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German Pages 442 [473] Year 2020
Veröffentlichungen zum Verfahrensrecht Band 170 herausgegeben von
Rolf Stürner
Anna K. Bernzen
Gerichtssaalberichterstattung Ein zeitgemäßer Rahmen für die Arbeit der Medienvertreter in deutschen Gerichten
Mohr Siebeck
Anna K. Bernzen, geboren 1990; Kombinationsstudium der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften an der Universität Mannheim; 2013 Bachelor of Laws; 2016 Erste juristische Prüfung; studienbegleitende Journalistenausbildung in der Journalistischen Nachwuchsförderung; wissenschaftliche Mitarbeiterin an den Universitäten Osnabrück und Mannheim; 2019 Promotion (Osnabrück); seit 2019 Rechtsreferendarin am OLG Frankfurt am Main.
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Deutschen Akademikerinnenbundes e.V., der Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung, Hamburg, und der Studienstiftung ius vivum, Kiel. ISBN 978-3-16-159255-3 / eISBN 978-3-16-159256-0 DOI 10.1628/978-3-16-159256-0 ISSN 0722-7574 / eISSN 2568-7255 (Veröffentlichungen zum Verfahrensrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen aus der Times New Roman gesetzt, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und gebunden. Printed in Germany.
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2019 vom Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität Osnabrück als Dissertation angenommen. Mein herzlicher Dank gilt zuerst meiner Doktormutter Prof. Dr. Mary-Rose McGuire, M.Jur. (Göttingen), die während meiner Zeit erst als studentische Hilfskraft und später als wissenschaftliche Mitarbeiterin an ihrem Lehrstuhl meine Begeisterung für die Wissenschaft geweckt und mich während und nach der Erstellung der vorliegenden Arbeit auf diesem Weg unterstützt hat. Prof. Dr. Hans-Jürgen Ahrens danke ich für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens, Prof. Dr. Thomas Groß für die Übernahme des Prüfungsvorsitzes in der Disputation. Bei Prof. Dr. Dres. h.c. Rolf Stürner bedanke ich mich für die Aufnahme in die Schriftenreihe der Veröffentlichungen zum Verfahrensrecht. Die Idee für diese Arbeit entstand während einer Hospitanz in der Rechtsredaktion der ARD. Deren Leiter Dr. Frank Bräutigam bin ich für die praktischen Einblicke in die Berichterstattung aus dem Gerichtssaal ebenso dankbar wie für den regen fachlichen Austausch während der Entstehung dieser Dissertation. Der rechtsvergleichende Teil dieser Arbeit entstand während eines Forschungsaufenthalts am Centre for Socio-Legal Studies an der University of Oxford. Stellvertretend danke ich der damaligen Direktorin Dr. Marina Kurkchiyan für meine Aufnahme als visiting researcher und für die fachliche wie persönliche Bereicherung, die das Trimester in Oxford für mich bereit hielt. Sehr zu Dank verpflichtet bin ich zudem Prof. Dr. Hans-Joachim Cremer für die in jeder Hinsicht bereichernde Arbeitsumgebung, in der ich mich als akademische Mitarbeiterin an seinem Lehrstuhl während meiner Promotionszeit bewegen durfte. Die Studienstiftung des deutschen Volkes e.V. und die Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. (KAS) haben mit den Stipendien, die sie mir während meiner Studienund Promotionszeit gewährten, entscheidend zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen. Sie haben mich nicht nur finanziell unterstützt; im Rahmen meiner Ausbildung durch die Journalistische Nachwuchsförderung der KAS konnte ich auch umfangreiche Praxiserfahrung sammeln, die in die Erstellung dieser Arbeit eingeflossen ist. Der Studienstiftung ius vivum, der Johanna und Fritz Buch Ge-
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Vorwort
dächtnis-Stiftung und dem Deutschen Akademikerinnenbund e.V. danke ich dafür, dass sie die Drucklegung dieser Arbeit jeweils mit einem Zuschuss unterstützt haben. Zuletzt wäre diese Arbeit sicher nie zustande gekommen, hätte ich meine Familie und Freunde dabei nicht an meiner Seite gewusst. Ganz besonders danke ich meinen Eltern, Claudia und Enno Bernzen, die meinen Bildungsweg mit ihrer bedingungslosen Unterstützung geebnet haben und Dr. Roman F. Kehrberger, der mich auf diesem Teil des Weges begleitet hat. Frankfurt am Main, im Dezember 2019
Anna K. Bernzen
Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXVII
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 A. Problemdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 B. Thematische Eingrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 C. Stand der rechtspolitischen Diskussion und der Forschung . . . . . . . . . . 6 D. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
Kapitel 1 Rechtliche Rahmenbedingungen der Gerichtssaalberichterstattung de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 A. Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen . . . . . . . . . . . 11 I. Gewährleistungsgehalt des Öffentlichkeitsgrundsatzes . . . . . . . . . . 11 II. Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 III. Ergebnis zum Öffentlichkeitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 B. Rechtliche Rahmenbedingungen für Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen . . . . . . 21 I. Differenzierung zwischen Aufnahmen während der mündlichen Verhandlung und in deren Umfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 II. Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen während der mündlichen Verhandlung . . 22 III. Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen im Umfeld der mündlichen Verhandlung 52 IV. Ergebnis zu den Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen . . . . . . . . . . . . . 77 C. Rechtliche Rahmenbedingungen für Bild-Aufnahmen . . . . . . . . . . . . . 78 I. Grundsätzliche Zulässigkeit der Aufnahmen . . . . . . . . . . . . . . . 78 II. Möglichkeiten zur Beschränkung der Aufnahmen . . . . . . . . . . . . . 79 III. Durch das BVerfG gesetzter Rahmen für die Beschränkungen . . . . . . 80 IV. Ergebnis zu den Bild-Aufnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 D. Rechtliche Rahmenbedingungen für Textberichte in Echtzeit . . . . . . . . . . 88 I. Besonderheiten der Textberichte in Echtzeit . . . . . . . . . . . . . . . . 88 II. Grundsätzliche Zulässigkeit der Textberichte in Echtzeit . . . . . . . . . 89
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Inhaltsübersicht
III. Möglichkeiten zur Beschränkung der Textberichte in Echtzeit . . . . . . 93 IV. Durch das BVerfG gesetzter Rahmen für die Beschränkungen . . . . . . 94 V. Ergebnis zu den Textberichten in Echtzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
Kapitel 2 Für die Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 A. Einzubeziehende Rechte und schutzwürdigende Interessen . . . . . . . . . . . 97 B. Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen . . . . . . . . . . . 98 I. Grundlagen des Öffentlichkeitsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . 98 II. Vorgaben des Art. 6 Abs. 1 EMRK für die Gerichtssaalberichterstattung . 98 III. Funktionen des Öffentlichkeitsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . 104 IV. Öffentlichkeitsgrundsatz als Verfassungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . 124 V. Ergebnis zum Öffentlichkeitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 C. Kommunikationsgrundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 I. Abwehrrechtliche Dimension der Kommunikationsgrundrechte . . . . . 128 II. Öffentliches Informationsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 III. Objektiv-rechtliche Dimension der Kommunikationsgrundrechte . . . . 150 IV. Ergebnis zu den Kommunikationsgrundrechten . . . . . . . . . . . . . . 153 D. Berufsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 E. Steigerung von Rechtskenntnis und Rechtsverständnis . . . . . . . . . . . . . 155 I. Gegenwärtige Wissensdefizite der Allgemeinheit . . . . . . . . . . . . . 155 II. Fehlende realitätsgetreue Wiedergabe des Geschehens im Gericht . . . . 158 III. Ausrichtung der Gerichtssaalberichterstattung auf Unterhaltung . . . . . 164 IV. Mangelnde Fachkompetenz der Medienvertreter . . . . . . . . . . . . . 166 V. Komplexität des Geschehens im Gerichtssaal . . . . . . . . . . . . . . . 167 VI. Ergebnis zur Steigerung von Rechtskenntnis und Rechtsverständnis . . . 170 F. Rehabilitationsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 G. Präventionswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172
Kapitel 3 Gegen die Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 A. Einzubeziehende Rechte und schutzwürdigende Interessen . . . . . . . . . . . 175 B. Allgemeines Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 I. Grundlagen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . . . 176 II. Gerichtssaalberichterstattung im persönlichen Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176
Inhaltsübersicht
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III. Gerichtssaalberichterstattung im sachlichen Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 IV. Ergebnis und Ausblick zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht . . . . . . 195 C. Unschuldsvermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 D. Funktionsfähigkeit der Rechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 I. Grundlagen und Ausprägungen der Funktionsfähigkeit . . . . . . . . . . 200 II. Wahrheitsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 III. Rechtsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 IV. Ergebnis zur Funktionsfähigkeit der Rechtspflege . . . . . . . . . . . . . 227 E. Recht auf ein faires Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 I. Grundlagen des Rechts auf ein faires Verfahren . . . . . . . . . . . . . . 228 II. Gefahren für die Verteidigungsfähigkeit des Angeklagten . . . . . . . . . 229 III. Gefahren für den kommunikativen Verkehr mit dem Verteidiger . . . . . 233 IV. Ergebnis zum Recht auf ein faires Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . 233 F. Allgemeiner Justizgewährungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 G. Ungestörter äußerer Verfahrensablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 H. Würde des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 I. Kriminogene Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 J. Präventionswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
Kapitel 4 Gerichtssaalberichterstattung in England . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 A. Relevanz des Rechtsvergleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 B. Rechtliche Rahmenbedingungen der Gerichtssaalberichterstattung in England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 I. Open justice principle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 II. Rechtliche Rahmenbedingungen für Bild- und Bild/Ton-Aufnahmen . . . 252 III. Rechtliche Rahmenbedingungen für Ton-Aufnahmen . . . . . . . . . . . 279 IV. Rechtliche Rahmenbedingungen für Textberichte in Echtzeit . . . . . . . 286 V. Differenzierte Regelung der Gerichtssaalberichterstattung . . . . . . . . 290 C. Für und gegen die Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 I. Überblick über den Verlauf der Debatte in England . . . . . . . . . . . . 291 II. Für die Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 III. Gegen die Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301
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Inhaltsübersicht
D. Lehren aus der englischen Erfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313
Kapitel 5 Rechtliche Rahmenbedingungen der Gerichtssaalberichterstattung de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 A. Vorgehen bei der Ermittlung des zeitgemäßen Rechtsrahmens . . . . . . . . . 317 B. Zeitgemäße rechtliche Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 I. Maßstab für die Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 II. Anforderungen des Gesetzesvorbehalts nach Art. 5 Abs. 2 GG . . . . . . 319 III. Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes . . . . . . . . . . . 319 C. Vergleich der erarbeiteten zeitgemäßen Rahmenbedingungen mit den aktuellen Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 D. Entwicklung einer Reformvorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 I. Anhaltspunkte für die Formulierung der Vorschrift . . . . . . . . . . . . 379 II. Künftiger Regelungskontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 III. Regelung der Aufnahmen in den Tatsacheninstanzen der Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 IV. Regelung der Aufnahmen in den Rechtsinstanzen der Strafverfahren und den Tatsacheninstanzen der übrigen Verfahrensarten . . . . . . . . . 384 V. Regelung der Textberichte in Echtzeit und der Aufnahmen in den Rechtsinstanzen aller Verfahrensarten mit Ausnahme des Strafverfahrens sowie in den Verfahren am BVerfG . . . . . . . . . . 390 VI. Verfahren bei der Zulassung oder Beschränkung der Berichte . . . . . . 393 VII. Erforschung der Auswirkungen von Gerichtssaalberichten . . . . . . . . 395 E. Formulierung der Reformvorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396
Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXVII
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 A. Problemdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 B. Thematische Eingrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 C. Stand der rechtspolitischen Diskussion und der Forschung . . . . . . . . . . 6 D. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
Kapitel 1 Rechtliche Rahmenbedingungen der Gerichtssaalberichterstattung de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 A. Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen . . . . . . . . . . . 11 I.
Gewährleistungsgehalt des Öffentlichkeitsgrundsatzes . . . . . . . . . . 11 1. „Jedermann“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2. „Ohne Ansehung seiner Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen der Bevölkerung und bestimmter persönlicher Eigenschaften“ . . . . 11 3. „Möglichkeit, an den Verhandlungen teilzunehmen“ . . . . . . . . . . 12 4. „Verhandlungen der Gerichte“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 5. „Teilnahme als Zuhörer“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 II. Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1. Gesetzlich normierte Grenzen der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . 15 a) Kategorisierung der relevanten Normen . . . . . . . . . . . . . . 15 b) Gründe für den Öffentlichkeitsausschluss . . . . . . . . . . . . . . 16 c) Verfahren des Öffentlichkeitsausschlusses . . . . . . . . . . . . . 17 d) Rechtsfolgen des Öffentlichkeitsausschlusses . . . . . . . . . . . 18 2. Gesetzlich nicht normierte Grenzen der Öffentlichkeit . . . . . . . . 18 a) Tatsächliche Grenzen der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . 18
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Inhaltsverzeichnis
b) Rechtliche Grenzen der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . 20 III. Ergebnis zum Öffentlichkeitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 B. Rechtliche Rahmenbedingungen für Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen . . . . . . 21 I.
Differenzierung zwischen Aufnahmen während der mündlichen Verhandlung und in deren Umfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 II. Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen während der mündlichen Verhandlung . . 22 1. Absolutes Aufnahmeverbot nach § 169 Abs. 1 S. 2 GVG . . . . . . . 22 a) Anwendbarkeit des Aufnahmeverbots . . . . . . . . . . . . . . . 22 b) Motive des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 c) Tatbestand des § 169 Abs. 1 S. 2 GVG . . . . . . . . . . . . . . . 23 aa) Anfertigung von Aufnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 (1) Vorliegen einer Aufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 (2) Erfasste Arten der Aufnahmen . . . . . . . . . . . . . . . 24 (3) Zweck der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung 25 bb) Zeitlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 cc) Räumlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . 29 dd) Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . 30 d) Rechtsfolge des § 169 Abs. 1 S. 2 GVG . . . . . . . . . . . . . . . 31 2. Ausnahme vom Aufnahmeverbot nach § 17a Abs. 1 S. 2 BVerfGG . . 32 a) Anwendbarkeit der Ausnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 b) Motive des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 c) Tatbestand des § 17a Abs. 1 S. 2 BVerfGG . . . . . . . . . . . . . 33 d) Rechtsfolge des § 17a Abs. 1 S. 2 BVerfGG . . . . . . . . . . . . 34 aa) Grundsätzliche Zulässigkeit der Aufnahmen . . . . . . . . . . 34 bb) Voraussetzungen für eine Beschränkung der Aufnahmen . . . . 34 cc) Rechtsfolgen einer Beschränkung der Aufnahmen . . . . . . . 35 3. Ausnahmemöglichkeit vom Aufnahmeverbot nach § 169 Abs. 3 S. 1 GVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 a) Anwendbarkeit der Ausnahmemöglichkeit . . . . . . . . . . . . . 36 b) Vorgeschichte des § 169 Abs. 3 GVG . . . . . . . . . . . . . . . . 37 c) Gesetzgebungsverfahren vor Erlass des § 169 Abs. 3 GVG . . . . 39 d) Motive des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 e) Tatbestand des § 169 Abs. 3 S. 1 GVG . . . . . . . . . . . . . . . 41 aa) Zeitlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 bb) Vorliegen eines besonderen Falles . . . . . . . . . . . . . . . 41 f) Rechtsfolge des § 169 Abs. 3 S. 1 GVG . . . . . . . . . . . . . . . 43 aa) Gestattung von Aufnahmen nach § 169 Abs. 3 S. 1 GVG . . . 43 (1) Kriterien für die Ermessensentscheidung des Gerichts . . 43 (2) Ermessensentscheidung auch bei Nichtzulassung von Aufnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 bb) Beschränkungsmöglichkeiten nach § 169 Abs. 3 S. 2 GVG . . 46 4. Verfassungsmäßigkeit des § 169 Abs. 1 S. 2 GVG . . . . . . . . . . . 47
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a) Hintergrund des Verfassungsstreits . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 b) Begründung der Senatsmehrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 c) Begründung im Sondervotum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 III. Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen im Umfeld der mündlichen Verhandlung 52 1. Grundsätzliche Zulässigkeit der Aufnahmen . . . . . . . . . . . . . . 52 2. Möglichkeiten zur Beschränkung der Aufnahmen . . . . . . . . . . . 54 a) Auswahl der Rechtsgrundlage nach Ort und Zeit der Aufnahmen . 54 b) Sitzungspolizei des Vorsitzenden Richters . . . . . . . . . . . . . 54 aa) Tatbestand des § 176 GVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 (1) (Drohende) Störung der Ordnung in der Sitzung . . . . . 54 (2) Zeitlicher Anwendungsbereich der Sitzungspolizei . . . . 55 (3) Räumlicher Anwendungsbereich der Sitzungspolizei . . . 58 bb) Rechtsfolge des § 176 GVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 c) Hausrecht der Gerichtsverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 d) Abgrenzung der Sitzungspolizei vom Hausrecht . . . . . . . . . . 62 3. Durch das BVerfG gesetzter Rahmen für die Beschränkungen . . . . 62 a) „Quasi erstinstanzliche Zuständigkeit“ des BVerfG . . . . . . . . 62 b) Kein pauschales Aufnahmeverbot im Umfeld der Verhandlung (sog. Honecker-Entscheidung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 c) Kein sitzungspolizeiliches Verbot von Aufnahmen der Richter (sog. Sparkasse Mannheim-Entscheidung) . . . . . . . . . . . . . 66 d) Vorrang der Anonymisierungsanordnung vor dem Aufnahmeverbot (sog. El Kaida-Entscheidung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 e) Beschränkung von Aufnahmen auf bestimmte Verhandlungstage (sog. Embargo-Entscheidung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 f) Keine pauschale Anordnung der Anonymisierung von Aufnahmen (sog. Gäfgen-Entscheidung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 g) Kein faktisches Verbot von Aufnahmen der Richter (sog. Gammelfleisch-Entscheidung) . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 h) Gestattung der identifizierenden Aufnahmen bekannter Angeklagter (sog. Lokalpolitiker-Entscheidung) . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 i) Erfordernis konkreter Anhaltspunkte für den Erlass einer Medienverfügung (sog. Banküberfall-Entscheidung) . . . . . . . . . . . . 70 j) Kein Verbot von Aufnahmen der professionellen Verfahrensbeteiligten (sog. Rekrutenmisshandlung-Entscheidung) . . . . . . . . . . . . . 70 k) Verbot der identifizierenden Aufnahmen von unbekannten Angeklagten (sog. Holzklotz-Entscheidung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 l) Vorrang der Anonymisierungsanordnung vor dem faktischen Aufnahmeverbot (sog. Wetttrinken-Entscheidung) . . . . . . . . . . . . . . . 74 m) Vorrang der Anonymisierungsanordnung vor dem Aufnahmeverbot (sog. Entführung-Entscheidung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 n) Verhältnismäßigkeit als Grenze des richterlichen Ermessens . . . . 75 IV. Ergebnis zu den Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen . . . . . . . . . . . . . 77
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C. Rechtliche Rahmenbedingungen für Bild-Aufnahmen . . . . . . . . . . . . . 78 I. Grundsätzliche Zulässigkeit der Aufnahmen . . . . . . . . . . . . . . . 78 II. Möglichkeiten zur Beschränkung der Aufnahmen . . . . . . . . . . . . . 79 III. Durch das BVerfG gesetzter Rahmen für die Beschränkungen . . . . . . 80 1. Wiederum „quasi erstinstanzliche Zuständigkeit“ des BVerfG . . . . 80 2. Abwägung der betroffenen Rechtsgüter als Maßstab für Medienverfügungen (sog. Kurdische Konsulatsbesetzer-Entscheidung) . . . . 80 3. Verhältnismäßigkeit als Maßstab für Medienverfügungen (sog. Pool-Lösung-Entscheidung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 4. Vorrang der Anonymisierungsanordnung vor dem Aufnahmeverbot (sog. CO2-Handel-Entscheidung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 5. Grundsätzliches Begründungserfordernis für Medienverfügungen (sog. Kindesmisshandlung-Entscheidung) . . . . . . . . . . . . . . . 83 6. Kein Aufnahmeverbot allein aufgrund der erkennbaren Abwehr von Aufnahmen (sog. Türkische Kommunisten-Entscheidung) . . . . 85 7. Zulassung von Bild-Aufnahmen an einzelnen Verhandlungstagen (sog. Schlecker-Entscheidung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 8. Verhältnismäßigkeit als Grenze des richterlichen Ermessens . . . . . 86 IV. Ergebnis zu den Bild-Aufnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 D. Rechtliche Rahmenbedingungen für Textberichte in Echtzeit . . . . . . . . . . 88 I. Besonderheiten der Textberichte in Echtzeit . . . . . . . . . . . . . . . . 88 II. Grundsätzliche Zulässigkeit der Textberichte in Echtzeit . . . . . . . . . 89 1. Differenzierung zwischen Mitnahme und Nutzung internetfähiger technischer Geräte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 2. Direkte Anwendung des § 169 Abs. 1 S. 2 GVG . . . . . . . . . . . . 89 3. Teleologische Extension bzw. analoge Anwendung des § 169 Abs. 1 S. 2 GVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 4. Kein gesetzliches Verbot der Textberichte in Echtzeit . . . . . . . . . 90 5. Würdigung der vertretenen Ansichten . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 III. Möglichkeiten zur Beschränkung der Textberichte in Echtzeit . . . . . . 93 IV. Durch das BVerfG gesetzter Rahmen für die Beschränkungen . . . . . . 94 V. Ergebnis zu den Textberichten in Echtzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
Kapitel 2 Für die Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 A. Einzubeziehende Rechte und schutzwürdigende Interessen . . . . . . . . . . . 97 B. Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen . . . . . . . . . . . 98
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I. Grundlagen des Öffentlichkeitsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . 98 II. Vorgaben des Art. 6 Abs. 1 EMRK für die Gerichtssaalberichterstattung . 98 1. Art. 6 Abs. 1 EMRK als „Auslegungshilfe“ . . . . . . . . . . . . . . 98 2. Gerichtssaalberichterstattung in der Rechtsprechung des EGMR . . . 99 3. Empfehlung des Europarates zur Gerichtssaalberichterstattung . . . . 101 4. Bewertung der Gerichtssaalberichterstattung in der Literatur . . . . . 101 5. Konsequenzen für die Auslegung des Öffentlichkeitsgrundsatzes . . . 104 III. Funktionen des Öffentlichkeitsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . 104 1. Beitrag der Gerichtssaalberichte zur Funktionserfüllung . . . . . . . . 104 2. Kontrollfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 a) Ursprung der Kontrollfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 b) Eignung der Öffentlichkeit zur Kontrolle der Judikative . . . . . . 105 c) Erforderlichkeit der Öffentlichkeit zur Kontrolle der Judikative . . 107 aa) Differenzierung zwischen den Schutzrichtungen der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 bb) Schutz der Unabhängigkeit der Richter . . . . . . . . . . . . . 108 cc) Schutz der Verfahrensbeteiligten vor dem Richter . . . . . . . 109 d) Beitrag der Gerichtssaalberichterstattung zur Kontrolle der Judikative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 3. Vertrauensbildungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 a) Ursprung und Wandel der Vertrauensbildungsfunktion . . . . . . . 113 b) Erforderlichkeit der Öffentlichkeit zur Vertrauensbildung . . . . . 114 c) Beitrag der Gerichtssaalberichterstattung zur Vertrauensbildung . . 115 4. Informationsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 a) Jüngere Funktion des Öffentlichkeitsgrundsatzes . . . . . . . . . . 118 b) Eignung der Öffentlichkeit zur Information über die Judikative . . 119 c) Erforderlichkeit der Öffentlichkeit zur Information über die Judikative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 d) Beitrag der Gerichtssaalberichterstattung zur Information über die Judikative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 IV. Öffentlichkeitsgrundsatz als Verfassungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . 124 1. Relevanz der Einordnung als Verfassungsgrundsatz . . . . . . . . . . 124 2. Keine Einordnung als Verfassungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . 124 3. Einordnung als Verfassungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 4. Würdigung der vertretenen Ansichten . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 V. Ergebnis zum Öffentlichkeitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 C. Kommunikationsgrundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 I.
Abwehrrechtliche Dimension der Kommunikationsgrundrechte . . . . . 128 1. Relevanz der Abwehrdimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 2. Gerichtssaalberichterstattung im sachlichen Schutzbereich der Kommunikationsgrundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 a) Schutz durch die Informationsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . 128
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b) Schutz durch die Medienfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 aa) Schutz durch die Pressefreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 bb) Schutz durch die Rundfunkfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . 135 c) Verhältnis der Informationsfreiheit zu den Medienfreiheiten . . . . 141 3. Gerichtssaalberichterstattung im persönlichen Schutzbereich der Medienfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 4. Regelung der Gerichtssaalberichterstattung als Eingriff in die Medienfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 II. Öffentliches Informationsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 1. Relevanz im Kontext der Kommunikationsgrundrechte . . . . . . . . 145 2. Dogmatische Grundlage des öffentlichen Informationsinteresses . . . 146 3. Öffentliches Informationsinteresse an Gerichtsverfahren . . . . . . . 149 III. Objektiv-rechtliche Dimension der Kommunikationsgrundrechte . . . . 150 IV. Ergebnis zu den Kommunikationsgrundrechten . . . . . . . . . . . . . . 153 D. Berufsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 E. Steigerung von Rechtskenntnis und Rechtsverständnis . . . . . . . . . . . . . 155 I. Gegenwärtige Wissensdefizite der Allgemeinheit . . . . . . . . . . . . . 155 II. Fehlende realitätsgetreue Wiedergabe des Geschehens im Gericht . . . . 158 1. Relevanz der wirklichkeitsgetreuen Darstellung . . . . . . . . . . . . 158 2. Keine repräsentative Auswahl der Verhandlungen für die Berichte . . 158 3. Entstellung des Geschehens bei Gericht in den Berichten . . . . . . . 160 III. Ausrichtung der Gerichtssaalberichterstattung auf Unterhaltung . . . . . 164 IV. Mangelnde Fachkompetenz der Medienvertreter . . . . . . . . . . . . . 166 V. Komplexität des Geschehens im Gerichtssaal . . . . . . . . . . . . . . . 167 VI. Ergebnis zur Steigerung von Rechtskenntnis und Rechtsverständnis . . . 170 F. Rehabilitationsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 G. Präventionswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172
Kapitel 3 Gegen die Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 A. Einzubeziehende Rechte und schutzwürdigende Interessen . . . . . . . . . . . 175 B. Allgemeines Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 I. Grundlagen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . . . 176 II. Gerichtssaalberichterstattung im persönlichen Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176
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III. Gerichtssaalberichterstattung im sachlichen Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 1. Engere persönliche Lebenssphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 a) Gefahr durch die Publikation von Umständen aus der engeren persönlichen Lebenssphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 b) Divergierende Gefahren für die engere persönliche Lebenssphäre . 181 aa) Differenzierung nach Verfahrensarten . . . . . . . . . . . . . 181 bb) Differenzierung nach Instanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 cc) Differenzierung nach Verfahrensabschnitten . . . . . . . . . . 184 2. Selbstdarstellungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 a) Relevante Selbstdarstellungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 b) Recht am eigenen Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 c) Recht am eigenen gesprochenen Wort . . . . . . . . . . . . . . . 186 3. Recht auf informationelle Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . 187 4. Recht der persönlichen Ehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 5. Recht auf Resozialisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 6. Fehlende Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts im Fall einer Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 a) Betroffene Teilgewährleistungen des Rechts . . . . . . . . . . . . 191 b) Grenzen der Einwilligungsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . 191 aa) Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 bb) Interessen der Allgemeinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 c) (Weitere) Wirksamkeitsvoraussetzungen der Einwilligung . . . . . 194 IV. Ergebnis und Ausblick zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht . . . . . . 195 C. Unschuldsvermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 D. Funktionsfähigkeit der Rechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 I. Grundlagen und Ausprägungen der Funktionsfähigkeit . . . . . . . . . . 200 II. Wahrheitsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 1. Relevante Gefahren für die Wahrheitsfindung . . . . . . . . . . . . . 200 2. Gefahr der Verhaltensbeeinflussung der Verfahrensbeteiligten . . . . . 201 a) „Den Vorhang herablassen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 b) „Theater spielen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 c) Bewertung der vermuteten Gefahren . . . . . . . . . . . . . . . . 205 aa) Fehlende empirische Fundierung . . . . . . . . . . . . . . . . 205 bb) Divergierende Gefahren der Verhaltensbeeinflussung . . . . . 208 (1) Differenzierung nach Instanzen . . . . . . . . . . . . . . 208 (2) Differenzierung nach Verfahrensabschnitten . . . . . . . 209 (3) Differenzierung nach Verfahrensarten . . . . . . . . . . . 211 (4) Differenzierung nach Medienformen . . . . . . . . . . . 211 3. Gefahr der Vorabinformation von Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . 212 III. Rechtsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
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1. Relevante Gefahr für die Rechtsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . 215 2. Schutz des Richters vor gesellschaftlichen Einflüssen . . . . . . . . . 215 3. Gefahr für die Unabhängigkeit des Richters . . . . . . . . . . . . . . 218 a) Drohende psychische Befangenheit des Richters . . . . . . . . . . 218 b) Bewertung der vermuteten Gefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 aa) Fehlende empirische Fundierung . . . . . . . . . . . . . . . . 220 bb) Divergierende Gefahren für die Unabhängigkeit des Richters . 224 (1) Differenzierung nach Instanzen . . . . . . . . . . . . . . 224 (2) Differenzierung nach Verfahrensarten . . . . . . . . . . . 225 (3) Differenzierung nach Verfahrensabschnitten . . . . . . . 226 (4) Differenzierung nach Medienformen . . . . . . . . . . . 227 IV. Ergebnis zur Funktionsfähigkeit der Rechtspflege . . . . . . . . . . . . . 227 E. Recht auf ein faires Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 I. II. III. IV.
Grundlagen des Rechts auf ein faires Verfahren . . . . . . . . . . . . . . 228 Gefahren für die Verteidigungsfähigkeit des Angeklagten . . . . . . . . . 229 Gefahren für den kommunikativen Verkehr mit dem Verteidiger . . . . . 233 Ergebnis zum Recht auf ein faires Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . 233
F. Allgemeiner Justizgewährungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 G. Ungestörter äußerer Verfahrensablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 H. Würde des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 I. Kriminogene Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 J. Präventionswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
Kapitel 4 Gerichtssaalberichterstattung in England . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 A. Relevanz des Rechtsvergleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 B. Rechtliche Rahmenbedingungen der Gerichtssaalberichterstattung in England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 I.
Open justice principle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 1. Grundlagen des open justice principle . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 2. Inhalt des open justice principle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 3. Grenzen des open justice principle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 4. Ergebnis zum open justice principle . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 II. Rechtliche Rahmenbedingungen für Bild- und Bild/Ton-Aufnahmen . . . 252 1. Absolutes Aufnahme- und Veröffentlichungsverbot nach s. 41(1) Criminal Justice Act 1925 . . . . . . . . . . . . . . . . 252
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a) Gesetzgeberische Formulierung des Verbots . . . . . . . . . . . . 252 b) Motive des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 c) Tatbestand des s. 41(1) Criminal Justice Act 1925 . . . . . . . . . 253 aa) „Minefield of obscurity“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 bb) Erfasste Arten der Aufnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 cc) Mögliche Tathandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 dd) Erfasste Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 ee) Zeitlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 ff) Räumlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . 258 gg) Geschützte Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 hh) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 d) Rechtsfolge des s. 41(1) Criminal Justice Act 1925 . . . . . . . . . 263 2. Ausnahme vom Aufnahme- und Veröffentlichungsverbot nach s. 41(2)(a) Criminal Justice Act 1925 a. E. . . . . . . . . . . . . 264 a) Anwendbarkeit der Ausnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 b) Motive des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 c) Möglichkeiten zur Beschränkung der Bild/Ton-Aufnahmen . . . . 265 3. Ausnahme vom Aufnahme- und Veröffentlichungsverbot nach der Court of Appeal (Recording and Broadcasting) Order 2013 . . . . . . 266 a) Anwendbarkeit der Ausnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 b) Motive des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 c) Tatbestand der Ausnahme vom Aufnahmeverbot nach der Court of Appeal (Recording and Broadcasting) Order 2013 . . . . 268 aa) Erfasste Verfahrensarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 bb) Geschützte Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 cc) Zeitlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 dd) Räumlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . 269 ee) Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . 270 d) Tatbestand der Ausnahme vom Veröffentlichungsverbot nach der Court of Appeal (Recording and Broadcasting) Order 2013 . . . . 270 e) Rechtsfolge der Court of Appeal (Recording and Broadcasting) Order 2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 4. Ausnahme vom Aufnahmeverbot nach der Crown Court (Recording) . Order 2016 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 5. Verbot von Bild- und Bild/Ton-Aufnahmen nach dem common law . 272 a) Grundlagen des contempt of court . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 b) Bild-Aufnahmen im Gericht als contempt of court (R. v. D.) . . . . 273 c) Bild/Ton-Aufnahmen im Gericht als contempt of court (R. v. Ivanov) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 d) Voraussetzungen des contempt of court durch Bild- und Bild/Ton-Aufnahmen im Gericht (Solicitor General v. Cox) . . . . 275 e) Bild-Aufnahmen in der Eingangshalle des Gerichts als contempt of court (R. v. Smith) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
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6. Ergebnis zu den rechtlichen Rahmenbedingungen für Bild- und Bild/Ton-Aufnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 III. Rechtliche Rahmenbedingungen für Ton-Aufnahmen . . . . . . . . . . . 279 1. Aufnahme- und Veröffentlichungsverbot nach s. 9(1) Contempt of Court Act 1981 . . . . . . . . . . . . . . . 279 a) Anwendbarkeit des Verbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 b) Motive des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 c) Tatbestand des s. 9(1) Contempt of Court Act 1981 . . . . . . . . 280 aa) Mögliche Tathandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 (1) Anfertigung von Ton-Aufnahmen . . . . . . . . . . . . . 280 (2) Veröffentlichung von Ton-Aufnahmen . . . . . . . . . . 281 (3) Nutzung von Ton-Aufnahmen unter Verstoß gegen Bedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 bb) Erfasste Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 cc) Räumlicher und zeitlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . 282 dd) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 d) Rechtsfolge des s. 9(1) Contempt of Court Act 1981 . . . . . . . . 283 2. Ausnahme vom Veröffentlichungsverbot nach s. 9(1A) Contempt of Court Act 1981 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 3. Ausnahme vom Aufnahme- und Veröffentlichungsverbot nach der Court of Appeal (Recording and Broadcasting) Order 2013 . . . . . . 285 4. Ausnahme vom Aufnahmeverbot nach der Crown Court (Recording) Order 2016 . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 5. Ergebnis zu den rechtlichen Rahmenbedingungen für Ton-Aufnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 IV. Rechtliche Rahmenbedingungen für Textberichte in Echtzeit . . . . . . . 286 1. Power to controll its own proceedings . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 2. Zulässigkeit der Textberichte in Echtzeit aus Strafverfahren . . . . . . 286 a) Differenzierung nach Berichterstattern . . . . . . . . . . . . . . . 286 b) Medienvertreter und juristische Kommentatoren . . . . . . . . . . 287 c) „Gewöhnliche“ Bürger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 3. Zulässigkeit der Textberichte in Echtzeit außerhalb der Strafverfahren 288 4. Zulässigkeit der Textberichte in Echtzeit am Supreme Court . . . . . 289 5. Ergebnis zu den rechtlichen Rahmenbedingungen für Textberichte in Echtzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 V. Differenzierte Regelung der Gerichtssaalberichterstattung . . . . . . . . 290 C. Für und gegen die Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 I. Überblick über den Verlauf der Debatte in England . . . . . . . . . . . . 291 II. Für die Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 1. Open justice principle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292
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a) Funktionen des open justice principle . . . . . . . . . . . . . . . . 292 b) Beitrag der Gerichtssaalberichterstattung zur Überprüfung der Gerichte und zur Sicherung eines gerechten Urteils . . . . . . 292 c) Beitrag der Gerichtssaalberichterstattung zur Schaffung und Erhaltung des Vertrauens auf die Gerichte . . . . . . . . . . . 294 2. Steigerung der Rechtskenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 a) Gegenwärtige Wissensdefizite der Allgemeinheit . . . . . . . . . . 295 b) Fehlende realitätsgetreue Wiedergabe des Geschehens im Gericht . 296 aa) Relevanz der wirklichkeitsgetreuen Darstellung . . . . . . . . 296 bb) Keine repräsentative Auswahl der Verhandlungen für die Berichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 cc) Entstellung des Geschehens bei Gericht in den Berichten . . . 298 c) Ausrichtung der Gerichtssaalberichterstattung auf Unterhaltung . . 298 d) Komplexität des Geschehens im Gerichtssaal . . . . . . . . . . . 299 e) Keine Aufgabe der Gerichtssaalberichterstattung . . . . . . . . . . 300 3. Gleichstellung der Gerichte mit dem Parlament . . . . . . . . . . . . 300 4. Rechte der Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 III. Gegen die Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 1. Rechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 a) Gefahren für die Rechtspflege als zentrales Gegenargument . . . . 301 b) Gefahren mit Blick auf die Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 aa) Gefahr der Verhaltensbeeinflussung der Zeugen . . . . . . . . 302 bb) Gefahr der Vorabinformation von Zeugen . . . . . . . . . . . 304 c) Gefahren mit Blick auf die Richter und Rechtsanwälte . . . . . . . 304 d) Gefahren mit Blick auf die Jury . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 e) Gefahren mit Blick auf die Parteien bzw. den Angeklagten . . . . 308 2. Ungestörter äußerer Verfahrensablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 3. Rechte und Interessen des Angeklagten . . . . . . . . . . . . . . . . 310 4. Würde des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 5. Privatheit der Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 D. Lehren aus der englischen Erfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313
Kapitel 5 Rechtliche Rahmenbedingungen der Gerichtssaalberichterstattung de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 A. Vorgehen bei der Ermittlung des zeitgemäßen Rechtsrahmens . . . . . . . . . 317 B. Zeitgemäße rechtliche Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 I.
Maßstab für die Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318
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II. Anforderungen des Gesetzesvorbehalts nach Art. 5 Abs. 2 GG . . . . . . 319 III. Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes . . . . . . . . . . . 319 1. Voraussetzungen der Verhältnismäßigkeit eines Grundrechtseingriffs . 319 2. Legitimer Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 a) Prinzipielle Eignung als legitimer Zweck . . . . . . . . . . . . . . 320 b) Fehlender Nachweis für die Gefährdung einiger Positionen . . . . 321 3. Eignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 a) Tauglichkeit zur Zweckerreichung . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 b) Konkrete geeignete Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 4. Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 a) Zweischrittige Prüfung der Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . 325 b) Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . . 326 aa) Schutz der engeren persönlichen Lebenssphäre und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . 326 bb) Schutz des Rechts am eigenen Bild und eigenen gesprochenen Wort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 cc) Schutz des Rechts der persönlichen Ehre . . . . . . . . . . . . 328 dd) Schutz des Rechts auf Resozialisierung . . . . . . . . . . . . . 330 c) Schutz der Unschuldsvermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 d) Schutz der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege . . . . . . . . . . 331 aa) Schutz der Wahrheitsfindung vor der Verhaltensbeeinflussung der Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 bb) Schutz der Wahrheitsfindung vor Vorabinformationen von Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 cc) Schutz der Rechtsfindung vor Beeinträchtigungen der Unabhängigkeit der Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 e) Schutz des Rechts auf ein faires Verfahren . . . . . . . . . . . . . 332 f) Schutz des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs . . . . . . . . 333 g) Schutz des ungestörten äußeren Verfahrensablaufs . . . . . . . . . 333 h) Schutz vor einer kriminogenen Wirkung . . . . . . . . . . . . . . 334 i) Schutz der Präventionswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 j) Schutz aller Rechte und schutzwürdigen Interessen . . . . . . . . 334 5. Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 a) Dreischrittige Prüfung der Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . 334 b) Abstrakte Gewichtung der konfligierenden Rechte und Interessen . 335 aa) Relevante Rechte und Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . 335 bb) Gewichtung der Rechte und Interessen . . . . . . . . . . . . . 337 c) Konkrete Gewichtung der konfligierenden Rechte und Interessen . 339 aa) Ermittlung des konkreten Gewichts . . . . . . . . . . . . . . . 339 bb) Gewicht der Beeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 (1) Vergleich mit der klassischen Gerichtsberichterstattung . 339 (2) Medienfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 (a) Öffentliches Informationsinteresse . . . . . . . . . . 340
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(b) Stadium der Informationsbeschaffung . . . . . . . . 342 (c) Stadium der Informationsverbreitung . . . . . . . . . 344 (3) Öffentlichkeitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 (4) Steigerung von Rechtskenntnis und Rechtsverständnis . . 347 (5) Rehabilitationswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 (6) Präventionswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 (7) Zusammenfassung zum Gewicht der Beeinträchtigung . . 350 cc) Konkreter Gemeinwohlgewinn . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 (1) Ermittlung des konkreten Gemeinwohlgewinns . . . . . . 351 (2) Allgemeines Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . 352 (a) Engere persönliche Lebenssphäre und Recht auf informationelle Selbstbestimmung . . . . . . . . . . 352 (b) Recht am eigenen Bild und am eigenen gesprochenen Wort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 (c) Recht der persönlichen Ehre . . . . . . . . . . . . . . 354 (d) Recht auf Resozialisierung . . . . . . . . . . . . . . 354 (3) Unschuldsvermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 (4) Funktionsfähigkeit der Rechtspflege . . . . . . . . . . . 355 (a) Verhaltensbeeinflussung der Beteiligten als Gefahr für die Wahrheitsfindung . . . . . . . . . . . . . . . 355 (b) Vorabinformation von Zeugen als Gefahr für die Wahrheitsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 (c) Beeinträchtigung der Unabhängigkeit der Richter als Gefahr für die Rechtsfindung . . . . . . . . . . . 357 (5) Recht auf ein faires Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . 357 (6) Allgemeiner Justizgewährungsanspruch . . . . . . . . . 358 (7) Ungestörter äußerer Verfahrensablauf . . . . . . . . . . . 358 (8) Kriminogene Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 (9) Präventionswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 (10) Zusammenfassung zum konkreten Gemeinwohlgewinn . 359 d) Abwägung der betroffenen Rechte und Interessen . . . . . . . . . 362 aa) Strukturierung der Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 bb) Aufnahmen in den Tatsacheninstanzen der Strafverfahren . . . 364 (1) Aufnahmeverbot als angemessene Regelung . . . . . . . 364 (2) Umfang des angemessenen Aufnahmeverbots . . . . . . 365 cc) Aufnahmen in den Tatsacheninstanzen der übrigen Verfahrensarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 (1) Aufnahmeverbot als angemessene Regelung? . . . . . . . 367 (2) Reglementierung der Aufnahmen als angemessene Regelung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 (3) Kombination der denkbaren Regelungen . . . . . . . . . 370 dd) Aufnahmen in den Rechtsinstanzen der Strafverfahren . . . . . 371 (1) Aufnahmeverbot als angemessene Regelung? . . . . . . . 371
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(2) Reglementierung der Aufnahmen als angemessene Regelung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 (3) Kombination der denkbaren Regelungen . . . . . . . . . 373 ee) Aufnahmen in den Rechtsinstanzen der übrigen Verfahrensarten und den Verfahren am BVerfG . . . . . . . . 374 (1) Aufnahmeverbot als angemessene Regelung? . . . . . . . 374 (2) Reglementierung der Aufnahmen als angemessene Regelung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 ff) Textberichte in Echtzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 (1) Verbot der Textberichte in Echtzeit als angemessene Regelung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 (2) Reglementierung der Textberichte in Echtzeit als angemessene Regelung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 6. Zusammenfassung zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz . . . . . . . . 377 C. Vergleich der erarbeiteten zeitgemäßen Rahmenbedingungen mit den aktuellen Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 D. Entwicklung einer Reformvorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 I. Anhaltspunkte für die Formulierung der Vorschrift . . . . . . . . . . . . 379 II. Künftiger Regelungskontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 III. Regelung der Aufnahmen in den Tatsacheninstanzen der Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 1. § 169 Abs. 1 S. 2 GVG als Vorbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 2. Sachliche Ausdehnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 3. Räumliche Ausdehnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 4. Zeitliche Ausdehnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 IV. Regelung der Aufnahmen in den Rechtsinstanzen der Strafverfahren und den Tatsacheninstanzen der übrigen Verfahrensarten . . . . . . . . . 384 1. § 169 Abs. 1 S. 2 GVG i. V. m. § 169 Abs. 3 S. 1 GVG als Vorbilder . . 384 2. Ausnahmsweise Zulassung der Aufnahmen . . . . . . . . . . . . . . 385 a) Gebundene Entscheidung oder Ermessensentscheidung? . . . . . . 385 b) Zuständigkeit für die Ermessensentscheidung . . . . . . . . . . . 386 3. Beschränkung der ausnahmsweise zugelassenen Aufnahmen . . . . . 388 a) Voraussetzungen für die Beschränkung . . . . . . . . . . . . . . . 388 b) Vorgaben für die zugelassenen Aufnahmen . . . . . . . . . . . . . 388 V. Regelung der Textberichte in Echtzeit und der Aufnahmen in den Rechtsinstanzen aller Verfahrensarten mit Ausnahme des Strafverfahrens sowie in den Verfahren am BVerfG . . . . . . . . . . 390 1. § 17a Abs. 1 S. 2 BVerfGG als Vorbild . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 2. Beschränkung der grundsätzlich zugelassenen Gerichtssaalberichte . . 391 a) Voraussetzungen für die Beschränkung . . . . . . . . . . . . . . . 391 b) Gebundene Entscheidung oder Ermessensentscheidung? . . . . . . 391
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c) Vorgaben für die Gerichtssaalberichte . . . . . . . . . . . . . . . 392 VI. Verfahren bei der Zulassung oder Beschränkung der Berichte . . . . . . 393 1. Verhandlung über die Zulassung oder Beschränkung . . . . . . . . . 393 2. Begründungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 3. Unanfechtbarkeit der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 VII. Erforschung der Auswirkungen von Gerichtssaalberichten . . . . . . . . 395 E. Formulierung der Reformvorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396
Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437
Abkürzungsverzeichnis Die in dieser Arbeit verwendeten Abkürzungen entsprechen grundsätzlich denen in Hildebert Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 8. Aufl., Berlin/Boston 2015. Ergänzend wird auf das nachfolgende Abkürzungsverzeichnis verwiesen. A.B.A.J. A.C. ALJ Alt LJ AnwZert ITR BDVR-Rundschreiben
American Bar Association Journal Appeal Cases Law Report Australian Law Journal Alternative Law Journal AnwaltZertifikatOnline IT-Recht Rundschreiben des Bundes Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen BLJ Bucerius Law Journal BNN Badische Neueste Nachrichten BRAK-Magazin Bundesrechtsanwaltskammer-Magazin BVerfGGO Geschäftsordnung des Bundesverfassungsgerichts vom 19.11.2014, BGBl I S. 286 BYU L.Rev. Brigham Young University Law Review CCA 1981 Contempt of Court Act 1981 CCA 2013 Crime and Courts Act 2013 C.I.L. Contemporary Issues in Law CJA 1925 Criminal Justice Act 1925 CJICL Cambridge Journal of International and Comparative Law Comms L Communications Law CPCS Crime Prevention and Community Safety CPD Criminal Practice Directions [2015] EWCA Crim 1567 CPR Civil Procedure Rules, SI 1998/3132 CRA 2005 Constitutional Reform Act 2005 Cr.App.R. Criminal Appeal Reports Crim.L.R. Criminal Law Review Crim PR Criminal Procedure Rules, SI 2015/1490 Dick.J.Int’l L. Dickinson Journal of International Law DJV Deutscher Journalisten-Verband e.V. DRB Deutscher Richterbund e.V. EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EMöGG Gesetz zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für Sprachund Hörbehinderte vom 08.10.2017, BGBl I S. 3546 EWCA Crim Court of Appeal (Criminal Division)
XXVIII EWG Ex p. Fam. FAZ FD-StrafR HC Deb HL Deb I.C.R. Idaho L.Rev. I.J.N.S. Int’l Soc’y Barristers ITN J.C. J.C.L. JJA jM JML JMLP J.P.N. J.R. jurisPR-ArbR jurisPR-ITR jurisPR-StrafR K.B. KriPoZ KSLR L.Q.R. LS Gaz Med LR MLR NLJ Nott.L.J. NPresseG NRStV NSU NTfK NWDR NZWiSt Order 2013 Order 2016 PD 8 P.L. PR pt., pts.
Abkürzungsverzeichnis Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Ex parte Law Reports, Family Division Frankfurter Allgemeine Zeitung Fachdienst Strafrecht Debates (House of Commons) Debates (House of Lords) Industrial Court Reports Idaho Law Review Irish Jurist (New Series) International Society of Barristers Quarterly Independent Television News Session Cases, Justiciary Journal of Criminal Law Journal of Judicial Administration juris – Die Monatszeitschrift Journal of Media Law Journal of Media Law and Practice Justice of the Peace Judicial Review juris PraxisReport Arbeitsrecht juris PraxisReport IT-Recht juris PraxisReport Strafrecht King’s Bench Law Report Kriminalpolitische Zeitschrift King’s Student Law Review Law Quarterly Review Law Society’s Gazette Medical Law Reports Modern Law Review New Law Journal Nottingham Law Journal Niedersächsisches Pressegesetz vom 22.03.1965, Nds. GVBl S. 9. Niedersächsischer Rundfunkstaatsvertrag vom 31.08.1991, Nds. GVBl S. 311. Nationalsozialistischer Untergrund Nordisk Tidsskrift for Kriminalvidenskab Nordwestdeutscher Rundfunk Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmensstrafrecht Court of Appeal (Recording and Broadcasting) Order 2013, SI 2013/2786 Crown Court (Recording) Order 2016, SI 2016/612 Supreme Court of the United Kingdom, Practice Direction 8: Miscellaneous Matters Public Law Public Relations Part, parts
Abkürzungsverzeichnis PVS Politische Vierteljahresschrift Q.B. Queen’s Bench Law Report R. Regina, the Queen; Rex, the King r. Rule RuF Rundfunk und Fernsehen SchlHA Schleswig-Holsteinische Anzeigen s. siehe; section SZ Süddeutsche Zeitung TKMR Zeitschrift für Telekommunikation- und Medienrecht U.N.S.W.L.J. University of New South Wales Law Journal U.S. United States Reports vol. Volume WLR Weekly Law Reports Wm. & Mary Bill Rts William & Mary Bill of Rights Journal
XXIX
Einleitung A. Problemdarstellung Mittwoch, 16. Mai 2018. 10 Uhr morgens. Die Tür in der Mitte des holzgetäfelten Gerichtssaals wird geöffnet und schnell wieder geschlossen. Ein Gerichtsdiener betritt den Saal und verkündet: „Das Bundesverfassungsgericht.“ Erneut geht die Tür auf. Die acht Richterinnen und Richter des Ersten Senats des höchsten deutschen Gerichts betreten nacheinander den Saal, allen voran der Vorsitzende Richter, Ferdinand Kirchhof. Er wartet ab, bis seine Kollegen1 ihre Plätze an der langen Richterbank eingenommen haben. Mit den Worten „Bitte nehmen Sie Platz.“ nimmt er sein scharlachrotes Barrett ab und setzt sich. Die anderen Verfassungsrichter tun es ihm gleich. Die Kamera zoomt auf Kirchhof. Er wirft einen letzten kurzen Blick in seine Unterlagen und sagt dann: „Ich eröffne die mündliche Verhandlung des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts.“ Eine knappe Einführung in den Sachverhalt und in die rechtlichen Probleme des vorliegenden Falles, die Feststellung der Anwesenheit der Beteiligten, dann, gut zehn Minuten später, heißt es: „[Ich] darf jetzt darum bitten, die Fernseh-, Ton- und Foto-Aufnahmen einzustellen.“ Wer an diesem ersten Verhandlungstag nicht selbst im Sitzungssaal des Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sein konnte, um dort das Schicksal der Verfassungsbeschwerden gegen den Rundfunkbeitrag2 zu verfolgen, konnte mittels dieser zehnminütigen Aufnahme in der Mediathek der ARD jedenfalls einen kleinen Einblick in das Verfahren erhalten.3 Damit nimmt das BVerfG eine Sonderstellung unter den deutschen Gerichten ein. Während zwar überall der Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen gilt, der in § 169 Abs. 1 S. 1 GVG kodifiziert ist,4 und damit jedermann den Verhandlungen persönlich bei-
1 Der
besseren Lesbarkeit halber wird im Folgenden ausschließlich die männliche Form verwendet. Damit sind jedoch stets alle Geschlechter gemeint. 2 BVerfG, NJW 2018, 3223. 3 Abrufbar unter www.tagesschau.de/multimedia/video/video-404077.html, Stand: 13.12. 2019. 4 Für das BVerfG ist die Öffentlichkeit in § 17a Abs. 1 S. 1 BVerfGG vorgesehen, für die
2
Einleitung
wohnen kann, bleiben die Türen der deutschen Gerichtssäle für Kameras und Mikrofone der Medienvertreter in großen Teilen verschlossen. Das war nicht immer so: Erstmals waren die Rundfunksender schon in den 1930er Jahren bei Gericht präsent.5 In den 1950er Jahren sendete der Nordwestdeutsche Rundfunk (NWDR) Berlin, später der Sender Freies Berlin, wöchentlich „Menschen und Paragraphen – Originalaufnahmen aus Berliner Gerichtssälen“.6 Von mehreren Radioübertragungen in der Woche berichtete ein Berliner Amtsgerichtsdirektor.7 Mit dem technischen Fortschritt hielten in den spektakulären Fällen auch Fernsehkameras Einzug in die Gerichtssäle. 1957 übertrug der Bayerische Rundfunk (BR) die Strafverhandlung gegen den früheren Wehrmachtsgeneral Ferdinand Schörner im Fernsehen.8 Zwei Jahre später wurde die Urteilsverkündung im Strafverfahren gegen den ehemaligen Präsidenten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), Walter Hallstein, für das Fernsehen gefilmt.9 Diese Beispiele zeigen: Einige Zeit waren die Instanzgerichte durchaus offen für Kameras und Mikrofone.10 Diese Offenheit wurde in der Rechtswissenschaft nicht uneingeschränkt begrüßt. In den späten 1950er und den frühen 1960er Jahren regte sich vielfach Kritik an der als zu „liberal“ empfundenen Rechtslage.11 Die Kritiker konnten sich dabei auf eine zunehmend restriktive Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) stützen, die Fernseh- und Radio-Aufnahmen in Strafverfahren zuletzt während all der Abschnitte der Verhandlung untersagte, die zur Überzeugungsbildung des Gerichts beitrugen.12 Dies veranlasste den Gesetzgeber 1964 Arbeitsgerichte in § 52 S. 1 ArbGG. Wo im weiteren Verlauf der Arbeit von der Öffentlichkeit nach § 169 Abs. 1 S. 1 GVG gesprochen wird, ist stets auch diese Öffentlichkeit gemeint. 5 Friehe, in: Kontrolle des Gerichts, S. 1 (S. 4); Vogel, Fernsehübertragungen, S. 34. 6 Sarstedt, JR 1956, 121. 7 Melzer, DRiZ 1957, 62. Schon in einer Glosse aus dem Jahr 1956 wird eine Szene beschrieben, in der „Rundfunkreporter mit ihren Mikrophonen in einen Schwurgerichtssaal eingedrungen sind“ (NJW 1956, 93). 8 Lang, Ton- und Bildträger, S. 70. 9 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 312; Maxin, in: Kontrolle des Gerichts, S. 105 (S. 115 f.); Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 128; Töpper, DRiZ 1995, 242. 10 Britz, Fernsehaufnahmen, S. 102; ders., in: FS Schiller, S. 81 (S. 90). 11 Maßgeblich waren die kritischen Beiträge von Bertram, DRiZ 1956, 127; Bockelmann, NJW 1960, 217; Bussmann, RuF 1955, 7; dems., AnwBl 1957, 89; Dahs, AnwBl 1959, 171 (179 ff.); dems., NJW 1961, 1755; Erdsiek, NJW 1960, 1048; Sarstedt, JR 1956, 121; dems., in: Tonbandaufnahmen, S. 57; Schmidt, in: FS Schmidt, S. 338; dems., Sache der Justiz, S. 22 ff.; dems., JZ 1962, 221; dems., Justiz und Publizistik. Auf die Seite der Medien stellten sich vor allem Arndt, NJW 1960, 423; Becker, DRiZ 1960, 218; Jung, Presse, Rundfunk und Film, S. 8 ff.; Kohlhaas, DRiZ 1956, 2; Lang, Ton- und Bildträger, S. 14 ff.; Schneider, JuS 1963, 346. 12 BGH, Urt. vom 22.01.1957 – 1 StR 321/56; BGHSt 10, 202; 16, 111.
A. Problemdarstellung
3
schließlich, durch den Erlass des früheren § 169 S. 2 GVG (heute § 169 Abs. 1 S. 2 GVG) Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zweck der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhalts während der mündlichen Verhandlung zu verbieten.13 Seitdem erfuhr die Rechtslage zwei Lockerungen: 1998 schuf der Gesetzgeber mit § 17a BVerfGG eine Ausnahme für ausgewählte Abschnitte der Verhandlungen am BVerfG.14 Damit kodifizierte er im Ergebnis die „faktische Zulassung“15, die am BVerfG schon bald nach Erlass des gesetzlichen Aufnahmeverbots zu Beginn der mündlichen Verhandlungen und während der Entscheidungsverkündungen praktiziert worden war.16 Rund 20 Jahre später, im Jahr 2017, wurde mit § 169 Abs. 3 GVG eine zweite Ausnahme für die Entscheidungsverkündungen oberster Bundesgerichte eingeführt, die jedoch nicht auf gelebter Praxis beruhte, sondern das Ergebnis einer umfassenden rechtspolitischen Diskussion war.17 In weiten Teilen, insbesondere an Instanzgerichten, sind Rundfunk-, Ton- und Film aufnahmen während der mündlichen Verhandlungen damit auch heute noch gesetzlich ausgeschlossen. Das Verbot in § 169 Abs. 1 S. 2 GVG greift jedoch nicht für alle Formen der Berichterstattung. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollten insbesondere Textberichte und das Fotografieren im Gericht nur Beschränkungen durch den Vorsitzenden Richter auf der Basis der sitzungspolizeilichen Generalklausel (§ 176 GVG) bzw. dem Hausrecht der Gerichtsverwaltung unterliegen sowie materiell-rechtlich durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht begrenzt werden. Dasselbe sollte für die Rundfunk-, Ton- und Filmaufnahmen aus dem Gericht gelten, die außerhalb der mündlichen Verhandlung angefertigt wurden.18 Auch bei den Reformen des gesetzlichen Verbots 1998 und 2017 sah der Gesetzgeber sich nicht gehalten, die übrigen Formen der Gerichtsberichterstattung explizit zu regeln. Ob und inwiefern sie im Gerichtssaal zulässig sind, ist also nach wie vor eine Frage des Einzelfalles.
13
BGBl I S. 1080. BGBl I S. 1823. 15 Von Coelln, in: MSKB, BVerfGG, § 17a Rn. 19. 16 Von Coelln, in: MSKB, BVerfGG, § 17a Rn. 19; Sauer, in: BeckOK BVerfGG, § 17a Rn. 8. 17 BGBl I S. 3546. Kritik daran wurde vorrangig von Seiten der Richter geübt, s. nur Limperg, in: dies./Gerhardt, ZRP 2016, 124; Milger, in: Spiekermann, NJW-aktuell 25/2016, 12; Rebehn, DRiZ 2016, 204; Schmidt, in: Esslinger, SZ vom 02.05.2016, S. 6. Befürworter der Reform waren vor allem Vertreter der Rundfunkmedien, s. nur Bernzen/Bräutigam, K&R 2017, 555; Bräutigam, AnwBl 2014, 253; ders., DRiZ 2015, 378; ders., DRiZ 2017, 164; ders., BRAK-Magazin 4/2017, S. 15; Deppe, DRiZ 2017, 198. 18 BTDrucks III/2037, S. 44; BTDrucks IV/178, S. 45 f. 14
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Einleitung
Während sich die Rechtslage seit 1964 demnach nur geringfügig verändert hat, haben sich in der Medienwelt im selben Zeitraum grundlegende Umbrüche ergeben.19 Das betrifft, erstens, mit Radio und Fernsehen die beiden Medienformen, auf deren Berichterstattung aus dem Gericht sich § 169 S. 2 GVG a. F. ursprünglich bezog. Waren bis 1984 in Deutschland mit ARD, ZDF und dem jeweiligen Landesprogramm nur drei Fernseh- und maximal fünf Radiosender zu empfangen, veränderte sich die Medienlandschaft mit der Einführung des dualen Rundfunksystems drastisch.20 2016 wurden hierzulande allein 397 private Fernsehsender21 und 288 private Radiosender22 gezählt. Auch die öffentlich-rechtlichen Rundfunksender bauten ihr Angebot stark aus. So kommen zu diversen privaten Radiosendern zum Beispiel noch rund 70 öffentlich-rechtliche Radiosender hinzu.23 Zweitens etablierte sich in der Zwischenzeit mit dem Internet eine neue Plattform, die das journalistische Arbeiten von Grund auf veränderte.24 Immer neue Möglichkeiten der immer aktuelleren Berichterstattung entstanden, etwa Live streams, mit denen die Aufnahmen von Ereignissen in Echtzeit an Medienkonsumenten in aller Welt übertragen werden können.25 Sie machen dem Angebot des klassischen Rundfunks zusätzlich Konkurrenz. Selbst den „nur“ schreibenden Journalisten bieten sich nunmehr im Netz diverse neue Möglichkeiten, Bericht zu erstatten, etwa auf Live-Blogs oder dem Kurznachrichtendienst Twitter.26 Eine weitere zentrale Entwicklung ist, drittens, die zunehmende Konvergenz der Medien.27 Besonders im Internet setzen die Verlage und Sender immer stärker auf multimediale Angebote. Die Grenzen zwischen den Medienformen verschwimmen. Parallel zu diesen Entwicklungen auf Seiten der Anbieter verschoben sich, viertens, die Präferenzen der Medienkonsumenten: Während 1964 die Tageszeitungen mit beachtlichem Vorsprung vor dem Rundfunk die meisten Bürger erreichten, war das Fernsehen 2015 mehr als doppelt so reichweitenstark wie die Zeitungen. Auch Radio sowie Internet erreichen die Bevölkerung mittlerweile in Zum Ganzen auch: Bernzen, in: Medienrecht im Medienumbruch, S. 205 (S. 209 f.). Kühling, in: BeckOK InfoMedienR, Art. 5 GG Rn. 5 spricht treffend von einer „explo sionsartigen Vermehrung der Rundfunkprogramme“. 21 ALM GbR, Jahrbuch 2016/2017, S. 73, Abb. 15. 22 ALM GbR, Jahrbuch 2016/2017, S. 137, Abb. 39. 23 ALM GbR, Jahrbuch 2016/2017, S. 137, Abb. 39. 24 Kujath, Laienjournalismus, S. 60 ff.; Magnus, in: Digitalisierung, S. 205; Prantl, Referat 71. DJT, M 27 (M 30). 25 BTDrucks 18/10144, S. 13. 26 BTDrucks 18/10144, S. 13. 27 Gnisa, DRiZ 2017, 237. 19 20
B. Thematische Eingrenzung
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größerem Umfang als die Zeitungen.28 Besonders dem Internet kommt dabei eine wichtige Rolle zu: Während die Reichweite des Fernsehens und des Radios seit 2005 stetig leicht abnimmt, wächst die des Internets seitdem stark an.29 Vergleicht man die seit 1964 weitgehend unveränderte Rechtslage mit den sich rasant wandelnden tatsächlichen Rahmenbedingungen der Berichterstattung, stellt sich die Frage: Sind die rechtlichen Regelungen, nach denen sich Medienvertreter in deutschen Gerichtssälen richten müssen, noch zeitgemäß? Diese Frage zu beantworten, ist das Ziel der vorliegenden Arbeit.
B. Thematische Eingrenzung Die Berichterstattung aus dem Gericht bietet juristisch in vielerlei Hinsicht Anlass für eine nähere Untersuchung. Die vorliegende Arbeit kann nur einen der diversen Problemkreise erforschen. Keine Aussagen will sie zur materiell-rechtlichen Zulässigkeit der Berichte treffen.30 Nicht untersucht wird bspw., inwiefern Umstände, die in einer öffentlichen Verhandlung erörtert wurden, später oder auch zeitgleich in einem Textbericht verbreitet werden dürfen.31 Ebenso wenig wird speziell für die Aufnahmen im Gericht geprüft, wie sie für die Zwecke der Berichterstattung genutzt werden dürfen.32 Diese Bewertung obliegt – wie bei der Berichterstattung in jeder anderen Situation auch – den Medienvertretern selbst.33 Die vorliegende Arbeit will nur die Frage beantworten, inwiefern bestimmte Handlungen der Medienschaffenden im Gericht aus gerichtsverfassungsrechtlicher Sicht zulässig sind bzw. sein sollten. Auch die gerichtsverfassungsrechtlichen Fragen, die in dieser Arbeit beantwortet werden können, sind jedoch begrenzt. Sie kann nicht den Rechtsrahmen für jedes denkbare Verhalten der Medienvertreter im Gericht in den Blick nehmen, sondern widmet sich ihrem Vorgehen bei der Gerichtssaalberichterstattung. Diesen Begriff verwendete, soweit ersichtlich, erstmals Liebscher im Jahr 1969 und fasste darunter vor allem Aufnahmen im Gerichtssaal.34 Für die Zwecke der vorliegenden Arbeit wird darunter die Berichterstattung aus dem Gericht selbst verstanden – mithin sowohl aus dem Sitzungssaal als auch ggf. dem übrigen Gerichtsgebäude –, die entweder mittels Aufnahmen oder mittels in Echtzeit verBreunig/van Eimeren, Media Perspektiven 2015, 505 (510, Tab. 2). Breunig/van Eimeren, Media Perspektiven 2015, 505 (510, Tab. 2). 30 Einen Überblick hierzu m. w. N. liefert Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 169 Rn. 88. 31 S. dazu nur BGH, NJW 2013, 1681. 32 Zu diesem Problemkreis ausführlich: Stieper, JZ 2014, 271. 33 Bernzen, MMR 2017, 742 (742 f.). 34 Liebscher, ZfRV 1969, 108. 28 29
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Einleitung
fasster Textberichte erfolgt. Sollte im Einzelfall eine Verhandlung außerhalb des Gerichtsgebäudes stattfinden, ist auch die Berichterstattung von dort unter den Begriff zu fassen. Es geht damit um all die Arbeitsschritte der Berichterstattung, die gerade im Gericht selbst stattfinden – entweder, weil dort Vorbereitungen für spätere Berichte getroffen werden, indem Aufnahmen angefertigt werden, oder indem die Berichte selbst veröffentlicht werden, etwa durch eine zeitgleiche Sendung der Aufnahmen oder eine Live-Publikation der Textberichte. Nicht betrachtet werden dagegen bspw. Fragen, die sich um den Zugang zu dem Medienarbeitsraum im Gericht ranken, der nach § 169 Abs. 1 S. 3 GVG neuerdings eingerichtet werden kann.35 Auch die vorgelagerte Frage, nach welchem Verfahren die in medienwirksamen Verfahren häufig vorgesehenen Me dienplätze vergeben werden, wird nicht näher untersucht.36 Der Berichterstattung nachgelagert, wird ebenfalls nicht ermittelt, inwiefern insbesondere die Aufnahmen der Medien für Zwecke des betroffenen Verfahrens genutzt werden dürfen, etwa bei der Einlegung eines Rechtsmittels.37
C. Stand der rechtspolitischen Diskussion und der Forschung Berücksichtigt man, dass die Rahmenbedingungen der Berichterstattung erst 2017 mit der Einführung des § 169 Abs. 3 GVG reformiert wurden, könnte man auf den Gedanken kommen, dass derzeit kein Bedarf für die vorliegende Untersuchung besteht. Die gesetzgeberische Initiative konzentrierte sich aber nur auf einen Ausschnitt des eingangs skizzierten Rechtsrahmens. Keinerlei Aussagen traf der Gesetzgeber darin zu Rundfunk-, Ton- und Filmaufnahmen im Umfeld der Verhandlung, zu Fotografien und zu gänzlich neuen Formen der Berichterstattung wie insbesondere der Textberichterstattung in Echtzeit auf Live-Blogs, auf Twitter und in ähnlichen Medien. Einen ähnlich singulären Fokus weisen die meisten der monografischen Betrachtungen der rechtlichen Rahmenbedingungen für Gerichtssaalberichte auf: Vielfach standen in ihnen Fernsehaufnahmen im Fokus.38 Oft lag ihr Schwer35 Hierzu schon vor der Reform ausführlich: Schumann, DRiZ 2013, 254; ders., in: FS Gottwald, S. 565. 36 Zu den verschiedenen denkbaren Verfahren: Bock, jM 2014, 123 (126 f.). 37 Für die gemäß § 169 Abs. 2 GVG möglichen Archivaufnahmen von historisch bedeutsamen Gerichtsverhandlungen wird in § 169 Abs. 2 S. 3 GVG ausdrücklich vorgeschrieben, dass sie nicht für die Zwecke des aufgenommenen oder eines anderen Verfahrens genutzt oder verwertet werden dürfen. 38 Britz, Fernsehaufnahmen; Burballa, Fernsehöffentlichkeit; Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit; Kuß, Öffentlichkeitsmaxime; Olbertz, Fernsehöffentlichkeit; Pernice, Medienöffentlichkeit; Vietmeyer, Vor- und Nachteile; Vogel, Fernsehübertragungen.
C. Stand der rechtspolitischen Diskussion und der Forschung
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punkt auf der Betrachtung von Strafverfahren.39 Die meisten der Arbeiten konzentrierten sich zudem auf den Zeitraum der mündlichen Verhandlung.40 Einige wenige Autoren untersuchten dagegen nur deren Umfeld.41 Die rechtlichen Rahmenbedingungen sollten aber aus verschiedenen Gründen nicht derart ausschnittweise betrachtet werden. Angesichts der zunehmenden Konvergenz der Medien sollte die Untersuchung, erstens, nicht isoliert für Fernsehaufnahmen stattfinden.42 Sie werden schließlich derzeit vielfach im Zusammenspiel mit anderen Formen der Berichterstattung genutzt, weshalb sie auch mit diesen gemeinsam untersucht werden müssen. Besucht man zum Beispiel die Website der ARD, findet man dort neben Videos zum Tagesgeschehen auch erklärende Texte, Fotostrecken sowie Radiobeiträge. Für deren gemeinsame Betrachtung spricht auch die zunehmende Bedeutung des Internets als Informationsquelle, in der multimediale Formate verfügbar sind. Der Fokus auf Strafverfahren entspricht, zweitens, nicht der gesetzgeberischen Konzeption des Öffentlichkeitsgrundsatzes sowie des systematisch eng damit verbundenen Aufnahmeverbotes.43 § 169 GVG gilt unmittelbar für die ordentliche Gerichtsbarkeit, mithin auch für die Zivilgerichte, sowie kraft Verweisung für diverse weitere Gerichtsbarkeiten.44 Die mündliche Verhandlung und deren Umfeld sind, drittens, so eng miteinander verbunden, dass die Regelung der Berichterstattung in der einen Phase zwangsläufig auch Auswirkungen auf Berichte in der anderen Phase hat. Das wird aktuell in jedem medienwirksamen Verfahren deutlich, in dem wegen des gesetzlichen Aufnahmeverbotes während der Verhandlung vor allem vor und nach dieser Aufnahmen angefertigt werden.45 Eine Antwort auf die Frage, ob die rechtlichen Rahmenbedingungen der Berichterstattung aus dem Gerichtssaal noch zeitgemäß sind und, falls das nicht der Fall ist, wie sie zu regeln wäre, kann mithin nur mit Blick auf alle Ausprägungen der Berichterstattung gefunden werden.
39 Braun, Medienberichterstattung; Britz, Fernsehaufnahmen; Fink, Bild- und Tonaufnahmen; Franke, Bildberichterstattung; Hauth, Sitzungspolizei; Kujath, Laienjournalismus; Vogel, Fernsehübertragungen. 40 Britz, Fernsehaufnahmen; Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit; Olbertz, Fernsehöffentlichkeit; Sorth, Rundfunkberichterstattung; Vietmeyer, Vor- und Nachteile; Vogel, Fernseh übertragungen. 41 Fink, Bild- und Tonaufnahmen; Hauth, Sitzungspolizei und Medienöffentlichkeit. 42 Bernzen, in: Medienrecht im Medienumbruch, S. 205 (S. 222). 43 Bernzen, in: Medienrecht im Medienumbruch, S. 205 (S. 222). 44 S. § 55 VwGO für die Verwaltungs-, § 61 Abs. 1 SGG für die Sozial-, § 52 Abs. 1 FGO für die Finanz- und §§ 52 S. 4, 72 Abs. 6 ArbGG für die Arbeitsgerichtsbarkeit. 45 Bernzen, NJW 2017, 799 (800).
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Einleitung
Eine derart übergreifende monografische Analyse lieferten bisher von Coelln46 und Hirzebruch47. Von Coellns Untersuchung wurde jedoch schon 2005 veröffentlicht, sodass ihr Untersuchungszeitraum derart lange zurückliegt, dass weder neuere Entwicklungen der sich ständig verändernden Medienwelt noch die neue Ausnahmeregelung in § 169 Abs. 3 GVG berücksichtigt werden konnten. Hirzebruchs Arbeit wurde dagegen zwar erst 2018 veröffentlicht. Er nimmt darin aber nur knapp zu der erst kurz zuvor in Kraft getretenen Ausnahmevorschrift Stellung, da Rechtsprechung und Literatur weit überwiegend nur bis Dezember 2016 eingearbeitet wurden.48 Des Weiteren untersuchen sowohl von Coelln als auch Hirzebruch nicht allein die Gerichtssaalberichterstattung, sondern allgemeiner die Öffentlichkeit der Judikative sowie die Medien. So stellen sie bspw. auch Auskunftsansprüche der Medienvertreter gegenüber den Gerichten dar.49 Hirzebruch geht daneben auch auf den materiellen Rechtsrahmen der Berichterstattung aus dem Gericht ein, etwa indem er die Vorgaben für die Verdachtsberichterstattung darlegt.50 Aus dieser breit angelegten Betrachtung der Gerichtsöffentlichkeit folgt, dass seine Untersuchung der Rahmenbedingungen speziell der Gerichtssaalberichterstattung nicht in dem Detail erfolgt, in dem sie in dieser Arbeit durchgeführt werden soll.
D. Gang der Untersuchung Die folgende Untersuchung erfolgt in vier Schritten: Zuerst wird die gegenwärtige Rechtslage für die Berichterstattung aus dem Gerichtssaal dargestellt. Anschließend werden die Rechte und schutzwürdigen Interessen herausgearbeitet, die für und gegen die Zulassung dieser Berichterstattung sprechen. Dem wird die aktuelle Rechtslage in England gegenübergestellt, aus der Lehren für die Beurteilung der deutschen Rahmenbedingungen gezogen werden können. Zuletzt werden diese Rahmenbedingungen daraufhin überprüft, ob sie die erarbeiteten Rechte und Interessen unter Berücksichtigung der englischen Erfahrungen in einen angemessenen Ausgleich bringen. Im ersten Kapitel wird mithin dargestellt, unter welchen Rahmenbedingungen Medienvertreter in deutschen Gerichtssälen tätig werden dürfen. Der Ausgangspunkt hierfür ist der Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen. Grundvoraussetzung für jede Gerichtssaalberichterstattung ist schließlich, dass Von Coelln, Medienöffentlichkeit. Hirzebruch, Neue Medien. 48 Hirzebruch, Neue Medien, Vorwort. 49 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 500 ff.; Hirzebruch, Neue Medien, S. 206 ff. 50 Hirzebruch, Neue Medien, S. 255 ff. 46 47
D. Gang der Untersuchung
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die Gerichtsverhandlung, über die berichtet wird, öffentlich ist.51 Eingangs wird daher untersucht, inwiefern der Öffentlichkeitsgrundsatz den Medienvertretern den Zugang zu Gericht und die Teilnahme an dessen Verhandlungen garantiert und damit die Basis für ihre Berichterstattung schafft. Ist diese allgemeine Grundlage gelegt, werden speziell für die vier vorliegend untersuchten Formen der Gerichtssaalberichterstattung die aktuellen Rahmenbedingungen, die eingangs bereits kurz umschrieben wurden, im Detail dargestellt. Dabei wird zwischen den verschiedenen Medienformen unterschieden, die für eine Berichterstattung aus dem Gericht selbst verwendet werden können: den Bild/Ton-Aufnahmen, den Ton-Aufnahmen, den Bild-Aufnahmen und den Textberichten in Echtzeit. Diese medienneutralen Begriffe werden gewählt, da neben den traditionellen Rundfunk- und Pressemedien zunehmend neue Medien für die journalistische Berichterstattung relevant werden. So werden Filmaufnahmen bspw. nicht mehr nur im Fernsehen ausgestrahlt, sondern auch als Live-Stream auf einer Website eingebettet, über Apps wie etwa Periscope gesendet oder auf YouTube veröffentlicht. Die vorliegende Arbeit will ausdrücklich auch für diese Formen der Berichterstattung relevant sein. Im zweiten Schritt werden die verschiedenen Rechte sowie schutzwürdigen Interessen herausgearbeitet, die bei der Gerichtssaalberichterstattung betroffen sind. Zuerst wird dafür im zweiten Kapitel untersucht, welche Positionen zugunsten einer Zulassung dieser Berichterstattung anzuführen sind und damit durch eine beschränkende rechtliche Regelung beeinträchtigt werden. Im dritten Kapitel werden sodann die Rechte und schutzwürdigen Interessen ermittelt, die durch eine Zulassung der Gerichtssaalberichte beeinträchtigt werden und deren Schutz eine beschränkende Regelung demnach dient. Anschließend wird im vierten Kapitel der englische Umgang mit Berichterstattung aus dem Gerichtssaal untersucht. Eingangs werden die Rahmenbedingungen für die vier untersuchten Ausprägungen der Berichterstattung aus englischen Gerichtssälen aufgezeigt, bevor die rechtspolitische Diskussion in England nachgezeichnet wird. Aus den dortigen Entwicklungen werden abschließend Lehren gezogen, die bei einer Bewertung der gegenwärtigen deutschen Rechtslage berücksichtigt werden können. Zuletzt kann im fünften Kapitel danach bewertet werden, inwiefern die aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen der Gerichtssaalberichterstattung die Rechte und schutzwürdigen Interessen, die für und gegen diese Berichterstattung sprechen, in einen angemessenen Ausgleich bringen. Zu diesem Zweck 51 Burkhardt, in: Wenzel, Wort- und Bildberichterstattung, Kap. 10 Rn. 181. Zwar könnte den Medienvertretern nach § 175 Abs. 2 S. 1 GVG auch Zutritt zu den nicht öffentlichen Verhandlungen gewährt werden. In der Praxis ist diese Möglichkeit jedoch von untergeordneter Bedeutung.
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Einleitung
wird zuerst ein Maßstab entwickelt, anhand dessen die derzeitige Rechtslage bewertet werden kann. Unter Heranziehung der Lehren aus der englischen Regelung der Berichterstattung aus dem Gerichtssaal wird mithilfe dieses Maßstabs sodann eine Regelung entwickelt, die den nötigen Ausgleich zwischen allen betroffenen Positionen herstellt. Ein Vergleich dieser Regelung mit den aktuellen Rahmenbedingungen der Gerichtssaalberichterstattung beantwortet anschließend die Frage, inwiefern letztere noch zeitgemäß sind. Soweit diese Frage verneint wird, wird zuletzt ein rechtspolitischer Vorschlag für eine Reformvorschrift entworfen.
Kapitel 1
Rechtliche Rahmenbedingungen der Gerichtssaalberichterstattung de lege lata A. Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen I. Gewährleistungsgehalt des Öffentlichkeitsgrundsatzes 1. „Jedermann“ Der Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen in § 169 Abs. 1 S. 1 GVG besagt, dass „jedermann ohne Ansehung seiner Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen der Bevölkerung und ohne Ansehung bestimmter persönlicher Eigenschaften die Möglichkeit hat, an den Verhandlungen der Gerichte als Zuhörer teilzunehmen“1. Hierauf können sich auch Journalisten und andere Personen, die aus einer Gerichtsverhandlung berichten wollen, berufen. „Jedermann“ sind schließlich alle Personen, die nicht an dem Gerichtsverfahren beteiligt sind, an dem sie als Zuhörer teilnehmen.2 Medienvertreter werden deshalb behandelt wie jeder gewöhnliche Zuschauer auch.3 2. „Ohne Ansehung seiner Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen der Bevölkerung und bestimmter persönlicher Eigenschaften“ § 169 Abs. 1 S. 1 GVG verbietet im Grundsatz,4 eine Auswahl zwischen den Personen vorzunehmen, die einer Verhandlung zusehen wollen.5 Dadurch soll si1
BGHSt 27, 13 (14); 28, 341 (343). BVerfGE 103, 44 (65); BGHSt 3, 386 (387, 391); Czybulka/Kluckert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 55 Rn. 6; Jacobs, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 169 GVG Rn. 13; Klein, in: MSKB, BVerfGG, § 17 Rn. 3; Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 169 Rn. 1; Rieker, in: Natter/ Gross, ArbGG, § 52 Rn. 4; Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, Vor § 169 GVG Rn. 8. 3 BVerfGE 103, 44 (61); von Coelln, AfP 2014, 193; Schilken, GerichtsverfassungsR, § 12 Rn. 178. 4 Zur Privilegierung der Medienvertreter durch die Vergabe sog. Presseplätze: Kap. 1, A. II. 2. a). 5 BGHSt 17, 201 (204 f.); 18, 179 (180); 22, 297 (299); Czybulka/Kluckert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 55 Rn. 13; Littmann, in: Lüdtke/Berchtold, SGG, § 61 Rn. 5; Lückemann, in: Zöller, ZPO, § 169 GVG Rn. 5; Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 169 Rn. 30; Rieker, in: Nat2
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Kap. 1: Gerichtssaalberichterstattung de lege lata
chergestellt werden, dass das Publikum zufällig zusammengesetzt ist und als pars pro toto die Allgemeinheit repräsentiert.6 Unzulässig ist dabei nicht nur eine unmittelbare Auswahl der Zuschauer, sondern auch eine mittelbare durch die Herstellung von sog. Sperröffentlichkeit.7 Sie liegt vor, wenn der Zuschauerraum gezielt mit einer Vielzahl von dem Gericht genehmen Zuschauern belegt wird, sodass keine oder nur wenige andere Zuschauer Zugang finden.8 Begehrt ein Medienvertreter Zutritt zu einer Gerichtsverhandlung, um darüber Bericht zu erstatten, darf ihm der Zutritt nicht aus diesem Grund verweigert werden – weder direkt noch mittels der Sperröffentlichkeit. So ist es bspw. unzulässig, dem Vertreter eines bestimmten Mediums die Teilnahme an einer Verhandlung zu verweigern, weil dieses Medium zuvor unsachlich oder falsch über andere Prozesse berichtete.9 3. „Möglichkeit, an den Verhandlungen teilzunehmen“ Dass § 169 Abs. 1 S. 1 GVG nur die Möglichkeit fordert, an einer Verhandlung teilzunehmen, bedeutet, dass es unerheblich ist, ob tatsächlich Zuschauer während einer konkreten Verhandlung anwesend sind – oder auch nur anwesend sein möchten. Es reicht vielmehr aus, wenn sie die abstrakte Möglichkeit haben, Zutritt zur Verhandlung zu erlangen.10 Treffend wird dies mit dem Bild des leeren Zuschauerraums mit offener Tür beschrieben.11 Die Möglichkeit zur Teilnahme setzt, erstens, voraus, dass jedermann sich ohne besondere Schwierigkeiten Kenntnis von Ort und Zeit der Verhandlung verschaffen kann.12 In der Praxis verfügen zahlreiche Gerichte über Webseiten, auf denen sie Ankündigungen zu ausgewählten Gerichtsverhandlungen publizieter/Gross, ArbGG, § 52 Rn. 4; Schoenfeld, in: Gosch, AO/FGO, § 52 FGO Rn. 16.1; Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, Vor § 169 GVG Rn. 8. 6 Velten, in: SK-StPO, § 169 GVG Rn. 13. 7 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 117 f.; Jung, in: GS Kaufmann, S. 891 (S. 903); Roxin, in: FS Peters, S. 393 (S. 399); Velten, in: SK-StPO, § 169 GVG Rn. 13; Weidemann, DRiZ 1970, 114 (115). 8 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 117 f. 9 OLG Hamm, NJW 1967, 1289 (1290). 10 BGHSt 5, 75 (83); BGH, in: Dallinger, MDR 1970, 559 (561); Jacobs, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 169 GVG Rn. 13; Koch, in: ErfK, § 52 ArbGG Rn. 4; Mayer, in: Kissel/ Mayer, GVG, § 169 Rn. 21. 11 Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 169 Rn. 21. 12 BVerfG, NJW 2002, 814; NJW-RR 2006, 1653; BVerwG, Beschl. vom 20.07.2016 – 9 B 64/15, BeckRS 2016, 52829, Rn. 51; BGH, NStZ-RR 2002, 257 (261); BAG, NJW 2016, 3611 (3612); Kimmel, in: BeckOK VwGO, § 55 Rn. 8; Schoenfeld, in: Gosch, AO/FGO, § 52 FGO Rn. 16; Schreiber, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 169 GVG Rn. 17; Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, § 169 GVG Rn. 19.
A. Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen
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ren.13 Diese Seiten sind in der Praxis eine wichtige Anlaufstelle für Medienvertreter. Sie werden daneben zumeist von den Pressestellen der Gerichte über die Verhandlungen, deren Zeit und Ort informiert.14 Zweitens muss sich jeder Interessent tatsächlich Zutritt zur jeweiligen Verhandlung verschaffen können.15 Das setzt voraus, dass die Verhandlung an einem Ort stattfindet, der Platz für eine als repräsentativ für die Allgemeinheit stehende Zahl an Zuschauern bietet und dass dieser Ort während der Verhandlung zugänglich ist.16 Wie groß der Zuschauerraum dafür sein muss, ist eine Frage des Einzelfalls. Maßgeblich ist, dass die Raumgröße nicht zum faktischen Ausschluss der Öffentlichkeit führt.17 Daneben dürfen dem Zugang keine physischen Hindernisse entgegenstehen. Insbesondere muss mindestens eine Tür zum Verhandlungsraum unverschlossen sein.18 Grundsätzlich muss außerdem das Gerichtsgebäude offenstehen. Ist es verschlossen, muss eine Zutrittsmöglichkeit wie etwa eine Klingel existieren.19 Den physischen Hindernissen steht es gleich, wenn Maßnahmen ergriffen werden, durch die infolge angedrohter oder vermuteter Nachteile durch den Besuch der Verhandlung hohe psychische Hemmschwellen hierfür etabliert werden.20 4. „Verhandlungen der Gerichte“ „Verhandlungen“ i. S. des § 169 Abs. 1 S. 1 GVG sind nach ganz h. M. mündliche Verhandlungen.21 Sie beginnen mit dem Aufruf der Sache und enden mit der Porz, in: Fehling/Kastner/Störmer, VerwR, § 169 GVG Rn. 5; Schmidt/Temming, in: GJTZ, StPO, § 169 GVG Rn. 4. 14 Huff, DRiZ 2007, 309 (310). 15 Czybulka/Kluckert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 55 Rn. 11; Diemer, in: KK-StPO, § 169 GVG Rn. 8; Hartmann, in: BLAH, ZPO, § 169 GVG Rn. 4; Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 169 Rn. 22. 16 Feldmann, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 169 GVG Rn. 18. 17 BayOLG, NJW 1982, 395 (396); OLG Köln, NStZ 1984, 282 (282 f.). 18 RG, LZ 1916, 1433; Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 169 Rn. 22; Wickern, in: Löwe/ Rosenberg, StPO, § 169 GVG Rn. 11. 19 BVerwG, NVwZ-RR 1989, 168; NJW 1990, 1249; BGH, NJW 2011, 3800; Hamacher, in: BeckOK ArbR, § 52 ArbGG Rn. 7; Jacobs, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 169 GVG Rn. 19; Keller, in: MKLS, SGG, § 61 Rn. 2b; Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 169 Rn. 22; Meissner/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 55 Rn. 16b; Schoenfeld, in: Gosch, AO/FGO, § 52 FGO Rn. 17 f.; Walther, in: BeckOK StPO, § 169 GVG Rn. 9. 20 BGH, NJW 1980, 249 (249 f.); Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 169 Rn. 40; Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, § 169 GVG Rn. 33. 21 S. nur Hamacher, in: BeckOK ArbR, § 52 ArbGG Rn. 12; Jacobs, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 169 GVG Rn. 9; Klein, in: MSKB, BVerfGG, § 17 Rn. 4; Leipold, in: Hübschmann/ Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 52 FGO Rn. 12; Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 169 Rn. 8; 13
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Kap. 1: Gerichtssaalberichterstattung de lege lata
Verkündung der Entscheidung,22 spätestens aber mit den sich anschließenden Belehrungen, sofern solche erfolgen23. § 169 Abs. 1 S. 1 GVG bezieht sich dabei lediglich auf Verhandlungen vor dem erkennenden Gericht, mithin dem Spruchkörper, der die Endentscheidung in der Sache trifft.24 Diese Beschränkungen führen dazu, dass der Öffentlichkeitsgrundsatz in gewissen Verhandlungen von vornherein nicht zur Anwendung kommt. Besonders deutlich wird dies im Zivilprozess. § 128 Abs. 1 ZPO schreibt zwar prinzipiell die mündliche Verhandlung vor. Stimmen die Parteien jedoch zu, kann gemäß § 128 Abs. 2 ZPO ein schriftliches Verfahren stattfinden. Freigestellt ist die mündliche Verhandlung in den Zivilverfahren vor Entscheidungen, die keine Urteile sind (§ 128 Abs. 4 ZPO). Ähnliche Regelungen existieren für die Verfahren vor den Verwaltungs- (§ 101 Abs. 2, 3 VwGO), Finanz- (§ 90 Abs. 2 FGO) und Sozialgerichten (§ 124 Abs. 2, 3 SGG). In Zivilverfahren vor den Amtsgerichten muss zudem nach § 495a S. 2 ZPO nur auf Antrag mündlich verhandelt werden, wenn der Streitwert 600 € nicht übersteigt. In Strafsachen ist die Hauptverhandlung dagegen zwar stets mündlich und daher von § 169 Abs. 1 S. 1 GVG erfasst.25 Es wird aber nicht in jedem Strafverfahren eine Verhandlung durchgeführt. Ein Strafbefehl zum Beispiel ergeht schriftlich und ohne Hauptverhandlung (§ 407 Abs. 1 S. 1 StPO). Eine andere Möglichkeit, diese Verhandlung zu vermeiden oder zumindest abzukürzen, ist die Verständigung (§ 257c StPO). Ihre Vorbereitung darf außerhalb der mündlichen Verhandlung erfolgen.26 In diesem Fall wird nur ihr Ergebnis in der Verhandlung verkündet. Durch die Beschränkung des Öffentlichkeitsgrundsatzes auf mündliche Verhandlungen vor erkennenden Gerichten können die Bürger und demnach auch die Medienvertreter nach alledem faktisch lediglich Einblicke in einen Teil aller durchgeführten Gerichtsverfahren erhalten. Meissner/Schenk, in: Schoch/ Schneider/Bier, VwGO, § 55 Rn. 15; Velten, in: SK-StPO, § 169 GVG Rn. 4; Wolff-Dellen, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, § 61 Rn. 5. 22 S. für die strafrechtliche Hauptverhandlung die ausdrückliche Festlegung in §§ 243 Abs. 1 S. 1, 260 Abs. 1 StPO. Ebenso für die anderen Verfahrensarten nur Mailänder, in: FS Mailänder, S. 547 (S. 549 f.). 23 Feldmann, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 169 GVG Rn. 8; Maul, MDR 1970, 286; Quentin, in: SSW-StPO, § 169 GVG Rn. 3; Schreiber, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 169 GVG Rn. 41. 24 Hamacher, in: BeckOK ArbR, § 52 ArbGG Rn. 13; Jacobs, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 169 GVG Rn. 11; Krausnick, in: Gärditz, VwGO, § 55 Rn. 4; Mayer, in: Kissel/ Mayer, GVG, § 169 Rn. 10; Velten, in: SK-StPO, § 169 Rn. 4. 25 BGHSt 4, 279 (280 f.); BGH, NJW 2005, 519 (520); Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, § 169 GVG Rn. 6 f. 26 BTDrucks 16/12310, S. 9.
A. Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen
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5. „Teilnahme als Zuhörer“ Der Grundsatz der Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlungen gewährleistet, dass jedermann den Verhandlungen zuhören und zusehen kann.27 Die Zuschauer dürfen sich zudem Notizen über das Geschehen in der Verhandlung machen bzw. Zeichnungen herstellen.28 Medienvertreter können sich auf diese Weise nicht nur die Kenntnis von dem Geschehen bei Gericht verschaffen, die sie für ihre Berichte benötigen, sondern auch Gedächtnisstützen anfertigen.
II. Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes 1. Gesetzlich normierte Grenzen der Öffentlichkeit a) Kategorisierung der relevanten Normen Der Öffentlichkeitsgrundsatz enthält kein unbeschränktes Recht der Medienvertreter auf die Teilnahme an jeder mündlichen Verhandlung. Im GVG, aber auch in diversen anderen Gesetzen,29 finden sich Normen, die die Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlung – und damit im Ergebnis die Anwesenheit der Medienvertreter – entweder selbst ausschließen oder eine Rechtsgrundlage für einen gerichtlichen Ausschluss enthalten. Sie lassen sich in zweierlei Hinsicht grundlegend unterteilen: Einerseits kann zwischen Normen, die Belange der Allgemeinheit schützen, und Normen, die Einzelinteressen schützen, unterschieden werden.30 Andererseits finden sich Vorschriften, nach denen Einzelpersonen der Zutritt zu der Verhandlung untersagt werden kann, und Vorschriften, nach denen die Öffentlichkeit als Ganzes ausgeschlossen ist oder werden kann. Im Fokus stehen aufgrund ihrer größeren praktischen Relevanz hier die Normen, die Einzelinteressen schützen, und die Vorschriften, nach denen die Öffentlichkeit insgesamt ausgeschlossen ist oder wird.31 Hamacher, in: BeckOK ArbR, § 52 ArbGG Rn. 17; Jacobs, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 169 GVG Rn. 13; Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 169 Rn. 52; Wickern, in: Löwe/ Rosenberg, StPO, Vor § 169 GVG Rn. 8. 28 BGHSt 18, 179 (181); BGH, NStZ 1982, 389; Hamacher, in: BeckOK ArbR, § 52 ArbGG Rn. 17; Klein, in: MSKB, BVerfGG, § 17 Rn. 6; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 169 GVG Rn. 15; Zimmermann, in: MüKoZPO, § 169 GVG Rn. 46. 29 Von großer praktischer Bedeutung ist § 48 Abs. 1 JGG, nach dem mündliche Verhandlungen in Jugendstrafverfahren nicht öffentlich sind. 30 Bosch, JA 2016, 45 (52); Jung, in: Roos/Wahrendorf, SGG, § 61 Rn. 21 ff.; Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, Vor § 169 GVG Rn. 10. 31 Soweit ersichtlich, entschied etwa der BGH zuletzt vor rund zwanzig Jahren über den im Interesse der Allgemeinheit liegenden Ausschluss gemäß § 172 Nr. 1 GVG (BGHSt 45, 117 [122]). Mit dem Ausschluss einzelner Teilnehmer nach § 175 Abs. 1 GVG befasste er sich, soweit ersichtlich, bisher insgesamt nur einmal (BGH, NStZ 2006, 652). 27
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Kap. 1: Gerichtssaalberichterstattung de lege lata
b) Gründe für den Öffentlichkeitsausschluss Die Ausschlussgründe lassen sich nach ihrem Zweck noch einmal in drei Kategorien unterteilen. Manche Gründe sind, erstens, auf den Persönlichkeitsschutz zurückzuführen. § 170 Abs. 1 S. 1 GVG schließt die Öffentlichkeit u. a. in Familiensachen grundsätzlich aus. Das soll die Privat- und die Intimsphäre der Beteiligten in diesen Verfahren schützen, die besonders private Lebensbereiche betreffen.32 Nach § 171a GVG kann das Gericht die Öffentlichkeit des Weiteren in Unterbringungssachen ausschließen. In jenen Sachen wird in der Regel die psychische Gesundheit des Betroffenen erörtert,33 die ebenfalls ein intimer Lebensbereich ist.34 § 172 Nr. 3 GVG erlaubt es zudem, die Öffentlichkeit auszuschließen, wenn in einer Verhandlung private Geheimnisse erörtert werden, deren unbefugte Offenbarung durch den Zeugen oder Sachverständigen strafbar ist. Privat ist ein Geheimnis, das dem „persönlichen Lebens- und Geheimbereich“35 zuzurechnen ist. Praktisch bedeutsam ist in dieser Kategorie zuletzt die Option, die Öffentlichkeit gemäß § 171b Abs. 1 S. 1 GVG auszuschließen, soweit in der mündlichen Verhandlung Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich bestimmter Personen erörtert werden und soweit dies schutzwürdige Interessen verletzen würde. Auch jener Grund zielt auf den Persönlichkeitsschutz ab.36 Zweitens kann ein Öffentlichkeitsausschluss individuelle wirtschaftliche Interessen schützen. Nach § 172 Nr. 2 GVG kann das Gericht die Öffentlichkeit ausschließen, wenn in einer Verhandlung ein wichtiges Geschäfts-, Betriebs-, Erfindungs- oder Steuergeheimnis zur Sprache kommt und seine Erörterung überwiegende schutzwürdige Interessen verletzen würde. Das Steuergeheimnis wird in finanzgerichtlichen Verfahren zudem durch die Möglichkeit geschützt, die Öffentlichkeit gemäß § 52 Abs. 2 FGO nur aufgrund eines Antrags eines Beteiligten, der nicht die Finanzbehörde ist, auszuschließen.37 Eine dritte Kategorie stellen jene Ausschlussgründe dar, die zusätzlich zum Schutz individueller Interessen auch die Ermöglichung der Wahrheitsfindung zum Ziel haben. Neben den erwähnten § 170 Abs. 1 S. 1 GVG, der durch den Ausschluss Fremder aus dem familiengerichtlichen Verfahren die Aussagebereit-
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BTDrucks 16/6308, S. 320. Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, § 171a GVG Rn. 1. 34 Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 171a Rn. 1. 35 Wickern, in: Löwe/Rosenberg, § 172 GVG Rn. 29. 36 Benecke, in: Grunsky, ArbGG, § 52 Rn. 8; Jacobs, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 171b GVG Rn. 1; Jung, in: Roos/Wahrendorf, SGG, § 61 Rn. 21; Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 171b Rn. 1; Meissner/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 55 Rn. 25; Schoenfeld, in: Gosch, AO/FGO, § 52 FGO Rn. 32. 37 Schoenfeld, in: Gosch, AO/FGO, § 52 FGO Rn. 30. 33
A. Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen
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schaft der Beteiligten steigern soll,38 und § 172 Nr. 3 GVG, der Geheimnisträger zur Aussage bewegen soll,39 hat auch § 172 Nr. 1a GVG eine derartige doppelte Schutzrichtung. Er ermöglicht den Ausschluss der Öffentlichkeit, wenn gerade aus jener Öffentlichkeit eine Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit gewisser Personen folgen würde.40 Dadurch sollen nicht nur die eben genannten Rechtsgüter geschützt werden, sondern es soll auch die Wahrheitsfindung erleichtert werden.41 Wer nicht um sein Leben fürchtet, so die Überlegung, sagt eher vor Gericht aus. Zuletzt kann die Öffentlichkeit gemäß § 172 Nr. 4 GVG ausgeschlossen werden, wenn eine Person unter 18 Jahren vernommen wird. Dadurch sollen ihre Belastung durch die Aussage gemindert und ihre Fähigkeit und Bereitschaft zur Aussage sowie deren Qualität gesteigert werden.42 c) Verfahren des Öffentlichkeitsausschlusses Vor einem Ausschluss der Öffentlichkeit durch gerichtlichen Beschluss muss grundsätzlich öffentlich verhandelt werden. Das Gericht muss die Öffentlichkeit nach § 174 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GVG von dieser Verhandlung aber zwingend ausschließen, wenn ein Beteiligter es beantragt. Es kann die Öffentlichkeit zudem von Amts wegen ausschließen, wenn es diesen Ausschluss für angemessen erachtet (§ 174 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GVG). Den Ausschließungsbeschluss muss es jedoch grundsätzlich wieder in öffentlicher Sitzung verkünden (§ 174 Abs. 1 S. 2 1. Hs. GVG). Stützt es seinen Ausschluss auf §§ 171b, 172 oder 173 GVG, muss es in seinem Beschluss den konkreten Ausschlussgrund benennen (§ 174 Abs. 1 S. 3 GVG). Zudem muss es angeben, in welchem Umfang die Öffentlichkeit ausgeschlossen wird.43 Alle Ausschlussgründe erlauben es schließlich auch, die Öffentlichkeit statt für die gesamte Verhandlung nur für bestimmte Abschnitte auszuschließen.44 38
BTDrucks 7/560, S. 190. Jacobs, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 172 GVG Rn. 12. 40 BGH, NStZ 1987, 86; Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, § 172 GVG Rn. 13. 41 Jacobs, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 172 GVG Rn. 5; Wickern, in: Löwe/Rosenberg, § 172 GVG Rn. 11. 42 BTDrucks 7/550, S. 321; BTDrucks 7/1261, S. 35; Jung, in: Roos/Wahrendorf, SGG, § 61 Rn. 31. 43 Hamacher, in: BeckOK ArbR, § 52 ArbGG Rn. 36; Littmann, in: Lüdtke/Berchtold, SGG, § 61 Rn. 8; Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 174 Rn. 8; Schoenfeld, in: Gosch, AO/ FGO, § 52 FGO Rn. 36. Nach BGH, NStZ 1989, 483 ist diese Angabe jedenfalls in der Regel nötig. 44 So ausdrücklich § 171a GVG („für die Hauptverhandlung oder für einen Teil davon“) sowie § 172 GVG („für die Verhandlung oder für einen Teil davon“). Die Formulierung des § 171b Abs. 1 S. 1 GVG („soweit“) lässt ebenfalls Raum für einen Teilausschluss. 39
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Kap. 1: Gerichtssaalberichterstattung de lege lata
d) Rechtsfolgen des Öffentlichkeitsausschlusses Ist die Öffentlichkeit per Gesetz ausgeschlossen oder schließt das Gericht sie aus, bedeutet dies für die „normalen“ Bürger wie für die Medienvertreter zunächst, dass sie keinen Zutritt zur Verhandlung erhalten. Etwas anderes gilt nur, falls das Gericht den Zutritt einzelner Personen gemäß § 175 Abs. 2 S. 1 GVG ausnahmsweise gestattet hat. Diese Möglichkeit kommt für die Medienvertreter in Betracht.45 Wird die Öffentlichkeit per Beschluss ausgeschlossen, müssen die dennoch zugelassenen Zuschauer teils aber Geheimhaltungspflichten beachten. Erfolgt der Ausschluss wegen der Gefährdung der Staatssicherheit, dürfen sie nach § 174 Abs. 2 GVG u. a. nicht über den Inhalt der Verhandlung berichten.46 Schließt das Gericht die Öffentlichkeit auf der Grundlage der §§ 171b, 172 Nr. 2, 3 GVG aus, kann es außerdem die Geheimhaltung der Tatsachen anordnen, die durch die Verhandlung bekannt wurden (§ 174 Abs. 3 S. 1 GVG).47 Verstöße gegen die gesetzliche oder gerichtliche Geheimhaltungspflicht sind strafbar (§ 353d Nr. 1, 2 StGB). Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass entsprechende Berichte tatsächlich unterlassen werden, sodass der Öffentlichkeitsausschluss nicht umgangen wird.48 2. Gesetzlich nicht normierte Grenzen der Öffentlichkeit a) Tatsächliche Grenzen der Öffentlichkeit Der Ausschluss der Öffentlichkeit ist nicht nur aus den im Gesetz festgeschriebenen Gründen zulässig.49 Daneben existieren ungeschriebene Schranken, die tatsächlicher oder rechtlicher Natur sein können.50 In tatsächlicher Hinsicht kann und muss der Zutritt zur mündlichen Verhandlung nach stRspr nur insoweit gewährt werden, wie es die räumlichen Gegebenheiten am Verhandlungsort zulassen.51 Nach unten sind der Größe des Verhandlungsraumes, wie erörtert, dahingehend Grenzen gesetzt, dass er nicht so klein 45 Lückemann, in: Zöller, ZPO, § 175 GVG Rn. 2; Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 175 Rn. 13; Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, § 175 GVG Rn. 10; Wolff-Dellen, in: Breitkreuz/ Fichte, SGG, § 61 Rn. 33. 46 Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 174 Rn. 22; Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, § 174 GVG Rn. 25; Zimmermann, in: MüKoZPO, § 174 GVG Rn. 13. 47 Sie betrifft jedoch, anders als die Geheimhaltungspflicht nach § 174 Abs. 2 GVG, sämtliche Zuschauer (s. § 174 Abs. 3 S. 1 GVG: alle „anwesenden Personen“). 48 Britz, Fernsehaufnahmen, S. 90. 49 BGHSt 3, 386 (388); BGH, NJW 2001, 2732; Schreiber, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 169 GVG Rn. 16. 50 Schilken, GerichtsverfassungsR, § 12 Rn. 177. 51 S. nur RGSt 47, 322; 52, 137 (137 f.); 54, 225 (225 f.); RGZ 157, 341 (344); BGHSt 5, 75 (83); 40, 191 (192).
A. Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen
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sein darf, dass die Öffentlichkeit faktisch ausgeschlossen ist.52 Nach oben sind ihr prinzipiell keine Grenzen gesetzt. In der Regel erfolgt die Auswahl des Sitzungssaals durch die Gerichtsverwaltung, die alle Säle vorab zuteilt.53 Orientierung bieten ihr hierbei die Erfahrungen mit ähnlichen Verhandlungen.54 Bei öffentlichkeitswirksamen Prozessen kann sie zum Beispiel das erwartete Interesse der Medienvertreter berücksichtigen.55 Es sind aber auch Fälle denkbar, in denen das Interesse sich nach der Zuteilung des Raumes als größer herausstellt, als erwartet, oder in denen von Anfang an mit einem so großen Interesse gerechnet wird, dass abzusehen ist, dass die Sitzungssäle nicht ausreichen. In solchen Situationen kann es praktikabel sein, die Verhandlung in einen größeren Sitzungssaal oder sogar in einen größeren Raum außerhalb des Gerichts zu verlegen.56 Eine solche Verlegung wird überwiegend grundsätzlich als zulässig eingestuft, eine Pflicht des Gerichts zu dieser Verlegung dagegen zumeist abgelehnt.57 Übersteigt die Anzahl der Interessenten die der verfügbaren Plätze, müssen diese Plätze nach herrschender Auffassung grundsätzlich nach der Reihenfolge des Erscheinens der Interessenten vergeben werden, mithin nach dem Prioritätsprinzip.58 Bei der Platzvergabe an Medienvertreter bestehen jedoch Besonderheiten: Überwiegend wird die Reservierung eines Teiles der Plätze als sog. Presseplätze59, wie sie in medienwirksamen Verfahren oft vorgenommen wird, als zulässig bewertet.60 52
Kap. 1, A. I. 3. Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 169 GVG Rn. 26; Schilken, GerichtsverfassungsR, § 12 Rn. 172. 54 Feldmann, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 169 GVG Rn. 19; Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 169 Rn. 26; Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, § 169 GVG Rn. 10. 55 Allgemein zum Umgang mit medienwirksamen Verfahren: Müller-Horn, DRiZ 2012, 81. 56 Beispiele dafür nennt Nöhre, in: FS Stilz, S. 455 (S. 460 f.). 57 S. nur Jacobs, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 169 GVG Rn. 15; Wickern, in: Löwe/ Rosenberg, StPO, § 169 GVG Rn. 10. Für die Verlegung in einen anderen Sitzungssaal ebenso: Czybulka/Kluckert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 55 Rn. 12; Hamacher, in: BeckOK ArbR, § 52 ArbGG Rn. 8; Lückemann, in: Zöller, ZPO, § 169 GVG Rn. 9; Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 169 Rn. 26; Schilken, GerichtsverfassungsR, § 12 Rn. 172. Für die Verlegung in ein anderes Gebäude ebenso: Meissner/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 55 Rn. 16c; Wolf, GerichtsverfassungsR, S. 252. 58 OLG Schleswig, SchlHA 1979, 203; Hamacher, in: BeckOK ArbR, § 52 ArbGG Rn. 8; Jacobs, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 169 GVG Rn. 17; Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 169 Rn. 29; Meissner/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 55 Rn. 16c; Schoenfeld, in: Gosch, AO/FGO, § 52 FGO Rn. 16.1; Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, § 169 GVG Rn. 12. 59 Gemeint sind mit „Presse“ über die schreibende Presse hinaus sämtliche Mediengattungen. 60 BVerfG, NJW 2003, 500; BGH, in: Dallinger, MDR 1970, 559 (562); NJW 2006, 1220 53
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Kap. 1: Gerichtssaalberichterstattung de lege lata
b) Rechtliche Grenzen der Öffentlichkeit Im Einzelfall kann der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung in rechtlicher Hinsicht eine Grenze gesetzt sein, weil der Öffentlichkeit ein höherrangiges Recht entgegensteht, welches der Gesetzgeber bei der Kodifikation der Gründe für einen Öffentlichkeitsausschluss noch nicht bedacht hat.61 In Frage kommen insbesondere „unabweisbare Bedürfnisse der Rechtspflege“62. Dazu gehören etwa die Sicherheit sowie die ungestörte Durchführung der Gerichtsverhandlung.63 Auch die Wahrheitsfindung kann dem Öffentlichkeitsgrundsatz eine Grenze ziehen.64 So kann bspw. solchen Personen die Teilnahme an einer Verhandlung verweigert werden, bei denen es sich um (potentielle) Zeugen handelt.65 Sie dürfen bei der Vernehmung der anderen Zeugen schließlich nicht im Sitzungssaal präsent sein (s. dazu nur § 394 Abs. 1 ZPO, § 58 Abs. 1 StPO, § 98 VwGO i. V. m. 394 Abs. 1 ZPO). Dadurch soll gewährleistet werden, dass alle Zeugen ihre Aussage unbefangen und wahrheitsgemäß tätigen.66 Eine weitere rechtliche Grenze findet der Öffentlichkeitsgrundsatz an den Rechten Dritter.67 Zu denken ist zum Beispiel an das Hausrecht der Person, auf deren Grundstück eine Verhandlung stattfindet, etwa im Fall einer Augenscheinnahme.68
(1221); Hamacher, in: BeckOK ArbR, § 52 ArbGG Rn. 9; Jacobs, in: Stein/Jacobs, ZPO, 22. Aufl., § 169 GVG Rn. 18; Keller, in: MKLS, SGG, § 61 Rn. 2c; Kimmel, in: BeckOK VwGO, § 55 Rn. 9; Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 169 Rn. 33; Schoenfeld, in: Gosch, AO/ FGO, § 52 FGO Rn. 16.1; Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, § 169 GVG Rn. 13. 61 Ranft, JURA 1995, 573 (575). 62 BGHSt 27, 13 (15). S. auch BVerfG, NJW 2012, 1863 (1863 f.); Czybulka/Kluckert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 55 Rn. 15; Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, Vor § 169 Rn. 11. 63 BVerfG, NJW 2012, 1863 (1863 f.); BGHSt 24, 72 (74); BGH, NStZ 2004, 510 (511); NJW 2006, 1220 (1221). 64 Littmann, in: Lüdtke/Berchtold, SGG, § 61 Rn. 4; Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, Vor § 169 Rn. 11. 65 BGHSt 3, 386 (388); BGH, NJW 2001, 2732; NStZ 2001, 163; Hamacher, in: BeckOK ArbR, § 52 ArbGG Rn. 11; Klein, in: MSKB, BVerfGG, § 17 Rn. 7; Leipold, in: Hübschmann/ Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 52 FGO Rn. 21; Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 169 Rn. 23; Meissner/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 55 Rn. 16; Quentin, in: SSW-StPO, § 169 GVG Rn. 21. 66 BGHSt 3, 386 (388). 67 Schilken, GerichtsverfassungsR, § 12 Rn. 177. Für für das allgemeine Persönlichkeitsrecht ebenso Czybulka/Kluckert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 55 Rn. 15. Für Art. 13 GG auch Britz, Fernsehaufnahmen, S. 91; Ranft, JURA 1995, 573 (575 f.). 68 BGHSt 40, 191 (192 f.); BGH, NJW 1994, 2773 (2773 f.); NStZ-RR 2000, 366.
B. Rechtliche Rahmenbedingungen für Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen
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III. Ergebnis zum Öffentlichkeitsgrundsatz Der Grundsatz der Öffentlichkeit nach § 169 Abs. 1 S. 1 GVG ermöglicht es prinzipiell allen Medienvertretern, mündlichen Verhandlungen vor dem erkennenden Gericht zuzuhören und zuzusehen. Daneben können sie das Geschehen dort für ihre Berichte dokumentieren. Ausgeschlossen ist dies nur in dem Umfang, in dem die Verhandlung entweder nicht öffentlich ist oder die Öffentlichkeit aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen beschränkt wird. Während Medienvertreter, die bspw. Artikel für eine Tageszeitung verfassen, damit uneingeschränkt aus dem Gerichtssaal berichten können, reichen die beschriebenen Möglichkeiten für andere Medienvertreter nicht aus: Fernsehjournalisten möchten ihre Kameras im Gericht einschalten. Radioreporter wollen ihre Mikrofone einsetzen. Fotografen möchten die Verfahrensbeteiligten im Bild aufnehmen. Reporter, die einen Live-Ticker betreiben, wollen ihre Einlassungen in Echtzeit im Netz publizieren. Inwiefern dies zulässig ist, besagt § 169 Abs. 1 S. 1 GVG nicht.
B. Rechtliche Rahmenbedingungen für Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen I. Differenzierung zwischen Aufnahmen während der mündlichen Verhandlung und in deren Umfeld In welchem Rechtsrahmen sich Fernsehjournalisten, Radioreporter und ähnliche Medienvertreter im Gerichtssaal bewegen, ist davon abhängig, wann sie Bild/ Ton-Aufnahmen und Ton-Aufnahmen herstellen wollen. Zu unterscheiden ist dabei zwischen der mündlichen Verhandlung und deren Umfeld. Während dieser Verhandlung sind Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen nach § 169 Abs. 1 S. 2 GVG im Grundsatz verboten und nur unter den hohen Voraussetzungen des § 17a Abs. 1 S. 2 BVerfGG und des § 169 Abs. 3 GVG ausnahmsweise gestattet. Für die Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen im Umfeld der Verhandlung fehlt dagegen eine ausdrückliche gesetzliche Regelung.
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Kap. 1: Gerichtssaalberichterstattung de lege lata
II. Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen während der mündlichen Verhandlung 1. Absolutes Aufnahmeverbot nach § 169 Abs. 1 S. 2 GVG a) Anwendbarkeit des Aufnahmeverbots Nach § 169 Abs. 1 S. 2 GVG sind Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhaltes unzulässig. Ebenso wie § 169 Abs. 1 S. 1 GVG ist diese Vorschrift direkt oder kraft Verweisung in den mündlichen Verhandlungen diverser Gerichte anwendbar:69 Sie gilt nicht nur in Straf- und Zivilsachen, sondern auch in den verwaltungs-, arbeits-, finanz- und sozialgerichtlichen Prozessen sowie in den mündlichen Verhandlungen am BVerfG. b) Motive des Gesetzgebers Das Aufnahmeverbot wurde als § 169 S. 2 GVG durch das Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes (StPÄG) 1964 in das GVG eingefügt. Aus seiner Gesetzesbegründung gehen zwei Motive hervor: Einerseits war die Bundesregierung, die den Entwurf eingebracht hatte, der Ansicht, Aufnahmen gefährdeten die Wahrheitsfindung. Sie vereitelten den Zweck des § 243 Abs. 2 StPO, nach dem die Zeugen der Verhandlung nicht beiwohnen dürften, da sie durch die Aufnahmen Kenntnis von den Aussagen der anderen Zeugen erlangten. Außerdem hemmten sie die Zeugen und Sachverständigen. Andererseits befürchtete die Bundesregierung, Aufnahmen könnten die Verteidigung des Angeklagten beeinträchtigen. Sie lenkten ihn und die Zeugen von der Verhandlung ab und hinderten ihn und seinen Verteidiger womöglich daran, sich derart zu verhalten, dass seinem Verteidigungsinteresse bestmöglich Rechnung getragen wird. Auch müsse der Angeklagte infolge der Aufnahmen bereits vor einer möglichen Verurteilung vor einer breiten Öffentlichkeit auftreten.70 Aus der dargestellten Begründung sowie dem Titel des Änderungsgesetzes wird deutlich: Ursprünglich war das Verbot nur für Verhandlungen in Strafsachen geplant.71 Es sollte ausdrücklich nicht in Verhandlungen „in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, in arbeitsgerichtlichen, verwaltungsgerichtlichen, finanzge69 S. § 55 VwGO für die Verwaltungs-, § 61 Abs. 1 SGG für die Sozial-, § 52 Abs. 1 FGO für die Finanz- und §§ 52 S. 4, 72 Abs. 6 ArbGG für die Arbeitsgerichte. 70 BTDrucks III/2037, S. 43 f.; BTDrucks IV/178, S. 45. Der Bundesrat wies in seiner Stellungnahme zudem auf Gefahren für das allgemeine Persönlichkeitsrecht sowie die Würde des Gerichts hin (BTDrucks III/2037, S. 49; BTDrucks IV/178, S. 49). 71 S. dazu auch die ursprüngliche Formulierung „[w]ährend des Ganges der Hauptverhandlung“ in BTDrucks III/2037, S. 12, BTDrucks IV/63, S. 12 und BTDrucks IV/178, S. 12.
B. Rechtliche Rahmenbedingungen für Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen
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richtlichen, sozialgerichtlichen und verfassungsgerichtlichen Verfahren“72 gelten. In diesen Prozessen bestehe kein Bedarf für ein Verbot, so die Bundesregierung zu Beginn des Gesetzgebungsverfahrens.73 Dennoch wurde § 169 S. 2 GVG a. F. im Ergebnis ohne die Beschränkung auf das Strafverfahren verabschiedet.74 Eine Begründung für die Ausdehnung des Anwendungsbereichs findet sich in den Gesetzesmaterialien nicht.75 c) Tatbestand des § 169 Abs. 1 S. 2 GVG aa) Anfertigung von Aufnahmen (1) Vorliegen einer Aufnahme Aufnahmen i. S. des § 169 Abs. 1 S. 2 GVG sind entsprechend des allgemeinen Sprachverständnisses jedenfalls solche Aufzeichnungen, bei denen das Bild re spektive der Ton für die spätere Publikation auf einem Medium gespeichert werden.76 Sachlich ist das Aufnahmeverbot daher ohne Weiteres anwendbar, wenn zum Beispiel eine Verhandlung gefilmt und der Film auf einer Speicherkarte festgehalten wird. Umstritten ist dagegen, ob die unmittelbare Übertragung des Bildes bzw. des Tons ohne vorherige Speicherung unter den Begriff der Aufnahme fällt und daher verboten ist. Das beträfe zum Beispiel den Live-Stream einer Verhandlung. Ganz überwiegend wird dies bejaht.77 Eine Aufnahme liegt demnach vor, wenn „Bilder und Töne in ein technisches Gerät ‚hineingehen‘“78, von ihm also im wahrsten Sinne des Wortes aufgenommen werden. Vereinzelt wird dagegen vertreten, eine Aufnahme werde nur angefertigt, wenn das Geschehen gespeichert
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BTDrucks III/2037, S. 44; BTDrucks IV/178, S. 45 f. BTDrucks III/2037, S. 44; BTDrucks IV/178, S. 46. 74 S. die erstmalige entsprechende Formulierung in BTDrucks IV/1020, S. 34. 75 Allein die Abgeordnete Diemer-Nicolaus sprach in ihrer Rede zum Gesetzesentwurf im Bundestag die Ausdehnung überhaupt an (Stenografischer Bericht aus der 69. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 27.03.1963, S. 3151 B). 76 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 319 f.; Hagenkötter, in: Kontrolle des Gerichts, S. 41 (S. 49); Kujath, Laienjournalismus, S. 234; Lückemann, in: Zöller, ZPO, § 169 GVG Rn. 10. 77 BTDrucks 18/10144, S. 11; Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 66; von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 319 f.; Kloppenburg, in: Düwell/Lipke, ArbGG, § 52 Rn. 8; Krausnick, ZG 2002, 273; Krieg, K&R 2009, 673 (675); Lückemann, in: Zöller, ZPO, § 169 GVG Rn. 10; Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 169 Rn. 63; Pieroth, in: Recht der Persönlichkeit, S. 249 (S. 276); Schraft-Huber, in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 17a Rn. 7; Schreiber, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 169 GVG Rn. 39; Ziemann, in: HWK-ArbR, § 52 ArbGG Rn. 7. 78 Kujath, Laienjournalismus, S. 236. 73
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werde.79 Hätte der Gesetzgeber die zeitgleiche Veröffentlichung auch verbieten wollen, hätte er dies sprachlich deutlich machen können, indem er zum Beispiel den Begriff „Übertragung“ gewählt hätte. Zeitgleiche Übertragungen seien ihm schließlich bekannt.80 Dafür spreche etwa der Unterschied zwischen „Aufzeichnung“ und „Übertragung“, der in § 247a Abs. 1 S. 3, 4 StPO gemacht werde.81 Ging der Gesetzgeber aber wie die heute h. M. davon aus, dass die zeitgleiche Übertragung von dem Begriff der „Aufnahme“ bereits erfasst war, hatte er dazu keinen Anlass. Wegen dieser sprachlichen Ambiguität lassen sich aus dem gesetzgeberischen Unterlassen keine Rückschlüsse ziehen. Den Ausschlag müssen daher Sinn und Zweck des Aufnahmeverbots geben. Die Risiken, die es gemäß der Gesetzesbegründung ausräumen sollte – die Gefahren für Wahrheitsfindung und Verteidigung des Angeklagten –82, könnten, sofern sie denn bestehen,83 überwiegend unabhängig davon entstehen, ob die Bild/Ton- oder Ton-Aufnahmen zeitgleich oder nachträglich, nach einer Speicherung gezeigt werden.84 Lenkt die Anfertigung der Aufnahmen einen Angeklagten bspw. tatsächlich ab, ist irrelevant, wie sie anschließend veröffentlicht werden. Die Ziele des Aufnahmeverbots sind deshalb nur zu erreichen, wenn es nicht auf den Zeitpunkt der Ausstrahlung ankommt. Aufnahmen i. S. des § 169 Abs. 1 S. 2 GVG sind deshalb jegliche Bild/ Ton-Aufnahmen und Ton-Aufnahmen, unabhängig davon, ob sie gespeichert oder sofort ausgestrahlt werden. (2) Erfasste Arten der Aufnahmen § 169 Abs. 1 S. 2 GVG, der Ton- sowie Fernseh-Rundfunkaufnahmen, Ton- und Filmaufnahmen verbietet, ließe sich so verstehen, dass nur drei Arten der Bild/ Ton- und Ton-Aufnahmen verboten werden: Aufnahmen für das Radio, für das Fernsehen sowie für filmische Zwecke. Damit wären Aufnahmen, die zur Publikation über das Internet bestimmt sind, gestattet. Gegen eine derartig enge Auslegung spricht aber eine Betrachtung der Norm in ihrem historischen Kontext. Bei ihrem Erlass 1964 war an Live-Streams, YouTube und dergleichen noch nicht zu denken, war das Internet doch noch nicht erfunden. Der Gesetzgeber bezog das Verbot mithin auf sämtliche Arten von Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen, die ihm bekannt waren. Dass es damals allumfassend war, spricht dafür, dass er, Hagenkötter, in: Kontrolle des Gerichts, S. 41 (S. 49). Kujath, Laienjournalismus, S. 236. 81 Hagenkötter, in: Kontrolle des Gerichts, S. 41 (S. 49). 82 Kap. 1, B. II. 1. b). 83 Dies wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit noch überprüft (s. Kap. 3, D. II., E.). 84 Kujath, Laienjournalismus, S. 237 f. 79 80
B. Rechtliche Rahmenbedingungen für Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen
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hätte er die heutigen technischen Möglichkeiten gekannt, das Verbot auch auf alle anderen Plattformen erstreckt hätte.85 Hierfür streitet auch ein Blick auf die Formen der Berichterstattung, die er ausdrücklich vom Verbot ausnahm: Textberichte und Zeichnungen sowie Fotografien.86 Diese Berichtsformen weisen keine Ähnlichkeit zu Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen auf, die im Internet veröffentlicht werden sollen. Diese Publikation ist vielmehr mit der von dem Verbot gerade in den Blick genommenen Sendung der Aufnahmen im Radio, im Fernsehen oder als Film zu vergleichen. Auch dies deutet darauf hin, dass der Gesetzgeber Aufnahmen, die im Internet veröffentlicht werden sollen, ebenfalls untersagt hätte, hätte er um ihre Möglichkeit gewusst. Zuletzt spricht dafür, dass die Risiken für die Wahrheitsfindung und die Verteidigung des Angeklagten, die das Verbot nach dem Willen des Gesetzgebers ausräumen soll,87 unabhängig davon bestehen könnten, wie die Aufnahmen veröffentlicht werden. Es kommt dafür nur darauf an, dass sie publiziert werden.88 Demnach fallen Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen unabhängig von der Plattform, auf der sie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, unter § 169 Abs. 1 S. 2 GVG.89 (3) Zweck der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung Zuletzt werden nur solche Aufnahmen von § 169 Abs. 1 S. 2 GVG erfasst, die zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung angefertigt werden. Im Umkehrschluss verbietet er Aufnahmen nicht, die mit einer abweichenden Zweckrichtung hergestellt werden.90 Dies sind nach allgemeiner Meinung Aufzeichnungen, die das Gericht für eigene Zwecke anfertigt, etwa als Gedächtnisstütze.91 Auch die Aufnahmen der Verfahrensbeteiligten für eigene Zwecke werden nicht erfasst, etwa wenn Rechtsanwälte sie zur Vorbereitung ihrer Anträge herstellen wollen.92 Kujath, Laienjournalismus, S. 245 f. BTDrucks III/2037, S. 44; BTDrucks IV/178, S. 45. 87 Kap. 1, B. II. 1. b). 88 Kujath, Laienjournalismus, S. 247. 89 So wohl auch Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 169 GVG Rn. 9, nach dem auch „Ton- und Filmaufnahmen, die nicht für den Rundfunk bestimmt sind“, erfasst werden. 90 Britz, Fernsehaufnahmen, S. 114; ders., in: FS Schiller, S. 81 (S. 91). 91 S. nur Hartmann, in: BLAH, ZPO, § 169 GVG Rn. 11; Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 169 Rn. 73; Porz, in: Fehling/Kastner/Störmer, VerwR, § 55 Rn. 7; Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, § 169 GVG Rn. 46 sowie zur wortgleichen Regelung in § 17a Abs. 1 S. 2 BVerfGG von Coelln, in: MSKB, BVerfGG, § 17a Rn. 79. 92 OLG Düsseldorf, NJW 1996, 1360; Jacobs, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 169 GVG Rn. 29; Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 169 Rn. 73; Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 85 86
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Nicht einheitlich beantwortet wird dagegen die Frage, ob Zuschauer Aufnahmen zu anderen Zwecken als der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhalts anfertigen dürfen. Denkbar und für diese Arbeit besonders relevant ist, dass Medienvertreter das Bild bzw. den Ton der Gerichtsverhandlung aufnehmen, um sich das Geschehen noch einmal vor Augen führen zu können, wenn sie ihren Bericht verfassen.93 Der Wortlaut des § 169 Abs. 1 S. 2 GVG verbietet nur Aufnahmen zum Zweck der Publikation ihres Inhalts und spricht daher auf den ersten Blick für die Zulässigkeit derartiger Aufzeichnungen. Unmittelbar soll deren Inhalt einem größeren Personenkreis schließlich nicht zur Kenntnis gebracht werden. Er ließe sich jedoch auch so verstehen, dass selbst die mittelbare Publikation des Inhalts untersagt wird.94 Eine solche Veröffentlichung nähme der Medienvertreter in seinem Bericht gerade vor. Diese Auslegung wäre allerdings wertungswidersprüchlich: Die Medienvertreter dürften den Inhalt einer Aufnahme schließlich ohne Weiteres publizieren, wenn sie ihn bspw. auf dem Laptop mitgeschrieben hätten. Der Wortlaut lässt sich Aufnahmen bei normativer Auslegung also nicht entgegenhalten. Nach der Meinung Wickerns spricht dagegen aber die Gefahr, dass die Aufnahmen später doch veröffentlicht werden.95 Allerdings kann Missbrauchsgefahren auch mit sitzungspolizeilichen Mitteln begegnet werden.96 In der Praxis würden die Aufnahmen aus diesem Grund wohl häufig untersagt.97 Allerdings kommt dem Vorsitzenden dabei nach § 176 GVG ein Ermessen zu, sodass er die Umstände des Einzelfalles berücksichtigen kann. Denkbar ist es insbesondere, dass einem akkreditierten Medienvertreter, der sich zur Geheimhaltung verpflichtet hat, die Aufzeichnung als Gedächtnisstütze gestattet wird. Würden die Aufnahmen in den Anwendungsbereich des § 169 Abs. 1 S. 2 GVG einbezogen, wären sie dagegen stets ausgeschlossen. Nach alledem ist es sachgerecht, § 169 Abs. 1 S. 2 GVG nur auf Aufnahmen anzuwenden, die zum Zweck der unmittelbaren öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhalts angefertigt werden. § 169 GVG Rn. 46 sowie zu § 17a Abs. 1 S. 2 BVerfGG von Coelln, in: MSKB, BVerfGG, § 17a Rn. 79. 93 Für die Zulässigkeit dieses Vorgehens: von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 320; Odörfer, in: Barczak, BVerfGG, § 17a Rn. 30; Schwarz, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, § 17a Rn. 19. Dagegen beschreibt Zimmermann, in: MüKoZPO, § 169 GVG Rn. 48 es als „problematisch“. 94 So Schreiber, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 169 GVG Rn. 39. 95 Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, § 169 GVG Rn. 44. 96 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 320; Kujath, Laienjournalismus, S. 234. 97 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 320.
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bb) Zeitlicher Anwendungsbereich § 169 Abs. 1 S. 2 GVG regelt den zeitlichen Anwendungsbereich des Verbots nicht explizit. Nach h. M. gilt es während der mündlichen Verhandlung.98 Damit schließt es zwar die Entscheidungsverkündung ein,99 nicht jedoch die Verhandlungspausen100. In der Literatur wird sein zeitlicher Anwendungsbereich teilweise aber abweichend verstanden. Nach Schmidt soll das Verbot schon ab jenem Moment gelten, in dem die Beteiligten den Gerichtssaal betreten oder gar ab dem Zeitpunkt, in dem der Angeklagte eines Strafverfahrens im Gerichtsgebäude erscheint und sich bei dem Justizwachtmeister meldet. Eine solche erweiternde Auslegung gebiete der Sinn und Zweck des § 169 Abs. 1 S. 2 GVG, der auch in diesem Zeitraum und nicht nur in der Verhandlung den Aufnahmen entgegenstehe.101 Enger als die h. M. legt dagegen Hartmann den zeitlichen Anwendungsbereich des Verbots aus, indem er es in Zivilsachen ab dem Zeitpunkt anwenden will, in dem die Parteien ihre Anträge nach § 137 Abs. 1 ZPO stellen.102 Vermittelnd ist insofern die Ansicht Meissners und Schenks, für die das Verbot ab dem Zeitpunkt gilt, in dem der Vorsitzende Richter die Verhandlung eröffnet.103 Weil die Verhandlung, wie zu § 169 Abs. 1 S. 1 GVG ausgeführt, mit dem Aufruf der Sache beginnt,104 den meist der Vorsitzende vornimmt, stimmt ihre Auslegung in der Regel mit dem Verständnis der h. M. überein. Nur in dem seltenen Fall, dass ein Dritter, etwa ein Gerichtsbediensteter, die Sache aufruft,105 würde der Anwendungsbereich des Verbots abweichen.
98 So bereits die Gesetzesbegründung zu § 169 S. 2 GVG a. F. (BTDrucks III/2037, S. 44; BTDrucks IV/178, S. 46). S. zudem BVerfGE 119, 309 (320); BGHSt 23, 123 (124); Czybulka/ Kluckert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 55 Rn. 17; Jacobs, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 169 GVG Rn. 27; Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 169 Rn. 63; Schraft-Huber, in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 17a Rn. 5; Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, § 169 GVG Rn. 42; Wolff-Dellen, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, § 61 Rn. 10. 99 BGHSt 22, 83; Czybulka/Kluckert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 55 Rn. 17; Diemer, in: KK-StPO, § 169 GVG Rn. 13; Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 169 Rn. 63; Schraft-Huber, in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 17a Rn. 5. 100 BVerfGE 91, 125 (136); 103, 44 (62); 119, 309 (320); BGHSt 23, 123 (125); Hamacher, in: BeckOK ArbR, § 52 ArbGG Rn. 18; Jacobs, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 169 GVG Rn. 27; Klein, in: MSKB, BVerfGG, § 17 Rn. 6; Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, § 169 GVG Rn. 42. 101 Schmidt, Justiz und Publizistik, S. 11. 102 Hartmann, in: BLAH, ZPO, § 169 GVG Rn. 11. 103 Meissner/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 55 Rn. 21b. 104 Kap. 1, A. I. 4. 105 Dies ist nach BVerfGE 119, 309 (327) zulässig.
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Anders als die Vertreter der h. M. will Schmidt das Aufnahmeverbot des Weiteren auf die Pausen der mündlichen Verhandlung zum Zweck der Entscheidungsberatung erstrecken. Zur Begründung verweist er für Strafverfahren darauf, dass die Verhandlung nach § 260 Abs. 1 StPO mit der auf die Beratung folgenden Urteilsverkündung schließt.106 Das Verbot erfasse demnach nur jene Zeiträume nicht, in denen die Verhandlung gemäß § 228 Abs. 1 S. 1 StPO ausgesetzt oder unterbrochen worden sei.107 Grundlegend anders legt Kuß den zeitlichen Anwendungsbereich des § 169 Abs. 1 S. 2 GVG aus, indem er auf den allgemeinen Wortsinn des Begriffes „Verhandlung“ rekurriert. Lege man jenes Verständnis zugrunde, seien nur die Bestandteile der Verhandlung vom Verbot erfasst, deren Gegenstand zur Disposi tion stehe.108 In den Strafverfahren, auf die er sich bezieht, seien demnach sowohl die Anklageverlesung als auch die Urteilsverkündung vom Verbot ausgenommen. In den beiden Abschnitten könnten die Beteiligten schließlich keinen Einfluss (mehr) nehmen.109 Das Aufnahmeverbot gälte damit im Wesentlichen während der Beweisaufnahme und der Plädoyers. All diesen Ansichten ist gemein, dass sie § 169 Abs. 1 S. 2 GVG isoliert auslegen. Dem lässt sich bei systematischer Betrachtung aber entgegenhalten, dass die Vorschrift in Zusammenschau mit § 169 Abs. 1 S. 1 GVG gesehen werden muss.110 Da sich aus ihrem Wortlaut selbst keine Anhaltspunkte für ihren zeitlichen Anwendungsbereich ergeben, können dem Gesetz nur auf diese Weise überhaupt Aussagen dazu entnommen werden. Solcher Anhaltspunkte bedarf es allerdings, will man bei der Anwendung des Aufnahmeverbots keine Rechtsunsicherheit hervorrufen.111 Koppelt man das Aufnahmeverbot deshalb an die Öffentlichkeit der Verhandlung gemäß § 169 Abs. 1 S. 1 GVG, sind Aufnahmen während der gesamten mündlichen Verhandlung verboten. Die Entstehungsgeschichte des Aufnahmeverbots unterstützt diese parallele Auslegung der Vorschriften:112 In seiner ursprünglichen Fassung war das Verbot in § 169 Abs. 1 S. 2 GVG noch explizit auf den Gang der Hauptverhandlung bezogen.113 Auch wenn diese Begrenzung der endgültigen Fassung der Norm nicht Schmidt, Justiz und Publizistik, S. 38. Schmidt, JZ 1970, 109. 108 Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 239. 109 Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 240. 110 BGHSt 23, 123 (124 f.); Jacobs, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 169 GVG Rn. 27; Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, § 169 GVG Rn. 42. 111 Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 140; Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 169 Rn. 63. 112 Britz, Fernsehaufnahmen, S. 114; Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 139 f.; Nöhre, in: FS Stilz, S. 454 (S. 461). 113 S. den Entwurf des § 169 S. 2 GVG a. F. in BTDrucks III/2037, S. 12; BTDrucks IV/63, S. 12; BTDrucks IV/178, S. 12. 106 107
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mehr zu entnehmen ist, enthalten die Gesetzesmaterialien keinen Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber den Anwendungsbereich durch die Streichung abweichend regeln wollte.114 Damit sprechen die überzeugenderen Argumente dafür, das Aufnahmeverbot mit der h. M. während der mündlichen Verhandlung i. S. des § 169 Abs. 1 S. 1 GVG anzuwenden, mithin vom Aufruf der Sache bis zur Entscheidungsverkündung, spätestens aber bis zu den abschließenden Belehrungen. cc) Räumlicher Anwendungsbereich Aus den zum zeitlichen Anwendungsbereich des Aufnahmeverbots genannten Gründen ist der räumliche Anwendungsbereich des § 169 Abs. 1 S. 2 GVG identisch mit dem des § 169 Abs. 1 S. 1 GVG.115 Das Verbot gilt also am Ort der mündlichen Verhandlung. Relativ leicht ist sein Anwendungsbereich damit zu ermitteln, wenn im Sitzungssaal verhandelt wird. Aufnahmen in jenem Saal sind dann verboten. Darüber hinaus untersagt § 169 Abs. 1 S. 2 GVG auch Aufnahmen, die aus einem anderen Raum in den Sitzungssaal hinein gemacht werden,116 etwa durch Fenster zur Straße oder die Tür zum Gerichtsflur117. Hierfür streitet auf der einen Seite wiederum die Zusammenschau mit § 169 Abs. 1 S. 1 GVG, der nur von der „Verhandlung“ spricht, daneben aber keinerlei räumliche Einschränkung trifft.118 Ebenso ist daher § 169 Abs. 1 S. 2 GVG auszulegen. Auf der anderen Seite könnten die Medienvertreter das Aufnahmeverbot andernfalls leicht umgehen,119 sodass es signifikant an Wirksamkeit einbüßen würde. Weniger einfach zu bestimmen ist der räumliche Anwendungsbereich, wenn außerhalb des Gerichts verhandelt wird. Einige Autoren wollen das Aufnahmeverbot nur auf Verhandlungen im Sitzungssaal anwenden.120 In der Rechtsprechung sowie dem überwiegenden Teil der Literatur wird jedoch vertreten, es gelte auch außerhalb des Gerichts.121 Für die Ortstermine werden dabei aus 114
BGHSt 23, 123 (125). Zu diesen Gründen: Kap. 1, B. II. 1. c) bb). 116 Kujath, Laienjournalismus, S. 243; Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 169 Rn. 63; Wolf, NJW 1994, 681 (683). Im Ergebnis wohl ebenfalls Zimmermann, in: MüKoZPO, § 169 GVG Rn. 47, der einen räumlichen Bezug zum Sitzungssaal fordert. 117 S. dazu auch Huff, in: Liber Amicorum Landau, S. 369 (S. 371): „Bilder durch die noch einen Spalt offene Tür sind gar nicht selten.“ 118 Kujath, Laienjournalismus, S. 243; Wolf, NJW 1994, 681 (683). 119 Wolf, NJW 1994, 681 (683). 120 Lenz/Hansel, BVerfGG, § 17a Rn. 1; Schwarz, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, § 17a Rn. 12. 121 BGHSt 36, 119; Altenhain, Gutachten 71. DJT, C 77 in Fn. 367; Czybulka/Kluckert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 55 Rn. 17; Dannecker, in: Urteilen lernen II, S. 225 (S. 238); Diemer, 115
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Kap. 1: Gerichtssaalberichterstattung de lege lata
Gründen der Praktikabilität teilweise Einschränkungen gemacht: Zimmermann fordert einen räumlichen Bezug der Aufnahmetätigkeit zur Verhandlung. Der Bezug sei abzulehnen, wenn die Aufnahmen aus einiger Entfernung zum Verhandlungsgeschehen angefertigt würden.122 Hamm will Aufnahmen nur verbieten, wenn sie an einem überschaubaren Ort aus unmittelbarer Nähe von Medienvertretern angefertigt werden, die zu diesem Zweck anwesend sind.123 Erneut muss aber der systematische Zusammenhang von § 169 Abs. 1 S. 1 und S. 2 GVG berücksichtigt werden. Der Öffentlichkeitsgrundsatz gilt außerhalb des Gerichts ebenso wie im Sitzungssaal. Es kommt nur darauf an, dass verhandelt wird, nicht wo. Dasselbe muss für das Aufnahmeverbot gelten. Eine Beschränkung auf den Sitzungssaal scheidet daher ebenso aus wie die vorgeschlagenen Einschränkungen für Ortstermine. Zwar kann diese Auslegung des § 169 Abs. 1 S. 2 GVG außerhalb des Gerichts tatsächlich praktische Schwierigkeiten hervorrufen. Insofern brächten die vorgeschlagenen Einschränkungen jedoch keine Erleichterung. So ist etwa unklar, ab welcher Entfernung der räumliche Bezug zum Verhandlungsgeschehen fehlen soll. Mit einem Teleobjektiv oder einer digitalen Zoomfunktion können brauchbare Aufnahmen auch aus großer Ferne angefertigt werden. Den Einschränkungen stehen damit nicht nur der Wortlaut der Norm, der darauf nicht hindeutet, und die Systematik des § 169 Abs. 1 GVG entgegen. Sie erleichtern die praktische Handhabung des Aufnahmeverbots auch nicht. Damit muss es bei dem eingangs gefundenen Ergebnis bleiben: Maßgeblich für das Verbot in § 169 Abs. 1 S. 2 GVG ist in räumlicher Hinsicht, dass Aufnahmen am Ort der mündlichen Verhandlung angefertigt werden – wo auch immer sich dieser befindet. dd) Persönlicher Anwendungsbereich Der Wortlaut des § 169 Abs. 1 S. 2 GVG deutet darauf hin, dass nur professionelle Medienvertretern hiervon erfasst sind, da er nur Aufnahmen des Rundfunks und des Films erfasst. Dies wirft die Frage auf, wer hierunter in persönlicher Hinsicht fallen soll: Nur hauptberufliche Journalisten, auch nebenberufliche Berichterstatter oder sogar Laien, die sich hobbymäßig journalistisch betätigen? Die Berufsbezeichnung „Journalist“ ist schließlich nicht geschützt. Es gibt zwar in: KK-StPO, § 169 GVG Rn. 13; Hamm, Große Strafprozesse, S. 56; Leipold, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 52 FGO Rn. 42; Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 169 Rn. 63; Schmidt/Temming, in: GJTZ, StPO, § 169 GVG Rn. 11; Schmitt, in: Meyer-Goßner/ Schmitt, § 169 GVG Rn. 8; Velten, in: SK-StPO, § 169 GVG Rn. 39; Weberling, in: Ricker/ Weberling, PresseR, 16. Kap. Rn. 11; Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, § 169 GVG Rn. 42. 122 Zimmermann, in: MüKoZPO, § 169 GVG Rn. 47. 123 Hamm, Große Strafprozesse, S. 56.
B. Rechtliche Rahmenbedingungen für Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen
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einige Definitionen, etwa die des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV),124 aber keine verbindliche, insbesondere gesetzliche Festlegung.125 Auch ein amtlicher Presseausweis existiert nicht.126 Schwierig macht eine Feststellung der Journalisteneigenschaft auch, dass, wie gezeigt, auch Internet-Plattformen wie YouTube von § 169 Abs. 1 S. 2 GVG erfasst werden.127 Auf ihnen ist eine Unterscheidung zwischen Medienvertretern und gewöhnlichen Nutzern noch schwerer zu treffen.128 Die teleologische Auslegung streitet ebenfalls gegen eine Differenzierung. Der seit dem Erlass des Aufnahmeverbots eingetretene technische Wandel hat dazu geführt, dass jedermann jederzeit über alles Bericht erstatten kann.129 Mit wenigen Klicks sind ein Internet-Blog oder ein YouTube-Kanal eröffnet und mithilfe des stets präsenten Smartphones lassen sich ohne großen Aufwand Inhalte dafür generieren. Diese Inhalte werden über die sozialen Medien gleichberechtigt mit den Inhalten etablierter Sender und Verlage verbreitet. So mancher Blog hat hierbei eine größere Reichweite als eine Regionalzeitung.130 Die Gefahren, die § 169 Abs. 1 S. 2 GVG nach dem Willen des Gesetzgebers verhindern sollte – Risiken für die Wahrheitsfindung und die Verteidigung des Angeklagten –131, könnten demnach nicht mehr nur von Medienvertretern ausgehen, sondern von jedem Anwesenden. Das Aufnahmeverbot muss daher in persönlicher Hinsicht für jedermann gelten, ob professioneller Berichterstatter oder „gewöhnlicher“ Zuschauer.132 d) Rechtsfolge des § 169 Abs. 1 S. 2 GVG § 169 Abs. 1 S. 2 GVG a. E. legt fest, dass die in seinen Anwendungsbereich fallenden Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen unzulässig sind. Die Regelung enthält mithin ein absolutes Verbot der Aufnahmen. Dieses Verbot ist zwingend. Es kann 124
Vgl. damit die Kriterien für die Mitgliedschaft von Journalisten im DJV (DJV, DJV-Aufnahmerichtlinien [abrufbar unter www.djv.de/startseite/profil/mitglied-werden/aufnahmerichtlinien.html, Stand: 13.12.2019]). 125 Huff, DRiZ 2007, 309 (311). 126 Altenhain, Gutachten 71. DJT, C 64 f. weist zurecht darauf hin, dass es nicht einmal einen bundeseinheitlichen, nichtamtlichen Ausweis gibt. 127 Zu den erfassten Arten der Aufnahmen: Kap. 1, C. II. 1. c) aa) (2). 128 Fechner, in: Stern/Becker, GRe, Art. 5 Rn. 206; Schlothauer, StV 2015, 665 (668). 129 Stürner, JZ 2001, 699 (701). 130 Magnus, in: Digitalisierung, S. 205 (S. 210). 131 Kap. 1, B. II. 1. b). 132 So auch Hamm, AfP 2014, 202 (203); Kohlhaas, NJW 1970, 600; Krausnick, ZG 2002, 273 (273 f.); Kujath, Laienjournalismus, S. 244; Pernice, Medienöffentlichkeit, S. 145 f.; Schwarz, AfP 1995, 353 (355).
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Kap. 1: Gerichtssaalberichterstattung de lege lata
insbesondere nicht durch die Verfahrensbeteiligten abbedungen werden.133 Auch unterliegt es nicht der Disposition des Vorsitzenden oder des Gerichts, die Aufnahmen im Anwendungsbereich des Verbots dementsprechend nicht gestatten dürfen.134 2. Ausnahme vom Aufnahmeverbot nach § 17a Abs. 1 S. 2 BVerfGG a) Anwendbarkeit der Ausnahme Gemäß § 17 BVerfGG ist das Aufnahmeverbot in § 169 Abs. 1 S. 2 GVG am BVerfG entsprechend anwendbar. § 17a Abs. 1 S. 2 BVerfGG enthält jedoch eine Ausnahmeregelung: Bis das Gericht die Anwesenheit der Beteiligten festgestellt hat sowie bei der öffentlichen Verkündung von Entscheidungen sind Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhaltes zulässig. Nach § 17a Abs. 2 BVerfGG kann der Vorsitzende Richter die Aufnahmen oder ihre Übertragung allerdings zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der Beteiligten oder Dritter sowie zur Wahrung des ordnungsgemäßen Ablaufs des Verfahrens ganz oder teilweise ausschließen oder von der Einhaltung von Auflagen abhängig machen. b) Motive des Gesetzgebers Der Gesetzgeber führte die Vorschrift des § 17a BVerfGG ausweislich seiner Gesetzesbegründung 1998 ein, um den Besonderheiten der Verfahren am BVerfG Rechnung zu tragen.135 Das Verbot in § 169 Abs. 1 S. 2 GVG sei kodifiziert worden, um das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Verfahrensbeteiligten zu schützen und die Wahrheitsfindung in der Verhandlung zu sichern. Diese Erwägungen ließen sich nicht ohne Weiteres auf das BVerfG übertragen.136 Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht seien in dessen Verhandlungen entweder gar nicht zu erwarten, weil die Beteiligten als Organwalter, Prozessvertreter oder in S. nur BGHSt 16, 111 (114 f.); 22, 83 (85); Hamacher, in: BeckOK ArbR, § 52 ArbGG Rn. 18; Hartmann, in: BLAH, ZPO, § 169 GVG Rn. 11; Klein, in: MSKB, BVerfGG, § 17 Rn. 6; Leipold, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 52 FGO Rn. 43; Mayer, in: Kissel/ Mayer, GVG, § 169 Rn. 69; Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, § 169 GVG Rn. 56. 134 S. nur BGHSt 22, 83; Hartmann, in: BLAH, ZPO, § 169 GVG Rn. 11; Klein, in: MSKB, BVerfGG, § 17 Rn. 6; Leipold, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 52 FGO Rn. 43; Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 169 Rn. 69; Meissner/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 55 Rn. 21b; Schmidt, NJW 1968, 806; Walther, in: BeckOK StPO, § 169 GVG Rn. 16. 135 BTDrucks 13/7673, S. 6, 7; BRDrucks 165/97, S. 8, 10. 136 BTDrucks 13/7673, S. 6; BRDrucks 165/97, S. 10 f. 133
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anderer Weise als Person des öffentlichen Lebens aufträten, oder erfolgten jedenfalls nicht in derselben Tiefe wie an den Fachgerichten.137 Aus der Funktion des BVerfG als Verfassungsorgan folge zudem, dass die verhandelten Fragen regelmäßig Gegenstand öffentlicher Diskussion seien und die Entscheidungen eine große politische Bedeutung hätten. Dies begründe ein erhebliches Öffentlichkeitsinteresse hieran.138 Eine Beeinflussung des Verfahrens sei in den ausgewählten Aufnahmezeiträumen nicht zu erwarten. Sollte sie doch einmal drohen, könne das BVerfG auf die in § 17a Abs. 2 BVerfGG kodifizierten Maßnahmen zurückgreifen.139 c) Tatbestand des § 17a Abs. 1 S. 2 BVerfGG Weil § 17a Abs. 1 S. 2 BVerfGG eine Ausnahme vom Aufnahmeverbot gemäß § 169 Abs. 1 S. 2 GVG enthält, kann bezüglich seines Tatbestandes in großen Teilen auf die dortigen Ausführungen verwiesen werden.140 Für den zeitlichen Anwendungsbereich der Ausnahme finden sich in § 17a Abs. 1 S. 2 BVerfGG jedoch abweichende Vorgaben. Aufnahmen sind danach zu Beginn der mündlichen Verhandlung nur bis zu dem Zeitpunkt zulässig, in dem das Verfassungsgericht die Anwesenheit der Verfahrensbeteiligten festgestellt hat (§ 17a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BVerfGG). Am Ende der Verhandlung dürfen Aufnahmen nur während der öffentlichen Entscheidungsverkündung hergestellt werden (§ 17a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BVerfGG). Wie die Präsenzfeststellung zu erfolgen hat, regelt das BVerfGG aber nicht. In der Praxis wird der zeitliche Anwendungsbereich der Ausnahmeregelung daher zu Beginn der mündlichen Verhandlung dadurch ausgedehnt, dass der Senatsvorsitzende erläuternde Bemerkungen zum Verfahren macht und erst danach die Anwesenheit der Beteiligten feststellt.141 Für das Verhandlungsende ist der zeitliche Anwendungsbereich zwar gesetzlich definiert: Aufnahmen während der Verkündung der Entscheidung umfassen deren Tenor und Begründung (§ 30 Abs. 1 S. 1, 2 BVerfGG).142 Auch dies handhabt das BVerfG allerdings „medienfreundlich“: Üblich ist, dass der Vorsitzende nach seiner Verkündung des Entscheidungstenors zehn bis 15 Minuten lang die zentralen Aspekte der Entscheidungsbegründung in einer für Laien verständlichen Sprache zusammenfasst, bevor er anschließend die Entscheidungsgründe 137
BTDrucks 13/7673, S. 6; BRDrucks 165/97, S. 11. BTDrucks 13/7673, S. 6; BRDrucks 165/97, S. 12. 139 BTDrucks 13/7673, S. 6; BRDrucks 165/97, S. 12. 140 S. Kap. 1, B. II. 1. c). 141 Odörfer, in: Barczak, BVerfGG, § 17a Rn. 27; Schwarz, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, § 17a Rn. 18. Illustrativ ist hierzu die in der Einleitung dieser Arbeit beschriebene Eröffnung der mündlichen Verhandlung zum Rundfunkbeitrag (Einleitung, A.). 142 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 460; Sauer, in: BeckOK BVerfGG, § 17a Rn. 23. 138
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Kap. 1: Gerichtssaalberichterstattung de lege lata
verliest.143 Der enge zeitliche Anwendungsbereich der Ausnahmevorschrift wird in der Praxis somit ausgedehnt. d) Rechtsfolge des § 17a Abs. 1 S. 2 BVerfGG aa) Grundsätzliche Zulässigkeit der Aufnahmen § 17a Abs. 1 S. 2 BVerfGG gestattet jedermann innerhalb seines Anwendungsbereiches ohne Weiteres – insbesondere ohne eine vorherige gerichtliche oder richterliche Zulassung –, Bild/Ton-Aufnahmen und Ton-Aufnahmen anzufertigen. § 17a Abs. 2 BVerfGG sieht aber vor, dass der Vorsitzende Richter die Aufnahmen oder deren Übertragung im Einzelfall beschränken kann. Der Gesetzgeber hat mithin eine Optout-Lösung gewählt: Will der Vorsitzende nicht, dass Aufnahmen angefertigt oder übertragen werden, muss er dies aktiv unterbinden. bb) Voraussetzungen für eine Beschränkung der Aufnahmen Gestattet sind Beschränkungen mit zwei unterschiedlichen Zielrichtungen: zur Wahrung der schutzwürdigen Interessen der Beteiligten oder Dritter und zur Wahrung des ordnungsgemäßen Verfahrensablaufs. Nach dem Wortlaut der Vorschrift („zur Wahrung“) ist es dabei nicht nötig, dass die Schutzgüter durch die Tätigkeit der Medienvertreter verletzt werden. Der Vorsitzende kann vielmehr bereits bei einem „relativ niedrigen Gefahrenpotential“144 gegen die Aufnahmen oder ihre Übertragung vorgehen. Bezüglich der schutzwürdigen Interessen, zu deren Wahrung er einschreiten darf, lässt sich dem Wortlaut des § 17a Abs. 2 Alt. 1 BVerfGG nur entnehmen, wessen Interessen betroffen sein müssen: die der Verfahrensbeteiligten oder Dritter. Welche Interessen zu wahren sind, besagt die Norm nicht. Ihre historische Auslegung spricht dafür, jedenfalls Grundrechte unter den Begriff der schutzwürdigen Interessen zu fassen.145 Explizit wird in der Gesetzesbegründung das allgemeine Persönlichkeitsrecht als ein Beispiel für ein schutzwürdiges Interesse erwähnt.146 Eine systematische Auslegung gibt weitere Anhaltspunkte hierfür: § 17a Abs. 1 S. 2 BVerfGG ist eine Ausnahme vom Aufnahmeverbot nach § 169 Abs. 1 S. 2 GVG. Da die Rückausnahme in § 17a Abs. 2 BVerfGG diesen ursprünglichen Zustand wiederherstellt, hat sie – zumindest faktisch – dieselben Töpper, in: FH Müller, S. 48 (S. 49). Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 465 f. 145 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 464; Odörfer, in: Barczak, BVerfGG, § 17a Rn. 38; Schraft-Huber, in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 17a Rn. 11; Schwarz, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, § 17a Rn. 21. 146 BTDrucks 13/7673, S. 9. 143 144
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Zwecke wie das Verbot des § 169 Abs. 1 S. 2 GVG.147 Sinn und Zweck jenes Verbots sind gemäß der Gesetzesbegründung zu § 17a BVerfGG der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Beteiligten sowie der Wahrheitsfindung.148 Beide sind daher schutzwürdige Interessen i. S. des § 17a Abs. 2 BVerfGG. Aufgrund des offenen Wortlauts der Vorschrift ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass unter diesen Begriff noch weitere Interessen subsumiert werden. Ein Beispiel liefert bei systematischer Auslegung § 172 Nr. 2 GVG, der nach § 17 BVerfGG am BVerfG entsprechend anwendbar ist und ebenfalls von schutzwürdigen Interessen spricht. Jene Interessen sind zumeist wirtschaftlicher Natur.149 Daneben können auch alle übrigen, in §§ 171b, 172 GVG geschützten Interessen wie zum Beispiel staatliche Geheimhaltungsinteressen unter die Interessen Dritter gefasst werden.150 Eine abschließende Aufzählung der schutzwürdigen Interessen nach § 17a Abs. 2 BVerfGG ist daher nicht möglich. Als zweites Schutzgut nennt § 17a Abs. 2 BVerfGG den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf. Der Wortlaut der Norm beschreibt damit bereits anschaulich, zu welchem Zweck der Vorsitzende Richter einschreiten darf. cc) Rechtsfolgen einer Beschränkung der Aufnahmen Bei der Entscheidung, ob und wie er zur Wahrung der Schutzgüter handelt, steht dem Vorsitzenden Richter ein Entschließungs- und ein Auswahlermessen zu.151 Entschließt er sich, einzuschreiten, hat er sechs Handlungsmöglichkeiten: Auf der einen Seite kann er Aufnahmen (1) ganz oder (2) teilweise untersagen oder (3) von der Einhaltung von Auflagen abhängig machen. Auf der anderen Seite kann er die Übertragung der Aufnahmen (4) ganz oder (5) teilweise untersagen oder (6) von der Einhaltung von Auflagen abhängig machen. Schwarz beschreibt diese Möglichkeiten zutreffend als „abgestuftes Reaktionsinstrumentarium“152. Nach § 24 Abs. 1 S. 2 BVerfGGO können die Senate ergänzende Regelungen für die mündliche Verhandlung und die Urteilsverkündung (sic!) erlassen. Diese Regelungen sollen die Vorgaben in § 17a BVerfGG konkretisieren und ergänzen.153 Von der Möglichkeit zu ihrem Erlass haben die beiden Senate bereits 1998 Gebrauch gemacht, als sie die „Ergänzenden Regelungen für Vertreter der Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 465; Sauer, in: BeckOK BVerfGG, § 17a Rn. 30. Kap. 1, B. II. 2. b). 149 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 465. 150 Odörfer, in: Barczak, BVerfGG, § 17a Rn. 38; Sauer, in: BeckOK BVerfGG, § 17a Rn. 30. 151 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 467. 152 Schwarz, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, § 17a Rn. 24. 153 Lenz/Hansel, BVerfGG, § 17a Rn. 8; Odörfer, in: Barczak, BVerfGG, § 17a Rn. 48; Schraft-Huber, in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 17a Rn. 16. 147 148
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Presse sowie der Hörfunk- und Fernsehanstalten“ erließen.154 Danach werden Medienvertretern regelmäßig Auflagen für ihre Gerichtssaalberichterstattung gemacht. Sie entsprechen überwiegend den Beispielen, die bereits die Gesetzesbegründung nannte: Anweisungen zu Anzahl sowie Standort der Kameras oder die Beschränkung auf gemeinsame Aufnahmen der beteiligten Sender.155 Bei letzterem, der sog. Pool-Lösung, darf nur eine begrenzte Anzahl von Kameraleuten Aufnahmen anfertigen, die sie kostenfrei allen interessierten Medien zur Verfügung stellen muss.156 3. Ausnahmemöglichkeit vom Aufnahmeverbot nach § 169 Abs. 3 S. 1 GVG a) Anwendbarkeit der Ausnahmemöglichkeit Das Aufnahmeverbot in § 169 Abs. 1 S. 2 GVG gilt im Grundsatz für mündliche Verhandlungen aller Instanzen. § 169 Abs. 3 GVG enthält allerdings eine Ausnahmemöglichkeit für die Verhandlungen des BGH. Gemäß § 169 Abs. 3 S. 1 GVG kann das Gericht in besonderen Fällen während der Verkündung seiner Entscheidungen Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen und Ton- und Filmaufnahmen zum Zweck der öffentlichen Vorführung oder der Veröffentlichung ihres Inhaltes zulassen – also ein Ausnahme von dem Verbot in § 169 Abs. 1 S. 2 GVG machen. Diese Ausnahmevorschrift gilt aufgrund der Verweisungen in den Verfahrensordnungen für alle obersten Bundesgerichte, also für das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Bundesarbeitsgericht (BAG),157 Bundessozialgericht (BSG) und den Bundesfinanzhof (BFH). Nach § 169 Abs. 3 S. 2 GVG können die Aufnahmen oder ihre Übertragung zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der Beteiligten oder Dritter und zur Wahrung eines ordnungsgemäßen Ablaufs des Verfahrens von dem Gericht aber teilweise untersagt oder von der Einhaltung von Auflagen abhängig gemacht werden. 154 Erstmals
kamen sie bei der Urteilsverkündung zum Bayerischen Schwangerenhilfeergänzungsgesetz (vgl. BVerfGE 98, 265) am 27.10.1998 zur Anwendung. Sie wurden damals als Anlage zur Pressemitteilung mit organisatorischen Hinweisen für Medienvertreter publiziert (s. BVerfG, Pressemitteilung Nr. 113/1998 vom 19.10.1998 [abrufbar unter www.bundesver fassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/1998/bvg98-113.html, Stand: 13.12. 2019]). 155 BTDrucks 13/7673, S. 9 f. 156 Huff, K&R 2011, 517. 157 Düwell, jurisPR-ArbR 41/2017 Anm. 1 meint jedoch, im Rechtsbeschwerdeverfahren des BAG sei § 169 Abs. 3 GVG nicht anwendbar. Der Gesetzgeber habe es versäumt, dies in dem für jene Verhandlungen einschlägigen § 92 Abs. 2 ArbGG zu regeln. Zurecht weist Tiedemann, ArbRB 2017, 389 (391) aber darauf hin, dass mit dem Begriff „Öffentlichkeit“ in § 92 Abs. 2 S. 1 ArbGG Bezug auf den ganzen § 169 GVG genommen wird, also auch auf dessen dritten Absatz.
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Eingeführt wurde § 169 Abs. 3 GVG durch das überwiegend 2018 in Kraft getretene Gesetz zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für Sprach- und Hörbehinderte (EMöGG).158 Fast 20 Jahre nach der zuvor einzigen Teilreform des Aufnahmeverbots in § 169 Abs. 1 S. 2 GVG ergriff der Gesetzgeber darin erneut die Gelegenheit, die Rahmenbedingungen für die Gerichtssaalberichterstattung an die gegenwärtigen Gegebenheiten anzupassen. Weil er dabei im Wesentlichen auf dieselben tatsächlichen Umstände traf, auf die auch die vorliegende Arbeit Bezug nimmt, sind seine Erwägungen von besonderer Bedeutung für den Fortgang dieser Untersuchung. b) Vorgeschichte des § 169 Abs. 3 GVG Der Auslöser für die rechtspolitische Diskussion, an deren Ende der Erlass des § 169 Abs. 3 GVG stand, war der sog. NSU-Prozess am OLG München.159 In dem vom Gericht ursprünglich durchgeführten Akkreditierungsverfahren, bei dem die Medienplätze nach dem Prioritätsprinzip vergeben wurden, hatte kein türkischer Medienvertreter eine Platzreservierung erhalten.160 Acht der zehn Todesopfer des sog. NSU waren aber türkischer Abstammung.161 Die Vertreter einer türkischen Tageszeitung, die sich vergeblich um eine Reservierung bemüht hatte, beantragten daraufhin beim BVerfG den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Das Gericht gab dem Vorsitzenden am OLG München auf, den ausländischen Medienvertretern mit besonderem Bezug zu den Opfern der angeklagten Straftaten eine angemessene Anzahl von Sitzplätzen zuzuteilen.162 Die Vorgabe hielt das OLG München im zweiten Akkreditierungsdurchgang ein, indem es Kontingente für die Medien schuf und innerhalb dieser Kontingente ein Losverfahren durchführte.163 Das führte letztlich dazu, dass bedeutende überregionale Medien wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) keinen Platz erhielten, dafür aber Medien wie der Lokalradiosender „Radio LOTTE Weimar“ im Sitzungssaal vertreten waren.164 Die Vorgänge rund um das allge-
158 Normen, die sich mit der Verbesserung der Kommunikationshilfen für Sprach- und Hörbehinderte befassen, traten bereits 2017 in Kraft. 159 Odörfer, in: Barczak, BVerfGG, § 17a Rn. 8; Sauer, in: BeckOK BVerfGG, § 17a Rn. 13. 160 BVerfG, NJW 2013, 1293. 161 Kujath, AfP 2013, 269. 162 BVerfG, NJW 2013, 1293 (1294). 163 S. Ziff. I) 3) der Verfügung des OLG München vom 19.04.2013, Az. 6 St 3/12. 164 Friehe, in: Kontrolle des Gerichts, S. 1.
