115 31 23MB
German Pages [392] Year 1966
Hanns-Joachim Wöllstadt Geordnetes Dienen in der christlichen Gemeinde
Arbeiten zur Pastoraltheologie Herausgegeben von Martin Fischer und Robert Frick
BAND 4
Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen
Geordnetes Dienen in der christlichen Gemeinde dargestellt an den Lebensformen der Herrnhuter Brüdergemeine in ihren Anfängen von HANNS-JOACHIM
WOLLSTADT
Mit vier Kunstdrucktafeln
Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen
DEM ANDENKEN MEINES VATERS
Library of Congress catalog card number 6 6 - 1 9 3 4 5 Schutzumschlag: Irmgard Sudcstorff ( ? ) Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1966 — Printed in Germany O h n e ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomedianischem Wege zu vervielfältigen. Gesamtherstellung: Albert Sighart, Fürstenfeldbruck. 8438
VORWORT
Die Begegnung mit dem Leben im alten Herrnhut gehört zu den großen Erfahrungen, die mich bereicherten. Sie geschah auf der Suche nach gültigen Lebensformen der Gemeinde Christi, in denen sich die Diakonie als Grundfunktion christlichen Lebens spürbar ausprägt. Durch vielerlei Berührungen mit der Brüdergemeine ahnte ich mehr, als ich es wußte, daß die Geschichte Herrnhuts Hilfen zur Beantwortung unserer Fragen nach den Strukturen der diakonisch und missionarisch lebendigen Gemeinde bieten könnte. Während eines halbjährigen Studienurlaubs, den mir die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche von Schlesien dankenswerterweise gewährte, erschlossen sich mir die ζ. T. noch ungehobenen Schätze des Herrnhuter Unitätsarchivs. Durch den Stoff selbst weitete sich der Blick von dem Sektor der Diakonie, den ich zuerst einzig und allein darstellen wollte, auf das Ganze des Gemeindelebens. Die Untrennbarkeit der Lebensfunktionen der Kirche verlangte eine Einbeziehung der gottesdienstlichen Versammlungen in die Untersuchung und eine Ausweitung des Berichtes über die Diakonie auf die Mission. Ohne eine Schilderung der soziologischen Situation und der verschiedenartigen Gemeinschaftsformen wäre dies jedoch unverständlich geblieben. So entstand aus dem anfänglichen Vorhaben, die Diakonie der Brüdergemeine zu beschreiben, das Lebensbild Alt-Herrnhuts in seinem ganzen Reichtum an Bewegungen und Formen. „Geordnetes Dienen" erwies sich dabei als Schlüsselbegriff, der diese Vielfalt für die Darstellung erschloß. Die Linien über die Anfänge hinaus bis in die spätere Zeit der Brüdergeschichte hinein auszuziehen, mußte ich mir um der nunmehr gestellten Aufgabe willen versagen. Jedoch konnte ich jetzt die Quellen selber ausführlich sprechen lassen. Ihr unmittelbares Zeugnis scheint mir die wesentlichen Anregungen und Hilfen für unsere heutigen Aufgaben zu enthalten. Die vorliegende Arbeit wäre nicht zustande gekommen, hätte ich auf dem Weg, der neben dem vollen Einsatz im Amt oft beschwerlich und ermüdend war, nicht freundliche Förderer und Helfer gehabt. Ihnen bin ich zu großem Dank verpflichtet. Thema und Grundkonzeption entstanden auf Anregung und unter fördernder Beratung von Herrn Professor D. Martin Fischer D D . in 5
Berlin. Er hat mich immer wieder zur Fortführung der begonnenen Arbeit ermuntert. Dem Archiv der Brüder-Unität in Herrnhut danke ich für die unermüdliche Bereitschaft, mir bei der Erschließung der Quellen behilflich zu sein. Durch die anregenden Gespräche mit Herrn Archivar Richard Träger ist mir das Verständnis für manche Zusammenhänge geöffnet worden. Der Hohen Theologischen Fakultät der Karl-Marx-Universität in Leipzig habe ich dafür zu danken, daß sie die Arbeit als Inaugural-Dissertation angenommen hat. Für ihr wohlwollendes und förderndes Interesse danke ich sehr dem Referenten Herrn Professor Dr. Heinz Wagner und dem Korreferenten Frau Dozentin Dr. habil Ingetraut Ludolphy. Daß Herr Professor D. Martin Fischer DD. und Herr Pfarrer D. Robert Frick die Abhandlung in die „Arbeiten zur Pastoraltheologie" aufgenommen haben, ist mir eine große Freude. Ihnen und dem Verleger, Herrn Günther Ruprecht, danke ich, daß sie sich der Drucklegung so freundlich annahmen. Der Evangelischen Kirche der Union, dem Diakonischen Werk — Innere Mission und Hilfswerk — der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Direktion der Evangelischen Brüder-Unität, die sich an den hohen Druckkosten durch Beihilfen beteiligt haben, möchte ich an dieser Stelle ebenfalls herzlich danken. Meiner Mitarbeiterin Frau Gertrud Geisler schulde ich für ihre Hilfe bei der Herstellung des Manuskriptes ganz besonderen Dank. Ich hoffe sehr, daß ich mit dem vorliegenden Buch nicht nur eine Lücke in der Literatur zur Geschichte der Brüdergemeine im 18. Jahrhundert schließen, sondern auch einen Beitrag zur Diskussion um die Grundstrukturen der im Glauben und in der Liebe lebendigen Gemeinde liefern kann. Martinshof Rothenburg/Lausitz, im August 1965 Hanns-Joachim Wollstadt
INHALT
Vorwort
5
Einleitung: Die Aufgabe der Untersuchung
11
1. Geordnetes Dienen in der christlichen Gemeinde als Fragestellung der Untersuchung
11
2. Die Herrnhuter Brüdergemeine als Gegenstand der Untersuchung . . . .
16
3. Das Ziel der Untersuchung
20
Kapitel 1: Die Entstehung der Herrnhuter Brüdergemeine und ihre erste Ordnung
24
Kapitel 2: Die Lebensformen der Brüdergemeine im alten Herrnhut in ihrer Bedeutung für ein geordnetes Dienen in der Gemeine
49
A. Das bürgerliche und wirtschaftliche Leben im alten Herrnhut
50
. . . .
1. Die äußere Gestalt Herrnhuts um 1730
50
2. Die Wohnverhältnisse
52
3. Die täglidie Arbeit
54
4. Die finanzielle Lage des einzelnen
60
B. Das gottesdienstliche Leben in den Versammlungen der Gemeine . . . 1. Der Sonntag in Herrnhut
64 64
a) Der Gottesdienst in Berthelsdorf
65
b) Die Classenversammlungen
67
c) Die Gemeinversammlung am Abend
68
d) Die Konferenzen
69
7
2. Das Abendmahl
72
3. Das Liebesmahl und das Fußwasdien
73
4. Die täglichen Erbauungsstunden
7S
a) Die Frühstunden
80
b) Die Abendstunden
82
5. Der Fast- und Bet-Tag
86
Zusammenfassung
90
C. Das Leben in den seelsorgerlidien Gruppen der Gemeine. Die Gliederung der Gemeine unter seelsorgerlidien Gesichtspunkten . . . .
92
1. Die Banden oder kleinen Gesellschaften
93
2. Die kleinen Classen
99
3. Die Einteilung nach Herkunftsdörfern
102
4. Die großen Classen (Chorgliederung)
104
5. Die ersten Lebensgemeinschaften der Ledigen
109
a) Die Lebensgemeinschaft der ledigen Brüder
109
b) Die Lebensgemeinschaft der ledigen Schwestern
116
Zusammenfassung
120
Kapitel 3 : Geordnetes Dienen in den Ämtern der Gemeine
123
A. Die Entstehung der Ämterordnung
123
1. Allgemeines zur Ämterordnung
123
2. Die erste Ämtersetzung durch Pfarrer Rothe 1725
126
3. Die erste Gemeineinrichtung in Herrnhut von 1727/28
141
B. Der Dienst in den Ämtern
147
I. Die Ämter der Brüder
148
1. Leitende Ämter
148
a) Die Ältesten
148
b) Die Helfer
155 8
c) Die Aufsichtsämter
161
d) Zinzendorfs Stellung innerhalb der Ämterordnung
165
2. Seelsorgerliche Ämter
174
a) Die Lehrer
174
b) Die Aufseher und die Ermahner
179
c) Die Bandenhalter
184
3. Diakonische Ämter
189
a) Die Diener
189
b) Die Almosenpfleger und die Cassenhalter
194
c) Die Krankenwärter und der Gemeindearzt
199
I I . D i e Ä m t e r der Schwestern
209
1. Die Ältestinnen
211
2. Die Helferinnen
213
3. Die Lehrerinnen
215
4. Die Aufseherinnen
218
5. Die Ermahnerinnen
218
6. Die Dienerinnen
219
7. Die Krankenwärterinnen
220
I I I . Besondere Dienste
222
1. Der tägliche Besuch als geordneter Dienst
222
2. Die Fürbitte als geordneter Dienst (Stundengebet und Nachtwache) .
229
3. Die musikalischen Gaben im Dienst der Gemeine
235
C . D i e B e d e u t u n g der Ä m t e r o r d n u n g
245
K a p i t e l 4 : Geordnetes D i e n e n an den K i n d e r n u n d den h i l f s b e d ü r f t i g e n Gliedern der Gemeine u n d an den F r e m d e n
254
A . D e r Dienst an den K i n d e r n in den H e r r n h u t e r A n s t a l t e n
254
1.Zur Geschichte der Anstalten 2. Der Dienst im Waisenhaus
255 .
.
.
260
9
B. Der Dienst an den hilfsbedürftigen Gliedern der Gemeine
267
1. Die Armenpflege
267
2. Die Krankenpflege
274
C. Der Dienst der Gastfreundschaft den Fremden gegenüber
276
Zusammenfassung
279
Kapitel 5: Mission als Dienst über den Bereich der Gemeine hinaus
·
.
·
282
1. Die ersten Botengänge und ihre Anlässe
283
2. Die Boten und ihr Auftrag
288
3. Die Anfänge der Missionsreisen
294
4. Streitergeist und Zeugendienst
299
Zusammenfassung
312
Kapitel 6: D i e Streiteridee als prägender Dienstgedanke 1. Die Herkunft der Streiteridee
317
2. Die Ausprägung der Streiteridee bei Zinzendorf
324
3. Die Auswirkungen der Streiteridee auf die Organisation der Herrnhuter Gemeine
333
a) Die Aussonderung einer Streiterschaft
334
b) Die Aufnahme in die Streitersdiaft
341
Zusammenfassung Schluß: Ergebnisse
348 •
350
Beilagen
365
Literatur
372
EINLEITUNG
Die Aufgabe der Untersuchung 1. Geordnetes Dienen in der christlichen Gemeinde als Fragestellung der Untersuchung Der Kirche und der Theologie ist heute die Frage nach dem Leben der Gemeinde in Zeugnis, Dienst und Gemeinschaft neu gestellt. Von verschiedenen Seiten her ist diese Frage zur wichtigsten praktisch-theologischen Frage der Gegenwart geworden. Als nach dem politischen Zusammenbruch 1945 die Evangelische Kirche in Deutschland und ihre Gliedkirchen daran gingen, ihr äußeres und inneres Leben neu zu ordnen, wurde die Frage nach der dem Bekenntnis entsprechenden Rechtsgestalt der Kirche gründlich durchdacht. Die Kirche, als „bruderschaftliche Christokratie" verstanden 1 , mußte sich eine Ordnung geben, die ihrem Auftrag in dieser Welt entspricht. Die Grundordnungen und Lebensordnungen der Kirchen blicken dabei besonders auf das Leben der Gemeinde, aus dem allein das Leben der Gesamtkirche sich entfalten kann. Einen breiten Raum nahm in den Gesprächen um die kirchliche Neuordnung die Frage ein, wie es zum geordneten Diakonat der Kirche kommen könne. Im 15. Artikel der Eisenacher Grundordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland von 1948 heißt es „Diese Liebe verpflichtet alle Glieder der Kirche zum Dienst und gewinnt in besonderer Weise Gestalt im Diakonat der Kirche...". Nicht nur die Gesetze über die Diakonie der einzelnen Landeskirchen2 oder das Gespräch zwischen dem Evan1 Vgl. Erik Wolf: Zur Rechtsgestalt der Kirche, in Bekennende Kirche, S. 259 u. 261. Die Kirche „ist die Gemeinde des Herrn und der von ihm Erwählten, die so zu B r ü dern' geworden sind. Die Bedeutung dieses Prinzips der ,christokratisdien Bruderschaft' für die ,Rechtsgestalt' der evangelischen Kirche liegt darin, daß es ein neutestamentlidies, ein reformatorisdies und ein ökumenisches Ordnungsprinzip ist." „Einer ist euer Meister: Christus, ihr alle aber seid Brüder" (Mt. 23, 8). Mit dieser ,lex Christi' war sowohl die ,Christokratie', die Alleinherrschaft Christi über die Kirche erklärt, als auch die .Bruderschaft' der Gemeinde gestiftet, in der keiner herrschen darf, aber alle (einander) dienen sollen". „Dazu gehört freilich ein aktives Gemeindeleben." Erik Wolf, S. 258 f. 2 Gesammelt in: Die Ordnung von Hilfswerk und Innerer Mission . . ., hrsg. v. Dr. Merzyn, 1954.
11
gelischen Hilfswerk und der Inneren Mission bis zur Fusion beider Werke, auch eine Fülle von Veröffentlichungen der letzten Jahre befassen sich mit der rechten Gestaltung kirchlicher Diakonie 3 . Dabei geht es schließlich um das entscheidende Problem: Wie werden unsere Gemeinden zu diakonisch handelnden Gemeinden? Und wie können die nötigen und die vorhandenen Dienste so geordnet werden, daß es zu einer wirksamen Diakonie der Gemeinde kommt? Die Frage nach der dienenden Gemeinde ist immer zugleich die Frage nach der lebendigen Gemeinde. Lebendige Gemeinde aber ist dort, wo die Glieder durch den Gehorsam dem biblischen Wort gegenüber aus der Passivität heraustreten und aktiv, lebendig werden im gegenseitigen Dienst und im Dienst an der Welt. Durch die oekumenische Begegnung der Nachkriegsjahre wurde auch in den deutschen Kirchen der Gedanke der Haushalterschaft des Christen („Stewardship") wirksam. Der Tätigkeit des Laien wird steigende Bedeutung zugemessen. Auch zu dieser Frage gibt es in letzter Zeit eine Reihe von vorwärtsweisenden Aufsätzen 4 . Der Laie wird als eigentlicher Träger des diakonischen und missionarischen Handelns der Gemeinde gesehen, weil er mehr als der Theologe in der Welt dem andern Menschen persönlich gegenüber steht. J e stärker jedoch das Amt des Laien betont wird, um so mehr muß die Frage nach Amt und allgemeinem Priestertum lebendig werden. Wie soll die Zuordnung der Dienste und Ämter der Gemeinde gesehen werden? Auch die neu entstandenen Ämter in der Unterweisung und der Jugendarbeit verlangen eine Klärung dieser Frage. Eine mangelnde Ordnung und Wertung der verschiedenen Dienste und Ämter führt zu mannigfachen Schwierigkeiten. So ist von den Fragen nach der lebendigen Gemeinde und nach dem Dienst der Laien in ihr sofort wieder die Frage nach der Ordnung da. Man kann ihr gar nicht ausweichen5. 3 Es sei hier nur insgesamt besonders auf die Veröffentlichungen im Evangelischen Verlagswerk Stuttgart und im Lettner-Verlag Berlin-Stuttgart hingewiesen. Grundlegend sind vor allem die Sammelbände: Das diakonische Amt der Kirdie, hrsg. v. Herbert Krimm, (Ev. Verlagswerk) 1953, Heutige Diakonie der Evangelischen Kirche, hrsg. v. Gerhard Noske, (Lettner-Verlag) 1956 und Diakonie der Gemeinde, hrsg. v. Hans Christoph von Hase (Lettner-Verlag), 1. Halbband 1961. Wichtig aber auch Noske, Wicherns Plan einer kirchlichen Diakonie, (Ev. Verlagswerk) 1952 und Martin Fischers diakonischer Predigtband: „Einer trage des anderen L a s t " (Lettner-Verlag), 1957. 4 Vgl. dazu Heinrich Rendtorff: „. . . als die guten Haushalter", 1953 und Wilhelm Thomas: Lebendige Gemeinde nach dem Neuen Testament und nach Luther (Gottes Mitarbeiter, H e f t 1). — Wichtig sind: Stoughton/Endress: Doing God's Work, A Manual on Christian Stewardship . . ., und Τ. Α. Kantonen: Lebendige Gemeinde, Theologie der Haushalterschaft, Stuttgart 1958. — Zur Laienfrage: John R. Mott: Laienaufgebot der Christenheit, und die Veröffentlichungen des Laienreferats des Oekumenisdien Rates der Kirchen in Genf, (besond. H . R. Weber). Beachte den Bericht des Ausschusses für das Laienreferat im Dokumentarbericht „Neu-Delhi 1961", S. 225 ff. 5 Zur Ämterfrage vgl. besonders Ernst Sommerlath: Amt und Allgemeines Priestertum, Berlin 1954, und Helmut Appel: Dienste und Ämter, Berlin 1962, ferner W. An-
12
Es sind audi die kirchlichen Anstalten und Dienstgemeinschaften, die nach ihrem Ort in der Gemeinde fragen. Aus der freien, vereinsmäßigen Arbeit der Inneren Mission entstanden, wurden sie im Laufe der Entwicklung immer mehr in den Rechtszusammenhang mit der verfaßten Kirche gedrängt. Ihre Stellung innerhalb des Leibes der Kirche muß geistlich, und rechtlich dringend geklärt werden. Eine gesunde kirchliche Ordnung muß hier eine Antwort finden. Findet sie sie nicht, bleiben Dienstgemeinschaften Fremdkörper im Leben der Gesamtkirche. Fehlt die lebendige Einordnung in die Gemeinde, so werden die Anstalten der Diakonie an Nachwuchsmangel sterben. Schließlich wird auch von der Mission her die Frage nach der Gemeinde gestellt. Nicht erst die Weltkirchenkonferenz in Neu-Delhi, aber sie besonders, beschäftigte sich mit der Frage nach der Struktur der missionarischen Gemeinde. Jeder einzelne Christ hat in der Verkündigung des Evangeliums „seinen eigenen und einzigartigen Beitrag zu leisten, entsprechend den Gaben des Geistes, die er empfangen hat" 0 . „Wenn diese Durchdringung der Welt durch das Zeugnis der Laien wesentlich zu dem Ziel gehört, das Gott mit seiner Kirche hat, dann müssen wir die herkömmlichen Strukturen unserer Kirche überprüfen, um zu sehen, ob sie den Dienst der missionarischen Verkündigung fördern oder hindern." 7 Die Vollversammlung bat „alle, die um ihre Verantwortung für das christliche Zeugnis in ihrer eigenen Umgebung wissen", dringend um diese neue Überprüfung der Strukturen ihres kirchlichen Lebens8. Die Struktur ist nach Margull das „innere Gefüge" der Gemeinde9. Es wird also auch von der Mission her nach der Ordnung der Gemeinde gefragt. Die Lebensformen und die Ordnung der Gemeinde müssen so gestaltet werden, daß sie dem Auftrag Christi, sein Wort weiterzusagen, entsprechen. So kommt es zu den beiden Fragen: „Wie muß eine Gemeinde strukturiert sein, um die Verkündigung des Evangeliums nicht zu hindern?" und mehr noch: „Wie muß eine Gemeinde strukturiert sein, um in der gegenwärtigen Welt das Evangelium allen Menschen verkündigen zu können?" 10 dersen: Geistliches Amt, im Evangelischen Kirchenlexikon, 1. Band, Göttingen 1956, Sp. 105 ff. β Bericht der Sektion Zeugnis, in: Dokumentarbericht „Neu-Delhi 1961", S. 95. ι Dokumentarbericht „Neu-Delhi 1961", S. 97. 8 Dokumentarbericht „Neu-Delhi 1961", S. 99. 9 Jochen Marguli: Strukturfragen werden wichtig, in Oekumenisdie Rundschau, H e f t 1/2, März 1962, S. 17. „Wenn wir in der Sektion .Zeugnis' überhaupt vorwärtsgekommen sind, dann in der Frage der Gemeinde, genauer in der Frage nach dem ,laos', dem Volke Gottes, in der Welt." (S. 17). 10 Jochen Margull, Die missionarische Struktur der Gemeinde, Einführung in eine oekumenisdie Untersuchung, Concept, Deutsches Heft, 2. Abzug, Genf, Frühjahr 1963, S. 7 u. 9.
13
Wir haben im Thema unserer Untersuchung alle diese Fragen als Frage nach dem „Geordneten Dienen in der christlichen Gemeinde" zusammengefaßt11. Mit dem Begriff „Geordnetes Dienen" ist, das wird schon deutlich geworden sein, nicht nur das gemeint, was wir im in unserm Bereich geprägten Sinn als „Diakonie", als „brüderliche Notsorge der Gemeinde Christi" bezeichnen12. Diese so verstandene Diakonie ist nur ein Teil des geordne1 1 Der Begriff „Geordnetes Dienen" ist verschiedentlich verwandt worden. Martin Fisdier hat ihn als Untertitel seinem diakonischen Predigtband „Einer trage des anderen Last" (Lettner-Verlag 1957) gegeben: „Vom geordneten Dienen in der Gemeinde". Es geht ihm darum, „dem Werden der Gemeinde in einer dem Auftrag der Gemeinde dienenden Ordnung nachzudenken. Eine solche Ordnung zu finden, die Mittel der Treue gegenüber Gott und Menschen in ihr zu ermitteln, ist unerläßlidie Aufgabe. Es muß in der Predigt zu spüren sein, daß die sich erbauende Gemeinde zu einem geordneten Dienen und Existieren gerufen ist. Wenn das Wachstum einer Gemeinde Zeichen ihrer Lebenskraft ist, so wird die Ordnung dieser Gemeinde auf Wachstum hin entworfen werden müssen." „Einer t r a g e . . . " S. 43. — Er definiert „Die Diakonie der Gemeinde ist Dienst am Wort und Dienst unter den Menschen im weitesten Sinne. Dieses Dienen zu erwecken, zu ordnen und dauernd kritisch zu überprüfen, ob es ergeht und ob es recht ergeht, ist gemeinsame Aufgabe der Gemeinde. Wir sind der Aufgabe, Ordnung und geordnetes Dienen der Gemeinde lieb zu machen, lange entwöhnt." „Einer trage . . . " S. 45. — Eduard Schweizer hat in seinem Buch: Das Leben des Herrn in der Gemeinde und ihren Diensten. Eine Untersuchung der neutestamentlichen Gemeindeordnung (Zürich 1946) ganz besonders das Verhältnis von Dienst und Ordnung untersucht. Er stellt gegenüber: „Es ist die ganz besondere Aufgabe des johanneischen Schrifttums, uns mit dem fast völligen Fehlen aller besonders hervorgehobenen Dienste einzuprägen, daß alle in dieser selben Weise vor Gott im Dienst stehen." (S. 59). „Es ist aber ebenso die ganz besondere Aufgabe der Pastoralbriefe, uns mit den ausgebauten Bestimmungen über die verschiedenen Dienste einzuprägen, daß alles Dienen in der Gemeinde geordnetes und das heißt: sich in Uber- und Unterordnung in die Gemeinde einfügendes Dienen ist." (S. 61). Er betont, daß die Ordnung in der Gemeinde „nur aus dem vollen und ganzen Hören" auf die Evangeliumsbotschaft heraus gestaltet werden kann. „Im Wesen der Gemeinde als des lebendigen Leibes des Herrn liegt auch ihre Ordnung schon eingeschlossen." (S. 64 u. 65). „Weil die Gemeinde als ganze Leib Christi ist, darum ist sie auch als ganze lebendig, als ganze im Dienst. Es gibt in der Gemeinde keine arbeitslosen Glieder, wie es auch am Leib keine funktionslosen Glieder gibt." (S. 90). Das geordnete Dienen findet seinen Ausdruck in Diensten und Ämtern. „Die Gemeinde bedarf, solange sie noch unterwegs, noch nicht vollendet ist, der Dienste. Die Begrenzung jedes einzelnen Gliedes in seinem Dienst fordert die Vielfalt der Dienste, in denen der Herr seiner Gemeinde gegenübertritt... Die Vielfalt dieser Dienste ist zusammengeschlossen in der Einheit der Gemeinde. Ihr sind sie geschenkt; sie wacht wählend und prüfend darüber." (S. 95). — Schweizer setzt sich immer wieder mit R . Sohm auseinander, der ja die Rechtsordnung der Kirche im Widerspruch zu ihrem Wesen sah (vgl. Rudolf Sohm, Kirchenrecht, 1892). Schweizer sieht die Ordnung im Wesen der Kirche als Leib Christi begründet. 12 So G. Noske im Vorwort zu „Heutige Diakonie": „In einem weiteren und immer mehr üblich werdenden Sinn ist Diakonie heute das, was unsere Väter die christliche Liebestätigkeit nannten; nämlich Glaube, der in der Liebe hilfreidi wirksam wird, brüderliche Notsorge der Gemeinde Christi in karitativer Fürsorge und sozialer Anwaltschaft."
14
ten Dienens in der christlichen Gemeinde. Bekommt man das Leben der Gemeinde in seiner Gesamtheit als das Leben des Leibes Christi in den Blick und besinnt man sich auf die Weite des neutestamentlichen Gebrauchs der Worte diακονέω und διακονία, dann kann man das „Dienen" nicht begrenzen auf „christliche Liebestätigkeit" karitativer oder fürsorgerischer Art. Dienen muß zum Grundausdruck des Lebens der Glieder am Leibe Christi werden 18 . Wenn das Leben der Glieder einer Gemeinde wirklich lebenskräftig und Ausdruck ihres Seins in Jesus Christus ist, dann gibt es wohl die ganz verschiedenen Aufgaben, die die Verkündigung und die Liturgie, die Mission und die Diakonie, die Seelsorge und der Katechumenat und die Leitung der Gemeinde stellen, aber im tiefsten ist jede Tätigkeit Ausdruck eines gemeinsamen Dienens, das aus Dankbarkeit für das in Jesus Christus erfahrene Heil geschieht. Dienen ist somit Christus gegenüber der dankbare Glaubensgehorsam des Christen in der Tat der Liebe, den Brüdern gegenüber dargebracht als gegenseitige Hilfe, in dieser Welt christlich leben zu können, und den Menschen außerhalb der Gemeinde gegenüber gelebt als der Widerschein der Liebe Christi, der sich dienend für die Welt dahingab. Dieses Dienen in der christlichen Gemeinde verlangt aber nach Formen, nach Ordnung. Je lebendiger das Dienen wird, je mehr Glieder der Gemeinde sich zum Dienst finden, um so nachdrücklicher wird sich die Dienstbereitschaft in klar geordnete Lebensformen ergießen müssen. Oder das Leben verfließt und verströmt, ohne die Gestalt zu finden, die dem organischen Leben eines Leibes entspricht. Wir fragen also bewußt nach der Ordnung im Dienen, nach den Lebensformen, den Strukturen lebendiger Gemeinde, weil wir meinen, daß diese Frage für das Leben der Kirche von entscheidender Bedeutung ist. Allerdings können wir nach der Ordnung erst dann fragen, wenn das Dienen in der Gemeinde selbst da ist. Zum Dienen aber wird es nur dort kommen, wo Gottes Geist Menschen zum Glauben erweckt, zur Hingabe der Liebe befreit und sie damit in den Leib Christi eingliedert. So ist die Frage nach dem geordneten Dienen in der Gemeinde letztlich die Frage nach dem Wirken des Geistes Gottes in unserer Mitte, der allein is Vergleiche dazu den Artikel δυακονέω, διακονία, διάκονος von Α. Beyer im Theol. Wörterbuch zum N T , Bd. II, S. 81 ff. und Wilhelm Brandts immer noch grundlegende Untersuchung „Dienst und Dienen im Neuen Testament" (1931). „Entscheidend für die Bedeutung des Begriffs ( δ ι α κ ο ν ί α ) ist nun, daß das junge Christentum jede für den Aufbau wichtige Betätigung in der Gemeinde als διακονία zu betrachten und zu bezeichnen gelernt hat (Eph. 4 , 1 1 ff.), die man dann wieder nach ihren einzelnen Arbeitsweisen unterschied." (Beyer, ThW II, S. 87) „Diese verschiedenen Dienstleistungen aber geschehen für einen Herrn. Mit jeder von ihnen dient der Gläubige nicht nur dem Bruder, sondern Christus. Für den ihm als Gnadengabe zugewiesenen Dienst ist er verantwortlich." (Beyer, ThW II, S. 87)
15
die Gemeinde Jesu Christi in Glaube und Liebe und damit im geordneten Dienen ihrer Glieder erbaut.
2. Die Herrnhuter
Brüdergemeine
als Gegenstand der
Untersuchung
Die eben aufgezeigten Fragen haben in den vergangenen Jahren eine ganze Flut von programmatischen Schriften und eingehenden Untersuchungen über das Leben der Gemeinde hervorgerufen 14 . Man sucht auch nach Beispielen und Experimenten gegenwärtiger Gemeindeordnungen, um der Struktur einer lebensfähigen diakonisch und missionarisch handelnden Gemeinde nahezukommen. Nach diesen Erfahrungen versucht man mancherorts, neu zu gestalten und Wege zu einer Neuordnung des Gemeindelebens zu finden. Jedoch gehört zu der Besinnung, die einer Neuordnung dienen soll, audi dies, daß man den Lebensströmen in der Vergangenheit nachgeht und sie für die Gegenwart wirksam zu machen sucht. G a b es schon einmal ähnliche Voraussetzungen? War die Aufgabe ähnlich gestellt? Wie wurde dort gelebt — geordnet — gedient? Welche Formen schafft sich ein bestimmter Gedanke, wenn er verwirklicht wird? Gibt es vielleicht — es wäre die Frucht des Vergleichs — geistliche Lebensgesetze für das Leben einer lebendigen Dienstgemeinschaft, die zu allen Zeiten gültig sind? Hier liegen für die kirchenhistorische und praktisch-theologische Forschung noch viele ungehobene Schätze gemeindlichen Lebens. Historische Untersuchung mit praktisch-theologischer Fragestellung ist jedoch besonders nötig in der Zeit der oekumenischen Begegnungen. Wie soll man einander verstehen, voneinander lernen können, ohne ausreichende Kenntnis von den Lebensvorgängen in der Geschichte der anderen kirchlichen Gemeinschaft zu haben? Es ist erstaunlich, daß die Geschichte der Herrnhuter Brüdergemeine in ihrer praktisch-theologischen Bedeutung bisher kaum recht untersucht worden ist. Gemeint ist besonders das gemeindliche Leben in seinen vielfältigen Formen, gerade auch im Blick auf den Dienst des einzelnen Gliedes in der Gemeinde. Allerdings wiederholten sich in letzter Zeit die Stimmen, die die Herrnhuter Gemeindeordnungen als auch für heutige Fragestellungen bedeutsam würdigten 15 . 1 4 Vergleiche den Entwurf einer ausgewählten internationalen Bibliographie: Zur Gemeinde — Probleme, Aufgabe, Experimente, Concept, Deutsches H e f t : Die missionarische Struktur der Gemeinde, 2. Abzug, Genf, Frühjahr 1963, S. 14 ff. 1 5 Vgl. Appel: Dienste und Ämter, 1962, S. 22 über die Herrnhuter Brüdergemeine: „Allen Verdächtigungen, zeitweisen Verirrungen und Separationstendenzen zum Trotz bleibt die .Gemeine' lebendiger und kräftiger T y p einer staatsfreien, sich selbst erhaltenden Laienkirche mit gliederschaftlichem Bewußtsein und missionarischer Aktivität
16
Die Geschichte dieser kleinen Kirche bietet sich für eine Untersuchung geradezu an. Das vorzügliche Archiv gestattet einem mit seiner Fülle gesammelten Materials eine Bearbeitung der gestellten Frage, die aus dem Bereich der Vermutung in den der Gewißheit treten kann. Auch die historischen Gegebenheiten sind günstig: Man hat es mit einer überschaubaren Geschichte zu tun. Ein Anfang ist klar gesetzt. Entwicklungsstufen können deutlich erkannt werden. Man begegnet Größenordnungen, die sich überblicken lassen und vor schnellen Verallgemeinerungen schützen. Herrnhut selbst blieb ja zahlenmäßig immer ein kleiner Ort. Innerhalb der entstehenden Unität läßt sich ein einzelner Name jeweils gut verfolgen. Und dabei schaut man in eine sehr lebendige Geschichte hinein. Neben der missionarischen Verkündigung in aller Welt als wichtigstem Dienst erlebt man das Drängen nach Gemeinschaftsbildung und nach Gemeindeordnung. Die „eingerichteten" Gemeinen waren überall durchgegliedert und mit den nötigen Ämtern versehen. Die Brüder erklärten dies zu einem Stück ihres Lebens, von dem sie nicht lassen könnten. In das lebendige Gemeinschaftsleben mit seinen vielfachen gottesdienstlichen Formen war eine vorbildliche diakonische Ordnung eingebettet, in der kein Glied übersehen wurde und keiner ohne Dienstauftrag blieb. Es waren Laien, die sich zur Bruderschaft zusammenschlossen und die ihr Leben nach biblischen Maßstäben gestalten wollten. Schließlich hat man es mit einer reich bewegten inneren Geschichte zu tun: Nach dem ersten kraftvollen Entfalten ihres Gemeindelebens kam über die Brüder die Zeit der Schwärmerei, aus der sie sich jedoch durch klare Rückbesinnung auf den biblischen Grund wieder erhoben und ihrer nun weit verstreuten Gemeinschaft in mühsamer ordnender Arbeit eine tragfähige Verfassung gaben. Wir haben also genau das vor uns, was wir als Untersuchungsgegenauf der Basis der Gesamtgemeinde in den folgenden rund zweieinhalb Jahrhunderten. Sie hat den Landeskirchen im deutschen Bereich ein Beispiel gegeben, das in der Zeit der endgültigen Lösung des konstantinischen Bündnisses von Staat und Kirche im östlichen Europa wohl ganz besondere Beachtung verdient." — In ähnlicher Weise E. Beyreuther: Geschichte der Diakonie, 1962, S. 45: „Für die diakonisch handelnde Gemeinde hat er ( = Zdf.) in seiner Brüderkirche den folgenden Zeiten ein Modell voller Anschaulichkeit bis in die Einzelgestaltung hinein hinterlassen, eine Freiwilligkeitskirche, die Missionspflidit und Diakonie, Gemeindemäßigkeit und schlichte Bruderschaft all ihrer Glieder innerhalb einer evangelischen Christenheit nodi heute verkörpert." In J . Margulls Einführung in die oekumenisdie Untersuchung: Die missionarische Struktur der Gemeinde, Concept, Deutsches H e f t , 2. Abzug, Genf, Frühjahr 1963, S. 7 wird gefragt: „Welche Beispiele (unter Umständen auch aus der Vergangenheit z . B . aus der Brüdergemeinde, der methodistischen Bewegung etc.) lassen sich beibringen, an denen deutlich wird, wie die Antwort auf das Evangelium, die in einer bestimmt strukturierten Gesellschaft gegeben wird, die vorfindliche Struktur einer Gemeinde umformt?"
17
stand für unsere Fragestellung nach dem „Geordneten Dienen in der christlichen Gemeinde" brauchen. Die verschiedenen Lebensformen der Gemeine mit den verschiedenen in ihnen verwirklichten Dienstmöglichkeiten können bei aller Berücksichtigung zeitlicher Gebundenheit eine Fundgrube von Beispielen geordneten Dienens werden. Auch für die kirchenhistorischen Überlegungen wird ein Ertrag zu verzeichnen sein. Gerade die Geschichte der Brüdergemeine kann den Beweis erbringen, daß die quietistische Verinnerlichung nicht das Wesensmerkmal des Pietismus ist, wie in Unkenntnis der Dinge oft fälschlich behauptet wird. Alt-Herrnhut zeigt uns, wie die „Herzenskonnexion mit dem Heiland", die bei Zinzendorf bis zur Mystik verinnerlicht war, sofern sie biblisch-lebendig ist, zur Tat drängt. Es kam zur brüderlichen Gemeinschaft und damit zur gegenseitigen Handreichung der Glieder im Dienst aneinander ebenso wie, im Bewußtsein des Missionsauftrages, zum Zeugnis vor der trotz christlichen Glaubens erstarrten oder der nichtchristlichen Umwelt. Von der brennenden Liebe zu dem Herrn und Erlöser ergab sich beinahe von selbst über dem Gehorsam seinem Wort gegenüber das Leben in Hingabe und Dienst. Die Frage nach dem geordneten Dienen in der Gemeinde erfordert eine große Weite für die durchzuführende Untersuchung. Wir fragen ja nach dem Dienen überhaupt, sofern es dem Herrn in seiner Gemeinde geschieht. So muß in der folgenden Darstellung wirklich auch das ganze Gemeindeleben in all seinen Formen und Verzweigungen in den Blick genommen werden. Das bürgerliche und wirtschaftliche Leben, das gottesdienstliche Leben in den verschiedenen Versammlungsformen, das Leben in den seelsorgerlichen Gruppen der Gemeine und in den Lebensgemeinschaften, die geordneten Ämter, die besonderen Dienste und ihre Konferenzen, die Anstaltsarbeit, die Armen- und Krankenpflege, der Botengang und die Missionsunternehmungen, das Leben des einzelnen und der Gemeinschaft, die Frömmigkeit und ihre Äußerungen in Lied und Rede — alles dies wird zu prüfen sein, ob es Dienst Christi ist, und — das sei schon hier gesagt — es wird als solcher Dienst erkennbar werden. Das gibt eine Weite der Darstellung, die in sich Schwierigkeiten birgt. Es ist leichter, eine Lebensform in ihrer Entwicklung zu verfolgen, ζ. B. das Erziehungswesen, als die Fülle des Lebens in allen seinen Formen und Spielarten einzufangen und darzustellen. Jedes Ordnen und Sortieren in Sachgruppen entspricht dann schon nicht mehr ganz dem Leben selbst16. 1 6 Vielleicht liegt audi hier der Grund dafür, daß wir in unserem heutigen Ordnungsstreben mit der Abgrenzung der Begriffe „missionarisch" und „diakonisch" wohl theoretisch Zustandekommen, aber sofort scheitern, wenn wir im Leben unserer Kirche mit einer Aufteilung beginnen. Jedenfalls ist eine derartige Aufgliederung in der Brüdergeschichte kaum möglich.
18
Ein Leben im Dienst äußert sich in allen auch nur möglichen Bereichen im Gehorsam der Tat. Die Bereiche allerdings mußten wir für diese Untersuchung ordnend abgrenzen. Aber man sehe die Abgrenzungen wirklich nur als Arbeitshilfe an. Das Leben der Gemeine ging über diese Grenzen hinweg. Der Versuch, das Leben selbst einzufangen, beeinflußt auch den äußeren Umfang der Arbeit. Bevor wir beurteilen, müssen wir kennenlernen. Dazu genügt es nicht, daß wir hier und da einen Satz herausgreifen, um ihn zur Grundlage einer breiten Erörterung zu machen. J e mehr der Verfasser die Quellen selbst kennenlernte, desto wichtiger wurde ihm der Zusammenhang der Äußerungen, der Geist, den ein ganzer Brief oder ein Bericht oder eine Instruktion im vollen Umfang atmet. So ging es ihm darum, die weithin unbekannten Quellenstücke selbst sprechen zu lassen und sie so getreu wie möglich wiederzugeben, damit ein echtes Bild des Gemeindelebens im alten Herrnhut entsteht. Je genauer uns dieses Bild vor die Augen tritt, desto leichter wird es für uns sein, Zeitbedingtes abzustreifen, Unbiblisches kritisch zu beurteilen und Gültiges herauszustellen17. Von der Weite der Fragestellung und dem Umfang des Darzustellenden wird die Begrenzung des Themas verständlich. Wir müssen uns auf einen Teil der Brüdergeschichte beschränken. Natürlich wäre es reizvoll, die ganze Geschichte der Brüdergemeine bis zur Gegenwart unter dem Gesichtspunkt des Dienstes darzustellen. Aber viel vom ursprünglich Lebendigen würde in summarischen Zusammenfassungen verschwinden. Die Gefahr falscher Verallgemeinerung wäre gegeben. Das Archiv bietet auch zu viel Material, als daß man es mit einem Griff erfassen und verarbeiten könnte. So begrenzen wir den zu untersuchenden Zeitraum auf die Zeit der Entstehung der Gemeine in den Jahren 1722 bis etwa 1738. Wir umfassen damit die Zeit von der ersten Ansiedlung am Hutberg bis zur Ausweisung Zinzendorfs 1736 und gehen nur dann darüber hinaus, wenn es sich um Zusammenfassung der Erfahrungen handelt oder um Weiterentwicklungen, deren Kenntnis uns für das Thema unbedingt wichtig erscheint. Damit lernen wir die grundlegende Periode in der Geschichte der erneuerten Brüderunität kennen. Alles spätere wird von hier aus verständlich, zum Teil auch reguliert. Zugleich erkennen wir in den Wurzeln der 1 7 D i e Q u e l l e n sind in den A n m e r k u n g e n angegeben u n d die wichtigsten anfangs audi in A r t und B e d e u t u n g beurteilt. S o f e r n die jeweilige H a n d s c h r i f t zitiert wird, ist die ursprüngliche Schreibart beibehalten. D e r V e r f a s s e r hat sich d a z u entschlossen, u m einen unmittelbaren Eindruck des Schriftstückes zu vermitteln. W i r d eine bereits gedruckte Q u e l l e n w i e d e r g a b e zitiert, ist immer angegeben, aus welchem Buch das Z i t a t genommen w u r d e (Zit. n.:).
19
einzelnen Lebensformen Ursprung, Geist und Sinn derselben. Je genauer wir hier in der Untersuchung sind, desto besser verstehen wir spätere Ausprägungen. Die örtliche Begrenzung ist damit gegeben. Wir befassen uns fast ausschließlich mit der ersten Gemeine in Herrnhut selbst. Sie trägt den Glanz der ersten Liebe und bleibt auch typisch für die Gesamtheit der Gemeinen. Nur in den letzten beiden Kapiteln, wo es uns um die Mission und die Auswirkungen der Streiteridee geht, werden wir Herrnhuter Boden verlassen. Aber das liegt in der Natur des Darzustellenden. Zur Begrenzung auf die Jahre vor der Ausweisung Zinzendorfs rät audi die Brüdergeschichte selbst. Andere Untersuchungen enden ebenfalls mit Ablauf des dritten Jahrzehnts des 18. Jahrhunderts 18 . Mit der Sammlung der Pilgergemeine auf der Ronneburg nach Zinzendorfs Ausweisung begann in der Brüdergeschichte ein ganz neuer Abschnitt. Äußerlich vollzog sich eine Ausbreitung von großem Umfang. Hinzu kam die immer stärker werdende eigene Kirchenbildung. Innerlich steuerte alles auf die Jahre zu, die unter der Bezeichnung „Sichtungszeit" von den Brüdern selbst später als Jahre des Irrwegs erkannt wurden. Das ursprüngliche, den Betrachter so anziehende Wesen der kleinen Gemeinschaft war nicht mehr in dieser Art vorhanden. Man begann in den Lebensformen und mit den Ämtern ebenso zu spielen, wie man es in der Sprache tat. So beschränken wir uns gern auf die Anfangszeit und lassen ihr Bild auf uns wirken. Es ist uns dabei nicht unwichtig, daß sich die Gemeine in diesem Zeitraum noch völlig im Zusammenhang mit dem lutherischen Pfarramt in Berthelsdorf und nicht im Gegensatz zu ihm befand. Wichtig ist uns außerdem, daß es sich bei aller Betätigung und in allen Ämtern zu dieser Zeit noch um wirkliche Laien handelte, die in der Gemeine ihren geordneten Dienst taten. 3. Das Ziel der
Untersuchung
Das Ziel der Untersuchung ist damit beinahe schon umrissen. Es geht um die Vermittlung von Erfahrungen. Es geht um die Darstellung von Gemeindeformen und Diensten, die ihren Wert darin besitzen, daß sie gelebt wurden und durch die Bewährung gehen mußten. Es geht um das Beispiel einer lebendigen Gemeindeordnung, in der das Dienen der Glieder erkennbar wird als Ausdruck des Leibhaften in Glaube und Heiligung. 18 Vgl. O. Uttendörfer: Das Erziehungswesen Zinzendorfs und der Brüdergemeine in seinen Anfängen, und O. Uttendörfer: Alt-Herrnhut. — „Diese Abgrenzung stimmt mit der in der Geschichte der Brüderkirche üblichen Einteilung überein, indem auch hier die Verlegung des Zentrums des Brüdertums von Herrnhut in die Wetterau nicht bloß einen äußeren, sondern auch einen inneren Neuanfang bedeutet." O. Uttendörfer, Erziehungswesen, Vorwort.
20
An dieser Stelle seien einige Sätze Karl Barths wiedergegeben, die es uns erleichtern, das Ziel der Untersuchung zu kennzeichnen. Er hat in seiner Kirchlichen Dogmatik IV/2 über die Ordnung der Gemeinde gehandelt. Unter der Gesamtüberschrift des § 67 „Der Heilige Geist und die Erbauung der christlichen Gemeinde" stellt er die Ordnung der Gemeinde als eine Dienstordnung dar 19 . Das Recht muß in der Gemeinde Christi „den Charakter und Sinn von Dienstrecht, Recht im Rahmen einer Dienstordnung haben. Die Gemeinde Jesu Christi existiert (als der Leib, dessen Haupt Er ist), indem sie ihm dient. Und es existieren ihre Glieder, die Christen (als Glieder dieses seines Leibes), indem sie sich — durch den von ihnen dem Herrn gemeinsam zu leistenden Dienst auch unter sich verbunden — auch untereinander dienen."20 „Die Gemeinde ist als sein Leib in Ordnung, wenn und indem ihr Tun Dienst ist. Und so sind auch ihre Glieder, die Christen, in Ordnung, wenn und indem sie im Dienst stehen." 21 „Dienst ist nicht eine unter den Funktionen des Seins der Gemeinde, sondern Dienst ist ihr Sein in allen seinen Funktionen." 22 „Wie es keinen Bereich kirchlichen Handelns gibt, der nicht unter der Bestimmung des Dienstes stünde, so auch keinen in der Gemeinde existierenden einzelnen Menschen, der dem Dienst entzogen oder nur in geringerem Grad und Ernst zu seiner Verrichtung berechtigt und verpflichtet wäre. Ein Christ und also ein Heiliger in der Gemeinde der Heiligen sein, heißt: in und mit der christlichen Gemeinde dienen. Es haben nicht alle Christen gleich, d. h. in derselben Funktion, es haben aber alle Christen, und zwar alle an ihrem Ort in gleicher Auszeichnung und Belastung wie die andern an ihren Orten, zu dienen. Im Leben der christlichen Gemeinde kann kein Einziger fehlen, in der Verrichtung ihres Dienstes das Dienen keines Einzigen entbehrt w e r d e n . . . In die Gemeindschaft mit Jesus Christus
1» K. Barth, Kirchliche Dogmatik IV/2, § 67, 4, S. 765 ff. 2« K. Barth, K D IV/2, S. 781. 21 K. Barth, K D IV/2, S. 782. 22 K.Barth, K D IV/2, S. 784. Karl Barth sagt in diesem Zusammenhang weiter: „Man bedenke von hier aus, wie ohnmächtig es doch ist, daß gerade die Begriffe διακονία und ministerium weithin zur Bezeichnung besonderer Funktionen des gemeindlichen Lebens verwendet wurden und noch werden: ,Diakonie' zur Bezeichnung der kirchlichen Liebes- und Hilfstätigkeit an Armen, Kranken usw., .Ministerium' zur Bezeichnung des berufsmäßigen Predigtdienstes. Als ob die der Gemeinde geschenkte und in der Gemeinde zu betätigende Freiheit zum Dienst so beschränkt wäre! Als ob nicht das ganze, alles ihr Tun Diakonie und ministerium Verbi divini sein dürfte und müßte! Als ob es anderweitige Sparten gäbe, in denen es das nicht wäre! Oder irgend ein neues Tun in noch unersdilossenen Sparten, in welchen es nicht wieder als Dienst Gestalt gewinnen dürfte und müßte! Rechtes Kirchenrecht wird dem Entstehen solcher falscher Grenzziehungen zu wehren, schon gezogene Grenzziehungen dieser Art zu beseitigen, es wird die grundsätzliche Offenheit des ganzen gemeindlichen Lebens für seine Bestimmung zum Dienst festzustellen und geltend zu machen haben." (S. 784 f.).
21
erhoben, ist jeder Christ als solcher in die Niedrigkeit seines Dienstes versetzt." 23 Die bewegende Kraft zu solchem Dienen ist die Liebe. Uber sie spricht Karl Barth im folgenden § 68 „Der Heilige Geist und die christliche Liebe"24. Die vorangestellte These lautet: „Der Heilige Geist ist die belebende Macht, in der Jesus Christus einen sündigen Menschen in seine Gemeinde versetzt, ihm also die Freiheit gibt, der Liebe, in der Gott ihn in Überwindung seiner Trägheit und seines Elends zu sich gezogen und aufgerichtet hat, in tätiger Hingabe an ihn und an den Mitmenschen als Gottes Zeuge zu entsprechen."25 „ . . . in und mit dieser Tat des einzelnen, mit allen seinesgleichen verbundenen Christen vollzieht sich der Aufbau der christlichen Gemeinde." 29 „Was heißt Gottesliebe? Was heißt Jesusliebe? Schlicht dies, daß Gott, daß Jesus einem Menschen so dringlich, so vordringlich wird, daß er diesem Drängen seiner Liebe in Erfahrung ihrer Herrlichkeit weichen, ja in ganz konkreten Gedanken, Worten und Werken Raum geben, Rechnung tragen darf und muß: in welchem Weichen es dann wirklich wird, daß er sich Ihm hingibt und, indem er das tut, immer neuen Grund und Anlaß bekommt, dasselbe wieder und wieder zu tun." 27 Diese Gottesliebe bewährt sich in der Gehorsamstat der Hingabe in der Gemeinde und gegenüber dem Bruder, der einem begegnet. „Gott lieben heißt: an einem bestimmten Ort in diesem Zusammenhang (der Glieder eines Leibes) leben, an diesem Ort mit solchen Menschen zusammen sein, die auch in den Dienst gerufen wurden, um den es da geht, die am Leben in diesem Dienst auch teilnehmen." 28 Die folgende Untersuchung des Lebens der Brüder und Schwestern im alten Herrnhut wird sich als eine Unterstreichung dieser Sätze Karl Barths herausstellen. Sie tut dies, indem sie einfach dem vorhandenen Leben nachgeht. Insofern kann eine kirchenhistorische Untersuchung einen dogmatischen und ethischen Sachverhalt erhärten. Es wird also ein wesentliches Ziel der Darstellung sein, aufzuzeigen, wie das persönliche Leben der Hingabe an Gott in der Liebe zum Bruder und damit im gegenseitigen Dienen der Glieder der Gemeinde wirksam wird. Dies wiederum kann nur verstanden werden aus der Erweckung durch Gottes Geist, aus der Eingliederung, die nur Gott selbst vornehmen kann. Und es wird aufzuzeigen sein, wie solche Erweckung zu Liebe und Dienst erst dann ganz fruchtbar wird für das gemeinsame Leben und für das Leben für andere 23 K. Barth, KD IV/2, S. 785. Karl Barth fragt weiter, ob wir nicht den „fatalen Begriff ,Amt' zum Verschwinden bringen und durdi den im Unterschied zu jenem auf alle Christen anzuwendenden Begriff eben des .Dienstes' zu ersetzen haben? . . . in der christlidien Gemeinde sind entweder Alle Amtsträger oder Keiner — wenn aber Alle, dann Alle als Dienstleute." (S. 787) 24 K. Barth, KD IV/2, S. 825 ff. 25 K. Barth, KD IV/2, S. 825. 27 к . Barth, KD IV/2, S. 901. 2« K. Barth, KD IV/2, S. 829. 28 к . Barth, KD IV/2, S. 915.
22
in dieser Welt, wenn sie in einer bestimmten Ordnung Gestalt gewinnt, in einer Ordnung jedoch, die nicht beherrschende und damit einschränkende Funktion hat, sondern dienende und damit immer wieder zum Einsatz im Dienst befreiende 28 . Als zweites Ziel dieser Untersuchung muß das kirchenhistorische selbst angesehen werden. Der Verfasser hat sich bemüht, eine Lücke in der brüdergeschichtlichen Literatur zu schließen und damit einen Beitrag zur Geschichte des Pietismus zu liefern. Eine Darstellung des gesamten Lebens der Herrnhuter Gemeine in seiner ganzen Breite und Fülle fehlt bisher. Es fehlt audi eine Grundlage zur Geschichte der Gemeinordnung der Brüdergemeine. Die vorhandenen Einzeldarstellungen werden an entsprechenden Stellen verwendet und genannt. Wichtig ist uns jedoch das Gesamtbild bei möglichst genauer Darstellung der Einzelzüge. Als drittes Ziel der Untersuchung muß schließlich das genannt werden, was Ausgangsfrage für die Arbeit war und ist: das praktisch-theologische Ziel. Der Verfasser möchte die Darstellung als Beitrag zur heutigen oekumenischen Besinnung auf den Dienst des Laien, auf die Ämterfrage, auf Gemeindeordnung, auf Diakonie und Mission verstanden wissen. Nicht so, als seien nun aus einer seinerzeit lebenskräftigen Gemeindeordnung Lebensformen einfach zu übernehmen oder als könnte die Arbeit selbst schon Anweisungen für eine heutige Gestaltung des Gemeindelebens bieten. Aber aus der Untersuchung früherer Gestaltung gemeindlichen Lebens kann unter der Berücksichtigung dessen, daß Gottes Geist zu allen Zeiten derselbe ist und daß der Auftrag Gottes zu Zeugnis und Dienst der Gemeinde Christi in dieser Welt allezeit der gleiche ist, unser Nachdenken angeregt und in bestimmte Richtungen geleitet werden. Es gilt, sich die Erfahrungen der Väter zunutze zu machen für heutige Aufgaben. 29
Vergleiche audi noch A. Sdiktters wichtige Untersuchung: Der Dienst des Christen in der älteren Dogmatik. Man versteht dann, daß in der neueren systematischen Theologie im Blick auf den Dienst des Christen wirklich ein großer Fortschritt zu verzeichnen ist. Schlatter schreibt: „Fassen wir alles, was wir Gott zu geben haben, alle Verwertung der empfangenen Gnade zu neuer Frucht, in den Begriff ,Dienst Gottes' zusammen, so läßt sidi sagen: daß in den älteren Formeln die Lehre vom Dienste Gottes nicht zu heller Durchbildung gekommen ist." (S. 4) Er bezeichnet den Dienst als „das Ziel der Gnade". (S. 3)
23
KAPITEL
1
Die Entstehung der Herrnhuter Brüdergemeine und ihre erste Ordnung Fragt man nach dem Zeitpunkt, wann die Entstehung der Herrnhuter Gemeine festzusetzen ist, so wird in der Literatur der Brüdergemeine übereinstimmend das Jahr 1727 genannt1. Die Jahre vorher waren wichtig als Vorbereitung auf die eigentliche Geburt des Gemeinwesens, ohne die es kaum hätte so geboren werden können, doch der Beginn der Gemeine als lebensfähiges und lebenskräftiges Gebilde wird erst in das genannte Jahr gelegt. Das verwundert uns zunächst, da die Gründung des Ortes Herrnhut mit seinem ersten Haus für drei Familien an der Landstraße von Löbau nach Zittau bereits im Jahre 1722 geschah2. In Herrnhut wird heute noch der 17. Juni feierlich begangen, weil an diesem Tage im Jahre 1722 der Zimmermann Christian David den ersten Baum zum Anbau von Herrnhut fällte. Aber es mußten noch Jahre vergehen, ehe es zum entscheidenden Zusammenschluß zu einer lebensfähigen Gemeine kommen konnte. — 300 Einwohner zählte die Siedlung am Hutberg im Jahre 1727. Sie waren verteilt auf etwa 30 Häuser, die längs der Zittau— Zum ganzen Abschnitt sei auf folgende Literatur besonders hingewiesen: Uber die Vorgeschichte des 13. August 1727 berichten ausführlich die im Literaturverzeichnis aufgeführten Brüdergeschichten und Zinzendorf-Biographien. Eine kleine, nur 38 Seiten starke Schrift von Gerhard Reichel: Die Geschidite des 13. August 1727 (Festschrift zum 13. 8. 1927), unterrichtet am besten über die Geschidite Herrnhuts in den Jahren vor 1727. Leider hat der Verfasser die Quellen nicht angegeben und die Ankündigung der einzigen Anmerkung, daß er ein Heft gleichen Inhalts mit genauer Angabe der für die Darstellung benutzten Quellen im Herrnhuter Archiv niederlegen wolle, nicht durchführen können. Die Geschichte bis zur Rückkehr Zinzendorfs aus Dresden nach Berthelsdorf 1727 untersuchte G. Reichel sehr gründlich in seinem 1922 erschienenen Buch: Die Anfänge Herrnhuts. Zu den Statuten ist zu verweisen auf Jos. Th. Müllers 1900 herausgekommene Festschrift: Zinzendorf als Erneuerer der alten Brüderkirche, in der als Beilage (S. 106 ff.) die Statuten vom Mai 1727 und vom 6. 11. 1728 abgedruckt sind. In seiner Zinzendorf-Biographie (2. Band) widmete Erich Beyreuther der Einführung der Statuten einen breiteren Raum (S. 179 f. u. 182 bis 186). Für diese Entstehungszeit Herrnhuts sind wichtig: Die ältesten Berichte Zinzendorfs über sein Leben, seine Unternehmungen und Herrnhuts Entstehen, von J . Th. Müller hrsg. in der Zeitschrift für Brüdergeschichte (ZBG) der Jahre 1911, 1912, 1913. Es handelt sich um Aufzeichnungen Zinzendorfs aus den Jahren 1726—1728 und seine Memoires von 1742. 1
2 O. Uttendörfer, Alt-Herrnhut ( = Uttd. A-H), S. 9. Uttendörfer unterrichtet sehr genau über das Heranwachsen Herrnhuts.
24
Löbauer Straße und von da aus nach dem Hutberg zu um das Gemeinhaus herum gebaut worden waren®. In den davor liegenden fünf Jahren hat die kleine Exulantensiedlung eine bewegte Geschichte gehabt. Schnell wuchs sie durch stetigen Zuzug aus Mähren, aber auch aus der deutschen Umgebung, Zufluchtsort für allerlei Menschen, die auf der Suche nach freiem christlichem Leben und nach christlicher Gemeinschaft waren 4 . Der junge Reichsgraf Zinzendorf, der viel lieber in seinem Berthelsdorf gewirkt hätte als im Dresdner Staatsdienst 5 , nahm sie bereitwillig auf, gab Boden und Anbaumöglichkeit und hoffte, daß aus diesem Häuflein Christenmenschen eine Gemeinschaft sich bilden würde, in deren Mitte zu leben sich lohnte 6 . Die Erfahrung der ersten fünf Jahre lehrte ihn ein anderes. Statt zur Gemeinschaft kam es zur Zertrennung. Jeder hatte seinen Kopf für sich und Christian David, der eigentlich die Seele des Unternehmens hätte sein können, im besonderen. Das Jahr 1726 war kein ruhmreiches Jahr in der Entstehungsgeschichte der Gemeine7. Erst dadurch, daß der enthusiastische Rat Krüger aus Ebersdorf, der mit seinem Kommen die Gemüter völlig verwirrt hatte, in Wahnsinn fiel und Herrnhut im Januar 1727 verlassen mußte 8 , schreckten manche auf und besannen sich auf die Grundlagen ihrer Gemeinschaft, auf Liebe und Eintracht. Christian David, der sich sein Haus ein Stück abseits der Siedlung gebaut hatte 9 , um dafür ein Zeichen aufzurichten, daß er mit dieser Gesellschaft in der Heiligung ständig zurückbleibender Leute auch äußerlich nichts zu tun haben wollte, besann sich allerdings noch nicht10. Es gehörte zu den Fügungen in Herrnhuts Geschichte, daß Zinzendorf in diesem Augenblick in Dresden frei wurde 11 , so daß er sich seiner Emigrantensiedlung in Ruhe widmen konnte. Es war notwendig genug. Er begann damit, daß er sie alle einzeln „sprach" und mit jedem im seelsorgerlichen Gespräch auf den Grund des gemeinsamen Lebens ging, auf Liebe und Eintracht 12 . Er spürte dabei, daß der einzelne eine Hilfe und Stütze 8 Vgl. Bediler, Ortsgesdiidite von Herrnhut, S. 103. Bediler nennt bereits 34 Häuser im Jahr 1727, während in einer Handschrift (R 6 Aa 18,10) im April 1728 32 Häuser gezählt werden. 4 1727 waren etwa die Hälfte (150) Mähren (so Ranzau; Fr. v. Watteville schrieb an Heitz, es wären über 200), nadi E. W. Cröger, Geschichte der erneuerten Brüderkirdie, S. 93, Anm. β Vgl. Reichel, Anfänge, S. 180 ff. 5 Vgl. Reichel, Anfänge, S. 108 ff. ч Vgl. Reichel, 13. August, S. 17 ff. 8 Reichel, 13. August, S. 22 f.; vgl. Gesdi. der verb, vier Brüder, und: Historischer Begriff, ZBG 1912 S. 82 ff. und S. 113 f. » Reichel, 13. August, S. 28, Anfänge, S. 222. 10 Reichel, 13. August, S. 23 ff. Leider gibt es noch keine wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Biographie Christian Davids. Unter den „Lebensbildern aus der Brüdergemeine" erschien 1922 von Th. Bediler ein kurzes Lebensbild Christian Davids (64 S.). и Reichel, Anfänge, S. 222; Spangenberg, Zinzendorf, S. 386 ff; ZBG 1912, S. 231, Anm. 11, Zinzendorfs Anmerkung zu C. Davids Beschreibung von 1729. 12 Spangenberg, Zinzendorf, S. 403 f. 408 ff.
25
brauchte, damit er seinen Platz in der Gemeinschaft fand, und daß die Gemeinschaft einer Ordnung bedurfte, die sie fest aneinander band. Er fand auch die Sehnsucht „nach einer Gemeinschaft und guten Ordnung" vor13 u . So rief er die wichtigsten Personen in seiner Umgebung zusammen, um mit ihnen diese gute Ordnung zustande zu bringen15. Christian David schrieb davon in seiner „Beschreibung und zuverläßigen Nachricht von Herrnhut" 18 : „ . . . eine solche Ordnung und Haushaltung, daß alle in der Gemeine, die von Gott Gaben empfangen hätten, sie auch zum all13 Zinzendorf sdieint sich bereits im Winter mit einer Ordnung für Herrnhut innerhalb der luth. Kirche beschäftigt zu haben: „also arbeitete ich meine Absicht, nemlich die Brüder aus Böhmen und Mähren auf raisonable Conditiones mit der Evangelischen (— evangelisch lutherischen) Kirche zu combiniren mit Gebet und vielem Nachdenken den Winter 1727 durch und erwartete die Zeit, wenn ich nadi Gewohnheit Dresden verlassen und auf mein Gut gehen würde." Histor. Begriff R 6 Aa 2 f. von 1728, nach ZBG 1912, S. 113. 14 Christian David: Beschreibung von Herrnhut, Drude, S. 10: Sie „wurden durch das viele Abreiben aneinander so müde und mürbe, daß sie sich sehnten nach einer Gemeinschaft und guten Ordnung: Deswegen audi viele baten und anhielten, man möchte doch eine gute Ordnung und erbauliche Gemeinschaft anrichten, wir wären ja Gebrüder untereinander, warum wolten wir uns denn mit einander zancken und zweyen?" 15 Nach einer Eintragung im Herrnhuter Diarium vom 12. Mai 1727 waren Pfarrer Rothe und Zinzendorfs Gerichtsdirektor Christ. Gotthelf Mardie bei der Ausarbeitung beteiligt: „Diese Tage über arbeitete der H . Gr. mit H . Rothen u. dem Geriditsdirektor an denen Hhutischen Statuten, wornach sie künftig als eine Ortsgem e regiert werden könnten u. darinnen sich auch Spuren vor das Herz fanden." Nach C. David waren audi Herrnhuter an den Vorbesprechungen beteiligt: „Und so kamen die Ersten und Aeltesten unterschiedene mal bey dem Herrn Grafen zusammen, sich über diese Sadien mit einander zu besprechen . . ." (Beschreibung, Druck, S. 11). Wer es im einzelnen war, wird nicht berichtet. Christian David war jedenfalls dabei. — Man muß den genannten Christ. Gotthelf Marche sorgfältig von seinem älteren Bruder Christian Gottfried Mardie unterscheiden. Der Theologe und Magister Gottfried, geb. 1694, war Hauslehrer in Großhennersdorf, als 1722 die ersten Exulanten kamen. Er gab damals den Ort zum Anbau Herrnhuts an. Er war der spätere Budihändler in Görlitz und Schwiegersohn Mag. Scheffers. Seine letzten Jahre verbrachte er in Herrnhut (gestorben Okt. 1768). Der Jurist Gotthelf, geb. 1700, wurde 1724 Oberamts-Advokat, 1741 Senator, 1748 Stadtrichter und 1751 Bürgermeister in Bautzen (Budissin). Er starb eine Woche nach seinem Bruder ebenfalls im Okt. 1768 als Bautzener Bürgermeister. Zinzendorf folgte einem in der Oberlausitz üblichen Brauch, wegen der größeren Unparteilidikeit zum Vorsitzenden im Ortsgericht von Berthelsdorf eine geeignete, angesehene auswärtige Persönlichkeit zu ernennen. (Vgl. Knothe, Die Stellung der Gutsunterthanen in der Oberlausitz, in: Neues Lausitzisches Magazin, 61. Bd., 1885, S. 217) Gotthelf Mardie wird in juristischen Fragen immer Zinzendorfs Berater gewesen sein. — Der Vater der beiden war der Pfarrer Gottfried Marche, von 1703 an past. sec. in Bautzen. Vgl. zu Chr. Gottfried Mardie: Lebenslaufsnotizen, R 22 N o 121/25, und seinen Lebenslauf in der Sammlung von Schweinitz, R 22 N r . 129b, 2. Abt. S. 387 ff. Zu Chr. Gotthelf Mardie: Neues Lausitzisches Magazin, 8. Bd., 1830, S. 593. 18 Im folgenden wird immer wieder Christian David mit einer seiner verschiedenen Beschreibungen Herrnhuts zu Worte kommen. Es sei darum an dieser Stelle etwas zu den verschiedenen Fassungen gesagt. Uttendörfer hat sich in der ZBG 1912, S. 220 ff. eingehend mit der Entstehung der „Beschreibung und zuverläßigen Nadiridit von Herrnhut"
26
gemeinen Nutzen in der Gemeine anwenden möchten, daß also der gantze Leib sich zu sein selbst Besserung bauen möge, und man nicht auf Einen oder Zwey es alleine liesse ankommen. Dahero wir ohne längern Aufschub uns genöthiget fanden, sowol aus den oben angezeigten Ursachen (Sehnsucht nach Ordnung), als auch deßwegen, weil es ein gantz neu angelegter Ort war, Statuten und Ordnungen zu machen, und Männer, die ein gut Zeugniß haben, zum Dienste der Gemeine zu erwehlen: beschäftigt. Er fragte vor allem danach, welche Handschrift und damit weldie Abfassungszeit für die 1735 bei Walther in Leipzig gedruckte Fassung anzusetzen sei. Der Vergleich der verschiedenen Handschriften mit dem Druck führte ihn zu folgendem Ergebnis (ZBG 1912, S. 230): „So haben wir drei kürzere und drei längere Beschreibungen Herrnhuts von Christian David aus der Zeit von 1728—1731, deren Vergleich wertvolles Material über die Entwicklung der Einrichtungen der Gemeine bietet. 1. Die kurze Beschreibung von 1728, erhalten in der Schrift von Pater Regent ( = Unpartheyisdie N a c h r i c h t . . . " s. Literaturverzeichnis). 2. Der Briefentwurf an Heitz von 1729, abgedruckt in den Gedenktagen (Beylage E, S. 132 ff = Ρ 6 Aa 26). 3. Der Brief an Heitz vom 11. Sept. 1729 (R 24 В 68, 39). 4. Die Beschreibung von Herrnhut, die 1729 in den Ostseeprovinzen entworfen wurde (von Uttend. Handschrift Α genannt = R 6 Aa 22, 2). 5. Die Überarbeitung derselben von 1730, erhalten in der gedruckten Beschreibung von Herrnhut. 6. Die Handschrift „Dennen glaubigen Brüdern" (in Bern, Zürich, Schaffhausen und Losanna, Datum: Montmirail, den 2. Oktober 1731) von 1731 (— R 6 Aa 2 2 , 1 ) . So weit Uttendörfer. Aus der letztgenannten Handsdirift, die den ausführlichsten Bericht über Herrnhut bringt und auch am originellsten ist, wurden verschiedene Auszüge gemacht, von denen 3 Exemplare im Unitätsardiiv zu finden sind, darunter die „Relatio Herrenhutiana", wohl in Büdingen 1731 entstanden, die mehr noch eine andere Bearbeitung darstellt, da sie nicht nur wesentlich kürzt, sondern audi anders anordnet und nicht wörtlich mit dem Montmirailer Bericht übereinstimmt. Interessant ist, daß aus der Beschreibung von 1731 ein Teil, eine Predigt Rothes über Rom. 12 mit einem kurzen Bericht über die Ämtersetzung 1727, in Johann Jakob Mosers „Altes und Neues aus dem Reich Gottes", Teil 3 (Frankfurt und Leipzig 1733) gelangt und dort S. 29—34 abgedruckt ist. Der Text geht über die ursprüngliche Handschrift von 1731 in der Beschreibung der Ämtersetzung hinaus, stimmt aber in leicht geglätteter Form mit dem der „Relatio Herrenhutiana" überein (ζ. B. steht bei Moser immer Gemeinde, wo die „Relatio" Gemeine hat). Diese Predigt wird uns später noch beschäftigen. Für uns sind diese verschiedenen Fassungen der Beschreibung von Herrnhut deshalb so instruktiv, weil wir durch die Verschiedenheiten ein ziemlich deutliches Bild von der Entwicklung der Gemeinformen zwischen 1728 und 1731 gezeichnet bekommen. Die Anmerkungen des Gemeinschreibers Lintrup im gedruckten Exemplar, die die Zustände von 1734 angeben, ergänzen dies darüber hinaus. Da wir wiederholt den Montmirailer Bericht von 1731 „Dennen glaubigen Brüdern" wiedergeben, sei die Anordnung hier mitgeteilt. Der Umfang des Beschriebenen wird daran deutlich. Die Seitenangaben beziehen sich auf R 6 Aa 22, 1. Nach einigen Ratschlägen, wie man lebendige Gemeinschaften gründet, und einem Vorbericht über die Erbauung Herrnhuts (der gedruckten Fassung ähnlidi) folgt von S. 32 an „Von der außtheilung der ersten ämbter, u. was die gelegenheit zu mehreren gewesen." Hier finden sich die Wiedergabe der Predigt Rothes und die Beschreibung der einzelnen Ämter, allerdings ohne in eine Umschreibung von 1. Kor. 13 auszumünden (wie in der gedruckten Fassung S. 23 ff.). Darauf folgt: S. 38 Von unßeren gemeinschaftlichen u. Brüderlichen Banden. S. 41 Von unßerer gemeinschaftlichen Konfirmatzion der Jungen u. alten. S. 42
27
Und so kamen die Ersten und Aeltesten17 unterschiedene mal bey dem Herrn Grafen zusammen, sich über diese Sachen mit einander zu besprechen, wie und auf was Art und Weise wol auch könte eine gute und erbauliche Einrichtung gefunden werden, die nicht wider die Landes-Verfassung, auch nicht iemanden ärgerlich, noch auch uns gesetzlich und beschwerlich wäre; und zum andern, wie ein solcher allgemeiner Apostolischer Liebes-Weg, den alle Kinder Gottes, die bey uns wohnen, auch mit uns gemeinschaftlich gehen, gefunden werden könte, der nicht separatistisch, oder auch sectirisch, sondern allgemein, lauter, wahrhaftig, ordentlich, dauerhaftig auf alle Zeiten, und also nach dem Sinne Jesu und seiner heiligen Apostel wäre. Und obwol das schon wahr ist, daß alle Kinder Gottes bereits einen einigen Weg, Jesum den Gecreutzigten haben; so ist doch das auch wahr, das starcke und schwache gute Schrancken, auf diesem Wege sich zu bewahren, nöthig haben, damit sie nicht auf die Ab-Wege zur Rechten und zurLincken gerathen und irre gehen. Zum andern ist auch nöthig, daß die Kinder Gottes, die beysammen an einem Orte wohnen, audi einerley Regel haben, regelmäßig kämpfen, und einerley Sinn, Meinung, Reden, Glauben und Erkäntniß nach Jesu Christo haben; und zum dritten sind für diejenigen Anfänger, die noch nicht auf dem Wege des Lebens wandeln, aber doch schon darnach fragen, gute Hülifs-Mittel und Handleitung nöthig, sie auf diesen Weg zu führen. Und darum war es uns zu thun mit unserer gantzen Einrichtung, daß wir dergleichen Ordnungen, Schrancken, Regeln und Haus-Zucht nach dem Sinne Christi zum allge-
Von dem gemeinschaftlichen gedäditnüß mahl deß gekreutzigten Jeßu. S. 45 Von unßeren gemeinschafftlichen Liebes Mahlen. S. 47 Von unßer gemeinschaftlichen Kinder taufe. S. 51 Von denen gesprädien mit unßeren Kindern. S. 55 Von unser Kinder Zucht. S. 57 Von der Brüderlichen Bestraffung. S. 59 Wie bey unß der Sonntag gehalten u. angewand wirdt. S. 62 Von unserem gemeinschaftlichen Stundengebeth. S. 64 Von unßerem allgemeinen Brüderlichen fast- u. bettag. S. 66 Vonn unßeren allgemeinen früh Stunden. S. 68 Von unßerer Allgemeinen Abend Singe Stunde. S. 70 Von unßer brüderlichen Looßung. S. 71 Von unßerem gemeinschafftlichen Loos. S. 73 Von unßerer gemeinschafftlichen ratsversammlung. S. 74 Von unßeren Verlobungen, und Hochzeiten der Brüder und Schwestern unserer gemeine. S. 77 Von unßerer verEheliditen Brüder u. Schwestern ihrer viertel Stunden. S. 84 Vonn unßeren Schulanstalten. S. 87 Von unßer brüderlichen Nachtwache. S. 88 Von unßeren brüderlichen reißen. S. 90 Von unßerem brüderlichen gehorsam der obrigkeit. S. 93 Von denen zum gemeinen nutzen mancherley geistlichen gaben. S. 96 Von denen mancherley gebrechen der Kinder Gottes. S. 97 Von der gemeinschafft am Evangelio. S. 99 Von dem Jenigen Brüderlichen Sinn Derer Eid-Schwüren. S. 102 Von unßeren Brüderlichen begräbnüßen. Wir zitieren diese Quelle unter der Abkürzung D. gl. Br. 1731. R 6 Aa 22, 1; die Handschrift von 1729 mit C. D. Livland 1729, R 6 Aa 22, 2 und die gedruckte Überarbeitung derselben von 1730 mit C. D. Beschr. Druck. Die ursprüngliche Schreibweise versuchen wir jeweils beizubehalten. Vgl. zu C. Davids Beschreibungen noch unsere Anm. 2 in Kap. 2. 1 7 Wohl nicht im Sinne eines festen Amtes zu verstehen. In D. gl. Br. 1731 (R 6 Aa 2 2 , 1 ) heißt es einfach „die Brüder".
28
meinen Nutzen vor uns haben möchten, damit wir ritterlich ringen, lauffen und kämpfen und das Reich Gottes zu uns reissen möchten."18 In der Handschrift von 1731 heißt es von diesen gemeinsamen Beratungen 19 : „um nun einen solchen allgemeinen Liebes weg zu finden, und was die Schrancken, unß auf dem Selbigen zu erhalten anbetrifft audi die Einerley regul betrefend, machten wir es also, wir baten unßern König um gnade und weißheit, daß er unß in dießer wiichtigen Sache, wolle lehren thun nach seinem willen und Wohlgefallen, u. dabey gaben wir acht auf unßere Führung, auf die von gott unß mit getheilte gnaden gaben, auf die vor handen seyende, und gegen wärtige Zeiten, auch auf die Kräfte der fünsternüß, wir nahmen zur Hand Leutung die Kirchen history besonders aber deß Herren Jeßu haußhaltung wie auch der Apostel sampt des Mosy u. Jossyas dießes alles hielten wir gegen ein ander daraus wir vor die Zeit in ansehung der gemeinschaftlichen führung Gottes Willen erkennen lernten, wie wir unß der gaben u. gnaden mitel auf eine unß recht heilsame u. Gott wohlgefälige Weiße bedienen könten u. machten vor unß wegen der mancherley arthen Kinder Gottes Stattuten, die sich auf unßeren Zustand Schüken u. dießen algemeinen Liebes Sinn inn sich hatten, welche unß zu unßerem anfang so sein solten, gleich wie einem Kinde, daß man gehen lernet, daß band oder die Schnur ist biß es allein gehen kan, so auch wir bieß wir werden durch gewohnheit geübte Sinne haben, u. alle mit ein ander auß denn so genannten Geistlichen Tolppel-Jahren, her auß kommen sein u. gewiße trite thun können." Wir haben Christian David deshalb so ausführlich zu Worte kommen lassen, weil in seiner Begründung der Statuten mancherlei anklingt, was für die Beurteilung ihres Geistes wichtig ist. Uns interessieren diese unter zwei Gesichtspunkten gruppierten Statuten — nämlich als „Herrschaftliche Gebote und Verbote" und als „Brüderlicher Verein und Willkür" — insofern, als sie die Grundlage für die entstehende Gemeindeordnung bildeten (auch noch in späterer Zeit bis zu der von 1770) und die Ansätze für ein geordnetes Dienen in der Gemeine enthielten, das sich dann durch das Leben der Gemeinschaft entfaltete 20 . ι» Beschr. Drude S. 11 f. ie D. gl. Br. 1731, R 6 Aa 22, 1, S. 27 f. 20 Die Statuten sind vollständig abgedruckt als Beilage zu J. Th. Müller: „Zinzendorf als Erneuerer . . .", S. 106 ff. Zu ihrer Trennung in 2 Gruppen S. 23 f. Zum juristischen Hintergrund der Statuten und zu ihrer Begründung in der oberlausitzer Dorfverfassung vgl. Kolbing, Geschichte der Verfassung, S. 10 f. Uber das oberlausitzer „Dings- und Rügengericht", audi über Rügengesetze berichtet Korsdielt in seiner Gesdiidite von Berthelsdorf, S. 84 ff. — Uber die Verfassung der oberlausitzer Dorfgemeinden unterrichtet im Zusammenhang mit dem Ältestenamt J. Th. Müller in seinem Aufsatz: Das Ältestenamt Christi . . ., ZBG 1907, S. 3 ff. — Grundlegend für alle ist Knothe, Die Stellung der Gutsunterthanen in der Oberlausitz zu ihren Gutsherrsdiaften, Neues Lausitzisches Ma-
29
Sie wurden am 12. Mai 1727 veröffentlicht. Die Einwohner verpflichteten sich nach einer dreistündigen Rede Zinzendorfs sämtlichst mit Handschlag auf die „Herrschaftlichen Gebote und Verbote" 21 . Der „Brüderliche Verein und Willkür" wurde von denen, die ihm beitreten wollten, vom 4. Juli 1727 ab unterschrieben. Das waren für Herrnhut im Laufe der Zeit sämtliche Einwohner 22 . Wir müssen uns die im Interesse unserer Untersuchung liegenden Sätze der Statuten genauer ansehen, damit wir die Bedeutung dieser ersten Ordnung für das Dienen in der Gemeine erfassen können. Wenden wir uns zunächst den „Herrschaftlichen Geboten und Verboten" zu. Sie waren also die rechtsgültige Verfassung der neuen Ansiedlung und regelten das äußere Leben sämtlicher Einwohner. Als wichtige Voraussetzung aller Einzelpunkte muß der zweite Satz von uns angesehen werden: „2. Herrnhut soll zu ewigen Zeiten von aller Dienstbarkeit, Leibeigenschaft usw. mit allen seinen statutenmäßigen Einwohnern frei gesprochen s e i n . . . " Das, was die Statuten regeln wollten, war auch in dieser Weise nur von freien Schutzuntertanen zu erwarten. Nachdem in den ersten Punkten die rechtliche Stellung der Einwohner Herrnhuts zu Herrschaft und Obrigkeit und ihre finanziellen Verpflichtungen dargelegt worden sind, heißt es unter 7.: „Ein jeder Einwohner zu Herrnhut soll arbeiten und sein eigen Brot essen. Wenn er aber alt, krank und unvermögend ist, soll ihn die Gemeine nähren." Dann geht es im weiteren um Hausbau, Wege, Brunnen, Feste und Spiele, Unfallschutz. Im Punkt 15 heißt es: „Wer borget, soll auf die Stunde wiederbezahlen, da er es versprochen hat, es wären denn erhebliche und gleich erweisliche Ursachen vorzuwenden, daß er sein versprochen Wort nicht halten könnte. Und soll bei Eröffnung der Ursachen zugleich eine andere Zeit benennet werden, zu zahlen. Wer aber leihet, soll solche Zeiten und Stunden setzen, da er vermutlich wieder bezahlet werden kann. Auch soll niemand etwas bestellen, das er nicht zu gesetzter Zeit bezahlen kann, weil keinem Handwerker sein Lohn auf einen Tag wider seinen Willen zurückgehalten werden darf." Eine Bestimmung, die bei der Armut der ersten Jahre ihre Bedeutung gehabt haben wird. Einige Ämter deuten sich an: „16. Diejenigen, welche über Häuser, Felder, Gärten, Brunnen, Straßen und Taxe gesetzet sind, sollen in ihrem Amt fleißig sein, und da sie auch fehleten, ihnen ohne Vorwissen der Ältegazin, Bd. 61 1885, S. 159 ff. Der Ausdruck „ R ü g e n " erscheint bei Zinzendorf selbst im Historischen Begriff, Z B G 1912, S. 114. 2 1 Spangenberg, Zinzendorf, S. 419. 2 2 Müller, Zinzendorf als Erneuerer, S. 24. Alle Herrnhuter unterschrieben am 12. August 1727, am Vorabend des Abendmahlstages; vgl. Reichel, 13. August, S. 34. Die Unterschriften hörten vom 8. November 1728 an wieder auf; jedoch galt vom 6. N o vember ab eine erweiterte Fassung der „Gebote u. Verbote". Uttd. A-H., S. 18.
