang der Stammsilbe verrät es seine Herkunft. Denn die neuzeitliche Form „deutsch" (plattdeutsch „dütsch") geht auf die altdeutsche Form thiudisk zurück; die altdeutsche Form theodisk müßte neudeutsch in der Form „dietsch" erscheinen, die in der Form dietsk f ü r das mittelalterliche Flandern und Brabant charakteristisch ist. Die westlich-fränkische Form theodisk weist uns daher auf jene fränkische Reichsmacht hin, die der jugendliche Chlodowech im Jahre 486 als germanisch-romanische Lebenseinheit begründet, als er die letzte „römische" Statthalterschaft beseitigt, und die er festigt, als er vor
Das W o r t „deutsch"
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dem J a h r e 500 zum „römischen" Christentum übertritt. Schon im 7. J a h r h u n d e r t dürfte in Nordostfrankreich jene Auseinandersetzung zwischen frühromanischem u n d germanisch-fränkischem Sprechen begonnen haben, die dazu f ü h r t , d a ß durch einen zunächst fließenden Grenzbereich zwei Sprachen entstehen. Auf diese Entwicklung m u ß t e zugunsten des germanisch-fränkischen Sprechens einwirken, d a ß der „Hausmeier" Austriens („Ostfrankens") Pippin der Mittlere, Sproß eines im westlichen Eifelgebiet begüterten Geschlechts, im J a h r e 687 das ganze Frankenreich seiner Verwaltung zuordnet. Dieser Erfolg erweitert sich, als Pippin I I I . im J a h r e 751/52 mit Zustimmung des Papstes zum König der Frankern (rex
Francorum)
erhoben wird. Wir dürfen hinzufügen, d a ß dort, w o sich die im Westen eingesiedelten Franken in ihrer altheimischen Sprache bed r o h t fühlen, spätestens im früheren 8. J a h r h u n d e r t das Eigenschaftswort theodisk a u f k o m m t , um die angestammte Sprache gegenüber dem Romanischen des Westens und dem literarischen Latein der Gelehrten abzuheben. Nach diesem Ausflug in Sprachverhältnisse der ausgehenden Merowingerzeit kehren wir in das spätere 8. J a h r h u n d e r t des Ingelheimer Tages zurück, das f ü r das Anlaufen der europäischen Geschichte entscheidend wird. König Karl, der Sohn Pippins III., der seit dem Jahre 771 allein regiert, zieht das ober- und mittelitalische Langobardenreich an seine Person heran, er gliedert die bis dahin heidnischen Sachsen dem Frankenreiche ein u n d beseitigt die bayrische Selbständigkeit. Im Zuge dieser Politik verlegt er die Mitte des fränkischen Reiches von der Seine u n d Aisne weg nach Aachen, w o eine neue Palastkirche vor der J a h r h u n d e r t w e n d e begonnen und im J a h r e 805 geweiht wird. U n t e r ihm ist nahezu der Z w a n g da, f ü r den östlichen Teil des Frankenreiches einen Ausdruck zu haben, der alle einst spätgermanischen Einheiten verbindet, deren Glieder nicht romanisch sprechen. Indem sich f ü r amtlichen Sprachgebrauch die kanzleimäßige Mischbildung theodiscus („heimisch — eigen") im
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Im Vorhof der altdeutschen Literatur
Blick auf die Sprache anbietet, bekundet sich, d a ß dies W o r t längst in den politischen Mittelpunkten des Frankenreiches a n e r k a n n t ist. Das Ergebnis: U m das J a h r 800 ist der Weg f ü r ein literarisches Sprechen frei, das trotz stammestümlich-landschaftlicher
Unter-
schiede gegenüber westlich-romanischer Umgangssprache u n d vor allem auch gegenüber spätlateinischer Gelehrtensprache aus geschichtlichem Recht S p r a c h e
deutscher
Literatur
ge-
n a n n t werden darf. Wir vergessen dabei nicht, d a ß sich Karls Reich von dem durch die spanische M a r k gesicherten Gallien über das vom Rhein durchflossene fränkisch-alemannische Gebiet bis an die sächsische u n d thüringische Ostgrenze und die Ostgrenze von K ä r n t e n und K r a i n hinzieht, auch bis nach Mittelitalien über R o m weg hinausdehnt. Als sodann K a r l am Weihnachtstag des Jahres 800, bis dahin rex Francorum
et Langobardorum
zum imperator
(„Kaiser") des „römischen Reiches" erhöht wird,
überraschend durch den Papst
rückt er sinnfällig in ein universal-religiöses A m t ein, das er im Frankenreich längst angetreten hat. U n d als vollends im J a h r e 812 der oströmische „Basileus" von B y z a n z aus den weströmischen imperator
anerkennt, ist auf fränkischer Grundlage eine geistige Ein-
heit vorbereitet, die sich als europäisches A b e n d l a n d über der spätantik-christlichen Welt lateinischer Sprache entfalten k a n n . Die Folgerung zieht sich von selbst: I m Machtbereich Karls ist z w a r die deutsche Sprachwelt, die sich aus spätgermanisch-vorliterarischen Sprachwelten ausgliedert, eine locker gefügte Teilwelt, deren Sonderleben nur bedingt in das Politische ausgreift. Gleichwohl ist das Entstehen von Sprachschöpfungen, in denen die „deutsche Literatur" seit der Zeit um 800 ihr V o r s p i e l hat, nicht a n die Vorgänge gebunden, in denen sich im 9. J a h r h u n d e r t die karolingische Welt auflöst. D e n n Deutschland wie Frankreich sind bereits als gesonderte Sprachbereiche in dem germanisch-romanischen Reiche Karls angelegt. Indem K a r l die germanischen Einheiten des Festlandes an die fränkisch-alemannischen Rheinlande heranzwingt und seiner
Voraussetzung der deutschen Literatur
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Kulturpolitik einordnet, erhält der durch spätgermanische Volkssprachen bestimmte Ostteil ein Eigengewicht, das in ihm eine literarische Eigenwelt ermöglicht. D a ß aber dann wirklich eine locker gestreute f r ü h d e u t s c h e L i t e r a t u r auf dem Pergament erscheint, hat noch eine besondere Voraussetzung. Sie darf schon deshalb nicht übersehen werden, weil sie auf Jahrhunderte bis in die neuere Zeit nachgewirkt hat.
3. V o r a u s s e t z u n g e n
der
deutschen
Literatur
Nochmals haben wir von dem auszugehen, was Literatur zur Literatur macht. Sprachkunst, die im strengen Sinne Literatur ist, verlangt mit ihrem Entstehen nach der Schrift, die ihr Dauer verbürgt. Gleichgültig, ob der Schöpfer solcher Sprachkunst schreiben kann oder nicht, das Geschaffene muß durch einen Gelehrten oder Halbgelehrten festgehalten oder vermittelt werden, der im Verschriften von Sprache geübt ist. Das Wort Verschriften soll hier ausdrücken, daß zum Schreiben mehr gehört als einzelne Buchstaben auf Pergament oder Papier zu setzen: Gegliederte Klanggefüge von Sprache (Wortgefüge und Satzgefüge) wollen aufgenommen und verfestigt sein. Was heißt dies aber f ü r die literarischen Anfänge der karolingischen Zeit, in der alles heimische Sprechen so gut wie durchgehend ein „vorliterarisches" Leben hat? Die Antwort lautet: Literatur als Sprachkunst kann damals nur von Stellen ausstrahlen, an denen l i t e r a r i s c h e T r a d i t i o n e n gepflegt werden. So meldet sich die Frage, wo es in und vor der karolingischen Zeit Stellen literarischer Traditionen gibt. Für eine Antwort erinnern wir uns daran, was innerhalb des römischen Imperiums konstantinischer Prägung geschieht, als im 5. und 6. Jahrhundert vor allem durdi die Vorstöße der Ostgoten, Franken und Langobarden die lateinisch-weströmische Welt aufhört, ein politisches Machtgebilde zu sein. In diesen Zeiten, in denen sich Bestehendes auflöst, weil jede
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I m Vorhof der altdeutschen Literatur
bindende K r a f t fehlt, sind es mit Vorzug die Bischofssitze und zunehmend neben und mit ihnen die Klöster, die in lateinischer Sprache literarische Traditionen erhalten. Selbstverständlich führt an diesen Stellen ein Schrifttum, in dem sich die christlich-kirchliche Welt ausspricht. Ebenso selbstverständlich ist, daß das, was an vorchristlicher Philosophie, Dichtung und Historie in Auswahl mitgetragen wird, auf lateinisches Schrifttum beschränkt bleibt. Der T y p u s des Schriftkundigen und damit des literarisch Gebildeten stellt sich daher für Jahrhunderte im L a t e i n k e n n e r
d a r : im Kleriker jeder Art,
vor allem aber im gelehrten Mönch. Auch hat für Jahrhunderte an literarischen Traditionen nur teil, wer durch eine Stifts- oder Klosterschule gegangen ist oder den Kleriker als helfenden Schriftkenner (als Vorleser oder Schreiber) an sich heranzieht. Insoweit hat alles Schrifttum älterer Zeit, auch das Schrifttum, das nicht in lateinischer, sondern in heimischer Sprache verfaßt ist, unmittelbar oder mittelbar mit der Stifts- oder Klosterschule zu tun. Diese T a t sache hat aber über die ältere Zeit hinaus eine zusätzliche Bedeutung, die man nicht übersehen sollte. Die Klosterschule ist die Urzelle jener gelehrten Arbeit, die sich später unter geschichtlich veränderten Verhältnissen in den Universitäten und in dem von ihnen abgeleiteten Schulwesen ausbreitet. Dies hat eine doppelte Folge. Bis in die neueren Zeiten hat das schriftsprachliche Latein als Hochsprache westeuropäischer Gelehrsamkeit bei allem Wandel der Vorbilder im Bereich des Literarischen sprachbildenden Einfluß. U n d alle schriftsprachliche Kunst der Rede und so auch alles schriftsprachliche Dichten weist selbst dort, wo es sich in heimischer Sprache vollzieht, auf schulmäßig-akademische Ursprünge und Traditionen zurück, ob es will oder nicht. Weil dem so ist, sollten wir darauf achten, wann und wo in Aussagen heimischer Dichtersprache die K r a f t lebendiger Rede im schriftlich Festgelegten durchschlägt. D a s eindrucksvollste Beispiel wird uns in Luthers Bibelsprache begegnen. Mit Absicht wird hier Zukünftiges in Andeutungen vorausgenom-
Voraussetzungen der deutschen Literatur
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men, die sich zu ihrer Zeit bewähren sollen. Vorerst aber haben wir uns in Merksätzen jener kulturgeschichtlichen Bedingungen zu versichern, unter denen die altdeutsche Literatur (wie auch die von Deutschen verfaßte poetische Literatur lateinischer Sprache) auf den Weg gekommen ist. Um das zu können, müssen wir weiter in die Vergangenheit zurück, als im ersten Eindruck notwendig erscheinen mag. Es lohnt sich jedoch, wenn wir schon jetzt in rückwärts gewandter, überfliegender Betrachtung an geistige Quellen der karolingischen Klosterliteratur herangehen, — jener Klosterliteratur, von der aus sich die abendländische Gelehrsamkeit und das abendländische Kunstwollen auf den Weg macht. Dem widerspricht nicht, daß sich schließlich alles, was zur Kulturlage des späten 8. und frühen 9. Jahrhunderts zu sagen ist, um die Person Karls des Großen sammelt, der sich wirklich durch seine Lebenskraft, seine geistige Spannweite und die Gunst der geschichtlichen Umstände, Jahrhunderte überragend, seinen Beinamen verdient hat. Es ist nun einmal Tatsache, daß die deutsche Literatur in ihren Anfängen aus der geistigen Welt hervorgeht, die sich in der Spätantike als römischchristliche Welt entwickelt hat. In diesem unangefochtenen geistigen Besitz vereinen sich kirchlich gebundene Gelehrsamkeit, die sich auf die Bibel gründet, und künstlerischer Wille, der das Gefühlte und Gedachte in Klang und Bild zu vergegenwärtigen sucht. U m Vorstellungen zu erwecken, die den Aufbau dieser auf Tradition gestellten Welt belichten, muß genügen, einige N a m e n von Rang in ihrer geschichtlichen Umwelt erscheinen zu lassen. Wir beschreiten schon deshalb damit keinen Umweg, weil diese N a m e n uns bei späterer Begegnung an Bekanntes erinnern sollen. Kein anderer kann in diesem Zusammenhang so unbestritten nach vorn gestellt werden als der leidenschaftliche Theologe und Denker, der am Ende der Römerzeit das Ganze der geistigen Welt verwandelt, zugleich einer neuen Welt f ü r alle theologische und philosophische Arbeit bis in das 13. Jahrhundert hinein den Grund legt 2
Neumann, Literatur
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Im Vorhof der altdeutschen Literatur
und persönliches Dasein durch die Art der Aussagen in einer bis dahin kaum je erreichten Erlebnistiefe vorlebt: A u r e l i u s A u g u s t i n u s , geboren 354 im nordafrikanischen Numidien, dort als Bischof von H i p p o im Sommer 430 gestorben, während die Wandalen Geiserichs die Stadt belagern. Aus seinem Gesamtwerk sei hier nur die unter dem Titel De civitate Dei („Der Gottesstaat") veröffentlichte Geschichtsphilosophie herausgehoben, die er als Verteidiger des Christentums zwischen den Jahren 412 und 426 verfaßt hat, veranlaßt durch die seelische Erschütterung, die in der Römerzeit eintritt, als der Westgote Alarich im Sommer 410 in Rom eindringt: In einer auf die Endzeit bezogenen Betrachtung der Weltgeschichte enthüllt sich ihm, wie sich die civitas Dei und die terrena civitas („die von Gott erfüllte, dem Überzeitlichen zugewandte Gemeinde und das ihr entgegengesetzte Weltwesen") zueinander verhalten. Augustin ist nicht der letzte Schreibende von Rang, in dem sich die lateinische Spätwelt der christlichen Antike regt. Aber ehe wir zeitlich über ihn hinausgehen, müssen wir in das 4. Jahrhundert zurück, um eine neue Art von Liedkunst an ihrem Beginn aufzunehmen. Wir stehen vor A m b r o s i u s , der 373 in Mailand, dem damaligen Sitz des weströmischen Kaisers, Bischof wird, 386/87 Augustin zum Christentum führt und 397 noch nicht 60-jährig stirbt. Seine machtvolle Erscheinung ist mit einem weitwirkenden Vorgang verbunden. Um 400 berichtet Augustin in seinen „Konfessionen", Ambrosius habe etwa im Jahre 386 „Hymnen und Psalmen" nach der Weise der östlichen Kirche singen lassen. N u r am Rande vermerken wir uns, daß der gallisch-römische Bischof H i l a r i u s v o n P o i t i e r s schon um 360 die Anregung zu hymnischer Lyrik aus dem kleinasiatischen Phrygien mitgebracht hat, in das er zeitweilig verbannt ist. Das f ü r uns Entscheidende bleibt: Bei Ambrosius fassen wir echten Gemeindegesang. Im Kultraum der Kirche erklingt jetzt eine Folge knapper gleichgebauter
Voraussetzungen der deutschen Literatur
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Liedstrophen, die sich in ihrer Sprache gegenüber der Sprache altlateinischer Lyrik durch so etwas wie Seelenton auszeichnen. In den f ü r Ambrosius bezeugten Hymnen bildet sich die Strophe aus vier Achtsilbern, die der regelmäßige Wechsel von vier Hebungen gliedert: Deus, Creator omnium Polique rector, vestiens Diem decoro lumine Noctem soporis gratia („Gott, Schöpfer aller Dinge und Lenker der Weltachse, der Du den Tag mit glänzendem Licht bekleidest, die Nacht mit der Gnade tiefen Schlafs, . . .").
Spürbar entfernt sich ein solches Versgefüge von der Lyrik des griechisch-römischen Altertums. Zwar ist noch eine gewisse Nähe zum Versbau der Vergangenheit da: N u r zufällig treten Endreime auf, die Quantität (die Länge oder Kürze) der Silben wird beachtet, f ü r die im Volkslatein längst das Gefühl dahinschwindet. Aber zukunftsträchtig ist in der „Hymnus" genannten Liedform eine neue, kultisch bestimmte Klangbewegung entstanden. Im Jahre 489 bricht in oströmischem Auftrag der arianische Ostgote Theoderich, den die Sage Dietrich von Bern (Verona) nennt, von Osten her in Norditalien ein, im Jahre 493 beseitigt er den in Ravenna sitzenden Skiren O d o w a k a r , der sich im Jahre 476 zum Statthalter des oströmischen Kaisers gemacht hat. In einer Zeit des Ubergangs verlieren sich auch f ü r Italien letzte römische Lebensbedingungen. B o e t h i u s , der einer römischen Senatsfamilie entstammt, steigt jung in der inneren Verwaltung des Gotenreiches auf, wird aber schon 524 hingerichtet, als die weströmische Welt beginnt, nach Byzanz hinzusehen. Trotz verhältnismäßig kurzer Lebenszeit übersetzt und erläutert er wichtige Teile der aristotelischen Logik; dadurch vermittelt er über das 12. Jahrhundert hinaus die Logik (die Dialektik) als wissenschaftliches Verfahren der mittelalterlichen Denkarbeit. Durch das in der H a f t geschriebene Dialogwerk De consolatione philosophiae („Trost durch die Philosophie"), in dem 2*
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Im Vorhof der altdeutschen Literatur
sich der Autor von einem christlich gelenkten Piatonismus beraten läßt und in dem Gedankenlyrik die Prosa unterbricht, schafft er dem Mittelalter ein weit verbreitetes philosophisches Erbauungsbuch, das sich zugleich als Stilmuster empfiehlt, — ein unvergänglicher Abschiedsgruß des versinkenden Altertums an eine neue Welt. Anderen Geistes ist der wohl gleichaltrige Umbrer B e n e d i k t v o n N u r s i a (Norcia). Er vertauscht früh das sinkende Rom mit einer Einsiedelei und gründet 529 im nördlichen Kampanien ein Kloster auf dem Monte Cassino, wo er im Schlußteil des von Byzanz geführten Gotenkrieges etwa 547 stirbt. Die von ihm nach Vorbildern entworfene Regula monachorum zeichnet sich durch die Besonnenheit aus, mit der sie das Klosterleben in der Verbindung von Askese und Arbeit ordnet und den Mönch zur Zucht anleitet. Wägende Klugheit läßt in einer verwilderten Welt aus römischem Erbe eine Satzung entstehen, die durch die Sicherheit ihrer Aussage in die Zukunft wirken kann. Von selbst schließt sich hier C a s s i o d o r u s S e n a t o r an, der jung Sekretär Theoderichs wird, später dessen m a g i s t e r o f f i c i o r u m (Leiter der Verwaltung) und auch nach dem Jahre 526, dem Todesjahre Theoderichs, bis etwa zum Jahre 540 f ü r die Goten tätig ist. Vor dem Zusammenbruch der gotisch-römischen Welt gründet er in seiner süditalienischen Heimat (am Südende der heutigen Provinz Calabrien) das nach Fischteichen genannte Kloster V i v a r i u m , wo er hochbetagt etwa im letzten Drittel des 6. Jahrhunderts stirbt. So sehr wir den Verlust seiner „Gotischen Geschichte" zu bedauern haben, seine Bedeutung liegt in den Institutiones divinarum et saecularium litterarum (in den „Anweisungen für geistliche und weltliche Studien"). Sie haben geholfen, der Klosterwelt der Benedektiner die „gelehrte" Arbeit einzufügen. Auf dem Boden Italiens schwindet die antike Bildungswelt in der allgemeinen Auflösung, die 535 mit dem Gotenkrieg voll einsetzt. Man spürt es schon in der Regula Benedikts von Nursia. Deutlich wird es nach dem Tode Cassiodors an der Gestalt G r e g o r s I.,
Voraussetzungen der deutschen Literatur
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der in jenes zerklüftete Italien hineinwächst, das im Jahre 568 durch den Einbruch der damals noch arianischen Langobarden entsteht. Wie Boethius entstammt er einer Senatsfamilie. Aber so sehr er aus den Werken Augustins lebt, bis in die Sprache hinein hat in dem von praktischer Vernunft geleiteten Manne das Altertum aufgehört. Dem Mönchtum zugetan und als Papst (590—604) unbestrittene Autorität in der weströmischen Welt wirkt er über seine Zeit hinaus als Theologe: nicht zum wenigsten in seinem Kommentar zum Buche Hiob (den Moralia in Job) durch allegorische Betrachtung und moraltheologische Unterweisung. Zu seinem Einfluß gehört, daß die Benediktinerregel im 7. Jahrhundert im Frankenreich einzieht; d a ß er nach Norden hin in das angelsächsische Britannien hineinfühlt, wird uns gleich beschäftigen. Doch regt sich außerhalb Italiens noch einmal „gelehrte" Tradition, die bis tief in die römische Kaiserzeit zurückreicht. Nachdem die Westgoten ihr südgallisches tolosanisches Reich im Jahre 507 fast ganz an Chlodowech verloren haben, halten sie sich in Spanien. Dort romanisieren sie sich schnell, als mit dem späten 6. Jahrhundert das Arianertum allgemein aufgegeben ist. Der schon ganz spanisch-gotisch empfindende Romane I s i d o r v o n S e v i l l a , Bischof seit der Jahrhundertwende, gestorben wohl 636, trägt in letzter Stunde aus großer Belesenheit zusammen, was in geistlicher und weltlicher Gelehrsamkeit der lateinischen Spätantike behandelt wird. Bezeichnend f ü r seine Arbeitsart ist ein Handbuch, dessen zwanzig Bücher das damals zugängliche Gesamtwissen aufnehmen: Etymologiae („Herleitungen" von Wörtern und Sachen), auch Origines genannt. Die Schriften Isidors von Sevilla sind bis in das 12. Jahrhundert aus der Vorstellungswelt der Folgezeit nicht wegzudenken. Mit ihnen verlassen wir vorerst die romanisch werdenden Mittelmeergebiete. Aber noch immer nicht ist uns der literarische Denkraum der Karolingerzeit in seinem ganzen Umfang geöffnet. Wir müssen vielmehr einen Umweg über die Welt der Inselkelten und der ihnen benachbarten Angelsachsen nehmen,
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I m V o r h o f der altdeutschen Literatur
einen Umweg, der kein Umweg ist, weil er uns mitten in das großfränkische 8. Jahrhundert hineinführt. Das Frankenreich der Merowinger, das sich unter Chlodowech und seinen Nachfolgern weitet, erscheint dem, der aus der Ferne sieht, als ein Chaos ungehemmter Machtkämpfe. Das Leben ist ins Triebhafte enthemmt. Denn die spätrömischen wie die altgermanischen Lebensordnungen verlieren ihre zügelnde Macht, als die geschichtlichen Bedingungen schwinden, unter denen sie entstanden sind. Unter diesen Verhältnissen verstärkt sich der Einfluß eines Mönchtums, das sich in strengster Askese unter der Pflicht des Gehorsams von der Umwelt absetzt. Indem es antreibt, aus Selbstprüfung Zucht zu üben, wird in ihm auf elementare Weise die Macht des Geistigen selbständig. C o 1 u m b a n , ein Ire von herrscherlicher Würde, lebt solch asketisches Leben am unerbittlichsten vor. Die mit Phantasie begabten, keltisch sprechenden Iren haben nie dem römischen Imperium angehört. Das Christentum, auf der abgesondert liegenden Insel seit dem frühen 5. Jahrhundert wirksam, nimmt daher bei ihnen eine eigene Entwicklung, die unter anderem kennzeichnet, daß man noch im 9. Jahrhundert in Klosterschulen griechisch lesen kann. Das Bestimmende wird aber, daß eine Mönchskirche die vorchristliche Lebensordnung verwandelt. Columban, erzogen in dem nordirischen Kloster Banchor, kommt ausgereift im späteren 6. Jahrhundert als Wandermönch ins Frankenreich. Noch vor dem Jahre 600 hält er im Bereiche des burgundischen Bistums Besançon an und baut dort drei Klöster auf. Als er im Jahre 610 im Widerstand gegen Königin Brunichild weichen muß, erreicht er über das Bodenseegebiet hin das langobardische Oberitalien, wo er südlich Pavia in dem von ihm gegründeten Kloster Bobbio im Jahre 615 stirbt. Was die inselkeltischen Mönche, die man auf dem Festlande nach einem ursprünglich nordirischen Stamme „Schotten" nennt, über das damalige festländische Mönchtum heraushebt, ist ihre über das Kloster hinausgreifende missionierende Kraft. Dauer
Voraussetzungen der deutschen Literatur
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hat freilich ihren Gründungen erst die Benediktinerregel gegeben, durch die sie zu geschlossenen Gemeinschaften von Tradition werden. So geschieht es auch, um ein Beispiel aus dem Gebiet der theodisca lingua anzuführen, mit der Zelle des Columbanschülers G a l l u s , der sich am Anfang des 7. Jahrhunderts südlich des Bodensees festsetzt. Aber das erregende und antreibende Christentum der Schottenmönche ist so wenig aus der geistigen Entwicklung der europäischen Frühzeit wegzudenken wie später der Einfluß der phantastischen keltischen Heldenmärchen aus der Entwicklung jener hochmittelalterlichen Erzählwelt, die sich um den Sagenkönig Artus sammelt. Das keltische Christentum ist zunächst machtlos, als seit der Mitte des 5. Jahrhunderts die heidnischen Angelsachsen beginnen, vom Festland her in Britannien einzuziehen. D a ß die Angelsachsen trotzdem vom Anfang des 8. Jahrhunderts an im Frankenreich zu einer missionierenden Bildungsmacht werden, verlangt nach einer kurzen geschichtlichen Begründung. Die germanischen Besiedler Britanniens kommen etwa im Zeitraum eines Jahrhunderts aus dem schleswigholsteinischen Gebiet und aus dem Küstenraum, der sich zwischen Elbe- und Rheinmündung dehnt; die keltischen Briten werden mit nachlassendem Druck nach dem Westen der Insel abgedrängt oder finden eine neue Heimat auf der nach ihnen benannten Bretagne. Eine erste christliche Mission von gestaltendem Erfolg erreicht schon kurz vor dem Jahre 600 unter dem Papst Gregor I. mit fränkischer Unterstützung von Rom aus den angelsächsischen Inselbereich. Aber schwere Rückschläge treten ein, und in ihrer Folge kann sich das irisch-keltische Mönchtum einen nachhaltigen Einfluß sichern, der den späteren Missionstrieb angelsächsischer Christen erklären mag. Als jedoch die Bekehrung der Angelsachsen im späteren 7. Jahrhundert abschließt, ist die angelsächsische Welt als ein Gebilde eigenen Lebens eng mit Rom verbunden. Die Macht, die von einer Erscheinung geistigen Lebens ausstrahlt, ist immer mehr als die Summe der
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Im V o r h o f der altdeutschen L i t e r a t u r
Kräfte, die sich in ihr unter geschichtlichen Bedingungen gemischt haben. Gleichwohl kommt man in die Nähe ihres Geheimnisses, wenn man diese Kräfte zu sondern sucht. Es wirken hier zusammen die Kraft der Bekehrten, die sich im Widerstand gesteigert hat, die Kraft irisch-schottischen Mönchtums, das in Askese seinen Glauben bewährt, und die Kraft römisch-kirchlicher Ordnung, durch die ein zerspaltenes Land unter eine übergreifende Einheit gestellt wird. Was in der Verbindung dieser Kräfte möglich ist, zeigt in weitgespannter Leistung ein bedeutender Mönch, mit dem in einem strengeren Sinne als mit Isidor von Sevilla das Gelehrtentum des europäischen Mittelalters einsetzt: B e d a
Venerabiiis,
ge-
boren in Northumbrien 672, gestorben 735 nach einem in der Heimat verbrachten Klosterleben, Zeitgenosse des Arnulfingers Pippin II., der seit 687 das gesamte Frankenreich als Hausmeier verwaltet, und Zeitgenosse von dessen Sohn Karl Martell (714 bis 741), der 732 die Araber abwehrt, als sie über die Pyrenäen nach Gallien einfallen. Schriftsteller in einem zeitbedingten Latein, trägt er spätantike Gelehrsamkeit in Zusammenstellungen von Wert weiter, schreibt er in einer musterhaften Chronik die Kirchengeschichte Englands, erklärt er in überkommener Weise allegorisch und moralisch biblische Bücher. Zu dieser Entwicklung will beachtet sein, daß sich die auf Rom bezogene Mönchskultur der Angelsachsen in einem Lande entwikkelt, in dem es kein Fortleben von Volkslatein und daher keine romanische Sprachschicht gibt. Daraus dürfte sich im Zusammenhang mit der Insellage eine Besonderheit der angelsächsischen Welt erklären, deren Kenntnis wir beim Betrachten karolingischer Literatur brauchen. Die angelsächsische Klosterkultur treibt im Zusammenhalt mit dem angelsächsischen Hofleben zu Schriftwerken an, die Geistliches und Weltliches in einem germanischen Versbau der angelsächsisch-heimischen Sprache anvertrauen. Zwei Hinweise müssen genügen, um zu erläutern, was gemeint ist.
Voraussetzungen der deutschen Literatur
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Der erste Hinweis: Beda berichtet in seiner Kirchengeschichte, im späten 7. Jahrhundert werde der ungelehrte Angle C ä d m o n , der sich keinen Liedvortrag zutraut, im Traum durch eine Stimme aufgerufen, Gottes Macht zu loben. Das Wunder geschieht, Cädmon wird fähig, den Gang der Heilsgeschichte, die ihm gelehrte Männer erzählen, in heimischer Verssprache darzustellen. Zwar fügt diesem Bericht Bedas, den wir uns f ü r später merken müssen, das Traumwunder einen legendenhaften Zug ein. Doch bürgt Beda dafür, daß Cädmon in jener Zeit eine der Heilsgeschichte zugewandte geistliche Epik eingeleitet hat, deren Sprachstil der stabende Vers und mit ihm die unterliterarische Tradition heimischer Dichtung bestimmen. Für Cädmon sind uns übrigens nur wenige Verse gesichert, die den schaffenden „Himmelswart" preisen. Unter dem uns Überlieferten steht im Grundbestand am nächsten bei Cädmons Art des Dichtens eine sachgerechte Bearbeitung der „Genesis", die von der Schöpfung bis zum Opfer Abrahams reicht. Der zweite Hinweis: In das 8. Jahrhundert gehört wohl auch, und zwar wohl schon in dessen erste Hälfte, das weite großepische Vers werk „Beowulf", durch das „unterliterarische" Liedkunst, im Gleichlauf zu geistlicher Epik literarisch umgestaltet, auf das Pergament kommt, in streng anglischer Umwelt eine Zufälligkeit ohne Nachfolge. Der Gaute Beowulf befreit Dänen von einem Sumpfdämon, dem Ungeheuer Grendel, und am nächsten Tage von dessen nicht minder gefährlicher Mutter. Der alt gewordene Beowulf überwindet als Gautenkönig mit Hilfe seines ihm versippten Gefolgsmannes Wiglaf einen Drachen, der in einer Höhle am Meer einen Schatz bewacht; durch den giftigen Biß des Drachen verwundet, stirbt er an diesem Kampf. Dies Heldentum, das sich als Sage zwischen Mythus und Märchen angesiedelt hat, fügt sich einem vielschichtigen Ablauf von Historie ein, in deren Welt angelsächsisches Hofleben in mustergültige Möglichkeiten erhöht ist. Der Mönch W y n f r i t h (Winfried) aus Wessex, der nur wenig
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Im Vorhof der altdeutschen Literatur
jünger als Beda ist und 80-jährig 754 von heidnischen Friesen erschlagen wird, führt uns von der Insel zum Festland. Unter dem Namen B o n i f a t i u s arbeitet er mit päpstlicher Vollmacht vom Jahre 719 an reformierend und missionierend in Thüringen, Hessen und Mainfranken (722 in Rom zum Bischof geweiht und von dort 732 in den Rang eines Erzbischofs erhoben). Er regelt die bayrischen Kirchenverhältnisse, er wirkt nach dem Tode Karl Martells unmittelbar und mittelbar an der gesamtfränkischen Kirchenreform mit. Als Klostergründer trägt er mit römischer Ordnung die von den Angelsachsen gepflegte Bildungswelt in das östliche, vom Romanischen freie Franken, darin von seinen Landsleuten unterstützt. Mit dem Kloster Fulda, das unter seiner Zustimmung sein aus Bayern stammender Schüler Sturmi 744 gründet, entsteht ein benediktinisches Musterkloster, in dem in das folgende Jahrhundert hinein angelsächsische Tradition lebendig bleibt. Doch sichert der von Bonifatius ausgehende Einfluß der Angelsachsen der fränkischen Welt noch nicht ein eigenes Leben. Daß es möglich wird, ist durch Karl den Großen verursacht, den früh geistige Unruhe treibt, Gelehrte um sich zu sammeln. Sein bedeutendster Helfer wird der vielseitig begabte Northumbrer A l k u i n (A 1 c h w i n e), der 778 zum Leiter der Schule von York aufsteigt. Als ausgereifter Gelehrter arbeitet er seit dem Jahre 781 mit Karl zusammen. Seit dem Jahre 793 ist er fest mit dem Frankenreich verbunden; im Jahre 796 erhält er die reiche Abtei St. Martin in Tours, wo er im Jahre 804 stirbt. Er schreibt auf gebahntem Wege über Grammatik, Rhetorik und Dialektik (Logik). Er äußert sich über Psychologie, wobei er mit Vorzug dem vom Piatonismus beeinflußten Augustin folgt. In drei Büchern über die Trinität setzt er dazu an, Theologisches durch Philosophie zu erhellen. Was dieser Versuch bedeutet, erfaßt nur, wer beachtet, daß sich für das Mittelalter wissenschaftliches Verfahren am entschiedensten in der logischen Bearbeitung einer Frage bekundet. Daß er auch Verse verfaßt hat, ist schon deshalb nicht
Voraussetzungen der deutschen Literatur
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merkwürdig, weil es zum Gelehrtenstil jener Zeit gehört. Bei all dem übersehen wir nicht, daß er nicht lange die Hofschule und die Schule von Tours geleitet hat. Sein Einfluß erklärt sich vor allem dadurch, daß Karl es ist, der ihn aus der Fremde zu geistigem Verkehr an sich heranzieht. K a r l d e r G r o ß e (wohl 742 geboren, gestorben in Aachen im Januar 814) wirkt durch mehr als vier Jahrzehnte in einem bewegten und ausgreifenden Leben als geschlossene Persönlichkeit, weil er seine seelischen Kräfte immer wieder in ein ausgewogenes Verhältnis bringt. Sein geschichtliches Glück ist, in eine Zeit hineinzuwachsen, die ihm gestattet, sich allseitig in den politischen Möglichkeiten zu entfalten, die ein bedeutender Vater geschaffen hatte. Der weit sehende und großzügig denkende Mann muß am Anfang einer deutschen Literaturgeschichte mit Auszeichnung genannt werden, obwohl er selbst nichts Literarisches hinterlassen hat. Der Anlaß liegt nur mittelbar in der Tatsache, daß Karl über spätgermanischen Mundarten jenen spannnungsreichen Lebensraum schafft, der von der Sprache her das Eigenschaftswort „deutsch" auf sich zieht. Er liegt vielmehr in dem, was durch ihn geschieht, um dem äußeren Aufbau des großfränkischen Reiches, nicht zum wenigsten in den germanisch sprechenden Teilen, durch geistigen Aufbau eine dauerhafte Einheit zu sichern. Jedes ursprüngliche Zusammenleben von Menschen stellt sich aus geschichtlichem Wachstum als ein religiös gebundenes Lebensganzes dar. Karl erstrebt f ü r seinen weiten Machtbereich ein Leben, dessen Grundsätze aus gemeinsamer religiöser Bindung b e w u ß t vollzogen werden. Der Weg ist durch vorausgehende Entwicklung vorgezeichnet: Karl verlangt ein gewisses M a ß religiös gestützter Bildung, das er von oben her durch Verfügungen festlegt. Das Muster bietet sich ihm in der lateinischen Literatur der Kirchenmänner an, die mit sich trägt, was sich aus der griechisch-römischen Antike erhalten hat. Zwangsläufig wird daher die Theologie mit ihren Hilfsdisziplinen der Sammelbereich aller
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Im Vorhof der altdeutschen Literatur
gelehrten und künstlerischen Leistung. Aus demselben Grunde richtet sich alle bildende Arbeit zunächst auf den Stand, der zu literarischer Gelehrsamkeit vorbereitet ist: auf den Stand der Kleriker, insbesondere auf die in Bildungsstätten versammelten Mönche. Vom Jahre 789 bis zum Jahre 813 sprechen Verfügungen Karls das N o t wendige aus. Neben der Hofschule empfangen Stifts- und Klosterschulen ihre Aufgaben. Mit diesem erziehenden Vorgehen verbindet sich wie von selbst eine Forderung, die für die Zukunft ungeahnte Möglichkeiten öffnet. Wenn wirken soll, was im Lateinischen erarbeitet ist, muß es jeder, der nicht oder noch nicht Latein versteht, dadurch aufnehmen können, daß es in die Sprache umgesetzt wird, in die er hineingeboren ist. Das heißt aber: Heimische Sprachwelt muß in den gepflegten Denkraum der lateinischen Sprachwelt hineingehoben werden. Leicht läßt sich einsehen, daß diese Aufgabe drängender auf den germanischen Sprachfeldern des Frankenreiches erscheint als dort, wo sich aus dem Vulgärlatein romanisches Sprechen entwickelt. Folgerichtig bewährt sich daher im literarischen Gebrauch der theodisca lingua Karl als treibende Kraft. Wie sehr er selbst im Heimisch-Fränkischen lebt, deutet sich darin an, daß er zwar bei festlicher Gelegenheit in römisch beeinflußter Sonderkleidung erscheint, sonst aber wie ein fränkischer Grundherr auftritt. In diesen Zusammenhang seien zwei oft angeführte Nachrichten gestellt. Die erste Nachricht: Karl läßt vorliterarische Lieder ferner Vergangenheit (barbara et antiquissima carmina) festhalten, in denen alter Könige Taten und Kämpfe besungen werden. Leider spricht diese Chronikwendung nicht deutlich genug aus, was sie meint. Die zweite nicht minder bemerkenswerte Nachricht: Karl beginnt eine Grammatik seiner „Vatersprache" (des patrii sermonis), also des von ihm gesprochenen Fränkischen, zu verfassen. Dieser Versuch, der sich nur an eine Grammatik des Lateinischen anlehnen konnte, greift in eine ferne Zukunft hinein und kündet in eigener Weise von der Wachheit des
Voraussetzungen der deutschen Literatur
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Gedankens, daß im Heimischen nur eine geregelte Literatursprache den Wettbewerb mit der lateinischen Literatursprache aufnehmen könne. Verfügungen sind keine Erfüllungen, und eine Politik, die in einem weiten, unausgeglichenen Machtbereich geistiges Leben anregt, kann nur auf E r f o l g rechnen, wenn ihr für längere Zeit ein gewisses M a ß an Stetigkeit gesichert wird. Soviel Stetigkeit ist ihr nicht gewährt worden. Auch darf nicht übersehen werden, daß K a r l s Streben nur einen kleinen Kreis unmittelbar anrührt. Dieser Kreis muß sich obendrein in den Traditionen lateinischer Literatursprache bewegen, wenn er höhere Ansprüche erfüllen will. Denn nur so kann auch oberhalb der germanischen und romanischen Sprechweisen die geistige Einheit des karolingischen Reiches gewahrt werden. All dies begünstigt nicht, daß sich eine deutsche Literatursprache und eine deutsche Dichtung eigenen Wertes schnell zusammenfinden. U m so notwendiger ist daher für uns, nach allen Seiten abzuleuchten, unter welchen Voraussetzungen die literarische Dichtung deutscher Sprache ihren Weg begonnen hat. Als Teil jener europäischen Literatur, die sich im Schutze lateinischer Literatur ausbreitet, empfängt sie dauerhafte Merkmale, die im Entstehen besonders leicht erkennbar sind. Wie ist die Lage, als sich in der Zeit der Karolinger literarisches Schaffen vorbereitet? Dichtung, die durch die Schrift festgehalten sein will, haben wir im frühen Mittelalter nur von denen zu erwarten, die als Kleriker ausgebildet sind. Klosterinsassen stehen voran, weil sie sich am ehsten lesend und schreibend auf geistige Arbeit versammeln können. Darin liegt,
daß die lateinische Literatursprache Ausdrucksmittel
oder wenigstens Sprachmuster bleibt, bis sich eine ähnlich gefestigte deutsche Literatursprache entwickelt hat. D a m i t ist aber gesagt, daß gerade die A n f ä n g e literarischen Schaffens zwangsläufig mit einer A r t „Gelehrsamkeit" verbunden sind. Denn allein die Stifts- und Klosterschulen, die im frühen Mittelalter Elementarschule und H o h e
Im V o r h o f der altdeutschen Literatur
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Schule in sich vereinen, führen in literarische Traditionen ein. M a g diese „akademische" H i l f e noch so unvollkommen sein, sie vermittelt Grundzüge eines literarischen Sprachstils, die ein Werk auch für bescheidene Wirkungen braucht. Nicht zufällig beziehen sich im alten Sprachgebraudi das lateinische Wort ars und das deutsche Wort Kunst
auf Kunst und Wissenschaft zugleich, wobei man be-
denke, daß sich mittelalterliche Wissenschaft auf lange hin in Kenntnis des Uberlieferten und seiner Ordnung und Deutung bewährt. Wir sollten übrigens mehr, als es geschieht, beachten, wie weit nicht nur in unseren literarischen Anfängen, sondern durch Jahrhunderte bis in die Gegenwart Arten von „Gelehrsamkheit" und Arten „ a k a demischer" Einflüsse literarisches Dichten durchwirken. Wer Dichtung der Schrift anvertraut, will gehört und verstanden sein. Dies setzt voraus, daß er eine ihm geistig verwandte Gemeinde erreichen kann, die sich ihr Leben durch Dichtung gestalten oder deuten läßt. U m nicht mit falschen Vorstellungen in die karolingische Zeit hineinzugehen, dürfen wir uns nicht verhehlen, daß es damals nur eingeschränkt möglich ist, ein Buchwerk deutscher Sprache mit einer ihm zugehörigen Gemeinde zusammenzubringen. Doch wollen wir uns von einer Übertreibung fernhalten. Lateinische Dichtung ist z w a r nur dem vernehmbar, der mit Lateinkenntnis bereit ist, in die literarischen Traditionen der Klosterwelt einzusteigen. Aber wir haben damit zu rechnen, daß in führenden Kreisen zunehmend Männer sind, die Latein verstehen, ohne Kleriker zu sein. Von K a r l erfahren wir, daß er schließlich gleichgut lateinisch und fränkisch sprach. Gegenüber denen, die lateinische Dichtung genießen können, fehlt aber eine gleichgerichtete Schicht von Menschen, die es treibt, aus einer „literarischen" Bildungswelt deutscher Sprache zu leben. Es wäre falsch, dies durch die Unruhe jener Tage zu erklären. Unruhige Tage können sogar trotz des Einengenden geistiges Schaffen steigern. Es ist vielmehr eine geschichtliche Tatsache, daß sich damals noch kein W e l t s t a n d gebildet hat und bildet, der
Voraussetzungen der deutschen Literatur
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durch volkssprachliche Buchdichtung in seinem Dasein erhoben sein will. Dies gilt auch f ü r die mit Grundherrschaft begabten Edelinge, aus deren Familien damals fast immer die „gelehrte" hohe Geistlichkeit hervorgeht. Kurz, weder die sprachlichen noch die geistigen Voraussetzungen sind damals in zureichender Weite f ü r eine bildende Literatur deutscher Sprache vorhanden. Wir vergessen darüber freilich nicht, daß „unterliterarische" Dichtung, deren bester Teil sich aus „vorliterarischer Tradition" herleitet, die deutschsprachigen Lande durchzieht. Aber wir werden audi erfahren, wie lange es dauert, bis sich literarische Dichtung deutscher Sprache geistigen Bedürfnissen öffnet, die in „weltliches" Leben eingeschmolzen sind. Es geschieht, als ein Weltstand da ist, der gleich den benediktinischen Mönchen einen eigenen Lebensstil mit einer dem Literarischen zugänglichen Bewußtheit zu pflegen vermag. Erst in der r i t t e r l i c h e n G e s e l l s c h a f t des hohen Mittelalters wird dieser Weltstand voll entwickelt sein, obschon seine sozialen Vorstufen bis in die karolingische Vergangenheit zurückreichen. Indem wir dies Zukünftige zum besseren Verständnis der Anfänge vorwegnehmen, ahnen wir etwas davon, wie aufgesetzt und insoweit künstlich gegenüber dem stammestümlichen Leben all das ist, was Karl der Große durch seine Kulturpolitik zu fördern sucht. Um so stärker verdient das wenige beachtet zu werden, was in der Zeit der Karolinger an deutscher Dichtung gewagt wird, nicht minder auch das, was an lateinischer Dichtung, die Deutsche schaffen, durch Besonderheit auffällt.
II. D A S
KAROLINGISCHE 1. A n f ä n g e
der
JAHRHUNDERT
Literatur
Karl der Große erstrebt für sein Reich mit hellem Bewußtsein eine Einheit des Denkens und Fühlens, in der geschichtlich gewordene Unterschiede durch ein Gemeinsames gebunden sind, das er mit zeitbedingter Notwendigkeit in der römisch-christlichen Kirchenwelt findet. Diese Bildungswelt verkörpert im frühen 9. Jahrhundert kein Mann so eindrucksvoll wie der Rheinfranke H r a b a n u s (Hraban „Rabe), der von seinem angelsächsischen Lehrer Alkuin den Beinamen M a u r u s erhält, den einst der Nachfolger Benedikts von Nursia getragen hat. Schon bald nach 800 unterrichtet er im Kloster Fulda, aus dem er als Mönch hervorgegangen ist; im Jahre 822 wird er dort Abt. Er gibt 842 dies Amt hin, weil er die Reichsteilung ablehnt. Doch schon 847 setzt ihn Ludwig der Deutsche (gest. 876) auf den erzbischöflichen Stuhl von Mainz, wo er 856 stirbt. Seinem reichen lateinischen Schaffen fehlt die eigene Prägung. Aber der charaktervolle Mann ist ein großer Lehrer von anhaltendem Einfluß. Um das Jahr 850 war übrigens in Fulda die Germania des Tacitus (veröffentlicht in Rom im Jahre 98) durch eine H a n d schrift unbekannter Herkunft zugänglich. Rudolf von Fulda (gest. nach 850) zieht sie heran, um die vorchristliche Religion der Sachsen zu kennzeichnen. Sie bleibt dann verschollen, bis bald nach 1450 die einzig erhaltene Handschrift aus dem Kloster Hersfeld in Rom eintrifft. Wer die Wege nachschreitet, die deutschsprachiges Dichten literarischer Prägung in der Frühzeit einschlägt, wandert schmale Pfade
Anfänge der Literatur
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durch ein Massiv mittelalterlich-lateinischer Literatur. Trotzdem werden wir l a t e i n i s c h e Dichtung, die Deutsche geschaffen haben, nur dort aufsuchen, wo sich uns an ihr eine Besonderheit aufdrängt, durch die sie sich aus ihrer Zeit heraushebt. Wir müssen nur dauernd gegenwärtig haben, daß in der mittelalterlich-,.römischen" Reichswelt Latein aus einer fortlaufenden Tradition gepflegt wird. Es beherrscht die Stifts- und Klosterschulen, es ist die Amtssprache des Abendlandes: durch alles Trennende hindurch eine verbindende Macht. Dies heißt aber: Es ist zwar keine tote Sprache, gleichwohl auf deutschem Sprachgebiet eine Sprache, die das geschichtlich gewachsene Sprechen überwölbt und den clerictis vom laicus, den Lateinsprecher vom „Ungelehrten" trennt. Dies schließt zugleich ein, daß dies literarische Latein dauernd auf das literarische Deutsch einwirkt; in der durchgebildeten Begriffswelt seines gehobenen Sprachstils wird das Bewußtsein der Deutschsprecher gesteigert. Dabei sollte man nicht übersehen, daß aus diesem Latein eine Sprache spricht, die viele unjugendliche Züge trägt. Unvermeidbar ist daher, daß sich solche Züge auch einer an sich jugendlichen Sprache unverbrauchter Kräfte mitteilen. Und nicht minder zwanghaft ist, daß nur in verhältnismäßig kleinen Kreisen der Drang erwacht, in eine literarische Welt deutscher Sprache aufzusteigen. Es ist ein weiter Weg, der von den zerstreuten Anfängen deutschsprachigen Dichtens in eine Literatur führt, die ein in sich verwobenes Ganzes bildet. Das frühste deutschsprachige Schrifttum wird durch Karls Erziehungswillen auf das Pergament gebracht. Es ist kein Vorgang, der sich schnell in eine Breite von Aussagen umsetzt. Denn lateinische und heimische Sprache müssen bei aller Eigenheit auf eine gleichliegende Ebene gebracht werden: selbst dort, wo RömischChristliches seit langem festsitzt, eine Sache, die sich nicht von selbst macht. Indem man einen schrifttümlichen Wortschatz deutscher Sprache erarbeitet, ringt man unter den Arbeitsbedingungen der Stifts- und Klosterschulen um eine durchgegliederte Bildungswelt. 3
Neumann, Literatur
Das karolingische Jahrhundert
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Reichsgesetze Karls suchen hierfür im fränkischen Gesamtreiche Grundlegendes zu sichern. Die Admonitio
generalis,
ein Gesetz
(„Capitulare") vom Jahre 789, stellt am Eingang dieser Bemühungen zusammen, was „Kleriker" an Grundlehren der römisch-christlichen Welt zu vermitteln haben. Auf diesem Wege werden für die deutschsprachige Arbeit Mindestforderungen aufgestellt, die ein helfendes Schrifttum hervorlocken: Glaubensbekenntnisse, Beichtformeln, die Tugenden und Laster begrifflich fassen, und selbstverständlich das „Gebet des Herrn", um mit wenigen Hinweisen den Umfang solchen Schrifttums anzudeuten, das aus schon früher angelaufenen Wörterbüchern durch Eindeutschungen lateinischer Wortbegriffe unterstützt wird. Was Wunder, daß enge Grenzen hat, was aufgrund der Gesetze entsteht! Was sich entwickelt, ist so etwas wie ein kirchlich-gelehrtes Gebrauchsdeutsch, das in eine schrifttümliche Redekunst aufsteigen kann. Dabei will selbst vor bescheidenem Ergebnis bedacht sein, daß hier immer wieder aus den Mitteln „vorliterarischer" Rede literarische Sprache neu geschaffen werden muß. Grade die tastenden Wörterbücher, mit denen vielleicht schon um 770 (!) ein erstes literarisches Deutsch anhebt, zeigen gut die Anstrengung, abgezogene Begriffe in eine Sprache einzufangen, die bis dahin im ganzen mündliche Sprache der Lebenserfahrung gewesen war. Was damals im ersten Wurfe erreichbar ist, dafür gibt es ein großartiges Beispiel, das auch in einer Literaturgeschichte, die sich auf Dichterisches zu beschränken hat, nicht übergangen werden darf. Eine Pariser Handschrift vom Ausgang des 8. oder Anfang des 9. Jahrhunderts (!) überliefert ein Stück Ubersetzung aus einem Traktat De fide catholica
(über den „gültigen Glauben"), den
Bischof Isidor von Sevilla im westgotischen Spanien des beginnenden 7. Jahrhunderts zusammengestellt hat. In diesem deutschen
Althoch-
I s i d o r haben wir wohl wirklich eine Leistung,
in der der Geist von Karls „Akademie" wirkt. Man hätte diese
Anfänge der Literatur
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Arbeit nie nach dem elsässischen Murbach legen sollen. Ihr Sprachund Schreibgebrauch ist in keinem Kloster des ostfränkischen Reichsteiles unterzubringen, schon der westfränkische Überlieferungsort der Handschrift spricht dagegen. Vielleicht unter Alkuins Einfluß, wird sie in Verbindung mit Karls Palastschule entstanden sein, was nicht verleiten sollte, an das zu weit westliche Tours zu denken. Weitere Reste solcher gespannten P r o s a , unter ihnen ein Stuck Matthäusevangelium, sind bald nach 800 im Kloster Monsee ins Bayrische umgeschrieben und werden daher M o n s e e r
Frag-
m e n t e genannt. Grade sie geben uns einen Hinweis auf die geistige Atmosphäre, in der ihr Deutsch zuerst dem Pergament anvertraut ist. Abt des Klosters Monsee war Erzbischof Hildebold von Köln, seit 791 als Nachfolger des Erzbischofs Angilram von Metz H o f kapellan Karls (gest. 819). Zugegeben, diese frühste, nahezu verfrühte deutsche Prosa von Eigenwert ist eine abgeleitete akademische Arbeit. Sie hat gleichwohl den gelenkten Verfassern mehr abverlangt, als manche gekonnte Leistung spätliterarischer Zeiten. Es ist an der Zeit, ein Wort über die a l t d e u t s c h e
Sprache
zu sagen, die damals zum ersten Mal in zusammenhängenden Texten durch die Schrift erfaßt wird. Man pflegt sie nach ihrem Laut- und Formenstand als „althochdeutsch" zu bezeichnen. Indem man sie im mittleren 11. Jahrhundert enden läßt, gewinnt man Anschluß an eine „mittelhochdeutsche" Sprachzeit, die im Dreiklang eine „neuhochdeutsche" Sprachzeit fordert, die dann etwa im 16. Jahrhundert einsetzen soll. Diese drei Begriffe reichen aber in ihrer Verkoppelung nicht zu, die spannungsreiche und vielschichtige Geschichte der deutschen Sprache zu gliedern. Sie sollen uns daher nur behelfsmäßig, also unverbindlich, weite literarische Räume von der Sprache aus abstecken. Wer vom „Neuhochdeutschen" herkommt, muß sich zusätzlich hüten, mit dem Begriff „hochdeutsch" für das karolingische 9. Jahrhundert falsche Vorstellungen zu verbinden. Der Begriff „hochdeutsch" kann zunächst einen ober- oder mitteldeutschen 3»
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Das karolingische Jahrhundert
Sprachstand von einem niederdeutschen Sprachstand trennen. Doch dürfen wir nicht vergessen, daß für das 9. Jahrhundert das „Altniederfränkische" und „Altsächsische" zur karolingischen
theodisca
lingua gehören, die alle germanischen Sprechweisen des Frankenreiches zusammennimmt. Den Begriff „hochdeutsch" kann man aber auch auf eine Hoch- oder Gemeinsprache beziehen, die sich mit V o r zug als verschriftete Sprache oberhalb mundartlicher Bereiche entwickelt hat. So stehn wir vor der Frage, ob geschichtlich gedacht ist, wenn wir der Karolingerzeit so etwas wie eine Hoch- und Gemeinsprache zuteilen. Die A n t w o r t : An eine schrifttümliche Hoch- und Gemeinsprache neuzeitlichen Sinnes dürfen wir nicht denken. Selbstverständlich schreibt man damals keine echte Mundart, die sich überhaupt nur bedingt schreiben läßt. Im ganzen aber beobachten wir in den Schreibstuben der Stifte und Klöster einen beweglichen Sprachstand von mehr oder minder stammestümlicher Eigenheit, deren Entstehen uns hier nicht zu bekümmern braucht. Grade der weitgezogene fränkische Bereich, der sich vom Niederrhein südwärts bis an das alemannische und bayerische Gebiet hinzieht, ist in besonderer Lage. U m vom Norden her einige für die Sprache wichtigen O r t e zu nennen: Fränkisch sind Utrecht, Aachen, Köln, T r i e r , M a i n z , Metz, Speier und Würzburg, dem sich für die Schreibsprache dieser Frühzeit Fulda anschließt. Dieser fränkische Raum wird in Zusammenhang mit seiner Geschichte vom Konsonantismus aus durch die „hochdeutsche" Lautverschiebung aufgegliedert, die aus den alemannischen und bayerischen Gebieten während des 7. Jahrhunderts in Stufen nach Norden dringt. So entsteht das Niederfränkische, das damals noch Köln einschließt, das Mittelfränkische Triers, das Rheinfränkische von Mainz und Speyer, das schon recht oberdeutsche Ostfränkische von Würzburg. Was kann unter diesen Umständen heißen, daß K a r l zu einer „ G r a m m a t i k " seiner „väterlichen" Sprache angesetzt habe? Man hat einmal von einer „Karolingischen H o f sprache" gesprochen, in der fränkische Sprechweise vom „Main und
Die deutschsprachige Dichtung der KaroÜngerzeit
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Mittelrhein" ein bewegliches „Bindeglied zwischen dem Norden und Süden" gewesen sein sollte. Richtig dürfte an dieser Annahme sein, daß man für Reichszwecke auf einen fränkisch-mitteldeutschen, zugleich auch gedämpft oberdeutschen Sprachstand hingestrebt hat. Auch da wäre durch Karls Antrieb bewirkt, daß man eine Zukunft in einer Verfrühung ahnend vorweggenommen hätte.
2. D i e d e u t s c h s p r a c h i g e
Dichtung
der
Karolingerzeit Wirkliche Dichtung begegnet uns, wo gestaltende Sprache Gehalte von Welt und Leben greifbar macht. Solche Sprache ist daher immer gespannte Sprache, und gespannte Sprache erfüllt sich besonders sinnfällig als rhythmisch gebundene Sprache. Darum gehört der Vers, der Sprache in Sprechtakte einschmilzt, zu den wichtigsten Ausdrucksmitteln dichterischen Sprechens. Warum dies hier? Die gesamte frühdeutsche Dichtung, soweit sie in die Schrift eingeht, auch alle erzählende Dichtung, ist V e r s d i c h t u n g . Erst vom 15. Jahrhundert an wird Prosa zur H a u p t f o r m dichterischen Erzählens. Wer Dichtung aufnimmt, muß übrigens beachten, d a ß sie ihre Grade hat. Sie steht am höchsten, wo sie durch deutendes Sprechen Welt und Leben neu sehen läßt. Doch gibt es Zeiten, wo sie nicht viel mehr als gesteigerte Redekunst ist, die Überliefertes weiterreicht, indem sie es neu durchformt. Immerhin kann in solchen Zeiten solch gehobenes Sprechen in der Kraft der Aussagen der Wirkung von Dichtung nahekommen. Der „Althochdeutsche Isidor" gab uns einen Vorgeschmack davon. U n d nodi eins sei jetzt mit Betonung ausgesprochen. Für das karolingischc Jahrhundert haben wir uns von der Vorstellung einer wirklichen „Geschichte deutscher Dichtung" freizumachen. N u r die lateinische Dichtung bewegt sich damals, aus schriftlicher Oberlieferung genährt, in einem Zusammenhang, dessen literarische Stetigkeit
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D a s karolingische J a h r h u n d e r t
echte Geschichte möglich macht. Die deutsche schriftliche Dichtung steigt nur i n s e l h a f t an geeigneten Stellen hervor. Für das Entstehen einer in sich zusammenhängenden Literatur fehlt damals eine Menschenschicht, die jenseits des Lateins solche Dichtungen braucht. Wer kein Latein versteht, lebt, wenn er nach einer Überhöhung des Alltags verlangt, aus „unterliterarischer" Dichtung, deren Klang wir nidit mehr hören können. Das Überraschende: Am Anfang karolingischer Dichtung stoßen wir auf ein „Erzähllied", das nach seiner Herkunft „unterliterarischem" und damit „vorliterarischem" Schaffen entstammt, also im strengen Sinne kein literarisches Werk ist: auf das in „stabenden" Langversen ablaufende H i l d e b r a n d s l i e d . Um 815 haben es zwei Fuldaer Mönche behelfsmäßig, soweit der Platz reicht, auf die freie erste und letzte Seite einer nicht viel älteren theologischen Handschrift eingetragen. Das Merkwürdige an dieser Niederschrift: Sie haben bereits eine schriftliche Vorlage gehabt. Obendrein verrät der Text (nicht zum wenigsten durch die Orthographie), daß ein oberdeutscher Lautstand recht äußerlich in einen niederdeutschen Lautstand umgeschrieben ist. Man denke daran, daß man damals in Fulda über das noch niederdeutsche Nordhessen und Nordthüringen dem Niedersächsischen recht nahe war. Doch lassen wir zunächst das Gedicht für sich selbst sprechen! Vor ihren Heeren stehen sich der Vater Hildebrand und der Sohn Hadubrand als mögliche Zweikämpfer gegenüber. Rede und Gegenrede treiben in eine schnelle Entscheidung, die der Vater zu fällen hat. Einst ist er mit Dietrich (von Bern) vor der Feindschaft Odwakers in die hunnische Ferne geflüchtet. Der Sohn, in der Heimat erwachsen und vom Tode des Vaters überzeugt, sieht in Hildebrand nicht den Vertriebenen, der zurückkehrt, sondern einen Hunnen, der eindringen will. Ein „Wehgeschick" (eine wewurt) läuft an. Klagend wendet sich daher der Vater an den „waltenden Gott". Gleichwohl steht er aus innerem Zwang zu seiner Aufgabe, die ihm ein
Die deutschsprachige Dichtung der Karolingerzeit
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nichtswürdiges Zurückweichen verbietet. Mit dem Beginn des Zweikampfes, der mit dem Tode des Sohnes geendet haben muß, bricht die Niederschrift mitten im Verse ab. Zum ersten Male begegnet uns hier der g e r m a n i s c h e L a n g v e r s , in dem sich zwei Kurzverse als „Anvers" und „Abvers" zu einer rhythmischen Einheit zusammenfinden: Hiltibrant enti Hadubrant untar heriun mit geru scal man geba infähan welaga nu waltant got wewurt skihit.
twem
(„Hildebrand und H a d u b r a n d zwischen zwei Heeren" „mit dem Geere soll man Gabe empfangen" „ach nun, waltender G o t t ! Wehgeschick erfüllt sich".)
In jedem der beiden Kurzverse heben sich bei verhältnismäßig freier Versfüllung zwei Starkhebungen heraus. Im Normalvers verbindet sich die erste Starkhebung des „Ab verses", auf die hin der Vers gebaut ist, mit zwei Starkhebungen oder wenigstens einer Starkhebung des „Anverses" durch artgleichen Anlaut des betonten Wortes: den „Stabreim" (in den drei angeführten Versen durch die Konsonanten h, g, w). Durch das starke Herauswölben der Wortakzente fällt im Unterschied von den uns vertrauten Endreimversen ein schwaches Gewicht auf die Versenden, was vor allem für den „Abvers" gilt, weil hier die maßgebende „stabende" Silbe (heriun, gebu, wewurt) in der ersten Vershälfte liegt. Eine stark gekurvte, eindrucksvolle Klangbewegung, die in der Auswahl der „stabenden" Worte dem bedeutungsschweren nominalen Begriff den Vorrang gibt! Am Hildebrandslied überrascht, daß es keine strophenartige Gliederung verrät, darin getrennnt von den altnordischen Erzählliedern südgermanischer Herkunft, die uns die Lieder-Edda um 1270 überliefert. Auch muß hingenommen werden, daß der Text Störungen zeigt, die durch die mündliche Überlieferung bedingt sind. Da das Gedicht schon aus der Vorstellung lebt, der Ostgote
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Das karolingische J a h r h u n d e r t
Theoderich (gest. 526) habe sich durch seinen Ubertritt nach Italien als ein Vertriebener die Heimat zurückerobert, muß seine Urfassung im Abstand von den geschichtlichen Ereignissen entstanden sein: etwa im langobardischen Bereiche, nicht vor dem Jahre 600! Trifft dies zu, so wäre es als ein germanischer Spätling über Salzburg, Regensburg, Würzburg im späteren 8. Jahrhundert nach Fulda gewandert. So befriedigend das klingen mag, es meldet sich die Frage, wie es zu der ungewöhnlichen Niederschrift kam. Eine Antwort muß sich auf Vermutungen beschränken. Das Fuldaer Kloster war zwar im Jahre 744 mit dem Willen des Angelsachsen Bonifatius durch den Bayern Sturmi gegründet worden. Doch bestimmte in der Frühzeit angelsächsische Mönchswelt seinen literarischen Bereich. So gibt es für den Anlaß der ersten uns nicht erhaltenen Niederschrift: mehr als eine Möglichkeit. Vor 800 konnte ein Klosterinsasse eine Umschrift ins Niederdeutsche versucht haben, als er im Klosterdienst nordwärts zog. Auch konnte es einen Bayern in einer Art Schreibspiel gereizt haben, das Lied aus seiner Erinnerung niederdeutschen oder gar angelsächsischen Mitmönchen in vertrauterem Klange anzubieten. Alle aber, der oder die Erstschreiber und die beiden Absdireiber, mögen wohl (gleich Karl dem Großen?) von dem Wunsche geleitet worden sein, Entschwindendem eine Gedächtnisstütze zu schaffen. Im Dunkeln bleibt, warum niemand den Schluß erreichte. Wir werden noch oft sehen, daß uns die Geschichte die letzten Ursachen ihrer Geschehnisse nicht preisgibt. Auf Verse
streng erst
mit
kleine Denkmal
literarischem dem
Felde
erreichen
sog. W e s s o b r u n n e r
wir
„stabende"
Gebet.
ist um 800 unter der Uberschrift De
Das poeta
(„Vom Dichter") in einer Handschrift des oberbayrischen Klosters Wessobrunn eingetragen, trotz Aufnahme bayrischen Lautstandes dort wohl ein eingewanderter Fremdling. Fünf Langverse nennen als höchstes Wissen der Menschen, daß einst weder Erde noch Himmel waren. Vier Verse sagen, den Text abbrechend, daß da-
Die deutsdispradiige Dichtung der Karolingerzeit
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mals der „eine, allmächtige Gott" war, der „großzügigste der Mannen", und bei ihm waren viele „göttliche Geister". Das Ganze wohl ein Ansatz, christlichen Schöpfungsmythus in überkommener Sängersprache auszudrücken! Es wird zutreffen, daß hier angelsächsische Stabreimrede, etwa von Fulda aus, nach Süden einwirkt. Das anschließende Gebet an den „allmächtigen Gott", abgefaßt in gehobener Prosa, hat mit wenig Glück zur neuzeitlichen Überschrift geführt. Das wohl rätselhafteste Denkmal der Karolingerzeit begegnet uns in den bayrisch getönten Versen eines Gedichtes vom „Weltuntergang und jüngsten Gericht", von dem uns Anfang und Ende fehlen. Die einprägsame Überschrift Müspilli hat ihm 1832 der Germanist Joh. Andreas Schmeller gegeben. Das dunkle Wort erscheint in der Darstellung des Weltbrandes, der das Endgericht einleitet: Dar ni mac denne mac andremo / helfan vöra deme müspille („Da vermag dann kein Verwandter dem anderen helfen vor dem Müspilli"). In dem Gedankengebäude der predigenden Verse hat jeder Teil eine gewisse Selbständigkeit. Die fünf Teile: 1. U m die Seele des Gestorbenen streitet ein Heer fona himilzungalon („ein Heer, das von den Sternen kommt") mit einem Heer fona pehhe („das vom Pech der Hölle kommt"). D a r u m muß der Mensch Gottes Willen freiwillig tun. 2. Wenn der mächtige König das mahal (das „Weltgericht") ansetzt, werden alle Geschlechter dorthin kommen. 3. Daz hortich rahhon dia weroltrehtwison („Das hörte ich die Kenner des Weltrechts sagen"): Der Antichrist wird sieglos werden, wenn er mit Elias streitet. Viele „Gottesmänner" aber meinen, Elias werde im Kampfe fallen. Wenn das Blut des Elias in die Erde träuft, beginnt der Weltbrand, der Gerichtstag fährt ins Land, die Seele fährt zur Strafe. 4. Doch braucht sich nicht am jüngsten Tage zu sorgen, wer als Richter jede „Sache" unbestochen gerecht beurteilt hat. 5. Wenn das himmlische H o r n laut wird, macht sich der himmlische „Sühnesprecher" auf den Weg, die Engel wecken die Toten auf.
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Das karolingische J a h r h u n d e r t
Dann wird das Kreuz vorgetragen, an dem der „heilige Christ" erhangen w a r d ; er zeigt die Wundmale, die er f ü r das Menschengeschlecht empfing. Mit der ersten Auferstehung, die unmittelbar nach dem Tode erfolgt, setzt das Verswerk ein, mit der zweiten (der letzten) Auferstehung endet es. Die Warnung vor dem Endgericht (in den Teilen 2 und 4) unterbricht der Mittelteil (3), der entgegen biblischer Auslegung Elias ohne Enoch in den Endkampf stellt. In einer mythischen Sicht treten weltliche Gerichtsherren gegenüber „Klerikern" f ü r den Sieg des Elias ein, wozu man sich erinnern mag, daß in der Völuspa, dem christlich beeinflußten Strophenwerk „Der Seherin Gesicht", das um das Jahr 1000 auf Island entsteht, Thor inmitten des Weltendes die Midgardschlange erschlägt. Über dem Ganzen stehen aber die unausgesprochenen Fragen: Was geschieht mit den Toten und wie endet alles? Doch sollten wir nicht davon wegsehen, daß dies in seiner Weise großartige Verswerk einen geschichteten Aufbau hat, was nicht heißt, wir könnten je die Schichten mit einiger Sicherheit trennen. Schon das geheimnisvolle Wort muspilli, das f ü r uns wohl nie ohne Zweifel erklärbar wird, weist auf ältere Grundlagen, zumal es auch der altsächsische „Heliand" f ü r das Weltende verwendet. So wie wir dies Gedicht haben, gehört es freilich erst in das spätere 9. Jahrhundert. Die Grundregeln des „stabenden" Versbaus sind nicht mehr beherrscht. Die dem Predigtstil nahe Sprache bewegt sich auf verschiedener Höhenlage. Als Sprachschöpfung fehlt ihm das zwingende Ineinander von Form und Gehalt. Aufgezeichnet ist es auf leeren Blättern und Blatträndern einer Handschrift, die einst im Regensburger Kloster St. Emmeram lag und die Bischof Adalram von Salzburg (821—836) gegen 830 dem jungen Ludwig dem Deutschen schenkte. Doch sollte man die Vorstellung beiseite legen, der im Jahre 876 gestorbene Frankenkönig, der einst im rheinischen Westen groß geworden war, habe sich auf dem Regensburger Königshof diese dem bayrischen Lautstand ein-
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gepaßten Verse als alter Mann mit unbeholfener H a n d nach einer Vorlage aufgeschrieben. Wir müssen zurück. Denn noch erwartet uns die einzige literarische Großdichtung „stabenden" Versgangs, die es im Bereich der theodisca lingua gegeben hat: der altsächsische H e 1 i a n d , ein Epos vom „Leben Jesu". Sein Verfasser übersetzt den Namen „Jesus" mit dem Worte „Heliand" („Heiland"); von da her hat der erste neuzeitliche Herausgeber des Werkes, Joh. Andreas Schmeller, dem Werke den Titel gegeben. Über seine Entstehungszeit haben wir eine merkwürdige Nachricht. Im Jahre 1562 bringt der streitbare lutherische Theologe Matthias Flacius Illyricus in seinem Catalogus testium veritatis die lateinische „Vorrede" eines alten in der lingua Saxonica geschriebenen Buches und mit ihr verbunden lateinische Verse über dessen Dichter. Wenn man das hier Gesagte des Legendären entkleidet, bleibt als Kern: Ludwig, der fromme Kaiser, (Ludovicus piissimus Augustus) habe einen Mann „sassischen" Stammes, den die Seinen für einen bedeutenden vates (Sänger hohen Stils) hielten, beauftragt, das Alte und Neue Testament dichterisch zu übertragen, damit nicht nur den „Gelehrten" (den literatis), sondern auch den „Ungelehrten" (den illiteratis) der Text der Heilslehre zugänglich werde. Kein Zweifel, das Latein dieser Prosa und Verse stand in einer alten verschollenen Handschrift. Doch so früh auch der Helianddichter durch eine natürliche Begabung auf dem Felde „unterliterarischer" Dichtung aufgefallen sein wird, der Heliandtext stellt uns vor unübersehbare Tatsachen seiner Bildungswelt. Im Auswählen des Stoffes folgt er aufgrund einer lateinischen Übertragung der dem 2. Jahrhundert entstammenden „Evangelienharmonie" des Syrers T a t i a n. Gegen und um 830 war sie im Fulda Hrabans durch eine Schularbeit übersetzt worden. Er hat zudem theologisches Schrifttum benutzt, so aus den Jahren nach 820 den Matthäuskommentar Hrabans. U n d endlich, die Verssprache des Werkes ist eine schrifttümliche Höhensprache, in der die Sprache
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angelsächsischer Buchdichtung zu einem eigenen Sprachstil entwickelt ist. All dies spricht dafür, daß der Dichter in den 30er Jahren des 9. Jahrhunderts im Kloster Fulda gearbeitet hat. Seine Herkunft können wir nicht genauer bestimmen, da seine Verssprache über alles eng Mundartliche hinausstreben muß. Vielleicht kam er aus Ostfalen, den nördlichen und östlichen Vorlanden des Harzes, die von Karls Sachsenkriegen nicht berührt wurden. Dann wäre er ein Landsmann Klopstocks gewesen, der über 900 Jahre später seinen „Messias" dichtet. Nicht übergehen dürfen wir hier, daß die lateinische „Vorrede" auch vom Alten Testament spricht. Wir haben in der Tat Bruchstücke einer a l t s ä c h s i s c h e n G e n e s i s , unter ihnen, was recht bezeichnend ist, eine Versgruppe, die man in eine „angelsächsische Genesis" des 9. Jahrhunderts aufgenommen hat. Doch erscheint hier nicht der Helianddichter auf einer früheren Stufe seines Schaffens zu sprechen, sondern ein Schüler des Meisters. Ob die Handschrift, in der die lateinische „Vorrede" stand, „Genesis" und „Heliand" vereinte? In diesem Falle wäre sie eine Handschrift von unersetzbarem Werte gewesen. Die Überlieferung des „Heliand" (den uns eine ehedem Bambergische Handschrift des 9. Jahrhunderts und eine in England liegende und entstandene Handschrift des 10. Jahrhunderts, dazu Bruchstücke von Handschriften erhalten haben) läßt übrigens vermuten, daß sie von den Liudolfingern, jener Herzogsfamilie vom Nordharz, aus der die „Ottonen" hervorgehen, geschützt worden ist. Der Erzählvers des Helianddichters folgt dem Erzählvers angelsächsischer Buchdichtung. Aber er steigert dessen Besonderheit, sodaß man von einem „Heliandvers" sprechen darf. Auftakte und Versfüllungen können weit ausladen; die Grenzen syntaktischer Einheiten suchen nicht das Ende, sondern die Mitte der Langverse, sodaß durch beides die gespannte Versrede rhythmischer Prosa naherückt. Durch stauendes Variieren der Gedanken erhalten die gefühlsstarken Aussagen einen Zug eindringlichen Werbens. Damit
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sind wir bei dem, was der namenlose Dichter predigend ausspricht. In der Nachfolge der Evangelisten will er von der großen Kraft Crists singen, die auf middilgard (der Erde) gegen den H a ß der Feinde und hinterhältige Betäubung hilft. In der Welt des Dichters sind zugemessenes Geschick und Gottes Macht eins. Dreißig Jahre wartet Gottes Sohn, bis er als „ H e r r der Menschen" die Leute lehrt, wie sie Gottes Willen wirken sollen. Es geschieht vor allem in einer Bergsitzung, die die Berufung der Jünger, die Bergpredigt und die Aussendung der Jünger zusammenfaßt. Uber dem Ganzen steht die Forderung: Strebt immer zuerst nach dem Reiche Gottes! Die Geschichte von Crists „Worten und Werken" wird durch den wachsenden Widerstand der Gegner gegliedert. Die letzten Ereignisse haben als Gesetz: Crist, der „Herr der Völker" und „Walter der Welt", trägt alles mit Geduld, denn der „allmächtige Vater" hat bestimmt, d a ß er das Bittere ohne Zorn hinnimmt. Auch an Petrus, der ihn verleugnet, erfüllt sich ein festgelegtes Geschick: Weil er zum „Ersten" im Hause Crists ausersehen ist, soll er erfahren, wie wenig Kraft Menschensinn ohne die Macht Gottes hat. N u r Weniges sei nach diesen notwendigen Andeutungen zu dem in seiner Zeit ungewöhnlichen, hochpoetischen Werke gesagt, daß gewiß nicht in die Breite gewirkt hat. Dies E p o s v o m L e b e n C r i s t s , ist nicht auf äußere Ereignisse, sondern auf Redeszenen versammelt. Den Hintergrund bildet, durch die „stabende" Sprache mitbedingt, die Welt des frühen 9. Jahrhunderts. Die biblischen Gestalten der Dichtung sind daher in eine adlige Welt hineingestellt, sodaß das Zusammenleben Crists mit den Jüngern fast zwanghaft in ein Gefolgschaftsdenken hineinführt. Doch täusche man sich nicht. Unablässig wird der Hörer vom irdischen Dasein fort auf ein überweltliches Himmelreich gelenkt. Das eigentlich Epische des Werkes: Der Dichter schreibt in der Art, wie er von den „Worten und Werken" Crists erzählt, eine von Notwendigkeit gelenkte „Königsgeschichte", nämlich die Geschichte des mit Gott wesensgleichen
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Das karolingische Jahrhundert
Himmelskönigs. In einer Art „Saga" höchster Würde, die in einer von der „Legende" bestimmten Denkwelt zu einer sinngebenden Vorzeit hinführt, bekundet sich ein geschichtliches Wollen, das sich aus ererbtem Denken nährt. Im karolingischen Jahrhundert hat auch der fränkisch-hochdeutsche Sprachraum ein großes Buchwerk in einem „Leben Jesu" erhalten. Der gelehrte Benediktiner O t f r i e d v o n
Weißen-
b u r g , ein dem Elsaß naher Südfranke, schreibt seinen Liber evangeliorum (sein Evangelienbuch). Dies Buch gehört zu den am besten überlieferten Werken deutscher Dichtung. Denn
Verbesserungen
einer in Wien liegenden Handschrift des 9. Jahrhunderts dürfen wir wohl, nicht am wenigsten wegen der durch Akzente gegebenen Lesehilfen, Otfried selbst zuschreiben. Wir wissen nicht, wie lange er an seinen Sätzen gearbeitet hat, die in Strophen von zwei Doppelversen eingegliedert sind; aber Widmungen an Ludwig den Deutschen (gest. 876), an Erzbischof Liutbert von Mainz (gest. 889) und Bischof Salomo I. von Konstanz (gest. 871) zeigen, daß er spätestens im Jahre 870 abschloß. D a er Hraban seinen Erzieher nennt, mag er durch die Fuldaer Schule gegangen sein; mit St. Gallen war er durch Freunde verbunden. Wir bewegen uns in einer kleinen Hochschicht, die sich untereinander kennt. Warum hat er geschrieben? Klosterbrüder und eine „Matrone" baten ihn, einen Teil der Evangelien tbeodisce (auf „deutsch") zu schreiben, damit das Vorlesen von unnützem Lärm ablenke und anstößigen Laiengesang dämpfe. Wir hören da in die Unruhe vornehmer altdeutscher Klöster hinein, die Brennpunkte öffentlicher Beziehungen sind. Ihn selbst hat noch Ungewöhnlicheres angetrieben. In einem nahezu
„humanistischen"
Patriotismus will er als Franke in fränkischem Deutsch den Wettbewerb mit Griechen und Römern aufnehmen. Indem er sich damit auf die literarische Ebene lateinischer Verswerke zu begeben sucht, hat es ihm Mühe gemacht, eine „vorliterarische" Sprache von Wildwuchs in eine an den Zaum genommene Kunstsprache umzusetzen,
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die sich geregeltem Versgang fügt. Das sagt aber, daß ihm der Weg des Helianddichters schon vom Vers aus fremd und daher unbegehbar ist. In der Tat führt uns der „Otfriedvers" an eine entscheidende Stelle der literarischen Entwicklung. Wie kommt das? Otfried baut wie der Helianddichter einen Langvers. Doch nicht dadurch, daß er einen „Anvers" durch Stabreim an den ersten Hauptgipfel eines „Abverses" bindet, der auf diese Weise zwangsläufig nach unten fällt. Er vereint zwei Kurzverse durch einen E n d r e i m , der sie durch gleiche oder ähnliche Klänge begrenzt und so nicht minder zwangsläufig die Versenden heraushebt: Ludowig ther snello thes wtsduames follo, er óstarrichi ribtet al só Francóno kuning scal. („Ludwig der Kühne, reich
an Wissen reich, / er regiert das ganze Ostwie ein Frankenkönig soll".)
Fremd (lateinisch-romanisch) berührt uns, daß der Reim auf den noch vollen, bedeutungsleeren Endsilben ruhen kann. Doch klingen auch bei Otfried schon die Stammsilben mit, wenn man beachtet, daß er sich beim Stammsilbenreim mit Lautverwandtschaft begnügen kann (snèllo: follò). Für den Gesamteindruck ist aber die K l a n g b e w e g u n g entscheidend, die den Endreimvers vom Stabreimvers abhebt: Das Ausprägen von vier Hebungen schafft Verse von ebenerem Klang. An den Stabreimvers erinnert noch zweierlei: Die Hebungen stufen sich ab, im allgemeinen treten zwei Haupthebungen gegenüber zwei Nebenhebungen hervor. Und der Versrahmen, der nach dem möglichen Auftakt beginnt, ist trotz gleichbleibender Hebungszahl vor allem durch Aussparen von Senkungen verschieden durch Sprachstoff gefüllt. Alles zusammengefaßt, Otfrieds Mühen um Vers und Sprache zeigt einen bewußt arbeitenden Schriftsteller, wie er denn auch auf sich das Wort scriptor anwendet. So überrascht nicht, daß er sein Buch in fünf Bücher teilt: Das erste Buch umschließt Geburt und Taufe Crists, im zweiten holt Crist seine Jünger heran, das dritte
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Das karolingische Jahrhundert
zeigt in Auswahl, wie er Zeichen tut und den Juden seine Lehre bekundet, das vierte berichtet von der „Passion" (dem freiwilligen Tode Crists), das fünfte über die Auferstehung, die Himmelfahrt und den Tag des Endgerichts. Keine bedeutungslose Gliederung! Die grade Zahl der vier Evangelisten soll die ungrade Zahl unserer fünf Sinne mit der Gabe ausstatten, das, was in unseren Taten und Gedanken überflüssig ist, in einer Umwendung zum Himmlischen zu erheben. In der Arbeit des Schreibenden ist daher dauernd der Theologe gegenwärtig, den die biblische Aussage über sich hinaus in einen verrätselten Sinn weist; geistliche und moralische Betrachtungen durchziehen sein Werk. Doch spricht zugleich eine vom Gefühl durchwärmte Leidenschaft aus seinen Worten, die sich ins Hochlyrische steigert, als er zum Schluß das himmlische und das irdische Reich vergleicht: Der Gefolgsherr soll mit seiner Macht die ihm zugeneigten „Knechte" zum lichten Leben führen, daß sie in seinem Schutz diese (jenseitige) sanftmütige Welt ewig genießen. Es ist schwer, ein solches Wortgebäude gattungsmäßig zu erfassen. Frühmittelalterliche Theologie, episches Erzählen und lyrischer Ausdruckswille sind in einer „Historie" eigener Art verschmolzen. Schon die Überlieferung zeigt, daß nur eine kleine aristokratische Gemeinde und für kurze Zeit an das nicht leicht aufnehmbare Werk herangekommen ist. Und selbst diese Gemeinde wird das Werk mehr bestaunt als gelesen haben, weil ihr das Latein zum Dargestellten einen leichteren Zugang freigab, als die oft mühsam erarbeiteten deutschen Verse. Gleichwohl, man muß die einsame Leistung des liebenswerten Mannes bewundern, der ohne Hilfe einer Jahrhunderte alten literarischen Sprache nach fremden Vorbildern sein frommes Buch mit nie nachlassender Treue aufgebaut hat. Hier ist der Ort für die nicht nebensächliche Frage, wie es gekommen ist, daß der uns so selbstverständlich gewordene E n d r e i m v e r s den „Stabreimvers" ersetzt. Eine vorbereitende Antwort: Das Aufnehmen des Endreimverses erfolgt zum mindesten
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auf literarischem Felde so sehr in einem einzigen Zuge, daß sich ein vermittelnder Anreger eingeschoben haben muß. Am entwickeltsten zeigen uns den Anreger spätantike und daher auch frühmittelalterliche Carmina rhythmica römisch-kirchlichen Gebrauchs: Lieder gleichen Strophenbaus, deren Werdegang wir seit dem Ende des 4. Jahrhunderts (also seit den Tagen Augustins) beobachten können und die wir im Mittelalter H y m n e n zu nennen pflegen. Wie sich ihr Strophenbau zum Strophenbau Otfrieds verhält, mag uns die Eingangsstrophe aus Hrabans „Hymnus" De fide catholica erläutern, der sechs achtsilbige „iambische" Verse zu drei endgereimten Verspaaren bündelt: Aeterne rerum conditor deus in adiutorium cordeque tibi devotum
et clarus mundi formator intende tu humilium festina in auxilium.
(„Ewiger Urheber der Dinge und leuchtender Bildner der Welt: Gott Du, wende Dich zum Beistand der Demütigen Und den Dir im Herzen Ergebenen eile zu Hilfe!")
Am „Stabreimvers" gemessen, zeigt dieser lateinische Vers folgende Eigentümlichkeiten: 1. Ein ebener Versgang läßt in einem regelmäßigen Auf- und Absteigen deutlich vier Sprechtakte hervortreten. 2. So verschieden die Silbenzahl der Verse ist, der allgemeine Gehöreindruck übermittelt einen Versbau verhältnismäßig gleicher Ausdehnung. 3. Ein vokalisch bestimmter Endreim schließt die Kurzverse zusammen (condit o r : format o r , adiutorium : humili u m , devot u m : auxili u m), wobei zu beachten bleibt, daß solcher Endreim erst vom 11. Jahrhundert an im lateinischen Verse feste Regel wird. 4. Die gleichgebauten Strophen bestehen sehr häufig wie bei Otfried aus zwei Doppelvierern; so auch in dieser Strophe Hrabans. Demgegenüber bleibt der althochdeutsche Vers, und damit vor allem Otfrieds Vers, trotz Nähe zum Hymnenvers in folgenden Eigentümlichkeiten ein ausgesprochen heimischer Vers: 1. Im Gefüge der Langreihen erhält er sich die Freiheit der Auftakte 4
Neumann, Literatur
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und die Möglichkeit, Senkungen auszusparen. 2. Die Hebungen sind noch abgestuft, oft treten zwei Hebungen als Haupthebungen hervor CLüdowlg ther snello thes wisduames }6llo). 3. Der Endreim bewegt sich auf den Stammsilbenreim hin und kann daher den Wortsinn mit in den Klangreim einbeziehen (Wanta er ist edil Franko, wisero githanko ( = „Denn er ist ein edler Franke, von weisen Gedanken"). 4. Die strenge Bindung der durch Stabreim verbundenen „Anverse" und „Abverse", die wir im „Hildebrandsliede" kennen lernten, setzt sich in eigener Weise darin fort, daß die neuen miteinander verbundenen Kurzverse Otfrieds ohne jede Ausnahme nach dem bindenden Endreim verlangen. Doch mit all dem wäre nur genug gesagt, wenn Otfried mit einem eigenen Griff aus dem Strophenbau der „ H y m n e n " als Erster einen Endreimvers entwickelt hätte. Diese Vorstellung muß schon deshalb falsch sein, weil sich das Untergehen des „Stabreimverses" und das Durchdringen des „Endreimverses" nicht durch ein frühes, zudem früh verklingendes Werk, wie es Otfrieds „Evangelienbuch" ist, erklären läßt. Nicht minder entscheidend: Otfried fühlt sich nicht als Begründer des „Endreimverses", denn dieser ist f ü r ihn der geltende und allein mögliche Vers. Nicht zufällig wird sein, daß uns alle Verse „stabender" Verskunst auf einem Oststreifen überliefert sind, der sich durch das dem Niedersächsischen nahe Hessen, durch Ostfranken und Bayern festlegen läßt. Wir haben daher damit zu rechnen, daß um das Jahr 850 und früher im Westen des deutschen Sprachraumes sogar schon „unterliterarische" Dichtungen (Preislieder und Erzähllieder) im Zusammenhang mit dem nahen frühromanischen Westen diesen neuen Versbau suchen. N u r so läßt sich begreifen, daß der Endreimvers des späteren 11. und frühen 12. Jahrhunderts, der uns bald begegnen wird, in der Freiheit seiner Klangbewegung eigene Züge hat, durch die er sich vom Endreimvers der Karolinger Zeit unterscheidet. Der G r u n d : Auch er steigt wie der Endreimvers der Karolingerzeit weitgehend aus dem „Un-
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terliterarischen" auf. Selbstverständlich bleibt daneben bestehen, daß Otfried mit gelehrter Absicht seinen Versbau auf eine Regelform hin entwickelt hat. Die wenigen literarischen Reimwerke des 9. Jahrhunderts gehen in ihrem Wollen mit ihm zusammen, ohne daß sie deshalb zu abhängigen Denkmälern werden. Weil diese kleineren Werke einsame Inseln sind, müssen wir an Ausgewähltem skizzenhaft festlegen, was damals literarisch möglich wird. In eine Freisinger Handschrift aus der Zeit um 900 ist ein singbarer Text eingetragen: das auf Noten bezogene P e t r u s l i e d , das in jeder von drei Strophen zwei Langversen, die in sich reimen, den „Kehrreim" Kyrie eleyson! / Criste eleyson! folgen läßt. Wahrscheinlich aus einem rheinisch-fränkischen Bittgesang entstanden, wird seine erste Fassung nicht jünger als Otfrieds Werk gewesen sein. Das durch Herkunft auffallendste Denkmal kommt vor dem Jahre 900 unweit Valenciennes in dem Kloster St. Amand auf das Pergament: das den Dialog suchende L u d w i g s l i e d , einziges deutschsprachiges Zeugnis dieser Zeit für die alte Gattung des „Preisliedes". Es steht hier hinter einem Preis auf die buona pulcella (die „fromme Jungfrau") „Eulalia", der ältesten, literarisch bezeugten französischen Dichtung. Verfaßt ist es auf einen Sieg, den der jugendliche westfränkische Karolinger Ludwig III. am 3. August 881 im flandrischen Sommegebiet über die Normannen erficht. In Strophen von zwei bis drei Langversen bewegt sich vor uns der von Gott erzogene und ausgesandte König, der seinen Kampfgefährten vorausreitet. Das Ganze ist in rheinfränkische Lautung eingebettet, ein eindrucksvolles Zeugnis deutscher Sprache auf einem romanisch werdenden Boden, darin dem „Althochdeutschen Isidor" vergleichbar! Nicht minder etwas Besonderes: In eine Otfriedhandschrift des 9. Jahrhunderts trägt der Schreiber Wisolf in eigenwilliger Orthographie den größten Teil eines G e o r g s l i e d e s ein, in dem das 4*
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Das karolingische Jahrhundert
Martyrium dieses Heiligen in Strophen von zwei und drei Langversen dargestellt wird. Der wortarme Vortrag macht hörbar, daß sich der Verfasser der Gangart lateinischer „Hymnen" zu nähern sucht. Es geschah wohl gegen das Jahr 900 auf der Insel Reichenau, deren Benediktiner sich damals durch die Verehrung des Heiligen auszeichnen. Wir sollten uns die Qual ersparen, im Aufnehmen dieses Liedes nach Otfriedbeziehungen zu suchen. Dies gilt selbst für das epische Bruchstück C h r i s t u s u n d d i e S a m a r i t e r i n , das in lebhaftem Dialog erzählt, indem es wie die vorausgehenden kleinen Verswerke Strophen von zwei und drei Langversen wählt. Im Anschluß an die Vulgata eine reizvolle Wiedergabe des Johannestextes, um das Jahr 900 wohl gleichfalls auf der Reichenau entstanden. Das Erzählte bekundet, wie gut Verse dieser endenden Karolingerzeit Vorgegebenes in einem sprechenden Stil eindeutschen können. Das mag genügen. Was ist aber zusammenfassend über die wenigen kleinen Verswerke zu sagen, die f ü r uns in dem von Karl dem Großen eingeleiteten Jahrhundert greifbar werden? N u r durch Zufall dem Pergament anvertraut, sind sie literarische Versuche, von denen jeder in seiner Weise f ü r sich steht. Versuche sind aber auch, genau besehen, die beiden einzigen großen Verswerke: der „Heliand" und Otfrieds „Evangelienbuch". Hinter dem ,Heliand c stand ein Auftrag, und er traf auf einen begnadeten Poeten, der von angelsächsischer Buchdichtung berührt war. U n d in Otfrieds ,Evangelienbuch' sprach mit einer f ü r seine Zeit ungewöhnlichen Bewußtheit ein der Sprachkunst zugewandter „Gelehrter", der durch Herkunft auf hohe Gönner rechnen konnte. Gewiß, nicht weniges an gehobener Prosa und gepflegter Verssprache wird verloren sein, weil Pergamente f ü r neue Niederschriften verbraucht wurden. Aber am Charakter des Jahrhunderts, das mit Schulfleiß am Praktisch-Notwendigen arbeitete, ändern solche Verluste nichts. So sehr auch alle literarischen Bemühungen höherer Stufe im
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Bereiche des Vorläufigen, ja Zufälligen bleiben, für die Klangbewegung der Verse (ihren „Rhythmus") ist damals eine Entscheidung gefallen, wenngleich nicht abzusehen war, welche weitreichenden und tiefgehenden Folgen sie haben werde. Was ist damit gemeint? Der rhythmischen Linie des „Stabreimverses" war, wie nicht zum wenigsten die unruhig wogenden Abläufe der Heliandverse zeigen, durch die karolingische Entwicklung zugeteilt worden, in die Vergangenheit zu versinken. Auf fränkisch-alemannischem Gebiete, das ins Westfränkische offen stand, breitete sich, nahezu kampflos und überdies wohl von unter her gestützt, eine neue rhythmische Basis aus, auf der sich der „Endreimvers" als dauernde Erscheinung durchsetzte. Dies bedeutet aber nicht bloß, daß die auf den „Stabreim" gerichtete Verssprache ihren Werkraum verliert. Es bedeutet zugleich, daß die deutsche Verssprache fast von selbst zu der mittelalterlich-lateinischen Verssprache und damit später auch zu den romanischen Verssprachen bequeme Ubergänge gewinnt. Schärfer ausgedrückt: Das deutschsprachige Dichten spielt sich, noch ehe sich im französischen Dichten eine erste zusammenhängende romanische Literatur ausbildet, auf eine Vers- und Sprachebene ein, die man trotz aller Abstufungen, durch die sich das Mittelalterlich-Lateinische, das Romanische und das Deutsche gegen einander abheben, eine e u r o p ä i s c h e Vers- und Sprachebene nennen darf. Eine bedeutsame, ja bahnbrechende Voraussetzung f ü r die gesamte poetische Entwicklung des hohen Mittelalters, ja auch der späteren und der neueren Zeiten! D a ß dadurch auch erst eine gespannte Prosa neuer Art auf den Weg kommen konnte, sei nur am Rande vermerkt. Ja, das wahrscheinlich westfränkische Deutsch des „Althochdeutschen Isidor" bewegt sich schon auf diese neue rhythmische Ebene zu. Ausblicke in die Zukunft! Denn vorerst sind wir noch im karolingischen Jahrhundert, und zwar bei den ersten Versuchen deutschsprachiger Literatur, nunmehr bereit, in das 10., das „Ottonische"
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Das karolingische J a h r h u n d e r t
Jahrhundert, hinüberzugehen. Doch zuvor müssen wir in kurzem Verweilen nach der lateinischen Dichtung hinübersehen, von der die Werke heimischer Sprache umgeben sind.
3. K a r o l i n g i s c h - l a t e i n i s c h e
Verswelt
Das akademische Sonderleben jenes kleinen Kreises, den Karl der Große zusammenhielt, zerfiel mit seinem Tode aus geschichtlicher Notwendigkeit. Aber Männer der Klosterwelt schaffen weiter an den literarischen Möglichkeiten des lateinischen frühen Mittelalters, zu denen auch die Dichtkunst gehört. Was die l a t e i n i s c h e Dichtung des 9. Jahrhunderts angeht, soweit sie in Deutschland geschaffen wird, haben wir uns darauf zu beschränken, durch wenige N a m e n an diese abendländisch-literarische Oberwelt zu erinnern. Der H y m n u s , das strophische Lied religiösen Gehalts, ist uns schon unter dem N a m e n H r a b a n s begegnet. Der schreibselige Abt und Erzbischof lebt in einer Gottes- und Christusvorstellung, die den Helianddichter und Otfried mit ihm verbindet: Gott, der Herr, lenkt als Schöpfer die Welt; Christus, der König, führt in die Heimat. Durch Schicksal hebt sich unter seinen Zeitgenossen der sächsische Grafensohn G o d e s c h a l k heraus. Im Kloster Fulda erzogen, gerät der Unruhige und Unerbittliche durch seine Auffassung der augustinischen Lehre von der Vorsehung in Kampf mit den für ihn zuständigen bischöflichen Gewalten. Gegen 870, also in einer Zeit, in der Otfried sein Verswerk abschließt, ist er unversöhnt im östlichen Frankreich gestorben. Die erhaltenen geistlichen Hymnen verraten bei eigenwilligem Versbau ein ungewöhnliches Talent. Wirklicher Dichter ist in Hrabans Zeit der Bodenseealemanne W a l a h f r i e d S t r a b o , jung Schüler und Möndi auf der Reichenau und dann in Fulda, zeitweilig Lehrer am Kaiserhofe Ludwigs des Frommen, im Jahre 838 Abt auf der Reichenau, schon 849 wohl als vierzigjähriger gestorben: ein Meister epischer
Karolingisch-lateinische Verswelt
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Kleindichtung und poetischer Episteln, auch Dichter von Hymnen. Der in Hexametern verfaßte Liber de cultura hortorum (sein „Gartenbuch") zeigt eindrucksvoll, wie leicht sich Menschen jener Tage in einer beseelten Verssprache bewegen können, wenn ihnen die alte Kultur des Lateinischen vordenkt. Es ist so, wie wenn sie beim Begehen des lateinischen oder deutschen Sprachfeldes verschiedene Menschen seien. Doch all dies Schaffen bewegt sich auf alten christlich-spätantiken Bahnen. Um so mehr verdient ein Weg beachtet zu werden, auf dem sich der Sprache tonverbundener Lyrik ein n e u e r Bewegungsraum erschließt. D a ß sich das Einschlagen dieses Weges schon in diesem Jahrhundert mit einer Lyrik von hohem Rang verbindet, ist die Leistung eines St. Galler Benediktiners, der wie so viele andere der alten Zeit „Gelehrter" u n d Dichter ist, als Dichter zugleich ein Mann von besonderem Talent. Wir sind bei N o t k e r I . B a l b u 1 u s (dem „Stotterer"), der vor der Jahrhundertmitte geboren wird, Thurgauer Adel entstammt und ein Jahr nach Ludwig dem Kinde im Jahre 912 stirbt. Der geniale Mann ist im Mittelalter der erste große Meister der „ S e q u e n z". Was heißt das? Im Graduale der Meßliturgie weitet sich etwa seit dem Ende des 8. Jahrhunderts das jubilierende Alleluja vom schließenden Vokal aus zu langen textlosen Melodien. Schon vor der Mitte des 9. Jahrhunderts legt man ihnen daher stützende lateinische Texte unter. Man nennt diese von Sprache gehaltenen musikalischen Bildungen „Sequenzen". Notker Balbulus erschafft in solchen Texten echte, hohe Dichtung, indem er gezügelte Prosa und durchlaufende Kompositionen zu einem musikalisch-poetischen Ganzen vereint. Eine einfache Grundform seiner „Sequenzen": Zwischen einem Eingangsstück und einem Schlußstück folgen Melodienstücke verschiedener Ausdehnung. Jedes dieser verschieden langen Stücke wiederholt sich in zwei gleichlaufenden Textreihen, den sog. „Versikeln", die demnach auf die gleiche Melodie gesungen werden. Die gespannte Prosa der Texte zeigt gelegent-
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Das karolingische Jahrhundert
lieh den Reim. Seit dem 10. Jahrhundert strebt sodann die mit der Sprache vermählte „Sequenz" durch Reim und gebundenen Rhythmus auf den Versbau des strophischen Liedes hin. Diesen ihren Aufbau werden wir bereichert im deutschsprachigen L e i c h wiederfinden, dessen Name in erster Hinsicht das „Spiel" der Melodie ausdrückt. Doch das berührt uns noch nicht, wohl aber die nicht unterschätzbare Bedeutung des Schrittes, daß sich Musik und Sprache unabhängig von antiken und spätantiken Formen zu freier Bewegung zusammenschließen. Denn hier bereitet sich der Melodien- und Strophenreichtum des hohen Mittelalters vor. Um nicht von Notker ohne Beispiel zu scheiden: Eine „Pfingstsequenz" setzt mit einem zweireihigen Eingang (einem einfachen „Versikel") ein: Spiritus / assit nobis gratia
Sancti
(„Des heiligen Geistes / Huld sei bei
uns"). Elf verdoppelte Versgruppen („Doppelversikel"), die aus zwei bis sechs musikalischen Reihen zusammengefügt sind, preisen sodann die Wirkung des heiligen Geistes. Und dem einreihigen Eingang entspricht ein zweireihiger Schluß: Hunc
diem /
gloriosum
fecisti („Diesen Tag / hast Du mit Ruhm erfüllt"). Als Notker Balbulus am Anfang des 10. Jahrhunderts starb, nahte eine neue Zeit, aber nicht für die deutschsprachige Dichtung. Für diesen Wandel haben wir aus dem St. Gallen der Karolingerzeit einen vorwärtsweisenden Beleg. Mit Notker Balbulus gehört der in Zürich geborene R a t p e r t (gest. um 900) zusammen, der dort Lehrer der Klosterschule wird und die Chronik des Klosters, die Casus St. Galli (die „Geschehnisse St. Gallens"), bis zum Jahre 883 schreibt, in dem Kaiser Karl I I I . das Kloster besucht. Der ernste Mönch hat festliche lateinische Gesänge verfaßt. Das uns Erhaltene läuft in Distichen (in der Verbindung von Hexameter und Pentameter) ab, deren Caesurstellen mit den Versenden reimen. Einmal hat er auch deutsche Verse gewagt. In einer langen Strophenkette, im „ L o b g e s a n g a u f d e n h e i l i g e n G a l l u s " , besang er das Leben des Klosterheiligen: dessen Abfahrt in Irland, seine
Karolingisch-lateinische Verswelt
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Gründung des Klosters, seine Wunder, seinen Tod. Er wählte die deutsche Sprache, damit das Legendenlied von einer des Lateins unkundigen Allgemeinheit verstanden werden könne, wobei er wohl an Klostermannen dachte. Erhalten ist uns von dieser Dichtung nur eine Umsetzung in lateinische Hymnensprache, die Eckehart IV. von St. Gallen, der Fortsetzer der Chronik (gest. in hohem Alter um 1060), vorgenommen hat. Eckehart verfuhr schwerlich bloß so, weil der Text nach mehr als hundert Jahren zu altertümlich klang. Um das Jahr 1000 ein Zwanzigjähriger, kam er aus einer Zeit, in der hohe Versdichtung deutscher Sprache nicht gesucht wurde. So können wir denn auch den Wortklang der Ratpertstrophen nur durch das Latein hindurch in nebelhaften Umrissen erahnen. Sie werden in ihrer rhythmischen Gangart dem auf der Reichenau entstandenen „Georgslied" nahe gewesen sein. Bezeichnend übrigens für den Charakter der deutschen Endreimstrophen, daß Eckehart zur Wiedergabe des Gallusliedes keine Distichen, sondern Hymnenstrophen wählte. Unbewußt bestätigte er damit, daß die Hymnenstrophe und die altdeutsche Endreimstrophe parallele Gebilde sind.
III. O T T O N I S C H E U N D F R Ü H S A L I S C H E Z E I T
1.Lateinische
und
deutsche
Dichtung
Der machtlose Lahnfranke Konrad I. (gest. 918) bestimmt, daß ihm der Sachsenherzog Heinrich I. aus dem Geschlecht der Liudolfinger (gest. 936) als rex Francorum folgt. Dessen Sohn Otto der Große (936—973) wird am 2. Februar 962 in Rom zum Kaiser geweiht und gewinnt damit im mittelalterlichen Abendland, das sich als fortgesetztes „römisches Reich" fühlt, f ü r das Königtum der deutschen Lande den Anspruch, die Schutzmacht der Christenheit zu sein. Unter ihm steigt das geistige Leben in Dom- und Klosterschulen. Doch wird enttäuscht, wer erwartet, daß sich jetzt in dem ehedem ostfränkischen, nun aber eindeutig verselbständigten deutschsprachigen Machtbereich deutschsprachige Literatur f ü r eine fortlaufende Oberlieferung bildet. Im ottonischen 10. Jahrhundert und in der frühsalischen ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts, diesen Zeiten wirkungsvoller Reichsmacht, sind so gut wie keine deutschen Verse f ü r das Pergament gedichtet worden. Es scheint sich zunächst fast von selbst zu verstehen, daß in den Tagen Heinrichs I. und Otto I vom niederdeutschen Sachsen keine bestimmende Anregung ausgeht. Denn schon in der Zeit Karls des Großen entscheidet sich, daß vermittelnde Literatursprachen nicht den niederdeutschen Sprachstand zeigen dürfen. Die altsächsische Bibeldichtung aus dem Fulda Hrabans ist ein Sonderfall, erst im 13. Jahrhundert meldet sich niederdeutsches Schrifttum. Doch ein Hinweis auf das Sachsentum der Liudolfinger haftet am Äußerlichen; denkt man an die
Lateinische und deutsche Dichtung
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späte Ottonenzeit oder die f r ü h e Salierzeit, geht er ohnedies ins Leere. Es hat wohl tieferen G r u n d , d a ß damals deutsches Dichten nicht mehr literarisch wird. Die Lateinsprecher der „akademischen" Stellen sind jetzt besser als in karolingischer Zeit gewöhnt, sich frei in lateinischer Kunstsprache zu bewegen. U n d es gibt zudem mehr als f r ü h e r Laien von Stand, die Lateinisches genießen können. Zugleich fehlt es dadurch an Kreisen von Einfluß, die eine literarische Dichtung hochdeutscher Sprache brauchen u n d fordern. Im Rückblick zeigt sich nochmals, wie sehr die literarischen Verse der K a r o lingerzeit vorzeitige Versuche gewesen sind.
a) D i c h t u n g
in
Versen
Aus der lateinischen Dichtung des deutschen Sprachgebietes sei nur Bezeichnendes ausgewählt, in dem die Weite und Tiefe dieser Sprachkunst erkennbar werden. Voran stehe die namenlos überlieferte Waltharii poesis (die „Walther-Dichtung"), eine in H e x a metern abgefaßte Großerzählung, deren reiche Uberlieferung erst mit dem 11. J a h r h u n d e r t einsetzt: Walther von Aquitanien (wenn m a n will: ursprünglich ein Westgote) u n d H i l t g u n d von Burgund, Geiseln an Attilas H o f , flüchten wie vor ihnen der vergeiselte Franke H a g e n . U n w e i t Worms fällt sie im Wasgenwald der habgierige „ F r a n k e " G u n t h e r an, begleitet von Walthers Freund H a g e n u n d elf Mannen. Im Aushalten eines tragischen Konflikts muß auch H a g e n mit G u n t h e r gegen den Freund vorgehen. Nach blutigem K a m p f erneuern Walther u n d H a g e n mit beißendem H u m o r die Freundschaft. Ein unterliterarisches Lied, das vielleicht v o m Mittelrhein herkommt u n d den G u n t h e r u n d H a g e n der Nibelungensage kennt, ist kunstvoll zu einer spannenden, fast romanhaften Geschichte geweitet. Sie w i r d v o m Stil Vergils beherrscht u n d v o m Denken eines Mönches gedeutet. Lange h a t der Thurgauer Eckeh a r t I. von St. Gallen, der zum D e k a n aufsteige u n d betagt 973
60
Ottonische und frühsalische Zeit
stirbt, fast unumstritten als Verfasser gegolten. Denn der ihm nicht verwandte Eckehart IV. von St. Gallen gibt in seinen Casus St. Galli (den „Geschichten des Klosters St. Gallen") um 1040/50 an Eckehart I. eine Vita Waltharii manu fortis. Dieser müßte das ungewöhnliche Werk mittelalterlich-frühreif spätestens um 930 verfaßt haben, wenn sich die Vita Waltharii und die Waltharii poesis decken. Doch geht bei dieser Annahme nicht alles auf. Vom Inhalt her dürfte sich die Erzählung nicht schlecht in das Elsaß des späteren 10. Jahrhunderts fügen. Als gewiß sollte man ansetzen, daß der Geraldus, der einem Widmungsexemplar einen Prolog vorausgeschickt hat, nicht der Dichter gewesen sein kann. Nach vielem H i n und H e r wird man doch wohl wieder Eckehart I. zum mindesten als möglichen Verfasser anerkennen müssen. Nie aber hätte man versuchen sollen, dies Denkmal in die frühe Karolingerzeit zu stellen. Für solches Umschaffen eines „unterliterarischen" Sagenliedes fehlte damals der notwendige Abstand. In Demut selbstbewußt nennt ihren Namen die erste deutsche Dichterin, deren umfangreiches lateinisches Schaffen ohne Einschränkung „ottonisch" genannt werden darf: H r o t s w i t h , Nonne im Kloster Gandersheim am nördlichen H a r z r a n d , das der Ahne der Ottonen Liudolf (gest. 866) gegründet hat. Eine adlige, wohl ostfälische Sächsin von ursprünglicher Begabung, die einen lebhaften Sinn für Novellistisches hat. (Ihren Namen hat sie richtig durch clamor validus Gandeshemensis, „Starkruf von Gandersheim" übersetzt; hochdeutsch würde er damals Ruod-swind lauten.) Vor dem Jahre 960 wird sie durch Gerberg, ihre jugendliche Äbtissin, die als Tochter Herzog Heinrichs von Bayern und Nichte Ottos des Großen aus der Welt Regensburgs kommt, zum Schreiben angeregt. Sie verfaßt zuerst acht L e g e n d e n i n H e x a m e t e r n u n d D i s t i c h e n. D a n n als Gegenstücke zu den altrömischen Schauspielen des Terenz, die längst Lesedramen geworden waren, sechs szenisch gegliederte D i a l o g l e g e n d e n i n R e i m p r o s a , die man
Lateinische u n d deutsche D i c h t u n g
61
nicht „Komödien" nennen sollte. Ihr gehört hier die Auswahl der Stoffe und der knappe, flinke Dialog. Ihre ethische Welt ist eng: Das Leben verlangt Beherrschung der Sinne; das Ideal heißt wie in allen ihren Legendenvirginitas(„Jungfräulichkeit"). Aberahnend erfaßt man immer wieder ein derbfröhliches Herz, das ungefährdet in Gedanken die Stürme durchlebt, aus denen Fromme, auch fromme Sünder, errettet werden. Es folgen in Hexametern die G e s t a O d d o n i s C a e s a r i s A u g u s t i' (die „Taten Ottos des Großen"), die sie 967 beendet. Indem sie bis zur Kaiserweihung des Jahres 962 erzählt, ist alles aus der Auffassung ottonischer Familienlegende gesehen: Otto ist der ideale Herrscher. Wie in der Legende ist Fügung das Kennzeichen geschichtlicher Kausalität, die Legende ist damals die Grundform poetischen Erzählens. Am Schluß ihres reichen Schaffens stehen die P r i m o r d i a coenobii G a n d e s h e m e n s i s , in Hexametern die „Anfänge" ihres Klosters. Eine reizvolle Darstellung, die merken läßt, wie bewußt sie die Schönheit der Heimat sieht! Ein wirkliches Talent dichtet aus einer von Tradition bestimmten Sprache, die ihre Gesichte mitbestimmt. Hundert Jahre früher wäre wohl ihr Typus noch nicht möglich gewesen. An breite Wirkung hat sie übrigens nicht gedacht: beglückt, wenn die abbatissa, gelehrte Kleriker, ja ein Großer der Welt ihr Beifall spendeten. Ihr Ruhm beginnt erst, als der „Humanist" Conrad Celtis die um das Jahr 1000 geschriebene Handschrift ihrer meisten Werke im Regensburger Kloster St. Emmeram entdeckt und im Jahre 1501 ihre „Dialoglegenden" als „Komödien" drucken läßt. Wir begeben uns in die Jahrzehnte, die das Jahr 1000 einschließen. Nichts unterstreicht mehr die Notwendigkeit, die abendländischlateinische Dichtung f ü r die frühe deutsche Literaturgeschichte heranzuziehen, als eine reiche Sammlung von Kleingedichten, die in dieser Zeit entstanden sind. Wahrscheinlich ist sie im mittleren oder nördlichen Rheinland zusammengebracht, damit in einem Gebiet,
62
Ottonische und frühsalische Zeit
das zur westlichen Romania Brücke sein kann. Wir pflegen die in ihr enthaltenen Dichtungen nach dem Aufbewahrungsort einer Abschrift, die man im späteren 11. Jahrhundert in Südengland vorgenommen hat, die C a m b r i d g e r L i e d e r (die Carmina Cantabrigiensia) zu nennen. Indem diese Handschrift geistliche Lieder, Preislieder, Schwanklieder, ja erotische Lieder und anderes mehr zusammenstellt, läßt sie von der damaligen Jahrhundertwende aus in die rhythmischen Möglichkeiten stoffbedingter Liedarten hineinhören. Das etwa gegen 1050 Gesammelte hat dem Bedürfnis lateinkundiger Hof kreise gedient, die über das „Unterliterarische" hinaus nach musikvermählter Dichtung verlangten. Sicher deutschen U r sprungs ist eine Gruppe von Liedern, die in sequenzartiger Klangbewegung ablaufen. Sie beweist, daß die der Antike fremde Sequenzen-Kunst längst über den kirchlichen Gebrauch hinausgegriffen hat. Vier dieser Lieder sind in einer über Westfalen vermittelten Sonderüberlieferung, die uns eine in Wolfenbüttel liegende Handschrift des 11. Jahrhunderts gewährt, mit auffallenden Melodiennamen versehen. Ein Preis auf Christus, den Friedenskönig, geht nach einem modus, der auch Carelmanninc („Karlmannsweise") heißt, was auf eine Karolingische „unterliterarische" Gesangs weise hinzuzeigen scheint. Ein „Lügenmärchen", dessen Held ein Schwabe ist, verwendet den Modus florum (die „Blumenweise"), damit einen Melodientitel, der schon „meistersingerisch" klingt. Dem Modus Liebinc ist, gleichfalls als „Schwabenstreich" erzählt, der verbreitete Schwank vom „Schneekind" eingepaßt; zum Namen der Melodie erinnert man an einen Liebo, der Otto II. im Jahre 982 nach der Schlacht von Otranto rettet. U n d endlich: Der Modus Ottinc singt einen Preis auf Otto den Großen, der die Ungarn besiegt, zugleich einen Preis auf alle drei Ottonen (Otto I., II., III.), sodaß er frühestens um 990 entstanden ist. Aus besonderem Grunde müssen wir diesen Beispielen noch zwei kunstlosere Lieder der Cambridger Handschrift anschließen, die wir
Lateinische und deutsche Dichtung
nordrheinischer Überlieferung verdanken werden. Das Lied Heinrico
63 De
feiert einen Heinrich des Ottonenkreises, der neben dem
Kaiser als Ratgeber steht. Gemeint ist wohl der einst aufständische Bruder Ottos des Großen und Bayernherzog Heinrich I., wie er zur Zeit seines Enkels, des Kaisers Heinrich II. (1002—1024), in der Familienlegende gesehen wird. Das Merkwürdigste: In den lässig gereimten Langreihen der hymnischen Strophen hat die erste H ä l f t e lateinischen Text, die zweite H ä l f t e deutschen Text, beides in deutschsprachiger Betonung. Ähnlich v e r f ä h r t ein e t w a gleichzeitiges Gedicht, von dem wir nur einen fragmentarischen Eindruck haben können, weil es in der Handschrift wegen seines Inhalts durch altes Radieren beschädigt ist. In einer sommerlichen Naturszene läuft ein Dialog a b : Ein M a n n , dessen Stand f ü r uns im Dunkeln bleibt, versucht eine ablehnende N o n n e zur „Minne" zu verlocken. M a n hat das erotische Gedicht behelfsmäßig unter die Uberschrift Kleriker
und Nonne
gestellt. Es ist, wie wenn in diesen
beiden kleinen Werken einer „Mischpoesie" das heimische Sprechen durch das akademische Latein von unten nach oben durchbricht. Alle Gedichte aber, soweit sie sich f ü r das deutschsprachige Gebiet sichern lassen, zeigen nicht nur, wie seelisch wach jetzt Allgemeinheiten sind, wenn sie eine f ü r sie ausdrucksfähige Sprache finden. Sie deuten auch in ihrer Weise an, was uns an Deutschsprachigem im „Unter- oder Halbliterarischen" verloren ist, das den Alltag überhöht: an Liedern und wohl auch an gestaltender Prosa. Z u m Unterliterarischen gehörte auch jenes heimische Erzähllied, das in Latein umgesetzt in den Waltharius
hineinragt. Bezeichnend
nur, d a ß in dieser „akademischen" Klerikerdichtung nicht ein tragischer Stoff der Heldensage, sondern ein im K e r n tragikomischer Stoff jüngerer u n d daher biegsamer Gestaltung gewählt war. Zum grundsätzlich „Unterliterarischen" ja, U n literarischen" stellen sich aber Z a u b e r s p r ü c h e ,
auch wenn sie sich gelegentlich auf
das Pergament verirren, — Beschwörungen, die aus einem elemen-
64
Ottonische und frühsalische Zeit
taren, der Magie zugewandten Sprachdenken geboren sind. Aus dieser Gruppe seien hier die viel erörterten sog.