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mein als missglückt betrachtete Akkreditierungsverfahren wurden medial intensiv begleitet und riefen damit die Politik auf den Plan.165 Die ersten Vorschläge für eine Reform der Rahmenbedingungen stammten aus den Justizministerien der Länder. So schlug die bayerische Justizministerin Merk mit Blick auf den Platzmangel im NSU-Verfahren vor, der Vorsitzende Richter solle die zeitgleiche Videoübertragung der Verhandlung in einen anderen Raum des Gerichts anordnen können, der für Medienvertreter reserviert werden sollte.166 Einen weiteren Vorschlag machte die saarländische Justizministerin Rehlinger. Sie ging hierbei über den Vorschlag Merks noch deutlich hinaus: Auch sie forderte die Übertragung der mündlichen Verhandlung in einen Nebenraum.167 Zusätzlich schlug sie jedoch vor, Verhandlungen in Ausnahmefällen gleichzeitig an die Öffentlichkeit zu übertragen, etwa wenn ein überragendes zeitgeschichtliches Interesse an ihnen bestünde. Auch Beschränkungsmöglichkeiten für eine derartige Übertragung benannte sie, etwa eine zeitliche Begrenzung der Übertragung auf die Verfahrenseröffnung und die Urteilsverkündung oder eine zwingende Pool-Lösung.168 Die Initiative der Länder führte bald zu Reaktionen auf Bundesebene. Im Juli 2013 beauftragte das Bundesministerium der Justiz den Deutschen Richterbund (DRB) damit, ein Gutachten zur Frage erstellen, ob § 169 S. 2 GVG a. F. noch zeitgemäß sei. Dieses Gutachten legte die Große Strafrechtskommission des DRB im Oktober 2013 vor.169 Entgegen des weit formulierten Gutachtenauftrags – er verwendete die übergreifende Bezeichnung „Gerichtsverhandlung“, nicht den strafrechtlichen Begriff der „Hauptverhandlung“ – beantwortete die Kommission die Frage entsprechend ihrer Expertise allein mit Blick auf das Strafverfahren. Dabei kam sie zu dem Ergebnis, das Verbot sei nicht nur zeitgemäß, sondern in Anbetracht der heutigen Möglichkeiten zur Informationsweitergabe noch bedeutsamer als bei seiner Einführung. Zwar erkannte sie an, dass die Medienwelt sich seit 1964 verändert hatte, doch war sie der Meinung, die Gründe für den Erlass des Verbots trügen heute noch unverändert. Wolle der Gesetzgeber Aufnahmen zulassen, solle er sich demnach auf enge Ausnahmen beschränken.170
Zur öffentlichen Diskussion rund um die Platzvergabe: Geuther, DRiZ 2013, 166. Merk, DRiZ 2013, 234 (235). 167 Jungmann, saarbruecker-zeitung.de vom 25.05.2013 (abrufbar unter www.saarbrue cker-zeitung.de/saarland/saarbruecken/saarbruecken/saarbruecken/Live-Uebertragung-ausdem-Gericht;art446398,4794881, Stand: 13.12.2019). 168 Rehlinger, in: Redaktion beck-aktuell, becklink 1026690. 169 Eine Zusammenfassung der Überlegungen findet sich bei Hegmann, DRiZ 2014, 202 f. 170 DRB, Gutachten, S. 186. 165 166
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In dem im November 2013 geschlossenen Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD fand sich des Weiteren die Vereinbarung, zu überprüfen, „inwieweit dem öffentlichen Interesse an einem Gerichtsverfahren durch eine erweiterte Saalöffentlichkeit Rechnung getragen werden kann.“171 Bemerkenswert, in Anbetracht des Auslösers der Diskussion aber nicht verwunderlich, war die Position des Prüfauftrags im Koalitionsvertrag: Er fand sich unter der Überschrift „Effektive Strafverfolgung und wirksame Maßnahmen zur Gefahrenabwehr“ im Kapitel „Kriminalität und Terrorismus“, wurde also im Hinblick auf die Strafgerichtsbarkeit erteilt.172 Schon zuvor, auf der 84. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister im Juni 2013, hatten sich die Fachminister mit der Gerichtssaalberichterstattung befasst. Sie erörterten die Frage, ob § 169 S. 2 GVG a. F. in Anbetracht der Erfahrungen der europäischen Nachbarstaaten, des technischen Wandels und der zunehmenden Bedeutung audiovisueller Medien für den Medienkonsum und die Meinungsbildung der Bürger noch zeitgemäß sei. Während sie eine vollständige Abschaffung des Aufnahmeverbots ablehnten, sahen sie den Bedarf für eine eingehende Prüfung möglicher Modifikationen und baten die Bundesjustizministerin deshalb, eine entsprechende Bund-Länder-Arbeitsgruppe einzurichten.173 Diese Arbeitsgruppe nahm im September 2013 ihre Arbeit auf und legte im Juni 2015 ihren Abschlussbericht vor. Darin schlug sie eine moderate Lockerung des Verbots in § 169 S. 2 GVG a. F. vor, indem Entscheidungsverkündungen der obersten Bundesgerichte im Grundsatz aufgenommen und übertragen werden könnten.174 Hierfür sei § 169 GVG entsprechend zu ergänzen und eine mit § 17a Abs. 2 BVerfGG vergleichbare Möglichkeit zur Beschränkung der Aufnahmen und ihrer Übertragung zu kodifizieren.175 c) Gesetzgebungsverfahren vor Erlass des § 169 Abs. 3 GVG Im Juni 2016 legte das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) schließlich einen Referentenentwurf des EMöGG vor.176 Der darin vor171 Deutschlands
Zukunft gestalten, Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 18. Legislaturperiode, S. 146. 172 Schumann, in: FS Gottwald, S. 565 (S. 571). 173 Beschluss der 84. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister 2013, TOP II. 18: Zeitgemäße Neufassung des § 169 Gerichtsverfassungsgesetz (abrufbar unter www.saar land.de/dokumente/res_justiz/Tagesordnung_Justizministerkonferenz.pdf, Stand: 13.12.2019). 174 Bund-Länder-Arbeitsgruppe, Abschlussbericht, S. 3. 175 Bund-Länder-Arbeitsgruppe, Abschlussbericht, S. 14. 176 Referentenentwurf vom 02.06.2016 (abrufbar unter www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_Erweiterung_Medienoeffentlichkeit_Gerichtsverfahren. pdf?__blob=publicationFile&v=2, Stand: 13.12.2019).
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geschlagene § 169 Abs. 3 GVG-RefE war überwiegend bereits deckungsgleich mit dem heutigen § 169 Abs. 3 GVG, teils aber noch etwas „medienfreund licher“.177 Bereits im August 2016 folgte der Regierungsentwurf des EMöGG.178 Dieser enthielt § 169 Abs. 3 GVG schon in seiner aktuell gültigen Form. Der Bundesrat schlug im Oktober 2016 in seiner Stellungnahme zum Regierungsentwurf eine Ergänzung der Beschränkungen nach § 169 Abs. 3 S. 2 GVG-RegE dahingehend vor, dass die Aufnahmen oder deren Übertragung auch vollständig untersagt werden können.179 Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz sah in der Beschlussempfehlung aus dem Mai 2017 ebenfalls Änderungen am Gesetzestext vor. Sie betrafen jedoch nicht § 169 Abs. 3 GVG.180 Im Ergebnis verabschiedete der Bundestag im Juni 2017 den Regierungsentwurf in der durch die Beschlussempfehlung des Ausschusses modifizierten Form, allerdings ohne den Änderungsvorschlag des Bundesrates umzusetzen. Weil der auf die Anrufung des Vermittlungsausschusses verzichtete,181 trat das Gesetz in dieser Fassung in Kraft. d) Motive des Gesetzgebers § 169 Abs. 3 GVG sei, so die Gesetzesbegründung, eine Reaktion auf den besonders durch das Internet ausgelösten Wandel der Medienbranche und des Medienkonsums. Im europäischen Ausland habe diese Entwicklung bereits zu einer Öffnung der Gerichte für die Medien geführt. In Deutschland habe das NSU-Verfahren zudem gezeigt, dass die Kapazität der Sitzungssäle dem Interesse der Öffentlichkeit an Gerichtsverfahren nicht immer gerecht werde. Dies alles streite für eine Lockerung des Aufnahmeverbots.182 An Entscheidungsverkündungen bestehe dabei ein besonderes Interesse, wie die bereits länger zulässigen Aufnahmen am BVerfG gezeigt hätten.183 Indem man an den obersten Bundesgerichten Aufnahmen der Verkündungen zuließe, blieben die Aufnahmen auf die grundlegenden Rechtsfragen begrenzt, über die erfahrene und qualifizierte Richter entschieden. Alle anderen Verhandlungsabschnitte sollten allerdings auch an diesen Gerichten aufgrund der unbeherrschbaren Risiken, die aus der Verwendung der Bernzen/Bräutigam, K&R 2017, 555 (557). vom 31.08.2016 (abrufbar unter www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetz gebungsverfahren/Dokumente/RegE_Erweiterung_Medienoeffentlichkeit_Gerichtsverfahren. pdf?__blob=publicationFile&v=5, Stand: 13.12.2019). 179 BRDrucks 492/16(B), S. 2 f. 180 BTDrucks 18/12591, S. 3. 181 BRDrucks 606/17(B). 182 BTDrucks 18/10144, S. 13 f. 183 BTDrucks 18/10144, S. 17. 177
178 Regierungsentwurf
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Aufnahmen resultierten, nicht aufgezeichnet werden.184 Des Weiteren sei es die Aufgabe des Gerichts, die mit dem öffentlichen Informationsinteresse an den Verkündungen kollidierenden Positionen im Einzelfall mit diesem Interesse abzuwägen und auf diese Weise zu wahren. Konkret betreffe dies den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Beteiligten oder von Dritten, den Anspruch auf ein faires Verfahren und die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege.185 e) Tatbestand des § 169 Abs. 3 S. 1 GVG aa) Zeitlicher Anwendungsbereich Ebenso wie § 17a Abs. 1 S. 2 BVerfGG enthält auch § 169 Abs. 3 GVG eine Ausnahme vom Aufnahmeverbot gemäß § 169 Abs. 1 S. 2 GVG. Daher kann für die Auslegung des Tatbestandes erneut prinzipiell auf die Ausführungen zu diesem Verbot verwiesen werden.186 Hinsichtlich des zeitlichen Anwendungsbereichs ergeben sich jedoch wiederum Abweichungen: Aufnahmen und deren Übertragung können gemäß § 169 Abs. 3 S. 1 GVG nur während der Verkündung von Entscheidungen gestattet werden. Vergleicht man die Formulierung mit der des § 17a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BVerfGG, zeigt sich ein Unterschied: Am BVerfG darf die öffentliche Verkündung der Entscheidungen aufgezeichnet werden. Dass dieser Zusatz in § 169 Abs. 3 GVG fehlt, ist jedoch vermutlich ein Redaktionsversehen. Der Gesetzgeber wollte durch den Verzicht auf das Wort „öffentlich“ wohl kaum die Aufnahme nicht öffentlich verkündeter Urteile gestatten. Dafür fehlt nicht nur jeder Ansatzpunkt in der Gesetzesbegründung, dies stünde auch in einem starken Kon trast zur im Übrigen eher moderaten Lockerung des § 169 S. 2 GVG a. F. durch das EMöGG. Demzufolge ist der Begriff der Entscheidungsverkündung in § 169 Abs. 3 S. 1 GVG zu verstehen wie sein Pendant in § 17a BVerfGG.187 Vom zeitlichen Anwendungsbereich der Ausnahmemöglichkeit erfasst sind daher sowohl der Tenor als auch die Begründung der Entscheidung. bb) Vorliegen eines besonderen Falles § 169 Abs. 3 S. 1 GVG setzt für eine Ausnahme vom Aufnahmeverbot voraus, dass ein besonderer Fall vorliegt. Diese Anforderung soll laut der Gesetzesbegründung dazu führen, dass die Aufnahmen in der Praxis Ausnahmefälle blei-
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BTDrucks 18/10144, S. 18. BTDrucks 18/10144, S. 17 f. 186 Vgl. Kap. 1, B. II. 1. c). 187 Zum zeitlichen Anwendungsbereich des § 17a BVerfGG: Kap. 1, B. II. 2. c). 185
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ben.188 Insgesamt sollen rund 50 Entscheidungsverkündungen pro Jahr (nota bene: an allen obersten Bundesgerichten zusammen) in Betracht kommen.189 Sowohl der Wortlaut der Norm als auch ihre historische Auslegung sprechen demnach dafür, den Begriff des besonderen Falles eng auszulegen. Systematisch folgt aus einem Vergleich mit § 169 Abs. 2 S. 1 GVG jedoch, dass die Anforderungen auch nicht allzu streng sein dürfen.190 Dort ist geregelt, dass der Ton einer Verhandlung von für die Bundesrepublik Deutschland herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung zu wissenschaftlichen und historischen Zwecken aufgenommen werden kann. Nach Schätzungen des Gesetzgebers werden derartige Prozesse etwa alle fünf Jahre geführt.191 Sie sollen also deutlich seltener vorliegen, als die durch § 169 Abs. 3 S. 1 GVG geregelten besonderen Fälle. Diese Fälle müssen daher jedenfalls nicht von einer derartig fundamentalen Bedeutung sein.192 Die großzügige Zulassungspraxis des BGH nach dem Inkrafttreten des § 169 Abs. 3 GVG deutet darauf hin, dass die Anforderungen an das Vorliegen eines besonderen Falles jedenfalls faktisch nicht übermäßig hoch sind.193 Ein Indiz für einen besonderen Fall soll es nach dem Willen des Gesetzgebers sein, wenn das Verfahren auch für die überregionale Presse relevant ist und das Gericht eine Presseerklärung veröffentlichen würde.194 In ähnlicher Weise meint Mayer, die Zulassung komme nur in solchen Prozessen in Frage, die entweder aufgrund des Verfahrensgegenstandes oder wegen der wirtschaftlichen bzw. sozialpolitischen Relevanz der Entscheidung bundesweit auf ein Medieninteresse stießen.195 Koch und Wallimann schlagen dagegen vor, das Vorliegen eines besonderen Falles in Zivilverfahren in der Regel abzulehnen, weil sie Streitigkeiten zwischen Privatpersonen beträfen.196 Sie berücksichtigen jedoch nicht, dass sich zum Beispiel in einem Wirtschaftsprozess zwei Unternehmen gegenüberstehen können, deren Streit faktisch Auswirkungen auf eine Vielzahl von Personen hat.
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BTDrucks 18/10144, S. 29. BTDrucks 18/10144, S. 24 f. 190 Auch Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 169 GVG Rn. 29 plädiert dafür, die Ausnahme „nicht zu engherzig“ anzuwenden. 191 BTDrucks 18/10144, S. 24. 192 Hartmann, in: BLAH, ZPO, § 169 GVG Rn. 29; Trentmann, MMR 2018, 441 (443). 193 Die „Ampel“, mit der auf der Webseite des BGH mit Terminhinweisen angezeigt wird, in welchen Verhandlungen Aufnahmen angefertigt werden dürfen, steht selten auf „Rot“ (abrufbar unter www.bundesgerichtshof.de/DE/Presse/Terminhinweise/terminhinweise_node. html, Stand: 13.12.2019). 194 BTDrucks 18/10144, S. 29. 195 Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 169 Rn. 66c. 196 Koch/Wallimann, MDR 2018, 241 (243 f.). 189
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Ein Beispiel hierfür sind Anlegerschutzprozesse. Dies erkannte auch der Gesetzgeber, der eine Differenzierung nach Verfahrensarten ausdrücklich ablehnte.197 Vielmehr ist im Einzelfall anhand des öffentlichen Informationsinteresses, das sich in den Medienberichten widerspiegelt,198 zu überprüfen, ob ein besonderer Fall vorliegt. f) Rechtsfolge des § 169 Abs. 3 S. 1 GVG aa) Gestattung von Aufnahmen nach § 169 Abs. 3 S. 1 GVG (1) Kriterien für die Ermessensentscheidung des Gerichts Ist der Tatbestand des § 169 Abs. 3 S. 1 GVG erfüllt, dürfen Aufnahmen nicht ohne Weiteres angefertigt werden. Sie erfordern schließlich eine vorherige Gestattung. Jene Erlaubnis muss das Gericht erteilen, mithin der gesamte Spruchkörper.199 Es steht – das zeigt der Wortlaut der Norm – in seinem Ermessen, Aufnahmen zuzulassen.200 Die Gesetzesbegründung liefert eine Reihe von Kriterien für die Ermessensentscheidung und verweist im Übrigen auf die „vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätze“, insbesondere das Informa tionsbedürfnis der Öffentlichkeit, den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, den Anspruch auf ein faires Verfahren und die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege als zu berücksichtigende Positionen.201 In tatsächlicher Hinsicht könne zudem in die Entscheidung einfließen, ob das Urteil über den Einzelfall hinaus bedeutsam sei, ob die technischen und räumlichen Kapazitäten des Gerichts für die Ausnahmen ausreichten oder ob in ihrer Folge Verfahrensverzögerungen drohten.202 Wie die Ermessensentscheidung in der jeweiligen Verfahrensart prinzipiell ausfallen soll, deutet der Gesetzgeber durch die Formulierung der verfahrensartspezifischen Kriterien in seiner Gesetzesbegründung an. Für manche Arten nennt er primär Aspekte, die gegen eine Erlaubnis sprechen. In Strafverfahren seien neben dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Angeklagten etwa seine Sicherheit und Resozialisierung relevant.203 Falls intime Details aus dem Leben der Opferzeugen erörtert würden, kämen Aufnahmen bspw. ebenfalls nicht in 197
BTDrucks 18/10144, S. 17. So im Ergebnis auch Trentmann, MMR 2018, 441 (443 f.). 199 Von Coelln, AfP 2016, 491 (492); Hirzebruch, BRJ 2017, 5 (10); Kreicker, ZIS 2017, 85 (91); Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 169 Rn. 66b; Schoenfeld, in: Gosch, AO/FGO, § 52 FGO Rn. 45; Walther, in: BeckOK StPO, § 169 GVG Rn. 19. 200 Koch/Wallimann, MDR 2018, 241 (242); Trentmann, MMR 2018, 441 (443). 201 BTDrucks 18/10144, S. 29. 202 BTDrucks 18/10144, S. 29. 203 BTDrucks 18/10144, S. 29 f. Auf das Resozialisierungsinteresse stützte sich auch der 198
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Frage.204 Auch für Verfahren am BAG betont der Gesetzgeber vor allem jene Positionen, die gegen die Aufnahmen sprechen könnten. In diesen Verfahren könnten etwa die Diskretionsinteressen bezüglich Betriebs-, Geschäfts- oder Erfindungsgeheimnissen der Zulassung von Aufnahmen entgegenstehen.205 Für die Verfahren an den Zivilgerichten konkretisiert er dagegen primär Aspekte, die für eine Gestattung sprechen könnten. Positiv wirke sich etwa aus, wenn eine Entscheidung für eine Vielzahl an Personen praktische Bedeutung habe,206 wenn besonders schutzwürdige Belange der Allgemeinheit oder wirtschaftlich bzw. sozialpolitisch bedeutsame Materien betroffen seien, wenn die Entscheidung Gegenstand einer nicht bloß aus Neugier und Sensationsinteresse geführten öffentlichen Diskussion gewesen sei oder sie Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit der Zivilrechtspflege bzw. das Vertrauen der Allgemeinheit in diese Funktionsfähigkeit haben könne. Gegen die Aufnahmen solle dagegen streiten, wenn ein Urteil nur abstrakte Feststellungen treffe oder eine Sache bloß zurückverweise.207 Für Verfahren vor den öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten betont der Gesetzesgeber, dass dort nicht stets derselbe Persönlichkeits- und Verfahrensschutz erforderlich sei wie in den anderen Verfahrensarten. Aufnahmen seien besonders bei Normenkontrollen gemäß § 47 VwGO und Revisionsentscheidungen zu grundlegenden Fragen möglich. Verfahren, in denen die Lebensverhältnisse von Privatpersonen diskutiert würden, seien dagegen für die Aufnahmen eher nicht in Betracht zu ziehen. Beispielhaft werden Asylverfahren und Verfahren zur Gewährung von Sozialleistungen genannt.208 Als weiteres, tatsächliches Kriterium für die Ermessensentscheidung könnte ein erheblicher Mehraufwand bei der Vorbereitung der Entscheidungsverkündung zu berücksichtigen sein. Vor Erlass des § 169 Abs. 3 GVG warnten dessen Gegner, die Richter müssten sich nun intensiver als bisher auf eine mündliche Entscheidungsverkündigung vorbereiten.209 Dem war aber schon damals zutreffend entgegengehalten worden, die Verkündung sei jedenfalls am BGH als Akt der Verhandlungsleitung nur dem Vorsitzenden zugewiesen und erfordere daher BGH in seinem ersten Beschluss über die partielle Gestattung von Aufnahmen einer Urteilsverkündung (s. BGH, NStZ-RR 2018, 257 [258]). 204 Walther, in: BeckOK StPO, § 169 GVG Rn. 20. 205 BTDrucks 18/10144, S. 30. 206 S. auch Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 169 GVG Rn. 14. 207 BTDrucks 18/10144, S. 30. 208 BTDrucks 18/10144, S. 30. 209 Franke, NJW 2016, 2618 (2620); Jahn, DRiZ 2015, 379; Milger, in: Spiekermann, NJW-aktuell 25/2016, 12 (13); Rittig, NJ 2016, 265 (267); Schmidt, in: Esslinger, SZ vom 02.05.2016, S. 5.
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unabhängig von den Aufnahmen keine interne Abstimmung.210 Die Vorbereitung müsse außerdem nicht allein aufgrund der Aufnahmen intensiver ausfallen, sei es doch in medienwirksamen Verfahren bereits aufgrund der anwesenden Presse nötig, sich vorzubereiten.211 Als Hilfsmittel könnten den Richtern dabei jene Pressemitteilungen dienen, die in wichtigen Verfahren für die Urteilsverkündung stets verfasst würden.212 Dass die Verfahrensdauer durch Aufnahmen und die dafür nötigen Vorbereitungen nicht überlang werden müsse, zeigten die positiven Erfahrungen am BVerfG.213 Demnach kann ein zusätzlicher Aufwand bei der Vorbereitung zwar prinzipiell bei der Ermessensentscheidung berücksichtigt werden. Er muss aber deutlich über das hinausgehen, was bei jeder öffentlichen Verkündung nötig ist. Dies wird in der Praxis nur selten der Fall sein. (2) Ermessensentscheidung auch bei Nichtzulassung von Aufnahmen Eine Ermessensentscheidung muss das Gericht nach der Ansicht des Gesetzgebers nur treffen, wenn es Aufnahmen zulassen will. Lehnt es sie dagegen ab, soll es schlicht bei dem gesetzlichen Verbot nach § 169 Abs. 1 S. 2 GVG bleiben.214 Dem ist für all jene Fälle zuzustimmen, in denen die Medien das Gericht nicht um die Zulassung ersuchen. Dann fehlt es an jeglichem Handeln des Gerichts. Wurde eine Zulassung aber beantragt und vom Gericht abgelehnt, geht dem zwangsläufig eine Ermessensentscheidung voraus215 – nur eben mit negativem Ergebnis. Davon ging offenbar auch der Gesetzgeber aus, als er die dargestellten Kriterien für die Ermessensentscheidung in seiner Gesetzesbegründung festhielt. Die Ablehnung eines Antrags setzt eine sorgfältige Prüfung dieser Kriterien voraus, wenn die Entscheidung der „rechtsstaatlichen Prüfung“216 standhalten soll, die in der Gesetzesbegründung ausdrücklich als maßgeblich bezeichnet wird.217
210 Mosbacher, www.lto.de vom 31.03.2016 (abrufbar unter www.lto.de/recht/hinter gruende/h/kamera-urteilsverkuendung-bundesgerichte-ansehen-der-justiz-kommentar/, Stand: 13.12.2019). 211 Mosbacher, DRiZ 2016, 299. 212 Janisch, SZ vom 03.05.2016, S. 4; Mosbacher, DRiZ 2016, 299. 213 Wieduwilt, www.faz.net vom 02.09.2016 (abrufbar unter www.faz.net/aktuell/feuille ton/debatten/bundesregierung-will-video-live-aufnahmen-in-gerichten-14416058.html, Stand: 13.12.2019). 214 BTDrucks 18/10144, S. 29. So ebenfalls Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 169 Rn. 66b; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 169 GVG Rn. 29. 215 Walther, in: BeckOK StPO, § 169 GVG Rn. 19. So ebenfalls Schumann, DRiZ 2013, 254 (255) zur parallel gelagerten Frage, wie ein Antrag auf Übertragung der Verhandlung in einen Medienarbeitsraum zu behandeln ist. 216 BTDrucks 18/10144, S. 29. 217 Von Coelln, AfP 2016, 491 (494).
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In systematischer Hinsicht spricht für eine Ermessensentscheidung auch vor einer Ablehnung außerdem § 169 Abs. 4 GVG. Danach sind die einschlägigen Beschlüsse unanfechtbar. Dies schließt aber nicht die Möglichkeit aus, Verfassungsbeschwerde (ggf. verbunden mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung) hiergegen einzulegen.218 Wäre eine Verfassungsbeschwerde nicht möglich, könnten die Beschlüsse schließlich nicht überprüft werden. Die Betroffenen auf diese Weise rechtsschutzlos zu stellen, wäre aus rechtsstaatlicher Perspektive untragbar.219 Lehnte man eine Entscheidung des Gerichts im Fall der Nichtzulassung von Aufnahmen ab, fehlte es aber an einem Beschluss und deshalb an einem Akt der öffentlichen Gewalt, der mit einer Verfassungsbeschwerde angegriffen werden könnte (vgl. § 90 Abs. 1 BVerfGG). Demnach könnte gegen die ablehnende Entscheidung kein Rechtschutz gewährt werden. Weshalb ausgerechnet die negativen Entscheidungen des Gerichts derart immunisiert werden sollten, ist nicht ersichtlich. Aus diesen Gründen muss das Gericht vor der Ablehnung eines Antrags auf die Zulassung der Aufnahmen ebenso eine Ermessensentscheidung treffen wie vor ihrer Gestattung. bb) Beschränkungsmöglichkeiten nach § 169 Abs. 3 S. 2 GVG Wenn die Aufnahmen vom Gericht im Einzelfall zugelassen werden, bedeutet dies nicht, dass sie uneingeschränkt möglich sind. Die Beschränkungsmöglichkeiten des § 169 Abs. 3 S. 2 GVG sind überwiegend kongruent mit denen in § 17a Abs. 2 BVerfGG, sodass in großen Teilen auf die Ausführungen hierzu verwiesen werden kann. Die in den beiden Normen verwendeten Begriffe der Wahrung schutzwürdiger Interessen der Beteiligten oder Dritter und des ordnungsgemäßen Ablaufs des Verfahrens sind deshalb gleich auszulegen.220 Erneut steht dem Gericht außerdem ein „abgestuftes Reaktionsinstrumenta rium“221 zur Wahrung dieser Interessen zur Verfügung. Es kann sowohl Aufnahmen als auch deren Übertragung beschränken. Statt der am BVerfG vorgesehenen sechs Möglichkeiten haben die obersten Bundesgerichte dem Wortlaut des § 169 Abs. 3 S. 2 GVG nach aber nur vier Optionen: Sie können (1) die Aufnahmen oder (2) deren Übertragung partiell verbieten. Die Möglichkeit der vollstänBernzen/Bräutigam, K&R 2017, 555 (556); von Coelln, AfP 2016, 491 (494); Koch/ Wallimann, MDR 2018, 241 (244 f.); Kreicker, ZIS 2017, 85 (91 in Fn. 54); Saliger, JZ 2016, 824 (827); Tiedemann, ArbRB 2017, 389 (390); Trentmann, MMR 2018, 441 (444); Walther, in: BeckOK StPO, § 169 GVG Rn. 21. Kritisch dazu aber Huff, ZAP 2016, 763 (764). 219 Kritisch dazu ebenfalls Knierim, in: KOBG, Gesamtes StrafR aktuell, Kap. 22 Rn. 17, 29; Trentmann, MMR 2018, 441 (444). 220 Zu ihrer Auslegung mit Blick auf § 17a Abs. 2 BVerfGG: Kap. 1, B. II. 2. d) bb). 221 Schwarz, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, § 17a Rn. 24. 218
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digen Untersagung wird nicht explizit gewährt. Jene Situation tritt aber ohnehin ein, wenn die Aufnahmen nicht gestattet werden. Das Verbot in § 169 Abs. 1 S. 2 GVG gilt in dem Fall schließlich weiter. Daher hat das Gericht auch diese Handlungsoption. Zudem kann es (3) die Aufnahmen oder (4) deren Übertragung von der Einhaltung von Auflagen abhängig machen. Zur Orientierung können ihm dabei die Auflagen dienen, die am BVerfG regelmäßig erlassen werden. 4. Verfassungsmäßigkeit des § 169 Abs. 1 S. 2 GVG a) Hintergrund des Verfassungsstreits Im Verlauf seiner mittlerweile über fünfzigjährigen Geltung wurde die Verfassungsmäßigkeit des Aufnahmeverbots in § 169 Abs. 1 S. 2 GVG immer wieder angezweifelt.222 Das BVerfG setzte der Diskussion 2001 in seinem sog. n-tv-Urteil vorläufig223 ein Ende, als es § 169 S. 2 GVG a. F. für verfassungskonform befand.224 Der Entscheidung lagen zwei Gerichtsverfahren zugrunde, in denen der Vorsitzende Richter Bild/Ton-Aufnahmen und Ton-Aufnahmen während der mündlichen Verhandlung ausdrücklich verboten hatte.225 Ausschlaggebend war hierfür § 169 Abs. 1 S. 2 GVG gewesen. In beiden Fällen war es der Fernsehsender n-tv, der – obwohl er mit seinen Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 32 BVerfGG gescheitert war226 – die Verfassungsbeschwerde erhoben hatte. Relevant für diese Arbeit ist nicht nur die Entscheidung der Senatsmehrheit, die das Aufnahmeverbot für verfassungskonform befand, sondern auch das Sondervotum dreier Verfassungsrichter, die zum entgegengesetzten Ergebnis kamen.227 Beide Voten enthalten zahlreiche Argumente zugunsten und zulasten der Gerichtssaalberichterstattung, die im zweiten sowie dritten Kapitel näher untersucht werden müssen. Sie waren außerdem richtungsweisend für die rechtliche Behandlung der Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen im Umfeld der mündlichen Verhandlung sowie der Bild-Aufnahmen, die im weiteren Verlauf dieses Kapitels untersucht werden,228 sodass sie bereits an dieser Stelle dargestellt werden. einer der Ersten verneinte Gerhardt, Verfassungsmäßigkeit, S. 119 im Jahr 1968 seine Verfassungsmäßigkeit. In jüngerer Zeit schlossen sich dem bspw. von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 439; Kujath, Laienjournalismus S. 291; Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 188 an. 223 In Retrospektive zutreffend dazu Kirchberg, BRAK-Mitt 2002, 252 (254): „Die Auguren sind sich allerdings sicher: jetzt geht’s erst richtig los.“ 224 BVerfGE 103, 44 (59, 62). 225 BVerfGE 103, 44 (48 f.). 226 BVerfG, NJW 1996, 581; NJW 1999, 1951. 227 BVerfGE 103, 72. 228 Vgl. Kap. 1, B. III., C. 222 Als
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b) Begründung der Senatsmehrheit Der Maßstab für die Überprüfung des § 169 Abs. 1 S. 2 GVG war aus Sicht der Senatsmehrheit nicht allein die Rundfunkfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 2 GG), deren Verletzung die Beschwerdeführerin gerügt hatte.229 Vielmehr sei für den Zugang zu einer Informationsquelle die Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG) maßgeblich. Wollten Medienvertreter Zugang zu einer jedermann offenstehenden Informationsquelle erhalten, würden sie dabei geschützt wie „gewöhnliche“ Bürger. Die Rundfunkfreiheit schütze dagegen die Nutzung rundfunkspezifischer Geräte zur Informationsverbreitung.230 Keines der beiden Grundrechte enthalte aber ein Recht auf Eröffnung einer Informationsquelle.231 Über den Zugang hierzu entscheide vielmehr derjenige, dem die Rechtsordnung das Bestimmungsrecht zugewiesen habe. Übe dieser sein Recht aus, liege darin kein Grundrechtseingriff.232 Habe der Gesetzgeber das Bestimmungsrecht über eine Quelle inne und eröffne er sie nur eingeschränkt, hänge die Verfassungsmäßigkeit der einschränkenden Norm damit nicht von den Vorgaben des Art. 5 Abs. 2 GG ab, sondern nur davon, ob das Recht zur Bestimmung des Zugangs die Einschränkung decke. Eine Verletzung der Informationsfreiheit oder, wo rundfunkspezifische Aufnahme- und Verbreitungstechniken ausgeschlossen würden, der Rundfunkfreiheit, sei daher nur zu bejahen, wenn verfassungsrechtlich ein weiterer oder unbeschränkter Zugang zur Informationsquelle geboten gewesen wäre.233 Sodann prüfte das BVerfG § 169 Abs. 1 S. 2 GVG an seinem entwickelten Maßstab. Gerichtsverhandlungen, so die Verfassungsrichter, seien Informationsquellen. Deren Zugänglichkeit regele der Gesetzgeber „im Rahmen seiner Befugnis zur Ausgestaltung des Gerichtsverfahrens und unter Beachtung verfassungsrechtlicher Vorgaben wie insbesondere des Rechtsstaats- und des Demokratieprinzips und des Schutzes der Persönlichkeit.“234 Zu diesem Zweck habe er § 169 Abs. 1 S. 1 GVG geschaffen, wonach eine Gerichtsverhandlung im Grundsatz jedem zugänglich sei. Eingeschränkt werde die Zugänglichkeit aber dadurch, dass § 169 Abs. 1 S. 2 GVG gewisse Aufnahmen der Verhandlung verbiete. Die Informationsquelle „Gerichtsverhandlung“ sei somit nur für die Personen eröffnet, die persönlich im Verhandlungsraum anwesend seien. Nach dem Gesagten stelle die Einschränkung des § 169 Abs. 1 S. 2 GVG kein Schranken229
S. für die Ausführungen der Beschwerdeführerin BVerfGE 103, 44 (49 ff.). BVerfGE 103, 44 (59). 231 BVerfGE 103, 44 (59 f.). 232 BVerfGE 103, 44 (60). 233 BVerfGE 103, 44 (61). 234 BVerfGE 103, 44 (61). 230
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gesetz dar.235 Demnach war sie aus Sicht der Senatsmehrheit nicht an Art. 5 Abs. 2 GG zu messen, sondern lediglich an sonstigen verfassungsrechtlichen Vorgaben. Als eine solche Vorgabe nannten die Richter den Öffentlichkeitsgrundsatz, den sie auf das Rechtsstaats- und das Demokratieprinzip zurückführten. Der Grundsatz gelte aber nicht ausnahmslos, sondern sei vom Gesetzgeber auszugestalten.236 Dabei müsse berücksichtigt werden, dass die Öffentlichkeit Verfahrensgerechtigkeit gewährleiste, indem sie die Informationen vermittele, die für die Kontrolle des Prozesses erforderlich seien. Der unbegrenzten Öffentlichkeit stünden aber u. a. das Persönlichkeitsrecht der Beteiligten (Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG), ihr Anspruch auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG) und die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege, insbesondere in Form der ungestörten Wahrheits- und Rechtsfindung, entgegen.237 Der Gesetzgeber sei verfassungsrechtlich daher zwar nicht verpflichtet, aber doch befugt gewesen, den Zugang zur Gerichtsverhandlung nur für Anwesende zu eröffnen. Dies genüge dem „rechtsstaatlichen Interesse der öffentlichen Kontrolle des Gerichtsverfahrens sowie dem im Demokratieprinzip verankerten Grundsatz der Zugänglichkeit von Informationen, die für die individuelle und öffentliche Meinungsbildung von Bedeutung sind.“238 Diese allgemeine Bewertung unterstützte die Senatsmehrheit mit einer Darstellung der praktischen Folgen des Aufnahmeverbots. Die Medien, so die Verfassungsrichter, hätten ohnehin nur ein begrenztes Interesse daran, ganze Verhandlungen oder große Teile davon zu übertragen.239 Das Verbot verhindere außerdem nicht jede Berichterstattung im Rundfunk; so könnten etwa vor und nach der Verhandlung Aufnahmen angefertigt werden.240 Zwar könne der Rundfunk die Verhandlungen nicht im Original übertragen. Doch sei ohnehin nicht gesichert, dass eine solche Übertragung zu einer realitätsgetreuen Abbildung des Geschehens bei Gericht führen würde. Vielmehr befürchteten die Richter durch den zunehmenden Wettbewerbsdrucks der Medienbranche „Risiken der Selektivität bis hin zur Verfälschung“241. Sodann nahmen sie die gegen die Aufnahmen sprechenden Interessen in den Blick. Der Persönlichkeitsschutz sei in Gerichtsverfahren besonders bedeutend, da insbesondere Angeklagte und Zeugen unter Zwang sowie in einer angespann235
BVerfGE 103, 44 (61 f.). BVerfGE 103, 44 (63 f.). 237 BVerfGE 103, 44 (64). 238 BVerfGE 103, 44 (65). 239 BVerfGE 103, 44 (66). 240 BVerfGE 103, 44 (66 f.). 241 BVerfGE 103, 44 (67). 236
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ten Situation vor Gericht erschienen. Filmte man sie, verstärkte das den Eingriff in ihr Persönlichkeitsrecht. Eine spätere Verbreitung der Aufnahmen könne zudem schwerwiegende Folgen etwa für ihre Resozialisierung haben. Daneben bestehe ein hohes Risiko, dass der Aussagegehalt ihrer Aufnahmen durch die redaktionelle Bearbeitung geändert werde. Dem stehe das Recht auf informationelle Selbstbestimmung entgegen.242 In Bezug auf das Interesse an einem fairen Verfahren konstatierten die Verfassungsrichter zudem: „Medienöffentlichkeit ist ein Aliud gegenüber Saalöffentlichkeit.“243 Die Aufnahmen könnten zu einer Verhaltensänderung führen. So könnten die Beteiligten darin gehemmt werden, die für die Wahrheitsfindung zentralen Aspekte vorzutragen oder sich, andersherum, medienwirksam in Szene setzen wollen. Auch der äußere Verfahrensablauf könne durch Kamerateams negativ beeinflusst werden. Das könne selbst durch eine Pool-Lösung nicht sicher ausgeschlossen werden.244 Zuletzt untersuchte die Senatsmehrheit alternative Regelungen der Aufnahmen von Gerichtsverhandlungen. Eine Differenzierung nach Verfahrensarten und Verfahrensabschnitten lehnte sie ab. Zwar seien die beschriebenen Gefahren für das Persönlichkeitsrecht und die Verfahrensbelange verschieden stark ausgeprägt, doch existierten sie im Grundsatz in sämtlichen Verfahrensarten und -abschnitten. Weil konkrete Auswirkungen schwer vorherzusehen seien, dürfe der Gesetzgeber ein pauschales Verbot normieren. Auch die Möglichkeit, eine Ausnahme hiervon im Einzelfall zu machen, müsse er nicht kodifizieren. Die hierfür nötige richterliche Entscheidung würde die Durchführung der konkreten Verfahren schließlich belasten. Zudem würden die Medien womöglich Druck auf die Richter ausüben, damit diese in ihrem Sinne entschieden und somit die Wahrheits- und Rechtsfindung stören.245 Zuletzt sei es nicht geboten, Ausnahmen für den Fall vorzusehen, dass die Verfahrensbeteiligten einwilligen. Sie könnten schließlich nicht über Belange der Rechtspflege disponieren. Zudem bestehe die Gefahr, dass ihre Einwilligung nicht vollkommen freiwillig sei.246 c) Begründung im Sondervotum Die drei dissentierenden Verfassungsrichter erachteten § 169 Abs. 1 S. 2 GVG dagegen für verfassungswidrig.247 Mit der Senatsmehrheit waren sie zwar der 242
BVerfGE 103, 44 (68). BVerfGE 103, 44 (68). 244 BVerfGE 103, 44 (68 f.). 245 BVerfGE 103, 44 (70 f.). 246 BVerfGE 103, 44 (71). 247 BVerfGE 103, 72. 243
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Ansicht, dass weder die Informations- noch die Rundfunkfreiheit ein subjektives Recht auf Aufnahmen der mündlichen Verhandlung gewährten. Der Gesetzgeber sei aber durch objektives Verfassungsrecht verpflichtet, „eine über die Saalöffentlichkeit hinausgehende Medienöffentlichkeit zu ermöglichen, soweit dem keine gegenläufigen Belange entgegenstehen.“248 Als relevantes objektives Verfassungsrecht zogen sie ebenfalls den Öffentlichkeitsgrundsatz heran. Neben dessen ursprüngliches Ziel, Rechtsstaatlichkeit im Wege der Kontrolle einzelner Verfahren sichern zu helfen, sei die Information der Öffentlichkeit über das Funktionieren des Rechts getreten, die Kritik daran ermöglichen solle.249 Seit der Kodifikation des Öffentlichkeitsgrundsatzes hätten sich jedoch nicht nur der Rechtsstaat und die Demokratie gewandelt; auch die Öffentlichkeit habe einen elementaren Funktionswandel hin zu einer „Informa tionsgesellschaft“250 erfahren. Die Medien, insbesondere der Rundfunk, würden immer wichtiger für die Wahrnehmung der Wirklichkeit. Korrespondierend damit hätten sich die Gewohnheiten und Erwartungen der Bürger im Umgang mit den Medien gewandelt. Entsprechend habe die Bedeutung der Gerichtsberichterstattung zugenommen. Die Berichte könnten aber wegen des Aufnahmeverbots derzeit nur begrenzt verfasst werden.251 Zur Medienfreiheit gehöre, dass die Medien ihre Darstellungsformen frei wählen dürften. Falls der Staat sie in ihrer Wahl einschränke, bedürfe dies einer Rechtfertigung.252 Ob eine solche in Bezug auf § 169 Abs. 1 S. 2 GVG gegeben sei, müsse in zwei Schritten ermittelt werden: Zuerst sei zu prüfen, welche Belange einer Medienöffentlichkeit mündlicher Verhandlungen entgegenstünden. Im zweiten Schritt müssten diese Belange mit den rechtsstaatlichen und demokratischen Interessen an der Zugänglichkeit auch für bestimmte Darstellungsformen des Rundfunks abgewogen werden.253 Vor diesem Hintergrund wandten sich die Richter dem Urteil der Senatsmehrheit zu. Sie kritisierten, für ein ausnahmsloses Aufnahmeverbot in allen Verfahrensarten sowie -abschnitten fehle darin eine tragfähige Begründung.254 Selbst der Gesetzgeber habe beim Erlass des § 169 Abs. 1 S. 2 GVG ein umfassendes Verbot ursprünglich nicht für geboten gehalten.255 Hinzu kämen positive Erfah-
248
BVerfGE 103, 72. BVerfGE 103, 72. 250 BVerfGE 103, 72 (73). 251 BVerfGE 103, 72 (73 f.). 252 BVerfGE 103, 72 (74 f.). 253 BVerfGE 103, 72 (75). 254 BVerfGE 103, 72 (76). 255 BVerfGE 103, 72 (76). 249
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rungen mit Aufnahmen vor Gerichten anderer westlicher Industriestaaten.256 Besonders für verwaltungsgerichtliche Prozesse sei eine Reform des Verbots zu prüfen, weil in diesen Verfahren das Persönlichkeitsrecht und die Wahrheits- und die Rechtsfindung nicht im selben Maß gefährdet würden wie in Strafverfahren. Zudem habe die Öffentlichkeit an diesen Verfahren oft ein besonderes Informationsinteresse.257 Demnach sei ein ausnahmsloses Aufnahmeverbot heutzutage nicht mehr zu rechtfertigen. Jedenfalls die begrenzte Zulassung von Aufnahmen, kombiniert mit Pilotprojekten, müsse erfolgen.258 Bei der Reform müsse zwischen Straf- und Verwaltungsgerichtsverfahren differenziert werden. In den Strafprozessen dürfe der Gesetzgeber begrenzte Medienöffentlichkeit herstellen, sei dazu aber nicht verpflichtet. In letzteren sei das ausnahmslose Verbot dagegen jedenfalls für die Verfahrensabschnitte, die auf die Wahrheits- und die Rechtsfindung keinerlei Einfluss hätten, nicht gerechtfertigt.259 In welchen Fällen Ausnahmen vom Aufnahmeverbot konkret zugelassen und wie das diesbezügliche Verfahren ausgestaltet werden solle, sei dem Gesetzgeber überlassen. Jedenfalls sei die Zulassung von Aufnahmen nicht nur in atypischen Sonderfällen geboten und könne auch nicht aus Praktikabilitätsgründen abgelehnt werden. Hierfür seien die mit der Medienöffentlichkeit verbundenen Belange zu gewichtig.260
III. Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen im Umfeld der mündlichen Verhandlung 1. Grundsätzliche Zulässigkeit der Aufnahmen Aufgrund des strengen Aufnahmeverbots während der mündlichen Verhandlung haben Bild/Ton-Aufnahmen und Ton-Aufnahmen im Umfeld der mündlichen Verhandlung große praktische Bedeutung: Wollen audiovisuelle Medien über einen Gerichtsprozess berichten, sind sie dafür auf Aufnahmen aus dem Umfeld der Verhandlung angewiesen.261 Diese Aufnahmen sind allerdings gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt. Einige Autoren wollen sie dennoch von der vorherigen Zulassung abhängig machen.262 Dies ist auch die Praxis zahlreicher Gerichte: Viele verlangen von 256
BVerfGE 103, 72 (77). BVerfGE 103, 72 (77 f.). 258 BVerfGE 103, 72 (79). 259 BVerfGE 103, 72 (79 f.). 260 BVerfGE 103, 72 (80). 261 Bernzen, NJW 2017, 799 (800); von Coelln, jurisPR-ITR 5/2007 Anm. 4. 262 Benecke, in: Grunsky, ArbGG, § 52 Rn. 2; Hartmann, in: BLAH, ZPO, § 169 GVG Rn. 11; Koch, in: ErfK, § 52 ArbGG Rn. 1; Wanckel, Foto- und BildR, Rn. 24, 26; Ziemann, in: 257
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Medienvertretern, bspw. bei der Pressestelle eine Aufnahmeerlaubnis einzuholen, wenn sie Aufnahmen anfertigen wollen.263 Es ist jedoch fraglich, ob diese Praxis der geltenden Rechtslage entspricht. Ein Umkehrschluss aus der strengen Regelung für Aufnahmen während der Verhandlung nach § 169 Abs. 1 S. 2 GVG könnte dafür sprechen, dass die Aufnahmen außerhalb der Verhandlung, für die eine solche gesetzliche Regelung fehlt, ohne Weiteres hergestellt werden dürfen.264 Der Umkehrschluss könnte aber auch etwas enger ausfallen und nur darauf bezogen werden, dass Aufnahmen außerhalb des Anwendungsbereichs von § 169 Abs. 1 S. 2 GVG nicht generell untersagt sind.265 Ob für ihre Herstellung aufgrund anderer Normen Voraussetzungen bestehen, wäre daraus in diesem Fall nicht abzulesen. Speziell für das Gestattungserfordernis ist ein Vergleich mit § 169 Abs. 3 S. 1 GVG daher zielführender: Er regelt explizit, dass die Aufnahmen während der Verhandlung der obersten Bundesgerichte der Zulassung bedürfen. Hätte der Gesetzgeber dies auch für Aufnahmen außerhalb der Verhandlung gewollt, hätte er bei seiner Reform des § 169 GVG durch das EMöGG die Gelegenheit gehabt, ein Zulassungserfordernis für diese Aufnahmen zu normieren. Dass er dies unterlassen hat, spricht dafür, dass sie (weiterhin) ohne vorherige Gestattung möglich sein sollten. Es besteht demnach die „Vermutung freier Berichterstattung“266, sodass die Bild/Ton-Aufnahmen und Ton-Aufnahmen im Umfeld der mündlichen Verhandlung ohne Weiteres angefertigt werden können.267
HWK-ArbR, § 52 ArbGG Rn. 7. Wohl auch Germelmann/Künzl, in: GPM, ArbGG, § 52 Rn. 10; Kloppenburg, in: Düwell/Lipke, ArbGG, § 52 Rn. 8; Korinth, in: Schwab/Weth, ArbGG, § 52 Rn. 9. 263 So ist zum Beispiel am AG Hannover eine Genehmigung der Pressestelle für alle Aufnahmen im Gerichtsgebäude nötig (s. AG Hannover, Ton- und Filmaufnahmen [abrufbar unter www.amtsgericht-hannover.niedersachsen.de/service/besondere_besucherinformationen/ton_ und_filmaufnahmen/63429.html, Stand: 13.12.2019]). 264 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 333. 265 Nach Marxen, NJW 1977, 2188 (2191) ist nicht einmal dieser Schluss zulässig. Er meint vielmehr, § 169 Abs. 1 S. 2 GVG stelle keine erschöpfende Verbotsregelung dar. 266 Brüggemann, AfP 1971, 155 (156). 267 So auch Bernzen/Bräutigam, K&R 2017, 555 (556); Burkhardt, in: Wenzel, Wort- und Bildberichterstattung, Kap. 10 Rn. 184; von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 333; Feldmann, GA 2017, 20 (34); Hauth, Sitzungspolizei, S. 14; Kujath, Laienjournalismus, S. 329; Möller, JA 2010, 47 (51); Wente, StV 1988, 216 (222).
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Kap. 1: Gerichtssaalberichterstattung de lege lata
2. Möglichkeiten zur Beschränkung der Aufnahmen a) Auswahl der Rechtsgrundlage nach Ort und Zeit der Aufnahmen Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen außerhalb der mündlichen Verhandlung können im konkreten Fall jedoch eingeschränkt oder untersagt werden. Auf welcher Rechtsgrundlage dies geschehen kann, hängt davon ab, wann und wo die Aufnahmen angefertigt werden. Werden sie in der Sitzung hergestellt, kann der Vorsitzende Richter auf der Grundlage der Sitzungspolizei tätig werden. Maßgeblich dafür ist die Generalklausel in § 176 GVG. Außerhalb der Sitzung liefert das Hausrecht der Gerichtsverwaltung die Basis für die Beschränkungen.268 b) Sitzungspolizei des Vorsitzenden Richters aa) Tatbestand des § 176 GVG (1) (Drohende) Störung der Ordnung in der Sitzung Unter den Kernbegriff des § 176 GVG, die „Ordnung in der Sitzung“, werden zahlreiche Rechte und Interessen subsumiert. So soll mittels der Sitzungspolizei nach ganz h. M. der störungsfreie und geordnete äußere Ablauf der Sitzung gewährleistet269 und damit der Prozess der ungestörten Wahrheits- und Rechtsfindung gesichert werden270. Daneben sollen mit ihrer Hilfe nach überwiegender Meinung die Rechte und schutzwürdigen Interessen der Verfahrensbeteiligten271 bzw. unbeteiligter Dritter272 im Rahmen der Sitzung gewahrt werden. Zu deren Schutz kann der Vorsitzende einschreiten, wenn die Ordnung entweder bereits
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So schon die Gesetzesbegründung des § 169 S. 2 GVG a. F. (BTDrucks III/2037, S. 44; BTDrucks IV/178, S. 45). 269 S. nur BVerfGE 50, 234 (242); 91, 125 (137); BVerfG, NJW 2014, 3013 (3014); BGHSt 44, 23 (24); von Häfen, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, § 17 Rn. 16; Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 176 Rn. 1; Meissner/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 55 Rn. 38; Schoenfeld, in: Gosch, AO/FGO, § 52 FGO Rn. 5, 50; Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, § 176 GVG Rn. 10; Wolff-Dellen, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, § 61 Rn. 34; Zimmermann, in: MüKoZPO, § 176 GVG Rn. 1. 270 S. nur BVerfGE 50, 234 (242); 91, 125 (137); BVerfG, NJW 2014, 3013 (3014); von Häfen, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, § 17 Rn. 16; Neff, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 176 GVG Rn. 3; Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, § 176 GVG Rn. 1. 271 S. nur BVerfGE 50, 234 (241); 91, 125 (137); BVerfG, NJW 2014, 3013 (3014); BGHSt 44, 23 (24); BGH, NJW 1998, 1420; Czybulka/Kluckert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 55 Rn. 35; Diemer, in: KK-StPO, § 176 GVG Rn. 1; Jacobs, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 176 GVG Rn. 2; Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 176 Rn. 13. 272 S. nur BVerfGE 50, 234 (241); BVerfG, NJW 1996, 310; Feldmann, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 176 GVG Rn. 1, 6.
B. Rechtliche Rahmenbedingungen für Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen
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gestört wurde oder eine solche Störung zu erwarten ist.273 Wird ein Einzelrichter tätig, steht ihm diese Befugnis zu.274 (2) Zeitlicher Anwendungsbereich der Sitzungspolizei Die Sitzung erfasst den gesamten Zeitraum der mündlichen Verhandlung, geht jedoch noch darüber hinaus. Sie beginnt nach h. M. frühestens mit dem Öffnen des Sitzungssaales275 und endet spätestens, wenn das Gericht den Saal nach der Verhandlung verlassen hat,276 nachdem es „in einer seiner Würde angemessenen Weise ohne Hast die mit der endgültigen Abwicklung der verhandelten Sache zusammenhängenden Verrichtungen“277 erledigt hat. Zur Sitzung zählen demnach auch kurze Verhandlungspausen,278 nicht aber längere Unterbrechungen wie Mittagspausen.279 Einige Autoren benennen jedoch abweichende Beginn- und Endzeitpunkte. So fängt die Sitzung nach Ansicht mancher an, sobald die Richter280 bzw. die Verfahrensbeteiligten281 im Sitzungssaal anwesend sind bzw. die Zuhörer in den Saal Feldmann, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 176 GVG Rn. 5; Jacobs, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 176 GVG Rn. 2; Meissner/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 55 Rn. 41; Schoenfeld, in: Gosch, AO/FGO, § 52 FGO Rn. 61. 274 Meissner/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 55 Rn. 40; Schilken, GerichtsverfassungsR, § 13 Rn. 220; Schoenfeld, in: Gosch, AO/FGO, § 52 FGO Rn. 53; Wolff-Dellen, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, § 61 Rn. 36; Zimmermann, in: MüKoZPO, § 176 GVG Rn. 3. 275 S. nur BVerfG, NJW 1996, 310; Keller, in: MKLS, SGG, § 61 Rn. 5; Kimmel, in: BeckOK VwGO, § 55 Rn. 18; Leipold, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 52 FGO Rn. 46; Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 176 Rn. 9; Otte, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 176 GVG Rn. 2. 276 S. nur BVerfG, NJW 1996, 310; Diemer, in: KK-StPO, § 176 GVG Rn. 2; Keller, in: MKLS, SGG, § 61 Rn. 5; Kimmel, in: BeckOK VwGO, § 55 Rn. 18; Klein, in: MSKB, BVerfGG, § 17 Rn. 17; Schoenfeld, in: Gosch, AO/FGO, § 52 FGO Rn. 59; Schreiber, in: Wie czorek/Schütze, ZPO, § 176 GVG Rn. 4. 277 OLG Hamm, NJW 1956, 1452. Ähnlich auch OLG Düsseldorf, MDR 1986, 428; Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 176 Rn. 9; Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, § 176 Rn. 8. 278 S. nur BVerfGE 91, 125 (136); BGHSt 44, 23 (25); Jacobs, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 169 GVG Rn. 5; Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 176 Rn. 9; Wickern, in: Löwe/ Rosenberg, StPO, § 176 Rn. 8. 279 S. nur Keller, in: MKLS, SGG, § 61 Rn. 5; Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 176 Rn. 9; Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, § 176 Rn. 8. Offengelassen in BVerfG, NJW 1996, 310. 280 Angermaier/Kujath, DRiZ 2012, 338 (339); Schreiber, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 176 GVG Rn. 4; Zimmermann, in: MüKoZPO, § 176 GVG Rn. 6. 281 Danners, Verfahrensablauf, S. 14; Duttge/Kangarani, in: Dölling/Duttge/Rössner, Gesamtes StrafR, § 176 GVG Rn. 2; Hirzebruch, Neue Medien, S. 279; Jacobs, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 169 GVG Rn. 5; Kujath, Laienjournalismus, S. 302; Lückemann, in: Zöller, ZPO, § 176 GVG Rn. 4; Maul, MDR 1970, 286; Schlüter, AfP 2009, 557 (563); Schoenfeld, in: Gosch, AO/FGO, § 52 FGO Rn. 59. 273
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eingelassen werden282. Andere stellen für den Sitzungsbeginn allgemein auf die Bereitschaft der Richter zur amtlichen Tätigkeit ab283 oder beziehen jene Zeit ein, die Verfahrensbeteiligte und Zuhörer benötigen, um sich auf den Beginn der Verhandlung einzurichten284. Auch wird vertreten, die Sitzung beginne erst mit der ausdrücklichen Eröffnung durch den Vorsitzenden.285 Für das Ende der Sitzung wird, korrespondierend hiermit, die ausdrückliche Schließung durch den Vorsitzenden als maßgeblicher Zeitpunkt genannt,286 aber auch das Verlassen des Saals durch die Beteiligten,287 das Gericht288 oder die Zuschauer289 oder, noch später, das Schließen des Saals290. Burballa und Dörr wollen abstrakt den Zeitraum unmittelbar vor und nach einer Verhandlung in die Sitzung einbeziehen.291 Wieder andere Autoren zählen jene Zeit vor und nach der Verhandlung zur Sitzung, die auf die Erfüllung der damit verbundenen Verpflichtungen aufgewendet wird292 oder in der die Verfahrensbeteiligten ankommen bzw. abreisen293. Gemeinsam ist allen dargestellten Ansichten, dass sie sich an konkreten Vorgängen orientieren, die im Umfeld mündlicher Verhandlungen regelmäßig stattfinden. Einen anderen Ansatz wählt Quentin, der Bezug auf den Zweck der Sitzungspolizei nimmt. Für ihn beginnt die Sitzung, wenn die erste auf die Wahrung der äußeren Ordnung in der Sitzung bezogene Verfügung getroffen werden muss, mithin womöglich schon lange Zeit vor Verhandlungsbeginn. Sie endet, wenn die letzte der Maßnahmen abgeschlossen worden ist. Bei Unterbrechungen kann 282 Danners, Verfahrensablauf, S. 14; Duttge/Kangarani, in: Dölling/Duttge/Rössner, Gesamtes StrafR, § 176 GVG Rn. 2; Schoenfeld, in: Gosch, AO/FGO, § 52 FGO Rn. 59; Walther, in: BeckOK StPO, § 176 GVG Rn. 1. 283 Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 107; Hartmann, in: BLAH, ZPO, § 176 GVG Rn. 3; Klein, in: MSKB, BVerfGG, § 17 Rn. 17; Lilie, in: AE-StuM, S. 116 (S. 119); Rasehorn, DRiZ 1961, 255 (256); Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, § 176 Rn. 8. 284 Steinbrenner, Die Justiz 1968, 235. Ähnlich auch Olizeg, Hausrecht, S. 132. 285 Meissner/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 55 Rn. 39 in Fn. 171. 286 Hartmann, in: BLAH, ZPO, § 176 GVG Rn. 3; Meissner/Schenk, in: Schoch/Schneider/ Bier, VwGO, § 55 Rn. 39 in Fn. 171. 287 Angermaier/Kujath, DRiZ 2012, 338 (339); Jacobs, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 176 GVG Rn. 5; Kujath, Laienjournalismus, S. 302; Lückemann, in: Zöller, ZPO, § 176 GVG Rn. 4; Schoenfeld, in: Gosch, AO/FGO, § 52 FGO Rn. 59; Walther, in: BeckOK StPO, § 176 GVG Rn. 1; Zimmermann, in: MüKoZPO, § 176 GVG Rn. 6. 288 Hirzebruch, Neue Medien, S. 279. 289 Schoenfeld, in: Gosch, AO/FGO, § 52 FGO Rn. 59; Walther, in: BeckOK StPO, § 176 GVG Rn. 1. 290 Krausnick, in: Gärditz, VwGO, § 55 Rn. 18. 291 Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 78; Dörr, JuS 1995, 544 (545). 292 Stober, DRiZ 1980, 3 (6). 293 Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 171 f.; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 176 GVG Rn. 2.
B. Rechtliche Rahmenbedingungen für Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen
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die Sitzung damit fortdauern, solange es zur Wahrung der äußeren Ordnung erforderlich ist.294 Einige andere Stimmen im Schrifttum wollen einen unbestimmten Zeitraum im unmittelbaren zeitlichen Umfeld der mündlichen Verhandlung zur Sitzung zählen, der sich am Zweck der Sitzungspolizei bemisst.295 Von Coelln definiert den zur Sitzung gehörigen Zeitraum ebenfalls anhand des Zwecks der Sitzungspolizei, nennt aber äußere zeitliche Grenzen: das Öffnen des Sitzungssaals sowie das Hinausgehen des letzten Zuschauers.296 Den zeitlichen Umfang der Sitzung an derart konkreten, verhandlungstypischen Vorgängen festzumachen, scheitert allerdings schon daran, dass es kaum möglich ist, Handlungen oder Ereignisse zu finden, die sich für alle Sitzungen als Anhaltspunkte eignen. Stellte man zum Beispiel darauf ab, dass Zuhörer im Saal erschienen sind bzw. sich aus dem Saal entfernt haben, stieße man in jenen Verhandlungen auf Schwierigkeiten, die ohne Publikum stattfinden. Das Öffnen und Schließen der Saaltüren eignet sich dagegen etwa bei einer Verhandlung außerhalb des Gerichts nicht als Anhaltspunkt. Wieder andere Vorgänge, etwa die Anwesenheit der Richter oder Beteiligten, sind zwar in jeder Sitzung zu beobachten. Eine zeitliche Begrenzung darauf trüge dem Zweck der Sitzungspolizei jedoch nicht ausreichend Rechnung. Ursachen für Störungen in der Sitzung können schließlich nicht erst gesetzt werden, wenn zum Beispiel alle Verfahrensbeteiligten präsent sind oder der Vorsitzende Richter die Verhandlung eröffnet hat. Beschränkte man den zeitlichen Anwendungsbereich der Sitzungspolizei entsprechend, könnte gegen Störungen daher erst zu einem Zeitpunkt eingeschritten werden, zu dem ihnen womöglich schon nicht mehr effektiv begegnet werden kann. Zu denken ist etwa an öffentlichkeitswirksame Prozesse, bei denen die Sicherheitsmaßnahmen wie etwa Personendurchsuchungen oft lange Zeit vor Verhandlungsbeginn stattfinden müssen, um bis zu diesem Beginn bewältigt zu werden. Im Ergebnis ist daher den Autoren zuzustimmen, die den zeitlichen Anwendungsbereich der Sitzungspolizei an ihrem Zweck orientieren, die Ordnung in der Sitzung aufrechtzuerhalten. Bei einer derartigen Auslegung wird der zeitliche Umfang der Sitzung oft dem von der h. M. definierten Anwendungsbereich entsprechen. So werden in der Regel keine Störungen mehr eintreten, nachdem das Gericht den Saal nach dem Ende einer Verhandlung verlassen hat. Ausgeschlossen ist dies aber gerade nicht: So könnte zum Beispiel ein Streit zwischen den immer noch anwesenden Parteien eines familiengerichtlichen Verfahrens entstehen. Anfang und Ende der Sitzung dürfen daher im Interesse der effektiven Quentin, in: SSW-StPO, § 176 GVG Rn. 4. Czybulka/Kluckert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 55 Rn. 37; Renner/Pille, AfP 2018, 23 (26); Schilken, GerichtsverfassungsR, § 13 Rn. 221. 296 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 330 f. 294 295
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Kap. 1: Gerichtssaalberichterstattung de lege lata
Störungsabwehr nicht abstrakt festgelegt werden, sondern müssen flexibel bestimmt werden können. (3) Räumlicher Anwendungsbereich der Sitzungspolizei In räumlicher Hinsicht kann die Sitzungspolizei im Sitzungssaal, in allen übrigen, für den Ablauf der Verhandlung erforderlichen Räumen sowie nach h. M. in allen anderen (überwiegend: unmittelbar) an den Sitzungssaal angrenzenden Räumlichkeiten ausgeübt werden,297 von denen Störungen für die Sitzung ausgehen bzw. ausgehen können.298 Denkbar wäre daneben, den räumlichen Anwendungsbereich der Sitzungspolizei auf den Weg vom Eingangsbereich zum jeweiligen Sitzungssaal auszudehnen.299 Dieser Bereich ist funktional schließlich bereits mit der Sitzung verknüpft.300 Gegen diese weite Auslegung wird in der Literatur aber der Wortlaut des § 176 GVG („in“ der Sitzung) angeführt.301 Zudem könne die Sitzungspolizei in diesem Fall nur schwerlich vom Hausrecht der Gerichtsverwaltung als alternativer Rechtsgrundlage für das Einschreiten abgegrenzt werden.302 Dies könne dazu führen, dass im Notfall nicht schnell genug eingeschritten werden könne.303 Das Wortlautargument ist jedoch zirkulär: Der Begriff der Sitzung, auf den sich die Präposition bezieht, soll in räumlicher Hinsicht gerade definiert werden und kann demnach nicht zur Auslegung herangezogen werden. Um Abgrenzungsprobleme mit dem Hausrecht zu vermeiden und ein effektives Einschreiten sicherzustellen, kann das Hausrecht außerdem auf den Vorsitzenden übertragen werden.304 Es muss daher nicht zu den befürchteten Gefahren kommen, wenn man den Anwendungsbereich weiter auslegt. 297 S. nur BVerfG, NJW 1996, 310; BGHSt 44, 23 (24); BGHZ 190, 52 (56); OLG Celle, NStZ 2012, 592; Jacobs, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 169 GVG Rn. 27; Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, § 176 GVG Rn. 6. 298 S. nur OLG Stuttgart, Urt. vom 03.09.1992 – 1 Ws 97/92, BeckRS 1992, 31210497; KG, NJW-RR 2010, 1417 (1418); Kimmel, in: BeckOK VwGO, § 55 Rn. 18; Otte, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 176 GVG Rn. 2; Wolff-Dellen, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, § 61 Rn. 34; Zimmermann, in: MüKoZPO, § 176 GVG Rn. 5. 299 In diese Richtung können BVerfGE 48, 118 (123); BVerfG, NJW 2006, 1500 verstanden werden, die lediglich von dem Sitzungssaal vorgelagerten Räumlichkeiten sprechen. 300 Lehr, NStZ 2001, 63 (66). 301 Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 113; Schilken, GerichtsverfassungsR, § 13 Rn. 222. 302 Danners, Verfahrensablauf, S. 17 f.; Hauth, Sitzungspolizei, S. 50; Mayer, in: Kissel/ Mayer, GVG, § 176 Rn. 10; Schilken, GerichtsverfassungsR, § 13 Rn. 222. 303 Hauth, Sitzungspolizei, S. 50. 304 Diemer, in: KK-StPO, § 176 GVG Rn. 5; Feldmann, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 176 GVG Rn. 4; Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 176 Rn. 10; Schoenfeld, in: Gosch, AO/FGO,
B. Rechtliche Rahmenbedingungen für Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen
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Definiert man den Sitzungsbegriff wie in zeitlicher Hinsicht auch räumlich entsprechend des Zwecks der Sitzungspolizei, Störungen der Ordnung in der Sitzung abzuwehren,305 kann die räumliche Nähe zum Sitzungsort nur ein Indiz hierfür sein.306 So können laute Unterhaltungen auf dem öffentlichen Platz vor dem Sitzungssaal ebenso störend sein wie solche im Korridor vor dem Saal.307 Illustrativ ist hierfür ein Fall, über den das OLG Celle zu entscheiden hatte. Eine Störerin hatte von außen gegen ein Fenster des Sitzungssaals getrommelt. Das Einschreiten der Vorsitzenden Richterin hiergegen auf Basis der Sitzungspolizei bewertete das OLG Celle als rechtmäßig, indem es die Störung normativ mit der Störung aus einem an den Sitzungssaal angrenzenden Raum gleichsetzte.308 Diese im Ergebnis begrüßenswerte Korrektur ließe sich vermeiden, indem der räumliche Anwendungsbereich der Sitzungspolizei nicht an Mauern und Grundstücksgrenzen festgemacht würde.309 Es mangelte in diesem Fall auch nicht, wie Fink meint,310 an einem aus Gründen der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit nötigen Anknüpfungspunkt für die Ausübung sitzungspolizeilicher Befugnisse. Angeknüpft würde schließlich sachlich an die Störung. Findet eine Verhandlung außerhalb eines Gerichtsgebäudes statt, etwa bei Einnahme eines Augenscheins, muss ohnehin auf diese Weise vorgegangen werden.311 Sitzungspolizeiliche Maßnahmen können schließlich auch in diesem Fall ergriffen werden.312 Dass § 52 FGO Rn. 52. Dagegen meinen Olizeg, Hausrecht, S. 142; Willms, JZ 1972, 653 (654), das Hausrecht stehe dem Vorsitzenden im Sitzungssaal auch ohne eine vorherige Delegation zu. Noch weitergehend nehmen Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 26; Jacobs, in: Stein/ Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 169 GVG Rn. 32 eine stillschweigende Delegation an. 305 Ebenso Klein, in: MSKB, BVerfGG, § 17 Rn. 18; Olizeg, Hausrecht, S. 131; Renner/ Pille, AfP 2018, 23 (26). Wohl auch Duttge/Kangarani, in: Dölling/Duttge/Rössner, Gesamtes StrafR, § 176 GVG Rn. 2; Jung, in: Roos/Wahrendorf, SGG, § 61 Rn. 39; Krausnick, in: Gärditz, VwGO, § 55 Rn. 18; Littmann, in: Lüdtke/Berchtold, SGG, § 61 Rn. 10; Neff, in: Prütting/ Gehrlein, ZPO, § 176 GVG Rn. 5; Wolf, GerichtsverfassungsR, S. 258; Zuck, in: Lechner/Zuck, BVerfGG, § 17 Rn. 10. 306 Lückemann, in: Zöller, ZPO, § 176 GVG Rn. 4 will sie neben der Störung der Sitzung, die es abzuwenden gilt, aber zur zwingenden Voraussetzung für die Eröffnung des räumlichen Anwendungsbereichs machen. 307 Steinbrenner, Die Justiz 1968, 235. 308 OLG Celle, NStZ 2012, 592. 309 So trotz im Übrigen am Zweck orientierter Auslegung aber Olizeg, Hausrecht, S. 132. 310 Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 113. 311 Czybulka/Kluckert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 55 Rn. 36; Schilken, GerichtsverfassungsR, § 13 Rn. 222. 312 Klein, in: MSKB, BVerfGG, § 17 Rn. 17; Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 176 Rn. 12; Meissner/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 55 Rn. 39; Otte, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 176 GVG Rn. 2; Schoenfeld, in: Gosch, AO/FGO, § 52 FGO Rn. 57; Wolff-Dellen, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, § 61 Rn. 34; Zimmermann, in: MüKoZPO, § 176 GVG Rn. 5.
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Kap. 1: Gerichtssaalberichterstattung de lege lata
die Festlegung des räumlichen Anwendungsbereichs infolgedessen nicht möglich ist, ist bislang zurecht nicht vertreten worden. Zusätzlich erlaubt die Auslegung anhand des Zwecks der Sitzungspolizei es, die Störungen für die Ordnung in der Sitzung besonders effektiv abzuwehren. Deutlich wird dies bei Störungen, die ihre Quelle außerhalb des Gerichtsgebäudes haben, wie im dargestellten Fall des OLG Celle. Hier hätte die Vorsitzende auch bei einer Ausdehnung des Sitzungsbegriffs auf das gesamte Gerichtsgebäude nicht auf ihre sitzungspolizeilichen Befugnisse zurückgreifen können, befand sich die Störerin doch außerhalb des Gebäudes. Vielmehr hätte sie die allgemeinen Sicherheitsorgane rufen müssen.313 Dass die Störung auf diese Art nicht ebenso schnell hätte abgestellt werden können wie durch das Einschreiten der Vorsitzenden selbst, leuchtet ein. Entscheidend ist daher entsprechend des Zwecks der Sitzungspolizei lediglich, ob eine Störung der Ordnung in der Sitzung vorliegt, und nicht, von wo die Störung ausgeht. Der räumliche Anwendungsbereich der Sitzungspolizei muss daher ebenso wie der zeitliche im Einzelfall nach deren Zweck bestimmt werden. bb) Rechtsfolge des § 176 GVG Ist der Tatbestand des § 176 GVG erfüllt, hat der Vorsitzende auf Rechtsfolgenseite ein Entschließungs- und ein Auswahlermessen.314 § 177 GVG enthält zudem eine Rechtsgrundlage für die zwangsweise Durchsetzung seiner Anordnungen auf der Grundlage der Generalklausel. c) Hausrecht der Gerichtsverwaltung Das Hausrecht als zweite Rechtsgrundlage für Beschränkungen von Bild/Tonsowie Ton-Aufnahmen im Umfeld der mündlichen Verhandlung findet seine Rechtsgrundlage nach der Rechtsprechung im Gewohnheitsrecht.315 In der Literatur wird es dagegen mehrheitlich als Annex zur Sachkompetenz des Haus rechtsinhabers betrachtet. Die Basis für diese Sachkompetenz soll damit auch als Grundlage für das Hausrecht dienen.316 Teils werden beide Ansätze kombi-
Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 176 Rn. 11; Schoenfeld, in: Gosch, AO/FGO, § 52 FGO Rn. 58. 314 Quentin, in: SSW-StPO, § 176 GVG Rn. 6; Schreiber, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 176 GVG Rn. 7; Walther, in: BeckOK StPO, § 176 GVG Rn. 4. 315 BVerwG, NJW 2011, 2530 (2531); OVG Schleswig-Holstein, Beschl. vom 17.12.2012 – 4 LA 58/12, BeckRS 2013, 53619, Rn. 7; OVG Münster, AnwBl 2016, 170. 316 So speziell zum Hausrecht des Gerichtspräsidenten Angermaier/Kujath, DRiZ 2012, 338; Danners, Verfahrensablauf, S. 13; Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 95. 313 Vgl.
B. Rechtliche Rahmenbedingungen für Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen
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niert.317 Unabhängig von der Uneinigkeit über seine rechtliche Fundierung ist das Bestehen eines Hausrechts der Gerichtsverwaltung allgemein anerkannt,318 sodass auf seine dogmatische Basis für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung nicht weiter eingegangen werden muss. Das Hausrecht steht dem Gerichtspräsidenten bzw. Gerichtsdirektor zu.319 Er kann auf der Grundlage tätig werden, um Störungen des ordnungsgemäßen Dienstbetriebs im Gerichtsgebäude zu beseitigen.320 Seine Maßnahmen müssen damit der Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in dem Gebäude dienen.321 Die Schwelle für ein Einschreiten ist nicht allzu hoch: „Hierfür reicht das Bestehen eines verständlichen Anlasses aus“.322 In räumlicher Hinsicht erfasst das Hausrecht das Gerichtsgebäude sowie ggf. das Gerichtsgrundstück,323 mithin alle Sitzungssäle.324 Nicht erfasst sind die Sitzungen außerhalb des Gerichtsgebäudes, etwa Augenscheinnahmen.325 Zeitlich unterliegt das Hausrecht keinerlei Einschränkungen.326 Sind die Voraussetzungen des Tatbestandes erfüllt, kommt dem Gerichtspräsidenten bzw. -direktor auf Rechtsfolgenseite ein Ermessen zu.327 Es handelt sich 317 OVG Schleswig-Holstein, Beschl. vom 15.05.2018 – 4 MB 57/18, BeckRS 2018, 10348, Rn. 6. 318 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 445. 319 BVerfG, NJW-RR 2007, 1053 (1054); NJW 2012, 1863 (1864); BVerwG, NJW 2011, 2530 (2531); BGHSt 24, 329 (330); Jung, in: Roos/Wahrendorf, SGG, § 61 Rn. 19; Kunze, in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 17 Rn. 16; Meissner/Schenk, in: Schoch/Schneider/ Bier, VwGO, § 55 Rn. 40a; Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, § 176 GVG Rn. 3; Zimmermann, in: MüKoZPO, § 169 GVG Rn. 38, § 176 GVG Rn. 13. 320 BVerwG, NJW 2011, 2530 (2531); BayVGH, BayVBl 1980, 723 (724); OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. vom 10.07.2017 – OVG 10 N 46.14, juris Rn. 11; Angermaier/Kujath, DRiZ 2012, 338; Jung, in: Roos/Wahrendorf, SGG, § 61 Rn. 19; Keller, in: MKLS, SGG, § 61 Rn. 4b; Roth, in: FS Schilken, S. 415 (S. 417). 321 BVerwG, NJW 2011, 2530 (2531); OVG Münster, Beschl. vom 23.09.2013 – 4 A 1778/12, BeckRS 2013, 56206; OVG Schleswig-Holstein, Beschl. vom 15.05.2018 – 4 MB 57/18, BeckRS 2018, 10348, Rn. 6; Angermaier/Kujath, DRiZ 2012, 338; Keller, in: MKLS, SGG, § 61 Rn. 4b. 322 OVG Schleswig-Holstein, Beschl. vom 17.12.2012 – 4 LA 58/12, BeckRS 2013, 53619, Rn. 7. 323 Angermaier/Kujath, DRiZ 2012, 338 (339); Keller, in: MKLS, SGG, § 61 Rn. 4b; Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 176 Rn. 3; Meissner/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 55 Rn. 40a; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 176 GVG Rn. 3. 324 Czybulka/Kluckert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 55 Rn. 39; Zimmermann, in: MüKo ZPO, § 176 GVG Rn. 13. 325 Kujath, Laienjournalismus, S. 373 f. 326 Hauth, Sitzungspolizei, S. 45. 327 BVerfG, NJW 2012, 1863 (1864); Müller, VR 2010, 152 (154); Roth, in: FS Schilken, S. 415 (S. 423).
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Kap. 1: Gerichtssaalberichterstattung de lege lata
dabei um ein Entschließungs- und ein Auswahlermessen. Will er seine Maßnahmen zwangsweise durchsetzen, müssen zudem die Voraussetzungen des Verwaltungsvollstreckungsrechts vorliegen.328 d) Abgrenzung der Sitzungspolizei vom Hausrecht Aufgrund des weiten Anwendungsbereichs des Hausrechts der Gerichtsverwaltung sind Situationen denkbar, in denen gegen ein störendes Verhalten sowohl der Vorsitzende Richter auf der Grundlage des § 176 GVG als auch der Gerichts präsident bzw. -direktor auf der Basis seines Hausrechts einschreiten könnte.329 Nach stRspr und ganz herrschender Ansicht in der Literatur tritt in diesen Fällen das Hausrecht hinter der Sitzungspolizei zurück.330 Möglichen Abgrenzungsproblemen im Randbereich der Sitzung kann durch eine enge Kooperation von Vorsitzendem und Gerichtspräsidenten im Vorfeld vorgebeugt werden.331 Bei der funktionalen Auslegung des Anwendungsbereichs der Sitzungspolizei, die der vorliegenden Untersuchung zugrunde gelegt wird,332 wird allerdings mit Blick auf die Gerichtssaalberichterstattung zumeist die Sitzungspolizei anwendbar sein, sodass dem Hausrecht eine geringe praktische Bedeutung zukommt. Es bleibt daher im Folgenden außer Betracht. 3. Durch das BVerfG gesetzter Rahmen für die Beschränkungen a) „Quasi erstinstanzliche Zuständigkeit“ des BVerfG Will der Vorsitzende Richter auf Basis der sitzungspolizeilichen Generalklausel (§ 176 GVG) tätig werden, steht ihm auf Rechtsfolgenseite ein Ermessen zu.333 Grundsätzlich hat er damit einen großen Spielraum für den Umgang mit den Medien. Beschränkt er Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen im Umfeld der mündlichen Verhandlung, sind seiner Ermessensausübung jedoch Grenzen gesetzt. Diese Grenzen entwickelte das BVerfG im Laufe der vergangenen rund zwei Jahrzehnte in diversen Einzelentscheidungen. Die Aufgabe kam dem VerfassungsgeKees, NJW 2013, 1929 (1932). Zum Anwendungsbereich des Hausrechts: Kap. 1, B. III. 2. c). 330 S. nur BVerfG, NJW-RR 2007, 1053 (1054); NJW 2012, 1863 (1864); BVerwG, NJW 2011, 2530 (2531); BGHSt 24, 329 (330); 30, 350 (353); Jacobs, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 176 GVG Rn. 14; Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 176 Rn. 3; Meissner/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 55 Rn. 40a; Odörfer, in: Barczak, BVerfGG, § 17 Rn. 16; Schoenfeld, in: Gosch, AO/FGO, § 52 FGO Rn. 51; Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, § 176 GVG Rn. 3; Wolff-Dellen, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, § 61 Rn. 37. 331 Bock, jM 2014, 123 (124). 332 Kap. 1, B. III. 2. b) aa) (2), (3). 333 Kap. 1, B. III. 2. b) bb). 328 329
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richt zu, da gegen sitzungspolizeiliche Verfügungen, mit denen die Arbeit der Medienvertreter beschränkt wird (sog. Medienverfügungen), nach bisher stRspr kein Rechtsbehelf existierte.334 Als Akte der öffentlichen Gewalt konnten sie nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG jedoch mit der Verfassungsbeschwerde bzw. mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG angegriffen werden. Hauth spricht daher treffend von der „quasi erstinstanzlichen Zuständigkeit“335 des BVerfG auf diesem Gebiet. In der Praxis ergingen die meisten Entscheidungen des BVerfG im einstweiligen Anordnungsverfahren.336 Dies hat Konsequenzen für die rechtliche Bedeutung dieser Entscheidungen. Der Prüfungsmaßstab bei Erlass einer einstweiligen Anordnung ist, verglichen mit dem Maßstab bei einer Verfassungsbeschwerde, eingeschränkt: Die Gründe für die Verfassungswidrigkeit des Hoheitsaktes, die im Verfassungsbeschwerdeverfahren geprüft werden müssen, bleiben grundsätzlich außer Betracht. Etwas anderes gilt nur, wenn die Verfassungsbeschwerde von vorneherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre.337 Ist dies aber nicht der Fall, wägt das BVerfG nur abstrakt die Folgen für den Fall, dass die Anordnung erginge und die Verfassungsbeschwerde erfolglos bliebe, mit den Folgen für den Fall ab, dass sie nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte.338 Auf diese Folgenabwägung war das BVerfG in sämtlichen im Folgenden untersuchten Eilentscheidungen angewiesen. Überwiegend prüfte es die Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Medienverfügungen daher gerade nicht umfassend.339 Dies führt jedoch nicht dazu, dass seine Beschlüsse im einstweiligen Rechtschutz keine Relevanz für künftige Medienverfügungen haben. Faktisch sind sie ebenso verbindlich: Kaum ein Vorsitzender wird in einer vergleichbaren Situa tion eine Verfügung erlassen, die von dem abweicht, was das BVerfG im Eilver334 BVerfGE 91, 125 (133); 103, 44 (58); 119, 309 (317); BGHSt 17, 201 (202); BGH, NJW 1957, 271. Offengelassen in BGHSt 44, 23 (25); BGH, NJW 2015, 3671. Mittlerweile nehmen die Fachgerichte aber jedenfalls für Strafverfahren vermehrt die Statthaftigkeit der Beschwerde nach § 304 StPO an, wenn die Verfügung über die Dauer der Hauptverhandlung oder die Rechtskraft des Urteils hinaus wirkt und wenn insbesondere Grundrechte oder andere Rechtspositionen des Betroffenen dauerhaft tangiert sowie beeinträchtigt werden (s. nur KG, NStZ 2011, 120; OLG Hamm, NStZ-RR 2012, 118 [119]; OLG Bremen, NJOZ 2016, 1884 [1886]; OLG Stuttgart, NStZ-RR 2016, 383 [384]). In diese Richtung auch BVerfG, NJW 2015, 2175 (2176). 335 Hauth, Sitzungspolizei, S. 17. 336 Nur zwei Entscheidungen ergingen nicht im Eilverfahren: BVerfGE 91, 125; 119, 309. 337 StRspr, s. nur BVerfGE 64, 67 (69); 126, 158 (167 f.); 131, 47 (55); 131, 195 (232); 140, 211 (219). 338 StRspr, s. nur BVerfGE 3, 34 (37); 126, 158 (168); 131, 47 (55); 131, 195 (232); 140, 211 (219). 339 Vgl. Schlüter, AfP 2009, 557 (564).
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fahren zugelassen hat. Zu groß wäre die Gefahr, dass es sie entsprechend seiner bisherigen Rechtsprechungslinie in ihrer Wirksamkeit aussetzt oder gar auf eine konkrete abweichende Verfügung hinwirkt. Für diese Untersuchung sind daher nicht nur die einschlägigen Entscheidungen des Senats relevant, die Verfassungsbeschwerdeverfahren abschlossen. Es werden im Folgenden vielmehr auch die Kammerbeschlüsse dargestellt, die im Eilverfahren ergingen. b) Kein pauschales Aufnahmeverbot im Umfeld der Verhandlung (sog. Honecker-Entscheidung) In seiner ersten und wegweisenden340 Entscheidung – der sog. Honecker-Entscheidung – befasste das BVerfG sich 1994 mit den Medienverfügungen in einem Strafprozess gegen Politiker der DDR rund um Erich Honecker.341 Der Vorsitzende Richter hatte die Aufnahmen im Umfeld der mündlichen Verhandlung mit Ausnahme von fünf Minuten vor ihrem Beginn am ersten Verhandlungstag untersagt.342 Nachdem ihm per einstweiliger Anordnung bereits eine weitreichendere Zulassung aufgegeben worden war,343 hatten nun auch die Verfassungsbeschwerden gegen die Medienverfügungen Erfolg: Das BVerfG bewertete die Verfügungen als Verletzung der Rundfunkfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 2 GG).344 Wegweisend war hierbei bereits die Feststellung, dass Aufnahmen des Rundfunks im Umfeld der mündlichen Verhandlung von der Rundfunkfreiheit geschützt werden. Erstmals erläuterte das BVerfG, der sachliche Schutzbereich dieses Grundrechts erstrecke sich „von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachricht und Meinung“345. Dies hatte es zuvor nur für die Pressefreiheit angenommen.346 Für den Rundfunk sei, ebenso wie für die Presse, die Phase der Informationsbeschaffung besonders bedeutsam, da sie es ihm erst möglich mache, seiner Arbeit nachzugehen.347 Dabei erstrecke sich der Schutz Anders damals jedoch Stürner, JZ 1995, 297 (298): Die Entscheidung habe „Ausnahmecharakter“ und sei daher nicht als „Grundsatzentscheidung i. S. eines Freibriefs für ‚geordnete‘ Filmaufnahmen“ im Umfeld einer mündlichen Verhandlung zu verstehen. 341 BVerfGE 91, 125 (125 f.). 342 BVerfGE 87, 334 (336); 91, 125 (128). 343 Er wurde angewiesen, die Fernsehaufnahmen im Rahmen einer Pool-Lösung vor Beginn und nach Ende der Verhandlung im Sitzungssaal in zeitlich angemessenem Umfang zu ermöglichen. Vor Beginn sollten sie zudem in Anwesenheit der Angeklagten angefertigt werden (BVerfGE 87, 334 [334 f.]). 344 BVerfGE 91, 125 (133). 345 BVerfGE 91, 125 (135). 346 Dies ist immer noch stRspr, s. nur BVerfGE 10, 118 (121); 20, 162 (176); 103, 44 (59); 117, 244 (259); BVerfG, NJW 2011, 1859 (1860); NJW 2011, 1863. 347 BVerfGE 91, 125 (134). 340
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der Rundfunkfreiheit auch auf die medienspezifischen Formen der Berichterstattung und den Einsatz der nötigen technischen Vorkehrungen.348 Dass das angegriffene Aufnahmeverbot als Eingriff in die Rundfunkfreiheit der Beschwerdeführer bewertet wurde,349 war danach nur konsequent. Aus der Einordnung der Medienverfügungen folgte, dass sie besondere Anforderungen erfüllen mussten. Insbesondere bedeutete sie, dass die sitzungspolizeiliche Generalklausel in § 176 GVG im Lichte der Rundfunkfreiheit auszulegen und anzuwenden war.350 Hierauf gestützte Verfügungen mussten mithin verhältnismäßig sein.351 Dieses Kriterium erfüllten die angegriffenen Medienverfügungen aus Sicht des BVerfG nicht: Sie seien zwar teils geeignet gewesen, die Zwecke des § 176 GVG zu erreichen, weil Aufnahmen außerhalb der mündlichen Verhandlung zwar nicht die Entscheidungsfindung behindern, aber den äußeren Ablauf der Sitzung stören und die Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten beeinträchtigen könnten.352 Das pauschale Verbot sei aber zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Angeklagten nicht erforderlich gewesen, da sie Personen der Zeitgeschichte seien.353 Die übrigen Risiken infolge der Aufnahmen rechtfertigten deren Verbot nicht, weil es die Rundfunkfreiheit unangemessen einschränke. Auf der einen Seite bestehe ein großes öffentliches Informationsinteresse an dem Strafverfahren, das sich auch auf die Aufnahmen erstrecke.354 Auf der anderen Seite könne den Gefahren auch durch Vorgaben für Standort, Zeit und Dauer der Aufnahmen begegnet werden. Verstöße gegen diese Vorgaben könnten nachträglich sanktioniert werden.355 Zusammenfassend folgte für Vorsitzende Richter aus der Honecker-Entscheidung die höchstrichterliche Vorgabe, Aufnahmen im Umfeld der mündlichen Verhandlung nicht pauschal zu verbieten. Vielmehr war nunmehr klargestellt worden, dass sie in jedem Einzelfall vor Erlass einer Medienverfügung eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchführen und hierbei die besondere Bedeutung der Rundfunkfreiheit berücksichtigen mussten.
348
BVerfGE 91, 125 (135). BVerfGE 91, 125 (135). 350 BVerfGE 91, 125 (136 f.). Diese Wechselwirkungslehre entspricht der stRspr, s. nur BVerfGE 7, 198 (208 f.); 94, 1 (8); 124, 300 (331 f.); 128, 226 (265 f.); BVerfG; NJW 2012, 1273 (1274). 351 BVerfGE 91, 125 (136 f.). 352 BVerfGE 91, 125 (137). 353 BVerfGE 91, 125 (137 f.). Ähnlich auch BVerfGE 87, 334 (340). 354 BVerfGE 91, 125 (138, 139). 355 BVerfGE 91, 125 (139). Ähnlich auch BVerfGE 87, 334 (340). 349
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c) Kein sitzungspolizeiliches Verbot von Aufnahmen der Richter (sog. Sparkasse Mannheim-Entscheidung) Erst im Jahr 2000 erhielt das BVerfG in der sog. Sparkasse Mannheim-Entscheidung die Möglichkeit, seine abstrakten Vorgaben aus der Honecker-Entscheidung zu konkretisieren. Der Vorsitzende Richter eines Strafverfahrens wegen der Untreue von Mitarbeitern der Mannheimer Sparkasse hatte Aufnahmen im Umfeld der mündlichen Verhandlung pauschal verboten, da die Beisitzenden, einige Angeklagte und ihre Verteidiger sie abgelehnt hatten. Das BVerfG ordnete jedoch einstweilig an, Aufnahmen der Richter und Schöffen im Umfeld der Verhandlung am Tag der Urteilsverkündung zu ermöglichen.356 Dies begründete es damit, dass die Medien nur mithilfe dieser Aufnahmen dem öffentlichen Interesse an einer möglichst authentischen Berichterstattung über das Verfahren gerecht werden könnten. Dem stehe auch nicht das allgemeine Persönlichkeitsrecht der (Laien-)Richter entgegen. Seine Beeinträchtigung müssten sie hinnehmen, weil sie aufgrund ihres Amtes und ihrer Teilnahme an der öffentlichen Sitzung aufgenommen würden. Aus der rechtsstaatlichen Bedeutung des Öffentlichkeitsgrundsatzes folge, dass sie kein Interesse daran hätten, nur von im Gericht anwesenden Personen wahrgenommen zu werden. Ihr Persönlichkeitsrecht könne nur dann überwiegen, wenn besondere Umstände befürchten ließen, dass die Aufnahmen sie erheblich beeinträchtigten. Dies sei vorliegend aber nicht der Fall gewesen.357 Damit stellte das BVerfG den Grundsatz auf, dass die Belange der Berufs- sowie Laienrichter im Umfeld der mündlichen Verhandlung in der Abwägung mit den entgegenstehenden Positionen zurückstehen müssen. d) Vorrang der Anonymisierungsanordnung vor dem Aufnahmeverbot (sog. El Kaida-Entscheidung) Knapp zwei Jahre später hatte das BVerfG in seiner sog. El Kaida-Entscheidung über eine Medienverfügung zu befinden, die Aufnahmen in einem Strafprozess wegen Terrorismus nur bis 90 Minuten vor Beginn der Hauptverhandlung gestattete.358 Faktisch durften damit insbesondere die Angeklagten, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht präsent waren, nicht aufgenommen werden. Das BVerfG gab dem Vorsitzenden Richter per einstweiliger Anordnung auf, vor Beginn jeder Verhandlung fünf Minuten lang Aufnahmen in Anwesenheit der Angeklagten zu erlauben, schrieb jedoch die Anonymisierung aller Gesichter vor.359 Bereits auf 356
BVerfG, NJW 2000, 2890. BVerfG, NJW 2000, 2890 (2891). 358 Bertram, JR 2002, 410. 359 BVerfG, NJW 2002, 2021. 357
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diese Weise könnten die Gefahren für Leib und Leben ausgeräumt werden, die zur Begründung des faktischen Verbots angeführt worden waren, so die Richter.360 Damit erstreckten sie ihre Ablehnung eines pauschalen sitzungspolizeilichen Aufnahmeverbots361 auf die faktische Verhinderung aller Aufnahmen. Vorrangig muss der Vorsitzende vielmehr stets prüfen, ob stattdessen eine Anonymisierungsanordnung erlassen werden kann. In der Praxis erwies sich die Anonymisierung allerdings als schwer umsetzbar. Sie führte dazu, dass die Aufnahmen vom Verhandlungsbeginn infolge der Unkenntlichmachungen „nur ein allgemeines Flackern und Flimmern, verkästelte Schemen statt Gesichtern und Vermummungen“362 zeigten. Aus diesem Grund erneut angerufen, erließ das BVerfG sodann einen Berichtigungsbeschluss, nach dem die Aufgenommenen nur zu anonymisieren waren, wenn sie mit der Veröffentlichung nicht einverstanden waren.363 Damit etablierte es ein konkretes Kriterium, das der Vorsitzende Richter in die Abwägung einstellen und aufgrund dessen diese Abwägung zugunsten identifizierender Aufnahmen ausfallen kann: das Einverständnis der aufgenommenen Personen. e) Beschränkung von Aufnahmen auf bestimmte Verhandlungstage (sog. Embargo-Entscheidung) 2003 lehnte das BVerfG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab, den ein Journalist gestellt hatte, der im Umfeld einer Strafverhandlung wegen Verstößen gegen ein Embargo Aufnahmen anfertigen wollte (sog. Embargo-Entscheidung). Der Vorsitzende hatte am ersten Verhandlungstag Aufnahmen gestattet. An diesem Tag hatte der beschwerdeführende Journalist jedoch keine Aufnahmen angefertigt.364 Der Ausschluss der Aufnahmen im weiteren Verlauf der Verhandlung stellte aus Sicht des BVerfG dennoch keinen schweren Nachteil dar, den § 32 Abs. 1 BVerfGG für den Erlass der einstweiligen Anordnung fordert. Dem Interesse der Öffentlichkeit an authentischer, auch bildlicher, Berichterstattung über das Gerichtsverfahren sei durch die Aufnahmen am ersten Verhandlungstag Rechnung getragen worden, so die Richter. Dass der Angeklagte damals nicht präsent gewesen war und daher nicht abgebildet werden konnte, ändere an diesem Ergebnis nichts. Es sei nicht erkennbar, inwiefern das Interesse sich gerade auf seine Ab360 BVerfG, NJW 2002, 2021 (2022). Im Übrigen lag eine Zusicherung der Fernsehsender vor, das Geschehen nur in der Totalen aufzunehmen, um die Identifikation der Abgebildeten zu erschweren. 361 Vgl. Kap. 1, B. III. 3. b). 362 Bertram, JR 2002, 410. 363 BVerfG, NJW 2002, 2021 gibt den Beschluss bereits in der berichtigten Form wieder. 364 BVerfG, NJW 2003, 2671.
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bildung beziehe. Zudem müsse sein allgemeines Persönlichkeitsrecht im Gerichtsverfahren besonders geschützt werden.365 Mithin eröffnete das BVerfG Vorsitzenden Richtern einerseits die Möglichkeit, die Aufnahmen zeitlich auf bestimmte Verhandlungstage zu beschränken. Ebenso wenig wie ein pauschales Verbot verlangt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz mithin die pauschale Gestattung von Aufnahmen. Andererseits betonte das BVerfG erstmals, dass die Belange des Angeklagten im Gericht im Grundsatz schwerer wiegen als die Positionen, die für die Aufnahmen streiten. f) Keine pauschale Anordnung der Anonymisierung von Aufnahmen (sog. Gäfgen-Entscheidung) Bald darauf entschied das BVerfG in der sog. Gäfgen-Entscheidung erneut gegen die Medien. Der Vorsitzende im Strafverfahren gegen Magnus Gäfgen wegen der Entführung und Tötung eines Kindes hatte Aufnahmen vor der Verhandlung 15 Minuten lang gestattet. Weil der Angeklagte nicht aufgenommen werden wollte, ordnete der Vorsitzende an, dass Gäfgen dabei nur präsent sein werde, wenn die Medien sich zu seiner Anonymisierung verpflichteten. Das BVerfG lehnte den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen diese Medienverfügung ab.366 In der Folgenabwägung berücksichtigte es zugunsten der Medien zwar das erhebliche öffentliche Interesse. Es betonte, die Rundfunkfreiheit schütze die bildliche Dokumentation der Abläufe im Sitzungssaal im Umfeld der mündlichen Verhandlung. Im konkreten Fall gehe das Interesse an der Berichterstattung wegen der besonderen Umstände und der Schwere der Straftat dem Persönlichkeitsrecht des Angeklagten zwar vor.367 Mithin hätte eine Anonymisierung des Angeklagten eigentlich nicht angeordnet werden dürfen. Dass das BVerfG sie billigte, hatte rein prozessuale Gründe: Im konkreten Fall stellte sie aus seiner Sicht keinen schweren Nachteil i. S. des § 32 Abs. 1 BVerfGG dar. Aufnahmen dürften im Umfeld der Verhandlung schließlich prinzipiell hergestellt werden. Nur aktuelle Bilder des Angeklagten würden durch die Anordnung ausgeschlossen. Die Medien könnten jedoch auf Archivaufnahmen zurückgreifen.368 Damit erteilte das BVerfG der pauschalen Anordnung der Anonymisierung ebenso eine Absage wie zuvor dem pauschalen Aufnahmeverbot.369 Auch diesbezüglich muss der Vorsitzende stets eine Einzelfallprüfung vornehmen. 365
BVerfG, NJW 2003, 2671 (2672). BVerfG, NJW 2003, 2523. 367 BVerfG, NJW 2003, 2523. 368 BVerfG, NJW 2003, 2523 (2524). 369 Vgl. Kap. 1, B. III. 3. b). 366
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g) Kein faktisches Verbot von Aufnahmen der Richter (sog. Gammelfleisch-Entscheidung) Sieben Jahre nach der Sparkasse Mannheim-Entscheidung über die Unzulässigkeit eines sitzungspolizeilichen Aufnahmeverbots für Richter370 hatte das BVerfG 2007 in seiner sog. Gammelfleisch-Entscheidung über ein faktisches Verbot der Aufnahme von Richtern zu entscheiden. Der Vorsitzende in einem Strafverfahren wegen des Verstoßes gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften hatte Aufnahmen vor Beginn der Hauptverhandlung zwar gestattet, aber mitgeteilt, der Aufruf der Sache werde durch eine Protokollführerin erfolgen. Erst danach be träte der Spruchkörper den Saal.371 Da das Aufnahmeverbot nach § 169 Abs. 1 S. 2 GVG ab dem Aufruf der Sache gilt,372 waren die Aufnahmen der Richter dadurch in der Praxis ausgeschlossen. Das BVerfG wies den Vorsitzenden per einstweiliger Anordnung an, vor dem Beginn der Verhandlung die Anwesenheit aller Richter im Sitzungssaal zum Zweck der Aufnahmen zu gewährleisten.373 Zur Begründung wiederholte es im Wesentlichen die Gründe der Sparkasse Mannheim-Entscheidung.374 Damit erstreckte es den Grundsatz, nach dem die richterlichen Belange hinter den Interessen zurücktreten müssen, die für die Aufnahmen sprechen, auch auf faktische Aufnahmeverbote.375 Der Vorsitzende Richter darf die Aufnahmen der (Laien-)Richter damit nicht nur nicht verbieten. Er darf sie auch nicht durch sein Verhalten im Umfeld der Verhandlung faktisch vereiteln. h) Gestattung der identifizierenden Aufnahmen bekannter Angeklagter (sog. Lokalpolitiker-Entscheidung) Wenige Monate später befasste sich das BVerfG mit der Medienverfügung in einem Strafverfahren gegen Lokalpolitiker, denen Korruption vorgeworfen wurde. Der Vorsitzende Richter hatte Aufnahmen im Umfeld der Verhandlung pauschal untersagt. Das BVerfG gab ihm per einstweiliger Anordnung in seiner sog. Lokalpolitiker-Entscheidung auf, identifizierende Aufnahmen der Angeklagten zuzulassen. An dem Strafverfahren gegen sie bestehe ein großes Informationsinteresse der Öffentlichkeit, gegenüber der sie als Politiker Rechenschaft ablegen müssten. Ein ebensolches Interesse bestehe auch an der Bildberichterstattung aus dem Gericht. Die Angeklagten seien außerdem „herausragende Personen des 370
Kap. 1, B. III. 3. c). BVerfG, NJW-RR 2007, 1416. 372 Kap. 1, B. II. 1. c) bb). 373 BVerfG, NJW-RR 2007, 1416. 374 Vgl. BVerfG, NJW-RR 2007, 1416 (1416 f.). 375 Ähnlich wie in dieser Entscheidung auch BVerfGE 119, 309 (327). 371
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kommunalpolitischen Lebens“376, sodass Aufnahmen sie nicht derart belasteten, dass infolgedessen die Wahrheitsfindung beeinträchtigt wird.377 Der Entscheidung lässt sich mit der exponierten Stellung der Angeklagten in der Öffentlichkeit demnach ein weiteres Kriterium entnehmen, das der Vorsitzende in der Abwägung der kollidierenden Interessen berücksichtigen muss und das für die Zulassung der Aufnahmen sprechen kann. i) Erfordernis konkreter Anhaltspunkte für den Erlass einer Medienverfügung (sog. Banküberfall-Entscheidung) Kurz darauf befand das BVerfG über die Medienverfügung in einem Strafverfahren wegen zwei Raubüberfällen auf Banken. Der Vorsitzende Richter hatte darin die Aufnahmen im Umfeld der Verhandlung pauschal untersagt.378 Das BVerfG gab ihm in seiner sog. Banküberfall-Entscheidung per einstweiliger Verfügung auf, Aufnahmen 15 Minuten vor Beginn und nach dem Ende der Verhandlung sowie in den Pausen zuzulassen.379 Weil die Angeklagten und ihre Verteidiger Aufnahmen zugestimmt hatten, ließen sich weder Gefahren für die Wahrheitsfindung noch Risiken für das allgemeine Persönlichkeitsrecht dieser Beteiligten zugunsten eines Verbotes anführen. Konkrete Belege dafür, dass die genannten Positionen trotz der Zustimmung beeinträchtigt seien, habe der Vorsitzende nicht vorweisen können.380 Der Entscheidung ist mithin die Vorgabe für den Vorsitzenden Richter zu entnehmen, dass Medienverfügungen nur bei konkreten Anhaltspunkten für Gefahren erlassen werden dürfen. Lediglich abstrakte, vermutete Gefahren reichen hierfür dagegen nicht aus. j) Kein Verbot von Aufnahmen der professionellen Verfahrensbeteiligten (sog. Rekrutenmisshandlung-Entscheidung) Erstmals nach seiner Honecker-Entscheidung traf das BVerfG 2007 erneut eine Entscheidung zu Bild/Ton-Aufnahmen im Umfeld der Verhandlung in einem Verfassungsbeschwerdeverfahren. In der sog. Rekrutenmisshandlung-Entscheidung befand es über die Medienverfügung in einem Strafverfahren gegen Soldaten, denen die Misshandlung von Rekruten vorgeworfen wurde. Der Vorsitzende Richter hatte Aufnahmen bis 15 Minuten vor Beginn und ab zehn Minuten nach 376
BVerfG, AfP 2007, 551 (552). BVerfG, AfP 2007, 551 (552 f.). 378 BVerfG, Beschl. vom 11.12.2007 – 1 BvR 3129/07, BeckRS 2008, 30823, Rn. 5. 379 BVerfG, Beschl. vom 11.12.2007 – 1 BvR 3129/07, BeckRS 2008, 30823, Tenor. 380 BVerfG, Beschl. vom 11.12.2007 – 1 BvR 3129/07, BeckRS 2008, 30823, Rn. 14. 377
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Ende der mündlichen Verhandlung gestattet.381 Demnach konnten die Beteiligten faktisch nicht aufgenommen werden, da sie noch nicht oder nicht mehr anwesend waren. Nachdem infolge einer einstweiligen Anordnung Aufnahmen bereits in größerem Umfang gestattet worden waren,382 hatte auch die Verfassungsbeschwerde gegen die ursprüngliche Verfügung Erfolg. Diese Verfügung verletze die Rundfunkfreiheit, so das BVerfG.383 Dogmatisch lehnte es sich dabei allerdings nicht an seine Ausführungen zu dem Grundrechtseingriff in seiner Honecker-Entscheidung an, sondern übertrug die Konstruktion aus dem zwischenzeitlich ergangenen n-tv-Urteil:384 Die Rundfunkfreiheit sei verletzt, wenn das Demokratie- und das Rechtsstaatsprinzip eine weitergehende Gestattung der Aufnahmen gefordert hätten, als sie der Vorsitzende Richter verfügt habe.385 Damit ersetzte das BVerfG die aus der Rundfunkfreiheit folgenden, hohen Anforderungen an die Medienverfügungen bezüglich des Umfelds der mündlichen Verhandlung durch den großzügigeren Maßstab des objektiven Verfassungsrechts. Das bedeutete insbesondere, dass der Vorsitzende bei der Auslegung und Anwendung des § 176 GVG nicht die besondere Bedeutung der Rundfunkfreiheit zu beachten hatte. Die Abwägung konnte danach eher zulasten der Medien ausgehen. Dennoch unterschieden sich seine Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit der geprüften Verfügung, die auch nach dem neuen Maßstab nötig war, nicht deutlich von seinen früheren Erörterungen zu Medienverfügungen. Auf der einen Seite sei das öffentliche Informationsinteresse zu berücksichtigen, das sich auch auf die professionellen Verfahrensbeteiligte beziehen könne.386 Das seien neben den Richtern, Staatsanwälten und Gerichtsbediensteten auch die Rechtsanwälte.387 Auf der anderen Seite sei zwar das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Beteiligten zu beachten. Personen, die infolge ihres öffentlichen Amtes oder als Organe der Rechtspflege vor Gericht aufträten, seien insofern jedoch nur geschützt, wenn die Aufnahmen sie erheblich belästigten oder eine Gefahr für ihre Sicher-
381
BVerfGE 119, 309 (310 f.). BVerfG, NJW-RR 2007, 986. Danach sollten Aufnahmen vor Beginn und nach Ende jeder Verhandlung im Sitzungssaal in Anwesenheit der Beteiligten und des Spruchkörpers möglich werden. Einschränkend schrieb das BVerfG die Pool-Lösung und die Anonymisierung der Angeklagten für den Fall vor, dass sie mit einer Veröffentlichung nicht einverstanden waren (BVerfG, NJW-RR 2007, 986 [987]). 383 BVerfGE 119, 309 (318). 384 Zu diesem Urteil ausführlich: Kap. 1, B. II. 4. 385 BVerfGE 119, 309 (319 ff.). 386 BVerfGE 119, 309 (321 f.). 387 BVerfGE 119, 309 (328 f.). 382
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heit bedeuteten.388 Anhaltspunkte dafür fehlten vorliegend.389 Damit erstreckte das BVerfG seinen Grundsatz, nach dem die Belange der (Laien-)Richter hinter den Positionen zurücktreten müssen, die für die Aufnahmen streiten,390 auch auf alle anderen professionellen Verfahrensbeteiligten. Auch die Aufnahmen der Staats- und Rechtsanwälte und der Justizbediensteten können demzufolge grundsätzlich nicht verboten werden. Mit Blick auf den Anspruch auf ein faires Verfahren und die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege verwies das BVerfG zudem darauf, dass diese beiden Positionen außerhalb der Verhandlung weniger stark betroffen seien als währenddessen.391 Ihre Beeinträchtigung sei aber nicht ausgeschlossen.392 Diesbezüglich hätte der Vorsitzende die Verhaltensbeeinflussung der Angeklagten, die in dieser Hinsicht ein Risiko darstellen könne, jedoch nicht schematisch unterstellen dürfen, sondern „nachvollziehbar aus konkreten Anhaltspunkten“393 herleiten müssen. Aufgrund der herausgehobenen beruflichen Stellung der Angeklagten hätten Anzeichen hierfür gefehlt. Mit Blick auf die Schöffen führte das BVerfG zudem aus, dass ohne entsprechende Indizien keine Beeinträchtigung ihrer Entscheidungsfindung angenommen werden könne.394 Damit wiederholte es seine Forderung nach konkreten Anhaltspunkten für Gefahren,395 denen mit einer Medienverfügung begegnet werden soll. Die abstrakte Vermutung, dass derartige Risiken bestehen, reicht für den Erlass einer Medienverfügung nicht aus. Zugleich betonte es, selbst wenn konkrete Anhaltspunkte für Beeinträchtigungen vorlägen, sei zu prüfen, ob nicht Auflagen zu ihrer Abwehr ebenso effektiv seien wie ein Aufnahmeverbot.396 Als Beispiele nannte es die bereits verwendeten Anonymisierungsanordnungen, ggf. verbunden mit der Pflicht, dem Richter vor der Ausstrahlung der Aufnahmen die Einsichtnahme zu ermöglichen, aber auch Anweisungen für Standort, Zeit, Dauer und Art der Aufnahmen sowie eine Pool-Lösung.397 Damit erweiterte es seinen Grundsatz vom Vorrang der Anonymisierungsanordnung vor dem Aufnahmeverbot398 auch auf andere Auflagen. Dies schränkt die Möglichkeit des Vorsitzenden Richters, ein Aufnahmeverbot 388
BVerfGE 119, 309 (323 f.). BVerfGE 119, 309 (328 f.). 390 Vgl. Kap. 1, B. III. 3. c), g). 391 BVerfGE 119, 309 (324). 392 BVerfGE 119, 309 (325). 393 BVerfGE 119, 309 (328). 394 BVerfGE 119, 309 (329). 395 Vgl. schon seine Banküberfall-Entscheidung (Kap. 1, B. III. 3. i]). 396 BVerfGE 119, 309 (330). 397 BVerfGE 119, 309 (325 ff.). Letztere hätte auch Abhilfe für die drohenden Platzprobleme schaffen können (s. BVerfGE 119, 309 [329 f.]). 398 Vgl. Kap. 1, B. III. 3. d). 389
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zu erlassen, noch einmal ein. Nicht nur die Anonymisierungsanordnung, auch andere denkbare Auflagen muss er in Betracht ziehen, bevor er ein solches Verbot erlässt. Zuletzt forderte das BVerfG erstmals eine Begründung der Medienverfügung. Die Rundfunkfreiheit gebiete, dass beschränkende Verfügungen derart begründet würden, dass die maßgebenden Gründe offengelegt werden und die Betroffenen infolgedessen erkennen können, dass sämtliche relevanten Umstände in die Abwägung eingeflossen sind.399 k) Verbot der identifizierenden Aufnahmen von unbekannten Angeklagten (sog. Holzklotz-Entscheidung) In der sog. Holzklotz-Entscheidung befand das BVerfG 2008 über die Medienverfügung in einem Strafverfahren wegen einer Tötung mithilfe eines Holzklotzes, der von einer Brücke geworfen worden war. Der Vorsitzende Richter hatte Aufnahmen gestattet, allerdings die Anonymisierung des Angeklagten angeordnet. Das BVerfG lehnte die Aussetzung der Medienverfügung per einstweiliger Verfügung ab.400 Dafür führte es die Belange des Angeklagten ins Feld: Neben seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht sei vor der Verurteilung die Unschuldsvermutung zu seinen Gunsten zu beachten.401 Die identifizierende Berichterstattung könne eine Prangerwirkung für ihn hervorrufen. Fernsehberichte griffen wegen ihrer größeren Intensität und Reichweite dabei zumeist stärkerer in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein als Radio- oder Presseberichte.402 Die besondere Schwere der Tat sowie deren verwerfliche Begehungsweise steigerten im konkreten Fall zudem nicht nur das öffentliche Informationsinteresse an dem Strafverfahren, sondern schüfen auch die Gefahr einer Stigmatisierung des Angeklagten. Die Aufnahmen könnten daher seine Rehabilitation beeinträchtigen.403 Sein Schutzbedürfnis werde auch nicht dadurch herabgesetzt, dass er sich zuvor im Fernsehen zur Tat geäußert hatte. Zu dem Zeitpunkt sei er noch als Zeuge vernommen worden. Aus dem Auftritt könne daher nicht gefolgert werden, dass er sich als Angeklagter äußern wolle.404
399
BVerfGE 119, 309 (327 f.). BVerfG, NJW 2009, 350. 401 BVerfG, NJW 2009, 350 (351). So bereits BVerfGE 119, 309 (323). 402 BVerfG, NJW 2009, 350 (351 f.). Die Prangerwirkung führte das BVerfG schon in BVerfGE 119, 309 (323) an. 403 BVerfG, NJW 2009, 350 (352). Auf die Gefahren für die Resozialisierung wurde bereits in BVerfGE 119, 309 (323) verwiesen. 404 BVerfG, NJW 2009, 350 (352). 400
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Damit bestätigte das BVerfG seinen Grundsatz, nach dem die Belange eines zuvor unbekannten Angeklagten die Positionen, die für die Aufnahmen streiten, regelmäßig überwiegen.405 l) Vorrang der Anonymisierungsanordnung vor dem faktischen Aufnahmeverbot (sog. Wetttrinken-Entscheidung) Ähnlich lag der Fall in der sog. Wetttrinken-Entscheidung, die das BVerfG 2009 traf. Darin befasste es sich mit der Medienverfügung im Strafverfahren gegen einen Wirt, in dessen Gaststätte bei einem manipulierten Wetttrinken ein Gast verstorben war. Aufnahmen waren gemäß der Verfügung vor Beginn der Verhandlung zugelassen, in den Pausen und nach ihrem Ende jedoch untersagt worden. Der Vorsitzende Richter ermöglichte es dem Angeklagten zudem, nach dem Ende der Aufnahmen einen separaten Eingang zum Sitzungssaal zu nutzen. Damit war seine Aufnahme praktisch ausgeschlossen. Als die Medien sich gegen dieses Vorgehen wandten, ordnete der Vorsitzende die Anonymisierung des Angeklagten an, änderte seine Praxis allerdings nicht. Das BVerfG setzte die Verfügungen insoweit per einstweiliger Verfügung aus, als Aufnahmen während der Pausen und nach dem Ende der Verhandlung verboten worden waren.406 In Kombination mit der Art der Verhandlungsführung stellten sie faktisch ein Aufnahmeverbot bezüglich des Angeklagten dar, so die Richter.407 Für die Beschränkung der Aufnahmen stritten zwar das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Angeklagten und die Unschuldsvermutung. Beide Positionen müssten auch nicht deshalb zurücktreten, weil der Angeklagte ein Fernsehinterview zur Tat gegeben hätte. Zu dem Zeitpunkt sei er sich der Tragweite der späteren Anklage noch nicht bewusst gewesen sei, da das Opfer noch gelebt habe.408 Soweit läuft die Begründung parallel zu den Gründen in der Holzklotz-Entscheidung.409 Neu war lediglich der Hinweis, die Belange des Angeklagten gälten „[b]is zu einem erstinstanzlichen Schuldspruch“410. Allerdings entschied das BVerfG, zu ihrem Schutz genüge die zwischenzeitlich ergangene Anonymisierungsanordnung.411 Einerseits konkretisierte es damit die Positionen, die zugunsten eines Angeklagten in erster Instanz in die Abwägung mit den Positionen einzustellen sind, die für Aufnahmen sprechen. Andererseits erstreckte es seinen Grundsatz vom Vorrang der Anonymisierungsanordnung vor dem sitzungspolizeilichen Aufnah405
Vgl. schon seine Embargo-Entscheidung (Kap. 1, B. III. 3. e]). BVerfG, NJW 2009, 2117. 407 BVerfG, NJW 2009, 2117 (2118 f.). Ähnlich bereits BVerfGE 119, 309 (327). 408 BVerfG, NJW 2009, 2117 (2119). 409 Vgl. Kap. 1, B. III. 3. k). 410 BVerfG, NJW 2009, 2117 (2119). 411 BVerfG, NJW 2009, 2117 (2119). 406
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meverbot auch auf die faktische Vereitelung der Aufnahmen. Weder rechtlich noch faktisch darf der Vorsitzende Aufnahmen danach unterbinden, wenn die Anonymisierung zum Schutz der Betroffenen ausreicht. m) Vorrang der Anonymisierungsanordnung vor dem Aufnahmeverbot (sog. Entführung-Entscheidung) In seiner jüngsten Entscheidung zu Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen, der sog. Entführung-Entscheidung, befand das BVerfG 2012 über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, den eine Fernsehjournalistin im Strafverfahren gegen einen Entführer gestellt hatte. Sie hatte beantragt, an den letzten Verhandlungstagen Fernsehaufnahmen im Umfeld der Verhandlung anfertigen zu dürfen. Dies hatte der Vorsitzende Richter abgelehnt. Seine Beschlüsse setzte das BVerfG per einstweiliger Verfügung aus.412 Zugunsten des Angeklagten führte es zwar dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht sowie die Unschuldsvermutung an. Letztere könne jedoch an Gewicht verlieren, wenn der Angeklagte die Tat gestanden habe, was offenbar der Fall war.413 Damit lässt sich der Entscheidung zusätzlich zur erstinstanzlichen Verurteilung414 ein weiteres Indiz dafür entnehmen, wann die Unschuldsvermutung gegenüber den für Aufnahmen sprechenden Positionen zurückstehen muss: im Fall eines Geständnisses des Angeklagten. n) Verhältnismäßigkeit als Grenze des richterlichen Ermessens Die zentrale Grenze, die das BVerfG in den dargestellten Entscheidungen für das Ermessen des Vorsitzenden Richters bei der Beschränkung von Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen im Umfeld der Verhandlung etablierte, ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Der Eingriff in die Rundfunkfreiheit, der gemäß der Rechtsprechung des BVerfG in der Medienverfügung liegt, muss also einem legitimen Zweck dienen und als Mittel zur Erreichung dieses Zwecks geeignet, erforderlich sowie angemessen sein.415 Daraus folgt nach der Rechtsprechung des BVerfG, dass im Umfeld einer mündlichen Verhandlung kein pauschales Aufnahmeverbot ergehen darf – weder rechtlich noch faktisch. Seine dargestellten Entscheidungen enthalten des Weiteren Anhaltspunkte dafür, welche Maßnahmen unter welchen Umständen an der Stelle eines Aufnahmeverbots ergriffen werden dürfen. Da das BVerfG seine 412
BVerfG, NJW 2012, 2178. BVerfG, NJW 2012, 2178 (2179). 414 Vgl. Kap. 1, B. III. 3. l). 415 Vgl. stRspr, s. nur BVerfGE 27, 344 (352); 115, 320 (345); 118, 168 (193); 120, 224 (239 ff.); 120, 274 (318 f.). 413
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Ausführungen überwiegend in Eilverfahren machte und demzufolge nicht die Verhältnismäßigkeit der angegriffenen Verfügungen prüfte, sondern nur eine abstrakte Folgenabwägung vornahm,416 werden die Anhaltspunkte im Folgenden erstmalig den einschlägigen Stufen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zugeordnet werden: der Erforderlichkeit und der Angemessenheit. Erforderlich ist eine Maßnahme, wenn kein anderes, im Hinblick auf den Grundrechtseingriff milderes, ebenso effektives Mittel zur Verfügung steht.417 Solche gegenüber einem Aufnahmeverbot milderen Mittel sind nach der dargestellten verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung insbesondere Anonymisierungsanordnungen. Daneben ist es milder, Pool-Lösungen vorzuschreiben oder Anweisungen für Standort, Zeit, Dauer und Art der Aufnahmen zu erteilen. Die Beschränkung der Aufnahmen auf bestimmte Verhandlungstage ist ein Beispiel für eine zeitliche Beschränkung. Es obliegt dabei dem Vorsitzenden, im konkreten Fall einzuschätzen, ob die genannten Maßnahmen gleich effektiv sind wie ein Aufnahmeverbot. Dass das BVerfG pauschale Aufnahmeverbote ausnahmslos mit Verweis auf mögliche Auflagen beanstandete, lässt jedoch darauf schließen, dass seine Anforderungen hieran nicht allzu hoch sind. Sogar bei Gefahren für Leib und Leben der Beteiligten zog es schließlich eine Anonymisierungsanordnung einem Aufnahmeverbot vor. Spätestens die Kombination der Auflagen, etwa der Anonymisierung mit einer Pool-Lösung, lässt die Erforderlichkeit eines pauschalen Aufnahmeverbots damit nach seiner Rechtsprechung aller Voraussicht nach entfallen. Auch mildere sowie ebenso effektive Maßnahmen wie ein Aufnahmeverbot darf der Vorsitzende Richter allerdings nicht unbeschränkt erlassen. Nach der Rechtsprechung des BVerfG muss er vielmehr neben dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem damit korrespondierenden, durch die Rundfunkfreiheit geschützten Berichterstattungsinteresse der Medien auch die den Aufnahmen entgegenstehenden Belange berücksichtigen. Jene Erwägungen lassen sich auf der Ebene der Angemessenheit einer Maßnahme verorten. Eine Maßnahme ist angemessen, wenn die Schwere des darin liegenden Grundrechtseingriffs nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der rechtfertigenden Gründe steht.418 Solche Gründe können aus Sicht des BVerfG das allgemeine Persönlichkeitsrecht, Leib und Leben der Verfahrensbeteiligten, die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege in Form der Wahrheits- und der Rechtsfindung, der ungestörte äußere Ablauf des Verfahrens, die Unschuldsvermutung 416
Zum Prüfungsmaßstab im Eilverfahren: Kap. 1, B. III. 3. a). StRspr, s. nur BVerfGE 25, 1 (18); 30, 292 (316); 126, 112 (144 f.); 135, 90 (118); 141, 82 (100). 418 StRspr, s. nur BVerfGE 30, 292 (316); 115, 320 (345); 118, 168 (195); 125, 260 (368); 126, 112 (152 f.). 417
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sowie der Anspruch des Angeklagten auf ein faires Verfahren sein. Der Vorsitzende Richter darf seine Verfügung allerdings nicht auf abstrakte Risiken für die genannten Positionen stützen, sondern muss konkrete Anhaltspunkte für ihre Gefährdung infolge der Aufnahmen vorweisen können. Auch für die Gewichtung der Interessen im Einzelfall sind der dargestellten Rechtsprechung des BVerfG Vorgaben zu entnehmen: Professionelle Verfahrensbeteiligte können sich Aufnahmen prinzipiell nicht unter Berufung auf ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht entziehen. Eine Einwilligung der Betroffenen kann außerdem generell dafür sprechen, Aufnahmen zuzulassen. Andersherum sind das allgemeine Persönlichkeitsrecht und die Unschuldsvermutung des Angeklagten in einem Strafverfahren jedenfalls in der ersten Instanz grundsätzlich gewichtiger als die Belange, die für Aufnahmen streiten. Die Abwägung kann jedoch anders ausfallen, wenn der Angeklagte sich in Kenntnis der Reichweite des Tatvorwurfs den Medien in Bezug auf seine Straftat geöffnet hat oder er infolge seines Amtes bereits zuvor in der Öffentlichkeit stand. Zuletzt kommt der Unschuldsvermutung ein geringeres Gewicht zu, wenn der Angeklagte die Tat gestanden hat. Die Abwägung all der genannten Positionen muss der Vorsitzende Richter nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zuletzt in der Begründung seiner Medienverfügung darlegen.
IV. Ergebnis zu den Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen Während der mündlichen Verhandlung sind Bild/Ton-Aufnahmen und Ton-Aufnahmen nach alledem von Gesetzes wegen im Grundsatz verboten. Einzig kurze Abschnitte der Verhandlungen am BVerfG sowie an den obersten Bundesgerichten können die Rundfunkvertreter mit ihren Aufnahmegeräten festhalten. Im Umfeld der mündlichen Verhandlung dürfen sie Bild/Ton-Aufnahmen und Ton-Aufnahmen dagegen mangels gesetzlichen Verbots zwar prinzipiell ohne Weiteres herstellen. In dieser Phase kann ihnen jedoch der Vorsitzende Richter kraft seiner Sitzungspolizei Beschränkungen hierfür auferlegen und wird dabei seinerseits allein durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz begrenzt. Dies führt in der Praxis dazu, dass die Medienvertreter für ihre Berichte aus dem Gericht regelmäßig nicht nur auf Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen der Verhandlung selbst verzichten müssen, sondern dass ihnen solche Aufnahmen auch aus dem Umfeld der mündlichen Verhandlung nur in begrenztem Umfang für ihre Berichterstattung zur Verfügung stehen.
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C. Rechtliche Rahmenbedingungen für Bild-Aufnahmen I. Grundsätzliche Zulässigkeit der Aufnahmen Nicht nur das Fernsehen will seine Kameras in den Sitzungssälen zum Einsatz bringen, auch die Presse ist für ihre Berichterstattung auf Bild-Aufnahmen der Vorgänge bei Gericht angewiesen. Mit ihnen illustriert sie ihre Textberichte in Tages- oder Wochenzeitungen, Zeitschriften oder textlastigen Online-Medien. Eine gesetzliche Regelung für derartige Bild-Aufnahmen existiert allerdings weder für den Zeitraum der mündlichen Verhandlung noch für deren Umfeld. § 169 Abs. 1 S. 2 GVG gilt nach dem Willen des Gesetzgebers für die Aufnahmen gerade nicht.419 Wickern vertritt allerdings die Ansicht, jedenfalls Bild-Aufnahmen während der mündlichen Verhandlung seien regelmäßig aufgrund einer „allgemein akzeptierten, aber nur ganz selten expressis verbis ausgesprochenen“420 Verbotsverfügung des Vorsitzenden untersagt. In ähnlicher Weise ist Bock der Meinung, das Mitführen von Kameras – und demnach faktisch die Herstellung von Bild-Aufnahmen – sei stets konkludent durch den Vorsitzenden Richter verboten.421 Beiden kann aber die klare Entscheidung des Gesetzgebers entgegengehalten werden, Bild-Aufnahmen vom Verbot in § 169 Abs. 1 S. 2 GVG auszunehmen.422 Sie kann nicht dadurch umgangen werden, dass stets ein konkludentes sitzungspolizeiliches Verbot der Aufnahmen angenommen wird. Demnach ist die Rechtslage für Bild-Aufnahmen vergleichbar mit jener für Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen im Umfeld der Verhandlung. Ebenso wie jene Aufnahmen werden aber auch Bild-Aufnahmen in der Praxis an vielen Gerichten von einer vorherigen Zulassung abhängig gemacht.423 Erneut ist die rechtliche Zulässigkeit dieses Vorgehens fraglich. In der Literatur wird teilweise eine vorherige Zulassung der Bild-Aufnahmen gefordert.424 Andere Autoren lehnen das 419 BTDrucks III/2037, S. 44; BTDrucks IV/178, S. 45. Daher kann Lang, Ton- und Bildträger S. 72 nicht darin zugestimmt werden, dass Bild-Aufnahmen während der Verhandlung aufgrund von deren Eigenart untersagt sind. Hätte der Gesetzgeber dies gewollt, hätte er die Aufnahmen ausdrücklich ausschließen können. 420 Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, § 169 GVG Rn. 52, § 176 GVG Rn. 28. 421 Bock, jM 2014, 123 (125). 422 Hierauf weist auch von Coelln, AfP 2014, 193 (198) hin. 423 S. zur divergierenden Handhabung der Gerichte auch Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 39; Lehr, NStZ 2001, 63. 424 Diemer, in: KK-StPO, § 169 GVG Rn. 13; Kloppenburg, in: Düwell/Lipke, ArbGG, § 52 Rn. 8; Maul, MDR 1970, 286 (286, 288); Rasehorn, DRiZ 1961, 255 (256); Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 169 GVG Rn. 14, § 176 GVG Rn. 15; Wanckel, Foto- und BildR, Rn. 24, 26; Ziemann, in: HWK-ArbR, § 52 ArbGG Rn. 7. Dass die Aufnahmen vorab vom Gerichtspräsidenten zu gestatten sind, beanstandet das BVerfG verfassungsrechtlich nicht (BVerfG, NJW-RR 2007, 1053 [1054]).
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Zulassungserfordernis ab.425 Zur Begründung ziehen manche dahingehend einen Umkehrschluss aus § 169 Abs. 1 S. 2 GVG, dass die darin nicht geregelten Bild-Aufnahmen ohne Weiteres, also auch ohne vorherige Gestattung, zulässig sein sollen.426 Wie zum Parallelproblem bei Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen ausgeführt, ergibt sich aus diesem Umkehrschluss aber nicht eindeutig die Zulassungsfreiheit der Aufnahmen. Er kann vielmehr auch dahingehend gezogen werden, dass Aufnahmen dieser Art (nur) nicht gesetzlich verboten sind. Dazu, ob daneben Voraussetzungen für ihre Herstellung existieren, würde er in diesem Fall keine Aussage treffen.427 In systematischer Hinsicht trägt deshalb ein anderes Argument, das ebenfalls bereits zur Zulässigkeit der Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen angeführt wurde: § 169 Abs. 3 GVG setzt eine Zulassung dieser Aufnahmen während der Entscheidungsverkündung oberster Bundesgerichte voraus. Ein derartiges Zulassungserfordernis hätte der Gesetzgeber beim Erlass des EMöGG auch für die Bild-Aufnahmen kodifizieren können. Dass er dies unterließ, lässt den Schluss zu, dass jene Aufnahmen ohne vorherige Gestattung zulässig sein sollen.428 Damit sind Bild-Aufnahmen sowohl während der mündlichen Verhandlung als auch in deren Umfeld ohne eine vorherige Zulassung gestattet.
II. Möglichkeiten zur Beschränkung der Aufnahmen Die Bild-Aufnahmen können jedoch im Einzelfall eingeschränkt oder untersagt werden. Auf welcher Grundlage die Beschränkung erfolgen kann, hängt davon ab, wann und wo die Bild-Aufnahmen hergestellt werden sollen. In der Sitzung kann der Vorsitzende Richter auf Basis der Sitzungspolizei nach § 176 GVG einschreiten, außerhalb der Gerichtspräsident auf der Grundlage seines Hausrechts tätig werden.429 Faktisch ist das Hausrecht aber aufgrund der funktionalen Auslegung des Anwendungsbereichs der Sitzungspolizei, die dieser Arbeit zugrunde
Bernzen/Bräutigam, K&R 2017, 555 (556); Brüggemann, AfP 1971, 155 (156); Burkhardt, in: Wenzel, Wort- und Bildberichterstattung, Kap. 10 Rn. 184; von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 333; ders., jurisPR-ITR 3/2012 Anm. 4; ders., AfP 2014, 193 (198); Hauth, Sitzungspolizei, S. 14; Hirzebruch, Neue Medien, S. 278 f.; Kujath, Laienjournalismus, S. 329; Lehr, NStZ 2001, 63 (65); Wente, StV 1988, 216 (222). 426 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 333; Danners, Verfahrensablauf, S. 93; Duttge/ Kangarani, in: Dölling/Duttge/Rössner, Gesamtes StrafR, § 169 GVG Rn. 7. 427 Vgl. Kap. 1, B. III. 1. So für Bild-Aufnahmen auch Franke, Bildberichterstattung, S. 16. 428 Vgl. Kap. 1, B. III. 1. 429 So schon die Gesetzesbegründung des § 169 S. 2 GVG a. F. (BTDrucks III/2037, S. 44; BTDrucks IV/178, S. 45). 425
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gelegt wird, auch bezüglich der Bild-Aufnahmen von so untergeordneter Relevanz, dass es im Folgenden außer Betracht bleibt.430
III. Durch das BVerfG gesetzter Rahmen für die Beschränkungen 1. Wiederum „quasi erstinstanzliche Zuständigkeit“ des BVerfG Dem Entschließungs- und Auswahlermessen des Vorsitzenden Richters beim Erlass einer Medienverfügung auf der Grundlage von § 176 GVG sind in Bezug auf die Bild-Aufnahmen jedoch Grenzen gesetzt. Ebenso wie die Grenzen, die der Vorsitzende beim Erlass einer Medienverfügung zu Bild/Ton-Aufnahmen und Ton-Aufnahmen im Umfeld der mündlichen Verhandlung zu beachten hat,431 entwickelte das BVerfG diese Schranken im Laufe der vergangenen zweieinhalb Jahrzehnte in einer Reihe von Einzelentscheidungen. 2. Abwägung der betroffenen Rechtsgüter als Maßstab für Medienverfügungen (sog. Kurdische Konsulatsbesetzer-Entscheidung) Noch bevor es sich in seiner Honecker-Entscheidung erstmals zu Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen äußerte,432 befand das BVerfG 1994 in seiner sog. Kurdische Konsulatsbesetzer-Entscheidung über eine Medienverfügung, die Bild-Aufnahmen im Strafverfahren gegen kurdische Besetzer des türkischen Konsulats verbot. Es lehnte es darin ab, die Verfassungsbeschwerde gegen diese Verfügung zur Entscheidung anzunehmen, da aus seiner Sicht weder die Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 1 GG) noch die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) verletzt worden waren.433 Genauer prüfte es aber nur die Verletzung der Pressefreiheit, weil die Berufsfreiheit aus seiner Sicht im konkreten Fall keinen weitergehenden Schutz vermittelte.434 In Bezug auf Bild-Aufnahmen kommt dieser Entscheidung jene richtungsweisende Funktion zu, welche die Honecker-Entscheidung für Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen im Umfeld der mündlichen Verhandlung erfüllt. Das BVerfG stellte darin erstmals fest, dass Bild-Aufnahmen aus dem Gericht in den sachlichen Schutzbereich der Pressefreiheit fallen. Ihre Untersagung wertete es daher als Eingriff in dieses Grundrecht.435 Daraus folgte, dass auch die Medienverfü430 So für Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen im Umfeld der mündlichen Verhandlung auch Kap. 1, B. III. 2. d). 431 Dazu zusammenfassend: Kap. 1, B. III. 3. n). 432 Vgl. Kap. 1, B. III. 3. b). 433 BVerfG, NJW 1996, 310. 434 BVerfG, NJW 1996, 310 (311). 435 BVerfG, NJW 1996, 310.
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gungen, die reine Bild-Aufnahmen beschränken, besondere Anforderungen erfüllen mussten. Konkret forderte das BVerfG vom Vorsitzenden Richter eine Abwägung zwischen der Pressefreiheit und allen anderen, in dem jeweiligen Fall betroffenen Rechtsgütern. An diesem Maßstab gemessen, bewertete es die angegriffene Medienverfügung als verfassungskonform. Sie tangiere die Pressefreiheit zwar nicht unerheblich.436 Es hätten jedoch konkrete Anhaltspunkte für erhebliche Gefahren für Leib, Leben und das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Beteiligten vorgelegen, die durch die Aufnahmen womöglich verstärkt worden wären. Zudem könnten Aufnahmen die Aussagepersonen, den Staatsanwalt und die Richter bei ihrer Arbeit beeinträchtigen.437 Die frühere Namensnennung und Publikation von Zeichnungen der Beteiligten in der Presse änderten diese Bewertung nicht, weil Bild-Aufnahmen besonders zur Identifizierung beitrügen und einer unbestimmten Zahl an Personen auf lange Zeit zugänglich seien. Der Vorsitzende Richter habe die Aufnahmen auch nicht mit Einschränkungen zulassen müssen: Die Einwilligung der Beteiligten einzuholen, sei aus organisatorischen Gründen schwierig gewesen. Zudem habe die Presse zwar zugesichert, keinerlei Aufnahmen der Beteiligten zu veröffentlichen, eine diesbezügliche Kontrolle sei aber vor der Veröffentlichung nicht möglich. Zuletzt könne schon eine Aufnahme verunsichernd wirken und damit die Wahrheits- und Entscheidungsfindung beeinträchtigen.438 Vor dem Erlass einer Medienverfügung in Bezug auf Bild-Aufnahmen hatte der Vorsitzende Richter nach dieser Entscheidung des BVerfG eine Abwägung der Pressefreiheit mit den entgegenstehenden Rechtsgütern vorzunehmen. Dabei hatte er der besonderen Bedeutung der Pressefreiheit Rechnung zu tragen. 3. Verhältnismäßigkeit als Maßstab für Medienverfügungen (sog. Pool-Lösung-Entscheidung) Anders als Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen beschäftigten Bild-Aufnahmen das BVerfG nach seiner ersten Entscheidung lange Zeit nicht mehr. Als es 2008 erneut darüber zu entscheiden hatte, konnte es demnach auf seine bereits recht detaillierte Rechtsprechung zu Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen zurückgreifen. Entsprechend weist die sog. Pool-Lösung-Entscheidung große Unterschiede zur Kurdische Konsulatsbesetzer-Entscheidung auf.439 Ihr lag die Verfassungsbeschwerde gegen eine Medienverfügung zugrunde, mit welcher der Vorsitzende 436
BVerfG, NJW 1996, 310. BVerfG, NJW 1996, 310 (310 f.). 438 BVerfG, NJW 1996, 310 (311). 439 Zu letzterer Entscheidung: Kap. 1, C. III. 2. 437
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Richter eines Strafverfahrens eine Pool-Lösung angeordnet hatte. Das BVerfG nahm die Beschwerde nicht zur Entscheidung an, da die angegriffene Medienverfügung die Pressefreiheit des Beschwerdeführers – eines Journalisten, der kein Teil des Pools war – nach seiner Ansicht nicht verletzt hatte.440 Unter Bezugnahme auf die Rekrutenmisshandlung-Entscheidung441 stellte es fest, dass der Schutzbereich der Pressefreiheit eröffnet sei, wenn Bild-Aufnahmen aus dem Gericht verboten worden seien, obwohl das öffentliche Interesse an ihrer Verbreitung die entgegenstehenden Interessen überwogen habe. Beim Erlass einer entsprechenden Medienverfügung habe der Vorsitzende Richter damit den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu wahren.442 Die fragliche Medienverfügung entspreche diesem Maßstab. Eine Pool-Lösung sei geeignet, die Störungen des äußeren Verhandlungsablaufs abzuwehren, die Bildberichterstatter eher hervorriefen als Textberichterstatter. Zudem sei sie gegenüber dem strengen Verbot der Bildberichterstattung milder. Der Vorsitzende habe durch eine entsprechende Abrede mit den Poolführern auch dafür gesorgt, dass alle Interessenten die Aufnahmen erhalten können.443 Damit rückte das BVerfG von der bloßen Abwägung, die es in der Kurdische Konsulatsbesetzer-Entscheidung vorgenommen hatte,444 als Voraussetzung für den Erlass einer Medienverfügung ab. Für Bild-Aufnahmen gilt seitdem derselbe, strengere Maßstab des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes wie für Bild/Tonund Ton-Aufnahmen im Umfeld der Verhandlung. 4. Vorrang der Anonymisierungsanordnung vor dem Aufnahmeverbot (sog. CO2-Handel-Entscheidung) Einige Jahre später beschäftigte das BVerfG in seiner sog. CO2-Handel-Entscheidung eine weitere Auflage, mit der es sich im Kontext der Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen bereits befasst hatte: 2012 entschied es über Medienverfügungen in einem Strafverfahren wegen des Handels mit CO2-Emissionszertifikaten, in denen der Vorsitzende Richter die Anonymisierung der Angeklagten, Zeugen und Nebenkläger vorgeschrieben hatte.445 Das BVerfG lehnte es ab, eine einstweilige Anordnung dagegen zu erlassen. Die Verfassungsbeschwerde wäre zwar nicht offensichtlich unbegründet, da die Verfügungen in die Pressefreiheit eingriffen. Weil einige Angeklagte die Straftat gestanden hätten, käme der Unschuldsver440
BVerfG, NJW-RR 2008, 1069 (1070). Vgl. Kap. 1, B. III. 3. j). 442 Wie Scholz, NStZ 1995, 42 (43) treffend anmerkt, ist dieser Maßstab erheblich stringenter als die zuvor vorgenommene Güterabwägung. 443 BVerfG, NJW-RR 2008, 1069 (1070 f.). 444 Vgl. Kap. 1, C. III. 2. 445 BVerfG, Beschl. vom 20.12.2012 – 1 BvR 3048/11, juris Rn. 1. 441
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mutung bei der Rechtfertigung dieses Eingriffs zudem eine geringere Rolle zu.446 Damit übertrug das BVerfG die Gewichtung der kollidierenden Interessen bei der Herstellung und Veröffentlichung von Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen im Umfeld von Strafverhandlungen in der Angemessenheitsprüfung auch auf die Bild-Aufnahmen.447 Bei einer abstrakten Folgenabwägung überwögen allerdings die schutzwürdigen Belange der Angeklagten.448 Die Publikation identifizierender Aufnahmen könne ihre Sicherheit gefährden. Die Angst davor könne sie davon abhalten, durch ihre Aussagen in der Hauptverhandlung weiter zur Aufklärung beizutragen. Das könne die Wahrheits- und die Rechtsfindung beeinträchtigen.449 Damit übertrug das BVerfG den für Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen entwickelten Vorrang einer Anonymisierungsanordnung vor einem Aufnahmeverbot auch auf Bild-Aufnahmen.450 Auch diesbezüglich muss der Vorsitzende im Einzelfall prüfen, ob bereits eine Auflage die gefährdeten Positionen schützen kann, bevor er die Aufnahmen verbietet. 5. Grundsätzliches Begründungserfordernis für Medienverfügungen (sog. Kindesmisshandlung-Entscheidung) 2014 entschied das BVerfG über die Medienverfügung in einem Strafverfahren wegen Kindesmisshandlung. Der Vorsitzende Richter gestattete Bild-Aufnahmen darin zwar unmittelbar vor Verhandlungsbeginn. Die Aufnahmen der Angeklagten mussten jedoch anonymisiert werden, es sei denn, sie waren mit der Publikation einverstanden. Nahaufnahmen des Gerichts waren untersagt, solche der Verteidiger und Staatsanwälte nur mit deren Zustimmung erlaubt. Aufnahmen von Zeugen und Sachverständige durften generell nur mit deren Erlaubnis angefertigt werden. Aufnahmegeräte, Handys und Laptops waren während der mündlichen Verhandlung auszustellen. Eine Begründung dafür hatte der Vorsitzende nicht gegeben. Das BVerfG setzte die Medienverfügung im Hinblick auf die Beschränkungen der Bild-Aufnahmen in seiner sog. Kindesmisshandlung-Entscheidung in großen Teilen temporär in ihrer Wirksamkeit aus, lehnte den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in Bezug auf die Anonymisierungsanordnung und das Geräteverbot aber ab.451
446
BVerfG, Beschl. vom 20.12.2012 – 1 BvR 3048/11, juris Rn. 8. Dazu im Kontext der Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen Kap. 1, B. III. 3. k), l), m). 448 BVerfG, Beschl. vom 20.12.2012 – 1 BvR 3048/11, juris Rn. 9. 449 BVerfG, Beschl. vom 20.12.2012 – 1 BvR 3048/11, juris Rn. 10. 450 Grundlegend dazu Kap. 1, B. III. 3. d). 451 BVerfG, NJW 2014, 3013. 447
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Die Aussetzungen führte es darauf zurück, dass die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet wäre, da der Medienverfügung die nötige Begründung fehle.452 Weil Aufnahmen im Umfeld der Verhandlung in den Schutzbereich der Pressefreiheit fielen, müsse der Vorsitzende bei ihrer Beschränkung mit Blick auf einen wirksamen materiellen Grundrechtsschutz die entscheidenden Gründe offenlegen.453 Auch die maßgeblichen tatsächlichen Umstände müsse er darlegen, „wenn diese nicht auf der Hand liegen und sich für einen verständigen Prozessbeteiligten von selbst verstehen.“454 Diese Anforderung habe die angegriffene Medienverfügung nicht erfüllt.455 Etwas anderes gelte nur bezüglich des Geräteverbots, das der Vorsitzende Richter nicht habe begründen müssen. Die Begründung dürfe schließlich fehlen, „wenn keine durch das spezifische Verfahren und das Gewicht des konkret in Frage stehenden Persönlichkeitsrechts geprägte Abwägungsentscheidung zu treffen ist, sondern eine typisierte Regelung zur allgemeinen Gewährleistung eines geordneten Sitzungsablaufs oder eine Anordnung, für deren Untersagung die Gründe auf der Hand liegen“456. Damit etablierte das BVerfG für die Beschränkungen der Bild-Aufnahmen, wie schon für die der Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen,457 ein Begründungserfordernis. Es führte allerdings zugleich eine Ausnahme für die Fälle ein, in denen vor Erlass der Medienverfügung keine Abwägung im Einzelfall nötig ist. Obiter dictum458 führte das BVerfG anschließend aus, welche Aspekte beim Erlass einer neuen Medienverfügung zu beachten seien: Es bedürfe konkreter, auf Aspekte der Sitzungsleitung bezogener Gründe für die Verfügung. Auf die Aufnahmen von Zeugen und Sachverständigen seien die für die Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen des Angeklagten entwickelten Grundsätze des Persönlichkeitsschutzes anzuwenden.459 So spreche es bspw. gegen ihre Aufnahme, wenn daraus erhebliche Beeinträchtigungen für ihre Sicherheit resultierten. Für die Aufnahmen der professionellen Verfahrensbeteiligten wies das BVerfG ebenfalls auf seine Rechtsprechung zu Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen hin, nach der ihre Belange in aller Regel hinter den Positionen zurücktreten müssen, die für die AufBVerfG, NJW 2014, 3013. Huff, K&R 2017, 713 (715); Sättele, FD-StrafR 2014, 361219 weisen zutreffend darauf hin, dass Medienverfügungen in der Praxis oft nicht oder nur unzureichend begründet werden. 453 BVerfG, NJW 2014, 3013 (3014). 454 BVerfG, NJW 2014, 3013 (3014). 455 BVerfG, NJW 2014, 3013 (3014). 456 BVerfG, NJW 2014, 3013 (3014 f.). 457 Vgl. Kap. 1, B. III. 3. j). 458 Sättele, FD-StrafR 2014, 361219. 459 Konkret verwies das BVerfG auf die Rekrutenmisshandlung- und auf die Holzklotz-Entscheidung (Kap. 1, B. III. 3. j], k]). 452
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nahmen streiten.460 Diese Vorgaben für die Gewichtung der kollidierenden Interessen muss der Vorsitzende mithin auch bei Medienverfügungen zu Bild-Aufnahmen berücksichtigen. 6. Kein Aufnahmeverbot allein aufgrund der erkennbaren Abwehr von Aufnahmen (sog. Türkische Kommunisten-Entscheidung) Eine weitere Entscheidung des BVerfG zu Bild-Aufnahmen betraf die Medienverfügung in einem Strafverfahren gegen ausländische Terroristen. Der Vorsitzende Richter hatte darin Bild-Aufnahmen der Beteiligten verboten, sofern sie die Aufnahmen erkennbar abwehrten. Einige Angeklagte mussten zudem anonymisiert werden. Die Aufnahmen des Senats waren nur an drei Terminen gestattet. In seiner sog. Türkische Kommunisten-Entscheidung aus dem Jahr 2016 setzte das BVerfG die Medienverfügung mit Ausnahme der Anonymisierungsanordnung einstweilig aus.461 Bezüglich der übrigen Anordnungen, so die Richter, wäre die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet. Aufnahmen nur aufgrund ihrer Abwehr durch die Betroffenen zu untersagen und die Bildberichterstattung damit in ihr Belieben zu stellen, verletze die Pressefreiheit.462 Damit machte das BVerfG deutlich, dass die Einwilligung der Abgebildeten ebenso wie bei Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen bei Bild-Aufnahmen zwar ein Faktor ist, der in der Angemessenheitsprüfung zu berücksichtigen ist, jedoch nicht der einzige ausschlaggebende Aspekt.463 Die Einschränkung der Aufnahmen der Richter lehnte das BVerfG unter Verweis auf seinen etablierten Grundsatz ab, nach dem sie sich den Aufnahmen nur verwehren können, wenn sie dadurch erheblich beeinträchtigt würden.464 Diese Voraussetzung konkretisierte es noch: „Die bloße Lästigkeit der Anwesenheit von Presse und Rundfunk als solche und damit notwendig verbundene untergeordnete Auswirkungen auf die Flüssigkeit des Verfahrensablaufs rechtfertigen demgegenüber das Verbot der Erstellung von Bildaufnahmen nicht.“465 Damit betonte es die hohen Anforderungen, die erfüllt sein müssen, wenn der Vorsitzende die Aufnahmen der Richter beschränken will. 460 BVerfG,
NJW 2014, 3013 (3014). Hier nahm es die Rekrutenmisshandlung-Entscheidung in den Blick (Kap. 1, B. III. 3. j]). 461 BVerfG, NJW 2017, 798. Den „Vorgänger“ dieser Verfügung hatte es zuvor bereits mangels hinreichender Begründung in seiner Wirksamkeit ausgesetzt (s. BVerfG, AfP 2016, 532). 462 BVerfG, NJW 2017, 798. 463 S. zu diesem Aspekt im Kontext der Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen Kap. 1, B. III. 3. d). 464 Vgl. Kap. 1, B. III. 3. c), g), j). 465 BVerfG, NJW 2017, 798 (799).
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7. Zulassung von Bild-Aufnahmen an einzelnen Verhandlungstagen (sog. Schlecker-Entscheidung) Die jüngste Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 2017 betraf die Medienverfügung in einem Strafverfahren im Zusammenhang mit der Insolvenz der Drogeriekette „Schlecker“ (sog. Schlecker-Entscheidung). Der Vorsitzende Richter hatte am ersten Sitzungstag und vor Beginn der Urteilsverkündung zehn Minuten lang Aufnahmen gestattet und den Medien zudem die Möglichkeit gegeben, Aufnahmen an den anderen Verhandlungstagen zu beantragen. Ihre Anträge darauf hatte er dreimal abgelehnt und einmal bewilligt.466 Das BVerfG lehnte den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Medienverfügung ab. Es bestehe zwar ein gewichtiges öffentliches Informationsinteresse am Strafverfahren, sodass die Beschränkungen einen gewichtigen Nachteil für die Pressefreiheit darstellten. Jedoch seien die Bildaufnahmen nicht vollständig verboten: An den besonders relevanten ersten und letzten Tagen der Verhandlung seien sie zulässig gewesen; auf diese Aufnahmen könne später zurückgegriffen werden. Auch an den übrigen Verhandlungstagen hätten sie zugelassen werden können, nachdem der Vorsitzende die kollidierenden Interessen im Einzelfall abgewogen habe.467 Damit machte das BVerfG deutlich, dass der Vorsitzende bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht pauschal für das ganze Verfahren entscheiden darf, sondern mögliche Veränderungen der Sach- und Rechtslage in dessen Verlauf berücksichtigen muss. 8. Verhältnismäßigkeit als Grenze des richterlichen Ermessens Beim Erlass einer Medienverfügung, mit der Bild-Aufnahmen auf der Grundlage von § 176 GVG beschränkt werden, wird das Ermessen des Vorsitzenden Richters gemäß der Rechtsprechung des BVerfG durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beschränkt. Der Rechtsrahmen entspricht dabei in großen Teilen dem für Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen im Umfeld der mündlichen Verhandlung dargestellten Rahmen.468 Ebenso wie für diese Aufnahmen betonte das BVerfG in den wiedergegebenen Entscheidungen zu Bild-Aufnahmen insbesondere, dass die Medienverfügungen erforderlich sein müssen. Als mildere Mittel hat der Vorsitzende Richter wiederum vor allem eine Anonymisierungsanordnung, aber auch eine Pool-Lösung in Betracht zu ziehen. Ob derartige Auflagen auch ebenso effektiv sind wie ein 466
BVerfG, NJW 2017, 3288. BVerfG, NJW 2017, 3288 (3289). 468 Dazu zusammenfassend: Kap. 1, B. III. 3. n). 467
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Aufnahmeverbot, muss er für Bild-Aufnahmen ebenfalls im Einzelfall überprüfen. Auch für diese Aufnahmeform spricht die überwiegende469 Ablehnung der sitzungspolizeilichen Aufnahmeverbote durch das BVerfG zugunsten der Auflagen für die Aufnahmetätigkeit dafür, dass hieran in der Praxis keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden. Mit Blick auf das Angemessenheitserfordernis existieren ebenfalls Parallelen zu den Entscheidungen des BVerfG zu Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen. Auf der einen Seite muss der Vorsitzende Richter das öffentliche Informationsinteresse, die Pressefreiheit und ggf. die Berufsfreiheit beachten. Auf der anderen Seite muss er das allgemeine Persönlichkeitsrecht, Leib und Leben der Verfahrensbeteiligten, die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege in Form der Wahrheits- und der Rechtsfindung, den ungestörten äußeren Verfahrensablauf und die Unschuldsvermutung berücksichtigen. Wiederholt wies das BVerfG für die Gewichtung dieser Interessen auf seine Entscheidungen zu Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen hin. Die Entscheidungen zu Bild-Aufnahmen enthalten jedoch einige kleine Ergänzungen sowie Modifika tionen: Nicht allein der Persönlichkeitsschutz des Angeklagten, auch der Schutz der Zeugen und Sachverständigen überwiegt danach prinzipiell die Belange der Medien. Die Einwilligung der Verfahrensbeteiligten (bzw. deren Fehlen) darf des Weiteren nicht allein ausschlaggebend für den Erlass eines Aufnahmeverbots sein. Zuletzt kann es die Verhältnismäßigkeitsprüfung nach der Rechtsprechung des BVerfG gebieten, dass der Vorsitzende Aufnahmen im Verlauf eines Verfahrens unterschiedlich stark beschränkt. Besondere Bedeutung kommt für die Bild-Aufnahmen der Begründung der Medienverfügungen zu. Darin müssen die relevanten rechtlichen und tatsächlichen Gründe für ihren Erlass so dargelegt werden, dass Betroffene sie nachvollziehen können. Die große praktische Relevanz einer detaillierten Begründung lässt sich daran ablesen, dass das BVerfG Medienverfügungen bezüglich Bild-Aufnahmen bei ihrem Fehlen in jüngerer Zeit ohne die Prüfung ihres Inhalts aufhob. Nur in Fällen, in denen vor dem Erlass der Verfügung aufgrund typisierbarer Gefahren keine Abwägung im Einzelfall erforderlich ist, kann die Begründung demnach unterbleiben.
469 Anders
nur in der Kurdische Konsulatsbesetzer-Entscheidung (Kap. 1, C. III. 2.), die aber noch nicht den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zum Prüfungsmaßstab machte und in der das BVerfG daher auf die Erforderlichkeit des Verbots überhaupt nicht einging.
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IV. Ergebnis zu den Bild-Aufnahmen Bild-Aufnahmen sind im Gericht prinzipiell ohne Weiteres gestattet. Der Vorsitzende Richter kann sie aber in den Grenzen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf der Basis seiner Sitzungspolizei beschränken. Vor allem während der mündlichen Verhandlung werden Bild-Aufnahmen in der Praxis daher regelmäßig untersagt, aber auch in deren Umfeld dürfen die Fotografen nur eingeschränkt tätig werden. Ebenso wie Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen stehen Medienvertretern deshalb auch reine Bild-Aufnahmen nur in begrenztem Umfang für ihre Berichterstattung zur Verfügung.
D. Rechtliche Rahmenbedingungen für Textberichte in Echtzeit I. Besonderheiten der Textberichte in Echtzeit Ein relativ neues Phänomen der Gerichtssaalberichterstattung ist die Textberichterstattung in Echtzeit.470 Anders als die klassische Textberichterstattung, bei der bspw. später am Tag auf einem Internet-Portal oder am folgenden Tag in der Tageszeitung über eine Verhandlung berichtet wird, zeichnet sich diese Ausprägung der Berichterstattung durch die Gleichzeitigkeit der Gerichtsverhandlung und der Textberichte darüber aus. Insbesondere die sozialen Medien erlauben es den Medienvertretern, schon während einer mündlichen Verhandlung über das Geschehen im Gericht zu schreiben.471 So können mittels des Kurznachrichtendienstes Twitter in maximal 280 Zeichen etwa prägnante Zitate des Richters oder Klägervertreters veröffentlicht werden. Eine ausführlichere, simultane Berichterstattung ermöglicht zum Beispiel die Einrichtung eines Live-Blogs, auf dem die wichtigsten Ereignisse aus der Verhandlung oder aus ihrem Umfeld in Echtzeit wiedergegeben werden.472 Wohl wegen der Neuheit dieser Form der Gerichtssaalberichterstattung wurde deren Rechtsrahmen bisher relativ selten untersucht.473 470 Von Coelln, AfP 2014, 193 (202). Für Krieg, K&R 2009, 673 (674) war diese Form der Berichterstattung 2009 noch „Zukunftsmusik“. Rath, DRiZ 2014, 8 (9) bezeichnete die Diskussion darüber noch fünf Jahre später als „theoretisch[...]“. 471 Klindt, K&R 2016, 1. 472 So betrieb die ARD etwa während des Verbotsverfahrens gegen die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) neben ihrer Fernseh- und Radioberichterstattung einen LiveBlog (abrufbar unter www.tagesschau.de/newsticker/liveblog-npd-verbotsverfahren-101.ht ml#Ende-der-Berichterstattung-im-Liveblog, Stand: 13.12.2019). 473 Pointiert dazu Boehme-Neßler, UFITA 2012, 337 (351): „Wie Blogs [und] Twitter [...] sinnvoll in die Gerichtsöffentlichkeit integriert werden können, ist noch nicht klar.“
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II. Grundsätzliche Zulässigkeit der Textberichte in Echtzeit 1. Differenzierung zwischen Mitnahme und Nutzung internetfähiger technischer Geräte Hinsichtlich der Zulässigkeit von Textberichten in Echtzeit aus dem Gericht selbst muss unterschieden werden. Conditio sine qua non hierfür ist, dass die Medienvertreter internetfähige technische Geräte ins Gericht mitnehmen dürfen. Denkbar ist insbesondere der Einsatz von Smartphones, Tablets oder Laptops, doch auch neuere Geräte wie etwa Smartwatches oder „Google Glasses“ könnten theoretisch für die Berichterstattung genutzt werden. Die Mitnahme solcher Geräte ist gesetzlich nicht verboten.474 Dass Medienvertreter ihre Geräte im Sitzungssaal deshalb im Grundsatz bei sich führen dürfen, bedeutet jedoch nicht, dass es ihnen auch gestattet ist, sie dort für die Textberichterstattung in Echtzeit zu verwenden.475 In der Literatur wurde die Frage, inwiefern dies zulässig ist, bisher allein mit Blick auf den Zeitraum der mündlichen Verhandlung beantwortet. 2. Direkte Anwendung des § 169 Abs. 1 S. 2 GVG Zimmermann ordnet „Live-Berichterstattung“ aus dem Gerichtssaal als unzulässig ein. Als Beispiel nennt er Twitter. Zur Begründung verweist er auf das Verbot nach § 169 Abs. 1 S. 2 GVG.476 Seine Ausführungen lassen sich so verstehen, als erachte er Textberichte in Echtzeit als direkt vom gesetzlichen Aufnahmeverbot erfasst. 3. Teleologische Extension bzw. analoge Anwendung des § 169 Abs. 1 S. 2 GVG Denkbar ist auch eine teleologische Extension des Verbots gemäß § 169 Abs. 1 S. 2 GVG477 bzw. dessen analoge Anwendung478 auf Textberichte in Echtzeit. Eine teleologische Extension setzt voraus, dass der Gesetzgeber den Wortlaut der für Computer von Coelln, jurisPR-ITR 12/2009 Anm. 5 sowie für Smartphones Fromm, MMR 2016, 233. 475 Vgl. Hirzebruch, Neue Medien, S. 264 ff.; Kujath, Laienjournalismus, S. 343. 476 Zimmermann, in: MüKoZPO, § 169 GVG Rn. 44. Zustimmend wohl Hauth, Sitzungs polizei S. 56 in Fn. 57. 477 Dies prüft Krieg, K&R 2009, 673 (675 ff.). Er ist im Ergebnis jedoch der Ansicht, eine teleologische Extension sei jedenfalls nicht zwingend notwendig. 478 Dies prüft Krieg, www.kriegs-recht.de vom 14.11.2011 (früher abrufbar unter www. kriegs-recht.de/tag/twittern-gericht/, Stand: 31.08.2018) an. Er lehnt die Analogie aber unter Verweis auf seine Argumentation zur teleologischen Extension in Krieg, K&R 2009, 673 (675 ff.) ab. Ebenso im Ergebnis Heckmann, AnwZert ITR 15/2012 Anm. 1. 474 So
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Norm entgegen ihres Sinns und Zwecks zu eng gefasst hat.479 Eine Analogie erfordert, dass eine planwidrige Regelungslücke und eine vergleichbare Interessenlage vorliegen.480 Bezüglich der Analogievoraussetzungen481 führt Krieg aus, beim Erlass des Aufnahmeverbotes seien Textberichte in Echtzeit noch nicht vorstellbar gewesen, sodass der technische Fortschritt eine Regelungslücke hinterlassen haben könnte.482 Für deren Planwidrigkeit könnte nach Heckmann sprechen, dass der Gesetzgeber mit Bild/Ton-Aufnahmen und Ton-Aufnahmen des Fernsehens und Hörfunks sämtliche 1964 verfügbaren Medienformen, mit denen die Nachrichten zeitgleich veröffentlicht werden konnten, in den Anwendungsbereich des Verbots einbezog.483 Hätte er Textberichte in Echtzeit gekannt, so lässt sich dieser Gedanke weiterdenken, hätte er das Verbot auch auf jene Form der Berichterstattung bezogen. 4. Kein gesetzliches Verbot der Textberichte in Echtzeit Die Vertreter der wohl herrschenden Ansicht gehen dagegen von der prinzipiellen Zulässigkeit der Textberichte in Echtzeit aus.484 Gegen eine Subsumtion dieser Berichte unter § 169 Abs. 1 S. 2 GVG führen sie den Wortlaut der Norm an.485 Er beziehe sich nur auf Aufnahmen. Denkbar sei allenfalls, die Textberichterstattung in Echtzeit unter den Begriff des Rundfunks zu subsumieren, dessen Aufnahmen dem Wortlaut nach untersagt werden. So ordnet Knauer die Textberichte in Echtzeit als Rundfunk im verfassungsrechtlichen Sinne ein. Gegen eine ebensolche Auslegung des einfachen Gesetzes führt er jedoch die Schutzrichtung des Aufnahmeverbots an, die von jener der verfassungsrechtlichen Regelung des Rundfunks abweicht: Während der grundrechtliche Rundfunkbegriff weit ausgelegt werden müsse, um den Medien einen umfangreichen Schutz zu gewähren, schränke das einfachgesetzliche Verbot ihre Berichterstattung ein. Der Begriff Bitter/Rauhut, JuS 2009, 289 (295). Bitter/Rauhut, JuS 2009, 289 (297). 481 Wenn auch dem Wortlaut der Ausführungen nach bei der Prüfung einer möglichen teleologischen Extension. 482 Krieg, K&R 2009, 673 (675). S. auch Knauer, JuS 2012, 711 (714). 483 Heckmann, AnwZert ITR 15/2012 Anm. 1. 484 Altenhain, Gutachten 71. DJT, C 101; von Coelln, AfP 2014, 193 (202); Hamm, AfP 2014, 202 (205); Heckmann, AnwZert ITR 15/2012 Anm. 1; Jung, in: Hauptverhandlung, S. 167 (S. 175); Klindt, K&R 2016, 1; Krieg, K&R 2009, 673 (677, 678); Mayer, in: Kissel/ Mayer, GVG, § 169 Rn. 67; Rath, DRiZ 2014, 8 (9); Renner/Pille, AfP 2018, 23 (28); Rosen thal, AnwBl 2016, 654 (655). 485 Heckmann, AnwZert ITR 15/2012 Anm. 1; Klindt, K&R 2016, 1; Knauer, JuS 2012, 711 (714); Krieg, K&R 2009, 673 (675); Magnus, in: Digitalisierung, S. 205 (S. 216); Rath, DRiZ 2014, 8 (9). 479 480
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„Rundfunk“ in der Norm sei daher enger zu verstehen als der Rundfunkbegriff im Grundgesetz.486 Stadler ist zudem der Ansicht, § 169 Abs. 1 S. 2 GVG sei aufgrund seines Charakters als Ausnahmevorschrift eng auszulegen.487 Krieg betont des Weiteren, der Wortlaut rücke die Aufnahmetätigkeit in den Mittelpunkt. Die Ausstrahlung der Aufnahmen im Rundfunk sei nur ein Unterfall. Unabhängig davon, ob man Textberichte in Echtzeit als Rundfunk verstehe, stellten sie jedenfalls keine Aufnahmen dar und fielen aus diesem Grund nicht unter das gesetzliche Verbot.488 In teleologischer Hinsicht argumentieren die Vertreter der wohl h. M. damit, dass von Textberichten in Echtzeit für das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Beteiligten keine wesentlich größeren Gefahren ausgingen als von klassischer Presseberichterstattung.489 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht soll das Aufnahmeverbot nach dem Willen des Gesetzgebers schützen.490 Zusätzliche Risiken dafür resultieren nach der Ansicht Kriegs einerseits nicht aus dem Stil der knappen Berichterstattung im Internet, die einer Aneinanderreihung prägnanter Schlagzeilen ähnele. Jene Schlagzeilen würden zwar oft von persönlichkeitsrechtsverletzenden Boulevard-Medien genutzt, aber auch von der seriösen, in dieser Hinsicht unverdächtigen Presse verwendet. Sie stellten „Genre-abhängig, und nicht Format-abhängig“491 eine Gefahr für das allgemeine Persönlichkeitsrecht dar. Andererseits verletze auch eine virale Verbreitung der Textberichte in Echtzeit das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht in größerem Umfang. Das hieraus folgende Risiko, dass verletzende Inhalte später schwer oder nicht mehr zu beseitigen sind, bestehe bei der nachträglichen Berichterstattung im Internet schließlich ebenso.492 Eine Verhaltensbeeinflussung der Verfahrensbeteiligten drohe durch die Textberichte in Echtzeit ebenfalls nicht oder jedenfalls in geringerem Ausmaß als durch Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen.493 Auch diese Beeinflussung zu vermeiKnauer, JuS 2012, 711 (714). Stadler, www.internet-law.de vom 14.09.2009 (abrufbar unter www.internet-law. de/2009/09/ist-das-live-twittern-aus-dem-gerichtssaal-erlaubt.html, Stand: 13.12.2019). So, allerdings nicht speziell mit Blick auf die Textberichte in Echtzeit, auch Boehme-Neßler, UFITA 2012, 337 (348). 488 Krieg, K&R 2009, 673 (675). 489 Hirzebruch, Neue Medien, S. 271; Knauer, JuS 2012, 711 (714); Krieg, K&R 2009, 673 (676, 677). Ähnlich auch Heckmann, AnwZert ITR 15/2012 Anm. 1, der meint, das allgemeine Persönlichkeitsrecht werde jedenfalls nicht so schwer beeinträchtigt wie durch Bild/Ton- oder Ton-Aufnahmen. 490 Kap. 1, B. II. 2. b), 3. d). 491 Krieg, K&R 2009, 673 (676). 492 Hirzebruch, Neue Medien, S. 271; Krieg, K&R 2009, 673 (676). 493 Klindt, K&R 2016, 1; Knauer, JuS 2012, 711 (714); Krieg, K&R 2009, 673 (676). 486 487
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Kap. 1: Gerichtssaalberichterstattung de lege lata
den, ist nach dem Willen des Gesetzgebers ein Ziel des § 169 Abs. 1 S. 2 GVG.494 Mit Kameras und Mikrofonen vergleichbare technische Geräte, die beeinflussend wirken könnten, benötigten Textberichterstatter nicht. Oft bemerkten die Verfahrensbeteiligten ihre Arbeit daher überhaupt nicht.495 Zeugen könnten durch Textberichte in Echtzeit zwar tatsächlich vor ihrer eigenen Aussage über die Aussagen anderer Zeugen informiert werden.496 Das soll das Aufnahmeverbot in § 169 Abs. 1 S. 2 GVG ebenfalls bestimmungsgemäß verhindern.497 Diese Gefahr bestehe aber auch, wenn sie Kontakt zu den Zuschauern aufnähmen.498 In mehrstündigen oder gar mehrtägigen Verhandlungen resultiere dieses Risiko des Weiteren bereits aus der klassischen Textberichterstattung.499 Krieg vergleicht Textberichte in Echtzeit zuletzt mit den durch § 169 Abs. 1 S. 2 GVG sachlich, jedoch nicht zeitlich erfassten Bild/Ton-Aufnahmen und Ton-Aufnahmen im Umfeld der Verhandlung.500 Wenn § 169 Abs. 1 S. 2 GVG auf jene Aufnahmen trotz der vergleichbaren Gefahren für seine Schutzgüter nicht anwendbar sei, könne er auch nicht in Bezug auf Textberichte in Echtzeit angewendet werden, die ebenso außerhalb des Anwendungsbereichs des Aufnahmeverbots lägen.501 5. Würdigung der vertretenen Ansichten Die Frage, ob Textberichte in Echtzeit aus dem Gericht selbst zulässig sind, ist in der Praxis besonders interessant, da sich hierdurch das aus § 169 Abs. 1 S. 2 GVG folgende faktische Verbot der Live-Berichterstattung aus der mündlichen Verhandlung umgehen lässt.502 Der direkten Anwendung des gesetzlichen Verbots steht nach der überzeugenden Argumentation der h. M. sein eindeutiger Wortlaut entgegen. Selbst wenn man die Textberichte auf Plattformen wie Twitter als Rundfunk i. S. der Norm einordnete, würden doch keine Aufnahmen angefertigt. § 169 Abs. 1 S. 2 GVG setzt dies jedoch für jede Übertragungsform voraus, auch für den Rundfunk. 494
Kap. 1, B. II. 1. b), 2. b), 3. d). Hirzebruch, Neue Medien, S. 271; Krieg, K&R 2009, 673 (676). 496 Walther, in: BeckOK StPO, § 169 GVG Rn. 26. 497 Kap. 1, B. II. 1. b). 498 Knauer, JuS 2012, 711 (714 f.); Krieg, K&R 2009, 673 (677). 499 Hirzebruch, Neue Medien, S. 272; Knauer, JuS 2012, 711 (714 f.); Rath, DRiZ 2014, 8 (9). 500 Zum zeitlichen Anwendungsbereich des § 169 Abs. 1 S. 2 GVG: Kap. 1, B. II. 1. c) bb). 501 Krieg, K&R 2009, 673 (677). 502 Krieg, K&R 2009, 673 (674 f.); Magnus, in: Digitalisierung, S. 205 (S. 217); Martens, journalist 12/2009, 68 (69). 495
D. Rechtliche Rahmenbedingungen für Textberichte in Echtzeit
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Denkbar wäre daher allenfalls, die Vorschrift mit den Mitteln der Methodenlehre auf den Sachverhalt anzuwenden. Sowohl eine teleologische Extension als auch eine analoge Anwendung des Aufnahmeverbots setzen allerdings voraus, dass der Gesetzgeber die Textberichte in Echtzeit nicht bedacht hat. Dem steht aber die Reform des § 169 GVG durch das EMöGG entgegen. Der Gesetzgeber führte damit zwar keine Regelung in Bezug auf Textberichte in Echtzeit ein. Er erwähnte die diesbezügliche Entwicklung aber in seiner Begründung als Treiber der Reform: „Auch die Printmedien sind einem Wandel unterworfen. Sämtliche Medien beziehen die Internet-Berichterstattung und neue Kommunikationsformen wie Internetblogs oder Twitter in ihre Arbeit ein.“503 Andere in der Literatur umstrittene und durch die Rechtsprechung ungeklärte Fragen der Gerichtssaalberichterstattung – etwa, ob die Übertragung einer Gerichtsverhandlung in den Nebenraum durch § 169 Abs. 1 S. 2 GVG ebenfalls verboten ist –504 beantwortete er durch den Erlass einer gesetzlichen Regelung (vgl. § 169 Abs. 1 S. 3–5 GVG). Dass er trotz grundsätzlich vorhandenen Problembewusstseins die Textberichte in Echtzeit keiner derartigen Regelung zuführte, deutet darauf hin, dass er eine solche Regelung nicht für erforderlich hielt. Demnach scheiden sowohl eine teleologische Extension als auch eine analoge Anwendung des Aufnahmeverbots aus. Die Textberichte in Echtzeit sind nach alledem weder während der mündlichen Verhandlung noch in ihrem Umfeld gesetzlich untersagt. Mit den Argumenten, die für die Zulassungsfreiheit von Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen im Umfeld der mündlichen Verhandlung505 und von Bild-Aufnahmen506 angeführt wurden, sind sie deshalb ohne Weiteres, insbesondere ohne eine vorherige Gestattung zulässig.