30
sten nicht entstanden und ungehorsamet werden." 23 Der Zuzug wird durch die Ältesten geregelt (Punkt 17). Ohne ihr „Vorbewußt" darf audi niemand seinen Beruf ändern (Punkt 19). „18. Wer eigene Hantierung oder Handel anfangen will, soll sich deshalben zuvörderst bei denen Vorstehern melden, um ins Buch eingetragen zu werden, damit niemand dem andern zu Schaden oder Untergang etwas v o r n e h m e . . M o n o p o l e werden nicht geduldet (noch Punkt 18). Streit darf nicht länger als acht Tage währen, dann muß er bis Sonnenuntergang geschlichtet sein (Punkt 20). Förmliche Rechtsklagen werden nicht geduldet (Punkt 21). Grobe Sünden sind ebenfalls Grund zum Ortsverweis (Punkt 22). „24. Es soll keiner vom anderen Geld leihen, der nicht gegründete Ursache dazu hat und solches nicht wohl vermeiden kann." Und dann kommen die Punkte, die besonders den Geist der Barmherzigkeit verlangen: „29. Sollte jemand durchs Verhängnis Gottes und eigene Schuld in Wahnsinn verfallen, soll an ihm Gottes Barmherzigkeit bewiesen, und er sehr freundlich getragen, denen Verständigsten untergeben, von ihnen nach Leib und Seel gepflegt, im übrigen aber davon nicht geredet, und so er wieder zurecht kommt, vom vorigen nicht gesprochen werden." Die Männer werden zur liebevollen Behandlung ihrer Frauen aufgefordert (Punkt 31). „33. Sobald ein Mann gestorben, sollen sich die darzu gesetzte Ältesten der Witwen annehmen und die Waisen ernstlich anbefohlen sein lassen. Sobald eine Frau gestorben, soll zur Erziehung der Kinder dem Witwer Rat geschaffet werden." „34. Kein Schuldner (1728: Gläubiger) soll eine Witwe oder Waise, wo sie nicht notorisch wohlhabend, die ersten vier Wochen angreifen, aber eine jegliche Witwe oder Waise die Umstände des Hauses nach dem Falle sobald möglich den Ältesten offenbaren." Doch wird ein Ausnutzen dieses Schutzes unterbunden: „36. Keiner soll seinem Nächsten Proben der Liebe und Gutthätigkeit zumuten, die unbillig und hart sind; widrigenfalls soll die Vergünstigung darzu vor nichtig erklärt werden." Und schließlich der beachtenswerte Artikel: „39. Wer siehet, daß ein Wagen umschlägt, Pferde stecken bleiben, Leute gefährlich fallen, der Straße verfehlen, oder sonst seinen Nächsten in einigem Kummer siehet, der soll sogleich herzu eilen, seinem Nächsten zu helfen. Wer aber dasselbe nicht thut, oder gar mit geschlagenen Armen dergleichen Unfall zusiehet, soll, wenn er ein und andermal ermahnet worden, vor den Schaden, so daraus kommen, mit haften, und vor einen leichtsinnigen Menschen gehalten auch im Fall der Not wieder sitzen gelassen werden." 24
2 8 Es handelt sidi aber hier um Ämter, die in jedem ordentlichen Gemeinwesen vorhanden waren. 24 Beachtenswert ist hier der Gesichtspunkt der Vergeltung. Von einer Anwendung dieses Artikels ist mir jedoch keine Bemerkung begegnet.
31
Neben dieser Verfassung für alle standen die der Freiwilligkeit überlassenen Statuten der brüderlichen Vereinigung „ B r ü d e r l i c h e r Verein und Willkür", die innere Ordnung der Gemeinschaft25: „1. In Herrnhut soll zu ewigen Zeiten nicht vergessen werden, daß es auf den lebendigen Gott erbauet und ein Werk seiner allmächtigen Hand, auch eigentlich kein neuer Ort, sondern nur eine für Brüder und um der Brüder willen errichtete Anstalt sei."28 Dieser geistlichen Begründung der Gemeinschaft ist sofort beigesellt die Verbannung allen Religionsstreites: „2. Herrnhut mit seinen eigentlichen alten Einwohnern soll in beständiger Liebe mit allen Brüdern und Kindern Gottes in allen Religionen27 stehen, kein Beurteilen, Zanken oder etwas ungebührliches gegen Andersgesinnte vornehmen, wohl aber sich selbst und die evangelische Lauterkeit, Einfalt und Gnade unter sich zu bewahren suchen." Als Kennzeichen für ein Mitglied an Christi Leib werden zwei genannt: (Punkt 3) 1. Das Bekenntnis, „daß ihn die bloße Erbarmung Gottes in Christo ergriffen, und er desselbigen nicht einen Augenblick entbehren könne, daß auch die größte Vollkommenheit des Lebens, wo sie zu erhalten wäre ohne Jesu auf sein Blut und Verdienst gegründete Fürbitte, bei Gott gar schlecht angesehen sei, in Christo aber angenehm werde" und 2. der tägliche Beweis, „daß es ihm ein ganzer Ernst sei, die Sünde, die Christus gebüßet, wegnehmen zu lassen, und täglich heiliger, dem ersten Bilde Gottes ähnlicher, von aller Anklebung der Kreatur, Eitelkeit und Eigenwillen täglich reiner zu werden, zu wandeln wie Jesus gewandelt hat und seine Schmach zu tragen". Wer in diesen beiden Stücken nicht beharrlich wandelt, wird für einen Lahmen und Strauchelnden geachtet. Gedenktage werden geordnet (Punkt 4), über das Verhältnis zum lu2 5 Müller, Zinzendorf als Erneuerer, S. 1 1 0 ff., und neuerdings in Quellen H e f t 34, Der Pietismus, ausgew. v . H. Urner, Berlin 1 9 6 1 , S. 71 ff. 2 6 Zinzendorf erklärte das W o r t „Anstalt" im Sinne der Herrnhuter Geschichte in seiner Kirchweihrede am 12. 5. 1 7 4 5 (abgedruckt ZBG 1 9 0 9 , S. 2 0 7 ff.) mit der W e n dung: „ U n d das ist die Anstalt zur Gemeinsdiaft" und sagte einige Sätze weiter d a r über: „Es ist nemlich die Gemeinsdiaft, d a v o n Johannes sagt, daß ihr mit uns Gemeinschaft habt, und unsre Gemeinschaft ist mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesu Christo. Es ist eine gewisse Sammlung; es ist eine gewisse Bewahrung: es ist eine gewisse Verschließung und Retirirung der seelen, die sich gern errettet sähen und gern des Heilands ganz w ä r e n ; es ist ein A s y l u m f ü r gedrukte Herzen, die gern aus der W e l t zu den wunden des Heilands fliehen möchten. Das ist der Plan unsrer Anstalt." (ZBG 1 9 0 9 , S. 2 2 4 u. 225). Später f u h r er f o r t : „Unsere Anstalt ist in ihrem ersten Ursprung nach, nichts anders, als eine Verfassung, die v o n etlichen seelen, deren anfangs nur z w e y oder drey gewesen sind, errichtet w o r d e n ; die die resolution gefaßt haben, sich aller gedrukten, aller gepressten, aller um ihre seeligkeit bekümmerten seelen, die der Heiland zu ihnen bringen würde, die sich bey ihnen melden würden, anzunehmen. Es ging nicht einmal so weit, dass man die leute aufsuchen wolte, es ging nicht einmal so weit, dass mans den leuten sagen wolte, sondern w i r wolten uns nur, wenn sie sich meldeten, ihrer annehmen. Das heisst dann eine Anstalt, und das w a r unsere Anstalt." (S. 229). 27
Religionen = Konfessionen, Konfessionskirchen.
32
therischen Kirchenwesen gesprochen (Punkt 5) 88 , besonders in bezug auf Beichte und Abendmahl (Punkt 6). Beurteilen und Richten des Nächsten werden in die Schranken verwiesen (Punkte 9 u. 10). Dann erscheinen wieder die schon bekannten Ämter, nun aber im geistlichen Dienst: „11. Vorsteher, Älteste und andere so sich mit Gewinn und Führung der Seelen zu tun machen, sollen deswegen in keinen Verdacht kommen, wenn sie mit diesem oder jenem oft umgehen und vieles besonders reden." Allerdings wird der vertrauliche Umgang „zwischen ledigen Manns- und Weibspersonen" „nicht schlechterdings erlaubt" (Punkt 12). Ein anderes Amt, das des Lehrers, zeichnet sich im Punkt 16 ab: „Die Gabe dazu empfangen haben, sollen reden, die andern aber richten." Und die Ämter der Krankenbetreuung, Krankenwärter und Gemeinarzt, zeigen sich in den Punkten: „27. Es sollen sich gewisse Brüder in Verleugnung aus Liebe dargeben, die mit Krank- und Schwachheit befallenen Mitglieder zu besuchen, ihre Pfleg und Wartung zu besorgen und nach Gelegenheit selbst zu verrichten. Es soll auch, solange ihnen Gott einen Arzt gönnet, der Bruder ist, ein jeder Einwohner von Herrnhut, der sich unserer Krankenwartung und Vorsorge bedienen will, seine Schwachheiten und Zufälle ihm, ehe er einen anderen um Rat fraget, bald anfangs melden und seinem treuen Rat folgen, kein anderer aber, der das Werk nicht verstehet, durch verwegene Kuren sich an seines Nächsten Leibe vergreifen." „28. Die Kranken sollen den Krankenwärtern beiderlei Geschlechts bald anfänglich angezeiget, und was der Arzt und sie alsdann verordnen werden, sowohl von dem Kranken aus Gehorsam, als von denen, die um ihn sind, aus Liebe wohl in acht genommen werden." Was hier an Fürsorge vom bestimmten Amt gefordert wird, wird in allgemeiner Form schon vorher allen nahegelegt: „15. Die Brüder sollen nach Art der ersten Gemeine einander alles zu Liebe tun in der Freiheit, was nur möglich ist, ja über Vermögen sollen sie selbst dazu willig sein. Allen anderen Menschen sollen sie tun, wie sie gegen sich selbst gern gehandelt sähen." Auch die besondere Zuneigung des einen zum andern soll im allerkleinsten Kreis fruchtbar werden in der Liebe: „17. Wer sich am besten zum andern schickt, der mag ohne Bedenken mit demselben vorzüglich umgehen, sich im Gebet vereinigen und was die besondere Gemeinschaft mit sich bringt; nur daß die herzliche Bruderliebe gegen die übrigen nicht aus der Acht gelassen werde. J a es ist eine Pflicht, daß, die einander besonders kennen, in der Lehre, Ermahnung, Bestrafung, Trost, Entschuldigung und 28 5. „Die sich das Kirchenwesen nach der Freiheit mit gefallen lassen, haben billig die Ursadien und daß die menschlichen Satzungen nicht sowohl approbieret, als in Demut aus Liebe und Gehorsam nadi der christlichen Freiheit gebraucht werden, bis der Herr selbst eine Änderung mache, bei Gelegenheit anzuzeigen. In dem aber, was unter uns dermaleinst könnte geordnet werden, soll Einfalt und Erbauung gesucht werden."
33
ganzen Haushaltung des Geistes einander die Hand reichen."29 Das Gegenteil davon wird aus dem gemeinsamen Leben verwiesen: „19. Keiner soll seinem Nächsten die geringste Überlast thun, viel weniger ihn hintergehen." Die Lieblosigkeit im Familienkreis wird verurteilt: „21. Kein Sohn soll den Vater oder die Mutter aus dem Hause und Brote heißen, solange sie bei ihm bleiben und in der Stille ihr Wesen schaffen wollen." Die täglichen Versammlungen werden frei von Gesetzlichkeit empfohlen: „23. Weil täglich gewisse Personen Erweckung braudien, so soll täglich Gelegenheit dazu in Herrnhut gemacht werden, dabei aber zu erscheinen, wenn nicht die ganze Gemeine zusammengerufen ist, niemand genötiget werden." Man verpflichtet sich ferner dazu, jede Ermahnung in Liebe und Demut anzunehmen (Punkt 24), und regelt die Fälle übler Nachrede im Bruderkreis (Punkte 25 u. 26). Hier scheint sich das schon 1725 vorhandene Aufseher- und Ermahneramt wieder anzukündigen, denn es heißt im Punkt 24: „Auch soll darüber keiner, dem es nicht anbefohlen, urteilen und richten oder Gespräche davon anstellen." Verschwiegenheit wird vereinbart (Punkt 29): „Keiner soll dem andern etwas nachtragen"; zusammengesparte Klagen und Zänkereien werden verabscheut (Punkt 30). Für das Berufsleben wird eine wichtige Verordnung getroffen: „31. Ein Handwerksmann und Künstler soll sein Wort auf den Tag halten, oder wenigstens ein oder 2 Tage vorher die Ursach, warum er's nicht halten kann, dem Besteller anzeigen." Die Gemeinzucht soll in „freundlicher Bestrafung" (Punkt 33) auf dem Grund der klaren Gebote Gottes, dieser Statuten und der natürlichen Billigkeit ausgeübt werden (Punkt 32). Wer sich widerspenstig erzeigt, soll den Ort räumen (Punkt 34). Das schärfste Mittel bei ständig anstößigem Wandel ist neben dem Ortsverweis der Bann: „ . . . der soll vor denen Ältesten mit Ernst gebunden, von den Brüdern ausgethan und nicht ehe in die Liebesverbindung eingenommen werden, er habe denn seiner wahren Änderung sattsame Proben gegeben" (Punkt 37) 30 . „36. Alle die einfältigen Lehren, Exempel oder Regeln Jesu und seiner 2 9 Durch diesen Punkt war die Bildung der kleinen seelsorgerlichen Gemeinschaften, der „Banden" vorbereitet. Sie ergaben sidi also zwei Monate später nidit von ungefähr. so Neben dem Drängen nach einer Ordnung des gemeinsamen Lebens war es das Festhalten an der Kirchenzucht, das die mährischen Brüder kennzeichnete. Die drei Stufen aus Mt. 18, 15—18 werden immer wieder erwähnt. Vgl. zur Zuditübung in der Gemeine Zinzendorf in seinen Memoires von 1742, Z B G 1913, S. 207 ff. Dort heißt es (S. 2 0 9 ) : „Wer sich der Gemein Zucht im übrigen widersetzte, der verfiel entweder unter die ordentlichen Gesetze zu Bertelsdorf oder unter die Geistes Zudit, die ein paarmal bis zum Gemein-Bann ausfiel und ihre Wirkung vollkommen gehabt h a t . " Über die Zuchtübung überhaupt unterrichtet mit einzelnen Beispielen Uttd. A - H . S. 9 8 — 1 0 6 . Ein Beispiel des Bannes, nämlidi über Friedrich Kühnel (1731) findet man bei Bechler, Herrnhut, S. 58 f.
34
Apostel sollen die besondere und allgemeine Regel unsrer Lehre, Ermahnung und Weissagung sein." Und so heißt es am Schluß von den Übergeordneten — wirklich der Regel Jesu gemäß — „39. Keine Oberkeit, kein Lehrer31, Ältester oder Vorsteher, oder der in einigem Stück über die andern gesetzet ist, soll sich seiner Gewalt auf andere Art bedienen, als daß er einen Gehilfen ihrer Freude und Seligkeit und einen sorgfältigen Helfer in ihren Leiden, Trübsalen oder Mangelhaftigkeit abgebe." Drei Abschnitte über herzlichen Umfang miteinander (Punkt 40), über die Berechtigung, sich gegenseitig in Liebe zu erinnern und zu bestrafen (Punkt 41), und über das Verhalten bei Verfolgungen (Punkt 42) schließen den „Brüderlichen Verein und Willkür in Herrnhut". Danach ist nun in der Folgezeit gearbeitet worden. Christian David schrieb darüber an Zinzendorfs früheren Gutsverwalter Heitz: „Durch diese O r d n u n g . . . kam von Anfang an alles in eine gute Fassung, aber die unlautern wurden offenbar, und liefen davon." 32 Zinzendorf äußerte sich 21 Jahre später, am 12. Mai 1748, über die Bedeutung dieser Statuten: „Da ist der Grund gelegt worden, uns um uns selbst zu bekümmern, und alle Reformationsideen auf die Seite zu legen. Was darauf der Heiland bis in den Winter desselben Jahres gethan, das ist nicht auszusprechen. Der ganze Ort hat wirklich eine sichtbare Hütte Gottes bey den Menschen vorgestellet und bis zum 13ten August ist es in lauter Jubel gegangen. Da aber hat es sich gelegt, da ist der Sabbath angegangen."33 In der Tat gewann das Gemeindeleben beinahe von Tag zu Tag an Intensität. „Fast jeder Tag brachte eine der Ideen des Statuts von Herrnhut zur Wirklichkeit." 34 Das Diarium berichtet von erwecklichen Versammlungen, von verschiedenen Ämtereinsetzungen und brüderlichen Verbindungen. Der große Predigttag am 2. Juli führte zum Anfang der kleinen seelsorgerlichen Gesellschaften, der sogenannten Banden35. Die Gaben der einzelnen wurden fruchtbar im Leben der Gemeine. Auch als Zinzendorf vom 22. Juli bis 4. August für zwei Wochen abwesend war, ging es voran. Auf Christian Davids Vorschlag las und besprach man in der Sing- und Betstunde den 1. Johannesbrief, „um in dem Gleis der Liebe 31 Mit „Oberkeit" meinte sidi Zinzendorf vor allem selbst, aber dann audi die Ämter mit obrigkeitlichen Vollmaditen. Mit „Lehrer" wird der „Lehrer in Berthelsdorf" (Punkt 6), also Rothe, gemeint sein. 32 Gedenktage, S. 139. Es handelt sich um eine Stelle aus dem in den „Gedenktagen" abgedruckten Briefentwurf C. Davids von 1729 (nicht von 1728, wie dort vermerkt; vgl. Uttendörfer, ZBG 1912, S. 228 f.). S3 Gedenktage, S. 90; vgl. Spangenberg, Zinzendorf, S. 419. 34 Zitiert nach Beyreuther, Zinzendorf II, S. 189. Der zitierte Satz ließ sidi allerdings an der angegebenen Stelle R 20 Α 19b, 303 nidit finden. 35 Am 9. Juli 1727, H. Diar.; anfangs audi „Societäten" genannt. Zur Entstehung und zum 2. Juli vgl. G. Schmidt, Die Banden oder Gesellschaften im alten Herrnhut, ZBG 1909, S. 145 ff. und Reichel, 13. August, S. 30 f.
35
zu bleiben". Martin Dober wußte über die Frucht der Stunden zu berichten: „Aus den herzl n Erklärungen gegeneinander gewannen die Br r imer mehr Zuversicht u. Liebe zueinander. Verdacht, Neid u. Ärgernis mußten verschwinden, der volle zum Himmel gerichtete demütige u. einstimmige Lauf verband die Herzen, die Demut vereinigt hatte. Eigenheit verlor sich, Zank und H a ß wurden beiseit gesetzt, der Funken der Liebe bewies sich."36 Da kam der Graf am 4. August zurück und brachte „allerhand gute Nachrichten aus Schlesien mit, besonders eine übersetzte Historie von den böhmischen und mährischen Brüdern, die wir das erstemal hörten, u. weil das alles nach unserm Sinn war u. nach der Einrichtung unserer Haushaltung u. Ordnung, u. wie unsere Führung im Ursprung und Grunde conectirte, sahen wir Gottes Finger u. seine Wunder u. wurden gleichsam unter der Väter Gnadenwolke mit ihrem Geiste u. mit ihrem Feuer zu einem Leibe getauft u. zu einem Geist getränkt. Da kam ihr Geist wieder auf uns, u. geschahen in diesen Tagen große Wunder u. Zeichen unter den Brüdern, u. war große Gnade unter uns u. in dieser ganzen Gegend." 37 Die Predigtwiederholung am Nachmittag des 10. August in Herrnhut, die die ganze Versammlung sehr bewegte, führte Pfarrer Rothe dazu, die Gemeine für den darauffolgenden Mittwoch, den 13. August, zum Abendmahl nach Berthelsdorf einzuladen 38 . Da es das „erste Abendmahl seit der neuen Gemeinschaft" war, bekam die Feier ihre besondere Bedeutung. Am Vortage besuchte Zinzendorf noch einmal die Herrnhuter, „in großer Liebe die Gemüter zu erforschen und sie zu dem morgenden Abendmahl anzuschikken"38. Und am Abend wurden die „Statuten von allen Brüdern und Schwestern zugleich unterschrieben"40. Wir sehen daraus, daß alle innere Bewegung immer wieder auf die gemeinsame Ordnung hindrängte, unter die man sich beugen wollte. Andererseits war aber die rechtliche Bindung an die Statuten eingebettet in die seelsorgerlichen Bemühungen Zinzendorfs und den starken Zug der Herrnhuter nach echter Gemeinschaft. Der 13. August stand ganz im Zeichen des gemeinsamen Abendmahlsganges. Nach einer kurzen Rede vom Abendmahl in Herrnhut ging man nach Berthelsdorf hinüber. „Zuvor, ehe wir in die Kirche gingen u. auf dem Wege hinein redete je einer mit dem andern, und hier und da fanden sich ihrer zwei, die sich miteinander zusammenschlössen unter den Brüse Vgl. Martin Dobers Bericht im H. Diar., Zusammenstellung von Hark, S. 14 u. 15 und Reichel, 13. Aug., S. 32. 37 H. Diar. 4. Aug. 1727. 38 H. Diar. und darauf fußend Reichel, 13. Aug., S. 33. Spangenberg, Zinzendorf, S. 437 f. bringt Zinzendorfs eigenen Bericht über die Tage. 3' Spangenberg, Zinzendorf, S. 438. « Reichel, 13. Aug., S. 34.
36
dem." 41 Die nun folgende Beicht- und Abendmahlsfeier ist in der Erinnerung immer die Geburtsstunde der Gemeine zu Herrnhut geblieben. Zinzendorf sagte später darüber: „Vorher war gute Ordnung und menschliche Meinung, am 13ten Aug. aber ein Tag der Ausgießung des heiligen Geistes über die Gemeine, die man billig als deren Pfingsttag achte."42 Im Diarium wird berichtet: „Nach der Absolution wurde das Mahl des Herrn mit gebeugten und erhöhten Herzen gehalten, und wir gingen um 12 Uhr ziemlich außer uns selbst ein jeglicher wieder heim. Wir brachten hierauf diesen und folgende Tage in einer stillen und freudigen Fassung zu und lernten lieben."43 In einem anderen Bericht heißt es: „Wer sich bis daher nicht leiden können, fiel einander auf dem Gottesacker vor der Kirche um den Hals und verband sich aufs allerinnigste; und so kam die ganze Gemeine wieder nach Herrnhut zurück als neugeborene Kinder." 44 Und David Nitschmann schrieb in sein Tagebuch ein: „Von der Zeit an ist Herrnhut zu einer lebendigen Gemeine Jesu Christi worden; von da an verbanden sich die Geschwister aufs neue mit einander, dem Heiland von ganzem Herzen treu zu seyn, und Ihm zu dienen, wo und wie Ers würde haben wollen; wenns audi mit Dranwagung Leibes und Lebens verknüpft seyn solte."45 Die Statuten, die Erweckung der Gemeine zur Bruderliebe im Hören auf die Schrift und die daraus erwachsende persönliche gegenseitige Seelsorge in den Banden und diese Abendmahlsfeier müssen zusammengeschaut werden, wenn man den Schlüssel zur folgenden Geschichte der lebendig gewordenen Gemeine gewinnen will. Es war nicht die Ordnung, die das Leben erweckte, aber sie leitete es in feste Bahnen und gehörte zum Leben hinzu, sollte es von Bestand sein. Es war nicht die Erweckung im Zusammenschluß kleiner Erbauungsgemeinschaften allein, die die tragfähige Grundlage für das Kommende bot. Hier lag die Erfahrung der verflossenen Jahre sogar völlig anders. Entstanden die Schwierigkeiten nicht gerade aus dem engen Zusammenschluß um einzelne Personen, sei es Heitz oder Krüger? Das Entscheidende geschah in der Versöhnung am Altar zu Berthelsdorf, als die vorher so zerklüftete Gemeinschaft durch den Empfang des Leibes und Blutes Christi ein Leib wurde und dann auch blieb. Hier sehen wir im Ursprung der Gemeine die Mitte und den Quell41 H. Diar., 13. Aug. 1727; Reichel, 13. Aug., S. 34; Spangenberg, Zinzendorf, S. 438: „Die an einander irre gewesen, fielen einander um den Hals, beteten und verbanden sich." (Zdf.). « JHD., 12. u. 13. Aug. 1757 zitiert n. J. Plitt, Denkwürdigkeiten § 143, Bd. 2, S. 129. Wir zitieren die im Unitätsarchiv vorhandene Abschrift von Schweinitz; Bandzahl und Seitenangabe beziehen sich darauf. « H. Diar, 13. Aug. 1727. 44 Reichel, 13. Aug., S. 36; vgl. überhaupt die Schilderung des Gottesdienstes S. 34 bis 36. 45 Zitiert in Spangenberg, Zinzendorf, S. 439.
37
ort allen Dienstes. So blieb es audi durch die Geschichte hindurch. In den Abendmahlsfeiern wurde die Dienstbereitschaft neu lebendig durch das Anschauen der Lebenshingabe Jesu Christi für uns. Hier wurde die Gemeinschaft jeweils neu gestiftet und die Gabe der Bruderliebe jeweils neu geweckt. Könnte nicht in der Verachtung des Sakramentes die Lösung dafür gesehen werden, daß aus all den vielen kleinen mit so inbrünstigen urchristlichen Idealen zusammengeschlossenen pietistisch-separatistischen Gemeinschaften Spenerschen Gedankengutes nicht viel geworden ist? Von jener Erfahrung am 13. August in der lutherischen Kirche zu Berthelsdorf her hat das Sakrament des heiligen Abendmahles die zentrale liturgische Stellung in der Brüdergemeine erhalten und seine Kraft in ihre Geschichte ausgestrahlt46. Doch müssen wir noch einmal zu den Statuten zurückkehren und sie für unsere Fragestellung zu beurteilen versuchen. Ursprünglich waren sie nicht in zwei Gruppen getrennt, sondern als eine Ordnung in 84 Paragraphen niedergeschrieben worden47. Doch hat Zinzendorf bald in Randbemerkungen die Trennung vorgenommen, wohl aus der Erkenntnis heraus, daß eine geistliche Ordnung, wie sie der „Brüderliche Verein" darstellt, nicht jedermanns Ding wäre und der Freiwilligkeit überlassen bleiben müßte. In der erweiterten Fassung der „Herrschaftlichen Gebote und Verbote" vom 6. November 1728 heißt es darüber ganz ausdrücklich: „48. Weil es nicht zu vermuten, daß alle Einwohner in Herrnhut einerlei Sinn nach Christo haben oder beständig haben möchten, so wird davon nur ein redlich Bekenntnis verlangt, und alsdann niemand zu der brüderlichen Vereinigung genötigt werden, wie hingegen diese Verfassung schlechterdings zur Regel vor alle dienet.. ." 48 Vergleichen wir beide Ordnungen miteinander, so erkennen wir neben dem gleichen Geist der Liebe, der aus beiden spricht, auch den Unterschied in der Ausweitung des Liebesgebotes. Die Rügen, wie wir die „Herrschaftlichen Gebote" der Kürze halber bezeichnen wollen, bewegen sich im Rahmen mitmenschlicher Fürsorge und Ordnung. Die Arbeits-, Schulden- und Ämterregelung könnte jede andere Dorfgemeinde in der Umgebung im Rahmen der ihr gegebenen Verfassungsmöglichkeit auch getroffen haben49. Die Barmherzigkeit mit "Wahnsinnigen, Witwen und Waisen und in plötzliche Notlage GekommeSchrautenbadi bezeichnete die Communion als „die höchste und wichtigste H a n d lung in der Gemeine. Sie wird alle M o n a t von der ganzen Gemeine begangen. Die P e r sonen, die zu derselben zugelassen sind, machen die Gemeine aus, und eine höhere Stufe oder G r a d ist nun nicht weiter zu erlangen. Die Brüder haben von der Wesentlichkeit des Sacraments den allerhöchst möglichen B e g r i f f . " (Der G r a f von Zinzendorf, S. 2 6 4 ) . «
Vgl. Müller, Zinzendorf als Erneuerer, S. 2 3 ff. und U t t d . A - H . , S. 18. Bei Müller, Erneuerer, S. 118. W i r müssen in dem „Briiderl. Verein" also mehr eine gemeinsam anerkannte und verbindliche geistliche Regel als ein Gesetz sehen. 48
48
Vgl. zum Ältestenamt: Müller, Das Ältestenamt Christi, Z B G 1 9 0 7 , S. 1 — 7 .
38
nen kann billig von jedem Bürger eines Gemeinwesens auf christlicher Basis erwartet werden. Vermutlich ließen sich dafür auch Parallelen aus anderen D o r f - oder Stadtverfassungen finden. Anders liegt es jedoch mit dem „Brüderlichen Verein". Schon der erste Punkt macht deutlich, daß es hier um die innere Ordnung einer Bruderschaft geht. D a s Fundament wird herausgestellt: die Erbarmung Gottes in Christo (Punkt 3) und auch das Ziel der Vereinigung: um der Brüder willen, d . h . um der Gemeinschaft willen (1). In Punkt 15 erscheint das Urbild, nach dem man sich richten will: „nach Art der ersten Gemeine" und in Punkt 36 die Regel der Bruderschaft: „die einfältigen Lehren, Exempel oder Regeln Jesu und seiner Apostel". Die gesetzten Ämter: Älteste — Vorsteher — Arzt — Krankenwärter und die angedeuteten: Lehrer — Aufseher — Ermahner — haben nicht, wie in den Rügen, den Sinn von Vorgesetzten, sondern den von Dienern, von Helfern 5 0 (Punkt 39). D a s gemeinsame Leben ist völlig vom Liebesgebot her geregelt. E s fällt dabei auf, wie stark das Wort in der brüderlichen Beziehung beachtet ist: gegen üble Nachrede, heimliches Kritisieren und offene Zänkerei, für liebevolle Ermahnung, brüderliche Tröstung und Belehrung 5 1 . Hieraus sprechen Erfahrungen hinsichtlich der Probleme einer engen Gemeinschaft und der Wille, diese Schwierigkeiten durch Übereinkunft in Liebe zu lösen. Die entstehenden Lebensformen deuten sich an: in der Empfehlung kleiner seelsorgerlicher Gemeinschaften (Punkt 17) und in der Festsetzung täglicher „Erweckungen" ( = Versammlungen) (Punkt 23). Auch der Schutz der Personen, „so sich mit Gewinn und Führung der Seelen zu thun machen" (Punkt 11) ist hierfür zu beachten und ebenso die sich ankündigende Trennung zwischen „ledigen Manns- und Weibspersonen" (Punkt 12). Nehmen wir zur Ergänzung noch das, was Christian D a v i d an Motiven f ü r diese Ordnung nannte: bewahrende Schranke gegen Abwege, einerlei Regel für Kinder Gottes, Handleitung für Anfänger, „ H a u s z u d i t nach dem Sinne Christi zum allgemeinen Nutzen" 5 2 , damit Anwendung der von Gott empfangenen Gaben, „ d a ß also der gantze Leib sich zu sein selbst Besserung bauen möge", dann spürt man, daß diese Ordnung das Gemeinschaftsideal der Brüder und Zinzendorfs so glücklich mit dem vorhandenen Leben und den damals gegebenen Möglichkeiten verknüpfte, daß sie wirklich als die Ausgangsbasis für die spätere Entfaltung des Gemeindelebens bezeichnet werden kann. In ihr w a r sdion im Kern, wenn 5 0 Der Artikel 39 kennzeichnet den Träger eines Amtes ausdrücklich als „Gehilfen ihrer Freude und Seligkeit und einen sorgfältigen Helfer in ihren Leiden, Trübsalen oder Mangelhaftigkeiten." Vgl. die Artikel 10, 14, 24, 25, 26, 29, 30, 41. 5 2 Siehe S. 26 ff. das Zitat aus der gedruckten Beschreibung C. Davids S. 12.
39
auch in allgemeiner Form, das enthalten, was in den folgenden Jahren gestaltet wurde. Sie war die Ordnung einer Dienstgemeinschaft; und wenn auch vom Beruf der Gemeine zum Dienst, Menschen zum Heiland zu führen, noch nichts gesagt wurde, so war sie doch so offen dafür, daß sie einer solchen Ausweitung des Lebens der Gemeine nie hinderlich im Wege stand. Ob manches noch klarer und konkreter hätte gesagt werden können? Die konkrete Ausformung ergab sich in den bald hinzukommenden Ordnungen und Lebensformen der Gemeine. Wir dürfen bei der Beurteilung der Statuten auch nicht vergessen, daß Zinzendorf sie nach verschiedenen Seiten hin sichern mußte. Auf der einen Seite sollten sie dem starken Streben der Herrnhuter nach einer gemeinsamen Ordnung entgegenkommen, andererseits sollten sie aber gegen die Landesverfassung nicht verstoßen. Zinzendorf sagte selbst darüber: „Ich verfaßte also diese Rügen dergestalt, wie ich sie erforderten Falls der Einrichtung unseres Marckgrafthums nach gegen Herrn und Land zu verantworten getraute." 53 Auf der einen Seite sollten sie wirklich eine verbindliche Regel für alle Brüder und Schwestern darstellen, andererseits bedurfte es großer Weisheit, die verschiedenen vorhandenen Vorstellungen vom gemeinsamen Leben und der persönlichen Heiligung in einer solchen Ordnung zu berücksichtigen. Zinzendorf hat sich über diese Schwierigkeit einige Jahre später einmal geäußert, als er 1730 für die Separatisten in Berleburg und Schwarzenau in Westfalen eine Ordnung aufzustellen versuchte54: „Wir müssen uns befleißigen, die Einrichtung und Ordnungen so zu machen, daß ein Kind Gottes so andere Ordnungen gewohnet ist, sich nicht daran stossen könne" (Satz 10). Da Zinzendorf in Herrnhut ja nicht nur mit den mährischen Exulanten zu tun hatte, sondern 1727 bereits mit mehr als hundert Nichtmähren, mußte er in den Statuten eine gewisse Weite und Bewegungsmöglichkeit behalten, die allen Herrnhutern die Zustimmung ermöglichte. Aber den Grundsatz hat er 1730 den Separatisten, die er für ein geordnetes Gemeindeleben gewinnen wollte, sehr klar eingeschärft: „Eine äußerliche Gemeinschaft kan nicht zusammen gehalten werden, ohne besondere Ordnung" (Satz 7). Allerdings war für ihn als Ergebnis der Herrnhuter Ereignisse 1726/27 wichtig: „Alle Gemeinschaft, die bloß 53 Zinzendorf, Historischer Begriff von der Beschaffenheit der Brüder (Juli 1727), ZBG 1912, S. 114. Zinzendorf hat die Statuten audi an verschiedene Adlige geschickt. Vgl. Beyreuther, Zinzendorf II, S. 189 nadi R 20 Α 19b, 302. 54 „Die Berleburg- und Sdiwartzenauisdie Verbindung 1730" ist abgedruckt in der Büdingischen Sammlung I, S. 40 ff. Sie enthält 23 Punkte. Über die Begegnung Zinzendorfs mit den Inspirationsgemeinden in Berleburg und Schwarzenau im September 1730 berichtet Spangenberg, Zinzendorf, S. 615—640. Vgl. audi Beyreuther, Zinzendorf II, S. 271 ff.
40
auf Ubereinstimmung der Meynungen und Formen ohne Aenderung des Hertzens sich gründet, ist eine schädliche Secte" (Satz l) 5 5 . Daß sich Ordnungsstreben, Herzensänderung und Sakrament im Sommer 1727 in Herrnhut begegneten, war die besondere kirchengesdiichtliche Situation. Sie muß in ihrer Einmaligkeit im 18. Jahrhundert gewürdigt werden, will man die Entwicklung der Gemeine voll verstehen. Es wäre nun die Frage zu stellen, was an Leitbildern hinter den Statuten steht. Zinzendorf war dafür ja nicht allein verantwortlich, obgleich die Idee dieser Ordnung im Rahmen einer „Willkür", wie sie sich nach Oberlausitzer Recht die deutschen Gemeinden geben konnten 56 , sicherlich von ihm stammte. Er hatte sich auch im Winter 1726/27 schon an die Ausarbeitung gesetzt57. Wie Christian David und das Herrnhuter Diarium berichten, war zur letzten Formulierung dann aber eine Arbeitsgemeinschaft zusammengetreten: Zinzendorf, Pfarrer Rothe, Gerichtsdirektor Marche und einige Emigranten, darunter Christian David 5 8 . Mancherlei Vorstellungen begegneten sich dabei. Eine dürfte den Beteiligten als Mensdien des Pietismus jedoch gemeinsam gewesen sein: das Vorbild einer Gemeinschaft von wahrhaft Gläubigen, der „ecclesiola in ecclesia". Zinzendorf hatte die Schloßecclesiola in Ebersdorf lieben gelernt. Sie stand ihm in der Anfangszeit wohl immer vor Augen. Sein späteres „Jüngerhaus" war die Frucht davon. Es wäre merkwürdig, wenn er den kleinen Gemeinschaften erweckter Frommer, die — in Weiterbildung Spenerscher Anregungen — in enge Lebensgemeinschaft getreten waren, nicht auch sonst begegnet wäre. Und wenn er sie vielleicht auch erst später auf seinen Reisen persönlich kennenlernte, so war doch die Kunde von ihnen überall zu hören. Hochmann von Hohenau war bisweilen Gast auf dem Ebersdorfer Schloß. Gemeinschaftsbildung lag in der Luft. Für sie alle war Vorbild die urchristliche Gemeinde, oder wie Christian David sich ausdrückte: „deß Herren Jeßu haußhaltung wie auch der Apostel". In unseren Statuten erscheint deshalb deutlich das Leitbild „nadi Art der ersten Gemeine". Allerdings fällt auf, daß die Statuten kaum einen ganzen Satz in biblischen Wendungen enthalten, so viel auch biblische Ausdrücke verwandt werden und das Ganze biblischen Geist atmet. Es ist bedauerlich, daß sich Zinzendorf selbst nicht ausführlich über sie 5 5 Büd. Sammlung I, S. 40 u. 41. Vgl. audi С. Davids Vorbericht, Beschr. Livland 1729 (R 6 A a 22, 2): „ D o d i wurde alles so gemacht, daß wir der freien Gnade räum ließen allezeit denselben nachzugehen, aber das Fleisdi und den fleischlichen Sinn in Schranken zu halten, hingegen dem Geist und der freyen Gnade Raum zu lassen. Deswegen wir auch beschlossen uns gantz der freyen Gnade zu überlassen . . . wie die Gnade uns bilden, meistern und lehren wird, so wollen wir uns derselben überlassen . . . " 5 6 Knothe sagt: „Eins der wichtigsten Rechte deutscher Gemeinden bestand allenthalben darin, daß sich dieselben ihre ,Willkür', d. h. ihre Ortsstatuten, selbst geben durften." (Die Stellung der Gutsunterthanen . . . , N . Laus. Mag. Bd. 61, S. 226 ff.). 57 Vgl. Anm. 13. «8 Vgl. Anm. 15.
41
geäußert hat, so daß wir auf Schlüsse und Vermutungen angewiesen bleiben 59 . Ein Grund für die Abfassung der Statuten wurde von ihm 1727 im „Historischen Begriff von der Beschaffenheit der Brüder" genannt 60 . „Ich erinnerte mich dabey was Dr. Luther Tom. Altenb. I I I p. 468 schreibt: Es sey zwar der offentliche Kirchendienst unumgänglich notwendig, dabey aber keineswegs zu verwerfen, wenn sich bekehrte Seelen daneben zusammen verbinden, in Häusern besonders zusammenkommen, auf einander acht geben und sich sonst vereinigen wolten, ja dieses sey eben die recht Evangelische Art des Gottesdienstes, und könne er versichern, daß keine andre Ursach vorhanden sey, warum Er dieses nicht also einrichte, als weil er keine solche Leute wüste, wolle aber sobald sich dergleichen fänden, die es begehrten und mit Ernst trieben, keineswegs ermangeln allen Ernstes daran zu seyn und es in stand zu setzen. Weil nun sogar D. Luther erlaubet Tauffe und Abendmahl in diesen PrivatVersammlungen zu halten, so vermeinte ich ein gut Werk zu stifften, wenn ich meine Brüder aus Mähren näheren Laufs zu der euserlichen Evangelischen Liturgie bereden könte, und dass sie sich gegen freyen Gebrauch der innerlichen apostolischen und altkirchlichen Verbindung im eussern aller Ordnung in Tauffe, Abendmahl und andern Kirchen Verfassungen prout essent um des Herrn willen gern unterwürffen." Hier begegnet uns wieder die „apostolische und altkirchliche Verbindung". Diesem Vorbild müssen wir uns jetzt noch zuwenden. Immer wieder betonte ja auch Christian David, daß es ihnen um die „apostolischen" Ordungen gegangen sei61. J a Zinzendorf verfaßte gar ein „Bedenken an eine nadi Apostolischem Fuß bereits eingerichtete Gemeine Christi", in dem es heißt: „In allem 5 9 Mit „deß Herren Jeßu haußhaltung" wird wohl am ehesten die Bergpredigt gemeint sein, aber nicht nur sie, sondern überhaupt die Lehre Jesu nach den Evangelien. Im 15. Punkt des „Brüderl. Vereins", in dem auf die „Art der ersten Gemeine" hingewiesen wird, ähnelt der Satz „Allen andern Menschen sollen sie thun, wie sie gegen sich selbst gern gehandelt sähen" der N o r m in Mt. 7 , 1 2 : „Alles nun, das ihr wollet, daß euch die leute thun sollen, das thut Ihr ihnen" oder Lk. 6, 3 1 : „Und wie ihr wollet, daß euch die leute thun sollen: also thut ihnen gleich audi I h r " (Cansteinsche Bibel von 1736). Die brüderliche Liebe aber soll ja über diese N o r m noch hinausgehen: „Die Brüder sollen nach A r t der ersten Gemeine einander alles zu Liebe thun in der Freiheit, was nur möglich ist, ja über Vermögen sollen sie selbst dazu willig sein." (Punkt 15). Mit der Haushaltung der Apostel ist das Bild gemeint, das die Brüder aus den Briefen und der Apostelgeschichte von der Urchristenheit gewannen. eo Historischer Begriff (Juli 1727), Z B G 1912, S. 114. Es handelt sich um die bekannte Stelle aus Luthers Vorrede zur Deutschen Messe 1526, die die dritte Weise des Gottesdienstes für die, „so mit Ernst Christen wollen seyn" beschreibt. Vgl. W A . 19, S. 75. 6 1 Vgl. Wendungen in der Beschreibung (Druck) wie: „Apostolischer Liebesweg" (S. 11), „nach dem Sinne Jesu und seiner heiligen Apostel" (S. 12), „des Herrn Jesu Haushaltung, und denn auch des Apostels Pauli" (S. 12).
42
muß Ecclesia Apostolica zum Grund liegen, und insonderheit die seelige Einfalt Jesu Christi" und in dem der Ausdruck „Apostolische Gemeine" auch auf Verhältnisse seiner Zeit angewandt wird 62 . 1734 schrieb er über Herrnhut: „Was wir in unsrer Gemeine haben, darauf wir halten, ist Apostolisch, und wird auch von andern erkannt, weil es die einfältigste Schrift zum Grunde hat. Das ist das Ziel, danach wir uns messen." 63 Es ging ihm also um Übernahme der Ordnungen der Urgemeinde, soweit sie zu übernehmen gehen. Dabei wollte man sich nach dem einfachen Wortsinn des neuen Testamentes richten. „Alles was der Herr Jesus gesagt hat, muß mit Zuziehung anderer Schrifft-Oerter nach dem einfältigen Verstand genommen und in allen Gemeinden beobachtet werden." 64 Das Ideal der Urgemeinde wurde vor allem durch die historischen Schriften Gottfried Arnolds gefördert. Unter den ersten Christen sei das dagewesen, was in der folgenden Geschichte im Niedergang zerfallen sei und was die Gläubigen jetzt wieder ersehnten. Arnolds „Kirchen- und Ketzerhistorie" wird mit ihren Auswirkungen in diesem Zusammenhang oft genannt. Weniger oft seine erste größere Schrift „Die erste Liebe. Das ist: Wahre Abbildung der Ersten Christen nach ihrem lebendigen Glauben und heiligen Leben" (1100 S.Quart.) 1696, mit dem Untertitel „Worinnen zugleich des Hn. William Cave Erstes Christenthum nach Nothdurft erläutert wird" 6 5 . Sie ist nach Seeberg fünfmal aufgelegt worden und wurde viel gelesen66. Man bemerkt beim Lesen einzelner Stücke des Arnoldschen Werkes mancherlei, was im Leben der Herrnhuter Gemeine wieder erscheint. Nun nicht mehr im Ideal, sondern in Wirklidikeit und Leben: z . B . der Bruder- und Schwesternname, die Tätigkeit der Schwestern, überhaupt die Trennung der Geschlechter, die Betonung der Laientätigkeit, der gegenseitigen Ermahnung, der Hausbesuche, Liebesmahl, Fußwaschen und Friedenskuß, Gütergemeinschaft, Armenpflege, Krankenpflege, Gastfreiheit, Gemeinrat, Gerechtigkeit in Handel und Wandel, Tageslauf mit Frühbetstunde und Abendsingen, Nachtwachen usf., vor allem aber das Märtyrerideal des Zeugen, des Streiters Christi 67 . «2 Theol. Bedenken, S. 60 f., besonders Satz 10, S. 61. 6 3 Theol. Bedenken, S. 75 im Extract eines Antwort-Schreibens an N N über verschiedene Puncte die Gemeine zu Hh. betreffend, 1734. 6 4 Satz 13 der Berleburg- und Schwartzenauischen Verbindung 1730, Büd. S. I, S. 42. M Vgl. dazu A. Ritsdll, Geschichte des Pietismus, Bd. 2, S. 307. β β Ε. Seeberg, Gottfried Arnold, S. 57; nach Uttendörfer, Mystik, S. 41 hätte die Schrift nur drei Auflagen erlebt. Es lag mir die Ausgabe Altona 1722 (Dritte Ausfertigung) vor. 6 7 Es ist wohl nötig, die genannten Stichworte mit einem Blick in Arnolds Werk genauer zu kennzeichnen. Die „Zuschrift an alle und jene lebendige Gliedmaße der unsichtbaren heiligen Gemeine Jesu C h r i s t i . . . " zeigt schon die Absicht des Werkes: „Euch
43
allen, die Ihr aus Gott wahrhafftig geboren seyd, und die Welt noch durch den Glauben wircklich überwindet, stellet dieses Zeugniß eine gantze Wolcke oder Schaar der Ersten Christen vor Eure Augen. Ihr sollet prüfen, und nach der Prüfung erkennen, was da sey des HErren Wille an seine Gemeine, die in dieser Zeit l e b e t . . . So tretet nun heran, Ihr Kinder der Wahrheit, und höret die Stimme der Apostel und ihrer treuen Nachfolger: Höret und mercket ihre Reden, spiegelt euch in ihren Exempeln, verwundert euch über ihren lauteren Bekänntnissen. Es kan alles Euer seyn, wenn ihr nur wollet, denn ihr seyd Glieder eines Leibes. Drum machet Euch alles eigen zu dieser Zeit . . . Denn es muß seine Herrlichkeit an denen Letzteren endlich ungleich größer werden, als sie an den ersten Gemeinen zu sehen i s t . . . Sehet auf die Erstlinge, und merdket ihren Kampff: Schauet an ihr Ende, und folget ihrem Glauben nach." In 8 Büchern versuchte Arnold nun sein Ziel zu erreichen, den Christen die erste Liebe der Urchristenheit lockend und nachahmenswert vor Augen zu stellen. Er stellte unter vielen kleinen Sachgruppen Kirchenväterzitate zusammen, leitete sie ein und kommentierte sie. Die 8 Bücher tragen folgende Uberschriften: Das Erste Buch: Von der Ersten Christen Pflicht und Bezeigung gegen GOTT. Das Andere Buch: Von der Ersten Christen gemeinen und sonderbaren Gottesdienst. Das Dritte Buch: Von der ersten Christen Pflichten und Bezeigungen gegen einander. Das Vierdte Buch: Von den Pflichten und Verhalten der Ersten Christen gegen sich selbst. Das Fünffte Budi: Von der ersten Christen Pflicht und Bezeigungen gegen die Gottlosen. Das Sechste Buch: Von dem Privatund Häußlichen Leben der ersten Christen. Das Siebente Buch: Von den sonderbaren Wunder-Gaben der ersten Christen. Das Achte Buch: Von dem Verfall des Christenthums, vornehmlich unter und nach Constantino Μ. von der ersten Lauterheit. Manche der typischen herrnhutischen Lebensformen der Anfangszeit finden sich in Arnolds Werk. Ein Nachweis im einzelnen wäre eine Aufgabe für sich. Einige Hinweise seien hier jedoch gegeben. Im Laufe der Arbeit werden wir an verschiedenen Stellen auf Arnold verweisen. Bei Arnold findet sich: Bruder- und Schwesternname S. 373 ff., 406 f. u. ö. Tätigkeit der Laien S. 210 ff. Handwerker als Lehrer S. 218 f., 244 f. Gegenseitige Seelsorge der Laien S. 425 ff. (bes. 427). Gegenseitige Ermahnung und Bestrafung S. 436 ff. Trennung der Geschlechter S. 393. Tätigkeit der Schwestern S. 225 ff., als Lehrerinnen S. 228, als Diakonissen S. 229, als Witwen S. 230. Gemeinrat S. 222 f. Hausbesuche der Lehrer S. 280 f. Liebesmahl (mit Gesang) S. 172, 360, 478 f. Fußwaschen S. 501 ff. Friedenskuß S. 390 ff., bes. beim Abendmahl S. 366. Frühbetstunde S. 707 f. Lobgesang am Abend S. 711 f. Nachtwachen zum Gebet S. 712. Niederknien zum Gebet S. 165. Gütergemeinschaft S. 450 ff. Armenpflege S. 472 ff. Waisenfürsorge S. 483 f. Krankenpflege S. 485 ff. Gastfreiheit S. 493 ff. Handel und Wandel S. 673 ff. gegen Eidschwur S. 675 ff. Märtyrerideal S. 568—613, im Kämpfer u. Streiter Christi bes. S. 600 ff. Sicherlich ließen sich noch weitere deutliche Hinweise auf eine gewisse Abhängigkeit herrnhutischer Lebensformen von Arnold finden. Wichtiger aber als die Verwirklichung einzelner Anregungen Arnolds sind die Gesamthaltung, die Urgemeinde in ihren Lebensformen in der greifbaren Gegenwart wiederherstellen zu wollen, und das Gefühl, durch die Einbettung des gemeinsamen Lebens in bestimmte Formen die urchristlichen Zeiten wieder heraufziehen zu sehen. Wegen der deutlichen Verwandtschaft zu den Statuten seien schließlich noch die Kapitelüberschriften des Dritten Buches mitgeteilt: Von der Ersten Christen Pflichten und Bezeigungen gegen einander: Cap. 1: Von ihrer Brüderlichen Vereinigung insgemein. Cap. 2: Von ihrer hertzlichen Liebe untereinander. Cap. 3: Von der ersten Christen Eintracht und Sanfftmuth gegen die Brüder. Cap. 4: Von ihrer Demuth gegen einander. Cap. 5: Von ihrem Brüderlichen Mitleiden und wircklicher Hülffe, sonderlich in leiblichen Anliegen. Cap. 6: Von ihrer Brüderlichen Gemeinschafft in geistlichen Anliegen. Cap. 7: Von ihrer Brüderlichen Ermahnung und Bestraffung. Cap. 8: Von der Gemeinschafft der Güter bey den ersten Gemeinen. Cap. 9: Von der ersten Christen Müdigkeit
44
Auch wenn man von einer direkten Beziehung nichts wüßte, müßte sich einem die Frage nahelegen, ob hier nicht eine Quelle der Ideen Zinzendorfs, die über hallesche Anstaltsideale hinausgehen, zu suchen sei. Bei Uttendörfer findet sich in seinem letzten Buch „Zinzendorf und die Mystik" der bisher einzige deutliche Hinweis auf diese Schrift Arnolds 68 . Uttendörfer vollzog den Vergleich allerdings nur für das Lebensideal des Christen, nicht für die Lebensformen der Gemeine. Nachdem er einige Sätze Arnolds zusammengestellt hatte, sagte er ausdrücklich: „Wir werden später sehen, wie genau manche Gedanken Zinzendorfs mit diesen Ideen übereinstimmen, haben also in Arnold eine wesentliche Quelle seiner Anschauungen gefunden.""9 Zinzendorf hat dieses Buch Arnolds 1722 in einem kleinen Kreis in seinem Dresdner Hause gelesen. An seinen Hallenser Freund Anton Wallbaum schrieb er darüber am 26. Januar 1722: „Mittwochs nachmittags wird künfftig bey mir die wahre Abbildung des Lebens der ersten Christen, welches sich auch Ihre Majt. die Königin vorlesen laßen, betrachtet werden." 70 Da die sonst erwähnte Erbauungsversammlung am Sonntagnachmittag in einem andern Dresdner Hause stattfand, muß Zinzendorfs besonderes Interesse dieser Schrift Arnolds gegolten haben, daß er ausgerechnet sie zur Grundlage der Versammlung machte, die er in sein eigenes Haus einlud71. Die bedeutende Stellung, die Arnold als Anreger der wichtigsten Gemeinideen in der Anfangszeit einnahm, wird vollends deutlich, wenn wir hören, wie Zinzendorf in einem Rückblick am 12. Mai 1752 kritisch dazu Stellung nahm: „Ich weis aber, daß nicht nur im Anfange gar viel auf insgemein. Cap. 1 0 : Von der Verpflegung der Armen unter den ersten Christen. Cap. 1 1 : Von der ersten Christen Vorsorge vor die Wittben, Waysen, Krancken, Gefangenen und Märtyrer. Cap. 1 2 : Von der ersten Christen Gastfreyheit. 6 8 Uttendörfer, Mystik, S. 4 1 : „Viel wichtiger ist, daß er in einem Brief vom 26. J a nuar 1722 erwähnt, er habe mit den Dresdner Erweckten Arnolds Abbildung der ersten Christen gelesen, und daß dies nicht ohne Eindruck auf ihn geblieben ist, zeigt ein Brief an Pastor Rothe vom 17. Mai dieses Jahres, in dem er von der verlorenen Reinheit der apostolisdien Kirche spricht. Endlich tadelt er bei einem späteren Rückblick, daß damals viel auf Arnolds Abbildung der ersten Christen gebaut wurde. So liegt alle Veranlassung vor, diese Schrift kennenzulernen." Auch Beyreuther weist in seiner Zinzendorfbiographie Bd. II, S. 258 auf Gottfried Arnolds Schriften hin, ohne die „Erste Liebe" zu nennen. Allerdings ist das Vorbild der apostolischen Reise in der „Ersten Liebe" nicht zu finden. Der Verfasser verdankt die Anregung, das Urgemeindeideal durch Arnolds „ E r ste Liebe" an Zinzendorf vermittelt zu sehen, Archivar Richard Träger, Unitätsarchiv Herrnhut O L . β» Uttendörfer, Mystik, S. 42. ™ R 2 0 G 2 d, 61, Briefe Zinzendorfs an Wallbaum 1 7 1 6 — 3 2 (bei Uttendörfer, Mystik unter der alten Rubrik R 20, G 3, 61 angegeben). 7 1 Vgl. Reichel, Anfänge, S. 134. Reichel wertete die genannte Briefstelle leider nicht aus.
45
Arnolds Abbildung der ersten Christen gebaut worden, sondern in vielen Gemüthern die Idee noch regieret, daß wir das Volk sind, das Cave, Arnold, Usher u. andere gut meynende Leute beschrieben haben." 72 So haben wir wohl bei den Wendungen in den Statuten, die die erste Christenheit betreffen, ganz stark Arnolds Schau im Hintergrund zu sehen. Und audi in der Ausgestaltung in den folgenden Jahren wird dieses Idealbild bewußt oder unbewußt seinen Einfluß ausgeübt haben73. Um so wichtiger wird es, daß Zinzendorf dieses emporblühende, innerlich und äußerlich sich ausgestaltende Gemeinwesen bewußt im kirchlichen Zusammenhang mit der lutherischen Kirche hat halten wollen. Sie war das Haus, in dem er seine Gemeine Gestalt gewinnen lassen wollte, wie es dann später die mährische Kirche war, die er als äußere Form und „Hütte" übernahm, um in ihrem Schutze sein eigentliches Ideal einer lebendigen Gemeine und ihren Beruf — das Evangelium vom Heiland für alle Welt — zu verwirklichen. Bei der Abfassung der Statuten konnte die Ordnung der alten Brüder noch keine Rolle spielen, da sie noch niemand kannte 74 . Die Erinnerungen der Exulanten werden auch sehr mangelhaft gewesen sein. Vielmehr werden sich in diesem Gemeinideal, urchristliches Leben neu zu entfachen, die Wünsche und Sehnsüchte der Exulanten mit den philadel72 J H D . , 12. 5. 1752 (S. 306 ff.); Zinzendorf wandte sich bei der abendlichen Betrachtung der Losung dagegen, daß die ersten Christen das Vorbild sein müßten. „Es ist, was man ein Luft-Schloß, eine platonische Republique nennt; man sagt, wie die erste Kirdie, fast wie die ersten Christen. Wenn ich wüste, daß meine Gesdvwister an der idee unschuldig wären, so würde idi nicht so viel Kummer haben. Ich weiß a b e r . . . " (s. Zitat im Text). Die ganze Stelle ist abgedruckt bei Uttendörfer, Weltbetrachtung, S. 129. 7 3 Es wäre natürlich ein falscher Sdiluß, wollten wir annehmen, Zinzendorf hätte in den sich ähnelnden Stücken Schritt für Schritt Arnolds Bild von der ersten Christenheit verwirklichen wollen. Aber die Ähnlichkeit des Ideals mit der Herrnhuter Wirklichkeit ist so deutlich, daß wir von einer direkten Beeinflussung sprechen müssen. Man wird sichere Aussagen jedoch erst nach einer gründlichen Untersuchung des Arnoldsdien Buches und der Zinzendorfschen Gestaltungsversuche machen können. Interessant wäre dann nämlich, was Arnold nicht brachte und was in Herrnhut durchgeführt wurde. Ζ. B. war von Laienämtern etwa im Sinne der Herrnhuter Ämterordnung bei Arnold nicht die Rede. Arnold nannte an Ämtern die der Apostel, der Ältesten (Presbyter), der Bischöfe (Vorsteher), der Lehrer und der Diakone (S. 281 ff.). In den Abschnitten über die Versorgung der Armen, Witwen, Waisen, Kranken, Gefangenen und Fremden sprach er auch öfter von Aufsehern (ζ. B. S. 474 f. u. 505). — Auch der Bote, der eigentliche Missionar, wurde von Arnold nicht gewürdigt. Ihm ging es um das Leben des einzelnen Christen in der Gemeinschaft der Brüder, nicht um Gemeindeordnung und Gliederung und Mission. Wir werden sehen, daß die Ämterordnung Herrnhuts auch ein urdiristliches Ideal verwirklichen wollte, aber direkt aus der Schrift heraus (Rom. 12), und daß der Botendienst als „apostolische Reise" ebenfalls direkt aus der Apostelgeschichte heraus nachgeahmt wurde. Mag dies an Hinweisen hier genügen. 7 4 Zinzendorf brachte die erste genauere Kenntnis darüber erst von seiner Reise am 4. August 1727 mit. H. Diar., 4. 8. 1727: „kamen der H. Graf nach Hause und brachten allerhand gute Nachrichten aus Schlesien mit, besonders eine übersetzte Historie von den böhmischen u. mährischen Br r , die wir das erstemal hörten . . . "
46
phisdien Plänen des Grafen getroffen haben. Pfarrer Rothe wird zunächst — vielleicht mit einiger Sorge, aber doch zustimmend — mitgearbeitet haben. Und Zinzendorfs Gerichtsdirektor Marche wird im Verein mit dem juristisch gebildeten Grafen seine Rechtskenntnisse zur Verfügung gestellt haben, damit die Abfassung so geschah, daß sie gegen jedermann zu verantworten war. Die Brüder und Zinzendorf wollten es eben nicht beim Idealbild der Urgemeinde und bei frommen Wünschen, wie es zu erreichen sei, bewenden lassen, sondern die Sache selbst haben und erleben, so wie es Zinzendorf 1735 einmal an einen vertrauten Freund schrieb: „ . . . da müssen... gantze Episteln und andere Bücher des Neuen Testaments müßig und vor die lange Weile in der Bibel stehen, oder es muß, soll und kan, anders seyn. Weil es nun scheint, der Heyland wolle uns hierinnen Gnade thun, so acceptire ich sie mit beyden Händen; lasse es nicht bey piis desideriis, welche zu ihrer Zeit auch selig sind, sondern ich schreite zur Sache und helffe so viel ich kan, neben der Lehre fördern, daß der Seelen-Hunger und Verlangen nach Evangelischer und Apostolischer Ordungs-Gnade gestillt werde." 75 Wie stark Zinzendorf und mit ihm die Brüder später ergriffen waren von dem, was sie in ihrer Gemeinschaft als Erwachen des Lebens der ersten Christen erfuhren, zeigt der Schluß seines Eventualtestamentes von 173876, in dem er vom Verhältnis zur Heiligen Schrift sprach: „ . . . weil ich zu der Gnade des Heylandes hoffe, Er werde eine Zeit kommen lassen, (*) daß kein Wort in der heiligen Schrift seyn werde, daß unserer Gemeine nicht von aussen und innen bekannt, und mit unserer Salbung und gantzen Führung in der schönsten Harmonie sey." „(*) Die ist nun gekommen", fügte die Anmerkung hinzu. Damit können wir die Darstellung der Entstehung der Gemeine und ihrer ersten Ordnung abschließen. Wir haben somit den Schlüssel zum Verständnis des sich entfaltenden Gemeindelebens gefunden. Er muß, wenn er wirklich der richtige Schlüssel sein soll, auch für die Frage nach dem geordneten Dienen passen. Das aufmerksame Hören auf die Botschaft der Schrift selbst ist es letztlich, was das ganze Gemeindeleben reguliert. Mögen wir zu der Möglichkeit, urchristliches Gemeindeleben nachzuerleben, anders stehen als Zinzendorf und die Brüder im Jahre 1727 — er selbst stand ja später auch anders dazu —, imponierend ist zunächst der Versuch, in einem einfältigen, schlichten Gehorsam die Worte des Neuen Testamentes Satz für Satz nachzuvollziehen und in Wirklichkeit zu erfahren. Was uns bei unserer Fragestellung dabei besonders beschäftigen muß, ist die Feststellung, wie dieser biblizistische Gehorsam, wie ich es 75
Aus: Schreiben an einen vertrauten Freund, 1735. Theol. Bedenken, S. 167. 7» Theol. Bedenken, S. 187.
47
einmal nennen mödite, eine Dienstbereitschaft hervorbrachte, die selten in der Kirdiengeschichte ist, und Lebensformen der Gemeinschaft erzeugte, die uns über die Gestaltung heutigen Gemeindelebens nachdenklich werden lassen77. " Die vollzogene Taufe war bei alledem für Zinzendorf und die Brüder die selbstverständliche Voraussetzung der Zugehörigkeit zu ihrer Gemeinschaft. Vgl. dazu: Sdiluß, Anm. 1; S. 351 ff.; dort auch einiges über ihre Stellung zur Kindertaufe.
48
KAPITEL
2
Die Lebensformen der Brüdergemeine im alten Herrnhut in ihrer Bedeutung für ein geordnetes Dienen in der Gemeine Es wäre nun eine reizvolle Aufgabe, die Entfaltung der verschiedenen Lebensformen der Gemeine im alten Herrnhut von 1727 bis 1737, also in den ersten 10 Jahren, in der ihr eigenen wechselvollen Stetigkeit zu schildern. Die Diarien dieser Jahre bieten Stoff genug dazu 1 . Doch müssen wir darauf um der uns gestellten speziellen Aufgabe willen verzichten und versuchen, das Wesentliche aus der abwechslungsreichen Geschichte der einzelnen Formen zu bringen. Daran möge dann deutlich werden, wie das Miteinander im gegenseitigen Dienst sich vollzog, ja wie die verschiedenen Lebensformen ein geordnetes Dienen der Glieder der Gemeine geradezu forderten. So werden wir ein Bild der ersten Gemeine erhalten, wie es etwa in den Jahren 1729 bis 1731 der Besucher des alten Herrnhut schauen konnte. Christian David, der nimmermüde „Apostel" der Gemeine — von Zinzendorf auf seinen Reisen mit leichter Sorge begleitet, ob er nicht zu viel über das Herrnhuter Gemeindeleben berichtete, das lieber in der Stille bleiben sollte2 —, hat uns gerade für diese Zeit eine Reihe von Besdirei1 Wir benutzten die Diarien von Herrnhut von 1727—1741, zusammengestellt von Fr. S. Hark, im Unitätsardiiv (R 6 Ab 6—14). Die Diarien wurden aus verschiedenen Tagebuchaufzeichnungen (ζ. B. von Zinzendorf, M. Dober, Jakob Till) zusammengestellt. Von den Jahren 1729 und 1730 waren nur noch wenige Aufzeichnungen vorhanden. Leider haben nicht alle Jahrgänge ein Register. Vgl. Uttendörfer, Mystik, S. 104: „Das Diarium von 1727 ist fast nur in späteren Auszügen vorhanden, das von 1728 ist ausführlicher, die von 1729 und 1730 fehlen fast ganz, und erst von da ab werden die Diarien Herrnhuts vollständiger." Wir zitieren das Herrnhuter Diarium mit H. Diar. und der jeweiligen Jahreszahl. Wichtig sind audi die Gemeinratsprotokolle 1730—1735, R 6 Aa 25. 2 Vgl. Uttendörfer, Die Entstehung der „Beschreibung und zuverlässigen Nachricht von Herrnhut", ZBG 1912, S. 220 ff. und unsere Anm. 16 in Kap. 1. — Uttendörfer nennt S. 221 die kritischen Äußerungen Zinzendorfs zu Christian Davids Beschreibungen. Am 14. 7.1734 schrieb Zinzendorf an den schweizer Pfarrer Annoni, der die 1731 in Montmirail unter dem Titel „Dennen glaubigen Brüdern" abgefaßte Beschreibung C. Davids in die Hände bekommen hatte: „Die Arbeit des 1. Christian David habe ich gesehen, es ist mir selbige recht ehrwürdig gewesen, denn obwohl der 1. Bruder unsre Absichten an vielen Orten nicht getroffen, weil er am wenigsten unter uns bekannt,
49
bungen in die H a n d gegeben, die uns unsere Arbeit erleichtern. Die Quellenstücke im Archiv liefern uns die notwendige Ergänzung. Allerdings müssen wir dieses Bild der Zeit um 1730 vielfach erweitern, indem wir an besonders wichtigen Punkten einen Blick nach vorn oder auch zurück werfen. A . D A S BÜRGERLICHE UND WIRTSCHAFTLICHE L E B E N IM ALTEN H E R R N H U T
Es würde unserer Darstellung der gemeindlichen Lebensformen um 1730 ein Wesentliches fehlen, würden wir sie nicht durch eine Schilderung des bürgerlichen und wirtschaftlichen Lebens im alten Herrnhut einleiten. Doch sei diese Schilderung nidit nur als Hintergrund und Rahmen aufgefaßt. Es wird sich zeigen, wie audi und gerade das bürgerliche Leben der Herrnhuter auf dem Fundament der 1727 vereinbarten Statuten sich im Sinne der brüderlichen Liebe und des gegenseitigen Dienstes gestaltete. Als Vorarbeit, auf die wir uns weitgehend beziehen können, sei Uttendörfers „Alt-Herrnhut" genannt. Hier schildert er unter dem Untertitel „Wirtschaftsgeschichte und Religionssoziologie Herrnhuts während seiner ersten zwanzig Jahre (1722—1742)" besonders diese Seite im Leben der jungen Ansiedlung am Hutberg 3 .
1. Die äußere Gestalt Herrnhuts um 1730 Bevor wir dem Leben selber nachgehen, müssen wir uns ein Bild von der äußeren Gestalt Herrnhuts um diese Zeit machen, sonst könnten wir uns durch eine falsche Vorstellung das Verständnis wichtiger Vorgänge verbauen. Im Herrnhuter Archiv befindet sich ein alter Stich, der von einem Zittauer Kupferstecher 1732 für Zinzendorf angefertigt worden war und sondern von seinem continuirlidien Apostolat distrahiret ist, so sind doch die historica grössten theils richtig, und das andere lässt sidi zu seiner Zeit suppliren. Doch ist nicht rathsam, es public zu machen, weil es nicht pro authenticis relationibus gelten kan." (abgedruckt in Z B G 1911, S. 57) Trotz dieser Kritik Zinzendorfs bleiben Christian Davids Beschreibungen neben den Diarien die wichtigste Quelle für das Leben in Herrnhut in jenen Jahren. Die „historica" hielt auch Zinzendorf größtenteils für richtig. In den „Absichten" könnte Christian D a v i d seinen mährischen Brüdern näher gestanden haben als der Graf. Außerdem muß man bei Zinzendorfs Äußerungen immer mit bedenken, daß er aus apologetischem Interesse das Besondere Herrnhuts in der Öffentlichkeit abzuschwächen suchte. D a s Interesse C. Davids und der Brüder ging aber gerade darauf hinaus, das Besondere des Herrnhuter Lebens bekanntzumachen. 8 Wir werden auf dieses Buch im Laufe der Untersuchung öfter noch zurückgreifen müssen und zitieren es unter der Abkürzung Uttd. A-H.
50
uns das alte Herrnhut in der Gestalt zeigt, die es zu der Zeit hatte, aus der uns Christian David berichtet (Beilage Bild 1). Es handelt sich übrigens um die früheste überlieferte Ansicht des Ortes, die auch im Titelbild der gedruckten „Beschreibung" Christian Davids verwendet wurde. Man sieht vom Hutberg über den neu angelegten Gottesacker auf die kleine Ortschaft, die sich vor allem längs der Zittau—Löbauer Straße erstreckte. Senkrecht auf diese viel befahrene Straße stieß der Weg von Berthelsdorf. Dort, wo sie aufeinander trafen, erhob sich das stattlichste Gebäude des Ortes, das zweistöckige Waisenhaus, auch großes Haus, später Gemeinhaus genannt (Beilage Bild 3, 5 u. 8). Bechler beschreibt es ausführlich in seiner „Ortsgeschichte von Herrnhut" 4 . In ihm befand sich der „ S a a l " , der schlichte Versammlungsraum der Gemeine von bescheidener Größe (Beilage Bild 4 , 6 u. 7). Er hat, um den Ansprüchen zu genügen, wiederholte Erweiterungen und Umbauten durchmachen müssen, die erste Erweiterung im Jahre 1731. Der Stich von 1732 zeigt deutlich, wie sich die ca. 50 Häuser dieser Zeit um diesen Mittelpunkt des Ortes gruppierten. Vor dem Gemeinhaus weitete sich die Zittauer Landstraße zu einem Platz, auf dem in alter Zeit ein Wasserfang und zwei Brunnen standen 5 . Hinter dem „großen H a u s " befand sich seit 1727 ein Garten. Um diesen weiträumigen Platz standen wie ein Kranz die repräsentativen Häuser, sofern man zu dieser Zeit überhaupt so von ihnen sprechen kann. Vor allem hatte hier das Herrschaftshaus Zinzendorfs seinen Ort, ein einstöckiges Fachwerkhaus mit Mansardendach. Ein großer Teil der Gemein- und Chorversammlungen wurde von Zinzendorf in ihm gehalten, auch Gemeintage und Abordnungen von Missionaren fanden hier statt. Die Kinder versammelte Zinzendorf in seinem Vorzimmer. Zu Singstunden konnte die Gemeine auch auf der Gartenseite des Hauses zusammenkommen, und Zinzendorf leitete die Stunde von der Galerie aus®. Gegenüber, auf der anderen Seite des Platzes, stand an der Ecke der Gasthof, eigentlich das erste „Brüderhaus", denn in den acht Dachstuben wohnten vom 19. Februar 1731 an die „jungen Purschen" 7 . Auf dem Kupferstich erscheint auf derselben Seite des Platzes auf den Hutberg zu das erste Witwenhaus, in das am 26. Januar 1733 die Jungfrauen als in ihr erstes Chorhaus zogen 8 . Sonst sieht man die zweistöckigen Häuser und ein4 Theodor Bechler, Ortsgesdiidite von Herrnhut mit besonderer Berücksichtigung der älteren Zeit, Herrnhut 1922, S. 33 ff. Bechler hat auf S. 106 einen Grundriß von Herrnhut 1729 aus den Quellen konstruiert. Vgl. auch die ältere Darstellung von G. K a r schelt, Geschichte von Herrnhut, 1853, S. 47 f. 5 Bechler, Herrnhut, S. 106. Der Ortsplan von 1760 zeigt dort ein „Spritzen- und Wachthaus nebst Fleischbänken" (Bediler, Herrnhut, S. 109). β Bechler, Herrnhut, S. 28. ι H . Diar.; vgl. Uttd. A-H., S. 131; Bediler, Herrnhut, S. 66. 8 = Kühneis Haus, Bediler, Herrnhut, S. 57 ff; ab 1743 ausschließlich Witwenchorhaus; Witwen wohnten vorher schon hier.
51
stöckigen Häuschen der einzelnen Familien, wie sie sich in rührender Einfachheit von diesem Mittelpunkt aus nach den drei möglichen Seiten ausbreiteten. Man konnte den Ort zu dieser Zeit bequem in noch nicht 5 Minuten zu Fuß durdiqueren. Christian David schrieb 1729 über die Landstraße an Heitz: „Sie ist 700 Schritt durch Herrnhut." 9 1729 wohnten in den damals vorhandenen 45 Häusern 350 Menschen (70 Ehepaare, 25 Witwen, 40 Jungfrauen, 68 Jünglinge, 26 Knaben, 20 Mädchen = 319, dazu noch Kinder) 10 . Wie schnell der Ort wuchs, kann man daran sehen, daß sich 1734 bereits 600 Personen in Herrnhut befanden. 2. Die
Wohnverhältnisse
Die Wohnverhältnisse waren kümmerlich genug11. „Viele der meist kleinen Häuser Herrnhuts waren . . . neben der Familie des Hauswirts mit andern Ehepaaren, ledigen Leuten und Witwen stark besetzt, und außerdem mußte noch die Menge der Besucher untergebracht werden." 12 Ζ. B. wohnten 1739 „bei dem Töpfer Martin Dober außer Frau und Tochter noch 2 Gesellen, bei dem Leinweber Augustin Leupold außer dem Ehepaar mit seinen 6 Kindern eine Jungfrau und 1 Geselle, beim Schneider Michael Linner seine Frau, 3 Gesellen und noch 4 ledige Brüder und ein größerer K n a b e . . . und in Quitts Haus außer dem Ehepaar mit 2 Kindern 2 Witwen mit Töchtern, 2 kinderlose Witwen und noch 1 Familie mit 1 Kind, zusammen 14 Personen" 13 . Obgleich das diesen Angaben zugrunde liegende Verzeichnis aus dem Jahr 1739 stammt, als in den vorhandenen 70 Häusern 804 Einwohner lebten, dürfen wir annehmen, daß die Lage um 1730/32 kaum anders aussah. Bis 1732 hielt die Zuwanderung aus Mähren ja in unverminderter Stärke an. Der Sprung der Einwohnerzahl von 350 auf 600 innerhalb von 5 Jahren (1729 bis 1734) zeigt uns, vor welchen Wohnraumproblemen die kleine Gemeinschaft gestanden hat. Daß es dabei — wie die Diarien und auch Christian David bezeugen — im „Gleis der Liebe" blieb, ist ein sprechendes Zeugnis für β R 24 В 68, S. 208. 10 Vgl. Bechler, Herrnhut, S. 103 ff. über das Wachstum des Ortes. Die Angaben stammen aus dem Brief Christian Davids an Heitz vom 11. 9.1729 (R 24 В 68, S. 179 ff.). Man beachte das Zahlenverhältnis zwischen Ehepaaren und Unverheirateten. Bechler gibt folgende Zahlen zum Anwachsen Herrnhuts (S. 104 f.): 1727 300 Einw., 1729 350 Einw., 1734 600 Einw., 1740 723 Einw., 1750 1000 Einw., 1755 1100—1200 Einw., 1760 1200 Einwohner. 11 1728 hieß es von den 32 Häusern: „darunter 2 von 15 Wohn Stuben ohne Säle und Kammern, 1 von 8 Stuben, die andern alle von 6. 5. 4. 3. und 2. Stuben ohne Kammern und Werkstätten." R 6 Aa 18, lc. 12 Uttd. A-H. S. 12 f. Vgl. dort die genaue Aufstellung. 13 Uttd. A-H. S. 12.
52
den Geist, der diese Gemeinschaft beseelte, die einheimisch gewordenen Menschen ebenso wie die Zuwanderen Es wurde eben zusammengerückt, so gut es ging, und die Neuankömmlinge mußten sich in die engen Verhältnisse schicken. Wer es nicht konnte, zog wieder fort. So wirkte sich die Enge auch heilsam aus. Wer nicht auf mancherlei Bequemlichkeit um des gemeinsamen Lebens willen verzichtete, konnte sich einfach nicht halten. Es war, wie Zinzendorf seine Siedlung in seinem Gedicht auf Herrnhut nannte, ein „Zoar", eine Zufluchtsstätte für bedrängte Seelen14. Wer die Gewissensfreiheit in dieser innerlich brennenden Gemeine genießen wollte, nahm alles andere gern in Kauf. Natürlich wurde alles versucht, die Probleme weitgehend zu lösen. Wer irgend konnte, baute sich sein eigenes Häuschen. Bauschulden hatten so die meisten Hausbesitzer15. Die Miete, die sie von den anderen Bewohnern ihres Hauses bekamen, konnte ihnen bei der Tilgung kaum helfen. 1734 bezahlte man „für ein Oberstübchen mit Kammer, Anteil am Holzschuppen und Beetchen 2 Taler, für eine Stube mit Kammer und zwei Drittel des Gartens 4 Taler 4 Groschen, für eine große Stube mit Kammer und Raum zum Abstellen 4 Taler im Jahr" 1 6 . Aus diesen Angaben können wir zugleich ersehen, wie groß die „Wohnungen" waren, die man demnach mietete. In einer Stube war bisweilen eine ganze Familie untergebracht; zugleich war der Raum aber auch Werkstatt, in der 1 bis 2 Webstühle standen. So ist es verständlich, daß man bei der Aufnahme von Familien besonders vorsichtig war, und daß der Zuzug lediger junger Leute-den wesentlichen Anteil am Steigen der Einwohnerzahl lieferte. Um 1730 wird das Durchschnittsalter in Herrnhut etwa 30 bis 35 Jahre betragen haben. Verständlich ist auch, daß sich beinahe von selbst unter den ledigen Burschen und später auch unter den Mädchen Lebensgemeinschaften bildeten, in denen man nicht nur zusammen wohnte und am gemeinsamen Tisch aß, sondern auch, vom Geist der Gemeinschaft angeregt, sich zum gemeinsamen geistlichen Leben verband und schließlich im späteren Chorhaus in gemeinsamer Arbeit stand. Verständlich wird auch das Drängen Zinzendorfs auf Sammlung der Kinder in seinen Anstalten, um sie aus der Enge der Familienhäuser zu nehmen. Eine Bemerkung ist in diesem Zusammenhang noch wichtig: Wer das Wohnrecht in Herrnhut bekommen hatte, war noch lange nicht voll berechtigtes Glied der Gemeine. Schon die Erlaubnis zum Zuzug war zwar Resultat einer ernsten Prüfung des Bittenden17. Aber dann mußte er oft noch geraume Zeit warten, bis man ihn als Bruder in die Gemeine aufDies Gedicht auf Herrnhut aus dem Jahr 1727 ist abgedruckt Büd. S. I, S. 24 ff. Vgl. die sehr instruktive Spezifikation, wahrscheinlich aus dem J a h r 1729, R 6 Aa 16, 1, abgedruckt bei Uttd. A - H . , S. 10. >6 Uttd. A - H . , S. 59. 17 Uttd. A - H . , S. 54 ff. 14
15
53
nahm und als innerstes Zeugnis seiner Gliedschaft schließlich zum Abendmahl zuließ, „beides heißersehnte Gnade und ergreifendes religiöses Erlebnis und damit ein Antrieb zu innerstem Zusammenschluß und zum Leben und Wirken im Geist der Gemeine"18.
3. Die tägliche Arbeit Wie verbrachte man nun — neben dem reichen Versammlungsleben, das wir noch kennenlernen werden — seine Tage? Man arbeitete, und zwar alt und jung. Die „Verfassung" beriditete darüber 173319: „23. Von 11 Uhr an bis frühe um 4 Uhr rechnet man die Ruhe-Zeit, und bleiben, wann noch 3 Stunden zur geistlichen und leiblichen Speise abgezogen werden, 16 Stunden zur leiblichen Arbeit übrig, welcher auch mit unermüdeter Treue und Fleiß, so lang man gesund ist, abgewartet; und alle und jede, so bald sie zur leiblichen Arbeit eingerichtet, und so lang sie nicht mit leiblicher Krankheit befallen sind, ihr eigen Brod zu essen angehalten werden." Zinzendorf hat diesen Grundzug des Herrnhuter Lebens in seinem Eventualtestament 1738 in die Worte gefaßt: „Man arbeitet nicht allein, daß man lebt, sondern man lebt um der Arbeit willen, und wenn man nichts mehr zu arbeiten hat, so leidet man oder entschläfft. In einer Geis U n d . A-H., S. 57. 19 Verfassung der Herrnhutischen Mährisdien Brüder-Gemeine..., abgedruckt in: Beschreibung u. zuverläßige Nachricht von Herrnhut, S. 120 ff. Das Zitat dort S. 132. Der Text der von Johann Martin Dober, Helfer der Gemeine in Herrnhut, unterschriebenen „Verfassung" stammt von Zinzendorf selbst. Sie ist so eine wichtige Quelle f ü r die Ansichten des Grafen über die Verfassung, d. h. den Zustand der Gemeine um diese Zeit (1733) und eine gute Ergänzung zu C. Davids Beschreibungen. Zinzendorf verfaßte die kleine Sdirift im März 1733 in Tübingen, als er wegen der Berufung M. Steinhofers nach Herrnhut dort verhandelte. Er und Steinhofer wünschten ein Bedenken der theologischen Fakultät zur Frage: „Ob die mährische Brüdergemeine in Herrnhut supposito in doctrinam evangelicam consensu, bey ihren seit dreyhundert Jahren her gehabten Einrichtungen und bekanter disciplina ecclesiastica verbleiben, und dennoch ihre Connexion mit der evangelischen Kirche behaupten könne und solle" (Spangenberg, Zinzendorf, S. 786). Zinzendorf lag in Tübingen zunächst krank und empfing Besuche von Fakultätsmitgliedern. Joh. Plitt berichtet (Denkwürdigkeiten, § 162, Bd. 3, S. 17): „Zdf arbeitete indeß an einem Aufsatz ,νοη der Herrnhutischen Verfassung', der hernach unter Martin Dobers Namen im Druck erschienen ist, und machte dann seine Gegenbesuche bei der Fakultät. Den vollendeten Aufsatz sähe Pfaff, der drittehalb Stunden bei Zinzendorf blieb und dann ausrief: ,Das ist ja wie die erste Kirche! Ein Werk Gottes, das nodi besser muß poussirt werden!'." Die „Verfassung" ist dann als Beilage zum Tübinger Bedenken im Druck erschienen und kam außerdem als 2. Beilage in den von Walther 1735 besorgten Druck von C. Davids „Beschreibung...". Wir kennzeichnen sie in Zukunft kurz mit „Verfassung" von 1733. Manuskripte finden sich im Universitätsarchiv R 6 Aa 19, 4.