Merseburger
Z a u b e r s p r ü c h e genannt, weil sie erst im 10. Jahrhundert in eine aus Fulda stammende Handschrift des 9. Jahrhunderts eingetragen sind. Das für sie Charakteristische: Sie setzen beide mit einem epischen Teil ein, der zum Zweck eines Analogiezaubers ein musterhaftes Geschehen anbietet, in dem der Spruch gewirkt hat. Für die gehobene Form darf man unabhängig von der besonderen Aussage der beiden Sprüche die Möglichkeit spätantiken Einflusses erwägen. Im ersten Spruch, der einen Gefangenen lösen soll, wird die Befreiung durch idisi
(walkürenhaft-dämonische Frauen) bewirkt. Im
zweiten vollzieht Wuodan
die Heilung eines schwer verletzten
Pferdefußes, indem er Göttinnen übertrifft, die ohne Erfolg besprechen. Beide Sprüche sind im epischen Teile noch stabendem Dichten nahe, die raunenden Zauberformeln unterstehen ohnedies eigenen Sprechbedingungen. Das Alter dieser Sprüche ist nicht sicher zu bestimmen. Die heidnischen Namen, mit denen der zweite Spruch spielt, erklären sich aus jener dämmerigen Mischwelt, in der sich Magie vollzieht. Doch ist von der Sprache aus zu spüren, daß wir vor das 10. Jahrhundert und aus dem östlichen Vorharzgebiet weg in das Sprachgebiet des karolingischen Fulda hinein müssen. An dieser Stelle sei noch eine kleine althodideutsche Versdichtung eingerückt, die sich nicht sicher datieren läßt. In einer Handschrift vom Ende des 10. Jahrhunderts sind sorgfältig in bayrischem Lautstand Strophen aus zwei oder drei endgereimten Doppelversen eingetragen, die sich ohne strenge Bindung an den 138. Psalm der Vulgata Domine probasti
me et cognovisti
me (in Luthers Übersetzung
„Herr, Du erforschest mich und kennest mich") anschließen. Der unbekannte Verfasser neigt dazu, einen starken Begriff in die erste Reimstelle zu rücken und von ihm aus das passende Reimwort zu suchen: Far ich uf ze himile, — dar pistu mit herie („Fahre ich auf zum Himmel, so bist du dort mit deinem Heere = mit deinem Ge-
65
Lateinische und deutsche Dichtung
folge"); ist ze hello min fart, — dar pistü gegenwart
(„geht meine
Fahrt zur Hölle, so bist du auch dort Gegenwart"). Man hat vermutet, die Verse seien in Freising entstanden, wo Bischof Waldo ( 8 8 4 — 9 0 6 ) als Bruder Bischofs Salomo I I I . von Konstanz (890 bis 9 2 0 ) St. Galler
Anregungen
des 9. Jahrhunderts
weiterreichen
konnte, wie er denn auch eine Otfriedhandschrift herstellen ließ. Doch dürften schon verwischte Endsilbenreime, die nichts mehr von karolingischer Reimstrenge zeigen, das im sprachlichen Griff unsichere Werkdien dem späteren 10. Jahrhundert zuordnen. Trifft dies zu, so haben wir in ihm ein einsames Ansetzen zu einer neuen deutschsprachigen Reimdichtung, das in seiner Herkunft aus späterer Ottonenzeit als Ausnahme eine Regel bestätigt.
b) D e u t s c h e
Prosa
Das dürre Ergebnis: Wenig findet, wer unter den Sachsenkaisern auf Pergamenten nach Diditung heimischer Sprache sucht. Gleichwohl ist das Ottonische Jahrhundert an seinem Ende im Bereich literarischer Kunstsprache nicht nur lateinische Zeit. Am Eingang des karolingischen Jahrhunderts begegnete uns die ungewöhnliche Prosa des „Althochdeutschen Isidor". Eine ungewöhnliche Prosa geleitet uns aus dem Jahrhundert der sächsischen Kaiser heraus. Ende Juni 1022 stirbt in St. Gallen an einer „Pest" mehr als 70-jährig der Thurgauer N o t k e r
III. L a b e o
Unterlippe"), auch T e u t o n i c u s
(„der mit der breiten
(der „Deutschsprecher")
ge-
nannt: frommer Leiter der Klosterschule, der „gelehrteste", den sie gehabt hat. Nach seiner Aussage hat er „nahezu Unerhörtes" unternommen: lateinische Schriften einzudeutschen und aus dem Wissen um Rhetorik und Logik zu erläutern. Ohne etwas von Vorgängern zu ahnen, fühlt er sich als kühner Neuerer. Seine Leistung: Als Sprachtalent von hohen Graden lebt er sich in schöpferischem Ubersetzen aus, indem er zugleich seine Niederschriften mit feinem Gehör 5
Neumann, Literatur
66
Ottonisdie u n d frühsalische Zeit
einer eigenen Orthographie anvertraut. Darin liegt schon, daß er nicht wie sein Zeitgenosse Gerbert von Aurillac, der vom Jahre 999 bis zum Jahre 1003 als Silvester II. den päpstlichen Stuhl inne hat, ein im mittelalterlichen Sinne selbständiger Denker ist. Aber in einem bleibt er ihm vergleichbar: Von seiner Sprache aus hat er das damalige Schulwissen als geordneten Besitz. Im Theoretischen von Größeren abhängig, entwickelt er in nüchterner Sacherklärung seine Stärke. Wir können hier nicht den weiten Kreis seiner Arbeiten beschreiben; einige Titel müssen uns genügen. Verloren sind uns leider die Andria des Terenz, die Bucolica („Hirtengedichte") Vergils und der kommentierte „Hiob" (Job) Gregors des Großen. Dieser „Hiob"Kommentar, den man im Mittelalter auch unter dem Titel „Moralia" führt, weil er als ein Lehrbuch der Moraltheologie gelesen wird, war übrigens Notkers letztes Werk. Erhalten ist uns das vom Piatonismus durchflutete Dialogwerk De consolatione philosophiae („Trost der Philosophie"), das der Römer Boethius im Jahre 524 verfaßt hat, bevor ihn Theoderich hinrichten läßt: von Notker (so überraschend das klingen mag) vor allem als Lehrbuch der Rhetorik und Dialektik benutzt. Und erhalten ist in zwei Büchern die spätantik-barocke Enzyklopädie De nuptiis Philologiae et Mercurii („Die Hochzeit der Philologie mit Mercur"), in der der Nordafrikaner Martianus Capella vor dem Wandaleneinfall des Jahres 429 die „sieben freien Künste" behandelt. Erhalten endlich der „ P s a l t e r " zusammen mit den biblischen „Cantica". Uns geht allein die Sprache an, in der Notker sein Übersetzungswerk ausbreitet. Die Idealform seines Verfahrens: Einem lateinischen Prosastück schließt als Übersetzung ein entsprechendes Stück gespannter deutscher Prosa an, in der einzelne lateinische Worte hervorglänzen können. Lateinischer Text und deutscher Text halten sich gegenseitig und müssen daher als rhythmische Einheiten zusammengelesen werden. In zugefügten Erläuterungen hat das Satzbett deutschsprachige Fassung. Aber immer wieder umgibt das Deutsche
Lateinische und deutsche Dichtung
67
lateinische Begriffe, die wie Pfosten im deutschen Sprachfluß stehen. Das Ganze in der Verbindung von Latein und Deutsch eine merkwürdige „Mischprosa": Stilisierte Gelehrtensprache, die aus dem Kathedervortrag entwickelt ist. Um ein Beispiel zu geben: Der Anfang des 22. Psalmes lautet bei ihm: „Dominus regit me et nihil mihi deerit. Truhten selbo rihtet midi, chit ecclesia de christo, unde niehtes ne bristet mir" („Gott selbst regiert mich und mir wird nichts fehlen. Der Herr selbst lenkt midi, sagt die „Kirche" über „Christus", und an Nichts mangelt es mir"). Es ist eine reiche Wortwelt, in der Notker lebt und in der er mit der Sprache spielt; klangvoll können seine Sätze auf uns eindringen. Warum aber bei solcher Begabung dies umständliche Verfahren? Sehe ich richtig, so sind für ihn die deutschen Worte als Worte einer Erfahrungssprache nicht so scharf umrissen, wie die lateinischen Worte, die einer literarischen Kunstsprache eingegliedert sind. Die literarisch-geistige Welt fordert gleichsam eine deutsche Sprachwelt, in der das durchgebildete Latein die Höhenlage bestimmt. Wie zeitbedingt dies in sich großartige, fast philologische Schaffen Notkers war, erhellt aus der Tatsache, daß abgesehen vom „Psalter" kein Werk nachhaltig gewirkt hat. Als der greise Gelehrte starb, war längst eine neue Zeit im Kommen, die zunächst gerade die Stätten des geistigen Lebens, die Klöster und Domstifte, verwandeln sollte.
5*
IV. F R Ü H M I T T E L A L T E R L I C H E
1. D i e
REFORMZEIT
Anfänge
Am Beginn des Jahres 1049 traf Bischof Bruno von Toul, Vetter Heinrichs III., als Papst Leo I X . in Rom ein. Mit dem „gelehrten" Kaiser verband ihn der Wille zu einer Reform des geistlichen Lebens, der von dem herzoglich-burgundischen Kloster Cluny seit dem Jahre 910 ausgegangen war. Was ist damit gemeint? Nicht nur in Cluny erwacht im 10. Jahrhundert der Trieb, ein nach außen und innen buntes Klosterleben durch strenges Durchführen der Benediktinerregeln im Blick auf ein Ideal zu vereinheitlichen. In den deutschen Landen wird dieser Vorgang besonders mächtig, als der Lothringer Poppo unter Heinrich II. im Jahre 1020 Abt von Stablo und Malmedy wird. Zum Eigenen dieses vom Westen herandrängenden mönchischen Reformwillens gehört dreierlei: Er schließt, spätere Ordenswelt vorausnehmend, Reformklöster im Lebensstil zusammen. Er greift, vom kanonischen Recht unterstützt, auf die Gesamtkirche über. Und immer wieder wirkt er über die Klerikerwelt hinaus auf Allgemeinheiten. Diese werbende Kraft, die nahezu so etwas wie eine tiefer dringende Christianisierung sichert, geht in Deutschland seit dem späten 11. Jahrhundert vor allem von den beiden Schwarzwaldklöstern Hirschau und St. Blasien aus. Da von diesem Reformgeist das ganze, ehedem karolingische Geschichtsfeld bewegt wird, müssen wir uns hüten, uns allzusehr von unseligen politischen Spannungen anziehen zu lassen, die er im Deutschland des späten 11. und 12. Jahrhunderts hervorruft und auf lange hin dauerhaft macht.
Die Anfänge
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Fast mit geschichtlicher Notwendigkeit werden zwar damals die Ansprüche gegensätzlich, die bis dahin zwischen einer „römischen" König- und Kaiserwelt und einer ebenso „römischen" Kurien- und Priesterwelt, nicht genau abgegrenzt, nebeneinander und miteinander bestehen. Aber dieser Streit, der vorläufig unter dem Salier Heinrich V. (1106—1125) und dem Burgund entstammenden Papst Calixt II. (1119—1124) mit dem Wormser Konkordat vom Jahre 1122 abschließt, muß in unserem Zusammenhang auf sein geistig Positives hin betrachtet werden. In Deutschland hilft die Erregung, die alles durchwaltet, in einer bis dahin unbekannten Weise den Eigenwillen der führenden weltlichen klerikalen Gruppen steigern. Die nicht unmittelbar betroffene westliche Romanía aber erhält damals jenen Aufschwung, der ihr bei günstiger wirtschaftlicher Lage auf gesellschaftlichen und literarischen Feldern einen weiten Vorsprung zuteilt. Dort entwikkelt sich zuerst in Zustimmung und Abwehr jene dialektische Methode, die aufgestellte Thesen durch logisches Abwägen beweist, und mit dieser schulmäßig vorwärtsgetriebenen Wissenschaft erwacht jene Regsamkeit, aus der um 1200 zu Paris die erste abendländische Universität hervorgeht. Die Namen Anselms von Canterbury (gest. 1109) und Ivos von Chartres (gest. 1116) mögen diese Anfänge bezeichnen. Dort hat nun auch das geistige Leben einen günstigeren und schnelleren Weg, wenn es gilt, in eine Literatur heimischer Sprache aufzusteigen. Die mönchische Reform mußte an sich schon auf Dauer bewirken, daß auch Laien mit stärkerer Bewußtheit ihre eigene Welt begreifen lernten. In der weniger verworrenen Romanía kommen daher romanische Sprechweisen nunmehr um so leichter zum Zuge, weil sie dem literarischen Latein näher sind. Ein Letztes: Nicht zufällig ist, daß der Adel des romanisch sprechenden Westens, und zwar bis in das zum Reiche gehörige Lothringen hinein, am Ausgang des 11. Jahrhunderts überschüssige Kraft auf die
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Frühmittelalterliche Reformzeit
kleinasiatische, syrisch-palästinensische Ferne versammelt. Vorbereitet durch die Nachbarschaft des sarazenischen Spaniens, folgt er, als Papst Urban II., Franzose und Cluniazenser, 1095/96 zu einem K r e u z z u g aufruft, der die östlichen Kirchen von den seldschukischen Türken befreien soll. So empfängt vom Kreuz Christi her das Rittertum, das aus dem mittelalterlichen Lebensgefüge hervorgeht, früh eine geweihte Würde, deren Träger sich am höchsten in Kampfnot bewähren, wenn sie „Mannen Gottes" sind. Was wäre bei all dem natürlicher, als daß in den deutschsprachigen Gebieten, die durch die lothringisch-burgundische Breite mit romanischer Fürstenwelt verbunden sind, eine verwandte literarische Sprachkunst in eigener Weise einsetzte und bald im Gleichlauf mit romanischer Sprachkunst Raum gewänne? Aber in der Geschichte läßt sidi nichts im voraus bestimmen. Wir müssen etwa von der Mitte des 11. Jahrhunderts an noch lange Literaturwerken nachgehen, deren Auftauchen für uns den Charakter i n s e l h a f t e r Zufälligkeit behält. Am Eingang dieser neuen Zeit stehen zwei Werke, die beim ersten Eindruck wie Nachhall ottonischer Zeit wirken, ohne es zu sein. W i l l i r a m , zeitweise Leiter der Bamberger Stiftsschule, 1048/49 als Abt in das oberbayerische Kloster Ebersberg verschlagen, schließt um 1065 mit Widmung an den jungen Heinrich IV. eine Expositio in Cantica Canticorum (eine „Auslegung des hohen Liedes") ab. Der Text der „Vulgata" wird links und rechts eingerahmt durch einen lateinischen Kommentar, der in Hexametern abläuft, deren Cäsurstelle mit dem Versende reimt, und durch einen Prosa-Kommentar, der eine deutsche Übersetzung mit erklärender „Mischprosa" vereint. Auf diesen Prosa-Kommentar kommt es uns an. Sponsus („Bräutigam") und sponsa („Braut") des „Liedes" sind in einem unmystischen Denken auf Christus als den menschgewordenen Gott und Ecclesia (die „Kirche") als die Vereinigung der Gläubigen bezogen. Die „Kirche" umfaßt zwei Stände: die doctores (die „gelehrten"
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Die Anfänge
Kleriker), die zugleich die praedicatores
(„Prediger") sind, u n d die
gläubigen H ö r e r . In der Verdeutschung erklingen schmiegsame, w o h l l a u t e n d e Sätze; die lateinischen K e r n w o r t e der „Mischprosa" tönen vernehmlich als „gelehrter" P r u n k . D e m Schaffen N o t k e r s III., der als M a n n des Katheders den Frommen u n d den Sachgelehrten ungeschieden in sich hat, ist das Ganze fern. Wie hoch Willirams Anspruch greift, zeigt sein Bekenntnis zu seinem Altersgenossen L a n f r a n c , der als Schulleiter des normannischen Klosters Bec um 1060 seine H ö h e erreicht und 1089 als Erzbischof von C a n t e r b u r y stirbt. Für ein theologisches A u f n e h m e n der Bibel w ä h l t er die Methode rationaler Sinnerhellung. Zugleich aber erstrebt er seelische Erhebung, die er in architektonischer Festlichkeit darbieten will. Erstaunlich, wie stark seine Prosa bis in das nächste J a h r h u n d e r t w i r k t . Erstaunlicher, d a ß der umgeschriebene Text im Ausgang des Mittelalters hervorgeholt w i r d u n d noch 1598 einen Druck verträgt. In anderer Weise zeitnahe ist das zweite W e r k : D e r lateinische R u o d 1 i e b , der sich uns leider nur in Bruchstücken erhalten hat. Die Bruchstücke gehören fast alle zu einer zerschnittenen Tegernseer Handschrift des späteren 11. Jahrhunderts, die wohl das Original w a r . Die einzigartige Erzählung bewegt sich in sog. „leoninischen", in sich gereimten Hexametern, die uns schon bei Williram von Ebersberg begegnet sind. In der Reimbildung von Cäsur u n d Versende wirken sie wie Langverse, in denen je zwei Versteile von drei H e b u n g e n in einer r h y t h m i s c h e n Pause schließen, darin deutschsprachigen Langversen nahe: Sis leo pugnando
/ par ülciscendo
sed
agno! („Sei ein Löwe im K a m p f e , / im Rächen aber ein Lamm!"). U n d das zwanglose Latein scheint aus einem vielschichtigen Gebrauchslatein des Alltags aufzusteigen. N u r wenige Sätze zum I n h a l t ! Ein junger Edling mit N a m e n Ruodlieb flieht vor Fehden in die Ferne. Er tritt in das Gefolge eines mächtigen Königs ein. Ein Krieg mit einem kleineren König bricht aus, in dem wohl der Fremde zum
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Frühmittelalterliche Reformzeit
Feldherrn wird. Der besiegte feindliche Markgraf, der den Krieg verursacht hat, verfällt nicht der Rache. Ruodlieb vertritt einen neuen Ehrbegriff: Höchste Ehre ist, mit dem Zorn sparsam zu sein. Wir sehen hinein in eine musterhafte Politik, die von einem nicht minder musterhaften Hofzeremoniell begleitet ist. Die Mutter ruft Ruodlieb zurück, da dessen Feinde unschädlich geworden sind. Mit byzantinischen Goldmünzen, die ohne sein Wissen in Brote gebacken sind, und zwölf guten Lehren macht er sich auf den Weg; es sind Lehren einer Weisheit, die zu beherrschtem Leben anleitet. Solche Weisheit bewährt sich sodann in einer „Beispielgeschichte" von novellistischer Spannung: Mit dem Zurückkehrenden werden wir Zeuge einer Eheschließung und der höfischen Absage an eine Unwürdige, die sich mit einem Clericus eingelassen hat. Zum Schluß scheint uns das Erzählte in ein Heldenmärchen zu führen. Soweit sich erkennen läßt, soll Ruodlieb mit Hilfe eines Zwerges die Könnigstochter Heriburg und mit ihr ein Königreich gewinnen. Nicht sicher wird, ob der Poet die Erzählung je vollendet hat. Der nur in Bruchstücken sichtbare Verlauf erschwert ein endgültiges Urteil. Nicht zu schnell sollte man den verschwimmenden Begriff „Roman" an den „Ruodlieb" herantragen. Scheinhistorie, ins Novellistische umgeformte „Beispielerzählungen" und schließlidi ein Heldenmärchen, das einen Romanschluß vorbereitet, sind durch die Gestalt Ruodliebs zusammengehalten. Die bunte Schilderung darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß wir uns durchgehend in einer stilisierten Welt aufhalten, in die literarische Motive hineinspielen. In der Art, wie ideales Herrschertum und seine geistliche und weltliche Umgebung gezeichnet werden, spürt man deutlich den Einfluß des Reformdenkens. Mag sein, daß dem Autor eine Gestalt wie Heinrich III. (1039—1056) vor Augen trat, als er eine ideale Königswelt darzustellen suchte. Solche Erwägung legt daher den Gedanken nahe, daß das Werk noch unter Heinrich III. etwa um 1050 entstanden ist. Doch dürfte damit die frühste Zeitstelle angegeben sein.
Die Anfänge
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Zum Überraschenden des Werkes gehört, wie stark es einen verbindlichen Gesellschaftsstil versinnlicht, der sich ethischen Maßstäben unterwirft. Es ist, wie wenn solch lateinischer Versuch des Erzählens bald in entsprechende deutschsprachige Versuche umschlagen müßte. Aber dann stürzt um das Jahr 1075 der Ausbruch des Investiturstreites das deutsche Gesamtleben in Wirrnis, weil hier seit der Ottonenzeit in den geistlichen Herrschaften weltliche und geistliche Befugnisse engst verbunden sind. Aus dieser Lage heraus dürfen wir für jenes Jahrhundert deutschsprachiger Literatur, das vom späteren 11. Jahrhundert bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts reicht, also im Ungefähren mit der Zeit Heinrichs IV. einsetzt und mit dem Beginn der Barbarossazeit abschließt, ein wichtiges Ergebnis vorwegnehmen. Die uns erhaltenen Verswerke von Kunstcharakter kommen fast durchgehend aus Domstiften und Klöstern, und sie haben fast durchgehend Gehalte, die sich dem streng religiösen Bereich einfügen. Doch sollte man vermeiden, von „cluniazensischer" Dichtung zu sprechen. Denn man nimmt damit ihren Aussagen die Tiefe zeitbedingter Erregung. Hier streben jetzt nicht nur Kleriker aus einem Gesamtgefühl über das ihnen vertraute akademische Latein hinaus. Auch Laien nehmen jenseits jeder Parteiung über alle Spannungen des Tages hinweg als Aufnehmende an diesem Gesamtgefühl teil. Zur Erläuterung sei daran erinnert, daß in jenem Jahrhundert zwei neue mönchische Ordnungen auf deutschem Boden mächtig werden. Seit dem späteren 11. Jahrhundert vereinen sich Stiftskleriker in einer nach Augustin genannten Regel, um so als „regulierte Kanoniker" (als „Augustinerchorherren") ihr Priesteramt zu versehen. U n d seit den 20er Jahren des 12. Jahrhunderts werden Cisterzienserklöster gegründet, deren Besonderes gegenüber den älteren Klöstern ist, daß sie nach der 1118 im burgundischen Citeaux festgelegten Verfassung bei aller Selbständigkeit ihrem Stammkloster und dadurch auch Citeaux selbst fest verbunden bleiben. Kein Geringerer als der Babenberger Otto,
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Frühmittelalterliche R e f o r m z e i t
Halbbruder König Konrads I I I . und seit 1138 Bischof von Freising, ist Jahre vorher (etwa 1133/34) nach einem Studium in Paris Cisterzienser geworden. Wie man aber den Einfluß solch mönchischer Anstrengungen einschätzen mag, an ihnen geht uns auch für die Folgezeit ein T y p i s c h e s
an. In geistlichen Regelungen dieser Art
bekundet sich ein weiterreichender Wille, in einem a u s g e p r ä g t e n S t i l zu leben, der von seinen Trägern fordert, daß er bewußt dargestellt wird. 2. G e i s t l i c h e
Lehrdichtung
Wir suchen zunächst Verswerke auf, die sich an Dogmatisches und Biblisches halten. An den Anfang pflegt man ein Strophenwerk zu stellen, dem man den neuzeitlichen Titel E z z o s
Gesang
ge-
geben hat. In feierlich schwingender Sprache, die im Sinnbildlichen über sich hinausweist, wird das Weltgeschehen vom Anfang der Zeiten bis zur Erlösungstat Gottes so zusammengefaßt, daß an seinem Ziele die crux salvatoris (das „Kreuz des Heilands") steht. In dieser blockhaft zusammengedrängten Fülle haben wir ein Ganzes nur in der sog. „Vorauer Handschrift" des späteren 12. Jahrhunderts, die nach ihrem Aufbewahrungsorte, dem nordost-steirischen Stifte Vorau genannt wird. Eine Prologstrophe berichtet uns, Bischof Gunther von Bamberg (gest. im Juli 1065) habe ein von Ezzo niedergeschriebenes, von Wille komponiertes „Lied" machen lassen, durch das die Bamberger Chorherren zum „regulierten" Leben angeregt seien. Aber sie bezieht sich nicht unmittelbar auf das folgende, das ausdrücklich als „Rede" bezeichnet wird. Auch fehlt sie in dem Bruchstück einer kürzeren Fassung, die um 1100 in eine oberschwäbische Handschrift eingetragen ist. Und schwerlich kann mit dieser nicht minder „gelehrten" Kurzfassung jene deutschsprachige cantilena
von den „Wundern Christi" (de
miraculis
Christi) gemeint sein, die Ezzo als Bamberger Schulleiter auf dem Pilgerzug verfaßt haben soll, den Bischof Gunther unter dem Erz-
Geistliche L e h r d i d u u n g
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bischof Siegfried von Mainz 1164/65 unternimmt. Aber der genannte Ezzo muß an dem eindrucksvollen Strophenwerk, das vielleicht ein Gemeinschaftswerk war, führend mitgearbeitet haben, und mindestens die Kurzfassung, die sich nicht mehr mit zureichender Sicherheit in ihrem ursprünglichen Wortlaut wiederherstellen läßt, fügt sich im Erhaltenen gut dem späteren 11. Jahrhundert ein, dem die „Vorauer" Fassung wohl nicht mehr als Ganzes angehört. In anderer Weise eindrucksvoll ist als Sprachwerk ein herber strophischer Aufruf an Alle, über diese Welt hinaus in einem gerechten Leben an dessen zwanghaftes Ende zu denken, wobei wohl mit Absicht zum Schluß an die dem Menschen verliehene Gabe erinnert wird, sich selbst mit freiem Willen zu entscheiden. Man hat die gleichgebauten Strophen, die in dieselbe oberschwäbische Handschrift eingeschrieben sind, der wir auch die fragmentarische Kurzfassung von „Ezzos Gesang" verdanken, ein M e m e n t o m o r i (eine „Erinnerung an den Tod") genannt. Auch aus ihnen spricht noch das spätere 11. Jahrhundert, wie man auch den Namen Noker beurteilt, mit dem sich im Reim des letzten Langverses der Verfasser zu nennen scheint. Gewiß gehört schon in den Anfang des 12. Jahrhunderts eine Komposition eindringlicher Sprechstrophen, die man mit dem anspruchsvollen Titel S u m m a t h e o l o g i a e ausgezeichnet hat. Zwischen Gedanken über Gott und die „letzten Dinge" werden Gedanken über die Schöpfung, den Menschen und seine Erlösung sowie über Moraltheologisches in einer vielsagenden Verssprache zusammengedrängt, die in eigener Weise im Wettbewerb mit den knappen Aussagen lateinischer Hymnenstrophen ist. Durchlebtes Dogma soll anspruchsvolle Hörer (etwa der Mainzer Diözese) erbauen, denen jede Anspielung ein ganzes Kapitel in die Erinnerung ruft. Der neuzeitliche Titel hat ein bedingtes Recht; denn es waltet hier schon ein Systemdenken, wie es um 1100 in der Schule eines Anselm von Laon (gest. 1117) geübt wird. Den Rang des kleinen
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Denkmals bestimmt nicht die Originalität der Gedanken. Alle Reimdichtungen dieser Zeit wollen nur Gültiges aussagen. Ihr Eigenes zeigt sich im Aufbau; es zeigt sich vor allem in der Kunst, mit der die Kraft bindender Sprache, losgelöst vom akademischen Latein, Weltwissen dem Gutwilligen faßbar macht. Auf welche verschiedene Art aber versucht werden kann, dogmatische Gehalte in Versgängen aufzuschließen, mögen aus etwas späterer Zeit zwei verwandte Reimdichtungen zeigen, die in ungleichmäßig gebaute strophische Stücke gegliedert sind. Die der Dreizahl zugetane Reimpredigt V o m R e c h t e meint eine Rechtlichkeit von Menschen, die sich in Treue und Wahrheit an ein ethisches Grundgesetz binden. In diesem Zusammenhang spricht sie vom Eherecht, durch das Mann und Weib ein „Leben" sein sollen; ebenso von der Pflicht des Priesters, dem zukommt ein vorleitxre
(ein
„Wegweiser") zu sein; Gott ist aller meister. Es sind Verse, die in dörfliche Weit (etwa von einem Priestermönch) gesagt werden. Das umfangereichere Verswerk D i e H o c h z e i t beginnt mit einem heren Spelle (einer „erhabenen Beispielerzählung"): Der Herr vom Gebirge heiratet ein adliges frommes Mädchen vom Tal — ein buntes Bild höfischer Festlichkeit. Doch wer sind sie? Der Bräutigam ist der Heilige Geist, die Braut der Mensch. Wir stehen plötzlich in einer allegorischen Welt, und das Erzählte ist f ü r eine enthemmte Auslegekunst nur der Ansatz. Die Erläuterung weitet sich schließlich in einen Erlösungsbericht, der in dem Schlußgebet endet: „und mache uns an der Seele gesund". Beide Denkmäler hat uns eine nach 1150 geschriebene Handschrift erhalten, die lange in dem Kärntnischen Kloster Millstatt lag. Aber ob sie dort geschrieben ist? Eher kam sie aus dem bayrischen Nordwesten der Erzdiözese Salzburg, zumal sich dann bei beiden Denkmälern alemannische Sprachzüge leichter erklären. Schwerlich dürfte aufhellbar sein, in welcher Weise der Verfasser des Gedichtes „Vom Rechte" an dem wohl aufge-
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schwellten Gedichte „Die Hochzeit" beteiligt war. Da in den beiden sympathischen Zeitdokumenten kein starker künstlerischer Wille arbeitet, sind sie zeitlich nicht leicht festzulegen. Vor dem Jahre 1150 sollte man bleiben. 3. F r ü h e E r z ä h l k u n s t Doch nun zum Epischen im weitesten Sinne des Wortes: Zur literarischen E r z ä h l k u n s t . Ihre schriftkundigen Erzähler halten sich zunächst an das, was ihnen als vornehmster Gegenstand gegeben ist: Sie lassen in ihrem orts- und zeitbedingten mittelalterlichen Gesichtsfeld biblische Geschehnisse ablaufen. Auf diese Weise werden biblische Vorgänge zu mahnenden Ereignissen, die menschliches Leben erklären, indem sie es in ein gültiges Geschichtsbild einfügen. Der erste großepische Versuch dieser Art hat einen ausgeprägten Stil: die W i e n e r G e n e s i s , genannt nach einer in Wien liegenden Sammelhandschrift, die wohl gegen 1150 geschrieben ist. Die „Rede", für die der Erzähler Gottes Hilfe braucht, setzt mit der Stiftung der Engelchöre und dem Sturz Lucifers ein, der Gott gleich sein will. Durch den zum Teufel gewordenen Engel sind die Laster der Hochfahrt und des Neides da. Adam und Eva müssen aus dem Paradies, weil sie sich nicht zu ihrer Schuld bekennen, sondern sie aufeinander abwälzen. Auf die Zukunft weist Gottes Wille, einst vom Weibe geboren zu werden, um durch seinen Tod den Fall Adams zunichte zu machen. Damit sind wir in die Geschichte der Menschheit eingetreten. Alles was sich in ihr verwirklicht, ist in folgenschweren Vorgängen angelegt. Abels Blut nimmt der Erde die Jungfräulichkeit, seit Kains Tat wuchert der Neid. Noes Fluch über den höhnenden Cham läßt die Stände der Freien und Unfreien entstehen. Die Vielzahl der Sprachen ist eine Folge der Hochfahrt, die die Erbauer eines großen Turmes trifft. Uber die Geschichte der drei Patriarchen Abraham, Ysaak und Jacob erreichen wir die Geschichte Josephs, der vom ägyptischen König zu der
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werlt beiläre (zum „Weltarzt") erhoben wird. Josephs Geschichte hat ihre Höhe in dem Segen, den Jacob vor seinem Tode über seine zwölf Söhne spricht. Der vierte Sohn Juda führt den Erzähler zu „Christ", in dem Gott die Menschen zu „Brüdern" haben will. Der siebte Sohn Dan zum „Antichrist", der dagegen werben wird, daß die Menschen an den Sohn miner frouwen
sante Marien
(„meiner
Herrin, der heiligen Maria") glauben. Der achte Sohn Gad führt abermals zu „Christ", „unserem Vorfechter", der am „jüngsten Tage", dem Tage des Gerichts, in das Paradies aufnimmt. So umspannt dies „Epos", das mit Josephs Tode endet, in Vorschau und Ausschau das Weltdrama vom Beginn bis an das Ende der Tage, — gesprochen von einem „gelehrten" Priester, der von einem Stift aus in eine ländliche Welt sieht. Die Behandlung des biblisdien Stoffes ist durch das Geschichtsbild bedingt. Die Erzählsprache vermeidet rhetorischen Schmuck. Die freigebauten Verse, die auf die Norm von vier Sprechtakten zustreben, sind in ungenauen, oft „primitiven" Reimen gebunden. Es ist, wie wenn sich der Autor aus einem verwilderten Versbau emporringen müsse, in den sich zersetzter „stabender" Versbau aufgelöst hat. D a eine jüngere Bearbeitung der „Genesis" in der Millstätter Handschrift des mittleren 12. Jahrhunderts überliefert ist, wird man für das Original nach einer Stelle suchen, von der sein Text nach Osten und Süden abgewandert sein kann. Hierfür bietet sich am ehsten das altbayrische Gebiet an, in dem wir mit den Muspilli-Versen
im späten 9. Jahrhundert den
stabenden Vers verlassen haben. Dem Autor gilt übrigens als feste Sitte, daß der König durch den Ring die Bischöfe bestimmt. E r fühlt sich also noch nicht durch das Verbot der Laieninvestitur gebunden, das auf der Fastensynode Gregors V I I . im Februar 1075 ausgesprochen wird. Viel später kann er nicht geschrieben haben. Bezeichnend, daß selbst bei diesem großepischen Versuch kein Verfassername erscheint. Um so merkwürdiger ist, daß wir aus dem frühen 12. Jahrhundert (der Zeit um 1120?) den Namen einer rei-
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menden Frau haben. In doppelter Überlieferung liegt uns ein L e b e n J e s u vor, dem ein A n t i c h r i s t und ein J ü n g s t e s G e r i c h t anschließt: ein gelegentlich anheimelndes Gesdiichtenbuch. Als Verfasserin nennt sich eine A v a , die in Verse bringt, was ihr ihre beiden, wohl mönchischen Söhne klar machten; die Bitte für die Söhne wird ihr den Namen entlockt haben. Vielleicht fassen wir in ihr jene Klausnerin „Ava", deren Tod die Melker Annalen zum Jahre 1127 melden. Wir können übrigens nicht abschätzen, wieviel sie in ihren Versen der Mitarbeit ihrer Söhne verdankt, von denen einer bereits gestorben ist. Biblischer Großerzählung folge eine biblische „Ballade", deren drängende Sprache sich auffallend stark von der deutschen Sprache literarischer Rede abhebt: die in unregelmäßigen Strophen überlieferte Ä l t e r e J u d i t h , s o genannt, weil uns aus gleicher Zeit eine breite, flache Wiedergabe des apokryphen Judith-Buches überliefert ist. Holoferne belagert die Burg Bathania. Die Burgbewohner hungern im Glauben an „Crist"; noch drei Tage wollen sie warten, ob Gott hilft. Die schöne Judithe verläßt die Burg. Auf Holofernes Befehl tragen sie Kämmerer in sein Zelt. Sie läßt zur Hochzeit (zum brütloufi) ein Festmahl herrichten. Der trunkene Holoferne schläft ein, sie nimmt ihm das Schwert weg. Der Betenden gebietet ein Engel, daß sie Holoferne das Haupt abschlägt, es in ihren Ärmel steckt und zur Burg zurückkehrt. Die Frau einem Manne ausgeliefert, den sie verabscheut; die strafende Frau, der die Trunkenheit des Mannes zur Tat verhilft: das ist das Gerüst einer Handlung, das dem Gerüst alter „Erzähllieder" verwandt bleibt. Audi wirkt der offenbar zersetzte Text wie Niederschrift eines geistlichen „Heldenliedes", das mündlich weitergetragen ist. Wir spüren hier besonders deutlich, daß die Verssprache unter der uns überlieferten Buchwelt eine gesonderte „unterliterarische" Entwicklung hat, die (für uns nicht genau feststellbar) an der Buchsprache mitbaut. Der Zustand des Erhaltenen, das auf südrheinfränkische (pfälzisdie?) Herkunft
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weist, gestattet keine genauere Festlegung; das Lied mag erst gegen 1150 aufgezeichnet sein. „Unterliterarischen" Erzählliedern heroischer Sage halten christliche H e i l i g e n l e g e n d e n das Gegengewicht, indem sie ihre Helden durdi Gefährdungen hindurch zu vorbildlichen Gestalten erheben. Kein Wunder, daß sie jetzt in die Schriftwelt gereimter Verswerke aufsteigen! Die älteste und merkwürdigste dieser Legenden begegnet uns im rheinisch-mittelfränkischen A n n o 1 i e d , das nur durch einen Druck erhalten ist, den M a r t i n O p i t z im Jahre 1639 nach einer Handschrift des 12. Jahrhunderts kurz vor seinem Tode veranlaßt hat. Die ersten Sätze erinnern an „unterliterarische" Lieder, in denen wie später in der „Kudrun" und im „Nibelungenlied" feste „Burgen" brechen, Freundschaften sich trennen und Könige untergehen. Demgegenüber sollen die Wunder Annos die Gedanken auf unser Ende richten. Hier spricht nicht radikale Weltflucht gegen „unterliterarische" Lieder. Es soll vielmehr der Sinn von einer freischwebenden Sagenwelt weg auf die in sich zusammenhängende Heilsgeschichte gelenkt werden, in die sich Annos Leben einordnet. Aber nur der zweite kleinere Teil erzählt die Legende des gewaltigen Kölner Erzbischofs, der 1075 im Reformkloster Siegburg stirbt und 1183 heilig gesprochen wird. Seiner Legende ist nach der Einleitung eine Art „Chronik" vorgelagert, die schließlich in der Frankenstadt Köln endet. Sie führt zunächst von Ninive nach Rom, läßt Cäsar die „deutschen Lande" unterwerfen und mit Hilfe der „deutschen Mannen" seine „Reiche" gewinnen. Uber die Bekehrung der Franken wird sodann das ins Beispielhafte erhöhte Leben „Sankt Annos" erreicht. Man sollte das kleine Werk trotz seiner ungeregelten Versgänge nicht in das spätere 11. Jahrhundert stellen, zumal es über Heinrich IV. spricht, als ob er nicht mehr lebe. Es wird frühestens um 1110 entstanden sein, als der Bayer Kuno von Falkenstein (gest. 1132) Abt in Siegburg war; er bringt die Kenntnis des Textes nach Regensburg, als er dort 1126 Bischof wird.
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Von der Kölner und Trierer Frankenwelt des Annoliedes trägt uns daher der literarische Weg wie von selbst nach dem bayrischen Regensburg, das in sich einen Königshof, einen Bischofshof und den bayrischen Herzogshof vereint. Dort entsteht mit langer Wirkung eine „Chronik vom römischen Reich", die wir mit bedingtem Rechte die K a i s e r c h r o n i k nennen. Das gewaltige Verswerk, das wahrhaftes und erziehendes Wissen darbieten will, setzt bei Caesar ein, durch den es, wie das „Annolied" Zukunft vorausnehmend, die „Deutschen" mit dem Romreich verbindet. Bis zu Karl dem Großen zählt es vierunddreißig „römische Könige". Unter ihren Namen wird aus verschiedenen Traditionen (aus Chronik, Legende und Sage) Denkwürdiges aufgezeichnet, dessen Ablauf Musterhaftes oder Abschreckendes zur Nachahmung oder Warnung anbietet. Darunter sind bereits Erzählstücke, die das erhöhte gesellschaftliche Leben einer frühen Ritterkultur voraussetzen. Konstantin der Große, als erster von einem Papste geweihter Kaiser, und Karl der Große, als erster „römischer König" und Kaiser „aus deutschen Landen", sind aufeinander bezogen: Sie legen die gültigen Ordnungen des „römischen" Reichsgefüges fest. Wenn man Karl den Großen für sich stellt, folgen ihm bis zum Stauf er Konrad III. achtzehn „römische Könige". Der am Schluß tätige (wohl zweite) Bearbeiter führt die Chronik bis zum Jahresende 1140, an dem sich Markgraf Leopold IV. von Babenberg als Bayernherzog gegenüber Weif VI., dem Bruder Heinrichs des Stolzen, durdisetzt. Dann springt er bis zum Jahresende 1146, an dem sich Konrad III. entschließt, das Kreuz zu nehmen. Die Chronik ist demnadi im Frühjahr 1147 abgebrochen worden, vielleicht weil ihr letzter Bearbeiter in das Kreuzzugsgeschehen der Jahre 1147/48 hineingezogen wurde; die noch unregelmäßig gebauten Verse fügen sich gut in diese Zeit ein. Als Ganzes lebt die Chronik spürbar aus einem gemäßigten Reformdenken, das auf einen Idealzustand zustrebt, in dem sich „römische" Königs- und Papstwelt, auch deutsche Königswelt und Fürstenwelt 6
Neumann, Literatur
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durch Ausgleich zusammenfinden, womit sie das nie gelöste Grundproblem des römisch-deutschen Mittelalters umschreibt. Ohne die Mittel eines reichen Stifts hätte sie nicht geschrieben werden können. Wir sind mit der Chronik ganz nahe am R o l a n d s l i e d , durch das in eigener Weise die französische Chanson de Roland ins Deutsche umgesetzt wird. Als Autor nennt sich im „Epilog" der P f a f f e K o n r a d , ein clericus, der wohl als Schriftkundiger ein Amt am bayerischen Herzogshofe hatte. Seine Verssprache verbindet ihn eng mit dem Kreise, dem wir die „Kaiserchronik" verdanken. Konrad erzählt, wie Kaiser Karl durch Überwinden der Heiden das Gottesreich gewinnt. Karls zwölf „Vorfechter", unter ihnen Karls Neffe Ruolant, haben als höchsten Wunsch, die Märtyrerkrone zu erwerben. Damit erreichen wir die Sagenbasis der Legendendichtung. Der Heidenkönig Marsilie von Saragossa ist zur Taufe bereit, wenn Karl Spanien verläßt. Genelun, der im Gegensatz zu seinem Stiefsohn Ruolant steht, soll erkunden, was Marsilie wirklich will. Aus Neid verrät er die Christen an die Heiden, und er sorgt dafür, daß nach Karls Abzug Ruolant mit den anderen „Vorfechtern 1 ' als Statthalter zurückbleibt. Die Heiden greifen auf dem Felde von Runzeval mit Ubermacht an. Ruolant bläst erst sein weitdringendes Horn, als es gilt, durch Karls Rückkehr eine christliche Bestattung zu sichern. Ruolant stirbt als letzter in Erschöpfung unter Erdbeben, Sturm und Sonnenfinsternis einen einsamen Legendentod. Der herangeeilte Karl vernichtet Marsilies Heer. Er erschlägt Marsilies Oberherrn, den König Paligan aus Persien; die Heiden weichen. In Aachen wird der untreue Genelun gerichtet. Man darf Konrads „Lied" nicht von der großartigen französischen Chanson aus beurteilen. Diese erzählt von Karl als dem König und Kaiser des „süßen Frankreichs". Für Konrad ist Karl der „römische" Schirmherr, der sein Gesetz von Gott empfängt, als solcher die „Grundfeste" der Christenheit. Die Legende vom Märtyrertod Ruolants ist zudem bei ihm als Kernstück einer Dichtung eingefügt,
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die Karlsdichtung sein will. Vielleicht hat ihn zu solcher Sicht die lateinische Prosa einer Historia Karoli Magni et Rotolandi gebracht, die unter dem Namen eines T u r p i n läuft und in ihrer ersten Fassung wie die erste Fassung der Chansons schon um 1100 entstanden sein mag. Der nicht in einem Wurf entstandene „Epilog" des „Rolandsliedes" preist einen Bayernherzog Heinrich, der auf einem Kreuzzug ist. Daher kann nicht mit diesem Herzog der Weife Heinrich der Löwe gemeint sein, dessen kampflose Pilgerfahrt vom Jahre 1172 ohnedies f ü r den Versstil des „Liedes" zu spät liegt. Teilnehmer des allein in Frage stehenden Kreuzzuges 1147/48 ist aber der Babenberger Heinrich Jasomirgott, von Mutters Seite Halbbruder König Konrads III., seit Anfang 1143 Bayernherzog, seit 1156 erster Herzog von Österreich. Als weibliche Anregerin bietet sich dann nur die Bayernherzogin Gertrud, die Tochter Lothars von Supplinburg, an, die nach dem Tode Herzog Heinrichs des Stolzen vom Jahre 1139 im Frühjahr 1142 in zweiter Ehe Heinrich Jasomirgott heiratet und schon im Sommer 1143 stirbt. Alles in allem: Konrad wird sein „Rolandslied" vor der Rückkehr des Herzogs vom Kreuzzug etwa im Jahre 1148 vollendet haben. Erst jetzt dürfen wir uns der ältesten deutschsprachigen Darstellung der Alexandersage zuwenden: dem A l e x a n d e r l i e d des „ P f a f f e n " L a m p r e c h t . Schlecht und recht ist hier in einem steifen Versstil der „Alexander" des französischen Burgunders Alberich von Bisenzun, von dem leider nur wenige Verse erhalten sind, in ein mittelrheinisches Deutsch umgesetzt. Wir greifen Lamprechts Text nur in der „Vorauer Handschrift" des späten 12. Jahrhunderts, einer uns schon bekannten süddeutschen Sammlung geistlicher Verswerke, wo er den alttestamentlichen Stoffkreis abschließt. Der „wunderliche" („außergewöhnliche") Alexander wächst, leiblich und geistig frühreif, in bester Erziehung auf. Als junger König rückt der Hochfahrende gegen den Perser Darius aus, um von einer Zinspflicht frei zu werden. Der nicht minder hochfahrende Darius sam6»
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melt ein Heer auf dem Felde Mesopotamien. In einem steil abfallenden Schlüsse erfahren wir, daß Alexander den Kampf beendet, indem er Darius das Haupt abschlägt. Eine im Gesamtstil jüngere Fassung, S t r a ß b u r g e r A l e x a n d e r genannt, weil sie namenlos in einer im Jahre 1870 verbrannten mittelrheinischen Handschrift stand, die ins Elsaß gewandert war, führt das Erzählte weiter, indem sie den schnellen Schluß des V o r a u e r A l e x a n d e r beseitigt. Alexander wird vor der Dariusschlacht in die Heimat zurückgeholt, und setzt daher erneut zum Kriege an. Der geschlagene Darius beklagt seine Hochfahrt. Alexander söhnt sich mit dem Sterbenden aus und heiratet dessen Tochtcr Roxanie. Er erschlägt den Inderkönig Poros und lernt die Wunder des Orients kennen. Den Unersättlichen treibt seine Hochfahrt an, Zins vom Paradies zu erzwingen; aber er scheitert an der Paradiesesmauer. Zurückgekehrt wandelt er sich und befreit sich so von aller Begehrlichkeit. Das Ganze stellt sich in dieser Fassung als die romanhafte Legende eines Mannes dar, der vor seiner Wandlung trotz seiner Größe nicht lebte, wie er sollte. Die Überlieferung wirft Fragen auf, die wohl nie einheitlich beantwortet werden können. Wahrscheinlich ist, daß Lamprecht dort abbrach, wo die „Vorauer Handschrift" abbricht, was auch die unpersönliche Ansage seines Namens nahelegt. Ungewisser ist, ob und wieweit ein Bearbeiter, der Lamprecht nahe war, das ihm Vorliegende verlängert hat. Ist es nicht geschehen, so steigt der Rang des „Straßburger" Textes, dessen Autor seinen Namen verschweigt, wohl weil er einer lateinischen „Historie" und nicht einem französischen Vorgänger folgt. Lamprechts ersten Hörerkreis hat man in Köln oder Trier gesucht. Man sollte sich für Trier entscheiden, schon weil auch die „Straßburger" Fassung, die wohl einer von der unteren Lahn gebaut hat, nach Trier weist. Dann wird möglich, daß der einflußreiche Trierer Erzbischof Adalbero von Münsterol (1132— 1152), ein französischer Lothringer, der im Jahre 1138 die Wahl
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Konrads III. durchsetzt, dem clericus Lamprecht die Vorlage verschaffte. Der Autor der „Straßburger" Fassung strebt bereits in den Sprachstil einer ritterlich-höfischen Gesellschaftskultur. Seine Arbeit ist nicht vor dem Jahre 1170, aber auch noch um 1180 möglich. Die Entscheidung hängt davon ob, ob er auf die „Eneide" Heinrichs von Veldeke vor deren erstem Wurf gewirkt hat, obwohl Heinrich solche Hilfe nicht brauchte. Das hohe und späte Mittelalter haben sodann neue Alexanderwerke deutscher Sprache entstehen lassen, nicht zum wenigsten wohl auch, weil die Sicht, die zum Reformdenken des 12. Jahrhunderts gehörte, der späteren Zeit fremd geworden war. Einer vom Mittelrhein war auch der f ü r uns namenlose clericus, dem wir den bedeutsamen Schritt zum K ö n i g R o t h e r verdanken. Hier begegnen wir zum ersten Mal einer deutschsprachigen Erzählung, die in novellistischen Geschehnissen Weltleben romanhaft überhöht. Rother, „römischer" König mit Sitz in Bari, sendet Boten aus, die ihm f ü r die Geburt eines Erben die Königstochter von Konstantinopel gewinnen sollen, obwohl ihr Vater Konstantin bislang jedem Werber das Leben genommen hat. Die Boten werden gefangen gesetzt. Rother fährt mit Herzog Berchter von Meran und dem Riesenkönig Asprian aus, um unter dem Namen Dietherich und der Angabe, von Rother vertrieben zu sein, durch List sein Ziel zu erreichen. Durch eine künstlich herbeigeführte Schuhprobe kann er sich der ihm zugeneigten Königstochter entdecken. Durch eine Melodie, an der ihn die gefangenen Boten erkennen, beweist er ihr, daß er wirklich Rother ist. Als Dietherich besiegt er sodann den König von Babylon und benutzt das Kriegsende, um die Erwählte zu entführen. Trotzdem schwingt die Erzählung weiter. Ein „Spielmann" entführt, als K a u f m a n n verkleidet, die junge Königin, um sie wieder zu ihrem Vater zu bringen. Rother bricht mit einem Heere auf und verbirgt es vor Konstantinopel. Inzwischen hat der Vater Konstantin die Tochter dem Sohn des Königs von Babylon
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versprechen müssen. Rother erscheint als Pilger beim Hochzeitsmahl; er gibt sich zu erkennen und soll gehängt werden. Sein Hornruf ruft sein Heer herbei; die Babylonier werden vernichtet; König Konstantin, der seiner „Hochfahrt" absagt, wird um der „Frauen" willen begnadigt. Nach der Rückkehr gebiert die Wiedergewonnene Pippin, den Vater Karls des Großen. Am großjährig gewordenen Pippin wird die Schwertleite in Aachen vollzogen. Rother, sein Weib und Berchter vermönchen sich. Man sollte nicht bezweifeln, daß im ersten Teil aus rheinischer Tradition das Gerüst eines „unterliterarischen" Erzählliedes eingebaut ist, in dem eine Werbungssage untragisch endet. In verwandter Weise nutzt der zweite Teil das Gerüst der orientalischen Salomosage, um die Handlung durch Doppelung zu längen. Tiefe gewinnt das Dargestellte durch die Treue, die Rother mit seinen Vasallen verbindet. Bei roh gezimmertem Aufbau lebt die Erzählung durch elementare Motive aus der Spannung des Geschehens. Literarisch möglich macht sie, daß sie sich durch Karls Vater Pippin in die anerkannte „Historie" vom „römischen Reiche" einordnet. Das Spiel mit bayrischen Adelsnamen läßt erschließen, daß der Autor die letzte Fassung für einen bayrischen Gönner geschrieben hat. Die Entstehung des Herzogtums Österreich vom Jahre 1156 scheint vorausgesetzt zu sein. Die Möglichkeit rheinisch-bayrischer Beziehungen verdeutlicht, daß Konrad von Wittelsbach (gest. 1200) in jungen Jahren von 1161 bis 1165 Erzbischof von Mainz ist und 1183 dorthin zurückkehrt. Das inselhafte Werk, dessen Gesamtstil unausgeglichen ist, weil es der Grenze des „Unterliterarischen" nahe bleibt, kann nicht vor dem Beginn der 60-er Jahre, aber auch nicht weit vom Jahre 1160 entfernt entstanden sein. Die Dichtung verläßt, wer sie im Blick auf Menschen und Ereignisse des 12. Jahrhunderts wie einen Schlüsselroman zu lesen sucht. Dem „König Rother" zeitlich nahe hat sodann noch vor 1170 ein Unbekannter, in unbekanntem Auftrag westlich des Niederrheins,
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aus einer jungen französischen Fassung eine Erzählung mittleren Umfangs übertragen, die man nach dem Helden F 1 o y r i s zu nennen pflegt und lieber F l o y r i s u n d B l a n c h e f l o r nennen sollte. Wir begegnen hier zum ersten Mal einer Rührung weckenden Fabel, die grade weil sie hellenistisch-orientalische Motive zu verwenden scheint, unabhängig von Zeitstilen durch das Abendland bis ins 16. Jahrhundert läuft: Flore, Sohn eines spanischen Heidenkönigs, und Blancheflor, Tochter eines christlichen Gefangenen, finden sich in Kinderliebe. Blancheflor wird deshalb an den Emir von Babylon verkauft und in einen Turm gesperrt. Flore findet sie und erreicht, als Mädchen verkleidet, in einem Blumenkorb den Turm. Die Entdeckten sollen verbrannt werden. Der Emir begnadigt sie, erschüttert von ihrer Bereitschaft, füreinander einzutreten. Der Niederrheiner erzählt in einer schlichten Historiensprache, die sich durch assonierende Versgänge bewegt. Leider sind uns von seinem „Floyris" nur eine kleine Zahl von Versen erhalten. Sonst hätten wir hier den ersten deutschsprachigen Kleinroman vor uns, dessen Geschehen durchgehend von einer elementaren Liebe der Geschlechter gelenkt ist. In einen zeitlich ungewisseren Bereich führt uns das folgende. Denn erst das 15. Jahrhundert überliefert uns ohne Verfassernamen eine strophische Erzählung von S a l m a n u n d M o r o l f , die wie der zweite Teil des „König Rother" aus der Salomosage entwickelt ist. Der Heidenkönig Fore läßt die ihm zugeneigte Frau Salme des Königs Salman von Jerusalem entführen. Der wandlungsfähige Morolf, derber Helfer Salmans, entdeckt sie an Fores Hof. Salman erscheint dort als Pilger, durch Salmes Eingreifen droht ihm der Tod am Galgen. Sein Hornblasen ruft Morolf und das von ihm verborgene Heer herbei. Der Schluß liegt im Ungewissen, in der späten Überlieferung wird die untreue Salme roh durch Morolf beseitigt. Wenn ein burleskes mittelrheinisches Strophenlied des späten 12. Jahrhunderts am Ursprung des Erzählten steht, so wird es
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Frühmittelalterliche R e f o r m z e i t
im „unterliterarischen" oder „halbliterarischen" Bereich umgelaufen sein. Aber auch unabhängig von dieser Erwägung können wir erschließen, daß von jenem gesteigerten Bewußtsein, das die Menschen seit dem späteren 11. Jahrhundert erfüllt, gleichzeitig alles Dichten gefördert wird, das bis dahin von der aufstrebenden streng literarischen Welt überlieferungswürdiger Pergamente ausgeschlossen ist. Sdiriftkundige, die sich am Rande des Klerikertums als „Fahrende" zwischen den anerkannten Ständen bewegen, tragen allen Sdiichten von Hörern Episches verschiedener Traditionen so vor, daß es immer wieder neues Leben gewinnt. So haben wir damit zu rechnen, daß sich jetzt zunehmend der Drang regt, „unterliterarische", „balladenhafte" Lieder zu „halbliterarischen" Kleinepen zu weiten. Daher ist hier endlich der Ort, durch wenige Andeutungen das flutende Eigenleben „unterliterarischer" Epik zu bezeugen, die uns als Sprachwerk unzugänglich bleibt und deren Mächtigkeit wir doch immer wieder im Sprechstil der literarischen Großerzählungen geistlichen Gepräges spüren. Das rheinische „Annolied" verrät, daß Lieder heimischer Traditionen vom Burgenbrechen und Verwandtenkampf berichten. Der Rheinländer Lamprecht sucht den Eindruck einer Alexanderschlacht zu vermitteln, indem er auf ein H i 1 d e 1 i e d , in dem Hildes Vater fällt, ja vielleicht auch auf ein G u d r u n l i e d hinweist. Stellen der bayrischen ,Kaiserchronik' scheinen mit N i b e l u n g i s c h e m zusammenzuklingen. Auf Wirkung von D i e t r i c h s a g e läßt schließen, daß um 1150/60 Markgraf Rüdiger von Bechelaren und Dietrich von Bern bei dem unter einem Decknamen schreibenden Mönch Metellus von Tegernsee genannt werden. Zugleich zeigen Verswerke wie „Annolied" und „Rolandslied" gut an, was solch heimische Uberlieferungen daran hindert, aus dem „Unter- und Halbliterarischen" in das Literarische aufzusteigen. Sie gelten als Fabeleien ohne Wahrheitsgehalt, weil sie sich nicht in die anerkannte „Welthistorie" und daher audi nicht in die „Historie" vom
89
Lyrisches verschiedener Bauart
„römischen Reiche" einordnen. Gerade von hier aus müssen wir nochmals auf die Erzählweise von „Salman u n d M o r o l f " zurückblicken. Wahrscheinlich sind schon im späten 12. J a h r h u n d e r t Legendengestalten wie der northumbrische König O s w a l d (gest. 642) und der Erwerber des Trierer „grauen Rockes", Orendel genannt, v o m Rheinland aus in Brautraubfabeln hineingezogen worden, obwohl auch diesmal das so Entstandene erst in Verswerken niederster Stufe unter den literarischen Bedingungen des 15. J a h r h u n d e r t s auftaucht. T r i f f t dies zu, so haben die Erzählungen S t . O s w a l d u n d Orendel
wegen ihres zwitterhaften C h a r a k t e r s die literarische
H ö h e n weit nicht erreichen können. D e m Dichter des
„Königs
R o t h e r " ist dies beim Aufdehnen und Verlängern seiner liedhaften Vorlage durch einen etwas gewaltsamen Anschluß an die Karls-Historie gelungen, obwohl auch er ein Namenloser bleiben mußte.
4. L y r i s c h e s
verschiedener
Bauart
M i t der J a h r h u n d e r t m i t t e des 12. J a h r h u n d e r t s sind wir in J a h r zehnten, die im Zuge von Dichtung, die nach dem Pergament verlangt, eine neue Zeit vorbereiten. Auch die L y r i k n i m m t d a r a n teil; mit Geistlichem setzt sie ein. Die steigende Marienverehrung, vor allem von den damals jungen O r d e n der Zisterzienser u n d Prämonstratenser getragen, hat uns Marienlyrik
deutscher Sprache hinterlassen. Nicht zufällig
n u r in wenigen Proben! Die Ordensleute f a n d e n , was sie brauchten, in lateinischen H y m n e n u n d Sequenzen, die damals eine große Zeit haben. U m so mehr muß man die deutschen Verse beachten. Noch vor 1150 entsteht das M e l k e r
Marienlied,
ein-
dringlicher strophischer Marienpreis durch Ansprechen von Bildern, die aus der Tradition auf die Gottes-Mutter bezogen werden. Ein weites M a r i e n g e b e t
durchschwingt in bewegtem R h y t h m u s
90
Frühmittelalterliche R e f o r m z e i t
ungleichmäßig gebaute Strophen, die uns das 1139 unweit N a s s a u gegründete Prämonstratenserstift A r n s t e i n
überliefert hat. Sie
sind einer Frauenstimme zugeteilt, aber wohl eher f ü r N o n n e n , als v o n einer N o n n e geschaffen. Z u r Zeit u m 1150 gehört auch noch der fragmentarische M a r i e n p r e i s St. L a m p r e c h t
aus dem steirischen Stift
(richtiger aus dem gleichfalls steirischen Stift
von S e c k a u), der durch die lateinische Sequenz Ave
praeclara
maris Stella ( „ S e i gegrüßt herrlicher Meeresstern") angeregt ist, die man dem gelehrten Reichenauer Mönch H e r m a n n dem L a h m e n (gest. 1054) zuschreibt. Eine echte deutschsprachige Sequenz ist sodann, Gebet und Preis vereinend, die k u r z e alemannische M a r i e n sequenz
aus
Muri,
aber sie entsteht erst a m E n d e des
Jahrhunderts. Zeitnähe und Verwandtschaft im G e g e n s t a n d rechtfertigen, ein lyrisch
beschwingtes
Wernher,
Erzählwerk
anzuschließen.
Ein
„Priester"
der wahrscheinlich bei westbayrischer H e r k u n f t in
A u g s b u r g schreibt, baut in drei Teilen im Anschluß an ein a p o kryphes E v a n g e l i u m ein Leben der „ewigen K ö n i g i n " und „ h i m m lischen E d e l f r a u " auf, das mit M a r i a s V o r f a h r e n und G e b u r t beginnt und mit dem T o d e des H e r o d e s u n d ihrer Rückkehr aus Ä g y p t e n endet. E r selbst legt (mit a u f f a l l e n d e m G e f ü h l f ü r historische Zeit) J u n g f r a u
den
Abschluß
Maria
seiner
Drei
Lieder
von
der
auf den H e r b s t 1172 fest. D a s G a n z e eine
echte Dichtung, deren Gesamtstil die u n g e f ü g e Strenge der R e f o r m zeit in die weicheren Z ü g e einer neuen Welt m i l d e r t ! D o c h zurück zur strengen L y r i k . I m mittleren 12. J a h r h u n d e r t erreichen wir außerhalb der geistlich-lateinischen Sprachwelt z u m ersten M a l eine Liedkunst, die als S c h ö p f u n g Einzelner den Dichternamen mit sich trägt. D a s G r u n d t h e m a , auf das sie sich v e r s a m m e l t : D i e erotische S p a n n u n g , in der sich M a n n und F r a u als Elementarwesen begegnen, setzt sich aus bewußtem Erleben in eine erhöhte literarische Sprache um, die v o m R h y t h m u s der V e r s g ä n g e geordnet
Lyrisches verschiedener Bauart
91
wird. Wie sich solche Lyrik als „Minnesang" auf ständischer Ebene stufenweise entwickelt, darf uns erst später beschäftigen. Aber schon jetzt müssen wir das Eigene einer deutschsprachigen Frühstufe an dem Wenigen klar machen, das uns erhalten ist. Eine Gruppe von Strophen, von denen noch jede f ü r sich ein „Lied" sein kann, haben Sammler der Zeit um 1300 unter den N a m e n D e r v o n K ü r e n b e r g gestellt. Die lyrischen Abläufe dieser Strophen bestimmt eindeutig die Ritterwelt. Aus Ritterphantasie teilen sie mit Vorzug der Frau zu, sich im Sehnen zu verzehren, sodaß dem Manne zufällt, seine Gefühle in lockerer Spannung zu zeigen. Leid, das sich aus Erinnerungen nährt, ist daher das bezeichnendste Erlebnis dieser schlichten Sehnsuchtslyrik, f ü r die die Klage einstehen mag, die eine Ritterfrau durch den Mund des Dichters spricht: „Ich zoch mir einen valken
mere danne ein jär.
do ich in gezamete als ich in wolte han und ich im sin gevidere mit golde wol bewant, er huop sich üf vil hohe und floug in anderiu lant. Sit sach ich den valken schone fliegen. er fuorte an sinem fuoze sidine riemen, und was im sin gevidere alrot guldin; got sende si zesamene die gerne geliep wellen sin." („Ich zog mir einen Falken länger als ein Jahr. als ich ihn so mir zähmte, wie ich ihn wollte han, und ich ihm sein Gefieder mit Golde schön umwand, er hob sich in die Höhe und flog in fremdes Land. Seit sah ich den Falken herrlich fliegen; er führte an seinem Fuße seidene Riemen, und war auch sein Gefieder rot im goldenen Schein: Gott sende sie zusammen, die gern sich lieb wollen sein!")
Die „Kürenberg-Weise", die die Kürenberg-Lieder beherrscht, stellt bei archaischer Versfüllung vier Langreihen zusammen, die paarweise reimen und an den Reimstellen der ersten drei Reihen den vierten T a k t aussparen (4 + 3, 4 + 3, 4 + 3, 4 + 4!). Eine
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Frühmittelalterliche Reformzeit
lyrisch-epische Form, die aus „unterliterarischen" Balladenstrophen entwickelt sein mag. Sie wird uns als Form später im Nibelungenlied begegnen. Die liedhaften Aussagen „des von Kürenberg" stilisieren zwar Elementar-Erotisches, setzen aber zugleich Anregungen antiker „Amor"-Welt, vielleicht auch schon des provenzalischen Minnesangs in Eigenes um. Den Dichter können wir nicht sicher festlegen. Wie sehr seine Gestalt den späten Sammlern seiner Strophen verdunkelt war, zeigt das Ausbleiben des Vornamens an, der sonst bei keinem Lyriker ritterlichen Standes fehlt. Der Abstand, der ihn im Versbau und Gehalt vom Minnesang des romanischen Westens trennt, macht mehr als wahrscheinlich, daß diese unter seinem Namen vereinigte Frühlyrik im damals regen bayrischösterreichischen Sprachgebiet (in der Welt des Babenbergers Heinrich Jasomirgott) entsteht. In die gleiche Zeit gehören zwei einstrophige „Sehnsuchtslieder", die irrtümlich unter dem Namen des österreichischen Minnesängers D i e t m a r v o n E i s t überliefert sind und ohne echte Gliederung lyrisch-epische Reimpaarverse aneinanderreihen: Klage einer Burgherrin, daß ihr der Erwählte durch die Feindschaft anderer entgeht, und Aufforderung einer Burgherrin an den Geliebten, sich nicht um andere Frauen zu kümmern.
5. L e h r d i c h t u n g
früher
Stauferzeit
Audi D i d a k t i s c h e s zeigt an, daß wir uns um die Mitte des 12. Jahrhunderts in Jahrzehnten des Ubergangs bewegen. Zwei Beispiele. Unter dem Namen S p e r v o g e l s , eines Süddeutschen, der schwerlich vor dem Jahre 1200 formsicher kluge Spruchlieder verfaßt hat, sind Strophengruppen eines älteren „Anonymus" verzeichnet, f ü r den man, vielleicht mit Recht, nach einem der Sprüche den Namen H e r g e r eingesetzt hat. Die ernsten Klagen und Mahnungen dieses wohl südwestdeutschen „Fahrenden" sind rückwärtsgewandt, als ob ein alter Mann spräche. Aber der glatte Versbau der
Lyrisches verschiedener B a u a r t
93
einfachen Aussagen gebietet, das Erhaltene erst den Jahren nach 1170 zuzuteilen. Auf festeren Boden stellt uns in eindringlichen Verspredigten ein Unbedingter. Sein von Satiren durchzogenes P r i e s t e r l e b e n geißelt nicht zum wenigsten die Unzucht allzu weltlicher Priester. Seine gegen alle Stände gerichtete E r i n n e r u n g a n d e n T o d schont freilich die Burgherrin (die frouwe), aber die Ritter, die mit ihren Liebesabenteuern prahlen, faßt er an. Wir dürfen diesen Laienbruder ritterlichen Standes H e i n r i c h v o n M e 1 k nennen, da er mit dem ihm verbundenen Abt den Abt Erkenfried von Melk (1122—1163) meinen wird. Dabei will beachtet sein, daß das Versgefüge Heinrichs nicht vor dem Jahre 1160, also erst kurz vor dem Tode des Abtes, abgeschlossen sein kann. Noch einmal erhebt sich der harte Reformwille eines Jahrhunderts in der lodernden Sprache eines leidenschaftlichen Mannes, der das bunte Leben seiner Zeitgenossen als unechtes Scheinleben sieht.
6. L a t e i n i s c h e
Verse
früher
Stauferzeit
Noch immer bauen freilich auch nach der Mitte des 12. Jahrhunderts Dichtungen deutscher Sprache nur in Inseln eine literarische Welt auf, die über geistliche Bereiche hinausgreift. So ist nicht zufällig, daß damals l a t e i n i s c h e V e r s w e r k e die politische Temperatur einer neuen Zeit am kräftigsten ausstrahlen. Denn schon durch ihre Sprache sind sie der mittelalterlich-römischen Welt eng verbunden. Gemeint ist jene Steigerung des öffentlichen Lebens, die der Aachener Krönung des Staufers Friedrich I. Barbarossa vom März 1152 folgt. Zwar konnte sich gegenüber den Tagen Konrads III. (1138—1152) im Grundsätzlichen wenig oder nichts ändern. Aber Barbarossa setzte schnell dazu an, im Blick auf Karl den Großen dem „römischen" König und Kaiser als dem „Vogt" der Christenheit im Verhältnis zum obersten Bischofsamt des Papstes die volle Souveränität zu sichern. Es war ein Entschluß, der bis in
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Frühmittelalterliche Reformzeit
die Zeitgedichte W a l t h e r s v o n d e r V o g e l w e i d e wirken sollte, wenngleich den von ihm ausgelösten sieghaften Schwung schon der unglückliche Sommer 1167 hemmte, in dem vor Rom eine Seuche unter das kaiserliche Heer fiel und Barbarossas Kanzler Rainold von Dassel, seit 1159 gewählter Erzbischof von Köln, einen jähen Tod starb. Diesen Erzbischof sprechen lateinische Gedichte eines f ü r uns namenlosen „Vaganten" an, der handschriftlich als A r c h i p o e t a (als „Erzpoet") bezeichnet wird: Ein ritterbürtiger Scholar bindet hier sein starkes Talent an den hochgemuten geistlichen Fürsten, nicht verhehlend, daß er f ü r sein schlecht gezügeltes Leben die Gunst des Mäzens braucht. So sehr er f ü r uns aus dem Dunkeln auftaucht und im Dunkeln verschwindet, wir sollten nicht bezweifeln, daß er (ob Deutscher oder Romane) dem Lehnsgebiet des Reiches entstammt. Eindeutiger Erweis: Ein Preislied auf den Staufer in jener Vagantenstrophe, deren vier Langreihen trotz ihrer rhythmischen Gleichförmigkeit (4 + 3, 4 + 3, 4 + 3, 4 + 3!) in Analogie zur Kürenbergstrophe stehn: Friedrich I. ist ihm hier der „Herr der Welt", der, Frieden stiftend, die „römische Sache" wieder in den Rang erhebt, den sie unter Kaiser Karl hatte. In die Zeit um 1160 gehört wohl auch ein musikalisches Dialogspiel, das uns nicht zufällig eine Tegernseer Handschrift des späten 12. Jahrhunderts überliefert hat: der geistliche L u d u s d e A n t i c h r i s t o. Aus der Reihe mittelalterlicher „geistlicher Spiele", die wir erst später betrachten können, hebt er sich durch Vers- und Sprachkunst heraus. Dem ersten Vorspiel, in dem sich die Figuren (außer dem Antichrist und seinen Begleitern) vorstellen, folgt als erster Akt ein Kaiser-Spiel: Der Imperator Romanorum erzwingt den Lehensdienst des Frankenkönigs; der Griechenkönig und der König von Jerusalem erkennen ihn an. Der Imperator besiegt den König von Babylon und legt sein imperiales Szepter auf dem Altar des „Tempels" in Jerusalem nieder. Dem zweiten Vorspiel, in dem
Lyrisches verschiedener Bauart
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Heiden, Juden, Christen erneut ihren Glauben bekennen, folgt das Antichrist-Spiel: D e r Antichrist, von den „ H y p o k r i t e n " (den „ Heuchlern") unterstützt, setzt den König von Jerusalem ab, der Griechenkönig u n d Frankenkönig erkennen seine imperiale W ü r d e an. D e r rex Teotonicomm
weist die „ H y p o k r i t e n " ab, doch die
W u n d e r des Antichrists verführen ihn. Im A u f t r a g des Antichrists unterweist er den König von Babylon. Auch die „Synagoge" erkennt den Antichrist a n ; doch Enoch u n d Elias erscheinen und nehmen ihr die Binde ab, sie bekehrt sich zur Trinität. Der Antichrist läßt die Propheten und die „Synagoge" töten; als er verkündet, durch ihn hätten pax et securitas das Universum zusammengeschlossen, stürzt er nieder. Alle kehren zum Glauben zurück, die „Ecclesia" nimmt sie auf. Das G a n z e e r f a ß t das Ende der Weltgeschichte in einer apokalyptischen Vision, in der das Traditionelle durch das Kaiser-Spiel erweitert ist. D e r Souveränitätsanspruch des „römischen" Kaisers w i r d aufgestellt, ohne d a ß auf die geistlichen A n sprüche der R e f o r m e r ein Schatten fällt. So mag der Verfasser ein bayrischer C h o r h e r r oder Zisterzienser gewesen sein, dessen Welt der Welt nahe ist, aus der Barbarossas bischöflicher Oheim O t t o von Freising im J a h r e 1157/58 die Gesta Friderici richs I.") beginnt.
(„Die T a t e n Fried-
V. D I C H T U N G D E R S T A U F E R Z E I T (1170/80—1250/60)
1.Literarische
Bedingungen
Keine Gliederung von Literaturgeschichte kann allen Erscheinungen gerecht werden. Denn wo nicht ein geschichtlicher Ablauf jäh unterbrochen wird, ist immer noch eine alte Zeit da, wenn eine neue Zeit Gegenwart wird. Das äußerlich Bezeichnendste der literarischen Jahrzehnte, vor denen wir stehen, ist eine Erscheinung, die die neueren Zeiten wie etwas Selbstverständliches hinnehmen. Bisher bewegten wir uns durch eine l i t e r a r i s c h e l n s e l w e l t . Jetzt aber bildet sich wenigstens auf süddeutschen und auch auf südmitteldeutschen Sprachfeldern eine zusammenhängende Breite literarisdier Landschaften. Wie wir gesehen haben, setzt die neue literarische Zeit nicht unmittelbar mit dem Aufstieg Barbarossas (vor 1160) ein, wenngleich sich damals schon ihr Kommen ankündigt. Sie steigt sogar erst mit den 70-er Jahren des 12. Jahrhunderts an, als bereits jene Politik Barbarossas, die für seine „römische" Reichsmacht volle Souveränität beansprucht, durch kurialen und fürstlichen Widerstand gehemmt ist. Sie erreicht obendrein erst ihre Höhe, als das Sinken dieser Reichsmacht nach dem kurzen politischen Anlauf Heinrichs VI. (1189—1197) offenkundig wird, nämlich als die Reichsfürsten in der Doppelwahl des Jahres 1198 den Staufer Philipp von Schwaben (1198—1208) und den anglonormannischen Weifen O t t o IV. von Poitou als „römische" Könige nebeneinander rücken. Sie schwingt aus, als sich unter dem sizilisch-normannischen
Literarische Bedingungen
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Staufer Friedrich II. (1212—1250) das Lehensgefüge, das auf die Macht des Königs bezogen ist, im sieghaften Vordringen der fürstlichen Ansprüche auflöst. Die Uberschrift „Dichtung der Stauferzeit" hat daher nur die Aufgabe, einen literarischen Zeitraum, in dem unter Spannungen Ungleichartiges auf das Pergament kommt, durch einen n e u t r a l e n Namen zu belegen, der zugleich das damals Gedichtete vor seinen geschichtlichen Hintergrund stellt. Die Frage meldet sich, ob sich nicht eine Gliederung anbietet, die am Wandel des literarischen Stiles ablesbar ist. Die Antwort auf diese Frage führt über eine soziologische Doppelfrage: Wohin gehören die Menschen, die diese Literatur schaffen? Und welche Menschen sind es, die diese Literatur begünstigen und aufnehmen? Dazu eine vorbereitende Feststellung: Schon seit dem späten 11. Jahrhundert (der Zeit Heinrichs IV.) gewinnen Städte öffentliche Bedeutung. Aber die gültige Vorstellung vom Leben kennt für lange Zeit nur drei Stände: Kleriker, Ritter, Bauern. Der Bauer bewegt sich im „unterliterarischen" Bereiche, wie auch seine Eigenwelt durch Jahrhunderte so gut wie nie durch literarisches Dichten überhöht wird. Der Stand des Klerikers, der zugleich den Stand der „Gelehrten" einschließt, ist uns seit der Karolingerzeit als Träger deutschsprachiger Literatur begegnet. Wir haben ihn auch schon in einer Abwandlung kennen gelernt: „Scholaren" können zu „Vaganten" werden, die in die Welt zwischenständischer „fahrender" Künstler hinüberwechseln. Das für die Literatur Neue: Etwa seit dem frühen 12. Jahrhundert wird zunehmend im westlich-romanischen und deutschen Sprachbereich der Stand der Ritter, den nicht zum wenigsten Kreuzzüge zu einem geweihten Stand machen, eine sichtbare Einheit. Der Begriff „Stand" meint hier freilich nicht so etwas wie einen geschlossenen Berufsstand von Gleichrangigen, sondern eine offenstehende Gruppe, deren Mitglieder aus ererbtem Recht nach geregelter Aufnahme im öffentlichen Dienste wehrhafte Pflichten erfüllen. Dies hilft verstehen, daß jetzt literarische Vers7
Neumann, Literatur
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Dichtung der Stauferzeit
werke w e l t l i c h e s Dasein darstellen können, das nicht fest in den Ablauf christlicher Heilsgeschichte oder in geistlich gesehene Weltchronik eingebaut ist. Denn in der literarischen Welt wird nunmehr dem Ritterstand zugeteilt, in einem durch die Dichtung gesteigerten Leben weltliches Dasein schlechthin zu vertreten. Von dieser Tatsache aus haben wir uns daran zu erinnern, wie sich die deutschsprachige Ritterschaft auf Grund ihrer Herkunft zusammensetzt. Durchgehend gilt, daß wie im Politischen so auch im Gesellschaftlichen jener Fürstenadel und fürstengleiche Adel führt, der sich im Verfall der karolingischen Welt gebildet hat. Zu diesen Adelfreien treten im Ritterstand unfreie „Dienstmannen" („Ministerialen") des Königs und der geistlichen und weltlichen Dynasten hinzu, die als berittene Männer des „Schildes" im Zuge öffentlicher Aufgaben aufgestiegen sind. Diese Gruppe, die in der Stauferzeit schon durch Ahnenzwang gefestigt ist, wächst unter den lockeren Herrschaftsverhältnissen Deutschlands durch ihre Zahl in eine eigene Mächtigkeit hinein. Im Rahmen der staufischen Reichspolitik hebt sich dabei zusätzlich das Ansehen der Reichsministerialen, die das weit verstreute Reichsgut verwalten. Fast folgerichtig wird sich übrigens im 13. Jahrhundert der Makel der Unfreiheit verlieren, der dem „Ministerialen" anhaftet, und er wird dadurch unter dem sich absondernden Fürstenstand und dem diesem gleichstehenden alten Hochadel eine eigene, adlig gewordene Standesschicht bilden. Doch geht uns zunächst nur an, daß der Gesamtstand der Ritter ein breites gesellschaftliches Leben aufbaut, das in literarischer Dichtung ein erhöhtes, durchgestaltetes Leben gewinnen kann. Zweierlei erklärt sich leicht aus der Zusammensetzung des Ritterstandes. Die Höfe des hohen Adels, mit Vorzug die der weltlichen und geistlichen Fürsten, sind schon aus wirtschaftlichen Gründen der Ort, wo die auf das Rittertum bezogene Dichtung ihre Mäzene und ihre fördernde Umwelt findet. Und das in dieser Dichtung dargestellte Männer- und Frauenideal hält sich nicht minder zwangs-
Literarische Bedingungen
99
läufig an Gestalten, die sich in der Freiheit fürstlichen Daseins entfalten. Mit dieser Aussage berühren wir schon hier, daß diese neue Dichtung bis in die Sprache einen vorbildlichen Lebensstil zu entwickeln sucht. U m die hohe Kunst der ritterlichen Lebensart zu bezeichnen, zu der diese Dichtungen auffordern, hat man den Ausdruck „höfisch" gewählt, der in Anlehnung an den französischen Ausdruck courtois seit dem späten 12. Jahrhundert als Stilbegriff erscheint. Man kann mit ihm Dichtungen der frühstaufischen Zeit, die sich schon dem Neuen zuwenden, aber noch dem Sprachstil der vorausgegangenen Epoche nahe bleiben, „frühhöfisch" nennen, die voll entwickelte „Ritterdichtung", die vor der Jahrhundertwende möglich wird, „hochhöfisch" und ihr erschüttertes Weiterleben „späthöfisch". U n d wir werden bei Gelegenheit alle drei Begriffe benutzen. Man muß sich freilich hüten, dem hochmittelalterlichen Begriff „höfisch" Negatives vom Begriff des „Höfischen" einzumengen, der von jenem Hofstil bestimmt wird, der sich mit dem absoluten Staate des 17. Jahrhunderts entwickelt. Auch verfließt der Begriff des „Späthöfischen", ohne sich begrenzen zu lassen, in das Spätmittelalterliche hinein. Doch läßt sich für große Teile dieser Literatur ohne Gefahr der schlichte Ausdruck „Ritterdichtung" verwenden, wenn man ihn dahin festlegt, daß er nicht den Stand der Autoren bezeichnen soll, sondern die von ihnen dargestellte Ritterwelt. Wie ritterlicher Lebensstil durch Dichtungen ins Vorbildliche erhöht wird, kann erst die Betrachtung einzelner Werke erläutern. Doch müssen uns einige vorbereitende Sätze ersparen, Grundlegendes an verschiedenen Stellen zu wiederholen. Schon der lateinische ,Ruodlieb' des späteren 11. Jahrhunderts läßt uns erahnen, daß solcher Stil nicht bloß eine literarische Erscheinung ist, sondern eine lange Geschichte hat. Seine Ursprünge sind nicht leicht aufzuhellen. Ethische Forderungen alten Gefolgschaftsdenkens und christliche Ethik, die Wertungen griechisch-römischer Philosophie aufgenommen hat, durchwalten ein Zusammenleben, in dem sich ererbte Sitte, 7»
100
Dichtung der Stauferzeit
spätrömische Urbanität und mönchische Anstandsregeln vereineil. Doch reicht dies nicht für die Welt zu, die sich in der Dichtung der Stauferzeit entfaltet. Deutlich tritt hervor, daß westlich-romanische Lebensart Besonderheiten des Ritterstiles gefördert und vollendet hat, beeinflußt durch die Atmosphäre, in der sich im frühen 12. Jahrhundert der Hochadel der südfranzösisch-provenzalischen Sprachgebiete bewegt. Es zeigt sich an den gesellschaftlichen Spielformen, in denen sich ritterliches Verhalten darstellt. Es zeigt sich vor allem an einem r o m a n h a f t e n Zug, ohne den Ritterstil und Ritterkultur nur bedingt denkbar sind. Denn in echter „Ritterdichtung" erschließt sich erst die Fülle menschlichen Daseins, wenn es bewußt aus einer Spannung gelebt wird, in der sich Mann und Frau durch unmittelbare Anziehung zueinander finden. Man verstehe dies nicht falsch. In der Vorstellungswelt älterer Dichtung ist die Frau keineswegs ausgeschaltet, handelnd oder duldend kann sie an entscheidender Stelle stehen. Ich erinnere für das Spätgermanische an die früher berührten „Erzähllieder" von „Siegfrieds Tod" und vom „Untergang der Burgunden". Doch gegenüber Welten, in denen elementare Beziehungen das Verhältnis von Mann und Frau regeln, befreit sich in der ritterlichen Lebensordnung ein gesellschaftlicher Spieltrieb, der fast mit Notwendigkeit das Feld des Erotischen an sich heranzieht. Dabei werden die polaren Unterschiede des Männlichen und Weiblichen zu erhöhenden Kräften, die sinnliches Sehnen im Widerstreit der Gefühle vergeistigen. Eine nach oben gerichtete Erotik hebt sich daher gegen eine derbsinnliche Erotik ab, wie sie im lateinischen Vagantenlied ins Wort kommt. Für das Erlebnis, zu dem hier Mann und Frau angeleitet werden und das im Romanischen seinen Namen von dem spannungsreichen lateinischen Wort amor aus erhält, bietet sich im Deutschen zunächst nur das Wort minne an, das ursprünglich einen Akt geistigen Erkennens bezeichnet. Es muß unter den Lebensbedingungen Deutschlands ein erregender Vorgang gewesen sein, als sich durch die Dich-
Höfische Epik
101
tung (mit Vorzug durch die Minnelyrik) Mann und Frau im Gefüge gesellschaftlichen Daseins neu sahen. Von hier aus ließe sich daher rechtfertigen, mit der Lyrik, und zwar mit dem „Minnesang", zu beginnen, zumal das Minneerlebnis, auch dann wenn es in Erzählungen rege wird, ein hervorragend lyrisches Erlebnis ist. Trotzdem soll das Epische (dies Wort im weitesten Sinne genommen) vorausgehen. Denn es vermag am ehesten zu veranschaulichen, wieviel Verschiedenartiges und Gegensätzliches in der „Stauferzeit" literarischen Ausdruck sucht. 2. „ H ö f i s c h e E p i k " a) I n s e l n schen
am
mitteldeutschen
und
norddeut-
Rande
U m das J a h r 1210 spricht Gottfried von Straßburg in seinem „Tristan" als Kritiker über Dichter seiner Tage. Dabei schließt er sich denen an, die H e i n r i c h v o n V e l d e k e den „Meister" nennen, der der deutschen Sprache das erste Reis eingepfropft habe. Sein Lob, das er mit der Aussage anderer begründet, soll heißen: Vor Veldeke gebe es f ü r seine Ansprüche keine zureichende Kunst des Dichtens. Gemeint ist nach dem Zusammenhang die „E n e i d e" Veldekes. In den flüssigen Versen dieser weiten Erzählung bearbeitet Veldeke den Roman d'Eneas, den um 1160 (1165?) ein unbekannter clericus in normannischem Französisch geschaffen hatte. Dessen Leistung war gewesen, das „Epos" Vergils vom Ursprung der römischen Welt so weit wie möglich romanischer Denkweise des 12. Jahrhunderts anzugleichen und so einem Ritterroman anzunähern. Veldeke ist bemüht, bei breiterer und umständlicherer D a r stellung in einem verbesserten Text die seelische Verritterung der Gestalten zu verstärken. Eneas, Sohn der Venus, erreicht nach der Einnahme Trojas Karthago, die „Burg" der Dido. Venus entzündet in Dido das Feuer einer einseitigen „Minne" von maßloser Leiden-
102
Dichtung der Stauferzeit
schaft. Eneas, f ü r Italien bestimmt, d a r f sich nicht durch ihre unbeherrschte Freundschaft binden lassen. A u s „unrichtiger", weil „ u n sinniger" M i n n e gibt sie sich den T o d . N a c h dieser hochmittelalterlich überformten „ N o v e l l e " steigen wir mit Eneas in die „ H ö l l e " , eine v o m 12. J a h r h u n d e r t aus gesehene antike U n t e r w e l t , w o ihm im idyllischen „ E l i s i u m " sein V a t e r Anchises die Zukunft zeigt. N a c h dieser Vorgeschichte w i r d der K a m p f u m das italische Tibergebiet z u m K a m p f u m eine F r a u : u m L a v i n i a , die Tochter des K ö n i g L a t i n u s . V o m V a t e r w i r d sie Eneas zugedacht, o b w o h l sie vorher dem H e r z o g T u r n u s versprochen ist; die K ö n i g i n steht auf der Seite des T u r n u s , also wie in der K e r n f a b e l der „ R o t h e r " - E r z ä h l u n g gegen den „ H e l d e n " der Dichtung. N a c h zwei blutigen Schlachten soll der Z w e i k a m p f T u r n u s — E n e a s entscheiden. Vorher spricht die K ö n i g i n mit der Tochter über die P a r a d o x i e n des Minneerlebnisses: D e m L e i d f o l g e große Freude, dem T r a u e r n M u t " . D i e „ F ü r s t i n (die frouwe)
„hoher
V e n u s " versetzt L a v i n i a
und
Eneas in gegenseitige Minnepein, E n e a s fühlt sich in seinen seelischen K r ä f t e n gesteigert. D i e dritte Schlacht endet im Z w e i k a m p f , in dem u m Ehre, Weib u n d Leben gefochten w i r d . Vergils „ E p o s " verlangt, d a ß T u r n u s sein Leben durch den siegenden Eneas verliert. H i e r k a n n es nur geschehen, weil sich T u r n u s ins Unrecht gesetzt hat. Indem d a n n Eneas als A h n C a e s a r s u n d des mit der G e burt Christi verbundenen Augustus vorgestellt w i r d , behält die Geschichte bei aller romanhaften A u s s t a t t u n g Historiencharakter. Veldeke vermochte ebensowenig wie sein V o r g ä n g e r die Vergilwelt als G a n z e s geistig zu v e r w a n d e l n . F ü r die ersten H ö r e r oder Leser w a r wohl a m erregendsten, w a s er über die „ M i n n e " sagte. E r sah sie noch stark als g e f ä h r d e n d e Macht, die wie eine K r a n k h e i t v o r allem die F r a u befällt. Eindrucksvoll blieb, wie er seine Verssprache bei aller B e w e g u n g im K l a n g g e f ü g e u n d im
Ausdruck
zügelte. In ihr bekundet sich die besondere Leistung eines M a n n e s , der auf niederfränkischem Sprachgebiet, der Romania
nahe, unweit
Höfische Epik
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Maastricht geboren war. Als Landgraf Ludwig III. von Thüringen 1174 am Niederrhein die Gräfin Margarete von Cleve heiratete, wurde das zum größten Teil vollendete Manuskript von einem Bruder des Landgrafen (von dem 1180 gestorbenen Heinrich Raspe III.) mitgenommen. Merkzeichen einer literarischen Situation! Erst nach rund neun Jahren erhielt es Veldeke durch den Pfalzgrafen H e r mann, der 1190 dem Landgrafen Ludwig folgte, in Thüringen zum Abschließen zurück, also etwa im Jahre 1183, falls die Zahl „neun" nicht eine symbolische Zahl ist. So berichtet wenigstens ein „Epilog", der vor dem Jahre 1186, in dem Ludwigs erste Ehe getrennt wurde, verfaßt sein muß. Wie dem auch sei, überliefert ist uns das Werk nur nach einer mitteldeutschen Umschrift, durch die Veldekes Niederfränkisch durchschimmert. Das Vorhandene wird man bereits vor Veldekes Ankunft einer solchen Umschrift unterworfen haben, um es mitteldeutschen (thüringischen und hessischen) Ohren vernehmbar zu machen. Dazu noch eine Ergänzung! So gut wie sicher hat auch Veldeke das Leben und die Wunder des mit Maastricht verbundenen Sanctus Servatius als zweiteilige Chronik einer leicht fließenden niederfränkischen Verssprache anvertraut. Dieser „S a n c t e S e r v a s", durch die Gräfin Agnes von Loon und einen Maastrichter Stiftsherrn angeregt, wurde mindestens im ersten Teil schon vor der „Eneide", also gegen oder um 1170, verfaßt. Man könnte daher meinen, Veldeke sei ein ritterbürtiger clericus gewesen. Aber seine Minnelieder sprechen eindeutig dafür, daß er nach „magistralem" Anfang im Ritterdienst gestanden hat. Wir bleiben bei Zeitgenossen Veldekes, die bei verschiedener Höhenlage des Schaffens verbindet, daß sie nördlich der südfränkischen und mainfränkischen Sprachbereiche geboren sind. Bis in das 13. Jahrhundert hinein und damit über Veldekes Zeit hinaus haben sie untereinander nur einen lockeren Zusammenhang. Man wird daher ihren Verswerken nicht gerecht, wenn man sie von einem übergeordneten Stilbegriff aus zeitlich zu ordnen sucht. Wir müssen uns
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vielmehr damit abfinden, daß auf einem breiten Gebiete, das vom Nieder- und Mittelrheinischen bis ins Thüringisch-Meißnische hinzieht, allem Erhaltenen etwas Zufälliges anzuhaften scheint. Die oft noch recht inselhafte Randstellung dieser Schöpfungen wird denn auch als Gemeinsames erst sichtbar, als sich etwa von den 80-er Jahren des 12. Jahrhunderts an in den südlichen (den alemannischen, bayrischen und mainfränkischen) Sprachgebieten im Zuge ritterlichhöfischer Lebenskultur ausgesprochen „literarische" Landschaften bilden. Nirgends zeigt sich diese Randstellung besser als an einer merkwürdigen Erzählung mitteldeutscher Sprache, die wohl eher an den thüringisch-hessischen als an den braunschweigischen Hof gehört. Sie überliefern uns Bruchstücke, die fast so schwer zu ordnen sind wie die Bruchstücke des ,Ruodlieb'. G r a f R u d o l f , ein „Höfischer" der Grafschaft Flandern, tritt in den Dienst des Königs von Jerusalem. Der Musterhafte weiß die Stellung des „Kaisers von Rom" zu rühmen, und doch finden wir ihn später, ohne den Anlaß zu erkennen, am H o f e des heidnischen Königs H a l a p ; durch Minnespiel und Tageliedszene ist er an die heidnische Königstochter gebunden. König H a l a p läßt ihn festsetzen. Aber er befreit sich und flüchtet mit der zur Christin gewordenen jungen Fürstin. Auf dieser Flucht fällt sein ihm verwandter Knappe Bonifait. Das Ganze, angeregt durch das Erzählen nordfranzösischer Berufspoeten, ist eine Mischung von abenteuerlicher Kreuzzugshistorie und Liebesroman und bereits neuem Ritterstil verpflichtet. Erwähnt wird das Schenkenamt des Königs von Böhmen. Trotzdem entsteht das Werk schwerlich vor dem J a h r 1173, obwohl nach dem damaligen Rücktritt Wladislaws II. der böhmische Königstitel bis zum Jahre 1196 nicht ausdrücklich anerkannt ist. Im Unterschied vom „Grafen Rudolf" hat E i l h a r d s v o n O b e r g „ T r i s t r a n t u n d l s a l d e " durch die erotische Spannung der Fabel Erfolg gehabt. Den ursprünglichen Text haben wir
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freilich nur in Bruchstücken, doch reicht f ü r einen allgemeinen Eindruck eine oberflächliche Bearbeitung des 13. Jahrhunderts aus. Für Späteres müssen wir uns den Aufbau des Erzählten einprägen. Der höfisch erzogene Tristrant zieht an den Hof eines Mutterbruders, des Königs Marke von Kornevalis. Vorzeitig Ritter, bewahrt er den Oheim vor Abhängigkeit, indem er im Zweikampf Morolt, den Schwager des irischen Königs, erschlägt. Er selbst empfängt dabei durch einen vergifteten Speer eine Wunde, die nur die irische Königstochter heilen kann. Sie tut es, ohne ihn zu sehen, als er Irland erreicht und sich einen K a u f m a n n und Spielmann nennt. Er gelangt zum zweiten Male dorthin, als er für den unvermählten Marke die Trägerin des Frauenhaares sucht, das zwei sich streitende Schwalben verlieren. Unter dem Namen Tantris befreit er Irland von einem Feuerdrachen und hat damit Anspruch auf die Königstochter. Isalde verzichtet darauf, an ihm den Tod Morolts zu rächen, nachdem sie ihn erkannt hat. Doch wirbt er gemäß seinem Auftrag für Marke, Isaldes Meinung bleibt im Dunkeln. Die Mutter Isaldes gibt dem Hoffräulein Brangene einen Trank mit, der Liebende für vier Jahre fest verbindet und ihnen darüber hinaus „Minne" f ü r das Leben gewährt. Nichtsahnend trinken Tristrant und Isalde auf der Seef a h r t davon. U m sie von der tödlichen Minnekrankheit zu befreien, führt sie Brangene zusammen. Während der vierjährigen H a u p t wirkung des Trankes gelingt den Liebenden immer wieder, ihre zwanghafte Liebe trotz der Ehe Marke-Isalde nach außen zu sichern: sogar noch, als sie während eines Waldlebens in einer Waldhütte von Marke entdeckt werden. Doch darf nur Isalde zurückkehren, Tristrant wird des Landes verwiesen. Ein zweiter Teil setzt ein, dessen U m f a n g mit dem des ersten ausgewogen ist. Fünf spannende Fahrten bringen Tristrant, der sich zu verstellen weiß, für Zeit nach Kornevalis zurück. Das Überraschendste: In der Schwester des Königssohnes Kehenis findet er eine zweite Isalde und wird gleichsam durch Motivzwang ihr Gemahl, zunächst ohne sie zu be-
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rühren. Zum zweiten Male verwundet ihn ein vergifteter Speer. Er ruft nach der ersten Isalde. Ein weißes oder schwarzes Segel soll zeigen, ob sie kommt oder nicht. Aus Torheit sagt die zweite Isalde das schwarze Segel an. Tristrant stirbt wortlos, die erste Isalde klagend auf seiner Bahre. Marke, der jetzt v o m Tranke erfährt, vereint sie im Grabe. Durch die K r a f t des Minnetrankes wachsen dort ein Rosenbusch und eine edle Weinrebe zusammen. D i e nordfranzösische Histoire,
die Eilhard eingedeutscht hat, ist
aus kleinen Sonderromanen, aus novellenartigen und schwankhaften Gebilden zu einer lockeren Einheit zusammengefügt. Die magische K r a f t des Minnetrankes, Ausdruck für das Elementare einer sinnlich-seelischen Minne, bestimmt den Lebensweg der Liebenden, was bewirkt, daß Marke nicht zur Schwankfigur oder zum Bösewicht absinkt. Trotzdem darf man nicht von echter T r a g i k sprechen, da sich die Liebenden zu sehr im Spiel von Zufällen bewegen. Auch ist Eilhard kein wirklicher Dichter, den es drängt, aus neuem Kunstwollen ein stilreines Werk zu schaffen. Doch behalten dadurch die erzählten Geschehnisse etwas Überzeitliches, das sie schließlich für eine verkürzte Prosa geeignet macht, die 1484 zum erstenmal in Augsburg gedruckt wird. Wir werden nie genau wissen, wann und wo Eilhard sein Werk auf das Pergament gebracht hat. Ein Eilhard von Oberg aus dem Hildesheimischen (nahe Braunschweig), den man nicht v o m Dichter trennen sollte, ist seit 1189 bezeugt. Die mitteldeutsche Verssprache des Erzählten mischt jedoch altertümliche und moderne Züge in einer Weise, die einer Entstehung um 1190 widerstrebt. A m besten entspräche dem Werke, wenn es, dem „ G r a f e n R u d o l f " und dem sog. „Straßburger A l e x a n d e r " nahe, im thüringisch-niederhessischen Bereiche um 1180 veröffentlicht wäre, wo Veldekes „Eneide" in erster Umschrift auf Vollendung wartete. E t w a s Besonderes von ursprünglicher Wirkung setzt ein namenloser Lateinkenner mit dem „ L i e d e
vom
Herzog
Ernst"
in G a n g , einer Vershistorie, die durch die notvolle Unruhe ihrer
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Abenteuer anzieht. Der junge Bayernherzog Ernst steht als R a t geber neben seinem Stiefvater, dem König-Kaiser O t t o . Ihn verleumdet der neidische Pfalzgraf Heinrich v o m Rhein. Ernst erschlägt den Neider, O t t o rettet sich. D e r Geächtete geht nach langem K a m p f e auf K r e u z f a h r t . Jenseits Konstantinopel trägt ihn ein Schiff in eine Welt phantastischer Abenteuer, die zum Hauptstück des Erzählten werden. Nachdem er den König von Babylon besiegt hat, kehrt er über Jerusalem, Bari u n d R o m zurück. Bei der Bamberger Weihnachtsmesse vergibt ihm der durch List versöhnte Kaiser. Urzelle der Rahmenerzählung ist ein historisches Lied, in dem zwei Aufständische, Heinrich I. von Bayern u n d Liudolf
von
Schwaben, ein Bruder und ein Sohn Ottos des Großen, ineinandergeschoben sind. Beide verdeckt Ernst von Schwaben, der Stiefsohn Kaiser K o n r a d s II. Unableitbar ist die Gestalt des P f a l z g r a f e n , der als Bösewicht die Geschichte anstößt. Über den Erfolg entscheiden die Orientabenteuer, die die Sage in einen f r ü h e n R e i s e r o m a n umgestalten. Die erste, nur in Bruchstücken erhaltene Fassung hat ein mit Bamberg verbundener Mittelrheiner geschaffen, der f r a n zösische Chansons
de geste (handlungsreiche historienhafte E r z ä h -
lungen) kannte. Schon vor dem J a h r e 1186 w a r eine Handschrift in dem feudalen Kloster Tegernsee. Bald nach 1170 mag das anspruchslose Verswerk abgeschlossen sein. H ü t e n sollte m a n sich, die Pilgerfahrt u n d das Schicksal Heinrichs des Löwen f ü r das Ausarbeiten der „Historie" verantwortlich zu machen. Wir sollten vielmehr beachten, wie stark das Erzählte mit überzeitlichen Vorstellungen vom Leben verbunden ist. Immer wieder hat es zu neuer Bearbeitung angetrieben: im Zuge dieser Bearbeitungen einer der wirkungsvollsten „Stoffe" des Hochmittelalters. Das f r ü h e 13. J a h r h u n d e r t p a ß t e das W e r k seinem Versstil an. Schon vorher setzte es im J a h r e 1206 ein Priester O d o f ü r den Magdeburger Erzbischof in seinem „Ernestus" in eine klassizistische Sprache lateinischer H e x a meter um. I m späten 13. J a h r h u n d e r t ging es in eine p r u n k e n d e
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lateinische Prosa ein. Am Anfang des 15. Jahrhunderts übertrug ein Augsburger Kleriker die lateinische Prosa in deutsche Prosa, die verkürzt als sog. „Volksbuch" durch Druck bis ins 19. Jahrhundert läuft. Die mitteldeutsche Erzählkunst der Jahrhundertwende bewegt sich ohne Ausbruch auf der erreichten literarischen Ebene. D a f ü r drei Beispiele. Wohl im ersten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts bearbeitet H e r b o r t v o n F r i t z l a r , ein „Studierter", f ü r den damals bei Otto IV. stehenden H e r m a n n von Thüringen (1190— 1217) in seinem „ L i e d v o n T r o j e" die Iiistoire de Troie, die um 1165 Benoit de Sainte-Maure f ü r den anglonormannischen Hof erzählte. Veldeke griff nadi dem modernen Roman d'Eneas, H e r bort holt jetzt den Trojanerkrieg nach. Man darf dazu nicht an Homers „Ilias" denken. Benoits Hauptquelle war eine spätantike Prosa, deren Verfasser sich unter dem Namen Dares Phrygius als Mitstreiter des Krieges ausgab. Herbort folgt dem Erzählgang Benoits: Jasons Zug nach Colchos gelingt durch die leidenschaftliche „Minne" der Medea und bedingt den Raub der Helena, der den Krieg auslöst. Am Ende der Geschehnisse tötet ein Sohn, den Ulixes mit Circe gehabt hat, den unbekannten Vater. Zwei kleine Minneromane charakterisieren das hochmittelalterliche Sichtfeld: Briseis, Tochter des zu den Griechen gegangenen troischen Sehers Calcas, muß dem Vater folgen; so verliert der Priamossohn Troilus die Geliebte, Diomedes wird ihr „Ritter". Der Anblick der PriamosTochter Polixena macht Achill minnekrank; als er Troilus erschlagen hat, läßt die Troerkönigin Ecuba den Verliebten in ein „Bethaus" locken und umbringen. H e r b o r t trägt die blutige Historie in erlernter Redekunst vor, in seiner Sinnlichkeit Veldeke nahe. Im Ubertreiben gewinnt er Abstand von einem wilden Geschehen, klagend sieht er die jahrelangen Kämpfe als ein nach oben gestaffeltes Leid. Das zweite Beispiel: O 11 e , auch ein „Studierter", der wohl ein
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Mann der Kanzlei war, bearbeitet in seinem „ E r a c l i u s "
ein
Reimwerk, das gegen 1170 Gautier von Arras am gräflichen Hofe von Blois verfaßte. Sagenhafte Erinnerung an den byzantinischen Kaiser Herakleios (610—641), der im Kampf gegen die Perser im Jahre 629 das „heilige Kreuz" nach Jerusalem zurückbrachte, war hier zu einer die Legende berührenden „Historie" ausgebaut worden. Charakteristisch das große Mittelstück: Der junge Eraclius, der die Gottesgabe hat, weibliches Wesen zu erkennen, stiftet die Ehe zwischen dem Kaiser Fokas von Rom und der armen Athanais. Gegen seinen R a t stellt sie der Kaiser unter strenge Hut, als er zu einer Heerfahrt aufbricht. Grade dadurch verfällt die Beleidigte dem jungen Parides, die alte Morfea kuppelt die beiden Minnekranken mit List zusammen. Nach der Heerfahrt sieht Eraclius sofort, was geschehen ist. Durch sein Eingreifen werden Athanais und Parides nach päpstlicher Scheidung der alten Ehe vereint. Kasuistisches Denken schafft hier eine renaissancehafte Novelle, die unter der These steht, nur maßvolle „Hut" mache die Liebe der Frau dauerhaft. Die herbe südmitteldeutsche Sprache Ottes zeigt gelegentlich oberdeutsche Züge, die Überlieferung weist ins Bayrische. Vielleicht darf man daran denken, daß Hermann von Thüringen seit dem Jahre 1196 mit Sophie, der Schwester des bayrischen Herzogs, verheiratet war. Das dritte Beispiel: Der ostfälische Chorherr A l b r e c h t Halberstadt
wagt die „M e t a m o r p h o s e n "
von
Ovids in
höfisch-ritterliche Reimverse mitteldeutscher Prägung umzusetzen. Er beginnt im Jahre 1210 und legt das Ganze noch Hermann von Thüringen vor. Ein merkwürdiger Versuch: Die klug spielende Sprache hellenistisch-römischer Spätkunst wird in eine jungliterarische Sprache verwandelt, die sich in den schlichten Aussagen einer lyrisch gehobenen Rede bewegt. Albrecht erzählt auf diese Weise novellestisch gespannte Wundergeschichten, die genrehafte Szenen bieten und deren Mythenwelt ihm eine Scheinwelt ist. Trotz acht-
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barer Leistung hat er keinen Erfolg gehabt. Die Lateinkenner brauchten seine Verse nicht, für die anderen aber kam sein Bemühn, Ovids Buch vom „Wandel der Gestalten" einzudeutschen, um Jahrhunderte zu früh. Daher sind uns nur Bruchstücke von seiner umfangreichen Arbeit überliefert. Und doch ist sie wenigstens mittelbar erhalten geblieben. Der Colmarer G e o r g W i c k r a m bringt 1545 Ovids „Metamorphosen" in deutschen Reimversen heraus, die Albrechts Werk den gesteiften, feierlichen Tongängen einer Meistersingersprache anpassen. Der Hauptzweck dieses Textes ist freilich etwas, das Albrecht fern lag: Er soll die Bildvorstellungen der Maler, Bildhauer und Bildschneider anregen. Es liegt nahe, in den nordrheinisch-mitteldeutschen Denkmälern von fast fünf Jahrzehnten das zu bestimmen, was sie gemeinsam haben. Man sollte dann nicht zu sehr betonen, daß antike Stoffe bevorzugt seien. Man wäre damit in der Gefahr, Ursache und Wirkung zu vertauschen. Das Charakteristische ist etwas anderes: Durchgehend meidet man romanhafte Traumwelten. Man hält sich daher an das, was bei aller Aufhöhung in Romanhaftes der „Historie" nahe bleibt. Auch das Wunderbare hat sich dieser Historienwelt einzufügen. Dazu gehört, daß die Sprache noch nach Vorliterarischem schmeckt und dem Kräftigen nicht ausweicht. Nicht zufällig wird das Erotische vom Sinnlichen her durchlebt, ohne daß Lüsternheit ins Spiel kommt. Mit all dem vereint sich, daß sich in dieser nördlichen Hofwelt keine verbindende literarische Tradition voll entwickelt. Doch ehe wir uns nun einer anders gearteten Literaturwelt anvertrauen, empfiehlt sich noch, zwei merkwürdig für sich stehende Verswerke des nördlichen Südwestdeutschlands vorauszunehmen und wegen ihrer Sonderart den Werken des niederrheinischmitteldeutschen Randes anzureihen. Gegen oder um 1180 verfaßt im nördlichen Elsaß (etwa in Straßburg?) ein zwischenständischer Berufspoet, der sich H e i n r i c h nennt, das Kleinepos „ R e i n h a r t F u c h s " . Die sorglos gebauten
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Verse sind uns vollständig nur in einer böhmisch-bayrischen Bearbeitung des frühen 14. Jahrhunderts erhalten. Ihnen geht um 1150 das lateinische, in Distichen geschriebene Epos Ysengrimus voraus, dessen Verfasser (wahrscheinlich ein Genter Magister N i v a r d u s) das notvolle Geschick des vom Fuchs bedrängten Wolfes Ysengrim bis zum bitteren Ende darstellt. Doch holt sich Heinrich seinen Stoff aus ostfranzösischen Einzelstücken von Tiersagen, die später der sog. Roman de Renard vereinigt, wie denn überhaupt die abendländische Tiersage im niederfränkisch-nordfranzösischen Bereiche ihr Quellgebiet zu haben scheint. Dementsprechend sind die rauhen Schwanke seines Werkes nicht auf den Wolf, sondern den schlauen Fuchs bezogen: einen „Helden" des Betrugs und der Heuchelei. Auch hier wird freilich bald der immer wieder geprellte Wolf Isengrin zum leidenden Gegenspieler Reinharts, der sich mit dem willfährigen Weib des Wolfes in einem drastischen Minnedienst verbindet. Auf einem Hoftage, zu dem der durch einen Ameisenfürsten siech gemachte Tierkönig, der Löwe Vrevel („Unbesonnen, Verwegen"), einberufen hat, soll sich Reinhart verantworten. Er erscheint als Abgesandter eines Arztes von Salerno mit der Miene des Unschuldigen, läßt, angeblich um den Siechen zu heilen, alle seine Gegner schänden und vergiftet schließlich den König. Eine Darstellung gesellschaftlichen Lebens und öffentlicher Verhältnisse, in der sich ein warnender Satiriker im Widerstand gegen die Welt seiner Tage mit skeptischem Blick aller romanhaften Verschönung des Daseins versagt! Der „ M o r i t z v o n C r a o n" steht nicht minder für sich: eine erotische „Beispielerzählung" novellistischen Aufbaus, die ein Unbekannter in südfränkisch-pfälzischer Sprachtönung erzählt und die uns nur aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts (etwa über das wittelsbachische Bayern) durch die von Maximilian I. veranlaßte „Ambraser"-Handschrift erhalten ist. Der Ritter Mauritius dient in steter Minne der Gräfin von Beamunt. Um sich vor ihr zu be-
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währen, zieht er in einer prunkvollen Turnierfahrt auf. Der Erfolgreiche schläft ein, als sie ihn warten läßt. Gegen den Rat ihrer jugendlichen Hofdame sagt sie sich von ihm los. Zornig dringt er in ihre Kemenate ein. Der erschrockene Graf von Beamunt, dem sie einredet, ein von ihm erschlagener Turniergegner kehre wieder, stößt sich ohnmächtig. In dieser Situation fügt sie sich im Bett dem abgewiesenen Mauritius. Indem er ihr seinen Dienst kündigt, läßt er sie ehrlos zurück. In lyrischer Trauer rät die Sehnsüchtige zu steter Minne. Um die noch ungewohnte literarische Kurzform der „Novelle" zu längen, ist dem Erzählten eine Geschichte des Rittertums im Abriß vorausgestellt, die mit dem Trojanischen Krieg einsetzt. Aus kasuistischem Denken wird ein Schwank vom Verhalten einer untreuen Ehefrau in eine Minnelehre verwandelt, deren novellestisches Geschehen bekannte Adelsnamen der Grafschaft Anjou ohne echte Beziehung verwendet. Das abseitige Denkmal, das wohl eine lateinische Vorlage hatte, dürfte (wie Ottes „Eraclius") im Anfang des 13. Jahrhunderts entstanden sein. b) S ü d d e u t s c h e
Ritterkultur
Hartmann, Wolfram, „N i b e l u n g e n m e i s t e r "
Gottfried,
der
Wir stehen vor jenen Gipfelwerken epischen Dichtens, denen wegen der in ihnen verwirklichten Einheit von Form und Gehalt uneingeschränkt die Eigenschaft „hochhöfisch" im Sinne von „hochritterlich" zugeteilt werden darf. Sie lassen sich am besten durch die Tatsache charakterisieren, daß sie von ihrer Verssprache aus in verschiedener Weise stilschaffend sind. Durch diese Mächtigkeit erzeugen sie recht eigentlich, und zwar zunächst in süddeutschen Räumen, literarische Traditionen, die lange wirken. Daß wir an der richtigen Stelle einsetzen, dabei hilft uns wiederum das kritische Empfinden Gottfrieds von Straßburg. Ich erinnere daran, daß er im
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„Tristan" den Niederfranken Heinrich von Veldeke, der als Autor der „Eneide" noch aus den 70-er Jahren des 12. Jahrhunderts herauswächst, erst in einem Nachtrag nennt. Gerichtet auf eine Kunstsprache, die den Sinn des Erzählten umspielt, teilt er von seiner Sicht aus den Dichterlorbeer einer neuen Zeit H a r t m a n n v o n A u e zu. U n d in einem hat er gewiß recht: Hartmanns Erzählungen führen nicht nur als erste, sondern am unmittelbarsten in jene Phantasiewelt literarischer Ritterkultur ein, die anhebt, als sich Barbarossa nach dem Sturze Heinrichs des Löwen in den dem Kreuzzug 1189/90 vorausgehenden Jahren auf dem ihm erreichbaren Höhengrad seines politischen Weges hält. H a r t m a n n gehört in das staufische Herzogtum Schwaben, das von den Vogesen bis zum Lech reicht und weit in die Alpenwelt hineinzieht. Doch wissen wir nicht, wo und f ü r wen er gedichtet hat. Als „gelehrter" Ritter nennt er sich einmal „Dienstmann zu Aue". Viel spricht dafür, daß er sich damit auf die Abtei der Reichenau bezieht. Denn das Wappen, das ihm zwei Liederhandschriften zuteilen, kehrt ähnlich bei den Wespersbühlern wieder, die an der unteren Thür sitzen, und der N a m e „ H a r t m a n n " tritt im 12. Jahrhundert bei den Kiburger Grafen, den Thurgauer Vögten der Reichenau, auf. Nichts hilft beim Festlegen seiner Person der „fürstengleiche" Heinrich von Aue, der sog. „arme Heinrich" jener novellenartigen Erzählung, die uns gleich beschäftigen wird. Er ist eine Gestalt der Dichtung, auch kann er als Ehemann eines freien Bauernmädchens nicht Ahn eines Familienzweiges gewesen sein, dem der notwendig edelfreie Dienstherr Hartmanns entstammt. Die Art, wie für H a r t m a n n in lyrischer Aussage der T o d seines Dienstherrn Anlaß zur Kreuzfahrt wird, legt ohne Sicherheit nahe, daß er schon am Kreuzzug 1189/90 teilgenommen hat. Das Französische ist ihm bereits am Beginn seines Schaffens vertraut. Gewiß ist, daß er die Verhältnisse von Klosterschulen gut kannte. Seine literarischen Anfänge zeigen eine beachtenswerte literarische Selbständigkeit. 8
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H a r t m a n n s „ E r e c " , seine erste Erzählung, muß um 1185 entstanden sein. Denn jenes gute staufische Verhältnis zum kleinasiatischen Sultanat von Ikonium, das er voraussetzt, löst sich 1189 im Kreuzzug auf. Er schließt sich im ganzen an eine Fassung an, die der „gelehrte" H o f m a n n Chrestien von Troyes, der bedeutendste französische Romancier des 12. Jahrhunderts, vor 1170 geschaffen hat. H a r t m a n n trifft in dieser Wahl seiner Vorlage eine folgenreiche Entscheidung, durch die bis ins späte 13. Jahrhundert dem deutschsprachigen Erzählen die maßgebende Höhenlage gesichert wird. Das Werk hat bei ihm drei Teile. In einer Vorgeschichte erringt der Königssohn Erec als vollkommener Ritter die verarmte Enite und führt sie dem Artushof zu. In der Hauptgeschichte "verliegt sich" der verheiratete Erec bis zum Verlust der Ehre, weil er in der Minne sein Rittertum preisgibt. In plötzlicher Umkehr bricht er mit Enite zu einer asketischen Fahrt auf. Es überrascht, daß H a r t m a n n so wenig wie Chrestien sagt, warum Erec ins Ungewisse reitet. An Eifersucht darf man nicht denken, das Problem liegt tiefer. Enite muß sich als „rechtes Weib" bewähren, das mehr als eine Geliebte ist; Erec muß durch Kampfesnot zu einem Rittertum gelangen, dem die Minne nicht widerstreitet. So tragen ihn Gott und Tüchtigkeit aus „Kummers Wogen" an der „Gnade Sand". In einer Nachgeschichte befreit Erec, durch Enitens Minne gestärkt, den riesenhaften Mabonagrin aus der Pflicht zu einem einsamen Kampfleben, in das ihn die Eifersucht einer Geliebten gefesselt hat. Erbarmen, das er mit den Witwen empfindet, deren Männer Mabonagrin erschlagen hat, veranlaßt ihn, zum zweiten Male zu König Artus zu fahren. Dann kehrt der „Ehrenholde" mit Enite in das Land des Vaters zurück, allzeit seine Ehre auf Gott beziehend. Der ganze H a r t m a n n ist bereits in diesem Frühwerk enthalten, das uns fast vollständig nur in der späten „Ambraser" Handschrift Maximilians überliefert ist. Damit verbindet sich ein Zweites: Mit dem ,Erec' Hartmanns betreten wir zum ersten Mal die Welt des
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Artusromans. Ihr Eigenstes p r ä g t sich noch kräftiger in einer zweiten Großerzählung H a r t m a n n s aus: in seinem „I w e i n " , in dem er dem nach 1170 vollendeten Meisterwerk Chretiens folgt. Die Artuswelt löst sich im Typischen ihrer „Abenteuer", alles Tragische abbiegend, vom geschichtlichen R a u m . In ihr u m f ä n g t uns eine traumhafte Kunstwelt von Märchencharakter, die dem Spiel der Phantasie geöffnet ist. Iwein, der als Artusritter einem bequemen Dasein ausweicht, verfällt in einem Z a u b e r w a l d der Burgherrin Laudine, deren riesenhaften M a n n er erschlagen hat. Die Verwitwete w ä h l t ihn schnell auf R a t ihrer adligen Zofe Lunete zum Gemahl, um ihre Ehre durch den besseren M a n n zu sichern. Gawein, der Idealritter der Artuswelt, weist den Freund auf die G e f a h r hin, der Erec erlegen ist. Iwein w i r d von Laudine f ü r ein J a h r freigegeben, aber er vergißt im Turnieren sein Gelübde, das ihn zu rechtzeitiger Rückkehr verpflichtet. Als ihn d r u m Laudine verstößt, verfällt er dem Wahnsinn, von dem ihn die feenhafte H i l f e einer fürstlichen Frau heilt. D e r Geheilte b e w ä h r t sich nunmehr, von einem treuen Löwen begleitet, der Merkzeichen seiner Person wird, als Retter bedrängter Weiblichkeit. D e r ritterlich Bescheidene steigt schließlich im K a m p f f ü r eine ungerecht Enterbte zur höchsten H ö h e , als er unentschieden mit dem nicht erkannten Freunde Gawein k ä m p f t . Die N o t der Minne zwingt ihn jetzt zu Laudine zurück'. Lunete f ü h r t , den R o m a n z u m Kreise rundend, durch k o m ö d i a n tische List M a n n und Weib wieder zusammen, von denen jeder in seiner Weise die Schuld auf sich nimmt. Die große W i r k u n g H a r t manns geht von diesem Werk aus, das spätestens 1204/05 W o l f r a m von Eschenbach bekannt ist. Wie im „Erec" zeigt sich H a r t m a n n s Stärke nicht im Nachzeichnen, sondern im Interpretieren der ihm dargebotenen Situationen. Zugleich vollendet er in der spielenden Kunst seiner ausgewogenen Sprache einen hohen Stil, in dem sich die rehte güete (das richtige Verhalten) spiegelt, das sein „ H e l d " erreicht. 8»
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Jahre vor dem „Iwein" hat Hartmann wohl bald nach 1190 einer nicht viel älteren französischen Dichtung in vertiefendem Deuten seinen „ G r e g o r i u s" nacherzählt: die einem Roman verwandte Legende vom „guten Sünder". Er will zeigen, daß der Mensch jeder Sünde in dauerhafter Wandlung ledig wird; doch darf man sich durch diese These nicht vom Besonderen des Erzählten ablenken lassen. Gregorius, ein Kind der Blutschande zwischen Bruder und Schwester, wird ohne Kenntnis seiner fürstlichen Herkunft früh in einem Kloster ein jugendlicher Gelehrter. Als er in der Folge eines ungezügelten Ausbruchs durch die erzürnte Pflegemutter von seiner Geburt erfährt, strebt er mit dem Willen zur „Ritterschaft", der längst in ihm lebt, aus dem Kloster in die „Welt". Er befreit und heiratet unwissend die verwitwete Mutter und wird ein musterhafter Regent. Als er nunmehr das Sündhafte seiner Ehe entdeckt, verzweifelt er nicht an Gott. Siebzehn Jahre büßt er auf einem „Stein" im See, durch ein Gotteswunder nur von etwas Wasser ernährt. Gott aber vergißt nicht nur seine „Hauptschuld", der Sündenlose wird sogar von ihm zum Papst bestimmt. Wiederum übt er sein Amt (diesmal ein geistliches Regentenamt) so aus, wie es sein muß. Die Mutter hört von dem „Trost der Sünder"; sie sucht ihn auf. Beide leben nun ungeschieden als Gotteskinder bis in den gemeinsamen Tod. Es gehört zum Sinn des Geschehens, daß idealweltliches und ideal-geistliches Leben (ideal-fürstliche und idealgeistliche Amtsführung) nicht gegeneinander ausgespielt werden. Uns fehlt noch die novellistische Beispielerzählung vom „ A r m e n H e i n r i c h", die wohl aus einer kurzen lateinischen Prosa entwickelt ist. Der junge hochgestimmte Dynast Heinrich von Aue ist vom gesellschaftlichen Standort aus eine Idealgestalt. Ihn bringt zu Fall, daß vor Gott höchste irdische Würde nichts gilt. Sichtbares Zeichen: Aussatz macht ihn der Welt unwert. Dem Ungeduldigen schwindet die letzte Hoffnung. Vom besten Arzt Salernos hört er, daß nur Gott ihm helfen kann, weil das einzige irdische Heilmittel,
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das Herzblut eines mündigen Mädchens, das sein Leben freiwillig opfert, für ihn nicht erreichbar ist. Er zieht sich auf einen gerodeten Meierhof zurück, den ihm ein freier Bauer bewirtschaftet. D o r t wendet sich ihm das kindlichreine Wesen der Meiertochter zu, die er scherzend sein „ G e m a h l " nennt. D a s mündig werdende Mädchen entschließt sich, fröhlich ihr Leben für ihn zum Heil ihrer Seele zu opfern. Mit dem Mut einer Legendengestalt setzt es sich vor den Eltern durch. Als Heinrich zu Salerno in einer novellistischen Szene sieht, wie der A r z t den T o d des Mädchens vorbereitet, verwandelt er seinen alten Geist in einen neuen Geist, der die Opferung verhindert. Gott aber zeigt an beiden (an Heinrich und der N a m e n losen), wie lieb ihm „ T r e u e " und „ E r b a r m e n " sind. Der Gesundete bezieht jetzt in einem gesteigerten Dasein alles auf Gott, und trotz seines fürstlichen Standes heiratet er folgerichtig die Meiertochter. D i e liebenswürdige und zugleich kühne Erzählung entsteht frühestens kurz vor dem „ I w e i n " , vielleicht erst im Beginn des 13. J a h r hunderts. Wir dürfen H a r t m a n n s Erzählungen nicht verlassen, ohne ein Gemeinsames herauszuheben. Ich meine damit nicht, daß er mit eigener Sprache nacherzählt, was andere vor ihm in ihrer Sprache erzählt haben. Denn er will gar nicht Geschichten erfinden, sondern an beglaubigten Geschehnissen in auflichtender Darstellung Musterhaftes empfehlen. D a s Gemeinsame bekundet sich nicht darin, daß er sich an Vorlagen anschließt, sondern darin, welche Vorlagen er auswählt. In all seinen Erzählungen begegnet uns der „ H e l d " für Zeit auf der H ö h e eines Daseins, mit der er eine Zielebene seines Lebens erreicht zu haben scheint. Aber jäh stürzt er von dieser H ö h e herab, weil ihm nicht gelingt, sich dort so zu erfüllen, wie er es seiner Anlage nach müßte. Doch nun ereignet sich, was ihn auf Dauer in die H ö h e hebt. Von der Absturzstelle aus erreicht er wieder auf verschiedenen Wegen eine ihm gemäße Höhenstellung als einer, der fähig geworden ist, das zu sein, was er sein soll. U n d in jeder
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dieser Geschichten (auch im ,Gregorius') steht sodann am Schluß die weiblidie Gestalt neben ihm, die durch das Geschehn mit ihm verbunden ist. Man muß sich freilich hüten zu sagen, alle seine Helden erreichten eine höhere Bewußtseinsstufe. Hartmanns Welt wird im ,Erec', ,Gregorius' und ,Iwein' nicht so weit durchgestaltet, um so etwas ausdrücklich ins Wort zu bringen. N u r im ,Armen Heinrich' gewinnt der „Held" in einem plötzlichen Aufleuchten einen niuwen muot (ein neues Denken und Wollen), das ihn verwandelt. Diese niuwe güete (dieses neue Gesamtverhalten) macht ihn dann wohl bereit, über das Ständische hinweg die allzusehr ins „Überweltliche" gerichtete Geliebte zu sich in seine „weltliche" Welt hinzuziehen. Dies alles mit schwereloser Anmut erzählt, bewirkt, daß der „Arme Heinrich" kaum seinesgleichen in der Dichtung der Stauferzeit hat, wenn man von der Dichterwelt Wolframs absieht. Ein kurzes Schlußwort muß dies ergänzen. In Hartmanns Erzählungen bewegen sich Gestalten, die sich auf ihrem belichteten Lebensgang in Vorbildlichkeit erheben. D a ß dies nicht nur dem „guten Sünder" Gregorius und dem „Armen Heinrich", sondern auch Erec und Iwein trotz streng ritterlichen Daseins möglich wird, hat seinen Grund in der der „Historie" fernen, märchenhaften Welt des Artusromans. Auf diese Weise nähern sich alle Träger des Geschehens (auch die der Artusromane) Legendengestalten, die zur Nachfolge auffordern. Dabei übersehe man nicht, daß sich Hartmanns Gesamtleistung in einer bewußt gelenkten Sprache ausprägt, durch die seine Welt das ihr eigentümliche Leben gewinnt. Im zunehmend Ausgewogenen seiner Aussagen, die Ungewöhnliches oft durch leichte Ironie mildern, deutscht er romanischen und lateinischen Sprachstil so ein, daß Musterhaft-Neues entsteht. Seine Sprache ist freilich viel stärker als Veldekes Sprache im Gebrauch der Mittel eine K u n s t s p r a c h e , der in steigendem Maße das Elementare fremd bleibt. Von hier aus wird verständlich, daß der Kritiker Gottfried von Straßburg, dessen Sprache aus
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Höfische Epik
Hartmanns Sprache aufsteigt, seine Auffassung von Sprachstil verdeutlicht, indem er Hartmanns Sprech- und Denkweise gegen eine anders geartete, zeitgenössische Sprech- und Denkweise absetzt. Er wirft nämlich im „Tristan" der Sprache eines Ungenannten vor, uns im Unterschied von der farbigen Schmucksprache Hartmanns durch das Elementare seiner Aussagen vor eine unbelaubt-schattenlose Welt zu stellen. Er verbindet diesen Vorwurf mit dem Tadel: Der Ungenannte biete in der Wildnis seiner ungepflegten Geschichten keine befriedigende Deutung an. Diese ungerechten Urteile zielen auf eine Gestalt von ungewöhnlicher Sprachkraft: Wir stehen vor dem Werke W o l f r a m s
von
Eschenbach.