III. Möglichkeiten zur Beschränkung der Textberichte in Echtzeit Wie alle übrigen Formen der Gerichtssaalberichterstattung auch sind Textberichte in Echtzeit jedoch nicht unbegrenzt zulässig. Der Vorsitzende Richter kann sie vielmehr auf der Basis der Sitzungspolizei nach § 176 GVG beschränken.507 Ebenso kann der Gerichtspräsident auf der Grundlage des Hausrechts einschrei-
503
BTDrucks 18/10144, S. 13. zur sog. Nebensaalöffentlichkeit: Schumann, in: FS Gottwald, S. 565 (S. 574 ff.). 505 Vgl. Kap. 1, B. III. 1. 506 Vgl. Kap. 1, C. I. 507 Hamm, AfP 2014, 202 (204); Heckmann, AnwZert ITR 15/2012 Anm. 1; Hirzebruch, Neue Medien, S. 266; Klindt, K&R 2016, 1. 504 Ausführlich
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Kap. 1: Gerichtssaalberichterstattung de lege lata
ten,508 wobei diesem wiederum infolge des funktionalen Verständnisses der Sitzungspolizei, das dieser Arbeit zugrunde liegt, eine zu vernachlässigende Bedeutung zukommt.509 In der Praxis werden Beschränkungen der Textberichte in Echtzeit auf drei Arten erlassen: Teils wird die Mitnahme internetfähiger technischer Geräte in das Gerichtsgebäude oder in den Sitzungssaal untersagt, die Voraussetzung für die Textberichterstattung in Echtzeit ist. Teils wird ihre Nutzung dadurch eingeschränkt, dass die Geräte nur im Offline-Betrieb genutzt werden dürfen.510 Auch damit wird diese Form der Gerichtssaalberichterstattung faktisch vereitelt. Wieder andere Gerichte gestatten zwar Mitnahme und Nutzung der Geräte, beschränken jedoch die Berichterstattung selbst. Das BVerfG etwa untersagt in seinen Akkreditierungsbedingungen in aller Regel das „Twittern und sonstige Versenden von Nachrichten“511. Auch Instanzgerichte erlassen ähnliche Verbote: Das, soweit ersichtlich, erste Verbot wurde 2010 in einem Strafverfahren wegen Mordes vor dem LG Koblenz ausgesprochen. Darin wurde dem Redakteur der Lokalzeitung untersagt, auf der Homepage der Zeitung einen Live-Ticker aus der mündlichen Verhandlung zu führen.512 In einer zivilrechtlichen Verhandlung am LG Mannheim im Patentstreit zwischen Apple und Samsung wurde ein Jahr später das Twittern explizit verboten.513
IV. Durch das BVerfG gesetzter Rahmen für die Beschränkungen Grenzen könnte dem Vorsitzenden Richter bei der Ausübung des Entschließungsund Auswahlermessens gemäß § 176 GVG erneut die Rechtsprechung des BVerfG setzen. Allerdings befasste das Verfassungsgericht sich bis dato noch nicht mit der Beschränkung der Textberichte in Echtzeit selbst. Vielmehr befand es nur über Medienverfügungen, die eine Mitnahme und Nutzung technischer Geräte untersagten. 508 509
2. d).
Krieg, K&R 2009, 673 (677 f.). So für Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen im Umfeld der Verhandlung auch Kap. 1, B. III.
Fromm, MMR 2016, 233. S. etwa seine Akkreditierungsbedingungen für die Urteilsverkündung in Sachen „Streikrecht für Beamte“ (BVerfG, Pressemitteilung Nr. 35/2018 vom 08.05.2018 [abrufbar unter www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2018/bvg18-035.ht ml?cms_layoutVariant=StandardAkkreditierung, Stand: 13.12.2019]). 512 Berndt, www.wiwo.de vom 15.09.2010 (abrufbar unter www.wiwo.de/politik/deut schland/medienrecht-twittern-im-gerichtssaal-ist-juristische-grauzone/5680068.html, Stand: 13.12.2019). 513 Mueller, www.fosspatents.com vom 11.11.2011 (abrufbar unter www.fosspatents. com/2011/11/samsung-could-win-german-injunctions.html, Stand: 13.12.2019). 510 511
D. Rechtliche Rahmenbedingungen für Textberichte in Echtzeit
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Einer Verfügung, die die Nutzung von Laptops und Notebooks im Sitzungssaal in dem Strafverfahren untersagte, das der Holzklotz-Entscheidung514 zugrunde lag, gab das BVerfG im Eilverfahren sein Placet.515 Im Rahmen der ab strakten Folgenabwägung kam es zu dem Schluss, dass das Verbot keinen schweren Nachteil i. S. des § 32 Abs. 1 BVerfGG begründete. Zwar werde es den Medienvertretern verwehrt, am Ort der Verhandlung auf ein besonders effizientes Arbeitsmittel zurückzugreifen. Doch sei angesichts der technischen Ausstattung der Geräte kaum zu kontrollieren, ob sie in der Verhandlung dem Verbot in § 169 Abs. 1 S. 2 GVG zuwider eingesetzt würden. Das Nutzungsverbot beeinträchtige zudem die Pressefreiheit nicht erheblich, weil weder der Zugang der Berichterstatter zur Verhandlung eingeschränkt würde, noch die Berichterstattung inhaltlich oder sonst substanziell davon abhängig sei, dass die Geräte zugelassen würden.516 Eine ähnliche Verfügung in dem Strafverfahren, das der Kindesmisshandlung-Entscheidung517 zugrunde lag, nach der neben Laptops auch Aufnahmegeräte und Handys während der mündlichen Verhandlung auszustellen waren, erhielt das BVerfG mit in großen Teilen identischer Begründung ebenfalls aufrecht.518 Die beiden Entscheidungen tragen aber nur beschränkt dazu bei, den Rahmen für Beschränkungen der Textberichte in Echtzeit zu konturieren. Bei den antragstellenden Medienvertretern handelte es sich offenbar in beiden Fällen um Pressevertreter, deren nachträgliche Berichterstattung nur erleichtert worden wäre, wenn sie während der mündlichen Verhandlung auf dem Laptop an ihren Gerichtsberichten hätten arbeiten können. Die Textberichterstattung in Echtzeit wird dagegen durch die Nutzung internetfähiger technischer Geräte erst ermöglicht.519 Es ist demnach durchaus denkbar, dass die Entscheidungen des BVerfG anders ausgefallen wären, wenn bspw. der Betreiber eines Live-Blogs den Antrag gestellt hätte. Es bleibt daher abzuwarten, welchen Rahmen das BVerfG für Textberichte in Echtzeit schafft, wenn es darüber zu entscheiden hat.
V. Ergebnis zu den Textberichten in Echtzeit Textberichte in Echtzeit sind in und um die Verhandlung prinzipiell ohne Weiteres zulässig, können aber auf der Grundlage der Sitzungspolizei vom Vorsitzen514
Vgl. Kap. 1, B. III. 3. k). BVerfG, NJW 2009, 352. 516 BVerfG, NJW 2009, 352 (353). 517 Vgl. Kap. 1, C. III. 5. 518 BVerfG, NJW 2014, 3013 (3015). 519 Von Coelln, jurisPR-ITR 12/2009 Anm. 5; Kujath, Laienjournalismus, S. 341 f. 515
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Kap. 1: Gerichtssaalberichterstattung de lege lata
den Richter beschränkt werden. Mangels einschlägiger Entscheidungen des BVerfG ist noch offen, welche Grenzen der Vorsitzende beim Erlass entsprechender Medienverfügungen zu beachten hat. In der Praxis ist jedoch eine sehr restriktive Handhabung der Textberichterstattung in Echtzeit dahingehend zu beobachten, dass sie jedenfalls in der mündlichen Verhandlung regelmäßig verboten wird. Dies beschränkt ihre Einsatzmöglichkeiten erheblich.
Kapitel 2
Für die Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte A. Einzubeziehende Rechte und schutzwürdigende Interessen Zahlreiche Belange, die zugunsten der Berichterstattung aus dem Gerichtssaal ins Gewicht fallen können, lassen sich den Entscheidungen des BVerfG entnehmen, die im ersten Kapitel dargestellt wurden: So führte es die Kommunikationsgrundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG, das Informationsinteresse der Öffentlichkeit, den im Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip gründenden Öffentlichkeitsgrundsatz und die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG als relevante Rechtspositionen an.1 Sie werden in diesem Kapitel näher daraufhin überprüft, inwiefern sie tatsächlich für eine Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung streiten. Weil die vorliegende Arbeit aber die Frage beantworten will, inwiefern die aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen der Gerichtssaalberichte noch zeitgemäß sind und nicht nur ermitteln will, wie sie verfassungsrechtlich zu bewerten sind, richtet sich der Blick in diesem Kapitel auch auf schutzwürdige Interessen, die nicht verfassungsrechtlich fundiert sind. Sie können ebenfalls wichtige Impulse für die rechtspolitische Betrachtung der aktuellen Rechtslage liefern. Konkret werden der Beitrag der Gerichtssaalberichte zur Steigerung der Rechtskenntnis und des Rechtsverständnisses der Allgemeinheit, die Möglichkeit der Beteiligten, sich durch die Berichterstattung zu rehabilitieren, und ihre Präven tionswirkung untersucht.
1
Kap. 1, B. III. 3., C. III.
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Kap. 2: Für Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
B. Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen I. Grundlagen des Öffentlichkeitsgrundsatzes Der Öffentlichkeitsgrundsatz ist nach h. M. auf das Demokratieprinzip zurückführen (Art. 20 Abs. 1, 2 GG).2 Daneben basiert er auf dem Rechtstaatsprinzip.3 Dieses wird in Art. 23 Abs. 1 S. 1, 28 Abs. 1 S. 1 GG erwähnt und ergibt sich außerdem aus der Zusammenschau der Art. 20 Abs. 3, 1 Abs. 3, 19 Abs. 4 sowie 28 Abs. 1 S. 1 GG und der Gesamtkonzeption der Verfassung.4 Zudem werden öffentliche Gerichtsverhandlungen durch Art. 6 Abs. 1 EMRK vorgeschrieben. Weil die Vorschriften der EMRK und die damit korrespondierende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) „Auslegungshilfe[n] für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes“5 sind, sind Art. 6 Abs. 1 EMRK auch Anhaltspunkte für das Verständnis des verfassungsrechtlich fundierten Öffentlichkeitsgrundsatzes zu entnehmen.
II. Vorgaben des Art. 6 Abs. 1 EMRK für die Gerichtssaalberichterstattung 1. Art. 6 Abs. 1 EMRK als „Auslegungshilfe“ Gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK hat jedermann ein Recht darauf, dass über seine Streitigkeiten bezüglich zivilrechtlicher Ansprüche und Verpflichtungen oder seine strafrechtliche Anklage öffentlich verhandelt wird. Ist nach Art. 6 Abs. 1 EMRK die Gerichtssaalberichterstattung bereits infolge der Öffentlichkeit der 2 S. nur BVerfGE 103, 44 (63 ff.); 119, 309 (319); BVerfG, Beschl. vom 13.09.2001 – 1 BvR 2069/00, BeckRS 2001, 22953, Rn. 6; BVerwG, NJW 2015, 807 (809); von Coelln, in: MSKB, BVerfGG, § 17a Rn. 9; Hamacher, in: BeckOK ArbR, § 52 ArbGG Rn. 2; Jacobs, in: Stein/ Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 169 GVG Rn. 6; Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 169 Rn. 4; Porz, in: Fehling/Kastner/Störmer, VerwR, § 55 VwGO Rn. 2; Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, Vor § 169 GVG Rn. 6; Wolff-Dellen, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, § 61 Rn. 3. 3 S. nur BVerfGE 103, 44 (63 ff.); 119, 309 (319); BVerfG, Beschl. vom 13.09.2001 – 1 BvR 2069/00, BeckRS 2001, 22953, Rn. 6; NJW 2012, 1863 (1864); NJW 2015, 3708 (3709); BVerwG, NJW 2015, 807 (809); von Coelln, in: MSKB, BVerfGG, § 17a Rn. 9; Hamacher, in: BeckOK ArbR, § 52 ArbGG Rn. 2; Jacobs, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 169 GVG Rn. 6; Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 169 Rn. 4; Meissner/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 55 Rn. 12; Schoenfeld, in: Gosch, AO/FGO, § 52 FGO Rn. 15; Wickern, in: Löwe/ Rosenberg, StPO, Vor § 169 GVG Rn. 6; Wolff-Dellen, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, § 61 Rn. 3. 4 BVerfGE 2, 380 (403); 45, 187 (246); 141, 1 (33). 5 BVerfGE 74, 358 (370). StRspr, s. dazu auch BVerfGE 128, 326 (367 f.); 131, 268 (295); 137, 273 (320 f.); 138, 296 (355 f.); BVerfG, NVwZ 2018, 1121 (1125).
B. Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen
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Verhandlung zuzulassen, spricht dies dafür, den verfassungsrechtlich fundierten Öffentlichkeitsgrundsatz ebenso auszulegen und damit zugunsten der Gerichtssaalberichterstattung zu berücksichtigen. 2. Gerichtssaalberichterstattung in der Rechtsprechung des EGMR Der EGMR befasste sich bisher dreimal mit der Gerichtssaalberichterstattung. Seine erste Entscheidung traf er 2003 in dem Fall P4 Radio Hele Norge ASA v. Norwegen. Ein Sender wollte hierbei den Ton eines Strafprozesses aufnehmen. Der Richter hatte seinen Antrag aber unter Anwendung einer Vorschrift abgelehnt, die Aufnahmen im Grundsatz verbot, jedoch Ausnahmen ermöglichte. Zur Beurteilung dieser Entscheidung zog der EGMR nicht Art. 6 Abs. 1 EMRK heran, weil der Beschwerdeführer der Radiosender war. Er prüfte die Ablehnung vielmehr am Maßstab des Rechts des Senders auf freie Meinungsäußerung (Art. 10 EMRK). Vertieft beantwortete er dabei entsprechend der Vorgaben in Art. 10 Abs. 2 EMRK die Frage, ob das Verbot gerechtfertigt war. Es sei ergangen, um den guten Ruf bzw. die Rechte anderer zu schützen und die Autorität und Unparteilichkeit der Rechtsprechung zu wahren – also aus prinzipiell legitimen Gründen. Da die Vertragsstaaten der EMRK die Übertragung von Gerichtsprozessen aber nicht einheitlich handhabten und nationale Stellen besser dazu in der Lage seien, die daraus folgenden Gefahren abzuschätzen, komme ihnen bei der Entscheidung über Aufnahmen im Gericht ein weiter Beurteilungsspielraum zu. Dieser Spielraum sei vorliegend nicht überschritten worden. Die Verhandlung sei schließlich öffentlich gewesen, sodass jedermann an ihr teilnehmen und über sie berichten konnte. Zudem seien Bild/Ton-Aufnahmen in einen Medienarbeitsraum übertragen worden, der den Medienvertretern zugängig gewesen sei, die keinen Platz im Saal gehabt hätten.6 In der Entscheidung im Fall Lebedev v. Russland (Nr. 2) hatte es der EGMR 2010 mit einer sehr ähnlichen Situation zu tun, musste jedoch diesmal in Bezug auf Art. 6 Abs. 1 EMRK entscheiden. Der Beschwerdeführer hatte die Verletzung seines Rechts auf ein öffentliches Verfahren geltend gemacht, die er darin sah, dass der Gerichtssaal lediglich Platz für rund 30 Zuschauer geboten und der Richter die Herstellung und Übertragung von Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen abgelehnt hatte.7 Der EGMR verneinte eine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 EMRK jedoch. Zur Begründung verwies er auf den weiten Beurteilungsspielraums der Konventionsstaaten in Fragen der Medienöffentlichkeit. Lege man diesen Maßstab an, sei die Verhandlung hinreichend transparent gewesen: Die Medienver6 7
EGMR, Urt. vom 06.05.2003 – 76682/01 – P4 Radio Hele Norge ASA/Norwegen. EGMR, Urt. vom 27.05.2010 – 13772/05, Rn. 157, 231 – Lebedev/Russland (Nr. 2).
100
Kap. 2: Für Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
treter hätten Zugang zum Gerichtssaal gehabt, während der mündlichen Verhandlung Notizen anfertigen und in den Pausen Bild-Aufnahmen herstellen dürfen.8 Zuletzt war der EGMR im Jahr 2017 im Fall Axel Springer v. Deutschland mit Gerichtssaalberichten befasst. Der Vorsitzende in einem deutschen Strafverfahren hatte eine Medienverfügung erlassen, nach der nur solche Medienvertreter Aufnahmen im Umfeld der Verhandlung anfertigen durften, die ihm zugesichert hatten, den Angeklagten zu anonymisieren.9 Der Fokus der Prüfung lag wiederum auf der Rechtfertigung gemäß Art. 10 Abs. 2 EMRK. Die Richter des EGMR kamen zu dem Schluss, die Medienverfügung habe das legitime Ziel verfolgt, die Rechte anderer zu schützen.10 Bei der Frage, ob der Eingriff zudem in einer demokratischen Gesellschaft notwendig gewesen war, rekurrierten sie auf Art. 6 Abs. 1 EMRK: Die Presse sei verpflichtet (sic!), über Gerichtsverfahren zu berichten und sie zu kommentieren. Diese Pflicht stehe im Einklang mit den Anforderungen des Öffentlichkeitsgrundsatzes. Mit ihr korrespondiere ein Recht der Öffentlichkeit, die Informationen zu empfangen. Es stehe dabei keinem Gericht zu, zu entscheiden, mit welchen Mitteln die Presse ihre Berichte anfertige.11 Grenzen setzten ihr dabei jedoch die Rechte Dritter.12 Mit Blick wiederum auf den weiten Beurteilungsspielraum der Konventionsstaaten sah der EGMR die Medienverfügung letztlich jedoch als verhältnismäßig an13 und lehnte die Verletzung des Rechts auf freie Meinungsäußerung daher ab14. Zusammenfassend ist nach der Rechtsprechung des EGMR die Berichterstattung, die den Medienvertretern durch ihre persönliche Teilnahme an einer Verhandlung ermöglicht wird, ein Teil der Öffentlichkeit gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK. Die Zulassung von Aufnahmen während der Verhandlung erfordert der Öffentlichkeitsgrundsatz danach jedoch nicht zwingend. Ob sie gestattet werden, muss vielmehr jeder Konventionsstaat im Rahmen eines weiten Beurteilungsspielraums selbst entscheiden. Zu Textberichten in Echtzeit äußerte der EGMR 8
EGMR, Urt. vom 27.05.2010 – 13772/05, Rn. 233 – Lebedev/Russland (Nr. 2). EGMR, Urt. vom 21.09.2017 – 51405/12, Rn. 14 – Axel Springer SE und RTL Television GmbH v. Deutschland. 10 EGMR, Urt. vom 21.09.2017 – 51405/12, Rn. 38 – Axel Springer SE und RTL Television GmbH v. Deutschland. 11 EGMR, Urt. vom 21.09.2017 – 51405/12, Rn. 39 – Axel Springer SE und RTL Television GmbH v. Deutschland. 12 EGMR, Urt. vom 21.09.2017 – 51405/12, Rn. 40 – Axel Springer SE und RTL Television GmbH v. Deutschland. 13 EGMR, Urt. vom 21.09.2017 – 51405/12, Rn. 58 – Axel Springer SE und RTL Television GmbH v. Deutschland. 14 EGMR, Urt. vom 21.09.2017 – 51405/12, Rn. 59 – Axel Springer SE und RTL Television GmbH v. Deutschland. 9
B. Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen
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sich bisher überhaupt nicht, sodass Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht als Auslegungshilfe in dieser Hinsicht dienen kann. 3. Empfehlung des Europarates zur Gerichtssaalberichterstattung Vorgaben für die Gerichtssaalberichterstattung über Strafprozesse, die unter Bezugnahme auf Art. 6 Abs. 1 EMRK erstellt wurden, enthält außerdem die Empfehlung Rec(2003)13 des Europarates über die Beschaffung von Informationen durch die Medien im Zusammenhang mit Strafverfahren. Danach soll Live-Berichterstattung im Gerichtssaal prinzipiell nicht möglich sein. Etwas anderes soll nur gelten, falls sie explizit durch ein Gesetz oder gerichtliche Stellen gestattet wurde. Die Erlaubnis soll hierbei aber nur erteilt werden, wenn die Berichterstattung kein ernsthaftes Risiko einer unzulässigen Beeinflussung für die Opfer, Zeugen, Parteien, Jurys oder Richter bedeutet.15 Auch danach ist Gerichtssaalberichterstattung – zu der aufgrund der weiten Formulierung „Live-Berichterstattung“ neben Aufnahmen auch Textberichte in Echtzeit zählen – kein zwingendes Erfordernis der Öffentlichkeit gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK. Dass die Empfehlung des Europarates ein grundsätzliches Verbot enthält, spricht stattdessen gegen eine solche Auslegung des Öffentlichkeitsgrundsatzes der EMRK. Zu beachten ist aber einerseits, dass Empfehlungen rechtlich unverbindlich sind.16 Andererseits bezieht sich diese Empfehlung nur auf Strafverfahren und nicht auf die in Art. 6 Abs. 1 EMRK ebenfalls genannten zivilrechtlichen Streitigkeiten. Für diese Streitigkeiten empfiehlt sie daher kein grundsätzliches Verbot. Auch in ihrem Anwendungsbereich ist außerdem zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber oder das Gericht Ausnahmen vom Verbot machen können sollen. Im Ergebnis steht es auch nach der Empfehlung des Europarates damit im Ermessen jedes Konventionsstaates, ob er die Berichte aus dem Gerichtssaal zulässt. 4. Bewertung der Gerichtssaalberichterstattung in der Literatur Die Frage, welche Aussage Art. 6 Abs. 1 EMRK zur Gerichtssaalberichterstattung trifft, wird im deutschen Schrifttum kaum diskutiert.17 Der Wortlaut der Norm gibt nur wenige Anhaltspunkte. Allein Art. 6 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 EMRK 15
Principle 14, Appendix to Recommendation Rec(2003)13, Principles concerning the provision of information through the media in relation to criminal proceedings. 16 Valerius, in: BeckOK StGB, Europäisches Strafrecht Rn. 17. 17 Im Folgenden wird daher auch auf einzelne Texte ausländischer Autoren verwiesen, auf die in der einschlägigen deutschen Literatur Bezug genommen wird. Eine umfassende Analyse der ausländischen Literatur würde jedoch den Rahmen dieser Arbeit überschreiten.
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Kap. 2: Für Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
spricht Medienberichte überhaupt an, indem er konstatiert, die Presse könne wie die Öffentlichkeit allgemein aus der Verhandlung ausgeschlossen werden. Dies wird in der Literatur als eine Gleichstellung der Presse mit den „gewöhnlichen“ Bürgern eingeordnet.18 Pressevertreter seien daher Teil der in Art. 6 Abs. 1 EMRK garantierten Öffentlichkeit.19 Daraus folge für sie aber nur ein Zutritts- und Anwesenheitsrecht. Es bedeute nicht, dass sie Aufnahmen anfertigen dürfen.20 Keinerlei Erwähnung findet in Art. 6 Abs. 1 EMRK dagegen der Rundfunk. Diesbezüglich wird in der Literatur daher diskutiert, ob die Rundfunkvertreter überhaupt ein Teil der Öffentlichkeit sind, wie es für Pressevertreter angenommen wird. Diese Frage ist den Überlegungen zu Gerichtssaalberichten vorgelagert: Wenn bereits die Teilnahme der Rundfunkvertreter an der Verhandlung nicht durch Art. 6 Abs. 1 EMRK gewährleistet wird, kann die Vorschrift auch keine Aussage darüber treffen, mit welchen Mitteln sie aus dieser Verhandlung berichten dürfen. Teils wird aus der expliziten Nennung der Presse der Umkehrschluss gezogen, der Rundfunk gehöre nicht zur Öffentlichkeit.21 Dass er nicht erwähnt werde, stelle ein „qualifiziertes Schweigen“22 des Konventionsgebers dar. Der Hörfunk und das Fernsehen seien ihm schließlich bekannt gewesen, wie die Nennung der beiden Medienformen in Art. 10 Abs. 1 S. 3 EMRK zeige.23 Systematisch wird zudem angeführt, weil nur die Presse in Art. 6 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 EMRK erwähnt sei, könnte den Vertretern des Rundfunks selbst im Fall des Öffentlichkeitsausschlusses der Zutritt zum Sitzungssaal nicht verweigert werden, wollte man seinen Vertretern ebenso wie Pressevertretern ein Zugangsrecht gewähren. Eine solche Privilegierung gegenüber der Presse sei jedoch nicht intendiert gewesen.24 Teilweise wird der Begriff der Presse in der Literatur dagegen so weit ausgelegt, dass Medien allgemein darunter gefasst werden.25 Zur Begründung wird darauf hingewiesen, dass die Presse bei der Unterzeichnung der EMRK im Jahr
Esser, in: Löwe/Rosenberg, StPO, Art. 6 EMRK Rn. 383. Grabenwarter/Pabel, EMRK/GG, Kap. 14 Rn. 120; Kühne, in: IntKomm EMRK, Art. 6 Rn. 349. 20 Esser, in: Löwe/Rosenberg, StPO, Art. 6 EMRK Rn. 383. 21 Esser, in: Löwe/Rosenberg, StPO, Art. 6 EMRK Rn. 383; Pieck, Gerichtsverfahren, S. 77; Pieroth, in: Recht der Persönlichkeit, S. 249 (S. 267). 22 Bischofberger, Verfahrensgarantien, S. 108. 23 Bischofberger, Verfahrensgarantien, S. 108; Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 129 in Fn. 73; Partsch, EMRK, S. 157. 24 Hirzebruch, Neue Medien, S. 113; Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 129; Pieroth, in: Recht der Persönlichkeit, S. 249 (S. 267 f.). 25 Grabenwarter/Pabel, in: EMRK/GG, Kap. 14 Rn. 120; Kühne, in: IntKomm EMRK, Art. 6 Rn. 349; Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 129. 18 19
B. Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen
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1950 noch das vorrangige Medium der Berichterstattung gewesen sei.26 Vor diesem Hintergrund deute die fehlende Erwähnung des Rundfunks in Art. 6 Abs. 1 EMRK eher auf eine „Regelungslücke“27, mithin auf eine „legislatorische[...] Unzulänglichkeit“28 hin. Dafür streite auch die Praxis des EGMR, selbst Bild/ Ton-Aufnahmen seiner Anhörungen anzufertigen und im Internet zur Verfügung zu stellen.29 Dass die Presse und der Rundfunk sich im selben Umfang auf das Recht auf freie Meinungsäußerung gemäß Art. 10 EMRK berufen könnten, verbiete zudem die Benachteiligung des Rundfunks bei der Berichterstattung aus dem Gerichtssaal.30 Der Wortlaut, die Systematik und Entstehungsgeschichte des Art. 6 Abs. 1 EMRK werden im Schrifttum nach alledem sehr unterschiedlich bewertet. Ambivalent wird auch der Beitrag des Rundfunks zur Erfüllung der Art. 6 Abs. 1 EMRK zugeschriebenen Funktionen beurteilt. Auf der einen Seite wird auf die Kontrollfunktion verwiesen, die der Öffentlichkeitsgrundsatz erfüllen solle. So wird argumentiert, die Öffentlichkeit der Verhandlung diene der „unmittelbaren physisch präsenten Kontrolle“31. Die Aufnahme und Übertragung der Verhandlung seien hierfür nicht erforderlich.32 Der Rundfunk könne den für eine Kontrolle nötigen unmittelbaren Eindruck überhaupt nicht vermitteln, weil er nur Ausschnitte der Verhandlung zeige.33 Auf der anderen Seite wird der Beitrag aller Medien, also auch des Rundfunks, zur Erfüllung des Informationszwecks betont, der der Gerichtsöffentlichkeit zukommen soll.34 Kritisch wird gegen eine Subsumtion des Rundfunks unter den Begriff der Öffentlichkeit in Art. 6 Abs. 1 EMRK aber angeführt, verglichen mit der Presse richte er sich an einen größeren Personenkreis und greife zudem in die Intimsphäre des Angeklagten ein.35 Selbst die Autoren, nach denen auch Rundfunkvertreter nach Art. 6 Abs. 1 EMRK zur Teilnahme an mündlichen Verhandlungen berechtigt sind, wollen
Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 129. Britz, Fernsehaufnahmen, S. 95. 28 Paeffgen, in: SK-StPO, 4. Aufl., Art. 6 EMRK Rn. 90. 29 Britz, Fernsehaufnahmen, S. 95 f. Die Videos seiner Anhörungen sind auf seiner Website zu finden (abrufbar unter echr.coe.int/Pages/home.aspx?p=hearings&c=, Stand: 13.12.2019). 30 Paeffgen, in: SK-StPO, 4. Aufl., Art. 6 EMRK Rn. 90. 31 Paeffgen, in: SK-StPO, 4. Aufl., Art. 6 EMRK Rn. 90. 32 Esser, in: Löwe/Rosenberg, StPO, Art. 6 EMRK Rn. 383. 33 Bischofberger, Verfahrensgarantien, S. 108; Partsch, EMRK, S. 157. Ähnlich auch Guradze, EMRK, Art. 6 S. 99. 34 Grabenwarter/Pabel, in: EMRK/GG, Kap. 14 Rn. 120; Grabenwarter/Struth, in: Ehlers, EuGR, § 6 Rn. 52; Paeffgen, in: SK-StPO, 4. Aufl., Art. 6 EMRK Rn. 87. 35 Guradze, EMRK, Art. 6 S. 99. 26 27
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Kap. 2: Für Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
ihnen aber kein Recht auf Aufnahmen oder Textberichte in Echtzeit gewähren.36 Die Frage, ob der Rundfunk zur Öffentlichkeit i. S. dieser Norm gehört, kann daher für die Zwecke dieser Arbeit offenbleiben. Die Öffentlichkeit nach Art. 6 Abs. 1 EMRK erfordert nach der im Schrifttum einhelligen Auffassung jedenfalls keine Zulassung der Gerichtssaalberichte – weder durch Bild-Aufnahmen der Presse, noch durch Aufnahmen des Rundfunks oder Textberichte in Echtzeit. 5. Konsequenzen für die Auslegung des Öffentlichkeitsgrundsatzes Weder nach der Rechtsprechung des EGMR noch nach der relevanten Empfehlung des Europarates erfordert die Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK es, die Gerichtssaalberichterstattung zuzulassen. Diese Meinung herrscht auch im einschlägigen Schrifttum vor. Demnach lassen sich der Öffentlichkeitsgarantie des Art. 6 Abs. 1 EMRK im Hinblick auf die Gerichtssaalberichterstattung keine Vorgaben für den nationalen Gesetzgeber entnehmen.37 Für die Auslegung des verfassungsrechtlich fundierten Öffentlichkeitsgrundsatzes kann sie in dieser Hinsicht also nicht fruchtbar gemacht werden.
III. Funktionen des Öffentlichkeitsgrundsatzes 1. Beitrag der Gerichtssaalberichte zur Funktionserfüllung Um festzustellen, ob der Öffentlichkeitsgrundsatz dennoch zugunsten der Gerichtssaalberichterstattung ins Gewicht fällt, werden in diesem Abschnitt seine Funktionen in den Blick genommen. Zuerst wird aufgezeigt, welche Zwecke der Öffentlichkeitsgrundsatz heutzutage überhaupt verfolgt. Sodann wird dargestellt, inwiefern sie gerade mithilfe der Gerichtssaalberichte erreicht werden können. Soweit die Berichte dazu beitragen, streitet der Öffentlichkeitsgrundsatz schließlich für ihre Zulassung. 2. Kontrollfunktion a) Ursprung der Kontrollfunktion Bei seiner Kodifikation sah man die Funktion des Öffentlichkeitsgrundsatzes darin, der Allgemeinheit die Kontrolle der Judikative zu ermöglichen.38 Die öffentEsser, in: Löwe/Rosenberg, StPO, Art. 6 EMRK Rn. 383; Grabenwarter/Pabel, in: EMRK/GG, Kap. 14 Rn. 120. 37 Ebenso BTDrucks 18/10144, S. 22; Kreicker, ZIS 2017, 85 (102). Paulus, in: Jahn, NJW-aktuell 8/2018, 19 mahnt den EGMR, „keine weiteren Öffnungen zu erzwingen.“ 38 Hamacher, in: BeckOK ArbR, § 52 ArbGG Rn. 2; Jacobs, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 169 GVG Rn. 4; Jung, in: Roos/Wahrendorf, SGG, § 61 Rn. 2; Mayer, in: Kissel/Mayer, 36
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liche Verhandlung war dabei als bewusste Abkehr von dem im Absolutismus vorherrschenden Inquisitionsprozess konzipiert, der zumeist in Geheimen abgehalten wurde.39 Gerichtsentscheidungen sollten nicht mehr hinter verschlossenen Türen getroffen werden, sondern auf der Basis einer vor den Augen der Allgemeinheit durchgeführten Gerichtsverhandlung. Damit sollte Schutz in zweierlei Hinsicht geboten werden: Einerseits sollte es die Unabhängigkeit der Richter sichern. Die Anwesenheit der Zuschauer sollte verhindern, dass Außenstehende unzulässig auf die Richter einwirken.40 Andererseits sollte es die Verfahrensbeteiligten vor den Richtern schützen.41 Während hinter verschlossenen Türen richterlicher Willkür Tür und Tor geöffnet seien, sei ein solches Vorgehen unter den Augen der Zuschauer nicht mehr ohne Weiteres möglich.42 b) Eignung der Öffentlichkeit zur Kontrolle der Judikative Allerdings wird gegen die Eignung der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen zur Kontrolle der Rechtsprechung angeführt, die juristisch zumeist ungebildeten Bürger seien fachlich nicht in der Lage, die komplexe Aufgabe auszuüben.43 Die Interaktion der Bürger mit der Staatsgewalt setzt in einer Demokratie aber kein Mindestmaß an Bildung oder Vorwissen voraus.44 Dies ist in Bezug auf die Legislative unbestritten: Das aktive Wahlrecht für den Bundestag etwa knüpft nur an das Alter des Wählers an (Art. 38 Abs. 2 Hs. 1 GG), nicht bspw. an dessen Schulabschluss. Dasselbe muss auch für die Interaktion mit der Judikative gelten.45
GVG, § 169 Rn. 1; Meissner/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 55 Rn. 10; Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, Vor § 169 GVG Rn. 2 f. 39 Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, Vor § 169 GVG Rn. 2. 40 Feldmann, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 169 GVG Rn. 2; Jacobs, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 169 GVG Rn. 4; Jung, in: Roos/Wahrendorf, SGG, § 61 Rn. 2; Mayer, in: Kissel/ Mayer, GVG, § 169 Rn. 1; Meissner/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 55 Rn. 10. 41 BVerfGE 103, 44 (63 f.); Feldmann, in: Radkte/Hohmann, StPO, § 169 GVG Rn. 2 f.; Jacobs, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 169 GVG Rn. 4; Meissner/Schenk, in: Schoch/ Schneider/Bier, VwGO, § 55 Rn. 10; Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 169 Rn. 1. 42 Feldmann, in: Radkte/Hohmann, StPO, § 169 GVG Rn. 2 f. 43 Bockelmann, NJW 1960, 217; Britz, Fernsehaufnahmen, S. 198; Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 29 f.; Franke, StraFo 2014, 361 (362); Hassemer, in: Einfluß der Medien, S. 61 (S. 66); Kloepfer, in: HStR III, § 42 Rn. 60; Lang, Ton- und Bildträger, S. 59; Martens, Rechtsbegriff, S. 74; Nagel, in: FS Goerlich, S. 243 (S. 252); Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 148. 44 Bäumler, JR 1978, 317 (320); Britz, Fernsehaufnahmen, S. 217; Franke, Bildberichterstattung, S. 43; Hirzebruch, Neue Medien, S. 75; Höbermann, Gerichtsbericht, S. 30; Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 62; Martens, Rechtsbegriff, S. 60; Vietmeyer, Vor- und Nachteile S. 26. 45 Hirzebruch, Neue Medien, S. 75.
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Kap. 2: Für Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
Dass hieran keine höheren Maßstäbe angelegt werden, zeigt sich auch am Einsatz der Laienrichter.46 Sie verstehen in der Regel von der mündlichen Verhandlung ebenso viel (oder wenig) wie die Laien im Zuschauerraum47 – jedenfalls zu Beginn ihrer Tätigkeit. Ihnen wurde die Kompetenz zur Beurteilung der Sachverhalte dennoch bislang nicht abgesprochen.48 Ihr Einsatz soll vielmehr gerade ein Gegengewicht zum rein juristischen Denken und Arbeiten der Berufsrichter bilden. Dasselbe gilt für die Anwesenheit der Zuschauer in der Verhandlung.49 Ein Rechtsempfinden hat schließlich auch ein rechtlich ungebildeter Bürger.50 Weiterhin bezieht sich die Kontrolle nicht allein auf den Inhalt der Verhandlung, sondern auch auf den Verfahrensablauf und das Verhalten der Gerichtspersonen. So soll die Anwesenheit der Bürger bspw. die Einflussnahme Dritter auf den Richter verhindern.51 Solche Aspekte können juristische Laien ebenso qualifiziert beobachten und bewerten wie ein Fachpublikum.52 Darüber hinaus ist es nicht die Aufgabe der Bevölkerung, die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidungen oder die Einhaltung der Verfahrensvorschriften im Detail zu überprüfen. Zu diesem Zweck stehen den Betroffenen vielmehr Rechtsbehelfe zur Verfügung.53 Die Öffentlichkeit der Verhandlung dient stattdessen der allgemeinen Kontrolle staatlicher Machtausübung im Sinne der Transparenz.54 Dass die meisten Zuschauer juristisch ungebildet sind, führt daher nicht dazu, dass die Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen sich nicht zur Kontrolle der Judikative eignet. Gegen die Eignung der Öffentlichkeit zur Kontrolle wird des Weiteren auf die fehlende Möglichkeit der Bevölkerung verwiesen, festgestellte Verstöße zu sanktionieren.55 Während sie etwa Parlamentsabgeordnete abwählen könnten, wenn sie deren Fehlverhalten beobachteten, gäbe es eine derartige Möglichkeit 46 S. nur die Schöffen an ordentlichen Gerichten (§ 28 GVG), die ehrenamtlichen Richter an Sozialgerichten (§ 12 SGG) sowie die Handelsrichter in Kammern für Handelssachen (§ 105 GVG). 47 Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 63; Kohlhaas, DRiZ 1963, 329. 48 Pernice, Medienöffentlichkeit S. 78 f. Dies zu tun, beweise ein „vorrepublikanische[s] Standesdenken“, so Gärditz, in: FS Paeffgen, S. 439 (S. 470) zutreffend. 49 Meyer-Goßner, ZRP 1982, 237 (238). 50 Hagenkötter, in: Kontrolle des Gerichts, S. 41 (S. 43). 51 Kap. 2, B. III. 2. a). 52 Köbl, in: FS Schnorr von Carolsfeld, S. 235 (S. 245); Schmidthals, Verfahrensöffentlichkeit, S. 126 f. 53 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 185 f.; Hirzebruch, Neue Medien, S. 77 f. 54 Bäumler, JR 1978, 317 (320); Britz, Fernsehaufnahmen, S. 217 f.; Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 30; von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 186; Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 107; Ranft, JURA 1995, 573 (574); Schilken, GerichtsverfassungsR, § 12 Rn. 155; Velten, in: SK-StPO, Vor § 169 GVG Rn. 19. 55 Britz, Fernsehaufnahmen, S. 198; Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 62; Martens, Rechtsbegriff, S. 74; Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 148; Vietmeyer, Vor- und Nachteile, S. 28.
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für Richter nicht.56 Kontrolle setzt aber bereits begrifflich keine unmittelbare Einwirkungsmöglichkeit voraus,57 die in Bezug auf die Judikative in der Tat fehlt. Es genügt vielmehr, dass die Kontrollierenden die Möglichkeit haben, mittelbar auf die Kontrollierten einzuwirken.58 Eine Handhabe dafür besitzen die Zuschauer durchaus: Beobachten sie ein richterliches Fehlverhalten, können sie zum Beispiel Dienstaufsichtsmaßnahmen anregen, die direkt auf den Richter einwirken.59 Von ihrer Präsenz geht daher faktisch eine Kontrollwirkung auf die Richter im Sinne einer hemmenden psychologischen Beeinflussung aus.60 Droht dem Richter bspw. beim unsachlichen Umgang mit den Parteien eine Dienstaufsichtsbeschwerde, wird er sich durch eine sachliche Verhandlungsführung voraussichtlich bemühen, dies zu vermeiden. Mithin kann auch unter diesem Gesichtspunkt der Öffentlichkeit nicht die Eignung zur Kontrolle abgesprochen werden. c) Erforderlichkeit der Öffentlichkeit zur Kontrolle der Judikative aa) Differenzierung zwischen den Schutzrichtungen der Öffentlichkeit Dass die Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen sich zur Kontrolle der Judikative eignet, bedeutet jedoch nicht, dass sie hierzu heute noch erforderlich ist. Ihre Erforderlichkeit lehnt Mayer mit Verweis auf den „modernen gewaltengeteilten Rechtsstaat mit seinen vielfältigen rechtlichen Sicherungen“61 ab. Diese Sicherungen, nicht die Anwesenheit der Bürger, gewährleisteten heutzutage den Schutz der Positionen, den 1879 der Öffentlichkeitsgrundsatz garantieren sollte. Seine These muss im Folgenden für jede der beiden Schutzrichtungen des Öffentlichkeitsgrundsatzes gesondert überprüft werden.
Hamm, AfP 2014, 202 (207); Prinz, in: FS Engelschall, S. 243 (S. 248). Hagenkötter, in: Kontrolle des Gerichts, S. 41 (S. 43); Schmidthals, Verfahrensöffentlichkeit, S. 119 f.; Wassermann, in: Justiz und Medien, S. 30 (S. 33). 58 Hirzebruch, Neue Medien, S. 75; Schmidthals, Verfahrensöffentlichkeit, S. 120. 59 Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 63. 60 Alwart, JZ 1990, 883 (884); Britz, Fernsehaufnahmen, S. 198 f.; Gostomzyk, Öffentlichkeitsverantwortung, S. 111; Kujath, Laienjournalismus, S. 39; Norouzi, StV 2016, 590 (591); Pantazopoulos, ZZPInt 13 (2008), 319 (321); Pernice, Medienöffentlichkeit, S. 79; Pfeifle, ZG 2010, 283 (292); Schilken, GerichtsverfassungsR, § 12 Rn. 155; Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 64. 61 Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 169 Rn. 1. 56 57
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Kap. 2: Für Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
bb) Schutz der Unabhängigkeit der Richter Die Forderung nach Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen ging traditionell mit der Forderung nach der Unabhängigkeit der Richter einher.62 Auch sie war im Inquisitionsprozess, von dem mit der Kodifikation des § 169 Abs. 1 S. 1 GVG abgerückt wurde, nicht garantiert gewesen. Heute, darin ist Mayer zuzustimmen, ist die Unabhängigkeit durch diverse institutionalisierte Schutzmechanismen abgesichert.63 Verfassungsrechtlich leistet dies die Garantie der richterlichen Unabhängigkeit in Art. 97 Abs. 1 GG. In ihrer Umsetzung wurde die Judikative so organisiert, dass unmittelbare Einflussnahmen anderer Staatsgewalten nicht möglich sind. Auch die Einflussnahmen Privater werden verhindert: Verfahrensrechtlich sind hierfür die Befangenheitsvorschriften (s. nur §§ 24 ff. StPO, §§ 42 ff. ZPO, § 54 VwGO i. V. m. §§ 42 ff. ZPO) von Bedeutung.64 Ein weiteres Beispiel sind §§ 331 ff. StGB, die finanzielle oder sonstige materielle Einflussnahmen auf die Richter unter Strafe stellen.65 Naturgemäß bedeutet dies aber nicht, dass kein Druck mehr auf die Richter ausgeübt werden kann. So kann die Besetzung von Richterstellen, die Zuweisung von Finanzmitteln oder die Ausübung der Dienstaufsicht ihre Entscheidungsfindung mittelbar durchaus beeinflussen.66 Gegen diese Einflussnahmen kann die Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlung jedoch nichts ausrichten.67 Sie vollziehen sich im Vorfeld der einzelnen Verhandlungen, die von der Allgemeinheit beobachtet werden können. Dass selbst die Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlung nicht jegliche Gelegenheit zur Beeinflussung ausräumen kann, muss aber auch ihren Vätern bewusst gewesen sein: Die richterliche Beratung etwa war nach § 193 GVG – früher § 195 GVG – stets geheim. In ihrem Rahmen war und ist Einflussnahme mithin möglich.68 Während den Gefahren, die für die Unabhängigkeit der Richter aus der Einflussnahme Außenstehender auf die mündliche Verhandlung folgen, durch alternative rechtliche Sicherungen gegenwärtig auch ohne kontrollierende Präsenz 62 Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 29; Hillermeier, DRiZ 1982, 281 (282); Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 55; Vietmeyer, Vor- und Nachteile, S. 20; Vogel, Fernsehübertragungen, S. 22. 63 Franke, Bildberichterstattung, S. 55 f.; Hirzebruch, Neue Medien, S. 76; Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 63; Kleinknecht, in: FS Schmidt-Leichner, S. 111 (S. 113); ders., in: FS Nüchterlein, S. 173 (S. 176); Kühne, StV 2013, 417 (418); Martens, Rechtsbegriff, S. 75; Schilken, GerichtsverfassungsR, § 12 Rn. 155; Schreiber, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 169 GVG Rn. 4. 64 Franke, Bildberichterstattung, S. 55 f. 65 Franke, Bildberichterstattung, S. 56. 66 Gostomzyk, Öffentlichkeitsverantwortung, S. 111. 67 Britz, Fernsehaufnahmen, S. 200; von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 206 f. 68 Franke, Bildberichterstattung, S. 58.
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der Allgemeinheit abgeholfen werden kann, kann sie die übrigen Gefahren im Vorfeld der Verhandlung also ex ante nicht abwenden. Zum Schutz der richterlichen Unabhängigkeit ist der Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen nach alledem heutzutage nicht mehr erforderlich. cc) Schutz der Verfahrensbeteiligten vor dem Richter Daneben sollte der Öffentlichkeitsgrundsatz ursprünglich die Rechte der Verfahrensbeteiligten gewährleisten. Von der Geheimjustiz, die dem Gesetzgeber 1879 vor Augen stand, kann heute jedoch keine Rede mehr sein.69 Die rechtsstaatliche Ausgestaltung der Verfahren, auf die der Einzelne im Rahmen von Verfassungsund Verfahrensrechten Einfluss nehmen kann, gewährt den Verfahrensbeteiligten ein hohes Maß an Schutz.70 Als Beispiele seien das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) sowie, im Strafprozess, das Gebot „nulla poena sine lege“ (Art. 103 Abs. 2 GG, § 2 Abs. 1 StGB) genannt.71 Durch die Möglichkeit, auf eine Verletzung derartiger Rechte mit der Einlegung von Rechtsbehelfen72 oder mit der Erhebung einer Verfassungsbeschwerde (vgl. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG) zu reagieren, können Verfahrensbeteiligte willkürliche Entscheidung zu ihren Lasten in großem Umfang verhindern. Dennoch sind durchaus Situationen denkbar, in denen ein zusätzlicher Kontrollmechanismus erforderlich ist. Norouzi verweist für das Strafverfahren beispielhaft auf eine Verurteilung auf der Basis von Zeugenaussagen sog. Vertrauenspersonen.73 Es ist den Verfahrensbeteiligten in solchen Fällen zwar möglich, gerichtlich prüfen zu lassen, inwiefern ihre Rechte verletzt wurden.74 Allerdings sind alle Verfahrensordnungen auf eine nachträgliche Kontrolle ausgelegt; die vorbeugende gerichtliche Überprüfung staatlicher Maßnahmen erfolgt stets nur unter erhöhten Voraussetzungen.75 Der Anwesenheit der Allgemeinheit in der mündlichen Verhandlung kommt durch ihre beschriebene hemmende Wirkung auf die Richter damit die Aufgabe zu, solchen Rechtsverletzungen vorzubeu69 Bosch, JURA 2016, 45; Britz, Fernsehaufnahmen, S. 199; Schilken, GerichtsverfassungsR, § 12 Rn. 155. 70 Britz, Fernsehaufnahmen, S. 199; Schreiber, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 169 GVG Rn. 4. 71 Schmidthals, Verfahrensöffentlichkeit, S. 121 in Fn. 213. 72 So stellt eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter bspw. einen absoluten Revisionsgrund dar (§ 547 Nr. 1 ZPO, § 338 Nr. 1 StPO, § 138 Nr. 1 VwGO, § 119 Nr. 1 FGO, § 202 S. 1 SGG i. V. m. § 547 Nr. 1 ZPO). 73 Norouzi, StV 2016, 590 (591). 74 BVerfGE 103, 72; von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 192. 75 S. nur die zusätzlichen Voraussetzungen für einstweiligen Rechtsschutz gemäß § 940 ZPO, § 123 VwGO oder § 32 BVerfGG.
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Kap. 2: Für Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
gen.76 Mit Schilken ist daher noch heute von einer „latent-präventiv[en]“77 Bedeutung der Öffentlichkeit zum Schutz der Beteiligten auszugehen. d) Beitrag der Gerichtssaalberichterstattung zur Kontrolle der Judikative Dass die Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen zur Kontrolle der Judikative geeignet und auch heute noch jedenfalls teilweise erforderlich ist, sagt allerdings nichts darüber aus, inwiefern gerade die Gerichtssaalberichterstattung zu dieser Kontrolle beitragen kann. Früher wurde vertreten, nur die im Sitzungssaal präsenten Personen seien in der Lage, Kontrolle auszuüben.78 Sie setze schließlich die unmittelbare Kenntnisnahme der Vorgänge bei Gericht voraus.79 In diese Richtung tendierte in jüngerer Zeit im n-tv-Urteil auch die Senatsmehrheit des BVerfG, die meinte, die Zuschauer im Gericht könnten die Kontrolle ebenso gut wie jene Personen ausüben, die durch die Medien informiert würden – wenn nicht sogar besser. Beispielhaft nannten die Richter Wortwahl und Lautstärke der Beteiligten, die nur Anwesende wahrnehmen könnten.80 Dem ist angesichts moderner Übertragungstechniken zu widersprechen. Insbesondere mittels der Bild/Ton-Aufnahmen kann Medienkonsumenten das Geschehen im Gericht in einer Art vor Augen geführt werden, die unmittelbarem Erleben sehr nahe kommt.81 An der fehlenden Kenntnisnahmemöglichkeit scheitert der mediale Beitrag zur Erfüllung der Kontrollfunktion daher heute nicht mehr. Vermittelnd vertreten manche Autoren, Gerichtsberichte könnten zwar helfen, die Kontrollfunktion zu erfüllen, sie seien dafür aber nicht zwingend erforderlich.82 Zunehmend wird jedoch argumentiert, nur durch die Teilnahme der Bürger an der mündlichen Verhandlung könne die Kontrollfunktion nicht mehr erfüllt werden.83 Vertreter dieser h. M. betonen vielmehr den wichtigen Beitrag, 76
Zu dieser Wirkung: Kap. 2, B. III. 2. b). Schilken, GerichtsverfassungsR, § 12 Rn. 155. 78 Sarstedt, JR 1956, 121 (122); Schorn, LZ 1932, 1408 (1411 f.). 79 Schorn, LZ 1932, 1408 (1411 f.). 80 BVerfGE 103, 44 (65). 81 In diese Richtung Grimm, ZRP 2011, 61 (62); Hirzebruch, Neue Medien, S. 311. 82 Rose, SchlHA 2014, 169 (173); Schlothauer, StV 2015, 665; Trentmann, MMR 2018, 441 (445). 83 BVerfGE 119, 309 (320); Beulke, in: SSW-StPO, Einleitung Rn. 77; Gärditz, in: FS Paeffgen, S. 439 (S. 475); Gerhardt, Verfassungsmäßigkeit, S. 118; Jung, in: AE-StuM, S. 102 (S. 103); Kaulbach, ZRP 2009, 236 (237); dies., JR 2011, 51; Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 79; Mailänder, in: FS Mailänder, S. 547 (S. 560); Roxin, in: Einheit und Vielfalt, S. 97; Schneider, JuS 1963, 346 (350); Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 84; Velten, in: SK-StPO, Vor § 169 GVG Rn. 32, § 169 GVG Rn. 12. 77
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den die Medien zur Kontrolle der Judikative leisten.84 Einige Autoren sind darüber hinaus der Meinung, die Kontrollfunktion werde weitgehend oder sogar ausschließlich durch die Medien ausgeübt:85 Indem sie die Allgemeinheit über das Geschehen im Gericht informierten, ermöglichten sie ihr erst, diese Funktion auszuüben.86 Zur Begründung werden auf der einen Seite quantitative Argumente angeführt: Diverse Gerichtsverhandlungen fänden heute vor (fast) leeren Zuschauerbänken statt.87 Zwar seien die Distanzen in Anbetracht der modernen Transportmittel derart geschrumpft,88 dass theoretisch jedermann persönlich zu Gericht kommen kann. Verhandlungen fänden aber meist während der üblichen Arbeitszeit statt, sodass faktisch nur wenige Bürger anwesend sein könnten.89 Würde die Gerichtsberichterstattung unterbunden, würde damit faktisch der Geheimprozess wieder eingeführt, zu dessen Abschaffung der Grundsatz der Öffentlichkeit gerade dienen sollte.90 84 BVerfGE 103, 72 (74); BGH, NJW 2006, 1220 (1221); Boehme-Neßler, UFITA 2009, 9 (16); Brosius-Gersdorf, TKMR 2002, 356 (359); Degenhart, in: HStR V, § 115 Rn. 42; Geerds, in: FS Oehler, S. 423 (S. 424 f.); Gostomzyk, Öffentlichkeitsverantwortung, S. 167; Hanske/ Lauber-Rönsberg, ZUM 2013, 264 (265); Hauth, Sitzungspolizei, S. 112; Jahn, in: Einfluß der Medien, S. 5 (S. 8); Jung, GA 2014, 257 (260); Kaulbach, ZRP 2009, 236 (237); Lauber-Rönsberg, ZUM 2013, 568 (570); Merk, DRiZ 2013, 234 (235); Meyer, Gerichtsprozess, S. 59; Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 72 f.; Pieroth, in: Recht der Persönlichkeit, S. 249 (S. 276); Quentin, in: SSW-StPO, § 176 GVG Rn. 11; Scherer, JuS 1979, 470 (472); Schlüter, AfP 2009, 557 (562); Schwarz, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, § 17a Rn. 2, 14; Wyss, EuGRZ 1996, 1 (7 f., 9); Wassermann, DRiZ 1981, 92 (93). 85 S. für ersteres von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 187; Hartmann, in: FS Göppinger, S. 579; Koch/Wallimann, MDR 2018, 241 (244); Meissner/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 55 Rn. 18. S. für letzteres Boehme-Neßler, in: Öffentlichkeit als Richter, S. 20 (S. 34); ders., UFITA 2012, 337 (346 f.). 86 Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 55 f.; Feldmann, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 169 GVG Rn. 10; Kujath, Laienjournalismus, S. 45; Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 116; Roxin, in: Einheit und Vielfalt, S. 97; Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 84. 87 Hirzebruch, Neue Medien, S. 47; Lautmann, RuP 1970, 118 (119); Maxin, in: Kontrolle des Gerichts, S. 105 (S. 107); Pfeifle, ZG 2010, 283 (293); Sarstedt, JR 1956, 121 (122); Schraft-Huber, in: Umbach/Clemens/Dollinger, § 17a Rn. 22; Schreiber, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 169 GVG Rn. 4; Vietmeyer, Vor- und Nachteile, S. 29. 88 Prietzel-Funk, DRiZ 2013, 204 (205). 89 Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 56; Feldmann, GA 2017, 20 (26); Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 61; Franke, Bildberichterstattung, S. 66 f.; Gerhardt, Verfassungsmäßigkeit, S. 116; Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 67; Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 62; Lang, Ton- und Bildträger, S. 59; Schmidthals, Verfahrensöffentlichkeit, S. 48; Schneider, JuS 1963, 346 (350); Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 84; Vietmeyer, Vor- und Nachteile, S. 29; Wolf, GerichtsverfassungsR, S. 243 f. 90 Schmidthals, Verfahrensöffentlichkeit, S. 96 f.; Wassermann, DRiZ 1966, 9 (10).
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Kap. 2: Für Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
Andererseits werden qualitative Aspekte angeführt: Wie gezeigt, erfolgt die Kontrolle nicht durch die direkte Einwirkung auf die Richter, sondern mittelbar durch psychologischen Druck, der von der Anwesenheit der Zuschauer ausgeht.91 Die Gerichtsberichte steigerten die Zahl der Kontrolleure und erhöhten somit den Druck auf die Kontrollierten.92 Sollte die Allgemeinheit ein Fehlverhalten der Justiz beobachten, könnte sie es infolge der Berichterstattung daher besser abstellen. Außerdem wird argumentiert, Medienvertreter, die sich hauptberuflich mit Recht befassten, könnten aufgrund ihrer Erfahrungen Ungereimtheiten bei Gericht eher aufdecken als Zuschauer, die nur gelegentlich anwesend seien.93 Die Aspekte der Verhandlung, die juristisch ungebildete Zuschauer nicht verständen, könnten in Gerichtsberichten außerdem erörtert werden.94 Durch all dies werde die Allgemeinheit besser in die Lage versetzt, die Judikative zu kontrollieren, als es durch die Teilnahme an der Verhandlung möglich wäre. Bejaht man mit diesen überzeugenden Argumenten einen Beitrag der Gerichtsberichterstattung zur Erfüllung der Kontrollfunktion, ist damit aber noch keine Aussage darüber getroffen, inwiefern gerade Berichte aus dem Gericht selbst hierzu beitragen. Die beschriebenen Wirkungen haben schließlich prinzipiell auch die Berichte, die Medienvertreter infolge der Öffentlichkeit gemäß § 169 Abs. 1 S. 1 GVG anfertigen können. So vertreten manche, die Kontrolle der Judikative werde bereits dadurch ermöglicht, dass Medienvertreter an der Verhandlung teilnähmen und anschließend hierüber berichteten.95 Speziell die Aufnahmen seien zu Kontrollzwecken dagegen nicht erforderlich.96 Dem lassen sich aber die Argumente derjenigen Autoren entgegenhalten, die den Beitrag der Medien zur Kontrolle früher völlig ablehnten: Die Allgemeinheit kann nur kontrollieren, worüber sie informiert ist. Allein die Aufnahmen sind in der Lage, alle nötigen Informationen zu übermitteln. Die Textberichterstattung in Echtzeit kann das Geschehen bei Gericht zudem zeitgleich und demnach jedenfalls in größerem Detail wiedergeben als ein nachträglicher, notwendigerweise zusammenfassender Pressebericht.97 Beide Ausprägungen der Gerichtssaalberichterstattung leisten deshalb in qualitativer Hinsicht einen eigenständigen Beitrag zur Kontrolle der Dritten Gewalt. 91
Vgl. Kap. 2, B. III. 2. b). Hassemer, in: Einfluß der Medien, S. 61 (S. 66 f.); Kujath, Laienjournalismus, S. 45. 93 Kujath, Laienjournalismus, S. 45. 94 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 203; Friehe, in: Kontrolle des Gerichts, S. 1 (S. 20 f.); Kujath, Laienjournalismus, S. 45; Schmidthals, Verfahrensöffentlichkeit, S. 49. 95 DRB, DRiZ 1996, 246; Erdsiek, NJW 1960, 1048 (1049); Hofmann, ZRP 1996, 399 (403); Linke, VR 2002, 378 (384); Vietmeyer, Vor- und Nachteile, S. 29 f. 96 So für die durch § 169 Abs. 1 S. 2 GVG erfassten Aufnahmen Bamberger, ZUM 2001, 373 (377); Schilken, GerichtsverfassungsR, § 12 Rn. 179; Wolf, GerichtsverfassungsR, S. 253. 97 Hirzebruch, Neue Medien, S. 273. 92
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Aus quantitativer Sicht ist zudem darauf zu verweisen, dass gerade bildliche Aufnahmen die Berichte attraktiver machen können. Sie ziehen die Aufmerksamkeit der Betrachter auf sich98 und können deshalb dazu beitragen, dass sie sich erstmals mit der illustrierten Angelegenheit auseinandersetzen.99 Sie lassen sich zudem schneller und einfacher erfassen als Texte100, mit ihrer Hilfe wird Komplexität reduziert101 und sie sind besser als Texte in der Lage, emotionale Reaktionen hervorzurufen102. Erreichen die Gerichtssaalberichte infolgedessen mehr Konsumenten als die Gerichtsberichte klassischer Prägung, vergrößern sie den Kreis der Kontrolleure und demnach den Druck auf die Kontrollierten noch einmal. Auch in dieser Hinsicht leisten sie deshalb einen eigenständigen Beitrag zur Kontrolle der Judikative. 3. Vertrauensbildungsfunktion a) Ursprung und Wandel der Vertrauensbildungsfunktion Rund ein halbes Jahrhundert nach der Kodifikation des Öffentlichkeitsgrundsatzes benannte das Reichsgericht (RG) 1936 einen zweiten Zweck des Grundsatzes: Die Öffentlichkeit sei eine „wesentliche Bedingung des öffentlichen Vertrauens zur Rechtsprechung der Gerichte“103. Sie sorge dafür, dass die Arbeit des Gerichts nicht „hinter verschlossenen Türen in ein Dunkel gehüllt und dadurch Mißdeutungen und Argwohn ausgesetzt“104 ist. Oft unter Bezugnahme auf dieses Urteil sprechen Rechtsprechung und Literatur der Öffentlichkeit die Funktion zu, das Vertrauen der Allgemeinheit auf die Rechtsprechung zu schaffen, zu erhalten und zu stärken.105 Dieses Vertrauen soll dabei gebildet werden, indem bestehendes Misstrauen ausgeräumt wird. Jeder BVerfG, NJW 1996, 310; Boehme-Neßler, BilderRecht, S. 138; Gostomzyk, Öffentlichkeitsverantwortung, S. 142. 99 Beater, AfP 2005, 133 (137). 100 Beater, AfP 2005, 133; Boehme-Neßler, K&R 2003, 530 (531); Gostomzyk, Öffentlichkeitsverantwortung, S. 142; Hauth, Sitzungspolizei, S. 1; Kohlhaas, DRiZ 1956, 2 (4). 101 Boehme-Neßler, K&R 2003, 530 (533). 102 Beater, AfP 2005, 133; Boehme-Neßler, ZRP 2003, 125 (126); ders., K&R 2003, 530 (531, 533); ders., BilderRecht, S. 149; Gostomzyk, Öffentlichkeitsverantwortung, S. 142; Hirzebruch, Neue Medien, S. 297. 103 RGSt 70, 109 (112). 104 RGSt 70, 109 (112). 105 S. nur BVerfG, NJW 2012, 1863 (1865); BGHSt 2, 56 (57); 22, 297 (301); 28, 341 (344, 345); 29, 258 (261, 262); 36, 119 (122); Hamacher, in: BeckOK ArbR, § 52 ArbGG Rn. 2; Jacobs, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 169 GVG Rn. 4; Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 169 Rn. 3; Meissner/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 55 Rn. 10; Schoenfeld, in: Gosch, AO/FGO, § 52 FGO Rn. 15; Schwarz, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, § 17a Rn. 4; Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, Vor § 169 GVG Rn. 2. 98
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Kap. 2: Für Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
Bürger könne infolge der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen jederzeit beobachten, dass Gerichte ihrer Bindung an Gesetz und Recht gerecht werden.106 Falsche Vorstellungen oder sogar Vorurteile über Richter und Gerichtsverfahren könnten dadurch beseitigt werden. Insofern stelle die Vertrauensbildungsfunk tion ein „Spiegelbild“107 der Kontrollfunktion dar: Wer in der Verhandlung kontrollieren könne, dass es bei Gericht „mit rechten Dingen zugehe“, habe keinen Grund zum Misstrauen. b) Erforderlichkeit der Öffentlichkeit zur Vertrauensbildung Fraglich ist, wie mit Blick auf die Kontrollfunktion,108 aber wiederum, ob die Öffentlichkeit zur Vertrauensbildung heutzutage noch erforderlich ist. Für die Vertrauensbildungsfunktion der Gerichtsöffentlichkeit vertreten einige Autoren, diesbezüglich existierten aktuell ebenfalls alternative Sicherungen. Sie verweisen hierfür im Wesentlichen auf die Mechanismen, die auch für die Kontrollfunktion angeführt werden, etwa auf die Institutionalisierung der richterlichen Unabhängigkeit109 oder die Verfahrensrechte der Beteiligten110. Die bloße Existenz rechtlicher Sicherungen für den rechtsstaatlichen Ablauf eines Verfahrens ist für die Vertrauensbildung aber nicht genügend. Die Bürger müssen vielmehr ihre Durchsetzung beobachten können, wenn sie auf ihre Wirksamkeit vertrauen sollen.111 Es ist daher nicht ausreichend, dass bei Gericht „alles mit rechten Dingen zugeht“. Hiervon müssen die Bürger sich auch persönlich überzeugen können. Andernfalls kann sich bei ihnen (wieder) genau jenes Misstrauen bilden, das der Öffentlichkeitsgrundsatz ausräumen soll. Die Möglichkeit zur Teilnahme an Gerichtsverhandlungen trägt zu dem nötigen „ständig zu erneuernden vertrauensbildenden Prozess“112 bei. Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass die Möglichkeiten, die Öffentlichkeit aus der Verhandlung auszuschließen, seit der Kodifikation des Öffentlichkeitsgrundsatzes stetig erweitert wurden, ohne dass die Bevölkerung ihr Vertrauen in die Rechtsprechung verloren hat.113 Diese Möglichkeiten beruhen, wie im ersten Kapitel gezeigt, auf für jedermann nachvollziehbaren Gründen wie
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BGHSt 56 (57). Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 67. 108 Kap. 2, B. III. 2. c). 109 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 192 f.; Franke, Bildberichterstattung, S. 57; Jung, in: GS Kaufmann, S. 891 (S. 911 f.); Kohlmann, JA 1981, 581 (587). 110 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 192. 111 Schmidthals, Verfahrensöffentlichkeit, S. 189. 112 Hillermeier, DRiZ 1982, 281 (282). 113 So aber Franke, Bildberichterstattung, S. 58. 107
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bspw. dem Persönlichkeitsschutz,114 sodass bei einem Öffentlichkeitsausschluss auf ihrer Grundlage nicht der Eindruck entsteht, das Gericht wolle etwas verbergen.115 Dieser Eindruck entstünde jedoch womöglich, wenn sich die Gerichte – im Zeitalter der zunehmenden Transparenz der übrigen staatlichen Stellen – vollumfänglich hinter verschlossene Türen zurückzögen. Die Öffentlichkeit ist daher auch heute noch zu Vertrauensbildungszwecken erforderlich. c) Beitrag der Gerichtssaalberichterstattung zur Vertrauensbildung Dass die Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen es der Allgemeinheit auch heute noch ermöglichen soll, Vertrauen zur Rechtspflege zu fassen, sagt jedoch wiederum nichts darüber aus, welche Rolle gerade Gerichtssaalberichte für die Erreichung dieses Zwecks spielen. Einige Autoren vertreten, die Gerichtsberichterstattung sei der Vertrauensbildung abträglich.116 Dafür werden zwei unterschiedliche Begründungen gegeben: Einerseits wird auf die teils mangelnde Qualität der konkreten Berichte verwiesen. Die Berichterstattung aus dem Gericht sei aufgrund der fehlenden Fachkompetenz der Medienvertreter sowie der unsachlichen Schärfe mancher ihrer Beiträge in der Krise begriffen.117 Die Medien zeichneten ein falsches Bild von der Justiz und unterminierten dadurch das Vertrauen der Allgemeinheit.118 Andererseits wird argumentiert, bereits die Besorgnis, dass die Medien durch ihre Berichterstattung auf die Justiz einwirken könnten, könne dem Vertrauen abträglich sein.119 Weil letzteres jedoch Folge jeglicher Justizberichterstattung sein kann und nicht spezifisch die Berichterstattung aus dem Gericht betrifft, die Gegenstand dieser Untersuchung ist, kommt dem Argument für ihre Zwecke keine eigenständige Bedeutung zu.120 Überwiegend wird den Medien auch bei der Erfüllung der Vertrauensbildungsfunktion eine wichtige Rolle zugeschrieben. Vermittelnd wird vertreten, die Me114
Kap. 1, A. II. 1. b). Köbl, in: FS Schnorr von Carolsfeld, S. 235 (S. 249). 116 Hunecke, NK 2011, 85 (87); Wette, AnwBl 2016, 833. Dagegen sind Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 346; Geerds, in: FS Oehler, S. 423 (S. 425) der Ansicht, Berichterstattung könne das Vertrauen sowohl stabilisieren als auch untergraben. Fölster, NK 2014, 154 (157); Schorn, LZ 1932, 1408 (1413 f.) vertreten wiederum, sie steigere bzw. festige das Vertrauen jedenfalls nicht. 117 Wette, AnwBl 2016, 833. 118 Boehme-Neßler, BilderRecht, S. 137; Hunecke, NK 2011, 85 (87); Stock, Gerichtsshows, S. 32; Tolksdorf, in: FH Möller, S. 25 (S. 28). 119 Hassemer, in: Einfluß der Medien, S. 61 (S. 67 f.). 120 Zu der Frage, ob derartige Einflüsse überhaupt existieren: Kap. 3, D. III. 115
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Kap. 2: Für Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
dienöffentlichkeit könne das Vertrauen in die Judikative fördern, für die Entstehung dieses Vertrauens reiche die Saalöffentlichkeit aber aus.121 Herrschend ist allerdings wiederum die Ansicht, dass Medien einen Beitrag zur Erfüllung der Vertrauensbildungsfunktion leisten.122 Vereinzelt wird ihnen sogar die zentrale Rolle bei der Vertrauensbildung zugeschrieben.123 Auch für diese Sichtweise existieren im Wesentlichen zwei Begründungsansätze: Mit Blick auf die konkreten Berichte wird vertreten, sie vermittelten jene Informationen, die für die Vertrauensbildung erforderlich seien.124 Auf abstrakter Ebene wird argumentiert, schon die Möglichkeit der Gerichtsberichterstattung schaffe Vertrauen darauf, dass die Justiz ordnungsgemäß arbeitet.125 In diese Richtung geht auch das Argument, der souveräne Umgang der Justiz mit der Medienöffentlichkeit führe dieses Vertrauen herbei.126 Wie gezeigt, wird das Vertrauen in die Judikative infolge der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen gebildet, indem Misstrauen ausgeräumt wird.127 Misst man die Begründungen daran, zeigt sich, dass Medien im Gericht besonders in quantitativer Hinsicht einen Beitrag zur Vertrauensbildung leisten können. Sie erweitern den Kreis der Personen, die die für eine Vertrauensbildung nötigen Informationen erhalten, signifikant. Insofern läuft die Argumentation parallel zu der bei der Kontrollfunktion gegebenen Begründung:128 Die Saalöffentlichkeit ermöglicht es zwar einer kleinen Zahl von Zuschauern, durch die persönliche Teilnahme an der Verhandlung ihre Vorurteile über die Justiz abzubauen und dadurch ihr Misstrauen auszuräumen. Die Mehrheit der Bevölkerung ist aber nicht im Gerichtssaal präsent und daher für ihre Vertrauensbildung auf die Medien angewiesen. Soll in der Bevölkerung nicht nur partiell, sondern umfassend Vertrauen in die Judikative gebildet werden, ist die Gerichtsberichterstattung deshalb unerlässlich. Rose, SchlHA 2014, 169 (173). Boehme-Neßler, BilderRecht, S. 133; Giraud, in: Interdisziplinäre Wissenschaft, S. 169 (S. 173); Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 71 f.; Jung, GA 2014, 257 (263); Jung, Presse, Rundfunk und Film, S. 43; Morsch, ZRP 2014, 254; dies., RuP 2014, 136; Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 116; Pieroth, in: Recht der Persönlichkeit, S. 249 (S. 276); Wyss, EuGRZ 1996, 1 (7 f., 9). 123 Jacobs, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 169 GVG Rn. 4; Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 79. 124 Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 63; Giraud, in: Interdisziplinäre Wissenschaft, S. 169 (S. 173); Kujath, Laienjournalismus, S. 46; Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 116; Quentin, in: SSW-StPO, § 169 GVG Rn. 2. 125 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 187. 126 Gärditz, in: FS Paeffgen, S. 439 (S. 476). 127 Vgl. Kap. 2, B. III. 3. a). 128 Vgl. Kap. 2, B. III. 2. d). 121 122
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Auch aus qualitativer Sicht kann die Argumentation zur Kontrollfunktion fruchtbar gemacht werden: In Gerichtsberichten können die Aspekte des Verfahrens erklärt werden, die bei rechtsunkundigen Zuschauern im Gerichtssaal Unverständnis provozieren und dadurch Misstrauen schüren würden. Sie können in einem Strafverfahren etwa erläutern, wieso eine Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird und damit den Verdacht ausräumen, der Richter habe bei seiner Entscheidung sachfremden Einflüssen nachgegeben. In dieser Hinsicht wäre es der Vertrauensbildung tatsächlich abträglich, wenn Gerichtsberichte, wie von ihren Gegnern angeführt, falsch informieren würde – ob gezielt oder aus fachlicher Unkenntnis. Dass dies so flächendeckend der Fall ist, dass ihr Beitrag zur Vertrauensbildung pauschal abzulehnen wäre, lässt sich jedoch nicht sagen.129 Zusammenfassend leisten Medien einen Beitrag zur Vertrauensbildung, indem sie helfen, möglicherweise bestehendes Misstrauen gegenüber der Judikative auszuräumen.130 Erneut stellt sich sodann die Frage, inwiefern gerade die Gerichtssaalberichterstattung dazu beitragen kann. Wie unterschiedlich sie beantwortet wird, illustriert die Diskussion vor dem Inkrafttreten des EMöGG: Während manche den Aufnahmen der Entscheidungsverkündungen der obersten Bundesgerichte eine vertrauenssteigernde Wirkung zumaßen,131 waren andere der Meinung, Kameras allein könnten kein Vertrauen in die Justiz schaffen.132 Denkbar wäre generell, dass das Vertrauen in die Justiz bereits durch die klassische Gerichtsberichterstattung begründet wird. Besonders für Aufnahmen wird aber vertreten, sie könnten einen eigenständigen Beitrag zur Vertrauensbildung leisten.133 Sie gäben das Geschehen bei Gericht nämlich authentischer wieder und räumten dadurch jeglichen Verdacht des Fehlverhaltens aus.134 Zudem erleichtere die Verbindung des Rechts mit einzelnen Personen, die sog. Personalisierung, in den Gerichtssaalberichten die Vertrauensbildung.135 Für Textberichte in Echtzeit wird außerdem auf deren zunehmende Bedeutung für die Kommunikation hingewiesen. Verweigere sich die Judikative dieser Form der Berichterstattung, würde dies Misstrauen hervorrufen.136 Wiederum lässt sich bezüglich der Gerichtssaalberichterstattung nach alledem eine Parallele zur Kontrollfunktion ziehen: In quantitativer Hinsicht machen 129 Ausführlich
zur Fachkompetenz der Gerichtsberichterstatter: Kap. 2, E. IV. Gerhardt, ZRP 1993, 377 (382). 131 Freudenberg, NJW-Editorial 29/2015; Wirtz, in: Kaufmann/Tappert/Vetter, DRiZ 2017, 154 (157). 132 Limperg, in: Kaufmann/Tappert/Vetter, DRiZ 2017, 154 (157). 133 Morsch, ZRP 2014, 254; dies., RuP 2014, 136. 134 Kuhlo, in: Gerichts-TV, S. 9 (S. 18). 135 Boehme-Neßler, BilderRecht, S. 148. 136 Hirzebruch, Neue Medien, S. 274. 130
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Aufnahmen, auch durch die damit einhergehende Personalisierung, Gerichtssaalberichte attraktiver und sorgen somit für eine weitere Verbreitung ihrer Inhalte. Auf diese Weise können mehr Bürger Vertrauen in die Judikative fassen. Besonders ist aber ihr Beitrag in qualitativer Hinsicht zu betonen: Die Gerichtssaalberichte liefern einen umfassenderen und unmittelbareren Einblick in die Vorgänge bei Gericht als deren Nacherzählung aus zweiter Hand, die klassische Gerichtsberichte leisten. Dies gilt für die zeitgleiche schriftliche Wiedergabe des Geschehens in Textberichten in Echtzeit in einem ähnlichen Maß. Dadurch tragen die Gerichtssaalberichte in größerem Umfang zur Ausräumung des Misstrauens in der Bevölkerung und damit zur Vertrauensbildung bei als die schon nach § 169 Abs. 1 S. 1 GVG möglichen Gerichtsberichte. 4. Informationsfunktion a) Jüngere Funktion des Öffentlichkeitsgrundsatzes Neben der Kontroll- und der Vertrauensbildungsfunktion werden dem Öffentlichkeitsgrundsatz in jüngerer Zeit noch weitere Zwecke zugeschrieben. Alle denkbaren Funktionen darzustellen, ist im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht möglich. Ausgeklammert bleiben insbesondere die Zwecke, die speziell auf das Strafverfahren bezogen sind.137 Wie Jung zutreffend feststellt, gilt der Öffentlichkeitsgrundsatz schließlich in allen Verfahrensarten, sodass bei der Ermittlung der Funktionen nicht auf die Besonderheiten der Strafrechtspflege rekurriert werden darf.138 Besonders häufig wird in der Rechtsprechung und Literatur verfahrensartübergreifend die Information der Allgemeinheit über die Judikative als weitere Funktion des Öffentlichkeitsgrundsatzes angeführt.139 Diese Information soll in zweierlei Hinsicht bedeutsam sein: Erstens sei sie die Voraussetzung für die Erfüllung der anderen Funktionen des Öffentlichkeitsgrundsatzes.140 Nur wenn die Allgemeinheit über die Tätigkeit der Richter und die Vorgänge in der Verhandlung 137 Genannt sei exemplarisch die Präventionsfunktion (Hillermeier, DRiZ 1982, 281 [282 f.]; Norouzi, StV 2016, 590 [591]), die Befriedungsfunktion (Norouzi, StV 2016, 590 [591]), und die Rehabilitationsfunktion (Hillermeier, DRiZ 1982, 281 [283]). 138 Jung, in: GS Kaufmann, S. 891 (S. 911). 139 BVerfGE 103, 44 (64, 65); 103, 72 (72 f.); 119, 309 (319 f.); BVerfG, NJW 2015, 3708 (3709); BGHSt 40, 191 (194). S. aus der jüngeren Literatur zudem nur Bosch, JURA 2016, 45 (47); Heger, in: FS Beulke, S. 759 (S. 769); Hirzebruch, Neue Medien, S. 80 ff.; ders., BRJ 2017, 5 (6 f.); Kühne, StV 2013, 417 (418); Rittig, NJ 2016, 265; Trentmann, MMR 2018, 441 (445); Wallimann, in: Grundsätze des Zivilverfahrensrechts, S. 51 (S. 65); Wegner, BLJ 2014, 37 (38 f., 41 f.); Winkler, VerwArch 107 (2016), 536 (542). 140 Britz, Fernsehaufnahmen, S. 205; Hirzebruch, Neue Medien, S. 80, 87; ders., BRJ 2017, 5 (7); Schmidthals, Verfahrensöffentlichkeit, S. 97, 172.
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informiert sei, könne sie diese kontrollieren und Vertrauen in sie entwickeln. Daher komme der Informationsfunktion im Verhältnis zu diesen Zwecken eine dienende Rolle zu.141 Die Information verfolge jedoch, zweitens, auch einen Selbstzweck:142 Als staatliche Tätigkeit sei die Rechtsprechung von besonderem Interesse für die Bürger.143 Durch ihre Teilnahme an Gerichtsverhandlungen könnten sie Wissen über den Gegenstand des Verfahrens, mithin den Lebenssachverhalt, und das angewendete Recht erwerben und erfahren, wie ein Gerichtsverfahren verläuft.144 Über die im konkreten Fall behandelten Tatsachenund Rechtsfragen hinaus könnten sie sich dabei ein Bild vom Funktionieren der Justiz machen.145 b) Eignung der Öffentlichkeit zur Information über die Judikative Teilweise wird gegen die Eignung der Öffentlichkeit zur Information jedoch angeführt, das in öffentlichen Verhandlungen erworbene Wissen könne auf anderem Weg besser vermittelt werden. Als Beispiele werden der Rechtsunterricht an Schulen sowie didaktisch aufbereitete Fernsehsendungen genannt.146 Dies mag für den Erwerb des abstrakten juristischen Wissens stimmen, das in den Gerichtsverhandlungen, anders als im Unterricht oder in einer Sendung, nicht gezielt anschaulich dargestellt wird. Es stimmt aber nicht für den Gegenstand des konkreten Verfahrens, also für den Lebenssachverhalt, über den der Bürger in der Verhandlung ebenfalls informiert wird. Weiterhin kann bspw. im Unterricht oder in einer Sendung das Verhalten der Gerichtspersonen und der Beteiligten ebenso wenig beobachtet werden wie der Gang der Verhandlung. Über all dies kann sich der Bürger allein durch die Teilnahme an der Verhandlung informieren.147 Nur deren Öffentlichkeit ist daher geeignet, die Informationsfunktion in vollem Umfang zu erfüllen. c) Erforderlichkeit der Öffentlichkeit zur Information über die Judikative Anders als für die Kontroll-148 und die Vertrauensbildungsfunktion149 wurde die Erforderlichkeit der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen mit Blick auf die 141 Feldmann, in: Radkte/Hohmann, StPO, § 169 GVG Rn. 2; Kaulbach, ZRP 2009, 236 (237); dies., JR 2011, 51. 142 Britz, Fernsehaufnahmen, S. 205. 143 Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, Vor § 169 GVG Rn. 4. 144 Schmidthals, Verfahrensöffentlichkeit, S. 99 ff. 145 Kühne, StV 2013, 417 (418); Wyss, EuGRZ 1996, 1 (15). 146 Burballa, Fernsehöffentlichkeit S. 33; Weidemann, DRiZ 1970, 114 (115). 147 Schmidthals, Verfahrensöffentlichkeit, S. 171. 148 Kap. 2, B. III. 2. c). 149 Kap. 2, B. III. 3. b).
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Informationsfunktion bisher nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Ein Grund dafür könnte sein, dass für die Information der Allgemeinheit keine alternativen rechtlichen Sicherungen zur Verfügung stehen. Soweit die Informationsfunktion dienende Aufgaben im Verhältnis zu den anderen Funktionen erfüllt, lassen sich zwar die für jene Zwecke dargestellten rechtlichen Sicherungen anführen. Werden die Kontrolle und Vertrauensbildung anderweitig ermöglicht, kann auch die hierfür nötige Information unterbleiben. Diese Sicherungen berühren jedoch nicht den Selbstzweck der Informationsfunktion. Dafür müssten vielmehr eigenständige institutionalisierte Sicherungen existieren. Solche Sicherungen könnten Auskunftsansprüche darstellen.150 Für die Vertreter der Medien sind sie in den einschlägigen Gesetzen sowie Staatsverträgen kodifiziert.151 Weiter gefasst wird der Kreis der Anspruchsberechtigten in § 1 Abs. 1 S. 2 IFG, der jedermann einen Auskunftsanspruch gewährt. Das IFG betrifft aber in sachlicher Hinsicht nur Einrichtungen des Bundes (§ 1 Abs. 1 S. 1 IFG). Auskunftsansprüche gegenüber Einrichtungen des Landes wurden noch nicht in sämtlichen Bundesländern kodifiziert.152 Hinzu kommt, dass Anspruchsverpflichtete der genannten Auskunftsansprüche „Behörden“ sind, die Ansprüche ihrem Wortlaut nach also auf die Exekutive beschränkt sind. Ob und inwieweit sie dennoch die Judikative erfassen,153 kann dahinstehen, weil durch die Auskunfterteilung jedenfalls nicht dieselben Informationen erlangt werden können wie durch eine Teilnahme an der Gerichtsverhandlung. Einerseits würden diejenigen den Auskunftsanspruch erfüllen, über deren Verhalten Auskunft erteilt werden soll. Modifikationen, Auslassungen und ähnliches sind insbesondere in den Fällen nicht ausgeschlossen, in denen die Information zum Zweck der Kritik eingeholt wird. Auch andere Formen der Informationsvermittlung, die das Gericht auf eigene Initiative wählt (zum Beispiel Gespräche mit Medienvertretern und Pressemitteilungen), können derartige Mängel aufweisen.154 Des Weiteren können bei der Teilnahme an einer Verhandlung Informa tionen gesammelt werden, die eine Auskunft oder eine Pressemitteilung nicht übermitteln können, etwa subjektive Eindrücke des Verhaltens der Verfahrensbeteiligten.155
Morscher/Christ, EuGRZ 2010, 272 (274). S. für die Presse etwa § 4 NPresseG, für den Rundfunk § 9a NRStV und für die Telemedien § 55 Abs. 3 i. V. m. § 9a NRStV. 152 Niedersachsen zum Beispiel hat kein Informationsfreiheitsgesetz. 153 Hierzu Wente, StV 1988, 216 (217) m. w. N. 154 Köbl, in: FS Schnorr von Carolsfeld, S. 235 (S. 251); Schmidthals, Verfahrensöffentlichkeit, S. 168 f., 170 f. 155 Schmidthals, Verfahrensöffentlichkeit, S. 168. 150 151
B. Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen
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Eine Sicherung könnte aber die Publikation von Entscheidungsbegründungen darstellen.156 Die Begründungen sind schließlich das Produkt der richterlichen Arbeit, über die sich die Allgemeinheit in der Verhandlung informieren soll. Nach der Rechtsprechung des BVerwG,157 die das BVerfG gebilligt hat,158 folgt aus dem Demokratieprinzip und dem Rechtsstaatsprinzip die Pflicht der Gerichte zur Publikation veröffentlichungswürdiger Entscheidungen. Schmidthals kritisiert zwar, sie würden in Entscheidungssammlungen oder in Fachzeitschriften veröffentlicht. Diese seien der Öffentlichkeit nicht so leicht zugänglich und würden außerdem in einer Sprache verfasst, die Laien nicht verständlich sei.159 Letzteres gilt jedoch auch für die Kommunikation zwischen Richtern und professionellen Verfahrensbeteiligten in der Verhandlung. Verhandlungen sind schon aus zeitlichen Gründen außerdem ebenfalls faktisch nicht jedermann zugänglich.160 Beides kann der Veröffentlichung deshalb nicht entgegengehalten werden, träte es im Rahmen der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen doch in ähnlicher Weise auf. Gegen die ausreichende Sicherung der Information spricht aber wiederum, dass die Publikation der Entscheidungen nicht dieselben Informationen vermittelt wie die Teilnahme an einer Verhandlung. Das gilt besonders im Hinblick auf den Verfahrensablauf und das Verhalten der Verfahrensbeteiligten, die sich Urteilen und Beschlüssen nicht entnehmen lassen. Zudem werden vor der Veröffentlichung oft identifizierende Bestandteile getilgt, etwa die Namen der Beteiligten.161 Diese würden die Teilnehmer einer Verhandlung aber erfahren. Des Weiteren gibt die Entscheidung die Umstände nicht wieder, die nicht zur Überzeugungsbildung des Gerichts beigetragen haben. Alle übrigen Aspekte werden zudem nur summarisch dargestellt.162 In dieser Hinsicht werden die Teilnehmer einer Verhandlung in größerem Umfang informiert. Hinzu kommt, dass wegen der Fülle der Entscheidungen eine Veröffentlichung aller Entscheidungen nicht möglich ist.163 Das erkannte auch das BVerwG, das eine Publikationspflicht nur für „veröffentlichungswürdige“ Entscheidungen konstatiert. Eine vergleichbare Beschränkung existiert im Hinblick auf die Öffentlichkeit von Gerichtsverhandlungen nicht. Morscher/Christ, EuGRZ 2010, 272 (274). BVerwGE 104, 105 (108). 158 BVerfG, NJW 2015, 3708 (3709). 159 Schmidthals, Verfahrensöffentlichkeit, S. 170. 160 Kap. 2, B. III. 2. d). 161 Endemann, in: FS Zeidler, S. 409 (S. 426). Zum nötigen Umfang der Anonymisierung Hanske/Lauber-Rönsberg, ZUM 2013, 264 (266). 162 Strassburg, MDR 1977, 712. 163 Gostomzyk, Öffentlichkeitsverantwortung, S. 105 f. 156 157
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Kap. 2: Für Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
Es existiert daher derzeit kein rechtlicher Sicherungsmechanismus, der die Informationsfunktion des Öffentlichkeitsgrundsatzes in vollem Umfang übernehmen könnte. Die Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen ist zur Erfüllung dieser Funktion demnach erforderlich. d) Beitrag der Gerichtssaalberichterstattung zur Information über die Judikative Dass Medien zur Information der Allgemeinheit über die Vorgänge bei Gericht beitragen können, ist heutzutage unbestritten. Unterschiedlich wird aber der Umfang ihres Beitrages beurteilt. Vereinzelt wird argumentiert, die Informationsfunktion werde bereits durch die Möglichkeit der persönlichen Teilnahme an mündlichen Verhandlungen erfüllt.164 Den Medien komme in dieser Hinsicht allenfalls eine fördernde Rolle zu.165 Überwiegend wird jedoch angenommen, die Saalöffentlichkeit allein könne die Erreichung des Informationszwecks nicht (mehr) gewährleisten.166 Vielmehr leisteten die Medien einen zentralen Beitrag zu seiner Realisierung.167 Vereinzelt wird gar vertreten, nur die Gerichtsberichterstattung sei in der Lage, die Informationsaufgabe zu erfüllen.168 Zur Begründung für den Beitrag der Medien wird in der Literatur in quantitativer Hinsicht zutreffend auf die Vergrößerung des Publikums hingewiesen, die auch für den Beitrag der Medien zur Erfüllung der Kontroll- und der Vertrauensbildungsfunktion relevant ist:169 Der Kreis informierter Bürger werde durch die Berichterstattung aus dem Gericht erheblich erweitert.170 Die Berichte erfüllten die Informationsfunktion in quantitativer Hinsicht außerdem besser als es die Teilnahme an der Verhandlung, weil sie auch jene Bürger über das Geschehen bei Gericht informierten, die davon sonst nichts erfahren hätten, etwa weil sie sich nicht für juristische Themen interessierten.171 Eine Gerichtsverhandlung besuche Vogel, Fernsehübertragungen, S. 73; Witzler, Personale Öffentlichkeit, S. 151. Schlothauer, StV 2015, 665. 166 Britz, Fernsehaufnahmen, S. 227; Gerhardt, Verfassungsmäßigkeit, S. 114; Hirzebruch, BRJ 2017, 5 (7); Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 79; Schmidthals, Verfahrensöffentlichkeit, S. 117; Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 83; Wassermann, DRiZ 1981, 92 (93). 167 Beulke, in: SSW-StPO, Einleitung Rn. 77; Bornkamm, Pressefreiheit, S. 259; ders., NStZ 1983, 102 (105); Britz, Fernsehaufnahmen, S. 227; Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 56; Jahn, in: Einfluß der Medien, S. 5 (S. 17); Jung, GA 2014, 257 (260 f.); Schreiber, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 169 GVG Rn. 4; Zimmermann, in: MüKoZPO, § 169 GVG Rn. 50. 168 Köbl, in: FS Schnorr von Carolsfeld, S. 235 (S. 250). 169 Vgl. Kap. 2, B. III. 2. d), 3. c). 170 Braun, Medienberichterstattung, S. 164; Schmidthals, Verfahrensöffentlichkeit, S. 105 f. 171 Boehme-Neßler, ZRP 2003, 125 (126); ders., K&R 2003, 530 (533); ders., UFITA 2009, 9 (16); Jauch, in: Grenzen der Rechtsgewährung, S. 247 (S. 247 f.); Vietmeyer, Vor- und Nachteile, S. 33. 164 165
B. Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen
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schließlich nur, wer daran interessiert sei. Durch die Medien werde dagegen jeder zumindest gelegentlich mit Einblicken in die Judikative konfrontiert.172 Des Weiteren schlügen die meisten Bürger eher eine Zeitung auf oder schalteten den Fernseher ein, um sich über ein Gerichtsverfahren zu informieren, als persönlich an Verhandlungen teilzunehmen.173 Informationen über die Verhandlung erlangen demnach durch die Gerichtsberichterstattung eine weitere Verbreitung, als es die Teilnahme an der Verhandlung ermöglicht, sodass Medien einen wichtigen Beitrag zur Erfüllung des Informationszwecks der Öffentlichkeit leisten. Das sagt allerdings noch nichts darüber aus, inwiefern speziell die Gerichtssaalberichterstattung dazu beiträgt. Die Senatsmehrheit des BVerfG vertrat im n-tv-Urteil die Ansicht, die infolge der Öffentlichkeit gemäß § 169 Abs. 1 S. 1 GVG mögliche Berichterstattung reiche zu diesem Zweck aus. Sämtliche Medienvertreter könnten infolgedessen an der Verhandlung teilnehmen und anschließend darüber berichten.174 Insbesondere die Aufnahmen sind aus seiner Sicht zur Erfüllung der Informationsfunktion daher nicht erforderlich. Dem wird aber zurecht entgegengehalten, die Medien könnten heute „in einer früher nicht vorstellbaren Breite“175 über das Geschehen bei Gericht informieren. Nachträgliche Berichte über mündliche Verhandlungen können zwar ihren Inhalt wiedergeben. Die Aufnahmen steigern den Informationsgehalt der Berichte jedoch, indem sie den optischen bzw. akustischen Eindruck ebenfalls vermitteln.176 So können der Bevölkerung auch die Vorgänge bei Gericht zur Kenntnis gebracht werden, die nicht leicht zu beschreiben sind, etwa das Ambiente und die Atmosphäre.177 Zudem wird ein umfassender Eindruck von den Verfahrensbeteiligten und ihrem Verhalten vermittelt.178 Gerade diese Impressionen sind es, die die Öffentlichkeit der Verhandlungen rechtfertigen. Wollte man nur die (juristischen) Inhalte vermitteln, könnte man bspw. auch den angesprochenen Rechtsunterricht erteilen.179 In qualitativer Hinsicht tragen die Aufnahmen damit maßgeblich dazu bei, dass die Informationsfunktion des Öffentlichkeitsgrundsatzes erfüllt wird. Auch in quantitativer Hinsicht kann die Gerichtssaalberichterstattung hierzu einen Beitrag leisten: Indem Aufnahmen helfen, einen Bericht ansprechender zu Schmidthals, Verfahrensöffentlichkeit, S. 116. Vietmeyer, Vor- und Nachteile, S. 33. 174 BVerfGE 103, 44 (65 f.). 175 Duttge/Kangarani, in: Dölling/Duttge/Rössner, Gesamtes StrafR, § 169 GVG Rn. 1. 176 Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 56, 136; von Coelln, in: Strafrecht und Medien, S. 13 (S. 25 f.); Hirzebruch, Neue Medien, S. 293. 177 Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 78; Vogel, Fernsehübertragungen, S. 112. 178 Brosius-Gersdorf, TKMR 2002, 356 (359); Hauth, Sitzungspolizei, S. 15; Wyss, EuGRZ 1996, 1 (14). 179 S. Kap. 2, B. III. 4. b). 172 173
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Kap. 2: Für Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
gestalten und ihm dadurch einen größeren Zuschauer- respektive Zuhörerkreis eröffnen, vergrößern sie die Gruppe der Personen, die über die Vorgänge in der Verhandlung informiert wird. Die so illustrierten Berichte, aber auch die zeitgleiche Textberichterstattung, können zudem als „Appetitanreger“180 fungieren, die zu einer vertieften Lektüre der Beiträge der (Fach-)Presse oder sogar zu einem persönlichen Besuch bei Gericht führen. Textberichte in Echtzeit sprechen außerdem andere, vor allem jüngere Bevölkerungsgruppen an, für die diese Form der Berichterstattung eine wichtige Informationsquelle ist.181 Auch auf diese Weise tragen die Gerichtssaalberichte zur größeren Verbreitung der Informationen über einen Prozess bei und leisten damit einen eigenständigen Beitrag zur Erfüllung der Informationsfunktion der Öffentlichkeit.
IV. Öffentlichkeitsgrundsatz als Verfassungsgrundsatz 1. Relevanz der Einordnung als Verfassungsgrundsatz Ist der Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Gerichtsverhandlungen nach alledem zugunsten der Gerichtssaalberichte zu berücksichtigen, ist zuletzt das Gewicht zu ermitteln, das ihm in einer Abwägung mit den kollidierenden Rechten und schutzwürdigen Interessen zukommt. Hierfür muss die Frage seiner Einordnung als Verfassungsgrundsatz beantwortet werden. Trotz der verfassungsrechtlichen Fundierung des Öffentlichkeitsgrundsatzes ist diese Einordnung umstritten. 2. Keine Einordnung als Verfassungsgrundsatz Die noch h. L. lehnt es ab, den Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen als Verfassungsgrundsatz einzuordnen.182 Zur Begründung berufen Vertreter dieser Position sich auf zwei ältere Beschlüsse des BVerfG zum Öffentlichkeitsgrundsatz.183 Eine Aussage zur Einordnung des Grundsatzes findet sich aber nur in der jüngeren Entscheidung, in der das BVerfG ihn als Prozessrechtsmaxime bezeichnete und die Einstufung als Verfassungsrechtsgrundsatz ablehnte.184 Töpper, FF 2005, 3 (4). Hirzebruch, Neue Medien, S. 274 f. 182 S. nur Degenhart, in: HStR V, § 115 Rn. 41; Hamacher, in: BeckOK ArbR, § 52 ArbGG Rn. 2; Meissner/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 44 Rn. 12; Schilken, GerichtsverfassungsR, § 12 Rn. 159; Schoenfeld, in: Gosch, AO/FGO, § 52 FGO Rn. 4; Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, Vor § 169 GVG Rn. 6; Zimmermann, in: MüKoZPO, § 169 GVG Rn. 3; Zuck, in: Lechner/Zuck, BVerfGG, § 17a Rn. 2, jeweils m. w. N. 183 BVerfGE 4, 74 (94); 15, 303 (307). 184 BVerfGE 15, 303 (307). 180 181
B. Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen
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Eine Begründung hierfür gab es nicht. Die ältere Entscheidung nimmt zu dieser Frage überhaupt nicht Stellung, sondern weist nur darauf hin, dass der Öffentlichkeitsgrundsatz für einige Verfahrensarten durchbrochen werden kann.185 Daneben rekurrieren die Vertreter der h. L. auf den Wortlaut des Grundgesetzes: Der Öffentlichkeitsgrundsatz sei darin nicht ausdrücklich geregelt.186 Er bedürfe daher der Ausgestaltung durch ein einfaches Gesetz.187 Um die Zwecke des Öffentlichkeitsgrundsatzes zu erreichen, sei es außerdem nicht erforderlich, ihn als Verfassungsgrundsatz einzuordnen. Sie könnten auch verwirklicht werden, wenn er nur einfachgesetzlich verankert sei.188 In dem Fall stehe es dem Gesetzgeber zudem frei, die Öffentlichkeit durch ein einfaches Gesetz zu beschränken, um anderen wichtigen Werten Rechnung zu tragen.189 Trotz alledem lehnen manche Vertreter der h. L. die ersatzlose Abschaffung des Öffentlichkeitsgrundsatzes durch den Gesetzgeber allerdings ab, indem sie auf die Verankerung im Demokratie- bzw. im Rechtsstaatsprinzip verweisen.190 3. Einordnung als Verfassungsgrundsatz Das BVerfG hat den Öffentlichkeitsgrundsatz mittlerweile – in Abkehr von seiner früheren Entscheidung, allerdings ohne hierauf ausdrücklich hinzuweisen und ohne Begründung – als Verfassungsgrundsatz eingeordnet.191 So bewertet ihn auch eine stark wachsende Anzahl von Stimmen in der Literatur.192 185
BVerfGE 4, 74 (94). Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 36 f.; Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 123; Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, Vor § 169 GVG Rn. 6. 187 Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 169 Rn. 4. 188 Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 37; Schilken, GerichtsverfassungsR, § 12 Rn. 159. 189 Kleinschmidt, in: FS Schmidt-Leichner, S. 111 (S. 112); Leipold, in: Hübschmann/Hepp/ Spitaler, AO/FGO, § 52 FGO Rn. 9; Martens, Rechtsbegriff, S. 75; Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 169 Rn. 2, 4; Meyer-Goßner, ZRP 1982, 237 (238); Schilken, GerichtsverfassungsR, § 12 Rn. 159; Schreiber, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 169 GVG Rn. 6. 190 Kleinknecht, in: FS Nüchterlein, S. 173 (S. 177); Meissner/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 55 Rn. 12; Meyer-Goßner, ZRP 1982, 237 (238); Schilken, GerichtsverfassungsR, § 12 Rn. 159; Zimmermann, in: MüKoZPO, § 169 GVG Rn. 4. 191 BVerfGE 103, 44 (63); BVerfG, NJW 2012, 1863 (1864); BVerfG, Beschl. vom 13.09.2001 – 1 BvR 2069/00, BeckRS 2001, 22953, Rn. 11. Anders nur BVerfG, NJW 2002, 814, in dem auf BVerfGE 15, 303 (307) verwiesen und nur von einer Prozessmaxime gesprochen wird. 192 NJW 1956, 291; Altenhain, Gutachten 71. DJT, C 81; Bamberger, ZUM 2001, 373 (375); Bäumler, JR 1978, 317 (320); von Coelln, in: MSKB, BVerfGG, § 17a Rn. 9; Friehe, in: Kontrolle des Gerichts, S. 1 (S. 17); Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 II Rn. 34; Hirzebruch, Neue Medien, S. 93, 178; Jacobs, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 169 GVG Rn. 6; Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 54 f.; Odörfer, in: Barczak, BVerfGG, § 17a Rn. 20; Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 111 ff.; Pieroth, in: Recht der Persönlichkeit, S. 249 (S. 254 f.); ders., 186
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Kap. 2: Für Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
Aus dem Fehlen seiner ausdrücklichen Verankerung im Grundgesetz dürfe kein Rückschluss auf die verfassungsrechtliche Einordnung des Öffentlichkeitsgrundsatzes gezogen werden, so wird argumentiert.193 Werde er als Verfassungsgrundsatz bewertet, hieße das außerdem nicht, dass er nicht zugunsten kollidierender Positionen beschränkt werden könne.194 Einschränkungen und Ausgestaltungen seien auch in Bezug auf Verfassungsgrundsätze möglich.195 Es sei gerade die Aufgabe des Gesetzgebers, alle verfassungsrechtlich geschützten Positionen durch Herstellung einer praktischen Konkordanz auszugleichen.196 Darauf deute schon die Bezeichnung als Verfassungsgrundsatz hin; darin sei die Möglichkeit einer Einschränkung sprachlich angelegt.197 Zusätzlich wohne der Einordnung des Öffentlichkeitsgrundsatzes als bloße Prozessmaxime die Gefahr inne, dass sie durch den Gesetzgeber abgeschafft wird. Das drohe nicht, wenn man die Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlungen als Verfassungsgrundsatz betrachte.198 4. Würdigung der vertretenen Ansichten Das Wortlautargument der h. L., nach dem die Gerichtsöffentlichkeit nicht ausdrücklich im Grundgesetz normiert ist, ist ein schwaches Argument. Nicht alle Verfassungsgrundsätze sind in der Verfassung schließlich ausdrücklich festgeschrieben. Nicht einmal das Rechtsstaatsprinzip als Staatsstrukturprinzip ist in all seinen Ausprägungen im Grundgesetz kodifiziert.199 Systematisch ließe sich gegen den Verfassungsrang zwar anführen, dass die Öffentlichkeit der Verhandlungen des Bundestages in Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG, des Bundesrates in Art. 52 Abs. 3 S. 3 GG und der Untersuchungsausschüsse in Art. 44 Abs. 1 S. 1 GG explizit gewährleistet wird. Der Umkehrschluss daraus könnte gegen die Einordnung des Öffentlichkeitsgrundsatzes als Verfassungsgrundsatz sprechen. Es wäre dem Verfassungsgeber schließlich möglich gewein: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 21; Roth, in: FS Schilken, S. 415; Schwarz, in: Burkiczak/ Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, § 17a Rn. 2; Stürner, JZ 1980, 1 (6); ders., JZ 2001, 699 (700); Velten, in: SK-StPO, § 169 GVG Rn. 12. 193 Pantazopoulos, ZZPInt 13 (2008), 319 (321). 194 Britz, Fernsehaufnahmen, S. 209 f.; von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 220 f.; Hirzebruch, Neue Medien, S. 93; Köbl, in: FS Schnorr von Carolsfeld, S. 235 (S. 240); Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 56; Odörfer, in: Barczak, BVerfGG, § 17a Rn. 20; Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 112; Pieroth, in: Recht der Persönlichkeit, S. 249 (S. 255 f.); Stürner, JZ 1980, 1 (6); ders., in: FS Baur, S. 647 (S. 660). 195 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 220 f.; Uhle, in: HStR V, § 129 Rn. 80. 196 Britz, Fernsehaufnahmen, S. 210; Hirzebruch, Neue Medien, S. 93. 197 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 221; Schwarz, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, § 17a Rn. 2. 198 Britz, Fernsehaufnahmen, S. 209. 199 Kap. 2, B. I.
B. Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen
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sen, die Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlungen, die bei Verabschiedung des Grundgesetzes seit über einem halben Jahrhundert im GVG normiert war, bspw. in Art. 92 ff. GG zu verankern. Denkbar ist allerdings, dass er wegen der langen und unangefochtenen Geltung dieser Maxime eine zusätzliche Kodifikation in der Verfassung nicht mehr für nötig hielt.200 Die Öffentlichkeit der genannten Verfassungsorgane und von deren Untergliederungen war dagegen zu diesem Zeitpunkt noch keine Selbstverständlichkeit, sodass sie ausdrücklich garantiert werden musste. Die Systematik des Grundgesetzes enthält also keinen abschließenden Hinweis für die Einordnung des Grundsatzes. Entscheidend für die Bewertung als Verfassungsgrundsatz spricht, dass auch die Vertreter der noch h. L. den Öffentlichkeitsgrundsatz überwiegend auf das Demokratie- und das Rechtsstaatsprinzip zurückführen. Teilweise leiten sie daraus sogar die Konsequenz ab, er könne nicht oder jedenfalls nur unter erhöhten Voraussetzungen abgeschafft werden kann.201 Es ist aber widersprüchlich, eine Beschränkung des Öffentlichkeitsgrundsatzes als von Verfassungs wegen verboten zu erachten, wenn er nur eine einfachgesetzlich normierte Prozessmaxime darstellen soll.202 Führt man die Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlungen auf zentrale Staatsstrukturprinzipien zurück und misst ihr eine entsprechende Bedeutung bei, ist es vielmehr konsequent, sie auch als Verfassungsgrundsatz einzuordnen. Wieso dies nicht dazu führt, dass die Gerichtsöffentlichkeit nicht beschränkt werden kann, wenn es entgegenstehende Positionen fordern, haben die Vertreter der im Vordringen befindlichen Mindermeinung überzeugend dargelegt.203 Kuß weist in dem Zusammenhang zutreffend auf die Einheit der Verfassung hin.204
V. Ergebnis zum Öffentlichkeitsgrundsatz Der Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen fällt als Verfassungsgrundsatz zugunsten der Gerichtssaalberichterstattung ins Gewicht, weil seine Funktionen in qualitativer wie quantitativer Hinsicht durch diese Berichterstattung besser erfüllt werden als durch die Anwesenheit von Zuschauern im Gerichtssaal allein – selbst wenn es sich bei ihnen um Medienvertreter handelt, die im Anschluss über die mündliche Verhandlung berichten. Faktisch gilt Meissner/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 55 Rn. 12; Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 113. 201 Vgl. Kap. 2, B. IV. 2. 202 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 221 in Fn. 363. 203 Vgl. Kap. 2, B. IV. 3. 204 Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 55. 200
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Kap. 2: Für Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
schließlich: „[Gerichts-]Öffentlichkeit ist heute in erster Linie Medienöffentlichkeit.“205
C. Kommunikationsgrundrechte I. Abwehrrechtliche Dimension der Kommunikationsgrundrechte 1. Relevanz der Abwehrdimension Die Kommunikationsgrundrechte des Art. 5 Abs. 1 GG spielten für den Gesetzgeber bei der Regelung der Gerichtssaalberichterstattung lange Zeit offenbar überhaupt keine Rolle, erwähnte er sie doch zum ersten Mal in der Gesetzesbegründung zum EMöGG.206 Dass die Informationsfreiheit, die Pressefreiheit und die Rundfunkfreiheit für die Regelung der Berichte aus dem Gerichtssaal relevant sind, zeigte jedoch schon vor dem Erlass des EMöGG die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zu Bild/Ton-, Ton- und Bild-Aufnahmen im Gericht.207 Das BVerfG berücksichtigte diese Grundrechte darin in ihrer Abwehrdimension. Sie steht daher in diesem Abschnitt im Fokus. 2. Gerichtssaalberichterstattung im sachlichen Schutzbereich der Kommunikationsgrundrechte a) Schutz durch die Informationsfreiheit Nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG gibt die Informationsfreiheit jedermann das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. „Quellen“ sind alle Träger von Informationen, also auch ein Ereignis oder ein Vorgang selbst.208 Allgemein zugänglich ist eine Quelle dabei, wenn sie „geeignet und bestimmt ist, der Allgemeinheit, d. h. einem individuell nicht bestimmbaren Personenkreis, Informationen zu verschaffen.“209 An dem Tatbestandsmerkmal zeigt sich die Besonderheit der Informationsfreiheit: Ihr sachlicher Schutzbereich ist nur betroffen, sofern eine Informationsquelle schon eröffnet wurde.
Altenhain, Gutachten 71. DJT, Einleitung. Noch weiter Scherer, Medienöffentlichkeit, S. 4; ders., ZaöRV 1979, 38 (40): „Gerichtsöffentlichkeit ist [nur] Medienöffentlichkeit“. 206 BTDrucks 18/10144, S. 14. 207 Vgl. Kap. 1, B. II. 4., III. 3., C. III. 208 BVerfGE 103, 44 (60); Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 161 f.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 5 Rn. 22; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 5 I, II Rn. 77. 209 BVerfGE 27, 71 (83). StRspr, s. dazu auch BVerfGE 33, 52 (65); 90, 27 (33); 103, 44 (60), BVerfG, NJW 2011, 946 (949). 205
C. Kommunikationsgrundrechte
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Die Berichterstattung aus dem Gerichtssaal fällt demnach nur in den Schutzbereich der Informationsfreiheit, wenn das Geschehen bei Gericht eine allgemeinzugängliche Informationsquelle darstellt. Dass mündliche Verhandlungen Informationsquellen sind, stellte die Senatsmehrheit des BVerfG zutreffend im n-tv-Urteil fest.210 Auch die Vorgänge im Umfeld einer Verhandlung sind nach der weiten Definition – sämtliche Träger von Informationen – eine Informationsquelle.211 Beide Quellen müssen des Weiteren allgemeinzugänglich sein. Für die Verhandlung selbst ist dies rasch bejaht: Sie ist geeignet, die Allgemeinheit im Rahmen ihrer Anwesenheit bei Gericht über die Vorgänge dort zu informieren. Als Bestimmungsberechtigter hat der Staat die mündliche Verhandlung in § 169 Abs. 1 S. 1 GVG, der jedermann den Zutritt dazu ermöglicht, auch zur Information bestimmt.212 Weniger eindeutig ist die Allgemeinzugänglichkeit des Umfeldes der mündlichen Verhandlung. Auch dieses Umfeld ist zur Information geeignet. Fraglich ist allerdings, ob es dazu auch bestimmt wurde. Seine Öffentlichkeit ist gesetzlich schließlich nicht vorgeschrieben. Teilweise wird aus der Normierung des § 169 Abs. 1 S. 1 GVG für die mündliche Verhandlung im Umkehrschluss gefolgert, alle übrigen Abschnitte eines Verfahrens seien nicht öffentlich.213 Der Schluss ist aber nicht zwingend.214 Ihm ist entgegenzuhalten, dass die Gerichtsgebäude öffentliche Sachen sind.215 Konkret handelt es sich dabei um öffentliche Sachen im Verwaltungsgebrauch.216 Da die Gebäude demnach gerade dazu bestimmt sind, öffentliche Verhandlungen zu ermöglichen, ist die allgemeine Zugänglichkeit während der Zeiten, zu denen in den Gerichtsgebäuden Verhandlungen stattfinden, vom Verwaltungsgebrauch umfasst.217 Auch das Umfeld der Verhandlung hat der Staat daher zur Information der Allgemeinheit bestimmt.218 Es ist ebenso wie die Verhandlung damit eine allgemeinzugängliche Informationsquelle. 210
BVerfGE 103, 44 (61). Hauth, Sitzungspolizei, S. 110. Für Verhandlungspausen ebenso Lutz, JURA 2007, 230 (235 f.). 212 Von Coelln, AfP 2014, 193 (200); Krausnick, ZG 2002, 273 (281); Pernice, Medienöffentlichkeit, S. 145; Stürner, JZ 2001, 699 (701). 213 Nagel, in: FS Goerlich, S. 243 (S. 250); Ranft, JURA 1995, 573 (581). 214 Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 79 f. 215 Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 154; Papier, Recht der öffentlichen Sachen, S. 1; Pernice, Medienöffentlichkeit, S. 69. 216 Papier, Recht der öffentlichen Sachen, S. 34; Pernice, Medienöffentlichkeit, S. 69. 217 Pernice, Medienöffentlichkeit, S. 69. 218 Abweichend geht Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 294 f., 388 f. davon aus, dass die Anwesenden eigene Informationsquellen sind, die nicht dazu bestimmt sind, der Allgemeinheit Informationen zu vermitteln. Der Schutzbereich der Informationsfreiheit sei für personenbezo211
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Kap. 2: Für Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
Hiermit könnte die Betrachtung der Informationsfreiheit eigentlich beendet werden, hätte das BVerfG nicht in seiner n-tv-Entscheidung die Allgemeinzugänglichkeit der Informationsquelle „mündliche Verhandlung“ mit Blick auf Medienvertreter anders beurteilt. Durch die Kodifikation des § 169 Abs. 1 S. 2 GVG habe der Staat diese Quelle nur beschränkt, nämlich nur für persönlich Anwesende eröffnet, so die Senatsmehrheit. Die Informationsbeschaffung unter Einsatz der Geräte, die § 169 Abs. 1 S. 2 GVG erfasse, werde mangels Allgemeinzugänglichkeit der Informationsquelle deshalb nicht von der Informationsfreiheit geschützt.219 Das würde bedeuten, dass von vornherein nur diejenige Berichterstattung aus dem Gerichtssaal in den sachlichen Schutzbereich der Informationsfreiheit fiele, die der Gesetzgeber nicht untersagt hat. Diese Konzeption des BVerfG stieß und stößt im Schrifttum allerdings auf Kritik. Anlass hierzu bietet das für seine Entscheidung maßgebliche Bestimmungsrecht des Staates über die Allgemeinzugänglichkeit der Quelle „mündliche Verhandlung“. Für die Allgemeinzugänglichkeit von Informationsquellen im staatlichen Hoheitsbereich könne es, so wird argumentiert, auf derartige rechtliche Regelungen nicht ankommen. Andernfalls könnte der Staat als der Grundrechtsverpflichtete der Informationsfreiheit bei der Wahrnehmung seines Bestimmungsrechts allein darüber entscheiden, ob und inwiefern der sachliche Schutzbereich dieser Freiheit eröffnet werde.220 Das Grundrecht gälte in diesem Fall nach der Maßgabe des einfachen Rechts.221 Das sei im Hinblick auf die Grundrechtsbindung des Gesetzgebers in Art. 1 Abs. 3 GG bedenklich.222 Systematisch wird gegen das staatliche Bestimmungsrecht außerdem angeführt, der qualifizierte Gesetzesvorbehalt in Art. 5 Abs. 2 GG beziehe sich auf alle Grundrechte in Art. 5 Abs. 1 GG. Er liefe für die Informationsfreiheit aber leer, wenn der Staat frei über die Allgemeinzugänglichkeit der Quellen in seinem Hoheitsbereich disponieren könne.223 Hoheitsakte, die die Allgemeinzugänglichkeit der Quelle ausschlössen, wären in diesem Fall schließlich nicht an den Vorgaben des Art. 5 Abs. 2 GG zu messen. gene Aufnahmen daher nicht eröffnet. Dem ist zu widersprechen: Die Informationsquelle ist das Ereignis „Verhandlung“. Sie setzt die Anwesenheit der Personen zwangsläufig voraus, sodass auch in der Hinsicht die Allgemeinzugänglichkeit zu bejahen ist. 219 BVerfGE 103, 44 (62). 220 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 401; Gersdorf, AfP 2001, 29 (30); Kujath, Laienjournalismus, S. 100 f., 257; Schwarz, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, § 17a Rn. 13. 221 Gersdorf, in: Gerichts-TV, S. 23 (S. 26); Hirzebruch, Neue Medien, S. 130. 222 Von Coelln, JuS 2008, 351 (356); Hirzebruch, Neue Medien, S. 130. 223 Bethge, in: Sachs, GG, Art. 5 Rn. 57 unter Verweis auf BVerfGE 27, 71 (84 f.); Dörr, in: HGR IV, § 103 Rn. 30; Finger/Baumanns, JA 2005, 717 (718); Kujath, Laienjournalismus, S. 101; Stieper, JZ 2014, 271 (275 in Fn. 63).
C. Kommunikationsgrundrechte
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Einem staatlichen Bestimmungsrecht soll außerdem der historische Hintergrund der Informationsfreiheit entgegenstehen: Mit deren Aufnahme in den Grundrechtekatalog sollte verhindert werden, dass die im Nationalsozialismus üblichen, staatlichen Informationsbeschränkungen erneut eingeführt werden können.224 Solche Beschränkungen würde ein staatliches Bestimmungsrecht jedoch gerade ermöglichen.225 Zuletzt sprächen auch der Sinn und Zweck der Informationsfreiheit, die eine möglichst umfassende Informationsbeschaffung gewährleisten solle, gegen ein staatliches Bestimmungsrecht.226 Dieses Bestimmungsrecht könne schließlich dazu führen, dass im staatlichen Bereich lediglich wenige Informationsquellen eröffnet werden. Dies stünde aber im Widerspruch zu dem allgemeinen Trend hin zu mehr Transparenz des Staates, der sich für den Verwaltungsbereich aktuell in den Informationsfreiheitsgesetzen des Bundes und der Länder niederschlage.227 Die Befürworter der n-tv-Entscheidung führen zugunsten der Zulässigkeit des staatlichen Bestimmungsrechts dagegen einerseits den Wortlaut von Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG – „ungehindert [...] unterrichten“ – und andererseits den angesprochenen historischen Hintergrund dieses Grundrechts an.228 Beide belegten, dass die Informationsfreiheit als Abwehrrecht des Bürgers gegen den Staat konzipiert worden sei und keine Leistungsrechte verleihen sollte.229 Eine derartige Leistung würde der Staat aber mit der Eröffnung einer Informationsquelle erbringen. Für ein staatliches Bestimmungsrecht wird außerdem angeführt, dass dieses Recht die Informationsfreiheit in Bezug auf staatliche Quellen nicht zwangsläufig leerlaufen lässt. Der Gesetzgeber unterliege bei der Eröffnung einer Informationsquelle stets objektiv-rechtlichen Verpflichtungen, hier aus dem Demokratie-230 und dem Rechtsstaatsprinzip.231 Deren Verletzung könnten die Betroffenen geltend machen.232 Hierauf zog sich auch die Senatsmehrheit des BVerfG in der n-tv-Entscheidung zurück. Weil sie die Informationsfreiheit (bzw. im Fall des Ausschlusses rundfunkspezifischer Geräte die Rundfunkfreiheit) als verletzt betrachtete, wenn objektives Verfassungsrecht einen weiteren oder unbeschränkten Zugang zur Informationsquelle gebietet, konnte sie § 169 Abs. 1 S. 2 GVG im 224
S. zu dieser Zielrichtung schon BVerfGE 27, 71 (80, 84). Kujath, Laienjournalismus, S. 100. 226 Hirzebruch, Neue Medien, S. 130, 132; Kujath, Laienjournalismus, S. 102. 227 Bethge, in: Sachs, GG, Art. 5 Rn. 56a; von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 154; Kühling, in: BeckOK InfoMedienR, Art. 5 GG Rn. 42, 50. 228 Altenhain, Gutachten 71. DJT, C 79. 229 Altenhain, Gutachten 71. DJT, C 79 in Fn. 377. 230 Finger/Baumanns, JA 2005, 717 (718). 231 Gostomzyk, JuS 2002, 228 (230). 232 Gostomzyk, JuS 2002, 228 (230); Hirzebruch, Neue Medien, S. 127, 131 f. Dieses „Umkippen“ des objektiven in ein subjektives Recht kritisieren sie jedoch. 225
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Kap. 2: Für Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
Rahmen des Verfassungsbeschwerdeverfahrens am Maßstab der beiden Prinzi pien prüfen.233 Ob der Staat ein Bestimmungsrecht über die in seinem Hoheitsbereich liegenden Quellen hat, kann jedoch offenbleiben, wenn er die Informationsquelle „mündliche Verhandlung“ unabhängig von einer Beschränkung der Berichterstattung zur Information der Allgemeinheit bestimmt hat. Dann ist sie in jedem Fall allgemeinzugänglich. Das BVerfG meinte zwar, das habe der Staat im Hinblick auf die in § 169 Abs. 1 S. 2 GVG genannten Medienformen nicht getan. Dem lässt sich aber entgegenhalten, dass der Gesetzgeber die mündliche Verhandlung, wie gezeigt, mit § 169 Abs. 1 S. 1 GVG durchaus zur Information der Allgemeinheit bestimmt hat. Zur Allgemeinheit gehören auch Medienvertreter, die insofern nicht anders zu behandeln sind als „gewöhnliche“ Bürger.234 Dabei ist auch nicht zwischen den Presse- und Rundfunkvertretern zu unterscheiden: Beide dürfen Verhandlungen ohne Weiteres beiwohnen. In der Literatur wird daher vertreten, auch für jene Gerichtsberichterstatter, die bei ihrer Arbeit von § 169 Abs. 1 S. 2 GVG betroffen seien, sei die Informationsquelle „mündliche Verhandlung“ eröffnet.235 Das Aufnahmeverbot betreffe allein die Frage, in welcher Form sie sich aus dieser Quelle unterrichten dürften.236 Damit wäre der sachliche Schutzbereich der Informationsfreiheit unabhängig davon eröffnet, ob der Gesetzgeber die Berichterstattung in der mündlichen Verhandlung beschränkt. Altenhain lehnt dieses Ergebnis aber ab. Er argumentiert, da der Zugang zur Informationsquelle vollständig verschlossen bleiben dürfe, ohne dass die Informationsfreiheit berührt werde, werde sie auch bei einer Eröffnung des Zugangs unter gewissen Bedingungen nicht tangiert.237 Dem lässt sich allerdings entgegenhalten, dass der Gesetzgeber den Zugang zu der Informationsquelle „mündliche Verhandlung“ für Rundfunkvertreter nicht erst durch § 169 Abs. 1 S. 2 GVG eröffnete. Eine Zugangsmöglichkeit bestand vielmehr schon zuvor uneingeschränkt für Vertreter sämtlicher Medien. Selbst wenn man mit dem BVerfG der Meinung wäre, § 169 Abs. 1 S. 2 GVG schließe die Allgemeinzugänglichkeit der mündlichen Verhandlung mit Blick auf die Rundfunkaufnahmen aus, läge darin 233 Diese Konstruktion wurde in dogmatischer Hinsicht stark kritisiert, s. von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 153; Gersdorf, AfP 2001, 29 (30); Gostomzyk, JuS 2002, 228 (230); Hain, DÖV 2001, 589 (592); Kirchberg, BRAK-Mitt 2002, 252 (253). 234 Kap. 1, A. I. 1. 235 Von Coelln, in: Strafrecht und Medien, S. 13 (S. 20); Hain, DÖV 2001, 589 (591); Kirchberg, BRAK-Mitt 2002, 252 (255). 236 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 394 f.; ders., AfP 2014, 193 (200); ders., in: Strafrecht und Medien, S. 13 (S. 19 f.). 237 Altenhain, Gutachten 71. DJT, C 79.
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also keine nur bedingte Eröffnung der Informationsquelle. Es wäre stattdessen die Einschränkung einer bereits eröffneten Informationsquelle. Dies ist jedoch strukturell etwas anderes als die beschränkte Eröffnung. Aus dogmatischen Gründen lehnt auch Linke den beschriebenen Ansatz ab. Er argumentiert: „Der Rückbau einer einfachrechtlich gewährten Leistung ist kein Grundrechtseingriff.“238 Wenn Grundrechte den Gesetzgeber schon nicht dazu verpflichteten, eine Begünstigung durch ein einfaches Gesetz einzuführen, könne er bei ihrer späteren Abschaffung ebenfalls nicht an Grundrechte gebunden werden. Andernfalls würde das entsprechende einfache Gesetz quasi zu Verfassungsrecht erstarken.239 Diese Überlegung hilft mit Blick auf die vorliegende Fragestellung aber nicht weiter. Die Begünstigung, zu deren Gewährung die Informationsfreiheit den Gesetzgeber in der Tat nicht verpflichtet, ist die Eröffnung der Informationsquelle „mündliche Verhandlung“ durch § 169 Abs. 1 S. 1 GVG. Diese Begünstigung wird durch das Verbot der Aufnahmen jedoch nicht zurückgenommen. Auch jene Medienvertreter, die gemäß § 169 Abs. 1 S. 2 GVG keine Aufnahmen anfertigen dürfen, können der Verhandlung schließlich weiter beiwohnen und zum Beispiel schriftlich Informationen aufnehmen, die sie anschließend vor den Kameras wiedergeben. Daher muss es bei dem eingangs gefundenen Ergebnis bleiben: Der Schutzbereich der Informationsfreiheit ist in sachlicher Hinsicht nicht nur im Umfeld der Verhandlung, sondern aufgrund der Allgemeinzugänglichkeit der Informationsquelle „mündliche Verhandlung“, die aus § 169 Abs. 1 S. 1 GVG folgt, auch im Anwendungsbereich des § 169 Abs. 1 S. 2 GVG bzw. einer anderen Beschränkung der Gerichtssaalberichterstattung eröffnet. Solange die mündliche Verhandlung öffentlich ist, kommt es hierauf nicht an. Die Informationsfreiheit gewährleistet sodann die Unterrichtung aus allgemeinzugänglichen Quellen. Dies umfasst die schlichte Entgegennahme der Informationen ebenso wie ihr aktives Beschaffen.240 Sie gewährleistet zudem die anschließende Speicherung der beschafften Informationen.241 Aufnahmen im Gericht fallen als Speicherung bildlicher bzw. auditiver Informationen daher in den sachlichen Schutzbereich der Informationsfreiheit.242
Linke, VR 2002, 378 (385). Linke, VR 2002, 378 (385). 240 BVerfGE 27, 71 (82); Bethge, in: Sachs, GG, Art. 5 Rn. 53; Wendt, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 5 Rn. 26. 241 Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 171; Kujath, Laienjournalismus, S. 102; Pernice, Medienöffentlichkeit, S. 91; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 5 I, II Rn. 83; Starck/ Paulus, in: MKS, GG, Art. 5 Rn. 118. 242 Kujath, Laienjournalismus, S. 116 f. 238 239
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Kap. 2: Für Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
b) Schutz durch die Medienfreiheiten aa) Schutz durch die Pressefreiheit Die Pressefreiheit wird gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 1 GG gewährleistet. Zur Presse gehören alle zur Verbreitung an einen unbestimmten Personenkreis geeigneten sowie bestimmten Druckerzeugnisse.243 Im Medienbereich sind dies klassischerweise Zeitungen sowie Zeitschriften. Inhalt, Ausrichtung oder Qualität spielen für ihren Schutz keine Rolle: Die sachliche Berichterstattung durch die Wiedergabe von Tatsachen ist ebenso geschützt wie die Veröffentlichung von Meinungen oder unterhaltenden Inhalten.244 Zum geschützten Verhalten gehört jegliche journalistische Tätigkeit, von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachricht und der Meinung.245 Besondere Bedeutung kommt dem Stadium der Informations be schaffung zu, denn: „Erst der prinzipiell ungehinderte Zugang zur Information versetzt die Presse in den Stand, [ihre] Rolle wirksam wahrzunehmen.“246 Im Stadium der Informationsverarbeitung, das sich hieran anschließt, ist die Gestaltungsfreiheit der Pressevertreter von zentraler Bedeutung. Inhaltlich garantiert sie ihnen die alleinige Entscheidung darüber, welche Themen sie auf welche Art und Weise zum Gegenstand der Berichterstattung machen. Formal gibt sie ihnen außerdem das Recht, darüber zu bestimmen, wie die Themen nach außen dargestellt werden.247 Unbestritten ist in Rechtsprechung und Literatur, dass die Pressefreiheit das Recht der Pressevertreter schützt, sich über Vorgänge in der öffentlichen Gerichtsverhandlung zu informieren sowie darüber zu berichten.248 Ersteres fällt
243 BVerfGE 95, 28 (35); Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 193 f.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 5 Rn. 34. 244 BVerfGE 34, 269 (283); Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 199; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 5 Rn. 35; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 5 I, II Rn. 94. 245 StRspr, s. nur BVerfGE 10, 118 (121); 91, 125 (135); 117, 244 (259); BVerfG, NJW 2011, 1859 (1860); NJW 2011, 1863. 246 BVerfGE 50, 234 (240). So auch BVerfGE 91, 125 (134); BVerfG, NJW 2001, 503 (504); BVerwG, NJW 2015, 807 (808). 247 BVerfGE 97, 125 (144); Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 236; Grabenwarter, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. 1 Rn. 295; Schemmer, in: BeckOK GG, Art. 5 Rn. 44. 248 BVerfGE 50, 234 (240); 91, 125 (134); Bamberger, ZUM 2001, 373 (376); Bethge, in: Sachs, GG, Art. 5 Rn. 70; von der Decken, in: SHH-GG, Art. 5 Rn. 23; Grabenwarter, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. 1 Rn. 343; Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 135 f.; Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 169 Rn. 85, 90; Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 117; Tillmanns, in: FS Schweizer, S. 227 (S. 236); Vietmeyer, Vor- und Nachteile, S. 12 f.; Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, Vor § 169 GVG Rn. 15.
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unter den Aspekt der Beschaffung von Informationen,249 letzteres unter den Aspekt der Informationsverbreitung. Im Einklang damit bewertet das BVerfG in stRspr Beschränkungen von Bild-Aufnahmen, die ein Mittel der Informationsbeschaffung darstellen, sowohl während einer mündlichen Verhandlung als auch in ihrem Umfeld als Eingriffe in die Pressefreiheit.250 bb) Schutz durch die Rundfunkfreiheit Weniger einheitlich wird jedoch die Frage beantwortet, ob und inwiefern die Rundfunkvertreter ein vergleichbares Recht haben, aus dem Gericht zu berichten. Nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 2 GG wird die Freiheit der Berichterstattung durch den Rundfunk gewährleistet. Unter „Rundfunk“ ist die an einen unbestimmten Personenkreis gerichtete Übermittlung von Inhalten mittels elektrischer Schwingungen zu verstehen.251 Darunter fallen nicht nur der klassische Hörfunk und das Fernsehen, sondern auch massenmediale Angebote im Internet,252 etwa Twitter und Live-Blogs. Ebenso wenig wie im Hinblick auf die Pressefreiheit wird für den Rundfunk nach Inhalt, Ausrichtung oder Qualität differenziert. Insbesondere sind unterhaltende Beiträge ebenso geschützt wie informative Sendungen.253 Die Rundfunkfreiheit bietet in sachlicher Hinsicht außerdem denselben Schutz wie die Pressefreiheit, von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung.254 Darüber hinaus schützt sie den Einsatz rundfunkspezifischer Mittel zu diesem Zweck.255 Bei der Informationsbeschaffung ist dies die Nutzung von Aufnahme- und Übertragungsgeräten wie zum Beispiel von Kameras und Mikrofonen, bei der Verbreitung der Informationen die Übertragung des beobachteten Ereignisses.256 Der Kern der Rundfunkfreiheit ist die Programmfreiheit, die – ebenso wie die Gestaltungsfreiheit der Pressevertreter – jegliche Einflussnahme auf Auswahl, Inhalt und Ausgestaltung des Programms verbietet.257 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 234; Hain, DÖV 2001, 589 (590 f.); Hirzebruch, Neue Medien, S. 140; Sodan, in: Sodan, GG, Art. 5 Rn. 17. 250 BVerfG, NJW 1996, 310; NJW-RR 2008, 1069 (1070); Beschl. vom 20.12.2011 – 1 BvR 3048/11, BeckRS 2012, 46348, Rn. 8; NJW 2014, 3013 (3014); NJW 2017, 798. 251 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 5 Rn. 47. 252 Bethge, in: Sachs, GG, Art. 5 Rn. 73a, 88, 90b. 253 BVerfGE 12, 205 (260); 31, 314 (326); 59, 231 (258); Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 324; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 5 Rn. 49; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 5 I, II Rn. 103 f. 254 BVerfGE 91, 125 (135); 103, 44 (59). 255 BVerfGE 103, 44 (59); Wendt, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 5 Rn. 45. 256 Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 325. 257 BVerfGE 59, 231 (258); 89, 144 (152); 90, 60 (87); Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 324; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 5 I, II Rn. 134. 249
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Im Umfeld der mündlichen Verhandlung ordnet das BVerfG Beschränkungen von Bild/Ton-Aufnahmen und Ton-Aufnahmen in stRspr als Eingriff in die Rundfunkfreiheit ein.258 Für die Verhandlung geht aus dem insofern maßgeblichen n-tv-Urteil dagegen nicht eindeutig hervor, ob und in welchem Umfang das BVerfG den sachlichen Schutzbereich der Rundfunkfreiheit als eröffnet ansieht, wenn Aufnahmen im Gericht angefertigt werden.259 Zu Beginn ihrer Entscheidung hielt die Senatsmehrheit fest, während der Zugang zur mündlichen Verhandlung durch die Informationsfreiheit geschützt sei, sei die Nutzung rundfunkspezifischer Aufnahme- und Übertragungsgeräte zur Verbreitung der Informationen von der Rundfunkfreiheit erfasst.260 Daraus ließe sich ableiten, dass Aufnahmen unter die Rundfunkfreiheit fallen. An späterer Stelle erörtern die Richter aber das Verbot der Nutzung rundfunkspezifischer Geräte in § 169 Abs. 1 S. 2 GVG im Kontext der Allgemeinzugänglichkeit der Informationsquelle „mündliche Verhandlung“.261 Das spricht dafür, dass sie Aufnahmen unter die Informationsfreiheit subsumieren. Ob daneben noch Raum für eine Anwendung der Rundfunkfreiheit verbleibt, ist fraglich. Dafür, dass das BVerfG die beiden Grundrechte nebeneinander anwendet, spricht, dass es die in seiner Honecker-Entscheidung entwickelte Linie wiederholt, nach der die Rundfunkfreiheit ebenso wie die Pressefreiheit das Stadium der Informationsbeschaffung schützt.262 Hätte es nur den Maßstab der Informa tionsfreiheit anlegen wollen, wären diese Ausführungen überflüssig gewesen. Selbst wenn seine Entscheidung aber so zu verstehen ist, dass der sachliche Schutzbereich beider Grundrechte eröffnet ist, überträgt es jedenfalls die Voraussetzungen der Informationsfreiheit – die Allgemeinzugänglichkeit der Informa tionsquelle – auf die Rundfunkfreiheit.263 Beide Grundrechte gewähren Medienvertretern nach Ansicht der Verfassungsrichter deshalb kein Recht auf die Eröffnung einer Informationsquelle, sondern bieten ihnen als Abwehrrechte allein Zugang zu allgemeinzugänglichen Informationsquellen.264 Sofern der Gesetzgeber Rundfunkaufnahmen im Gericht beschränkt, fallen sie nach dieser Konzeption nicht in den sachlichen Schutzbereich der Rundfunkfreiheit. 258
S. nur BVerfGE 91, 125 (135); 103, 44 (62); 119, 309 (319); BVerfG, NJW 2014, 3013 (3014); NJW 2017, 798. 259 Einer der Beschlüsse im einstweiligen Rechtsschutz deutet noch auf eine Eröffnung des sachlichen Schutzbereichs hin. Die Rundfunkfreiheit wäre danach verletzt, „sollte sich § 169 S. 2 GVG als verfassungswidrig herausstellen“ (BVerfG, NJW 1999, 1951). 260 BVerfGE 103, 44 (59). 261 BVerfGE 103, 44 (62). 262 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 234; Krausnick, ZUM 2001, 230 (231); ders., ZG 2002, 273 (284). 263 Von Coelln, JuS 2008, 351 (355); Dörr, in: HGR IV, § 103 Rn. 42. 264 BVerfGE 103, 44 (59 f.).
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Gegen die Maßgeblichkeit des Kriteriums der „Allgemeinzugänglichkeit“ für die Rundfunkfreiheit wird in der Literatur angeführt, eine solche Einschränkung beinhalte der Wortlaut der Rundfunkfreiheit nicht.265 Jedoch ist zu berücksichtigen, dass ihrem Wortlaut ebenso wenig zu entnehmen ist, dass sie das Stadium der Informationsbeschaffung überhaupt schützt.266 Die Formulierung des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG ist so vage, dass der sachliche Schutzbereich der Medienfreiheiten durch die Rechtsprechung des BVerfG konturiert werden musste. Sein Wortlaut spricht damit weder eindeutig für noch klar gegen eine Beschränkung der Rundfunkfreiheit auf die Information aus allgemeinzugänglichen Informationsquellen. Darüber hinaus wird in systematischer Hinsicht damit argumentiert, dass das Merkmal der „Allgemeinzugänglichkeit“ nur für die Informationsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG festgeschrieben sei.267 Dass es für die Rundfunkfreiheit nicht ausdrücklich normiert wurde, könnte den Umkehrschluss erlauben, dass der sachliche Schutzbereich jenes Grundrechts nicht auf allgemeinzugängliche Quellen beschränkt ist. Die Rundfunkfreiheit würde Medienvertreter, die sich auf sie berufen können, bei der Informationsbeschaffung in diesem Fall in einem größeren Umfang schützen als die Informationsfreiheit, auf die sich neben den Medienvertretern auch jeder andere Bürger berufen kann. Gegen eine uneingeschränkte Subsumtion der Informationsbeschaffung unter die Rundfunkfreiheit spricht nach Altenhain aber, dass sie zum Bruch im System der in Art. 5 Abs. 1 GG gewährten Grundrechte führen würde. Verweigerte man Medienvertretern den Zugang zu Gerichtsverhandlungen, läge in diesem Fall schließlich ein Eingriff in deren Grundrechte vor, der nur nach der Maßgabe des Art. 5 Abs. 2 GG zu rechtfertigen wäre. Verweigerte man diesen Zugang dagegen der Allgemeinheit, zu deren Information die Medien im Gericht präsent seien, läge kein Eingriff vor, sodass die Verweigerung nur an objektivem Verfassungsrecht zu messen wäre.268 Eine solche „Maximierung des grundrechtlichen Schutzes“269 der Medienvertreter lehnt Altenhain aber ab. Stober meint zudem, nicht nur die Medien könnten aus einer Gerichtsverhandlung berichten, sondern auch private Zuschauer, etwa durch Leserbriefe.270 In einem demokratischen Rechts265 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 395; ders., AfP 2014, 193 (194); ders., in: Strafrecht und Medien, S. 13 (S. 19); Gersdorf, AfP 2001, 29 (31); ders., in: Gerichts-TV, S. 23 (S. 28); Hain, DÖV 2001, 589 (591); Kujath, Laienjournalismus, S. 256; Pernice, Medienöffentlichkeit, S. 98; Pfeifle, ZG 2010, 283 (301). 266 Altenhain, Gutachten 71. DJT, C 80; Stober, DRiZ 1980, 3 (4). 267 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 395. 268 Altenhain, Gutachten 71. DJT, C 80. 269 Altenhain, Gutachten 71. DJT, C 80. 270 Stober, DRiZ 1980, 3 (4).
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staat müsse jedermann die Kontrolle des Gerichts im Wege der Öffentlichkeit ausüben können; eine Privilegierung der Medienvertreter verbiete sich daher.271 Zuck weist in ähnlicher Weise auf die aktuelle Tendenz zur unmittelbaren Demokratie hin, die der Privilegierung entgegenstehen könne.272 Behandelte man die „gewöhnlichen“ Bürger beim Besuch von Verhandlungen allerdings ebenso wie Medienvertreter, bliebe unberücksichtigt, dass die Gerichtssaalberichterstattung eine große Anzahl an Personen informieren kann, die über die Anwesenden im Sitzungssaal weit hinausgeht. Medien werden in besonderer Weise als Multiplikatoren des Geschehens im Gerichtssaal tätig.273 Stober ist darin zuzustimmen, dass im Zeitalter der Blogs und sozialen Medien auch „gewöhnliche“ Zuschauer immer leichter aus Verhandlungen Bericht erstatten können. Die Reichweite der etablierten Medien ist aber, wie in der Einleitung zu dieser Arbeit geschildert, immer noch größer als die des Internets, in dem die Laienberichterstatter überwiegend tätig sind.274 Das könnte es bereits in quantitativer Hinsicht rechtfertigen, die Medien beim Zugang zum Sitzungssaal zu privilegieren. Kühne meint allerdings, eine solche Privilegierung könne nicht allein mit der größeren Anzahl an Bürgern begründet werden, die über Verhandlungen durch die Berichterstattung informiert würden. Es sei fraglich, ob die mittelbare Information vieler wertvoller sei als die unmittelbare Information einzelner.275 Lässt man den quantitativen Aspekt deshalb außer Betracht, ist die Teilnahme der Medienvertreter an der Verhandlung auch qualitativ ein Aliud zur Teilnahme der Bürger. Die Medien sind schlechthin konstituierend für die freiheitlich demokratische Grundordnung.276 „Eine freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte, keiner Zensur unterworfene Presse ist ein Wesenselement des freiheitlichen Staates; insbesondere ist eine freie, regelmäßig erscheinende politische Presse für die moderne Demokratie unentbehrlich.“277 Sie legt die Informationsgrundlage, auf der Bürger politische Entscheidungen treffen, über sie werden der Meinungsaustausch und die Meinungsbildung im Volk ermöglicht, sie bietet Orientierung in Stober, DRiZ 1980, 3 (5). Zuck, NJW 2013, 1295 (1296). 273 Von Coelln, DÖV 2006, 804 (808); ders., AfP 2014, 193 (194); Hirzebruch, Neue Medien, S. 189; Jung, in: GS Kaufmann, S. 891 (S. 908); Kujath, Laienjournalismus, S. 180 f.; Schilken, GerichtsverfassungsR, § 12 Rn. 178. 274 Einleitung, A. 275 Kühne, StV 2013, 417 (418). 276 StRspr, s. nur BVerfGE 10, 118 (121); 20, 56 (97); 113, 63 (82); 117, 244 (258); BVerfG, ZUM-RD 2016, 153 (154). 277 BVerfGE 20, 162 (174). Ähnlich auch BVerfGE 50, 234 (239); 52, 283 (296); 113, 63 (76). 271 272
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der öffentlichen Diskussion.278 Zugleich kontrolliert die Presse Parlament und Regierung und schafft eine Verbindung zum Volk, indem sie seine Meinung an die Organe heranträgt.279 Dasselbe gilt für den Rundfunk. Diese wichtige Funktion der Medien rechtfertigt es, ihre Vertreter beim Zugang zu Gerichtsverhandlungen intensiver zu schützen als Einzelbürger.280 Ihr kommt ein „partielle[r] Verstärkereffekt“281 zugunsten der individuellen Rechtspositionen der Medienvertreter zu.282 Nach der Ansicht Pernices erfordern es Sinn und Zweck der Rundfunkfreiheit dennoch nicht, Journalisten gegenüber den übrigen Bürgern beim Informationszugang besser zu stellen. Sie befürchtet, andernfalls sei jeder Ausschluss der Fernsehberichterstattung, „sei es im heimatlichen Wohnzimmer, sei es in einem Büro“283, rechtfertigungsbedürftig. Dies höbe die Verfügungsbefugnis der Bestimmungsberechtigten über ihre Informationen auf.284 Dabei berücksichtigt sie jedoch nicht, dass Private nicht unmittelbar grundrechtsgebunden sind und die von ihnen erlassenen Aufnahmeverbote daher keine rechtfertigungsbedürftigen Grundrechtseingriffe sind. Dass ein Verbot des Staates als Grundrechtsverpflichtetem anders zu behandeln ist, ist in Anbetracht der beschriebenen Bedeutung der Medienfreiheiten sachgerecht. Würde man auch die Medienvertreter auf allgemeinzugängliche Quellen verweisen, würde man ihre Recherchetätigkeit außerdem nur unter unzureichenden Schutz stellen. Insbesondere im investigativen Journalismus müssen sie häufig auf nicht allgemeinzugängliche Quellen zurückgreifen.285 Die Informationsbeschaffung aus diesen Quellen wird in anderen Konstellationen ohne Weiteres als von den Medienfreiheiten umfasst betrachtet.286 Weshalb dies ausgerechnet im Gerichtssaal nicht der Fall sein soll, ist nicht ersichtlich. Sinn und Zweck der Rundfunkfreiheit sprechen nach alledem dafür, jegliche Informationsbeschaffung aus dem Gericht unter den Schutz dieser Freiheit zu stellen, unabhängig von der Allgemeinzugänglichkeit der Informationsquelle. Dieser Einschätzung hat sich mittlerweile offenbar auch das BVerfG angeschlossen. In die Richtung weisen jedenfalls die jüngeren Entscheidungen zur 278
BVerfGE 20, 162 (174 f.). BVerfGE 20, 162 (174 f.). 280 Hirzebruch, Neue Medien, S. 184 f.; Krausnick, ZUM 2001, 230 (231); Kujath, Laienjournalismus, S. 180. 281 Winkler, VerwArch 107 (2016), 536 (558). 282 Hassemer, in: Das moderne Strafrecht, S. 13 (S. 16) spricht in diesem Kontext von einer doppelten Stütze der Pressefreiheit. 283 Pernice, Medienöffentlichkeit, S. 98. 284 Pernice, Medienöffentlichkeit, S. 98. 285 Kujath, Laienjournalismus, S. 256 f. 286 Von Coelln, JuS 2008, 351 (356). 279
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Platzvergabe an Medienvertreter, in denen das BVerfG für das Zugangsrecht der Medienvertreter zur Gerichtsverhandlung, je nach Beschwerdeführer, teilweise auf die Presse- und teils auf die Rundfunkfreiheit zurückgriff.287 In einer älteren Entscheidung leitete es das Zugangsrecht in Einklang mit der n-tv-Entscheidung zwar noch aus der Informationsfreiheit her. Eine Subsumtion unter die Rundfunkfreiheit bezeichnete es als „[s]chon im Ansatz verfehlt“288. Als es allerdings über ein halbes Jahrzehnt später über eine Zugangsfrage entscheiden musste, fiel sein Urteil weniger kategorisch aus: Es nannte die Informationsfreiheit ebenso wie die in diesem Fall einschlägige Pressefreiheit als Maßstäbe für die Medienverfügungen und ließ offen, an welchem der Grundrechte sie zu messen wären.289 Seine Entscheidung für die Pressefreiheit als Maßstab der Zugangsbeschränkung fiel bei der Prüfung des Akkreditierungsverfahrens im NSU-Prozess.290 Das BVerfG untersuchte die Ausgestaltung dieses Verfahrens nur am Maßstab des Rechts auf Gleichbehandlung im publizistischen Wettbewerb, das es aus Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG herleitete. In diesem Kontext verwies es auf den Anspruch der Presse auf Zugang zur Gerichtsverhandlung.291 Die Informa tionsfreiheit erwähnte es dagegen nicht. Ähnlich verhielt es sich in der jüngsten Entscheidung des BVerfG zu Zugangsfragen im Strafprozess gegen Ulrich Hoeneß wegen Steuerhinterziehung: Dem durchgeführten Akkreditierungsverfahren erteilten die Verfassungsrichter ihr Placet. Ein erneutes Verteilungsverfahren müsse nicht stattfinden, weil andernfalls die durch die Medienfreiheiten geschützten Medienvertreter ihren Sitzplatz verlieren könnten.292 Auch in jener Entscheidung spielte die Informationsfreiheit keine Rolle. Eine einheitliche Subsumtion der Informationsbeschaffung unter die Medienfreiheiten beseitigt zuletzt den Widerspruch, der de lege lata entsteht, weil das BVerfG die richterlichen Aufnahmebeschränkungen im Umfeld einer Verhandlung an der Rundfunkfreiheit misst, das gesetzliche Verbot derselben Aufnahmehandlung nach § 169 Abs. 1 S. 2 GVG während der mündlichen Verhandlung dagegen nicht oder jedenfalls nur unter Anlegung der beschriebenen engeren Maßstäbe.293
287 Von Coelln, AfP 2014, 193 (194) spricht diesbezüglich von einer „dogmatische[n] Rejustierung“. 288 BVerfG, NJW 2003, 500. 289 BVerfG, NJW 2010, 1739. 290 Zu dessen Ablauf ausführlicher: Kap. 1, B. II. 3. b). 291 BVerfG, NJW 2013, 1293 (1294). 292 BVerfG, Beschl. vom 12.02.2014 – 1 BvQ 8/14, BeckRS 2014, 49615, Rn. 4. 293 Vgl. von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 401; Hirzebruch, Neue Medien, S. 309; Kujath, Laienjournalismus, S. 256; Odörfer, in: Barczak, BVerfGG, § 17a Rn. 11.
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Die Rundfunkfreiheit schützt demzufolge in Parallele zur Pressefreiheit vollumfänglich das Recht der Rundfunkvertreter, sich über das Geschehen in einer öffentlichen Verhandlung zu informieren und darüber zu berichten.294 Zur Informationsbeschaffung gehört dabei die Aufnahmetätigkeit. Die Informationsverbreitung umfasst die Übertragung der Aufnahmen und die Übermittlung der Textberichte in Echtzeit über das Internet. c) Verhältnis der Informationsfreiheit zu den Medienfreiheiten Die Informationsbeschaffung zum Zweck der Gerichtssaalberichterstattung fällt nach alledem sowohl in den sachlichen Schutzbereich der Informationsfreiheit als auch in den sachlichen Schutzbereich der jeweils einschlägigen Medienfreiheit. Um festzustellen, welche der Grundrechte für die vorliegende Untersuchung relevant sind, muss ihr Verhältnis zueinander untersucht werden. Denkbar wäre einerseits, dass die Informationsfreiheit die einschlägige Medienfreiheit aufgrund ihrer Spezialität verdrängt.295 Möglich wäre es andererseits, dass die jeweils relevante Medienfreiheit spezieller ist als die Informationsfreiheit und sie deshalb zurücktreten lässt.296 Zuletzt wäre es denkbar, dass beide Grundrechte nebeneinander anwendbar sind.297 Die Rechtsprechung des BVerfG ist in dieser Frage nicht eindeutig. Einen Anhaltspunkt dafür, dass die Informationsfreiheit die Medienfreiheiten aus ihrer Sicht jedenfalls nicht verdrängt, liefert die Senatsmehrheit in ihrem n-tv-Urteil. Für die Nutzung rundfunkspezifischer Mittel konstatiert sie darin die Spezialität der Rundfunkfreiheit.298 Eine Feststellung der Art, dass die Informationsfreiheit für die Informationsbeschaffung das speziellere Grundrecht ist, findet sich in der Entscheidung dagegen nicht. Wäre das BVerfG von der Spezialität der Informa294 Bamberger, ZUM 2001, 373 (374); Brosius-Gersdorf, TKMR 2002, 356 (358); Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 135 f.; Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 169 Rn. 90; Pernice, Medienöffentlichkeit, S. 145; Sauer, in: BeckOK BVerfGG, § 17a Rn. 5; Schemmer, in: BeckOK GG, Art. 5 Rn. 75.1; Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, Vor § 169 GVG Rn. 15. 295 So wohl Fuhr, in: FS Armbruster, S. 117 (S. 123 f.). Ebenso wohl Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 5 Rn. 33 im Verhältnis der Informations- und der Pressefreiheit. Für ein Spezialitätsverhältnis, ohne aber das speziellere Grundrecht zu nennen, auch Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 5 I, II Rn. 312. 296 Bethge, in: Sachs, GG, Art. 5 Rn. 63; von Coelln, JuS 2008, 351 (357); Hain, DÖV 2001, 589 (590 f.); Hauth, Sitzungspolizei, S. 110; Pernice, Medienöffentlichkeit S. 100. In die Richtung auch von Coelln, AfP 2014, 193 (194). 297 Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 383; Grabenwarter, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. 1 Rn. 326; Hirzebruch, Neue Medien, S. 186; Kujath, Laienjournalismus, S. 105 f.; dies., AfP 2013, 269 (272); Krausnick, ZUM 2001, 230 (231); Meyer-Goßner, ZRP 1982, 237 (239); Wendt, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 5 Rn. 22. 298 BVerfGE 103, 44 (59).
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Kap. 2: Für Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
tionsfreiheit ausgegangen, hätte es dies jedoch womöglich ähnlich deutlich ausgedrückt.299 Dass es den Schutz durch die Informationsfreiheit bejaht und dennoch darauf hinweist, dass die Rundfunkfreiheit die Informationsbeschaffung schützt, könnte dafür sprechen, dass das BVerfG die Grundrechte nebeneinander anwenden will.300 Für die Spezialität der Informationsfreiheit könnte aber sprechen, dass dieses Grundrecht die größere Sachnähe zu dem geschützten Verhalten aufweist. Während die Informationsfreiheit ausschließlich die Beschaffung von Informationen schützt, garantieren die Medienfreiheiten die Information nur als eine von vielen Tätigkeiten der Medienvertreter.301 Dem prinzipiell ungehinderten Zugang zu Informationen kommt dabei zwar eine große Bedeutung zu. Daneben wird bspw. aber auch die Aufbereitung und Verbreitung der Informationen gewährleistet. Dass ein Grundrecht neben der fraglichen Tätigkeit noch weitere Handlungen schützt, deutet allerdings nicht auf dessen geringere Sachnähe hin. Denkbar wäre auch, die Medienfreiheiten im Hinblick auf ihren Adressatenkreis als sachnäher zu betrachten. Sie schützen nur die Informationsbeschaffung durch Medienvertreter, die Informationsfreiheit dagegen die Informationsbeschaffung durch jeden Bürger.302 Das Kriterium der Sachnähe spricht daher weder eindeutig für noch klar gegen die Spezialität eines der Grundrechte. Für die Begründung eines Vorrangs der Informationsfreiheit könnte jedoch das Parallelproblem der Konkurrenz zwischen den Medienfreiheiten und der Meinungsfreiheit herangezogen werden.303 Nach h. M. wird der Inhalt einer medial verbreiteten Meinung nur an der Meinungsfreiheit gemessen, nicht an der jeweils relevanten Medienfreiheit.304 Die Medienfreiheit greift erst, wenn es um die medienspezifische Verbreitung einer Meinung geht.305 In Parallele hierzu wollen einige Autoren zwischen „den allgemein-informatorischen und den medienspezifisch-informatorischen“306 Handlungen unterscheiden. Während die allgemeine Informationsaufnahme durch Zuhören und Zusehen auch für Medienvertreter nur durch die Informationsfreiheit geschützt werde, würden ihre
Krausnick, ZG 2002, 273 (284). Krausnick, ZUM 2001, 230 (231). 301 So, dies im Ergebnis jedoch ablehnend, von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 257 f. 302 In diese Richtung Hain, DÖV 2001, 589 (590). 303 So, dies im Ergebnis jedoch ablehnend, von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 234 ff. 304 BVerfGE 85, 1 (13); 95, 28 (34); 97, 391 (400); BVerfG, NJW 2004, 590 (591); NJW 2012, 756; Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 51; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 5 Rn. 32; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 5 I, II Rn. 97. 305 Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 5 I, II Rn. 97. 306 Kujath, Laienjournalismus, S. 184. 299 300
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medienspezifischen Informationshandlungen wie bspw. Aufnahmen daneben durch die Medienfreiheiten geschützt.307 Hiergegen spricht jedoch nicht nur, dass eine natürlich einheitliche Handlung308 – Medienvertreter sind bei einem Ereignis anwesend, sehen ihm zu und nehmen es bspw. auf – künstlich unterteilt würde. Während die Verbreitung einer Meinung sowohl durch die Meinungsfreiheit als auch durch die beiden Medienfreiheiten umfassend geschützt würde, wäre der Schutz der allgemeinen Informationsbeschaffung durch die Informationsfreiheit geringer als der jener Informationsbeschaffung durch die beiden Medienfreiheiten. Dadurch, dass der Schutzbereich der Informationsfreiheit nur in Bezug auf allgemeinzugängliche Quellen eröffnet ist, könnten Medienvertreter sich womöglich nicht vollumfänglich informieren. Das wäre insbesondere im Bereich der investigativen Berichterstattung problematisch. Der großen Relevanz der Medienfreiheiten in der freiheitlichen Demokratie würde die Übertragung dieses Gedankens somit nicht gerecht.309 Von Coelln meint, diese Bedeutung spreche gerade für den Vorrang der Medienfreiheiten vor der Informationsfreiheit.310 Andere Autoren aber führen die fundamentale Bedeutung der Medien als Begründung für ein Nebeneinander aller einschlägigen Grundrechte an. Die wichtige Rolle der Medien erfordere es, die Medienvertreter bei ihrer Informationsbeschaffung besser zu schützen als die Allgemeinheit.311 Sie ziehen daraus den Schluss, dass Medienvertreter sich neben der Informationsfreiheit für allgemeine wie für medienspezifische Informationshandlungen auf die Medienfreiheiten berufen können.312 Dem ist in der Begründung, allerdings nicht im Ergebnis zuzustimmen. Dass und wieso Medienvertreter in dem besonders wichtigen Stadium der Informationsbeschaffung nicht darauf verwiesen werden dürfen, sich nur aus allgemeinzugänglichen Quellen zu informieren, wurde bereits ausgeführt.313 Die nötige Privilegierung schafft aber gerade der Schutz durch die spezielleren Medienfreiheiten. Ein Bedürfnis für zusätzlichen Schutz durch die Informationsfreiheit besteht nicht. Sie muss daher hinter den Medienfreiheiten zurückstehen.