54
meine muß gearbeitet seyn, und weil die allgemeine Vorsorge (allen Christen versprochen, allen Raben bewiesen) durch die Proben, darunter die Zeugen kommen, so limitirt wird, daß sie sich auch allenfalls in Hunger und Blosse als die Diener Gottes beweisen; so müssen sie sich weniger, als andere Menschen, auf ihr bescheiden Theil verlassen, und mit ihren Händen arbeiten, daß sie nicht allein selbst niemand beschwerlich werden, sondern auch haben mögen zu geben denen Dürfftigen." 20 Zu beachten ist bei dieser Zusammenfassung seiner Erfahrung in Herrnhut, daß der zuletzt ausgesprochene Gedanke „ . . . zu geben denen Dürfftigen" zur Arbeitsethik immer dazugehörte21. Man arbeitete für sein Durchkommen, doch nicht allein für sich und seine Familie. Da die Fähigkeit und die Möglichkeit zur Arbeit als eine Gabe Gottes galten, die dankbar empfangen wurde, erfüllte sie sich erst darin, daß sie auch andern zugute kam, entweder dadurch, daß ihr Inhalt selbst sich im Dienst des Nächsten zeigte — diese Sinngebung war bei den handwerklichen Berufen nicht schwer — oder dadurch, daß man mit dem durch die Arbeit Gewonnenen dem benachteiligten Bruder aufhalf. Auch darin verstand man sich völlig als Glied am Leib der Gemeine. Und dazu drängte die Brüder die im Gemeingeist sich ausprägende Liebe. Es ist unschwer einzusehen, daß neben den Wohnraumproblemen ein viel dringlicheres bei dem ständigen Zuzug entstand: die Frage der Arbeitsbeschaffung. Hierin sah Zinzendorf die vordringliche Aufgabe der Obrigkeit. Er hat sie auch mit Hilfe seiner Mitarbeiter weitgehend zu lösen vermocht. Er fuhr im Eventualtestament fort: „Wie den Gliedern der Gemeine von allerhand Gewerben, bey nahrlosen Zeiten, bey dem Hass der Welt, die uns gerne aushungern möchte, bey der vielmahligen Veränderung unserer Bleibstätten, und bey der continuirlichen SeelenArbeit, zu diesem Zweck zu helffen, und sie in eine beständige Handthierung zu bringen sind, das ist eine der wichtigsten und würdigsten Sorgen 8 0 Theol. Bedenken, S. 177. „Zurückgelassenes Eventual-Testament an die Gemeine", von Zinzendorf bei seiner Abreise von Europa 1738 geschrieben. Spangenberg bemerkte dazu (Zinzendorf, S. 1149 ff.): „Noch aus der See schrieb er (Zdf) einen ausführlichen Brief an die Aeltesten und Helfer der Gemeine, welcher am 27ten December datirt, und mit dem Loots des Schiffes St. Martin zurükgesdiikt worden. Er nennt ihn sein eventual Testament, und man kan ihn lesen in der büdingisdien Samlung Band II, S. 252. u. f. Er sagt darinnen: ,Ich bitte die Brüder, um soviel mehr darauf acht zu haben, weil es die Grundideen sind, darinnen wir Anfangs zusammen geflossen, und das Verderben aller Gemeinen jederzeit daher gekommen ist, daß man sie n e g l i g i r t . . Hier findet man demnach seine Grundideen von den heiligen Sacramenten, der Kindererziehung, der Ehe in der Gemeine, den Gemeinämtern, Versamlungen, Arbeiten, Botschaften, Leiden, Anstalten, Briefschreiben, Bauen, Ordnungen, Controversen, Chören, u.s.w. und es ist unstreitig eine wichtige Schrift." Wir zitieren sie öfter, da sie klar und zusammenfassend Zinzendorfs Ideen im Rückblick auf das Herrnhuter Leben bis 1738 wiedergibt, und beziehen uns dabei auf den Abdruck in den Theol. Bedenken, S. 169 ff. 21
Die Wendung stammt aus Eph. 4 , 2 8 .
55
der Obrigkeiten, der Beamten und Diener, welche Gott gewürdiget hat, mit Gemeinen zu connectiren. Sie sündigen nicht, wenn sie zum voraus dran gedencken; sie sündigen, wenn sie diese Pflicht verwahrlosen." 22 In diesem Bewußtsein seiner Verpflichtung hat er es in Herrnhut auf sich genommen, in sicher mühevoller Kleinarbeit die docli von allen Seiten zusammengewürfelte Gesellschaft der neuen Ansiedlung in ein einigermaßen sich tragendes Wirtschaftsgefüge zu bringen. Zur völligen Gesundung der Verhältnisse bedurfte es freilich, einer Persönlichkeit, die dazu neben gründlicher Fachkenntnis den wirtschaftlichen Wagemut mitbrachte, um neue Wirtschaftsformen zu gestalten. In Abraham Dürninger wurde der Gemeine diese Persönlichkeit später zugeführt 23 . Doch zurück zu den Verhältnissen in Alt-Herrnhut um 1730. Uttendörfer druckte unter anderen ein Verzeichnis der Männer in Herrnhut ab, mit Zinzendorfs Unterschrift vom 31. Januar 1730, das uns ein Bild von der Verteilung der Berufe vermitteln kann 24 . Allerdings weiß man dabei nicht, ob alle angegebenen Gewerbe wirklich betrieben worden sind. Unter den 120 Männern befanden sich folgende Berufe: 16 Leinweber, 2 Leinwandsammler, 1 Zwillichweber, 14 Spinner, 3 Wollspinner, 13 Zimmerleute, 8 Maurer, 1 Tagelöhner, 2 Gartenknechte, 2 Botenläufer, 8 Schuster, 1 Leistenschneider, 3 Schneider, 3 Tischler, 1 Wagner, 1 Stuckateur, 1 Drechsler, 1 Böttcher, 1 Schachtelmacher, 1 Uhrmacher, 1 Mechanikus und Orgelbauer, 4 Messerschmiede, 1 Glaser, 1 Beutler, 3 Bäcker, 1 Mühlbursch, 1 Gastwirt, 1 Hausknecht, 1 Krämer, 1 Materialist, 2 Töpfer, ohne Berufsangabe 6 (vielleicht waren unter ihnen einige der sonst mehr erwähnten Tagelöhner), abwesend, vermutlich hauptsächlich auf Reisen zur Ausbreitung des Reiches Gottes, 14. Allerdings ist bei dieser Spezifikation nicht angegeben, ob die Betreffenden verheiratet und selbständig waren oder nicht25. Doch genügt es für uns, um daraus in Umrissen die wirtschaftlichen Tendenzen der Siedlung zu erkennen. Zu bedenken ist, daß sich 1730 die Mähren beruflich schon eingegliedert hatten. Sie waren zu Hause zum großen Teil „Bauern gewesen, die, um auswandern zu können, ihr Hab und Gut hatten zurücklassen müssen" 26 . Ein Handwerk mußten sie nun erst lernen, denn für eine landwirtschaftliche Ansiedlung war keine Möglichkeit gegeben. So finden wir sie anfangs wohl viel als Maurer, Zimmerleute, als „Handarbeiter" und Tagelöhner arbeiten. Beim Bau der Häuser gab es ja auch Arbeit genug. Auch Zinzendorf suchte für sie Arbeitsmöglichkeiten. Er nahm sie als 22 Theol. Bedenken, S. 177. 2 3 Vgl. die Biographie Abraham Dürningers von Herbert Hammer, Berlin 1925. 24 Uttd. A-H., S. 11. 25 In einer bei Uttd. A-H., S. 11 abgedruckten Spezifikation aus dem Jahr 1736 sind bis auf wenige Ledige die Verheirateten und ihre Berufe angegeben. 2« Uttd. A-H., S. 9.
56
Domestiken in sein Haus oder verschaffte einigen dadurch Arbeit, daß er 1728 den Herrschaftsgarten anlegen ließ. Der Garten blieb audi später eine Betätigungsmöglichkeit für Arbeitslose 27 . Der Beruf des Webers und Spinners bot sich als Ausgleich an, zumal beides sicher auch in der Heimat im Winter neben der Landwirtschaft betrieben wurde. Unsere Aufstellung zeigt, wie die Entwicklung in diese Richtung drängte. Ohne eine Gewerbeaufsicht ging es freilich nicht28. Wir werden davon bei den Ämtern noch zu sprechen haben. Es konnte eben — leider — nicht jeder den Beruf ausüben, den er gelernt hatte. Aber so stark zog manchen das gemeinsame geistliche Leben an, daß er sich bereitwillig in einen neuen Beruf hineinführen ließ, wenn er nur bleiben konnte. In welcher Weise die Gewerbeaufsicht in Herrnhut geübt wurde, sagte Zinzendorf in seiner Deduktion an die Minister vom Februar 1732: „Die "Aufsicht über die Hantierungen besteht in einer bloßen Besorgung der Leute, daß sie Arbeit bekommen und dieselbe ordentlich abwarten; und kommt der Unterschied zwischen anderen ungefähr darauf an, daß man sonst die Arbeit zu hemmen und Monopolia zu errichten, hier aber gemein zu machen und jeglichem Arbeit zu schaffen w e i ß ; . . . eine Probe, wie in dergleichen Dingen unsere Gemeine disponiert sei, kann daraus abgenommen werden, daß, als sich letzthin aus einer guten Meinung Michael Jäschke, einer der Exulanten, von einem andern Ort hierher gemacht und mit Verwilligung der Handwerksinspection das Backen getrieben, der Älteste Linner aber als ordentlicher Bäcker gesehen, daß jener nicht fortkommen kann, solcher in aller Stille seine Hantierung fahren und sich, so lange Wolle zu spinnen, von selbst gefallen lassen, bis der andere sich besser eingerichtet haben möchte." 29 Der Brief, den Martin Linner damals an den Grafen schrieb, als dieser den beiden Bäckern zu einem erträglichen Durchkommen helfen wollte, ist so schön und zeigt in solch liebenswürdiger Art den Geist, der diesen Mann (aber nicht nur ihn) erfüllte, daß wir ihn doch auszugsweise hierher setzen möchten: „ . . . Daß Sie mir und dem andern Becker helfen wollen, daß wir menschlicher Weise ein Auskommen sehen sollen, das zeuget freylich von einer zweyfachen mütterlichen Liebe, welcher ich lange nicht werth bin. Dabey aber kan ich meinet halben gar nicht zufrieden seyn. Denn was mein lieber Bruder tuth, das verstärckt mich eben, daß ich gern auch von lauterem Hertzen will, was des andern ist, und ist ja auch nicht gewöhnlich, daß der liebe Heiland den Seinigen menschlicher Weise künftiges Auskommen zu sehen gibt, darum gehöret es auch vor mich nicht, auf 2 7 So deutete Uttendörfer die N o t i z vom 8. 6.1732, daß ein jeder Bruder einen Tag im herrschaftlichen Garten arbeiten sollte, damit er desto eher zustande käme. So könnten täglidi acht Personen arbeiten. A-H., S. 69 f. 28 Vgl. dazu Uttd. A-H., S. 60 ff. 29 Apol. Schlußschrift, S. 419, zitiert n. Uttd. A-H., S. 61 f.
57
diese Weise könte auch ein Fleischlicher in äusserlichen Dingen vergnügt seyn, wann er immer vor sich siehet wie er auskommen kan, und ich glaube, wenn ich aus Liebe meinem Bruder etwas zuweise und mir abnehme, so hilft der liebe Heiland auch im Aeusserlichen wunderlich, und wenn ich auch deßwegen Mangel litte, so nehme ich es gerne an." 3 0 Bei dieser Gesinnung war es freilich möglich, daß man miteinander auskam, auch bei Uberbesetzung eines Berufszweiges. Entstehende Schwierigkeiten versuchte man, gemeinschaftlich zu regeln und hatte damit auch Erfolg. Der große Teil der Gemeine war in diesen Jahren mit Spinnen und Weben in Hausindustrie beschäftigt 31 . Nicht nur die Schwestern brachten ihre Zeit damit zu. Auch ein erheblicher Teil der Maurer, Zimmerleute und Handlanger suchte im Winter im Woll- und Flachsspinnen seinen Lebensunterhalt. Es ist interessant, wie in diese Probleme der Arbeitsverteilung die Entstehung der Botengänge eingebettet war. Als die Maurer im September 1731 vorbrachten, ob sie wegen des Mangels an Arbeit nicht wieder „ihrer Arbeit nachgehen" sollten, d. h. vermutlich: sich ihrer winterlichen Beschäftigung des Webens und Spinnens zuwenden sollten, antwortete ihnen Zinzendorf: „sie sollten vielmehr Paar und Paar miteinander ausziehen, beisammen arbeiten und den Heiland verkündigen" 32 . Hier ist kaum an den reinen Verkündigungsdienst gedacht, sondern an Wanderarbeit, die man zur Verkündigung nutzte. Aber es zeigt sich daran, wie die Schwierigkeiten der Arbeitsbeschaffung und -Verteilung auf alle Fälle den Abschied erleichterten. Und andrerseits waren die ausgehenden Boten in mancherlei Arbeit geübt und willens, sich auf ihren Reisen allein durchzubringen. Sonst wäre die Menge der Aussendungen gar nicht möglich gewesen. Natürlich mußte man auch auswärtige Arbeit annehmen, so vorsichtig man bei dieser Berührung mit der „Welt" auch war, besonders bei den jüngeren und ledigen Gliedern der Gemeine. Um der Bewahrung der inneren Fassung willen sah man es lieber, daß sie sich kärglidi daheim durchbrachten als mit besserem Verdienst außerhalb 33 . Bernstadt vor allem lieferte Arbeitsmöglichkeiten und audi das nahe Oderwitz. Einiges sei noch zur Arbeits- und Berufsethik bemerkt. Es ist bezeichnend, daß Zinzendorf immer wieder darauf Wert gelegt hat, daß man in seiner täglichen Arbeit Gott und dem Nächsten dient. Daß hier alles sauber, pünktlich, treu und ordentlich zuging, war bereits ein wichtiger Teil des geordneten Dienens in der Gemeine. Die Heiligung des Lebens umfaßte als wesentlichen Teil die tägliche Arbeit. Die Treue im Kleinen wurde so zum Grundprinzip des Herrnhuter Lebens. Das drückte sich 8 0 Abgedruckt in: Beschreibung u. zuverl. N a c h r i c h t . . S . 188. si Uttd. A-H., S. 72 f. 82 R 6 Aa 25, 82 zitiert nach Uttd. A-H., S. 70. 88 Vgl. Uttd. A-H., S. 71 f.
58
schon im „Brüderlichen Verein" von 1727 aus, wenn von den Handwerkern gefordert wurde, sie sollten ihr Wort „auf den Tag halten" (Punkt 31). Auf dem Gemeintag am 20. Oktober 1734 sprach Zinzendorf so darüber: „Man muß dem Heiland sowohl im Kleinen als im Großen Treue beweisen und pünktlich sein. Im Kleinen treu sein, wird von allen gefordert... Es verdient auch der mehr eine genaue Zucht, der im Kleinen leichtsinnig und untreu ist, was oft einen ganzen Schaden tut, als wenn einer in großen Leiden strauchelt.. ," 3 4 Zinzendorf konnte diesen Dienst am Nächsten im täglichen Beruf durchaus neben den von ihm sonst als höchsten bewerteten Dienst des Boten stellen: „Es giebt Menschen, die der Heyland auf die gewöhnliche Art braucht, und in denen Dingen, die man so bürgerlich nöthig hat, sich beschäfftigen lässet. Die können noch alles, was sie thun, ihm thun, und in der That gläubige und begnadigte Christen seyn. Es giebt aber auch Menschen, die er auf eine besondere Art zu seinem Dienst bestimmet. Die heissen Jünger." 35 E r bezog sich in seinen Gedanken vom Gottesdienst im Beruf wiederholt auf Luthers bekanntes Beispiel: „Nun muß ich noch mit ein paar Worten gedencken, wie man sich zu verhalten habe bey seinem Beruff, daß man ihn nicht verläugnet... Man kan alles seyn in der Welt, was nicht an und für sich sündlich i s t . . . in allen Handthierungen, sie mögen in der H. Schrift befohlen oder stehen gelassen seyn; indem sie gethan werden, kan der Heyland H E r r drüber seyn. Denn alle Menschen in der Welt sind seine... Ihr dienet dem HErrn Christo, sagt der Apostel. So gar audi die Knechte, die bey den Heyden unter dem Joch stunden, solten ihrer Herren Geschaffte, die ofFt wunderlich herauskamen, dem Heyland thun. Daher auch Lutherus saget: Wenn eine Magd die Stube auskehret, kan sie ein Werde in Gott thun. Ihr esset und trincket, oder was ihr thut, so thut es alles zu Gottes Ehre. 1. Cor. 10, 31. Der Hey land ist so genau mit seinen Knechten und Mägden verbunden, daß er sich in alle ihre Kleinigkeiten meliret. Was sie mit wahrer Freudigkeit thun, und zwar nicht aus der Absicht, sich zu bereichern, ein gemächlich Leben zu führen, geehrt zu werden, ihre Affecten zu erfüllen, sondern aus dem wahrhafftigen Grund: Es ist mein Amt, es ist mir befohlen, ich wills von Hertzen thun, das segnet, das regieret er, das fördert er, das schützet er, da ist er mit d a b e y . . . Als der Erhalter der gantzen Welt will er, daß jede Sache soll in ihrer Ordnung geschehen; und er hat es gerne, wenn seine Kinder auf dem Erdboden hie und da ausgestreuet sind, und daß seine Jünger alle Stände, alle Aemter, alle Geschäffte heiligen . . ." 3 e
s* H. Diar. zitiert n. Uttd. A-H., S. 44. 3 5 Aus: Berliner Reden an die Männer, S. 159 vom 4. 4.1738. 3 6 Aus: Berliner Reden an die Männer, S. 77 ff. vom 12. 3. 1738.
59
Sehr viel später (1750), aber ganz in diesem Sinne, sagte es Zinzendorf im Blick auf den Dienst am Nächsten so: „Jeder Schuh wird da mit Freuden gemacht, weil er was beiträgt zur Gemächlichkeit des Nächsten und nicht weil er Lohn bringt." 3 7 Gewissenhafter und treuer Dienst Gott und dem Nächsten gegenüber war also der tiefste Sinn der täglichen Arbeit.
4. Die finanzielle Lage des einzelnen Die finanzielle Lage des einzelnen war im allgemeinen in der Anfangszeit nicht sonderlich gut. Vor allem der Unterhalt aus Weben und Spinnen war recht kärglich. Uttendörfer bringt eine Schilderung der Verhältnisse der mährischen Exulanten von Zinzendorf, wahrscheinlich aus dem Jahre 1729 88 . Bei den meisten der 16 aufgezählten Hauswirte wurden noch Bauschulden vermerkt: „David Nitschmann hat ein feines Haus, 6 Leinwebstühle, aber dritthalb hundert Taler Schulden auf seinem Haus; bei jetzigem Verfall des Leinwandhandels sehr schlechten Verdienst, so daß er sich kümmerlich nähren kann. Georg Pisdi, ein Schuster, hat ein Häuschen gebaut, worauf er aber der hiesigen Armenkasse 8 Taler und sonst schuldig ist. David Nitschmann, Zimmermann... aufs Haus habe ihm 20 Taler gegeben, vielleicht ist er auch sonst noch schuldig. Christian David, Zimmermann, verkauft sein Haus, worauf er sehr viel schuldig ist, und baut ein anderes kleineres, mehr arm als wohlhabend, scheint mit seiner Frau der Wirtschaft zu vergessen. David Nitschmann, Schuster, hat ein Häuschen, das bis auf weniges bezahlt ist, kann sich notdürftig ernähren." Nur bei wenigen heißt es, sie hätten ein gutes Auskommen; bei den meisten steht: arm — mittelmäßig, auch notdürftig — kümmerlich. Bei einigen, deren Beruf nicht genannt ist, steht: „sehr arm und kränklich" 39 . Man brachte sich eben mühsam durch. Und dabei mußte manchem noch gemeinschaftlich unter die Arme gegriffen werden. Auch hier haben wir daran, daß der gemeinschaftliche Sinn in diesen Schwierigkeiten erhalten blieb, ja sogar erst zur eigentlichen Bewährung kam, ein starkes Zeugnis für den Geist, der sie alle beseelte. Allerdings war ein Gefahrenherd der Gemeinschaft schon dadurch eingedämmt, daß dem, der sich nicht einfügen wollte, der Wegzug nahegelegt wurde. Und so hat man manchem sein neugebautes Haus wieder abgekauft und dabei lieber etwas zugesetzt, als daß man in der engen Gemeinschaft eine bittere Wurzel gelitten hätte 40 . 3 7 J H D . , 3. N o v . 1750 zitiert n. Uttendörfer, Lebensideal, S. 32; vgl. überhaupt Kap. 2) Die Berufsethik und 3) Die Wirtschaftsethik, S. 16 ff. u. 22 ff. 38 R 6 Aa 16, zitiert n. U n d . A - H „ S. 10. se Uttd. A - H . , S. 11. 4 0 Vgl. Uttd. A - H . , S. 104, überhaupt den ganzen Abschnitt über die Zuchtübung S. 98 ff. — Über den Fall Kühnel: Bechler, Herrnhut, S. 58 f.
60
In der eben erwähnten Spezifikation von 1729 war wiederholt von Schulden die Rede. Die Behandlung der Schulden gehört darum als ein besonderer Zug des gemeinsamen Lebens noch hierher. Die Statuten wiesen ja auch auf die Schuldenfrage immer wieder hin41. Uttendörfer bietet dazu einige sehr instruktive Beispiele42. Der Fall Göbel aus dem Jahre 1737/38 ist vor allem interessant, weil die Gemeine immer wieder für ihn eintrat. „Am 2. August 1737 wird ferner Göbel gerufen, weil er überall borgt. Er weist nach, daß es gehen wird, und die Gemeine sagt für ihn über 25 Taler gut. Am 10. August 1737 will er wieder 10 Taler borgen, und weil das Richterkollegium namens der Gemeine für ihn gut gesagt hat, wird von ihm Rechnung gefordert und es scheint gut auszugehen. Am 14. Oktober 1737 muß aber festgestellt werden, daß er noch mehr Schulden hat, für die die Gemeine teils gut gesagt hat, und jetzt zeigt sich, daß es schlecht steht. Daher läßt das Kollegium sein Garn und seine Sachen herkommen, behält sie da und erklärt ihm, seine Schulden sollten davon bezahlt werden. Am 12. November 1737 kommt ein Bleicher aus Böhmen und meldet, daß ihm Göbel noch 4 Taler schuldig sei; das Richterkollegium bittet ihn aber, mit 3 Talern zufrieden zu sein, weil Göbel, da die Leinwand sehr abgeschlagen sei, viel einbüßen müsse, und er willigt ein. Am 16. November wird eine Schuld Göbels in Höhe von 10 Talern von seinen verkauften Sachen bezahlt. Am 17. Dezember kommt zutage, daß Göbel nach Eibau betrügerische Ware geliefert hat, und man nötigt ihn zu Schadenersatz. Am 4. Februar 1738 kommt weiter heraus, daß Göbel einem auswärtigen Garnhändler 50 Taler für Garn, wofür die Gemeine gut gesagt hat, immer noch nicht bezahlt hat. Die Gemeine erkennt die Schuld an und bezahlt 20 Taler sogleich. Göbel werden seine Betrügereien und Unwahrheiten vorgehalten. Er gibt zu, daß er nicht wert sei, daß man sich seiner annehme, bittet es aber noch diesmal zu tun. Am 7. Februar 1738 wird ihm jedoch eröffnet, daß er wegen seiner bisherigen Aufführung nicht länger in Herrnhut geduldet werden könne, sondern sich gleich von hier wegmachen solle." Uttendörfer bemerkt dazu: „Es scheint sich indes nur um eine vorübergehende Verweisung, vermutlich nach Berthelsdorf, gehandelt zu haben, d e n n . . . er taucht später, und zwar nicht gebessert wieder auf. Allerdings ist die Schreibung des Namens ungleichmäßig, es scheint sich aber stets um dieselbe Person zu handeln." 43 An diesem Beispiel, das allerdings aus etwas späterer Zeit stammt, kann uns deutlich werden, wie die Gemeine Schulden behandelte. Wenn sie dafür gut gesagt hatte, was sie um des wirtschaftlichen Vorwärts« Vgl. Herrschaftliche Gebote und Verbote Nr. 15, 23, 24, 34. « Vgl. Uttd. A-H., S. 73 ff. « Uttd. A-H., S. 73 f. nach Aufzeichnungen des Richterkollegs, 19.11.1737.
61
kommens der einzelnen willen bisweilen tun mußte, dann stand sie auch dafür und deckte den Betreffenden, solange sie konnte. An der Geduld, die die leitenden Männer mit Göbel hatten, läßt sich ablesen, daß dessen Verschuldung vor allem durch den wirtschaftlichen Rückgang bedingt war. Ein Weber verdiente damals nicht viel. In dem Augenblick aber, in dem Betrug vorkam, wurde die Sache anders, und man legte ihm dann auch bald den Wegzug nahe. In früheren Jahren war man dabei allerdings schärfer als zur Zeit dieses Beispiels. Den finanziellen Rückhalt für die Gewährung von Darlehen bot die große Gemeinkasse, die von der kleinen Armenkasse 1733 deutlich unterschieden wurde 44 : „Die General-Casse führen 2 Helfer, deren einer den Schlüssel, der andere die Cassam hat, und der Gemeine ordentlich Rechnung ablegen." 45 Ja, schon 1731 hieß es am 2. Januar: „Die kleine Armenkasse, welche am Neujahrstag vorm Jahr (also 1730) ihren Anfang genommen hat, hat bisher 150 Taler ausgegeben, die unter die Hausarmen verteilt worden, die große aber gegen 2000 Taler." 4 6 Woher kam das Geld? Uttendörfer schreibt: „Die Einnahmen dieser großen Kasse bestehen schon 1731 offenbar hauptsächlich aus Geschenken auswärtiger Freunde, ζ. B. aus der Schweiz und aus England." 4 7 Später kam es auch vor, daß mehrere Brüder Geld an die Kasse liehen, damit es dieser wiederum möglich war, an bedürftige Brüder zu entleihen 48 . Nur in Ausnahmefällen wurden dabei mehr als 25 Taler entliehen. Im Debitorenbuch, das 1736 begann, findet man auch alte Schulden von 1728 her verzeichnet. „Bei diesen alten Schulden ist angegeben, durch weldien wöchentlichen Betrag sie allmählich, übrigens ohne Anrechnung von Zinsen, getilgt werden sollen, ζ. B. soll Melchior Zeisberger von einer Schuld von 1732 in Höhe von 7 Talern 4 Groschen wöchentlich 3 Kreuzer zahlen."4® Es waren also sehr geringe Tilgungsbeträge festgesetzt worden. Doch wurde von dieser Vergünstigung selten Gebrauch gemacht; meist wurden die Schulden in größeren Beträgen abgezahlt, wenn audi oft erst nach einigen Jahren. Die Schulden entstanden, wie wir bei Göbel sahen, durch Einrichtung und Unterhaltung des Handwerks, in der ersten Zeit besonders auch durch Hausbau und Hauskauf. Bei ausgesprochener Verarmung trat die geordnete Armenpflege ein 50 . Wir haben ein wenig bei der Schuldenfrage verweilen müssen, weil da-
** Uttd. A - H . , S. 107. Zur Armenkasse vgl. Kap. 4 В 1, S. 2 6 9 ff. 4 5 Verfassung v. 1733, in: Beschr. v. Herrnhut, S. 122. « H . Diar., 2 . 1 . 1 7 3 1 , zitiert n. Uttd. A - H . , S. 107. « Uttd. A - H . , S. 108 nach R 6 Aa 25, 8 2 ; 1. 4. und 29. 4. 1731. 4 8 Uttd. A - H . , S. 108. Die Notiz stammt allerdings erst aus dem Jahr 1743. « Uttd. A - H . , S. 113 f. so Vgl. Kap. 4 В 1, S. 267 ff., dort audi über die kleine Armenkasse, S. 269 ff.
62
durch manche Seiten der finanziellen Verhältnisse im alten Herrnhut eine besondere Beleuchtung bekommen. Doch wird es in der Regel als anormal empfunden worden sein, Schulden zu machen und zu haben. Lieber brachte man sich arm und bescheiden durch. Auf den Synoden nadi Zinzendorfs Tod klang bisweilen die Erinnerung an die Zeit der „seligen Armut" an. Man sehnte sich den alten Geist der Einfalt, Einfachheit und Bescheidenheit herbei, um mit den gegenwärtigen finanziellen Schwierigkeiten fertig zu werden. 1769 hieß es im Protokoll: „Ach möchten wir zu dem Sinn der ersten Gemeine zurückkommen, die in Wahrheit singen konnte: Armut, Schmach und Freude dran, da man sich im rechten Streitersinn vieler audi sonst erlaubter und unschuldiger Dinge enthielt... Wenn wir in der ersten armen Gestalt fortgegangen wären, so hätten wir mehr für ihn tun können als jetzt, wo wir statt in Hütten in Palästen wohnen. Der selige Linner war als Ältester Bäckergeselle, die Ältestin war Wollspinnerin, und beiden hat es an Legitimation nicht gefehlt." Man konnte „früher nidit ein paar Tage in Herrnhut sein, ohne den Heiland zu bitten, daß er einem auch den Hang zur seligen Armut verleihen wolle"51. Und Clemens berichtete 1772 über Herrnhut im Jahr 1731, als er es zum zweiten Mal besuchte: „ . . . alles war einfältig und liebhabend, und man konnte es fühlen, daß es kein gekünsteltes Wesen war, so daß wir uns über die einfältige Liebe der Herzen geschämt haben. Denn was kostet es den Gelehrten vor Mühe, ehe sie die wahre Einfalt und brennende Liebe finden... Alles war klein, alles niedrig gesinnt, das zeigte sich auch bei den Häusern. Es waren alles schlecht und klein gebaute Hütten. Niemand schämte sich damals der Arbeit, jedermann legte Hand an beim Bauen und half, Sand, Steine, Kalk und dergleichen Materialien mit Schubkarren herbei führen, kurz jedermann tat alles mit Lust und Freuden. Kein Schloß war weder an den Haus- noch Stuben- und Kammertüren zu finden. Man behalf sich mit hölzernen Klinken. Vor Diebereien hatten sie nichts zu besorgen, denn teils waren sie arm teils wurden sie durch die Munterkeit und Wachsamkeit der ledigen Brüder, die in ihren Nachtwachen mit warmen und lebendigen Herzen die ganze Nacht durch sangen und durch die Wache der heiligen Engel beschützt. Die Miete eines ganzen Hauses betrug jährlich nur zwei Taler." 52 Was hier im Rückblick in einer Festansprache ein wenig idealisiert klingt, hatte aber, wie wir sahen, seine Realität. „Die Armut war uns allen recht; wir glaubten, es müßte so sein!", sagte Syndikus Nitschmann 175353. 51 Synodalprotokoll 1769, S. 340, vom 2. 8.1769, zitiert nach Uttd. A-H., S. 180 f. 52 PA. II R 8 G lr, zitiert n. Uttd. A-H., S. 181. 53 = der Leineweber David Nitsdhmann; R 2 A 33 В 2 v. 20.9.53, zit. n. Uttd. A-H., S. 180.
63
В . D A S GOTTESDIENSTLICHE L E B E N IN DEN VERSAMMLUNGEN DER G E M E I N E
Es fällt auf, daß Christian David in seinen verschiedenen Beschreibungen Herrnhuts nie mit der Schilderung der Versammlungen der Gemeine begann, obgleich dies reiche Versammlungsleben gerade das gewesen sein dürfte, was dem unbefangenen Besucher Herrnhuts zuerst in die Augen fallen mußte. Nach dem Vorbericht über die Entstehung der Gemeine und ihre Statuten kam er sofort auf die Ämter und ihre Aufgaben zu sprechen, dann auf die Gliederung der Gemeine in die Banden, und nun erst schlossen sich in lockerer, in den einzelnen Handschriften wechselnder Folge die Beschreibungen der Versammlungen und anderen Einrichtungen Herrnhuts an 54 . D a ß er die Ämterverteilung sofort brachte, mag damit zusammenhängen, daß dies das ganz neue, echt Herrnhutische für ihn war, was anderen als nachahmenswert zunächst angeboten werden sollte. Trotz der von Christian David gewählten Anordnung wenden wir uns jetzt diesem Herzstück des gemeinschaftlichen Lebens in Herrnhut zu, den gottesdienstlichen und seelsorgerlichen Versammlungen. Denn von ihnen aus müssen ja die Anstöße zum geordneten Dienen in der Gemeine ausgegangen sein und durch sie ist der gegenseitige Dienst in der alltäglichen Arbeit, in der Seelsorge und in der im Amt oder außerhalb eines Amtes geschehenden brüderlichen Hilfe vor Gott geheiligt worden.
1. Der Sonntag in Herrnhut Einen sehr schönen und auch klaren Überblick über die Versammlungen des Sonntags erhalten wir durch die „Verfassung" von 1733: „25. Der Sonntag wird also gehalten. Frühe ist die gewöhnliche Erbauung aus Gottes Wort. Hernach geht man in die ordentliche Predigt. Darauf ist die kurtze General-Zusammenkunft aller, die um das Beste der Gemeine zu Rath gehen. Nach derselben eine Erbauung vor die Fremde aus den benachbarten Städten und Dörfern. Und dann erscheinen die sämtlichen Classen, worein die Gemeine eingetheilt ist, deren jeglicher eine kurtze Homilie gehalten wird. Endlich kommt die Herrnhutische Gemeine völlig zusammen, und wird in die künftige Woche so hertzlich und erwecklich als Gott darreicht, eingemahnet. Zuletzt nach allem versammeln sich die Aeltesten und Helfer, und verbinden sich dem Heiland aufs neue zum Dienst der künftigen Woche." 55 54 Vgl. die Reihenfolge in der Handschrift „Dennen glaubigen Brüdern" von 1731, die wir in Anm. 16, Kap. 1 angaben. Dort leitete C. D a v i d nach der Ämterschilderung zum Folgenden über: „ N u n Komen die allerley gemeinsdiaftlidien Privatversammlungen u. erBauungsStunden . . . " R 6 Aa 22, 1, S. 37. 55 Besdir. Druck, S. 133.
64
Wir haben damit das reiche Versammlungsleben eines Sonntags vor Augen, der beinahe völlig in den Zusammenkünften mit ihren verschiedenen Formen aufging. Als diese unterschiedlichen Formen begegnen uns: a) Der Berthelsdorfer lutherische Gottesdienst vormittags und die Catechisation nachmittags, b) die Classenversammlungen, zu dieser Zeit bereits auf den Nachmittag konzentriert, c) die Gemeinversammlung am Abend und d) einige Konferenzen im Laufe des Tages. a) Vom Besuch des lutherischen Gottesdienstes in Berthelsdorf berichtet uns das Herrnhuter Diarium regelmäßig. Er gehörte zum Ablauf des Sonntags hinzu. Die Predigtthemen Rothes werden meist angegeben, zum Teil auch einzelne Gedanken. „Früh predigte Herr Rothe mit Gottes Kräften", schrieb Zinzendorf in seinen „Memoires"56. Da wir von Pfarrer Rothe später noch zu sprechen haben, können wir uns hier mit einem kurzen Hinweis auf seine Gottesdienste begnügen. Wir haben von John Wesley eine genaue Schilderung des Berthelsdorfer Gottesdienstes vom Jahr 1738, in der er jede Einzelheit, die ihm als dem Fremden auffällig war, vermerkte. Danach dauerte der Gottesdienst von 9 Uhr bis fast 12 Uhr, die Predigt 1 V4 Stunde. Es wurde viel gesungen, lang gebetet und 3 Lektionen (2 Episteln, 1 Evangelium) gelesen57. Rothe predigte sehr klar
56 ZBG 1913, S. 201. Vgl. die Kennzeichnung dieser Schrift von J. Th. Müller, ZGB 1912, S. 212. Es handelt sich um den Entwurf Zinzendorfs zu einer Geschichte Herrnhuts aus dem Jahr 1742. 57 Vgl. John Wesleys Journal. Es lag vor: An Extract of The Rev. Mr. John Wesleys Journal/II (Nos. III u. IV), London 1825. Dort befindet sich die Schilderung des Berthelsdorfer Gottesdienstes S. 109: „Sun. 6. We went to church at Berthoisdorf, a Lutheran village, about an English mile from Herrnhuth. Two large candles stood lighted upon the altar: the Last Supper was pointed behind it; the pulpit was placed over it, and over that, a brass image of Christ on the cross. The Minister had on a sort of pudding sleeve gown, which covered him all round. At nine began a long voluntary on the organ, closed with a hymn, which was sung by all the people sitting (in which posture, as is the German custom, they sung all that followed). Then the Minister went up to the altar, bowed; sung these Latin words, Gloria in exelsis Deo; bowed again, and went away. This was followed by another hymn, sung as before, to the organ, by all the people. Then the Minister went to the altar again, bowed, sung a prayer, read the Epistle and went away. After a third hymn was sung, he went a third time to the altar, sung a versicle (to which all the people sung a response) read the third chapter to the Romans, and went away. The people having then sung the Creed in rhyme, he came and read the Gospel, all standing. Another hymn followed, which being ended, the Minister in the pulpit used a long extemporary prayer, and afterwards preached an hour and a quarter on a verse of the Gospel. Then he read a long intercession and general thanksgiving, which before twelve, concluded the service."
65
und packend 58 , so daß seine Predigt nachmittags von Zinzendorf, anfänglich in seinem Berthelsdorfer Schloß oder auch später in Herrnhut, gut wiederholt werden konnte. Diese Predigtwiederholungen wurden 1727, 1728 und 1729 erwähnt, werden aber von ihm auch in anderen Jahren gehalten worden sein5®. Sonst hielt sie Rothe selbst in Verbindung mit der üblichen Nachmittags-Catechisation. In den Memoires schrieb Zinzendorf darüber: „Zu mittage hielt er erst Catechismus examen und darnach, oder auch zuweilen an dessen statt, eine solche Versammlung, wie in der Schul Kirche zu Görlitz 80 alle Sonntage gehalten wurde, da man denn herüber und hinüber ganz einfältig redete, betete, niemand aber freylich in allen Stücken ehrwürdiger anzusehen und in der That fühlbarer vors Herze war, als Herr Rothe selbst. Diese liebliche Conversation beschloß eine innige Singstunde, in welcher Herr Rothe sein oberwähnter Helffer (Zinzendorf) und Tobias Friedrich das Herz aller Anwesenden durch die lieblichsten Gesänge in eine harmonie mit den oberen Chören zu bringen suchten." 61 Wie stand die Gemeine zum Gottesdienstbesuch? Zunächst wurde der Gottesdienst in Berthelsdorf sehr eifrig besucht62. Als aber das Versammlungsleben in Herrnhut zunahm und auch nach 1729 eine leichte Entfremdung zwischen Rothe und der Gemeine eintrat, scheint der Vormittagsgottesdienst nicht mehr die Anziehungskraft auf die Brüder und Schwestern gehabt zu haben wie in der Anfangszeit. Daraus ist es wohl zu erklären, daß Christian David 1731 zum Gottesdienstbesuch so schrieb: „ . . . den gehen in der gemeine die Jenige, die da wollen, in die Kirche", um fortzufahren: „gleich aber nachmitage sind hinter einander Eilf versamlungen, u. alle diese versamlungen hält der gn. H. grafF". Unter dem Bericht von diesen Versammlungen heißt es 5 8 Zinzendorf beschrieb Rothes Predigtweise in den Memoires von 1742: „Der Zusammenhang der Dinge, davon er redte, war ihm so gegenwärtig, daß er ohne daran zu denken, lauter Systemata predigte, welches die aus seinen Predigten während dem Reden gezogenen Sciographien zur gnüge zeigen. Er war vor einem extemporaneum zum Wunder exact und vor einen praecisen Lehrer, der mehr Collegia zu lesen als zu predigen schiene, doch gar nicht langweilig. Etwas dazu that die erstaunliche geschwindigkeit seiner Aussprache, das meiste aber war eine Gnaden-Gabe." Z B G 1913, S. 177 f. β» Vgl. H . Diar. u. C. D. Beschr. 1729 Livland, R 6 Aa 22, 2: „Darnach (nach den Classenversammlungen der Knaben und Mädchen von 3—4 Uhr) geht er (Zdf.) ins Dorff, die vormittagische Predigt auf dem Schloße mit den Bertholdsdorffischen Brüdern zu wiederholen, welches von 4 bis 5 währet." eo = Predigtwiederholung bei Scheffer in der Görlitzer Dreifaltigkeitskirche. Μ Memoires v. 1742, in: Z B G 1913, S. 202. 8 8 In den „Neuesten Nachrichten zur Historie der Böhmischen Brüder" vom Sept. 1727 heißt es: „74. Des Sonntags wird der Bertholsdörfische Gottesdienst fleißig besuchet. 75. Die Communion halten sie alle zugleich in der Kirchen zu Berthoisdorf, so offt sie darzu erweckt sind." Abgedruckt in Moser, Altes u. Neues aus dem Reich Gottes III, 27/28. Vgl. zur Datierung Z B G 1912, S. 71.
66
plötzlich: „InZwischen gehen auch welche in die Kirche, weil allemahl von dem H. Pastor Andreas rothe, Eine biblische Catisation (!) u. Wiederholung der Predigt, angestellet wird, in welcher alle brüder reden u. beten, mögen u. sollen." Und wieder merken wir am Folgenden, wo Christian Davids Herz eigentlich zu Hause war: „Zu Ende solcher versamlungen gehet die große u. allgemeine versamlung an, In welcher die gantze gemeine auf dem Saalle zu sammen Komet welche eben von dem lieben H. graff gehalten wird."88 In Lintrups Anmerkungen zum gedruckten Exemplar der „Beschreibung" (von 1734) wird vom Sonntagsgottesdienst in Berthelsdorf nur beiläufig gesprochen: „da unterdessen (und zwar während der ,Banden-Conferentzenc) die Brüder und Schwestern, welche dazu Gelegenheit haben, mit den hiesigen Einwohnern in die Kirche nach Berthoisdorf gehen"84. Aus diesen kleinen Beobachtungen heraus wird deutlich, daß die Predigt im Laufe der Zeit nicht die entscheidende prägende und gemeindebildende Kraft bewahrt hat, die sie in den ersten Jahren, in welchen Rothe in Berthelsdorf wirkte, sicher hatte. Die wirksamen Kräfte gingen mehr und mehr von den anderen Versammlungen aus: von der großen Gemeinversammlung am Sonntagabend und den kurzen Versammlungen der einzelnen Gruppen, die den ganzen Sonntag über gehalten wurden. b) Auf die Classenversammlungen paßt wohl am besten, was Christian David 1731 für den ganzen Sonntag schrieb: „Wir wolten gern gutte haußhalter sein, u. einem Jeden zu rechter Zeit u. die Jenige speiße die ihm gehörret, auch geben, da hero wir auch dießen tag, mit unter redung, mit unter suchung mit Ein theilung, u. also mit mancherley erbauungen unß wohl zu nutze machen."63 Ursprünglich nahm sich Zinzendorf sehr viel Zeit für die Gruppen der Gemeine. „An diesem Tage aber arbeitet sonderl. der gnädige H. Graff was unsere Gemeinde anbetrifft allein. Außer was die Predigt in der Kirchen anbelanget", schrieb C. David 1729ββ. Es handelte sich dabei um Versammlungen, in denen Zinzendorf den einzelnen Ständen der Gemeine ihre spezielle Seelsorge angedeihen lassen wollte. „Es kommen an diesem Tage alle diejenigen, die von gleichem Geschlecht, Stande und Alter sind, auf eine Stunde beym Herrn Grafen in Beyseyn etlicher Aeltesten in seinem Cabinet zusammen, diesen wird vom Herrn Grafen eine Rede, die sich auf ihren Zustand schicket, gehalten."97 ·» R 6 Aa 22, 1, S. 61, D. gl. Br. 1731. — Die Predigtwiederholung wurde vom 14. Oktober 1731 an wieder von Zinzendorf gehalten, s. H. Diar.: „N.M. ( = nachmittags) wurde die Wiederholung wieder angefangen, so 3 Jahre lang geruht hatte. Der H. Gr. redeten mit vielem Segen." ei Besdir. Druck, S. 87 Anm. r. «5 D. gl. Br. 1731, R 6 Aa 22,1, S. 60. M Besdir. 1729 Livland, R 6 Aa 22, 2: „Wie der Sonntag bey uns angewandt wird." " C. D. Besdir. Druck, S. 88 f. Die Bearbeitung der Handschrift von 1729 (Livland) für den Druck stammt vom Jahr 1730; vgl. Kap. 1, Anm. 16.
67
1729 sah die Verteilung so aus: 6—7 Uhr die jungen Burschen, 7—8 Uhr die Männer, 8—9 Uhr die Witwen, nachmittags 1—2 Uhr alle Weiber, 2—3 Uhr alle Jungfrauen, 3—4 Uhr „kommen erst eine halbe Stunde die Knaben, die andere halben Stunden die Mägdlein zusammen"68. Mit der Verfeinerung der Klasseneinteilung und der Zunahme der anderen Konferenzen am Sonntag reichte die Zeit nicht mehr aus, um den einzelnen Gruppen eine ganze Stunde zu widmen. Die Zeit wurde zuerst auf eine halbe Stunde gekürzt (1730) 69 . Bald blieb es dann wohl bei „Viertelstunden", später „Chorviertelstunden" genannt. 1731 schrieb C. David vom Sonntagnachmittag: „gleich aber nachmitage sind hinter ein ander Eilf versamlungen, u. alle diese versamlungen hält der gn. H. graff, die gleich alle pünktlich auf einander folgen, u. werden in deß gnäd. H. graff ens seinem vorZimer gehalten"70. Dann zählte er sie auf: 1. für die 2jähr. Kinder („und die drunter sein"), die von den Müttern auf dem Arm getragen werden (die sog. „Armkinder"), 2. für die 2—4jähr. Kinder, 3. für die 4—8jähr. Kinder, 4. für die 8—12jähr. Mädchen, 5. für die 8—12jähr. Knaben, 6. für die jungen Purschen, 7. für Männer, 8. für Weiber, 9. für Witwen (etl. 30), 10. für Jungfern und 11. die große Versammlung71. So etwa blieb es auch, in der Folgezeit. In solch einer Classen Versammlung wurde ein Lied gesungen, und dann sprach Zinzendorf der jeweiligen Art seiner Zuhörer gemäß kurz meist über ein Schriftwort, vermutlich extemporiert; denn die Diarien zeigen, daß er dabei für jede Gruppe ein besonderes Bibelwort, einen Liedvers oder ein für sie passendes Thema wählte. Hier haben wir zur Zeit, da Zinzendorf nicht mehr alle einzeln besuchen konnte, das eigentliche Mittel seiner persönlichen Seelsorge, ja Seelenführung vor uns, deren Einfluß auf das Leben der Brüder und Schwestern sehr groß gewesen sein muß. Ζ. B. sind die Viertelstunden der Verheirateten eine regelrechte Eheschulung und Eheberatung gewesen, und die „Armkinder" hatten nicht nur deshalb ihre besondere Viertelstunde, damit über ihnen gebetet werden konnte, sondern die Mütter bekamen bei dieser Gelegenheit wichtige Hinweise für die Erziehung ihrer Kinder mit auf den Weg. Im Falle der Abwesenheit Zinzendorfs übernahmen die Leitung dieser „Viertelstunden" die Ältesten. Die Chöre bekamen später ihre besonderen Ältesten, die dann vertretend einsprangen. Sie waren auch sonst immer bei den Versammlungen ihres Chores anwesend. c) Über die Gemeinversammlung am Abend berichtete Christian David in der Beschreibung von 1729: „Denn komt in Herrnhut die gantze Gees Besdir. 1729 Livland, R 6 Aa 22, 2. M C. D. Besdir. Drude, S. 9 2 : für die 1) Junggesellen, 2) Männer, 3) Witwen, 4) Sdiulmädgen, 5) Weiber, 6) Jungfern. ™ D. gl. Br. 1731, R 6 Aa 22, 1, S. 60. Ι D. gl. Br. 1731, R 6, Aa 22, 1, S. 60 f. vgl. dazu audi das in Abschnitt С 4, S. 104 ff. Gesagte.
68
meinde zusamen, da denn die Brüder aus Bertholdsdorf mit dazu komen, erst werden etwa 3 Lieder gesungen, da wird die Orgel dazu gespielet und die Waldhörner geblasen. Denn nimt der H . Graff einen Spruch aus der Bibel und hält eine Rede darüber endlich wird diese Versamlung mit einem Gebete geschloßen welches um 7 Uhr aus ist."72 Da die letzte Versammlung um 5 Uhr Schloß, haben wir für die Zusammenkunft der ganzen Gemeine 2 Stunden anzusetzen. So ist es auch, denn 1730 wurde als Zeit die von 6—8 Uhr angegeben73. Im Winter begann man wohl um 5 Uhr und im Sommer um 6 Uhr abends. Den Inhalt der Zinzendorfsehen Rede gab C. David 1731 mit der Wendung wieder: „ . . . ist sonst gewohnet, meystens von führungen der Seellen zu reden." 74 Der Ort der Versammlung war der Saal im Waisenhaus. Die Bibelworte für seine Rede pflegte Zinzendorf bisweilen zu losen oder ließ sie sich auch im Augenblick des Beginnes während des Gebetes einfallen 75 . Natürlich mußte er dann aus dem Stegreif sprechen. Darin muß er allerdings ein Meister gewesen sein. Die meisten seiner späteren nachgeschriebenen Reden waren wohl extemporiert. Die Gefahr der Augenblicksstimmung sah er audi selbst, ist er doch manchmal durch irgendeine Störung aus dem begonnenen Gedankengang geworfen worden. Aber er konnte wohl nicht anders, und darum blieb er dabei. Erwähnt sei in diesem Zusammenhang die Fremdenstunde am frühen Nachmittag, die vor allem für die Bewohner der umliegenden Ortschaften eingerichtet war und dazu diente, die Besucher mit dem vertraut zu machen, was in Herrnhut gelehrt und gelebt wurde. Die Art der Stunde kann mit der Art einer Evangelisation verglichen werden 76 . d) Einige Konferenzen allgemeiner Art fanden ihren Platz im Laufe des Sonntags. Da wir von den einzelnen Ämtern noch zu sprechen haben, seien sie hier nur kurz charakterisiert. Es sind 3 Versammlungen, die als eigentliche Konferenzen am Sonntag gehalten wurden: der Gemeinrat, die Stundenbeter-Konferenz und die Bandenhalter-Konferenz, also die eine größere Personenzahl umfassenden Konferenzen. 72 Besdir. 1729 Livland, R 6 Aa 22, 2: „Wie der Sonntag . . 73 Besdir. Druck, S. 92. и D. gl. Br. 1731, R 6 Aa 2 2 , 1 , S. 61. 75 Gelost am 25. 2. 1731, beim Gebet gewählt am 11. 2. 1731 (H. Diar.). 7β Lintrup beschrieb diese Fremdenstunde 1734 (Anm. r zur Beschr. Drude, S. 88): Als Zeitpunkt nannte er „Um 7 Uhr", doch muß dies ein Druckfehler sein, da vorher von den Vormittagsversammlungen die Rede war und sich die Nadimittagsversammlungen dann anschlossen. Wahrscheinlich also um 2 Uhr, wie auch sonst berichtet, „hält der gn. Herr Graf den Fremden, die uns des Sonntags besuchen, eine ErbauungsStunde, welcher auch die Brüder und Schwestern, so viel ihrer Gelegenheit und Raum dazu haben, mit beywohnen, worinne o f t viele Sachen mit großem Segen ausgewickelt und nachdrücklich vorgetragen werden, und GOtt viele nicht allein zur Liebe, sondern auch zur Erkäntniß der Wahrheit und zum Anfang eines Christlichen Lebens mitten unter der Schmadi und Leiden darüber hervor gelocket hat."
69
Der Gemeinrat11 gehörte zur Gemeindeleitung und bildete das eigentlich demokratische Moment darin. Etwa 70 Glieder der Gemeine wurden dafür ausgewählt. In seiner Versammlung wurde alles besprochen, was in der Gemeine vor sich ging. Die Protokolle, die uns seit 1730 erhalten sind, zeugen davon, wie gerecht und demokratisch es in Abstimmungen dabei zuging. Er kam 1734 „im Vorgemach bey dem Herrn Grafen" zusammen, „da das Wachen und Besuchen der Gemeine, und andere nothdürftige Sachen ausgemacht werden; und wer etwas zu fragen hat, oder Rath zu geben weiß, der thuts als vor dem HErrn" 7 8 . Von der Aufgabe der Stundenbeter werden wir unter den Ämtern noch hören79. Doch können wir die Beschreibung ihrer Konferenz schon hierher setzen: „Nachmittag von 1 bis 2 Uhr wird von den Stunden-Betern alle Sonntage eine Conferenz gehalten, die sich wegen des Reiches Christi im Hertzen und in allen Theilen der Welt befindlichen Glieder ihrer Noth und Anliegen halber mit einander besprechen, um für sie zu beten, da sie sich denn suchen bekant zu machen den Lauff des Evangelii, die Reiche und Provintzen, derselben Umstände, die Personen und Werckzeuge die Leiden seiner Kinder und Boten, welche das Evangelium verkündigen, und welche sich in unser Gebet anbefohlen haben, die sudien wir in dieser Conferenz einander bekant zu machen."80 Die Stundenbeter-Konferenz umfaßte mindestens 48,1728 aber bereits über 70 Personen. Im Laufe des Sonntags kamen ferner die Leiter der Banden zusammen, um sich über die seelsorgerlichen Fragen, die in ihrem Kreise aufgetaucht waren, auszutauschen. Da die Zahl der Banden im Laufe der Jahre sehr groß geworden war (1734 bis zu 100 — allerdings unterstanden einem Leiter oft mehrere Banden), war es praktischer, die Bandenhalter in Gruppen nach den einzelnen Classen (Chören) zu versammeln. Man sprach darum von „Banden-Conferentzen" 81 . Die große BandenhalterKonferenz für alle, von der Lintrup in seiner Anmerkung zu C. Davids „Beschreibung" 1734 berichtete, fand allerdings nur einmal im Monat am Sonntagvormittag statt: „da alle Brüder und Sdiwestern, die Banden halten, oder darinnen helfen, mit einander zusammen kommen, und von den Vortheilen und Hindernissen, die sie in ihrer Arbeit wahrnehmen, gemeinschaftlich mit einander reden, und sich unter einander reitzen, stärcken und anfassen, daß sie mit Muth und Kraft und in einerley Sinn und Meinung nach Christo Jesu das Werck des Herrn mit Nutzen und " Vgl. Kap. 3 В I, lc, S. 163 f. 78 Lintrups Anm. r. 1734, Beschr. Drude, S. 87. ™ Vgl. Kap. 3 В III, 2, S. 229 ff. во C. D. Beschr. Druck, S. 91 f. 81 Lintrup 1734 Anm. г., Beschr. Drude, S. 87. — Vgl. Sdimidt „Die Banden oder Gesellschaften im alten Herrnhut", ZGB 1909, S. 160, zur Einrichtung der Banden audi Abschn. С 1 dieses Kapitels (S. 93 ff.).
70
Segen treiben mögen, und in der Gemeine einerley Sprache führen etc. Von dieser Versammlung können wir wol mit Wahrheit singen: Unsere kleine Synagog, die dein Zug (o Geist des Herrn!) so ofte zog etc." 82 Keine Konferenz im eigentlichen Sinn und doch zu ihnen gehörig war die letzte Versammlung am Sonntagabend. „Endlich kommen noch von 9—10 Uhr die vertraulichsten Brüder und Schwestern beym Herrn Grafen zusammen, und wird dieser Tag mit Loben und Dancken beschlossen", berichtete C. David 1730 über diese Zusammenkunft 83 . 1731 bezeichnete er die Teilnehmer näher als „die Eltesten, lehrer u. hölfer von manner u. weiber" und fügte hinzu, daß sie „noch ein Liebesmahl halten" 84 . Nach unserm ersten Überblick aus der „Verfassung" von 1733 (S. 64) war der Sinn dieses Zusammenseins, daß man sich aufs neue dem Heiland zum Dienst der künftigen Woche verband. Es waren also die engsten Mitarbeiter Zinzendorfs, die er bei sich am Ende des angefüllten Sonntags versammelte, um das Geschehene und das vor ihnen Liegende zu besprechen, zu durchdenken und zu ordnen, vor allem, um sich „in dem Herrn zu stärken, auch aufs neue zum Streit vors Vaterland sich miteinander hertzlich zu verbinden" 85 . Zu solcher Verbindung untereinander hatten nach der Gemeinversammlung auch die ledigen Schwestern ihre besondere Betstunde und die jungen Burschen ihren Gang zum Hutberg, wo sie im Kreis beteten und dann singend nach Herrnhut zurückzukommen pflegten 86 . „ U n d so wird denn der gantze Tag bis in die späte Nacht hinein dem Herrn gefeyert." 87 Man spürt die Begeisterung für dieses rege Versammlungsleben, wenn man die verschiedenen Berichte liest. Und man merkt etwas von dem auf völlige Einmütigkeit ausgerichteten Gemeinsdiaftsleben in Herrnhut. Hier herrschte nur ein einziges Interesse: beieinander zu sein! So schuf es sich ganz verschiedene Formen der Andacht, der Besprechung, der Rede, der Anbetung. Später gab Zinzendorf dem in den Worten Ausdruck: „Eine lebendige Gemeine muß sich alle Tage zusammen denken und reden und beten und singen." 88 Durch die Versammlungen wuchs der Gemeingeist. Besdir. Drude, S. 34, Anm. g. 8» Beschr. Druck, S. 92. 84 D. gl. Br. 1731, R 6 Aa 22, 1, S. 61. 85 Lintrup 1734 Anm. г., Besdir. Drude, S. 89. 8β C. D. Besdir. Druck, S. 92. Der Sitte der jungen Männer, nach der Abendversammlung am Sonntag noch einen gemeinsamen Gang zu machen, begegnete in ausgestalteter Form John Wesley 1738. Vgl. Martin Schmidt, Wesley I, S. 251: „Schließlich sdiilderte er den Gebetsumzug der ledigen Männer, den sie sonntags nadi dem Abendgottesdienst veranstalteten. Sie zogen da mit Musikinstrumenten um die Stadt und sangen Lieder zum Lobe Gottes. Zum Schluß warfen sie sich auf einem kleinen Hügel im Kreise nieder und beteten." 87 Lintrup 1734 in Besdir. Drude, S. 89, Anm. r. 8 8 Kinderbüchlein, Vorrede 5.9. 1754 zitiert n. Uttendörfer, Gottesdienst, S. 7. 82
71
„Weil es in der ganzen Versammlung zugleich geschieht, so wird sie in einen gleichen Grad gesetzt, daß sie miteinander gehen, miteinander wachsen und miteinander in gleicher Gnade stehen können." 89
2. Das Abendmahl Eine besondere Bedeutung kam für die Förderung der Gemeinschaft natürlich den Abendmahlsfeiern zu. Neben dem regulären Kirchenabendmahl bildete sich die besondere Feier der Gemeine aus. In der Verfassung von 1733 heißt es: „Die Heil. Communion wird alle 14 Tage oder aufs längste alle 4 Wochen in öffentlicher Kirche zu Berthoisdorf (im Winter möchte es wol im Saal des Waysen-Hauses geschehen) von der dazu bereiteten Gemeine zugleich gehalten." 90 Auch in Herrnhut hielt sie selbstverständlich Pfarrer Rothe. Die innere Bedeutung der Abendmahlsfeiern schilderte Christian David so: „ . . . daß sich der H e r r . . . an den redlichen Seelen herrlich und freundlich bey diesem Mahle bewiesen und uns mit viel Freuden-Thränen und Hertzerquicken dasselbe halten lassen. Wie reichlich ist denn die Liebe GOttes in unsere Hertzen ausgegossen worden durch den Heiligen Geist! daß wir mit dieser seiner Liebe die Brüder und Feinde haben lieben können, und aufs neue die Gemeinschaft am Evangelio fortsetzen. Da ist mancher erwecket und lebendig gemachet w o r d e n . . . wenn sie die Kräfte, die Gnade, die Liebe und die Freude der Brüder gesehen, die der Herr nach seiner Barmhertzigkeit mitgetheilet." 91 Der Abendmahlsfeier ging eine Frühversammlung voraus, in der nach einer Rede Zinzendorfs „eine Untersuchung angestellt, ob auch alle mitgehen mögen"92, denn die „mit GOtt und den Brüdern nicht versöhnet seyn", wurden zu dieser Feier nicht zugelassen98. „Sonst sind wir diesen Tag über sehr stille, und treiben unsern ordentlichen Beruff, weil es an einem Wochen-Tag ist."94 Der gemeinsame Abendmahlstag war zunächst nach jener denkwürdigen Mittwochstunde am 13. August 1727 der Mittwoch, später der Sonnabend. Auch 1731 sprach C.David davon, daß „dieses Liebs u. gedächtnüßmahl, bishero, in unßerer gemeine Ein sehr gesegnetes mitel, zur gemeinschaft am Evangelio geweßen" sei. Und er fuhr etwas später in diesem Gedanken fort: „daß sie sich... ihrer vielle durch ein ander, mit seinem Leibe, zu einem Leibe ins Ewige u. geistliche Leben, Hinein Speißen laßen, u. mit seinem Blute zu einem geiste tränken, daß wir auch also, alß 89 Pennsylvanisdie Reden 1, S. 230, 7. 4. 1744, zitiert n. Uttendörfer, S. 171. »2 C. D. Besdir. Druck, S. »о Beschr. Druck, S. 131. «з c . D. Besdir. Drude, S. ei C. D . Besdir. Druck, S. 82 f. C. D. Beschr. Druck, S.
72
Ev. Gedanken, 83. 81. 84.
gläubige in warheit von unß, durch die vergemeinschafftung ein Leib, ein geist, ein Hertz, u. eine Seelle werden, so daß wir fleisch von seinem fleisch, u. Bein von seinem gebeine sein, auf daß gleich wie es ein Brodt ist, wir auch allso vielle, durch daß gemeinschafftliche Liebes Eßen, Ein Leib werden." 95 Ja, er sprach davon, daß es „Ein wahres gemeinschafftliches mahl" sei, „Bey welchem wir, die Sacramentliche hinreißende, u. Hertz u. Hertz zu Sammen ziehende, Liebes u. Einigkeits Krafft gar besonders spieren"96. Uber den Verlauf der Abendmahlsfeier erzählte C. David: „u. die wir in der genauen gemeinschafft stehn gehen alle auf ein mahl, sonst aber halten wir es zu bertolsdorf bey dem H. Pastor Andräs rothe in der Kirche, welcher uns zu vor eine erweckungs rede helt, darnach betet er über die gantze gemeine, den beten auch, an Stadt der sonst gewöhnlichen Beichte die Brüder, u. daß im Nahmen der gantzen gemeine, daß uns der Herr gnädig u. gegenwärtig sein, alls den thut der H. Pastor Andräs rothe, etliche fragen an die Brüder, Nach beschaffenh. ihrer aller, die entweder mit Ja oder nein beantwortet werden, den leget er einem Jeden die hand auf, u. betet über ihn, unter währender Comunion, werden meystens nur Kernferße gesungen. Nach der Dancksagung, gehen die Brüder Nach hernhuth, sammlen sich noch ein Mahl auf etliche worte, Schließen unter einem gesange welches von der brüderlichen Liebe handelt, mit einem Liebes Kuß97, u. gehen stille in unßeren ordentlichen beruf. Deß abendts darauf wird den ein Liebesmahl gehalten, da wir denoch ein ander deß herren todt verkündigen u. freuen unß mit ein ander, über daß gestifftete gedächtniß seiner Wunder, undt über die herliche erlößung die er unß geistlich u. leiblich hat wiederfahren Laßen. u. so auf die weiße unter scheyden wir deß Herren mahl u. daß Liebesmahl."98 Wichtig sind uns aus diesen Berichten Christian Davids besonders die Sätze, die den Abendmahlsfeiern die starke Wirkung auf das Gemeinschaftsleben zuschreiben. Wie wir schon in Kapitel 1 unserer Untersuchung sahen, hat dieses zutiefst sakramentale Denken sehr stark auf den inneren Zusammenhalt der Gemeine gewirkt. Wo man so ein Leib wird, erwächst auch der gegenseitige Dienst der Glieder. 3. Das Liebesmahl
und das
Fußwaschen
Dem in dem letzten Satz Christian Davids genannten „Liebesmahl", das noch heute seine Bedeutung im Liturgicum der Brüdergemeine behalten hat, müssen wir uns nun zuwenden, denn auch von ihm gingen 9 5 D. gl. Br. 1731, R 6 A a 22, 1, S. 42 f. Beachtenswert ist, daß diese Sätze an refor9 7 Brüder und Schwestern für sich. mierte Schweizer gerichtet waren. 9 « D. gl. Br. 1731, R 6 A a 22, 1, S. 43. »8 D. gl. Br. 1731, R 6 A a 22, 1, S. 44.
73
Kräfte der Liebe und der Gemeinschaft aus, die die Gemeine zum gegenseitigen Dienst befähigten". „Der Zweck von unsern Liebes-Mahlen ist, die Liebe bey Brüdern zu erwecken, und ein rechtes Vertrauen gegen einander zu kriegen, um immer noch gemeinschaftlicher zu werden. Weil nun die Ladung zu Mahlzeiten und das mit einander essen ein besonderes Mittel, zur vertraulichen Liebe zu kommen, ist, auch ein besonderer Segen darauf ruhet, wie es an denen Patriarchen, Propheten, Aposteln und an dem Herrn Jesu selbst zu sehen, wenn er mit seinen Jüngern gessen, so bedienen wir uns auch dieses Mittels .. ."10° Das Liebesmahl hatte seinen Sinn im gemeinschaftlichen Essen mit erbaulichen Gesprächen, Gesängen und gegenseitiger Stärkung durch Segenssprüche. In Herrnhut kam es nach 1727 bald zu einer zweifachen Gestaltung: die großen Liebesmahle der ganzen Gemeine fanden ihren Platz ζ. B. am Fast- und Bettag, an Festtagen, in der Verbindung mit den Abendmahlsfeiern oder bei Hochzeiten; daneben her wurden die kleinen Liebesmahle in den aufblühenden kleinen Gemeinschaften, den Banden und Classen und anderen Gruppen gefeiert. In der ersten Zeit wurde, vor allem im kleinen Kreise, zur Sättigung gegessen und getrunken (oft auch Wein). „Wenn die großen Liebes-Mahle sind, so haben wir etwan ein oder zwey Gerichte, dabey etwas gebackenes und einen Tranck, welcher aus der gemeinen Casse und denn audi von dem Herrn Grafen bezahlet wird."101 99 Spangenberg berichtete über den Beginn der Feiern im Jahr 1727 in Herrnhut (Zinzendorf, S. 446): „In diesem Jahre wurden die in der ersten christlichen Kirche gebräuchlich gewesenen Agapen oder Liebesmahle in der Gemeine zu Herrnhut erneuert. Nichts, als die durch die Liebe Christi entzündete Bruderliebe, war die Veranlassung dazu; die äußerliche, ungesuchte Gelegenheit aber war diese: Als die Gemeine am 13. August von dem in Berthelsdorf gehaltenen Mahle des Herrn zurückgekommen war; fanden sich, ohne daß man es angestellt hätte, sieben verschiedene kleine Gesellschaften zusammen. Damit nun diese ungestöret beysammenbleiben könten, schikte unser Graf einer jeden derselben etwas aus seiner Küche zur Mittagsmahlzeit; das genossen sie mit einander in Liebe." — Zinzendorf hat auch in Dresden schon das Liebesmahl gefeiert. Ob dies durch die Anregung von Arnolds „Wahrer Abbildung der Ersten Christen" geschah? Arnold sprach vom Liebesmahl ζ. B. unter der Überschrift „Vom Singen der ersten Christen" (S. 172), natürlich auch von der Verknüpfung mit der Abendmahlsfeier (S. 360), vor allem aber bei der Schilderung der Armenpflege (S. 478 f.). „Zur Versorgung der armen waren sonderlich die liebesmahle", schrieb er (S. 478). Stand dieser Gedanke auch bei Zinzendorf im Hintergrund, als er seinen Brüdern und Schwestern am 13. August 1727 etwas zur Mittagsmahlzeit schickte? — Über das Liebesmahl hat Wilhelm Bettermann unter „Alte Sitten und Bräuche in der Brüdergemeine" im Jahrbuch 1937/38 geschrieben. Sein Urteil, daß es sich dabei um keine Nachahmung des Urchristentums handelte, ist allerdings nicht richtig.
i»» C. D. Beschr. Drude, S. 57. ιοί C. D. Beschr. Druck, S. 57: „Bey den kleinen Liebes-Mahlen aber wird etwas reichlicher an Speisen vorgesetzet und genossen, nachdem es einer vermag, auch wird alsdenn gemeiniglich ein Wein zum Segens-Wunsche getruncken."
74
Hier hatte auch der Liebeskuß wieder seinen Platz. „Also suchen wir im Glauben zu essen und zu trinken, und die Gabe Gottes mit Gebet und Unterredung des Wortes Gottes zu heiligen und mit Dancksagung zu empfangen." 102 1731 erwähnte Christian David auch „mitleydende Liebesmahle", „zum andencken unßerer gefangenschafft u. zur erinerung der noch jetzt gefangenen" „Bey welchenn wir trocken brodt Eßen und waßer trincken"; die gesungenen Lieder entsprachen diesem Sinn103. Sonst war es wie 1729 das Mahl, bei dem gegenseitiges Vertrauen und Liebe gestärkt werden sollten. Der verschiedenen Möglichkeiten es zu feiern, waren so viele, wie Geselligkeit in der Gemeine gewünscht wurde. Uberhaupt waren die Liebesmahle die Gelegenheiten, sich zwar in gesammelter Innerlichkeit, aber dodi auch zwanglos der Gemeinschaft und der empfangenen Gnadengaben zu freuen. So wie es die „Verfassung" beschreibt: „Wann man merdtet, daß sich dieser oder jener Mangel in der Erweckung oder sonst äußert, so wird durch öffentliche und besondere Agapas mit sorgfältiger Separation des Geschlechts eine neue Ermunterung gegeben, dieselbe aber zugleich mit dem H . Abendmahl nicht verknüpft, sondern sind eine blosse Brüderliche Mahlzeit, nach deren Endigung man dem HErrn dancket, und auf die letzte sich ihm aufs neu zu brünstiger Liebe aus reinem Hertzen verbindet." 104 Das Ideal des urchristlichen Lebens hat bei der Einführung und Gestaltung dieser Agape-Feiern natürlich ganz stark mitgesprochen. Sie hatten im Ablauf des sonst so streng geordneten gemeinsamen Lebens ihre große Bedeutung als zwangloseres Zusammensein, ja als die Form der Geselligkeit überhaupt, die wiederum dazu dienen mußte, sich in Liebe zum gemeinsamen Leben im Dienst zu verbinden. Das Dienen an den andern ergab sich für den Einladenden von selbst. Bei den Feiern der ganzen Gemeine kam in den Brüdern und Schwestern, die die Speisen zubereiteten und auftrugen, der Ursinn christlicher Diakonia, nadi Apg. 6 zu Tisch zu dienen, deutlich zum Ausdruck. (Beilage Bild 7) Verwirklichung urchristlicher Ideale war aber noch eine zweite Sitte, das Tufiwaschen, über das wir nun reden müssen. Merkwürdig ist, daß Christian David das Fußwaschen gar nicht erwähnte, das von Johannes Plitt als bereits im Jahr 1729 vorhanden genannt wurde: „Privatsache war das Fußwaschen, das anfänglich als apo102 C. D. Beschr. Drude, S. 58. юз D. gl. Br. 1731, R 6 Aa 22, 1, S. 45. 104 Beschr. Druck, S. 133 f. Vgl. dazu noch eine Notiz, wahrscheinlich von 1736/37 (R 6 Aa 15, 5): „Liebesmahl ist eine Versammlung da man gemeinschaftlich miteinander ißet und trinket, zu dem Ende daß man Liebe und Hertzlidikeit unter sich imer mehr und mehr will Stabiliren, und das hieß man in Alten Zeiten das Brodbrechen."
75
stolische Sitte, ankommenden Brüdern oder Fremden geschah (ζ. B. dem Augustin Schulz von Tobias Friedrich) dann aber auch in der Gemeine vorkam, u. so zum lten mal von Zinzendorf im Jahr 29 erwähnt wird, u. seitdem mehrmals, auch daß Pf. Rothe Anstoß daran nahm, wie an andern Dingen." 1 0 5 Auch Jannasch ging in seinem Buch über die Gräfin auf das Fuß waschen ein und schrieb: „Als Zeichen der Bewährung rechter Einfalt aber erscheint ihm (Zinzendorf) gerade Erdmuth gegenüber, das um jene Zeit im Anschluß an Joh. 13 in Herrnhut aufgekommene Fußwaschen, das damals noch nicht als liturgischer Akt, sondern eben als Demutsbeweis im engsten Bruder- und Schwesternkreise geübt wurde." Zinzendorf habe in diesem Punkte einen stillen Kampf mit seiner Frau ausgefochten. Doch konnte sich Erdmuth trotz des Wunsches ihres Mannes zunächst nicht dazu entschließen. Im Herrnhuter Diarium hieß es am 2 8 . 1 . 1 7 3 1 : „Hierauf redete ich mit meiner Frau auf das inigste, da sie mir unter andern sagte, sie wäre neul. schon in willens gewesen, der Rosina Nitsdiman zu thun was Joh. 13 stehet; es habe sie nur noch eins zurückgehalten." 108 Das Fußwaschen muß in dieser Zeit eine große innere Bedeutung in Herrnhut gewonnen haben. Es wurde als ein Zeichen wahrhaftiger Demütigung untereinander und ganzer Bruderliebe aufgefaßt. „Fußwaschen ist eine Handlung, darin die Aeltesten, Vorsteher oder Vorgesetzte bezeugen, daß sie bey all ihren Aemtern doch nichts mehr sind als aller Diener, nach dem Waschen küssen sie den Brn. die Füße." 1 0 7 Man erwartete von der Handlung selbst Wirkungen. Zinzendorf schrieb z . B . am 2 3 . 6 . 1 7 3 1 an seine Frau: „Hat das Fußwaschen bei der lieben Schwester seinen sacramentalischen Effect ? Fühltestu etwas andächtiges, feuriges, süßes, einfältiges dabei, und gewöhnest Du Dich überhaupt zu dem Gefühl des Brandes im Hertzen, welches ich offt erfahre in meinem Leben und welches alles versüßet ?" Und im Herrnhuter Diarium hieß es am 24. 6 . 1 7 3 1 : „Unsere ganze Sonntagsversammlung ist ihr Lebtag noch nie so gewest als jetzunder, der Herr sei gelobt! Und gnädige Frau Gräfin sehen sich jetzt fleißig in Joh. 13 um und sind sonst sehr herzlich. Über-
1 0 5 Joh. Plitt, Denkwürdigkeiten § 149, Bd. 2, S. 210. Jedoch wurde das Fuß waschen im H . Diar. bereits am 22. März 1728 erwähnt: „Hernach wurde mit der Ane Lene über Joh. 13 vom Fußwaschen (gesprochen)." Der genannte Dienst des Tobias Friedridi geschah im Juni 1 7 2 8 : „Den 27. Abends kam Herr Augustin Schulze, welcher in Brieg gefangen gewesen; Tobias Friedrich nahm ihn sehr freundlich auf, und bewirthete ihn treulich, wartete ihm auch mit einem Fußbad auf, welches er zwar anfänglich nicht eingehen wollte, hernach aber, als ihm Tobias aus Johannis 13 vorlas, es beinah selbst gefordert hätte." (Cröger, Geschichte der erneuerten Brüderkirche I, S. 158).
W. Jannasch, Erdmuthe Dorothea Gräfin v. Zinzendorf, ZBG 1914, S. 119 f. H . Diar. am 2 8 . 1 . 1731. Leider sagte Zinzendorf nicht, was seine Frau zurückhielt, i » ' R 6 A a 15, 5, ohne Datum, wahrscheinlich 1736/37.
76
haupt ist alles in Bewegung. Es ist etwas Ungewöhnliches, wenn nicht alle Tage jemand oder etliche aufs Neue ergriffen werden." 108 Auch Spangenberg schrieb, daß Zinzendorf 1729 das Fuß waschen in die Gemeine im einfältigen Gehorsam gegen Joh. 13 eingeführt habe: „so nahm er diese Worte an, wie sie dastehen; und war der Meinung, das Fußwaschen könne in einer lebendigen Gemeine Jesu Christi mit Recht nicht unterlassen werden" 109 . Zinzendorf sagte später darüber: „Ich habe bekanntermaßen das Fußwasdien wieder aufgebracht: und es ist mir, bis diese Stunde noch, eine der angenehmsten und respectabelsten Handlungen. Die Fußwäsche ist eine wirkliche Entsündigung.. ." 1 1 0 Diese letztere Bedeutung hatte die Handlung in der Anfangszeit sicher noch nicht111. Uns ist die Fußwaschung insofern wichtig, als sie wieder ganz deutlich eine Verwirklichung des urchristlichen Ideals darstellte und zum demütigen Dienst aneinander erziehen sollte. Gottfried Arnold widmete dem Fußwaschen in der ersten Christenheit in seiner Darstellung zwei volle Seiten. E r wertete es „als ein exempel u. zeichen der demut" und als „christliches liebeswerk, . . . so denen reisenden eine wohltath war" 1 1 2 . E r brachte eine ganze Reihe Kirchenväterzitate, die zu der Handlung ermahnten und den „nutzen solches dienstes" herausstellten. In diesen beiden Richtungen „Zeichen der Demut" und „christliches Liebeswerk" müssen wir auch den Sinn des Fußwaschens im alten Herrnhut sehen. Von diesem einfachen Verständnis her sagte die „Verfassung" 1733: „Weil es verschiedenen Personen, sonderlich den Land-Arbeitern sehr nöthig ist, so machen sich die Aeltesten und Helfer eine Freude daraus, nach Christi und Pauli Regel denen Heiligen die Füsse zu waschen." 118 Danach wurde der Dienst des Fußwaschens besonders von den leitenden Brüdern und Schwestern geübt zum deutlichen Zeichen, daß sie mit ihrem Amt nicht herrschen sondern dienen wollten. 108 Zitiert nach Jannasch, E r d m u t h e . . . , 23. Juni 1731 und H . Diar. 24. 6. 1731.
ZBG 1914, S. 124; Brief: Friedensburg, « » Spangenberg, Zinzendorf, S. 548.
1 1 0 Die Rede vom 21. Februar 1752 ist bei Spangenberg, Zinzendorf, S. 549 f. zitiert. Dort heißt es weiter: „Die Subjecte müssen Kinder GOttes seyn, sich herzlich lieben, ein wahres Vertrauen zu einander haben, und nur die eben vorgekommenen Schwachheiten und Krankheit einander bekant haben. Darauf muß die Entsündigung im Namen JEsu Christi passen . . . Ich habe das Fußwasdien in meinem Hause nodi niemals ganz abkommen lassen: weil ich weiß, was drinnen liegt. Wer gewaschen ist; der darf nicht, dann die Füsse waschen. Darinn lieget zugleich eine Verheissung, die ihre K r a f t und Wirkung nie verlieren wird, bis daß E r komt." 1 1 1 Zinzendorf konnte später das Fußwaschen (neben Absolution und Ordination) geradezu „sacramentliche Handlung" nennen. Jedoch blieben ihm Taufe und Abendmahl darüber hinaus immer „die eigentlichen Sacramente des neuen Testaments". (Spangenberg, Zinzendorf, S. 530). 112 Vgl. Arnold, Erste Liebe, S. 502. Das Fußwasdien erwähnte Arnold unter der Überschrift „Von der ersten Christen Gastfreyheit", S. 5 0 1 — 5 0 4 . из Beschr. Drude, S. 134.
77
Wie o f t man die Handlung im alten Herrnhut ausführte, ist leider nicht bekannt. Aber es läßt sich nach den angeführten Zeugnissen und anderen Tagebucheintragungen schließen, daß man es wahrscheinlich im kleineren Kreise regelmäßig übte. Es wurde dabei selbstverständlich darauf gehalten, daß nur die Brüder den Brüdern und die Schwestern den Schwestern die Füße wuschen114. So haben wir im Liebesmahl und im Fußwaschen zwei Formen des gemeinsamen Lebens im alten Herrnhut vor uns, die besonders stark den Gesichtspunkt gegenseitigen Dienstes in sich bargen und ihre Ausstrahlungskraft auf das Dienen der Glieder der Gemeine hatten.
4. Die täglichen
Erbauungsstunden
Wir haben bisher nur von der Sonntagsfeier und den besonderen, gemeinschaftsfördernden Handlungen gesprochen: Abendmahl, Liebesmahl und Fußwaschen. Doch erschöpfte sich darin das Versammlungsleben der Gemeine noch nicht. Jeder Tag war von Versammlungen umsdilossen und bekam von ihnen her seine Ausriditung. Es ging ja darum, sidi alle Tage 114 Im Herrnhuter Diarium 1731 erscheinen immer wieder Hinweise auf das Fußwaschen, verschiedentlich als eine kurze Notiz „Joh. 13" (so am 3. 2., 14.2., 21.4.), womit nur gemeint sein kann, daß Zinzendorf selbst den vorher Genannten die Füße wusch. Am 15.2. kam das Fuß waschen in Zinzendorfs Rede in der Singstunde neben Taufe, Abendmahl und Ehestand vor. Am 14. 4. heißt es: „Die 1. Sdiw. Ana Nitschm. hatte eine höchst gesegnete Stunde mit allen Mädchen, denen sie in tiefster Demut die Füße wusch, ihr bisheriges herrschendes Wesen flehend, abbat u. von ihnen mit vielen Thränen Vergebung erhielt." Diese Eintragung ist besonders interessant. Die Älteste wusch denen die Füße, von denen sie Vergebung erbat. Auf das Fußwaschen bezieht sich wahrscheinlich audi die Nachricht vom 10. 6.: Martin Dober hielte mit neuen Exulanten (55 Gästen) ein Liebesmahl. „Da gabs den noch mehr Gelegenheit, des H . Jesu sein (?) gegeben Beispiel nachzuahmen." Aus diesen Tagebuchmitteilungen ist ersichtlich, daß sich die Sitte 1731 erst durchzusetzen begann, aber schon verschiedentlich im kleineren geschlossenen Kreise geübt worden war. 1734 wurde das Fußwaschen im H . Diar. schon ganz selbstverständlich erwähnt. D a f ü r noch einige Beispiele: 6. 6. „Piper (?) Hanßen, Lintrup kamen von Kopenhagen her um des HErrn großen Namen willen u. der Hhutischen Gemeine willen u. waren vom Br. Conrad Lange begleitet, die mit Liebeskuß u. Fußwasdien vom Zimerman Nitschman u. Secretario ( = Tob. Friedrich) angenomen wurden." — 2. 7. „Den schwangeren Weibern wurde ein LM ( = Liebesmahl) zugerichtet u. mit ihnen geredet, dabei die Ana Rosina (Knesdikin) ihnen die Füße wusdi." — 31. 8. „Johann Nitschman, der aus Strafe von Stralsund wieder zurück mußte, reiste nun aufs Los nach Stockholm, seinen Brr n Grasman u. Daniel Schneider nadi, die nach Lappland gehen. Nachts vorher hatte er mit seinen led. Brrn ein gesegnetes LM und Fußwaschen im neuen Richterschen Hause zur ewigen Verbindung." (Diarium von Lintrups Hand). — 17. 10. „In der Viertelstunde war mir sehr wehe, sonsten war mir ganz wohl, in einem Sehnen u. Hungern. Wir waren einfältigen Sinnes u. wuschen einander die Füße." (Jakob Tills Tagebuch, dies geschah also bei den großen Knaben).