Wolfram nennt sich nach dem bayrisch-mittelfränkischen Eschenbach südöstlich Ansbach. Dort saß er als Belehnter in einem Hause, das den Grafen von Wertheim gehörte. Nach dem Mainfränkischen hin weist auch, daß er in Beziehungen zu den Herrn von Durne stand, die als Nachbarn der Wertheimer auf dem Wildenberg (einem mons silvaticus) südlich Amorbach eine Burg hatten. Auffällt, daß er sich einmal mit Humor als Bayer bezeichnet, was zum mindesten bayrische Herkunft der Vorfahren nahelegt. Mit dem Landgrafen Hermann von Thüringen mag ihn daher nach 1196 dessen zweite Frau Sophie, die Schwester des Bayernherzogs Ludwig von Wittelsbadi, verbunden haben. Möglich auch, daß er den Landgrafen auf dem Kreuzzug 1197/98 kennenlernte. Denn wir sollten damit rechnen, daß er in Syrien einen Eindruck von Templerburgen erhielt. Nachdrücklich hat er sich gegenüber allen „gelehrten" (durch eine Lateinschule gegangenen) Rittern trotz reicher Kenntnisse einen Mann des „Schildesamtes" (des Waffendienstes) genannt. Doch ist ihm Französisch nicht fremd gewesen. Seine erste Großerzählung „P a r z i v a 1", für eine nicht genannte Edelfrau verfaßt, baut den unvollendeten um 1180 entstandenen Perceval
Chrestiens von
Troyes zu einer romanhaften „Historie" aus, in die die Artuswelt eingelagert ist. Als Gebilde eigener Art ist dies reich überlieferte
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Dichtung der Stauferzeit
Ritterepos spätestens um 1200 begonnen und vor 1210 abgeschlossen worden, das Werk eines bereits Ausgereiften. Was erfahren wir in ihm? Der „Parzival" hat eine Vorgeschichte, die nach dem Schema des Aeneas-Romanes abläuft. Gachmuret von Anjou, den es in Ritterfahrt und Minnedienst treibt, wird über Bagdad in das Reich der Mohrenkönigin Belacane verschlagen und von ihr zum Landesherrn erhoben. Dem Weiterziehenden gebiert die Ungetaufte den zweifarbigen Feirefiz. Durch ein Turnier im Lande Wallis (dessen Name zwischen Valois und Wales spielt) fällt ihm die jugendliche Königin Herzeloyde zu. Er stirbt im Dienste des Kalifen; Herzeloyde gebiert Parzival, auf dessen Gestalt die vielräumige Erzählung bezogen ist. Erste Haupthandlung: Vergeblich versucht Herzeloyde ihren Sohn von Ritterschaft fernzuhalten. In zwei Fragen erwacht der Knabe Parzival zu sich selbst: in der Frage: „Ach Mutter, was ist Gott?" und in der Frage: „Wer gibt Ritterschaft?" In den Antworten, die Thesen aufstellen, bereitet sich das Geschehen vor. Die erste erteilt die Mutter: Gott, lichter als der helle Tag, ist helfende „Treue", hüte dich vor „Untreue" und dem Zwischenzustand des „Zweifels". Die zweite erteilt ein Ritter: Ritterschaft gibt der König Artus. Den Scheidenden steckt die Mutter in Narrenkleider und stirbt. Der kindliche Tor tötet vor dem Hof des Königs Artus den ihm verwandten „roten Ritter" Ither, dessen Rüstung er fortan trägt. Er wird sodann Ritter im Waffengebrauch und im Verhalten durch Gurnemanz, den „Obmann wahrer Zucht". Wie der Vater weiterziehend, befreit er zur Ehe die Königin Condwiramurs, eine ihm von Mutters Seite verwandte Waise, wie denn überhaupt ein Gewebe verwandtschaftlicher Zusammenhänge das Epos durchzieht. Allein ins Ungewisse reitend, erlebt er auf einer Burg, wie in einem kultischen Aufzug ein „Etwas", das Vollkommenste des Paradieses, hereingetragen wird. Vom Geheimnisvollen umgeben, schweigt er
Höfische Epik
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aus erlernter Zucht. Von der Einsiedlerin Sigune (auch einer Verwandten von Mutters Seite) erfährt er, daß er aus unzureichender Treue (aus unzureichender innerer Aufgeschlossenheit) und dem dadurch bedingten Mangel an Erbarmen den „Gral" und mit ihm die Nachfolge des siechen Anfortas auf der Burg Munsalväsche (dem mons silvaticus) verspielt habe. Vom König Artus gesucht, wird er in die Gesellschaft derer von der „Tafelrunde" aufgenommen, womit sich die zweite der grundlegenden Thesen zu erfüllen beginnt. Um so stärker der Umschwung! Von der Gralsburg kommt die unheimlich aussehende Cundrie und spricht ihm echte Männlichkeit ab. Alle, die nach hoher „Minne" streben, weist sie nach Scbastel marveile, einem „Märchenschloß". Anschließend wird Gawan, der Artusritter schlechthin, zu einem Zweikampf geladen, um einen angeblichen Mord zu sühnen. Neues bereitet sich vor. Parzival aber entscheidet sich im Ahnen, daß die Lehre des Gurnemanz nicht das Ganze war, n i e den „Gral" als Ziel aufzugeben. Im Abschied von Gawan sagt er Gott, dessen Macht ihm unsicher geworden ist, den Dienst auf: bereit, Gottes Feindschaft zu tragen. Im „Schildesamt" um den „Gral" wird ihn die Gestalt der Condwiramurs leiten. Erste Zwischenhandlung: Wir sind bei Gawan, er reitet zum Zweikampf. Ein Krieg hält ihn auf, den ein junger König gegen einen Herzog führt. Diesen hat die ältere Herzogstochter aus seelischer Verkrampfung abgewiesen, obwohl sie ihn liebt. Ihre Schwester, das Kind Obilot, gewinnt in frühreifer Minnerede Gawan als Helfer. Sie führt nach Gawans Sieg die Schwester und den Herzog zusammen, doch Gawan muß sie verlassen. Ein süßwehes Abenteuer, in dem wie in allen Gawanabenteuern Wolfram weibliches Wesen mit hoher Kunst erfaßt. Ein zweites Abenteuer folgt am Ort des angesagten Zweikampfes. Schnell verbindet sich Gawan in enthemmter Minne mit Antikonie, der Schwester des Landeskönigs. Alle Gefahren lösen sich. Parzival, der stets im Hintergrund der Gawanabenteuer auftaucht, hat den Landeskönig geworfen und
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verpflichtet, den Gral zu suchen oder sich bei Condwiramurs zu melden. Auch Gawan tritt (durch Antikonie nicht gebunden) in die Verpflichtung der Gralsuche ein. Zweite Haupthandlung: Nach harten Kämpfen kommt der noch immer jugendliche Parzival in die Nähe von Munsalväsche. Er erreicht nicht die Burg, sondern den frommen Einsiedler Trevrizent, den Bruder des Burgherrn Anfortas. In Gesprächen klärt sich sein Verhältnis zu Gott. Er erfährt, daß Gott stete „Treue" ist und daß man ihm nichts abzuzürnen vermag. Er wird vor übersteigertem Selbstgefühl gewarnt und zu seelischer „Keuschheit" ermahnt, die in sich Demut birgt. Mit der Kunde vom Entstehen der Gralsbruderschaft erhellen sich ihm zugleich Zusammenhänge seines Lebens. Durch seine Mutter, eine Schwester des Anfortas, ist er mit der Bruderschaft verbunden. Vor dem „Gral" ist er ohne Glück geblieben, weil er seine „fünf Sinne" nicht gebraucht hat, darin der ungezähmten Art der Menschen unterworfen. Die Gesprächsreihe endet: „Treue" zu Gott verlangt, Fehltritte durch Verwandlung aufzuheben. Doch so sehr sich die Grundthese der Mutter vom Wesen Gottes bestätigt hat, im Ungewissen bleibt, wie das fast zwecklos gewordene Suchen des Ausreitenden enden soll. Zweite Zwischenhandlung: Wir werdenZeugen seltsamer Gawanabenteuer, die Gottfried von Straßburg ungern gelesen haben wird. Gawan trifft auf die Landesherrin Orgeluse, nach Condwiramurs die schönste Frau. Sie lohnt seinen Dienst mit Hohn, für uns vorerst eine verrätselte Gestalt. U m sie zu gewinnen, erlöst er im Aventürenland des Zauberers Clinschor (eines Vergilnachkommen) ihm verwandte Fürstinnen des Artuskreises unweit von Munsalväsche auf der Burg Schastel marveile, indem er die märchenhaften Gefahren eines Wunderbettes besteht. Orgeluse treibt ihn sodann in einer letzten Probe gegen den H ü t e r des Clinschorwaldes: den stolzen Gramoflanz; der Wille, an Gramoflanz Rache zu nehmen, erklärt ihr gesamtes Gehaben. Gawan und Gramoflanz verabreden
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einen Kampf vor König Artus, der in Gegenwart von Frauen über den besten Ritter entscheiden soll. Orgeluse wirft sich jetzt in „wahrer" Minne vor Gawan nieder. Eine festliche Versammlung zieht sich um Artus zusammen, wir sind auf dem Gipfel hochritterlicher Romanwelt. Die Überraschung: Als sich Gawan auf den Kampf mit Gramoflanz vorbereitet, trifft er auf Parzival, den er für Gramoflanz hält. Vor der Niederlage bewahrt ihn eine Erkennungsszene; Parzival wirft das Schwert weg. Am nächsten Tage trifft Gramoflanz auf Parzival, der Sieger wird, bevor der zu spät gekommene Gawan erscheint. Artus, der „weise, höfische Mann", stiftet, den Frauen zugetan, einen Versöhnungstag. Parzival aber, der Träger höchster Ritterwürde, empfindet den Widerspruch zwischen der frohen Umwelt und seinem Herzensjammer, einsam zieht er aus zu neuer Pein. Schlußhandlung: Der Anfang der Vorgeschichte verbindet sich mit dem Ende des Ganzen. Feirefiz, der männliche Heide, erscheint, nach Minne und Ruhm darbend. Die Brüder treffen aufeinander, beide „Fundament geläuterter Treue". Parzivals Schwert birst, das Schicksal Ithers (Verwandtentod durch Parzivals Hand) erneuert sidi nicht. Feirefiz verzichtet unter Wegwerfen seines Schwertes auf den K a m p f ; Parzivals Leben untersteht Gottes Urteil. Die Brüder erkennen sich und begeben sich zu Artus, wo Feirefiz, der dem Kalifen an Macht gleich ist, in den Kreis der Artusritter aufgenommen wird. Erneut erscheint Cundrie als Abgesandte der Gralsburg. Gott will sich Parzival gnädig zuneigen. Durch Aufschrift ist er am „Gral" als „Herr des Grals" benannt; er hat sich der „Seele Ruhe" erstritten. Parzival bekennt, daß Gott wohl an ihm getan hat; Orgeluse weint vor Freude, daß Anfortas aus der Q u a l kommt. Parzival darf einen Gefährten mitnehmen; er wählt den Halbbruder Feirefiz. Mit ihm bricht er zur Burg auf. Dort befreit er durch schlichte Frage Anfortas vom Siechtum; er wird als König anerkannt. Als er sodann Condwiramurs einholt, nennt Trevrizent
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Dichtung der Stauferzeit
das größte Wunder, daß sich Parzival den „ G r a l " erstreiten konnte. Die Einsiedlerin Sigune, der er an entscheidenden Stellen seines weiten Weges begegnete, findet er tot vor; sichtbares Zeichen, daß sie ihre Aufgabe erfüllt hat. Doch wir sind damit noch nicht am Ende. Nidits erfahren wir freilich darüber, wie Parzival als Gralskönig gelebt und gewirkt hat. Wohl aber rückt noch für kurze Zeit Feirefiz nach vorn, sodaß sich der Schluß der Erzählung mit ihrem Anfang verbindet. Feirefiz, unter den damals Lebenden so vollkommen wie Anfortas und Parzival und dadurch schon als Person fast Christ, erreicht nunmehr durch die Taufe, daß er mit Repanse, der Gralsträgerin und Schwester des Anfortas, vermählt werden kann. Sie wird in Indien den Priester Jöhan gebären. Am „ G r a l " legt nunmehr eine Inschrift den Gralsrittern auf, in der Fremde zu widerraten, daß man nach ihrer Herkunft fragt, woraus sich wohl erklären soll, daß die Gralswelt im Unzugänglichen liegt. Der Aufbau des viel umworbenen Werkes ist hier mit besonderer Absicht skizziert worden. Denn wir haben der Gefahr zu begegnen, dieser größten epischen Dichtung jener Tage im Blick auf eine vereinfachende moral-theologische These ihre bewegte Fülle zu nehmen. Sie gehört zu jenen seltenen Werken, in die die traumhaft greifbaren Möglichkeiten einer Epoche aufgenommen sind. Solche Werke lassen sich nie mit einem Griff, selbst nicht mit wenigen Griffen erschließen; denn sie sagen immer mehr aus, als sie einer zeitbedingten Deutung verraten. Es sei daher im Anschluß an Wolframs Schlußwort eine betont schlichte Feststellung gewählt, um auf einem abkürzenden Wege nahe an den Sinn des Ganzen heranzuführen. Ein großer Dichter stellt dar, wie Parzival (als Mensch in seiner Musterhaftigkeit schon aus Anlage eine Ausnahmegestalt) durch seelische „Keuschheit" über alle Hemmnisse hinweg unbeirrbar Gewolltes vollendet und dadurch ein gesegnetes Dasein gewinnt, das von gottnaher Seelenruhe erfüllt ist. Es geschieht, indem ein dumpf vorwärts strebender Knabe stufenweise durch Steigerung seines Be-
Höfische Epik
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wußtseins zu einem aus Demut Hellsichtigen wird, den die göttliche Gnade gerade wegen der Stetigkeit seines Strebens das ihm vorbestimmte Ziel erreichen läßt. Voraussetzung dafür ist, daß er in einer Treue fortschreitet, die jener Macht der erbarmenden Minne gleicht, in der Gottes Wesen gründet und erkennbar wird. Doch dies ist nicht alles. Bei allem Zusammenhang der Geschehnisse hat jede Einzelhandlung eigenen Wert. Die viel erörterte Quellenfrage braucht uns nicht zu beunruhigen, weil uns hier nur angeht, was Wolfram mit seinen sinnenden Augen aus dem ihm Dargebotenen gemacht hat. Er selbst tut die Quellenfrage damit ab, daß ihm ein „Provenzale" Kyot (ein Autor mit französischem Namen, der nicht auffindbar ist) die richtige Geschichte geliefert habe. Wichtiger: Die scheinhistorische Vorgeschichte, die an sie anknüpfende Schlußhandlung, auch fast ganz der breite Gesprächsteil der mittleren Haupthandlung sind nicht Chrestiens ¡Perceval' entnommen, mit dem sich das Übrige berührt. Wir werden nie erfahren, wie sich dieser „nichtstudierte" Mann des Ritterdienstes sein durchlebtes Wissen erworben hat. Genauerem Lesen bleibt der Eindruck, er habe, langsam arbeitend, in Pausen geschaffen und zwar mit Schreiberhilfe in so etwas wie ein Vortragsmanuskript hinein, damit in einer Art des Vorgehens, die Unausgeglichenes erklärt. Aber noch ein Wesentliches, das für die Zeitgenossen nicht oben aufliegen konnte, muß nunmehr ausgesprochen werden. Wolframs „Parzival" kommt in der unruhigen Wende aufs Pergament, in der das 12. in das 13. Jahrhundert übergeht: in der Zeit Philipps von Schwaben, Ottos IV. und des Papstes Innozenz III. Gegenüber dieser verwirrten Welt führt der Weg Parzivals in einen utopischen Bereich, in dem alle damaligen Weltfragen durch eine „Bruderschaft" von Rittern gelöst sind. Wir hören nichts davon, was an Spannungen zwischen geistlicher und weltlicher Macht erinnert. Der „Gral", ein im Unzugänglichen aufbewahrter, unscheinbarer Stein, ist die Stelle, wo Gott (Weltenschöpfer und
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Diditung der Stauferzeit
wesenhafte „Treue" in eins) mittelbar faßbar wird. Der Herr des „Grals" aber ist befähigt, in die Welt einzugreifen, Vertreter eines Rittertums, in dem sich ein Höchstmaß an „Treue" und damit an „wahrer Minne" verwirklicht hat. Vermeiden sollte man, dies „Epos", das in einem Utopien endet, mit der Bezeichnung Entwicklungsroman zu versehen. Die Wandlung Parzivals vor Trevrizent, die in seiner Anlage begründet ist, vollzieht sich im Wechsel von Frage und Antwort als dialektischer Vorgang: als Vorgang einer sich stufenweise vertiefenden Erkenntnis einem erweiterten Beichtgespräch nahe. Auch sollten wir uns nicht an die Faustgestalt Goethes erinnern lassen, die aus spätmittelalterlichen Voraussetzungen einen anderen Weg in ein anderes Ende geht. In einer zweiten Großerzählung verläßt Wolfram das Traumreich der Artusritter. Landgraf Hermann von Thüringen hatte ihm eine im späten 12. Jahrhundert verfaßte Chanson zugänglich gemacht, die im Zuge der „Historien" entstanden war, in denen sich der „heilige Wilhelm" als Legendengestalt bewegt: Aliscans, die Darstellung einer Doppelschlacht, die auf die Elysii campi von Arles südlich Orange verlegt ist. Wolfram verwandelt bis gegen 1220 hin (schwerlich in Thüringen) die gekonnte, aber derb französische Erzählung in die hochritterliche Legendendichtung seines „ W i l l e h a l m " . Wie im „Parzival" steht über ihr die These: Keuscher Sinn bei männlicher Tat ruft Gottes Huld herbei. Doch treten wir hier in eine Geschichte ein, die von dem Jammer erfüllt ist, den das Gegeneinander von Christen und Heiden herbeizwingt. Markgraf Willehalm, ältester Sohn des Grafen von Narbon, hat sich in gegenseitiger Minne mit Arabele, der heidnischen Frau des heidnischen Königs Tybalt, verbunden, die nach der Taufe Gyburg heißt. Ihr Vater Terramer, „Vogt" von Bagdad, kommt zur See mit einem gewaltigen Heere herangefahren. In einer ersten Schlacht von Alischanz wird Willehalms Heer vernichtet; Vivians, sein Sciiwestersohn, den Gyburg zu ihrem Ritter aufgezogen hat, stirbt
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im Schöße Willehalms einen Legendentod. Nur unter schweren Kämpfen erreicht Willehalm in fremder Rüstung Oransche, das Terramer zu belagern beginnt. Aus der belagerten Stadt ausbrechend, sucht Willehalm in asketischer Fahrt Hilfe beim „römischen" König Loys (dem Sohne Kaiser Karls), der Willehalms Schwester zur Frau hat. Er erreicht den König auf einem Hoftag in Laon. Dort trifft er auch die Eltern und mehrere Brüder, denn auch diesmal läuft für Wolfram das Geschehen unter Treuebeziehungen ab, die durch den Zusammenhalt eines Geschlechterverbandes bedingt sind. Die königliche Schwester spricht gegen Willehalm. Von Jammer und Zorn erfüllt, vergreift er sich an ihr, doch versöhnt ihn die Königstochter Alyze. Man spürt an solcher Stelle, was damals gegenüber einem Ehrgefühl, das in ungezähmter Leidenschaft ausbrechen kann, die durch Dichtung gepflegte Ritterkultur bedeutet. Nicht leicht macht es sich der durch Willehalms Verhalten beleidigte König, bis er sich zum Helfen entschließt. Zu Willehalm tritt jetzt der jugendliche riesenhafte Rennewart als Knappe: ein durch Kaufleute entführter Sohn Terramers, der die Taufe abgelehnt hat, weil sie nicht zu seiner Herkunft gehört. Doch verknüpft ihn mit Alyze ein Minneband, das wie stilles Verlöbnis wirkt. Der zurückbleibende Loys gibt die Reichsfahne an Willehalm, der so im Kampf gegen die Heiden zum Vertreter des mittelalterlich-„römischen" Reiches wird. Wolfram schaltet ein Gespräch ein, das indessen Gyburg mit ihrem heidnischen Vater an der Mauer von Oransche hat. Terramer versucht ohne Erfolg die Tochter durch Flehen und Drohen vom Christengott und damit von Willehalm abzuziehen, bevor er mit den Seinen zur Erholung an die Küste zieht. Als Willehalm mit neuer Heeresmacht erscheint, klagt Gyburg beim Empfang aus unaufhebbarem Leid dem Vater Willehalms, daß sie sich als „Unwetter" für Christen und Heiden fühlen muß. Geht doch durch sie gleichsam die Front mitten hindurch, so entschieden sie als Christin
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Dichtung der Stauferzeit
auf Willehalms Seite steht. In Rennewart, dem Heiden auf christlicher Seite, ahnt sie mit sicherem Instinkt ihren Bruder. Vor dem Beginn des zweiten Kampfes bittet sie, trotz der Härte des Streites im heidnischen Gegner mit Erbarmen „Gottes Handschöpfung" (gotes hantgetät) zu erkennen: beert eines tumben wibes rät, / schont der gotes hantgetät: Wir seien alle einmal Heiden gewesen. Ja, um Gottes und um des Markgrafen willen nimmt sie für das, was sie verlangt, alle Verantwortung auf sich. Ungewöhnliche Entscheidung einer durch Leid über sich hinausgehobenen Frau! Uber Glaubensgegensätze hinweg, die fordern, die Heiden in hartem Kampfe abzuwehren, entdeckt sie unter der Oberflächenwelt der geschichtlichen Stunde ein alle Menschen Einendes. Aber man halte Wolframs Gedanken, daß Christliches im Heiden bereit liege, von einem Toleranzgedanken fern, der Unterschiede verwischt. Er meint hier ein Gemeinsames, das Gegner jenseits des Vordergründigen in der Tiefe als „Gottes Geschöpfe" verbindet. Es gehört wohl zum Ungewöhnlichsten und daher Einsamsten, was damals ausgesprochen ist. Nur in der Welt von Dichtung, nicht in der Welt gelehrter Erörterung war möglich, zu solcher Einsicht vorzudringen. Auf dem Felde von Alischanz erhebt sich nun die zweite Schlacht. Terramer, der „getreue Heide", faßt sie als Heerfahrt gegen die Christenheit auf, er will (wie Baligant im Rolandslied) den Stuhl zu Aachen und dann Rom erobern. Die Darstellung der wogenden Schlacht gehört zum Bedeutendsten, was Wolfram in der Kunst des Erzählens geleistet hat. Terramer, von Willehalm verwundet, wird auf ein Schiff getragen, die Heiden flüchten. Am anderen Morgen fehlt Rennewart; offen bleibt, ob er beim Verfolgen abgefangen ist. Willehalm fällt in eine maßlose Klage; ohne Haß gegen Terramer gibt er die Leichname der toten Heidenkönige heraus. Unbestritten sollte sein, daß Wolfram dies sein Spätwerk nicht vollendet hat. Es fehlt ein letztes Auftreten Gyburgs. Es fehlt das Schlußwort des Dichters. Doch darf man nicht übersehen, daß sich
Höfische Epik
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Wolfram einen Willehalm und Rennewart geschaffen hatte, die ihm schwer machten, in der dargestellten Welt des Jammers im Zusammenhang mit der Quellenschrift ein befriedigendes Ende aufzubauen. Für das Paar Feirefiz-Repanse seines ,Parzival' fand sich nach der Taufe des Heiden ein utopischer Platz im äußersten Orient. Für das in der französischen Legendenhistorie vorgesehene Paar Rennewart-Alyze bot sich allenfalls nach einer vorerst nicht erahnbaren Taufe Rennewarts und einer Vermönchung des kinderlosen Paares Willehalm-Gyburg die ungeeignete Markgrafschaft der Provence an, weil das historienhafte Geschehen nicht in einer utopischen Ferne enden konnte. Aber wäre damit wirklich der Kampf Christen-Heiden auf einer neuen Ebene aufgehoben worden? Mag sein, daß der Dichter (etwa im Jahre 1217) unterbrach, da er warten wollte, ob ein Kreuzzug Friedrichs II. eine neue Sicht bot, und daß er dann starb, ohne fortfahren zu können. Wir müssen uns damit zufrieden geben, daß uns der letzte Grund für das Abbrechen des Werkes immer ein Geheimnis bleibeil wird. Wir sollten es sogar als etwas für den späteren Wolfram Bezeichnendes hinnehmen, daß sein die Zeit überragender ,Willehalm' ein Großfragment geblieben ist. Gewiß bleibt nur zweierlei. Abermals erhebt sich Wolfram in die Vorstellung eines höheren Lebens, in dem die Unvollkommenheiten der Menschenwelt an Macht verlieren. Und noch immer, ja erst recht durchwaltet seine Verse die Kraft seiner unverwechselbar eigenwilligen Sprache. Bei aller literarischen Anlehnung bleibt sie eine kühne Sprechsprache, die aus der Erfahrung lebt und nicht selten ins Lyrische aufgipfelt. Nicht gerecht wird ihr, wer sie aus der literarischen Form eines hochrhetorischen Stiles erklärt, wie er sich etwa im „dunklen Stil" von Provenzalen zeigt. Gottfried von Straßburg störte nichts so sehr an Wolframs Sprache, als daß sie sich literarisch nicht einordnen ließ. Den eindeutigsten Beleg für das Eigenwillige in Wolframs epischen Schaffen bringen z w e i S t r o p h e n g r u p p e n , die 9
Neumann, Literatur
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Dichtung der Stauferzeit
sich so geben, wie wenn sie eine frei erfundene Erzählung vorbereiten sollten. Das erste Bruchstück: Sigune, Nichte der Parzivalmutter Herzeloyde, und Schionatulander, Enkel des Gurnemanz und Pflegesohn Gahmurets, verbinden sich als halbe Kinder in einer Minne, die „ohne Wanken und Zweifel" ist. Das zweite Bruchstück: Einem Fürsten ist die Leine eines jagenden Bracken entglitten, auf der der Brief einer jungen Königin verzeichnet ist. Der Hund reißt sich los, als Sigune den Brief zu lesen beginnt. Schionatulander (denn er ist der Fürst) ist bereit, Leben und Ruhm zu wagen, als Sigune unbesonnen-launenhaft die Erfüllung seines Minnens vom Erwerb der fremden Leine abhängig macht. Das Ende jener Aventürenkette, die sich nun anschließen müßte, kennen wir aus den Sigune-Szenen des ,Parzival'. Dort trauert die jungfräuliche Sigune um den Gefallenen bis in ihren Tod: Sinnbild einer „wahren Minne", die der „Treue" gleich ist. Beide Erzählstücke (vielleicht schon um 1215 entstanden) sind in eine neugeschaffene, nahezu gotisch-barocke
Strophenform
eingegliedert.
Vier
archaischen Klanges bilden zwei Perioden, die
Langreihen
schwerklingend
reimen, ein Gefüge von wechselreicher Feierlichkeit: „Diu minne hat begriffen minne hat hüs üf erde,
daz smal und daz breite, ze himele ist reine für got ir geleite,
minne ist allenthalben wan ze helle, diu minne erlamet an krefte wirt der zwxfel mit wanke ihr geselle." („Die Minne hat umgriffen das Schmale und Breite. Sie hat H a u s auf der E r d e , zum H i m m e l v o r G o t t hin sie Reinheit geleitet. Minne ist allenthalben, doch nicht in der Hölle. Sie erlahmet an Kräften, wenn wankender Zweifel w i r d ihr Geselle".)
Als Wolfram diese Strophenform erfand, hatte er Erzählstrophen „unterliterarischer" Erzähllieder im O h r : Strophen von der Art der Nibelungenstrophe, nur freilich in freierer, altertümlicherer Klangbewegung. O b Wolfram wirklich ernsthaft daran gedacht hat,
Höfische Epik
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so etwas wie einen S i g u n e - R o m a n in Strophen fast freihändig ohne festen A n h a l t auszuarbeiten? O b e r o b das Erhaltene nur einen genialen Versuch des Einsamen darstellt, in dem er unbewußt Z u künftiges v o r w e g n a h m ? Wir werden es nie wissen. In die Irre führt, d a ß wir nach altem Brauch die Bruchstücke W o l f r a m s „ T i t u r e 1" nennen, o b w o h l der greise G r a l s k ö n i g Titurel nur a m E i n g a n g eine Abschiedsrede spricht, in der er die K r o n e an seinen S o h n weitergibt. Z u diesem Titel hat die m e r k w ü r d i g s t e W i r k u n g A n l a ß gegeben, die v o n W o l f r a m ausgegangen ist: D e r strophische G r a l r o m a n des sogenannten „ J ü n g e r e n T i t u r e l " des späteren 13. J a h r hunderts, der bis in den A n f a n g des 19. J a h r h u n d e r t s als Werk W o l f r a m s gegolten hat. Bei seiner B e h a n d l u n g werden wir uns an W o l f r a m erinnern. W o l f r a m s Werk erleichtert uns, das unvollendete Werk des M a n nes zu verstehen, dem W o l f r a m s Sprache keine Meistersprache w a r : Gottfrieds und
von
Straßburg
Erzählung von
„Tristan
I s o 1 d " , die mit hoher Wahrscheinlichkeit u m 1210 oder
k u r z danach bekannt wird. Ü b e r G o t t f r i e d s persönliches Leben ist uns nichts bezeugt. Seine Dichtung zeigt einen Sprachkünstler, dem ein reiches Schulwissen zur bildenden Macht wurde. D a ß m a n ihn in N a c h r u f e n stets „ M e i s t e r " nennt, berechtigt nicht, ihm „bürgerliche" H e r k u n f t zuzuteilen, schon weil der Begriff „bürgerlich" a m Beginn des
13. J a h r h u n d e r t s
ungeeignet ist, Ständisches
festzu-
legen. A m ehesten d a r f m a n in ihm einen klerikal erzogenen „ H o f m a n n " sehen, der in der bischöflichen Vogtei tätig ist, w a s engeres Verhältnis z u m Straßburger P a t r i z i a t nicht ausschließt. N a c h seinen eigenen Worten bearbeitet er den uns nur fragmentarisch überlieferten „ T r i s t a n "
des A n g l o n o r m a n n e n T h o m a s ,
der w o h l
erst
gegen 1190 aus einem G o t t f r i e d v e r w a n d t e n D e n k e n seine Verse baute. U n g e w i ß ist, ob G o t t f r i e d E i l h a r d s „ T r i s t r a n t " neben sich liegen hatte. Doch läßt sich beider Eigenart leichter bestimmen, wenn m a n ihre Werke vergleicht. 9»
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Dichtung der Stauferzeit
Gottfried legt im „Prolog" durch den Begriff der edelen (seelisch adligen) herzen fest, für wen er dichtet. Zu ihnen gehört, wer wie Tristan und Isold die polare Spannung von Liebesseligkeit und Liebesweh in sich trägt. Tristan und Isold sind vorbildliche Gestalten, die zur Nachfolge auffordern. D a Tristans Vater im Kampf um sein Land gefallen, seine Mutter vor Leid gestorben ist, wächst er unerkannt beim Marschall Rual auf; sein Name bedeutet für Gottfried der „Trauernde". Tristan nimmt die Lebensweise junger Renaissancekavaliere durch die Art vorweg, in der er in gelehrten und ritterlichen Künsten unterrichtet wird. Als vierzehnjähriges Wunderkind entführt, kann er sich nach Kurneval, dem Lande seines Mutterbruders Marke, retten. Der jugendliche „Hofmann" bewährt sich als Sänger und Sprachenkenner. Als Marke seine Herkunft erfährt, wird er Ritter. (Beim Darstellen der „Schwertleite" blickt Gottfried als unser erster „Literaturkritiker" auf die Sprachkunst von Vorgängern und Zeitgenossen.) Morold von Irland verlangt von Marke Zins und fällt durdi Tristan, den ein vergiftetes Schwert verwundet. Tristan, als „Tantris" in Irland geheilt, wird Lehrer der jungen Isold; er unterrichtet sie in der „Moraliteit", die als „Amme edler Herzen" zum richtigen Verhalten vor Gott und den Menschen anleitet. Als Werber Markes fährt Tristan sodann nicht wie bei Eilhard ins Unbestimmte: Die Hofgesellschaft von Kurneval wünscht sich Isold von Irland als Königin. Der Weg an den irländischen Hof führt wieder über die Aventüre eines Drachenkampfes. Als Isold merkt, „Tantris" sei Tristan, will sie Morolds Tod rächen, doch verhindert sie ihr weibliches Wesen daran. Die Hofdame Brangäne gleicht sodann aus: Man soll den Mantel nach dem Winde kehren; die Werbung für Marke gelingt. Die Wirkung des Minnetranks, den die KöniginMutter für das Paar Marke-Isold braut, wird nicht mehr zeitlich begrenzt. Nach dem Trunk kämpft Tristan einen Seelenkampf zwischen Minne hier, Treue und Ehre dort, Isold einen Seelen-
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kämpf zwischen Minne und Scham. Die Ärztin Minne verstrickt beide, daß sie im Leben ungelöst sind. D a die erschrockene Brangäne das Gefäß des Trankes ins Meer geworfen hat, geht Marke leer aus: erstes sinnbildliches Anzeichen, daß er kein volles Recht auf Isold hat. Der durch die Liebenden getäuschte Marke erzwingt, unsicher geworden, für Isold das Gottesurteil des „glühenden Eisens". Sie vermag das Eisen zu tragen, da sie durch einen doppelsinnigen Eid Unwahrheit wahr macht: der vil tugenthafte
Krist (der „mäch-
tige G o t t " ) zeigt sich „windschaffen wie ein Ärmel", eine ironische Aussage Gottfrieds, die ohne grundsätzlichen Anspruch streng auf die gegebene Lage bezogen werden muß. Als Marke bald darauf die Liebenden auffordert, das Land zu verlassen, leben sie in bergiger Wildnis: eine allegorisch erläuterte Minnegrotte wird für sie der irdisch-utopische Ort lauterer Minne. Doch vermögen sie sich nicht aus der anerkannten gesellschaftlichen Welt zu lösen. Der wieder getäuschte Marke, der in herzloser Blindheit lebt, läßt sie trotz Zweifels zurückkehren. Als er sie überrascht, scheidet Tristan; die „blonde" Isold bekundet, daß sie beide für immer eine Einheit sind. Tristan aber, der durch „Ritterschaft" genesen will, trifft beim Herzog von Arundel auf dessen Tochter Isold „mit den weißen Händen". Die Weißhändige erinnert ihn an die Blonde. Im Seelenkampf fühlt er sich treulos und blind; nach dreimaliger Versuchung folgt das Herz den Augen. Er will seine Minne zerteilen, um seine Trauer aufzuheben. In dem Hin und Her eines Selbstgesprächs bricht die Erzählung ab. Wer aus „edlem Herzen" die Geschichte vom Leben und Tod Tristans und Isolds aufnimmt, hat nach Gottfrieds Willen leibhaftig teil am stellvertretenden Dasein der Liebenden. Das Geheimnis ihres Lebens: Ihre Minne ist reiniu liebe („lautere Zuneigung"). Zu ihr gehört nicht nur, daß in ihr weder bloß sinnliches Verlangen noch bloß geistige Beziehung das Übergewicht hat. Sie überschreitet zudem die „hohe Minne" der Lyrik, die sich mit einer schwebenden
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Dichtung der Stauferzeit
Wirklichkeit begnügen kann. Sie lebt vielmehr aus der seelischen (geistig-sinnlichen) Einheit des Menschen. Als Gottfried diese Einheit zu erfassen sucht, wird er sicherlich von der mystisch-scholastischen Liebestheorie des 12. Jahrhunderts beeinflußt. Sie hilft ihm die literarische Sprache seiner Zeit, die dualistischer Begriffswelt angepaßt ist, in einem dialektischen Verfahren so nahe wie möglich an das Einheitserlebnis der Liebenden heranzuführen. Doch stößt er damit (seiner Vorlage fest verbunden) an die Grenze seines Schaffens. Er spricht zwar einem Minnesehnen, das den g a n z e n Menschen erfüllt, absoluten Wert zu. Er bejaht aber zugleich die ethischen Ansprüche der ritterlichen Gesellschaftskultur, wie ihm auch fernliegt, den Ehebruch als solchen zu verteidigen. Um den Sieg unbedingter Liebe zu rechtfertigen, muß ihn daher seine der Dialektik verpflichtete Sprachkunst über alle Abgründe hinwegtragen, weil seinem mittelalterlichen Legendendenken der Zugang zum Erleben echter Tragik versperrt ist. Im Zwielicht der Konfliktsfälle, in denen unbedingte Liebe auf die Forderungen der anerkannten Gesellschaflskultur trifft, wird daher das Fragwürdige der Gottfriedwelt offenkundig. Er dringt mit der von ihm entdeckten unbedingten Liebe in eine neue Welt vor, verharrt aber dort, wo diese Liebe auf den Bereich religiös-sittlicher Beziehungen trifft, in einer gesellschaftlichen Oberflächenwelt. Mit alldem ist schon mittelbar gesagt, daß Gottfried vor allem durch seinen Sprachstil gewirkt hat. Unterstützt von einem starken musikalischen Empfinden, mischt er alle Mittel von Sprachkunst, um eine Begriffswelt zu versinnlichen, die sich in Gegensätzen bewegt. Wahrer Spieltrieb läßt klingende Worte in üppiger Fülle aufblühen, wobei sich nicht immer leicht entscheiden läßt, ob Freude an gegliederter Denkfolge oder Freude am Wortklang den Vorgriff hat. Kein Zweifel, daß Gottfried die hellenistisch-römisciie Lateinwelt, daher auch die zugehörige Theorie der Redekunst gut kannte. Doch verringert dies nidit den Rang seiner Sprachleistung, die an die Sprachleistung Hartmanns
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Höfische Epik
von Aue anknüpft. Ein Straßburger Kreis hat dafür gesorgt, daß das unvollendete Werk des Toten zu langer Wirkung erhalten blieb. „ D a s N i b e l u n g e n l i e d". Wir halten kurz ein, um in die Tage hinüberzusehen, in denen Wolfram und Gottfried gedichtet haben. Wieviel äußere und innere Unruhe in den Jahren zwischen dem Tode Kaiser Heinrichs V I . vom November 1197 und der Kaiserweihung des staufisch-normannischen Friedrich I I . vom November 1220: Wahl und Krönung zweier Könige im Jahre 1198; Ermordung Philipps von Schweden im Juni 1208; Wahl des noch nicht 18-jährigen Friedrich I I . vom September 1211 und sein Erscheinen im Herbst 1212; Niederlage Ottos IV. von Poitou bei Bouvines im Juli 1214 durch den französischen König; erstes Kreuzzugsversprechen Friedrich I I . bei der Königskrönung vom Juli 1215; viertes Laterankonzil unter Papst Innocenz I I I . vom November 1215; ansteigende Fürstenmacht, die sich verstärkt, als Friedrich I I . im Herbst 1220 Deutschland verläßt und erst im Frühling 1235 für kurze Zeit zurückkehrt. Ein falscher Weg wäre, den Gehalt großer Dichtung aus den Spannungen der politischen Geschichte erklären zu wollen. Dennoch sollte man nicht unterlassen, das epische Werk Wolframs und Gottfrieds, auch das des späteren Hartmann vor dem Hintergrund der Zeit zu sehen, dabei beachtend, daß alle drei (Hartmann am meisten, Gottfried am wenigsten) noch in der geistigen Welt des späteren 12. Jahrhunderts groß geworden sind. Im Blick auf die krisenhafte Unruhe jener Jahre werden wir zudem leichter begreifen, daß damals eine Großerzählung von Eigencharakter in hochliterarische Bereiche aufsteigen kann, die sich aus altheimischen, bedingt literarischen Quellen nährt: Ich meine das Nibelungenlied, das Epos Der Nibelunge wir ebenso gut oder noch besser den Titel (Chriembild)
Not, dem
„K r i e m h i 1 d"
geben könnten.
Die viel erörterte Frage, wie sich im Nibelungenliede die „Geschichte von Siegfrieds Tod" und „die vom Ende der Burgunden"
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Dichtung der Stauferzeit
zusammengefunden haben, windet sich durch ein Dickicht von Annahmen. Zwei Hinweise auf Früheres dürfen uns genügen. Spätgermanisch-merowingische Möglichkeiten sind uns in zwei getrennten Liedfassungen des 6.17. Jahrhunderts begegnet. Ein halbliterarisches Kleinepos von der „ N o t " der burgundischen „Nibelungen", das in einer Vorgeschichte Siegfrieds Tod bringt und bereits Dietrich von Bern und Rüdeger von Bechelaren heranholt, ist wahrscheinlich nach 1156 im jungen babenbergischen Herzogtum Österreich geschaffen worden und zwar wohl schon in der epischlyrischen Kürenbergstrophe. Trifft dies zu, so hat dies „Kleinepos" (wohl durch Kenntnis des Nibelungenliedes bereichert) über den fränkischen Niederrhein und das niedersächsische Westfalen in die Sagenreiche Prosa der „Thidrekssaga" hineingewirkt, die um 1250/60 am norwegischen Königshof komponiert sein mag. Wieviel aber auch um Nichterhaltenes gestritten wird, uns geht nur das langwirkende hochmittelalterliche „Nibelungenlied" an. Es liegt, grob ausgedrückt, in mehreren Fassungen vor, deren Charakteristisches uns die drei ältesten Handschriften erkennbar machen. Die lässige Hohenems-Münchner Handschrift (erst nach 1250 geschrieben, daher bereits von der letzten Fassung beeinflußt) zeigt einen freieren Versbau, sodaß man den in ihr aufgenommenen Grundtext schon in die Zeit um 1200 setzen darf. Die St. Galler Handschrift, die auch Wolframs „Parzival" und „Willehalm" enthält (geschrieben um 1250), überrascht durch glatten Versbau; die durch sie vermittelte Fassung, heute meist als Normalfassung benutzt, entsteht wohl erst gegen 1210. Die Fassung der Hohenems-Donaueschinger Handschrift (geschrieben v o r 1250!) sucht auf der Grundlage der St. Galler Fassung Kriemhild durch Belastung Hagens zu entlasten, wahrscheinlich erst nach 1210. Gleiches tut auch die diese Fassung vorbereitende „ K 1 a g e", die in Reimpaarversen das „Nibelungenlied" erläutert und abschließt: Antwort auf Fragen, die die ersten Hörer und Leser vor diesem ungewöhnlichen Denkmal
Höfische
137
Epik
gestellt haben. Das Fehlen des Verfassernamens hat seinen letzten Grund im Stil der älteren „unterliterarischen" und „halbliterarischen" Sagendichtung. Doch wird dem „Nibelungenlied" schwerlich gerecht, wer mindestens die ersten beiden oder gar alle drei Fassungen auf einen einzigen Verfasser zurückführt. Nur der für uns nicht leicht greifbare Schöpfer der ersten Fassung ist der eigentliche Nibelungenmeister
gewesen. Das Glätten und Erweitern
des Ursprünglichen muß freilich örtlich wie zeitlich in nächster Nähe des ersten Wurfes erfolgt sein. Den „Nibelungenmeister" und seine Helfer haben wir unter den klerikal erzogenen Literaturkennern (literarischen „Artisten") zu suchen, die bei verschiedenartiger Tätigkeit zwischen den Ständen stehen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hat wenigstens der des ersten Wurfes am Hofe des Bischofs von Passau gelebt, dessen Diözese einen Teil des wittelsbachischen Bayern und vor allem das babenbergische Österreich, daher auch den Donauweg Passau-Wien, umfaßt. Ein ungewöhnliches Denkmal wie das „Nibelungenlied" verlangt nach einer knappen Zeichnung seines Aufbaus, schon weil zu leicht Vorstellungen aus verwandter Sage in seinen Ablauf hineingetragen werden. Am Wormser H o f mittelrheinischer Burgonden wächst die jungfräulich spröde Kriemhild neben den unvermählten Brüdern Gunther, Gernot, Giselher auf. Vom Niederrhein her erscheint bei Gunther der Königssohn Siefrid. (So hier sein aus Sigifrid dener Name, der in späterer Zeit lautgerecht zu Seifried
entstan-
wird.) Sie-
frid wirbt um Kriemhild und will zugleich das Land erobern. Nicht minder überraschend: Hagen (maßgebender Vasall und wohl auch Verwandter der Könige) weiß von einem dunklen Jugendleben Siefrids; es hat Siefrid Macht durch den „ H o r t " der „Nibelungen" und Hörnung der Haut durch einen Drachenkampf gebracht. Siefrid bleibt als erfolgreicher Mitkönig in Worms. Man verspricht ihm Kriemhild, falls er hilft, Prünhild jenseits des Meeres für Gunther zu gewinnen. Es gelingt ihm den unwirklichen Wettkampf Gunther-
138
Dichtung der Stauferzeit
Priinhild durch List für Gunther zu entscheiden, indem er sich vorher als „Mann" Gunthers ausgibt und durch eine Tarnkappe unsichtbar mitkämpft. Bei der Wormser Doppelhochzeit beweint Prünhild, daß Kriemhild an einen Unfreien gegeben ist. Sie muß, von Gunthers Aussage nicht befriedigt, durch Siefrid in einem grotesken Ringkampf zu Gunther ins Brautbett gezwungen werden: so zum zweiten Mal durch List erobert. Siefrid, der in die Heimat zurückgekehrt ist, wird auf Drängen Prünhilds nach Worms eingeladen, da sie in ihm weiterhin einen Vasallen sieht; in Hagen wird der Wunsch nach dem Nibelungenhort Siefrids lebendig. Die Frauen Prünhild und Kriemhild streiten öffentlich vor dem Münster über den Rang ihrer Männer. Prünhild unterliegt, als Kriemhild ihr Ring und Gürtel zeigt, die Siefrid in der Nacht des Bettkampfes an sich genommen hat; dieser Frauenstreit setzt recht eigentlich die Kernhandlung in Bewegung. Hagen, dessen Plan zu heimlicher Tat von Gunther gebilligt wird, beseitigt Siefrid nach einer Jagd durch einen listigen Gerstoß. In Kriemhild erwacht der Gedanke an Rache. Prünhild verschwindet aus dem Geschehen; Kriemhild bleibt in Worms, und versöhnt sich mit Gunther; Hagen versenkt den „ H o r t " in den Rhein. Rüdeger aus dem donauländischen Bechelaren wirbt für den verwitweten Hunnenkönig Etzel um Kriemhild, die zusagt, als sich ihr der Werber verpflichtet. Nach Jahren ladet sie vom Hunnenland her die Brüder ein. Der warnende Hagen dringt nicht durch. Die Ausziehenden können von jetzt an (gleichsam als die H o r t besitzer) auch Nibelungen heißen. Hagen zerschlägt das Fährschiff, in dem er das Heer über die Donau gesetzt hat, wissend, daß keiner der Waffenträger zurückkehrt. In Bechelaren bindet sich Rüdiger an die Burgonden-Nibelungen, als seine Tochter mit Giselher verlobt wird. Am Etzelhof bereitet sich das Unheil vor: Dietrich von Bern warnt, Hagen bekennt sich zu seiner Tat, Hagen und Volker schließen sich zusammen. Kriemhild, in der der Gedanke an den
Höfische Epik
139
„ H o r t " mit der Erinnerung an Siefrid vereint ist, läßt Etzels Bruder die Knappen angreifen und treibt Hagen dazu, ihren Rachekampf unvermeidlich zu machen. Alle, die Etzels Hof bilden, werden in eine Völkervernichtung hineingezogen: Hunnen, Dänen, Thüringer, dann nach Seelenkampf Rüdeger mit den Seinen und endlich Dietrichs Mannen, von denen sich nur Hildebrand retten kann. Im Einzelkampf nimmt Dietrich als eine Art Schiedsrichter Gunther und Hagen, die letzten Burgonden, gefangen. In der 39. Aventüre fällt das Geschehen steil in einen balladenhaften Schluß. Kriemhild fragt Hagen nach dem „ H o r t " ; er hält sie hin, sie läßt daher Gunther hinter der Szene töten. Hagen verweigert als letzter, der den Ort des „Hortes" kennt, endgültig die Antwort. Sie erschlägt ihn mit Siefrids Schwert und wird deshalb von Hildebrand erschlagen. Für Dietrich und Etzel bleibt das Klagen: Bestätigung, daß festliche Hochstimmung zuletzt stets Leid bringt. Unbefangenem Lesen kann nicht entgehen, wie zusammengeschichtet das gewaltige Geschehen des Nibelungenliedes ist. Man bleibt daher nicht bei ihm, wenn man im Lesen dem Gediditeten durch Ausgleichen von Unebenheiten nachhilft, bis sich f ü r das Ganze ein durchlaufend begründeter Zusammenhang anbietet. Zwar schließt der Erzähler sein Werk durch den Namen Kriemhilds zusammen, aber nur bedingt bestimmt sie ihm im Widerspiel zu Hagen die Folge der Aventüren. U n d nur hier und da versucht er, das Verhalten der Gestalten mit Vorsidit zu erklären. Lieber läßt er bildstarke, dramatisch bewegte Szenen aus sich selbst sprechen. Seine einzigartige Leistung: „Sage", in der aus Überschneidungen und Treuepflichten unabwendbare Schicksale entstehen, trägt er aus heimischer, vielfach gewandelter Tradition in die literarische Hochwelt der Ritterkultur hinauf. Für Menschen einer unruhigen Zeit, die es drängt, zu Abläufen erhöhten Daseins aufzublicken, entdeckt er, was sich im „Unterliterarischen" und „Halbliterarischen" f ü r ein weitgespanntes episches Gefüge an Nibelungensage angesammelt
140
Dichtung der Stauferzcit
hat. Doch worin zeigt sich die S t ä r k e u n d die E i g e n a r t seiner K o m position? Gegenüber einem Legendendenken, d a s auch im Weltlichen nach Vorbildern verlangt, wie sie der A r t u s r o m a n bietet, hält der E r zähler G r u n d z ü g e alter L i e d f a b e l n so weit wie möglich fest, obwohl sich f ü r ihn das Verhalten der Gestalten immer wieder einer zureichenden D e u t u n g entziehen muß. M a n d a r f sich nicht durch die G e s t a l t R ü d e g e r s v o n Bechelaren täuschen lassen, der sich im Widerstreit v o n Pflichten quält, bis er entschlossen gegen die B u r g o n d e n k ä m p f t ; denn er lebt als eine Ausnahmegestalt g a n z aus der Seele des Erzählers. G e r a d e an der f ü r sich stehenden Rüdegerszene läßt sich deutlich machen, d a ß der G e s a m t k o m p o s i t i o n des Nibelungenliedes, die nicht wie ein A r t u s r o m a n durch Märchendenken, sondern durch altes Sagendenken bestimmt w i r d , etwas Archaisches anhaftet, wenn m a n es a m Werke H a r t m a n n s oder W o l f r a m s mißt. R o m a n hafte A u f h ö h u n g e n in Szenen des ersten Teiles ändern an diesem Beherrschenden nichts. M a n überanstrengt übrigens den Begriff des Tragischen, wenn m a n ihn auf d a s E n d e der dargestellten Gestalten anwendet. Nicht die E r f a h r u n g erhebender, weil befreiender T r a gik, w o h l aber die E r f a h r u n g tiefschmerzlichen L e i d s drückt sich im Nibelungenliede aus. D a m i t ist noch nicht alles gesagt. Nicht z u f ä l l i g werden wir in dem auf d a s E n d e gerichteten Geschehen immer wieder in die einzelnen A v e n t ü r e n hineingezogen: in V o r w ä r t s d r ä n g e n d e s u n d Z u ständliches, in Einmaliges u n d Wiederkehrendes. In all dem versinnlichen sich unter zeitbedingten F o r m e n charakteristische
Ab-
läufe, die v o m D u n k e l des Leids überschattet fern aller U t o p i e ein G a n z e s an „weltlicher" Welt ins W o r t u n d auf das Pergament bringen, das unter dem unerbittlichen „ S o w a r e s ! " steht. Insoweit entfaltet sich im Nibelungenlied trotz aller Einschränkungen ein Werk, das auf der Ebene sagenhafter „ H i s t o r i e " der W ü r d e des „ E p o s " zustrebt, wenn einem „ E p o s " (nach einem Worte A u g u s t
Höfische Epik
141
Wilhelm Schlegels) als kennzeichnend angehört, eine „aus ihrem Gesichtspunkt vollständige Weltansicht" zu fordern. Seiner A r t von streng epischer Sagenwelt entspricht daher in der Sprache ein Historienstil, der seine Grundlage in der Sprache „unterliterarischer" oder „halbliterarischer" Sagenlieder hat, zugleich aber von einem Sprachstil überformt wird, der dem Sprachstil H a r t m a n n s nahe ist. Sein zusätzliches Geheimnis ist, d a ß er nicht selten lyrisch zu erregen, ja zu erschüttern vermag, darin Sprachzüge des Volksliedes aufnehmend oder vorwegnehmend. U n d noch eins sollte man beachten. In jener hochliterarischen Kunstwelt, deren Bereich der „Literaturkritiker" G o t t f r i e d von Straßburg zum ersten Mal absteckt, zählt z w a r das a n o n y m erschienene Nibelungenlied nicht mit, weil es nicht in die anerkannte literarische Welt hineingehört. T r o t z dem h a t es als große „Historie" durch drei J a h r h u n d e r t e genau so wie H a r t m a n n s ,Iwein' und fast so wie W o l f r a m s , P a r z i f a l ' und ,Willehalm' gewirkt. Ältere
und jüngere
Wolframs und
Zeitgenossen
Hartmanns,
Gottfrieds
In den Erzählwerken H a r t m a n n s , W o l f r a m s u n d G o t t f r i e d s sind die Geschehnisse so durchgearbeitet, d a ß d o r t trotz alles Zeitbedingten Eigenwelten von überzeitlicher Bedeutung entstehen. Dies geschieht, obwohl die Phantasie der Erzähler an Vorerzähltes gebunden bleibt. W a r n u n g genug, den Wert alter Dichter n a d i dem bemessen zu wollen, was sie neu erfunden haben! Vereinfacht ausgedrückt: Ein von Tradition freies Schaffen, soweit es ü b e r h a u p t je möglich ist, w i r d damals gar nicht erstrebt. Wir sollten freilich nicht übersehen, d a ß auch die Schöpfungen der drei genannten Erzähler wegen ihrer Bindung an überlieferte Motive u n d Erzählgerüste von vielen H ö r e r n u n d Lesern wie R o m a n w e r k e mittleren Ranges bloß zu erregender U n t e r h a l t u n g gelesen werden konnten. Schon deshalb dürfen wir nicht an bezeichnenden Werken mittleren Ranges vorbei-
142
Dichtung der Stauferzeit
gehen. Sie zeigen uns obendrein eindrucksvoll an, wie hoch sich die Gipfelwerke in der literarischen Landschaft der Zeit über eine N o r malhöhe erheben. Die Auswahl muß mit einem Rückgriff beginnen. Der Thurgauer U l r i c h v o n Z a z i k h o v e n verfaßt gegen 1200 einen „L a n z e 1 e t". Seine französische Vorlage erhält er 1193/94 von einem Anglonormannen, der unter den Geiseln ist, die König Richard Löwenherz stellt. Ulrich steht damals wohl als ritterbürtiger Kleriker unmittelbar oder mittelbar in staufischem Dienst; er ist wahrscheinlich derselbe, den im Jahre 1214 eine Urkunde als Thurgauer Pfarrer bezeugt. U n d seine Erzählung? Lanzelet, von einer Fee erzogen, zieht jugendlich in unheimliche, märchenhafte Abenteuer. Dem rohen Sieger kommen die Frauen allzuleicht entgegen. Weibliche Ausnahmegestalt ist die schöne Iblis, der er sich auf einer Blumenebene unter einer Linde vereint; ihr allein p a ß t am Artushofe ein Keuschheitsmantel. Am Schluß der locker gereihten Abenteuer erreicht er mit Iblis zu langem Leben deren Land. Das Ganze eine altmodisch-handfeste, problemlose Erzählung, in der schon von der nicht erhaltenen Vorlage her die Motive über die Menschen siegen. Schon hier sei gesagt, daß der von Ulrich benutzte französische Lancelot des späteren 12. Jahrhunderts von jenen Fassungen des Lancelot-Romans abliegt, die Chrestien von Troyes bald nach 1164 mit seinem unvollendeten Le chevalier de la charette (dem Roman vom „Karrenritter") auf den Weg bringt. Das für diese Fassungen charakteristische Motiv, das bei Ulrich fehlt: Der „Held" ist in einem ungehemmten Minnedienst Guenievre, der Frau des Königs Artus, verfallen, die er befreit, als sie entführt wird. Wir haben uns bald an diese Lancelot-Fassungen zu erinnern. Nach der Jahrhundertwende bewegt sich der versgebundene Unterhaltungsroman in einem anspruchsvolleren Gehaben. Seine heroische Märchenwelt, in der Frauen von Unholden befreit werden müssen, verlangt, daß der Befreier und die Befreite in ein Ideal
Höfische Epik
143
aufsteigen. Auf diese Weise w i r d in gepflegter Gesellschaftssprache, die den „Stil" H a r t m a n n s oder W o l f r a m s in eine „Manier" verwandelt, ein Schein sinngebender Tiefe erzeugt. Das wohl frühste Beispiel: Der ostfränkische Ritter W i r n t
von
Grafenberg
erzählt nach einem unbekannten französischen Text a u f g r u n d eines mündlichen Berichtes die Geschichte von „W i g a 1 o i s" (dem „Ritter mit dem R a d e " ) . Wigalois, auf einem Traumschloß als Sohn des Artusritters Gawein geboren, reitet aus, den Vater zu suchen. A m Artushof wird er v o m Vater erzogen, ohne d a ß sich Vater und Sohn erkennen. Als Ritter w i r d er in eine beliebig vermehrbare Folge von Abenteuern verwickelt, in denen sich der K a m p f auf Leben u n d Tod in ein Spiel umsetzt, weil der „ H e l d " siegen muß. In K ä m p f e n von ungezügelter Unwahrscheinlichkeit holt er sich Larie, die Frau seines Lebens, die vorbildlichen P a a r e der Ritterromane mehrend. Nach einer blutreichen Schlacht k o m m t er endlich als Friedensfürst zur Ruhe. Phantastisch grausige O p e r n w e l t w i r d v o n einem nüchternen Erzähler dargestellt, der erst beim Ausarbeiten den
„Parzival"
W o l f r a m s kennen lernt. D e r H e r z o g von „Meran" aus dem Geschlecht der G r a f e n von Andechs, bei dessen Begräbnis er w a r , dürfte der 1204 gestorbene Berthold IV. gewesen sein. Doch sollte man den „Wigalois" nicht vor das J a h r 1210 setzen. Z u m richtigen Verständnis dieses von einem T r a u m d e n k e n bestimmten Werkes gehört übrigens sein großer Erfolg. Nachdem im Text das allzu Hochritterliche gestrichen ist, wird es 1472 als Prosa gedruckt; in solcher Verkürzung w a n d e r t die „gar schöne liepliche u n d k u r z weilige H i s t o r y " bis in das 19. J a h r h u n d e r t . Mit geringerer Wirkung, doch nicht ohne Sprachtalent ist aus weiter Belesenheit ein R o m a n vom König Artus, der zugleich ein G a w e i n r o m a n ist, zusammengebaut worden. D e r Verfasser
Heinrich
von
dem
Türlin
selbstbewußte nennt ihn an-
spruchsvoll eine von ihm geschmiedete „K r o n e", die edle Frauen krönen soll. Auf verwirrenden Wegen treibt eine übersteigerte und
144
Dichtung der Stauferzeit
zugleich rohe Märdienphantasie durch Szenen wunderlicher Feste und grotesken Grauens. In einer schwebenden Welt geraten im Zuge gängiger Motive Ritter und Edelfrauen mit fratzenhaften Fabelwesen zusammen. Wie wenn ein letzter Trumpf ausgespielt werden sollte, stellt am Ende Gawein (nicht Parzival) eine erlösende Frage vor dem „Gral", der danach für immer verschwindet. Ein Erweis, wie stark damals ein Wolframkenner am eigentlichen Wolfram vorbeilesen kann! Zugleich wird an Heinrichs Werk ein Allgemeineres, das dem reinen Artusroman anhaftet, deutlich erkennbar: die Gefahr jener ständisch bedingten Phantasiewelt, in der die Ritterschaft über die Grenze des Gesunden hinaus dem harten geschichtlichen Alltag ausweicht. In Wolframs ,Parzival' war (im Unterschied vom ,Willehalm') viel davon angelegt, doch wird dort diese Gefahr durch die sinngebende Zucht eines Genies gebändigt. Des „Türliners" Werk kommt aus dem bayrisch-österreichischen Sprachgebiet. Wahrscheinlich ein Mittelrheiner von Geburt, schrieb er in Kärnten als Beamteter am Herzogshofe in St. Veit an der Glan. Ob schon um 1220, wie man meist annimmt? Eher wohl später, vielleicht erst um 1230! Wir dürfen nicht unerwähnt lassen, daß auch auf süddeutschem Boden zwischen 1190 und 1220 keineswegs jene phantastische Romanwelt, in der sich die Geschichten vom Artuskreis bewegen, das literarische Feld beherrscht. Für das ostbayrische Gebiet Österreichs, Steiermarks, Kärntens und Tirols zeigt dies schon eindrucksvoll das Nibelungenlied am Anfang des 13. Jahrhunderts. Fern aller Utopie bringt es ein von Leid überschattetes Ganzes weltlicher Welt ins Wort, das trotz allen zeitbedingten Darstellens auf der Ebene sagenhafter Historie aus heimischer Tradition der Würde des „Epos" zustrebt. Erst mit dem kärntnischen Roman Heinrichs von dem Türlin dringt recht eigentlich die Artuswelt durch die Eigenschöpfung eines Zugewanderten in den deutschen Südosten ein. Aber auch sonst haben wir in Südeutschland im Artusroman
Höfische Epik
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nur e i n e der Möglichkeiten in den Bereich literarischer Großerzählungen überzugehen. Es könnte genügen, an Hartmanns ,Gregorius' (aus der Zeit bald nach 1190) und Wolframs .Willehalm' (aus dem zweiten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts) zu erinnern. Doch seien mit gebotener Kürze wenigstens zwei Erzählungen ergänzend nachgetragen, weil ihre Sprache Glanz hat. Der Niederösterreicher K o n r a d v o n F u ß e s b r u n n e n (genannt nach einem O r t unweit Krems) erzählt mit Anmut in Versen eine „K i n d h e i t J e s u " nach dem apokryphen Pseudo-MatthäusEvangelium. Er läßt die Ereignisse von der Verheiratung Marias mit Joseph über die Flucht nach Ägypten hinweg bis zur Heimkehr nach Nazareth ablaufen. Das kleine Werk, das man schon wegen seiner geringen Uberlieferung nicht überschätzen darf, nimmt den Sprachstil auf, den sich H a r t m a n n im Anschluß an die Franzosen in seinem ,Erec' und ,Gregorius' erarbeitet: etwa um 1200 niedergeschrieben, frühestes Zeugnis einer Legendenerzählung im neuen Stil auf bayrisch-österreichischem Boden, nicht weit vom .Nibelungenlied' entstanden. Wichtiger: Der Alemanne K o n r a d F l e c k , den man ohne Beweis nach dem Oberrhein unweit Basel setzt, schreibt den Kleinroman „F 1 o i r e u n d B 1 a n c h e f 1 u r", indem er, seine französische Vorlage erweiternd, in anheimelnder rokokohafter Sprache diese rührende Geschichte einer Kinderliebe darstellt, ohne seinen älteren niederrheinischen Vorgänger zu kennen. An Gottfrieds Kunst kann und darf man diesen liebenswürdigen Plauderer nicht messen. Mit dem Thema von der Trennung und Wiedervereinigung eines Paares, diesem Grundthema des spätgriechischen Romans, nimmt er übrigens entscheidender als sein Vorgänger trotz vorerst geringen Erfolges ein Thema des europäischen Trivialromans vorweg, wenn er es wirklich schon 1220 (und nicht etwas später) behandelt hat. Wir begegnen hier einem allgemein-mittelalterlichen Erzählgehalt, der vor und nach dem Artusroman möglich ist, weil er eine überzeitliche Liebeshandlung weiter10
Neumann, Literatur
Diditung der Stauferzeit
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tragen hilft. Von dieser Tatsache aus meldet sich die Frage, was denn die folgenden J a h r z e h n t e bringen?
c) D e r A u s g a n g gang
derStauferzeit:
E p i k im
Über-
1220/30—1250/60
D i d i t u n g hat ihre große Zeit, wenn sie aus neuem Wollen Eigenes in eigener Weise in die undurchsichtige Welt des Alltags sagt: einen Stil vorbereitend, bildend oder erhaltend. Gesehen haben wir, wie die Generation, die 1180/90 beginnt, ihre Aufgabe erfüllt hat. Ehe wir uns der Generation zuwenden, die 1220/30 das literarische Feld betritt, sei durch nützliche Erinnerungen festgelegt, vor welchem H i n t e r g r u n d sie schaffen muß. D e r normannische Staufer Friedrich II. baut nach dem Jahre 1220 sein ererbtes Königreich Sizilien ins Staatliche um, u n d bis an sein Ende sucht er Norditalien seiner Reichspolitik einzugliedern. Immerhin haben die deutschen L a n d e seit 1220 in Friedrichs (im Jahre 1211 geborenen) Sohne Heinrich (VII.) einen „römischen" König, der die Z u k u n f t zu sichern scheint. Aber der Reichsverweser Erzbischof Engelbert von K ö l n (aus dem Hause Berg) w i r d 1225, sein Nachfolger, der Wittelsbacher Ludwig I. von Bayern, 1231 ermordet; nimmt m a n den T o d Philipps von Schwaben vom J a h r e 1208 hinzu, so zeigen diese drei Morde die U n r u h e der Zeit. Der unzulängliche Versuch des unreifen Königs, von 1229 an mit H i l f e der Städte u n d des südwestdeutschen Adels die „Landesherren" zurückzudrängen, endet mit der Festigung der Fürstenmacht, als der Kaiser 1232 das von den „Landesherren" entworfene Statutum in favorem prineipum
(das
„Fürstengesetz") im wesentlichen bestätigt u n d 1235 den aufsässigen Sohn in Worms absetzt. U n d trotz versprechender Ansätze mißlingt dem Kaiser, dessen Politik durch den K a m p f mit der Kurie z w a n g h a f t auf Italien versammelt bleibt, die deutschen Verhältnisse von oben zu ordnen. Im Sommer 1245 vom Papste in
Höfische Epik
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Lyon abgesetzt, stirbt er überraschend im Dezember 1250. Der erst 1228 geborene Konrad IV., 1237 in Wien zum „römischen" König gewählt, stirbt schon 1254, als er sich das italische Erbe des Vaters erhalten will. Der nicht minder jugendliche, 1247 als Gegenkönig gewählte Wilhelm von Holland, der an den rheinischen Nordwesten des Reiches gebunden ist, kommt 1256 um. Unterhalb der Reichsspitze breitet sich eine neue Welt vor, die sich in dem von Städten ausgehenden „Rheinischen Bunde" ankündigt. Doch ist all das nicht allzuweit vom Bewegungsraum der Dichtung weg? Das Überraschende: Das breite epische Schaffen eines einzigen Mannes vermittelt überdeutlich, daß sich die Atmosphäre der literarischen Welt verändert. Um 1220 setzt als eine Art Meisterdichter der ritterbürtige Vorarlberger R u d o l f
v o n E m s ein, der sich selbst einmal „Dienst-
mann (Ministeriale) zu Montfort" nennt. In einer Sprache, die von Gottfrieds Sprache beeinflußt ist, verfaßt er bald nach 1220 für einen St. Galler Ministerialen eine Rahmenerzählung: den „ G u t e n G e r h a r d " . Dem Kaiser Otto, der sich seiner Taten rühmt, kündet eine Stimme, der Kölner Kaufmann Gerhard stehe höher als er. Widerwillig erzählt ihm Gerhard sein Leben. Im heidnischen Nordafrika hatte er Engländer und eine norwegische Königstochter freigekauft. Die Königstochter, Braut des Königs Wilhelm von England, nahm er nach Köln mit. Nach zwei Wartejahren war sie bereit, den Sohn Gerhards zu freien, den der Erzbischof zum Ritter machte. In das Fest der Schwertleite kam als Pilger Wilhelm von England, der die Braut seit Jahren suchte. Gerhard bewirkte, daß sein Sohn zurücktrat. Auf seine Kosten führte er den für tot gehaltenen Wilhelm und seine Braut nach England hinüber. In Demut verzichtete er dort auf alle ihm angebotenen Ehren. Kaiser Otto geht als Büßer nach Magdeburg und läßt die Geschichte aufzeichnen. Eine erbauliche „Beispielerzählung" gibt sich als „Historie". Überraschend, wie hier ein Städter und Kaufmann aus einer überstän10*
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Dichtung der Stauferzeit
dischen Moral demütiges Entsagen vorzuleben hat. Uberraschend aber auch, was an seelischer Spannung verloren gegangen ist, wenn man aus Hartmanns Werk den „armen", dann „guten" Heinrich mit dem durch Verzicht „guten" Gerhard vergleicht. Zu solchem Wandel paßt die Geschichte von „ B a r l a a m u n d J o s a p h a t " , die Rudolf in glanzvoller Aussage f ü r den Abt Guido und den Konvent des Zisterzienserklosters Kappel (an der Thür) in Verse setzt. Grundriß: Barlaam, Ratgeber eines indischen Königs, wird Christ und zieht als Einsiedler in den Wald. Der Königssohn Josaphat, fern von N o t und Alter erzogen, erschrickt, als er das Herzleid der Welt sieht. Barlaam dringt als Kaufmann zu ihm vor und bekehrt ihn, indem er ihn das „Weltleben" erkennen läßt. Der Getaufte besiegt jede Versuchung. Nach dem Tode des bekehrten Vaters verzichtet er auf sein Königtum und lebt zunächst mit Barlaam, dann allein als ein Einsiedler, der zum Heiligen wird. Die sehr erfolgreiche Großlegende, ein lockeres Gefüge aus biblischen Geschichten, „Predigtmärlein", Parabeln und Disputationen, hat nach Rudolfs Wort „gegen die Welt" zu streiten. So ist sie weit weg von den Wolframlehren des Einsiedlers Trevrizent, ja selbst von der Hartmannwelt des „guten Sünders" Gregorius. Ein spiritualisiertes „Christentum", eine umgestaltete Buddhalegende weitertragend, läßt die hochritterliche Erzählwelt zweier Menschenalter versinken. So erklärt sich leicht, daß Rudolf eine romanhafte „Historie" aufnimmt, die dem mittleren 12. Jahrhundert behagte. Künstlerischem Aufbau zugekehrt, beginnt er einen „ A l e x a n d e r " , nach längerer Unterbrechung f ü h r t er ihn weiter und bricht ihn schließlich ab. Alexander sollte wohl als idealer Fürst erscheinen, um als Beispiel der Vergänglichkeit zu enden. Ohne Gewähr hat man vermutet, das Werk sei f ü r den unglücklichen König Heinrich (VII.) bestimmt gewesen, dessen Sturz vom Jahre 1235 die Pause erzwungen habe. So gut wie gewiß ist aber, daß in die Pause das Werk gehört, durch das Rudolf am längsten gewirkt hat.
Höfische Epik
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Um 1240 vollendet er nach nichterhaltener französischer Vorlage in fließenden Versen seinen „W i l l e h a l m v o n O r l e a n s " , angeregt durch Männer des schwäbischen Adels, die dem herzoglichen Königshofe nahestehen. Der N a m e des „Helden" sagt schon, daß die Welt des Artusromans verlassen ist. Willehalm, elternlos bei einem Herzog von Brabant als Erbe erzogen, wendet sich am englischen H o f e als vierzehnjähriger Knappe der neunjährigen englischen Königstochter Amelye zu. Sie verlangt, daß er vor ihrem J a w o r t Ritter wird. Auf dem Festland erhebt sidi der Jugendliche über alle Ritterschaft. Doch der englische König verspricht die Tochter dem spanischen König. Willehalm mißlingt, die Geliebte zu entführen; dem Verwundeten bleibt ein Speerstück in der Schulter. Ihm werden vom englischen König unmögliche Bedingungen gestellt: N u r mit der Erlaubnis des Königs darf er zurückkehren; nur eine Königstochter darf den Speer aus der Wunde ziehen; er muß schweigen, bis ihn Amelye reden heißt. Trotzdem erfüllen sich am norwegischen Königshofe die beiden letzten Bedingungen, und der König gibt dann nach, weil Gott es so gefügt hat. In einem vollkommenen Fürstenleben klingt die Geschichte aus, die Versöhnung, Friede und Recht predigt und alles so geschehen läßt, wie es sich ein anspruchsloser Leser wünscht. Wir wollen beachten, was sich hier gut erkennbar vollzogen hat. Eine erdichtete „Historie" wird in ihrem Ablauf und in ihrer Moral von den Denk- und Erlebnisformen des „Märchens" durchwaltet. Das Ergebnis: In gehobener Sprache entsteht ein redseliger, briefreicher, rührseliger Trivialroman, früher Vertreter einer Romanwelt, die später Jahrhunderte unterhalten wird. Das Letzte: Nach Abbruch seines „Alexander" beginnt Rudolf vor 1250 im Auftrag des jungen Königs Konrad IV. eine „W e 11 c h r o n i k" in prosanahen Versen zu erarbeiten. Sie setzt bei der Schöpfung ein, und sie sollte wohl durch die Weltreiche hindurch als „wahrer" Bericht bis in die Gegenwart führen. Rudolf, als Begleiter des Staufers zwischen 1251
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Dichtung der Stauferzeit
und 1254 in Italien gestorben, ist aber mit mehr als 30 000 Versen nur bis zum Tode Salomos gekommen. Der talentierte Rudolf, wohl bei den Zisterziensern erzogen, war ein wacher Literaturkenner, aber kein großer Dichter; in der Art seines Sprechens hat er sich als „Epigone" gefühlt. Gleichwohl gebührt ihm besondere Beachtung. Denn am sichtbarsten und fast vorzeitig vollzieht sich in seinem Schaffen der Übergang in eine neue Zeit. Daher sollte man auch das Schaffen U l r i c h s v o n T ü r h e i m , der Gottfrieds „Tristan" und Wolframs „Willehalm" nach seinem Gutdünken vollendet, von Rudolf von Ems her betrachten. Der nüchterne Ostschwabe aus der Augsburger Gegend ergänzt im Anschluß an Eilhards „Tristrant" um 1230 ohne innere Nähe Gottfrieds Werk f ü r den schwäbisch-staufischen Kreis, dem auch Rudolf verbunden ist. U n d als älterer Mann wagt er, gegen 1250 abschließend, nach einer französischen Handschrift, die ihm ein Augsburger Patrizier vermittelt, Wolframs „Willehalm" zu ergänzen und zu erweitern: Der getaufte Rennewart heiratet hier die Königstochter Alise, Rennewart und Willehalm vermönchen sich, ohne den Kampf gegen die Heiden aufzugeben. Mit Wolframs „Willehalm" überliefert, hat diese breite, geringwertige Erzählung, die man „R e n n e w a r t" zu nennen pflegt, viele Leser gefunden — Anzeichen genug, daß auch Wolframs Werk von den Späteren vor allem als unterhaltende, fromme „Historie" aufgenommen wurde. Zum erstenmal erscheint jetzt unter den Epikern ein zwischenständischer Verssprecher von Beruf, der sich mit einem Namen, und zwar mit einem Übernamen, nennt: der S t r i c k e r , von Geburt ein rheinischer Pfälzer, der jedoch als „Fahrender" zum mindesten in seinen späteren Jahren im österreichischen lebt. Sein Weg wird über das wittelsbachsche Bayern gegangen sein, an das 1214 die Rheinpfalz gefallen war. Wohl nicht vor 1220 schafft er in sorgloser Sprache einen roh gezimmerten Artusroman niederer Stufe,
Höfische Epik
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dem er einen französisch anmutenden Titel gibt: den „ D a n i e l v o m B l ü h e n d e n T a l " . Stoffhungrige fanden hier einen Ablauf phantastischer Geschehnisse, die bis in die Groteske und daher bis in die Parodie gesteigert sind. Höher steht des Strickers Legendenhistorie vom „S a n t e K a r l " . Denn hier hatte er einen H a l t am „Rolandslied" des Pfaffen Konrad, das er erweiterte. Das vielgelesene Buch machte die Legende des 12. Jahrhunderts f ü r das 13. und 14. Jahrhundert lesbar. Doch das Recht auf Beachtung hat sich der Stricker durch etwas Neues gesichert, das seinem nüchternen Sprechen und Denken gemäß war. Sein Talent mag er entdeckt haben, als er im Plauderton eine Schwankreihe um einen „ P f a f f e n A m i s " versammelte, den er von England aus auf Reisen schickte. Als negativer Aventürenheld, der die Torheit der Menschen sichtbar macht, bringt Amis das Lügen und Betrügen in die Welt, am Ende seines ertragreichen Lebens ein Zisterzienser, der Abt wird. Man erinnere sich, daß gegen 1230 Rudolfs „Barlaam und Josaphat" mit „K l e i n g e s c h i c h t e n " angefüllt ist. Der Stricker (vielleicht ein entlaufener Kleriker) nimmt in seiner Weise auf, was bis dahin vor allem in lateinischer Sprache Form erhielt. Seine bedeutendste Leistung: Er macht die f ü r sich stehende knappe Erzählung sozialethischen Gehaltes f ü r die deutsche Verssprache literaturfähig. Erstaunlich die Spannweite des anspruchslos Dargestellten, das sich in verschiedenartigen Kleingattungen einer fördernden Unterhaltung anbietet. So erscheinen jetzt als Einzelstücke Schwänke, Fabeln, Gleichnisse allegorischer Deutung, auch didaktische Erörterungen, die man schon „Spruchreden" nennen kann. Allgemeines Kennzeichen: Die hochritterlich-höfische Traumwelt ist einem stilisierten Alltag gewidien. Zugleich leitet der Stricker jenes Aufkommen von Kleinerzählungen ein, aus denen die spätmittelalterliche „Novelle" hervorgeht. Eine von ihm in Verse gebrachte „ K l a g e " , die im Gesamtleben der Zeit nur Zerfall jeder Sitte sieht, gehört wohl bereits in das Österreich, das mit der Ungarn-
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Dichtung der Stauferzeit
Schlacht des Jahres 1246 heraufzieht, in der Friedrich der Streitbare, der letzte Babenberger, fällt. Doch nun etwas ganz anderes, das uns näher an das „Nibelungenlied" heranführt. Eine Großerzählung, die aus „unterliterarischen" Liedern altheimischer Sage entwickelt ist, haben wir bislang nur im „Nibelungenlied" kennengelernt. Durch Gestalten des Burgundenendes verrät es uns, daß zum mindesten Sagenkunde, die sich um Dietrich von Bern versammelt, längst dabei sein muß, in literarischen Strophenwerken fest zu werder. Doch ist unter den Zeitgenossen Wolframs und Gottfrieds keinem zweiten „Meister" gelungen, umlaufende Sagengehalte so ins Literarische hinaufzuheben, daß sie durch eine zureichende Überlieferung wirken konnten. Auch aus spätstaufischer Zeit ist uns nur ein einziges Werk dieser Erzählart als Ganzes erhalten geblieben: die bayrisch-österreichische „ K u d r u n " , eine dreiteilige Schöpfung. Die erste Vorgeschichte: Der kleine Hagen von Irland wird von einem Greifen in die Wildnis entführt und befreit sich durch seine Kraft, eine junge Erfindung. Die zweite Vorgeschichte: Hetel von Hegelingen, Herrscher eines Nordreiches, wirbt listig durch Wate von Stürmen und Horand von Dänemark um Hilde, die Tochter des „wilden" Hagen. Die Werber entführen die zur Ehe bereite Hilde. In der Verfolgungsschlacht trennt auf Hildes Wunsch Hetel den Entscheidungskampf HagenWate; Hetel und Hilde heiraten. Die Hauptgeschichte: Hartmut von der Normandie wirbt ohne Erfolg um Kudrun, die Tochter Hetels und Hildes; sie wird die Braut Herwigs von Seeland, indem sie den Kampf Hetel-Herwig verhindert. Hartmut entführt die Braut des anderen mit Gewalt. In der Verfolgungsschlacht auf dem Wülpensand, einer Insel der Scheidemündung, fällt Hetel durch den Vater Hartmuts. D a sich Kudrun im Unterschied von Hilde nicht zum Entführer stellt, muß sie einst wiedergeholt werden. Auch in der Normandie bleibt sie fest und wird daher zu einem „Aschen-
Höfische Epik
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brödeldasein" verurteilt. Nach Jahren schickt Hilde ein Heer vor die Normannenburg. Den Entscheidungskanipf W a t e - H a r t m u t läßt Kudrun, darin eine zweite Hilde, durch Herwig unterbrechen. Hochzeiten schließen an Hildes Hof das Geschehen ab: Kudrun wird mit Herwig vereint, H a r t m u t mit Hildburg, der treuesten Gefährtin Kudruns. Kein Zweifel, in der Hildegeschichte steckt ein verwandeltes Stück sehr alter Ostseesage, die (wie uns Lamprechts „Alexander" zeigte) in mittelrheinischen Erzählliedern des 12. Jahrhunderts noch tragisch geendet hat. Auch kein Zweifel, die Kudrungeschichte ist eine erweiterte jüngere Sproßform der Hildesage und aus niederfränkischem Nordseebereich nach Süden gewandert; denn der ursprünglich niederfränkische N a m e Gudrun (Cbüdrun) müßte süddeutsch-bayrisch Kundrun (Chuntrün) lauten. Was dann der Kudrunmeister in einer lyrischen Erzählstrophe zusammengebaut hat, ist eine Art H e l d e n r o m a n geworden, den man nicht dem „Nibelungenlied" gleichstellen darf. Als Werk eines gemischten Stils etwa um 1240 (in Regensburg?) entstanden, hat die „Kudrun" wohl nie eine endgültige Fassung erhalten. Bei geringer Wirkung ist sie uns nur aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts durch die „Ambraser" Handschrift Maximilians I. überliefert. Ihre große Zeit begann 1843 mit der Übersetzung Karl Simrocks, da das 19. Jahrhundert von der duldenden Heldin angezogen wurde. Aus dem Ende der spätstaufischen Zeit eine Überraschung besonderer Art. Gut kennen wir den Minnesänger U l r i c h v o n L i c h t e n s t e i n . Als Sohn eines Ministerialen gleich nach 1200 geboren, tritt er f r ü h in der Steiermark hervor, von 1227 bis 1274 urkundlich bezeugt. In unruhigen Jahrzehnten ist er mit Erfolg für seine Familie und die Ritterschaft tätig: unter dem letzten Babenberger bis 1245, unter schwachem Reichsregiment bis 1254, unter Bela IV. von Ungarn bis 1260, dann unter O t t o k a r II. von Böhmen (1253—1278). Er stirbt 1275/76 als Landesmarschall der Steier-
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Dichtung der S t a u f e r z e i t
mark. Im Jahre 1255 verfaßt er in einfachen Strophen, die einen Plauderton gestatten, eine Chronik seines bisherigen Lebens. Doch diktiert er sie nicht als neuer Typ eines dem Fürstentum verbundenen „Landherren", sondern unter dem Titel Vrouwen dienst („Fürstinnendienst") als ein Minneritter, der sich im Frauenkult erfüllt. Sein Verfahren: Er setzt seine 58 Minnelieder in einer „Ausgabe letzter H a n d " in seine Minneaventüren ein und zeigt uns damit, daß es hoffnungslos ist, den Ablauf eines Minnedienstes aus den Worten reiner Lyrik zurückzugewinnen. Im Jahre 1227 reitet er als Frau Venus eine Turnierfahrt von Venedig bis Böhmen, eine gesellschaftliche Oper, die die Ritter des Südostens beschäftigt. Auf einem Turnierritt des Jahres 1240 spielt er den König Artus, und die Ritterschaft spielt mit. Scharfer Rechner im Tageskampfe, bekennt er sich zu einer romanhaften Traumwelt, da sein Alltagsleben für ihn nicht literarisch greifbar ist.
3. L i t e r a r i s c h e
Prosa
der
Stauferzeit
Alles deutschsprachige Dichten, dem wir seit dem späteren 11. Jahrhundert begegnet sind, bewegt sich in gereimter Verssprache. Bestimmter ausgedrückt: Es sucht die Kunst gespannter Aussage, die je zwei Sprechreihen gleicher Taktzahl durch Reime aneinander bindet. Die ungebundene Prosarede gehört freilich nicht nur zum Ablauf „unterliterarischer" Gebrauchssprache. Sie kann schon dort erscheinen, wo Überliefertes rein als S a c h e bewahrt und durch Lesen erneuert werden soll. Dies vollzieht sich zunächst da, wo sie lateinische Prosa als Vorlage hat. Daß auch im frühen Mittelalter solche Prosa in einer auf Dichtung bezogenen Literaturgeschichte wegen ihres Ranges nicht übergangen werden darf, haben wir erfahren. Ich erinnere für die Zeit um 800 an den „althochdeutschen Isidor", für die Wende vom 10. zum 11. Jahrhundert an das Schaffen Notkers III., für die Zeit um 1065 an Willirams „Hohes Lied".
Literarische P r o s a der Stauferzeit
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Aus der mittleren Stauferzeit müssen nunmehr zwei Prosawerke genannt werden, die eine geordnete Sadiwelt für eine lange literarische Wirkung bereitgestellt haben. Frühstens um 1190 verfassen im norddeutschen Braunschweig auf Verlangen Heinrichs des Löwen, der im Sommer 1195 stirbt, Kapläne vom theologischen Standort aus eine Art „Summa" des Wissenswerten. Im Spiel von Frage und Antwort zwischen einem „Jünger" und „Meister" werden die Weltsdiöpfung, Kirchenlehre und Kirchendienst, in einer zweiten Auflage auch die „letzten Dinge" behandelt. Der Herzog war es, der gegen die Absicht des Meister-Kaplans die Prosa erzwang, um aufgrund der lateinischen Quellen die „Wahrheit" des Ausgesagten zu sichern. Er schlug den Titel Aurea gemma („Goldener Edelstein") vor, der Meisterkaplan wählte den Titel Lucidariiis („Der Leuchter"). Das Ganze, dessen Originalsprache auf eine niederdeutsche Literaturprosa zustrebt, ist eine fast revolutionäre Leistung, wenn man sie vom Erfolg aus betrachtet. Denn in einem Text, der gegen Eingriffe ungeschützt ist, entsteht eines der verbreitetesten Werke des späten Mittelalters, das 1479 zu weiterer Wirkung in Augsburg gedruckt wird. Auch die nächste Literaturprosa führt uns auf ostfälisches Gebiet, wie wenn damals das niedersächsische Norddeutschland seinen Willen zu sachlicher Nüchternheit in besonderer Weise anmelden wollte. Nach dem sächsischen Landfrieden vom Jahre 1221 setzt um 1225 der aus dem westlichen Anhalt stammende ritterbürtige Eike
von
Repgow,
der bis 1233 bezeugt ist, sächsisches
„Land- und Lehnrecht" aus einer von ihm verfaßten lateinischen Vorlage in ein mitteldeutsch getöntes Niederdeutsch unter dem Titel Spegel der Sassen um, den man hochdeutsch durch „ S a c h s e n s p i e g e l " wiedergibt. Die deutsche Ausgabe erfolgt auf die Bitte des Grafen Hoyer von Falkenstein, und zwar vielleicht in Quedlinburg. D a ß das Werk des belesenen Autors auf das gesamte mittelalterlich-deutsche Sprachfeld wirkt, läßt sich durch einen einzigen
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Dichtung der Stauferzeit
Hinweis zeigen. Um 1275 oder bald danach wird im Augsburger Franziskanerkloster eine Übertragung des „Sachsenspiegels" über einen ersten Versuch im „ S p i e g e l a l l e r deutschen L e u t e " zu einem „Kaiserlichen Land- und Lehnrecht" erweitert, das der dem deutschen Altertum zugetane Melchior Goldast in seiner Ausgabe vom Jahre 1609 „ S c h w a b e n s p i e g e l " nennt. Dem Ostfalen Eike von Repgow teilt man auch mit guten Gründen die aus lateinischen Quellen hergeleitete sog. „ S ä c h s i s c h e W e 11 c h r o n i k" zu. Von der Schöpfung bis zum Jahre 1225 geführt und gleichfalls in einer niederdeutschen Prosa verfaßt, in die hochdeutsches Wortdenken hineinspielt, stellt sich dies um 1230 abgeschlossene Werk wie der wenig ältere „Sachsenspiegel" zu den Anfängen deutscher Prosaliteratur, wodurch sich rechtfertigt, es hier mit Auszeichnung zu nennen. Kurz fortgesetzt und bald im Unterhaltenden erweitert, erreicht es vielbenutzt im Jahre 1492 den Druck. Wir sind jetzt gerüstet, auch die früheste literarische Prosa einzugliedern, die R o m a n p r o s a ist. Dabei hilft uns ein Umweg. Das niederrheinische Gebiet haben wir mit dem Limburger Heinrich von Veldeke verlassen. Wir denken daran, daß es durch die Nähe von Brabant und Flandern unter literarischen Sonderbedingungen steht. Ein weiteres Beispiel aus dem Bereich der Verserzählungen, das späteres Mittelalter mit der Stauferzeit verbindet, sei hier eingerückt, um auf eine ungewöhnliche Prosa vorzubereiten. Im frühen 14. Jahrhundert baut ein Unbekannter ein gereimtes Leben Karls des Großen aus Einzelwerken zusammen. Nach dem ersten Werk, das Karls Jugend erzählt, nennt man die Sammlung „K a r 1 m e i n e t" („Charlemagne — Klein"). Aus dieser rohen Leistung eines Literaturkenners, der wohl dem Kölner Gebiet entstammt, hebt sich f ü r uns das zweite Werk heraus: „M o r a n t u n d G a 1 i e", Übertragung einer französischen Chanson, in der das Crescentia-Motiv abgewandelt ist: Ritter Morant wird ver-
Literarische Prosa der Stauferzeit
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leumdet, mit Karls Frau Galie Verkehr gehabt zu haben; der Verleumder hat im Zweikampf keinen Erfolg; er und seine Gesellen verlieren das Leben. Der Verfasser dieser derb-gemütlichen Übertragung lebte gleichfalls im nördlichen Mittelfranken (etwa im Kölner Gebiet). Alte Bruchstücke ermöglichen, sie der Zeit um 1200 zuzuweisen. Gleichwohl hält sie noch damals eine bedingt literarische Sprechweise fest, die bis in den Versbau hinein (Veldekes Erzählstil fern) unterhalb der hochritterlichen Kunstwelt angesiedelt ist. Warum aber erst jetzt diese inselhafte Verserzählung vom „norddeutschen Rande"? Die A n t w o r t : Da sich in ihr der Niederrhein wahrscheinlich über Brabant und Flandern mit Frankreich zusammenfindet, erleichtert sie uns den Weg zu einer überraschenden „Prosa". Aus der Zeit kurz vor 1450 ist uns durch eine in Heidelberg liegende Handschrift ein umfangreicher „L a n c e 1 o t" in einer Prosasprache erhalten, durch die er als Erzählform ein echter Gesellschaftsroman wird. Im Erzählten weicht hier jene epische Stilisierung, die der Reimvers erzwingt, trotz hoher Sprechart bis in die Dialoge einer zwangloseren Hingabe an das Zuständliche, die erst dem Roman gestattet, sich in einer ihm gemäßen Weise freier zu bewegen. Von zwei älteren Bruchstücken dieser „Lancelot"-Prosa muß mindestens eins, das in München liegt, schon vor dem Jahre 1250 im „ripuarischen" Franken (etwa f ü r den Grafen von Jülich) geschrieben sein. Soweit sich bisher erkennen läßt, hat damals der unbekannte Verfasser der niederrheinischen „Lancelot"-Prosa eine frühe mittelniederländische „Lancelot"-Prosa umgeschrieben, die entsprechend mit einer französischen „Lancelot"-Prosa des frühen 13. Jahrhunderts verfahren war. Noch im 13. Jahrhundert ist sodann diese niederrheinische Roman-Prosa rheinaufwärts bis ins Maingebiet von Amorbach gestiegen, ohne daß wir vorerst vermuten können, wer diese südlichere Umschrift veranlaßt hat. Man darf das frühe Erscheinen dieses deutschsprachigen Prosaromans
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Dichtung der S t a u f e r z e i t
nicht unterschätzen, aber auch nicht überschätzen. In ihm schiebt sich französische Romanprosa unter den politischen Bedingungen des mittleren 13. Jahrhunderts durdi eine vorzeitige literarische Ausbuchtung über Brabant ins Rheinland vor. Ich erinnere an das Königtum des ritterlichen Wilhelm von Holland. 4. M i n n e s a n g a) G r u n d s ä t z l i c h e s
und
und
Spruchlied
Allgemeines
Es wird Zeit, daß wir uns der L y r i k d e r S t a u f e r z e i t zuwenden, deren Vorspiel wir unter dem Namen „des von Kürenberg" kennen gelernt haben. Wir stehen vor einem bedeutsamen Geschehen. Denn was auch anderen Arten von Dichtung zugeteilt sein mag, Dichtersprache kann im Lyrischen am entschiedensten zu sich selbst kommen. Obendrein wird damals zum ersten Mal weltliche Kunstlyrik deutscher Sprache aus persönlichem Wollen geschaffen. Der Klang streng lyrischer Aussagen ruft seelisches Leben in ein waches Dasein, durch das ihm möglich wird, Erlebtes bewußt vollziehen zu können. Nicht zufällig sind damals auch epische Schöpfungen, die sich durch stilbildende Kraft auszeichnen, durch lyrische Grunderlebnisse bewegt. So durchzieht Dichterworte Wolframs, Gottfrieds und des Nibelungenmeisters an geeigneten Stellen ein Seelenklang, dessen Wirkung musikalischer Wirkung verwandt ist. Gestalten wie die Condwiramurs Wolframs, die Isold Gottfrieds und die kindlich-junge Kriemhild des Nibelungenmeisters strahlen (der „Himmelskönigin" Maria vergleichbar) etwas von lyrischem Glänze aus. In diesen Beispielen sind wir einer geschichtlichen Tatsache nahe, auf die wir durch die romanhaften Züge epischer Dichtungen, auch schon durch die frühhöfische Lyrik vorbereitet sind. Die Kunstlyrik der Ritterdichtung entzündet sich an der seelischen Spannung, die dadurch entsteht, daß sich Menschentum in der Doppelheit des
Minnesang und Spruchlied
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Männlichen und Weiblichen darstellt. Die deutschsprachigen Dichter folgten darin der gleichartigen Kunstlyrik der westlich-romanischen Welt, die im provenzalisch-südfranzösischen Sprachbereich schon am Anfang des 12. Jahrhunderts mit Liedern des Grafen Wilhelm I X . von Poitou (1071—1127) anhebt und um die Mitte dieses Jahrhunderts in den Liedern Bernarts von Ventadorn ihre Höhe erreicht. Dies heißt aber: Die deutschsprachige weltliche Lyrik ist zunächst und vor allem in ihrer stilschaffenden Breite M i n n e s a n g . Wir werden bald sehen, daß wir deshalb nicht an einer ermüdenden Liedmenge vorbeiziehen müssen, die nach Form und Gehalt im ganzen an Unterschieden arm ist. Aber um uns nicht durch Besonderes vom Grundlegenden abziehen zu lassen, tun wir gut, am Anfang danach zu fragen, welche allgemeinsten Züge den Minnesang kennzeichnen, als er sich in der späten Barbarossazeit (etwa von den 70-er Jahren des 12. Jahrhunderts an) entfaltet. Damit aber diese notwendig vereinfachenden Angaben einen H a l t haben, sei ihnen eine Liedstrophe des „älteren" Reinmar aus der Zeit um 1190 vorangestellt. Sie schließt ein dreistrophiges Lied ab, das zwar nicht die ausgereifte Kunst dieses einflußreichen Lyrikers bezeugt, wohl aber grade wegen seiner frühen Entstehungszeit für unsere Zwecke Typisches aussagt: „Ez ist ein nit der niene kan verhelen an den liuten sich, war umbe sprichet manic man ,wes teert sich der?' und meinet mich? Daz künde ich ime gesagen, obe ich wolde. ich enwände niht daz es ieman fragen solde der enpfUege schcener sinne: wan nieman in der weite lebet, er envinde sines herzen küneginne." („Es ist ein H a ß , der nie sich im Gesicht der Menschen verdecken läßt. W a r u m sagen viele ,Warum macht sich der zum Toren?' und meint da-
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mit mich? — D a s könnte ich ihm bekunden, wenn ich wollte. Ich glaubte nicht, d a ß es j e m a n d f r a g e n würde, der sich um die Pflege feiner Sitte müht. — D e n n niemand lebt in der ,Welt', der nicht die ,Königin seines H e r z e n s ' findet".)
Die Lieder des vollentwickelten Minnesangs reihen gleichgebaute Strophen aneinander, die in der Stauferzeit die Fünfzahl selten überschreiten. Im Unterschied von neuzeitlichem Sprachgebrauch muß der Ausdruck „Lied" ernst genommen werden. Denn die Versgefüge der Strophen sind zugleich musikalische Gefüge, mag die Melodie dem Texte vorausgehen oder mit ihm entstehen. Die werkgerechte Kundgabe eines Liedes ist daher der gesungene Vortrag, und zwar besonders dann, wenn er zuerst in festlicher Gesellschaft aufgeführt wird. Gleichwohl dürfte jedes Lied schon früh ohne Melodie zum Lesen (etwa für einen geheim gehaltenen Empfänger) aufgezeichnet sein, zumal die unvollkommene Notenschrift nicht viel mehr leisten konnte, als das Gedächtnis des Sängers zu stützen. Unsere ältesten Sammelhandschriften vom späten 13. und frühen 14. Jahrhundert, so auch die reiche „Manessische" Handschrift, die vor 1350 in Zürich geschrieben ist und in Heidelberg liegt, geben uns alle Minnelieder ohne Melodie. Dies hat, was man nicht übersehen sollte, seinen tiefen Grund in dem Verhältnis von Liedweise und Sprachgefüge. Die Liedweise ist zwar mit dem Sprachgefüge verbunden, aber sie trägt es nicht so, daß es ohne sie (wie etwa das Sprachgefüge vieler „Volkslieder") kein echtes Leben hat. Folgerichtig hat daher der Text eines Minneliedes um so mehr Eigenleben, je mehr Rang es als Dichtung hat. Trotzdem haben wir zu bedauern, daß uns auf deutschen Sprachfeldern aus der Höhenzeit des Minnesangs keine Melodie unmittelbar überliefert ist, wenn wir das für sich stehende Schaffen des Ritters Neidhart beiseite lassen. Nur in frühen Klängen und in Randerscheinungen des Minnesangs können wir etwas davon erfassen, daß „unterliterarische" Gesänge, etwa erotische Elementarstrophen, auf seine Kunstwelt
Minnesang und Spruchlied
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eingewirkt haben. Greifbar ist der Einfluß westlich-romanischer Melodien und Lieder aus dem Schaffen der provenzalischen Troubadours und der nordfranzösischen Trouvères. Doch genügen diese Hinweise nicht. Alle Liedkunst des hohen Mittelalters setzt die musikalisch-lyrische Entwicklung voraus, die sich unter westlichromanischer Führung im geistlichen Bereich vollzogen hat. Das 12. Jahrhundert ist denn auch eine große Zeit der lateinischen Hymnen- und Sequenzendichtung, wie sie sich etwa im Schaffen des Theologen Petrus Abälardus (gest. 1142) und des Augustiner-Chorherren Adam von St. Victor (gest. nach 1170) darstellt. Auf das Ganze gesehen, baut sich die weltliche Lyrik der Stauferzeit auf einer Entwicklungsebene auf, die sich zwischen der „magistralen" Kunst der Kleriker und den uns nicht zugänglichen Klängen „unterliterarischer" Gesellschaftslieder erstreckt, wobei dahingestellt sein mag, wie stark solch „unterliterarisches" Singen durch ständelose Berufssänger gefördert wird. Von der Neuzeit aus überrascht am Minnesang der Reichtum an Strophenformen, der musikbedingt dem Reichtum einstimmiger Melodien entspricht. Sobald sich der deutsche Minnesang im Zusammenhang mit der westlich-romanischen Lyrik gleicher Art gegen oder um 1180 zu seiner Regelform entwickelt, verlangt jedes Lied, wenn man Sonderfälle nicht beachtet, nach einer eigenen Weise, so einfach auch nicht selten die Abwandlungen sind, die beim Zusammensetzen der Ton- und Versfolgen entstehen. Seit dieser Zeit geht die Form der „Kanzone" allen anderen Formen weit voran: Einem „Aufgesang" (I) aus zwei rhythmischen Perioden gleichen Baues (den sog. „Stollen") folgt als „Abgesang (II) eine reichere rhythmische Periode; ihr kann (wie in der angeführten Reinmarstrophe!) als Beginn des „Abgesangs" eine Zwischenperiode vorausgehen — das Ganze ein Aufbau, der im ganzen gut am Spiel der Reime erkennbar ist (I ab / ab, II cc / dwd). Die Verse, aus denen die rhythmischen Perioden zusammengefügt sind, haben auf lange hin nur 11
Neumann, Literatur
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Dichtung der Stauferzeit
geringe Länge. Immer wieder stellt sich ein Elementarvers ein: der Vers von vier Sprechtakten, der auch die „unterliterarischen" Lieder beherrscht. Ein besonderes Wort verlangt die seltene Kunstform des „Leichs", die wie ihre romanischen Entsprechungen („Lai" und „Descort") als musikalische Erscheinung mit der Kunstform der lateinischen „Sequenz" zusammengehört. Der „Leich" (dem Wortsinne nach ein „Spiel" der Töne) ist im Unterschied vom „Lied", dessen gleichgebaute Strophen die gleiche Melodie haben, ein durchkomponiertes Ganzes. Verschieden gebaute strophenartige Perioden (sog. Versikel) werden aneinandergereiht. Als man im späten 12. Jahrhundert beginnt, deutschsprachige „Leiche", und zwar vor allem „Minneleiche", kunstvoll zusammenzusetzen, erscheinen (wie auch schon in den lateinischen „Sequenzen") die strophenartigen Perioden als echte Versgefüge, deren Versglieder den Endreim verlangen. Doch behalten die „Leiche", die zu weiter Ausdehnung neigen, durch die Buntheit der Perioden einen musikhaften Charakter, der den Gedankenablauf der gereimten Sprachgefüge beeinflußt. Auf die Verschiedenartigkeit der Bauweisen kann hier nicht eingegangen werden, weil dies nur an einem Musterbeispiel fruchtbar wäre. Doch mußte der Begriff „Leich" so weit erläutert sein, daß er keine leere Hülse bleibt. Auch darf zweierlei nicht verschwiegen werden: Das Fehlen der Melodien erschwert, den Bau der „Leiche" mit genügender Sicherheit zu erkennen; es erschwert daher auch, die „Leiche" in ihrer Einheit von Ton und Wort angemessen als Kunstwerk zu erfassen. Es empfiehlt sich übrigens, in die Betrachtung der Versgefüge lyrische Aussagen aufzunehmen, die in den Bereich der „didaktischen Dichtung" gehören. Gemeint sind Einzelstrophen und durch gleichen Bau verbundene Strophengruppen, die man wohl am treffendsten „Spruchlieder" nennt. Nicht zum wenigsten durch das Eingreifen Walthers von der Vogelweide ist das „Spruchlied" zu
Minnesang und Spruchlied
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einem lyrischen Gebilde von Zukunft geworden, das unter den literarischen Bedingungen des 13. Jahrhunderts kräftig in die Breite wirkt. Zum Verständnis des folgenden sei daher ein „Spruchlied" Walthers angeführt, das der Ausgereifte auf der Höhe seines Lebens um das Jahr 1210 geschaffen haben mag: „Ich muoz verdienen swachen haz: ich wil die herren leren daz, wie si iegeslichen rät wol mügen erkennen. Der guoten riete der sind dri, dri ander bcese Stent da bl zer linken hant: lät iu die sehse nennen! Vrum unde gotes hulde und wertlich ere, daz sint die guoten. wol im der si lere! den möhte ein keiser nemen gerne an sinen hcechsten rät. die andern heizent schade sünde und schände, dä erkenne si bi der sie e niht erkande: man hceret an der rede wol wiez umbe daz herze stät. daz anegenge ist selten guot, daz bcesez ende hät." („Ich darf nur geringe (d. h. keine) Feindschaft mit dem folgenden mir verdienen. Denn ich will die „Herren" lehren, wie sie jede Art von Rat richtig beurteilen können. Der guten Räte sind drei; drei böse stehen zur linken Hand. Laßt euch die Sechs nennen! — Anständiges Vorwärtskommen, Gottes Huld und weltlich Ehre, das sind die guten. Wohl ihm, der sie lehrt! Den könnte selbst der Kaiser in seinen höchsten Rat aufnehmen. Die bösen heißen Schädigung, Sünde, Schande. Daran erkenne sie, wer sie bislang nicht kannte: An der Rede merkt man, wie es um das Herz steht; selten ist ein Anfang gut, der ein böses Ende nimmt!")