Hirzebruch, Neue Medien, S. 186; Kujath, Laienjournalismus, S. 184. eine solche vorliegt, erkennen auch Hirzebruch, Neue Medien, S. 186; Kujath, Laienjournalismus, S. 182 f. als Vertreter dieser Ansicht an. 309 Ausführlicher zu dieser Bedeutung: Kap. 2, C. I. 2. b) bb). 310 Von Coelln, DÖV 2006, 804 (808). 311 Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 383; Hirzebruch, Neue Medien, S. 184 f.; Krausnick, ZUM 2001, 230 (231). 312 Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 383; Rose, Recherche, S. 36. 313 Vgl. Kap. 2, C. I. 2. b) bb). 307
308 Dass
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3. Gerichtssaalberichterstattung im persönlichen Schutzbereich der Medienfreiheiten Dass die Medienfreiheiten die Gerichtssaalberichterstattung in sachlicher Hinsicht schützen, bedeutet jedoch nicht, dass jeder Berichterstatter sich auch auf diesen Schutz berufen kann. In persönlicher Hinsicht enthalten die beiden Me dien freiheiten zwar keinerlei Einschränkungen. Neben natürlichen Personen können prinzipiell auch inländische juristische Personen gemäß Art. 19 Abs. 3 GG in ihren persönlichen Schutzbereich fallen.314 Einen Sonderfall stellen jedoch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten dar, deren Tun in sachlicher Hinsicht durch die Rundfunkfreiheit geschützt wird. Als juristische Personen des öffentlichen Rechts, die mit ihrer Veranstaltung des Rundfunks eine öffentliche Aufgabe erfüllen, sind sie prinzipiell nicht grundrechtsfähig. Die Ausdehnung des Grundrechtsschutzes auf diese Rundfunkanstalten, so das BVerfG, sei unvereinbar mit der Eigenschaft der Grundrechte als Abwehrrechte des Einzelnen gegen den Staat. Grundrechte böten dem Staat andernfalls Schutz vor dem Bürger und nicht – entsprechend ihrer Konzeption – dem Bürger Schutz vor dem Staat.315 Anders sei dies aber für die Rundfunkfreiheit zu bewerten, weil die Rundfunkanstalten unmittelbar dem durch dieses Grundrecht geschützten Lebensbereich zuzurechnen seien.316 Sie seien gerade mit dem Zweck gegründet worden, die Rundfunkfreiheit in einem Bereich zu gewährleisten, in dem sie vom Staat unabhängig seien. Dementsprechend seien sie so organisiert worden, dass der staatliche Einfluss auf sie ausgeschlossen sei.317 Für die Rundfunkfreiheit ist die Grundrechtsfähigkeit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten aus dem Grund ausnahmsweise zu bejahen, sodass sich alle Medienunternehmen und -vertreter auf die Medienfreiheiten berufen können. 4. Regelung der Gerichtssaalberichterstattung als Eingriff in die Medienfreiheiten Jede Regelung der Gerichtssaalberichterstattung, nach der Berichte nicht oder nur eingeschränkt möglich sind, stellt einen Eingriff in die Medienfreiheiten dar.318 Indem die Anfertigung der Aufnahmen oder ihre Ausstrahlung bzw. die Übermittlung der Textberichte in Echtzeit verboten oder einschränkt werden, S. nur von der Decken, in: SHH-GG, Art. 5 Rn. 10, 14, 21, 28. BVerfGE 59, 231 (254 f.). 316 BVerfGE 31, 314 (322); 59, 231 (254); 74, 297 (317 f.); 107, 299 (309 f.). 317 BVerfGE 31, 314 (322). 318 Daneben kommt ein Eingriff in die Rechte der Medien aus Art. 10 Abs. 1 EMRK in Betracht (s. dazu Kreicker, ZIS 2017, 85 [99]). Weil sie vorliegend aber keinen weitreichende314 315
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wird den Medienvertretern die Beschaffung und, dem nachgelagert, die Verbreitung von Informationen mindestens erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht.319 Das schließt eine solche Regelung allerdings nicht von vornherein aus. Die Grundrechte in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG sind, wie der qualifizierte Gesetzesvorbehalt in Art. 5 Abs. 2 GG zeigt, vielmehr einschränkbar. Ihre zentrale320, auch im vorliegenden Fall relevante321 Schranke sind die allgemeinen Gesetze. Ein Gesetz ist nach stRspr des BVerfG allgemein, wenn es sich nicht speziell gegen die Medien oder gegen eine Meinung richtet, sondern ein schlechthin, ohne Rücksicht auf bestimmte Informationen oder Meinungen zu schützendes Rechtsgut schützt.322 Der Bedeutung der Mediengrundrechte in einer freiheitlichen Demokratie muss bei der Anwendung eines allgemeinen Gesetzes zudem im Rahmen der Wechselwirkungslehre Rechnung getragen. Das allgemeine Gesetz muss danach im Licht des eingeschränkten Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 GG ausgelegt und angewendet werden. Hierfür muss im Einzelfall zwischen dem Schutzgut des Gesetzes und dem Grundrecht abgewogen werden.323 Dies muss der Gesetzgeber bereits berücksichtigen, wenn er einschränkende allgemeine Gesetze erlässt.324
II. Öffentliches Informationsinteresse 1. Relevanz im Kontext der Kommunikationsgrundrechte Betrachtet man die Rechtsprechung des BVerfG, die im ersten Kapitel dargestellt wurde, fällt eine Begrifflichkeit auf, die im Kontext der Kommunikationsgrundrechte immer wieder verwendet wird: das öffentliche Informationsinteresse. Mehrmals wird dieses Interesse als ein Aspekt erwähnt, der zugunsten der Beren Schutz gewähren als die Rechte aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG, werden sie im Folgenden nicht näher betrachtet. 319 Zum Eingriffsbegriff bei Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG s. nur Grabenwarter, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. 1 Rn. 386. 320 Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 92; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 5 Rn. 66; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 5 I, II Rn. 136. 321 Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 481. 322 StRspr, s. nur BVerfGE 7, 198 (209 f.); 91, 125 (135); 117, 244 (260); 120, 180 (200); 124, 300 (322). Zu beachten ist allerdings, dass das BVerfG in seinen älteren Entscheidungen noch forderte, das Schutzgut des Gesetzes dürfe dem Grundrechtsschutz nach Art. 5 Abs. 1 GG nicht nachstehen. Diese Anforderung hat es in seinen jüngeren Entscheidungen aber in die Verhältnismäßigkeitsprüfung verlagert (Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 5 I, II Rn. 142). 323 BVerfGE 7, 198 (208 f.); 91, 125 (136); 117, 244 (260); 124, 300 (331 f.); 128, 226 (265 f.). 324 Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 102; Fechner, in: Stern/Becker, GRe, Art. 5 Rn. 285.
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richte aus dem Gerichtssaal in die Abwägung mit den kollidierenden Rechten und schutzwürdigen Interessen einzustellen ist.325 2. Dogmatische Grundlage des öffentlichen Informationsinteresses Unklar bleibt jedoch in der dargestellten Rechtsprechung des BVerfG, welche Rechtsgrundlage das Informationsinteresse hat. Will man es zugunsten der Gerichtssaalberichterstattung berücksichtigen, ist es unabdingbar, seine dogmatische Grundlage zu kennen. Daraus ergibt sich schließlich sein abstraktes Gewicht in der Abwägung mit kollidierenden Positionen. Weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur lässt sich eine einheitliche Linie zur dogmatischen Grundlage des Informationsinteresse der Öffentlichkeit erkennen.326 Das BVerfG nahm in seiner Rechtsprechung zur Gerichtssaalberichterstattung auf die Medienfreiheiten Bezug. In einigen Entscheidungen betrachtete es das öffentliche Informationsinteresse – wenn auch nicht ausdrücklich – als einen Teil der Pressefreiheit327 bzw. der Rundfunkfreiheit328. Zugleich existieren allerdings Entscheidungen, in denen es das Informationsinteresse neben der jeweils maßgeblichen Medienfreiheit in die Abwägung einstellte, ohne eine separate Grundlage zu nennen.329 Der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung lässt sich demnach nur die Tendenz entnehmen, das Informationsinteresse mit den Grundrechten aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG in Zusammenhang zu bringen.330 Wie genau sie zusammenhängen, bleibt dagegen offen. Auch in der Literatur wird das öffentliche Informationsinteresse von einigen Autoren auf verschiedene Grundrechte nach Art. 5 Abs. 1 GG zurückgeführt. Von Coelln meint, der Anknüpfungspunkt für das Informationsinteresse seien die Medienfreiheiten.331 Nagel und Wickern betrachten das Informationsbedürfnis dagegen als sowohl durch die Informationsfreiheit als auch durch die Pressefrei325 S. nur BVerfGE 91, 125 (138): „Dabei fällt auf der einen Seite das Informationsinteresse der Öffentlichkeit an diesem Verfahren ins Gewicht, das die Rundfunkanstalten befriedigen wollten.“; BVerfGE 119, 309 (321 f.): „Das [öffentliche] Informationsinteresse wird regelmäßig umso stärker sein und in der Abwägung an Gewicht gewinnen, je mehr die Straftat sich von der gewöhnlichen Kriminalität abhebt“. 326 So für die Rechtsprechung des BVerfG ebenfalls Fechner, in: Stern/Becker, GRe, Art. 5 Rn. 117; ders./Popp, AfP 2006, 213. 327 BVerfG, NJW 2009, 2117 (2118). 328 BVerfGE 35, 202 (230 ff.); 91, 125 (138); 119, 309 (321 f.); BVerfG, NJW 2003, 2523; NJW-RR 2007, 1416; NJW 2009, 350 (351). 329 BVerfG, NJW 1999, 1951; NJW 2000, 2890 (2890 f.). 330 Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 116. In einem anderen Kontext führte es das öffentliche Informationsinteresse dagegen auf die Meinungsfreiheit zurück (s. BVerfG, NJW 1997, 2669 [2670]). 331 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 265, 407.
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heit geschützt.332 Nach Fechner und Popp ist das Informationsinteresse die kollektive Version der Informationsfreiheit.333 Sie ordnen es als ein eigenständiges grundrechtsgleiches Recht ein.334 Auch Kujath führt das Informationsinteresse auf die Informationsfreiheit zurück.335 Sie misst ihm jedoch nicht den Status eines grundrechtsgleichen Rechts zu, sondern schlägt den Bogen zu den Medienfreiheiten, indem sie die Informationsaufnahme der Medienvertreter als Spiegelbild des Informationsinteresses der Öffentlichkeit einordnet.336 Im Schrifttum finden sich aber auch Stimmen, die das öffentliche Informationsinteresse auf objektive Verfassungsprinzipien zurückführen. Nach Linkes Meinung ist das legitime öffentliche Informationsinteresse, als welches er dasjenige Interesse einordnet, dessen Befriedigung durch eine inhaltliche Bericht erstattung erfolgt, auf das Demokratieprinzip zurückzuführen.337 In ähnlicher Weise meint Burballa, das öffentliche Informationsinteresse gehe auf die Infor mationsfunktion und die Kontrollfunktion des Öffentlichkeitsgrundsatzes zurück,338 die er wiederum auf das Demokratie- und auf das Rechtsstaatsprinzip zurückführt.339 Will man jedoch mit Linke eine verfassungsrechtliche Fundierung nur im Fall eines legitimen Informationsinteresse annehmen, ruft das die schwierig zu beantwortende Folgefrage hervor, wann ein Informationsinteresse legitim ist. Das kann entgegen seiner Ansicht nicht nur bei einer informierenden Berichterstattung der Fall sein. Die sachliche Berichterstattung wird durch die beiden Me dienfreiheiten ebenso geschützt wie die Vermittlung unterhaltender Inhalte.340 Dies muss auch bei einer Betrachtung aus der Perspektive des Demokratieprinzips gelten. Die Rückführung auf den Öffentlichkeitsgrundsatz, die Burballa vorschlägt, lässt sich kritisieren, weil sie die Frage der Rechtsgrundlage nur mit Blick auf die mündlichen Verhandlungen beantwortet. Allein in dieser Phase gilt schließlich der Grundsatz der Öffentlichkeit nach § 169 Abs. 1 S. 1 GVG. Das Informations332 Nagel, in: FS Goerlich, S. 243 (S. 252); Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, Vor § 169 GVG Rn. 4. 333 Fechner, in: Stern/Becker, GRe, Art. 5 Rn. 118, 333; ders., MedienR, 3. Kap. Rn. 104; ders./Popp, AfP 2006, 213 (214). 334 Fechner, in: Stern/Becker, GRe, Art. 5 Rn. 333; ders./Popp, AfP 2006, 213 (214). 335 Kujath, Laienjournalismus, S. 165; dies., AfP 2013, 269 (271). 336 Kujath, Laienjournalismus, S. 164, 167, 171. S. auch Brosius-Gersdorf, TKMR 2002, 356 (359), nach der den Medien korrespondierend zum Informationsinteresse ein Informationsauftrag zukommt. 337 Linke, VR 2002, 378 (384). 338 Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 115. 339 Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 36 f. 340 Kap. 2, C. I. 2. b).
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interesse der Allgemeinheit wird vom BVerfG zurecht aber auch mit Blick auf die Vorgänge im Umfeld einer Verhandlung bejaht.341 Diesbezüglich ließe sich Burballas Ansatz nicht fruchtbar machen. Beide Begründungen für die Fundierung des öffentlichen Informationsinteresses in objektiven Verfassungsgrundsätzen greifen daher im Ergebnis zu kurz. Zieht man stattdessen die beiden Medienfreiheiten heran, wie es offenbar das BVerfG tut, findet nach der Ansicht Fechners eine „unzulässige Verkürzung dieses Rechtsinstituts“342 statt. Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit werde nämlich nicht nur im Kontext der Berichterstattung relevant. Es diene vielmehr dem Schutz der Öffentlichkeit im Allgemeinen.343 Würde das Interesse auf die Medienfreiheiten zurückgeführt, so lässt Fechner sich verstehen, könnten sich „gewöhnliche“ Bürger darauf nicht berufen. Dagegen würde das öffentliche Informationsinteresse die Position der Medienvertreter auch dann verstärken, wenn es auf die allgemeinere Informationsfreiheit zurückgeführt werde.344 Sie sind schließlich „jedermann“ i. S. des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG und können sich daher wie „normale“ Bürger auf die Informationsfreiheit berufen. Auch sprachlich liegt es nahe, das Informationsinteresse der Öffentlichkeit der Informationsfreiheit zuzuordnen. Fechner und Popp begründen dies außerdem damit, dass die Informationsbeschaffung ein Informationsinteresse denklogisch voraussetzt.345 Dem liegt wohl die Überlegung zugrunde, sein Recht auf einen ungehinderten Zugang zu Informationen mache nur geltend, wer ein Interesse an den Informationen hat. Das Informationsinteresse wäre damit eine Art Vorstufe der Informationsbeschaffung. In dieser Beschreibung klingt aber bereits ein Argument gegen diese Einordnung an: Die Informationsfreiheit schützt die Handlung der Informationsbeschaffung. Ob derjenige, der sich die Informationen beschafft, daran ein eigenes Interesse hat oder ein fremdes Interesse wahrnimmt, ob es sich um sein Individualinteresse handelt oder die Mehrheit der Bevölkerung dieses Interesse teilt, ist irrelevant. Es kommt für die Eröffnung des Schutzbereichs der Informationsfreiheit nicht auf die Motivation des Grundrechtsträger an. Sie wird durch dieses Grundrecht daher auch nicht geschützt. Ein weiteres Argument gegen die Informationsfreiheit als Rechtsgrundlage lässt sich deren historischem Hintergrund entnehmen. Sie soll, wie gezeigt, den Staat an einer Beschränkung des Informationszugangs zulasten der Bürger hin341
S. nur BVerfGE 91, 125 (138, 139); 119, 309 (321 f.); BVerfG, NJW 2009, 2117 (2118); NJW 2017, 798 (799); NJW 2017, 3288 (3289). 342 Fechner, in: Stern/Becker, GRe, Art. 5 Rn. 118. 343 Fechner, in: Stern/Becker, GRe, Art. 5 Rn. 118, 120. 344 Fechner, in: Stern/Becker, GRe, Art. 5 Rn. 334; ders./Popp, AfP 2006, 213 (214). 345 Fechner/Popp, AfP 2006, 213 (214).
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dern.346 Damit ist die Situation bei der Berichterstattung aber nicht vergleichbar: Das öffentliche Informationsinteresse ist in dieser Konstellation der Gegenpol zum Interesse einzelner Bürger, nicht zum Gegenstand dieser Berichterstattung zu werden. Es ist mithin nicht der Staat, der die Informationen zu einer gewissen Frage zurückhalten will, sondern ein Privater. Auf diese Konstellation ist die Informationsfreiheit jedoch nicht zugeschnitten. Daher liefert sie auch nicht die passende Rechtsgrundlage für das öffentliche Informationsinteresse. Hilfreich für die dogmatische Einordnung ist vielmehr die von Kujath vorgeschlagene Konzeption des Informationsinteresses als Spiegelbild zum Informationsauftrag der Medien. Dass Medien über ein Thema berichten, verfolgt schließlich keinen Selbstzweck. Sie sollen mit ihren Berichten vielmehr zur Information der Allgemeinheit beitragen.347 Zwar entscheiden die Medienvertreter selbst, worüber sie diese Allgemeinheit informieren und welche Meinungen sie präsentieren. Das garantieren ihnen die Gestaltungs- bzw. die Programmfreiheit.348 Besteht aber ein öffentliches Informationsinteresse an einem Thema, so stützt dieses Interesse ihre Entscheidung. Damit tragen die Medien schließlich den Bedürfnissen der Öffentlichkeit Rechnung, die sie informieren sollen. Weil es die individuelle Rechtsposition der Medienvertreter durch gesamtgesellschaftliche Aspekte verstärkt, gibt das Informationsinteresse dem jeweils einschlägigen Grundrecht in der Abwägung mit kollidierenden Rechten und Interessen ein größeres Gewicht.349 Demnach findet das Informationsinteresse der Öffentlichkeit seine dogmatische Grundlage in der Medienfreiheit, zu deren Stärkung es in die Abwägung mit den entgegenstehenden Positionen einfließt. Je größer das öffentliche Informationsinteresse, desto schwerer wiegt damit die jeweilige Medienfreiheit. 3. Öffentliches Informationsinteresse an Gerichtsverfahren Fechner definiert das Informationsinteresse der Öffentlichkeit zutreffend als die „Befugnis der Öffentlichkeit, über alle wichtigen politischen, gesellschaftlichen und anderen Ereignisse von zeitgeschichtlicher Bedeutung informiert zu werden.“350 Der Rechtsprechung des BVerfG zu Gerichtssaalberichterstattung lassen sich vier Fallgruppen entnehmen, in denen es dieses Interesse bejaht: Erstens kann ein öffentliches Informationsinteresse aufgrund der Personen der Verfahrensbeteiligten bestehen, etwa wenn sie eine herausgehobene Funktion in der 346
Vgl. Kap. 2, C. I. 2. a). Murmann, in: Strafrecht und Medien, S. 5 (S. 6). 348 Kap. 2, C. I. 2. b). 349 So im Ergebnis auch Janisch, AfP 2000, 32 (33). 350 Fechner, in: Stern/Becker, GRe, Art. 5 Rn. 116. 347
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Kap. 2: Für Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
Politik innehaben.351 Zweitens kann es sich aus dem Verfahrensgegenstand ergeben,352 in Strafverfahren bspw. aus dem Inhalt des konkreten Schuldvorwurfs353. Das Interesse ist dabei umso gewichtiger, je mehr sich der Gegenstand des Verfahrens vom Alltäglichen abhebt.354 Drittens kann die öffentliche Diskussion über ein Gerichtsverfahren ein öffentliches Informationsinteresse begründen.355 Viertens kann, eng hiermit verwandt, das Informationsinteresse der Öffentlichkeit auf die Medienberichterstattung über den Verfahrensgegenstand zurückzuführen sein.356
III. Objektiv-rechtliche Dimension der Kommunikationsgrundrechte In all seinen Entscheidungen zur Gerichtssaalberichterstattung berücksichtigte das BVerfG die Kommunikationsgrundrechte in ihrer abwehrrechtlichen Dimension. Ihre objektiv-rechtliche Dimension357 spielte für die Verfassungsrichter dagegen bislang keine Rolle.358 Auch der Begründung des EMöGG, in der der Gesetzgeber erstmals auf die Grundrechte in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG rekurrierte, lassen sich keine Überlegungen hierzu entnehmen. Die objektiv-rechtliche Dimension der Grundrechte ist jedoch für die Frage, inwiefern die Gerichtssaalberichterstattung zugelassen werden soll, durchaus relevant, gibt sie dem Gesetzgeber doch den Auftrag, die beiden Medienfreiheiten „aktiv zu stützen, zu sichern und zu festigen“359. Insbesondere ist es für diese Arbeit maßgeblich, dass ein Ausdruck der staatlichen Schutzpflicht, die aus dieser Dimension folgt, sein kann, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Bürger ihre Freiheit überhaupt betätigen können.360 In der Literatur finden sich dem351
BVerfGE 95, 125 (138); BVerfG, AfP 2007, 551. BVerfGE 119, 309 (321, 322); BVerfG, NJW 1996, 581 (582). 353 BVerfGE 119, 309 (321 f.); BVerfG, NJW 1996, 581 (582). 354 So für Strafverfahren BVerfGE 35, 202 (231); 119, 309 (321 f.); BVerfG, NJW 2009, 350 (351); NJW 2009, 2117 (2118); NJW 2012, 2178 (2179). 355 BVerfG, NJW-RR 2007, 1416; NJW 2009, 2117 (2118). 356 BVerfG, NJW 1999, 1951; Beschl. vom 11.12.2007 – 1 BvR 3129/07, BeckRS 2008, 30823, Rn. 11. Kritisch zur daraus resultierenden Definitionsmacht der Medien allerdings Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 163; Hamm, Große Strafprozesse, S. 83; Schmidt, Justiz und Pu blizistik, S. 30 f. 357 S. hierzu für die Pressefreiheit nur BVerfGE 20, 162 (175); 80, 124 (133); 86, 122 (128); 117, 244 (258 f.); 120, 180 (204) und für die Rundfunkfreiheit nur BVerfGE 31, 314 (326); 57, 295 (319 f.); 74, 298 (323); 117, 244 (258 f.). 358 So für die n-tv-Entscheidung Krausnick, ZUM 2001, 230 (231); ders., ZG 2002, 273 (283). 359 Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 5 I, II Rn. 213. 360 Bethge, in: Sachs, GG, Art. 5 Rn. 73; Grabenwarter, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. 1 Rn. 436; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 5 I, II Rn. 218. 352
C. Kommunikationsgrundrechte
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entsprechend einige wenige Stimmen, die sich mit der objektiv-rechtlichen Dimension der Medienfreiheiten im Kontext der Gerichtssaalberichterstattung befassen. Arndt untersuchte die Berichte aus dem Gericht schon in den 1960er Jahren unter Bezugnahme auf die institutionelle Eigenständigkeit der Presse.361 Wegen dieser Eigenständigkeit, so seine Forderung, seien die Gerichte dazu angehalten, angemessene Arbeitsmöglichkeiten für die Pressevertreter zu schaffen.362 Dem Gesetzgeber sei zudem untersagt, in einer öffentlichen Gerichtsverhandlung deren berichterstattende Tätigkeit zu verbieten. Zu dieser Tätigkeit zählte er das Zeichnen und das Fotografieren, sofern es nicht störte. Ob dasselbe für Bild/ Ton-Aufnahmen und Ton-Aufnahmen gelten sollte, ließ er offen.363 Seine Posi tion lässt sich daher so zusammenfassen, dass die objektiv-rechtliche Dimension der Pressefreiheit eine Zulassung der Berichterstattung erfordert, die jedenfalls in gewissem Umfang über die bloße Möglichkeit zur Teilnahme an der mündlichen Verhandlung als Zuschauer hinausgeht. Die Autoren, die sich in jüngerer Zeit mit der objektiv-rechtlichen Dimension der Medienfreiheiten auseinandersetzten, bewerteten dies anders. Linke nimmt auf „institutionelle Aspekte“364 der Medienfreiheiten Bezug, kritisiert jedoch, dass Quasi-Leistungsrechte dieser Art relativ unbestimmt sind. Altenhain bezieht sich ebenfalls auf die institutionelle Dimension der Medienfreiheiten.365 Er zieht eine Parallele zur Begründung, mit der das BVerwG einen verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch der Pressevertreter gegen Bundesbehörden angenommen hatte:366 Der Gesetzgeber ist danach aufgrund des objektiv-rechtlichen Gehaltes der Pressefreiheit verpflichtet, die Rechtsordnung derart auszugestalten, dass der Presse ihre funktionsgemäße Betätigung möglich ist. Das setzt voraus, dass er die Behörden zur Auskunft gegenüber Pressevertretern verpflichtet.367 361 Das ist umso bemerkenswerter, als der objektive Gehalt der Grundrechte zu jener Zeit noch nicht herausgearbeitet worden war (Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 132; Zuck, NJW 1995, 2082). 1959 führte das BVerfG die institutionelle Eigenständigkeit der Presse erstmals in einer seiner Entscheidungen an (vgl. BVerfGE 10, 119 [121]). 362 Ähnlich, jedoch unter Bezugnahme auf die Informationsfreiheit, Maul, MDR 1970, 286 (287): Die Gerichte müssten „großzügig und wohlwollend Auskunft“ geben und dürften der Arbeit der Nachrichtenorgane „keine unnötigen Hindernisse in den Weg“ legen. 363 Arndt, NJW 1960, 423 (424). 364 Linke, VR 2002, 378 (382). 365 Altenhain, Gutachten 71. DJT, C 80 f. 366 S. hierzu BVerwGE 146, 56 (64); 151, 348 (355); 154, 222 (225); BVerwG, NVwZ 2015, 1383; Beschl. vom 17.11.2016 – 6 A 3.15, BeckRS 2016, 113717, Rn. 12; Beschl. vom 21.09.2016 – 6 A 10.14, BeckRS 2016, 54085, Rn. 8; ZD 2017, 483 (484). Offengelassen aber in BVerfG, NVwZ 2016, 50 (51). 367 BVerfGE 20, 162 (176); BVerwGE 146, 56 (63); 154, 222 (225).
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Kap. 2: Für Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
Weil der Gesetzgeber gegenüber den Bundesbehörden keinen pressespezifischen Informationsanspruch kodifizierte, ergibt sich dieser Anspruch unmittelbar aus der Pressefreiheit. Um die Ausgestaltungsprärogative des Gesetzgebers nicht zu unterlaufen, gewährleistet Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 1 GG aber nur einen Minimalstandard an Auskünften.368 Diese Argumentation überträgt Altenhain auf den Zugang zu Gerichtsverhandlungen:369 Mehr als ein Minimalstandard müsse auch in dieser Hinsicht nicht gewährleistet werden, um eine funktionsgemäße Betätigung der Medien zu sichern. Dieser Standard werde aber schon durch die Möglichkeit der Medienvertreter gewährleistet, an Verhandlungen teilzunehmen und anschließend darüber zu berichten.370 Insbesondere für Aufnahmen im Gericht streitet die objektiv-rechtliche Dimension der Medienfreiheiten nach seiner Ansicht demnach nicht. Der aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 GG) stützt diese Position und spricht ganz generell dagegen, Leistungsrechte zu großzügig aus der Verfassung abzuleiten.371 Dem Gesetzgeber kommt bei der Erfüllung des Auftrages, den die Medienfreiheiten ihm in objektiv-rechtlicher Hinsicht auferlegen, eine Einschätzungs- und Ausgestaltungsprärogative zu.372 Indem die wenigen Leistungsrechte, die aus der Verfassung selbst abgeleitet werden, auf die Gewährleistung eines Mindeststandards reduziert werden, wird dieses Vorrecht der Legislative abgesichert. Der für die Gerichtssaalberichterstattung nötige Mindeststandard, darin ist Altenhain zuzustimmen, ist schon erreicht, wenn eine mündliche Verhandlung öffentlich ist und Medienvertreter daher an ihr teilnehmen und über sie berichten können. Die de lege lata mögliche Berichterstattung aus dem Gericht, die insbesondere weitgehend ohne Aufnahmen auskommen muss, belegt dies. Zugleich lässt sich mit dieser Argumentation aber nur begründen, dass und wieso sich die Schutzpflicht, die aus den Medienfreiheiten folgt, nicht zu einem verfassungsunmittelbaren Anspruch auf Aufnahmen und Textberichte in Echtzeit aus dem Gericht verdichtet. Wie das BVerwG im Kontext des presserechtlichen Auskunftsanspruchs betonte, ist es gerade dem Gesetzgeber dennoch möglich, ein über den Mindeststandard hinausgehendes Recht einzuführen.373 Hierum 368
BVerwGE 146, 56 (64); 151, 348 (355). den presserechtlichen Auskunftsanspruch weisen auch Claus, jurisPR-StrafR 22/2016 Anm. 1; Gersdorf, AfP 2001, 29 (30) hin. 370 Altenhain, Gutachten 71. DJT, C 81. 371 Vgl. dazu im Kontext des verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruchs der Presse auch Bernzen, VBlBW 2017, 434 (437) m. w. N. 372 Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 5 I, II Rn. 217. 373 BVerwGE 146, 56 (63): „weiter Ausgestaltungsspielraum“. 369 Auf
D. Berufsfreiheit
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würde es sich bei der Zulassung der Aufnahmen und Textberichte in Echtzeit handeln. Aus der objektiv-rechtlichen Dimension der Medienfreiheiten resultiert mithin zwar kein Anspruch der Medien auf die Zulassung einer bestimmten Tätigkeit im Gericht. Dies steht jedoch ihrer Berücksichtigung zugunsten der Medienfreiheiten nicht entgegen.
IV. Ergebnis zu den Kommunikationsgrundrechten Die Medienfreiheiten garantieren das Recht aller Medienvertreter, sich über die Vorgänge in einer öffentlichen Gerichtsverhandlung und in deren Umfeld zu informieren, indem sie Aufnahmen hiervon herstellen, und darüber zu berichten, indem sie diese Aufnahmen übertragen oder Textberichte in Echtzeit publizieren. Jede Regelung der Gerichtssaalberichte greift daher in die Medienfreiheiten ein und muss die Anforderungen des Art. 5 Abs. 2 GG erfüllen und den Vorgaben der Wechselwirkungslehre gerecht werden. Wo an einem Gerichtsverfahren ein öffentliches Informationsinteresse besteht, verleiht dieses Interesse den Medienfreiheiten in der danach erforderlichen Abwägung ein größeres Gewicht.
D. Berufsfreiheit Die Berufsfreiheit der Medienvertreter gemäß Art. 12 Abs. 1 GG wurde in der Rechtsprechung des BVerfG, die im ersten Kapitel dargestellt wurde, nur einmal thematisiert: In der Kurdische Konsulatsbesetzer-Entscheidung ließ es das BVerfG offen, ob eine Beschränkung der Bild-Aufnahmen die Berufsfreiheit der Bildberichterstatter beeinträchtigte. Dieses Grundrecht schütze ihre Arbeit jedenfalls nicht weitgehender als die Pressefreiheit, so das BVerfG.374 Weil die Berufsfreiheit jedoch ein weiteres Grundrecht wäre, das für die Gerichtssaalberichte spräche, wird sie im Folgenden näher überprüft. Art. 12 Abs. 1 GG enthält ein einheitliches Grundrecht der Berufsfreiheit.375 Ein Beruf ist jede auf Dauer angelegte Tätigkeit, die zur Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dient.376 Ob sie freiberuflich tätig werden oder fest angestellt sind, Aufnahmen herstellen oder Textberichte in Echtzeit verfassen: Medienvertreter werden im Gericht stets mit dem Ziel tätig, dadurch dauerhaft 374
BVerfG, NJW 1996, 310 (311). BVerfGE 7, 377 (400 ff.); 103, 172 (183); 135, 90 (111); 141, 82 (98); Jarass, in: Jarass/ Pieroth, GG, Art. 12 Rn. 1a; Wieland, in: Dreier, GG, Art. 12 Rn. 48. 376 BVerfGE 97, 228 (252); 115, 276 (300); 119, 59 (78); 126, 112 (136); 141, 121 (130); Wieland, in: Dreier, GG, Art. 12 Rn. 36. 375
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Kap. 2: Für Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
ihren Lebensunterhalt zu verdienen.377 Unabhängig davon, ob man „Gerichtsberichterstatter“ als eigenständigen Beruf definiert,378 oder allgemein vom Beruf des Journalisten ausgeht, üben die Medienvertreter bei ihrer Berichterstattung aus dem Gerichtssaal damit eine berufliche Tätigkeit aus. Sachlich ist der Schutzbereich der Berufsfreiheit daher eröffnet, wenn sie Gerichtssaalberichte verfassen. Damit stellt sich die Frage, wie sich die Berufsfreiheit zu den Medienfreiheiten nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG verhält. Herrschend wird vertreten, die Berufsfreiheit sei neben jenen Grundrechten anwendbar.379 Vereinzelt wird dagegen argumentiert, die Medienfreiheiten seien aufgrund ihrer Spezialität vorrangig.380 Diese Spezialität könnte sich aus der größeren Sachnähe der Medienfreiheiten zum geschützten Verhalten ergeben. Ebenso ließe sich aber vertreten, die Berufsfreiheit sei sachnäher als die Medienfreiheiten, da sie gerade die Personen schütze, die ihrer Arbeit zu Erwerbszwecken nachgingen, während die Medienfreiheiten zum Beispiel auch Hobbyfotografen schützten. Die Sachnähe kann demnach hier nicht ausschlaggebend sein. Für eine Idealkonkurrenz der beiden Grundrechte führt Fink auf der anderen Seite an, dass nicht jeder, der in den persönlichen Schutzbereich der Medienfreiheit fällt, auch beruflich agiert.381 Insbesondere mit Blick auf die neuen Medien ist es zunehmend schwieriger, zwischen beruflicher und hobbymäßiger Betätigung zu unterscheiden – etwa wenn sog. Influencer berichten. Des Weiteren würde bei einer parallelen Anwendung der Grundrechte auch die Arbeit ausländischer Medienvertreter geschützt, die sich nicht auf Art. 12 Abs. 1 GG berufen können.382 Beide Personengruppen erhielten jedoch auch dann grundrechtlichen Schutz, wenn sich alle Berichterstatter allein auf die beiden Medienfreiheiten berufen könnten. Ihr Schutzbedürfnis führt daher nicht zwingend zu einer parallelen Anwendbarkeit der Grundrechte.
377 Bernzen, in: Medienrecht im Medienumbruch, S. 205 (S. 211); Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 391; Kujath, Laienjournalismus, S. 259. 378 So Kujath, Laienjournalismus, S. 259. 379 Bethge, in: Sachs, GG, Art. 5 Rn. 89a; Grabenwarter, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. 1 Rn. 333; Kämmerer, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 12 Rn. 96; Mann, in: Sachs, GG, Art. 12 Rn. 199; Nolte, in: Stern/Becker, GRe, Art. 12 Rn. 107; Ruffert, in: BeckOK GG, Art. 12 Rn. 163; Schemmer, in: BeckOK GG, Art. 5 Rn. 96; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 12 Rn. 170, 176; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 5 I, II Rn. 318; Wendt, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 5 Rn. 115; Wieland, in: Dreier, GG, Art. 12 Rn. 172. 380 Von Coelln, JuS 2008, 351 (357); Manssen, in: MKS, GG, Art. 12 Rn. 280; Starck/Paulus, in: MKS, GG, Art. 5 Rn. 408. 381 Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 390. 382 Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 5 I, II Rn. 318.
E. Steigerung von Rechtskenntnis und Rechtsverständnis
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Wie zum Konkurrenzverhältnis zwischen der Informationsfreiheit und den Medienfreiheiten ausgeführt,383 reicht es für den vollumfänglichen Schutz der Medienvertreter vielmehr aus, sich auf die Medienfreiheiten berufen zu können. In Parallele dazu wird die Berufsfreiheit daher ebenfalls von der Presse- und der Rundfunkfreiheit verdrängt. Die Anfertigung von Gerichtssaalberichten wird mithin zwar auch durch die Berufsfreiheit geschützt, da dieses Grundrecht aber hinter den Medienfreiheiten zurücktritt, bleibt es im Folgenden außer Betracht.
E. Steigerung von Rechtskenntnis und Rechtsverständnis I. Gegenwärtige Wissensdefizite der Allgemeinheit Jeder Bürger sollte ein Mindestmaß juristischen Wissens aufweisen. Das folgt für das materielle Recht daraus, dass er dessen Vorgaben kennen muss, um sein Verhalten hieran auszurichten.384 Wer bspw. nicht weiß, dass er eine Handlung nicht vornehmen darf, kann sich auch nicht an ihr Verbot halten. Kenntnisse des Verfahrensrechts sind darüber hinaus erforderlich, weil Bürger einerseits wissen müssen, welche prozessualen Rechte ihnen zustehen, wenn sie vor Gericht auftreten (oder, dem vorgelagert: dass sie sich mit einem Anliegen an das Gericht wenden können). Auf der anderen Seite sorgt das Wissen um die Abläufe bei Gericht dafür, dass sie nicht desillusioniert werden, wenn sie selbst mit der Justiz in Kontakt treten. Dies ist relevant, da die Rechtspflege auf ihre Kooperation angewiesen ist.385 Die Strafrechtspflege zum Beispiel funktioniert nur, wenn Bürger Straftaten auch zur Anzeige bringen.386 Allein durch die Teilnahme an mündlichen Verhandlungen wird heutzutage keine so große Bevölkerungsgruppe über die Vorgänge bei Gericht informiert, dass dadurch umfassende Rechtskenntnisse vermittelt würden.387 „Der direkte
383
Vgl. Kap. 2, C. I. 2. c). Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 199 f.; Dannecker, in: Urteilen lernen II, S. 225 (S. 225 f., 233); Gostomzyk, Öffentlichkeitsverantwortung, S. 102; Martens, Rechtsbegriff, S. 76, 78; Pernice, Medienöffentlichkeit, S. 37 f.; Schmidthals, Verfahrensöffentlichkeit, S. 231, 254. 385 So allgemein Hirzebruch, Neue Medien, S. 87 sowie speziell für die Strafrechtspflege Hillermeier, DRiZ 1982, 281 (282); Schmidthals, Verfahrensöffentlichkeit, S. 157; Vietmeyer, Vor- und Nachteile, S. 50. 386 Hillermeier, DRiZ 1982, 281 (282); Vietmeyer, Vor- und Nachteile, S. 50; Vogel, Fern sehübertragungen, S. 109. 387 Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 33; Friehe, in: Kontrolle des Gerichts, S. 1 (S. 24); Schilken, GerichtsverfassungsR, § 12 Rn. 156. 384
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Kap. 2: Für Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
Kontakt zwischen Justiz und Bürger ist verschwindend gering.“388 Wie zur Informationsfunktion des Öffentlichkeitsgrundsatzes ausgeführt,389 sind bereits in den einzelnen Verhandlungen meist nicht allzu viele Zuschauer anwesend, die über deren Inhalt informiert werden. Der Erwerb umfassender Rechtskenntnisse – in Abgrenzung zum isolierten Wissen über einzelne Rechtsfragen, das der Besuch einzelner Verhandlungen vermitteln kann – würde außerdem voraussetzen, dass die Bürger regelmäßig bei Gericht präsent wären und sich dort viele verschiedene Verhandlungen ansähen. Dies kann praktisch niemand leisten. Andere Quellen, aus denen die Bürger ihr juristisches Wissen schöpfen, sind qualitativ nicht geeignet, die nötigen Rechtskenntnisse zu vermitteln: So gewinnen viele ihr Rechtswissen heute aus sog. Gerichtsshows, mithin aus eigens für die Medien inszenierten Verhandlungen.390 Diese Shows vermitteln jedoch nicht nur nicht die Realität im Gericht,391 sondern zeichnen sogar ein falsches Bild hiervon392. Andere Informationsquellen sind Gerichts- und Kriminalfilme393 sowie Fernsehserien394. Wie Gerichtsshows sind jedoch auch sie fiktive Werke, die auf Unterhaltung abzielen und die Realität im Gerichtssaal entsprechend „zurechtbiegen“. Insbesondere US-amerikanische Filme, die das dortige Gerichtsverfahren abbilden, vermitteln ein Bild der Justiz, das mit der deutschen Realität
Prinz, in: FS Engelschall, S. 243 (S. 250). Vgl. Kap. 2, B. III. 4. d). 390 Boehme-Neßler, K&R 2003, 530 (532); ders., UFITA 2009, 9 (14 f.); Conraths, NJW-aktuell 28/2017, S. 14; Friedrichsen, ZRP 2007, 133; Hassemer, in: Das moderne Strafrecht, S. 13 (S. 21); Magnus, in: Digitalisierung, S. 205 (S. 214); Voßkuhle, in: FH Möller, S. 10 (S. 13). 391 Friehe, in: Kontrolle des Gerichts, S. 1 (S. 24); Gerson, KriPoZ 2017, 376 (377); Gostomzyk, Öffentlichkeitsverantwortung, S. 138; Mailänder, in: FS Mailänder, S. 547 (S. 548, 564); Möller, AnwBl 2002, 578. In diese Richtung auch Pfeifle, ZG 2010, 283 (286). 392 Boehme-Neßler, BilderRecht, S. 136; Bremer, in: FS Richter II, S. 77 (S. 85); von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 414 f.; ders., AfP 2014, 193 (200); ders., in: Strafrecht und Me dien, S. 13 (S. 26 f.); Ernst, NJW 2010, 744; Friedrichsen, StV 2005, 169; dies., in: Das moderne Strafrecht, S. 75 (S. 77); dies., ZRP 2011, 246 (147); Gerhardt, ZRP 2003, 68; ders., in: FS Hirsch, S. 563 (S. 564); Hassemer, StV 2005, 167 (168); Hirzebruch, Neue Medien, S. 312 f.; Huff, DRiZ 2002, 7; ders., ZRP 2003, 68; Hunecke, NK 2011, 85 (92); Jung, in: Hauptverhandlung, S. 167 (S. 176); Meyer, Gerichtsprozess, S. 78 f.; Töpper, FF 2005, 3 (5). 393 Boehme-Neßler, UFITA 2009, 9 (13); Hassemer, in: Das moderne Strafrecht, S. 13 (S. 21). 394 Gerson, KriPoZ 2017, 376 (377); Gostomzyk, Öffentlichkeitsverantwortung, S. 138; Magnus, in: Digitalisierung, S. 205 (S. 214); Voßkuhle, in: FH Möller, S. 10 (S. 13). 388 389
E. Steigerung von Rechtskenntnis und Rechtsverständnis
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nicht übereinstimmt.395 Dazu tragen auch Aufnahmen aus echten US-Verhandlungen bei, die in Nachrichtensendungen gezeigt werden.396 All das führt dazu, dass in der Bevölkerung heutzutage große Wissenslücken in Bezug auf die deutsche Justiz existieren,397 und das sowohl hinsichtlich des materiellen Rechts als auch mit Blick auf den Verfahrensablauf.398 Die Berichterstattung aus dem Gerichtssaal kann nach Ansicht mancher Autoren die nötigen Kenntnisse des Rechts vermitteln399 und dadurch ein Rechtsverständnis in der Bevölkerung schaffen400. Dieses vor allem in jüngerer Zeit angeführte Argument ist jedoch eines der umstrittensten in der Diskussion über die Gerichtssaalberichterstattung. Das liegt wohl auch daran, dass der Beitrag der Berichte zur Kenntnis- und Verständnisermittlung bislang empirisch nicht nachgewiesen wurde.401 Ausländische Studien deuten stattdessen darauf hin, dass er jedenfalls nicht so groß ist, wie von den Befürwortern der Gerichtssaalberichterstattung erhofft.402 Die Eignung der Berichte zu diesem Zweck wird aber vielfach schon prinzipiell angezweifelt.
395 BTDrucks 18/10144, S. 12; Conraths, NJW-aktuell 28/2017, S. 14; Feldmann, GA 2017, 20 (24); Friehe, in: Kontrolle des Gerichts, S. 1 (S. 24); Gostomzyk, Öffentlichkeitsverantwortung, S. 144; Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 65, 70; Vogel, Fernsehübertragungen, S. 106. 396 Vgl. Feldmann, GA 2017, 20 (24). 397 Engelhard, in: FS Jauch, S. 25 (S. 26); Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 62; Hassemer, in: Das moderne Strafrecht, S. 13 (S. 20); Lautmann, RuP 1970, 18; Lippe, in: Justiz und Medien, S. 127; Magnus, in: Digitalisierung, S. 205 (S. 214); Spelsberg, DRiZ 1953, 199 (199 f.); Vietmeyer, Vor- und Nachteile, S. 37. 398 Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 65. 399 Altenhain, Gutachten 71. DJT, C 95; von Coelln, in: MSKB, BVerfGG, § 17a Rn. 125; Exner, JURA 2017, 770 (775); Feldmann, GA 2017, 20 (35); Hirzebruch, BRJ 2017, 5 (9 f.); Kortz, AfP 1997, 443 (449); Töpper, DRiZ 1995, 242; ders., DRiZ 2002, 443; Zuck, NJW 2001, 1623 (1624). 400 Altenhain, Gutachten 71. DJT, C 95; Burkhardt, in: Wenzel, Wort- und Bildberichterstattung, Kap. 10 Rn. 180; von Coelln, AfP 2014, 193 (200); ders., in: Strafrecht und Medien, S. 13 (S. 25); Exner, JURA 2017, 770 (775); Gerhardt, BDVR-Rundschreiben 2001, 71 (72); Gounalakis, in: FG Kübler, S. 173 (S. 194); Hirzebruch, Neue Medien, S. 311; ders., BRJ 2017, 5 (9 f.); Kortz, AfP 1997, 443 (449); Loubal/Hofmann, MMR 2016, 669 (673); Töpper, DRiZ 1995, 242. 401 Gerson, KriPoZ 2017, 376 (379). 402 Vgl. Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 140.
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Kap. 2: Für Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
II. Fehlende realitätsgetreue Wiedergabe des Geschehens im Gericht 1. Relevanz der wirklichkeitsgetreuen Darstellung Voraussetzung dafür, dass die Gerichtssaalberichte zur juristischen Kenntnisvermittlung beitragen, ist, dass sie ein wirklichkeitsgetreues Bild vom Geschehen bei Gericht zeichnen. Nur dieses Bild kann schließlich die Fehlvorstellungen ausräumen, die durch die Informationen aus Quellen wie bspw. Gerichtsshows entstanden sind. Dass die Berichte die Arbeit der Justiz realistisch wiedergeben, wird aber vor allem im Schrifttum bestritten.403 2. Keine repräsentative Auswahl der Verhandlungen für die Berichte Einige Autoren argumentieren, der realitätsgetreuen Wiedergabe der Vorgänge im Gericht stehe die Auswahl derjenigen Verhandlungen entgegen, über die in den Medien berichtet werde. Die meisten Gerichtsberichte befassten sich mit Strafprozessen.404 Diese selektive Berichterstattung bilde die Justiz, zu der auch andere Gerichtsbarkeiten gehörten, aber nicht zutreffend ab.405 Weiter werde das Bild der Justiz verzerrt, wenn nur spektakuläre Verfahren ausgewählt würden,406 über alltägliche Verhandlungen dagegen gar nicht berichtet werde.407 Selbst wenn alle Gerichtsverfahren übertragen würden, würden die Bürger nach Ansicht anderer Autoren jedoch kein realitätsgetreues Bild von der Justiz erhalten. Einerseits würden Konflikte oft außerhalb des Gerichts gelöst, in den Strafsachen etwa im Strafbefehlsverfahren. Dieses zeigten die Medien jedoch 403 So allgemein Maxin, in: Kontrolle des Gerichts, S. 105 (S. 133); Milger, in: Spiekermann, NJW-aktuell 25/2016, 12. Zweifelnd auch BVerfGE 103, 44 (67). 404 Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 67; Hassemer, in: Einfluß der Medien, S. 61 (S. 69); ders., StV 2005, 167; ders., in: Das moderne Strafrecht, S. 13 (S. 21); Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 70; Spelsberg, DRiZ 1953, 199 (200); Vietmeyer, Vor- und Nachteile, S. 43 f. 405 Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 366; Höbermann, Gerichtsbericht, S. 54, 159; Leyendecker, StV 2005, 179 (180); ders., in: Strafverteidigung im Rechtsstaat, S. 192 (S. 198); Lippe, in: Justiz und Medien, S. 127 (S. 130, 132 f.); Meyer, Gerichtsprozess, S. 331; Scherer, Medienöffentlichkeit, S. 24. 406 BVerfGE 103, 44 (67); Britz, Fernsehaufnahmen, S. 293 f.; Geerds, in: FS Oehler, S. 423 (S. 424 f., 433); Hassemer, in: Das moderne Strafrecht, S. 13 (S. 21); Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 103; Vogel, Fernsehübertragungen, S. 107; Witzler, Personale Öffentlichkeit, S. 137. 407 Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 80, 366; Giraud, in: Interdisziplinäre Wissenschaft, S. 169 (S. 175); Hassemer, in: Einfluß der Medien, S. 61 (S. 69); ders., StV 2005, 167; Höbermann, Gerichtsbericht, S. 54, 159 ff.; Jung, GA 2014, 257 (258); Rüping, in: FS Dünnebier, S. 391 (S. 394); Scherer, Medienöffentlichkeit, S. 24 f.; Stock, Gerichtsshows, S. 30, 31 f.; Vietmeyer, Vor- und Nachteile, S. 37; Walter, in: Das moderne Strafrecht, S. 27 (S. 32).
E. Steigerung von Rechtskenntnis und Rechtsverständnis
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nicht.408 Andererseits finde ein beachtlicher Teil der richterlichen Arbeit hinter verschlossenen Türen statt,409 etwa in der gemäß § 193 GVG geheimen Beratung. Auch dies gäben die Medienberichte nicht wieder. Mit ähnlichen Argumenten wurden die Aufnahmen der Entscheidungsverkündungen der obersten Bundesgerichte vor dem Inkrafttreten des EMöGG abgelehnt: Diese Aufnahmen zeigten nur einen Ausschnitt der richterlichen Arbeit.410 Wollten Bürger sich ein realistisches Bild von der Arbeit der Justiz machen, so könnten – und müssten – sie daher weiterhin persönlich an der Verhandlung teilnehmen.411 Dass nur ausgewählte Verfahren oder Verfahrensabschnitte in den Medien wiedergegeben werden, bedeutet jedoch nicht, dass dadurch zwangsläufig der Eindruck hervorgerufen wird, nur hieraus bestehe die Arbeit der Justiz. Aussagen dieser Art treffen Gerichtsberichte aktuell nicht und sie wären auch in möglichen Gerichtssaalberichten nicht zu erwarten.412 Die Auswahl bestimmter Prozesse oder Szenen für die Berichterstattung erscheint daher für sich genommen nicht problematisch. Zudem muss berücksichtigt werden, dass sich die Medienöffentlichkeit in dieser Hinsicht nicht von der Saalöffentlichkeit unterscheidet. In aller Regel sind es die Straf- und dabei die „Sensationsprozesse“, denen die Zuschauer im Gericht beiwohnen wollen.413 Durch die Teilnahme an der Verhandlung können sie dabei ebenso wenig Wissen über die Vorgänge außerhalb der mündlichen Verhandlung erhalten wie die Medienkonsumenten aus den Gerichtsberichten. Trotzdem wird der unmittelbaren Öffentlichkeit zurecht nicht die Fähigkeit abgesprochen, zur Vermittlung von Rechtskenntnissen beizutragen.414 Es ist nicht ersichtlich, wieso von der mittelbaren Öffentlichkeit insofern mehr erwartet werden sollte – zumal die Bedeutung der Medienöffentlichkeit die Relevanz der Saalöffentlichkeit zunehmend übersteigt415. Zuletzt konzentrieren sich die Kritiker der Berichterstattung zu stark auf die Makroebene. Es kann offenbleiben, ob der Fokus auf (spektakuläre) Straftaten gesamtgesellschaftlich das unzutreffende Bild zeichnet, „die Kriminalität [sei] Höbermann, Gerichtsbericht, S. 54; Vogel, Fernsehübertragungen, S. 148. Eckertz-Höfer, DVBl 2012, 389 (390). 410 Milger, in: Spiekermann, NJW-aktuell 25/2016, 12 (13). 411 Friedrichsen, in: dies./Gerhardt, ZRP 2015, 187 (188, 189); Limperg, in: dies./Gerhardt, ZRP 2016, 124 (125); Milger, in: Spiekermann, NJW-aktuell 25/2016, 12 (13). 412 Walter, in: Das moderne Strafrecht, S. 27 (S. 33) weist darauf hin, dass solche Täuschungen „inakzeptabel“ sind. Sie würden durch die Medienfreiheiten zudem nicht geschützt. 413 Höbermann, Gerichtsbericht, S. 45; Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 102. 414 Britz, Fernsehaufnahmen, S. 206 f.; Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 33; von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 202; Franzki, DRiZ 1979, 82; Hillermeier, DRiZ 1982, 281 (282); Schlüter, AfP 2009, 557 (562); Schmidthals, Verfahrensöffentlichkeit, S. 103. 415 Vgl. Kap. 2, B. V. 408 409
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Kap. 2: Für Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
bereits im Begriffe [...], uns zu überschwemmen“416. Jedenfalls jene Informationen, die über die Verfahren vermittelt werden, über die berichtet wird, werden der Allgemeinheit schließlich zur Kenntnis gebracht. Auch diese ausgewählten Einblicke in die Arbeit der Justiz steigern deren Transparenz.417 Dies lässt sich auch dem Argument entgegenhalten, die in den Gerichtsberichten dargestellte Arbeit der Justiz mache nur einen Bruchteil von deren Tätigkeit aus: Jedenfalls dieser Ausschnitt wird für die Bürger durch die Berichterstattung anschaulich.418 Steht also der Fokus der Gerichtsberichte auf gewisse Verfahren oder Situatio nen vor Gericht der realitätsgetreuen Wiedergabe seiner Arbeit nicht entgegen, kann dahinstehen, inwiefern gerade die Berichterstattung mittels Aufnahmen und Textberichten in Echtzeit in dieser Hinsicht eine besondere Gefahr darstellt.419 3. Entstellung des Geschehens bei Gericht in den Berichten Vertreten wird speziell für die Gerichtssaalberichte mittels Aufnahmen, sie gäben das Geschehen im Sitzungssaal derart verkürzt420 oder anderweitig bearbeitet421 wieder, dass es den Medienkonsumenten im Ergebnis verzerrt422 oder Hartmann, in: FS Göppinger, S. 579 (S. 584). Schraft-Huber, in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 17a Rn. 22; Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 103. 418 Wassermann, DRiZ 1981, 92 (93). 419 Ablehnend dazu Braun, in: Journalistische Kultur, S. 25 (S. 43). 420 Boehme-Neßler, UFITA 2009, 9 (18); ders., BilderRecht, S. 134; Braun, in: Journalistische Kultur, S. 25 (S. 43); Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 136; Bussmann, RuF 1955, 7 (16 f.); Erdsiek, NJW 1960, 1048 (1050); Ernst, ZUM 1996, 187 (193); ders., in: FS Herrmann, S. 73 (S. 76); Friedrichsen, in: dies./Gerhardt, ZRP 2015, 187 (188); Friehe, in: Kontrolle des Gerichts, S. 1 (S. 25); Giraud, in: Interdisziplinäre Wissenschaft, S. 169 (S. 183); Hunecke, NK 2011, 85 (87, 92); Kilian, AnwBl 2018, 290; Linke, VR 2002, 378 (383); Meyer, Gerichtsprozess, S. 79; Pernice, Medienöffentlichkeit, S. 151 f.; Sarstedt, JR 1956, 121 (124); Schlothauer, StV 2015, 665 (668); Schmidt, in: FS Schmidt, S. 338 (S. 343); Schraft-Huber, in: Umbach/ Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 17a Rn. 21; Vietmeyer, Vor- und Nachteile, S. 41 f., 46; Witzler, Personale Öffentlichkeit, S. 116 f.; Wolf, ZRP 1994, 187 (188); Wyss, EuGRZ 1996, 1 (14); Zimmermann, in: MüKoZPO, § 169 GVG Rn. 43. 421 Boehme-Neßler, in: Öffentlichkeit als Richter, S. 20 (S. 36); Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 186; Schlothauer, StV 2015, 665 (668); Stürner, JZ 2001, 699 (702); Wyss, EuGRZ 1996, 1 (14). 422 Boehme-Neßler, ZRP 2003, 125 (126); ders., K&R 2003, 530 (533); ders., UFITA 2009, 9 (18); ders., in: Öffentlichkeit als Richter, S. 20 (S. 36); Erdsiek, NJW 1960, 1048 (1050); Friehe, in: Kontrolle des Gerichts, S. 1 (S. 25); Geerds, in: FS Oehler, S. 423 (S. 428); Giraud, in: Interdisziplinäre Wissenschaft, S. 169 (S. 183); Kilian, AnwBl 2018, 290; Krauß, in: Strafrecht und Datenschutz, S. 35 (S. 42); Linke, VR 2002, 378 (383); Meyer, Gerichtsprozess, S. 79; Pernice, Medienöffentlichkeit, S. 152; Schraft-Huber, in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 17a Rn. 21; Zimmermann, in: MüKoZPO, § 169 GVG Rn. 43. 416 So 417
E. Steigerung von Rechtskenntnis und Rechtsverständnis
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sogar verfälscht423 zur Kenntnis gebracht wird. Dies war auch ein Kritikpunkt vor dem Inkrafttreten des EMöGG: Befürchtet wurde einerseits, dass nur einzelne Sätze oder Abschnitte der Entscheidungsverkündungen für die Gerichtssaalberichte genutzt würden.424 Andererseits wurde gewarnt, dass Aufnahmen verfälscht werden könnten, indem bspw. Abschnitte der Aufzeichnung herausgeschnitten würden.425 Dass die Gerichtssaalberichterstattung mittels Aufnahmen das Geschehen bei Gericht verkürzt wiedergeben würde, trifft voraussichtlich zu. Zwar könnten technisch durchaus alle Verhandlungen vollumfänglich übertragen werden. Schon heute werden etwa Livestreams für die Berichterstattung zu jenen Teilen der Verhandlungen am BVerfG eingerichtet, in denen Kameras zugelassen sind.426 Für Kurzberichte etwa in Nachrichtensendungen würden aber auch bei einer vollständigen Öffnung der Gerichte für die Medien voraussichtlich nur einzelne Szenen ausgewählt.427 Insofern unterschiede sich diese Art der Berichterstattung jedoch nicht von der, die § 169 Abs. 1 S. 1 GVG bereits gestattet: Auch die Presseberichte zum Beispiel geben die Verhandlung nicht im Wortlaut wieder.428 Ihre Autoren fassen das Geschehen vielmehr ebenfalls zusammen, heben Wichtiges hervor und lassen Irrelevantes weg. Eine solche Selektion ist Kennzeichen jeder journalistischen Berichterstattung.429 Sie führt meist in der Tat zu einer gewissen Verzer423 BVerfGE 103, 44 (67); BVerfG, NJW 1996, 581 (583); NJW 1999, 1951 (1952); Boehme-Neßler, ZRP 2003, 125 (126); ders., K&R 2003, 530 (533); Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 342 f.; Hamm, NJW 1995, 760 (761); ders., AfP 2014, 202 (204); Huff, NJW 1996, 571 (573); Krauß, in: Strafrecht und Datenschutz, S. 35 (S. 42); Pernice, Medienöffentlichkeit, S. 151; Schmidt, in: FS Schmidt, S. 338 (S. 343); Wolf, ZRP 1994, 187 (188). 424 Limperg, in: dies./Gerhardt, ZRP 2016, 124 (125); Milger, in: Spiekermann, NJW-aktuell 25/2016, 12 (13); Rittig, NJ 2016, 265 (268). 425 Friedrichsen, in: dies./Gerhardt, ZRP 2015, 187 (188); Milger, in: Spiekermann, NJW-aktuell 25/2016, 12 (13). 426 Etwa durch den Livestream der ARD zu dem Verfahren zum Rundfunkbeitrag unter www.tagesschau.de/multimedia/video/video-404077.html, Stand: 13.12.2019. 427 Vgl. Janisch, DRiZ 2016, 136; Lang, Ton- und Bildträger, S. 69. 428 Bräutigam, DRiZ 2015, 378; Braun, Medienberichterstattung, S. 277; von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 414; Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 422; Gerhardt, Verfassungsmäßigkeit, S. 98; Kuhlo, in: Gerichts-TV, S. 9 (S. 14); Schlothauer, StV 2015, 665 (668). 429 Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 56; von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 414; ders., AfP 2014, 193 (200); ders., in: Strafrecht und Medien, S. 13 (S. 26); Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 49; Franke, Bildberichterstattung, S. 76; Gerhardt, Verfassungsmäßigkeit, S. 98; ders., BDVR-Rundschreiben 2001, 71; Gostomzyk, Öffentlichkeitsverantwortung, S. 141; Hirzebruch, Neue Medien, S. 312; Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 96 f.; Hunecke, NK 2011, 85 (87); Lang, Ton- und Bildträger, S. 61; Meyer, Gerichtsprozess, S. 58; Witzler, Personale Öffentlichkeit S. 132.
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Kap. 2: Für Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
rung:430 Was bei den Medienkonsumenten ankommt, entspricht nie exakt dem, was die Anwesenden vor Ort erlebt haben. Ein derartiger „Übersetzungsfaktor“431 gehört aber zu jeder Form der Wahrnehmung. Verkürzung sowie Verzerrung sind des Weiteren nicht gleich Verfälschung. Kürzungen wären auch in Gerichtssaalberichten schließlich als solche erkenntlich. Wer einen anderthalbminütigen Nachrichtenbeitrag über eine Gerichtsverhandlung im Fernsehen ansieht, kann nicht annehmen, die ganze Verhandlung gesehen zu haben.432 Dem steht bereits die immer ausgeprägtere Medienkompetenz der Bevölkerung entgegen.433 Ihre journalistische Wahrheits- und Sorgfaltspflicht schreibt es Medienvertretern zudem vor, ihr Thema – unabhängig von der Länge ihres Beitrages – inhaltlich umfassend darzustellen.434 Das gelingt den Journalisten bei ähnlich langen und komplexen Vorgängen wie etwa Parlamentsdebatten auch.435 Was nicht mithilfe der Originalaufnahmen gezeigt wird, wird hier jedenfalls kurz zusammengefasst. Es ist zu erwarten, dass sie bei der Gerichtssaalberichterstattung ebenso vorgehen würden. Zuletzt entkräftet wiederum ein Vergleich mit der Saalöffentlichkeit das Argument: Die Mehrheit der Zuschauer im Gerichtssaal wird, jedenfalls in längeren Verhandlungen, ebenfalls nur einen Ausschnitt der Verhandlung miterleben.436 Dass sie auf diese Weise einen falschen Eindruck von der Verhandlung erhalten, wurde jedoch zurecht bisher nicht vertreten. Auch diese Zuschauer wissen schließlich, dass sie nur einen Teil der Verhandlung verfolgt haben. Der Gerichtssaalberichterstattung wird von manchen Autoren gar die Wirkung zugeschrieben, der unzutreffenden Wiedergabe der Vorgänge bei Gericht entgegenzuwirken. Werde etwa die Entscheidungsverkündung im Fernsehen übertragen, reduziere das die Gefahr, dass die Medien sie später falsch darstellten.437 So wurde vor Einführung des § 169 Abs. 3 GVG durch das EMöGG argumentiert, Merten, ZfRSoz 1997, 16 (22). Zuck, NJW 1995, 2082 (2083). 432 Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 224 vergleicht dies mit dem Bericht über eine Parlamentsdebatte: Auch hier würden die Konsumenten davon ausgehen, nur eine Zusammenfassung zu sehen. 433 Altenhain, Gutachten 71. DJT, C 89; Britz, Fernsehaufnahmen, S. 298; von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 414; ders., AfP 2014, 193 (200); ders., in: Strafrecht und Medien, S. 13 (S. 26); Gerhardt, Verfassungsmäßigkeit, S. 99; Hirzebruch, Neue Medien, S. 312; Jung, Presse, Rundfunk und Film, S. 13; Schraft-Huber, in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 17a Rn. 22; Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 182; Wyss, EuGRZ 1996, 1 (12). 434 Bräutigam, DRiZ 2015, 378; Wassermann, in: Justiz und Medien, S. 30 (S. 58). 435 Gerhardt, ZRP 1993, 377 (381). 436 Jung, Presse, Rundfunk und Film, S. 13. 437 Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 136 f.; von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 410; Conraths, NJW-aktuell 28/2017, S. 14; Kaufmann/Tappert/Vetter, DRiZ 2017, 154 (157); Töpper, DRiZ 1995, 242. 430 431
E. Steigerung von Rechtskenntnis und Rechtsverständnis
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die Richter erhielten durch die Übertragung ihrer Entscheidungen die Gelegenheit, das Recht mit eigenen Worten zu erklären.438 Daneben wird, allgemein, auf den Authentizitätsgewinn durch Aufnahmen verwiesen.439 Während Gerichtsberichte der Presse das Geschehen aus Sicht der Autoren wiedergäben,440 vermittele der Rundfunk es im Original.441 Das kommentierende Element, das Textberichte erforderten, fehle Aufnahmen außerdem.442 Insbesondere die Bild/ Ton-Aufnahmen böten der Allgemeinheit daher die Gelegenheit, sich sachlich und wertungsfrei über eine Verhandlung zu informieren.443 Textberichte in Echtzeit gäben zudem zumeist nur das Geschehen wieder und enthielten sich jedes wertenden Kommentars.444 Dagegen wird allerdings eingewendet, dass auch bei einer Berichterstattung speziell mittels Aufnahmen eine Auswahl einzelner Szenen erfolgt, die dem Beitrag eine subjektive Note gibt.445 Außerdem würden dabei häufig kommentierende Worte gesprochen, die eine solche Prägung aufweisen könnten.446 Während nachträgliche Berichte jedoch klar als subjektive Schilderung erkennbar seien, umgebe die Berichte mit Aufnahmen der Anschein der Objektivität.447 Sie drohten daher stärker als Presseberichte, ein falsches Bild zu vermitteln.448 Beiden Seiten ist im Grundsatz zuzustimmen. Der Eindruck einer Verhandlung, den Aufnahmen vermitteln, ist authentischer als eine Nacherzählung aus zweiter Hand. Wie im Kontext der Informationsfunktion des Öffentlichkeitsgrundsatzes dargestellt, können schließlich besonders Bild/Ton-Aufnahmen eine Situation schaffen, die einer persönlichen Anwesenheit im Gericht nahekommt.449 Diese Darstellung kann jedoch nicht völlig objektiv sein. Nicht erst die beschriebene Selektion der Szenen kann den Eindruck beeinflussen, den der Gerichtssaalbericht bei Zuschauern oder Zuhörern hinterlässt. Schon bei der Hirzebruch, BRJ 2017, 5 (10). Hirzebruch, BRJ 2017, 5 (9); Jung, in: Hauptverhandlung, S. 167 (S. 176 f.); Rose, SchlHA 2014, 169 (174). 440 Britz, in: FS Schiller, S. 81 (S. 100 in Fn. 103); Höbermann, Gerichtsbericht, S. 11; Kohlhaas, DRiZ 1956, 2 (3). 441 Altenhain, Gutachten 71. DJT, C 88 f.; ders., DRiZ 2016, 304 (305); Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 181. 442 Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 181. 443 Jung, Presse, Rundfunk und Film, S. 42. 444 Hirzebruch, Neue Medien, S. 273. 445 Friedrichsen, in: dies./Gerhardt, ZRP 2015, 187 (188); Heger, in: FS Beulke, S. 759 (S. 763 f.); Hirzebruch, Neue Medien, S. 51; Starck/Paulus, in: MKS, GG, Art. 5 Rn. 107. 446 Sarstedt, JR 1956, 121 (125). 447 Sarstedt, JR 1956, 121 (125); ders., in: Tonbandaufnahmen, S. 57 (S. 59); Schmidt, JZ 1956, 209 (210). 448 Von Coelln, in: MSKB, BVerfGG, § 17a Rn. 128; Sarstedt, JR 1956, 121 (125). 449 Vgl. Kap. 2, B. III. 4. d). 438 439
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Kap. 2: Für Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
Herstellung der Aufnahmen können bspw. die Wahl der Kameraperspektive (Vogel- oder Froschperspektive?) oder Kameraeinstellung (Nahaufnahme der Parteien oder „Totale“ des Gerichtssaals?) Einfluss auf seine Wirkung nehmen.450 Aufnahmen sind daher nicht per se besser geeignet, das Geschehen bei Gericht wirklichkeitsgetreu wiederzugeben – aber auch nicht schlechter. Dass die Textberichte in Echtzeit keinerlei Wertungen enthalten, kann zuletzt ebenfalls nicht pauschal vertreten werden. Während einige Medien bspw. ihren Live-Blog als Protokoll der Verhandlung begreifen könnten, könnten andere das Geschehen in Echtzeit kommentieren wollen. Auch diese Form der Gerichtssaalberichterstattung kann deshalb sowohl in verzerrender als auch in realitätsgetreuer Weise verwendet werden. Der Gerichtssaalberichterstattung kann nach alledem nicht entgegengehalten werden, dass sie das Geschehen bei Gericht stets derart entstellen würde, dass es nicht realitätsgetreu wiedergegeben würde. Sie ist aber auch nicht pauschal besser geeignet als die klassische Gerichtsberichterstattung, um Derartiges zu vermeiden.
III. Ausrichtung der Gerichtssaalberichterstattung auf Unterhaltung Der Allgemeinheit würden auch dann keine Rechtskenntnisse vermittelt, wenn die Gerichtssaalberichte nur auf Unterhaltung abzielen würden. Wie die aktuellen Informationsquellen der Bürger, bspw. Fernsehserien über die Justiz, zeigen, kann ein zu starker Fokus hierauf der Wissensvermittlung schließlich hinderlich sein. Eine derartige Ausrichtung wird den Medien von einigen Autoren zugeschrieben. Sie werfen ihnen vor, die Kenntnisvermittlung allein als argumentatives Feigenblatt für primär wirtschaftliche Absichten bei der Berichterstattung aus dem Gericht zu verwenden.451 Klickzahlen und Einschaltquoten seien ihnen wichtiger als die wahrheitsgetreue, sachkundige Vermittlung des Geschehens bei Gericht.452 Wissensvermittlung sei kein Kassenschlager,453 Infotainment – ein Mix der englischen Begriffe information und entertainment – werde dagegen gerne konsumiert.454 Dem Begriff des Infotainments lässt sich jedoch zugleich das Argument entnehmen, mit dem dieser Kritik entgegengetreten werden kann: Auch ein unter450 Beater, AfP 2005, 133 (134); von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 35 f.; Ernst, AfP 2006, 529 (529 f.); Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 57; Hirzebruch, Neue Medien, S. 51; Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 142; Kujath, Laienjournalismus, S. 42 f. 451 DRB, DRiZ 1996, 246 (249); Wolf, ZRP 1994, 187 (190); ders., JR 1997, 441 (446). 452 Alwart, JZ 2014, 1091 (1093); Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 75. 453 Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 81. 454 Wolf, ZRP 1994, 187 (190).
E. Steigerung von Rechtskenntnis und Rechtsverständnis
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haltender Bericht kann informieren455 – eben immer dann, wenn er neben entertainment auch information bietet. Solange nicht nur Unterhaltung, sondern auch Wissensvermittlung betrieben wird, spricht daher nichts gegen eine „witzig-spritzige“ Gestaltung der Berichte.456 Sie kann sich sogar positiv auf die Kenntnisvermittlung auswirken:457 Je häufiger die Berichte infolge dieser Gestaltung konsumiert werden, desto weitere Verbreitung finden die enthaltenen Informationen in der Bevölkerung.458 Angezogen werden die Bürger hierbei gerade durch die unterhaltende Ausrichtung der Berichterstattung.459 Was Höbermann für die Presseberichterstattung treffend mit dem Satz „Wenn Leser nicht unterhalten werden, sehen sie bald weg.“460 umschreibt, gilt für die Berichterstattung des Rundfunks im gleichen Maße. Seine Aufnahmen eignen sich zur Unterhaltung und damit zur umfassenden Verbreitung der Informationen besonders, transportieren sie Informationen doch auf ansprechendere Weise als bspw. die Nacherzählung eines Korrespondenten vor dem Gerichtsgebäude.461 Dass derartige Aufzeichnungen vorrangig der Unterhaltung und nicht der Informationen dienen,462 ist ihrem Beitrag zur Kenntnisvermittlung nicht abträglich. Die Informationen können schließlich auch in einem begleitenden Kommentar vermittelt werden.463 Diesen Kommentar nehmen die Medienkonsumenten aber womöglich nur zur Kenntnis, weil Aufnahmen sie zum Konsum des Beitrages angeregt haben. Ein Fokus der Gerichtssaalberichterstatter auf Unterhaltung steht der Vermittlung von Rechtskenntnis und Rechtsverständnis daher nicht pauschal entgegen. Er kann vielmehr womöglich gerade dazu beitragen, dass das juristische Wissen weiter verbreitet wird. Eine Grenze ist erst dort erreicht, wo Medien nur noch auf Unterhaltung abzielen und keine Informationen mehr vermitteln wollen. Das droht aber nicht in derart großem Umfang, dass es von vornherein gegen die Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung sprechen würde.
Engelhard, in: FS Jauch, S. 25 (S. 32); Schmidthals, Verfahrensöffentlichkeit, S. 107. Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 411 f. 457 Meyer, Gerichtsprozess, S. 330; Thiesmeyer, DRiZ 1964, 73 (74). 458 Schmidthals, Verfahrensöffentlichkeit, S. 107. 459 Von Coelln, in: MSKB, BVerfGG, § 17a Rn. 126; Hirzebruch, Neue Medien, S. 139; Lautmann, RuP 1970, 118. 460 Höbermann, Gerichtsbericht, S. 20. 461 Vgl. Bamberger, ZUM 2001, 373 (378); Schneider, JuS 1963, 346 (351). 462 Ernst, NJW 2001, 1624 (1625); ders., in: FS Herrmann, S. 73 (S. 79); ders., JR 2007, 392 (393); Kuder, RuP 2014, 137. 463 Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 186; Geerds, in: FS Oehler, S. 423 (S. 428). 455 456
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Kap. 2: Für Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
IV. Mangelnde Fachkompetenz der Medienvertreter Rechtskenntnisse könnten durch die Gerichtssaalberichte ebenfalls nicht vermittelt werden, wenn ihre Autoren keine Fachkompetenz aufwiesen. Zutreffend informierende Berichte könnten ihnen in dem Fall schließlich nicht gelingen. Voraussetzung für die Wissensvermittlung durch Berichte aus dem Gericht ist für einige Autoren deshalb ein Mindestmaß an Fachkenntnissen sowie fachspezifischen Erfahrungen der Medienvertreter.464 Entsprechende Kenntnisse weisen nach ihrer Meinung jedoch nicht alle Medienvertreter auf, die aus dem Gericht berichten.465 Der Grund dafür sei auf der einen Seite deren fehlende rechtliche Aus- und Weiterbildung.466 Juristische Examina seien schließlich keine Voraussetzung dafür, aus dem Gericht berichten zu dürfen.467 Kritik wird andererseits daran geübt, dass kaum noch hauptamtliche Gerichtsberichterstatter tätig seien468, sondern Berufsanfänger,469 Praktikanten,470 Volontäre471 oder freie Mitarbeiter472 für die Berichterstattung eingesetzt würden – also, dass solche Berichterstatter tätig würden, denen neben den Fachkenntnissen auch die Zeit für die Berichterstattung fehle.473
Ernst, NJW 2010, 744 (745 f.); Geiger, DRiZ 1993, 378 (379); Jescheck, ZStW 71 (1959), 1 (7); Jung, Presse, Rundfunk und Film, S. 46; Koppenhöfer, StV 2005, 172 (174); Lippe, in: Justiz und Medien, S. 127 (S. 128); Ulsamer, in: FS Jauch, S. 221 (S. 223); Voßkuhle, in: FH Möller, S. 10. 465 Friedrichsen, in: Die Öffentlichkeit als Richter, S. 52; dies./Gerhardt, DRiZ 2012, 75; dies., in: dies./ders., ZRP 2014, 92; Fromme, in: FS Faller, S. 415 (S. 425); Hartmann, in: FS Göppinger, S. 579 (S. 587); Höbermann, Gerichtsbericht, S. 95 f.; dies., in: Erosion der Rechtsstaatlichkeit, S. 227 (S. 227 f.); Hunecke, NK 2011, 85 (87); Jahn, in: Öffentlichkeit als Richter, S. 11 (S. 13); Kohlhaas, DRiZ 1963, 329 (330); Murmann, in: Strafrecht und Medien, S. 5 (S. 7); Sarstedt, DRiZ 1964, 43 (44); Schmitt, ZRP 2011, 220 (221); Spelsberg, DRiZ 1953, 199 (200); Wassermann, DRiZ 1981, 92 (94); Zuck, DRiZ 1997, 23 (24); ders., NJW 2001, 40 (41). 466 Lippe, in: Justiz und Medien, S. 127 (S. 133); Wassermann, DRiZ 1981, 92 (94). 467 Zuck, NJW 2001, 40 (41). 468 Friedrichsen, in: Das moderne Strafrecht, S. 75 (S. 82); Gerhardt, in: FS Hirsch, S. 563 (S. 567); Leyendecker, StV 2005, 179 (180); ders., in: Strafverteidigung im Rechtsstaat, S. 192 (S. 197); Zülch, DRiZ 1994, 36 (37). 469 Sarstedt, DRiZ 1964, 43 (44); ders., in: Rechtsstaat als Aufgabe, S. 272 (S. 280). 470 Berger, in: Spiekermann, NJW-aktuell 33/2018, 12 (13); Zuck, DRiZ 1997, 23 (24); ders., NJW 2001, 40 (41). 471 Zuck, DRiZ 1997, 23 (24); ders., NJW 2001, 40 (41). 472 Friedrichsen, ZRP 2007, 133; Höbermann, Gerichtsberichte, S. 94 f., 146 f.; Hunecke, NK 2011, 85 (87); Sarstedt, DRiZ 1964, 43 (44). 473 Geiger, DRiZ 1993, 378 (379); Vietmeyer, Vor- und Nachteile, S. 40. 464
E. Steigerung von Rechtskenntnis und Rechtsverständnis
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Von (durchaus auftretenden) Fehlleistungen einzelner Medienvertreter darf jedoch nicht auf die Inkompetenz der ganzen Branche geschlossen werden.474 Jedenfalls die überregionalen Zeitungen und audiovisuellen Medien beschäftigen durchaus qualifizierte Gerichtsberichterstatter.475 Beispiele liefern Heribert Prantl, der erst Richter und Staatsanwalt war und dann Redakteur der „Süddeutschen Zeitung“ wurde, und Frank Bräutigam, der als Volljurist die Rechtsredaktion der ARD leitet.476 Sicher sind nicht alle ihrer Kollegen ähnlich qualifiziert.477 Von einem flächendeckenden Mangel an Fachkompetenz kann jedoch, das zeigen diese zwei prominenten Beispiele, nicht gesprochen werden. Des Weiteren müssen fachliche Ungenauigkeiten bei der Berichterstattung über die Justiz ebenso hingenommen werden wie bei Berichten über andere Themen. Auch über Bundestagsdebatten zum Beispiel berichten nicht nur Politikwissenschaftler. Würde auf allen Fachgebieten eine fachlich unangreifbare Berichterstattung verlangt, würden viele Nachrichten in Ermangelung der nötigen Fachkompetenz in den berichtenden Redaktionen nie verbreitet. Dem ist eine nicht immer in allen Feinheiten zutreffende Berichterstattung im Interesse einer thematisch breiten Information der Öffentlichkeit vorzuziehen. Spricht die fehlende fachliche Kompetenz einiger – aber bei weitem nicht aller – Medienvertreter nach alledem nicht dagegen, dass ihre Berichte aus dem Gerichtssaal Rechtskenntnis vermitteln und Rechtsverständnis schaffen, kann die Frage unbeantwortet bleiben, ob es gerade den Berichterstattern, die Aufnahmen oder Textberichte in Echtzeit anfertigen, am erforderlichen Wissen mangelt.
V. Komplexität des Geschehens im Gerichtssaal Zuletzt wird speziell für die Gerichtssaalberichterstattung mittels Aufnahmen vertreten, sie könne nicht zur Vermittlung von Rechtskenntnissen und Rechtsverständnis beitragen, weil das Geschehen bei Gericht für Laien zu komplex sei.478 Aus diesem Grund lasse es sich teilweise nur schwer so wiedergeben, dass die Schmidthals, Verfahrensöffentlichkeit, S. 112. Berger, in: Spiekermann, NJW-aktuell 33/2018, 12 (13); Gerhardt, ZRP 1993, 377 (378); ders., in: FS Hirsch, S. 563 (S. 567); Jahn, NJW-Editorial 23/2013; Leyendecker, StV 2005, 179 (180); Zuck, NJW 2001, 40. Anders für den öffentlichen-rechtlichen Rundfunk aber Quoirin, DRiZ 1995, 364. 476 Koppe, in: www.lto.de vom 08.11.2012 (abrufbar unter www.lto.de/recht/job-karriere/j/ karrieremoeglichleiten-fuer-juristen-in-den-medien/, Stand: 13.12.2019). 477 Schmidthals, Verfahrensöffentlichkeit, S. 109 spricht „Boulevard- und Regenbogenpresse“ Fachkenntnisse ab. Vietmeyer, Vor- und Nachteile, S. 39 f. differenziert zwischen kenntnisreichen Vertretern überregionaler Medien und weniger vorgebildeten Vertretern der Lokal- und Regionalmedien. 478 Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 136; Schraft-Huber, in: Umbach/Clemens/Dollinger, 474 475
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Kap. 2: Für Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
Medienkonsumenten es verständen.479 Einerseits sei das auf die Komplexität des Sachverhalts480 und das hohe rechtliche Niveau einer Verhandlung zurückführen.481 Andererseits sei die juristische Fachsprache nicht jedem verständlich.482 In vielen Verhandlungen würden zudem zahlreiche Aspekte nicht mündlich diskutiert, sondern es werde auf Schriftsätze Bezug genommen483 – ein Faktor, der dem Verständnis noch weiter abträglich sei. Auf Seiten der Rezipienten wiederum fehle es oft an der nötigen Konzentration und Geduld, um die komplexen Vorgänge nachzuvollziehen.484 Gerade Aufnahmen drohten dabei, von den schwierigen Inhalten abzulenken.485 Der Vermittelbarkeit des Rechts seien nach alledem Grenzen gesetzt.486 Dies alles lässt sich nicht leugnen, aber auch nicht als Argument gegen den Beitrag der Gerichtssaalberichterstattung zur Wissensvermittlung anführen. Damit würde schließlich die ureigene Aufgabe der Medien vernachlässigt: Sie sind gerade dafür zuständig, auch unübersichtliche Zusammenhänge einleuchtend darzustellen.487 Zu Recht werden sie daher schon in Bezug auf die de lege lata zulässigen Gerichtsberichte häufig als Übersetzer488 oder Dolmetscher489 der Vorgänge bei Gericht bezeichnet.490 Schon heute geben sie in ihren Berichten aus dem Gericht Sätze, die in einer Fachsprache vorgetragen wurden, in verständliBVerfGG, § 17a Rn. 18; Wyss, EuGRZ 1996, 1 (14); Zuck, NJW 2001, 1623 (1624); ders., in: Lechner/Zuck, BVerfGG, § 17a Rn. 5. 479 Benda, NJW 1999, 1524; Huff, DRiZ 1993, 207. 480 Ernst, NJW 2010, 744 (746); Maxin, in: Kontrolle des Gerichts, S. 105 (S. 107); Zuck, in: Lechner/Zuck, BVerfGG, § 17a Rn. 5. 481 Schraft-Huber, in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 17a Rn. 18. 482 Van Bühren, ZAP 2016, 995; Gerhardt, ZRP 1993, 377 (381); Gostomzyk, Öffentlichkeitsverantwortung, S. 147; Höbermann, Gerichtsbericht, S. 9; Hunecke, NK 2011, 85 (87); Jahn, DRiZ 2015, 379; Prinz, in: FS Engelschall, S. 243 (S. 245, 250); Zuck, NJW 2001, 40 (42). 483 Eckertz-Höfer, DVBl 2012, 389 (390); Höbermann, Gerichtsbericht, S. 131; Kohlhaas, DRiZ 1963, 329; Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 123 f. 484 Sarstedt, in: Rechtsstaat als Aufgabe, S. 272 (S. 280); Vogel, Fernsehübertragungen, S. 114; Zuck, NJW 2001, 40 (42). 485 Benda, NJW 1999, 1524; Schraft-Huber, in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 17a Rn. 20 f. 486 Geuther, DRiZ 2013, 166; Hassemer, in: Das moderne Strafrecht, S. 13 (S. 20). 487 Bräutigam, DRiZ 2017, 164; Hirzebruch, Neue Medien, S. 107; Schraft-Huber, in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 17a Rn. 19. 488 Bernzen/Bräutigam, K&R 2017, 555 (559); Friehe, in: Kontrolle des Gerichts, S. 1 (S. 21); Schmitt, ZRP 2011, 220 (221); Voßkuhle, in: FH Möller, S. 10 (S. 11); Zülch, DRiZ 1994, 36. 489 Kirchhof, in: FH Möller, S. 34. 490 Leyendecker, in: Strafverteidigung im Rechtsstaat, S. 192 (S. 197) meint jedoch, die erforderliche Übersetzungsarbeit leisteten nur wenige Journalisten.
E. Steigerung von Rechtskenntnis und Rechtsverständnis
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cher Sprache wieder,491 erklären schwierige Prozesse auf einfache Art492 und brechen komplexe Entscheidungen auf eine allgemeinverständliche Größe herunter493. Was sich ihren Konsumenten nicht ohne Weiteres aus den Aufnahmen selbst erschließt, erörtern und kommentieren sie dabei.494 „[A]uch schwierige Fragen [lassen sich so] auf eine für den Laien verständliche Weise darstellen“495. Aufnahmen, speziell Bild/Ton-Aufnahmen, würden sich hierbei besonders für diese Art erklärender Berichterstattung eignen.496 Einerseits trügen Bilder des Geschehens besser zu dessen Verständnis bei als Korrespondentenberichte, die vor dem Gerichtsgebäude aufgezeichnet wurden.497 Mit ihrer Hilfe könnten die beschriebenen Inhalte schließlich illustriert werden.498 Daneben könnten die Aufnahmen mit Mitteln wie zum Beispiel einer Grafik kombiniert werden, sodass auch schwer verständliche juristische Zusammenhänge erklärt werden könnten.499 Auch könnten Medienvertreter die Vorgänge im Gericht bei einer Übertragung der Verhandlung zeitgleich kommentieren und in einen größeren Kontext einordnen.500 Ein Beleg dafür, dass eine derart ausgestaltete Berichterstattung der Wissensvermittlung dienlich sein kann, sind Parlamentsdebatten. Auch sie werden trotz ihres nicht eben leicht verständlichen Inhalts im Fernsehen übertragen.501 Dadurch vermitteln sie der Allgemeinheit Kenntnisse über jene Gesetze, die das Gericht später anwendet. Ein Vergleich mit der unmittelbaren Öffentlichkeit entkräftet das Komplexitätsargument endgültig: Mittels Aufnahmen nähmen die Medienkonsumenten eine Verhandlung ähnlich wahr wie die Teilnehmer im Sitzungssaal. Auch für diese Teilnehmer ist das Geschehen aber juristisch oder tatsächlich oft zu komplex und die Fachsprache der Juristen unverständlich.502 Der Beitrag, den die unmittelbare Öffentlichkeit zur Vermittlung von Rechtskenntnissen leistet, wurKirchhof, in: FH Möller, S. 34 (S. 34, 36); Kortz, AfP 1997, 443 (449). Schmidthals, Verfahrensöffentlichkeit, S. 49, 115. 493 Kirchhof, in: FH Möller, S. 34. 494 Höbermann, Gerichtsbericht, S. 59; Kujath, Laienjournalismus, S. 45; Wyss, EuGRZ 1996, 1 (12). 495 Spelsberg, DRiZ 1953, 199 (200). 496 Bresser, in: FS Jauch, S. 7 (S. 10); von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 409; Gounalakis, in: FG Kübler, S. 173 (S. 195). 497 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 409. 498 So, dies aufgrund des in ihren Augen fehlenden Informationswertes der Aufnahmen jedoch kritisierend, Beater, AfP 2005, 133 (137 f.); Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 187, 396, 404; Weiler, ZRP 1995, 130 (133). 499 Jauch, in: Grenzen der Rechtsgewährung, S. 248; Kirchhof, in: FH Möller, S. 34 (S. 36). 500 Von Coelln, jurisPR-ITR 5/2007 Anm. 4; Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 78. 501 Von Coelln, AfP 2014, 193 (200). 502 Braun, in: Journalistische Kultur, S. 25 (S. 45); von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 409. 491 492
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Kap. 2: Für Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
de mit diesem Argument aber zurecht noch nicht in Zweifel gezogen. Insofern dürfen an die Medienöffentlichkeit in Anbetracht von deren zentraler Rolle bei der Erfüllung der Funktionen des Öffentlichkeitsgrundsatzes keine höheren Anforderungen gestellt werden als an Saalöffentlichkeit.503 Die Vorgänge bei Gericht sind also zwar durchaus komplex. Indem die Me dien sie in ihren Gerichtssaalberichten mithilfe von Aufnahmen „übersetzen“, könnten sie aber möglicherweise nicht nur in größerem Ausmaß zur Vermittlung von Rechtskenntnis und Rechtsverständnis beitragen, als es durch die klassischen Gerichtsberichte möglich ist, sondern sogar besser, als es die Teilnahme an der Verhandlung selbst kann.
VI. Ergebnis zur Steigerung von Rechtskenntnis und Rechtsverständnis Der Beitrag der Gerichtssaalberichte zur Vermittlung von Rechtskenntnissen und zur Schaffung von Rechtsverständnis kann weder mit der Begründung von vornherein abgelehnt werden, die Vorgänge im Gericht würden nicht realitätsgetreu wiedergegeben, noch mit dem Argument, es fehle den Medienvertretern an Fachkompetenz. Entscheidend für die Wissensvermittlung ist in dieser Hinsicht vielmehr die Ausgestaltung des jeweiligen Berichts. Ob die Gerichtssaalberichterstattung aber tatsächlich zu einem Wissensgewinn in der Bevölkerung führen kann und inwiefern dieser größer ist als infolge klassischer Gerichtsberichte, muss erst noch empirisch erforscht werden.
F. Rehabilitationsmöglichkeit Für die Zulassung der Gerichtssaalberichte streitet es speziell in Strafverfahren des Weiteren, wenn sie eine Rehabilitation des Angeklagten ermöglichen.504 Wer öffentliche Vorverurteilungen in den Medien ertragen müsse, so wird im Schrifttum diesbezüglich argumentiert, habe ein berechtigtes Interesse daran, dass über sein mutmaßliches Fehlverhalten auch öffentlich verhandelt wird.505 In einer öffentlichen Hauptverhandlung biete sich dem Angeklagten, der gegenüber den Strafverfolgungsbehörden zumeist kommunikativ unterlegen sei, die einzige Möglichkeit, seine Position für die Medien darzulegen.506 Werde die Gerichtsverhandlung bspw. im Fernsehen übertragen, könne er vor den Augen der ÖffentBraun, Medienberichterstattung, S. 280; von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 409. Schmaldienst, DRiZ 1986, 382 (383). 505 Hassemer, NJW 1985, 1921 (1928). 506 Vogel, Fernsehübertragungen, S. 81. 503
504 Dafür
F. Rehabilitationsmöglichkeit
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lichkeit auf seine Unschuld hinweisen.507 Habe er die Tat begangen, erhalte er so die Möglichkeit, öffentlich um Verständnis hierfür zu werben.508 Dass die Berichterstattung eine solche Wirkung haben kann, zeigt exemplarisch das Strafverfahren gegen den früheren Bundespräsidenten Christian Wulff wegen Vorteilsannahme. Er hatte sich gegen die Einstellung seines Verfahrens gewehrt und auf eine öffentliche Verhandlung bestanden, an deren Ende er freigesprochen wurde.509 Sowohl die Hauptverhandlung als auch sein Freispruch waren Gegenstand umfassender Medienberichte.510 Infolgedessen ist Wulff heute vom Vorwurf des strafbaren Verhaltens befreit.511 Dieses Beispiel zeigt aber auch, dass die Rehabilitation im Grundsatz bereits infolge der nach § 169 Abs. 1 S. 1 GVG möglichen Berichterstattung gelingen kann. Entlastende Argumente oder die Entschuldigung des Angeklagten können schließlich auch in nachträglichen Berichten veröffentlicht werden. Allein darauf wird es dem Angeklagten meist ankommen. Denkbar ist jedoch einerseits, dass die rehabilitierende Wirkung der Berichte mithilfe von Aufnahmen verstärkt wird. Sie können bspw. die Gefühle des Angeklagten authentischer wiedergeben. Eindrucksvoll belegt dies die Ton-Aufnahme des Sportlers Oscar Pistorius, der sich in seinem Strafverfahren wegen des Mordes an seiner Freundin weinend bei ihrer Familie entschuldigt.512 Sowohl die zeitgleich übertragenen Aufnahmen als auch die Textberichte in Echtzeit führen andererseits dazu, dass entlastende Umstände bereits während einer laufenden Verhandlung publiziert werden. Dieses zeitliche Element kann für den Angeklagten entscheidend sein. Denkbar ist zum Beispiel, dass ein Nebenkläger seine Ansicht während der mündlichen Verhandlung prominent in den Medien platziert. Würde die Sichtweise des Angeklagten dem erst im Anschluss an die Verhandlung entgegengesetzt, könnte es für ihn schwerer werden, das einmal gezeichnete Bild auszuradieren. In beiderlei Hinsicht hat die Gerichtssaalberichterstattung deshalb eine eigenständige Bedeutung mit Blick auf die Rehabilitationsmöglichkeit, die für eine Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung spricht. Britz, in: FS Schiller, S. 81 (S. 100). Vogel, Fernsehübertragungen, S. 81. 509 LG Hannover, Urt. vom 27.02.2014 – 40 KLs 6/13. 510 Bernzen, in: Medienrecht im Medienumbruch, S. 205 (S. 213). 511 Möller, DRiZ 1987, 368 weist zurecht darauf hin, dass gerade, wenn während des Prozesses öffentlich über einen Tatvorwurf berichtet wurde, eine Rehabilitation nur gelingen kann, wenn auch über den späteren Freispruch berichtet wird. 512 Anzuhören bei Putsch, www.welt.de vom 08.04.2014 (abrufbar unter www.welt.de/ vermischtes/article126720401/Die-Widersprueche-in-Pistorius-Traenen-Aussage.html, Stand: 13.12.2019). 507 508
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Kap. 2: Für Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
Gewarnt wird zwar teilweise, der Angeklagte könne das Forum, das ihm die Kameras und Mikrofone eröffneten, für andere Zwecke als für seine Verteidigung verwenden.513 Zu bedenken sei insbesondere die Gefahr, dass er die Öffentlichkeit der Verhandlung für politische Äußerungen nutze.514 So könne bspw. die Angeklagte im NSU-Prozess, Beate Zschäpe, „Grußadressen für spätere Generationen von Rechtsextremisten formulieren“515. In diesem Kontext wird auch auf den Strafprozess gegen den Terroristen Anders Behring Breivik in Norwegen 2012 verwiesen, in dem sich genau dies zutrug.516 Das norwegische Verfahren zeigt jedoch auch, dass einem solchen Verhalten wirksam begegnet werden kann: Die propagandistischen Äußerungen Breiviks wurden von der Übertragung der mündlichen Verhandlung ausgenommen.517 Dass die Rehabilitationsmöglichkeit missbraucht werden kann, spricht damit nicht von vornherein dafür, sie außer Betracht zu lassen.
G. Präventionswirkung Für die Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung speziell aus Strafverfahren spricht es zuletzt, wenn ihr eine präventive Wirkung zukommt.518 Dabei muss zwischen der Spezialprävention und der Generalprävention differenziert werden. Zudem muss berücksichtigt werden, dass die präventive Wirkung der Berichterstattung empirisch bisher weder bewiesen noch widerlegt ist519 – weder für deren klassische Ausprägung noch für die Gerichtssaalberichterstattung. Mit Blick auf die Spezialprävention werden Gerichtssaalberichte ambivalent beurteilt. Diese Prävention setze in ihrer positiven Ausprägung auf die Besserung des Täters infolge seiner Resozialisierung und in ihrer negativen Ausprägung auf seine Abschreckung von der Begehung weiterer Straftaten.520 Dafür müsse möglichst effektiv auf die Täterpersönlichkeit eingewirkt werden.521 513 Ernst, ZUM 1996, 187 (192); ders., in: FS Herrmann, S. 73 (S. 75); Sarstedt, in: Tonbandaufnahmen, S. 57 (S. 66). 514 Hillermeier, DRiZ 1982, 281 (283); Jung, in: GS Kaufmann, S. 891 (S. 908); Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 216. 515 Winkelmeier-Becker, in: Janisch, SZ vom 19.05.2017, S. 31. 516 Van Bühren, ZAP 2016, 995; Morsch, ZRP 2014, 254. 517 Giraud, in: Interdisziplinäre Wissenschaft, S. 169 (S. 186). 518 Dafür Giraud, in: Interdisziplinäre Wissenschaft, S. 169 (S. 189). 519 Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 346; Höbermann, Gerichtsbericht, S. 34; Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 76; Vietmeyer, Vor- und Nachteile, S. 61; Walter, in: Das moderne Strafrecht, S. 27 (S. 28). 520 Vietmeyer, Vor- und Nachteile, S. 61. 521 Marxen, GA 2013, 99 (106).
G. Präventionswirkung
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Für die negative Spezialprävention wird vertreten, die Prangerwirkung der medial begleiteten Hauptverhandlung könne ihr zuträglich sein. Sie könne zusätzlich zu der verhängten Strafe dazu beitragen, den Straftäter von der Begehung weiterer Straftaten abzuschrecken.522 In dieser Hinsicht könnten besonders Aufnahmen einen Beitrag leisten: Dem Täter könnte gerade die Präsenz der Kameras und Mikrofone im Gericht als unangenehm in Erinnerung bleiben. Zwar mag ihm schon die Anwesenheit der Berichterstatter widerstreben, die nach § 169 Abs. 1 S. 1 GVG im Gericht präsent sein, sich Notizen machen und sodann Berichte verfassen können. Er könnte es jedoch als noch abschreckender empfinden, nicht nur von den Pressevertretern beobachtet zu werden, sondern auch von den Rundfunkvertretern mit Kameras und Mikrofonen aufgenommen zu werden. Mit Blick auf die positive Spezialprävention wird dagegen befürchtet, die aus den Gerichtssaalberichten folgenden Gefahren für die Resozialisierung des Straftäters könnten der Prävention abträglich sein.523 Weil die Konsequenzen der Berichterstattung für das Recht auf Resozialisierung aber erst im folgenden Kapitel näher betrachtet werden, wird dieses Argument an späterer Stelle überprüft.524 Der Beitrag der Gerichtssaalberichterstattung zur Generalprävention wird überwiegend positiv bewertet.525 Diese Prävention zielt darauf ab, das Normvertrauen der Allgemeinheit zu stärken und will die Allgemeinheit von der Begehung von Straftaten abhalten. Für beides sei eine größtmögliche Öffentlichkeit hilfreich,526 denn: „Generalprävention nur im Verhandlungssaal funktioniert nicht.“527 Einige Autoren sind mit Blick auf die positive Generalprävention zwar der Ansicht, die Gerichtsberichte könnten dem Normvertrauen der Bürger abträglich sein. So könnten bspw. Berichte über Urteile, die die Bevölkerung nicht nachvollziehen könne,528 dem Normvertrauen schaden.529 Ebenso verhalte es sich Danziger, Medialisierung, S. 114. Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 347; Schmidthals, Verfahrensöffentlichkeit, S. 212 f.; Vietmeyer, Vor- und Nachteile, S. 65. Zum Recht auf Resozialisierung ausführlich: Kap. 3, B. III. 5. 524 S. dazu Kap. 3, J. 525 Feldmann, GA 2017, 20 (35); Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 65; Geerds, in: FS Oehler, S. 423 (S. 426); Gierhake, in: Strafrecht und Medien, S. 51 (S. 62); Kreicker, ZIS 2017, 85 (101); Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 108. 526 Blazko, in: Einheit der Prozessrechtswissenschaft, S. 25 (S. 33); Britz, Fernsehaufnahmen, S. 201; Gierhake, in: Strafrecht und Medien, S. 51 (S. 53). 527 Koppenhöfer, in: Öffentlichkeit als Richter, S. 60 (S. 63). 528 Darauf, dass dies durchaus möglich ist, weist zutreffend Britz, Fernsehaufnahmen, S. 202 hin. 529 Blazko, in: Einheit der Prozessrechtswissenschaft, S. 25 (S. 33). 522 523
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Kap. 2: Für Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
mit Berichten, die das Geschehen im Gericht nicht wirklichkeitsgetreu wiedergäben.530 Ist ein Urteil für rechtsunkundige Bürger aber nicht nachvollziehbar, sind, wie gezeigt, gerade die Medien in der Lage, seine Hintergründe zu erörtern und es in einen größeren Zusammenhang einzuordnen.531 Die Befürchtung, dass Gerichtsberichte das Geschehen im Gericht nicht realitätsgetreu wiedergeben, wurde ebenfalls bereits wiederlegt.532 Die Gerichtsberichterstattung ist der positiven Generalprävention also nicht pauschal abträglich. Sie wird stattdessen zurecht als ein Mittel zu einer möglichen Steigerung des Normvertrauens angeführt.533 Durch ihre Berichterstattung könnten die Medien nämlich entscheidend zur Vermittlung der strafrechtlichen Normen beitragen.534 Diese Aufgabe könnten zwar prinzipiell bereits die klassischen Gerichtsberichte erfüllen. Die Gerichtssaalberichte sind aber, wie mehrfach erörtert, dazu in der Lage, eine größere Anzahl an Medienkonsumenten anzusprechen.535 Damit könnten sie die Normen in quantitativer Hinsicht besser vermitteln. Zu der für die negative Generalprävention nötigen Abschreckung könnten die Medien darüber hinaus einen Beitrag leisten, indem sie die drohenden Strafen an die Öffentlichkeit kommunizierten.536 Für die Gerichtsaalberichte unter Einsatz von Aufnahmen wird außerdem argumentiert, sie schreckten aufgrund der bereits erwähnten Prangerwirkung der von den Medien intensiv begleiteten Hauptverhandlung auch die Bevölkerung ab.537 Von der Medienpräsenz, die einen Straftäter bei Gericht erwartet, könnten sich bspw. die Zuschauer eines Fernsehberichts über diesen Prozess selbst ein Bild machen. Auch sie könnten die Präsenz der Kameras und Mikrofone in einer medial begleiteten Verhandlung als derart abschreckend empfinden, dass sie von einer Straftatbegehung abgehalten werden. Es ist nach alledem denkbar, aber noch nicht erforscht, dass Gerichtssaalberichte der General- sowie der negativen Spezialprävention in größerem Umfang zuträglich sind, als es schon klassische Gerichtsberichte sein könnten. Ist das der Fall, streitet die Präventionsmöglichkeit für die Zulassung der Berichterstattung aus dem Gerichtssaal. Hassemer, NJW 1985, 1921 (1923 f.); Tolksdorf, in: FH Möller, S. 25 (S. 28). Vgl. Kap. 2, E. V. 532 Vgl. Kap. 2, E. II. 533 Bremer, in: FS Richter II, S. 77 (S. 79); Eser, ZStW 104 (1992) 361 (380); Hassemer, ZRP 2013, 149 (150); Kindhäuser, in: FS Wolter, S. 979 (S. 982, 993); Kreicker, ZIS 2017, 85 (105). 534 Hassemer, in: Einfluß der Medien, S. 61 (S. 73); ders., StV 2005, 167; ders., in: Das moderne Strafrecht, S. 13 (S. 19). 535 Vgl. Kap. 2, B. III. 4. d), E. III. 536 Hassemer, StV 2005, 167. 537 Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 350. 530 531
Kapitel 3
Gegen die Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte A. Einzubeziehende Rechte und schutzwürdigende Interessen Der Gesetzgeber nannte in seinen Begründungen der im ersten Kapitel dargestellten gesetzlichen Aufnahmeverbote mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, der Wahrheits- und der Rechtsfindung, also der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege, der Verteidigung des Angeklagten respektive seinem Anspruch auf ein faires Verfahren und der Würde des Gerichts zahlreiche Positionen, die gegen die Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung angeführt werden können.1 Das BVerfG verwies in seinen Entscheidungen zu Gerichtssaalberichten, die auch im ersten Kapitel dargestellt wurden, außerdem auf eine denkbare Störung des äußeren Verfahrensablaufs und die Unschuldsvermutung als Gesichtspunkte, die der Zulassung der Berichte entgegenstehen sollen.2 Diese Aspekte werden in diesem Kapitel daraufhin überprüft, inwiefern sie tatsächlich gegen die Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung streiten. Auch die bereits im zweiten Kapitel thematisierte Präventionswirkung der Berichte wird noch einmal daraufhin untersucht, inwiefern sie gegen diese Zulassung spricht.3 Zudem werden – von Gesetzgeber und Verfassungsgericht bisher unbeachtet – der allgemeine Justizgewährungsanspruch und die in Strafverfahren denkbaren Anreize für Nachahmungstäter infolge der Berichterstattung als mögliche Argumente gegen eine Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung in den Blick genommen. Als verfassungsrechtlich fundierte Position auf der einen Seite und rechtspolitisch bedenkenswerter Aspekt auf der anderen Seite können auch sie relevant sein, um festzustellen, inwiefern der aktuelle Rechtsrahmen der Gerichtssaalberichterstattung noch zeitgemäß ist.
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Kap. 1, B. II. 1. b), 2. b), 3. d). Kap. 1, B. III. 3. 3 Zu den positiven Auswirkungen der Gerichtssaalberichte hierauf: Kap. 2, G. 2
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Kap. 3: Gegen Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
B. Allgemeines Persönlichkeitsrecht I. Grundlagen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wird im Grundgesetz nicht ausdrücklich garantiert.4 Der BGH leitete es jedoch als eigenständiges Grundrecht aus den Gewährleistungen der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und des Rechts des Einzelnen auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) her.5 Dieser zivilrechtlichen Rechtsprechung schloss sich das BVerfG für seine verfassungsrechtliche Bewertung an.6 Der Gewährleistungsgehalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts kann jedoch nicht abschließend abstrakt umschrieben werden.7 Es umfasst vielmehr verschiedene konkrete Teilgewährleistungen, die das BVerfG durch seine Rechtsprechung einzelfallbezogen entwickelt hat.8
II. Gerichtssaalberichterstattung im persönlichen Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Bevor die Teilgewährleistungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in sachlicher Hinsicht dargestellt werden können, bedarf es im Hinblick auf die professionellen Verfahrensbeteiligten aber einer näheren Untersuchung des persönlichen Schutzbereiches dieses Grundrechts. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht steht zwar allen lebenden natürlichen Personen unabhängig von deren Staatsangehörigkeit zu.9 Teils wird jedoch vertreten, die für den Staat auftretenden Verfahrensbeteiligten, also (Laien-)Richter, Staatsanwälte sowie andere Gerichtsbedienste-
Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Rn. 128. BGHZ 13, 334 (338). Anders zuvor aber das Reichsgericht, das ein allgemeines Persönlichkeitsrecht in stRspr ablehnte, s. nur RGZ 51, 369 (373); 69, 401 (403); 79, 397 (398); 113, 413 (414). 6 BVerfGE 6, 389 (433). Aus den „Anfangsjahren“ dieses Grundrechts s. zudem nur BVerfGE 27, 344 (351); 32, 373 (378); 33, 367 (374); 34, 269 (281); 35, 202 (219 f.). Anders jedoch die h. M. in der Kommentarliteratur, s. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Rn. 128 ff.; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 2 I Rn. 69; Horn, in: Stern/Becker, GRe, Art. 2 Rn. 35; Murswiek/ Rixen, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 63; Starck, in: MKS, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 15, 89, die das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG herleiten und Art. 1 Abs. 1 GG nur als Auslegungs- bzw. Interpretationsmaßstab verwenden. 7 BVerfGE 54, 148 (153 f.). 8 Hofmann, in: SHH-GG, Art. 2 Rn. 14; Kunig, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 2 Rn. 31; Lorenz, in: BK, Art. 2 Abs. 1 Rn. 272. 9 S. dazu nur Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Rn. 223 m. w. N. 4
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B. Allgemeines Persönlichkeitsrecht
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te, und die als Organe der Rechtspflege agierenden Rechtsanwälte würden in dieser Situation nicht durch das Grundrecht geschützt.10 Hierfür würde sprechen, dass sie in Ausübung ihres öffentlichen Amtes, also zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben auftreten.11 Auf ihre amtliche Funktion wies auch das BVerfG in seinen Entscheidungen hin, in denen es professionelle Verfahrensbeteiligte zur Duldung von Aufnahmen verpflichtete.12 Handelt ein Amtsinhaber, wird dies öffentlich-rechtlich schließlich als ein Handeln des Staates bewertet.13 Aus diesem Grund kann er sich nicht vollumfänglich auf die Rechte berufen, die ihm als natürliche Person in einer vergleichbaren Situation zustünden.14 Ein Beispiel hierfür ist das Rederecht des Abgeordneten im Bundestag: Es folgt nicht aus seiner Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG, sondern aus seinem Recht gemäß Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG, das dem Abgeordnetenstatus entspringt.15 Der Vergleich mit Bundestagsdebatten, die gemäß Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG ebenfalls öffentlich sind, liefert ein weiteres Argument gegen die Eröffnung der persönlichen Schutzbereichs: Gegen ihre Aufzeichnung wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Abgeordneten zurecht nicht an geführt.16 Des Weiteren haben die professionellen Verfahrensbeteiligten den Beruf, in dessen Ausübung sie in das Blickfeld der Öffentlichkeit geraten, freiwillig gewählt.17 Dabei muss ihnen bewusst gewesen sein, dass mit seiner Ausübung zwangsläufig öffentliche Auftritte einhergehen. Die Teilnahme an öffentlichen Gerichtsverhandlungen steht für die Staatsanwälte und Berufsrichter im Zentrum ihrer beruflichen Tätigkeit und auch die Rechtsanwälte treten zumindest gele-
So für die Richter Gersdorf, in: Gerichts-TV, S. 23 (S. 32). Für einige, wenn auch nicht alle Teilgewährleistungen des Rechts auch Hirzebruch, Neue Medien, S. 319. 11 Gerhardt, DRiZ 1999, 8 (9); Grimm, ZRP 2011, 61 (62); Gündisch/Dany, NJW 1999, 256 (259); Hagenkötter, in: Kontrolle des Gerichts, S. 41 (S. 57); Neumann-Duesberg, JZ 1970, 564 (567); Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 153. 12 BVerfGE 119, 309 (323 f.); BVerfG, NJW 2000, 2890 (2891); AfP 2007, 551 (552); NJW 2009, 2117 (2119 f.); NJW 2014, 3013 (3014); NJW 2017, 798 (799). 13 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 427; Hirzebruch, Neue Medien, S. 319; von Zezschwitz, in: FS Stein, S. 395 (S. 399). 14 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 427. 15 BVerfGE 60, 372 (379 f.). 16 Gerhardt, Verfassungsmäßigkeit, S. 74; Vogel, Fernsehübertragungen, S. 84. 17 Gerhardt, Verfassungsmäßigkeit, S. 73, 75, 111; Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 157; Paeffgen, JZ 1979, 516 (520); Vogel, Fernsehübertragungen, S. 83. Anders ist es nur in Bezug auf die Schöffen zu beurteilen, die für ihr Amt als Laienrichter nach § 36 GVG vorgeschlagen werden (s. Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 158). Ist dies der Fall, haben sie ihre Tätigkeit nicht freiwillig gewählt (s. Eisenberg, StraFo 2007, 284 [287]; Schäfer, JR 2014, 494 [495]). 10
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Kap. 3: Gegen Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
gentlich vor Gericht auf. Für letztere fällt erschwerend ins Gewicht, dass sie sich auch des konkreten Falles meist freiwillig annehmen.18 Zuletzt könnte es rechtsstaatlich bedenkliche Folgen haben, wenn professionelle Verfahrensbeteiligte, insbesondere der Vorsitzende Richter, sich auf das Persönlichkeitsrecht berufen könnten. „[E]inem Chamäleon gleich“19 könnten sie in diesem Fall zwischen ihrer Eigenschaft als privater Grundrechtsträger und ihrer amtlichen Funktion wechseln. In letzterer Rolle stünden ihnen Befugnisse zur Verfügung, aufgrund derer sie zum Schutz ihres eigenen Persönlichkeitsrechts einschreiten könnten.20 So könnte zum Beispiel der Vorsitzende seine Aufnahme per Medienverfügung nach § 176 GVG verbieten – und tut dies, wie die Darstellung der Rechtsprechung im ersten Kapitel gezeigt hat, auch regelmäßig.21 Jeder andere Grundrechtsträger müsste dagegen erst den Rechtsweg zu den Zivilgerichten beschreiten.22 Für eine Eröffnung des persönlichen Schutzbereichs lässt sich dagegen anführen, dass jeder in amtlicher Funktion Handelnde zwangsläufig eine natürliche Person bleibt.23 „[D]er Bürger verschwindet nicht hinter der Funktion, die er ausübt.“24 Es ist immer noch seine Stimme, die der Hörfunk an seine Zuhörer übermittelt und sein Bild, das in Tageszeitungen, Internetblogs sowie Fernsehsendungen um die Welt geht.25 Die Gefahren, die aus der Aufnahme seiner Person und deren Veröffentlichung folgen, betreffen ihn nicht (nur) in seiner beruflichen Tätigkeit, sondern auch als Privatperson.26 Augenfällig ist dies etwa dort, wo Leib und Leben des Richters infolge eines Urteils bedroht werden. Für die Eröffnung des persönlichen Schutzbereichs spricht zudem, dass eine klare Trennung von amtlicher und privater Tätigkeit im Gericht kaum möglich ist. Das gilt, erstens, während der mündlichen Verhandlung. Unklar ist etwa: „Macht der Richter [...] einen bestimmten Gesichtsausdruck in Ausübung oder nur bei Gelegenheit seines Amtes?“27 Es gilt in besonderer Weise aber, zweitens, auch in deren Umfeld. Ist das Gespräch, das der Staatsanwalt in der Verhandlungspause mit dem Kollegen führt, persönlich oder beruflich? Womöglich kommt neben taktischen Überlegungen der Wochenendausflug zur Sprache. Wo wird in diesem Fall innerhalb des Gesprächs die Grenze gezogen? Da auch wähHirzebruch, Neue Medien, S. 301; Stieper, JZ 2014, 271 (280). Von Zezschwitz, in: FS Stein, S. 395 (S. 400). 20 Von Zezschwitz, in: FS Stein, S. 395 (S. 400 f.). 21 Vgl. Kap. 1, B. III. 3. c), g), j), C. III. 5., 6. 22 Vgl. BVerwG, NJW 2015, 807 (809). 23 Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 199; Kujath, Laienjournalismus, S. 312. 24 Franke, JZ 1982, 48 (49). Ebenso Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 199. 25 Hirzebruch, Neue Medien, S. 319. 26 BVerwG, NJW 2002, 1815 (1817); NJW 2004, 2462 (2464 f.). 27 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 428. 18 19
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rend jener Zeit, in der professionelle Verfahrensbeteiligte in einer öffentlichen Funktion agieren, „Persönlichkeitsreservat[e]“28 dieser Art denkbar sind, besteht die Gefahr, dass der Schutz, der ihnen hierfür verfassungsrechtlich zusteht, verkürzt wird, wenn sie sich überhaupt nicht auf ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht berufen können. Von einer Eröffnung von dessen persönlichen Schutzbereich ging offenbar auch das BVerfG aus, das in seinen relevanten Entscheidungen feststellte, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht der professionellen Beteiligten zwar beeinträchtigt, diese Beeinträchtigung wegen ihrer amtlichen Funktion jedoch grundsätzlich hinzunehmen war.29 Dem Persönlichkeitsschutz der professionellen Verfahrensbeteiligten komme ein geringeres Gewicht zu als dem Schutz der privaten Beteiligten.30 Auch ihnen stünde dieser Schutz zwar im Grundsatz zu, aber eben in geringerem Maße.31 Ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht musste demnach erst infolge einer Abwägung mit anderen Positionen auf der Ebene der Rechtfertigung eines Eingriffs zurückstehen. Zu dieser Abwägung konnte es denklogisch jedoch nur kommen, weil der persönliche Schutzbereich aus der Sicht der Verfassungsrichter eröffnet war. Diese Lösung des BVerfG ermöglicht eine differenziertere Berücksichtigung der Argumente, die im Einzelfall gegen die Zulassung der Gerichtssaalberichte sprechen können, als eine pauschale Verneinung des persönlichen Schutzbereiches des Grundrechts für professionelle Verfahrensbeteiligte. Dadurch wird ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht nämlich „allenfalls in seiner Schutzintensität herabgesetzt und nicht etwa aufgehoben“32, sodass auch im Fall von Abgrenzungsproblemen zwischen privatem und amtlichem Tun ein effektiver Schutz gewährt werden kann. Die professionellen Beteiligten unterfallen daher ebenso wie die im Gericht anwesenden Laien dem persönlichen Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.
Paeffgen, JZ 1979, 516 (517). BVerfG, NJW 2000, 2890 (2891); AfP 2007, 551 (552); Beschl. vom 11.12.2007 – 1 BvR 3129/07, BeckRS 2008, 30823, Rn. 15. 30 BVerfG, NJW-RR 2007, 1416 (1416 f.); NJW 2009, 2117 (2119); BVerwG, NJW 2015, 807 (808). 31 BVerfGE 103, 44 (69); 119, 309 (323 f.); BVerfG, NJW 2009, 2117 (2119 f.); NJW 2014, 3013 (3014); NJW 2017, 798 (799). 32 Stieper, JZ 2014, 271 (280). 28 29
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Kap. 3: Gegen Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
III. Gerichtssaalberichterstattung im sachlichen Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts 1. Engere persönliche Lebenssphäre a) Gefahr durch die Publikation von Umständen aus der engeren persönlichen Lebenssphäre Die engere persönliche Lebenssphäre des Einzelnen als Teilgewährleistung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist jene Sphäre, in der jeder sich ohne Störungen, Beobachtungen oder Einwirkungen von außen frei entfalten kann.33 Sie wird in räumlicher und thematischer Hinsicht geschützt.34 Räumlich umfasst sie den Bereich, „in dem der Einzelne zu sich kommen, [sich] entspannen oder auch gehen lassen kann“35. Das kann nicht nur in der eigenen Wohnung geschehen, sondern auch außerhalb, wo der Betroffene erkennbar davon ausgehen durfte, den Blicken der Öffentlichkeit nicht ausgesetzt zu sein.36 Thematisch umfasst die Sphäre Angelegenheiten, „die wegen ihres Informationsinhalts typischerweise als ‚privat‘ eingestuft werden, insbesondere weil ihre öffentliche Erörterung oder Zurschaustellung als unschicklich gilt, das Bekanntwerden als peinlich empfunden wird oder nachteilige Reaktionen der Umwelt auslöst“37. Dies sind etwa der Gesundheitszustand38 sowie das Eheleben39 einer Person. Berichterstattung aus dem Gerichtssaal kann den Schutz der engeren persönlichen Lebenssphäre der Parteien, Angeklagten und Zeugen in deren räumlicher Dimension nicht berühren, weil im Gericht keine berechtigte Erwartung der örtlichen Abgeschiedenheit besteht.40 Sie kann diesen Schutz aber in thematischer Hinsicht betreffen, wenn vor Gericht geschützte Umstände erörtert werden, die die Medienvertreter im Rahmen ihrer Recherchen erfassen und in ihren Gerichtssaalberichten sodann veröffentlichen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass über persönliche Umstände, die vor Gericht zur Sprache kommen, schon heute in den Medien berichtet wird.41 Dies ermögLorenz, in: BK, Art. 2 Abs. 1 Rn. 274. BVerfGE 101, 361 (382); 120, 274 (311); 120, 180 (199); Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 442; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 2 I Rn. 71; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 47. 35 BVerfGE 101, 361 (382 f.). 36 BVerfGE 101, 361 (384); BVerfG, NJW 2000, 2192; Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Rn. 149; Murswiek/Rixen, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 69. 37 BVerfGE 138, 377 (387). 38 BVerfGE 32, 373 (379 f.). 39 BVerfGE 27, 344 (351 f.). 40 Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 196 f. 41 Hain, DÖV 2001, 589 (593 in Fn. 42). 33 34
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licht die Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlungen: Medienvertreter, die gemäß § 169 Abs. 1 S. 1 GVG diesen Verhandlungen zusehen können, erfahren von den geschützten Umständen bereits infolge ihrer Präsenz bei Gericht und können sie anschließend zum Beispiel in einem Korrespondentenbericht wiedergeben. Jedoch erreichen Gerichtssaalberichte, wie im zweiten Kapitel erörtert, eine deutlich größere Anzahl an Medienkonsumenten als die klassischen Gerichtsberichte.42 Damit vergrößern sie den Kreis der Personen, die über die geschützten persönlichen Umstände der Beteiligten informiert werden können, im Vergleich noch einmal erheblich. Aus dem Grund stellen sie in quantitativer Hinsicht ein größeres Risiko für den Schutz der engeren persönlichen Lebenssphäre dar als klassische Gerichtsberichte. b) Divergierende Gefahren für die engere persönliche Lebenssphäre aa) Differenzierung nach Verfahrensarten Die Gefahren für die engere persönliche Lebenssphäre der Beteiligten bestehen jedoch nicht in jeder Verfahrensart im selben Umfang. Besonders betroffen ist das Strafverfahren. Im modernen Strafprozess kommen zunehmend die Umstände aus der engeren persönlichen Lebenssphäre zur Sprache.43 Das betrifft besonders die Angeklagten, deren Persönlichkeit immer stärker erforscht wird.44 Ihr Privatleben wird zum Beispiel für die Zwecke der Strafzumessung beleuchtet.45 Manchmal müssen sie mit einem medizinisch-psychologischen Gutachter reden, der seine Ergebnisse in der Verhandlung wiedergibt.46 Auch Zeugen in Strafverfahren müssen gelegentlich sehr persönliche Umstände erläutern.47 Besonders gravierend ist dies für die Opferzeugen bei Sexualdelikten: Sie müssen teilweise zu Umständen aus ihrem Sexualleben aussagen, die den Kern ihrer engeren persönlichen Lebenssphäre betreffen.48 Im Strafverfahren bedarf die engere persönliche Lebenssphäre daher stets eines besonderen Schutzes. 42
Vgl. Kap. 2, B. III. 2. d), 3. c), 4. d), E. III., F., G. Scherer, Medienöffentlichkeit, S. 187 f.; Witzler, Personale Öffentlichkeit, S. 144. 44 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 426; Hirzebruch, Neue Medien, S. 318; Jung, in: GS Kaufmann, S. 891 (S. 892); Kleinschmidt, in: FS Schmidt-Leichner, S. 111; Lampe, NJW 1973, 217 (219); Pfeifle, ZG 2010, 283 (294); Witzler, Personale Öffentlichkeit, S. 49. 45 S. § 46 Abs. 2 S. 2 StGB: Zu berücksichtigen sind bei der Strafzumessung u. a. „das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse“. 46 Britz, Fernsehaufnahmen, S. 242. 47 DRB, DRiZ 1996, 246 (247); Gerhardt, Verfassungsmäßigkeit, S. 75, 110; Hamm, Große Strafprozesse, S. 19; Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 91; Pfeifle, ZG 2010, 283 (294 in Fn. 92); Vietmeyer, Vor- und Nachteile, S. 126; Vogel, Fernsehübertragungen, S. 83. 48 Heger, in: FS Beulke, S. 759 (S. 764); Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, § 169 GVG Rn. 41. 43
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Kap. 3: Gegen Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
In anderen Verfahrensarten ist sie durch die Gerichtssaalberichterstattung dagegen nicht immer in gleicher Weise betroffen, weil ihr zugehörige Aspekte dort seltener erörtert werden.49 Besonders augenfällig ist dies in den Verfahren am BVerfG. Dort sind zahlreiche Verhandlungen denkbar, die keinen thematischen Bezug zu der engeren persönlichen Lebenssphäre Einzelner haben, da kein Träger des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als natürliche Person daran beteiligt ist.50 Anders verhält es sich aber bei Verfassungsbeschwerden.51 Bei Beschwerden gegen Urteile etwa können die Umstände, die an den Fachgerichten erläutert wurden, erneut zur Sprache kommen. Jedoch befassen sich auch diese Verfahren meist nicht vertieft mit dem Sachverhalt, sondern beantworten im Schwerpunkt abstrakte verfassungsrechtliche Fragen.52 Ähnlich gestaltet es sich in verwaltungsgerichtlichen Prozessen. Dort wird in aller Regel ein Gesetzesverstoß der Verwaltung geprüft.53 Auf der einen Seite ist daher meist der Staat am Verfahren beteiligt.54 Auch auf der anderen Seite stehen jedoch auch nicht in jedem Fall private Personen. Einige Verfahren haben stattdessen rein politische oder gesellschaftliche Bedeutung.55 Das gilt besonders für objektive Rechtsbeanstandungsverfahren wie die Normenkontrolle gemäß § 47 VwGO.56 Manch andere Verfahren vor den Verwaltungsgerichten beziehen sich dagegen aber auf die engere persönliche Lebenssphäre. So wird in einer Verhandlung über Beihilfeansprüche bspw. der Gesundheitszustand des klagenden Beamten erläutert.57 In zivilrechtlichen Verhandlungen werden ähnliche Umstände vergleichsweise häufig thematisiert, da sich dort Private gegenüberstehen.58 Ein besonders anschauliches Beispiel hierfür sind familienrechtliche Prozesse.59 In anderen zivilrechtlichen Verfahren spielen solch private Umstände dagegen keine RolVon Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 426; Hirzebruch, Neue Medien, S. 318; Pernice, Medienöffentlichkeit, S. 148. 50 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 426; Hirzebruch, Neue Medien, S. 318. 51 Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 90; Magnus, in: Digitalisierung, S. 205 (S. 214 f.). 52 BTDrucks 13/7673, S. 7. 53 BVerfGE 103, 44 (69); 103, 72 (77); Gostomzyk, Öffentlichkeitsverantwortung, S. 167; Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 90; Kujath, Laienjournalismus, S. 273. 54 Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 127; Endemann, in: FS Zeidler, S. 409 (S. 411). 55 Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 127; Schraft-Huber, in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 17a Rn. 35 f. 56 Hagenkötter, in: Kontrolle des Gerichts, S. 41 (S. 56). 57 Endemann, in: FS Zeidler, S. 409 (S. 411); Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 134. 58 Knothe/Wanckel, ZRP 1996, 106 (110) wollen zivilrechtliche Verhandlungen daher in persönlichkeitsrechtlicher Hinsicht wie strafrechtliche Hauptverhandlungen behandeln. 59 Boehme-Neßler, UFITA 2012, 337 (341); Köbl, in: FS Schnorr von Carolsfeld, S. 235 (S. 237). 49
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le.60 So verhält es sich etwa in Verhandlungen über Fragen des gewerblichen Rechtsschutzes. Ambivalent sind auch Verfahren vor den Arbeitsgerichten zu beurteilen: In der Verhandlung über eine personenbezogene Kündigung wegen einer chronischen Erkrankung werden Umstände aus der engeren persönlichen Lebenssphäre durchaus erörtert. Wird dagegen über die Gültigkeit eines Tarifvertrages verhandelt, ist dies nicht der Fall. Auch die Finanz- und die Sozialgerichte beschäftigen sich teilweise mit höchstpersönlichen Umständen, führen aber auch Verhandlungen durch, in denen es nicht um das Privatleben Einzelner geht. In sämtlichen Verfahren mit der Ausnahme der Strafverfahren ist es mithin eine Frage des Einzelfalles, inwiefern die engere persönliche Lebenssphäre des Schutzes bedarf. bb) Differenzierung nach Instanzen Doch nicht nur zwischen den Verfahrensarten, auch zwischen Tatsachen- und Rechtsinstanzen ist im Hinblick auf den Schutz der engeren persönlichen Lebenssphäre zu unterscheiden. In Tatsacheninstanzen werden Umstände aus jener Lebenssphäre bisweilen ausführlich erläutert. In Rechtsinstanzen werden dagegen vor allem Rechtsfragen geklärt.61 Es erfolgt ein „ritualisierte[r] Austausch rechtlicher Standpunkte“62. Zwar können hinter den offenen Rechtsfragen durchaus Tatsachenfragen stehen, die der geschützten Sphäre zuzuordnen sind.63 Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass hierauf auch in der Rechtsinstanz Bezug genommen wird.64 Mit der Ermittlung der Tatsachen, zu deren Zweck sie genauer beleuchtet werden, haben sich jedoch bereits die Vorinstanzen befasst.65 Persönliche Umstände kommen in der Rechtsinstanz daher allenfalls am Rande zur Sprache, sodass das Schutzbedürfnis mit Blick auf die engere persönliche Lebenssphäre der Beteiligten zu vernachlässigen ist.
pauschal argumentiert insofern Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 124, der meint, da im Zivilprozess um Privatrecht gestritten werde, kämen immer Aspekte aus dem Privatbereich zur Sprache. 61 BVerfGE 103, 72 (78); von Coelln, in: Strafrecht und Medien, S. 13 (S. 31); Eberle, NJW 1994, 1637 (1638); Gerhardt, BDVR-Rundschreiben 2001, 71 (72); Hirzebruch, Neue Medien, S. 335; Knothe/Wanckel, ZRP 1996, 106 (110); Kreicker, ZIS 2017, 85 (104); Kujath, Laienjournalismus, S. 272; Lückemann, in: Zöller, ZPO, § 169 GVG Rn. 19. 62 Janisch, SZ vom 03.05.2016, S. 4. 63 BVerfG, NJW 1999, 1951 (1952). 64 Norouzi, StV 2016, 590 (594); Rittig, NJ 2016, 265 (267). 65 Bräutigam, DRiZ 2017, 164. 60 Zu
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Kap. 3: Gegen Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
cc) Differenzierung nach Verfahrensabschnitten Zuletzt muss innerhalb des Verfahrens zwischen der mündlichen Verhandlung und ihrem Umfeld differenziert werden. Nur während jener Verhandlung sind die Verfahrensbeteiligten schließlich gezwungen, Umstände aus ihrer engeren persönlichen Lebenssphäre zu erörtern. Denkbar wäre daneben, die Entscheidungsverkündung als im Hinblick auf die engere persönliche Lebenssphäre unproblematisch zu betrachten. Die Beweisaufnahme, in der zum Beispiel die Zeugen persönliche Umstände kundtun müssen, ist zu jenem Zeitpunkt bereits abgeschlossen. Jedoch werden die privaten Umstände in der Entscheidung regelmäßig zur Begründung herangezogen.66 So werden bspw. die sozialen Umstände des Täters, die bei der Strafzumessung berücksichtigt wurden, im Strafurteil erneut beleuchtet.67 Deshalb besteht für die engere persönliche Lebenssphäre auch während der Entscheidungsverkündung ein Schutzbedürfnis, sodass zwischen den Phasen der Verhandlung selbst nicht zu differenzieren ist. 2. Selbstdarstellungsrechte a) Relevante Selbstdarstellungsrechte Das allgemeine Persönlichkeitsrecht enthält ein Verfügungsrecht des Einzelnen über die Darstellung seiner Person.68 Es weist dem Einzelnen die Befugnis zu, „grundsätzlich selbst und allein [zu] bestimmen, ob und wieweit andere sein Lebensbild im ganzen oder bestimmte Vorgänge aus seinem Leben öffentlich darstellen dürfen.“69 Es stellt dabei aber kein allgemeines und umfassendes Bestimmungsrecht dar,70 sondern hat wiederum diverse Unterausprägungen. Als Gewährleistungen, die für Gerichtssaalberichte relevant sind, werden im Folgenden das Recht am eigenen Bild71 und das Recht am eigenen gesprochenen Wort72 dargestellt. 66 Kutschaty, in: ders./Gerhardt, ZRP 2013, 219; Maxin, in: Kontrolle des Gerichts, S. 105 (S. 133); Rittig, NJ 2016, 265 (267). 67 Magnus, in: Digitalisierung, S. 205 (S. 215 f.). 68 Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 432; Lorenz, in: BK, Art. 2 Abs. 1 Rn. 296. 69 BVerfGE 35, 202 (220). 70 BVerfGE 101, 361 (380). 71 S. dazu nur BVerfGE 34, 238 (246); 35, 202 (220); 119, 309 (323); 120, 180 (198); 130, 1 (35); Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 432; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 2 I Rn. 72 f.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 45. 72 S. dazu nur BVerfGE 34, 238 (246); 35, 202 (220); 106, 28 (44); 119, 309 (324); 130, 1 (35); Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 432; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 2 I Rn. 72, 74; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 45.
B. Allgemeines Persönlichkeitsrecht
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b) Recht am eigenen Bild Das Recht am eigenen Bild weist dem Einzelnen die Verfügungsbefugnis über die Herstellung und die Verwendung seines Bildnisses durch Dritte zu.73 Es umfasst dabei Bild-Aufnahmen ebenso wie Bild/Ton-Aufnahmen.74 Eine Besonderheit des Rechts am eigenen Bild ist, dass es als eine der wenigen Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einfachgesetzlich verankert ist, nämlich in §§ 22, 23 KUG. Diese Normen konkretisieren das Grundrecht auf der Ebene einfachen Gesetzesrechts. Für die verfassungsrechtliche Bewertung der Gerichtssaalberichte sind sie daher nicht unmittelbar relevant.75 Sie werden aus diesem Grund hier nicht näher betrachtet. Fertigen Medienvertreter von den Anwesenden im Gericht entgegen deren Willen Bild- oder Bild/Ton-Aufnahmen an und nutzen sie diese Aufnahmen für ihre Berichterstattung, ist das Recht der Aufgenommenen am eigenen Bild beeinträchtigt.76 Ausgeschlossen ist damit von vornherein, dass Textberichte in Echtzeit und Ton-Aufnahmen dieses Recht beeinträchtigen. Auch mit Blick auf die übrigen Formen der Aufnahmen ist aber zwischen den Verfahrensarten und Instanzen zu differenzieren. Erneut birgt die strafrechtliche Hauptverhandlung das größte Gefährdungspotential. Der Angeklagte ist hier zur Anwesenheit verpflichtet (§§ 230 Abs. 1, 231 Abs. 1 StPO). Zudem sind Zeugenaussagen an Strafgerichten üblich, während Zeugen etwa in verwaltungsgerichtlichen Verhandlungen nur selten auftreten.77 Oft sind in den Verhandlungen der Verwaltungsgerichte neben den professionellen Verfahrensbeteiligten nur die Parteien anwesend; teilweise lassen sie sich sogar durch ihre Anwälte vertreten.78 Am BVerfG treten natürliche Personen in staatsorganisationsrechtlichen Verfahren von vornherein nur in offizieller Funktion auf79 und auch Verfassungsbeschwerden werden nicht immer in Anwesenheit des Beschwerdeführers verhandelt. Sind einmal keine Parteien, Angeklagten oder Zeugen anwesend, geht von den Aufnahmen aber nur ein Risiko für das Recht am eigenen Bild der professionellen Verfahrensbeteiligten aus. Ihrem allBVerfGE 97, 268 (268); 101, 361 (381); 119, 309 (323); 120, 180 (198); Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Rn. 193; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 45. 74 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Rn. 193; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 2 I Rn. 73. 75 Vgl. von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 417; Lorz, in: Herausforderungen, S. 59 (S. 64). 76 Kujath, Laienjournalismus, S. 53; Siegert, NJW 1963, 1953 (1957). 77 BVerfGE 103, 72 (78); Gostomzyk, Öffentlichkeitsverantwortung, S. 167; Kujath, Laienjournalismus, S. 273. 78 BVerfGE 103, 72 (78); Gostomzyk, Öffentlichkeitsverantwortung, S. 167; Kujath, Laienjournalismus, S. 273. 79 In dieser Funktion, so Gerhardt, ZRP 1993, 377 (381) zutreffend, stellen sie sich meist nach der Verhandlung ohnehin freiwillig den Kameras der Medien. 73
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Kap. 3: Gegen Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
gemeinen Persönlichkeitsrecht kommt jedoch ein geringeres Gewicht zu als dem der privaten Beteiligten.80 Demnach sind wiederum die Strafverfahren besonders schutzwürdig, wogegen es in sämtlichen übrigen Verfahrensarten eine Frage des Einzelfalls ist, in welchem Umfang das Recht am eigenen Bild beeinträchtigt wird, wenn Medienvertreter Aufnahmen anfertigen. Weiterhin muss zwischen den Tatsachen- und Rechtsinstanzen unterschieden werden. Zeugen treten meist nur in der Tatsachen- und nicht mehr in der Rechts instanz auf.81 Auch der Angeklagte im Strafverfahren ist in der Revisionshauptverhandlung nicht zur Präsenz verpflichtet (§ 350 Abs. 2 StPO) und daher eher selten vor Ort.82 Selbst die Parteien etwa in zivil- oder in arbeitsgerichtlichen Verfahren, die womöglich in der Tatsacheninstanz noch anwesend waren, bleiben in dieser Verhandlung, die auf juristische Fragen ausgerichtet und daher meist nicht so einfach nachvollziehbar ist, dem Gerichtssaal häufig fern.83 Daher ist es insbesondere an den obersten Bundesgerichten unwahrscheinlich, dass private Beteiligte vor Gericht präsent sind.84 Erneut bestehen dort also vor allem Risiken für das Recht am eigenen Bild der professionellen Beteiligten, dem aber ein geringeres Gewicht zukommt als dem der privaten Beteiligten. Es ist deshalb auch eine Frage des Einzelfalles, inwiefern das Recht am eigenen Bild in den Rechtsinstanzen gefährdet ist. c) Recht am eigenen gesprochenen Wort Das Recht am eigenen gesprochenen Wort gibt dem Einzelnen, parallel zum Recht am eigenen Bild, die Verfügungsbefugnis über Herstellung und Verwendung von Aufnahmen seiner Stimme durch Dritte.85 Ebenfalls parallel zum Recht am eigenen Bild wird es beeinträchtigt, wenn Ton-Aufnahmen ohne oder gegen den Willen der aufgenommenen Personen angefertigt und für die Gerichtssaalberichte genutzt werden.86 Keinerlei Risiko geht dagegen von der Wiedergabe des gesprochenen Wortes im Rahmen der Textberichte aus, da sie die Stimme nicht technisch fixieren. Nur dagegen schützt das Recht am eigenen gesprochenen
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Kap. 3, B. II. Bräutigam, DRiZ 2017, 164. 82 Bräutigam, BRAK-Magazin 4/2017, S. 15; ders., DRiZ 2017, 164; Sarstedt, in: Rechtsstaat als Aufgabe, S. 272. 83 Vgl. Krausnick, ZG 2002, 273 (290). 84 Bernzen/Bräutigam, K&R 2017, 555 (558); Hirzebruch, Neue Medien, S. 335. 85 BVerfGE 34, 238 (246); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 45; Kunig, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 2 Rn. 35. 86 BGHSt 10, 202 (205); Bussmann, AnwBl 1957, 89 (91); Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 169 Rn. 71. 81
B. Allgemeines Persönlichkeitsrecht
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Wort jedoch.87 Die Textberichterstattung in Echtzeit gefährdet dieses Recht daher von vornherein ebenso wenig wie Bild-Aufnahmen. Da der Ton oft als Bestandteil von Bild/Ton-Aufnahmen aufgezeichnet wird, jedenfalls aber die Si tuationen, in denen Bild/Ton-Aufnahmen hergestellt werden, den Umständen entsprechen, die sich für Ton-Aufnahmen eignen, wird im Übrigen auf die Ausführungen zum Recht am eigenen Bild verwiesen.88 3. Recht auf informationelle Selbstbestimmung Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist eine weitere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.89 Es gewährt dem Einzelnen die Entscheidungsbefugnis darüber, wann und in welchem Umfang ihn betreffende, persönliche Sachverhalte an die Öffentlichkeit gelangen und wie sie verwendet werden dürfen.90 Unter einem persönlichen Sachverhalt ist dabei jede Einzelangabe über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person zu verstehen.91 Insofern ergeben sich erhebliche Parallelen zum Schutz der engeren persönlichen Lebenssphäre des Einzelnen. Die Gerichtssaalberichte können dementsprechend auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung beeinträchtigen.92 Unter welchen Umständen dies der Fall ist, ist den Ausführungen zur engeren persönlichen Lebenssphäre zu entnehmen. 4. Recht der persönlichen Ehre Auch das Recht der persönlichen Ehre ist eine Teilgewährleistung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.93 Es schützt die Anerkennung des Einzelnen in der Gesellschaft, also dessen sozialen Geltungsanspruch.94 Die persönliche Ehre kann durch eine Äußerung der Miss- oder Nichtachtung oder eine HerabwürdiFink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 306. Vgl. Kap. 3, B. III. 2. b). 89 BVerfGE 65, 1 (42 f.); 130, 151 (183); 133, 277 (316 f.); 140, 99 (111); Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 432; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 2 I Rn. 79; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 37. 90 BVerfGE 65, 1 (42); 118, 168 (184); 120, 274 (312); 128, 1 (42); 130, 151 (183); Dreier, in: Dreier, GG, Art. 2 I Rn. 79; Lorenz, in: BK, Art. 2 Abs. 1 Rn. 330. 91 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Rn. 175; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 2 I Rn. 81; Horn, in: Stern/Becker, GRe, Art. 2 Rn. 50. 92 BVerfGE 103, 44 (68); Hain, DÖV 2001, 589 (593 in Fn. 42); Siebrasse, StV 2001, 661 (663). 93 BVerfGE 54, 148 (154); 114, 339 (346); 119, 1 (24); BVerfG, NJW 2015, 2022; Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 433; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 2 I Rn. 77; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 41. 94 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Rn. 169; Lorenz, in: BK, Art. 2 Abs. 1 Rn. 262. 87 88
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Kap. 3: Gegen Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
gung einer Person ebenso verletzt werden wie durch die Verbreitung wahrer oder unwahrer Tatsachen über eine Person, wenn dadurch ihr Ansehen in der Gesellschaft beschädigt wird.95 Die Berichterstattung aus dem Gericht selbst kann die persönliche Ehre der Verfahrensbeteiligten verletzen.96 Dies kommt etwa in Frage, wenn die Parteien durch Kameraleute in abwertender Weise bedrängt werden. Diese Situation ergibt sich manchmal auf dem Weg zur Verhandlung, den einige Autoren als „Spießrutenlauf“97, „Treibjagd“98 oder „knallenden Beschuß von Fotoreportern“99 bezeichnen oder mit dem Begriff „Lungerjournalismus“100 umschreiben. Aus der Textberichterstattung in Echtzeit, die nicht auf die räumliche Nähe zu den Beteiligten angewiesen ist, folgt demnach aus dieser Perspektive kein Risiko für das Recht der persönlichen Ehre. Wahrscheinlicher ist es jedoch, dass die persönliche Ehre durch den Inhalt der angefertigten Aufnahmen tangiert ist.101 Zum Beispiel könnten die Beteiligten in einer wenig schmeichelhaften Haltung102 oder aus einer unvorteilhaften Perspektive präsentiert werden. Wie Beater zutreffend feststellt, können Bilder schließlich ebenso eine Schmähkritik darstellen wie Worte.103 Zuletzt ist es auch denkbar, dass das Recht der persönlichen Ehre durch die Kommentierung der Aufnahmen verletzt wird.104 Dasselbe gilt naturgemäß für die Textberichte in Echtzeit. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass auch die klassische Berichterstattung über ein Gerichtsverfahren einen ehrverletzenden Inhalt aufweisen kann, sodass dieses Risiko für das Recht der persönlichen Ehre nicht erst durch die Gerichtssaalberichterstattung hervorgerufen wird. 5. Recht auf Resozialisierung Das Recht auf Resozialisierung ist Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes eines Straftäters und demnach in Strafverfahren relevant.105 Es fordert Lorenz, in: BK, Art. 2 Abs. 1 Rn. 263. Kortz, AfP 1997, 443 (446). 97 Schlothauer, StV 2015, 665 (666); Strate, Referat 71. DJT, M 43 (M 44); Wyss, EuGRZ 1996, 1 (14 in Fn. 136). 98 Schmidt, JZ 1967, 382 (383); ders., DRiZ 1968, 95. 99 Dahs, AnwBl 1959, 171 (181). 100 Schmaldienst, DRiZ 1986, 382 (383). 101 Vietmeyer, Vor- und Nachteile, S. 127. 102 Hamm, Große Strafprozesse, S. 63; Stürner, JZ 1995, 297 (298). 103 Beater, AfP 2005, 133 (135). 104 Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 311, 480. 105 BVerfGE 35, 202 (236); 96, 100 (115); 98, 169 (200); BVerfG, NVwZ 2008, 306 (307); Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 432; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 2 I Rn. 78; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 72a. 95 96
B. Allgemeines Persönlichkeitsrecht
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nicht nur die Ausgestaltung des Strafvollzuges dergestalt, dass der Strafgefangene auf ein straffreies Leben vorbereitet wird. Es setzt daneben auch voraus, dass er die Chance erhält, nach der Verbüßung seiner Strafe wieder ein Teil der Gemeinschaft zu werden.106 Dabei gilt: „Nicht nur der Straffällige muß auf die Rückkehr in die freie menschliche Gesellschaft vorbereitet werden; diese muß ihrerseits bereit sein, ihn wieder aufzunehmen.“107 Es ist die Akzeptanz des Einzelnen als Mitglied der Gesellschaft, die seine soziale Stellung maßgeblich beeinflusst.108 Verstärkend beruft sich das BVerfG zur Herleitung des Rechts auf Resozialisierung deshalb auf das Sozialstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 1 GG.109 Fraglich ist aber, ob das Recht auf Resozialisierung im Zusammenhang mit der Berichterstattung aus einem Strafverfahren bereits berücksichtigt werden darf. Resozialisiert werden kann und muss schließlich nur, wer auch als Straftäter verurteilt wurde.110 Die Berichterstattung erfolgt aber in einem Stadium, in dem der Angeklagte noch nicht verurteilt wurde. Es ist daher möglich, dass er niemals Träger des Rechts auf Resozialisierung wird – falls er freigesprochen wird. Franke lehnt die Berücksichtigung dieses Rechts bei der Bewertung der Gerichtsberichterstattung daher ab.111 Dagegen spricht jedoch, dass das Recht auf Resozialisierung möglicherweise nicht vollumfänglich verwirklicht werden kann, wenn in diesem frühen Stadium nicht zu seinem Schutz eingeschritten wird.112 „Am Ende steht allzu oft, dass trotz Freispruch im Gericht [...] der Schuldspruch in den Medien bestehen bleibt.“113 Wenn sich zudem der Verurteilte, dessen Schuld bereits feststeht, auf das Recht berufen kann, muss es erst recht dem Angeklagten zustehen, der insofern schutzwürdiger ist.114 Das Recht auf Resozialisierung kann damit bereits durch die Gerichtssaalberichte über den Strafprozess beeinträchtigt werden.115 Wird eine Straftat in der 106
BVerfGE 35, 202 (235 f.). BVerfGE 35, 202 (235). 108 Lorenz, in: BK, Art. 2 Abs. 1 Rn. 324. 109 StRspr, s. nur BVerfGE 35, 202 (236); 96, 110 (115); 98, 169 (200). 110 Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 89. 111 Franke, Bildberichterstattung, S. 118 ff. Er ist jedoch der Meinung, die Bildberichterstattung aus dem Gerichtssaal betreffe den von ihm aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dem Sozialstaatsprinzip abgeleiteten allgemeinen Sozialisationsanspruch (ders., Bildberichterstattung, S. 121). 112 So auch, dies aber ablehnend, Franke, Bildberichterstattung, S. 119. 113 Stock, Gerichtsshows, S. 32. 114 Eser, ZStW 104 (1992), 361 (380); Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 165. 115 BTDrucks 18/10144, S. 15; BVerfGE 103, 44 (68); 119, 309 (323); Britz, Fernsehaufnahmen, S. 256 f.; von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 423; DRB, DRiZ 1996, 246 (248); Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 334; Gersdorf, in: Gerichts-TV, S. 23 (S. 30, 33); Hagenkötter, in: Kontrolle des Gerichts, S. 41 (S. 58); Hirzebruch, Neue Medien, S. 281 f.; Hübner-Rad107
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Kap. 3: Gegen Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
öffentlichen Verhandlung erörtert und sodann in den Medien darüber berichtet, erlangt die Öffentlichkeit schließlich Kenntnis davon.116 Infolgedessen droht die Stigmatisierung des Straftäters in seinem sozialen Umfeld:117 Seine Mitmenschen nehmen ihn nur noch als Gesetzesbrecher wahr. Das provoziert in der Regel ein sozial-ethisches Unwerturteil.118 Dadurch kann es zur Ablehnung und in Konsequenz zum Ausschluss des Täters aus dem sozialen Leben kommen, in das er nach der Verbüßung seiner Strafe zurückkehren sollte.119 Zwar resultieren derartige Gefahren für das Recht auf Resozialisierung im Grundsatz aus jeder Gerichtsberichterstattung.120 Aus der Textberichterstattung in Echtzeit folgen daher keine zusätzlichen Risiken für dieses Recht, im Gegenteil: Der Resozialisierung sind die Berichte, die lange vor der Entlassung des Täters erfolgen, weniger abträglich als nachträgliche Berichte, die im zeitlichen Zusammenhang mit dessen Rückkehr in die Gesellschaft stehen. Aufnahmen im Gericht können dagegen in qualitativer Hinsicht größere Gefahren hervorrufen als klassische Gerichtsberichte. Sie machen neben dem Namen des Täters schließlich auch dessen Erscheinung bzw. Stimme in Verbindung mit der Straftat bekannt und vereinfachen so die spätere Wiedererkennung.121 Am einfachsten ist der Straftäter zu identifizieren, wenn bildliche Aufnahmen angefertigt werden.122 Am stärksten tragen hierbei Bild/Ton-Aufnahmen zur Identifikation bei.123 Bilder bleiben schließlich länger im Gedächtnis als Worte.124 Des Weiteren erreichen die Gerichtssaalberichte, wie im zweiten Kapitel erörtert, eine grödatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 84 f.; Kaulbach, ZRP 2009, 236 (238); Knauer, JuS 2012, 711 (714); Kortz, AfP 1997, 443 (447); Kujath, Laienjournalismus, S. 53, 276 f.; Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 205; Linke, VR 2002, 378 (383); Lutz, JURA 2007, 230 (235); Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 91; Pernice, Medienöffentlichkeit, S. 141; Rittig, NJ 2016, 265 (267); Rose, SchlHA 2014, 169 (173); Sarstedt, JR 1956, 121 (124); Schorn, LZ 1932, 1408 (1414); Siebrasse, StV 2001, 661 (662); Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 109, 110; Stieper, JZ 2014, 271 (279); Vogel, Fernsehübertragungen, S. 150. 116 Kujath, Laienjournalismus, S. 53. 117 BVerfG, NJW 2009, 350 (352); Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 133, 330 f.; Höbermann, Gerichtsbericht, S. 168. 118 Lindner, AöR 133 (2008), 235 (246). 119 Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 331 f., 333 f. 120 Blazko, in: Einheit der Prozessrechtswissenschaft, S. 25 (S. 32); Bresser, in: FS Jauch, S. 7 (S. 8); Geerds, in: FS Oehler, S. 423 (S. 426); Jescheck, ZStW 74 (1962), 189 (194); Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, Vor § 169 GVG Rn. 17. 121 BVerfG, NJW 2009, 350 (352); Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 332; Kujath, Laienjournalismus, S. 276 f., 321; Lang, Ton- und Bildträger, S. 68; Stieper, JZ 2014, 271 (279). 122 Schneider, JuS 1963, 346 (347). 123 Braun, Medienberichterstattung, S. 284; Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 332, 334. 124 Beater, AfP 2005, 133; Boehme-Neßler, K&R 2003, 530 (531); Hirzebruch, Neue Medien, S. 297; Kohlhaas, DRiZ 1956, 2 (4); Sarstedt, in: Rechtsstaat als Aufgabe, S. 272 (S. 274); Stieper, JZ 2014, 271 (279).
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ßere Anzahl an Medienkonsumenten als die klassischen Gerichtsberichte125 und steigern so das Risiko für das Recht des Angeklagten auf Resozialisierung in quantitativer Hinsicht noch. 6. Fehlende Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts im Fall einer Einwilligung a) Betroffene Teilgewährleistungen des Rechts Die Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch eine Handlung ist jedoch ausgeschlossen, wenn der Grundrechtsträger wirksam in diese eingewilligt hat.126 In dem Fall ist der sachliche Schutzbereich des Grundrechts nicht eröffnet. Deutlich wird dies besonders an den Rechten am eigenen Bild und am eigenen gesprochenen Wort, in die per definitionem nur bei einer fehlenden Einwilligung der aufgenommenen Person eingegriffen wird. Es gilt aber ebenso für die übrigen Teilgewährleistungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Liegt eine Einwilligung vor, kann das allgemeine Persönlichkeitsrecht in der jeweiligen Ausprägung der Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung also nicht entgegengehalten werden. Während eine Zustimmung im Hinblick auf das Recht der persönlichen Ehre kaum jemals erteilt werden wird, kommt sie für die anderen Ausprägungen prinzipiell durchaus in Frage. b) Grenzen der Einwilligungsmöglichkeit aa) Menschenwürde Die Einwilligung in die Gerichtssaalberichterstattung scheidet aber von vornherein aus, wenn die Menschenwürdekomponente des allgemeinen Persönlichkeitsrechts betroffen ist.127 Die Menschenwürde ist ein objektiver, unverfügbarer Wert, auf den der Einzelne nicht wirksam verzichten kann.128 Sie verbietet es nach der sog. Objektformel, Personen zum Objekt des staatlichen Handelns herabzuwürdigen.129 Die Zulassung der Gerichtssaalberichte würde mithin nur ei-
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Vgl. Kap. 2, B. III. 2. d), 3. c), 4. d), E. III., F., G. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Rn. 228; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 2 I Rn. 90; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 54. 127 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 418, 425; Kujath, Laienjournalismus, S. 266; Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 58. 128 BVerwGE 64, 274 (280); VG Neustadt, NVwZ 1993, 98 (99); Hamm, AfP 2014, 202 (208); Kortz, AfP 1997, 443 (448). 129 StRspr, s. nur BVerfGE 9, 89 (95); 115, 118 (153); 122, 248 (271); 131, 268 (286 f.); BVerfG, NJW 2017, 611 (619). 126
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Kap. 3: Gegen Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
nen Verstoß gegen die Menschenwürde darstellen, wenn sie gerade auf die Herabwürdigung des Angeklagten gerichtet wäre.130 Dass eine solche Degradierung möglich ist, zeigen Beispiele aus der Zeit des Nationalsozialismus, in der Strafprozesse – und damit deren Beteiligte – vom Staat zu Propagandazwecken missbraucht wurden.131 Auch wenn der Staat die Verfahrensbeteiligten heute nicht mehr derart für seine Zwecke einsetzt, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass Medien sie nicht objektivieren. Ist dies der Fall, muss der Staat auch hiergegen einschreiten.132 Ihn trifft schließlich die Pflicht, seine Bürger vor den Angriffen anderer Bürger auf deren Menschenwürde zu schützen (Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG).133 Eine Beeinträchtigung der Menschenwürde durch Medienvertreter, die aus dem Gerichtsaal berichten, wird in der Literatur teils bejaht.134 Erweisen sich die Begründungen dafür als tragfähig, so scheidet eine Einwilligung der Verfahrensbeteiligten in die Anfertigung der Gerichtssaalberichte aus. Sie könnten daher auch staatlicherseits nicht zugelassen werden. Die Argumente müssen daher im Folgenden auf ihre Tragfähigkeit hin überprüft werden. Mit Blick auf das Strafverfahren argumentieren einige Autoren, der Angeklagte, der in der mündlichen Verhandlung zur Anwesenheit verpflichtet sei, könne den Medienvertretern nicht ausweichen und werde durch ihre Aufnahmen aus diesem Grund zum Objekt der Medien bzw. der Schaulustigen degradiert.135 In ähnlicher Weise wird vertreten, er werde objektiviert, indem er zum Statisten des Fernsehens gemacht,136 den Blicken einer anonymen Masse ausgesetzt137 bzw. ihm eine Rolle in einem „Theaterstück“ zugewiesen werde138. Diese Argumentation ist aber nicht konsequent: Auch die Zeugen sind bspw. gesetzlich zur AnKuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 165. Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 166. Beispiele für NS-Schauprozesse nennt Britz, in: FS Schiller, S. 81 (S. 89), auf sowjetische und DDR-Schauprozesse verweist Heger, in: FS Beulke, S. 759 (S. 762 f.). Zu beidem auch Nöhre, in: FS Stilz, S. 455 (S. 457 ff.). 132 Dies tat er nach eigenem Bekunden durch den Erlass des § 169 S. 2 GVG a. F. (s. BTDrucks III/2037, S. 44). 133 BVerfGE 1, 97 (104); Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Rn. 78; Hillgruber, in: BeckOK GG, Art. 1 Rn. 7; Hofmann, in: SHH-GG, Art. 1 Rn. 14. 134 Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 57; Dahs, AnwBl 1959, 171 (181); ders., NJW 1961, 1755 (1756); Finger/Baumanns, JA 2005, 717 (719); Hamm, AfP 2014, 202 (205, 208); Kohlhaas, NJW 1970, 600; Lesch, StraFo 2014, 353 (358); Roxin, in: FS Peters, S. 393 (S. 402); Schäfer, JR 2008, 119; Sarstedt, JR 1956, 121 (124). 135 Ernst, ZUM 1996, 187 (191); ders., in: FS Herrmann, S. 73 (S. 82); Lesch, StraFo 2014, 353 (358); Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 79; Ranft, JURA 1995, 573 (581); Stürner, JZ 1995, 297 (298); Walther, in: BeckOK StPO, § 169 GVG Rn. 26. 136 DRB, DRiZ 1996, 246 (247, 249). 137 Gierhake, in: Strafrecht und Medien, S. 51 (S. 62). 138 Witzler, Personale Öffentlichkeit, S. 165. 130 131
B. Allgemeines Persönlichkeitsrecht
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wesenheit verpflichtet (s. nur § 48 Abs. 1 S. 1 StPO, §§ 377 Abs. 2 Nr. 3, 380 Abs. 1 ZPO). Dass sie nicht aufgenommen werden dürfen, da dies gegen ihre Menschenwürde verstößt, wird jedoch zurecht nicht vertreten. Auch dass der Angeklagte in den Mittelpunkt der Berichterstattung gestellt wird, stellt für sich genommen keinen Menschenwürdeverstoß dar. Andernfalls würde jede Berichterstattung, die einen Menschen in dieser Weise in den Fokus nimmt, die Menschenwürde des Betroffenen verletzen.139 Dadurch würde der Schutz durch dieses Grundrecht aber unzulässig weit ausgedehnt. Alwart kritisiert des Weiteren, die Gerichtssaalberichterstattung führe zu einer „inhumane[n] ‚Massensituation‘“140, „in der Kompetenz, Sachlichkeit und Urteilskraft nicht gefragt sind“141. Diesen quantitativen Aspekt erachtet auch Schmidt als relevant, wenn er meint, die aufgenommenen Personen würden zum „Schau-Objekt einer unübersehbaren ‚Öffentlichkeit‘“142. Beiden ist aber entgegen zu halten, dass der Grundsatz der Öffentlichkeit keinerlei zahlenmäßige Grenze kennt.143 Er erlaubt es ebenso, mit nur einem Zuschauer im Richterzimmer zu verhandeln, wie mit hunderten Zuschauern im größten Sitzungssaal des Gerichts zu tagen.144 In beiden Fällen können nach § 169 Abs. 1 S. 1 GVG außerdem Medienvertreter anwesend sein und Informationen an ein Publikum übermitteln, das die Beteiligten nicht überblicken können. Ein neuer Zuschauerkreis wird durch Gerichtssaalberichterstattung daher nicht erschlossen. Dass eine Verhandlung infolge dieser Berichterstattung mehr Zuschauer hat, fällt mit Blick auf die Menschenwürde daher ebenfalls nicht negativ ins Gewicht.145 Die Menschenwürdegarantie der Beteiligten steht einer Einwilligung in die Gerichtssaalberichterstattung deshalb nicht pauschal entgegen, sondern kann nur im Einzelfall eine Grenze hierfür darstellen. bb) Interessen der Allgemeinheit Die zweite Grenze der Einwilligungsmöglichkeit ist dort zu ziehen, wo neben Individualgütern auch Positionen der Allgemeinheit betroffen sind. Eine Einwilligung in eine Beeinträchtigung des Rechtes auf Resozialisierung ist aus diesem
Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 275. Alwart, JZ 1990, 883 (894). 141 Alwart, JZ 1990, 883 (894). 142 Schmidt, NJW 1968, 806. 143 Gerhardt, Verfassungsmäßigkeit, S. 74. 144 Zu den Ober- und Untergrenzen: Kap. 1, A. I. 3., II. 2. a). 145 Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 166 f. 139 140
194
Kap. 3: Gegen Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
Grund ausgeschlossen. Dieses Recht betrifft schließlich nicht nur den Angeklagten, sondern auch die Allgemeinheit.146 c) (Weitere) Wirksamkeitsvoraussetzungen der Einwilligung Wurden die Grenzen der Einwilligungsmöglichkeit nicht überschritten,147 ist zur Wirksamkeit der Zustimmung weiter erforderlich, dass der Grundrechtsträger sie freiwillig erteilt.148 Dass dies mit Blick auf die Gerichtssaalberichterstattung möglich ist, wird in der Literatur aus unterschiedlichen Gründen von vornherein abgelehnt. Einerseits wird gewarnt, die Anwälte könnten ihre Mandanten zur Erteilung drängen, um daraus Vorteile für sich selbst zu ziehen.149 So könnten sie durch die Vertretung in spektakulären Verfahren Werbung für sich machen wollen. Nimmt die Beeinflussung durch den Rechtsanwalt ein solches Ausmaß an, dass der Wille des Mandanten überlagert wird, ist die Einwilligung in der Tat nicht mehr freiwillig. Dies kann aber nicht pauschal angenommen werden. Es kann schließlich auch für einen Rechtsanwalt von Nachteil sein, wenn sein Mandant zum Gegenstand der Berichterstattung wird, bspw. wenn dies seine Prozessstrategie vereitelt. Andererseits wird mit Blick auf Strafverfahren die Sorge geäußert, der Angeklagte könne die Einwilligung nicht verweigern, da sonst in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehe, er habe etwas zu verbergen.150 In ähnlicher Weise wird angeführt, er und sein Verteidiger könnten in Aufnahmen einwilligen, um das Gericht nicht gegen sich aufzubringen.151 Zusammenfassend wird also befürchtet, die Einwilligung könne gerade wegen des Drucks der Medienöffentlichkeit erteilt werden.152 Die Motivation des Grundrechtsträgers ist für die Wirksamkeit der Einwilligung aber unerheblich.153 Dies kann auch einer weiteren Befürch146 Hassemer, NJW 1985, 1921 (1924); Kaulbach, JR 2011, 51 (52); Lampe, NJW 1973, 217 (221). 147 Zu diesen Grenzen ausführlich: Kap. 3), B. III. 6. b). 148 BVerfGE 103, 44 (71); BVerfG, NJW 1982, 375; Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Rn. 228 f.; Gersdorf, in: BeckOK-InfoMedienR, Art. 2 Rn. 41; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 54. 149 Vogel, Fernsehübertragungen, S. 82. 150 Hunecke, NK 2011, 85 (91); Marxen, NJW 1977, 2188 (2192); Sarstedt, in: Rechtsstaat als Aufgabe, S. 272 (S. 277). 151 Erdsiek, NJW 1960, 1048 (1049); Sarstedt, in: Tonbandaufnahmen, S. 57 (S. 67); Schmidt, in: FS Schmidt, S. 338 (S. 345). 152 Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 456; Gersdorf, in: Gerichts-TV, S. 23 (S. 33); Hagenkötter, in: Kontrolle des Gerichts, S. 41 (S. 57); Maxin, in: Kontrolle des Gerichts, S. 105 (S. 134). 153 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 425.
B. Allgemeines Persönlichkeitsrecht
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tung im Schrifttum entgegengehalten werden: Manche Autoren meinen, Vertreter insbesondere der Boulevardmedien könnten den Betroffenen die Einwilligung abkaufen.154 Diese Sorge ist zwar nicht unbegründet,155 im Ergebnis jedoch ebenso wenig ausschlaggebend. Auch eine erkaufte Einwilligung ist schließlich eine wirksame Einwilligung.156 Die Freiwilligkeit der Einwilligung in die Berichterstattung aus dem Gerichtssaal kann daher nicht pauschal abgelehnt werden, sondern muss von Fall zu Fall bewertet werden. Des Weiteren muss der Betroffene die Tragweite der Einwilligung überblicken.157 Dagegen wird teilweise angeführt, er könne bei seiner Einwilligung noch nicht absehen, welche Konsequenzen die Berichterstattung für ihn haben könnte.158 So könnten sich aus der Übertragung des Verfahrens bspw. „Spätfolgen“ für das Ansehen des Angeklagten in seinem sozialen Umfeld ergeben. Für die Wirksamkeit der Einwilligung ist es aber nicht nötig, sämtliche Konsequenzen zu überblicken. Sie können im Erteilungszeitpunkt zumeist gar nicht vollständig vorhergesehen werden. Es kommt nur darauf an, dass die Aufgenommenen wissen, wer sie aufzeichnet und wie ihre Aufnahmen verwendet werden. Bei den Aufnahmen in und um Gerichtsverhandlungen ist allgemein bekannt, dass sie üblicherweise für Zwecke der aktuellen Berichterstattung von den Medien verwendet werden, die sie anfertigen, sodass dies unproblematisch ist.159 Die Betroffenen können die Tragweite der Entscheidung daher grundsätzlich auch ausreichend überblicken, um wirksam in die Gerichtssaalberichterstattung einzuwilligen.