78
zusammen zu denken, zu reden, zu beten und zu singen. (Vgl. Anm. 88) In einer pietistischen Hausgemeinschaft waren diese täglichen Morgenund Abendandachten selbstverständlich. In Berthelsdorf-Herrnhut gehen sie bis in die Anfangsjahre 1722/23 zurück, in denen Heitz, der damalige Gutsverwalter Zinzendorfs, wohl im Berthelsdorfer Schloß dem Gesinde und den dazu kommenden Exulanten eine tägliche Erbauungsstunde nach Feierabend hielt. „Da saß man denn, besonders als die Tage kürzer wurden, an den ,langen Abenden' beieinander und erbaute sich ,im Gebet und Betrachtung des Wortes Gottes'. ,Es ward immer Schrift mit Schrift verglichen und erkläret; die so lesen konnten, hatten jedes eine Bibel und schlugen die Schriftstellen auf, jedes mochte seine Meinung sagen oder, wo es anstünde, fragen.' " 11δ Diese gegenseitige Erbauung aus der Bibel waren die mährischen Exulanten von Hause her gewohnt, fanden sie hier zu ihrer Freude wieder und haben sie immer wieder gesucht. So kam es auch zu den in Kapitel 1 (S. 35 f.) schon erwähnten gemeinsamen Bibelbesprechstunden über den 1. Johannesbrief während Zinzendorfs Abwesenheit Ende Juli 1727: „Man wußte nicht eigentl. wer sich um der Reden annehmen sollte, u. wenn zuweilen ein u. der andere fehlete, war in den Versammlungen alles still. Darüber beredeten sich endl. Melchior Nitschmann, Christian David, Herr Mayer, Dober u. der Schuster Nitschmann, es in einige Ordnung zu bringen. Christian that den Vorschlag, die Ep. Johannis durchzunehmen, um in dem Gleis der Liebe zu bleiben. Das ward in der Versammlung angesagt und machte gleich großen Eindruck u. Auferweckung. Zum 1. Cap. kam gleich Herr Macher v. Teschen nebst H . Liberda, da den Augustin Neisser mächtig über den 3. Liberda über den 9. u. 10. Vers redeten, sonderlich aber sprach unser Christian David selbigesmal viel u. aus den herzin Erklärungen gegeneinander gewannen die Br r immer mehr Zuversicht u. Liebe zueinander.. ."11β An diesem kleinen Bericht von Martin Dober zeigt sich die erwachende Mitarbeit der Laien und einfachen Handwerksleute im geistlichen Leben der Gemeine. So blieb es auch in Zukunft. Neben der prägenden Art Zinzendorfs war es ihre Mitarbeit, die das geistliche Leben der Gemeine formte. Wir müssen die „täglichen allgemeinen Erbauungs-Stunden" am Morgen, in denen die Bibel gelesen und ausgelegt wurde, und die „tägliche und allgemeine Abend-Singe-Stunde", in der vor allem gesungen wurde, unterscheiden. Christian David begründete beide ausdrücklich in Kol. 3,16: „Wir haben durch gottes gnade nach der Wenigkeit, der ver mahnung Paully, Laßet das wort Christy unter euch reichlich wohnen, in aller weißheit, Lehret u. vermahnet euch selbst, mit Psalmen, u. mit geistlichen Reichel, Anfänge, S. 199; dort die Zitate, lie Vgl. d; e Fortsetzung des Zitates S. 36 — Martin Dobers Beridit findet sich im Juli 1727 im H. Diar. (Hark), S. 14/15.
79
lieblichen Liedern u. audi mit dem Singen in unßerrem Hertzen, Suchen nach zu kommen, u. zwar täglich, früh mit Lehren u. ermahnen, des abendts mit singen u. bethen, weil der Leib u. die Kraffte der Seellen ermüdet sein, um dadurch zu ermuntern Suchen.. . " m a) Die „Frühstunden" wurden „des Sommers um 8, des Winters aber um 6 Uhr gehalten"118. 1733 scheinen sie noch früher angesetzt worden zu sein: „des Morgens früh um 5 Uhr wird ein Morgen-Gebet und zugleich eine kurtze Betrachtung über die Heil. Schrift... gehalten" 119 . Die Sommerzeit um 8 Uhr wurde 1731 von C. David erklärt: „wen die Brüder sonst ihre Eßstunde haben, u. sich eine halbe Stunde auch zum anhörren seines worts ausKauffen können" 120 . 1729/30 ging es dabei so zu: „Wenn denn geläutet wird, kommen die Brüder zusammen, singen ein Lied, ist jemand zum Gebet erwecket, der betet, alsdenn wird dasjenige, was in der Ordnung vorkommt, vorgelesen, und redet einer um den andern, was denn der Herr giebet; sonst wird das Neue Testament in der Ordnung durch gegangen und sehen auf den zusammen hangenden Sinn des Heiligen Geistes, und sonderlich auf den Haupt-Zweck, worauf alles ankommt; was sich so denn auf unsern Zustand schicket, dabey bleiben wir stehen und madiens uns zu nutz." 121 Die Stunden waren für die vielen Seelen, „die theils Unterricht und Handleitung, theils Erweckung und Ermahnung, theils Warnung und bestrafung nötig haben" 122 gedacht und sie haben diesen Zweck auch erfüllt. Wahrscheinlich taten sie dies gerade dadurch, daß hier die Brüder selber zu Wort kamen, „solche Personen, die gemeine Handwercks-Leute sind, aber von der Gemeine darzu berufen, die sich aber audi williglich dem Herrn und seiner Gemeine am Evangelio zu dienen gewidmet haben, und keinen Sold nehmen, sondern nehren sich selber ihrer Hand-Arbeit, und dabey verkündigen sie denn nun die Tugend des Herrn Jesu alle Tage in denen Versammlungen" 128 . 1729 waren 6 Brüder besonders dazu berufen, 1730 noch 4, dagegen war es 1734 nur einer, dessen Lehrgabe sich auf die Dauer bewährt hatte und der darum „die H . Schrift in den Früh-Betstunden ordentlich, deutlich und nach den ietzigen Umständen ausleget" — der Töpfer Martin Dober124. Er hatte sich im Laufe der Jahre so in i " D. gl. Br. 1731, R 6 Aa 22, 1, S. 66. »8 C. D. Besdir. Druck (1729/30), S. 65. "β „Verfassung" 1733 in Besdir. Druck, S. 132. 120 D. gl. Br. 1731, R 6 Aa 22,1, S. 67. "I C. D. Besdir. Druck, S, 65. 122 C. D. Besdir. Drude, S. 59. 123 C. D. Besdir. Druck, S. 59. 124 Lintrup, Anm. к in Besdir. Druck, S. 59. Vgl. über die Lehrer Kap. 3 В I, 2a, S. 176 f.
80
die biblischen Sprachen Hebräisch und Griechisch eingelesen, daß er dabei aus dem Urtext übersetzte und auslegte. Zinzendorf hatte in seinem Hause außerdem eine besondere Erbauungsstunde am Vormittag. Da besprach er, wie Christian David berichtete, einzelne Lieder, indem er das Leben der Dichter und den Inhalt der Lieder erbaulich auslegte125. Den Brüdern gab Zinzendorf 1731 eine Instruktion, wie sie ihre Frühbetstunde halten sollten. Da sie uns den Charakter der Versammlung zu jener Zeit zeigt, sei sie hier wiedergegeben: „Zweck der täglichen Früh-Versammlung. 1.Die Brüder und Schwestern sollen ihre Anliegen, was ohne Anstoß öffentlich geredet werden kan, Ihre Zweifel, ihre Sorge, ihre Gedanken in geistlichen Dingen andern Brüdern sagen, die in der Versamlung fragen darüber aufwerffen, da sollen die Brüder entweder aus Erfahrung oder mit unwidersprechlichen Schriftworten antworten und einem jedem erlaubt seyn, zu wiedersprechen aber in Liebe, ohne Affect. 2. Ist jemand mitten im Discurs erweckt zu reden oder zu singen, oder zu beten, so mag ers thun, aber zu der Zeit, wenn einen Augenblick inne gehalten wird, und nicht, wenn die Rede in der größten Bewegung ist, weil man sonst seiner Rede vergißt und auf den andern nicht höret. 3.Es soll nicht nöthig seyn vorher zu beten oder zu singen, es wäre denn, daß die Brüder langsam zusammen kämen, sondern man soll sich halten, als wäre man so vor dem Angesicht Gottes in einem Discurs begriffen, beym Beschluß mag laut gebetet werden. 4. Wenn einer einen Spruch anführet, der in dem Zusammenhang oder im GrundText (der immer dabey liegen soll) anders heißet, so soll er gleich davon aufhören, so bald man ihm das gesaget hat, sonst wird ein ungegründet Gewäsche draus. 5. Subtile Fragen oder die denen Leuten zum Anstoß gereichen könten, wollen wir auf Zettelgen schreiben, und auf den Tisch legen, die soll ein Aeltester oder Helfer mit Weisheit vorbringen, daß der Fragende Antwort bekommt, und die Zuhörer doch nicht allemal wissen, was gefragt ist. 6. Die Schwestern sollen die Liebe haben, wenn ihnen etwas wichtiges einfällt bey einer Materie es entweder gleich oder doch nach der Versammlung einem Bruder zu sagen, damit es dießmal oder das künftige mahl auch mit beygebracht werden kan. 7. Die gantze Versamlung soll zwar in keiner kirchlichen Furcht und Scheu zu reden, aber audi in keiner Leichtsinnigkeit, sondern in einer 125 C. D. Besdir. Drude, S. 65. Es handelte sidi nadi der Anmerkung Lintrups hierbei um die Morgenandadit Zinzendorfs mit seinem Hause. Audi andere Brüder und Sdiwestern konnten hinzukommen. Hier las er, nach Eintragungen im Diarium, auch erbauliche Sdiriften mystischer Art, besonders Tauler. Vgl. Uttendörfer, Mystik, S. 105.
81
freudigen und begierigen Fassung vor dem Angesichte der ewigen Liebe zugegen seyn." 128 Solche Fragezettel (s. 5.) sind noch erhalten geblieben"7. Auch C. David wußte 1731 von ihnen zu berichten: „Dieße u. dergleidien auf Zettel geschriebene fragen, werden Ehe die versamlung angehet, auf den tisch geleget, wen also die brüder zusammenKomen, so finden sie solche auf dem tische ligen, wer also von dießer u. Jener sache erfahrung hat, der redet den über einen solchen Zettel, u. wird herumb gefragt, wer von dießer oder Jenner sache erfahrung hat; bieß dieße Sadie recht Klar u. einem Jeden begreiflich wird." Wurde man in der einen Stunde der Morgenversammlung mit einer Frage nicht fertig, so setzte man das Gespräch darüber am nächsten Tage fort 128 . Als Pfarrer Annoni im August 1736 Herrnhut besuchte, wurde vom Lehrer Dober die Tageslosung der Auslegung zugrunde gelegt. Von einem Gespräch darüber berichtete er nidits; Dober führte wohl allein das Wort 12 ». Da wir in der Darstellung der Ämter auch auf den Dienst der Lehrer zu sprechen kommen, mußten wir uns hier so ausführlich mit der Stunde beschäftigen, die ihr eigentliches Betätigungsfeld war. b) Den Tag bestimmte aber ebenso stark die Abendsingestunde, über die wir uns nun noch ein Bild machen müssen. Abends nach Feierabend um 8 Uhr „ehe wir schlafen gehen", versammelte sich die Gemeine zur Singstunde, „damit wir mit solchen guten Lobes- und Liebes-Gedancken einschlaffen. In dieser Singe-Stunde maR 6 Aa 18, 2a. „NB Dieses ist ein Excerptum aus des sei. J . ( = Jünger, = Zdf.) eigenhändig geführten Hhutisdien Diario am 2t. April 1731." — H. Diar.: „Mo. 2. April sollte ich (Zdf.) die Losung tragen: Frisch, frisch hinein, mein Geist u. Herz, auf Jesu Dornenwegen, allein idi war selbst so tief in die Dornenwege u. Mühseligkeiten geraten, daß idi weder der Betstunde von 8—9 beiwohnen koiite (den idi hatte die Gern« nodi nicht fertig gesehen in der Sadie) noch weit (?) ( = wollte?) die Losung tragen. Dodi erweckte midi Gott als die Stunde am Ende war, folgenden Zweck in Eile zu entwerfen u. auf den Saal zu schicken, der gleich beim Ende der Versamlung zu redite kam: Zweck der täglidien Versamlungen von 8—9: (folgt Text)". 127 R 6 Aa 18, 2e: 9 Zettel. In einem Schriftstück „Fragen zur Lehr-Stund" (dreimal vorhanden), R 6 Aa 18, 2b, sind 159 Fragen notiert; ζ. B. 4. Fr. Woran erkent mans, daß man die Gebothe Gottes h ä l t ? . . . 65. Fr. 1. b. ( = liebe brüder) Erkläret doch den Haupt Sinn von der großen Buße . . . 90. Fr. L. B. seyd nur so gut und redet davon wie es mit denen Seelen muß gehalten werden, bey welchen so offt einerley vergehen vorkomt was die Ursach dazu ist. 128 D. gl. Br. 1731, R 6 Aa 22, 1, S. 68. 128 Vgl. Pfr. Annonis Reisetagebuch, abgedruckt ZBG 1911, S. 58 ff. Der Bericht über die Morgenversammlung des 16. August 1736 steht S. 70 f.: „Donnerstags den 16. August wohneten wir erstlidi der täglichen Morgen Übung in dem hiesigen Waisenhause bey, woselbst sich die starcke Anzahl der Herrnhutisdien Einwohner versammelte, und wobey es folgendermaßen hergegangen:
82
dien wir auch uns die den Tag über empfangene Wohlthaten einander bekant, und was wir sonst anders woher gutes zu unserer Erweckung erfahren haben: als da werden alle die Briefe, die uns von andern Kindern GOttes zugeschicket worden, mit bey dieser Singe-Stunde verlesen und erkläret, audi wird allemal die Brüderliche Losung auf den folgenden Tag gegeben, und des Morgens herum getragen, denn knien wir nieder, und tragen sonderlich GOtte im Gebete vor die Noth und Anliegen derjenigen Kinder GOttes, die sich in unser Gebet haben anbefohlen; und also besdiliessen wir diesen Tag mit Bitte, Gebet, Fürbitte und Dancksagung/Natürlidi hat sich in der Gestaltung dieser liturgischen Abendversammlung im Laufe der Jahre mancherlei geändert. Ζ. B. wurden Mitteilungen und Briefe später hier nicht mehr verlesen, sondern im dringlichen Falle in den Stundenbeter- und Helferkonferenzen besprochen oder der Gemeine sonntags in der allgemeinen Versammlung mitgeteilt. Besonders wurden sie aber an den Bettagen gesammelt verlesen, wenn die Gewähr gegeben war, daß alle daran Anteil nehmen konnten131. Das Singen selbst trat immer stärker heraus. Die Singstunde „hält gewöhnlich der Graf und stimmt dabei nicht nur aus dem reichen Schatz der der Gemeine bekannten Verse einen nach dem andern an, indem er sie dem jeweiligen Bedürfnis entsprechend zusammenstellt, sondern er singt wohl auch ein Lied aus dem Herzen, das heißt, er sagt es, während er es im Umhergehen zwischen den Bänken dichtet, vor, und die Gemeine stimmt ein, begleitet von dem innigen Orgelspiel Tobias Friedrichs" 182 . Es placirte sich nämlich das männliche und weibliche Geschlecht jegliches auf eine besondere Seiten, in einem zu dergleichen Übung expresse gewiedmeten und mit einer kleinen Orgel versehenen Saal. In der Mitten zwischen die Männer- und Weiber-Stühle setzte sich ein junger Mensch, Tober, besonders an die Wand. Dieser ließ erstlich ein geistliches Lied aus dem hiesigen neu-gedruckten Gesangbuch, dessen Gesänge meistentheils von dem Herrn Grafen, der Frau Gräfin und denen Herrnhutischen Brüdern componiret sind, absingen. Nach dem Gesang wurde die sogenandte heutige Loosung abgelesen aus einem vor Anfang dieses laufenden Jahrs getrücketen Büchlein, welches man wohl einen geistlichen Calender nennen möchte; weilen nämlich auf jeglichen Tag des Jahrs ein Spruch aus H. Schrift samt etlichen Reimzeilen darinn aufgezeichnet stehen. Solche Losung ward hierauf auch erbaulich erkläret und zugeeignet. Endlich beschloß der unstudierte Proponent, ein Töpfer von Profession, und so ward mit einem kurzen Liedgen beschlossen." »о C. D. Beschr. Druck, S. 67 f. Vgl. Lintrups Anm. m. 1734 in Beschr. Druck, S. 67 f. » 2 Uttendörfer, in: Die Brüder, S. 34. Pfarrer Annoni wußte aber zu berichten, daß auch andere die Lieder mit anstimmten: „Endlich kahmen Abends um 8 Uhren abermals die erwachsene Leute in dem Waisensaal zusammen und hielten ihre Singe-stund, Das ist, sie sangen etliche von verschiedenen Personen angegebene Lieder und verrichteten ein stilles Gebät." (ZBG 1911, S. 74). John Wesley stieß sich 1738 bei seinem Besuch an diesem langen stillen Gebet: „Er konnte sich nicht enthalten, dieses stille, persönliche Gebet zu tadeln, das eine Vier-
83
Bisweilen hielt Zinzendorf hier auch einmal eine Rede, oder später berichtete ein zurückgekehrter Bote von den Erlebnissen seiner Reise. Doch war das Eigentliche dieser Abendstunde die Kette der nach einem bestimmten Gedanken aneinandergefügten Liedverse (oft auch nur bestimmter Verszeilen), die mit ihren abwechselnden Melodien geeignet waren, eine Gemeinschaft zusammenzuführen. Die Losung wird auch hier den Gedankengang bestimmt haben133. Am Ende der Stunde knieten alle Brüder und Schwestern nieder und hielten ein langes stilles Gebet132. Ein Gesangbuch konnte man hierbei freilich nicht gebrauchen. Im Vorbericht des Herrnhuter Gesangbuchs von 1735 heißt es darum: „Die meisten Glieder der Gemeine sind hierunter gewohnt, weil man um des nähern und einfältigem Nutzens willen in einem fort singt, ohne das Lied oder Blatt erst anzuzeigen, eine dergleich Lieder-Predigt sogleich und ohne Buch mit zu singen, weil ihnen Gott die Gnade thut, alles, was unter uns zum Gebrauch dienet, gar leicht ins Hertz und Gedächtnüß zu fassen." Wozu dann ein Gesangbuch? „So kan man von dieser Sammlung nichts anderes versprechen als einen nützlichen Privat-Gebrauch, worzu sie der liebe Heyland an guten und einfältigen Hertzen segnen wird." 134 Wir werden uns heutzutage kaum eine Vorstellung davon machen können, in welcher Weise diese auswendig in die Herzen gesungenen Lieder mit ihren leicht eingehenden Melodien im Gemeinleben gewirkt haben. Von den Singstunden aus sang man sich durch den Tag. Man begrüßte sich mit einem Liedvers135, man sang zur Arbeit, man betete und sang wenn die Zeit des Stundengebets an einen gekommen war, man zog abends in Gruppen noch singend zum Hutberg und schlief unterm Gesang einer wachenden Gruppe ein, nidit ohne beim Aufwachen nadits wiederum von irgendwoher den Liedvers des herumgehenden Nachtwächters zu telstunde dauerte. Die Abendsingstunde wurde mit dem Friedenskusse abgeschlossen." (M. Schmidt, Wesley I, S. 262; vgl. Journal, Extract II, S. 134/35.) 133 Lintrup Anm. m. 1734 in Beschr. Druck, S. 66 f.: „da die Losung Sing-weise theils mit gantzen Liedern, theils mit eintzelnen Versen aus unserm Gesang-Buche, auch mit wenig Reden darüber, aber mit desto grösserm Segen und Nachdruck, an die Hertzeil geleget wird." Die Losung wurde vom 3. 5. 1728 an in der Singstunde erklärt, s. S. 222. 134 Herrnhuter Gesangbuch 1735, Vorbericht vom 9. 12. 1734 (S. 5, eig. Zähl.) Die Einführung in die Lieder geschah auch in der Singstunde. C. D a v i d berichtete darüber: „Bey solchen unßeren singe Stunden, wird nicht allein deß Jenigen autoris Sinn, der dießes gedichtet, bekand gemachett, Sondern auch deßen sein leben, in so fern es Exemplarisch geweßen, u. in was vor Zeiten u. umständen, da er dießes lied gemachet, gestanden, damit in solchen herlichen sachen, niemandt unwißend sein darf, so nicht um dieße herliche Schätze wißen könte . . . wir Kommen also alle abend zusammen u. suchen unß durch solch Lieder singen, voll geistes zu m a d i e n . . . " (D. gl. Br. 1731, R 6 Aa 22, 1, S. 69). 135 Anfangs waren auch die Losungen oft Verszeilen eines Liedes, später gehörte zum Bibelwort stets ein Liedvers hinzu.
84
hören und mit diesem Gedanken wieder einzuschlafen. Wie man nach dem Wort der Schrift zu leben sich mühte, so lebte man im Lied. Wir haben deshalb in den Liedern, die seinerzeit gesungen wurden, eine der beachtenswertesten anregenden Kräfte zu sehen, die den einzelnen bewußt und unbewußt in die Einmütigkeit des Lebens und Dienens hineinzogen. Da wir aus jener lebendigen Frühzeit sonst wenig an Überlieferung dessen haben, was geredet und gelehrt wurde136, so bilden die Lieder gerade des Herrnhuter Gesangbuchs von 1735 und 1737 für uns eine wichtige Quelle. Man könnte nun natürlich anhand von Diariumsaufzeichnungen mühsam zusammenstellen, welche Verse besonders oft gebraucht wurden, doch dürfen wir bei der Singfreudigkeit der Gemeine annehmen, daß die Mehrzahl der 1075 Lieder auch in den Versammlungen gesungen wurde, auf alle Fälle die, die in der Gemeine selbst entstanden waren. Für uns ist dabei wichtig, daß die Aufforderung zur Hingabe im Dienst durch viele Lieder hindurchklang. Von den Wirkungen der Singstunden und des Gemeindelebens überhaupt auf Besucher bezeugt uns etwas der Bericht, den Spangenberg von seinem ersten Besuch in Herrnhut 1730 gegeben hat: „Die Brüder... waren Ein Herz und Eine Seele. Auf dem Saal u. in den Banden spürte man unaffectirte Einfalt, ja göttliche Weisheit. Ihre Singstunden waren Harmonien nicht nur der Stirnen, sondern auch des Herzens u. Geistes. In Ewigkeit werde ich nicht vergessen, wie mir dabey gewesen ist."137 Wie hoch Zinzendorf gerade die Singstunden im Gemeindeleben wertete, wird aus einer seiner späteren Äußerungen deutlich: „Die Singstunden gehen allen Versammlungen in der Gemeine vor und sind nach dem Abendmahl die wichtigsten und allen Lehrstunden weit vorzuziehen."138 So begann der Tag in der Gemeinschaft und er schloß im gemeinsamen Abendlob. Es ist anzunehmen, daß sich in dieser Zeit kaum einer durch sein Fernbleiben davon ausschloß. Wie uns C. Davids Hinweis auf Kol. 3,16 zeigte, wollte man auch darin der apostolischen Mahnung gemäß leben und die Fülle urchristlichen Lebens erfahren139. Es ist bemerkenswert, daß im alten Herrnhut neben aller Betonung des persönlichen Verhältnisses des einzelnen zum Heiland ein so großer Wert auf das gemeinsame Hören, Singen und Beten gelegt wurde, ja daß das Leben des einzel1 3 6 Im H . Diar. erscheinen ab 1731 Textangaben, manchmal audi eine kurze Inhaltsangabe der Reden. 1 3 7 Einl. zur Declaration 1750, zit. n. Joh. Plitt, Denkwürdigkeiten § 153, Bd. 2, S. 276. 1 3 8 1 750, zit. n. Uttendörfer, Gottesdienst, S. 44. is» Beachte, daß G. Arnold in der „Ersten Liebe" „die frühstunden zum göttlichen lobe, danck, gebet und heilsamen betrachtungen, welches sie auch nach gelegenheit und anführung ihrer lehrer gerne mit einander thaten" (S. 707), und den Dank und Lobgesang am Abend „so bald als das licht angezündet würde" (S. 716) ausdrücklich als Übungen der ersten Christen nannte.
85
nen im Glauben überhaupt nur denkbar war in den Lebensformen der Gemeinschaft. Spangenberg redete nidit ohne Grund von den „Harmonien des Herzens und Geistes". Harmonie, Einmütigkeit und Einstimmigkeit sind allerdings eine wesentliche Voraussetzung für ein einmütig geordnetes gemeinsames Dienen140.
5. Der Fast- und
Bet-Tag
Einer Einrichtung dieser Jahre müssen wir schließlich nodi gedenken, die ihre lebhaftesten Auswirkungen auf das Leben der Gemeine hatte, des „allgemeinen Fast- und Bet-Tages", der in den Diarien 1731 bis 1737 kurz als „Bet-Tag" bezeichnet wurde. Von Spangenberg wurde er „Dankund Fasttag" genannt141. Später hieß er „Gemein-Tag". Wir hörten schon, daß die Mitteilungen von Gemeinnachrichten und das Verlesen wichtiger Briefe aus den Singstunden auf diesen Tag verlegt wurden. Aber das war nicht das eigentliche Anliegen. Man könnte in ihm in den ersten Jahren eine gemeinsame Einkehr der Gemeine sehen, ein Danken für bisherige Gnade, ein Überprüfen des zurückgelegten Weges, ein Fassen neuer Beschlüsse und ein erneutes Verbinden zum gemeinsamen 140 „Daß gemeinsame Andacht notwendig ist, begründet Zinzendorf mehrfach. Er ist überzeugt, daß die Erfahrungen, die die Gemeine als Ganzes in ihren sakramentlichen Stunden in einem und demselben Moment erfährt, eindrüddidier sind als die im Einzelumgang mit dem Heiland. Denn es ist eine gewisse Würde in dem zusammengebrachten Leib der Gemeine, wo kein Glied daran fehlt, und so ist es kein Wunder, daß er seinen Jüngern befohlen hat, beisammen zu bleiben. Das besteht nun nicht nur im miteinander von geistlichen Dingen reden, sondern das sind besonders die liturgischen Handlungen, wo der Geist der Gemeine zusammenstimmt, seine Herzgedanken in das Herz des Heilands auszuschütten, und wo, wenn die Augen gleich sind, sein Volk doch den Frieden seiner Nähe fühlt." (Uttendörfer, Zinzendorfs Gedanken über den Gottesdienst, S. 7 nach JHD vom 16. 7. 1758). 141 Die erste Erwähnung eines solchen Tages finden wir im H. Diar. am Dienstag, den 10. 2. 1728: „Die. 10. Febr. fiel der allgemeine Fast u. Danktag ein, welcher unten in gn. H. Gr. Haus gehalten worden in der Tafelstube... (Themen: Bileam, Josua, David u. Goliath). Es wurden die Br r sonderl. aufgebracht, was rechts auf Gott zu wagen. Es wurde sonderl. von entfernten Ländern geredet, von der Türkei, vom Mohrenland, von Grönland, von Lappland etc. Sonderl. wurde erzählt, wie es dem Äußerlichen nach unmögl. schiene, daß man in das Grönland komen köne. Der Vorsteher aber glaubte, daß der H. unsern Brr·1 noch wol die Gnade u. die Kraft geben könte, daß sie diese Brüder besuchten, u. wurden wenigstens dazu aufgemuntert. Es war überhaupt den ganzen Tag des Geistes Wehen unter uns." Spangenberg (Zinzendorf, S. 476) bezeichnete den Tag als Dank- und Fasttag. Über den nächsten berichtete er: „An dem zweyten Dank- und Fasttage, dem 20. April, wurde eine kurze Nachricht von den waldensischen, böhmischen und mährischen Brüdern gelesen; audi einige Reisen nach Halle, Stockholm, England u. a. zur Ueberlegung gegeben und gemeinschaftlich beschlossen." Beachten wir die Wendung zur Mission von Anfang an.
86
Tun. Der Blick in die Weite der Welt war ihm dabei vom Beginn im Jahre 1728 an eigen141. Christian David schrieb über den Tag: „Denn einerley Gnade, einerley Wohlthat, einerley Hülfe und Rettung soll auch einerley Sinn, einerley Glauben, einerley Erkäntniß, einerley Lob und danck wircken, ein Geist und ein Leib, wie sie auch berufen ist auf einerley Geduld und Hoffnung, auf einerley Trost und Freude, zu einerley Herrlichkeit und Ehre, zu einerley Segen und Sieg, aber auch zu einerley Leiden und Schmach, soll auch gemeinschaftlich sich darum kümmern, gemeinschaftlich ihn darum bitten, sich dieses alles lassen gemeinschaftlich vorhalten und erinnern, damit sie wissen, alle Pflichten und Rechte des Hauses GOttes vom kleinsten bis zum grösten, um den HErrn darinnen treulich zu dienen: Und das ist auch der Zweck von unserm allgemeinen Fast- und Bet-Tag.. ."142 1729/30 wurden diese Tage noch nach Bedarf gehalten, an einem wichtigen Erinnerungstag, oder sonst, wenn in der Gemeine etwas von großer Wichtigkeit vorkam, „damit die Brüder es alle können erkennen, vermöge der Gemeinschaft am Evangelio, die wir haben, daß es nöthig sey, fasten, beten, sich vor dem HErrn demüthigen, ihn fragen und hören, was er uns thun heisset"143. Um den Brüdern und Schwestern Raum zur Vorbereitung zu geben, wurde der Tag vorher angekündigt. Wir sehen, wie es Zinzendorf verstand, die ganze Gemeinschaft an der Entwicklung im Großen zu beteiligen. Er brachte damit auch die geringsten Gaben zum Einsatz. Wie mancher faßte an soldi einem Bet-Tag heilige Entschlüsse. Die Begeisterung für den Botendienst, später den Missionsdienst, ist ohne diese Gemeintage, an denen man von den Gebetserhörungen und Siegen des Herrn hörte und sich zur Streiterschaft ermunterte, gar nicht zu denken. Man könnte meinen, dazu wäre ja auch in der Fülle der anderen Versammlungen Möglichkeit genug gewesen. Aber die Brüder setzten sich dazu wohl nicht ohne Überlegung einen ganzen Tag lang zusammen. Gemeinschaft braucht zum Wachsen Zeit; Beschlüsse wollen ausreifen. Und man nahm sich diese Zeit. Christian David schilderte einen solchen Fast- und Bet-Tag: „Früh kommen wir zusammen, denn werden von der Hoffnung Zions etliche Lieder gesungen; wenn aber iemand erwecket ist, der betet oder redet; als denn hält der Herr Graf über einen Spruch oder Psalm, der sidi auf unsere Führung und Umstände sdiicket, eine Rede, dabey denn die Ursachen dieses Fast- und Bet-Tages angeführet werden; alsdann wird alles GOtte im Gebete vorgetragen. Denn gehen wir eine viertel Stunde auseinander, und kommen gleich wieder zusammen, uns in der Fassung zu halten, und vor dem HErrn mit Loben, Dancken und Beten zu verharren, und diesen Tag so zuzubringen. Indessen aber wird von dem Herrn Gra»« C. D. Beschr. Druck, S. 53.
i « C. D. Besdir. Druck, S. 54 f.
87
fen wieder eine Rede von dem, was unsere Umstände anbetrifft, gehalten, dabey denn allemal eine Unterredung von denjenigen Sachen, die in der Gemeine sind vorkommen, und um derer willen der Fast- undBet-Tag ist angestellet worden, gehalten wird: Und wenn wir nun alles dem HErrn unserm GOtte im Gebete haben vorgetragen, und denn von einer Sache, die von Wichtigkeit ist, nicht können gantz gewiß seyn, oder einerley Meinung worden, so lassen wir es aufs Loos ankommen, und nehmens wie es trifft, so gantz für den guten und gnädigen Willen GOttes an. Wenn also der Tag zu Ende ist, so halten wir zum Beschluß das Liebes-Mahl, loben und dancken G O t t für die empfangene Gnade und ewige Erbarmungen, und verbinden uns aufs neue dem HErrn JEsu gemeinschaftlich treu zu seyn, ihn als unser Haupt und seines Leibes Heiland zu erkennen, über alles zu lieben, ihm zu gehorchen, ihm zu dienen, und ihn zu bekennen, daß er unser H E r r und Heiland, und also unser gnädiger und hochgelobter GOtt ist über alles. Amen." 144 Von dem Liebesmahl am Ende des Bet-Tages wußte C. David 1731 zu berichten: „dabey den gemeiniglich solche Briefe auß dem reiche gottes, die sonst der gn. H . graff, u. die gemeine erhalten, vorgeleßen werden, u. was sonst die Nachrichten, von dem reiche gottes den brüdern wißend sein, Erzehlet. audi wird bießweilen nach gut befinden, Sonst audi Etwas was so in die gemeinschafft hineinlaufet, u. sich auf unßeren zu stand schicket auß der Kirchenhistorie geleßen, dabey den die brüder, von der haußhaltung gottes, wie der herr seine Kirche von Zeit zu Zeit gepflantzet, lernen einen Plann u. zu sammenhangenden begriff zu Kriegen, u. so wird dießer tag nach einer rechten gemeinsdiafftlichen Kirchenweiße, mit fasten u. beten, u. mit haltung derer liebesmahlen, mit Danck, feyerlich gehalten . . S o n s t betonte er in diesem Bericht von 1731 besonders, daß sich Gemeine und einzelne genau prüften, ob sie noch auf dem richtigen Wege waren 145 . Leider wird uns nirgends deutlich gesagt, in welcher Weise die Brüder das Fasten verstanden und gehalten haben. Die Verkürzung in „Bet-Tag" läßt vermuten, daß man ein ausgesprochenes Fasten, jedenfalls später, allgemein nicht übte. Der einzelne mag es vielleicht gehalten haben. Die Berichte kennzeichnen die Tage auch mehr in der Richtung des Gebetes. D a ihnen von Anfang an der Blick in die Weite der Welt und auf die Missionsaufgabe eigen war, werden die Fast- und Bet-Tage wohl eine Wiederherstellung urchristlicher Gemeindeversammlungen haben darstellen sollen, wie sie in der Apostelgeschichte, ζ. B. 13, 3 oder 14, 27 erwähnt werden. „Solche Bet- Lob- und Erzehlungs-Tage die grossen Thaten unsers Königes unter uns und andern, als wircklidie Proben der Erhörung unsers i « C. D. Besdir. Druck, S. 55.
i « D. gl. Br. 1731, R 6 Aa 22, 1, S. 65.
88
armen Gebets und Flehens, so bey Tag und Nacht zu ihm ohne Unterlaß geschieht, werden nun ordentlich alle Monate einer gehalten.", heißt es in der Anmerkung von 1734 zu C.Davids gedruckter Beschreibung148. Damit wurden sie zur festen Einrichtung der Herrnhuter Gemeine. Meist ist später zu den „Gemeintagen", wie man sie dann nannte, der Sonnabend genommen worden. „Von 8 bis 11, von 2 bis 6 und oft noch abends von 8 bis spät in die Nacht war dann die Gemeine auf dein Saal versammelt. Wer irgend konnte, kehrte zu diesen Tagen nach Herrnhut zurück, zahlreiche Freunde kamen herbei, sie mit zu erleben." Am Abend geschahen audi die Aufnahmen in die Gemeine. „Besonders packend waren diese Gemeintage, wenn der Graf sie hielt; denn er hatte die Kraft, von früh bis abends zu lesen, zu singen und zu reden ohne Ermüdung für sich und seine Zuhörer. E r las außerordentlich bestimmt und lebhaft und vergegenwärtigte dabei mit großer Deutlichkeit, wie die Handlung geschehen oder der Gedanke in dem Schreiber entstanden war. Dabei waren seine Erläuterungen durch kurze Anmerkungen oder durch die Verse, die er anstimmte, ungemein treffend und belehrend. Und wenn ihm so die ganze Gemeine lauschte, so waren diese Tage in der Tat Gemeintage, Tage, wo die Gemeine sich mit ihren entferntesten Freunden eins fühlte vor dem Herrn, wo auch den einfachsten Geschwistern die weltweite Aufgabe Herrnhuts vor Augen stand und wo die entscheidenden Entschlüsse gefaßt wurden." 147 Aus all diesen Berichten spüren wir die Bedeutung, die diese regelmäßigen Einkehr-Tage für die Gemeine und ihr gemeinsames Leben hatten. Wir können uns dabei der Beurteilung Martin Schmidts anschließen: „Bei aller Schlichtheit der Gestaltung lag dem Ganzen ein wohl durchdachter und wirkungsvoller Aufbau zugrunde. Persönliches und Sachliches, Enge und Weite, Verschiedenheit und Einheit ergänzten einander. Das schützte die Teilnehmer vor Ermüdung und zog jedes Glied in die Verantwortung für das gemeinsame Werk hinein. Dadurch, daß Großes und Kleines ohne merklichen Unterschied der Betonung zu Worte kam, wurde bei jedem das Empfinden erzeugt, daß er von gleicher Wichtigkeit für die Gemeine sei, Ehrgeiz und Rangstreit fielen dahin. Im ganzen vermittelten die ,Gemeintage' den Brüdergemeinen ein ausgesprochen kirchengeschiclitliches Bewußtsein. Durch sie lernten sie sich als Glieder des kirchengeschichtlichen Prozesses, ihr Handeln als Vollzug kirchengeschichtlicher Entscheidungen begreifen. Gott verwirklicht seine Herrschaft dadurch, daß er seinen Namen ausbreitet — unter diesem Eindruck Schloß sich die kleine Ortsgemeine als volle Kirche Gottes mit allen ihren gegenwärtigen Er1 « Lintrup 1734, Beschr. Druck, S. 54 Anm. i. 1 4 7 Uttendörfer, in: Die Brüder, S. 39 f. nach Schrautenbachs Darstellung: Der Graf von Zinzendorf, S. 261 f.
89
scheinungsformen in der Welt, aber auch mit der Kirche der Vergangenheit zusammen in Lob und Dank, Gebet und Fürbitte." 148 Dabei müssen wir aus den Nachrichten über die Gemeintage den Ton der Freude mithören. Sie wurden immer mehr zu Festtagen der Gemeine, in denen man staunend vom Werk Christi in aller Welt hörte und, da es ja die bekannten Brüder und Schwestern waren, die von den Taten Gottes aus eigenem Erleben berichteten, sich gern zu gleichem oder ähnlichem Dienst ermuntern ließ. So sah auch Zinzendorf später den tiefsten Sinn dieser Tage: „Ein jeder Gemeintag ist ein Tag der Freude seines und unsers Herzens, . . . ein Gemeintag muß allemal was ausgeben, eine neue Materie zur Freude, neue Gehilfen zur großen Ernte. Denn solche Stunden und Tage sind die Gelegenheit, daß solche Leute gefunden werden, da der Heiland seine Hände ungesehen nach ihren Herzen ausstreckt und sie ihm Hände und Füße darbieten für seinen Dienst." 149 Suchen wir nach der Stelle, von der aus die starken Anstöße zur Lebenshingabe im Dienste Christi ausgegangen sind, so werden wir sie wesentlich in diesen gemeinsam verbrachten Tagen zu suchen haben. Wir fassen das von den Versammlungen Dargestellte zusammen. Deutlich erkennen wir, daß in ihnen das Herzstück der Gemeinschaft und jedes Dienstes, der in ihr geschah, zu finden ist. Durch sie wurde die Einmütigkeit immer wieder neu geboren und gefördert. Von ihnen aus wurde das tägliche Leben geheiligt, mit dem Geist der Gemeinschaft durchdrungen und in den Dienst Christi gestellt. Von ihnen aus gingen die Anstöße zur Wirksamkeit nach innen und außen, die Ermunterungen zur Tat des Glaubens. Doch auch umgekehrt lief die Bewegung: Vom Willen zur Gemeinschaft her wurden die Versammlungen geprägt. Die Abendmahlsfeier wurde immer betonter das Mahl der Gemeinschaft mit Christus und der unsichtbaren und sichtbaren Gemeine. Liebesmahl und Fußwaschen wurden als Handlungen zur Erweckung dienstbereiten gemeinschaftlichen Sinnes bewußt geübt. Nicht die Rede des einzelnen zu allen war mehr das Wichtigste, durch das Reden mehrerer in der Aussprache und im Gebet wurden mancherlei Gaben wirksam. Und im gesungenen Lied im lebhaften Wechsel der Verse hatte die Gemeine den immer weiter ausgebauten 148 Martin Schmidt, Wesley I, S. 242. Er fährt fort: „Es blieb freilich ganz in den engen Rahmen des brüderischen Werkes gebannt. Darin lag eine Schranke. Zinzendorf hat beides klar erkannt und ausgesprochen." (S. 243). Interessant ist der Bericht, den John Wesley von einem Gemeintag in Herrendyk gab: „Saturday 17, was their Intercession-day. In the morning, some of our Englisch brethren desired me to administer the Lord's Supper. The rest of the day we spent with all the brethren and sisters, in hearing the wonderful work, which God is beginning to work over all the earth, and in making our requests known upon him, and giving him thanks for the mightiness of his kingdom." (Extract of . . . Wesleys Journal/II (Nos. III/IV), S. 101 f.) 14 » JHD, 16. Mai 1758, zit. n. Uttendörfer, Gottesdienst, S. 40.
90
Ort, sich selber zu lehren, zu trösten, zu ermuntern und zu erbauen. An den Bettagen gar wurde die gemeinschaftliche Tätigkeit vollends offenbar. Am Gebet war jeder beteiligt; es wurde auch der volle Einsatz eines jeden Gliedes in diesem Dienst erwartet. Und wenn auch der Graf meist der Redende und Lesende war, so kam doch in den Briefen und Zeugnissen die Stimme vieler in den Gemeinsaal. Hier ging der Ruf zum Dienst nicht von einem aus, indem er das Echo der Gesamtheit suchte, sondern die Brüder riefen sidi gegenseitig dazu, so dringlich, daß sich diesem Ruf in der Anfangszeit kaum einer entziehen konnte. Doch damit ist noch nicht das Tiefste gesagt. Die Gemeine kam zusammen, um sich vor ihrem Heiland zu versammeln. Herrnhut wollte eine Theokratie, besser noch: eine Christokratie sein. Man erwartete das Wort des Herrn selbst und war gewillt, es zu tun. Man hörte so durch das Wort der lehrenden Brüder hindurch auf das Wort Jesu Christi. Die Lehrer mußten sich vor der Gemeine legitimieren durch biblische Lehre und geheiligten Wandel. Wer darin nicht Spiegel des Herrn war, durfte nicht lehren. Doch wer es war, bekam die Aufmerksamkeit der Gemeine geschenkt, auch wenn die Rede stockend und das Wort kümmerlich war. So dürfen wir — wenn dies Wort auch nie gebraucht wurde — von diesen Versammlungen als vom Gottesdienst sprechen, in dem die Gemeine mit ihren Gaben Gott zur Ehre sich untereinander diente und damit sich von ihrem Herrn selbst dienen ließ und in dem sie ihrem Heiland im Lied und Gebet die neutestamentlichen Opfer darbrachte. Am deutlichsten wurde das in der Abendmahlsfeier, in der sie — selbst ganz Empfangende — tüchtig gemacht wurde zum Dienst der Liebe aneinander und zum Dienst in der Welt. Über allem aber lag in aller Strenge der Ordnung der Ton der Freude und des Staunens über die Gegenwart ihres Herrn. Die persönliche und gemeinsame Gemeinschaft mit ihm und die Freude, in seiner Nähe leben und ihm dienen zu können, war der tiefste Sinn der Versammlungen der Gemeine. So hat Zinzendorf es später ausgedrückt: „Wann haben die Gläubigen ihre tägliche gemeinsame Freude? So oft sie sich ins Heiligtum begeben und dem vors Herz knieen, dem sie leben, wenn sie aufgestanden sind und kommen in die Gemeine und kriegen ihren Morgensegen, wenn sie ihres Heilands sein Wort hören, wenn sie miteinander Liebesmahl halten in seiner Gegenwart, wenn sie singen vor seiner Gottes- und Wundenherrlichkeit, wenn sie in ihren Chören den Tag beschließen und sich gemeinschaftlich in seine Arme werfen."150 Von diesem Leben im „Heiligtum" beim Herrn her empfing das Dienen in der Gemeine seine Ausrichtung, seine Ordnung und seine Würde. 150 32 Homilien Nr. 17, S. 10, den 8. Aug. 1745, zit. n. Uttendörfer, Gottesdienst, S. 6 f. Vgl. auch noch Zinzendorfs Mahnung im Eventualtestament: „Alle Versammlungen müssen mit Respect gehalten werden, lehren, beten, singen, dencken, sitzen, stehen,
91
С . D A S L E B E N IN DEN SEELSORGERLICHEN G R U P P E N DER G E M E I N E
Die Gliederung der Gemeine unter seelsorgerlichen Gesichtspunkten
Schon in der Darstellung der verschiedenen Versammlungen mußten wir verschiedentlich auf die Gliederung der Gemeine in kleinere Gruppen hinweisen, die das Leben der Herrnhuter Brüder und Schwestern formten. Überhaupt haben wir hier die Lebensformen vor uns, die in der Folgezeit als typisch herrnhutisch angesehen wurden und vielerorts Nachahmung erfuhren, bis hin zu ihrem Einfluß auf die Verfassung der methodistischen Gemeinschaften in England. Unsere Aufgabe ist hier nicht, diese Gliederung in ihrer Geschichte und Durchführung zu untersuchen. Das ist von anderer Seite nach verschiedenen Richtungen geschehen151. Uns geht es darum zu prüfen, inwiefern die Gliederung der Gemeine den Dienstgedanken förderte und in bestimmter Weise formte. Wir haben dabei zu untersuchen: 1. Die Banden oder kleinen Gesellschaften, 2. die kleinen Classen, 3. die Einteilung nach Herkunftsdörfern, 4. die großen Classen (Chorgliederung), 5. die ersten Lebensgemeinschaften der ledigen Brüder und ledigen Schwestern. Der letzte Punkt kann für unsern Zeitraum bis etwa zur Ausweisung Zinzendorfs aus Herrnhut natürlich nur die Anfänge umfassen. Die Ausgestaltung in den großen Chorhäusern erfolgte erst in späterer Zeit. Zinzendorf hat also vom Anfang der Gemeine an einer Durchgliederung besondere Bedeutung zugemessen. Der Grund dafür ist in der Seelsorge zu suchen, die in der in Herrnhut betriebenen Intensität eine Aufgliederung und Arbeitsteilung einfach erforderte.
knien, liegen, schlafen (welches letztere zwar nicht dazu gehörte, aber bey den mancherley Streiter-Proben, und Schwächen der Hütte, auch vorkommen kan.) Das muß alles von einem gewissen Geist der Gemeine regiert werden, und in der Gegenwart des Lammes und mit einer Beugung, und gelegentlichen Theilnehmung an der Fassung der obern Chöre, vorgehen, daß es denen Menschen nicht einerley seyn kan in die Gemeine zu treten; daß ihrer viel erkennen, daß GOtt mit uns sey; daß sich in den Zeugen Kräffte beweisen, die man bey ihnen nicht suchen solte; daß der Anblick ohne Worte hinreisset, daß der Wind des HErrn wehet; daß die Unmündigen reden mit aller Weisheit, und die natürlichen Redner, denen kein Tempel zu weitläufftig ist, und keine Versammlung zu groß, vor einem Häufigen einfältiger Kinder verstummen und erstaunen müssen." (Theol. Bedenken, S. 176) 151 Vgl. besonders: Gottfried Schmidt, Die Banden oder Gesellschaften im alten Herrnhut, ZBG 1909, S. 145 ff.; O. Uttendörfer, Das Erziehungswesen Zinzendorfs und der Brüdergemeine in seinen Anfängen, S. 142 ff. und A - H . , S. 83 ff.; K. Schuster, Gruppe, Gemeinschaft, Kirche Gruppenbildung b. Zinzdf., München 1960.
92
1. Die Banden oder kleinen Gesellschaften Die Entstehung der Banden fiel, wie schon in Kapitel 1 gesagt, noch in die Zeit vor dem 13. August 1727 und gehörte zur inneren Vorbereitung des Abendmahlsganges an jenem Mittwoch. Sie war eine Frucht des „großen Predigttages" am 2. Juli 1727 152 . Im Herrnhuter Diarium heißt es darüber am 9. Juli: „Am 9. Juli war eine allgemeine Regung in gantz Herrnhut bey allen Einwohnern. Weil aber der Herr Graf sähe, daß es zu gar keiner Herzlichkeit unter den Brüdern kommen wollte und fast keiner seine Gabe bey dem andern anwenden könnte, begab er sich selbst allen zum gemeinschaftlichen Freunde und Vertrauten, suchte sich so viel möglich in alle zu richten und mit einem jeden die Sache des Herrn nach seiner Fassung zu tractiren. Dazu nahm er zuweilen noch einen, je nach dem er sähe, daß sie das meiste Vertrauen zu einander hätten. Und das war der Anfang zu denen sogenannten Banden oder kleinen Gesellschaften in Herrnhut." 153 Wie sich die Sache im einzelnen weiter gestaltete, berichtet uns dann Christian David: „Es haben unter den Brüdern und Schwestern anfänglich einige, die ein sonderbares Vertrauen zusammen gehabt, sich angefangen besonders zu verbinden, und zwar zum 1. darauf, daß sie alles einander, was sie auf dem Hertzen und Gewissen haben, sagen wollen. Zum 2. daß sie über alles einander erinnern und ermahnen wollen, was sie von einander sehen, oder nur können dencken, und doch einander alles »52 Vgl. Schmidt, Banden, ZBG 1909, S. 145 f. Über die Herkunft des Namens sagt Schmidt, S. 154 f.: „Über die Herleitung des Namens ,Bande' gibt es zwei verschiedene Nachrichten. Einmal sagt Zinzendorf: . . . ,So wars mit dem Wort ,Bande', das nahm man nicht, weil es die Sache so unvergleichlich ausdrückte, sondern weils so naturell und verständlich ist, ζ. E. eine Bande von Musicis.' (Harks handschriftl. Sammlung H. S. 78 f.). Das ist ja wohl die einleuchtendste und nächstliegende Erklärung. Eine etwas andere gibt Zinzendorf später 1755 im Summarischen Unterricht für reisende Brüder' (S. 49 Frage 217). Auf die Frage: Was ist eine Bande? antwortet er dort: ,Das Wort muß excusirt werden, es ist nicht das rechte. Es ist das Oppositum von dem Französischen Wort debander, englisch disband. Es hat etwas von dem biblischen Wort Band in sich, da es von der Liebe heißt: das Band der Vollkommenheit. Sie hiessen audi im Anfang auf gut Mährisch das Band und nidit die Bande. Als aber der Conditor dieser Gesellschaft (Zinzendorf) sähe, daß man seine Anstalten gern en ridicule tournirte, so liess er die Hof-Idee, die sich ohne seine allergeringste Schuld machte, daß man es Banden hiess, um so viel lieber gelten, weil dadurch der Pluralis: die Bande völlig eliminirt wurde, welches Zwang i. e. das diametrale Oppositum von unserm: Bande inferirt.' Beide Nachrichten widersprechen einander nicht, nach der zweiten ist nur die ,Hofidee' einer Musikbande das zweite und die ursprüngliche Ableitung des Wortes eine andere gewesen. Das lässt sich kaum mehr nachprüfen, nur soviel kann festgestellt werden, dass die Bezeichnung ,das Band' für eine solche Gesellschaft sich audi in den ältesten Quellen nicht findet." 158 Vgl. H. Diar. in der uns vorliegenden späteren Fassung, zit. n. Sdimidt, Banden, ZBG 1909, S. 146 f.
93
zu gute halten. Zum 3. daß sie alle Woche einmal und zwar Abends zusammen kommen wollen, Conferenz oder Banden zu halten, damit sie einander von innen und außen recht mögen kennen lernen. Zum 4. daß sie sich einander die Freyheit zum Hertzen, Leben und Wandel, alles zu prüfen und zu sagen, geben wollen, und einander sich so lieben, wie sein eigen Leben, für einander wachen, beten, ringen und kämpfen, und einander tragen, verschonen, das Leben erleichtern helfen, was sonst schwer ist, und also am Evangelio recht Gemeinsdiaft haben."154 Wir sehen aus beiden Zeugnissen, daß es sich hierbei um völlig freiwillige Zuordnung zueinander auf dem Grunde gegenseitigen Vertrauens handelte. Allerdings sagt uns das Herrnhuter Diarium sehr deutlich, daß es zunächst der zielbewußten Anregung Zinzendorfs bedurfte, damit die vorhandene Bereitschaft in lebensfähige Formen geleitet wurde. Obgleich die Einrichtung in den nächsten Jahren aus der ihr selbst innewohnenden Kraft lebte, konnte sie die immer wieder ordnende, anregende, umgestaltende Leitung auch dann nidit entbehren. Beides gehört somit zueinander: Bereitschaft und Anregung, Freiwilligkeit und Anleitung. Das Ziel der kleinen seelsorgerlichen Gemeinschaften ist klar ausgesprochen worden: es war die gegenseitige seelsorgerlidie Hilfe im Kampf gegen die Sünde, in der Lebensbewältigung und im Leben mit Gott. Eigentlich waren es so Beichtgemeinschaften. Wir sollten dabei die seelsorgerliche Erkenntnis beachten, daß man zum Erlebnis echter Gemeinschaft vor allem den kleinen Kreis vertrauter Menschen braucht, von denen man wirkliche Lebenshilfe erwarten kann155. Zunächst scheinen sich die Banden nur unter den Männern gebildet zu im C. D. Besdir. Druck, S. 33 ff. iss Vgl. dazu C. Davids Bericht über die Banden D. gl. Br. 1731, R 6 Aa 22, 1, S. 39: „dießes wurde vor eine sonderbahre gnad erkandt, in dem es so alles ohne die geringste zertrennung und Uneinigkeit geschähe sondern vielmehr auß einer allgemeinen Liebe, um immer Einander Zu reitzen, dießes wurde hernach in der gemeine bestädtiget u. alles durch die gantze gemeine, vertheilet u. in Ordnung gebracht, als die Männer wurden in Besondere Banden vertheilt, deß gleichen die weiber, ferner die Pursdien, die Jungfern, die Knaben u. die mägdgen daß sich also nun die gantze gemeine, jetzt in Etlichen 50 Kleine gemeinlein befindet, in Einer jeglichen gesellsdiaft aber, sind welche, die erfahrungen von Führungen der Seellen haben, u. die anfänger, die noch unter der gemeine Zucht stehen, sind unter alle die gesellschaften, so verstecket worden, damit Keine Unordnung entstehe u. auch durch die vermengung unter einander, der gemeinschaftliche Sinn beßer möchte gefaßet werden, Derjenige Zweck den wir in unßeren Banden zu erreichen Suchen, ist daß wir alle Seellen recht KennenLernen, u. wie es mit einer Jeden von innen u. außen stehet, weil nun dieß eine gute gelegenheit dazu ist, in dem es schon so unter unß ist außgemacht worden, daß sich also niemand wundern noch scheuen darf, alß wolte man eine Seelle Prostituiren Sondern vielmehr dadurch die scheu auch allem verdacht u. argwöhn zu benemen suchen und brüderlich vor gottes angesicht u. seiner gemeine mit einander umgehen Können damit die Liebe u. daß vertrauen zwischen einander wachsen, gerechtigkeit u. friede sich Küßen u. in der gemeine Ehr u. redlichkeit wohne."
94
haben, denn erst im Februar 1728 berichtet uns das Diarium von ihrer Einrichtung unter den verheirateten Frauen und den ledigen Schwestern. Im Frühjahr 1728 jedenfalls war die Einteilung der Gemeine in die „Brüderlichen Associationen zum geistlichen Zweck" völlig durchgeführt, wie uns eine unter dieser Uberschrift erhalten gebliebene Liste von Zinzendorfs Hand bezeugt158. Für jeden Wochentag erscheint hier eine der kleinen Gesellschaften mit ihren 6, 8, 11 oder sogar 13 Mitgliedern, sowohl unter den Männern als audi den Frauen, den „Jungfern" und den „jungen Purschen". An erster Stelle wird stets (unterstrichen) der Leiter der Bande genannt, dann folgen die Namen der Mitglieder. Die Männer kamen abends um 6 Uhr „auff des Grafen Vorzimer" zusammen, die Frauen zur selben Zeit „Winters in dem Tafelzimer, u. Somers in der Gräfin Vorzimer", die Jungfern, nadi dem Alter geordnet, in zwei verschiedenen genannten Stuben. Die jungen Purschen wohnten bereits zusammen auf 4 Stuben verteilt und hielten ihre Versammlung sicher dort15·. Damit wären zu dieser Zeit 22 bis 23 kleine Gesellschaften in Herrnhut gewesen. Ihre Zahl wuchs nun schnell durch weitere Zuwanderung und durdi Umbesetzung der einzelnen Grüpplein. C.David berichtete 1730 von „30 Gemeinlein"157, 1731 waren es schon „50 Kleine gemeinlein"158, nach dem Herrnhuter Diarium (15.8.) 1732 bereits 77, und Zinzendorf vermerkte in der „Verfassung" von 1733 gar 85 „kurtze und halbstündige Versammlungen", innerhalb der „General-Classen" gruppiert159. 1734 war die Zahl der Banden auf 100 gewachsen180. Die Mitgliederzahl war dementsprechend gesunken. Für 1730 werden uns in einer Aufstellung nie mehr als 5 bis 9 Mitglieder genannt181, später waren es vielleicht noch weniger. Die Freiheit der Gruppierung scheint sehr groß gewesen zu sein. Die Zuordnung zueinander war ständig im Fluß. Man versammelte sich außer im Herrschaftshaus, wenn dies möglich war, audi in den Stuben 158 R 6 Aa 18, la. In der Darstellung der ersten Gemeineinrichtung 1727/28 erscheinen unter der genannten Überschrift sämtliche Namen der Bandenmitglieder, i « C. D . Besdir. Drude, S. 35; vgl. R 6 Aa 16, 5/28, rechte Seite. D. gl. Br. 1731, R 6 Aa 2 2 , 1 , S. 39. 15» Beschr. Druck, S. 124: „Werden täglich neben der leiblichen Arbeit kurtze und halbstündige Versammlungen gehalten, welche in einer Brüder- und Schwesterlichen Unterredung von der gegenwärtigen Verfassung vor GOtt bestehen, und dieser sind in ieglidier General-Classe (Druckfehler im Text: Casse) nach der Proportion 17 auch 20 unterschieden, bey deren ieglicher, an der Zahl 85, eine geübte Seele ist, deren immer mehrere herzu gezogen werden, also daß die meisten solcher kleinen Haus-Visiten doppelt versehen sind. Alle diese halten eine wöchentliche Zusammenkunft bey dem Aeltesten, und tragen daselbst Mangel und Vortheile nicht nur demselben, sondern hauptsächlich dem HErrn gar hertzlich vor, es geschiehet aber solches privatim." ιβο Schmidt, Banden, ZBG 1909, S. 149. 181
R 6 Aa 16, 5/28, rechte Seite vom Febr. 1730. Bei den ledigen Brüdern kam einmal eine Bande von 11 Mitgliedern vor (Tobias Leupold).
95
der Mitglieder oder bei gutem Wetter auf irgendeiner der Rasenbänke in der näheren Umgebung. Im Laufe der Zeit war natürlich nicht nur die gegenseitige Gewissensforschung Hauptgegenstand der Versammlung, sondern immer mehr auch gegenseitige Erbauung, Belehrung, bisweilen Schriftstudium, vor allem aber gemeinsames Gebet162. Hier kamen alle Fragen, die den einzelnen bewegten, im freundschaftlichen, vertrauten Gespräch zur Aussprache. Hier bereitete man sich gemeinsam auf den Abendmahlsgang vor, hielt gemeinsam die liturgische Nachtwache oder das Fußwaschen und feierte kleine Feste in der damaligen Form der Liebesmahle. Jedenfalls haben wir hier das Element im alten Herrnhut vor uns, das das Leben des einzelnen mit am wirksamsten beeinflußte und lenkte, das zugleich aber das Leben in der großen Gemeinschaft familiär, vertraut gestaltete, so daß der einzelne nie sich selbst überlassen und allein blieb163. „Die Banden sind nichts als die Cultivation einer intimen Freundschaft", konnte Zinzendorf so im Rückblick sagen. Und Spangenberg bemerkte vorher: „Durch die Banden wurde damals kein einziger Mensch in der ganzen Gemeine negligirt noch vergessen." Worauf Zinzendorf antwortete: „das wäre ohnmöglidi, wenn die Banden in ihrer Ordnung wären. Denn sobald das Zeichen mit der Glocke zu den Banden gegeben wurde, so lief gleich alles untereinander, und ein jeder fand seinesgleichen in der Bande, und wenn einer nicht da war, so fragte man nach i h m . . . Eine Bande muß aus lauter Confidenten bestehen, die das Zutrauen zueinander haben, daß sie alles in der Bande reden können, ohne an der Freundschaft etwas zu verlieren.. ."164 In späterer Zeit mag die Aufteilung auf die einzelnen Banden nicht mehr der Freiwilligkeit des gegenseitigen Vertrauens allein überlassen gewesen sein, vielleicht war dies überhaupt nur in der Entstehungszeit der
i«2 Schmidt, Banden, ZBG 1909, S. 166 ff. « 3 Vgl. Schmidt, Banden, ZBG 1909, S. 174 f. Schmidt würdigte vor allem die gegenseitige Offenheit unter den Mitgliedern einer Bande: „In der Tat mußte die Offenheit, die in den Gesellschaften so nachdrücklich gefordert wurde, das gegenseitige Ermahnen, Sichtragen, Helfen, Beistehen die einzelnen Mitglieder fest zusammenschließen. Zudem war auch die Gefahr gegenseitigen Sichnichtverstehens und Mißtrauens, aus dem gerade leicht die ärgsten Feindschaften entstehen können, bei der allgemeinen Offenherzigkeit zwar nicht ganz beseitigt, aber doch verringert. Und kam es zu Mißverständnissen Einzelner, so war noch immer der Bandenhalter da, der die Gegensätze versöhnen konnte. Feiern wie ein Liebesmahl oder ein Fußwaschen in der Bande, waren audi geeignet, Zusammengehörigkeitsbewußtsein zu wecken. Oberhaupt wirkte die ganze Bandeneinriditung mit ihrem festen Zusammenschluß verbindend. Man bildete in jeder Bande gleichsam eine Familie und trat als solche auch im Gemeinleben auf. In dieser Familie fand Jedes seine Beachtung und liebende Fürsorge." (S. 174). Protokoll der Londoner Ratstage, 6. 9.1753, zit. n. Schmidt, Banden, ZBG 1909, S. 200 f.
96
Fall. Spangenberg konnte deshalb die Einrichtung so schildern: „In diese kleine Gesellschaften theilte dann unser Graf, als Vorsteher der Gemeine, mit Zuziehung der andern Arbeiter und Arbeiterinnen, alle Brüder und Schwestern nach eines jeden Seelenzustande, ein. In jeder Bande der Brüder hatte ein Bruder und in jeder Bande der Schwestern eine Schwester den Auftrag, der ihnen anvertrauten Personen sich besonders anzunehmen165. Man las etwas zur Erbauung, oder man sang, man betete oder redete miteinander. Wenn die Gesellschaften eine Veränderung erforderten; so nahm man dieselbe, nach reiflicher Ueberlegung, so bald als möglich, vor. Ob nun gleich die Brüder und Schwestern ihre vorige Gesellschaften gemeiniglich ungern verliessen; so hatten doch die Veränderungen einen besonderen Nutzen; weil auf die Art alle Glieder der Gemeine (doch nach dem Unterschied der Geschlechter) nach und nach unter einander bekant und herzlich verbunden w u r d e n . . . Es blieb keine Seele übrig, die nicht Gelegenheit gefunden hätte, sowol der Gnade und Gaben, die GOtt in andere gelegt, sich fruchtbar zu bedienen; als auch mit der Gabe und Gnade, die ihr GOtt verliehen, andern nützlich zu werden." 168 Christian David berichtete, daß diese Einrichtung vor allem auch geeignet gewesen war, Neue in den Geist der Gemeine hineinzunehmen: „gehen also in dießen geseelschaften auf grund, fragen ein ander Nach der Reihe, wie es um sein hertz stehet, ob einer gewachsen oder zurückgangen, haben wir in der geseelschaft einen Neuen, so laßen wir ihn Erst Etliche mahl zu hörren bieß er unß verstehet wie wir es meinen, den fragen wir ihn auch um seinenn Geistlichen Lebenslauf, wie es mit ihm zugegangen, daß er auf die gedancken Kommen ist, sich zu bekehren, wie es sich in seinem Hertzen angefangen wie weit es mit ihm Kommen sey, wo er es gelaßen, was ihn aufhalte u. im wege stehe, was er vor einen Hauptfeind habe" 167 . Um 1730 scheint die Bandeneinteilung so vorangetrieben worden zu sein, daß zwei Personen schon eine Bande bildeten; oder die Banden wurden in solche Zweiergruppen weiter aufgegliedert. Jedenfalls tauchte in dieser Zeit an verschiedenen Stellen der Hinweis auf, daß zwei Brüder Bei der Zuordnung wird audi das Los stark mitgesprodien haben, ιββ Spangenberg, Zinzendorf, S. 4 3 4 f. Die Beschreibung der Banden Versammlung verrät allerdings stark den späteren Rückblick. Ähnlich kennzeichnet die spätere Form der Zusammenschlüsse Zinzendorfs Beschreibung im Eventualtestament (Theol. Bedenken, S. 1 8 3 ) : „Die Gesellschafften, die man sonst Banden nennet, sind zwey, drey und mehr auf JEsu Nahmen versammlete Seelen, unter denen JEsus ist, die sich besonders hertzlich und kindlich über ihrem gantzen Hertzen mit einander besprechen, und nichts vor einander verbergen, sondern sich einander zu völliger Pflege übergeben haben in dem H E R R N . Hertzlidikeit, Verschwiegenheit, täglicher Umgang, ist unter solchen Seelen von dem äussersten Seegen, und muß nie negligiret werden; und wo schon eine solche Trägheit eingeschlichen, muß man sogleich beschämt und gebessert werden." i " D . gl. Br. 1731, R 6 Aa 2 2 , 1 , S. 39.
97
oder Schwestern zueinander geordnet wurden, von denen der eine der geistlich Fortgeschrittene, der andere der Lernende war. Ζ. B. schrieb Zinzendorf um 1730 an die Erbprinzessin in Dänemark über die Schwestern: „Dienstags ist eine Privat-Versamlung u. dergl. ist Mittwochs u. so fort alle Tage von anderen Personen, welche sich da im Gebet und Gespräch vereinigen, und die Woche über ie zwey u. zwey durch die ganze Gemeine an einander arbeiten, dieser beider Band u. Gemeinschaft ist unauflößlich, solange sie in dergl. Umständen bleiben, und wird allemal eine geübtere zu einer jüngeren, so viel mögl. geordnet. Es ist unter denen Schwestern kein Rang, soviel dieses geistliche betrifft, nach der Natur ist ein jeder in dem ihren ordentlich, keine Bande ist vornehmer als die andere sondern es gehet nach den Tagen, die sie sich zur Versammlung erwehlet, wenn man sie anführen will." 188 Noch genauer begegnet uns diese Zuordnung auf einer „Eintheilung der ledigen Brüder in Herrnhuth" vom 26./27. Mai 1732. Unter der Uberschrift „Eintheilung zum täglichen Umgang" wurden hier paarweise Namen genannt, wobei klar ausgeführt immer ein Bruder aus einer im Glauben fortgeschritteneren Classe (Jünglinge, Kinder, Kräftige) einem aus einer „Anfänger-Classe" (Schüler: ungelehrige, neue, willige) zum seelsorgerlichen Umgang zugeteilt wurde1®9. Aber damit sind wir schon bei einer anderen Form der Aufgliederung der Gemeine, der Einteilung in geistliche Classen, von der wir folgend zu reden haben. Abschließend sei zu der Einteilung der Gemeine in Banden bemerkt, daß gerade die geordnete seelsorgerliche Hilfe, die die Mitglieder einer „kleinen Gesellschaft" sich gegenseitig zu geben versprachen, selbstverständlich audi in Hilfe bei anderen Nöten des Bruders übergegangen sein wird. Bei dieser engen familienmäßigen Bindung aneinander wird sich dies ganz natürlich ergeben haben. So wird echtes gegenseitiges Dienen geschehen sein, von dem uns weder die Diarien noch andere Berichte etwas mitteilen, das aber als Hintergrund des geordneten Dienens in der Gemeine zu sehen ist. Ohne die spontane Hilfeleistung des einen dem andern gegenüber ist eine Dienstordnung ja gar nicht zu denken. Die Einteilung in Banden und die durch sie geschehene Zuordnung einzelner Brüder und Schwestern zueinander mit dem ausdrücklichen Ziel, einander im kleinen vertrauten Kreis zu helfen, hatte darum im Ganzen des Dienens in der 188 R 20 С N o Зс/88. м» R 6 Аа 16, 19. Vgl. dazu auch die Eintragung im H. Diar. am 12. 3 . 1 7 3 1 : „Die 1. Jünglinge fand ich meist b e i s a m m e n . . . Es ging ein soldier Blitz u. Geistes-Trieb auff alle unter den jungen Br. als noch nie gewesen war und ehe es Eins in der Mitternacht war, Schloß sich durch unsichtbare Kräfte eine Kette zusammen je 2 u. 2, da gerade so viel Anfänger waren als Durchgebrochene u. ein jeder Anfänger sich einen altern Bruder zum tägl. Umgang u. inniger Gemeinschaft erwehlte." Zit. n. Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 218.
98
Gemeine eine große Bedeutung170. Vom Dienst der Bandenhalter insbesondere haben wir später noch zu sprechen171.
2. Die kleinen
Classen
Wir könnten die kleinen Classen, im Unterschied zu den unter 4. behandelten großen natürlichen, als die „geistlichen" Classen bezeichnen. Hier begegnen wir der dem Pietismus auch sonst eigenen Tendenz, die Menschen nadi dem Grad ihres geistlichen Fortschritts in bestimmte Klassen einzuteilen. Um dies recht zu würdigen, muß man erkennen, daß der Wille dazu in der verantwortungsvollen Seelsorge seine Wurzel hatte. Man erkannte, daß der Mensch nach seinem jeweiligen inneren Zustand in verschiedener Weise angefaßt werden mußte, um ihn zum geistlichen Ziel, der Bekehrung und der Heiligung des Lebens zu bringen. Nur wird dies in dem Augenblick zur Gefahr einer Gemeinschaft, wenn aus der seelsorgerlichen Überlegung ein Einteilungsprinzip wird. Das innere Leben eines Menschen ist zu vielgestaltig, als daß es sich im Sinne eines einfachen Fortschreitens von Klasse zu Klasse reglementieren ließe. Die Brüder haben diese Gruppierung später auch wieder fallen gelassen. Aber sie wurde doch in den dreißiger Jahren strikt durchgeführt zum Nachteil der gesünderen Seelsorgeordnung der Banden. Was mit den geistlichen Classen gemeint war, geht deutlich aus einer Stelle der „Verfassung" von 1733 hervor, in der es heißt: „Die sämtliche nach dem Sexu und andern oberzehlten Ständen gemachte General-Abtheilung ist nach der Seelen ihren geistlichen Umständen mit ihrer Genehmhaltung und jedesmaligen Vorwissen folgender gestalt subdividirt. "о D a ß diese allerdings nur bei einer bestimmten Einstellung der Glieder der Gemeine möglich ist und nicht erzwungen werden kann, zeigt eine Bemerkung aus der Zeit nadi Zinzendorfs Tod, in der man sich sehr um das Wiederaufleben der gesegneten Einrichtung mühte. Als man in der Synode 1775 den Erfolg aller Bemühungen um die Wiederbelebung der Bandeneinrichtung überprüfte, erkannte man „mit Wehmut, dass der darin bisher bemerkte Mangel ein sicheres Kennzeichen sey, dass es an dem ehemaligen Brand der Herzen gegen den Heiland und der ersten Liebe fehle, welche einzig der Grund der seligen Einfalt und Herzlichkeit war, die ehemals die Gesellschaften so gesegnet und lieblich machte." Zit. n. Schmidt, Banden, ZBG 1909, S. 204. i?1 Kap. 3 В I, 2c (S. 184 ff.) unter den seelsorgerlidien Ämtern. Von der Verpflichtung zu gegenseitiger Seelsorge sprach auch Gottfried Arnold in der „Ersten Liebe" im III. Buch, Kap. 3 „Von ihrer brüderlichen Gemeinschafft in geistlichen Anliegen" (S. 425 ff.). Er berichtete von den Lehrern der ersten Christen: „es war so ferne von ihnen, daß sie die seelen-sorge auf sich alleine nehmen und denen so genannten layen hätten entziehen sollen, daß sie vielmehr einen ieden insonderheit vermahnten, nicht allein vor seine, sondern auch seines bruders seele treulich zu sorgen." Sie trugen „die seelen-sorge so weit allen Christen auf, als ein ieder dazu von dem Geist Gottes tüchtig gemacht war." (S. 427).
99
Es sind 1. todte, 2. erweckte, 3. ungelehrige, 4. willige, 5. kräftige Schüler, 6. Seelen, so in der ersten Liebe stehen, 7. Kinder, 8. Jünglinge. Hiernächst werden alle diejenige, welche bey ihrer Special-Beschaffenheit etwa dermalen in einiger Gemüths-Confusion stehen, inzwischen von den andern separirt und besonders gepfleget. Diese kommen denn nach dem unterschiedlichen Vertrauen, so sie unter sich haben, in geringer Anzahl wie oben stehet, täglich zusammen, sidi von den Wegen des Herrn zu unterreden.. . " m Leider war es nun so, daß die Gruppierung in Banden von der Classeneinteilung überspielt wurde: „den 16. Aug. 1731 hatten die (verheir.) Männer ihr Liebesmahl, wobei ihre Bande aufgehoben ward und sie in 3 Classen eingeteilt wurden: Jünglinge, Kinder und Anfänger" 1 7 3 . An l . J o h . 2,12—14 mit der Anrede an Kindlein — Väter — Jünglinge wird dabei gedacht worden sein. Aber auch die alte Brüderordnung war sicherlich im Gedächtnis. „ D a s Bedürfnis, die Gemeine zur Erleichterung der gegenseitigen Seelenpflege in Gruppen zu teilen, haben in ähnlicher Weise die böhmischen Brüder zu befriedigen gesucht durch ihre drei Klassen der Anfangenden, Fortschreitenden und Vollkommenen, die wir schon 1464 bei ihnen finden." 174 Jedenfalls hat diese geistliche Ciasseneinteilung die Banden wirklich zum Teil ersetzt. Vom 26. Mai 1732 gibt es eine „Eintheilung der ledigen Brüder in Herrnhut", in der als große Gruppen „Schüler", „Kinder" und „Jünglinge" unterschieden wurden. Die Jünglings-Classe (VI) mit 7 N a men war die der Fortgeschrittensten im Glauben. Sie stellte die Classenleiter für die anderen. Die V. Classe „Kinder" weist 5 Namen auf. Alle andern waren „Schüler", und zwar in der 1. Claß „Ungelehrige" 12 (unter Martin Linner), in der 2. Claß „Anfänger" 8 (unter Fr. Böhnisch), in der 3. Claß „Willige" 18 (unter Andreas Graßmann), in der 4. Claß „ K r ä f t i g e " 10 (unter George Piesch). Die 5. Classe der „Kinder" hatte M. Steinhöffer unter sich175. Wie die Versetzung von einer in die andere Classe geschah und nach welchen Gesichtspunkten man dabei verfuhr, ist leider nicht bekannt. Eine Rückversetzung wird es kaum gegeben haben, sondern man wird im Glauben Zurückbleibende in besondere seelsorgerliche Betreuung genommen haben. 172 Beschr. Drude, S. 126. Spangenberg berichtete, daß 1731 die Classen „nadi der Verschiedenheit der Herzenssituation abgetheilt" wurden (Zinzendorf, S. 671). " 3 Zit. n. Schmidt, Banden, Z B G 1909, S. 151, wohl H . Diar. 174 Müller, Zinzendorf als Erneuerer, S. 27. 175 R 6 A a 16, 8. Eine Einteilung der Männer kennzeichnete: 1) Vergeb. (?) (3 N a men), 2) Gnade (9 Namen), 3) begnadigt (25), 4) Gnade (7), 5) in hunger u. durst η. der Gerrechtigkeit (6), 6) satt geworden (6), 7) Jünger (5). R 6 A a 16, 26. Beachten sollten wir dabei, daß nicht größere Grade der Vollkommenheit genannt wurden, sondern der Begnadigung. — Schmidt, Banden, Z B G 1909, S. 151 nennt eine Diariumsnotiz über die
100
Zinzendorf hat die ganze geistliche Ciasseneinteilung später als Fehlentwicklung beurteilt, natürlich von seiner späteren theologischen Sicht her, die von der pietistischen Bußkampflehre ja weit abgerückt war. Er sagte auf den Londoner Ratstagen 1753: „ D a s erste Unglück waren die Classen, die anno 1731 gemacht wurden, die hätten nicht sollen in die Banden hineingemischt werden. Dadurch wurden die Banden verdorben und die Classen wurden auch niemals von den Geschwistern vor das angesehen, was die Banden gewesen waren. Sobald man Seelen distinguirt, so hören die Banden auf. Sondern wenn es sich trifft, daß Leute, die einander vor ordentliche Leute und gute Freunde halten, zusammen kommen, das ist eine B a n d e . . . Das ist aber keine Bande, wo man einander censirt, oder wo man fürchten muß, daß einer oder der andere verwundet wird. Denn da geht man gewiß auseinander, ohne auf was Solides zu k o m m e n . . . Sobald der erste Stich auf jemanden gegeben wird, so ist die Bande aus." 176 Trotz dieser negativen Kritik Zinzendorfs müssen wir der Einteilung in geistliche Classen in der Frühzeit der Gemeine Bedeutung zumessen. Sie hat sich auf die Dienstbereitschaft der Brüder, besonders zum Botendienst, sogar positiv ausgewirkt. Mit dieser Gruppierung war im Leben der Gemeine der Grundsatz des geistlichen Fortschreitens zum Prinzip erhoben. Für jeden war ein Ziel der geistlichen Entwicklung gesetzt, aus dem „Schüler" zum „ K i n d " oder „Jüngling" (bei den Männern „Jünger" 1 7 5 ) zu werden. Interessant ist nun, daß die „Jünglingsciasse" der ledigen Brüder die ersten Boten in die fernen Länder stellte. Für Herrnhut bezeichnend ist dabei, daß das Ziel des Fortschreitens nicht so sehr in der größeren Erkenntnis gesehen wurde, wiewohl man eine größere geistliche Reife natürlich anstrebte, sondern in dem größeren Maß des dem Fortgeschritteneren zumutbaren Dienstes. Was von den „Jünglingen" erwartet wurde, zeigt sehr klar ein Brief Martin Dobers an einen Theologiestudenten in Jena vom 23.6.1731: „Die Jünglinge müßen alles in der Übung haben, was denen Kindern vorgesaget wird, Z. e. Gottes Wort halten, unbeweglich bleiben, ernstlich, hurtig, frisch thun, was ihnen vorkomet, den Bösewicht beständig besiegen: das Wechseln mit Fallen u. Aufstehen mus bey ihnen weg seyn, wessen sie einmahl überzeuget, das mus bestand haben, es mus ihnen keine Gefahr schaden, u. sie müßen keine scheuen: Die Ausrede der Unmöglichkeit kan man von ihnen nicht annehmen, die gantze Gebote des Herrn müßen ihnen nicht schwehr seyn. Wo man bey denen Kindern den Willen fordert, mus bey ihnen die That folgen, u. mit allem Recht gefordert werden. Im Vergehn beklagt man die Kinder, aber die Jünglinge bestraft „Weiber": „unterm 1. März 1732 .wurden ihre Banden eingerichtet in die 3 Classen Jünglinge, Kinder und Schüler'." " β Protokoll 6. Sept. 1753, VIII. Sitzung, zit. n. Schmidt, Banden, 2 B G 1909, S. 200.
101
man. Die Kinder bittet u. reitzet man; aber den Jünglingen gebietet man, u. fordert von ihnen, daß sie vor die ihnen aufgetragene Sache stehen müßen. Thun die Kinder etwas gutes, so wundert man sich, und lobet es; bey denen Jünglingen nimt man es vor bekannt an."177 Von den Gedanken dieses Briefes ist nur ein kleiner Schritt zum Ideal der Streiterschaft Christi, die zu ganzem Gehorsam und ganzer Hingabe und letztem Einsatz im Dienst ihres Herrn bereit sein soll. W i r werden davon im Kapitel 6 noch zu reden haben. So kritisch wir also zum Einteilungsprinzip nach dem geistlichen Fortschreiten stehen, dürfen wir doch den Einfluß dieser Gruppierung auf die Ausformung des Dienstgedankens in der Gemeine nicht unterschätzen.
3. Die Einteilung nach
Herkunftsdörfern
Damit kommen wir zu der andern A r t der Versuche Zinzendorfs, die Gemeine zu gliedern: nach den natürlichen Gegebenheiten. Die später immer gültige Gliederung folgte dem Geschlecht, Alter und Stand des Menschen. Bevor sich jedoch diese spätere Chorordnung (die großen Classen) durchgesetzt hatte, wurde ein anderer Versuch unternommen, der nicht ohne spürbare Auswirkungen in den Jahren 1728 bis 1730 blieb. Im Juni 1728 sind im Herrnhuter Diarium zwei Eintragungen zu finden, die uns darauf hinweisen, daß Zinzendorf zur besseren geistlichen und leiblichen Versorgung der Gemeine die Gesamtheit in ihre Herkunftsgemeinen einteilte. Im Archiv finden sich noch einige Namenslisten aus dieser Zeit, aufgeteilt nach mährischen und deutschen Ortsnamen, und vor allem ein Schriftstück, das wie ein Programm aussieht: „Ein richtung der gemeinen nach ihren derffern u. ländern die 1 gemeine seellen ( = Sehlen) die 2 gemeine zauchtental die 3 gemeine kunewald die 4 gemeine Schönau die 5 gemeine senfleben die 6 gemeine bömen u. ihre nachtbarn die 7 gemeine sachsen u. ihre nachtbarn alle diese gemeinden sollen ihre Vorsteher lehrrer und lehrerinnen haben und untter sich einrichtungen und banden machen so gutt sichs wird tuhn lassen, und zu sammen kommen so oft /sie . . ? . . werden/ (die an dieser Stelle wiederholten Worte ,sichs wird tuhn lassen' sind im Original gestrichen) f r y u. abends einander bey aller gelegenheit erinnern und ermanen und mit reitzen zur liebe und gutten wercken, ein iede gemeine sol i « R 6 Aa 18, le, XX. 102
auf ihre armen krancken leiblich u. geistlich acht haben sorgetragen gutte früchte hervor bringen, und zum gründe gottes wort die Historia der bömischen u. mährischen brüder u. unssere Statuten in ieder gemeine besonders abgeschoben haben die armenkasse sol algemein sein des gleichen über der handtirungen taxir meister garten brun hauß strassenmeister sdiulanstalten singe u. betstunden die auß gesetz sein wie vorhin. Vorsteher ältesten hölffer lehrer aufsehr ermaner sol sein wie es ein mahl verordnet ist worden algemein, nur daß es auch ins besondere waß zur gutten einrichtung Verbindung und erbauung nötig ist veranstaltet werde, auf daß gutte zucht, und die lautterkeit der ersten christ gemeine u. der bömischen u. mährisdien brüder untter unß zum Vorschein komme, und durch unsser exembel vielle andere reitzen mögen . . ." 1 7 8 D e r Grund zu dieser Einteilung mag gewesen sein, daß Zinzendorf bei der natürlichen Heimatverbundenheit und Bekanntschaft anknüpfen wollte, um audi dies in den Dienst des Ganzen zu stellen. Es ist leicht vorstellbar, daß die Exulanten in ihrer ersten Herrnhuter Zeit mit denen am meisten zusammenhielten, die sie von daheim kannten und mit denen man von zu Hause erzählen konnte. Indessen scheint der ganze Plan so nicht verwirklicht worden zu sein. Es sind uns in dieser Dorfaufteilung nur zwei Ämter bekannt, die wirklich eingesetzt worden sind: die geistlichen Helfer (auch Landschaftshelfer genannt) und die Almosenpfleger. Uber ihre Bestellung wurde am 19. Juni 1728 berichtet, am 22. Juni noch einmal über die Armenpflege „in den unterschiedenen Gemeinen", und schließlich kam es zur öffentlichen Bekanntgabe der Armenpfleger in der Singstunde am 26. Juni 1 7 9 . Ihre Namen sind uns nicht erhalten geblieben, jedenfalls nicht ausdrücklich so bezeichnet. Eine im Diarium folgende Liste von 9 Gemeinen und ca. 16 männlichen und 8 weiblichen Namen nennt im wesentlichen die auch später als solche bekannten Helfer. Allerdings ist zu vermuten, daß auch die Armenpfleger in ihr ohne ausdrückliche Bezeichnung aufgeführt sind. Ζ. B. wurden in der Sehlener Gemeine J a k o b u. Susanne Quitt gesetzt, in der Zauchtentaler die jungen Nitschmänner und Anna Friedrich Jungfer, in der Kunewalder Piesch durchs Los u. Hänsel Böhm die Pieschen usw. Bei den Fremden der H . Licent (Gutbier), Tobias (Friedrich), der Schachtelmacher, die Frau Heintschel, gn. H . G r a f u. gn. Frau Gräfin. D e r Bericht schließt mit den Worten: „ D a man wünschte, daß es der H . segnen wolle." 1 8 0 Am Nachmittag des folgenden 27. Juni kamen dann die Helfer und 1 7 8 R 6 Aa 17, s. d., wahrscheinlich wohl von 1728. Die zweimalige Erwähnung der „böhmischen und mährischen brüder" im Text und die Betonung der Zuchtmaßnahmen durdi den „binde und lese schlüssel" können einen vermuten lassen, daß hierdurch ganz bewußt die Brücke zur alten böhmischen Brüderkirche geschlagen werden sollte, ι™ H . Diar. wo H . Diar., 26. 6. 1728.