Man darf sich nicht durch den Begriff „didaktische Dichtung" stören lassen, der für neuzeitliche Ohren nur zu leicht den Rang einer Dichtung mindert. In Zeiten, die noch nicht eine unterrichtende literarische Prosa von gesellschaftlicher Geltung kennen, ist „didaktische Dichtung" echte Dichtung, wenn sie gesellschaftliches n*
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Dichtung der Stauferzeit
Dasein durch das Wort gestalten hilft. Das „Spruchlied" meldet zudem seinen lyrischen Anspruch sinnfällig dadurch an, daß es wie das „Minnelied" gesungen wird. Seine rhythmischen Besonderheiten sind dadurch bedingt, daß es den Gehalt seiner Worte deutlich genug den Versfolgen einprägen muß. Es benutzt daher gern längere Verse, und es verbreitert gern die Strophen, indem es die rhythmischen Perioden reicher zusammensetzt und die Zahl der Verse vergrößert. Dies gilt erst recht, wenn im Anschluß an den Minnesang, wie in der angeführten Waltherstrophe, die Form der „Kanzone" gewählt wird. Offen mag bleiben, wie weit der Vortrag des „Spruchliedes" darauf angelegt war, den Wortsinn in einer Art Sprechgesang kräftig genug hörbar zu machen. Wer versucht, die gesamte Lyrik des hohen Mittelalters in seine Vorstellungswelt aufzunehmen (die geistliche und weltliche Kunstlyrik, auch die uns nur mittelbar zugängliche „unterliterarische" Lyrik), dem wird deutlich, daß das Mittelalter ein singendes Zeitalter ist. In diesem singenden Mittelalter hat nicht zum wenigsten die anspruchsvolle Kunst des „Minnesangs" durch die Macht ihrer lyrischen Aussagen den seelischen Alltag überwunden. Doch sind wir durch das, was wir uns an seiner musikalischen Form herausgehoben haben, noch nicht genügend vorbereitet, seinen lyrischen G e h a l t aufzunehmen. Denn gerade der unverbindlich umlaufende Begriff „Minnesang", der sich nur zu leicht mit einem nicht minder unverbindlichen Begriff liedhafter „Liebesdichtung" verbindet, bedarf vom tragenden Begriff „Minne" aus einer Erläuterung, die Mißverständnisse ausschließt. Damit stehen wir vor der Frage, welche Erlebnisse die Welt des Minnesanges in eine Welt eigenen Wesens erheben, die überzeitliche Werte vermittelt. Vor der Antwort muß eine schützende Warnung stehen. Man hüte sich, in die Bedeutung des Wortes minne sorglos die vieldeutige Bedeutung des neudeutschen Wortes „Liebe" einzusetzen. Das altdeutsche Wort
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minne meint von Haus aus gefühlsbetonte Denkakte, die sich auf personenhaftes Leben richten, mag es nun an Gott oder an einem Menschen erfaßt werden. Wo es auf das leibgebundene Ich-DuVerhältnis der Geschlechter bezogen ist, empfängt es fast naturgemäß einen erotischen Gehalt, der sich mehr oder minder ins Sinnliche öffnet. Man darf daher beim Hören von Minnesprache weder den geistigen Zug minnender Zuwendung noch das ihm verbundene sinnliche Schwingen mit unzulänglicher Wachheit aufnehmen. Demgegenüber meint das altdeutsche Wort liebe von Haus aus nur einen Zustand freudiger Erregung, wie ihn etwa vertrauter Umgang erweckt, darin Gegensatz zu einem Zustand des Leides, wie ihn etwa schmerzliche Trennung verursacht. In der grade auch für Walther von der Vogelweide charakteristischen Zusammensetzung herzeliebe versammelt sich sodann das Wort liebe eindeutig auf einen Zustand des Minnens, der von sinnlich durchwärmter Neigung getragen ist. Auf diesem Wege wird es sodann mit dem Worte minne vertauschbar, das im späteren Mittelalter durch Verstärkung seines sinnlichen Gehalts von seiner ursprünglichen H ö h e herabsinkt. Doch was erfaßt denn nun jenes gefühlsbetonte „Meinen", das in der „Minne" des Minnesangs ins Wort kommt? In die Mitte des Minnebereichs führt das Beachten einer Erlebnisweise, von der das „hohe Mittelalter" auch jenseits der Ritterwelt beherrscht wird. Diese Zeit lebt sich, von philosophischer Theorie unterstützt, mit Vorzug in einem I d e e n r e a l i s m u s aus. Das will heißen: Alles Allgemeine, Wesenhafte hat gegenüber dem Besonderen und daher Individuellen nicht den Charakter des bloß Erdachten, sondern den einer objektiven Wirklichkeit. Darin liegt zugleich, daß damals der Typus und das Typische höchsten Wert hat. Für die minne bedeutet dies von selbst, daß sie in einem entscheidenden Zuge mit dem griechisch-platonischen „Eros" verbunden ist, zu dem gehört, daß er idealisierende Kraft hat. Vereinfachend aus-
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gedrückt: Die hochritterliche minne ist vom Manne aus auf die „Idee" des Weiblichen gerichtet, die in einer Bewegung von unten nach oben nahezu kultisch verehrt werden kann. Umgekehrt aber stellt sich in ihr (um Worte des schon von uns herangezogenen „älteren" Reinmar zu gebrauchen) von der Frau aus der ins Ideal gestellte Mann als „aller Freuden Herr", als „Spiegel ihrer Wonne" dar. Diese hochgespannte Minnewelt, die grundsätzlich zu jeder Zeit möglich ist, wird von der Neuzeit aus leichter verständlich, wenn man die gesellschaftlichen Bedingungen beachtet, unter denen sich damals in Ritterkreisen Mann und Frau begegnen. Das junge Mädchen wird vom Gesellschaftlichen ferngehalten, und auf den Gipfeln des damaligen Lebens heiratet es meist früh in einem fast kindlichen Alter. Das Ideal des Weiblichen wird daher am sinnfälligsten in der jugendlichen, aber ausgereiften fürstlichen Frau anschaubar, die sich mit gezügelter Freiheit auf den Höhen des gesellschaftlichen Daseins bewegt. Nicht zufällig sprechen die Dichter das lyrische „Du" im Regelfalle mit dem Worte frowe an, in dem das wtp als Herrin, Fürstin, Edelfrau bezeichnet wird. Grade in Deutschland mußte zudem den Kult der fürstlichen Frau die Tatsache begünstigen, daß der von Haus aus unfreie „Ministeriale" die Hauptmasse der Ritter und daher auch der Ritterdichter stellt. Trotzdem sollte man nicht stets aus der Anrede frowe erschließen wollen, daß ein Minnelied allein durch eine hochgestellte verheiratete Frau angeregt sei. Obendrein erzwingt das rechtlich gebundene Lehnsdenken jener Tage, überall bei verehrendem Verhalten bis in die religiöse Welt hinein in Begriffen wie „Huld" und „Dienst" zu leben, die das Verehrte in die Höhe des Unpersönlichen hinaufrücken. Man vergesse auch nicht, daß das „Ich" und „Du" eines Liedes für alle männlichen und weiblichen Wesen zu stehen hat, schon weil der öffentliche Vortrag verlangt, persönliches Erleben zu verrätsein, ja zu verhüllen. Wo ist Lyrik je anders verfahren? Dazu noch ein Letztes: Man über-
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schätze nicht an der Minnesprache das Konventionelle ihrer Begriffe. Jede Kunst, die im Spiel ihrer Formen Stil hat, hebt das Individuelle im Typischen auf. Auch drängt sich aus zeitlicher Entfernung das durch Kunstbrauch Bestimmte stärker auf, als es verdient. Und schließlich, die Lyrik jener Tage ist nun einmal eine ausgesprochen gesellschaftliche Kunst, in der auch das Mittelmaß seine Aufgabe erfüllt, weil das Erdichtete f ü r das Leben gebraucht wird. Dies könnte zur N o t ausreichen, den in die Stauferzeit ein-; brechenden Minnesang in einer allgemeinen Betrachtung zu beschreiben. Doch empfiehlt sich schon jetzt Ergänzungen beizufügen, die uns bereit machen, frühe Besonderheiten der lyrischen Minneerlebnisse sinngemäß aufzufassen. Bei dem Pfälzer Friedrich von Hausen tritt vor 1190 zum ersten Mal der Ausdruck „Hohe Minne" f ü r das Grunderlebnis des hochritterlichen Minnesangs auf. Er umschreibt gut das Aufschwingen einer Minne, die mit erziehender Kraft Gedanken und Sinne auf eine Idealgestalt des „Ewig-Weiblichen" richtet. Die Minne ist in der Tat zumeist eine nach oben gewandte süßschmerzliche Sehnsuchtsminne. Indem sich der Mann in einem Auf und Ab von Freude und Leid mit verhüllter Sinnlichkeit um Unerreichbares müht, wird sie ihm zur Anregerin, seine positiven Kräfte zu steigern. In der Gegenrichtung schreibt sie der Angebeteten vor, sich zur Förderung des werbenden Mannes im Abwehren zu bewahren. Dies drängt uns zu der Frage, ob sich wirklich diese hochgespannte Minne lange in unverbrauchter Dichtersprache auf ihrer H ö h e halten konnte. Dazu eine vorläufige Antwort. Walther von der Vogelweide stellt etwa um 1210 in einem Liede, das auf der Grenze von „Minnelied" und „Spruchlied" steht, der „Hohen Minne" eine „Niedere Minne" gegenüber, die den Minnenden verleitet, sich an die lustvolle Erregung eines geringwertigen, herabdrückenden Verliebtseins hinzugeben. Er versteht hier unter der „Niederen Minne" eine unverbindliche, sinnlich betonte Minne, die im Grenzfall durch vorübergehenden Genuß endet. Sie findet
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damals lyrischen Ausdruck in lateinischen Liedern „fahrender" Kleriker, die uns eine Benediktbeurener Handschrift des mittleren 13. Jahrhunderts (die Handschrift der Carmina Burana) überliefern. Es hat eigenen Reiz, in der Entwicklung des Minnesangs zu beobachten, wie sich „Hohe" und „Niedere Minne" begegnen. Bei Walther bewirkt diese Begegnung, daß sich das Minneerlebnis vertieft; zumeist aber läßt sie es verflachen. Eine lyrische Begegnung eigener Art ereignet sich, wo die „Hohe Minne" mit dem Willen zum Kreuzzug zusammentrifft, der mit der Pflicht zu bedingungsloser Gottesminne die Möglichkeit des Martyriums einschließt. Dies Motiv, in dem das Minneerlebnis fast zwangsläufig an Tiefe gewinnt, wird vor allem durch den Barbarossa-Kreuzzug 1189/90 geweckt, der noch mit Auszeichnung ein „Kreuzzug der Ritter" ist. Die Kreuzzüge der Jahre 1197/98 und 1227/28 sind schon durch die süditalisch-normannische Bindung der Kaiser viel stärker durch politische Ziele bestimmt. Die letzten Hinweise legen uns nunmehr nahe, die Bereiche des Grundsätzlichen und Allgemeinen zu verlassen und das geschichtlich bedingte Schaffen der einzelnen Dichter aufzusuchen. Wir müssen uns freilich darauf beschränken, durch verhältnismäßig wenige Namengruppen aufzuzeigen, wie sich die Lyrik der Stauferzeit entwickelt. Dabei läßt sich nicht vermeiden, daß die Auswahl derer, die nicht unbestrittenen Rang haben, etwas Willkürliches an sich hat. b) M i n n e s a n g
im
Anstieg
Die lyrische Welt „des von Kürenberg" (entstanden nach 1150) wurde noch nicht vom idealisierenden Minnekult beherrscht; heimischer Strophenbau war in den Bereich der Kunstdichtung erhoben. Anders singt es schon in den Liedern des nicht viel späteren Schwaben M e i n l o h v o n S ö f l i n g e n . Seine Versgefüge
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Minnesang und Sprudilied
halten zwar noch an heimischen Formen fest. Aber die Sprache unbedingten Minnedienstes ist da. In die frühe Zeit des Minnesangs weist auch der N a m e des oberösterreichischen
Dietmar
von
A i s t. Leider liegen die Lieder, die ihm späte Überlieferung zugesprochen hat, im Stil so weit auseinander, daß das Gesicht des Dichters nicht erkennbar wird. Unter ihnen steht die erschütternde Freiluftszene eines morgendlichen
Abschieds Släfest
du,
friedet
ziere? („Schläfst du, Geliebter schöner?"), die schon wegen ihrer einfachen Melodie nur bedingt der Sondergattung des „Tageliedes" zugerechnet werden darf. Altheimisches und Neues sind auch in den Strophen „hoher Minne" gemischt, die man mit Recht dem 1165 geborenen K a i s e r
Heinrich
VI.
für die Zeit vor
1190
zuteilt. Sinnfällig zeigen sodann drei Ritter des deutschsprachigen W e stens, daß jener Minnesang eingezogen ist, der sich in eigener Weise auf der lyrischen Ebene der westlichen Romania Heinrich
von
Veldeke,
bewegt.
der auch als Lyriker wohl schon
um 1170 beginnt, singt in einer A r t von niederfränkischer Sprache. Die Kunst seiner leicht fließenden Verse, Zeugnis einer unbeschwerten Natur, die Natursymbole liebt, wirkt in ihrer gezügelten Sinnlichkeit wie der Seitenschößling einer Kunst, die über Brabant bis in die Champagne reicht. F r i e d r i c h eines mittelrheinischen
von
Hausen
Freiherrn), im Frühjahr
1190 auf
(Sohn dem
Kreuzzug in Kleinasien gefallen, ist als Reichsministeriale ein guter Kenner westlich-romanischer Sangeskunst geworden. Hochbegabter Lyriker, führt er recht eigentlich in seinem fast kunstgewerblichen Strophenbau den hochritterlichen Stil in den jungen
deutschen
Minnesang ein. Sehnsuchtsminne, von Trauer und Sorgen durchzogen, wird religiös eingeordnet, ein gut bezeugter „Minneleich" ist verloren. D e r Dritte, der Neuenburger Fenis
Graf
Rudolf
von
(gest. um 1195), hat durch seine südalemannische H e r -
kunft unmittelbaren Zusammenhang mit romanisch
sprechender
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Dichtung der Stauferzeit
Gesellschaftswelt. Man darf ihn nahezu einen burgundischen Minnesänger deutscher Sprache nennen. c) E r f ü l l t e
Zeit
Im letzten Jahrzehnt Barbarossas setzen Sänger ein, in deren Schaifen sich die hochritterliche Lyrik deutscher Sprache auf der erreichten musikalischen Grundlage zu eigener H ö h e entwickelt. Am Anfang müssen die Lieder des Erzählers H a r t m a n n v o n A u e stehen, dessen beispielhafte Kunst auch hier leicht unterschätzt wird. Seine keineswegs enge Auffassung vom Minnedienst lenken religiöse und sittliche Antriebe. Auffällt ein Lied, in dem sich eine Frau zu gewährender Minne entschließt. Kühn ist für die Zeit um 1200 ein Lied, das mit Ironie zum Verkehr mit armen wiben rät. Der Tod seines Lehnsherrn erschüttert ihn so stark, daß er mit ihm seinen Entschluß zum Kreuzzug lyrisch begründet. Beim Abschied von seinen Verwandten gilt ihm die Kreuzfahrt als ein Minnedienst, der im Unterschied vom Dienst der „Minnesinger" durch Gegenminne (die von Gott ausgehende Minne) erfüllt ist. Man sollte dies lyrische Bekenntnis nicht als Absage vom Minnesang deuten. Wie er, so beginnt auch der Ritter R e i n m a r vor 1190, den wir mit der Überlieferung den „älteren Reinmar" nennen wollen, um ihn von einem späteren zu unterscheiden. Gegen 1210 beklagt Gottfried von Straßburg seinen Tod, indem er ihn aus dem elsässischen Hagenau stammen läßt, was für Herkunft aus einer staufischen Ministerialenfamilie spricht. Doch läßt Reinmar Anfang 1195 den Tod des Herzogs Liutpold von Österreich lyrisch durch dessen Witwe beklagen, und ein lyrischer Disput, in den ihn Walthers Vagantensinn verwickelt, spricht gleichfalls dafür, daß er mindestens seit den 90-er Jahren in Wien Dienst tut. Nahe liegt, daß ihn der mit den Staufern eng verwandte Babenberger Herzog etwa 1191 vom
Minnesang und Spruchlied
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Kreuzzug weg nach Österreich gezogen hat. Der fruchtbare Sänger baut die Strophenform der „Kanzone" mit beachtenswerter Selbständigkeit aus; lyrisch gehobene Rede schwingt durch ihre rhythmischen Perioden. Seine Minnesprache entfaltet ihre Eigenart in schwebendem Andeuten. Bildhaftes wird in seinen Liedern nicht gesucht, eher vermieden. Sie besingen mit Vorzug ein geistiges und zugleich verhüllt sinnliches Sehnen, das auf Erfüllung warten muß. Zunehmend macht Reinmar diese seine Sehnsuchtsminne als Qual erfolglosen Werbens bewußt, da sein Traumbild der Geliebten nahezu verlangt, in seliger Vollkommenheit unerreichbar zu sein. Doch sollte man ihn nicht mit Ludwig Uhland einen „Scholastiker der unglücklichen Liebe" nennen. Er hat (etwa im Unterschied von Walther) viel zu wenig Abstand von seiner Innenwelt, um sie ins Gedankenhaft-Allgemeine erheben zu können. Für den Minnesang ist er in ähnlicher Weise ein Stilschöpfer wie H a r t m a n n f ü r die romanhafte Erzählung. Schon durch Herkunft aus einer ostthüringischen, am norddeutschen Rande gelegenen Stauferburg nimmt H e i n r i c h v o n M o r u n g e n eine Sonderstellung ein. Seine Kunst drückt sich in einer musikalischen Sprache aus, die dem Versgang einen tänzerischen Zug verleihen kann. In jungen Jahren muß er fern der Heimat als beweglicher Reichsministeriale starke Anregungen aus provenzalischem Minnesang empfangen haben. Gestorben ist er (vielleicht 1222) als „ausgedienter" Ritter im Thomaskloster zu Leipzig, im Alter verbunden mit dem Markgrafen Dietrich von Meißen, dem Schwiegersohne des Landgrafen Hermann, dessen Mutter eine Staufin war. Er singt von einem Frauendienst, der durch verzaubernde Minne Leib und Seele fordert. Die Minne ist ihm nicht eine betont erziehende Kraft; Leidenschaft, die den Verstand verlieren läßt, kann in sie hineinschlagen. Trotz Minnenot wird seine hochgemute Lyrik durch lichte Eindrücke bestimmt. Das Sinnenhafte seiner Welt darf nicht dazu verleiten, seine Aussagen von der Neu-
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zeit her allzu sensualistisch aufzufassen. Als Namengeber ist er frühestens um 1300 in das „Lied v o m edlen Moringer" aufgenommen. Die singbare „ B a l l a d e " berichtet, wie der „Moringer" nach später Heimkehr aus dem fernöstlichen St. T h o m a s - L a n d seine Frau im letzten Augenblick vor dem Ehebruch mit dem jungen „ H e r r n von N e i f e n " bewahrt. Doch findet sich in Heinrichs Liedern kein Anhalt für eine Kreuz- oder Orientfahrt. In die G r u p p e derer, die vor und nach 1200 den Sang von „hoher Minne" vollenden, gehört auch der Passauer Ministeriale A 1 brecht
von Johansdorf,
der wohl nicht älter als Walther
war. In seiner Kunst kann reichgegliederter Strophenbau schon wie Vorklang von Späterem wirken. D a s Erlebnis eines Kreuzzugs, mit dem wahrscheinlich der des Jahres 1197/98 gemeint ist, hat seinen Minnesang entscheidend vertieft. Stark wird von ihm das Ethische der Minnewelt betont. Beim Blick auf die Geliebte dringt ein K l a n g echter Zuneigung in das gesellschaftlich gebundene Minneerlebnis ein. G u s t a v Freytag hat 1866 an Albrechts Schaffen, das ihn durch „ S t ä r k e des G e f ü h l s " anzog, in den „Bildern aus der deutschen Vergangenheit" den Minnesang der „Hohenstauferzeit" charakterisiert. Nicht übergehen dürfen wir W o l f r a m bach,
von
Eschen-
der im 2. Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts das Eigenwillige
seines episch-lyrischen Talentes in den bewegten Strophen seiner „Titurel"-Fragmente verschwendet. Er hat außerdem einige Minnelieder hinterlassen, die sich nicht minder durch Eigenwilliges auszeichnen. Diese seine Lyrik wird durch die Gattung des epischlyrischen „Tageliedes" beherrscht. Nach romanischem Vorbild erwachen die Liebenden durch den R u f des Wächters zum wehen sinnlichen Abschied in einer Kemenatenszene. Ein Lied Wolframs bekennt sich mit einem „Wächter, schweig!" zu einer Minne, die nicht verborgen zu bleiben braucht: zur Minne des Ritters mit seiner Ehefrau. M a n sollte dies Lied, das vielleicht einen humorvollen Bei-
Minnesang und Spruchlied
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klang hat, nicht als Loslösung vom Minnesängerischen werter«, zumal Wolfram seinen „Parzival" in verrätselter Schlußwendung einer „Herrin" seines Dienstes widmet. Ungewöhnlicher Lebensgang legt nahe, auch O t t o von B o t e n l a u b e n aufzunehmen, obwohl er nicht in die Spitzengruppe der Lyriker gehört. Schon seine Herkunft aus dem Hochadel bedingt, daß wir Sicheres von ihm wissen. Ein jüngerer Sohn des Grafen Poppo VI. von Henneberg und der Gräfin Sophie von Andechs, einer Tochter des Grafen Berthold III. von Andechs, ist er eng mit den Staufern verbunden. Er urkundet bereits 1196/97 und hat vielleicht schon am dritten Kreuzzug teilgenommen. Im Jahre 1206 nennt er sich f ü r uns zum erstenmal nach der über Kissingen liegenden Schloßburg „von Botenlauben". Bald darauf hat er sich in Syrien mit Beatrix von Courtenay, einer Tochter des Seneschalls von Jerusalem, und dadurch mit einer Französin königlichen Geschlechts, vermählt. Erst um 1220 kehrt er für Dauer auf seinen mainfränkischen Sitz zurück. Spätestens am Anfang 1245 ist er gestorben und wird, wie später seine Gemahlin, in dem von ihnen gestifteten Zisterzienserinnenkloster Frauenroth bestattet. Wegen älterer Züge von Minnestrophen dürfte er schon vor 1200 den Minnesang gepflegt haben. Die schmale Uberlieferung, die auch einen kunstvollen Minneleich bringt, zeigt gut, wie sich romanischer Einfluß und heimische Tradition, Anempfindung und innere Teilnahme, übernommener Geschmack und gutes Können bei einem Lyriker vereinen, der doppelsprachig zwischen der Heimat und der syrischen Ferne lebt. Schwerlich läßt sich ausmachen, wann er als Lyriker verstummt ist. Er mag noch bis in die 20-er Jahre des 13. Jahrhunderts gedichtet haben. Indem wir so schon in einer Überschau den Zeitraum durchschritten haben, in dem der Minnesang der mittleren Stauferzeit recht eigentlich zu sich selbst kommt, sind wir nunmehr vorbereitet, bei den beiden produktivsten Talenten jener Epoche haltzumachen.
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Dichtung der Stauferzeit
d) W a l t h e r v o n d e r V o g e l w e i d e
und
Neidhart
Walther wird nur einmal in einer zeitgenössischen Urkunde genannt. Am 12. November 1203 vermerken unweit Wien die Reiserechnungen des Bischofs Wolfger von Passau, zu dessen Diözese Österreich gehört, daß dem cantor de Vogelweide Geld für einen Pelzmantel ausgezahlt ist. Der Ausdruck cantor („Sänger") soll wohl den Komponisten berufsmäßiger Ausbildung bezeichnen. Walther muß freilich von ritterlicher Geburt gewesen sein, da er in seiner Lyrik um 1190 als Minnesänger beginnt, und zwar wahrscheinlich in der Wiener Hofweit. Ein Mann des „Schildes" ist er nie geworden; den Flurnamen „von der Vogelweide", der von seiner armen Herkunft ausgeht, hat er zu einem persönlichen Ehrennamen gemacht. Seine letzten datierbaren Verse sind mit dem Kreuzzug 1227/28 verbunden; um das Jahr 1230 wird er gestorben sein. Nicht nur für sein Dichten, sondern auch für die Entwicklung der deutschsprachigen Lyrik hat das Jahr 1198, das im „Reich" zu verhängnisvoller Doppelwahl und in Österreich zum Herzogswechsel führt, besondere Bedeutung. Indem er sich von Wien trennt und zunächst dem Hofe Philipps von Schwaben zuwendet, wird er zu einem „Fahrenden", der wie ein gesellschaftlicher Außenseiter lebt und doch rittermäßige Behandlung verlangt. Dies zwielichtige Dasein hält den Leidenschaftlichen in dauernder Spannung. Seine Reizbarkeit mildert, als Friedrich II. an ihn im Jahre 1220 ein „Lehen" (regelmäßige Einkünfte aus einer Liegenschaft) ausgeben läßt. Mit dieser Art Belehnung wird die gute Überlieferung zusammenhängen, daß er in Würzburg (im alten „Herzogtum" Franken) gestorben und bestattet sei. Mit dem Jahre 1198 hebt Walther das „Spruchlied", das uns in einer elementaren Form beim „Anonymus" Spervogel begegnete, so hoch in die literarische Kunst hinein, daß nunmehr die Lyrik des 13. Jahrhunderts in zwei Hauptsträngen läuft: im Strang des „Minnesangs" und im Strang strophischer Spruchdichtung. An-
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greifend, abwehrend und mahnend sagen Walthers „Spruchlieder" als Zeit- und Gedankengedichte im musikalisch gegliederten Sprechgesang Weltsicht und Lebensauffassung aus. Neben Strophen heimischer Sprache werden ihn provenzalische und mittellateinische Strophen angeregt haben; doch steht seine Spruchwelt durch Weite und Tiefe für sich. Die in sich geschlossenen Spruchstrophen ordnen sich durch ihre Melodien zu zeitlich gebundenen Gruppen zusammen. Obwohl Walthers Minnesang früher einsetzt, wenden wir uns zunächst seiner Spruchdichtung zu, weil sich in ihr mit Unterbrechungen das unruhige Hin und Her seines Lebensganges spiegelt. Die Zeit, in die Walther seine Vorstellungen hineindenkt, kennzeichnen der Niedergang der staufischen Reichspolitik, das Übergewicht der kurialen Politik und endlich, durch die unsicheren Verhältnisse bedingt, die Verstärkung der Fürstenpolitik. Mit all dem verbindet sich fast notwendig, daß das Rittertum an gesellschaftsbindender Macht einbüßt. Walther fordert statt einer zerklüfteten Welt eine heile Welt, die er als dauernd gültig darzustellen sucht. Diese seine Welt, die utopischen Charakter annimmt, setzt viererlei voraus: eine auf Gott bezogene volle Souveränität des KönigKaisers; eine Kirche, die im armen „Klausner" ihren vorbildlichen Mahner hat; ein im Lehensrecht begründetes Treueverhältnis KönigFürst und eine Erhöhung vorbildlichen Ritterstils in eine überständische Verpflichtung für jedermann. Es ist noch nicht genügend erhellt, wie sich die Waltherwelt aus dem Reichsdenken der Barbarossazeit, aus kirchlichem Reformdenken des 12. Jahrhunderts und aus ethischen Forderungen zusammenbildet, die nicht zum wenigsten von der Dichtung her für ritterschaftliches Leben entwickelt worden sind. Ihn selbst hat seine Sicht in ein Leben geführt, das von Tragik angerührt ist. Hellsichtig lehnt er sich nach dem Tode Heinrichs V I . aus dem Erlebnis seiner Jugend gegen eine frühzeitig erspürte Zeitenwende auf, während er als „Gehrender" (als einer, der nach einer Sicherung seines äußeren Daseins sucht) vom
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jungen Schwaben Philipp zum norddeutschen Weifen Otto IV. und zum staufischen Normannen Friedrich I I . wechselt, zugleich von Fürstenhof zu Fürstenhof zieht und auch nach später Sicherung seines äußeren Daseins nicht zur Ruhe kommt — selbst in seinen Unbeherrschtheiten achtenswert, weil er durch ein gesteigertes Bc wußtsein stärker als andere die Not der Zeit durchlitten hat. Als Dichter lebt sich Walther am stärksten in seinem „Minnesang" aus. Gottfried von Straßburg hat ihn denn auch vor allem als einen Komponisten gepriesen, der seinen Sang abzuwandeln weiß. Zur Bewußtheit seines Schaffens gehört, daß er sich durch eine Art Entwicklung von den Zeitgenossen abhebt — Beweis, daß für ihn die frühe Hochform des Minnesangs nicht so wie für den „älteren" Reinmar oder für Heinrich von Morungen der nahezu selbstverständliche Ausdruck seiner lyrischen Sprache ist. Er schafft Lieder, die einen Anfangenden zeigen; er schafft Lieder einer reifen Kunst, die nur ihm eigen ist, und er schafft Lieder, die einen Anflug von Altersstil haben. Zudem wird auch für seine Liedkunst das Jahr 1198 bedeutungsvoll gewesen sein, weil es seinen Blick im Wanderleben befreit. Nur Weniges kann herausgehoben werden. Das „Preislied" auf die deutschen Frauen vom Jahre 1203 ist wohl zugleich Abwehr des Länderkundigen gegen fremde Vorstellungen. Eine kecke Zeichnung der Geliebten, die nackt aus dem Bade tritt, stellt Vagantensicht in „hohen Sang". In Spannung zum allzu engen Belichten „hoher Minne" und zum leichten Liebeswerben des Scholarentums ersingt er sich nach der Jahrhundertwende (etwa um 1210) durch wenige Lieder ein neues Verhältnis zum Weiblichen, — bereit ins Überständische hinaufzusteigen, indem er offen ein ständisch unbestimmtes Mädchentum in seine Lyrik aufnimmt. Grenzfall solcher Lyrik ist das Freiluftlied Under der linden / an der beide / da unser zweier bette was. Bis in den Gehalt an Altheimisches anknüpfend, stellt es erfüllte Liebesnacht in die Erinnerung eines weiblichen „Ich", das den Mann als „Friedel" (als frei
Minnesang und Spruchlied
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gewählten Geliebten) anspricht: auf schmalem Grad Ausdruck einer von Neigung getragenen Minne, die die ethisch-ästhetischen Forderungen „hoher Minne" festhält. Die Gipfel seiner Kunst erreicht Walther, wenn bei Einklang von Rhythmus und Sprache die Strophen eines in sich gebundenen Zusammenhangs humorvoll in epigrammatischer Spitze enden. Dem letzten Walther (aus der Zeit um 1230) löst sich die Seele vom Vergänglichen leibhaften Daseins. Aber zurückblickend löscht er auch dann nicht die froh machende Kraft seines „Minnesangs" aus. Ist verwunderlich, daß ein Dichter, der die Kunstlyrik erweitert, auch als Dichter „geistlicher Liedkunst" hervortritt? In die Musterleistung eines doppelteiligen „Leichs" baut er eine Christenlehre ein, die über das Wunschgebet, daß Christentum und Christenheit zusammenstimmen, mit einem Marienpreis schließt. Wegen dieser Bezeugung von Marienkultus sollte man erwägen, daß der „Leich" erst in Walthers Spätzeit entsteht. In eigener Weise ist Walther durch den Kreuzzug 1227/28 lyrisch bewegt worden. In der „Elegie" Owe war sint verswunden / alliu miniu jär, deren weite Strophen in locker gefügten Langversen verfaßt sind, klagt er aus dem Rückblick auf Jugendjahre in eine veränderte Welt, indem er die Ritter, wie wenn noch alte Ritterzeit möglich wäre, zur Kreuzfahrt aufruft. Ein „Kreuzlied" verwandelt in einer Erregung, die dem Durchschnitt seiner Zeitgenossen fremd geworden ist, das Drängen „unterliterarischer" Pilgerlieder in die Kunst hoher Sprache. Das „Palästinalied", das einzige Lied Walthers, das uns mit einer Melodie überliefert wird (!), verteidigt den christlichen Anspruch auf das „reine" Land; es legt nahe, daß Walther selbst noch 1228 ausgefahren ist. Ein „geistliches" Lied mag man auch nennen, wenn Walther unter Nennung seines Namens in einem von Humor überglänzten Dialoggedicht der einst auch von ihm umworbenen „Frau Welt" mit dem „Ich will zur Herberge fahren" ohne Bitterkeit absagt. 12
N e u m a n n , Literatur
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Dichtung der Stauferzeit
Walther ist ein reizbarer Künstler, der bis in den „Minnesang" Leidenschaft mit Denken verbindet. D a ß uns als Versgefüge rund neunzig Töne überliefert sind, bezeichnet seine musikalische Baufreude. Docii widerstrebt seinem „magistralen" Wesen, das zum Abstandnehmen neigt, jene lyrische Sicherheit, in der seine älteren Zeitgenossen ihre hochritterliche Spielwelt pflegten. Auch hat seine helle Natur weder die Sinnlichkeit noch den Tiefgang Wolframs, mit dem ihn die Kraft des Selbstbewußtseins verbindet. Aber auf eigenem Wege überschreitet er das Engständische der Ritterwelt, der er nur bedingt angehört. Und um so drängender wird ihm, die ethisch-ästhetischen Forderungen einer hochritterlichen
Idealwelt
aus lyrisch bewegter Sicht in eine sich schnell wandelnde Zeit hineinzustellen. Dieser Wandel kündigt sich bereits in der Liedkunst des Ritters N e i d h a r t an. Solange er in der bayrischen Heimat lebt, nennt er sich in Liedern (wohl nach einer Flurbezeichnung) „der von Reuental" (will etwa sagen: „Kummertal"). Nach einer „Willehalm"-Aussage Wolframs ist er schon um 1215 ein durch Eigenart auffallender Sänger gewesen. Als Ritter von Beruf nimmt er an einer Kreuzfahrt teil, wahrscheinlich unter Herzog Leopold V I . von Österreich und König Andreas I I . von Ungarn in den Jahren 1217/18. Wohl bald nach 1230 verliert er sein bayrisches Lehen. Er geht nach Österreich zum letzten Babenberger, zum Herzog Friedrich I I . (1230—1246) und wird westlich Wien ansässig. Die Friedlosigkeit des spätstaufischen Österreichs spiegelt sich in seinen Versen. So gut wie gewiß stirbt er vor dem Jahre 1246, dem Ende der Babenbergerzeit. Er ist nicht nur (darin Walther gleich) ein ungewöhnlich produktiver Komponist und Sänger, sondern auch ein kühner Neuerer, der die Welt des hochritterlichen „Minnesangs" verändert. Seine Lieder erklingen mit bezeichnenden Unterschieden als „Sommerlieder" (und zwar meist als „Mailieder") und als „Winterlieder".
Minnesang und Spruchlied
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Die „Sommerlieder" sind fast stets in Strophen aufgebaut, die sich aus zwei rhythmischen Perioden zusammensetzen: reizvolle Gebilde „reigenmäßig"-tänzerischer Gangart. In einem lyrischen Freiluftrahmen fangen sie bewegte Sittenbilder ein: Dorfmädchen drängen aus elementarer Triebminne zu „dem von Reuental", ohne daß sie ins Niedrige gezogen werden. Weil aber so das Sinnliche durch die entsinnlichende Kraft der Kunst erhöht ist, verlangt diese Art von Minnesang, daß der Sang von „hoher Minne" dauernd als Hintergrund miterlebt wird. Zu diesen „Sommerliedern" stellen sich übrigens drei „Kreuzlieder" in der Form von „Botenliedern". Sie besingen die Nöte des Pilgerheeres, das Heimweh nach dem Dorf, die baldige hochgestimmte Heimkehr nach Landshut. Jene ritterliche Traumwelt, zu der die Spannung zwischen Kreuzzugswillen und Minnedienst gehört, hat keine Gewalt mehr über den Landritter Neidhart. Die „Winterlieder" haben den in Auf- und Abgesang gegliederten Bau der „Kanzone". Bei starker Neigung zu musikalischer Variation sind sie einem Stampf-Rhythmus nahe. Der Typus, am reinsten in frühen Liedern ausgeprägt, vereint gegensätzlich das Winterbild mit bäuerlichen Sittenbildern, die sich beim Tanz in der Stube entfalten. Zugreifende Bauernburschen treten als Nebenbuhler des Ritters auf. Aus Rittersicht wird der Bauernwelt rohes Verhalten zugeteilt und zugleich im Abwerten genossen. Benennungen der Teilnehmer geben dem Zuständlichen einen novellistischen Anflug. In der Spätzeit werden bis zu untergründigem H a ß die Worte härter, die sich gegen die Nebenbuhler richten; Minnesang und Kampfgesang können in sprunghaftem Übergang nebeneinander stehen. Schließlich sagt auch Neidhart wie Walther, wenn auch in anderer Weise, im Rückblick auf eine idealisierte frohgemute Vergangenheit der vrouwe (der „Fürstin") „Welt" ab. Neidhart hat Erfolg gehabt, Melodien haben sich erhalten, Unechtes hat sich an seine Dichtung angesetzt. Nur schwer lassen sich 12»
180
Dichtung der Stauferzei:
die Anregungen aufdecken, die er jenseits des Minnesangs aufnahm. Man spürt den Einfluß volkstümlicher Tanzweisen und elementarerotischer Gesellschaftslieder. Romanische Tanzlieder und „Pastourellen" muß er gekannt haben. Die Natureingänge, das Aufgreifen von Triebminne, das Verbinden lyrischen Erlebens mit bewegten Sittenbildern, das lyrische Ausnützen von Standessatire sprechen dafür, daß er mit Vagantenlyrik und überhaupt mit dem Dichten von „Fahrenden" vertraut war. Im ganzen aber ist seine Kunst die originelle Leistung eines ungewöhnlichen Talentes. Anders als in Walthers Lyrik, der den jüngeren Sänger als Gegenmacht empfunden hat, spürt man in ihr die Erschütterung der Lebensverhältnisse, über denen sich die hochritterliche Dichtung erhebt. Der einst für Neidharts Kunst von Karl Lachmann gewählte Ausdruck „höfische Dorfpoesie" führt in die Irre, nicht nur weil sich Neidhart an Ritterkreise wendet und die Welt der „Dörper", die er als eine Welt von Emporkömmlingen
zeichnet, eine ständisch bedingte
Kunstschöpfung ist. Die Neidhart-Lyrik ist eine zu verwickelte Erscheinung, als daß ihr Eigenes in einem verhältnismäßig einfachen Stilbegriff erfaßt werden könnte. Der Lyriker Neidhart bewegt sich bewußt nicht mehr auf den Höhen einer ritterlichen Traumwelt. Heimatlicher Enge verbunden, rückt er den Ritter in ländliche Umgebung. Er hält zwar die hochritterlichen Wertungen fest, nimmt aber zugleich derbes Sinnenleben in die Lyrik auf; ritterliche Hochstimmung verwandelt sich in eine unverbindlichere Fröhlichkeit. Indem sich durch Parodie und Satire in die Klänge „hoher Minne" Klänge einer handfesten „niederen Minne" mischen, entstehen Aussagen von Liebessprache, in denen Ernst und Ironie oft nicht leicht zu scheiden sind. Zu diesem Zwiespältigen gehört, daß im Musikalisch-Rhythmischen das Abwechslungsreiche und Überraschende als zusätzlicher Reiz gesucht wird. Nimmt man alles zusammen, so wirkt Neidharts Schaffen wie Vorgriff auf eine kommende Zeit. Mit Vorsicht mag man ansetzen, daß hier gegenüber der Gefahr
181
Minnesang und Spruchlied
eines übersteigerten „Ideenrealismus" ein „nominalistischer (Benennungen zugewandter) Naturalismus" literarisch zu werden beginnt, den man nicht mit neuzeitlichem „Naturalismus" verwechseln darf. Dies hilft erklären, daß Neidhart als bedeutender Name durch Jahrhunderte weitergelebt hat, ja zur spätmittelalterlichen Figur des Bauernfeindes geworden ist. Etwa im frühen 15. Jahrhundert erscheint er als Sagengestalt im „ N e i d h a r t F u c h s", in einem rohen Machwerk gereimter Schwänke, das noch vor dem Jahre 1500 (wohl in Augsburg) gedruckt wird. Schon das für uns faßbare älteste Fastnachtsspiel „ N e i d h a r t m i t d e m V e i l c h e n", um 1350 niedergeschrieben und im Kärntnischen Kloster St. Paul gefunden, benutzt einen derben Neidhartschwank. Diese niedere Art von Neidharts Weiterleben zeigt, daß man sein Dichterwort ins DerbBurleske, ja Zotige heruntergezogen und umgedeutet hat.
e) S p ä t s t a u f i s c h e
Lyrik
Das Nebeneinander von Walther und Neidhart läßt erahnen, daß sich die Lyriker, die als Zeitgenossen eines Rudolf von Ems (etwa zwischen 1220 und 1250) dichten, aus einer vielstrahligeren Tradition schaffen als etwa der „ältere" Reinmar und als Heinrich von Morungen. Um schon am Eingang auf Gemeinsames vorzubereiten: Immer wieder überrascht ein artistisches Können, das in neue Klänge strebt. So sehr man am Idealtypischen festhält, in diese stilisierte Welt bricht aus einem Sehnen, das dem Besonderen zugewandt ist, eine sinnlichere Fülle ein. Bei Formenfülle werden Darstellungsstile in einer schillernden Sprache gemischt. Zugleich verliert das lyrische Erleben bei gelockerten Bindungen an Schwere und Tiefgang. Es muß genügen, nur solche Sänger heranzuholen, die in besonderer Weise die lyrischen Möglichkeiten ihrer unruhigen Zeit vergegenwärtigen. An den Anfang sei B u r c k h a r d
von
Hohenfels
ge-
Dichtung der Stauferzeit
182
stellt, staufischer Ministeriale v o m westlichen Bodensee, bezeugt zwischen 1212 und 1242; schon deshalb des Heraushebens würdig, weil er im Zuge des Neuen Musterhaftes bringt. Seine Sprache ist durchsüßter als die Sprache der Früheren. N e u e Bilder werden erstrebt, der Denk- und Sinnenraum hat sich erweitert. In Versgebäuden läßt lyrischer Spieltrieb Kunstgewerblich-Durchbrochenes zu. D i e Minne nähert sich der freien Bewegung harmlos-froher Zuneigung. Aus dem H e r z o g t u m Schwaben kommt auch der Freiherr Gottfried
von
Neifen
(Hohenneufen); an der schwäbi-
schen A l b zuhause, bezeugt von 1234 bis 1255, 1235 eng mit dem unglücklichen K ö n i g Heinrich V I I . verbunden. In seinen Liedern erhält die Minne als gesellige Erscheinung rokokohafte Leichtigkeit. Denn in den Abläufen dieser bewußten Kunst muß der erotische Tänzer sorgsam auf die Tanzbewegung als solche achten. So ist diese Dichtung auch d a künstlich, w o sie einfach ist. Ein Virtuose des lyrischen Ornamentes, nutzt er alle Mittel deutscher und romanischer Liedkunst. Durch sein formbegabtes Schaffen begünstigt er das leicht singbare Lied, das zu volksläufigem S a n g anregen kann. Durch Geburt ist auch noch der Reichsministeriale U l r i c h Winterstetten
von
ein staufisch-herzoglicher Schwabe: seit 1241
bezeugt, seit 1258 Augsburger Kanonikus, 1280 zum letztenmal in einer U r k u n d e genannt. Seine Lebensdaten lassen erkennen, daß seine Kunst, eine Brücke schlagend, über die staufische Zeit hinausreicht. In farbigen Klängen singt er mit allen Mitteln zeitgenösssicher Minnesprache. Herausgehoben sei, daß er das „ T a g e l i e d " in Aussagen gedämpfter Sinnlichkeit pflegt. D a s Melodiöse seines geselligen Minnesangs können Kehrreime unterstützen. Seine musikalische Begabung drückt sich in fünf erhaltenen „Minneleichen" aus. In ihnen erzwingen die rhythmischen Kleinglieder fast von selbst, daß sich Minneleben und Minnetreiben in spielende, j a spielerische Bewegung verwandelt. Ein Könner stellt als Gegenwurf seine im ganzen frohe K u n s t in krisenhafte Jahrzehnte hinein.
Minnesang und Spruchlied
183
Nicht nur zeitlich, auch künstlerisch scheint ein Schritt rückwärts zu sein, wenn wir bei dem uns schon bekannten U l r i c h v o n L i c h t e n s t e i n einkehren, der sich als steirischer Ministeriale mit Erfolg bemüht, ein mächtiger „Landherr" zu werden. Wenn wir seinem „Frauendienst" trauen, sind seine Lieder, von Nachzüglern abgesehen, zwischen den Jahren 1222/23 und 1246/47 entstanden. Aber so sehr sie „hohen" Minnedienst besingen, sie haben unter verschiedenen Einflüssen einen Stil der spätstaufischen Zeit. Dem Erleben fehlt alles Steile, die lyrischen Spannungen sind verringert. Eine gewandte, helle Sprache, zunehmend der Minnedidaktik zugetan, spielt sich durch gefällige „Weisen" hindurch. Mit Liebhaberhand hingesetzt eine Kunst zweiten Ranges und doch gelegentlich originell, zudem bis in die Sprache hinein wirklich eine Ritterkunst! Auffallender ist das, was uns von dem den letzten Staufern zugetanenen T a n n h ä u s e r überliefert wird. Wie kein anderer Sänger bekundet er einen lyrischen Schwebezustand, den die Senkung einer ständisch gebundenen Höhenwelt bedingt. Vielleicht entstammte er gleich Neidhart einer bayrisch-oberpfälzischen Ritterfamilie. Wie dieser (oder gar durch ihn?) steht er vor 1246 dem H o f e des letzten Babenbergers nahe, dessen Tod ihn zu einem heimlosen Wanderer machte. Schwerlich darf man die literarisch beeinflußte Darstellung eines Sturmerlebnisses, das er auf einer Fahrt im östlichen Mittelmeer hat, schon auf den Stauferkreuzzug 1227/28 beziehen. Aber wenn auch dies Erlebnis später gelegen hat, über das J a h r 1266/67 f ü h r t keine Anspielung hinaus. Am bezeichnendsten sind f ü r das Schaffen dieses Literaturkenners sechs weltliche „Leiche". Sie enden mit einer Ausnahme in übermütigen Reihentänzen, die ihn selbst unter „Mädchen" stellen und darin an Neidhartszenen erinnern. Drei „Leiche" sind „Fürsten" zugewandt, dabei zum Teil vollgesteckt mit namenfreudigen Kenntnissen. Drei sind „Minneleiche", die die geliebte „Frau" preisen. D o r t entfaltet er seine
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Dichtung der Stauferzeit
lyrische Redekunst am eigensten in Freiluftszenen, die mit leichter Ironie Minnelyrik in „galante" Lyrik und damit in unbekümmertes Gesellschaftsspiel, ja in gewagtes Minnespiel verwandeln. Unbestimmt bleibt, ob ihm die geminnte vrouwe (die „Herrin" seines Minnesangs) mit den Mädchen der Freiluftreihen auf gleicher Ebene steht. U n d unbestimmt auch, wie weit im weitgehendsten dieser „Minneleiche" (Der winter ist zergangen) Walthers Linder der linden parodiert wird. Zur Stilmischung dieses „Leiches" gehört übrigens das Einmischen modisch französischer Worte, die eine höfisch-literarische Gesellschaftssprache zu bespötteln scheinen. Aus Stilmischung erklärt sich wohl auch des Tannhäusers Neigung zur F o r m des „Leiches"; in ihr kann er ungebundener als im strophischen Liede Gegenständliches, so auch Szenenhaftes, in überraschender Folge aneinanderfügen. Der Tannhäuser ist kein Neutöner, der aus eigener Sprache dichtet, aber eine fesselnde Erscheinung: ein ritterlicher Vagant ohne festen H a l t , bevor er in ein unruhiges Dasein geworfen wird. Das 14. und 15. Jahrhundert hat ihm Bußlieder zugeschrieben, doch selbst das in der Überlieferung älteste wird unecht sein. Indem diese Lieder dem Leben eines Poeten, der unbehaust verschwindet, einen Abschluß zuteilen, leisten sie (beeinflussend oder beeinflußt) auf ihre Weise das gleiche wie das Balladenlied vom „Dannhauser", der ungetröstet in der „Frau Venus Berg" zurückkehrt. Die erste Fassung dieses Balladenliedes könnte schon im frühen 14. Jahrhundert dagewesen sein, obwohl unser frühster Text erst ein Druck vom Jahre 1515 ist. Zwei N a m e n aus spätstaufischer Zeit haben bis in die späten Meistersingertage Klang behalten. Der M a r n e r (der marinarius, „Schiffer") stellt sich, ohne ritterbürtig zu sein, auf die Bühne der hohen Literatur: ein Berufskünstler mittleren Talents, der auch lateinische Verse machte und wandernd nicht nur mit eigener Produktion, sondern auch als Vortragender auftrat. Sein Können haftet
Minnesang und Spruchlied
185
an handwerklicher Kunstauffassung, die übrigens nie mittelalterlicher Lyrik fremd gewesen ist. Wahrscheinlich stammte der „beschlagene" Mann aus Schwaben, den alten Walther scheint er (etwa gegen 1230) noch gekannt zu haben. Im Jahre 1267 hat er in einem Preislied, f ü r das er seinen hochgotischen „langen Ton" wählt, auf den jungen Konradin (gest. 1268) gehofft. Nicht viel später ist der greise, blinde Sänger erschlagen worden. Durch seine „Spruchlieder", die Hauptgattung seines Schaffens, verdichtet er Gedankenhaftes jeder Art in gereimte Rede. Die religiösen Sprüche werden warm, wo sie sich dem Marienkult öffnen. Ein Merkwürdiges: Dieser „Fahrende" wagt auch Minnedichtung, die er damit als bildende Macht aus dem hochritterlichen Bereich in den überständischen Bereich einer Künstlerzunft hinüberzieht. Einseitig pflegt, wenn wir von einem religiösen „Leich" absehen, den strophischen „Liedspruch" der bedeutendere R e i n m a r v o n Z w e t e r , der am Mittelrhein geboren und in Österreich aufgewachsen ist. In den 30-er Jahren des 13. Jahrhunderts erscheint er in Prag, dadurch der erste deutschsprachige Dichter von Rang, der sich mit Böhmen verbindet. Besonnener Moralist hat er an kirchlicher und weltlicher Macht viel auszusetzen, die er nebeneinander in einem Gleichgewichtszustand sehen will. In den 40-er Jahren des Jahrhunderts lehnt er den einst gelobten Stauf er Friedrich II. ab; um 1245 hält er sich sogar bei einem Staufergegner, dem Mainzer Erzbischof Siegfried II. von Eppstein, auf. Schlecht scheint es ihm nicht gegangen zu sein, vielleicht weil er ritterlicher Herkunft war. Ein unlyrischer, tönearmer Sprecher, also wohl trotz des „Leichs" eine unmusikalische N a t u r . Vorherrscht der „Frauen-Ehren-Ton": ein weites, in Auf- und Abgesang gegliedertes Versgebäude, dessen Langverse durch reimlose Cäsuren geteilt werden, sodaß die Melodienwand (spätmittelalterlichem Geschmack vorarbeitend) durchbrochen ist. Die Sprüche breiten mit nüchternem Ernst eine weitgespannte Welt aus. Auch hier öffnen sich religiöse Sprüche der
186
Dichtung der Stauferzeit
Marientheologie. U n d auch hier löst sich das hochritterliche Frauenideal als ein gültiges Ideal vom Ständischen ab. Der Bereich der ethischen Werte stellt sich in der allegorischen Gestalt der „ F r a u E h r e " dar, wieder ein Zug, der dem späten Mittelalter vorgreift. Reinmar baut seine gereimten Versreden klug und treffsicher a u f : ein „Fahrender" frei von Bettelsinn und Streitsucht, doch von Walther von der Vogelweide, der ihm die Gattung des Liedspruches vordichtete, weitabstehend durch Mangel an schöpferischer Leidenschaft. Seine Fähigkeit, ernste zweckgebundene Rede gutgegliederten Versgefügen wirkungsvoll einzuprägen, hat ihn berühmt gemacht. Uns gestattet er, ohne U m w e g zu jener „Lehrdichtung" der Stauferzeit hinüberzugehen, die vom Liedschaffen getrennt ist.
5. D i e
Lehrdichtung
der
Stauferzeit
Gereimte Verswerke deutscher Sprache erfüllen den Gattungsbegriff D i d a k t i s c h e L i t e r a t u r , wenn in ihnen Gedankenhaftes, das sich auf Weltbetrachtung und gesellschaftliches Dasein bezieht, als bildende Lehre auf das Pergament kommt. Die Frage, wie weit solche Literatur Dichtung sei, dürfte sich für das hohe und späte Mittelalter leichter als für neuere Zeiten beantworten lassen. Zweierlei ist zu bedenken: Theologie und die mit ihr verbundene Philosophie sind damals eine akademisch-gelehrte Angelegenheit lateinischer Sprache. Praktische Lebensweisheit aber, die auf den Feldern einer durch Tradition gelenkten Erfahrung wirksam wird, lebt als „Sprichwort" im „Unterliterarischen", sodaß das Bedürfnis wach werden muß, lehrhafte Aussagen heimischer Sprache auch in „literarischer" Prägung aufzunehmen und dadurch dauerhaft zu machen. Zu solchen Zeiten gehört daher, daß sogar Dichtung höchsten Ranges, die mit ihrer Sprache an einer sinnerfüllten Phantasiewelt baut, bis in die L y r i k hinein von ausgesprochen Lehrhaftem durchzogen sein kann. M a n sollte freilich nicht bestreiten, daß
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Die Lehrdichtung der Stauferzeit
„didaktische L i t e r a t u r " engeren Sinnes selbst in kunstvollen „Spruchliedern" nicht ohne Einschränkung Dichtung ist. Uber ihren Wert als Dichtung entscheidet, wie weit sie jenseits von Theologie und Philosophie, auch jenseits von „unterliterarischem"
Erfahrungs-
wissen durch die K r a f t der S p r a c h e eine bildende Welt ins Bewußtsein der A u f n e h m e n d e n zu erheben vermag. Doch was bieten uns die staufischen J a h r z e h n t e an beachtenswerten Beispielen von „Lehrdichtung" an? Das erste Beispiel: T h o m a s i n de Circlaria),
von
Z i r c l ä r e (T omasinus
Italiener aus Friaul, D o m h e r r des Patriarchen von
Aquileja, ein H o f m a n n bester geistlicher Ausbildung, Lateinkenner u n d wohl von Jugend an mehrsprachig, schreibt noch nicht dreißigjährig 1215/16 in zehn Monaten den „ W e l s c h e n G a s t " : ein Lehrbuch in deutschen Versen f ü r Ritter, Edelfrauen u n d Kleriker. Er beginnt mit einer Anstandslehre, aus der wir erfahren, d a ß die romanhaften E r z ä h l w e r k e dieser Zeit als weltliche „Legenden" gelesen sein wollen, durch die junge Edelleute beiderlei Geschlechts auf Vorbilder hingewiesen werden. Dieser ersten Lehre folgt in neun Abhandlungen eine kirchlich-religiös gestützte Standesethik, deren Tugend- u n d Lasterlehre ins Allgemeingültige hineinreicht. Wohl nicht zufällig hat die „Stetigkeit", die Tugend des Aristokraten, der sich im Z a u m hält, die erste Stelle. So wirft er Walther vor, ungerecht v e r w i r r t zu haben, als er die K u r i e maßlos angriff. Was er aber auch mit Einschluß einer Wissenschaftslehre in der armen Sprache eines Ausländers vorträgt, sein Werk ist ein Werk „gelehrter" Redekunst. T r o t z d e m kann m a n es nicht übergehen. Mit einer damals ungewöhnlichen Bewußtheit geschrieben, hat es bis in das Ende des 15. J a h r h u n d e r t s stark gewirkt; möglich, d a ß er selbst schon Illustrationen anregte, die seit dem 13. J a h r h u n d e r t zur Überlieferung gehören. Durch
das Thema
verwandt
ist „ D e r
Winsbeke":
ein
Spruchgedicht in vierteiligen Sprechstrophen, die wohl ein elemen-
188
Dichtung der Stauferzeit
tares Versgefüge vorritterlicher Kleinlyrik erweitern. Ein wiser („erfahrener") Mann wendet sich in einer vornehmen Ritterlehre an seinen Sohn. Da erklingen die Mahnungen: Minne Gott; sei deinem Weibe treu; habe Erbarmen; minne und ehre „gute" Frauen; beachte, daß hohe Geburt ohne Tugend wertlos ist; stelle das Gut hinter Gott und „weltliche Ehre"; sei schon in der Jugend kein Tor; bedenke, daß „Hausehre" Gottes Lohn und den „Habedank" der Welt bringt. Der engere Bereich der Ritterethik ist überschritten. Wolframs „Parzival" liegt voraus, doch hat die Sprache nicht Wolframs Klang. Der „Winsbeke" (der Mann aus Windsbach südöstlich Ansbach) wird erst um 1230/40 geschrieben haben. Dazu am Rande: „D i e W i n s b e k i n " (auch das Werk eines Mannes) legt in der gleichen Strophenform, aber in unsicherer Sprache eine Lehre vor, die sich als Dialog zwischen einem „weiblichen Weib" und ihrer Tochter bewegt und in Minneregeln endet. Das Spruchgedicht, in seiner Gedankenfolge nicht streng geordnet, mag erst um die Mitte des 13. Jahrhunderts verfaßt sein. Im Jahre 1233 starb im schwäbischen Zisterzienserstift Kaisheim (nördlich Donauwörth) Fridancus magister. In der deutschen Oberlieferung heißt er nicht nur Fridank (F r e i d a n k), sondern wohl mit seinem Willen auch Frigedank, womit er nicht als „Freidenkender" bezeichnet wird, sondern als einer, der seine Gedanken frei wandern läßt. Seine literarische Leistung: Er hebt den kurzen Spruch, der sich wie ein „Sprichwort" als Erfahrungssatz gibt, auf die Ebene der Kunst, wahrscheinlich vor allem von lateinischen Sprüchen (mit Einschluß der biblisdien Sprüche) beeinflußt. Die einfachste Form seiner Sprüche ist der gereimte Doppelvers aus je vier Sprechtakten, doch können auch mehrere Reimpaare zusammentreten, um ein knapp gefaßtes Gedankengefüge aufzubauen. In einem Eingangsspruch tragen seine Sammlungen den Titel „Bescheidenheit", von der es heißt, sie sei die Krone aller „Tugenden". Dies Wort meint hier die Fähigkeit, Gutes und Böses durch prüfendes
Die Lehrdichtung der Stauferzeit
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Denken zu „scheiden", kurz: die auf das Moralische bezogene „praktische Vernunft". Rudolf von Ems hat in seinem „Alexander" dem sinnerichen (sinnreichen) Freidank einen ungewöhnlichen Nachruf gewidmet: Erweis, daß beide in der gleichen herzoglich-schwäbischen (daher auch staufischen) Welt lebten. Freidank war bei klerikaler Vorbildung ein vagus (ein „Fahrender"), der zwischen den Ständen stand, am ehsten wohl ein Schriftkundiger im Herrendienst. So erklärt sich, daß er am Kreuzzug 1227/28 teilnahm. Die dort entstandenen Akkon-Sprüche beurteilen wirklichkeitsnahe das Unternehmen des Staufers aus religiöser, politischer und gesellschaftlicher Sicht. Nicht nur hier spricht er von einem überständischen Standort aus. Doch erkennt er als Grundstände nur die Kleriker, Ritter und Bauern an; Städtisches hält er sich fern. Allen positiven Werten zugewandt, bringt er Theologisches und Ethisches, Mittelalterlich-Gelehrtes und Zeitkritisches in seine Verse. Als beseligt gilt ihm, wer „Gott und die Welt" zugleich halten kann. Augustinisch strebt er, Gotteserkenntnis und Selbsterkenntnis zu vereinen. Nicht jeder Spruch ist ihm geglückt, aber es gibt klassische Prägungen. Sein Name wurde dem späten Mittelalter ein Begriff. Im Jahre 1508 brachte S e b a s t i a n B r a n t
eine Sammlung der
Sprüche in einem Straßburger Druck heraus, der noch 1583 in Magdeburg nachgedruckt wurde. Eine lebendige Wirkung von mehr als dreihundert Jahren, das genügt!
VI. Z W I S C H E N H O H E M U N D SPÄTEM M I T T E L A L T E R (1250—1350) Mehrfach haben wir die Mitte des 13. Jahrhunderts überschritten, ohne zu spüren, daß wir uns stärker als zuvor in eine neue Zeit hineinbewegen. Die Jahre, die man vom Tode Kaiser Friedrichs II. bis zur Königswahl Rudolfs von Habsburg (vom Dezember 1250 bis zum Oktober 1273) „Interregnum" zu nennen pflegt, erzeugen ohnedies keine Gedanken, die die geistige Atmosphäre Deutschlands verändern müssen. Anders könnte es am Schluß des Jahrhunderts werden. Zwar lohnt es nicht, von der Literatur her an den Aufstieg der Städte zu erinnern, soweit sich in ihnen die Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse bekundet. Gerade im literarischen Leben Süddeutschlands sind sie trotz ihres Patriziats, das oft ritterschaftliche Bindungen hat, keine Macht von Gewicht. Wir haben uns zudem gegenwärtig zu halten, daß der hochritterliche Lebensstil, der mit Vorzug in der Dichtung entwickelt worden ist, bei mancherlei Wandlung der einzige vollgültige Versuch des Abendlandes bleibt, eine ästhetische (Geist und Leben verbindende) Spielwelt der Bildung über den Alltag hinaus zu heben. Aber Entscheidendes bereitet sich in der Tatsache vor, daß der im Elsaß und Aargau ansässige Graf Rudolf (geb. 1218, gest. 1291) sein Königtum eindeutig den geistlichen und weltlichen Kurfürsten als den herausgehobenen Vertretern der Fürsten verdankt. Das staufische Herzogtum Schwaben fällt ihm nicht zu, aber als Landfremder gewinnt er 1276 Österreich und die Steiermark, und 1282 sichert er diesen deutschen Südosten seiner Familie. Von N a t u r haushaltend,
Episches in mancherlei Gestalt
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leitet er eine kleinzügigere Zeit ein, in der das Gesamtleben immer offener von der berechnenden Macht der Landesfürsten gelenkt wird, ohne daß so wie früher der „römische König" allein aus seiner geistigen Autorität wirken kann. Immerhin dauert es mehr als zwei Menschenalter, bis die Stellung des „römischen Königs" durch Reichsrecht neu bestimmt wird. Nicht nur bemühen sich Rudolf und seine Nachfolger darum, durch päpstliche Weihe die alte Kaiserwürde an sich zu ziehen, und nicht nur sind sie fast alle bis zu Friedrich dem Schönen (gest. 1330) und Ludwig dem Bayern (gest. 1347) wirklich noch Ritter (Männer des „Schildamtes"). Der Luxemburger Heinrich VII. (1308—1313) steigert sogar durch seinen Italienzug sein zeitbedingtes Königtum in die Ansprüche vergangener Reichspolitik hinein, von keinem geringeren als Dante Alighieri (1265—1321) begrüßt. Freilich zeigt auch sein Schicksal, daß die abendländische Weite des hohen Mittelalters in die Vergangenheit rückt, während sich das Dasein in Landesherrschaften verengt. Doch wie hat die Dichtung, die sich aus der spätstaufischen Zeit herausentwickeln muß, diese schwankenden Jahrzehnte ausgehalten und überwunden?
1. E p i s c h e s
in m a n c h e r l e i
Gestalt
In K o n r a d v o n W ü r z b u r g , einem Ostfranken von Geburt, der sich f r ü h mit Straßburg und Basel verbunden hat, begegnet uns ein Künstler des Wortes, der mit Meisterstolz das Bauen von Verswerken als Beruf hat. Seine Sprache kommt von H a r t mann von Aue und Gottfried von Straßburg her, ist aber weitgehend als aufgesetzter Schmuck vom Gegenständlichen ablösbar. Spielsprache eines Könners f ü r Kenner! Sie hat in einer Zeit unsicheren Stilgefühls mitbedingt, d a ß Konrads vielseitiges Schaffen keinen gleichmäßigen Erfolg gehabt hat. Doch scheint ihn seine Kunst in einem eneeren Lebenskreis eut ernährt 7.11 hahpn n h w n M
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Zwischen hohem und spätem Mittelalter
er in seiner ständischen Stellung ein vagus (ein „Fahrender") ist, stirbt er am 1. Juni 1287 in Basel als seßhafter Hausbesitzer, wohl unter dem Schutze des bischöflichen Hofes (der erste Dichter, dessen Todestag wir genau kennen). U m von seinem epischen Schaffen, das etwa um 1260 beginnt, einen zureichenden Eindruck zu vermitteln, empfiehlt sich, kurz bei jedem seiner Erzählwerke halt zu machen. Der Reiz seiner farbigen Sprache wirkt in drei frühen Kleinerzählungen am sichersten auf neuzeitliche Leser. Die allegorische Szene „ D e r
Welt
L o h n " , mahnt, die „Welt" um der Seele
willen aufzugeben: Dem Minneritter Wirnt von Grafenberg (uns durch den Wigalois-Roman bekannt) zeigt die strahlende „Welt" einen von Maden zerfressenen Rücken. Die novellistische Beispielerzählung „ D a s H e r z m ä r e " soll dagegen zu reiner Minne anleiten: Der Liebhaber einer Edelfrau stirbt auf einer Kreuzfahrt, der Ehemann läßt ihr das ihr zugesandte Herz des Toten zubereitet reichen; sie meidet nach dem Genuß jede Speise. Ein berühmter, ursprünglich provenzalischer Stoff von langer Wirkung. Dann das erste Werk, das einen Auftraggeber nennt: In schwankhafter Sage erzählt für einen Straßburger Domprobst die etwas jüngere novellistische „Historie" „O t t o
mit
dem
„Heinrich
von
Kempten"
(auch
B a r t e " genannt), wie sich Heinrich nach
einem Totschlag durch robusten Griff vom Kaiser das Leben sichern läßt, dann aber als Verbannter unbekleidet dem durch einen Überfall Bedrängten das Leben rettet. Drei ebenfalls früh erzählte „Legenden" machen so gut wie sicher, daß K o n r a d noch vor 1270 einen festen Sitz in Basel gefunden hat. Für einen Basler Domherrn reimt er die Legende vom Papst „ S i l v e s t e r " , für zwei Basler Bürger die Legende vom keuschen Leben und Ende des „ A l e x i u s " , für einen Basler Patrizier, der trotz seiner Herkunft die Zunftkreise führt, wohl erst um 1275 die Märtyrerlegende
„Pantaleon".
In der frühen Basler Zeit dürfte auch die umfängliche Doppel-
Episches in mancherlei Gestalt
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novelle „ E n g e l h a r d " entstanden sein. In ihr gestaltet Konrad aus dem ihm vertrauten Latein eine Freundschaftssage, die das Doppelgängermotiv benutzt, um Vorbilder „hoher Treue" anzubieten. Engelhard wird beim Zusammensein mit der Köngstochter Engeltrut vom Truchseß des Königs überrascht. Den Leugnenden rettet beim Gottesurteil des Zweikampfes, daß ihn sein gestaltgleicher Freund Dietrich vertritt. Die Gegenleistung folgt: Dietrich wird vom Aussatz befallen, nur Kinderblut kann ihm helfen. Engelhard opfert seine Kinder: aus Gottes Geist, der „wahren Minne Glut", nicht von seiner „ N a t u r " getrieben. Seine Entscheidung wird durch den Abschluß des Geschehens gerechtfertigt; denn durch ein Gotteswunder erhalten die Kinder ihr Leben zurück. Eine kasuistische Erzählung, die seit dem frühen Mittelalter (in der lateinischen Grundform an die Freundesnamen Amicus und Amelius geknüpft) abgewandelt durch die europäischen Literaturen hindurchläuft. Wie manche alte Novelle darf sie als Stück „objektiven Geistes" nur vom sinngebenden Motiv aus beurteilt werden. Und doch wäre sie in diesem künstlich-realistischen Ablauf zwei Menschenalter früher auf der Hochebene der deutschsprachigen Literatur kaum möglich. Durch die Vollendung einer überfeinerten Sprache wird sie zum Werk eines Künstlers, der das Überraschende, Erregende, auch Rührende sucht. Sie ist uns übrigens nur durch einen Frankfurter Druck vom Jahre 1573 (!) als eine „schöne Historie" überliefert. Konrad ist nicht bei kleineren Erzählgattungen geblieben, sondern als Ausgereifter zur Großerzählung übergegangen. Für einen mächtigen Mann des Basler Stadtadels deutscht er mit Hilfe eines Dolmetschers den verwirrend geschehnisreichen französischen Liebesroman „ P a r t o n o p i e r u n d M e l i u r " ein, der f ü r das Verhältnis der beiden Liebenden ein Feenmärchen nutzt, das motivisch dem antiken Märchen von „Amor und Psyche" verwandt ist. Das weite Werk, wohl 1277 abgeschlossen, führt uns in eine Opern13
Neumann, Literatur
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Zwischen hohem und spätem Mittelalter
weit, die vom erklärenden Verstand in Gang gehalten wird und mit der Technik des antiken Romans Schwierigkeiten auf Schwierigkeiten häuft, bis sich endlich die Liebenden für immer gehören. Recht ein Stoff f ü r eine geschmeidige Sprache, die sich allen szenischen Abläufen und allen Zuständlichkeiten mit einem an Wieland erinnernden Charme anzupassen weiß! Im „Prolog" spricht der Artist Konrad aus eigenstem Empfinden: Ein „Meister" der Kunst soll auch ohne Dank sprechen und singen, der Nachtigall gleich, die sich um des Gesanges willen zu Tode singt. So viel artistisches Selbstbewußtsein sich in diesen Worten verrät, sie beweisen zugleich, daß Konrad trotz der Aufträge aus innerem Zwang schafft, wissend, daß das von ihm Geschaffene in der Gefahr ist, in seinem Kunstwert nicht mehr mit vollem Verständnis aufgenommen zu werden. D a ß in diesem Roman kein Ganzes entsteht, das ein innerer Stil zusammenhält, liegt schwerlich nur daran, daß Konrad damals noch für französische Lektüre Unterstützung braucht. Es hat einen tieferen Grund. Sein Besonderes gibt Konrad nicht im bauenden Durchgliedern einer Geschichte, sondern im Versinnlichen anziehender Gestalten und erregender Vorgänge. Grade deshalb sind Gattungen kürzeren Erzählens, die überschaubare novellistische Zusammenhänge darbieten, seinem kunstgewerblichen Schaffen am angemessensten. Dies zeigt sich auch an einem unvollendeten Riesenwerk des Alternden, das später stümperhaft fortgesetzt ist: an seinem „ B u c h v o n T r o y e " . Für den dem Baseler Stadtadel entstammenden Domkantor bearbeitet er in „gut geblümter Rede" während seiner letzten Lebensjahre den französischen Roman de Troie des Benoit de St. More, den einst schon Herbort von Fritzlar eingedeutscht hatte. Nach seiner Auffassung arbeitet er hier an einem „Buche", das ein bodenloser, endloser Strom ist. Doch so ermüdend seine Verse dahinziehen, auch hier kann er, Künstler und poetischer Mensch zugleich, dem Zuständlichen Glanz, Fülle und Wärme geben. Auch darf man nicht sagen,
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die von ihm übernommenen Ideen der hochritterlichen Welt hätten ihn nicht mehr ergriffen. Wir sind mit Konrads Epik noch nicht fertig. Denn es müssen noch zwei schwer datierbare kürzere Werke genannt werden. Der ungünstig überlieferte „ S c h w a n r i t t e r " , der den namenlosen Retter einer Herzogin von Brabant wie einen Boten Gottes heranfahren läßt, erzählt mit „gelehrter" Freude an gesellschaftlichen Zuständen in reifer Sprache ein erbaulich-wunderliches Geschehen. Schon daß Französisches benutzt ist, macht fast sicher, daß die Dichtung frühestens um 1280 entsteht. Gewiß aber dürfte dem Lebensende Konrads die kleine Darstellung nahe sein, in der sich ausgesprochen
spätes Mittelalter
ansagt.
Im „ T u r n e i
von
N a n t h e i z" (Nantes) siegt ein König Ridiard von England, ein Vorbild spendender Großzügigkeit, über den König von Frankreich: Eine Festdichtung, die im Beschreiben von Wappen schwelgt und spätmittelalterliches Gepränge vorwegnimmt, uns nur fast zufällig durch eine Sammelhandschrift des Würzburger Protonotars Michael de Leone (gest. 1355) erhalten. Mit dem König von England spielt sie wohl auf Richard von Kornwall an, der von 1257 bis 1272 erwählter „römischer König" war. Vielleicht soll sie eine verrätselte Mahnung an den haushälterischen Rudolf von Habsburg sein. Aber auch ohne solchen Zweck kann sie als zeitbedingte Maskerade bestehen, seit mit der Thronbesteigung Philipps IV. des Schönen (1285—1314) der französische Druck auf den Westen des „Reiches" zunimmt. Konrad von Würzburg wird uns nochmals in seinem Minnesang, seiner didaktischen Dichtung und seinem Marienhymnus der „Goldenen Schmiede" kurz beschäftigen. Doch schon jetzt ist festlegbar, was seiner Kunst den Charakter gibt. Im Sprachstil Traditionsträger einer Jahrzehnte zurückliegenden großen Vergangenheit, ist er gleichwohl als Berufspoet, der in südwestdeutsche Bischofsstädte hineindichtet, Sprachkünstler zwischen den Zeiten: richtig verstanden der Dichter eines geistigen „Interregnums". 13*
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Zwischen hohem und spätem Mittelalter
Welch eine andere Welt, sobald man sich den dunklen Wortgefügen des „J ü n g e r e n T i t u r e 1" anvertraut, den man besser schlicht „ T i t u r e l " nennen sollte! Dem muß man sofort hinzufügen: Grade dies seltsame Werk hat vom späten 13. bis zum späten 15. Jahrhundert einen ungewöhnlichen literarischen Erfolg gehabt. Was liegt vor? Ein „magistraler" Ritterdichter Bayerns baut Wolframs „Titurel"-Bruchstücke zu einem gewaltigen Gralsepos von mehr als 6000 Strophen aus. Er dichtet, die Folgezeit irreführend, auf lange hin, wie wenn er Wolfram selbst wäre, offenbar von dem Gedanken erfüllt, daß er in Wolframs Sinne dessen Schaffen vollende. Doch gibt er sich mit dem Namen A l b r e c h t zu erkennen, nachdem er mehr als Vierfünftel seiner Strophen auf das Pergament gebracht hat, freilich nicht deutlich genug, um sein Geheimnis zu enthüllen. Er tut es, als er versucht, das Erarbeitete dem Wittelsbacher Ludwig II. von Pfalz-Oberbayern (1253—1294) zu widmen, der vor der Wahl Rudolfs von Habsburg vom Oktober 1273 Aussicht hatte, „römischer König" zu werden. Mit hoher Wahrscheinlichkeit geschah es bald nach dem April 1272, in dem Richard von Cornwall starb. Denn der große Franziskanerprediger B e r t h o l d v o n R e g e n s b u r g , gestorben im Dezember 1272, hat noch vor seinem Tode wohl durch Albrecht selbst Schlußstrophen des „Titurel" aufnehmen können. Die Überlieferung legt freilich nahe, daß Albrecht noch weiterhin an seinem Text besserte, vielleicht ohne je eine endgültige Ausgabe zu hinterlassen. Mit Grund vermutet man in ihm einen A l b r e c h t v o n S c h a r f e n b e r g , der aus Artus- und Gralswelt die phantastischen Erzählungen S e i f r i e d d e A r d e m o n t und M e r l i n zusammengebaut hat, von denen wir durch Auszüge wissen, die im späten 15. Jahrhundert der Münchner Maler und Schriftsteller U l r i c h F u e t r e r in sein „Buch der Abenteuer" einarbeitet. Trifft diese Vermutung zu, so war Albrecht zwischen 1260 und 1275 einer der produktivsten Poeten.
Episches in mancherlei G e s t a l t
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Albrechts Strophensprache ähnelt nicht dem chronikartigen Erzählton, den die volkstümlich gebauten Strophen heimischer Heldengeschichten (etwa von der Art der „Kudrun") verlangen. In Wolframs schwerer „Titurel"-Strophe läßt er die Cäsurstellen der ersten beiden Langverse miteinander reimen, sodaß ein hochgotischdurchbrochenes Versgebäude entsteht. Jede Strophe wird dabei zu einem rhythmischen Gehäuse, in das er die Sätze oft nur mit Willkür einpassen kann. Indem er obendrein versucht, Wolframs eigenwillige Erfahrungssprache nachzubilden, erarbeitet er sich eine durch und durch unlyrische, gekünstelte Redeweise, die in „Manier" zu erstarren droht. So setzt das vielräumige Riesenwerk geduldige Leser voraus, die begierig sind, über vieles belehrt zu werden, was sie gern von Wolfram erfahren hätten. Seine nicht mehr erweckbare Wirkung versteht daher nur, wer etwas davon weiß, was Albrecht seinen Lesern brachte. Titurels Geschlecht wird aus ferner Vorzeit hergeleitet; ein Engel beruft ihn zum „Gral", der bis dahin auf dem nordwestspanischen Berge Salvasch in den Lüften schwebt. Mit Gottes Hilfe errichtet er dort einen „Tempel" für den „Gral": einen Rundbau, der auf das himmlische Jerusalem bezogen ist. Der Aufbau und Ausbau des Inneren weist den Wissenden zeichenhaft über das Sichtbare hinaus in die Bereidie religiös gebundener Ethik; die Bilder der Außenwände vermitteln eine Lehre „weltlidher Tugenden". Indem sich sodann Enkeltöchter Titurels in die Welt hineinvermählen, öffnet sich die Erzählung dem Artuskreis. In ihrer Mitte kann sich daher die frei erfundene Geschichte vom Leben Sigunes und Tschinotulanders entfalten, deren Anfang durch Wolframs „Titurel"-Bruchstücke und deren Ausgang durch die Sigunenszenen von Wolframs „Parzival" vorgeschrieben ist. In der Teilnahme an diesem Leben werden wir in buntes Treiben festlicher und ernster Turniere hineingezogen, die uns über westeuropäische, nordafrikanische und orientalische Bereiche tragen. Für diesen Zweck ist mit oft maßlosen Namen-
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häufungen zusammengemischt, was bis dahin übertreibendes Aventürendenken an märchenhafter Fülle über das im ganzen kärgliche Ritterdasein des 12. und 13. Jahrhunderts gezaubert hatte. Im angesetzten Schluß verursacht die Sündigkeit der westlichen Christen, daß Titurel und sein Urenkel Parcival mit dem „Gral" nach Osten ziehen. Mit Feirefiz, dem Bruder Parcivals, erreichen sie das indische Reich des Priesterkönigs Jöhan, das nahe bei dem Paradiese liegt. Johan ist von einem Wunderpalast aus König über ein utopisches Land, das ein asketisch vollkommener Lebenswandel seiner Bewohner auszeichnet; dorthin versetzt Gott Gralsburg und Gralstempel. In einer Abschiedsrede erklärt Titurel, für uns überraschend, der „Gral" (bislang mit Wolfram ein Stein) sei die Jaspisschüssel von Christi Nachtmahl. Titurel, bislang durch den „Gral" am Leben erhalten, stirbt als Fünfhundertjähriger, der Priesterkönig Johan reicht seine Macht an Parcival weiter, der sich nun wie alle seine Nachfolger „Priester Johan" nennen muß. Rittertum wird hier in eine hierarchisch gestufte Welt gestellt, in die mit dem „Gral" ein geheimnisvolles Etwas göttlicher Kraft von oben hineinragt. So ist dies „Titurel"-Rittertum von aller an Ovid erinnernden Erotik abgerückt und zu „reiner Minne" verpflichtet, wie auch asketisches Priestertum um seiner Aufgabe willen höchste Würde hat. Doch das genügt nicht. Was durch allegorische Ausdeutung des Gralstempels „Lehre" f ü r das Gralsgeschlecht ist, soll zugleich „Lehre" für die Allgemeinheit der Christen sein, sodaß sidi dauernd Ständisches in ein Überständisch-Gültiges umsetzt. Gleiches vollzieht sich in jener auf den Begriff der „Ehre" bezogenen Ordensmoral ritterlichen Daseins, die als aufgegliederte Tugendlehre dem Brackenseil eingeschrieben ist, das über das Schicksal Tschinotulanders entscheidet. Durch solch wiederkehrendes Aufzeigen moraltheologischer Werte wird die Gesamtwelt des „Jüngeren Titurel" von einem grundsätzlich a l l e g o r i s c h e n Denken durchzogen, so daß sie trotz aller überladenen Pracht des Gegen-
Epischcs in mancherlei G e s t a l t
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ständlichen u n d trotz aller Buntheit des Geschehens an sinnhaft echter Wirklichkeit verliert. Die verwirrende U n r u h e der „Titurel" Welt läßt gleichsam den Ermüdenden das Gedankenhafte der Belehrungen als Ruhestellen aufsuchen. Wohl kein Zweifel,
daß
Albrecht u n d das spätere Mittelalter W o l f r a m s „ P a r z i v a l "
als
unterhaltende Lehrdichtung von der A r t des „Jüngeren Titurel" gelesen haben. Indem Albrecht traumhafte Vorgänge, die in einem utopischen Idealreich enden, mit einem Ehrenspiegel verbindet, der vor allem ein Regentenspiegel ist, erklärt sich auch, d a ß sein Epos wie der „ P a r z i v a l " 1477 in einer dem Reformdenken geöffneten Zeit zu Straßburg einen Drucker f a n d . Wir haben damit zu rechnen, d a ß nicht W o l f r a m s von E r f a h r u n g durchbluteter „Parzival", sondern Albrechts in der Künstlichkeit des Stils erstarrter „Titurel" f ü r die Entscheidung zum Druck den Ausschlag gegeben hat. Braucht nicht der Schöpfer großer Dichtung den gespannten Willen, in einen weiten Erlebnisraum überzeitlicher Möglichkeiten vorzudringen? D a n n steht es nicht gut um eine Zeit, in der ein Talent wie K o n r a d von W ü r z b u r g etwas von der G e f a h r der Vereinzelung spürt u n d der „Titurel"-Albrecht in seiner gemachten Kunst großer Absichten den utopischen Gralstempel vom spanischen Westen in einen fernen Osten versetzt. T r o t z d e m werden auf einer mittleren literarischen Ebene weiterhin Verserzählungen gebaut, zumal sich vorerst noch die bedeutenden Sprachwerke der Stauferzeit als H e l f e r anbieten. M a n mag mit Bedenken aufnehmen, wenn der augustäische H o r a z in seiner Ars poetica klug meint, die Poeten wollten entweder „ f ö r d e r n " oder „unterhalten", allgemeiner Zustimmung sei aber sicher, wer das „ N u t z b a r e " mit dem „Süßschmeckenden" vermische. Doch f ü r die Erzählkunst, die auf der Wende vom 13. z u m 14. J a h r h u n d e r t entsteht, passen diese Sätze fast immer. Bevor dies eine kleine Auswahl belegt, einen schnellen Hinweis auf zwei Zeitgenossen K o n r a d s von W ü r z b u r g u n d des
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„Titurel"-Albrechts, um die landschaftliche Breite solcher Literatur zu umreißen. Um 1260 schafft der P l e i e r , ein ständisch nicht faßbarer Literat, der im Salzburgischen zuhause ist, in seinem weitläufigen Jugendwerk, dem „G a r e l v o m b l ü h e n d e n T a l " , mit Sinn für spannende Unterhaltung nach alten Mustern ein gesellschaftlich vornehmes Gegenstück zu dem banalen „Daniel vom blühenden Tal" des Strickers. Die dem österreichischen Herzog verbundenen altadeligen Brüder Vintler ließen um 1400 auf dem Runkelstein bei Bozen ein Zimmer mit Tristanszenen und ein Zimmer mit Garelszenen ausmalen. Der ritterbürtige B e r t h o l d v o n H o l l e , der um 1260 herum im Hildesheimischen oder Braunschweigischen aus literarischem Wissen drei Unterhaltungsromane zusammenbaut, sei angeschlossen, weil er seit seinem Landsmann Eilhard von Oberg der erste Norddeutsche ist, der sich mit einer mitteldeutsch getönten Sprache auf das literarische Feld der Verserzählungen wagt. Ein kurzer Hinweis auf sein bedingt ansprechendstes Werk, das man den „Crane" nennt, mag etwas vom Gattungsmäßigen seiner Romanwelt andeuten: Ein ungarischer Königssohn mit dem Beinamen Crane („Kranich"), ein Urbild der Treue und so auch ein treuer Freund seiner Freunde, gewinnt auf Turnierwegen die Kaisertochter Acheloyde. Es ist vielleicht bezeichnend, daß Berthold von Holle die süddeutsche Traumwelt der Artusgeschichten meidet. Doch hatte dies schon der herzoglich schwäbische Rudolf von Ems in seinem „Willehalm"-Roman getan, in dessen Richtung sich Berthold zu bewegen sucht. An dieser Stelle darf ein geistliches Werk, die gereimte Versauslegung des Hohen Liedes, herangezogen werden, die B r u n v o n S c h ö n e b e c k 1275/76 in einem einzigen Jahre verfaßt hat. Es soll nicht geschehen, weil hier so etwas wie ein wirklicher Dichter zu entdecken wäre, wohl aber, weil auch dies Werk in seiner Zeit als Werk eines norddeutschen Autors Achtung verdient. Als Magdeburger Patrizier ist er im Leben der Stadt durch seinen ritterschaft-
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liehen Gesellschaftssinn hervorgetreten, dadurch bestätigend,
daß
sich das Patriziat nicht einer eigenen, streng städtischen Stilwelt verpflichtet fühlte. Seine verhältnismäßig frei gebauten Verse hat er mit innerer Teilnahme zusammengefügt, indem er in seiner Weise den Fluß einer dem Mitteldeutschen angenäherten heimischen Gesellschaftssprache mit der Sprache Wolframs von Eschenbach zu verbinden suchte. Dabei entwickelte er zunächst aus dem biblischen T e x t ein Minneverhältnis zwischen K ö n i g Salomon und der K ö n i gin von S a b a ; er legte sodann, wohl von einem Magdeburger Franziskaner unterstützt, mit viel Scheingelehrsamkeit das G a n z e nicht immer folgerichtig aus, indem er die Geliebte auf Maria oder auf die G o t t zugewandte menschliche Seele bezog. Kein Wunder, daß ihn im Einklang mit Franziskanerfrömmigkeit und der Grundstimmung jener T a g e Marienverehrung erfüllte. Doch hat er mit dem nicht recht durchgearbeiteten frommen Werke keine Dauerwirkung gehabt. Wir haben nunmehr die J a h r e erreicht, in die man eine auffallend originelle Leistung, die „Beispielerzählung" novellistischen C h a r a k ters „ H e l m b r e c h t " stellen sollte, die man meist wenig glücklich „Meier Helmbrecht" nennt. Denn sie ist wahrscheinlich erst um 1280 entstanden. Der begabte Verfasser W e r n h e r
derGärt-
n e r w a r wohl ein zwischenständischer Berufskünstler, dessen Beiname sich am leichtesten als eine Art Merk- oder Spitzname erklärt. D a s Erzählte spielt je nach der Überlieferung im ehedem bayrischen Innviertel oder im oberösterreichischen Traungau, wodurch auch der Poet seine Umwelt festlegt. Auf den Weg des abtrünnigen Bauernsohnes Helmbrecht, der der Sohn eines gleichnamigen
„Meiers"
ist, deutet
eine von
Neidhart
vorgebildete
Prachthaube hin, die ihm Mutter und Schwester sticken lassen. Die bei aller mittelalterlichen Realistik stilisierende Darstellung erhält ihren Charakter durch vier Dialoge, in denen sich der Vater mit
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Zwischen h o h e m u n d s p ä t e m M i t t e l a l t e r
dem Sohne auseinandersetzt. Die Kernlehre des alten Bauern: Keinen Erfolg hat, wer gegen seinen „Orden" (die ihm zugeteilte Lebensordnung) angeht; Zucht und Ehre, nicht Geburt entscheiden über echte „Edelkeit". Der Sohn wird denn auch kein wirklicher H o f m a n n . Er gerät unter das Gesinde eines Burgherrn, der vom Kriegführen und Rauben lebt. Die Wende bereitet sich vor, als der Meier dem Sohn bei einem Besuch „alte Sitte" höfischen Gebarens darstellt und dieser, die Schwester mitziehend, dem Vater absagt. In die Hochzeitsfeier, die einen Gesellen Helmbrechts mit der Meierstochter verbindet, dringt der Scharfrichter ein. Mit der Blendung und Verstümmelung Helmbrechts beginnt sich zu erfüllen, was Träume des Vaters voraussahen: Gottes Strafe für Verachtung der Eltern. Mit H o h n verstößt der Vater den heimkehrenden Sohn; die gepeinigten Bauern zerreißen die Haube und hängen ihn auf. Das Ganze gedacht als beispielhafte Warnung gegen „selbstherrliche Jugend" in verirrter Zeit! Wernher durchbricht dabei eine gültige literarische Vorstellung, indem er ein Bauerntum anerkennt, das in bäuerlicher Welt bleibt. Aber im Schluß verblaßt (im Unterschied von Neidharts Denken) alles Ständische gegenüber einer überständischen Ethik. Es dürfte kein Zufall sein, daß diese für sich stehende Dichtung im späteren Mittelalter nur geringe Wirkung gehabt hat. Ihre große Zeit kommt, als sie f ü r Gustav Freytag 1865 in den „Bildern aus der deutschen Vergangenheit" zu einer kulturhistorischen Quelle wird. Mit der überragenden Sonderleistung Wernhers stehen wir in einer vielgestaltigen K 1 e i n e p i k , die in zahlreichen, mehr oder minder lehrhaften „Beispielerzählungen" im späten 13. und frühen 14. Jahrhundert emporwuchert. So verschiedenartig diese Reimwerke sind, sie halten sich in ihren meist flüssigen Versgängen auf der literarischen Ebene durch ein Meisterdeutsch, das in Wortwahl und bildhaften Anspielungen im letzten von Stilmustern der Stau-
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ferzcit herkommt. Um Themenkreise anzudeuten: Verspottungen lasterhaften Gebarens, insbesondere schwankhaft erotische Erzählungen, die auf die Ehe bezogen sind, werden mit leicht vollziehbarer oder gewaltsamer Auslegung Grundforderungen einer überständischen Moraltheologie zugeordnet, deren Gültigkeit sie unmittelbar oder mittelbar zu erweisen haben. Da das Vorgebrachte mit Ernst oder Satire und oft mit "Witz dem Triebhaft-Menschlichen nachgeht, dringen fast mit Notwendigkeit ungezügelt-derbe Regungen des Alltags in die Formensprache der deutschen Literatur ein. Kein Zweifel, gegenüber einer gesellschaftlich bedingten Bildungswelt, deren Ethik einen überfeinerten Lebensstil entwickelt hatte, fordert nunmehr, an typischen Lebensausschnitten dargestellt, ein ständisch neutraler Elementarboden des Daseins sein Recht. Wo höfisch-ritterliches Gehabe im Verkehr der Gestalten bemüht wird, ist es denn auch weitgehend nur zierende Hülle oder verführende Berechnung. Aus den Zeitverhältnissen heraus ist fast selbstverständlich, daß man die meist unbekannten Autoren dieses Erzählgutes, von seltenen Ausnahmen abgesehen, bei denen zu suchen hat, die im zwischenständischen Beruf vom Vortragen und Herrichten literarischer Erzeugnisse leben. Der S t r i c k e r hatte schon vor 1250 in seinen schlicht hingesetzten „moralischen Erzählungen", die sich verschiedensten Gelegenheiten einpaßten, solche Kleinepik ungleichen Wertes vorbereitet, darin ein der Zeit vorauseilender Außenseiter. Aus der zwischenständisch beweglichen Stellung der Autoren erklärt sich, daß die Stoffkerne des Erzählten vielfach einem abendländisch-morgenländischen Schatz von Wanderfabeln entnommen sind. Ehedem bewegten sich solche Geschichten, lateinisch durchgeformt, am Rande des klerikal-akademischen Lebens oder, volkssprachlich wiedergegeben, auf „unterliterarischem" Erzählfeld. Mit gutem Grunde sind sie als literarische Gebilde in der dem Latein näheren westlichen Romania viel früher da. N u n aber drängen sie in die deutschsprachige Öffentlichkeit, nach-
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dem die durchgeistigte und beseelte Sinnlichkeit hochritterlicher Dichtung die geschichtlichen Bedingungen ihres Wachstums verloren hat. Künstlerisch wirken sie am stärksten, wenn sie überraschende Lebenswendungen zum Gegenstand haben. Doch haben sie sich damals weder in Frankreich noch in Deutschland ins Gattungsmäßige verfestigt. Dies geschieht erst, als der Italiener Giovanni Boccaccio (1313—1375) solche Geschichten um 1350 in den Rahmen seines „Decamerone" einsetzt. In einer fruchtbaren Zeitspanne gewinnt dort durch die Form der „Prosa-Novelle" eine Erzählweise Weltgeltung, die längst in Verserzählungen Frankreichs wie Deutschlands da war. Wir würden uns in einem schwer überschaubaren Gelände verlieren, wollten wir in einiger Fülle solche Geschichten aufsuchen, die nie die Höhenlage von Konrads von Würzburg „Kleinen Erzählungen" erreichen. Wie weit das Erzählte auseinanderliegen kann, dafür drei Beispiele! Das erste: E g e n o l f v o n S t a u f e n b e r g , aus der Ortenau und daher Straßburg nahe (gest. bald nach 1320), erreimt im Sprachstil Konrads von Würzburg eine Familiensage, die Gerüststücke enthält, die in der „Melusinensage" wiederkehren. Sein Ahn Peter trifft auf eine einsame Schönheit, die auf einem Steine sitzt. Sie stellt sich als der Schutzgeist seiner Fahrten vor. Sie gibt sich ihm für immer unter der Bedingung, daß er unverehelicht bleibt. Doch man drängt ihn dazu, die „Muhme" des Königs zu heiraten, obwohl er auf den Rat der heimlichen Freundin sein ungewöhnliches Verhältnis preisgibt. Beim Fest der Hochzeit durchstößt ein schöner Fuß die Saaldecke, Zeichen, daß er sterben muß; die jungfräuliche Witwe geht ins Kloster. Eine erbauliche Geschichte, die zu früh literarisch wird, weil Egenolf als Poet seiner Zeit mit der Gestalt der freundlichen Dämonin, die er trotz ihres frommen Gehabens als „Teuflin" ansprechen läßt, nichts anzufangen weiß. Aber am Ende des 15. Jahrhunderts hat man den „ P e t e r v o n S t a u f e n b e r g", diese schaurige und zugleich
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rührende Sagenerzählung novellistischen Aufbaus, dreimal druckt, Johann Fischart hat sie sich 1588 angeeignet.
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Das zweite Beispiel: „ D i e H e i d i n " , eine novellenartige „Historie", hat in ihrem Kern einen vorgeprägten Fall von Liebeskasuistik, der dialektisch durchgespielt wird. Im späten 13. und frühen 14. Jahrhundert wird sie viermal erzählt, am gekonntesten in einer (wohl ostfränkischen) Fassung aus der Zeit um 1300. Ein heidnischer König hat eine ideale Fürstin zur Frau. Ein Graf „von über Rhein" wagt das Abenteuer, sie sich zu erwerben, darin Urbild einer unbezähmbaren seelisch-sinnlichen Liebe, die trotz aller Gefährdungen auf Erfüllung drängt. Im Seelenkampf entschließt sich die von ihm Geliebte, ihn zu retten; sie stellt ihn nicht ohne List nach einem bekannten Motiv vor die Wahl, von ihr den Teil oberhalb oder unterhalb des Gürtels zu wählen. Durch die Wahl des oberen Teils gewinnt er sie ganz, weil er ihr gebieten kann, dem heidnischen Gemahl in allem zu widersprechen. Die vom Heiden im oberen Teil Verprügelte entflieht mit dem Grafen ins Christenland, dem Heiden bleibt die Klage. An einer solchen verfänglich wirkenden Geschichte, geht vorbei, wer sich nicht auf die Lösung des „Kasus" versammelt, der wider Erwarten die Liebenden zusammenführt. Das dritte Beispiel: Noch in das späte 13. Jahrhundert gehört wohl die Groteske „D e r W e i n s c h w e l g", die in Nordtirol entstanden sein mag. Der Verfasser macht uns in farbigen Reimen mit dem Selbstgespräch eines einsamen Meisterzechers bekannt, das immer wieder ein Do huob er üf unde tranc unterbricht und schließlich beendet. Ein Preis auf das Weintrinken, das besser die Zeit vertreibt als Turnieren, Tanzen und Singen. Töricht daher, die an der Minne starben, statt den Wein zu lieben! U n d unweise die Welt, daß sie nicht zum Weine geht! Denn die ganze Welt gehört ihm dem Ungenoz: ihm, „der nicht seinesgleichen hat". Es ist schon etwas vom Zecherübermut derer, die in Paris, Padua und Treviso
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Zwischen hohem und spätem Mittelalter
studieren, in diesen Versen eines Unbekannten darin, der in der Literatur gut Bescheid weiß. G roß erz ä h1un g hundertwende!
in
Versen
um
die
Jahr-
Zum Neuen gehört, daß sich Romane ent-
schiedener als früher der „Historie" und damit sagenmäßigen Abläufen annähern können. Und nicht minder, daß das Erzählte auch dort, wo es alte Motive abwandelt, im Darstellen von Einzelszenen realistischer, will sagen: irdischer wird. Ein Beispiel: von
Etzenbach
Ulrich
verfaßt in Prag, angeregt durch einen Proto-
notar König Wenzels I I . ( 1 2 7 8 — 1 3 0 5 ) , gleich nach 1290 seinen „Wilhelm
von
Wenden".
Das Gerüst der frommen E r -
zählung, für die er eine französische Vorlage benutzt, kommt von der Eustachiuslegende her, wie überhaupt die religiöse Legende aus spätantiker Tradition Historienhaftes weiterträgt. Fürst Wilhelm, ein „edler Heide" aus Wendenland, mit dem Böhmen gemeint ist, macht sich mit der Fürstin Bene auf, um Christus zu suchen. Als Bene Zwillinge gebiert, gibt er die Söhne fort und läßt Bene zurück. In Jerusalem wird er ein christlicher Heidenbekämpfer, Bene steigt in der Fremde zur Herzogin auf. Trotz Gefährdungen findet sich die getrennte Familie (nach antikem Romanschema) wieder zusammen. Fürst und Fürstin ziehen ihr Volk in das Christentum hinein. Ulrich verbindet den Namen Bene mit dem Worte „gut" (guot) und dadurch in einem etymologischen Spiel mit dem Namen Guta, den die Gemahlin Wenzels I I . und Tochter Rudolfs von Habsburg ( 1 2 8 9 Mutter von Zwillingen, gest. 1297) trägt. Einen „Schlüsselroman" darf man freilich seine Erzählung nicht nennen. Schon vorher hatte er (unter Wenzels Vater König O t t o k a r I I . beginnend) einen „ A l e x a n d e r "
nach Vorlagen ins Hofmäßig-
Ritterliche umgeschrieben. Beachtenswert: Dieser „gelehrte" Schriftsteller, vielleicht in Wenzels Kanzlei tätig, ist fest mit der H o f welt Böhmens verbunden, das 1310 der Vater Kaiser Karls I V . er-
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hält. Der deutschsprachige literarische Raum setzt sich von Österreich auf einer Ostlinie nach Norden fort. Ein weiterer Beleg für diese Ortsverlagerung: Um 1290 schreibt H e i n r i c h v o n F r e i b e r g , der wohl nach der meißnischen Bergwerksstadt heißt, in Böhmen eine Fortsetzung von Gottfrieds „ T r i s t a n", indem er Eilhards von Oberg und Ulrichs von Türheim Verswerke benutzt. In seiner gewandten Verssprache wird der „Tristan" zu einem spannenden Unterhaltungsroman, der schließlich vor der Vergänglichkeit „weltlicher Sinne" warnt. In der Richtung des „Wilhelm von Wenden" bewegt sich mit bewußter Kunst fast als letzter J o h a n n v o n W ü r z b u r g , der als „Schreiber" im Dienst der mit den Habsburgern verwandten schwäbischen Grafen von Hohenberg-Haigerloch steht. Im Jahre 1314, in dem Friedrich der Schöne und Ludwig von Bayern durch Doppelwahl Könige werden, beendet er in leicht manirierter Sprache die stark gefühlsbetonte romanhafte Biographie „W i 1 h e i m v o n ö s t e r r e i c h", die im Blick auf einen erdichteten Babenberger Herzog Liebe und Abenteuer mischt und den Helden im Orient auf der Jagd ermorden, seine Frau Aglye über dem Toten sterben läßt. Die in der Folgezeit beliebte Erzählung wird in Prosa umgesetzt und 1481 und 1491 in Augsburg gedruckt. N u r am Rande sei bemerkt, daß die Form der R e i m c h r o n i k , die uns zum ersten Male in der sog. „Kaiserchronik" begegnet ist, zwischen 1250 und 1350 einen eigenen Raum gewinnt. Der Wandel der öffentlichen Verhältnisse, der mit dem Tode Friedrichs II. spürbarer wird, vor allem jedoch der neue Sinn für greifbar Nahes schafft neue Bedingungen f ü r erzählende Rückblicke. Aber dort, wo literarische Sprachstile und poetische Gestaltungsweisen entwickelt werden, sind die Verfasser der Chroniken nicht mehr dabei. Um das damals Mögliche gleichsam ehrenhalber zu vertreten, sei wenigstens ein einziges Werk genannt. Am Anfang des 14. Jahrhunderts
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schreibt der ritterbürtige O t t o k a r v o n Steiermark (den Lichtensteinern nahe) aus „Dichtung und Wahrheit" eine riesenhafte „ ö s t e r r e i c h i s c h e R e i m c h r o n i k", die vom Jahre 1246, dem Todesjahr des letzten Babenbergers, bis zum Jahr 1309, dem Anfangsjahre Heinrichs VII., reicht. Zeitwende im strengen Sinne ist das alles noch nicht, wenn wir es mit einem Denkmal vergleichen, das der in Wien ansässige H e i n r i c h v o n N e u s t a d t um 1300 mit Klerikerhilfe zusammenfügt. Als „gelehrter" Arzt (ein „Studierter", der die antike Medizin kennt) bezeichnet er sich als „Meister", was hier den „Magister" meint. In seinem „ A p o l l o n i u s v o n T y r l a n d " benutzt er die bereits christlich überlagerte spätrömische Fassung dieser Erzählung, in der wahrscheinlich eine spätgriechische Vorlage umgeschrieben ist. Das Gerüst dieses Trivialromans: Der fürstliche Apollonius muß flüchten. Ein Seesturm wirft ihn in Cyrene ans Land. Die dortige Königstochter wählt ihn als Mann. Bei seinem Versuch, die Heimat zu erreichen, fällt die junge Frau bei der Geburt einer Tochter in einen Scheintod. Der Sarg der im Meer Bestatteten treibt in Ephesus an, die Erwachte wird dort Artemispriesterin. Die Tochter läßt der Vater in Tarsus zurück. Nach vierzehn Jahren rauben sie Räuber und verkaufen sie in Mytilene an einen Kuppler; doch kann sie ihre Unschuld bewahren. Apollonius entdeckt sie und findet sogar die Frau wieder. Doch damit sind wir noch nicht bei Heinrichs Erzählung. Denn er reichert die Fahrten des Apollonius mit einer verwirrenden Fülle phantastischer Abenteuer an, was hemmungslos möglich ist, weil das Erzählte in einer fremden Vergangenheit spielt. Aber so sehr die Geschehnisse, die der Zufall herantreibt, ins Maßlose gesteigert werden, der Welt der Residenzstadt Wien, auch dem Denken neuer „Landherren" sind sie näher als die Traumwelten hochritterlicher Dichtung. Ein solcher Roman läuft neben dem Leben her, soll es nicht mehr
Episdies in mancherlei Gestalt
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formen. In einer Sprache, die nur erzählen will, unterhält er stoffhungrige Leser, indem er dem Sinnlichen im Bereiche asketischer Ehrbarkeit Raum schafft. Eine vom Lateinischen ausgehende Prosa des spätantiken Werkes wird uns im 15. Jahrhundert kurz begegnen. Haben wir bereits das Ganze des epischen Bereichs umschrieben? Zu dieser Frage eine Erinnerung. Um 1200 wird aus heimischer Tradition in die literarische Sprachwelt jenes strophische Epos eingefügt, das wir das „Nibelungenlied" nennen: unter Dichtungen, die das Leben schlechthin vorbildlicher Gestalten zeichnen sollen, Darstellung eines harten Vorzeitgeschehens, das hingenommen sein will. Die „ N o t " - H a n d l u n g des zweiten Teils erhebt den Amelung D i e t r i c h v o n B e r n , der als Vertriebener mit starkem Gefolge an Etzels Hof weilt, zu einer vom Leid umwitterten Gestalt, die heil aus dem erschütternden Ende hervorgeht. Man spürt, produktive Traditionsträger alter Vortragskunst müssen im Bereich „unterliterarischer" und „halbliterarischer" Dichtung mit D i e t r i c h s a g e beschäftigt gewesen sein. N u r so ist auch möglich, daß die norwegische „T h i d r e k s s a g a" um 1250 aus dem westlichen Niedersachsen an Heldengeschichten zusammenträgt, was in einer Art von Dietrich-Historie vereinigt werden kann. Sie zeigt zugleich, daß längst die Gestalt des Berners über ihren südostdeutschen Ursprungsraum hinauswirkt. U n d doch ist es in staufischer Zeit keiner Dietrich-Dichtung gelungen, in den literarischen Bereich zu dauerhafter Bewahrung einzudringen. Der tiefste Grund wohl, daß eine vorzeitige Kernfabel fehlte, die von sich aus nahelegte, sagenhafte Dietrich-Historie in ein geschlossenes großepisches Geschehen hinaufzusteigern. Aber im späteren 13. Jahrhundert, in dem die Geschehnisse hochritterlicher Epik an sinnbildlicher Leuchtkraft verlieren und das Historienhaft-Unterhaltende mächtiger wird, erscheinen auch G e s c h i c h t e n v o m B e r n e r auf der 14
Neumann, Literatur
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Zwischen hohem und spätem Mittelalter
breitgewordenen literarischen Ebene. Es sind freilich Schöpfungen, die im Einzelnen stark sein können, als Ganzes aber auf unteren Stufen bleiben, was nicht ausschließt, daß sie als spannende Historie Erfolg haben. Fast durchgehend gilt Gleiches für andere Sagengeschichten, die für stoffhungrige Leser den Pergamenten anvertraut werden. Das Überlieferte ist für die Erkenntnis heimischer Sagenwelt wichtig, es charakterisiert auch das literarische Gesamtleben des späteren und späten Mittelalters. Trotzdem müssen wir uns auch hier damit begnügen, führende Beispiele zu einer flüchtigen Begegnung auszuwählen. Ein H e i n r i c h d e r V o g l e r (der „Vogelsteller"), schon durch seinen Namen als zwischenständischer Literat ausgewiesen, legt in Reimpaarversen ein „ B u c h v o n B e r n e " vor, eine Scheinchronik, die man „D i e t r i c h s F l u c h t " zu nennen pflegt. Einem wirren Stammbaum folgt der in sich dichteste Teil des „Buches". Unter dem Einfluß böser Ratgeber wendet sich der römische König Ermenrich gegen seinen Neffen, den jungen Dietrich von Bern (Verona). Der Berner weicht aus dem Lande, um sieben seiner hinterhältig gefangenen Recken freizumachen; der Duldende erreicht Etzels Hof. Dies Geschehen wird durch Anstückungen gelängt, um eine Erzählung größeren Umfangs zu erreichen. Zweimal zieht Dietrich vom Hunnenland in sein Stammland, jedesmal kehrt er zu Etzel zurück, obwohl er über Ermenrich gesiegt hat. Ein strophisches Epos, die sog. „R a b e n s c h 1 a c h t", schließt als dritter Zug an, in der Überlieferung stets fest mit dem „Buch von Berne" verbunden. Dietrich, der ohne Eigenwillen eine Nichte der Etzelgemahlin Helche geheiratet hat, rüstet zur Rache. Die beiden Etzelsöhne und sein junger Bruder Diether begleiten ihn ins römische Land. Von ihrem Wächter zu einem Ritt aus dem gewonnenen Bern herausgelassen, stoßen sie auf Witege, der einst auf Dietrichs Seite stand. Da sie Witege angreifen, muß er sich wehren; die drei Jünglinge fallen. Indessen kämpft Dietrich in
Episches in mancherlei Gestalt
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einer grausamen Schlacht vor der S t a d t Raben (Ravenna). Nach dem Sieg erfährt er zu maßloser Klage, was vor Bern geschehen ist. Als er Witege erblickt, verfolgt er ihn in einer wilden J a g d . Am Meer wird Witege samt Pferd durch ein weibliches Meerwesen auf den Meeresgrund entführt. Dietrich wird erneut von Etzel und Helche aufgenommen. Eine künstlich gedehnte Doppelgeschichte, in der Art des D a r stellens ohne Stil und R a n g , selbst nicht von weitem mit dem „Nibelungenlied" vergleichbar! Greift man fest zu, so behält man wenig v o m alten Erzählkern in der H a n d . Dietrich von Bern hat sich vor dem übermächtigen Ermenrich in Etzels L a n d gerettet; bei einem Rachezug fallen bei Raben in einem Zufallskampf zwei Etzelsöhne durch Witege, der im Zwielicht zwischen Ermenrich und Dietrich steht; dem Feuer atmenden Berner entzieht sich Witege durch das Helfen einer dämonischen Frauengestalt. Schwerlich ist dieser Handlungsverlauf vor dem 13. Jahrhundert über die Stufe einer „halbliterarischen" Strophendichtung aufgestiegen. Doch hat er bereits vor dem „ V o g l e r " , etwa in Tirol und vielleicht erst nach 1250, eine weitende Bearbeitung gefunden. D i e „Flucht"-Chronik dürfte bald danach in einer ersten Fassung vor die „Rabenschlacht" gesetzt sein. Der „ V o g l e r " hat das ihm Vorliegende recht roh durch realistische Übertreibungen zu einem langatmigen Rührstück gemacht, ohne zu merken, daß sich der poetische Gehalt der alten Grundfabel nicht mit den Ausweitungen von innen her zu einer Einheit verbindet. O b der „ V o g l e r " , der von politischer Bedrängnis des Adels spricht, schon tätig wurde, als O t t o k a r II. zwischen 1260 und 1276 Österreich und die Steiermark hat? Er kann auch nach 1282 unter H e r z o g Albrecht, dem Sohne R u d o l f s von Habsburg, um Adelsgunst geworben haben. D i e Gestalt des Berners hat allein durch den Nibelungenmeister die in ihr angelegte sittliche Größe erhalten. Aber von „unterliterarischer" Volkssage aus, die von K ä m p f e n Dietrichs gegen 14»
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Zwischen hohem und spätem Mittelalter
dämonische Naturwesen wußte, wirkt sie durch Jahrhunderte in romanhafte Unterhaltungsliteratur hinein. Dies war möglich, weil Dichterphantasie dem Berner Jugenderlebnisse zuteilte, auch solche, die ihn trotz seiner Ferne zum Weiblichen mit weiblichen Wesen zusammenbrachten. Offen bleibt, ob jener oberschwäbische Ritter A l b r e c h t v o n K e m n a t e n , den Rudolf von Ems um 1235 und 1240 in seinen Dichterkatalogen nennt, an der Aufhöhung dieses Märchen-Dietrich entscheidend beteiligt war. In jedem Falle ist die weite, lyrisch-epische Strophenform von dreizehn Versen, der sog. „Bernerton", den einige dieser Dichtungen wählen, wegen ihrer Gliederung nidit vor der spätesten Stauferzeit zu erwarten. Zwei Denkmäler, deren Stoff Leser für erstaunlich lange Zeit angezogen hat, müssen die anderen vertreten. Das erste Beispiel: Das „ E c k e n l i e d " , ursprünglich eine streng tirolische Liedfassung, erscheint, dem Ritterstil angepaßt, nach der Mitte des 13. Jahrhunderts in einer französisch beeinflußten Bearbeitung als strophisches Kleinepos. Der junge riesenhafte Ecke, Träger des Schwertes Eckesachs, das ihm wohl den Namen gab, verfolgt den Berner zu Fuß, angereizt von drei Bergköniginnen auf Jochgrimm. Er zwingt den besonnen Zurückhaltenden zum Kampf. Der veredelte Dietrich muß ihn erstechen, da der Besiegte in seiner Maßlosigkeit den Tod will. Es folgt ein Kampf mit Eckes Bruder, dem Sturmriesen Vasolt. Angestückt werden weitere phantastische Gefahren, bis der Berner über Jochgrimm zurückkehrt. Diese aufgeschwellte und erweiterte Strophenerzählung, die etwas vom Bänkelsängerton hat, wird zum ersten Mal 1491 unter dem Titel „ H e r r E c k e n A u s f a h r t " in Augsburg gedruckt, dann noch mehrfach, und zwar meist in Straßburg bis zum Jahre 1606! Das zweite Beispiel: Der kleine, in Reimpaarversen verfaßte Abenteuerroman „ L a u r i n" ist nach einem tückischen Zwergenkönig benannt. In „tirolischen Landen" hat er einen „Rosengarten", dessen Mauer, einen Seidenfaden, niemand brechen darf. Des Stei-
Episches in mancherlei G e s t a l t
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rers Dietleib Schwester Künhild hat er geraubt und zur jungfräulichen Zwergenkönigin gemacht. Im „Rosengarten" kann ihn Dietrich durch Hildebrands Ratschläge überwinden; aber im Berge setzt er Dietrich und seine Gefährten fest. Durch Künhilds Hilfe werden sie frei, Künhild besänftigt den Berner, Laurin wird in Bern Christ und Dietrichs Freund. Der Kern des Erzählten: Dietrich befreit eine Jungfrau. Dies Motiv ist durch das Hervortreten Hildebrands und Dietleibs verschleiert, und trotz poetischer Einzelheiten ist das Ganze ein roh gezimmertes Machwerk, das wohl erst nach 1250 entsteht; den folgenden Jahrhunderten war es eine genießbare Kost. Der „Laurin" wird um 1480 im Straßburger (?) Heldenbuch gedruckt und, abgesehen von Einzeldrucken, sogar noch 1590 im „Heldenbuch" des Frankfurter Verlegers Feyerabendt. Aus „Eckenlied" und „Laurin" spricht eine Art von „unterzeitlichem" Mittelalter, das um die Mitte des 13. Jahrhunderts literarisch wird und in dieser seiner Sprache erst gegen oder um 1600 verlöscht. Eine Ergänzung: In verschiedenen Fassungen, die bis in den Druck des „Heldenbuches" vom späten 15. Jahrhundert reichen, ist uns das strophische Erzähllied vom „ R o s e n g a r t e n " überliefert, das dem „Laurin" mindestens seit dem mittleren 15. Jahrhundert den N a m e n des „Kleinen Rosengartens" verschafft. Hier ist König Laurins Rosengarten zu einem Wormser Turnierplatz geworden, der der hochfahrenden Gibech-Tochter Kriemhild gehört. Sie holt Dietrich von Bern heran, der mit elf Gefährten erscheint. Die Zwölf messen sich mit den Wormsern in Einzelkämpfen. Ihre Fahrt gipfelt in der Niederlage Siegfrieds, den der von Hildebrand angereizte Berner in den Schoß Kriemhilds treibt; Gibech wird so durch Kriemhilds Hochfahrt des Berners „Eigenmann". Ein Berufspoet des deutschsprachigen Südostens baut die erste literarische Fassung im späteren 13. Jahrhundert auf: eine derbe Groteske, die man nicht zu ernst nehmen darf. Sie zeigt besonders gut, wie sorglos die Poetenphantasie der Spätzeit mit heimischen Sagen-
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Zwischen hohem und spätem Mittelalter
gestalten umgehen kann, was voraussetzt, daß der überzeitliche Sinn der Grundfabeln, dem diese Gestalten entstammen, für den durchschnittlichen Hörer und Leser im Verblassen ist. An solcher Umbildung von Sagenwelt, die bis an die Grenze der „Parodie" heranzugehen scheint, ist nicht das Nebensächlichste, daß „Heldengeschichten" selbst im deutschen Südosten, wo sie als literarische Erzählungen ihren günstigsten Standort haben, unterhaltender Spielwelt zugeordnet werden. Überlieferte Sagengehalte nimmt man nicht mehr so ernst wie damals, als im „Nibelungenlied" die mit der „Geschichte von Siegfrieds Tod" verbundene „Geschichte vom Ende der Burgonden-Nibelungen" auf die Ebene eines strophischen Buchepos hinaufgehoben wurde. Am weitesten geht im Erfinden einer bloß sagenähnlichen „Heldengeschichte" der unbekannte Verfasser einer Erzählung, die man wegen der Gleichrangigkeit von Vater und Sohn Biterolf und Dietleib nennt. Biterolf von Toledo verläßt die Heimat und kämpft sich zu Etzel hin, weil dieser ihm als der berühmteste König genannt ist. Nach Jahren zieht sein großgewordener Sohn Dietleib, der den Namen eines norddeutschen (nordalbingischen) Sagenhelden trägt, heimlich aus, um den Vater zu suchen. Gegen Gunther erzwingt er sich den Rheinübergang. Den Vater erreicht er auf einem Kriegszug, den Etzel gegen die Preußen führt. Von Etzel unterstützt, kämpft er eine Art Rachekampf gegen Gunther, der in Versöhnung endet; bei diesem Zuge treffen (wie im „Rosengarten") Dietrich von Bern und Siegfried aufeinander. Das Ende: Biterolf wird von Etzel mit der Steiermark belehnt, er und sein Sohn siedeln mit „Volk" und „Gesinde" dort ein. Aus Sagenkenntnis und Kenntnis von Artusepik ist hier in einem charakterlosen Mischstil ein Zwitter entstanden: ein Gebilde, das weder „Sagenerzählung" noch höfisch-ritterlicher Versroman ist. Dazu paßt, daß nicht in Strophen, sondern in Reimpaarversen erzählt wird, die ihr Vorbild in der dem „Nibelungenlied" angehängten „Klage" haben. Der Verfasser mag von Geburt ein Steiermärker
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gewesen sein. Geschrieben hat er frühestens um 1260, gewiß aber in einer Zeit, in der bereits O t t o k a r II. von Böhmen über die österreichischen Lande und die Steiermark verfügte. Mit seiner im Literarischen geübten Phantasie hat er kein Glück gehabt. Wie die „ K u d r u n " hat uns nur das Ambraser „Heldenbuch" Maximilians I. aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts sein Buchwerk erhalten. Als Merkwürdigkeit bleibt es beachtenswert. Denn selbst ein erfolgloses Werk mittleren Ranges kann geschichtliche Bedeutung erlangen, wenn in ihm eine literarische Möglichkeit erprobt ist. In Vorausnahme von Späterem darf nunmehr gesagt werden: Der Gehalt alter Fabeln verflacht, als die literarische Hochwelt der Stauferzeit in die ebene Breite einer unterhaltenden Literatur ausläuft, die gern das Schaurige mit dem Erbaulichen und Rührenden ohne sinnbildende Kraft verbindet. Dies erfährt wohl am überzeugendsten, wer den literarischen Weg verfolgt, den die mit der „Geschichte von O r t n i t " festverbundene „ G e s c h i c h t e v o n W o l f d i e t r i c h " geht. Das uns Erhaltene ist zunächst durch einen ostfränkischen Berufspoeten von Talent verfaßt worden. Wolfdietrich, Sohn eines griechischen Hugdietrich von Konstantinopel, soll wegen des Verdachts, ein Bastard zu sein, durch Berchtung von Meran, der nach der istrischen Landschaft „Maronia" heißt, im Walde ausgesetzt werden. D a ihm Wölfe nichts tun, kann ihn Berchtung retten. Nach dem Tode des Vaters bedrängen ihn seine Brüder. Er entweicht aus der Burg Berchtungs, der ihm mit den Söhnen beigestanden hat. Er will Hilfe bei Ortnit, dem König von Lamparten, holen; den Weg weist ihm eine märchenhafte Phantasiegestalt, die naturmythischem Denken entstammt. N u r bis hierhin ist die älteste Fassung erhalten, die man trotz anmutender Darstellung nicht vor die Mitte des 13. Jahrhunderts stellen sollte. Ihren Fortgang können wir aus einer Überlieferung des 15. Jahrhunderts im Umriß bestimmen. Wolfdietrich gewinnt das Reich Ortnits, den ein Drache verschlungen hat, und damit auch
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Zwischen hohem und spätem Mittelalter
dessen Frau. Er befreit schließlich die gefangenen Söhne Berchtungs und endet als Mönch. Wir müssen kurz sein: In der literarisch gewordenen Wolfdietrichgeschichte, deren längste Fassung ungezügelter Abenteuerei Raum gibt, meldet sich eine enthemmte Phantasiewelt zum Wort, die im späteren 13. Jahrhundert ein kommendes Zeitalter vorbereitet, sich im 14. und 15. Jahrhundert auslebt und im 16. Jahrhundert verdämmert. Diese Beobachtung öffnet uns den Blick auf ein strophisches Kleinepos, das erst um 1540 von unten her in einem Nürnberger Drude auftaudit: frid".
auf
„das
Lied
vom
Hürnen
Sey-
In der Sprache und im Versbau des 16. Jahrhunderts ist
hier ein merkwürdiges Gebilde zusammengefügt. Der starke Seyfrid bricht in der Jugend zu Waldabenteuern aus, an Gibidis Hof in Worms verdient er sich die Königstochter und wird nach acht Jahren erschlagen. An diese Art „Bänkelgesang" ist ein Heldenmärchen angestückt, das sich in lockeren Episoden aufbaut. Gibichs Tochter raubt ein Feuerdradien und bringt sie auf einen Felsen. Seyfrid befreit sie auf diesem Drachenstein und holt sie nach Worms heim, dann seinem Geschick ausgeliefert. Es gibt keine sicheren Antworten auf die Fragen, wie und wann sidi das Erzählte zusammengefunden hat. Aber wir lernen hier erspüren, d a ß sich mindestens seit dem 13. Jahrhundert im Unterirdischen eine Phantasie, die nach Abenteuerlichem sucht, aus alter Tradition und aus absinkender Heldendichtung das ihr Gemäße heranholt, um sich einen eigenen Siegfried zu erschaffen. So entsteigt schließlich dem späten Mittelalter eine roh gezimmerte „Historie", in der sich ein Märchenheroismus auslebt, der keine inneren Entscheidungen verlangt.
Welch
Ende einer uralten Erzähldichtung von Größe! Aber da dies Erfabelte durch elementare Mutproben erregt, hat es unterhalb der höheren literarischen Welt in die neueren Zeiten hinein eine Zukunft vor sich, nachdem es im 16. Jahrhundert die Druckereien er-
Episches in mancherlei G e s t a l t
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reicht hat. Eine aus ihm entwickelte Prosa läuft bis in das 19. Jahrhundert hinein. Wir müssen in das späte 13. Jahrhundert zurück. Unser auswählendes Verfahren gestattet uns nicht, r e l i g i ö s e r E p i k , die Biblisches und Legendares in Verssprache umsetzt, unabhängig von ihrem literarischen Rang nachzugehen. Auf diesem Felde bleiben selbst Werke, die sich durch ihre Sprache empfehlen, trotz ihres Gegenstandes nur zu oft im Bereiche eines erbaulich-unterhaltenden Schrifttums, wenn man sie als Ganzes nimmt. Doch seien drei Schöpfungen herausgehoben, die geeignet sind, Vieles zu vertreten. Gegen oder um 1300 wird ein weites Erzählwerk fertig, das man aufgrund der Überlieferung „D a s P a s s i o n a l " nennt, obwohl es durchaus nicht bloß „Leidensgeschichten" aufnimmt. Das erste Buch versammelt sich um das Leben der königlichen Gottesmutter Maria und zieht damit Szenen aus dem Leben Christi an sich heran. Das zweite verweilt vor allem beim Leben der Apostel, aber auch bei Maria Magdalena. Das dritte reiht eine Fülle von Heiligenlegenden aneinander. All dies ist mit verhaltener Anteilnahme in einer voll durchlebten Kunstsprache von Tradition mit wachem Sinn für Bildhaft-Anziehendes erzählt und wirkt, wie wenn es einen anspruchsvollen Hörerkreis fesseln sollte. Ermüdend können diese leicht dahinfließenden Verse nur dann werden, wenn man sie nicht in Vorleseabschnitten, sondern wie Verse einer fortlaufenden Darstellung genießen will. In einer geschwisterlich-verwandten Sprech- und Sehweise erzählt ein „V ä t e r b u c h" über das Leben von Kirchenvätern und frühen Heiligen; es schließt mit einer reichen Schilderung des Jüngsten Gerichts. Der „Passional"-Dichter kann auch dies „Väterbuch" geschaffen haben, wenn man annimmt, daß er es im Grundstock v o r dem „Passional" gedichtet hat. Es mag überraschen, daß wir diesen dichterisch begabten Erzähler nicht kennen. Soweit seine Sprache ein Urteil zuläßt, war er im westlichen Mitteldeutschland geboren, dann aber mindestens längere Zeit Priester
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Zwischen hohem u n d spätem M i t t e l a l t e r
im östlichen Ordenslande der Deutschritter, die ja „Marienritter" sind. In jedem Falle hat er im 14. Jahrhundert spürbar die Erbauungsliteratur des Ordens beeinflußt. Kürzer können wir uns mit einem Autor befassen, den mit dem „Passional"-Diditer verbindet, daß wir seinen Namen nicht kennen, obwohl auch er in seiner Weise Rang hat. Sein Werk, das Gedicht „ D i e E r l ö s u n g " , stellt ansprechend die gesamte Heilsgeschichte dar, indem es mittelalterliche Gelehrsamkeit mit szenischer Lebendigkeit und religiöser Tiefe vereint. Ein künstlerisch begabter Kleriker hat es nicht lange nach 1300 im rheinfränkischmainzischen oder trier-nassauisdien Bezirk verfaßt und dadurch stark auf „geistliche Spiele" gewirkt. Damit ist das Stichwort „Geistliche Spiele" gefallen, und es wäre möglich, schon jetzt in ihre Welt einzuführen. Doch ist ratsam, damit bis in die Mitte des späten Mittelalters zu warten, da wir dann die deutschsprachigen Spiele von ihren Anfängen bis zu ihrem spätmittelalterlichen Ende betrachten können. In die gleiche Zeit des beginnenden 14. Jahrhunderts gehört ein weiträumiges „ M a r i e n l e b e n " , das auch ein „Leben Jesu" einschließt. In Verse hat es ein B r u d e r P h i l i p p gebracht, der ein Mittelfranke von der unteren Lahn ist, aber in der Kartause Seitz bei dem altsteirischen Cilli geschrieben hat. Er widmete sein Buchwerk dem „Deutschen Orden", vielleicht weil er vor seiner Mönchszeit zu ihm in engerer Beziehung gestanden hatte. Mit Selbständigkeit und Wärme stellt er (nach einer lateinischen Vorlage) ein ihm Vorgegebenes dar, das mehrfach zu deutschsprachiger Bearbeitung angezogen hat; er tat es ohne Außerordentliches zu erreichen. Und doch verdient er erwähnt zu werden, weil sein Versgefüge in einer Höhenzeit der Marienverehrung als Erbauungsbuch, das zu bildhaftem Vorstellen anregte, stärkste Wirkung gehabt hat, freilich auch mit der Folge, daß man das Original nach Bedarf neu faßte.