IV. Ergebnis und Ausblick zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht Gegen eine Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung streiten nach alledem prinzipiell die Risiken, die sie für unterschiedliche Ausprägungen des allgemeiHübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 175; Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 59; Pernice, Medienöffentlichkeit, S. 149; Roxin, in: Einheit und Vielfalt, S. 97 (S. 106); Stürner, JZ 2001, 699 (702); Vogel, Fernsehübertragungen, S. 82, 83; Zuck, NJW 1995, 2082; ders., DRiZ 1997, 23 (30 f.). 155 Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 209 weist zurecht darauf hin, dass dies in der Praxis selten geschieht. 156 Braun, Medienberichterstattung, S. 286; Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 142; von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 425. 157 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Rn. 229. 158 Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 175; Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 59; Plate, NStZ 1999, 391 (394); Roxin, in: Einheit und Vielfalt, S. 97 (S. 106); Sarstedt, JR 1956, 121 (126); ders., in: Tonbandaufnahmen, S. 57 (S. 62); Vogel, Fernsehübertragungen, S. 82, 83, 151. 159 Kujath, Laienjournalismus, S. 268. 154
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Kap. 3: Gegen Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
nen Persönlichkeitsrecht der Verfahrensbeteiligten darstellt. Viele dieser Gefahren folgen jedoch bereits aus der klassischen Gerichtsberichterstattung und können durch Aufnahmen und Textberichte in Echtzeit nur noch gesteigert werden. Selbst dort, wo durch die Gerichtssaalberichte neue Nachteile entstehen, drohen diese aber nicht in jeder Situation vor Gericht im selben Umfang. Auch stellt die Berichterstattung kein Risiko für manche der Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar, wenn die Betroffenen in sie eingewilligt haben. Bei der Bewertung der Risiken, die aus der Gerichtssaalberichterstattung folgen können, sind die gesteigerten Gefahren zu berücksichtigen, die aus einer Nutzung der neuen Medien für die Berichterstattung resultieren. Wo Aufnahmen früher einmal im Radio oder Fernsehen gesendet und maximal einige Male wiederholt wurden,160 sind sie heute auf Plattformen wie YouTube oder in den Online-Archiven der Sender dauerhaft verfügbar.161 Wurden die Informationen einmal im Netz veröffentlicht, können sie nicht nur jederzeit und an jedem Ort abgerufen werden,162 sondern sind zudem einfach reproduzierbar und veränderbar.163 Selbst wenn der Urheber sie einmal löscht, können sie von Dritten erneut verfügbar gemacht werden, indem diese eine Kopie hochladen.164 Faktisch lässt sich eine Information damit nicht mehr aus dem Netz entfernen.165 Hinzu kommt, dass selbst alte Beiträge über Suchmaschinen wie etwa Google schnell und einfach auffindbar sind.166 Die „potentiell unbegrenzten Verbreitungsmöglichkeiten“167, in Kombination mit der „Schwierigkeit der Kontrolle ihrer späteren Nutzung und Verwertung“168 führen dazu, dass die Risiken für das allgemeine Persönlichkeitsrecht infolge der Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung beachtlich sein können. 160 Auf Gefahren durch die beliebige Wiederholbarkeit verweist auch Kortz, AfP 1997, 443 (446). 161 Blazko, in: Einheit der Prozessrechtswissenschaft, S. 25 (S. 38); von Coelln, jurisPR-ITR 5/2007 Anm. 4; Gerson, KriPoZ 2017, 376 (378); Grabenwarter, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. 1 Rn. 419; Hamm, in: Strafverteidigung im Rechtsstaat, S. 139 (S. 147); Hirzebruch, Neue Medien, S. 228, 241 ff.; Kutschaty, in: ders./Gerhardt, ZRP 2013, 219; Lauber-Rönsberg, ZUM 2013, 568 (569, 571); Limperg, in: dies./Gerhardt, ZRP 2016, 124; Schlothauer, StV 2015, 665 (666); Rittig, NJ 2016, 265 (267). 162 Krieg, K&R 2009, 673 (675); Nagel, in: FS Goerlich, S. 243 (S. 249). 163 Pernice, Medienöffentlichkeit, S. 140. 164 Krieg, K&R 2009, 673 (675). 165 BTDrucks 18/10144, S. 18; Huff, DRiZ 2007, 309 (310); Krieg, K&R 2009, 673 (675); Kuder, RuP 2014, 137; Kujath, Laienjournalismus, S. 277 f., 311; Lückemann, in: Zöller, ZPO, § 169 GVG Rn. 10; Murmann, in: Strafrecht und Medien, S. 5 (S. 7). 166 Hirzebruch, Neue Medien, S. 228, 244 ff.; Kujath, Laienjournalismus, S. 311 f.; Lauber- Rönsberg, ZUM 2013, 568 (569). 167 BTDrucks 18/10144, S. 18. 168 BTDrucks 18/10144, S. 18.
C. Unschuldsvermutung
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C. Unschuldsvermutung Die Unschuldsvermutung wird ausdrücklich in Art. 6 Abs. 2 EMRK gewährleistet.169 Unter Bezugnahme auf diese völkervertragliche Garantie leitet das BVerfG diese Vermutung aus dem Rechtsstaatsprinzip her.170 Danach gilt eine Person, die einer Straftat angeklagt wird, bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig. Der Beweis liegt erst vor, wenn das Urteil, welches das Strafverfahren abschließt, in Rechtskraft erwächst.171 Allerdings kann die Unschuldsvermutung bereits vorher an Gewicht verlieren, wenn der Angeklagte seine Tat gestanden hat.172 Bei der Berichterstattung aus Strafverfahren gebietet die Vermutung die Zurückhaltung der Medien,173 zumindest aber ihre ausgewogene Berichterstattung über den Prozess.174 Jeder „Vorverurteilung, Stigmatisierung oder Herabsetzung“175 des Angeklagten müssen die Medien sich danach enthalten. Gemessen an diesen Vorgaben, können Berichte aus dem Gericht allgemein die Unschuldsvermutung gefährden.176 Zutreffend wird darauf hingewiesen, dass der Angeklagten infolge der Berichte der öffentlichen Vorverurteilung177 und Stigmatisierung178 ausgesetzt sein kann. Das Stigma des Tatverdachts, so wird gewarnt, lasse sich teilweise nicht einmal durch einen späteren Freispruch 169 170
Im Anwendungsbereich der GRCh ist sie zudem in Art. 48 UAbs. 1 GRCh kodifiziert. StRspr, s. nur BVerfGE 19, 342 (347); 22, 254 (265); 110, 1 (22); 133, 1 (31); 133, 168
(202). 171 BVerfGE 35, 202 (232); 71, 206 (216 f.); 74, 358 (371); Esser, in: Löwe/Rosenberg, StPO, Art. 6 EMRK Rn. 481; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 151. 172 BVerfG, Beschl. vom 20.12.2011 – 1 BvR 3048/11, BeckRS 2012, 46348, Rn. 8; NJW 2009, 2117 (2119); Neff, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 169 GVG Rn. 13; Riklin/Höpfel, in: AE-StuM, S. 53 (S. 58). 173 Lampe, NJW 1973, 217 (218); Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 145. 174 BVerfGE 35, 202 (232); BVerfG, NJW 2009, 350 (351); BGH, NJW 2013, 1681 (1682); Stieper, JZ 2014, 271 (279). 175 Meyer, in: Karpenstein/Mayer, EMRK, Art. 6 Rn. 166. 176 BVerfGE 119, 309 (323); BVerfG, NJW 2009, 2117 (2119); NJW 2012, 2178 (2179); NJW 2017, 798 (799); Bernzen, in: Medienrecht im Medienumbruch, S. 205 (S. 215); Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 126 f.; Hauth, Sitzungspolizei, S. 194 f.; Hirzebruch, Neue Me dien, S. 173; Ranft, JURA 1995, 573 (579); Schwerdtner, JZ 1990, 769 (770); Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 177; Stürner, JZ 2001, 699 (701); Wyss, EuGRZ 1996, 1 (2). 177 BTDrucks 18/10144, S. 15; Altenhain, Gutachten 71. DJT, C 93; Britz, in: FS Schiller, S. 81 (S. 100); von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 423; Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 325; Gerhardt, DRiZ 1999, 8; Hamm, AfP 2014, 202 (206); Hauth, Sitzungspolizei, S. 82; Kilian, AnwBl 2018, 290; Kortz, AfP 1997, 443 (446); Pfeifle, ZG 2010, 283 (288); Zimmermann, in: MüKoZPO, § 169 GVG Rn. 43. 178 BVerfG, NJW 2009, 350 (352); Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 133, 330 f.; Hübner- Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 157; Gerhardt, DRiZ 1999, 8; Schlothauer, StV 2015, 665 (666); Stieper, JZ 2014, 271 (279); Vogel, Fernsehübertragungen, S. 150.
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Kap. 3: Gegen Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
beseitigen.179 Meist werde über die freisprechenden Urteile, wenn überhaupt, nur knapp berichtet.180 Problematisch sei dies besonders, wenn ein „Freispruch zweiter Klasse“ ergehe, also ein Freispruch mangels Tatnachweises.181 Auch wenn der Angeklagte erst in der Revisionsinstanz freigesprochen werde, bestehe das Stigma oft fort, weil über diese Rechtsentscheidungen kaum berichtet werde.182 Die beschriebenen Gefahren drohen überwiegend jedoch infolge jeder Berichterstattung über Strafverfahren.183 Es ist zwar durchaus möglich, den Angeklagten gerade durch die Kameraführung oder Wahl der Einstellungsgrößen (bspw. durch Nahaufnahmen) als den Schuldigen darzustellen.184 Ein Artikel, den ein Zeitungsreporter nach seinem Besuch der Verhandlung schreibt, kann jedoch je nach Formulierung ebenfalls zu einer derartigen Vorverurteilung führen.185 Werden Aufnahmen aus dem Gericht dagegen für einen ausgewogenen Beitrag genutzt, der Argumente für und gegen den Angeklagten erwähnt, droht in ihrer Folge keine Vorverurteilung. Die zeitgleiche und vollumfängliche Übertragung der Gerichtsverhandlung kann womöglich sogar ein neutraleres Bild vermitteln, als es der nachträgliche Bericht der Presse könnte:186 Verfolgen die Bürger die Verhandlung im Original, erfahren sie alle be- und entlastenden Tatsachen aus erster Hand und können sich ihr eigenes Urteil über die Schuld des Angeklagten bilden. Inwiefern Gerichtssaalberichterstattung die Unschuldsvermutung beeinträchtigt, hängt in dieser Hinsicht also davon ab, welche Aufnahmen hergestellt werden bzw. wie die Berichte, in denen sie genutzt werden, ausgestaltet sind. Nur im Hinblick auf ersteres ist die Gefahr aber eine andere, als schon infolge der klassischen Gerichtsberichte droht, und kann daher gegen eine Zulassung der Gerichtssaalberichte angeführt werden. Aus der Berichterstattung aus dem Gerichtssaal folgt allerdings auch die Gefahr, dass der Angeklagte „in einer [...] unerträglichen Weise in das ScheinwerfBVerfG, NJW 2009, 350 (352); von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 423; DRB, DRiZ 1996, 246 (248); Hunecke, NK 2011, 85 (89); Meyer, Gerichtsprozess, S. 316; Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 84; Plate, NStZ 1999, 391 (392); Roxin, in: Einheit und Vielfalt, S. 97 (S. 105); Stieper, JZ 2014, 271 (271, 279). S. dazu auch Kap. 3, B. III. 5. 180 Hunecke, NK 2011, 85 (89); Meyer, Gerichtsprozess, S. 316 f.; Möller, DRiZ 1987, 368. 181 Siebrasse, StV 2001, 661 (663); Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 81. 182 Dahs, AnwBl 1959, 171 (181); Möller, DRiZ 1987, 368. 183 Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 126 f.; Schneider, JuS 1963, 346 (347); Zuck, DRiZ 1997, 23 (31). 184 Boehme-Neßler, BilderRecht, S. 137; Murmann, in: Strafrecht und Medien, S. 5 (S. 9). 185 Einige Beispiele nennt Leyendecker, StV 2005, 179 (180); ders., in: Strafverteidigung im Rechtsstaat, S. 192 (S. 198). 186 Britz, Fernsehaufnahmen, S. 255 f.; Schwarz, AfP 1995, 353 (356); Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 177; Vogel, Fernsehübertragungen, S. 81; Zuck, NJW 1995, 2082 (2083). 179
C. Unschuldsvermutung
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erlicht einer weiten Öffentlichkeit“187 gezerrt wird. Diese Berichterstattung kann deshalb eine Prangerwirkung für ihn haben.188 Anstelle des physischen Prangers des Mittelalters, so vertreten einige Autoren, hätten die Medien heutzutage eine moderne Version dieser Ehrenstrafe errichtet,189 einen „technischen Pranger“190. Der Angeklagte werde der Öffentlichkeit daran ebenso zur Schau gestellt wie früher die Verbrecher am öffentlichen Schandpfahl.191 Augenfällig, so Schlothauer, sei dies insbesondere auf dem Weg des Angeklagten zur Verhandlung, auf dem er von den Medien oft physisch bedrängt werde.192 Insofern ergeben sich Parallelen zur Beeinträchtigung des Rechts der persönlichen Ehre durch Aufnahmen der Medienvertreter.193 Wie diesbezüglich erörtert, folgt die zusätzliche Gefahr des Fehlverhaltens der Medienvertreter also nur aus Aufnahmen und nicht aus Textberichten in Echtzeit. Nur in diesem Umfang streitet sie daher unabhängig von der Ausgestaltung der Gerichtssaalberichte gegen deren Zulassung.
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BTDrucks III/2037, S. 44; BTDrucks IV/178, S. 45. BVerfGE 119, 309 (323); BVerfG, NJW 2009, 350 (351); Alwart, JZ 2014, 1091 (1095 f.); Britz, in: FS Schiller, S. 81 (S. 100); von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 422 f.; Diemer, in: KK-StPO, § 169 GVG Rn. 13; DRB, DRiZ 1996, 246 (248); Eberle, ZDF-Jahrbuch 1992, 158; ders., NJW 1994, 1637 (1638); Franke, Bildberichterstattung, S. 116; Geerds, in: FS Oehler, S. 423 (S. 428); Gerhardt, Verfassungsmäßigkeit, S. 109; ders., BDVR-Rundschreiben 2001, 71 (72); Gersdorf, in: Gerichts-TV, S. 23 (S. 30, 33); Hagenkötter, in: Kontrolle des Gerichts, S. 41 (S. 58); Hassemer, ZRP 2013, 149 (150 f.); Hauth, Sitzungspolizei, S. 82; Hirzebruch, Neue Medien, S. 317; ders., BRJ 2017, 5 (7); Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 82; Jung, in: Hauptverhandlung, S. 167 (S. 173); Kirchberg, BRAK-Mitt 2002, 252 (255); Kortz, AfP 1997, 443 (446); Krieg, K&R 2009, 673 (676); Kujath, Laienjournalismus, S. 264, 276 f., 321; Lilie, in: AE-StuM, S. 116 (S. 132); Lutz, JURA 2007, 230 (235); Maxin, in: Kontrolle des Gerichts, S. 105 (S. 133); Plate, NStZ 1999, 391 (392); Roxin, in: Einheit und Vielfalt, S. 97 (S. 105); Schlothauer, StV 2015, 665 (667); Stieper, JZ 2014, 271 (281); Vietmeyer, Vor- und Nachteile, S. 64; Vogel, Fernsehübertragungen, S. 120; Waider, in: Das moderne Strafrecht, S. 1 (S. 3); Zuck, DRiZ 1997, 23 (31). 189 Pernice, Medienöffentlichkeit, S. 157; Rinsche, ZRP 1987, 384 (384, 386); Sarstedt, JR 1956, 121 (124); ders., in: Rechtsstaat als Aufgabe, S. 272 (S. 273); Stürner, JZ 1995, 297 (298). 190 Dahs, AnwBl 1959, 171 (181). 191 Franke, Bildberichterstattung, S. 77; Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 78. 192 Schlothauer, StV 2015, 665 (666). 193 Vgl. Kap. 3, B. III. 4. 188
200
Kap. 3: Gegen Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
D. Funktionsfähigkeit der Rechtspflege I. Grundlagen und Ausprägungen der Funktionsfähigkeit Die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege in Form der Wahrheitsfindung und der Rechtsfindung im Prozess findet ihre verfassungsrechtliche Grundlage im Rechtsstaatsprinzip.194 Ohne funktionstüchtige Rechtspflege, so das BVerfG, könne der ebenfalls im Rechtsstaatsprinzip verankerten Idee der Gerechtigkeit im Verfahren nicht zum Durchbruch verholfen werden.195 Sie setze die möglichst vollständige Wahrheitsermittlung in der Verhandlung voraus.196 „Eine von Störungen möglichst unbeeinträchtigte und dadurch möglichst gesicherte Wahrheits- und Rechtsfindung“197 soll daher in jedem Gerichtsverfahren gewährleistet sein. Unter „Wahrheitsfindung“ ist die Ermittlung des tatsächlichen Sachverhaltes zu verstehen, „Rechtsfindung“ beschreibt die Subsumtion unter rechtliche Vorgaben.198
II. Wahrheitsfindung 1. Relevante Gefahren für die Wahrheitsfindung Risiken für die Wahrheitsfindung könnten durch die Berichterstattung aus dem Gerichtssaal in zweierlei Hinsicht hervorgerufen werden: Einerseits dadurch, dass diese Berichterstattung die Verfahrensbeteiligten in ihrem Verhalten beeinflusst.199 Der Gerichtssaalberichterstattung werden hierbei zwei konträre Auswirkungen auf das Verhalten der Verfahrensbeteiligten zugeschrieben, die Bertram treffend als „den ‚Vorhang herablassen‘ oder ‚Theater spielen‘“200 bezeich194
StRspr, s. nur BVerfGE 33, 367 (383); 106, 28 (49); 122, 248 (272); 130, 1 (26); 133, 168 (199). 195 BVerfGE 33, 367 (383); 122, 248 (272); BVerfG, NJW 2015, 1083 (1084). 196 BVerfGE 33, 367 (383); 77, 65 (76); 80, 367 (378); BVerfG, NJW 2001, 507 (507 f.). 197 BVerfG, NJW 1996, 581 (584). 198 Sorth, Rundfunkberichterstattung S. 44 f. 199 BVerfGE 103, 44 (68); Bosch, JURA 2016, 45 (50); Degenhart, in: HStR V, § 115 Rn. 43; Ernst, in: FS Herrmann, S. 73 (S. 75); Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 135, 320; Fölster, NK 2014, 154 (159 f.); Gersdorf, in: Gerichts-TV, S. 23 (S. 30); Hagenkötter, in: Kontrolle des Gerichts, S. 41 (S. 56); Hain, DÖV 2001, 589 (593); Hauth, Sitzungspolizei, S. 186; Huff, NJW 1996, 571 (573); ders., NJW 2001, 1622 (1623); Janisch, DRiZ 2015, 136; Jescheck, ZStW 74 (1962), 189 (194); Kaulbach, ZRP 2009, 236 (238); Kohlmann, JA 1981, 581 (584); Koschorreck, JA 1997, 134 (135); Krieg, K&R 2009, 673 (675, 677); Maxin, in: Kontrolle des Gerichts, S. 105 (S. 132); Pernice, Medienöffentlichkeit, S. 133 f.; Quentin, in: SSWStPO, § 169 GVG Rn. 22; Ranft, JURA 1995, 573 (577); Verfassungsrechtsausschuß, AnwBl 1997, 26 (28); Weiler, ZRP 1995, 130 (134); Wolf, ZRP 1994, 187 (188). 200 Bertram, DRiZ 1956, 127 (128).
D. Funktionsfähigkeit der Rechtspflege
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net. Andererseits wird befürchtet, dass Zeugen durch die Gerichtssaalberichte vor ihrer Aussage Kenntnis vom Inhalt der Verhandlung erlangen.201 2. Gefahr der Verhaltensbeeinflussung der Verfahrensbeteiligten a) „Den Vorhang herablassen“ Vielfach wird mit Blick auf das Verhalten der Verfahrensbeteiligten argumentiert, die Berichterstattung aus dem Gerichtssaal könne eine (gesteigerte) psychische Befangenheit bei ihnen hervorrufen.202 Dies könnte sich negativ auf das Aussageverhalten der Angeklagten, Parteien und Aussagepersonen auswirken. Sie könnten den Inhalt ihrer Aussagen bewusst oder unbewusst ändern, etwa indem sie nicht vollständig oder nicht wahrheitsgemäß aussagten.203 Ein solches Verhalten sei vor allem zu erwarten, wenn intime oder peinliche Sachverhalte erörtert werden sollten.204 Falls gewisse Tatsachen aus Scheu nicht vorgetragen würden, sei dies besonders gravierend, wenn sie entlastend wirken würden.205 Zudem werde es für den Richter unmöglich, die nötige persönliche Beziehung zu den Beteiligten aufzubauen und sie dadurch zur wahrheitsgemäßen, unbefange-
201 DRB, DRiZ 1996, 246 (248); Franzki, DRiZ 1979, 82; Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 92, 162; Knauer, JuS 2012, 711 (714 f.); Kohlhaas, NJW 1963, 477; Krieg, K&R 2009, 673 (676 f.); Schorn, LZ 1932, 1408 (1412); Venn, StraFo 2018, 50 (54); Walther, in: BeckOK StPO, § 169 GVG Rn. 26. 202 BTDrucks III/2037, S. 44; BTDrucks IV/178, S. 45; BVerfG, NJW 1996, 581 (583); NJW 1999, 1951 (1952); BGHSt 10, 202 (206); BGH, Urt. vom 22.01.1957 – 1 StR 321/56, Rn. 22; Bockelmann, NJW 1960, 217 (220); Dahs, NJW 1961, 1755 (1756); Eberle, ZDF-Jahrbuch 1992, S. 158 (S. 159); ders., NJW 1994, 1637 (1638); Friedrichsen, in: dies./Gerhardt, ZRP 2015, 187 (188); Gerhardt, Verfassungsmäßigkeit, S. 111; ders., BDVR-Rundschreiben 2001, 71 (72); Hauth, Sitzungspolizei, S. 202, 204; Hillermeier, DRiZ 1982, 281 (283); Hirzebruch, Neue Medien, S. 282; Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 162 f.; Kortz, AfP 1997, 443 (447); Kreicker, ZIS 2017, 85 (90, 100, 102); Kujath, Laienjournalismus, S. 54, 279; Melzer, DRiZ 1957, 62; Milger, in: Spiekermann, NJW-aktuell 25/2016, 12; Olbertz, Fernseh öffentlichkeit, S. 56, 61, 95 f., 124, 135; Plate, NStZ 1999, 391 (393); Roxin, in: FS Peters, S. 393 (S. 404); Sarstedt, JR 1956, 121 (123); ders., in: Tonbandaufnahmen, S. 57 (S. 64); Schmidt, JZ 1956, 206 (210); ders., in: FS Schmidt, S. 338 (S. 341, 344 f.); ders., JZ 1962, 220 (221); Vogel, Fernsehübertragungen, S. 85; Wolf, JR 1997, 441 (446). 203 DRB, DRiZ 1996, 246 (247); Erdsiek, NJW 1960, 1048 (1049); Feldmann, in: Radtke/ Hohmann, StPO, § 169 GVG Rn. 32; Gerhardt, Verfassungsmäßigkeit, S. 79; Greuel/Köhnken/ Volbert, in: Bund-Länder-Arbeitsgruppe, Zwischenbericht, S. 24; Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 169 Rn. 13; Siegert, NJW 1963, 1953 (1955). 204 BVerfGE 103, 44 (69); Altenhain, Gutachten 71. DJT, C 91; Hagenkötter, in: Kontrolle des Gerichts, S. 41 (S. 48); Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 91 f.; Krieg, K&R 2009, 673 (675); Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 94; Ranft, JURA 1995, 573 (577). 205 Linke, VR 2002, 378 (383).
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Kap. 3: Gegen Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
nen Aussage zu bewegen.206 Falls die Erinnerung an das Geschehen für die Aussagenden belastend sei, werde der Stress für sie zudem so gesteigert, dass die Qualität ihrer Einlassungen leiden könne.207 Auch sei zu erwarten, dass Aussagen vorformuliert werden208 und in der Verhandlung infolgedessen keine für die Wahrheitsfindung wichtigen, spontanen Äußerungen mehr getätigt werden209. Doch nicht nur der Inhalt der Aussagen könnte durch die Gerichtssaalberichterstattung beeinflusst werden. Vertreten wird auch, die Präsenz der Medienvertreter könne, dem vorgelagert, die Aussagebereitschaft oder -fähigkeit der Beteiligten herabsetzen.210 So könnten Zeugen, Parteien und Angeklagte aus Angst vor Berichterstattung von ihren Zeugnis- oder Aussageverweigerungsrechten Gebrauch machen.211 Ebenso sei es speziell in Strafverfahren denkbar, dass die Zeugen sich aus Angst vor der Berichterstattung gar nicht erst meldeten, um zur Sachverhaltsaufklärung beizutragen.212 Daneben sei auch möglich, dass die Befangenheit der Beteiligten nicht bereits durch die Arbeit der Medienvertreter im Gerichtssaal hervorgerufen wird, sondern erst durch die Perspektive von deren späterer Berichterstattung.213 So müssten Zeugen womöglich befürchten, aufgrund der Medienberichte in der Öffentlichkeit wiedererkannt und angegriffen zu werden.214 So verhielt es sich in dem Sachverhalt, der der CO2-Handel-Entscheidung des BVerfG zugrunde lag: Den Angeklagten, die mit ihren Aussagen wesentlich zum Ermittlungserfolg beigetragen hatten, drohten bei einer nichtanonymisierten Bildberichterstattung Repressalien.215 Bertram, DRiZ 1956, 127 (128); Liebscher, ZfRV 1969, 108 (114); Sarstedt, JR 1956, 121 (124). 207 Aymans, in: Sift, DRiZ 2014, 284 (285). 208 Gerhardt, Verfassungsmäßigkeit, S. 79 f.; Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 216; Linke, VR 2002, 378 (384); Sarstedt, JR 1956, 121 (123 f.); Vogel, Fernsehübertragungen, S. 86. 209 Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 91; Jescheck, ZStW 71 (1959), 1 (5). 210 BGHSt 16, 111 (113); Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 128; Ernst, ZUM 1996, 187 (192); ders., in: FS Herrmann, S. 73 (S. 75); Gerhardt, Verfassungsmäßigkeit, S. 80; Liebscher, ZfRV 1969, 108 (112); Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 56, 96; Praml, MDR 1977, 14 (16); Vietmeyer, Vor- und Nachteile, S. 92 f. 211 Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 91; Lorz, in: Herausforderungen, S. 59 (S. 79); Sarstedt, JR 1956, 121 (123); ders., in: Tonbandaufnahmen, S. 57 (S. 65); Schmidt, in: FS Schmidt, S. 338 (S. 341 f.). 212 DRB, DRiZ 1996, 246 (248). 213 Vgl. BVerfG, NJW 1996, 310 (310 f.); Diemer, in: KK-StPO, § 176 GVG Rn. 1a. 214 Ernst, ZUM 2001, 187 (192); ders., in: FS Herrmann, S. 73 (S. 75); Fink, Bild- und Ton aufnahmen, S. 336; Kujath, Laienjournalismus, S. 351; Pernice, Medienöffentlichkeit, S. 136; Quentin, in: SSW-StPO, § 176 GVG Rn. 16; Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, § 169 GVG Rn. 41. 215 BVerfG, Beschl. vom 20.12.2012 – 1 BvR 3048/11, juris Rn. 4, 10. 206
D. Funktionsfähigkeit der Rechtspflege
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Nicht nur die Sorge um Leib und Leben könnte die Verfahrensbeteiligten aber zur Verhaltensänderung bringen. Sie könnten zudem befürchten, bei ihrer Aussage zum Beispiel durch eine aggressive Befragung in Verlegenheit gebracht zu werden und infolgedessen in den Medien eine schlechte Figur zu machen.216 Die Beteiligten, die erst später in einem Verfahren aussagten, könnten außerdem die Rezeption der Aussagen der anderen Beteiligten in den Medien verfolgen.217 Fiele diese kritisch aus, könnten sie ihre Aussage ändern, um nicht derselben Kritik ausgesetzt zu sein,218 oder die Aussage sogar völlig verweigern219. b) „Theater spielen“ Auf der anderen Seite wird befürchtet, die Beteiligten könnten durch die Berichterstattung aus dem Gerichtssaal „beflügelt“220 bzw. zu einem „publicityträchtige[n]“221 Verhalten veranlasst werden, das „der theatralischen Situation angepaßt“222 sei.223 Statt sich auf den Inhalt der Verhandlung zu konzentrieren, brächten sie sich „in Positur“224, redeten „aus dem Fenster hinaus“225 und böten somit eine „Darbietung“226. Sie könnten aufgrund der Medienpräsenz, so die oft zitierte Formulierung des BGH, dem „Herostratentum“227 verfallen. Die aktivierende Wirkung der Gerichtssaalberichterstattung könne dabei dazu führen, dass Aussagen nur getroffen oder Handlungen nur ergriffen werden, um den Medien eine Show zu bieten.228 Anders als die gesteigerte Befangenheit, die vor allem im Hinblick auf Laien befürchtet wird, wird diese Art der Verhaltensänderung auch und gerade von den Ernst, ZUM 1996, 187 (192); ders., in: FS Herrmann, S. 73 (S. 75). Hess, FAZ vom 14.04.2016, S. 6 verweist etwa auf die Live-Kommentierung von Zeugenaussagen im Internet. 218 DRB, DRiZ 1996, 246 (248). 219 Koppenhöfer, in: Öffentlichkeit als Richter, S. 60 (S. 62). 220 BVerfGE 103, 44 (68); Krieg, K&R 2009, 673 (675). 221 Feldmann, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 169 GVG Rn. 32. 222 BGHSt 16, 111 (114). 223 Vgl. Bockelmann, NJW 1960, 217 (220); Friedrichsen, in: dies./Gerhardt, ZRP 2015, 187 (188); Gerhardt, BDVR-Rundschreiben 2001, 71 (72); Gerson, KriPoZ 2017, 376 (377 f.); Jung, Presse, Rundfunk und Film, S. 14 f.; Kirchhof, in: FH Möller, S. 34 (S. 40); Kortz, AfP 1997, 443 (447); Kuder, RuP 2014, 137; Kujath, Laienjournalismus, S. 279; Lesch, StraFo 2014, 353 (354); Lohrmann, DRiZ 1995, 247; Pantazopoulos, ZZPInt 13 (2008), 319 (336); Roxin, in: FS Peters, S. 393 (S. 401); ders., NStZ 1991, 153 (156). 224 Bertram, DRiZ 1956, 127 (128). 225 Franzki, DRiZ 1979, 82. 226 Hillermeier, DRiZ 1982, 281 (283); Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 91; Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 216. 227 BGHSt 22, 83 (85). 228 Ernst, ZUM 1996, 187 (192). 216 217
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Kap. 3: Gegen Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
professionellen Verfahrensbeteiligten erwartet.229 So könnten die Anwälte ihre Anträge gezielt in der Gegenwart der Medien stellen.230 Sie könnten die Verhandlung zudem dazu nutzen, Werbung für sich zu machen,231 etwa indem sie als aggressive Interessenvertreter aufträten. Staatsanwälte könnten ihre Plädoyers mit Blick auf die Außenwirkung besonders provokant gestalten und die entlastenden Umstände dabei außer Betracht lassen.232 Richter könnten sich betont autoritär geben, um den Erwartungen des Publikums zu genügen.233 Mit Blick auf die beteiligten Laien wird des Weiteren ausgeführt, es könnten sich Zeugen melden, die im Fokus der medialen Aufmerksamkeit stehen wollten und zu diesem Zweck unwahre oder zumindest wenig sachdienliche Aussagen machten.234 Einmal in den Medien zu erscheinen, entspreche schließlich dem Wunsch vieler Menschen.235 Gewarnt wird auch, dass der Angeklagte in einem Strafverfahren ein falsches Geständnis ablegen könnte, um im Fernsehen aufzutreten und dadurch Geld zu verdienen.236 Generell wird die mögliche Zahlung von Honoraren an Zeugen, Parteien und vor allem den Angeklagten als Gefahr für die Wahrheitsfindung eingeordnet. Je spektakulärer die Schilderung sei, desto höher fielen die Honorare schließlich aus.237 Das könnte die Beteiligten dazu anhalten, ihre Aussagen vor Gericht „auszuschmücken“. Gleichermaßen könne der mediale Auftritt dazu führen, dass die Beteiligten an einer einmal getätigten Aussage festhalten müssten, auch wenn sie nicht der (vollen) Wahrheit entspricht.238 Herauszufinden, wer wahre Aussagen tätigt und wer 229 Altenhain, Gutachten 71. DJT, C 92; Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 129; Ernst, ZUM 1996, 187 (192); Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 324; Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 93; Janisch, AnwBl 2001, 22; Kaulbach, ZRP 2009, 236 (238); Kortz, AfP 1997, 443 (447); Lesch, StraFo 2014, 353 (354); Linke, VR 2002, 378 (384); Olbertz, Fernseh öffentlichkeit, S. 98; Schmitt, ZRP 2011, 220 (222); Verfassungsrechtsausschuß, AnwBl 1997, 26 (28); Wette, AnwBl 2016, 833. 230 Hagenkötter, in: Kontrolle des Gerichts, S. 41 (S. 58); Plate, NStZ 1999, 391 (393). 231 Boehme-Neßler, UFITA 2009, 9 (20); Ernst, ZUM 1996, 187 (192); Franzki, DRiZ 1979, 82; Gerhardt, in: Einfluß der Medien, S. 19 (S. 24); ders., ZRP 2009, 247 (249); Hamm, Strafverteidigung im Rechtsstaat, S. 139 (S. 144 f.); ders., in: Das moderne Strafrecht, S. 59 (S. 66); Hunecke, NK 2011, 85 (89); Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 56, 125; Pernice, Medienöffentlichkeit, S. 136; Vogel, Fernsehübertragungen, S. 122. 232 Verfassungsrechtsausschuß, AnwBl 1997, 26 (28). 233 Eckertz-Höfer, DVBl 2012, 839 (390 f.). 234 Ernst, in: FS Herrmann, S. 73 (S. 75); Pernice, Medienöffentlichkeit, S. 136; Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, § 169 GVG Rn. 41. 235 Hunecke, NK 2011, 85 (96); Wolf, JR 1997, 441 (447). 236 Lohrmann, DRiZ 1995, 247. 237 Hunecke, NK 2011, 85 (90); Tillmanns, in: FS Schweizer, S. 227 (S. 268); Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, Vor § 169 GVG Rn. 18. 238 Bornkamm, Pressefreiheit, S. 215 f., 245; Braun, Medienberichterstattung, S. 35, 195;
D. Funktionsfähigkeit der Rechtspflege
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lediglich auf die Medienwirkung seiner Aussage bedacht ist, gestalte sich für den Richter aufwendig – so es ihm denn gelinge. Denkbar sei im Extremfall sogar, dass Zeugen vor Gericht gar keine Aussage tätigen, weil sie die Exklusivrechte an ihren Aussagen bereits an ein Medium verkauft hätten.239 c) Bewertung der vermuteten Gefahren aa) Fehlende empirische Fundierung Bei der Befürchtung, die Gerichtssaalberichterstattung beeinflusse das Verhalten der Verfahrensbeteiligten, handelt es sich um eine bisher unbewiesene Hypothese. Empirische Studien, die diese Auswirkung bestätigen oder widerlegen könnten, wurden in Deutschland bislang nicht durchgeführt.240 Es ist vielmehr eine „gefühlte Selbstverständlichkeit“241, dass insbesondere die Aufnahmen im Gericht derartige Konsequenzen haben. In Ländern, in denen die Gerichtssaalberichterstattung bereits in größerem Umfang gestattet ist, fand teils bereits entsprechende Forschung statt.242 Ihre Ergebnisse können wegen der divergierenden Rechtssysteme, Mentalitäten sowie Medienlandschaften zwar nicht uneingeschränkt auf die Berichterstattung in Deutschland übertragen werden.243 Sie deuten jedoch darauf hin, dass die negativen Konsequenzen der Gerichtssaalberichte in Deutschland überschätzt werden.244 Einen Anhaltspunkt für die Auswirkung der Gerichtssaalberichterstattung auf das Verhalten der Beteiligten gibt die sozialpsychologische Forschung zum sog. Zuschauereffekt. Danach zeigen Menschen in Anwesenheit von Zuschauern verstärkt fast jedes Verhalten, das sie schon zuvor oft und erfolgreich an den Tag legten.245 Wem es für gewöhnlich schwer fällt, vor Menschen zu reden, dem Hunecke, NK 2011, 85 (90); Krekeler, AnwBl 1985, 426 (428); Krieg, K&R 2009, 673 (677); Meyer, Gerichtsprozess, S. 227; Tillmanns, in: FS Schweizer, S. 227 (S. 266). 239 So geschah es etwa im Kachelmann-Prozess (s. Friedrichsen, ZRP 2011, 246 [247]). 240 S. in jüngerer Zeit nur Altenhain, Gutachten 71. DJT, C 90; Bremer, in: FS Richter II, S. 77 (S. 83); von Coelln, in: Strafrecht und Medien, S. 13 (S. 29); Conraths, NJW-aktuell 28/2017, S. 14; Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 321; Greuel/Köhnken/Volbert, in: Bund-Länder-Arbeitsgruppe, Zwischenbericht, S. 23, 29; Hirzebruch, Neue Medien, S. 321; Pfeifle, ZG 2010, 283 (297); Rosenthal, AnwBl 2016, 654 (656); Strate, Referat 71. DJT, M 43 (M 45 f.). 241 Von Coelln, AfP 2014, 193 (201); ders., in: Strafrecht und Medien, S. 13 (S. 29). 242 Ein Überblick über die Ergebnisse der Studien im angloamerikanischen Rechtsraum findet sich bei Stepniak, Audio-Visual Coverage, S. 352 ff. 243 Britz, Fernsehaufnahmen, S. 271; Giraud, in: Interdisziplinäre Wissenschaft, S. 169 (S. 178); Pernice, Medienöffentlichkeit, S. 135; Schraft-Huber, in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 17a Rn. 37. 244 Danziger, Medialisierung, S. 432; Feldmann, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 169 GVG Rn. 32. 245 Gehring, ZRP 1998, 8 (9) m. w. N. zu den sozialpsychologischen Quellen.
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Kap. 3: Gegen Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
wird dies im Gerichtssaal noch weniger gelingen. Wer sich im Alltag gerne selbst präsentiert, der wird auch im Sitzungssaal verstärkt auf Selbstdarstellung setzen.246 Dieser Effekt tritt im Grundsatz aber in jeder Verhandlung auf – auch, wenn gar keine Medienvertreter anwesend sind. In sämtlichen Verhandlungen sind schließlich Richter, Anwälte und Justizpersonal präsent,247 manchmal auch Zuschauer.248 Selbst Kameras und Mikrofone kommen in den großen Verhandlungen bereits zum Einsatz.249 Weil der Zuschauereffekt aber korrespondierend mit der Größe des Publikums zunimmt,250 ist es denkbar, dass die Anwesenheit der Medien, die ein größeres Publikum eröffnet, ihn noch verstärkt.251 Dabei ist allerdings zu beachten, dass bereits die gemäß § 169 Abs. 1 S. 1 GVG zulässige Berichterstattung das Publikum vergrößern und damit das Verhalten der Verfahrensbeteiligten dadurch beeinflussen kann.252 In der Literatur wird demzufolge teilweise vermutet, die Gerichtssaalberichterstattung hätte im Vergleich hiermit keinen oder jedenfalls nur einen geringen zusätzlichen Einfluss auf das Verhalten der Beteiligten.253 Die Gerichtssaalberichte sind, wie im zweiten Kapitel mehrfach dargestellt, aber in der Lage, den Kreis der Medienkonsumenten erheblich auszuweiten.254 Demnach ist es auch denkbar, dass sie den Zuschauereffekt gegenüber der klassischen Gerichtsberichterstattung spürbar verstärken. Selbst wenn erste empirische Erhebungen eine solche Beeinflussung aber belegen würden, spricht dies nicht für die endgültige Ablehnung der Gerichtssaalberichterstattung. Es ist vielmehr denkbar, dass mit der Zeit ein Gewöhnungseffekt eintritt, der nachteilige Auswirkungen auf das Verhalten der Beteiligten mindert oder gar entfallen lässt.255 Darauf deutet ein Vergleich deutscher und US-amerikanischer Studien zu den (erwarteten) Auswirkungen von Fernsehauf246 247
Greuel/Köhnken/Volbert, in: Bund-Länder-Arbeitsgruppe, Zwischenbericht, S. 24. Bremer, in: FS Richter II, S. 77 (S. 84); Gehring, ZRP 1998, 8 (9); Pfeifle, ZG 2010, 283
(297). 248 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 434 f.; Rosenthal, AnwBl 2016, 654 (656). 249 Von Coelln, AfP 2016, 491 (493); Fölster, NK 2014, 154 (158); Hirzebruch, Neue Medien, S. 199; ders., BRJ 2017, 5 (8); Magnus, in: Digitalisierung, S. 205 (S. 208 in Fn. 16); Merk, DRiZ 2013, 234 (235). 250 Gehring, ZRP 1998, 8 (9). 251 Bremer, in: FS Richter II, S. 77 (S. 84); Jung, in: AE-StuM, S. 102 (S. 108); Pernice, Medienöffentlichkeit, S. 134. So ohne explizite Bezugnahme auf den sozialpsychologischen Effekt auch Gerhardt, Verfassungsmäßigkeit, S. 77 f.; Schneider, JuS 1963, 346. 252 Hirzebruch, Neue Medien, S. 321; Witzler, Personale Öffentlichkeit, S. 160, 162. 253 Boehme-Neßler, UFITA 2009, 9 (17 f.); ders., BilderRecht, S. 133; ders., in: Öffentlichkeit als Richter, S. 20 (S. 35 f.); Gehring, ZRP 1998, 8 (10); Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 98. 254 Vgl. Kap. 2, B. III. 2. d), 3. c), 4. d), E. III., F., G. 255 Von Coelln, Medienöffentlichkeit S. 435; ders., AfP 2014, 193 (201); ders., in: Strafrecht
D. Funktionsfähigkeit der Rechtspflege
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nahmen vor Gericht hin:256 Deutsche Juristen befürchten nach diesen Erhebungen stärkere Beeinträchtigungen als ihre amerikanische Kollegen, die bereits praktische Erfahrungen mit Aufnahmen sammeln konnten.257 Für die Laien unter den Verfahrensbeteiligten, die meist nur einmal im Leben vor Gericht stehen, kann ein solcher Gewöhnungseffekt in Bezug auf die spezielle Situation im Sitzungssaal zwar nicht eintreten.258 Für ihr Empfinden könnte aber die allgemein gesteigerte Gewöhnung an die Medienpräsenz eine Rolle spielen.259 Nicht nur die verbreitete Videoüberwachung des öffentlichen Raumes, auch die im Zeitalter von Snapchat, Periscope und Instagram stetig steigende audiovisuelle Dokumentationsfreude vor allem jüngerer Bürger trägt dazu bei. Menschliches Verhalten wird daher womöglich nicht mehr im selben Ausmaß durch die Medienpräsenz beeinflusst, wie es früher der Fall war.260 Lässt sich eine solche allgemeine Mediengewöhnung belegen, ist nicht ersichtlich, warum gerade die Anwesenheit von Aufnahmegeräten im Gericht sich anders auswirken sollte. Zuletzt muss die Möglichkeit bedacht werden, dass die Verhaltensänderung infolge der Gerichtssaalberichterstattung positive Auswirkungen auf die Wahrheitsfindung hat.261 So könnten die Aussagebereitschaft der Zeugen262 oder der Wahrheitsgehalt ihrer Aussage263 dadurch gesteigert werden, dass sie sich beobachtet fühlen. Dadurch könnte ihnen ihre Verantwortung für die Wahrheitsfindung bewusst werden, sodass sie sich besondere Mühe bei ihrer Aussage geben.264 Denkbar ist auch, dass potentielle Zeugen erst durch die Berichterstattung aus der Verhandlung selbst hierauf aufmerksam werden und sich melden, um eine Aussage zu machen.265 Die Gerichtssaalberichterstattung könnte die und Medien, S. 13 (S. 29 f.); Jung, NTFK 2012, 65 (69 f.); Giraud, in: Interdisziplinäre Wissenschaft, S. 169 (S. 178); Kirchberg, BRAK-Mitt 2002, 252 (256); Schneider, JuS 1963, 346. 256 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 436. Einen Gewöhnungseffekt leitet auch Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 134 aus dem Vergleich zwischen älteren und jüngeren Studien in den USA her. 257 Gehring, ZRP 2000, 197 (199). 258 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 435; Erdsiek, NJW 1960, 1048 (1049); Vietmeyer, Vor- und Nachteile, S. 68. 259 Lorz, AnwBl 2001, 533 (536); Praml, MDR 1977, 14 (15). 260 Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 290. 261 Bremer, in: FS Richter II, S. 77 (S. 86) meint, solche Auswirkungen seien bei den ersten Sendungen aus den Sitzungen von Untersuchungsausschüssen im Bundestag zu sehen gewesen. 262 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 437; ders., AfP 2014, 193 (201); ders., in: Strafrecht und Medien, S. 13 (S. 30); Hirzebruch, Neue Medien, S. 322. 263 Giraud, in: Interdisziplinäre Wissenschaft, S. 169 (S. 177). 264 Altenhain, Gutachten 71. DJT, C 91; Jung, Presse, Rundfunk und Film, S. 16; Praml, MDR 1977, 14 (15). 265 Vogel, Fernsehübertragungen, S. 87, 149.
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Kap. 3: Gegen Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
professionellen Beteiligten zudem zu einem besonders ordnungsgemäßen Verhalten anhalten.266 So könnten die Richter zum Beispiel motiviert werden, sich verständlich auszudrücken.267 Die Anwälte könnten sich zudem bspw. besonders sorgfältig auf den Prozess vorbereiten.268 bb) Divergierende Gefahren der Verhaltensbeeinflussung (1) Differenzierung nach Instanzen Die vermuteten Gefahren für die Wahrheitsfindung, die aus der Verhaltensbeeinflussung durch Berichte aus dem Gerichtssaal resultieren sollen, würden jedoch nicht in jeder Situation bei Gericht in demselben Umfang drohen. Unterstellt man die negativen Auswirkungen einmal im größten denkbaren Ausmaß und lässt man mögliche positive Konsequenzen der Gerichtssaalberichterstattung außer Betracht, können die Gefahren insbesondere in den verschiedenen Instanzen in unterschiedlichem Umfang bestehen. In den Tatsacheninstanzen ist denkbar, dass insbesondere das Aussageverhalten der Parteien, Angeklagten und Zeugen durch die Berichterstattung beeinflusst wird.269 In den Rechtsinstanzen werden dagegen vor allem rechtliche Argumente ausgetauscht. In aller Regel findet keine Beweisaufnahme statt, sodass Auswirkungen auf das Aussageverhalten nicht möglich sind.270 Ähnlich verhält es sich am BVerfG.271 Denkbar ist in all diesen Fällen zwar eine Beeinflussung der professionellen Verfahrensbeteiligten auf die beschriebene, aktivierende Art.272 Weil sie jedoch beruflich ohnehin im Fokus der Öffentlichkeit stehen, vermuten einige Autoren, dass sie durch die Berichterstattung weniger beeinflusst werden als Laien.273 Unabhängig davon, ob sich diese These empirisch belegen lässt, kann sich eine Veränderung ihres Verhaltens aber zumeist nicht 266 Altenhain, Gutachten 71. DJT, C 92; Gerhardt, ZRP 1993, 377 (380); ders., in: FS Blankenburg, S. 515 (S. 528 f.); Giraud, in: Interdisziplinäre Wissenschaft, S. 169 (S. 177); Mailänder, in: FS Mailänder, S. 547 (S. 560); Vogel, Fernsehübertragungen, S. 90 f. 267 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 410; ders., AfP 2014, 193 (201); ders., in: Strafrecht und Medien, S. 13 (S. 30); Gerhardt, ZRP 1993, 377 (381 f.); ders., BDVR-Rundschreiben 2001, 71 (72); Gündisch, NVwZ 2001, 1004 (1005); Hagenkötter, in: Kontrolle des Gerichts, S. 41 (S. 56); Hirzebruch, BRJ 2017, 5 (10); Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 71; Janisch, DRiZ 2016, 136; Ranft, JURA 1995, 573 (576). 268 Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 96; Vogel, Fernsehübertragungen, S. 90 f. 269 So für Zeugen von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 437. 270 Britz, Fernsehaufnahmen, S. 273; Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 90, 163, 179; Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 177. 271 Odörfer, in: Barczak, BVerfGG, § 17 Rn. 19. 272 Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 129, 143; Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 62 f. 273 Becker, DRiZ 1960, 218; Bertram, DRiZ 1956, 127 (128); Britz, Fernsehaufnahmen, S. 287; Eberle, ZDF-Jahrbuch 1992, S. 158 (S. 159); ders., NJW 1994, 1637 (1638); Gerhardt,
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mehr auf die Wahrheitsfindung auswirken, weil diese schwerpunktmäßig bereits in den Tatsacheninstanzen stattgefunden hat.274 Schon nach aktuellem Forschungsstand scheidet deshalb eine Beeinflussung der Verfahrensbeteiligten in den Rechtsinstanzen und am BVerfG aus. (2) Differenzierung nach Verfahrensabschnitten Auch zwischen den Abschnitten eines Verfahrens ist aus Sicht mancher Autoren zu unterschieden.275 Mit Blick auf die mündliche Verhandlung wird vertreten, eine Verhaltensbeeinflussung scheide in dem Zeitraum aus, in dem das Gericht den Sitzungssaal betrete, die Verhandlung eröffne bzw. die Anwesenheit der Beteiligten feststelle.276 Zu diesem Zeitpunkt würden noch keine für die Wahrheitsfindung relevanten Handlungen vorgenommen, sondern lediglich Formalien erledigt.277 Des Weiteren komme die Beeinflussung während der Entscheidungsverkündung nicht mehr in Frage.278 Berichte hierüber beträfen die Mehrzahl der Beteiligten nicht,279 da in jener Phase nur Richter aufträten, die eine bereits getroffene Entscheidung vortrügen.280 Die Wahrheitsfindung sei zuvor schon abgeschlossen gewesen.281 Speziell für das Strafverfahren wird darüber hinaus vertreten, eine Verhaltensbeeinflussung drohe nicht während der Anklageverlesung, weil wiederum nur Verfassungsmäßigkeit, S. 81, 84; Hirzebruch, Neue Medien, S. 333; Jung, Presse, Rundfunk und Film, S. 15; Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 219. 274 Für letzteres: Tillmanns, in: FS Schweizer, S. 227 (S. 256). 275 So allgemein Krausnick, ZG 2002, 273 (290). 276 BTDrucks 13/7673, S. 7; BVerfGE 103, 44 (69); BVerfG, NJW 1999, 1951 (1952); Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 130; Gündisch/Dany, NJW 1999, 256 (260); Hain, DÖV 2001, 589 (594); Schraft-Huber, in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 17a Rn. 32; Vogel, Fernsehübertragungen, S. 86. 277 Gündisch/Dany, NJW 1999, 256 (260). 278 BVerfGE 103, 44 (69); BVerfG, NJW 1999, 1951 (1952); Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 130; von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 437; ders., AfP 2016, 591 (494); Eberle, ZDF-Jahrbuch 1992, S. 158 (S. 159); ders., NJW 1994, 1637 (1638); Gerhardt, Verfassungsmäßigkeit, S. 113; ders., ZRP 1993, 377 (381); Hain, DÖV 2001, 589 (594); Koschorreck, JA 1997, 134 (137); Schraft-Huber, in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 17a Rn. 32; Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 133, 176; Vogel, Fernsehübertragungen, S. 86. 279 Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 60; Töpper, DRiZ 1995, 242. 280 Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 130, 135; von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 437 f.; Eberle, ZDF-Jahrbuch 1992, S. 158 (S. 159); ders., NJW 1994, 1637 (1638); Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 219, 234; Rose, SchlHA 2014, 169 (176); Sorth, Rundfunkberichterstattung S. 176. 281 Altenhain, DRiZ 2016, 304 (305); Gerhardt, in: Limperg/ders., ZRP 2016, 124; Gündisch/Dany, NJW 1999, 256 (260); Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 234; Rose, SchlHA 2014, 169 (176, 177).
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Kap. 3: Gegen Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
ein fertiger Text vorgelesen werde.282 Auch während der Plädoyers sei sie ausgeschlossen: Die Beweisaufnahme sei zu dem Zeitpunkt bereits abgeschlossen283 und auch die Schlussvorträge seien vorher vorbereitet worden284. Demnach käme die Gefährdung der Wahrheitsfindung nur während der Beweisaufnahme einschließlich der Vernehmung des Angeklagten bzw. der Parteien in Betracht.285 Zuletzt wird vertreten, die Berichterstattung außerhalb der mündlichen Verhandlung beeinflusse das Verhalten nicht.286 Vor ihrem Beginn werde die Verhandlung und demnach die Wahrheitsfindung nur vorbereitet.287 Nach ihrem Ende sei sie spiegelbildlich hierzu bereits abgeschlossen. Gegen eine Differenzierung zwischen den unterschiedlichen Phasen innerhalb der mündlichen Verhandlung spricht aber, dass die Verhandlung eine Gesamtheit darstellt, bei der auch die Erwartung einer Gerichtssaalberichterstattung in einem späteren Stadium das Verhalten im früheren Stadium beeinflussen könnte288 – oder andersherum.289 Mit dieser Argumentation könnte auch eine Differenzierung zwischen dem Umfeld der Verhandlung sowie der Verhandlung selbst abzulehnen sein: Die Berichterstattung im Umfeld einer Verhandlung könnte die Beteiligten schließlich so beeinflussen, dass sie sich während der mündlichen Verhandlung anders verhalten.290 Inwiefern diese Vermutung zutrifft, muss aber noch empirisch erforscht werden. Unabhängig davon scheidet eine Differenzierung innerhalb der mündlichen Verhandlung selbst aber aus, weil in ihren genannten Abschnitten durchaus Handlungen vorgenommen werden, die für die Wahrheitsfindung von Bedeutung sind. Zu Beginn werden Aspekte erörtert, die für den weiteren Verfahrensverlauf zentral sind,291 etwa die krankheitsbedingte Verhandlungsunfähigkeit. Am Vortrag dazu könnten die Beteiligten durch die Berichterstattung gehindert werden. 282 Gerhardt, Verfassungsmäßigkeit, S. 82 f.; Koschorreck, JA 1997, 134 (137); Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 219, 228. 283 Gerhardt, Verfassungsmäßigkeit, S. 82; ders., ZRP 1993, 377 (381); Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 176. 284 Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 219. 285 Vgl. Altenhain, Gutachten 71. DJT, C 91; Britz, Fernsehaufnahmen, S. 273, 302, 304. 286 Vgl. BVerfGE 91, 125 (137); Brosius-Gersdorf, TKMR 2002, 356 (362); von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 457; Hirzebruch, Neue Medien, S. 282; Lilie, in: AE-StuM, S. 116 (S. 130). 287 Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 115; Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 339. 288 BVerfG, NJW 1996, 581 (583); BGHSt 22, 83 (84); Pernice, Medienöffentlichkeit, S. 148; Schmidt, NJW 1968, 806; Wolf, ZRP 1994, 187 (189). 289 Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 115; Plate, NStZ 1999, 391 (393, 394). 290 BVerfGE 119, 309 (325); Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 320 f.; Kujath, Laienjournalismus, S. 310; Littmann, in: Lüdtke/Berchtold, SGG, § 61 Rn. 9. 291 Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 227.
D. Funktionsfähigkeit der Rechtspflege
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Ähnlich könnte es sich am Ende der Verhandlung verhalten: Da noch während der Entscheidungsverkündung Anträge gestellt werden können, ist eine Verhaltensbeeinflussung auch in dieser Phase nicht ausgeschlossen.292 Dasselbe gilt in Strafprozessen für die Schlussvorträge. Während der mündlichen Verhandlung ist hinsichtlich einer möglichen Verhaltensbeeinflussung mithin nicht zu differenzieren. Einzig für das Verhandlungsumfeld muss noch erforscht werden, ob ein Einfluss der Gerichtssaalberichte auf das Verhalten der Verfahrensbeteiligten ausscheidet. (3) Differenzierung nach Verfahrensarten Teils wird darüber hinaus dahingehend nach Verfahrensarten differenziert, dass vertreten wird, vor den Verwaltungsgerichten bestehe ein geringeres Risiko für die Wahrheitsfindung. Dort werde oft nur über Rechtsfragen gestritten, sodass dort kaum einmal Zeugen aufträten, deren Verhalten zu beeinflussen sei.293 Diese Aussage ist jedoch zu pauschal. Wie in Bezug auf die engere persönliche Lebenssphäre gezeigt,294 gibt es durchaus verwaltungsgerichtliche Verhandlungen, in denen Zeugen aussagen. Eine generelle Sonderbehandlung dieser Verfahrensart ist demnach abzulehnen. Infolgedessen ist auch der Ansicht Pieroths nicht zuzustimmen, nach der Gefahren für die Wahrheitsfindung nur in den Strafverfahren bestehen.295 Das Verhalten der Verfahrensbeteiligten kann vielmehr potentiell in allen Verfahrensarten beeinflusst werden. (4) Differenzierung nach Medienformen Zuletzt wollen manche Autoren zwischen den Medienformen differenzieren. Vertreten wird, dass die Bild-Aufnahmen das Verhalten der Beteiligten weniger stark beeinflussen als Aufnahmen, die (auch) Ton enthalten.296 Hierfür könnte sprechen, dass erstere Aufnahmen den Inhalt der Gespräche nicht wiedergeben. Außerdem, so wird argumentiert, seien die Bild-Aufnahmen schnell angefertigt, sodass die Beeinträchtigung rasch beendet sei.297 Dem ist aber entgegenzuhalten, dass die Bild-Aufnahmen ebenso wie Bild/Ton-Aufnahmen die Identifikation des Abgebildeten ermöglichen.298 In ihrer Folge können Verfahrensbeteiligten BGHSt 22, 83 (84); Plate, NStZ 1999, 391 (392 f.); Schmidt, NJW 1968, 806. Gostomzyk, Öffentlichkeitsverantwortung, S. 167; Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 163. 294 Vgl. Kap. 3, B. III. 1. b) aa). 295 Pieroth, in: Recht der Persönlichkeit, S. 249 (S. 273). 296 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 458; Kujath, Laienjournalismus, S. 278 f. 297 Gerhardt, Verfassungsmäßigkeit, S. 112 in Fn. 2; Kujath, Laienjournalismus, S. 278. 298 BVerfG, NJW 1996, 310 (311). 292
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Kap. 3: Gegen Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
daher ebenfalls die beschriebenen Gefahren für Leib, Leben und Ansehen drohen, die ihr Verhalten beeinflussen könnten.299 Alle Aufnahmen können mithin die Wahrheitsfindung potentiell gefährden. Möglich wäre allerdings, dass die Textberichte in Echtzeit das Verhalten weniger stark beeinflussen als Aufnahmen. Die genutzten Geräte sind schließlich unauffälliger, sodass die Beteiligten nicht einmal bemerken müssen, dass über sie berichtet wird.300 Gerade die Unsicherheit, die aus dieser Unauffälligkeit darüber folgen kann, ob gerade Bericht erstattet wird, könnte sich jedoch auf das Verhalten der Verfahrensbeteiligten auswirken.301 Dann würde auch durch die Textberichterstattung in Echtzeit eine Verhaltensbeeinflussung drohen. Inwiefern dies der Fall ist, muss aber noch empirisch erforscht werden. 3. Gefahr der Vorabinformation von Zeugen Es ist gesetzlich vorgeschrieben, dass Zeugen vom Inhalt der Aussagen anderer Zeugen vor ihrer eigenen Vernehmung keine Kenntnis erlangen sollen (s. nur § 394 Abs. 1 ZPO, § 58 Abs. 1 StPO, § 98 VwGO i. V. m. § 394 Abs. 1 ZPO). Aus diesem Grund werden sie einzeln vernommen. Ebenfalls ist es speziell in Strafverfahren vorgesehen, dass ihnen der Inhalt der Anklageschrift nicht zur Kenntnis gelangt. Sie sollen nicht dem Irrtum unterliegen, die Vorwürfe stünden bereits fest.302 Zudem könnte die Formulierung der Anklage suggestiv auf ihr Erinnerungsvermögen wirken.303 All dies wird jedoch vereitelt, wenn Zeugenaussagen oder die Anklage medial vorab veröffentlicht werden.304 Infolgedessen ist es schließlich möglich, dass Zeugen ihre Aussage bewusst oder unbewusst anpassen,305 weil die Berichterstattung ihre Erinnerung beeinflusst306. Dies mindert damit den Beweiswert der Aussagen.307 299
Vgl. Kap. 3, D. II. 2. a). Krieg, K&R 2009, 673 (676). 301 Kujath, Laienjournalismus, S. 217, 270, 279 f. 302 Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 217. 303 Greuel, in: Bund-Länder-Arbeitsgruppe, Zwischenbericht, S. 24. 304 So für Zeugenaussagen BTDrucks III/2037, S. 44; BTDrucks IV/178, S. 45; BTDrucks 13/7673, S. 7; Altenhain, Gutachten 71. DJT, C 90; Britz, Fernsehaufnahmen, S. 269; Giraud, in: Interdisziplinäre Wissenschaft, S. 169 (S. 180); Kortz, AfP 1997, 443 (447); Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, § 169 Rn. 62, 66; Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 136; Schreiber, in: Wie czorek/Schütze, ZPO, § 169 GVG Rn. 38; Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, Vor § 169 GVG Rn. 18. 305 Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 92; Knauer, JuS 2012, 711 (714 f.); Krieg, K&R 2009, 673 (677). 306 Bornkamm, Pressefreiheit, S. 214; Greuel, in: Bund-Länder-Arbeitsgruppe, Zwischenbericht, S. 24; Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 99; Vogel, Fernsehübertragungen, S. 86. 307 Bornkamm, Pressefreiheit, S. 215. 300
D. Funktionsfähigkeit der Rechtspflege
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Die Gerichtssaalberichterstattung ist jedoch nicht kausal für dieses Phänomen. Die Gefahr der Vorabinformation resultiert noch nicht einmal aus der Berichterstattung der Medien an sich: Infolge der Öffentlichkeit gemäß § 169 Abs. 1 S. 1 GVG können schließlich auch andere Beteiligte oder Zuschauer die Zeugen informieren308 – und das sogar detailliert: Die Zuschauer können bspw. alle Aussagen mitstenografieren.309 Ebenso ist der Einsatz von Prozessbeobachtern prinzipiell zulässig.310 Des Weiteren können die beteiligten Anwälte Aufnahmen herstellen, da § 169 Abs. 1 S. 2 GVG die mit dieser Zweckrichtung angefertigten Aufnahmen nicht erfasst.311 Sollte das Risiko der Vorabinformation vollends gebannt werden, müssten die Zeugen also bis zu ihrer Vernehmung isoliert werden.312 Eine Vorabinformation droht zudem im Grundsatz infolge jeder Berichterstattung.313 Ein Zeitungsartikel kann den Inhalt einer Zeugenaussage bspw. ebenso wiedergeben wie ihre Übertragung per Livestream. Zusätzliche Risiken könnten jedoch aus dem Live-Element der Gerichtssaalberichterstattung folgen. Während etwa ein Tweet schon Sekunden nach der Aussage eines Zeugen veröffentlicht werden kann, müssen die anderen Zeugen auf einen Zeitungsartikel bis zum nächsten Tag warten. Auch dies reicht bei mehrtägigen Verhandlungen aber regelmäßig aus, um ihnen vor ihrer eigenen Aussage Kenntnis vom Geschehen in der Verhandlung zu verschaffen.314 Nicht einmal bei einer eintägigen Verhandlung muss es durch die Gerichtssaalberichterstattung zu einer früheren Information kommen als durch klassische Gerichtsberichte. Bereits heute ist es schließlich möglich und üblich, dass Medienvertreter während der Verhandlung Berichte im Internet veröffentlichen, für deren Publikation sie kurz den Sitzungsaal
308 BGH, Urt. vom 22.01.1957 – 1 StR 321/56, Rn. 22; Bornkamm, Pressefreiheit, S. 217; Engels, Rechtspflege, S. 80; Hirzebruch, Neue Medien, S. 187, 322; Knauer, JuS 2012, 711 (715); Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 218; Lang, Ton- und Bildträger, S. 56; Pfeifle, ZG 2010, 283 (297); Vietmeyer, Vor- und Nachteile, S. 85. 309 Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 218. 310 Dazu ausführlich: Strassburg, MDR 1977, 712. 311 Kap. 1, B. II. 1. c) aa) (3). 312 Strassburg, MDR 1977, 712 (714). Dies kann aber schon aus praktischen Gründen nicht gewollt sein (s. Hamm, Große Strafprozesse, S. 123). Ebenso bewertet Krekeler, AnwBl 1985, 426 (430) ein Verbot, entsprechende Veröffentlichungen zur Kenntnis zu nehmen. 313 BGH, Urt. vom 22.01.1957 – 1 StR 321/56, Rn. 22; Brosius-Gersdorf, TKMR 2002, 356 (363); von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 432; Engels, Rechtspflege, S. 80; Hirzebruch, Neue Medien, S. 322; Knauer, JuS 2012, 711 (715); Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 218; Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 99 f.; Pfeifle, ZG 2010, 283 (297); Witzler, Personale Öffentlichkeit, S. 162. 314 Magnus, in: Digitalisierung, S. 205 (S. 216).
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Kap. 3: Gegen Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
verlassen.315 In zeitlicher Hinsicht folgen aus der Berichterstattung aus dem Gerichtssaal mithin keine zusätzlichen Gefahren. Zuzugeben ist allerdings, dass die Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen die Vorabinformation der Zeugen erleichtern können, indem sie die verbotene Anwesenheit in der mündlichen Verhandlung umfassend und authentisch nachstellen.316 Während nachträgliche Berichte zum Beispiel Lücken aufweisen können, können die Aufnahmen das gesamte Geschehen im Gerichtssaal erfassen. In der Hinsicht stellt die Aufnahmetätigkeit im Gericht durchaus eine weitreichendere Gefahr mit Blick auf die Vorabinformation der Zeugen dar als klassische Gerichtsberichte. Allerdings kann diese Gefahr nicht pauschal für alle Situationen vor Gericht gegen die Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung angeführt werden. Insofern ergeben sich Parallelen zur Argumentation bezüglich der Verhaltensbeeinflussung der Beteiligten:317 In den Rechtsinstanzen, in denen zumeist keine Beweisaufnahme mehr stattfindet, kann sich die Gefahr mangels Zeugen nicht auswirken.318 Sie besteht nur in den Tatsacheninstanzen. Von einer Berichterstattung über jene Stadien der mündlichen Verhandlung, in denen für Zeugen relevante Informationen überhaupt nicht zur Sprache kommen – also in sämtlichen Stadien außer der Beweisaufnahme319 sowie ggf. der Anklageverlesung – geht ebenfalls kein Risiko aus.320 Erst recht gilt dies für das Umfeld der Verhandlung, das selbst von den einschlägigen Vorschriften über die Zeugenvernehmungen nicht erfasst ist. Zuletzt ist zu berücksichtigen, dass nur Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen die in der Verhandlung gesprochenen Inhalte vermitteln, nicht aber Bild-Aufnahmen. Durch sie droht daher auch während der Beweisaufnahme und ggf. der Anklageverlesung in Tatsacheninstanzen keine Vorabinformation.
Altenhain, Gutachten 71. DJT, C 101. Altenhain, Gutachten 71. DJT, C 90; Kortz, AfP 1997, 443 (447); Schorn, LZ 1932, 1408 (1412 f.); Vietmeyer, Vor- und Nachteile, S. 85 f. 317 Vgl. Kap. 3, D. II. 2. c) bb). 318 Von Coelln, AfP 2014, 193 (201); ders., in: Strafrecht und Medien, S. 13 (S. 29); ders., in: MSKB, BVerfGG, § 17a Rn. 141. 319 Altenhain, Gutachten 71. DJT, C 90; Britz, Fernsehaufnahmen, S. 270; ders., in: FS Schiller, S. 81 (S. 99); von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 433; Pfeifle, ZG 2010, 283 (297). 320 Allgemein für eine Differenzierung nach Verfahrensstadien: Hirzebruch, Neue Medien, S. 322. 315 316
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III. Rechtsfindung 1. Relevante Gefahr für die Rechtsfindung Die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege kann durch Gerichtssaalberichte auch im Hinblick auf ihre zweite Ausprägung, die Rechtsfindung, betroffen sein.321 Die Aufgabe der Rechtsfindung wird als ein Teil der Rechtsprechung in Art. 92 Hs. 1 GG den Richtern übertragen. Sie handeln hierbei unabhängig, wie ihnen Art. 97 GG garantiert. Persönlich schützt die Garantie alle Richter, also „sämtliche Personen, die Rechtsprechung ausüben“322. Dies sind Berufsrichter wie Laienrichter.323 Sachlich weist Art. 97 GG zwei Ausprägungen auf: Nach seinem ersten Absatz sind Richter sachlich unabhängig. In seinem zweiten Absatz wird ihnen persönliche Unabhängigkeit garantiert.324 Weil letztere Entlassungen, Amtsenthebungen oder Versetzungen verhindert, hier aber gesellschaftliche Einflüsse in Frage stehen, wird im Folgenden nur die sachliche Unabhängigkeit betrachtet. 2. Schutz des Richters vor gesellschaftlichen Einflüssen In sachlicher Hinsicht garantiert Art. 97 Abs. 1 GG im Hinblick auf staatliche Stellen, dass die Richter bei der Auslegung und Anwendung des Gesetzes keine Weisungen befolgen müssen.325 Sie sind nur dem Gesetz unterworfen. Konkret bedeutet dies zum Beispiel, dass der Gesetzgeber nicht mittels Parlamentsbeschlusses in ihre Arbeit eingreifen darf.326 Zusätzlich könnte Art. 97 Abs. 1 GG auch vor privater, gesellschaftlicher Einflussnahme schützen.327 Manche Autoren
321 Dieser Aspekt spielt in den gesetzgeberischen Überlegungen keine sowie in der Rechtsprechung nur eine untergeordnete Rolle (s. BVerfGE 91, 125 [137]; BGHSt 22, 83 [84]). 322 BVerfGE 26, 186 (201). 323 BVerfGE 4, 331 (344); 26, 186 (201). 324 Classen, in: MKS, GG, Art. 97 Rn. 3; Meyer, Gerichtsprozess, S. 191; Papier, NJW 2001, 1089. 325 Morgenthaler, in: BeckOK GG, Art. 97 Rn. 4. S. schon BVerfGE 3, 213 (224); 21, 139 (145); 60, 175 (214); 87, 68 (85). 326 Detterbeck, in: Sachs, GG, Art. 97 Rn. 12; Morgenthaler, in: BeckOK GG, Art. 97 Rn. 8. 327 So Classen, in: MKS, GG, Art. 97 Rn. 33; von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 206; Detterbeck, in: Sachs, GG, Art. 97 Rn. 18; Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 322; Franke, Bildberichterstattung, S. 54; Hamm, Große Strafprozesse, S. 123; Haratsch, in: Sodan, GG, Art. 97 Rn. 8; Hirzebruch, Neue Medien, S. 175; Morgenthaler, in: BeckOK GG, Art. 97 Rn. 13; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 97 Rn. 9; Schwichow, Publizistik 1962, 205 (214 f.); Witzler, Personale Öffentlichkeit, S. 134.
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Kap. 3: Gegen Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
bezeichnen dies als die „Drittwirkung“328 der richterlichen Unabhängigkeit.329 Tatsächlich geht es jedoch um den Schutzumfang der Unabhängigkeitsgarantie: Schützt sie nur vor staatlichen oder auch vor gesellschaftlichen Einflussnahmen auf die Entscheidungsfindung des Richters? Nur in letzterem Fall kann sie gegen die Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung sprechen. Der Wortlaut des Art. 97 Abs. 1 GG spricht auf den ersten Blick für einen umfassenden Schutz der richterlichen Unabhängigkeit.330 Systematisch wird dagegen jedoch mit der Stellung des Art. 97 Abs. 1 GG im staatsorganisationsrechtlichen Teil des Grundgesetzes argumentiert.331 Die Garantie der richterlichen Unabhängigkeit stelle nur ein internes, zwischen den Staatsorganen geltendes Organisationsprinzip dar.332 Allerdings ist auch einem solchen Prinzip eine grundlegende, objektive Wertentscheidung des Verfassungsgebers zu entnehmen.333 Unabhängig von seiner Position im Grundgesetz folgt daraus jedenfalls eine Schutzpflicht der Legislative, die Beeinträchtigungen aus dem gesellschaftlichen Bereich nicht einfach geschehen zu lassen.334 Die Stellung des Art. 97 Abs. 1 GG im Gesamtgefüge des Grundgesetzes schließt die Berücksichtigung sozialer Einflüsse also nicht aus. Als weiteres Gegenargument wird allerdings die Entstehungsgeschichte der Unabhängigkeitsgarantie angeführt.335 Historisch habe sie vor allem gegen die Einflüsse der Exekutive schützen sollen.336 Das steht jedoch einem zwischenzeitlich eingetretenen Bedeutungswandel nicht entgegen. Zu Einflussnahmen staatlicher Stellen tritt heute der Einfluss durch gesellschaftliche Gruppen wie etwa Parteien oder durch Private wie bspw. Medienunternehmen. Sie können den Richtern rechtlich zwar keine Anweisung erteilen, ihre öffentliche „Stimmungsmache“ könnte ihre Entscheidungen aber faktisch beeinflussen. Diesen neuartigen Gefahren für die richterliche Unabhängigkeit muss sich die verfassungsrechtliche Garantie anpassen. Würde sie die Richter gegen Einflüsse dieser Art nicht abschirmen, entstände faktisch eine Schutzlücke. Dies wäre angesichts der zentralen Bedeutung der richterlichen Unabhängigkeit in einem Rechtsstaat nicht hinnehmbar. Britz, Fernsehaufnahmen, S. 278; Wolf, GerichtsverfassungsR, S. 215. weist Schilken, JZ 2006, 860 (862) darauf hin, dass es dabei nicht um eine Drittwirkung im grundrechtlichen Sinne geht. 330 Hauth, Sitzungspolizei, S. 206. 331 Britz, Fernsehaufnahmen, S. 280. 332 Schilken, JZ 2006, 860 (862); Wolf, GerichtsverfassungsR, S. 215. 333 Detterbeck, in: MKS, GG, Art. 97 Rn. 17; Wolf, GerichtsverfassungsR, S. 215. 334 In diese Richtung Heusch, in: SHH-GG, Art. 97 Rn. 34; Wolf, GerichtsverfassungsR, S. 215. 335 Hauth, Sitzungspolizei, S. 206; Schilken, JZ 2006, 860 (862). 336 Britz, Fernsehaufnahmen, S. 278, 280; Heusch, in: SHH-GG, Art. 97 Rn. 12. 328
329 Zutreffend
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Dem wird zwar entgegengehalten, von den beschriebenen inneren Hemmnissen müssten Richter sich freimachen.337 Die Vorstellung, sie seien von Berufs wegen insbesondere gegen mediale Einflüsse immun, ist weit verbreitet.338 Ihre Immunisierung, so wird im Schrifttum teils vertreten, erfolge auf der einen Seite in der Richterausbildung.339 Andererseits verhinderten der richterliche Berufsethos340 sowie die „grundsätzliche mentale Reserve“341 der Richter ihre allzu starke Beeinflussung. Dieses Idealbild des Richters ist jedoch genau das: ein Bild.342 Nur weil die Richter sich von Einflüssen freimachen sollen, bedeutet das nicht, dass sie dazu auch umfassend in der Lage sind.343 Gegen die Berücksichtigung gesellschaftlicher Einflüsse wird zuletzt damit argumentiert, dass auf diese Weise kein weitergehender Schutz gewährleistet werde als durch ein enges Verständnis des Art. 97 Abs. 1 GG als einer Norm, die nur vor staatlichen Eingriffen schütze.344 Auch die Befürworter eines Schutzes gegen nichtstaatliche Einflüsse wollten schließlich keinen „Naturschutzpark“345 für die Richter errichten. Über deren Tätigkeit solle vielmehr auch nach ihrer Ansicht öffentlich berichtet werden können und sie dürfe öffentlich kritisiert werden.346 Sollten solche Einflussnahmen aber ohnehin zulässig sein, müsse von vornherein kein Schutz gegen nichtstaatliche Einflüsse gewährt werden. Dass Richter im Grundsatz kritisiert werden dürfen, trifft vor dem Hintergrund der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG) zu.347 Es führt aber nicht dazu, dass sie bei einer Auslegung des Art. 97 Abs. 1 GG dergestalt, dass auch die sozialen Einflüsse auf die richterliche Unabhängigkeit berücksichtigt werden, schutzlos gestellt wären. Jedenfalls vor Exzessen sowie Missbräuchen aus 337 So Hillgruber, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 97 Rn. 93 unter Verweis auf BVerfGE 31, 137 (141). 338 BTDrucks 10/4608, S. 20; Becker, DRiZ 1960, 218; Bockelmann, NJW 1960, 217 (220); Kaulbach, ZRP 2009, 236 (238); Schmitt, ZRP 2011, 220 (222); Widmaier, NJW 2004, 399 (402). 339 Kaulbach, ZRP 2009, 236 (238); Kindhäuser, in: FS Wolter, S. 979 (S. 984); Krekeler, AnwBl 1985, 426 (430); Meyer, Gerichtsprozess, S. 218; Rose, SchlHA 2014, 169 (176); Schmidthals, Verfahrensöffentlichkeit, S. 131; Stürner, JZ 1978, 161 (164). 340 Schilken, JZ 2006, 860 (862). 341 Boehme-Neßler, ZRP 2009, 228 (230). 342 Vgl. Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 322; Gerhardt, in: Einfluß der Medien, S. 19 (S. 45); Janisch, DRiZ 2015, 136; Scherer, ZaöRV 1979, 38 (78); Vietmeyer, Vor- und Nachteile, S. 31. 343 So für Laienrichter Schmidt, Justiz und Publizistik, S. 53. 344 Britz, Fernsehaufnahmen, S. 279 f. 345 Kohlhaas, NJW 1963, 477; Wassermann, DRiZ 1963, 294 (296). 346 Vgl. Detterbeck, in: Sachs, GG, Art. 97 Rn. 19; Geuther, DRiZ 2013, 166; Morgenthaler, in: BeckOK GG, Art. 97 Rn. 13. 347 Meyer, Gerichtsprozess, S. 209.
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der Mitte der Gesellschaft, die über die von der Meinungsfreiheit gedeckte Kritik hinausgehen, kann die Unabhängigkeitsgarantie sie bei dieser Auslegung schützen. Sinn und Zweck des Art. 97 Abs. 1 GG sprechen daher für eine Erstreckung des Schutzes auf Einflussnahmen nichtstaatlicher Stellen.348 Zusammenfassend gewährleistet die sachliche Unabhängigkeit des Richters nach Art. 97 Abs. 1 GG nicht nur seinen Schutz vor staatlichen, sondern auch seinen Schutz vor privaten und gesellschaftlichen Einflüssen. 3. Gefahr für die Unabhängigkeit des Richters a) Drohende psychische Befangenheit des Richters Ein gesellschaftlicher Einfluss auf die Richter, so wird befürchtet, könne darin liegen, dass sie infolge der Berichterstattung aus dem Gerichtssaal eine (gesteigerte) psychische Befangenheit empfinden.349 Die durch die Medien hervorgerufene oder jedenfalls vermittelte öffentliche Erwartung eines gewissen Verhandlungsergebnisses könne sie unter Druck setzen, in eine bestimmte Richtung zu entscheiden.350 So könne die Vorverurteilung eines Angeklagten in einem Strafprozess die Richter bspw. auch zu dessen juristischer Verurteilung bewegen351 – oder andersherum: Sie könnten bewusst entgegen der öffentlichen Meinung entscheiden, um Unbefangenheit zu demonstrieren.352 Weiche ihre Entscheidung vom öffentlich erwarteten Urteil ab, könne das die Richter im Anschluss an die Verkündung außerdem unter Rechtfertigungszwang setzen.353 Diesem könnten sie durch eine Entscheidung im Sinne der öffentlichen Meinung zuvorkommen wollen. Selbstkritisch meint Richter am BGH Schmitt dazu: „Selbstverständlich Haratsch, in: Sodan, GG, Art. 97 Rn. 8. Dahs, NJW 1961, 1755 (1756); Ernst, in: FS Herrmann, S. 73 (S. 75 f.); Jahn, DRiZ 2015, 379; Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 56; Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, Vor § 169 GVG Rn. 18, § 169 GVG Rn. 41. 350 Bernzen, in: Medienrecht im Medienumbruch, S. 205 (S. 217); Boehme-Neßler, UFITA 2009, 9 (19); ders., ZRP 2009, 228 (230); ders., AfP 2010, 539 (541, 542); Dahs, NJW 1961, 1755 (1756); Ernst, ZUM 1996, 187 (192); ders., in: FS Herrmann, S. 73 (S. 74 f., 81); Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 321 f.; Gerhardt, Verfassungsmäßigkeit, S. 84; Hirzebruch, Neue Medien, S. 282; Kaulbach, ZRP 2009, 236 (238); Pernice, Medienöffentlichkeit, S. 137; Pfeifle, ZG 2010, 283 (298); Ranft, JURA 1995, 573 (577); Roxin, JZ 1968, 803 (805); ders., in: FS Peters, S. 393 (S. 401); ders., NStZ 1991, 153; ders., in: Einheit und Vielfalt, S. 97 (S. 106); Sarstedt, AfP 1971, 146; Tillmanns, in: FS Schweizer, S. 227 (S. 268); Weiler, StraFo 2003, 186 (188); Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, Vor § 169 GVG Rn. 18, § 169 GVG Rn. 41; Wolf, GerichtsverfassungsR, S. 213. 351 Zimmermann, in: MüKoZPO, § 169 GVG Rn. 43. 352 Koppenhöfer, StV 2005, 172 (173); dies., in: Öffentlichkeit als Richter, S. 60 (S. 62); Meyer, Gerichtsprozess, S. 231 f.; Sarstedt, AfP 1971, 146 (147 f.). 353 DRB, DRiZ 1996, 246 (248). 348 349
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ist es auch Richtern lieber, wenn ihre Entscheidungen in der Öffentlichkeit ‚ankommen‘.“354 Solche Auswirkungen auf die Entscheidungsfindung der Richter kann aber bereits die Präsenz der Zuschauer im Rahmen der Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlung nach § 169 Abs. 1 S. 1 GVG haben. Dies ist auch gewollt: Die Zuschauer der Verhandlung sollen die Richter, wie im zweiten Kapitel gezeigt, mangels formeller Sanktionsmechanismen kontrollieren, indem sie deren Verhalten durch ihre Präsenz beeinflussen.355 Derartige Effekte kann zudem bereits die klassische Gerichtsberichterstattung haben.356 Boehme-Neßler meint zutreffend, es existiere ein „normales, unvermeidliches Maß an Justizbeeinflussung durch Medienberichte“357. Es ist allerdings denkbar, dass der Einfluss infolge der Berichterstattung aus dem Gerichtssaal stärker würde.358 Insbesondere die Kameras und Mikrofone würden nach Ansicht mancher Autoren für zusätzlichen Druck sorgen.359 Einerseits würden die Richter so kontinuierlich auf die Berichterstattung hingewiesen und damit an die Erwartungen der öffentlichen Meinung erinnert. Auf der anderen Seite ermöglichten die Kameras eine Bildberichterstattung, die die Richter personalisiere und auf diese Weise zusätzlichen Druck ausübe.360 Die Richter würden häufig zu Gesichtern „ihrer“ Gerichtsverfahren.361 Sie würden dadurch „aus der Anonymität der Robe [...] herausgerissen“362. Infolgedessen könnten
354 Schmitt, ZRP 2011, 220 (222). Ähnlich auch Noelle-Neumann, in: FS Kriele, S. 507 (S. 520): „Auch die Richter kennen Isolationsfurcht [...]. Das Wissen, das Meinungsklima, die Zustimmung auf ihrer Seite zu haben, wärmt auch sie.“ 355 Vgl. Kap. 2, B. III. 2. b). 356 Altenhain, Gutachten 71. DJT, C 92; Braun, in: Journalistische Kultur, S. 25 (S. 47); Britz, Fernsehaufnahmen, S. 276; Gerhardt, Verfassungsmäßigkeit, S. 87; Hirzebruch, Neue Medien, S. 323; Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 164; Pfeifle, ZG 2010, 283 (298); Schilken, GerichtsverfassungsR, § 12 Rn. 166; Schneider, JuS 1963, 346 (347); Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 95. 357 Boehme-Neßler, ZRP 2009, 228 (230). 358 So DRB, DRiZ 1996, 246 (248). Wohl auch Beck, in: FG Graßhof, S. 129 (S. 137 f.). 359 Janisch, AnwBl 2001, 22; Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 98, 124 f.; Pernice, Medienöffentlichkeit, S. 137; Schmitt, ZRP 2011, 220 (222); Vietmeyer, Vor- und Nachteile, S. 34; Vogel, Fernsehübertragungen, S. 91; Wolf, ZRP 1994, 187 (188); Wolf, GerichtsverfassungsR, S. 216; Wyss, EuGRZ 1996, 1 (2). 360 Vietmeyer, Vor- und Nachteile, S. 34, 36 f. Kritisch zu den Auswirkungen des EMöGG in dieser Hinsicht Franke, NJW 2016, 2618 (2620); Limperg, in: dies./Gerhardt, ZRP 2016, 124 (125); Milger, in: Spiekermann, NJW-aktuell 25/2016, 12 (13). 361 Boehme-Neßler, in: Öffentlichkeit als Richter, S. 20 (S. 23); ders., BilderRecht, S. 147; ders., AfP 2010, 539 (541); Meyer, Gerichtsprozess, S. 214 f. 362 Kohlhaas, DRiZ 1963, 329 (330).
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Kap. 3: Gegen Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
sie, so die Befürchtung, persönlich bedroht werden.363 In Strafprozessen aus dem Bereich organisierter Kriminalität könne die Berichterstattung etwa Gefahren für Leib und Leben mit sich bringen.364 Die Angst vor diesen Risiken könnte die richterliche Entscheidungsfindung beeinflussen. Auch diese Gefahr resultiert prinzipiell zwar bereits aus der Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlung, in deren Folge auch Personen, die dem Richter nicht wohlgesonnen sind, an der Verhandlung teilnehmen und ihn infolgedessen identifizieren können. Der Personenkreis, der sein Gesicht kennt, wächst jedoch infolge der Berichterstattung erheblich an, sodass auch der daraus resultierende Druck größer werden könnte.365 In diesem Fall würden infolge der Gerichtssaalberichterstattung neue Risiken entstehen. b) Bewertung der vermuteten Gefahr aa) Fehlende empirische Fundierung Dass speziell die Gerichtssaalberichterstattung Richter in ihrer Entscheidungsfindung beeinflusst, ist hierzulande bisher empirisch weder nachgewiesen noch widerlegt worden.366 Allerdings existieren Erhebungen, die sich mit dem Einfluss befassen, den die Berichterstattung über Gerichtsverfahren an sich auf die richterliche Entscheidungsfindung hat. Vier für diese Untersuchung besonders relevante Studien werden im Folgenden dargestellt und auf ihre Aussage mit Blick auf die Gerichtssaalberichterstattung hin untersucht.367 Ernst, in: FS Herrmann, S. 73 (S. 81); Murmann, in: Strafrecht und Medien, S. 5 (S. 10); Wickern, in: Löwe/Rosenberg, StPO, § 169 GVG Rn. 41. 364 Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 335 f.; Kaufmann/Tappert/Vetter, DRiZ 2017, 154 (157). 365 Ernst, JR 2007, 392 (394). 366 Boehme-Neßler, UFITA 2009, 9 (19); ders., BilderRecht, S. 135; Britz, Fernsehaufnahmen, S. 276; Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 321; Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 93; Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 201; Mailänder, in: FS Mailänder, S. 547 (S. 560); Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 96; Rose, SchlHA 2014, 169 (176); Sorth, Rundfunkberichterstattung S. 94; Vogel, Fernsehübertragungen, S. 89. 367 Nicht betrachtet wird einerseits die Studie von Wilmes, Krisen-PR, S. 102 f., nach der 72,1 Prozent der Befragten einen Einfluss der Medien auf die Urteilsfindung der Berufsrichter bejahten. Befragt wurden hierfür schließlich nur Strafverteidiger. Ihre Fremdeinschätzung liefert keinerlei Aussagen über den tatsächlichen Einfluss auf betroffene Richter. Andererseits wird die Studie von Glöckner/Dickert/Landsberg/Scholz/Schönfeldt, Entscheidungsverhalten, S. 14 f. nicht weiter untersucht, nach der jedenfalls zurückhaltende Presseberichte kaum einen Einfluss auf die Entscheidungsfindung der Schöffen haben. Vorteilhaft ist hierbei, dass nicht die Selbst- oder die Fremdeinschätzung abgefragt wurde, sondern der Einfluss der Medien experimentell untersucht wurde. Allerdings wurde den Laienrichtern nur eine einzelne Pressemitteilung vorgelegt, deren Einfluss untersucht wurde. Das ist kaum mit der umfassenden Berichter363
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Für die erste Untersuchung, deren Ergebnisse im Jahr 1990 veröffentlicht wurden, bat Gerhardt 25 Richter um Antworten auf die Frage, wie sie den Einfluss der Medien auf das Strafverfahren erlebten.368 Die Richter gaben in dialogischen Interviews an, die Berichte über die von ihnen geleiteten Prozesse zu verfolgen.369 Hinsichtlich der Schuldfrage, so die einhellige Meinung, ließen sie sich davon nicht beeinflussen. Einflüsse auf das Strafmaß schlossen sie dagegen nicht aus.370 Eine zweite Untersuchung führten Kepplinger und Zerback 2006 durch. Sie befragten Richter in fünf Bundesländern, wiederum speziell mit Blick auf den Einfluss der Medien in Strafverfahren.371 Ihre Erhebung ergab, dass fast sämtliche Richter, nämlich 95 Prozent, die Berichte über „ihren“ Prozess verfolgten. 37 Prozent taten dies sogar gezielt.372 Dennoch gaben nur drei Prozent an, die Medienberichte hätten einen Einfluss auf die richterliche Feststellung der Schuld. Dagegen sagten 25 Prozent, die Medien nähmen Einfluss auf die Strafhöhe. 20 Prozent bejahten zudem einen Einfluss auf die Bewilligung der Bewährung und zehn Prozent Konsequenzen für die Anordnung einer Sicherungsverwahrung.373 Die dritte relevante Studie führte Kepplinger 2017 und 2018 zusammen mit Jost und Wohlrabe durch. Ihr Design ist in großen Teilen identisch mit dem der 2006 durchgeführten Erhebung. Befragt wurden Richter in elf Bundesländern.374 Auch in dieser Studie wurde festgestellt, dass fast alle von ihnen, nämlich 98 Prozent, die Berichte über ihre eigenen Verfahren verfolgten. 44 Prozent studier-
stattung vergleichbar, die in medienwirksamen Prozessen potentiell Einfluss auf ihre Entscheidungsfindung nehmen kann (s. Meyer, Gerichtsprozess, S. 225). 368 Gerhardt, in: Einfluß der Medien, S. 19 (S. 20). 369 Gerhardt, in: Einfluß der Medien, S. 19 (S. 21). 370 Gerhardt, in: Einfluß der Medien, S. 19 (S. 23). Die Ergebnisse der Befragung wurden durch jüngere Studien Gerhardts ganz überwiegend bestätigt, s. Gerhardt, in: FS Blankenburg, S. 515 (S. 525 ff.); ders., in: Erosion der Rechtsstaatlichkeit, S. 249 (S. 251); ders., ZRP 2009, 247 (248); ders., in: Öffentlichkeit als Richter, S. 171 (S. 175). 371 Kepplinger, Medieneffekte, S. 206; ders., in: Öffentlichkeit als Richter, S. 154 (155); ders., in: Litigation-PR, S. 219 (S. 222); ders./Zerback, Publizistik 2009, 216 (223); dies., in: Lichtgestalten, S. 153 (S. 160). Kritisch zur Aussagekraft ihrer Studie aber Huff, in: FS Wagner, S. 143 (S. 149). 372 Kepplinger, Medieneffekte, S. 207; ders., in: Öffentlichkeit als Richter, S. 154 (156); ders., in: Litigation-PR, S. 219 (S. 223 f.); ders./Zerback, Publizistik 2009, 216 (224 f.); dies., in: Lichtgestalten, S. 153 (S. 161). 373 Kepplinger, Medieneffekte, S. 213; ders., in: Öffentlichkeit als Richter, S. 154 (164); ders., in: Litigation-PR, S. 219 (S. 233 f.); ders./Zerback, Publizistik 2009, 216 (229 f.); dies., in: Lichtgestalten, S. 153 (S. 165). 374 Kepplinger/Jost/Wohlrabe, Strafprozesse (abrufbar unter www.kepplinger.de/files/Er gebnisse_Umfrage_V2_0.pdf, Stand: 13.12.2019), S. 2.
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ten sie gar gezielt.375 Nur ein Prozent gab aber an, die Schuldfrage werde durch die Medienberichte oder – danach wurde 2006 noch nicht gefragt – durch Onlinekommentare beeinflusst. Einen Einfluss der Berichterstattung auf die Strafhöhe bejahten vier Prozent der Befragten, Folgen für die Bewilligung der Bewährung zwei Prozent, Konsequenzen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung ein Prozent.376 Der signifikante Unterschied zur Einschätzung des Einflusses in der Studie 2006 ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass damals abstrakt nach Einflüssen auf Gerichtsverfahren gefragt wurde. 2018 wurden Richter dagegen konkret nach einem Einfluss der Medien auf „ihre“ Verfahren gefragt.377 Während viele Richter sich generell vorstellen können, dass mediale Berichterstattung einen Einfluss auf die richterliche Entscheidungsfindung hat, hat demnach nur ein überaus geringer Anteil einen derartigen Einfluss tatsächlich schon einmal gespürt. Alle Studien legen damit gewisse Einflüsse der Gerichtsberichterstattung auf die richterliche Entscheidungsfindung nahe. Die Tatsache, dass der Einfluss über den Verlauf von beinahe 30 Jahren von den Befragten stets ähnlich beschrieben und bewertet wurde, unterstützt diese Annahme.378 Der Schluss muss jedoch dreifach eingeschränkt werden: Erstens nahmen alle Studien nur Strafverfahren in den Blick. Wie die Erhebungen für andere Verfahrensarten ausgefallen wären, ist offen. Eine weitere Einschränkung ergibt sich aus der gewählten Methode: Es fanden keine Messungen statt, sondern Befragungen der Betroffenen.379 Es ist durchaus möglich, dass die Richter den Einfluss der medialen Berichterstattung auf sich falsch einschätzten. Bemerkenswert ist in dieser Hinsicht, dass Kepplinger und Zerback 2006 davon ausgingen, dass die Richter den Einfluss der Me dien eher unter- als überschätzten.380 Zuletzt war die Grundgesamtheit der drei Studien relativ gering, sodass ihre Repräsentativität begrenzt ist.381 Kepplinger/Jost/Wohlrabe, Strafprozesse (abrufbar unter www.kepplinger.de/files/Er gebnisse_Umfrage_V2_0.pdf, Stand: 13.12.2019), S. 4. 376 Kepplinger/Jost/Wohlrabe, Strafprozesse (abrufbar unter www.kepplinger.de/files/Er gebnisse_Umfrage_V2_0.pdf, Stand: 13.12.2019), S. 13. 377 Kepplinger, in: Selbach, prmagazin 07/2018, 38 (40). 378 So im Vergleich der Studien von 1990 und 2006 auch Meyer, Gerichtsprozess, S. 185. 379 Darauf weisen Kepplinger, in: Öffentlichkeit als Richter, S. 154 (S. 167); ders./Zerback, Publizistik 2009, 216 (235); dies., in: Lichtgestalten, S. 153 (S. 170 f.) hin. Daneben betont Gerhardt, in: Einfluß der Medien, S. 19 (S. 20); ders., in: FS Blankenburg, S. 515 (S. 525) seine Eigenschaft als „Laien-Empiriker“. 380 Kepplinger, Medieneffekte, S. 214 f.; ders., in: Öffentlichkeit als Richter, S. 154 (S. 167); ders./Zerback, Publizistik 2009, 216 (234 f.); dies., in: Lichtgestalten, S. 153 (S. 169 f.). Ähnlich für die Studie 2017/18 auch Kepplinger, in: Selbach, prmagazin 07/2018, 38 (45). 381 So für die Studien 1990 und 2006 Gerhardt, in: Einfluß der Medien, S. 19 (S. 20); Kepp 375
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Eine weitere einschlägige Studie stammt von Sternberg, Gschwend, Wittig sowie Engst und verfolgt methodisch einen anderen Ansatz: Sie analysiert alle Entscheidungen des BVerfG in abstrakten Normenkontrollverfahren und Bund-Länder-Streitigkeiten von 1974 bis 2010 daraufhin, ob sie der auf der Grundlage diverser Umfragen erhobenen öffentlichen Meinung zur zugrunde liegenden Frage entsprachen.382 Dadurch fanden die Autoren heraus, dass die Wahrscheinlichkeit einer Entscheidung i. S. des Antragstellers mit der zunehmenden Unterstützung der Öffentlichkeit für die behandelte Frage anstieg.383 Sie gingen hierbei davon aus, dass die Medien diese öffentliche Meinung wiedergeben und prägen.384 Zwei Kritikpunkte an den zuvor geschilderten Studien lassen sich für diese Untersuchung nicht anbringen: Wegen der hohen Zahl der untersuchten Entscheidungen bestehen keine Bedenken hinsichtlich der Repräsentativität. Des Weiteren beruhen die Ergebnisse nicht auf einer Selbsteinschätzung der Richter. Problematisch bleibt aber, dass die Studie sich mit dem bundesverfassungsgerichtlichen Verfahren auf eine einzige Verfahrensart bezieht, die zudem erhebliche Besonderheiten gegenüber anderen Verfahrensarten aufweist. Dennoch bestätigt sie den Tenor der drei übrigen Studien: Richter werden durch die Gerichtsberichterstattung beeinflusst. Weil sich alle Studien jedoch auf den Status Quo beziehen, lassen sich aus ihnen keinerlei Schlüsse auf den Einfluss der heute nicht gestatteten Gerichtssaalberichterstattung auf die Entscheidungsfindung der Richter ziehen. Dies betrifft besonders die aktuell überwiegend verbotenen Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen der Verhandlung. 1998 führte Gehring zwar eine Studie durch, für die er auch Richter zu den erwarteten Auswirkungen von Fernsehaufnahmen während der Verhandlung befragte. 72,1 Prozent der Befragten meinten, dass die Urteilsfindung dadurch behindert wird. 60 Prozent waren der Ansicht, dass infolgedessen höhere Strafen ausgesprochen werden. Allerdings, darauf weist auch Gehring selbst hin: Bei diesen Aussagen handelt es sich um Vermutungen. Eigene Erfahrungen mit Aufnahmen konnten die befragten Richter nicht sammeln.385 Diese
linger, Medieneffekte, S. 214; ders., in: Öffentlichkeit als Richter, S. 154 (S. 167); ders./Zerback, Publizistik 2009, 216 (234); dies., in: Lichtgestalten, S. 153 (S. 169). Dasselbe lässt sich aber auch für die jüngste Studie sagen, deren Grundgesamtheit mit 415 Richtern aus elf Bundesländern noch ein wenig geringer war als die der 2006 in fünf Ländern durchgeführten Studie (s. Kepplinger/Jost/Wohlrabe, Strafprozesse [abrufbar unter www.kepplinger.de/files/Ergeb nisse_Umfrage_V2_0.pdf, Stand: 13.12.2019], S. 3). 382 Sternberg/Gschwend/Wittig/Engst, PVS 56 (2015), 570 (572, 578 ff.). 383 Sternberg/Gschwend/Wittig/Engst, PVS 56 (2015), 570 (572 f., 587, 591). 384 Sternberg/Gschwend/Wittig/Engst, PVS 56 (2015), 570 (590). 385 Gehring, ZRP 2000, 197 (198).
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Kap. 3: Gegen Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
Einschränkung, ebenso wie die wiederum recht geringe Grundgesamtheit,386 führt dazu, dass die Erhebung nur sehr beschränkt bei der Antwort auf die Frage helfen kann, wie speziell die Gerichtssaalberichterstattung die richterliche Entscheidungsfindung beeinflusst. Bereits eine Beeinflussung durch klassische Gerichtsberichterstattung liegt damit zwar nahe, lässt sich aber nur mit Einschränkungen bejahen. Die jüngste Studie von Kepplinger, Jost und Wohlrabe zeigt, dass zwar viele Richter einen solchen Einfluss vermuten, aber nur sehr wenige ihn schon einmal empfunden haben. Wie sich speziell die Berichterstattung aus dem Gerichtsaal auf die Richter auswirken würde, lässt sich den dargestellten Erhebungen zudem gar nicht entnehmen. Denkbar ist zwar, dass der überaus plausible Einfluss der Medien infolge der Aufnahmen und Textberichte in Echtzeit verstärkt würde. Insofern könnte eine Parallele zum für die Wahrheitsfindung relevanten Zuschauereffekt gezogen werden:387 Womöglich nimmt die schon heute wahrscheinliche Beeinträchtigung der Richter infolge der Berichterstattung aus dem Gericht selbst noch einmal zu. Ebenso ist es aber, wie für die Wahrheitsfindung gezeigt, denkbar, dass Medienberichte sich positiv auf die Entscheidungsfindung auswirken, indem sie die Richter an ihre Verantwortung erinnern und sie so zu einem besonders sorgfältigen Arbeiten anhalten.388 Möglich ist darüber hinaus, dass mit der Zeit ein Gewöhnungseffekt eintritt. bb) Divergierende Gefahren für die Unabhängigkeit des Richters (1) Differenzierung nach Instanzen Die beschriebenen Gefahren für die Rechtsfindung drohen zudem womöglich nicht in allen Situationen vor Gericht im selben Umfang. Die befürchteten negativen Effekte einmal vollumfänglich unterstellt und mögliche positive Auswirkungen außer Betracht gelassen, könnte zwischen den unterschiedlichen Instanzen zu differenzieren sein. Teilweise wird vertreten, die Beeinflussung der richterlichen Entscheidungsfindung drohe in den Rechtsinstanzen in einem geringeren Maß als in den Tatsacheninstanzen,389 weil in ersteren Instanzen nur erfahrene Berufsrichter tätig würden.390 Allgemein werden in der Literatur die Gefahren für die Entschei386 Beantwortet wurden insgesamt 115 Fragebögen, davon aber nur 35 von Richtern (s. Gehring, ZRP 2000, 197 [198]). 387 Vgl. Kap. 3, D. II. 2. c) aa). 388 Hirzebruch, Neue Medien, S. 324. 389 So wohl auch Hirzebruch, Neue Medien, S. 324, der darauf abstellt, ob die Richter vorrangig Tatsachen- oder Rechtsfragen klären müssen. 390 Stürner, JZ 1978, 161 (168).
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dungsfindung der Laienrichter infolge der Berichterstattung als größer eingeschätzt als für die Entscheidung der Berufsrichter.391 Ersteren fehle schließlich die Erfahrung im Umgang mit der Öffentlichkeit.392 Die Berufsrichter dächten außerdem aufgrund ihrer juristischen Ausbildung analytisch und könnten äußere Einflüsse daher besser ausblenden.393 Wieso dieses Idealbild eines Richters nicht der Wirklichkeit entsprechen muss, wurde bereits erörtert.394 Hiervon ging erkennbar auch der Gesetzgeber aus: Schöffen zum Beispiel nehmen gemäß § 30 Abs. 1 GVG „das Richteramt in vollem Umfang und mit gleichem Stimmrecht wie die Richter“ wahr.395 Ebenso versieht bspw. der ehrenamtliche Richter am Sozialgericht gemäß § 30 Abs. 1 SGG sein Amt „mit gleichen Rechten wie der Berufsrichter“. Ob überwiegend Berufs- oder Laienrichter entscheiden, ist daher sowohl rechtlich als auch faktisch irrelevant, sodass die Risiken für die richterliche Entscheidungsfindung in allen Instanzen bestehen könnten. (2) Differenzierung nach Verfahrensarten Mit derselben Begründung kann nicht zwischen Verfahrensarten unterschieden werden. An allen Gerichten werden schließlich Richter tätig, die durch die Gerichtssaalberichterstattung in ihrer Entscheidungsfindung beeinträchtigt werden könnten.396 Einen Sonderfall könnte nur das BVerfG darstellen, wenn dessen Richter infolge ihres besonders häufigen sowie intensiven Medienkontaktes397 weniger beeinflussbar wären als die Richter der Fachgerichte.398 Als Mitglieder eines Verfassungsorgans könnten sie in dieser Hinsicht eher Politikern gleichzustellen sein als ihren Richterkollegen. Dagegen spricht jedoch die Studie von 391 Bornkamm, Pressefreiheit, S. 217; Britz, Fernsehaufnahmen, S. 280; Brüggemann, AfP 1971, 155 (157); von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 208; Dahs, AnwBl 1959, 171 (180); ders., NJW 1961, 1755 (1756); DRB, 1996, 246 (248); Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 134, 322 f.; Gerhardt, Verfassungsmäßigkeit, S. 84; Hillermeier, DRiZ 1982, 281 (283); Jahn, in: Einfluß der Medien, S. 5 (S. 13); ders., in: Öffentlichkeit als Richter, S. 11 (S. 18); Koppenhöfer, in: Öffentlichkeit als Richter, S. 60 (S. 62); Lampe, NJW 1973, 217 (220); Lilie, in: AEStuM, S. 116 (S. 132); Meyer, Gerichtsprozess, S. 225 f.; Quoirin, DRiZ 1995, 364; Ranft, JURA 1995, 573 (577); Rinsche, ZRP 1987, 384 (385); Sarstedt, JR 1956, 121 (124); ders., AfP 1971, 146; Schmidt, Sache der Justiz, S. 25; ders., Justiz und Publizistik, S. 53; Stürner, JZ 1978, 161 (164); Tillmanns, in: FS Schweizer, S. 227 (S. 268); Vietmeyer, Vor- und Nachteile, S. 31; Wassermann, in: Justiz und Medien, S. 30 (S. 46); Wolf, GerichtsverfassungsR, S. 211 f. 392 DRB, Gutachten, S. 144. 393 Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 323. 394 Vgl. Kap. 3, D. III. 2. 395 Hierauf verweist auch das BVerfG in BVerfGE 119, 309 (329). 396 Ernst, in: FS Herrmann, S. 73 (S. 75 f.). 397 Fromme, in: FS Faller, S. 415 (S. 425). 398 So Hofmann, ZRP 1996, 399 (403).
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Kap. 3: Gegen Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
Sternberg, Gschwend, Wittig und Engst, die eine Beeinflussung der Verfassungsrichter jedenfalls durch die klassische Gerichtsberichterstattung festgestellt hat. Auch am BVerfG könnte demnach die Rechtsfindung durch Gerichtssaalberichte beeinträchtigt werden. (3) Differenzierung nach Verfahrensabschnitten Eine Differenzierung soll auch zwischen den Abschnitten des Verfahrens in Betracht kommen. Die Berichterstattung aus dem Umfeld einer Verhandlung, so wird argumentiert, tangiere die Entscheidungsfindung nicht bzw. nur in abgeschwächter Form.399 Die Entscheidung werde schließlich erst in der mündlichen Verhandlung getroffen. Während der Verhandlung wird die Entscheidungsverkündung selbst als im Hinblick auf die Rechtsfindung unproblematisch eingestuft.400 Zu diesem Zeitpunkt sei die Entscheidungsfindung schließlich bereits beendet.401 Für Strafverfahren wird aus demselben Grund vertreten, eine Beeinflussung des Richters sei nach dem letzten Wort des Angeklagten undenkbar.402 Die Anwesenheitsfeststellung zu Beginn der Verhandlung könne die Rechtsfindung außerdem nicht beeinträchtigen, da sie nur eine Formalie darstelle.403 Die dargestellten Gefahren für die richterliche Unabhängigkeit können aber, so sie denn existieren, aus der Arbeit der Medien im Gericht unabhängig von deren Zeitpunkt folgen. Fernsehbeiträge, die den Angeklagten vorverurteilen und die Richter damit unter Druck setzen, könnten sie unabhängig davon beeinträchtigen, ob Aufnahmen des Angeklagten bei der Vernehmung oder auf seinem Weg in den Sitzungssaal gezeigt werden. Ob Fotografien den Richter bei der Feststellung der Anwesenheit oder während der Beweisaufnahme zeigen, macht für seine Identifizierbarkeit und für die daraus folgenden Gefahren ebenfalls keinen Unterschied. Nur während der Entscheidungsverkündung, bei der das Urteil bereits feststeht, könnte danach ein Einfluss auf die Entscheidungsfindung ausgeschlossen
BVerfGE 91, 125 (137); Brosius-Gersdorf, TKMR 2002, 356 (360); Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 339; Hirzebruch, Neue Medien, S. 282; Lilie, in: AE-StuM, S. 116 (S. 130). 400 Altenhain, Gutachten 71. DJT, C 95; Classen, in: MKS, GG, Art. 97 Rn. 33; Gündisch/ Dany, NJW 1999, 256 (260); Janisch, DRiZ 2015, 136; Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 234; Lilie, in: AE-StuM, S. 116 (S. 132); Rose, SchlHA 2014, 169 (176). 401 BVerfG, NJW 2000, 2890 (2891); Bamberger, ZUM 2001, 373 (377); Gersdorf, in: Gerichts-TV, S. 23 (S. 31 f.); Kreicker, ZIS 2017, 85 (104); Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 234; Rose, SchlHA 2014, 169 (176). 402 Rose, SchlHA 2014, 169 (176). 403 Gündisch/Dany, NJW 1999, 256 (260). Für Aufnahmen des Prozessauftaktes generell auch Classen, in: MKS, GG, Art. 97 Rn. 33. 399
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sein. Wie gezeigt,404 ist jedoch nach aktuellem Forschungsstand denkbar, dass die Berichterstattung in einem früheren Stadium der Verhandlung Nachwirkungen auf deren spätere Stadien hat. Auch bei der Entscheidungsverkündung kann sich ein Gerichtssaalbericht daher womöglich negativ auswirken.405 Dies muss im Rahmen der empirischen Erforschung der Einflüsse dieser Form der Berichte jedoch noch näher untersucht werden. (4) Differenzierung nach Medienformen Differenziert wird von manchen Autoren zuletzt nach Medienformen. So wird vertreten, der Druck, der von Bild/Ton-Aufnahmen ausgehe, sei größer als der Druck durch Bild-Aufnahmen, da die bewegten Bilder einen intensiveren Eindruck hervorriefen und die Wiedererkennung so erleichterten.406 Argumentiert wird umgekehrt aber auch, der Druck werde durch die Berichterstattung mittels Aufnahmen gesenkt. Die authentische Wiedergabe der Verhandlung könne tendenziöse und dadurch potentiell beeinflussende Berichte zurückdrängen.407 Speziell Laienrichter ließen sich schließlich eher durch kommentierende Presseberichte beeinflussen als durch eine neutrale Übertragung der Verhandlung im Fernsehen.408 Bereits der Grundannahme ist jedoch zu widersprechen: Auch eine Berichterstattung mit Originalaufnahmen kann tendenziös sein. Wie gezeigt, kommt es auf die Gestaltung der Berichte an, ob der Angeklagte zum Beispiel als schuldig oder unschuldig dargestellt wird.409 Selbst wenn die mündliche Verhandlung in ihrer Gesamtheit und unbearbeitet übertragen würde, könnte die Wahrnehmung des Geschehens außerdem zum Beispiel durch die Wahl der Kameraperspektive beeinflusst werden.410 Daher bestehen die Gefahren potentiell infolge der Berichte in jeglicher Medienform.
IV. Ergebnis zur Funktionsfähigkeit der Rechtspflege Die Frage, inwiefern die Gerichtssaalberichterstattung die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege gefährdet und, sofern sie dies tut, ob die Gefahr gravierender ist als die Risiken infolge klassischer Gerichtsberichte, kann nach dem aktuellen 404
Vgl. Kap. 3, D. II. 2. c) bb) (2). BGHSt 22, 83 (84); Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 143; Kujath, Laienjournalismus, S. 264 f.; Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 60; Wolf, ZRP 1994, 187 (189). 406 Pernice, Medienöffentlichkeit, S. 137; Vogel, Fernsehübertragungen, S. 91. 407 Altenhain, Gutachten 71. DJT, C 92. 408 Vogel, Fernsehübertragungen, S. 91. 409 Vgl. Kap. 3, C. 410 Vgl. Beater, AfP 2005, 133 (134). 405
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Kap. 3: Gegen Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
Stand der Forschung nicht abschließend beantwortet werden. Ob die Funktionsfähigkeit in ihrer Ausprägung als Wahrheitsfindung durch Gerichtssaalberichte gefährdet wird, da die Verfahrensbeteiligten ihr Verhalten verändern, wurde empirisch bislang noch nicht erforscht. Keine Gefahr geht von vornherein aber nur von der Berichterstattung aus den Rechtsinstanzen und den Verhandlungen am BVerfG aus. Im Hinblick auf die richterliche Entscheidungsfindung und damit auf die Rechtsfindung als Ausprägung der Funktionsfähigkeit wurde ein nachteiliger Einfluss der Gerichtssaalberichte empirisch bislang ebenso wenig nachgewiesen. Ein Risiko für die Wahrheitsfindung in der Form, dass die Zeugen vorab in einer Art und Weise über den Inhalt der Verhandlung informiert werden, die über die Information durch klassische Gerichtsberichte hinausgeht, besteht dagegen schon nach heutigem Forschungsstand. Diese Gefahr droht aber nicht in allen Situationen vor Gericht.
E. Recht auf ein faires Verfahren I. Grundlagen des Rechts auf ein faires Verfahren Das Recht der Beteiligten auf ein faires Verfahren wird durch Art. 6 EMRK garantiert.411 Das BVerfG leitet zudem in stRspr aus der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip den Anspruch auf ein faires Verfahren her.412 Am Maßstab dieses allgemeinen Prozessgrundrechts413 seien jene Ausprägungen des Rechts auf ein faires Verfahren zu messen, die nicht explizit im Grundgesetz geregelt seien.414 Unterstützend weist das BVerfG auf die „in einem materiell verstandenen Rechtsstaatsprinzip verbürgten Grundrechte[...] und Grundfreiheiten des Menschen“415 hin sowie auf die Menschenwürdegarantie, die „es verbietet, den Menschen zum bloßen Objekt eines staatlichen Verfahrens herabzuwürdigen, und von daher einen Mindestbestand an aktiven verfahrensrechtlichen Befugnissen des Angeklagten voraussetzt.“416
411
Beachte im Anwendungsbereich der GrCh auch Art. 47 UAbs. 2 GRCh. BVerfGE 39, 156 (163); 110, 339 (342); 118, 212 (231); 119, 309 (324); 130, 1 (25). 413 So nur BVerfGE 57, 250 (275); 110, 339 (342); 118, 212 (231). 414 BVerfGE 57, 250 (274 f.); 109, 13 (34); 122, 248 (271); 130, 1 (25); BVerfG, NJW 2015, 1235 (1236). 415 BVerfGE 57, 250 (274). 416 BVerfGE 57, 250 (274). Eine Darstellung der abweichenden Begründungen für das Recht auf ein faires Verfahren in Rechtsprechung und Literatur findet sich m. w. N. bei Brunhöber, ZIS 2010, 761 (762). 412
E. Recht auf ein faires Verfahren
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Der Gewährleistungsgehalt des Rechts auf ein faires Verfahren ist nicht abstrakt zu umschreiben.417 Er muss vielmehr mit Blick auf die jeweiligen sachlichen Gegebenheiten konkretisiert werden.418 Eine Ausprägung des Rechts auf ein faires Verfahren, die in Strafverfahren relevant wird, ist die effektive Verteidigung des Angeklagten.419 Jene Teilgewährleistung garantiert es ihm, „prozessuale Rechte und Möglichkeiten mit der erforderlichen Sachkunde selbständig wahrnehmen und Übergriffe [...] staatlicher Stellen oder anderer Verfahrensbeteiligter angemessen abwehren zu können.“420 Zu diesem Zweck kann er in der Gerichtsverhandlung selbst tätig werden, aber auch einen Verteidiger beauftragen (§ 137 Abs. 1 S. 1 StPO).421 Tut er letzteres, wird die vertrauliche Kommunikation mit diesem Rechtsanwalt durch das Recht auf ein faires Verfahren geschützt.422 Die Gerichtssaalberichterstattung, so wird argumentiert, beeinträchtigt die effektive Verteidigung des Angeklagten.423
II. Gefahren für die Verteidigungsfähigkeit des Angeklagten Auf der einen Seite wird vertreten, die Berichterstattung mindere die Verteidigungsfähigkeit424 und Verteidigungsbereitschaft425 des Angeklagten. Das habe zwei Gründe: Einerseits lenke die Gerichtssaalberichterstattung ihn von seiner Verhandlung ab.426 Durch Aufnahmen im Umfeld der mündlichen Verhandlung Beulke, in: SSW-StPO, Einleitung Rn. 77; Robbers, in: BK, Art. 20 Abs. 1 Rn. 2749. BVerfGE 57, 250 (275 f.); Kraft, EuGRZ 2014, 666 (668); Meyer, in: Karpenstein/Mayer, EMRK, Art. 6 Rn. 9; Robbers, in: BK, Art. 20 Abs. 1 Rn. 2750; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 216. 419 Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 103 Rn. 43; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 138; Lorenz, in: BK, Art. 2 Abs. 1 Rn. 224. Vgl. auch BVerfGE 65, 171 (174 f.). 420 BVerfGE 38, 105 (111). S. auch BVerfGE 122, 248 (271 f.); 133, 168 (200). 421 BVerfGE 38, 105 (111); 110, 226 (253 f.); 133, 168 (203); Hofmann, in: SHH-GG, Art. 20 Rn. 64; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 139; Murswiek/Rixen, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 115. 422 BVerfGE 113, 29 (47); Hofmann, in: SHH-GG, Art. 20 Rn. 64; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 139; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 Rn. 217. 423 BGHSt 16, 111 (114); Braun, Medienberichterstattung, S. 213, 215; Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 334, 403, 407; Gerhardt, DRiZ 1999, 8; Hamm, in: Strafverteidigung im Rechtsstaat, S. 139 (S. 146); Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 82; Kreicker, ZIS 2017, 85 (102); Sarstedt, JR 1956, 121 (123); Siebrasse, StV 2001, 661 (662). So wohl auch BVerfG, NJW 1996, 581 (583); BGH, Urt. vom 22.01.1957 – 1 SrE 321/56, Rn. 22; Hauth, Sitzungspolizei, S. 201. 424 Eberle, ZDF-Jahrbuch 1992, 158; ders., NJW 1994, 1637 (1638); Kortz, AfP 1997, 443 (446 f.). 425 Engels, Rechtspflege, S. 75. 426 BTDrucks III/2037, S. 43; BTDrucks IV/178, S. 45; Pernice, Medienöffentlichkeit, S. 135, 140; Schorn, LZ 1932, 1408 (1412). 417 418
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Kap. 3: Gegen Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
etwa würden ihm die Kraft, die innere Ruhe bzw. die Konzentration genommen, die er für die Verhandlung benötige.427 Zur Abschirmung müsse oft sein Verteidiger tätig werden, etwa indem er eine Zeitung bereitstelle, hinter der der Angeklagte sich verbergen könne.428 Auch die Konzentration des Verteidigers könnten die Gerichtssaalberichte daher beeinträchtigen. Die Berichterstattung während der Verhandlung könne zudem dazu führen, dass er während seines Vortrags von den Gedanken über seine Außenwirkung abgelenkt sei und sich deshalb nicht auf die Verhandlung konzentrieren könne.429 Des Weiteren könnten die Berichte die Angriffs- und die Artikulationsfähigkeit des Angeklagten bzw. seines Verteidigers beeinträchtigen.430 So könnten sie davon abgehalten werden, auf die Weise auszusagen oder die Erklärungen abzugeben, die zu Verteidigungszwecken erforderlich wären.431 Solche Auswirkungen der Berichterstattung aus dem Gericht auf die effektive Verteidigung des Angeklagten wurden hierzulande jedoch bislang weder nachgewiesen noch widerlegt.432 Im Ergebnis handelt es sich hierbei um eine besondere Ausprägung der bereits untersuchten Verhaltensbeeinflussung der Verfahrensbeteiligten.433 Nicht ausgeschlossen ist daher, dass im Hinblick auf Verteidigungs-, Artikulations- und Angriffsfähigkeit des Angeklagten und seines Verteidigers der beschriebene Zuschauereffekt eintritt.434 Angeklagte, die ohnehin zurückhaltend sind, könnten sich bspw. infolge der Berichterstattung noch weiter in sich zurückziehen. Derartiges wäre im Grundsatz allerdings eine Folge der Öffentlichkeit gemäß § 169 Abs. 1 S. 1 GVG. Auch die klassischen Gerichtsberichte, die infolgedessen möglich sind, könnten schließlich solche Auswirkungen haben.435 So
427 Alwart, JZ 2014, 1091 (1096); Engels, Rechtspflege, S. 26 f.; Murmann, in: Strafrecht und Medien, S. 5 (S. 9); Norouzi, StV 2016, 590 (592); Schäfer, JR 2008, 119; Schlothauer, StV 2015, 665 (666); Schmidt, Justiz und Publizistik, S. 11. 428 Arnoldi, StRR 2014, 384 (386). 429 Pernice, Medienöffentlichkeit, S. 136 f.; Sarstedt, JR 1956, 121 (123). 430 Eberle, ZDF-Jahrbuch 1992, 158; ders., NJW 1994, 1637 (1638); Kortz, AfP 1997, 443 (446 f.). 431 BTDrucks III/2037, S. 43 f.; BTDrucks IV/178, S. 45; Czybulka/Kluckert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 55 Rn. 17; Gerhardt, Verfassungsmäßigkeit, S. 78 f.; Schlüter, AfP 2009, 557 (562); Vogel, Fernsehübertragungen, S. 85 f. 432 Altenhain, Gutachten 71. DJT, C 91; Britz, Fernsehaufnahmen, S. 281; Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 335; Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 97; Sorth, Rundfunkberichterstattung S. 179; Strate, Referat 71. DJT, M 43 (M 45 f.). Dabei betont Braun, in: Journalistische Kultur, S. 25 (S. 46), auch einschlägige US-amerikanische Studien bewiesen diese Auswirkungen nicht. 433 Zu dieser Verhaltensbeeinflussung ausführlich: Kap. 3, D. II. 2. 434 Britz, Fernsehaufnahmen, S. 281. 435 Scherer, Medienöffentlichkeit, S. 89.
E. Recht auf ein faires Verfahren
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könnten Interviewanfragen im Umfeld einer Verhandlung bspw. ebenfalls die Konzentration des Angeklagten stören.436 Denkbar ist wiederum nur, dass der Effekt durch die Gerichtssaalberichterstattung verstärkt wird.437 Ebenso wie für das Verhalten der Verfahrensbeteiligten allgemein dargestellt, könnte sich die Berichterstattung aber auch positiv auf das Verteidigungsverhalten auswirken,438 zum Beispiel indem der Angeklagte besonders gewissenhaft an seinem Prozess mitwirkt. Auch ein Gewöhnungseffekt, der insbesondere bei den regelmäßig vor den Medien auftretenden Verteidigern eintreten könnte, ist denkbar. Um die Auswirkungen auf die Verteidigung des Angeklagten ermessen zu können, ist mithin eine empirische Erforschung nötig. Die negativen Wirkungen einmal unterstellt und positive Folgen außer Betracht gelassen, ist zwischen den verschiedenen Situationen vor Gericht zu unterscheiden. Die effektive Verteidigung des Angeklagten kann der Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung schließlich von vornherein nur in Bezug auf Strafverfahren entgegengehalten werden. Des Weiteren könnte, erstens, zwischen den unterschiedlichen Verfahrensabschnitten unterschieden werden. Während der Beweisaufnahme439 und Vernehmung440, so wird argumentiert, könne der Angeklagte in seinem Vorbringen und damit in seiner effektiven Verteidigung beeinträchtigt sein. Während der Verlesung der Anklageschrift und der Schlussvorträge werde die Verteidigung aber noch nicht bzw. nicht mehr tangiert.441 Teils wird daneben während der Entscheidungsverkündung keine Gefahr hierfür mehr angenommen.442 Zu diesem Zeitpunkt habe das Gericht seine Entscheidung bereits getroffen, sodass keine Verteidigung mehr stattfinde.443 Auch soll die Berichterstattung im Umfeld einer Verhandlung sie nicht beeinträchtigen können.444 In jenem Zeitraum finde schließlich keine Verteidigung statt.445 Während der Entscheidungsverkündung haben die Beteiligten aber noch die Möglichkeit, Anträge zu stellen. In ihrer Entscheidung hierüber könnten die Me-
436
BVerfG, NJW 2014, 3013 (3015). Gerhardt, Verfassungsmäßigkeit, S. 78 f.; Vietmeyer, Vor- und Nachteile, S. 82. 438 Vietmeyer, Vor- und Nachteile, S. 83 f. 439 Altenhain, Gutachten 71. DJT, C 91 f. 440 Britz, Fernsehaufnahmen, S. 282. 441 Gerhardt, Verfassungsmäßigkeit, S. 81 ff. 442 BTDrucks III/2037, S. 44; BTDrucks IV/178, S. 46; Gerhardt, Verfassungsmäßigkeit, S. 113. 443 BTDrucks III/2037, S. 44; BTDrucks IV/178, S. 46. 444 Brosius-Gersdorf, TKMR 2002, 356 (362). 445 Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 339. 437
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Kap. 3: Gegen Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
dienvertreter sie beeinflussen.446 Der Schlussvortrag des Verteidigers, der auf den Vortrag des Staatsanwalts folgt (§ 258 Abs. 1 StPO), ist zudem noch der Verteidigung zuzurechnen, sodass diese während der Plädoyers ebenfalls noch nicht abgeschlossen ist. Diese Situationen können daher schon nach aktuellem Forschungsstand nicht unbeachtet bleiben. Mit Blick auf die Anklageverlesung und das Umfeld der Verhandlung ist dagegen wiederum eine mögliche Vor- bzw. Fortwirkung einer Beeinträchtigung durch Gerichtssaalberichte zu bedenken.447 Besonders Berichte zu oder vor Beginn der Verhandlung und in deren Pausen könnten wegen des engen zeitlichen Zusammenhangs mit den Phasen, in denen der Angeklagte sich verteidigen muss, seine Verteidigung beeinträchtigen.448 Die empirische Forschung muss erst noch zeigen, ob in diesen Phasen tatsächlich keine Gefahren für die Verteidigungsfähigkeit des Angeklagten bestehen. Zu überlegen ist, zweitens, ob zwischen den Instanzen zu unterscheiden ist. Wie gezeigt, ist der Angeklagte in den Rechtsinstanzen oft nicht anwesend und kann demzufolge selbst nicht in seiner Verteidigung beeinträchtigt werden.449 Mit Blick auf seinen Verteidiger ist eine Beeinträchtigung zwar weiterhin möglich. Diesbezüglich könnte jedoch der erwähnte Gewöhnungseffekt zu berücksichtigen sein, der bei professionellen Verfahrensbeteiligten eintreten könnte. Nur wenn sich dieser Effekt im Rahmen der empirischen Erforschung nachweisen ließe, würde die Beeinflussung der Verteidigung des Angeklagten in den Rechtsinstanzen geringer ins Gewicht fallen. Drittens könnte zwischen den verschiedenen Medienformen unterschieden werden. Es ist zwar denkbar, dass bspw. zudringlich geäußerte Interviewwünsche für einen Live-Blog den Angeklagten oder dessen Verteidiger ablenken. Aus dem praktischen Bedürfnis der Kameraleute und der Mikrofonträger nach räumlicher Nähe zum aufgenommenen Geschehen könnten aber größere Risiken resultieren. Allerdings muss beachtet werden, dass bereits die Unsicherheit darüber, ob überhaupt Bericht erstattet wird, das Verhalten der Beteiligten beeinflussen kann.450 Diese Unsicherheit kann besonders von den unauffällig angefertigten Textberichten in Echtzeit ausgehen. Im Rahmen der empirischen Forschung muss daher erst noch überprüft werden, ob von dieser Medienform geringere Gefahren für die Verteidigung des Angeklagten ausgehen.
BGHSt 22, 83 (84); von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 438; Kreicker, ZIS 2017, 85 (105); Plate, NStZ 1999, 891 (393). 447 Vgl. Kap. 3, D. II. 2. c) bb) (2). 448 Norouzi, StV 2016, 590 (592). 449 Vgl. Kap. 3, B. III. 2. b). 450 Vgl. Kap. 3, D. II. 2. c) bb) (4). 446
E. Recht auf ein faires Verfahren
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III. Gefahren für den kommunikativen Verkehr mit dem Verteidiger Zusätzlich wird mit Blick auf die effektive Verteidigung angeführt, die Berichterstattung aus dem Gerichtssaal könne den kommunikativen Verkehr des Angeklagten mit seinem Verteidiger beeinträchtigen.451 Vor Beginn der Hauptverhandlung müssten sie oft nicht nur die Grundzüge der Einlassung besprechen, der Verteidiger müsse dem Angeklagten bspw. auch erklären, wo welche Beteiligten säßen und wer die Richter seien.452 Hierbei müssten sie befürchten, dass ihr Austausch von den Medien aufgenommen wird.453 Dagegen ist allerdings darauf hinzuweisen, dass es an vielen Gerichten möglich ist, einen ruhigen Raum für Besprechungen zu nutzen.454 Der Angeklagte ist außerdem nicht verpflichtet, sich im Umfeld der Verhandlung im Sitzungssaal aufzuhalten.455 Er kann diesen auch unmittelbar vor dem Beginn der Verhandlung betreten, nachdem er in einem anderen Raum alles Nötige mit dem Verteidiger erörtert hat. Wie die Verhandlung konkret abläuft, wo etwa Staatsanwalt und Richter sitzen, kann der Verteidiger ihm auch im Vorfeld mitteilen, etwa beim Vorgespräch in seiner Kanzlei. Der kommunikative Verkehr wird durch die Gerichtssaalberichte damit nicht in nennenswertem Ausmaß beeinträchtigt.
IV. Ergebnis zum Recht auf ein faires Verfahren Ob und inwiefern die Berichterstattung aus dem Gerichtssaal die effektive Verteidigung und damit das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren beeinträchtigt, muss empirisch noch erforscht werden. Eine Beeinträchtigung kann aber von vornherein nur in Strafverfahren gegen eine Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung angeführt werden.
451 BVerfGE 119, 309 (325); Engels, Rechtspflege, S. 26 f.; Feldmann, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 169 GVG Rn. 37; Hamm, in: Strafverteidigung im Rechtsstaat, S. 139 (S. 148); ders., in: Das moderne Strafrecht, S. 59 (S. 68); Renner/Pille, AfP 2018, 23 (29); Schmidt, Justiz und Publizistik, S. 11; Wolf, ZRP 1994, 187 (191). 452 Schäfer, JR 2008, 119. 453 Hauth, Sitzungspolizei, S. 200; Zuck, DRiZ 1997, 23 (24). Zwar argumentiert von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 433, erst der Missbrauch der Aufnahmen beeinträchtige die Kommunikation. Dagegen lässt sich aber der chilling effect anführen, der aus der Furcht vor Aufnahmen und deren späterer Veröffentlichung resultiert. 454 Huff, DRiZ 1997, 215 (216); Renner/Pille, AfP 2018, 23 (293); Wolf, ZRP 1994, 187 (191). In Frage kommt bspw. das Anwaltszimmer. 455 Püschel, StRR 2008, 143 (144); ders., StRR 2009, 60 (61).
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Kap. 3: Gegen Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
F. Allgemeiner Justizgewährungsanspruch Aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt, dass der Staat seinen Bürgern zur Lösung ihrer Konflikte Zugang zum Gericht gewähren muss.456 Dies ist die Folge seines Gewaltmonopols:457 Will er nicht, dass Bürger ihre Rechte eigenmächtig durchsetzen, muss er einen staatlichen Mechanismus dafür zur Verfügung stellen.458 Für Rechtsverletzungen der öffentlichen Gewalt, nach h. M. mithin der Exekutive,459 wurde das Recht ausdrücklich in Art. 19 Abs. 4 GG festgeschrieben.460 In sämtlichen anderen Streitigkeiten folgt es nach stRspr des BVerfG aus dem allgemeinen Justizgewährungsanspruch.461 Diesen Anspruch gründet das BVerfG auf die Grundrechte, insbesondere die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG), i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip.462 Der Zugang zum Gericht darf danach nicht nur nicht ausgeschlossen werden. Er darf den Bürgern auch nicht in einer unzumutbaren und aus sachlichen Gründen nicht zu rechtfertigenden Weise erschwert werden.463 Rechtlich wird die Möglichkeit, einen Streit vor Gericht auszutragen, durch die Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung nicht berührt. Der allgemeine Justizgewährungsanspruch steht jedoch auch faktischen Hindernissen für den Zugang entgegen.464 Vereinzelt wird vertreten, die Berichterstattung aus dem Gericht selbst könne die Bürger davon abhalten, mit ihrem Anliegen den Weg zum Gericht zu wählen.465 So könnte ein Unternehmen zum Beispiel befürchten, dass ein Wettbewerber dadurch Kenntnis von seinem Know-how erlangt. Anstatt vor Gericht zu ziehen, könnte es daher eine außergerichtliche Einigung anstreben oder auf die Durchsetzung seiner Rechte verzichten, um so seine Geheimnisse zu schützen.
456 BVerfGE 54, 277 (292); 81, 347 (356); BVerfG, Beschl. vom 04.08.2016 –1 BvR 380/16, BeckRS 2016, 51427, Rn. 11; Beschl. vom 20.06.2018 – 1 BvR 1998/17, juris Rn. 15. 457 Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 59; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 19 IV Rn. 35; ders., in: Dreier, GG, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 211. 458 Huster/Rux, in: BeckOK GG, Art. 20 Rn. 199; Voßkuhle/Kaiser, JuS 2014, 312. 459 S. nur Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 19 Rn. 42 ff. m. w. N. 460 BVerfGE 107, 395 (401). 461 BVerfGE 54, 277 (291); 107, 395 (401); 108, 341 (347); 116, 235 (150); 117, 71 (122). 462 BVerfGE 93, 99 (107); 107, 395 (401); 117, 71 (121 f.); 132, 99 (126). 463 BVerfGE 10, 264 (268); 77, 275 (284); 81, 123 (129); 88, 118 (124); 101, 397 (408); Lorenz, in: BK, Art. 2 Abs. 1 Rn. 227; Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 62; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 19 IV Rn. 92. 464 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 233. 465 Hirzebruch, Neue Medien, S. 302, 333; Wallimann, in: Grundsätze des Zivilverfahrensrechts, S. 51 (S. 69 f.); Witzler, Personale Öffentlichkeit, S. 146.
F. Allgemeiner Justizgewährungsanspruch
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Dieses Argument hat naturgemäß besonders in jenen Verfahrensarten Gewicht, in denen die Dispositionsmaxime greift. So gestaltet es sich etwa in den Zivilverfahren (s. nur §§ 253 Abs. 1, 269, 308 Abs. 1 ZPO).466 Ein Gerichtsverfahren findet gemäß dieser Maxime nur statt, wenn die Beteiligten es initiieren.467 In den Strafverfahren kann das Argument dagegen nur eingeschränkte Geltung erlangen. Dort gilt schließlich die Offizialmaxime (§§ 160 Abs. 1, 244 Abs. 2 StPO), sodass Verfahren von Amts wegen eingeleitet werden. Selbst in den Strafverfahren kann die Furcht der Beteiligten vor den Medien aber dazu führen, dass eine Angelegenheit im Vor- oder Zwischenverfahren erledigt und nicht vor Gericht verhandelt wird.468 Auch in dieser Verfahrensart kann die Berichterstattung daher ein, wenn auch geringeres, Hindernis beim Zugang zu Gericht darstellen. Allerdings ist, wie im ersten Kapitel gezeigt, bereits heutzutage zu beobachten, dass öffentliche, mündliche Verhandlungen zugunsten schriftlicher, nicht öffentlicher Verfahren vermieden werden.469 Empirische Erhebungen zur Motivation der Personen, die sich entscheiden, einen Rechtsstreit nicht oder nicht vor den deutschen Gerichten zu führen, fehlen zwar.470 Allerdings deutet diese Beobachtung darauf hin, dass die Gerichtssaalberichte jedenfalls nicht kausal dafür sind, dass manche Bürger den Gang zum Gericht vermeiden. Diese negative Folge hat vielmehr im Grundsatz offenbar bereits die Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlungen gemäß § 169 Abs. 1 S. 1 GVG.471 Denkbar wäre es allerdings, dass die Gerichtssaalberichterstattung die Hemmungen der Rechtschutzsuchenden noch verstärkt. Im Grundsatz könnte zwar jede Gerichtsberichterstattung derartige hemmende Auswirkungen haben. Ob das Know-how zeitgleich auf Twitter oder später in der Tageszeitung veröffentlicht wird, ist für das soeben beschriebene Unternehmen bspw. irrelevant. Allerdings könnten insbesondere die Aufnahmen die Risiken infolge einer öffentlichen Verhandlung noch einmal steigern. Sie könnten im Beispielsfall etwa dazu beitragen, dass die Allgemeinheit einen präziseren Eindruck vom Know-how des Unternehmens erhält. Dies könnte einen noch stärkeren Anreiz dazu setzen, eine Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 128 Rn. 161 m. w. N. zu dieser Maxime. Ähnlich verhält es sich zum Beispiel vor den Verwaltungsgerichten (s. nur §§ 81, 88, 92 VwGO) und am BVerfG (s. nur § 23 Abs. 1 S. 1 BVerfGG). 468 Braun, Medienberichterstattung, S. 209; Hamm, in: Strafverteidigung im Rechtsstaat, S. 139 (S. 149); ders., in: Das moderne Strafrecht, S. 59 (S. 70); Rinsche, ZRP 1987, 384 (385); Weiler, StraFo 2003, 186 (188). 469 Zu den Möglichkeiten, eine öffentliche Verhandlung zu vermeiden: Kap. 1, A. I. 4. 470 Es ist auch fraglich, ob solche Erhebungen praktisch möglich wären. Sie würden schließlich voraussetzen, dass man die zu dieser Gruppe gehörenden Personen identifizieren könnte. Da sie jedoch gerade keinen Kontakt mit offiziellen Stellen wie den Gerichten aufnehmen, würde sich diese Untersuchung praktisch voraussichtlich überaus schwierig gestalten. 471 Vgl. Kilian, AnwBl 2016, 899. 466 Vgl. 467
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Kap. 3: Gegen Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
Gerichtsverhandlung zu vermeiden. Diese Vermutung muss aber im Rahmen der Wirkungsforschung noch überprüft werden. Nur wenn sie sich belegen lässt, stellt der allgemeine Justizgewährungsanspruch ein Argument gegen die Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung dar.
G. Ungestörter äußerer Verfahrensablauf Gegen die Zulassung der Gerichtssaalberichte spricht es zudem, wenn die Berichte den ungestörten äußeren Ablauf der betroffenen Gerichtsverfahren gefährden.472 Diesbezüglich wird vertreten, vor allem die Anwesenheit und der Einsatz der Kameras, Mikrofone und anderer für die Aufnahmen erforderlicher Geräten wie etwa Scheinwerfer störe.473 Auf der einen Seite benötige deren Aufbau Platz und Zeit,474 was insbesondere in kleinen Sitzungssälen problematisch sei475. Die Medien stießen dort „schnell an die Grenzen der Gerichtsarchitektur“476. Auf der anderen Seite verursachten die Geräte Emmissionen wie bspw. Betriebsgeräusche.477 Des Weiteren könne der Ablauf des Verfahrens behindert werden, falls eine zu große Zahl an Medienvertretern im Sitzungssaal tätig würde.478 Sie könnten einen „Medienrummel“479 hervorrufen. Auch der Kampf der anwesenden Kamerateams um den besten Platz könne den Ablauf beeinträchtigen.480 Die Art und Weise, wie die Kameras und Mikrofone verwendet würden, könne ebenfalls stören.481 So könnten die Medienvertreter etwa zudringliche Aufnahmen anfertigen, ihre Gerätschaften nicht pünktlich aufbauen oder abbauen482 oder während der Verhandlung umherlaufen483. 472
Dafür BVerfGE 91, 125 (237). BVerfGE 103, 44 (69); Becker, DRiZ 1960, 218; Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 80; Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 323; Kohlhaas, DRiZ 1956, 2; Koschorreck, JA 1997, 134 (135); Krieg, K&R 2009, 673 (675); Maul, MDR 1970, 286; Wolf, ZRP 1994, 187 (188). 474 BVerfG, NJW 1996, 581 (583). 475 BVerfGE 119, 309 (327, 329 f.). 476 Hoeren, NJW 2017, 3339 (3340). 477 Danners, Verfahrensablauf, S. 95. 478 Britz, Fernsehaufnahmen, S. 282; Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 80; Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 323; Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 100. 479 Bernzen, MMR 2017, 742 (743); Britz, Fernsehaufnahmen, S. 282; Mayer, in: Kissel/ Mayer, GVG, § 169 Rn. 9. 480 Danners, Verfahrensablauf, S. 28. 481 Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 101. 482 BVerfGE 91, 125 (138); Brosius-Gersdorf, TKMR 2002, 356 (360). 483 Danners, Verfahrensablauf, S. 95; Kohlhaas, DRiZ 1956, 2; Maul, MDR 1970, 286. 473
G. Ungestörter äußerer Verfahrensablauf
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Bezüglich der beschriebenen Gefahren ist jedoch zu differenzieren. Das Argument störender Aufnahmegeräte lässt sich von vornherein nicht gegen die Zulassung der Textberichte in Echtzeit anführen. Sie beeinträchtigen den äußeren Verfahrensablauf in dieser Hinsicht nicht.484 Betriebsgeräusche sind bei modernen technischen Schreibgeräten, anders als bei der früher oft genutzten „klappernde[n] Schreibmaschine“485, schließlich ausgeschlossen oder auf ein Minimum beschränkt.486 Der Verweis auf diese Geräusche trägt außerdem nur bei Geräten mit Tastatur; Smartphones verursachen beim Tippen zum Beispiel keine Geräusche.487 Mögliche Warn- oder Signaltöne lassen sich abstellen.488 Zudem machen die Medienvertreter, die solche Geräte verwenden, nur einen Bruchteil der Zuschauer aus und fallen daher besonders in großen Gerichtssälen akustisch kaum ins Gewicht.489 Auch von den Aufnahmegeräten gehen aber nicht mehr zwangsläufig die oben beschriebenen Störungen aus.490 So kann die Verhandlung etwa mit dem Smartphone, ohne zusätzliche Lichtquelle oder Mikrofon, aus dem Zuschauerraum gefilmt werden. Diese als Mobiler oder Smartphone-Journalismus bekannte Berichterstattung findet bereits auf vielen Gebieten statt.491 Doch auch das professionelle Equipment, das Medienhäuser zur Berichterstattung einsetzen, wurde technisch weiterentwickelt, sodass es ohne Störfaktoren wie etwa grelle Scheinwerfer auskommt.492 Die Betriebsgeräusche, die einst von Kameras und Tonbandgeräten ausgingen, sind heute ebenfalls auf ein Minimum reduziert. Absolute Stille kann so womöglich nicht erreicht werden, sie ist aber schon infolge der unmittelbaren Öffent484
So für die klassische Textberichterstattung auch BVerfG, NJW-RR 2008, 1069 (1070). Rüping, ZZP 88 (1975), 212 (218 f.). 486 Altenhain, Gutachten 71. DJT, C 101; von Coelln, jurisPR-ITR 12/2009 Anm. 5; ders., in: MSKB, BVerfGG, § 17a Rn. 109d f.; Hirzebruch, Neue Medien, S. 268; Kujath, Laienjournalismus, S. 341; Rosenthal, AnwBl 2016, 654 (655). 487 Fromm, MMR 2016, 233 (234). 488 Von Coelln, jurisPR-ITR 12/2009 Anm. 5; Hirzebruch, Neue Medien, S. 268. 489 Von Coelln, jurisPR-ITR 12/2009 Anm. 5. 490 Gerhardt, Verfassungsmäßigkeit, S. 96; Hauth, Sitzungspolizei, S. 62; Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 94 f.; Kujath, Laienjournalismus, S. 56; Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 214; Lang, Ton- und Bildträger, S. 70 in Fn. 203; Marxen, NJW 1977, 2188 (2192); Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 101; Schneider, JuS 1963, 346 (348); Schwarz, AfP 1995, 353 (357); Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 99, 172, 175; Vietmeyer, Vor- und Nachteile, S. 129; Witzler, Personale Öffentlichkeit, S. 160, 185. 491 Eine Erörterung des Phänomens und Beispiele für den Einsatz bietet Staschen, Mobiler Journalismus, S. 3 ff. 492 Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 147 f.; von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 458; Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 214 f.; Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 101; Schwarz, AfP 1995, 353 (357). 485
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Kap. 3: Gegen Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
lichkeit der Verhandlung nicht zu gewährleisten.493 Aufgrund der technischen Entwicklungen sind die Geräte zudem sowohl klein sowie handlich494 als auch schnell auf- sowie abzubauen. Sie können dabei derart im Gerichtssaal platziert werden, dass sie nicht bemerkt werden.495 Allein daraus, dass die Gerichtssaalberichterstattung den Einsatz technischer Geräte im Gericht erfordert, folgt daher heutzutage keine relevante Störung des äußeren Verfahrensablaufs mehr.496 Eine solche Störung kann allerdings aus der eingangs beschriebenen Art und Weise resultieren, wie die Geräte im Gericht eingesetzt werden. Dabei ist wiederum zwischen den Textberichten in Echtzeit und den Aufnahmen zu unterscheiden. Wie für das Recht der persönlichen Ehre497 und für die Unschuldsvermutung498 ausgeführt, folgt der störende Medienrummel nur aus der Herstellung der Aufnahmen, für welche die räumliche Nähe zum Aufgenommenen hergestellt werden muss. Nur im Hinblick auf das störende Verhalten der Medienvertreter, die Aufnahmen im Gerichtssaal anfertigen, gehen die Gefahren infolge der Gerichtssaalberichterstattung also über das hinaus, was infolge jeglicher Gerichtsberichterstattung droht. Nur in diesem Umfang streiten sie deshalb gegen die Zulassung der Berichte aus dem Gerichtssaal.
H. Würde des Gerichts Vertreten wird auch, die Zulassung der Gerichtssaalberichte beeinträchtige die Würde des Gerichts499 respektive der Verhandlung500. Umstritten ist zwar bereits, ob die gerichtliche Würde überhaupt (noch) als eigenständiges Rechtsgut zu schützen ist.501 Dies kann jedoch offenbleiben, wenn sich die Berichterstattung aus dem Gerichtssaal in dieser Hinsicht bereits nicht negativ auswirkt. Danners, Verfahrensablauf, S. 96. Hirzebruch, Neue Medien, S. 320. 495 Krauß, in: Strafrecht und Datenschutz, S. 35 (S. 41); Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 99. 496 Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 324; Kujath, Laienjournalismus, S. 278 f. weisen zurecht darauf hin, dass die Gefahren nicht völlig verschwunden sind. Sie wurden aber auf ein zu vernachlässigendes Maß reduziert. 497 Vgl. Kap. 3, B. III. 4. 498 Vgl. Kap. 3, C. 499 BTDrucks III/2037, S. 49; BTDrucks IV/178, S. 49; BVerfG, NJW 2000, 2890 (2891); Bussmann, RuF 1955, 7 (17); Dahs, AnwBl 1959, 171 (181); ders., NJW 1961, 1755 (1756); DRB, DRiZ 1960, 197; Gierhake, JZ 2013, 1030 (1034); Hirzebruch, Neue Medien, S. 282; Jescheck, ZStW 1962 (74), 189 (194); Schmidt, in: FS Schmidt, S. 338 (S. 343); ders., JZ 1967, 382 (383); ders., Justiz und Publizistik, S. 10; ders., NJW 1968, 95; ders., JZ 1970, 109. 500 Franzki, DRiZ 1979, 82; Sarstedt, in: Tonbandaufnahmen, S. 57 (S. 66). 501 Zu dieser Frage ausführlich und ablehnend Rüping, ZZP 88 (1975), 212. 493 494
H. Würde des Gerichts
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Gegen die Berichterstattung wird, erstens, mit Blick auf die Würde des Gerichts die Empfangssituation bei den Medienkonsumenten angeführt. Sie würden der Verhandlung nur kurzzeitig folgen502 und würden dabei durch andere Einflüsse – Knothe und Wanckel nennen plakativ „Werbung, Telefon, Kinder und Kartoffelchips“503 – abgelenkt. Daher schenkten sie ihr weniger Aufmerksamkeit, als sie es im Zuschauerraum des Sitzungssaals täten.504 Dass Gerichtssaalberichte stets unaufmerksam verfolgt würden, lässt sich derart pauschal aber nicht sagen. Wie konzentriert ihnen gefolgt würde, hinge vielmehr von ihrer Gestaltung ab.505 Dass dabei nicht höchste denkbare Konzentration erforderlich ist, zeigt ein Vergleich mit der Saalöffentlichkeit: Es steht den Zuschauern im Sitzungssaal jederzeit offen, diesen Saal zu verlassen oder geistig von der Verhandlung abzuschweifen.506 Dasselbe muss für die Medienöffentlichkeit gelten, die im Vergleich mit der Saalöffentlichkeit, wie im zweiten Kapitel gezeigt, schließlich stetig an Bedeutung gewinnt.507 Beim heimischen Me dienkonsum ist außerdem jeder frei, sich so zu verhalten, wie er möchte – auch wenn ein solches Verhalten im Gericht nicht gestattet wäre.508 Der Unterschied zwischen den Zuschauern auf der Couch und denen im Sitzungssaal ist, dass erstere im Gericht nicht wahrgenommen werden und ihr Verhalten sich daher nicht auf die Verhandlung auswirken kann.509 Eine Würdeverletzung aufgrund der Empfangssituation scheidet nach alledem aus. Angeführt wird, zweitens, die Würde des Gerichts werde durch die Rahmenbedingungen der Berichterstattung verletzt. Dazu trüge die Art und Weise der Aufnahmen bei, etwa wenn während der mündlichen Verhandlung Kamerablitze und Scheinwerfer aufleuchteten.510 Zudem beeinträchtigten der „Ellenbogenkampf“511 der Kamerateams und die Unruhe, die sie bei der Arbeit verbreiteten,512 die Würde des Gerichts. Dagegen wird allerdings einerseits zutreffend Knothe/Wanckel, ZRP 1996, 106 (108). Knothe/Wanckel, ZRP 1996, 106 (108). 504 Giraud, in: Interdisziplinäre Wissenschaft, S. 169 (S. 182). 505 Bernzen/Bräutigam, K&R 2017, 555 (559); Gerhardt, Verfassungsmäßigkeit, S. 96; Schneider, JuS 1963, 346 (349). 506 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 431. Dagegen meint Krauß, in: Strafrecht und Datenschutz, S. 35 (S. 42) jedoch, ihre Anwesenheit im Gerichtssaal zwinge sie zur gedanklichen Teilnahme. 507 Vgl. Kap. 2, B. V. 508 Von Coelln, in: MSKB, BVerfGG, § 17a Rn. 139. 509 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 431 f.; Gerhardt, Verfassungsmäßigkeit, S. 96; Hirzebruch, Neue Medien, S. 324; Vietmeyer, Vor- und Nachteile, S. 132. 510 Bussmann, RuF 1955, 7 (17); Franzki, DRiZ 1979, 82. 511 Dahs, NJW 1961, 1755 (1756). 512 Franzki, DRiZ 1979, 82. 502 503
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Kap. 3: Gegen Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
auf ähnliche würdevolle Ereignisse wie Gottesdienste, Staatsakte und Parlamentssitzungen hingewiesen, die schon aufgenommen werden und deren Würde dadurch nicht verletzt wird.513 Warum dies bei Gerichtsverhandlungen anders sein sollte, ist nicht ersichtlich. Die beschriebenen Störungen sind auf der anderen Seite kein Aspekt gerichtlicher Würde, sondern müssen, wie gezeigt, unter dem Gesichtspunkt einer Störung des äußeren Verfahrensablaufs berücksichtigt werden.514 Drittens wurde insbesondere vor Inkrafttreten des EMöGG darauf hingewiesen, dass das Ansehen der Justiz leiden würde, wenn deren Aufnahmen zu Unterhaltungszwecken verwendet würden. Ein „TV-Spektakel“515 drohe. Gerichtssäle würden zur „Manege mit Showmeistern, Clowns und Opfern“516. So könnten misslungene Formulierungen bspw. in der „heute show“ wiederholt werden517 oder Aufnahmen von Stolperern der Richter beim Einzug in den Sitzungssaal auf YouTube hochgeladen werden518. Dem lässt sich aber entgegenhalten, dass möglichen Missgeschicken durch ein Medientraining begegnet werden kann, wie es vor dem Inkrafttreten des EMöGG an einigen obersten Bundesgerichten durchgeführt wurde.519 Dass die Berichterstattung auch ohne ein solches Training dem Ansehen der Justiz nicht schaden muss, zeigen die Erfahrungen des BVerfG. Die Bilder und Töne seiner Verhandlungen sind bisher, soweit ersichtlich, noch nicht satirisch eingesetzt worden.520 Sollte dies doch der Fall gewesen sein, hat es seinem Ansehen jedenfalls nicht geschadet.521 Auch die schon de lege lata zulässigen Aufnahmen der Fachgerichte im Umfeld von deren Verhandlungen wurden bisher nicht zu Unterhaltungszwecken eingesetzt.522 Eine Satire auf die Justiz im großen Stil würde mithin aller Voraussicht nach auch nicht drohen, wenn die Gerichtssaalberichterstattung in größerem Umfang zugelassen würde. Sollten einzelne Richter doch 513 Gerhardt, Verfassungsmäßigkeit, S. 96; Kohlhaas, DRiZ 1956, 2; Schneider, JuS 1963, 346 (349); Vietmeyer, Vor- und Nachteile, S. 132. 514 Vgl. Kap. 3, G. 515 Schmidt, in: Esslinger, SZ vom 02.05.2016, S. 5. 516 Müller, FAZ vom 01.09.2016, S. 1. 517 Gerson, KriPoZ 2017, 376 (378); Janisch, DRiZ 2015, 136. 518 Janisch, SZ vom 14./15.04.2018, S. 1. Prägnant spricht Wieduwilt, www.faz.net vom 02.09.2016 (abrufbar unter www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/bundesregierung-will-vi deo-live-aufnahmen-in-gerichten-14416058.html, Stand: 13.12.2019) von der „Youtubisierung der Justiz“. 519 Vgl. Limperg, in: Reissenberger, BNN vom 08.05.2018, S. 3; Schlegel, in: Redaktion beck-aktuell, becklink 2009104. 520 Töpper, in: FH Möller, S. 48. 521 Bommarius, www.fr-online.de vom 01.04.2016 (abrufbar unter www.fr.de/politik/fern sehteams-gerichtssaal-11131406.html, Stand: 13.12.2019). 522 Janisch, SZ vom 14./15.04.2018, S. 1.
I. Kriminogene Wirkung
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einmal in der „heute show“ persifliert werden, teilen sie das Schicksal mit allen Personen, die beruflich in der Öffentlichkeit stehen.523 Das kann für sie persönlich unangenehm sein,524 verletzt aber nicht die Würde des Gerichts. Selbst wenn man diese Würde daher als eigenständiges Schutzgut anerkennt, geht von der Gerichtssaalberichterstattung in dieser Hinsicht keine Gefahr aus. Der Aspekt wird daher im Folgenden außer Betracht gelassen.
I. Kriminogene Wirkung Gegen eine Zulassung der Berichterstattung aus dem Gerichtssaal spricht es in den Strafverfahren jedoch, wenn sie eine kriminogene Wirkung hat, mithin zur Begehung von Straftaten anregt.525 Einerseits wird diesbezüglich befürchtet, die Berichterstattung stelle für potentielle Straftäter eine (zusätzliche) Motivation zur Tatbegehung dar, weil sie auf diese Weise bekannt würden.526 Auf der anderen Seite wird argumentiert, die Gerichtsberichte könnten künftigen Tätern den Bauplan für ihre Tat liefern.527 Durch die detaillierte Beschreibung des Tathergangs in der Verhandlung könnten sie sich über das Vorgehen des Angeklagten informieren und dieses nachahmen.528 Sie könnten zudem Vorsichtsmaßnahmen ergreifen, um nicht ebenso „erwischt“ zu werden.529 Auch sei die regelmäßige mediale Darstellung von Straftaten möglicherweise geeignet, einen Gewöhnungseffekt hervorzurufen, der bestehende Hemmungen beseitige.530 Allerdings wurde eine kriminogene Wirkung der Gerichtssaalberichterstattung in Deutschland bislang weder bewiesen noch widerlegt.531 Zwar existiert medienwissenschaftliche sowie kriminologische Wirkungsforschung, die sich mit kriminalitätsfördernden Auswirkungen medialer Darstellungen von Strafta523 Mosbacher, www.lto.de vom 31.03.2016 (abrufbar unter www.lto.de/recht/hinter gruende/h/kamera-urteilsverkuendung-bundesgerichte-ansehen-der-justiz-kommentar/, Stand: 13.12.2019). 524 Vgl. jedoch Franke, NJW 2016, 2618 (2620): Ausdruck „richterliche[n] Kleinmut[es]“; Prantl, Referat 71. DJT, M 27 (M 32): „kleinmütig“. 525 Dafür Jung, Presse, Rundfunk und Film, S. 12; Schneider, JuS 1963, 346 (348). 526 Van Bühren, ZAP 2016, 995. 527 Walter, in: Das moderne Strafrecht, S. 27 (S. 30 f.). 528 Bernzen, in: Medienrecht im Medienumbruch, S. 205 (S. 218); Hartmann, in: FS Göppinger, S. 579 (S. 584 f.); Meyer, Gerichtsprozess, S. 61 f. 529 Höbermann, Gerichtsbericht, S. 34 f. 530 So für die Gewaltdarstellungen in den Medien allgemein: Rüping, in: FS Dünnebier, S. 391 (S. 395). 531 Gerhardt, Verfassungsmäßigkeit, S. 92; Höbermann, Gerichtsbericht, S. 46; Hübner- Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 99; Schneider, JuS 1963, 346 (348).
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Kap. 3: Gegen Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte
ten befasst.532 Die spezielle Situation bei der Berichterstattung aus dem Gerichtssaal wurde dabei jedoch nicht untersucht. Sie weist aber erhebliche Unterschiede zur Darstellung von Straftaten etwa in Kriminalfilmen auf: Die Tat an sich ist in der Gerichtsverhandlung nicht zu sehen; sie wird vielmehr „in der nüchternen Atmosphäre des Gerichtssaals lediglich rekonstruiert“533. Einer Identifikation der Medienkonsumenten mit dem Angeklagten steht zudem dessen „Entzauberung“534 bei Gericht entgegen. Selbst wenn sich durch eine entsprechende Wirkungsforschung aber die vermutete kriminogene Wirkung der Gerichtssaalberichterstattung belegen lässt, ist zu beachten, dass einige der beschriebenen Konsequenzen bereits auf die Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen gemäß § 169 Abs. 1 S. 1 GVG zurückzuführen sind. Detaillierte Informationen über die Tatbegehung können potentielle Straftäter bspw. auch erlangen, indem sie die Verhandlung persönlich besuchen. Die übrigen beschriebenen Folgen könnte auch die klassische Gerichtsberichterstattung haben.535 Denkbar ist lediglich, dass die Berichte aus dem Gericht selbst eine stärkere kriminogene Wirkung haben, da sie einen größeren Zuschauerkreis eröffnen und damit mehr potentiellen Straftätern einen Anreiz zur Tatbegehung verschaffen.536 Nur in quantitativer Hinsicht würde die Gerichtssaalberichterstattung in diesem Fall größere Gefahren schaffen als klassische Gerichtsberichte. Nur in dieser Hinsicht lässt sie sich daher, so sich die kriminogene Wirkung nachweisen lässt, der Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung entgegenhalten.
J. Präventionswirkung Zuletzt steht es einer Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung entgegen, wenn sie der Präventionswirkung abträglich ist, die in den Strafverfahren relevant ist. Im zweiten Kapitel wurde bereits angedeutet, dass die positive Spezialprävention durch Gerichtssaalberichte beeinträchtigt werden könnte. Diese Ausprägung der Prävention zielt auf die Besserung des Täters infolge seiner Resozi-
Britz, Fernsehaufnahmen, S. 290 ff. m. w. N. zu dieser Forschung. Britz, Fernsehaufnahmen, S. 292. Ähnlich auch Gerhardt, Verfassungsmäßigkeit, S. 94. 534 Britz, Fernsehaufnahmen, S. 293. Anders bewertet es aber Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 99 für den Fall, dass die Bevölkerung eindeutig mit dem Täter sympathisiert. Dies dürfte jedoch nur selten zu bejahen sein. 535 Britz, Fernsehaufnahmen, S. 294; Hillermeier, DRiZ 1982, 281 (283); Schneider, JuS 1963, 346 (348). 536 Vgl. Kap. 2, B. III. 2. d), 3. c), 4. d), E. III., F., G. 532 533
J. Präventionswirkung
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alisierung. Jene Resozialisierung, so wurde in der Literatur argumentiert, könnten Gerichtssaalberichte beeinträchtigen.537 Vereinzelt werden der Gerichtsberichterstattung zwar positive Auswirkungen in dieser Hinsicht zugeschrieben. Sofern sie sich mit der Resozialisierung des Straftäters befasse, könne sie ihn unterstützen.538 Ebenso sei denkbar, dass die Berichte interessierte Dritte animierten, einem Straftäter zu helfen.539 Beides steht aber, betrachtet man die gegenwärtige Berichterstattung aus dem Gericht, nicht unbedingt im Fokus der Berichte.540 Dass es sich in den Gerichtssaalberichten anders gestalten würde, ist eher unwahrscheinlich. In diesem Kapitel wurde vielmehr eine Beeinträchtigung des Rechts auf Re sozialisierung speziell durch Aufnahmen bejaht, die über das hinausgeht, was infolge jeder Gerichtsberichterstattung droht.541 In Konsequenz könnten Aufnahmen in Strafverfahren auch der positiven Spezialprävention in einem Maße abträglich sein, das über die Gefahren infolge klassischer Gerichtsberichte hinausgeht. Zu beachten ist jedoch, dass die präventive Wirkung der Gerichts(saal)berichte bislang weder nachgewiesen noch widerlegt wurde.542 Nur wenn sie sich nachweisen lässt, können die Gefahren dafür gegen die Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung angeführt werden.