103
Helferinnen aller Gemeinen zusammen. Die Armenpfleger wurden am 5. Juli examiniert 181 . Interessant ist, daß nach der Ämterneubesetzung im Oktober/November 1728 in der Liste der Frauenämter unter der Rubrik „Die Helferinnen" nun 10 Gemeinen mit 14 Namen aufgezählt wurden, unter denen alle im Juni Erwähnten außer der Gräfin wieder erschienen181. Schließlich hieß es am 17. November: „Die Landschaftshelfer kamen zus., da aus jeder Geme, wo sie her sind, eine Mansperson u. Frauensperson genomen ist, die sidi der sämtln Umstände ihrer altbekanten Landsleute annehmen u. helfen, wo u. wie sie können; erzählten allerlei gute Dinge von ihnen, wie sie so aufrichtig würden u. sich so herzl. erklärten; u. insonderheit waren die Materien, die in der Frühbetstunde vorgekommen waren, sehr in der Bewegung unter ihnen." 182 Diese Form des Helferdienstes scheint sich über die nächste Zeit (bis etwa 1730?) gehalten zu haben, bis sie von der Classenordnung (spätere Chöre) abgelöst wurde. Das ist ja auch verständlidi. Der Aufbau auf Herkunftsorten hatte nur so lange Sinn, als die frisch erlebte Vergangenheit die Gegenwart noch mitbestimmte. Inzwischen hatte man sich aber so sehr zueinander gefunden, hatte man das große Erlebnis geistlicher Gemeinschaft ausgekostet, so daß die Herkunftsdörfer als Grundlage der Aufgliederung zu seelsorgerlicher und leiblicher Hilfe nicht mehr die Bedeutung hatten, die das Leben prägen konnte. So ging man zu der anderen natürlichen Ordnung über, die in den kommenden Jahren bis zur Vollendung ausgestaltet werden sollte: zur Chorordnung. Uns ist bei der eben behandelten vorübergehenden Gruppierung innerhalb der Gemeine wichtig, daß der Grund für die Einteilung die Erleichterung gegenseitigen Dienstes war und daß für den Dienst aneinander sofort eine Ordnung mit bestimmten Ämtern gemadit wurde, die die Gewähr bieten konnte, daß niemand übersehen wurde. Die Helfer innerhalb der „Gemeinen" hatten wohl im wesentlichen wieder seelsorgerlidie Pflichten zu erfüllen. Doch dürfte ihnen dabei immer das ganze Leben der ihnen anvertrauten Menschen vor Augen gestanden haben.
4. Die großen Classen
(Chorgliederung)
Wir haben in den großen Classen das zu sehen, was im späteren Sprachgebrauch die „Chöre" waren 183 . Dieser Name war aber vor 1735 noch nicht gebräuchlich. H . Diar. Zur Ämterneubesetzung s. Kap. 3, S. 124. 182 H . Diar. 17. 11. 1728. 183 Vgl. zum Ganzen Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 144 ff. und Uttendörfer, J u gend, S. 82 ff. Leider erscheint in der Literatur nirgends eine Erklärung der Bezeichnung 181
104
Die Einteilung in diese natürlichen Gruppen der Gemeine bildete sich aus der seelsorgerlichen Situation heraus ganz selbstverständlich. Zinzendorf hatte sie als zur Seelsorge brauchbar und nötig schon früh erkannt (etwa seit 1726) und dann Schritt für Schritt eingeführt. Zunächst teilte man in die Seelsorge an Männern und Frauen. Zinzendorf begründete dies immer mit der Gefahr, die aus dem seelsorgerlichen Umgang zwischen den Geschlechtern entspringt. Das Nächste war, daß man dann die Altersund Lebensgruppen trennte: Eheleute (Männer und Frauen), ledige Brüder, ledige Schwestern, Kinder. So finden wir es 1728 in der Liste der Banden (nur die Kinder sind hier nicht erwähnt) 184 und so berichtete es C. David 1731: „Die Männer wurden in besondere Banden vertheilt, deß gleichen die Weiber, ferner die Purschen, die Jungfern, die Knaben u. die Mägdgen." 1 8 5 Ebenso stand es in der „Verfassung" von 1733: „Die Gemeine ist (1.) in die Classen der Männer, Weiber, Witwen, Jungfrauen, junge Pursche, Knaben Mädgen, und kleine Kinder abgetheilt, da geht täglich ein Mann, Weib, Jüngling und Jungfrau zu allen ad Sexum gehörigen Personen, dieselbe hertzlich zu besuchen und freundlich zu ermahnen, audi derjenigen Wahrheiten, welche selbigen Tages sonderlich vorkommen, nochmals zu erinnern, anbey auf Krancke und Arme ώς έν παρόόω zu invigiliren, und solche, die sich selbst nicht anmelden, ultro zu entdecken." 186 Bis zu 11 Classen wurde diese Gruppierung ausgezogen, indem man zu den oben genannten noch die sog. „Armkinder" (Kinder, die auf dem Arm getragen wurden) hinzunahm, die Knaben und Mädchen in die Gruppen der Kleinen und der Großen teilte und für die Witwer ebenfalls eine eigene Classe einrichtete. So hatte man schließlich, um alle noch ein„Chor". — Schmidt (Banden, Z B G 1909, S. 150) sagte: „Diese Classen sind also genau dasselbe, was man später Chöre nannte, denn dieser N a m e dürfte sich vor 1735 schwer nachweisen lassen; . . . Er mag zuerst als poetischer Ausdruck in Liedern und Reden gebraucht worden sein und trat dann seit Beginn der Wetterauer Zeit (1736) völlig an die Stelle der Bezeichnung Classen." Uttendörfer (Jugend, S. 82 f.) wies darauf hin, daß sich Zinzendorf bereits einmal in einem Gedicht auf das Neujahr 1726, in dem er Kindern, Knaben, Männern, Weibern und Greisen besondere Aufgaben zuwies, des Ausdrucks „ C h o r " bediente (Deutscher Sokrates, S. 81 f.). Die Bezeichnung Chöre sei aber erst nach 1738 durchgedrungen. — Im Eventualtestament 1738 schrieb Zinzendorf: „Die Chöre sind Ordnungen und Reigen, welche von Personen einerley Geschlechts und Standes formiret werden . . . " . Aber damit ist auch noch keine Erklärung des Ausdrucks gegeben. — H . E r b e (Bethlehem, P a . S . 4 0 , Anm. 176) stellte fest: „Spezialliteratur über das ,Chor' fehlt." So müssen audi wir uns hier mit dem Existieren des Namens begnügen. 1 8 4 Erste Gemeineinrichtung, R 6 A a 18, l b u. c; vgl. Beilage 2. Wir bezeichnen das ganze Schriftstück, das mit der „Welti. Direction" beginnt, auch künftig so. iss D. gl. Br. 1731, R 6 Aa 22, 1, S. 39. ΐ8β Beschr. Druck, S. 124. Unter 2) folgten dann die Banden (vgl. Anm. 159). Im Zitat wird auch von dem täglichen Besuch innerhalb der Classe gesprochen (vgl. K a p . 3 В III, 1; S. 222 ff.
105
mal zu nennen, die Classen der „Armkinder", der kleinen Knaben, der kleinen Mädchen, der großen Knaben, der großen Mädchen, der „jungen Purschen", der „Jungfern", der (verheirateten) Männer, der (verheirateten) Weiber, der Witwer und der Witwen 187 . Der Versammlungstag für die Classen war der Sonntag. Wir sahen schon früher, als wir das Versammlungsleben beschrieben (S. 67 f.), wie der Sonntag für Zinzendorf damit vor allem ausgefüllt war, daß er die Classen nacheinander versammelte: „Es kommen an diesem Tage alle diejenigen, die von gleichem Geschlecht, Stande und Alter sind, auf eine Stunde beym Herrn Grafen im Beysein etlicher Aeltesten in seinem Cabinet zusammen, diesen wird vom Herrn Grafen eine Rede, die sich auf ihren Zustand schicket, gehalten." 188 Aus der einen Stunde wurde dann im Laufe der Zeit eine Viertelstunde. Unter dem Namen „Classenviertelstunden" waren diese Ständeversammlungen ein festgeprägter Teil des sonntäglichen Lebens (später als „Chorviertelstunden"). 1736 hielt diese Versammlungen nicht mehr Zinzendorf allein, sondern die Ältesten übernahmen zum Teil die Belehrung. Nach Zinzendorfs Ausweisung 1736 war es ihr besonderer Dienst. Nach der „Betstunde werden die kleinen Kinder, so man noch auf den Armen träget in des H E Grafens Vor-Zimmer gebracht, allwo einer von denen Ältesten mit ihnen singet und über sie betet, die Mütter oder Wärterinnen aber zu treuer und liebreicher Pflegung und Kinderzucht ernstl. ermahnet. Nach diesen kommen die größern Kinder, Knaben u. Mägdgen, jedes besonders, in vier Classen abgetheilet mit ihren Vorstehern u. Vorsteherinnen, auch ins H E Grafens Vor-Zimmer, da gleichfalls ein Ältester mit ihnen singet und betet, zugleich auch sich nach ihrem Verhalten erkundiget, und zu allem guten ferner ermahnet. Hierauf kommen die sämtl. Einwohner, neml. die Witben, die Männer und Weiber, die ledigen Burschen und denn auch die Jungfrauen, jegliche Classe besonders, hintereinand, auf den Saal, allwo einer von denen Ältesten an dieselbe eine kurtze Ermahnung applicative auf ihren Stand u. gegenwärtige Umstände thut." 189 Jede Classe hatte zu dieser Zeit schon ihre „Vorsteher und Vorsteherinnen", aus denen dann die Chorältesten und Chorhelfer wurden. Der tägliche Besuch bei allen Mitgliedern der Classe wurde von ihnen oder von besonders dazu Beauftragten aus der betreifenden Classe geübt. So versteht man, daß diese Einteilung dem Aufbau der Gemeine in starkem Maße diente. 1737 wurde die Begründung ausdrücklich gegeben: 187 Vgl. Schmidt, Banden, ZBG 1909, S. 150. — C. David gruppierte in der Beschreibung D. gl. Br. 1731, R 6 Aa 22, 1, S. 60 f. die Kinder folgendermaßen: 1) die 2jähr. Kinder „und die drunter sein", 2) die 2—4jährigen, 3) die 4—8jähr., 4) die 8—12jähr. Mädchen, 5) die 8—12jähr. Knaben. i«e C. D. Beschr. Druck, S. 89; vgl. dazu das in Kap. 2, В lb, S. 67 f. Gesagte. 189 R 5 A 7, 37, zit. n. Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 145 f.
106
„daß man bequemer an ihnen arbeiten kann, die Arbeiter sind von ihresgleichen, weil sie einerley Sachen haben, vertrauter miteinander reden" 190 . Innerhalb der Gesamtheit bekam jede Classe ihre besondere geistliche Aufgabe: „und so weist Zinzendorf in seinem , Auf ruf an alle Klassen' die Männer darauf hin, priesterlich zu beten, die Weiber, durch Eingesunkenheit in Gott einen stillen Geist zu erwerben, die Witwen, ihre Hilfe allein bei Jesu zu suchen, die Jünglinge, löwenhaft zu kämpfen, die Jungfrauen, einzig Jesum zu lieben, die Knaben und Mägdlein, früh zu Jesus zu kommen" 191 . In den Chorliedern von 1728/29 wurde den einzelnen Gruppen das Vorbild Jesu und der Maria für ihre besonderen Pflichten vor Augen gestellt192. Dieser Gedanke bildete dann überhaupt später die Choridee: jeder Stand sollte in seinen Verhältnissen und mit seinen Gaben ein Stück des Wesens Jesu abbilden 193 . Das galt vor allem von 1741 ab, von wann an sich, nach einem Rückblick Zinzendorfs, jedes Chor mehr und mehr um das Ideal des Heilands in seinem entsprechenden Lebensalter Zusammenschloß194. Die eigentliche Ausgestaltung der Chöre zu eigenständigen Lebensgemeinschaften kam aber erst mit dem Entstehen der Chorhäuser. Bis dahin wurden die bestehenden Ämter der Gemeine zum Teil innerhalb der Chorgliederung eingesetzt, dann jedoch bildete das Chor durch die gemeinschaftliche Lebenshaltung im Chorhaus besondere Ämter für das eigenständige gemeinsame Leben aus. So erfuhr der Dienst in der Gemeine durch das gemeinsame Leben eine besondere Bereicherung. Bevor wir dem wenigstens in seinen Anfängen im alten Herrnhut noch i»o R 6 Ab 13, 1, H. Diar. 5. 10. 1737, zit. n. Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 144. i»i Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 145. Das Lied 722 im Herrnh. Gesangbuch (1735/37) „Theures volk des Allerhöchsten . . ." von 1728 widmet den Männern, Weibern, Witwen, Jünglings-Schar und Jungfern je einen und den Knaben und Mägdlein zusammen einen Vers. Das Lied endet: „8. Ganze Schaar der auserwehlten, fahre fort in deinem Licht, laß die erste liebe nicht, da so manche Streiter fehlten; (Brüder lassen sidi doch nimmer, denckt der andern ebenfals.) beuge willig deinen hals: Denn sein joch erqvikt uns immer. Selig, selig, selig sind, die an das sanfte joch ihres Erlösers gewohnet sind." — Das Vorbild in Maria und Jesus wurde auf die einzelnen Stände besonders angewandt im 1729 von Zinzendorf gedichteten Lied „Drey-Einigkeit, du algemeines wesen . . ." (H. Gesangb. 1735/37, Nr. 222). Vgl. besonders V. 14 u. 15: „14. О jünglings volk, und du о Schaar der mägde, faßt eudi das bild Maria ins gemüt; verleugnet euch, besieget das geblüt: Es rege euch was diese schwester regte; sie wolte freyn, die Gottheit warb um sie: sie ließ den mann, und sprach: HErr ich bin hie! 15. Bestehet ihr in soldier edlen gnade, und gebt euch GOtt auf band und freyheit hin; so bleibet euch ein unverrükter sinn, so wachst ihr in der kraft von grad zu grade; ihr denkt an nichts, als, was euch GOtt gebeut, und bleibet fry, wenn ihr gebunden seyd." 1»з Vgl. Uttendörfer, Lebensideal, S. 20 f. zur Chorethik und Uttendörfer, Jugend, S. 82 f. zur Choridee. 194 JHD., 12. Juni 1758, in einem Rückblick Zinzendorfs nach Uttendörfer, Lebensideal, S. 21.
107
nachgehen, sei als Zusammenfassung das wiedergegeben, was Zinzendorf über die Einteilung der Gemeine in Chöre im Eventualtestament 1738 schrieb. Wir haben dabei allerdings zu beachten, daß dies seine Schau am Ende der von uns betrachteten Zeit war. „Die Chöre sind Ordnungen und Reigen, welche von Personen einerley Geschlechts und Standes formiret werden, als da sind von lauter Männern, lauter Frauen, lauter Wittwen, ledigen Manns-Leuten, ledigen Weibs-Personen, Knaben, Mägdgen, Kindern: und in unsern ordentlichen Gemeinen haben alle Chöre hinwiederum ihre Classen, kleine Gesellschafften, Arbeiter, Aemter und Aeltesten zusammengefaßt unter dem Aeltesten und den Helffern der gantzen Gemeine, wovon oben schon gesprochen ist. Wer das Geheimniß und die Seligkeit derselben recht einsiehet, der schätzet sich glücklich in dieser Verfassung.. ." 1 9 5 Wir sehen aus dieser Beschreibung, wie die bisher von uns geschilderten Gliederungsformen in dieser Gruppierung der Gemeine aufzugehen begannen. Damit entstand die spätere Organisation der Gemeine, die nicht mehr streng dem apostolischen Vorbild der Urgemeine folgen wollte. Zinzendorf sagte dies 1740 auf dem Gothaer Synodus ausdrücklich, als er die Begründung für die Anfänge der Chöre gab: „ C h ö r e . . . im N T stehet von der gleichen Abtheilung nichts... Wir wollens also vor keine biblische, sondern vor eine Mährisdie Br r Einrichtung ausgeben..., nur daß unsere n o c h . . . ordentlicher ist, als der alten Brüder ihre. Und wenns auch nicht biblisch noch mährisch wäre, so erforderten es dodi die Umstände, in denen wir stehen. Es ist jetzo eine gantz neue Welt." 196 So mußte sich auch die „apostolische" Ämterordnung, von der wir in Kapitel 3 sprechen werden, immer mehr in die Chorgliederung hinein auflösen. Jede Gliederungsform fordert ja ihre eigenen Dienste und Ämter. Am Rande sei hier die kritische Frage gestellt, ob nicht eine Gliederungsform, die die einzelnen Gruppen so betont gegeneinander abgrenzte, das Gemeinschaftsleben der Gesamtgemeine schließlich aufspalten mußte, so daß sich der einzelne nur noch in seiner besonderen Abteilung der Gemeine zugehörig sah. Positiv ist natürlich festzustellen, daß der einzelne seine Gaben innerhalb des ihm artverwandten Kreises viel selbstverständlicher im Dienst entfalten konnte. Und die Vielfalt der Versammlungen, in denen die ganze Gemeine im Saal zusammen war, schützte davor, daß die Aufgliederung eine Zergliederung wurde. Doch sei auf die Gefahr, die iss Theol. Bedenken, S. 181. 1 9 6 R 2 A N r . 3 A 1, Sessio V I I v. 16. 6. 1740, S. 143 f. zit. n. Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 144, Anm. 2. Uttendörfer (Weltbetrachtung, S. 128 ff.) weist nach, „daß Zinzendorf ungefähr seit 1740 den Gedanken der Maßgeblichkeit des apostolischen Zeitalters" aufgab. In diesem Zusammenhang bringt er Zinzendorfs spätere Ablehnung der Nachahmung der Arnoldschen Abbildung der ersten Christen (S. 129).
108
im Laufe der Brüdergeschichte nicht immer gebannt wurde, in diesem Zusammenhang hingewiesen.
5. Die ersten Lebensgemeinschaften der Ledigen Wir können uns mit dem in diesem Abschnitt Darzustellenden vor allem auf die beiden gründlichen Untersuchungen Uttendörfers über die Entwicklung der Chorgemeinschaften stützen, die er für die innere Beschaffenheit in seinem Buch „Das Erziehungswesen Zinzendorfs und der Brüdergemeine in seinen Anfängen" und für die äußere Entwicklung bis hin zum ersten Chorhaus in seinem „Alt-Herrnhut" bietet197. Wesentlich für unsere Aufgabe, den Dienst in der Gemeine darzustellen, ist dabei, wie solche Lebensgemeinschaften in besonderer Weise den Dienstgedanken und die Dienstbereitschaft förderten und Gelegenheit boten, eine bestimmte Gruppe von Gliedern der Gemeine für besondere Aufgaben zuzurüsten. Das geschlossene Bild, das wir uns von dieser Lebensform innerhalb der Gemeine machen wollen, verlangt, daß wir hier bereits über einige Ämter innerhalb der Chöre sprechen und überhaupt in größerer Ausführlichkeit auf einige Einzelheiten achten. Wenden wir uns zunächst zu der Lebensgemeinschaft der ledigen Brüder. a) Die Lebensgemeinschaft der ledigen Brüder Genauer müßten wir im Sprachgebrauch Alt-Herrnhuts von der „der jungen Purschen" sprechen. Sie bildeten von Anfang an im Gesamtbild der Gemeine eine wesentliche, prägende Gruppe. Aus ihren Reihen kamen entscheidende Anstöße zur Formung des Gemeinlebens, von ihnen waren eine ganze Anzahl wichtiger Gemeinämter besetzt. Namen wie: Andreas Graßmann, Leonhard Dober, Martin Linner, Tobias Leipold (auch Leippelt), M. Steinhöffer, Georg Piesch, Paul Schneider, Georg Schmidt, Matthäus Stach, Kriegelstein (auch Krügelstein), Fr. Böhnisch u. a., die im Mai 1732 die Classe der ledigen Brüder prägten, hatten in der Gemeine Gewicht198. Es ist verständlich, daß die Gemeinideen unter ihnen (wie dann auch unter den ledigen Schwestern) am meisten Resonanz finden mußten, da sie, familiär ungebunden, alle innere und äußere Kraft auf deren Ausgestaltung in ihrer Mitte legen konnten. Wichtig ist für uns auch zu wissen, daß die jungen Menschen unter den Zuwanderern nach Herrnhut einen erheblichen Prozentsatz ausmachten. 197 Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 215—228, A-H., S. 83—97. 198 Vgl. R 6 Aa 16, 7. 8. 9 (Leipold sonst audi Leupold).
109
Sie lösten sich natürlich leichter von den heimatlichen Bindungen als ältere, durch Familie und Besitz Gebundene und waren dann auch stärker bereit, alles Neue in Herrnhut in sich aufzunehmen. Verwunderlich ist es darum nicht, daß der Streitergedanke unter ihnen die empfänglichsten Herzen fand. Die erste Lebensgemeinschaft bildete sich unter den jungen Männern, als sie am 11. 2.1728 zusammenzogen 199 : „Es wurde eine Einrichtung gemacht, daß die jg Purschen aus den Häusern, wo entw. led. Weibspersonen oder Weiber, deren Mäner selten zu Hause sind, um Verdacht u. bösen Scheins u. unnötiger Gedanken willen der ledigen, weg u. zus. an einen Ort ziehen sollten, sich daselbst insbesondere zu erbauen. Ferner wurde die Einrichtung gemacht, daß Betstunden mit Purschen u. jungen Männern über den Zus.hang der Haushaltung Gottes u. uns r Ge ( = Gemeine) gehalten werden sollten. Mit der Apostelgeschichte wurde angefangen, it. sollen die led. Purschen Stunden haben, darin sie etwas in der Medizin begreifen, in der Geographie, im Schreiben, in Sprachen was lernen möchten, damit, wenn die seligen Zeiten, wovon gestern geredet worden sich nahen möchten, sie dergl. brauchen könnten (d. h. zum Botendienst in der Mission). Sie wurden im Flügel 200 einlogiert, waren an der Zahl 26. Sie machten Arbeiter unter sich, die die Aufsicht führen sollen, als David u. Melchior, die Nitschmänner u. Zeisberger. Georg Schmidt wurde Koch." 201 Am 12. Februar hieß es dann: „Die ledigen Burschen zogen ein." Auch wurde an diesem Tage die erste Geographiestunde gemeldet, die Zinzendorf mit ihnen hielt. Am 18. 2. wurde von einer theol. Stunde über Apg. 1—5 berichtet, am 19. 2. von einer Schreib- und Geographiestunde 202 . Am 22. Februar wurde bei ihnen dann noch das Amt des Krankenwärters besonders eingeführt: „Es wurde der Schluß gefaßt, daß man sowohl bei den jungen Purschen als Männern, Krankenwärter machen sollte." Die Notwendigkeit dieses Amtes zeigen uns die Eintragungen am 3., 4. und 7. März, daß Melchior Nitschmann und Paul Schneider krank waren 203 . Aus der Darstellung der ersten Gemeineinrichtung vom Frühjahr 1728 können wir dazu noch folgende Ergänzungen entnehmen: Christian David hatte die Oberleitung über sie alle. In den 4 Stuben wohnten 6 — 6 — ш Von inneren Verbindungen hören wir natürlich sdion früher. Ζ. B. hieß es im September 1727 im H . Diar.: „In diesen Tagen brauchte sich Gott zweier Werkzeuge, näml. des obengenannten Meldi. Nitschmann u. eines Töpfers Joh. Martin Dober. Diese arbeiten mit einer unermüdeten Treue unter den led. Mannspersonen u. hatten dabei vielen Zufluß der Gnade. Melchior erweckte u. zog alle in eine so innige Liebe, daß sie fast ohne ihn nicht leben konten u. sich ihm in den mindesten Dingen auf das herzlichste vertrauten. Dober aber wirkte in die Tiefe u. suchte einen reellen Glaubensgrund in ihnen zu legen." 200 ergänze: des Waisenhauses, gegenüber dem Herrschaftshaus. 201 H . Diar., 11.2. 1728. 202 H . Diar., 12. 2., 18. 2., 19. 2. 1728.
«оз Alles H . Diar.
110
7 — 7 „Junge Pursdien", die „durchs L o o ß " vier „Directoren" zugeteilt wurden 204 . Das waren die vorhin schon genannten Melchior, David (Zimmermann) und David (Leineweber) Nitschmann und Melchior Zeisberger. Dann heißt es wörtlich: „Die ihre Handthierung haben bleiben so lange es nöthig dabey, wen sie aber nach Herrenhuth oder sonst von der Arbeit komen, haben sie daselbst ihren Samelplatz;" das bedeutet, daß sie noch nicht gemeinschaftlich arbeiteten, wie ζ. T . später, sondern von ihrer gemeinsamen Wohnstätte aus zur täglichen Arbeit gingen. „Winters wohnen Melchers u. des Webers David Bande beysamen, ingleich des Zimerm. Davids u. Zeisbergers, des Somers aber in 4 Stuben übereinander, mitten im Flügel." Die Stubengemeinschaften waren also zugleich Seelsorgegemeinschaften, Banden, und die Genannten ihre Bandenhalter 205 . Wir sehen aus dem Ganzen, daß bei der Lebensgemeinschaft der ledigen Brüder von Anfang an der Gedanke im Vordergrund stand, die daran Beteiligten für den auf sie zukommenden Dienst als Boten der Gemeine zu schulen. Unter den Sprachen wurde „Böhmisch" genannt und von Zinzendorf hinzugesetzt, daß sie in dem unterrichtet würden, „was ihnen sonst zum künftigen Ausgehen nützl. seyn kan". Doch dauerte es noch 4 Jahre, bis dies dann in die Heidenwelt hinein wirklich geschah205. Inzwischen wurde die Zahl der Ledigen größer und die 4 Zimmer mögen nicht mehr ausgereicht haben; sie zogen im Februar 1731 in den Gasthof, den sie zugleich in ihre Bewirtschaftung nahmen 206 . Zwei von ihnen, Tobias Leupold und M. Kremser würden vom (Vice-)Ältesten Augustin Neißer „unter herzlichem Gebet" als Gastwirte eingeführt, wobei M. Kremser die Kocherei anheimfiel. Acht Stuben unter dem Dach wurden als Schlafräume für die jungen Burschen hergerichtet. Bis zu seinem Tode ( 2 6 . 2 . 1 7 3 3 ) wohnte der Älteste Martin Linner bei ihnen. Aus seinem Lebenslauf erfahren wir mancherlei über ihr Leben 207 . Ζ. B. wird uns die Ärmlichkeit der äußeren Umstände deutlich aus den Worten: „Er lebte hart und ernstlich, seinen ledigen, zum Theil sehr armen Brüdern sich gleidi zu stellen, kam er in kein Bette; sondern lag Sommers und Winters auch bey seinen kräncklichen Umständen auf dem harten Boden." 2 0 8 2 0 4 R 6 A a 18, lb, wörtlich: „Die Jungen Pursdie haben sich alle aus ihren bisherigen Wohnungen retiriret, u. in 4 Zimer des Flügels vertheilet, da sie ihre Haushaltung gantz für sidi haben, unter folgenden Directoren welchen sie durchs Looß gefallen . . . " (vgl. Beilage 2). 2 0 5 R 6 A a 18, lb. Vom Unterricht wörtlich: „werden audi zugleidi in Schreiben, in der geographie, in der Medicin, in Böhmisch, u. was ihnen sonst zum künftigen Ausgehen nützl. seyn kan, unterrichtet." (vgl. Beilage 2).
H . Diar., 19. 2. 1731. 207 Abgedruckt in Beschr. Drude, S. 169 ff. 2 0 8 Beschr. Druck, S. 190. Die Ärmlichkeit wird uns auch durdi Pfarrer Annonis Reisetagebudi von 1736 berichtet: „. . . besuchten wir die Jung-Gesellen, welche allhier als Frömdlinge leben und die gantze obere Etage in unserm Gasthofe, welche aus vielen 206
111
Linner scheint überhaupt der widitigste Förderer der Chorhausidee gewesen zu sein. Der Lebenslauf sagte: „ E r brachte es auch, damit (äußerliche Gelegenheit oder doch Anstoß zu vermeiden) in keinem Hause zu Herrnhut ledige Leute beyderley Geschlechts zusammen wohnen dörften, dahin, daß ein grosser Theil der ledigen Leute, theils in eigene erbaute Häuser, theils in eine Commun zusammen zogen, und unter fleißiger Treibung der Haus- und Feld-Arbeit und Manufacturen das Geschäfft der Seelen gantz gemeinschaftlich und mit grossem Ernst zu treiben anfieng." 209 Zu dieser Zeit begann dann auch die Arbeit in eigenen Werkstätten im Brüderhause, Schneiderei und Wollspinnerei, wohl aber noch auf eigene Rechnung 210 , doch zeigte sich bald eine Tendenz zur Gütergemeinschaft: „Stücker 8 junge Burschen haben sich unter Gebet u. vielen Ermahnungen des Bruders Leupold verbunden, die Gemeinschaft der Güter unter sich einzuführen in Nahrungssachen", hieß es am 12. März 1733 211 . Uber das Thema „Gütergemeinschaft und Verleugnung des Eigentums" war aber schon früher, am 22.4.1731, gesprochen worden 212 . Inwieweit sich der Gedanke dann praktisch durchgesetzt hat, ist leider nicht feststellbar. Die Bewirtschaftung des Gasthofs verloren die ledigen Brüder 1733 wieder, die Lebensgemeinschaft in den Gasthofstuben jedoch blieb 213 . Eine Chorhausordnung ist uns aus dem Jahre 1736 überliefert. Aus ihr entnehmen wir folgendes, was uns für die Gemeinschaft wichtig erscheint: „Die Verfassung und Ordnung der Stuben auf dem Gasthof. Zum 1. kann und soll keiner hier wohnen, dem es nicht hauptsächlich um seine Seele zu tun ist, denn die Gemeine hat lediglich aus Liebe den ledigen Brüdern den Gasthof als einen bequemen Ort dargegeben, daß sie beisammen wohnen können und in Liebe sich untereinander vertragen und untereinander sich erbauen auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, da einer den anderen reizen soll, dem blutbefreundten Lamm nachzuwandern und sich untereinander kennen sollen lernen, damit sie ein Herz, Seele und Leib sein mögen. Ferner, daß sie einander mit Ehrerbietung begegnen und einer den andern höher halte als sich selbsten, damit sie der Herr zubereiten kann in der Gemeine, zu was sich ein jeglicher schickt zum Gebrauch und Dienst des Heilandes. Welche hier wohnen wollen, die müssen Brüder sein oder doch solche, die einen redlichen, lauteren Willen haben, daß sie Brüder werden wollen kleinen Zimmern oder Zellen besteht, innen haben, und meistens ein strenges Leben führen, mithin audi des Nachts sich keiner Bethen bedienen, sondern nur so auf dem stroh oder auf der mit einer Decke belegten Bethlade auszurasten pflegen." (ZBG 1911, S. 77). 2 0 9 Linners Amtsführung, Beschr. Drude, S. 187. 210 Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 217. an H . Diar., R 6 Ab 11, 2 u. J . Tills Tagebuch 14. 3. 1733 zit. n. Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 217. 212 H . Diar., nach Uttd. A-H., S. 85. 213 U n d . A-H., S. 84.
112
und den lieben Heiland erkennen und sich ihm lediglich hingeben und aufopfern wollen und denn auch der brüderlichen Zucht und Ermahnung unterwerfen, wie wir singen: Sich dir geben und nach dir der Brüderschaft pp. Dieses ist der Hauptsinn, welcher unsere einzige Arbeit sein muß." Dann wurden unter 2. und 3. äußere Ordnung und Reinlichkeit verlangt. Die scharfe Zucht der Gemeinschaft wird uns deutlich aus den Punkten 4. und 5.: „4. Keiner soll verreisen, der es nicht vorher meldet; auch wenn er nur über Nacht ausbleibt, so soll er es bei einem Bruder melden. Wer aus dem Gasthof geht, soll die Sach, die er zum Liegen bekommen hat, wieder dalassen. 5. Es soll ein jeder, wenn er nicht was zu verrichten oder sonst Seelenumstände betreffend, in seiner Stube bleiben; eitles Geschwätz und Historienerzählen soll vermieden werden. Wo es aber geschieht und hört es ein anderer Bruder, soll er es erinnern. Es soll niemand, wenn er ermahnt wird, widersprechen, sondern in Liebe annehmen und sich bessern."214 Die letzten beiden Punkte hatte L. Dober hinzugesetzt. Wir hören aus dieser Ordnung sehr deutlich, welchem Zweck die Gemeinschaft und ihr Leben dienen sollten: Die Brüder sollten in Liebe beieinander wohnen, damit sie der Herr zum Dienst zubereiten konnte, der in der Hingabe und Aufopferung des Lebens für den Heiland geschehen sollte. Hier wurden die Streiter Christi geformt, die die Botschaft seines Sieges hinaustragen sollten zu den Heiden 215 . Uns interessiert nun noch, wie dieses große Ziel durch innere Ordnung angestrebt wurde. Zunächst half dabei die seelsorgerliche Gliederung in die Banden, die, wie gesagt, den Stubengemeinschaften entsprach. Wir brauchen das bereits über die Banden Gesagte hier nicht zu wiederholen (vgl. unter 1. S. 93 ff.). Mit der Einführung der Classen (nach dem Grad des inneren Lebens) kam es auch bei den ledigen Brüdern zur Klassifizierung in Schüler (Ungelehrige, Neue, Willige, Kräftige), Kinder und Jünglinge. Wir sprachen auch davon schon (vgl. 2. S. 99 ff.). Später kam es zur Zuordnung von jeweils einem geistlich erfahrenen Bruder zu einem Anfänger im Glauben. Durch die so gepflegte enge brüderliche Seelsorge und das Achthaben auf das geistliche und sonstige Leben wird sich bald eine gemeinsame Ausrichtung auf das große Ziel, dem Heiland ganz zu dienen, ergeben haben. Nicht unwichtig ist dabei eine solche Bestimmung wie der letzte Satz in der zitierten „Verfassung und Ordnung" von 1736: „Es soll niemand, wenn er ermahnt wird, widersprechen, sondern in Liebe annehmen und sich bessern." Wurde danach gehandelt, dann war durch die sicherlich fleißig geübte gegenseitige Ermahnung eine Selbsterziehung 214 V A R 14 F 4, l a vom 29. 2 . 1 7 3 6 , abgedr. bei Uttd. A - H . , S. 85 f. 2 1 5 So konnte eine Liste von 1733 sie bezeichnen: „als junge, unangesessene Mannschaft, welche sich meistens nur als Handwerksburschen hier aufhalten und nur ab- und zugehen". (Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 2 1 7 nach R 6 Aa 16, 8.)
113
garantiert, die zu höchstem Einsatz befähigte. Daß man sich hierbei gegenseitig nichts ersparte, ist aus dem ganzen Gemeingeist jener Zeit verständlich und wird audi aus Tagebüchern ganz deutlich. Ein großes erzieherisches Moment mag dabei das Vorbild der „Jünglinge", der reifsten Gruppe unter den ledigen Brüdern, gewesen sein, zu denen Linner, L. Dober, Graßmann, Leupold, Schneider, Schmidt und andere gehörten. Am 11. Januar 1731 hieß es von ihnen: „9 Brüder von Jünglingen, neml. Linner, Leupold, Graßmann... waren beysammen mit innigster Erweckung, wir machten einen ewigen Bund vor dem Herrn, daß sie Ihre Jugend und JünglingskrafFt ihrem Bräutigam ganz auffopffern wolten, u. redeten v. denen Führungen u. Kampf u. Überwindung u. Bewahrung so deutlidi u. klar, daß sie davon empfindl. bewegt wurden." 219 Anfang Juli 1731 muß unter den jungen Burschen eine Art Erweckung geschehen sein. Das Gebet wurde ihnen überaus wichtig. Am 2.7.31 wurde darum vermerkt: „Des Abends nadi der Betstund gingen unsre Brennende Jungen Purschen in 2 Theilen, eine Parthy aufm Hutberg, die andre sonst wohin zu beten... es ist wie vor 4 Jahren." 217 So ähnlich mag es auch in der kommenden Zeit weitergegangen sein, denn am 22.1.32 gab ein Gespräch über verdorbene Natur und eigene Schuld „Anlaß, daß alle Jünglinge einen Bund machten, alle und jede Anfälle in die JünglingsBande zu bringen und gemeinschaftlich darüber herzuziehen ein jeder will sich selbst alles offenhertzig bekennen und darff daß auch einer dem andern thun, deßwegen wollen sie alle Tage zusamkommen sitzend oder stehend einander bekant machen ohne alle scheu was sich den Tag neues gefunden, auch sogar die Träume in sume alles was unser Ritter-Ordnung zuwider laufft. Vielleicht wirds seinen gewißen Seegen haben."218 Aus dieser Eintragung sehen wir, wo der Streitergedanke seine eine Wurzel hatte: im Kampf gegen Sünde und Satan im eignen Fleisdi. Zu den in Herrnhut bekannten Liedversen gehörte auch jener: „Wer ein rechter Christ will sein, Gott dienen allein, der muß ritterlich im Streit kämpfen allezeit."218 Hierzu fügte sich im Vollzug der Botentätigkeit der Gedanke, für das Reich Gottes gegen den Satan auch in der Welt zu kämpfen und zu streiten. Doch darüber haben wir im Kapitel 6 ausführlicher zu reden. Zur gegenseitigen Seelsorge trat nicht minder prägend die Stunde, später Viertelstunde, der Classe am Sonntag beim Grafen. Christian David schilderte in seiner Beschreibung von 1729/30 solch eine SonntagsverH . Diar., 11. 1. 1731, zit. n. Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 218. " H. Diar., 2. 7. 1731, nadi Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 219. 2 1 8 H . Diar., 22. 1. 1732, nadi Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 219. 2ie Diese Verszeile sandte Rosina Fritsdi 1730/31 der Erbprinzessin als Gruß nach Dänemark (R 6 Aa 21 b, 1 u. 3). Der Vers heißt weiter: „Denn das Fleisch bekämpft den Geist in uns allermeist." 216 2
114
mahnung. Zum Sprudi 2. Tim. 2,22 wurde geredet: „Fleudi die Lüste der Jugend: Jage aber nach der Gerechtigkeit, dem Glauben, der Liebe, dem Friede, mit allen die den HErrn anrufen aus reinem Hertzen. Die Lehre wird gegeben, wie man diesen Feind nicht besser als mit Fliehen überwinden kan, sich in seinem Gemüthe mit dieser Sünde in keinen andern Streit, als mit fliehen, wegwenden und vergessen, einlassen, alle Bilder und Vorstellungen fahren lassen, alle Gelegenheit mit anderm Geschlechte, auch da man meinet was gutes zu schaffen, wo man nicht diesen Feind überwunden, meiden, hingegen aber sich das edle Leben Christi in seinem Gemüthe vorstellen, mit den Brüdern gemeinschaftlich seyn, und in allen seinen Gedancken, Begierden, Wollen und Sinnen eine rechte Treue gegen den lieben Gott in allen seinem Berufe als Christi Knecht zu beweisen suchen, den Glauben, der Liebe und dem Frieden fleißig nachjagen, gar nidit müßig seyn, in seinem Berufe bleiben, und immer das einige Nothwendige erwehlen; so kan man diesen Feind am besten überwinden."220 Im Gasthof selbst wurde jeden Abend um 10 Uhr eine „Viertelstunde", wohl eine Abendandacht gehalten, „an jedem Tag der Woche von einem andern der 7 dazu bestimmten Brüder" 221 . Also müssen auch unter den ledigen Brüdern „Lehrer" gewesen sein, wenn sie vielleicht auch nicht den Titel führten. Sonst hatten sie ihre leitenden Brüder als Vorsteher bezeichnet oder als Älteste. Hier wird sich eine regelrechte Ordnung erst im Laufe der Jahre ausgebildet haben. Zunächst ragte wohl die Ämterordnung der Gesamtgemeine durch ihre ledigen Vertreter in die Classe der jungen Burschen hinein. Die Gesamtbezeichnung der führenden Brüder war auch hier der Sammelname „Arbeiter". Ältester war zuerst „kraft seiner Vertrauensstellung bei den Brüdern naturgemäß Melchior Nitschmann, einer der 4 Oberältesten der Gemeine, nach dessen Tode (1729) von 1730—1733 Martin Linner, von da ab Leonhard Dober" 222 . Linner und Dober waren zugleich ja auch Älteste der Gesamtgemeine. Sie hatten darum „zu ihrer Vertretung ihrem Chor gegenüber, zeitweise wenigstens, einen Vizeältesten".222 Andere waren ihnen als Helfer oder Gehilfen beigeordnet. Unter ihnen werden wir die Bandenleiter (und Stubenältesten) und später die Classenleiter zu sehen haben. Auch sie hatten andere Ämter in der Gesamtgemeine. Alle, die Verantwortung im Chor trugen, gehörten in den Jahren 1732 ff. zur Classe der Jünglinge. Wie Martin Linner sein Ältestenamt verstand, schrieb er einmal an den Grafen: Es führe den Namen mit sich, „ein Vorbild gewesen, ein Vorbild geblieben, ein Vorbild beharret seyn bis zur Vollendung; welches Bild Christi in seinen Tugenden keine Stunde sich an einem Aeltesten anders 220 c . D. Besdir. Druck, S. 90 f. 221 222
Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 221. Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 222.
115
zeigen soll als im lebendigen Glauben, Hertzen zu gewinnen, zu beugen und in Ehrfurcht zu setzen" 223 . Und sein Lebenslauf setzte ihm das Denkmal: „Was für herrliche Einrichtungen und Ordnungen, was für accurate Zucht, was für Erweckung, Gründung und Befestigung der Seelen unter Junggesellen, Knaben und Kindern, deren er sich angenommen, durch ihn geschehen, davon ist nicht zu sagen." 224 Von wichtigen äußeren Diensten haben wir den des Krankenwärters schon erwähnt. Sehr nötig war die Tätigkeit des Kochs. Durch den gemeinsamen täglichen Tisch wuchs natürlich auch die Gemeinschaft. Sehr üppig wird der Speisezettel nicht gewesen sein. Uns fällt jedenfalls auf, aber das liegt ja audi ganz in der Natur der Sache, daß der ganze Hausbetrieb, Kochen, Reinigen, Pflegen allein von den Brüdern unterhalten wurde. Eine weibliche Hand war nirgends tätig. So können wir abschließend von der Lebensgemeinschaft der ledigen Brüder sagen, daß diese wohl geeignet war, eine Schar junger Männer zu formen, die sofort zu jedem Dienst zur Verfügung standen, wenn der Ruf der Gemeine sie traf. Wir werden im Kapitel 5 sehen können, wie aus der Vorbereitungszeit im Haus der jungen Burschen sich die Lebenshingabe im Botendienst Jesu als nächster Schritt ergab.
b) Die Lebensgemeinschaft
der ledigen Schwestern
Die Entwicklung zu einer Lebensgemeinschaft setzte bei den ledigen Schwestern wesentlich später ein als bei den ledigen Brüdern. Leider haben wir für die frühe Zeit nicht genug Zeugnisse, die uns ein klares Bild vermitteln. Aber ihre Gruppierung war, wie die der jungen Burschen, für das Leben der ganzen Gemeine wichtig und ist in die Zukunft hinein wirksam geworden. Merkwürdig war es ja, daß der Älteste der ledigen Brüder Linner und die Älteste der Jungfern Anna Nitschmann bei der Umgestaltung des Ältestenamtes 1730 schließlich als Älteste an der Spitze der ganzen Gemeine standen225. Es mag zu den ersten wirksamen Handlungen der noch so jungen Ältesten Anna gehört haben, daß sie am 4. Mai 1730 mit 17 Schwestern einen Bund Schloß, „erst einmal selbst ganz des Heilands zu sein, sich nicht auf den ledigen Stand zu setzen, aber alles dem Heiland und den Ältesten zu überlassen, keinen Willen und keine Wahl mehr zu haben". Der Grund für diesen Zusammenschluß war die Erkenntnis: „Wir gehen jede unsern 223 Beschr. Druck, S. 180. 224 Beschr. Druck, S. 181. Linners Briefe, die in seiner „Amtsführung" (in Beschr. Druck, S. 169 ff.) ζ. T. abgedruckt sind, geben interessante Einblicke in das geistliche Leben nidit nur dieses Mannes, sondern der Gemeine dieser Zeit überhaupt. 225 S. Kap. 3 В I, la, Die Ältesten (S. 150).
116
Gang für sich und wissen kaum selbst, was wir wollen." 228 Es ist zu vermuten, daß sie schon in dieser Zeit ihres Bundes nach einer engeren Lebensgemeinschaft getrachtet haben, so wie sie es bei den ledigen Brüdern ja vor Augen hatten. Im Jahre 1733 war es dann so weit, eine kleine Gruppe von ihnen zog in Kühneis Haus 2 2 7 . Anna Nitsdimann erzählte über den Anfang in ihrem Lebenslauf: „Den 26. Jan. 1733 zog ich dann in das sogenannte Jungfernhaus (mit 13 andern), da war ich nun recht vergnügt. Wir lebten herzlich untereinander und es wurden viele Nächte im Gebet zugebracht." „Wir lebten anfänglich in der Gemeinschaft der Güter, dann aber fing bei etlichen an, der Argwohn einzureißen und die Liebe wurde gestört." 228 Bis 1739 blieben die Jungfern hier und wohnten dann ab 1740 im heutigen sog. Diaspora-Haus an der Zittauer Straße, das ihnen allein zur Verfügung stand. Auch das reichte jedoch bald nicht mehr aus, weil man sich zu dieser Lebensgemeinschaft drängte und weil die Ordnung, daß nirgends ledige Brüder und Schwestern zusammenkommen sollten, immer schärfer durchgeführt wurde 229 . Einige Zahlen seien genannt: 1733 wurden etliche 70 Jungfern in Herrnhut gezählt, von denen die genannten 13 in Gemeinschaft lebten. 1734 scheinen von den 62 gezählten Jungfern 25 zusammen gelebt zu haben. 1742 wohnten „von den cirka 120 Schwestern... etwa 40 im Schwesternhaus, 20 im Waisenhaus und den andern Anstalten und vielleicht noch etwa 20 in ein oder zwei größeren Gruppen in besonders dafür gemieteten Stuben in Bürgerhäusern, nur noch ein Drittel dürfte im Elternhaus oder sonst wie in Familien tätig gewesen sein" 230 . Die ledigen Schwestern ernährten sich zum großen Teil mit Nähen, Stricken, Wolle-, Flachs- und Baumwollspinnen. Die meisten von ihnen werden dabei ein sehr ärmliches Leben geführt haben. Aber „das Glück des Zusammenlebens überwog bei der Mehrzahl diese äußeren Nöte weit" 231 . 22β Uttendörfer Erziehungswesen, S. 226, nach Pütt, Denkwürdigkeiten § 153. Anna Nitsdimann war damals 14'/г Jahre alt (geb. am 24. N o v . 1715 nadi Sterberegister Herrnhut). Eine geordnete Bandeneinrichtung hatten die ledigen Schwestern sdion vorher. Zinzendorf notierte am 6. März 1730 (R 6 A a 16, 5/28): „Mit denen erwadisenen Jungfrauen hat es die Bewandniß, daß sie unter sidi nunmehr audi 4 Gesellsdiaften auffgeriditet und befinden sich N . 1 Anna Fiedlerin (mit 5 Namen), N . 2 Rosina Elisabeth Wagnerin (mit 9 Namen), N o 3 Rosina Hauerin (mit 7 (8?) Namen), N o 4 Judith Haberlandin (mit 6 Namen). Die Kleineren Jungfrauen sind in 2 Gesellschaften vertheilet. Anna Nitsdimannin ihre Älteste von 16 Jahren (?) hat bey sich (9 Namen) 2) Charlotte v. Seydewitz (4 Namen) 3) Juliana Haberlandin (3 Namen)." Die kleinen Mäddien waren in 2 Gruppen zu 4 und 7 Mädchen eingeteilt. 227 Uttd. A-H., S. 92. 228 A. Nitschmanns Lebenslauf, Brüderbote 1897, S. 184, zit. n. Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 226 f. 230 Uttd. A-H., S. 94. 22β Vgl. Uttd. A-H., S. 93. 231 Uttd. A - H . , S. 95.
117
Sie hatten natürlich auch ihre Banden. Dazu kamen ihre besonderen Classenviertelstunden am Sonntag, in denen sie über ihre Aufgabe, dem Heiland zu folgen, belehrt wurden. Auch alle andere geistliche Arbeit aneinander und miteinander ist bei ihnen ebenso getan worden wie ζ. B. bei den jungen Burschen. Sie führten auch keineswegs ein beschauliches Leben für sich, sondern waren ja in das lebendige geistliche Leben der Gemeine mit mannigfachen Ämtern miteingeordnet. Die prägenden Persönlidikeiten unter ihnen waren wohl vor allem Anna Nitschmann und Anna Schindler. Auch bei den Schwestern bildete sidi eine eigene Ordnung heraus. Leider haben wir dafür für die frühe Zeit kein Zeugnis, sondern erst von 1742 einen genaueren Bericht. Maria Magdalena Augustin, die damalige Leiterin des Herrnhuter Schwesternhauses, schrieb am 3. Mai 1742 an Zinzendorf: „Was nun die Einrichtungen sind unter unserm Chor, so haben wir Besuch, Almosenpflegern, Konferenzdienern, Schreibern, Liebesmahldienern, Köchin der ledigen Schwestern, Aufsehern im Hause, Klassenhaltern. Der Besuch ist so: Es sind 26 Schwestern, und da gehen die Woche 10 das ganze Chor besucht (!) und auch das große Mädchenchor zugleich. Unser Chor ist 100 und etliche 20 stark, das große Mädchenchor 39, und der Besuch wird alle 4 Wochen geändert." Sie nannte dann 16 Gesellschaften ( = Banden) und 9 Klassen, eine Schwester, die die Armenkasse hatte und ihr zugeordnet 2 Helferinnen. Ein Schlafsaal fehlte noch. Früh und abends wurden Viertelstunden, also Morgen- und Abendandacht im Betsaal gehalten. Auch täglicher Unterricht im Schreiben und Lesen wurde erteilt. „Es ist so ganz was Besonderes; wenn man ins Haus kommt, so fühlt man eine besondere Gnade." 2 ' 2 Obgleich nun hier manche Einrichtung die spätere Zeit verrät, können wir doch im »Vergleich mit der Brüderhausordnung schließen, daß auch die Schwestern ihre Lebensgemeinschaft bald so geformt hatten, daß sie gern in ihr lebten, geordnete Seelsorge in ihr erfuhren und darüber hinaus zur seelsorgerlichen Führung anderer angeleitet wurden. Denn der Chorbesuch, der ja schon 1733 gepflegt und auch genannt wurde, wird auch in der Jungfern-Classe geübt worden sein, um keine in ihrem inneren und äußeren Leben allein zu lassen und um auch die nicht zur Lebensgemeinschaft des Schwesternhauses gehörigen ledigen Schwestern an den Früchten des gemeinsamen Lebens teilhaben zu lassen. Im übrigen ist anzunehmen, daß das innere Brennen für den Dienst Christi unter den Schwestern nicht geringer war als unter den Brüdern. Auch sie wurden ja später auf Botschaft geschickt, wenn man auch nach einigen schlechten Erfahrungen dann fast nur noch Eheleute dazu wählte. Aber hier im Schwesternhaus lebten ja die künftigen Missionarsfrauen. 232 R 6 Aa 42 1, 20, zit. n. Uttd. A-H., S. 93 f. 118
Ihr hingebender Einsatz im Heidenland, der für die Folgezeit von mancher aus ihrem Kreis zu berichten ist, wird nur verständlich, wenn man von der Bereitschaft zur Lebenshingabe an Christus schon in ihrer Mädchenzeit weiß. So ist der Streitersinn keineswegs nur auf die Classe der ledigen Brüder beschränkt geblieben; er hat die Schwestern ebenso ergriffen und, durch ihre Lebensgemeinschaft gefördert, die Frauen geformt, die zur „Streiter-Ehe", zur ehelichen Gemeinschaft, die ganz dem Dienste Christi gewidmet war, fähig waren283. Sehen wir vom Einsatz im Botendienst zunädist noch ab, so ist aus dem Dargestellten deutlich, daß das gemeinsame Leben sowohl unter den ledigen Brüdern als auch unter den ledigen Schwestern eine gegenseitige Dienstbereitschaft erforderte, die nur aus der Einmütigkeit im Glauben und Leben erwachsen konnte. Durch den gemeinsamen Tageslauf wurde das Leben des einzelnen gemeinschaftlich geformt. Eigenwünsche mußten sich gemeinsamen Zielen unterordnen. Durch die gemeinsamen geistlichen Erfahrungen im Hören auf die Schrift, im Tragen bestimmter Nöte und im gemeinsdiaftlidien Gebet, überhaupt durch die einmütige innere Ausrichtung in der großen Gemeine und in der eigenen Classe (Chor) erfuhr der einzelne das Leben mit Gott immer zugleich als Glied der Gemeinschaft. Daß diese Einordnung und Unterordnung unter die gemeinsamen Ziele nicht als Last, sondern als Hilfe zum Glauben und Leben empfunden wurden, zeugt davon, daß dem persönlichen Wachsen im Glauben und Hineinwachsen in den Dienst genügend Raum geblieben sein muß. Die Lebensgemeinschaften waren in der ersten Zeit auch noch völlig mit dem Leben der Gesamtgemeine verflochten. Erst später entwickelten sie ein Eigenleben in den Chorhäusern, durch welches sie zu nicht ungefährlichen Eigenkörpern im Leben der Gemeine zu werden drohten. Davon war im alten Herrnhut noch nichts zu spüren. Ganz im Gegenteil befruchteten sich Leben der Gemeine und Leben in den Classen (Chören) gegenseitig. Die Lebensformen der Gemeine wurden in der engen Lebensgemeinschaft der Classe durchgeführt, und die Erfahrungen der Lebensgemeinschaften kamen in der Gemeine zur Geltung. Die Ordnungen und Ämter beider Bereiche überschnitten sich noch und begrenzten sich nicht gegenseitig. So haben wir in den Lebensgemeinschaften der Ledigen wesentliche 23S Vgl. d i e Bemerkungen von H . Renkewitz, Der diakonische Gedanke im Zeitalter des Pietismus (H. Krimm, D a s diakonisdie Amt der Kirche, S. 297 f.), zur Mitarbeit der Schwestern: „Der ,Streitergeist' gewann in ihren Herzen nicht weniger Raum als bei den Brüdern. Die Erziehungsarbeit und der Missionsdienst der Gemeinde sind nicht zu denken ohne die opfervolle, diakonisdie Hin'gabe der Lehrerinnen, Missionarsfrauen und Missionsschwestern. Von den rund 1300 Missionsfrauen und -sdiwestern, die im L a u f e von reichlich 200 Jahren im Dienst der Mission ausgegangen sind, stammt mehr als die H ä l f t e aus der Brüdergemeine selbst und ein Fünftel aus Missionarsfamilien."
119
Träger des Dienstgedankens in der Gemeine zu sehen, ohne die es bestimmte Ausprägungen in der vorliegenden Form kaum gegeben hätte. Sie bildeten ein wichtiges Element im geordneten Dienen der Gemeine als Dienstgemeinschaft, als Dienstschule und als vorbereitete Gruppe für Dienste, die einen besonderen Einsatz erforderten. Wir blicken noch einmal zusammenfassend auf das im Abschnitt С über das Leben in den seelsorgerlichen Gruppen der Gemeine Gesagte zurück. Zwar haben wir am Ende der Darstellung jeder einzelnen Gliederungsform eine Wertung für unsere Frage nach dem geordneten Dienen zu geben versucht, aber es gilt nun doch noch, das Gemeinsame aller Formen herauszustellen. Gerade die Verschiedenheit der Versuche, die Gemeine in Gruppen einzuteilen, zeigt uns, daß die Aufgliederung der Gesamtheit in Herrnhut zum Prinzip gehörte. Dieses selbständige Hinausgehen über das „apostolische" Gemeindeideal wird dabei vor allem Zinzendorf zuzuschreiben sein, denn er scheint bei allen Formen der gewesen zu sein, der dazu anregte. Das Grundanliegen der Gliederung war ein seelsorgerliches. Um der besseren, geordneten Seelsorge am einzelnen willen mußten kleine, überschaubare Gruppen gebildet werden. Die verschiedene seelsorgerliche Situation je nach der geistlichen Beschaffenheit oder den ständemäßigen Bedingungen führte zur Bildung der verschiedenen Classen. Zunächst stand also der einzelne im Blick, wenn die Gemeine gegliedert wurde. Daraus wurde nun allerdings, da die ganze Gemeine ohne Ausnahme davon erfaßt wurde, eine Durchgliederung und Durchorganisation der Gemeine selbst. Der Bruder und die Schwester wurden über die Gruppe so stark in die Gemeinschaft eingegliedert, daß sie ohne Bindung an eine Gruppe gar nicht zur Gesamtgemeinschaft gehören konnten. Ein „einsames" Christsein war also im alten Herrnhut unmöglich. Das bekannte Wort Zinzendorfs „Ich statuiere kein Christentum ohne Gemeinschaft" 234 , wurde gerade in den kleinen seelsorgerlichen Gemeinschaften verwirklicht, die den Leib der Gemeine ausmachten. Es wäre allerdings ein Mißverständnis, würden wir vermuten, daß damit jedes persönliche Leben von der Gemeinschaft, vom Kollektiv aufgesogen worden wäre. Gerade die seelsorgerlichen Gruppen hatten die Aufgabe, den einzelnen zum persönlichen Umgang mit dem Heiland zu erziehen. Zinzendorf konnte dies später mit den Worten ausdrücken: „Wir müssen mit dem Heiland in Person bekannt w e r d e n . . . Es ist nicht genug, 2 3 4 „Zinzendorf zu Peistel 1736: Haben Sie Gemeinschaft? J a , wir sehen einander täglich und reden vom Heiland. Zinzendorf antwortet: Das ist Gemeinschaft, ich statuiere kein Christentum ohne Gemeinschaft." (im Lebenslauf von Peistel, zit. n. Uttendörfer, E v . Gedanken, S. 168).
120
daß wir ihn gemeinschaftlich loben und haben, sondern ein jeder muß sagen können: I c h bin mit ihm bekannt, meine Seele sagt m i r ' s." 235 Die verschiedenen Versuche Zinzendorfs zur Aufgliederung der Gemeine zeigen uns, wie geistliche Gruppierung und Gruppenbildung nach den natürlichen seelsorgerlichen Voraussetzungen ineinandergriffen. Die gesetzlichere Form der Gruppierung nach geistlichen Stufen wurde später zugunsten der dem Evangelium gemäßeren Form der Einteilung nach den natürlichen Ständen aufgegeben. Die Banden entwickelten sich aus Gesellschaften mit dem Zweck gegenseitiger Gewissensforschung zu kleinen Gemeinschaften besonders vertrauten persönlichen Umganges miteinander. In dieser Entwicklung lag eine gesunde Tendenz. Die kleine Gemeinschaftsform war somit der besondere Ort des gegenseitigen Dienstes der Glieder in Seelsorge und Lebenshilfe. Die starke persönliche Bekanntschaft mit dem Leben des andern erleichterte die Erfüllung des Liebesgebotes. Der „Nächste" war einem in der geordneten Form des kleinen Kreises zugewiesen. Daß dies zu keiner Cliquenbildung führte, ist dem gemeinschaftlichen Geist und dem oftmaligen Wechseln der Zuordnung zuzuschreiben. Die kleine Gemeinschaft erleichterte zugleich die Übernahme fest umrissener Dienste in verschiedenen Ämtern. D a die vielen kleinen Gruppen eine Fülle von Beauftragten verlangten, wurde die Übernahme eines Dienstes zum Selbstverständlichen der Gliedschaft. Dadurch, daß kleine, begrenzte Aufgaben im übersehbaren Kreis verteilt wurden, werden auch die Zaghaften zum Dienst bereit gewesen sein. Der kleine Kreis wurde somit zur Ämterschule. Die Vielfalt der Gruppen machte dann die Gesamtgemeine aus. Auch hier traten sie in der gegliederten Form in Erscheinung, sei es durch das nach Chören geordnete Sitzen in den Versammlungen im Saal, sei es durch die Folge der „Viertelstunden" am Sonntag, sei es durch Übernahme gemeinsamer Dienste. Innerhalb der Gesamtgemeine wurden die verschiedenen Gaben und Aufgaben der Stände herausgearbeitet. Das Miteinander im gegenseitigen Dienst ergab das Leben der Gesamtheit. So lebte der einzelne als Glied der Gemeine immer zugleich in der ihm besonders zuerkannten Aufgabe seiner Gruppe. Geordnetes Dienen in der Gemeine geschah somit nicht nur von einzelnen an einzelnen Menschen, sondern auch durch die einzelnen Classen aneinander und miteinander. Schließlich haben wir gesehen, daß im alten Herrnhut die engste Verbindung in der Form der Lebensgemeinschaft nicht zur Abkapselung und zur Pflege eines introvertierten Gemeinschaftslebens führte, sondern daß gerade die Lebensgemeinschaften der Ledigen die nötige Vorbereitung für den besonderen Dienst des Boten und Missionars darstellten und durch 235 5. August 1753, zit. n. Uttendörfer, Ev. Gedanken, S. 167.
121
das gemeinsame Leben zur völligen Lebenshingabe im Dienste Christi erzogen. Das geordnete Dienen wäre im alten Herrnhut ohne die in diesen verschiedenen Formen durchgeführte Gliederung der Gemeine nicht möglich gewesen.
122
KAPITEL 3
Geordnetes Dienen in den Ämtern der Gemeine A . D I E ENTSTEHUNG DER ÄMTERORDNUNG
1. Allgemeines zur Ämterordnung Wir wenden uns nun dem Besonderen in Herrnhut zu, das in den Beschreibungen Christian Davids und auch sonst in allen Mitteilungen über die Herrnhuter Gemeine die erste Stelle einnimmt: der Ordnung der Ämter. In der Tat war dies ein Kennzeichen auch aller später gegründeten Gemeinen, daß in ihnen die verschiedenen Ämter für die als nötig erkannten Dienste gesetzt wurden. Man sprach erst dann von einer „eingerichteten Gemeine", wenn Menschen da waren, die die klar umrissenen Aufgaben übernommen hatten1. Warum Ämter? „Aemter sind nichts anders, als Eintheilungen der Geschaffte unter vielen Personen", sagte Zinzendorf im Eventualtestament2. Da es von Anfang an in der Herrnhuter Ansiedlung Menschen gab, die „geschäftig" waren und im Tun des Glaubens wachsen wollten und andererseits sowohl Zinzendorf als audi Rothe die offen zutage tretenden Gaben zum Nutzen des Ganzen einsetzen wollten, war es kein überraschender Schritt, als man daran ging, das Leben zu ordnen und die vorhandene Dienstwilligkeit mit den Rechten und Pflichten eines ordentlich übertragenen Amtes zu versehen. Vor allem aber wollte man ja das apostolische Gemeindeideal verwirklichen, und dazu gehörten, jedenfalls in Herrnhuter Sicht, Ämter.
1 Als Zinzendorf 1739 zum ersten Mal nach St. Thomas kam, riditete er unter den gewonnenen Negern sofort die Herrnhuter Ämter ein. J. Plitt, Denkwürdigkeiten § 191, Bd. 3, S. 411 zitiert das Konferenzprotokoll vom 15. Febr. 1739: „Da sind Arbeiter durchs * ( = Los) ausgemacht worden. Aelteste Peter u. Magdalena,... Helfer, Diener, Aufseher, Ermahner, Almosenpfleger; es ward eine Stundenbeter-Einrichtung gemacht." 2 Theol. Bedenken, S. 173.
123
Die Darstellung der Ämterordnung und der Ausgestaltung der einzelnen Dienste ist allerdings keine leichte Aufgabe. Von 1725 ab bestanden die verschiedenen Ämter, aber fast in jedem Jahr ist in ihrer Entwicklung etwas anderes zu beobachten. Es ist möglidi, diese ständige Änderung genau zu verfolgen. Wir haben nicht nur die Herrnhuter Diarien zur Verfügung, die uns, wenn auch lückenhaft, in das bewegte Leben der wachsenden Gemeinschaft hineinschauen lassen und dabei natürlich nicht an den Ämtern und Diensten vorbeigehen. Für fast jedes zweite Jahr finden wir auch eine Gesamtdarstellung vor, die uns ζ. T. sehr genaue, manchmal allerdings nur summarische Angaben vermitteln (Beilage 1). Da wir in diesem Abschnitt der Beschreibung des alten Herrnhut die Gesamtentwicklung schildern müssen und uns nicht nur mit einer Darstellung der Verhältnisse um 1730 begnügen können, seien die wichtigsten Quellen hier genannt 8 . 1725 geschah die erste Ämtersetzung durch Pfarrer Rothe in Berthelsdorf für den noch kleinen Kreis Erweckter in Berthelsdorf und Herrnhut gemeinsam. Aus späteren Erzählungen und gleichzeitigen Briefen läßt sich ein einigermaßen faßbares Bild gewinnen 4 . 1727/28 entstanden die Ämter erneut, zunächst nur in Herrnhut; man begann mit den äußeren Ämtern und ordnete dann bis zu den kleinsten Diensten des einzelnen. Vom Frühjahr 1728 ist uns eine Ubersicht erhalten geblieben, in der die Ämter und ihre Träger aufgezählt und mancherlei weitere interessante Mitteilungen gemacht werden. „Weltl e Direction von der Republic Gottes zu Herrenhuth" ist die Überschrift der ersten Seite. Für das ganze Schriftstück müßte man besser von der „Ersten Gemeineinrichtung" sprechen (Beilage 25). Von der Umbesetzung in fast allen Ämtergruppen im Oktober 1728 berichtet uns das Herrnhuter Diarium und überzeugt uns namentlich ein Schriftstück „Privat-Ämter aufs Winter Theil in Herrnhut" vom Herbst oder Winter 1728/29 (Beilage 3"). Und nun können wir an den aufeinander folgenden Beschreibungen Herrnhuts von Christian David die Entwicklung ablesen: von 1728,1729, 1730 und 1731 haben wir darin die zahlenmäßigen Verschiebungen vor Augen7. 3 Für die Darstellung der Ämterorganisation konnte der Verf. auf keine Vorarbeiten zurückgreifen. Uttendörfer spricht in „Alt-Herrnhut" nur über die äußeren Dienste und Ämter. 4 Quellenangabe im einzelnen siehe unter 2) Die erste Ä m t e r s e t z u n g . . . , S. 126 ff. 5 R 6 Aa 18, 1. Für Berthelsdorf wird eine Ämtersetzung mit der Einführung der Statuten im Mai 1728 gemeldet (H. Diar., 12. u. 18. Mai, vgl. Anm. 67). Wir richten unser Augenmerk jedoch auf Herrnhut. β R 6 Aa 16, 4/24; s. Beilage 3. ' Pater Regent, R 6 Aa 22, 1 u. 2 und Beschr. Druck. Vgl. Kap. 1, Anm. 16.
124
Uber die Lage 1733 belehrt uns die „Verfassung der Herrnhutisdien Mährischen Brüder-Gemeine", zwar von M. Dober unterschrieben aber von Zinzendorf verfaßt8, und über die Veränderungen des Gemeinlebens bis 1734 spricht ausführlich Lintrup in den Anmerkungen zu C. Davids gedruckter Beschreibung von Herrnhut9. Inzwischen waren im Ältestenamt, im Ermahneramt und auch im Helferamt einschneidende Änderungen geschehen. Würden wir nun über die Frage nach Art und Besetzung der Ämter weiter ausführlich nach ihren Trägern sehen, so kämen wir wohl kaum richtig damit zurecht. Der Grundsatz Zinzendorfs, alles zu ändern, was nicht Leben in sich hat10, führte auf der personellen Seite der Ämterbesetzung dazu, daß je nach (auch wechselnder) Gabe und innerem Leben Ämter übernommen und wieder abgegeben wurden, um sofort anderen übertragen zu werden. Aus diesem im Uberblick über 10 Jahre verwirrenden Wechsel ragen allerdings einige feste Punkte heraus, Menschen, die sich in ihrem Amt bewährten, anerkannt wurden und darum ihren Auftrag behielten. Einer unter ihnen war der Töpfer Martin Dober, der Lehrer der Gemeine, eine andere die Älteste Anna Nitschmann. Wir werden im folgenden zunächst von Rothes Ämtereinführung 1725 zu sprechen haben, weil auf sie 1727 zurückgegriffen wurde und sie überhaupt den Grund für die Gesamtentwicklung legte. Von hier aus werden wir die Entfaltung der Ämter im ganzen verfolgen, um dann die einzelnen Dienste in den Ämtern besonders darzustellen. Wichtig ist uns die Beobachtung, daß die Herrnhuter Ämter nicht auf Anregungen Gottfried Arnolds zurückgingen. Er kannte nur die altkirchlidien Ämter der Ältesten, Bischöfe, Diakone, vor allem aber den Sammelbegriff „Lehrer". Wie wir feststellen werden, handelte es sich audi in der Ämterordnung um Verwirklichung des Urgemeindeideals, doch ist sie auf bestimmte Schriftstellen direkt zurückzuführen und darum wohl die typische Einrichtung der Herrnhuter Gemeine geworden. 8 Beschr. Druck, S. 120 ff.; vgl. Kap. 2, Anm. 19. » Diese Anmerkungen hat der Gemeinschreiber Lintrup offensichtlich unter fortlaufender Bezeichnung mit kleinen Buchstaben an den Herausgeber des Büchleins geschrieben, der sie dann im Druck der Beschreibung C. Davids im einzelnen zuordnete. 1 0 Vgl. den Abschnitt „Die Forderung des Fortschritts der Organisation" in Uttendörfer, Weltbetrachtung, S. 164 ff. Den Grundsatz des ständigen Änderns der Ordnungen und Formen hat Zinzendorf 1735 so ausgedrückt: „Alle Einrichtungen sind um ihres Zwecks willen, wenn der Zweck nicht mehr erreicht wird oder wegfällt, so läßt man auch die Sache selbst, und so muß es in einer Gemeine Gottes sein, sonst hat's kein Salz u. gehet nur ex opere operato." ( H . Diar., Rückblick auf das Jahr 1734 beim 31. 12. 1734, vom 15. Januar 1735). — Etwas anders sagte es Spangenberg (Zinzendorf, S. 519, Anm.): „Die Brüder haben, bey den in einer Gemeine nothwendigen Ordnungen, diese Grundregel; daß sie nichts vestsetzen, als, was nach der heiligen Schrift seyn muß. In allen andern Dingen ändern sie, wie es den jedesmaligen Umständen gemäs i s t . . . "
125
2. Die erste Ämtersetzung durch Pfarrer Rothe 1725 Johann Andreas Rothe, 12 Jahre älter als Zinzendorf, war von diesem 1722 als Pfarrer nach Berthelsdorf berufen worden 11 . Er war ein redlicher Mann, stand ganz im Pietismus, war allen neuen Erscheinungen im Leben der Herrnhuter gegenüber vielleicht (mit Recht) etwas ängstlich, im Verhältnis zu den Mähren manchmal vielleicht etwas zu zurückhaltend und dann doch wieder ganz mit ihnen eins — ein Mann, der es als lutherischer Pfarrer in der Verantwortung seinem Amt gegenüber in seinen 15 Berthelsdorfer Jahren nicht leicht gehabt hat. Seine besondere Gabe muß die Predigt gewesen sein, denn auf den Besuch seiner Predigten ist die Erweckung in den Nachbardörfern weitgehend zurückzuführen. Viele kamen von weither, um ihn zu hören. Im „Bund der vier Brüder" vom Sommer 1723 hatte Rothe innerhalb des großen Plans „zur Ausrottung des Reichs der Finsternis u. Ausbreitung des Reiches Jesu Christi durch dienliche Anstalten in Berthelsdorf u. Görlitz" neben Scheffer in Görlitz in seinem Berthelsdorf „die Verkündigung des Evangelii" übernommen 12 . Zinzendorf schrieb in seinen Memoires, die „Canzel in Bertheisdorff" habe „in den ersten 6 bis 7 Jahren das Hauptwerk ausgemacht", von ihr seien „so unläugbare Werke eines Apostels geschehen, daß auch der hatnäckigste spiritus particularis zu der Zeit nichts darwider aufzubringen gewust, und sich alles vor der Gnade und Krafft gebeuget hat, was ihr nahekommen" 13 . Bei der Charakteristik Rothes in der genannten Schrift rühmte Zinzendorf seine systematische Art zu predigen. „Er war keinem Bauern zu dunkel und keinem Philosopho zu seuchte. Seine Feinde bewunderten ihn, die Brüder auch zu der Zeit ihres Misvergnügens gegen ihn erkannten und fühlten seine Gnade." 14 Gerade er war es nun, der den Brüdern zu ihrer ersten biblisch begründeten Ämterordnung verhalf, die den Keim für alle späteren bildete. Zinzendorf berichtete 1727 darüber in der „Geschichte der verbundenen vier Brüder": 11 Vgl. das Pfarrerverzeichnis in Korsdielt, Berthelsdorf, S. 57: „Johann Andreas Rothe, 1722—1737 (in Berthelsdorf), geboren 1688 den 12. Mai in Lissa bei Görlitz, wo sein Vater Pfarrer war, studirte in Görlitz, Breslau und Leipzig und wurde den 19. Mai 1722 durdi den Grafen Zinzendorf . . . als Pfarrer hierher berufen, nachdem er vorher in Leuba im Hause des Herrn von Schweinitz als Informator gelebt . . . hatte. 1737 wurde er nach Hermsdorf bei Görlitz und 1739 nach Thommendorf in Schlesien vociert, wo er 1758 den 6. Juli starb." Vgl. auch E. Teufel, Johann Andreas Rothe, in: Beiträge zur sädis. Kirchengeschichte 1917/18; und E. Beyreuther, Zinzendorf II, S. 78 ff. 12 Zitiert nach Joh. Plitt, Denkwürdigkeiten § 135, Bd. 2, S. 43 u. 45. Vgl. Die Geschichte der verb, vier Brüder, ZBG 1912, S. 71 ff. is ZBG 1913, S. 201. 14 ZBG 1913, S. 178. Vgl. das über Rothe in Kap. 2 В la zu den Gottesdiensten Gesagte (S. 65 f.), besonders audi das Zitat in Anm. 58 (S. 66).
126
„Damit auch der Wandel desto ernstlicher und hertzlicher fortgeführet, und sonderlich die nun aufgehende Herrnhut auf ihren lautern Apostolischen Wege erhalten würde, so nahm Herr Rothe aus den treuen Seelen in der Gemeinde Gehülffen an, sowohl im Privat-Lehren, als im Ermahnen, in der observation des Wandels, im Dienst und Allmosenpflege, im Krankenbesuch, und in besonderen Führungen der Seelen, welche im Christentum fortgeschritten; und da diese Anstalt so gemacht war, daß Manns-Persohnen mit ihres gleichen und Weibs-Persohnen auch mit ihrem Geschlecht versehen wurden, so traf das Looß der besonderen Führung der Gemüther unter den Manns-Persohnen den Herrn von Watteville, und unter den Weibs-Persohnen seine Frau, welche in dieser unserer Oeconomie die Erstlinge waren. Die andern waren auch von der Weißheit Gottes so ausgelesen, daß man sich nicht genung darüber verwundern kunte." 15 Wer hatte diese Einrichtung angeregt? Ganz läßt sich das aus den Quellen leider nicht mehr erhellen. Der Tatbestand scheint der gewesen zu sein: Durch Rothes Erweckungspredigten war in Berthelsdorf-Herrnhut ein Kreis von erweckten Menschen entstanden, die sich in einem 1725 etwa 60 Personen zählenden Konventikel sammelten 1 ·. Sonntags hatten sie eine Betstunde, der sich eine Singstunde anschloß, und „in der Frau von Watteville Hauss wurde eine wöchentliche ZusammenkunfFt gehalten, wo die erweckten Gemüther zusammen beteten". Dazu kamen noch sonntags von Rothe gehaltene „Übungen, darinn die Führungen Gottes mit denen Seelen, soviel sichs thun Hesse, bekannt gemacht wurden"; so,wie es Zinzendorf in Dresden wochentags hielt 17 . Nun müssen wohl die in immer größerer Zahl dazugekommenen Exulanten die Anregung gegeben haben, eine Ordnung für diese Ecclesiola zu machen. „Es lag i h n e n . . . die Einrichtung der Brüder aus Böhmen und Mähren im Gemüth; und ob sie gleich deren Zusammenhang nicht recht auseinander zu wirren wussten, so etablirten sie doch unter sich solche Dinge, die derselben ähnlich.. ." 1 8 Rothe muß es daran gelegen gewesen sein, diese Wünsche in ein positives Gleis zu lenken. Vielleicht ist auch Müllers Vermutung richtig, daß er damit „separatistischen Gelüsten" beigegnen wollte, „die von der Mährenkolonie in Herrnhut ausgehend, sich bereits unter den Erweckten seiner Kirchkinder zu regen begannen" 19 . »
Z B G 1912, S. 81. Zinzendorf in seiner „Kurzen Relation von Herrnhut und Berthoisdorf": „71. In Berthoisdorf und Herrnhut hatten wir um diese Zeit (1725) wohl 60 Personen, so den Herrn suchten." ( Z B G 1912, S. 56). Bis Anfang 1726 stieg die Zahl auf über 90: „82. A m 1. Januar (1726) war ein großes Abendmahl von mehr als 90 Personen, welche sich öffentlich zu Christo und seiner Nachfolge alle bekannten." ( Z B G 1912, S. 57). " Gesdi. d. verb, vier Br., Z B G 1912, S. 80 f. is Histor. Begriff v. d. Beschaffenheit d. Br., Z B G 1912, S. 112. 1 9 Müller, Zinzendorf als Erneuerer, S. 16. 18
127
Doch wird Rothe selbst auch positiv zu einer Ämterordnung gestanden haben, das werden uns die Einzelheiten noch zeigen. Wie aber verhielt sich Zinzendorf? Wenn wir seinen Worten im „Historischen Begriff von der Beschaffenheit der Brüder aus Böhmen und Mähren" vom Juli 1728 folgen, war er aktiv nicht an dieser ersten Ämtersetzung beteiligt, ja muß ihr gegenüber zurückhaltend gewesen sein: „Ich war (damals wie noch) constanter der Meinung, dass mit äusserlidien neuen Einrichtungen wenig gebauet und die Gewissens-Freyheit in allen Stücken dem Willen Gottes am gemässesten wäre." 20 Aber ohne sein Wissen ist die Einrichtung nicht gemacht worden. Ja, als es an die Ämterbesetzung ging, scheint er bei der Auswahl der Personen sogar mitgeholfen zu haben. Doch zur Sache selbst21. In der „Kurzen Relation von Herrnhut und Bertholsdorff" vom Juni 1727 berichtete Zinzendorf über die Verteilung der Ämter: „Es wurden unter denen Brüdern die apostolischen Ämter eingerichtet und Gottfried Hahn, ein Gärtner, zum Aufseher, Jakob Neisser und Georg Jäschke zu Ermahnern, Georg Friedr. Mordelt zum Lehrer, Augustin Neisser zum Diacono, Christian David zum Kranken-Wärter nebst seinem Gehülffen Gottlob Hahnen, dem lahmen Jungen; der Herr v. Watteville aber zur besondern Sorge vor allerley geistliche Umstände der Brüder, welche in das ehemalige Amt der Weissagung eingeflogen; und Herr Rothe mit aller Genehmhaltung zum Ältesten bestätigt. Die Schneider Mordeltin bekam das Amt einer Diaconissae oder Dienerin der leiblichen Nothdurfft in der Gemeine, die Anne Lene, welche zu ihrer Zeit Magd gewesen, wurde Kranken-Wärterin; die Frau von Watteville hatte unter den Schwestern das Amt ihres Mannes, die Anna Neisserin das Amt des Ermahnens."22 Das Datum der Ämterverteilung steht fest. Es war Freitag, der 2. Februar 1725, Mariä Lichtmeß28. Johanna von Watteville, geborene von Zeschwitz, hat am nächsten Tag gleich darüber an Zinzendorf berichtet24. „Der Herr ist Gott, der Herr ist Gott, gebet unserm Gott die Ehre", setzte sie über ihren begeisterten Brief. Und dann schrieb sie: „Mein gnädiger Herr Graff 1. melte ich das gestern ist ein rechter Fräudendag geweßen nehmlich Herr rohte ( = Rothe) hat eine herrliche bredig gehalten von dem wie sich Gott offenbahrt gegen die Kinder Gottes und wie er sich offenbahrt gegen die bößen, nachmittag hat er eine sehr schöne bettstunde gehalten und der 20 21 22 23
Z B G 1912, S. 111. Vgl. zum Folgenden: Reichel, 13. Aug. 1727, S. 7 ff. Z B G 1912, S. 51, N r . 37. Vgl. Reichel, 13. Aug., S. 12. 2 4 Aus dem Brief erfahren wir zugleich etwas vom Versammlungsleben des erweckten Kreises 1725; er ist zu finden R 6 Aa 10, 2c.