L y r i k auf dem W e g e zur Meisterkunst
2. L y r i k
auf
dem
Wege
zur
219
Meisterkunst
Als der Minnesang im späten 12. Jahrhundert einsetzte, lag für uns offen, wer ihn trug und warum er wirkte: Im Rittertum erwachte eine stilschaffende Bewußtheit, die über den Alltag hinaushob. Und als Walther von der Vogelweide auf der erreichten Kunstbasis seine Gedankenlyrik entwickelte, in der er für das gesamte Dasein Ordnungsgefüge darstellte, geschah auch dies aus einem hohen Lebensgefühl. Aber längst stehen wir in einer Zeit, in der sich unter einem veränderten Horizont der Alltag verbreitert und das Überirdische stärker als bisher dem Greifbaren entzogen hat. Auf dem lyrischen Felde zeigen schon zwei äußere Tatsachen einen Wandel an. Noch immer dichten R i t t e r , auch F ü r s t e n sind beteiligt. Aber unter ihnen ist kein Lyriker, der ein gutes Mittelmaß übersteigt. Auffallender ist etwas anderes, weil sich darin erkennen läßt, daß überlieferte und gegenwärtige Lyrik aus größerem Abstand aufgenommen wird: Sammler ordnen die lyrische Ernte als Lesestoff in umfängliche Handschriften ein. So entsteht noch vor 1300 in Straßburg die „Kleine Heidelberger Liederhandschrift", bald nach 1300 in Konstanz mit Bildern die „Weingartner Liederhandschrift" und vor 1350 in Zürich mit Bildern die „Große Heidelberger oder Manessische Liederhandschrift". Es wäre übrigens auch noch in dieser Spätzeit sinnvoll, Gattungen der Lyrik wie Minnesang, Spruchlieddichtung und streng religiöse Liedkunst zu trennen, falls wir uns durch die Weite der Lyrik hindurchhören wollten. Für unsere verkürzende Sicht ist ratsamer, die Gesamtheit lyrischer Bekundungen durch wenige Lyriker vertreten zu lassen. Auch
hier
vereint
der
„gelehrte"
Artist
Konrad
von
W ü r z b u r g (gest. 1287) in Straßburg und Basel mit seinem Können, was früher dem Ritter, dem Kleriker und Berufssänger zufiel. Sein Minnesang, dem Weiblichen als solchem zugewandt, spielt mit allen Klängen „hoher Minne". Einfachere Sprechweise kann
220
Zwischen h o h e m u n d s p ä t e m
Mittelalter
mit verschnörkelter Redekunst wechseln. So gewiß hier Lyrik zu einer Art Kunstgewerbe wird, sie ist bei ihm nicht unecht, weil er in eine Idealwelt aufblickt. Fast selbstverständlich ist, daß er in singbaren Spruchstrophen eine kunstvolle Gedankenlyrik pflegt. Ein „gelehrter" religiöser Leich und ein nicht minder „gelehrter" Minneleich wenden sich in „blühender" Sprache an höchste Kennerschaft. Angeschlossen sei sein erfolgreichstes Werk, ein Lesehymnus in Reimpaarversen, der epischen U m f a n g hat: „ D i e g o l d e n e S c h m i e d e", die besser „D a s g o l d e n e G e s c h m e i d e " hieße. In einem Marienlob von strahlender Wärme werden verschwenderisch allegorische Bilder herangeholt, die die leibhaftige Gestalt der Gottesmutter und Himmelskönigin gegenwärtig machen sollen, indem sie Begriffliches durch Sinnliches erläutern. In diesem geistlichen Fürstinnenpreis erreicht hochgotischer Marienkult einen frühen Gipfel. Es ist eine nicht beweisbare, aber liebenswürdige Vermutung, daß Konrad dies Werk funkelnder Kleinkunst dem Straßburger Bischof Konrad III. von Lichtenberg (1273—1299) zugeleitet habe, unter dem 1275 das Langhaus des Münsters vollendet und 1277 der Grundstein der Westfront gelegt wird. Wir bleiben im alemannischen Südwesten, in dessen umfriedeter Stadtwelt die Kunstlyrik, die in staufischer Zeit aufgeblüht ist, ebenso wie an norddeutschen Fürstenhöfen eine sichere Zuflucht hat. Den Sänger S t e i n m a r stellt man zu Steinmaren, die in Klingnau an der unteren Aare urkunden und mittelbar mit Rudolf von Habsburg verbunden sind. Im Gefolge Rudolfs verfaßt er etwa 1277 ein Minnelied vor Wien, er wird daher der Ritterschaft angehört haben. Auf Neifens Linie pflegt er in kurzschwingenden Versen das liedhafte Lied; häufige Kehrreime machen den Lyriker zum Vorsänger, der die Hörer in die Melodie hineinzieht. Dem entspricht eine abgeflachte Minne, die auf sinnliche Vertraulichkeit gerichtet ist. Während er seiner Sprache eine durchsichtige Maske „hoher Minne" aufsetzt, kann er recht kräftig „niedere Minne" be-
L y r i k auf dem Wege zur Meisterkunst
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singen. Die Morgenszene der „ T a g l i e d e r " bildet er in das Possenhafte einer Heubodenszene um. Ironischer Minnesang, den bei N e i d hart noch eine geistige Spannung durchzieht, verwandelt sidi bei ihm in derbmunteren Spottgesang. Seine bekannteste „ K a n z o n e " gibt sich als Abschied von der Minne: Der Herbst tröstet den Sänger, indem er ihm ermöglicht, sich im Schlemmen zu erfüllen. Man darf solchen Abschied, der sich von der sinnlich-geistigen Minnewelt nicht nach oben, sondern nach unten wendet, nicht von einem neuzeitlichen Naturalismus aus beurteilen. Mit allem Beschreiben des Typisch-Naturhaften, das sich damals verstärkt, muß man zusammennehmen, daß gleichzeitig im Religiösen eine Spiritualisierung des seelischen Erlebens anläuft. Einen anderen Eindruck vermittelt denn auch die Kunst eines nicht genauer festlegbaren Alemannen, der in die letzten Jahrzehnte des 13. Jahrhunderts gehört. Sein redender N a m e D e r
wilde
Alexander
(„der unbe-
hauste A l e x a n d e r " ) weist ihn als einen Künstler aus, der es trotz literarischer Bildung nicht zu einem festen Wohnsitz gebracht zu haben scheint. Spruchlied und Minnesang sind nicht immer scharf getrennt. D i e Welt, daher auch die Welt der Minne, wird mit Abstand betrachtet, sodaß die Frage keinen Sinn hat, ob der „Unbehauste" ein persönliches Recht auf die Sprache „hoher Minne" gehabt habe. Der ernste M a n n liebt in seiner gemachten Kunst das Verrätselte, das zum Nachdenken zwingt. Ein gerühmtes Lied, in dem er sich in der Kinderzeit mit anderen Kindern Blumen und Erdbeeren suchen sieht, bis Hirtenruf vor Schlangen warnt und zum Verlassen des Waldes auffordert, ist in seiner von Vergil beeinflußten Poesie ein warnender Hinweis auf das „ J ü n g s t e Gericht". Wie leicht läßt sich solch ein Lied von der Neuzeit her falsch verstehen! Ein „Minneleich" verwendet fast barockhaft-gelehrte Amor-Mythologie. Die Stellen mehren sich, die vom „ H o h e n Mittelalter" weg tief in die folgenden Jahrhunderte zeigen. Es gilt auch für einen dritten
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Zwischen hohem und spätem Mittelalter
Alemannen, der uns vom Ausgang des 13. Jahrhunderts in das frühe 14. Jahrhundert führt, für den Züricher M e i s t e r J o h a n n e s H a d l a u b , der wohl f ü r das Patriziat seiner Vaterstadt als Schreiber tätig war. Er weiß um alle Verskünste, drei „Leiche" hat er zusammengesetzt. Aber seine Sätze fluten nicht mehr, der Sprache fehlt es an innerer Spannung. Nicht ohne Krampf sucht er Minnesängererlebnisse zu erneuern. Doch ist diese Minne eine gefühlsbetonte Sinnlichkeit, die nicht jene kühle Wärme ausstrahlt, die zur „hohen Minne" vorausliegender Jahrhunderte gehört. Das Neuartige seiner Lyrik rückt ihn am erkennbarsten von der Vergangenheit ab. Walther von der Vogelweide kann einmal, von Vagantendichtung angeregt (in dem Liede Under der linden) eine Liebesszene zart andeuten. Neidhart kann lyrische Abläufe mit dörflichen Genrebildern verbinden. Das hochritterliche „Tagelied" folgt im Abwandeln morgendlichen Abschieds fester Tradition. Doch H a d l a u b baut Lieder, die lyrisches Erleben als e p i s c h e n Vorgang wiedergeben; er läßt dadurch die Lyrik an die erotische Novelle herantreten. Nach seiner eigenen lyrischen Aussage schaffen hohe Herren Zürichs, seine Mäzene, künstliche Bedingungen, in denen der überreizte Dichter seiner abweisenden „Herrin" begegnen kann. Er wird so zu einem Medium, das Erlebnisse „hoher Minne" darstellt. Man darf freilich auch hier Dichtung und Wirklichkeit nicht vorschnell verwechseln. H a d l a u b hat selbst dafür gesorgt: Er kann in Steinmars Nachfolge recht derbe Erotik besingen. Gegensätze liegen damals nahe beieinander. Fast selbstverständlich, daß er in einer Zeit, in der der philosophische „Nominalismus" ansteigt, Freude am Benennen und Beschreiben des Einzelnen hat. Dahin stellt sich auch ein Minnelied, in dem er die „Haussorge" der Ehemänner beschreibt, um sodann als größeres Weh zu beklagen, daß ihn die „Herrin" seiner Minne nicht freundlich grüßt. Ein belesener Lyriker, ein fruchtbarer Lyriker und f ü r diese Spätzeit ein Könner! Zugleich Mensch einer neuen Zeit, so sehr er in die Vergangenheit
Lyrik auf dem Wege zur Meisterkunst
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blickt! Insofern traf Gottfried Keller Richtiges, wenn er entgegen der Wirklichkeit den schreibenden H a d l a u b die „Manessische H a n d schrift" abschließen ließ. Wenn wir Minnelieder und Liedsprüche als lyrische Gebilde unterscheiden wollen, so wird es uns im Bereich des hohen Mittelalters nicht leicht gemacht. Denn so betont lyrisch die Lyrik der Minnelieder ist, Begriffe wie „ G e f ü h l " oder „ S t i m m u n g " sind hier für eine Bestimmung des Lyrischen ungeeignet. M a n denke nicht nur daran, daß auch den Minnesang Gedankenhaftes durchleuchtet. Ebenso wichtig ist, daß in dieser ausgesprochen gesellschaftlichen Kunst, die notwendig, dem Gesellschaftstanz nahe, Spielcharakter hat, „ G e f ü h l " oder „ S t i m m u n g " keine vorherrschenden Träger des Lyrischen sein können. A m ehsten darf man die Lyrik der Minnelieder eine ins Bewußtsein gehobene Ich-Du-Lyrik nennen. Ihr gegenüber ist die Lyrik der Liedsprüche und der aus ihr hervorgehenden Lyrik der „Spruchlieder" im Regelfalle eine Grundsatzlyrik, die mit der Erfahrungsweisheit von Sprichwörtern die Richtung auf das Ethische verbindet, wobei damals eine religiöse Bindung des Ethischen selbstverständlich ist. Nicht zufällig suchen sich zwischenständische Poeten, die nach der Vorstellung dieser Zeit „ F a h r e n d e " und daher Heimatlose sind, die Kunst solcher Spruchlyrik zu ihrem Schaffensfeld aus. Sie müssen bestrebt sein, sich aus der Breite des „fahrenden" Volkes durch ein gewisses M a ß schulmäßiger Gelehrsamkeit herauszuheben, das viele von ihnen als ungeweihte Jungkleriker erworben haben werden. Sich in Lateinisches hineinfinden, Lesen und Schreiben können, mindestens die einfache Technik der Musik beherrschen, das sind die Fähigkeiten, die ihnen das Recht geben, sich beim Bauen und Vertonen von Versgefügen als „ M e i s t e r " von Liedkunst zu fühlen. Walther von der Vogelweide, der mitten zwischen Ritterdichtern und „fahrenden" Sängern stand, machte diesen Berufs-
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poeten den Weg frei, der sie aus einem „unterliterarischen" Artistendasein in die H ö h e der literarischen Welt führte. Wie wir gesehen haben, waren auch später Zwischengestalten möglich. Reinmar von Zweter, wohl ein Ritterbürtiger, entschied sich aus Anlage f ü r den unruhigen Weg des Spruchdichters. Konrad von Würzburg, in seinen Anfängen gewiß ein „Fahrender", stellte sich, durch sein Talent unterstützt, in die Nähe der Hoflyriker und Ritterständischen. An beiden (an Reinmar von Zweter und an Konrad von Würzburg) wird erkennbar, daß die gesellschaftlichen Umschichtungen des späteren 13. Jahrhunderts die Gruppe der zwischenständischen Sänger begünstigt, die der ritterbürtigen Sänger zurückdrängt. Denn Männer, die außerhalb des Ritterstandes geboren sind, sichern sich, ohne Kleriker zu werden, als Verskünstler ein eigenes Feld „magistraler" Betätigung. D a ß unter ihnen solche sind, die gelegentlich die Ritterkunst des Minnesangs aufgreifen, wie der schon vor 1250 einsetzende Marner, erklärt sich hinlänglich aus dem Zeitwandel, zeigt aber nicht das Charakteristisch-Neue der nachstaufischen Lyrik. Dies tritt uns dort entgegen, wo Spruchsänger mit einem oft fragwürdigen Gelehrtenstolz als „Meister" der Liedkunst einen Artistenstand höherer Stufe entwickeln, insoweit bedingt Vorläufer spätmittelalterlicher poetae lateinischer Sprache, die aus der Artistenfakultät der Universitäten hervorgehen. Den nicht immer erfreulichen T y p dieser „Meister" mögen uns zunächst von außen her zwei der stärker hervorgetretenen Sänger erkennbar machen. Ein Niederdeutscher, der Sachse R u m s 1 a n d („Räume-das-Land") zeigt schon in seinem Imperativnamen sein unbehaustes Leben an. Er hat bis in das Jahr 1290 Sprüche gebaut. Gern besucht er norddeutsche H ö f e und dringt sogar bis zum dänischen H o f e vor. Er erscheint demnach an Stellen, die auch in der nachstaufischen Unruhe literarische Traditionen festhalten, wenn auch in anderer Weise als die südwestdeutsche H o f - und Stadtwelt. Er erläutert einmal das Technische der Meisterkunst, indem er be-
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schreibt, auf welche Weise lange Verse der Spruchtöne im Taktieren gewonnen werden. Er sagt nämlich vom Marner, den er den „besten deutschen Singer" nennt, obgleich er ihn in der gleichen Spruchweise angreift: „Du hast die Musica an der Hand, die Silben an den Fingern gemessen." Etwas jünger ist wohl der R e g e n b o g e n , wahrscheinlich ein Oberschwabe. Die städtisch-zünftlerisdien Meistersinger des ausgehenden Mittelalters sprachen ihm den Namen „Barthel" als ererbten Namen zu und wollten wissen, daß er ursprünglich Schmied gewesen sei. Nach 1300 ist er in Mainz „Meister" Frauenlob begegnet, der uns besonders beschäftigen wird; er hat ihn überlebt. Sein Schaffen können wir noch nicht zureichend aus dem Überlieferten beurteilen. Bei allem Willen zur Tradition bedarf er langer und breiter Strophengebäude, um seine Gedanken im Stile der Zeit den Versen einzuzählen. Mit herangerafftem Wissen prunkend, müht er sich, Erkenntnisse in einer zweckhaften Sprache auszudrücken, die jedes lyrischen Zaubers entbehrt. Enggeistige Streitdichtung ist ihm ein Mittel, sich im öffentlichen Ansehn zu steigern. Möglich, daß Spätere die Sage anheimelte, er sei vom Schmiedehandwerk ausgegangen. Doch darf man ihn nicht einen „bürgerlichen" Dichter nennen. Der „Bürger" (ursprünglich Bewohner eines befestigten Ortes) ist damals entweder ein Patrizier, der mit der Ritterschaft verbunden ist, oder ein Handwerker, der in den Zusammenschlüssen der Zünfte lebt. Weder Regenbogen noch Rumsland noch ihre Kunstgefährten haben zu solcher Stadtwelt in der Art ihres Schaffens eine ständische Beziehung. Diese „Meister" kennen immer noch, wie etwa einst Freidank, in grundsätzlicher Aussage nur die drei Urstände der Pfaffen, Ritter, Bauern. Von dort her ist sogar fast sicher, daß Regenbogen nicht aus städtischen Kreisen kommt. In keinem Falle aber sollte man den Begriff „bürgerlich" als Lob oder Tadel an die Kunstausübung dieser mehr oder minder unbehausten „Meister" anlegen. Auch ist nicht glücklich, daß wir den Begriff „Meistergesang" auf das spätmittelalter15
N e u m a n n , Literatur
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lich-städtische Ende dieser Kunstrichtung eingeschränkt haben, so sehr die späten Meistersinger etwa seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert unter streng-städtischen Bedingungen dichten. Schon vor 1230 (um 1220?) nennt Ulrich von Singenberg, der „Truchseß von St. Gallen", Walther von der Vogelweide seinen meister und den gestorbenen Walther bald nach 1230 unseres sanges meister. Hier bahnt sich an, auf den Feldern der Lyrik den Titel „Meister" dann für Poeten zu verwenden, wenn man ihnen jenseits von Standesfragen eine „magistrale" Kunst zuteilen will. Genug des Allgemeinen! Unter die Verfasser liedhafter Sprüche tritt ein Dichter, der Kunstwollen mit Tiefe des Denkens verbindet: M e i s t e r H e i n r i c h , schon in jugendlichen Anfängen, die in die Bischofsstadt Meißen führen, F r a u e n l o b genannt. Frauenlob ist viel gewandert. Im Jahre 1278, in dem der Habsburger die Schlacht auf dem Marsfelde schlägt, weilt er in Böhmen. Die Fürstenhöfe des Ostens und Nordostens (von Böhmen bis Rügen und Dänemark) haben ihn angezogen: Vorklang späterer Entwicklung, die in die Neuzeit hineinreicht. Seine letzten Jahre verbringt er in Mainz, wohl durch Erzbischof Peter von Aspelt (1308—1320), einst Kanzler Wenzels II. von Böhmen, herangeholt. Dort stirbt er Ende November 1318 und wird wie ein Großer im Dom bestattet. Frauenlob hat keine neuen Formen geschaffen und keine ungewöhnlichen Inhalte versfähig gemacht. Er lebt vielmehr aus der Fülle der Tradition. Sein Eigenes entfaltet sich im Steigern musikalischer und sprachlicher Ausdrudssweisen und im geistigen Durchdringen lyrischer Motive. Indem er von Nominalbegriffen ausgeht, bewegt er sich in einem Reiche der Gedankendinge. Ihn umgeben allegorische Gestalten wie „Frau Ehre", „Frau Minne", „Frau Welt", wobei der Begriff „Frau" (vrouwe) stets Sprachlich-Weibliches meint, das zur Idee erhoben ist. Der Eigensinn seines Grübelns wird sichtbar, wenn ihm im Worte „Hochfahrt" nicht wie im Worte
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„Ubermut" das Urlaster des Menschen (die superbia)
greifbar wird,
sondern der Aufschwung „edler H e r z e n " . Dies sprachgebundene Begriffsdenken eines Mannes, der in die Zeit der Hochscholastik hineingeboren ist, erklärt zugleich, daß er kein Epigone sein will. Gegenüber dem Sang Wolframs und Walthers betont er stolz, daß seine Kunst „aus Kessels Grunde" (aus dem „Fundament" der Gedanken) aufsteigt. In immer neuen Anläufen teilt er die ethischen Werte hochritterlicher Lebenskultur einer Welt
überständischer,
schlechthin gültiger Werte zu, wobei er weiterentwickelt, was schon bei Walther angespielt ist. Mit all dem sind wir für die Wagnisse seiner Phantasie gerüstet. Die dogmatisch-religiöse Welt und die hochritterliche Welt schwingen an geeigneten Stellen ineinander über. D e r vieldeutige Wortbegriff „Minne" bezieht sich auf etwas, das Ursprung und Ziel der Welt in sich vereint. Als bewegende Kraft ist „Minne" der Geist, der Christus und G o t t - V a t e r verbindet, Mann und Weib zusammenführt und sich überall regt, wo Leben keimt. Dies sein Denken erfüllt sich in dem Kunstwerk von „Unserer Frauen Leich". Hier wird in kühner Versinnlichung Maria zum Spiegel, in dem sich G o t t als Schöpfer von Anbeginn gesehen hat. D e r Frauenkult der Ritter und der Marienkult der Mönche, die sich getrennt entfaltet haben, sind dabei, sich im Dichterwort zu nähern. Dem entspricht, daß Frauenlob seinem „Minneleich" einen
überschwänglichen
Preis
des Weiblichen
eingliedert,
der
mittelbar ein Preis auf Maria ist, da in ihr das begriffliche Urbild erscheint, von dem aus alles Weibliche letztlich seine Würde empfängt. Durch diesen „Leich" wird uns Frauenlob am leichtesten als geschichtliche Gestalt begreifbar. Was er mit Anspannung ins Wort treibt, um das Geheimnis der „Minne" zu beschwören, erreichen am Ende des 13. Jahrhunderts in klarer Sicht der Bologneser Guinizelli, der Florentiner Cavalcanti und der Florentiner Dante Alighieri ( 1 2 6 5 — 1 3 2 1 ) , der ein echter Altersgenosse Frauenlobs ist. In Italien gelingt es, auf dem jungen Boden einer ins Literarische drängenden 15*
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Zwischen hohem und spätem Mittelalter
Sprache einen „neuen Stil" zu entwickeln. Dagegen muß Frauenlob seinen vielgliedrigen Versgefügen überhitzte Rede einschmelzen, um das Erbe einer großen Vergangenheit vom Denken her dauerhaft zu machen. Bei allem Ruhme ein Einsamer, der auf die Grenze zweier Zeiten gestellt ist! Und doch — trotz alles Gewaltsamen rauscht es geheimnisvoll durch seine „gelehrte" Verssprache. 3. D i d a k t i s c h e s
in S t r o p h e n u n d versen
Reimpaar-
In nachstaufischer Zeit nimmt lehrhaftes Dichten jeder Art an literarischer Breite zu, während die sinntragende Bildwelt echter Dichtung an bestimmender Kraft verliert: Ausdruck dafür, daß sich Sinn und Bild nicht mehr von selbst im Darstellen beispielhafter Empfindungen und Geschehnisse vereinen. Solchem Dichten, das im besten Falle ein Dichten in A l l e g o r i e n ist, darf man nicht mit dem Urteil neuerer Zeiten begegnen, die zwischen philosophierender Theologie und traditionsgebundener Erfahrung eine Welt wissenschaftlicher Erkenntnisse als Welt eigenen Rechtes entwickele haben. Als das späte Mittelalter heraufzieht, bewegen wir uns unter anderen Denkverhältnissen. Damals lockt es die „fahrenden" Berufspoeten, jede Art von krauser Gelehrsamkeit in ihre „magistrale" Kunst mit Meisterstolz aufzunehmen. Was da im späteren 13. Jahrhundert an künstlichen Proben des Scharfsinns geboten werden kann, läßt uns eine Ansammlung namenloser Strophengruppen erkennen, die in Thüringen entstanden ist. Man hat sich angewöhnt, das ungleichmäßig Uberlieferte unter dem alten, aber irreführenden Titel „ D e r W a r t b u r g k r i e g " zusammenzustellen. Uns darf genügen, die beiden Strophengruppen herauszuheben, die am ehsten den gebräuchlichen Titel rechtfertigen. Die erste Gruppe: „ D a s F ü r s t e n 1 o b", verfaßt im „Thüringer Herren-Ton". Heinrich von Ofterdingen eröffnet ein locker
Didaktisches in Strophen und Reimpaarversen
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gereihtes Streitgedicht; er trägt einen Namen, unter dem für uns weder ein Rittersänger noch ein „Meister" greifbar wird. Alle „Meister" fordert er zu einem Kampf heraus, indem er den „Fürsten aus Österreich" preist. Walther von der Vogelweide will, daß der Unterliegende gehenkt wird. Der „tugendhafte (der tüchtige) Schreiber", ein Minnesänger aus der Zeit vor 1250, preist den „Fürsten Hermann von Thüringen". Reinmar von Zweter, von Eschenbach der „Weise", schließlich ein sonst unbekannter Thüringer Biterolf treten in den Kampf gegen den Ofterdinger ein. Der Henker von Eisenach ist als Scharfrichter bestellt. Walther überwindet den Ofterdinger durch ein Wortspiel, indem er ihn verlockt, den Österreicher der Sonne zu vergleichen, obwohl der Tag, den er dem Thüringer gleichsetzt, höher stehe. Die Fürstin von Thüringen läßt sodann den Ofterdinger frei. Der Eisenacher Aufenthalt Walthers und Wolframs, bezeugt für den Anfang des 13. Jahrhunderts, mag das Motiv eines Poetenstreites herangezogen haben. Doch werden die weiten Strophen von einem unritterlichen Denken von Berufspoeten beherrscht, die auf Lohn bedacht sind. Vorausgesetzt ist das Kollegium der „sieben Kurfürsten", das seit 1257 festliegt. Ein Hinweis auf Ludwig IX., den Heiligen, der 1270 stirbt, gibt für die Entstehung die untere Grenze an. Auch der Gesamtstil der ungeschichtlichen Szene spricht gegen höheres Alter. Die zweite Gruppe: Das anspruchsvollere R ä t s e l s p i e l , verfaßt im etwas schmaleren „Schwarzen Ton". Auch wenn Kernrätsel dieser Gruppe zunächst für sich entstanden sein sollten, das Vorliegende läuft als Streitdialog ab. Klingsor aus Ungarland, ursprünglich nichts anderes als eine zwielichtige Gestalt aus Wolframs „Parzival", baut Allegorien als Rätsel auf. Den Knoten löst Wolfram von Eschenbach; ein Thüringer Fürst hört zu. Als Helfer Klingsors taucht, vielleicht durch Einsdiub, der Teufel Nasion auf, der es mit Astrologie versucht; Wolfram vertreibt ihn durch Anruf der Maria. Der Wolfram dieser Dialogstrophen ist ein „Meister"
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der „rechten Kunst". Er gewinnt im Streite gemäß seinem Satze: Den Sieg hat Gott in seiner Hand; über „Meisterschaft" (die rechte Gelehrsamkeit) verfügt, wem Gott den Sieg gewährt. Das Ganze ist weit von Wolframs „Parzival" weg. Im Jahre 1247 stirbt als letzter des Thüringer Landgrafengeschlechts Heinrich Raspe IV., jüngerer Sohn Hermanns I. von Thüringen und kurze Zeit Gegenkönig Friedrichs II., Thüringen fällt 1249 an den Markgrafen Heinrich von Meißen, einen Wettiner (gest. 1288). Man sollte das „Rätselspiel" nicht vor das Ende der altthüringischen Epoche, also nicht vor die Jahre 1247/49 setzen. Ob man im Blick auf das spätere 13. Jahrhundert an die Umwelt Erfurter gelehrter Schulen denken darf? Mit einem kurzen Schritt sind wir bei strophischen Reimwerken, die durchlaufend a l l e g o r i s c h e Dichtung sind. Sie entstehen in jener Spannung von Sinnlichkeit und Verstand, die seit der Spätantike im akademisch-lateinischen Oberbau des Mittelalters weiterwirkt. Als sich jene kurzlebige Welt hochritterlicher Dichtung auflöst, in der Übersinnliches in Sinnlich-Gestalthaftes eingeschmolzen ist, dringt dies spätantik-christliche Erbe allegorischen Denkens vor. Wo es Dichtung werden will, teilt es Begriffliches einer künstlich aufgebauten Zuständlichkeit, ja einer unecht-epischen Handlung zu. In der „Minnegrotte" Gottfrieds war solch eine überirdisch-irdische Welt als etwas Vorübergehendes einer Romanhandlung eingefügt. Anders verhält es sich in einer „ K l ä g e d e r K u n s t " , die man mit gutem Grunde K o n r a d v o n W ü r z b u r g (gest. 1287) zuschreibt und die in seine späteste Zeit gehören wird. Hier tritt uns in Konrads Ziersprache eine Welt entgegen, die als Ganzes allegorische Welt ist. In anmutiger Landschaft findet der Poet eine von Gott gesandte fürstliche Frau und ihren weiblichen Hofstaat: die Gerechtigkeit umgeben von allen Tugenden. Vor ihr klagt die „redite Kunst" gegen die „falsche Freigebigkeit", die die „Künstelosen" reich macht. Die „Richterin" verurteilt im Beisein von
Didaktisches in Strophen und Reimpaarversen
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„Kuntze" (in dem sich wohl Konrad mit seinem „Kosenamen" nennt) jeden, der die „edlen Künste" (die von Kunstwollen erfüllte Meisterdichtung) nicht liebt. Nunmehr überrascht nicht, daß im 14. Jahrhundert dort, wo man der Minnekunst zugewandt bleibt, die Welt „Hoher Minne", die stets weitgehend ein Ideenrealismus bestimmte, durch eine allegorische Scheinwelt versinnlicht werden kann. Bis ins 15. Jahrhundert ist daher eine „Minneallegorie" beliebt, die der poetisch begabte oberpfälzische Ritter H a d a m a r v o n L a b e r gegen 1340 in seinem langgezogenen Strophenwerke „ J a g d " erarbeitet: bezeichnendes Beispiel für Ritterromantik am Hofe Ludwigs des Bayern. Der Minnejäger Hadamar reitet mit abstrakten Jagdhunden wie Glück, Gnade, Trost, Harre auf der Fährte eines „edlen Wildes". Ratende Waldmänner treten auf. Das vorstürmende Herz wird vom Wilde verwundet. Wölfe (die Angeber) stören. Der melancholische Jäger erjagt nicht das Wild, das in des „Herren Wildbann" entkommt. Doch hofft er klagend, daß ihm doch noch der Hund „Harre" das Wild bringt. Um dies aristokratische Jagderlebnis darzustellen, sind Gefüge einer überladenen hell-dunklen Sprache einer Kette prunkend schwerer „Titurel"-Strophen eingeschmiedet. In einer ethischen Steigerung von Minnewerben konnten Hadamars Zeitgenossen eine Lehre musterhaften Lebens aufnehmen. Das Neuartige: Echte Freude an Wald und Jagd hat hier einen Eigenwert, und Sehnsuchtsklänge vermitteln echte Stimmung, wie sich damals überhaupt Verinnerung, die den Gedanken sucht, und Hingabe an Sinnenhaftes gut miteinander vertragen. Zwei fast gleichzeitige Werke haben uns d i d a k t i s c h e L i t e r a t u r zu vertreten, die sich in p r o s a n a h e n R e i m p a a r v e r s e n ausspricht. Jedes zeigt in seiner Weise nach vorn. In der Weingartner Liederhandsdirift, die wohl um 1300 für den bischöflichen Hof von Konstanz geschrieben wird, ist am Schluß die
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sog. „ K o n s t a n z e r M i n n e l e h r e " nachgetragen, die bis in das 15. Jahrhundert wirkt. In dieser Ich-Erzählung hat der minnekranke Verfasser einen Traum. Auf einem Blumenfeld sitzt auf einer Prunksäule ein nacktes und blindes Kind: Cupido, Sohn der „Frau Minne". Cupido erläutert, was seine Attribute (wie Fittiche, Speer, Fackel), sein Säulenstand und seine Umgebung bedeuten. Dann erscheint, wie eine 20-jährige anzusehen, „Frau Minne" auf einem Taubenwagen, der durch Inschriften und Bilder die Minnewelt aufschließt. „Frau Minne", die mit Vergleichen barocker Sinnlichkeit beschrieben ist, schießt den hoffnungslos Minnekranken ins Herz; er erwadit. Den allegorischen Traumbildern schließt sich in rokokohaft-realistischer Darstellung eine Verführungslehre an. Von der Minne beraten, beginnt der Minnekranke einen beredinenden Briefwechsel. Er erreicht, daß ihn die Geliebte, die keine große Dame, sondern ein Mädchen ist, das Vater und Mutter fürchtet, in einem Kräutergarten erwartet. Dem Erfolglosen wirft „Frau Minne" Zagheit vor. Dem Kühngewordenen erliegt die Geliebte in ihrem Stübchen. Ein zweiteiliges Lehrgedicht: Die künstlich versinnlichte Begriffswelt einer Allegorie verwandelt sich in jähem Umschwung in eine Welt entseelter Sinnlichkeit. Der literarisch gebildete Autor dürfte der einzige altdeutsche Autor sein, den das berühmteste allegorische Werk des 13. Jahrhunderts beeinflußt hat: der um 1230 verfaßte hochpoetische „Rosenroman" des Lothringers Guillaume de Lorris, in dem eine Rosenknospe Sinnbild der Geliebten ist. Doch bleibt er innerlich weit von der hohen Minnewelt des Franzosen entfernt. In seinem ovidischen Minnedenken steht er der um 1270 entstandenen Fortsetzung des „Rosenromans" näher, die der gelehrte Skeptiker Jean Clopinel aus Meun verfaßt. Viel spricht dafür, daß der Verfasser der „Minnelehre" ein J o h a n n e s v o n K o n s t a n z ist, der um 1300 in Zürich urkundet und in dem aufgeklärten Kreise lebt, zu dem die Züricher Manesses (Vater und Sohn) sowie der Konstanzer Bischof gehören.
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Ein „Gelehrter", wenn auch aus anderer Welt, ist der Oberfranke H u g o v o n T r i m b e r g , der sich nach einem Dorfe unweit Kissingen nennt; Jahrzehnte hat der aufgestiegene Dorfjunge als Schulleiter am Kollegiatstift der vor dem alten Bamberg gelegenen Teuerstadt gewirkt. Seine fleißige Schriftstellern beendet er als alter Mann zunächst im Jahre 1300 und dann mit Nachträgen im Jahre 1313 im Sammelwerk einer gewaltigen Reimpredigt, die man bald den „ R e n n e r " nennt, weil Hugo von sich sagt, er lasse im Schreiben sein Roß rennen, wohin es ihn trage. Eine Parabel leitet das Ganze ein: Die Birnen eines Menschenbaumes, in dem sich Adam und Eva darstellen, fallen bei einem Windstoß in ungleiches Gelände: in das Gedörn der Hochfahrt, in die Lache der Üppigkeit, in den Brunnen des Geizes, ins Gras des Sündenschmerzes. Vom Stichwort „Hochfahrt" aus läuft ein Lasterkatalog ab, der fast Vierfünftel des Werkes beansprucht und in weitester Ausdehnung jeder Art von Habgier nachgeht. Damit alles einen Platz findet, schließen allgemeinere Belehrungen an. Dann werden in engerem Zusammenhang mit dem Hauptthema die Reue, die Beichte und die Buße behandelt. Der Schluß spricht, gleichsam um eine moralische „Summa" zu beenden, von den „letzten Dingen": vom Alter, vom Tod und Jenseits. Dem glücklosen Moralisten, der gegen jede starke Regung mißtrauisch ist, hilft bei seinen Versen eine zwar blutarme, aber volkstümlich wirksame Rhetorik. Gern bewegt er sich in kleinen Historien, Predigtmärlein und Fabeln; auch erstrebt er, mit Freidank vertraut, immer wieder sprichwörtliche Aussagen. Das Charakteristische seines Lebensspiegels, den man nicht unter den Begriff „bürgerlicher Auffassung" bringen darf: Er verharrt, die ihm nahe Welt beobachtend, im Verneinen. Und weil er keine ethische Traumwelt über sich sieht, erfüllt sich seine Weisheit in der Forderung einer maßvollen Askese, die „in der Welt" gestattet, „ohne Welt" zu sein. Er vermag daher nicht mehr mit jener Glut zu verdammen, wie es gleich nach 1160 beim Einsetzen der hochritterlichen Kultur
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der standesbewußte Heinrich von Melk konnte. Im letzten bleibt seine überständische Kritik eine recht erbauliche Kritik, weil sie alles gesellschaftliche Dasein trifft und daher niemandem allzu weh tut. Dies erklärt auch, was er nicht geahnt hat: Sein umfangreiches Werk ist in den nächsten zwei Jahrhunderten viel und gern gelesen worden. Im Jahre 1549 wird sogar eine protestantische Bearbeitung in Frankfurt am Main gedruckt. Schon Gottsched, Geliert und Lessing wußten wieder von ihm. Wegen seiner Wirkung darf auch ein bescheideneres Werk, die erste in sich geschlossene Fabelsammlung, nicht unerwähnt bleiben. Der Berner Dominikaner U l r i c h B o n e r i u s erzählt gegen 1350 für seinen Landsmann Johann von Ringenberg nach lateinischen Vorlagen als „gute Beispiele" hundert „Fabeln". Er tut es ohne satirische Schärfe in liebenswürdig plaudernden Reimversen. Die künstliche Welt der „Fabeln" liegt den Zeiten, die die „Lehrerzählung" brauchen; denn die Tiere sind hier durdi ihre Scheinmenschlichkeit besonders befähigt, Darsteller allgemeiner Thesen zu sein. Boners verbreitetes Büchlein wurde schon 1461 gedruckt. Jenes 18. Jahrhundert, das dazu neigt, die Wahrheit durch ein Bild zu sagen, hat ihn früh beachtet; Lessing hat 1759 seinen Namen entdeckt.
4. M y s t i s c h e
Prosa
Mit der nüchternen Weltklugheit Hugos von Trimberg haben wir eine Stelle erreicht, die geeignet ist, als Gegengewicht ein Kapitel über die d e u t s c h s p r a c h i g e P r o s a spätmittela l t e r l i c h e r M y s t i k einzubauen. Wir verlassen also für kurze Zeit die breite Bahn der Literaturgeschichte landläufigen Sinnes und betreten (freilich nur am Rande) ein theologisches, ja philosophisch-theologisches Feld. Aber mystische Verinnerung läßt sich damals außerhalb der lateinischen Schulwelt in heimischer
Mystische Prosa
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Sprache nur dann nachleben, wenn sie in einer eigenen Satz- und Wortwelt ausdrucksfähig wird. Zwangsläufig muß solche am Latein vorgebildete Sprache überall dort, wo sie ihrem Ursprung nahe ist, etwas von dichterischer Kraft haben. Aber noch aus
anderem
Grunde müssen wir zur Mystik des späten Mittelalters hinsehen. Sie ist zwar an Kreise gebunden, die im Kloster oder in einer klosterähnlichen Gemeinschaft der „Meditation" (einer geregelten Besinnung) leben können. Trotzdem ist sie in ihrer Vergeistigung des Seelenlebens ohne Wissen der Mystiker das geheimnisvolle Gegenüber zu dem spätmittelalterlichen Trieb, die irdische Welt in zarten oder derben Versinnlichungen zu verselbständigen. So erklärt sich denn auch, daß ein bedeutender Mystiker des 12. J a h r hunderts wie Bernhard von Clairvaux ( 1 0 9 1 — 1 1 5 3 ) erst in lateinischen und deutschen Erbauungsschriften des 14. Jahrhunderts literarisch voll wirksam wird. Doch was soll im folgenden unter Mystik verstanden werden? Die Mystik dieser Zeit erfüllt sich in nach innen gerichteten Akten geistiger Betrachtung, die frei von verschwimmender Gefühligkeit sind. Als mystische Theologie leitet sie die Seele an, sich auf einem gestuften Wege vom erreichten Seelengrunde aus mit dem Göttlichen als dem Seinsgrunde zu verbinden, wie er sich in der Trinität darstellt. Eine literarische Ansatzstelle kann sich im geistlichen Durchdringen des „Hohen Liedes" anbieten, soweit man es auf das Verhältnis von G o t t und Seele auslegt. Übungen mystischer Betrachtung, die mehr dem Ethischen zugewandt sind, können auch im geistlichen „Nachvollziehen von Christi Leben" (in der invitatio vitae Christi)
ablaufen. Letztes Ziel echter Mystik ist aber immer,
in einem Ausbruch des Geistes eine Gottesnähe oder gar Gottesschau zu erleben, die bis zur unio mystica
(bis zum Genuß mystischer
Einung) führt. Dies Ziel kann unter neuplatonischem
Sprach-
gebrauch so ausgedrückt sein, daß der G r a d und die Art dieser Einung nicht mehr klar anzugeben ist und daher die Gefahr panthe-
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Zwisdien hohem und spätem Mittelalter
istischer Auslegung heraufzieht. Im ganzen wird jedoch, etwa gemäß der Vorstellung Bernhards von Clairvaux, nur eine dem Verlöbnis gleiche Einstimmigkeit (eine unio sponsalis) gemeint. Diese behelfsmäßigen Sätze müssen genügen, den mystischen Bereich des späten Mittelalters so weit einzugrenzen, daß das Wenige, was hier von der deutschen Literatur aus zur Sprachkraft von Mystikern gesagt werden kann, vor Mißverständnissen gesichert bleibt. Das Besondere müssen mehr als sonst, und zwar weitab von jeder Vollständigkeit, ausgewählte Bekundungen ausgewählter Mystiker vertreten. Der erste Name führt uns bis in spätstaufische Zeit zurück, damit in Aussagen, die an die mystische Welt des Zisterziensers Bernhard von Clairvaux (gest. 1153) und der Pariser Chorherren Hugo von St. Victor (gest. 1141) und Richard von St. Victor (gest. 1173) erinnern. M e c h t h i l d v o n M a g d e b u r g , eine elbostfälische Niederdeutsche, die wahrscheinlich einer Ritterfamilie entstammt, steht für sich durch die dichterische Kraft ihrer geistlichen Minnesprache. Weltflüchtig verläßt sie um 1230 die engere Heimat, um in das Magdeburger Beginenhaus einzutreten, in dem Dominikaner die Seelsorger sind: damals mindestens wohl eine 21-jährige und damit fast gleichaltrig mit der Landgräfin Elisabeth von Thüringen (1207—1231). Ihre früh einsetzenden „ O f f e n b a r u n g e n " schreibt sie vom Jahre 1250 an in einer Art von rhythmischer Prosa nieder, gestützt von dem befreundeten Dominikaner Heinrich von Halle. Ihre letzten zwölf Lebensjahre verbringt sie, geistesverwandter Umgebung eingeordnet, im Zisterzienserinnenkloster Helfta ostwärts Eisleben, dadurch dem 1271 gegründeten Dominikanerkloster von Halle nahe, wo man den größten Teil ihrer „Offenbarungen" lateinisch bearbeitet. In Helfta ist sie bald nach 1280 gestorben. Fern der nordthüringisch-niederdeutschen Heimat wirkt sie in neuer Weise, als der mit süddeutschen Mystikerinnen befreundete Weltpriester Heinrich von Nördlingen im Jahre 1345
Mystische Prosa
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ihre Niederschriften als „ F l i e ß e n d e s L i c h t d e r G o t t h e i t " in ein alemannisch getöntes Hochdeutsch umsetzt, damit uns die einzige deutschsprachige Fassung ihres Werkes erhaltend. Uns berührt nicht die schwierige Frage, wie weit möglich ist, die ursprüngliche Prosa dieser Landsmännin Eikes von Repgow wiederherzustellen. Denn uns geht hier nur das lyrische Schwingen einer Sprache an, die sich auf der Bahn einer Mystik bewegt, die letztlich nicht in gestuften Erkenntnissen, sondern in fast triebhaften Visionen zur Gottesnähe vordringt. In hoher Prosa entfaltet sich eine Begabung am Nordostrande des literarischen Lebens, in ihrer Einsamkeit vor dem Zwang der Verssprache bewahrt, und schwerlich ist es Zufall, daß fast gleichzeitig im Nordwesten um die Mitte des 13. Jahrhunderts die gelehrtere flandrische Mystikerin H a d e w i j c h ihre frühniederländische Minneprosa schreibt. Mehr als alles Charakterisieren von Mechthilds mystischer Sprache sagt übrigens ein Beispiel, nämlich eine Stelle, die zu ihren frühen leidenschaftlichen Aufzeichnungen gehört: Die „minnende Seele" macht sich, von der Trinität angezogen, auf den Weg, einen „schönen Jüngling" zu finden. Angetan mit den Kleidern der Demut, Reinheit und Vollkommenheit tanzt sie, von ihm geleitet, in die Minne hinein. Er fordert sie auf, sich am schattigen Brunnen im Minnebett zu erkühlen. So geschieht es: „Frau Seele" ist so sehr „genatürt" in ihren „Herren", daß zwischen ihm und ihr nichts mag sein; als „nackte Seele" ist sie ihm für kurze Zeit zu einer „seligen Stille" in verhohlener Gemeinschaft verbunden. Nach diesem Vorspiel echt mystischer Prosa suchen wir den ritterbürtigen Thüringer E c k h a r t v o n H o c h h e i m auf, dem eine philosophisch durchdachte Mystik so sehr innere Angelegenheit war, daß sie ihn aus seiner lateinischen Theologensprache in die unbegrenztere Welt heimischer Wortgehalte hineinzwang. Um 1260 geboren (daher ungefähr gleichaltrig mit dem Meißner Frauenlob), wird er früh Dominikaner in Erfurt, sodaß er noch den greisen
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Zwischen hohem und spätem Mittelalter
Albertus Magnus (gest. 1280) in Köln gehört haben kann. Nach erster Lehrtätigkeit in Paris wird der zum magister Aufgestiegene im Jahre 1204 Ordensprovinzial für Sachsen (d. h. für ein breites Norddeutschland), 1311/12 unterriditet er zum zweiten Male in Paris, Jahre lang wirkt er sodann im Ordensdienst von Straßburg aus, und um 1325 leitet er das Dominikanerstudium in Köln; er stirbt Ende 1327 oder Anfang 1328 in Avignon. In einem vom Jahre 1328 bis in das Jahr 1329 laufenden Prozeß wird eine Reihe seiner Sätze verurteilt, nachdem er bereits 1327 auffindbare Irrtümer widerrufen hat. Die deutschen Predigten sind mit Vorzug vor Nonnen gehalten, doch darf man nicht seinen Gebrauch der deutschen Sprache aus der Seelsorge für „ungelehrte" Klosterinsassen begründen. Wo und wie sollen wir aber das tiefsinnige Sprechen dieses bedeutenden Dominikaners fassen, der seine mystischen Erkenntnisse, von neuplatonischem Denken angeregt, aus der aristotelisch beeinflußten philosophischen Theologie seines Ordens entwickelt? Bis in den Wortlaut gesichert sind die vor 1300 entstandene „ R e d e d e r U n t e r s c h e i d u n g " , die auf Fragen antwortet, und das nach 1308 entstandene „ B u c h d e r g ö t t l i c h e n T r ö s t u n g " (verfaßt für Königin Agnes von Ungarn, die Toditer König Albrechts I.) sowie die mit ihm verbundene Predigt „V o n d e m e d l e n M e n s c h e n " . Den Wortlaut der ihm zugeschriebenen Predigten (und zwar auch den der gut bezeugten) haben wir nur in mehr oder minder zuverlässigen Nachschriften. Die Sprache „Meister" Eckharts (der wegen seiner akademischen Würde „Meister" heißt) läßt sich daher als Einheit von Klang und Sinn nicht an jedem der ihm zugedachten Texte mit gleicher Bestimmtheit aufnehmen. Wohl aber wird sie in der Gesamtheit des Überlieferten am Charakter und am Ziel seines drängenden Denkens erfaßbar. Denn dies Deutsch soll in immer neuen Wendungen die Seele des Hörenden antreiben, gleich dem Wasser, das ins Meer fließt, und gleich der Minne, die nach ihrer Natur aus der Zweiheit in die Einheit strebt,
Mystische Prosa
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in Gott als den „ersten Ursprung des Einen" zu eilen, wobei übrigens die Art der Einung nicht voll ausgedeutet wird. Wer sich so von sich selbst und aller Kreatur „entbindet", ist („in Gott geboren") ein „guter Mensch", der nicht um Lohn, Ehre und Behagen wirkt, sondern als „Gottes Sohn" um Gottes und dessen Ehre willen. Was ist daher nun (vereinfacht ausgedrückt) bis ins Widersprüchliche das Eigene dieser Eckhart-Sprache? Jenseits der überkommenen Literatursprache, die in der höfisch-ritterlichen Dichtung gereift ist, wird sie fähig, aus der „Abgeschiedenheit" eines betrachtenden Geistes das bewegte Verhältnis von Idee und Wirklichkeit, von Wesenheit und kreatürlichem Dasein denkend zu durchdringen. So entsteht im Ansatz eine durchgeistigte Hochsprache neuer Art, die sich zwar aus einer Jahrhunderte alten Tradition philosophischer Theologie und insbesondere aus der Hochscholastik nährt, zugleich aber mit schöpferischer Kraft über alles ständische, ja alles akademisdigelehrte Sprechen hinausstrebt. Erweis, daß es eine Sprache sachgebundenen Denkens gibt, die es mit der Sprache der Dichter aufnehmen kann! Keiner der Eckhart-Schüler hat durch deutschsprachige Predigten so stark wie J o h a n n e s T a u l e r gewirkt. Um 1300 (wohl als Patriziersohn) in Straßburg geboren und Dominikaner geworden, bleibt er auch nach seiner Kölner Studentenzeit im Konvent seiner Vaterstadt, mit dem er 1338/39 für einige Jahre nach Basel zieht, weil der Orden dorthin dem Konflikt ausweichen kann, der Ludwig den Bayern von der Kurie trennt. Er stirbt im Jahre 1361, ohne den Grad des „Magisters" erworben zu haben. Die Nachschriften der Predigten charakterisieren ihn als einen Theologen, der die mystische Philosophie seines Lehrers in eindrucksvoller Vereinfachung anwendbar macht. Dabei schirmt er sich gegen neuplatonischen Überschwang und vor allem auch gegen selbstsicheren Spiritualismus „freier Geister" ab: Ein „vergotteter" Mensch werde nur „von Gnaden", was Gott „von Natur" sei. Mit dem Leipziger Drude
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Zwischen hohem und spätem Mittelalter
seiner Sermonen vom Jahre 1498 beginnt eine zweite Wirkung, die durch eine unechte Bekehrungsgeschichte sein Bild bis in das 19. Jahrhundert verfälscht. In unserem Zusammenhang verlangt nur der poetisch hochbegabte H e i n r i c h S e u s e (lat. Suso) nach breiterer Würdigung, der einer mit Konstanz verbundenen Ritterfamilie von Berg entstammt, aber nach der Familie der Mutter genannt wird. Vielleicht schon 1295 geboren, studiert er um 1325 unter Eckhart in Köln. Wie Tauler kein „Magister", nur Lektor (Lesemeister, Dozent) predigt er als Mönch des Konstanzer Konvents etwa seit 1335 den Rheinweg entlang bis ins Niederfränkische, und zwar vor allem in Frauenklöstern. Etwa 1348 wird er, wohl wegen einer örtlichen Schwierigkeit, aus dem Konstanzer in den Ulmer Konvent versetzt, in dem er 1366 stirbt. Im Unterschied von Tauler hält er seine mystische Theologie durch Lehrdialoge fest, die sich in einer schwingenden Dichtersprache bewegen: dadurch in der Geschichte deutschsprachiger Kunstprosa der erste mit Namen faßbare „Schriftsteller" von Rang, wenn wir von der althochdeutschen Mischprosa Notkers III. absehen. Indem er in diesen Dialogen die Rolle eines fragenden oder hörenden „Jüngers" oder „Dieners" wählt und den Lehrenden als göttliche „Wahrheit" oder „Weisheit" sprechen läßt, erhebt er seine Aussagen in eine Welt des beispielhaft Gültigen. Schon in dem gegen 1330 entstandenen „ B ü c h l e i n d e r W a h r h e i t", durch das die „Ewige Wahrheit" die Voraussetzungen und Möglichkeiten des mystischen Weges freilegt, greift er über die Hochscholastik hinweg auf Bernhard von Clairvaux und damit auf die biblisch gebundenere Mystik des 12. Jahrhunderts zurück. So sucht er denn auch zu sichern, daß das „Ich" des „wahrhaft gelassenen" (an Gott hingegebenen) Menschen im Vorgang des „Entwerdens" erhalten bleibt: in seiner Wiedergeburt mit Christus eins und doch gesondert. Der „Jünger" kann daher das ihm als „geistiges Bild" erscheinende „namenlos Wilde" (eine von allen Bindungen
Mystische Prosa
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gelöste Mystik) widerlegen, als es sich in falscher Freiheit auf Eckhart beruft. Seinen größten und bezeichnendsten Erfolg hat Seuse durch sein „ B ü c h l e i n d e r E w i g e n W e i s h e i t " . In einer hinreißenden, oft rauschhaften Sprache geschrieben, wird es zusammen mit einer erweiternden Ausgabe, dem lateinisch geschriebenen Horologium Sapientiae (der „Uhr der Weisheit"), zu einem der gelesensten Andachtsbücher des späten Mittelalters. Denn in dieser „Schule der Weisheit" ist der mystische Gang des Menschen in eine bildhafte Welt verlegt. Der „Diener" lebt das Leiden Christi als Leiden der „Ewigen Weisheit" nach, zusätzlich auch das Leiden der Gottesmutter: beides, um das Leiden überhaupt als den kürzesten und sichersten Weg zu erkennen, der zum Ursprung, zu Gott führt. Zum Schluß lehnt die „Ewige Weisheit" ab, über das Kernstück der theoretischen Mystik, den Vorgang der mystischen Einung zu sprechen, weil für den „Diener" die Lehre zuträglicher ist, wie man richtig sterben, richtig leben und bis in das Sterben hinein die „Ewige Weisheit" fröhlich loben soll. Manches spricht dafür, daß diese wortstarke Anweisung, Leid und Sorge in innerer Freiheit zu überwinden, dem späten Seuse gehört, der die Zeit der Konstanzer Unruhe hinter sich gebracht hat. Sicher hat er erst in letzten Lebensjahren jene Darstellung hergerichtet, die „D es D i e n e r s L e b e n " heißt. Ihr liegt zugrunde, was die in Zürich geborene und vor 1360 im Dominikanerinnenkloster Töß bei Winterthur gestorbene E 1 s b e t h S t a g e l in einfühlender Sprache über das Leben ihres Lehrers gesammelt hat. In dieser Vita, die durch keine Zeitmarken gegliedert ist, wirkt ein Denken, das aus der Erzählform der Legende lebt: Geschehenes wird durch unbewußte Deutung und Steigerung in eine höhere Wahrheit verwandelt. Nachdem der „Diener" nach überstarker Askese als 40-jähriger auf ein behagliches Leben gehofft hat, wird er durch Gott in einer Art von geistlicher Ritterschaft dem Leiden durch Verleumdungen ausgesetzt. Nicht zufällig endet die Vita mit einer Vision des „Dieners", in der 16
N e u m a n n , Literatur
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Zwischen hohem und spätem Mittelalter
ihm seine ungenannte geistliche Tochter nach ihrem Tode erscheint und ihm zeigt, wie sie, seine Lehren bestätigend, in die bloße Gottheit eingegangen ist. Schon an der Erzählform dieser Vita muß scheitern, wer hier so etwas wie eine neuzeitliche Biographie finden will. Das Neuartige (etwa gegenüber dem hundert Jahre älteren „Frauendienst" Ulrichs von Lichtenstein) prägt sich in einer Verinnerung aus, die alles äußere Geschehen und Tun auf den Seelengrund einer Legendengestalt bezieht. Die merkwürdigste Folge: Der „Diener" rät seiner geistlichen Tochter (der ungenannten Elsbeth Stagel) vor einer übergroßen Askese ab; jeder müsse nach einem Worte Christi ein ihm gemäßes Kreuz auf sich nehmen, nicht für alle schicke sich das Gleiche. Im Jahre 1482 gehen in Augsburg Seuses deutschsprachige Schriften zum erstenmal in den Druck, im Jahre 1555 erscheinen sie in Köln in einer lateinischen Übertragung. Dies heißt freilich nicht, daß sie noch in dieser Spätzeit mit dem Verständnis des 14. Jahrhunderts gelesen werden. Die geistige Energie, mit der Eckhart gegen das Jahr 1300 seinen Weg antrat, war ohnedies schon in Seuse abgeschwächt. Sieghaft wird vielmehr, neben Seuse längst vorbereitet, eine Mystik, die sich im Abstandnehmen von der äußeren Welt in einer nach Innen gerichteten Askese erfüllt. Diese gezähmte Mystik, die den Leser durch erbauende Rede von seinem Eigenwillen weg in die Stille passiven Seelentums zu ziehen sucht, findet sympathischen Ausdruck in einem Büchlein vom „vollkommenen Leben", dessen Verfasser, Deutschherr und Priester, sich schlicht nach der Lage seines Ordenshauses den „ F r a n c k f o r t e r " nennt und der mit nachdrücklichen Aussagen gegen „freie Geister" wohl erst am Anfang des 15. Jahrhundert schreibt. Der junge Martin Luther hat es 1516 in gekürzter Fassung und vollständig 1518 als „ E i n e d e u t s c h e T h e o l o g i e " drucken lasen. Doch warum dies alles, obwohl wir uns mit ihm nicht in den Bereichen einer der Dichtung zugewandten Literaturgeschichte aufhalten? Die Antwort:
Mystische Prosa
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Die mystische Sprache hat als Ganzes das Durchleben des Seelischen gesteigert, vertieft und verfeinert. Wir können zwar noch nicht zureichend abschätzen, wie weit sie das Ausbilden einer neuen, f ü r Dichtung aufgeschlossenen Literatursprache unmittelbar oder mittelbar gefördert hat. Deutlich dürfte aber sein, d a ß sie trotz der Gefahren überstarker Verinnerung in einer aufgespaltenen Welt eine eigene Schicht verwandter Geister sammelt, in denen eine mögliche Zukunft rege ist.
16*
VII. SPÄTMITTELALTERLICHE REFORMZEIT (1350—1520) 1. V o r a u s s e t z u n g e n
und
Grundlagen
Mit dem späten Seuse waren wir bereits in eine Zeit eingetreten, in der die längst angelaufene Veränderung der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse auf eine neue Ordnung des Gesamtlebens hindrängte. Züge des Wandels sind gut an der Politik und Gestalt Kaiser Karls IV. (1347—1378) erkennbar. Als Glied des Hauses Luxemburg am französischen Hofe erzogen, ist er durch Anlage und Herkunft hervorragend geeignet, einen neuen Typus des Fürsten darzustellen. Durch Diplomatie und Verwaltung weiß er die auseinanderfallende Reichswelt, grade auch gegenüber der Kurie, als Ordnungsgefüge zu erhalten und in seinem Erblande Böhmen ein staatliches Modell zu schaffen. Uns gehen zwei Vorgänge an, die beide mit Böhmen verknüpft sind. Der erste Vorgang: Die Verwaltung Böhmens vollzieht sich in einer mustergültigen Kanzlei. Zu literarischer Bedeutung erhebt sich der mit Schlesien verbundene Nordböhme J o h a n n v o n N e u m a r k t (gest. 1380), der von 1346/47 Notar, von 1353 bis 1374 Kanzler Karls ist und seit 1352 den Rang eines Bischofs hat. Unter ihm entwickelt sich, angelehnt an ein von Italien beeinflußtes, gepflegtes Latein, eine spätmittelalterlich-deutsche Kanzlei- und Hofsprache, die in dem dafür günstigen Prag die Mitte zwischen dem Ostmitteldeutschen und dem Bayrisch-Österreichischen hält. Dadurch verstärkt sich eine Dehnung des literarischen Lebens, die vom Süden her in das ost-
Voraussetzungen und Grundlagen
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mitteldeutsche Meißen und Schlesien, schließlich in das Nordostdeutsche übergreift. Wichtiger ist vorerst der zweite Vorgang: Die Schulen der Stifter und Orden waren in Frankreich, Italien und England durch privilegierte Körperschaften (Vereinigungen von Magistern und Scholaren) überhöht worden. So hatte sich schon um 1200 in Paris unter König Philipp Augustus (1180—1223) eine in Fakultäten gegliederte Universität von weiter Strahlkraft gebildet. Erst jetzt, und zwar im Jahre 1348, gründet Karl IV., mit der Pariser Welt vertraut, für das Reichsgebiet in Prag eine gleichrangige Universität; er schafft damit ein Vorbild für die übrigen Territorialgewalten. Eine Universität erhält 1365 (und erneuert 1386) Wien, 1386 Heidelberg, 1388 Köln, 1389 (und erneuert 1392) Erfurt, 1402 Würzburg, 1409 (durch Absplitterung von Prag) Leipzig, 1419 Rostock. Die verhältnismäßig dichte Folge der ersten Gründungen ist mitbedingt durch das „Schisma" des Jahres 1378: Doppelwahl bringt in Rom einen Italiener, in Avignon einen Franzosen auf den päpstlichen Stuhl, sie macht für die deutschen Magister den Pariser Aufenthalt ungemütlich. Zu diesen in Städte verlegten Universitätsgründungen eine Warnung: Man hüte sich, die Magister und Scholaren der Universitäten wegen ihrer städtischen Unterkünfte ständisch der städtischen Welt zuzuordnen. Man sähe dadurch am Entscheidendsten vorbei. Denn neben die Schriftkundigen alter Art, die als Voll- oder Halbkleriker aus den Stifts- und Ordensschulen hervorgegangen sind, stellen sich nunmehr Studierte neuer Art, die unabhängig von ihrer Herkunft eine eigene Würde erringen. Sie sind es, die, losgelöst von der „magistralen" Kunst des hohen Mittelalters, die Literatur der neueren Zeiten in Bewegung setzen. Seit dem späteren 15. Jahrhundert, mit dem eine neue Welle von Universitätsgründungen über Deutschland geht, beginnen solche Studierte eine neue literarische Höhenwelt aufzubauen, die sich dem antiken Latein anschließt.
246
Spätmittelalterliche Reformzeit
Wir stehen nunmehr mit dem späteren 14. Jahrhundert vor Jahrzehnten, deren Literatur sich nicht leicht zusammenordnet, weil sich in ihr eine Zeit spiegelt, die im Widerstreit ihrer Kräfte nicht zu sich selbst kommt. Wir müssen deshalb nach einem Begriff suchen, der andeutend ausdrückt, was durch die Erscheinungen des geistigen Lebens bis zu dem großen Riß durchläuft, der in schneller Weitung von den Jahren 1520/21 an mit der Kirchenspaltung entsteht. Für dies Bindende bietet sich am ehsten der Begriff der R e f o r m an, nicht zum wenigsten weil er Äußeres und Inneres erfaßt. Zur Begründung einige Hinweise, die uns helfen, das literarische Leben vor seinen geschichtlichen Hintergrund zu stellen! Die Reformwelt Karls IV. haben wir bereits gestreift. Die Spaltung der Kurie treibt sodann in die Versuche hinein, alles Gegensätzliche der abendländischen Welt durch neue Ordnungen zu überwinden, dies um so mehr, als der Südosten des Reichsgebietes von den Türken bedroht ist. Die Aufgabe ergreift als „römischer König" Karls Sohn Sigmund (1410—1437) durch Einberufen des Konstanzer Konzils, das vom Spätjähr 1414 bis zum Frühjahr 1418 tagt. Uns gehen weder die Erfolge noch die Mißerfolge des Konzils an, erst recht nicht die Mißerfolge des Basler Konzils, das im Spätjahr 1432/33 einsetzt und im Frühjahr 1449 in Lausanne ruhmlos endet. Beide Konzile haben uns nur die Unruhe anzuzeigen, die eine in Einzelinteressen aufgespaltene Welt durchzieht. Die-s gilt auch für die Vorschläge, die zusammen mit der Kirchenreform durch Reichsreform ein Gemeinwesen ausgewogener Kräfte schaffen wollen. Merkwürdigster Ausdruck dafür eine verdeckt revolutionäre Flugschrift: die von einem Unbekannten verfaßte sog. „ R e f o r m a t i o n K a i s e r S i g m u n d s", die seit dem Jahre 1449 umläuft. Nicht zufällig ist, daß der bedeutendste Geist dieses Jahrhunderts N i c o 1 a u s C u s a n u s (Nicolaus Krebs, geb. 1401 in Cues an der Mosel, gest. 1464 im Range eines Kardinals als Bischof von Brixen) in einer Verbindung von Schultheologie und mystischer Theologie im Blick
Voraussetzungen und Grundlagen
auf Gott und die Welt von einer coincidentia „Einheit der Gegensätze") spricht.
oppositorum
247 (einer
Territorialgewalten und Hausmachtinteressen lassen die Reichsreform in Plänen stecken bleiben, solange der Habsburger Friedrich III., der letzte (1452) in Rom gekrönte Kaiser, von 1440 bis 1493 durch Abwarten regiert. Um so stetiger breiten sich im 15. Jahrhundert g e i s t i g e Wandlungen aus. Von den Niederlanden her wirkt unterirdisch-reformierend eine auf das Seelische bezogene, streng ethisch gerichtete „Frömmigkeit": die sog. Devotio moderna, die dem Einzelnen ermöglicht, unter ungeordneten äußeren Verhältnissen ein dem Geistigen zugewandtes Leben zu führen. Angeregt war sie durch die hochgespannte mystische Theologie des Brabanters J a n v a n R u y s b r o e c k , der unweit Brüssel 1293 als Altersgenosse Seuses geboren wurde und dort 1381 als Chorherr starb. Sie verwandelte sich in eine Religiosität geistlicher Übungen durch das seitdem verbreitetste, bis in die Gegenwart wirkende Andachtsbuch: durch vier lateinische, viel übersetzte Traktate, die den sprechenden Titel De imitatione Christi („Die Nachfolge Christi") erhalten haben. Ihre erste Fassung verdanken wir wahrscheinlich dem 1340 in Deventer geborenen und dort 1384 gestorbenen G e r t G r o o t e , der die Gemeinschaft der „Brüder vom gemeinsamen Leben" stiften hilft. Ihre letzte, in die Öffentlichkeit dringende Fassung empfangen sie im frühen 15. Jahrhundert durch den 1379/80 geborenen Niederrheiner T h o m a s H e m e r k e n v a n K e m p e n , der erst 1471 als Chorherr in dem Stifte Agnetenberg bei Zwolle stirbt. Bedeutsamer wird in der geistigen Reformwelt seit dem mittleren 15. Jahrhundert der Einfluß römisch-antiker Autoren. Anstöße gibt der Verkehr mit Italienern, denen diese Autoren durch Fernwirkung eine heimische Welt künstlerischer Sprache aufgeschlossen haben. So greift unmittelbar in deutsche Verhältnisse der päpstliche Diplomat E n e a S i l v i o P i c c o l o m i n i ein, der am Basler Konzil
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Spätmittelalterliche Reformzeit
teilnimmt, von 1442 bis 1450 als Rat am Hofe Friedrichs III. arbeitet und von 1458 bis 1464 als Pius II. den päpstlichen Stuhl innehat. Vielleicht noch entscheidender: Die römische Literatur wird durch die A r t i s t e n f a k u l t ä t e n als Vermittlerin von Redekunst und praktischer Lebensphilosophie gefördert; sie wird dadurch zu einer bildenden Macht im geistigen Chaos einer Zeit, der die Kraft einer neuen, aufbauenden Philosophie fehlt. Diese mit „Philologie" verschwisterte Hingabe an die bonae litterae (die „schöne Wissenschaft"), die mit der Sprache Ciceros auch studia humanitatis („Wissenschaft von echter Bildung") heißen, bleibt freilich in Deutschland auf lange hin eine vieldeutige Erscheinung, die aufgrund ihres akademischen Ursprungs auf mannigfache Weise mit der Tradition verschmolzen ist. Als Letztes ein Vorgang am Rande der Reformwelten, mit dem sich gerade die Latein sprechenden „Humanisten" früh verbünden. Um die Mitte des Jahrhunderts fängt der Mainzer Patriziersohn J o h a n n G u t e n b e r g in seiner Vaterstadt an, mit beweglichen Lettern zu drucken. Das Ergebnis: Im Jahre 1455 erscheint mit Unterstützung des Mainzers Johann Fust „42-zeilig" der lateinische Bibeltext. Zwar ist damals schon die Vervielfältigung von Handschriften ein Gewerbe geworden, aber das Druckverfahren ermöglicht jetzt, zeitnahen Texten eine bis dahin nicht erreichbare Breitenwirkung zu sichern. Immerhin darf man für das spätere 15. Jahrhundert, die Zeit der „Inkunabeln" (der „Wiegendrucke"), die Bedeutung des Drucks, der noch eng am Vorbild der Handschriften festhält, nicht überschätzen. Für die deutschsprachige Dichtung endet die Handschriftenzeit in einem eindrucksvollen Beispiel. Wir verdanken es der schwer faßbaren Gestalt des Mannes, mit dessen kaiserlicher Regierung jene Periode schließt, die versucht hat, durch Entwürfe und Verhandlungen, durch geistliche und geistige Zusammenschlüsse dem aus den Tagesnöten aufsteigenden Ruf nach Reform zu genügen. Ich meine den unruhigen, vielgesichtigen Habs-
Einzelgänger im Vor- und Hauptfeld der Konzilszeit
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burger Maximilian I. (1493—1519), der sich (1459 geboren) 1477 mit Maria, der Tochter Karls des Kühnen, vermählt und daher früh mit der burgundisch-niederländischen Welt in Berührung kommt. Er veranlaßt in einem fast romantisch anmutenden Akt, daß der beamtete Tiroler H a n s R i e d i n Bozen ein Viertelhundert epischer Denkmäler des hohen Mittelalters zwischen 1504 und 1515 auf das Pergament setzt, darunter Texte, die uns wie die „Kudrun" nur hier erhalten sind: ein anderer Wegt „zu den Quellen" als der, den die „Humanisten" antreten, die Maximilian keineswegs ablehnt. Die heute in Wien liegende Handschrift, die man nach dem Schloß Ambras (unweit Innsbruck) das „Ambraser Heldenbuch" nennt, versinkt damals als eine wirkungslose Merkwürdigkeit. Dies wohl bezeichnend für das Gesamtwirken Maximilians, jenes merkwürdigen Mannes, der zu sehr in hochmittelalterliche Reichsträume eingesponnen und zugleich fast zwangsläufig auf territoriale Hausmacht bedacht ist, als daß er eine großzügige Reichsreform als mögliche Grundlage einer Lebensform an sich reißen kann.
2. E i n z e l g ä n g e r der
im V o r -
und
Hauptfeld
Konzilszeit (1350—1450)
Was ist in einer aufgespaltenen Zeit, die nicht zu einer Idealwelt der Lebensordnung hinfindet, von der Kunst des Dichtens zu erwarten? Durch Traditionen angeregt, wird sie in ihren Aussagen recht Verschiedenartiges versuchen, zumal wenn Ständisches die Sichten der Schaffenden beeinflußt. Um unseren Blick für die Möglichkeiten zu schärfen, die uns im Eingang der streng spätmittelalterlichen Welt begegnen können, seien Werke herausgehoben, die besonders sinnfällig den Zeitwandel anzeigen. Zu Karls IV. Welt paßt gut H e i n r i c h
von Mügeln
aus
dem Meißnerlande. Schon vor 1350 taucht er am königlich-böhmi-
250
Spätmittelalterliche Reformzeit
sehen Hofe der Luxemburger auf, nach der Jahrhundertmitte hat er auch Beziehungen zu Ungarn und Österreich, wohl durch die dorthin verheirateten Töchter Karls, um das Jahr 1370 verschwindet er für uns. Ein „gelehrter" Mann, aber kein Studierter neuen Stils, vielmehr ein Schriftkundiger im Hofdienst, übrigens einer, der nichts von einem „Fahrenden" an sich hat. Als Poet erfüllt er sich in einstrophigen, mehr-, ja vielstrophigen „Spruchliedern", deren Gedanken in einer oft künstelnden Rede den breiten Versgebäuden eingezählt sind. Wir wollen nur bei einer besonders zeittypischen Streitdichtung verweilen, die in Reimpaarversen abgefaßt ist: bei der epischen Allegorie Der Meide Kranz („Der Kranz der jungfräulichen Gottesmutter"), die er nach Karls Kaiserkrönung vom Jahre 1355 begonnen hat. Um die Würde, zur Krone der Gottesmutter zu gehören, streiten sich vor dem Kaiser zwölf „Künste": die Philosophie, die sieben „freien Künste" (unter ihnen die Rhetorik als Vertreterin der Dichtkunst!), diePhysik als Heilkunst, die Alchemie, die Metaphysik als Lehre von Gott (dem bewegenden Geiste, dem intellectus agens), und als letzte die Theologie. Der Kaiser entscheidet sich für den Vorrang der Theologie, die „Natur" soll sie in ihrem Lande krönen. Doch die „Natur" braucht als Helfer die „Tugenden" (Tauglichkeiten im Sinne ethischer Grundkräfte), die mit allegorischer Umständlichkeit erscheinen und die Theologie krönen, nachdem sich diese durch eine Versrede über das Wesen der Trinität ausgewiesen hat. Ein neuer Streit hebt an: „Natur" beansprucht den Vorrang vor den „Tugenden", da sie ihr „Wesen" aus ihr hätten. Die Theologie läßt zwölf „Tugenden" (bei den vier platonischen Kardinaltugenden einsetzend und bei den christlichen Tugenden Glaube, Liebe, Hoffnung endend) über sich sprechen. Die Entscheidung der Theologie: Aus Gottes „Tugend" rann das Wesen der „Natur". Trotzdem sucht „Natur" in einer Nachszene zu begründen, daß aus ihr alle „Dinge" und damit alle „Tugenden" geflossen seien. Nunmehr entscheidet der „Meister dieses Buches":
Einzelgänger im Vor- und Hauptfeld der Konzilszeit
251
Gott ist es, der, gleichsam als actus purus, mit der „Tugend" der „Wahrheit" die Dinge im „Ruf seines Wortes" geschaffen hat. In bildhafter Begrifilichkeit wird auf diesem Wege eine Elementartheologie dargeboten, die zugleich Elementarwissenschaft und Elementarethik vermittelt und sich vom Mystischen fernhält. Dichten heißt hier nicht wie in hochritterlicher Zeit eine Traumwelt zum Nachleben aufbauen, sondern mit Hilfe eines Ideenrealismus das bewegte Grundgefüge der Welt und des menschlichen Daseins ins Wort bringen, wobei man nicht vergessen sollte, daß Wissenslehre eine Urform der Poesie ist. D a ß sich jedoch Heinrich auf einer anderen, akademischeren Ebene als die älteren „Meister" von Spruchliedern bewegt, bezeugt auch sein übriges Schaffen. Eine deutschsprachige „ U n g a r n c h r o n i k " , wohl um 1360 niedergeschrieben und dem österreidiischen Herzog überreicht, stellt sich zu geistigen Bestrebungen Karls I V . Das Auffallendste aber in seiner literarischen Tätigkeit: Er überträgt 1369 für einen südsteirischen Landesherrn die Memorabilia
des V a l e r i u s M a x i m u s , eine
um das Jahr 30 dem Kaiser Tiberius (14—37) gewidmete Beispielsammlung von „Taten und Aussprüchen" aus der antiken, vor allem der römischen Geschichte, die in einer manirierten Sprache abgefaßt ist. Heinrichs freiere Wiedergabe, später auch gedruckt, hat Erfolg gehabt; der verbreitete lateinische Text mag ihm schon früher bekannt gewesen sein. Mit echter Fernwirkung der römischen Antike hat dies freilich noch nichts zu tun. Das Umsetzen lateinischer in deutsche Prosa muß am leichtesten auf einem Zwischenfeld geschehen, wo sich Belehrung und Erbauung, ja Belehrung und Unterhaltung verbinden. Hier hat ein Zeitgenosse Karls I V . einen literarischen Erfolg, an den er schwerlich gedacht hat. K o n r a d
v o n M e g e n b e r g , Ostfranke aus der Gegend
von Ansbach, dort um 1310 geboren, in Paris „Magister" geworden, von 1359 bis zu seinem Tode 1374 mit dem Regensburger Dom verbunden, setzt sich in lateinischen Schriften mit Kirchen- und reichs-
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Spätmittelalterliche Reformzeit
politischen Fragen des mittleren 14. Jahrhunderts streitbar auseinander. Mitten in dieser Tätigkeit überarbeitet er 1349/50 in deutscher Prosa den rund hundert Jahre älteren Liber de natura
rerum,
in dem der Dominikaner Thomas von Chatimpre, ein Schüler Alberts des Großen, das Naturwissen seiner Tage (von Aristoteles bestimmt) zusammengetragen hat. Konrads flüssige Gebrauchsprosa wirkt wohl nicht zum wenigsten, weil er die Mannigfaltigkeit der Natur vom moraltheologisdien Standort aus ordnet und zugleich die Neugier nach dem Merkwürdigen (dem „Kuriosen") befriedigt. Im Jahre 1475 wird dies sein „ B u c h
der
Natur"
zu ver-
stärkter Wirkung gedruckt. Bei dieser Wirkung spielt wohl mit, daß sich in diesem Werke der altmittelalterliche Sinn für das Typische und der spätmittelalterliche Sinn für das Greifbar-Besondere (universaler „Realismus" und Individuellem zugewandter „Nominalismus") mischen. An der Wende des 14. zum 15. Jahrhundert! J o h a n n e s T e p 1 schreibt 1401 den „ A c k e r m a n n
von
a u s B ö h m e n " : den
in Prosa gedichteten „Streitdialog" eines „Ackermannes" mit dem „Tode", der ihm den „12. Buchstaben" aus dem „Alphabet", nämlich „Margaretha", sein „auserwähltes Weib", am 1. August 1400 entrissen hat. Zum Stil gehört, daß er sein Ich in die Figur des „Ackermanns" einkleidet, indem er nach einem mittelalterlichen Brauche das Schreiben mit der Feder dem Arbeiten des Pfluges vergleicht. Johannes hat studiert (wohl in Prag, vielleicht auch in Paris), vor Karls I V . Tode vom Jahre 1478 wird er Notar in der nordwestböhmischen Stadt Saaz, dann dort auch rector
scholarum,
1411 geht er als Notar in die Prager Neustadt, wo er spätestens Anfang 1415 stirbt. In seinem schmalen Werke schließt er sidi einer literarischen Gattung des lateinischen Mittelalters, der Gattung des „Streitgedichtes", an. J e sechzehnmal ergreifen die Streitenden das Wort: der „Ackermann" zu heftiger Klage und Anklage, der „Tod" zu abweisender, oft die Ironie streifender Verteidigung. Wichtige
Einzelgänger im Vor- und Hauptfeld der Konzilszeit
253
Gründe des Klägers: Seine Ehe war eine Ehe aus Liebe, sein Weib eine vollkommene Edelfrau, der Tod ist ein unbarmherziger Ehebrecher. Er zerrütttet Gottes Herrschaft, denn er nimmt eher das Tüchtige als das Untüchtige. Gott soll urteilen, da der Tod seine Ungerechtigkeit nicht erkennt. Wenn Friede und Zucht aus der Welt vertrieben werden, füllt sie sich mit Bosheit und Verräterei. Ist die Liebste auch tot, im Gedächtnis lebt sie immer. Gott hat zudem den Menschen als sein Ebenbild geschaffen; aus Herzens Grund klimmt er mit den Sinnen in die Gottheit und darüber. Der Tod widerspricht sich, wenn er sich des Lebens Ende nennt und doch Herr auf der Erde bleiben will. Gott hat alles gut geschaffen, Plato und andere „Wahrsager" lehren, die Auflösung des Einen sei die Gebärung des anderen, die Welt sei ewig. Entgegnungen des „Todes": Er verfährt wie die Sonne, die über Gut und Böse scheint; Gott hat ihm die Erde zum Erbteil gegeben. Die wirkende Natur verlangt, daß alles Leben vom Sein zum Nichtsein kommt. Es finden sich noch mehr „reine Frauen" auf der Erde, aber je mehr Freude einer hat, desto mehr auch Leid. Der Tod ist Werkzeug aus Gottes Hand, ein Nichts und doch die Mitte zwischen des Lebens Ende und des Nichtseins Anfang. Zur Geburt gehört als Vertrag, daß pflichtig wiederkehrt, wer ausgesandt ist. Ein „Weiser" liebt und leidet nicht zu sehr. Der Mensch in Sünden empfangen, ist nichts als faules Aas. Wenn man „reine Frauen" ausnimmt, kann die Ehe auch ein Gefängnis sein. Eitelkeit ist in aller Welt, alle müssen den Gestorbenen nach, der Tod bleibt der Herr. Des „Todes" Rat in der Unruhe der Gegenwart: Tue das Gute, mache den Frieden stetig, liebe ein lauteres Gewissen. Gott entscheidet im 33. Kapitel: Beide haben gut gefochten. Den „Ackermann" zwang das Leid zum Klagen, den „Tod" der Angriff zur Pflicht, die „Wahrheit" zu sagen. Dem Kläger die Ehre, dem „Tode" den Sieg, da jeder pflichtig ist, das Leben dem Tode, den Leib der Erde, die Seele Gott zu geben! Ein weit-
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Spätmittelalterliche R e f o r m z e i t
schwingendes Gebet (gegliedert durch das Akrostichon „Johannes M A " ) schließt das Ganze ab. Der Rang des Denkmals ist untrennbar mit einem akademischen Sprachstil verbunden, der sich in der Kanzleiwelt Johannes von Neumarkt entwickelt hat. Dem Erregenden des Dialogs widerstrebt nicht, daß er eine am Latein geschulte Beispielsammlung aller rhetorischen Mittel bis in den Aufbau und die Klangbewegung der Sätze sein soll. Erschütternd für den Leser die von Spannung erfüllte Unruhe, die den Dialog vorwärtstreibt! Noch liegt ein Hauch des höfisch-fröhlichen Mittelalters über den Worten des Klägers. Auch lebt er noch in der Atmosphäre einer vom Piatonismus angefärbten, hochscholastischen Denkwelt, von der man nicht Einzelzüge mit italienischem „Renaissance"-Denken verknüpfen sollte. Um so schärfer treten die pessimistischen Thesen des „Todes" hervor, denen Gott den Begriff der „Wahrheit" zuspricht. Sie beziehen sich nicht nur auf das damalige Böhmen, sondern allgemein auf die Zeit um 1400, die in Unstetigkeit dahintreibt. Aus dem Munde des „Todes" rät eine Art Seneca-Weisheit zum entsagenden Abstand vom Irdischen, indem sie die Lebenden zu einer Moral des reinen Gewissens ruft. Der „Ackermann" wirkt stark nach der Hussitenzeit, und zwar vor allem in Süddeutschland. Schon 1463 erscheint in Bamberg der erste Druck, den sich Gottsched abgeschrieben hat. Bald nach dem Jahre 1400 vollendet H e i n r i c h W i t t e n w i 1 e r , von Geburt Thurgauer, das merkwürdigste Denkmal dieser Zeit: das tragikomische Versepos „ D e r R i n g " . Ob man ihn einem „Heinrich von Wittenwile, genannt Müller" gleichsetzen darf, der im Jahre 1426 im hohen Alter „Bürger zu Lichtensteig" im Toggenburgischen ist? In jedem Falle spricht Vieles dafür, daß der Belesene in öffentlichem Dienste tätig war. Der „Ring" des Titels meint den mit Ironie betrachteten „Lauf der Welt", wie er sich, vom Triebhaften gelenkt, in einer possenhaften Dorfgeschichte darstellt, die Hochzeit und Krieg (die Welt der „Venus" und des „Mars")
Einzelgänger im Vor- und Hauptfeld der Konzilszcit
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zusammenbringt. Das Grundgerüst hat sich der Wittenwiler aus einer alemannisch-schwäbischen Kleinerzählung „VonMetzen Hochzeit" geholt. Doch ist es mit dem „Ring" allein nicht getan. Der vom „Ring" gehaltene „Edelstein" meint Lehren, die dem Dorfgeschehen eingeschmolzen sind und es obendrein gliedern. Der erste Teil lehrt, wie man lieben soll: Bertschi Triefnas, Dörfler in Lappenhausen, müht sich um die häßliche Mätzli. Der Minner turniert mit Dorfgenossen in einem wüsten Kampfspiel, das auch „Herr Neidhart" nicht regeln kann. Zwei Schreibkundige erteilen „Minnelehren" und setzen je einen Liebesbrief auf: Der Dorfschreiber für Bertschi, der Arzt für die von ihm verführte Mätzli. Der zweite Teil lehrt für Leib und Seele weltläufige Lebenskunst: Im Rat von Bertschis Verwandten sprechen die Männer gegen, die Frauen für die Ehe; die Frauen siegen. Drauf wird der werbende Bertschi von Mätzlis Verwandten geprüft. Man erteilt ihm eine Meisterlehre, eine Gesundheitslehre, eine Morallehre, eine Haushaltslehre. Verlobung und Hochzeit vollziehen sich im Gebrauch eines Wortschatzes, der Geschlechtliches und Unflätiges ohne Doppeldeutigkeit ausspricht. Das Essen (ein wildes Fressen und Saufen) bietet eine negative Anstandslehre. Das Getobe des Tanzes springt durch den beanstandeten Griff eines Gasttänzers in eine Rauferei um. Der dritte Teil lehrt, wie man am besten in Kriegszeiten verfährt: Die Lappenhäuser werfen ihre Gäste hinaus, die besonders betroffenen Nissinger bereiten den Krieg vor. Ein rohes Idyll unterbricht die Politik: Bertschi beendet mit Mätzli die Hochzeit im Brautbett. Dann belehrt uns der Rat der Lappenhäuser, die sich in einer Art von Reformgeist wie souveränes „Volk" gebärden, über alle Kriegsarten. Für die zu Hilfe gerufenen Städte der damaligen Welt macht der Amtmann von Konstanz den vergeblichen Versuch, den Frieden zu retten. Die ins Mythische greifende Schlacht, gestaltet von einer Phantasie, die das Groteske sudit, bestimmen die Nissinger. In diesem gespenstischen Trojanerkrieg entscheidet eine Verräterin den
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Spätmittelalterlidie Reformzeit
Fall Lappenhausens. Bertschi, der sich auf einen uneinnehmbaren Heuschober gerettet hat, findet im zerstörten Dorf seine „Hausfrau" Mätzli tot. Er geht in den „Schwarzwald", um sich in „ganzer Andacht" das „ewige Leben" zu verdienen. Das Ganze ist ein welthaltiger großepischer Versuch in verworrener Zeit, die nicht zuläßt, gegebene Möglichkeiten des Daseins einer gepflegten Lebensordnung einzugliedern. Wittenwiler hilft sich in dieser Not durch eine ungewöhnliche Komposition. Er verbindet Unterhaltendes mit Nutzbarem, indem er ein in die Parodie gesteigertes Geschehen an überzeitlicher Lehre mißt. Er tut es in einer prosanahen gemischten Sprache, die kühn „unterliterarisches" Wortgut nach oben zieht. Seine zeitbedingte Tragik, deren er sich schwerlich bewußt ist: Indem er sich mit seiner praktischen Gelehrsamkeit in der brodelnden Tiefe einer burlesken Handlung auslebt, sucht er nach der Idealgestalt eines Mannes von Welt, der sich in einem Leben von Stil erfüllt. In seinem Schaffen ein Einsamer! Denn der „Ring" ist uns nur durch einzige Abschrift von Wittenwilers verlorenem Handexemplar überliefert. In anderer Weise ist der musikalisch begabte O s w a l d v o n W o l k e n s t e i n eine einsame Gestalt, obwohl er nicht zum wenigsten durch die Art seines Dichtens leibhaftig vor uns steht: Schöpfer einer Meisterkunst, zu deren Reiz gehört, daß sie eine Liebhaberkunst ist. Wohl 1477 geboren, abenteuert der Südtiroler vom 10. Lebensjahre bis etwa 1400 durch die Welt. Zum Schicksal wird ihm ein unklares Besitzrecht an der Burg Hauenstein unweit Seis am Schiern. Hartes Prozessieren beschäftigt den Unbeugsamen bis zum Jahre 1427. Unglückliche Liebe zur Miterbin regt bald nach der Jahrhundertwende seine Liebeslyrik an. Früh mit König Sigmund verbunden, gerät er in die große Politik, in ihr vor allem 1415/16 als auffallende Erscheinung von der Konzilstadt Konstanz aus tätig. Etwa 1417 heiratet er die Schwäbin Margarete von Schwangau, die „Gret" seiner späteren Liebeslieder. Vom Jahre
Einzelgänger im Vor- und Hauptfeld der Konzilszeit
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1427 an lebt er fast nur noch für seine Hausmacht und die Landespolitik, sein Dichten schläft langsam ein. In zwei Handschriften, die er selbst anfertigen läßt, sind bis zum Jahre 1438 fast alle seine Lieder mit den zugehörigen ein- bis vierstimmigen Kompositionen hervorragend überliefert. Auf das Ganze gesehen, ist sein Schaffen nach seinem Tode nicht über das Familienarchiv der Wolkensteiner hinausgedrungen. Er stirbt 1445 und wird im Kloster Neustift bei Brixen beigesetzt. Wie bei Wittenwiler verursacht den Ausfall an Wirkung der Zwang, für ein neuartiges Erleben eine neuartige Sprache auszubilden, die notwendig in landschaftliche Umgangssprache hineingreift. Dies Neuartige zeigt sich eindrucksvoll in Oswalds reicher L i e b e s d i c h t u n g , die trotz überkommener Motive dem Sang von „hoher Minne" fernbleibt. Ein ausgesprochener Kunstgesang windet sich nicht selten durch vielgegliederte Versketten, in denen der Text besonders dann an Gewicht verliert, wenn weiter Kehrreim die Strophen schließt. Lieder einfacher Bauweise können sich einer zwischenständischen Lyrik (wenn man will: dem Volksliedmäßigen) annähern. Eine vitale Fröhlichkeit, in der das Erleben einer bilderreichen Natur mit dem Erleben der Liebe verschmilzt, bekundet eindringlich, daß die Geliebte in die sinnliche Welt hineingezogen ist. Zur Stellung dieser zwischen den Zeiten schwebenden Lyrik gehört, daß sich das Artistisch-Spielerische ihrer Kunst mit leichter oder kräftiger Ironie paaren kann. Was zu all dem hinzutritt, erläutert gut ein Beispiel: Ein überkünstliches Dialoggedicht zwischen Gredelein (Margarete) und Öslein (Oswald) macht unüberhörbar, daß Verlust an Stil mit Gewinn an Seelenwärme zusammengeht. Doch haben wir die charakteristischsten Aussagen des Wolkensteiners in Sprechgesängen, die eine Gattung B i o g r a p h i s c h e D i c h t u n g heraufführen. Hier spricht er Bruchstücke seiner individuellen Chronik in lange, vielreimige Strophen hinein. So vereint er im Jahre 1425 in dem vielleicht auffallendsten Gedicht 17
N e u m a n n , Literatur
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Spätmittelalterliche R e f o r m z e i t
einen Prunkkatalog der gesehenen Städte und Länder, ein Bild seines häuslichen, allzu häuslichen Alltags und eine Klage an die Welt über schuldlose Beschwernis. Dem Reformwillen der Konzilszeit fern, fügt er sein Leben nicht mehr einem Sinnganzen ein. Er nimmt es vielmehr mit Blick für bildnahe Situationen als eine Kette individueller Ausschnitte wahr. Mag eine allgemeine Ästhetik solch „biographische Dichtung" an den Rand von Kunst verweisen, beim Wolkensteiner ist sie echte Dichtung, weil sie eine Entdeckung ist. Jene spätmittelalterliche Denkweise, der sich alles „Universale" in die Gegenwart sinnlich naher Einzelheiten auflöst, wird hier jenseits von Theorie in Kunst umgesetzt. Dem widerspricht nicht des Wolkensteiners G e i s t l i c h e D i c h t u n g . Die Pracht seiner Marienlieder zeigt im Glänze der Natur eine „zarte Jungfrau", die die Höchste in seines „Herzens Kloster" ist. Audi die geistlichen Klänge seiner Altersverse verändern nicht den Charakter seines Dichtens; das späte geistliche Wächterlied des Greises läßt noch einmal alle Reimkünste spielen. Alles zusammengenommen: Eine gesellschaftlich begünstigte Ausnahmegesalt von ungewöhnlicher Lebenskraft, in der Geschlossenheit ihres leiblich-seelischen Empfindens von Spirituellem unberührt und daher einem spätmittelalterlichen Individualismus geöffnet, schafft sich in einem genialischen Ausbruch einen ihr gemäßen lyrischen Lebensraum.
3. E p i s c h e s i n
Versen
Wie hätten hochmittelalterliche Erzählungen des 13. Jahrhunderts im spätmittelalterlichen 15. Jahrhundert durch Abschriften weitergetragen werden können, wenn nicht immer noch Hörer und Leser bereit gewesen wären, Neugeschaffenes in der gebundenen Sprache von Reimpaarversen, ja von Sprechstrophen aufzunehmen? Ein erstes Beispiel, dem durch seine Bindung an allegorisches Denken nebenbei zufällt, übergangene M i n n e a l l e g o r i e n zu ver-
Episches in Versen
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treten! Der schwäbische Ritter H e r m a n n v o n S a c h s e n h e i m veröffentlicht im Jahre 1453 das allegorische Erzählwerk „D i e M ö r i n " : im Ich-Bericht Parodie auf einen zeitnahen Rechtsgang, der in eine romanhafte Phantasiewelt verlegt ist. Der Sachsenheimer widmet die „Mörin" dem kurfürstlichen Pfalzgrafen bei Rhein Friedrich I. (1451—1476) und seiner lebensstarken Schwester Mechthild (geb. 1418/19, gest. 1492), die zunächst den württembergischen Grafen Ludwig (1426—1450) heiratet, dann 1452 den Herzog Albrecht VI. von Österreich (1446—1463), den Bruder König Friedrichs III. Wir begegnen hier zum erstenmal einem fürstlichen Kreise, von dessen Aufgeschlossenheit die literarische Entwicklung des mittleren und späteren 15. Jahrhunderts weitgehend abhängt. Herzog Albrecht VI. gründet 1457 die vorderösterreichische Universität Freiburg im Breisgau. Graf Eberhard V. „im Bart" (1450—1496), Mechthilds Sohn aus erster Ehe, 1477 die Universität Tübingen. Der Sachsenheimer, lange mit Einfluß in der württembergischen Verwaltung tätig, hat die Niederschrift seiner größeren Versdichtungen erst in einer Art Ruhestand vollziehen können. Doch sollte man nicht zu ernst nehmen, daß sich der 1458 gestorbene in einer letzten Ausgabe der „Mörin" fast neunzig Jahre alt nennt. Ohnedies braucht uns nur wichtig zu sein, wie sich diesem belesenen württembergischen „ R a t " adliger Herkunft die Welt in der „Mörin" darstellt. Das Grundgerüst der Erzählung: Der Poet wird auf einem f ü r allegorisches Dichten typischen Spaziergang gefangen und durch Zauberei auf eine paradiesische Insel des Orients entführt. Die schwarze Brünhild, von der die Erzählung den Titel hat, ladet ihn dort vor Gericht. Mit grotesker Feierlichkeit bringt man ihn vor „Frau Venus-Minne", die heidnische Königin der Liebe. Obmann der Richter ist ihr Gemahl König Tannhäuser aus „Frankenland". Zum Poeten tritt der „getreue Eckhart", der Behüter des Venusberges. Ein öffentlicher Prozeß läuft ab, in dem man alle Rechts17*
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Spätmittelalterliche Reformzeit
regeln peinlich beachtet. Wird der mit Arglist Gefangene gehängt werden? Angeblich hat er sich mit zwanzig Jahren unter Eid zum Hofgesinde der Venus gestellt, später aber nicht mit e i n e r „Amie" begnügt. Der „freie Schwabe" gibt alles zu, nur nicht je der Venus einen Eid geschworen zu haben. Er appelliert an eine höhere, abendländische Gerichtsstelle, an die Kaiserin „Frau Abenteuer", von der auch „Frau Venus" ihre Krone habe. Nach viel, zum Teil possenhafter Umständlichkeit, in die sich weitgreifende Gespräche mischen, wird er, schon weil König Tannhäuser die Reise zu „Frau Abenteuer" sparen will, ohne Begleitung in westdeutsche Venusstädte entlassen. Zauberei trägt ihn, der der städtischen Politik nicht wohlgesinnt ist, dorthin, wo man ihn aufgegriffen hat; er kehrt zu Weib und Kind zurück. Zwischen sorglosem Ernst und spöttisch-heiterer Satire welch eine Welt von grotesker Jenseitigkeit, in die überall verhüllte geschichtliche Realität hineinragt! Der alte Ritter, der stets auf Frauen J a g d gemacht hat, ist nicht der heidnischen VenusMinne verpflichtet, seine Herrin ist „Frau Abenteuer", das Sinnbild für bewegtes Leben schlechthin. Gelehrte und volkstümliche Weisheit, Dogmatisches, politische Ratschläge, versteckt Biographisches helfen die bunte Prozeßhandlung füllen. Anspielungen auf hochmittelalterliche Erzählungen (vor allem auf Wolframs Werke) machen deren Gestalten zu Gestalten einer dem Kenner verständlichen Mythologie. Als geschichtlicher Hintergrund erhebt sich, ein mit Ironie betrachtetes gesellschaftliches Dasein, das sinnentleert dahintreibt, und jenseits von allem Reformdenken des 15. Jahrhunderts wird obendrein ein stilisierter Alltag durdi allegorische Verkleidung in ein possenhaftes Schauspiel verwandelt. Die „Mörin" hat gewirkt. Im Jahre 1512 wird sie zum erstenmal gedruckt, noch Hans Sachs und Fischart haben sie gekannt. Den Sachsenheimer haben neue literarische Strömungen noch nicht erreicht, aber trotz seines Bekenntnisses zu „Frau Abenteuer" ist er von einer „romantischen" Hingabe an altritterliche Märchenwelt
Episches in Versen
261
frei. Ein anderes Bild bietet sich uns, wenn wir im späteren 15. Jahrhundert nach dem konservativeren bayrisch-österreichischen Südosten kommen. Dort sammelt der Münchner Patrizier-Ritter P ü t e r i e h v o n R e i c h e r t s h a u s e n (geb. 1400) mit der Leidenschaft des Bücherliebhabers, vom Verfasser des „Jüngeren Titurel" und von Hadamar von Laber angezogen, alte Ritterromane; 1462 unterrichtet er in einem „Ehrenbriefe" die damals in Rottenburg (am Neckar) residierende Erzherzogin Mechthild. In seiner bibliophilen Neigung vollzieht sich ein absonderlicher Gleichlauf zur Neigung früher Humanisten, römisch-antikes Schrifttum zu sammeln. Zu ihm stellt sich der in Landshut geborene Maler U l r i c h F u e t r e r (gest. vor 1500). Zwischen 1473 und 1478 ordnet er in den Rahmen des „Jüngeren Titurel" Erzählstoffe des 13. Jahrhunderts ein (so etwa, um wenigstens Frühererwähntes zu nennen, Konrads „Trojanerkrieg", Wolframs „Parzival", Wirnts „Wigalois", Hartmanns „Iwein"). Man verstehe dies richtig! Recht prosanahe steife „Titurel"-Strophen, in deren Versen die Silben gezählt sind, müssen das stofflich Aufgenommene festhalten. Dies „ B u c h d e r A b e n t e u e r " widmet er dem bayrischen Herzog Albrecht IV., dem Weisen (1465—1508). Zusätzlich zwingt er nodi eine von ihm zugerüstete „Lantzilet" (Lancelot)-Prosa. in seine „Titurel"-Strophen. Über die verworrene Vielschichtigkeit ständischen Lebens baut Fuetrer fern von der Innenwelt des 13. Jahrhunderts eine opernhaft unterhaltende Kunstwelt, wobei er freilich im Dargebotenen nicht viel mehr als Prunkstücke fürstlicher Bibliotheken liefert. Welch ein Abstand von dem, was damals in der historischen Welt Italiens möglich ist, wenn man bedenkt, daß zwischen 1472 und 1487 B o j a r d o in Ferrara an seinem strophischen Epos L'Orlando innamorato („Der verliebte Roland") schreibt! Von diesem als Zeitausdruck wichtigen literarischen Tun führt ein grader Weg zu K a i s e r M a x i m i l i a n I. (geb. 1459), den begünstigt und hemmt, daß er im Gewoge zeitnaher Möglichkeiten
Spätmittelalterlidie Reformzeit
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mit wachen Sinnen nach allen Seiten geöffnet ist. Aus einem modernen Denken entwirft er als Lobredner seiner eigenen Gestalt romanhafte Biographien und hüllt sie zugleich spätmittelalterlich ein. So entsteht, um das namhafteste Werk herauszuheben, seit dem Jahre 1505 (mithin in Jahren, in denen Hans Ried in Bozen das „Ambraser Heldenbuch" schreibt) der „T e u e r d a n k " , die verschlüsselte Erzählung in Reimversen vom Werben um Maria von Burgund. Sie wird überarbeitet von den beiden Geheimsekretären Marx
Treitzsauerwein
und
MelchiorPfinzing.
Wie wenn sie von ihm stamme, sendet sie Pfinzing als abschließender Helfer im Jahre 1517 aus seiner Nürnberger Propstei dem jungen Karl V. (geb. 1500) zu „Ergetzlichkeit, Nutz und Lehre" zu. Der edle Held Teuerdank (Maximilian) widersteht den Versuchungen des „bösen Geistes", der sich als „gelehrter D o k t o r " verkleidet hat. Trotzdem kann er nur unter schwierigsten Abenteuern zu Ermenreich (Maria), der Tochter König Romreichs (Karls des Kühnen), gelangen, da ihm die vom „bösen Geist" betörten drei „Hauptmänner" Ermenreichs Fürwittig, Unfalo und Neidelhart die Paßübergänge sperren. Vom Siegenden wünscht Ermenreich, er solle zu höchster ritterlicher Bewährung im Kreuzzug gegen die Feinde des Christentums ziehen. Ein „englischer Geist", der ihm eine Fürstenlehre erteilt, redet ihm zu, den Kreuzzug zu unternehmen, sodaß ein nie erfüllter Wunschtraum Maximilians das Werk beendet. Eine wunderliche Schöpfung! Mit den Mitteln allegorischen Berichtens entsteht ein unechter Schlüsselroman vom vorbildlichen Helden, dessen Taten Jagd-, Kriegs- und Turnierabenteuer sind. Und beachtenswert: Mit Nürnberger Holzschnitten prächtig ausgestattet, hat der „Teuerdank" zunächst in Drucken der Jahre 1517, 1519 und 1537 gewirkt. Nach dem Sturm der Reformationszeit wird er von dem Hessen Burkard Waldis „neu zugerichtet" und erscheint so noch viermal zwischen den Jahren 1553 und 1596. Auch dies ist 16. Jahrhundert!
Vom Prosaroman zum „Volksbuch" 4. V o m
Prosaroman
zum
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„Volksbuch"
Literarische P r o s a r e d e deutscher Sprache ist seit dem frühen M i t telalter fast immer mit lateinischer P r o s a r e d e in helfender N a c h b a r schaft verbunden. Sie hat daher auch f a s t immer etwas v o n „gelehrter" P r o s a an sich, die unterrichten soll. E s liegt a m A u t o r , wenn sie sich durch die K r a f t ihrer Aussage über eine Gebraudissprache erhebt. Beachtet m a n diese lateinisch-deutschen Z u s a m m e n h ä n g e , so erklärt sich leicht, d a ß das B e d ü r f n i s nach Ü b e r t r a g u n g lateinischer Prosatexte in einer Zeit wächst, in der z w a n g s l ä u f i g immer mehr Menschen a n Fürstenhöfen, auf Ritterburgen und in S t ä d t e n in die Erregungen einer breiter werdenden „ g e l e h r t e n " Welt hineingezogen werden. E s k a n n nicht unsere A u f g a b e sein, solch neuer P r o s a in allen Richtungen nachzugehen. U m anzudeuten, w a s mit dieser Einschränkung gemeint ist: Wir müssen alle P r o s a Charakters
beiseite lassen,
auch ausgesprochene
belehrenden
Legendenprosa,
selbst wenn sie zugleich erbauen, j a unterhalten will. U n d literarisch bedeutsame P r o s a , die unter d e m Einfluß antiken Lateins als bewußt gewollte K u n s t r e d e niedergeschrieben w i r d , hat uns später in einer gesonderten Betrachtung zu beschäftigen. Doch d ü r f e n wir nicht d a r a n vorübergehen, d a ß hochmittelalterliche deutscher Sprache, die einst in
Versrede
Erzählungen
auf das P e r g a m e n t
kamen, jetzt auf dem U m w e g über lateinische Prosarede in deutscher P r o s a r e d e
lesbar gemacht werden. D a f ü r zwei Beispiele!
Der Bayer J o h a n n e s
Hartlieb
aus N e u e n b u r g an der
D o n a u (gest. 1468) schriftstellert eifrig, v o n Wittelsbachern begünstigt, seit dem J a h r e 1430. In Wien D o k t o r der Medizin geworden, ist er seit 1450 a m Münchner H o f e tätig (übrigens verheiratet mit der Tochter, die H e r z o g Albrecht I I I . aus der kurzen m o r g a n a t i schen Ehe mit der Augsburgerin Agnes Bernauer hat). D e r g e w a n d t e Übersetzer verdeutscht u m 1445 in seinem „ A l e x a n d e r "
die
verbreitetste lateinische Fassung des spätantiken A l e x a n d e r r o m a n s , die Historia
de proeliis
des Erzpriesters L e o aus N e a p e l v o m J a h r e
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Spätmittelalterliche Reformzeit
950. Seine Sprache darf man nicht sciion deshalb einem Humanistendeutsch zuordnen, weil er an einer Universität studiert hat. Sie bezeugt vielmehr, was damals aus der süddeutschen Gesellschaftssprache herauszuholen ist. Hartliebs „Alexander" wird oft zwischen 1473 und 1514 gedruckt. Das zweite Beispiel: Ein Unbekannter, wahrscheinlich ein Kleriker, überträgt in Augsburg als „Historie" eine lateinische Prosafassung manirierter Sprache, in die ein gleichfalls Unbekannter die Geschidite vom „ H e r z o g E r n s t " wohl schon im späteren 13. Jahrhundert umgesetzt hat. Beide Texte, die lateinische und die deutsche Prosa, sind in einer Handschrift des späteren 15. Jahrhunderts vereinigt erhalten. Die deutsche Fassung beginnt mit einem Bamberger Druck vom Jahre 1493 einen erfolgreichen Weg. Sie muß sich freilich im späteren 16. Jahrhundert gefallen lassen, mit Kürzungen auf eine anspruchslose zwischenständische Leserschaft zubereitet zu werden. Mehrfach werden wir weiterhin vorwegzunehmen haben, daß die Drucker im verdämmernden Mittelalter das bei ihnen Erschienene dem Lesebedürfnis einer unbegrenzten Allgemeinheit anpassen und ohne Verfassernamen auf die Buchmesse bringen. Wie diese verkürzten und umgearbeiteten Texte, die man „Volksbücher" genannt hat, im Rahmen der Literaturgeschichte zu beurteilen sind, darüber können wir uns erst vom 16. Jahrhundert aus in einem Rückblick klar werden. Zunächst genügt für uns die Feststellung, daß es mindestens seit dem späteren 14. Jahrhundert mancherlei literarische Prosa gibt, die aus spätmittelalterlicher Gesellschafts- und Gelehrtensprache erwächst, wie denn auch spätmittelalerlidie Verserzählungen schon Prosastil in sich haben. Damit stellt sich fast von selbst die Frage: Seit wann schreibt man Geschichten, die im engeren Sinne „Romane" oder „Novellen" sind, mit Vorzug in Prosa, das heißt aber in fortlaufender Rede, ohne die Aussagen durch die rhythmische Wiederkehr von Reimversen zu zähmen?
Vom Prosaroman zum „Volksbuch"
265
Früheres wiederholt sich. Vor der Mitte des 13. Jahrhunderts drang über die Niederlande eine „ L a n c e l o t"-Prosa, in hofmäßige Gesellschaftsprache umgesetzt, rheinaufwärts ein, ohne andere Prosaerzählungen anzuziehen; die Wirkung Hartmanns, Wolframs, Gottfrieds war stärker. Doch mit dem 15. Jahrhundert hat der hochmittelalterliche Versroman seine Lebenskraft verloren, soweit er mehr als märchenhafte Abenteuerkette sein will. Jetzt wird der literarische Raum für Prosaerzählungen frei, die den Leser nicht zwingen, sich einer märchenhaften Traumwelt anzuvertrauen. Das gespaltene gesellschaftliche Leben Deutschlands treibt freilich nicht dazu an, Erzählungen, die sich zu einer zusammenhängenden Romantradition vereinen können, aus eigenen Mitteln aufzubauen. Höfische Beziehungen ermöglichen, das Fehlende vom Französischen her auszufüllen. Ein früher Versuch: Die Gräfin (Isabelle)
von
Nassau-Z weibrücken
Elisabeth (gest. 1456),
aus lothringischem Fürstenadel, Tochter einer literaturfreudigen Mutter, setzt zwischen 1430 und 1440 vier französische Verserzählungen ohne eigenen Stilwillen, oft mehr schlecht als recht, in Prosa um. Alle vier gehören zur Gattung der chanson
de geste;
unbe-
kannte Berufsliteraten haben in ihnen handfeste romanhafte Geschehnisse unter ein Dach gebracht, die sich mit Anknüpfung an die Karolingerzeit als „Historien" geben. Auch wenn man begreift, daß Fürstenfrauen jener unruhigen Zeit durch Nähe zu dem harten Werke vitaler Männer nicht zur Zimperlichkeit erzogen sind, bleibt erstaunlich, wie sich die Gräfin brav durch rohe Abenteuer hindurdischreibt. Nur zu verständlich ist, daß sie als Frau den Reiz dieser Vorlagen nicht erreicht. Bei keiner „Historie" war dies so unvermeidbar wie beim „H u g e S c h e p p e l " , den eine Prachthandschrift des gräflichen Hofes erhalten hat. War doch hier Hugo Capet, der Nachfolger der Karolinger (987—996), durch Sage zum Sohne eines Ritters und einer Metzgertochter geworden, der sein Ziel als unbekümmerter Draufgänger und Liebhaber erreicht. Die
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Spätmittelalterlidie R e f o r m z e i t
zweitrangige Unterhaltungsprosa Elisabeths war nur einem kleinen Kreise zugedacht. Trotzdem muß sie erwähnt werden. Denn drei der „ H i s t o r i e n " : „ H u g e S c h e p l e r " ,
„Loher und M a 1 -
1 e r " und „ H e r p i n" sind im nächsten Jahrhundert „Volksbuch" geworden, dadurch einer ihnen gemäßen Bestimmung zugeführt; zuerst erscheint (gekürzt und verändert) in einem Straßburger Druck von 1500 die Capet-„ Historie" unter dem Titel „Hug Schapler". Schwerlich Schottland
wurde
die
Königstochter
Eleonore
von
(geb. 1433, gest. 1480), seit 1449 Gemahlin Her-
zog Sigmunds von Tirol (1427—1496) in dem bewegten Leben der Innsbrucker Residenz von der Zweibrückerin angeregt. Als eine Stuart durch Herkunft französisch sprechend, überträgt sie, wohl nicht vor 1460, die erbauliche, ethisch auf gehöhte Liebesgeschichte von P o n t u s u n d S i d o n i a , i n der ein nordspanischer Königssohn, nach Britannien verschlagen, über Verleumdungen hinweg die dortige Königstochter erhält, nachdem er sich in Schlachten und Turnieren bewährt hat. Ein höfischer Trivialroman von jenem Typus, der uns auf deutschem Boden zuerst im „Willehalm von Orlens" des Vorarlbergers Rudolf von Ems um 1240 begegnet ist. Nach ihrem Tode erscheint er, durch Holzschnitte bereichert, im Jahre 1483 in einem Augsburger Druck; im 16. Jahrhundert wird er zu einem großen Erfolg den „Volksbüchern" eingepaßt. Etwa gleichzeitig mit Eleonore hat ein Unbekannter vom Mittelrhein (vielleicht ein Kurpfälzer) den gleichen Roman in anspruchsvollerem Deutsch wiedergegeben. Weniger begünstigt als die Fürstin, hat er mit seinem Texte den Drude nicht erreicht. Mehr Glück hatte T h ü r i n g v o n R i n g o l t i n g e n (gest. 1483), letzter Sproß einer politisch tätigen Berner Patrizierfamilie von adligem Rang. Für einen Markgrafen Rudolf von Hochberg vollendet er 1456 die sachgerechte Übertragung einer französischen
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Vom Prosaroman zum „Volksbuch"
Verserzählung: die „Historie" von M e l u s i n e (der Mère
Lusigne).
Sie w a r ihm als Familiensage derer von Lusignan zugetragen und galt ihm t r o t z des Sonderbaren als Darstellung w a h r e r Begebenheiten. In ihr h o f f t eine, die zur N i x e verzaubert ist, durch einen Mensciien erlöst zu werden, m u ß aber, weil der E r w ä h l t e ein Gelübde bricht, wieder f o r t u n d bis zum jüngsten Tage in Pein leben. Die rührend-traurige Geschichte, die einen novellistischen Stoff dehnt, w i r d schnell aufgenommen, u n d mit einem
Augsburger
D r u d i v o m J a h r e 1474 t r i t t sie in eine literarische W i r k u n g ein, die bis ins späte 18. J a h r h u n d e r t anhält. Schon diese wenigen Prosaerzählungen des 15. J a h r h u n d e r t s gestatten ein allgemeineres Urteil. Keine läßt in der Bewegung ihrer Gestalten ein neues Bild von M a n n u n d Frau aufleuchten. Ü b e r kommene Vorstellungen von Frömmigkeit u n d Tugend verbinden sich mit der H i n g a b e an spannende Abenteuer, die je nach ihrem Ablauf feinere oder rohere G e f ü h l e erregen. U n d doch ist hier auf seltsame Weise etwas vom Reformwillen der Zeit gegenwärtig. In der ständischen Vielfalt des gesellschaftlichen Lebens vollzieht sich ein Ausgleich auf den Feldern des ethischen u n d ästhetischen E m p findens. Dies geschieht freilich, ohne d a ß geeignete Erzählstoffe auf das versammelt werden, was G o t t f r i e d von Straßburg den „Sinn der Geschichte" (der àventiure
meine) nannte. W e r solche Dichtun-
gen mit dem verschwimmenden, neuzeitlichen Begriffe „bürgerlich" belegen möchte, m ü ß t e unverbindliche Ehrbarkeit, Vorliebe f ü r realistisches Darstellen u n d Neigung z u m Gefühligen als „bürgerliche" Kennzeichen ansetzen. Wir werden gut tun, solche f r a g w ü r digen Bestimmungen schon deshalb zu vermeiden, weil die Mäzene dieser Literatur in Fürstenhöfen oder Patrizierhäusern sitzen, w o im Gesellschaftlichen weiterhin R i t t e r t u m gespielt wird. Die oft prunkvollen Handschriften u n d oft stattlichen Frühdrucke sind ohnedies nicht größeren Allgemeinheiten zugänglich. D a s Bezeichnendste dieser Prosawelt dürfte am sichtbarsten in der Sprache her-
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Spätmittelalterliche Reformzeit
vortreten. Indem sich verschiedene Redeweisen („gelehrte" Fachsprachen und traditionsbedingte Gesellschaftssprachen) im Erarbeiten einer literarischen Erzählsprache vermischen, entsteht bei mundartlicher Tönung ein G e m e i n d e u t s c h , das zukünftige Möglichkeiten in sich trägt. All dem widerstreitet nicht, daß auch deutsche Verserzählungen des hohen Mittelalters in Prosa aufgelöst werden. So legt im Jahre 1484 ein Augsburger Drucker eine „Historie" von „T r i s t r a n t u n d I s a l d e " vor. Die Namen sagen bereits, daß der Bearbeiter die Fassung Eilhards von Oberg benutzt hat, die den elementaren Geschehnissen zugewandt bleibt. Er hält sich noch stärker als seine Vorlage am Handlungsgerüst fest und bezieht obendrein das Ganze auf sein spätmittelalterliches Empfinden. Ein anderer Augsburger Drucker bringt im Jahre 1493 als „liebliche und kurzweilige Historie" einen W i g a 1 o i s auf den Weg. Wirnt von Grafenberg, dessen Artusroman zugrundeliegt, hatte dem Geschehen seine hochritterlichen Bekenntnisse so künstlich aufgesetzt, daß es dem Bearbeiter nicht schwer wurde, die gespensterhafte Traumhandlung aus dem Uberlieferten herauszuschälen. Das einzige Denkmal, das durch die innere Form seiner Handlung an den wirtschaftlichen Wagnissen einer neuen Zeit teilhat, ist der romanhafte „F o r t u n a t u s", den ein Augsburger Drucker im Jahre 1509 veröffentlicht, veranlaßt durch Johannes Heybier, „Apotheker in der Kaiserlichen Stadt". Fortunatus von Cypern, Bürger von Geburt, wählt vor der „Fortuna", der „Jungfrau des Glücks", Reichtum statt Weisheit. Während er trotz des verhängnisvollen Glückssäckels durch Vorsicht in „höfisches" Dasein aufsteigt, stürzen die Söhne durch das Ererbte ins Unglück. Ein Märchen von glückhaftem Aufstieg ist mit einem Gegenmärchen von glücklosem Abstieg vereint: ein zweiteiliges, verhältnismäßig roh gezimmertes Ganzes, über das „Fortuna", die Göttin einer dem Ungewissen ausgelieferten Zeit, entscheidet. Die Erzählung hat als „Volksbuch" von 1530 bis 1688 Erfolg gehabt.
Vom Prosaroman zum „Volksbuch"
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Uns bleibt nodi auszusprechen, daß sich diese zwischenständische Prosa auch auf den Feldern anderer literarischer Gattungen entwickelt. Zum Erweis müssen wir uns auf zwei Beispiele besonderer Wirkung beschränken. Das erste führt uns zu einer unter orientalischem Einfluß entstandenen „Rahmenerzählung", bei der der Rahmen und die in ihn eingelassenen Geschichten eine in sich geschlossene Einheit bilden. Gemeint ist die „Historie" in Prosa von den „ S i e b e n w e i s e n M e i s t e r n " (den Septem Sapientes), die seit dem Ausgang des 12. Jahrhunderts in lateinischen Fassungen umläuft, darauf gerichtet, durch das Erzählte Lebensweisheit und Lebenserfahrung zu vermitteln. Uns geht eine Fassung an, die im Jahre 1342 auf das Pergament kommt und zwar als Teil der weit verbreiteten Gesta Romanorum (der „Römischen Geschichten", deren Übertragung ins Deutsche man unbeholfen „D e r R ö m e r T a t " betitelt). Diocletianus, der Sohn des Kaisers von Rom, weist am Anfang einer Schweigewoche, die er sich in Voraussicht des Kommenden auferlegt hat, seine junge Stiefmutter ab, die ihn verführen will. Seine Erzieher, die „Sieben Weisen", bewahren ihn vor dem Gehängtwerden, indem sieben Tage lang je einer von ihnen dem Kaiser eine aufschiebende Geschichte erzählt, die die enttäuschte Kaiserin durch eine Gegengeschichte wirkungslos zu machen sucht. Nach dieser Woche wird die Kaiserin durch den sprechenden Diocletianus entlarvt, der die berühmte Geschichte von der Treue zweier gleichgestalteter Freunde vorträgt, die wir bereits im „Engelhard" Konrads von Würzburg kennen gelernt haben. Diese „Halserzählung", die einen gefährlichen Termin hinausrückt, schreibt 1412 H a n s v o n B ü h e l , ein Ritterlicher aus alemannischem Gebiet südlich des Schwarzwaldes, unter der Uberschrift „D i o c l e t i a n s L e b e n " in prosanahen Reimversen nieder. Die Drucke einer den „Gesta" entnommenen deutschen Prosafassung setzen sodann etwa 1470 stürmisch zu langer Folge ein, 1494 erscheint der erste niederdeutsche Druck.
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Spätmittelalterliche Reformzeit
Wie leicht freilich immer noch auch sdiwankhaft Anekdotisches in g e r e i m t e r Versrede zur Literatur erhoben wird, zeigt ein rohes Kleinwerk, das mit lockenden Holzschnitten zuerst 1473 im Druck erscheint und aus einer wohl nicht viel älteren handschriftlichen Vorlage aufgenommen ist. Mehr oder minder derbe Streiche sind als Lebenslauf um einen Namenlosen versammelt, der angeblich durch den österreichischen Herzog Otto den Fröhlichen (gest. 1339) als pfiffiger Theologiestudent Pfarrer von Kalenberg unweit Wien wird. Die Geschickt, als deren „ungelehrten" Reimer sich ein P h i l i p p F r a n k f u r t e r aus Wien nennt, hat sich bis über das Jahr 1600 im Buchhandel gehalten; wie andere Schwankbücher zeigt sie, wie schwer für uns nachzuempfinden ist, was in einer uns fernen Zeit als witzig aufgenommen wird. Der Ernst ist immer weniger durch Zeit und Ort bedingt als der Witz. In diesem Falle werden durch gewolltes Mißverstehen und drastische Handlung Hofleute, Bauern und Geistliche durch einen Pfarrherrn dumm gemacht, das Ganze erzählt in anspruchslosen, ziemlich glatten Versen, deren handfeste Reimsprache österreichisch gefärbt ist. Ebensowenig wie bei dem vom Stricker verfaßten P f a f f e n Amis des frühen 13. Jahrhunderts, an den man sich hier erinnern mag, sollte man in den frostigen Späßen so etwas wie ausgesprochene Geistlichenfeindschaft vermuten. Es gehört zum Gefüge des ständisch geordneten Mittelalters, daß gerade der Kleriker wegen seiner öffentlichen Ausnahmestellung, die sich nicht zum wenigsten im Zölibat bekundet, zur beweglichen Schwankfigur werden kann, die an sich wie an den von ihm Gefoppten das Menschlich-Allzumenschliche, das unter der Oberfläche des Lebens rege ist, satirisch offenbar machen kann. Ein kurzer Schritt, und wir sind bei der wohl wirkungsstärksten Geschichtensammlung dieser Art. Das entscheidend Neue an ihr, die darin ihre niederdeutsche Herkunft bezeugt: Es ist diesmal ein Schalk ländlicher Herkunft, der sein Narrenleben zwischen den
Vom Prosaroman zum „Volksbuch"
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Ständen treibt; er kann daher in seiner Gestalt die Klugheit der Unverbildeten offenbaren, indem er gewohntes Wortverständnis und geübten Fachverstand als unzulänglich entlarvt. Und das Weitere, dies sein Leben wird in eine stilistisch einfache Prosa eingefangen, die aus einer wenig gepflegten Alltagssprache aufsteigt. Durch Beides, durch Herkunft von unten und durch Prosarede, ganz anders als der ,Pfaffe von Kalenberg' in seinen Möglichkeiten vom Mittelalterlichen unabhängig! Dieser Schelm stellt sich in einem schmalen Buche vor, dessen Übertragungen schon im 16. Jahrhundert weite Teile Europas erobern: Anzeichen, daß seine roh geschnitzte Figur die Menschen in bedrängten, schwankenden Zeiten ansprach. Der uns erhaltene älteste Straßburger Druck vom Jahre 1515 kündigt seine fast hundert Geschichten ohne Verfassernamen (auch dies wohl niederdeutsch) unter dem Titel an: Das kurzweilig Lesen von Dyl Ulenspiegel us dem Land Brunswick. Ohne Zweifel gab es einen Spaßmacher dieses Familiennamens, der witzige Anekdoten erzeugte, aber auch an sich zog, wie immer solche Gestalten von Mutterwitz zu Sammelstellen von Geschichten werden. Die Angaben des Textes, daß er im Dorfe Kneitlingen unweit Helmstedt geboren und etwa 1350 im lauenburgischen Mölln gestorben sei, werden wohl zutreffen. Ob die niederdeutsche Erstfassung schon um 1450 (etwa gleichzeitig mit dem ,Kalenberger') entstanden ist und schon um 1480, zuerst etwa in Lübeck, gedruckt wurde? Wie dem sei, im Jahre 1500 wird jene Bearbeitung entstanden sein, die der Straßburger Druck ins Hochdeutsche umsetzt. Man verhehle sich nicht, daß diese oft derben, auch lahmen, ja unflätigen Geschichtchen, die gern die Handwerker foppen, von höherer Warte aus nur literarischen Rohstoff ausbreiten. Ihr Geheimnis ist, daß sie über das Mittelalter hinaus ungewollt eine Elementargestalt schaffen, die, unbelastet durch eine Handlung, durch die sie in ihrem Lebensgang festgelegt wird, allen Zeiten zu literarischer Verwendung freisteht.