537
Vgl. Kap. 2, G. Hassemer, StV 2005, 167. 539 Hillermeier, DRiZ 1982, 281 (283). 540 Danziger, Medialisierung, S. 114; Höbermann, Gerichtsbericht, S. 44. 541 Vgl. Kap. 3, B. III. 5. 542 Vgl. Kap. 2, G. 538
Kapitel 4
Gerichtssaalberichterstattung in England A. Relevanz des Rechtsvergleichs Nachdem der aktuelle rechtliche Rahmen der Gerichtssaalberichterstattung in Deutschland dargestellt wurde und aus deutscher Perspektive alle Rechte und schutzwürdigen Interessen ermittelt wurden, die durch diese Berichte berührt werden können, geht der Blick im vierten Kapitel nach England. Ein solcher Rechtsvergleich kann einen wichtigen Beitrag zur Beantwortung der Frage leisten, inwiefern die gegenwärtige Rechtslage in Deutschland noch zeitgemäß ist. Hierzulande fehlen schließlich vielfach empirische Belege für positive wie negative Effekte der Gerichtssaalberichterstattung.1 Der Betrachtung der aktuellen Rechtslage in dieser Arbeit sollen aber nicht nur „gefühlte Selbstverständlichkeit[en]“2 zugrunde gelegt werden. Erste Anhaltspunkte dafür, wie sich die Berichterstattung aus dem Gerichtssaal hierzulande auswirken würde, können Erfahrungen in Ländern bieten, die Gerichtssaalberichterstattung bereits in größerem Umfang zulassen, als Deutschland es aktuell tut. Davon ging der Gesetzgeber auch bei seiner jüngsten Reform des § 169 GVG durch das EMöGG aus, in dessen Begründung er wiederholt auf die liberalere Rechtslage an ausländischen Gerichten verwies.3 Betrachtet man die bisherigen rechtsvergleichenden Untersuchungen zum Gegenstand dieser Arbeit, ist der Vergleich mit England auf den ersten Blick ungewöhnlich. Die Mehrzahl der einschlägigen Monografien untersuchte die Rechtslage in den USA.4 Dies liegt nahe, ist doch besonders das Fernsehen im Gerichts saal infolge der Leitentscheidung Chandler v. Florida5 1981 dort seit Jahrzehnten 1
Vgl. Kap. 2, E. I., G.; Kap. 3, D. II. 2. c) aa), III. 3. b) aa), E. II., F., I., J. Von Coelln, AfP 2014, 193 (201). 3 BTDrucks 18/10144, S. 1, 13. 4 Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 43 ff.; Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 29 ff.; Vietmeyer, Vor- und Nachteile, S. 134 ff.; Vogel, Fernsehübertragungen, S. 40 ff., 91 ff., 123 ff. Zusätzlich geht Britz, Fernsehaufnahmen, S. 133 ff. auf die französische Rechtslage ein. Daneben gibt Witzler, Personale Öffentlichkeit, S. 64 ff. einen kursorischen Überblick über die US-amerikanische und 14 andere Rechtsordnungen. 5 449 U.S. 560 (1981). 2
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Kap. 4: Gerichtssaalberichterstattung in England
etabliert.6 Dennoch eignet sich das englische Recht besonders für einen Vergleich der rechtlichen Rahmenbedingungen. Hierfür spricht aus juristischer Sicht, dass sowohl Deutschland als auch das Vereinigte Königreich Vertragsstaaten der EMRK sind. Der Human Rights Act 1998 inkorporierte wesentliche Teile der EMRK, auch den für diese Arbeit relevanten Art. 6 Abs. 1 EMRK, in das englische Recht.7 Damit haben beide Länder teils denselben Rechtsrahmen für die Gerichtssaalberichterstattung. In tatsächlicher Hinsicht spricht für ihren Vergleich, dass sich die englischen Gerichte, wie in diesem Kapitel noch im Detail zu zeigen sein wird, erst in den 2000er Jahren in größerem Umfang für die Medien öffneten. Während sich seit den grundlegenden US-amerikanischen Entscheidungen zur Gerichtssaalberichterstattung Medienlandschaft und Medienkonsum erheblich verändert haben,8 hatten der englische Gesetzgeber und die englischen Gerichte bereits sehr ähnliche tatsächliche Rahmenbedingungen zu berücksichtigen, wie sie die vorliegende Arbeit in den Blick nimmt. Bisherige monografische Betrachtungen des englischen Rechts sind aber bereits älteren Datums.9 Die Lücke, die sie mit Blick auf die jüngeren rechtlichen Entwicklungen in England lassen, schließt dieses Kapitel. Zuerst werden darin die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Gerichtssaalberichterstattung in England dargestellt. Begonnen wird, in Parallele zur Darstellung der deutschen Rechtslage, mit einem Überblick über Inhalt und Grenzen des open justice principle als Grundvoraussetzung für die Berichterstattung. Sodann werden die Rahmenbedingungen der vier Formen der Gerichtssaalberichterstattung dargestellt, die in dieser Arbeit untersucht werden. Dabei werden nicht nur relevante Parlamentsgesetze und das einschlägige Fallrecht dargestellt, sondern auch untergesetzliche Regelwerke sowie rechtlich unverbindliche Vorgaben einbezogen, die die Berichterstattung in der Praxis maßgeblich beeinflussen. Im zweiten Schritt wird die Diskussion über Gerichtssaalberichte in England nachgezeichnet. Da die englische Rechtslage nur einen Maßstab für den Vergleich mit dem deutschen Rechtsrahmen bieten soll, enthält sich diese Arbeit bei all diesen Schritten der Bewertung. Vielmehr werden am Ende des Kapitels Lehren herausgearbeitet, die der deutsche Gesetzgeber aus der englischen Entwicklung ziehen kann. Einen Überblick über die Rechtslage in den USA gibt Stepniak, Audio-Visual Coverage, S. 69 ff. 7 S. 1(1)(a) Human Rights Act 1998. 8 Zum Wandel der Medienwelt ausführlich: Einleitung, A. 9 Braun, Medienberichterstattung, S. 285 ff.; Rubens-Laarmann, Gerichtsberichterstattung, S. 32, 55. 6
B. Rechtliche Rahmenbedingungen der Gerichtssaalberichterstattung in England 247
B. Rechtliche Rahmenbedingungen der Gerichtssaalberichterstattung in England I. Open justice principle 1. Grundlagen des open justice principle In England wird die Gerichtsöffentlichkeit durch das open justice principle gewährleistet. Dieses Prinzip ist einerseits im common law verankert. Die grundlegende Entscheidung hierzu ist Scott v. Scott10 aus dem Jahr 1913. Darin ordnete Lord Shaw das Prinzip als „sound and very sacred part of the constitution of the country and the administration of justice“11 ein. Sein zweites Standbein ist Art. 6 Abs. 1 EMRK.12 Für diverse Verfahren ist das Prinzip zusätzlich im Gesetz oder in den einschlägigen Procedure Rules kodifiziert. Für strafgerichtliche Sitzungen der magistrates’ courts schreibt s. 121(4) Magistrates’ Court Act 1980 etwa vor, dass sie im Grundsatz öffentlich stattfinden müssen. An den Zivilgerichten macht r. 39.2(1) Civil Procedure Rules (CPR) die Öffentlichkeit der Verhandlung zum Grundsatz. 2. Inhalt des open justice principle Das open justice principle hat einen weiten Anwendungsbereich. „Broadly speaking, the requirements of open justice apply to all tribunals exercising the judicial power of the state.“13 Es greift damit in zivil- und strafrechtlichen Gerichtsverfahren.14 Zudem ist es unabhängig davon anwendbar, ob endgültig über eine Frage entschieden oder nur Eilrechtsschutz gewährt wird.15 Auch zeitlich ist der Anwendungsbereich des Prinzips umfassend. Zwar wird die Beratung vor den Entscheidungen ausgenommen, und das sowohl, wenn eine Jury entscheidet, als auch bei der Entscheidung eines Richterkollegiums.16 Er10
Scott v. Scott [1913] A.C. 417. Scott v. Scott [1913] A.C. 417 (473). Ähnlich in jüngerer Zeit: Al-Rawi v. Security Service [2012] 1 A.C. 531 (590 [Lord Brown]): „constitutional principle of the highest importance“; A v. BBC [2015] A.C. 588 (600 [Lord Reed]): „constitutional principle to be found in common law“. 12 JXF (A Child) v. York Hospital NHS Foundation Trust [2011] Med LR 4 (6). Zum Verhältnis der beiden Rechtsquellen zueinander: A v. BBC [2015] A.C. 588 (610 [Lord Reed]) m. w. N. 13 R. (on the application of Guardian News and Media Ltd) v. City of Westminster Magistrates’ Court [2013] Q.B. 618 (647). 14 Jaconelli, Open Justice, S. 1. 15 Global Torch Ltd. v. Apex Global Management Ltd. [2013] 1 WLR 2993 (3008). 16 Jaconelli, Open Justice, S. 15. 11
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Kap. 4: Gerichtssaalberichterstattung in England
fasst sind aber bspw. die Voruntersuchungen (pre-trial hearings), die ein Zivilgericht vor dem Beginn der Verhandlung vornimmt,17 und die committal proceedings, die strafgerichtlichen Verhandlungen vorausgehen können18. Das Prinzip wird also zeitlich auch auf bestimmte richterliche Tätigkeiten im Vorfeld der Verhandlung erstreckt. Räumlich ist das open justice principle an jedem Ort anwendbar, an dem das Gericht tätig wird. Dies ist unabhängig davon, ob im Gerichtssaal verhandelt wird oder ob der Richter sich, etwa für eine Augenscheinnahme, außerhalb des Gerichtsgebäudes befindet.19 Inhaltlich hat das open justice principle zwei Ausprägungen, wie Lord Diplock im Jahr 1979 in Attorney General v. Leveller Magazine Ltd. darlegte, dem zweiten grundlegenden Urteil zu diesem Prinzip: Erstens fordert es, dass Verfahren in open court durchgeführt werden. Die Öffentlichkeit sowie die Presse20 müssen damit Zugang hierzu erhalten.21 Dies ist der Kern des Prinzips.22 Es genügt dabei zwar nicht, dass nur die Beteiligten des Verfahrens präsent sind.23 Nicht erforderlich ist auf der anderen Seite aber, dass im konkreten Fall Zuschauer anwesend sind.24 Es kommt vielmehr allein auf die abstrakte Möglichkeit an, dem Verfahren beizuwohnen. Dafür muss eine Mindestanzahl an Zuschauern zugelassen werden,25 die aber nicht allgemeingültig festgelegt ist. Ein Saal, in dem lediglich fünf Zuschauer Platz fanden, wurde zum Beispiel als ausreichend erachtet.26 Auf der anderen Seite muss der Raum jedoch auch nicht so groß sein, dass jeder Interessent Zugang hierzu erhält.27 Insofern ist eine Einzelfallbetrachtung erforderlich. Zudem müssen die Interessenten tatsächlich Zutritt zum Verfahren erhalten können.28 Dem Zugang dürfen mithin keine Hindernisse entgegenstehen. Ob solche Hürden existieren, muss im Rahmen einer Gesamtbetrachtung ermittelt Millar/Scott, Newsgathering, 10.10. S. 4(2) Magistrates’ Courts Act 1980. 19 Jaconelli, Open Justice, S. 12 f. 20 Illustrativ hierzu R. v. Denbigh Justices Ex p. Williams [1974] Q.B. 759 (765): „I find it difficult to imagine a case which can be said to be held publicly if the press have been actively excluded.“ 21 Attorney General v. Leveller Magazine Ltd. [1979] A.C. 440 (450). 22 Jaconelli, Open Justice, S. 2. 23 R. v. Governor of Lewes Prison Ex p. Doyle [1917] 2 K.B. 254 (270 f.). 24 McPherson v. McPherson [1936] A.C. 177 (200 [Lord Blanesburgh]). 25 Millar/Scott, Newsgathering, 10.03. 26 R. v. Denbigh Justices Ex p. Williams [1974] Q.B. 759 (765). 27 R. v. Inner North London Coroner Ex p. Chambers, R. v. Inner North London Coroner Ex p. Greater London Council and Others [1983] Lexis Citation 1706. 28 Robertson/Nicol, Media Law, 8-006. 17 18
B. Rechtliche Rahmenbedingungen der Gerichtssaalberichterstattung in England 249
werden, bei der geprüft wird, „whether the arrangements as a whole sufficiently inhibited members of the public from attending court as to make the hearing one in private“29. Dies wurde etwa bejaht, als ein Richter eine Verhandlung in der Bibliothek des Gerichts führte. Zu jenem Raum hatte theoretisch jedermann Zutritt, praktisch gelangte man aber nur durch einen Korridor hinein, an dessen Tür „privat“ stand.30 Andersherum wird eine Verhandlung auch nicht in open court durchgeführt, wenn der Zuschauerraum gezielt mit bestimmten Zuschauern gefüllt wird und infolgedessen keine gewöhnlichen Zuschauer Zutritt erhalten31 – also eine Sperröffentlichkeit geschaffen wird. Zweitens garantiert das open justice principle den Medien prinzipiell die Publikation von Berichten über Gerichtsverfahren.32 Diese Ausprägung des Prinzips wird von der ersten Gewährleistung, der Zugangsmöglichkeit der Öffentlichkeit und der Presse, abgeleitet.33 Den Medien kommt nach der Rechtsprechung der englischen Gerichte eine „vital significance“34 im Kontext des open justice principle zu. „[T]he principle of open justice is inextricably linked to the freedom of the media to report on court proceedings.“35 Die Bedeutung der Gerichts(saal)berichterstattung spiegelt sich auch im Gewährleistungsgehalt des open justice principle wieder: Die Zuschauer dürfen der Verhandlung nicht nur zuhören und zusehen, sondern sich prinzipiell auch Notizen machen.36 Darüber hinaus kann es ihnen gestattet werden, all jene Dokumente einzusehen, die dem Gericht vorliegen und auf die in einer Verhandlung Bezug genommen wird.37 So wurde Vertretern einer Zeitung etwa Einblick in die opening notes und skeleton arguments der Parteien zugesprochen.38 Begehren Medienvertreter einen solchen Einblick, streitet eine Vermutung dafür, dass sie ihn auch erhalten dürfen.39 29 R (on the application of Pelling) v. Bow County Court [2000] Lexis Citation 4058, Rn. 52. 30 McPherson v. McPherson [1936] A.C. 177 (196 f. [Lord Blanesburgh]). 31 Jaconelli, Open Justice, S. 24. 32 Attorney General v. Leveller Magazine Ltd. [1979] A.C. 440 (450). 33 Jaconelli, Open Justice, S. 2. 34 R. v. Felixstowe Justices Ex p. Leigh [1987] Q.B. 582 (592). 35 A v. BBC [2015] A.C. 588 (600 [Lord Reed]). 36 R. (on the application of Ewing) v. Cardiff and Newport Crown Court [2016] 1 Cr.App.R. 32, 516 (524). 37 R. (on the application of Guardian News and Media Ltd) v. City of Westminster Magistrates’ Court [2013] Q.B. 618 (650). Überblicksartig zu den Informationen, die Medienvertretern zustehen: Dodd/Hanna, McNae’s, 15.12. 38 R. (on the application of Guardian News and Media Ltd) v. City of Westminster Magistrates’ Court [2013] Q.B. 618 (631 f., 651). 39 Dodd/Hanna, McNae’s, 15.13.1.
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Kap. 4: Gerichtssaalberichterstattung in England
3. Grenzen des open justice principle Dem open justice principle sind allerdings sowohl für gewöhnliche Bürger als auch für Medienvertreter Grenzen gesetzt, die teils dem common law entstammen und teils in Gesetzen enthalten sind. Die Öffentlichkeit kann nach dem common law ausgeschlossen werden, wenn durch ihre Anwesenheit die Rechtspflege undurchführbar würde.40 Die Anforderungen daran sind hoch: Der Ausschluss muss erforderlich sein, um die Rechtspflege zu gewährleisten.41 „A mere desire to consider feelings of delicacy or to exclude from publicity details which it would be desirable not to publish is not [...] enough“42. Des Weiteren muss das Gericht ihn auf Material stützen können, das vernünftigerweise den Schluss zulässt, dass die Öffentlichkeit die Rechtspflege gefährdet.43 Das droht insbesondere, wenn sie das Ziel eines Verfahrens vereiteln würde.44 Beispiele hierfür sind Patentprozesse.45 Denkbar ist es daneben, dass Zeugen wie zum Beispiel Opfer von Sexualstraftaten nur in der nicht öffentlichen Verhandlung aussagen können und die Öffentlichkeit daher ausgeschlossen werden muss, um sie zur Aussage zu bewegen.46 Als nicht ausreichend wurde es dagegen eingestuft, dass die Angeklagte Angst hatte, in öffentlicher Verhandlung peinliche Details aus ihrer gescheiterten Ehe sowie medizinische Umstände zu erläutern.47 Wie das open justice principle selbst sind auch die Möglichkeiten des Öffentlichkeitsausschlusses mittlerweile in einigen Procedure Rules niedergeschrieben. So enthält etwa r. 39.2(3) CPR für Zivilprozesse diverse Ausschlussgründe.48 Nach r. 39.2(3)(d) CPR kann die Öffentlichkeit bspw. ausgeschlossen werden, um die Interessen eines Kindes zu schützen.
40 Scott v. Scott [1913] A.C. 417 (437 [Viscount Haldane], 446 [Earl Loreburn]); Attorney General v. Leveller Magazine Ltd. [1979] A.C. 440 (450 [Lord Diplock]); Bank Mellat v. HM Treasury [2014] A.C. 700 (730 [Lord Neuberger]). 41 Scott v. Scott [1913] A.C. 417 (436, 438 [Viscount Haldane]); Attorney General v. Leveller Magazine Ltd. [1979] A.C. 440 (450 [Lord Diplock]); Donald v. Ntuli [2011] 1 WLR 294 (306); Al-Rawi v. Security Service [2012] 1 A.C. 531 (597 [Lord Mance]); Bank Mellat v. HM Treasury [2014] A.C. 700 (730 [Lord Neuberger]). 42 Scott v. Scott [1913] A.C. 417 (439 [Viscount Haldane]). 43 Attorney General v. Leveller Magazine Ltd. [1979] A.C. 440 (471 [Lord Scarman]). 44 Scott v. Scott [1913] A.C. 417 (437 [Viscount Haldane], 445 [Earl Loreburn], 482 f. [Lord Shaw]). 45 Eady/Londono/Smith, Arlidge, Eady & Smith, 7-86. 46 Dodd/Hanna, McNae’s, 15.3. 47 R. v. Malvern Justices Ex p. Evans [1988] Q.B. 540 (545, 550). 48 Lord Irvine, I.J.N.S. 34 (1999), 1 (9) weist zutreffend darauf hin, dass es sich in großen Teilen um die bereits in Scott v. Scott [1913] A.C. 417 erwähnten Gründe handelt.
B. Rechtliche Rahmenbedingungen der Gerichtssaalberichterstattung in England 251
Ein richterlicher Öffentlichkeitsausschluss auf der Basis des common law darf zuletzt stets nur in dem Ausmaß erfolgen, in dem sein Zweck dies erfordert.49 Das bedeutet, dass alle gegenüber einem Ausschluss milderen Mittel vorgezogen werden müssen.50 Das Gericht kann zum Beispiel nach s. 11 Contempt of Court Act 1981 (CCA 1981) anordnen, dass Zeugen anonym bleiben müssen, oder auf Basis von s. 4(2) CCA 1981 vorschreiben, dass Medienberichte über eine bestimmte Verhandlung erst zeitversetzt veröffentlicht werden dürfen.51 Vom open justice principle kann außerdem abgewichen werden, wo dies gesetzlich vorgesehen ist.52 Ein Beispiel für den Ausschluss der Öffentlichkeit durch das Gesetz selbst liefert s. 47(2) Children and Young Persons Act 1933. Die Allgemeinheit hat danach keinen Zutritt zu den Sitzungen der Jugendgerichte. Das gilt jedoch u. a. nicht für die Vertreter von Zeitungen oder von Nachrichtenagenturen, die ihnen beiwohnen dürfen. Beispiele für Gesetze, die den Ausschluss der Öffentlichkeit ins Ermessen des Gerichts stellen, sind s. 8(4) Official Secrets Act 1920 sowie s. 11(4) Official Secrets Act 1989. Danach kann die Öffentlichkeit in Verfahren aufgrund der Publikation von Staatsgeheimnissen von der Beweisaufnahme ausgeschlossen werden, wenn andernfalls die nationale Sicherheit gefährdet würde. Sämtliche gesetzliche Ausnahmen vom open justice principle müssen jedoch eng ausgelegt und angewendet werden.53 4. Ergebnis zum open justice principle Das open justice principle garantiert Medienvertretern im Grundsatz in allen Verfahren vor englischen Gerichte nicht nur den Zutritt hierzu, sondern explizit auch die Berichterstattung hierüber. Die Öffentlichkeit, und damit die Berichterstattung, kann nur unter hohen Voraussetzungen ausgeschlossen werden, sofern in ihrer Folge die Rechtspflege undurchführbar würde oder ein Gesetz es vorsieht. Inwiefern Radioreporter, Fotografen oder Reporter, die einen Live-Ticker General v. Leveller Magazine Ltd. [1979] A.C. 440 (450 [Lord Diplock]). S. hierzu aus jüngerer Zeit auch Bank Mellat v. HM Treasury [2014] A.C. 700 (730 [Lord Neuberger]): „the degree of privacy [must be] kept to an absolute minimum“; In re Guardian News and Media Ltd and Others [2015] 1 Cr.App.R. 4 (36, 41): „[n]o more than the minimum departure from open justice“. 50 R. v. Ealing Justices Ex p. Weafer [1982] 74 Cr.App.R. 204 (206); R. v. Reigate Justices Ex p. Argus Newspapers [1983] 5 Cr.App.R. (S.) 181 (185); Donald v. Ntuli [2011] 1 WLR 294 (306). 51 Judicial College, Reporting Restrictions, S. 9. 52 Attorney General v. Leveller Magazine Ltd. [1979] A.C. 440 (450 [Lord Diplock]). Eine Übersicht über die gesetzlichen Ausnahmen findet sich bei S (A Child) (Identification: Restrictions on Publication), Re [2005] 1 A.C. 593 (604 f. [Lord Steyn]). 53 R. v. London (North) Industrial Tribunal Ex p. Associated Newspapers Ltd. [1998] I.C.R. 1212 (1224). 49 Attorney
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Kap. 4: Gerichtssaalberichterstattung in England
betreiben, in einer öffentlichen Verhandlung tätig werden dürfen, regelt das open justice principle allerdings nicht.
II. Rechtliche Rahmenbedingungen für Bild- und Bild/Ton-Aufnahmen 1. Absolutes Aufnahme- und Veröffentlichungsverbot nach s. 41(1) Criminal Justice Act 1925 a) Gesetzgeberische Formulierung des Verbots S. 41(1)(a) Criminal Justice Act (CJA) 1925 verbietet es, im Gericht eine Fotografie herzustellen oder dies zu versuchen, und untersagt es, an diesem Ort mit Veröffentlichungsabsicht ein Porträt oder eine Zeichnung anzufertigen oder dies zu versuchen, wenn ein Richter des Gerichts, ein Juror, ein Zeuge oder eine Partei eines Verfahrens vor dem Gericht darauf zu sehen sind. S. 41(1)(b) CJA 1925 verbietet es daneben, Fotografien, Porträts oder Zeichnungen, die entgegen des gesetzlichen Verbots angefertigt wurden, oder deren Reproduktion zu veröffentlichen. Weil diese Arbeit nur Aufnahmen betrifft, werden die Vorgaben für Porträts und Zeichnungen im Folgenden außer Betracht gelassen. Untersucht wird nur, welche Grenzen der Herstellung und Veröffentlichung von Bild- und Bild/ Ton-Aufnahmen gezogen werden. b) Motive des Gesetzgebers Der Erlass des s. 41 CJA 1925 stand zeitlich in einem engen Zusammenhang mit dem Erscheinen erster bebilderter Zeitungen in England.54 Sie druckten Bild-Aufnahmen von Strafprozessen55 und Scheidungsverfahren56 ab – von zwei Verfahrensarten also, deren Abbildung im Parlament auf starke Ablehnung stieß. Seine Debatten lassen drei Begründungsansätze für das Verbot erkennen:57 Einige Parlamentarier wollten verhindern, dass Angeklagte, Zeugen oder ihre Angehörigen an den Pranger gestellt werden.58 Sie nahmen die Perspektive der Betroffenen ein 54
1904 erschien in England mit „The Daily Mirror“ die weltweit erste Zeitung dieser Art (Dockray, MLR 51 (1988), 593 [594]). 55 Häufig wird die Aufnahme von Frederick Seddon angeführt, die während der Verkündung seines Todesurteils angefertigt wurde. Zu diesem Vorgang ausführlich: Dockray, Counsel Mai/Juni 1989, 17. 56 Mason, Amicus Curiae 91 (2012), 22. 57 Mason, Amicus Curiae 91 (2012), 22 (26) kritisiert aber die mangelnde Kohärenz und Eindeutigkeit der Begründung. Rubin, Crim.L.R. 2008, 874 (877) bemängelt, eine überzeugende Begründung sei im Parlament nie vorgetragen worden. 58 Harney, HC Deb 11.05.1925, Vol. 183, § 1599; Joynson-Hicks, HC Deb 20.11.1925, Vol. 188, § 839.
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und betonten, wie grausam es für sie sein müsse, vor Gericht fotografiert zu werden59 und wie sehr Bild-Aufnahmen die Aufgenommenen verängstigen müssten60. In Bezug auf Angeklagte verwiesen sie zudem darauf, dass bei der Aufnahme nicht feststehe, ob sie schuldig seien.61 Für die Erstreckung des Verbots auf Aufnahmen der Jury führten sie an, den Juroren gefalle es nicht, im Gericht fotografiert zu werden.62 Andere Abgeordnete stellten auf die sozialen Auswirkungen der Aufnahmen ab. Sie argumentierten, die Aufnahmen der Scheidungsprozesse trügen dazu bei, dass darüber im Detail berichtet werden könne.63 Das sei der öffentlichen Moral abträglich.64 Das Verbot sei danach im Interesse der guten Sitten.65 Tinker forderte: „Let us try and keep the Court of Justice a bit cleaner than many other places are.“66 Wiederum andere Abgeordnete betonten den Einfluss der Aufnahmen auf das Gericht und die Verhandlung. Sie argumentierten, die Aufnahmen könnten die Zeugen von der Aussage abhalten67 und damit der Gerechtigkeit abträglich sein.68 Die Beteiligten würden des Weiteren aus dem mentalen Gleichgewicht gebracht, das sie für die Verhandlungen benötigten.69 Auch der Würde des Gerichts könnten Aufnahmen abträglich sein.70 c) Tatbestand des s. 41(1) Criminal Justice Act 1925 aa) „Minefield of obscurity“ Die Tatbestandsvoraussetzungen des Verbots nach s. 41(1) CJA 1925 ergeben sich teils aus dem Wortlaut der Norm, insbesondere aus den Legaldefinitionen des s. 41(2) CJA 1925. Überwiegend wurde seine Auslegung aber der RechtspreEarl of Desart, HL Deb 16.07.1925, Vol. 62, § 141; Lord Sandhurst, HL Deb 16.07.1925, Vol. 62, § 156. 60 Rawlinson, HC Deb 20.11.1925, Vol. 188, §§ 834 f. 61 Joynson-Hicks, HC Deb 20.11.1925, Vol. 188, § 839; Lord Sandhurst, HL Deb 16.07.1925, Vol. 62, §§ 156 f. 62 Viscount Haldane, HL Deb 18.03.1924, Vol. 56, § 797. 63 Lord Darling, HL Deb 16.07.1925, Vol. 62, §§ 131 f.; Earl of Desart, HL Deb 16.07.1925, Vol. 62, § 141. 64 Viscount Cave, HL Deb 16.07.1925, Vol. 62, § 142; Lord Darling, HL Deb 16.07.1925, Vol. 62, §§ 131 f. 65 Crawfurd, HC Deb 11.05.1925, Vol. 183, § 1625. 66 Tinker, HC Deb 20.11.1925, Vol. 188, § 843. 67 Benn, HC Deb 20.11.1925, Vol. 188, § 837. 68 Earl of Desart, HL Deb 16.07.1925, Vol. 62, § 141; Rawlinson, HC Deb 20.11.1925, Vol. 188, § 835. Wohl auch Joynson-Hicks, HC Deb 20.11.1925, Vol. 188, § 840. 69 Broad, HC Deb 20.11.1925, Vol. 188, § 836. 70 Broad, HC Deb 20.11.1925, Vol. 188, § 836. 59
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chung und Literatur überlassen, sodass sie nicht bezüglich aller Voraussetzungen einheitlich erfolgt. Dockray bezeichnete die Norm daher gar als „minefield of obscurity literally beginning to end“71. bb) Erfasste Arten der Aufnahmen Dem Wortlaut nach bezieht s. 41(1) CJA 1925 sich allein auf Fotografien, also auf reine Bild-Aufnahmen. Der Begriff wird in der Rechtsprechung aber weit ausgelegt, sodass auch Bild/Ton-Aufnahmen davon erfasst sind. Erstmals geschah dies im Jahr 1976 im Zusammenhang mit der Verhandlung vor einem Kirchengericht. Die BBC wollte diesen Prozess für eine Sendung über das englische Landleben filmen und beantragte dies beim Gericht.72 Der zuständige Richter hielt Bild/Ton-Aufnahmen zwar für potentiell nützlich, sah sich jedoch durch s. 41(1) CJA 1925 daran gehindert, sie zuzulassen.73 Sinn und Zweck des Verbotes sei schließlich, die Privatsphäre der Richter und der anderen Betroffenen vor auch nur gefühlten unwillkommenen Eingriffen zu schützen. Das sei für die ordentliche Durchführung der Verhandlung unerlässlich. Daneben werde die ordnungsgemäße Rechtspflege beeinträchtigt, wenn Richter oder Zeugen dem Druck, der Verlegenheit und dem Unbehagen ausgesetzt seien, die daraus folgten, dass sie bei der Arbeit aufgenommen werden und erwarten müssen, in den Medien zu erscheinen.74 Jene grundlegende Entscheidung wurde in zwei jüngeren Urteilen bestätigt, die sich zwar mit Bild/Ton-Aufnahmen im Gericht beschäftigten, jedoch nicht mit Aufnahmen der Medien. 1986 befasste ein englisches Gericht sich mit der Frage, ob Befragungen (depositions) der Beklagten in einem US-amerikanischen Prozess, die sich in England aufhielten, aufgenommen werden dürfen.75 Weil diese Aufnahmen nicht im Gericht angefertigt wurden, kam es auf s. 41 CJA 1925 streng genommen nicht an. Das Gericht betonte dennoch, dass gesetzlich zwar nur Ton-76 und Bild-Aufnahmen geregelt seien, Bild/Ton-Aufnahmen aber ebenfalls verboten seien.77 Die jüngste Entscheidung fiel 2001 in Bezug auf Bild/Ton-Aufnahmen einiger Angeklagter im Gewahrsam in einem magistrates’ court. Die Aufnahmen wurden im späteren Strafprozess für ihre Identifikation als Täter verwendet.78 In seiDockray, JMLP 6 (1985), 244 (245). In Re St. Andrew’s, Heddington [1978] Fam. 121. 73 In Re St. Andrew’s, Heddington [1978] Fam. 121 (124). 74 In Re St. Andrew’s, Heddington [1978] Fam. 121 (125). 75 J. Barber & Sons v. Lloyd’s Underwriters [1987] Q.B. 103. 76 Zu deren gesetzlichen Rahmenbedingungen ausführlich: Kap. 4, B. III. 77 J. Barber & Sons v. Lloyd’s Underwriters [1987] Q.B. 103 (105). 78 R. v. Loveridge (William) [2001] 2 Cr.App.R. 29, 591. 71 72
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nem Urteil führte das Gericht an, der Wortlaut des s. 41 CJA 1925 sei sehr weit. Es wäre seltsam, wenn das Verbot zwar für die Anfertigung eines einzelnen Bildes gelte, nicht aber für die Herstellung eines ganzen Films, der größeren Einfluss auf die Rechtspflege haben könne. Als die Vorschrift erlassen wurde, seien Videokameras noch nicht bedacht worden. Wende man sie in der heutigen Zeit an, müssten diese jüngeren Entwicklungen einbezogen werden. Demnach sei die Vorschrift so zu verstehen, dass sie auch Bild/Ton-Aufnahmen verbiete.79 cc) Mögliche Tathandlungen Ein Verstoß gegen s. 41(1) CJA 1925 ist auf drei unterschiedliche Arten möglich: (1) Indem eine Aufnahme hergestellt wird, (2) indem versucht wird, eine Aufnahme herzustellen (s. 41(1)(a) CJA 1925) oder (3) indem eine verbotene Aufnahme veröffentlicht wird (s. 41(1)(b) CJA 1925). Keinerlei Probleme wirft unter Zugrundelegung des allgemeinen Begriffsverständnisses die Herstellung der Aufnahme auf, die erste mögliche Tathandlung. Weniger eindeutig ist, wann ein Versuch vorliegt und damit die zweite denkbare Tathandlung begangen wurde. Cram beschreibt zwei Auslegungsmöglichkeiten: Bei einem weiten Begriffsverständnis sei es bereits verboten, Kameras in das Gericht mitzubringen, wenn nachzuweisen sei, dass hiermit Aufnahmen angefertigt werden sollten.80 Bei enger Auslegung sei ein Versuch jedenfalls zu bejahen, wenn der Auslöser der mitgebrachten Kamera betätigt werde.81 Auch die dritte mögliche Tathandlung, die Publikation der Aufnahme, wird in der Literatur unterschiedlich ausgelegt. Verstehe man sie weit, sei die Veröffentlichung bereits zu bejahen, wenn die Aufnahme irgendeinem Dritten gezeigt werde.82 Hierfür spreche, dass die Kenntnis eines Einzelnen ausreichen könne, um in einem Strafverfahren die noch ausstehende bildliche Identifikation des Angeklagten zu vereiteln.83 Im Interesse der Rechtseinheit könne der Begriff jedoch auch eng ausgelegt werden und die „Veröffentlichung“ ebenso definiert werden wie der gleichlautende Begriff in s. 2(1) CCA 1981.84 Dieser sieht als Veröffentlichung jede Mitteilung an, die, gleich in welcher Form, an die Öffentlichkeit im Allgemeinen oder einen Teil hiervon gerichtet ist. Einigkeit besteht damit nur im Hinblick auf die Herstellung der Aufnahmen. Im Übrigen ist umstritten, wann die jeweilige Tathandlung begangen wurde. 79
R. v. Loveridge (William) [2001] 2 Cr.App.R. 29, 591 (597). Dies ablehnend Cram, Borrie & Lowe, 12.13. 81 Cram, Borrie & Lowe, 12.13 in Fn. 10. 82 Miller/Perry, Contempt of Court, 4.132 in Fn. 350. 83 Cram, Borrie & Lowe, 12.13. 84 Cram, Borrie & Lowe, 12.13. 80
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Kap. 4: Gerichtssaalberichterstattung in England
dd) Erfasste Gerichte Gemäß s. 41(1)(a) CJA 1925 wird jedes Gericht vom Verbot erfasst. S. 41(2)(a) CJA 1925 definiert „Gericht“ als jeden Gerichtshof (court of justice) und schließt explizit das Untersuchungsgericht (court of a coroner) ein. Ausgenommen wird nur der Supreme Court.85 Neben Gerichten sind in England in vielen Bereichen jedoch Tribunale (tribunals) mit der Konfliktlösung beauftragt. Im Arbeitsrecht wird zum Beispiel das Employment Tribunal tätig.86 Ob Tribunale auch Gerichte i. S. des s. 41(1)(a) CJA 1925 sind und demnach unter das Verbot der Aufnahmen fallen, wird unterschiedlich beurteilt.87 Dockray definiert die Gerichte als „bodies engaged in the conduct of judicial business“88. Demnach wären jedenfalls die Tribunale vom Verbot erfasst, die Aufgaben der Rechtsprechung übernehmen. Für die Einbeziehung speziell der industrial tribunals und der mental health tribunals spricht nach der Ansicht einiger Autoren des Weiteren, dass die Rechtsprechung sie auf dem eng verwandten Rechtsgebiet des contempt of court89 als Gerichte einordete.90 Dagegen betrachtet Jaconelli das Fehlen der Tribunale in der Aufzählung als Redaktionsversehen des Gesetzgebers, aus dem er die Unanwendbarkeit des Verbots ableitet. Das Parlament habe die Erstreckung des Verbots auf Tribunale vergessen, weil Tribunale bei Erlass des Verbots in den 1920er Jahren nur sehr selten eingesetzt wurden.91 Dementsprechend wurde das Verbot lange Zeit in der Praxis ausgelegt: Einige Tribunale ließen noch in den 1980er Jahren Aufnahmen zu Beginn ihrer Verhandlungen zu.92 Ob Aufnahmen nicht nur an Gerichten im engeren Sinne, sondern auch an einigen oder gar allen Tribunalen verboten sind, ist mithin umstritten.
85 Ausführlich
zu dieser Ausnahme: Kap. 4, B. II. 2. Dazu und zur Rolle der Tribunale in England überblicksartig: Courts and Tribunals Judiciary, Introduction to Tribunals (abrufbar unter www.judiciary.gov.uk/about-the-judiciary/ who-are-the-judiciary/judicial-roles/tribunals/tribunals, Stand: 13.12.2019). 87 Dies ohne Begründung bejahend Dodd/Hanna, McNae’s, 12.1; Miller/Perry, Contempt of Court, 4.129 in Fn. 347. Für Tribunale, die ein superior court of record sind, ebenso Department for Constitutional Affairs, Broadcasting Courts, S. 22. 88 Dockray, L.Q.R. 109 (1992), 561 (562). 89 Zu diesem Rechtsinstitut im Kontext der Bild/Ton- und Bild-Aufnahmen ausführlich: Kap. 4, B. II. 5. 90 Cram, Borrie & Lowe, 12.14 unter Bezugnahme auf die Urteile Peach Grey & Co. v. Sommers [1995] I.C.R. 549 (557 f.) und Pickering v. Liverpool Daily Post and Echo [1991] 2 A.C. 370 (380 f.). 91 Jaconelli, Open Justice, S. 318. 92 General Council of the Bar, Televising the Courts, S. 10. 86
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ee) Zeitlicher Anwendungsbereich S. 41(1) CJA 1925 legt weder die zeitliche Anwendbarkeit des Aufnahmeverbots noch die des Veröffentlichungsverbots fest. Für das Verbot der Veröffentlichung wird daher vertreten, es unterliege keiner zeitlichen Begrenzung.93 Die Publikation einer Aufnahme ist damit auch Jahre oder gar Jahrzehnte nach dem Abschluss des jeweiligen Verfahrens verboten. Große Uneinigkeit besteht dagegen bezüglich des zeitlichen Anwendungsbereichs des Aufnahmeverbots. In der Praxis wurde und wird es unterschiedlich angewendet: Den Medien wurde in der Vergangenheit zwar bereits mehrfach gestattet, außerhalb der Verhandlungen Aufnahmen im Gericht herzustellen.94 So wurden in den Gerichtsgebäuden bspw. Pressekonferenzen durchgeführt, die aufgezeichnet werden durften.95 Zugleich ist es üblich, jedenfalls den „gewöhnlichen“ Zuschauern Aufnahmen im Gericht zu untersagen.96 Dockray argumentiert systematisch gegen eine Erstreckung des zeitlichen Anwendungsbereichs auf Zeiträume außerhalb der Verhandlung und ähnlicher richterlicher Tätigkeiten. Sein Ausgangspunkt hierfür ist der Begriff „Gericht“ in s. 41(1)(a) CJA 1925. Dies könne sowohl den Ort, an dem verhandelt werde, als auch den oder die Richter meinen, die dort verhandelten.97 Verstände man das Wort räumlich, führte das in der Praxis jedoch zu Schwierigkeiten. Nach s. 41(2) (c) CJA 1925 seien die Aufnahmen schließlich nicht nur im Gerichtssaal, sondern im gesamten Gebäude und in dessen Umfeld verboten. Manche Gerichtssäle bzw. -gebäude würden zeitweise jedoch zu anderen Zwecken genutzt. Die Aufnahmen in diesen Räumen wären bei einer räumlichen Auslegung auch verboten, während die Gebäude für andere Tätigkeiten genutzt würden. Diese Folge sei „absurd“98. Die Legaldefinition von „Gericht“ nach s. 41(2)(a) CJA 1925 beziehe sich ebenfalls auf die Richter, nicht auf den Sitzungsort.99 Auch der Wortlaut des s.41(1)(a) CJA 1925 streite hierfür. Er erfasse den Richter „des Gerichts“ und Juroren, Zeugen und Parteien „vor diesem Gericht“ und meine mit „Gericht“ demnach das Richtergremium. Dass nach s. 41(2)(c) CJA 1925 eine Aufnahme Cram, Borrie & Lowe, 12.13 jedenfalls für die Veröffentlichung von Zeichnungen. Cram, Borrie & Lowe, 12.13; Dockray, JMLP 6 (1985), 244; General Council of the Bar, Televising the Courts, S. 10; Rozenberg, Search for Justice, S. 189. 95 Rozenberg, Search for Justice, S. 189. 96 Cram, Borrie & Lowe, 12.13 in Fn. 15. 97 Dockray, JMLP 6 (1985), 244 (247). 98 Dockray, JMLP 6 (1985), 244 (248). Als Beispiel benennt er eine Kirche, in der gelegentlich ein Kirchengericht tagt. Dort dürften bei einem räumlichen Verständnis von „Gericht“ bspw. keine Hochzeitsfotos angefertigt werden. 99 Dockray, JMLP 6 (1985), 244 (249). 93 So 94
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als im Gericht angefertigt gilt, wenn sie im Gerichtssaal hergestellt wurde, zeige ebenfalls, dass „Gericht“ nicht deckungsgleich mit „Gerichtssaal“ sei.100 Verstände man den Begriff also nicht räumlich, sondern als Synonym für die Richter,101 sei das Verbot nur anwendbar, wenn diese in ihrer Funktion als Gericht tätig würden. Im Übrigen sei der zeitliche Anwendungsbereich des s. 41(1)(a) CJA 1925 nicht eröffnet.102 Im Großen und Ganzen müsse die Geltung des Aufnahmeverbots demnach an die Öffnungszeiten des jeweiligen Gerichts geknüpft werden.103 Ebenso will auch Jaconelli das Verbot nur auf den Zeitraum beziehen, in dem das Gerichtsgebäude für die rechtsprechende Tätigkeit genutzt wird, also auf dessen Öffnungszeiten. Er will jedoch auch kurze Verhandlungsunterbrechungen wie die Vertagung der Verhandlung aus dem zeitlichen Anwendungsbereich ausnehmen104 – wohl unabhängig von den Öffnungszeiten des Gerichtsgebäudes. Dockray ist dagegen der Ansicht, infolge der Erstreckung des Aufnahmeverbots auf das Gerichtsgebäude und dessen Umgebung in s. 41(2)(c) CJA 1925 gelte das Verbot auch für die Unterbrechungen.105 Einigkeit besteht demnach nur darüber, dass das Aufnahmeverbot zeitlich anwendbar ist, während das Gericht rechtsprechend tätig wird. Ob es außerhalb der Öffnungszeiten des Gerichts und in den Pausen der richterlichen Tätigkeit eingreift, ist dagegen umstritten. ff) Räumlicher Anwendungsbereich S. 41(1)(a) CJA 1925 verbietet Aufnahmen im Gericht (in court). Als im Gericht angefertigt gelten nach s. 41(2)(c) CJA 1925 Aufnahmen im Gerichtssaal, im Gebäude oder im Umfeld des Gebäudes, in dem das Gericht tätig ist. Zudem werden diejenigen Aufnahmen erfasst, die von einer in s. 41(1)(a) CJA 1925 genannten Person angefertigt werden, während sie einen dieser Orte betritt oder verlässt. Trotz dieser recht detaillierten Vorgaben besteht über den räumlichen Anwendungsbereich des Aufnahmeverbots große Uneinigkeit. Keinerlei Probleme werfen aufgrund der klar erkennbaren räumlichen Grenzen Aufnahmen im Gerichtssaal auf. Auch Aufnahmen im übrigen Gerichtsgebäude sind eindeutig verboten. Umstritten ist die Rechtslage aber, wenn die Verhandlung außerhalb des Gerichts stattfindet, etwa bei einer Augenscheinnahme. Dockray, JMLP 6 (1985), 244 (249). Dockray, JMLP 6 (1985), 244 (249); ders., L.Q.R. 109 (1992), 561 (562). 102 Dockray, JMLP 6 (1985), 244 (249). Ähnlich auch Blom-Cooper, Counsel April/Mai 1989, 13: „while the court is sitting“. 103 Dockray, JMLP 6 (1985), 244 (250). 104 Jaconelli, Open Justice, S. 318. 105 Dockray, JMLP 6 (1985), 244 (249). 100 101
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Überwiegend wird vertreten, der räumliche Anwendungsbereich sei in diesem Fall nicht eröffnet.106 Hierfür wird auf den Wortlaut der Norm verwiesen: Sie setze einen räumlichen Zusammenhang der Aufnahmen mit dem Gebäude voraus, der in diesem Fall fehle.107 Dockray hält dem sein bereits zum zeitlichen Anwendungsbereich dargestelltes funktionales Verständnis des Begriffs „Gericht“ entgegen.108 Auch für die räumliche Anwendbarkeit des Aufnahmeverbots komme es nur darauf an, ob die Richter ihre Aufgaben erfüllten. Geschehe dies außerhalb des Gerichtsgebäudes, sei auch dieser Ort von dem Verbot erfasst.109 Gleichermaßen begreift Jaconelli den Anwendungsbereich. Dieselben Gründe, die im Gerichtssaal für ein Aufnahmeverbot stritten, ließen sich schließlich auch für eine Untersagung außerhalb des Gerichts anführen.110 Unklar ist außerdem, was zum Umfeld des Gerichtsgebäudes gehört, in dem die Aufnahmen verboten sind. Abstrakt wird hierfür auf die Grenzen des Gerichtsgrundstücks Bezug genommen.111 Konkret wird gefordert, alle Freiflächen im Gerichtsgebäude einzubeziehen, die für die Öffentlichkeit nur nach einer Kontrolle zugänglich seien.112 Dockray schlägt, wiederum bei funktionaler Auslegung, dagegen vor, nur jene Bereiche zum Umfeld des Gerichtsgebäudes zu zählen, die zum relevanten Zeitpunkt von den Personen, die in s. 41(1)(a) CJA 1925 genannt werden, für die Verhandlungszwecke verwendet werden.113 Grundlegend anders wollen manche dem Gericht selbst die Befugnis übertragen, das Umfeld in jedem Einzelfall festzulegen.114 In medienwirksamen Verfahren haben Gerichte in der Praxis bereits Vorgaben dieser Art gemacht.115 Dem wird jedoch entgegengehalten, dass derartige Vorgaben rechtlich unverbindlich seien. Cassell, The Photographer, S. 82; Dodd/Hanna, McNae’s, 12.1.2; Eady/Londono/Smith, Arlidge, Eady & Smith, 10-213. 107 Eady/Londono/Smith, Arlidge, Eady & Smith, 10-213. 108 Vgl. Kap. 4, B. II. 1. c) ee). 109 Dockray, JMLP 6 (1985), 244 (249 in Fn. 17). Wohl auch ders., L.Q.R. 109 (1992), 561 (562). 110 Jaconelli, Open Justice, S. 324. 111 Joynson-Hicks, HC Deb 20.11.1925, Vol. 188, § 848. Ähnlich Robertson/Nicol, Media Law, 8-110: Umfasst sei der Bereich, der von Wänden oder Außengrenzen des Gebäudes umschlossen ist, also auch der Innenhof. 112 Cram, Borrie & Lowe, 12.13. 113 Dockray, JMLP 6 (1985), 244 (249 f.). 114 Cassell, The Photographer, S. 81; Joynson-Hicks, HC Deb 20.11.1925, Vol. 188, § 848. 115 Eady/Londono/Smith, Arlidge, Eady & Smith, 10-213; Metz, Dick.J.Int’l L. 14 (1996), 673 (687). Der Report of the Committee on Contempt of Court, Cmnd. 5794, § 41 empfahl dazu, Karten oder Pläne des Gerichtsgrundstücks zu publizieren, in denen das Umfeld eingezeichnet ist. 106
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Kap. 4: Gerichtssaalberichterstattung in England
Auch bleibe offen, was zu dem Umfeld gehöre, wenn das Gericht es einmal nicht bestimmt habe.116 Ein weiterer Streitpunkt ist die Anwendbarkeit des Aufnahmeverbots auf die Straße bzw. den Fußweg vor dem Gerichtsgebäude. Sie könnten ebenfalls zum Umfeld des Gerichtsgebäudes gerechnet werden.117 In der Parlamentsdebatte vor dem Erlass des Verbotes wurde darauf hingewiesen, dass gerade dort Fotografen warteten, sodass das Aufnahmeverbot leerliefe, wenn es an diesem Ort nicht angewendet werde.118 Eine derart weite Auslegung wird aber überwiegend abgelehnt.119 Ihr wurde bereits in der Parlamentsdebatte entgegengehalten, dass den Medien dadurch im Ergebnis jegliche Möglichkeit genommen wird, Berichte über Gerichtsverfahren zu illustrieren.120 Daneben sei das Verbot strafbewehrt. Es dürfe also nicht ohne Not zu sehr ausgedehnt werden.121 Eng mit dieser Diskussion verwandt, ist die Frage, wann eine Person das Umfeld des Gebäudes betritt oder verlässt und ihre Aufnahme deshalb verboten ist. In der Parlamentsdebatte wurde vertreten, dies könne das Gericht in jedem Einzelfall entscheiden.122 Zudem wird in jüngerer Zeit vereinzelt argumentiert, jedenfalls der Fotograf, der derart nahe an den Eingang des Gerichtsgebäudes herankomme, dass seine Fotografierabsicht deutlich werde, sei vom Verbot erfasst.123 Der Fotograf dagegen, der etwa vom Ende der Straße aus fotografiere, bewege sich nicht im Anwendungsbereich des Verbots.124 Überwiegend wird der Standort des Fotografen jedoch als irrelevant beurteilt: Auch ein Fotograf, der unter Einsatz eines Teleobjektivs aus einiger Distanz Aufnahmen anfertige, müsse von dem Verbot erfasst sein.125 Zusammenfassend fallen die Aufnahmen im Gericht stets in den räumlichen Anwendungsbereich des Verbotes. Ob es bei Verhandlungen außerhalb des Gebäudes ebenfalls gilt und wie weit dessen Umfeld reicht, in dem das Verbot noch gilt, ist dagegen umstritten. Ebenso verhält es sich mit der Frage, aus welcher Entfernung die Aufnahmen einer Person, die ein Gerichtsgebäude betritt oder Cram, Borrie & Lowe, 12.13. So wohl Rolph, NLJ 141 (1991), 1716. 118 Hume-Williams, HC Deb 20.11.1925, Vol. 188, § 850. 119 Etwa von der Metropolitan Police in einem Bericht aus 1938, zitiert nach Rubin, Crim.L.R. 2008, 874 (882). Ablehnend auch Robertson/Nicol, Media Law, 8-110. 120 Benn, HC Deb 20.11.1925, Vol. 188, § 852. 121 Benn, HC Deb 20.11.1925, Vol. 188, § 850. 122 Joynson-Hicks, HC Deb 20.11.1925, Vol. 188, § 850. 123 So sind wohl Dodd/Hanna, McNae’s, 12.1 zu verstehen, die Fotografen auf dem öffentlichen Fußweg vor dem Gericht hierunter subsumieren. 124 Joynson-Hicks, HC Deb 20.11.1925, Vol. 188, § 850. 125 Cram, Borrie & Lowe, 12.13; Jaconelli, Open Justice, S. 325; Robertson/Nicol, Media Law, 8-110. 116 117
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verlässt, hergestellt werden müssen, um nicht mehr in den räumlichen Anwendungsbereich des Verbots zu fallen. gg) Geschützte Personen Porträts und Zeichnungen sind gemäß s. 41(1)(a) CJA 1925 lediglich verboten, wenn sie gewisse Personen abbilden: die Richter des Gerichts,126 die Juroren, die Zeugen oder die Parteien eines Verfahrens vor diesem Gericht. Angeklagte werden nicht ausdrücklich erwähnt, jedoch unter den Begriff „Partei“ subsumiert.127 Nicht untersagt sind damit Porträts und Zeichnungen der Anwälte,128 der Zuschauer129 sowie sonstiger Gerichtsbediensteter130. Aus dem Wortlaut der Norm ergibt sich aber nicht, ob das Aufnahmeverbot ebenfalls nur gilt, wenn Aufnahmen der geschützten Personen angefertigt werden. Ein solches, enges Verständnis des Verbots wird von einigen Autoren vertreten.131 Sie tragen dafür systematische Argumente vor: Hätte die Einschränkung nicht für die Aufnahmen gelten sollen, hätte der Gesetzgeber sie sprachlich deutlicher von Porträts und Zeichnungen getrennt.132 Zudem würden die Begriffe der Aufnahme, des Porträts und der Zeichnung an anderen Stellen der Norm133 auf eine Art verwendet, die auf ihre wechselseitige Austauschbarkeit hindeute. Die Differenzierung zwischen den Aufnahmen und den Porträts sowie Zeichnungen sei in s. 41(1)(a) CJA 1925 nur erfolgt, damit nicht jede harmlose Zeichnung erfasst werde, sondern nur Zeichnungen, die auch veröffentlicht werden sollten. Zuletzt streite s. 41(2)(c) CJA 1925 dafür, dass nur Aufnahmen der geschützten Personen verboten sind. Danach sei die Aufnahme „der Person“ beim Betreten oder Verlassen des Gerichts verboten. Die „Person“ müsse einer der in s. 41(1)(a) CJA 1925 Erwähnten sein.134 Bei einer weiten Auslegung des Verbots würden außerdem auch Aufnahmen untersagt, deren Verbot mit dem Sinn und Zweck des Verbots nicht zu rechtfertigen wäre. Miller und Perry nennen das Beispiel einer Touristin, die sich auf den Stufen des Gerichts fotografieren lässt.135 Falls die 126
Näher definiert in s. 41(2)(b) CJA 1925. Dodd/Hanna, McNae’s, 12.1; Jaconelli, Open Justice, S. 326; Miller/Perry, Contempt of Court, 4.134. 128 Blom-Cooper, Counsel April/Mai 1989, 13; Cram, Borrie & Lowe, 12.13; Jaconelli, Open Justice, S. 319; Rozenberg, Search for Justice, S. 189 in Fn. 43. 129 Cram, Borrie & Lowe, 12.13; Jaconelli, Open Justice, S. 319. 130 Rozenberg, Search for Justice, S. 189 in Fn. 43. 131 Cram, Borrie & Lowe, 12.13; Dockray, JMLP 6 (1985), 244 (247); ders., NLJ 140 (1990), 548; Miller/Perry, Contempt of Court, 4.133. 132 Dockray, JMLP 6 (1985), 244 (246 f.). 133 S. s. 41(1)(b), (2)(c) CJA 1925. 134 Dockray, JMLP 6 (1985), 244 (247). 135 Miller/Perry, Contempt of Court, 4.133 127
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Kap. 4: Gerichtssaalberichterstattung in England
Aufnahmen, die bei dieser Auslegung nicht vom Verbot erfasst würden, die Verhandlung doch einmal störten, könne der Richter zudem auf der Basis des con tempt of court-Rechts einschreiten.136 Für eine Erstreckung des Verbots auf diese Aufnahmen besteht nach Ansicht dieser Autoren daher kein Bedürfnis. Jaconelli vertritt dagegen, das Verbot sei absolut. Es bestehe also unabhängig davon, ob die fraglichen Aufnahmen eine der geschützten Personen zeigten.137 Hierfür sprächen der Sinn und Zweck der Vorschrift: Die Aufnahmen könnten Richter, Zeugen, Parteien oder Juroren schließlich auch beunruhigen, wenn sie darauf nicht zu sehen seien. So könnten sie durch die Blitze der Kameras oder ihre Geräusche gestört werden. Jedem Zuschauer das Fotografieren einzeln zu untersagen, würde jedoch zu einer ständigen Unterbrechung der Verhandlung führen und sei daher nicht praktikabel.138 Für die verglichen mit Aufnahmen großzügigere Zulassung der Porträts und Zeichnungen spreche, dass ihre Herstellung weniger störend sei als die Anfertigung der Aufnahmen.139 Ob Aufnahmen im zeitlichen und räumlichen Anwendungsbereich des Aufnahmeverbots generell verboten sind oder nur, wenn sie die in s. 41(1)(a) CJA 1925 aufgezählten Personen zeigen, ist nach alledem umstritten. Jedenfalls die Aufnahmen dieser Personen sind damit aber vom Verbot erfasst. hh) Subjektiver Tatbestand Im subjektiven Tatbestand setzt das Verbot Vorsatz (intent) voraus.140 Daneben fordert s. 41(1)(a) CJA 1925 für das Verbot von Porträts oder Zeichnungen, dass sie mit Veröffentlichungsabsicht hergestellt werden. Der Wortlaut der Norm lässt nicht erkennen, ob auch die Aufnahmen nur verboten sein sollen, wenn sie mit dieser Absicht angefertigt werden. Dies wird in der Literatur jedoch abgelehnt.141 Eine Begründung dafür findet sich nicht, allerdings werden die Gegenargumente beleuchtet: Cram weist darauf hin, dass die Differenzierung zwischen Aufnahmen einerseits und Porträts sowie Zeichnungen andererseits nicht zwingend ist. Er argumentiert, alle drei könnten die Verfahrensbeteiligten ablenken.142 Sie könnten zudem im selben Maße die Identifikation des Angeklagten als Straftäter
136 Miller/Perry, Contempt of Court, 4.133. Zu seinen Befugnissen danach ausführlich: Kap. 4, B. II. 5. 137 Jaconelli, Open Justice, S. 320. Wohl auch Judicial College, Reporting Restrictions, S. 35. 138 Dockray, JMLP 6 (1985), 244 (246). 139 Jaconelli, Open Justice, S. 320. 140 Dockray, NLJ 140 (1990), 548. 141 Cram, Borrie & Lowe, 12.13; Miller/Perry, Contempt of Court, 4.133. 142 Cram, Borrie & Lowe, 12.13.
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vereiteln.143 Trotzdem wird für Aufnahmen keinerlei Veröffentlichungsabsicht gefordert. d) Rechtsfolge des s. 41(1) Criminal Justice Act 1925 Ist der Tatbestand des s. 41(1) CJA 1925 erfüllt, sind Anfertigung und Publika tion der Bild-Aufnahmen und Bild/Ton-Aufnahmen untersagt. Zuwiderhandlungen gegen die Verbote stellen summary offences dar. Sie werden in einem Schnellverfahren (summary trial) geahndet.144 Hierbei kann eine Geldstrafe von bis zu 1000 £ pro Verstoß verhängt werden.145 Dagegen hat der Richter gemäß s. 41(1) CJA 1925 nicht die Befugnis, den Täter festzunehmen oder seine Kamera zu beschlagnahmen.146 Umstritten ist, ob die Gerichte eine Ausnahme vom gesetzlichen Verbot zulassen können. Der Wortlaut der Norm enthält keine derartige Befugnis.147 In ihrer ursprünglichen Fassung war eine solche Ausnahmemöglichkeit vorgesehen. Dieser Abschnitt wurde aber während der Beratungen im Unterhaus gestrichen.148 In der Praxis haben sich dennoch Fälle zugetragen, in denen die Gerichte Ausnahmen vom Verbot zuließen.149 Hervorzuheben sind die Bild-Aufnahmen des Fotojournalisten Erich Salomon, die der Lord Chief Justice in den 1930er Jahren in großem Umfang zuließ. Aus der Gestattung durch diesen hochrangigen Richter schließt Dockray, dass alle Gerichte auch ohne entsprechende gesetzliche Regelung Ausnahmen von dem Verbot machen dürfen.150 Überwiegend wird dies in der Literatur jedoch abgelehnt.151 Zur Begründung wird auf die fehlende Normierung der Ausnahmemöglichkeit im Gesetz verwiesen.152 Auch mit dem Cram, Borrie & Lowe, 12.13. S. 5 i. V. m. Schedule 1 Interpretation Act 1978. 145 Cram, Borrie & Lowe, 12.13 in Fn. 4; Dodd/Hanna, McNae’s, 12.1. Zwar darf die Strafe nach dem Wortlaut von s. 41(1) a. E. CJA 1925 nur 50 Pfund betragen. Die Höhe wurde jedoch der Geldentwicklung entsprechend angepasst (vgl. s. 46(1) Criminal Justice Act 1981). 146 Rubin, Crim.L.R. 2008, 874 (887). 147 Dockray, NLJ 140 (1990), 548 (549). 148 Dockray, NLJ 140 (1990) 548 (549); ders., L.Q.R. 109 (1992), 561 (562). 149 So gestattete bspw. ein Richter in einem medienwirksamen Prozess in den 1960er Jahren Journalisten, Aufnahmen von ihm anzufertigen, während er das Gericht verließ (s. Cassell, The Photographer, S. 82). 150 Dockray, NLJ 140 (1990), 548 (549). 151 Dockray, MLR 51 (1988), 593; ders., L.Q.R. 109 (1992), 561 (562); Freer, J.P.N. 176 (2012), 585 (587); General Council of the Bar, Televising the Courts, S. 8; Jaconelli, Open Justice, S. 319; Metz, Dick.J.Int’l L. 14 (1996), 673 (684); Speaight, Counsel Mai/Juni 1989, 6; ders., Counsel September/Oktober 1994, 29; Stepniak, Audio-Visual Coverage, S. 11; ders., JJA 15 (2006), 218 (224); Walker/Brogarth, J.P.N. 153 (1989), 637 (638). 152 Jaconelli, Open Justice, S. 319; Rozenberg, Search for Justice, S. 189. 143 144
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Ziel, die Beratungen der Jury möglichst weitreichend zu schützen, sei die Zulassung von Aufnahmen nicht vereinbar.153 2. Ausnahme vom Aufnahme- und Veröffentlichungsverbot nach s. 41(2)(a) Criminal Justice Act 1925 a. E. a) Anwendbarkeit der Ausnahme Das gesetzliche Aufnahme- und Veröffentlichungsverbot in s. 41(1) CJA 1925 gilt nicht an allen Gerichten. Wie erwähnt, ist der Supreme Court des Vereinigten Königreiches gemäß s. 41(2)(a) CJA 1925 a. E. kein Gericht in seinem Sinne.154 Bild- und Bild/Ton-Aufnahmen sind an diesem Gericht daher nicht gesetzlich verboten. b) Motive des Gesetzgebers S. 41(2)(a) CJA 1925 a. E. ist eine relativ neue Regelung. Sie wurde erst durch s. 47(1) Constitutional Reform Act 2005 (CRA 2005) eingefügt. Sie ist damit ebenso alt wie der Supreme Court selbst, der durch dasselbe Gesetz geschaffen wurde.155 Zuvor stellte das Oberhaus des Parlaments das letztinstanzliche Gericht dar. In dessen Appellate Committee sprachen juristisch ausgebildete Parlamentsmitglieder (sog. Law Lords) Recht.156 Im Parlament sind Bild/Ton-Aufnahmen seit 1989 zulässig.157 Aufgezeichnet werden dabei nicht nur Debatten im Plenum, sondern auch die Arbeit der Komitees.158 Das Appellate Committee im Oberhaus wurde deshalb ebenfalls gefilmt. Zur Begründung für diese Aufnahmen wurde damals angeführt, es sei ein Appellationsgericht, sodass dort nur professionelle Richter und keine Jurys tätig würden. Auch Zeugen träten nur selten auf, weil zumeist nicht Tatsachen-, sondern Rechtsfragen zu klären seien.159 Juristisch waren Aufnahmen trotz der damals uneingeschränkten Geltung des Aufnahmeverbotes möglich, weil das Appellate Committee sich nicht als Gericht i. S.
Jaconelli, Open Justice, S. 319. Vgl. Kap. 4, B. II. 1. c) dd). 155 S. 23(1) CRA 2005: „There is to be a Supreme Court of the United Kingdom.“ 156 Supreme Court, Appellate Committee of the House of Lords (www.supremecourt.uk/ about/appellate-committee.html, Stand: 13.12.2019). 157 Ministry of Justice, Proposals, S. 17; Youm, BYU L.Rev. 2012, 1989 (2009). 158 Caplan, Counsel April 2001, 10; Prince, C.I.L. 3 (1998) 82 (84). So für das Oberhaus Rozenberg, P.L. 1999, 178. 159 Department for Constitutional Affairs, Broadcasting Courts, S. 15. 153 154
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des s. 41(1) CJA 1925 betrachtete.160 S. 47(1) CRA 2005 hatte zum Ziel, diesen Status Quo am neuen Supreme Court zu erhalten.161 c) Möglichkeiten zur Beschränkung der Bild/Ton-Aufnahmen Während für die Beschränkung von Bild-Aufnahmen, soweit ersichtlich, am obersten Gericht keine Maßgabe existiert, sind die Bild/Ton-Aufnahmen dort in der Practice Direction 8 mit dem Titel „Miscellaneous Matters“ (PD 8) geregelt. Gemäß s. 8.17.1 PD 8 dürfen sie nur unter zwei Bedingungen hergestellt und veröffentlicht werden: Einerseits dürfen sie die Rechtspflege nicht beeinträchtigen. Andererseits müssen sie entsprechend eines Protokolls erfolgen, auf das sich der Supreme Court und die an den Aufnahmen beteiligten Sendeanstalten verständigt haben. Das Protokoll macht auf der einen Seite Vorgaben für die Anfertigung der Bild/Ton-Aufnahmen. So dürfen bestimmte Arten sowie Abschnitte der Verhandlungen (etwa die Gespräche zwischen den Parteien und ihren Anwälten) nicht aufgezeichnet werden. Auf der anderen Seite stellt das Protokoll Anforderungen für die Veröffentlichung der Aufnahmen auf. Sie dürfen bspw. nicht in parteipolitischen Sendungen oder für Werbezwecke genutzt werden.162 Weil das Protokoll nicht veröffentlicht ist und die Pressestelle des Supreme Court es nicht herausgibt, können seine Vorgaben für Bild/Ton-Aufnahmen vorliegend nicht näher dargestellt werden. Bereits aus den Vorgaben der PD 8 ergibt sich jedoch, dass Bild/Ton-Aufnahmen am Supreme Court trotz ihrer fehlenden gesetzlichen Regelung nicht uneingeschränkt gestattet sind. Praktisch wird die Einhaltung ihrer Grenzen dadurch gewährleistet, dass der Supreme Court die Bild/Ton-Aufnahmen in seinen Verhandlungen selbst herstellt.163 In jedem seiner Gerichtssäle wurden dafür vier Kameras installiert.164 Sie sind klein165 und daher optisch unauffällig. Ihre Aufnahmen werden allen interessierten Medien zur Verfügung gestellt.166 Diese können damit ihre Berichte über die Arbeit des Supreme Court illustrieren.167 Daneben kann jeder die Lord Goff, zitiert nach Rozenberg, P.L. 1999, 178. Department for Constitutional Affairs, Broadcasting Courts, S. 15; Freer, J.P.N. 176 (2012) 585; Ministry of Justice, Proposals, S. 9; Youm, BYU L.Rev. 2012, 1989 (2010 f.). 162 S. 8.17.1 PD 8 in Fn. 10. 163 Knight, J.R. 2010, 1 (7). 164 Lambert, Courting Publicity, 6.51; Thompson, JML 3 (2011), 211 (215). 165 Rozenberg, CJICL 1 (2012), 44 (45). 166 Knight, J.R. 2010, 1 (7); Rozenberg, CJICL 1 (2012), 44 (45). 167 In den Anfangsjahren des Supreme Court wurde jedoch kritisiert, dass derartige Medienberichte selten waren (s. Lord Neuberger, Open Justice Unbound?, S. 14; Rozenberg, CJICL 1 [2012], 44). 160 161
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Aufnahmen im Livestream auf der Sky News-Website mit dem Namen „Supreme Court Live“168 und auf der Webseite des Supreme Court169 verfolgen. Dort werden sie mit rund 60sekündiger Verzögerung wiedergegeben.170 Außerdem existiert ein Online-Archiv auf der Webseite des Supreme Court, in dem Bild/ Ton-Aufnahmen von dessen Verhandlungen und Entscheidungsverkündungen verfügbar sind.171 Zuletzt hat der Supreme Court einen eigenen YouTube-Kanal, auf dem er ausgewählte Bild/Ton-Aufnahmen veröffentlicht.172 Neben den beschriebenen, konkreten Vorgaben für Bild/Ton-Aufnahmen findet sich in s. 8.17.1 PD 8 eine Möglichkeit für den Präsidenten des Supreme Court und für den Vorsitzenden Richter des jeweiligen Verfahrens, im Einzelfall zusätzliche Bedingungen für die Herstellung und die Veröffentlichung der Bild/ Ton-Aufnahmen aufzustellen, die er für angemessen halten. Beispielhaft wird dort angeführt, es könne die Einwilligung der Parteien vorausgesetzt werden. 3. Ausnahme vom Aufnahme- und Veröffentlichungsverbot nach der Court of Appeal (Recording and Broadcasting) Order 2013 a) Anwendbarkeit der Ausnahme Das Verbot des s. 41(1) CJA 1925 gilt prinzipiell auch am Court of Appeal. An diesem Gericht sind Bild/Ton- und Bild-Aufnahmen entsprechend der Court of Appeal (Recording and Broadcasting) Order 2013 (Order 2013) jedoch in beschränktem Umfang zulässig. Gemäß Art. 4 Order 2013 ist das Aufnahme- und Veröffentlichungsverbot nicht anwendbar, wo Aufnahmen unter den Bedingungen der Art. 5–7 Order 2013 angefertigt bzw. unter den Konditionen der Art. 8–11 Order 2013 publiziert werden. Grundvoraussetzung dafür ist, dass die betroffene Verhandlung öffentlich ist und vor einem Richtergremium, nicht einem Einzelrichter stattfindet (Art. 3 Order 2013). Konkretisiert werden diese Anforderungen, ähnlich wie jene für die Bild/Ton-Aufnahmen am Supreme Court,173 in einem Protokoll, auf das sich die beteiligten Medienunternehmen mit dem Lord Chancellor geeinigt haben.174 168 Abrufbar
unter news.sky.com/supreme-court-live, Stand: 13.12.2019. unter www.supremecourt.uk/live/court-01.html sowie unter www.supreme court.uk/live/court-02.html, Stand: 13.12.2019. 170 Wagner, ukhumanrightsblog.com vom 18.05.2011 (abrufbar unter ukhumanrightsblog. com/2011/05/18/how-supreme-court-live-works, Stand: 13.12.2019). 171 Abrufbar unter www.supremecourt.uk/news/catch-up-on-court-action-supreme-courtlaunches-video-on-demand-service.html, Stand: 13.12.2019. 172 Abrufbar unter www.youtube.com/user/UKSupremeCourt, Stand: 13.12.2019. 173 Vgl. Kap. 4, B. II. 2. c). 174 Art. 2 des Protokolls (nicht veröffentlicht). 169 Abrufbar
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Die Order 2013, ein untergesetzliches Regelwerk, findet ihre Rechtsgrundlage in s. 32(1), (2) Crime and Courts Act (CCA) 2013. Demnach kann der Lord Chancellor in Übereinstimmung mit dem Lord Chief Justice festlegen, dass s. 41 CJA 1925 unter bestimmten Bedingungen unanwendbar ist. b) Motive des Gesetzgebers S. 32 CCA 2013 und die darauf basierende Order 2013 gehen auf eine Initiative der englischen Regierung zurück,175 die ihren Ursprung fast ein Jahrzehnt vor ihrem Erlass nahm: Bereits 2004 wurde am Court of Appeal ein Pilotprojekt durchgeführt, bei dem einige Wochen lang ausgewählte Verhandlungen gefilmt wurden.176 Die Bild/Ton-Aufnahmen waren streng geregelt: Die betroffenen Richter mussten vorher zustimmen und konnten die Aufnahmen jederzeit aboder unterbrechen.177 Zeugen durften nicht gefilmt werden.178 Zudem wurden diese Aufnahmen nicht ausgestrahlt,179 sondern durch die beteiligten Fernsehsender in nachgeahmten Nachrichtensendungen, Dokumentationen und ähnlichen Beiträgen verarbeitet.180 Das Pilotprojekt wurde dabei allgemein als Erfolg betrachtet.181 Dennoch kündigte die Regierung erst 2011 an, die Gerichte weiter für die Kameras öffnen zu wollen.182 Im Parlament bewarb sie s. 32 CCA 2013, den sie zu diesem Zweck vorgeschlagen hatte, mit dem Argument der Transparenz.183 Mithilfe der Aufnahmen aus englischen Gerichten könne das Verständnis der Bevölkerung für das Rechtssystem gesteigert und somit das Vertrauen hierauf gestärkt werden.184 Dieselben Argumente wurden in der Parlamentsdebatte vor Erlass der Order 2013 vorgetragen, die das erste auf dieser Rechtsgrundlage basierende Regelwerk war.185 ZuMiller, NLJ 161 (2011) 1193 (1); ders., NLJ 162 (2012) 661 (1). LexisNexis News Analysis, LexisNexis vom 27.06.2005. 177 Art. 4, 5 des Protocol Governing Pilot Filming in the Appellate Jurisdiction of England and Wales, Annex D, in: Department for Constitutional Affairs, Broadcasting Courts, S. 99. 178 Art. 6 des Protocol Governing Pilot Filming in the Appellate Jurisdiction of England and Wales, Annex D, in: Department for Constitutional Affairs, Broadcasting Courts, S. 99. 179 Art. 8, 9 des Protocol Governing Pilot Filming in the Appellate Jurisdiction of England and Wales, Annex D, in: Department for Constitutional Affairs, Broadcasting Courts, S. 99. 180 Department for Constitutional Affairs, Broadcasting Courts, S. 20; Harbage, Counsel Februar 2005, 13; Hoult, LS Gaz 09.09.2004, 10 (1); Langdon-Down, LS Gaz 30.09.2004, 22. 181 Whittingdale, HC Deb 08.02.2012, Vol. 540, § 97 WH f. 182 Miller, NLJ 161 (2011) 1193 (1). 183 Green, HC Deb 18.09.2012, Vol. 550, § 773; Lord Henley, HL Deb 28.05.2012, Vol. 737, § 976. 184 Lord Henley, HL Deb 28.05.2012, Vol. 737, § 976. 185 Lord Hope, HL Deb 15.10.2013, Vol. 748, § 200; Lord McNally, HL Deb 15.10.2013, Vol. 748, §§ 198, 200. 175 176
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gunsten der Aufnahmen speziell am Court of Appeal wurde darin zudem angeführt, an diesem Gericht träten nur selten Zeugen auf186 und würden keine neue Beweise eingeführt.187 Es würden vielmehr lediglich komplexe Rechtsfragen diskutiert,188 die teils grundlegende Bedeutung hätten.189 c) Tatbestand der Ausnahme vom Aufnahmeverbot nach der Court of Appeal (Recording and Broadcasting) Order 2013 aa) Erfasste Verfahrensarten Die Aufnahmen dürfen nach Art. 5 Order 2013 nur in Rechtsmittelverfahren (appeals) und in ausgewählten Verfahren über die Zulassung von Rechtsmitteln stattfinden. Besonders sensible Verfahren – genauer familienrechtliche Prozesse und Rechtsmittel, die sich auf die körperliche oder geistige Gesundheit des Verurteilten beziehen – sind von vornherein ausgenommen (Art. 5(a), (d) Order 2013). bb) Geschützte Personen Die Aufnahmen dürfen des Weiteren nur die Rechtsvertreter der Parteien bei ihrem Vortrag, den Austausch zwischen diesen Vertretern und dem Gericht sowie das Gericht bei seiner Urteilsverkündung zeigen (Art. 6(1) Order 2013). Ist auch nur eine Partei nicht anwaltlich vertreten, darf nur das Gericht bei der Urteilsverkündung aufgenommen werden (Art. 6(2) Order 2013). Art. 13 des Protokolls spezifiziert die Personen, die nicht aufgenommen werden dürfen: Parteien, Zeugen oder Zuschauer. In Art. 14 wird zudem ausgeführt, dass der Ton von Bemerkungen, die Richter an ihre Richterkollegen richten, von Aussprüchen der Zuschauer oder von Anmerkungen der Rechtsvertreter untereinander bzw. gegenüber den Parteien nicht aufgezeichnet werden darf.190 Nicht erfasst ist dem Wortlaut des Protokolls nach allerdings das Bild dieser Personen. Die Richter und Rechtsvertreter können in den besagten Situationen danach offenbar abgebildet werden, solange sie nicht zu hören sind. Auch die Aufnahmen der professionellen Beteiligten sind allerdings nur eingeschränkt zulässig. Art. 15 des Protokolls legt fest, dass Nahaufnahmen unterLord McNally, HL Deb 15.10.2013, Vol. 748, § 200; Baroness Northover, HL Deb 02.07.2012, Vol. 738, § 553. 187 Lord Pannick, HL Deb 02.07.2012, Vol. 738, § 551. 188 Lord McNally, HL Deb 15.10.2013, Vol. 748, § 200; Baroness Northover, HL Deb 02.07.2012, Vol. 738, § 553. 189 Lord Pannick, HL Deb 02.07.2012, Vol. 738, § 551. 190 Ausgenommen sind hiervon nur „incidental, non-close, background shots of individuals“, die sich praktisch nicht immer vermeiden lassen. 186
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sagt sind. Nach Art. 16 darf die Kamera darüber hinaus nur dann auf einen einzelnen Richter gerichtet werden, wenn er spricht.191 Ausdrücklich werden auch „reaction shots“ der Richter verboten, mithin Aufnahmen von deren Reaktionen auf das Geschehen. Des Weiteren dürfen gemäß Art. 15 die im Verfahren verwendeten Dokumente und Bild-Aufnahmen nur abgebildet werden, wenn ihr Inhalt nicht erkennbar ist. Nach Art. 17 des Protokolls sind Totalaufnahmen des Gerichtssaals zudem lediglich von der Rückseite des Saales aus erlaubt und dies auch nur, wenn auf diese Weise keine Parteien, Zeugen oder Zuschauer identifiziert werden. Die Einhaltung all dieser Vorgaben wird in der Praxis einerseits durch die Positionierung der Kameras, die die Medien nutzen, im Gerichtssaal sichergestellt. Eine Kamera fertigt eine Totalaufnahme des Saales von der Rückseite aus an, eine andere Kamera nimmt die Richterbank sowie den Einzug der Richter auf und zwei weitere Kameras zeigen die (Staats-)Anwälte.192 Auf der anderen Seite sind an den Türen des Gerichtssaals und auf den Sitzbänken im Zuschauerraum, die sich im Aufnahmefeld befinden, Hinweisschilder angebracht.193 Solche Hinweise sind auch nötig, weil die genutzten Kameras allesamt in Bücherregalen versteckt sind.194 Die Aufnahmetätigkeit geht daher so unauffällig vonstatten, dass sie andernfalls womöglich nicht bemerkt würde. cc) Zeitlicher Anwendungsbereich In zeitlicher Hinsicht legt Art. 12 des Protokolls fest, dass die Aufnahmen beginnen dürfen, sobald der Gerichtsdiener durch seinen Ausruf „Court rise“ darauf hinweist, dass die Richter nun einziehen. Sie müssen wieder eingestellt werden, wenn die Richter den Gerichtssaal verlassen. dd) Räumlicher Anwendungsbereich In räumlicher Hinsicht bestimmt Art. 8 des Protokolls, dass Aufnahmen hergestellt werden können, „wherever [the Court of Appeal] sits.“ Livestreams dürfen 191
Etwas anderes gilt nur, wenn ein kurzer Austausch zwischen Richter und Anwalt stattfindet und es impraktikabel wäre, die Kamera von dem Richter abzuwenden, wenn er temporär schweigt. 192 Bowcott, www.theguardian.com vom 30.10.2013 (abrufbar unter www.theguardian. com/law/2013/oct/30/court-of-appeal-proceedings-televised, Stand: 13.12.2019). 193 Gespräch mit Nicholls in den Royal Courts of Justice am 05.12.2017. Zu derartigen Hinweisen sind die Gerichte infolge von Art. 13 des Protokolls verpflichtet. 194 Bowcott, www.theguardian.com vom 30.10.2013 (abrufbar unter www.theguardian. com/law/2013/oct/30/court-of-appeal-proceedings-televised, Stand: 13.12.2019); Rozenberg, www.theguardian.com vom 23.10.2013 (abrufbar unter www.theguardian.com/law/2013/ oct/23/televising-courts-live-broadcasting-joshua-rozenberg, Stand: 13.12.2019).
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jedoch nur aus den Gerichtssälen gesendet werden, in denen Aufnahmegeräte vorinstalliert sind. In der Praxis wurden in fünf Sälen des Court of Appeal die nötigen Kabel verlegt.195 Alle Aufnahmen werden mit einem einzelnen Set aus den beschriebenen vier Kameras und Radiomikrofonen hergestellt.196 Sie können rasch abgebaut und mit einem Rollwagen in den jeweils genutzten Gerichtssaal transportiert werden.197 So kann ein Livestream aus jedem der fünf ausgestatteten Gerichtssäle gesendet werden. ee) Persönlicher Anwendungsbereich Von der Ausnahme in der Order 2013 sind nur solche Personen erfasst, denen der Lord Chancellor eine schriftliche Genehmigung für ihre Aufnahmen erteilt hat (Art. 7(a) Order 2013) und die das Urheberrecht daran auf ihn als Stellvertreter der Krone übertragen (Art. 7(b) Order 2013). Gemäß Art. 10 des Protokolls wird diese Genehmigung stets nur einem einzigen court video journalist erteilt. Dabei handelt es sich seit dem Beginn der Aufnahmen um Matt Nicholls, der für die Fernsehsender Sky News, ITN, BBC und die Nachrichtenagentur Press Association tätig ist.198 d) Tatbestand der Ausnahme vom Veröffentlichungsverbot nach der Court of Appeal (Recording and Broadcasting) Order 2013 Eine Ausnahme vom Veröffentlichungsverbot kommt von vornherein nur für solche Bild- und Bild/Ton-Aufnahmen in Frage, die nach den durch Art. 5–7 Order 2013 vorgegebenen Bedingungen hergestellt wurden (Art. 8 Order 2013). Für die Publikation sind aber noch einige weitere Voraussetzungen zu erfüllen. Die Veröffentlichung von Aufnahmen aus Strafverfahren muss gemäß Art. 9(1) Order 2013 prinzipiell genehmigt werden. Das Genehmigungserfordernis entfällt nur, wo keine Neuverhandlung angeordnet wird (Art. 9(2) Order 2013). Gemäß Art. 10 Order 2013 darf die Publikation zudem nicht gegen Beschränkungen der Berichterstattung verstoßen. Nach Art. 11(1) Order 2013 muss jeder Bericht, der Bowcott, www.theguardian.com vom 30.10.2013 (abrufbar unter www.theguardian. com/law/2013/oct/30/court-of-appeal-proceedings-televised, Stand: 13.12.2019); Rozenberg, www.theguardian.com vom 23.10.2013 (abrufbar unter www.theguardian.com/law/2013/ oct/23/televising-courts-live-broadcasting-joshua-rozenberg, Stand: 13.12.2019). 196 Gespräch mit Nicholls in den Royal Courts of Justice am 05.12.2017. 197 Bowcott, www.theguardian.com vom 30.10.2013 (abrufbar unter www.theguardian. com/law/2013/oct/30/court-of-appeal-proceedings-televised, Stand: 13.12.2019); Rozenberg, www.theguardian.com vom 23.10.2013 (abrufbar unter www.theguardian.com/law/2013/ oct/23/televising-courts-live-broadcasting-joshua-rozenberg, Stand: 13.12.2019). 198 Rozenberg, www.guardian.com vom 23.10.2013 (abrufbar unter www.theguardian.com/ law/2013/oct/23/televising-courts-live-broadcasting-joshua-rozenberg, Stand: 13.12.2019). 195
B. Rechtliche Rahmenbedingungen der Gerichtssaalberichterstattung in England 271
Aufnahmen aus dem Gericht enthält, des Weiteren sowohl hinsichtlich seines gesamten Inhaltes als auch im Hinblick auf den Kontext, in dem er gesendet wird, gerecht sowie zutreffend sein. Die Aufnahmen dürfen zuletzt nicht für parteipolitische Sendungen, Werbung, leichte Unterhaltung oder Satire verwendet werden (Art. 11(2) Order 2013). e) Rechtsfolge der Court of Appeal (Recording and Broadcasting) Order 2013 Erfüllen Bild- oder Bild/Ton-Aufnahmen die Anforderungen der Order 2013, sind das Aufnahme- und das Veröffentlichungsverbot nach s. 41(1) CJA 1925 nach Art. 4 Order 2013 nicht anwendbar. Ist das Gericht jedoch der Ansicht, dass es im Interesse der Gerechtigkeit wäre oder dass dadurch die unangemessene Befangenheit (undue prejudice) einzelner Personen verhindert würde, kann es im Einzelfall gemäß s. 32(3)(a) CCA 2013 anordnen, dass das Verbot wieder anwendbar ist. Ebenso kann es aber anordnen, dass das Verbot nur dann unanwendbar bleibt, wenn gewisse Bedingungen erfüllt werden (s. 32(3)(b) CCA 2013). Weder gegen diese Anordnung noch gegen die Entscheidung, eine derartige Anordnung nicht zu erlassen, stehen den davon Betroffenen Rechtsbehelfe zur Verfügung (s. 32(4) CCA 2013). Weitere Beschränkungsmöglichkeiten ergeben sich aus dem Protokoll der Medienunternehmen und des Gerichts und aus dessen praktischer Umsetzung. Bild/ Ton-Aufnahmen dürfen nach Art. 18 des Protokolls nur mit 70sekündiger Verzögerung ausgestrahlt werden. Stellt sich während der laufenden Verhandlung heraus, dass ein Teil der Aufnahmen nicht übertragen werden soll, gibt diese Verzögerung dem Gericht die Möglichkeit, dem court video journalist dies zu signalisieren. Er bearbeitet das Material sodann entsprechend, bevor es gesendet wird.199 In der Praxis machten die Richter davon etwa Gebrauch, als nach der Verkündung eines Urteils im Zuschauerraum Applaus aufbrandete. Jene Szene wurde aus der Aufnahme herausgeschnitten, bevor sie ausgestrahlt wurde.200 Praktisch bedeutsam ist auch die in den Regelwerken nicht erwähnte, jedoch technisch vorgesehene Möglichkeit, die letzten drei Sekunden der Aufnahmen zu löschen. Von dieser Option macht der court video journalist eigenverantwortlich Gebrauch, etwa wenn ein anonymisierter Beteiligter genannt oder wenn ein Schimpfwort verwendet wird.201
199 Bowcott, www.theguardian.com vom 30.10.2013 (abrufbar unter www.theguardian. com/law/2013/oct/30/court-of-appeal-proceedings-televised, Stand: 13.12.2019). 200 Gespräch mit Nicholls in den Royal Courts of Justice am 05.12.2017. 201 Gespräch mit Nicholls in den Royal Courts of Justice am 05.12.2017.
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Kap. 4: Gerichtssaalberichterstattung in England
4. Ausnahme vom Aufnahmeverbot nach der Crown Court (Recording) Order 2016 Die jüngste Ausnahme von s. 41(1) CJA 1925 wurde 2016 erlassen. Als zweites auf s. 32(1) CCA 2013 gestütztes Regelwerk wurde damals die Crown Court (Recording) Order 2016 (Order 2016) eingeführt. Art. 4 Order 2016 erklärte das gesetzliche Aufnahmeverbot für bestimmte Bild- und Bild/Ton-Aufnahmen an den crown courts für unanwendbar. Gemäß Art. 5 Order 2016 durften die danach angefertigten Aufnahmen allerdings nicht ausgestrahlt werden, sondern waren als „not-for-broadcast test“ gedacht. Die Order 2016 schuf damit die Grundlage für das zweite Pilotprojekt vor den englischen Gerichten, mit dem die Auswirkungen von Aufnahmen getestet werden sollten.202 Das Projekt dauerte drei Monate.203 Die Aufnahmen durften dabei nur an acht ausgewählten crown courts angefertigt werden (Art. 6(2) Order 2016). Aufgezeichnet wurden zudem nur die Bemerkungen zur Strafzumessung (sentencing remarks), die die Richter in Strafverfahren machten (Art. 3 Order 2016). Obwohl das Pilotprojekt bereits abgeschlossen ist, wurden die Ergebnisse noch nicht bekannt gegeben. Es bleibt abzuwarten, ob Bild- und Bild/Ton-Aufnahmen demnächst auch an crown courts gestattet werden. 5. Verbot von Bild- und Bild/Ton-Aufnahmen nach dem common law a) Grundlagen des contempt of court Neben dem gesetzlichen Verbot nach s. 41(1) CJA 1925 existiert ein weiteres Rechtsinstitut, das Bild-Aufnahmen sowie Bild/Ton-Aufnahmen beschränkt: contempt of court.204 Contempt ist jegliches Verhalten, das durch die vorsätzliche Missachtung oder Geringschätzung des Gerichts gekennzeichnet ist oder das die Autorität des Gerichts als Hüter der Rechtsstaatlichkeit vorsätzlich in Frage stellt oder angreift und damit die ordnungsgemäße Rechtspflege beeinträchtigt.205 Er hat zwei Ausprägungen: Civil contempt liegt vor, wenn ein Verfahrensbeteiligter einer bindenden gerichtlichen Anordnung oder einem gegenüber dem Gericht ausgesprochenen Versprechen zuwiderhandelt.206 In diesem Fall kann das Gericht ihre Erfüllung erzwingen, indem es Freiheits- oder Geldstrafen verhängt. Diese Ausprägung ist mit den in §§ 888, 890 ZPO enthaltenen Möglich202
Zum Pilotprojekt von 2004: Kap. 4, B. II. 3. b). Marrani, Space, Time, Justice, S. 101. 204 Bereits vor dem Erlass von s. 41 CJA 1925 wurden die Bild-Aufnahmen auf dieser Grundlage beschränkt (s. General Council of the Bar, Televising the Courts, S. 9). 205 Robertson v. HM Advocate [2008] J.C. 146 (155). 206 Smartt, Media & Entertainment Law, 8.5. 203
B. Rechtliche Rahmenbedingungen der Gerichtssaalberichterstattung in England 273
keiten des Zwangs- oder Ordnungsgeldes bzw. der Zwangs- oder Ordnungshaft vergleichbar.207 Für diese Arbeit ist jedoch nur die zweite Ausprägung relevant: criminal contempt.208 Darunter fallen – begrifflich sehr weit – sämtliche Handlungen, die die Rechtspflege beeinträchtigen können.209 Criminal contempt kann wiederum unterteilt werden: Auf der einen Seite umfasst er contempt in the face of the court, mithin ein der Rechtspflege abträgliches Verhalten, das bei Gericht erfolgt.210 Außerhalb des Gerichtes werden die Verstöße als contempt out of court eingeordnet.211 Das Gericht212 kann hiergegen umgehend einschreiten und eine Freiheits- oder Geldstrafe verhängen.213 Die Freiheitsstrafe darf hierbei maximal zwei Jahre betragen (s. 14(1) CCA 1981), die Geldstrafe ist in der Höhe aber unbegrenzt214.215 b) Bild-Aufnahmen im Gericht als contempt of court (R. v. D.) Das erste relevante Urteil erging 2004 am Court of Appeal gegen den Bruder eines Angeklagten, der mit seiner Handykamera im Gerichtsgebäude fotografiert hatte. Eine Aufnahme fertigte er in der Kantine an. Eine zweite entstand aus dem Zuschauerraum des Gerichtssaales in Richtung des Zeugenstandes und der Richterbank. Ein drittes Bild zeigte seinen Bruder, also den Angeklagten, und einen Gefängniswärter im Saal.216 Der Court of Appeal wies in seiner Entscheidung darauf hin, dass diese Bild-Aufnahmen auch den gesetzlichen Straftatbestand des s. 41 CJA 1925 erfüllt hatten. Dennoch hätten sie, wie in erster Instanz geschehen, als contempt of court behandelt werden dürfen.217 Zum Verhältnis der beiden Verbote äußerte es sich jedoch nicht. In dieser zweiten Instanz waren zudem nicht die Tatbestandsvoraussetzungen des criminal contempt, sondern nur das Strafmaß zu prüfen. Die in erster Instanz Bornkamm, Pressefreiheit, S. 25; Rubens-Laarmann, Gerichtsberichterstattung, S. 38. Für einen Vergleich mit § 890 ZPO auch Braun, Medienberichterstattung, S. 13. 208 So auch Braun, Medienberichterstattung, S. 13. 209 Smartt, Media & Entertainment Law, 8.5. 210 Smartt, Media & Entertainment Law, 8.5.1. 211 Braun, Medienberichterstattung, S. 13. 212 Ausgenommen sind die magistrates. Ihnen wird die Befugnis in begrenztem Umfang jedoch durch s. 12 CCA 1981 verliehen (Robertson/Nicol, Media Law, 8-091). 213 Smartt, Media & Entertainment Law, 8.5. 214 Bailey, MLR 45 (1982), 301 (313). 215 Dies gilt nur für die bereits erwähnten superior courts. An inferior courts werden die Freiheits- und die Geldstrafe stärker beschränkt, vgl. s. 14(1) a. E., (2) CCA 1981. 216 R. v D. [2004] EWCA Crim 1271, Rn. 1–7. 217 R. v. D. [2004] EWCA Crim 1271, Rn. 9. 207
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Kap. 4: Gerichtssaalberichterstattung in England
verhängte einjährige Freiheitsstrafe erhielt das Gericht aufrecht.218 Zur Begründung setzte es sich im Detail mit den Gefahren auseinander, die Bild-Aufnahmen im Gericht hervorrufen können. Damit könnten Juroren, Zeugen, Anwälte und Richter identifiziert und zur Einschüchterung oder Vergeltung angegriffen werden. Außerdem könnten Zeugenschutzmaßnahmen umgangen und die Anonymität der Polizisten und Justizbediensteten aufgehoben werden. All dies könne die Rechtspflege ganz erheblich beeinträchtigen.219 Zusätzliche Gefahren folgten daraus, dass Aufnahmen auf elektronischem Weg leicht verbreitet werden können. Das eröffne Dritten die Möglichkeit, sie zu missbrauchen. Strafschärfend könnten zudem die Art des betroffenen Verfahrens, das Risiko, dass Aufnahmen die Verhandlung stören, sowie ihre Eignung zum Missbrauch wirken.220 Die verhängte Freiheitsstrafe sei vorliegend angemessen gewesen, da das betroffene Strafverfahren eine schwere Straftat zum Gegenstand gehabt habe und deshalb im Gericht diverse Sicherheitsmaßnahmen ergriffen worden seien.221 Eine kürzere Freiheitsstrafe oder gar eine Geldstrafe kämen dagegen generell in Betracht, wenn eine weniger gravierende Tat betroffen oder die Sicherheit in dem jeweiligen Verfahren weniger stark gefährdet sei. So sei eine Geldstrafe etwa denkbar, wenn ein ausländischer Tourist in Unkenntnis der Rechtslage eine Aufnahme anfertige.222 Damit stellte das Gericht den Grundsatz auf, dass die Anfertigung von Bild- Aufnahmen im Gericht criminal contempt of court darstellt, der im Regelfall mit einer Freiheitsstrafe sanktioniert wird. Zugleich nannte es bereits Fälle, in denen eine mildere Sanktion denkbar ist. c) Bild/Ton-Aufnahmen im Gericht als contempt of court (R. v. Ivanov) Rund ein Jahrzehnt später hatte der Court of Appeal im Jahr 2013 erneut über Aufnahmen im Gericht zu entscheiden. Ein Zuschauer hatte im Gerichtssaal drei Bild-Aufnahmen eines befreundeten Angeklagten hergestellt und zudem eine Minute lang den Richter dabei gefilmt, wie er dessen Fall zusammenfasste. Die Jury, deren Mitglieder die Aufnahmen bemerkt und sich dadurch gestört gefühlt hatten, musste daraufhin entlassen und ein neuer Prozess durchgeführt werden.223 Der Court of Appeal erhielt die hierfür verhängte Freiheitsstrafe im Grundsatz aufrecht.224 Zur Begründung nahm er Bezug auf die Kriterien, die er in R. v. D. 218
R. v. D. [2004] EWCA Crim 1271, Rn. 18. R. v. D. [2004] EWCA Crim 1271, Rn. 15. 220 R. v. D. [2004] EWCA Crim 1271, Rn. 16. 221 R. v. D. [2004] EWCA Crim 1271, Rn. 17. 222 R. v. D. [2004] EWCA Crim 1271, Rn. 18. 223 R. v. Ivanov [2013] EWCA Crim 614, Rn. 4. 224 R. v. Ivanov [2013] EWCA Crim 614, Rn. 15. 219
B. Rechtliche Rahmenbedingungen der Gerichtssaalberichterstattung in England 275
aufgestellt hatte.225 Die beiden Verfahren seien sehr unterschiedlich. Insbesondere seien im früheren Prozess diverse Sicherheitsmaßnahmen ergriffen worden, die vorliegend fehlten. Andererseits habe man damals, anders als in diesem Fall, die Jury nicht entlassen müssen.226 Dass der Täter hier nicht beabsichtigt hatte, seine Aufnahmen zu verbreiten, sei irrelevant. Eine Veröffentlichung sei schließlich dennoch ganz einfach möglich.227 Erschwerend falle ins Gewicht, dass er wiederholt Aufnahmen angefertigt hatte, obwohl er um deren Verbot wusste.228 In dieser Entscheidung ordnete das Gericht damit erstmals auch Bild/Ton-Aufnahmen als criminal contempt of court ein. Es bestärkte zudem seinen Grundsatz, dass Aufnahmen im Gericht zu Abschreckungszwecken regelmäßig mit Freiheitsstrafen sanktioniert werden müssen.229 d) Voraussetzungen des contempt of court durch Bild- und Bild/Ton-Aufnahmen im Gericht (Solicitor General v. Cox) Während der Court of Appeal sich zuvor nur mit dem Strafmaß befasst hatte, betrachtete der High Court 2016 die Tatbestandsvoraussetzungen des criminal contempt mittels Bild- und Bild/Ton-Aufnahmen genauer. Ein Zuschauer hatte mit seinem Smartphone Aufnahmen befreundeter Angeklagter im Gericht hergestellt. Auf manchen waren auch Justizbedienstete zu sehen. Einige zeigten zudem Schilder, die auf das Handyverbot hinwiesen. Ein anderer Zuschauer hatte einen Richter aufgenommen, der zu diesem Zeitpunkt nicht verhandelte. Beide veröffentlichten ihre Aufnahmen teilweise auf Facebook.230 Eingangs stellte das Gericht fest, dass die Existenz des Aufnahme- und Veröffentlichungsverbots gemäß s. 41(1) CJA 1925 der Anwendung des contempt of court-Rechts auf die fraglichen Aufnahmen nicht entgegensteht. Die in s. 41(1) CJA 1925 vorgesehenen Strafen seien nicht immer ausreichend, um die ordnungsgemäße Rechtspflege zu gewährleisten. Teils müsse das Gericht schneller und effektiver handeln können, als es diese Vorschrift gestatte. Technisch sei es schließlich ganz einfach möglich, die Aufnahmen sofort zu verbreiten. Die Be-
225
Vgl. Kap. 4, B. II. 5. b). R. v. Ivanov [2013] EWCA Crim 614, Rn. 10. 227 R. v. Ivanov [2013] EWCA Crim 614, Rn. 11. 228 R. v. Ivanov [2013] EWCA Crim 614, Rn. 14 f. 229 Vgl. R. v. Ivanov [2013] EWCA Crim 614, Rn. 15. So auch in R. v. Scarth [2011] EWCA Crim 2228, Rn. 32 f. Da in dieser Entscheidung keine abstrakten Ausführungen zum Tatbestand oder Strafmaß des contempt of court gemacht werden, wird sie mangels Relevanz für den Fortgang der Untersuchung hier nicht näher dargestellt. 230 Solicitor General v. Cox [2016] 2 Cr.App.R. 15, 193 (196 f.). 226
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Kap. 4: Gerichtssaalberichterstattung in England
fugnisse, hiergegen einzuschreiten, verleihe dem Gericht das contempt of courtRecht.231 Bei seiner Prüfung der objektiven Tatbestandsvoraussetzungen des criminal contempt differenzierte das Gericht zwischen der Anfertigung und der Veröffentlichung, die aus seiner Sicht jeweils separate Tathandlungen darstellten.232 Zuerst erörterte es dabei, wie die Rechtspflege durch die Herstellung der Aufnahmen beeinträchtigt wurde. Einerseits verstieße dieses Tun gegen s. 41 CJA 1925, also gegen ein Strafgesetz, das die Rechtspflege schützen solle.233 Diese Rechtspflege sei andererseits auch im konkreten Fall gefährdet gewesen: Wäre die Aufnahmetätigkeit im Gericht aufgefallen, hätte sie von der Verhandlung abgelenkt. Zudem hätten Aufnahmen die psychische Belastung der Freunde und Familie des Opfers sowie womöglich des Angeklagten erhöht. Daneben wäre die öffentliche Ordnung gefährdet gewesen, wenn die abgebildeten Justizangestellten identifiziert worden wären.234 Die Veröffentlichung der Aufnahmen sei ein eigenständiger contempt, wirke aber auch erschwerend auf den contempt durch die Herstellung der Aufnahmen zurück. Wer verbotene Aufnahmen aus dem Gericht veröffentliche, rühme sich schließlich damit, sich über das Strafrecht und die Autorität des Gerichts hinwegzusetzen und schwäche letztere damit.235 Infolge der Publikation könnten die Beteiligten anderer Verfahren schließlich auf den Gedanken kommen, das Verbot ebenfalls für ihre eigenen Zwecke zu brechen. Wer wie etwa Zeugen im Interesse der Rechtsfindung an einem Gerichtsverfahren beteiligt sei, müsse daneben befürchten, ebenfalls zum Gegenstand einer solchen Publizität zu werden.236 In subjektiver Hinsicht verlangte das Gericht lediglich, dass der Täter seine Aufnahmen bewusst anfertigt, sofern sie zugleich gegen Strafrecht – hier gegen das Verbot in s. 41(1) CJA 1925 – verstoßen. Falle eine Aufnahme nicht in den Anwendungsbereich des gesetzlichen Aufnahmeverbots, sondern existiere nur eine entsprechende gerichtliche Anordnung, sei es außerdem erforderlich, dass der Täter von der Anordnung Kenntnis hatte.237 Er müsse dagegen in keinem der Fälle beabsichtigt haben, die Rechtspflege zu stören. Andernfalls sei es dem Ge231
Solicitor General v. Cox [2016] 2 Cr.App.R. 15, 193 (202, 204). In R. v. Yaxley-Lennon [2018] EWCA Crim 1856, Rn. 56 wies der Court of Appeal jüngst erneut darauf hin, dass beide Verbote nebeneinander zur Anwendung kommen können. Im Übrigen ging es in dieser Entscheidung im Wesentlichen um prozessuale Angelegenheiten, sodass sie hier nicht näher dargestellt wird. 232 Solicitor General v. Cox [2016] 2 Cr.App.R. 15, 193 (200). 233 Solicitor General v. Cox [2016] 2 Cr.App.R. 15, 193 (200). 234 Solicitor General v. Cox [2016] 2 Cr.App.R. 15, 193 (200 f.). 235 Solicitor General v. Cox [2016] 2 Cr.App.R. 15, 193 (201). 236 Solicitor General v. Cox [2016] 2 Cr.App.R. 15, 193 (201). 237 Solicitor General v. Cox [2016] 2 Cr.App.R. 15, 193 (212).
B. Rechtliche Rahmenbedingungen der Gerichtssaalberichterstattung in England 277
richt stets verwehrt, gegen Aufnahmen der „ignorant and foolish“238 einzuschreiten, die die Risiken ihres Tuns für die Rechtspflege nicht überblicken. Die genannten subjektiven Voraussetzungen seien auch für eine spätere Veröffentlichung zu erfüllen.239 Damit legte das Gericht fest, dass ein Verstoß gegen s. 41(1) CJA 1925 stets auch die Anforderungen des criminal contempt of court erfüllt. Auch wenn dessen Voraussetzungen einmal nicht erfüllt sind, kann nach dieser Entscheidung aber im Einzelfall gegen die Bild- und Bild/Ton-Aufnahmen eingeschritten werden, wenn sie die Rechtspflege anderweitig gefährden. Dies ist insbesondere in Anbetracht der Befugnisse relevant, die das Recht des contempt of court dem Gericht verleiht.240 Wie der High Court erörterte, kann das Gericht nicht nur eine Strafe verhängen, sondern auch die verwendete Kamera beschlagnahmen, die Aufnahmen prüfen und ggf. löschen, ihre Verbreitung verhindern und die Person, die sie angefertigt hat, vorübergehend in Gewahrsam nehmen.241 e) Bild-Aufnahmen in der Eingangshalle des Gerichts als contempt of court (R. v. Smith) Eine weitere Entscheidung aus dem Jahr 2016 befasste sich mit der Bild-Aufnahme einer Zuschauerin in der Eingangshalle des Gerichts. Sie hatte auf Bitten eines Angeklagten hin ihn sowie drei weitere Männer fotografiert, die mit ausgestreckten Mittelfingern posiert hatten.242 Die 21-tägige Freiheitsstrafe, die hierfür in erster Instanz verhängt worden war, erhielt der Court of Appeal aufrecht.243 Die Richter wiesen dabei auf die Unterschiede zu ihren beiden früheren Entscheidungen zum Strafmaß im Fall eines criminal contempt durch Aufnahmen hin.244 In beiden Fällen hätten die Verstöße schwerer gewogen, weil die Aufnahmen im Gerichtssaal angefertigt worden waren.245 Erschwerend wirke sich hier jedoch aus, dass die Zuschauerin als regelmäßige Besucherin des Gerichts das Verbot der Aufnahmen gekannt haben musste.246 Auch der Inhalt der Aufnahme, der eine Missachtung des Gerichts deutlich mache, fiel negativ ins Gewicht.247 Das Gericht wies zudem auf die Gefahr hin, dass die Aufnahme im Internet ver238
Solicitor General v. Cox [2016] 2 Cr.App.R. 15, 193 (212). Solicitor General v. Cox [2016] 2 Cr.App.R. 15, 193 (213). 240 Parpworth, J.P.N. 168 (2004), 908. 241 Solicitor General v. Cox [2016] 2 Cr.App.R. 15, 193 (212). 242 R. v. Smith [2016] EWCA Crim 1562, Rn. 4. 243 R. v. Smith [2016] EWCA Crim 1562, Rn. 20. 244 Zu den früheren Entscheidungen ausführlich: Kap. 4, B. II. 5. b), c). 245 R. v. Smith [2016] EWCA Crim 1562, Rn. 15, 20. 246 R. v. Smith [2016] EWCA Crim 1562, Rn. 16. 247 R. v. Smith [2016] EWCA Crim 1562, Rn. 17. 239
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Kap. 4: Gerichtssaalberichterstattung in England
breitet wird.248 Um von einem solchen Verhalten, das die öffentliche Ordnung stören könne, abzuschrecken, sei eine Freiheitsstrafe erforderlich.249 Damit machte das Gericht einerseits deutlich, dass Aufnahmen im Gerichtsgebäude auch außerhalb des Gerichtssaals als criminal contempt einzuordnen sind und bestätigte andererseits seinen Grundsatz, nach dem Aufnahmen im Gericht mit Freiheitsentzug bestraft werden. 6. Ergebnis zu den rechtlichen Rahmenbedingungen für Bild- und Bild/Ton-Aufnahmen Die Herstellung und Veröffentlichung von Bild- und Bild/Ton-Aufnahmen ist gesetzlich im Grundsatz nach s. 41(1) CJA 1925 verboten, wobei aufgrund der divergierenden Auslegung der Norm in Rechtsprechung und Literatur für die Medienvertreter erhebliche Rechtsunsicherheit darüber besteht, wann das Verbot eingreift. Dies ist problematisch, weil ihre Aufnahmetätigkeit auch auf der Grundlage des Rechtsinstituts des criminal contempt of court sanktioniert werden kann, wenn sie die Rechtspflege beeinträchtigt. Das ist stets der Fall, wenn sie gegen das Verbot in s. 41(1) CJA 1925 verstoßen hat. Ein solcher Verstoß wird infolgedessen regelmäßig mit einer Freiheitsstrafe sanktioniert. Auch wenn die Bild- und Bild/Ton-Aufnahmen nicht in den Anwendungsbereich des gesetzlichen Verbotes fallen, können sie aber auf der Basis des contempt of courtRechts im Einzelfall beschränkt werden. In der Praxis stellt dieses Rechtsinstitut daher die zentrale Grenze für die Bild- und Bild/Ton-Aufnahmen in englischen Gerichtssälen dar. Ausnahmen vom Aufnahme- sowie Veröffentlichungsverbot existieren nur in engen Grenzen. Das betrifft einerseits den Supreme Court, der vom gesetzlichen Verbot nicht erfasst wird, wo jedenfalls Bild/Ton-Aufnahmen aber in der Praxis lediglich vom Gericht selbst angefertigt und den Medien zur Verfügung gestellt werden. Andererseits gilt das Verbot am Court of Appeal nicht für Bild- und Bild/ Ton-Aufnahmen, jedoch nur, wenn sie den strengen Anforderungen der Order 2013 entsprechend angefertigt und verwendet werden. Sollten Aufnahmen an den crown courts künftig ebenfalls vom Verbot ausgenommen werden, ist zu erwarten, dass Medienvertreter dabei ähnlich starken Beschränkungen unterliegen werden, wie es am Supreme Court und am Court of Appeal derzeit der Fall ist.
248 249
R. v. Smith [2016] EWCA Crim 1562, Rn. 20. R. v. Smith [2016] EWCA Crim 1562, Rn. 18.
B. Rechtliche Rahmenbedingungen der Gerichtssaalberichterstattung in England 279
III. Rechtliche Rahmenbedingungen für Ton-Aufnahmen 1. Aufnahme- und Veröffentlichungsverbot nach s. 9(1) Contempt of Court Act 1981 a) Anwendbarkeit des Verbots Die Herstellung und die Veröffentlichung von Ton-Aufnahmen ist durch das Recht des criminal contempt of court geregelt, wobei sich – anders als für Bildund Bild/Ton-Aufnahmen –250 in s. 9 CCA 1981 hierfür eine gesetzliche Regelung findet. Danach stellt es im Grundsatz contempt of court dar – und ist damit verboten –, Ton-Aufnahmen im Gericht anzufertigen oder ein Gerät, mit dem sie hergestellt werden können, zu diesem Zweck ins Gericht zu bringen (s. 9(1)(a) CCA 1981). Von jenem Verbot kann das Gericht nach s. 9(2) CCA 1981 aber eine Ausnahme machen. Die Aufnahmeerlaubnis kann dabei auch bedingt erteilt und jederzeit entzogen oder modifiziert werden (s. 9(2)(a) CCA 1981). Die Einhaltung möglicher Bedingungen sichert s. 9(1)(c) CCA 1981, wonach ein Verstoß hiergegen ebenfalls ein contempt ist. Die Veröffentlichung der Ton-Aufnahmen von Gerichtsverfahren ist nach s. 9(1)(b) CCA 1981 dagegen ohne eine Ausnahmemöglichkeit verboten. Konkret ist es untersagt, Ton-Aufnahmen bzw. davon abgeleitete Aufnahmen zu veröffentlichen oder anderweitig mit dem Ziel der Veröffentlichung hierüber zu verfügen. b) Motive des Gesetzgebers Der erste Schritt hin zum Verbot der Ton-Aufnahmen war der sog. Phillimore Report, der Vorschläge für eine Reform des contempt of court-Rechts enthielt. Die Herstellung der Aufnahmen im Gericht verglichen dessen Autoren mit stenografischen Aufzeichnungen und bewerteten sie daher als prinzipiell unproblematisch. Eine generelle Möglichkeit, Ton-Aufnahmen zu publizieren, lehnten sie dagegen ab. Zur Begründung verwiesen sie auf die Gefahr ihrer Manipulation. Diese Aussicht könne die Zeugen noch nervöser machen, als sie vor Gericht ohnehin seien.251 Diese zweigeteilte Bewertung nahmen im Grundsatz auch die Parlamentsmitglieder in ihren Debatten über das Verbot vor. Sie meinten, um das Geschehen im Gericht akkurat wiedergeben zu können, seien Ton-Aufnahmen hilfreich.252 250
Zu ihrer Behandlung durch die Gerichte: Kap. 4, B. II. 5. Report of the Committee on Contempt of Court, Cmnd. 5794, § 42. 252 Für den Vergleich mit stenografischen Mitschriften Anderson, HC Deb 02.03.1981, Vol. 1000, § 78; Archer, HC Deb 16.06.1981, Vol. 6, § 882; Best, HC Deb 16.06.1981, Vol. 6, 251
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Kap. 4: Gerichtssaalberichterstattung in England
Kritisch wurde allerdings angemerkt, die Aufnahmen könnten die Beteiligten bspw. durch die Betriebsgeräusche der Aufnahmegeräte vom Verhandlungsgeschehen ablenken.253 Noch nachdrücklicher wurde, ebenso wie im Phillimore Report, die Publikation der Ton-Aufnahmen abgelehnt. Würde mit ihrer Hilfe ein einseitiges Bild vom Prozess gezeichnet, beeinflusse dies seinen Ausgang.254 So könnten Zeugen und Parteien zum Beispiel durch die Perspektive, ihre Einlassungen später veröffentlicht zu sehen, gehemmt werden.255 c) Tatbestand des s. 9(1) Contempt of Court Act 1981 aa) Mögliche Tathandlungen (1) Anfertigung von Ton-Aufnahmen Das gesetzliche Verbot der Ton-Aufnahmen wird verletzt, wenn ein Aufnahmegerät im Gericht genutzt oder – zeitlich vorgelagert – mit dieser Absicht ins Gericht mitgebracht wird (s. 9(1)(a) CCA 1981). Als Aufnahmegeräte werden neben dem als Regelbeispiel genannten Kassettenrekorder zum Beispiel auch Handys eingeordnet.256 Unter Zugrundelegung des allgemeinen Begriffsverständnisses lässt sich klar bestimmen, wann eine Aufnahme angefertigt wurde und wann ein Aufnahmegerät ins Gericht mitgebracht wurde. Ein Verstoß gegen das Aufnahmeverbot liegt allerdings nicht vor, wenn die Aufnahme vom Gericht gestattet wurde (s. 9(1)(a) a. E. CCA 1981). Diese Erlaubnis kann sowohl vor als auch nach einer Aufnahme erteilt werden.257 Gemäß s. 9(2)(a) CCA 1981 steht sie im Ermessen des Gerichts. Das Gericht kann die Aufnahmen auf Antrag sowie von Amts wegen zulassen (pt. 6.9(2) Criminal Procedure Rules [Crim PR]).258 Für die Gestattung soll es sprechen, wenn der Antragsteller ein berechtigtes Interesse an Ton-Aufnahmen hat. Dagegen soll es streiten, wenn ein großes Risiko besteht, dass die Zeugen vorab informiert werden, dass Aufnahmen den Verfahrensablauf stören oder dass sie die Beteiligten ablenken (pt. 6A.2 Criminal Practice Directions [CPD]).
§ 888; Lord Gardiner, HL Deb 09.12.1980, Vol. 415, § 692; Price, HC Deb 16.06.1981, Vol. 6, §§ 889, 891; Lord Renton, HL Deb 20.01.1981, Vol. 416, § 380 f. 253 Lawrence, HC Deb 02.03.1981, Vol. 1000, § 88; ders., HC Deb 16.06.1981, Vol. 6, § 888; Lord Roskill, HL Deb 20.01.1981, Vol. 416, § 382. 254 Lord Renton, HL Deb 20.01.1981, Vol. 416, § 381. 255 Archer, HC Deb 16.06.1981, Vol. 6, § 884. 256 Dodd/Hanna, McNae’s, 12.2. 257 Robertson/Nicol, Media Law, 8-091. Wohl auch Hooker (Patricia), Re [1993] C.O.D. 190 (192). 258 Das Antragsverfahren ist in pt. 6.9(3) Crim PR geregelt.
B. Rechtliche Rahmenbedingungen der Gerichtssaalberichterstattung in England 281
Gestattet das Gericht Ton-Aufnahmen ausnahmsweise, soll es nach pt. 6A.3 CPD stets in Betracht ziehen, Bedingungen gemäß s. 9(2)(a) CCA 1981 aufzustellen. In die Entscheidung hierüber könne es die Identität und die Rolle des Antragstellers sowie den Verfahrensgegenstand einbeziehen. Der Phillimore Report sah etwa vor, Pressevertretern, die mittels der Ton-Aufnahmen ihre Artikel vorbereiten wollten, eine Dauergenehmigung zu erteilen.259 In pt. 6.9(5) Crim PR werden beispielhaft mögliche Bedingungen genannt, etwa die Begrenzung der Aufnahmen auf einen Teil des Saales oder auf eine bestimmte Zeit (pt. 6.9(5) (a), (d) Alt. 1 Crim PR). Das Gericht kann seine Gestattung – ob mit oder ohne Bedingungen – zudem jederzeit entziehen oder modifizieren, und dies sowohl in Bezug auf das gesamte Verfahren als auch hinsichtlich eines bestimmten, ausgewählten Teils (s. 9(2) CCA 1981 a. E.). Tut es dies, lebt das Aufnahmeverbot in diesem Umfang wieder auf. (2) Veröffentlichung von Ton-Aufnahmen Umstritten ist in der Literatur, wann das gesetzliche Veröffentlichungsverbot verletzt wird. Es erfordert nach s. 9(1)(b) CCA 1981, dass die Ton-Aufnahmen oder ihre Derivate veröffentlicht werden oder dass zu diesem Zweck über sie verfügt wird. „Veröffentlichung“ wird in der Norm selbst als das Abspielen einer Ton-Aufnahme in Hörweite der Allgemeinheit oder eines Teils davon definiert. Daraus folgern manche Autoren, der Begriff sei ebenso auszulegen wie die durch s. 2(1) CCA 1981 ganz ähnlich definierte „Veröffentlichung“.260 Danach wird etwas veröffentlicht, wenn es an die Öffentlichkeit im Allgemeinen oder an einen Teil davon gerichtet wird. Andere Autoren weisen aber darauf hin, dass die Definitionen eben nicht völlig deckungsgleich sind:261 Während s. 9(1)(b) von „Öffentlichkeit“ spreche, beziehe s. 2(1) sich auf „Öffentlichkeit im Allgemeinen“. Eine Veröffentlichung liege daher jedenfalls dann nicht vor, wenn Medienvertreter eine als Gedankenstütze angefertigte Ton-Aufnahme in Hörweite ihrer Kollegen abspielten.262 Diese definitorische Uneinigkeit wirkt sich auch auf die Auslegung des Begriffs der Verfügung zum Zweck der Veröffentlichung aus, über den damit ebenfalls Unklarheit bestehen muss. Unabhängig hiervon vertreten manche Autoren, nicht nur von dem Aufnahmeverbot, sondern auch vom Veröffentlichungsverbot könne eine Ausnahme ge259
Report of the Committee on Contempt of Court, Cmnd. 5794, § 43. Eady/Londono/Smith, Arlidge, Eady & Smith, 10-202. 261 Cram, Borrie & Lowe, 12.16 in Fn. 10. 262 Cram, Borrie & Lowe, 12.16. 260
282
Kap. 4: Gerichtssaalberichterstattung in England
macht werden.263 Überwiegend wird diese Ausnahmemöglichkeit jedoch abgelehnt.264 Zur Begründung wird auf den Wortlaut des s. 9(1)(b) CCA 1981 verwiesen, der eine Ausnahme nicht vorsieht.265 S. 9(2)(a) CCA 1981, in dem die Ausnahmemöglichkeit für das Aufnahmeverbot näher geregelt sei, nehme nur auf s. 9(1)(a) CCA 1981 Bezug.266 Er gebe dem Gericht demnach zwar die Befugnis, die private Nutzung der Ton-Aufnahmen näher zu regeln, nicht aber die Option, ihre öffentliche Verwendung zu gestatten.267 (3) Nutzung von Ton-Aufnahmen unter Verstoß gegen Bedingungen Zuletzt ist die Nutzung der Ton-Aufnahmen, die den Bedingungen einer richterlichen Gestattung zuwiderläuft, gemäß s. 9(1)(c) CCA 1981 eine eigenständige Tathandlung. Wann hiernach contempt begangen wurde, hängt damit von den Vorgaben der konkreten Gestattung ab und kann nicht abstrakt umschrieben werden. bb) Erfasste Gerichte Gerichte i. S. des s. 9 CCA 1981 sind nach s. 19 CCA 1981 sämtliche Tribunale oder Organe, die staatliche rechtsprechende Gewalt ausüben.268 Daher werden nicht nur Gerichte im engeren Sinne, sondern auch die judikativ tätigen Tribunale vom Verbot erfasst.269 cc) Räumlicher und zeitlicher Anwendungsbereich Das Aufnahmeverbot nach s. 9(1)(a) CCA 1981 gilt seinem Wortlaut nach im Gericht. Ob der räumliche Anwendungsbereich damit auf den Gerichtssaal, das Gerichtsgebäude oder darüber hinaus auch auf dessen Umfeld bezogen ist, ist prima facie unklar, wird jedoch – anders als für das Verbot in s. 41(1) CJA 1925 –270, soweit ersichtlich, nicht diskutiert. Für die anderen beiden Tathandlungen finden sich in der Vorschrift keinerlei räumliche Einschränkungen.
Dodd/Hanna, McNae’s, 12.2.1; Freer, J.P.N. 176 (2012), 585 (587). Bailey, MLR 45 (1982), 301 (311); Cram, Borrie & Lowe, 12.16; Stepniak, Audio-Visual Coverage, S. 59. Wohl auch Robertson/Nicol, Media Law, 8-091. 265 Eady/Londono/Smith, Arlidge, Eady & Smith, 10-206; Miller/Perry, Contempt of Court, 4.143 in Fn. 373. 266 Miller/Perry, Contempt of Court, 4.143 in Fn. 373. 267 Eady/Londono/Smith, Arlidge, Eady & Smith, 10-206. 268 Cram, Borrie & Lowe, 12.16. 269 Zum Streit hierüber zu s. 41(1) CJA 1925: Kap. 4, B. II. 1. c) dd). 270 Vgl. Kap. 4, B. II. 1. c) ff). 263 264
B. Rechtliche Rahmenbedingungen der Gerichtssaalberichterstattung in England 283
In zeitlicher Hinsicht erfasst das Veröffentlichungsverbot in s. 9(1)(b) CCA 1981 seinem Wortlaut nach nur Ton-Aufnahmen von Gerichtsverfahren (legal proceedings). Zeitlich ist das Verbot damit auf den Zeitraum beschränkt, in dem eine rechtsprechende Tätigkeit ausgeübt wird. Die beiden übrigen Tathandlungen werden in der Vorschrift in zeitlicher Hinsicht nicht eingeschränkt. dd) Subjektiver Tatbestand Uneinigkeit besteht in Rechtsprechung und Literatur über die subjektiven Voraussetzungen des s. 9(1) CCA 1981. Für das Aufnahmeverbot wird in der Literatur vertreten, es reiche aus, wissentlich ein Aufnahmegerät mit ins Gericht zu bringen, um es dort zu verwenden.271 Auch für das Veröffentlichungsverbot wird im Schrifttum ein wissentliches Handeln gefordert.272 In dem einzigen Urteil, das sich mit dieser Frage bislang beschäftigte, stellte das zuständige Gericht dagegen die Möglichkeit in den Raum, dass s. 9(1) CCA 1981 keinerlei subjektive Voraussetzungen hat. Weil die Frage im konkreten Fall aber nicht entscheidungserheblich war, äußerte es sich dazu nicht abschließend.273 Es ist deshalb unklar, welche subjektiven Anforderungen das Verbot aufstellt. d) Rechtsfolge des s. 9(1) Contempt of Court Act 1981 Wird der Tatbestand des s. 9(1) CCA 1981 erfüllt, liegt criminal contempt of court vor. Das eröffnet die beschriebenen Möglichkeiten, eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder eine in der Höhe unbeschränkte Geldstrafe zu verhängen.274 Die Rechtsprechung setzte sich bereits mehrfach mit dem angemessenen Strafmaß auseinander. In einem Fall hatte ein Zuschauer eine Kautionsanhörung aufgenommen.275 Hierfür war er zu vier Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden,276 die der Court of Appeal jedoch reduzierte.277 Das Gericht führte aus, für die Schwere der Straftat sei relevant, zu welchem Zweck die Aufnahme angefertigt worden sei und wie wahrscheinlich es sei, dass sie die Arbeit der Justiz beeinträchtige. Dass sie im Internet veröffentlicht werden könne, wie das Gericht in erster Instanz befürchtet hatte, reiche allein nicht aus. Die Publikation der Ton-AufnahCram, Borrie & Lowe, 12.15; Eady/Londono/Smith, Arlidge, Eady & Smith, 10-209; Miller/Perry, Contempt of Court, 4.140. 272 Eady/Londono/Smith, Arlidge, Eady & Smith, 10-209. 273 Hooker (Patricia), Re [1993] C.O.D. 190 (192). 274 Zum möglichen Strafmaß: Kap. 4, B. II. 5. a). 275 R. v. Cullinane [2007] EWCA Crim 2682, Rn. 2 f. 276 R. v. Cullinane [2007] EWCA Crim 2682, Rn. 4. 277 R. v. Cullinane [2007] EWCA Crim 2682, Rn. 7. 271
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Kap. 4: Gerichtssaalberichterstattung in England
men könne dagegen bspw. Einfluss auf die Rechtspflege nehmen, wenn sie gegen Beschränkungen der Berichterstattung verstieße oder Material bekannt mache, das geheim gehalten werden solle. Ebenso fiele es erschwerend ins Gewicht, wenn zusätzlich zum Verfahren auch privat geführte Gespräche im Gericht aufgenommen würden.278 In einem anderen Fall, in dem ein Zuschauer mit einer versteckten Kamera 13 Minuten einer Verhandlung aufgenommen und auf YouTube veröffentlicht hatte,279 verurteilte der High Court diesen zu 56 Tagen Haft, die er jedoch suspendierte280. Da der Täter bereits mehrfach wegen eines ähnlichen Verhaltens verwarnt, ja sogar verurteilt worden war, müsse vorliegend eine Freiheitsstrafe verhängt werden.281 Zusammenfassend müssen bei der Strafzumessung sowohl die Aufnahme als auch die aufnehmende Person berücksichtigt werden. Mit Blick auf die Aufnahme ist einerseits der Zweck maßgeblich, zu dem sie angefertigt wird, und andererseits zu prüfen, ob sie tatsächlich die Arbeit der Justiz beeinträchtigte. Dafür kann es bspw. auf den Gegenstand der Aufnahme ankommen. Mit Blick auf die aufnehmende Person muss berücksichtigt werden, ob sie bewusst und wiederholt gegen das Verbot verstieß. Die bislang ergangenen Urteile auf diesem Gebiet deuten darauf hin, dass contempt nach s. 9(1) CCA 2013 – ebenso wie contempt nach dem common law –282 in aller Regel mit einer Freiheitsstrafe sanktioniert wird. Unabhängig davon steht es dem Gericht bei einem Verstoß gegen das Aufnahmeverbot nach s. 9(3) CCA 1981 offen, das Aufnahmegerät, die Ton-Aufnahmen oder beides zu beschlagnahmen. 2. Ausnahme vom Veröffentlichungsverbot nach s. 9(1A) Contempt of Court Act 1981 Das Aufnahme- und Veröffentlichungsverbot in s. 9(1) CCA 1981 gilt prinzipiell auch am Supreme Court. Das Verbot einer Publikation oder Verfügung zu diesem Zweck entfällt nach s. 9(1A) CCA 1981 jedoch, wenn der Supreme Court die Veröffentlichung erlaubt. Die Gestattung steht gemäß s. 9(2) CCA 1981 in seinem Ermessen. Er kann sie unter Bedingungen stellen und jederzeit entziehen oder modifizieren (s. 9(2)(b), (2) a. E. CCA 1981). Eine Veröffentlichung der Aufnahmen oder eine Verfügung hierüber, die gegen die aufgestellten Bedingungen verstößt, ist gemäß s. 9(1)(d) CCA 1981 ein eigenständiger contempt. Die 278
R. v. Cullinane [2007] EWCA Crim 2682, Rn. 6. General v. Scarth [2013] EWHC 194 (Admin), Rn. 2, 17. 280 Attorney General v. Scarth [2013] EWHC 194 (Admin), Rn. 32. 281 Attorney General v. Scarth [2013] EWHC 194 (Admin), Rn. 8–10, 30. 282 Vgl. Kap. 4, B. II. 5. 279 Attorney
B. Rechtliche Rahmenbedingungen der Gerichtssaalberichterstattung in England 285
Rechtslage am Supreme Court ist daher für die Herstellung und die Veröffentlichung der Aufnahmen identisch: In beiden Fällen gilt ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. 3. Ausnahme vom Aufnahme- und Veröffentlichungsverbot nach der Court of Appeal (Recording and Broadcasting) Order 2013 Prinzipiell gelten das Aufnahme- und das Veröffentlichungsverbot nach s. 9(1) CCA 1981 auch am Court of Appeal. In engen Grenzen sind sowohl die Herstellung von Ton-Aufnahmen als auch ihre Veröffentlichung an diesem Gericht jedoch möglich. Die Grenzen sind, wie für Bild- und Bild/Ton-Aufnahmen, der Order 2013 und dem dazugehörigen Protokoll zu entnehmen. Ton-Aufnahmen dürfen nach Art. 4 Order 2013 unter denselben Bedingungen hergestellt und publiziert werden wie Bild- sowie Bild/Ton-Aufnahmen. Werden diese Konditionen eingehalten, ist s. 9(1) CCA 1981 unanwendbar. Daneben hat das Gericht nach s. 32(3) CCA 2013 die Befugnis, im Interesse der Gerechtigkeit oder zur Verhinderung einer unangemessenen Befangenheit Einzelner die Anwendbarkeit des s. 9(1) CCA 1981 im Einzelfall erneut anzuordnen oder die Unanwendbarkeit unter Bedingungen zu stellen. Diesbezüglich wird auf die obigen Ausführungen zu den Bild/Ton- und Bild-Aufnahmen verwiesen.283 In der Praxis werden auch Ton-Aufnahmen im Court of Appeal vom court video journalist angefertigt. Er nutzt hierfür die Tonspur des gefilmten Materials.284 Damit sind auch die Ton-Aufnahmen für Zwecke der Gerichtssaalberichterstattung faktisch nur einem einzelnen Medienvertreter unter Beachtung strikter Vorgaben für ihre Herstellung und Publikation gestattet. Im Übrigen besteht ihr Verbot am Court of Appeal fort. 4. Ausnahme vom Aufnahmeverbot nach der Crown Court (Recording) Order 2016 Ton-Aufnahmen waren, ebenso wie Bild- und Bild/Ton-Aufnahmen, von dem Pilotprojekt an ausgewählten crown courts erfasst, das auf der Grundlage der Order 2016 durchgeführt wurde. Diesbezüglich wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.285
283
Vgl. Kap. 4, B. II. 3. e). Gespräch mit Nicholls in den Royal Courts of Justice am 05.12.2017. 285 Vgl. Kap. 4, B. II. 4. 284
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Kap. 4: Gerichtssaalberichterstattung in England
5. Ergebnis zu den rechtlichen Rahmenbedingungen für Ton-Aufnahmen Die Herstellung von Ton-Aufnahmen ist in englischen Gerichtssälen in größerem Umfang möglich als die Anfertigung von Bild- und Bild/Ton-Aufnahmen. Im Grundsatz sind zwar auch Ton-Aufnahmen nach s. 9(1)(a) CCA 1981 verboten. Jedenfalls vom Aufnahmeverbot kann aber nach s. 9(2)(a) CCA 1981 im Einzelfall eine Ausnahme gemacht werden. Am Supreme Court ist auch für die Veröffentlichung in s. 9(1A), (2)(b) CCA 1981 eine Ausnahmemöglichkeit vorgesehen. Am Court of Appeal dürfen Ton-Aufnahmen ebenso wie Bild- und Bild/ Ton-Aufnahmen gar im Grundsatz angefertigt werden. Jedoch ist zu beachten, dass der Herstellung und Nutzung der Ton-Aufnahmen enge Grenzen gezogen sind: Am Court of Appeal erfolgt die Aufnahmetätigkeit nach den strengen Regeln der Order 2013. Die künftig denkbaren Ton-Aufnahmen an crown courts werden aller Voraussicht nach in ähnlicher Weise eng begrenzt werden.
IV. Rechtliche Rahmenbedingungen für Textberichte in Echtzeit 1. Power to controll its own proceedings Eine gesetzliche Regelung der Textberichterstattung in Echtzeit findet sich in England nicht.286 Gerichte können den Berichten jedoch im Einzelfall im Rahmen ihrer Befugnis, den Ablauf ihrer Verhandlung zu regulieren (power to control its own proceedings), Grenzen setzen.287 Für die Ausübung dieser Befugnis wurden rechtlich unverbindliche288 Orientierungshilfen erlassen. 2. Zulässigkeit der Textberichte in Echtzeit aus Strafverfahren a) Differenzierung nach Berichterstattern Den Rahmen der Berichterstattung aus den Strafgerichten legen pt. 6.9 Crim PR und pt. 6C CPD fest, wobei letzterer die Überschrift „Use of Live Text-Based Forms of Communication (Including Twitter) from Court for the Purposes of Fair and Accurate Reporting“ trägt. Als live text-based forms of communication werden dabei Emails, Social Media und internetfähige Laptops definiert (pt. 6C.1 CPD). Die Rahmenbedingungen für ihre Nutzung unterscheiden sich danach, wer die jeweiligen Textberichte anfertigt: ein Medienvertreter oder ein „gewöhnlicher“ Bürger.
Millar/Scott, Newsgathering, 10.65; Miller/Perry, Contempt of Court, 4.138. Lord Chief Justice, Live-Text-Based Forms of Communications, S. 4. 288 Robbins, KSLR 7 (2016), 1 (5). 286
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B. Rechtliche Rahmenbedingungen der Gerichtssaalberichterstattung in England 287
b) Medienvertreter und juristische Kommentatoren Nach pt. 6C.8 CPD gelten Sonderregelungen für die Textberichte in Echtzeit, die Medienvertreter (representatives of the media) und juristische Kommentatoren (legal commentators) verfassen. Sie können im Gericht nach pt. 6C.8 CPD ohne Weiteres, insbesondere ohne vorherige Zulassung, live text-based forms of communication einsetzen. Wer ein Medienvertreter oder juristischer Kommentator ist, wird allerdings weder in pt. 6C CPD noch anderweitig, etwa gesetzlich, definiert.289 Dementsprechend werden die Bezeichnungen unterschiedlich ausgelegt. Überwiegend werden sie eng verstanden. Die Autoren eines Konsultationspapiers, das die Gestattung der Textberichte in Echtzeit vorbereitete, wollten darunter nur akkreditierte Medienvertreter und Kommentatoren fassen.290 Danach sollten etwa Blogger nicht von dem Privileg profitieren. Zur Begründung verwiesen sie auf die Gefahren, die aus der Berichterstattung der Laien folgen könnten: Sie seien weder mit den medienrechtlichen noch mit den presseethischen Standards vertraut.291 Die Sorge, dass Laien Informationen publizieren könnten, deren Verbreitung verboten sei, teilen einige Autoren.292 Rozenberg will daher auf die Ausbildung des Berichterstatters als maßgebliches Kriterium zurückgreifen. Medienvertreter oder juristischer Kommentator sei mithin nur, wer eine juristische oder journalistische Ausbildung erhalten habe, in deren Folge er aus dem Gericht berichten könne, ohne contempt of court zu begehen. Im Zweifel müsse der zuständige Richter entscheiden, ob diese Voraussetzungen erfüllt seien.293 Robbins lehnt die enge Auslegung dagegen mit Verweis auf die daraus resultierende Rechtsunsicherheit ab. In Grenzfällen sei womöglich erst zu spät – nämlich nach einer rechtswidrigen Veröffentlichung – klar, dass der persönliche Anwendungsbereich der Ausnahme nicht eröffnet gewesen sei. Er lehnt es außerdem ab, auf die Akkreditierung der Berichterstatter abzustellen.294 Das würde 289 Rozenberg, www.theguardian.com vom 14.12.2011 (abrufbar unter www.theguardian. com/law/2011/dec/14/judges-decide-who-tweets-from-court, Stand: 13.12.2019). Kritisch zur fehlenden Definition Lambert, Courting Publicity, 4.95. 290 So wohl auch Smartt, Comms L 1 (2012), 35. 291 Lord Chief Justice, Live-Text-Based Forms of Communications, S. 11. 292 Banks, www.theguardian.com vom 15.12.2010 (abrufbar unter www.theguardian.com/ law/2010/dec/15/tweeting-court-reporters-julian-assange, Stand: 13.12.2019); Lord Judge, zitiert nach Rozenberg, www.theguardian.com vom 14.12.2011 (abrufbar unter www.the guardian.com/law/2011/dec/14/judges-decide-who-tweets-from-court, Stand: 13.12.2019); Lambert, Courting Publicity, 4.16, 4.79; Rozenberg, www.theguardian.com vom 09.02.2011 (abrufbar unter www.theguardian.com/law/2011/feb/09/twitter-court-reporting-stays, Stand: 13.12.2019). 293 Rozenberg, www.theguardian.com vom 14.12.2011 (abrufbar unter www.theguardian. com/law/2011/dec/14/judges-decide-who-tweets-from-court, Stand: 13.12.2019). 294 Das schlug in einem älteren Artikel Rozenberg, www.theguardian.com vom 09.02.2011
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Kap. 4: Gerichtssaalberichterstattung in England
jene Autoren diskriminieren, die nicht bei großen Medienunternehmen angestellt oder Mitglied einer Journalistengewerkschaft seien.295 Für die Frage, ob jemand ein Medienvertreter oder juristischer Kommentator sei, will er vielmehr auf dessen Tätigkeit abstellen. Nutze die Person live text-based forms of communication, um Informationen über eine Verhandlung zu sammeln und zu verbreiten, falle sie unter diese Begriffe. Auf ihre Berufsbezeichnung komme es dagegen nicht an.296 Unter welchen Umständen die Zuschauer, die über eine Gerichtsverhandlung berichten wollen, von dem Privileg in pt. 6C.8 CPD profitieren, ist danach umstritten. Jedenfalls die Medienvertreter, die beruflich Berichte aus dem Gerichtssaal verfassen, dürfen danach aber ohne Weiteres Textberichte in Echtzeit im Gericht anfertigen. c) „Gewöhnliche“ Bürger Die Textberichterstattung in Echtzeit im Gericht kann jedoch auch durch Personen erfolgen, die nicht als Medienvertreter oder juristische Kommentatoren eingeordnet werden. Sie müssen zuvor die Zustimmung des Gerichts einholen (pt. 6C.7 CPD). Bevor das Gericht die Erlaubnis erteilt, soll es prüfen, ob die Nutzung der Kommunikationsmittel die ordnungsgemäße Rechtspflege beeinträchtigen kann. Zu dem Zweck kann es die in pt. 6A.2 CPD genannten Kriterien heranziehen (pts. 6C.9, 6C.10 CPD), die bereits im Kontext der Gestattung von Ton-Aufnahmen dargestellt wurden.297 Es kann demnach für eine Gestattung sprechen, wenn der Antragsteller ein berechtigtes Interesse an den Textberichten in Echtzeit hat. Dagegen kann zum Beispiel angeführt werden, dass das Risiko besteht, dass Zeugen durch die Berichte vorab informiert werden. Eine einmal erteilte Erlaubnis kann das Gericht auch jederzeit wieder entziehen (pt. 6C.14 CPD). Pt. 6C.11 CPD benennt Gefahren, die dies im Interesse der Rechtspflege nötig machen könnten: So könne in Strafprozessen zum Beispiel die Jury über unzulässige Beweismittel informiert werden. 3. Zulässigkeit der Textberichte in Echtzeit außerhalb der Strafverfahren An den Gerichten, die nicht in den Anwendungsbereich des pt. 6C CPD fallen, gilt die Practice Guidance „The Use of Live Text-Based Forms of Communication (including Twitter) from Court for the Purpose of Fair and Accurate Repor(abrufbar unter www.theguardian.com/law/2011/feb/09/twitter-court-reporting-stays, Stand: 13.12.2019) vor. 295 Robbins, KSLR 7 (2016), 1 (4). 296 Robbins, KSLR 7 (2016), 1 (11). 297 Vgl. Kap. 4, B. III. 1. c) aa) (1).
B. Rechtliche Rahmenbedingungen der Gerichtssaalberichterstattung in England 289
ting“ des Lord Chief Justice von Dezember 2011. Weil ihre Vorgaben inhaltlich mit denen des pt. 6C CPD identisch sind, wird auf die obige Darstellung ver wiesen.298 4. Zulässigkeit der Textberichte in Echtzeit am Supreme Court Die Handhabung der Textberichterstattung in Echtzeit am Supreme Court ist, abweichend von den übrigen Gerichten, in dessen „Policy on the use of live text-based communications from Court“ niedergelegt. Darin wird nicht zwischen den Medienvertretern und „gewöhnlichen“ Bürgern unterschieden. Jedermann kann vielmehr textbasierte Kommunikationsmittel im Gericht ohne eine vorherige Gestattung nutzen, sofern dies geräuschlos geschieht und die Verhandlung dadurch nicht gestört wird. Diese Möglichkeit wird aber in dreierlei Hinsicht beschränkt: Hat das Gericht die Berichterstattung über einen Prozess eingeschränkt, dürfen auf diese Weise keine Informationen daraus übermittelt werden. Wird über die Belange eines Kindes verhandelt, das anonym bleiben soll, sind Berichte zwar gestattet, die Identifikation des Kindes stellt allerdings contempt of court dar. Vollständig verboten sind die Textberichte in Echtzeit bezüglich solcher Entscheidungen, für die der Supreme Court die Berichterstattung untersagt hat, um so einen Einfluss auf die Verhandlung der unteren Instanz zu vermeiden. Zur Begründung dieser von den übrigen Gerichten abweichenden Regelung verweist der Supreme Court auf die unterschiedliche tatsächliche und rechtliche Lage. Zeugen oder Juroren träten in seinen Verhandlungen nie auf. Nur selten würden außerdem Beweise vorgelegt. Aufnahmen am Supreme Court seien des Weiteren ausdrücklich gesetzlich gestattet.299 Zuletzt sei das Gerichtsgebäude eigens mit kabellosem Internet ausgestattet worden, um die Nutzung moderner Technologien zu ermöglichen. 5. Ergebnis zu den rechtlichen Rahmenbedingungen für Textberichte in Echtzeit Textberichte in Echtzeit sind die Form der Gerichtssaalberichterstattung, die in England im größten Umfang zugelassen wird. Medienvertretern und juristischen Kommentatoren ist sie an allen Gerichten gestattet. Für Berichterstatter, die nicht unter diese Bezeichnungen fallen, gilt dies nur am Supreme Court im selben Umfang; an allen übrigen Gerichten kann das Gericht ihre Berichterstattung jedoch gestatten. Stets sind jedoch Beschränkungen auf der Basis der Befugnisse der Gerichte möglich, den Ablauf ihrer Verhandlung zu regulieren. 298 299
Vgl. Kap. 4, B. IV. 2. Hierzu ausführlich: Kap. 4, B. II. 2., III. 2.
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Kap. 4: Gerichtssaalberichterstattung in England
V. Differenzierte Regelung der Gerichtssaalberichterstattung Die Vorgaben für die Berichterstattung aus den englischen Gerichtssälen unterscheiden sich danach, welche Instanz, welches Stadium des Verfahrens und welche Medienform davon betroffen ist. Besonders deutlich zeigt dies der Blick auf die verschiedenen Instanzen. Gesetzlich wird die Gerichtssaalberichterstattung in der obersten Instanz, also am Supreme Court, im größten Umfang erlaubt. Bild- sowie Bild/Ton-Aufnahmen verbietet das Gesetz dort nicht. Vom grundsätzlichen gesetzlichen Verbot der Herstellung und Veröffentlichung von Ton-Aufnahmen können zudem Ausnahmen gemacht werden. In der nächstunteren Instanz, am Court of Appeal, dürfen all diese Aufnahmen ebenfalls – wenn auch nur unter strengen Bedingungen – hergestellt und veröffentlicht werden. In den untersten Instanzen sind sie dagegen entweder gesetzlich verboten oder jedenfalls allein in engen Grenzen möglich. Daneben differenzierte der Gesetzgeber am Court of Appeal und an den für das Pilotprojekt ausgewählten crown courts zwischen den verschiedenen Stadien des Verfahrens. Die Aufnahmen dürfen bzw. durften dort nur bestimmte Abschnitte der Verhandlung erfassen. Konkret handelt es sich um Phasen, in denen die professionellen Verfahrensbeteiligten auftreten. An den crown courts durften die Richter bei der Verkündung des Strafmaßes aufgezeichnet werden. Am Court of Appeal dürfen außerdem die Ausführungen der Rechtsvertreter und ihr Austausch mit dem Gericht aufgenommen werden. An keinem dieser Gerichte dürfen demnach die Abschnitte der Verhandlung aufgezeichnet werden, in denen Zeugen, Parteien oder Angeklagte auftreten, insbesondere mithin die Beweisaufnahme. Offenbar existiert am Supreme Court in der Praxis eine ähnliche Beschränkung, durch die seine Aufnahmen auf die Ausführungen der professionellen Beteiligten beschränkt sind. Darauf deuten jedenfalls die Aufnahmen der Verhandlungen hin, die das Gericht auf seinen Internet-Plattformen verbreitet. Zuletzt unterscheiden sich die rechtlichen Rahmenbedingungen für die unterschiedlichen Medienformen. Bild- und Bild/Ton-Aufnahmen sind prinzipiell gesetzlich verboten. Sie werden zudem regelmäßig auf Grundlage des criminal contempt of court-Rechts streng bestraft. Bezüglich der Ton-Aufnahmen kann an allen Gerichten dagegen jedenfalls ihre Herstellung gestattet werden, nach einer Mindermeinung in der Literatur auch ihre Publikation. Für den Supreme Court ist die Möglichkeit, ihre Veröffentlichung zu erlauben, gar gesetzlich geregelt. Am weitgehendsten ist die Textberichterstattung in Echtzeit möglich: Sie wird Medienvertretern in jeder Instanz und jedem Verfahrensstadium gestattet. Allen übrigen Bürgern wie etwa den Laienjournalisten kann sie jedenfalls im Einzelfall erlaubt werden. Am Supreme Court sind Textberichte in Echtzeit auch ihnen jedoch ohne vorherige Erlaubnis möglich.
C. Für und gegen die Zulassung sprechende Aspekte
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Zuletzt ist zu beachten, dass die englischen Gerichte in allen Instanzen und in allen Verfahrensstadien sowie für jede Form der Berichterstattung die Möglichkeit haben, im Einzelfall gegen die Berichterstattung einzuschreiten. Teils ist dies ausdrücklich in den gesetzlichen oder untergesetzlichen Regelwerken vorgesehen, teils stehen ihnen diese Befugnisse nach dem common law zu. Somit haben sie die Möglichkeit, die Gerichtssaalberichterstattung auch in den Situa tionen zu beschränken, die der Gesetzgeber und die Gerichte als in aller Regel unproblematisch erachteten. Bestehen im Einzelfall also einmal Gefahren insbesondere für die Rechtspflege, können sie auch ohne pauschales Verbot der Gerichtssaalberichte ausgeräumt werden.
C. Für und gegen die Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte I. Überblick über den Verlauf der Debatte in England In England war der Einsatz von Kameras und Mikrofonen sowie später von Smartphones, Laptops und ähnlichem im Gericht lange Zeit stark umstritten. Die Diskussion darüber nahm Mitte der 1980er Jahre in der juristischen Literatur ihren Anfang.300 Nachdem die Rechtsanwaltskammer von England und Wales 1989 ihren ausführlichen Bericht „Televising the Courts“ zu Bild/Ton-Aufnahmen im Gericht veröffentlicht hatte,301 der später auch im Parlament diskutiert wurde,302 wurde die Debatte während der 1990er Jahre primär in der Fachliteratur weitergeführt. Dies rief schließlich erneut die Politik auf den Plan. 2004/05 führte das Department for Constitutional Affairs eine Befragung mit dem Titel „Broadcasting Courts“ durch, um die Einstellungen der englischen Bürger zu den Aufnahmen im Gericht zu ermitteln.303 Eine ähnliche Konsultation führte 2011 das Judicial Office for England and Wales durch, um ihre Ansichten zur Textberichterstattung in Echtzeit zu erforschen.304 2012 publizierte das Ministry of Justice schließlich sein „Proposal to allow broadcasting, filming and recording of selected court proceedings“, das schlussendlich im Erlass des s. 32 CCA 2013 resultierte und damit den Weg für Aufnahmen aus englischen Gerichten ebnete.305 Den Anstoß gab, soweit ersichtlich, der Aufsatz von Dockray, NLJ 135 (1985), 1254. General Council of the Bar, Televising the Courts. 302 HC Deb 22.02.1991, Vol. 186, §§ 549–567, 578–615. 303 Department for Constitutional Affairs, Broadcasting Courts. 304 Lord Chief Justice, Live-Text-Based Forms of Communications. 305 Ministry of Justice, Proposals. 300 301
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Kap. 4: Gerichtssaalberichterstattung in England
In diesem Abschnitt werden die Aspekte dargestellt, die in der Literatur und in den verschiedenen, aufgeführten Berichten und politischen Dokumenten in England für und gegen die Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung angeführt wurden.
II. Für die Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte 1. Open justice principle a) Funktionen des open justice principle Ein Aspekt, der in der Diskussion besonders häufig als Argument für eine Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung angeführt wurde, war das open justice principle.306 Diesem Grundsatz werden in der höchstrichterlichen englischen Rechtsprechung drei Funktionen zugeschrieben: Erstens soll er Richter dazu anhalten, gerecht zu urteilen und keine willkürlichen Entscheidungen zu treffen.307 Zweitens soll er es der Öffentlichkeit ermöglichen, die Arbeit der Gerichte zu überprüfen.308 Drittens soll er bei den englischen Bürgern Vertrauen auf die Gerichte schaffen bzw. erhalten.309 Weil die ersten beiden Funktionen eng miteinander verbunden sind, werden die Überlegungen zum Beitrag der Gerichtssaalberichterstattung hierzu im Folgenden gemeinsam dargestellt. b) Beitrag der Gerichtssaalberichterstattung zur Überprüfung der Gerichte und zur Sicherung eines gerechten Urteils Für einen Beitrag der Gerichtssaalberichterstattung zur öffentlichen Überprüfung der Rechtsprechung wurde angeführt, diese Kontrolle sei nur möglich, wenn die Bürger fundiert über das Geschehen bei Gericht informiert seien.310 Nur wenige von ihnen begäben sich jedoch persönlich zu Gericht, um die Verfah-
ganz allgemein, Lord Dyson, Advances in Open Justice, S. 6; Harbage, Counsel Februar 2005, 13 (14); Rubin, Crim.L.R. 2008, 874 (878); Smartt, Comms L 1 (2012), 35 (36); Stepniak, Idaho L.Rev. 40 (2004), 315 (347); Youm, BYU L.Rev. 2012, 1989 (2029). 307 Scott v. Scott [1913] A.C. 417 (463 [Lord Atkinson]); Attorney General v. Leveller Magazine Ltd. [1979] A.C. 440 (450 [Lord Diplock]). 308 Scott v. Scott [1913] A.C. 417 (449 [Earl Loreburn]); Ambard v. Attorney General for Trinidad and Tobago [1936] AC 322 (335 [Lord Atkin]); Home Office v. Harman [1983] A.C. 280 (316 [Lord Scarman]). 309 Scott v. Scott [1913] A.C. 417 (463 [Lord Atkinson]); Attorney General v. Leveller Magazine Ltd. [1979] A.C. 440 (450 [Lord Diplock]). 310 Robbins, KSLR 7 (2016), 1 (6). 306 So,
C. Für und gegen die Zulassung sprechende Aspekte
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ren dort zu verfolgen.311 Mittels Gerichtssaalberichten lasse sich die Publizität von Gerichtsverfahren vergrößern.312 Mit ihrer Hilfe würden auch diejenigen Bürger in die Lage versetzt, die Arbeit der Gerichte zu überprüfen, die nicht persönlich anwesend sein könnten. Überwiegend wurde es dabei dem Fernsehen aufgetragen, sie entsprechend zu informieren.313 „Television cameras will be the eyes and ears of the public and could be the ultimate tool to achieve Open Justice.“314 Einerseits sei das Fernsehen heutzutage die zentrale Informationsquelle der Bürger.315 Andererseits ermögliche es seinen Zuschauern, das Geschehen fast ebenso wahrzunehmen, wie es ein Besuch bei Gericht könne.316 In jüngerer Zeit wurde zudem auf die Bedeutung des Internets für die Informationsbeschaffung verwiesen.317 Robbins meinte, mittels der Textberichte in Echtzeit könnten Laienjournalisten die Lücken füllen, die der Rückgang der professionellen Berichterstattung aus dem Gericht hinterlassen habe.318 Könne die Bevölkerung die Arbeit der Judikative mithilfe der Gerichtssaalberichterstattung überprüfen, führe das im Ergebnis dazu, dass ungerechte Urteile vermieden würden.319 „There is no greater corrective to public misbehaviour than public exposure.“320 Praktisch könnten Aufnahmen etwa verwendet werden, um Rechtsbehelfe gegen eine Entscheidung einzulegen.321 Mit ihrer Hilfe lasse sich etwa eine Körpersprache des Richters nachweisen, die auf seine Be311 NLJ 139 (1989), 705; Lord Dyson, Advances in Open Justice, S. 6; Laddie, in: LS Gaz 15.02.2007, 13; Stepniak, U.N.S.W.L.J. 17 (1994), 345 (373); ders., JJA 15 (2006), 218 (219); Thompson, JML 3 (2011), 211 (221); Walker/Brogarth, J.P.N. 153 (1989), 637; Woodcock, Counsel Februar 1991, 20. 312 Blom-Cooper, Counsel April/Mai 1989, 13 (14). 313 Mason, CPCS 2000, 23; Stepniak, U.N.S.W.L.J. 17 (1994), 345 (360). 314 Cooper, J.P.N. 175 (2011), 522. 315 NLJ 139 (1989), 705; Caplan, JMLP 13 (1992), 176; Department for Constitutional Affairs, Broadcasting Courts, S. 61; Dockray, MLR 51 (1988), 593 (598); ders., Counsel Mai/ Juni 1989, 13 (14); Evered, C.I.L. 1997, 23 (29); General Council of the Bar, Televising the Courts, S. 27; Jaconelli, Open Justice, S. 303; Lambert, Courting Publicity, 10.51; Prince, C.I.L. 3 (1998), 82 (83 f.); Speaight, Counsel Mai/Juni 1989, 6; ders., Counsel September/Oktober 1994, 29; Stepniak, U.N.S.W.L.J. 17 (1994), 345 (373); ders., in: Criminal Visions, S. 254 (S. 261); ders., Wm. & Mary Bill Rts. J. 12 (2004), 791 (805 f., 815); Thompson, JML 3 (2011), 211 (221); Walker/Brogarth, J.P.N. 153 (1989), 637 (638); Woodcock, Counsel Februar 1991, 20. 316 Dockray, NLJ 135 (1985), 1254. 317 Department for Constitutional Affairs, Broadcasting Courts, S. 11. 318 Robbins, KSLR 7 (2016), 1 (5 f.). 319 Mason, CPCS 2000, 23 (23 f.). 320 Blom-Cooper, Counsel April/Mai 1989, 13 (14). 321 Evered, C.I.L. 1997, 23 (43).
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Kap. 4: Gerichtssaalberichterstattung in England
fangenheit hindeute.322 Dadurch könne sichergestellt werden, dass ein ungerechtes Urteil keinen Bestand hat. Kritik wurde an diesem Argument jedoch in zweierlei Hinsicht geübt: Teils wurde bezweifelt, dass die Zuschauer als juristische Laien genug von dem jeweiligen Verfahren verstehen, um die Gerichte infolge einer Berichterstattung kontrollieren zu können.323 Missverständnisse könnten jedoch weitreichende Folgen haben: Komme durch die Berichterstattung das Gefühl auf, das Gericht habe einen Fehler gemacht, könne das Politiker unter Druck setzen, den Missstand abzustellen – auch wenn er tatsächlich nicht bestehe.324 Andere Autoren meinten, die erweiterte Berichterstattung sei für die Zwecke des open justice principle nicht erforderlich. Es stehe schließlich jedem Bürger offen, sich selbst zu Gericht zu begeben325 oder sich aus den Presseberichten über das Geschehen vor Ort zu informieren326. Mehr werde nicht gefordert. c) Beitrag der Gerichtssaalberichterstattung zur Schaffung und Erhaltung des Vertrauens auf die Gerichte Daneben wurde mit Blick auf das open justice principle angeführt, die Gerichtssaalberichterstattung könne dazu beitragen, das Vertrauen der Bürger auf das Rechtssystem und die Rechtsprechung zu schaffen bzw. zu erhalten.327 Je besser die Allgemeinheit über das Justizwesen informiert sei, desto größer sei ihr Vertrauen darauf schließlich.328 Allerdings hätten die meisten Bürger allenfalls eine ungenaue Vorstellung von der Arbeit der Gerichte.329 Damit korrespondiere ein nur geringes Vertrauen in das Rechtssystem.330 Indem Gerichtssaalberichte es der Allgemeinheit ermöglichten, das Geschehen bei Gericht zu beobachten, Jaconelli, Open Justice, S. 348 f.; Robertson/Nicol, Media Law, 8-113. Department for Constitutional Affairs, Broadcasting Courts, S. 58. 324 Freer, J.P.N. 176 (2012), 585 (586). 325 Hytner, JMLP 13 (1992), 174; Marrani, Space, Time, Justice, S. 99; Lord Taylor, Int’l Soc’y Barristers 32 (1997), 310 (314). 326 Goodman, Nott.L.J. 25 (2016), 167 (169); Hytner, JMLP 13 (1992), 174; Lord Taylor, Int’l Soc’y Barristers 32 (1997), 310 (314). 327 NLJ 141 (1991), 190; Department for Constitutional Affairs, Broadcasting Courts, S. 11; Dockray, Counsel Mai/Juni 1989, 13 (14); General Council of the Bar, Televising the Courts, S. 47; Metz, Dick.J.Int’l L. 14 (1996), 673 (699); Millar/Scott, Newsgathering, 10.66; Morton, J.C.L. 68 (2004), 451 (451 f.); Lord Neuberger, Open Justice Unbound?, S. 14; Robbins, KSLR 7 (2016), 1 (7 f.); Woodcock, Counsel Februar 1991, 20. 328 Ministry of Justice, Proposals, S. 7. 329 General Council of the Bar, Televising the Courts, S. 27; Ministry of Justice, Proposals, S. 7. 330 Prince, C.I.L. 3 (1998), 82 (87); Stepniak, Audio-Visual Coverage, S. 51; ders., in: Criminal Visions, S. 254 (S. 262 f.); ders., Wm. & Mary Bill Rts. J. 12 (2004), 791 (806). 322 323
C. Für und gegen die Zulassung sprechende Aspekte
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stärkten sie ihr Vertrauen in diese Institution.331 Wer Gerichtsverfahren verfolgen könne, könne sich selbst davon überzeugen, dass die Verfahren ordnungsgemäß geführt werden.332 Mögliche Fehlvorstellungen von der Justiz, die dem Vertrauen darauf abträglich seien, könnten auf diese Weise ausgeräumt werden.333 Lambert meinte dagegen, es sei nicht ausreichend empirisch erforscht, ob ein derart vertrauenssteigernder Effekt infolge der Gerichtssaalberichte tatsächlich eintreten könne.334 Gegen seine Existenz sprächen die Erfahrungen mit Aufnahmen im Parlament. Sie hätten das Vertrauen der Bürger in die Arbeit der Volksvertretung nicht eben gesteigert.335 Andere Autoren befürchteten sogar, die Gerichtssaalberichterstattung könne dem Vertrauen der Bevölkerung abträglich sein: Wirkten Berichte sich negativ auf das Rechtssystem aus, schwächten sie damit im Ergebnis auch das Vertrauen der Allgemeinheit hierauf.336 So könne es bspw. für Unverständnis und damit für Misstrauen bei der Bevölkerung sorgen, wenn ein Straftäter nicht verurteilt werden könne, weil Berichte über seinen erstinstanzlichen Prozess das Verfahren beeinflusst hätten.337 2. Steigerung der Rechtskenntnis a) Gegenwärtige Wissensdefizite der Allgemeinheit Zugunsten der Gerichtssaalberichterstattung wurde in der Diskussion in England zudem angeführt, sie könne zur Information der Allgemeinheit über das Recht und seine Durchsetzung beitragen.338 Das Wissen sei wichtig, weil ihre juristische Unkenntnis Bürger bspw. davon abhalten könne, ihre Rechte vor Gericht geltend zu machen.339 Die Mehrheit der Bevölkerung wisse aber nicht über die Caplan, in: Verkaik, LS Gaz 17.05.1995, 92 (14); ders., JMLP 13 (1992), 176; Stepniak, U.N.S.W.L.J. 17 (1994), 345 (374). 332 Evered, C.I.L. 1997, 23 (30 f.). 333 General Council of the Bar, Televising the Courts, S. 27. 334 Lambert, Courting Publicity, 10.135. 335 Miles, in: Hoult, LS Gaz 09.09.2004, 10 (1); Morton, J.C.L. 68 (2004), 451 (452). 336 Baroness Kennedy, www.theguardian.com vom 03.11.2013 (abrufbar unter www.thegu ardian.com/commentisfree/2013/nov/03/cameras-in-court-threat-justice, Stand: 13.12.2019); Lambert, JMLP 16 (1995), 139 (140 f.). 337 Nutting, Inter Alia 1992 (1996), 13. 338 NLJ 139 (1989), 705; NLJ 141 (1991), 190; Barendt, Freedom of Speech, S. 347; Blom-Cooper, Guns in Antigua, S. 45; Brooke, Wm. & Mary Bill Rts. J. 12 (2004), 699 (704); Caplan, JMLP 12 (1992), 176; Dockray, NLJ 135 (1985), 1254; ders., MLR 51 (1988), 593 (598); ders., Counsel Mai/Juni 1989, 13 (14); Mason, CPCS 2000, 23 (24 f.); Pritchard, Legal Business Januar/Februar 1992, 3; Stepniak, U.N.S.W.L.J. 17 (1994), 345 (376); Walker, MLR 59 (1996), 517 (520); Youm, BYU L.Rev. 2012, 1989 (2029). 339 Department for Constitutional Affairs, Broadcasting Courts, S. 62. 331
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Kap. 4: Gerichtssaalberichterstattung in England
Arbeit der Gerichte Bescheid.340 Würden sie nicht zum Jurydienst berufen, träten die meisten von ihnen kaum einmal persönlich damit in Kontakt.341 Einblicke lieferten ihnen stattdessen fiktive Filme und Fernsehserien über Gerichte.342 Diese zeichneten jedoch kein realistisches Bild von der englischen Justiz.343 Vielfach riefen sie, im Gegenteil, Fehlvorstellungen hiervon hervor.344 Viele englische Bürger wüssten infolgedessen vor allem über die US-amerikanische Justiz Bescheid und nicht so sehr über ihre eigenen Gerichte.345 Zur Entkräftung dieses Arguments wurde jedoch darauf verwiesen, dass ein Beitrag der Gerichtssaalberichterstattung zur Steigerung der Rechtskenntnis empirisch nicht nachgewiesen ist.346 Für die Existenz eines derartigen Effektes wurde allerdings einerseits auf die positiven Erfahrungen in den Ländern verwiesen, die Aufnahmen bereits gestatteten.347 Andererseits wurden die positiven Erfahrungen mit den Aufnahmen des Parlaments angeführt, durch welche die Bürger seine Arbeit besser kennengelernt hätten.348 Dass Gerichtssaalberichte der Wissensvermittlung förderlich sind, wurde jedoch auch mit grundsätzlichen Argumenten bestritten. b) Fehlende realitätsgetreue Wiedergabe des Geschehens im Gericht aa) Relevanz der wirklichkeitsgetreuen Darstellung Die Voraussetzung dafür, dass die Gerichtssaalberichte Rechtskenntnisse vermitteln können, ist in England wie Deutschland, dass sie ein realistisches Bild von den Vorgängen bei Gericht zeichnen.349 Dass sie dies tun, wurde in England aber vielfach bezweifelt.350 340
Vgl. Kap. 4, C. II. 2. a). Holland, Inter Alia 1992 (1996), 11. 342 Department for Constitutional Affairs, Broadcasting Courts, S. 61; Marrani, Space, Time, Justice, S. 96; Metz, Dick.J.Int’l L. 14 (1996), 673 (699); Ministry of Justice, Proposals, S. 7; Prince, C.I.L. 3 (1998), 82 (90). 343 Ministry of Justice, Proposals, S. 7. 344 Lord Hope, Inter Alia 1992 (1996), 37 (39); Lambert, Courting Publicity, 10.102. 345 Department for Constitutional Affairs, Broadcasting Courts, S. 62; Holland, Inter Alia 1992 (1996), 11 (12); Marrani, Space, Time, Justice, S. 115. So schon Robbins, A.B.A.J. 31 (1935), 301 (304). 346 Freer, J.P.N. 176 (2012), 585 (587); General Council of the Bar, Televising the Courts, S. 28; Lambert, Courting Publicity, 8.34 f., 10.25, 10.136, 16.22; ders., Television Courtroom Broadcasting, S. 27, 45; Stepniak, Audio-Visual Coverage, S. 397. 347 Stepniak, Audio-Visual Coverage, S. 397. 348 Thompson, JML 3 (2011), 211 (223). 349 Vgl. Kap. 2, E. II. 1. 350 Allgemein dazu: Marrani, Space, Time, Justice, S. 103, 116 ff. 341
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bb) Keine repräsentative Auswahl der Verhandlungen für die Berichte Missbilligt wurde in dieser Hinsicht einerseits die Auswahl der Prozesse, über die die Medien berichteten. Sie würden vor allem sensationelle Gerichtsverfahren auswählen, so lautete die Kritik.351 Damit vermittelten sie aber einen unrealistischen Eindruck vom englischen Rechtssystem.352 So führe zum Beispiel eine Konzentration auf die Strafverfahren dazu, dass die Bürger den Eindruck erhielten, nur mit diesem Rechtsgebiet befasse sich die Justiz.353 Um ein wirklichkeitsgetreues Bild zu zeichnen, müsse daher aus allen Gerichten berichtet werden.354 Munday war jedoch der Ansicht, selbst dann sei das Bild der Justiz noch verzerrt, da bspw. in Strafverfahren eine Vielzahl der Fälle außergerichtlich, etwa mittels plea bargain, gelöst würden.355 Andererseits wurde kritisiert, dass die Medienvertreter nur gewisse Szenen im Gericht für ihre Berichte auswählen und nicht das gesamte Gerichtsverfahren zeigen würden.356 Darauf deuteten die Erfahrungen mit Aufnahmen des Parlaments hin.357 Rechtskenntnisse könne aber nur die Übertragung des gesamten Verfahrens vermitteln.358 Andernfalls bestehe die Gefahr, dass Fehlvorstellungen hierüber hervorgerufen werden.359 Nutting meinte darüber hinaus, selbst wenn eine Verhandlung ganz übertragen würde, blieben entscheidende Momente wie die Beratung der Jury geheim.360 Gegen das Selektivitätsargument wurde in der Literatur aber darauf verwiesen, dass auch auszugsweise Berichte über Gerichtsverfahren ein ausgeglichenes Bild zeichnen könnten. Es komme ganz darauf an, wie die Verfahren in den Berichten aufbereitet würden.361 Zudem stehe es auch den Zuschauern im Gerichtssaal offen, sich die Verhandlungen nur in Auszügen anzusehen.362 Insofern
351 NLJ 139 (1989), 705; Blom-Cooper, Counsel April/Mai 1989, 13 (15); Hytner, JMLP 13 (1992), 174; Jaconelli, Open Justice, S. 316; Munday, J.P.N. 159 (1995), 37 (38); Nutting, Inter Alia 1992 (1996), 13 (14). 352 Lambert, JMLP 16 (1995), 139 (141); Mason, CPCS 2000, 23 (27); Walker, MLR 59 (1996), 517 (521). 353 Department for Constitutional Affairs, Broadcasting Courts, S. 63. 354 Logan, in: Verkaik, LS Gaz 17.05.1995, 92 (14). 355 Munday, J.P.N. 159 (1995), 37 (38). 356 Ede, in: Bawdon, LS Gaz 16.12.1994, 91 (10). 357 Neale, in: Verkaik, LS Gaz 17.05.1995, 92 (14). 358 Biondi, Yearbook of Media and Entertainment Law 1996, 133 (150); Department for Constitutional Affairs, Broadcasting Courts, S. 64. 359 Freer, J.P.N. 176 (2012), 585 (586); Neale, in: Verkaik, LS Gaz 17.05.1995, 92 (14). 360 Nutting, Inter Alia 1992 (1996), 13. 361 Speaight, Counsel Mai/Juni 1989, 6 (8). 362 Jaconelli, Open Justice, S. 336.