128
decks ist geweßen was er erklärret hat aus dem cattegissum 25 das bilt das hat er sehr herrlich aus gelehget und ist der liebe Herr Graff offte genennet worden, da hat ein ietwedes das bilt in der Hand gehat und er hat imer ein biltigen nach dem andern erklärret und die Worte darzu. ia es ist wahr ein licht steckt das andre an 26 nach dem wie die bettstunde ist aus geweßen so ist in unserm Hauße die gewöhnlich bettstunde geweßen da herr cobelich (?) hat sehr einfeltig gebeth. nach dem sind sie alle fort gangen biß die genige, so da sind zum ämbtern beruffen worden und Herr rohte auch da sind wir alle nieder gekniet und welcher erwecket war der solte betten, so fängt der Schneider an ( = Mordelt) nach dem welcher nun solte zum ambte berufen werden der muste rauß gehen da mit die andern fein aufrichtig sagten was sie an ihm aus zu setzen haten und wenn sie nun gesagt haten so muste er wieder rein komen das war nun erst Herr rohte, nach dem ich und mein man und wie sie dan folgten (fogen?) und da wart es ihnen nun gesagt 27 nach dem fragte herr rohte wir waren nun die ersten ob wir den nun im nahmen gottes wolten auf uns nehmen worzu uns Gott beruffen so antworden wir durch die Krafft des Herrn Jesu wolten wir es anfangen nach dem so stunden wir alle auf und Herr rohte bette über uns und lehgete die Hand auf uns und bat den Herrn J e s u . . . (unleserlich) das er uns solte weisen wie wir es machen solten und das hat er über alle so gemacht nach dem sind die Zittel ein ietwedem gegeben worden und nach dem wie wir alle durch waren so fiehlen wir wider nieder auf unser knie und herr rohte bettete das alles zusam hat 4 Stunden gedauert die Frau rohten liegt krank es warren forbotten von ihr niederkomfft zu sbieren und schükt zwey mahl nach dem herrn er liß sich aber nichts hintern der schneyder hat noch darzu das krankwarden mit auf sich genohmen und gottlob ist sein gehilffe.. Durch diesen Bericht können wir uns ein ganz lebendiges Bild von jener vierstündigen Austeilung der ersten Ämter machen. Der Vorgang war, in unsern Worten ausgedrückt, also der, daß Rothe nur die versammelte, die audi ein Amt übernehmen sollten. Die Auswahl wird er wohl getroffen haben, u. U. mit Zinzendorf, der bis Mitte Januar noch in Berthelsdorf gewesen war. In ihren Namen haben wir dann den tragenden Kreis der Gemeinschaft vor uns. Nach einer Gebetsgemeinschaft wurde über alle nacheinander in Abwesenheit des Betreffenden eingehend gesprochen und sicher wurde dabei auch alles, was etwa zwischen den zukünftigen Mit2 5 „ T e x t war der Kupferstich, den Zinzendorf zur Veranschaulichung seiner Vorrede seinem Katechismus beigegeben hatte. D a sieht man die einen ihr ,leeres Stroh dresdien* und hier einen anderen, der nadi des Heilands Lehre sehr tief graben will ( = Sdiatz im Acker); dort gehen sie bei einem menschlichen Meister in die Schule (Apg. 22, 3), hier sieht man Maria zu den Füßen Jesu sitzen usw." (Reidiel, 13. Aug., S. 12). 26 = eine Überschrift, Apg. 4, 31 u. 32. 2 7 Vermutlich die kritische Ermahnung und etwas zu dem auf sie wartenden Amt.
129
arbeitern stand, ausgeräumt. Nach der gegenseitigen Ermahnung folgte dann die eigentliche Amtsübernahme mit der Frage Rothes sowie der Antwort der Gefragten und der Einsegnung zum Dienst. Fraglich ist noch, ob die Aufteilung der Personen auf die verschiedenen Ämter in der Versammlung geschah, u. U. hier durch Lose („Zittel"), auf denen die Dienstbezeichnungen standen und die die einzelnen zogen28, oder ob die Personen bereits vorher auf bestimmte Ämter aufgeteilt worden waren, dies in der Versammlung erfuhren und in der Form der „Zittel" dann ihre Ämterinstruktionen erhielten. Nun fand sich in den Archivakten ein kleines Schriftstück, das uns in dieser Frage weiterhilft und uns zugleich zum biblischen Hintergrund der Rotheschen Ämterordnung hinführt29. Es sieht folgendermaßen aus: „1. Christian David 2. Augustin Neisser 3. Mordelt der Schneid. 4. Gottfried Hahn 1. die Fr. v. Watteville 2. dieÄnel 4. Ane Helene
5. der H. v. Watteville 6. der alte Nitzschman 7. Jacob Neißer 7. die Schneiderin 3. dieMaüerin 5. Gottfried Hanin
6. die Friedrichin
GehülfFen am Werde des Herrn 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Im Weissagen είς το διακονεΐν In der Lehre Im Ermahnen Im Austheilen u. Fürsorgen Im Fürstehen u. achtgeben Im Ausüben allerl. Liebes Wercke, sonderl. der beschwerl. u. gehäßigen
J.W.,F.W. M tin , Aug. Neiß H in Mord. Frn Jac. Neiß Än, Nitzschm. P. Maüerin, Gottfr. Hahn A. Hei. Chr. Dav."
Die abgekürzten Namen in der unteren Hälfte seien der Klarheit halber ausgeschrieben, indem wir zugleich den Wohnort Berthelsdorf (B) oder Herrnhut (H) dahinter vermerken: 1. Johanna und Friedrich von Watteville (B) 2. Mordeltin (— Frau des Schneiders Mordelt) (B) und Augustin Neißer (H) 2 8 So Reichel, 13. Aug., S. 1 3 : „Bei den Zetteln haben w i r dodi wohl an die Lose zu denken, die dem einzelnen sein A m t zuwiesen." Dagegen spricht aber, daß die Auslosung der Ämter doch wohl vor der Frage, ob die Betreffenden ihr Amt annehmen wollten, und vor der Einsegnung hätte geschehen müssen. 2» R 6 A a 16, 4/27.
130
3. 4. 5. 6.
Hanin ( = Frau des Gottfried Hahn) (B) u. Mordelt (B) Friedrichin (H) und Jacob Neißer ( H ) Anna Neißer (die Äfiel) (H) u. Vater Nitzschmann ( H ) Maüerin (wohl Susanna Quitt, des Maurers Frau) ( H ) und Gottfried Hahn (B) 7 . Anne Helene (B) und Christian David (H). So kurz dieses Zettelchen ist, so aufsdilußreich ist es zugleich: 1 . D e r Schreiber war, das zeigt die Schrift deutlich, der Graf Zinzendorf. 2. Die 14 Namen in der oberen Hälfte (7 männliche und 7 weibliche) sind zur Auswahl ausgeschrieben. In ihnen erkennen wir den Kreis derer, die für Ämter in Frage kamen. 3. Ihre Gesamtbezeichnung „Gehülffen am Werde des H e r r n " zeigt uns deutlich, wie Rothe und Zinzendorf diese Ämter und ihre Träger angesehen haben. Es ging um Helfer für die Sache des Herrn. 4. Die 7 Amtsbezeichnungen, die ebenfalls in Ruhe vorbereitend geschrieben wurden, lehnen sich streng an Rom. 1 2 , 7 u. 8 an. Nach der Lutherübersetzung jener Zeit heißt es dort: „(V. 7) H a t iemand Weissagung, so sey sie dem glauben ähnlich. H a t iemand ein amt, so warte er des amts. Lehret iemand, so warte er der lehre. (V. 8) Ermahnt iemand, so warte er des ermahnens. Gibt iemand, so gebe er einfältig. Regiert iemand, so sey er sorgfältig. Uebet iemand barmhertzigkeit, so thue ers mit lust." 30 (εϊτε προφητείαν . . . είτε διακονίαν . . . εϊτε δ διδάσκων . . . εϊτε δ παραχαλών . . . δ μεταδιδονς . . . δ προϊστάμενος . . . δ έλεών . . .) Rothe hat sich also genau an Rom. 12 gehalten, als er die verschiedenen Dienste aussuchte, so streng, daß er den zu seiner Zeit anstößigen Aus»» Cansteinsche Bibel von 1736. So gab audi С. David den Text Rom. 12, 7. 8. in D. gl. Br. 1731, В 6 Aa 22, 1 wieder (s. S. 138). — Zinzendorf selbst hat Rom. 12, 4—8 folgendermaßen übersetzt (in: Eines Abermaligen Versuchs zur Übersetzung... Erste Probe, zweyte Edition, 1746 — Lehrbücher): „Denn so, wie wir viel glieder an einem leibe haben, die glieder aber nicht alle zu einerley gebraucht werden, also sind unserer viel ein leib in Christo, aber eintzeln betrachtet, sind wir unter einander glieder. Weil wir denn verschiedene gaben besitzen, nach der gnade, die uns gegeben ist, so ist bey der Weissagung zu mercken, daß sie mit dem glaubens-grunde einstimmig seyn muß; bey der diaconie, daß man muß dienstfertig seyn. Wann einer ein lehrer ist, so soll er gantz in der lehr-sache drinne seyn, wenn einer zum ermahnen gesetzt ist so soll er dem ermahnen obliegen, wenn einer zum austheilen gesetzt ist, so soll ers unpartheyisch thun, wer ein Vorsteher ist soll geschäftig seyn, wer elende leute zu pflegen hat*, der soils mit munterem gemüthe thun." Fußnote*: „Nadi dem ausdruck der catholischen kirche, ein barmhertziger bruder, der in den hospitälern, oder so bey krancken aufwartet, welches dem grund-text gantz nahe kommt." Vers 11 f. übersetzte er: „Wenn was eil hat, so zaudert nidit. Brennt recht im Geist, zum dienst des HErrn. (*Psalm 100, 2) Freuet euch der hoffnung. Unter dem ley den haltet aus." Die erste Edition geschah 1739. — Nicht uninteressant ist, daß der Text die Epistel des 2. So. n. Epiph. darstellt, der im Jahr 1725 auf den 20. Jan. fiel, also unmittelbar vor die Ämterverteilung.
131
druck „Weissager" dem Luthertext gemäß auf die beiden Wattevilles anwendete und auch das 5. Amt „Im Austheilen und Fürsorgen" vorsah, das später in dem 2. „Diakonie" aufgegangen zu sein scheint, denn die beiden damit Beauftragten Anna Neißer und Vater Nitzschmann wurden später im Zusammenhang mit dem Amt des Austeilens nicht mehr genannt. 5. Die Namensabkürzungen hinter den Amtsbezeichnungen sind offensichtlich schnell niedergeschrieben worden, so wie es dem Schreiber im Augenblick einkam, ζ. B. steht statt „die Schneiderin" — wie unter 7. oben — unten nur M t i n ( = Mordeltin) und statt „der alte Nitzschman" unten Nitzschm. P. (P. doch wohl Abkürzung für Pater = Vater). Es geschah wohl so, als füllte man ein vorliegendes Formular nur aus. 6. Zu beachten ist ferner, daß alle Ämter sowohl auf der männlichen als audi auf der weiblichen Seite völlig besetzt wurden. Das Prinzip, die Frauen von ihresgleichen seelsorgerlich betreuen zu lassen, tauchte hier schon auf. 7. Und schließlich sei angemerkt, daß hier Herrnhuter neben Berthelsdorfern in gleicher Zahl (7 und 7) am gemeinsamen Werk beteiligt waren. Fassen wir alle Beobachtungen zusammen, so erscheint als die wahrscheinlichste Erklärung des Vorganges die folgende: Pfarrer Rothe wird sein Vorhaben mit Zinzendorf Anfang 1725 besprochen haben. Dabei oder im Zusammenhang damit wird Zinzendorf sich eine Aufstellung der in Frage kommenden Personen auf dem uns erhaltenen Zettel gemacht haben, über der er (in Gemeinschaft mit Rothe?) dann namentlich loste. Nur so sind die Wendungen in der „Geschichte der verbundenen vier Brüder" zu verstehen, „so traf das Looß der besonderen Führung der Gemüther unter den Manns-Persohnen den Herrn von Watteville, und unter den Weibs-Persohnen seine F r a u . . . die andern waren audi von der Weißheit Gottes so ausgelesen, daß man sich nicht genung darüber verwundern kunte" 15 . Zwischen dem 16. und dem 20. Januar 1725 erfolgte die Abreise Zinzendorfs. Johanna von Watteville brauchte nun am Tag nach der Austeilung der Ämter nur über den Verlauf der Handlung am 2. Februar zu berichten. Es wäre ja verwunderlich, daß sie gar nicht die Namen und ihre Ämter geschrieben hätte, wenn Zinzendorf all dies nicht schon gewußt hätte. Ausdrücklich mußte sie das Krankenwärteramt erwähnen, weil Christian David wohl sein Amt nicht hatte übernehmen wollen und die Sache zusätzlich auf Mordelt gefallen war, dem als Gehilfe der lahme Gottlob hinzugegeben wurde. Dann handelte es sich bei den ausgeteilten „Zitteln" wirklich um Instruktionen für die neuen Ämter, auf die Zinzendorf bei der neuen Ämterverteilung 1727 zurückgreifen konnte. D a diese „Zittel" ganz selbstverständlich erwähnt werden, ist es allerdings wahrscheinlich, daß Zinzendorf sie bereits kannte, unter Umständen sogar an ihrer Abfassung beteiligt war. 132
Die Datierung des kleinen Schriftstückes ist damit auch ziemlich sicher: es wird als Vorbereitung zur Ämterausteilung am 2.2.1725 wohl im Januar während des Aufenthaltes Zinzendorfs in Herrnhut geschrieben worden sein. Jedenfalls befanden sich alle auf ihm verzeichneten Personen im Januar/Februar 1725 in Berthelsdorf-Herrnhut. Für die Mitbeteiligung Zinzendorfs in irgend einer Weise zeugt auch ein Brief Mordelts an ihn, in dem es heißt: „gelobet sey nur Gott, der sie lieber H . Graffe auff diese einriditung geführet h a t . . ."31. Doch werden Zinzendorfs Erinnerungen im „Historischen Begriff..." (s. S. 127 f.) insofern richtig sein, als Rothe bei der ganzen Sache der eigentlich Aktive war, dem wahrscheinlich der Grundgedanke, Römer 12 zu kopieren, zuzuschreiben ist. Doch werfen wir noch einen Blick auf die einzelnen Ämter und ihre Träger 32 . Das Amt des „ Weissagens" trug seinen Namen — wollte man die Sache exegetisch prüfen — wohl nicht zu Recht. Die beiden Wattevilles, mit Zinzendorf und Rothe eng verbunden, hatten in der „besonderen Führung der Gemüther" zu helfen. Sie werden neben Rothe die besonderen seelsorgerlichen Helfer gewesen sein33. Als „Lehrer" — zu ergänzen: in den Betstunden der Ecclesiola — sollte Rothe der Berthelsdorfer Schneider Mordelt helfen. Bei diesem Amt möchte man am wenigsten eine Losentscheidung erwarten, aber vielleicht war deshalb das Verwundern über die „Weisheit Gottes" so groß, weil auch hier der rechte Mann getroffen war. Gottfried Hahns Frau wurde später als Lehrerin nicht mehr genannt. Seelsorgerliche Ämter waren außerdem noch die der Ermahner und der Aufseher. Das Herrnhuter Diarium von 1727 teilt am 30. September mit, daß die Ämterinstruktionen, die den Trägern der neu ausgeteilten Ämter gegeben wurden, „sich noch von der ersten Einrichtung, die Herr Rothe in Berthelsdorf gemacht", herschrieben. Wenn auch die uns erhaltenen Instruktionen 34 Bearbeitungen darstellen, den neuen Umständen angemessen, so dürfen wir die grundsätzliche Formung der Ämter wirklich auf das Jahr 1725 zurückführen.
31 R 6 Aa 10, 2d. Beachte eine N o t i z aus dem Jahr 1755 )R 6 Aa 12/2, 2, Chronol. Recension 1722—33 vom 7. Sept. 1755): „1725 hat H. Rothe eine Apostol. KirchenOrdnung eingeführt, u. Weißager, Lehrer, Aufseher u. Ermahner eingesegnet, die zum theil sehr sdiledit getroffen waren. Ord. ( = Ordinarius) hatte nichts dabey zu thun u. stund nur dahinter." Doch muß man mit solchen Rückerinnerungen Zinzendorfs sehr vorsichtig sein. Sie müssen historisch nicht immer stimmen; jedoch genügt auch schon die Wendung „u. stund nur dahinter". 32 Vgl. Reichel, 13. Aug., S. 13 ff. 33 „Helfer" war wahrscheinlich auch der spätere Titel dieses Amtes. 34 Wir zitieren sie bei den einzelnen Ämtern unter В I.
133
Das Amt des „Fürstehens und achtgebens" (später „Aufseheramt" oder „Aufsicht") hatte danach die Aufgabe, auf alle Handlungen der Brüder und Schwestern achtzuhaben, damit sie rechtzeitig ermahnt werden konnten, falls ihr Weg nicht mehr dem christlichen entsprach. Die beiden Träger waren die „Maüerin", wohl Susanne Quitt, die Frau des Maurers Quitt 85 , und der Berthelsdorfer Gärtner Gottfried Hahn. Für Herrnhut wurde allerdings im Mai Hans Neißer als Aufseher gemeldet36. Es ist durchaus möglich, daß dieses Amt, das ständigen Umgang mit den andern verlangte, auf beide Orte aufgeteilt wurde. Wenn eine Mahnung ausgesprochen werden mußte, so war dies Aufgabe der Ermahner, die von freundlicher und liebevoller Art sein sollten. Jacob Neißer hatte das Amt inne, „der hinter seinem Bruder Augustin so vollständig zurücktretende, auffallend stille und bescheidene, aber sehr innerliche Messerschmied" aus Herrnhut 37 . Auch bei diesem Amt muß eine Erweiterung oder Umbesetzung gefolgt sein, denn Zinzendorf nannte außerdem noch Georg Jäschke, einen Berthelsdorfer, und an Stelle von Frau Friedrich Jacob Neißers Frau Anna 88 . Solche Weiterentwicklung ist auch zu erwarten gewesen. Die Gaben kamen ja nun erst zur Entfaltung. Wir vermerkten bereits, daß das Amt des „Austheilens und Fürsorgens" später gar nicht mehr erwähnt wurde. Hier war eigentlich Annas Aufgabe. Vater Nitzschmann kam in späteren Erinnerungen an 1725 nicht mehr vor 89 . Wir müssen annehmen, daß das Diakonenamt (2) dieses Amt des „Mitteilens" in sich aufgenommen hat. Hier liegen ja auch Überschneidungen vor. Zum „Diacono" (so Zinzendorf in der „Kurzen Relation"; Anm. 22) wurde Augustin Neißer bestätigt, neben Christian David „Wortführer der Emigranten, der auch wegen seiner Gaben so bewundert wurde" 40 . Er kam ebenso wie Christian in den äußeren Hilfsdienst. Die 35 Oder Georg Maurers Frau? 38 Brief des Schneiders Mordelt an Zinzendorf vom 12. 5. 1725, R 6 Aa 29, 1/1. So audi Zinzendorf im Rückblick (Synodus Herrnhaag 1747, zit. n. Teufel, Rothe, S. 98): „Er hat ja viele Extravaganzen begangen, darüber er hätte von seinem Amt kommen können, ζ. B. daß er Wattevilles in der Kirche zu Propheten eingesetzt hat, den Augustin Neisser zum Ermahner, den lahmen Gottlob Hahn, Christ. David und die Anna Lene (Anders) zu Krankenwärtern, den Hans Neisser zum Aufseher, und hat die Gaben aus der Epistel an die Korinther auf sie gelegt. (Idi war in Dresden, als das geschah.)" ST Reichel, 13. Aug., S. 13 f. за Kurze Relation (Juni 1727), ZBG 1912, S. 51. Vgl. audi den Lebenslauf der Anna Neißer, geb. Holasdikin, geb. 1699, (JHD. 1753, Beilage 32/1, S. 254): „Bey der ersten Einrichtung der Gemeine kriegte sie das Amt des Ermahnens, wurde auch die erste Gemein-Dienerin." Dies kann sich aber auch auf 1728 beziehen, denn bei der Ämterumbesetzung im Herbst 1728 finden wir Anna Neißerin unter den Ermahnerinnen (R 6 Aa 16, 4/24). 3® Er ist vermutlich der Tischler Georg Nitzschmann, der am 23. 8. 1724 nadi Herrnhut kam und 1727 Oberältester wurde. 40 Reichel,· 13. Aug., S. 14. 134
Ämterinstruktion nannte das Almosenpflegeramt „Diaconia oder Amt". Wer es innehatte, achtete auf alle Hilfsbedürftigen und suchte ihnen aus einer Hilfskasse Handreichung zu tun. Wir werden soldi eine gemeinsame Armenkasse auch schon 1725 zu vermuten haben, sonst wäre die Ausübung dieses Amtes gar nicht möglich gewesen. Die Frau des Schneiders Mordelt bekam „das Amt einer Diaconissae oder Dienerin der leiblichen Notdurfft in der Gemeine"22. Diaconus und Diaconissa — hier haben wir sie als Laienämter in einer geistlich lebendigen Gemeinschaft, in der Armenpflege, die sich in der Ämterinstruktion auf Apg. 6 berief 41 . Es bleibt noch das Krankenpflegeramt, denn dieses haben wir im siebenten zu sehen: „ImAusüben allerl. Liebes Wercke, sonderl. der beschwerl. u. gehäßigen (=: verhaßten)". Die Ämterinstruktion bringt uns die Exegese des Ausdrucks έλεών, die zu dieser Deutung „Krankenpflege" geführt hat: „Wir sehen aus dem ganzen Zus.hange der ganzen Rede des Apostels, daß die Ausübung der Barmherzigkeit etwas anderes als geben und versorgen sei; weils im besonderen heißt: es solle mit Lust geschehen. Denn die Natur ist zu nichts weniger zu bringen, als Kranken beizustehen, zumal in langwierigen, ekelhaften u. Gefahr drohenden Unbequemlichkeiten."42 Zinzendorf hat in seiner Ubersetzung des Neuen Testaments den Ausdruck in Rom. 12,8 auch kurzerhand übersetzt: „Wer elende leute zu pflegen hat, der soils mit munterem gemüthe thun." 30 Christian David war in der Erinnerung immer der Krankenwärter jener Zeit. Anne Helene, die Magd, später als Nitschmanns Frau die begnadete Seelsorgerin in Herrnhut, hat ihren Dienst im Krankenbesuch sicherlich treulich versehen. Aber wie stand es mit C. David, dem Zimmermann, der jedes Jahr wieder neu unterwegs war, um zu predigen? Zinzendorf schrieb in seinem Bedenken über C. Davids Zurückgehen nach Mähren, vielleicht etwas verärgert über den Zimmermann: „da ihm die Krancken-Pflege aufgetragen worden, welche Er von Natur nicht gern übernommen, die Lust fortzureisen auch dadurch vergrössert werden mögen"43. Ob Christian seine Bedenken gleich nach der Beauftragung am 2. Februar angemeldet hatte? Vielleicht, dann würde uns der Satz Johanna von Wattevilles verständlich: „der schneyder hat noch darzu das krankwarden auf sich genohmen und gottlob ist sein gehilffe." Wie dem auch sei, in der Erinnerung war Christian mit dem Amt versehen, zusammen mit Gottlob Hahn, „dem lahmen Jungen". Das wären die Dienste — ein Amt allerdings fehlt uns noch: Herr Rothe selbst wurde „mit aller Genehmhaltung zum Ältesten bestätigt" 22 . 41 R 6 Aa 15, 6a. 1727 stand neben dem Almosenpfleger nodi der Diener. Es ist möglidi, daß eine Art Diener der Gemeinschaft audi 1725 sdion eingesetzt war und zuerst den Titel Diaconus erhielt. 42 R 6 Aa 15, 6a, zit. n. Harks Η. Diar. 1727, Beil. 2, S. 61. 4 » R 6 Aa 10, 3a, abgedr. in Büd. S. I, S. 266 ff.; wohl später falsch auf 1724 datiert.
135
War er nicht Pfarrer? Wozu nun noch dieses Amt? Die Vermutung liegt nahe, daß auch Rothe in seiner kleinen Gemeinschaft das Ideal der apostolischen Gemeine darstellen wollte. Und so hatte er das Presbyteramt inne, das „Ältestenamt", so wie die Ältesten in der Apostelgeschichte ja Hirten der Gemeinden waren. Hier setzte Zinzendorf mit seinem Ältestenamt von 1727 nicht ein. Das möchten wir als wichtigen Unterschied festhalten44. Doch wie haben sich die Ämter im Alltag der folgenden Zeit bewährt? Ein wichtiges Zeugnis dafür ist die Neubesetzung der Ämter 1727 in Herrnhut. Dazu sei es gekommen, schrieb C. David 1731, „Nachdem Gott dieße (ergänze: ersten Ämter 1725) unter unß Segnete u. wir den Nutzen davon sahen.. ." 45 . Also müssen die verschiedenen Männer und Frauen ihren ihnen aufgetragenen Dienst im allgemeinen treu verrichtet haben. Ein Beispiel dafür ist uns aus einem Briefwechsel vom Mai 1725 bekannt. Wieder war Christian David der Anlaß. Der Schneider Mordelt berichtete am 12.5.1725 darüber an Zinzendorf: „Heutte habe ich mit dem auffseher (Hans Neißer) geredet, u. gestern mit Augustin: gelobet sey nur Gott, der sie lieber H. Graffe auff diese einrichtung geführet hat. einen jeden sehe und erfahre ich wohl, daß sie sich Ihres ambts treul. annehmen, u. außrichten als ich ungeschickter, welches den auch nicht ohne einigen segen ist. u. wen es nicht in geistl. allemahl, so ists doch im gemeinen bürgerl. u. äußerl. leben u. wandel audi sehr nützl.: weil sich sonsten manche unordnung... geschehen würde, wen nicht imer gutte wacht u. aufsieht mit hertzl. ermahnen, u. warnen für Sicherheit geschehe." Der Brief berichtete nun ausführlich von Christian Davids Unmut über Lehrjungen und Gesellen, die er alle wegschicken wollte; er wollte mit seinem Vater allein arbeiten; „er liehe und gebe keinem mehr seinen Handwerkszeug, u. es solte sich ein jeder selber handwerkszeug schaffen, sie mögten auch lernen wo sie wolten, er begehrte sie nicht m e h r . . . " Alle ihre Bitten blieben ungehört. Zwei Gesellen waren schon nach Sorau fortgezogen, „das hat etl. Tage nun so gewehrt, biß endl. d. ermahner Jakob dißes ding kundig worden, hat Er den Christian in aller herzl. liebe ernstl. bewegl. gebetten, u. gefragt warum, u. hat Ihm auch (?) alles fürgestelt, biß er sich wied. zur arbeit den andern bequemt hat, u. so biß dato fort g e h t . . . " Auch die zwei von Sorau kamen wieder46. Zinzendorf antwortete schon am 15. Mai darauf in einem Schreiben an Augustin Neißer, daß er „alle dergl. Unordnung, welche ich doch so sehr mißbillige, und bis dahero bloß in erbarmender liebe getragen habe, audi tragen will, so lange die Ämter ihre Wirkung durch Gottes Gnade erlan4 4 Es gab audi 1725 sdion Dorfälteste in der bürgerlichen Verfassung; vgl. R 6 Aa 10, 3b, I „Älteste". « D. gl. Br. 1731, R 6 Aa 22, 1, S. 32. « R 6 Aa 10, 2d.
136
gen, denn so lange die liebe unter uns zu erhalten ist, will ich gerne des Richteramts nicht gebrauchen. Der H . sey gelobet, daß Jacob Neißer eine Frucht seines einfältigen Gehorsams siehet, welche ihn aufmuntern, aber zugleich auch sorgfältig machen soll, und über sich wachend, damit er sich dessen nicht erhebe, bleibt bey der Einfalt Ihr Lieben!"47 Zinzendorf warnte in den folgenden Sätzen niclit ohne Grund vor „hohen und weit aussehenden Wissenschaften im Geistlichen". Und so kam es denn auch, daß mit dem Verlassen der Einfalt und des liebevollen, brüderlichen Miteinander diese ganze schöne Ämtereinrichtung verloren ging. Die Wirren um den Rat Krüger 1726 müssen ihr ein Ende gemacht haben. Nur so können wir Zinzendorfs negative Sätze zu der Ordnung verstehen, die er im „Historischen Begriff" von 1728 dafür fand: „Es lag ihnen aber die Einrichtung der Brüder aus Böhmen und Mähren im Gemüth; und ob sie gleich deren Zusammenhang nicht recht auseinander zu wirren wussten, so etablirten sie doch unter sich solche Dinge, die derselben ähnlidi und nur übel angebracht waren. Sie sahen genau auf einander, das war aber ein unzeitig richten, sie ermahnten einander, daraus wurden Gezänke, sie lehrten einander in den Versammlungen, auf welchen sie so fest gestunden, dass sie sich in Mähren drüber binden und von allem dem ihren verjagen lassen. Der eine aber redete Paulisch, der andre Apollisch, und es fehlete nicht an Irrlehren und gefährlichen Principiis, damit der Feind diese edle Gemeine zu sichten suchte."48 Man kann in der ganzen Geschichte der Brüdergemeine im 18. Jahrhundert beobachten, daß eine „Sichtungszeit" eine Zeit neuer Dienstwilligkeit nach sich zog. So auch hier. Die „aneinander ermüdeten Seelen" sehnten sich nach Gemeinschaft in Liebe. So kam es zur eigentlichen Geburtsstunde der Gemeine am 13. August und damit auch zur Erneuerung der Ämtereinrichtung, der wir uns im folgenden zuwenden werden. Zuvor wollen wir uns jedoch als Hinführung dazu und um das Bild von Pfarrer Rothe abzurunden, noch das vor Augen stellen, was Christian David von einer Predigt Rothes über Rom. 12,7 und 8 zu berichten wußte 49 . Denn in diesen Sätzen erhalten wir die klare Begründung für die Ämtersetzung. Natürlich ist es schwer festzustellen, ob Christian David bei der Wiedergabe auch manchen eigenen Gedanken oder Ausdruck dazwischengemengt hat. Doch ist es eindeutig, daß Rothe die Predigt « R 6 Aa 10, 3b, 3. 48 ZBG 1912, S. 112. Beachte audi С. Davids Äußerung im Brief an Heitz vom 11. 9. 1729 (R 24 В 68, 39): „H. Rothe war nicht der Mann u. nicht im Stande uns zu führen ...", und vorher: „Es war keine rechte Zucht und Ordnung." 40 D. gl. Br. 1731, R 6 Aa 22, 1, S. 32 ff., überarbeitet abgedr. in Moser, Altes und Neues III, S. 29—34. Wir zitieren die am Ende etwas erweiterte und im Text geglättete Form bei Moser, die einer handschriftlichen Kopie der ursprünglichen Beschreibung entspricht (R 6 Aa 22, 3 „Relatio Herrnhutiana"). Wo bei Moser Gemeinde steht, hat die Handschrift nur Gemeine.
137
über Rom. 12 gehalten hat, sonst hätte C.David 1731, in einer Zeit, in der schon mancherlei Spannungen vorhanden waren, diese Predigt nicht ausdrücklich als Begründung für die Ämter angeführt. Sie muß auch, jedenfalls von C. David, wirklich als begründend angesehen worden sein. So wird er uns den wesentlichen Gehalt der Rotheschen Auslegung übermittelt haben. Der Bericht „Von den Beweg-Ursachen zur Einrichtung der Ämter" beginnt mit einer kurzen Erwähnung der Ämtereinsetzung 1725: „Ein treuer Lehrer, der vor seine Gemeinde Sorge träget, siehet nicht nur allein, wo es fehlet, sondern auch, wie ihr kan geholffen werden. Und dahin ware auch der theure Mann Gottes, Pfarrer Andreas Rothe bedacht. Er sähe, daß es in der Gemeinde an guten Gehülffen fehlte, deßwegen er auch etliche Ämter austheilte, die das Werck auch mit ihme angreiffen sollten." Es fällt uns auf, daß der Name Zinzendorfs überhaupt nicht genannt wird. Nun heißt es weiter: „Nachdeme Gott dieses unter uns seegnete, auch solche, weil sich die Gemeinde verstärckte, mehr Ämter nöthig hatten, verursachte fernerhin eine des gedachten Andreä Rothens Epistolische Predigt über Rom. X I I zu mehreren." Die entscheidende Frage ist an dieser Stelle: Wann hat Rothe die Predigt gehalten? 1727 vor Einsetzung der Herrnhuter Ämter? Doch wäre hier die in Frage kommende Zeitspanne groß, da die Ämter ja erst langsam nacheinander gesetzt wurden, wie wir noch sehen werden. Oder geschah dies 1728 vor Einsetzung der Berthelsdorfer Ämter67? Oder gar schon 1725? Die Kenntnis, daß es sich um die Epistel des 2. So. n. Epiph. handelt, könnte uns weiterhelfen, wenn festzustellen wäre, in welchem Jahr in der Oberlausitz die Epistelreihe gepredigt wurde. Doch wäre auch dies noch unsicher, weil in der Verhandlung der Kommission von 1736 die Bemerkung zu finden ist, daß Rothe bisweilen über die Epistel statt über das vorgeschriebene Evangelium gepredigt habe50. So müssen wir auf die zeitliche Festlegung leider verzichten. Da es uns um den Inhalt der Predigt geht, wird dieser Mangel nicht zu stark ins Gewicht fallen. Doch nun zur Predigt selbst. Der Text Rom. 12,7—8 ist in der Wiedergabe ausgeschrieben: „Hat jemand Weissagung, so seye sie dem Glauben ähnlich, hat jemand ein Amt, so warte er des Amts; lehret jemand, so warte er der Lehre; ermahnet jemand, so warte er des Ermahnens; gibt jemand, so gebe er einfältiglich; regieret jemand, so seye er sorgfältiglidi; übet jemand Barmhertzigkeit, so thue ers mit Lust; daraus er bewieß, wie in einer Gemeinde immer einer dem andern mit der Gabe, die er vom Herrn empfangen, dienen müßte, und zwar dem Leibe, der Seelen und 6 0 Vgl. Teufel, Rothe, S. 31. C. David kann sich ja audi in der zeitlichen Einordnung der Predigt getäuscht haben.
138
dem Geiste nach." Wir beachten die Betonung der Gabe und der auf dieser Gabe beruhenden Verpflichtung zum Dienst. Die Predigt fährt fort: „Weil aber diß gar selten geschiehet, und also um unserer Schwachheit willen diese unsere Pflicht entweder bald vergessen, oder aus Furchtsamkeit, Trägheit und Lieblosigkeit unterlassen wird, so wäre ein äusserlicher Beruff und Amt nöthig, damit solche Gebotte und Pflichten uns auf eine doppelte Weise, so wohl von Seiten Gottes, als auch von Seiten der Brüder aufforderte." Wenn dies Rothesche Sätze waren oder wenigstens inhaltlich seinem Sinn entsprachen, ist die positive Haltung Rothes zur Ämtersetzung deutlich. „Er bewiese, wie es höchst unrecht wäre, daß man es heut zu Tag auf einen oder zwey arme Prediger Hesse allein kommen: Dann 1.) hätte ja einer nicht allerley Gaben, die vor eine gantze Gemeinde nöthig seyn und gehören; 2.) wann er auch gleich alle Gaben hätte, so mangelte es doch einem an Zeit und Krafft, solche nach eines jeden Gliedes BedürfFniß auszuüben, dieweil in einer Gemeinde sich an den Gliedern mancherley Gebrechen und Mangelhaftigkeiten befinden, als Krancke, Schwache, Ermüdete, Gestoßene, Verwundete, Gefallene, Traurige, Geärgerte, Betrübte, Versuchte, Angefochtene, Geistlich-Arme, Leidtragende, Irrende, Unwissende, Unbefestigte, Furchtsame, Zagende, Ungläubige, Unordentliche, Faule, Leichtsinnige, Vorwitzige, Ausgerenckte, Mißgeburten, Neidische, Zandksüchtige, mit Sorgen der Nahrung Angefallene, Vermessene, Verlohrene u. d. g. welche alle nach ihrer Beschaffenheit Hülffe, Pflege, Zucht und Lehre von den Gesunden und Starcken brauchen und nöthig haben, solches aber zu verrichten, ein oder zwey Prediger unmöglich bestreiten könnten, aber wo die Glieder untereinander zusammen halten, und einer dem andern mit derjenigen Gabe, die ein jedes vom Herrn zum allgemeinen Nutzen empfangen, dienen, so kan der gantze Leib zu seiner Selbst-Besserung erbauet werden." In der ursprünglichen Handschrift von 1731 heißt es am Ende: „aber wo die glieder unter ein ander zusamen halten, Ein ander dieneten ihr ambt träulich abwarten, so kan solches alles geschehen." Nun kommt in der Predigtwiedergabe das Ideal zum Vorschein, die „Apostolischen Zeiten": „ E r bewiese ferner, wie höchst-nothwendig solche Gaben auch in Ansehung der Gegeneinanderhaltung der Apostolischen und der jetzigen Zeiten gemeinschafftlich auszuüben wären. Hätten die Apostel, die Kinder der Weißheit gewesen, und alles gleich übersehen können, mithin auch solche Gaben, Wunder zu thun, besessen, daß, wann sich auch in ihren Gemeinden einer versündiget, gleich andern zum Schröcken haben straffen können, und dannoch in ihren Gemeinden so sehr auf Zucht und Ordnungen gedrungen, damit sie sich haben bauen können, wie vielmehr wäre es jetzt nöthig, nachdem solche ausserordentliche Wunder-Gaben aufgehört, auf gute Zucht und Ordnungen zu drin139
gen: zumalen, wann die Gemeinde zerstreuter, die Mißbräuche größer, die Verführung ärger, hingegen die Gaben und Kräfften minder wären. Auch bezeugte er, wie nicht nur die Apostel, solche Haußhalter und gute Ordnungmacher gewesen, sondern auch ihre Jünger und Nachkommen hätten dergleichen gemacht." Nach einigen Sätzen darüber, daß es sich nicht erweisen ließe, daß die Ordnungen in Rom und Colossä von Aposteln selbst eingerichtet worden seien, kam Rothe nun auf die Begründung der jetzt notwendigen Ämter im Text Rom. 12 zu sprechen. Wir achten dabei darauf, wie die Worte „ A m t " und „Bedienung" miteinander verknüpft werden. „Was aber nach dem Text in der Rom. Gemeinde nach dem Buchstaben die gedachte Ämter oder Bedienungen anlangte, so ware es wohl zwar nicht von allen Bedienungen zu erweisen, daß diese in gewissen ausgetheilten und äusserlichen Ämtern bestanden, als Weissagung und Ermahnung, sondern wie solche nach dem Amt des Geistes treulich sollten gewartet und ausgeübt werden. Jedoch, weil einer seine schuldige Pflicht vielmahl aus Forcht und Scheu, weil er etwa nicht allemal mit seiner Weissagung und Ermahnung ohne äusserlichen Beruff gut angekommen und aufgenommen worden ist, unterlässet, oder es deßwegen nicht thut, weil er aus Demuth sein selbst meynt, es seye nicht seine Gabe und Pflicht, mithin auch dieses von andern vor Eigen-Liebe ihme möchte ausgeleget werden, und Schuld geben lassen, als wollte er andere richten, oder sich selbst unterwinden Lehrer zu seyn, und wann er solches thäte ohne äusserlichen Beruff, die Antwort, wie dorten Moses hören müßte: wer hat dich zum Richter über uns gesetzt. Und deßwegen wäre es gut, daß einem, wann er sonst von Gott Gaben zum allgemeinen Nutzen empfangen, von den andern Brüdern ein äusserlicher Beruff und solch Amt der Bedienung gegeben würde, damit er desto getroster diese verrichten könnte, und also nicht hiesse: er thue es eigenmächtig. Also nach dieser Beschaffenheit wäre der äusserliche Beruff und solch Bedienungs-Amt recht und gut, und in einer Gemeinde Gottes, wo Zucht und Ordnung solte gehalten werden, höchstnöthig." So weit reichte in Christian Davids Bericht die Predigtwiedergabe. Nun folgte die kurze Erzählung, wie es auf Grund dieser Predigt zur praktischen Einsetzung der Ämter gekommen war. Damit werden wir uns im nächsten Abschnitt zu beschäftigen haben. Zu Rothes Predigt sei hier abschließend nur noch folgendes gesagt: 1. Deutlich ist der Versuch, die Gemeindeordnung wirklich auf die Schrift, d. h. auf die apostolische Ordnung zurückzuführen. Man wollte biblisch bleiben, aber dies wollte man nach dem urchristlichen Vorbild auch tätig verwirklichen. Für die spätere Zeit gilt das nicht mehr in diesem Maße. Später entwickelten sich die (vor allem die neuen) Ämter mehr aus 140
der Notwendigkeit des Dienstes oder aus der Erfahrung heraus. Auch der Inhalt der Ämter und ihre speziellen Aufgaben verschoben sich, wenn auch die Amtsbezeichnung Clieb. 2. Interessant ist die seelsorgerliche Begründung des Amtes: weil der Dienst sonst aus Furchtsamkeit, Trägheit oder Lieblosigkeit unterlassen würde. „Äusserlicher Beruff und A m t " wurden zur Verpflichtung, seine Gabe auch wirklich zur Auferbauung der Gemeinde einzusetzen. 3. Ausdrücklich wird gesagt, die Ämterbesetzung müsse nach den Gaben vorgenommen werden. Dabei ist vorausgesetzt, daß die nötigen Gaben auch vorhanden sind. Seine Erfahrungen mit der lebenskräftigen Gemeinschaft mögen Rothe deshalb den Mut zu dieser Predigt gegeben haben. Eine Gabe aber hat „ein jedes vom Herrn zum allgemeinen Nutzen empfangen". Einer hat dem andern damit zu dienen. 4. Schließlich ist interessant, daß Rothe sogar noch über das apostolische Vorbild hinausging: „Bedienungen", die dort unter Umständen noch kein „ausgetheiltes A m t " waren, ζ. B. Weissagen und Ermahnen, wollte er dennoch mit „äusserlichem Beruff" versehen haben, wieder aus seelsorgerlichen Gründen: damit der Betreffende vor der ganzen Gemeinschaft legitimiert war, daß er in höherem Auftrage handle und nicht eigenmächtig. Wir möchten hier schon bemerken, daß auf dieser Grundlage nicht nur die damalige Gemeineinrichtung basieren konnte, nein, daß sie als biblisch-seelsorgerliche Begründung auch ein Ausgangspunkt werden könnte für unsere heutigen Überlegungen über die Laientätigkeit im Dienst der Gemeinde.
3. Die erste Gemeineinrichtung
in Herrnhut von
1727/28
Es finden sich im Unitätsarchiv in Herrnhut einige Schriftstücke dieses Inhalts, davon ein Original von Zinzendorfs Hand mit der Uberschrift „Weltl e Direction von der Republic Gottes zu Herrenhuth" und einige zum Teil in der Anordnung veränderte Abschriften eines anderen Originals, das eine wesentliche Erweiterung des ersten darstellt und nicht mehr erhalten ist 51 . Es handelt sich um eine rubrizierte Liste aller Mitarbeiter in den verschiedenen Ämtern, durch die Darstellung einiger Lebensformen der Gemeine erweitert (Beilage 2). Aus dem Schriftbild ist ersichtlich, daß sich der Titel „Weltliche D i r e c t i o n . . . " nur auf die erste Seite des ZinzenR 6 Aa 18, 1 a, b, с und 2 Kopien R 6 Aa 15, 8a. Diese tragen die Bezeichnung „Erste Gemein-Einrichtung in Herrnhut Ao 1727. Von dem Original, welches die Aufschrift hat: Welti. Direction der Republic Gottes in Herrnhut mit einigen Versetzungen zu mehrerer Deutlichkeit abcopirt." Vgl. audi Η. Diar. 1727, Beil. 1.
141
dorfischen Originals bezieht, auf der die Oberältesten, die Ältesten und die äußeren Dienste (mit Cassenhaltern, Almosenpflegern, Dienern und Krankenwärtern, die letzten drei audi auf weiblicher Seite) aufgeführt sind. Wir nennen darum das gesamte erweiterte Schriftstück „Erste Gemeineinrichtung". Nach der Aufstellung der „Weltlichen Direction" folgen die Namen der Mitglieder der verschiedenen „Brüderlidien Associationen zum geistln Zweck", der Banden. Da man sie kaum unter die „Weltliche Direction" wird rechnen können, war es wohl ein Fehler eines Abschreibers, daß die ganze Darstellung in einer Abschrift diesen Titel bekam. „Eine „Republic Gottes" aber wollte sie zeigen, die ganze Einrichtung einer (doch wohl vorbildlichen) Gemeine, vor allem in ihren Ämtern. Unter den „Associationen zum geistlichen Zweck" erscheinen übrigens als Dienstags-Bande die Ältestinnen der Schwestern. Jedenfalls hat die ganze Gruppe die Randbemerkung „Welches die Ältestinen unter den Weibern sind". Diese Aufzählung der Bandenmitglieder und ihrer Leiter (meist unterstrichen) geht dann über in die Angaben, wo die einzelnen (nach dem Geschlecht getrennten) Gesellschaften sich versammeln, wobei auch die erste Wohngemeinschaft der „Jungen Pursche" geschildert wird 52 . Dann kommt es erst zu dem Abschnitt „Zu genauer und beßerer abwartung der euserln Ordnung, bey den Führungen des Christenthums sind, in Herrenhuth verordnet durchs L o o ß . . ."5S. Hier finden wir die Aufzählung der Lehrer und Lehrerinnen, der Helfer und Helferinnen, der Ermahner und Ermahnerinnen und der Aufseher und Aufseherinnen. Kurz wird anschließend von den Konferenzen und den Aufgaben der Lehrer, Ermahner und Aufseher gesprochen. Schließlich kommt die Schrift auf die verschiedenen Versammlungen zu sprechen, wo, wann und wie sie gehalten werden, und endet mit einigen „Notanda": 1. erster Abendmahlsgang, 2. Stundengebet (Aufzählung der 48 (77) Beter), 3. gemeiner Fasttag, 4. Comunion in der Kirche, 5. bürgerliche Sachen, 6. äusserliche Kirchenverfassung. Joh. Plitt bemerkte zum ganzen in einer Aktennotiz: „Wir finden also hier diejenige Gemein-Einrichtung, die seit 12. Mai 27 begonen, im Herbst ds. (lt. Diarium) weitere Ausbildung erhalten hat, im Ganzen aber bis in den Herbst 28 (da es lt. Diar. Okt./Nov. Aemter-Veränderungen gab) als geltend angenomen werden kan." 54 Wie war es zu dieser Ordnung gekommen? Das Herrnhuter Diarium zeigt uns durch seine Eintragungen die aufeinander folgenden Einführungen der Ämter. 52 Sie wohnten seit dem 11. 2. 1728 zusammen. Demnach kann das Schriftstück nicht vorher entstanden sein. 53 R 6 Aa 18, lb u. c. 54 i n R 6 Aa 15, 9.
142
Mit den Statuten am 12. Mai 1727 wird audi die Tätigkeit der 12 Ältesten begonnen haben. Wiederum sei darauf hingewiesen, daß es sich hierbei nicht um das biblische Ältestenamt handelt, sondern um das, was in der Oberlausitzer Dorfordnung die gewählten Gemeindeschöppen oder Gemeindeältesten waren 55 . C. David schrieb über ihre Amtseinsetzung am 11. Sept. 1729 an Heitz: „Nachdem die Statuten fertig waren, wurde ferner gedacht, in was für eine Ordnung diese am füglichsten könten geübet werden. Der Schluß aber war dieser. Es wurde die Gem. nach ihren Landsmaiischaften in 4 Theile eingetheilt jedem wurden 3 Aeltesten erwählt, welche Aeltesten werden konten. Aus diesen 12 Aeltesten wurden 4 zu OberAeltesten erwählt, durchs Loos, die alle 8 Tage Einmal Cfz. halten u. das Ruder der ganzen Gemeine nebst dem Vorsteher führen." 58 Interessant ist dabei das ganz demokratische Verfahren, daß jede der 4 größeren Gruppen ihre Vertreter in dem obersten Gremium der Gemeine haben sollte; und zwar unter den 12 Ältesten überhaupt, wie audi unter den 4 durchs Los bestimmten Oberältesten. Das ist aus der „Weltlichen Direction" noch klar ersichtlich, jedenfalls aus Zinzendorfs Original und dem ältesten der erweiterten Stücke. Die 4 Gruppen waren: a) Erstere (d. h. der Exulanten), b) Zauchtenthaler, c) Kuhnewalder, d) Frembde (d. h. Nicht-Exulanten). D a wir über den Dienst der Ältesten noch besonders sprechen wollen, sei hier nur darauf hingewiesen. Erst in der Folge wurde das Ältestenamt zum geistlichen Amt, besonders durch die Umgestaltung 1730, als die Verwaltungsaufgaben vom Gemeingericht übernommen wurden und der Älteste mit seinen Vice- und Mitältesten einen rein geistlichen Dienst übertragen bekam. Kurz nach dem 12. Mai und der Übernahme der Statuten wurden audi die übrigen in den Statuten verankerten Ämter der äußeren Leitung des Gemeinwesens eingeführt. Am 24. Mai 1727 hieß es im Diarium: „denselben Tag wurden zu den Brunnen, Feldern, Häusern, über die Taxe u. Armencasse besondere Vorsteher, desgl. 3 Krankenwärter u. 2 Krankenwärterinnen gesetzt". Zinzendorf fuhr fort: „ich aber u. m. Frau zu Waisenvater u. Mutter erwählet" 57 . Von den inneren geistlichen Ämtern war noch keine Rede. Zinzendorf selber berichtete am 16. 6.27 in der „Kurzen Relation von Herrnhut" als vorletzten Punkt 154 nur von den äußeren Diensten: „Es wurden vier Voigte über Strassen, Brunnen, Felder und Häuser gesezet, drey Kranken-Wärter, zwey Krankenwärterinnen, ein Armenpfleger, zwey Kinder-Vorsteher bey dem männlichen und zwey bey dem weiblichen Geschlecht."58 Die „Weltliche Direction" führt sie alle namentlich auf: 1 Taxmeister, 55 Vgl. Müller, Das Ältestenamt Christi, ZBG 1907, S. 1 ff. 5β R 24 В 68, S. 185. « H. Diar. 58 ZBG 1912, S. 68, No. 154.
143
2 Handwercksmeister, 2 Allmosenpfleger, 2 Cassenhalter, 1 StraßenVogt, 1 Brunen-Vogt, 1 Haus-Vogt, 1 Feld Inspector, 3 Diener, 3 Krandienwärter, und auf weiblicher Seite 2 Dienerinnen, 2 Kranckenwärterinnen und eine Allmosenpflegerin. Wir merken daran, daß noch einige andere äußere Gemeinämter dazugekommen waren. Das Amt der Kinder-Vorsteher ist merkwürdigerweise in der ganzen Schrift nicht genannt, vielleicht weil die Kinderanstalt und die Ämter in ihr als etwas Besonderes in der Gemeine betrachtet wurden. Gehen wir der zeitlichen Entwicklung weiter nach, so kommen wir nun zu den geistlichen Ämtern. Unser Schriftstück spiegelt in seiner ganzen Anordnung die zeitliche Folge wieder. Vor den Lehrern, Helfern, Ermahnern und Aufsehern erscheint ein ganz anderes seelsorgerliches Amt, nicht als solches durchgehend offiziell bezeichnet, aber in diesen Monaten höchst wirksam für den Gemeindeaufbau: das Amt des Bandenhalters. Über die Bedeutung der Banden sprachen wir bereits ausführlich im 2. Kapitel. Unser Schriftstück zeigt für das Frühjahr 1728 bereits eine durchgeführte Ordnung für jeden Wochentag. Die Mitglieder der „Brüderlichen Associationen zum geistlichen Zweck", dieser kleinen seelsorgerlichen Gemeinschaften, werden namentlich aufgeführt, an der Spitze, ζ. T. unterstrichen, die Leiter, die sog. Bandenhalter. So waren es auf männlicher Seite 6, auf weiblicher auch 6, wenn wir die Ältestinnen-Bande am Dienstag unter der Gräfin mitzählen wollen, und für die „Jungfern" besonders ebenfalls 6. Die „Jungen Purschen" hatten in ihrer bandenmäßigen Stubenbelegung in den 4 „Directoren" ihre seelsorgerlichen Ämter, unter der Oberleitung von Christian David. Wir merken an der immer wieder erscheinenden 6-Zahl der Wochentage, daß diese zu Anfang die Anzahl der Banden bestimmten. Nun erst nennt die „Erste Gemeineinrichtung" die uns bekannten Rotheschen Ämter, sofern sie nicht mit den äußeren schon verteilt waren. Sie werden wohl sämtlich auch erst Ende September/Anfang Oktober 1727 eingerichtet worden sein. Das Herrnhuter Diarium berichtet leider nur über das Aufseher- und Ermahneramt, doch ist es kaum anzunehmen, daß das Lehreramt und das Helferamt lange auf sich haben warten lassen, da die Konferenzen für jeden Wochentag bereits am 9. Oktober gemeldet werden und da sie ja in unserm Schriftstück völlig geordnet aufgeführt sind. Am 29. September stand im Diarium: „Uberhaupt geht es unter uns aufrichtig zu, u. da wir jetzt im Begriff waren, das Aufseher- u. Ermahneramt bei der Gem e in einen rechten Brauch zu bringen, so wurde NMs ( = nachmittags) die ganze Gem e ersucht, wider diej" Personen, welche zu den Aemtern in Vorschlag kamen, alles das öffentlich zu erinnern, was bishero an ihnen anstössig geschienen, damit sie sich teils erklären, teils bessern könten. Es geschah audi mit großer F r e i m ü t i g k e i t . . . " " Wir bemerken, daß ebenso wie 1725 zunächst alle Anstöße weggeräumt sein 144
mußten, ehe man an die Verteilung der Ämter ging. Am 30. September hieß es weiter: „Mittags um 12 Uhr war es zu Ende u. zugl. das Geschäfte der Ämter in Segen ausgeteilt, wobei einem jeden auch seine besondere Instruction mitgeteilt, die sich noch von der ersten Einrichtung, die Herr Rothe in Berthelsdorf gemacht herschreibet."5® Schließlich waren auch die Konferenzen geordnet: 9. Okt. 27 „Die Ämter wurden so eingerichtet, daß eins nach dem andern wöchentl. einen Tag zus.kam, über die Natur ihrer Sache sich herzl. u. kindl. zu unterreden"60. Nach Christian Davids Brief an Heitz, allerdings erst von 1729, war es so geregelt, daß am Montag die Krankenpfleger, am Dienstag die Lehrer, am Mittwoch die Helfer, am Donnerstag die Aufseher, am Freitag die Ermahner und am Sonnabend die Diener auf eine Stunde zusammenkamen „u. das sowol von Männern als Weibern"81. Es ist verständlich, daß man zur Wiedereinführung der Ämter von 1725, die im Strudel des Jahres 1726 untergegangen waren, nur sehr zögernd schritt. Aber nach dem 13. August und mit der allgemeinen Erwekkung war dafür der Boden bereitet. Sie haben sich in der Folge nun wirklich bewährt und wurden, als für die Gemeinordnung wesentlich, auch lange Zeit durchgehalten, bis sich durch die strenge Chorordnung alles versdiob. Joh. Plitt bemerkte zu dieser Wiedereinführung der geistlichen Ämter: „Weitere Ausbildung folgte später, vom Jahr 28 an, wie der Aemter, so der Versammlungen u. Statuten u. nadi den Umständen mehr, als nach Zdfs Plan oder Comenii alter Regel. Daher auch wir späteren Nachkommen, um unsere Einrichtungen aus deren l t e n Anfange zu verstehen, auf deren äusserlidie oder innerliche Antriebe, wie sie im Geist u. Leben der werdenden Gemeine liegen, genau zu achten haben"82. So bietet die „Erste Gemeineinrichtung" unter den Ämtern „Zu genauer und beßerer abwartung der euserl" Ordnung, bey den Führungen des Christenthums": 6 Lehrer (mit Rothe, dem „öffentlichen" Lehrer, der ursprünglich mitgezählt werden sollte, 7) und 5 Lehrerinnen „privatim"; 6 Helfer und 4 Helferinnen; 5 Ermahner und 4 Ermahnerinnen; 4 Aufseher und 5 Aufseherinnen. An Konferenzen werden hier nur 3 genannt: donnerstags die der Lehrer, freitags die der Aufseher und sonnabends die der Ermahner83. 5 9 Die „Zittel in der Rotheschen Ämterverteilung am 2. 2. 1725, s. S. 132. «о H . Diar. 9. 10.1727. ei R 24 В 68, S. 186. «2 Joh. Plitt, Denkwürdigkeiten § 144, Bd. 2, S. 140. 6 3 Daran, daß die Wochentage mit C. Davids Bericht von 1729 nicht übereinstimmen, merken wir, wie schnell sich alles versdiob.
145
Wenn wir nach Joh. Plitts Rat auf die äußerlichen und innerlichen Antriebe achten wollen, müssen wir noch einmal Christian David hören, der uns zusammengeschaut für alle Ämter die Einführung der „Bedienungen" 1727 nach der Predigt Rothes über Rom. 12 wie folgt schildert64: „Dieses bestärckte uns, und machte uns desto gewisser, mit solchen Bedienungen und äusserlichen Ämtern weiter fortzufahren, und eine geschlossene Gemeinde zu werden. Machten hernach allerley Ämter, so viel wir in der Gemeinde erkannten nöthig zu seyn, so wohl unter dem weiblichen Geschlecht, als unter dem männlichen Geschlecht, damit in der Gemeinde alles fein ordentlich zugehen möchte, aller böse Schein vermieden 65 , und aller verborgene Bann ausgeschafft und ausgethan würde, und deßwegen wurde die gantze Gemeinde zusammen beruffen, und unterredete sich davon, wie es auf eine Gott-gefällige Weise und uns nutzlich könnte eingerichtet werden, wurde also Untersuchung gehalten, wie vielerley Ämter wir nöthig hätten, und nachdem die Gemeinde schon ziemlich starck ward, fanden wir nöthig zu seyn: als Ältesten, Lehrer, Helffer, Aufseher, Ermahner, Diener, Kranckenwärter, (Allmosenpfleger — so Ms. 1731), und die über Handthierungen und Wirthschafften. Es wurden einige, die von gleichem Werth uns zu seyn schienen, durchs Looß erwählet, einige durch Wahl-Stimmen. Es wurde aber immer dahin gesehen, worzu sich einer oder der andere schicken möchte. Wir fiengen es einfältig an, und weil wir solche nöthigten, wagten wir es auf unsern Heyland, in Hoffnung, er werde uns selbst lehren, darinnen nach seinem Willen und Wohlgefallen zu handien, wie er es dann auch würcklidi gethan, und auch noch ins künfftige thun wird. Wir sind Schuler der Apostolischen Gemeinde, und wollen mittelbarer Weise von ihr lernen, was sie sonst unmittelbar zu üben durch den H . Geist empfangen, und gelehrt sind worden." Zusammenfassend können wir also feststellen, daß die Ämter der Herrnhuter Gemeine einen dreifachen Ursprung hatten und auch ihren Ursprung, falls sie nicht wie das Ältestenamt völlig umgestaltet wurden, in der Folgezeit nicht verleugneten: 1.Die apostolischen Ämter von 1725 nach Rom. 12, erneuert für die äußeren Dienste im Mai, für die geistlich-seelsorgerlichen im Sept./Okt. 1727, 2. die eigentliche „Weltliche Direction" in dem Ältestenamt und den Aufsichtsämtern in Verbindung mit den Statuten vom Mai 1727, 3. die neuen seelsorgerlichen Pflegeämter, deren Entfaltung mit der Entstehung der Banden im Juli 1727 begann. 8 4 Wir zitieren wieder die Bearbeitung von C. David, D. gl. Br. 1731 (R 6 Aa 22, 3), die bei Moser, Altes und Neues III, S. 29—34 abgedruckt wurde (Wortlaut nach Moser). «5 In der Handschrift D. gl. Br. 1731 (R 6 Aa 22, 1, S. 34) heißt es sofort weiter: „vermieden würde, u. also machten wir Ältesten, Lehrer, H ö l f e r . . . " .
146
Während die Ämter unter 2. in den „Herrschaftlichen Geboten und Verboten" als Verfassung des ganzen Gemeinwesens verankert waren, hatten die Ämter unter 1. und 3. ihren Ort im „Brüderlichen Verein und Willkür". Allerdings reichte das Ältestenamt mit seinen geistlichen Aufgaben in den zweiten Bereich hinein. Auch Christian David unterschied zwischen diesen beiden Gruppen. Er schrieb 1729/30 in seiner „Beschreibung von Herrnhut": „Die Statuten sind auf allerley Kinder Gottes und auf alle Menschen und Zeiten; Aber die Aemter, Classen und PrivatStunden nur für die verbundene Brüder, damit, wenn entweder eine Sache zur Gewohnheit wird, oder beschwerlich, oder einem und dem andern bedencklich wird wegen allerley Ursachen, oder wir wollen was einführen zu unserer Erbauung, daß wir uns also immer nach der freyen Gnade richten können, und den Geist nicht dämpffen, aber auch dem Fleische keinen Raum geben."®8 Das war Grundsatz — und danach wurde gehandelt. Wenn wir folgend die Dienste in den einzelnen Ämtern untersuchen wollen, werden wir Gelegenheit finden, diese Umgestaltungen und Ausgestaltungen, soweit sie in der Alt-Herrnhuter Zeit geschahen, auch darzustellen®7.
B . D E R D I E N S T IN DEN Ä M T E R N
Wir unterscheiden zwischen den eigentlichen, immer wieder genannten Ämtern und den geordneten Diensten. Zu den Ämtern rechnen wir die im Sinne der Ämterordnung namentlich listenmäßig aufgeführten: Vorsteher, Älteste, Helfer und die Aufsichtsämter als leitende Ämter; dann als seelsorgerliche Ämter: Lehrer, Aufseher, Ermahner und Bandenhalter; schließlich in im heutigen Sinne diakonischer Funktion: Diener, Almosenpfleger, Krankenwärter und der Gemeinarzt als diakonische Ämter.
· · C. D. Besdir. Druck, S. 15. 67 Mit der Einführung der Statuten in Berthelsdorf am 12. Mai 1728 wurden die alten Rotheschen Ämter am Pfingstdienstag, den 18. Mai 1728, audi für die etwa 100 Mitglieder zählende Berthelsdorfer Ecclesiola erneuert. Im H. Diar. heißt es darüber (18. 5. 28): „Dann (nach dem Mittagessen) wickelten sie endl. zus., daß darnach aufs neue die Vereinigung von mehr als 100 Br r u. Sdiw. angenomen u. nach einer Rede über Rom. 10, 11, die der H. Gr. hielten, von Herrn Rothe selbst allein eingerichtet wurden. Mit großer Bewegung s i n d . . . worden: Die Frau v. Watteville, Mordeltin, Gottfried Hahnin Ältestinnen, Älteste Gottfried Hahn u. Fröhde, Jäschke. Aufseher, Ermahner, Krankenwärter, Almosenpfleger u. Diener wurden mänliche u. weibl. aufgesetzt." Am So., 23. Mai heißt es: „Der H. Gr. veranstalteten, daß er die Wiederholung hielt, da die Berthdfer Diener zum erstenmal ihr Amt verrichteten." Sollte Rothes Predigt über Rom. 12, 7 u. 8 unter Umständen bei der Gelegenheit dieser Bertelsdorfer Ämtersetzung gehalten worden sein? Es ist leider nicht festzustellen.
147
Schon die Bandenhalter stehen auf der Grenze zu den verschiedenen Diensten. Aber wir rechnen sie doch zu den Ämtern, da sie einen längeren Auftrag an einen bestimmten Kreis von Menschen hatten. Unter die geordneten Dienste müssen wir dann aber die Besucher und Losungsträger, die Stundenbeter und die Nachtwächter zählen. Auch die Betreuer der Kinder in den Anstalten wären hierzu zu rechnen, wie schließlich die Botengänger der Gemeine in die Nähe und in die Ferne. Alles dies gilt so nur für die alte Herrnhuter Gemeinzeit von 1727 bis etwa 1738. Bei der folgenden Einzeldarstellung der verschiedenen Ämter kommt es uns darauf an, etwas von der Entwicklung des einzelnen Amtes zu erfahren, weiter etwaige Amtsanweisungen zu notieren und auch die Bewährung des Amtes, soweit dies feststellbar ist, zu verfolgen. Vorhandene Personenbeschreibungen erlauben uns auch, einige Träger der Ämter zu charakterisieren. Wir werden dies ausführlich zunächst für die männliche Seite durchführen und in einem besonderen Abschnitt (II. Ämter der Schwestern) für die weibliche Seite ergänzen.
I. D i e Ä m t e r d e r B r ü d e r
1. Leitende Ämter Unter den leitenden Ämtern wäre ohne Frage zuerst Zinzendorf mit seinen verschiedenen Funktionen im Leben der Gemeine zu nennen, war er doch der ständige Antrieb und damit auch der eigentliche Führer der Herrnhuter Gemeine. Aber es geht uns ja darum, das Dienen der Glieder untereinander in den Blick zu bekommen. Und so wollen wir zunächst die leitenden Ämter der Brüder darstellen und über Zinzendorfs Vorsteheramt am Schluß dieses Abschnittes sprechen. Wesentlich ist uns bei der Schilderung der leitenden Ämter der Gemeine die Frage, wie sich auch in ihnen der Dienstgedanke bewährte. Wir beginnen mit den Ältesten.
a) Die Ältesten Über die Entwicklung des Ältestenamtes hat J. Th. Müller in seinem Aufsatz „Das Ältestenamt Christi in der erneuerten Brüderkirche" geschrieben. Wir können uns weitgehend auf ihn beziehen68. 6 8 ZBG 1907, S. 1 ff. Uttendörfer geht in seinen Ausführungen über das Ältestenamt in A - H . , S. 25 ff. auch auf Müller zurück. Vgl. in den „Gedenktagen", Abschnitt V I I I „Selige Erfahrung des Aeltestenamtes Jesu bey der Brüder-Unität", S. 2 1 0 ff.
148
Für uns ist an diesem Amt interessant, daß sich bei ihm die genau entgegengesetzte Entwicklung ergab wie bei dem Helferamt. Wurde aus den zunächst seelsorgerlich tätigen Helfern im Laufe der Jahre das Gremium der äußeren Gesamtleitung, so entwickelte sich aus dem Ältestenamt, das in der Nachfolge der „Dorfschöppen" zuerst wesentlich die äußere Leitung innehatte, das geistliche Amt der Gemeine. Müller nannte als Ursache für diese Entwicklung des Ältestenamtes: „ d a ß . . . viel von der äusseren Verwaltung, dem ursprünglichen Geschäftsbereich der Ältesten, an die übrigen Ämter namentlich die Helfer übergegangen war, so daß sich die Tätigkeit des Ältesten immer mehr auf das Gebiet des inneren Gemeinlebens beschränkte"' 9 . Es wird aber wohl auch an den mit den Ämtern betrauten Personen gelegen haben, deren größere oder mangelnde Begabung auf den verschiedenen Gebieten diese Entwicklung herbeiführte. Überschaut man unsere Ämtertabelle (Beilage 1), so erkennt man deutlich den Werdegang. Zunächst waren 12 Älteste da; eine erstaunlich große Zahl für die kleine Gemeine von ca. 300 Mitgliedern. Aus ihnen wurden für die 4 Gruppen der Gemeine 4 Oberälteste ausgelost. Die „Weltliche Direction" nennt sie uns: „Ober-Älteste, durchs Looß: 1. Christian David, der Zimermann aus den Ersten 2. Georg Nitzschmann, der Tischer aus den Zauchtenthalern 3. Melchior Nitzschmann, der Weber aus den Kuhnewaldern 4. Christoph Hoffmann, aus den Frembden." Von den folgenden 9 (!) heißt es, sie seien „Älteste, die in wichtigen Sachen, außer welchen die obigen alles ausmachen könen, mit dazugenomen werden" 70 . So haben wir in den Oberältesten die eigentlich leitenden Brüder vor uns. Am 18. Oktober 1728 wurden die Oberältesten neu gewählt (ohne Los). Audi hier scheinen die 4 Gruppen noch berücksichtigt worden zu sein. Die drei Ältesten der „Frembden" Hoffmann, Kühnel, Weiß schieden aus, dafür trat, wohl wieder für die Nichtmähren, Martin Dober, der Töpfer, sofort als Oberältester ein. Die anderen Oberältesten waren: David Nitzschmann, der Schuster, Johann Nitzschmann und David Nitzschmann, der Zimmermann 71 , die 1727 schon zu den Ältesten gehörten. Am 26. September 1729 erfolgte wieder eine Neuwahl. Nach Plitt waren nunmehr Oberälteste: Martin Dober, David Nitschmann, Rohleder «» ZBG 1907, S. 9. ™ R 6 Aa 18,1; vgl. das Zitat v. C. David S. 143. 71 Vgl. Beilage 3, R 6 Aa 16, 4/24.
149
u n d Augustin Neißer 7 2 . D i e jährliche N e u w a h l der Oberältesten scheint zur O r d n u n g gehört zu haben. E s ist anzunehmen, d a ß diese Ältesten ihr A m t i m Sinne der Statuten u n d der Instruktion Z i n z e n d o r f s (folgt S. 152) geführt haben. D o c h zeigt die U m g e s t a l t u n g im Frühjahr 1730, d a ß dieses A m t auf geistliche F u n k tionen hindrängte. D a s Ergebnis der Umgestaltung, deren Ursache uns nicht deutlich erkennbar ist 78 , w a r jedenfalls, daß schließlich ein Ältester übrig blieb: der Bäcker Martin Linner (ledig). Er w a r 2 7 Jahre alt (geb. 1703) 7 4 . I h m w u r d e der Messerschmied Augustin N e i ß e r als Vice-Ältester (verheir.) zur Seite gesetzt. A u s den n u n audi vorhandenen 4 H e l f e r n w u r d e in der f o l g e n d e n Zeit monatlich ein Mitältester gewählt. H e l f e r u n d Älteste zusammen machten die Ältestenkonferenz aus. Jetzt w a r e n Verwaltungsaufgaben u n d richterliche Funktionen gänzlich v o m Ältestenamt gewichen, zumal schon i m April 1729 f ü r Schiedssprüche ein besonderes Richterkolleg gebildet w o r d e n war. Martin Linner gestaltete das Ältestenamt mit seinen Gaben in den 3 Jahren seiner A m t s führung so, w i e es in der Folgezeit immer angesehen wurde. Es „sollte der Älteste die Gesamtheit der Gemeine u n d ihrer einzelnen Glieder priesterlich auf fürbittendem H e r z e n tragen u n d zugleich in seiner Person das « Joh. Plitt, Denkwürdigkeiten § 153, Bd. 2, S. 262. 78 Vgl. dazu Müller, Ältestenamt, ZBG 1907, S. 8 f. Spangenberg sagte darüber (Zinzendorf, S. 593 f.): „Es hatten insonderheit manche Brüder und Schwestern, welche bis daher in keinem Amte gestanden, im Guten so zugenommen, daß ihr Wachsthum ganz offenbar war. Andere hingegen, denen Aemter in der Gemeine waren aufgetragen worden, schienen wo nicht zurük zu gehen, doch wenigstens zurük zu bleiben. Das brachte unsern Grafen auf die Gedanken, daß es nöthig seyn dürfte, nachzusehen, ob nidit dieses und jenes Amt besser könte und solte besetzt werden. Er machte mit sidi selbst den Anfang, und legte das um der Umstände willen übernommene Gemeinvorsteheramt schriftlich n i e d e r . . . Hierauf legten die bisherigen Aeltesten ihre Aemter auch nieder, und die Gemeine machte Anstalt zu einer neuen Aeltestenwahl. Diese erfolgte am 15. Merz, da der Bruder Martin Linner zum Aeltesten der Gemeine, und die Anna Nitschmannin zur Aeltestin der Schwestern, erwehlt wurden. Ersterem wurde nicht lange hernach der Bruder Augustin Neisser als Viceältester beygegeben." Zuerst sollten es mit C. David 3 Älteste sein, doch Christian, der zur Zeit in Livland weilte, wollte das Amt nicht annehmen. So kam es zu obiger Ordnung (ZBG 1907, S. 9). 1732 wurde als Viceälteste Judith Kloßin genannt (R 6 Aa 16,8b). Lintrup (Beschr. Druck, S. 14, Anm. a) begründete die Neuordnung mit einer Losentscheidung: „Es ist nun nach der unterschiedlichen Veränderung mit dem Amte der Aeltesten, wie es die Nothdurft und gegenwärtige Verfassung der Gemeine erfordert, durchs Loos, und also von dem Heilande diese Anstalt gemacht worden, daß die Gemeine nur einen Allgemeinen Aeltesten und Aeltestinne hat, welchem aber zum Beystand ein Vice-Aeltester und Mitältester untergeordnet sind, die auch einen allgemeinen Diener haben, und mit einander zum wenigsten einmal des Tages Conferenz halten über Sachen, die entweder ihnen selbst vorkommen, oder von den Classe-Aeltesten, Arbeitern und Dienern durch den allgemeinen Aufseher in die Hände gegeben werden." ™ Gedenktage, S. 226. 150
Brüdertum vorleben"78. Dies war der Inhalt des Ältestenamtes auch, als Leonhard Dober Generalältester geworden und in die Chorgliederung das Ältestenamt als wesentlich eingefügt worden war (Jedes Chor hatte seinen Ältesten). Doch müssen wir noch einmal zum ursprünglichen Ältestenamt zurückkehren. Wie war 1727—1729 die Aufgabe gesehen worden? Wohl war es das leitende Amt in der Brüderansiedlung, aber es ist wohl stets als Dienst aufgefaßt worden7®. In den „Notanda", die der „Ersten Gemeineinrichung" von 1728 am Ende angefügt wurden, hieß es zwar unter 5. „Alle bürgerl. Sachen dependiren bis zum Ungehorsam von denen Ältesten, wer sich aber denenselben ungehorsam erzeiget, gehöret unter die Berth. Gerichtsbarkeit." Doch stand bereits seit 1727 in den Statuten (Willkür): „39. Keine Oberkeit, kein Lehrer, Ältester oder Vorsteher, oder der in einigem Stück über die andern gesetzt ist, soll sich seiner Gewalt auf andere Art bedienen, als dass er einen Gehilfen ihrer Freude und Seligkeit und einen sorgfältigen Helfer in ihren Leiden, Trübsalen oder Mangelhaftigkeit abgebe."77 Die Art ihrer Regierung erzählte C. David 1729 folgendermaßen: „Diese 4 Oberältesten halten mit dem Vorsteher alle Wochen Montags eine Conferenz und untersuchen alles nach der brüderl. willkührlichen Verabredung, darzu sie sich alle insgesamt freywillig ein-
™ Müller, Ältestenamt, ZBG 1907, S. 11. 78 In den Statuten (Herrsdiaftl. Gebote, Rügen = R., Willkür = W.) war ihre Amtstätigkeit nach folgenden Richtungen hin festgelegt: „Die Altesten sind danach die oberste Instanz für die übrigen Beamten (R. 16). Sie haben die Genehmigung zur Niederlassung und zum Hausbau in Herrnhut zu erteilen, ja ohne ihr Vorwissen darf kein Fremder in Herrnhut geherbergt werden (R. 17. 8). Eine Änderung des Berufs audi Verlöbnis und Eheschliessung ist von ihrer Genehmigung abhängig (R. 19. W. 20). Will jemand verreisen, muss er es ihnen anzeigen. Sie stellen im Verein mit dem Vorsteher Vollmachten für Vertreter der Gemeine aus, die in ihrem Namen handeln sollen (R. 26). Sie haben Steuern zur Erhaltung der Wege und Brunnen zu erheben (R. 4) aber auch sich der Witwen und Waisen anzunehmen (R. 33. 34), üble Nachrede zu verhüten (W. 25), über den Verkehr lediger Personen beiderlei Geschlechts zu wachen (W. 12) und die brüderliche Gemeinzudit auszuüben (W. 37). Alle Sonnabend soll von den Ältesten eine Konferenz gehalten werden und wer dazu gefordert wird, unwidersprechlich erscheinen (W. 37 . . . ) . Alle Montag früh wurden die Beschlüsse der Ältesten ,zu jedes Nachricht und unfehlbarer Folge' öffentlich bekannt gemacht. Zusammenfassend wird dann in der späteren Redaktion der herrschaftlichen Gebote und Verbote vom 6. Nov. 1728 ihre Stellung so bestimmt: ,47. Die Ältesten haben über alle diese Punkte die Aufsicht, wie überhaupt über den ganzen Ort und alle Einwohner, wes Standes sie sein. Sie werden, wenn jemand Grund fordert unserer Einrichtungen, denselbigen geben und die Gemeine in diesem Stüde vertreten. Kommen aber besondere hierinnen nicht enthaltene, die Gemeine überhaupt betreffende und bedenkliche Umstände vor, so soll die Gemeine davon benachrichtigt werden." (Müller, Ältestenamt, ZBG 1907, S. 5 f., von Uttd. A-H., S. 26 fast wörtlich übernommen). Die Statuten finden sich abgedruckt bei Müller, Zinzendorf als Erneuerer, S. 106 ff. 77 Müller, Zinzendorf als Erneuerer, S. 115.
151
und mehrmal verstanden u. verbunden haben, welche die Statuten unter sich haben darnach alles abgethan wird." 78 Wie sdion gesagt, traten die „bürgerlichen Sachen" im Laufe der Jahre 1728/29 mehr und mehr zurück. Richterkolleg und Helfer übernahmen sie. Das Amt der Ältesten wurde geistliches Leitungsamt. Dies geschah sicher nicht ohne Einfluß einer Besinnung über das Ältestenamt in der Bibel. Nach der alten Instruktion Zinzendorfs (schwer zu datieren) hatten sie folgende Aufgabenbereiche: „1. Alle Einrichtungen, so bald sie in Vorschlag kommen 2. Alle außgemachte besondere Dinge Ihnen zu erst 3. keine Heyrath ohne ihr Vorwißen auch nicht einen Tag unterbanden seyn. 4. Das Stunden gebeth in gantz besonderer Direction zu haben außzutheilen u. zu dirigiren 5. Die Confermanden so bald sie sich anmelden an die Ältesten zu weisen 6. Die Direction aller Banden deren freyen Besuch, und securate käntnis von dem GeneralGrad jeglicher Seele 7. Die Gemein Versamlung mit Gebeth anfangen 8. keine Reise kan wieder der Ältesten Willen geschehen, und es muß Ihnen alle mal zu einer Zeit gesagt werden, da es noch kan geändert werden. 9. Alle Ämbter sollen Ihnen wöchentlich überhaupt rapportiren, und alle neue welche angenomen, und alle welche abgethan worden, sollen mit ihrer genehmhaltung, dazu komen. 10. Die Helffer sollen täglich die Ältesten besuchen 11. Alle Gemeinde Raths Sachen sollen Ihnen sogleich vorgetragen werden, ehe er ist. 12. Brüderlich Confermations Gebeth zu thun 13. Die neue Ehe Leuthe (u. Witber) für zu fordern und fragen, wie sie stehen 14. über die neugebohrne Kindern zu beten 15. Die vermuthete Empfängnis soll Ihnen so gleich zu Gebeth befohlen werden, als man gewißen Grund davon zu haben meint. 16. Wann jemand der gefehlt hatte wieder aufgenomen werden soll, muß er sich solches bey den Ältesten ausbitten und deswegen melden."7® Es waren hier also im wesentlichen schon geistliche Befugnisse, die ihnen übertragen wurden. 78 C. D. Livland 1729, R 6 Aa 22, 2. ™ R 6 Aa 15, 6, c/2—4, Vor die Ältesten (Eltesten) = 3 Einzelstücke. Vgl. Harks H. Diar. 1727, Beil. 2.
152
Zinzendorf hat diese später noch deutlicher beschrieben: „Was eigentl. vor die Ältesten gehört. 1. Alle Abbitten geschehen bei ihnen. Bei ihnen beruhet auch alle Zucht... 2. Alle Aussprüche thun s i e . . . 4. Alle Ämter confirmieren sie, u. alle Personen, die dazu sollen angenomen werden, müssen ihnen erst vorgeschlagen werden. Auch haben sie Freyheit, selbst welche zu setzen.... 7. Sie dürfen allen Brüd. u. Schw. die Füße waschen. 8. Sie dürffen Liebesmahle anstellen, so offt sie es vor gut erkennen u. audi Kirchenabdmale der Gemeine verordnen auch Kranckenwerter extraordiniren. 9. Sie können lehren öffentl. u. sonders, aber sonst kein Amt verwalten, sonderl. kein Aufseher u. Ermahner u. AllmosenpflegerAmt... Man wird sie zum Dienen nicht leicht komen l a s s e n . . . Brüdern aber insbesondere Dienen steht ihnen w o l f r e y . . . 11. Ihnen selbst aber ist die ganze Gemeine vorgesetzt, u. in derselben nahmen die Helffer." 8 0 Wer aber wurde Ältester? Christian David schrieb 1731 „Dennen glaubigen B r ü d e r n . . . " , wohl ganz im Blick auf die Neugestaltung des Amtes unter Linner und Augustin Neißer: „Zu ältesten wurden stille u. in gegemeinschaftlichen sachen erfahrne mäner genommen, welche in allen Dingen bedächtdig u. gründlich handeln. Ihr beruf u. ambt gehet dahin, über die gemeine wachen, vor sie betten, auch (wohl: au/) die Salbung achten, u. gleich nach dem wort u. gefühl alles prüfen zu können u. dahin sehen wie die gemeine in der Lauterkeit u. warheit, in Lehr u. Leben, könne erhalten werden, auch vor sie in solchem fahl, Ehe sie der Wahrheit etwas vergeben, daß Leben laßen, sie kommen die woche ein mahl zusammen u. bereden sich über der gemeine ihren Zustand." 8 1 Auch in der „Verfassung" von 1733 klingt es ähnlich: Beim Ältesten und Viceältesten „wird hauptsächlich darauf gesehen, daß sie tief erfahren, gründlich, allenthalben heilig, unsträflich, und eines allgemeinen Zeugnisses seyn. Auf Gaben wird nicht reflectirt, indem solche nicht eben nothwendig lehren müssen, sondern nur rathen und beten, und in wichtigen ihnen vorbehaltenen Fällen decidiren." 82 Dies galt auf alle Fälle für Martin Linner, doch auch für seine Amtsvorgänger. Christian David kennzeichnete einige von ihnen in seinem Brief an Heitz vom 11.9.1729 so: 80 R 6 A a 15, 6, c/1, von Zinzendorfs H a n d . Vgl. H a r k s Η . Diar. 1727, Beil. 2. — Allerdings konnte der Oberälteste D a v i d Nitsdimann (Zimmerm.) 1728/29 zugleich auch Ermahner und sogar Helfer sein (vgl. R 6 A a 16, 4/24 und R 24 В 68, N o . 39, S. 179 ff., N r . 5b in C. Davids Brief an Heitz von 1729). 81 D. gl. Br. 1731, R 6 Aa 2 2 , 1 , S. 34. 82 Beschr. Druck, S. 120.
153
Ältester Jakob Neißer (und seine Frau): „sehr redlich und treu, die Gott fürchten", Ältester Augustin Neißer: „der theure Mann", Oberältester D . Nitschmann, Zimmerm.: „ein sehr treuer Knecht Christi. Er hat eine sonderbare Gabe zu prüfen.", Oberältester D. Nitschmann, Schuster: „ein sehr gesetzter M. u. gehet sehr auf Grund", Oberältester Martin Dober: „gemeinsdiaftl. ein s. scharfsinniger, gegründeter u. redlicher Mann", Oberältester Johan Nitschmann (der lange): „sehr ein herzlicher Mann, der Grund hat" 8 3 . Vor allem aber entsprach Martin Linner der beschriebenen Art. Wir haben ihn schon kennengelernt, als er seinen Bäckerberuf eine Zeitlang aufgab, um einem Bruder die Möglichkeit des Anfangs zu geben. Von ihm schreibt Müller: „Die völlige und rücksichtslose Hingabe an sein Amt, das er in seiner ganzen Tiefe erfaßte, beherrscht sein ganzes Leben, läßt ihn vor keiner Aufgabe zurückschrecken, kennt keine Rücksicht auf seine schwache Gesundheit und erwirbt ihm das unbedingte Vertrauen, die Achtung und Liebe seiner Brüder. Unermüdlich ist er in der Seelsorge zunächst auf dem begrenzten ihm zugewiesenen Gebiet unter den ledigen Männern tätig, und scheut sich nicht als Ältester Zinzendorf zurechtzuweisen, wenn er nach seiner Meinung in der Seelsorge Fehler begeht." 84 Er war ein wirkliches Vorbild für alle. So wurde das leitende Amt der Gemeine von den Brüdern, die es innehatten, nie als ein Herrschen über andre aufgefaßt, obgleich der große Umfang der Vollmacht dem hätte Raum geben können. Sie verstanden und übten es als einen Dienst an den Brüdern. Der Geist der Demut auf beiden Seiten brachte es dazu, daß sich die selbstverständliche Unterord83 R 24 В 68, S 179 ff. 84 Müller, Ältestenamt, Z B G 1907, S. 10. In den Gedenktagen, S. 226, heißt es über Linner: „Martin Linner, der nunmehrige Aelteste der Gemeine, war bereits in Mähren, wo er 1703 zu Schönau in der Herrschaft Neu-Titsdiein geboren war, von der K r a f t Jesu Christi ergriffen und von der Wahrheit überzeugt worden. D a er 1728 in Herrnhut anlangte, so zeichnete er sich bald unter seines gleichen aus, durch eine brennende Liebe zu Jesu, und ein treues Bestreben, ihm in der Armuth und Selbstverleugnung nachzufolgen, und andre mit Liebe und Ernst nach seiner Erkenntniß zu dem rechtschaffenen Wesen in Christo Jesu anzutreiben; weswegen er von der ganzen Gemeine geschätzt wurde und 1730 bey der neuen Besetzung des Aeltesten-Amtes die meisten Stimmen dazu erhielt, indem er das allgemeine Zeugniß hatte, daß die freye Gnade sich an ihm besonders verherrlicht habe. Er war sehr für die sanfte und gemäßigte Zutht in Behandlung der S e e l e n . . A u f S. 227 ist ein Brief von ihm an Zinzendorf abgedruckt, in dem er den Grafen wegen seiner manchmal zu großen Schärfe ermahnte. Vgl. audi „Etwas von der gesegneten und Gnaden-vollen Amts-Führung Des Seligen Aeltesten der Gemeine J . C. in der Herrnhut, Martin Linners, Eines B e c k e r s . . . " Beschr. Druck, S. 169 ff. Dort sind eine ganze Reihe seiner Briefe wiedergegeben.