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Spätmittelalterliche Reformzeit
5. A k a d e m i s c h e
Kunstprosa
deutscher
Sprache Die Prosaliteratur des 15. Jahrhunderts, die wir bisher kennenlernten, zeichnete fast durchgehend aus, daß sie einen Sprachgebrauch heimischer Entwicklung ins Spiel brachte. Die auffallende Ausnahme: In der „Ackermann"-Sprache ließ ein Einzelner auf der Grundlage einer neuen, aus Italien beeinflußten Kanzleisprache alle Mittel „gelehrter" Redekunst spielen. Inzwischen hatte sich durch die Reformkonzilien von Konstanz und Basel der Einfluß Italiens verstärkt, wo man längst gewohnt war, eine gepflegte Sprache am römisch-antiken Schrifttum zu entwickeln, das dort als altheimisches Schrifttum gelesen werden konnte, und zwar um so leichter, als es vor dem späteren 13. Jahrhundert kein Richtung gebendes Schrifttum romanisch-italienischer Sprache gab. Kein Wunder, daß mit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts auch in Deutschland dazu angesetzt wird, die gewohnten Formen der Prosa durch eine stilistisch anspruchsvollere Prosa zu überhöhen, die italienischen Anregungen folgt! Modellfall dieses Strebens ist das Übersetzungsdeutsch des im Aargau geborenen Juristen N i c l a s v o n W y l e (gest. 1478/ 79), wie überhaupt von jetzt an die juristische Verwaltung der Fürstenhöfe und Reichsstädte mit Vorzug Vertreter einer neuen Sprach- und Denkwelt stellt. Wyle, zunächst Ratsschreiber in Nürnberg und Eßlingen, arbeitet im Alter von 1469 bis 1478 als württembergischer Kanzler unter dem Grafen Eberhard „im Bart", der 1474 eine Gonzaga aus Mantua heiratet und 1476 die Universität Tübingen stiftet. Seit dem Jahre 1461 verdeutscht er Verschiedenartiges, vor allem „moralische" Abhandlungen italienischer Humanisten, wobei ihm die Grundregeln römischer Rhetorik die Grundregeln jeder Kunstprosa sind. Das Sammelwerk dieser seiner „Deutschungen", die T r a n s l a t i o n , erscheint 1478 im Druck. Uns gehen von den „Translatzen" des „gelehrten" Mannes nur die beiden an, die den Bereich der Dichtung aufsuchen. Die erste „Trans-
Akademische Kunstprosa deutscher Sprache
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latze" (1462 der Erzherzogin Mechthild, der Mutter des Grafen Eberhard mit Diplomatie zugeschrieben) überträgt die Novelle E u r i a l u s u n d L u c r e c i a , die Enea Silvio Piccolomini 1444 am Anfang seiner Wiener Sekretärzeit verfaßt hat und die ein Erlebnis, das der kaiserliche Kanzler Caspar Schlick (gest. 1449) im Jahre 1443 beim Romzug König Sigmunds in Siena gehabt haben soll, in ein erläutertes Geschehen umsetzen will. Vom 15. Jahrhundert aus ist sie als sprechendes Zeitdokument das, was für das hohe Mittelalter die Geschichte von „Tristan und Isold" war und für das spätere 18. Jahrhundert der „Werther" sein wird. Liebe wird hier (im Unterschied von „hoher Minne") als Naturmacht dargestellt, die über die Vernunft siegt, eine Auffassung, in der sich Klerikerund Gelehrtendenken der Zeit begegnen. Für die Darstellung werden nur „Exempla" der griechisch-römischen Antike bemüht, in denen sich eine neue Liebesmythologie vorbereitet, die im hohen Mittelalter am Rande bleibt. Die Leidenschaft einer adligen Patrizierin zu einem fremden Hofmann erfüllt sich durch die Werbemittel des Liebhabers: durch Briefwechsel und durch schwankhafte Vorkehrungen, die den Mann der Verliebten täuschen. Der politisch bedingte wehe Abschied führt die Frau in einen Liebestod, womit die als Warnung erzählte Geschichte unausgesprochen in die Minnewelt des hohen Mittelalters einkehrt. Die zweite „Translatze" (einem „Markgrafen zu Baden" gewidmet) verdeutscht, nicht minder das Zeitgefühl ansprechend, die Novelle G u i s c a r d u n d S i g i s m u n d a , aber nicht unmittelbar nach dem italienischen, im Decameron vorliegenden Wortlaut Boccaccios (1313—1375), sondern nach einer lateinischen Übertragung. Eine jung-verwitwete Fürstentochter verliebt sich in einen jungen Höfling, der edel durch „Tugend" ist, aber niederem Geschlecht entstammt. Der Vater, der das Zusammentreffen der Liebenden entdeckt, schickt der Tochter das Herz des Erwürgten, um ihr Liebesfeuer zu mindern; sie vergiftet sich und wird vom reuigen Vater mit dem Geliebten in das 18 Neumann, Literatur
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Spätmittelalterliche Reformzeit
gleiche Grab gelegt. Abwandlung jener ursprünglich provenzalischen Novelle, die Konrad von Würzburg im „Herzmäre" wiedergegeben hat! Ansprechenderes Deutsch konnte entstehen, wenn ein sprachbegabter Autor versuchte, vom Verständnis des Textes aus eine Kunstprosa neuen Stiles mit der geschichtlich gewachsenen Prosa heimischer Herkunft zu vereinen. Diesen günstigeren Weg schlägt der 1412 im Württembergischen geborene H e i n r i c h
Stain-
h ö w e 1 (sprich: Steinheuel) ein, der 1442 in Padua zum Doctor der Medizin promoviert wird und 1450 als Stadtarzt in die Reichsstadt Ulm kommt, wo er 1482 stirbt. Obwohl dieser Leibarzt des Grafen Eberhard „im B a r t " auch Magister der „freien Künste" ist, steht er nicht so wie sein Altersgenosse Niclas von Wyle im Banne des italienischen Schrifttums. Der am Wortlaut haftende und die Kunstregel beachtende Jurist verfährt anders als der dem Sprachgehalt und daher dem Leben zugewandte Mediziner. So sehr die erstaunlich reiche Schriftstellern Stainhöwels zum Verweilen verlockt, müssen wir uns wiederum auf literarisch Bedeutsames beschränken. Im Unterschied von dem gleich nach 1300 schreibenden Wiener Arzt Heinrich von Neustadt überträgt er 1461 ohne Zusätze den schon im 7. Jahrhundert bezeugten spätantiken Roman A p o 1 lonius
von Tyrus,
und zwar nach lateinischer Vorlage. Die
spannenden Reiseabenteuer dieser mit Überraschungen arbeitenden Erzählung sind durch seine Wiedergabe, für die er 1471 einen Drukker findet, wie geschaffen, noch Leser des 16. Jahrhunderts zu unterhalten. Bald nach 1460 schreibt er auch seine G r i s e 1 d i s. Mit dieser Novelle hatte Boccaccio (1313—1375) sein in das Pestjahr 1348 verlegtes „Zehntage-Werk" Decameron
geschlossen, in ihr
wahrscheinlich sein Frauenideal darstellend. Ein Markgraf heiratet eine Bauerntochter. Um sie zu erproben, verstößt er sie, nachdem er ihr ihre Kinder weggenommen hat. Zum Schein rüstet er nach Jahren eine neue Hochzeit und läßt sie zur Bedienung der Gäste holen.
Akademische Kunstprosa deutscher Sprache
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Er erhebt sie erneut zur Gemahlin, nachdem er sie gelehrt hat, wie ein Weib sein soll. Stainhöwel benutzt nicht das Original, sondern Petrarcas lateinische Übersetzung Historia Griseldis. Wie sehr die 1470/71 gedruckte Geschichte einem das Rührende suchenden Empfinden entsprach, beweist, daß sie bis tief in das 17. Jahrhundert Leser hatte. Stainhöwels großer Wurf aber wird sein „Ä s o p", der gegen 1480 in einem Augsburger Druck erscheint und bis in das frühe 18. Jahrhundert lebendig bleibt, auch noch im 15. Jahrhundert durch Übertragungen über Deutschland hinauswirkt. Das Buch, dem Herzog Sigmund von Österreidi-Tirol gewidmet, verbindet die spätantike Prosa der Fabeln, die man dem sagenhaften Griechen Aesop zuschreibt, mit Fabeln anderer Herkunft und rückt am Ende auch „moralische" Erzählungen des Spaniers Petrus Alfonsi (aus dem Anfang des 12. Jahrhunderts) und des Italieners Poggio Bracciolini (1380—1459) ein. Indem er seinem deutschen Text den lateinischen Text vorausstellt, kommt es ihm darauf an, „nicht Wort aus Wort", sondern „Sinn aus Sinn" wiederzugeben, bestrebt, ein unterhaltendes Lehrbuch „guter Sitten" vorzulegen, das man nach einem Satze von Sankt Basilius (gest. 379) mit dem Verständnis der Bienen f ü r die Blumen lesen solle. Ich denke, es wird aus all dem deutlich genug, daß Stainhöwel, der Literarisches aufnimmt, das gegen jeden Zeitwandel verhältnismäßig neutral ist, nicht auf den Gegensatz von alter und neuer Richtung festgelegt werden kann. Zugleich auch deutlich genug, daß er eine entsprechend neutrale Ehrbarkeit vertritt, ohne mit produktivem Blick ein neues Menschenbild Gestalt werden zu lassen. Der dritte in dieser geistigen Aristokratie ist A 1 b r e c h t v o n E y b , 1420 als Angehöriger einer Adelsfamilie unweit Ansbach geboren, f r ü h Domherr in Bamberg, dann auch in Eichstätt, wo er schon 1473 stirbt. Er konnte sich leisten, mit kurzer Unterbrechung, von 1444 bis 1459 zum Studieren in Oberitalien zu leben, bis er mit dem juristischen Doktor zurückkehrte. Sein E h e b ü c h l e i n vom 18*
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Spätmittelalterliche Reformzeit
Jahre 1472 (gedruckt bis 1540) wendet sich in einem Gutachten an die kaiserliche Stadt Nürnberg. Die Fragen, ob und wann man heiraten solle, wen man dabei zu wählen habe und wie die Ehe zu führen sei, hat die literarischen Kreise in den Umschichtungen des späteren 15. Jahrhunderts stark beschäftigt, nachdem unter italienischer Anregung durch Heranziehen römisch-antiker Moralphilosophie der Blick für natürliche Grundverhältnisse des Lebens geschärft war. Die uns schon durch Niclas von Wyle bekannte Novelle „Guiscardus und Sigismunda" hat in diesem Zusammenhang zu beweisen, daß man Weiblichkeit rechtzeitig verheiraten solle. Das richtige Verhalten einer verheirateten Frau wird (gleichfalls nach lateinischer Vorlage) durch die Geschichte der jungen Ehefrau
„Marina"
erläutert, die von einem erwählten Liebhaber durch eine ihr auferlegte Askese vor dem Ehebruch bewahrt wird. Der 1474 niedergeschriebene S i t t e n s p i e g e l ,
den Bischöfen von Würzburg,
Bamberg und Eichstätt gewidmet, erscheint erst 1511 aus dem Nachlaß und damit zu spät, um aufzufallen. Nur die als warnende Beispiele angehängten „Dialogerzählungen", Wiedergaben dreier K o mödien, werden bis 1550 gedruckt: Von Plautus das Intrigenstück „Bacchides", in dem zwei buhlende Schwestern, bei Albrecht „Bachis die erste" und „die andere" genannt, zwei junge Männer und deren greise Väter einfangen, sowie die nach Zwillingen benannte Verwechslungskomödie „Menaecbmi",
die bei Albrecht „Lutz der rechte"
und „Lutz der andere" heißen, und drittens von Ugolino Pisani aus Parma die neulateinisch-frivole Komödie „Philogenia",
in der bei
Albrecht die verführte „Metz" von den beiden jungen Männern „Petz" und „Letz" dem reichen Bauern „Götz" als Jungfrau angetrogen wird. Kein Zweifel, das Deutsch der beiden Novellen ist in seinem fließenden Ablauf eine weltmännisch gepflegte Prosa, die eine an Tradition gebundene Sprache und eine Sprache neuer Redekunst zu einer ausgeglichenen literarischen Hochsprache vereint. Auch kein Zweifel, das Deutsch der drei „Dialogerzählungen", das
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Anfänge neulateinischer Dichtung
Fremdes im Zuge des Möglichen an Heimisches heranrückt, wird (wie bei Stainhöwel) vom Willen bestimmt, nicht an den Worten zu kleben, sondern „Sinn und Meinung der Materien" zu treffen. Gleichwohl bleibt das gewaltsam-akademische Kunstdeutsch Wyles der fesselndste Versuch, eine neue Sprache zu erreichen, die von ihrem Gegenstand aus auf einen neuen Lebensstil gerichtet ist, den die Vernunft lenkt und der insoweit „humanistisch" heißen darf.
6. A n f ä n g e
neulateinischer
Dichtung
Man pflegt die gehobene Übersetzungs-Prosa, die in verschiedener Weise alt- und neulateinischer Sprachwerke einzudeutschen sucht, durch das Fachwort „ F r ü h h u m a n i s m u s " festzulegen. Wir sind dieser Bezeichnung ausgewichen. Denn als Gesamterscheinung ist diese Prosa zu wenig von dem Willen getragen, nach neuen Vorbildern eine neue Welt zu entwerfen. Ihre Hauptleistung dürfte sein, daß sie durch eine Sprache, die sich mehr oder minder stark an ein neues Latein anlehnt, Stofferweiterungen ermöglicht, die sich dem vielschichtigen späteren 15. Jahrhundert einfügen, ohne zu stören. Mit dieser Feststellung machen wir uns zugleich den Blick dafür frei, wo diese Ubersetzungswelt ihre Grenzen hat. In jener italienischen Welt des 14. und 15. Jahrhunderts, die in der römischheidnischen und spätrömisch-christlichen Antike eine heimische Welt ursprünglicheren Lebens fand, wurde die Phantasie zu eigenem poetischem Schaffen angeregt. Wer aber möchte das Schrifttum Wyles und Stainhöwels, ja das von Eybs dem vergleichen, obgleich damals wie in den vorausgehenden Zeiten Poesie und Redekunst in der Theorie zusammenfallen? Doch zieht auch in Deutschland mit einer jüngeren Generation die Zeit der „Dichter" (der poetae) herauf, die sich im Studium antiker Autoren einem neuen Lebensgefühl hingeben. Da sie aber dieser Weg nicht in eine gleichgeartete altheimische Welt führt, vertrauen sie sich in ihrem Dichten wie von
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Spätmittelalterliche Reformzeit
selbst dem mit Stolz erworbenen R e f o r m l a t e i n an. Denn in den Bereichen dieser neulateinischen Literatur liegen für das Aussprechen ihrer Gedanken und Empfindungen vom alten Latein her erprobte Sprachmittel und damit verbunden erprobte literarische Gattungen zu müheloser Verwendung bereit. Und die notwendige Folge? Über die deutschsprachige Dichtung, die der Tradition folgt, schiebt sich aus neuen Antrieben eine n e u l a t e i n i s c h e D i c h t u n g d e u t s c h e r H e r k u n f t , mit deren Macht wir bis tief in das 17. Jahrhundert zu rechnen haben. Wir dürfen an solcher neulateinischen Dichtung um so weniger vorbeigehen, als der Fortgang der deutschsprachigen Dichtung entscheidend dadurch bestimmt wird, daß Studierte in diese neue lateinische Literatur einsteigen und damit wiederum (wenn auch anders als in den vorausgehenden Jahrhunderten) eine z w e i s p r a c h i g e Literatur entstehen lassen. Unmöglich ist freilich für uns, diese neulateinische Literatur in einer ihr gebührenden Breite aufzunehmen. Wir müssen uns damit begnügen, am Schaffen weniger Gestalten zu erfassen, was hier im Rahmen der literarischen Gesamtentwicklung geschieht. Am Anfang muß C o n r a d C e l t i s („Meißel) stehen, der wie kein anderer als wandernder Dozent, Dichter und Gelehrter das Neue bis zum Äußersten ausgelebt hat. Unter dem Namen Conrad Pickel 1459 unweit Schweinfurt als Sohn eines Winzers geboren, zieht er nach längerer Studienzeit von 1485 an als „Fahrender" neuen Stiles umher, Verächter eines strengen Berufslebens. Kaiser Friedrich III. krönt ihn als ersten Deutschen 1487 in Nürnberg zum Poeta laureatus, was ihm einer Promotion gleichkommt. Erst 1497 wird er seßhaft, als ihn Kaiser Maximilian I. an die Wiener Universität beruft. Im Jahre 1500 läßt er die „Germania" des Tacitus drucken, im Jahre 1501 folgen die Werke der Nonne Hroswith von Gandersheim, die er in Regensburg gefunden hat. Durch haltloses Leben früh verbraucht, stirbt er in Wien im Jahre 1508.
Anfänge neulateinischer Dichtung
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Der „Poeta" Celtis spricht am eigensten aus den Kaiser Maximilian gewidmeten Amores vom Jahre 1502, deren „Elegien" um Erlebnisse versammelt sind, die er mit der Polin Hasulina, der Bairin Elsula, der Rheinländerin Ursula und der Zimbrin Barbara gehabt haben will. Bei aller Abhängigkeit von antiker und italienischer Lyrik sind sie als biographische Dichtung echtes spätes Mittelalter, und wenn in burlesken Genrebildern der Kleriker als Nebenbuhler erscheint, hat der poeta den miles (den „Ritter") ersetzt. Die gleichzeitig entstandenen, erst 1513 gedruckten Oden schaffen nach dem Vorbild des Horaz ein weltliches Kunstlied hoher Form, das sich dem musikalischen Celtis erst im Gesang erfüllt. In den „Oden" tritt, durch die Gattung bestimmt, alles, was sich auf Lebensart und Weltbetrachtung bezieht, stärker hervor. Und endlich, der Hofpoet zeigt sich am charakteristischsten 1501 in seinem Linzer „ S p i e l der
D i a n a",
einem opernhaften Auftritt mit Chören und
Tänzen, in den eine durch Maximilian vollzogene Dichterkrönung eingebaut ist. Auf das Ganze gesehen: Unruhig wie der Mann ist das Gewoge seiner Gedanken und Empfindungen. Mit Ernst und Spott, mit sicherem Blick für die Umwelt und mit literarischer Gelehrsamkeit bannt er eine spannungsreiche Welt in seine Verse, mit antiken Göttern spielend und doch von keinen religiösen Zweifeln beunruhigt. Zum Dichter macht ihn recht eigentlich eine vom Trieb gelenkte Liebe. Hochbilder von Mann und Frau, wie sie einst der Minnegesang aufstellte, sind ihm fremd. Aus den gesellschaftlichen Voraussetzungen seines Daseins singt er Freuden und Leiden einer „niederen Minne" in erstaunlicher Offenheit, zugleich überzeugter Anhänger des Marienkultes. Sein lyrischer Raum dehnt sich weit genug, um mit Biographischem Philosophisches aufzunehmen. Altes mit Neuem mischend, neigt der Verehrer des Albertus Magnus zu einem neuplatonisch gedeuteten Piatonismus, sodaß ihm das Wirken des Gottes „Amor" zu einem naturhaften Geschehen wird. Und ursprüngliches Leben stellt sidi ihm einmal im Leben der nie gesehenen
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Spätmittelalterliche Reformzeit
Lappländer dar, wie er überhaupt (darin nicht allein in seiner Zeit) romantische Züge zeigen kann. Nach seiner Auffassung sollte der poeta alles in bildlicher Rede erfassen: von der Verehrung des unerkennbaren Gottes bis hin zu den Ursachen des Alls. Celtis ist unter den poetae, wie damals die heißen, die wir H u m a n i s t e n nennen, durch Talent und geistige Beweglichkeit ein Sonderfall. Man halte sich überhaupt von der Vorstellung fern, daß alle, die sich im 15. Jahrhundert antiker Sprache und Literatur zuwenden, bereit oder gerüstet seien, mit Reformwillen aus dem Denkgefüge der spätmittelalterlichen Welt auszubrechen. Zur Erläuterung sei (Späteres vorbereitend) der 1450 geborene Elsässer J a c o b W i m p f e l i n g genannt, der als verdienter Gelehrter 1528 in Heidelberg stirbt. Er geht aus der guten Schule der Schlettstädter „Fraterherren" hervor, die im Geiste der niederländischen devotio moderna ein verinnertes Leben mit gelehrter Arbeit verbinden. Was macht es schon aus, daß er in der Jugend erotische „Elegien" verfaßt? Nach 1490 trennt er sich in einer „Elegie" auf Maria ausdrücklich von den „alten Sängern", die unzüchtig brannten: von Ovid, Catull, Properz und Tibull. Sein Reformdrang richtet sich auf eine neue Schulwissenschaft, die mit der Pflege einer gehobenen Latinität der spätscholastischen Disputierwelt den Rükken kehrt. Man darf daher auch nicht überschätzen, daß der poetisch begabte Schwabe J a c o b L o c h e r , geboren 1471 und als Ingolstädter Professor 1528 gestorben, im Jahre 1506 durch die Art, wie er sich gegen einen scholastischen Lateiner wehrt, ältere Freunde (wie vor allem Wimpfeling) gegen sich aufbringt. Von Haus aus den Schlettstädtern zugehörig, aber dann durch die italienische Welt hindurchgegangen, preist er in einer poetischen Satire die neuen Musen, indem er die Welt der Bibel, der Kirchenväter und der antiken Autoren zusammensieht, seitdem als P h i l o m u s u s bezeichnet. Der robuste Mann hat viele lateinische Verse geschrieben, zumal mit der neulateinischen Poesie die „Gelegenheitsdichtung"
A n f ä n g e neulateinischer Dichtung
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aufkommt. Als junger Professor führt er 1497 im vorderösterreichischen Freiburg die lateinische „ T r a g ö d i e v o n d e n T ü r k e n u n d i h r e m S u l t a n " auf, ein undramatisches Dialogstück, das Chöre gliedern; im gleichen Jahre krönt ihn Kaiser Max zum Poeta. Aber Celtis hat er nicht erreicht, dessen Glück war, daß er starb, bevor durch Luthers Auftreten unerwartete Entscheidungen verlangt wurden. Was um 1500 ein Mann der neuen Zeit als Lateiner erreichen konnte, zeigt H e i n r i c h B e b e l , ein schwäbischer Bauernjunge, 1472 geboren, von 1495 bis zu seinem Tode im Jahre 1518 der erste Lehrer der „Poesie" in Tübingen. Ein vielseitiger Poet, der in seinem allegorischen „Triumphus Veneris" alle Stände der Venus huldigen läßt, die sieghaft bleibt, da die „Tugend" keine Kämpfer gewinnt; 1501 durch Kaiser Max in Innsbruck poeta laureatus. Sein Ruhm haftet an den zuerst 1509 und 1512 erschienenen Facetiae („Spottreden"), die, angeregt durch das gleichnamige Werk des aus Florenz stammenden päpstlichen Sekretärs Poggio Bracciolini (gest. 1459), eine Fülle von Anekdotischem, aus dem das Leben der Zeit spricht, in witzig knapper Prosa ausbreiten. Es wurde ein langer Erfolg, der in lässigen Ausgaben noch im 17. Jahrhundert anhält. So stark übrigens Bebel durch Lehrbücher für die studia humanarum litterarum (das „Studium der menschenwürdigen Wissenschaft") als Verehrer des Römers Lorenzo Valla (gest. 1457) gewirkt hat, eine ordentliche Professur hat er selbst in dem verhältnismäßig modernen Tübingen nicht erhalten. Es war ein schwieriger Übergang, eine im Traditionellen erprobte dialektische Methode, die sich bei höchster logischer Schulung in der Disputierkunst bewährt, durch eine philologische Methode zu ersetzen, die im weltlichen Bereich an der H a n d antiker Autoren mit Ansätzen zu historischer Kritik den Blick für ursprüngliche Verhältnisse freizumachen sucht. Und nicht übersehen darf man, daß beide Gruppen, die „Scholastiker" und die „Humanisten", bei allen Spannun-
Spätmittelalterliche Reformzeit
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gen unter dem gleichen reichspolitischen und kirchlich-religiösen Horizont leben.
7. L y r i s c h e s
deutscher
Sprache
Was hatte die deutschsprachige Lyrik, die wir bei Oswald von Wolkenstein verließen, um 1500 der Lyrik der Neulateiner entgegenzusetzen? Für eine Antwort müssen wir uns in Beispielen ansehen, was seit den Tagen Karls I V . auf lyrischem Felde geschehen ist. Wie so oft sind kleinere Talente für das Verständnis eines geschichtlichen Ablaufs lehrreicher als das Schaffen eines genialen Einzelgängers, wie es der Wolkensteiner ist. In einer in Heidelberg liegenden Prachthandsdirift des frühen 15. Jahrhunderts von Montfort
ist
uns zugänglich,
was
Graf
Hugo
V.
(aus dem Hause Bregenz) hinterlassen hat. Als
Vorarlberger 1357 geboren, tritt er 1396 in herzoglich-österreichischen Hofdienst. Schon durch die erste Ehe des 15/16-jährigen, vor allem durch die dritte Ehe des Jahres 1402/03 verlegt sich sein Hauptbesitz in die Steiermark, wo er 1423 stirbt. Die Mehrung seiner Hausmacht hat ihn (wie den zwanzig Jahre jüngeren Wolkensteiner) sein ganzes Leben beschäftigt. Sein Dichten, ohne spürbare Leidenschaft für den Hausgebrauch gepflegt, ist als Zeitausdruck wichtig, weil sich in ihm der Denk- und Erlebnisbereich eines unabhängigen Liebhabers spiegelt. Mit dem Komponieren von Strophischem hat er seinen Bregenzer „Hofmusikus" beauftragt, was anzeigt, daß der Bau von Versgefügen in ihm keine Melodien weckte. Gedankendichtung trägt er in fortlaufenden Reimpaarversen oder in Strophenfolgen einfacher Bauart vor; in beiden Fällen entstehen lyrische „Reden", die ins Epische gleiten. Nur zwei Hinweise! Eine Klage über den Zerfall der Welt, der sich ihm mit dem päpstlichen Schisma und der Königszeit Wenzels (1378—1400) verbindet, entfaltet sich in einem Gespräch, das er in einem Ein-
Lyrisches deutscher Sprache
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siedlerwald mit „Herrn Parcifal" hat. Nicht minder bezeichnend: Ein Preis der „Liebe" als einer Weltmacht geht in einen Preis der Ehefrau als des „liebsten Buhlen" über. Es ist echtes spätes Mittelalter, wie sich dem Liebenden das Weibliche in individuelle Wirklichkeit umsetzt. U n d man erfährt durch solche Aussage, die gelehrte Frage von „Humanisten", ob man heiraten solle (nur zu oft eine akademische Frage der Ehelosen), traf auf längst vorbereitete Hörer. Lyrische Abhandlungen sind übrigens nicht bloß Hugos „Reden", sondern auch seine strophischen „Liebesbriefe". U n d selbst die wenigen „Lieder" sind trotz Kehrreims und literarischer Einflüsse weitgehend Rededichtungen, die sich an ein Gegenüber richten. Hier wie sonst empfängt uns daher eine prosanahe Sprache; eine Welt einfachen Empfindens und schlicht frommen Wollens ist weit weg von den lyrischen Spannungen des hohen Mittelalters. Ohne H a l t an einer musikalisch gesteigerten Kunst des Strophenbaus vollzieht H u g o durch Dichten eine Selbstbefriedigung, in deren lyrisdi-epischen Aussagen sich ein ehrbar-fürstlicher und allgemein verbindlicher Alltag decken. Ein Talent, in dessen Schaffen f ü r das frühe 15. Jahrhundert die Mittellage des Zeitgeistes erkennbar wird und das trotz seiner Wirkung f ü r uns in seinem Alltag verhüllt bleibt, ist der Ostfranke M u s k a t b l ü t , von dem wir nicht einmal den Vornamen wissen. Ein beweglicher Berufskünstler, vom Altständischen her gesehen ein „Fahrender", aber frei von jeder Äußerung bettelnder Unterwürfigkeit, von 1414 bis 1441 urkundlich als lebend bezeugt. Seine Anwesenheit auf dem Konstanzer Konzil, sein entschiedenes Eintreten f ü r die Reichspolitik, sein heftiges Ablehnen all dessen, was überkommene Lebensart zu stören scheint, machen wahrscheinlich, daß er hohe Gönner hatte, die ihm ein sorgenfrei-seßhaftes Leben sicherten. Vielleicht waren es Männer des mainfränkischen Hochadels, die ihm den Weg in das erzbischöfliche Mainz öffneten. Von seinen beinahe hundert Gesängen hat der musikbegeisterte, aber
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Spätmittelalterliche R e f o r m z e i t
melodienarme Mann Zweidrittel in seinen versreichen „Hofton" eingebaut. Mit ihm sind wir mitten im spätmittelalterlichen Madonnenkultus. Fast ein Drittel seiner Lieder sind „Marienlieder", in denen Marientheologie mit einer Sprache sinnlidier Erregung umworben werden kann. Einem lyrischen Dankgebet entsteigt auch der Dank für die Ehe mit einem „reinen Weibe". Entsprechend sind seine Liebeslieder, die sich gelegentlich dem Biographischen zu nähern scheinen, Lieder eines Ehedidaktikers; sie an Minnesängerisches heranrücken, hieße ihr Eigentümliches verkennen. Obwohl Natureingänge in „Marien"- und „Liebesliedern" nach altem Brauch nur auf seelische Vorgänge einstimmen sollen, entfalten sie sich in liebevoll genossenen Einzelheiten. Es geschieht aus einer unbewußt aufgenommenen spätmittelalterlichen Denkwelt, in der das Idealtypische zunehmend nur in der individuellen Fülle des Erschaubaren gegenwärtig wird. Seine strengdidaktischen Gesänge fordern Wahrheit und Recht, indem sie immer wieder die dem Wudiern verfallene Geldgier zu dem Grundübel der Zeit erklären, das den Adel krank gemacht habe. Seinem Reformwillen, der vor allem den Fürsten und den „Herren" eine idealisierte Vergangenheit vorhält, hat man sich offenbar gern gefallen lassen, weil er allgemeine Werte verteidigt, die theoretisch jeder anerkennen mußte. Hier dürfen auch die geistlichen „Lieder" ihren Platz finden, die H e i n r i c h L a u f e n b e r g gebaut hat. Er wird für uns um 1430 (wohl schon im besten Mannesalter) als Priester in Freiburg im Breisgau faßbar, er tritt 1445 in das Johanniterhaus der „Gottesfreunde" zu Straßburg ein und stirbt dort 1460. Im Strophenbau geübt, schafft er Singbares in großer Zahl, das von frommer Stimmung getragen wird, ohne von der Mystik bestimmt zu sein. Nicht zufällig ist, daß sich auch sein steif kunstgewerbliches Dichten um Maria bewegt, die sich ihm im Reichtum ihrer sinnbildlichen Erscheinungsweisen darstellt.
Lyrisches deutscher Sprache
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Wir wenden uns nunmehr einem Meistersinger des späten 15. Jahrhunderts zu, und das meint, einem „Singer", der als „Lyriker" schon wie ein städtischer Handwerker den „Meister"-Titel trägt, und wir sind daher mit ihm in einer anderen Welt, so viel Vertrautes uns begegnet. H a n s F o l z aus Worms, von Beruf „Barbierer", also Wundarzt, zieht nach der Reichsstadt Nürnberg, wo er 1479 bezeugt ist und vor 1515 stirbt. Weil es uns hier um Lyrisches geht, halten wir uns an seine „Meisterlieder", von denen aus er wegen seines Anspruches, „neue Kunst" zu schaffen, beurteilt werden muß. Unter solcher Kunst versteht er mit berechtigtem Stolz, daß er die „Singer" städtischer „Singschulen" von dem doppelten Zwang befreit hat, nur anerkannte alte „Töne" zu gebrauchen und bei ersten Übungen im Thema zu hoch zu greifen. Es hindert nicht, daß auch ihm vornehmster Gehalt des Dichtens die kirchlich-religiöse Welt mit Einschluß der Marientheologie ist. Er kann sogar nidit anders verfahren als „in den Himmel zu ziehen", wenn er sich über seinen Alltag erheben will. Sind ihm doch Übersinnliches und Sinnliches nicht mehr in einer Lebenseinheit verbunden, sodaß seine Lieder nur noch belehren, aber nicht bilden. Und sein betonter Wille, im Strophenbau das Schaffen musikalisch geordneter Versgefüge frei zu geben? Wie seine Kunstgefährten ordnet auch er in vielgegliederte Strophengerüste Prosareden ein. Ein fast selbständig gewordener Formtrieb, der in Reimspielen die Möglichkeiten einer unsicher gewordenen Sprache überspannt, zwingt ihn dazu, die Inhalte seiner überladenen Verskunst (biblische, dogmatische, lehrhafte Inhalte) in umständlicher Darstellung auszubreiten. Doch dazu ein Positives: Was er auch zerdehnt dahinsingt, es erklingt nicht in kalter Sachlichkeit. Seine besten Gesänge sind Stimmungsträger, die Sachliches in Erbauliches und Rührendes verwandeln. Folz zwingt uns zu einem kurzen Halt, damit wir uns klar machen können, was uns in seinem Erscheinen begegnet ist. Dies
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Spätmittelalterliche R e f o r m z e i t
Neue in einem Satz gefaßt: Wir stehen an der Stelle, wo der bedingt literarische Kunstgebrauch reichsstädtischer „Singschulen", die wir bis dahin nicht recht fassen können, in eine literarische Singwelt eignen Gepräges hinübergeführt wird. Gefördert durch einen Städter, der als Wundarzt (von den Patriziern getrennt) dem Handwerkertum nahe ist, setzt das voll ein, was man mit einer fragwürdigen Verengung des Begriffs „Meister" den M e i s t e r g e s a n g im engeren Sinne zu nennen pflegt. Wodurch wird er möglich und wodurch werden zugleidi seine Grenzen festgelegt? Längst hat die hochritterliche Lyrik ihre Lebensbasis verloren. Aber die treuen Verwalter hoher Kunst, die sich mühen, auch unter gewandelten Verhältnissen Wertgefüge durch das lyrische Wort zu erhalten, — all diese „gelehrten" Berufskünstler von notwendig zwischenständischer Haltung und Stellung, für die hier nur die Erinnerung an Frauenlob stehen mag, wo sind diese „Meister" alter Art geblieben? Sie löst vom späten 15. Jahrhundert an der studierte poeta ab, der als ein Latein sprechender „Artist" ohne Umweg die literarische Höhe römisdi-griediisdier Überlieferung zu erreichen strebt. Wohl kein Zweifel, daß die Atmosphäre jener sich verbreiternden, humanistisch-literarischen Oberwelt auch Folzens Wollen beeinflußt, ob er es gewußt hat oder nicht. Wir beachten, daß er noch mit dem Nürnberger Patrizier W i l l i b a l d P i r c k h e i m e r (1470 bis 1530) zusammengelebt hat, der in einem hohen Latein einen persönlichen Lebensstil zu einer Lebenskunst entwickelt, die er oberhalb der städtischen Kleinwelt pflegt. Dies alles zusammengenommen erklärt, daß sich der neue „Meistergesang" städtischer Mittelschichten einen ans Stoffliche (!) ausgelieferten Wirkungsraum deutschsprachigen Dichtens erobert — getragen von der Treue zu einer verblaßten Vergangenheit und bei aller zwanghaften Enge doch offen für erreichbare Gegenwart. Es liegt ein Hauch von Tragik über Folzens erzimmerten „Meisterreden", damit über all solcher meistersingerischen Spruchdichtung, die voll von Tradition, aber
Didaktische Versreden
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ohne echte Zukunft ist, wenn gleich sie ein langes schulmäßiges Leben haben wird. Bei dem Nürnberger H a n s S a c h s werden wir von neuem unter den Bedingungen einer gewandelten Zeit auf solche Kunstrede in Versen stoßen.
8. D i d a k t i s c h e
Versreden
Wir müssen nochmals bis in die Tage Karls IV. zurück, um an geeigneter Stelle das Feld von „Lehrdichtungen" zu betreten, die in alter Weise gereimte Verse aneinanderreihen. Dazu eine Erinnerung: Vor 1250 hatte der S t r i c k e r , ein kundiger Berufspoet, der zuletzt in Österreich zu fassen war, zweckhaft gebaute Allerweltsgesdiichten als Lehrstücke flüssig erzählt. Von ihm geht ein schmaler Weg zu dem in der westlichen Steiermark geborenen H e i n r i c h d e m T e i c h n e r . Schon vor 1350 wird er belehrende V e r s r e d e n veröffentlicht haben. Bis gegen 1375 mag er tätig gewesen sein, ein asketischer „Laie", der in Wien bestattet ist und offenbar stets frei von Not gelebt hat, ohne daß wir seinen nährenden Alltag näher bestimmen können. Da schon vor 1370 fast Zweidrittel seiner mehr als siebenhundert „moralischen" Betrachtungen in einer österreichischen Handschrift zusammengefaßt sind, dürfte er in oder bei dem habsburgischen Wien seine Gönner gehabt haben. Vom späteren Mittelalter aus darf man seine nüchtern vorgetragenen Weisheiten „Gedichte" nennen, weil sie aus einem kasuistischen Denken Überlegtes für Jedermann durch Beispiele verständlich zu machen suchen. Gern tut er so, als ob irgendeiner, der auf eine Frage der Theologie, der Weltbetrachtung oder der Lebensführung gestoßen sei, an ihn mit dem Wunsch um Antwort herantrete. Und fast immer schließt er seine „Rede" mit einem also sprach der Teichnär, wie wenn dieser erhobene Zeigefinger seinen Aussagen die Gültigkeit sichere. Die starke Überlieferung zeigt, daß man all das, was er mit biedermännischem Ernste für den alltäglichen Gebrauch aus-
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Spätmittelalterliche R e f o r m z e i t
breitete, ohne durch die Art des Mahnens lästig zu werden, gern aufgenommen hat. Des Teichners „reines und frommes" Leben, in dem er seinen Rat durch „sanfte Worte" in den „Garten der Welt" gesät habe, feiert aus echter Verehrung der Österreicher P e t e r S u c h e n w i r t . Nach 1370 in Wien ansässig und dort (etwa als herzoglicher Hofbeamter) gegen 1400 gestorben, trägt er mindestens in seinen späteren Jahren wie der Teichner lehrhafte „Rede" in Reimversen vor. Doch ist er dabei maniriertem Ausdruck zugeneigt. Auch ist er nicht nur in seiner Sprache anspruchsvoller als der Teichner. Er kann sich in Poetenhaltung als einen hinstellen, der aus allegorisch deutbaren „Abenteuern" einen „moralischen" Auftrag heimbringt. Auch macht die didaktische „Rede" engeren Sinns nur einen Teil seines Dichtens aus. Das für uns Lehrreichste gibt er als Mann des H o f lebens in „Zeitgedichten"; Fürsten- und Herrenpreis, den er mit Vorzug in „Totenklagen" ausspricht, steigert er als angesehener Kenner durch die Kunst der Wappenschilderung. Hofdichtung ist auch die merkwürdige Verschronik, in der er aus eigener Anschauung knapp beschreibt, wie der Habsburger Herzog Albrecht III. (1365—1395) im Jahre 1377 von Wien aus gegen die Preußen zieht, um Ritter zu werden. Bis in Einzelheiten wird eine Fahrt dargestellt, die mit fürstlichen Festlichkeiten einen jagdmäßigen Vorstoß in unwirtliches Heidenland vereint, ein höfisches Unternehmen weitab von alter Kreuzzugswelt. Gleichwohl läßt sich nicht überhören, daß Suchenwirt als strenger Fürstenmahner hochritterliche Werte wie „Zucht und Ehre" gegen die Allmacht von Rücksichtslosigkeiten aufruft. So sehr aber auch die Kunst seiner durch Tradition gelenkten Sprache über der Sprachbehandlung des Teichners steht, dem Teichner hat zu breiterem Fortleben geholfen, daß er jenseits hoher Politik und unabhängig von allem Ständischen als frommer „Laie" den „Laien" schlechthin anspricht. Des Teichners Worte versprachen daher etwas Dauerhaftes, wenn sie in erbau-
Didaktische Versreden
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licher Rede darlegten, es sei alles in Ordnung, wenn jeder innerhalb gültiger Lehrmeinungen an seiner Stelle das Rechte tue. Von Teichners Mahnungen, die sich in gespannter Zeit an zu viele und daher mit zureichender Unmittelbarkeit an niemanden wenden, begeben wir uns aus dem österreichischen Südosten nach Eisenach und damit in ein mitteldeutsches Thüringen, das immer am Nordrande der Gebiete lag, die im hohen Mittelalter dem Literarischen geöffnet waren. Dort schrieb um 1415 in vorgerückten Jahren der dem Patriziat
zugehörige
Johannes
Rothe,
zuvor
Stadtschreiber, damals schon Stiftsherr, in kreuzweis reimenden Versen an einem Werke mittleren Umfangs, das er den
Ritterspiegel
nannte. In diesen „Spiegel" sollten junge Edelleute sehen, die sich beklagt hatten, daß ein armer Bauernsohn hochkommen, ein Edelmann herunterkommen kann. Vor dieser Abhandlung, die sich in Zitaten „gelehrt" gibt, steht die These, die aus antikem Philosophendenken geschöpft ist: Kein König sei adlich „von Natur", der Bauer stamme seiner „Natur nach" aus Königsgeschlecht. Trotz dieses weitausholenden Ansatzes bleibt es sodann bei Anweisungen, wie rittermäßiges Leben in Friedenstagen und im Krieg gelebt werden soll. Das Ganze versucht Ritter, die nicht durch Hofdienst gesichert sind, vor einem Abgleiten in Raubritterwesen zu bewahren. Aus Erfahrung wird die Ritterschaft gemahnt, „Hochfahrt" zu vermeiden und stets für eine „gerechte Sache" einzutreten, und im Hintergrund wird jener miles christianus sichtbar, der seine Hochform im Kampf gegen die Heiden hat. Bei alldem ist am ständischen Gefüge festgehalten. Dem Ritter wird Handwerkliches nur soweit gestattet und empfohlen, als es zur Tätigkeit in der Landwirtschaft gehört, und in einem bezeichnenden Zugeständnis wird ihm freigegeben, sich mit Maßen am Kaufmännischen (der Tätigkeit des Patriziats) zu beteiligen. Vor solchen Versen Rothes, der als Jurist und Historiker eifrig geschriftstellert hat, darf man sich fragen, ob sie noch in eine Geschichte gehören, die auf Dichterisches gerichtet 19
Neumann, Literatur
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Spätmittelalterliche Reformzeit
ist. Phantasiewelten reichen ohnedies nicht in Rothes Thüringerwelt hinein (wie etwa noch zwei Jahrhunderte früher in die Thüringerwelt des Landgrafen Hermann). Doch ist auch in Rothes Schaffen der Vers ein Mittel, einer bestimmten Allgemeinheit (in diesem Falle der spätmittelalterlichen Ritterschaft) zeitbedingt und zeitlos Gültiges in bindender Aussage vorzulegen. Dieser sein traumlosnüchterner „Ritterspiegel" hat freilich keinen weiten Erfolg gehabt. Nur eine einzige Handschrift des mittleren 15. Jahrhunderts hat ihn uns fast zufällig erhalten. Fast ein Jahrhundert später, — und wir stoßen auf eine „Lehrdichtung", die zu den erfolgreichsten Werken der deutschen Literatur zählt. Ihr kühler Verfasser ist der mit der Schlettstädter Schule verbundene S e b a s t i a n B r a n t : 1458 in Straßburg geboren, 1475 Student in Basel, 1489 Doktor beider Rechte, 1503 Stadtschreiber („Erzkanzler") seiner Vaterstadt, dort 1521 gestorben. Schon in seiner Basler Zeit tritt er als Herausgeber hervor; im Jahre 1502 erscheint seine Ausgabe Vergils, der damals als ein poeta Christianus gilt. Als Gelehrter neuen Stils, baut er lateinische Verse: Gelegenheitsgedichte, religiöse Gedichte, didaktische Gedichte. Durch sie läßt sich gut erkennen, wo er in seiner Zeit steht. Wie Kaiser Max lebt er in der Welt des mittelalterlichen Reichsgedankens, und sein religiöses Gefühl sammelt sich im Marienkult. Früh bricht er aus dem Latein aus, indem er, eine Vorübung für später, lateinische „Lehrdichtung" in Reimverse übersetzt. Seine 1508 gedruckte Bearbeitung des „Freidank" ist uns schon begegnet. Sein großer Wurf: Der Quartband „ D a s N a r r e n s c h i f f " , der 1494 in Basel mit sprechenden Holzschnitten erscheint, für die er als begabter Zeichner Anweisungen gegeben hat. Mehr als hundert Reimreden sind hier aneinandergereiht, die Weisheit aus der Vulgata, antiken Autoren und dem kanonischen Recht heranholen. Eine handfeste Sprichwortsprache wird in einen straff geregelten Versbau eingezählt. Ernster Reformwille befreit sich in einem satirischen Werke,
Didaktische Versreden
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das durch galligen Scherz zu wirken sucht. Es ist nicht wenig, was auf gleicher Ebene als Narrheit an uns vorüberzieht: Die Bücherliebhaberei des Gelehrten, der Geiz von Jedermann, ausschweifende Modesucht, die an „Frau Venus" dargestellte Buhlschaft, das Mühen um unnützes Wissen, die Gefahr des Tanzes und so fort. Soviel aber auch vom gelebten Leben ausgesagt wird, die Anlage des Ganzen verhindert Brants Tadel daran, die Vorstellung von einem neuen Lebensstil bildhaft erkennbar zu machen. Denn dieser „Narrenspiegel" in dem man der „Welt ganzen Lauf" finden soll, läßt Sünden, Verfehlungen und Maßlosigkeiten so in einem überdehnten Begriff des Narrentums zusammenfallen, daß alle ethischen Unterschiede verharmlost sind. Dazu kommt ein künstlerischer Mangel, den man durch den Flugblattcharakter der einzelnen Reimreden vergißt. Die Allegorie „Narrenschiff" ist nicht durchgeführt, vor allem wohl nicht, weil das Bild von einem Schiffe der „Untergehenden" erst auf literarischem Wege an Brant herankam, als sein „Narrenspiegel" weit vorgeschritten war. Gegen Schluß des Werkes taucht zwar wie ein Sinnbild der Narrenversammlung das „Schluraffenschiff" auf, das „gen Narragun" dem „Unfall" entgegenfährt. Trotzdem wird nicht recht deutlich, wohin es auf dieser Fahrt geht. Nichts hilft uns, daß sich in einem positiv gerichteten Redestück die „Weisheit" als das Höchste auf Erden anpreist. Denn wie läßt sich diese Weisheit in die Tat umsetzen? Für Brant ist ein weiser Mann, wer bei dauernder Selbstbeobachtung das Vernünftige tut. Dies heißt aber: Eine milde Askese für Laien, die sich in einem gezähmten Lebenswandel verwirklicht, bietet sich als Rettung in ratloser Welt an. Bis tief in das 16. Jahrhundert hat diese Satire, die nicht weh tut, Beifall gefunden. Schon 1497 erscheint in Lübeck eine Übertragung ins Niederdeutsche. Im gleichen Jahre bringt sie der ungestüme, uns schon bekannte „Poeta" J a c o b L o c h e r auf lateinisch als Stultifera navis heraus und öffnet ihr dadurch den Zugang ins Französische, Englische und Niederlän19*
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Spätmittelalterliche Reformzeit
dische. Der Reformabt von Sponheim (bei Kreuznach) J o h a n n e s T r i t h e m i u s (gest. 1503) nennt das „Narrenschiff" eine divina satira, der Reformpädagoge J a c o b W i m p f e l i n g (1450 bis 1528) sieht in ihm ein brauchbares Schulbuch, der Reformtheologe und besondere Freund Brants J o h a n n G e i l e r v o n K a i s e r s b e r g (1445—1510) predigt über es 1498/99 im Straßburger Münster. Welch ein schneller Erfolg! Es lohnt auch daran zu denken, daß drei so verschiedene Naturen wie Sebastian Brant (geb. 1457), Conrad Celtis (geb. 1459) und Kaiser Maximilian I. (geb. 1459) Altersgenossen sind. Dem Narrenentdecker Brant muß der von ihm angeregte Narrenbeschwörer T h o m a s M u r n e r folgen, mit dem wir schon über Maximilians Zeit hinausgreifen: 1475 unweit Straßburg geboren, studierter Franziskaner, als solcher Priester und Doktor der Theologie wie der Rechte, 1506 kaiserlicher Poeta laureatus, nach 1520 in die Reformationskämpfe hineingerissen, 1537 nach bewegtem Leben als Pfarrer in der Heimat gestorben. Eine merkwürdige Gestalt, in der sich alle Spannungen der Zeit vereinen! Ein bewußter Mönch und eine genialische Vagantennatur, durch beides befähigt, mit Reformwillen und scharfen Sinnen in die Welt zu sehen; ein derber Prediger, der hinreißen kann; ein stürmischer Schriftsteller, der sich gern in Reimversen verströmt; ein flotter Zeichner, der für die Illustration seiner satirischen Betrachtungen sorgt; ein unerbittlicher Ankläger und zugleich lachender Humorist, dem sich Ernst und Scherz vermischen; in seinem lässigen Gehaben oft jenseits der Grenze des Schicklichen und doch stets besser als sein Ruf! Sein allzuschnelles Schaffen ist nur möglich durch eine besondere Sprachbegabung. Was sich aus vielen Kanälen bis auf den Grund gestufter Umgangssprache an bildhaften Redensarten und sprichwörtlichen Prägungen angesammelt hat, hebt er, gehetzt von Einfällen, aus der Tiefe heraus und gliedert es einem volkssprachlichen Gebilde eigener Art ein, dessen Stärke und Schwäche durch sorglose Stilmischung
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verursacht wird. Es ist ein Doppeltes, das den Ruhelosen in seine didaktischen Versreden hineintreibt. Er bejaht die überkommenen Ordnungen, weil ihm alles ins Gleiten zu kommen scheint, wenn sie gestört werden, und er erfaßt zugleich am Gesamtleben des frühen 16. Jahrhunderts mit unheimlicher Sicherheit den Widerspruch zwischen Ideal und Wirklichkeit, wobei ihn dieser Widerspruch nicht zum wenigsten deshalb anzieht, weil er seine Spottlust weckt. Aus der Gruppe seiner Satiren, an denen er zwischen 1509 und 1519 arbeitet, lockeren Ansammlungen von kurzen Versreden, seien nur die beiden ersten genannt, die 1512 erscheinen. In der „N a r r e n b e s c h w ö r u n g " macht er sich selbst freimütig zum Narren, damit einen pädagogischen Trick verwendend, den schon Brant mit schwächerer Kunst versucht: Ich bin ein Mensch, des („deshalb") irr ich auch. In der „S c h e 1 m e n z u n f t", die unter dem „Schelm" den Nichtsnutzigen versteht, spricht er als Zunftschreiber straffer und härter. Doch erhält das Ganze ein positives Ende, da als letzter Zünftler der „verlorene Sohn" erscheint, dem verziehen werden kann. Der hitzige Mann fühlt sich 1520 durch Luthers öffentliches Auftreten gedrängt, in die literarischen Kämpfe der neuen Zeit einzugreifen. Die Lutheranhänger sind in Streitschriften nicht sanft mit dem Murnar (dem „Murr-Narr") umgegangen. Nur obenhin sei dafür der satirische Prosadialog „Der Karsthans" erwähnt, dessen Titelfigur als Idealgestalt des Aufbruchs „Bauernglauben" bezeugen muß: erschienen Anfang 1521, wohl ein Werk des Celtisschülers Joachim von Watt genannt Vadianus aus St. Gallen (1484—1551), der zur Reformation übergeht. Murner erreicht jetzt die Höhe seiner locker gebauten Streitkunst in der beißenden Satire „ V o n d e m g r o ß e n Lutheris c h e n N a r r e n " des Jahresendes 1522, in dessen Gestalt Luthers Lehre dem „Bundschuh" und damit dem Aufruhr gleichgesetzt ist. Mit einer Narrenbeschwörung sind Dialogstücke verbunden, die sich dem Fastnachtspiel anähneln; am Ende spricht sich
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Spätmittelalterlidie Reformzeit
Murner in einer fast „romantischen" Selbstironie die Narrenkappe des toten „Lutherischen Narren" zu. Erst jetzt wenden wir uns einem Erzählwerk niederdeutscher Reimverse zu, das durch erläuternde Zusätze zu einer Lehrdichtung ausgebaut ist. Als T i e r e p o s überrascht es uns durch dreierlei: durch die literarische Gattung, der es zugehört, durch seinen Aufbau, der ihm anhaltenden Erfolg bringt, und endlich durch das Eigene seiner „sassischen" Sprache. Dies um so mehr, als während der mittelalterlichen Jahrhunderte auf niederdeutsdiem Boden in den Bereichen der Dichtung keine „literarischen" Landschaften entwickelt werden. Die „sassisch" Sprechenden leisten damals das Ihre auf anderen Feldern. Auch in den Tiergeschichten, die hier zum „ E p o s " vereinigt sind, begegnet uns keine Schöpfung erster Hand. Für die Bestimmung ihres geschichtlichen Standortes ist daher nötig, daß wir uns ihnen auf einem Umwege nähern. Eine Erinnerung: Tiergeschichten, die den listigen „Reinhart Fuchs" zu einem fragwürdigen Helden machten, fing der Elsässer Heinrich um 1180 in ein Verswerk ein, das ein Bild des Lebens geben sollte. Ein dem Literarischen günstiger Entstehungsraum solcher Geschichten war damals schon das alte Lotharingien, französisch-niederfränkisches Mischgebiet von Flandern bis nach Burgund hin. Und in Flandern wird vor dem letzten Drittel des 13. Jahrhunderts in zweimaligem Anlauf als Parodie auf die „höfische" Helden- und Ritterwelt das „Tierepos" „ V a n d e n v o s R e i n a e r d e " geschaffen: Reinaerd wird an den Königshof geladen und wegen seiner Missetaten zum Galgentod verurteilt. Er schwindelt sich zum Schaden seiner Gegner frei, doch bald wird seine Bosheit aufgedeckt. Im späten 14. Jahrhundert fügt ein Flandrer, der belehrender und satirischer als sein Vorgänger ist, einen zweiten Teil an: Reinaerd muß erneut auf einem Hoftag erscheinen. Zwischen ihm und seinem Hauptgegner, dem gierigen Wolf Isengrijn, entscheidet der Zweikampf.
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Der siegreiche Reinaerd steigt am Königshofe zu höchster Ehre auf. Hundert Jahre später richtet der Holländer H i n r e k v a n A 1 k m a r , Lehrer am lothringischen Herzogshof, diese „Historie" mit Prosabelehrungen und Holzschnitten für den Druck her, der kurz vor 1490 in Antwerpen erfolgt. Und dies Druckwerk bearbeitet bald darauf ein Unbekannter, indem er das Mittelniederländische in ein Mittelniederdeutsch umsetzt: Der „ R e i n k e d e V o s " ist da! Im Jahre 1498 erscheint er in Lübeck, dem Vorort der „Hanse". Den Rang des Lübecker „Reinke" bestimmt der freie und kräftige Schritt der Verssprache. Das Anheimelnde des Erzählten wird durch die Namengebung verstärkt, die die Tiere zu niederdeutschen Gestalten macht. Den Charakter des Ganzen beeinflußt, daß der in einem Reformdenken lebende Bearbeiter die erklärende „Glosse" für den, der sie lesen will, zu sozialkritischen Lehrstücken erweitert. Im „Epos" selbst ist aber von seinem Ursprung angelegt, daß es im Zuge der Zeit mit gelassener Objektivität durch eine grausame Satire dem Verstehenden „der Welt Lauf" enthüllen soll; wie auf andere Weise auch Brants harmloseres „Narrenschiff", dessen niederdeutsche Bearbeitung ein Jahr vorher in der gleichen „Mohnkopf"-Druckerei veröffentlicht wird. So macht der „Reinke de Vos" wie von selbst seinen Weg. Er wird bearbeitet und in Prosa gebracht, er wird lateinisch gefaßt. J o h . C h r i s t o p h G o t t s c h e d übersetzt den epischen Text von 1498 in sein Hochdeutsch und läßt ihn bebildert 1752 erscheinen. Gottscheds Text liegt G o e t h e vor, als er 1793 die bewegten Hexameter seines R e i n e k e F u c h s aus einem Stoff „von gestern und heut" in unruhiger Zeit baut und 1794 erscheinen läßt.
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Spätmittelalterliche Reformzeit
9. D a s m i t t e l a l t e r l i c h e
Spiel
Ehe wir die Tage Maximilians verlassen, ist es an der Zeit, in einer Rückschau den Weg zu verfolgen, den bis dahin die g e i s t l i c h e n S p i e l e gegangen sind. Wenige allgemeine Angaben müssen genügen, weil die entscheidenden Texte als h a l b l i t e r a r i s c h e s Sprachgut nicht den Schutz gehabt haben, den individuelle Leistungen genießen. Früh und reich konnten sich solche Spiele im französischen Westen entwickeln. Doch gehen uns hier nur die deutschen Verhältnisse an. Aus dem St. Gallen der Zeit um 900 kennen wir einen kurzen lateinischen Wechselgesang aus dem Eingang der Ostermesse. Träger sind der Engel im offenen Grabe Christi und die Frauen, die dort den Gekreuzigten suchen: erregende Kunde von der Auferstehung in musikalischer „Umschreibung" eines Evangelientextes, die man einen Tropus (eine „Gesangsweise") nennt. Ein liturgisches Spiel ist da, sobald sich dieser von zwei Halbchören vorgetragene Tropus in einen mimisdhen Auftritt einordnet, der im Altarraum das Besungene sichtbar macht. Für das 10. Jahrhundert wird uns solch liturgisches Spiel aus Frankreich, Flandern und England bezeugt. Von der Osterliturgie angeregt, dringt auch ein Wechselgesang in die Weihnachtsliturgie ein, bezogen auf die Hirten, die vor der Krippe erscheinen. Als im Weihnachtsrahmen die „drei Könige" heranziehen und Herodes in seinem unheiligen Gebahren auftritt, gewinnt das Spiel zwei „örter", zwischen denen es wandert. In solchem Vorgang beginnt es zugleich ein eigenes Gebilde zu werden: fromme, mimisch belebte Handlung, die oratorienhaft vom Worte her gedeutet ist. Die Ansatzstellen sind da, von denen aus sich liturgischer Spielbetrieb in die Weite der Heilsgeschichte dehnen kann. Für das Grundlegende müssen wir uns auf diese skizzenhaften Angaben beschränken, zumal die Vorgänge des Erweiterns, die sich im lateinischen Kultraum Frankreichs, Englands und Deutschlands vollziehen, nicht in voller Be-
Das mittelalterliche Spiel
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lichtung vor uns liegen. Es sind Zufälle, wenn diese anonymen Vorgänge, die das ihnen gemäße Leben in Aufführungen haben, durch eine Handschrift für uns faßbar werden, als ob die einzelnen Spiele Werke eines schrifttümlichen Schaffens seien. So dürfen wir denn auch Grundlegend-Allgemeines für eine genauere Darstellung der hoch- und spätmittelalterlichen Spielwelten eintreten lassen; denn solche Darstellung verlangt einen breiten Unterbau, wenn sie mehr als bloß Stofflidies vorlegen soll. Wir dürfen im Weiterführen des bereits Gesagten sofort im hohen Mittelalter einsetzen. Das spätere 12. und das 13. Jahrhundert steigern die Bereitschaft zu Großspielen, nicht zum wenigsten in städtischen Gemeinwesen. Gesang und psalmodierendes Sprechen verbinden sich. Heimische Sprache wird in die lateinischen Texte eingelassen. Szenenketten mit bereicherter Ausstattung und gelockerter Mimik drängen aus den Kirchenräumen heraus. Die Folge: Klerikerspiele wandeln sich in Freiluftspiele, die der Kleriker einrichtet und leitet; Laiengruppen schließen sich für diesen Zweck, von Klerikern unterstützt, zu frommen Vereinigungen zusammen. Welche Sondergänge aber auch aus gelöstem Spielbetrieb möglich werden, Weihnachten sowie Passion und Ostern behalten den Mittelraum der frommen Spielwelt. Aus dem deutschen Bereich des späteren 12. Jahrhunderts haben wir bereits den Tegernseer Ludus de
Anti-
christo kennen gelernt, ein anspruchsvolles lateinisches Spiel für enge Kreise, das man als Klerikerwerk besonderer Bedingung für sich stellen muß. Das nur fragmentarisch überlieferte Aargauer „ O s t e r spiel
von Muri"
aus dem frühen 13. Jahrhundert wird man
auch als einen Sonderfall betrachten dürfen. Bemerkenswert an ihm, daß es bereits durchgehend in deutschen Versen und obendrein in einer Sprache von „höfischem" Glanz abgefaßt ist. Mit dem 14. und 15. Jahrhundert, also jenseits der hochmittelalterlichen Welt, erreichen wir die Zeit der Spiele, die auf städtischen Plätzen mit verschwenderischer Zurüstung durchgeführt werden.
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Spätmittelalterliche Reformzeit
Alle Zartheit und Derbheit, ja Zartheit und Roheit dieser Jahrhunderte können sich in Sprache und Vorgang ausdrücken. Es ist hier nicht der Ort, die vielgestaltigen Spielfelder dieser Veranstaltungen abzuschreiten. In Teilen und in Zusammenfassungen wird der mittelalterlich-theologische Ablauf der Weltgeschichte, der mit dem Engelsturz und dem Sündenfall einsetzt und im Jüngsten Gericht endet, in scharf umgrenzten, überschaubaren Geschehnissen zugänglich gemacht. Realistischer Sinn läßt Zuständlidies, Augen und Ohren unterhaltend, in das Kerngeschehen einwuchern. In der Art, wie man deutet, ist man der Predigtliteratur, der Erbauungsliteratur und damit auch den Kommentaren der biblischen Geschichten verpflichtet. Der gesamte deutsche Sprachbereich nimmt damals am Aufnehmen dieser geistlichen Spielwelten teil. Erst mit dem vorrückenden 16. Jahrhundert verengen sidi die Gebiete in denen das „geistliche Spiel" gedeiht, weil es die protestantischen Kreise ablehnen und aufgeben. Eine Vorstellung, wie im Endzustand der Entwicklung ein Großspiel ablaufen kann, vermittelt für das Jahr 1583 eine Skizze, die den Spielern eines „Osterspiels" ihre Standorte auf dem Luzerner Weinmarkt zuteilt. Was aus liturgischen Anfängen entsteht, ist kein „Drama", das auf hochgestellter Bühne geschlossene Lebensausschnitte im gelenkten Ablauf einer Handlung vor Zuschauern darstellt, die nicht in das Spielfeld einbezogen sind. Die „geistlichen Spiele", deren Aufführung stets eine Art Gottesdienst bleibt, durchwaltet die altkirchliche Auffassung vom Gang der Weltgeschichte. Drei Ereignisreihen legen ihn fest: Schöpfung und Sündenfall, das Mensch werden des Gottessohnes, die „letzten Dinge". Am geistlichen Charakter der Spiele ändert nichts, daß der Spielbetrieb dort, wo er Gelegenheit hat, wie etwa im Auftreten des Salbenkrämers, ins Possenhafte ausartet. Immer wieder haben diese Spiele in der Unruhe der Jahrhunderte ein schlechthin gültiges Geschichtsdenken, das alle, Spielende und Zuschauer, verbindet, sichtbar zu machen, nur in
Das mittelalterliche Spiel
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der Ausgestaltung dem Wandel unterworfen. Es ist daher nicht zufällig, daß das Kerngeschehen dieser geistlichen Spielwelt nicht in Dichtungen eingefangen wird, die als schöpferische Einzeltat in sich selbst schwingen. Bei idealem Verhalten durchleben Spieler wie Zuschauer als nachfühlende Zeugen die vertrauten Vorgänge der Heilsgeschichte, sodaß die Zuschauer keine echten Zuschauer, sondern nur verhinderte Mitspieler sind. Damit ist zugleich gesagt, daß die Aufbauten, die man braucht, um die verschiedenen „örter" eines Spieles festzulegen, keine „Bühne" schaffen, durch die ein „Theater" entsteht. Wir sollten daher auch beim Beschreiben der „geistlichen Spiele" endlich die mißverständliche Bezeichnung „Bühne" und „Drama" vermeiden. Weder die neuzeitliche Oper noch das neuzeitliche Wortdrama sind aus den „geistlichen Spielen" entstanden. Die „geistlichen Spiele" versinken im 16. Jahrhundert überall dort, wo man in einer neuen geistlichen und geistigen Welt, die dem W o r t zugetan ist, einer m i m i s c h e n Darstellung der Heilsgeschichte ausweicht. Mit dem 15. Jahrhundert legen uns Handschriften so etwas wie w e l t l i c h e S p i e l e vor. Da zu ihnen Fastnacht und Frühlingsanfang verlockt haben, pflegt man sie unter die Bezeichnung F a s t n a c h t s s p i e l e zu stellen. Ihr Aufkommen vollzieht sich für uns im Dunkeln, da sie sich, ihrem Charakter entsprechend, ursprünglich auf der Ebene des „Unterliterarischen" angesiedelt haben. Vernarrende Festmimik hat zwar uralte Anlässe. Doch können wir Vorführungen, die in kurzen Auftritten das Ausgelassene mit dem Satirischen verbinden, für Deutschland erst belegen, als die hochmittelalterliche Welt abgebaut wird. Am Anfang steht, dem Literarischen angenähert, ein drastisches Hofspiel des 14. Jahrhunderts. Ein derber Schwank, geheftet an Neidhart, der zur Sagengestalt des Bauerngegners geworden ist, füllt das knappe Frühlingsspiel von „N e i d h a r t m i t d e m V e i l c h e n", über
300
Spätmittelalterliche Reformzeit
dessen Herkunft die Niederschrift aus St. Paul in Kärnten nichts Sicheres aussagt. Aus ihm entfaltet sich das „G r o ß e N e i d h a r t s p i e l " des 15. Jahrhunderts, eine Kette von Neidhartschwänken (ostfränkischer Zusammenstellung?), die ihren Witz aus maßloser Verhöhnung einer Bauernwelt ziehen, die ins Rohe verzerrt ist. Aus dem gleichen Jahrhundert sind uns Possenspiele überliefert, von denen die meisten (wohl durch günstige literarische Bedingungen) für das reichsstädtische Nürnberg bezeugt sind, soweit es nicht Patrizierkreisen zugehört. Fastnachtsumzüge von Haus zu Haus werden durch szenische Einlagen unterbrochen, die aus dem Kostümtanz entstanden sein mögen. Soweit sich das Satirische auf das Alltagsleben richtet, haben Bauernszenen das Ubergewicht: nur zu oft Unflätereien, die in Sprache und Geste umgesetzt sind. Immer wieder spielen verzotete Dialoge in ihren Reimversen auf der Talsohle der Kunst. Daran ändert nichts, daß zwei bekannte Nürnberger Namen als Verfasser von Spielen auftauchen. Zum mittleren 15. Jahrhundert gehört H a n s R o s e n p l ü t , den der Rat 1444 als Büchsenmeister einstellt und der 1460 noch lebt. Unbekümmert um hohe Kunst, aber in der Stadtwelt nach allen Seiten gefällig, bringt er Geistliches, Lehrhaftes und Schwankhaftes in Verse; die Spiele laufen nebenbei mit. Nicht in der Wahl der Stoffe, wohl aber in ihrem Aufbau hat um 1500, soweit sich erkennen läßt, H a n s F o l z Ansprüche an sich gestellt, die für einen, der sich als „Meistersinger" fühlt, gering genug sind. Man beachte übrigens, daß auch in den Grundformen dieser Spiele Darsteller und Zuschauer auf der gleichen Ebene stehen, wenngleich sich die Darsteller durch Tracht und Zubehör vom Zuschauer unterscheiden. Darin hat das „weltliche Spiel" Nähe zum „geistlichen Spiel", wie es überhaupt nicht nur im Possenhaften Ubergänge gibt. Das Niedere der „Fastnachtsspiele" und die Oberwelt der „geistlichen Spiele" schließen sich gegenüber späterer Dramen- und Schauspielwelt zu einer Gesamtwelt zusammen. Und
Das mittelalterliche Spiel
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noch eine Einschränkung. Nicht überall dürfte sich gleiche Roheit ausgetobt haben. Auch die Aufführungsart muß verschieden gewesen sein. Wo Gerüste oder Wagen benutzt werden, setzen sich die Sprecher spürbar von den Zuschauern ab. U n d doch bewegen wir uns in allen Fällen an den äußersten Grenzen des Dichterischen, falls wir überhaupt diesen Begriff verwenden wollen. Vorweggenommen sei, daß uns das 16. Jahrhundert in eine gezähmtere Spielwelt führen wird, die mittelbar oder unmittelbar von der neulateinischen Literatur beeinflußt ist.
VIII. IM ZEITALTER DER REFORMATION 1. D i c h t u n g i n g e s p a l t e n e r W e l t (1519—1618) Welch ein Jahrhundert nach dem Tode Maximilians I.! Im Sommer 1519 wird sein Enkel, der neunzehnjährige K a r l V., zum „römischen König" gewählt, der als Sohn einer spanischen Mutter schon seit 1516 König von Spanien ist. Im flandrischen Gent geboren, erstrebt dieser Enkel Karls des Kühnen im Widerstreit mit der französischen Krone eine universale Kaisermacht, gelenkt vom mittelalterlich-römischen Reichsgedanken, der ihn, wie er auch mit der Kurie stehen mag, an die „römische" Kirche bindet. „Römische" Reichspolitik, spanische Weltpolitik, habsburgische, burgundischniederländische und unteritalisch-sizilische Politik — muß nicht der Verschlossene, über den sich eine weite Kuppel wölbt, in einem Denken leben, das für das damalige Deutschland oberhalb von Land und Leuten schwebt? In seinen Anfängen brechen denn auch alle Kräfte hervor, die sich in der vorausgehenden Reformzeit entwickelt haben. Das literarische Leben wird starken Erschütterungen ausgesetzt, während sich in Karls Abwesenheit ein neuer Gesamtzustand vorbereitet. Den Gang der Geschehnisse leitet ein, daß der 1483 im elbostfälischen Eisleben geborene M a r t i n L u t h e r (gest. 1546) im Spätjahr 1517 durch das Aufwerfen der Ablaßfrage einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wird. Seit 1505 „Magister" in der Artistenfakultät der Erfurter Universität, dort im gleichen Jahre Augustinereremit, seit 1512 Doktor der Theologie und Professor in der jungen kursächsischen Universität Wittenberg, rückt er nach der Leipziger Disputation des Jahres 1519 und den bekennenden Schrif-
Dichtung in gespaltener Welt
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ten des Jahres 1520 in den Vordergrund einer Welt, die in Reformen drängt. Was sich an Erregung in allen Verhältnissen angestaut hat, fühlt sich durch das Ringen des sprachgewaltigen Theologieprofessors angerufen. Schon am Aprilende 1521 ist mit dem Ausgang des Wormser Reichstages unterirdisch so gut wie entschieden, daß das kirchliche Deutschland in zwei Konfessionen auseinanderfallen werde. Auf geistigem Felde mißt sich Luthers Rechtfertigungsglaube mit drei Welten: mit altkirchlichem Denken, gegenkirchlichem Spiritualismus und mehr oder minder christlichem Reformhumanismus. Doch darum geht es nicht allein, nachdem die Zeit reif geworden zu sein scheint. Obwohl bis ins Geistige nicht unwichtig, darf beiseite bleiben, daß durch den Handel der Städte die auf Geldverkehr abgestellte Wirtschaftsweise zu einer Macht wird, die man gedanklich nicht zureichend bewältigt. Entscheidender ist, daß unter gewaltsamen Erhebungen das Gefüge des öffentlichen Daseins zu schwanken beginnt. In den hochgespannten Jahren, die etwa zwischen 1520 und 1525 liegen, fühlt sich die Gesamtheit des Volkes, vor allem auch der „gemeine Mann", seelisch am Ganzen des Daseins beteiligt, wohl das Erregendste dieser erregten Zeit. Was damals theoretisch, bis ins Utopische gesteigert, möglich ist, zeigen die „ F ü n f z e h n B u n d e s g e n o s s e n " , die im Jahre 1521 zu Basel erscheinen und 1522 ein Hauptangriffsziel in M u r n e r s „Vom großen Lutherischen Narren" sind: in wirkungsvoller Sprache hingeworfene Flugschriften des Oberschwaben E b e r l i n v o n G ü n z b u r g (gest. 1530), der sich durch sie von den Ulmer Franziskanern ausschließt. Radikale Vorschläge vereinen hier eine neue Kirchenordnung mit einer „neuen Ordnung weltlichen Standes" und versuchen damit, im Zuge eines religiösen und gesellschaftlichen Puritanismus von unten her das gesamte Leben neu aufzubauen. Doch alle revolutionären Erhebungen, die das Feld des Geistigen verlassen, überschätzen, was im Rahmen der spätmittelalterlichen Reichsordnung möglich ist, deren Spitze, die „Kaiserliche Majestät",
304
Im Zeitalter der Reformation
selbst dann noch nichts Umwälzendes verfügen könnte, wenn sie es wollte. Das gewalttätige Aufbegehren des kurpfälzischen Ritters Franz von Sickingen (1481—1523), der zum Haupt südwestdeutscher Ritterschaft aufgestiegen war, endet 1523 unter dem Angriff einer Fürstengruppe. Ein Bauernaufstand, der ältere südwestdeutsche Aufstände fortsetzt und den die in Gang gekommene kirchliche Reformation beeinflußt, entfaltet sich 1525/26 in Einzelaktionen zum „Bauernkrieg", der vom Südwesten her bis in das östliche Mitteldeutschland und bis in die bairisch-österreidiischen Alpenlande wirkt. Wie verschieden er auch verläuft, unbestrittene und harte Sieger bleiben im letzten die Landesfürsten. Durch alles Aufrührerische festigen sich die obrigkeitlichen Territorialgewalten, wobei zu den Fürsten mit einiger Selbständigkeit die Ratslierren der freien Reichsstädte treten. Was nach einem neuen Glauben und Denken strebt, muß sich diesen Mächtigkeiten eingliedern, wenn es nicht ins Unterirdische verdrängt werden will. Auch Luthers Reformation findet auf Dauer allein bei ihnen einen sicheren Schutz. Dem widerspricht nicht die Reformation des Erasmusschülers und Züricher Leutpriesters Huldrych Zwingli (geb. 1484), der 1531 als „Feldprediger" fällt; sie hält sich seit 1523 unter den besonderen Bedingungen der Schweizer „Eidgenossenschaft". Nach diesem Ausblick auf das frühere 16. Jahrhundert sind wir zu einem Ausblick auf das spätere 16. Jahrhundert gerüstet. Der „Dreißigjährige Krieg" der Jahre 1618—1648, begonnen als Kampf zwischen den protestantischen und katholischen Reichsständen, bereitet sich schon im „Schmalkaldischen Kriege" der Jahre 1546/47 vor, der nach dem Schmalkaldischen Bunde heißt, in dem sich in Thüringen protestantische Fürsten und Reichsstädte unter Führung des Landgrafen von Hessen und des Kurfürsten von Sachsen zusammenschließen. So unglücklich dieser Krieg 1547 für die Bundesmitglieder endet, von ihm geht der Weg zum „Augsburger Religionsfrieden" vom November 1555, der für Katholiken und Protestan-
Dichtung in gespaltener Welt
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ten die Konfession von den obrigkeitlichen Gewalten abhängig macht, ohne alles befriedigend zu regeln. Ein bedeutungsvoller Einschnitt! Denn er spaltet durch Reichsbeschluß die Einheit des alten Reiches auf, soweit sie eine kirchlich-religiöse Einheit aus gleichem Bekenntnis ist. Dies Einschneidende drückt sich darin aus, daß sich Karl V. (gest. 1558) 1556 aus seinen Machtstellungen nach Spanien zurückzieht. Das für die Literatur wichtige Nebenereignis: Im östlichen Mitteldeutschland und angrenzenden Norddeutschland (so in Thüringen, Elb-Sachsen und Brandenburg) baut sich ein Machtfeld lutherischer Prägung auf; ihm gliedern sich nach Süden das von der Markgrafschaft Ansbach-Bayreuth umgebene Nürnberg und nach Osten das konfessionelle Mischfeld Schlesien an. Für das Wachstum von Dichtung, die durch Jahrhunderte ihre günstigsten Felder auf süddeutschen Sprachgebieten gehabt hat, bieten sich zu neuen Möglichkeiten neue Räume an. Es sind jene Räume, in denen im 17. Jahrhundert eine neue Literatur deutscher Sprache einsetzt. Gleichwohl wollen und dürfen wir nicht mit dem mittleren 16. Jahrhundert jene nachmaximilianische Entwicklung der Literatur abbrechen, in die all das ausflutet, was vom späten Mittelalter herkommt. Denn auch weiterhin muß sich das Dichten zwischen verschiedenen Reformwelten in einem Schwebezustand des Vorläufigen einrichten. Nicht nur lebt das Neulateinische in einem protestantischen und katholischen Schulhumanismus weiter, oft so, daß in ihm das Konfessionelle verblaßt. Auch der Katholizismus kräftigt sich und zwar durch „Dekrete" eines Konzils, das 1545 in Trient beginnt und dort 1563 geschlossen wird. Und im Gegenwurf verfestigen sich die kirdilich-dogmatischen Vorstellungen des Luthertums, ein Vorgang, der sich in der „Konkordienformel" des Jahres 1577 niederschlägt. Doch selbst damit ist für das Literarische noch nicht genug gesagt. Vom romanischen Westen dringt eine eigene Form der Reformation heran. Im Jahre 1536 läßt der französische 20
N e u m a n n , Literatur
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Im Zeitalter der Reformation
Humanist J e a n
Calvin
(geb. 1519 im picardischen Noyon,
gest. 1564 in Genf) in einem klassischen Latein seine Institutio religionis Christianae in Basel erscheinen. Seit 1541 dauernd in Genf, einigt er sich 1549 mit den Anhängern des 1531 gefallenen Zwingli. Das reformierte Bekenntnis, das 1563 der „Heidelberger Katechismus" umgrenzt, wirkt sodann im späteren 16. Jahrhundert vor allem von der Kurpfalz her auf die deutschen Verhältnisse ein. In diesem Zusammenhang dürfen wir nicht den „Abfall der Niederlande" aussparen, durch den sich die nördlichen Provinzen der niederländisch-habsburgischen Lande, die Karl V . zu Spanien geschlagen hatte, zwischen 1568 und 1581 ein eigenes staatliches Gefüge schaffen; in ihm kann sidi eine kalvinistisch-humanistische Literaturwelt entwickeln, die ihre Mitte in der 1575 gegründeten Universität Leiden erhält. Ein letztes, nicht minder Wichtiges, das wir deutlich genug spüren werden: Die wogende Unruhe des inneren deutschen Sprachraumes umstellen etwa seit der Mitte des 16. Jahrhundert vom europäischen Westen, Nordwesten und Süden her r o m a n i s c h e
Literaturen, in denen unter humanistischem
Einfluß ein neues literarisches Leben erwacht ist. Doch sind wir mit diesem Hinweis dabei, die Grenze zum 17. Jahrhundert zu überschreiten. Wir kehren nunmehr zum frühen 16. Jahrhundert zurück und zwar dorthin, wo wir die der Antike verpflichtete humanistische Bildungswelt der neulateinischen Poetae verlassen haben.
2. W e g e d e r
Humanisten
Im Dichten des unruhigen C o n r a d lernten wir den
Humanismus,
Celtis
(1459—1508)
dessen Vertreter sich selbst
Poetae nannten, als stürmischen Aufbruch kennen. Es ist an der Zeit, über die Humanisten des späten 15. und frühen 16. Jahrhunderts ein zusammenfassendes Wort zu sagen. Poesie und Rhethorik gehören ihnen als „Kunst der Rede" zusammen, und gemeinsam füh-
Wege der Humanisten
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ren beide auf dem Wege der neuen Wissenschaft, sodaß auch solche Humanisten Verse versuchen, die nur „Gelehrte" sind und keine Anlage zum Dichten haben. Neue Wissenschaft meint hier eine philologische Wissenschaft, die aus antiken Quellen schöpft, weil sie auf Ursprüngliches gerichtet ist, und daher die gepflegte Sprache dieser alten Quellen spricht. Und wo fließen die Quellen dieser Bemühungen, die bonae litterae heißen, weil sie „Bildung" (humanitas)
ver-
mitteln? Quellen sind nicht nur die Werke der griechischen und römischen Dichter, Denker und Redner, sondern auch das Alte und Neue Testament im Urtext und nicht minder die Werke der Kirchenväter, aus denen sich Hieronymus (gest. 420) und Augustin (gest. 430) hervorheben. Das Durchsetzen dieser Art von Wissenschaft, die auf eine neue Bildung und damit, wenn auch verschleiert, auf eine neue Auffassung von Welt hinstrebt, geschieht in einem bald offenen, bald abgedeckten Kampfe, der bis zu einem ersten Ausgleich auf den Universitäten vom Ende des 15. Jahrhunderts an Jahrzehnte braucht. Der Gegner stellt sich in der hochentwickelten Schulwissenschaft der Theologen und Juristen dar, soweit sie in einem eigenen logischen Verfahren und einem dafür geeigneten Latein nach mittelalterlicher Weise ihren Scharfsinn an Begriffsbestimmungen übt. Diesseits der Alpen wird die n e u e
Wissenschaft durch einen
Gelehrten vertreten, den wir nicht übergehen dürfen, obwohl er in seinen Versen kaum das Mittelmaß erreicht: durch den Holländer Erasmus
von
Rotterdam,
der als geistige Macht, an-
gesehen und bekämpft, in der römisch-christlichen Welt wirkt. Im Jahre 1466 unehelich geboren, kommt er als Schüler unter den Einfluß der „Brüder vom gemeinsamen Leben". Etwa 1488 wird er mit halbem Willen Augustiner-Chorherr im holländischen Kloster Steyn (bei Gouda). Von 1593 führt er, lose mit Universitäten verbunden, in häufigem Ortswechsel, der ihn dreimal nach England bringt, ein verhältnismäßig unabhängiges Gelehrten- und Schriftstellerleben, 20*
308
Im Zeitalter der Reformation
1517 durch den Papst endgültig von der Pflicht des Klosterlebens befreit, seit 1514 durch Freundschaft mit dem Drucker Froben oft und lange in Basel, wo er 1536 stirbt. Anlage und Überzeugung drängen den Vorsichtigen, der sich im Inneren jedem Dogma entzieht, auf den Mittelweg eines in der Schwebe gehaltenen biblischchristlichen Humanismus, der sich statt der Zwänge und Wirrnisse der Zeit ein friedliches und zugleich freiheitliches Leben in einer vereinfachten Welt wünscht. Im Jahre 1503 enthüllt er sein Denken im „Enchiridion
m i l i t i s C h r i s t i a n i " (im „Handbuch des
christlichen Streiters"), das sich als christliches Handbuch für Jedermann gibt. Der moralische Schriftsteller Erasmus, der es liebt, sich durch Spott aus allen Entscheidungen herauszuhalten, hat sodann seine Dauererfolge durch das witzig-satirische comion sive stultitiae
laus"
„M o r i a s E n -
(das „Lob der Narrheit")
vom Jahre 1509 und durch sein stilistisches Meisterwerk „F a m i liarium
Colloquiorum
Opus"
(die „Vertrauten Ge-
spräche") in der Endfassung des Jahres 1526. Der Gelehrte bringt 1513 den von ihm hochgeschätzten
„Hieronymus"
und 1516 als seine folgenschwerste Leistung das Neue
Testament"
heraus
„griechische
mit einer lateinischen Übersetzung. Zum
Schicksal des frühen Humanismus gehört, daß sein Wortführer Erasmus etwa von 1520 an durch Luthers Auftreten, das ihm als eine „Tragödie" erscheint, sein bis dahin fast unbestrittenes Ansehen verliert. Zwischen ihm und Luther fällt die offene Entscheidung, als er im Blick auf die Reformation 1524 die „Untersuchung über den freien Willen" „ D e l i b e r o
arbitrio
diatrib
und
Luther die harte Antwort „über den gebundenen Willen" „D e servo
a r b i t r i o " schreibt. Damals waren schon die „Poeten",
die eine humanistische Eigenwelt wollten, aus ihrer literarischen Hochstimmung herausgestoßen. Bezeichnend, daß der rege Humanismus der Universität Erfurt 1521 durch den dortigen Reformationssturm seinen Wirkungsraum verliert. Zwei fast gleichaltrige
Wege der Humanisten
309
„Poeten" des Erfurter Kreises haben diesen Wandel mit schmerzlichem Empfinden erfahren. Lutheranhänger geworden und geblieben, vollenden sie ihren Lebensweg in einer humanistsch-neulateinischen Kunstwelt, ohne daß sie echten Zusammenhang mit der Reformation haben. Der 1488 geborene Niederhesse H e l i u s E o b a n u s H e s s u s (Eoban Koch), von 1514 bis 1533 mit Unterbrechung Professor in Erfurt, 1540 gestorben als Professor in Marburg, begründet 1509 seinen Ruhm durch sein „B u c o 1 i c o n" (ein „Hirtengedicht" von elf „Idyllen"), er festigt ihn 1514 durch christliche „ H e r o i d e n" („Heldenbriefe" im elegischen Maß, die meist Frauen zugeteilt sind), mit seinem liebenswürdigen Talent lange der Gelegenheitsdichtung treu. Sein 1486 geborener Landsmann E u r i c i u s C o r d u s , nach vielfach gestörter Tätigkeit 1535 in Bremen als Rektor gestorben, findet, seinem Ernste entsprechend, ein fruchtbares Feld im literarischen Bereiche des satirischen Epigramms. Eine Sonderstellung hat der 1488 auf einer Burg südlich Fulda geborene U l r i c h v o n H u t t e n , ein „fahrender" Ritter, der sich der „akademischen" Welt der mit ihm gleichaltrigen Humanisten nur bedingt einfügt. Kein Denker, aber ein leidenschaftlicher Sprecher, der am stärksten ist, sobald er einen Gegner gefunden hat. Er schafft sich die ihm gemäße literarische Gattung im Prosadialog, angeregt durch Lukian, den spätgriechischen witzig-satirischen Sophisten des 2. Jahrhunderts. H a ß gegen die scholastische Wissenschaft und die kuriale Romwelt, ein aus den Schriften des Tacitus genährter Stolz auf das Vaterland, der sich mit humanistischem Freiheitsdrang verbindet, die Standesauffassung der Reichsritterschaft und scharfer Blick für die Schwächen des kirchlichen und öffentlichen Lebens, all dies vereinigt sich in der literarischen Tätigkeit seiner letzten Jahre und treibt ihn über die Grenzen der humanistischen Kunstwelt hinaus. So setzt er denn auch das humanistische Latein später Kampfdialoge in ein holzschnittartiges Deutsch um
310
Im Zeitalter der Reformation
und faßt einige dieser verdeutschten Dialoge 1521 als „Ge s p r ä c h s b ü c h l e i n " zusammen. Sein früher Tod vom Jahre 1523 dürfte dem Unbefriedeten die Einsicht erspart haben, wie sehr die Zeit über seine Vorstellungen hinwegging. Der Humanismus als eigenwertige Gesamterscheinung hatte in Deutschland v o r Luthers Reformation seine großen Tage, als der weltmännische und tiefsinnige J o h a n n R e u c h l i n (1455 bis 1522) als Verteidiger hebräischer Literatur seit dem Jahre 1511 durch die Kölner Theologen alter Schule in einen Ketzerprozeß gezogen wurde. Wohl vom Erfurter Kreis waren die 1515 und 1517 erscheinenden „ E p i s t o l a e o b s c u r o r u m v i r o r u m" (die „Briefe unbekannter Dunkelmänner") angeregt, deren Titel im Gegensatz stand zu 1514 erschienenen „ E p i s t o l a e c l a r o r u m v i r o r u m" („Briefen berühmter Männer") der Reuchlinfreunde. Diese übermütige, beißende Satire auf Sprechen und Denken der alten Wissenschaft bezeichnet gut die Machthöhe, die der Reformwille des akademischen Humanismus wenige Jahre vor seiner Schwächung erreicht.
3. M a r t i n
Luthers
Bibelsprache;
neue
Prosa
Soviel Recht der humanistische Reformwille gegenüber der Starrheit der in Traditionen eingeordneten Schulwissenschaft hat, seine lateinische Sprache, in der er auf eine neue Welt literarischer Bildung zustrebt, kann sich nicht der Tatsache entziehen, daß sie die Sprache eines akademisch-künstlichen Lebens ist. Selbst da, wo sie ein wirklicher Dichter wie Celtis ergreift, bewegt sie sich in einer akademischen Hilfswelt, die über die Welt heimischen Sprechens hinzieht. Nur zu leicht vergessen wir auch, daß scholastisches Latein in den vergangenen Jahrhunderten keine tote, sondern eine bedingt lebendige Sprache gewesen war, deren Schwächung auf Dauer auch das Humanistenlatein gefährden mußte. Aber gab es nicht im
Martin Luthers Bibelsprache; neue Prosa
311
15. Jahrhundert, abgesehen von der vorzeitigen Sonderleistung eines Johannes von Tepl, jene Prosaversuche eines Niclas von Wyle oder eines Albrecht von Eyb, die ein literarisches Deutsch auf lateinischer Grundlage aufbauten? Was dieser Prosa gelang und nicht gelang, haben wir uns klar gemacht. Auch diese deutsche Reformsprache war notwendig eine „magistrale" Kunstsprache, keine dichterische Sprache, die aus schöpferischer Kraft neues Leben schafft. Von dieser Erkenntnis aus öffnet sich uns das Verständnis für ein einzigartiges Sprachereignis des frühen 16. Jahrhunderts: für das schöpferische Sprechen des Wittenberger Professors M a r t i n L u t h e r , der auf den Grenzen ostfälischen und ostmitteldeutschen Sprechens groß geworden ist (geb. am 10. November 1483, gest. am 18. Februar 1546). Uns geht es nicht um den Theologen Luther, der in Abhandlungen, Predigten oder in Flugschriften spricht, so sehr ihn ihre Sprache charakterisiert. Uns geht es auch nicht um den musikalischen Luther, der, durch die Not des Gottesdienstes veranlaßt, deutschsprachige „Kirchenlieder" anregt, indem er seit 1524 in gedruckten Gesangbüchern seine „G e i s t l i c h e n L i e d e r " erscheinen läßt. Man darf sie ohnedies nicht nach dem erst 1529 veröffentlichten gewaltigen Bekenntnislied „Eine feste Burg ist unser Gott" beurteilen. Uns geht es um das Eigene der Luthersprache, und es spricht am reinsten in der Sprache der B i b e l ü b e r s e t z u n g . Wohlgemerkt, dies gilt, obwohl Luthers Ubersetzung keineswegs die älteste unter den gedruckten Bibelübersetzungen ist. Seit der Straßburger Bibel, die der in Schlettstadt geborene Johann Mentelin vor 1466 herausgebracht hatte, waren nicht nur weitere hochdeutsche Drucke, sondern auch drei niederdeutsche Drucke erschienen. Bezeichnend ist aber, daß Luther rund zwölf Jahre sorgsamen Wägens gebraucht hat, um sein Bibelwerk zum ersten Mal als Ganzes vorzulegen. Im September 1522 macht der schmale Band „ D a s N e u e T e s t a m e n t d e u t s c h " den Anfang, das Jahr 1534 bringt den statt-
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Im Zeitalter der Reformation
liehen Band „ B i b l i a , d a s i s t : d i e g a n z e H e i l i g e S c h r i f t d e u t s c h". Da die Bibel von Haus aus Stücke größter dichterischer Macht (wie etwa die Psalmen, das Buch Hiob und das Hohe Lied) enthält, hat tiefe Bedeutung, daß Luther grundsätzlich vom Urtext ausgeht. Seine Art des Ubersetzens verteidigt er in seinem „ S e n d b r i e f v o m D o l m e t s c h e n " des Jahres 1530, der als ein Grundbuch philologischer Interpretationskunst zugleich ein Grundbuch neuen Sprachdenkens ist. Luther will kein lateinisches oder griechisches Deutsch, sondern ein „reines und klares" Deutsch (überscharf ausgedrückt) ein „deutsches" Deutsch reden. Was er mit einem solchen „völligen" Deutsch meint, hat er deutlich genug umschrieben. Er will kein landschaftlich beschränktes Deutsch, wie es für ihn etwa Murners Deutsch gewesen sein mag. Er will vielmehr ein Deutsch, das von der Sprache der kaiserlichen und kurfürstlich-sächsischen Kanzlei gehalten wird, also auf eine verbindliche Hochsprache zustrebt. Und er will doch kein abstraktes, gelehrtes, künstliches Deutsch, sondern ein Deutsch, das bis in den Rhythmus aus lebendiger Sprechsprache seine Kraft zieht. N u r wenn man dies Gesamtwollen ernst nimmt, das verschiedene Sprachmöglichkeiten aus genialer Sprachkraft im Zusammenspiel vereint, erfaßt man den Sinn des Luthersatzes, man müsse beim Dolmetschen statt der lateinischen Sprache (der Vulgatasprache) die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gasse, den „gemeinen" Mann auf dem Markte fragen, um verständlich werden zu können. Stets ist ein Doppeltes zu beachten: Luther will eine Sprache, die in die Höhe entwickelt ist und doch an der Wurzel bleibt. Wenn er auf den Urtext geht, so kommt es ihm nicht bloß auf einen Text an, der den ursprünglichen Wortlaut bringt, sondern auf einen Text, der den ursprünglichen Sinn des Überlieferten vermittelt, wenn er in einer nachschaffenden Sprache erklingt. Durch solch nadischaffendes Ubersetzen wird die Lutherbibel in ihren sprachstärksten Teilen zum dichterischsten Sprachwerk des späten Mittelalters. Sie wird,
Martin Luthers Bibelsprache; neue Prosa
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wenn man eine Übertreibung gestattet, zum dichterischsten Sprachwerk zwischen Wolframs epischer Verssprache und Goethes Lyrik. Sucht man den Ort, an dem dies Eigenste der Luthersprache seine Quelle hat, so fühlt man sich auf die Kraft von Luthers religiösem Leben verwiesen. Um freilich diese Tiefe zu bestimmen, wird man durch alles Traditionsbedingte seines theologischen Denkens in ein Überzeitlich-Dauerndes vordringen müssen. Mit Zurückhaltung sei deshalb angedeutet, wie man sich diese Tiefe in vorsichtigem Umschreiben zur Sicht bringen kann. Der junge Luther hat ein Sündenerlebnis von ungewöhnlicher Tiefe, aber in einem schöpferischen Aufschwung hebt er sich über alle Seelennot hinaus in ein befreiendes Gottvertrauen hinein. Dies vollzieht sich, indem er die volle Wirklichkeit menschlich-leibhaften Lebens als etwas Unaufhebbares erfaßt, das sich durch keine Art von Idealisierung beseitigen läßt. Jene relgiös erfüllte Erfahrung aber, die am Menschen nidits von seiner bedürftigen, allzu menschlichen Menschlichkeit wegstreicht, trennt ihn in einer neuartigen Selbsterkenntnis bis ins Sprachliche von allen Weltauffassungen, in denen man sich nach erhöhten, zwangsläufig stilisierten Vorbildern richtet, die nachgeahmt sein wollen. Aus dieser Erfahrung heraus muß die Seele gleichsam dauernd versuchen, von ihrem Grund her aus ihrer irdischen Not in ein echtes Gottverhältnis zu streben. Ein Wagnis, das den Einzelnen als Person immer wieder dazu aufruft, trotz seiner menschlichen Mängel unverdeckt aus dem Innersten seiner Seele zu leben und zu sprechen! Wie von selbst meldet sich nunmehr die Frage, warum nun aber die Sprache Luthers, dieses dichterischste Ereignis des frühen 16. Jahrhunderts, nicht damals schon eine neue Welt von Dichtung erzeugt hat: eine Welt von Dichtung, deren Sprache den Rahmen geordneter Satzgefüge in bildhaften Aussagen mit der Klangbewegung elementar-lebendiger Rede füllt? Eine Antwort gibt uns, wenn ich richtig sehe, bereits Luthers Denken und Schaffen selbst. Wir
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Im Zeitalter der Reformation
erhalten sie in einem notwendig abkürzenden Verfahren, wenn wir einen „ T r a k t a t " Luthers aufsuchen, den er im Spätjahr 1520 mit jugendlichem Schwung lateinisch und zugleich deutsch als Anhang zu einer Epistola gebracht hat, die an den Papst Leo X . gerichtet ist. Ich meine den „ T r a k t a t " : „Von der Freiheit eines Christenmenschen" (die deutsche Fassung des Tractatus
de libertate
Christiana).
Den R a n g dieses „ T r a k t a t s " macht aus, daß Luther in ihm auf wenigen Seiten die „ganz Summa eines Christlichen Lebens", wie er es verstanden haben will, zu umgreifen sucht. Dieser „ T r a k t a t " kann daher auch von der Sprache aus das Beste dessen vertreten, was Luther zum Stil deutschsprachiger Abhandlungen mit dieser Art Musterabhandlung beigetragen hat. Die kleine Schrift, die in dreißig Artikeln abläuft, geht von zwei „widerständigen" Sätzen aus: „Ein Christenmensch ist ein freier H e r r über alle Ding und niemand Untertan" und „Ein Christenmensch ist ein dienstbar Knecht aller Ding und jedermann Untert a n " . In solch Widersprüchlichem bekundet sich für Luther die „doppelte N a t u r " des Christenmenschen: Nach der Seele sei er ein „geistlicher", „neuer", „innerlicher" Mensch, nach dem „Fleisch und B l u t " aber ein „leiblicher", „alter", „äußerlicher" Mensch. U n d dies Widersprüchliche will mit jener Überzeugung zusammengenommen werden, die Luther aus seinem religiösen Grunderlebnis gewonnen hat, mit der Überzeugung, daß „allein der Glaube ohne alle Werke fromm, frei und selig" mache, und zwar der Glaube „in Christum" als Geschenk aus Gottes Barmherzigkeit. Durch den „Glauben des Herzens" werde die Seele dem „gottlichen Worte gleich" und frei und mit Christus wie eine „Braut mit ihrem Bräutigam" vereinigt, darin „hoch erhoben über alle D i n g e " . Doch damit ist nur die Hälfte gesagt. Wenngleich der Mensch „inwendig nach der Seele" durch solchen Glauben genugsam vor G o t t gerechtfertigt sei, so bleibe er doch in diesem seinem „leiblichen Leben auf E r d e n " . So müsse denn der Christenmensch dafür sorgen, daß sein „Leib" (will sagen: sein
Martin Luthers Bibelspradie; neue Prosa
315
leibhaftes Leben) seinem „innerlichen Menschen" und seinem Glauben „gehorsam und gleichförmig" werde und nicht im Weltdienste suche, was ihn „lustet". Und er vermag es, indem er durch seine Werke den „Mutwillen" des „Leibes" auf das notwendige Maß dämpft. Grundsätzlich gilt dabei stets, daß gutes frommes Werk nicht den Menschen gut mache, sondern der Mensch als Person zuvor schon gut und fromm sein müsse, damit gute, fromme Werke von ihm ausgehen. Soviel aus diesem „Traktat", in dem sich Luther freimütig aufschließt! Was heißt aber all dies für unsere Frage, warum sich nicht sogleidi Luthers Sprache in eine Dichtersprache des 16. Jahrhunderts umsetzen konnte? Hier der Versuch einer Antwort: Mit Leidenschaft hat Luther den „inneren" Menschen (die Seele als Träger eines persönlichen Lebens) über alles leibhaftige Dasein und damit über alle Art von Werkwelt hinausgehoben. Aber so sehr ein Werkleben gefordert wird, das den „leiblichen", „äußerlichen" Menschen beschäftigt und darin mit Vorzug dem Nächsten dient, notwendig wird diesem leibgebundenen Leben, das nun einmal gelebt werden muß, in seinen Abläufen jene Art von Eigenwert genommen, der es wie von selbst in die Welt der Dichtung hineinträgt. Wohl muß die „christliche Freiheit", die das „Herz" von allen „Sünden, Gesetzen und Geboten" freimacht, die Berufenen dazu auffordern, „Exempel" für redites Verhalten (etwa aus biblischem Lehrstoff) in das Leben hineinzustellen: Beispiele, die dem Einzelnen den Weg zeigen, der ihn aus dem Menschlich-Allzumenschlichen hinausführt. Aber der Königsweg der Dichtung wird damit nicht freigelegt. Denn der Dichtung ist nun einmal zugeteilt, in gestaltender und deutender Sprache eine z w e i t e Welt zu schaffen, die den Menschen in eigener Weise von der Wirrnis des Alltags befreit: eine z w e i t e Welt, die sich zwar nicht gegen die Welten der Religion und Wissenschaft verschließt, aber neben ihnen ihr Sonderrecht und damit ihre Sonderauf gäbe hat. Oder anders ausgedrückt: Die Span-
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Im Zeitalter der Reformation
nung zwischen einer Innerlichkeit, die allein im Glauben lebt, und einer Werkwelt, die nicht aus sich über sich hinausweist, ist damals im Zuge des Reformationsdenkens so groß, daß nicht die Weite einer dichterischen Welt entstehen kann, die immer zugleich leibhaftige Welt und sinnerfüllte Welt sein muß. Es bedurfte denn auch eines weiten Umwegs, bis das, was durch Luther der Sprache an Ursprünglichkeit aus der Tiefe des Erlebens zugeteilt war, die literarischen Sprechweisen durch und durch verwandeln konnte. Sehe ich richtig, so wird diese verwandelnde Kraft, so sehr sie dauernd rege bleibt, erst in den Tagen Klopstodks, Hamanns, Goethes voll wirksam. Die erregende Zeit, die mit den 20-er Jahren des 16. Jahrhunderts da ist, steigert auch d o r t
die Macht literarischer Prosa, wo
sich ein echter Reformwille oberhalb der kirchlichen und politischen Verhältnisse geistigen (naturphilosophischen und geschichtsphilosophischen) Fragen zuwendet. Zwei Beispiele von hohem Rang mögen bestätigen, daß sie gleichwohl nicht die klingende Tiefe jener rhythmisch bewegten Übersetzungsprosa erreicht, die sich in den dichterisch stärksten Teilen von Luthers Bibelsprache entfaltet. Von Basel aus wird seit 1527 ein genialer Arzt tätig, der sich als Mediziner auch in Physik und Chemie auskennt: T h e o p h r a s t Hohenheim,
genannt B o m b a s t u s
Paracelsus,
von als
Abkömmling einer schwäbischen Adelsfamilie 1493 im schwyzerischen Einsiedeln geboren, nach einem unruhigen, gehetzten Leben 1541 in Salzburg gestorben. In einem Reformdenken, das sich aus einer vom Piatonismus hergeleiteten Naturphilosophie nährt und alles Dogmatische ablehnt, ringt er darum, das Innere der Welt zu erfassen, um sich als Arzt auf diesem Wege die Natur aufzuschließen. Wie von selbst verlangt dies umwühlende Suchen nach einer ausgreifenden Sprache, die er aus der Breite seiner süddeutschen Wortwelt ins Strömen bringt. Nicht mit gleichem Tiefsinn, aber mit
Dramatische Versuche
317
gleicher Folgerichtigkeit geht S e b a s t i a n F r a n c k als unermüdlicher Schriftsteller seinen von Tragik umwitterten Weg: als Sohn eines Webers 1499 in Donauwörth geboren, kurze Zeit katholischer Priester und protestantischer Prediger, seit 1528 vom rechtgläubigen Luthertum als ein Gesonderter durch süddeutsche Reichsstädte getrieben, als Buchdrucker 1542 in Basel gestorben. Auf spätmittelalterlichen Fundamenten baut er, dem Denken des Erasmus von Rotterdam nahe, an einem übergeschichtlichen, rein geistigen Christentum, das aus innerer Erfahrung jenseits des Konfessionellen lebt und das man nicht mit dem Ausdruck „Mystik" trifft. Als erste große, für sein äußeres Leben verhängnisvolle Veröffentlichung erscheint 1531 in seinen Straßburger Tagen seine „ C h r o n i c a , Z e i t b u c h u n d G e s c h i c h t b i b e l " , 1534 in seinen Ulmer Tagen als Ausdrude einer „göttlichen Philosophie und deutschen Theologie" der Band seiner „ P a r a d o x a", im gleichen Jahre seine Verdeutschung der kleinen Erasmus-Schrift „M o r i a e E n c o m i o n d a s i s t e i n L o b d e r T o r h e i t " . Alles in Allem, ein jagendes Ubertragen und Erläutern herangerafften Wissensgutes in einer biegsamen, begriffsreichen Sprache. Doch fehlt der Prosa der beiden ungewöhnlichen und daher schwierigen Männer, von denen jeder in seiner Weise in allem Zeitbedingten ferne Zukunft vorwegnimmt, jene elementare Kraft, die der schwingenden Prosa Luthers aus einem neuen Wirklichkeitsbewußtsein überall dort zufließt, wo sie echter Dichtung nahe ist.
4. D r a m a t i s c h e
Versuche
Akademischer Reformgeist versucht im Ausgang des 15. Jahrhunderts eine neue literarische Gattung, die sich erst ein Menschenalter später in gefestigter Form durchzusetzen beginnt: das D r a m a i m e n g e r e n S i n n e . Muster geben die erhaltenen römisch-lateinischen Komödien des späten 3. und frühen 2. vor-
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Im Zeitalter der Reformation
christlichen Jahrhunderts: die sehr attischen Komödien des Terenz (gest. 159 v. Chr.), die zum erstenmal 1470 in Straßburg gedruckt werden, daneben auch die etwas älteren altrömisch-possenhafteren Komödien des Plautus (gest. 184 v. Chr.), die in ihrer Gesamtheit leichter zugänglich sind, nachdem sie der Melanchthonfreund Joachim Camerarius (geb. 1500 in Bamberg, gest. 1574 in Leipzig), bedeutend als Poet und Philologe, 1552 in Basel herausgegeben hat. Das heißt aber: Wie auf das frühe europäische Drama im allgemeinen, wirkt auch auf das frühe Drama Deutschlands, und zwar vor allem durch Terenz, dessen Stücke man bis dahin als ethisch belehrende Lesedialoge aufnahm, das „bürgerliche" Rührstück der hellenistischen Zeit. Zu den lateinischen Komödien treten die Lesetragödien des stoischen Philosophen Seneca (gest. unter Nero 65 n. Chr.), die stark den griechischen Tragödien des Euripides (gest. 407 v. Chr.) verpflichtet sind. Von Seneca lernt man die Teilung des Dramas in fünf Akte und das Füllen der Zwischenakte durch lyrische Chöre, die nicht in das Drama einbezogen werden. Der junge Conrad Celtis hat 1487 den „Hercules furens" (den „rasenden Hercules") und den „Thyestes" Senecas herausgegeben. Man darf an die Anfänge des humanistischen Dramas nicht mit Vorstellungen herangehen, die späterer Zeit, etwa dem 17. oder 18. Jahrhundert, entstammen. Für ein schnelles Eindringen der dramatischen Kunst fehlten fast alle Voraussetzungen. Wie wir gesehen haben, pflegten die vorausgehenden mittelalterlichen Jahrhunderte als ausgesprochen literarische Gattungen nur die „Erzählung", das „Lied" und das „Lehrgedicht". Die „geistlichen Spiele", die mit Vorzug Teile der Heilsgeschichte wiederholen, und die echten „Fastnachtsspiele", in denen Aufzüge Verkleideter ablaufen, sind „halbliterarische" Gebilde, die keine vom Wort getragene Handlung entstehen lassen. Darüber hinaus kennt die „gelehrte" Welt von jeher als selbständige literarische Gattung den „Dialog". Sie kennt ihn als Form des Lehrbuchs, sie kennt ihn als „Disputa-
Dramatische Versuche
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tion" und schließlich unter dem Einfluß Lukians als satirisch-moralisches „Gespräch", das sich auch dann nicht von der Gattung „Dialog" trennt, wenn es sich bis zum szenisch bewegten „Gesprächsspiel" steigert. Trotz dieser Lage sind freilich die Begriffe „Tragödie" und „Komödie" auch im Mittelalter da. Doch wo sie begegnen, werden sie auf die Ausgänge von Geschehnissen jeder Art bezogen: auf wehes oder beglückendes Ende. Sie meinen also nicht eine eigene literarische Gattung, die nach Aufführung verlangt. Es genügt wohl an Dantes Großdichtung Commedia vom frühen 14. Jahrhundert zu erinnern, die seit dem mittleren 16. Jahrhundert Divina commedia genannt wird. Nimmt man all dies zusammen, so wird verständlich, daß sich das griechisch-römische Drama, das man sich auf gelehrtem Wege angeeignet hat, nicht wie von selbst in ein neues Drama lateinischer oder heimischer Sprache verwandelt. Denn um das Wortdrama als literarische Gattung zu vollenden, mußten zum mindesten drei unabdingbare Forderungen in den Denkhorizont der Zeit mehr oder minder deutlich aufgenommen sein. Die erste: Ein Drama braucht eine Bühne, die seinen Geschehensraum von der Alltagswelt trennt. Die zweite: In einem Drama muß sich alles mimisch Darstellbare dem Worte unterordnen. Die dritte: In einem Drama muß eine Handlung durchgespielt werden, die durch die in ihr auftretenden Personen bestimmt wird. Doch wie sah gegenüber diesen Forderungen die Wirklichkeit aus? Im Jahre 1480 trägt der Reformpädagoge J a c o b W i m p f e 1 i n g bei einer feierlichen Promotion in der Heidelberger Artistenfakultät als Dekan den „S t y 1 p h o" vor, eine „Historie", die sich in Szenen gliedert: Der Pfründenjäger und Höfling Stylpho, der nichts gelernt hat, muß froh sein, Schweinehirt zu werden. Im Jahre 1494 wird diese lateinische Merkwürdigkeit gedruckt. Dem Drama näher kommt der lateinische „H e n n o", den J o h a n n e s R e u c h l i n nach der jungen französischen „Farce" vom Maitre Pierre Pathelin ausarbeitet und 1497 in Heidelberg im
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Im Zeitalter der Reformation
Hause des Kanzlers der Universität Johann von Dalberg (1455 bis 1503) durch Studenten aufführen läßt. Der Schwank vom dummklugen Knecht erscheint hier im Gerüst der hohen Tragödie: Dialogszenen, Akteinteilung, Chöre in den Zwischenakten erzeugen ein zwitterhaftes Gebilde, das großen Erfolg hat. Ein vorzeitiger Anfang, der zeigt, wie schwer es damals selbst auf lateinischem Sprachfelde ist, aus der schulmäßig aufgenommenen Welt antiker Dramen in eine zur Gegenwart sprechende Dramenwelt hinüberzuwechseln ! Es wäre daher nicht ohne Reiz, an vielen Einzelheiten genauer zu beobachten, wie sich diese verhältnismäßig junge Gattung in der deutschen Literatur entwickelt. Doch wir dürfen auch hier nicht die Breite des literarischen Feldes durchwandern. Bezeichnendes, über dessen Auswahl man streiten mag, muß im Ungefähren festlegen, was im Laufe des 16. Jahrhunderts erreicht wird. Jahrzehnte verstreichen, ehe Aufführbares erscheint, das von der Form her einem weiten Begriff von Drama genügt. Kein Drama dieses Sinnes entsteht mit dem, was der vielseitige Berner N i k l a s M a n u e l (geb. um 1484, gest. 1536) während der 20-er Jahre des 16. Jahrhunderts mit dramatischem Talente schafft. Altersgenosse Luthers und Zwingiis, Künstler und Politiker, bringt er Fragen der Kirchenreform in aufwühlende Versdialoge, die aufgeführt werden, wie etwa in dem mit Regiebemerkungen versehenen „ A b l a ß k r ä m e r" von 1525. Solche Streitspiele sind dramatisch gesteigerte Fastnachtsspiele, deren lehrhafte Zweckhaftigkeit nicht jenen Abstand zum gelebten Leben hält, aus dem allein eine gültige Kunstwelt aufsteigen kann. Eine Sondererscheinung ist auch „D e P a r a b e l v a m v o r l o r n S o h n " des Niederhessen B u r k h a r d W a l d i s (geb. um 1490), die 1527 auf dem Markt zu Riga als eine Art geistliches Fastnachtsspiel aufgeführt wird: ein Zweiakter ohne echte Szenen, in niederdeutschen Versen abgefaßt. Der ehemalige Franziskaner Waldis, später lutherischer Pfarrer in der Heimat, wo er gegen 1560 stirbt, schreibt ein Tendenzstück
Dramatische Versuche
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von der Begnadigung des einsichtigen Sünders, das zum erstenmal im mimischen Darstellen den Stoff aufnimmt, der im 16. Jahrhundert der Lieblingsstoff protestantischen Erziehungsdenkens ist. Im gleichen Jahre 1527 tritt der Nürnberger „Meistersinger" H a n s S a c h s (1494—1567) mit der in Akte gegliederten „ L u c r e t i a", seiner ersten „Tragedia", hervor; schon vorher hatte er begonnen, das „Fastnachtsspiel" zum sauberen Lehrstück aufzuhöhen. Wir werden audi später seinen Drang kennen lernen, sich alle erreichbaren literarischen Stoffe anzuverwandeln, um vom Gegenständlichen her größte Weltfülle zu gewinnen. Durch drei Jahrzehnte erarbeitet er in strengen, hart gereimten Knittelversen unzureichend gegliederte Dialogspiele, die er bei unglücklichem Ende „Tragödien", bei glücklichem Ende „Komödien" nennt: innerhalb der Geschichte des Dramas in den besten Fällen Gebilde unerlöster Möglichkeiten. Wie immer bei ihm, ist alles einer biedermännischen Moral zugeordnet, die sich aufs Maßhalten beschränkt, alles aber auch mit wärmender Milde in kluger Betrachtung vorgetragen. Dodi wo erkennen wir den Anlauf einer Dramenkunst, die sich mindestens in der F o r m vom mittelalterlichen Spiel (vom „geistlichen Spiel" und vom „Fastnachtsspiel") klar abgrenzt? Am Eingang hat wegen seiner Wirkung das Frühwerk eines Holländers zu stehen: der 1529 zu Antwerpen erschienene „ A c o l a s t u s " (der „Ausschweifende"), eine neulateinische Schulkomödie aus protestantischer Welt und wiederum eine Fassung der Parabel vom „verlorenen Sohn", der zum Vater zurückkehrt. Verfasser ist G u i 1 e 1 m u s G n a p h e u s (1493—1568), der 1528 wegen seiner Hinneigung zur Reformation flüchtet, dann in Elbing, Königsberg und Ostfriesland amtet. Mit dem „Acolastus" will er seinem Zeitalter ein Menander und Terenz sein, und er fühlt sich dabei im „mittleren Stil" der Komödie als ein Beginner. Überlegt gliedert er den gedehnten Parabelstoff in fünf Akte und vereint bewußt das Ethische und Ästhetische in der gepflegten Verssprache der lebhaften 21
N e u m a n n , Literatur
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Im Zeitalter der Reformation
Dialoge. Dies hindert freilich nicht, daß das, was er gibt, nichts anderes als eine dramatisch hergerichtete „Beispielerzählung" ist. Ihm sei der Augsburger S i x t B i r k (1501—1554) angeschlossen, der sich als gelehrter Schulmann X y s t u s B e t u l j u s nennt. Die seit 1530 entstehenden deutschsprachigen Stücke seiner Basler Zeit sind noch locker gefügt, übrigens wie alles, was er auf dem Spielfeld schafft, unter Schweizer Einfluß dem öffentlichen Leben zugewandt. Die seit 1536 entstehenden lateinischen Stücke seiner Augsburger Zeit rücken dem „ Acolastus" näher. In der „ S u s a n n a" vom Jahre 1537 schließt jeder der fünf Akte mit einem Chor, der horazische Versgefüge verwendet. So wird ein rührendes Lehrstück, das glücklichen Ausgang hat, von außen wie eine antike Tragödie aufgezimmert. Die biblisdie Susannageschichte scheint übrigens nächst der Geschichte vom „Verlorenen Sohn" dem akademischen Denken des 16. Jahrhunderts besonders geeignet zu sein, in szenischer Füllung als Darstellung warnender und zugleich erbaulicher Geschehnisse über die Bühne zu gehen, weil sie beide dem Zuschauer nicht nur Moralisch-Belehrendes, sondern vereint damit Sinnlich-Weltliches für Augen und Ohren darbieten. Damit sind wir bei dem ersten Stück des Theologen P a u l R e b h u h n , der in Wittenberg zum engsten Familienkreise Luthers gehört und wohl 1546 verhältnismäßig jung als Geistlicher im Vogtland stirbt. Die „Susanna" vom Jahre 1535 (als ein „geistlich Spiel" 1536 gedruckt) hat fünf Akte, die durch Chöre getrennt sind. Was er, wie auch in der „Hochzeit zu Cana" vom Jahre 1538, vorführt, ist eine spannungslose Lehrerzählung von hausbackener Moral. Und doch treibt ihn ein zaghaftes Streben nach hohem Stil. Es verbindet sich mit dem auffallenden Versuche, die Dialogverse und Chorverse unter Beachtung des deutschen Akzentes zu bilden und zwar angeblich „nach lateinischer Art" in trochäischen und iambischen Gängen, wobei er sich auch im Dialog nicht auf die üblichen Viertakter beschränkt. Wenn er auch darin nicht ganz allein geht, kein Zeit-
Dramatische Versuche
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genösse erreicht ihn in der Bewußtheit des Verfahrens. Sieht man von sprachlichen Härten ab, so entscheidet er sich für jenen Versbau, den drei Menschalter später unabhängig von ihm Martin Opitz durchführt. Selbst bei dieser überfliegenden Betrachtung wird, denke ich, erkennbar, daß wir für diese „Dialogspiele" nur sehr bedingt die Gattungsbezeichnung „Drama" gebrauchen dürfen. Akt- und Szeneneinteilungen, die im Blick auf antike Tragödien und Komödien vorgenommen werden, machen noch kein Drama. Wie will man auch dramatische Spannungen und mit ihnen echt dramatische Konflikte erreichen, wenn sie nicht bereits in der ausgewählten „Geschichte" (in dem, was man schlecht und recht „Stoff" nennt) in Möglichkeiten angelegt sind? Fast notwendig aber wurde in diesem theologischen Jahrhundert das Schuldenken, das in den dramatischen Versuchen lenkt, von ausgesprochenen Lehrerzählungen (nicht zum wenigsten von biblisdien „Parabeln") angezogen, die jener dramatischen Spannung entbehren müssen, die vom Erzählerischen aus nur die „Novelle" auszeichnet. Wie schwer es ist, ein literarisches Werk des 16. Jahrhunderts (selbst dann, wenn es Rang hat) gattungsmäßig einzuordnen und als Kunstleistung zu beurteilen, zeigen uns gut zwei dramatische „Spiele", die der Niederbayer T h o m a s N a o g e o r g u s (eigentlich: Thomas Kirchmair) als glühender Anhänger der Reformation Luthers verfaßt hat. Schon im unruhigen Leben des leidenschaftlichen Mannes drückt sich sinnfällig die Unruhe der Zeit aus. Er wird 1511 unweit Straubing geboren, nach dem Studium in Tübingen zieht er als Pfarrer vom Thüringischen ins Schwäbische und von da aus ins Pfälzische, wo er 1563 zu Wiesloch stirbt. Beide „Spiele", die wir hier heranziehen, schreibt er auf der Höhe seines Schaffens während der Thüringer Zeit in einem bewegten Humanistenlatein, und beide sind dann matter von anderen in ihre Heimsprachen übertragen worden. Naogeorgs Temperament vermochte 21*
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Im Zeitalter der Reformation
nämlich das, was er in den Kampf des Tages hineinsprechen wollte, nur in einer durchgebildeten, allverbindlichen Lateinrede darzustellen: Anzeichen zugleich, wie sehr damals für jede Art von geistigen Auseinandersetzungen auch das humanistische Reformlatein (gerade darin noch dem mittelalterlichen Latein der vorausgehenden Jahrhunderte vergleichbar) etwas vom Charakter einer lebenden Sprache hat. Das erste Spiel, der „Pammachius", 1538 vollendet, ist zwar unbestimmt durch den Kaisernamen Julian auf die späte Kaiserzeit des 4. Jahrhunderts bezogen, gleichwohl in einem Phantasieraum angesiedelt, der die Jahrhunderte der Papstmacht bis in das 16. Jahrhundert in vier Akten umgreift. Pammachius, roher Vertreter des Papsttums, beraten vom teuflischen Höfling Porphyrius, löst sich mit Hilfe des entfesselten Satans vom christlichen Leben in ein Leben der „Vernunft", sodaß er den jugendlichen Kaiser unter sich zwingen kann. In einem wilden Fest feiert der Teufel das antichristliche Reich des Papstes. Christus aber bietet durch die „Veritas" und durch Paulus den Theophilus auf, der in Sachsen seinen Sitz hat. Nach diesem undramatischen Schluß erfahren wir im „Epilog", der fünfte Akt der Tragödie werde gespielt werden, wenn Christus wieder erscheine, was wohl als nahe angenommen werden soll. Doch was ist das Ganze? Die in Akte gegliederte Verwandlung eines mittelalterlichen Antichristspiels, das mit beißendem Spott in die Gegenwart eingreifen soll? Oder ebenso eine bewußt parteiische Kampfschrift, die in einer Scheinhistorie durch theatralische Steigerung zu wirken sucht? In keinem Falle schon deshalb ein Drama im gattungsmäßigen Sinne. Und auch als Schaustück erfüllt es sich am ehsten vor dem inneren Gesichte eines Lesenden, in dem alle oder viele gelehrte Anspielungen anklingen. Ähnliches gilt denn auch für Naogeorgs „Mercator" vom Jahre 1540, in dem es um das Hauptsitück von Luthers religiösem Erleben geht: um die alleinige Rechtfertigung des Menschen durch den Glau-
Dramatische Versuche
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ben. Naogeorg nimmt hier das Thema eines „Jedermann"-Stückes (eines Stückes vom „sterbenden Menschen") auf: das Thema des „Hecastus", wie es spielmäßig der niederländische reformkatholische Hieronymianer G e o r g i u s M a c r o p e d i u s (Georg van Langveldt) im Jahre 1539 als Rektor in Utrecht angefaßt hatte. Wir haben nicht auf die szenisch gegliederte und in Dialog umgesetzte „Parabel" des Macropedius einzugehen. Nur eins muß gesagt werden: Schon in der dramatischen Aussage des Macropedius sind es nicht die Büß werke, sondern „Virtus" und „Fides", die (zusammen übrigens mit dem Priester Hieronymus) dem der Genußsucht erlegenen „Hecastus" helfen, als ihn ein Gottes Bote vorladet. Naogeorg baut mit energischem Eingreifen fast gleichzeitig diesen thematischen Ablauf in eine große antikatholische Kampfdichtung um. Lyochares (der Tod als Freudenauflöser) dringt in das Haus des Meractor (eines Kaufherrn) ein, den sdiwere Untaten belasten. Um ihm zu helfen, erscheint der auf Geld bedachte Pfarrherr, ohne die Conscientia (Mercators Gewissen) und den Satanas zu bemerken. Christus aber schickt Paulus und den Arzt Cosmas; sie befreien (dem Fastnachtsspiel nahe) den Sterbenden drastisch durch Brechmittel von den „guten Werken", die ihm der Pfarrherr eingegeben hat. Mercator geht ruhigen Sinnes zum Gericht, während dorthin gleichzeitig ein Fürst, ein Bischof und ein Franziskaner schwer belastet schreiten. Chrsitus spricht das Urteil. Sehen wir davon ab, daß Naogeorg im Spannen der Darstellung nicht durchhält. Sein genialischer Griff ist die burleske Durchführung des seelischen Reinigungsprozesses. Und etwas Besonderes bringt er, als er den mittelalterlichen „Jedermann" durch den „Mercator" (einen sündhaften Kaufherrn) ersetzt, darin dem Wirtschaftsdenken Luthers zugetan. Aber trotz dramatischer Züge, die auch diesmal einen künstlerisch begabten Autor zeigen, ein wirkliches Drama kann fast selbstverständlich in dieser unausgeglichenen Szenenfolge nicht entstehen. Die Hauptvoraussetzung fehlt: Es wird auch hier nicht mit künst-
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I m Zeitalter der R e f o r m a t i o n
lerisdiem Abstand ein durchgegliedertes, gespanntes Geschehen auf einer hochgestellten Bühne aus dem allgemeinen Welttheater des menschlichen Daseins in eine eigene Kunstwelt hinaufgehoben. Mit diesen beiden Werken Naogeorgs sind wir auf das lateinische Werk eines nicht minder leidenschaftlichen Mannes vorbereitet, in diesem Falle auf das Werk eines Mannes, der der Gruppe der im engeren Sinne „Gelehrten" angehört. Wir dürfen den Weg, auf dem uns Dramatisches lateinischer und deutscher Sprache begegnet ist, nicht verlassen, ohne bei N i c o d e m u s F r i s c h l i n haltzumachen. Der Zügellose, 1547 als württembergischer Pfarrerssohn geboren, hat ein stürmisches Leben gelebt. Früh an der Tübinger Universität unter dem Schutz des Herzogs aufgestiegen, bringt er bald Professoren und Adel gegen sich auf. Nach häufigem Ortswechsel 1590 gefangen auf den Höhen-Urach gebracht, kommt er im gleichen Jahre bei einem Fluchtversuch um. Unter den Werken seines dramatischen Schaffens, mit denen er ein Terentius Christianus werden wollte, zählen nur die lateinischen Studie. Auch er hat (und zwar 1577) eine „ S u s a n n s " herausgebracht. Zum Originellsten stellt sich seine patriotische „Comödia" „ J u l i u s r e d i v i v u s " („Der wiedergekehrte Cäsar"), nach langer Vorbereitung 1585 in fünf Akten gedruckt und bis 1636 aufgelegt. Den Ablauf bestimmt ein witziger Einfall. Cicero und Cäsar erscheinen, von Pluto beurlaubt, unter Führung Mercurs, um die nova Germania (das „neue Deutschland") des 16. Jahrhunderts zu sehen; sie treffen auf eine Welt hochentwickelter Kunstfertigkeit und Wissenschaft, dazu auf Menschen, die bei Bewahrung ihres ursprünglichen Charakters bestes Latein sprechen. Aber so vergnüglich im Einzelnen sein kann, wie ein stolzer Bildungshumanismus mit optimistischem Blick Gegenwartsbilder entwirft, bei willkürlicher Akteinteilung werden doch nur Lehrdialoge abgewickelt, die sich an den besten Stellen zu einem akademischen Festulk steigern. Und für Frischlins Gesamtschaffen muß doch wohl gelten: Im Vielschreiben gibt sich ungehemmt ein
Dramatische Versuche
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aristophanisches Talent aus, das in konfessionell verengter, dürr gewordener Zeit keinen ihm gemäßen Bewegungsraum findet. Doch genug von dem, was seit den 30-er Jahren des 16. Jahrhunderts an Bühnenspielen vordringt, die neue „Komödien" sein wollen und doch halbdramatische Lehrstücke bleiben, hervorgegangen aus einer auf die Macht des Wortes vertrauenden Welt! W o nicht K o n fessionelles und damit Politisches zweckhaft spricht, schlägt im Ethischen jene biedermännisch-kluge Ehrbarkeit durch, die schon am Ende des 15. Jahrhunderts im Denken Sebastian Brants der „Weisheit letzter Schluß" gewesen war. W i r haben freilich noch nicht den Ausgang des 16. Jahrhunderts erreicht, auf den ein Anstoß wirkt, der von England herkommt. In England, das nicht durch seine religiöse Reformation bis in die Tiefe aufgewühlt war, konnte sich Altheimisches und Humanistisches in leichten Ubergängen verbinden. Und ein einziger königlicher Hof vermochte bei aufsteigender Macht eine Mitte gesellschaftlichen Lebens zu werden. So entstehen dort in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in e i n e m
Zuge
ein Schauspielertum, ein Theaterwesen und eine echte dramatische Bühnenkunst. In Deutschland ist nichts Vergleichbares da, weil die Voraussetzungen f ü r ein solches Zusammenwirken fehlen. Es gilt nicht nur f ü r den C h a r a k t e r
der deutschsprachigen Stücke;
folgerichtig entfernt sich auch ihre A u f f ü h r u n g
bei einfacher
Mimik nicht weit vom deklamierten Vortrag. Da tritt 1 5 9 2 nach einem kurzen Dresdener Vorspiel der Jahre 1586/87 die erste Truppe e n g l i s c h e r
Komödianten
mit ihren Musikern
nach Deutschland über. A m hessischen Hofe zu Kassel und am braunschweigischen Hofe zu Wolfenbüttel faßt sie Fuß. Sie erhält Nachzug, und andere Höfe, besonders der Hof zu Dresden, schließen sich an. Im Sommer ziehen diese „Komödianten" zu Gastspielen von ihren Standorten in andere Städte. Ihre große Zeit ist freilich schon um 1620 vorbei, doch halten sie sich bis über die Mitte des
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Im Zeitalter der Reformation
17. Jahrhunderts hinaus. Man muß sich übrigens hüten, ihr Erscheinen in seiner Bedeutung zu überschätzen. Dies ist schon in der Art ihrer Aufführungen begründet. Sie verfügen verhältnismäßig frei über einen Grundtext, um vor allem durch leidenschaftlichen Ausbruch zu wirken. Was zunächst die Zuschauer anzieht und beeinflußt, ist nicht so sehr ein neuer Dramengehalt, sondern die vom Spiel ausstrahlende Erregung. Nur selten hat aber das Auftreten der „Komödianten" zu dem Versuch verleitet, bühnengerechtere Stücke zu verfertigen. Heraushebt sich der H e r z o g H e i n r i c h J u l i u s z u B r a u n s c h w e i g - W o l f e n b ü t t e l : Geboren 1564, Regent seit 1589, Altersgenosse der englischen Dramatiker Christopher Marlowe (1563—1593) und William Shakespeare (1564—1616), dazu Vertrauter Kaiser Rudolfs II. (1576—1612) und daher aufgenommen in Grillparzers „Ein Bruderzwist in Habsburg", gestorben 1613 in Prag — in seinen Rechtsvorstellungen ein Mann der neuen Zeit. Als junger Fürst schreibt er in kanzleihafter Prosa Tragödien, Tragikomödien und Komödien, die unter durchsichtigen Decknamen 1593/94 gedruckt werden. In schneller Produktion hingestellt, sind sie als Schauspielerstücke ohne Sinn für inneren Aufbau angelegt. In der Entwicklung am vorgreifendsten sind zwei Dramen: Die „Tragödie" „ V o n e i n e m ungeratenen S o h n", der Nero heißt, ein grelles Schauerdrama, in dem das Tragische mit dem Gräßlichen verwechselt ist, und die „Comödia" „V o n V i n c e n t i o L a d i s l a o " („Satrapa von Mantua, Kämpfern zu Roß und Fuß"), in der ein Aufschneider durch frostige Situationskomik lächerlich gemacht wird. Als Vorboten von Zukünftigem haben solche Unvollkommenheiten ihre Bedeutung. Denn im geschichtlichen Rückblick sind selbst schwache Ansätze zu Neuem oft wichtiger als Gekonntes, das sich auf längst erkämpfter Höhenlage hält. Man mag für die Wende des 16. zum 17. Jahrhundert an die Worte denken, die Grillparzer den Herzog sagen läßt, als er die
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Episches vor 1550
Kleinodien des Reiches den Brüdern Rudolfs I I . bringt: „Wo nichts zu wirken, ist auch nicht zu handeln. / Die Zeit hilft selbst sich mehr, als man ihr hilft". Um keinen erwarteten Namen vermissen zu lassen, sei hinter dem Herzog ein Autor nachgetragen, dessen Nennung sich oft mit der Vorstellung verbindet, er habe bereits den Anfang eines neuen Weges beschritten. Im Jahre 1618 erschien aus seinem Nachlaß ein Opus theatricum,
das „Komödien" und „Tragödien", auch Fast-
nachtsspiele füllen. Verfasser war
Jacob
Ayrer
(1543 in
Nürnberg groß geworden und dort nach einer Bamberger Zeit 1605 als Gerichtsprokurator und Notar gestorben). Uns gehen hier nur die „Komödien" und „Tragödien" an. D a gibt es Gliederungen und Szenenanweisungen, und man wird an Stücke der „englischen Komödianten" erinnert. Aber man lasse sich nicht täuschen. Der stoffhungrige, fleißige Mann hat in Mußestunden seiner älteren Jahre viele Stücke niedergeschrieben. Aber so eifrig er in Aufführungen der „Komödianten" gegangen sein wird, er bleibt nahe an Hans Sachs, ohne dessen künstlerischen Griffe mit dessen Naturtalent handhaben zu können. Im letzten tut er nichts anderes, als literarisch angeeignete „Geschichten" in szenisch eingeteilte Dialoge umzusetzen. Und der Gehalt? Als Kind seiner Tage beschränkt er sich mit Vorzug darauf, ohne neues Ahnen die Schwächen der Menschen darzustellen; dazwischen spukt die den „Engländern" abgesehene „lustige Person" (sein „Jahn") herum. Nicht das Unwichtigste: Keine seiner szenischen Dialoggeschichten („Komödien" und „Tragödien" genannt) dürfte je aufgeführt sein.