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unterscheide sich die Position des Zuschauers vor dem Fernseher oder Computer nicht von der des Zuschauers im Gericht. cc) Entstellung des Geschehens bei Gericht in den Berichten Zusätzlich wurde im Hinblick auf die realitätsgetreue Wiedergabe des Geschehens bei Gericht die redaktionelle Bearbeitung kritisiert, die Gerichtssaalberichte erführen.363 In ihrer Folge unterschiede sich der Eindruck, den die Medienkonsumenten von einem Gerichtsverfahren bekämen, von dem Eindruck, den die Zuschauer im Gerichtssaal hätten.364 Prägnant fasste Baroness Kennedy zusammen: „TV is not the real thing.“365 Ohne dem im Grundsatz zu widersprechen, argumentierten andere Autoren, die Aufnahmen seien jedenfalls besser zur Kenntnisvermittlung geeignet als die klassische Gerichtsberichterstattung. Am besten lasse sich ein Verständnis für das Rechtssystem schließlich durch eigene Anschauung hiervon schaffen.366 Aufnahmen könnten den Bürgern diese Anschauung vermitteln, sodass sie nicht mehr darauf angewiesen seien, dass die Medien das Geschehen neutral wiedergeben – was ihnen nicht immer gelinge:367 „[A] journalist’s summary of court proceedings is highly selective and hardly a satisfactory substitute for witnessing the real thing.“368 c) Ausrichtung der Gerichtssaalberichterstattung auf Unterhaltung Vorgetragen wurde gegen einen Beitrag der Gerichtssaalberichterstattung zur Wissensvermittlung des Weiteren, dass jene Form der Berichterstattung unterhaltsam sein müsse.369 Die Bürger erwarteten spektakuläre Berichte, nicht jedoch Informationen.370 Gerichtssaalberichte wurden in der Literatur daher mit Reality
Biondi, Yearbook of Media and Entertainment Law 1996, 133 (150); Goodman, Nott.L.J. 25 (2016), 167 (169); Lambert, JMLP 16 (1995), 139; Nutting, Inter Alia 1992 (1996), 13 (14); Stephens, LS Gaz 16.11.1994, 91 (2); Walker, MLR 59 (1996), 517 (521). 364 Department for Constitutional Affairs, Broadcasting Courts, S. 57. 365 Baroness Kennedy, www.theguardian.com vom 03.11.2013 (abrufbar unter www.thegu ardian.com/commentisfree/2013/nov/03/cameras-in-court-threat-justice, Stand: 13.12.2019). 366 General Council of the Bar, Televising the Courts, S. 27. 367 Cooper, J.P.N. 175 (2011), 522; Freer, J.P.N. 176 (2012), 585 (587); Holland, Inter Alia 1992 (1996), 11; Prince, C.I.L. 3 (1998), 82 (94); Ryan, in: Bawdon, LS Gaz 16.12.1994, 91 (10); Speaight, Counsel Mai/Juni 1989, 6 (8); Stepniak, Electronic Media Coverage, S. 108; Thompson, JML 3 (2011), 211 (223). 368 Lord Dyson, Advances in Open Justice, S. 17. 369 Munday, J.P.N. 159 (1995), 37. 370 Marrani, Space, Time, Justice, S. 127. 363
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TV,371 fiktiven Polizeisendungen,372 Game-Shows und Sportsendungen373 ver glichen. Einige Autoren lehnten jedoch die Annahme ab, dass Medien stets auf diese Weise Bericht aus dem Gerichtssaal erstatten würden.374 Ein Blick in die Länder, in denen Gerichtssaalberichte bereits zugelassen seien, spreche gegen die Befürchtung einer derart singulären Konzentration auf die Unterhaltung. Auch die Berichterstattung, die in England ohne Aufnahmen aus dem Gerichtssaal bereits stattfinde, deute nicht darauf hin.375 Gerade das Fernsehen wolle zwar unter halten, aber eben auch informieren.376 Unterhaltung und Wissensvermittlung seien dabei nicht immer klar voneinander zu trennen.377 Eine Sendung müsse schließlich ansprechend sein, um Zuschauer anzulocken, die sie sodann informieren könne.378 d) Komplexität des Geschehens im Gerichtssaal Gegen die Vermittlung von Rechtskenntnissen durch die Gerichtssaalberichte wurde zudem auf die Komplexität des Geschehens bei Gericht verwiesen. Die Bürger als Laien könnten die Übertragungen der Verhandlungen aus diesem Grund nicht ohne Weiteres verstehen.379 Gerade die Fernsehzuschauer seien des Weiteren oft abgelenkt, was ihrer Informationsaufnahme hinderlich sei.380 Dagegen wurde jedoch angeführt, dass die Medien den Bürgern bei der Berichterstattung über Gerichtsprozesse stets komplexe Sachverhalte und Wertungen verständlich machen müssen – was ihnen, wie die Erfahrung zeige, gelinge.381 Dasselbe könnten sie im Rahmen der Gerichtssaalberichte leisten. Besonders bei der Übertragung von Verhandlungen im Internet habe das Publikum zudem die Möglichkeit, schnell und einfach zusätzliche Informationen zu recherchieren, die zum Verständnis des Geschehens beitrügen.382 Sei eine GeBarnett, in: LS Gaz 15.03.2007, 13. Stephens, LS Gaz 16.11.1994, 91 (2). 373 Munday, J.P.N. 159 (1995), 37 (38). 374 Millar/Scott, Newsgathering, 10.68. 375 Department for Constitutional Affairs, Broadcasting Courts, S. 60. 376 Blom-Cooper, Counsel April/Mai 1989, 13 (15); General Council of the Bar, Televising the Courts, S. 29; Woodcock, Counsel Februar 1991, 20. 377 Lambert, Courting Publicity, 10.165; Walker/Brogarth, J.P.N. 153 (1989), 637 (640). 378 Catliff, in: Bawdon, LS Gaz 16.12.1994, 91 (10); Lord Hope, Inter Alia 1992 (1996), 37 (39); Ward, LS Gaz 18.10.2001, 22. 379 Morton, J.C.L. 68 (2004), 451 (452); Rozenberg, CJICL 1 (2012), 44 (45). 380 Lambert, Courting Publicity, 11.91. 381 Sheehy, www.theguardian.com vom 27.06.2005 (abrufbar unter www.theguardian.com/ media/2005/jun/27/mondaymediasection.crime, Stand: 13.12.2019). 382 Stepniak, JJA 15 (2006), 218 (233). 371 372
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richtsverhandlung zu komplex für die Zuschauer vor dem Fernseher oder dem Computer, sei zudem nicht ersichtlich, inwiefern die Zuschauer im Gericht sie verstehen sollten.383 Insofern wäre auch ihre Teilnahme an der Verhandlung in Frage zu stellen. e) Keine Aufgabe der Gerichtssaalberichterstattung Zuletzt wurde gegen einen Beitrag der Gerichtssaalberichterstattung zur Wissensvermittlung angeführt, es sei nicht die Aufgabe der Gerichte, Rechtskenntnisse zu vermitteln.384 Derartiges Wissen könnten die Bürger bspw. erwerben, indem sie in einer Jury selbst an einer Verhandlung mitwirkten.385 Ebenso sei es zu diesem Zweck denkbar, dass sie sich erklärende Fernsehsendungen ansehen.386 3. Gleichstellung der Gerichte mit dem Parlament Für die Zulassung der Gerichtssaalberichte wurde allerdings ein Vergleich mit den Aufnahmen des Parlaments angestellt. Diesbezüglich vertrat Prince: „Open justice and open government mean the ‚right to know‘.“387 Millar argumentierte, es entstehe ein verfassungsrechtliches Ungleichgewicht, wenn nur das Parlament und nicht die Gerichte bei ihrer Arbeit aufgenommen werden dürften.388 Befürworter wie Gegner der Gerichtssaalberichte erkannten schließlich an, dass die Gerichte oft Entscheidungen treffen, deren Auswirkungen ebenso groß sind wie die der Entscheidungen des Parlaments.389 Gegen diese Parallele wurde jedoch auf die Unterschiede zwischen dem Parlament und den Gerichten verwiesen. Die Parlamentsabgeordneten träten freiwillig vor die Kameras, während die Beteiligten eines Gerichtsprozesses keine Wahl hätten.390 Ein gewichtiger Unterschied sei auch, dass die Parlamentarier als
Stepniak, Wm. & Mary Bill Rts. J. 12 (2004), 791 (809). Fisher, ALJ 69 (1995), 477 (480); Munday, J.P.N. 159 (1995), 37. 385 Houlder, in: Langdon-Down, LS Gaz 30.09.2004, 22. 386 Hytner, JMLP 13 (1992), 174; Morton, J.C.L. 68 (2004), 451 f. 387 Prince, C.I.L. 3 (1998), 82 (97). 388 Millar, www.theguardian.com vom 29.05.2011 (abrufbar unter www.theguardian.com/ commentisfree/2011/may/29/allow-cameras-in-court, Stand: 13.12.2019). 389 Caplan, in: NLJ 141 (1991), 190; ders., Counsel April 2001, 10; General Council of the Bar, Televising the Courts, S. 27; Baroness Kennedy, www.theguardian.com vom 03.11.2013 (abrufbar unter www.theguardian.com/commentisfree/2013/nov/03/cameras-in-court-threatjustice, Stand: 13.12.2019). 390 Hytner, JMLP 13 (1992), 174; Jaconelli, Open Justice, S. 304; Nutting, Inter Alia 1992 (1996), 13. 383 384
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Volksvertreter Rechenschaft gegenüber der Allgemeinheit ablegen müssten.391 Die Gerichte sollten dagegen unabhängig entscheiden.392 4. Rechte der Medien In jüngerer Zeit wurden vereinzelt die Rechte der Medien als Argument für die Zulassung der Gerichtssaalberichte angeführt. Die Ausführungen dazu waren überwiegend jedoch eher abstrakt und benannten keine konkreten Gewährleistungen, auf die sich die Medien berufen können sollten. So rekurrierten manche Autoren auf ein Recht auf freie Meinungsäußerung, das für die Berichterstattung streiten könne.393 Youm wollte auf die Informationsfreiheit zurückgreifen, die jedermann, nicht nur den Medienvertretern, die Transparenz staatlicher Stellen garantiere.394 Biondi verwies auf die Pressefreiheit.395 Konkrete rechtliche Garantien nannten all diese Autoren allerdings nicht. Wo dies in der Literatur vereinzelt geschah, wurde auf Art. 10 EMRK Bezug genommen.396 Welche Konsequenzen es haben kann, dieses Recht in die Überlegungen einzubeziehen, wurde aber nicht ausgeführt.397 Auf der anderen Seite fanden sich auch Stimmen, die ein Recht der Medien auf Aufnahmen im Gerichtssaal ablehnten.398
III. Gegen die Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung sprechende Gesichtspunkte 1. Rechtspflege a) Gefahren für die Rechtspflege als zentrales Gegenargument Am häufigsten wurde gegen eine Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung in England mit den Gefahren argumentiert, die sie für die Rechtspflege (administration of justice) bedeuten könne. Solche Risiken wurden in unterschiedlichen Ausprägungen mit Blick auf alle Verfahrensbeteiligten angeführt. Jaconelli, Open Justice, S. 304; Nutting, Inter Alia 1992 (1996), 13. Goodman, Nott.L.J. 25 (2016), 167 (168). 393 Jaconelli, Open Justice, S. 340; Prince, Comms L 7 (2002), 188 (193). 394 Youm, BYU L.Rev. 1989 (2012), 2029. 395 Biondi, Yearbook of Media and Entertainment Law 1996, 133 (142). 396 Stepniak, Idaho L.Rev. 40 (2004), 315 (333, 345 f.); ders., JJA 15 (2006), 218 (223); Walker, MLR 59 (1996), 337 (338). 397 Soweit ersichtlich, äußert nur Stepniak, Audio-Visual Coverage, S. 5 Zweifel an der Vereinbarkeit eines absoluten Verbots von Bild/Ton-Aufnahmen in den Gerichtsverfahren der ersten Instanz mit Art. 10 EMRK. 398 Barendt, Freedom of Speech, S. 347 f.; Caplan, JMLP 13 (1992), 176 (177); Dockray, MLR 51 (1988), 593 in Fn. 4; Lord Hope, Inter Alia 1992 (1996), 37. 391 392
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b) Gefahren mit Blick auf die Zeugen aa) Gefahr der Verhaltensbeeinflussung der Zeugen Besonders oft wurden die vielfältigen Einflüsse betont, die die Gerichtssaalberichte auf die Opfer einer Straftat und andere Zeugen haben sollen. Dem Gerichtsverfahren vorgelagert, wurde auf der einen Seite vertreten, Gerichtssaalberichterstattung könne die Opferzeugen davon abhalten, Straftaten überhaupt anzuzeigen.399 Sämtliche Zeugen könnten aus dem Grund des Weiteren versucht sein, eine Aussage vor Gericht zu vermeiden.400 So könnten sie sich bspw. nicht als Zeugen melden, um dem zu entgehen.401 Auf der anderen Seite könnten die Berichte aus dem Gerichtssaal einen Anreiz dafür darstellen, unschuldige Personen bspw. aus Rache einer Straftat zu bezichtigen.402 Sagten die Zeugen trotz der Medienpräsenz in einer Verhandlung aus, könne ihr Aussageverhalten durch die Berichterstattung beeinflusst werden.403 Sie könnten dabei insbesondere durch Kameras im Gericht gehemmt werden.404 Mit deren Hilfe könnten schließlich nicht nur die Zuschauer im Gerichtssaal, sondern auch die Nachbarn, Freunde und Familie der Zeugen zuhause die Verhandlung verfolgen.405 Daran zu denken, könne Zeugen ihre Aussage erschweren.406 Ihre bildliche Darstellung könne zudem dazu führen, dass sie außerhalb des Gerichts identifiziert werden. Infolgedessen könnten sie Opfer von Selbstjustiz407 oder von Einschüchterungsversuchen408 werden. Die aus alledem folgende psychi-
Nutting, Inter Alia 1992 (1996), 13 (14); Pritchard, Legal Business Januar/Februar 1992, 3 (4). 400 Caplan, in: Ward, LS Gaz 18.10.2001, 22; Department for Constitutional Affairs, Broadcasting Courts, S. 45; Goodman, Nott.L.J. 25 (2016), 167 (169); Harbage, Counsel Februar 2005, 13 (14); Hytner, JMLP 13 (1992), 174; Ministry of Justice, Proposals, S. 20; Morton, J.C.L. 68 (2004), 451 (452); Rolph, NLJ 140 (1990), 382. 401 Harbage, Counsel Februar 2005, 13 (14). 402 Nutting, Inter Alia 1992 (1996), 13 (14). 403 Goodman, Nott.L.J. 25 (2016), 167 (169); Nutting, Inter Alia 1992 (1996), 13 (13 f.); Smartt, Media & Entertainment Law, 8.5.11; Stepniak, U.N.S.W.L.J. 17 (1994), 345 (368). 404 Barendt, Freedom of Speech, S. 347; Biondi, Yearbook of Media and Entertainment Law 1996, 133 (140); Caplan, in: Ward, LS Gaz 18.10.2001, 22; Goodman, Nott.L.J. 25 (2016), 167 (169). 405 Aslan, in: Ward, LS Gaz 18.10.2001, 22; Lord Taylor, Int’l Soc’y Barristers 32 (1997), 310 (314). 406 Caplan, in: Ward, LS Gaz 18.10.2001, 22. 407 Eady/Londono/Smith, Arlidge, Eady & Smith, 10-215; Stephens, LS Gaz 16.11.1994, 91 (2). 408 Department for Constitutional Affairs, Broadcasting Courts, S. 46; Eady/Londono/ Smith, Arlidge, Eady & Smith, 10-215; Rubin, Crim.L.R. 2008, 874 (886). 399
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sche Belastung eines Gerichtsverfahrens, das Gegenstand der Gerichtssaalberichterstattung sei, könne die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage herabsetzen.409 In die entgegengesetzte Richtung befürchteten einige Autoren, die Zeugen könnten durch die Gerichtssaalberichterstattung dazu verleitet werden, sich in der Verhandlung aufzuspielen.410 Auch könnten sie ihre Geschichte an einen Fernsehsender verkaufen wollen.411 Infolgedessen würden sie ihre Aussagen in der Verhandlung möglicherweise ausschmücken, um für die Medien interessanter zu wirken.412 Ein solches Verhalten sei ihrer Glaubwürdigkeit abträglich.413 Ebenso sei denkbar, dass die Gerichtssaalberichterstattung dazu führt, dass die Zeugen ihre Aussagen an die Erwartungen der Öffentlichkeit anpassen.414 Möglicherweise probten sie ihren Auftritt vor Gericht sogar.415 Auch dies sei dem Wert ihrer Aussagen abträglich. Solche Auswirkungen wurden von anderen Autoren aber bestritten.416 Ein entsprechender Einfluss der Gerichtssaalberichte sei empirisch bislang nicht belegt.417 Gegen seine Existenz sprächen die positiven Erfahrungen, die im Ausland mit der Berichterstattung aus dem Gerichtssaal gesammelt wurden. In den USA habe bspw. nur selten ein Zeuge die Aussage verweigert, weil er dabei aufgezeichnet worden sei.418 Die Erfahrungen im angloamerikanischen Ausland hätten auch gezeigt, dass die Zeugen die Kameras meist nicht wahrnehmen,419
Lord Dyson, Advances in Open Justice, S. 10. Biondi, Yearbook of Media and Entertainment Law 1996, 133 (140); Goodman, Nott.L.J. 25 (2016), 167 (169); Morton, J.C.L. 68 (2004), 451 (452). 411 Hytner, JMLP 13 (1992), 174; Lambert, JMLP 16 (1995), 139 (141 f.). 412 Evered, C.I.L. 1997, 23 (32); Jaconelli, Open Justice, S. 266 f. 413 Biondi, Yearbook of Media and Entertainment Law 1996, 133 (141 in Fn. 35). 414 Department for Constitutional Affairs, Broadcasting Courts, S. 46; Ministry of Justice, Proposals, S. 20. 415 Jaconelli, Open Justice, S. 267. 416 Caplan, JMLP 13 (1992); Dockray, MLR 51 (1988), 593 (601). 417 Biondi, Yearbook of Media and Entertainment Law 1996, 133 (140); Evered, C.I.L. 1997, 23 (31); General Council of the Bar, Televising the Courts, S. 34. Allgemein zur fehlenden empirischen Erforschung der Auswirkungen der Kameras im Gericht auf die Verfahrensbeteiligten: Freer, J.P.N. 176 (2012), 585 (586); Lambert, Courting Publicity, 8.153; ders., Television Courtroom Broadcasting, S. 67; ders., Comms L 2 (2011), 52 ff.; Mason, CPCS 2000, 23 (31); Metz, Dick.J.Int’l L. 14 (1996), 673 (697); Stepniak, Audio-Visual Coverage, S. 3 f., 6, 368; ders., U.N.S.W.L.J. 17 (1994), 345 (361 f.); ders., in: Criminal Visions, S. 254 (S. 259); ders., Wm. & Mary Bill Rts. J. 12 (2004), 791 (801); ders./Mason, Alt LJ 25 (2000), 71 (74); Stolte, SCRIPTed 10 (2013), 489; Thompson, JML 3 (2011), 211 (227). 418 NLJ 139 (1989), 705. 419 Blom-Cooper, Guns in Antigua, S. 46. 409 410
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sich jedenfalls jedoch nach einer Weile daran gewöhnen420. Sobald sie mit ihrer Aussage begönnen, würden sie sich schließlich nur noch darauf konzentrieren.421 Allgemeiner argumentierte Stepniak, die Bevölkerung sei daran gewöhnt, aufgenommen zu werden, etwa durch Überwachungskameras. Infolgedessen hätten Aufnahmen auch im Gerichtssaal womöglich keine großen Auswirkungen mehr auf sie.422 Rozenberg differenzierte darüber hinaus zwischen den Gruppen von Zeugen: Jedenfalls die professionellen Zeugen wie etwa Polizisten würden durch Aufnahmen nicht stärker beeinflusst als durch ihren Auftritt vor Gericht ohnehin.423 Wieder andere Autoren argumentierten, die Gerichtssaalberichte könnten sogar positive Auswirkungen auf die Zeugen haben: Sie könnten sie bspw. dazu anhalten, besonders sorgfältig auszusagen.424 bb) Gefahr der Vorabinformation von Zeugen Daneben wurde als Gefahr für die Rechtspflege angeführt, die Gerichtssaalberichte könnten Zeugen vorab über die Aussagen anderer Zeugen informieren. Sie könnten ihre Aussagen infolgedessen bewusst oder unbewusst anpassen.425 Das Risiko werde insbesondere durch die Textberichte in Echtzeit hervorgerufen, die es den Zeugen ermöglichten, dem Geschehen im Gerichtssaal – also auch der Vernehmung der übrigen Zeugen – live zu folgen.426 c) Gefahren mit Blick auf die Richter und Rechtsanwälte Auch Richter und Rechtsanwälte, so wurde vertreten, könnten durch die Gerichtssaalberichterstattung in einer Weise beeinflusst werden, die der Rechtspflege abträglich sei.427 Die Anwälte könnten dazu verleitet werden, sich in der Verhandlung aufzuspielen.428 Die Gerichtssaalberichte würden ihnen schließlich Catliff, NLJ 144 (1994), 1597. Speaight, Counsel Mai/Juni 1989, 6 (8). 422 Stepniak, Audio-Visual Coverage, S. 3, 412 f.; ders., Wm. & Mary Bill Rts. J. 12 (2004), 791 (801); ders., JJA 15 (2006), 218 (223). 423 Rozenberg, P.L. 1999, 178 (183 f.). 424 Bonnington, in: Langdon-Down, LS Gaz 30.09.2004, 22; Pritchard, Legal Business Mai 1995, 11; Woodcock, Counsel Februar 1991, 20 (21). 425 Department for Constitutional Affairs, Broadcasting Courts, S. 46; Ministry of Justice, Proposals, S. 20. 426 So ganz allgemein Lord Chief Justice, A Live-Text-Based Forms of Communications, S. 6. 427 Baroness Kennedy, www.theguardian.com vom 03.11.2013 (abrufbar unter www.thegu ardian.com/commentisfree/2013/nov/03/cameras-in-court-threat-justice, Stand: 13.12.2019). 428 Barendt, Freedom of Speech, S. 347; Biondi, Yearbook of Media and Entertainment Law 1996, 133 (140); Houlder, in: Langdon-Down, LS Gaz 30.09.2004, 22; Hytner, JMLP 13 (1992), 174; McConnell, NLJ 140 (1990), 1622; Morton, J.C.L. 68 (2004), 451 (452). 420 421
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kostenlose Werbung mit großer Reichweite verschaffen.429 Auch mit Blick auf die Richter wurde befürchtet, sie könnten sich im Gerichtsverfahren aufspielen.430 Öfter als ein Einfluss auf ihr Verhalten im Gerichtssaal wurde aber die Gefahr angeführt, dass die Gerichtssaalberichterstattung ihre spätere Entscheidungsfindung beeinflusst. Die Richter könnten infolge der Berichterstattung geneigt sein, die der Öffentlichkeit genehme Entscheidung zu treffen,431 die nicht die juristisch korrekte Entscheidung darstellen müsse. Druck übe dabei besonders eine identifizierende Bildberichterstattung aus, weil sie Angriffe auf die Richter außerhalb des Gerichts ermögliche.432 Der Einfluss der Gerichtssaalberichterstattung auf die Richter und Rechtsanwälte wurde von anderen Autoren aber auch abgelehnt.433 Diese professionellen Verfahrensbeteiligten übten ihren Beruf ohnehin in der Öffentlichkeit aus.434 Zum seriösen Umgang mit Medien seien sie dabei durch berufsrechtliche Standards verpflichtet.435 Zudem könnten sie sich an die Aufnahmen gewöhnen, weil sie regelmäßig aufgezeichnet würden.436 Dann wäre nach einer gewissen Zeit womöglich keine Beeinflussung mehr zu erwarten. Daneben wurde betont, dass die Beeinflussung der professionellen Verfahrensbeteiligten durch die Gerichtssaalberichterstattung empirisch nicht nachgewiesen wurde.437 Gegen einen derartigen Effekt wurden verschiedene positive Erfahrungen in der Praxis angeführt. Nicht nur die Aufnahmen an schottischen Gerichten, die in bestimmtem Umfang gestattet sind,438 auch die Aufzeichnungen an den englischen Gerichten, die Kameras und Mikrofone bereits zuließen, hätten sich in dieser Hinsicht als unproblematisch herausgestellt. So seien etwa am Supreme Court keinerlei negative Auswirkungen der Aufnahmen auf die Richter erkennbar.439 Die Abgeordneten des Parlaments, die wie Richter und Anwälte bei ihrer beruflichen Tätigkeit aufgenommen würden, hätten ihr Verhalten McConnell, NLJ 140 (1990), 1622; Munday, J.P.N. 159 (1995), 57 (58, 60). Aslan, in: Ward, LS Gaz 18.10.2001, 22; Department for Constitutional Affairs, Broadcasting Courts, S. 49; Morton, J.C.L. 68 (2004), 451 (452). 431 Department for Constitutional Affairs, Broadcasting Courts, S. 49; Goodman, Nott.L.J. 15 (2016), 167 (169 f.). 432 Department for Constitutional Affairs, Broadcasting Courts, S. 49; Eady/Londono/ Smith, Arlidge, Eady & Smith, 10-215. 433 NLJ 139 (1989), 705; Caplan, in: Ward, LS Gaz 18.10.2001, 22; Dockray, MLR 51 (1988) 593 (599); Rozenberg, P.L. 1999, 178 (184). 434 Speaight, Counsel Mai/Juni 1989, 6 (8). 435 Lord Hope, Inter Alia 1992 (1996), 37. 436 Blom-Cooper, Guns in Antigua, S. 46; Catliff, NLJ 144 (1994), 1597; Lord Taylor, Int’l Soc’y Barristers 32 (1997), 310 (314). 437 Biondi, Yearbook of Media and Entertainment Law 1996, 133 (140). 438 Lord Hope, Inter Alia 1992 (1996), 37 (38). 439 Lord Dyson, Advances in Open Justice, S. 5. 429 430
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des Weiteren ebenfalls nicht verändert, seit Aufnahmen in ihren Sitzungen erlaubt seien.440 Auch dies spreche gegen eine Beeinflussung der Richter und Rechtsanwälte. Darüber hinaus betonten manche Autoren die möglichen positiven Auswirkungen der Gerichtssaalberichterstattung auf das Verhalten der professionellen Verfahrensbeteiligten. Die Aufnahmen könnten sie zu einer besseren Ausübung ihres Berufes anhalten.441 So könnten Anwälte motiviert werden, sich gut auf einen Prozess vorzubereiten442 oder in der Verhandlung nur relevante, verständliche Fragen zu stellen443. Richter könnten Verhandlungen effizienter führen444 und Entscheidungen verständlicher formulieren445. Dass Berichte aus dem Gerichtssaal diese Auswirkung haben können, wurde aber wiederum unter Verweis auf die Erfahrungen mit Kameras im Parlament auch abgelehnt. Dort habe man ebenfalls gehofft, durch Aufnahmen die Verhaltensstandards steigern zu können. Dies sei aber nicht eingetreten.446 d) Gefahren mit Blick auf die Jury Eine größere Rolle als der mögliche Einfluss auf die Berufsrichter spielten in der Diskussion um die Gerichtssaalberichte die potentiellen Auswirkungen auf die Jury, also die Laienrichter. Bereits vor Beginn der Verhandlung könne die drohende Medienpräsenz im Gericht sich auf sie auswirken, indem sie einige Bürger davon abhalte, ihren Jurydienst überhaupt anzutreten.447 Andere könnten aus den falschen Gründen dazu motiviert werden, etwa weil sie durch die Gerichtssaalberichte bekannt werden wollten.448 Einmal auf der Jurybank, könne ihre Entscheidungsfindung durch die Berichte beeinflusst werden.449 Zur Begründung wurde auf der einen Seite deren Einfluss auf das Geschehen während der Verhandlung genannt, das die Basis für die Entscheidungsfindung der Jury bildet. So würden manchmal unzulässige BeweisNLJ 139 (1989), 705; Dockray, NLJ 135 (1985), 1254; General Council of the Bar, Televising the Courts, S. 33. 441 NLJ 139 (1989), 705; General Council of the Bar, Televising the Courts, S. 35; Prince, C.I.L. 3 (1998), 82 (97); Pritchard, Legal Business Mai 1995, 11 f.; Speaight, Counsel Mai/Juni 1989, 6 (8); Stepniak, U.N.S.W.L.J. 17 (1994), 345 (369); Thompson, JML 3 (2011), 211 (229). 442 Department for Constitutional Affairs, Broadcasting Courts, S. 49. 443 Blom-Cooper, Guns in Antigua, S. 46. 444 Blom-Cooper, Guns in Antigua, S. 46. 445 Cooper, J.P.N. 175 (2011), 522. 446 Morton, J.C.L. 68 (2004), 451 (452). 447 Harbage, Counsel Februar 2005, 13 (14); Lambert, JMLP 16 (1995), 139 (141); Morton, J.C.L. 68 (2004), 451 (452); Stepniak, U.N.S.W.L.J. 17 (1994), 345 (366). 448 Lambert, JMLP 16 (1995), 139 (141). 449 NLJ 139 (1989), 705; NLJ 144 (1994), 593; Stephens, LS Gaz 16.11.1994, 91 (2). 440
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mittel in den Prozess eingeführt, die der Jury im Gerichtssaal vorenthalten würden. Textberichte in Echtzeit steigerten aber die Gefahr, dass die Juroren später im Internet auf das Material stießen.450 Einseitige Gerichtssaalberichte könnten zudem dazu führen, dass gewisse Beweise in ihrer Wahrnehmung mehr Gewicht erhielten als andere.451 Auch dies sei mit Blick auf die Entscheidungsfindung unerwünscht. Während der Verhandlung könnten die Juroren durch die anwesenden Medien außerdem von ihrer Aufgabe abgelenkt werden.452 Andererseits wurde auf die Einflüsse auf den Prozess der Entscheidungsfindung verwiesen. Wisse ein Juror, dass er sein Urteil später vor dem Nachbarn rechtfertigen muss, könne das seine Entscheidung beeinflussen.453 Auch die öffentliche Meinung, die primär durch die Medien geprägt werde, könne Druck auf ihn ausüben, in die eine oder andere Richtung zu entscheiden.454 Die Angst vor Kritik oder der Wunsch nach Applaus könnten die Juroren verleiten, nach dieser Meinung zu entscheiden.455 Auch sie könnten zudem infolge der Bildberichterstattung identifiziert werden und seien somit der Gefahr ausgesetzt, im Alltag bedroht oder angegriffen zu werden, wenn ihre Entscheidung unpopulär sei.456 Dies könne, wie für die Berufsrichter ausgeführt,457 zusätzlichen Druck auf ihre Entscheidungsfindung ausüben. Probleme ergäben sich darüber hinaus, wenn über einen strafrechtlichen Fall erneut verhandelt werden müsse (sog. re-trial). Alle potentiellen Juroren hätten durch Gerichtssaalberichte in diesem Fall bereits viel über das ursprüngliche Verfahren erfahren und sich daher womöglich eine Meinung gebildet.458 Ihre Entscheidungsfindung im neuen Prozess wäre dann aber nicht mehr vollkommen frei. Dagegen wurde allerdings angeführt, dass Juroren generell in der Lage seien, einen Fall nicht auf der Grundlage der Berichterstattung hierüber, sondern basierend auf dem Geschehen im Gericht zu entscheiden.459 Sie könnten die GeLord Judge, in: Baksi, LS Gaz 25.11.2010, 1 (3); ders., The Safest Shield, S. 156. Barendt, Freedom of Speech, S. 347. 452 Lambert, JMLP 16 (1995), 139 (141). 453 Lambert, JMLP 16 (1995), 139 (141); Nutting, Inter Alia 1992 (1996), 13. 454 Department for Constitutional Affairs, Broadcasting Courts, S. 48; Nutting, Inter Alia 1992 (1996), 13; Prince, C.I.L. 3 (1998), 82 (95); Pritchard, Legal Business Januar/Februar 1992, 3 (4). 455 Dockray, MLR 51 (1988), 593 (599). 456 Department for Constitutional Affairs, Broadcasting Courts, S. 48; Eady/Londono/ Smith, Arlidge, Eady & Smith, 10-215; Harbage, Counsel Februar 2005, 13 (14); Lambert, JMLP 16 (1995), 139 (141); Rubin, Crim.L.R. 2008, 874 (886). 457 Vgl. Kap. 4, C. III. 1. c). 458 Department for Constitutional Affairs, Broadcasting Courts, S. 48. 459 Lord Irvine, I.J.N.S. 34 (1999), 1 (5 f.). 450 451
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richtssaalberichte bei ihrer Entscheidungsfindung ebenso ausblenden wie zum Beispiel das Geschlecht oder die Rasse des Angeklagten.460 Dass sie dies auch täten, könne der Richter durch entsprechende Hinweise im Einzelfall sicherstellen.461 Befangene Juroren könne er zudem durch gezielte Nachfragen identifizieren und ausschließen.462 Erneut wurde zudem darauf verwiesen, dass negative Auswirkungen der Gerichtssaalberichterstattung auf Juroren empirisch nicht belegt seien.463 Positive Erfahrungen in anderen Ländern, die jene Berichterstattung zuließen, sprächen gegen solche Effekte. So sei im Ausland nicht beobachtet worden, dass Bürger durch Gerichtssaalberichte vom Jurydienst abgehalten worden sind.464 Darüber hinaus wurde vertreten, gerade die Aufnahmen könnten sich auch positiv auf die Juroren auswirken. Sie würden ihnen schließlich verdeutlichen, welche große Verantwortung auf ihnen laste.465 Dies könne sie zur besseren Arbeit anhalten.466 e) Gefahren mit Blick auf die Parteien bzw. den Angeklagten Zuletzt vermuteten manche Autoren einen Einfluss der Gerichtssaalberichterstattung auf die Parteien bzw. den Angeklagten, der der Rechtspflege schaden könnte. Dem Gerichtsverfahren vorgelagert, könnten Berichte die Parteien in Zivilverfahren unter Druck setzen, ein (zu) niedriges Vergleichsangebot zu akzeptieren, um einen Prozess zu vermeiden.467 Besonders Personen, die sich im Gericht selbst vertreten wollten (sog. litigants in person), könnten durch die Berichterstattung davon abgehalten werden, Klage zu erheben.468 Die Berichte könnten jedoch andersherum auch einen Anreiz dafür setzen, einen aussichtslosen Fall vor Gericht zu bringen, um dadurch Publizität für das jeweilige Anliegen zu generieren.469 In Strafverfahren könnten die Angeklagten durch die Gerichtssaalberichterstattung außerdem davon abgehalten werden, Rechtsmittel gegen ein Urteil einzulegen.470 Walker, MLR 59 (1996), 517 (534). Dockray, MLR 51 (1988), 593 (599 in Fn. 33); Robbins, KSLR 7 (2016), 1 (10). 462 NLJ 146 (1996), 541. 463 NLJ 139 (1989), 705; Biondi, Yearbook of Media and Entertainment Law 1996, 133 (140); Evered, C.I.L. 1997, 23 (41); General Council of the Bar, Televising the Courts, S. 34; Walker/Brogarth, J.P.N. 153 (1989), 637 (639). 464 Department for Constitutional Affairs, Broadcasting Courts, S. 48. 465 Evered, C.I.L. 1997, 23 (42). 466 Thompson, JML 3 (2011), 211 (229); Woodcock, Counsel Februar 1991, 20 (21). 467 Hytner, JMLP 13 (1992), 174. 468 Department for Constitutional Affairs, Broadcasting Courts, S. 50, 52. 469 Department for Constitutional Affairs, Broadcasting Courts, S. 52. 470 Lambert, JMLP 16 (1995), 139 (141). 460 461
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Derartige Effekte lehnte Dockray aber unter Verweis auf die aktuellen Möglichkeiten der Berichterstattung aus dem Gericht ab. Dass man auf dem Weg zum Gericht fotografiert werden kann, habe noch niemanden davon abgehalten, dieses anzurufen. Aufnahmen im Gericht selbst hätten nach seiner Ansicht keine andere Wirkung.471 Während der Verhandlung wurden der Gerichtssaalberichterstattung darüber hinaus zweierlei Effekte zugeschrieben: Für Strafverfahren wurde einerseits auf das Risiko verwiesen, dass der Angeklagte sich im Gericht aufspielt.472 Er könne sich andererseits auch unter Druck gesetzt fühlen.473 Infolge der Bildberichterstattung könne er schließlich außerhalb des Gerichts identifiziert und infolgedessen Opfer von Selbstjustiz werden.474 Für Zivilverfahren wurde vor allem auf die Ablenkung verwiesen, die die Parteien infolge der Berichterstattung empfinden könnten.475 Personen, die sich vor Gericht selbst vertreten, träten infolgedessen womöglich weniger überzeugend in der Verhandlung auf.476 In beiderlei Hinsicht wurde aber von anderen Autoren betont, dass ein empirischer Nachweis derartiger Auswirkungen nicht vorliegt.477 2. Ungestörter äußerer Verfahrensablauf Gegen die Zulassung der Gerichtssaalberichte wurde des Weiteren angeführt, sie störten den äußeren Ablauf des Gerichtsverfahrens. Das gelte einerseits für Kameras, die Geräusche machten sowie künstliches Licht verwendeten.478 Einige Gerichtssäle seien zu klein, um sie so zu platzieren, dass sie nicht im Weg sind.479 Andererseits könnten auch Textberichte in Echtzeit stören, etwa wenn ein Handy, das dafür genutzt werde, in der Verhandlung klingele.480 Überwiegend wurden solche Störungen jedoch unter Verweis auf moderne technische Mittel abgelehnt.481 Die Gegenargumente bezogen sich vor allem auf Dockray, MLR 51 (1988), 593 (600). Ministry of Justice, Proposals, S. 20; Morton, J.C.L. 68 (2004), 451 (452). 473 NLJ 139 (1989), 705; Goodman, Nott.L.J. 25 (2016), 167 (169); Hutchison, in: NLJ 141 (1991), 190. 474 Department for Constitutional Affairs, Broadcasting Courts, S. 47; Stephens, LS Gaz 16.11.1994, 91 (2). 475 Barendt, Freedom of Speech, S. 347. 476 Department for Constitutional Affairs, Broadcasting Courts, S. 52. 477 Biondi, Yearbook of Media and Entertainment Law 1996, 133 (140). 478 Dockray, JMLP 6 (1985), 244 (246). 479 Freer, J.P.N. 176 (2012), 585 (586). 480 Lambert, Courting Publicity, 4.89 f.; Lord Chief Justice, A Live-Text-Based Forms of Communications, S. 5. 481 NLJ 139 (1989), 705; Dockray, MLR 51 (1988), 593 (602); ders., Counsel Mai/Juni 1989, 13 (13 f.); Eady/Londono/Smith, Arlidge, Eady & Smith, 10-202; Lambert, Television 471 472
310
Kap. 4: Gerichtssaalberichterstattung in England
die Herstellung der Bild/Ton-Aufnahmen: Kameras seien heutzutage klein und geräuschlos und könnten von wenigen Personen bedient werden.482 Setze man ferngesteuerte Kameras ein, könne auf den Kameramann ganz verzichtet werden.483 Künstliches Licht sei ebenfalls nicht mehr nötig, um Aufnahmen anzufertigen.484 Wo Aufnahmegeräte im Gerichtssaal bereits eingesetzt würden, um bspw. Ton-Protokolle der Verhandlungen anzufertigen, könnten sie nunmehr für die Berichterstattung genutzt werden.485 Belege dafür, dass Aufnahmen nicht stören müssten, liefere zudem die Erfahrung des Parlaments.486 Dort seien die Kameras derart unauffällig platziert, dass die Abgeordneten sie nicht mehr wahrnähmen.487 Sie würden infolgedessen durch den Betrieb der Kameras nicht gestört. Auch an ausländischen Gerichten erfolgten die Aufnahmen ohne technische Störungen.488 Zuletzt habe man an den englischen Gerichten, an denen die Aufnahmen zugelassen seien, positive Erfahrungen gemacht. Dadurch, dass am Court of Appeal alle Kameras derart in das Interieur eingefügt worden seien, dass sie kaum sichtbar sind, bemerke man sie fast nicht.489 Die Richter des Supreme Court würden die Kameras in ihrem Gericht ebenfalls nicht wahrnehmen.490 3. Rechte und Interessen des Angeklagten Gegen die Zulassung der Gerichtssaalberichte wurde des Weiteren damit argumentiert, dass sie in Strafverfahren den Angeklagten beeinträchtigen können. Manche Autoren führten hierfür konkrete Rechtspositionen an, die tangiert sein könnten, andere nahmen nur abstrakt auf die Interessen des Angeklagten Bezug. Der ersten Kategorie sind jene Autoren zuzuordnen, die vertraten, die BerichterCourtroom Broadcasting, S. 25; Metz, Dick.J.Int’l L. 14 (1996), 673 (698); Millar/Scott, Newsgathering, 10.67; Stepniak, Audio-Visual Coverage, S. 1, 3, 359; ders., JJA 15 (2006), 218 (223); Thompson, JML 3 (2011), 211 (225); Walker/Brogarth, J.P.N. 153 (1989), 637 (638); Ward, LS Gaz 18.10.2001, 22; Youm, BYU L.Rev. 2012, 1989 (2023). 482 Biondi, Yearbook of Media and Entertainment Law 1996, 133 (139). 483 General Council of the Bar, Televising the Courts, S. 30; Speaight, Counsel Mai/Juni 1989, 6 (8); Stepniak, U.N.S.W.L.J. 17 (1994), 345 (356). 484 Biondi, Yearbook of Media and Entertainment Law 1996, 133 (139); Blom-Cooper, Guns in Antigua, S. 46; Stepniak, U.N.S.W.L.J. 17 (1994), 345 (356). 485 Stepniak, in: Criminal Visions, S. 254 (S. 258); ders., Wm. & Mary Bill Rts. J. 12 (2004), 791 (798 f.). 486 Millar/Scott, Newsgathering, 10.67; Prince, C.I.L. 3 (1998), 82 (91). 487 Woodcock, Counsel Februar (1991), 20. 488 Catliff, NLJ 144 (1994), 1597; Prince, C.I.L. 3 (1998), 82 (91); Speaight, Counsel September/Oktober 1994, 29; Woodcock, Counsel Februar 1991, 20 (21). 489 Harbage, Counsel Februar 2005, 13. 490 Thompson, JML 3 (2011), 211 (225).
C. Für und gegen die Zulassung sprechende Aspekte
311
stattung könne dem Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren (right to a fair trial) abträglich sein.491 Dieses Recht sei jedenfalls verletzt, wenn die Publizität des Prozesses eine gewisse Intensität erreicht habe. Dazu könnten die Aufnahmen beitragen.492 Daneben wurde vertreten, die Berichterstattung könne die Unschuldsvermutung aushöhlen.493 In die zweite Kategorie fallen jene Autoren, die auf den Reputationsschaden verwiesen, der für den Angeklagten durch die Gerichtssaalberichte selbst bei einem späteren Freispruch entstehe.494 Dadurch, dass er infolge der bildlichen Darstellung identifiziert werden könne, könne er gesellschaftlich ausgegrenzt werden.495 Bspw. könne er Probleme bei der Arbeitsplatzsuche bekommen.496 Werde er dagegen verurteilt, könnten die Gerichtssaalberichte seiner späteren Rehabilitation hinderlich sein.497 Es könne außerdem unverhältnismäßig sein, nicht nur gerichtlich eine Strafe gegen ihn zu verhängen, sondern auch die zusätzliche Bestrafung durch die Gesellschaft zu ermöglichen.498 Gegen derartige negative Auswirkungen wurde aber angeführt, die beschriebenen Effekte folgten teilweise bereits daraus, dass Gerichtsverhandlungen öffentlich sind. Dem open justice principle sei es inhärent, dass der Angeklagte gewisse Nachteile durch die Öffentlichkeit erleidet.499 Gesellschaftliche Konsequenzen drohten außerdem auch ohne Gerichtssaalberichterstattung, weil das persönliches Umfeld des Straftäters meist um die Tat wisse.500 Einige Autoren schrieben der Berichterstattung sogar positive Folgen für den Angeklagten zu: Ließe man die Aufnahmen im Gerichtsaal zu, würde er vor dem Gericht nicht mehr von Medienvertretern gejagt, die Bilder vom ihm anfertigen wollten.501
Evered, C.I.L. 1997, 23 (36); Lambert, Courting Publicity, 3.60, 3.62. Jaconelli, Open Justice, S. 342. 493 Jaconelli, Open Justice, S. 318; Stephens, LS Gaz 16.11.1994, 91 (2); ders., in: Bawdon, LS Gaz 16.12.1994, 91 (10). 494 Barendt, Freedom of Speech, S. 347; Pritchard, Legal Business Januar/Februar 1992, 3 f.; Warren, in: Langdon-Down, LS Gaz 30.09.2004, 22. 495 Department for Constitutional Affairs, Broadcasting Courts, S. 47. 496 Lambert, JMLP 16 (1995), 139. 497 Jaconelli, Open Justice, S. 318, 351. 498 Department for Constitutional Affairs, Broadcasting Courts, S. 48. 499 General Council of the Bar, Televising the Courts, S. 36. 500 General Council of the Bar, Televising the Courts, S. 35 f. 501 Department for Constitutional Affairs, Broadcasting Courts, S. 60; Dockray, MLR 51 (1988), 593 (601); Stepniak, U.N.S.W.L.J. 17 (1994), 345 (364). 491 492
312
Kap. 4: Gerichtssaalberichterstattung in England
4. Würde des Gerichts Zudem wurden vereinzelt mögliche Risiken für die Würde des Gerichts gegen die Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung angeführt.502 Kameras könnten Gerichtsverfahren ins Triviale ziehen.503 Auch könnten sie die englischen Prozesse in jenen Medienzirkus verwandeln, der aus den USA bekannt sei.504 Dieser Befürchtung wurde aber vielfach widersprochen. Sei eine Verhandlung würdevoll, seien die Medien dazu in der Lage, dies zu transportieren.505 Das zeigten Aufnahmen von religiösen Festen, Feiern des Parlaments oder des Königshauses.506 Daneben wurde ein Vergleich mit der gerichtlichen Nutzung von Videorekordern und Bildschirmen für Videobeweise angestellt. Auch sie seien der Würde des Gerichts nicht abträglich gewesen.507 Aufnahmen an ausländischen Gerichten hätten ihre Würde ebenso ganz überwiegend gewahrt.508 Einige Autoren meinten zudem, Aufnahmen einer Verhandlung könnten sich sogar positiv auf die Würde des Gerichts auswirken. Sie könnten bspw. einen Anreiz für die Beteiligten setzen, sich dieser Würde entsprechend zu verhalten.509 Die geordneten Aufnahmen im Gerichtssaal seien zudem würdevoller als die Praxis, vor dem Gericht einen „Medienrummel“ zu verursachen, um Aufnahmen der Beteiligten anzufertigen.510 5. Privatheit der Beteiligten Vereinzelt wurde in der Literatur zuletzt angeführt, die Gerichtssaalberichterstattung sei im Hinblick auf die Privatheit der Betroffenen problematisch.511 Besonders in Verfahren mit Sensationscharakter würden häufig Aspekte erörtert, die der Privatsphäre der Beteiligten angehörten, etwa persönliche Beziehungen.512 Ähnlich verhalte es sich vor Familiengerichten, an denen bspw. die finanziellen Freer, J.P.N. 176 (2012), 585 (586). Goodman, Nott.L.J. 25 (2016), 167 (168); Munday, J.P.N. 159 (1995), 57 (60). 504 Pritchard, Legal Business Januar/Februar 1992, 3 (4); Smartt, Media & Entertainment Law, 8.5.11; Lord Taylor, in: NLJ 146 (1996), 541. Ähnlich auch McConnell, NLJ 140 (1990), 1622. 505 Blom-Cooper, Counsel April/Mai 1989, 13 (14). 506 NLJ 139 (1989), 705; NLJ 141 (1991), 190; Dockray, MLR 51 (1988), 593 (602); General Council of the Bar, Televising the Courts, S. 29; Prince, C.I.L. 3 (1998), 82 (98). 507 Dockray, MLR 51 (1988), 593 (602); General Council of the Bar, Televising the Courts, S. 33; Stepniak, U.N.S.W.L.J. 17 (1994), 345 (359). 508 NLJ 141 (1991), 190; Woodcock, Counsel Februar 1991, 20 (21). 509 Stepniak, U.N.S.W.L.J. 17 (1994), 345 (360). 510 Dockray, MLR 51 (1988), 593 (602); Stepniak, U.N.S.W.L.J. 17 (1994), 345 (358); Thompson, JML 3 (2011), 211 (230). 511 Stepniak, Audio-Visual Coverage, S. 389 f.; ders., U.N.S.W.L.J. 17 (1994), 345 (362). 512 Biondi, Yearbook of Media and Entertainment Law 1996, 133 (146). 502 503
D. Lehren aus der englischen Erfahrung
313
Angelegenheiten der Beteiligten besprochen würden.513 Gerichtssaalberichte über so private Fragen könnten für die Betroffenen schädlich und beschämend sein.514 Solche Ausführungen wurden jedoch nur selten mit rechtlichen Erwägungen untermauert. Pritchard führte an, die Berichte verletzten das Recht der betroffenen Personen, in der Öffentlichkeit nicht erniedrigt oder lächerlich gemacht zu werden.515 Wodurch dieses Recht gewährleistet werden soll, lässt sich seinen Ausführungen aber nicht entnehmen. In jüngerer Zeit wurde in dieser Frage auf Art. 8 EMRK verwiesen.516 Weil Gerichtsverhandlungen jedoch öffentlich sind und die persönlichen Angelegenheiten, die in ihnen zur Sprache kommen, damit in der Öffentlichkeit diskutiert werden, wurde vertreten, der Schutzbereich des Art. 8 EMRK sei nicht eröffnet.517 Robbins war dagegen bei oberflächlicher Prüfung der Meinung, der Schutzbereich sei zwar eröffnet, das Recht müsse aufgrund der gesellschaftlichen Bedeutung des damit kollidierenden open justice principle aber auf Rechtfertigungsebene zurücktreten.518
D. Lehren aus der englischen Erfahrung Vergleicht man die seit den 1980er Jahren in England geführte Diskussion mit der seit den 1950er Jahren hierzulande geführten Debatte über die Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung, sind erhebliche Ähnlichkeiten zu erkennen. Gegen die Berichterstattung aus dem Gerichtssaal wurde in beiden Diskussionen auf die Gefahr verwiesen, die sie für die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege bedeuten kann.519 Während die mögliche Einflussnahme auf die Jury spezifisch für die englische Rechtslage ist, 520 ähneln die befürchteten Gefahren mit Blick auf sämtliche anderen Personengruppen stark den Umständen, die in Deutschland als Risiken für die Wahrheits- und die Rechtsfindung eingeordnet wurden. Die Abschreckung der Parteien bzw. des Angeklagten von der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes, die in England als eine Gefahr für die Rechtspflege angeführt wurde,521 entspricht inhaltlich den Befürchtungen, die mit Blick auf Department for Constitutional Affairs, Broadcasting Courts, S. 51. Evered, C.I.L. 1997, 23 (38). 515 Pritchard, Legal Business Januar/Februar 1992, 3 f. 516 Bernzen, JML 10 (2018), 37 (44 f.); Robbins, KSLR 7 (2016), 1 (9). 517 Crime and Courts Bill, European Convention on Human Rights, Memorandum by the Home Office and Ministry of Justice, Rn. 127. 518 Robbins, KSLR 7 (2016), 1 (9). 519 Vgl. Kap. 3, D.; Kap. 4, C. III. 1. 520 Vgl. Kap. 4, C. III. 1. d). 521 Vgl. Kap. 4, C. III. 1. e). 513 514
314
Kap. 4: Gerichtssaalberichterstattung in England
den allgemeinen Justizgewährungsanspruch in Deutschland geäußert wurden522. Risiken für das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren finden hier wie dort Berücksichtigung.523 Auch verlief die Diskussion um den Beitrag der Gerichtssaalberichterstattung zur Vermittlung von Rechtskenntnissen in beiden Ländern parallel.524 Dieser Vergleich ist relevant, weil es sich bei allen genannten Rechtspositionen um solche handelt, bezüglich derer in Deutschland ein empirischer Beleg fehlt. Wie die Darstellung der englischen Diskussion gezeigt hat, sind ihre Auswirkungen zwar auch in England nicht systematisch untersucht worden. Anders als hierzulande konnte man durch die inkrementelle Lockerung der rechtlichen Rahmenbedingungen jedoch bereits praktische Erfahrungen mit Gerichtssaalberichten sammeln, die ein Indikator für deren Auswirkungen sein können. Verschiedene Faktoren sprechen dabei dafür, dass die geäußerten Befürchtungen sich nicht realisiert haben, der positive Beitrag der Berichterstattung dagegen schon. Seit 2009 die erste gesetzliche Ausnahme für Bild- und Bild/Ton-Aufnahmen am Supreme Court wirksam wurde, lassen sich in England nur noch vereinzelte Beiträge zur Debatte um die Gerichtssaalberichte finden.525 Größtenteils äußern deren Autoren sich positiv hierüber.526 Dass die rechtswissenschaftliche Diskussion beinahe zum Erliegen gekommen ist, spricht dafür, dass die Umsetzung der gegenwärtigen Rechtslage eher die Befürworter der Gerichtssaalberichterstattung bestätigte als deren Gegner. Hierfür streitet des Weiteren, dass gerade die professionellen Verfahrensbeteiligten, die mit Aufnahmen und Textberichten in Echtzeit im Gericht regelmäßig in Berührung kommen und die ihre Auswirkungen aus dem Grund aus erster Hand beurteilen können, die liberalere Rechtslage begrüßen.527 Jüngst wurde sogar bekannt, dass der Court of Appeal in seiner zivilrechtlichen Division selbst gewisse Verhandlungen aufnehmen und live im Internet übertragen will. Voraus-
522
Vgl. Kap. 3, F. Vgl. Kap. 3, E.; Kap. 4, C. III. 3. 524 Kap. 2, E.; Kap. 4, C. II. 2. 525 Aus der juristischen Fachliteratur nur: Bernzen, JML 10 (2018), 37; Cooper, J.P.N. 175 (2011), 522; Lord Dyson, Advances in Open Justice; Freer, J.P.N. 176 (2012), 585; Goodman, Nott.L.J. 25 (2016), 167; Marrani, Space, Time, Justice; Robbins, KSLR 7 (2016), 1; Thompson, JML 3 (2011), 211. 526 Anders nur Goodman, Nott.L.J. 25 (2016), 167; Marrani, Space, Time, Justice, S. 95 ff. 527 So zum Beispiel der Rechtsanwalt Lord Pannick, www.thetimes.co.uk vom 01.06.2017 (abrufbar unter www.thetimes.co.uk/article/the-courts-open-justice-should-also-be-open-tothe-television-cameras-9bq978gbq, Stand: 13.12.2019) sowie die beiden Richter Lord Dyson, Advances in Open Justice, S. 6 f., 10 f.; Lord Neuberger, The Future of the Bar, S. 2. 523
D. Lehren aus der englischen Erfahrung
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sichtlich sollen jene Aufnahmen auch zum Zweck der Berichterstattung verwendet werden dürfen.528 Zuletzt folgten auf jede bisherige Öffnung, erst am Supreme Court, dann am Court of Appeal, weitere Reformen in die Richtung einer großzügigeren Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung. Dies wäre nicht geschehen, hätte die Berichterstattung in der Praxis keine Vorteile mit sich gebracht und stattdessen die Befürchtungen ihrer Gegner bestätigt. Bei der Beurteilung des Beitrags, den die Gerichtssaalberichte zur Vermittlung von Rechtskenntnissen und Rechtsverständnis leisten, aber auch bei der Betrachtung der Gefahren, die sie für die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege, das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren und den allgemeinen Justizgewährungsanspruch bedeuten, werden deshalb im weiteren Verlauf dieser Untersuchung die positiven englischen Erfahrungen berücksichtigt.
528 Rozenberg, www.lawgazette.co.uk vom 07.05.2018 (abrufbar unter www.lawgazette. co.uk/commentary-and-opinion/courts-on-camera/5065938.article, Stand: 13.12.2019).
Kapitel 5
Rechtliche Rahmenbedingungen der Gerichtssaalberichterstattung de lege ferenda A. Vorgehen bei der Ermittlung des zeitgemäßen Rechtsrahmens Im letzten Kapitel dieser Arbeit kann nun die eingangs gestellte Frage beantwortet werden, ob die rechtlichen Rahmenbedingungen der Berichterstattung aus deutschen Gerichtssälen noch zeitgemäß sind. Im ersten Kapitel wurde mit dem Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen und den speziellen Rahmenbedingungen für Bild/Ton-, Ton- und Bild-Aufnahmen und für Textberichte in Echtzeit die gegenwärtige Rechtslage dargestellt. Im zweiten und dritten Kapitel wurden die Rechte und schutzwürdigen Interessen herausgearbeitet, die bei einer Regelung der Gerichtssaalberichterstattung in einen angemessenen Ausgleich zu bringen sind. Nun wird überprüft, inwiefern die aktuelle Rechtslage dazu in der Lage ist. Dafür wird zuerst der hypothetische Rechtsrahmen erarbeitet, der sämtliche betroffenen Rechte und schutzwürdigen Interessen aus heutiger Sicht in einen angemessenen Ausgleich bringt. Hierbei können die Lehren aus der englischen Erfahrung, die im vierten Kapitel gezogen wurden, fruchtbar gemacht werden. Auf diese Weise wird herausgearbeitet, wie eine zeitgemäße Regelung der Gerichtssaalberichterstattung aussehen sollte. Anschließend wird sie mit den aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen für die Gerichtssaalberichterstattung verglichen. Soweit sich die beiden nicht entsprechen, wird anschließend eine Reformvorschrift entworfen, die die Lücken schließt.
318
Kap. 5: Gerichtssaalberichterstattung de lege ferenda
B. Zeitgemäße rechtliche Rahmenbedingungen I. Maßstab für die Rahmenbedingungen Eine Regelung der Gerichtssaalberichte muss die für und gegen ihre Zulassung streitenden Positionen in einen angemessenen Ausgleich bringen. In früheren monografischen Untersuchungen zum Thema der vorliegenden Arbeit wurde zu diesem Zweck meist eine Güterabwägung vorgenommen.1 Beschränkungen der Gerichtssaalberichterstattung greifen aber, wie im zweiten Kapitel gezeigt, in die Medienfreiheiten (Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 1, 2 GG) ein. Sie müssen daher den Vorgaben gerecht werden, die das Grundgesetz für Eingriffe in jene Grundrechte aufstellt. Dabei handelt es sich um den qualifizierten Gesetzesvorbehalt gemäß Art. 5 Abs. 2 GG und die Wechselwirkungslehre.2 Letztere ist eine spezielle Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.3 Aus diesen beiden Anforderungen folgt der abstrakte Maßstab, anhand dessen der konkrete, zeitgemäße Rechtsrahmen für die Gerichtssaalberichterstattung erarbeitet werden muss. Weil in dieser Arbeit, anders als in zahlreichen bisher zu ihrem Gegenstand verfassten Monografien,4 aber nicht der aktuelle Rechtsrahmen der Gerichtssaalberichterstattung auf seine Verfassungskonformität überprüft wird, sondern eine Antwort auf die Frage gesucht wird, inwiefern dieser Rahmen noch zeitgemäß ist, liefern Art. 5 Abs. 2 GG und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz lediglich den äußeren Rahmen der folgenden Betrachtung. Innerhalb dieses Rahmens sind schließlich verschiedene Gestaltungen denkbar, die allesamt den Anforderungen der Verfassung genügen können. So stellte das BVerfG in dem n-tv-Urteil zu § 169 Abs. 1 S. 2 GVG zum Beispiel fest, dass der Gesetzgeber zwar ein Aufnahmeverbot für die Dauer der mündlichen Verhandlung erlassen durfte, es aus verfassungsrechtlicher Perspektive aber nicht musste.5 Im Folgenden werden daher neben verfassungsrechtlichen Erwägungen auch rechtspolitische Überlegungen berücksichtigt.
Britz, Fernsehaufnahmen, S. 301 ff.; Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 125 ff.; Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 146 f. 2 Kap. 2, C. I. 4. 3 Bethge, in: Sachs, GG, Art. 5 Rn. 146; Grabenwarter, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Rn. 139; Sodan, in: Sodan, GG, Art. 5 Rn. 34. 4 So für die Regelung in § 169 Abs. 1 S. 2 GVG von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 403 ff.; Gerhardt, Verfassungsmäßigkeit, S. 27 ff.; Hirzebruch, Neue Medien, S. 309 ff.; Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 171 ff.; Kujath, Laienjournalismus, S. 251 ff.; Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 35 ff.; Pernice, Medienöffentlichkeit, S. 144 ff.; Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 115 ff.; Vietmeyer, Vor- und Nachteile, S. 254 ff. 5 BVerfGE 103, 44 (65). 1
B. Zeitgemäße rechtliche Rahmenbedingungen
319
II. Anforderungen des Gesetzesvorbehalts nach Art. 5 Abs. 2 GG Der qualifizierte Gesetzesvorbehalt in Art. 5 Abs. 2 GG fordert in seiner ersten, hier maßgeblichen Variante von jedem Schrankengesetz, dass dieses allgemein ist. Allgemein ist eine Vorschrift, wenn sie sich nicht speziell gegen die Medien oder gegen eine bestimmte Meinung richtet, sondern dem Schutz eines schlechthin und demnach ohne Rücksicht auf bestimmte Informationen oder Meinungen zu schützenden Rechtsgutes dient.6 Probleme würden sich mit Blick auf den ersten Teil der Formel ergeben, sofern die Regelung der Gerichtssaalberichterstattung Sonderrecht für die Medien darstellt. In der Vergangenheit wurde die Allgemeinheit des Aufnahmeverbots in § 169 Abs. 1 S. 2 GVG aus diesem Grund angezweifelt. Da nur die Medien Aufnahmen im Gericht herstellten, richte sich die Untersagung auch speziell gegen sie.7 Dies mag bei der Einführung des Verbotes in tatsächlicher Hinsicht zugetroffen haben, ist durch die technische Entwicklung aber heute überholt.8 Wie zum persönlichen Anwendungsbereich des Aufnahmeverbotes ausgeführt, kann heutzutage jedermann Aufnahmen im Gericht anfertigen und veröffentlichen.9 Dass Nicht-Journalisten dies in der Praxis tatsächlich tun, stellt die sog. Reichsbürger-Bewegung aktuell unter Beweis.10 Regelungen, die sich wie § 169 Abs. 1 S. 2 GVG nicht ausdrücklich auf Medienvertreter beziehen, sondern die Berichterstattung allgemein einschränken, sind demnach kein durch Art. 5 Abs. 2 GG verbotenes Sonderrecht. Für die zeitgemäße Regelung der Gerichtssaalberichterstattung bedeutet das, dass sie an die konkrete Tätigkeit, nicht an die abstrakte Eigenschaft der Medienvertreter als solche anknüpfen muss.
III. Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes 1. Voraussetzungen der Verhältnismäßigkeit eines Grundrechtseingriffs Die Medienfreiheiten nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG erfordern es außerdem, dass die zeitgemäßen rechtlichen Rahmenbedingungen der Gerichtssaalberichterstattung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in seiner speziellen Ausprägung 6
Vgl. Kap. 2, C. I. 4. Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 406; Enders, NJW 1996, 2712 (2713 f.); Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 142; Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 47; Pieroth, in: Recht der Persönlichkeit, S. 249 (S. 270 f.); Schwarz, AfP 1995, 353 (355); Stürner, JZ 2001, 699 (701). 8 Hirzebruch, Neue Medien, S. 166. 9 Vgl. Kap. 1, B. II. 1. c) dd). 10 Bausback, in: Spiekermann, NJW-aktuell 21/2017, 12 (13); Werner, DRiZ 2016, 130 (131). 7
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Kap. 5: Gerichtssaalberichterstattung de lege ferenda
als Wechselwirkungslehre entsprechen. Der Grundrechtseingriff, der in einer Regelung der Berichterstattung liegt, muss mithin einem legitimen Zweck dienen und als Mittel zur Erreichung dieses Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen sein.11 2. Legitimer Zweck a) Prinzipielle Eignung als legitimer Zweck Legitime Zwecke eines Grundrechtseingriffs können nicht nur Ziele sein, die sich aus der Verfassung ergeben.12 Darüber hinaus „eröffnet sich im Grunde der gesamte Horizont der Staatsaufgaben“13. Die Grenze des Zulässigen ist erst dort erreicht, wo mit einer Maßnahme verfassungswidrige Ziele verfolgt werden.14 Als legitimer Zweck einer Regelung, die die Gerichtssaalberichterstattung beschränkt, kommt der Schutz jener Rechte und schutzwürdigen Interessen in Betracht, für die im dritten Kapitel ermittelt wurde, dass sie durch diese Berichterstattung beeinträchtigt werden können. Überwiegend finden die Positionen ihre Basis im Grundgesetz: Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wird als Grundrecht durch Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG garantiert.15 Die Unschuldsvermutung wird ebenso auf das Rechtsstaatsprinzip gegründet16 wie die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege17. Das Recht auf ein faires Verfahren18 und der allgemeine Justizgewährungsanspruch19 werden daneben auch auf die Grundrechte gestützt, insbesondere auf die in Art. 2 Abs. 1 GG garantierte allgemeine Handlungsfreiheit. Für den äußeren Verfahrensablauf,20 die denkbare kriminogene Wirkung der Gerichtssaalberichterstattung21 und ihren möglichen Beitrag zur Spezialprävention22 finden sich dagegen zwar keine verfassungsrechtlichen Fundierungen. 11 Vgl. stRspr, s. nur BVerfGE 27, 344 (352); 115, 320 (345); 118, 168 (193); 120, 224 (239 ff.); 120, 274 (318 f.). 12 Kluckert, JuS 2015, 116 (117, 118); Reuter, JURA 2009, 511 (513). 13 Ipsen, StaatsR II, § 3 Rn. 187. 14 BVerfGE 124, 300 (331); Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 VII Rn. 111; Graf von Kielmansegg, JuS 2009, 118 (121); Reuter, JURA 2009, 511 (513); Wienbracke, ZJS 2013, 148 (149). 15 Kap. 3, B. I. 16 Kap. 3, C. 17 Kap. 3, D. I. 18 Kap. 3, E. I. 19 Kap. 3, F. 20 Kap. 3, G. 21 Kap. 3, I. 22 Kap. 3, J.
B. Zeitgemäße rechtliche Rahmenbedingungen
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Es gehört aber zu den Aufgaben des Staates, den reibungslosen Ablauf seiner Gerichtsverhandlungen zu garantieren, Anreize für einen Verstoß gegen seine (Straf-)Gesetze zu beseitigen und derartigen Verstößen für die Zukunft vorzubeugen. Der Schutz dieser Positionen kann daher prinzipiell ebenfalls ein legitimer Zweck sein, den eine Regelung verfolgen darf, die die Medienfreiheiten einschränkt. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den speziellen Anforderungen, die Art. 5 Abs. 2 Var. 1 GG an einen legitimen Zweck stellt. Ein Gesetz muss danach dem Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Information oder Meinung zu schützenden Rechtsgutes dienen.23 Es muss „in der Rechtsordnung allgemein und damit unabhängig davon geschützt sein, ob es durch Meinungsäußerungen oder auf andere Weise verletzt werden kann.“24 Alle Rechte und Interessen, die im dritten Kapitel herausgearbeitet wurden, verdienen Schutz nicht nur vor den Vertretern der Medien, sondern vor jedermann. Im Gerichtssaal wird dies besonders deutlich, gehen doch auch ohne Medienberichte von der Saalöffentlichkeit Gefahren für diverse der genannten Positionen aus. Sie werden daher nicht nur vor Gerichtssaalberichten gesetzlich geschützt. Wie im ersten Kapitel gezeigt, dienen vielmehr auch die Gründe für den Öffentlichkeitsausschluss bspw. dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Ebenso können Zuschauer zum Schutz der Wahrheitsfindung als einer Ausprägung der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege ausgeschlossen werden.25 Eine Regelung, die die genannten Rechte und schutzwürdigen Interessen schützt, erfüllt deshalb auch die speziellen Anforderungen des Art. 5 Abs. 2 Var. 1 GG an den legitimen Zweck. b) Fehlender Nachweis für die Gefährdung einiger Positionen Allerdings kann auch ein prinzipiell legitimer Zweck einen Grundrechtseingriff nicht rechtfertigen, wenn das Recht oder das schutzwürdige Interesse, das geschützt werden soll, durch die betroffene Grundrechtsbetätigung gar nicht gefährdet wird.26 Dem Gesetzgeber werden zwar bei der Festlegung der legitimen Zwecke seiner Maßnahmen kaum Grenzen gesetzt. Schon um einen Missbrauch zu vermeiden, kann er jedoch nicht irgendeinen verfassungslegitimen Zweck wählen, der in keinerlei Zusammenhang zum zu rechtfertigenden Eingriff steht. Dies
23
Kap. 2, C. I. 4. StRspr, s. nur BVerfGE 111, 147 (155); 117, 244 (260); 120, 180 (200); 124, 300 (322); BVerfG, NJW 2011, 1863 (1864). 25 Kap. 1, A. II. 1. b). 26 Wienbracke, ZJS 2013, 148 (149) unter Verweis auf BVerfG, NJW 2011, 2636 (2637). 24
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Kap. 5: Gerichtssaalberichterstattung de lege ferenda
würde es ihm zu leicht machen, Grundrechte regelrecht „auszuschalten“.27 Vor diesem Hintergrund ist es problematisch, dass für manche der Rechte und schutzwürdigen Interessen, deren Schutz eine zeitgemäße Regelung der Gerichtssaalberichterstattung verfolgt, bisher nicht empirisch nachgewiesen ist, dass sie durch Berichterstattung aus dem Gerichtssaal überhaupt gefährdet werden. Sicher ist, dass sie das allgemeine Persönlichkeitsrecht28 ebenso wie die Unschuldsvermutung29 beeinträchtigen kann. Daneben kann gewiss die Funktions fähigkeit der Rechtspflege in Form der Wahrheitsfindung behindert werden, indem Zeugen vor ihrer Aussage über die Vorgänge in der Verhandlung informiert werden.30 Auch eine Störung des äußeren Verfahrensablaufs ist sicherlich möglich.31 Nicht nachgewiesen ist dagegen, ob Gerichtssaalberichte die Wahrheitsfindung beeinträchtigen, indem sie das Verhalten der Verfahrensbeteiligten beeinflussen.32 Ebenso ist nicht klar, ob sie die Rechtsfindung beeinträchtigen, indem sie Richter bei ihrer Entscheidungsfindung beeinflussen.33 Unsicher ist außerdem, inwiefern das Recht auf ein faires Verfahren34 und der allgemeine Justizgewährungsanspruch35 durch Berichte aus dem Gerichtssaal beeinträchtigt werden. Des Weiteren ist nicht ausgeschlossen, aber auch nicht belegt, dass diese Berichte eine kriminogene Wirkung haben36 oder die positive Spezialprävention vereiteln37. Eine mögliche Folgerung aus alledem ist es, den Schutz all jener Rechte und schutzwürdigen Interessen, deren Beeinträchtigung nicht nachgewiesen ist, gar nicht erst als legitimen Zweck einzuordnen und eine Regelung zu ihrem Schutz demnach nicht zuzulassen. Dagegen sprechen jedoch die gravierenden Folgen für den Fall, dass die vermuteten Auswirkungen tatsächlich in vollem Umfang auftreten. Wird zum Beispiel die richterliche Entscheidungsfindung durch Gerichtssaalberichte tatsächlich beeinflusst, könnten infolge der Zulassung Fehlurteile gefällt werden. Kann sich der Angeklagte aufgrund der Berichte weniger effektiv verteidigen, beeinträchtigt ihre Zulassung sein Recht auf ein faires Verfahren. Die denkbaren, aber nicht nachgewiesenen Beeinträchtigungen können daher nicht völlig unbeachtet bleiben. Kluckert, JuS 2015, 116 (121). Kap. 3, B. IV. 29 Kap. 3, C. 30 Kap. 3, D. II. 3. 31 Kap. 3, G. 32 Kap. 3, D. II. 2. c) aa). 33 Kap. 3, D. III. 3. b) aa). 34 Kap. 3, E. II. 35 Kap. 3, F. 36 Kap. 3, I. 37 Kap. 3, J. 27 28
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Gleichzeitig kann der Schutz der nur potentiell gefährdeten Rechte und Interessen jedoch keine endgültige Beschränkung der Gerichtssaalberichterstattung legitimieren. Wie die englische Erfahrung zeigte, muss eine kontrollierte Zulassung der Berichterstattung schließlich keine Gefahren für die Wahrheits- und die Rechtsfindung, das Recht auf ein faires Verfahren und den allgemeinen Justizgewährungsanspruch bedeuten.38 Dass die Risiken für manche Rechte und schutzwürdigen Interessen, die gegen eine Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung angeführt werden können, bislang noch nicht empirisch erforscht wurden, sollte deshalb dadurch berücksichtigt werden, dass eine Regelung der Gerichtssaalberichterstattung vorerst nur vorläufig erfolgt. Die Zulassung oder Untersagung dieser Berichterstattung kann schließlich erst endgültig geregelt werden, wenn ihre tatsächlichen Auswirkungen erforscht wurden. 3. Eignung a) Tauglichkeit zur Zweckerreichung Steht damit der legitime Zweck fest, den die zeitgemäßen rechtlichen Rahmenbedingungen verfolgen, ist im zweiten Schritt zu ermitteln, welche Regelungen geeignet sind, zur Zweckerreichung beizutragen. Geeignet ist jede Maßnahme, die den legitimen Zweck zumindest fördert.39 Bevor aber konkrete Maßnahmen betrachtet werden können, die der Zweckerreichung förderlich sind, muss überprüft werden, ob die im dritten Kapitel herausgearbeiteten Gefahren überhaupt durch eine Regelung der Gerichtssaalberichterstattung ausgeräumt werden können. Der Gesetzgeber ist zwar nicht gehalten, stets das optimale Mittel zu wählen.40 Er darf allerdings auch nicht zu Mitteln greifen, die gänzlich untauglich sind, um den legitimen Zweck zu erreichen.41 Problematisch ist dies im Hinblick auf all die Positionen, die nicht infolge jeder Berichterstattung aus dem Gerichtssaal beeinträchtigt werden, sondern erst durch ein Fehlverhalten der Medienvertreter bei der Gestaltung der Gerichtssaalberichte tangiert werden. Konkret betrifft dies das Recht der persönlichen Ehre sowie die Unschuldsvermutung. Wie im dritten Kapitel gezeigt, ist es zum Beispiel möglich, dass Ton-Aufnahmen einer Partei auf ehrverletzende Art kommentiert werden.42 Ebenso können bspw. Bild-Aufnahmen eines Angeklagten so ausgewählt wer38
Vgl. Kap. 4, D. StRspr, s. nur BVerfGE 30, 292 (316); 115, 276 (308); 116, 202 (224); 120, 224 (240); 134, 204 (227). 40 Wienbracke, ZJS 2013, 148 (150). 41 StRspr, s. nur BVerfGE 16, 147 (181 f.); 30, 250 (263); 107, 59 (100); 126, 331 (361); 143, 246 (348). 42 Vgl. Kap. 3, B. III. 4. 39
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Kap. 5: Gerichtssaalberichterstattung de lege ferenda
den, dass seine Unschuldsvermutung dadurch tangiert wird.43 Die Beschränkung der Berichterstattung im Gerichtssaal selbst kann ein derartiges Fehlverhalten aber nicht abstellen. Medienvertreter haben zwar etwa im Fall eines Aufnahmeverbotes keine Aufnahmen zur Verfügung, die sie auf diese Art für ihre Berichte verwenden können. Es bleibt ihnen allerdings unbenommen, das Geschehen auf ehrverletzende oder vorverurteilende Art nachzuerzählen oder zu kommentieren. Dem kann und muss mit dem bereits existierenden Instrumentarium des materiellen Medienrechts begegnet werden, im Fall einer ehrverletzenden Darstellung etwa mit dem Unterlassungsanspruch (§§ 1004 Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB).44 Eine Beschränkung der Gerichtssaalberichterstattung ist dagegen nicht geeignet, die beiden Positionen vor der dargestellten Beeinträchtigung zu schützen und den legitimen Zweck dadurch zu fördern. Daher bleiben die Risiken für diese beiden Rechte, soweit sie aus der beschriebenen Gestaltung der Berichte resultieren, im Folgenden außer Betracht. b) Konkrete geeignete Regelungen Den Schutz der übrigen Rechte sowie schutzwürdigen Interessen können drei unterschiedliche Ausgestaltungen des Rechtsrahmens fördern. Die Gefahren für sämtliche Rechte und schutzwürdigen Interessen werden in dem Umfang vollständig ausgeräumt, in dem Gerichtssaalberichte untersagt werden. Dürfen Medienvertreter im Gericht bspw. keine Aufnahmen anfertigen, können das Recht am eigenen Bild sowie am eigenen gesprochenen Wort dadurch nicht beeinträchtigt werden. Wird ihnen zum Beispiel verboten, Textberichte in Echtzeit zu verfassen, können die Zeugen sich mit deren Hilfe nicht vorab über das Geschehen in der Verhandlung informieren. Ein absolutes Verbot fördert den legitimen Zweck daher am stärksten. Partielle Untersagungen, etwa nur während bestimmter Verfahrensabschnitte, tragen jedoch ebenfalls – wenn auch in einem geringeren Umfang – zu seiner Erreichung bei. Einige Gefahren sind allerdings nicht zwingende Konsequenz jeglicher Gerichtssaalberichterstattung, sondern folgen erst aus dem Fehlverhalten der Medienvertreter bei Gericht. Dies betrifft einerseits das Recht der persönlichen Ehre und die Unschuldsvermutung. Sie können, wie im dritten Kapitel gezeigt, beeinträchtigt werden, indem die Medienvertreter mit den Verfahrensbeteiligten auf eine bestimmte Weise interagieren, bspw. indem sie sie mit ihren Kameras bedrängen45 oder aus einer unvorteilhaften Perspektive aufnehmen46. Anderer43
Vgl. Kap. 3, C. Zu diesen Ansprüchen: Britz, Fernsehaufnahmen, S. 298 f.; Wyss, EuGRZ 1996, 1 (12 f.). 45 Vgl. Kap. 3, C. 46 Vgl. Kap. 3, B. III. 4. 44
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seits betrifft es den äußeren Ablauf des Verfahrens. Auch dieser kann gestört werden, indem die Medienvertreter die Verfahrensbeteiligten mit ihren Kameras und Mikrofonen verfolgen.47 Diese drei Rechte und Interessen können damit bereits geschützt werden, indem Vorgaben für die Berichterstattung aus dem Gerichtssaal gemacht werden, die das beschriebene Fehlverhalten verhindern. Dieselben Auswirkungen hat es, wenn anstelle der Medien das Gericht die Aufnahmen herstellt.48 Werden Aufnahmen von seinen Angestellten angefertigt, könnten diese zu einem Verhalten angehalten werden, infolgedessen die Gefahren für die drei Rechte und Interessen verringert oder gar ausgeräumt werden. Darüber hinaus können die beiden letztgenannten Regelungen – Vorgaben für die Gerichtssaalberichterstattung und die Übertragung der Aufnahmetätigkeit auf das Gericht – auch zum Schutz der übrigen Rechte und schutzwürdigen Interessen beitragen und die Zweckerreichung damit fördern. Fertigt das Gericht die Aufnahmen bspw. an einem Platz an, von dem aus Zeugen nicht zu sehen sind, wird deren Recht am eigenen Bild dadurch nicht beeinträchtigt. Auch könnte es bspw. dem Angeklagten durch die Vorgabe für Medienvertreter, sich ihm nicht mit ihren Interviewanfragen zu nähern, leichter fallen, sich mit seinem Verteidiger auszutauschen. Dadurch könnte sein Recht auf ein faires Verfahren geschützt werden. 4. Erforderlichkeit a) Zweischrittige Prüfung der Erforderlichkeit Zu überprüfen ist nun im dritten Schritt, welche der drei geeigneten Regelungen zur Erreichung des legitimen Zwecks auch erforderlich ist. Erforderlich ist eine Maßnahme, wenn kein anderes, im Hinblick auf den Grundrechtseingriff milderes und ebenso effektives Mittel verfügbar ist.49 Ein Mittel ist dabei sowohl milder, wenn es weniger stark in Grundrechte eingreift, als auch, wenn es in eine
47
Vgl. Kap. 3, G. Ein solches „Gerichts-TV“ (so Janisch, SZ vom 19.05.2017, S. 31) wurde vor dem Erlass des EMöGG vielfach vorgeschlagen, s. Feldmann, GA 2017, 20 (35); Fölster, NK 2014, 154 (160); Limperg, in: Kaufmann/Tappert/Vetter, DRiZ 2017, 154 (157); Morsch, ZRP 2014, 254; Prantl, Referat 71. DJT, M 27 (M 35 f.); Strate, Referat 71. DJT, M 43 (M 51). Schon zuvor hatten einige Autoren eine derartige Lösung in unterschiedlichen Ausprägungen favorisiert: Britz, Fernsehaufnahmen, S. 305 ff.; ders., in: FS Schiller, S. 81 (S. 97 f.); Danziger, Medialisierung, S. 425, 432 f.; Gounalakis, in: FG Kübler, S. 173 (S. 199); Jung, in: AE-StuM, S. 102 (S. 114). 49 StRspr, s. nur BVerfGE 25, 1 (18); 30, 292 (316); 126, 112 (144 f.); 135, 90 (118); 141, 82 (100). 48
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Kap. 5: Gerichtssaalberichterstattung de lege ferenda
geringere Zahl an Grundrechten oder Grundrechte mit schwächerem Schutzbereich eingreift.50 Im Folgenden wird zuerst für jedes Recht und schutzwürdige Interesse separat ermittelt, welche Maßnahme zu seinem Schutz erforderlich ist. Als Ausgangspunkt wird mit dem absoluten Verbot der Gerichtssaalberichterstattung dabei stets diejenige Regelung betrachtet, die am stärksten in die Medienfreiheiten eingreift, zugleich aber die Gefahren für alle damit kollidierenden Positionen vollständig ausräumt. Steht danach fest, welche Maßnahme zum Schutz der Einzelpositionen jeweils erforderlich ist, kann daraus sodann geschlossen werden, welche der Regelungen der Schutz aller Rechte und Interessen erfordert. Eine Maßnahme ist schließlich nur dann ebenso effektiv wie ein mit ihr verglichenes Mittel, wenn sie alle legitimen Zwecke in demselben Umfang erreicht.51 b) Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aa) Schutz der engeren persönlichen Lebenssphäre und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung Zum Schutz der engeren persönlichen Lebenssphäre sowie des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung als Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist nicht ein absolutes Verbot der Gerichtssaalberichterstattung erforderlich, sondern nur ein partielles. Dies ist ein milderes Mittel als die vollständige Untersagung, weil es Medienvertretern mehr Freiraum für ihre grundrechtlich geschützte Berichterstattung lässt und der Grundrechtseingriff, der darin liegt, somit weniger schwer wiegt. Ebenso effektiv wie ein absolutes Verbot ist die teilweise Untersagung dabei, erstens, wenn sie nicht eingreift, falls der Betroffene der Berichterstattung zugestimmt hat. Die Erhebung und Veröffentlichung seiner persönlichen Informationen können sein Persönlichkeitsrecht nämlich nicht verletzen, wenn er wirksam in sie eingewilligt hat.52 Zweitens ist die Regelung gleich wirksam, wenn sie nur in Situationen gilt, in denen die beiden Rechte tatsächlich beeinträchtigt werden. Dies ist nur während der mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen der Fall.53
Michael, JuS 2001, 148 (149); ders., JuS 2001, 654 (656 f.). Michael, JuS 2001, 148 (149); ders., JuS 2001, 654 (657); Wienbracke, ZJS 2013, 148 (151). 52 Zur Einwilligungsmöglichkeit ausführlich: Kap. 3, B. III. 6. 53 Kap. 3, B. III. 1. b), 3. 50 51
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bb) Schutz des Rechts am eigenen Bild und eigenen gesprochenen Wort Zum Schutz der Rechte am eigenen Bild und am eigenen gesprochenen Wort ist ein absolutes Verbot der Gerichtssaalberichte ebenfalls nicht erforderlich. Ein milderes, teilweises Verbot der Berichterstattung ist ebenso effektiv. Das folgt, erstens, daraus, dass auch diese beiden Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht verletzt sind, wenn die Herstellung und Veröffentlichung der Aufnahmen mit der Zustimmung des Betroffenen erfolgt.54 Zweitens resultieren Gefahren für die beiden Rechte nur aus Aufnahmen. Kein Risiko für sie bedeuten dagegen Textberichte in Echtzeit.55 Ein noch milderes Mittel als ein nur teilweises Verbot der Aufnahmen wäre es zwar, die Aufnahmen nur auf gewisse Personen beschränkt zu gestatten.56 In diesem Fall könnten Medienvertreter schließlich in allen Instanzen und Verfahrensarten Aufnahmen anfertigen und ihrer grundrechtlich geschützten Tätigkeit damit in größerem Umfang nachgehen. Die Regelung ist allerdings nicht ebenso effektiv wie ein partielles Aufnahmeverbot. In quantitativer Hinsicht spricht hierfür zwar, dass jedenfalls die Personen, die nicht aufgenommen werden, in ihren Rechten nicht beeinträchtigt werden. Für die Aufgenommenen gilt dies naturgemäß aber nicht. Begrenzte man den Kreis der aufgenommenen Personen auf die professionellen Verfahrensbeteiligten, wäre zwar zu beachten, dass ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht in einer Abwägung mit den entgegenstehenden Positionen ein geringeres Gewicht zukommt als dem der privaten Beteiligten. Ausgeschlossen ist die Beeinträchtigung aber gerade nicht.57 Ein weiteres, milderes Mittel wäre es, die Medien zur Anonymisierung der Abgebildeten zu verpflichten.58 Die Herstellung der Aufnahmen würde dadurch nicht eingeschränkt und auch ihre Veröffentlichung wäre im Grundsatz gestattet. In beiderlei Hinsicht wäre den Medien ihre grundrechtlich geschützte Berichterstattung somit in weiten Teilen möglich. Dadurch müssten die Rechte am eigenen Bild und am eigenen gesprochenen Wort aber zudem ebenso effektiv geschützt werden wie durch das Aufnahmeverbot. Dagegen spricht, dass gegen Anonymisierungsanordnungen verstoßen werden kann.59 Hierfür bestände auch ein starker Anreiz, da das jeweilige Medium davon ausgehen könnte, infolge des rechtskonformen Verhaltens seiner Konkur54
Kap. 3, B. III. 6. a). Kap. 3, B. III. 2. b), c). 56 Hirzebruch, Neue Medien, S. 325. 57 Kap. 3, B. II. 58 Bernzen, MMR 2017, 742 (743); Hirzebruch, Neue Medien, S. 325. 59 BVerfG, NJW 1996, 310 (311); Bernzen, MMR 2017, 742 (743); Lutz, JURA 2007, 230 (234 f.). Dieses Risiko realisierte sich bei einer sitzungspolizeilichen Anonymisierungsanordnung bereits (BGHZ 190, 52). 55
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renten identifizierende Aufnahmen exklusiv zu publizieren. Dem wird teils entgegenhalten, derartigen Verstößen könne präventiv durch gerichtliche Kontrollen begegnet werden.60 Bestände der Verdacht, dass die Aufnahmen missbraucht würden, könne das Gericht sich die Berichte vor ihrer Veröffentlichung zur Genehmigung vorlegen lassen. Auch könnten die Verstöße nachträglich sanktioniert werden.61 Drohte im Fall der Zuwiderhandlung ein Ausschluss von der Berichterstattung, könnte dies die Medienvertreter zu rechtstreuem Verhalten anhalten. Da der Übeltäter anhand seines Mediums leicht zu identifizieren wäre62 und die Medienvertreter zumeist namentlich bei Gericht akkreditiert wären63, könnten solche Maßnahmen auch tatsächlich ergriffen werden. Allerdings kann eine präventive Kontrolle nur stattfinden, wenn das Verhalten der Medienvertreter im Gericht den Verdacht erweckt, dass sie erforderlich ist. Verhalten sie sich vor ihrem Verstoß jedoch so unauffällig, dass keine Kontrolle erfolgt, kommt nur noch eine nachträgliche Sanktion in Betracht. Sie ist zwar womöglich geeignet, um künftige Verstöße des Mediums abzustellen, ändert jedoch nichts an dem vergangenen Verstoß. Schon aus diesem Grund ist die Anonymisierungsanordnung nicht gleich effektiv wie das Verbot der Aufnahmen. Dagegen spricht außerdem, dass die Rechte am eigenen Bild und am eigenen gesprochenen Wort nicht nur vor einer Publikation der Aufnahmen schützen, sondern bereits vor deren Herstellung.64 Aufnahmen dürfen aber auch im Fall eines Anonymisierungsgebotes angefertigt werden. Allein ihre Veröffentlichung ist eingeschränkt. Damit ist die Anordnung der Anonymisierung zum Schutz der beiden Rechte nicht gleich wirksam wie ein partielles Aufnahmeverbot.65 cc) Schutz des Rechts der persönlichen Ehre Die Gefahren, die aus der Gerichtssaalberichterstattung für das Recht der persönlichen Ehre folgen, erfordern nicht den Schutz durch ein auch nur teilweises Verbot dieser Berichterstattung. Eine mildere Maßnahme sind Vorgaben für ihre Durchführung. In diesem Fall dürfen die Medienvertreter ihrer grundrechtlich geschützten Berichterstattungstätigkeit schließlich prinzipiell nachgehen und müssen dabei nur gewisse Verhaltensregeln einhalten. Die Risiken, die aus der 60 BVerfGE 119, 309 (326); Altenhain, Gutachten 71. DJT, C 75; Feldmann, in: Radtke/ Hohmann, StPO, § 169 GVG Rn. 37; Kujath, Laienjournalismus, S. 358, 362. 61 BVerfGE 91, 125 (139); Brosius-Gersdorf, TKMR 2002, 356 (361); Fink, Bild- und Ton aufnahmen, S. 458. 62 Rath, DRiZ 2014, 8 (9). 63 Renner/Pille, AfP 2018, 23 (28). 64 Altenhain, Gutachten 71. DJT, C 75; Eisenberg, StraFo 2006, 15 (18); Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 453, 463. 65 Anders noch Bernzen, NJW 2017, 799 (800).
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Berichterstattung folgen, lassen sich mit bestimmten Vorgaben auch ebenso effektiv beseitigen wie mit einem Verbot. Auf der einen Seite kann das Recht beeinträchtigt werden, wenn die Medienvertreter, die Aufnahmen anfertigen, die Beteiligten dabei in ehrverletzender Weise bedrängen.66 Um dies zu verhindern, kann die Anzahl der zugelassenen Medienvertreter, die Aufnahmen herstellen dürfen, beschränkt werden. Auf diese Weise kann ausgeschlossen werden, dass Verfahrensbeteiligte durch die allzu große Medienpräsenz belästigt werden. Wird den Aufnehmenden ein fester Standort zugewiesen, kann verhindert werden, dass sie den Beteiligten so nahekommen, dass diese dadurch in Bedrängnis geraten. Andererseits kann das Recht der persönlichen Ehre dadurch beeinträchtigt werden, dass Bild- oder Bild/ Ton-Aufnahmen ehrverletzende Inhalte haben, etwa weil sie von oben herab angefertigt wurden.67 Wird die Kameraperspektive jedoch verbindlich festgelegt, kann dies ebenso verhindert werden wie mit einem Aufnahmeverbot. Anders als eine Anonymisierungsanordnung können die drei beschriebenen Vorgaben auch wirksam durchgesetzt werden.68 Das Gericht kann sie etwa dadurch umsetzen, dass es nur der zugelassenen Anzahl an Medienvertretern gestattet, ihre Aufnahmegeräte im Sitzungssaal in Betrieb zu nehmen, oder indem es Justizpersonal einsetzt, um die Medienvertreter an dem ihnen zugewiesenen Standort zu halten und sicherzustellen, dass die Kameras nur die zugelassene Einstellung aufweisen. Ein weiteres Mittel, das gleich effektiv wäre wie die beschriebenen Vorgaben für die Durchführung der Berichterstattung aus dem Gerichtssaal, wäre es, die Anfertigung speziell von Aufnahmen auf das Gericht zu übertragen. Würden dessen Angestellte damit betraut, könnten ihnen die drei beschriebenen Vorgaben hierfür gemacht werden. Ein ehrverletzendes Verhalten droht in diesem Fall nicht. Allerdings ist eine solche Regelung kein milderes Mittel als ein Verbot. Indem die Herstellung der Aufnahmen dem Gericht übertragen wird, wird sie den Medien schließlich entzogen. Faktisch wirkt die Regelung deshalb wie ein Aufnahmeverbot.69 Im Stadium der Informationsbeschaffung wiegt der in ihr liegende Eingriff in die Medienfreiheiten demnach schwerer als der Eingriff, der in den beschriebenen Vorgaben für die Berichterstattung liegt.
66
Kap. 3, B. III. 4. Kap. 3, B. III. 4. 68 Zur problematischen Durchsetzung der Anonymisierungsanordnung: Kap. 5, B. III. 4. b) bb). 69 Kritisch zur folgenden Verlagerung der Deutungshoheit: Bräutigam, DRiZ 2017, 164; Deppe, DRiZ 2017, 198. 67
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dd) Schutz des Rechts auf Resozialisierung Der Schutz des Rechts auf Resozialisierung als letzter Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erfordert kein absolutes Verbot der Berichterstattung aus dem Gerichtssaal. Deren mildere teilweise Untersagung stellt eine ebenso effektive Maßnahme dar. Das Recht auf Resozialisierung kann schließlich nur in Strafverfahren gefährdet werden, sodass in allen übrigen Verfahrensarten zu seinem Schutz nicht eingeschritten werden muss. Noch milder wäre es zwar, Vorgaben für die Durchführung der Gerichtssaalberichterstattung zu machen. Ebenso effektiv wie das Verbot wären diese Vorgaben aber nur, wenn sie die Identifizierung des Angeklagten, die zu den Gefahren für die Resozialisierung führt,70 auf gleiche Weise verhindern könnten. Denkbar wäre, erstens, dass die besonders riskante Aufnahme des Angeklagten verboten wird. In ähnlicher Weise könnte, zweitens, seine Anonymisierung angeordnet werden. Drittens könnte bestimmt werden, dass er nur in der Totalen aufgenommen werden darf, sodass er nicht aus der Nähe zu sehen ist.71 Diese Maßnahmen erschweren die Identifizierung des Angeklagten jedoch nur und schließen sie nicht völlig aus.72 Selbst wenn er nicht oder nur aus der Ferne aufgenommen wird, seine Aufnahme nur anonymisiert ausgestrahlt wird bzw. in den Textberichten in Echtzeit nur anonymisiert über ihn geschrieben werden dürfte, ließen sich aus dem Kontext insbesondere für sein soziales Umfeld Rückschlüsse auf seine Person ziehen.73 Jenes Umfeld ist es aber, das für seine Resozialisierung unerlässlich ist. Die beschriebenen Maßnahmen wären daher nicht ebenso effektiv, um das Recht auf Resozialisierung zu schützen. c) Schutz der Unschuldsvermutung Zum Schutz der Unschuldsvermutung ist ebenfalls kein absolutes Verbot der Gerichtssaalberichterstattung erforderlich. Da die Gefahren, die aus dieser Berichterstattung folgen, nur in Strafverfahren hervorgerufen werden, ist ein auf diese Verfahrensart begrenztes Verbot ein milderes und ebenso effektives Mittel. Noch milder und gleich effektiv ist es jedoch, Vorgaben für die Durchführung der Gerichtssaalberichterstattung zu machen. Die Gefahren für die Unschuldsvermutung resultieren schließlich daraus, dass Medienvertreter den Angeklagten durch ihre Aufnahmen an den „technischen Pranger“ stellen, mithin physisch übermä70
Vgl. Kap. 3, B. III. 5. Kujath, Laienjournalismus, S. 354. 72 So für die Anonymisierung auch Bertram, JR 2002, 410 (411) und für die Aufnahme in der Totalen Kujath, Laienjournalismus, S. 354. 73 Für die Erkennbarkeit trotz Anonymisierung auch BVerfGE 119, 309 (326); BVerfG, NJW 2017, 798 (799). 71
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ßig bedrängen.74 Wie bereits für das Recht der persönlichen Ehre dargestellt,75 kann eine derartige Bedrängnis durch die Begrenzung der Anzahl der zugelassenen Medienvertreter und die Vorgabe ihres Standorts im Gericht ebenso wirksam verhindert werden wie durch ein Verbot. Nur solche Vorgaben sind daher zum Schutz der Unschuldsvermutung erforderlich. d) Schutz der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege aa) Schutz der Wahrheitsfindung vor der Verhaltensbeeinflussung der Beteiligten Die Gefahren, die für die Wahrheitsfindung als Ausprägung der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege daraus folgen könnten, dass Gerichtssaalberichterstattung das Verhalten der Verfahrensbeteiligten beeinflusst, erfordern kein absolutes Verbot dieser Berichterstattung. Ein milderes Mittel ist eine teilweise Untersagung. Ebenso effektiv wie das absolute Verbot ist jene Untersagung, wenn sie nur Tatsacheninstanzen betrifft. Nur in diesen Instanzen findet schließlich die Wahrheitsfindung statt, die beeinträchtigt werden kann.76 bb) Schutz der Wahrheitsfindung vor Vorabinformationen von Zeugen Um zu verhindern, dass die Gerichtssaalberichte die Wahrheitsfindung beeinträchtigen, indem sie Zeugen vorab über das Geschehen bei Gericht informieren, ist ebenfalls kein absolutes Verbot erforderlich. Ein milderes Mittel ist eine nur partielle Untersagung. Sie ist ebenso effektiv wie das vollständige Verbot, wenn nur die Beweisaufnahme und, in Strafverfahren, die Anklageverlesung in den Tatsacheninstanzen erfasst wird und das Verbot sich nur auf Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen und Textberichte in Echtzeit bezieht. Nur in diesen Phasen und durch diese Formen der Berichterstattung droht schließlich eine Vorabinfor mation.77 Während der genannten Phasen wäre es mit Blick auf die Aufnahmen zwar ein noch milderes Mittel, Aufnahmen zu gestatten, ihre Veröffentlichung aber lediglich zeitversetzt zuzulassen. Indem bspw. die Ausstrahlung von Ton-Aufnahmen der Beweisaufnahme erst nach der Urteilsverkündung gestattet wird, könnte verhindert werden, dass Zeugen sich mit ihrer Hilfe über die Aussagen anderer Zeugen informieren. Diese Vorgabe ist allerdings nicht gleich wirksam wie ein Aufnahmeverbot. Es ist schließlich nicht ausgeschlossen, dass die Medien Aufnah74
Kap. 3, C. Vgl. Kap. 5, B. III. 4. b) cc). 76 Kap. 3, D. II. 2. c) bb). 77 Kap. 3, D. II. 3. 75
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men doch zeitgleich oder zumindest früher als zugelassen senden. Zwar ist es bei einer zeitgleichen Übertragung meist möglich, die handelnden Medien zu identifizieren und bspw. durch einen Ausschluss von der weiteren Berichterstattung zu sanktionieren. Das setzt allerdings voraus, dass die Übertragung dem Gericht rechtzeitig auffällt. Dies mag möglich sein, wenn die Aufnahmen in Echtzeit übertragen werden – vorausgesetzt, das Gericht, das mit der Verhandlungsführung beschäftigt ist, erfährt durch einen Zufall hiervon. Eine spätere Übertragung, etwa am Abend des jeweiligen Verhandlungstages, kann es dagegen praktisch nicht einmal rechtzeitig verhindern, wenn es sie sofort bemerkt. In diesem Fall sind die Zeugen über den Teil der mündlichen Verhandlung aber bereits informiert, der bis zu einem Einschreiten des Gerichts übertragen wurde. Der Schutz läuft in dieser Hinsicht damit im Ergebnis leer. cc) Schutz der Rechtsfindung vor Beeinträchtigungen der Unabhängigkeit der Richter Um die Risiken vollumfänglich auszuräumen, die Gerichtssaalberichte für die Rechtsfindung als einer Ausprägung der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege hervorrufen, indem sie die Entscheidungsfindung und damit die Unabhängigkeit der Richter beeinträchtigen, ist ein absolutes Verbot der Berichterstattung aus dem Gerichtssaal erforderlich. Es ist schließlich derzeit davon auszugehen, dass der Einfluss in jeder Situation vor Gericht besteht.78 e) Schutz des Rechts auf ein faires Verfahren Zum Schutz des Rechts auf ein faires Verfahren ist ein absolutes Verbot der Berichterstattung aus dem Gerichtssaal dagegen nicht erforderlich. Milder und gleich effektiv ist eine nur teilweise Untersagung. Dieses Recht wird schließlich nur in Strafverfahren gefährdet.79 Ein noch milderes Mittel wäre es zwar, nur Vorgaben für die Durchführung der Gerichtssaalberichterstattung machen. Da die Beeinträchtigung der Verteidigungsfähigkeit teilweise daraus resultiert, dass der Angeklagte und sein Verteidiger aufgenommen werden,80 wäre es denkbar, nur Aufnahmen dieser Personengruppen zu verbieten. Allerdings ist diese Vor gabe nicht ebenso effektiv wie ein Verbot aller Aufnahmen. Durch sie kann schließlich diejenige Beeinträchtigung der Verteidigungsfähigkeit nicht verhindert werden, die aus einer Ablenkung und psychischen Hemmung infolge der Medienpräsenz an sich folgt. So kann der Angeklagte, der im Umgang mit Me78
Kap. 3, D. III. 3. b) bb). Kap. 3, E. I. 80 Kap. 3, E. II. 79
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dien unerfahren ist, bspw. auch durch Aufnahmen von anderen Verfahrensbeteiligten zerstreut werden, sodass seine Einlassung weniger überzeugend wirkt. f) Schutz des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs Zum Schutz des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs ist wiederum ein absolutes Verbot der Berichterstattung aus dem Gerichtssaal erforderlich. Es ist schließlich zur Zeit davon auszugehen, dass die Berichterstattung dieses Recht in jeder Situation vor Gericht beeinträchtigt.81 g) Schutz des ungestörten äußeren Verfahrensablaufs Zum Schutz des äußeren Verfahrensablaufs vor Störungen ist dagegen keinerlei Untersagung der Berichterstattung aus dem Gerichtssaal erforderlich. Ein milderes und ebenso effektives Mittel ist es, Vorgaben für die Durchführung der Gerichtssaalberichterstattung zu machen.82 Risiken für den äußeren Verfahrensablauf folgen wegen des technischen Fortschrittes schließlich nicht aus jeder Berichterstattung, sondern entweder daraus, dass zu viele Medienvertreter, die Aufnahmen anfertigen, im Gericht anwesend sind oder daraus, dass sie sich dort ungebührlich verhalten.83 Die Gefahr des zu großen Medienandrangs kann, wie für das Recht der persönlichen Ehre ausgeführt,84 aber durch eine zahlenmäßige Begrenzung der Aufnehmenden ebenso effektiv ausgeräumt werden wie durch ein Verbot der Berichterstattung. Dem Risiko, das ein ungebührliches Verhalten der Medienvertreter bedeutet, kann durch Verhaltensvorgaben ebenso wirksam begegnet werden. So kann insbesondere das störende Umherlaufen unterbunden werden, indem, wie für das Recht der persönlichen Ehre dargestellt, der Standort der Medienvertreter, die Aufnahmen anfertigen, verbindlich vorgegeben wird. Anders als das BVerfG meint,85 können die Störungen des Verfahrensablaufs dadurch auch wirksam beseitigt werden. Wie für das Recht der persönlichen Ehre erörtert, kann das Gericht die Einhaltung der beschriebenen Vorgaben durch die präventive Kontrolle sicherstellen. So können Justizbedienstete etwa überprüfen, dass sämtliche Vorgaben eingehalten werden.86
81
Kap. 3, F. Hirzebruch, Neue Medien, S. 325 f. 83 Kap. 3, G. 84 Vgl. Kap. 5, B. III. 4. b) cc). 85 BVerfGE 87, 334 (340); 103, 44 (69); BVerfG, NJW 1996, 581 (583); NJW 2000, 2890 (2891). 86 Doebel, DRiZ 1994, 435. 82
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Kap. 5: Gerichtssaalberichterstattung de lege ferenda
h) Schutz vor einer kriminogenen Wirkung Der Schutz vor einer kriminogenen Wirkung der Gerichtssaalberichterstattung erfordert ebenfalls kein absolutes Verbot dieser Berichterstattung. Milder und gleich effektiv ist vielmehr eine partielle Untersagung in Strafverfahren. Einen Anreiz, Straftaten zu begehen, können schließlich nur Berichte aus diesen Verfahren setzen.87 i) Schutz der Präventionswirkung Auch um durch Gerichtssaalberichte eine positive spezialpräventive Wirkung zu erzielen, ist kein absolutes Verbot erforderlich. Weil die Spezialprävention eng mit dem Recht auf Resozialisierung verwandt ist, kann auf die dortigen Ausführungen verwiesen werden.88 Zur Erreichung der Präventionswirkung ist ein Verbot der Berichterstattung danach nur in Strafverfahren erforderlich. j) Schutz aller Rechte und schutzwürdigen Interessen Betrachtet man die unterschiedlichen Rechte und schutzwürdigen Interessen, welche die Regelung der Gerichtssaalberichterstattung schützen soll, zeigt sich, dass ein vollständiges Verbot vielfach nicht erforderlich ist. Milder und ebenso effektiv sind mit Blick auf einige Positionen partielle Verbote, die insbesondere auf Strafverfahren und Tatsacheninstanzen bezogen sind, teilweise aber auch nur einzelne Medienformen erfassen. Wieder andere Positionen werden durch gewisse Vorgaben für die Berichterstattung gleich effektiv geschützt wie durch ihr Verbot. Zum Schutz des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs und der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege in Form der Rechtsfindung ist ein absolutes Verbot der Gerichtssaalberichterstattung aber erforderlich. Daher kann nur ein derartiges Verbot den Schutz aller Rechte und Interessen gewährleisten, die durch Gerichtssaalberichte beeinträchtigt werden können. 5. Angemessenheit a) Dreischrittige Prüfung der Angemessenheit Ist sogar ein absolutes Verbot der Berichterstattung aus dem Gerichtssaal erforderlich, um alle beeinträchtigten Rechte und schutzwürdigen Interessen zu schützen, muss zuletzt geprüft werden, welche der drei denkbaren Regelungen angemessen ist: das Verbot der Gerichtssaalberichterstattung, Vorgaben für ihre Durchführung, oder, speziell für die Aufnahmen, deren Übertragung auf das Ge87 88
Kap. 3, I. Vgl. Kap. 5, B. III. 4. b) dd).
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richt. Eine Maßnahme ist angemessen, wenn die Schwere des darin liegenden Grundrechtseingriffs nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der rechtfertigenden Gründe steht.89 Um zu ermitteln, welche der drei möglichen Regelungen diese Anforderungen erfüllt, werden in diesem Abschnitt zuerst die bei der Gerichtssaalberichterstattung kollidierenden Rechte und schutzwürdigen Interessen abstrakt gewichtet. Im zweiten Schritt wird konkret ermittelt, wie schwer die Regelungen die Posi tionen jeweils beeinträchtigen und inwiefern sie dabei deren legitimen Zweck erreichen würden. Basierend darauf werden im dritten Schritt sämtliche Rechte und schutzwürdigen Interessen gegeneinander abgewogen.90 b) Abstrakte Gewichtung der konfligierenden Rechte und Interessen aa) Relevante Rechte und Interessen Gegen die Zulassung der Berichterstattung aus dem Gerichtssaal sprechen all die Rechte sowie schutzwürdigen Interessen, die eine Regelung der Berichterstattung schützen soll.91 Zugunsten einer Zulassung der Gerichtssaalberichte sind die Medienfreiheiten zu berücksichtigen, in die eine derartige Regelung eingreift.92 Im zweiten Kapitel wurden allerdings noch weitere Positionen herausgearbeitet, die für die Zulassung der Berichte sprechen: der Öffentlichkeitsgrundsatz,93 der mögliche Beitrag der Berichte zur Steigerung der Rechtskenntnis und des Rechtsverständnisses der Bevölkerung,94 die Rehabilitation, die sie dem Angeklagten ermöglichen,95 sowie die denkbare Präventionswirkung96. Wird die Tätigkeit der Medienvertreter im Gerichtssaal beschränkt, hat das Folgen für all diese Positionen: Die Funktionen des Öffentlichkeitsgrundsatzes können mittels Gerichtssaalberichten besser erreicht werden als ohne diese.97 Die Berichte tragen zudem möglicherweise in größerem Umfang zur Vermittlung von Rechtskenntnissen und Rechtsverständnis bei, als es die persönliche Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung oder die klassische Berichterstattung können.98 Die Rehabilitation des Angeklagten setzt die Verteidigung in 89
StRspr, s. nur BVerfGE 30, 292 (316); 115, 320 (345); 118, 168 (195); 125, 260 (368); 126, 112 (152 f.). 90 Vgl. für diesen Dreischritt nur Michael, JuS 2001, 654 (659). 91 Vgl. Kap. 5, B. III. 2. a). 92 Kap. 5, B. I. 93 Vgl. Kap. 2, B. 94 Vgl. Kap. 2, E. 95 Vgl. Kap. 2, F. 96 Vgl. Kap. 2, G. 97 Kap. 2, B. V. 98 Kap. 2, E. VI.
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den Medien voraus, die ihn zuvor verurteilt haben.99 Zur Prävention könnten Gerichtssaalberichte wegen der insofern womöglich unzureichenden Wirkung der Saalöffentlichkeit ebenfalls erforderlich sein.100 Die Beschränkung der Gerichtssaalberichterstattung greift mithin nicht nur in die Medienfreiheiten ein, sondern hat auch erhebliche mittelbare Folgen für andere Positionen. Die Konzeption der Medienfreiheiten spricht vorliegend für eine Weitung des Blickwinkels. Dass jene Grundrechte schlechthin konstituierend für die freiheitlich demokratische Grundordnung sind, wurde bereits erörtert.101 Die Medienfreiheiten stehen nicht nur dem einzelnen Bürger zu, der journalistisch tätig wird, sondern sind daneben auch „als Bedürfnis, als Voraussetzung einer Demokratie“102 zu bewerten. Die Medienvertreter verfolgen bei ihrer Arbeit im gesamtstaatlichen Interesse das Ziel, Informationen und Meinungen zu verbreiten, um dadurch den öffentlichen Diskurs zu ermöglichen.103 Auf einfachgesetzlicher Ebene findet sich diese Bewertung in den Landespressegesetzen wieder, die von der öffentlichen Aufgabe der Presse bei der Informationsbeschaffung und Verbreitung von Informationen und Meinungen sprechen.104 Am deutlichsten wird die beschriebene Rolle der Medien mit Blick auf die Rundfunkfreiheit, die das BVerfG in seiner stRspr als der freien Meinungsbildung des Einzelnen und der Öffentlichkeit „dienende Freiheit“105 bezeichnet. Stärker noch als bei der Pressefreiheit steht hierbei der objektiv-rechtliche Charakter des Grundrechtes im Vordergrund.106 Übertragen auf Gerichtsverhandlungen bedeutet dies, dass Medienvertreter – insbesondere Vertreter des Rundfunks – nicht aus privatem Interesse im Gericht sind, sondern dort die Allgemeinheit vertreten.107 „In einer sonst nicht mehr überschaubaren Gesellschaft wird Öffentlichkeit durch Berichterstattung verwirklicht.“108 Zusätzlich zu der individualrechtlichen Komponente der beiden Medienfreiheiten muss deshalb auch der Beitrag der Medien zur Erreichung der eingangs 99
Kap. 2, F. Kap. 2, G. 101 Vgl. Kap. 2, C. I. 2. b) bb). 102 So für die Pressefreiheit Hassemer, in: Das moderne Strafrecht, S. 12 (S. 15). Ähnlich Geuer/Seidl, jurisPR-ITR 12/2012 Anm. 5: „Pressefreiheit und Demokratie sind eng miteinander verwoben.“ 103 BVerfGE 20, 162 (174 f.). 104 Bamberger, ZUM 2001, 373 (375); Engels, Rechtspflege, S. 125 f. S. etwa § 3 NPresseG. 105 BVerfGE 57, 295 (320). StRspr, s. nur BVerfGE 90, 60 (87); 97, 181 (197); 95, 220 (236); 136, 9 (65). 106 Kujath, Laienjournalismus, S. 120 f. 107 Altenhain, Gutachten 71. DJT, C 63; von Coelln, DÖV 2006, 804 (806); ders., AfP 2014, 193 (194); Schilken, GerichtsverfassungsR, § 12 Rn. 178. 108 Arndt, NJW 1960, 423 (424). 100
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erwähnten, gesamtstaatlichen Ziele betrachtet werden. Die mittelbaren Folgen des Eingriffs in die Medienfreiheiten müssen ebenfalls in die Betrachtung einbezogen werden.109 Würde die Angemessenheitsprüfung stattdessen auf die unmittelbaren Auswirkungen des Eingriffes beschränkt, würden dessen Konsequenzen nicht vollständig erfasst.110 Zu bedenken ist vielmehr auch, „welchen Schaden der begünstigte Staat durch den Eingriff [in die Grundrechte] an anderer Stelle erleidet“111. Gegen die Berücksichtigung speziell der Vermittlung von Rechtskenntnissen und Rechtsverständnis sowie der Präventionswirkung könnte jedoch noch sprechen, dass ein Beitrag der Gerichtssaalberichterstattung hierzu empirisch bisher nicht nachgewiesen wurde.112 Die englische Erfahrung legt aber jedenfalls einen Beitrag der Berichte zur Kenntnisvermittlung nahe.113 Das spricht dafür, die Chancen für diese beiden Positionen ebenso wie die Risiken für die Positionen zu behandeln, die gegen eine Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung sprechen könnten und noch nicht empirisch erforscht sind:114 Für die Zwecke einer vorläufigen Regelung sollte angenommen werden, dass die Berichterstattung die vermuteten positiven Folgen hat. Ob diese tatsächlich bestehen, sollte jedoch empirisch untersucht werden, bevor die Gerichtssaalberichterstattung endgültig geregelt wird. bb) Gewichtung der Rechte und Interessen Für ihre abstrakte Gewichtung müssen die Rechte sowie schutzwürdigen Interessen, die für und gegen die Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung streiten, in zwei Kategorien eingeteilt werden: in Positionen mit und ohne verfassungsrechtliche Verankerung. Mit Blick auf die erstgenannte Kategorie ist zudem zwischen Grundrechten und objektivem Verfassungsrecht zu differenzieren. Ersteren sind die Medienfreiheiten und das allgemeine Persönlichkeitsrecht zuordnen. Zwischen jenen Grundrechten besteht keine abstrakte Rangord-
die Einbeziehung der mittelbaren Folgen abstrakt auch Merten, in: HGR III, § 68 Rn. 72. 110 S. dazu auch Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 402: „Zwar haben die Grundrechte [...] im Vordergrund der Betrachtungen zu stehen [...], jedoch liefe eine Begrenzung der Abwägung auf diese Grundrechte an der Komplexität der Materie vorbei.“ Ähnlich von Coelln, in: MSKB, BVerfGG, § 17a Rn. 8: „Diese bipolare Beziehung [von Medienfreiheiten und Persönlichkeitsrecht] wird durch andere Rechtsgrundsätze angereichert.“ 111 Gentz, NJW 1968, 1600 (1605). 112 Kap. 2, E. I., G. 113 Kap. 4, D. 114 Zu deren Behandlung ausführlich: Kap. 5, B. III. 2. b). 109 Für
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nung.115 Es muss stattdessen im Einzelfall festgestellt werden, welches der Grundrechte Vorrang hat.116 Im objektiven Verfassungsrecht gründen einerseits der Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen und andererseits die Unschuldsvermutung, die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege, das Recht auf ein faires Verfahren und der allgemeine Justizgewährungsanspruch. Sie lassen sich allesamt (jedenfalls auch) auf das Rechtsstaatsprinzip zurückführen. Diese gemeinsame Wurzel spricht dafür, auch zwischen ihnen kein abstraktes Rangverhältnis anzunehmen. Zwar werden einige Rechte zusätzlich aus anderen Verfassungspositionen hergeleitet: der Öffentlichkeitsgrundsatz aus dem Demokratieprinzip, das Recht auf ein faires Verfahren sowie der allgemeine Justizgewährungsanspruch aus verschiedenen Freiheitsgrundrechten.117 Das gibt ihnen jedoch lediglich eine zusätzliche Dimension, im Fall des Rechts auf ein faires Verfahren etwa die Aufgabe, die Menschenwürde des Angeklagten zu gewährleisten.118 Es führt dagegen nicht dazu, dass sie in der Abwägung mit den übrigen Positionen schwerer zu gewichten sind. Im Verhältnis zwischen den Grundrechten und den Positionen, die im objektiven Verfassungsrecht gründen, könnte für einen Vorrang der Grundrechte die Stellung am Anfang des Grundgesetzes sprechen, die eine besondere Bedeutung belegen könnte. Die Grundrechte sind aber vielfach eng mit objektiven Verfassungsprinzipien verbunden. Auf die Rolle der Medienfreiheiten in einer freiheitlichen Demokratie bspw. wurde bereits hingewiesen.119 Die Versammlungsfreiheit in Art. 8 GG wird in ähnlicher Weise vom BVerfG als unerlässlich für das Funktionieren der Demokratie eingeordnet.120 Des Weiteren können einige Grundrechte nach Art. 18 S. 1 GG verwirkt werden, wenn sie für einen Kampf gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung missbraucht werden.121 Ebenso wenig wie die Verfassung sich damit für einen Vorrang der Grundrechte ausspricht, sind jedoch Anhaltspunkte für das Vorgehen des objektiven Verfassungsrechts ersichtlich. Es ist vielmehr von einem abstrakten Gleichgewicht zwischen allen verfassungsrechtlich fundierten Positionen auszugehen.
115 Ausführlich dazu Bethge, in: HGR III, § 72 Rn. 82; Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 410 f.; Ossenbühl, in: HGR II, § 15 Rn. 28, jeweils m. w. N. 116 So für die Rundfunkfreiheit und das allgemeine Persönlichkeitsrecht: BVerfGE 35, 202 (225 f.). 117 Kap. 2, B. I.; Kap. 3, E. I., F. 118 Vgl. Kap. 3, E. I. 119 Vgl. Kap. 2, C. I. 2. b) bb). 120 S. nur seine Grundsatzentscheidung hierzu: BVerfG 69, 315 (346 f.). 121 Anderheiden, Gemeinwohl, S. 278.
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Keine Basis im Grundgesetz finden die für die Gerichtssaalberichterstattung streitenden Interessen an der Steigerung der Rechtskenntnis und des Rechtsverständnisses der Bevölkerung, an der Rehabilitation des Angeklagten und der Prävention von Straftaten. Dasselbe gilt für die Interessen an einem ungestörten äußeren Ablauf des Gerichtsverfahrens, an der Vermeidung einer kriminogenen Wirkung von Gerichtssaalberichten und der Gefahren für die Präventionswirkung, die gegen diese Berichte sprechen. Daher sind all diese Interessen abstrakt geringer zu gewichten als die eingangs erörterten verfassungsrechtlich geschützten Güter.122 c) Konkrete Gewichtung der konfligierenden Rechte und Interessen aa) Ermittlung des konkreten Gewichts Um alle Rechte sowie schutzwürdigen Interessen, die durch eine Regelung der Gerichtssaalberichterstattung berührt werden, konkret gewichten zu können, ist auf der einen Seite zu ermitteln, wie schwer die Regelung in die relevanten Grundrechte eingreift.123 Zudem wird entsprechend der weiten Betrachtung, die dieser Arbeit zugrunde liegt,124 berücksichtigt, welche mittelbaren Folgen der Grundrechtseingriff für die relevanten objektiven Rechte und die schutzwürdigen Interessen hat. Auf der anderen Seite wird herausgearbeitet, welchen konkreten Gemeinwohlgewinn die Regelung mit Blick auf die Rechte und Interessen erzielt, deren Schutz sie dienen soll.125 bb) Gewicht der Beeinträchtigung (1) Vergleich mit der klassischen Gerichtsberichterstattung Entscheidend für die Frage, wie schwer die verschiedenen Regelungen der Berichterstattung aus dem Gerichtssaal die Rechte und schutzwürdigen Interessen beeinträchtigen, die für die Zulassung jener Berichterstattung streiten, ist der Vergleich der Situation, die infolge einer Gerichtssaalberichterstattung eintritt, mit der Situation, die infolge jener klassischen Gerichtsberichterstattung eintritt, die der Öffentlichkeitsgrundsatzes gemäß § 169 Abs. 1 S. 1 GVG ermöglicht. Selbst bei einem absoluten Verbot der Gerichtssaalberichterstattung als strengster möglicher Regelung wäre es Medienvertretern schließlich nicht vollständig 122 Vgl. 123 Vgl.
Klatt/Meister, JuS 2014, 193 (197). Michael, JuS 2001, 148 (150); ders., JuS 2001, 654 (659); Reuter, JURA 2009, 511
(515). 124 Vgl. Kap. 5, B. III. 5. b) aa). 125 Vgl. Michael, JuS 2001, 148 (150); ders., JuS 2001, 654 (659); Reuter, JURA 2009, 511 (516); Voßkuhle, JuS 2007, 2429 (430).
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verwehrt, Berichte aus dem Gericht zu erstatten. Sie könnten weiterhin prinzipiell an allen öffentlichen Gerichtsverhandlungen teilnehmen und im Anschluss, wenn auch ohne Aufnahmen, darüber berichten. Dies muss bei der Gewichtung berücksichtigt werden. Die Beeinträchtigungen werden dabei auf einer dreistufigen Skala eingeordnet: Sie können leicht, mittel oder schwer ausfallen.126 (2) Medienfreiheiten (a) Öffentliches Informationsinteresse Einige der Gegner der Gerichtssaalberichterstattung argumentieren, die Beeinträchtigung der Medienfreiheiten falle generell nur leicht ins Gewicht, weil die Öffentlichkeit an den Berichten kaum Interesse habe. So konstatierte die Senatsmehrheit des BVerfG in ihrem n-tv-Urteil, Gerichtsverhandlungen seien zumeist nicht von einem so hohen Publikumsinteresse, dass Medien darüber berichten wollten.127 Der Gang der Verhandlung sei zu förmlich, zu wenig auf die „Mediendramaturgie abgestimmt“128. In der Tat berichteten Gerichtsreporter in der Vergangenheit von der Zurückhaltung ihrer Redaktionen, wenn sie über Gerichtsprozesse berichten wollten129 – vermutlich auch, weil die Verantwortlichen von einem mangelnden Interesse der Zielgruppe ausgingen. Die praktischen Erfahrungen mit den Aufnahmen am BVerfG könnten ebenfalls auf ein geringes Interesse hindeuten: Nur ein Bruchteil seiner Entscheidungen wird schließlich aufgezeichnet.130 Diesem Argument ist jedoch auf der einen Seite in juristischer Hinsicht entgegenzuhalten, dass eine derartige Bewertung weder dem BVerfG noch dem Gesetzgeber zusteht.131 Die Entscheidung darüber, ob Gerichtsprozesse hinreichend interessant sind, um Gegenstand der Berichterstattung zu werden, ist allein den Medienvertretern vorbehalten.132 Diese Prärogative über die Themenwahl garanS. für diese dreistufige Skala Klatt/Meister, JuS 2014, 193 (196). BVerfGE 103, 44 (66). Ähnlich Ernst, ZUM 2001, 187 (193); Kaulbach, JR 2011, 51 (53); Kirchberg, BRAK-Mitt 2002, 252 (255); Szpunar, in: Jahn, NJW-aktuell 8/2018, 19. 128 BVerfGE 103, 44 (66). 129 Gerhardt, in: FS Blankenburg, S. 515 (S. 521); Leyendecker, in: Strafverteidigung im Rechtsstaat, S. 192 (S. 196). 130 Schraft-Huber, in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 17a Rn. 17; Tappert, DRiZ 2001, 86. 131 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 412 f.; Krausnick, ZG 2002, 273 (285); Kujath, Laienjournalismus, S. 167; Mailänder, in: FS Mailänder, S. 547 (S. 559); Schmaldienst, DRiZ 1986, 382 (383). Die Sorge des BVerfG bezeichnet Zuck, NJW 2001, 1623 (1624) als „geradezu rührend“. Nach Ansicht von von Coelln, AfP 2014, 193 (200); ders., in: Strafrecht und Medien, S. 13 (S. 27) ist sie „paternalistisch“. 132 Altenhain, Gutachten 71. DJT, C 85; Benda, NJW 1999, 1524; von Coelln, Medienöf126 127
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tiert ihnen ihre Gestaltungs- bzw. Programmfreiheit.133 Allein die Medien tragen demnach das Risiko, dass an ihren Berichten kein Interesse besteht.134 Liegt ein öffentliches Informationsinteresse vor, verstärkt dies zwar ihre individualrechtliche Position, wie im zweiten Kapitel gezeigt.135 Sein Vorliegen ist jedoch keine Voraussetzung für ihre Berichterstattung. Den Grundrechten der Medienvertreter kommt im Fall seines Fehlens zwar ein geringeres Gewicht zu als in den Fällen, in denen ihre Berichterstattung das öffentliche Informationsinteresse befriedigt. Dies kann jedoch allenfalls dazu führen, dass sie bei einer Abwägung mit entgegenstehenden Positionen zurücktreten müssen, ändert aber an dem Eingriff in die Grundrechte nichts. Auf der anderen Seite ist der Einschätzung in tatsächlicher Hinsicht zu widersprechen. Mögen sich mit den Berichten aus dem Gerichtssaal auch keine „Einschaltquotenrekorde“136 erzielen lassen, so existiert doch an einigen Gerichtsverhandlungen ein öffentliches Interesse137 – und das durchaus nicht nur an strafrechtlichen Verfahren138 oder „Sensationsprozessen“139. Ein Beleg dafür aus jüngerer Zeit ist die umfangreiche Berichterstattung über das BVerwG aus Anlass seiner Entscheidung über Fahrverbote für Dieselautos im Frühjahr 2018.140 Derartige Entscheidungen mögen rechtlich zwar nur inter partes wirken,141 faktisch betreffen sie aber viele Bürger in ihrem Alltag.142 Diese haben daher einen starken Anreiz, die Berichterstattung über die Verhandlung zu verfentlichkeit, S. 412; ders., AfP 2014, 193 (200); ders., in: Strafrecht und Medien, S. 13 (S. 27); Krausnick, ZUM 2001, 230 (232); ders., ZG 2002, 273 (285); Kujath, Laienjournalismus, S. 170. 133 Kap. 2, C. I. 2. b) aa), bb). 134 Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 413; ders., in: Strafrecht und Medien, S. 13 (S. 27). 135 Vgl. Kap. 2, C. II. 2. 136 Töpper, DRiZ 1995, 242. 137 Bussmann, RuF 1955, 7 (9); Claus, jurisPR-StrafR 22/2016 Anm. 1; von Coelln, AfP 2014, 193 (200); Finger/Baumanns, JA 2005, 717; Franke, NJW 2016, 2618; Geiger, DRiZ 1993, 378 (379); Hirzebruch, Neue Medien, S. 330 f.; Hunecke, NK 2011, 85; Kortz, AfP 1997, 443 (445); Kuhlo, in: Gerichts-TV, S. 9 (S. 15); Loubal/Hofmann, MMR 2016, 669 (672). 138 Dieckmann, NJW 2001, 2451 (2452); Gerhardt, ZRP 1993, 377 (378); Gündisch/Dany, NJW 1999, 256 (260); Huff, DRiZ 1997, 215; Jauch, in: Grenzen der Rechtsgewährung, S. 247 (S. 254 f.); Töpper, DRiZ 2002, 443; Wallimann, in: Grundsätze des Zivilverfahrensrechts, S. 51 (S. 63); Zuck, DRiZ 1997, 23. 139 Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 146; von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 413; Gerhardt, Verfassungsmäßigkeit, S. 53; Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 68; Lehr, NStZ 2001, 63; Schmidthals, Verfahrensöffentlichkeit, S. 48 f. 140 Vgl. Klinger, in: Spiekermann, NJW-aktuell 14/2018, 12 (13). 141 Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 122 f.; Rittig, NJ 2016, 265 (267). 142 Bernzen/Bräutigam, K&R 2017, 555 (559); Lippe, in: Justiz und Medien, S. 127 (S. 132).
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folgen. Die aktuelle Berichterstattung aus dem BVerfG in öffentlichkeitswirksamen Fällen zeigt, dass sie dies auch tun.143 Die Argumentation eines pauschal fehlenden öffentliches Interesse an Gerichtsverfahren führt daher nicht dazu, dass eine Beschränkung der Gerichtssaalberichterstattung die Grundrechte gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 1, 2 GG von vornherein nur leicht beeinträchtigt. Es muss stattdessen konkret geprüft werden, inwiefern die drei denkbaren Ausgestaltungen des Rechtsrahmens für diese Berichterstattung sie beeinträchtigen würden. (b) Stadium der Informationsbeschaffung Mit Blick auf die Informationsbeschaffung durch die Herstellung von Aufnahmen im Gerichtssaal geht die schwerste Beeinträchtigung der Medienfreiheiten von einem Aufnahmeverbot bzw. von der Übertragung der Aufnahmetätigkeit auf das Gericht aus. Ein rechtliches oder faktisches Verbot, (selbst) Aufnahmen herzustellen, vereitelt diese Form der Informationsbeschaffung nämlich. Die darin liegende Beeinträchtigung der Medienfreiheiten wiegt umso schwerer, je weitreichender das Verbot ausgestaltet ist und je mehr Aufnahmen damit untersagt werden. Werden die Aufnahmen dagegen zugelassen und mit Vorgaben für ihre Anfertigung verbunden, werden die beiden Medienfreiheiten weniger schwer beeinträchtigt. Müssen die Bild-Aufnahmen etwa von einem festgelegten Standort aus angefertigt werden, ist die Informationsbeschaffung schließlich prinzipiell möglich, wenn auch nur aus der vorgegebenen Perspektive. Diese relative Abstufung sagt allerdings noch nichts darüber aus, wie schwer die Regelungen die Medienfreiheiten jeweils absolut beeinträchtigen. Teilweise wird auch die restriktivste Regelung, das Verbot der Aufnahmen, nur als geringfügige Behinderung eingeordnet. Hierfür wird angeführt, den Medienvertretern blieben alternative Möglichkeiten, um Informationen für ihre Gerichtsberichte zu sammeln.144 Die Senatsmehrheit des BVerfG wies in ihrem n-tv-Urteil darauf hin, dass die Rundfunkvertreter trotz § 169 Abs. 1 S. 2 GVG an den Gerichtsverhandlungen teilnehmen und darüber berichten können.145 In der Literatur wurde zudem vorgeschlagen, Archivaufnahmen für die Berichte zu nutzen.146 Fernsehsender könnten außerdem auf Standbildaufnahmen und Zeichnungen zurückDieckmann, NJW 2001, 2451 (2452); Odörfer, in: Barczak, BVerfGG, § 17a Rn. 15. Braun, Medienberichterstattung, S. 215 f., 217; Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 142; Danziger, Medialisierung, S. 238; Hauth, Sitzungspolizei, S. 117 f.; Kujath, Laienjournalismus, S. 281 f.; Prütting, in: FS Schütze, S. 685 (S. 691 f., 693). 145 BVerfGE 103, 44 (66 f.). S. dazu auch die vorgehenden einstweiligen Anordnungen: BVerfG, NJW 1996, 581 (583); NJW 1999, 1951 (1952). 146 Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 142. 143 144
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greifen147 oder die Korrespondenten Eindrücke schildern lassen148. Mit vergleichbaren Argumenten wurde der Erlass des § 169 Abs. 3 GVG durch das EMöGG abgelehnt: So verwiesen einige auf die Möglichkeit, Zitate der Pressesprecher der Gerichte149 und der anwesenden Anwälte150 aufzunehmen. Zurecht wurde aber im Sondervotum zum n-tv-Urteil hervorgehoben, dass auch eine Beschränkung der verfügbaren Darstellungsformen den Inhalt eines Berichts beeinflussen kann.151 Dem tragen die Medienfreiheiten Rechnung, indem sie den Medien im Rahmen ihrer Gestaltungs- bzw. ihrer Programmfreiheit nicht nur die Hoheit über die Themenwahl, sondern auch über die Darstellung des ausgewählten Themas geben.152 Ein Aufnahmeverbot beeinträchtigt dabei all jene Medien besonders, die für ihre Berichterstattung zwingend Aufnahmen benötigen. Das gilt primär für das Fernsehen, das auf Aufnahmen angewiesen ist,153 sowie für fernsehähnliche Online-Medien154. Auch der Hörfunk155 und vergleichbare digitale Angebote wie Podcasts sind ohne Ton-Aufnahmen bei der Berichterstattung jedoch behindert. Ähnlich verhält es sich mit illustrierten Printpublikationen156 und bildlastigen Webseiten.157 Ihnen allen wird die Berichterstattung über das jeweilige Gerichtsverfahren zwar nicht unmöglich gemacht, durch die Einschränkung des hierfür verfügbaren Materials aber deutlich erschwert. Dass selbst im Fall eines Aufnahmeverbotes irgendeine Berichterstattung aus dem Gericht möglich ist, mildert die Beeinträchtigung der Medienfreiheiten im Hinblick auf die Informationsbeschaffung damit zwar ab, schließt sie allerdings nicht vollständig aus. Durch ein Aufnahmeverbot oder die Übertragung der Aufnahmetätigkeit auf das Gericht werden die beiden Medienfreiheiten im Hinblick auf die InformatiFink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 144. Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 126; Vietmeyer, Vor- und Nachteile, S. 29 f., 241. 149 Limperg, in: Kaufmann/Tappert/Vetter, DRiZ 2017, 154 (157); Milger, in: Spiekermann, NJW-aktuell 25/2016, 12 (13). 150 Huff, ZAP 2016, 763. 151 BVerfGE 103, 72 (75). 152 Kap. 2, C. I. 2. b) aa), bb). 153 Bamberger, ZUM 2001, 373 (378); von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 446 f.; ders., in: Strafrecht und Medien, S. 13 (S. 15); Doebel, DRiZ 1994, 435; Engels, Rechtspflege, S. 134; Gerhardt, ZRP 1993, 377 (378); ders., BDVR-Rundschreiben 2001, 71; ders., ZRP 2003, 68; ders., ZRP 2007, 237; Hauth, Sitzungspolizei, S. 109; Hirzebruch, Neue Medien, S. 294; Kuhlo, in: Gerichts-TV, S. 9 (S. 12 f.); Kujath, Laienjournalismus, S. 283; Schmaldienst, DRiZ 1986, 382 (383); Töpper, DRiZ 2007, 239. 154 Kujath, Laienjournalismus, S. 285 ff. 155 Hauth, Sitzungspolizei, S. 109; Kujath, Laienjournalismus, S. 283. 156 Engels, Rechtspflege, S. 134; Lampe, NJW 1973, 217 (220). 157 Hirzebruch, Neue Medien, S. 294. 147 148
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onsbeschaffung nach alledem mittelschwer beeinträchtigt. Vorgaben für die Anfertigung der Aufnahmen stellen dagegen nur eine leichte Beeinträchtigung dar. (c) Stadium der Informationsverbreitung Um die Beeinträchtigung zu ermitteln, die von den drei denkbaren Regelungen – dem absoluten oder teilweisen Verbot der Berichterstattung aus dem Gerichtssaal, den Vorgaben für ihre Durchführung oder, speziell für Aufnahmen, deren Übertragung auf das Gericht – im Stadium der Informationsverbreitung für die Medienfreiheiten ausgeht, muss zwischen Aufnahmen und Textberichten in Echtzeit unterschieden werden. Mit Blick auf Aufnahmen werden die Medienfreiheiten am stärksten durch ein Verbot beeinträchtigt. Wenn keine Aufnahmen angefertigt werden dürfen, können sie schließlich auch nicht veröffentlicht werden. Weniger schwer wiegt die Beeinträchtigung demzufolge, wenn die Aufnahmetätigkeit auf das Gericht übertragen wird. In ihrer Folge hätten die Medien immerhin die gerichtlichen Aufnahmen für ihre Berichte zur Verfügung. Die Vorgaben für die Herstellung der Aufnahmen berühren die Medienfreiheiten im Stadium der Informationsverbreitung dagegen überhaupt nicht. Absolut betrachtet, beeinträchtigt das Aufnahmeverbot die beiden Medienfreiheiten aus den für die Informationsbeschaffung genannten Gründen demnach mittelschwer.158 Die Übertragung der Aufnahmetätigkeit auf das Gericht stellt dagegen nur eine leichte Beeinträchtigung dar. Anders stellt sich die Situation mit Blick auf die Textberichte in Echtzeit dar. Werden sie im Gerichtssaal verboten, bleiben den Medienvertretern keine adäquaten Möglichkeiten, Bericht zu erstatten. Die nachträgliche Textberichterstattung ist kein Ersatz für zeitgleiche Berichte. Wenn während der Verhandlung bspw. etwas geschieht, kann die Öffentlichkeit mittels der Textberichte in Echtzeit sofort informiert werden.159 Sie können eine Verhandlung außerdem in größerem Detail darstellen als der nachträgliche Textbericht.160 Auf Twitter oder einem Live-Blog kann sie in einzelnen, kurzen Beiträgen fast vollständig wiedergegeben werden.161 Nicht nur die Öffentlichkeit, auch andere Medien, deren Vertreter nicht präsent sind, können dadurch außerdem zeitgleich über das Geschehen bei Gericht in Kenntnis gesetzt werden.162 Dies ist aufgrund der begrenzten Kapazität der Gerichtssäle in medienwirksamen Verfahren für all jene Medienvertreter wichtig, die keinen Platz im Sitzungssaal erhalten haben und 158
Zu diesen Gründen: Kap. 5, B. III. 5. c) bb) (2) (c). Martens, journalist 12/2009, 68 (70). 160 Hirzebruch, Neue Medien, S. 273; Rath, DRiZ 2014, 8 (9). 161 In diese Richtung Stadler, in: Martens, journalist 12/2009, 68 (70). 162 Martens, journalist 12/2009, 68 (71). 159
B. Zeitgemäße rechtliche Rahmenbedingungen
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trotzdem zeitnah berichten wollen. Dem jeweiligen Medienvertreter können seine Live-Berichte außerdem als digitales Notizbuch dienen, auf dessen Basis er später weitere Berichte verfasst.163 All diese Funktionen erfüllt die nachträgliche Textberichterstattung nicht. Zwar werden Textberichte in Echtzeit auch durch ihr Verbot im Gerichtssaal nicht unmöglich gemacht, weil Medienvertreter den Saal während der Verhandlung grundsätzlich jederzeit verlassen und Berichte vor dessen Tür veröffentlichen können.164 Wird die Nutzung der Laptops, Tablets bzw. Smartphones im Sitzungssaal zugelassen, können sie zum Beispiel ihren Eintrag für einen LiveBlog vorformulieren und sodann den Saal verlassen, um auf „Veröffentlichen“ zu klicken. Das entspricht beinahe der zeitgleichen Berichterstattung. Es bedeutet aber eine erhebliche Störung ihrer Arbeit. Insbesondere verpassen sie dadurch stets gewisse Teile der Verhandlung.165 Nachgerade unmöglich wird ihnen ihre Berichterstattung auf diesem (Um-) Weg, wenn – wie in öffentlichkeitswirksamen Verfahren oft der Fall – frei gewordene Medienplätze umgehend an wartende Medienvertreter vergeben werden.166 Deutlich erschwert wird sie zudem, wo die nötigen Geräte nicht in den Sitzungssaal mitgenommen werden dürfen.167 In diesem Fall müssen die Medienvertreter diese Geräte bspw. erst aus dem Schließfach holen, um außerhalb des Saales einen Eintrag in ihren Live-Blog zu formulieren und zu publizieren. Dadurch entgehen ihnen große Teile der Verhandlung. Das Beispiel macht deutlich, dass ein Verbot der Textberichterstattung in Echtzeit die Informationsverbreitung als zweite Dimension der Medienfreiheiten schwer beeinträchtigt. Das Gewicht der Beeinträchtigung ist dabei umso größer, je weiter das Verbot reicht. Keine Beeinträchtigung stellt es dagegen dar, wenn Textberichte in Echtzeit mit Vorgaben etwa für den Standort, von dem aus sie hergestellt werden dürfen, verbunden werden. Für Medienvertreter, die Textberichte verfassen, sind die Umstände von deren Anfertigung schließlich von untergeordneter Bedeutung. (3) Öffentlichkeitsgrundsatz Um zu ermitteln, wie schwer der Öffentlichkeitsgrundsatz durch die drei möglichen Regelungen beeinträchtigt wird, müssen dessen Funktionen – die Kontrolle der Gerichte, die Bildung von Vertrauen auf und die Information über ihre ArMartens, journalist 12/2009, 68 (71). Vgl. auch Hirzebruch, Neue Medien, S. 269. Hirzebruch, Neue Medien, S. 270, 273; Rath, DRiZ 2014, 8 (9). 165 Vgl. Hirzebruch, Neue Medien, S. 269. 166 Vgl. zu diesem Vorgehen: BVerfG, NJW 2003, 500. 167 Denkbar ist dies etwa in Prozessen mit hohen Sicherheitsvorkehrungen (vgl. Leppert, DRiZ 1991, 263). 163
164
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Kap. 5: Gerichtssaalberichterstattung de lege ferenda
beit –168 betrachtet werden. Wie im zweiten Kapitel gezeigt, können diese Zwecke heute zwar nur erfüllt werden, wenn Medien die Berichterstattung aus dem Gericht gestattet ist. Im Grundsatz reicht aber bereits die klassische, nachträgliche Berichterstattung hierfür aus. Aufnahmen und Textberichte in Echtzeit steigern den Beitrag der Medien zur Erfüllung der drei Funktionen nur.169 Werden sie untersagt, können die Medienvertreter nach § 169 Abs. 1 S. 1 GVG schließlich alle öffentlichen Verhandlungen besuchen und anschließend darüber berichten. Daher stellt ein Verbot der Gerichtssaalberichterstattung keine schwere Beeinträchtigung des Öffentlichkeitsgrundsatzes dar. Allerdings lässt sich in seiner Folge auch keine echte „Öffentlichkeit 2.0“170 mittels der Berichterstattung herstellen. Dies gilt in qualitativer wie in quantitativer Hinsicht. Wie im zweiten Kapitel gezeigt, gibt es solche Informationen wie etwa das Ambiente im Gerichtssaal, die nur mittels Aufnahmen ebenso gut vermittelt werden können wie durch eine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung. Eine bloße nachträgliche Beschreibung, auf die klassische Gerichtsberichte beschränkt sind, gewährt keinen ebensolchen Einblick.171 In dieser Hinsicht ermöglicht demnach erst die Gerichtssaalberichterstattung eine Kontrolle der Gerichte.172 Durch die authentischen Einsichten trägt sie zudem eher zur Vertrauensbildung bei als der klassische Gerichtsbericht, der das Geschehen vor Gericht nur nacherzählt.173 Außerdem wäre der Kreis der Personen, die über die Verhandlungen informiert werden und denen somit die Kontrolle und die Vertrauensbildung ermöglicht wird, bei einem Verbot der Gerichtssaalberichte erheblich kleiner.174 Wollen die Bürger einen realistischen Einblick in die Vorgänge bei Gericht erhalten, sind sie damit im Fall eines Verbotes der Gerichtssaalberichte in der Mehrheit darauf angewiesen, sich persönlich zum Gericht zu begeben. Damit wird der Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen durch eine Untersagung mittelschwer beeinträchtigt. Die Beeinträchtigung nimmt aber umso mehr ab, je enger das Verbot ist und je mehr Situationen damit für die Berichte aus dem Gericht selbst zugänglich sind. Eine Übertragung der Aufnahmetätigkeit auf das Gericht beeinträchtigt die Erfüllung der Zwecke des Öffentlichkeitsgrundsatzes, verglichen mit einem Aufnahmeverbot, zwar weniger stark. Prinzipiell können schließlich auch Aufnah168
Kap. 2, B. III. Kap. 2, B. V. 170 Klindt, K&R 2016, 1. 171 Kap. 2, B. III. 4. d). 172 Kap. 2, B. III. 2. d). 173 Kap. 2, B. III. 3. c). 174 Kap. 2, B. III. 2. d), 3. c), 4. d). 169
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men des Gerichtes die beschriebenen, authentischen Einblicke ermöglichen. Jedoch soll der Öffentlichkeitsgrundsatz, wie im zweiten Kapitel gezeigt, den Bürgern gerade auch die Information über diejenigen Aspekte ermöglichen, die das Gericht als betroffene Institution möglicherweise nicht vermitteln möchte.175 Überträgt man ihm die Aufnahmetätigkeit, ist nicht ausgeschlossen, dass es eine gewisse Selektion vornimmt. In dem Umfang, in dem es dies tut, wird auch die Eignung der Berichte zur Kontrolle und Vertrauensbildung beeinträchtigt. Damit stellt die Übertragung der Aufnahmen auf das Gericht trotz der ermöglichten Einblicke noch eine leichte Beeinträchtigung des Öffentlichkeitsgrundsatzes dar. Vorgaben für die Gerichtssaalberichterstattung beeinträchtigen den Öffentlichkeitsgrundsatz ebenfalls nur leicht. Auch die Zuschauer im Gericht müssen sich während ihrer Teilnahme an der mündlichen Verhandlung schließlich Beschränkungen unterwerfen. So können sie währenddessen nicht umherlaufen, sondern müssen die Verhandlung von ihrem Platz im Zuschauerraum aus verfolgen. Damit ist es vergleichbar, wenn den Medienvertretern ein fester Standort zugewiesen wird.176 Womöglich können die Zuschauer die Beteiligten von i hrem Platz aus zudem nur aus der Ferne sehen und demzufolge nicht erkennen. Damit lassen sich die Beschränkung auf bestimmte Kameraeinstellungen und die Anonymisierungsanordnung vergleichen.177 Denkbar ist auch, dass Zuschauer nur die Richterbank und nicht den Angeklagten, die Parteien oder ihre Anwälte sehen. Insofern unterscheidet sich ihre Position nicht von der des Fernsehzuschauers, der infolge einer Aufnahmebeschränkung nur einzelne Beteiligte sieht.178 Wie viele Medienvertreter im Gericht tätig sind179 und wann ihre Aufnahmen gezeigt werden zuletzt180, macht für die Information der Bürger über das Geschehen und infolgedessen für die Kontrolle und Vertrauensbildung keinerlei Unterschied. (4) Steigerung von Rechtskenntnis und Rechtsverständnis Die Steigerung der Rechtskenntnis und des Rechtsverständnisses der Bevölkerung wird durch alle drei denkbaren Regelungen der Gerichtssaalberichterstattung beeinträchtigt. Werden Berichte aus dem Gerichtssaal untersagt, unterbindet das die juristische Wissensvermittlung zwar nicht vollkommen. Gemäß § 169 Abs. 1 S. 1 GVG 175
Vgl. Kap. 2, B. III. 4. c). Zu dieser Auflage: Kap. 5, B. III. 4. b) cc). 177 Zu diesen Auflagen: Kap. 5, B. III. 4. b) bb), cc). 178 Zu diesen Auflagen: Kap. 5, B. III. 4. b) bb), cc). 179 Zu dieser Auflage: Kap. 5, B. III. 4. b) cc). 180 Zu dieser Auflage: Kap. 5, B. III. 4. d) bb). 176
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Kap. 5: Gerichtssaalberichterstattung de lege ferenda
können Medienvertreter schließlich weiterhin an mündlichen Verhandlungen teilnehmen, rechtliche Zusammenhänge notieren und sie im Anschluss bspw. in einem Zeitungsartikel wiedergeben. Ihnen werden jedoch bestimmte Möglichkeiten der Kenntnisvermittlung genommen: Wie im zweiten Kapitel gezeigt, ist die authentische Wiedergabe des Geschehens mithilfe von Aufnahmen besser als die bloße Nacherzählung geeignet, die Komplexität der Vorgänge bei Gericht zu reduzieren.181 Gerichtssaalberichte könnten zudem unterhaltsamer sein als die klassischen Gerichtsberichte und somit eine größere Anzahl an Bürgern ansprechen und diesen Wissen vermitteln.182 Jenes Potential lässt sich bei einem Verbot der Gerichtssaalberichterstattung nicht realisieren. Die Medien können durch die klassischen Gerichtsberichte nur in einem geringeren Umfang dazu beitragen, Rechtskenntnisse sowie Rechtsverständnis der Allgemeinheit zu steigern. Damit wiegt ein Verbot diesbezüglich mittelschwer. Überträgt man die Anfertigung der Aufnahmen dagegen auf das Gericht, ist eine authentische Wiedergabe des Geschehens im Gericht möglich, durch die die Bürger sich in größerem Umfang Kenntnisse über das Recht und die Justiz aneignen können als durch die klassischen Gerichtsberichte. Ebenso verhält es sich, wenn nur Vorgaben für die Durchführung der Gerichtssaalberichterstattung gemacht werden. Allenfalls ist es in diesen zwei Fällen denkbar, dass der Unterhaltungswert der Aufnahmen sinkt, bspw. wenn sie auf die professionellen Beteiligten beschränkt werden. Unter diesen Umständen können die Gerichtssaalberichte nicht die maximalen denkbaren Rechtskenntnisse vermitteln, sodass diese beiden Regelungen jedenfalls eine leichte Beeinträchtigung der möglichen Kenntnis- und Verständnisvermittlung darstellen. (5) Rehabilitationswirkung Die Möglichkeit des Angeklagten, sich mittels Gerichtssaalberichten zu rehabilitieren, würde durch alle denkbaren Regelungen ebenfalls beeinträchtigt. Zu beachten ist jedoch, dass eine derartige Beeinträchtigung von vornherein nur in den Strafverfahren in Betracht kommt. Im zweiten Kapitel wurde gezeigt, dass die Berichterstattung aus dem Gericht allgemein erforderlich ist, um die Position des Angeklagten, die dieser vor Gericht vorträgt, an die Öffentlichkeit zu vermitteln.183 Die Medienvertreter können aber selbst bei einem absoluten Verbot der Gerichtssaalberichterstattung an den mündlichen Verhandlungen teilnehmen und anschließend über die Umstände berichten, die im Gericht zur Sprache kamen. Zumeist dürfte es dem Angeklagten 181
Vgl. Kap. 2, E. V. Kap. 2, E. III. 183 Vgl. Kap. 2, F. 182
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nur darauf ankommen, dass seine Sichtweise oder die entlastenden Faktoren an die Öffentlichkeit gelangen. In Einzelfällen kann es für ihn aber wichtig sein, sein Anliegen zeitgleich bzw. authentisch zu veröffentlichen, wie im zweiten Kapitel gezeigt.184 Beides verhindert ein Verbot der Gerichtssaalberichte, sodass es die Rehabilitationsmöglichkeit leicht beeinträchtigt. Wird die Aufnahmetätigkeit dagegen auf das Gericht übertragen oder existieren Vorgaben für die Erstellung der Gerichtssaalberichte, ist eine zeitgleiche und authentische Veröffentlichung durchaus möglich. Es ist jedoch denkbar, dass Gerichtssaalberichte, die bspw. Nahaufnahmen einsetzen, größere Sympathien für den Angeklagten wecken und damit besser zu dessen Rehabilitation beitragen als Berichte, die vollkommen neutrale Kameraeinstellungen wählen. Aus diesem Grund beeinträchtigen auch diese beiden Regelungen die Rehabilitationsmöglichkeit in Strafverfahren jedenfalls leicht. (6) Präventionswirkung Zuletzt ist die Beeinträchtigung der Präventionswirkung in den Blick zu nehmen, die von Gerichtssaalberichten ausgehen kann. Sie kann allerdings ebenfalls von vornherein nur in Strafverfahren relevant werden. Denkbar ist, wie im zweiten Kapitel erörtert, dass die Berichte zur Generalprävention und zur negativen Spezialprävention beitragen.185 Ein Verbot der Berichterstattung aus dem Gericht selbst nähme den Medienvertretern zwar nicht jede Möglichkeit, die Allgemeinheit über das Strafrecht und seine Durchsetzung zu informieren und dadurch präventiv auf sie einzuwirken. Sie könnten in nachträglichen Berichten bspw. ebenso über die verhängte Strafe berichten und damit zur negativen Generalprävention beitragen. Die für die positive General prävention nötige Normvermittlung könnten diese Berichte prinzipiell ebenso besorgen. Im Fall eines Aufnahmeverbotes werden aufgrund der geringeren Attraktivität der nunmehr möglichen Berichte allerdings weniger Bürger hiervon erreicht, sodass die präventive Wirkung in quantitativer Hinsicht geringer ausfällt.186 Die Übertragung der Aufnahmetätigkeit auf das Gericht ist insofern vorteilhaft, als sie eine attraktivere Gestaltung der Berichte ermöglicht. Sie ist jedoch aus einem anderen Grund der Prävention ebenso abträglich wie das Aufnahmeverbot: Beide verhindern den Beitrag, den Gerichtssaalberichte zur negativen Spezial- und Generalprävention leisten können, indem sie den Angeklagten durch die Art und 184
Kap. 2, F. Vgl. Kap. 2, G. 186 Kap. 2, G. 185
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Kap. 5: Gerichtssaalberichterstattung de lege ferenda
Weise der Berichterstattung zusätzlich abschrecken.187 Auch Vorgaben für die Anfertigung der Gerichtssaalberichte, die auf die Minimierung jener abschreckenden Wirkung abzielen,188 vereiteln den Beitrag der Berichte zur negativen Prävention. Daher beeinträchtigten sämtliche denkbaren Regelungen der Gerichtssaalberichte die Präventionswirkung mittelschwer. (7) Zusammenfassung zum Gewicht der Beeinträchtigung Die schwerste Beeinträchtigung folgt nach alledem aus einem Verbot der Gerichtssaalberichterstattung. Bezogen auf Textberichte in Echtzeit beeinträchtigt es die Medienfreiheiten schwer, bezogen auf die Aufnahmen mittelschwer. Auch der Öffentlichkeitsgrundsatz, die Steigerung der Rechtskenntnis und des Rechtsverständnisses in der Bevölkerung und, in Strafverfahren, die Präventionswirkung, die Gerichtssaalberichte haben können, werden durch das Verbot mittelschwer beeinträchtigt. Allein die in Strafverfahren relevante Rehabilitationsmöglichkeit des Angeklagten infolge der Berichte wird leicht beeinträchtigt. Dabei verringert sich das Gewicht der Beeinträchtigung allerdings stets in dem Umfang, in dem Berichterstattung zugelassen wird, sodass ein teilweises Verbot weniger schwer wiegt als eine absolute Untersagung. Weniger gravierend ist es speziell für Aufnahmen auch, ihre Herstellung auf das Gericht zu übertragen. Dies beeinträchtigt die beiden Medienfreiheiten im Stadium der Informationsbeschaffung sowie die Präventionswirkung zwar mittelschwer, die übrigen Rechte und schutzwürdigen Interessen aber nur leicht. Vorgaben für die Durchführung der Gerichtssaalberichterstattung zuletzt beeinträchtigen die Präventionswirkung mittelschwer und die übrigen Positionen nur leicht. Die Medienfreiheiten beeinträchtigen sie im Stadium der Informationsverbreitung überhaupt nicht mehr. Zur besseren Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse werden sie im Folgenden in Tabellenform zusammengefasst.
187 188
Vgl. Kap. 2, G. Zu diesen Auflagen: Kap. 5, B. III. 4. b) cc).
351
B. Zeitgemäße rechtliche Rahmenbedingungen Verbot der Gerichtssaal berichterstattung
Vorgaben für die Gerichtssaal berichterstattung
Übertragung der Aufnahmen auf das Gericht
Medienfreiheiten (Textberichte in Echtzeit)
schwer
–
–
Medienfreiheiten (Aufnahmen)
mittel
– Informations beschaffung: leicht – Informations verbreitung: –
– Informations beschaffung: mittel – Informations verbreitung: leicht
Öffentlichkeitsgrundsatz
mittel
leicht
leicht
Steigerung von Rechtskenntnis und -verständnis
mittel
leicht
leicht
Rehabilitations möglichkeit
leicht
leicht
leicht
Präventionswirkung
mittel
mittel
mittel
Tabelle 1: Konkretes Gewicht der Beeinträchtigung aller Rechte und Interessen, die für die Gerichtssaalberichterstattung sprechen, durch eine Regelung dieser Berichterstattung
cc) Konkreter Gemeinwohlgewinn (1) Ermittlung des konkreten Gemeinwohlgewinns Um den konkreten Gemeinwohlgewinn zu bemessen, der sich mit den denkbaren Regelungen der Gerichtssaalberichterstattung erzielen lässt, ist zu überprüfen, welche Gefahren für die Erreichung des legitimen Zwecks der Regelungen bestehen, wenn keinerlei Maßnahmen ergriffen werden.189 In dem Beitrag, den die jeweilige Regelung zur Ausräumung dieser Gefahren leisten kann, liegt der Gemeinwohlgewinn, der sich mit ihr erzielen lässt. Je stärker eine Regelung zur Erreichung des legitimen Zwecks beiträgt – sprich: in je größerem Umfang sie Schutz für die Rechte und schutzwürdigen Interessen bietet, die durch die Gerichtssaalberichte beeinträchtigt werden –, desto größer ist der konkrete Gemeinwohlgewinn, der sich mit ihr erzielen lässt. Soweit eine Regelung der Berichterstattung dagegen bereits nicht erforderlich ist, um eines der betroffenen Rechte oder schutzwürdigen Interessen zu schützen, weil Gerichtssaalberichte diese
189
Reuter, JURA 2009, 511 (516).
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Kap. 5: Gerichtssaalberichterstattung de lege ferenda
Position überhaupt nicht gefährden, kann sie zur Erreichung des legitimen Zwecks auch nicht beitragen, also keinen Gemeinwohlgewinn erzielen. Um für jede der drei Regelungen herauszufinden, ob „es sich um eine Maßnahme [handelt], die vorhandene Gefahren für ein Rechtsgut vollumfänglich und sofort abstellt“190 oder ob sie „eher homöopathische Wirkung“191 erzeugen würde, müssen die Risiken, die die Gerichtssaalberichterstattung hervorruft, mit den Gefahren verglichen werden, die bereits aus der klassischen Gerichtsberichterstattung folgen.192 Auch beim absoluten Verbot der Gerichtssaalberichterstattung können Medienvertreter schließlich im Rahmen der Öffentlichkeit gemäß § 169 Abs. 1 S. 1 GVG an Verhandlungen teilnehmen und über sie berichten. Wie im dritten Kapitel gezeigt, folgen bereits aus jener Berichterstattung Nachteile für die Rechte sowie schutzwürdigen Interessen, die eine Regelung der Gerichtssaalberichterstattung schützen soll. Die Entscheidung des Gesetzgebers für öffentliche Gerichtsverhandlungen bedeutet aber, dass diese Gefahren hinzunehmen sind. Relevant für die vorliegende Untersuchung sind deshalb allein die Risiken, die über die aus jeder Gerichtsberichterstattung resultierenden Gefahren hinaus gerade aus der Gerichtssaalberichterstattung folgen. Daher sind in diesem Abschnitt nur die Gemeinwohlgewinne zu ermitteln, die gerade dadurch erzielbar sind, dass diese zusätzlichen Gefahren ausgeräumt werden. Um sie handhabbar zu machen, werden jene Gewinne in drei Kategorien unterteilt: kleine, mittlere sowie große Gemeinwohlgewinne. (2) Allgemeines Persönlichkeitsrecht (a) Engere persönliche Lebenssphäre und Recht auf informationelle Selbstbestimmung Gemeinwohlgewinne im Hinblick auf die engere persönliche Lebenssphäre sowie auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung kann eine Regelung der Gerichtssaalberichterstattung nur bezüglich der mündlichen Verhandlung in Tatsacheninstanzen erzielen. Zudem muss sie auf die Fälle beschränkt sein, in denen die Einwilligung der Betroffenen fehlt. Nur in diesen Situationen bestehen schließlich Gefahren für die beiden Rechte, die die Regelung ausräumen kann. Ein Verbot der Gerichtssaalberichterstattung verhindert dabei, dass Medienvertreter geschützte Informationen erheben und veröffentlichen. Die Risiken, die daraus für die beiden Rechte resultieren würden, werden damit also vollumfänglich ausgeräumt. Eine solche Regelung kann daher den größtmöglichen GemeinKluckert, JuS 2015, 116 (119). Kluckert, JuS 2015, 116 (119). 192 Für eine Beachtung der „unterschiedlichen Wirkintensitäten“ auch Fink, Bild- und Ton aufnahmen, S. 415. 190 191
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wohlgewinn erzielen.193 Die Übertragung der Aufnahmetätigkeit auf das Gericht oder die Vorgaben für die Berichterstattung minimieren die Nachteile dagegen nicht einmal und können daher keinen Gewinn erzielen. Die Gerichtssaalberichte bedeuten außerdem im Vergleich mit klassischen Gerichtsberichten ein größeres Risiko für die beiden Rechte. Die geschützten persönlichen Informationen werden zwar durch alle Formen der Berichterstattung aus dem Gericht an die Öffentlichkeit übermittelt. Jene Öffentlichkeit ist im Fall der Gerichtssaalberichterstattung aber noch einmal deutlich größer.194 Aus diesem Grund ist mit einem Verbot der Gerichtssaalberichterstattung im eingangs genannten Umfang ein mittlerer Gemeinwohlgewinn im Hinblick auf die engere persönliche Lebenssphäre und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu erzielen. (b) Recht am eigenen Bild und am eigenen gesprochenen Wort Bezüglich des Rechts am eigenen Bild und des Rechts am eigenen gesprochenen Wort kann ein Gemeinwohlgewinn nur durch eine Regelung der Aufnahmen erzielt werden. Diese Regelung muss außerdem auf Fälle begrenzt werden, in denen die Einwilligung der Betroffenen fehlt. Erneut ist die Berichterstattung aus dem Gerichtssaal nämlich nur unter diesen Umständen eine Gefahr für die beiden Rechte, die durch die Regelung ausgeräumt werden kann. Ein Aufnahmeverbot verhindert dabei, dass Medienvertreter Bilder und Töne der Beteiligten aufzeichnen und publizieren. Die daraus folgenden Risiken werden damit vollständig ausgeräumt, sodass es den größten möglichen Gemeinwohlgewinn schafft. Werden Aufnahmen mit Vorgaben für ihre Herstellung versehen oder dem Gericht übertragen, das sich an diese Vorgaben hält, werden die Risiken jedenfalls teilweise ausgeräumt. Konkret ist das der Fall, wenn nur gewisse Personen aufgenommen werden dürfen oder wenn diese vor der Veröffentlichung anonymisiert werden müssen. Auch derartige Regelungen erzielen demnach einen, wenn auch im Vergleich mit einem Aufnahmeverbot geringeren, Gemeinwohlgewinn.195 Die beschriebenen Risiken für das Recht am eigenen Bild und am eigenen gesprochenen Wort gehen zuletzt gerade von der Gerichtssaalberichterstattung aus und werden nicht schon durch klassische Gerichtsberichte hervorgerufen. Daraus folgt, dass das Aufnahmeverbot im eingangs beschriebenen Umfang einen großen und die anderen beiden Regelungen der Aufnahmen einen mittleren Gemeinwohlgewinn erzielen können. 193
Zu alledem: Kap. 5, B. III. 4. b) aa). Kap. 3, B. III. 1. a). 195 Zu alledem: Kap. 5, B. III. 4. b) bb). 194
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Kap. 5: Gerichtssaalberichterstattung de lege ferenda
(c) Recht der persönlichen Ehre Ein Gemeinwohlgewinn bezüglich des Rechts der persönlichen Ehre kann auf drei Arten erzielt werden: Die Gefahren, die aus der Gerichtssaalberichterstattung für dieses Recht folgen, werden vollumfänglich ausgeräumt, wenn die Berichterstattung verboten wird. Dürfen Medienvertreter im Gerichtssaal nicht mehr tätig werden, können sie dort auch dasjenige störende Verhalten nicht an den Tag legen, das dieses Recht gefährdet. Ebenso werden alle Risiken jedoch ausgeräumt, wenn die Berichterstattung mit Vorgaben für die Anzahl der Medienvertreter, die Aufnahmen anfertigen, ihren Standort und ihre Kameraeinstellungen versehen wird oder wenn Aufnahmen dem Gericht übertragen werden, das diese Vorgaben umsetzt. Dadurch kann das Fehlverhalten ebenso umfassend unterbunden werden wie durch ein Verbot.196 Alle Regelungen erzielen daher denselben Gemeinwohlgewinn. Zusätzliche Risiken für das Recht der persönlichen Ehre folgen gegenüber der klassischen Gerichtsberichterstattung jedoch nur aus der Aufnahmetätigkeit der Medienvertreter. Sie steigert das Risiko einer Ehrverletzung allerdings erheblich.197 Das Aufnahmeverbot, nicht aber das Verbot der Textberichte in Echtzeit, führt daher ebenso wie die beiden anderen Regelungen einen großen Gemeinwohlgewinn herbei. (d) Recht auf Resozialisierung Mit Blick auf das Recht auf Resozialisierung ist ein Gemeinwohlgewinn nur durch die Regelung der Gerichtssaalberichterstattung in Strafverfahren denkbar, da das Recht nur in diesen überhaupt gefährdet wird. Den größten möglichen Gewinn erzielt dabei ein Berichterstattungsverbot, weil es das Risiko der Identifizierung des Angeklagten, die seine Resozialisierung verhindern könnte, vollumfänglich ausräumt. Auch Vorgaben für diese Berichterstattung oder die Übertragung der Aufnahmetätigkeit auf das Gericht können einen, wenn auch geringeren, Gewinn erzielen. Konkret können zu diesem Zweck Aufnahmen des Angeklagten verboten, dessen Anonymisierung oder Aufnahme aus der Ferne angeordnet werden. Durch solche Vorgaben wird seine Identifizierung erschwert, sodass die Nachteile für sein Recht auf Resozialisierung jedenfalls verringert werden.198 Verglichen mit den Risiken, die aus jeder Gerichtsberichterstattung folgen, rufen jedoch nur Aufnahmen zusätzliche Gefahren hervor: Sie erleichtern die 196
Zu alledem: Kap. 5, B. III. 4. b) cc). Kap. 3, B. III. 4. 198 Zu alledem: Kap. 5, B. III. 4. b) dd) 197
B. Zeitgemäße rechtliche Rahmenbedingungen
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Erkennung des Angeklagten und vergrößern zudem den Kreis derer, die ihn und seine Straftat miteinander in Verbindung bringen können.199 Nur ein Aufnahmeverbot erzielt daher einen mittleren, die übrigen beiden Regelungen in Bezug auf die Aufnahmen aber jedenfalls einen kleinen Gemeinwohlgewinn. (3) Unschuldsvermutung Ein Gemeinwohlgewinn mit Blick auf die Unschuldsvermutung lässt sich von vornherein nur mit einer Regelung der Gerichtssaalberichte in Strafverfahren erzielen, in denen dieses Recht einzig gefährdet wird. Im Übrigen kann infolge der vergleichbaren Gefährdungslage weitgehend auf die Ausführungen zu dem Recht der persönlichen Ehre verwiesen werden:200 Die Nachteile, die aus Gerichtssaalberichten für die Unschuldsvermutung folgen, können durch ein Verbot demnach ebenso vollständig beseitigt werden wie durch eine Begrenzung der Zahl der Medienvertreter, die Aufnahmen anfertigen, und die Vorgabe von deren Standort, oder durch die Übertragung der Aufnahmen auf das Gericht, das sich an solche Vorgaben hält.201 Diese drei Regelungen können daher denselben Gemeinwohlgewinn erzielen. Ein Vergleich mit der klassischen Gerichtsberichterstattung zeigt allerdings, dass nur die Aufnahmen die Gefahren für die Unschuldsvermutung noch steigern. Dies geschieht aber in beachtlichem Umfang.202 In dieser Hinsicht erzielt daher ein Aufnahmeverbot, nicht aber ein Verbot der Textberichte in Echtzeit, ebenso einen großen Gemeinwohlgewinn wie die beiden anderen Regelungen. (4) Funktionsfähigkeit der Rechtspflege (a) Verhaltensbeeinflussung der Beteiligten als Gefahr für die Wahrheitsfindung Mit Blick auf die Risiken, die eine Verhaltensbeeinflussung der Beteiligten für die Wahrheitsfindung und damit für die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege bedeutet, kann eine Regelung der Gerichtssaalberichterstattung einen Gewinn nur in den Tatsacheninstanzen erzielen. Nur in diesen Instanzen gefährdet die Berichterstattung die Wahrheitsfindung schließlich. Werden Berichte in jenem Umfang verboten, können sie das Verhalten der Beteiligten nicht beeinflussen, sodass sämtliche Risiken für die Wahrheitsfindung ausgeräumt würden.203 Damit würde der größte denkbare Gemeinwohlgewinn erzielt. Vorgaben für die Bericht199
Kap. 3, B. III. 5. Vgl. Kap. 5, B. III. 5. c) cc) (2) (c). 201 Zu alledem: Kap. 5, B. III. 4. c). 202 Kap. 3, C. 203 Zu alledem: Kap. 5, B. III. 4. d) aa). 200
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Kap. 5: Gerichtssaalberichterstattung de lege ferenda
erstattung oder die Übertragung der Aufnahmetätigkeit auf das Gericht könnten die Gefahren dagegen nicht ausräumen und damit keinen Gewinn erzielen. Absolut betrachtet können zwar bereits die klassischen Gerichtsberichte das Verhalten der Beteiligten beeinflussen. Denkbar ist jedoch, dass von den Gerichtssaalberichten aufgrund ihrer größeren Verbreitung ein größerer Einfluss ausgeht.204 Nimmt man dies an, resultiert aus dem Verbot der Gerichtssaalberichterstattung im dargestellten Umfang jedenfalls ein kleiner Gemeinwohlgewinn für die Wahrheitsfindung. (b) Vorabinformation von Zeugen als Gefahr für die Wahrheitsfindung Bezüglich der Gefahr der Vorabinformation von Zeugen, die der Wahrheitsfindung abträglich ist, kann eine Regelung der Gerichtssaalberichte, die einerseits auf die Beweisaufnahme und ggf. die Anklageverlesung in den Tatsacheninstanzen bezogen ist und andererseits nur Bild/Ton- sowie Ton-Aufnahmen und Textberichte in Echtzeit betrifft, einen Gemeinwohlgewinn erzielen. Nur unter diesen Umständen wird die Wahrheitsfindung in dieser Hinsicht schließlich gefährdet. Die Berichte können infolge eines Verbotes nicht von den Zeugen zur Vorabinformation genutzt werden, sodass damit der größte mögliche Gemeinwohlgewinn erzielt würde. Werden Aufnahmen dagegen mit der Vorgabe versehen, sie nur zeitversetzt zu publizieren, würde das Risiko der Vorabinformation jedenfalls gemindert, sodass eine solche Regelung ebenfalls einen, wenn auch geringeren, Gemeinwohlgewinn brächte.205 Durch eine Übertragung der Aufnahmetätigkeit auf das Gericht würde das Risiko einer Vorabinformation dagegen nicht gebannt, sodass diese Regelung keinerlei Gemeinwohlgewinn erzielen könnte. Bei absoluter Betrachtung zeigt sich jedoch, dass die Vorabinformation der Zeugen infolge jeglicher Gerichtsberichterstattung eintreten kann. Zusätzliche Gefahren resultierten nur aus der umfassenden und authentischen Wiedergabe des Geschehens durch Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen.206 Nur durch ihr Verbot im oben beschriebenen Umfang oder durch die Vorgabe ihrer zeitversetzten Publikation ließe sich mithin ein kleiner Gemeinwohlgewinn mit Blick auf die Wahrheitsfindung erzielen.