154
nung unter das Ältestenamt ergab. Sogar Zinzendorf selbst konnte sidi unter die Leitung des Ältesten stellen. Es wird so nie Kompetenzschwierigkeiten gegeben haben. Bei der Behandlung der großen Classen (Chöre) innerhalb der Gliederung der Gemeine (Kap. 2 С 4) sprachen wir schon davon, daß die Classen bei ihrer fortschreitenden Organisation eigene Älteste bekamen. Auch für sie gilt das oben Gesagte, daß der eigentliche Sinn ihres Amtes der für alle vorbildliche Lebenswandel war. Natürlich war ihnen in ihrem Bereich die Seelsorge an den Brüdern und Schwestern besonders ans Herz gelegt. Das Ältestenamt für die Gesamtgemeine wurde unter Linners Nachfolger Leonhard Dober, dem Missionar auf St. Thomas, zum GeneralÄltestenamt. Dieses übertrug man schließlich 1741, weil allen die Vollmacht in der Hand eines Menschen zu groß erschien, Jesus Christus selbst85. Mag abschließend das noch genannt werden, was Zinzendorf wenige Jahre zuvor 1738 im Eventualtestament über die Amtsführung der verschiedenen Ältesten in der Gemeine schrieb: „Die Aeltesten, deren eigentliche Vorsteher die General-Aeltesten sind, haben ihr Regiment mit Sorgfalt dahin zu richten, daß sie in ihren gantzen Leben mit niemand in eine personelle Widrigkeit gerathen, weil sie allen Gemüthern in der gantzen Gemeine, und auch wohl bey Auswärtigen, so Freunden als Feinden, gleichsam zur Reserve stehen müsten." 88 Die Mittel ihrer Amtstätigkeit waren immer mehr Gebet und Mahnung geworden. Sie waren Ratgeber, hatten die „Chorviertelstunden" zu leiten, Einführung in Ämter vorzunehmen und wohl auch das Los zu gebrauchen. Aber ihr Dienst in der Stille wurde als die eigentliche Leitung der Gemeine oder des einzelnen Chores anerkannt.
b) Die Helfer Wahrscheinlich lag es an dem so allgemein gehaltenen Amtstitel, daß sich das Amt der Helfer im Laufe der 10 Jahre von 1727/28 bis 1738 in 8 5 Vgl. dazu ausführlich Müller, Ältestenamt, Z B G 1907, bes. die abgedruckten D o kumente S. 24 ff. 8 6 Theol. Bedenken, S. 175. So war den Ältesten der Chöre dieselbe geistlidie Aufgabe zuerteilt wie den Ältesten für die Gesamtgemeine, von denen Spangenberg im Blidc. auf die Umgestaltung ihres Amtes 1730 schrieb (Zinzendorf, S. 5 9 5 ) : „Von diesen Aeltesten erwartete nun die Gemeine nicht, daß sie äusserlich sehr wirksam seyn solten, und man verschonte sie mit den Dingen, die dahinein schlugen. Sie hatten aber den Auftrag, mit Rüksidit auf ihr Geschlecht, die Gemeine überhaupt, und ein jedes Mitglied derselben insonderheit, auf dem Herzen zu tragen, und die andern Diener und Dienerinnen der Gemeine, welche geschäftig seyn mußten, mit ihrem Gebet und Segen zu begleiten."
155
verschiedener Weise mit Inhalt füllen ließ. Dazu kam, daß die Träger dieses Amtes es sicher ganz nach der Art ihrer Gaben prägten. Manchmal scheint es sogar, als sei die Beschreibung direkt auf sie persönlich zugeschnitten. Aus der ganzen Entwicklung ist zu vermuten, daß das Helferamt eine Fortentwicklung des Weissageramtes unter Rothes Ämtern von 1725 war. Der Titel „ H e l f e r " mag aus 1. Kor. 12,28 genommen worden sein, wo er unter den urchristlichen Amtsbezeichnungen erscheint. Daß eine Verbindung zum Weissageramt, das 1725 Fr. v. Watteville und seine Frau bekleideten, bestand, kann man aus Folgendem vermuten: Für das Weissageramt von 1725 galt die Beschreibung Zinzendorfs: „der Herr von Watteville aber zur besonderen Sorge vor allerley geistliche Umstände der Brüder, welche in das ehemalige Amt der Weissagung eingeflogen" und an anderer Stelle: „in besonderen Führungen der Seelen, welche im Christenthum fortgeschritten" 87 . In seiner ersten Beschreibung Herrnhuts von 1728, wiedergegeben durch P. Regent in seiner Schrift „Unpartheyische Nadiricht von der in Laußnitz überhandnehmenden neuen S e c t . . . " , schrieb C. David über das Weissageramt folgendes: „2. Sind 6 Weissager, die einen genauen Unterscheid machen, von Natur und Gnade, von unterschiedenen Führungen der Seelen, und Einsichten, eine Gabe die Geister zu prüfen, und jetzige Zeiten, wie auch die unterschiedene Gaben des Heil. Geistes, und Temperamenten alles zum gemeinen N u t z . " Darauf folgten 3. die Lehrer 88 . Gottfried Marche und Pfarrer Rothe hatten in ihrer Entgegnung 1730 „Zeugniß der Wahrheit der Gemeinde zu H e r r n h u t . . . " alle Mühe, den Titel „Weissager" wieder ins rechte Licht zu bringen. Marche schrieb: „ . . . weil der liebe Christian David zu der Zeit, da er nach Schlesien gieng, noch nicht wissen mochte, wie man gewisse Leute, die er in seinem Aufsatz beschrieben, hier unterscheiden würde, so suchte er ihnen einen gantz geschidklichen Biblischen Nahmen aus, der aber hier nicht Statt gefunden, und alles darauf gefußte Raisonnement Herrn P. Regent unnütze macht" 89 . Ob es mit dieser Auseinandersetzung zusammenhing, daß man den anstößigen Titel „Weissager", den man aus Rom. 12 abgeleitet hatte, fallen ließ, und für dieses Amt, das in seiner Tätigkeit wohl auch nicht mehr ganz zu diesem Titel paßte, einfach die ebenfalls biblische Bezeichnung „ H e l f e r " einsetzte? Vom Weissageramt war in der folgenden Zeit nicht 87 Kurze Relation, Z B G 1912, S. 51. 37 und Gesch. d. verb, vier Br., Z B G 1912, S. 81. 88 P(ater) Car Regent, Unpartheyische Nadiricht von der in Laußnitz überhandnehmenden . . . Neuen S e c t . . . , Sechste Nachridit, Von dem Kirchen-Directorio zu Herrnhuth, S. 27 ff. 8» Zeugniß der Wahrheit der Gemeine zu H e r r n h u t . . . wider H n P. Carl Regent, hrsg. v. Christian Gottfried Märchen, Herrnhut 1730.
156
mehr die Rede. Das Helferamt aber gehörte fest zur Gemeineinrichtung hinzu und erhielt die Zahl der Ämter nach Rom. 12. Wahrscheinlich hatte man schon bei der Ämtererneuerung 1727 den Namen „Helfer" gewählt, und C. David hatte sie in Erinnerung an 1725 noch einmal „Weissager" genannt90. 1727 wurden 6 Helfer eingesetzt. Die „Erste Gemeineinrichtung" nennt uns ihre Namen: H. Liberda, Η. M. Schäffer, H . von Watteville, David Nitzschman der Weber, Jacob Neißer, Christian David d. Zimerman. Bei den 4 Helferinnen werden genannt: Die Gräfin von Zinzendorff, die Frau Heintzschelin, die Frau von Watteville, die Frau M. Schäfern91. Da nach Zinzendorfs Rat unter den Ältesten keine Standespersonen sein sollten, weil sie ja die Vertretung der Gemeine darstellen sollten, fanden sie nun hier bei den Helfern ihren Platz und Dienst. Ist es bei dem den genannten Personen eignenden Einfluß und ihrer seelsorgerlichen Aktivität verwunderlich, daß sich das Helferamt zum leitenden Amt entwickeln mußte? Auffällig ist, daß M. Schäffer und seine Frau, die ja in Görlitz wohnten, ein Amt in der Gemeine bekamen. Die Frage, wem geholfen wurde, ist damit so zu beantworten: nicht den Ältesten in ihrem Amt, wenn die Helfer diesen auch untergeordnet waren, auch nicht dem Pfarrer oder dem Vorsteher. Es ging zunächst um den seelsorgerlichen Helferdienst am einzelnen Glied der Gemeine. Unsere Tabelle (Beilage 1) sagt uns, daß bis zur Umgestaltung des Ältestenamtes im Jahre 1730 die Zahl der 6 Helfer beibehalten wurde. Es erscheint auch einmal eine größere Zahl. Doch handelt es sidi dabei um das besondere Amt der „Landschaftshelfer", das im Juni 1728 entstand, 9 0 Auffällig ist, daß unter den erhalten gebliebenen Ämterinstruktionen eine für die „Helfer" fehlt (R 6 Aa 15, 6), während die andern Ämter außer den Lehrern ihre Instruktion haben. Im Unitätsarchiv befindet sich eine (undatierte) Instruktion mit der nur vor 1728/29 möglichen Überschrift „Weissagung", die ganz in der im Text dargelegten Richtung geht, sich klar auf Rom. 12, 7 bezieht und u. U. den ursprünglichen Auftrag der Helfer beschreibt. Sollte dies so sein, dann ist der rein seelsorgerliche Ursprung des Helferamtes deutlich. „Weissagung. Man siehet aus der Erinerung des Apostels, daß dieses keine eigentl. E r klärung der Schrift ist, sondern viel mehr ein erweddidier (1 MS: ordentlicher) Vortrag auf die Art und Weyse, wie die heil. Männer Gottes vorzeiten geredet haben, davon es heißet: keine Weissagung ist aus menschl. Willen herfürgebradit, und eben darum sagt der Apostel: sie sollte dem Glauben oder denen Principiis der heiligen Sdirift ähnlich und conform seyn. Ich weis mir die Sache nicht beßer vorzustellen, als dieses Amt habe die besondere Pflicht, da man dem Herrn Jesu 1. Seelen zu gewinnen suchet, 2. die Gewonnenen zu erwecken und aufzumuntern, 3. die Erweckten zu befestigen bemüht ist, in sich. Dazu wird erfordert: 1. Ein gesunder Begriff, 2. Ein leichter und beweglicher Vortrag, 3. große Liebe und Demuth, 4. Viel Sorgfalt, 5. Eine genaue Kenntniß derer Temperamenten, 6. anhaltendes Gebeth, 7. Munterkeit in allerley Zufällen." (R 6 Aa 15, 6a in 5 Abschriften zusammen mit den Instruktionen für Ermahnen, Aufsicht, Übung der Barmhertzigkeit und Diaconia oder Amt). Es ist zu vermuten, daß diese Instruktion 9 1 R 6 Aa 18, lb, vgl. Beil. 2. auf die von 1725 zurückgeht.
157
als Zinzendorf, im Willen, die Gemeine zu gliedern, sie nach ihren Herkunftsorten aufteilte und jeder der 7 Gruppen bestimmte Ämter zuteilte. Darunter war als das leitende seelsorgerliche Amt eben das der Helfer (vgl. Kap. 2, С 3). Christian David erwähnte in seinem Brief an Heitz vom 11. September 1729 bei einigen Namen, daß sie Helfer seien. Es handelte sich um Augustin Neißer, David Nitschmann, Zimmerm., David Zeisberger, Schuhmacher, Andreas Graßmann und Christoph Demuth. Bei den Frauen wurden Helferinnen jedoch gar nicht genannt. David Zeisberger ζ. B. wurde charakterisiert: „ein redl. Jünger Jesu, der Alles sehr genau haben will, u. eine gute Unterscheidungsgabe hat". Augustin Neißer, „der theure Mann", war gar Oberältester, Lehrer und Helfer in einer Person. Von Andreas Graßmann hieß es: „Er stehet jetzt in gr. Kraft." Der Oberälteste David Nitschmann war zugleich Helfer und Ermahner. Von Christoph Demuth wurde gesagt: „ein herzl. Mann. Er hat eine besondere Gabe andere zu erwecken, sonderl. mit Singen. Er hat einen gr. Eingang bei andern." Auch er war Helfer und Ermahner82. Mit der Umgestaltung des Ältestenamtes im Frühjahr 1730 verschob sich auch der Inhalt des Helferamtes. Es wurde nun zum eigentlichen leitenden Amt in der Gemeine, indem es neben den seelsorgerlichen Aufgaben, die es behielt, eine Reihe leitender, audi verwaltender Funktionen bekam. Die Zahl der Helfer wechselte. Waren es 1730 drei, so 1731 fünf, 1733 wieder nur vier und nach Lintrups Anmerkungen 1734 wohl wieder mehr: „Die Anzahl der Helffer ist nachhero bey dem Wachsthum der Gemeine größer worden" (als 3) M . Es ist möglich, daß er hier auch an die Helfer in den großen Classen dachte, die neben den Ältesten dort ihren Dienst taten. Von den 3 Helfern 1730 hieß es in C. Davids Beschreibung: „Ihr Amt ist, daß sie mit vor die gantze Gemeine helfen Sorge tragen vor ihre Erbauung, Vermehrung, Verwahrung, Vortheile im Anstaltenangeben, Corresponded besorgen, alles untersuchen, prüfen und übersehen helfen." „Zu Helfern sind solche genommen, die ein tiefes Einsehen und Nachdencken haben in allen Sachen, die alles durchsehen und prüfen können, und die in einer rechten Bruder- und gemeinen Liebe stehen."93 Von den 5 Helfern 1731 berichtete C. David: „Zu hölfern wurden solche genommen, die ein aufgewecktes gemüthe u. einen auf geschloßenen verstand, auch einen rechten Plann, u. Zusammenhang von der hauß»2 R 24, В 68, S. 179—210. Merkwürdig ist, daß das Helferamt in der Liste „PrivatÄmter aufs Winter Theil in Herrnhut" (R 6 A a 16, 4/24) vom Herbst 1728 nicht genannt wird (vgl. Beil. 3). Sollte in der personellen Besetzung alles beim alten geblieben sein? 9 8 Besdir. Druck, S. 18.
158
haltung Gottes u. gemeinsdiaft am Evangelio haben, ihr ambt u. beruf ist umb alles in der gemeine sich zu bekümern, alles zu untersuchen, außzumachen u. anzuordnen, u. wo in etwas ihre Einsicht nicht hinlänglich ist, die ältesten umb rath zu fragen, u. bey dero außsprudi eß bleiben zu laßen, dieße halten wöchentlich eine Konferentz, derrer fünfe sein, u. stehen unter den ältesten."94 Um diese Aufgaben leichter lösen zu können, wurde in jede Konferenz der anderen Ämter ein Helfer abgeordnet'5. Nach der Ordnung, die 1732 bestand, war es so, daß monatlich aus den Helfern und Helferinnen je einer zum Mitältesten und zur Mitältestin gewählt wurde96. Auch für 1733 wird uns dies in der „Verfassung" bestätigt: „4. Der Mit-Aelteste wird wechsel-weise alle Monat aus den 4 Helfern genommen, welche Privat-Proponenten sind auf dem Saal des Waysenhauses, das gantze äussere Directorium der Gemeine führen (!), und die Privat-Seelensorge auf das accurateste besorgen, auch bey ereignender Nadifrage die Gemeine vertreten. Diese sind bis anhero der Herr Graf von Zinzendorf, Joh. Mart. Dober, Mart. Rohleder, Tobias Leypold. Der Christian David ist nach Grönland, und der Zimmermann Nitschmann nach Sanct-Thomas in America gereist. 5. Der Mit-Aeltesten Amt besteht eigentlich im Referat an den Aeltesten, in continuirlicher Connexion mit demselben, in Direction der wöchentlichen Helfer-Conferenz, und in Besorgung der Tabelle, welche von allen Seelen und ihren Umständen wöchentlich in geheim (doch mit der Seelen Vorwissen) gehalten wird." 97 Zinzendorf wird also mit dem Aufgeben seines Vorsteheramtes in die Zahl der Helfer eingerückt sein und damit diesem Amt seine Prägung als gemeineleitendes Amt gegeben haben. Wir müssen noch die Anmerkung Lintrups zu Christian Davids Beschreibung beim Helferamt erwähnen, die uns das ständige Wechseln der Zahl der Amtsträger und vielleicht auch des Inhalts des Amtes erklären möchte: „ . . . in solchen Aemtern, da mehrere seyn können und müssen, wird hauptsächlich auf die Gaben und Geschicklichkeit gesehen: wozu einer sidi kan brauchen lassen und vom Heilande bereitet ist, dazu wird er auch gebraucht. Denn der liebe Heiland macht noch alles unter seinem Volck; die Gemeine aber suchet nur mit der Gnade und mit dem Gaben als eine treue Dienst-Magd weislich und nach ihres Herrn Sinn umzuM D. gl. Br. 1731, R 6 Aa 22, 1, S. 34. 8 5 Gemeinrat am 5. 3. 1731 (R 6 Aa 25): „Liner brachte vor, daß man in der HelferVersamlung ausgemacht, daß in alle Ämter einer von den Helfern komen solle. Der Weber Nitzsdiman ist zu Aufsehr bey den Helfern (umgekehrt richtig?), Christian David bey den Dienern, Dober bey den Krankenwärtern u. Zimerm. Nitzsdiman bey den Ermahnern bestellt worden. Wegen der Aufsidit über die Banden ist das Loos auf den H. Graf gefallen." »« R 6 Aa 15, 8b. f Besdir. Druck, S. 120 f.
159
gehen. Damals (gemeint ist 1730) hatte die Gemeine gnung an dreyen Helfern, darum hatte der Heiland auch nur drey darzu ausgerüstet." 98 Wie sehr man in Herrnhut über eine richtige Zuordnung der Ältesten und Helfer nachdachte und mit dem Nebeneinander der leitenden Ämter fertig zu werden versuchte, zeigt uns Zinzendorfs Rückblick auf das Jahr 1734". Eine neue Ordnung hatte man versucht: „Direction der Gemeine durch Älteste u. Helfer. Die Ältesten sind unsere Vorsteher, man ist ihnen schuldig Liebe u. Ehre. Helfer sind allgemeine Bediente der Gemeine, die man allezeit braucht, wen man sie nötig hat u. keinen Dank dafür weiß man ist ihnen schuldig Liebe u. Verachtung Aelteste sind Leonhard Dober u. Anna Nitschmännin; u. in jenes Abwesenheit hat sie die ganze Gemeine allein auf sich eben mit dem Rechte, als vormals Debora (Da die Weiber viel weniger als jetzo zu sagen hatten) nicht nur das Ältesten- sondern auch sogar das Richteramt über die ganze Gemeine Israel trug. Mitältester ist Augustin Neißer u. Vicarius Zimerman Nitschman. Ältestenhelfer sind 4, welche abwechslungsweise eine Woche um die andere je einer ,Ältestenhelfer' sind. Solches hat man bisher die Gemeine nicht wissen lassen, damit nicht der ältestenmässige Respect etwas an dem Vertrauen zu solchen Personen hindern möchte. Alle Einrichtungen sind um ihres Zweckes willen, Wenn der Zweck nicht mehr erreicht wird oder wegfällt, so läßt man auch die Sache selbst; u. so muß es in einer Gemeine Gottes sein, sonst hats kein Salz u. gehet nur ex opere operato." Hier werden die Ältestenhelfer vom ständig eingesetzten Mitältesten (wohl = Viceältester) unterschieden. Interessant ist an dieser Ordnung, daß die Ältestenhelfer eine Zeitlang verschwiegen wurden, weil man für das Vertrauen zu ihnen fürchtete. Und interessant ist die Bedeutung, die Anna Nitschmann als Älteste der Gemeine bekommen hat. Über sie haben wir unter den Ämtern der Schwestern noch zu reden (В II). Die Entwicklung zum Gemein-Helfer-Amt der späteren Verfassung ist schließlich angedeutet, wenn Zinzendorf im Eventualtestament von 1738 den Helfern die Anweisung gab: „ Die Helffer, deren Vorsteher die Bischöffe sind, haben das, was man eine Gemein-Arbeit nennet, so ohne Unterscheid, Ausnahm oder Einschränckung, daß man alles von ihnen erwarten kan und soll, ihnen alles zumuthen kan, und sie nicht anders anzusehen hat, als die Hebammen und Heimbürgen in einer Stadt, die sich ein jedes hohlen läßt, und zu allerley Gebrauch anwendet." 100 Hier war «8 Besdir. Druck, S. 18, Anm. b. »« Im Anhang an das H . Diar. 1734 (beim 31. 12. 1734 vom 15. Jan. 1735). wo Theol. Bedenken, S. 175.
160
das Helferamt dem Bischofsamt unterstellt und hat damit etwas von der Bedeutung des Hirtenamtes der Gemeine bekommen, wenn auch der Pastorentitel den Theologen vorbehalten blieb, die in der späteren Verfassung als lutherische Prediger dem Gemein-Helfer unter- oder doch beigeordnet wurden 101 .
c) Die Aufsichtsämter Wir wollen diese zum äußeren geordneten Ablauf eines Gemeinwesens damaliger Zeit notwendigen Ämter hier nur kurz behandeln. Sie waren kein Sondergut Herrnhuts, sondern in gleicher oder ähnlicher Stellung und Vollmacht auch anderswo zu finden. Es ist uns aber wichtig, daß auch diese Aufsichtsämter als Dienst Christi aufgefaßt wurden und man sich ihnen im Gehorsam in gleichem Sinne unterordnete. In der „Kurzen Relation" erwähnte Zinzendorf die 1727 eingesetzten „vier Voigte über Straßen, Brunnen, Felder und Häuser" 102 . 1 0 1 Vgl. Gemeinordnung 1770 (Herrnhut), S. 23 f.: „Der Gemein-Helfer, welcher in Gemeinschaft mit der Aeltesten-Conferenz die ganze Gemeine auf seinem Herzen tragen, über die Erhaltung und Förderung des inneren Gnaden-Gangs besonders wachen, über allen Gemein-Ordnungen mit Verstand halten, in allen Chören und allen innern und äusseren, auch persönlichen Vorfallenheiten, rathen und helfen soll. Er ist die erste Person in der Aeltesten-Conferenz, und es wird von ihm der Zusammenhalt des Ganzen erwartet." — Wohl aus dem Jahr 1734 stammen die „Regeln der Helffer." (Theol. Bedenken, S. 75 £F.), in denen es heißt: „(1) Ein Helffer muß sich in Gemein-Sadien Streiter-mäßig erzeigen in allen Stücken, und es dient ihm zu keiner Entschuldigung, daß er noch nicht so weit kommen sey: denn er hat entweder die Gabe und Gnade sich selbst zu vergessen, wenn er vor seinen Heyland arbeitet, wie das alle ehrliche Diener zu thun p f l e g e n ; . . . oder er muß nicht Helffer seyn. (2) Ein Helffer darif seine eigene Seligkeit, und die darüber entstehende Gemüths-Arbeit, nicht in sein Geschaffte m e n g e n ; . . . (3) Ein Helffer darff am allerwenigsten seine eigene oder angehörige leibliche Umstände in die ihm befohlene Sachen mengen; sondern er muß dieselben allemahl dem Amt nachsetzen, und solches zuerst besorgen . . . (4) In dem moment, da man das Werck des H E R R N wircket, müssen alle noch unüberlegte, oder doch unüberwundene, Dinge gäntzlidi verschwinden... (6) Die an einem Strange ziehen, (worinnen es ist) müssen ihre Privat-Bedenddidikeiten gegen einander, wenn sie audi den Grund betreffen, so lange auf die Seite setzen, als sie nur persönlich sind, und die Sache nidit wircklich angehen, darinnen zu handeln ist. (7) Die gantze Helffer-Versammlung muß durch die Gnade des Heylandes zu einer gebeugten Freudigkeit, ruhigen Arbeitsamkeit, durchgängigen Einfalt, gelehrigen Hertzlichkeit, glaubigen und offenhertzigen Geistes-Niedrigkeit, kindlichen und lebhafften Wahrheit, allarten Nachdencklichkeit, redlichen Sinn zur Armuth J E S U , und unnachdenddidher Treue in allen erkannten Wahrheiten, kommen." Dazugefügt ist eine Charakterisierung der Konferenzen (S. 77 f.). — Bei dieser Beschreibung ist ein größerer Kreis von Helfern (etwa in den Chören?) gemeint. Handelt es sich hier etwa um die Sammelbezeichnung für alle mit einem Amt Betrauten? Interessant ist, daß John Wesley die Helfer so bezeichnete: „the Helpers (or Deacons)" im Extract of the . . . Journal/II (Nos. I I I ) S. 133. "»г ZBG 1912, S. 68.
161
In der „Weltlichen Direction" von 1728 wurden dann schon 7 Namen genannt: „ 1 Taxmeister, ist Friedrich Kühnel (Leineweber) 2 Handwerksmeister, d. Nitzschm. Schstr. u. Andr. Beyer 1 Straßen-Vogt, Hanß Quitt (Maurer) 1 Brunen-Vogt, Melch. Zeißberger der Zimerm. 1 Haus-Vogt, Hans Münster der Zimermann 1 Feld-Inspector, Michael Kloß, der Böttger" 103 . Es handelt sich um Namen, die uns auch in den verschiedenen geistlichen Ämtern begegnen. Der Taxmeister und die beiden Handwerksmeister waren zugleich Älteste. Melchior Zeißberger war zugleich Aufseher, später Krankenwärter; Michael Kloß zugleich Diener, später Aufseher; Hans Münster später Diener; Andreas Beyer, von Beruf Leimkleber 104 , kommt in den verschiedensten Ämtern vor: er war Ältester, Almosenpfleger, später (1728/29) auch Aufseher; David Nitschmann, der Schuster, war später Oberältester und Lehrer. Die Tätigkeit der Taxiermeister wurde in Christian Davids Beschreibung 1728 so gekennzeichnet: „9. Sind Taxir-Meister, daß kein Wucher unter uns sey, und alles gleich sey im Handel und Wandel, und keiner den andern betriege." 105 1730 beschrieb er das Amt: „auch untersuchen sie die Taxe bey Kauffen und Verkauffen, damit kein Betrug und Vervortheilung unter den Brüdern gefunden werde" 109 . Es waren später also mehrere in diesem Aufsichtsamt eingesetzt. Die Tätigkeit der verschiedenen Vögte schilderte er zusammengefaßt so: „ist ihr Amt, alles das Bau-Wesen, so wol Häuser als Felder, genau zu untersuchen, die Bau-Leute zu befragen, ob sie sich auch die Kost überschlagen, damit sie nicht ihr Hertz mit Sorgen und Borgen beschweren, und in die Händel der Nahrung sich einflechten, und am Glauben Schiffbruch leiden; nach gethaner Untersuchung und Gutbefinden suchen sie zu rathen und zu helfen" 107 . Sie hatten auch den Bauort anzuweisen, „auf die heußer, gaßen, straße Brunen u. felder acht geben, u. wen sie was sehen, den Dienern davon Bericht ertheilen" 108 . Die Handwerksmeister hatten folgende Aufgabe: „Wer sich in eine Handthierung will einlassen, das muß ihnen zuvor angedeutet werden, ob es ohne Schaden anderer und seinen eigenen kan geschehen; auch müssen sie darauf sehen, daß kein Bruder müßig gehe, der entweder aus Mangel der Arbeit, oder aus Faulheit und Nachläßigkeit nicht arbeitet: Denn unter uns darf kein Bruder müßig gehen, und wer nicht Arbeit hat, der muß sich R 6 Aa 18, l a u. b. Vgl. deren spätere Ämter in R 6 Aa 16, 4/24 = Beil. 3. 104 Nach einer Spezifikation von 1728, R 6 Aa 16, 1. 1 0 5 P. Regent, Unpartheyische Nachricht, S. 27 ff. No. 9. ιοβ C. D. Beschr. Druck, S. 22 f. C. D. Beschr. Druck, S. 22. ™8 D. gl. Br. 1731, R 6 Aa 22, 1, S. 36.
162
bey diesen melden. Wer ein Handwerck lernen will, der muß sidi bey diesen melden."107 Auch hatten sie zu untersuchen, „wie sich die meyster die gesellen die Lehrjungen gegen einander verhalten, ob sie ordentlich arbeyten, Ihre Arbeit tüchtig machen, daß einer dem andern nicht zum Schaden sey.. " 108 Zu diesen Ämtern „wurden Häußliche und natürlich kluge Brüder genommen" 108 , sie mußten „Weltweise seyn, geschäftig und ordentlich"109. Auch diese Brüder latten ihre wöchentliche Konferenz (montags): „und halten auch ihre Unterredungen von Handwercks-Sachen, Bau-Wesen, von Gärten, Feldern, Brunnen, Strassen, Wäldern und Haushaltungen, wie alles fein ordentlich möge zugehen"110. Viele der in ihr Amt gehörenden Fragen wurden allerdings auch im Gemeinrat behandelt, besonders wenn es sich um Bestrafung von Arbeitsunwilligen handelte oder um Dinge, die von allgemeinem Interesse waren111. Später wurden diese Ämter durch ein brüderliches Richterkollegium abgelöst, das alle das Äußere des Gemeinwesens betreffenden Fragen zu behandeln hatte. Fr. v. Watteville und Tobias Friedrich waren in ihm 1729 besonders tätig, ihnen beigeordnet einige Männer der Gemeine, z.B. David Nitschmann, der Wagner, und Michael Kloß 112 . 1732 charakterisierte Zinzendorf in seiner Deduktion an die sächsischen Minister die Tätigkeit dieser Syndici im Verhältnis zu denen anderer Orte: „Es ist hierbei nur diese Differenz, daß, weil in Herrnhut alles christlich, einfältig und herzlich zugeht, dergleichen Leute keinen Namen und Salaria, weniger gerichtliche Vollmachten und dergleichen haben, sondern nur nach Befinden ihrer Gabe dazu ausgesucht, erbeten und, nach ihrem Gewissen dabei zu handeln, erinnert werden.. ."11S In diesem Sinne schrieb auch Lintrup 1734 seine Anmerkung zu C. Davids Beschreibung der Aufsiditsämter: „Die über Handthierungen sind gesetzt worden im Anfange, machen ietzund keine aparte Classe oder Amt aus, so viel ich weiß, denn alles dieses, was ihnen hier zugeschrieben wird, wird theils durch die allgemeine Diener und Helfer, theils durch die Brüder-Gerichts-Bediente verrichtet, die eben auch in einer solchen Liebes-Fassung ohne Eigengesuch alles handeln, wie es alhier beschrieben ist. Hieher gehöret auch der gesegnete Gemeine-Rath, der alle Sonntage früh nach der Morgen Betstunde im Vorgemach des Herrn Grafen zusammen kommt." 114 Der Gemeinrat war zu dieser Zeit (1730—1735) eine durch Wahl auf
w» C. D. Beschr. Druck, S. 19. » « C. D. Beschr. Druck, S. 33. Vgl. Uttd. A-H., S. 103 ff. « 2 Vgl. Uttd. A-H., S. 29 ff. и з Spangenberg, Apolog. Sdilußschrift, S. 418 f., zit. n. Uttd. A-H., S. 30. Beschr. Druck, S. 22.
163
Grund von Bewährung und durch Losentscheid zusammengesetzte Vertretung der Gemeine, der mindestens 40 bis 70 Personen, Brüder und Schwestern angehörten. In ihm wurden, wie schon gesagt, alle für die Allgemeinheit wichtigen Angelegenheiten besprochen und entschieden; ζ. B. erscheinen in den Protokollen 1730 immer wieder Wochenlisten der Krankenwärter, Losungsbesucher und auch bisweilen Aufstellungen der anderen Ämter. Von den Zusammenkünften des Gemeinrats, nämlich „Von unßerer gemeinschaftlichen ratsversammlung" berichtete C. David 1731: „Wir haltens auch deßwegen, um unßeren Weinberg, beßer zu behütten zu Können, audi also: nemblich, wir haben diejenigen Brüder, von dennen wir vor daß Erste, wißen daß sie recht schafen sein, zum andern daß sie schweigen und eine Sache bey sich behalten Können, zum driten, die recht vereiniget u. vergemeinschafftet am Evangelio mit ein ander stehen, In der gemeine ausgeleßen, und von solchen Einen Rathsversamlung gemachet, dieße Kommen alle wochen Ein mahl zusammen, u. in dießer versamlung, werden alle Sachen, die in u. außer der gemeine zu beratschlagen u. zu behandeln, sein u. vor-Kommen, audi in der furcht deß Herrn außgemachet, da saget nun ein Jeder über die vorKommende Sachen, nach der reihe, seine Eigene gedancken, u. meinung Her nach wird darüber abrede gehalten, ob es die brüder zum beschluße wollen laßen auf das votum oder auf daß looß anKommen, u. da suchen wir darüber Eins zu werden, u. dieße ratsversamlung geschiehet auch unter andern deßwegen, damit in der gemeine niemand sagen darf, es komme auf zwey oder drey an, oder was nur die ältesten, oder der gn. H . graff, oder die hölffer wollen, daß müste auch alle mahl geschehen. Sondern, daß sie zu gestehn müßen, was der gantze gemeine rath, derrer wohl Etliche und Siebentzig sein durchs votiren oder durchs looß beschloßen, daß wird auch der gemeine bekand gemacht.. ."115 Welche schwierigen Aufgaben die Aufsichtsämter und der Gemeinrat im alten Herrnhut zu lösen hatten, haben wir in der Schilderung des bürgerlichen und wirtschaftlichen Lebens gesehen (Kap. 2 A). Die Arbeitsbeschaffung und Arbeitserhaltung werden dabei die schwerwiegendsten Probleme ihrer Besprechungen in der Anfangszeit gewesen sein. Halten wir fest, daß auch die leitenden Aufsichtsämter im alten Herrnhut als Dienste verstanden und ausgeübt wurden. Sie gehörten als sehr wesentliche Funktionen des Leibes der Gemeine zum täglidien Leben und gegenseitigen Dienen hinzu. Ihre richterlichen Vollmachten brauchten allerdings selten genug eingesetzt zu werden, da das Leben der Brüder und Schwestern durch den gemeinschaftlichen Geist so beschaffen war, daß sie mehr Ratgeber und Helfer sein konnten, als gezwungen waren, Aufsicht und Gericht zu üben. 115 D. gl. Br. 1731, R 6 Aa 22, 1, S. 74.
164
d) Zinzendorfs Stellung innerhalb der
Ämterordnung
Es kann an dieser Stelle nicht der Versuch unternommen werden, Zinzendorfs prägende Gestalt insgesamt zu würdigen. Das ist in den entsprechenden Biographien umfassend geschehen116. Wir wollen hier nur die Tatsache berücksichtigen, daß er sich immer mit seinen besonderen Gaben in die Gemein- und Ämterordnung eingefügt hat. Die Titel und Namen seiner Ämter wechselten. Eine Neigung zur Spielerei mit Bezeichnungen und Titeln wird man ihm dabei nicht absprechen können. Aber an irgendeiner Stelle war sein Dienst zu jeder Zeit in der Gemeinordnung verankert, und zwar so, daß er, wie jeder andere in seinem Amte auch, an seine Pflichten von anderen Brüdern erinnert werden konnte. Dies hätte er als Reichsgraf und Ortsherrsdiaft von Berthelsdorf wahrlich nicht nötig gehabt. Daß er sich in die ja meist von ihm selbst entworfenen Ordnungen so selbstverständlich hineinbegab, zeigt uns, wie er sein Tun als Dienst im Reiche Gottes und hier eben in seinem Dörflein Christi oder, wie er es bezeichnete, in „der Republic Gottes zu Herrenhuth" auffaßte. Daß die Titel so häufig wechselten, lag nicht nur daran, daß der Wechsel zum Prinzip der Gemeine gehörte. In seiner Aktivität sprengte Zinzendorf auch die Amtsbezeichnungen. Und der häufige Wechsel erweist, daß er den rechten Amtstitel eigentlich nie gefunden hat, der dem entspräche, was der Inhalt seines Tuns war. Vorsteher — Helfer — Aufseher — wieder Vorsteher — und später Bischof — Jünger — Papa — Ordinarius — so ließ er sich nennen. Man könnte noch einige Bezeichnungen hinzufügen. Vielleicht ist unter diesen allen der Titel des „Ordinarius der erneuerten Brüderunität", der auf seinem Grabstein steht, der sachgemäßeste. Denn das war er von Anfang an, ganz gleich, welchen Titel er sich nun beilegte. Aber in seinem Ordinariat eben, das spricht aus allen Zeugnissen über ihn, wollte er erster dienender Bruder in der Gemeine sein, der sich deshalb, weil er sich unter seinen Herrn demütigen konnte, auch unter die Brüder beugte. Nur deshalb war es möglich, daß sich neben seiner überragenden und prägenden Persönlichkeit andere Menschen zu entfalten vermochten, und zwar so, daß sie ihre Gabe zum Segen des Ganzen völlig ausbilden und einsetzen konnten. Insofern war Zinzendorfs Stellung als Obrigkeit in der Gemeine beispielhaft für alle künftigen Obrigkeiten, unter deren Herrschaft eine Brüdergemeine zu leben hatte 117 . In der „Welti. Direction" erscheint sein Name an erster Stelle: „Vorsteher: Der Graf und deßen Adjunctus der Herr von Watteville" 103 . Spangenberg beschrieb die Art dieses Amtes in seinem „Leben des GraZuletzt von E. Beyreuther, Zinzendorf, 3 Bde. Doch wird man auch die andere Seite nicht übersehen dürfen, daß manche eigengeprägte Persönlichkeit die Gemeine wieder verlassen hat, weil die strenge Ordnung und sicher auch Zinzendorfs Art ihr die Entfaltung verwehrten. 118 117
165
fen von Zinzendorf" mit folgenden Worten: „Der Graf war also gleichsam der Gemeine Vormund in ihren ersten Anfängen, und nahm sich dabey ein für allemal vor, von Tag zu Tage auf den Wink des HErrn zu sehen, und denselben, in kleinen wie in grössern Dingen, kindlich zu befolgen. Vermöge dieses Amtes war er darauf bedacht, daß ein jeder Bruder zu dem Geschäfte in der Gemeine möchte angestellt werden, wozu er von GOtt die nöthigen Gaben empfangen zu haben schien. Als nun dem einen dieses, dem andern jenes Amt, in der Gemeine, wie es die Umstände erforderten, anvertraut wurde; so ließ er sich angelegen seyn, einen jeden in sein Amt einzuleiten, und darauf zu sehen, daß ein jedes das seinige recht wahrnehme. Hauptsächlich aber lag ihm am Herzen, daß alles zu rechter Zeit, in gehöriger Masse, und lieber zu wenig, als zu viel, geschehen möchte." 118 Gerade die Leitung der Konferenzen lag in der Anfangszeit in seinen Händen: „Mit den Aeltesten, Lehrern, Aufsehern, Ermahnern, Krankenwärtern, Almosenpflegern und Helfern hielt er öftere Conferenzen (nicht mit allen auf einmal, sondern mit einer jeden Abtheilung besonders) und leitete sie in die Grundideen, auf welche es in der Gemeine ankomme, und worauf ein jedes bey seinem Amt eigentlich zu sehen habe, practisch ein." 119 1730 legte Zinzendorf sein Vorsteheramt nieder. Nach der neuen Besetzung des Ältestenamtes erschien sein Name unter den Helfern, aus denen jeweils ein Mitältester genommen wurde. Und damit gewann, wie schon ausgeführt, das Helferamt an Bedeutung. Daran, wie Zinzendorf in der Gemeine wirkte, wird sich mit dem neuen Titel kaum etwas geändert haben. Er wird sich weniger nach der Bezeichnung gerichtet haben, sondern das Amt bekam die Prägung durdi seine Person. Uber diese Helfer in der Zeit nach 1730 berichtete Spangenberg: „Es verbunden sich nemlich einige Brüder, aus Liebe zum Heiland und der Gemeine, mit Genehmigung der ganzen Gemeine, sich zum Dienst derselben, unter vorbesagten Aeltesten, zur Erreichung der Absichten unsers HErrn JEsu Christi mit ihr, freywillig von Herzen herzugeben. Diese waren sich unter einander besonders scharf, unterredeten sich fleißig mit einander, um in allen Stükken in einem Sinne zu handeln, und nahmen sich des Ganzen und seiner Theile, des innerlichen und äusserlichen, des kleinen wie des grossen, getreulich an; und wurden deswegen Helfer ins Ganze genennet. Sie hatten auch den Auftrag, die Gemeine, nöthigen Falls, vor der Obrigkeit, oder auch vor andern Personen, zu vertreten, und in dem Fall iiiessen und waren sie die Syndicen der Gemeine. Unser Graf war einer von diesen Helfern, und der Heiland war mit ihm." 120 lie Spangenberg, Zinzendorf, S. 421 f. (z. Jahr 1727). и» Spangenberg, Zinzendorf, S. 476 f. (z. Jahr 1728). 120 Spangenberg, Zinzendorf, S. 595 f. (z. Jahr 1730).
166
Beachten wir, wie das eigentlich seelsorgerliche Helferamt auf einmal eine Richtung nach außen hin bekam. Die Helfer vertraten die Rechte der Gemeine vor anderen, besonders vor den Obrigkeiten, mit denen man zu tun bekam. Ende 1732 übernahm Zinzendorf sein Vorsteheramt wieder. Im September bereits schrieben die Brüder und Schwestern des inneren Gemeinrats an ihn, daß „sie einhellig vor gut gefunden, dem, den der Herr aller Herren von oben zu einem Vorsteher gebohren, erzogen, und durch groß und kleine Proben vor unser aller Augen... bestättiget hat, einen einstimmigen beruff zu geben u n d . . . zu einem Vorsteher zu erwehlen.. Zinzendorf stimmte nicht sofort zu. In seiner Antwort wollte er vor allem durch das Los entschieden haben, ob er Vorsteher oder Helfer heißen sollte. Unter einem Vorsteher verstand er einen „Helfer der Diener und Mitknecht der Ältesten", den letzteren untergeordnet121. Erst auf das 121 Die für uns wesentlichen Quellenstücke seien hier im Zusammenhang zitiert. H . Diar., 26. 9. 1732: „am 26. Sept. redeten der innere Gemeinrat miteinander von wegen gn. H . Grafens Vorsteheramts. Es wurde ein Brief an ihn geschrieben." Der innere Gemeinrat umfaßte nadi dem Protokoll vom 7. Sept. 1732 (R 6 Aa 25, 3, S. 124) 33 Brüder und 42 Schwestern. Sie waren der eigentliche tragende Kreis der Mitarbeiter in der Gemeine. Dieser Brief und Zinzendorfs Antwort finden sich unter R 3 A 4, 2 u. 3. Sie lauten: „Lieber Herr Graf und Bruder in dem Herrn! Es ist die Versandung des jnnern Gemeinraths, so viel der Brüder anwesend waren, beysamen gewest, und haben die Umstände der Gemeine, sonderlich wegen der Arbeiter und Vorsteher vor dem Herrn überlegt, da sie denn einhellig vor gut gefunden dem, den der Herr aller Herrn von oben zu einem Vorsteher gebohren, erzogen, und durch groß und kleine Proben vor unser aller Augen, so, daß wir sagen müßen: Wir sehen mit sehenden Augen daß der Herr mit Dir ist: bestättiget hat, einen einstimmigen beruff zu geben, und Ihnen denselben, weil und wie Er Ihnen gantz gewiß von dem H E r r n dazu geschendst/: oder vielmehr Sie Ihm:/ zu einem Vorsteher zu erwehlen: Sie sind deßen, daß es des Herrn, und unsers Oberhaupts Jesu Christi Wille ist, so vest versichert, daß sie, ohn einen unumstößlichen und biß daher viel = sonderl. 2 bald 3 Jährigen Erfahrung überwiegenden Grund nicht davon abzugehen gesonnen sind; Glauben auch daß Ihr Vorsteher / : oder wie Er sidi die benennung selbst zu geben beliebet:/ es jetzt also seyn laßen, und diß als eine vom Herrn aufgelegte und den Brüdern zuerkante Pflicht, gern und willig, um des Herrn willen, über sich nehmen werde; (folgen noch Segenswünsche) Martin Linner Timoth fiedler Martin Rohleder Christian David Augustin neusser
melcher Zeißberger Casper Oelßner Georg Piesch . . . dein gantz geringer Tober Tobias Leippelt Johann Böhm Jacob Till
Zacharias Neußer Wentzel Neußer Augustin Leypelt Dav. Siegm. Krügelstein
167
einstimmige Votum der ganzen Gemeine hin war er bereit. Beim Bettag am 31. Dezember 1732 „wurde dann unser Graf der ganzen Gemeine als Vorsteher und Mitältester zum Gebet empfohlen, und von ihr mit Freuden und Danksagung angenommen" 122 . In der schriftlichen „Vocation", die ihm am 26. Januar 1733 ausgehändigt wurde, drückten die Brüder ihre Uberzeugung aus, „dass GOtt ihre (Zinzendorfs) Person ganz besonders dazu auserkoren, und vom Himmel dazu berufen und tüchtig gemacht habe, daß Sie dieser unserer Gemeine treuer Vorsteher und Aufseher seyn sollen und können" 123 . George Bönisch Tobias Friedrich und übrige brüder des Innern gemein raths Anna Nitzsdimanin, Kloßin, u. übrige Sämtl. Schwestern des Innern Gemein raths. Herrnhuth am 26»· Sept* 1732". Zinzendorfs Antwort ist auf dem Umschlag adressiert: „An meine theuren Brüder und Schwestern, Joh. Martin Dobern, Martin Rohledern, Christian David, David Nitschmafi, Tobias Friedridi u. Tobias Leipold, dann Rosina Nitzschmanin, Ana Rosina Knesdikin, Anne Lene Nitzsdimanin, Judith Rohlederin, Cath. Elis. Friedridiin u. Ana Schindlerin. Mit-Älteste u. Helffer in Herrnhuth." Das uns interessierende Stück des Briefes lautet: „. . . Sölten nun also die lieben Brüder u. Schwestern mein Vorhergehendes erwogen, und in Richtigkeit gebradit haben, so will idi mir dieses ausbitten, daß darum geloset werde, ob ich den Nahmen eines Vorstehers, jedoch mit dem ausdrückln Vorbehalt, in Dienst u. Unterordnung der Ältesten, oder den Nahmen eines Helffers, annehmen sollte, wäre dieses letztere, so achte alsdan vor gut, daß die bisherigen Helffer, den Nahmen der Diener, derjenige aber, der alle Monath gewehlt wird, den Nahmen eines Mithelffers annehme, weil idi den HelfferNahmen selbst nicht allzu gewogen, und schon längst gewünscht habe, wen idi nur ohne allzugroß Aufsehen mit dabey seyn können, wir hießen Diener, und wären Helffer, soll idi aber Helffer der Diener und Mitknedit der Ältesten werden, unter den Nahmen eines Vorstehers und das Looß will es, so bleibt der Helffer Nähme, komt ein leer Looß, so bleibets dem Nahmen nach wie es i s t , . . . Herrnhut 30ten Sept. 1732". Wichtig ist uns, neben den Einzelformulierungen der Briefe wieder einmal den Namen der in der Gemeine führenden Brüder und Sdiwestern zu begegnen. Spangenberg bezeichnete das Vorsteheramt als „die Direction des Ganzen (denn so nahm man das Wort dazumal)" (Zinzendorf, S. 764). 1 2 2 Spangenberg, Zinzendorf, S. 763 f. Vgl. Gemeinratsprotokoll (R 6 Aa 25, 3) vom 28. 12. 1732: „Daß der H. Graf solle Vorsteher der Gemeine seyn, ist die gantze Gemeine nemine contradicente einig worden." 1 2 3 Spangenberg druckte die Vocation ab: Zinzendorf, S. 770 ff. Da sie sehr klar zeigt, was die Gemeine in Zinzendorf sah, sei sie hier in ihrem Hauptteil wiedergegeben. Der Entwurf wurde am 11. Januar 1733 im Gemeinrat gelesen und genehmigt und Zinzendorf am 26. Januar „im Namen der ganzen Brüdergemeine" ausgehändigt: „Weil wir die ganze Zeit über, bey so vielen und mancherley Gelegenheiten, Proben und Uebungen, sowol zur Zeit der Ruhe und des Friedens, als audi bey anscheinenden Gefährlichkeiten von innen und aussen, sattsam erkant, daß der liebe Heiland unsern lieben Herrn Grafen besonders legitimirt; weil Sie vor allen andern am meisten Einsichten, Gaben, Treue, Muth und Ernst, wie überhaupt in Ausübung der Lehre Christi und
168
Auch Lintrup sprach 1734 davon, daß Zinzendorf mit dem Vorsteheramt die Vollmacht der Aufseher übertragen bekommen habe: „ D a s A u f seher-Amt ist nach der Zeit von der gantzen Gemeine Einem aufgetragen, der den gantzen Zusammenhang weiß und alle Seelen kennet, welcher sich auch von allen anderen Geschäfften losgemachet hat, und sich gantz und gar zum Dienst der Gemeine aufopfert, nachdem er von dem H E r r n dazu mit K r a f f t und Weisheit ist begäbet worden. E r hat alle T a g e mit den Arbeitern hauptsächlich zu thun, welche Classen-weise nach ihrer Abtheilung zu ihm kommen, und theils Rechenschaft geben müssen von ihrer Haushaltung mit den Seelen, wie sie ihr Amt führen, theils auch ihm Nachricht zu geben haben von einer iedweden Seele, die ihrer Pflege anvertrauet ist, und endlich bey Proben und schweren Übungen sich Raths bey ihm zuerholen, und nach Gelegenheit seiner wircklichen H ü l f e und Beystands zu gemessen." 1 2 4 Damit kann nur Zinzendorf gemeint sein. Im Eventualtestament (1738) schilderte der G r a f ein Amt, das er zwar andern zudachte, in dem er sich selbst aber wohl vor allem sah: „ D a s allernöthigste und unentbehrlichste A m t in allen Gemeinen ist das, was ich das Charnier zu nennen pflege, und das, was an der U h r der Schlüssel i s t . . . Die Aeltesten und Helffer, die Lehrer und Diener, werden durch diese Leute an ihre Aemter erinnert, und die Gelegenheit solche wahrzunehmen, wird ihnen angewiesen. Sie sind nur stets bereit und fertig hinzugehen, und vor dem H E r r n zu s t e h e n . . . . . . die Zeit, die Umstände, die Manier bey allen unsern heiligen H a n d lungen, und wie sich dieselben zuweilen richten und schicken müssen, werden durch dieses Amt regulirt. D i e Einsegnungen, Begräbnisse, die Aiseiner Nachfolge, also besonders in Regirung und Erbauung der ganzen Gemeine vom H E R R N empfangen und bewiesen haben; weil Sie endlich vor allen andern eine ganz innige und genaue Kentnis aller und jeder Seelen in unserer Gemeine besitzen, und also am besten wissen, wie einer jeden insbesondere zu rathen und zu helfen sey; zu welchem Ende Sie weder Tag noch Nacht eine Mühe gesparet, und also ihr Leib und Leben, Gut und Blut zum Dienst der Gemeine gänzlich aufgeopfert haben, und darinnen noch immerfort treuer und emsiger zu werden sidi bestreben: als haben wir aus solchem allen klärlich, und mit grosser Überzeugung erkant, daß GOtt ihre Person ganz besonders dazu auserkoren, und vom Himmel dazu berufen und tüditig gemacht habe, daß Sie dieser unserer Gemeine treuer Vorsteher und Aufseher seyn sollen und können. Es ergehet demnach unserer ganzen Gemeine einmüthiges und demüthiges Bitten und Ansuchen an Sie, liebster und geehrtester Herr G r a f , Sie wollen dismal das, was vielen frommet, Ihrer bekamen Herzensniedrigkeit und Demuth vorwalten lassen, und den einmüthigen äusserlichen Beruf der ganzen Gemeine, darinnen Sie dem inwendigen nach schon längst von GOtt bestätiget sind, willig und einfältig annehmen, und von nun an das völlige Amt eines Vorstehers in allen Stükken, nach der ihnen von GOtt verliehenen Weisheit und Treue, verwalten, u. f. Wir wünschen Ihnen dazu von unserm allertheuersten Erlöser, reichen Wachsthum in seiner Gnade, Liebe, Demuth, Sanftmuth, Geduld, auch Weisheit, Ernst, Muth und K r a f t , und empfehlen uns sämtlich in Dero brüderliche Liebe und Treue." 124 Beschr. Drude, S. 19, Anm. c.
169
ter- und Jahr-Wechsel, die denen Selen widitige Zeiten, Projecte, und der Zusammenhang ihrer Ausführung oder Zurücksetzung, das Schonen oder Zumuthen nach den unterschiedlichen Humeurs, Graden und Gaben; Ehen, Gemein-Täge, Liebes-Mahle, und alle Ordnungen, werden von diesen Marthen, wenn sie den Geist Maria dabey haben, auf eine solche weißliche und muntere Art besorget; daß eine Woche über hundert und achtzigerley geschehen könne, ja alle Gattungen des Verfassungs-Plan in der Gemeine durchgemacht, und (wie wir in den großen Gemeinen Exempel haben) hundert Arbeitern ans Werck geholffen werden kan, ohne daß es jemand merckt oder gewahr wird, weil der Cörper von aussen keine Bewegung macht."125 Aber eigentlich paßten alle Amtsbezeichnungen nicht für ihn. Das muß Zinzendorf selbst gespürt haben, und darum kam er später auf die so allgemein gehaltene Bezeichnung „Jünger". Er sagte darüber am 15. 7. 1751: „Ich werde weder aus meinem Bistum noch Ordinariate noch Advokatie 125 Theol. Bedenken, S. 174. — In einer Ämteraufstellung, wohl von 1736/37 (R 6 Aa 15, 5), erscheint das Amt „Charnier" in der Reihe der uns bekannten Ämter der Ämterordnung: „12) Charnier, welches das größte Amt, das alle andern Personen an ihre Ämter erinnert." Unter den „General-Regeln vors Volk des Herrn" (Zinzendorfaussprüche), Beylage zur Synodal-Conferenz 1743, R 2 A 8, Beylage 5, erscheint unter Nr. 194 (S. 22) der wohl vom Ebersdorfer Synodus 1739 stammende Satz: „Das Charnier ist e. Amt, welches das Amt des Geistes in um u. an der Gemeine bedient (L. u. A. u. Gehülfen)." Das L. u. A. in der Klammer kann nur Ludwig ( = Zinzendorf) und Anna Nitschmann bezeichnen. Bei ihnen wird wohl vor allem der Gebrauch des Loses gelegen haben. Zuletzt kamen die Amtsbezeichnungen der prägenden Ämter immer wieder auf Zinzendorf selbst zurück. Vgl. auch Joh. Pütt, Denkwürdigkeiten, § 201, Bd. 3, S. 541. — In einem anderen Amt, das Zinzendorf in späterer Zeit eingeführt haben wollte, werden sich auch seine eigenen Erfahrungen niedergeschlagen haben, in dem des „Oeconomus". Über diesen mit der Oberleitung einer Gemeine oder eines einzelnen Gebietes Betrauten sagte er am 2. Okt. 1749: „Jede Gemeine hat auch ihren Oeconomus. Der ist Advokatus, Prediger, ein Espece von Ältesten, Diakonus, Aufseher und alles zugleich. Er muß einen besonderen Ruf vom Heiland haben, den man ihm ansieht. Er muß Konzepte haben, daß er Sachen zusammenbringen kann in einen Punkt und drüber halten. Er partizipiert an allen Ämtern der Gemeine, aber verwaltet kein einiges, sondern konkurriert bei einem jeden und ist sein Gehilfe. Die ökonomi müssen sich nicht zu andern Spezialämtern dringen, sonst werden sie Päpste, sondern sie müssen vorsichtig einem jeden einhelfen, aber nicht einem andern in den Weg treten." (R 2 a 26, 7 S. 20 f., zit. n. Uttendörfer, Weltbetrachtung, S. 300). Am 31. August 1754 beschrieb er das Amt so: „Ein ökonomus ist eine Kreatur Gottes, die an einen Ort, in ein Land oder in eine Ecke auf dem Erdboden, von daher man allerlei übersehen kann, hingestellt ist, um des Heilands Absicht mit der Zeit, darin man lebt, zu kombinieren . . . Die Zeiten sind eingeteilt. Was der Heiland in einer gewissen Kirchenzeit ausgeführt haben will, das nennt man eine Ökonomie oder Haushaltung Gottes in der Welt. Die hat viele Teile. Es können bei einer solchen Ökonomie viele Arbeiter sein, was man aber den öconomum nennt, das ist der, bei dem alles zusammenläuft, der alle Branchen zu bedienen hat und in der Tat ist servus servorum Dei, ein Diener der Diener Gottes. Ein ökonomus hat nicht nötig ein mährischer Bischof oder Priester zu sein oder sonst ein Kirchenamt oder Konsekration in der Kirche zu haben. Er ist eben ein Mensch Gottes . . . Diese Leute hießen im
170
noch aus einigen anderen Namen, die mir etwa Menschen geben können, mein Recht herführen, sondern lediglich als der Jünger des Heilands in der jetzigen Oekonomie, soviel ich mir bewußt bin. Denn wenn ich noch mehrere über mir kennen lerne, so werde ich mich ihnen mit Freuden unterwerfen. Aber in unserer Ökonomie hereinwärts... werde ich mir nicht nehmen lassen, was ich vom Herrn empfangen habe, sondern ich muß treu sein und unterhucken, und wenn ich's nicht täte, so würde es der Heiland von mir fordern." 1 2 ' Ist dieser Ausspruch auch in sehr viel späterer Zeit getan worden, so zeigt er doch die innere Haltung Zinzendorfs zu seinem Dienst in der Gemeine. Er sah sich zur Leitung ihrer Geschicke berufen, aber wußte sich dabei völlig dem Willen Christi unterstellt, dessen „Jünger" er sein wollte auch in dem, was er in der Gemeine tat. Hätte er es nicht getan, wäre er aus dem Gehorsam gefallen. Zugleich ist seinen Worten aber immer abzuspüren, daß er sich auch unter andere beugen wollte, deren Rat oder Weg er für besser halten konnte als seinen eigenen. An dieser Offenheit für die Persönlichkeit des anderen und an dieser Bereitschaft, auf ihn einzugehen, neben der gleichzeitigen Energie, einen als richtig erkannten Weg auch konsequent zu verfolgen und dies zu verantworten, muß ein großer Teil seiner Wirkung auf die Menschen gelegen haben. So ergab sich die Führerstellung Zinzendorfs nicht aus der Legitimation eines Amtstitels oder seines Adelsprivilegs, so sehr die Brüder und Schwestern in ihm audi immer, vor allem in der Anfangszeit, den „gnädigen Herrn G r a f " geehrt haben, sondern vielmehr aus seiner Persönlichkeit und den ihm in so reidiem Maße gegebenen Gaben, die er im Dienst an den Menschen seiner Gemeine und weit darüber hinaus unermüdlich einzusetzen gewillt war. Insofern ist Zinzendorf seinen Brüdern und Schwestern immer ein Vorbild einsatzbereiten Dienstes zum Wohl der ganzen Gemeine gewesen. In welchem Umfang er sich in den Dienst der Gemeine begab, wird vor allem daran deutlich, daß er seine ganze Hofhaltung auf den Dienst in ihr und auf den Botendienst einstellte. Uttendörfer hat dies in seinem Budi „Alt-Herrnhut" im Abschnitt 10 „Der Haushalt Zinzendorfs" sehr genau beschrieben127. Interessant ist dabei für uns, wie auch die einem Reichsgrafen durchaus anstehende großzügige Lebensweise dem Ziel der Gemeine dienen mußte. Seine Frau war ihm in allen Finanzfragen eine unAlten Testament Propheten und im Neuen Testament Haushalter." ( J H D . zit. nadi Uttendörfer, Weltbetrachtung, S. 300 f.) Vgl. auch H . Erbe, Bethlehem, Pa., S. 32 mit dem Zinzendorfzitat aus dem Synodalverlaß von 1769 (R II, В 44): „Der ö k o n o m u s ist das Charnier, kein Despota; er braucht selbst nicht sehr aktiv zu sein, sondern muß alles zusammenhalten". Der Titel „Oeconomus" wurde 1769 in „Gemeinhelfer" umgewandelt (Syn. Verlaß, N B V R 2, 2, S. 192), so hieß er auch in der Gemeinordnung 1770. 1 2 8 R 2 А 30, 2b, zit. n. Uttendörfer, Weltbetrachtung, S. 302. 127 s . 144—173, über die Hofhaltung bes. S. 164 ff.
171
entbehrliche Helferin, die es bei ihrem in Finanzdingen oft nachlässigen Mann nicht leicht gehabt hat, den Haushalt einigermaßen in Ordnung zu halten. Von der Indienstnahme der ganzen Hofhaltung berichtete Spangenberg für das Jahr 1728: „Von seinen Hausumständen etwas zu sagen, so übernahm seine Gemahlin, welche überhaupt seine treue Gehülfin war in dem ihm vom HErrn anvertrauten Geschäfte, in diesem Jahr audi das Amt einer Hausmutter, zum besten vieler Brüder und Schwestern, die der Gemeine dienten. Ihr Haus wurde demnach von dieser Zeit an eine Wohnung vieler Diener des Heilands, und ein Ruheplatz der Pilger. GOtt gab seinen Segen dazu, daß das nöthigste bestritten werden konte. Der äusserlichen Gestalt nach war ihr Haus, gleich einer andern kleinen Hofhaltung, mit Domestiken beiderley Geschlechts zu allerhand Verrichtungen versehen; wer aber darauf Acht hatte, der konte bald finden, daß des Heilands Sache eigentlich damit gemeint war. Denn sie hatte manche Brüder und Schwestern nur darum in Diensten, weil sie in der Gemeine gebraucht wurden. Wiewol auch andre, die eine Familie hatten, und ihr Handwerk trieben, zugleich der Gemeine dienten, und dabey ihr eigen Brodt a s s e n . . . Der Graf legte auch in diesem Jahr seinen Garten in Herrnhut an, mit der Absicht, den Armen daselbst bey dem Mangel des Verdienstes Arbeit zu schaffen." 128 In einer Beschreibung seines Haushaltes von 1730 zählte Zinzendorf 21 Domestiken (davon 12 weibliche) auf und berichtete: „Unsere Tafel ist zuweilen durch Zuspruch von weither in die 18 Personen stark. Der liebe Gott hält aber durch unsere treuen Domestiken so wohl Haus, daß noch immer genug für viele Hausarme und Kranke übrig bleibt." 129 Seine „Domestiken" setzte Zinzendorf immer wieder audi im Dienst der Gemeine ein, ζ. B. als Krankenwärter; zu seinem Hause gehörig, begleiteten Brüder und Schwestern ihn auf seinen immer häufigeren und ausgedehnteren Reisen; und auch die selbständigen Boten nach Orten in Mitteleuropa und später hinaus aufs Missionsfeld waren oft eigentlich Domestiken seines Hofes, die bei ihrer Rückkehr hier leichter wieder eingefügt werden konnten, als wenn sie ihren Handwerksberuf hätten wieder aufnehmen müssen. Auch die Unterhaltung des Waisenhauses, in dem im Laufe der Jahre ja mehr und mehr Herrnhuter Kinder untergebracht wurden, ging zu Lasten des gräflichen Haushaltes. Und den Neuankömmlingen in Herrnhut wird in den ersten Jahren aus dem Gutsbetrieb manche Lebensmittelunterstützung zugegangen sein130. Was so an Gaben an die Gemeine aus Spangenberg, Zinzendorf, S. 480 f. 12» R 20 С 2, 30 (s. d. ca. Ost. 1730) zit. n. Uttd. A-H., S. 164 f. " о Vgl. Uttd. A-H., S. 168 f. 128
172
dem gräflichen Hause gekommen ist, läßt sich gar nicht feststellen. Die Gemeine lernte jedenfalls an der selbstverständlichen Art Zinzendorfs, für sein Herrnhut und für die Ausbreitung des Reiches Gottes audi finanziell alles einzusetzen, wie der Dienst Christi Person und Besitz umfaßt. Vollends diente Zinzendorfs Hofhaltung geistlichen Zielen in der Zeit nach der Ausweisung aus Herrnhut, als er mit seinem „Jüngerhaus" als einer Pilgergemeine von Ort zu Ort zog. Zinzendorf sagte selbst darüber in seinen „Memoires" 1742: „Das Haus behielt diese 20 Jahr über die Art eines kleinen Hofes, aber eines Hofes, der dem Heiland unterthan und unter dem axiomate des Herrn Dienstes eigentlich auf Christus Dienst aus war. Man kan nicht eigentlich sagen, warum sich diese Form solange conserviret, zumal da der Haus Vater so wenig Gefallen an dieser Form hatte; es ist aber eines Theils entweder sein oder seiner Gräfin umständen gemäss gewesen, eine eingerichtete Haushaltung zu conserviren, andern Theils hat der effect gezeiget, dass des Heilands geheime Fürsehung zur Formirung der großen Pilger-Gemeine darüber gewaltet hat. Denn es war doch gar ein grosser Unterschied, ob die gräfliche Herrschafft ihre Domesticen von Ceylon, Cabo, Algier, Constantinopel, Lappland, Grönland, West-Indien und 50 anderen Orten der Welt zurück erwartete, oder ob 20 bis 30 wirkstätten und Bauernhöfe und private Familienwesen ihre Wirthe, Meister und Haus Väter inzwischen darben musten." Zugleich wurden in Zinzendorfs Hause künftige Boten erzogen: „Das Hauswesen wurde denn viele Jahre in großer Stille unter manchen Proben bei vielen göttlichen Wohlthaten geführet, es währete aber lange, ehe es den gewünschten Zweck erreichete und der übrigen Gemeine zu einem Exempel der Nachfolge werden konte. Bei dem allen regierte ein Frieden darinnen, der sich denen Gästen und Auswärtigen sonderlich im Vergleich mit dem Eigenen remarquabel machte; und die bey etlichen Liebesmahlen in diesem Hause verfertigten Lieder zeigen zur Genüge an, dass es doch von Anfang ein Haus des Herrn gewesen, wie es noch ist; und es sind in diesem Hause doch Leute erzogen und von Zeit zu Zeit beisammen gesehen worden, wie man sie in der übrigen Welt nicht offte beisammen antrifft." 131 Wie sehr dabei der Dienst in Zinzendorfs Hause und der Dienst in der Gemeine und für die Gemeine ineinander übergingen, zeigen die Zahlenangaben: „ein Domesticwesen von 50, darnach 100 und 200 und endlich 3und mehr hundert Personen zugleich.. ."132. Hier war entweder die Haushaltung in die Gemeine eingeflossen, oder die Pilgergemeine machte das Haus aus. Aber so verstand Zinzendorf sein Haus und die Menschen in ihm: alles im Dienst seines Heilandes. Und er wollte nur Menschen um i « Memoires 1742, ZBG 1913, S. 205 f. 132 Memoires, ZBG 1913, S. 210.
173
sich haben, die mit ihm in dieser Lebensrichtung des Dienens eines Sinnes waren. So war er, in welchem Amt er auch immer stand, „der Gemeine erster Diener" 133 . Und C. David konnte über ihn und die Gräfin an Heitz schreiben: „Sie beweisen sich beide gegen Gott u. Menschen als Diener u. Haushalter über Seine Geheimnisse."134
2. Seelsorgerliche Ämter Wir wenden uns nun der Gruppe von Ämtern zu, die insbesondere seelsorgerliche Aufgaben in der Gemeine zu erfüllen hatten. Natürlich war bei der seelsorgerlichen Gesamtausrichtung Herrnhuts jedes Amt letztlich seelsorgerlich bestimmt. Das sahen wir ja bereits bei den leitenden Ämtern der Ältesten und Helfer. Auch die Krankenwärter und die Diener waren nicht ohne seelsorgerlichen Auftrag. Aber um einer besseren Übersichtlichkeit willen ist es sachgemäß, die einen als leitende Ämter zu bezeichnen und die andern, ihrem Hauptsinn entsprechend, als diakonische Ämter zusammenzufassen. So bleiben uns als seelsorgerlidie Ämter im engeren Sinne zu beschreiben: die Lehrer, die Aufseher und die Ermahner aus der alten Ämterordnung von 1725. Dazu kommen, wir begründeten dies schon, die Bandenhalter als wichtige seelsorgerlich wirkende Brüder und Schwestern. Die täglichen Besucher, die auch einen klaren seelsorgerlichen Auftrag hatten, behandeln wir unter den besonderen Diensten (III.).
a) Die Lehrer Als öffentlicher Lehrer galt in der alten Zeit immer der Berthelsdorfer Pfarrer Joh. Andreas Rothe. Er wurde in der „Ersten Gemeineinrichtung" audi als erster unter den Lehrern genannt. Doch hat man im Original die 1. vor seinem Namen gestrichen und ihn den 6 Lehrern „privatim" gegenübergestellt135. Uns interessiert hier nicht so sehr das öffentliche Lehramt Rothes, sondern mehr das Amt der „Privat-Lehrer", die in der „Verfassung" von 1733 als „Gehülfen des öffentlichen Lehrers"136 bezeichnet wurden, also das Laienamt. iss Joh. Pütt, Denkwürdigkeiten § 168, Bd. 2, S. 113: „Der Älteste war der erste Bruder, der Seelsorger aller; . . . der Vorsteher ( = Zinzendorf) — der Gemeine erster Diener, besonders im Verhältnis zur Welt, daher auch — obgleich hineinwärts dem Ältesten untergeordnet, hinauswärts als der thätige Man auftretend." 134 R 24, В 68, S. 179 — 210, Nr. 37. iss R 6 Aa 18, lb, vgl. Beil. 2. ise in Beschr. Druck, S. 123, 11.
174
Von Rothe heißt es in der „Spezification der nach Jena gehenden Schriften u. Briefe" vom April 1728: „57. Joh. Andreas Rothe, Pastor zu Bdf. u. öffentlicher Lehrer zu Hhut. Ein Mann, der nach aller Aufrichtigkeit zu reden, an voller Unparteilichkeit, Klugheit, rapider Beredtsamkeit u. gründl. Gelehrsamkeit... unter den Predigern wenig gleiche hat, hieselbst aber in beständiger Niedrigkeit wandelt u. dem Äussern nach nicht anders als ein anderer Bruder tractiert wird." 1 3 7 Das Amt der „Privat-Lehrer" blieb sich im Laufe der ersten Jahre gleich. War der Ort des öffentlichen Lehrers die Kirche zu Berthelsdorf, so der „Lehrer privatim" der Saal, insbesondere in der Morgenversammlung. Wir haben im Zusammenhang mit der Darstellung der Versammlungen schon vom Auftreten der Lehrer gesprochen (Kap. 2 В 4). Hier seien ihr Amt und ihre Person ausführlicher charakterisiert. Spangenberg berichtete über ihre Amtseinsetzung 1727: „ E s wurden nemlich gewisse, vom HErrn dazu begabte Brüder zu Gehülfen in der Lehre ernant; welche zwar keine so genante Ministerialia verrichteten, aber doch vor der Gemeine ihr Zeugnis von der Gnade GOttes in Christo JEsu mit Segen ablegten." 188 Ihre Zahl blieb zunächst ziemlich konstant: es waren 6 (bzw. 5) Brüder. Dann wurden es weniger, bis es schließlich 1734/35 nur noch Martin Dober gewesen zu sein scheint, denn Lintrup bemerkte in seiner Anmerkung zu C. Davids Beschreibung: „Ordentlich hat nun die Gemeine nur einen Lehrer, der die H . Schrift in den Früh-Betstunden ordentlich, deutlich und nach den ietzigen Umständen ausleget: Und obschon keinem Bruder verwehret ist drein zu reden, und was er vermeinet nützlich zu seyn, beyzutragen, ja dazu in der Gemeine wol vielmal von dem Lehrer Ermunterung gegeben wird; so hat sich der Geist der Gemeine mit seinen LehrGaben dergestalt in diesem Bruder legitimiret, daß daher ein ieder gerne schweiget, GOtt dancket für die Gnade, und ihn dabey in der Stille um Segen und Gedeyen anrufet" 1 3 9 . Aber vorher waren es mehrere Brüder, die sich in der Leitung der Versammlungen wohl täglich abwechselten (es waren ja 6), die aber auch gemeinsam vor der versammelten Gemeine gelehrt haben werden. In der „Ersten Gemeineinrichtung" heißt es: „Die Lehrer exerciren ihr Amt in der Gemeine des Morgens früh von 5 bis 6 u. Уг 9 bis 9 gegen die so früh nicht dazu komen könen." 140 Leider fehlt uns in der Reihe der Ämterinstruktionen eine für das Lehramt. So müssen wir auf die Beschreibungen achten, die uns die Tätigkeit ι » ' R 6 A a 16, 1 u. H . Diar, 1728, Beil. 3 (Abschr.). Ober Rothe sprachen wir bereits in K a p . 2 В l a , S. 65 f. und K a p . 3 A 2, S. 126. 138 Spangenberg, Zinzendorf, S. 447. 139 Beschr. Druck, S. 59, Anm. k. « o R 6 A a 18, lb, vgl. Beil. 2.
175
der Lehrer schildern, um ihren Auftrag zu erfahren 141 . Christian David kennzeichnete 1731 die Lehrer folgendermaßen: „Zu Lehrern wurden solche genommen, die einen rechten Zusammenhang von der heilsordnung gottes, nach u. ihrer Eigenen Erfahrung besitzen, die daß wort gottes recht ein zu theilen wißen, u. auch eine erfahrung von führung der Seelen innen haben." 142 In der gedruckten Beschreibung steht noch dabei: „. . . und auch eine Gabe haben, das Wort theilen und zu reden ohne Scheu"143. Ihr Amt wurde von C. David so geschildert: „ihr ambt u. beruf ist in der öfentlichen gemeine zu hernhuth, Beth u. erBauungsstunden zu halten, unter den Brüdern daß wort zu führen, auch da hin zu sehen, daß von gottes wort u. götlichen Dingen, nicht leichtsinig in der gemeine gesprochen wirdt, sich um aller Seellen ihren Zustand bekümern, u. daß keine Irige u. falsche Lehre u. meinungen, in der gemeine auf Kommen, sie Kommen audi die wodie ein mahl zu sammen, sich über dem Evangelio, u. deßen vortrag zu besprechen."142 Wer waren die Lehrer? Sie blieben auch bei der Ämterumbesetzung im Herbst 1728 dieselben wie 1727/28: der Messerschmied Augustin Neißer, der Töpfer Martin Dober, der Schuster David Nitschmann, der Leineweber Melchior Nitschmann, der Orgelbauer und ehemalige Theologiestudent Joh. Gottl. Klemm und der Schneider Martin Rohleder. Die letzten beiden hatten auch die Waisenknaben unter sich, das Lehramt umfaßte also die Unterweisung der Kinder. Von Klemm heißt es in C. Davids Brief an Heitz 1729: „Praeceptor bei den Waisenknaben, der sie in Sprachen, Rechnen u. Schreiben informirte. Sonst ist er audi ein Orgelbauer, ein Mann von vielen Erkenntnissen, sehr ernstl. Er fürchtet Gott von Herzen." Vom Schneider und Waisenhausvater Rohleder wußte C. David zu sagen: „ein sehr liebreicher u. gesetzter Mann, hat besonders Gaben, mit Kindern umzugehen, hat ein gut Zeugnis von der ganzen Gemeine. Er hat die Knaben unter sich zur Pflege."144 Klemm und Rohleder standen in der Ämterliste 1728/29 allerdings nicht mehr unter den Lehrern, dafür nun aber der Leineweber David Nitschmann 145 . Ihrer Tätigkeit nach gehörten sie aber noch dazu. Christian David kennzeichnete auch die Predigt der einzelnen. Von Augustin Neißer sagte er: „ein sehr gegründeter, gesetzter und redlicher 141 Die Instruktion „Weissagung" (R 6 Aa 15, 6a) geht so deutlich auf die ursprünglidie Formung des Weissageramtes ein, daß wir sie für die Lehrer nicht in Anspruch nehmen können; vgl. Anm. 90, wo sie zitiert wird. "2 D. gl. Br. 1731, R 6 Aa 22, 1, S. 34. »« C. D. Beschr. Druck, S. 18. i « R 24, В 68, S. 179 ff., Nr. 28 u. 38. i « R 6 Aa 16, 4/24 (vgl. Beil. 3) und R 24, В 68, S. 179 ff., Nr. 13a. „Er hat ganz ungemeine Gaben u. einen penetranten Verstand", heißt es dort über D. Nitschmann.
176
Mann, der von allen Kindern Gottes, die ihn kennen, das Lob am Evangelio hat, ist sehr ordentlich und bescheiden in seinen Reden, und dringet in allen seinen Reden sehr gewaltig auf JEsum und sein Verdienst, den rühmet er und machet ihn groß über alles, sein Mund gehet von JEsu beständig über, den liebet er von gantzem Hertzen, und kennet ihn sehr gut, aber er bekennet ihn auch treulich und redlich in Lehr und Leben. Dieser Mann suchet gantz besonders die halb-bekehrten von ihrer äusserlichen Frömmigkeit und eignen Gerechtigkeit zu überzeugen, darzu er auch eine sonderbare Gabe von Gott hat und viel Erfahrung. Er bezeuget ihnen solches aus eigner Erfahrung und mit vielen lebendigen Exempeln." 148 Und schließlich hören wir ihn über den 1730 erst 26 Jahre alten Martin Dober 147 : „Der andere von denen Lehrern, der auch das Werck des HErrn mit diesem zugleich treibet, ist ein Töpfer seiner Profession, sonst aber aus dem R e i c h , . . . ein sehr ernster und beredter Mann, der unter den Brüdern sonst nichts wissen will als JEsum den Gecreutzigten. "Wer ihm nicht diese Lehre mit sich bringet, daß er nicht sein Fleisch samt den Lüsten und Begierden creutzigen will, und läßt sich dabey einen Bruder nennen, dem bezeuget er gleich, daß er kein wahrer Bruder ist, und JEsum nicht recht gelernet hat, er sey auch noch so gelehrt als er wolle. Sonst hat er eine grosse Liebe zu den Brüdern, wenn sie nur auf JEsum Christum sehen, und alles suchen aus ihm herzuholen; dahero er auch in allen seinen Reden die Seelen zu JEsu weiset, und machet nicht lange UmschweifFe."148 Daß Dober dabei später aus dem hebräischen und griechischen Urtext auszulegen pflegte, wurde an anderer Stelle schon erwähnt (S. 80). Zinzendorf schrieb über ihn in den Memoires: „Er hat unter allen brüdern die meiste Anmahnung an den vorerwehnten Predigt-Geist des Pastors Rothens. Nicht nur grosse theologi halten ihn für einen theologum sondern, welches das meiste ist, thuts der Herr und die Gemeine." 149 Martin Dober blieb dann der Privat-Lehrer der Gemeine, in dem sich, nach Lintrups Worten, „der Geist der Gemeine mit seinen Lehr-Gaben dergestalt legitimiret, daß daher ein ieder gerne schweiget" 189 . Es wäre aber falsch geurteilt, als sei in dieser Beschränkung eine Verkümmerung der Lehrgabe in der Gemeine zu sehen. In den Boten und Missionaren 148 C. D. Beschr. Druck, S. 60. i « Martin Dober, geb. 23. 11. 1703. 1 4 8 C. D. Beschr. Druck, S. 61. S. 62 f. wird noch die Lehrweise Schuster D. Nitschmanns und Schneider Rohleders gekennzeichnet. 14» Z B G 1913, S. 186 f. — In Martin Dobers Lebenslauf (in Lebensläufe, gesammelt v. Schweinitz, R 22 N r . 129a, 1. Abt.) heißt es nach einer Äußerung Zinzendorfs: „. . . wen er den Mund in der Kirche oder auf dem Saal aufthat, so war es nicht anders als Blitz u. Schlag zugleich. Sein Vortrag ging tief, ob er gleich stamelnd war. Anfänglich wollte ihn die Gemeine nicht goutiren u. das währte bis gegen 1730 hin; da wurde er todtkrank . . . " (S. 125). Nach seiner Genesung ward er „Herrnhut zu einem öffentlichen Zeugen seiner Wahrheit auf 10 Jahre lang gegönt" (S. 126).
177
lebte sie neu auf. Und in den Banden und im Waisenhaus wurde wahrlich genug gelehrt. So unterschied die „Verfassung" von 1733 zwei verschiedene Arten von Lehrern, väterliche und mütterliche: „11. Die PrivatLehrer sind entweder solche, die zum Väterlichen Amt und zum Grundlegen gehören, mithin eigentlich Gehülfen des öffentlichen Lehrers sind, dieselbe müssen die Versammlungen mit versehen, und über der Aehnlidikeit des Glaubens ernstlich halten, auf die zum Heil. Abendmahl destinirte Seelen so wol als die Kinder im Waysen-Hause ein Auge haben, und ihrer institutioni administriren, oder solche die Mütterliche Verrichtungen haben, das ist, die öffentlich erweckte Seelen privatim zusammen zu halten und weiter zu führen, und solches geschiehet t ä g l i c h . . G e m e i n t sind damit die Besucher in den Classen (Chören) und die Bandenhalter 150 . Bleiben wir jetzt hier bei den „Gehülfen des öffentlichen Lehrers", so möchten wir auch dieses Amt im großen Zusammenhang des Dienstes an und in der Gemeine sehen. Hier stellten sich Männer, die in ihrem Beruf Tüchtiges leisteten, zur Verfügung, um der Gemeine mit ihren Gaben zu dienen. Martin Dober hat für seine doch sehr viel Zeit in Anspruch nehmende Lehrtätigkeit kein Geld bekommen 151 . Wie jede Ämtergruppe hatten die Lehrer ihre wöchentliche Konferenz: „Montags früh kommen die Lehrer und Lehrerinnen zusammen. Ihre Unterredungen sind von dem Vortrage und Theilung des Wortes GOttes, von Führungen der Seelen, von der Führung einerley Reden, von dem einerley Sinn und Meinung, von der Deutlichkeit, von der Gewißheit seiner Sache, daß sonst nichts geredet wird, als was Christum in der Seele klar gemacht und gewircket hat, und daß sie sich um die Salbung bekümmern, was der Geist der Gemeine saget. Das ist so überhaupt, wovon sie sich über dem Evangelio mit einander in der Furcht GOttes besprechen, und die Schwestern deßgleichen."152 In diesen wöchentlichen Besprechungen wird Zinzendorf seine Brüder in ihrem Amte weitergeführt haben; das Lehren bekam durch die Konferenzen seine einmütige Ausrichtung. Schließlich sei noch Zinzendorf das Wort gegeben, wie er die Lehrämter im Eventualtestament am Ende unserer Zeit beschrieb: „Die Lehr-Aemter werden in unserer Gemeine von zweyerley Personen verwaltet: Von den ordinirten Predigern, (welche unter den Mährischen Gemeinen auch von uns ordiniret werden) Und von denen andern Zeugen, die der H E R R begäbet hat, und welche zwar keine so genannte Ministerialia verrichten, aber doch das Wort reden, so offt sie der H E R R dazu auffmuntert. Dabey ist nur das eine zu mercken, daß diese unter sich nie jaloux werden, sondern sich einer übers andern Seegen freue, und die einfältigen Glieder « β Beschr. Druck, S. 123 f. 151 während er 1742 „für allerhand Ofenarbeiten im Gemeinhaus 8 Taler 19 Grosdien" erhielt; Uttd. A-H., S. 111. i«2 C. D. Beschr. Druck, S. 31.