5. E p i s c h e s
vor
1550
Seit dem späteren 15. Jahrhundert bot der Buchdruck romanhafte Prosaerzählungen in deutscher Sprache an. Fast durchgehend waren es Ubersetzungen: Werke aus zweiter Hand. Auch vermittelten sie
330
Im Zeitalter der Reformation
selten durch Deutung bewegten Lebens eine neue Sicht. Denn der durchschnittliche Reformwille jener Tage mahnte zu einer Weisheit, der alles Mitreißende fehlt. Immerhin vermochten die Erzählungen einen unterhaltenden Traum über den Alltag zu legen. Dann zog mit dem zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts im kirchlichen und ständischen Bereich die Zeit der großen Unruhe ein. Der Buchdruck diente dem Tage, die Kampfschrift galt mehr als der Roman. Drei Beispiele: Für die so zeitnahe „Fortunatus"-Historie setzen die uns erhaltenen Drucke vom Jahre 1509 bis zum Jahre 1530 aus, für die Geschichte von der Meerfei „Melusine" vom Jahre 1516 bis zum Jahre 1538, für die „schöne Historie" von „Pontus und Sidonia" sogar vom Jahre 1509 bis zum Jahre 1539. Den neuen Anfang vertritt gut die Märchennovelle „D i e s c h ö n M a g e i o n a": nach altem Verfahren die rührende Geschichte eines Liebespaares (in diesem Falle eines Grafensohnes und einer Königstochter), das durch Zufall getrennt und nach Jahren bewahrter Treue wieder vereint wird. Schon einmal um 1500 nicht schlecht, aber ohne Erfolg übertragen, dringt sie im Jahre 1535 durch. Damals wird in Augsburg durch den Lutherfreund Georg Spalatin (1484—1545) die geringe Übersetzung eines französischen Textes zum Druck gebracht, die schon 1527 der damals in Kursächsisdien Diensten stehende Magister V e i t W a r b e c k (1490—1534), ein Schwabe, verfaßt hatte. Für alle diese Erzählungen gilt aber: Altes lebt in höfisch-ritterlicher Scheinwelt wieder auf und wird, durch Verwandtes gemehrt, darin Ersatz einer zeitnahen Höhenwelt von bildender Kraft. Daß dies Urteil eingeschränkt werden darf, ist das außerordentliche Verdienst des Elsässers J ö r g W i c k r a m . Als unehelicher Sohn eines angesehenen Vaters am Anfang des 16. Jahrhunderts geboren, lebt der allseitig Talentierte lange Zeit als Beamteter in seiner Vaterstadt Colmar. Seit 1537 tritt er in einer zunehmend fruchtbaren Schriftstellerei hervor. Erst 1555 steigt er zum Stadtschreiber in dem am Kaiserstuhl gelegenen Burkheim auf, 1562 ist
Episches vor 1550
331
er bereits tot. Durch keine akademische Erziehung gehemmt, baut er sich auf fast allen Feldern an, die damals von der deutschsprachigen Literatur aus zugänglich sind. Er schreibt Reimspiele, Reimreden und Geschichten in Prosa. Dabei hilft ihm, daß er, von konfessioneller Enge frei, durch Sinn für alte Handschriften in die Vergangenheit zurückgreifen kann. Die von Albrecht von Halberstadt um 1210 eingedeutschten „Metamorphosen" Ovids setzt er mit Erfolg für einen Druck von 1545 in die hausbackene Verssprache des 16. Jahrhunderts um, bestrebt, den bildenden Künstlern mythologische Vorwürfe anzubieten. Im Jahre 1546 erwirbt er eine Liederhandschrift des mittleren 15. Jahrhunderts, die so durch Verbindung mit der Colmarer „Singschule" zur „Colmarer Handschrift" wird. Uns sollen nur seine P r o s a e r z ä h l u n g e n beschäftigen, weil sie ihn über seine Zeitgenossen hinausheben. Im Jahre 1539 druckt man in Straßburg ohne Verfassernamen Wickrams „Historie" vom „ R i t t e r G a l m y", die man später zum „Volksbuch" kürzt. Die altbewährte Erzählfabel von der unschuldig verfolgten Frau gestaltet er unter dem Einfluß der Renaissancenovellen zu einer Art Ritterroman aus: Ein schottischer Ritter erringt im Frauendienst durch „züchtige Liebe" ein Herzogtum Britannien. In Monologen öffnen sich die Seelen, Zuständliches bereitet sich in Kleinmalerei aus, das Ganze wird mittelbar in der für Wickram typischen Verbindung von Liebesmotiv und Freundschaftsmotiv zu einer Schule des Weltmannes. In solche romanhafte Überhöhung des Lebens dringt Wickram mit eigenen Vorstellungen am weitesten in der „Historie" vom „ G o l d f a d e n " vor, die nach einem Liebeszeichen heißt: Der in Portugal angesiedelte Romanheld Leufried, Küchenjunge eines Grafen geworden, findet sich in lyrischer Liebe mit der Grafentochter zusammen. In einer Welt, in der das wankelmütige Glück regiert, gewinnt er die Geliebte durch alle Bedrohungen hindurch, nachdem er im Kriege Ritter geworden ist. Tugend adelt und erhebt, Liebe erfüllt sich in der Ehe,
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Im Zeitalter der Reformation
Freundschaft schützt in Gefahr, um den idealen Fürsten entwickelt sich eine ideale Obrigkeit. Gewiß, in dieser 1557
gedruckten
„Historie" fügt sich das Episodische nicht fest in die Einheit einer geschlossenen Welt. Alte Motive verraten im Mosaik des Ganzen zu sehr ihre Herkunft. Die Sprache wird nicht zu einem Stil durchgegliedert. Und doch ist trotz roher Künstlichkeit ein bedeutender Ansatz da, ein gesellschaftliches Lebensideal im Dasein einer ständisch geschichteten Welt sichtbar zu machen. Nicht zufällig ist, daß man den „Goldfaden" noch im 17. Jahrhundert liest; Clemens Brentano gibt ihn, vorsichtig erneuernd, im Jahre 1809 heraus. Im Spätwerk Wickrams fallen außerdem zwei Lehrerzählungen auf, obwohl sie sich gut in das so pädagogische 16. Jahrhundert eingliedern. Denn sie suchen, auf Ethisches gerichtet, Grundlinien in zeitnahes Alltagsleben einzuzeichnen. Im Jahre „D e r j u n g e n
Knaben
1554 erscheint
S p i e g e l " , der drei Typen junger
Menschen vorführt: den von einem Ritter adoptierten Bauernsohn von guten Sitten, den in der Mitte stehenden Rittersohn und dessen bösen Verführer, den Sohn eines Metzgers; nach dem Schema der Geschichte vom „Verlorenen Sohn" kehrt der Mittlere geläutert zurück. Nur zu deutlich werden hier freilich Grenzen sichtbar, die Wickrams Phantasie gesetzt sind, sobald ihn nicht literarisch bedingtes Romangeschehen in einer Höhenlage hält. Denn stark sind allenfalls die Stellen, wo er sich, dem Lotterleben der Verlorenen zugewandt, im Negativen bewegt. Und das 1556 herausgekommene „frische
Exempel"
„V o n
guten
und
bösen
Nach-
b a r n " ? Die Sprache Wickrams hat hier das ihm erreichbare Höchstmaß an Griffsicherheit. Auch ist es ein kluger Gedanke in einer Art Kleinepos vorbildliches Haushalten bis ins Eheleben hinein an drei Generationen einer Kaufmannswelt darzustellen. Aber wie biedermännisch-eng ist in Wickrams Sicht der Lebensbereich seiner Figuren! An entsprechende Kleinepen eines Jeremias Gotthelf (1797 bis 1854) darf man nicht einmal von weitem denken. Denn an der
Episches vor 1550
333
Welt, die Wickram hinstellt, um an ihr den Wert häuslichen „Friedens" zu zeigen, lassen sich nicht Grundformen des Lebens herausarbeiten. Doch auch hier bleibt sein Verdienst, unter ungünstigen Bedingungen erstrebt zu haben, gelebtes Leben durch Lebensmodelle zu überhöhen. Ehe wir uns der kurzgefaßten Prosa schwankhafter Erzählungen zuwenden, müssen wir noch eine besondere Art von Kleinepos aufsuchen, das nach altem Brauch den Vers wählt. Denn wir dürfen nicht übergehen, daß in diesem auf rechte Lehre bedachten Jahrhundert grade lutherische Kreise die bunte Bildwelt der T i e r f a b e 1 aufnehmen, um Beispielhaftes darzustellen. Die Tierfabel als geschlossener Bereich von Geschichten war uns am Anfang des 14. Jahrhunderts in den Versen von Boners „Edelstein" und im späteren 15. Jahrhundert in der Prosa von Stainhöwels „Esop" begegnet. In Luthers Gedanken hatte sie eine feste Stelle. Nach der Bibel schätzte er an zweiter Stelle die richtig ausgewählten „Fabeln oder Märlein"", weil sich unter ihrer „lieblichen Gestalt" die „Wahrheit" wie in einer „Mummerei" sagen lasse. Zum Ausdruck seiner religiösen und ethischen Uberzeugung hat der kampffreudige E r a s m u s A l b e r u s , Schüler und Freund Luthers, die Tierfabeln in gewandten, dialogisch belebten „Reimreden" ausgebaut. Um 1500 in der Wetterau geboren, nach mehrfachem Ortswechsel als Generalsuperintendent in Neu-Brandenburg 1553 gestorben, bringt er „etliche Fabeln Esopi" mit „anderen neuen Fabeln" zum erstenmal 1534 heraus, dann 1550 sein ganzes Fabelwerk in endgültiger Fassung und mit Holzschnitten versehen unter dem bezeichnenden Titel „ D a s B u c h v o n d e r T u g e n d u n d W e i s h e i t " . Indem er Fabeln in deutsches Gebiet verlegt, nähert er ihre Erzählung dem Stil des „Tierepos" an, wie er denn auch den „Reinke de Vos", dessen protestantische „Glosse" 1539 erschien, nicht geringer als „alle Komödien der Alten" achten wollte. Ein als Mahnung
334
Im Zeitalter der Reformation
angehängtes „Morale" greift in christlicher Unterweisung oft über die einzelne Fabel hinaus. Fester am Uberlieferten bleiben bei herberer Aussage die erzählfreudigen Verse des etwas älteren B u r k a r d W a l d i s , dessen „Parabel vom verlorenen Sohn" vom Jahre 1527 wir schon kennen gelernt haben. Als er nach unruhiger Vergangenheit in seiner niederhessischen Heimat am Meißner auf einer Pfarrstelle saß, erschien 1548 sein „Es o p u s g a n z n e u g e m a c h t " , der viel benutzt worden ist; schon um 1535 hatte er in Riga an Fabeln geschrieben. Daß sich auch H a n s S a c h s die Tierfabel nicht entgehen ließ, versteht sich bei seiner Arbeitsart fast von selbst. Wir werden ihr noch bei ihm begegnen. Doch nun zur Prosa zurück! Im Jahre 1522 druckt der Straßburger Franziskaner J o h a n n e s P a u l i am Ende seines Lebens unter dem Titel „ S c h i m p f u n d E r n s t " („Scherz und Ernst") „zur Besserung der Menschen" ein Buch, das „der Welt Handlung mit ernstlichen und kurzweiligen Exempeln, Parabeln und Historien" zu bewältigen sucht. Mit Erfolg legt er hier in schlichter Prosa Sammelgut schwankhafter Kleingeschichten vor. Wir wissen schon, daß solche Erzählungen als frühe Zeugen eines novellistischen Triebes in „Reimreden" des 13. Jahrhunderts einsetzen. In der italienischen Literatur können sie sich zu heiter witzigen Anekdoten entwickeln, die in sich selbst ruhen. Audi in den deutschen Prosaschwänken des 16. Jahrhunderts tritt später das Lehrhafte zurück. J ö r g W i c k r a m macht 1555 mit den zahmen Schwänken und Historien seines „ R o l l w a g e n b ü c h 1 e i n s" („Reisewagenbüchleins") den Anfang, indem es beansprucht, „allein von guter Kurzweil wegen" zusammengestellt zu sein. In den nächsten Jahren drängen sich auf diesem Felde die Neuerscheinungen; Titel wie „Gartengesellschaft", „Wegkürzer", „Rastbüchlein", „Nachtbüchlein" locken die Leser an. An einem Schluß steht der in Kassel geborene, viel gereiste H a n s W i l -
Episches an der Jahrhundertwende
335
h e i m K i r c h h o f f , der seinen „W e n d u n m u t h " in sieben Teilen von 1565 bis 1603 herausbringt. Anders als in Heinrich Bebels lateinischen „Facetien" liegt überall das Unterhalten selten im „Wie", zumeist im „Was" des Dargestellten. In mancher Sammlung hat das Zotige eine vernehmliche Stimme. Oft ist nicht leicht nachzuempfinden, warum damals eine Geschichte kurzweilig wirkte: Scherzreden sind stets zeitgebundener als Ernstreden. Gleich ist allen Sammlungen, daß sich in ihnen die Welt als eine Summe von Einzelerfahrungen anbietet. Insoweit gehört der Schwank dort, wo er lehrhaft wird, mit dem S p r i c h w o r t zusammen; nicht zufällig werden daher im 16. Jahrhundert Sammlungen deutscher „Sprichwörter" dem Buchdruck zugeführt. Doch was legt uns nach Wickrams Bemühungen das s p ä t e r e 16. Jahrhundert, das die erstarrenden konfessionellen und damit auch politischen Gegensätze lähmen, auf epischen Feldern an Bemerkenswertem vor, das für diese Zeit typischer als die Kleingeschichten ist?
6. E p i s c h e s a n d e r
Jahrhundertwende
Romanhafte Prosaerzählungen verschiedener Herkunft waren seit dem späteren 15. Jahrhundert in den Druck gegangen. Rund ein Dutzend (darunter die „Historien" von „Tristrant und Isalde", von der „Melusine", der „Magelone" und vom „Ritter Galmy") faßt 1587 der Frankfurter Verleger Sigmund Carl Feyerabendt im „ B u c h d e r L i e b e " zusammen. Etwas Besonderes ist, daß er die Aethiopica Historia (die „äthiopischen Geschichten") aufnimmt: die „Historie" von dem „großmütigen" Griechen Theagenes und der „überschönen" schwarzen Königstochter Chariclia. Der Phönizier Heliodor hatte, wahrscheinlich gegen das Jahr 300, diesen berühmtesten späthellenistischen Liebesroman geschrieben. Erregende Geschehnisse, in ihren Zufällen durch Fügung gelenkt, werden in pathetischer Sprache einem gespannten Ablauf eingeordnet. Das
336
Im Zeitalter der Reformation
Ganze wird mit seiner Scheingelehrsamkeit ein Muster der europäischen Romantechnik. Feyerabendts Vorlage war eine Übersetzung, die der Elsässer Johannes Zschorn 1559 nach einer kurz vorher in Basel erschienenen lateinischen Wiedergabe angefertigt hatte. Ungefähr mit dem „Buch der Liebe" endet übrigens eine Lesewelt, die über ein Jahrhundert den Romanhunger einer gehobenen Schicht befriedigt hatte. Was von diesen „Historien" in das 17. Jahrhundert hinein lebendig bleibt, läuft zwar als Verlegerunternehmen weiter, aber unter einer neuen literarischen Oberwelt und nach einem etwa seit 1530 geübten Verfahren für einen anspruchslosen Geschmack in billiger Herstellung zugerüstet. Erst von jetzt an kommt recht eigentlich diesen an Jedermann gerichteten Erzählbüchern der Name „ V o l k s b ü c h e r " zu, den ihnen ihr romantischer Verteidiger Joseph Görres im Jahre 1807 zugeteilt hat. Sofort als „Volksbuch" beginnt die H i s t o r i a v o n D. J o h a n n F a u s t e n . Nach älterer Vorlage wird sie 1587 zum erstenmal durch den Verleger Johann Spies zu Frankfurt am Main gedruckt: „allen hochtragenden, fürwitzigen und gottlosen Menschen zum schrecklichen Beispiel, abscheulichen Exempel und treuherziger Warnung zusammengezogen". Eine Abschreckungslegende aus eng protestantischem Denken ist mit einfachen Griffen hergestellt: „Historie" von einem Weltmann, der die „Elemente" erforschen will und zum Teufelsbündler wird, vermehrt um Erzählungen von den Gaukeleien eines Schwarzkünstlers und angeregt durch das Treiben eines vagierenden Halbgelehrten, der im Anfang des Jahrhunderts neuplatonisch-kabbalistische Naturphilosophie zu einer Jahrmarktsangelegenheit machte und den Beinamen Faust eines wenig älteren „Nigromanten" („Schwarzkünstlers") übernahm. Grade weil diese verwirrende „Historie", in der sich ein durch den Neuplatonismus belebter Erfahrungsdrang des frühen 16. Jahrhunderts verzerrt spiegelt, auf der Stufe eines zusammengestückten Machwerks bleibt, steht sie von Beginn an für Ausgestaltungen und Umgestaltungen bereit.
Episdies an der Jahrhundertwende
337
Der Traum von gesellschaftlicher Lebenskunst, die sich in bewegtem Dasein am Verhältnis des Männlichen und Weiblichen erfüllt, dies nie ganz verdrängte Erbe der hochmittelalterlichen Zeit, dringt im späteren 16. Jahrhundert erneut vom romanischen Westen her in den deutschen Phantasiebereich ein. So roh das Leben deutscher Fürsten ablaufen kann, mit dem vollendeten Siege der obrigkeitlichen Landesmächte meldet sich eine neuartige Hofwelt an. Der Verleger Feyerabendt verstand sich mit seinem „Buche der Liebe" auf solche Regungen. Schon vorher hatte er klug eingegriffen. In Spanien, das nur in der Formensprache von den ästhetischen Regungen Italiens bewegt wird, veröffentlicht 1508 O r d o n e z d e M o n t a 1 v o vier Prosabücher, deren Held A m a d i s v o n G a u 1 a („Wales") ist: merkwürdiges Aufleben der französischbretonischen Rittererzählung in einem Gespinst von Abenteuern ohne die sinnbildliche Kraft des 12. Jahrunderts. Der französische König Franz I. (1515—1547), renaissancehafter Ritterromantik geöffnet, lernt diese Höhenwelt, die schnell in Fortsetzungen auswuchert, im Jahre 1525 als Gefangener Karls V. in Madrid kennen. Der Franzose H e r b e r a y d e s E s c o r t s setzt sie 1540 bis 1548 in eine französische Amadiswelt um, die eigene Fortsetzungen findet. Der abenteuernde „galante" Held mit seinen Vorzügen und Fragwürdigkeiten beginnt in einer unwirklichen Welt aufzusteigen. Feyerabendt bringt zwischen den Jahren 1569 und 1575 erste Übertragungen der französischen Romanreihe heraus. Das 6. Buch dieser Reihe verdeutscht für ihn im Jahre 1572 der merkwürdigste Schriftsteller jener Tage: J o h a n n F i s c h a r t (ursprünglich: Fischer), g e n . M e n t z e r (der „Mainzer"). Er verlangt unsere besondere Aufmerksamkeit. F i s c h a r t wird 1546/47 in Straßburg als Sohn eines zugewanderten wohlhabenden Kaufmanns geboren, von dem er den Beinamen „Mentzer" weiterführt. Zum Studieren erzogen, lernt er früh nach dem Westen sehen, seit einem Pariser Aufenthalt dem 22 Neumann, Literatur
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Im Zeitalter der Reformation
Calvinismus zugetan. Nach einer bewegten Ausbildungszeit setzt er 1570 mit einer regen literarischen Tätigkeit ein. Nachdem er den juristischen Doktorgrad in Basel erworben hat, anwaltet er zeitweise beim Reichskammergericht in Speyer. Im Jahre 1583 wird er Amtmann in Forbach, das damals zum Herzogtum Lothringen gehört, dessen Hauptstadt Nancy ist. Schon 1590 stirbt er, verhältnismäßig jung. Doch dürfte längeres Leben das Bild des Schriftstellernden schwerlich verändert haben. In dem reichsstädtischen und weitgehend protestantischen Straßburg, das zugleich als alter Bischofssitz der Sitz eines katholischen Landesfürsten ist, wächst Fischart in Verhältnisse hinein, in denen das Vorläufige des „Religionsfriedens" in Konflikte treiben mußte. Dem leidenschaftlichen Manne, dem das Reimen leicht fällt, hat der konfessionelle Tageskampf heftige Streitschriften entlockt. Wir lassen sie beiseite wie auch alle überkonfessionellen satirischen Reimreden, soweit sie uns nicht noch zu flüchtiger Bekanntschaft in anderem Zusammenhang begegnen werden. Aus dem vom Satirischen freien Verswerk wählen wir die Erzählung „D a s G l ü c k h a f t e S c h i f f von Z ü r i c h " aus, die 1576 der Züricher Eidgenossenschaft gewidmet ist, weil eine „Gesellschaft" Züricher Ratsherrn und Bürger einen Topf Hirsebrei warm zum Straßburger „Schießen" brachte. Bemerkenswert ist, wie hier das Tatsächliche eines Tagesgeschehens bis ins Einzelne aufgenommen wird. Bemerkenswerter, wie die Basis von Fischarts Lebensauffassung offen liegt. Gefeiert ist die friedliche Mühsal einer partriotischen,, Arbeit", die sich, angefaßt von „standhaftem Gemüt", aus dem Willen zu treuer Nachbarschaft vollzieht. Im Blick auf eine asketische Arbeitsmoral, der das „Glück" hold ist, spricht hier eindeutig ein von Bürgerstolz erfüllter Städter, eindeutiger als Wickram in seiner Beispielerzählung „Von guten und bösen Nachbarn", weil dieser sich im Dargestellten durch drei Generationen, Vergangenheit und Zukunft vereinend, einem gesellschaftlich erhöhten Lebensstil zugewandt hatte.
Episches an der Jahrhundertwende
339
Damit sind wir für die Prosa gerüstet, in der Fischarts Sprachkraft am ungehemmtesten losstürmt. Um sie richtig beurteilen zu können, müssen wir einen Umweg gehen. In der aufsteigenden französischen Literatur des 16. Jahrhunderts ist F r a n ç o i s R a b e l a i s aus der Touraine (geb. 1494, gest. etwa 1553) ein Unruhiger, der zwischen den Zeiten irrlichtert: zuerst Mönch mit humanistischen Studien, später längere Zeit Arzt, dabei in seinem Denken weder ein Freund des Dogmatischen noch dem Protestantismus zugewandt. Durch eine schwankhaft volkstümliche Erzählung angeregt, beginnt er 1532 ein satirisdi-komisches „Epos" zu veröffentlichen, das Pantagruel, der Sohn des Riesen Gargantua, zusammenhält, und das vollständig erst nach seinem Tode erscheint. Ungewöhnliche Sprachbegabung und locker gezügelte Phantasie arbeiten an einem grotesken Erziehungswerk, in dem Sprengendes mit Bindendem ringt: in der Mischung von Hohem und Niederem an Wittenwilers „Ring" erinnernd, soweit andere Bedingungen einen solchen Vergleich gestatten. Uns geht hier nur das 1534 vorausgestellte erste Buch an: die Geschichte des Vaters Gargantua, der aus einem unflätigen Burschen durch Erziehung ein Kavalier und Feldherr wird und dessen Freund, eine Art moderner Mönch, in einem Utopien die weltliche Musterabtei „Thelema" (die Abtei vom „freien Willen") gründet. Fischart hat dies Buch, ins Deutsche „verkleidet", zum ersten Male 1575 als „ A b e n t e u e r l i c h e u n d u n g e h e u e r l i c h e G e s c h i c h t s s c h r i f t " herausgebracht und in den erweiterten Ausgaben von 1582 und 1590 als „ G e s c h i c h t s k l i t t e r u n g " („Gesdiichtsgeschreibsel") bezeichnet, die bis 1631 gedruckt wird. Durch interpretierendes Umschreiben und Füllen ist das Grundwerk auf das Dreifache gedehnt oder, wie er 1575 sagt, „überschrecklich lustig auf den Teutschen Meridian visiert". In Rabelais und Fischart treffen zwei verwandte und doch redit verschiedene Naturen aufeinander. D o r t der spottlustige ehemalige Mönch, der bis an den Rand der Freigeistigkeit vordringt 22*
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Im Zeitalter der Reformation
und zugleich auf die Gestalt des Weltmannes hinstrebt, h i e r ein derbhumoristischer, aber bei aller Freude am Anzüglichen ernstehrbarer Moralist, in dessen ungebändigt-vielgesichtiger Alltagswelt sich kein musterhaftes Bild von Menschentum durchsetzen kann. Ein auffallendes Sprachtalent befähigt ihn, in einem manirierten Wortrausch, der Sinnverwandtes bis ins Maßlose häuft, „ein verwirretes, ungestaltes Muster der heut verwirrten ungestalten Welt" abzuspiegeln, um sie von ihrer „verwirrten Ungestalt und ungestalter Verwirrung" abzuführen. Wer den in seiner Weise einzigartigen Sprachkünstler Fischart aus seiner Zeit heraus beurteilen will, sollte zwei Erzählteile mit seiner Vorlage vergleichen: In der „Trunkenlitanei", dem Kapitel über eine „Abendzeche", das bis ins Gelalle Gesprächsfetzen durcheinanderwirbelt, erreicht er eine Höhe seiner wortsüchtigen Sprache; aber mit der utopischen Abtei „Willigmut" im „Thelemerlande" weiß er nicht allzuviel anzufangen. Stärke und Grenze seiner Leistungskraft treten bei einem solchen Vergleiche zweier Teile deutlich genug hervor. Dazu eine Warnung. Kein Geringerer als Jean Paul wurde von Fischarts sinnlicher Sprachfülle angezogen. Doch täusche man sich nicht! Fischarts chaotisches Werk, in dessen scheinbarockem Nebeneinander von biedermännischer Grundhaltung und unersättlichem Genußtrieb eine überladene Sachwelt vom Worte aus aufgeschlossen wird, treibt auf einem Wege dahin, der in einer Sackgasse endet. Das nachtridentinische Italien dieser Zeit hat einen bedeutenden Epiker, der aus zwiespältiger Seele um eine heile Welt ringt: den unglücklichen T o r q u a t o T a s s o (1544—1595), der fast ein Altersgenosse Fischarts ist. Während ihn seine Sinnlichkeit zum lyrischen Idyll drängt, dichtet er mit dem Willen zur großen Form das „Befreite Jerusalem" (die Gerusalemne Liberata), ein Epos in Stanzen aus der Tatwelt Gottfrieds von Bouillon, das 1580/81 erscheint. Wie weit liegt solches Kunstschaffen von den damaligen
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Episches an der Jahrhundertwende
Möglichkeiten der deutschen Literatur ab! Auch in ihr werden freilich Erzählungen in gebundener Sprache weitergedichtet: nach spätmittelalterlichem Brauch in Reimversen, die Viertakter aneinanderreihen. Doch was haben sie zu sagen? An den Anfang sei ein Reimwerk gestellt, das für das mittlere 16. Jahrhundert besonders typisch ist. Im Jahre 1549 bringt der bei Hannover geborene F r i e d r i c h
Dedekind
für alle, die die
rusticitas (den „Mangel an Manieren") lieben, in lateinischen Versen seinen „G r o b i a n u s "
De morum simplicitate (über „ein-
fältige Sitten") heraus: eine satirische Darstellung rohen Gebahrens, die sich genüßlich in ihren Gegenstand vertieft. Schon 1552 schließt sich ihm in deutschen Versen mit einem erweiterten „G r o b i a n u s" „Von groben Sitten und unhöflichen Gebährden" der Wormser Schulmann C a s p a r
Scheidt
(gest. 1565) an. Das Buch, zu
nützlicher Unterhaltung vorgelegt, hat großen Erfolg. Auch ein Erweis, daß jenseits moralischer Belehrung nur noch im Verneinten mit Einschluß des Unflätigen das Bild eines Lebensstiles in das Vorstellen gehoben werden kann. Scheidt mag den jungen Fischart angeregt haben, seinen Vers in einem „ E u l e n s p i e g e l menweiß"
Rei-
zu üben, der 1572 da ist: durch das Bindende der
Versrede ungewollt ein Ansatz, die spaßhaften Vorgänge einer Prosa, in denen ein „Schalk" über eine Normalwelt siegt, ins Gültige aufzuhöhen. Im Jahre 1575 stehen wir dann wieder vor einem Reimwerk von großem Erfolg. Fischart hat die „Klage" eines Flohs zu dem „Komischen Epos" „ F l ö h
Haz/
Weiber
Traz"
(„Der Flöh Hetzjagd, der Weiber Gegenjagd") ausgebaut, in dem am Ende die Weiblichkeit vor Jupiter rechtbehält. In den blutrünstigen Teilen breitet sich mit drastischem Humor aus, was unterhalb des Verhüllten geschieht. Indem der „Flöhstreit" das Verhalten der Flöhe ans Menschliche heranspielt, entsteht ein Zwitter von „Tierepos" und Lehrdichtung. Ein von fern verwandtes Verswerk mag diese Reihe schließen:
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Ira Zeitalter der Reformation
Der Märker G e o r g
Rollenhagen,
1542 geboren und Stu-
dent in Wittenberg, kommt 1567 als Schulmann nach Magdeburg, wo er als Gymnasialrektor von Rang 1609 stirbt. Er bearbeitet in Knittelversen die Batrochomyomachia
(den „Froschmäusekrieg"),
eine allegorische, Homer zugeschriebene Epenparodie. In den Grundzügen hat er sie nach einer Wittenberger Anregung schon vor 1570 entworfen; in der Endfassung erscheint sie als breites dreiteiliges Werk unter dem Titel „Froschmeuseler", und zwar zum ersten Male 1595. Das Gerüst der Satire: Der Wassertod des Mäusefürsten Bröseldieb, den man dem Frosdikönig Bausback zuschiebt, treibt Mäuse und Frösche in einen sich ausweitenden Krieg, der im Unentschiedenen bleibt. Doch diese Grundfabel ist nur der Anlaß, alles in das starre Gefüge der acht- und neunsilbigen Verse einzugliedern, was an Erzählbarem der ungekünstelten Lehrfreude Rollenhagens entgegenkommt. So stellt er zu Kurzweil und Nutzen mit unbekümmerter Redseligkeit am Treiben vermenschter Tiere, die aus protestantisch-lutherischer Sicht eine Art 16. Jahrhundert wiederholen, ein irdisches Gesamtleben in Frieden und Krieg dar, das mit verdeckter Resignation betrachtet wird. Bezeichnend die zurückhaltende Vorrede am Eingang des letzten Buches: D a der alte CainsZorn dem Menschen von Natur angeboren ist, muß auch der Fromme Krieg führen lernen: „Kein Vortheil ist bey Kriegn und Streiten, / Gott verleyh Fried zu unsern Zeiten". Hausbackene Weisheit, die sich im Sprichwortstil und Fabelstil bekundet, verpflichtet den Leser auf der Grundlage des Luthertums zu einem „Regiment", durch das in der gesetzhaften Ordnung eines ständischen Daseins jedem das ihm „Zuträgliche" gesichert wird. Es ist ein weiter Weg vom blutvoll-burlesken „Ring" Wittenwilers über den sinnbildlich-kräftigen „Reinke des Vos" zum treuherzigen „Froschmeuseler" des gelehrten Predigers Rollenhagen, der auch lehrhafte „Komödien" biblischer Themen in deutscher Sprache geschrieben hat. Aber im Unterschied vom einsamen „Ring" fand der „Froschmeuseler" Widerhall. Schnell
Episches an der Jahrhundertwende
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folgen ein Vierteljahrhundert lang die Auflagen, und auch dann ist er noch nicht am Ende seiner Wirkung. Schließt der „Froschmeuseler" wirklich dies Kapitel ab? Nahe liegt, den „G a n ß K ö n i g " anzufügen, der 1609 nach Fischarts Art in Straßburg unter einem Decknamen erscheint. Verfaßt hat ihn der literarisch rege W o l f h a r t S p a n g e n b e r g , der bald nach 1570 als Pfarrerssohn in Mansfeld geboren wird, mit dem Vater, einem strengen Lutheraner, nach Straßburg zieht, dort sich nach dem Studium in Tübingen als magistraler Korrektor in Drukkereien betätigt und 1611 eine Pfarrstelle in Buchenbach an der Jagst übernimmt, wo er 1637 stirbt. Der „Ganß-König" hat eine bemerkenswerte Widmung an alle, die den Namen „Martin" führen. Spangenberg unterscheidet in ihr drei „Fakultäten", die mit den drei „vornehmsten Wirkungen" der Seele verbunden sind: Aus dem „Geist" entsteht die „Theologia", aus der „Vernunft" die „Philosophia", aus der „Phantasey" die „Mythologia". Alles was wir unter dem Begriff von „Dichtung" (von „schöner Literatur") versammeln können, ordnet sich der Fakultät der „Mythologia" ein, die horazisch Belustigung mit Lehre vereint. Hier wird der Dichtung (dies Wort im weitesten Sinne genommen) neben den Welten der Theologie und der Philosophie eine eigene Welt zugesprochen. Aber weldie Mühe macht es Spangenberg, dies Eigenrecht von „Dichtung" zu sichern! So ist es denn auch kein eindeutiges Gebilde, das ihm „Frau Phantasey" in „Gesichten" auf „poetische Weise" offenbart. An Stelle des Paradiesvogels wählen die Vögel die Gans als Königin, weil sie in allen vier Elementen (in der Luft, im Wasser, auf der Erde und im Feuer) „bestehen" kann. Jedes Jahr überantwortet sie sich willig dem Element des Feuers, weil sie sieht, daß in der Welt nur „Angst und Not" ist. Vom Fegefeuer befreit, steigt sie kanonisiert in einen „papiernen Himmel" unter der Fürsprache St. Martins auf, wie ihr Name „Gantz" nichts anderes als „Vollkommenheit" bedeutet. Aber was lesen wir in diesem sechsteiligen
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Im Zeitalter der Reformation
Verswerk? Scherzhafte Festreden zum Essen der Martinsgänse? Oder eine liebenswürdige Satire auf konfessionell bedingte Vorstellungen vom Jenseits? Bei allem Schwebenden — die harten und starren Züge des 16. Jahrhunderts sind weicheren Zügen gewichen, die uns Lust am Spiel der Phantasie verraten. Dazu paßt, daß die steifen Reimpaarverse in ihren regelmäßigen Achtsilbern bei gelöster Gebundenheit so gut wie nie dem Wortakzent widerstreben. Spangenberg hat auch „Tragödien" drucken lassen, so die „klägliche Tragödia vom gottlosen Könige Saul", veröffentlicht im Jahre 1606 in fünf Akten, die Chöre schließen. Aber sie sind Übersetzungen von lateinischen Schuldramen anderer, die man auf dem Straßburger „Theatrum Academicum" aufgeführt hat; schwerlich sind sie in dieser deutschen Fassung auf eine Bühne gekommen. Als Pfarrherr hat er sodann „Tragödien" und „Komödien" für die Nürnberger „Meistersingerbühne" geschrieben, durch seinen Vater seit der Straßburgerzeit mit dem zünftlerischen „Meistergesang" verbunden. Wer einen Mann wie Spangenberg beurteilen will, muß eins bedenken: Alle Zeiten sind Zeiten des Ubergangs, weil in ihnen ein Vergehendes, ein Zeittypisches und ein Vorwärtsweisendes, zusammentreffen; aber manche Zeiten sind in ausgezeichneter Weise Ubergang. So darf man wohl von Spangenbergs zwielichtigem Schaffen sagen, daß im Charakteristischen ein Nicht-mehr und ein Noch-nicht zusammen sind. Wir haben die Zeitwende um 1600 überschritten. Und doch müssen wir zu einem Nachtrag zurück. Wie sich immer wieder gezeigt hat, lassen sich die literarischen Geschehnisse, am wenigsten die des zerklüfteten und vielschichtigen „späten Mittelalters", zeitlich in Reih und Glied ordnen. Auch schon deshalb nicht, weil nun einmal durch die ganze altdeutsche Literatur hindurch das Gedichtete jeder Art trotz einer durchgehenden Gliederung der Stände landschaftlich, man könnte auch sagen: obrigkeitlich, unter verschiedenen Bedingungen steht. Darunter will zugleich aufgenommen
Episches an der Jahrhundertwende
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sein, daß sidi solch Landschaftliches mit unterschiedlichen gesellschaftlichen und daher auch wirtschaftlichen Bedingungen verbindet. Grob ausgedrückt: Norddeutschland ist nicht Süddeutschland, Westdeutschland nicht Ostdeutschland. In all dem ist angelegt, daß es trotz aller literarischen Zusammenhänge Werke von Einzelgängern gibt, die für sich aufgesucht und bewertet werden müssen. Damit sind wir wieder bei einem Manne, der wegen seiner Sonderstellung nicht unserem notwendig auswählenden Verfahren geopfert werden darf. Gerade für das spätere 16. Jahrhundert sind in eigener Weise Zeitausdruck die Versaussagen des „Pfarrherrn von Langfeld" B a r t h o l o m ä u s R i n g w a l d t , der um 1530 in Frankfurt an der Oder geboren wird und gegen 1600 in seinem Dorfe stirbt, einer der im östlichen Norddeutschland (der späteren „Neumark") seine Heimat hat. Aus Weltuntergangsstimmung verfaßt der leicht reimende in vierzeiligen „iambischen" Strophen auf der Grundlage streng lutherischer Dogmatik eine eindrucksvolle Bußrede an alle Stände: „Die lauter Wahrheit". Sie soll erläutern, wie sich ein „weltlicher und geistlicher Kriegsmann" in seinem „Beruf" verhalten soll. Im Jahre 1585 zuerst erschienen, hat sie schnell viele Auflagen erreicht. Ein zweites Werk entsteht nebenher. Ringwaldt schreibt auch in ihm wieder eine Durchschnittssprache. Trotzdem geht ein origineller Zug durch dies Strophenwerk „Von dem treuen Eckardt", das „allen frommen Christen zu Tröste, aber den verstockten Sündern zur Warnung" abgefaßt ist und 1588 erscheint (Erweiterung der „Neuen Zeitung, so Hans Frommann aus der Hellen und dem Himmel bracht hat" vom Jahre 1582). Der in einer Krankheit aus sich „entzückte" Eckardt meldet nach seinem Erwachen, wie ihn ein Engel in den Himmel und in die Hölle führt. Welch eine altmittelalterliche Welt, wenn man auf das Grundgefüge des Denkens und die ihm verbundenen Grunderlebnisse achtet! Auffällt an Ringwaldts handwerklich-regelmäßigen Versen die sichere Wortbetonung, die
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Im Zeitalter der Reformation
wie bei Spangenberg Zukünftiges vorwegnimmt. Auch im Gehalt der Verse erinnert vieles in dem Schriftstellern des erstaunlich belesenen Landpfarrers an das folgende Jahrhundert, was in anderer Weise rechtfertigt, ihn in eine Art Nachtrag zu stellen. Daß ihm Kirchenlieder und geistliche Lieder leicht aus der Feder kamen, sei am Rande angemerkt. Auch im Schauspiel hat sich der Rührige mit kräftiger Satire versucht.
7. S t r o p h i s c h e s
in a l t e n u n d n e u e n
Klängen
Wir gehen bis in den Anfang der „Reformationszeit" zurück und wenden uns von neuem dem zu, was sich im weitesten Sinne dem Begriff L i e d zuordnen läßt. Nur kurz können wir den akademisch-humanistischen Bereich aufsuchen, in dem l a t e i n i s c h e V e r s e gebaut werden. Wir wissen bereits: Die Tage der Poetae, die sich als Sturmvögel eines neuen Lebens erhoben hatten, sind mit dem Durchbruch der Reformation vorbei. Die religiöen und sozialen Ausbrüche haben ihnen den Entfaltungsraum genommen. Neulateinisches Dichten wird nun vollends eine „magistrale" Angelegenheit, ein „Meistergesang" höherer Ebene. Redekunst in Versen umspielt die Heilstatsachen. Sie verfertigt Festgedichte, die ehrbares Leben preisen. Sie verfertigt lyrische Leichenpredigten. Sie verfertigt „Reisegedichte". Zu einem „Hohen Minnesang" fehlen die gesellschaftlichen und seelischen Voraussetzungen; denn das Hof leben, im Stile grundssätzlich nicht vom Stadtleben geschieden, entwickelt keine Traumwelt. Und die lyrische Hochwelt der Mariendichtung hat im Protestantismus, der zunehmend auf geistigen Feldern führt, keinen Halt. Selbst der lyrische Antrieb, den „niedere Minne" einem Celtis gegeben hatte, setzt sich nicht mehr fort, da der humanistische „Vagant" (weltlich gewordene Erscheinung des Wandermönchs) nicht mehr positiv gewertet wird. Gleichwohl schafft das bedeutendste lyrische Talent dieses Jahrhunderts, das gleich dem Pfälzer
Strophisches in alten und neuen Klängen
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Philipp Melanchthon (1497—1560) in einem „humanistisch" gedämpften Protestantismus lebt, Liebesgedichte von Rang. P e t r u s L o t i c h i u s S e c u n d u s ist 1528 nicht weit von der Steckelburg, der Geburtsstelle Huttens, zu Schlüchtern in der Grafschaft Hanau geboren. Unruhige Jahre, die ihn bis nach Südfrankreich und Norditalien tragen, haben den hochbegabten früh krank gemacht. Seit 1556 Professor der Medizin in Heidelberg, stirbt er bereits 1560. Aus der bunten Welt seiner „ E l e g i e n" heben wir uns nur die Dichtungen heraus, die aus dem Glück der Erinnerung von einem Verliebtsein künden, das durch das Leid der Sehnsucht verklärt wird. Nimmt man die „neulateinische" Dichtung als Ganzes, so wahrt sie sich trotz Anlehnung an römische Lyrik ihre Eigenart in einem verstärkten Naturgefühl, in der Liebe zu Heimat und Vaterland, im Gefühl für Freundschaft, in der Freude an individueller Umwelt und dadurch bedingt in der Neigung zum Biographischen. Schon durch ihre Sprache, die römisch-antiker Tradition verpflichtet ist, von einer vollen Hingabe an die konfessionellen und politischen Nöte des Alltags abgedrängt, richtet sie sich in den Stürmen der Zeit mit Vorzug fromm-ehrbar auf ein idyllisches Dasein, in diesem Bedürfnis Zukünftiges vorausnehmend. Für die rhythmische Bindung der Gedichte lieben die lateinischen Poeten am meisten das „elegische" Maß: die Vereinigung von Hexameter und Pentameter. Von der „magistralen" Lyrik der Lateinsprecher zum deutschsprachigen M e i s t e r g e s a n g " , den wir am Anfang des Jahrhunderts bei dem Nürnberger Wundarzt H a n s F o l z verlassen haben! Dieser Sprechgesang, der ohne Musikbegleitung seine langen, oft überlangen strophischen Gefüge füllt, vollendet sich jetzt als ausgesprochene S c h u l k u n s t . Vom 16. Jahrhundert aus ein städtisch-zünftlerisches Gegenstück zu der von den Universitäten ausstrahlenden lateinischen Dichtung der Akademiker, ist er an das
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I m Zeitalter der R e f o r m a t i o n
Bestehen und Entstehen von „Singschulen" gebunden, die unter Vorrang des reichsstädtischen Nürnberg fast nur im deutschsprachigen Süden Halt haben. Das eigentliche Meistersingen, das Singen „auf der Schul", gestattet ursprünglich nur religiöse Stoffe, was auf die kirchlichen Anfänge dieser Laienkunst zurückweist. Das weltliche Singen „an der Zech" (bei gesellschaftlicher Zusammenkunft mit gemeinsamem Essen) läßt schwankhafte Stoffe zu und weicht Derbstem nicht aus. Das protestantische Nürnberg öffnet dem Strophenraum neue, dem 16. Jahrhundert gemäße Stoffe. Dort hat maßgebenden Einfluß der 1494 geborene H a n s S a c h s , der als Sohn eines Schneiders eine Lateinschule besucht, die Schuhmacherei erlernt und nach der Wanderschaft 1519 Meister seines Handwerks in der Vaterstadt wird, wo er hochbetagt 1576 stirbt. So sehr er in der Spradi- und Formenwelt der Nürnberger „Singschule" bleibt, durch Weite des Horizontes überragt er die „Singer" seines Jahrhunderts. Er schafft nicht nur „Meisterlieder", deren Eintönigkeit er durch Variation von Tönen zu verringern strebt. Mit steigender Vorliebe baut er Reimreden, sog. „Sprudigedichte", zu denen er, was beachtet sein will, auch seine schon erwähnten „dramatischen" Reimspiele zählt: seine bühnenmäßigen Fastnachtsspiele und seine „Tragödien" und „Komödien". Im Jahre 1523 belegt er seinen Konfessionswechsel, indem er in einem Meisterlied und einem Spruchgedicht die „Wittembergische Nachtigall" preist, wie denn überhaupt für ihn jedes Gegenständliche im Zuge des Möglichen jede literarische Form annehmen kann. Der Grund: Das Erleben, das er als Poet hat, ist vor allem ein Erleben literarisch brauchbarer „Stoffe", ist Hingabe an die Fülle der auf ihn eindringenden literarischen Welt. Doch ist das nicht alles. Die schulmäßig gekonnten Bearbeitungen reichen Wissens durchdringt ein warmer Gefühlston, und erst beides zusammen hebt ihn über den Durchschnitt hinaus. Fast selbstverständlich ist, daß seine im letzten spätmittelalterliche Kunst beispielhafte Lehre geben soll. Nach einem Goethewort spricht
Strophisdies in alten und neuen Klängen
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sie „tätige Ehrbarkeit" im „Weltwirr-Wesen" aus. Stellt man sie in das 16. Jahrhundert, so vertritt sie eine auf Vorsicht und Umsicht bezogene Reformethik, die an den milden, vom Narrenbegriff gelenkten Moralismus Sebastian Brants erinnert. Hans Sachs läßt die „Spruchgedichte" vom Jahre 1558 an drukken: Anzeichen, daß nur sie ihm im höheren Sinne als literarisch gelten. Man nehme hinzu, daß der zunftmäßige „Meistergesang", diese in Reimspielen erbastelte Singkunst, nicht gedruckt werden darf, wodurch er sich selbst als traditionsbeladenes Gebilde gegenüber einer dem Buchdruck zugewandten Gegenwart abschließt. Er behält bis an den Ausgang des 16. Jahrhunderts seine eingeschränkte Bedeutung. Der Schuhmacher A d a m P u s c h m a n n (1532 bis 1600), der der Augsburger „Zunft" entstammt und über Nürnberg nach dem Schlesischen zieht, veröffentlicht 1571 in Görlitz seinen „Gründlichen Bericht des Deutschen Meistersangs". Hier wird die Theorie bis zur Erstarrung festgelegt. Der Meistergesang, der vom 17. Jahrhundert an geübt wird, als sich bereits eine hochliterarische Lyrik deutscher Sprache mit der zurückweichenden „magistralen" Lyrik lateinischer Sprache auf gleicher Höhenlage trifft, ist nur noch eine Kuriosität. Der barock-gelehrte Nürnberger Jurist J o h a n n C h r i s t o f W a g e n s e i l macht sodann in seinem 1697 zu Altdorf erschienenen „Buch von der Meister-Singer Holdseligen Kunst" den Meistergesang aus bedingtem Verständnis zum Gegenstand vaterländischer Erinnerung. Wir dürfen nicht vergessen, daß im 16. Jahrhundert das im „Unterliterarischen" lebendige S i n g 1 i e d jeder Art, Ausdruck vielschichtiger Geselligkeit, an vielen Stellen in den Druck aufsteigt. Es setzt sich damit fort, was schon in Handschriften des mittleren 15. Jahrhunderts beginnt. Um etwas Greifbares anzubieten, sei wenigstens einer der frühsten Drucke genannt, der Geistliches und Weltliches zusammenbringt: „ E t l i c h e h ü b s c h e B e r g -
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Im Zeitalter der Reformation
r e i h e n", zuerst belegt durch eine Zwickauer Ausgabe von 1531. Von Mund zu Mund zurechtgesungen, bringen solche Sammlungen Ernstes und Heiteres, Altes und Neues, Hohes und Niederes: Geistliche Lieder, Liebeslieder (unter ihnen noch gern trotz veränderter gesellschaftlicher Lage „Tagelieder"), Reiterlieder, Schlemmerlieder, balladenhafte „Erzähllieder", die Sage oder Zeitnahes festhalten, und so fort. Man fragt nicht nach Herkunft, man will Texte zum Singen. In verschiedenartigen Ansätzen gibt es das seit Jahrhunderten, vor allem auch als Ausfluß und Begleitung literarischer Kunst, auf dem Felde des ausgesprochenen „Singliedes" im Weltlichen mindestens seit dem „Minnesang" der späten Stauferzeit. Das Anziehende liegt nicht in Einzelheiten: nicht etwa in den Versgängen, die sich trotz Einfachheit der Gefüge in meistersingerisdien Sprechtakten bewegen, auch nicht im oft zerstückelten Wortlaut, der nur allzusehr das Formelhafte sucht. Es liegt in der Gesamtstimmung der Strophenfolgen, die elementare Erlebnisse aufrühren, indem sie von Liebe, Tod, Aufbruch, Abschied, Sehnsucht singen. Daß diese Lieder in Liederbücher eingerückt werden, ist denn auch weitgehend durch die Entwicklung des Musikalischen bedingt. Denn seit dem 15. Jahrhundert sind wir in einer Zeit, in der sich die Ausdruckskraft des Musikalischen verselbständigt. Nicht zufällig ist daher, daß mit Zunahme dieser Verselbständigung seit dem späteren 16. Jahrhundert die Texte immer nebensächlicher werden. Trotzdem ist Altes weitergesungen worden. Aber die im gedruckten Singbuch nach oben gestiegenen „Singlieder" halten sich nun wieder in den ihnen gemäßen „unterliterarischen" Bereichen auf: bei ihrer Neuentdeckung in dem verschwimmenden Begriff „ V o l k s l i e d " geeint, dem sie etwa Ludwig Uhland in seiner reichen Sammlung der Jahre 1844/45 zuordnet. Das Nebeneinander von „magistraler" Lateinlyrik, zünftlerischem „Meistergesang" und volkstümlichen „Singlied" ermöglicht uns, das
Strophisches in alten und neuen K l ä n g e n
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K i r c h e n l i e d deutscher Sprache, das aus der konfessionellen Aufspaltung hervorgeht, geschichtlich einzuordnen. Bei diesem Vorgehen ist ratsam, zunächst ausdrücklich festzulegen, daß sich der hier gemeinte Begriff „Kirchenlied" nicht mit dem umfassenderen Begriff „geistliches Lied" deckt. „Geistliche Lieder" deutscher Sprache hat es als „literarische", „halbliterarische" und „unterliterarische" Gebilde seit der Karolingerzeit gegeben. Doch das Bedürfnis nach einem G e m e i n d e l i e d heimischer Sprache, das der Regelform des Gottesdienstes eingefügt werden kann oder soll, wird erst durch den Einbruch der Reformation geweckt. Lehrreich ist, wie Verschiedenartiges und Verschiedenwertiges die ersten, von Luther ausgehenden Liedsammlungen enthalten. Mit gutem Grunde! Alle Lieder der Gesangbücher, die im 16. Jahrhundert von Lutheranern, Reformierten, Katholiken und „böhmischen Brüdern" dem Gebrauche zugeleitet werden, sind Bekenntnislieder, die in erster Hinsicht einen Dienst zu erfüllen haben. Ein „Kirchenlied", das unbestreitbar literarisches Kunstlied ist, erscheint erst im 17. Jahrhundert. Immerhin kann, wer das „Kirchenlied" der Reformationszeit beurteilt, nicht übersehen, daß es fast durchgehend von Männern akademischer Stellung geschaffen wird und insofern eindeutig „magistraler" Dichtung zugehört. Schon Luthers Name bürgt dafür. Als literarische Dichtung, die zweckbestimmt ist, hält es damals eine schwebende Mitte zwischen „Meistergesang" und „Singlied", in dieser seiner Eigenart zusätzlich von der biblischen Lyrik der „Psalmen" und älterer geistlicher Lyrik lateinischer und deutscher Sprache beeinflußt. Und nicht das Unwichtigste: In seiner Entwicklung ist es (darin dem „Singlied" nahe) nicht von der Entwicklung der Chorund Instrumentalmusik zu trennen. Am Eingang dieser Entwicklung erscheint 1524 jenes „ G e i s t l i c h e G e s a n g b ü c h l e i n " in „vier Stimmen", in dem der aus Thüringen stammende Musiker und Komponist Johann Walther (1496—1570) die Melodien bearbeitet hat. In der „Vorrede" erklärt Luther, daß er diese vier-
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Im Zeitalter der Reformation
stimmige Ausgabe wolle, da die Jugend in der „Musica und anderen rechten Künsten" erzogen werden müsse.
8. A n f ä n g e n e u e r
Lyrik
Seitdem sich in der Welt der Kunst Lyrik als literarische Gattung verselbständigt hat, ist an ihr mit Vorzug die Höhe von Dichtung meßbar, in der sich eine Zeit erfüllt. Aber wo soll man in dem mit sich uneinigen späten 16. Jahrhundert des deutschen Sprachbereichs solch maßgebende Lyrik suchen? Da gibt es kein Aufschwingen, in dem sich die Lyrik der Lateinsprecher und das deutschsprachige „Singlied" zu etwas Neuem vereinen könnten. Daß dem geistlichen Bekenntnislied der Reformationszeit versagt ist, ein allgemeines lyrisches Schaffen mit sich zu reißen, sei nur am Rande vermerkt, weil es sich fast von selbst versteht. Um zu erkennen, wie geschwächt damals im Gegeneinander der Erregungen die lyrische Flugkraft bleibt, muß man nach der „Romania" und zwar nach Frankreich hinübersehen. Dort bereitet sich in Sprache und Dichtung unter italienischem Einfluß eine eigene romanisch-französische Kunstwelt vor, die gesellschaftlichen Halt am Königshofe hat, der das Gesamtleben beeinflußt. Wir brauchen uns in einseitiger Sicht nur das herauszuheben, was für das Verständnis der dem Augsburger „Religionsfrieden" folgenden Zeit Aufschluß verspricht. Am Anfang hat eine Frühgestalt der neuen französischen Welt zu stehen: C l e m e n t M a r o t , der (1496 geboren, 1544 gestorben) nur zwei Jahre jünger als Rabelais und Hans Sachs ist. Trotz früher höfischer Beziehungen verurteilt ihn der Ausbruch konfessioneller Spannungen zu einem Wanderleben, das ihn 1542 für kurze Zeit in Genf mit Calvin zusammenführt. Mit seinem letzten, unvollendeten Werke, den 1541 und 1543 erschienenen „ P s a l m e n " beginnt im Französischen eine odenhafte Lyrik; Calvin läßt das Nachgelassene durch seinen späteren Nachfolger T h e o d o r e d e B e z e bis zum
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Anfänge neuer Lyrik
Jahre 1562 vollenden. Ein neuer Schritt: Um die Jahrhundertmitte schließt sich die Dichtergruppe der „P 1 e j a d e" als Kampfgruppe zusammen. Ihr Wollen legt sie 1549 in einer Grundschrift dar, die unter dem N a m e n J o a c h i m d u B e i l a y s (1522—1560) g e h t : in d e r Défense
et Illustration
de la langue
françoise.
I n Rich-
tung auf die griechisch-römische Antike entsteht keine echte Renaissance, die nur etwas Italienisches sein konnte. Aber in einem renaissancehaften Streben wird das neue französische Dichten einer gültigen Satzung unterstellt. Kunstlehre, die zugleich Sprachlehre ist, rückt hier an den Anfang, während sie in der italienischen Renaissancewelt zum Ende gehört. Das Talent der „Plejade" ist P i e r r e d e R o n s a r d (geb. 1524, gest. 1585), ungefähr Altersgenosse Jörg Wickrams, in reifem Alter ein Mann des Königshofes. In seinen zuerst 1550 veröffentlichten „O d e n" gewinnt er f ü r die f r a n zösische Sprachwelt das strophische Lied erhabener Aussage, in seinen Amours von 1552 und 1556, die in der Nachfolge Petrarcas (1304 bis 1374!) Sonette geben, entfaltet sich eine neue Art des „Minnesangs". Zwar schien schon der nächsten Generation diese Sprachkunst noch allzu ungezügelt zu sein. Für uns genügt, daß neben der italienischen Hochdichtung des späteren 16. Jahrhunderts eine ausgesprochen französische Hochdichtung aufsteigt, deren gebundener Sprachwelt ein Rabelais, das Vorbild Fischarts, noch nicht angehört. Der französische Vorgang hat f ü r Deutschland Folgen. Wir sind bei dem 1539 geborenen P a u l S c h e d e , der sich nach seiner Mutter P a u l u s M e l i s s u s nennt. Sein Ruhm geht von seiner neulateinischen Dichtung aus. Schon 1564 wird er in Wien zum Dichter gekrönt. Von 1571 an hält er sich mehrere Jahre am kurpfälzischen H o f e in Heidelberg auf, wo man längst zum Calvinismus neigt. Er stirbt 1602 in Heidelberg, wo er seit 1586 die kurfürstliche Bibliothek verwaltet: ein vielgereister Hofdichter, Weltmann und Hofbeamter, als solcher unter den deutschen Poeten eine neue Gestalt. In seinem ersten Heidelberger Aufenthalt überträgt er die 23
N e u m a n n , Literatur
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Im Zeitalter der Reformation
ersten fünfzig Psalmen Marots „in teutschen Gesangreimen nach französischer Melodien- und Silbenart" und veröffentlicht sie 1572 unter dem Titel „ D i e P s a l m e n D a v i d s " mit einer Wiedergabe des biblischen Textes. So entstehen frei übersetzte strophische Gedichte in französischen Zehnsilbern (vers communs) mit streng geschiedenen „männlichen" und „weiblichen" Reimen, dies freilich mit fester, der Melodie angepaßter Silbenzahl o h n e zureichende Beachtung des Wortakzentes. Er hat mit dieser Arbeit kein Glück gehabt. Die geringwertigere, aber vollständige Psalmenübersetzung des Meißners A m b r o s i u s L o b w a s s e r (1515—1585), der seit 1563 als iuristischer Professor in Königsberg wirkt, eroberte mit seinem an französische Melodien angeschlossenen „P s a 11 e r" vom Jahre 1573 auch in der K u r p f a l z den reformierten Gemeindegesang, vielleicht gerade auch, weil er altmodischer war. Aber Melissus leitet recht eigentlich das Verfahren ein, in Versgesang, Strophenbau und lyrischer Sprache hohe deutsche Dichtung auf dem Umwege über romanische Dichtung zu entwickeln. U n d wir vergessen nicht, daß durch seine Anwesenheit in Heidelberg mit der Jahrhundertwende das Entstehen einer Heidelberger Dichtergruppe gefördert wird, die bestrebt ist, seinen Weg zu gehen. Z u r J a h r h u n d e r t w e n d e ! Eine Einschränkung stehe am Anfang. Wir wollen die Gedichte nicht überschätzen, die der 1573 geborene Rheinpfälzer T h e o b a l d H o e c k 1601 unter einem Decknamen von Böhmen aus veröffentlicht, um in ihnen das „beste Wissen" aus den Ärgernissen der Welt herauszuholen. Uns geht hier nicht das verwegene Leben Hoecks an, der um 1600 als Kanzleibeamter nach Prag kommt, f ü r den Pfälzer Kurfürsten Friedrich V. (1610—1623) wirkt und nach der Schlacht am Weißen Berge vom November 1620 im Dunkeln verschwindet. Die wohl schnell hingeworfenen Gedichte seiner Sammlung „ S c h ö n e s B l u m e n f e 1 d t" verbinden die Form volkstümlicher „Singlieder" mit
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Anfänge neuer Lyrik
prosaischer Meistersingersprache, die schon etwas von „galantem" Wortschatz ins Lyrische einläßt. Zwar bemüht sich der Belesene, der Antikes und Romanisches kennt, durch Kunstgesetz das zu bauen, was er ein „deutsches Carmen" nennt. Aber echt sind seine Verse nur dort, wo sie biographischer Lebensspiegel sind. Wie sehr er im Vergangenen bleibt, erkennt man gut, wenn man einen Lyriker heranzieht, der in Verbindung mit der Heidelberger Gruppe die Welt des 16. Jahrhunderts verlassen hat. Wie sich auch sein Werk von einer neuen Zeit her ausnehmen mag, seine Anfänge machen erkennbar, wo wir die Grenzpfähle erreichen, jenseits derer sich Neuland öffnet. Der 1584 geborene Schwabe G e o r g
Rudolf
W e c k h e r l i n hält sich 1606/07 in Frankreich auf, etwa von 1615 rückt er als Jurist in H o f - und Staatsdienste ein, die ihn über Stuttgart und Heidelberg in das England der Stuarts tragen, 1653 stirbt er in London. In den Jahren 1618/19 erscheinen in erster Ausgabe zu Stuttgart seine „ O d e n
und
Gesänge":
Gefüge hohen
Stils in der Nachfolge Ronsards, die zum Teil nicht mehr singbar sind, sondern aus dichterischer Musikalität leben wollen. Die Kraft Weckherlins erschöpft sich freilich darin, gesteigerte Rede in romanische Strophenrahmen einzuspannen. Das Künstliche seiner Hochdichtung tritt daher nirgends besser als im Versbau zutage. In den geregelten („iambischen") Versgängen ordnen die Tonstärken der Silben noch nicht dadurch die Klangbewegung, daß Wortakzente und Versakzente zusammenfallen. Man muß vielmehr diese Verse bei Vorrang des rhythmischen Auf und Ab mit schwebender Betonung (gleichsam mit französischem Akzent) lesen, um sie davor zu bewahren, ohne zureichende lyrische Spannung in Lehrprosa abzugleiten. Denn so äußerlich die Forderung erscheinen mag, im Deutschen den Versakzent und den Sprachakzent aufeinander zu beziehen, sie zwingt auch ohne Gesang bei natürlichem Tonfall durchgehend Sprache und Vers zu einer gespannten Einheit zusammen. 23*
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Im Zeitalter der Reformation
Für das hohe Mittelalter ist selbstverständlich, betonte Silben und Vershebungen zu vereinen, um die Klangbewegung der Verse auszuprägen; Sprache und Vers halten sich gegenseitig. Erst im späten Mittelalter hebt die Starrheit der in der Silbenzahl festgelegten Verse diese bewegliche Einung auf. Im späten 16. Jahrhundert liegt das Streben nach dem Verbinden von Sprach- und Versakzent längst wieder in der Luft. Nicht zufällig bahnt sich am ehsten ein lebendiges Zusammenspiel von lyrischem Vers, lyrischer Sprache und lyrischem Gehalt dort an, wo Komponisten, von italienischer Musik angeregt, ihren Liedmelodien eigene Texte zuteilen. So verfährt schon der Flame J a c o b R e g n a r t , der bald nach der Mitte des Jahrhunderts in die Kaiserliche Hofkapelle eintritt und 1599 als Kapellmeister Rudolfs II. in Prag stirbt. Im Jahre 1576 erscheinen in Nürnberg in erster Auflage seine „K u r t z w e i l i g e n T e u t s c h e n L i e d e r " , die er „nach der Art der Neopolitanen und welschen Villanellen"," also nach romanisch-italienischen Singweisen, zusammenfügt. Doch ist damit noch nicht alles gesagt. Gewiß kann solche Lieddichtung, die in Formen und Motiven spielt, eine Grundstimmung durch ein gut aufgebautes Strophengefüge schwingen lassen. Aber sie ist so sehr an das Musikalische angelehnt, daß in ihr die Sprache nicht selbstsicher ihren Weg geht, abgesehen davon, daß Regnart in seinem frühen Aufnehmen deutscher Singtexte eine f ü r sich stehende Erscheinung ist. Wichtiger wird f ü r uns eine andere Beobachtung, zu der die Verse solcher Komponistenlyrik anregen, durch die bald die Lyrik überkommener deutscher „Singlieder" überflutet wird. Wo sich vor und nach der Jahrhundertwende auf deutschem Sprachfelde ein neues Wollen zu lyrischer Kunstdichtung hindrängt, überall sucht es oberhalb der überkommenen Liedwelten die lyrische Ebene r o m a n i s c h e r (französischer und italienischer) Lyrik zu erreichen, die sich obendrein im Ungefähren auf gleicher H ö h e wie die neulateinische Lyrik bewegt. Wir sind an die Jahre herangekommen, in denen trotz des
Rückblick und Ausblick
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dreißigjährigen Krieges eine Generation von Dichtenden aufsteigt, die um das Jahr 1600 oder bald danach geboren wird. 9. R ü c k b l i c k
und
Ausblick
Dichtung jeder Stufe lebt aus der Sprache, die sich als geschichtliche Erscheinung in gebundener und ungebundener Rede entfaltet. Mit dem aufsteigenden 17. Jahrhundert hebt im Zuge der Dichtung eine neue Sprachwelt an, mag auch noch so viel im 16. Jahrhundert für dies Neue vorbereitet sein und mag auch noch so viel von alter Welt aus verschiedenen Zuflüssen rege bleiben. Der Wandel, der uns berechtigt, bis in das späte 16. Jahrhundert, ja bis in den Beginn des 17. Jahrhunderts von „altdeutscher Literatur" zu sprechen, bekundet sich am greifbarsten im Absinken, ja Versinken literarischer Sprechweisen, Sichtweisen und Formen, die durch Jahrhunderte weiterentwickelt waren. Auch das Reformationszeitalter hatte trotz konfessioneller Aufspaltungen nicht jäh beendet, was man unverbindlich „Mittelalter" nennen kann: darin, wenn man will, eine Zeit des „Interims", eine Zeit „zwischen den Zeiten". So darf sich am Schluß der alten Zeit ausdrücklich die Frage melden, w a r u m um das Jahr 1600 eine l i t e r a r i s c h e N o t da ist, die offenbar nicht unmittelbar aus der bisherigen Welt der deutschen Literatur beseitigt werden kann. Die Antwort liegt im geschichtlichen Ablauf der „altdeutschen Literatur" verborgen und hat uns durch die Jahrhunderte hindurch zwischen den Zeilen begleitet. Nach dem karolingischen Vorspiel hebt deutschsprachig-literarisches Dichten mit dem Ausgang des salischen 10. Jahrhunderts an. Doch ist erst seit dem späten 12. Jahrhundert, vor allem seit den Spätjahren Barbarossas eine Zeit künstlerischer Erregung gekommen, in der Lieder und Erzählungen in engerer Folge aufsteigen. Talente der Ritterschaft, von der damals die Allgemeinheit vertreten wird, erwachen zu einer schöpferischen Arbeit, deren Bildwelten
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Im Zeitalter der Reformation
das Leben überhöhen. Zwischenständische Poeten, als „Fahrende" gesellschaftlicher Verengung entzogen, treten ihren Weg in gleicher Richtung an. Das Ergebnis zwingt in eine Feststellung, die immer wieder des Nachdenkens wert ist und der man sich daher nicht entziehen sollte. Stil schaffendes E r z ä h l e n begegnet uns beim Anlegen eines strengen Maßstabes im Gesamtwerk Hartmanns von Aue, im Gesamtwerk Wolframs von Eschenbach und im ,Tristan'Fragment Gottfrieds von Straßburg. Auf anderer Ebene stellt sich bedingt jenes Sagenepos dazu, in dem ein „Meisterdichter" den ersten Wurf des ,Nibelungenliedes* wagt. Mit Einschränkung darf man auch als eine fast vorzeitige Randerscheinung die ,Eneide' Heinrichs von Veldeke hinzunehmen. Stil schaffende L y r i k begegnet uns mit bedingtem Recht in den Liedern Friedrichs von Hausen, mit ausgewogenem Recht in den Liedern des älteren Reinmar, Heinrichs von Morungen, Walthers von der Vogelweide, auch noch in dem bereits zwielichtigen Dichten und Singen Neidharts von Reuental. Ohne daß wir gleichzeitigen und nachfolgenden Talenten in dieser Rückschau etwas von jener Bedeutung wegstreichen dürfen oder wollen, die ihnen in geschichtlicher Rückschau von ihrer Gegenwart aus gebührt: — die eben genannten Namen sind es recht eigentlich, durdi die sich die „altdeutsche Dichtung" als G e s a m t e r s c h e i n u n g das Recht auf einen Raum eigenen Ranges in der mittelalterlich-abendländischen Welt erworben hat. Doch wie kurz ist (an Jahrhunderten gemessen) die Zeit, die vom Wirken dieser Männer durchwaltet wird! Von der Vollendung der ,Eneide' Veldekes und dem Entstehen des Hartmannschen ,Erec' bis zum Abbruch von Wolframs ,Willehalm', von den neuartigen Gesängen Friedrichs von Hausen bis zu den letzten Gesängen Walthers von der Vogelweide, also etwa von den 80-er Jahren des 12. Jahrhunderts bis etwa zum Jahre 1230 hin sind es keine vollen fünfzig Jahre, die das Wirken dieser Erzähler und Singer umspannen, wenn man davon absieht, daß der Außenseiter Neidhart noch
Rückblick u n d Ausblick
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rund ein halbes Menschenalter weitergreift. U n d genau besehen, gehören schon jene 20-er Jahre des 13. Jahrhunderts, in denen ein Erzähler wie Rudolf von Ems voll einsetzt, in eine andere, in eine neue Zeit. Aber auch dann, wenn man dieser Kunst, die man schlecht und recht als „höfische" Kunst abstempelt, all das zurechnet, was in der Bewegung der Sprache die Möglichkeiten dessen, was von den großen Vorgängern erreicht ist, festzuhalten, zu bereichern und weiterzuentwickeln sucht (nennen wir hierfür großzügig die Namen Konrads von Würzburg und Frauenlobs!), es dauert auch dann nicht viel mehr als e i n Jahrhundert, und die bewegten Tage solchen Dichtens, das stark von westlich romanischer Dichtkunst angeregt war, sind vorbei. Schon mit der Wende des 13. zum 14. Jahrhundert verliert die Verssprache ihre gespannte Kraft, wenngleich Werke des 13. Jahrhunderts bis in das 15. Jahrhundert eine schwer faßbare Wirkung mindestens auf eine fürstennahe Gesellschaftsschicht haben. Von weit her betrachtet, schließt sich denn auch das deutschsprachigliterarische Kunstschaffen des 14. und 15., ja auch des 16. Jahrhunderts in sich zusammen, wenn wir all das beiseite lassen, was im Zusammenhang mit später Ritterdichtung einen scheinhaften Ritterstil ins Spiel bringt. Damit erhebt sich die Frage, was dies Kunstschaffen, das wir abkürzend ein Kunstschaffen des „späten Mittelalters" nennen wollen, gemeinsam hat. So merkwürdig es klingen mag, dies Gemeinsame ist ein Mangel, den keine Begabung von Dichtenden zureichend zu ersetzen vermag. Geistiges und Sinnliches vereinen sich nicht im Werk zu einem Ganzen, in dem sich gestaltetes Leben so darstellt, daß es unmittelbar aufgenommen werden kann. Es fehlt daher auch ein bildhaft gesehener Lebensstil, in dem eine die Zeit bestimmende Allgemeinheit zu sich selbst kommt. Man wählt einen fragwürdigen Ausdruck, wenn man dies Schaffen, das sich zunehmend als ein „gelehrtes" Schaffen fühlt, mit dem vieldeutigen Kennwort „bürgerlich" versieht. In den spätmittelalterlichen
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Im Zeitalter der Reformation
Jahrhunderten war es der Vorrang Italiens, daß sich im städtischen Dasein ein aristokratischer Lebensstil entwickelt, in dem Provenzalisch-Rittermäßiges und Römisch-Weltmännisches aufgehoben sind. Mit dem späteren 15. Jahrhundert regt sich auch auf deutschem Boden neues Leben. Landesfürstliche Hofwelt, in Burgund und Frankreich mit Kunst gepflegt, und ein über das Klerikertum hinausgreifender Gelehrtenstand, der bei gemischter Herkunft aus den jungen Universitäten aufsteigt, fangen an sich zu begegnen. Doch nur im akademischen Kunstraum der Lateinsprecher wird von der nächsten Jahrhundertwende (der Zeit um 1500) an eine neue überständische Bildwelt durchgestaltet. Wie man auch dies akademische Drängen beurteilt, die religiösen und sozialen Ausbrüche des frühen 16. Jahrhunderts stauen es ab. Die Reformation steht zwar im festen Bunde mit der heimischen Sprachwelt. Aber sie ist grade im führenden Luthertum zu sehr Gewissensreligion, als daß sich mit ihrer Ausbreitung in schnellem Umschwung durch neue Dichtung aus Geistig-Seelischem und Sinnlich-Seelischen ein Menschenbild aufbauen könnte, das zum leibhaften Nachleben auffordert. Erst muß gleichsam das im Protestantismus eingeklammerte N a t u r h a f t Menschliche soweit in einem konfessionellen Ausgleich frei werden, daß sich heimische Sprache f ü r ästhetisches, mithin sinnenhaftes Empfinden öffnet. Alles Neue aber, das auf dem Felde deutschsprachigen Dichtens im späteren 16. und im Beginn des 17. Jahrhunderts nach Darstellung strebt, ist zunehmend dabei, den unmittelbaren Zusammenhang mit dem Überkommenen zu verlieren. Romanische Sprachkunst beginnt, wie schon einmal im späteren 12. Jahrhundert, die gesuchten Muster darzureichen: Ausdruck dafür, d a ß sich nicht rechtzeitig das Vielschichtig-Heimische und das Akademisch-Humanistische gefunden haben. Welch ein Weg durch acht Jahrhunderte! Zögerndes Aufsteigen, Wanderung auf breiter Höhe, dann mühsames Auf und Ab durch zerklüftetes Gelände, schließlich beim Versuche neuen Aufsteigens
Rückblick und Ausblick
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der Zwang, einen neuen Anfang zu wagen! Was man brauchte, war nicht ein Sprachgenie; in Luthers schwingender Ubersetzungsprosa war es da gewesen. Es war nicht einmal ein überragendes Sprachtalent; in Fischart hatte es in seltener Weise seine Kräfte verspielt. Der entscheidende Helfer wurde ein Poet von weltmännischer und zugleich patriotischer Haltung, der, durch Vergangenes nicht gehemmt, aus einer konfessionell gemischten, ostmitteldeutschen Landschaft kam und mit frühreifer Klugheit und Sicherheit Muster erreichbarer H ö h e hinstellte: der 1597 geborene M a r t i n O p i t z . U n d bemerkenswert, ihm fiel eine niederrheinische, im 12. Jahrhundert geschriebene Handschrift des „Annoliedes" in die H a n d , die er aus patriotischem Eifer 1639 in Danzig drucken ließ. So sah er kurz vor seinem Tode nadi einem Poeten ferner Vergangenheit hinüber, der einst mithalf, eine neue Zeit literarischen Lebens einzuleiten.
BIBLIOGRAPHISCHES A. D I E A L T D E U T S C H E L I T E R A T U R Es ist nicht möglich, die hier vorgetragene Geschichte der altdeutschen Literatur (eine Geschichte in Auswahl) durch breite Literaturangaben zu unterbauen. Im allgemeinen muß genügen, wichtige oder leicht zugängliche A u s g a b e n der behandelten Denkmäler a n z u f ü h r e n . Alle anderen Hinweise sollen dem helfen, der weiter vordringen möchte. Bei all dem vergesse man nicht, d a ß auch die zuverlässigsten Ausgaben, Darstellungen und Untersuchungen grundsätzlich nichts Abschließendes geben können. In jeder Wissenschaft ist der Forschungsstand eine bewegliche Größe, die nach der Zukunft hin offen steht. Handbücher,
Darstellungen,
T ex tsamm 1u n gen
Allgemeine Geschichte: Bruno Gebhardt, Handbuch der dt. Geschichte (hsg. von H e r b e r t G r u n d m a n n ) , Bd. 1 = Frühzeit u. Mittelalter (Abschluß: Die Reichsreform bis zum J. 1495), mit Beiträgen von Ernst Wahle, Heinz Löwe, Fritz Ernst, Karl J o r d a n , H e r b e r t G r u n d m a n n , Friedrich Baethgen, Karl Bosl, 8. Aufl. Stuttgart 1954 (letzter Drude 1957); Bd. 2 = Von der R e f o r mation bis zum Ende des Absolutismus (Abschluß f ü r die altdeutsche Zeit: Allgemeine Reichsgeschichte 1555-—1618) mit Beiträgen von Walther Peter Fuchs, Ernst Walter Zeeden, 8. Aufl. 1955 (letzter Druck 1961). B i b l i o g r a p h i e zum Gesamtbereich der dt. Philologie: Johannes Hansel, Bücherkunde f ü r Germanisten (Berlin 1959, 2 1963). H a n d b ü c h e r mit umfassenden Literaturangaben: Gustav Ehrismann, Geschichte der dt. Literatur bis zum Ausgang des Mittelalters ( = H a n d b . des dt. Unterrichts VI), München 1918—1935. — H e l m u t de Boor u. Richard N e w a l d , Geschichte der dt. Literatur, M ü n chen 1949 ff. Bisher erschienen: H e l m u t de Boor, 1. Die dt. Lit. von Karl dem Großen bis zum Beginn der höfischen Dichtung (770—1170), 5 1962; ders., 2. Die höfische Lit. (1170—1250), 5 1962; ders., 3/1. Die dt. Lit. im späten Mittelalter, 1. Teil (1250—1350), 1962. — Die dt. Literatur. Ver-
Bibliographisches
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fasserlexikon (abgekürzt: Verfasserlex.), hsg. von Wolfgang Stammler u. Karl Langosch, Bd. I—V, Berlin 1933—1955 (Von der Karolingerzeit bis zu Maximilian I. mit Ausschluß von Humanismus u. Reformation). — Wolfgang Stammler, Von der Mystik zum Barock (1400—1600) ( = Epochen der dt. Lit II, 1), Stuttgart 1927 2 1950. Auf die gesamte „Germanistik" als „Wissenschaft vom geistigen Leben des deutschen Volkes" bezieht sich das Sammelwerk: Deutsche Philologie im A u f r i ß , hsg. von Wolfgang Stammler, Berlin 2 1957—1962. Für die altdt. Zeit seien herausgehoben: Richard Kienast, Die deutschsprachige Lyrik des Mittelalters, 2. Bd., Sp. 1—132, K u r t H e r b e r t Halbach, Epik des Mittelalters, 2. Bd., Sp. 397—748, Wolfg. Stammler, Mittelalterliche Prosa in dt. Sprache, 2. Bd., Sp. 749—1102. Einschlägiges zu allen Stichworten: Reallexikon der dt. Literaturgeschichte, hsg. von Paul Merker u. Wolfgang Stammler, Bd. I — I V , Berlin 1928/29—1931, 2. Aufl. hsg. von Werner Kohlschmidt u. Wolfgang Mohr, Berlin seit 1955 im Erscheinen. Von Literaturgeschichten, die sich auf die altdt. Zeit oder Teile von ihr beziehen, seien genannt: Ludwig Wolff, Das dt. Schrifttum bis zum Ausgang des Mittelalters, l . B d . (Von der germ. Welt zum christlidi-dt. Mittelalter), 2. Ausg., Göttingen (1951). — Julius Schwietering, Die dt. Dichtung des Mittelalters ( = Handbuch der Literaturwissenschaft, hsg. von Oskar Walzel), Potsdam 1932; Neudruck: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, D a r m s t a d t 1957. — Günther Müller, D t . Dichtung von der Renaissance bis zum Ausgang des Barock ( = H a n d b u d i , hsg. von O. W a l zel), 1930; Neudruck: Wissensch. Buchgesellsch., D a r m s t a d t 1957 (Vom 14. Jh. bis zum Ende des 17. Jh.). — H e r m a n n Schneider, Heldendichtung Geistlichendichtung Ritterdichtung ( = Geschichte der dt. Lit., hsg. von Julius Petersen u. Herrn. Schneider I), Stuttgart 1925, 2 1943. — Annalen der dt. Literatur, hsg. von H e i n z O t t o Burger, Stuttgart 1952, 2 1962 (mit Beiträgen von Felix Genzmer, H e l m u t de Boor, H u g o Kuhn, Friedrich Ranke, Siegfried Beyschlag, Richard N e w a l d f ü r die Zeit bis „Humanismus u. R e f o r m a t i o n " ) . — Deutsche Literaturgeschichte in Grundzügen, hsg. von Bruno Boesch, Bern u. München 1946, 2 1961 (mit Beiträgen von H e i n z Rupp, Friedr. Ranke, Bruno Boesch, Leonhard Beriger bis zum „Zeitalter des Humanismus u. der R e f o r m a t i o n " ) . — Peter Wapnewski, Dt. Literatur des Mittelalters. Ein Abriß. Kleine Vandenhoeck-Reihe 96/97 (1960). Zu Einzelgebieten unterrichten die „Realienbücher f ü r Germanisten" (Abteilung Literaturgeschichte") der „Sammlung Metzler" (Stuttgart seit 1961) über den gegenwärtigen Forschungsstand. Mit dem M i t t e l l a t e i n i s c h e n und Neulateinischen verbinden: M a x Manitius, Geschichte der lat. Literatur des Mittelalters
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Bibliographisches
( = Handbuch der klass. Altertums-Wissenschaft 9. Bd. 2. Abt., 1—3), München 1911, 1923, 1932 (Teil 3 unter Mitwirkung von Paul Lehmann) (Von Justinian bis zum Ende des 12. Jhs.). — Karl Hauck, Mittellateinische Literatur = Dt. Philologie im Aufriß, 2. Bd. (21960), Sp. 2555—2624. — Ernst Robert Curtius, Europäische Literatur u. Lateinisches Mittelalter, Bern 1948, 21954 (Grundlegende Aufsätze zum Sprachstil). — Karl Langosch, Die dt. Literatur des lateinischen Mittelalters in ihrer geschichtlichen Entwicklung, Berlin 1964 (mit reichen Literaturangaben). — Georg Ellinger, Geschichte der neulateinischen Literatur Deutschlands im 16. Jh., I—III 1, Berlin 1929—1933 (mit Ausschluß des Dramas). Leider nicht vollendet. Zur V e r s g e s c h i c h t e ist zu vergleichen: Hermann Paul, Dt. Metrik, Grundriß der germ. Philologie II, 2, Straßburg 2 1905, S. 39—140. — Andreas Heusler, Dt. Versgeschichte, Berlin, 1. Bd. 1925 (Einführendes, Der altgerm. Vers), 2. Bd. 1927 (Der altdt. Vers), 3. Bd. 1929 (Der frühneudt. Vers, Der neudt. Vers). — Ulrich Pretzel u. Helmuth Thomas, Dt. Verskunst (mit einem Beitrag über altdt. Strophik) = Dt. Philologie im Aufriß, 3. Bd., 2 1962, Sp. 2357—2546. — Otto Paul - Ingeborg Glier, Dt. Metrik, München 4 1961 (Abriß in lockerem Anschluß an Andr. Heusler). In die Ü b e r l i e f e r u n g d e r H a n d s c h r i f t e n z e i t führt ein: Johannes Hansel, Handschriftenkunde, Anhang zur ,Bücherkunde für Germanisten' (s. o.), S. 177—219. — Friedrich Neumann, Oberlieferungsgeschichte der altdt. Literatur ( = Geschichte der Textüberlieferung der antiken u. mittelalterlichen Literatur II, Zürich 1963). Wichtige S a m m l u n g e n , in denen A u s g a b e n altdt. Literaturwerke erschienen sind: Bibl. der ges. dt. Nat.-Lit. = Bibliothek der gesammten dt. NationalLiteratur, 39 Bände, Quedlinburg 1835—1860. Dt. Klass. des Ma.'s = Deutsche Klassiker des Mittelalters (mit Wortu. Sacherklärungen), 1864 begründet von Franz Pfeiffer; Neue Folge (N. F.), hsg. von Wolfgang Stammler seit 1954. Quell, -u. Forsch. = Quellen u. Forschungen zur Sprach- u. Culturgeschichte (begründet von Bernhart ten Brink u. Wilhelm Scherer), Straßburg 1874 ff. Altdt. Textbibl. = Altdeutsche Textbibliothek (begründet von Hermann Paul), Halle seit 1881, Tübingen seit 1954. Dt. Texte = Deutsche Texte des Mittelalters, seit 1904 hsg. von der Berliner Akademie der Wissenschaften. Vorgesehen für die Zeit vom 13. bis zum 16. Jh. (Meist Abdrucke einer guten Hs.) Stuttg. Litt. Ver. = Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart (Sitz Tübingen), seit 1842. Meist Werke der Zeit vom 14. bis zum 16. Jh.
Bibliographisches
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Neudr. = Neudrucke dt. Literaturwerke des XVI. u. XVII. Jhs. (begründet von Wilhelm Braune), Halle a. S. seit 1876. Neudr. N. F. = Neudrucke dt. Literaturwerke. Neue Folge, Tübingen seit 1961. Dt. Neudrucke. Reihe: Texte des Mittelalters (hsg. von Karl Stackmann), Berlin seit 1965. Zum Begriff „M i t t e l a l t e r " : H. Spangenberg, Die Perioden der Weltgeschichte, Historische Zeitschr. 127, 1922, S. 1—49; Hermann Heimpel, Über die Epochen der mittelalterlichen Geschichte, Die Sammlung, 2. Jg. 5.16. Heft, S. 245—262. Zum A l l g e m e i n e n vgl.: Ernst Robert Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, 2. Aufl. 1954, 2. Kap., S. 26—45. Die Ausgaben der einzelnen Denkmäler werden nur in Auswahl angeführt, vergriffene Ausgaben dann, wenn sie Geschichte gemacht haben oder eine gleichwertige neuere Ausgabe nicht erschienen ist. Nicht vermeiden läßt sich, daß jeder Auswahl Willkürliches anhaftet.
B. ANMERKUNGEN I. I M V O R H O F D E R A L T D E U T S C H E N
LITERATUR
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Das W o r t „Literatur" wird im 16. J a h r h u n d e r t aus lat. l i t t e r a t u r a („Sprachkunst") aufgenommen, seit der Mitte des 18. Jhs. auf Dichtung eingeschränkt. Zeitweilig kann dieser Gebrauch durch den Ausdruck „schöne Literatur" verdeutlicht werden. Früher Beleg 1780: A.W.Schlegel las 1802/03 in Berlin über „schöne Literatur und Kunst". Für das W o r t „Literaturgeschichte" bietet Joh. G o t t f r . H e r d e r 1762 einen frühen Beleg an; das in Berlin 1790 erschienene ,Kompendium der deutschen Literaturgeschichte' Julius Kochs hat wohl dem Begriff weitergeholfen. Vgl. H a n s Schulz/Otto Basler, Deutsches Fremdwörterbuch 2. Bd. 1942, S. 34/35.
1
(Wilhelm Grimm) Deutsches Wörterbuch 2. Bd., 1860, Sp. 1071. Zu Wolfg. Goethe vgl. ,Zueignung' vom August 1784 (Einleitung zum epischen Versuch ,Die Geheimnisse'), vor allem V. 94/95.
4
E t w a seit dem letzten vorchristlichen Jh. hat sich z w a r in germanischen Sprachbereichen (wohl in Anlehnung an ein norditalienisches Alphabet) eine „ R u n e n s c h r i f t " entwickelt, aber der N a m e , mit dem wir sie bezeichnen, ist sprechend genug. Diese Schrift wird nämlich in den „vorliterarischen" Zeiten des Germanentums nicht als Buchschrift, sondern nur f ü r geritzte Inschriften verwandt, um magische Wirkung zu erzielen oder um Gegenständliches zu weihen oder zu sichern. Gute E i n f ü h r u n g in R u n e n f r a g e n : Wolfgang Krause, Was man in Runen ritzte, Halle/Saale 2 1943.
5
Ausgabe der Texte: E d d a (Die Lieder des Codex regius nebst verw a n d t e n Denkmälern), hrsg. von Gustav Neckel, I (Text) 3 1936; I I (Kommentierendes Glossar) 2 1936: ,Brot* ( = Bruchstück) S. 193 ff.; A t l a k v i d a S. 234 ff. Übersetzung: Edda, Sammlung Thüle 1. Bd. H e l dendichtung, übertragen von Felix Genzmer, mit Einleitungen und Anmerkungen von Andreas Heusler, 1920: N r . 3. Das alte Sigurdlied S. 33 ff.; N r . 4 Das alte Atlilied, S. 39 ff. Z u r E d d a im allgemeinen vgl. J a n de Vries, Altnordische Literaturgeschichte I.II, 1941/42, Register S. 508/09; zum Codex regius § 293. Bedeutende, zugleich eigen-
Im Vorhof der altdeutschen Literatur
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willige Behandlung der „vorliterarischen" Zeit: Andreas Heusler, Die altgermanische Dichtung, zuerst 1923, 2 1940. Zu der „Geschichte von Siegfrieds T o d " und der „vom Ende der Burgunden" vgl. ferner die Literatur zum .Nibelungenlied'. 9
Zu den B u r g u n d e n vgl. Ludw. Schmidt, Geschichte der deutschen Stämme, Die Ostgermanen, 2 1934, S. 129 ff.; Ernst Schwarz, Germanische Stammeskunde (1956), S. 74 ff.; auch Wilh. Grimm, Deutsche Heldensage (3. Aufl. von Reinhold Steig), 1889, S. 78/79. Zum Ende A t t i l a s vgl. Jordanis Getica, Monumenta Germaniae Histórica, Auetores antiquissimi V, 1, 1882 (rec. Th. Mommsen), Kap. 49; Ubersetzung: Die Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit Bd. 5, Jordanis Gotengeschichte (deutsch von Wilh. Martens), 3 1913, S. 254. — Zur M e r o w i n g e r z e i t vgl. Franz Steinbach, Das Frankenreich = Handbuch der D t . Geschichte, neu hrsg. von Leo Just, 1. Bd., 2. Abschnitt (1957); dort weitere Literatur. Über die „sittlichen und religiösen Zustände" auch Alb. Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands, 1. Teil, 3 . 4 . 1 9 1 4 , S. 168 ff. — Über die Nachwirkung Brunichilds: Friedr. Panzer, Nibelungische Ketzereien 2, Lectulus Brunihildé, Beiträge zur Geschichte der dt. Sprache 73. Bd., 1951, S. 95 ff. — Über die Möglichkeiten, verlorene Sagenlieder aufzubauen, grundlegend: Wolfg. Mohr, Dichtung und Volkstum (Euphorion) 42. Jg., S. 83 ff. (Anzeige des Bandes: Dietr. v. Kralik, Die Sigfridtrilogie, 1. Teil, 1941); Anzeiger f ü r dt. Altertum 68, 1955, S. 7 ff. (Anzeige der U n tersuchung: K u r t Wais, Frühe Epik Westeuropas u. die Vorgeschichte des Nibelungenliedes 1. Bd., mit einem Beitrag von H u g o Kuhn, Brunhild u. das Krimhildlied, Beihefte zur Zeitschr. f ü r Romanische Philologie, H e f t 95, 1953). — Zu den hier behandelten „Erzählliedern" vgl. ferner die Literatur zum .Nibelungenlied'.
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Zum Worte „ H e l d " , das im Deutschen erst im frühen 12. Jh. auftaucht, vgl. ,Deutsches Wörterbuch' Bd. 4, 2. Abt. (Moritz Heyne) 1877, Sp. 930 ff.; Friedr. Kluge, Etymologisches Wörterbuch, 11. Aufl., 1934, S. 243. — Für das W o r t „König" beachte man, d a ß es seinem Wortstamm nach den M a n n eines besonderen Geschlechts bezeichnet, das durch Tradition in einem Verbände f ü h r t . Daher können zunächst alle Mitglieder einer Königsfamilie Könige heißen. Mit einer fürstlichen Rangstufe hat das W o r t von H a u s nichts zu tun. Auch bezieht es sich nicht auf Regentschaft in einer streng staatlichen Organisation, die ohnedies der germanischen Zeit und weitgehend auch dem „Mittelalter" fremd ist. Vgl. .Deutsches Wörterbuch' Bd. 5. (Rud. Hildebrand) 1873, Sp. 1691 ff.; Etymol. Wörterbuch, S. 319.
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Belege zur Frühgeschichte des Wortes „deutsch": Willy Krogmann, Deutsch (Dt. Wortforschung H e f t 1), 1936. Die Auseinandersetzung
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Anmerkungen
über diese Frühgeschichte am besten bei Leo Weisgerber zu übersehen: Deutsch als Volksname (Ursprung und Bedeutung) (1953); darin mit Literatur: Theudisk, Marburger Universitätsreden 5, 1940; Die geschichtliche Stellung des Wortes Deutsch, Rhein. Vierteljahrsblätter 12, 1942. Uber das sprachliche Verhältnis von theodisk und diutisk: Theod. Frings, Das Wort Deutsch = Altd. Wort u. Wortkunstwerk (Festschrift Georg Baesecke), 1941, S. 46 ff. — Zu theodiscus: th (Vorgänger des d) ist wie englisch th zu sprechen. Zu harisliz: z ist ein scharfes ß. Zur Diskussion über die Entstehung des altdeutschen Reiches als einer politischen Größe vgl. die Aufsatzsammlung: Wege der Forschung I, Die Entstehung des deutschen Reiches (Deutschland um 900), mit einem Vorwort von Hellmut Kämpf, Darmstadt 1956. Das Doppeldeutige des französischen Wortes clerc (Geistlicher, Schreiber, veraltend: Gelehrter) und die entsprechende Bedeutung des englischen Wortes clerc (Sekretär, archaisch: Geistlicher, Gelehrter) stammen aus den dargelegten mittelalterlichen Verhältnissen. A u g u s t i n s Aussage: Confessiones 9. Buch, 6. und 7. Kap. Einen ersten Eindruck von der Entwicklung der H y m n e n d i c h t u n g bis zum Ausgang des 15. Jahrhunderts vermittelt: Guido Maria Dreyes / Clemens Blume, Ein Jahrtausend lat. Hymnendichtung, eine Blütenlese aus den Analecta Hymnica, I. II., 1909. Zu H i l a r i u s v o n P o i t i e r s vgl. Wilh. Meyer aus Speyer, Gesammelte Abhandlungen zur mittellat. Rythmik, III. Bd., 1936, S. 145—175. Zu B o e t h i u s : Martin Grabmann, Die Geschichte der scholastischen Methode, 1. Bd., 1909, S. 148—177. Ubersetzung der Consolatio: B., Trost der Philosophie, deutsch v. Karl Büchner (mit Einführung v. Friedr. Klingner), Sammlung Dieterich 33. Zu G r e g o r I.: Ludwig Traube, Vorlesungen u. Abhandlungen, hrsg. v. Franz Boll, II, 1911, S. 147/48; zu I s i d o r : dort S. 157 bis 162; vgl. auch zu beiden: M. Grabmann a. a. O. 1. Bd., S. 144—146. Lit. über die a l t i r i s c h e Welt: Heinz Löwe, Deutschland im fränkischen Reith = Bruno Gebhardts Handbuch der deutschen Geschichte, 8. Aufl., 1954, § 36, Anm. 4, S. 117. Zur Bekehrung der A n g e l s a c h s e n und ihrer nach dem Festland getragenen Missionstätigkeit: Bernhard Kahle, Bekehrungsgeschichte = Reallexikon der germanischen Altertumskunde, hrsg. v. Joh. Hoops, 1. Bd., 1911—13, S. 223—227. — Älter als Beda ist der vor der Mitte des 7. Jahrhunderts in Wessex geborene und Königsadel entstammende A 1 d h e 1 m , der nach bester Ausbildung, die das Griechische einbezieht, Abt des Klosters Malmesbury wird und als Bischof im Jahre 709 stirbt; doch tritt er in den Schatten Bedas.
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Zur a n g e l s ä c h s i s c h e n E p i k : Andreas Heusler, Die altgermanische Dichtung, ( 2 1941), §§ 85, 108, 148—153. Zur angelsächsischen „älteren Genesis": Robert J. Menner, The date and dialect of Genesis A 852—2936, Anglia 70, 1952, S. 285—294. Zum „Beowulf": Hermann Schneider, Germanische Heldensage II. Bd., 2. Abt., 1934, S. 5—51. Über A l k u i n abwägend: Alb. Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands 2. Teil, 3./4. Aufl., 1912, S. 129—150. Über die Kirchen- u. Kulturpolitik K a r l s d e s G r o ß e n mit abwägendem Urteil: Albert Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands, Leipzig 2. Teil, 3 - 4 1912, S. 71—483. Dort über A l k u i n S. 129 bis 150. Vgl. auch: Karl der Große, hrsg. v. Wolfgang Braunfels, Bd. I I = Das geistige Leben, hrsg. v. Bernhard Bischoff, Düsseldorf (1965, 2 1966). Über Karl den Großen berichtet der Mainfranke E i n h a r t (geb. um 770, gest. 840), Baumeister, Historiker, Hofmann, selbstverständlich Kleriker. Uber seine um 820 vollendete Vita Karoli (übersetzt als „Kaiser Karls Leben" durch Otto Abel u. Michael Tangl, Die Geschichtsschreiber der dt. Vorzeit 16, 4. Aufl. Leipzig 1920) vgl. M. Manitius, a . a . O . 1, 1911, S. 639—646. Daß Einharts Wendung barbara et antiquissima carmina meint, Karl habe „Preis- und Zeitlieder" aufzeichnen lassen, die sich mit dem Leben und den Taten seiner „Ahnen" beschäftigen, macht Gerhard Meißburger wahrscheinlich: Zum sog. Heldenliederbuch Karls des Großen, Germ.-Rom. Monatsschr. 44, 1963, S. 105—119. II. DAS K A R O L I N G I S C H E
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JAHRHUNDERT
Über die G e s e t z e K a r l s unterichtet G. Ehrismann, a. a. O. I, 1918, § 54. Zum Schrifttum dieser Zeit vgl. Georg Baesecke-Werner Betz, Althochdt. Lit., Reallexikon I, 1955, S. 24—39; Heinz Rupp, Forschung zur althochdeutschen Literatur, 1945—1962, Deutsche Vierteljahrsschr. Sonderheft 1964. Der A l t h o c h d e u t s c h e I s i d o r : Facsimile-Ausg. von George A. Hensch, Quell, u. Forsch. 72, Straßburg 1893. Neuhsg. von Hans Eggers, Altdt. Textbibl. 63, Tübingen 1964. Bettina Kirschstein, Sprachliche Untersuchungen zur Herkunft der althochdt. Isidorübersetz., insbesondere zur „Murbacher These", Beitr. zur Gesch. der dt. Spr. 84, Tübingen 1962, S. 5—22. Zum Begriff H o f s p r a c h e : Karl Müllenhoff, Vorrede zu den mit Wilh. Scherer herausgegebenen ,Denkmälern dt. Poesie u. Prosa aus dem V I I . — X I I . Jh.', 2. Ausg. 1873, S. X / X I . Neumann, Literatur
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Anmerkungen
Zum I n s e l h a f t e n der f r ü h e n dt. Lit. vgl. Werner Schröder, Grenzen u. Möglichkheiten einer althochdt. Literaturgeschichte, Berichte über die Verhandig. der Leipziger Akad. der Wissenschaften, Philol.-hist. Kl. 105, 2, 1959. Grundlegende Ausg. der „kleineren althochdt. D e n k m ä l e r " : Elias von Steinmeyer, Berlin 1916. D a z u umfassende Literaturangaben: Wilhelm Braune, Althochdt. Lesebuch (1875), bearbeitet von Ernst A . E b b i n g haus, Tübingen " 1 9 6 2 . Versuche, eine spätgerm. (etwa langobardische) Urfassung des ,Hildebrandsliedes' zu gewinnen, überschreiten die Grenzen unserer Erkenntnis. Wir müssen uns mit dem Überlieferten abfinden. M u s p i l l i . Uber die Eliasfrage: Werner Kohlschmidt, Zur religionsgeschichtlichen Stellung des Musp., Zeitschr. f ü r dt. Altert. 64, 1927, S. 294—298. H e 1 i a n d. Grundlegende Ausg. von E d u a r d Sievers = Germanistische H a n d b i b l . IV, H a l l e 1878; Titelaufl. durch E d w a r d Schröder, 1935. Heliand u. Genesis, hsg. von O t t o Behaghel, 7. Aufl. bearbeitet von Walther Mitzka, Altdt. Textbibl. 4, Tübingen 1958. Übersetzung: Der Heliand in Simrocks Übertragung u. die Bruchstücke der altsächs. Genesis, eingeleitet von Andreas Heusler, Insel 1921; Heliand u. die Bruchstücke der Genesis, hsg. von Felix Genzmer, Reclam, Univ.-Bibl. 3324/25. Vgl. ferner: Joh. Rathofer, Der Heliand. Theologischer Sinn u. tektonische Form. Niederdt. Studien 9, Münster 1962. O t f r i e d. O t f r i d s Evangelienbuch, hsg. u. erklärt von Oskar E r d mann = Germanistische H a n d b i b l . V, Halle 1882; Text, besorgt durch Ludwig Wolff, Altdt. Textbibl. 49, 5 1965. Zum Reim: Ludw. Wolff, Untersuchungen über O.'s Reimkunst, Zeitschr. f ü r dt. Altert. 60, 1923. S. 265—283. Zum Versgang: Friedr. N e u m a n n , O.'s Auffassung vom Versbau, Beitr. zur Gesch. der dt. Spr. 79, Halle 1957, S. 241—306. Zum G e o r g s l i e d : Fritz Tschirsch, Wisolf. Eine mittelalterl. Schreiberpersönlichkeit, Beitr. zur Gesch. der dt. Spr. 73, H a l l e 1951, S. 387—422. Zur S e q u e n z u. N o t k e r B a l b u l u s : H a n s Spanke, D t . u. französische Dichtung des Mittelalters, Stuttgart 1943, S. 16—45. Karl Langosch, Verfasserlex. V, 1955, Sp. 735—775. — N u r etwa zur H ä l f t e sind die Gesta Karoli (die „Geschichten" über Karl den Großen) erhalten, die N o t k e r B a l b u l u s etwa 884 nach ihm zugetragenen Erzählungen in einem geeigneten Sprachstil v e r f a ß t h a t ; „Dichtung und Wahrheit" haben in diesem erhöhten Karlsbild zusammengewirkt. Veranlaßt w a r die Sammlung durch den Besuch Kaiser Karls I I I . in St. Gallen vom J. 883. Die unvollständige Sammlung ist anonym überliefert; doch hat man N o t k e r als Verfasser mit zureichen-
Frühmittelalterliche Reformzeit
371
der Sicherheit erschlossen. Vgl. Max Manitius a . a . O . I, 1911, S. 359 bis 361. III. O T T O N I S C H E U N D FRÜHSALISCHE ZEIT 59
60
02
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64
65
W a l t h a r i u s . Ausg.: Karl Strecker, Monumenta Germaniae histórica, Poetae VI, 1951; Text mit Übersetzung: Karl Langosch, Waltharius. Ruodlieb. Märdienepen = Lat. Epik des Mittelalters mit dt. Versen, Darmstadt 1956. — Auf den Streit, von wem und wann der .Waltharius' geschaffen sei, kann hier nicht eingegangen werden. H r o t s w i t h (die unechte Form „Roswitha" seit dem 16. Jh. im Gebrauch). Ausg.: Paul von Winterfeld, Hrotsvithae Opera, Berlin 1902; Karl Strecker, Bibliotheca Teubneriana, Leipzig 1909; Bert Nagel, Sämtliche Dichtungen, München (Fundgrube 19) 1966. Text der Dialoglegenden „Dulcitius" u. „Abraham" mit Übersetzung: Karl Langosch, Geistl. Spiele, Darmstadt 1957, S. 5—89. Vgl. Bert Nagel, Hrotsvit v. G., Sammlung Metzler, 1965. C a r m i n a C a n t a b r i g i e n s i a . Ausg.: Karl Strecker, Monum. Germ, hist., Poetae V, 1926; Walther Bulst, Editiones Heidelbergenses 17, 1949. Texte mit Übersetzungen: K. Langosch, Hymnen u. Vagantenlieder, Darmstadt 1954, S. 91—145. Vgl. H. Spanke, Dt. u. franz. Dichtung des Ma.'s, Stuttgart 1943, S. 45—51. M e r s e b u r g e r Z a u b e r s p r ü c h e . Ausg. W. Braune-Ebbinghaus, Althochdt. Lesebuch, 14. Aufl. Nr. X X X I . D e r 13 8. P s a l m : W. Braune-Ebbinghaus, Althochdt. Lesebuch Nr. X X X V I I I . N o t k e r I I I . Der gesamte Notker: Paul Piper, Die Schriften Notkers u. seiner Schule I—III, Freiburg/Tübingen 1882/83 (überholt). Neuausg.: Notkers des Deutschen Werke, hsg. von E. H . Sehrt u. Taylor Starck: Altdt. Textbibl. 32/33/34 (Boethius), Halle 1933/34; 37 (Marcianus Capella), 1935; 40, 42/43 (Der Psalter, Cantica, katechetische Stücke), 1952—1955.
IV. FRÜHMITTELALTERLICHE REFORMZEIT 70
W i 11 i r a m. Veraltete Ausg. des dt. Textes: Joseph Seemüller, Quell, u. Forsch. 28, Straßburg 1878. Vgl. Marie-Luise Dittrich, Willirams von Ebersberg Cantica Canticorum, Zeitschr. für dt. Altert. 82, 1948, S. 47—64.
71
R u o d l i e b . Karl Langosch, Waltharius, Ruodlieb, Märchenepen, Darmstadt 1956 (Text mit Übers, s. 85—215, Nachwort S. 369—375).