204
Kap. 3, D. II. 2. c) aa). Zu alledem: Kap. 5, B. III. 4. d) bb). 206 Kap. 3, D. II. 3. 205
B. Zeitgemäße rechtliche Rahmenbedingungen
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(c) Beeinträchtigung der Unabhängigkeit der Richter als Gefahr für die Rechtsfindung Ein Gemeinwohlgewinn mit Blick auf die Unabhängigkeit der Richter, deren Beeinträchtigung die Rechtsfindung und so die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege gefährdet, lässt sich nur mit einem absoluten Verbot der Gerichtssaalberichte erzielen. Risiken bestehen für dieses Recht schließlich in jeder Situation vor Gericht. Werden die Berichte vollständig gebannt, können von ihnen keine Risiken für die Rechtsfindung mehr ausgehen.207 Vorgaben für die Gerichtssaalberichterstattung oder die Übertragung der Aufnahmetätigkeit auf das Gericht räumen diese Risiken dagegen nicht aus und schaffen damit keinen Gemeinwohlgewinn. Absolut betrachtet stellt allerdings bereits die klassische Gerichtsberichterstattung eine Gefahr für die Rechtsfindung dar. Der Druck, der davon auf die Entscheidungsfindung der Richter ausgeht, könnte durch die Berichte aus dem Gericht selbst jedoch noch verstärkt werden.208 Nimmt man dies an, kann ein absolutes Verbot der Gerichtssaalberichte jedenfalls einen kleinen Gemeinwohlgewinn in Bezug auf die Rechtsfindung erzielen. (5) Recht auf ein faires Verfahren Einen Gemeinwohlgewinn bezüglich des Rechts auf ein faires Verfahren kann allein eine Regelung der Gerichtssaalberichterstattung in Strafverfahren erzielen. In diesen Verfahren, in denen das Recht einzig gefährdet ist, räumt ein absolutes Verbot die Beeinflussung des Angeklagten und von dessen Verteidiger vollkommen aus, sodass damit der größtmögliche Gemeinwohlgewinn erreicht wird. Ein geringerer Gewinn wird erzielt, sofern die Berichte mit der Vorgabe versehen werden, Angeklagte und Verteidiger nicht aufzunehmen. Jedenfalls die aus der Aufnahme ihrer Person folgende Beeinflussung wird damit beseitigt. Derselbe Gewinn wird auch erzielt, wenn die Aufnahmen mit dieser Maßgabe dem Gericht übertragen werden.209 Bereits die klassische Gerichtsberichterstattung kann das Verhalten des Angeklagten und des Verteidigers derart beeinflussen, dass das Recht auf ein faires Verfahren beeinträchtigt wird. Die Berichterstattung aus dem Gerichtssaal könnte diesen Einfluss infolge ihrer größeren Verbreitung allerdings noch etwas steigern.210 Dies unterstellt, können in Strafverfahren das absolute Verbot der Gerichtssaalberichte, das Verbot, Angeklagte sowie Verteidiger aufzunehmen, und 207
Zu alledem: Kap. 5, B. III. 4. d) cc). Kap. 3, D. III. 3. b) aa). 209 Zu alledem: Kap. 5, B. III. 4. e). 210 Kap. 3, E. II. 208
358
Kap. 5: Gerichtssaalberichterstattung de lege ferenda
die Übertragung der Aufnahmetätigkeit auf das Gericht mit dieser Maßgabe kleine Gemeinwohlgewinne im Hinblick auf das Recht auf ein faires Verfahren erzielen. (6) Allgemeiner Justizgewährungsanspruch Ein Gemeinwohlgewinn bezüglich des allgemeinen Justizgewährungsanpruchs lässt sich nur durch ein absolutes Verbot der Gerichtssaalberichterstattung erreichen. Der Anspruch ist schließlich in ihrer Folge vor Gericht stets gefährdet. Ist eine Gerichtssaalberichterstattung nicht zu erwarten, kann sie Bürger nicht davon abhalten, den Weg zu Gericht zu beschreiten.211 Vorgaben für die Berichterstattung oder eine Übertragung der Aufnahmetätigkeit auf das Gericht machen diesbezüglich dagegen keinen Unterschied und erzielen daher keinen Gemeinwohlgewinn. Die abschreckende Wirkung folgt im Grundsatz zwar aus jeglicher Gerichtsberichterstattung. Erneut ist es jedoch denkbar, dass sie infolge der Berichterstattung aus dem Gericht selbst verstärkt wird.212 Geht man davon aus, erzielt das Verbot jedenfalls einen kleinen Gemeinwohlgewinn mit Blick auf den allgemeinen Justizgewährungsanspruch. (7) Ungestörter äußerer Verfahrensablauf Für den Gemeinwohlgewinn mit Blick auf den äußeren Verfahrensablauf kann größtenteils auf die Ausführungen zum Recht der persönlichen Ehre verwiesen werden.213 Das Risiko hierfür lässt sich durch ein Verbot der Gerichtssaalberichte ebenso vollumfänglich ausräumen wie durch Vorgaben einer maximalen Anzahl der Medienvertreter, die Aufnahmen anfertigen, und von deren Standort, oder durch die Übertragung der Aufnahmetätigkeit auf das Gericht.214 Damit schaffen all diese Regelungen denselben Gemeinwohlgewinn. Verglichen mit der klassischen Gerichtsberichterstattung stellen aber nur die Aufnahmen eine zusätzliche Gefahr für dieses Interesse dar. Diese Gefahr geht allerdings erheblich über das hinaus, was bereits ein klassischer Gerichtsbericht hervorruft.215 Eine Regelung der Aufnahmen kann damit in jeder der drei betrachteten Ausprägungen einen großen Gemeinwohlgewinn mit Blick auf den ungestörten äußeren Verfahrensablauf erzielen. 211
Zu alledem: Kap. 5, B. III. 4. f). Kap. 3, F. 213 Vgl. Kap. 5, B. III. 5. c) cc) (2) (c). 214 Zu alledem: Kap. 5, B. III. 4. g). 215 Kap. 3, G. 212
B. Zeitgemäße rechtliche Rahmenbedingungen
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(8) Kriminogene Wirkung Gemeinwohlgewinne bezüglich der Vermeidung einer kriminogenen Wirkung der Gerichtssaalberichte kann nur eine Regelung in Strafverfahren erzielen, in denen dieses Interesse einzig gefährdet ist. Indem die Berichterstattung absolut verboten wird, können alle aus ihr folgenden Gefahren vollumfänglich ausgeräumt werden. Ein Verbot erzielt daher den größten denkbaren Gemeinwohlgewinn.216 Vorgaben für die Berichterstattung oder die Übertragung der Aufnahmetätigkeit auf das Gericht tragen dagegen nicht dazu bei, die kriminogene Wirkung zu vermeiden und erzielen daher keinerlei Gewinne. Die kriminogene Wirkung kann aber bereits von klassischen Gerichtsberichten über Strafverfahren ausgehen. Denkbar ist allein, dass die größere Verbreitung der Gerichtssaalberichte die Wirkung quantitativ noch einmal steigert.217 Dies unterstellt, ist davon auszugehen, dass ein Verbot der Gerichtssaalberichterstattung in Strafverfahren jedenfalls einen kleinen Gemeinwohlgewinn mit Blick auf die Vermeidung einer kriminogenen Wirkung herbeiführt. (9) Präventionswirkung Zuletzt lässt sich auch im Hinblick auf die Präventionswirkung, die von den Gerichtssaalberichten ausgehen kann, ein Gemeinwohlgewinn nur durch eine Regelung der Berichterstattung in Strafverfahren erzielen, in denen diese Wirkung einzig gefährdet werden kann. Die Gefahren existieren nur im Hinblick auf die positive Spezialprävention, die auf die Resozialisierung des Betroffenen ausgerichtet ist.218 Daher kann auf die Ausführungen zum Recht auf Resozialisierung verwiesen werden: Das Aufnahmeverbot bringt also einen mittleren, die übrigen Regelungen einen kleinen Gemeinwohlgewinn.219 (10) Zusammenfassung zum konkreten Gemeinwohlgewinn Die größtmöglichen Gemeinwohlgewinne erzielt ein Aufnahmeverbot in den Tatsacheninstanzen der Strafverfahren. Hiermit lässt sich ein großer Gewinn bezüglich des Rechts am eigenen Bild und am eigenen gesprochenen Wort,220 des Rechts der persönlichen Ehre, der Unschuldsvermutung und des ungestörten äußeren Verfahrensablaufs erzielen. Daneben sind mittlere Gewinne für das Recht auf Resozialisierung und die Präventionswirkung denkbar. Hinsichtlich der übri216
Zu alledem: Kap. 5, B. III. 4. h). Kap. 3, I. 218 Zu alledem: Kap. 5, B. III. 4. i). 219 Vgl. Kap. 5, B. III. 5. c) cc) (2) (d). 220 Sofern keine Einwilligung der Betroffenen vorliegt. 217
360
Kap. 5: Gerichtssaalberichterstattung de lege ferenda
gen Rechte und schutzwürdigen Interessen lassen sich mit einem Verbot jedenfalls kleine Gemeinwohlgewinne erzielen.221 Ein Verbot der Aufnahmen, das sich auf die Tatsacheninstanzen sämtlicher anderer Verfahrensarten und auf Verfahren am BVerfG bezieht, kann ebenso einen relevanten Gemeinwohlgewinn schaffen. Dieser fällt allerdings im Vergleich mit den Gewinnen in Strafverfahren deutlich geringer aus: Keinerlei Gewinne lassen sich hinsichtlich des Rechts auf Resozialisierung, der Unschuldsvermutung, des Rechts auf ein faires Verfahren, der Präventionswirkung sowie auf die Vermeidung der kriminogenen Wirkung der Berichte erzielen. Auch die Untersagung der Aufnahmen in den Rechtsinstanzen bedeutet einen Gemeinwohlgewinn, wenn auch erneut in Strafverfahren in größerem Umfang als in den übrigen Verfahrensarten. Allein für die Wahrheitsfindung lässt sich in diesen Instanzen schließlich kein Gewinn erzielen. Ein Verbot der Textberichterstattung in Echtzeit kann prinzipiell ebenfalls derart abgestufte Gemeinwohlgewinne erzielen. Allerdings sind sie von vornherein nur im Hinblick auf die engere persönliche Lebenssphäre, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, die Wahrheitsfindung, soweit sie durch die Verhaltensbeeinflussung der Verfahrensbeteiligten gefährdet wird, die Rechtsfindung, das Recht auf ein faires Verfahren, den allgemeinen Justizgewährungsanspruch und die Vermeidung der kriminogenen Wirkung denkbar. Hinsichtlich der übrigen Rechte und schutzwürdigen Interessen lassen sich durch ein Verbot der Textberichte in Echtzeit dagegen keine Gemeinwohlgewinne erzielen. Geringere Gewinne als durch eine Untersagung der Gerichtssaalberichterstattung lassen sich auch durch diejenigen Vorgaben hierfür erzielen, die zu den einzelnen Rechten und schutzwürdigen Interessen jeweils angeführt wurden. Dabei sind die Gewinne in den Tatsacheninstanzen in den Strafverfahren erneut am größten: Hinsichtlich des Rechts der persönlichen Ehre, der Unschuldsvermutung und des äußeren Verfahrensablaufs sind mittels Vorgaben große Gemeinwohlgewinne zu erreichen. In Bezug auf das Recht am eigenen Bild und eigenen gesprochenen Wort können sie mittlere Gewinne erzielen. Im Hinblick auf das Recht auf Resozialisierung, die Wahrheitsfindung, soweit sie durch die Vorab information der Zeugen gefährdet wird, das Recht auf ein faires Verfahren und auf die Präventionswirkung können sie jedenfalls kleine Gewinne schaffen. Erneut nehmen die Gewinne dabei ab, wenn sich die Regelung auf Textberichte in 221 Hinsichtlich des Schutzes der engeren persönlichen Lebenssphäre und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung jedoch nur während der mündlichen Verhandlung und sofern keine Einwilligung der Betroffenen vorliegt. Bezüglich der Gefahren, die aus einer Vorab information der Zeugen für die Wahrheitsfindung folgen, zudem nur während der Beweisaufnahme und ggf. der Anklageverlesung sowie durch Bild/Ton-Aufnahmen und Ton-Aufnahmen.
361
B. Zeitgemäße rechtliche Rahmenbedingungen
Echtzeit bezieht und sofern Rechtsinstanzen oder anderen Verfahrensarten als das Strafverfahren betroffen sind. Die Übertragung der Aufnahmetätigkeit auf das Gericht zuletzt erzielt beinahe dieselben Gemeinwohlgewinne wie die Vorgaben für die Anfertigung der Aufnahmen. Nur die Gewinne mit Blick auf die Vorabinformation der Zeugen entfallen in diesem Fall. Zur besseren Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse wird in Tabellenform zusammengefasst, welche Gewinne durch jede Regelung maximal erzielbar sind. Verbot der Gerichtssaal berichterstattung
Vorgaben für die Gerichtssaal berichterstattung
Übertragung der Aufnahmen auf das Gericht
Schutz der engeren persönlichen Lebenssphäre, Recht auf informationelle Selbstbestimmung
mittel
–
–
Recht am eigenen Bild und am eigenen gesprochenen Wort
groß
mittel
mittel
Recht der persönlichen Ehre
groß
groß
groß
Recht auf Resozialisierung
mittel
klein
klein
Unschuldsvermutung
groß
groß
groß
Wahrheitsfindung (Verhaltensbeeinflussung)
klein
–
–
Wahrheitsfindung (Vorabinformation der Zeugen)
klein
klein
–
Rechtsfindung
klein
–
–
Recht auf ein faires Verfahren
klein
klein
klein
Allgemeiner Justizgewährungsanspruch
klein
–
–
Äußerer Verfahrensablauf
groß
groß
groß
Vermeidung der kriminogenen Wirkung
klein
–
–
Präventionswirkung
mittel
klein
klein
Tabelle 2: Maximal erzielbarer Gemeinwohlgewinn für die Rechte und Interessen, die gegen die Gerichtssaalberichterstattung sprechen, durch eine Regelung dieser Berichterstattung
362
Kap. 5: Gerichtssaalberichterstattung de lege ferenda
d) Abwägung der betroffenen Rechte und Interessen aa) Strukturierung der Abwägung Nachdem das abstrakte Gewicht der betroffenen Rechte und schutzwürdigen Interessen ermittelt wurde und sie konkret mit Blick auf die Gerichtssaalberichterstattung gewichtet wurden, ist im dritten und letzten Schritt nun für alle möglichen Regelungen zu prüfen, ob „unter all diesen Prämissen die Zweckerreichung zu dem Mittel außer Verhältnis steht.“222 Das erste denkbare Mittel, das Verbot der Gerichtssaalberichte, führte hierbei die schwersten Beeinträchtigungen der wichtigsten Rechtspositionen herbei. Am gravierendsten wiegt ein Verbot der Textberichte in Echtzeit: Es beeinträchtigt die Medienfreiheiten schwer. Ein Aufnahmeverbot beeinträchtigt diese Grundrechte dagegen nur mittelschwer. Beide Verbote beeinträchtigen zudem den Öffentlichkeitsgrundsatz, den Beitrag der Gerichtssaalberichte zur Steigerung von Rechtskenntnissen und Rechtsverständnis in der Bevölkerung und, in Strafverfahren, die Präventionswirkung der Berichte mittelschwer. Die Rehabilitationsmöglichkeit, die Gerichtssaalberichte den Angeklagten in Strafverfahren gibt, beeinträchtigen die Verbote dagegen nur leicht.223 Die beiden Medienfreiheiten und der Öffentlichkeitsgrundsatz sind dabei abstrakt besonders gewichtig.224 Das zweite mögliche Mittel speziell für Aufnahmen, deren Übertragung auf das Gericht, beeinträchtigt die beiden Medienfreiheiten im Stadium der Informationsbeschaffung mittelschwer. Dasselbe gilt, in Strafverfahren, für die Präven tionswirkung der Berichte. Alle übrigen Rechte und schutzwürdigen Interessen beeinträchtigt eine solche Regelung dagegen nur leicht.225 Das dritte potentielle Mittel, Vorgaben für die Durchführung der Gerichtssaalberichterstattung, beeinträchtigt die meisten der genannten Positionen nur leicht. Anders verhält es sich nur mit der Präventionswirkung, die mittelschwer beeinträchtigt wird. Im Stadium der Informationsverbreitung tangiert die Regelung die beiden Medienfreiheiten zudem überhaupt nicht.226 Aus den verschieden schweren Beeinträchtigungen der Rechte und schutzwürdigen Interessen, die für eine Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung sprechen, resultieren unterschiedlich hohe Anforderungen an die konkreten Gemeinwohlgewinne, die mit Blick auf die Rechte sowie schutzwürdigen Interessen, die gegen die Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung sprechen, erzielt werden müssen: Die höchsten Anforderungen sind an die Positionen zu stellen, die für Michael, JuS 2001, 148 (150); ders., JuS 2001, 654 (659). zu diesen Beeinträchtigungen: Kap. 5, B. III. 5. c) bb). 224 Kap. 5, B. III. 5. b) bb). 225 Vgl. Kap. 5, B. III. 5. c) bb). 226 Vgl. Kap. 5, B. III. 5. c) bb). 222
223 Ausführlicher
B. Zeitgemäße rechtliche Rahmenbedingungen
363
ein Verbot der Textberichterstattung in Echtzeit streiten. Etwas niedriger sind die Voraussetzungen mit Blick auf das Aufnahmeverbot, wiederum geringer hinsichtlich der Übertragung der Aufnahmetätigkeit auf das Gericht und am niedrigsten im Hinblick auf die Vorgaben für die Durchführung der Berichterstattung aus dem Gerichtssaal. Stellt man dem die konkreten Gemeinwohlgewinne gegenüber, so ist auch diesbezüglich eine Abstufung erkennbar. Die größten Gewinne mit Blick auf die wichtigsten Rechte und schutzwürdigen Interessen erzielen die Regelungen der Aufnahmen in den strafgerichtlichen Tatsacheninstanzen. Etwas geringer fallen die Gewinne aus, wenn die Regelungen die Tatsacheninstanzen der übrigen Fachgerichte betreffen. Noch einmal kleiner sind sie, wenn die Rechtsinstanzen der Strafverfahren erfasst werden, und am geringsten fallen sie aus, wenn die Rechtsinstanzen der übrigen Verfahrensarten und die Verfahren am BVerfG betroffen sind. Im Vergleich mit den Regelungen betreffend Aufnahmen sind zuletzt stets geringere Gemeinwohlgewinne denkbar, wenn sich die Regelungen auf Textberichte in Echtzeit beziehen.227 Dieser Abstufung nach der Verfahrensart228, Instanz229 und Medienform230 entsprechend, wird im Folgenden gezeigt, inwiefern die drei möglichen Regelungen 227 Ausführlicher
zu diesen Gemeinwohlgewinnen: Kap. 5, B. III. 5. c) cc). Für eine Differenzierung zwischen den Verfahrensarten auch BVerfGE 103, 72 (77); Altenhain, Gutachten 71. DJT, C 94; Bamberger, ZUM 2001, 373 (378); Blazko, in: Prozessrechtswissenschaft, S. 25 (S. 38); von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 441; ders., AfP 2014, 193 (201); Dieckmann, NJW 2001, 2451 (2452); Gerhardt, ZRP 1993, 377 (381); ders., in: FS Blankenburg, S. 515 (S. 529); ders., DRiZ 1999, 8 (9); Gersdorf, in: Gerichts-TV, S. 23 (S. 34); Gounalakis, in: FG Kübler, S. 173 (S. 196); Gündisch/Dany, NJW 1999, 256 (257); Hagenkötter, in: Kontrolle des Gerichts, S. 41 (S. 55); Hain, DÖV 2001, 589 (593 f.); Hassemer, ZRP 2013, 149 (151); Hirzebruch, Neue Medien, S. 332 ff., 341; ders., BRJ 2017, 5 (10); Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 177; Jauch, in: Grenzen der Rechtsgewährung, S. 247 (S. 248); Jung, NTfK 2012, 65 (69); ders., in: Hauptverhandlung, S. 167 (S. 173); Kaulbach, ZRP 2009, 236 (238); dies., JR 2011, 51 (53); Kirchberg, BRAK-Mitt 2002, 252 (255); Knothe/ Wanckel, ZRP 1996, 106 (110); Krausnick, ZUM 2001, 230 (232); ders., ZG 2002, 273 (290); Kuhlo, in: Gerichts-TV, S. 9 (S. 17 f., 20); Kujath, Laienjournalismus, S. 296; Lorz, in: Herausforderungen, S. 59 (S. 78); Magnus, in: Digitalisierung, S. 205 (S. 216); Mailänder, in: FS Mailänder, S. 547 (S. 564); Maxin, in: Kontrolle des Gerichts, S. 105 (S. 133 f.); Morsch, ZRP 2014, 254; Pfeifle, ZG 2010, 283 (305); Pieroth, in: Recht der Persönlichkeit, S. 249 (S. 273 ff.); Scherer, Medienöffentlichkeit, S. 89 f.; Schwarz, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, § 17a Rn. 14; Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 197 f.; Töpper, DRiZ 1995, 242; Verfassungsrechtsausschuß, AnwBl 1997, 26 (29 f.); Vietmeyer, Vor- und Nachteile, S. 257. 229 Für eine Differenzierung zwischen Tatsachen- und Rechtsinstanzen auch Altenhain, Gutachten 71. DJT, C 93; Britz, Fernsehaufnahmen, S. 302 f.; ders., in: FS Schiller, S. 81 (S. 101); von Coelln, in: MSKB, BVerfGG, § 17a Rn. 147; Fölster, NK 2014, 154 (159); Hirzebruch, Neue Medien, S. 335 f., 341; Knothe/Wanckel, ZRP 1996, 106 (110); Krausnick, ZG 2002, 273 (290); Kujath, Laienjournalismus, S. 272 f.; Scherer, Medienöffentlichkeit, S. 89 f.; 228
364
Kap. 5: Gerichtssaalberichterstattung de lege ferenda
den angemessenen Ausgleich zwischen den kollidierenden Rechten und Interessen herstellen können. bb) Aufnahmen in den Tatsacheninstanzen der Strafverfahren (1) Aufnahmeverbot als angemessene Regelung Mit Blick auf Aufnahmen in den Tatsacheninstanzen der Strafverfahren ist zuerst das Verbot als restriktivste Regelung zu betrachten. Gravierenden Beeinträchtigungen der Rechte und schutzwürdigen Interessen, die für Aufnahmen im Gericht sprechen,231 stehen in den Tatsacheninstanzen der Strafverfahren die größtmöglichen Gemeinwohlgewinne gegenüber. Neben Gewinnen, die sich in allen Verfahrensarten erzielen lassen – solchen für das Recht am eigenen Bild sowie am eigenen gesprochenen Wort, das Recht der persönlichen Ehre, die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege, den allgemeinen Justizgewährungsanspruch sowie den äußeren Verfahrensablauf –232 sind hier zusätzlich Gewinne im Hinblick auf strafrechtsspezifische Positionen denkbar. Dies sind konkret das Recht auf Resozialisierung, die Unschuldsvermutung, das Recht auf ein faires Verfahren, die Vermeidung der kriminogenen Wirkung sowie die Präventionswirkung der Berichte.233 Gemeinwohlgewinne mit Blick auf den Schutz der engeren persönlichen Lebenssphäre und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung lassen sich zudem zwar nicht nur, aber doch regelmäßiger in Strafverfahren erzielen als in den anderen Verfahrensarten.234 Bereits die große Anzahl der Positionen, für die Gemeinwohlgewinne erzielt werden können, spricht mithin dafür, dass die Abwägung zugunsten des Aufnahmeverbots ausfällt. Ein Blick auf die abstrakten Gewichte der genannten Rechte sowie schutzwürdigen Interessen unterstützt diesen Schluss: Bei der überwiegenden Mehrheit handelt es sich um wichtige, da verfassungsrechtlich fundierte Positionen. Allein der ungestörte äußere Ablauf des Verfahrens, die Vermeidung einer kriminogenen Wirkung sowie die Präventionswirkung der Berichte sind mangels einer derartigen Fundierung abstrakt niedriger zu gewichten.235 Schraft-Huber, in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 17a Rn. 37; Töpper, DRiZ 1995, 242. 230 Für eine Differenzierung nach Medien und ihren Vermittlungsformen auch Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 139; Eberle, ZDF-Jahrbuch 1992, S. 158 (S. 159 f.); ders., NJW 1994, 1637 (1638); Jung, in: Hauptverhandlung, S. 167 (S. 173). 231 Vgl. Kap. 5, B. III. 5. d) aa). 232 Vgl. Kap. 5, B. III. 5. c) cc) (2) (b), (c), (4), (6), (7). 233 Vgl. Kap. 5, B. III. 5. c) cc) (2) (d), (3), (5), (8), (9). 234 Vgl. Kap. 3, B. III. 1. b) aa). 235 Kap. 5, B. III. 5. b) bb).
B. Zeitgemäße rechtliche Rahmenbedingungen
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Die beiden anderen Regelungen – Vorgaben für die Herstellung der Aufnahmen sowie die Übertragung der Aufnahmetätigkeit auf das Gericht – gehen zwar mit weniger schweren Beeinträchtigungen einher als ein Aufnahmeverbot.236 Mit ihnen lassen sich andersherum allerdings auch deutlich geringere Gemeinwohlgewinne erzielen. Für die engere persönliche Lebenssphäre, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und die Rechtsfindung sind mit ihrer Hilfe keine Gewinne zu erreichen.237 Für diverse andere Positionen fallen die Gewinne außerdem geringer aus. So kann zum Beispiel für das Recht auf Resozialisierung nur ein kleiner Gewinn erzielt werden, wenn Aufnahmen des Angeklagten eingeschränkt werden. Das Verbot der Aufnahmen trägt diesbezüglich dagegen zu einem mittleren Gewinn bei.238 Allein im Hinblick auf das Recht der persönlichen Ehre, die Unschuldsvermutung, das Recht auf ein faires Verfahren und den äußeren Verfahrensablauf sind durch die beiden Regelungen gleich große Gewinne zu erzielen wie durch das Aufnahmeverbot.239 Dass die beiden milderen Regelungen die Positionen, die für die Aufnahmen streiten, weniger schwer beeinträchtigen, geht demnach auf Kosten der meisten Rechte und Interessen, die durch Aufnahmen gefährdet werden. Sie werden durch die milderen Regelungen nicht oder nur in geringerem Umfang geschützt. Diese beiden Regelungen stellen daher keinen angemessenen Ausgleich zwischen allen betroffenen Positionen her. (2) Umfang des angemessenen Aufnahmeverbots Ist demnach ein Aufnahmeverbot grundsätzlich angemessen, ist zu ermitteln, welchen Umfang es konkret haben sollte. Alle für die Aufnahmen streitenden Positionen werden schließlich weniger schwer beeinträchtigt, wenn das Verbot sich nur auf bestimmte Situationen vor Gericht bezieht.240 Eine partielle Untersagung stellt jedoch nur dann einen angemessenen Ausgleich zwischen den kollidierenden Rechte und Interessen her, wenn mit der weniger gravierenden Beeinträchtigung der Positionen auf der einen Seite kein deutlich geringerer Schutz der Positionen auf der anderen Seite einhergeht. Denkbar wäre, erstens, das Verbot nur auf bestimmte Verfahrensabschnitte zu beziehen.241 Dafür spricht, dass ein Gemeinwohlgewinn mit Blick auf die enge236
Kap. 5, B. III. 5. c) bb) (7). Kap. 5, B. III. 5. c) cc) (2) (a), (4) (c). 238 Kap. 5, B. III. 5. c) cc) (2) (d). 239 Kap. 5, B. III. 5. c) cc) (2) (c), (3), (5), (7). 240 Kap. 5, B. III. 5. c) bb) (7). 241 Für eine derartige Unterscheidung auch BVerfGE 103, 72 (79 f.); Altenhain, Gutachten 71. DJT, C 94; Bamberger, ZUM 2001, 373 (378); Bertram, DRiZ 1956, 127 (128); Bremer, in: FS Richter II, S. 77 (S. 85 f.); Britz, Fernsehaufnahmen, S. 302; ders., in: FS Schiller, S. 81 237
366
Kap. 5: Gerichtssaalberichterstattung de lege ferenda
re persönliche Lebenssphäre und auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nur durch ein Aufnahmeverbot in der mündlichen Verhandlung zu erzielen ist.242 Ein Gemeinwohlgewinn für die Wahrheitsfindung dadurch, dass die Zeugen nicht vorab informiert werden, ist sogar nur während der Beweisaufnahme und ggf. der Anklageverlesung denkbar.243 Damit sind durch das Aufnahmeverbot außerhalb jener Phasen für die genannten Positionen keinerlei Gemeinwohlgewinne zu erzielen. In dieser Hinsicht erzielt ein teilweises Aufnahmeverbot also denselben Gewinn wie eine absolute Untersagung der Aufnahmen. Dies lässt sich für eine Reihe anderer, abstrakt gewichtiger244 Positionen allerdings nicht sagen: So kann ein Aufnahmeverbot in sämtlichen Verfahrensabschnitten insbesondere große Gewinne für das Recht am eigenen Bild sowie am eigenen gesprochenen Wort, das Recht der persönlichen Ehre und die Unschuldsvermutung erzielen.245 Diese und alle anderen Positionen, die bei Gericht in jeder Situation gefährdet werden, werden durch ein partielles Verbot nicht vollständig geschützt. Erhebliche Gemeinwohlgewinne werden demnach nicht realisiert. Die etwas geringere Beeinträchtigung jener Positionen, die für Aufnahmen sprechen, wiegt dies nicht auf. Ein Verbot, das nach Verfahrensabschnitten differenziert, bringt die kollidierenden Positionen daher nicht in einen angemessenen Ausgleich.
(S. 101); Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 149; von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 441; ders., AfP 2014, 193 (201); Eberle, ZDF-Jahrbuch 1992, S. 158 (S. 159); ders., NJW 1994, 1637 (1638); Friehe, in: Kontrolle des Gerichts, S. 1 (S. 27 f.); Gerhardt, Verfassungsmäßigkeit, S. 119 f.; ders., ZRP 1993, 377 (381); ders., in: FS Blankenburg, S. 515 (S. 529); ders., DRiZ 1999, 8 (9); ders., BDVR-Rundschreiben 2001, 71 (72); Gersdorf, in: Gerichts-TV, S. 23 (S. 34); Grimm, ZRP 2011, 61 (62); Gündisch, NVwZ 2001, 1004 (1005); ders./Dany, NJW 1999, 256 (259 f.); Hagenkötter, in: Kontrolle des Gerichts, S. 41 (S. 55 f.); Hirzebruch, Neue Medien, S. 336 f., 341; ders., BRJ 2017, 5 (10); Jauch, in: Grenzen der Rechtsgewährung, S. 247 (S. 248); Jung, in: Hauptverhandlung, S. 167 (S. 173); Kaulbach, ZRP 2009, 236 (238); Kirchberg, BRAK-Mitt 2002, 252 (255); Koschorreck, JA 1997, 134 (137); Krausnick, ZG 2002, 273 (290); Kuhlo, in: Gerichts-TV, S. 9 (S. 20); Lorz, in: Herausforderungen, S. 59 (S. 78 f.); Loubal/Hofmann, MMR 2016, 669 (673); Mailänder, in: FS Mailänder, S. 547 (S. 563); Morsch, ZRP 2014, 254; dies., RuP 2014, 136; Nöhre, in: FS Stilz, S. 455 (S. 464); Pfeifle, ZG 2010, 283 (305); Rose, SchlHA 2014, 169 (176); Sarstedt, in: Rechtsstaat als Aufgabe, S. 272 (S. 278); Scherer, Medienöffentlichkeit, S. 89 f.; Schwarz, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, § 17a Rn. 14; Stürner, JZ 2001, 699 (703); Töpper, DRiZ 1995, 242; Verfassungsrechtsausschuß, AnwBl 1997, 26 (29); Vietmeyer, Vor- und Nachteile, S. 257; Witzler, Personale Öffentlichkeit, S. 116; Wyss, EuGRZ 1996, 1 (17). 242 Kap. 5, B. III. 5. c) cc) (2) (a). 243 Kap. 5, B. III. 5. c) cc) (4) (b). 244 Kap. 5, B. III. 5. b) bb). 245 Kap. 5, B. III. 5. c) cc) (2) (b), (c), (3).
B. Zeitgemäße rechtliche Rahmenbedingungen
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Eine zweite Möglichkeit wäre es, Ausnahmen vom Aufnahmeverbot vorzusehen, falls die Abgebildeten in Aufnahmen einwilligen.246 Im Hinblick auf die engere persönliche Lebenssphäre, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das Recht am eigenen Bild sowie am eigenen gesprochenen Wort kann schließlich nur ein Gemeinwohlgewinn erzielt werden, wenn eine Einwilligung der Betroffenen fehlt.247 Dies gilt für die meisten anderen Rechte und Interessen, die gegen Aufnahmen im Gericht streiten, aber nicht in gleicher Weise.248 Die Risiken für objektive Positionen wie die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege, aber auch für subjektive Rechte, die auch Interessen der Allgemeinheit berühren, wie bspw. das Recht auf Resozialisierung, werden durch eine Einwilligung schließlich nicht ausgeräumt.249 Wiederum werden erhebliche Gemeinwohlgewinne demnach nicht realisiert. Erneut wird die etwas geringere Beeinträchtigung der Rechte und Interessen, die für Aufnahmen sprechen, damit nicht aufgewogen. Auch diese Regelung schafft also keinen angemessenen Ausgleich zwischen allen kollidierenden Positionen. Ein solcher Ausgleich kann vielmehr nur durch ein absolutes Aufnahmeverbot erzielt werden. cc) Aufnahmen in den Tatsacheninstanzen der übrigen Verfahrensarten (1) Aufnahmeverbot als angemessene Regelung? Auch für die Aufnahmen in den Tatsacheninstanzen aller übrigen Verfahrensarten – also an den Zivil-, Verwaltungs-, Sozial-, Finanz- und Arbeitsgerichten – muss zuerst das Aufnahmeverbot als gravierendste denkbare Regelung betrach246 Für das Erfordernis einer Einwilligung bzw. eines fehlenden Widerspruchs auch Braun, Medienberichterstattung, S. 286; dies., in: Journalistische Kultur, S. 25 (S. 47 f.); Britz, Fernsehaufnahmen, S. 302; Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 149; von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 439 f.; Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 528; Gerhardt, ZRP 1993, 377 (381); ders., BDVR-Rundschreiben 2001, 71 (72); Gounalakis, in: FG Kübler, S. 173 (S. 197); Hauth, Sitzungspolizei, S. 217; Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 183; Jauch, in: Grenzen der Rechtsgewährung, S. 247 (S. 248); Jung, Presse, Rundfunk und Film, S. 19; Kohlhaas, DRiZ 1956, 2 (2, 4); Lang, Ton- und Bildträger, S. 71; Lilie, in: AE-StuM, S. 116 (S. 130 f.); Lorz, in: Herausforderungen, S. 59 (S. 78 f.); Mailänder, in: FS Mailänder, S. 547 (S. 562 f.); Matzen, Film und Recht 1971, 298 (300); Schmidt, JZ 1956, 209 (211); Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 197; Vogel, Fernsehübertragungen, S. 154. 247 Kap. 5, B. III. 5. c) cc) (2) (a), (b). 248 Vgl. BVerfGE 103, 44 (71); Britz, Fernsehaufnahmen, S. 273; ders., in: FS Schiller, S. 81 (S. 99); Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 138; Franke, Bildberichterstattung, S. 125 f.; Hamm, AfP 2014, 202 (208); Hirzebruch, Neue Medien, S. 339; Jung, in: AE-StuM, S. 102 (S. 111); Krausnick, ZG 2002, 273 (289); Kujath, Laienjournalismus, S. 269; Olbertz, Fernseh öffentlichkeit, S. 58 f., 121; Roxin, in: Einheit und Vielfalt, S. 97 (S. 106). 249 So für das Recht auf Resozialisierung: Kap. 3, B. III. 6. b) bb).
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Kap. 5: Gerichtssaalberichterstattung de lege ferenda
tet werden.250 Auf der einen Seite beeinträchtigt dieses Verbot die Positionen, die für die Aufnahmen streiten, verglichen mit einem Aufnahmeverbot in Strafverfahren in geringerem Umfang. Die Gerichtssaalberichte können in den vorliegend betrachteten Verfahrensarten schließlich von vornherein weder rehabilitierend noch präventiv wirken. Daher kann ein Aufnahmeverbot diese beiden Positionen nicht berühren.251 Da die Interessen jedoch mangels verfassungsrechtlicher Fundierung abstrakt nicht gewichtig sind,252 fällt dieser Unterschied nicht schwer ins Gewicht. Auf der anderen Seite kann ein Aufnahmeverbot außerhalb des Strafverfahrens auch nur geringere Gemeinwohlgewinne erzielen. Durch die Aufnahmen in den anderen Verfahrensarten können strafrechtsspezifische Rechte und Interessen schließlich nicht beeinträchtigt werden, sodass in jener Hinsicht keine Gemeinwohlgewinne denkbar sind.253 Gewinne mit Blick auf die engere persönliche Lebenssphäre sowie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sind, anders als in Strafverfahren, in den übrigen Verfahrensarten zudem nur im Einzelfall zu erzielen.254 All diese Gemeinwohlgewinne können den Beeinträchtigungen demnach nicht oder zumindest nicht pauschal entgegengehalten werden. Einige Rechte und Interessen streiten aber auch in den Tatsacheninstanzen außerhalb des Strafverfahrens für ein Aufnahmeverbot. Dabei handelt es sich ganz überwiegend um abstrakt gewichtige Positionen:255 Im Hinblick auf das Recht am eigenen Bild und am eigenen gesprochenen Wort, das Recht der persönlichen Ehre sowie den ungestörten äußeren Ablauf des Verfahrens lassen sich durch das Verbot auch außerhalb des Strafverfahrens große Gemeinwohlgewinne erzielen.256 Für die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege und den allgemeinen Justizgewährungsanspruchs sind mit dem Verbot immerhin kleine Gewinne zu erreichen.257 Wo der Schutz der engeren persönlichen Lebenssphäre und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung im Einzelfall in den vorliegend betrachteten Verfahrensarten einmal gefährdet sind, lassen sich in dieser Hinsicht zudem mittlere Gewinne erzielen.258 Jedoch ist zu beachten, dass Gemeinwohlgewinne für das Recht am eigenen Bild und am eigenen gesprochenen Wort in der Abwägung weniger schwer ins 250
Vgl. Kap. 5, B. III. 5. d) aa). Vgl. Kap. 5, B. III. 5. c) bb) (5), (6). 252 Vgl. Kap. 5, B. III. 5. b) bb). 253 Zu den strafrechtsspezifischen Gemeinwohlgewinnen: Kap. 5, B. III. 5. d) bb) (1). 254 Vgl. Kap. 3, B. III. 1. b) aa). 255 Vgl. Kap. 5, B. III. 5. b) bb). Anders verhält es sich nur mit dem Interesse am ungestörten äußeren Verfahrensablauf. 256 Kap. 5, B. III. 5. c) cc) (2) (b), (c), (7). 257 Kap. 5, B. III. 5. c) cc) (4), (6). 258 Kap. 5, B. III. 5. c) cc) (2) (a). 251
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Gewicht fallen, wenn – wie außerhalb des Strafverfahrens öfter der Fall – nur professionelle Verfahrensbeteiligte anwesend sind und aufgenommen werden können.259 Des Weiteren entfallen die Gewinne im Hinblick auf diese beiden Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, aber auch auf die engere persönliche Lebenssphäre sowie das informationelle Selbstbestimmungsrecht, wenn die Betroffenen in die Aufnahmen eingewilligt haben.260 Es hängt damit außerhalb des Strafverfahrens stark vom Einzelfall ab, wie groß die konkreten Gemeinwohlgewinne sind. Lassen sich alle Gewinne realisieren, spricht dies eher für eine Untersagung der Aufnahmen. Entfallen dagegen die Gewinne mit Blick auf die genannten persönlichkeitsrechtlichen Positionen, lässt sich dies nicht ebenso eindeutig sagen. (2) Reglementierung der Aufnahmen als angemessene Regelung? Daher müssen nun die beiden Regelungen näher betrachtet werden, die jene Positionen, die für die Aufnahmen streiten, weniger schwer beeinträchtigen.261 Lässt man die Aufnahmen der Medien entweder nur unter Vorgaben zu oder überträgt man sie ganz auf das Gericht, lassen sich Gemeinwohlgewinne für manche Rechte und Interessen überhaupt nicht realisieren. Das betrifft einerseits viele Positionen, die bereits mit Blick auf die Tatsacheninstanzen in Strafverfahren erörtert wurden.262 Es trifft andererseits zum Beispiel auch auf die Wahrheitsfindung zu, sofern sie durch die Verhaltensbeeinflussung der Beteiligten beeinträchtigt wird.263 Für das Recht am eigenen Bild und am eigenen gesprochenen Wort lassen sich mithilfe des Verbotes, bestimmte Personen aufzunehmen, oder des Gebotes, sie zu anonymisieren, zudem bspw. nur mittlere Gemeinwohlgewinne erzielen. Bei einem Aufnahmeverbot sind dagegen große Gewinne denkbar.264 Nur vereinzelt wären die Gemeinwohlgewinne infolge aller drei Regelungen gleich groß: Durch Vorgaben für die Anzahl der Medienvertreter, die Aufnahmen anfertigen, für ihren Standort und die zulässigen Kameraeinstellungen oder durch die Übertragung der Aufnahmetätigkeit auf das Gericht, das sich an derartige Vorgaben hält, lässt sich für das Recht der persönlichen Ehre und für den äußeren Verfahrensablauf ein ebenso großer Gewinn erzielen wie durch ein Aufnahmeverbot.265 Dürfen Aufnahmen nur zeitversetzt übertragen werden, ist der 259
Kap. 3, B. II., III. 2. b), c). Kap. 5, B. III. 5. c) cc) (2) (a), (b). 261 Vgl. Kap. 5, B. III. 5. d) aa). 262 Vgl. Kap. 5, B. III. 5. d) bb) (2). 263 Vgl. Kap. 5, B. III. 5. c) cc) (4) (a). 264 Kap. 5, B. III. 5. c) cc) (2) (b). 265 Kap. 5, B. III. 5. c) cc) (2) (c), (7). 260
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Kap. 5: Gerichtssaalberichterstattung de lege ferenda
Gewinn für die Wahrheitsfindung, soweit sie durch eine Vorabinformation der Zeugen gefährdet wird, außerdem gleich groß.266 Zusammenfassend geht eine geringere Beeinträchtigung der Positionen, die für Aufnahmen streiten, mit einem geringeren Schutz der Positionen einher, die gegen sie streiten. Dies spricht dagegen, in der reinen Reglementierung der Aufnahmen einen angemessenen Ausgleich zu sehen. (3) Kombination der denkbaren Regelungen Kann keine der drei Regelungen allein einen derartigen Ausgleich schaffen, ist eine Kombination nötig. Prinzipiell sprechen die erheblichen Gemeinwohlgewinne, die in Tatsacheninstanzen auch außerhalb des Strafverfahrens denkbar sind, für ein Verbot der Aufnahmen. Wenn im Einzelfall die Risiken und damit die Gemeinwohlgewinne mit Blick auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht in großen Teilen entfallen, können die Gewinne für die übrigen Positionen aber auch durch eine Reglementierung der Aufnahmen in beachtlichem Umfang erzielt werden. Ein Aufnahmeverbot beeinträchtigt die Rechte und schutzwürdigen Interessen, die für die Aufnahmen sprechen, in diesem Fall unangemessen stark. Unter diesen Umständen sind die beschriebenen Vorgaben für Aufnahmen in der Lage, einen angemessenen Ausgleich zwischen allen betroffenen Positionen herzustellen. Sie beeinträchtigen die Medienfreiheiten nämlich noch einmal weniger stark als die Übertragung der Aufnahmen auf das Gericht.267 Dass sich einige Gemeinwohlgewinne durch diese Vorgaben nicht realisieren lassen, ist dabei hinzunehmen, weil die Rechte und Interessen, die für die Aufnahmen streiten, dadurch weniger stark beeinträchtigt werden. Insbesondere den abstrakt besonders gewichtigen Medienfreiheiten kann auf diese Weise angemessen Rechnung getragen werden. Konkret kommen dabei die folgenden Maßnahmen in Betracht: Es kann nur einer begrenzten Anzahl an Medienvertretern die Aufnahmetätigkeit gestattet werden, ihr Standort und die zulässigen Kameraperspektiven können vorgegeben werden, die Aufnahme gewisser Personen kann untersagt oder ihre Anonymisierung angeordnet werden. Außerdem kann vorgeschrieben werden, dass Aufnahmen nur zeitversetzt veröffentlicht werden dürfen.
266 267
Kap. 5, B. III. 5. c) cc) (4) (b). Kap. 5, B. III. 5. d) aa).
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dd) Aufnahmen in den Rechtsinstanzen der Strafverfahren (1) Aufnahmeverbot als angemessene Regelung? Als mögliche Regelung der Aufnahmen in den strafgerichtlichen Rechtsinstanzen ist erneut zuerst das Aufnahmeverbot zu betrachten, das mit der schwerwiegendsten Beeinträchtigung einhergeht.268 Ihm stehen in den Rechtsinstanzen in Strafverfahren Gemeinwohlgewinne gegenüber, die kleiner sind als die Gewinne in den Tatsacheninstanzen. In den Rechtsinstanzen werden schließlich bestimmte Rechte und Interessen nicht mehr gefährdet. Das trifft stets auf die Wahrheitsfindung als Ausprägung der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege zu.269 Im Hinblick auf die engere persönliche Lebenssphäre und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung können in den Rechtsinstanzen zudem nur im Einzelfall Gemeinwohlgewinne erzielt werden.270 Die Gewinne für die abstrakt gewichtigen genannten Positionen271 können den Beeinträchtigungen daher nicht oder jedenfalls nicht pauschal entgegengehalten werden. Eine Vielzahl an Rechten und Interessen streiten jedoch auch in den Rechtsinstanzen für ein Aufnahmeverbot. So bringt es speziell in den Strafverfahren zum Beispiel große Gewinne für die Unschuldsvermutung sowie mittlere Gewinne für das Recht auf Resozialisierung und die Präventionswirkung der Gerichtssaalberichte mit sich.272 Hinsichtlich des Rechts auf ein faires Verfahren und der Vermeidung der kriminogenen Wirkung lassen sich daneben jedenfalls kleine Gewinne erzielen.273 Zu beachten ist aber, dass die Gemeinwohlgewinne für das Recht am eigenen Bild und am eigenen gesprochenen Wort in der Abwägung weniger schwer ins Gewicht fallen, wenn – wie in den Rechtsinstanzen häufig der Fall – nur professionelle Verfahrensbeteiligte im Gericht präsent sind und aufgenommen werden können.274 Außerdem entfallen Gewinne für diese Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, aber auch bezüglich der engeren persönlichen Lebenssphäre und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung wiederum, wenn die Betroffenen in die Aufnahmen einwilligen.275 In den Rechtsinstanzen in Strafverfahren hängt es demnach vom Einzelfall ab, wie groß die Gemeinwohlgewinne sind, die ein Aufnahmeverbot erzielen kann. Werden die Gewinne 268
Vgl. Kap. 5, B. III. 5. d) aa). Kap. 5, B. III. 5. c) cc) (4) (a), (b). 270 Vgl. Kap. 3, B. III. 1. b) bb). 271 Kap. 5, B. III. 5. b) bb). 272 Kap. 5, B. III. 5. c) cc) (2) (d), (3), (9). 273 Kap. 5, B. III. 5. c) cc) (5), (8). 274 Kap. 3, B. II., III. 2. b), c). 275 Kap. 5, B. III. 5. c) cc) (2) (a), (b). 269
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Kap. 5: Gerichtssaalberichterstattung de lege ferenda
vollumfänglich realisiert, streitet dies eher für ein Aufnahmeverbot. Fallen die genannten persönlichkeitsrechtlichen Aspekte einmal nicht ins Gewicht, spricht dies eher dagegen. (2) Reglementierung der Aufnahmen als angemessene Regelung? Daher müssen im nächsten Schritt wiederum die beiden Regelungen betrachtet werden, die eine weniger starke Beeinträchtigung darstellen.276 Wie mit Blick auf die Tatsacheninstanzen ausgeführt,277 können die Vorgaben für die Aufnahmetätigkeit der Medien oder ihre Übertragung auf das Gericht für manche Rechte und Interessen keine oder nur geringere Gemeinwohlgewinne erzielen als ein Aufnahmeverbot. Mit Blick auf die Vermeidung der kriminogenen Wirkung kann damit bspw. kein Gemeinwohlgewinn erzielt werden. Das Verbot bringt hierfür dagegen jedenfalls einen kleinen Gewinn.278 Ein kleiner Gewinn ist für das Recht auf Resozialisierung und die Präventionswirkung auch denkbar, wenn durch die Begrenzung der Aufnahmen auf bestimmte Personen, die Vorgabe der Kameraperspektive oder eine Anonymisierungsanordnung sichergestellt ist, dass der Angeklagte nicht identifiziert wird. Das Verbot erzielt diesbezüglich jedoch sogar einen mittleren Gewinn.279 Ein gleich großer Gemeinwohlgewinn wie durch das Aufnahmeverbot wäre für das Recht auf ein faires Verfahren nur zu erzielen, wenn Angeklagter und Verteidiger nicht aufgenommen werden dürften.280 Dasselbe gilt für das Recht der persönlichen Ehre, die Unschuldsvermutung und den ungestörten äußeren Verfahrensablauf, sofern die Anzahl der Medienvertreter, die Aufnahmen anfertigen, ihr Standort und die zulässigen Kameraperspektiven vorgegeben werden oder wenn das Gericht die Aufnahmen entsprechend anfertigt.281 Auch in dieser Hinsicht können die Regelungen denselben Gemeinwohlgewinn erzielen wie ein Verbot. Des Weiteren lassen sich an dieser Stelle die positiven englischen Erfahrungen mit den streng reglementierten Aufnahmen am Court of Appeal und mit den gerichtseigenen Aufnahmen am Supreme Court fruchtbar machen. Diese Erfahrungen deuten darauf hin, dass jedenfalls eine geregelte Zulassung der Aufnahmen Gefahren für die Rechtsfindung sowie den allgemeinen Justizgewährungsanspruch ausräumen kann.282 Lassen die Risiken für diese Positionen sich aber 276
Vgl. Kap. 5, B. III. 5. d) aa). Vgl. Kap. 5, B. III. 5. d) bb) (2), cc) (2). 278 Kap. 5, B. III. 5. c) cc) (8). 279 Kap. 5, B. III. 5. c) cc) (2) (d), (9). 280 Kap. 5, B. III. 5. c) cc) (5). 281 Kap. 5, B. III. 5. c) cc) (2) (c), (3), (7). 282 Kap. 4, D. 277
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bereits auf diese Weise beseitigen, werden durch eine Reglementierung dieselben Gemeinwohlgewinne erzielt wie mit einem Aufnahmeverbot. Welche der aktuellen englischen Rahmenbedingungen konkret dazu führen können, dass die Gefahren durch die Aufnahmen auch in Deutschland verringert werden, muss sich noch herausstellen. Teilweise stimmen die Vorgaben in England mit denen überein, die bereits vorgeschlagen wurden. So werden am Supreme Court etwa nur gewisse Personen, nämlich die professionellen Verfahrensbeteiligten, aufgezeichnet.283 Am Court of Appeal sind mit Nahaufnahmen bspw. gewisse Kameraeinstellungen untersagt.284 Jedenfalls muss es, wie in England, auch hierzulande möglich sein, die Aufnahmen im äußersten Fall wieder zu untersagen.285 Nach alledem lässt sich durch die beiden weniger gravierenden Regelungen zwar nicht für alle, aber doch für viele der Rechte und schutzwürdigen Interessen, die durch die Aufnahmen gefährdet sind, ein ebenso großer Gemeinwohlgewinn erzielen wie durch ein Aufnahmeverbot. (3) Kombination der denkbaren Regelungen Vergleicht man die Gemeinwohlgewinne, die ein solches Verbot in den Rechtsinstanzen erzielen kann, mit den Gewinnen, die dadurch in den Tatsacheninstanzen denkbar sind, zeigt sich, dass der angemessene Ausgleich zwischen den kollidierenden Positionen nicht durch ein Verbot erreicht werden kann. Während den schweren Beeinträchtigungen in den Tatsacheninstanzen erhebliche Gemeinwohlgewinne gegenüberstehen, streiten in den Rechtsinstanzen bereits zahlenmäßig weniger Rechte und Interessen für ein Verbot der Aufnahmen. Allerdings könnten auch in diesen Instanzen Vorgaben für Aufnahmen oder die Übertragung der Aufnahmetätigkeit auf das Gericht zwar viele, aber nicht alle denkbaren Gemeinwohlgewinne realisieren. Ein angemessener Ausgleich zwischen den kollidierenden Positionen ist daher erneut erst durch eine Kombination der beiden Ansätze möglich: In den Rechtsinstanzen in Strafverfahren wiegen die denkbaren Gemeinwohlgewinne, die ein Aufnahmeverbot erzielen kann, im Grundsatz schwerer als die Beeinträchtigungen der kollidierenden Positionen. Aufnahmen müssen daher prinzipiell verboten werden. Fallen im Einzelfall aber die Gemeinwohlgewinne für bestimmte Positionen weg, die das Verbot schützt, und lassen sich Gewinne für die übrigen Positionen größtenteils durch eine Reglementierung der Aufnahmen erzielen, stellt ihr Verbot eine unangemessene Beeinträchtigung dar. Unter diesen Um283
Kap. 4, B. II. 2. c). Kap. 4, B. II. 3. c) bb). 285 Zu dieser Möglichkeit in England: Kap. 4, B. II. 2. c), 3. e). 284
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Kap. 5: Gerichtssaalberichterstattung de lege ferenda
ständen muss eine Ausnahme hiervon möglich sein, jedoch verbunden mit den Vorgaben, für die auf die Ausführungen zu den Tatsacheninstanzen der anderen Verfahrensarten verwiesen werden kann.286 ee) Aufnahmen in den Rechtsinstanzen der übrigen Verfahrensarten und den Verfahren am BVerfG (1) Aufnahmeverbot als angemessene Regelung? In den Rechtsinstanzen außerhalb des Strafverfahrens und in den Verfahren am BVerfG stehen schweren Beeinträchtigungen der Positionen, die für Aufnahmen sprechen,287 im Fall eines Aufnahmeverbotes noch geringere Gemeinwohlgewinne gegenüber als bereits in den Tatsacheninstanzen.288 Wie für die Rechtsinstanzen der Strafverfahren gezeigt, können für die Wahrheitsfindung ausschließlich und für die engere persönliche Lebenssphäre und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung primär in den Tatsacheninstanzen Gemeinwohlgewinne erzielt werden.289 Die genannten Positionen können deshalb in den Rechtsinstanzen nicht oder jedenfalls nicht pauschal zugunsten eines Aufnahmeverbotes angeführt werden. Für das Verbot spricht jedoch, dass sich dadurch immer ein großer Gewinn mit Blick auf das Recht der persönlichen Ehre sowie den ungestörten äußeren Verfahrensablauf erzielen lässt.290 Im Einzelfall kann ein großer Gewinn auch für die Rechte am eigenen Bild sowie am eigenen gesprochenen Wort erreicht werden.291 Ein kleiner Gewinn ist daneben im Hinblick auf die Rechtsfindung und auf den allgemeinen Justizgewährungsanspruch denkbar.292 Wiederum im Einzelfall kann zudem ein mittlerer Gewinn für den Schutz der engeren persönlichen Lebenssphäre und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung erzielt werden.293 Ebenso wie in den Tatsacheninstanzen294 entfällt der Gemeinwohlgewinn für einige der Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aber, wenn die Betroffenen in die Aufnahmen einwilligen. Er fällt in der Abwägung zudem weniger schwer ins Gewicht, wenn nur die professionellen Verfahrensbeteiligten 286
Vgl. Kap. 5, B. III. 5. d) cc) (3). Vgl. Kap. 5, B. III. 5. d) aa). 288 Zu den denkbaren Gewinnen in den Tatsacheninstanzen: Kap. 5, B. III. 5. d) cc) (1). 289 Vgl. Kap. 5, B. III. 5. d) dd) (1). 290 Kap. 5, B. III. 5. c) cc) (2) (c), (7). 291 Kap. 5, B. III. 5. c) cc) (2) (b). 292 Kap. 5, B. III. 5. c) cc) (4) (c), (6). 293 Kap. 5, B. III. 5. c) cc) (2) (a). 294 Vgl. Kap. 5, B. III. 5. d) cc) (1). 287
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aufgenommen werden, was in den Rechtsinstanzen und am BVerfG häufig der Fall sein wird.295 Das ohnehin schwache Argument für ein Aufnahmeverbot wird in diesem Fall noch einmal abgeschwächt. (2) Reglementierung der Aufnahmen als angemessene Regelung? Die beiden Regelungen der Aufnahmen, die weniger schwere Beeinträchtigungen darstellen,296 können in den Rechtsinstanzen und am BVerfG beinahe dieselben Gewinne erzielen wie ein Aufnahmeverbot. Ebenso wie in den Tatsacheninstanzen gilt dies für das Recht der persönlichen Ehre und für den ungestörten äußeren Verfahrensablauf. Der Gemeinwohlgewinn ist diesbezüglich ebenso groß wie im Fall eines Aufnahmeverbots, wenn jene Vorgaben gemacht bzw. vom Gericht umgesetzt werden, die bereits mit Blick auf die Tatsacheninstanzen erörtert wurden.297 An dieser Stelle können außerdem, ebenso wie in den Rechtsinstanzen der Strafverfahren, die englischen Erfahrungen mit den streng reglementierten Aufnahmen am Court of Appeal und mit den gerichtseigenen Aufnahmen am Supreme Court herangezogen werden. Sie deuten darauf hin, dass auch die Risiken für die Rechtsfindung und den allgemeinen Justizgewährungsanspruch bereits durch solche Maßnahmen ausgeräumt werden können.298 Die Reglementierung kann in diesem Fall einen ebenso großen Gemeinwohlgewinn erzielen wie ein Aufnahmeverbot. Erneut wird zwar noch zu prüfen sein, welche der englischen Rahmenbedingungen konkret hierzu beitragen. Vorerst muss jedenfalls auch eine Untersagung der Aufnahmen im Einzelfall möglich sein.299 Keinen Gewinn erzielt die Reglementierung der Aufnahmen damit nur hinsichtlich der engeren persönlichen Lebenssphäre und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, falls sie im Einzelfall einmal gefährdet sind.300 Ein geringerer Gewinn als durch ein Aufnahmeverbot ist im Einzelfall auch durch die Vorgaben mit Blick auf das Recht am eigenen Bild und am eigenen gesprochenen Wort denkbar, die für die Tatsacheninstanzen entwickelt wurden.301 Lässt sich daher überwiegend durch die weniger gravierende Reglementierung der Aufnahmen (fast) derselbe Gemeinwohlgewinn erzielen wie durch ihr Verbot, kann letzteres keinen angemessenen Ausgleich zwischen den kollidie295
Vgl. Kap. 5, B. III. 5. d) dd) (1). Vgl. Kap. 5, B. III. 5. d) aa). 297 Vgl. Kap. 5, B. III. 5. d) cc) (2). 298 Kap. 4, D. 299 Zu der parallel ausgestalteten angemessenen Regelung für die Rechtsinstanzen der Strafverfahren: Kap. 5, B. III. 5. d) dd) (2). 300 Kap. 5, B. III. 5. c) cc) (2) (a). 301 Kap. 5, B. III. 5. c) cc) (2) (b). 296
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renden Positionen darstellen. Ein solcher Ausgleich wird stattdessen durch die beschriebenen Vorgaben für die Aufnahmen der Medien geschaffen, für die auf die Ausführungen zu den Tatsacheninstanzen der anderen Verfahrensarten verwiesen wird.302 ff) Textberichte in Echtzeit (1) Verbot der Textberichte in Echtzeit als angemessene Regelung? Auch mit Blick auf Textberichte in Echtzeit ist als restriktivste Regelung zunächst deren Verbot zu betrachten. Dieses stellt eine noch schwerere Beeinträchtigung dar als ein Aufnahmeverbot.303 Mit ihm lassen sich andersherum aber bereits zahlenmäßig geringe Gemeinwohlgewinne erzielen: Für das Recht am eigenen Bild und am eigenen gesprochenen Wort, das Recht der persönlichen Ehre, die Wahrheitsfindung, sofern sie durch eine Vorabinformation der Zeugen gefährdet wird, sowie den ungestörten äußeren Verfahrensablauf sind infolge eines Verbotes der Textberichte in Echtzeit keine Gewinne denkbar.304 In den Strafverfahren gilt dasselbe für das Recht auf Resozialisierung, die Unschuldsvermutung und die Präventionswirkung der Berichte.305 Mit Ausnahme der Präventionswirkung und des ungestörten äußeren Verfahrensablaufs handelt es sich dabei um abstrakt besonders gewichtige Positionen.306 Sie können der gravierenden Beeinträchtigung durch ein Verbot der Textberichte in Echtzeit nicht entgegengehalten werden. Die konkreten Gewinne, die sich mit einem Verbot der Textberichterstattung in Echtzeit erzielen lassen, sind damit sogar in den Tatsacheninstanzen in Strafverfahren überwiegend nur klein.307 (2) Reglementierung der Textberichte in Echtzeit als angemessene Regelung? Betrachtet man sodann die ebenfalls denkbaren Vorgaben für die Anfertigung der Textberichte in Echtzeit, kann erneut auf die positive englische Erfahrung Bezug genommen werden. In England wird die Textberichterstattung in Echtzeit prinzipiell zugelassen, kann aber im Einzelfall beschränkt werden.308 Die englische Erfahrung deutet darauf hin, dass die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege, das 302
Vgl. Kap. 5, B. III. 5. d) cc) (3). Kap. 5, B. III. 5. d) aa). 304 Kap. 5, B. III. 5. c) cc) (2) (b), (c), (4) (b), (7). 305 Kap. 5, B. III. 5. c) cc) (2) (d), (3), (9). 306 Kap. 5, B. III. 5. b) bb). 307 Vgl. Kap. 5, B. III. 5. c) cc) (4) (a), (c), (5), (6), (8). Mit Blick auf die engere persönliche Lebenssphäre und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären allerdings mittlere Gewinne zu erzielen (Kap. 5, B. III. 5. c] cc] [2] [a]). 308 Kap. 4, B. IV. 2. b), 3., 4. 303
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Recht auf ein faires Verfahren sowie der allgemeine Justizgewährungsanspruch durch eine solche reglementierte Zulassung der Textberichterstattung in Echtzeit nicht gefährdet werden.309 Eine Reglementierung erzielt demnach denselben Gemeinwohlgewinn wie ein Verbot der Berichte. Durch Vorgaben für die Anfertigung der Textberichte in Echtzeit kann daher lediglich jener mittlere Gewinn nicht erzielt werden, der mit Blick auf die engere persönliche Lebenssphäre und auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung – in einigen Instanzen und Verfahrensarten allerdings nur im Einzelfall – durch ein Verbot denkbar ist.310 Dasselbe gilt für die Vermeidung der kriminogenen Wirkung der Berichte, die aber von vornherein nur in Strafverfahren relevant ist.311 Sie ist außerdem ein abstrakt weniger gewichtiges Interesse.312 Dass die möglichen Gemeinwohlgewinne infolge der Vorgaben für die Textberichte in Echtzeit im Vergleich mit deren Verbot nur leicht verringert werden, steht der erheblich geringeren Beeinträchtigung derjenigen Rechte und schutzwürdigen Interessen gegenüber, die für jene Berichterstattung sprechen. Insbesondere würden die beiden Medienfreiheiten durch Vorgaben für die Anfertigung der Berichte nicht tangiert.313 Eine Untersagung stellt deshalb keinen angemessenen Ausgleich zwischen den kollidierenden Positionen dar. Dieser besteht vielmehr in Vorgaben, die Medienvertreter im Einzelfall bei der Textberichterstattung in Echtzeit berücksichtigen müssen. 6. Zusammenfassung zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erfordert eine abgestufte Regelung der Berichterstattung aus dem Gerichtssaal. Die Aufnahmen in den Tatsacheninstanzen in Strafverfahren sollten dabei absolut verboten sein. In den Rechtsinstanzen der Strafgerichte sollten sie dagegen grundsätzlich untersagt sein, im Einzelfall aber, verbunden mit Einschränkungen, zugelassen werden können. Bei diesen Einschränkungen sollte es sich insbesondere um Vorgaben für Anzahl und Standort der Medienvertreter, die zulässigen Kamerapositionen und die Personen, die aufgenommen oder die nur anonymisiert gezeigt werden dürfen, handeln. Daneben sollte vorgegeben werden können, dass die Aufnahmen nur zeitversetzt veröffentlicht werden. Weitere, noch unbenannte Vorgaben sollten ebenfalls möglich sein. Auf die gleiche Art und Weise sollte die Regelung in den Tatsacheninstanzen der übrigen Verfahrensarten ausgestaltet werden. 309
Kap. 4, D. Kap. 5, B. III. 5. c) cc) (2) (a). 311 Kap. 5, B. III. 5. c) cc) (8). 312 Kap. 5, B. III. 5. b) bb). 313 Kap. 5, B. III. 5. c) bb) (2) (c). 310
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Kap. 5: Gerichtssaalberichterstattung de lege ferenda
In den Rechtsinstanzen dieser anderen Verfahrensarten und in den Verfahren am BVerfG sollten die Aufnahmen dagegen im Grundsatz gestattet werden und mit den eben genannten Vorgaben versehen werden können. Sie sollten zudem im Einzelfall verboten werden können. Ebenso sollten Textberichte in Echtzeit in sämtlichen Instanzen und Verfahrensarten prinzipiell zulässig sein. Auch diese Berichte sollten im Einzelfall jedoch mit Vorgaben für ihre Durchführung versehen oder untersagt werden können.
C. Vergleich der erarbeiteten zeitgemäßen Rahmenbedingungen mit den aktuellen Rahmenbedingungen Vergleicht man die zeitgemäßen Rahmenbedingungen für die Gerichtssaalberichterstattung, die soeben erarbeitet wurden, mit dem aktuellen Rechtsrahmen dieser Berichterstattung, zeigen sich sowohl Parallelen als auch Unterschiede. Ein großer Unterschied liegt darin, dass es sich bei dem aktuellen Rechtsrahmen nicht um eine nur vorläufige Regelung handelt. Einer endgültigen Regelung der Berichterstattung steht aber entgegen, dass ihre Auswirkungen noch nicht erforscht wurden.314 Auch hinsichtlich der Ausgestaltung der Rahmenbedingungen ergeben sich allerdings Unterschiede. Das nötige absolute Verbot der Aufnahmen in den Tatsacheninstanzen der Strafverfahren deckt sich im Hinblick auf Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen während der mündlichen Verhandlung zwar mit § 169 Abs. 1 S. 2 GVG.315 Im Umfeld der Verhandlung sind derartige Aufnahmen zur Zeit jedoch prinzipiell gestattet und müssen im Einzelfall beschränkt werden.316 Dasselbe gilt für die Bild-Aufnahmen im Gericht generell.317 In dieser Hinsicht bleibt die aktuelle Rechtslage hinter dem erarbeiteten Rechtsrahmen zurück. In den Tatsacheninstanzen aller übrigen Verfahrensarten sind die Bild/Tonund Ton-Aufnahmen derzeit ebenfalls gemäß § 169 Abs. 1 S. 2 GVG verboten. Dies geht über das prinzipielle Verbot mit Ausnahmemöglichkeit hinaus, das für jene Instanzen als zeitgemäß erarbeitet wurde.318 Im Umfeld der mündlichen Verhandlung sind sämtliche Aufnahmen in diesen Verfahrensarten dagegen aktuell im Grundsatz zugelassen. Dasselbe gilt für die Bild-Aufnahmen im Gericht
314
Kap. 5, B. III. 2. b). Zu ersterem: Kap. 5, B. III. 5. d) bb). Zu letzterem: Kap. 1, B. II. 1. 316 Kap. 1, B. III. 317 Kap. 1, C. 318 Vgl. Kap. 5, B. III. 5. d) cc). 315
D. Entwicklung einer Reformvorschrift
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generell. In dieser Hinsicht bleibt die derzeitige Rechtslage hinter der erarbeiteten Regelung zurück, die ein grundsätzliches Verbot dieser Aufnahmen vorsieht. In den Rechtsinstanzen der Strafverfahren gilt zur Zeit für Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen im Grundsatz das Verbot des § 169 Abs. 1 S. 2 GVG. Am BGH kann davon aber im Einzelfall gemäß § 169 Abs. 3 S. 1 GVG eine Ausnahme gemacht werden.319 In dieser Hinsicht sind die derzeitige und die erarbeitete Regelung kongruent.320 Allerdings sind die Aufnahmen im Umfeld der mündlichen Verhandlung und die Bild-Aufnahmen gegenwärtig grundsätzlich gestattet, sodass die Rechtslage in dieser Hinsicht hinter den erarbeiteten Rahmenbedingungen zurückbleibt, die ein prinzipielles Verbot vorsehen. Für die Rechtsinstanzen der übrigen Verfahrensarten und die Verfahren am BVerfG wurde die prinzipielle Zulassung der Aufnahmen als zeitgemäße Regelung erarbeitet.321 Die aktuelle Regelung ist im Umfeld der mündlichen Verhandlung und bezüglich der Bild-Aufnahmen deckungsgleich hiermit. Jedoch sind die Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen während der mündlichen Verhandlungen all dieser Gerichte nach § 169 Abs. 1 S. 2 GVG grundsätzlich untersagt. Nur eng begrenzt wird davon an den obersten Bundesgerichten in § 169 Abs. 3 S. 1 GVG und am BVerfG in § 17a Abs. 1 S. 2 BVerfGG322 eine Ausnahme gemacht. Insofern bleibt die derzeitige Rechtslage hinter der erarbeiteten Regelung zurück. Textberichte in Echtzeit zuletzt sind derzeit bereits grundsätzlich zulässig, sodass die derzeitige Rechtslage der erarbeiteten Regelung entspricht.323 Die rechtlichen Rahmenbedingungen der Gerichtssaalberichterstattung sind de lege lata demnach nur vereinzelt deckungsgleich mit dem, was in dieser Arbeit als zeitgemäße Regelung dieser Berichterstattung erarbeitet wurde. Teils sind sie strenger, teils liberaler. Daraus und aus der Endgültigkeit der aktuellen Regelung ergibt sich ein Reformbedarf.
D. Entwicklung einer Reformvorschrift I. Anhaltspunkte für die Formulierung der Vorschrift Die erarbeitete, zeitgemäße Regelung muss im letzten Schritt nunmehr in dem Umfang in Gesetzesform gegossen werden, in dem sie der derzeitigen Rechtsla319
Kap. 1, B. II. 3. Zur letzterer Regelung: Kap. 5, B. III. 5. d) dd). 321 Vgl. Kap. 5, B. III. 5. d) ee). 322 Kap. 1, B. II. 2. 323 Zur derzeitigen Rechtslage: Kap. 1, E. Zur erarbeiteten Rechtslage: Kap. 5, B. III. 5. d) ff). 320
380
Kap. 5: Gerichtssaalberichterstattung de lege ferenda
ge nicht entspricht. Als Vorbilder für die konkrete Formulierung können sowohl die einschlägigen, aktuell geltenden Normen des deutschen Rechts als auch die rechtlichen Vorgaben in England herangezogen werden. Zudem finden sich in der Literatur diverse konkrete Vorschläge für die Ausgestaltung des Rechtsrahmens der Gerichtssaalberichterstattung, die an den passenden Stellen im Folgenden ebenfalls beleuchtet werden.
II. Künftiger Regelungskontext Die Vorschriften, die zur Zeit den Rahmen der Gerichtssaalberichterstattung ausmachen, sind dem Gerichtsverfassungsrecht (§§ 169, 176 GVG) oder dem Prozessrecht (§ 55 VwGO, § 61 Abs. 1 SGG, § 52 Abs. 1 FGO, §§ 52 S. 4, 72 Abs. 6 ArbGG, § 17a BVerfGG) zuzuordnen. In England ist das gesetzliche Verbot der Bild- und Bild/Ton-Aufnahmen nach s. 41 CJA 1925 dagegen dem Strafrecht zugehörig. Verstöße gegen das Verbot der Ton-Aufnahmen in s. 9 CCA 1981 und Aufnahmen, die mittels des im common law verankerten Instituts des criminal contempt of court geahndet werden, sind ebenfalls strafbewehrt. In ähnlicher Weise wird in der deutschen Literatur von einigen Autoren gefordert, vor allem unzulässige Aufnahmen strafrechtlich zu sanktionieren.324 Vereinzelt wird stattdessen auf das Ordnungswidrigkeitenrecht verwiesen und eine medienrechtliche Sanktion vorgeschlagen.325 Das Strafrecht soll nach dem Ultima-Ratio-Prinzip aber erst zur Anwendung kommen, wenn ein Verhalten mit anderen Mitteln nicht mehr effektiv verhindert werden kann.326 Weder gegen das Aufnahmeverbot in § 169 Abs. 1 S. 2 GVG327 noch gegen die sitzungspolizeilichen Medienverfügungen wurde jedoch bisher im großen Stil verstoßen. Diese Erfahrungen sprechen dafür, dass die gerichtsverfassungsrechtlichen bzw. prozessrechtlichen Regelungen ausreichen, um das Altenhain, Gutachten 71. DJT, C 104; Hauth, Sitzungspolizei, S. 215 f., 218; Hirzebruch, Neue Medien, S. 340; Stock, Gerichtsshows, S. 33 wollen dafür § 33 KUG auf verschiedene Weise fruchtbar machen. Dagegen wollen Braun, Medienberichterstattung, S. 216; Mitsch, ZRP 2014, 137 (140); Schwerdtner, JZ 1990, 769 (770 f.); Rinsche, ZRP 1987, 384 (386) an § 353d StGB anknüpfen. Einen völlig anderen Ansatz verfolgt Bausback, in: Spiekermann, NJW-aktuell 21/2017, 12 (13), der eine neue Strafvorschrift schaffen will, die Aufnahmen sanktioniert. 325 Knothe/Wanckel, ZRP 1996, 106 (109) bemühen das Rundfunkrecht, Rinsche, ZRP 1987, 384 (386) will das Presserecht fruchtbar machen. Kritisch zum Fehlen einer Sanktionsmöglichkeit in § 169 S. 2 GVG a. F. allgemein auch Kohlhaas, NJW 1970, 600; Weiler, ZRP 1995, 130 (133). 326 Hassemer/Neumann, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, Vorbemerkungen zu § 1 Rn. 72 m. w. N. 327 Danziger, Medialisierung, S. 412. 324
D. Entwicklung einer Reformvorschrift
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Fehlverhalten der Medienvertreter zu verhindern. Sollten die Grenzen des Zulässigen doch einmal überschritten werden, kann zudem nach §§ 177 f. GVG bereits heute mit repressiven Maßnahmen reagiert werden. Der Vorsitzende Richter kann nach § 177 Abs. 1 GVG bspw. Journalisten, die unerlaubte Aufnahmen anfertigen, aus dem Sitzungssaal entfernen. Demnach besteht kein praktisches Bedürfnis für eine strafrechtliche Regelung. Auch medienrechtliche Sanktionen sind entbehrlich. Die Neuregelung sollte deshalb im GVG bzw. in der jeweiligen Verfahrensordnung erfolgen. Aus Gründen der Einheitlichkeit sollte die Reformvorschrift im Zusammenhang mit § 169 GVG bzw. den korrespondierenden Vorschriften der einschlägigen Prozessordnungen eingeführt werden. Die durch das EMöGG etablierten Vorgaben für die Berichterstattung aus dem Gericht wurden ebenfalls in diese Normen eingefügt. Der Übersichtlichkeit halber sollte jedoch nicht § 169 GVG ergänzt, sondern ein vollkommen neuer § 169a GVG eingeführt werden. Er sollte alle Regelungen für die Medienarbeit im Gericht enthalten, also bspw. auch die Vorgaben zu den Medienarbeitsräumen (§ 169 Abs. 1 S. 3–5 GVG).
III. Regelung der Aufnahmen in den Tatsacheninstanzen der Strafverfahren 1. § 169 Abs. 1 S. 2 GVG als Vorbild Als Vorbild für die Regelung von Aufnahmen in den strafgerichtlichen Tatsacheninstanzen kann das derzeitige Verbot nach § 169 Abs. 1 S. 2 GVG dienen. Während es in Teilen bereits dem erarbeiteten, zeitgemäßen Rechtsrahmen entspricht, sollte die Reformvorschrift in zweierlei Hinsicht weiter gefasst werden: Das Aufnahmeverbot gilt zur Zeit einerseits nur während der mündlichen Verhandlung und am Ort der Verhandlung.328 Eine Begrenzung auf den Zeitraum der Verhandlung wurde jedoch als unangemessen abgelehnt.329 Demzufolge ist auch die räumliche Einschränkung auf jenen Ort unzureichend. Das Verbot erfasst andererseits aktuell nur Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen.330 Es sollten aber alle Arten der Aufnahmen in der und um die mündliche Verhandlung untersagt werden.331
328
Kap. 1, B. II. 1. c) bb), cc). Vgl. Kap. 5, B. III. 5. d) bb) (2). 330 Kap. 1, B. II. 1. c) aa) (1). 331 Vgl. Kap. 5, B. III. 5. d) bb). 329
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Kap. 5: Gerichtssaalberichterstattung de lege ferenda
2. Sachliche Ausdehnung In sachlicher Hinsicht beziehen sich in England das Verbot gemäß s. 41 CJA 1925332 und die Untersagung auf Basis des Rechts des criminal contempt of court333 auch auf Bild-Aufnahmen. Dasselbe wurde für das Verbot in § 169 Abs. 1 S. 2 GVG in Deutschland von manchen Autoren gefordert.334 Dieser Forderung sollte in der Reformvorschrift nachgekommen werden. Dabei ist Altenhain in seiner zum EMöGG geäußerten Ansicht zuzustimmen, dass die Formulierung des Aufnahmeverbotes an die zunehmende Konvergenz der Medien angepasst werden muss.335 Sie sollte dabei derart offen erfolgen, dass heute noch unbekannte Kommunikationswege in Zukunft erfasst werden, ohne dass der Wortlaut erneut geändert werden muss. Künftig sollte die Vorschrift daher nur von Aufnahmen sprechen. Damit lassen sich auch alle Zweifel mit Blick auf die in Art. 5 Abs. 2 GG verbotene Medienspezifität der Norm ausräumen.336 3. Räumliche Ausdehnung Die Rahmenbedingungen der Aufnahmen in England bieten auch Beispiele für eine Ausdehnung des Aufnahmeverbots über den von § 169 Abs. 1 S. 2 GVG allein erfassten Ort der mündlichen Verhandlung hinaus. S. 41(2)(c) CJA 1925 erfasst explizit den Gerichtssaal, das Gerichtsgebäude und das Umfeld des Gebäudes.337 S. 9(1) CCA 1981 ist sprachlich weiter gefasst, indem er Ton-Aufnahmen „im Gericht“ untersagt.338 Nach dem Recht des contempt of court sind Aufnahmen im gesamten Gerichtsgebäude verboten.339 In ähnlicher Hinsicht wurde im deutschen Schrifttum verlangt, das Verbot in § 169 Abs. 1 S. 2 GVG auf das gesamte Gerichtsgebäude auszudehnen.340 Auch eine derart konkrete Formulie332
Kap. 4, B. II. 1. c) bb). Kap. 4, B. II. 5. 334 Kreicker, ZIS 2017, 85 (105); Schmidt, Justiz und Publizistik, S. 37; ders., NJW 1968, 806; Schwerdtner, JZ 1990, 769 (770); Stürner, Gutachten 58. DJT, A 41 f.; Witzler, Personale Öffentlichkeit, S. 186 f. Für ein Verbot der Bild-Aufnahmen schon vor Erlass des § 169 S. 2 GVG a. F. außerdem Dahs, AnwBl 1950, 171 (181); ders., NJW 1961, 1755 (1756 f.); DRB, DRiZ 1960, 197; Jescheck, ZStW 74 (1962), 189 (194); Sarstedt, in: Rechtsstaat als Aufgabe, S. 272 (S. 275); Schmidt, in: FS Schmidt, S. 338 (S. 345); ders., Sache der Justiz, S. 28; Schmidt-Leichner, AnwBl 1961, 26 (35). 335 Altenhain, DRiZ 2016, 304. 336 Ausführlich hierzu: Kap. 5, B. II. 337 Kap. 4, B. II. 1. c) ff). 338 Kap. 4, B. III. 1. c) cc). 339 So waren bspw. die Bild-Aufnahmen in der Gerichtskantine und im Foyer des Gerichtsgebäudes bestraft worden (Kap. 4, B. II. 5. b], e]). 340 Schwerdtner, JZ 1990, 769 (770); Stürner, Gutachten 58. DJT, A 41 f.; Wallraf, AfP 1982, 160 (163). Für ein entsprechend weites Verbot vor der Einführung des § 169 S. 2 GVG 333
D. Entwicklung einer Reformvorschrift
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rung kann jedoch, wie die Rechtsunsicherheit bei der Auslegung des Verbots in s. 41(1) CJA 1925 in England zeigt, nicht in allen denkbaren Fällen Klarheit über den räumlichen Anwendungsbereich schaffen.341 Sie geht dabei jedoch auf Kosten der Flexibilität, bspw. indem Verhandlungen außerhalb des Gerichtsgebäudes nicht erfasst sind. Dort sind die durch die Aufnahmen (potentiell) gefährdeten Rechte und Interessen aber ebenso schutzwürdig, sodass ihr Verbot auch an diesem Ort eingreifen sollte. Insofern liefert der räumliche Anwendungsbereich der Ausnahme von den Verboten in s. 41(1) CJA 2015 und in s. 9(1) CCA 1981 für den Court of Appeal einen geeigneteren Anhaltspunkt. An diesem Gericht sind die Aufnahmen ausnahmsweise gestattet, „wherever [the court] sits“342. Das Gerichtsverfassungsrecht bietet mit dem Begriff der „Sitzung“ einen vergleichbaren, räumlich neutralen Anknüpfungspunkt. Legt man diesen Begriff – wie im ersten Kapitel erarbeitet –343 funktional aus, erfasst er zudem auch ungewöhnliche Verhandlungsorte, also sämtliche Konstellationen, in denen das Aufnahmeverbot zum Schutz der gefährdeten Rechte und Interessen erforderlich sein kann. Das Aufnahmeverbot sollte daher in räumlicher Hinsicht auf die gesamte Sitzung ausgedehnt werden. 4. Zeitliche Ausdehnung Für die Ausdehnung des Aufnahmeverbots in zeitlicher Hinsicht enthalten die gesetzlichen Verbote in England keinerlei Anhaltspunkte. Insbesondere für die Untersagung der Aufnahmen nach s. 41(1) CJA 1925 ist die zeitliche Anwendbarkeit aus diesem Grund stark umstritten.344 Im deutschen Schrifttum wurde teilweise gefordert, den zeitlichen Anwendungsbereich des Aufnahmeverbots in § 169 Abs. 1 S. 2 GVG auf Phasen vor und nach der mündlichen Verhandlung und deren Pausen auszudehnen.345
a. F. ebenfalls Dahs, AnwBl 1950, 171 (181); ders., NJW 1961, 1755 (1756). Für eine Ausdehnung des nach seiner Meinung in § 176 GVG zu verankernden Fotoverbots auf das Gebäude außerdem Schöch, in: AE-StuM, S. 79 (S. 86, 88). Dagegen wollte Schmidt, Justiz und Publizistik, S. 37 einen neuen § 169a GVG einfügen, der Aufnahmen im gesamten Gerichtsgebäude verbietet. 341 Vgl. Kap. 4, B. II. 1. c) ff). 342 Kap. 4, B. II. 3. c) dd). 343 Vgl. Kap. 1, B. III. 2. b) aa) (2), (3). 344 Vgl. Kap. 4, B. II. 1. c) ee). 345 Stürner, Gutachten 58. DJT, A 42 schlug vor, die Aufnahmen in dieser Phase unter den Vorbehalt der gerichtlichen Gestattung zu stellen. Für ein Verbot vor Erlass des § 169 S. 2 GVG a. F. auch Dahs, AnwBl 1959, 171 (181); ders., NJW 1961, 1755 (1756).
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Kap. 5: Gerichtssaalberichterstattung de lege ferenda
Um dabei ähnliche Unklarheiten wie derzeit in England zu vermeiden, sollte das Verbot in Deutschland allerdings konkrete Anhaltspunkte für seinen zeitlichen Anwendungsbereich enthalten. Nimmt man die Fälle in den Blick, in denen in England auf Basis des Rechts des criminal contempt of court eingeschritten wurde, zeigt sich, dass dieses Verbot nicht auf die mündliche Verhandlung selbst begrenzt ist, sondern auch in ihrem Umfeld gilt.346 Um hierzulande eine ähnliche Reichweite für das Verbot zu schaffen, kann wiederum an den Begriff der „Sitzung“ angeknüpft werden. Bei funktionaler Auslegung erfasst er auch in zeitlicher Hinsicht alle Situationen, in denen Aufnahmen (möglicherweise) Risiken für die Rechte und schutzwürdige Interessen darstellen. Auch in zeitlicher Hinsicht sollte das Aufnahmeverbot daher auf die gesamte Sitzung ausgedehnt werden.
IV. Regelung der Aufnahmen in den Rechtsinstanzen der Strafverfahren und den Tatsacheninstanzen der übrigen Verfahrensarten 1. § 169 Abs. 1 S. 2 GVG i. V. m. § 169 Abs. 3 S. 1 GVG als Vorbilder Vorbild für die einander stark ähnelnden Neuregelungen der Aufnahmen in den strafgerichtlichen Rechtsinstanzen und in den Tatsacheninstanzen der übrigen Verfahrensarten kann § 169 Abs. 1 S. 2 GVG i. V. m. § 169 Abs. 3 S. 1 GVG sein. Danach sind an den erfassten Gerichten Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen in der mündlichen Verhandlung grundsätzlich verboten, können aber während der Entscheidungsverkündung zugelassen werden, wenn ein besonderer Fall vorliegt. Werden Aufnahmen gestattet, können sie mit Auflagen versehen oder untersagt werden. Eine derart ausgestaltete Regelung entspricht, erstreckt man sie auf alle Instanzen und Verfahrensabschnitte, teilweise bereits dem als zeitgemäß erarbeiteten grundsätzlichen Aufnahmeverbot in den strafgerichtlichen Rechtsinstanzen und den Tatsacheninstanzen der übrigen Verfahrensarten.347 Wie für die strafgerichtlichen Tatsacheninstanzen erörtert, sollte das prinzipielle Verbot in der Reformvorschrift allerdings auch für die Rechtsinstanzen der Strafverfahren und die Tatsacheninstanzen der übrigen Verfahrensarten in sachlicher Hinsicht auf die Bild-Aufnahmen und in räumlicher wie zeitlicher Hinsicht auf die gesamte Sitzung erstreckt werden.348
346 So wurde bspw. die Aufnahme eines Richters sanktioniert, der zu diesem Zeitpunkt nicht verhandelte (Kap. 4, B. II. 5. d]). 347 Vgl. Kap. 5, B. III. 5. d) cc), dd). 348 Vgl. Kap. 5, D. III. 2., 3., 4.
D. Entwicklung einer Reformvorschrift
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2. Ausnahmsweise Zulassung der Aufnahmen a) Gebundene Entscheidung oder Ermessensentscheidung? § 169 Abs. 3 S. 1 GVG sieht vor, dass die Zulassung der Aufnahmen auf der Rechtsfolgenseite im Ermessen des Gerichts steht, wenn auf Tatbestandsseite ein besonderer Fall vorliegt.349 Teilweise wird eine Ermessensvorschrift dieser Art in der Literatur jedoch grundlegend kritisiert. Sie stelle eine Mehrbelastung für die Richter dar.350 Eine Einzelfallentscheidung könne angesichts der nötigen komplexen Abwägung zudem zu erheblichen Verfahrensverzögerungen führen.351 Daneben wird befürchtet, die Richter könnten sich aus den falschen Beweggründen für die Zulassung der Aufnahmen entscheiden oder die Gefahren, die hieraus folgten, unzutreffend einschätzen.352 Problematisch sei zuletzt, wenn die Aufnahmen infolge divergierender Ermessensentscheidungen in der Praxis uneinheitlich gestattet würden.353 Dies sei der Rechtssicherheit abträglich.354 Um diesen Bedenken zu begegnen, gleichzeitig aber die erforderlichen Ausnahmen zu ermöglichen, könnten in der Reformvorschrift sämtliche Ausnahmefälle abschließend normiert werden. So könnte bspw. geregelt werden, dass Aufnahmen zulässig sind, wenn die Beteiligten hierein einwilligen.355 Läge einer der gesetzlich geregelten Ausnahmefälle auf Tatbestandsseite vor, müssten die Richter Aufnahmen sodann zwingend zulassen. Dies würde sie auf Rechtsfolgenseite von einer Ermessensentscheidung befreien. Ein Blick nach England zeigt aber, dass sich die geäußerten Sorgen mit Blick auf die Ermessensentscheidung in der Praxis nicht realisieren müssen. In England steht es derzeit im Ermessen des jeweiligen Gerichts, die Herstellung von Ton-Aufnahmen zu gestatten. Dass dies so einheitlich wie möglich geschieht, stellen die Vorgaben für gerichtliche Entscheidungen in den Crim PR und CPD sicher.356 Die geringe Anzahl an Verstößen gegen das prinzipielle Verbot der Ton-Aufnahmen in s. 9 CCA 1981 deutet darauf hin, dass sich dieses Vorgehen in der Praxis bewährt hat.357 Am Supreme Court steht es sogar im Ermessen der 349
Kap. 1, C. II. 3. e) bb), f) aa). BVerfGE 103, 44 (70); DRB, DRiZ 1996, 246 (250). Allgemeiner Zuck, NJW 1995, 2082; ders., DRiZ 1997, 23 (31): keine „praktisch handhabbare[...] Regelung“. 351 Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 175. 352 Kortz, AfP 1997, 443 (448); Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 61 f. 353 Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 145, 152; Koschorreck, JA 1997, 134 (137); Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 62. 354 Engels, Rechtspflege, S. 133. 355 In diesem Fall spricht vieles für eine Ausnahme vom Aufnahmeverbot (Kap. 5, B. III. 5. d] cc] [1], dd] [1]). 356 Kap. 4, B. III. 1. c) aa) (1). 357 Soweit ersichtlich, wurden bislang nur zwei Verstöße geahndet (Kap. 4, B. III. 1. d]). 350
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Kap. 5: Gerichtssaalberichterstattung de lege ferenda
Richter, die Publikation der Ton-Aufnahmen zuzulassen.358 Auch dies gestaltete sich bisher vollkommen problemlos. Die Betrachtung eng verwandter Themengebiete in Deutschland unterstützt den Schluss, dass die gegen eine Ermessensentscheidung vorgetragenen Befürchtungen nicht fundiert sind. Komplexe Entscheidungen trifft das Gericht zum Beispiel schon heute, wenn es über einen Ausschluss der Öffentlichkeit befindet.359 Dass die Richter hierdurch überfordert wären, ist jedoch nicht ersichtlich. Ebenso wenig kommt es infolgedessen zu signifikanten Verfahrensverzögerungen.360 Stellt man die Ausnahmeentscheidung über die Aufnahmen demnach ebenfalls in das Ermessen der Richter, ist ohne Weiteres gewährleistet, dass sie einheitlich und an Sacherwägungen orientiert entscheiden. Hierfür sorgt die umfangreiche Rechtsprechung des BVerfG zur Gerichtssaalberichterstattung.361 An den Judikaten können die Richter sich bei ihrer Abwägung orientieren.362 Weil die Rechtsprechung bereits umfassend rezipiert wurde, ist es in Deutschland nicht nötig, sie zusätzlich in einem Regelwerk wie bspw. den Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) festzuschreiben, wie in England der Fall.363 Fehleinschätzungen der Gefahren können dadurch zwar nicht vollständig vermieden werden, sie sind aber bei Prognoseentscheidungen nie völlig zu verhindern. Weder hierzulande noch in England hat die Erfahrung mit de lege lata vorgesehenen Ermessensentscheidungen der Richter aber gezeigt, dass Derartiges im großen Ausmaß drohen. Die Entscheidung über die Zulassung der Aufnahmen sollte in der Reformvorschrift daher in das Ermessen der Richter gestellt werden. b) Zuständigkeit für die Ermessensentscheidung Die Ermessensentscheidung über die Zulassung von Aufnahmen kann entweder dem Vorsitzenden Richter364 oder dem Gericht365 übertragen werden. Für die 358
Kap. 4, B. III. 2. Britz, Fernsehaufnahmen, S. 283. 360 Gewisse Verzögerungen sind in Anbetracht des hohen Stellenwertes des Öffentlichkeitsgrundsatzes jedoch hinzunehmen (Britz, Fernsehaufnahmen, S. 283). 361 Vgl. Kap. 1, B. III. 4., C. III. 362 Britz, Fernsehaufnahmen, S. 303 f. 363 Hinzu kommt, dass eine Regelung in den RiStBV nur für das Strafverfahren zum Tragen käme, ein entsprechender Klärungsbedarf jedoch auch in den übrigen Verfahrensarten be stände. 364 Altenhain, Gutachten 71. DJT, C 94; Jauch, in: Matzen, Film und Recht 1971, 298 (299); Kujath, Laienjournalismus, S. 292 f.; Prantl, Referat 71. DJT, M 27 (M 36); Rose, SchlHA 2014, 169 (176); Vogel, Fernsehübertragungen, S. 154. 365 Bamberger, ZUM 2001, 373 (378); Britz, Fernsehaufnahmen, S. 303 f.; Hirzebruch, 359
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Übertragung auf das gesamte Gericht spricht aus systematischer Sicht, dass nach einer Vielzahl von Vorschriften zur Öffentlichkeit, etwa § 170 Abs. 1 S. 2 GVG und § 175 Abs. 2 S. 1 GVG, der gesamte Spruchkörper die erforderlichen Ermessensentscheidungen trifft.366 Betrachtet man die medienspezifischen Regelungen der Öffentlichkeit, ergibt sich aber ein anderes Bild: Über die Zulassung der Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen der Entscheidungsverkündungen an obersten Bundesgerichten entscheidet zwar das gesamte Gericht (§ 169 Abs. 3 S. 1 GVG). Über die Aufnahmen am BVerfG befindet jedoch der Vorsitzende Richter (§ 17a Abs. 2 BVerfGG). Seine Aufgabe ist es an sämtlichen Gerichten außerdem, gemäß § 176 GVG zu entscheiden, ob Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen im Umfeld der mündlichen Verhandlung, Bild-Aufnahmen und Textberichte in Echtzeit beschränkt werden.367 Überwiegend ist mit den Entscheidungen speziell über die Medienöffentlichkeit also der Vorsitzende Richter betraut.368 Diese Praxis entkräftet auch Feldmanns Argument, das Gericht müsse über die Zulassung entscheiden, weil die Entscheidung hierüber die Außendarstellung aller Richter betreffe.369 Dass de lege lata überwiegend der Vorsitzende darüber befindet, hat bislang nicht zu einer unangemessenen Darstellung der übrigen Richter geführt. Dies ist auch bei einer weitreichenderen Zulassung der Aufnahmen nicht zu erwarten. Für eine Übertragung der Entscheidung auf den Vorsitzenden ist zuletzt die andernorts erörterte Gefahr der Verfahrensverzögerung anzuführen:370 Überträgt man die Entscheidung auf einen einzelnen Richter, ist keinerlei Beratung nötig, sodass der Entschluss für oder gegen Aufnahmen rasch fallen kann. Damit kann die prinzipiell hinzunehmende Verzögerung reduziert werden. Die Ermessensentscheidung über die Zulassung von Aufnahmen sollte in der Reformvorschrift demnach allein dem Vorsitzenden übertragen werden.
Neue Medien, S. 341; ders., BRJ 2017, 5 (10); Jauch, in: Grenzen der Rechtsgewährung, S. 247 (S. 248); Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 252; Lorz, in: Herausforderungen, S. 59 (S. 79); Verfassungsrechtsausschuß, AnwBl 1997, 26 (29 f.); Walther, JZ 1998, 1145 (1152); Wyss, EuGRZ 1996, 1 (17). 366 Feldmann, GA 2017, 20 (23). 367 Kap. 1, B. III. 2. b), C. II., D. III. 368 Systemfremd und demnach abzulehnen ist der Vorschlag von Mailänder, in: FS Mailänder, S. 547 (S. 561), eine unabhängige Kommission entscheiden zu lassen. 369 Feldmann, GA 2017, 20 (23). 370 Vgl. Kap. 5, D. IV. 2. a).
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3. Beschränkung der ausnahmsweise zugelassenen Aufnahmen a) Voraussetzungen für die Beschränkung Nach § 169 Abs. 3 S. 2 GVG kann das Gericht de lege lata die Aufnahmen nur für Teile der mündlichen Verhandlung oder nur mit Auflagen gestatten, sofern dies zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der Beteiligten oder Dritter oder zur Wahrung des ordnungsgemäßen Verfahrensablaufs erfolgt. Auch eine zeitgemäße Regelung der Aufnahmen sollte bestimmte Vorgaben für ihre Herstellung vorsehen, um (potentiell) gefährdete Rechte und schutzwürdige Interessen schützen zu können, wenn Aufnahmen im Einzelfall zugelassen werden.371 Die Gefahren für den ungestörten äußeren Verfahrensablauf kann der Vorsitzende Richter dabei auf Basis der zweiten Alternative des § 169 Abs. 3 S. 2 GVG ausräumen.372 Für die übrigen Rechte und Interessen steht ihm die erste Variante zur Verfügung. Wie im ersten Kapitel gezeigt, ist der Begriff „schutzwürdige Interessen“ schließlich weit zu verstehen.373 Eindeutig erfasst sind das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Verfahrensbeteiligten und die Wahrheitsfindung. Alle übrigen Rechte und Interessen, die durch Aufnahmen gefährdet werden können, lassen sich jedoch ebenfalls hierunter subsumieren. So ist der allgemeine Justizgewährungsanspruch bspw. ein schutzwürdiges Interesse der Beteiligten und die Vermeidung kriminogener Wirkungen ein Interesse Dritter, nämlich der Allgemeinheit. Eine Übernahme der aktuellen Formulierung ist auch unter dem Aspekt der Konsistenz zielführend. Sie wird schließlich auch für die Einschränkung anderer Aspekte der Medientätigkeit verwendet, die nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit sind. So kann zum Beispiel die Tonübertragung in den Medienarbeitsraum zur Wahrung der genannten Positionen beschränkt werden (§ 169 Abs. 1 S. 4 GVG, § 17a Abs. 2 BVerfGG). Die gegenwärtige Formulierung sollte sich in der Reformvorschrift daher wiederfinden. b) Vorgaben für die zugelassenen Aufnahmen Jedoch ist mit Blick auf die Beschränkungsmöglichkeiten zu beachten, dass das Gericht nach § 169 Abs. 3 S. 2 GVG de lege lata nur zum Erlass von „Auflagen“ ermächtigt wird. Teils wird in der Literatur vertreten, eine derart abstrakte Rege-
371
Vgl. Kap. 5, B. III. 5. d) cc), dd). Vgl. Kap. 1, B. II. 2. d) bb). 373 Vgl. Kap. 1, B. II. 2. d) bb). 372
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lung reiche aus.374 Andere Autoren wollen mögliche Auflagen für Aufnahmen ausdrücklich im Gesetz verankern.375 Letzteren ist teilweise zuzustimmen: Die erarbeiteten, zeitgemäßen Vorgaben sollten in die Reformvorschrift aufgenommen werden. Damit hat einerseits selbst der im Umgang mit den Medien unerfahrene Vorsitzende ein konkretes Instrumentarium zur Hand, mit dem er gefährdete Rechte und Interessen schützen kann. Andererseits kann dadurch eine gewisse Einheitlichkeit bei der Einschränkung sichergestellt werden, die aus Gründen der Rechtssicherheit wünschenswert ist. Zugleich sollte allerdings keine Beschränkung auf die konkret benannten Vorgaben erfolgen. Im Hinblick auf die Rechtsfindung und den allgemeinen Justizgewährungsanspruch ist in den Rechtsinstanzen in Strafverfahren schließlich noch nicht sicher, wie die Vorgaben für die Aufnahmen ausfallen müssen, um alle Gefahren für diese Positionen auszuräumen.376 Einen Anhaltspunkt für die Gestaltung der Neuregelung bieten die Rahmenbedingungen für die Erlaubnis der Ton-Aufnahmen in England. Mögliche Bedingungen für deren Herstellung werden dort beispielhaft aufgezählt.377 In das deutsche Recht lässt sich dies derart übersetzen, dass der Vorsitzende abstrakt die Möglichkeit erhält, Auflagen für die Aufnahmen zu machen und die konkret herausgearbeiteten Mittel – Vorgaben für die Anzahl der Medienvertreter, die Aufnahmen anfertigen dürfen, ihren Standort, die zugelassenen Kameraeinstellungen, Personen, die nicht aufgenommen oder die anonymisiert werden müssen, und die Option, Aufnahmen nur zeitversetzt übertragen zu lassen –378 als Regelbeispiele normiert werden. Die ebenfalls erarbeitete Möglichkeit, Aufnahmen partiell zu untersagen,379 sollte dagegen nicht explizit normiert werden. Das Verbot der Aufnahmen ist schließlich die Ausgangssituation in allen Instanzen, die im vorliegenden Abschnitt betrachtet werden.380 Es ist dem Vorsitzenden Richter im Rahmen seines Von Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 473; ders., in: MSKB, BVerfGG, § 17a Rn. 159 f. Im Ergebnis ähnlich Feldmann, GA 2017, 20 (35). 375 Dabei werden die verschiedensten Auflagen gefordert: Burballa, Fernsehöffentlichkeit S. 143 f., 150; Lorz, in: Herausforderungen, S. 59 (S. 78) wollen zum Beispiel ein Verbot von störenden Licht- und Geräuschquellen kodifizieren, Lorz, in: Herausforderungen, S. 59 (S. 78); Vogel, Fernsehübertragungen, S. 154 wollen Nahaufnahmen verbieten und Burballa, Fernsehöffentlichkeit, S. 143 f., 150; Krausnick, ZG 2002, 273 (291); Lorz, in: Herausforderungen, S. 59 (S. 78); Schumann, in: FS Gottwald, S. 565 (S. 577) eine Pool-Lösung verbindlich vorschreiben. 376 Kap. 5, B. III. 5. d) dd) (2). 377 Kap. 4, B. III. 1. c) aa) (1). 378 Vgl. Kap. 5, B. III. 5. d) cc) (2), dd) (2). 379 Vgl. Kap. 5, B. III. 5. d) cc) (2), dd) (2). 380 Vgl. Kap. 5, D. IV. 1. 374
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Kap. 5: Gerichtssaalberichterstattung de lege ferenda
Ermessens möglich, eine Ausnahme hiervon für die gesamte Sitzung oder nur für Teile hiervon zuzulassen. Gestattet er die Aufnahmen nur teilweise, sind sie im Übrigen automatisch untersagt.
V. Regelung der Textberichte in Echtzeit und der Aufnahmen in den Rechtsinstanzen aller Verfahrensarten mit Ausnahme des Strafverfahrens sowie in den Verfahren am BVerfG 1. § 17a Abs. 1 S. 2 BVerfGG als Vorbild Ein Vorbild für die Regelung der Textberichte in Echtzeit und der Aufnahmen in den Rechtsinstanzen aller Verfahrensarten mit Ausnahme der Strafverfahren sowie in den Verfahren am BVerfG kann § 17a Abs. 1 S. 2 BVerfGG sein. Die Vorschrift sieht die prinzipielle Zulässigkeit der Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen bestimmter Abschnitte der mündlichen Verhandlung am BVerfG vor. § 17a Abs. 2 BVerfGG enthält zudem die Möglichkeit eines (teilweisen) Optouts und des Erlasses von Auflagen. Wird der Vorsitzende nicht tätig, sind die Aufnahmen mithin zulässig. Dies entspricht, erstreckt auf alle Formen der Gerichtssaalberichterstattung, Verfahrensarten und Verfahrensabschnitte, der erarbeiteten, zeitgemäßen Regelung für die genannten Ausprägungen der Berichterstattung, die nur im Einzelfall beschränkt werden sollten.381 Es wäre jedoch ganz grundsätzlich denkbar, von einer gesetzlichen Regelung der genannten Medienformen abzusehen. Textberichte in Echtzeit, Bild-Aufnahmen und Bild/Ton- sowie Ton-Aufnahmen im Umfeld der mündlichen Verhandlung sind schließlich bereits heute prinzipiell zulässig. Allerdings hat die Darstellung der derzeitigen Rechtslage im ersten Kapitel gezeigt, dass aus einer fehlenden gesetzlichen Regelung erhebliche Unsicherheiten folgen. So ist bereits umstritten, ob diese Formen der Berichterstattung grundsätzlich zulässig sind.382 Für Aufnahmen zeigt die umfassende verfassungsgerichtliche Rechtsprechung eindrücklich, dass keine Rechtsklarheit besteht.383 Um Klarheit zu schaffen, sollte bei der Reform der rechtlichen Rahmenbedingungen die prinzipielle Zulässigkeit dieser Ausprägungen der Gerichtssaalberichterstattung gesetzlich geregelt werden. Die Reformvorschrift sollte sich dabei, wie für ihre übrigen Ausprägungen bereits erörtert, in sachlicher Hinsicht in Abweichung von § 17a Abs. 1 S. 2
381
Vgl. Kap. 5, B. III. 5. d) ee), ff). Vgl. Kap. 1, B. III. 1., C. I., D. II. 383 Vgl. Kap. 1, B. III. 3., C. III. 382
D. Entwicklung einer Reformvorschrift
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BVerfGG auch auf die Bild-Aufnahmen beziehen. Zeitlich und räumlich sollte sie außerdem die gesamte Sitzung erfassen.384 2. Beschränkung der grundsätzlich zugelassenen Gerichtssaalberichte a) Voraussetzungen für die Beschränkung Auf Tatbestandsseite setzt die Beschränkung der grundsätzlich zulässigen Berichterstattung nach § 17a Abs. 2 BVerfGG de lege lata voraus, dass zur Wahrung der schutzwürdigen Interessen der Beteiligten oder Dritter oder des ordnungsgemäßen Verfahrensablaufs eingeschritten wird. Diese Vorschrift bietet, wie für Aufnahmen in den Rechtsinstanzen der Strafverfahren und den Tatsacheninstanzen der übrigen Verfahrensarten ausgeführt,385 eine Grundlage für den Schutz sämtlicher (potentiell) gefährdeter Rechte und schutzwürdigen Interessen. Ihre Formulierung sollte daher auch für die vorliegend betrachteten Instanzen und Medienformen in die Reformvorschrift übernommen werden. b) Gebundene Entscheidung oder Ermessensentscheidung? Auf Rechtsfolgenseite könnte erneut argumentiert werden, dass eine Ermessens entscheidung über eine Beschränkung der Gerichtssaalberichterstattung, wie sie § 17 Abs. 2 BVerfGG enthält, de lege ferenda die für das prinzipielle Aufnahmeverbot benannten, negativen Folgen für das Verfahren und die Verfahrensbeteiligten haben kann.386 Dagegen kann aber einerseits auf die englische Rechtslage verwiesen werden. Am Supreme Court ist in s. 8.17.1 PD 8 vorgesehen, dass der Präsident des Gerichts oder der Vorsitzende des jeweiligen Verfahrens einschreiten müssen, wenn sie Aufnahmen unterbinden wollen.387 Für Aufnahmen am Court of Appeal ist eine solche Möglichkeit in s. 32(3) CCA 2013 vorgesehen.388 An allen englischen Gerichten müssen die Richter zudem tätig werden, wenn sie den Medienvertretern die Textberichte in Echtzeit untersagen wollen.389 Keine dieser Regelungen hat sich in England als impraktikabel oder gefährlich für die schützenswerten Rechte und Interessen herausgestellt. In Deutschland ist ein ähnliches Vorgehen außerdem nicht nur am BVerfG üblich: Der Vorsitzende Richter regelt aktuell an allen Gerichten gemäß § 176 GVG die Berichterstattungstätigkeit, die nicht von § 169 Abs. 1 S. 2 GVG erfasst 384
Vgl. Kap. 5, D. III. 2., 3., 4. Kap. 5, D. IV. 3. a). 386 Vgl. Kap. 5, D. IV. 2. a). 387 Kap. 4, B. II. 2. c). 388 Kap. 4, B. II. 3. e). 389 Kap. 4, B. IV. 5. 385
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Kap. 5: Gerichtssaalberichterstattung de lege ferenda
ist, nach seinem Ermessen.390 Das hat bislang nicht zu untragbaren Ergebnissen geführt, sondern im Schrifttum – im Gegenteil – teils die Forderung hervorgerufen, eine ähnliche Regelung auch für die mündlichen Verhandlungen einzuführen.391 Stellt man die Beschränkungen der Aufnahmen oder der Textberichte in Echtzeit in das Ermessen des Vorsitzenden, ist also nicht zu erwarten, dass ihn dieses überfordert. Vorgaben für eine einheitliche und sachgemäße Ausübung des Ermessens lassen sich außerdem auch diesbezüglich der umfangreichen Rechtsprechung des BVerfG zu Gerichtssaalberichten entnehmen.392 Für die Frage, wem die Entscheidung über eine Beschränkung der Bericht erstattung obliegen soll, kann auf die obigen Ausführungen zu den strafgericht lichen Rechtsinstanzen und Tatsacheninstanzen der übrigen Verfahrensarten verwiesen werden:393 Auch vorliegend sollte sie dem Vorsitzenden übertragen werden. c) Vorgaben für die Gerichtssaalberichte Mit Blick auf die Formulierung der Beschränkungsmöglichkeit de lege ferenda ergeben sich erneut Parallelen zu den bereits betrachteten Instanzen: Die verschiedenen, denkbaren Vorgaben sollten, anders als in § 17 Abs. 2 BVerfGG geschehen, als Regelbeispiele für Auflagen kodifiziert werden. Konkret handelt es sich bei den möglichen Beschränkungen um Vorgaben für die Anzahl der zugelassenen Medienvertreter, die Aufnahmen anfertigen, ihren Standort und die zulässigen Kameraeinstellungen, aber auch für die Personen, die aufgenommen werden dürfen bzw. anonymisiert werden müssen.394 Anders als in den schon betrachteten Instanzen sollte hier zudem ausdrücklich die Möglichkeit kodifiziert werden, die Aufnahmen oder die Textberichte in Echtzeit ganz oder nur teilweise zu untersagen. Würde der Vorsitzende Richter nicht tätig, wären sie in den hier untersuchten Fällen schließlich ohne Weiteres zugelassen.
Altenhain, Gutachten 71. DJT, C 94; Britz, Fernsehaufnahmen, S. 283, 304; von Coelln, in: MSKB, BVerfGG, § 17a Rn. 153; Kujath, Laienjournalismus, S. 263. 391 So mit unterschiedlichen Vorschlägen für den Anwendungsbereich und die Ausgestaltung einer solchen Regelung Altenhain, Gutachten 71. DJT, C 94; Feldmann, GA 2017, 20 (34); Gersdorf, in: Gerichts-TV, S. 23 (S. 34); Gündisch/Dany, NJW 1999, 256 (259 f.); Hagenkötter, in: Kontrolle des Gerichts, S. 41 (S. 55 f., 60); Hauth, Sitzungspolizei, S. 217; Krausnick, ZG 2002, 273 (290); Loubal/Hofmann, MMR 2016, 669 (673); Schwarz, AfP 1995, 353 (357). 392 Vgl. Kap. 5, D. IV. 2. a). 393 Vgl. Kap. 5, D. IV. 2. b). 394 Vgl. Kap. 5, D. IV. 3. b). 390
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VI. Verfahren bei der Zulassung oder Beschränkung der Berichte 1. Verhandlung über die Zulassung oder Beschränkung Bisher ist weder im GVG noch in den Prozessordnungen ein konkretes Vorgehen bei richterlichen oder gerichtlichen Entscheidungen über Gerichtssaalberichte vorgesehen. Einen Anhaltspunkt für die mögliche Ausgestaltung eines solchen Verfahrens in der Reformvorschrift bietet die Handhabung der prinzipiell verbotenen Ton-Aufnahmen in England. Pt. 6.9(2) Crim PR regelt, dass das Gericht Aufnahmen entweder auf Antrag oder von Amts wegen gestatten kann.395 Diese Vorgabe weist Parallelen zum Verfahren vor einem Öffentlichkeitsausschluss nach § 174 Abs. 1 GVG auf: Auch hierüber wird auf Antrag eines Beteiligten hin oder von Amts wegen verhandelt.396 Im Schrifttum forderte Britz in ähnlicher Weise, über die Berichterstattung vergleichbar mit dem Öffentlichkeitsausschluss gemäß § 174 Abs. 1 GVG zu verhandeln.397 Weil Gerichtsöffentlichkeit heute primär Medienöffentlichkeit ist,398 ist es sachgerecht, das Verfahren hierfür auch auf die Entscheidung über Gerichtssaalberichte zu übertragen. Vor allem die Möglichkeit, in Abweichung vom prinzipiellen Aufnahmeverbot in strafgerichtlichen Rechtsinstanzen und in den Tatsacheninstanzen aller übrigen Gerichte Aufnahmen anzufertigen, hätte für die Medien schließlich kaum eine praktische Bedeutung, wenn sie darauf nicht hinwirken könnten. Gleichzeitig zeigt die Handhabung des § 174 Abs. 1 GVG mit Blick auf den Öffentlichkeitsausschluss, dass es keinesfalls stets zu einer Verhandlung darüber kommen muss. Eine Antragsmöglichkeit würde daher nicht zwangsläufig zu untragbaren Verfahrensverzögerungen führen. Das Antragsrecht sollte abweichend von § 174 Abs. 1 GVG aber nicht auf Verfahrensbeteiligte begrenzt werden. Es sollte vielmehr auf alle Personen erweitert werden, die für die Medien aus dem Gericht berichten wollen. Der Begriff der „Medien“ sollte hierbei offen genug gehalten werden, um auch neue Medienformen einbeziehen zu können, ohne den Wortlaut der Reformvorschrift zu ändern. Insofern kann die Regelung des Zugangs zu Medienarbeitsräumen in § 169 Abs. 1 S. 3 GVG als Vorbild dienen. Darin werden die klassischen Medienformen Presse, Hörfunk und Fernsehen aufgezählt, daneben aber auch allgemein „andere Medien“ genannt.
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Kap. 4, B. III. 1. c) aa) (1). Zum Verlauf dieser Verhandlung: Kap. 1, A. II. 1. c). 397 Britz, Fernsehaufnahmen, S. 304. Abweichend forderte Gounalakis, in: FG Kübler, S. 173 (S. 197, 199) eine Anhörung der Verfahrensbeteiligten vor der Entscheidung. 398 Kap. 2, B. V. 396
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Kap. 5: Gerichtssaalberichterstattung de lege ferenda
2. Begründungspflicht Für die Verfügung des Vorsitzenden Richters, mit der die Gerichtssaalberichte zugelassen oder beschränkt werden, sollte in der Reformvorschrift zudem eine Begründungspflicht vorgesehen werden.399 Gegen eine derartige Pflicht wird zwar angeführt, der Vorsitzende werde in ihrer Folge von der Erfüllung seiner eigentlichen Aufgaben abgehalten.400 Wie das BVerfG insbesondere in seinen Entscheidungen zu den Bild-Aufnahmen im Umfeld der Verhandlung jedoch zurecht betonte,401 ist eine Begründung der Medienverfügungen für die Nachvollziehbarkeit dieser Entscheidungen von großer Bedeutung. Ohne sie können die Adressaten nicht prüfen, ob der Vorsitzende Richter sein Ermessen korrekt ausgeübt hat. Dies muss ihnen jedoch möglich sein, um im Fall eines richterlichen Ermessensfehlers gegen die Verfügung vorgehen zu können. 3. Unanfechtbarkeit der Entscheidung Der de lege lata in § 169 Abs. 4 GVG kodifizierte Ausschluss der Anfechtbarkeit für die Beschlüsse des Gerichts zur Medienöffentlichkeit führt dazu, dass die Medien sich im Fall einer ablehnenden Entscheidung nur an das BVerfG wenden und keinerlei fachgerichtlichen Rechtsschutz erlangen können.402 Dafür, diese Unanfechtbarkeit de lege ferenda auch auf Medienverfügungen des Vorsitzenden Richters nach der Reformvorschrift zu erstrecken, streitet eine drohende erhebliche Mehrbelastung des Richters. In medienwirksamen Prozessen ist schließlich davon auszugehen, dass über eine Zulassung der Berichterstattung jedenfalls in kontroversen Fällen verhandelt werden wird. Der zusätzliche Aufwand ist dem Vorsitzenden aufgrund der Bedeutung des Öffentlichkeitsgrundsatzes zwar zuzumuten. Muss er aber anschließend auch die Beschwerde der Medienvertreter prüfen, steigert das seine Belastung mit den Entscheidungen rund um die Medienöffentlichkeit signifikant. Auch aus der Sicht der Medienvertreter ist ein solches vorgeschaltetes Beschwerdeverfahren nicht zielführend. Zögen sie im Fall einer ablehnenden Entscheidung vor das BVerfG, könnte dieses womöglich nur noch nachträglich eine Verletzung ihrer Medienfreiheiten feststellen – eine Feststellung, mit der den Medien für ihre Berichterstattung nicht geholfen wäre.403 Daher müssen die Entfordert für sitzungspolizeiliche Medienverfügungen auch Hauth, Sitzungspolizei, S. 216 f. 400 Arnoldi, StRR 2014, 384 (386). 401 S. dazu insbesondere seine Kindesmisshandlung-Entscheidung (Kap. 1, C. III. 5.). 402 Kap. 1, B. II. 3. f) aa) (2). 403 Bernzen, MMR 2017, 742. 399 Dies
D. Entwicklung einer Reformvorschrift
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scheidungen des Vorsitzenden Richters von vornherein unanfechtbar sein und ihnen dadurch gleich den Weg zum Verfassungsgericht eröffnen.
VII. Erforschung der Auswirkungen von Gerichtssaalberichten Zuletzt sollte geregelt werden, wie die Auswirkungen von Gerichtssaalberichten zu erforschen sind, die vor einer endgültigen Regelung dieses Komplexes ermittelt werden müssen. Einerseits muss erst noch geprüft werden, ob sich die vermuteten positiven Auswirkungen der Gerichtssaalberichterstattung realisieren lassen.404 Andererseits muss auch erst erforscht werden, inwiefern für diejenigen Rechte und schutzwürdigen Interessen, die eine Regelung der Gerichtssaalberichterstattung schützen soll, tatsächlich Gefahren durch diese Berichterstattung bestehen.405 Hierfür bietet sich ein Pilotprojekt an.406 Erste Anhaltspunkte für dessen Ausgestaltung kann das Vorgehen des englischen Gesetzgebers bieten. Bevor er Aufnahmen am Court of Appeal zuließ, wurde einige Wochen ein Pilotprojekt durchgeführt, in dessen Rahmen einige Verhandlungen aufgenommen, jedoch nicht ausgestrahlt wurden.407 Ähnlich ging der englische Gesetzgeber vor, als er Aufnahmen der sentencing remarks an den crown courts vorbereitete.408 Das Pilotprojekt sollte in Deutschland aber einerseits über einen längeren Zeitraum stattfinden, um einen repräsentativen Einblick in die Auswirkungen der Gerichtssaalberichte zu gewähren. Insbesondere muss ausgeschlossen werden, dass die ermittelten Auswirkungen nur in besonderen, etwa besonders medienwirksamen Verfahren auftreten. Auch die Folgen der Berichterstattung für „gewöhnliche“ Prozesse, die in der Praxis die Mehrheit darstellen, müssen schließlich ermittelt werden. Ein Zeitraum von einem Jahr reicht dafür aus. Andererseits sollten die Berichte im Rahmen des Pilotprojekts, anders als in England, publiziert werden dürfen, da einige mögliche Beeinträchtigungen erst aus der Veröffentlichung der Aufnahmen und Textberichte in Echtzeit resultieren. So kann die Spezialprävention durch die Berichterstattung aus dem Gerichtssaal bspw. nur gefährdet werden, wenn der Angeklagte und dessen Tat in 404
Vgl. Kap. 5, B. III. 5. b) aa). Vgl. Kap. 5, B. III. 2. b). 406 Derartiges schlugen bereits die drei Verfassungsrichter im Sondervotum zur n-tv-Entscheidung vor (s. BVerfGE 103, 72 [79]). Ein Pilotprojekt wird auch in der Literatur von einigen Autoren gefordert: Britz, in: FS Schiller, S. 81 (S. 102); Gounalakis, in: FG Kübler, S. 173 (S. 197 f.); Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 174; Jung, in: AE-StuM, S. 102 (S. 113); ders., NTfK 2012, 65 (70); Kuhlo, in: Gerichts-TV, S. 9 (S. 20); Mailänder, in: FS Mailänder, S. 547 (S. 561); Zuck, NJW 2001, 1623 (1624). 407 Kap. 4, B. II. 3. b). 408 Kap. 4, B. II. 4. 405
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Kap. 5: Gerichtssaalberichterstattung de lege ferenda
der Öffentlichkeit bekannt werden. Auch eine kriminogene Wirkung etwa können die Berichte nur haben, wenn sie der Allgemeinheit zur Kenntnis gelangen. Anders als in England sollte das Pilotprojekt zuletzt auch umfassend wissenschaftlich begleitet und ausgewertet werden. Nur dadurch kann hierzulande eine sichere Datengrundlage für die endgültige Regelung geschaffen werden, die in England derzeit noch fehlt.409 Gounalakis schlägt zu diesem Zweck vor, die Auswirkungen der Gerichtssaalberichterstattung durch eine wissenschaftliche Begleitkommission überwachen zu lassen.410 Einen Anhaltspunkt für die praktische Umsetzung liefert zudem die Begründung des Gesetzgebers für das EMöGG. Sie sieht vor, die Regelungen dieses neuen Gesetzes fünf Jahre nach ihrem Inkrafttreten zu evaluieren. Dafür ist „in fachlich geeigneter Weise“ zu testen, „ob die beabsichtigten Wirkungen hinsichtlich der Erweiterung der Medienöffentlichkeit ganz, teilweise oder nicht erreicht worden sind.“411 Auch die „unbeabsichtigten Nebenwirkungen“ sowie die „Akzeptanz und Praktikabilität der Regelungen“ 412 sollen in den Blick genommen werden. Damit es nicht bei einer Absichtsbekundung bleibt, sollte diese Evaluationspflicht allerdings – anders als für das EMöGG geschehen – gesetzlich festgeschrieben werden. Hierfür eignet sich das Einführungsgesetz zum GVG, das schon die Übergangsvorschrift zum EMöGG enthält (§ 43 EGGVG). Nur auf diese Weise lässt sich die rechtliche Verbindlichkeit der Evaluationspflicht sicherstellen und dadurch garantieren, dass sie tatsächlich erfüllt wird. Die Entscheidung darüber, wie die Überwachung konkret zu bewerkstelligen ist, sollte aber den zuständigen Stellen obliegen.
E. Formulierung der Reformvorschrift Die neue Regelung sollte nach alledem wie folgt formuliert sein: § 169a GVG (1) Aufnahmen zum Zweck der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhalts sind in der Sitzung unzulässig. (2) 1Der Vorsitzende Richter kann Aufnahmen zum Zweck der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhalts in der Sitzung zulassen: 1. in Zivilsachen am Gericht des ersten Rechtszugs, am Berufungsgericht und am Beschwerdegericht und 409
Vgl. Kap. 4, D. Gounalakis, in: FG Kübler, S. 173 (S. 198). 411 BTDrucks 18/10144, S. 26. 412 BTDrucks 18/10144, S. 26. 410
E. Formulierung der Reformvorschrift
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2. in Strafsachen am Revisionsgericht. Zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der Beteiligten oder Dritter sowie eines ordnungsgemäßen Ablaufs des Verfahrens kann der Vorsitzende Richter die Aufnahmen oder deren Übertragung von der Einhaltung von Auflagen abhängig machen. 3Als Auflagen kommen insbesondere in Betracht: 1. Vorgaben für die absolute Anzahl der anwesenden Medienvertreter; 2. Vorgaben für den Standort der Medienvertreter; 3. Vorgaben für die zulässigen Kameraeinstellungen; 4. Vorgaben für den Kreis der Personen, die aufgenommen werden dürfen; 5. Verpflichtungen zur Anonymisierung von Personenbildnissen mit technischen Mitteln vor der Veröffentlichung; 6. Verpflichtungen zur zeitversetzten Übertragung der Aufnahmen. (3) 1In Zivilsachen am Revisionsgericht sowie am Rechtsbeschwerdegericht sind Aufnahmen zum Zweck der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhalts in der Sitzung zulässig. 2Zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der Beteiligten oder Dritter sowie eines ordnungsgemäßen Ablaufs des Verfahrens kann der Vorsitzende Richter die Aufnahmen oder deren Übertragung ganz oder teilweise untersagen oder von der Einhaltung von Auflagen abhängig machen. 3Absatz 2 Satz 3 gilt entsprechend. (4) 1Die Textberichterstattung in Echtzeit ist in der Sitzung zulässig. 2Absatz 3 Satz 2 und 3 gilt entsprechend. (5) 1Über die Zulassung und die Auflagen nach Absatz 2 und über die Untersagung und die Auflagen nach den Absätzen 3 und 4 muss verhandelt werden, wenn ein Beteiligter oder eine Person, die für Presse, Hörfunk, Fernsehen oder andere Medien berichtet, es beantragt oder der Vorsitzende Richter es für angemessen erachtet. 2Die Verfügung muss begründet werden. (6) 1Die Tonübertragung in einen Arbeitsraum für Personen, die für Presse, Hörfunk, Fernsehen oder für andere Medien berichten, kann von dem Gericht zugelassen werden. 2Die Tonübertragung kann zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der Beteiligten oder Dritter oder eines ordnungsgemäßen Ablaufs des Verfahrens teilweise untersagt werden. 3Im Übrigen gilt für den in den Arbeitsraum übertragenen Ton Absatz 1 entsprechend. (7) Die Verfügungen des Vorsitzenden Richters nach den Absätzen 2 bis 4 und der Beschluss des Gerichts nach Absatz 6 sind unanfechtbar. 2
Der derzeitige § 169 Abs. 1 S. 1 GVG wird zu § 169 Abs. 1 GVG. Der aktuelle § 169 Abs. 2 GVG bleibt identisch. § 169 Abs. 4 GVG wird zu § 169 Abs. 3 GVG und wie folgt formuliert: (3) Der Beschluss des Gerichts nach Absatz 2 ist unanfechtbar.
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Kap. 5: Gerichtssaalberichterstattung de lege ferenda
Daneben wird die Anpassung diverser Vorschriften in anderen Verfahrensordnungen nötig. Im Einzelnen handelt es sich dabei um die folgenden Normen: § 55 VwGO § 169, § 169a Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 und die Sätze 2 und 3, Absatz 3 bis 7 sowie die §§ 171a bis 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Öffentlichkeit, Sitzungspolizei, Gerichtssprache, Beratung und Abstimmung finden entsprechende Anwendung. § 61 SGG (1) Für die Öffentlichkeit, Sitzungspolizei und Gerichtssprache gelten § 169, § 169a Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 und die Sätze 2 und 3, Absatz 3 bis 7 sowie die §§ 171b bis 191a des Gerichtsverfassungsgesetzes entsprechend. [...] § 52 FGO (1) § 169, § 169a Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 und die Sätze 2 und 3, Absatz 3 bis 7 sowie die §§ 171b bis 197 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Öffentlichkeit, Sitzungspolizei, Gerichtssprache, Beratung und Abstimmung gelten sinngemäß. [...] § 52 ArbGG Öffentlichkeit [...] 4§ 169 Absatz 2 und 3, § 169a Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 und die Sätze 2 und 3, Absatz 4 bis 7 sowie die §§ 173 bis 175 des Gerichtsverfassungsgesetzes sind entsprechend anzuwenden. § 72 ArbGG Grundsatz [...] (6) Die Vorschriften des § 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 sowie des § 169a Absatz 3 bis 7 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Berichterstattung aus dem Gericht gelten entsprechend. § 17a BVerfGG (1) 1Die Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht einschließlich der Verkündung von Entscheidungen ist öffentlich. 2Aufnahmen zum Zweck der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhalts und die Textberichterstattung in Echtzeit sind in der Sitzung zulässig. 3Die Tonübertragung in einen Arbeitsraum für Personen, die für Presse, Hörfunk, Fernsehen oder für
E. Formulierung der Reformvorschrift
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andere Medien berichten, kann durch Anordnung des oder der Vorsitzenden zugelassen werden. (2) 1Zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der Beteiligten oder Dritter sowie eines ordnungsgemäßen Ablaufs des Verfahrens kann der oder die Vorsitzende die Aufnahmen oder die Textberichterstattung nach Absatz 1 Satz 2 oder ihre Übertragung sowie die Übertragung nach Absatz 1 Satz 3 ganz oder teilweise untersagen oder von der Einhaltung von Auflagen abhängig machen. 2Als Auflagen kommen insbesondere in Betracht: 1. Vorgaben für die absolute Anzahl der anwesenden Medienvertreter; 2. Vorgaben für den Standort der Medienvertreter; 3. Vorgaben für die zulässigen Kameraeinstellungen; 4. Vorgaben für den Kreis der Personen, die aufgenommen werden dürfen; 5. Verpflichtungen zur Anonymisierung von Personenbildnissen mit technischen Mitteln vor der Veröffentlichung; 6. Verpflichtungen zur zeitversetzten Übertragung der Aufnahmen. (3) 1Über die Untersagung und die Auflagen nach Absatz 2 wird verhandelt, wenn ein Beteiligter oder eine Person, die für Presse, Hörfunk, Fernsehen oder andere Medien berichtet, es beantragt oder der oder die Vorsitzende es für angemessen erachtet. 2Die Verfügung muss begründet werden. [...] Aus den derzeitigen § 17a Abs. 3 und 4 werden § 17a Abs. 4 und 5 BVerfGG. § 59 PatG (3) [...] 4§ 169a Absatz 1 sowie die §§ 171b bis 175 des Gerichtsverfassungsgesetzes sind entsprechend anzuwenden mit der Maßgabe, dass die Öffentlichkeit von der Anhörung auf Antrag eines Beteiligten auch dann ausgeschlossen werden kann, wenn sie eine Gefährdung schutzwürdiger Interessen des Antragstellers besorgen lässt. [...] Zuletzt wird an der Stelle des als „Fünfter Abschnitt Insolvenzsstatistik“ weggefallenen § 39 EGGVG die folgende Vorschrift als „Fünfter Abschnitt Gerichtssaalberichterstattung“ eingefügt. § 39 EGGVG § 169a Absatz 1 bis 5 des Gerichtsverfassungsgesetzes wird ein Jahr nach seinem Inkrafttreten evaluiert. 2Zur Vorbereitung der Evaluation begleitet das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz ihre Anwendung in fachlich geeigneter Weise.
1
Fazit 1. Der Grundsatz der Öffentlichkeit nach § 169 Abs. 1 S. 1 GVG gibt den Medienvertretern die Möglichkeit, mündlichen Verhandlungen vor dem erkennenden Gericht zuzusehen sowie zuzuhören und stellt demnach die Grundvoraussetzung für ihre Gerichtssaalberichterstattung dar. 2. Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen sind während der mündlichen Verhandlung nach § 169 Abs. 1 S. 2 GVG verboten. Ausnahmen von dem Verbot finden sich für gewisse Abschnitte der mündlichen Verhandlung nur am BVerfG in § 17a Abs. 1 S. 2, Abs. 2 BVerfGG sowie an den obersten Bundesgerichten in § 169 Abs. 3 GVG (ggf. i. V. m. den Verweisungsnormen). 3. Bild/Ton- und Ton-Aufnahmen außerhalb der mündlichen Verhandlung sind an allen Gerichten ohne Weiteres zulässig. Der Vorsitzende Richter kann sie aber auf der Grundlage der sitzungspolizeilichen Generalklausel in § 176 GVG beschränken. Der räumliche und zeitliche Anwendungsbereich der Sitzungspolizei sind hierbei funktional auszulegen. Der Ermessensausübung des Vorsitzenden werden durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Grenzen gezogen, die das BVerfG durch eine umfassende Rechtsprechung hierzu konkretisierte. 4. Bild-Aufnahmen während der mündlichen Verhandlung und in ihrem Umfeld sind an allen Gerichten ohne Weiteres zulässig. Der Vorsitzende kann sie aber auf der Grundlage der sitzungspolizeilichen Generalklausel beschränken. Dabei muss er den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachten, dessen Vorgaben das BVerfG auch für Bild-Aufnahmen konkretisierte. 5. Textberichte in Echtzeit sind bei Gericht ohne Weiteres zulässig und können vom Vorsitzenden auf Basis des § 176 GVG beschränkt werden. Welche Grenzen ihm dabei gesetzt sind, ist mangels einschlägiger verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung noch unklar. 6. Für die Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung sprechen eine Vielzahl verfassungsrechtlich fundierter Rechtspositionen, aber auch rechtspolitischer Erwägungen: a. Zu ihren Gunsten ist der Verfassungsgrundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen anzuführen. Die Gerichtssaalberichte tragen besser als die klassische Gerichtsberichterstattung dazu bei, die Kontroll-, die
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Fazit
Vertrauensbildungs- und die Informationsfunktion der Gerichtsöffentlichkeit zu erfüllen. b. Daneben werden Medienvertreter bei der Berichterstattung aus dem Gerichtssaal durch die Medienfreiheiten (Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 1, 2 GG) geschützt. c. Gerichtssaalberichte geben dem Angeklagten in einem Strafverfahren zudem eine bessere Möglichkeit, sich zu rehabilitieren als klassische Gerichtsberichte. d. Möglicherweise tragen die Gerichtssaalberichte daneben in größerem Umfang zu einer Vermittlung von Rechtskenntnissen und Rechtsverständnis in der Bevölkerung bei und sind der Prävention in Strafverfahren eher zuträglich als klassische Gerichtsberichte. Beides muss aber noch empirisch erforscht werden. 7. Auch gegen die Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung sprechen diverse Positionen, die teils auf die Verfassung zurückzuführen sind und teils rechtspolitische Bedeutung haben: a. Dagegen spricht das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seinen Ausprägungen als Schutz der engeren persönlichen Lebenssphäre, Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Recht am eigenen Bild und am eigenen gesprochenen Wort, Recht der persönlichen Ehre und Recht auf Resozialisierung. Diese Gewährleistungen werden durch die Gerichtssaalberichte stärker beeinträchtigt als durch klassische Berichte aus dem Gericht. b. Zudem können die Gerichtssaalberichte die Unschuldsvermutung zugunsten des Angeklagten in einem Strafverfahren stärker beeinträchtigen, als es bereits klassische Gerichtsberichte tun. c. Die Wahrheitsfindung als Ausprägung der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege wird durch die Gerichtssaalberichte des Weiteren stärker beeinträchtigt, indem die Zeugen vorab über die Aussagen anderer Zeugen informiert werden. d. Auch der äußere Ablauf des Verfahrens wird in größerem Umfang gestört als durch klassische Gerichtsberichte. e. Denkbar, aber mangels empirischer Forschung noch nicht bewiesen, ist, dass die Gerichtssaalberichte die Wahrheitsfindung auch stärker beeinträchtigen als klassische Gerichtsberichte, weil die Verfahrensbeteiligten in ihrer Folge ihr Verhalten verändern, und dass sie die Rechtsfindung als eine weitere Ausprägung der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege stärker gefährden, indem sie die Entscheidungsfindung der Richter beeinflussen. f. Ebenso ist möglich, jedoch noch nicht nachgewiesen, dass Gerichtssaalberichte das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren und den allge-
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meinen Justizgewährungsanspruch in einem größeren Umfang beeinträchtigen als klassische Gerichtsberichte. g. Von Gerichtssaalberichten könnte zudem eine stärkere kriminogene Wirkung oder eine ebensolche Gefahr für die positive Spezialprävention in Strafverfahren ausgehen. Beides ist aber noch nicht empirisch erforscht. 8. Da im Hinblick auf zahlreiche relevante Positionen ein empirischer Nachweis dafür fehlt, dass Gerichtssaalberichte sich tatsächlich auf sie auswirken, ist ein Rechtsvergleich zielführend. Er gibt Anhaltspunkte dafür, wie sich diese Berichte in Deutschland auswirken würden. Besonders geeignet ist dafür ein Vergleich mit der englischen Rechtslage. 9. In England wird bei der Regelung der Gerichtssaalberichte nach Instanzen, Verfahrensabschnitten und Medienformen differenziert. Obwohl auch in England noch keine empirischen Erhebungen durchgeführt wurden, können die positiven praktischen Erfahrungen dort für die Beurteilung der deutschen Rechtslage fruchtbar gemacht werden. 10. Der Maßstab für eine zeitgemäße Regelung der Gerichtssaalberichte folgt daraus, dass diese Regelung in die Medienfreiheiten eingreift: Der qualifizierte Gesetzesvorbehalt in Art. 5 Abs. 2 GG fordert, dass sie an die Tätigkeit der Medienvertreter anknüpft. Daneben ist die Wechselwirkungslehre als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu berücksichtigen. 11. Der legitime Zweck einer zeitgemäßen Regelung ist es, jene Rechte sowie schutzwürdigen Interessen zu schützen, die durch Gerichtssaalberichte beeinträchtigt werden. Dass die Gefahren hierfür teilweise noch nicht empirisch nachgewiesen sind, bedeutet, dass zu ihrem Schutz nur vorläufig eingeschritten werden darf. 12. Zum Schutz der beeinträchtigten Rechte und Interessen eignen sich drei Regelungen: das (teilweise) Verbot der Gerichtssaalberichterstattung, Vorgaben für ihre Durchführung, sowie, speziell für Aufnahmen, die Übertragung ihrer Anfertigung auf das Gericht. 13. Um sämtliche Rechte und Interessen zu schützen, ist ein absolutes Verbot der Gerichtssaalberichterstattung erforderlich. 14. Die schwerste Beeinträchtigung der Positionen, die für die Zulassung der Gerichtssaalberichterstattung sprechen, stellt das Verbot der Textberichterstattung in Echtzeit dar. Leichter wiegt ein Aufnahmeverbot. Hierbei nimmt das Gewicht der Beeinträchtigungen umso stärker ab, je enger das Verbot ausgestaltet ist. Weniger gravierend ist generell die Übertragung der Aufnahmetätigkeit auf das Gericht. Am leichtesten wiegen Vorgaben für die Durchführung der Berichterstattung. 15. Die größten konkreten Gemeinwohlgewinne erzielt ein Aufnahmeverbot in den Tatsacheninstanzen der Strafverfahren. Etwas geringer fallen diese Ge-
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winne in den Tatsacheninstanzen der übrigen Verfahrensarten aus. Noch einmal kleiner sind sie in den Rechtsinstanzen der Strafverfahren und wiederum geringer in diesen Instanzen der übrigen Verfahrensarten und in den Verfahren am BVerfG. Ein Verbot der Textberichte in Echtzeit bedeutet jeweils einen etwas geringeren Gewinn als ein Aufnahmeverbot. Kleiner sind des Weiteren die Gewinne durch die Vorgaben für die Berichterstattung. Am geringsten sind sie, wo die Aufnahmetätigkeit auf das Gericht übertragen wird. 16. In den Tatsacheninstanzen der Strafverfahren ist ein absolutes Aufnahmeverbot angemessen. 17. In den Tatsacheninstanzen außerhalb des Strafverfahrens und den Rechts instanzen des Strafverfahrens ist ein prinzipielles Aufnahmeverbot angemessen, von dem aber im Einzelfall Ausnahmen gemacht werden können. Werden die Aufnahmen zugelassen, sollten Vorgaben für ihre Herstellung gemacht werden können. 18. In den Rechtsinstanzen aller Verfahrensarten mit Ausnahme des Strafverfahrens und den Verfahren am BVerfG ist es angemessen, Aufnahmen im Grundsatz zuzulassen. Sie sollten jedoch mit Vorgaben für ihre Herstellung verbunden und im Einzelfall untersagt werden können. 19. Bezüglich der Textberichte in Echtzeit ist es angemessen, sie grundsätzlich zuzulassen. Sie sollten aber im Einzelfall mit Vorgaben für ihre Erstellung versehen oder untersagt werden können. 20. Die derzeitigen rechtlichen Rahmenbedingungen der Gerichtssaalberichterstattung in Deutschland sind teils strenger und teils liberaler als die erarbeitete, zeitgemäße Regelung. Auch sehen sie keine Erprobung vor, sondern regeln die Berichterstattung endgültig. Daraus resultiert ein Reformbedarf.
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Sachregister Akkreditierung 37 f., 139 f., 287 f. Angeklagter 180 f., 185 f., 191–193, 201–212, 261 f., 308 f., 310 f. – siehe auch Recht auf ein faires Verfahren – siehe auch Recht auf Resozialisierung – siehe auch Rehabilitation – siehe auch Spezialprävention – siehe auch Unschuldsvermutung – Anwesenheitspflicht 185 f., 192 f. Angemessenheit 76 f., 87, 334–377 Anklageverlesung 28, 209–211, 212–214, 231 f. Anonymisierungsanordnung 66 f., 68, 73–75, 82 f., 327 f., 389, 392 – siehe auch Auflage Anordnung, einstweilige 37, 46, 62–77, 80–87, 95 – siehe auch Verfassungsbeschwerde Arbeitsgerichtsverfahren 44, 183, 186, 367–370, 374–376, 384–390, 390–392 – siehe auch Bundesarbeitsgericht Attorney General v. Leveller Magazine Ltd. 248 f. Auflage 35 f., 47, 325, 369 f., 372–374, 375 f., 376 f., 388–390, 392 – siehe auch Anonymisierungsanordnung – siehe auch Pool-Lösung Aufnahmeverbot 22–32, 252–264, 272–278, 279–284, 364–367, 381–384 – Ausnahme vom ~ 32–47, 264–272, 284 f., 367–374, 384–390 Augenschein 59 f., 248, 258 f. Auskunftsanspruch 120, 151 f. Aussage – ~bereitschaft 16 f., 202 f., 207, 302 – ~fähigkeit 17, 202 f., 302 – ~qualität 17, 201–205, 207, 212, 302 f.
Bearbeitung, redaktionelle 50, 298 Befangenheit – des Angeklagten 201–205, 308 f. – der Aussagepersonen 201–205, 302–304 – der Jury 306–308 – der Parteien 201–205, 308 f. – des Richters 108, 218–220, 305 – unangemessene (undue prejudice) 271, 285 Begründung – Gesetzes~ 22 f., 32 f., 40 f., 252 f., 264 f., 267 f., 279 f., 396 – sitzungspolizeilicher Verfügungen 73, 83 f., 394 – von Gerichtsentscheidungen 121 Berufsfreiheit 80, 153–155 Betriebsgeräusch 236–238, 280, 309 f. Beweisaufnahme 28 f., 210 f., 214, 226, 231 f. Bild-Aufnahme 78–88, 211 f., 252–278, 364–375, 381–392 Bild/Ton-Aufnahme 21–77, 227, 252–278, 364–375, 381–392 Bildung, juristische 105 f., 119, 155–170, 294, 295–300 – siehe auch Rechtskenntnis – siehe auch Rechtsverständnis Boulevard-Medien 91, 194 f. Bundesarbeitsgericht 36–47 Bundesfinanzhof 36–47 Bundesgerichtshof 2, 36–47 Bundessozialgericht 36–47 Bundesverfassungsgericht 32–36, 47–52, 62–77, 80–87, 94 f., 182 f., 185–187, 208 f., 223, 225 f., 374–376, 390–392 – siehe auch einstweilige Anordnung – siehe auch n-tv-Urteil – siehe auch Verfassungsbeschwerde
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Sachregister
Bundesverwaltungsgericht 36–47, 121 Chandler v. Florida 245 f. Civil Procedure Rules 247, 250 contempt of court – civil ~ 272 f. – common law ~ 272–278, 380, 382, 384 – ~ Act 1981 279–286, 380, 382 f., 385 f. – criminal ~ 273–278, 279–286, 380, 382–384, 385 f. – statutory ~ 251, 279–286, 380, 382 f., 385 f. Court of Appeal 266–271, 285, 372 f., 375, 382 f., 391, 395 – ~ (Recording and Broadcasting) Order 2013 266–271, 285 court video journalist 270 Crime and Courts Act 2013 267 f., 271, 272, 285, 391 Criminal Justice Act 1925 252–266, 273, 275–277, 380, 382 f. Criminal Practice Directions 280 f., 286–289, 385 Criminal Procedure Rules 280 f., 286–289, 385, 393 Crown Court 272, 285, 395 – ~ (Recording) Order 2016 272, 285 Demokratieprinzip 48–52, 98, 121, 124–127, 338 Dispositionsmaxime 235 Eignung 323–325 Einwilligung 70, 85, 191–195, 266, 326, 327 EMöGG 36–47, 79, 93, 117, 128, 159, 161, 162 f., 240 f., 245, 343, 381, 396 England 245–315, 323, 337, 372 f., 375, 376 f., 379–395 – siehe auch Rechtsvergleich Entscheidung – ~sverkündung 27–29, 33 f., 36–47, 184, 209–211, 226 f., 231 f., 272, 285 – Ermessens~ 35, 43–46, 60, 61 f., 280, 284, 288, 385–387, 391 f. – gebundene ~ 385 f., 391 f. Erforderlichkeit 76, 86 f., 325–334
Ergänzende Regelungen für Vertreter der Presse sowie der Hörfunk- und Fernseh anstalten 35 f. – siehe auch Bundesverfassungsgericht Ermessensentscheidung 35, 43–46, 60, 61 f., 280, 284, 288, 385–387, 391 f. Europäische Menschenrechtskonvention 98–104, 197, 228, 246, 247 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte 98–101 Europarat 101 Fall, besonderer 41–43 Familiengerichtsverfahren 16 f., 182, 268, 312 f. Finanzgerichtsverfahren 16, 44, 183, 367–370, 374–376, 384–390, 390–392 – siehe auch Bundesfinanzhof Forschung, empirische 157, 172, 205–208, 220–224, 230 f., 235, 241 f., 314, 321–323, 337, 395 f. Fortschritt, technischer 4 f., 24 f., 39, 237 f., 309 f., 319, 333 Funktionsfähigkeit der Rechtspflege 48–52, 200–228, 313–315, 331 f., 355–357 – Rechtsfindung 215–227, 332, 357 – Wahrheitsfindung 16 f., 200–214, 331 f., 355 f. Geheimhaltungspflicht 18, 26 Gemeinwohlgewinn, konkreter 351–361 Generalprävention 173 f., 349 f. Gericht – ~sgebäude 29, 58–60, 61, 129, 248, 258–260, 282, 382 f. – ~ spräsident 60–62 – ~spressestelle 13, 52 f., 78, 120 – ~ssaal, siehe Sitzungssaal – ~sshow 156 f., 296 Geschäftsgeheimnis 16, 44, 234–236 Gesetz – allgemeines 145, 319, 321, 382 – ~esbegründung 22 f., 32 f., 40 f., 252 f., 264 f., 267 f., 279 f., 396 – zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für
Sachregister Sprach- und Hörbehinderte, siehe EMöGG Gestaltungsfreiheit 135, 149, 340 f., 343 – siehe auch Programmfreiheit Gesundheit 16 f., 66 f., 178, 180, 182, 202, 219 f., 268 Gewöhnungseffekt 206 f., 224, 231 f., 241, 303 f., 305 Grundrechtskonkurrenz 141–143, 154 f. Grundsatz der Mündlichkeit von Verhandlungen 13 f., 235 Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen 11–21, 48–52, 98–128, 345–347 – siehe auch Informationsfunktion – siehe auch Kontrollfunktion – siehe auch Vertrauensbildungsfunktion Güterabwägung 318 – siehe auch praktische Konkordanz Hauptverhandlung, siehe mündliche Verhandlung Hausrecht 20 – der Gerichtsverwaltung 58, 60–62 Identifikation 211 f., 269 – des Angeklagten 190 f., 254 f., 309, 311, 330, 354 f. – der Jury 307 – des Richters 219 f., 305 – der Zeugen 302 f. Information – ~sbeschaffung 64 f., 101, 128–133, 134 f., 135–141, 342–344 – ~sbeschränkung, staatliche 131, 148 f. – ~sfreiheit 48–52, 128–133, 136–141, 141–143, 146–149, 301 – ~sfunktion 51, 103, 118–124, 345–347 – ~sgesellschaft 51 – ~sinteresse, öffentliches 43, 145–150, 340–342 – ~squelle, allgemeinzugängliche 48–52, 128–123, 136–141 – ~sverbreitung 64, 134 f., 135, 344 f. Internet 4 f., 24 f., 31, 40, 138, 196, 277 f., 293, 299 f., 306 f. Intimsphäre 16, 43 f., 103, 180–184, 201, 326, 352 f.
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– siehe auch Privatsphäre Journalist, siehe Medienvertreter Jury 274 f., 296, 300, 306–308, 313 – siehe auch Laienrichter Justizgewährungsanspruch, allgemeiner 234–236, 313–315, 333, 358 Kamera – Einstellungsgröße der 83, 163 f., 198, 268 f., 354, 369 f., 373 f., 389, 392 – ~führung 198 – ~perspektive 163 f., 227, 324 f., 329, 370, 372 f. – ~standort 36, 260, 329, 330 f., 333, 369 f., 372 f., 389, 392 Kommunikationsgrundrechte – siehe Informationsfreiheit – siehe Pressefreiheit – siehe Rundfunkfreiheit Komplexität 113, 167–170, 299 f. Konkordanz, praktische 126 – siehe auch Güterabwägung Kontrollfunktion 49, 51, 103, 104–113, 219, 292–294, 345–347 Laienrichter 66 f., 106, 176–179, 220 f., 224 f., 227 – siehe auch Jury Laptop 26, 83, 88–96, 286–289, 345 Lebensgefahr 17, 66 f., 178, 202, 219 f. Lebenssphäre, engere persönliche 180–184, 326, 352 f. letztes Wort des Angeklagten 226 f. Live – ~-Blog 4, 88–96, 135, 286–289, 344 f. – ~-Stream 23 f., 24 f., 161, 265 f., 269 f. live text-based forms of communication 286–289 Magistrates’ Court 247, 254 f., 273 Medien – ~arbeitsraum 38, 99, 381, 388 – ~konsum 4 f., 39, 246 – ~plätze 19, 37 f., 139 f., 345 – ~rummel 188, 193, 198 f., 229–232, 236–238, 239 f., 312, 329, 330 f., 333 – ~verfügung 62–77, 80–87, 100
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Sachregister
Medienfreiheiten – siehe Pressefreiheit – siehe Rundfunkfreiheit – Recht auf Gleichbehandlung im publizistischen Wettbewerb 140 Medienvertreter 11, 30 f., 153 f., 287 f., 319 – siehe auch Medienfreiheiten – Fachkompetenz 115, 166 f. – Laien als 30 f., 288, 319 Meinung – ~sbildung 39, 138 f., 336 – ~sfreiheit 99–101, 142 f., 177, 217 f., 301 – öffentliche 218 f., 223, 307 Menschenwürde 176, 191–193, 228 Notizen 15, 99 f., 249, 345 NSU-Prozess 37 f., 40, 140, 172 n-tv-Urteil 47–52, 71, 110, 123, 129 f., 136, 141, 318, 340, 342 f. Öffentlichkeitsausschluss 15–20, 114 f., 250 f., 321 – gesetzlich nicht normierte Gründe 18–20, 250 f. – gesetzlich normierte Gründe 16 f., 250 f. – Verfahren 17, 393 Öffentlichkeitsgrundsatz, siehe Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen offence, summary 263 Offizialmaxime 235 Open justice principle 247–252, 292–295 Optout-Lösung 34, 266, 271, 285, 289, 390 Ortstermin 20, 29 f., 248, 258 f. Parlament 106 f., 162, 169, 239 f. – Bundestag 105, 126 f., 167, 177 – Houses of Parliament 264 f., 295, 300 f., 305 f., 310, 312 Parteien 14, 180 f., 185–187, 201–212, 261 f., 308 f. Persönlichkeitsrecht, allgemeines 48–52, 176–196, 326–330, 352–355 – engere persönliche Lebenssphäre 180– 184, 326, 352 f. – Recht am eigenen Bild 185 f., 191, 327 f., 353
– Recht am eigenen gesprochenen Wort 186 f., 191, 327 f., 353 – Recht auf informationelle Selbstbestimmung 187, 326, 352 f. – Recht auf Resozialisierung 172 f., 188–191, 193 f., 242 f., 330, 334, 354 f. – Recht der persönlichen Ehre 187 f., 191, 323 f., 328 f., 354 Personalisierung 117, 219 f. Phillimore Report 279 f. Pilotprojekt 52, 267, 272, 395 f. Plädoyer 28, 204, 210 f., 231 f. Policy on the use of live text-based communications from Court 289 Pool-Lösung 36, 50, 72, 81 f. – siehe auch Auflage Porträt 252, 261 f., 262 f. – siehe auch Zeichnung power to controll its own proceedings 286 Practice Direction 8 265 f. Practice Guidance „The Use of Live Text-Based Forms of Communication (including Twitter) from Court for the Purpose of Fair and Accurate Reporting“ 288 f. Präsenzfeststellung 33, 209–211, 226 Prävention – General~ 173 f., 349 f. – Spezial~ 172 f., 242 f., 334, 349 f., 359 Pranger 173 f., 198 f. – siehe auch Medienrummel Pressefreiheit 80–87, 134 f., 141–143, 301 Prioritätsprinzip 19, 37 Privatsphäre 16, 180–184, 312 f., 326, 352 f. – siehe auch Intimsphäre Programmfreiheit 135, 149, 340 f., 343 – siehe auch Gestaltungsfreiheit Protokoll 265, 266–271, 285 Prozessbeobachter 213 Realitätstreue 49, 158–164, 173 f., 296–298 Recht – ~ am eigenen Bild 185 f., 191, 327 f., 353 – ~ am eigenen gesprochenen Wort 186 f., 191, 327 f., 353 – ~ auf ein faires Verfahren 48–52, 228–233, 310 f., 313–315, 332 f., 357 f.
Sachregister – ~ auf Gleichbehandlung im publizistischen Wettbewerb 140 – ~ auf informationelle Selbstbestimmung 187, 326, 352 f. – ~ auf Resozialisierung 172 f., 188–191, 193 f., 242 f., 330, 334, 354 f. – ~ der persönlichen Ehre 187 f., 191, 323 f., 328 f., 354 Rechtsanwalt, siehe professioneller Verfahrensbeteiligter Rechtsfindung 215–227, 332, 357 – siehe auch richterliche Unabhängigkeit Rechtsinstanz 183, 186 f., 208 f., 214, 224 f., 232, 371–374, 374–376, 384–390, 390–392 Rechtskenntnis 155–170, 295–300, 313–315, 347 f. – siehe auch juristische Bildung – siehe auch Rechtsverständnis Rechtspflege (administration of justice) 272 f., 301–309 Rechtspolitik 6 f., 37–39, 97, 175, 318 Rechtsstaatsprinzip 48–52, 98, 121, 124–127, 152, 200, 228, 234, 338 Rechtsvergleich 245–315, 323, 337, 372 f., 375, 376 f., 379–396 – siehe auch England Rechtsverständnis 155–170, 295–300, 313–315, 347 f. – siehe auch juristische Bildung – siehe auch Rechtskenntnis Rehabilitation 170–172, 311, 348 f. Richter, siehe professioneller Verfahrens beteiligter – siehe auch Rechtsfindung – siehe auch richterliche Unabhängigkeit – Vorsitzender ~ 34 f., 54–60, 62–77, 79–87, 93–95, 386 f., 392 Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) 386 Rundfunk – öffentlich-rechtlicher 4, 144, 167 – ~freiheit 48–52, 62–77, 135–141, 141–143, 336 f. Sache, öffentliche im Verwaltungs gebrauch 129 Sachverständiger 16
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Sanktion 106 f., 219, 263, 272–278, 283 f., 327 f., 380 f. Scheinwerfer 236–238, 239 f. Schlussvortrag, siehe Plädoyer Schöffe, siehe Laienrichter Schottland 305 Schutzpflicht, staatliche 150–153, 192, 216 Scott v. Scott 247, 250 Selbstdarstellungsrechte – siehe Recht am eigenen Bild – siehe Recht am eigenen gesprochenen Wort Selektivität 49, 158–160, 297 f. sentencing remarks, siehe Strafzumessung Sexualdelikt 181, 250 Sitzung 55–60, 382–384 – ~spolizei 26, 54–60, 62–77, 79–87, 93–95 – ~ssaal 29, 58–60, 248, 258, 269 f., 282, 382 f. Smartphone 31, 83, 88–96, 237, 280, 286–289, 309 f., 344 f. Sozialgerichtsverfahren 44, 183, 367–370, 374–376, 384–390, 390–392 – siehe auch Bundessozialgericht Sozialstaatsprinzip 189, 193 f. Sperröffentlichkeit 12, 249 Spezialprävention 172 f., 242 f., 334, 349 f., 359 Staatsanwalt, siehe professioneller Verfahrensbeteiligter Steuergeheimnis 16 Stigmatisierung 189 f., 197–199 Strafgerichtsverfahren 14, 43 f., 181–183, 185–187, 188–191, 197–199, 228–233, 241 f., 242 f., 308 f., 364–367, 371–374, 381–384, 384–390 – siehe auch Bundesgerichtshof Strafzumessung 181, 184, 221 f., 272, 285 Supreme Court 264–266, 284 f., 289, 372 f., 375, 385 f., 391 Tatsacheninstanz 183, 186 f., 208 f., 214, 224 f., 364–367, 367–370, 381–384, 384–390 Textbericht in Echtzeit 88–96, 212, 232, 286–289, 376 f., 390–392
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Sachregister
Ton-Aufnahme 21–77, 279–286, 364–376, 381–392 tribunal 256, 282 Twitter 88–96, 135, 286–289, 344 f. Unabhängigkeit, richterliche 108 f., 215–227, 332, 357 – siehe auch Rechtsfindung Unanfechtbarkeit 45 f., 62–64, 271, 394 f. Unschuldsvermutung 197–199, 323 f., 324, 330 f., 355 Unterhaltung 164 f., 240 f., 298 f. Urteilsverkündung, siehe Entscheidungsverkündung USA 156 f., 206 f., 245 f., 296, 303 f., 312 Verfälschung 49, 115, 160–164 Verfahrensablauf – ordnungsgemäßer 34 f., 46 f., 388, 391 – ungestörter 50, 54 f., 236–238, 309 f., 333, 358 Verfahrensbeteiligter, professioneller 66, 69, 70–73, 176–179, 185–187, 203 f., 207–209, 232, 268 f., 304–306 Verfassungsbeschwerde 46, 47–52, 62–77, 80–87, 182 f., 185–187 – siehe auch einstweilige Anordnung Verfassungsgrundsatz – Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen als ~ 124–127 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 64 f., 75–77, 81 f., 86 f., 318, 319–378 – Angemessenheit 76 f., 87, 334–377 – Eignung 323–325 – Erforderlichkeit 76, 86 f., 325–334 – legitimer Zweck 320–323 Verhaltensbeeinflussung 50, 201–212, 302–309, 331, 355 f. – siehe auch Befangenheit Verhandlung, mündliche 13 f., 27–29, 129–133, 136–141, 184, 209–211, 226 f. Verkürzung 160–164 Vernehmung – des Angeklagten 209–211, 226 f., 231 f.
– der Zeugen 20, 209–211, 212–214 Versammlungsfreiheit 338 Verteidiger, siehe Rechtsanwalt Verteidigung – effektive 229–233 – ~sbereitschaft 229–232 – ~sfähigkeit 229–232, 332 f. Vertrauensbildungsfunktion 113–118, 294 f., 345–347 Verwaltungsgerichtsverfahren 44, 52, 182 f., 185–187, 211, 367–370, 374–376, 384–390, 390–392 – siehe auch Bundesverwaltungsgericht Verwirkung von Grundrechten 338 Vorabinformation von Zeugen 212–214, 304, 331 f., 356 Vorverurteilung 170, 197–199, 218 Wahrheitsfindung 16 f., 200–214, 331 f., 355 f. Wandel, technischer, siehe technischer Fortschritt Wechselwirkungslehre 65, 145, 318 Wirkung – kriminogene 241 f., 334, 359 – ~sforschung, siehe empirische Forschung Würde – des Gerichts 238–241, 312 – des Menschen, siehe Menschenwürde Zeichnung 15, 25, 252, 261 f., 262 f., 342 f. – siehe auch Porträt Zeuge 16 f., 20, 180–184, 185–186, 201–212, 212–214, 250, 261 f., 302–304 – siehe auch Verhaltensbeeinflussung – siehe auch Vorabinformation von Zeugen Zivilgerichtsverfahren 14, 44, 182 f., 235, 367–370, 374–376, 384–390, 390–392 – siehe auch Bundesgerichtshof Zuschauereffekt 205–208, 224, 230 f. Zustimmung, siehe Einwilligung Zweck, legitimer 320–323