24"
372
Anmerkungen
Vgl. auch K. Hauck, Heinrich III. u. der Ruodlieb, Beitr. zur Gesch. der dt. Spr. 70, Halle, 1948, S. 372—419. Werner Braun, Studien zum Ruodlieb, Quell, u. Forsch. N . F. 7, Berlin 1962. 74 Friedrich Maurer, Die religiösen Dichtungen des 11. u. 12. Jhs., nadi ihren Formen bespr. u. hsg., I, II (Tübingen 1965); die Ausg. umfaßt die „religiösen Dichtungen der frühen mhd. Zeit". Ausgabe kleinerer Denkmäler: Albert Waag, Kleinere dt. Gedichte des XI. u. XII. Jhs., Altdt. Textbibl. 10, 2 1916 (veraltet); dort ,E z z o s G e s a n g ' Nr. I. Über die Versuche, eine u r s p r ü n g l i c h e Ezzo-Dichtung zurückzugewinnen: Heinz Rupp, Die religiösen Dichtungen des 11. u. 12. Jhs., Freiburg/Br. 1958, 2. Kap.; Hans Neumann, Die Schiffsallegorie im Ezzoliede, Nachr. der Göttinger Akad. der Wissenschaften I, 1, 1960; vgl. auch Arthur Hübner, Kleine Schriften zur dt. Philologie, Berlin 1940, S. 232. 7 5 M e m e n t o m o r i . Ausg.: Braune-Ebbinghaus, Althochdt. Lesebuch Nr. XLII; Rudolf Schützeichel, Das alemannische Mem. mori (Das Gedicht u. der geistig-hist. Hintergrund), Tübingen 1962. Vgl. auch Marie-Luise Dittrich, Der Dichter des ,Mem.mori', Zeitschr. für dt. Altert. 72, 1935, S. 57 ff. Der Titel ,Summa theologiae' für die Dichtung stammt von Wilhelm Scherer. Uber A n s e l m v o n L a o n vgl. Martin Grabmann, Die Geschichte der scholastischen Methode 2. Bd., 1911, S. 136—168. 76 Die Diskussion um die M i l l s t ä t t e r H s . ist noch nicht abgeschlossen. 77 W i e n e r G e n e s i s . Ausg.: Victor Dollmayr, Die altdt. Genesis. Nach der Wiener Hs., Altdt. Textbibl. 31, 1932. Zur Ortsbestimmung vgl. Erich Henschel, Zur Heimat des Dichters der Wiener Gen., Beitr. zur Gesch. der dt. Sp. 75, Halle 1953, S. 489/90. Sprachzüge, die nach dem Westen zeigen, erklären sich am leichtesten, wenn wir in das westbair. Donaugebiet gehen. — M i l l s t ä t t e r G e n e s i s . Ausg.: Joseph Diemer, Genesis u. Exodos nach der Millst. Hs. 1.2, Wien 1862. 79 D i e D i c h t u n g e n d e r F r a u A v a . Sonderausg.: Friedrich Maurer, Altdt. Textbibl. 66, 1966. 79 Ä l t e r e J u d i t h . Vgl. Wolfg. Stammler, Zur staufischen JudithBallade, Zeitschr. für dt. Philol. 70, 1947/48, S. 32—36. 80 A n n o 1 i e d. Ausg.: Max Roediger, Monum. Germ, hist., Dt. Chroniken I, 2, Hannover 1895; Walther Bulst, Editiones Heidelbergenses 2, 1946. 81 K a i s e r c h r o n i k . Ausg.: Hans Friedr. Maßmann, Der keiser u. der künige buoch oder die sog Kaiserchronik 1. 2., 1849; 3., 1854; Edward Schröder, Monum. Germ, hist., Dt. Chroniken I, Hannover 1892 (grundlegend). Vgl. Friedrich Ohly, Sage u. Legende in der K.,
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83
84
373
Forschungen zur dt. Spr. u. Dichtung 10, Münster 1940. Friedrich Neumann, Wann entstanden ,Kaiserchronik' u.,Rolandslied'?, Zeitschr. für dt. Altert. 91, 1961/62, S. 2 6 3 — 3 2 9 . R o l a n d s l i e d . Ausg.: Wilh. Grimm, Ruolandes liet, Göttingen, 1838; Carl Wesle, Das R . des Pfaffen Konrad, Bonn 1928 ( = Rhein. Beitr. u. Hülfsbücher 15), Neudruck: Halle 1955; Friedrich Maurer, Das Alexanderlied des Pfaffen Lamprecht. Das. R . des P f . Konrad, Dt. Lit. in Entwicklungsreihen I I , 5, Leipzig 1940, Neudr.: Wissensch. Buchgesellsch. Darmstadt. Vgl. Friedr. Neumann unter ,Kaiserchronik'. A 1 e x a n d e r 1 i e d. Abdruck der Vorauer Fassung: Friedr. Maurer, a. a. O . unter ,Rolandslied'. K a r l Kinzel, Lamprechts Alex., Ausg. nach der Vor. u. Straßb. Fassung, Germanistische Handbibl. V I , Halle 1884. In neue Richtung weist Cola Minis, Lambrecht, P(f)affe (Nachtrag) Verfasserlex. V , 1955, Sp. 5 8 1 — 8 3 ; ders., Über die ersten volkssprachl. Alexander-Dichtungen, Zeitschr. für dt. Altert. 88, 1957, S. 2 0 — 3 9 . K ö n i g R o t h e r . Ausg.: Theod. Frings u. Joachim Kuhnt, König R . , Bonn 1922 ( = Rhein. Beitr. u. Hülfsbücher 3 ) ; J a n de Vries, R., Germanische Bibl. 11,13, Heidelberg 1922. Zum Forschungsstand: W a l ter Joh. Schröder, Spielmannsepik, Sammlung Metzler, 1962, S. 22 bis 35.
87
F 1 o y r i s. Ausg.: Elias v. Steinmeyer, Trierer Bruchstücke I, Zeitschr. für dt. Altert. 21, 1877, S. 3 0 7 — 3 3 1 . Zu S a l m a n u. M o rolf, Oswald, Orendel vgl. W a . J o h . Schröder, a. a. O. unter .König Rother'; Michael Curschmann, D e r Münchener Oswald u. die dt. spielmännische Epik, Münchener Texte 6, 1964.
90
Marienlyrik. Ausg.: Fr. Maurer, vgl. Anm. zu S. 74. — Priester Wernhers M a r i a , hsg. von Carl Wesle, Halle 1927. W.s ,Maria' ist nur in einer wenig jüngeren Bearbeitung vom Ende des 12. Jhs. vollständig erhalten.
Die frühe „w e l t l i c h e" L y r i k der Stauferzeit (die Lyrik v o r Walther von der Vogelweide) ist zusammengefaßt in der Sammlung D e s M i n n e s a n g s F r ü h l i n g , hsg. von K a r l Lachmann u. Moriz Haupt, Leipzig 1857, letzte Bearbeitung durch Carl v. Kraus, Leipzig 1940, mit Untersuchungen', Leipzig 1939. — Versuche, den „Kürenberger" in den Breisgau zu rücken, werden den literar. Zusammenhängen nicht gerecht. 92/93 Spruchstrophen S p e r v o g e l s u. des A n o n y m u s in ,Des Minnesangs Frühl.' — H e i n r i c h v o n M e l k . Ausg.: Richard Heinzel, Berlin 1867 (grundlegend); Richard Kienast, D e r sog. H . v. M., Editiones Heidelbergenses 1, 1946. 91
374 84
Anmerkungen
A r c h i p o e t a . Ausg.: M a x Manitius, Die Gedichte des Arch., Münchener Texte 6, 1913; Karl Langosch, Hymnen u. Vagantenlieder, Darmstadt 1954, S. 219—277 (Text mit Übertragung). Vgl. auch: Vagantendichtung (Lateinisch/Deutsch), hsg. von K. Langosdh, Fischer Bücherei, Exempla classica 78 (1963). — L u d u s d e A n t i c h r i s t o . Ausg.: Wilhelm Meyer (aus Speyer), Tegernseer Antichristspiel, Münchener Sitzungsber., philos.-philol. u. hist. Kl., 1882, S. 1—192; Karl Langosch, Geistliche Spiele, Darmstadt 1957, S. 179 bis 239 (Text mit Übertragung). V. D I C H T U N G DER STAUFERZEIT
H e i n r i c h v o n V e l d e k e . E n e i d e . Ausg.: Ludw. Ettmüller, Heinr. v. V., Dichtungen des Ma.'s 8, Leipzig 1852; Otto Behaghel, Eneide, Heilbronn 1882 (Umsetzung in ein Niederfränkisch). Neue Ausg. von Theod. Frings u. Gabriele Schieb: Die epischen Werke des Henric van Veldeken, II, III Berlin 1965. — S e r v a t i u s . Ausg.: G. H. van Es, Sint Servaes Legende, 1950 (nach der Ausg. von J . H. Bormans, Maastricht 1858). Th. Frings u. Gabr. Schieb, Sente Servaes, Sanctus Servatius = Die ep. Werke des H. van V. I, Halle 1956. Zum Forschungsstand: Cola Minis, H. v. V., Verfasserlex. V, 1955, Sp. 350—361. — Einen „ o b e r d e u t s c h e n Servatius" hat ein unbekannter Kleriker nach einer Fassung der lat. Legende unter Nutzung von Veldekes Versen im westl. Bayern um oder bald nach 1180 verfaßt. Ausg.: Friedrich Wilhelm, St. Servatius oder wie das erste Reis in dt. Zunge geimpft wurde, München 1910. 194 G r a f R u d o l f . Ausg. der Bruchstücke: Wilh. Grimm, Göttingen 1844; C. v. Kraus, Mittelhochdt. Übungsbuch, Heidelberg, 1. Aufl. 1912; Peter F. Ganz, Philologische Studien 19, Berlin (1964). 104/05 E i l h a r t v o n O b e r g (nicht: „Oberge"!). Ausg.: Kurt Wagner, E. v. O., Tristrant I (Die alten Bruchstücke), Bonn 1924 = Rhein. Beitr. u. Hülfsbücher 5; Franz Lichtenstein, E. v. Oberge, Quell, u. Forsch. 19, Straßburg 1877. Neue Ausg. notwendig. Vgl. auch Gerhard Cordes, Zur Sprache E.'s v. O., Hansische Forschungen 1, Hamburg 1939. " " H e r z o g E r n s t . Ausg.: Karl Bartsch, Wien 1869, Zusammenfassend: Hans Neumann, Die dt. Kernfabel des Herzog-Ernst-Epos, Euphorion 45, 1950, S. 140—164. 108 H e r b o r t v o n F r i t z l a r . Veraltete Ausg.: Georg Karl Frommann, H.'s v. Fritzlar liet von Troye, Bibl. der ges. dt. Nat.-Lit. 5, 1837. Vgl. Friedr. Neumann, H. v. Fr., Zeitschr. des Vereins für hess. Gesch. 63, 1952, S. 39—50. 101
Dichtung der S t a u f e r z e i t
375
O t t e s E r a c l i u s . A u s g . : H a r a l d Graeff, Quell, u. Forsch. 50, S t r a ß b u r g 1883. V g l . E d w a r d Schröder, Der Dichter des dt. Er., M ü n chener Sitzungsber., philos.-philol. u. hist. Kl. 1924, 3. A l b r e c h t v o n H a l b e r s t a d t . A u s g . : K a r l Bartsch, A . v . H . u. O v i d im M a . , Bibl. der ges. dt. N a t . - L i t . 38, 1861. V g l . Friedr. N e u m a n n , Meister A.'s u. J ö r g W i c k r a m s O v i d auf Deutsch, Beitr. zur Gesch. der dt. Spr. 76, 1954, S. 321—389. R e i n h a r t F u c h s . A u s g . : Georg Baesecke, Heinrichs des Glichezares R . F. (mit einem Beitr. v o n K a r l Voretzsch), A l t d t . Textbibl. 7, 1925. — Bruchstücke des O r i g i n a l s aus einer um 1200 geschriebenen Hs., die zuerst J a c o b Grimm 1840 in einem „Sendschreiben an K a r l Lachmann" veröffentlicht hat, zeigen gleichfalls bayrische (bayrischböhmische?) Tönung. M o r i ( t ) z v o n C r a o n . A u s g . : E d w a r d Schröder, Zwei a l t d t . R i t t e r m ä r e n , 4. Aufl. Berlin 1929; Ulrich Pretzel (mit Erich Henschel u. Richard Kienast), M . v. C r a u n , A l t d t . Textbibl. 45, 1956, 2. Aufl. 1962. H a r t m a n n v o n A u e . A u s g . : E r e c. M o r i z H a u p t , 2. Ausg. 1871; A l b e r t L e i t z m a n n , 3. Aufl. besorgt von L u d w . W o l f f , A l t d t . Textbibl. 39, Tübingen 1963. — I w e i n. G. F. Benecke u. K a r l Lachmann, Berlin 1843 (grundlegend), 5. Aufl. besorgt von L u d w . Wolff, 1926; H a n s N a u m a n n u. H a n s Steinger, D t . Lit. in Entwicklungsreihen 111,3, 1933; N e u d r . Wissensch. Buchgesellsch. D a r m s t a d t . — G r e g o r i u s , H e r m a n n P a u l , H a l l e 1873; A l t d t . Textbibl. 2, 1882, 10. Aufl. besorgt von L u d w . Wolff 1963; Friedrich N e u m a n n , Dt. Klass. des Ma.'s, N . F. 2, Wiesbaden 1958 (mit Erläuterungen), 2 1965. Ubersetzung (mit T e x t ) : B u r k h a r d Kippenberg, Ebenhausen (1959). — D e r a r m e H e i n r i c h . Erich Gierach, Germ. Bibl. 3. Abt., 3. Bd., Heidelberg 2 1925 ( g r u n d l e g e n d ) ; H e r m a n n P a u l , A l t d t . T e x t bibl. 3, 1882, 13. Aufl. besorgt von L u d w . Wolff, Tübingen 1966; Friedr. N e u m a n n , U n i v . - B i b l . 456, 1960; H e l m u t de Boor (Text mit Übersetzung), Fischer Bücherei, E x e m p l a classica 84, 1963. — Zum Forschungsstand: Peter W a p n e w s k i , S a m m l u n g Metzler, 1962. W o l f r a m v o n E s c h e n b a c h . Grundlegende Gesamtausg.: K a r l Lachmann, Berlin 1833 (!), 6. Aufl. durch E d u a r d H a r t l , 1926. 2. Gesamtausg.: Albert Leitzmann, A l t d t . T e x t b i b l . 12, 13, 14, 15, 16, 1902—1955. — P a r z i v a l . Ausg.: Ernst M a r t i n ( T e x t u. Kommentar), Germanistische H a n d b i b l . I X , 1.2, H a l l e 1900, 1903. Ü b e r t r a g u n g in Prosa (mit E r k l ä r u n g e n ) : G o t t f r i e d Weber, Wissenschaftl. Buchgesellsch. D a r m s t a d t 1963. — V g l . J u l i u s Schwietering, N a t u r u. art, Zeitschr. f ü r dt. Altert. 91, 1961, S. 108—137; R i c h a r d Kienast, Zur Tektonik von W o l f r a m s , W i l l e h a l m ' , Studien zur dt. Philologie (Fest-
376
Anmerkungen
sehr. Friedr. Panzer), Heidelberg, S. 9 6 — 1 1 5 . Zur Forschungslage: Joachim Bumke, Sammlung Metzler, 1964; Wege der Forschung L V I I , hsg. von Heinz Rupp, Wissenschaftl. Buchgesellsch. Darmstadt, 1966. G o t t f r i e d v o n S t r a ß b u r g . Ausg.: K a r l Marold, Tristan, Teutonia 6, Leipzig 1912, 1. T . = T e x t (wegen der Lesarten nicht ersetzt); Friedr. Ranke, T r . u. Isold, T e x t , Berlin 1930 (Lesarten nicht erschienen). Für die Textgeschidite grundlegend: Friedr. Ranke, Die Überlieferung von G.'s Tr., Zeitschr. für dt. Altert. 55, 1917, S. 157 bis 284, 3 8 1 — 4 3 8 . Zur Forschungslage: Gottfried Weber (mit Werner Hoffmann), Sammlung Metzler, 1962. Vgl. ferner: Herbert Kolb, Der Minnen hüs, Euphorion 56,3, S. 2 2 9 — 2 4 7 . Nacherzählung in Prosa (mit Erläuterungen): Gottfried Weber, Wissenschaftl. Buchgesellsch. (noch nicht erschienen). "'Nibelungenlied. Ausg.: Nach der Hohenems-Münc h e n e r H s . A : K a r l Lachmann, Der Nibelunge Noth u. die Klage, Berlin 1926, Abdr. der 5. Aufl. (1878) durch Ulrich Pretzel, Hamburg 1960. Nach der S t . G a 11 e r H s. B : K a r l Bartsch, Das Nibelungenlied. D t . Klass. des Ma.'s 3, 1866, 10. Aufl. bearb. von Helmut de Boor, 1940, Wiesbaden 1 5 1959; K . B a r t s c h (große Ausg.), Der Nibelunge N o t I, I I , Leipzig 1870, 1876, 1880; ders., D i e Klage, Leipzig 1875. Nach der H o h e n e m s - L a ß b e r g i s c h e n Hs. C : Friedr. Zarndke, Das Nibelungenlied, Leipzig 1856, "1887. Letzte Erörterung der Handschriften frage: Helmut Brackert, Beitr. zur Handschriftenkritik des N.'s, Quellen u. Forsch. N . F. 11, Berlin 1963. Zur Forschungslage: Gottfried Weber (mit Werner H o f f mann), Sammlung Metzler 1961. Übertragungen: Felix Genzmer, Univ.-Bibl. 6 4 2 — 4 5 ; Helmut der Boor (mit T e x t ) , Sammlung Dieterich 250, Bremen (o. J . ) . 142 U l r i c h v o n Z a ( t ) z i k h o v e n . Veraltete Ausg.: K a r l Anton Hahn, Lanzelet, F r a n k f u r t / M 1845; D t . Neudrucke (Nachwort von Frederick Norman) Berlin 1965. Vgl. Werner Richter, Der Lanzelet des Ulr. v. Z., D t . Forschungen 27, Frankfurt/M 1934. 145 W i r n t v o n G r a f e n b e r g . Ausg.: J . M . N . Kapteyn, Wigalois der Ritter mit dem Rade, Bonn 1926 ( = Rhein. Beitr. u. Hülfsbücher 9 ) ; nur T e x t , ohne Anmerkungen. 143 H e i n r i c h v o n d e m T ü r l i n . Ausg.: G . H . F. Scholl, Diu Crone von H . v. d. T., Stuttg. Litt. Ver. 27, 1852. Die übliche Datierung „1215 bis 1 2 2 0 " durch Helm, de Boor, Gesch. der dt. Lit. 2, 1953, S. 195 mit Recht bezweifelt; seine Datierung: nicht vor 1230. 131
145
143
K o n r a d v o n F u ß e s b r u n n e n . Ausg.: K a r l Kochendörffer, Quell, u. Forsch. 43, 1881. K o n r a d F l e c k . Ausg.: Emil Sommer, Floire u. Blanscheflür, Bibl. der ges. Dt. Nat.-Lit. 12, Quedlinburg 1846; Carl H . Rischen, Bruch-
Dichtung der Stauferzeit
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stücke von Konr. Flecks Fl. u. BL, Germ. Bibl. 3. Abt Bd. 4, Heidelberg 1913. ' " R u d o l f v o n E m s . Ausg.: D e r g u t e G e r h a r t : John A. Asher, Der guote Gerhart von R. v. E., Altdt. Textbibl. 56, 1962. — B a r l a a m u n d J o s a p h a t : Fr. Karl Röpke, B. u. J. (mit Bemerkungen K. Lachmanns), Königsberg 1820; Franz Pfeiffer, B. u. J., Dt. Dichtungen des Ma.'s 3, Leipzig 1843; Dt. Neudrucke (Nachwort von Heinz Rupp) Berlin 1965. — A l e x a n d e r : Victor Junk, Alex., I, II, Stuttg. Litt. Ver. 272, 1928 u. 274, 1929. — W i l l e h a l m v o n O r l e n s : Victor Junk, W. v. Orl., Dt. Texte II, 1905. — W e l t c h r o n i k : G. Ehrismann, Rudolfs von E. Weltchr., Dt. Texte X X , 1915. — Grundlegend zur literarischen Lage: Edward Schröder, R. von E. u. sein Literaturkreis, Zeitschr. f. dt. Altert. 67, 1930, S. 209—251. Vgl. ferner: G. Ehrismann, Studien über R. von E. (Beitr. zur Geschichte der Rhetorik u. Ethik im Ma.), Heidelberger Sitzungsber., Philos.-hist. Kl. 1919, Abh. 8. 150 U l r i c h v o n T ü r h e i m . Ausg.: Hans Ferd. Maßmann, Tristan u. Isolt, Dichtungen des dt. Ma's 2, Leipzig 1843. Alfred Hübner, Rennewart, Dt. Texte 39, 1938. 150 D e r S t r i c k e r . Ausg.: D a n i e l v o m b l ü h e n d e n Tal: Gustav Rosenhagen, Germanistische Abhandlungen 9, Breslau 1894. — K a r l d e r G r o ß e : Karl Bartsch, Bibl. der ges. dt. Nat.-Lit. 35, Quedl. 1857; Dt. Neudrucke (Nachwort von Dieter Kartschoke), Berlin 1965. — P f a f f e A m i s : Hans Lambel, Erzählungen u. Schwanke, 2. Aufl., Leipzig 1883. Vgl. Hanns Fischer, Zur Gattungsform des ,Pf A.", Zeitschr. für dt. Altert. 88, 1958, S. 291—299. — Zur Oberlieferung der k l e i n e r e n V e r s d i c h t u n g e n (der „Beispielreden u. Spruchgedichte"): Konrad Zwierzina, Mittelhochdeutsches Übungsbuch von Carl v. Kraus, Germ. Bibl. I, III, Reihe 2,
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2. Aufl. Heidelberg 1926, S. 279—287. — Teilausgaben: Heinz Mettke, Fabeln u. Mären von dem Str., Altdt. Textbibl. 35, Halle 1959. Hanns Fischer, der Str., Fünfzehn kleine Verserzählungen, Altdt. Textbibl. 53, Tübingen 1960. Ute Schwab, Der Str., Tierbispel, Altdt. Textbibl. 54, Tübingen 1960. K u d r u n. Ausg.: Ernst Martin, Germanistische Handbibl. 2, Halle 1876, 21902, mit Erläuterungen; Textausg. 2. Aufl. besorgt durch Edw. Schröder, Halle 1911. B. Symons, Altdt. Textbibl. 5, Halle 1883, 3. Aufl. von Bruno Boesch, Tübingen 1954. Ubersetzung: Kudrun (Gudrun): Karl Simrocks Übers, überarbeitet von Friedr. Neumann, Univ.-Bibl. 465—67 (1958). — Auch das Strophengedicht D u k u s H o r a n t („Herzog Horand"), das in hebräischen Buchstaben durch eine Kairoer Hs. des späteren 14. Jhs. überliefert u. spätestens um
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Anmerkungen 1300 im Mitteldeutschen entstanden ist, spricht gegen eine weite Verbreitung der ,Kudrun'. Ausg.: P. F. Ganz, F. N o r m a n , W . Schwarz (mit Exkurs von S. A. Birnbaum), Altdt. Textbibl. Ergänzungsreihe 2, Tübingen 1964.
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U l r i c h v o n L i c h t e n s t e i n . Ausg.: K a r l Lachmann, Ulr. v . L . (mit Anmerkungen von Th. v. K a r a j a n ) , Berlin 1841; Reinhold Bechstein, Ulrichs v. L. Frauendienst, D t . Dichter des Ma.'s, Leipzig 1888. L u c i d a r i u s . Ausg.: Felix H e i d l a u f , Dt. Texte X X V I I I , 1915. Vgl. Marie-Luise Dittrich, Zur ältesten Überlieferung des dt. Lucidarius, Zeitschr. f ü r dt. Altert. 70, 1940, S. 218—255; Karl Stackmann, Verfasserlex. V, 1955, Sp. 621—629. E i k e v o n R e p g o w . Ausg.: K a r l August Eckhardt, S a c h s e n s p i e g e l , Landrecht, Göttingen 2 1955, Lehnrecht, 2 1956. Clemens Frhr. v. Schwerin, Sachsensp. Landrecht, eingeleitet von H a n s Thieme, Univ.-Bibl. 3355/56. — Zum Forschungsstand über die „Landrechtsbücher" : K a r l v. Amira, Germanisches Recht, 4. Aufl. bearbeitet von K. A. Eckhardt, Bd. I, Berlin 1960, § 24. — S ä c h s i s c h e W e l t c h r o n i k . Ausg.: C a r l Gustav Homeyer, Mon Germ, hist., D t . Chroniken II, 1877. M o r a n t u. G a 1 i e. Ausg.: Erich Kaiisch (nach der „Cölner Hs."), Bonn 1921 = Rhein. Beitr. u. Hülfsbücher 2. L a n c e 1 o t (Prosa!). Ausg.: Reinhold Kluge, D t . Texte X L I I , I. Bd., Berlin 1948. Vorgesehen sind 3 Bde. Zum Forschungsstand: Cola Minis, .Lancelot', Verfasserlex. V, 1955, Sp. 592—598; vgl. f e r n e r : Pentti Tilvis, Prosa-Lancelot-Studien I / I I (Annales Academiae Scientiarum Fennicae), Helsinki 1957, bespr. durch Cola Minis, Anz. f ü r dt. Altert. 70, 1958, S. 155/56. M i n n e s a n g u. S p r u c h l i e d . Zum Forschungsstand: Friedrich N e u m a n n , Reallexikon (Artikel Minnesang) Bd. 2, 2. Aufl. (1960), S. 304—314; Der dt. Minnesang. Aufsätze zu seiner Erforschung, hsg. von H a n s Fromm = Wege der Forschung X V , Wissenschaftl. Buchgesellsch. 1961. — Z u r Strophik vgl. Friedrich Gennrich, G r u n d r i ß einer Formenlehre des mittelalterl. Liedes, Halle 1932. — Zur Melodien-Forschung: Burkhard Kippenberg, Der Rhythmus im Minnesang. Eine Kritik der literar.- u. musikhist. Forschung, Münchener Texte u. Untersuchungen 3, 1962; Karl Heinrich Bertau, Sangverslyrik (am B e i s p i e l d e s L e i c h s ) Palästra 240, 1964 (!). Die angeführte R e i n m a r - S t r o p h e : Des Minnesangs Frühling X X , 150 (19—27). Die angeführte W a l t h e r - S t r o p h e : Karl Lachmann 83, 27 bis 39; Friedr. Maurer, Altdt. Textbibl. 43, N r . 3, S. 46.
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M i n n e s a n g , S a m m e l a u s g a b e n : Friedrich Heinrich von der Hagen, Minnesinger. D t . Liederdichter des 12., 13. u. 14. Jhs. Bd. 1—4, Berlin 1838 (als Ganzes nicht überholt!). — Des Minnesangs Frühling (1. Ausg. durch K. Lachmann u. Moriz H a u p t , Berlin 1857), 31. Aufl. bearbeitet durch C. v. Kraus, Leipzig 1954. — Hennig Brinkmann, Liebeslyrik der dt. Frühe in zeitlicher Folge, Düsseldorf 1952; Ursula Aarburg, Singweisen zur Liebeslyrik der dt. Frühe, Düsseldorf (1956). — C a r l v. Kraus, D t . Liederdichter des 13. Jhs., Bd. I (Text), Tübingen 1952, Bd. I I (Kommentar), besorgt von H u g o Kuhn, 1952 bis 1958; aus Bd. I ausgewählt von H u g o K u h n : Minnesang des 13. Jhs., Tübingen 1953. — K a r l Bartsch, Die Schweizer Minnesänger, Frauenfeld 1886. — A u s w a h l s a m m l u n g e n : K a r l Bartsch, Dt. Liederdichter des 12. bis 14. Jhs., Berlin 1878, 4. Aufl. besorgt von Wolfg. Golther 1906 (leider nicht erneuert). — D t . Minnesang (1150 bis 1300), Auswahl von Friedr. N e u m a n n , Nachdichtung von Karl Erich Meurer, Univ.-Bibl. 7857/58, 1954. — M a x Wehrli, D t . Lyrik des Ma.'s, Auswahl u. Übersetzung, Manesse Verlag (Zürich 1955). — H a n s N a u m a n n u. Günther Weydt, Herbst des Minnesangs, Literarhist. Bibliothek, Berlin 1936. Im folgenden werden Ausgaben einzelner Minnesänger im allgemeinen nur genannt, soweit ihre Lyrik nicht als Ganzes in eine der angeführten Sammlungen aufgenommen ist.
" ' F r i e d r i c h v o n H a u s e n . Obwohl sein Vater zu den Edelfreien gehörte, w a r er Reichsministeriale; Nachweis: H a n s Jürgen Riekenberg, Leben u. Stand des Minnesängers Friedr. v. H., Archiv f ü r Kulturgesch., Bd. X L I I I , 1961, S. 163—176. 170 Zumeist wird der Ritter R e i n m a r (von Hagenau) durch den Beinamen „der Alte" bestimmt, weil er so auf dem Bilde der Manessischen Hs. um 1350 genannt wird, um ihn von späteren gleichnamigen Poeten als den z e i t l i c h ä l t e r e n zu unterscheiden. M a n sollte den irreführenden Ausdruck vermeiden. Den f ü r ihn überlieferten Liederbestand hat C. v. Kraus ohne zureichende G r ü n d e zu stark eingeengt. 1,4
W a 11 h e r v o n d e r V o g e l w e i d e . Ausg.: K a r l Lachmann, Die Gedichte W.'s v. d. V., Berlin 1827 (!), 4 1843, 10. Ausg. besorgt durch C . v . Kraus, 1936. Vgl. d a z u : C. v. Kraus, W. v. d. V., U n t e r suchungen, Berlin 1935. — H e r m a n n Paul, Die Gedichte W.'s v. d. V., Altdt. Textbibl. 1, 1881; 9. Aufl. bearbeitet durch Albert Leitzmann, durchgesehen von H u g o Kuhn, 1959. — Friedrich Maurer, Die Lieder W.'s v. d . V . 1 u. 2, Altdt. Textbibl. 43, 2 1960; 47, 2 1962. Vgl. d a z u : Fr. Maurer, Die politischen Lieder W.'s v. d. V., Tübingen 1954. — Übertragungen: H a n s Böhm, Die Gedichte W.'s v. d. V. (Text mit
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Anmerkungen
Prosaübers.), Berlin 2 1955. — Peter Wapnewski, W. v. d. V., Gedichte (Text u. Übertragung) (Auswahl) = Fischer Bücherei Exempla classica 48, 1962. Neidhart. Ausg.: Moriz H a u p t , N.'s Lieder, Leipzig 1857, 2. Aufl. neu bearbeitet von E d m u n d Wießner, Leipzig 1923; Komment a r u. Wörterbuch, 1954. E d m u n d Wießner, Die Lieder N.'s, Altdt. Textbibl. 44, 1955 (Textausg.). Vgl. S. Singer, Neidhart-Studien, Tübingen 1920.
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Z u r „ s p ä t s t a u f i s c h e n L y r i k " : H u g o Kuhn, Minnesangs Wende, H e r m a e a 1, Tübingen 1952. 183 Zur T a n n h ä u s e r f r a g e : Wolfgang Mohr, Tannhusers Kreuzlied, Dt. Vierteljahrsschr. 34, 1960, S. 338—355. 184 D e r M a r n e r. Ausg.: Philipp Strauch, Quell, u. Forsch. X I V , Straßburg 1876; D t . Neudrucke (Nachwort von H e l m u t Brackert), Berlin 1965. , 8 5 R e i n m a r v o n Z w e t e r . Ausg.: Gustav Roethe, Die Gedichte R.'s v. Zw., Leipzig 1887 (grundlegend). 187 T h o m a s i n. Ausg.: Heinrich Rückert, Der wälsche Gast, Bibl. der ges. dt. Nat.-Lit. 30, Quedlinburg 1852; D t . Neudrucke (Einleitung: Friedr. N e u m a n n ) , Berlin 1965. Vgl. K o n r a d Burdach, Das Nachleben der mittelhochdt. D i d a k t i k 2: Die illustrierten Handschriften des Welschen Gastes (1893) = Vorspiel Bd. 1, Teil 2, Halle/Saale 1925, S. 108—121. 187/88 W i n s b e k e. Ausg.: Albert Leitzmann, König Tirol, Winsbeke u. Winsbekin, A l t d t . Textbibl. 9, 1888, 3. Aufl. = Ingo Reifferstein, Winsbeckische Gedichte nebst Tirol u. Fridebrant, 1962. 188 F r e i d a n k. Ausg.: H . E. Bezzenberger, Fridankes Bescheidenheit, Halle 1872. Neuere Ausg. fehlt. Vgl. dazu Friedr. N e u m a n n , Freidanks H e r k u n f t u. Schaffenszeit, Zeitschr. f ü r dt. Altert. 89, 1959, S. 213—241. VI. Z W I S C H E M H O H E M U N D S P Ä T E M M I T T E L A L T E R (1250—1350) 191
K o n r a d v o n W ü r z b u r g . Ausg.: E d w a r d Schröder, K l e i n e r e D i c h t u n g e n Konrads v. W. (I Der Welt Lohn. Das H e r z maere. Heinrich von Kempten; II Der Schwanritter. Das Turnier von Nantes; I I I Die Klage der Kunst. Leiche, Lieder u. Sprüche), Berlin 1924—1926; neue Aufl. besorgt durch Ludw. Wolff, 1959. — Paul Gereke, D i e L e g e n d e n I II III, Altdt. Textbibl. 17, 1912. — K a r l Bartsch, P a r t o n o p i e r u. M e l i u r u. a. (aus dem Nachlasse von Franz Pfeiffer u. Franz Roth), Wien 1871. — Adelbert von
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Keller, D e r T r o j a n i s c h e K r i e g , Stuttg. Litt. Ver. 44, 1858. — Für die Datierung von Konrads Werken wichtig, E d w a r d Schröder, Studien zur K. v. W. IV.V, Göttinger Nachrichten, Philol.-hist. Kl. 1917, S. 95—129. Vgl. ferner: H a n s Butzmann, Studien zum Sprachstil K.'s v. W., Göttinger Diss. 1930. Vermeiden sollte man, Rudolf von Ems u. K o n r a d von Würzburg als „Epigonen" zusammenzustellen. Sie sind weit voneinander entfernt! „ D e r j ü n g e r e T i t u r e l " . Ausg.: Werner Wolf, Albrechts von Scharfenberg Jüngerer Titurel I, D t . Texte 45, 1955 (mit grundlegender Einleitung); II,, Dt. Texte 55, 1964. Vorläufiger Ersatz f ü r die auf drei Bände berechnete Ausg.: W. Wolf, Albr. v. Sch. Der Jüngere Tit., Altdt. Übungstexte (hsg. von der Akadem. Gesellsch. schweizerischer Germanisten 14), Bern (1952). Zur Forschungslage: W. Wolf, Der J.Tit., „das H a u b t ob teutschen Puechen", Wirkendes W o r t 6. Jg., 1955/56, S. 1—12, jetzt auch: Wirk. Wort, Sammelbd. II, Düsseldorf (1963), S. 209—220. — Zu U l r i c h F u e t r e r s.u. In Horazens „Epistula ad Pisones", die schon im ersten nachchristlichen Jh. „D e a r t e p o é t i c a " genannt wird, lauten die wirkungsreichen Verse: aut prodesse volunt aut delectare poetae/ aut simul et iucunda et idónea dicere vitae („entweder fördern oder unterhalten wollen die Dichter/ oder zugleich Ansprechendes und fürs Leben Geeignetes sagen" 333/34) und omne tulit punctum qui miscuit utile dulcij lectorem delectando pariterque monendo („Jede Stimme hat, wer das Brauchbare mit dem Süßschmeckenden mischt,/ den Leser in gleicher Weise unterhaltend und mahnend" 343/44). D e r P 1 e i e r. Ausg.: Michael Walz, Garel von dem blühenden Tal, Freiburg/Br. 1892 (unzulänglich). Vgl. H e l m u t de Boor, Der Daniel des Strickers u. der Garel des Pleier, Beitr. zur Gesch. der dt. Spr. 79, Tübingen 1957, S. 67—84. B e r t h o l d v o n H o l l e . Ausg.: Karl Bartsch, Bert. v. H., N ü r n berg 1858 (dort der Text des „Crane"). B r u n v o n S c h ö n e b e c k . Ausg. des H o h e n Liedes: Stuttg. Litt. Ver. 198, 1893. ( M e i e r ) H e l m b r e c h t . Ausg.: Friedrich Panzer, Meier H e l m brecht von Wernher dem Gartenaere, Altdt. Textbibl. 11, 1902; 6. Aufl. besorgt von K u r t R u h unter dem Titel: Die Märe vom Helmbrecht von W. dem G., 1960. Zur Forschungslage: Friedr. N e u m a n n , Meier Helmbr., Wirkendes Wort II, 1950/51, S. 196—206 = Wirk. Wort, Sammelbd. II, 1963, S. 240—250. K l e i n e p i k d e s s p ä t e n 13. u. 14. J h s . Vgl. H e l m u t de B o o r , in .Geschichte der dt. Lit.' 3/1, 1962, S. 221—297 (umfassende Darstellung).
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Anmerkungen
E g e n o 1 f v o n S t a u f e n b e r g . Ausg.: Edward Schröder, Zwei altdt. Rittermären, Berlin 1894, 4. Aufl. 1929. — D i e H e i d i n . Ausg. der herangezogenen Fassung: Erich Henschel u. Ulrich Pretzel, Altdt. Quellen 4, Leipzig 1957. — D e r W e i n s c h w e l g . Ausg.: Edw. Schröder, Zwei altdt. Schwanke (Die böse Frau. Der Weinschwelg), Leipzig 1913, 3 1935; Hanns Fischer, Altdt. Textbibl. 53 (Der Stricker) im „Anhang", Tübingen 1960. U l r i c h v o n E t z e n b a c h . Ausg.: Hans-Friedr. Rosenfeld, Ulr. von Etz, Wilhelm von Wenden, Dt. Texte XL, Berlin 1957. In der Einleitung der Nachweis, daß der bis dahin Ulrich von Eschenbach genannte Autor den Namen E t z e n b a c h führen muß. — Wendelin Toischer, Alexander von Ulr. von Eschenbach, Stuttg. Litt. Ver. 183, 1888. H e i n r i c h v o n F r e i b e r g . Ausg.: Reinhold Bechstein, H.'s von Freib. Tristan, Dt. Dichtungen des Ma.'s 5, Leipzig 1877. — J o h a n n v o n W ü r z b u r g . Ausg.: Ernst Regel, J.'s von W. Wilhelm von Oesterreich, Dt. Texte III, 1906. — O t t o k a r von S t e i e r m a r k . Ausg.: Joseph Seemüller, Monum. Germ, hist., Dt. Chroniken V, 1.2, Hannover 1890—93. H e i n r i c h v o n N e u s t a d t . Ausg.: Sam. Singer, Die Werke H.'s von Neust., Dt. Texte VII, Berlin 1906. D i e t r i c h v o n B e r n . Ausgaben der Verswerke, die aus den Sagen um Dietrich von Bern entwickelt werden: Oscar Jänicke, D e u t s c h e s H e l d e n b u c h I, Berlin 1866 (darin: Biterolf u. Dietleib. Laurin); Ernst Martin, II, 1866 (Alpharts Tod. Dietrichs Flucht. Rabenschlacht); Julius Zupitza, V, 1870 (Dietrichs Abenteuer). — Georg Holz, Die Gedichte vom R o s e n g a r t e n zu Worms, Halle 1893 (grundlegend). — Vgl. Helm, de Boor, ,Gesch. der dt. Lit.' 3/1, 1962, Kap. IV; dort reiche Literaturangaben zur „Dietrichdichtung" S. 181—186. — Otto Höfller glaubt sichern zu können, daß der Name H e i n r i c h d e r V o g l e r nicht auf das „Buch von Berne" zu beziehen sei, ja überhaupt nicht einen Poeten meine, sondern auf eine Aussage König Heinrichs I. anspiele („Die Anonymität des Nibelungenliedes", Dt. Vierteljahrsschr. Jg. 1955, S. 192—201 = Wege der Forschung, Darmstadt, Bd. XIV, S. 364—375). W o 1 f d i e t r i c h. Ausg.: Arthur Amelung u. Oscar Jänicke, D e u t s c h e s H e l d e n b u c h III.IV, Berlin 1871, 1873 (Ortnit u. die Wolfdietriche). Hermann Schneider, W o l f d i e t r i c h 1 (der echte Teil des in der Ambraser Hs. Maximilians I. erhaltenen sog. Wolfdietrich A), Altdt. Textbibl. 28, 1931. Man pflegt die Wolfdietrichsage aus einer westfränkischen Sage der Merowingerzeit herzuleiten, obwohl sie in eine mittelalterlich-griechische Ostwelt gesetzt
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ist, die ihren Westen in der Lombordei h a t ; vgl. zu dieser Auffassung: H e r m a n n Schneider, Die Gedichte u. die Sage von Wolfdietrich, M ü n chen 1913. Doch darf man vielleicht schon wegen der Ortnit-Gestalt, die aus dem dt. Nordosten nach Süddeutschland verschlagen ist, in Wolfdierich eine Gestalt vermuten, die sich ursprünglich (anders als in den Geschichten vom „Berner" Dietrich) auf Dietrich (Theoderich) als Ostgoten bezieht, was nicht ausschließt, daß sie zusätzlich mit Merowingisch-Fränkischem vermischt ist. Zu dieser Streitfrage: J a n de Vries: Die Sage von Wolfdietr., Germ.-Rom. Monatsschr. 39, 1958, S. 1—18. D e r H ü r n e n S e y f r i d . Ausg. Wolfg. Golther, Das Lied vom H . S., N e u d r . 81/82, 2 1911; K. C. King, Manchester Univ-Press (1958). P a s s i o n a i . Ausg.: Karl August H a h n , Das alte Passionai (Buch I.2), F r a n k f u r t / M 1857; Friedr. Karl Köpke, Das Passionai (Buch 3), Bibl. der ges. dt. Nat.-Lit. 32, Quedlinb. 1852; Hans-Georg Richter, Marienlegenden aus dem Alten Passionai, Altdt. Textbibl. 64, 1965. — D a s V ä t e r b u c h . Ausg.: Karl Reißenberger, Dt. Texte X X I I , Berlin 1914. D i e E r l ö s u n g . Ausg.: Friedrich Maurer, Die Erlösung. Dt. Lit. in Entwicklungsreihen 11,6, Leipzig 1934; Neudruck: Wissenschaftl. Buchgesellsch. Darmstadt. B r u d e r P h i l i p p . Ausg. Heinrich Rückert, Bibl. der ges. dt. N a t . Lit. 34, 1853. Karl Reißenberger, Beitr. zur Gesch. der dt. Sprache, 41, 1916, S. 184—187; Ludwig Denecke, Verfasserlex. III, 1943, Sp. 880 bis 891). K o n r a d v o n W ü r z b u r g : L y r i k . Ausg. : E d w . Schröder, Kleinerere Dichtungen K.'s v. Würzb., Berlin 1926, neue Ausg. durch Ludw. Wolff, 1959; Edw. Schröder, D i e G o l d e n e S c h m i e d e , des K. v. W., Göttingen 1926. S t e i n m a r. Ausg.: Karl Bartsch, Die Schweizer Minnesänger, X I X , 1886. D e r w i l d e A l e x a n d e r . Ausg. : C. v. Kraus, Dt. Liederdichter des 13. Jhs. ( N r . 1) I, 1952, II, 1958. Vgl. Helm, de Boor, Das Antichristgedicht des Wilden Alex., Beitr. zur Gesch. der dt. Spr. 82, Tübingen 1960, S. 346—351, w o festgelegt wird, d a ß der Fall Akkons vom J. 1291 in die Verse hineinspielt. H a d l a u b . Ausg.: K a r l Bartsch, Die Schweizer Minnesänger X X V I I , 1886. Zum Forschungsstand: H e d w i g Lang, Johannes H a d l a u b , Philologische Studien u. Quellen, Berlin 1959. S t r o p h i s c h e M e i s t e r k u n s t . Zur E i n f ü h r u n g in die „magistrale" Grundsatzlyrik der Spruchlieddichter: Wolfgang Stammler, Die Wurzeln des Meistergesangs, Dt. Vierteljahrsschr. 1. Jg., 1923,
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Anmerkungen
S. 529—556. Auf eine Geschichte des „Meister-Begriffs, der den „Gelehrten" wie den „Künstler" (damit auch den „Kunsthandwerker") meint, kann hier nicht eingegangen werden. Zu Autoren wie R u m s l a n d u. R e g e n b o g e n sind immer noch Friedr. von der Hagens .Minnesinger' vom J. 1838 heranzuziehen Zu U l r i c h v o n S i n g e n b e r g vgl. Karl Bartsch, Die Schweizer Minnesinger I, 1886. F r a u e n 1 o b. Ausg.: Ludw. Ettmüller, Heinrichs von Meißen, des Frauenlobes Leiche, Sprüche, Streitgedichte u. Lieder, Bibl. der ges. dt. Nat.-Lit. 16, 1843 (überholt). Teilausgabe: Ludwig Pfannmüller, Fr.'s Marienieich, Quell, u. Forsch. 120, Straßburg 1913. Vorarbeit f ü r eine neue Ausg.: H e l m u t h Thomas, Untersuchung zur Überlieferung der Spruchdichtungen Fr.'s, Palästra 217, Leipzig 1939. Vgl. ferner Bert Nagel, Neue dt. Biographie, Bd. 5, München 1961. D e r W a r t b u r g k r i e g . Ausg.: K a r l Simrock, Der Wartburgkr., Stuttgart 1858; T o m Albert Rompelman, Der Wartburgkr., kritisch hsg. Amsterdam 1959. Auf die Fragen, die diese im 19. Jh. (!) vereinigten Strophengruppen stellen, kann hier nicht eingegangen werden. Einen Eindruck von ihnen vermittelt H u g o Baumgarten, D e r sog. Wartburgkrieg, Göttinger Diss. 1934. Konrad von Würzburg, Die Klage der Kunst. Ausg.: Edw. Schröder, Die kleineren Dichtungen K.'s v. W. III, 1926; Neudruck durch Ludw. Wolff, 1959. Der Gesamtstil des Werkchens, das keinen „Gönner" nennt u. den Dichternamen nur in der Koseform Cuonze Str. 31,7 andeutet, spricht dagegen, d a ß es schon in die mittlere Schaffenszeit Konrads gehört. H a d a m a r . Ausg.: Joh. Andreas Schmeller, H a d a m a r ' s von Laber Jagd, Stuttg. Litt. Ver. 20, 1850. — Unser notwendig auswählendes Vorgehen zwingt dazu, auf das Heranziehen weiterer „Minneallegorien" zu verzichten. Doch sei hier auf die merkwürdige „Allegorie" hingewiesen, in der das richtige Werben um eine fürstliche „ F r a u " nach vorbereitenden Aufklärungen über das Eigene der Minne im Sturm auf eine „M i n n e b u r g" dargestellt wird, die sich dadurch in das „Haus zu Freudenberg" wandelt. Das mainfränkische Verswerk, geschrieben f ü r eine H o f w e l t , mag noch vor 1350, also etwa gleichzeitig mit H a d a m a r s „Jagd" entstanden sein: von einem Ungenannten „gelehrt" zusammengesetzt, dessen N a m e n schwerlich die nicht erhaltenen Schlußverse enthielten. Ausg.: H a n s Pyritz, Die Minneburg, Dt. Texte 43, 1950. Vgl. H e r m a n n Kreisselmeier, Der Sturm auf die Burg, Meisenheim am Glan, 1957. K o n s t a n z e r M i n n e l e h r e . Durch I r r t u m abgedruckt in: Franz Pfeiffer, Fleinzelin von Konstanz, Leipzig 1852, I, S. 3—98.
Zwischen hohem und spätem Mittelalter
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Zur Form u. zum Gehalt: Käthe Mertens, Die Konst. Minnelehre, Göttinger Diss. 1934. Zur Verfasserfrage: F. E. Sweet u. Ruth Westermann unter J o h a n n v o n K o n s t a n z , Verfasserlex.il, 1936, Sp. 605—607. 233
H u g o v o n T r i m b e r g . Grundlegende Ausg.: Gustav Ehrismann, Der Renner von Hugo v. Trimb. I—IV, Stuttg. Litt. Ver. 247 (1908), 248 u. 252 (1909), 2'56 (1911). Über die Ausgaben der lat. Werke vgl. Helm, de Boor, Gesch. der dt. Lit. 3/1, 1962, S. 404. Vgl. ferner G. Ehrismann, Hugos v. Trimb. Renner und das mittelalterl. Wissenschaftssystem = Aufsätze zur Sprach- u. Literaturgesch. (Festschr. Wilhelm Braune), Dortmund 1920, S. 211—236.
234
U l r i c h B o n e r. Ausg.: Georg Friedr. Benecke, Der Edel Stein von Bonerius, Göttingen 1816; Franz Pfeiffer, Der Edelstein von Ulr. B., Leipzig 1844.
234
M y s t i s c h e P r o s a . Zur Gesamtlit. vgl. Josef Quint, Artikel Mystik, Reallexikon, Bd. 2, 2 1962, S. 544—568. Zur Forschungslage: Kurt Ruh, Altdt. Mystik, Ein Forschungsber., Wirk. Wort 7, 1957, S. 135—146, 212—231. — Es ist nicht die Aufgabe einer dt. Literaturgeschichte, die deutschsprachige Mystik des Ma.'s darzustellen, die immer nur vor dem Hintergrund der mittelalterl.-lat. Mystik betrachtet werden kann. Ich habe daher (wegen ungeklärter Fragen) darauf verzichtet, das für Nonnen geschriebene, vielleicht bayrische S t . T r u d p e r t e r H o h e L i e d heranzuziehen, das im späteren 12. Jh. aus Willirams ,Paraphrase des Hohen Liedes' aufsteigt. Behelfsmäßig wird es nach dem im Münstertal bei Freiburg i. Br. gelegenen Kloster St. Trudpert genannt, in dem einmal die älteste Hs. war. Ausg.: Hermann Menhardt, Das St. Trudperter Hohe Lied, Bonn 1924 = Rhein. Beitr. u. Hülfsbücher 21/22.
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M e c h t h i l d v o n M a g d e b u r g . Ausg. P. Gall Morell, Offenbarungen oder das fließende Licht der Gottheit (nach der Einsiedelener Hs.), Regenburg 1869 (unzulängliche Ausg.); Neudr.: Wissenschaftl. Buchgesellsch. Darmstadt. Zur Forschungslage: Hans Neumann, Problemata Mechtildiana, Zeitschr. für dt. Altert. 82, 1948, S. 143—172. (Neue Ausg. durch H. Neumann in Vorbereitung.)
237
M e i s t e r E c k h a r t . Zur Einführung in das Werk: Josef Quint, Meister Eckhart, Dt. Predigten u. Traktate (mit Ubersetzung), München 1953 (mit reichen Anmerkungen u. Literaturangaben); Hermann Kunisch, Eckhart Tauler Seuse. Ein Textbuch aus der Altdt. Mystik, Rowohlt Klassiker 31, Hamburg 1958. Vgl. dazu: Hermann Kunisch, Meister Eckhart, Offenbarung u. Gehorsam, Mitteilungen des Grabmann-Instituts der Univ. München 7, 1962.
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Neumann, Literatur
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Anmerkungen
J o h. T a u 1 e r. Ausg.: Ferdinand Vetter, Die Predigten Taulers, Dt. Texte XI, Berlin 1910. H e i n r i c h S e u s e. Ausg. Karl Bihlmeyer, H. S., Dt. Schriften, Stuttgart 1907. Vgl. Julius Schwietering, Zur Autorschaft von Seuses Vita = Mystik u. hochhöfische Dichtung im Hochma., Darmstadt 1960, S. 107—122. Zur mystisch beeinflußten E r b a u u n g s l i t e r a t u r des späten Ma.'s: Heinrich Boehmer, Loyola u. die dt. Mystik, Berichte über die Verhandl. der Leipziger Akad. der Wissenschaften, Philol.-hist. Kl. 73, 1921, S. 1—43 (grundlegend). — Der „F r a n c k f o r t e r". Ausg.: Franz Pfeiffer, „Theologia Deutsch" (nach der Hs. von 1497), Stuttgart 2 1855. In „neueres Deutsch gebracht" von Rudolf Alexander Schröder, Gütersloh 1946. Vgl. Edw. Schröder, Die Uberlieferung des „Frankforters", Göttinger Nachr., Philol.-hist. Kl. IV, N. F. Bd. 11,2, 1937, S. 49—65.
VII. SPÄTMITTELALTERLICHE REFORMZEIT (1350—1520) 244
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Zum Begriff „ R e f o r m z e i t " : Trotz Ubersteigerungen behält sein Recht, was K o n r a d B u r d a c h über das späte Mittelalter gesagt hat; vgl. die Abhandlungen: „Sinn u. Ursprung der Worte Renaissance u. Reformation", Berliner Sitzungsber. 1910, S. 594—646, u. „Über den Ursprung des Humanismus", Dt. Rundschau 40. Jg., 1914, Heft 5—7, vereinigt in „Reformation Renaissance Humanismus", Berlin 1918. Burdach erkannte, welche Gefahren es hat, die Begriffe „Renaissance", „Humanismus", „Reformation" ohne Klärung zu gebrauchen. Er empfand übrigens (auf die dt. Lit. bezogen), die Zeit von 1350 bis 1550 (!) als Epoche. Deshalb kam nicht genügend zur Geltung, daß durch den geschichtlichen Umschwung, der um 1520 einsetzt, im Zuge der religiösen Reformation geschichtliche Gärungsvorgänge neuer Art wirksam werden, die am Schluß des 16. Jhs. an treibender Kraft verlieren. J o h a n n v o n N e u m a r k t . Ausg.: Schriften, unter Mitwirkung Konr. Burdachs hsg. von Josef Klapper, Vom Mittelalter zur Reformation (Forschungen zur Gesch. der dt. Bildung), Bd. 6, Teil 1—4, Berlin 1930—39; Briefe, hsg. von Paul Piur, dort Bd. 8, Berlin 1937. — Zur U n i v e r s i t ä t s w e l t des späteren 15. Jhs. vgl. Johannes Haller, Die Anfänge der Universität Tübingen (1477—1537) 2 Teile, Stuttgart 1927, 1929. H e i n r i c h v o n M ü g e l n . Ausg.: Willy Jahr, Der Meide Kranz,
Spätmittelalterliche R e f o r m z e i t
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Leipziger Diss. 1908; K a r l S t a d t m a n n , Die kleineren Dichtungen Heinrichs von Mügeln, 1. A b t . (3 Bde) Dt. Texte L — L I I , 1958. V g l . d a z u K. Stackmann, Der Spruchdichter H e i n r . von M., H e i d e l berg 1958 ( = Probleme der Dichtung 3). K o n r a d v o n M e g e n b e r g . A u s g . : F r a n z Pfeiffer, „Buch der N a t u r " , S t u t t g a r t 1861. J o h a n n e s v o n T e p l . A u s g . : L. L. Hammerich u. Günther J u n g b l u t h , Johannes von Saaz, Der Ackermann aus Böhmen I, Kopenhagen 1951, Textausg. Heidelberg 1951; W i l l y K r o g m a n n , J o h . von Tepl, Der ackerman, Dt. Klassiker des M a . 's N.F.I., Wiesbaden 1954 (mit reichen L i t e r a t u r a n g a b e n , die auch „Obersetzungen" a n f ü h r e n ) . A r t h u r Hübner, Der Ackermann aus Böhmen, Textausgabe, A l t d t . Quellen 1, ' L e i p z i g 1965. V g l . A r t h u r Hübner, Dt. M i t t e l a l t e r u. italienische Renaissance im Ackerm. aus B., Zeitschr. für Deutschkunde 51, 1937, S. 225—239 = Kl. Schriften zur dt. Philologie, Berlin 1940, S. 198—210. H e i n r i c h W i t t e n w i l e r . A u s g . : E d m u n d W i e ß n e r , Heinr. W i t t e n w i l e r s R i n g , Dt. Lit. in Entwicklungsreihen IV, R e a l i s t i k des S p ä t m a . 's 3, Leipzig 1931, K o m m e n t a r 1936; N e u d r . Wissenschaftl. Buchgesellsch. 1963. O s w a l d v o n W o l k e n s t e i n . A u s g . : Josef Schatz ( T e x t ) u. O s w a l d Koller, O s w a l d von W ö l k . Geistliche u. weltliche Lieder, ein- u. mehrstimmig = Publikationen der Gesellsch. zur Herausgabe der D e n k m ä l e r der Tonkunst in Österreich IV, 1, Bd. 18, W i e n 1902, N e u d r u c k : G r a z 1959; K a r l Kurt Klein die Lieder Osw.'s von Wölk., M u s i k a n h a n g von W a l t e r Salmen, A l t d t . Textbibl. 55, Tübingen 1962. V g l . H e r b e r t Löwenstein, W o r t u. Ton bei Osw. von Wölk., Königsberger Dt. Forschungen 11, 1932; K. K. Klein, Der M i n n e sänger" Osw. von W ö l k , in der Politik seiner Zeit, J a h r b . des Südtiroler Kulturinstituts Bozen 1961, S. 215—243.
259
H e r m a n n von Sachsenheim. von Sachsenh., Stuttg. Litt. Ver. 137, S. 46—231). V g l . Dietrich Huschenbett, Beitr. zu Literaturgesch. des 15. Jhs.), Q u e l l e n 12, Berlin (1962).
261
Jacob P ü t e r i c h v o n R e i c h e r t s h a u s e n . A u s g . : Fritz Behrend u. Rudolf W o l k a n , Der Ehrenbrief des Püterich von R . (Faksimile), W e i m a r (Gesellsch. der Bibliophilen) 1920. — Über die Verbreitung m i t t e l h o c h d t . L i t . i m 15. J h . grundlegend: K o n r a d Burdach, Eine Studie über Püterich von R . , die A n fänge des pfälzisch-schwäbischen H u m a n i s m u s u. die lit. A u f g a b e n der Handschriftenkunde, Vorspiel Bd. 1, Teil 2, S. 70—99 (ursprüng-
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A u s g . : Ernst M a r t i n , Herrn, 1878 (darin „Die M ö r i n " , Herrn von Sachsenh. (Ein Philologische Studien und
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Anmerkungen
lieh: Zentralbl. f ü r Bibliothekswesen V, 1888, S. 111—133); darin S. 79 das Urteil über Püterich: „der alte bayrische Bücherräuber". U l r i c h F u e t r e r ( F ü e t r e r ) . Ausg. Friedrich Panzer, Merlin u. Seifried de Ardemont. Von Albrecht von Scharfenberg in der Bearbeitung U l r . Fuetrers, Stuttg. Litt. Ver. 227, 1902; Friederike Weber, Poytislier (aus dem Buch der Abenteuer von Ulrich Fuetrer), Altdt. Textbibl. 52', Tübingen 1960; Renate Münz, Persibein (Aus dem B. der Abenteuer), Altdt. Textbibl. 62, 1964. T e u e r d a n k . Ausg.: Carl Haltaus, Theuerdank (mit einer „historisch-kritischen Einleitung"), Bibl. der ges. dt. Nat.-Lit. 2, Quedlinburg 1836; K a r l Goedeke, Teuerdank. D t . Dichter des 16. Jhs., 10. Bd., Leipzig 1878. Z u r dt. h o c h - u n d s p ä t m i t t e l a l t e r l i c h e n P r o s a im Allgemeinen: Wolfgang Stammler, Mittelalterliche Prosa der dt. Sprache, D t . Philologie im A u f r i ß II, 2. Aufl., Sp. 749—1102 (C. Weltliche Prosa, Sp. 1032—1063, Lit. S. 1101/02). — Gerhard Eis, Mittelalterliche Fachprosa der Artes, ebendort II, 2. Aufl. Sp. 1103 bis 1215. Eine lehrreiche (leider vergriffene) Auswahl: Wolfgang Stammler, Prosa der dt. Gotik (Eine Stilgeschichte in Texten) (unter den K e n n w o r t e n : P r a k t . Theologie; Dogmatik und Scholastik; Naturwissenschaften; Recht, Kanzlei, Gemeinschaft; Geschichtl. A u f zeichnungen; Legende; Novelle u. Roman), Literarhist. Bibl. 7, Berlin 1933. — Im Rahmen unserer Darstellung m u ß die Prosa der m i t t e l a l t . P r e d i g t beiseite bleiben. Daher konnte auch nicht auf B e r t h o l d von Regensburg, den großen W a n d e r prediger des Franziskaner-Ordens, eingegangen werden, der um 1250 auf der H ö h e seines Ansehens steht und 1272 stirbt. Ausg. der f ü r ihn bezeugten 71 dt. Predigten, deren Text aus bearbeiteten Nachsdiriften hervorgeht: Franz Pfeiffer, Berth. von R., I, 1862, Joseph Strobl II, 1880. Vgl. Josef Klapper, Verfasserlex. 1, Sp. 213 bis 23; Hellmut Rosenfeld V (Nachtrag), Sp. 91, der warnt, dem überlieferten Wortlaut zuviel Ursprünglichkeit zuzutrauen. J o h a n n e s H a r t l i e b . Vgl. Siegmund Hirsch, Das Alexanderbuch Joh. Hartl.'s, Palästra 82, Berlin 1909. Herzog Ernst. „Das d e u t s c h e V o l k s b u c h". Karl Bartsch, Herzog Ernst, Wien 1869, S. L X X I I — L X X V I I I u. S. 227 bis 305. Elisabeth von Nassau-Saarbrücken. Huge Schepp e 1, Ausg.: der H a m b u r g e r Hs.: H e r m a n n Urtel, Veröffentlichungen der H a m b u r g e r Stadtbibl. 1, H a m b u r g 1905. Der älteste Druck vom J a h r e 1500 (erschienen in Straßburg bei Grüninger) hat bereits k r ä f t i g gekürzt. Vgl. W o l f g a n g Liepe, Elisabeth von Nassau-Saarbr.,
Spätmittelalterliche R e f o r m z e i t
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Entstehung u. A n f ä n g e des Prosaromans in Deutschland, Halle/Saale 1920 (unabhängig vom Unzulänglichen, das sich im Untertitel ausdrückt, immer noch grundlegend). Pontus u. S i d o n i a . Eleonore von Schottland: Ihre Ü b e r t r a g u n g ist nur in einer (in der Landesbibl. von Gotha) liegenden H s . vom J . 1465 e r h a l t e n ; der Drucker vom J . 1483 w a r H a n s Schönsperger (Augsburg). Ausg. der m i t t e l r h e i n i s c h e n Übertragung: K a r i n Schneider, Pontus u. Sidonia in der Verdeutschung eines Ungenannten aus dem 15. Jh., Texte des späten M a . ' s H e f t 14, Berlin (1961). T h ü r i n g v o n R i n g o l t i n g e n . M e l u s i n e . Ausg.: Karin Schneider, Th. von R i n g , Melusine, T e x t e des späten M a . ' s 9, Berlin 1958 (dazu H a n s Gert Roloff, Euphorion 55, 1961, S. 338—340). Vgl. K a r l Schorbach, Die Historie von der schönen Melusine, Zeitschr. für Bücherfreunde I, 1897/98, S. 140—42. Druckerprosa g e g e n u. u m 1 5 0 0. Vgl. das Stichwort „ V o l k s b ü c h e r " in der A n m . zu S. 336. — T r i s t r a n t u. I s a 1 d e. Ausg. Friedrich P f a f f , Tristrant u. Isalde, Prosaroman des 15. Jhs., Stuttg. Litt. Ver. 152, 1881. — F o r t u n a t u s . Ausg.: H a n s Günther, Fortunatus (nach dem Druck von 1509), Neudrucke 240/241, Halle/S. 1915. Vgl. H . Günther, Zur Herkunft des Volksbuches ,Fort', Freiburger Diss. 1914; W a l t e r J o h . Schröder, A r t i k e l ,Fortunatus', Verfasserlex. V, 1955, Sp. 224—227. H a n s v o n B ü h e l ( D e r B ü h e l e r ) . A u s g . : Adelbert Keller, Diocletianus Leben von H a n s von B., Bibl. der ges. dt. N a t . - L i t . 22, 1841. Zu den „ S i e b e n w e i s e n Meistern" (Septem sapientes) vgl. Josef K l a p p e r , Verfasserlex. III, 1938, Sp. 338—344; dort über H a n s von B. Sp. 343. — G e s t a Romanorum. A u s g . : Adelbert von Keller, Gesta Rom., das ist der Roemer tat, Bd. 1 (nach einer Münchener Hs. des 14. Jhs.), Bibl. der ges. dt. N a t . Lit. 23, Quedlinburg 1841 (unzulänglich). H e r m a n n Oesterley, Gesta Rom. (lat. Fassung), Berlin 1872. Forschungsstand: W i l h e l m Brauns, Verfasserlex. V, 1955, Sp. 257—262. D y l U l e n s p i e g e l . A u s g . : H e r m a n n Knust, Till Eulenspiegel, Abdruck der ( S t r a ß b u r g e r ) Ausg. v o m J . 1515, Neudrucke 55/56, H a l l e 1884; E d w . Schröder, Faksimileausg., Insel Leipzig 1911; W i l l y K r o g m a n n , Ulenspegel (mit Versuch, den niederdt. Text zurückzugewinnen), N i e d e r d t . Drucke X I , Neumünster 1951. Vgl. W i l l y Krogmann, ,Uhlenspegel*, Verfasserlex. 1952, Sp. 555—570. Kunstprosa i n d t . S p r a c h e . Zum A l l g e m e i n e n : W o l f g . Stammler, Zur Sprachgeschichte des X V . u. X V I . Jhs., Vom W e r d e n des dt. Geistes (Festgabe G. Ehrismann), Berlin 1925, S. 171—189
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Anmerkungen
( = W o l f g . St., Kleine Schriften zur Sprachgesch., Berlin 1954, S. 19 bis 35). N i c 1 a s v o n W y l e . Ausg.: A d e l b e r t v. Keller, T r a n s l a t i o n e n v o n Niel, v o n W., Stuttg. Lit. Ver. 57, 1866. S t e i n h ö w e l . Ausg.: C a r l Schröder, ,Griseldis' u. ,Apollonius', Leipzig 1873; H e r m a n n Oesterley, Steinhöwels Äsop, Stuttg. Lit. Ver. 117, 1873. A l b r e c h t v o n E y b . Ausg. M a x H e r m a n n , A l b r . v o n Eyb, D t . Schriften 1.2 = Schriften z u r germ. Philologie 4.5., Berlin 1891. Vgl. f e r n e r M a x H e r m a n n , A l b r . v o n E y b u. die F r ü h z e i t des dt. H u m a nismus, Berlin 1893. C o n r a d C e 11 i s. Ausg. Felicitas P i n d t e r , Q u a t t u o r Iibri a m o r u m , Leipzig 1934; Libri o d a r u m q u a t t u o r , Leipzig 1937; Ludi scaenici (Ludus D i a n a e . R h a p s o d i a ) , Budapest 1945. Vgl. Friedrich Bezold, K o n r a d Celtis, „der dt. E r z h u m a n i s t " , Aus M a . u. Renaissance, München 1918, S. 82—152 (zuerst H i s t . Zeitschr. 49, 1883) (grundlegend). Z u J a c o b W i m p f e l i n g , der als Gesamterscheinung in d e m hier behandelten Sinne nicht in die Lit.-Gesch. hineingehört, vgl. W o l f g a n g Stammlers reiche L i t . - A n g a b e n : ,Von der Mystik z u m Barock', 2, 1950, A n m . 106/07. Z u seiner lat. L y r i k : G. Ellinger, Gesch. d e r neulat. Lit. I, 1929, S. 379—82. Ü b e r J a c o b L o c h e r als poeta: G. Ellinger, a. a. O. I, 1929, S.427—434. Ü b e r sein T ü r k e n d r a m a : W . S t a m m l e r , a. a. O . 2 1950, S. 177/78 m i t A n m . Heinrich B e b e l . Ausg. G u s t a v Bebermeyer, H e i n r . Bebels Facetien, Stuttg. Lit. Ver. 276, 1931. Vgl. G. Bebermeyer, T ü b i n g e r Dichterhumanisten, Tübingen 1927; J o h . H a l l e r , Die A n f ä n g e der U n i v . Tübingen, S t u t t g a r t 1927, S. 212—238, 2. Teil 1929, S. 76 bis 88 (grundlegend). H u g o V. v o n M o n t f o r t . Ausg.: J. E. Wackernell, H u g o v o n M., Ältere Tirolische Dichter 3, Innsbruck 1881 (dadurch die Ausg. v o n K a r l Bartsch, Stuttg., Lit. Ver. 143, 1879 veraltet). P a u l R u n g e , D i e Lieder des H u g o v o n M. mit den Melodien des B u r k M a n g o l t , Leipzig 1906. M u s k a t b 1 ü t. Ausg.: E. v. G r o t e , Lieder Muskatbluts, K ö l n , 1852. Z u H e i n r i c h L a u f e n b e r g vgl. L u d w i g Denecke, Verfasserlex. I I I , 1937, Sp. 27—35. H a n s F o 1 z. Ausg.: August L. M a y e r , die Meisterlieder des H . F., D t . T e x t e X I I , 1908. H a n n s Fischer, H . F., Die Reimpaarsprüche, Münchener T e x t e 1, 1961.
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Zum M e i s t e r g e s a n g im „engeren Sinne" (zugleich f ü r das 16. Jh.): Bert Nagel, Meistersang, Sammlung Metzler, Abt. Lit.Gesch., 1962; Bert Nagel, D e r dt. Meistersang. Poetische Technik, musikalische Form u. Sprachgestaltung der Meistersinger, Heidelberg 1952. Zusammenfassend: Richard Kienast, Die weltliche Lyrik des Ma.'s, Dt. Philol. im A u f r i ß , 2 Bd. II, S. 112—120. D e r T e i c h n e r. Ausg.: Heinrich Niewöhner, Die Gedichte H e i n richs des Teichners I — I I I , Dt. Texte X L I V , X L V I , X L V I I I , Berlin 1953 (dazu H a n s N e u m a n n , Anz. f ü r dt. Altert. 70, 1957/58 S. 156 bis 169). Peter Suchenwirt. Ausg.: Alois Primisser, Peter S.'s Werke aus dem 14. Jh., Wien 1827. Vgl. Josef Seemüller, Chronologie der Gedichte S.'s, Zeitschr. f ü r dt. Altert. 41, 1897, S. 193—233. Vgl. Hans-Friedr. Rosenfeld, Verfasserlex. IV, 1951, Sp. 310—315. Johannes Rothe, „Der Ritterspiegel", Ausg.: H a n s N e u mann, Altdt. Textbibl. 38, 1936; vgl. ferner H . N e u m a n n , VerfasserLex. V, 1955, Sp. 995—1C06. Sebastian Brant. Ausg.: Friedrich Zarncke, Seb. Brants Narrenschiff, Leipzig 1854 (mit grundlegender Einleitung!); N e u d r . Wissenschaftl. Buchgesellsch. Darmstadt. M a n f r e d Lemmer, Seb. Br., D a s Narrenschiff, Altdt. Textbibl. 5, Tübingen 1962; übertragen v. H . A. Junghans, neu hrsg. v. Hans-Joachim Mähl, Reclam, Univ.Bibl. 899—900/00 a—d, Stuttgart 1964. T h o m a s M u r n e r . Ausg.: T h . Murners Dt. Schriften, hsg. von Franz Schultz, Kritische Gesamtausg. elsässischer Schriftsteller I — I X , Berlin 1918—1931; darin: M . S p a n i e r , T h . M.'s Narrenbeschwörung 2, 1926 (auch N e u d r . 119—124, H a l l e 1894); ders., T h . M.'s Schelmenzunft 3, 1925 (auch N e u d r . 85, 1890); Paul Merker, Von dem großen Lutherischen N a r r e n 9, 1918. R e i n k e (R e y n k e) d e V o s. Ausg.: Albert Leitzmann, Reinke de V., Altdt. Textbibl. 8, H a l l e 1925 (mit Einleitung von Karl Voretzsch, der die Vorgesdiichte behandelt). Über Drucke, Ubertragungen und Bearbeitungen unterrichtet die ältere Ausgabe von Friedr. Prien, Altdt. Textbibl. 8, 1887. Schrifttum: Wolfg. Stammler, Mittelniederdt. Lesebuch, H a m b u r g 1921, N r . 26. Vgl. außerdem Gerhard Cordes, Alt- u. mittelniederdt. Lit., D t . Philol. im A u f r i ß 2 Bd. II, S. 2508—2511. D a s m i t t e l a l t e r l i c h e S p i e l . Aus der reichen Lit. Stellen, an denen man sich über das Geschichtlich-Allgemeine und Geschichtlich-Besondere sowie über den Forschungsstand unterrichten k a n n : E d u a r d Hartl-Friederike Weber, Das D r a m a des Ma.'s, Dt. Philol. im A u f r i ß , 2 Bd. II, Sp. 1949—1955; Wolfg. Stammler, ,Von der
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300
Anmerkungen
Mystik zum Barock, 2 1950 unter „mittelalterliches D r a m a " S. 290 bis 301. Uber die geistlichen Spiele im Besonderen (mit Lit.): Hennig Brinkmann, Das religiöse D r a m a im Ma., Arten u. Stufen, Wirkendes W o r t 9, 1959, S. 257—274 ( = Sammelbd. II, 1962, S. 270—286). Eckehard Catholy, Das Fastnachtsspiel des Spätmittelalters, Tübingen 1966. Zum Aufführungsstil: H e i n z Kindermann, Theatergesch. Europas I (Das Theater der Antike u. des Ma.'s), Salzburg 1957. Wichtige T e x t e : R. Froning, Das D r a m a des Ma.'s Teil 1—3, Kürschners D t . Nat.-Lit. 14, I — I I I , Leipzig (o. J.). — E d u a r d H a r t l , D t . Literatur in Entwicklungsreihen I, Leipzig 1937 (Neudr.: Wissenschaftl. Buchgesellsch. D a r m s t a d t ) : Bd. 1 Osterfeiern, Bd. 2 Osterspiele, Bd. 4 Passionsspiele. — Adelbert v. Keller, Fastnachtspiele aus dem 15. Jh., Stuttg. Lit. Ver. 28 (1853), 29/30 (1853), 46 (1958). — K. Gusinde, N e i d h a r t mit dem Veilchen, Germanistische Abhandlungen 27, Breslau 1899. Vgl. auch Sam. Singer, Neidhartstudien, Tübingen 1920, S.47—49. Zu H a n s R o s e n p l ü t vgl. Heinrich Niewöhner, Verfasserlex.
III, 1943, Sp. 1092—1110. V I I I . IM Z E I T A L T E R D E R R E F O R M A T I O N 303
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Die „ F ü n f z e h n B u n d e s g e n o s s e n " . Ausg.: Ludwig Enders, J o h a n n Eberlin von Günzburg, Ausgewählte Schriften I = Flugschriften aus der Reformationszeit X I , N e u d r . 139—141, Halle 1896. Die übrigen Schriften Eberlins (hsg. von L. Enders) dort Neudr. 170 bis 172, 1900, u. 183—188, 1902. E r a s m u s v o n R o t t e r d a m . Grundlegend: J. Huizinga, Erasmus, H a a r l e m 1924 (mit Bibliographie), Obersetzung durch Werner Kaegi (bibliophile Ausg.), Basel 1928, 2 1936. — Zum Verhältnis Erasmus-Luther: R .H. Murray, Erasmus and Luther: their Attitüde to Toleration, London 1920. Vgl. auch die Ausg.: Erasmus Rotterdamus, Desiderius: De libero arbitrio — Luther, M a r t i n : De servo arbitrio, Wissenschaftl. Buchgesellsch. D a r m s t a d t 1963. Zum E r f u r t e r H u m a n i s t e n k r e i s vgl. Georg Ellinger, Geschichte der neulat. Lit. Deutschlands II, Berlin 1929, S. 3—57; G. Ellinger-Brigitta Ristow, Neulat. Dichtung, Dtschlds. im 16. Jh. (mit Ausschluß des Dramas), Reallexikon 2 1963, S. 620 bis 644. Vgl. auch jetzt schon: G. Ellinger, Dt. Lyriker des 16. Jhs. (Auswahl). Lat. Literaturdenkmäler des 15. u. 16. Jhs. (hsg. von M. H e r m a n n u. S. Szamatölski) 7, Berlin 1893; ferner: Karl Krause, Euricius Cordus (Epigrammata), Lat. Literaturdenkm. 5, 1892.
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3 1 0
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U l r i c h v o n H u t t e n . Ausg.: E d u a r d Boecking, Ulrichi H u t t e n i Opera, Leipzig 1859—1870; S. Szamatölski, Ulr. v. H u t t e n s Dt. Schriften, Quell, u. Forsch. 67, Straßburg 1891. Es fehlt eine ausgewogenene Darstellung von H u t t e n s Wirken. Vgl. H a j o Holborn, Ulr. v. H., Leipzig 1929.
E p i s t o l a e o b s c u r o r u m v i r o r u m . Ausg.: E. Boeckings Ausg. von Huttens Werken, Suppl. 1 u. 2, Leipzig 1870. Zur Verfasserfrage, die nicht endgültig beantwortet werden kann, weil dies dem C h a r a k t e r des verschleierten Werkes widerspräche: Walther Brecht, Die Verfasser der Ep. obs. vir., Quell, u. Forsch. 93, Straßburg 1904. 311 Martin Luther. Die Deutsche B i b e l (Ausg. letzter H a n d 1545/46), Ausg.: Kritische Gesamtausgabe von D r . Martin Luthers Werken, Bd. 1—9, Weimar 1906—1955. Vom übrigen Schrifttum L.'s vermittelt einen zureichenden Eindruck: O t t o Clemen, L.'s Werke in Auswahl, Bd. 1—4, Bonn 1912/13, letzte Ausg. Berlin 1950, wo in Bd. I V der „Sendbrief vom Dolmetschen" (1530) abgedruckt ist. Zu einer ersten „Einführung" in L.'s hochsprachliches („schriftsprachliches") Deutsch: H a n s Volz, Mart. Lu., Ausgewählte Dt. Schriften, N e u d r . dt. Literaturwerke, Tübingen 1955 (Auszüge aus Schriften von 1516 bis 1545); L u d w . Erich Schmitt, M a r t . Lu., Von der Freiheit eines Christenmenschen, N e u d r . 18, Tübingen 3 1954. — Zu Luthers Bibelsprache: Karl Holl, Luthers Bedeutung f ü r den Fortschritt der Auslegungskunst (1920) = Ges. Aufsätze zur Kirchengesch. I, Luther, Tübingen 1927, N r . 9; Werner Kohlschmidt, Luther u. unsere dt. Sprache, Zeitschr. f ü r Deutschkunde 40. Jg., 1935, S. 165—177. Vgl. auch H a n s Preuß, Martin Luther als Künstler, Gütersloh 1931. — Vgl. ferner: D t . Lit. in Entwicklungsreihen I X , Reformation Bd. 1—7, 1930—1942, hsg. von Arnold Erich Berger; N e u d r . Wissensch. Buchgesellschaft D a r m s t a d t . 316 /i7 P a r a c e l s u s . Zu den Ausg. vgl. Wolfg. Stammler, Von der Mystik zum Barock, 2 1950, Anm. zu S. 109. Paracelsus, Vom Licht der N a t u r u. des Geistes, mit K a r l H e i n z Weimann hsg. von K u r t Goldammer, Reclam, Stuttgart, Univ.-Bibl. 8448/49. — S e b a s t i a n F r a n c k. Zur E i n f ü h r u n g : Will-Erich Peuckert, Seb. Franck, München (1943). 318 Zum n e u l a t e i n i s c h e n D r a m a vgl.: Reallexikon, II, 2 1965 S. 645—672 (Hans-Gert Roloff). 319 W i m p h e 1 i n g. Ausg.: H u g o Holstein, Jacobus Wimphelingius. Stylpho, Lat. Literaturdenkmäler des 15. u. 16. Jhs. 6, Berlin 1892. 320 N i c 1 a u s M a n u e l . Ausg.: Jacob Bächtold, Nikiaus Manuel, Frauenfeld 1878 ( = Bibl. älterer Schriftwerke der dt. Schweiz 2).
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Anmerkungen
— B u r k a r d W a 1 d i s. Gustav Milchsack, Der verlorene Sohn, ein Fastnachtsspiel von Burk. W., N e u d r . 30, Halle 1881. H a n s S a c h s . Vollständige Ausg. seiner W e r k e : Adelbert von Keller u. E. Götze, Stuttg. Litt. Ver. 102 ff. = 26 Bde, 1870—1909 (darin Bd. 1—21 aus der von ihm selbst veranstalteten Folio-Ausg.). S. auch T h e o Schumacher, H . Sachs, Fastnachtspiele (Auswahl), Altdt. Textbibl. Ergänzungsreihe 6, Tübingen 1957. G u i l e l m u s G n a p h a e u s . Ausg.: Joh. Boke, G. Gn., Acolastus, Lat. Literaturdenkmäler 1, Berlin 1891. — X y s t u s B e t u l j u s (Sixt Birk). Ausg.: Joh. Bolte, Susanna (lat.), Lat. Literaturdenkm. 8, Berlin 1894. P a u l R e b h u h n . Ausg.: H e r m a n n Palm, P. R.'s Dramen, Stuttg. Litt. Ver. 49, 1859. T h o m a s N a o g e o r g (Kirdimair). Ausg. Joh. Bolte u. Erich Schmidt, Pammachius, Lat. Lit. Denkm. des 15. u. 16. Jhs. 3, Berlin 1891; Joh. Bolte, Mercator, Stuttg. Litt. Ver. 269/70, 1927, S. 161 bis 319. Vgl. A r t h u r H ü b n e r , Studien zu Naogeorg, Zeitschr. f ü r dt. Altert. 54, 1913, S. 297—338. — Zur Ergänzung vgl. man: Vom Sterben des reichen Mannes (Die Dramen von Everyman, Homulus, Hecastus u. dem K a u f f m a n n ) , übers, u. hsg. von H e l m u t Wienken, Sammlung Dieterich 298, Bremen 1965. N i c o d e m u s F r i s c h l i n , D a v i d Friedr. Strauß, Dt. Dichtungen von Nik. Fr., Stuttg. Litt. Ver. 41, 1857; W a l t h e r Janeil, Frischlinus, Nie.: Julius Redivivus, Lat. Literaturdenkmäler 19, Berlin 1912. Vgl. David Friedr. Strauß, Leben u. Schriften des Dichters u. Philologen Nie. Frischlin, F r a n k f u r t / M a i n 1856; G. Bebermeyer, Tübinger Dichterhumanisten, Tübingen 1927. E n g l i s c h e K o m ö d i a n t e n . Wilhelm Creizenach, Die Schauspiele der englischen Komödianten. Kürschners National-Litt. 23, Berlin (o. J.). Allgemein zum D r a m a d e s s p ä t e r e n 16. J h s . : Richard N e w a l d , Gesch. der dt. Lit. (von Helm, de Boor u. Rieh. Newald) 5, 1961, I I I . Kap. („Neue Kräfte im D r a m a " ) . H e r z o g H e i n r i c h J u l i u s . Ausg.: Wilhelm Ludw. Holland, Die Schauspiele des Herzogs Heinrich Julius v. Braunschweig, Stuttg. Litt. Ver. 36, 1855. J a c o b A y r e r. Ausg.: Adelbert von Keller, Ayrers Dramen, 5 Bde., Stuttg. Litt. Ver. 76—80, 1865. Vgl. Gottfried Höf er, Die Bildung J. Ayrers, Von dt. Poeterey 6, Leipzig 1929; Richard N e w a l d , Gesch. der dt. Lit. 5, 1961, S. 59—62. D i e s c h ö n e M a g e i o n e. Ausg.: Joh. Bolte, V e i t W a r b e c k , Die schöne Mag., Weimar 1894. J ö r g W i c k r a m . Ausg.: Joh. Bolte u. Willy Scheel, G. W.'s
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Werke, 8 Bde (!), Stuttg. Litt. Ver. 222/23, 229/30, 232, 236/37, 241, 1901—1906 (in Bd. I : Galmy , in Bd. I I : Knabenspiegel, Von guten u. bösen Nachbarn, Goldfaden, in Bd. V I I : Ovids Metamorphosen). Vgl. Clemens Lugowski, Die Form der Individualität im Roman ( = Neue Forschung 14), Berlin 1932, S. 56—157. T i e r f a b e l . Ausg.: Ernst Thiele, L u t h e r s Fabeln, N e u d r . 76, 1911; Wilhelm Braune, Die Fabeln des E r a s m u s A l b e r u s , N e u d r . 104—107, 1892; B u r k h a r d W a l d i s , Esopus, G a n t z N e w gemacht, in Reimen gefaßt, F r a n k f u r t / M a i n 1548. J o h a n n e s P a u l i . Ausg.: H e r m a n n Oesterley, Schimpf u. Ernst von Joh. Pauli, Stuttg. Litt. Ver. 85, 1866. — Rollwagenb ü c h 1 e i n. S. o. S. 246 unter Wickrams Werken Bd. I I I (Stuttg. Litt. Ver. 229, 1903). Zu stark beachtet. — H a n s W i l h e l m K i r c h h o f f . Ausg.: H e r m a n n Oesterley, H . W . Kirchh., W e n d unmuth, 5 Bde., Stuttg. Litt. Ver. 95—99, 1869. V o l k s b ü c h e r . Grundlegend: Paul H e i t z u. Fr. Ritter, Versuch einer Zusammenstellung der Deutschen Volksbücher des 15. u. 16. Jhs. nebst deren späteren Ausg. u. Literatur, Straßburg 1924. — Vgl. auch: D t . Lit. in Entwicklungsreihen X I I , Volks- u. Schwankbücher, Bd. 1 Volksbücher vom sterbenden Rittertum hsg. von H e i n z Kindermann, Leipzig 1928 (darin: H u g Schapler, Pontus u. Sidonia, Die Haimonskinder); Bd. 2 Volksbücher von Weltweite und Abenteuerlust, hsg. von Franz Poleiszek, 1936 (darin: Aus Hartliebs Alexanderbuch, Lucidarius, Wilhelm von Österreich); Bd. 7 Anfänge des bürgerlichen Prosaromans in Deutschland, hsg. von Fr. Podleiszek, 1933 (darin: Fortunatus, Widkrams Knabenspiegel u. Von guten u. bösen Nachbarn). (Neudr. Wissensch. Buchgesell. Darmstadt.) F a u s t b u c h. Robert Petsch, Das Volksbuch vom Doctor Faust, N e u d r . 7/8, 2 1911. Vgl. Lit. bei W o l f g . Stammler, Von der Mystik zum Barock, 2 1950, S. 464—466. J o h a n n F i s c h a r t. Ausg.: Heinrich Kurz, Joh. F.'s sämtliche Dichtungen, 3 Bde, Leipzig 1866/67; Adolf H a u f f e n , Joh. F.'s Werke, 3 Bde, Kürschners D t . Nat.-Litt. 18 (o. J. = 1895). — A. Alsleben, Joh. F.'s Geschichtsklitterung (Gargantua) (Abdruck der Bearbeitungen von 1575, 1582 u. 1590), N e u d r . 65—71, 1891; Ute Nyssen, Joh. F. Geschichtsklitterung, nach der Ausg. von 1590 (mit Nachwort von H u g o Sommerhaider), Holzschnitte aus dem ,Songes drolatiques de PantagrueF vom J. 1565, Wissenschaftl. Buchgesellsch. Darmstadt 1963. — Vgl. Adolf H a u f f e n , Joh. F., Ein Literaturbild aus der Zeit der Gegenreformation, 2 Bde, Leipzig 1921/22 (grundlegend); H u g o Sommerhaider, Joh. F.'s Werk. Eine Einführung, Quell, u. Forsch. N . F. 4, Berlin 1960 (mit umfassendem Literaturverzeichnis).
396
Anmerkungen
341
C a s p a r S c h e i d t . Ausg.: Gustav Milchsack, Friedrich Dedekinds G r o b i a n u s verdeutscht von Kasp. Sch. (Ausg. 1551), N e u d r . 34/35, 1882. Ferner: Aloys Börner, F r i d . D e d e k i n d u s , Grobianus, Lat. Literaturdenkm. 16, Berlin 1963. Vgl. Adolf H a u f f e n , Kasp. Scheidt, Der Lehrer Fischarts, Quell, u. Forsch. 66, Straßburg 1889.
342
Georg Rollenhagen. Froschmeuseler. Ausg.: K a r l Goedeke, G. Rollenh. Froschm., 2 Teile, D t . Dichter des 16. Jhs., Leipzig 1876. Vgl. zu Rollenh. im allgemeinen: Richard N e w a l d , Gesch. der dt. Lit. 5, 1951, K a p . II, 2.
343
W o l f h a r t S p a n g e n b e r g . Ausg.: Ernst Martin, Ausgewählte Dichtungen von W. Sp., Elsässische Litteraturdenkmäler aus dem 14.—17. Jh. IV, Straßburg 1887.
347
P e t r u s L o t i c h i u s S e c u n d u s . Georg Ellinger, Dt. Lyriker des 16. Jhs., Lat. Literaturdenkm. 7, Berlin 1893; G. Ellinger Brigitta Ristow, Neulat. Dichtung im 16. Jh., Reallexikon 2 1965, Sp. 620—-645, über Lotichius § 11. (Ellinger arbeitet mit unglücklichen Maßstäben. E r beurteilt Poeten danach, ob sie Wirklichkeit oder individuelles G e f ü h l wiederzugeben scheinen.) Vgl. auch G. Ellinger, Italien u. der dt. Humanismus in der neulat. Lyrik, Berlin 1929.
347
Nochmals M e i s t e r g e s a n g . Vgl. wiederum Bert Nagel, Meistersang, Sammlung Metzler, 1962! Auch Lit. oben zu H a n s Sachs S. 321. Sonderausgaben: E d m u n d Goetze u. C a r l Drescher, H a n s Sachs, Sämtliche Fabeln u. Schwänke (in den Meistergesängen), N e u d r . 110—117, 126—134, 164—169, 193—199, 207—211, 231—235, H a l l e 1893 ff.; Karl Drescher, Das Gemerkbüchlein des H a n s Sachs (1555 bis 1561), N e u d r . 149—152, 1898. Vgl. ferner: Eugen Geiger, D e r Meistergesang des H a n s Sachs, Bern 1956 (Bespr. Bert Nagel, Beitr. zur Gesch. der dt. Spr. 79, Tübingen 1957, S. 425—435).
349
A d a m P u s c h m a n (n). Ausg.: R. Jonas, Gründlicher Bericht des dt. Meistergesangs, N e u d r . 73, 1888 (dazu: Wolfg. Stammler, Von der Mystik zum Barock, 2 1950, S. 596 zu S. 239).
349
„ V o l k s l i e d " (S i n g 1 i e d). D a die „Volkslied"-Frage im Zuge unserer Darstellung am Rande liegt, muß zur Lit. auf das Reallexikon u. auf die Literaturnachweise der Literaturgeschichten verwiesen werden. Auswahl von Ausgaben: Arthur Kopp, Volks- u. Gesellschaftslieder des 15. u. 16. Jhs. (Heidelberger Hs. 343), Dt. Texte 5, Berlin 1905; Rochus Frhr. v. Liliencron, Dt. Leben im Volkslied um 1530, Kürschners Dt. Nat.-Litt. (1884); John Meier, Bergreihen. Ein Liederbuch des 16. Jhs. (1531—37), N e u d r . 99/100, 1892. Die Samm-
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lung ,Dt. Lit. in Entwicklungsreihen' X (Das dt. Volkslied) e n t h ä l t im Erschienenen n u r die von J o h n Meier hsg. ,Balladen', Leipzig 1935/36 ( N e u d r . Wissensch. Buchgesellsch. D a r m s t a d t ) . Zu den musikalischen Fragen vgl. W e r n e r Danckert, D a s europäische Volkslied, Berlin (1939). K i r c h e n l i e d . Noch nicht ersetzt: P h i l i p p Wackernagel, D a s dt. Kirchenlied v o n der ältesten Zeit bis zu A n f a n g des 17. Jhs., 5 Bde. Leipzig 1864—1877. Vgl. Reallexikon, Bd. 2 (1926/28) u n t e r Kirchenlied I (bearbeitet v o n J. G ö t z e n , S. 72—82) u. I I (bearbeitet v o n R. W o l k a n , S. 82—91), Bd. 1 ( 2 1958) (bearbeitet v o n W a l d t r . Ingeborg G e p p e r t , S. 819—852); Rieh. N e w a l d , Gesch. der dt. Lit. 5, 1951, S. 71—76.
853
P a u l S c h e d e ( P a u l u s M e l i s s u s ) . Ausg.: M a x H e r m a n n Jellinek, Die P s a l m e n ü b e r s e t z u n g des P a u l Schede Melissus (1572), N e u d r . 144—148, 1896 (grundlegend). Z u A m b r o s i u s Lobw a s s e r vgl. Erich T r u n z , Studien z u r Gesch. der dt. gelehrten Dichtung des 16. u. beginnenden 17. Jhs. I, A. Lobwasser, Berliner Diss. 1932'. — Z u r H e i d e l b e r g e r Dichter-Gruppe vgl. die Ausg.: Wilhelm Braune, Auserlesene Gedichte dt. Poeten, gesammelt v o n Julius Zinkgref (1624), N e u d r . 15, 1879.
3j4
T h e o b a l d H ö c l t ( H o c k ) . Ausg.: M a x Koch, Schönes Blumenfeld (Ausg. v o n 1601), N e u d r . 157—159, 1899 (unzulänglich; vgl. A l b e r t Köster, A n z . f ü r dt. Altert. 26, 1901, S. 286—319). G e o r g R u d o l f W e c k h e r l i n . Ausg.: H e r m a n n Fischer, Ge. R u d . We., Gedichte, Stuttg. Lit. Ver. 199, 200, 245, 1894—1907.
355
356
270
Z u J a c o b R e g n a r t vgl. G ü n t h e r Müller, Geschichte des dt. Liedes (vom Zeitalter des Barock bis z u r G e g e n w a r t ) = Geschichte der dt. L i t e r a t u r nach G a t t u n g e n 3, München 1925 ( N e u d r u c k : D a r m stadt Wissenschaftt. Buchgesellschaft), I . K a p . ; W a l t e r Bauer, J a c o b R e g n a r t , J o h a n n H e r m a n n Schein u n d die A n f ä n g e der dt. Barocklyrik, D t . Vierteljahrsschr. 17, 1939, S. 371—404.
Nachtrag: P h i l i p p F r a n k f u r t e r . K r i t . Ausg.: V. D o l l m a y r , Die G e schichte des P f a r r e r s v o m Kalenberg, N e u d r . 212—214, 1906. — Vgl. H e r m a n n Maschek, Verfasserlex. I I I , 1943, Sp. 872—875.
AUTOREN- UND TITEL-VERZEICHNIS N u r die Hauptstellen sind angegeben. Die „Anmerkungen" sind berücksichtigt. „Ablaßkrämer" 320 „Ackermann aus Böhmen" 252 Adam von St. Victor 161 „Aethiopica Historia" 335 Albrecht von Eyb 275 Albrecht von Halberstadt 109 Albrecht von Johansdorf 172 Albrecht von Kemnaten 212 Albrecht von Scharfenberg 196 „Alexander" 148, 206, 263 Alexander, Der wilde 221, 386 „Alexanderlied" 83 „Alexius" 192 Alkuin (Alchwine) 26 „Althochdt. Isidor" 34 „Altsächs. Genesis" 44 „Amadis von Gaula" 337 „Ambraser Heldenbuch" 249 Ambrosius 18, 19 „Annolied" 80, 361 Anselm von Canterbury 69 „Apollonius von T y r l a n d " 208 „Apollonius von T y r u s " 274 Archipoeta 94 „Armer Heinrich" 116 „Arnsteiner Mariengebet" 90 „Ars poetica" 199, 383 Augustinus 18 Ava, Frau 79 Ayrer, J a c o b 329 „Barlaam und Josaphat" Bebel, Heinrich 281 Beda Venerabiiis 24
148
Benedikt von Nursia 20 Beowulf 25 „Bergreihen, Etliche hübsche" 349 Bernart von Ventadorn 159 Bernhard von Clairvaux 235 Berthold von Regensburg 196, 391 Beze, Theodore de 352 Bibelübersetzung 311 „Biblia" („deutsch") 312 Biographische Dichtung 257 Birk, Sixt 322 „Biterolf u. Dietleib" 214 Boethius 19 Bojardo 261 Bonerius, Ulrich 234 Bonifatius 25 Brant, Sebastian 290 „Buch der Abenteuer" 261 „Buch von Berne" 210 „Buch der göttlichen Tröstung" 238 „Buch der Liebe" 335 „Buch der N a t u r " 252 „Buch von der Tugend und Weisheit, D a s " 333 „Buch von T r o y e " 194 „Büchlein der Wahrheit" 240 „Büchlein der ewigen Weisheit" 241 „Bucolicon" 309 Burckhard von Hohenfels 181 Burdach, K o n r a d 389 Burkhard Waldis 320, 334
A u t o r e n Verzeichnis C ä d m o n 25 Calvin 306 „ C a m b r i d g e r Lieder" 62 „Carmina Burana" 168 Cassiodorus 20 Celtis, C o n r a d 278, 306 Chrestien v o n Troyes 114 „Christus u. die S a m a r i t e r i n " 52 „ C h r o n i c a , Zeitbuch u. Geschichtbibel" 317 „Cluniazensische Dichtung" 73 C o l u m b a n 22 C o r d u s , Euricius 309
„ D a n i e l v o m Blühenden T a l " 151 D a n t e Alighieri 227 „ D e libero a r b i t r i o " (Erasmus) 308 „ D e servo a r b i t r i o " (Luther) 308 D e d e k i n d , Friedrich 341 „Des Dieners Leben" 241 D i e t m a r von Eist (Aist) 92, 169 Dietrich v o n Bern 209 „Dietrichs Flucht" 210 Dietrichsage 88 „Diocletians Leben" 269 „ D y l Ulenspiegel" 271 „Dukus H o r a n t " 379 Eberlin von G ü n z b u r g 303 „Ecken A u s f a h r t " 212 „Eckenlied" 212 E c k h a r t v o n H o c h h e i m 237 Egenolf v o n S t a u f e n b e r g 204 „Ehebüchlein" 275 Eike v o n R e p g o w 155 E i l h a r d v o n O b e r g 104 „Eine deutsche Theologie" 242 E i n h a r t 369 Eleonore v o n Schottland 266 Elisabeth v o n N a s s a u - Z w e i b r ü c k e n 265
399
Elsbeth Stagel 241 „Enchiridion militis C h r i s t i a n i " 308 „Eneide" 101 „Engelhard" 193 Englische K o m ö d i a n t e n 327 „Epistolae obscurorum v i r o r u m " 310, 396/97 „Eraclius" 109 Erasmus Alberus 333 Erasmus von R o t t e r d a m 307 „Erec" 114 „ E r i n n e r u n g an den T o d " 93 „Erlösung, D i e " 218 „Esop" (Stainhöwel) 275 „Esopus" ( B u r k a r d W a l d i s ) 334 „Eurialus u. Lucrecia" 273 „Ezzos Gesang" 74 „Facetiae" 281 „Familiarium Colloquiorum Opus" 308 „Fastnachtsspiele" 299 „Faust-Buch", vgl. „ H i s t o r i a " F c y e r a b e n d t (Siegmund, C a r l ) 213, 335 Fischart, J o h . 337 „FließendesLicht der G o t t h e i t " 237 „Foire u. Blancheflur" 145 „Floyris u. Blancheflor" 87 Folz, H a n s 285, 300 Franck, Sebastian 317 „ F r a n k f o r t e r , D e r " 242 Frauenlob 226 Friedrich von H a u s e n 167, 169 Frischlin, N i c o d e m u s 326 „Fortunatus" 268 „ F ü n f z e h n Bundesgenossen" 303 „Fürstenlob, D a s " 228 Gallus 23 „ G a n ß K ö n i g " 343 Geiler v o n Kaisersberg
292
400
Autorenverzeichnis
„Geistliches Gesangbüchlein" 351 „Geistliche Lieder" 311 „Geistliche Spiele" 296 „Georgslied" 51 „Geschichtsklitterung" 339 „Gesprächsbüchlein" (Ulr. v. Hutten) 310 „Gesta Karoli" 371 „Glückhafte Schiff von Zürich" 338 Gnapheus, Guilelmus 321 Godeschalk 54 Goethe 1,295 „Goldene Schmiede, Die" 220 „Goldfaden" 331 Gottfried von Neifen 182 Gottfried von Straßburg 131 Gottsched, Joh. Christoph 295 Gregor I 20 „Gregorius" 116 Grimm, Wilhelm 1 „Griseldis" 274 „Gudrunlied" 88 „Guiscard u. Sigismunda" 273 „Gute Gerhard" 147 Gutenberg, Johann 248 Groote, Gert 247
Hadamar von Laber 231 Hadewijch 237 Hadlaub 222 Hans von Bühel 269 Hartlieb, Joh. 263 Hartmann von Aue 113,170 „Hecastus" 325 „Heidin, Die" 205 Heinrich (der Glichezäre?) 110 „Meister" Heinrich (Frauenlob) 226 Heinrich von Freiberg 207 Heinrich Julius, Herzog von
Braunschweig-Wolfenbüttel 328 „Heinrich von Kempten" 192 Heinrich Laufenberg 284 Heinrich von Melk 93 Heinrich von Morungen 171 Heinrich von Mügeln 249 Heinrich von Neustadt 208 Heinrich der Teichner 287 Heinrich von dem Türlin 143 Heinrich von Veldeke 101, 169 Heinrich der Vogler 210, 385 Heinrich Wittenwiler 254 „De Heinrico" 63 „Heldenlieder" 11 „Heliand" 43 „Helmbrecht" 201 Hemerken van Kempen, Thomas 247 „Henno" 319 Herbort von Fritzlar 108 Herger 92 Hermann von Sachsenheim 259 „Heroiden" (Hessus) 309 „Herpin" 266 „Herzmäre, Das" 192 „Herzog Ernst" 106, 264 Hessus, Helius Eobanus 309 Hilarius von Poitiers 18 „Hildelied" 88 „Hildebrandslied" 38 Hinrek van Alkmar 295 „Historia Griseldis" (Petrarca) 275 „Historia von D. Johann Fausten" 336 „Historia de proeliis" 263 „Hochzeit, Die" 76 „Hochzeit zu Cana" (P. Rebhuhn) 322 „Hohe Lied (St. Trudpert)" 388 Hoeck, Theobald 354 Horaz 199, 383
Autorenverzeichnis H r a b a n u s Maurus 32, 54 H r o t s w i t h 60 „Huge Scheppel" 265 H u g o von M o n t f o r t 282 H u g o von Trimberg 233 H u g o von St. Victor 236 Isidor von Sevilla 21 Ivo von Chartres 69 „Iwein" 115 „Jagd" ( H a d a m a r ) 231 Johann von Würzburg 207 Johannes von Konstanz 232 Johannes von Tepl 252 „Judith, Ältere" 79 „Julius redivivus" 326 „Kaiserchronik" 81 K a r l der Große 27 „Karlmeinet" 156 „Kindheit Jesu" 145 „Kirchenlied" 351 Kirchhoff, H a n s Wilhelm 335 „Klage der Kunst" 230, 387 Kleinepik 202 (13./14. Jh.) („Kleriker und N o n n e " 63 „Konrad, P f a f f e " 82 K o n r a d Fleck 145 K o n r a d von Fußesbrunnen 145 K o n r a d von Megenberg 251 K o n r a d von Würzburg 191, 219, 230 „Konstanzer Minnelehre" 232 „Krone, Die" 143 „ K u d r u n " 152 Kürenberg, Der von 91 „Kurtzweilige Teutsche Lieder" 356 Lamprecht, „ P f a f f e " 83 „Lanzelet" (Ulrich von Zazikhoven) 142 26
N e u m a n n , Literatur
401
„Lancelot-Prosa" 157,265 „Laurin" 212 „Leich" 56, 162 „Lied vom edlen Moringer" 172 „Lied vom H ü r n e n Seyfried" 216 „Lied von Siegfrieds T o d " 8 „Lied von Troje" 108 „Lied vom Untergang der Nibelungen" 8 „Lieder-Edda" 5,39 „Lobgesang auf den heiligen Gallus" 56 Lobwasser, Ambrosius 354 Locher, Jacob 280 „Loher und Maller" 266 Lotichius, Petrus, Secundus 347 „Lucidarius" 155 „Lucretia" 321 „Ludus de Antichristo" 94, 297 „Ludsv'igslied" 51 Luther, Martin 242, 302, 311 „Luzerner Ostcrspiel" 298 Macropedius, Georgius 325 Manuel, Niklas 320 „Maria" (Wernhers) 90 „Marienleben" (Bruder Philipp) 218 „Marienpreis" (St. Lamprecht) 90 „Mariensequenz aus Muri" 90 Marner 184 Marot, Clement 352 Maximilian I., Kaiser 261 Mechthild von Magdeburg 236 „Der Meide K r a n z " 250 Meinloh von Söflingen 168 „Meister" 223 „Meisterbegriff" 386 „Meistergesang" (Begriff) 225, 286 „Melker Marienlied" 89 „Melusine" 267 „Memento mori" 75
402
A u t o r e n Verzeichnis
„ M e r c a t o r " (Naogeorg) 324 „Merlin" 196 „Merseburger Zaubersprüche" siehe „Zaubersprüche „Metamorphosen" (Ovid) 109, 331 „Minneallegorien" 258 „Minneburg" 387 „Minnesang" 159 „Morant und Galie" 156 „Mörin, D i e " 259 „Morias E n c o m i o n " (Erasmus) 308 „Moritz von C r a o n " 111 „Monseer F r a g m e n t e " 35 M u r n e r , T h o m a s 292, 303 Muskatblüt 283 „Muspilli" 41 Naogeorgus, T h o m a s 323 „Narrenbeschwörung" (Murner) 293 „Narrenschiff, D a s " 290 Neidhart 178 „ N e i d h a r t Fuchs" 181 „ N e i d h a r t mit dem Veilchen" 181,299 „ N e i d h a r t s p i e l , Das G r o ß e " 300 „Neues T e s t a m e n t " 311 „Nibelungenlied" 135 „Nibelungenmeister" 137 N i v a r d u s , Magister 111 N i e l a s v o n W y l e 272 Nicolaus Cusanus 246 N o k e r 75 N o t k e r I. Balbulus 55, 371 N o t k e r I I I . Labeo 65 „ O d e n u n d Gesänge" (Weckherlin) 355 O p i t z , M a r t i n 80, 361 „ O p u s t h e a t r i c u m " (Ayrer) 329 „österreichische Reimchronik" 208
„Orendel" 89 „ O r t n i t " 215 „Osterspiel v o n M u r i " 297 „St. O s w a l d " 89 O s w a l d v o n Wolkenstein 256 O t f r i e d v o n W e i ß e n b u r g 46 O t t e (Verf. des „Eraclius") 108 O t t o v o n Botenlauben 173 O t t o k a r v o n Steiermark 208 „Pammachius" (Naogeorg) 324 „ P a r a b e l v a m v e r l o r n Sohn" 320 Paracelsus 316 „ P a r a d o x a " (Seb. Franck) 317 „Pantaleon" 192 „ P a r t o n o p i e r u. M e l i u r " 193 „ P a r z i v a l " 119, 199 „Passional" 217 Pauli, J o h a n n e s 334 „Peter von S t a u f e n b e r g " 204 Petrus Abälardus 161 „Petruslied" 51 „ P f a f f e Amis" 151 „ P f a r r e r vom K a l e n b e r g " 270 Pfinzing, Melchior 262 P h i l i p p F r a n k f u r t e r 270, 402 Piccolomini, E n e a Silvio 247 Pirckheimer, W i l l i b a l d 286 „ P l e j a d e " 353 „ P o n t u s und S i d o n i a " 266 „Priesterleben" 93 „138. P s a l m " 64 „Psalmen D a v i d s " (Melissus) 354 „ P s a l t e r " (Lobwasser) 354 Püterich von Reichertshausen 261,391 Puschman(n), A d a m
349
Rabelais, François 339 „Rabenschlacht" 210 „Rätselspiel" 229 R a t p e r t 56 R e b h u h n , P a u l 322 „Rede der Unterscheidung"
238
403
A u t o r e n Verzeichnis „ R e f o r m a t i o n Kaiser Sigmunds" 246 „ R e f o r m z e i t " 389 Regenbogen 225 R e g n a r t , J a c o b 356 „Reimchronik" 207 „Reineke Fuchs" (Goethe) 295 „ R e i n h a r t Fuchs" 110 „Reinke de Vos" 295 R e i n m a r , der Ältere 170, 381 Reinmar von Zweter 185 „Renner" 233 Reuchlin, J o h a n n 310, 319 Richard von St. Victor 236 Ried, H a n s 249 „Ring, D e r " 254 R i n g w a l d t , B a r t h o l o m ä u s 345 „Ritter G a l m y " 331 „Ritterspiegel" (Rothe) 289 „Rolandslied" 82 „Rollwagenbüchlein" 334 „Römer Tat, Der" 269 R o n s a r d , Pierre de 353 „Rosengarten" 213 R o s e n p l ü t , H a n s 300 „Rosenroman" 232 R o t h e , J o h a n n e s 289 „Rother, König" 85 „Rudolf, Graf" 104 R u d o l f v o n Ems 147 R u d o l f v o n Fenis 169 R u m s l a n d 224 „ R u o d l i e b " 71 „Runenschrift" 366 Ruysbroeck, J a n v a n 247 Sachs, H a n s 287, 334, 348 „Sachsenspiegel" 155 „Sächsische W e l t c h r o n i k " 156 „Sancte Servas" 103 „Sante K a r l " (Stricker) 151 „Salman u n d M o r o l f " 87 „Schimpf u n d E r n s t " 334 26*
Schede, P a u l (Melissus) 353 „Schön M a g e l o n a " 330 „Schönes B l u m e n f e l d t " 354 „Schwabenspiegel" 156 „Schwanritter" 195 „Schelmenzunft" 293 „Seifried de A r d e m o n t " 196 „Sendbrief v o m Dolmetschen" 312 „Sequenz" 55 „Servatius", oberdt. 375 Seuse, Heinrich 240 „Sieben weise Meister" 269 „Silvester" ( K o n r a d v o n W ü r z burg) 192 „Singlied" 349 „Sittenspiegel" (Albrecht v o n Eyb) 276 Spangenberg, W o l f h a r t 343 Spervogel 92 „Spiegel, D e r jungen K n a b e n " (Wickram) 332 „Spiel der D i a n a " (Celtis) 279 „Sprichwort" 335 „Spruchlieder" 162 Stainhöwel, Heinrich 274 „Straßburger Alexander" 84 Steinmar 220 Stricker 150, 203, 287 „ S t u l t i f e r a n a v i s " 291 „ S t y l p h o " ( W i m p f e l i n g ) 319 Suchenwirt, P e t e r 288 „ S u m m a theologiae" 75 „ S u s a n n a " 322, 326 Tannhäuser 183 Tauler, J o h a n n e s 239 „Teuerdank" 262 „Thidrekssaga" 209 T h ü r i n g v o n Ringoltingen „Tierepos" 294 „ T i e r f a b e l n " 333 „ T i t u r e l " ( W o l f r a m ) 131
266
404
Autorenverzeichnis
„Titurel, Jüngerer" 196 T o r q u a t o Tasso 340 „Tragödie von den Türken und ihrem Sultan" 281 „Translatzen" (Niclas von Wyle) 272 Treitzsauerwein, Marx 262 „Tristan und Isold" 134 „Tristrant und Isalde" 104, 268 Trithemius 292 „Tropus" 296 „(St.) Trudperter H o h e Lied" 388 „Turnei von N a n t h e i z " 195 „Theologie, Eine deutsche" 242, 389 Ulrich von Etzenbach 206, 384 Ulrich Fuetrer 196, 261 Ulrich von H u t t e n 309 Ulrich von Lichtenstein 153, 183 Ulrich von Singenberg 226 Ulrich von Tiirheim 150 Ulrich von Winterstetten 182 Ulrich von Zazikhoven 142 „Ungarnchronik" 251 „Väterbuch" 217 „Valerius Maximus" (Heinrich von Mügeln) 251 „Van den Vos Reinaerde" 294 „Versreden" 287 „Vincentius Ladislaus" (Herzog Heinrich Julius) 328 „Völuspa" 42 „Volkslied" 350 „Vom Rechte" 76 „Von dem treuen Eckardt" (Ringwaldt) 345 „Von der Freiheit eines Christenmenschen" 314 „Von dem großen Lutherischen N a r r e n " (Murner) 293 „Von dem edlen Menschen" 238
„Von guten und bösen Nachbarn" (Wickram) 332 „Von einem ungeratenen Sohn" (Herzog Heinrich Julius) 328 „Vorauer Alexander" 84 Wagenseil, J o h a n n Christof 349 „Wahrheit, Die lauter" (Ringwaldt) 345 Walahfried Strabo 54 Waldis, Burkhard (s. auch unter Burkhard) 320,334 „Waltharii poesis" 59 Walther von der Vogelweide 94, 167, 174 Warbeck, Veit 330 „Wartburgkrieg" 228 Weckherlin, Georg Rudolf 355 „Der Weinschwelg" 205 „Weltchronik" Rudolfs 149 „Welt Lohn, D e r " 192 „Wendunmuth" 335 Wernher der Gärtner 201 Wernher, „Priester" 90 „Wessobrunner Gebet" 40 Wickram, Jörg 110,330,334 „Wigalois" 143,268 „Wiener Genesis" 77, 373 „Wilhelm von Österreich" 207 Wilhelm I X . von Poitou 159 „Wilhelm von Wenden" 206 „Willehalm" (Wolfram) 126 „Willehalm von Orleans" 149 Williram 70 Wimpfeling, Jacob 280, 292, 319 Wirnt von Grafenberg 143 „Wolfdietrich" 215, 385 W o l f r a m von Eschenbach 119, 172 „Ysengrimus"
111
„Zaubersprüche, Merseburger" Zwingli 304
64
Der Nibelunge Noth und die Klage Nach der ältesten Oberlieferung mit Bezeichnung des Unechten u n d mit den Abweichungen der gemeinen Lesart. Herausgegeben von KARL LACHMANN. 6., u n v e r ä n d e r t e Ausgabe mit einem H a n d s c h r i f tenverzeichnis u n d einem V o r w o r t von ULRICH PRETZEL. G r o ß O k t a v . X X V I , 372 Seiten. 1960. Ganzleinen D M 12,50
Der Nibelunge Not in A u s w a h l m i t k u r z e m
Wörterbuch.
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KARL LANGOSCH. 11.,
durchgesehene Auflage. 166 Seiten. 1966. D M 3,60 (Sammlung Göschen Band 1)
Kudrun und Dietrich-Epen in Auswahl mit Wörterbuch. Von OTTO L. JIRICZEK. 6. Auflage, b e a r b e i t e t v o n ROSWITHA WISNIEWSKI. 173 S e i t e n . 1 9 5 7 . D M 3 , 6 0
(Sammlung
Göschen Band
Hartmann von Aue.
10)
IWEIN.
E i n e E r z ä h l u n g . M i t A n m e r k u n g e n v o n G . F . BENECKE u n d
KARL
LACHMANN. 6. Ausgabe, u n v e r ä n d e r t e r Nachdruck der 5., von LUDWIG WOLFF durchgesehene Ausgabe. G r o ß - O k t a v . X V I I I , 564 Seiten. 1966. Ganzleinen D M 20 —
Hartmann von Aue.
IWEIN.
S t u d i e n a u s g a b e . 2. A u f l a g e . G r o ß - O k t a v . IV, 256 Seiten. 1966. K a r t o n i e r t D M 9,80 ( O h n e A n m e r k u n g e n u n d Lesarten.)
Hartmann von Aue.
D E R ARME H E I N R I C H
nebst einer Auswahl aus der „Klage", dem „Gregorius" u n d den „Lied e r n " (mit einem Wörterverzeichnis) herausgegeben von FRIEDRICH MAURER. 9 6 S e i t e n . 1958. D M 3,60
(Sammlung
Göschen Band
Gottfried von Straßburg. in
Auswahl
18) T R I S T A N UND ISOLDE
herausgegeben
von
FRIEDRICH
MAURER.
2. A u f l a g e .
142 Seiten. 1965. D M 3,60 (Sammlung Göschen Band 22)
W a l t e r de G r u y t e r & Co
Berlin
30
Wolfram von Eschenbach V o n K A R L LACHMANN ( u n v e r ä n d e r t e r p h o t o m e c h a n i s c h e r
Nachdruck
der 6. Ausgabe 1926). Groß-Oktav. L X X I I , 640 Seiten. 1965. Ganzleinen D M 2 4 , —
Wolfram von Eschenbach. PARZIVAL. S t u d i e n a u s g a b e . Groß-Oktav. I V , 376 Seiten. 1965. Kartoniert D M 9,80 (Mit Lesarten.)
Wolfram von Eschenbach. PARZIVAL. Eine Auswahl mit Anmerkungen und Wörterbuch von HERMANN JANTZEN. 3. A u f l a g e , b e a r b e i t e t v o n HERBERT K O L B . 1 2 8 S e i t e n . DM
3,60
(Sammlung
Göschen Band
1966.
921)
Die Gedichte Walthers von der Vogelweide Herausgegeben von KARL LACHMANN. 13., aufgrund der zehnten von C A R L VON K R A U S b e a r b e i t e t e n A u s g a b e , n e u h e r a u s g e g e b e n v o n H U G O
KUHN. Groß-Oktav. X L V I I , 255 Seiten. 1965. Ganzleinen D M 14 —
Die Gedichte Walthers von der Vogelweide S t u d i e n a u s g a b e . Groß-Oktav. I V , 196 Seiten. 1965. Kartoniert DM 7,— (Mit Lesarten, ohne Vorreden, Einleitung und Anmerkungen.)
Die Gedichte Walthers von der Vogelweide U r t e x t m i t P r o s a ü b e r s e t z u n g v o n H A N S BÖHM. 3 . , u n v e r ä n d e r t e
lage. Groß-Oktav. V I I , 293 Seiten. 1964. Ganzleinen D M 9,80
Auf-
Walther von der Vogelweide Untersuchungen
von
CARL
VON K R A U S .
2.,
unveränderte
Oktav. X V , 500 Seiten. 1966. Ganzleinen D M 3 6 , —
Walter
de G r u y t e r
&
Co
Berlin
Auflage.
30
Geschichte der mittelhochdeutschen Literatur Von FRIEDRICH VOGT. 1. Teil: Die frühmittelhochdeutsche Zeit. Blütezeit I : Das höfische Epos bis auf Gottfried von Straßburg. 3., umgearbeitete Auflage. O k t a v . X, 363 Seiten. 1922. D M 24 — (Grundriß der deutseben Literaturgeschichte Band 2)
Deutsches Dichten und Denken von der germanischen bis zur staufischen Zeit (Deutsche Literaturgeschichte vom 5. bis 13. Jahrhundert.) Von HANS NAUMANN. 3., verbesserte Auflage. 166 Seiten. 1966. Im Druck (Sammlung Göschen Band 1121)
Die deutsche Literatur des lateinischen Mittelalters in ihrer geschichtlichen Entwicklung Von KARL LANGOSCH. O k t a v . VI, 284 Seiten. 1964. D M
Kartoniert
19,80
Altdeutsche Zaubersprüche V o n GERHARD EIS. M i t 13 A b b i l d u n g e n . O k t a v . V I I I , 182 Seiten.
1964. P a p p b a n d D M 38,—
Der Libellus Scolasticus des Walther von Speyer Ein Schulbericht aus dem J a h r e 984. Von PETER VOSSEN. O k t a v . X V I , 212 Seiten. 1962. Ganzleinen D M 48,—
Beiträge zur Handschriftenkritik des Nibelungenliedes V o n HELMUT BRACKERT. V I , 190 S e i t e n . 1 9 6 3 . G a n z l e i n e n D M 2 8 , —
(Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte manischen Völker. Neue Folge Band 11 [135])
der ger-
Kreuzzugsdichtung des Mittelalters Studien zu ihrer geschichtlichen und dichterischen Wirklichkeit. Von FRIEDRICH
WILHELM
WENTZLAFF-EGGEBERT.
Groß-Oktav.
XIX,
404 Seiten. 1960. Ganzleinen D M 28,—
Walter
de G r u y t e r
& Co
• Berlin
30
Kleinere Schriften zur germanischen Heldensage und Literatur des Mittelalters V o n H E R M A N N SCHNEIDER. H e r a u s g e g e b e n v o n K U R T HERBERT H A L -
BACH u n d WOLFGANG MOHR. G r o ß - O k t a v . V I I I , 2 9 1 S e i t e n .
Ganzleinen D M 44,— (Kleinere Schriflen zur Literatur-
und
1962.
Geistesgeschichte)
Kleine Schriften Von
H E L M U T DE B O O R . H e r a u s g e g e b e n
von
ROSWITHA
WISNIEWSKI
u n d HERBERT KOLB. 2 B ä n d e . G r o ß - O k t a v . G a n z l e i n e n .
Band 1: Mittelhochdeutsche Literatur. V I I I , 317 Seiten. 1964. D M 56,— Band 2: Gerraanische und deutsche Heldensage — Mittelhochdeutsche Metrik. V I I I , 373 Seiten. 1966. D M 78,— (Kleinere Schriften zur Literatur- und Geistesgeschichte)
Kleine Schriften V o n J A N DE V R I E S . H e r a u s g e g e b e n v o n K L A A S H E E R O M A u n d A N D R I E S
KYLSTRA. G r o ß - O k t a v . X, 409 Seiten. 1965. Ganzleinen D M 78,— (Kleinere Schriften zur Literatur- und Geistesgeschichte)
Ausgaben Deutscher Literatur des XV. bis X V I I I . Jahrhunderts u n t e r M i t w i r k u n g v o n KÄTHE KAHLENBERG h e r a u s g e g e b e n v o n HANSGERT ROLOFF. O k t a v . G a n z l e i n e n .
In Vorbereitung: GEORG WICKRAM ( n a c h 1 5 0 0 bis v o r 1 5 6 2 ) , S ä m t l i c h e W e r k e . a u s g e g e b e n v o n HANS-GERT ROLOFF. 10 B ä n d e . JOHANN RIST ( 1 6 0 7 — 1 6 6 7 ) , S ä m t l i c h e W e r k e . H e r a u s g e g e b e n EBERHARD MANNACK. 1 0
JOHANN
BEER
(1655—1700),
Hervon
Bände.
Sämtliche
Werke.
Herausgegeben
von
RICHARD ALWYN.
JOHANN
CHRISTOPH
GOTTSCHED
(1700—1766),
Ausgewählte
Werke.
H e r a u s g e g e b e n v o n JOACHIM BIRKE. JOHANNES REUCHLIN ( 1 4 5 5 — 1 5 2 2 ) ,
Werke
PAMPHILUS GENGENBACH ( g e s t . 1 5 2 4 ) , W e r k e
Walter
de G r u y t e r
& Co
Berlin
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