178
zwar, so es der HERR gibt, passabel ordentlich, aber keines weges gelehrt reden lernen."153
b) Die Aufseher
und die
Ermähnet
Diese beiden Ämter, die schon 1725 ganz klar profiliert waren und dies auch stets blieben, müssen wir nun im Zusammenhang miteinander betrachten. Sie waren deutlich gegeneinander abgegrenzt: der Aufseher hatte zu sehen, der Ermahner hatte in dessen Auftrage das als fehlerhaft Erkannte in Liebe zu rügen. Beide Ämter wurden Ende September 1727 wieder eingeführt154 und waren in den Jahren 1727 bis etwa 1731 mit 5 bis 6, ja sogar 8 Beauftragten besetzt (s. Beilage 1). Durch die Einführung der Classen(Chor-)Ordnung mit ihren eigenen seelsorgerlichen Ämtern wurden sie schließlich als Gemeinämter entbehrlich. Lintrup schrieb 1734 in seiner Anmerkung dazu: „Das öffentliche Amt der Ermahner ist nachhero abgeschafft worden, und stehet einem iedweden Bruder oder Schwester in seiner Classe frey, diese Gnaden-Gabe und Liebes-Pflicht an andern in Demuth und Liebe auszuüben." Für besondere Fälle und Umstände war eine Konferenz des Aufsehers, der Bandenhalter und nach Bedarf der Helfer vorgesehen und außerdem der Besuch bei dem zu Mahnenden durch einen Bruder155. Das Aufseheramt war nach Lintrup zu dieser Zeit nur noch einem aufgetragen, „der den gantzen Zusammenhang weiß und alle Seelen kennet", womit nur Zinzendorf gemeint sein kann158. Auch im Rückblick auf iss Theol. Bedenken, S. 172 f. Gottfried Arnold widmete der Laientätigkeit in seiner „Ersten Liebe" ein besonderes Kapitel im II. Buch: „Von denen Personen in der Gemeine und sonderlich denen so genannten Layen" (S. 210 ff.), kam dabei auf das Lehren der Laien zu sprechen: „Erbaueten einander durch lehre und leben" (S. 217) und betonte, daß es „Auch wol ungelehrte und handwercks leute" waren (S. 218). Er wies auf das Zugeständnis einiger unter den „papisten" hin, „daß wol privat-personen, die nur Diaconi oder layen, aber mit der gäbe zu lehren ausgerüstet gewesen, das wort des glaubens ausgestreuet haben, nicht so wol vor sidi u. nach ihrem amte, als nach der von den Aposteln gegebenen Commission und aufgetragenen pflidit, audi wol vielleicht aus eigenen liebestrieb und eyffer." (S. 218) — Auch von der Aufgabe der Hörer sprach Arnold (S. 219): „Die zuhörer prüfeten auch alle lehren in der furcht Gottes." „Ferner waren die Christen insgemein schuldig, nicht allein sich selbst unter einander, sondern auch die, so ihnen lehrer waren, zu ermahnen, und nach erforderung der noth zu straffen, zu warnen, und eines bessern zu berichten." 154 H. Diar., 29. u. 30. Sept. 1727. iss Beschr. Druck, S. 20, Anm. d. 15« Beschr. Druck, S. 19, Anm. c.; vgl. S. 169 das ganze Zitat. Doch wurden in der Verfassung 1733 Aufseher und Ermahner noch genannt (Beschr. Druck, S. 123): „10. Zum innern Bau gehören erstlich die Aufseher, welche erfahrne und scharfsichtige Leute sind, so alles, auch das geringste observiren, und entweder den Helfern zur Remedur, oder den Ermahnern, welches weise, sittsame und liebreiche Personen sind, zur Brüder-
179
das Jahr 1734 heißt es mit der Begründung: „Alle Einrichtungen sind um ihres Zweckes willen. Wenn der Zweck nicht mehr erreicht wird oder wegfällt, so läßt man audi die Sache selbst.": „so hat man schon 2 Jahre keine Ermahner" 157 . Dann müssen beide Ämter aber wieder erneuert worden sein, nun wahrscheinlich in starker Anlehnung an die Chorordnung. Jedenfalls berichtete John Wesley von seinem Besuch in Herrnhut 1738 die Zahl von 11 Aufsehern (Overseers or Censors) und 11 Ermahnern (Monitors) 158 . Auch im Eventualtestament 1738 widmete Zinzendorf beiden Ämtern besondere Beschreibungen. Und bei der Gemeineinrichtung auf St. Thomas wurden beide Ämter eingesetzt159. Doch wie waren die beiden Ämter in ihrer Blütezeit geordnet? Die Ämterinstruktion Zinzendorfs, die für 1727 zu datieren ist und auf Rothes Ordnung von 1725 zurückging, sah für die Aufseher folgendes vor 160 : „Aufsicht (oder Aufseherin) Bey diesem Amt, von dem es heißt, daß es sorgfältig soll geführet werden, ist nichts anders zu wißen, als daß es in einer genauen Erkundigung des (bedenklichen) Fürnehmens aller Brüder und Schwestern bestehe, da man aber auf die Bewegungen und Bezeugen eines jeden acht hat, den Ältesten und auch wohl den andern Gehülfen eins u. das andere (statt ,eins u. das andere': sonderl. aber in einer völlig eingerichteten Gemeine denen Ermahnern) entdeckt, und also immer dran ist, daß es löblich ordentlich und heilig zugehe unter den Brüdern (u. Schwestern) Dazu wird erfordert: 1. hertzliches Gebet, daß einem Gott die Gabe der Unterscheidung gebe. 2. Einige Erkenntniß der Temperamenten d. i. wozu ein Mensch am meisten geneigt sey, als Ehr-Geitz, Geld-Geitz, Wollust p. 3. hertzliche Liebe, und Freyheit von Argwohn (der aber doch gemeinigl. liehen Bestrafungen anzeigen. Diese letztere sind bekante oder heimliche, die bekante Ermahner erwarten der Aufseher rapport allemal; die geheime aber haben Freyheit, so bald sie einiges Versehen oder Schaden mercken, solten ihn die Arbeiter audi selbst verursachen, zu contraminiren, und das Interesse des Heilandes und der Seelen, ne quid detrimenti capiat, auf das sorgfältigste zu beobachten." Interessant ist hier die Unterscheidung der beiden Formen des Ermahneramtes. Das feste Amt scheint sich aufzulösen. 157 H . Diar. beim 31. 12. 1734, vom 15. 1. 1735. — Am 26. 5. 1733 hieß es im Gemeinratsprotokoll (R 6 Aa 2 5 ) : „Aufseher u. Ermahner sind aufgehoben, u. kan es ein ieder in der Gemeine seyn; u. wer was siehet, hört, oder meint zu sehen, es einem der Helfer anzeigen, weil es itzo ohne Schaden in der Gemeine geschehen kan." 158 E x t r a c t of Wesleys J o u r n a l / I I (Nos. III u. IV), S. 133. 159 Vgl. Anm. 1. dieses Kapitels. Audi in einer Ämteraufstellung von 1 7 3 6 / 3 7 (R 6 Aa 15, 5) erscheinen beide Ämter. ι«» R 6 A a 15, 6a u. b. 3 Einzelblätter (6b) tragen die Überschrift „Aufseherin"; eins dieser Blätter hat Anfügungen von Zinzendorfs Hand, die im Text in Klammern angegeben sind. Sonst erscheint die Instruktion in 5 Abschriften (6a) unter „Aufsicht" zusammen mit den Instruktionen für Ermahnen, Übung der Barmhertzigkeit, Weissagung, Diaconia oder Amt, zwei Abschriften tragen die Jahreszahl 1727.
180
eines Aufsehers natürl. Fehler ist u. wenn er geheiligt wird, zur Gabe wird) 4. Großer Ernst im Christenthum und doch Freyheit vom Gesetz, und daß man wiße, was die Heiligung, freywilliger Gehorsahm und Zwang auf sich habe. 5. Erfahrung, was dem Reiche Christi hinderlich und förderlich (draußen aber erbaulich oder anstößig) sey. 6. Große Verschwiegenheit (sonderlich der angemerkten Mängel vor allen Gliedern der Gemeine, die es nichts angeht). 7. Ein sehr ehrbarer Wandel." Aus Zinzendorfs Schlußbemerkung erfahren wir: „Der Zweck des Amtes in der Gemeine ist, Klatscherei, Richten u. dergl. gänzl. zu verhüten u. die Liebe gegen einander unverrückt z u . . . ? .. .wie denn alle Arbeiter, ehe sie sich selbst stossen, denen Aufsehern zu melden, was sie sehen od. hören oder durch andere an sie gebracht wird, daß ihnen bedenkl. vorkomt." 160 Christian David kennzeichnete dann die Träger des Amtes und ihre Amtsführung so: „Zu aufsehern wurden gesetzliche Seellen genommen, die aller der Brüder gebrechen gleich sehen, ihr ambt u. beruf ist, auf aller der Brüder wandel in der gemeine genau acht zu haben, u. was sie den so in der gemeine so wahr genommen, es den ermahnern bescheiden, wie es ist, beybringen, sie halten auch wöchentlich Eine Conferentz über die in der gemeine anstößige u. ärgerliche Sachen"161. „Diese unterreden sich, was sie die Woche über gesehen, ob es die andern auch wahrgenommen, ob die Sache von Wichtigkeit sey, und wenn es untersucht ist, daß es auch recht so, wie es ist, den Ermahnern angebracht wird." 162 „sind es aber Kleinigkeiten, so rufen sie die Brüder zu sich um es gleich auß zu machen, u. nicht Erst es vor die ermahner zu bringen." 163 Unter den Namen der Aufseher ist in den Ämterlisten nur David Tanneberger zweimal zu finden. Haben sich die andern nicht bewährt? Oder war ihnen das Amt zu schwer? Manche werden auch mit ihren Gaben in andern Ämtern gebraucht worden sein. Jedenfalls fällt auf, daß bei den Aufsehern, ebenso wie bei den Krankenwärtern und den Dienern, der größte Wechsel stattfand. Über den Schuster David Tanneberger erfahren wir von Christian David: „er hat schöne Gaben im Briefschreiben u. gute Einsichten. Er ist aber sehr still u. arbeitet an sich selber."164 Außer ihm bekleideten das Amt 1728/29 Christian David, Andreas Beyer, Andr. Hickel, der Schuster Georg Pisch, der Böttcher Michael Kloß, Kaspar ölßner und Tobias Friedrich165. Über den Leineweber aus Seifhennersdorf Caspar ölßner meinte Christian David: „ein sehr stiller Mann, u. stehet in gr. Kraft, läßt iei D. gl. Br. 1731, R 6 Aa 22, 1, S. 34 f. 162 C. D. Beschr. Drude, S. 23. »es D. gl. Br. 1731, R 6 Aa 22, 1, S. 35. 181
"4 R 24, В 68, S. 179 ff., Nr. 12b. »«5 R 6 Aa 16, 4/24; vgl. Beil. 3.
sich auf Reisen braudien", ölßner war zu dieser Zeit (1729) Ältester und vorher von 1727 bis 1728 Diener. Über den Hausmeister Zinzendorfs Tobias Friedrich heißt es: „Er gehet sehr auf Grund, er liebet die Br r herzlich, u. ist sehr einfältig."1®8 Uber Michael Kloß sagte Zinzendorf: „ein Böttcher u. Exulant aus Schönau in Mähren. Einer der vernünftigsten unter den Br r ." 187 Auch die Aufgabe des Ermahneramtes wird uns aus Zinzendorfs Ämterinstruktion am deutlichsten: „Ermahnen ist eine besondere Pflicht des Christenthums, und von der Lehre darin sonderl. unterschieden, daß diese 1. auf Verlangen eines Lehrbegierigen 2. im Vortrage göttlicher Wahrheiten und deren deutlichen Erläuterungen beschäftigt, dahingegen die Pflicht des Ermahnens 1. von freyen Stücken 2. sonderl. mit dem Leben und Wandel seines Neben-Christen handelt, nach des Apostels Lehren: so jemand von einem Fehl übereilet würde, so helfet p. und gleichwie der Lehrer sich nur zerstreuen würde, wen er sich viel ums Leben der Gläubigen bekümmern wolte, also würde sich der Ermahner nur vertiefen, und seine Gaben vergraben, wenn er sich um das bekümmern wolte, was die Gläubigen eigentl. lehren und vor Meynungen haben, welches den Lehrer angehet. Er hat auch nicht Zeit den Grund oder Ungrund der Meynungen gnugsahm einzusehen, und könte in Verdruß verfallen, der ihn an seinem Amte hinderte: darum wartet er des Ermahnens. Er muß aber 1. einer Sanftmüthigen Art seyn oder durch die Gnade werden 2. deutlich und vernehmlich von einer Sache, die er eigentlich inne hat, sprechen 3. nicht auf eigne Erfahrung, sondern auf sagen und hören ermahnen 4. keine Bitterkeit gegen Personen haben 5. ohne alle Herrschaft oder äusserl. Erhebungen handeln, und nur bitten 6. so viel möglich, und wo es nicht ohnfehlbar darzuthun, bedingungs weyse ermahnen: wens so oder so wäre 7. Um Weisheit bitten, und mit dem Aufseher und Lehrer fleißig reden, alles aber selbst prüfen." 188 Wie schon bei der Ämterinstruktion für die Aufseher wird auch hier der deutliche Bezug auf Rom. 12, 8 kenntlich. Von Christian David erfahren wir wieder etwas über die Art der Amtsführung der Ermahner: „Zu ermahnern wurden solche genommen, die von einer liebreichen u. freundlichen arth waren, u. bey allen brüdern, ein guttes gerüchte haben (hatten?), ihr ambt u. beruf ist, daß sie die von den aufsehern untersuchte Sachen die sie ihnen beybringen übernehmen, u. die Jenigen brüder, drüber Nach dennen von Christo selbst gemachten graden Ermahnen und bestrafen, werden sie nicht gehöret, so sagen sie es «β R 24, В 68, S. 179 ff., Nr. 31 u. 37. i«7 Spezification R 6 Aa 16, 1, Nr. 7. 168 R 6 Aa 15, 6a; 2 Einzelblätter „Ermahnen" R 6 Aa 15, 6b. Vgl. Anm. 160.
182
den hölfern, dieße wen sie auch nicht gehöret werden, weiter der gemeine, hörret er dieße nicht, so entziehen sich alle Brüder von ihm, daß er schamroth w e r d e . . . sie halten auch alle wochen eine Conferentz u.unter reden sich von wegen der unter schiedenen gemüther, wie ihnen bey zu komen, wer unter ihnen zu dießem oder Jenem, ihn zu ermahnen hingehet, deßwegen sind besondere aufseher, über die anstößige Brüder in der gemeine gesetzet, die nur sehen, andere aber, die nur ermahnen, alle vorurtheile zu Benehmen, als hätte man was gegen sie um sich an ihnen nur rächen zu wollen." 169 Die Namen der Ermahner waren 1728/29 fast dieselben wie 1727/28: der Zimmermann David Nitzschmann, der Leineweber David Quitt, der Herr Licentiat (Gutbier), der Schachtelmacher Christoph Demuth; ausgeschieden war Melchior Nitzschmann (Weber), der auswärts war, dazugekommen waren der Schneider und Waisenvater Martin Rohleder und J o hann Nitschmann. Offensichtlich hatten sich die Erstgenannten im Amt bewährt 170 . Uber David Quitt ζ. B. schrieb C. David 1729 an Heitz: „ein gläubiger Jünger Jesu, der in der That u. in der Wahrheit beweiset, daß in Jesu Geist u. Leben, Kraft u. Wesen ist. Er kan sonst nicht lesen. E r hat die Salbung, ist in Mähren um Jesu willen im Gefängnis gewesen; ein sehr im Leiden geübter Mann." E r war 1728/29 zugleich Ältester. Christoph Demuths Charakteristik brachten wir schon beim Helferamt, das er audi bekleidete: „ein herzl. Mann. Er hat eine besondere Gabe andere zu erwecken, sonderl. mit Singen. Er hat einen gr. Eingang bei andern." 171 Von Lie. Gutbier, dem Gemeinarzt, berichtete Zinzendorf 1728: „ist hier von Gott ergriffen u. aus einem berühmten Medico u. Weltman ein einfältiger Nachfolger Jesu u. Bauern Doctor geworden" 172 . Mag dies an kleinen Charakteristiken genügen. Man könnte sie aus Lebensläufen vermehren. Ersichtlich ist jedenfalls, daß zu den seelsorgerlidien Ämtern insbesondere nur Brüder genommen wurden, von denen man die innere Reife dafür erwarten konnte. D a ß man unter den ersten Einwohnern Herrnhuts dafür immer die nötigen Menschen fand, ist ein Zeichen für das Leben dieser kleinen Gemeinschaft. Zinzendorf schrieb über die beiden Ämter im Eventualtestament 1738 in seiner originellen Weise: „Ein Aufseher muß seine Augen und Ohren ie» D. gl. Br. 1731, R 6 A a 22, 1, S. 35. — In Beschr. Druck, S. 33 sagte C. David über die Ermahner-Conferenz: „Ihre Unterredung bestehet darinnen, wie die unterschiedene Gemüther und Temperamente zu erkennen seyn, wie man sich mit dem E r mahnen nadi ihnen riditen, und wie das mit Liebe und Bescheidenheit geschehen müsse, wer und wie ermahnet soll werden, worinnen denn die Fehler bestehen etc." "О Vgl. R 6 A a 18, l b u. R 6 A a 16, 4 / 2 4 ; siehe Beil. 2 u. 3. " » R 24, В 68, S. 179 ff., N r . 22 u. 21. 172 Spezification d. n. Jena gehend. Schrft. R 6 A a 16, 1, N r . 19. Uber Gutbier als Gemeinarzt siehe В I, 3c, S. 2 0 6 f.
183
allenthalben hin offen haben, und den Mund feste zu, und seine Gedancken so gut beysammen, und den Plan der Dinge, die er anzeigen will, so völlig, daß er den Ermahnern die gantze Arbeit planire, und ihnen nichts übrig lasse, als eine Stimme zu seyn. Seine Augen müssen niemand schonen, aber sein Hertz muß gleichwohl mitleidig seyn, und es gerne sehen, wenn ihm seine Besorgnisse leer zurück gebracht werden. Ein Ermähnet muß ein zwischen JEsum und seine Glieder zärtlich getheiltes Hertz haben, das grosse Recht des Erlösers beständig vor Augen, die Schwäche und Armuth seiner Mitglieder auf der andern Seite vor sich stellen; insonderheit das Geheimniß verstehen, wie man ein Gemüth, das des Heylands ist, so gleich übermannen kan, daß es sich in Liebe gefangen giebt, damit Gnade und Treue unzertrennlich beysammen bleibe, und kein Vergehen vorkomme, das nicht dem Evangelio zur Ehre ausschlage."173 Daraus, daß Zinzendorf im Jahre 1738 wieder so eindrücklich auf die beiden Ämter zurückkam, können wir schließen, daß sich ihr Vorhandensein positiv im Leben der Gemeine ausgewirkt haben muß. Durch sie wurde in seelsorgerlicher Form Gemeinzudit geübt, prophylaktisch-mahnend möchte man fast sagen, nicht erst in der Zuditmaßnahme, wenn der Tatbestand nur noch das Zu-spät der Mahnung bekräftigen kann. Zugleich bannten die beiden Ämter die Gefahren einer so kleinen Gemeinschaft auf engem Raum. Gegenseitiges seelsorgerliches Achthaben kann sehr leicht zum Kritisieren und im Nu zum Richten werden. Hier mußten die von der Gemeine geordneten regulären Ämter wie Dämme wirken, die die Wasser in ein festes Bett drängten. Man wird beim Vorhandensein beider Ämter auch streng darüber gewacht haben, daß das scharfe Achthaben wirklich nur von den Aufsehern geübt wurde und daß das Ermahnen Sache der Ermahner blieb. Daß zwei so stark von der inneren Entwicklung einer Gemeinschaft abhängige Ämter zu einer Zeit stärker, zur andern Zeit schwächer in Erscheinung traten, ist wohl verständlich. Auch in diesen Ämtern der Zuchtübung der Gemeine kam der gegenseitige Dienst zum Ausdruck, den man sich seelsorgerlich tat, damit keiner vom guten gemeinsamen Weg abirrte.
c) Die Bandenhalter Uber die Einrichtung der sog. Banden oder kleinen Gesellschaften oder „Brüderl. Associationen" sprachen wir schon unter den Gruppen der Gemeine (Kap. 2 С 1). Wir wollen hier noch einmal auf die seelsorgerlich 173
Theol. Bedenken, S. 175. Gottfried Arnold („Erste Liebe") sprach in einem besonderen Kapitel von der „brüderlichen Ermahnung und Bestraffung" der ersten Christen. Er begann es mit den Worten „Eine von den wichtigsten und nöthigsten pflidi-
184
verantwortungsvolle Aufgabe der Bandenhalter eingehen, die in ihren kleinen Gebets- und Beichtgemeinschaften für seelsorgerliche Hilfe im Leben der einzelnen Mitglieder sorgten. Zwar handelte es sich nicht um ein Amt innerhalb der Ämterordnung nach Römer 12. Es ergab sich auch mehr aus Vertrauen und der daraus folgenden Beauftragung, und die einzelnen Leiter traten mit der zunehmenden Zahl der Banden nicht so in den Vordergrund des Gemeinlebens wie die anderen „apostolischen" Ämter. Wir möchten sie aber, wie schon gesagt, doch unter die seelsorgerlichen Ämter der Gemeine rechnen, weil die Bandenhalter einen sich über längere Zeit erstreckenden Auftrag an einem bestimmten Kreis von Menschen hatten 174 . Man wurde Bandenhalter entweder durch Wahl in der bestehenden Bande oder durchs Los. Es konnte auch sein, daß man den Auftrag dazu von den Ältesten bekam175. Zinzendorf ist an der Auswahl dann nicht unbeteiligt gewesen. Die Einführung in das neue Amt und die Vorstellung vor den Brüdern geschah durch die Ältesten. „Wir haben wohl ehe die Art gehabt, wenn Leuten Banden anvertraut werden, und einer zum erstenmal eine Bande kriegt, daß er den Brüdern vorgestellt und darin eingeleitet wird und das tun die Ältesten der Chöre.", hieß es auf dem Gothaer Synodus im Juni 174017®. Der Bandenhalter, auch „Inspector" genannt, hatte die Versammlung der kleinen Gemeinschaft zu leiten und auch sonst auf das Leben der Mitglieder acht zu haben. Eine Einführung in das schwierige Amt war für den Anfänger schon wichtig. Meist war dem Leiter ein Gehilfe zur Seite gesetzt, der ihn bei Abwesenheit und auch dann, wenn er sich nicht in der rechten inneren Verfassung fühlte, vertrat und ihm in der Seelsorge helfen sollte177. Aus solchen Gehilfen erwudisen natürlich die künftigen Leiter. Im Rückblick auf das Jahr 1734 wurde über die Bandenhalter und ihre Helfer gesagt: „In allen Banden, deren in ganz Hhut 96 sind, hat man denen ordentlichen Bandenhaltern Helfer zugegeben, damit, wen einer ten der Christen unter einander und sonderlich in ansehung der Sorgfalt vor ihrer aller Seligkeit war die hertzliche ermahnung und bestraffung, womit sie ihre Verbindung und liebe im Geist am allerklärsten beweisen konten." (S. 436) Besondere Ämter nannte er d a f ü r allerdings nicht. 174 Es sei wieder auf Gottfried Schmidts gründlichen Aufsatz: Die Banden oder Gesellschaften im alten Herrnhut, ZBG 1909, S. 145 ff. hingewiesen. Über die Tätigkeit der Bandenhalter berichtete er besonders im Abschnitt 2: „Einrichtung und Führung der Banden", S. 156 ff. Wir können uns weitgehend darauf beziehen. — In einer Ämteraufstellung von 1736/37 (R 6 Aa 15, 5) erscheinen die „Bandenhalter oder Arbeiter" unter 5) als besonders genanntes Amt neben den anderen der Ämterordnung. "5 Vgl. Schmidt, Banden, ZBG 1909, S. 157. "β Protokoll Sess. VIII, zit. n. Schmidt, Banden, ZBG 1909, S. 157, Anm. 26. i " Schmidt, Banden, ZBG 1909, S. 158. 185
von den Bandenarbeitern nicht da ist oder nicht Zeit hat, oder in der Eil von hier weg muß, gleich ein anderer für ihn da ist, der die Sache gewohnt ist u. die Leute kennt. Sonsten muß der Bandenhalter nicht allemal der beste sein in einer Bande, sondern etwa nur einer, der länger dabei u. dieser Arbeit gewohnt i s t . . . Die Helfer aber lernen die Gemeine, den Geist der Gemeine kennen, das Wort Gottes u. die Salbung combiniren." 178 Besonders verantwortungsvoll wurde das Amt des Bandenhalters, wenn er einen größeren Kreis von Anvertrauten hatte. Von Martin Dober ζ. B. wurde 1732 berichtet, daß er bis 4 verschiedene Banden an einem Tage zu halten hatte 179 . Wenn dies auch zu einer Zeit geschah, da die einzelnen Banden sehr klein geworden waren, so wird an einer solchen Nachricht die Bedeutung des Amtes doch deutlich. Natürlich waren die Vorsteher der Banden im Glauben gereifte Brüder und Schwestern. Jedoch geschah die seelsorgerliche Befragung und Beratung in den Stunden völlig wechselseitig. Unter den Namen der Bandenhalter begegnen uns die der in der Gemeine führenden Brüder und Schwestern, welche die Seelsorge in den Banden neben ihren sonstigen Ämtern übten. Für das Frühjahr 1728 werden die bekannten Namen genannt: Georg Nitzschmann, David Nitzschmann d. Zimerm., Melchior Nitzschmann, Joh. Martin Dober, Augustin Neißer, Martin Rohleder. Bei den „Jungen Purschen" waren es neben Melchior und David Nitzschmann (s. o.) noch der Leineweber David Nitzschmann und Melchior Zeißberger 180 . Der Tischler Georg Nitzschmann war zugleich Oberältester und Almosenpfleger. Über ihn hieß es 1729 in C. Davids Brief an Heitz: „ E r . . . hat sehr große Einsichten in die Schrift; seine Gabe ist Gottes Lob u. seine Weisheit anzupreisen; er ist sehr treuherzig." 181 Der Zimmermann David Nitzschmann war gleichzeitig Ältester, einer der beiden Cassenhalter und Ermahner; den jungen Leineweber Melchior Nitzschmann findet man unter den Oberältesten und unter den Lehrern; Töpfer Martin Dober war Lehrer und der andere der beiden Cassenhalter; Lehrer war auch der Messerschmied Augustin Neißer und zugleich Ältester; auch Martin Rohleder, der Waisenvater, wurde unter den Lehrern aufgeführt 180 . So hatten sie alle mindestens zwei Gemeinämter neben ihrem Auftrag in den Banden, vier von ihnen waren zugleich Lehrer. Natürlich bestand zwischen den Ämtern der Lehrer und Bandenhalter eine besondere Verwandtschaft. Die Lehrerinnen der Schwestern hatten überhaupt den besonderen Auftrag, die Banden zu leiten 182 . i« i" «о «ι 182
H. Diar. beim 31. 12. 1734, vom 15. 1. 1735. H. Diar., 19. 3. 1732, nach Sdimidt, Banden, ZBG 1909, S. 165. R 6 Aa 18, lb, vgl. Beil. 2. R 24, В 68, S. 179 ff., Nr. 13a. R 6 Aa 25, 1/3; vgl. II, 3: Lehrerinnen, S. 215 ff.
186
Als wir über die Lehrer berichteten, brachten wir ein Zitat aus der „Verfassung" von 1733 (S. 178), in dem von dem „Väterlichen Amt" in der Leitung von Versammlungen die „Mütterlichen Verrichtungen", „das ist die öffentlich erweckte Seelen privatim zusammen zu halten und weiter zu führen", mit deutlichem Hinweis auf den täglichen Classen-Besuch und die 85 „halbstündigen Versammlungen" ( = Banden) unterschieden werden. Von ihnen heißt es dort: „ . . .und dieser sind in ieglicher General-Classe nach der Proportion 17 auch 20 unterschieden, bey deren ieglicher, an der Zahl 85, eine geübte Seele ist, deren immer mehrere herzu gezogen werden, also daß die meisten solcher kleinen Haus-Visiten doppelt versehen sind. Alle diese halten eine wöchentliche Zusammenkunft bey dem Aeltesten und tragen daselbst Mangel und Vortheile nicht nur demselben, sondern hauptsächlich dem HErrn gar hertzlich vor, es geschiehet aber solches privatim." 183 Daraus wird deutlich, daß man die Bandenhalter zu dieser Zeit als zum seelsorgerlichen Lehramt hinzugehörig ansah. Wenn Martin Dober schließlich nur noch einziger „Lehrer" in den Versammlungen im Saal war, so lebte das Lehramt in den Bandenhaltern wirklich fort 184 . Die Gruppierung der Banden innerhalb der großen Classen wird aus dem obigen Zitat kenntlich. Wesentlich ist auch, daß die Tätigkeit des Bandenhalters nicht auf die gemeinsame Versammlung beschränkt blieb. Wohl früh schon hat sich der Bandenbesuch herausgebildet, daß nämlich der Leiter die Mitglieder und die Mitglieder sich gegenseitig besuchten, um einander seelsorgerlich weiterzuhelfen. Als feste Aufgabe wurde dieser Besuch 1735 genannt: „Der Bandenführer Sache sey: Auf den Zustand der Seelen Acht zu geben, sie auch ausser den ,Banden' zu besuchen, sich nach jeder Seele besonders zu erkundigen und alles kurz zu machen; nicht Sachen auszuplaudern, sondern auf dem Herzen zu tragen, privatissime lehren; ihnen beim öffentlichen Gottesdienste und allgemeinen und besonderen Betstunden zum Segen und Exempel sein."185 Solch einen seelsorgerlidien Besuch nannte man das „Sprechen", er hat in entscheidenden Augenblicken manchem Bruder und mancher Schwester wieder zurechtgeholfen. Die einzelnen Bandenhalter waren sich bei ihrer großen Aufgabe nicht selbst überlassen. Wir sprachen schon bei den sonntäglichen Versammlungen (Kap. 2 В 1 d, S. 70) von den Bandenkonferenzen, in denen über die wichtigsten aufgebrochenen Fragen gesprochen und die gemeinsame 183 Besdir. Druck, S. 124. 184 Es ist zu fragen, ob die Ämterinstruktion „Weissagung" (vgl. Anm. 90), sollte sie in der Zeit nach 1728 überhaupt noch in Anwendung gekommen sein, u. U. für die Bandenhalter gegolten haben könnte. Ihr Amt entsprach dem Inhalt der Instruktion jedenfalls am meisten. is« H. Diar., 19. 11. 1735, zit. n. Schmidt, Banden, ZBG 1909, S. 176, Anm. 105.
187
Antwort gesucht und gefunden wurde. Man beriet sehr eingehend darüber, wie man mit den verschiedenen Menschen in ihren so mannigfachen Seelenzuständen umzugehen hätte 186 . Neben der monatlich stattfindenden „allgemeinen" oder „grossen" Bandenkonferenz gab es bei der steigenden Zahl der Banden und um der verschiedenen seelsorgerlichen Behandlung willen 1734/35 die wöchentlichen kleineren Bandenkonferenzen, die nach den großen Classen geordnet waren187. Später wurden diese von den Classen-(Chor-)Ältesten geleitet. Vorher waren einzelne für die Banden der verschiedenen Gruppen zuständig. Am 5. 3.1731 hieß es im Tagebuch Zinzendorfs: „Zu den Banden hatte mich das Los getroffen, bei den Weibern aber blieb es die Ane Lene und bei den Jungfern die Älteste Nitschmanin." 188 Die Genannten hatten vermutlich den Vorsitz der Konferenzen, wobei wohl aber der Graf auch bei den Bandenkonferenzen der Frauen und Jungfern sehr stark mitleitete. Er und die Ältesten machten auch reihum Besuche in den Versammlungen der Banden und ließen sich vom inneren Stand der einzelnen Mitglieder immer wieder beriditen. In diesem Sinne haben wir Zinzendorfs Aufseher-Amt zu verstehen, von dem Lintrup 1734 sagte: „Er hat alle Tage mit den Arbeitern hauptsächlich zu thun, welche Classen-weise nach ihrer Abtheilung zu ihm kommen, und theils Rechenschaft geben müssen von ihrer Haushaltung mit den Seelen, wie sie ihr Amt führen, theils auch ihm Nachricht zu geben haben von einer iedweden Seele, die ihrer Pflege anvertrauet ist, und endlich bey Proben und schweren Übungen sich Raths bey ihm zuerholen . . ."18e Wie wichtig eine Anleitung der Bandenhalter in regelmäßigen Konferenzen war, ist einleuchtend, wenn man weiß, daß von den Leitern nicht einmal alle lesen konnten 190 . Diese Konferenzen aber waren die seelsorgerlichen Lehrstunden des Grafen, von denen aus die ganze Gemeine über die Bandenleiter auf einem einheitlichen Wege in Lehre und Leben gehalten wurde. 18« Vgl. zum Inhalt der Besprechungen Schmidt, Banden, ZBG 1909, S. 160 ff. In der Bandenkonferenz am 11. 4. 1734 wurden unterschieden: „ ,auf Grund gehende', .willige', ,verstockte Menschen', Jünglinge', ,tote Menschen', ,aufs Ganze Gehende', .innige', .brünstige', .hübsche', .ernstliche', .bängliche', .muntere', ,wachsame', ,trudelhafte', .confuse', .scrupulöse', .kräftige', niedergeschlagene', .Sdiüler' usw., usw." (Schmidt, S. 161). Hierin zeichnet sich die Einteilung in geistliche Classen ab. 187 Vgl. Schmidt, Banden, ZBG 1909, S. 160 und Lintrups Anmerkung von 1734, Beschr. Druck, S. 33 f., Anm. g. 188 H. Diar. Ane Lene Nitschmann, geb. Anders, war eine seelsorgerlich sehr tätige Frau. 18 e Beschr. Drude, S. 19, Anm. c; das ganze Zitat S. 169. 190 C. David schrieb über Georg Friedrichs Frau an Heitz: „Sie kan nicht lesen, hat aber eine ungemeine Beredtsamkeit. Sie ist sehr eifrig u. brünstig im Reden u. Gebet u. hat großen Segen an andern. Sie hat eine Weiberbande u. führet das Wort" (R 24, В 68, S. 179 ff., Nr. 9b).
188
Wir sehen am Amt der Bandenhalter besonders, wie die immer weiter differenzierte Gliederung der Gemeine einen immer größeren Kreis von Menschen benötigte, die einen Dienst an den andern übernahmen. Dieser Dienst gab die Möglichkeit, seine Gaben einzusetzen und zu üben. Das Durchdenken seelsorgerlicher Fragen unter der Anleitung erfahrener Brüder und Schwestern machte selbständig und reif im persönlichen Glaubensleben und öffnete das Verständnis für die Andersartigkeit des anderen und für seine Nöte. Es brachte zugleich die Erkenntnis, mit seinen eigenen Schwierigkeiten nicht allein auf dem Wege zu sein. Die Gefahr, daß einzelne Menschen durch ihre Seelsorge Macht über andere ausüben könnten, scheint dadurch gebannt gewesen zu sein, daß man sich trotz allem Dringen auf Heiligung einer großen Milde im Einzelfall befleißigte und wirklich den andern in seinem persönlichen Verhältnis zum Heiland höher achtete als sich selbst. Ohne diesen Geist der Demut und den festen Willen, die strenge seelsorgerliche Ordnung nur um des Bruders und der Schwester willen zu üben, denen man dienen wollte, hätte es zu Verkrampfungen und einem ungeistlichen Herrschen einzelner kommen müssen. Der Gedanke des Dienens des einen am andern bewährte sich gerade darin, daß diese nicht ungefährliche seelsorgerliche Durchorganisierung eine für den Weg der Gemeine gesegnete Einrichtung geblieben ist. 3. Diakonische
Ämter
Wir haben in der Überschrift bewußt den Ausdruck „diakonisch" gewählt, weil die nun folgenden Ämter in unserem heutigen Sprachgebrauch als „diakonische" bezeichnet würden. Es handelt sich um die 3 Ämter: Diener — Almosenpfleger und Cassenhalter — Krankenpfleger. Zu den letzteren rechnen wir im umfassenden Sinne auch den Gemeinarzt. Zuvor möchten wir bemerken, daß hier nur die Ämter, ihr Inhalt, ihre Durchführung und ihre Träger dargestellt werden sollen. Ein Bericht über die gegenseitige brüderliche Nothilfe, „Diakonie" im engeren Sinne des heutigen Sprachgebrauchs, folgt im 4. Kapitel.
a) Die
Diener
Im Dieneramt scheinen sich verschiedene Ursprungslinien vereinigt zu haben. Es ist zu vermuten, daß man es biblisch auf Römer 12 zurückführte und daß sich in ihm das Amt der „Diakonie" aus Vers 7 findet. So könnte man Zinzendorfs Ubersetzung der Stelle verstehen: „bey der diaconie, daß man muß dienstfertig sein."191 Es ist nur merkwürdig, daß 191
Zinzendorfs Übersetzung des N T , vgl. Anm. 30.
189
in der Ämterinstruktion das Blatt mit der Überschrift „Diaconia oder A m t " sich auf die Armenpflege bezieht 192 . Hier hat Apg. 6 mit seinen sieben „Diakonen" eingewirkt, denn 1725 hatte man für die Armenpflege wohl zunächst das Amt des „Austheilens und Fürsorgens" gedacht (Rom. 12,8). D a das Wort „Diaconia" damit vergeben war, heißt es in der Ämterinstruktion, die für 1727/28 zu datieren sein wird, einfach „Des Dieners Geschaffte". Die ganze Skala der Aufgaben verrät aber, daß sich hier mancherlei gesammelt hat, was zu den Aufgaben eines „Bediensteten" bei der Herrschaft gehörte, nun allerdings übertragen auf das Leben der Gemeine. So wurde der Diener der Verantwortliche für den ganzen äußeren Ablauf des Gemeinlebens. In der „Weltlichen Direction" vom Frühjahr 1728 sind nur 3 Diener genannt: M.Kloß, Georg Piesch und ölßner (Beilage 2). Aber dann erfolgte im Laufe des Jahres die volle Besetzung mit 7 Dienern, von denen jeder einen Tag in der Wodie Dienst hatte. So blieb es mindestens bis 1731. Die Namen allerdings wechselten, (vgl. Beilage 1) Die umfangreichste Amtsvollmacht des Dieneramtes wurde 1733 in der „Verfassung" genannt: „Die Diener, welche um die äussere Umstände besorget sind, mithin auch das Directorium über das Waysen-Haus, über die Krancken-Wärter, die Versammlungen, die Armen-Casse und die Gast-Freyheit führen." 193 Mit solchen Vollmachten wird das Amt nicht immer ausgestattet gewesen sein. Es blieb auch nicht so. Der Diensttitel mündete in den des „Saal-Dieners", der für die Ordnung im Saal zuständig war, und des „Fremden-Dieners", der die Neuankömmlinge, die Besucher und Gäste zu betreuen hatte, ein. Die umfangreichen Leitungsaufgaben wurden in der späteren Verfassung von 1770 allerdings wieder von den „Dienern oder Vorstehern bey der Gemeine ins Ganze" wahrgenommen194. Doch hören wir nun Zinzendorf in seiner alten Ämterinstruktion: „Des Dieners Geschäffte 1. Er muß wißen, wer tägl. die Herrschaft sprechen will 2. Er muß die wöchentle Gemein-Wächter bestellen 3. Er muß dabey seyn wenn sie zusamenkomen 4. Er muß wißen, zu welcher Stunde die früh Betstunde, Morgen-Betstunde, Abend-Bande, wie auch welches Tages alle übrige Banden und wo ohngefehr gehalten werden. 5. Er muß alle Einrichtungen in der Gemeine wißen, wie sie den Monath stehen. 6. Er muß, so viel mögl. alle Banden Arbeiter und alle diejenigen von denen er weiß daß sie genau in Nachrichten seyn tägl. sprechen i»2 R 6 Aa 15, 6a; vgl. unter b, Die Almosenpfleger, S. 196. ι»» Besdir. Druck, S. 121. 1 9 4 „Der . . . Brüder-Gemeine zu Herrnhut . . . Ordnungen", Barby 1770, S. 24.
190
7. Er muß sich um alles was in dem Gast-Hofe, in dem wöchentl11 OrtGerichte, in Handel und Wandel vorgehet, gehörigen Orts erkundigen 8. Er muß die meiste Rede führen in der Eltesten Conferenz und muß 9. Wißen, wenn es ungefehr zu dergl. einer Zeit ist, was vor sachen dahin gehören. 10. Er muß bey dem Helffer Besuch der erste und letzte seyn 11. Er muß wißen wer unter denen Verheyratheten und ledigen Brüdern tägl. besuchet." 195 Interessant ist, daß hier vom Saaldienst mit Bänkesetzen und Lichteranzünden noch keine Rede war. Hier handelte es sich vielmehr um Sekretärsfunktionen: „er muß wissen". Ein Diener war also der Mann, an den man sich in allen Fragen des Gemeinlebens halten sollte. Er war das Auge der Gemeine, das darüber wachte, daß das vielgestaltige äußere Leben auch im rechten Gleise lief. Christian David war in seiner Beschreibung nüchterner, vielleicht hatte sich das Amt inzwischen aber auch weiterentwickelt: „Der Diener ihr Amt ist, daß sie bey denen Conferenzen zum verschicken bereit seyn müssen, und auf dem Saal bey den Versammlungen der Brüder die Lichter anzünden, Bäncke setzen, bey den Liebes-Mahlen auf die Tische Speisen zutragen, und Losungen um Herrnhut herum zu tragen, welches auch alle Brüder thun, gastfreye Brüder bewirthen und Privat-Versammlungen bestellen, derer sind sieben. Diese haben ihre Wochen einer um den andern, und auch ihre Tage." 1 8 8 In der Handschrift von 1731 schrieb er: „ihr ambt u. beruf ist der gemeine ihre Eußerliche Sachen zu bestellen, bey Conferentzen u. bey versamlungen der gantzen gemeine, die Brüder zu r u f e n . . ," 197 So wird es denn auch wirklich geblieben sein, denn Zinzendorf wies die Diener im Eventualtestament an: „Was die Helffer im Gantzen sind, das sind die Diener in den Theilen: ihre Lichter, ihre Bäncke, ihre Geräthschafften, ihre Betten, und was sonst nach Zeit und Umständen, und Bedürfnissen ihnen anbefohlen ist, müssen sie mit nicht weniger Accuratesse beysammen haben, als ein Presbyterianischer Lehrer seine Predigt." 198 Es scheint, als seien die umfassenden Vollmachten ans Helferamt weitergegangen. Auch hier müssen wir feststellen, daß die Ämter zur jeweiligen Zeit von ihren Trägern ausgestaltet wurden. Die Beschreibungen richteten sich danach. Angemerkt sei, daß die Aufgaben, die die Aufsichtsämter innehatten, nach Lintrups Bemerkungen von 1734 „theils durch die allgemeine Diener und Helfer, theils durch die Brüder-Gerichts-Bediente verrichtet" wur195 R 6 Aa 15, 6b in drei alten Einzelstücken, welche wie Dokumente aussehen, die ausgehändigt wurden. « « С. D. Beschr. Druck, S. 21. ™ D. gl. Br. 1731, R 6 Aa 22, 1, S. 35. 1»8 Theol. Bedenken, S. 175.
191
den, „die eben auch in einer solchen Liebes-Fassung ohne Eigengesuch alles handeln, wie es allhier beschrieben ist" 199 . Auch das Kollektieren gehörte, sofern es angesetzt war, zu den Aufgaben der Diener, wie uns eine Eintragung im Herrnhuter Diarium vom 29.4.1731 verrät: „Die Diener sollen die kleine Armenkasse alle Sonntag früh herumtragen; wer da wollte, sollte geben, doch ohne Zwang." 2 0 0 J e mehr fremde Besucher nach Herrnhut kamen, desto mehr traten die Fremdendiener in Aktion. 1742 waren 8 Fremdendiener und 13 Fremdendienerinnen angestellt. Sie hatten ihre besondere Konferenz 201 . 1743 wurde das Ehepaar David Hans gar „als Hauptfremdendiener für Bett, Logis und Unterhalt der Fremden" genannt 202 . Nicht in dieser ausgebauten Form, aber mit gleichem Auftrag gab es die Fremdendiener audi schon in den Jahren zuvor. Über die Begegnung mit ihnen erzählte 1736 Pfarrer Annoni aus Basel. Es „stellen sich ihm der Sekretär und ein in Herrnhut tätiger Student die ganze Zeit seines Aufenthalts zur Verfügung, bringen ihn in die Versammlungen, zeigen ihm ganz Herrnhut sowie Berthelsdorf und erzählen ihm von den Einrichtungen und der Geschichte der Gemeine, dabei machen sie ihn mit den wichtigeren Einwohnern Herrnhuts b e k a n n t . . . Ferner werden ihm die neuesten Nachrichten und Entschlüsse der Gemeine ganz offen berichtet, und er wird gleichsam in ihr Erleben, ihre Wirksamkeit und ihre Leiden mithereingezogen." 203 Zinzendorf selber hat das Amt des Fremdendieners bisweilen ausgeübt. Spangenberg berichtete darüber schon vom Jahr 1728: „Unser Graf war jederzeit darauf bedacht, daß die Fremden nicht nur anständig bedienet werden, sondern auch von dem wahren Verhältnis der Dinge gründliche Nachricht bekommen möchten: ja er hat oft selbst einen unvergleichlichen Fremdendiener (nach der in der Brüdergemeine gewöhnlichen Idee und Ausdruk) abgegeben." 204 Zinzendorf konnte auch den Arzt Lie. Gutbier als Fremdendiener rühmen. Doch kehren wir zum allgemeinen Dieneramt zurück. Wen betraute man damit? Christian David gibt uns darüber Auskunft: „Zu Dienern sind solche genommen worden, die zu allem willig sind, gern den Brüdern, was es auch sey, zu Gefallen thun, und ihnen aufwarten mit Lust, wenn sie es haben wollen." 205 Die Nachricht von 1731 ergänzt das noch: „Zu Dienern wurden Junge und dienstwilige genohmen, derrer Sieben sein die 1 6 9 Beschr. Drude, S. 22, Anm. e. Vgl. dazu Abschnitt lc, Die Aufsichtsämter, S. 161 ff. 200 H . Diar., 29. 4. 1731, zit. n. Uttd. A-H., S. 116. 201 Vgl. Uttd. A-H., S. 142. 202 R 6 Aa 42, 1, 32. 13. 2. 1743 (Moscherosch), zit. n. Uttd. A-H., S. 142. 203 Uttd. A-H., S. 143 nach Annonis Tagebuch, Z B G 1911, S. 70 ff. 204 Spangenberg, Zinzendorf, S. 480. 205 C. D. Beschr. Druck, S. 19.
192
ein Jeder seine Besondere woche haben, Kompt aber auf ein mahl viel arbeit so helfen sie alle einander." 206 Audi sie hatten ihre besondere Konferenz: „Sonnabends kommen die Diener zusammen. Diese unterreden sich von ihren Bedienungen, wie alles ordentlich, zu rechter Zeit, mit willigem Hertzen und brüderlicher Liebe geschehen solle." 207 Es würde zu weit führen, wenn wir jetzt die in den Ämterlisten aufgezählten Namen alle einzeln durchgingen und nach dem Leben der Männer fragten. Wichtig ist es aber, daß unter den Dienern Namen sind, die dann auch in andern Ämtern erscheinen: Der Leineweber ölßner z. В., der 1727 bis 1729 Diener war und sich in dem Amt bewährt haben muß, war 1728/29 zugleich Aufseher, wurde im September 1729 als Ältester genannt und „läßt sich auf Reisen brauchen". Er war nach Zinzendorfs Meinung „einer der reichsten in unserer Gemeine" 208 . Oder Georg Piesch, der Schuster, 1727/28 als Diener eingesetzt, war 1728/29 Aufseher, ebenso Michael Kloß, der Böttcher209. Der Zimmermann David Fritsch war „ein Meister in Herrnhut". Und 1731 war Christian David selbst einmal zum Diener gewählt worden 210 . So sehen wir, daß auch das Dieneramt zu den Ämtern gehörte, die man willig auf sich nahm um Christi und der Gemeine willen. Und wir sehen aus den Instruktionen und Beschreibungen, daß es die Bewertung „geringe" Dienste nicht gab. Jeder Dienst, der in Treue getan wurde, war wesentlich für das Leben der Gemeine und wurde als wesentlich gewertet. Ohne den einsatzbereiten Dienst der Diener hätte auch das reiche Versammlungsleben der Gemeine nicht reibungslos vonstatten gehen können. Der Geist der Dienstbereitschaft mußte sich hier besonders bewähren. Daß aber der nötige Dienst im Saal mit der Würde eines ausgesprochenen Amtes versehen wurde, welches audi die angesehensten Brüder und Schwestern, kam die Reihe an sie, bereitwillig übernahmen, gab der Arbeit dort einen erkennbaren Wert innerhalb der verschiedenen Dienste in der Gemeine. Anziehend ist vor allem das Amt des Fremdendieners. Durch seine Bereitschaft, dem Fremden, für den er da sein sollte, ganz zur Verfügung zu stehen, gab er dem Besucher Herrnhuts zu erkennen, daß er willkommen war und als Gast geehrt wurde. Daß dieser Dienst auch seelsorgerlich verstanden wurde, ist selbstverständlich. So hatte das Dieneramt im geordneten Dienen der Gemeine eine beispielgebende Funktion. 2»e 207 208 200 210
D. gl. Br. 1731, R 6 Aa 22,1, S. 34. C. D. Besdir. Druck, S. 33. R 6 Aa 16, 4/24; R 24, В 68, S. 179 ff. Nr. 31; R 6 Aa 16, 1, Nr. 10. R 6 Aa 16, 4/24. C. David an Heitz 1729, R 24, В 68, S. 179 ff., 8b. und H. Diar., 22. 1. 1731.
193
b) Die Almosenpfleger und die Cassenhalter „Die Besorgung der Armen ward treuen Leuten anvertraut, welche man Almosenpfleger nante. Die Absicht unsers Grafen und seiner Mitarbeiter war dabey, denenjenigen, welche bey allem Fleisse und Sparsamkeit, dennoch nicht durchkommen konten, auszuhelfen", berichtete Spangenberg im „Leben des Grafen Zinzendorf" 211 . Wir mußten schon im Abschnitt über das bürgerliche Leben im alten Herrnhut davon sprechen, wie arm und einfach es in dieser ersten Gemeinzeit zuging. Die Eingliederung der Neuankömmlinge, die Berufsumstellung und auch die allgemeine Marktlage mit ihren Schwankungen im Preis für Webwaren brachten es mit sich, daß eben trotz allem Fleiß und aller Sparsamkeit der eine oder der andere der Hilfe bedürftig wurde; zumal es im alten Herrnhut so geordnet war, daß jeder sich selbst durchzubringen hatte. Daneben gab es, vor allem unter den aus den Nachbardörfern Zugezogenen, auch begüterte Glieder der Gemeine. Welche Aufgabe war es, diese Schwierigkeiten der Anfangszeit mit Hilfe einer geordneten Armenpflege zu lindern und zu beseitigen! So wendete man den Brüdern und Schwestern, die als Almosenpfleger eingesetzt waren, und denen, die die Armenkasse verwalteten, begreiflicherweise ein besonderes Interesse zu. Wir haben hier im Zusammenhang mit den andern Ämtern der Ämterordnung zunächst nur über das Amt und die Personen, die es bekleideten, zu sprechen. Wie man allgemein gegen die Armut in brüderlicher Nothilfe anging, bleibt einem besonderen Abschnitt im nächsten Kapitel vorbehalten (Kap. 4 В 1). Ein Blick auf unsere Tabelle (Beilage 1) belehrt uns über die Entwicklung der Ämter. Das Amt des „Austheilens und Fürsorgens" war in der Ämterordnung Rothes 1725 bereits vorhanden (s. S. 130). Almosenpfleger und Cassenhalter gehörten 1727 zu den am frühesten erneuerten äußeren Gemeinämtern. Vom „Vorsteher über die Armencasse" spricht das Diarium am 24.5.1727 212 , in der „Kurzen Relation" Zinzendorfs hören wir, daß „ein Armenpfleger" vorhanden gewesen sei213; vielleicht handelte es sich hier noch um dieselbe Person. In der „Weltlichen Direction" vom Frühjahr 1728 erscheint das Amt auf beiden Seiten besetzt: 2 männliche und 1 weiblicher Almosenpfleger, Georg Nitzschmann, Andreas Beyer und die alte Nitzschmann, Davids Weib. Audi 2 Cassenhalter werden genannt: Martin Dober und David Nitzschmann, Zimmermann. In allen Ausgaben von Christian Davids Beschreibungen werden die 211
Spangenberg, Zinzendorf, S. 448. Zusammen mit den Vorstehern über Brunnen, Felder, Häuser und Taxe, Krankenwärtern und Waiseneltern; H. Diar., 24. 5. 1727. 2 « Kurze Relation von Herrnhut (reicht bis zum 16. 6. 1727), ZBG 1912, S. 68, Nr. 154. 212
194
Almosenpfleger und Cassenhalter erwähnt und beschrieben, merkwürdigerweise nicht auf weiblicher Seite. Hierfür werden sie sogar ausdrücklich verneint: „nur daß sie keine Armen-Casse und Armen-Pflegerin haben" 214 , obgleich Zinzendorf in seinem Schreiben an die Erbprinzessin von Dänemark zur selben Zeit ausdrücklich meldete: „sie haben Allmosenpflegerinnen, welche sich wöchentlich aus der Casse geben laßen, was Ihnen noth thut vor die Bedürftige eingesessene" 215 . Die gemeinsame Casse haben Schwestern nie unter sich gehabt. Daß sie aber in irgendeiner Form an der Verteilung der Gaben beteiligt waren, ist zu vermuten. Allerdings erscheint das Amt der Almosenpflegerin sonst nie in Ämterlisten. Im Juni 1728 kam es im Zusammenhang mit der Gliederung der Gemeine in die verschiedenen Herkunftsgemeinen zur Bestellung nicht nur besonderer geistlicher Helfer, sondern auch besonderer Almosenpfleger. In der Singstunde des 26. Juni wurden diese öffentlich bekannt gemacht. Ihre Namen sind leider nicht feststellbar. Am 5. Juli wurden die Armenpfleger examiniert. Die Armencasse jedoch blieb allgemein21®. Diese Ordnung wird sich nicht lange gehalten haben, da die Classen- und spätere Choreinteilung die Gliederung nach Herkunftsorten aufhob. Die einzelnen Chöre hatten später ihre eigenen Armenpfleger. 1741 wurde die Armencasse dann auch auf die Chöre aufgeteilt 217 . Vorher gab es noch eine Aufteilung Herrnhuts nach Straßen. Darüber berichtet uns das Gemeinratsprotokoll vom 2 2 . 1 . 1 7 3 1 : „ O b Gassen-Vorsteher bey den Allmosen sollen gemacht werden? einstimig J a . Auf der Zittauischen Straße sollen seyn Georg Haberland auf seiner seite D o b e r . . . auf der andern Seite. in Abwesenheit dessen Timoth. Fiedler. Aufm Platz soll seyn Friedrich Riedel Auf d. Löbauischen Gasse einerseits Michel Liner auf der andern Seite David Quitt Im großen Hause und desselben Gegend Augustin Leupold Bei allen diesen soll der Zimermann Nitzschmann mit seyn. Wer die Cassa hinkünftig führen solle? Joh. Klein soll die Cassaüberwachung haben u. die Rechnung führen. Zur Cassa aber soll Rohleder den Schlüssel in Verwahrung haben." 218 214 C. D. Beschr. Drude, S. 30. 215 R 20, С 3c, No. 88, um 1730 geschrieben. 2i» H. Diar., 19. 6., 26. 6., 5. 7. 1728 und R 6 Aa 17 („Ein richtung der Gemeinen nadi ihren derffern"). Am 26. 6. 1728 werden wohl eine ganze Reihe Namen genannt (H. Diar.), es ist aber nidit feststellbar, wer davon geistl. Helfer und wer Armenpfleger war. г " Vgl. Kap. 4 В, 1, S. 271 f. 218 R 6 Aa 25, 22. 1. 1731.
195
Das Protokoll zeigt, daß von zwei vorgeschlagenen Namen jeweils einer durch Stimmenmehrheit gewählt wurde. Cassenverwalter und Almosenpfleger waren also nidit dieselben Personen. Zwar war die Casse auch bisweilen den Armenpflegern anvertraut, sie kam auch einmal in die Hand zweier Ältester, zweier Helfer oder Diener. Im allgemeinen achtete man aber streng auf die Abgrenzung der beiden Bereiche. Wer die Gaben verteilte, sollte nicht zugleich auch die Casse führen. Auch C. David beschrieb 1728 beides für sich: „6. Sind zu der Armen-Cassa, von denen was einkommt, und ausgegeben wird, berechnet werde. 7. Sind Allmosen-Pfleger, die auf die BedürfFtigen Aufsicht haben, zu was sie es anwenden." 219 Hören wir nun aber, wie das Amt der Almosenpfleger inhaltlich gefaßt war. Zinzendorfs Ämterinstruktion ordnete für die Almosenpflege folgendes an: „Diaconia oder Amt Dieses Amt bekümmert sich nidit eigentlich um die Lehren, noch um das Leben und Wandel insonderheit, sondern es sucht nur die Handreichung denenjenigen zu thun, die zu der Zahl der Gemeine Gottes gehören, nach Acta 6. cap. v. 1 seq. Der es hat, thut sich um nach eines jeglichen Umständen, ob man Krancke, Arme, schwache, blöde, kleinmüthige, heimlich Leidende oder sonst auf andere Art Hülfsbedürftige in der Gemeine habe; meldet solches dem Prediger 220 , nachdem es genau erforschet, und suchet in allem die Hand zu bieten; entweder selbst mit gutem Rath und Hilfe oder mit Vorspruch u. Samlung leiblicher Hülfe. Von diesem wird erfordert 1. Muß er um göttl. Weisheit bitten 2. nidit leichtgläubig seyn 3. jedoch barmhertzig, und der mancherley menschlichen Beschaffenheit und Nothdurften kundig zu werden suchen 4. fleißig Hauß-Besuch halten 5. Alle Klagen anhören, aber allemahl untersuchen 6. im Austheilen des Einkomens sehr fürsichtig und unpartheyisch seyn 7. nicht nur helfen, sondern so zu helfen suchen, daß einem auch gerathen sey." 221 21» in der Wiedergabe durch P. Regent, Unpartheyische Nachricht (1729), S. 27 ff. 2 2 0 Damit könnte, wenn die Instruktion wirklidi noch auf 1725 zurückgeht, Pfarrer Rothe gemeint sein. Der Prediger der späteren Verfassung hat diese Bedeutung wohl nicht mehr gehabt. Dann stünde an dieser Stelle eher: Gemeinhelfer. 2 2 1 R 6 Aa 15, 6a, nur in fünf Abschriften, zusammen mit Ermahnen, Aufsicht, Übung der Barmhertzigkeit und Weissagung. Wir sprachen schon beim Dieneramt davon, daß durch den Bezug auf Apg. 6 die Bezeichnung „Diaconia oder A m t " auf die
196
Uber ihr Amt berichtete Christian David: „Ihr Amt besteht darinnen, daß sie auf alle Arme acht haben, wovon sie leben, sie fragen, und ihnen zu ihrer Erhaltung rathen helfen, Arbeit verschaffen und nach Vermögen mittheilen, und wenn sie ihnen nicht wissen zu rathen, solches den Brüdern andeuten, und besonders der Herrschaft, damit ihnen kan an die Hand gegangen werden, und sie nicht dürfen sorgen." 222 Nach der Beschreibung von 1731 hatten sie auch die Aufgabe, darauf zu sehen, „wo von sie sich nehren, ob sie notdürftig sein ob sie heußlich mäßig u. ordentlich mit dem daß sie haben umgehen, was ihnen mangelt, wie ihnen zu hölfen i s t . . ," 223 . Das Ziel dieser Einrichtung ist von Zinzendorf 1732 klar ausgesprochen worden: „Bei der Almosenpflege ist dieses die Absicht, daß eine beständige Gleichheit des Wohlstandes unter allen Einwohnern dadurch erhalten wird, welche alle das Ihrige verlassen und fast nackend und bloß davongegangen, hierselbst aber in größter Stille das Ihre schaffen und sich, obschon kümmerlich, doch genüglich ernähren.. ." 224 Wie waren nun die Brüder beschaffen, die für das Amt in Frage kamen? C . D a v i d beschrieb sie 1730: „Zu Allmosen-Pflegern sind solche genommen, die eine unparteyliche und erbarmende Liebe haben, die aber auch häuslich und Marthen seyn." 225 1731 wird uns etwas von der Art ihrer Amtsführung gesagt: „dieße haben ein Jeder seine besondere häußer, auf welche sie achtung zu geben haben, u. dieße sind wieder zu den allmoßen Pflegern gewießen... Dieße halten auch wöchentlich eine Conferentz, wie den armen Nach Proportzion gleich gegeben werde, auch um sich nach dem Vermögen unßerer Kaße, daß Gott dargereichet, im außgeben zu richten, u. über die Caße der gemeine rechnung zu thun." 223 Setzen wir hier gleich daneben, was wir über die Cassenhalter erfahren: „Die zu Cassen-Haltern genommen werden, müssen ein gut Zeugniß haben, daß sie treu und redlich seyn, von allen Brüdern." 225 „Die, welche über die Armen-Casse gesetzt sind, derer ihr Amt ist, daß sie nur alles berechnen, was einkommt, und was ausgegeben wird. Es sind ihrer Armenpflege angewandt wurde. 1725 wird sie zunächst unter dem Amt des „Austheilens und Fürsorgens" geordnet gewesen sein. 222 C. D. Beschr. Druds, S. 21. 223 D. gl. Br. 1731, R 6 A a 22, 1, S. 36. 224 Spangenberg, Schlußschrift, S. 417 f., zit. n. Uttd. A-H., S. 115. Zinzendorf fuhr fort: „wobei noch diese remarkable Verfassung ist, daß, wenn sich ja ein Unkraut unter dem guten Weizen fände, welches nicht arbeiten und sich redlich nähren wollte, dabei aber doch um der Frau und Kinder willen Mitleiden verdient, solchen dennoch bei Verlust der Schutzuntertänigkeit fremde Orte zu inkommodieren nicht vergönnet, sondern soldier andern zum Abscheu vielmehr gehalten ist, das Brot vor den Türen zu erbetteln, welches ihm audi sodann nach N o t d u r f t mitgeteilt, aus der Armenkasse hergegen aber nichts gegeben wird." 225 C. D. Beschr. Druck, S. 19.
197
zwey." 2 2 2 Wir hörten vorhin schon im Gemeinratsprotokoll von 1731, daß dem einen davon die Buchführung, dem andern der Schlüssel der Casse anvertraut war. Es sollte alles sauber und geordnet zugehen. Aus den Diarien erfahren wir über die Tätigkeit der Armenpfleger wenig genug. Oben haben wir im Zusammenhang mit der Gliederung in die Herkunftsgemeinen das Wichtigste aus dem Jahr 1728 genannt. Am 22.1.1731 wurde erwähnt, daß Martin Dober und der Zimmermann Nitzschmann zu Almosenpflegern gesetzt wurden, und am 5. 3.1731 gar, daß Dober, Zinzendorf selbst und die Gräfin den Almosenpflegern wohl als Mit-Almosenpfleger zugeordnet wurden 226 . Daß der Lehrer Dober und der Ermahner Nitzschmann dieses Amt übernehmen sollten, zeigt uns, welchen Wert man ihm zumaß, beide waren ja auch einmal Oberälteste. Und daß der Graf und die Gräfin ausdrücklich mitbeteiligt waren, beleuchtet die große Verantwortung, die damit verbunden war, und welches Gewicht der Graf auf die geordnete Armenversorgung legte. David Nitzschmann und Martin Dober waren 1728 die beiden Cassenhalter gewesen, sie nahmen also eine ihnen vertraute Tätigkeit wieder auf. Die beiden ersten Almosenpfleger Georg Nitzschmann, der Tischler, und Andreas Beyer waren zugleidi auch unter den 12 ersten Ältesten zu finden, Nitzschmann sogar unter den Oberältesten. Mag dies an kleinen Hinweisen genügen. Aus den geringen Bemerkungen der Diarien über dieses Amt mag man ersehen, daß es zur allgemeinen Zufriedenheit ausgeübt wurde. Zu tun gab es genug dabei, das zeigen uns die vielfachen Hinweise darauf, daß die Armencasse in Tätigkeit trat. Aber davon soll dann mehr im Zusammenhang mit dem Dienst an den hilfsbedürftigen Gliedern der Gemeine (Kap. 4 В 1) berichtet werden. Hören wir als Zusammenfassung nur noch auf das, was Zinzendorf den Almosenpflegern im Eventualtestament 1738 mitzugeben hatte: „Die Almosen-Pfleger haben sich um nichts zu bekümmern, als daß der Zustand der Häuser und Personen, und die Wege, wie einem jeden voraus oder einzuhelffen recht erkannt, und nach desselben Einsicht Leuten geschenket oder geliehen oder entzogen werde, nachdem es die Sache erfordert. Sie haben auch die gantze Gemeine in dem Geist der Willigkeit und Milde zu erhalten, und in dem Sinne, daß Geben besser als Nehmen ist." 227 Diese letzte Aufgabe wird von ihnen ebensoviel Weisheit gefordert haben wie das gerechte Austeilen der wenigen vorhandenen Mittel. Daß Zinzendorf die Erhaltung der Gemeine „im Geist der Willigkeit und Milde" aber als Aufgabe des Amtes nannte, ist uns für unsere Fragestellung wichtig. Wer eine besondere Form des Dienstes in der Gemeine verkörpert, hat mit dafür zu sorgen, daß die Grundlagen seines Dienstes erase Η . Diar., 22. 1. 1731 und 5. 3. 1731; vgl. das Protokoll des Gemeinrats (R 6 A a 25) vom 22. 1. 1731 (s. Anm. 218). 227 Theol. Bedenken, S. 176.
198
halten bleiben, nämlich das gegenseitige Dienen der Glieder untereinander und damit die Bereitschaft, ihm die Hände zu füllen, damit er instand gesetzt wird, im Auftrag der Gemeine zu helfen.
c) Die Krankenwärter und der Gemeinarzt War von den Almosenpflegern kaum, so ist von den Krankenwärtern um so öfter in den Diarien dieser Jahre die Rede. Wir können uns deshalb ein klares Bild davon machen, wie dieses Amt aufgefaßt und durchgeführt wurde. An sich ist der Aufgabenbereich ja deutlich umrissen. Leicht war die Krankenpflege zu damaliger Zeit bei dem mangelnden Platz in den Häusern und den schlechten hygienischen Verhältnissen jedenfalls nicht. Nicht jeder Einwohner Herrnhuts hatte sein eigenes Bett. Gedrängt hat sich auch niemand zu diesem Amt, fiel aber das Los auf einen, dann übernahm er es im Gehorsam. Spangenberg notierte über die umfangreiche Aufgabe sehr kurz: „Zur Krankenpflege wurden, in den verschiedenen Abtheilungen der Gemeine, gewisse Brüder und Schwestern bestellt. Man nahm dazu solche Personen, die den armen Kranken umsonst zu dienen vermögend waren." 228 Von der ersten Ämtersetzung unter Rothe 1725 an war das Amt vorhanden. Es fand seine wichtige Stellung schon in den Statuten des Jahres 1727. Die beiden Punkte aus dem „Brüderlichen Verein und Willkür" seien hier noch einmal wiederholt: „27. Es sollen sich gewisse Brüder in Verleugnung aus Liebe dargeben, die mit Krank- oder Schwachheit befallenen Mitglieder zu besuchen, ihre Pfleg und Wartung zu besorgen und nach Gelegenheit selbst zu verrichten. Es soll auch, solange ihnen Gott einen Arzt gönnet, der ein Bruder ist, ein jeder Einwohner von Herrnhut, der sich unsrer Krankenwartung und Vorsorge bedienen will, seine Schwachheiten und Zufälle ihm, ehe er einen andern um Rat fraget, bald anfangs melden, und seinem treuen Rat folgen, kein andrer aber, der das Werk nicht verstehet, durch verwegene Kuren sich an seines Nächsten Leibe vergreifen. 28. Die Kranken sollen den Krankenwärtern beiderlei Geschlechts bald anfänglich angezeiget, und was der Arzt und sie alsdann verordnen werden, sowohl von dem Kranken aus Gehorsam, als von denen, die um ihn sind aus Liebe wohl in acht genommen werden." 229 In diesem Sinne wurde dann gehandelt. Das Herrnhuter Diarium meldet 3 Krankenwärter und 2 Krankenwärterinnen bereits am 24. Mai 1727. Die „Wehl. Direction" vom Frühjahr 1728 nennt uns auch einige Namen: 228 Spangenberg, Zinzendorf, S. 448; vgl. zum Ganzen das in Kap. 4 В 2, S. 274 ff. Ergänzte. 22β Müller, Zinzendorf als Erneuerer, S. 113 f.
199
David Nitzschmann, Hans Nitzschmann, Tobias Friedrich; auf weiblicher Seite wechseln die Namen: Fr. Imigin und Ane Lene Nitzschmann, Catharina Elis. Heintzschelin und Judith Jagin230. Sie waren wohl ständig für die Gesamtgemeine eingesetzt. Erst später kam es durch das Anwachsen Herrnhuts zur Einteilung auf die Wochentage. Ihnen mag diese alte Instruktion gegeben worden sein: „Übung der Barmhertzigkeit Wir sehen aus dem Zusammenhang der gantzen Rede des Apostels (Bezug auf Römer 12, 8): daß die Ausübung der Barmhertzigkeit etwas anderes als Geben und Versorgen sey, weil es ins besondere heißt: es soll mit Lust geschehen. Denn die Natur ist zu nichts weniger aufgelegt (willig), als Krancken beyzustehen, zumalen in langwierigen, ekelhaften und mancherley Gefahr drohenden Unbequemlichkeiten. Es ist aber diese Pflicht bey den Kindern Gottes eine der nothwendigsten. Man muß dabey sonderlich 1. daß es mit Lust geschehe, 2. daß es keinen bösen Schein gebe, wahrnehmen, daher Manns-Leute ihres gleichen und Weibs-Leute auch ihrem Geschlechte solche Liebes-Dienste erzeigen müßen, dem Artzte muß von eines jeden Zustande fleißig gemeldet werden, der Besuch sehr oft vorgenommen, die Artzeney, wenn einer zumahl keine Verwandten hat, ordentlich gegeben, allerley Erquickungen und (Rath) für die Notleidenden ersucht, ihnen hertzlich zugesprochen, mit dem Diacono und Lehrer231 fleißige Abrede zur leibl. u. geistl. Verpflegung (Pflege) des Krancken genomen, allerley fürhabende Liebes-Dienste selber verrichtet werden, sie seyn so wiederwärtig als sie wollen, wen es (sie) von andern nicht eben so gerne, so gut und nützlich als von uns geschehen kan. U. von diesem Guten sind auch die nicht ausgeschloßen, welche nicht Brüder sind, damit sie dadurch gewonen u. gebessert werden, doch komt dieses letztere auf Treue (Trieb!) und Erkenntniß des Predigers an (vgl. Anm. 220). Sonst muß, der dieses Amt hat 1. sehr munter und achtsahm (rathsam 1 Ms.) 2. selbst eben nicht kranck u. elend 3. demüthig u. barmhertzig 4. unermüdet seyn 5. zu allen Gefahren unerschrocken 6. mehr mit Gebet und Glauben, als Artzney helfen." 232 230 R 6 Aa 18, l a u. b; in Handschrift l a : Fr. Imigin, Ane Lene N . , sonst: C. El. Heintzschelin u. J. Jagin. 231 Hiermit sind wohl die Ämter der Ämterordnung, nämlidi des Almosenpflegers (Diacono) und des Lehrers ( = Seelsorgers) gemeint. 232 R 6 Aa 15, 6a nur in 5 Abschriften zusammen mit anderen Instruktionen; vgl. Anm. 221. In einzelnen Worten weichen die Abschriften voneinander ab.
200
Christian David beschrieb nun ihre tatsächliche Amtsführung: „Zu Kranckenwärtern wurden hertzhafte u. muntere Brüder genomen, derrer audi Sieben sein, u. auch ein Jeder seinen besonderen Tag hat233, ihr ambt u. beruf ist alle Krancken u. mangelhaften zu warten u. Pflegen, ihre Kranckheit, sich recht erKundigen, dem verordneten medicus alles fein umständlich u. zu rechter Zeit ansagen, auf daß verhalten u. den gebrauch, der artzneyen fleißig acht haben, die nöthige handleystung Nach seiner Bedürfniß fleißig Bey Tag u. Nacht üben, in Zwischen mit ihm, von seinem Seellen Zustand reden, auß der bibel ihm waß vorleßen, u. ihn Immer auf die ErKantnüß seines Ellendts und auf den dabey habenden Zweck Gottes hinweißen, sie haben auch wöchentlich ihre Conferentz u. untereden sich mit dem Medicus, von Ursachen der Kranckheit, von würckungen der artzneyen u. von der Beschafenheit deß gantzen menschlichen Cörpers." 234 In der gedruckten Beschreibung heißt es: „hauptsächlich aber ist die Unterredung von ihrem Seelen Zustand, und was GOtt darunter vorhabe" 235 . Uns ist bei dieser Beschreibung wichtig, daß selbst bei diesem Amte, das doch der Leibsorge gewidmet war, das seelsorgerliche Ziel der ganzen Gemeinarbeit nie aus dem Auge verloren wurde. Die innerliche Gesundung hatte dem Krankenwärter ebenso am Herzen zu liegen wie die leibliche Genesung. Wen nahm man zu diesem Amte? Spangenberg gab uns als Kennzeichen an: „Man nahm dazu solche Personen, die den armen Kranken umsonst zu dienen vermögend waren." 228 Das ist nun nicht so zu verstehen, als wären nur begüterte Brüder und Schwestern dazu ersehen worden, sondern doch wohl mehr in dem Sinne, daß die Betreffenden den Dienst tun konnten, ohne damit ihren täglichen nötigen Broterwerb spürbar zu hindern. So finden wir unter den Krankenwärtern von 1727 an wiederholt Tobias Friedrich, den „Registrator" des Grafen. Der Leineweber David Nitzschmann war 1728 dabei, er wurde am 23.2.1728 in der Helferversammlung „zum Krankenwärter der jungen Leute ge macht"236. Zinzendorf sagte über ihn im April 1728: „Jetzt, da das Handwerk der Leineweberei sehr liegt, ist er ins Grafen Diensten u. zugl. Krankenwärter in der Gemeine."237 So wird Zinzendorf die beiden zum nötigen Krankendienst immer wieder abgestellt haben. Der dritte in der „Welti. Direction" genannte Hanß Nitzschmann wird den Dienst haben 238
Diener.
234 C. D., D. gl. Br. 1731, R 6 Aa 22, 1, S. 35 f. 235 C. D. Besdir. Druck, S. 33. азе H . Diar., 23. 2. 1728. 237 R 6 Aa 16, 1 (Spezification d. n. Jena gehend. Schriften) Nr. 68. Er scheint in den Abschriften der „Wehl. Direction" erst hinzugefügt worden zu sein. Zinzendorfs Original R 6 Aa 18, la nennt nur Tobias Friedrich und Hans Nitzschmann.
201
tun können, weil er wirklich eher dazu in der Lage war als andere. Zinzendorf kennzeichnete ihn: „Johan Nitzschman (der Lange) ein reicher Mann aus Mähren" 238 . Die Zahl der Krankenwärter stieg nun. Die Höchstzahl scheint um 1730/31 erreicht worden zu sein: jeder Wochentag war auf Brüder- und Schwesternseite mit einem Pfleger besetzt. Wir erfahren noch mehr über die Träger des Amtes. Christian David beschrieb sie 1729/30 so: „Zu Krancken-Wärtern sind solche genommen, die hertzhaftig, frisch und fröhliches Gemüths sind, und die Natur und Artzney verstehen." 289 Das wird dann wohl auch für die Genannten gegolten haben und auch für die, die 1728/29 aufgezählt wurden: neben Tobias Friedrich Melchior Zeißberger, Georg Behnisch, Hans Töltzschig und der Leineweber Hans Raschke240. Von ihnen waren Tobias Friedrich (Hausmeister), Georg Behnisch (audi Böhnisch, Heiduck) und Joh. Töltzschig (Ziergärtner) in gräflichen Diensten. Zimmermann Zeißberger und seine Frau waren 1729 beide Krankenwärter. Von ihnen heißt es bei C. David: „der Jesum von ganzem Herzen fürchtet und kenet, hat ein stilles Wesen an sich u. ist ein gesetzter Mann". Sie „hat einen munteren Geist, ist im Guten sehr willig, u. ist sehr brauchbar". Sie war zugleich Dienerin241. 1731 geschah nach dem Diarium eine Ämterergänzung. Dort steht am 5. 3.: „Es wurde ferner publiciert, daß sowol unter den Brr n als Schw. vorjetzo eine gesegnete Einrichtung wegen der Ämter gemacht wäre, daß nämlich die Ältesten zu den Mitkrankenwärtern gesetzt hätten: H. Kriegelstein u. die Frau Heintsdielin." Verwunderlich ist dies deshalb, weil Kriegelstein doch schon als Medicus ständig mit den Krankenwärtern zu tun hatte. Frau Heintschel muß ihrerseits auch persönliche Erfahrung für das Amt mitgebracht haben242. Schauen wir uns bei diesem Amte nun noch etwas in den Diarien um; dies lohnt sich insofern, als über die Tätigkeit der Krankenwärter wiederholt Eintragungen gemacht wurden 243 . Offensichtlich stand sie besonders im Blickpunkt des allgemeinen Interesses und erfuhr öfter Veränderungen in der Besetzung. Im Oktober 1727 erfahren wir einiges: 11. Okt.: „Wir haben immer Gemütskranke in unserm Lazareth." 288 R 6 A a 16, 1, N r . 4 9 der Spezification. « β C. D. Beschr. Druck, S. 19. 240 R 6 A a 16, 4 / 2 4 , vgl. Beil. 3 ; zu Raschke vgl. R 6 A a 16, 1, N r . 32. 241 C. David an Heitz, R 24, В 68, S. 179 ff. N r . 37 und 9a. 242 H . Diar. 5. 3 . 1 7 3 1 . Ober Kriegelstein als Gemeinarzt s. S. 207 f. Fr. Heint(z)sdiel war 1728 bereits mit der Gräfin, Fr. v. Watteville und Fr. Scheffer Helferin, muß somit unter den Schwestern eine führende Stellung gehabt haben. 248 Alles H . Diar. beim angegebenen Datum.
202
16. Okt.: „Der Registrator Tobias Friedrich war Krankenwärter und übte sein Amt bei diesem Menschen (ein tödlich Kranker) u. an dem sogenanten Miserere (?) darniederliegenden treulich." 25. Okt.: „Mit den Krankenwärtern wurde ausführl. u. ernst gesprochen . . . Die in unserem Lazareth befindlichen Gemütskranken waren sehr ungezogen." Das „Lazareth" muß eine Krankenstube, wahrscheinlich im Waisenhaus, gewesen sein. Am 2. Febr. 1728 heißt es: „Melch. Nitschmann u. Dober wachten bei N . Imig, welches die letzte Nacht war." Also wurden in besonderen Fällen auch andere zur Krankenwache eingesetzt; hier waren es zwei Älteste, wohl weil die seelsorgerliche Situation bei einem Sterbenden es erforderte. Uber die Art der Amtsübernahme erfahren wir etwas am 16. und 23. Februar 1728. 16. Febr.: „Die Kath. Liese wurde von (Lücke i. Text) zu ihrem Amte eingesegnet; sie konnte sich dabei vor Beugung und Thränen nicht lassen." 23. Febr.: „In der Junghelferinnen Versammlung wurde die Kath. Liese durchs Los auch zur Krankenwärterin. Gn. H . Gr. redeten hierauf mit der Jungfernkrankenwärterin von ihrem Amt, welche versprach, daß sie dies ihr Amt redl. u. ohne Scheu führen wolle." Die Einsegnung am 16.2. bezieht sich wohl auf das Junghelferinnenamt, das Katharina Elisabeth Heintzschel außerdem innegehabt zu haben scheint. Oder wir hören am 4. März 1734 aus Jakob Tills Tagebuch, wie er Krankenwärter wurde: „4. März brachte mir Br. Spangenberg mein Los, das mich ins Waisenhaus als Krankenwärter führte. Mein Sinn u. Mut wurde erneut u. ich gab mich darein, auf Hoffnung, gehorsam zu werden. Der gnädste H . Graf, der mich den zu sich rufen ließ, gab mir einen Spruch, den er mir zu meinem Amte aufgeschlagen hatte: es war eine Losung: ,Man siehet keine Mühe im Jakob pp. 4. Mose 23,21. Das wahre Christentum p p . ' " Eine Einsegnung scheint bei den Krankenwärtern nicht vorgenommen worden zu sein. Vielleicht lag dies am oftmaligen Wechseln des Amtes. Aber ein Wort zur Ermunterung bekam der neue Krankenwärter mit. Man wird auch zusammen gebetet haben. Auch von Nachlässigkeiten ist im Diarium die Rede: 25. März 1928: „Gn. H . Gr. verwiesen dem Tob. Friedrich seine Nachlässigkeit bei Larischen sehr ernst." 2. März 1731: „Ein alter Man, Wollhart, so der einzige in der Gemeine ist, der weder Grund hat noch sucht, wurde von den Krankenwärtern nachlässig besucht, darüber ich (Zinzendorf) einen harten Strauß mit ihnen hielt, den sie gebeugt aufnahmen. Hernach ward er vom Helfer Nitschman besucht, der ihn sehr hart fände." 7. März 1731: „Ich wurde den über einige Nachlässigkeit bei den Kranken niedergebeugt." 203
Den Krankenwärter-Konferenzen hat Zinzendorf stets große Bedeutung zugemessen. Nach der Ämterumbesetzung hieß es am 14.11.1728: „Die Seelen, so sich verbunden die Kranken zu warten, hielten die erste Confz mit vielem Segen." Überhaupt versuchte Zinzendorf die Krankenwärter immer wieder auf ihre seelsorgerliche Aufgabe hinzuweisen. 26. Febr. 1731: „Ich (Zinzendorf) introducirte die Schw. Heintzschel bei den Krankenwärterinen u. redete mit ihnen sehr eindringlich über die unterschiedliche Anfassung der Kranken, u. wie sie sonderl. mit Todkranken deren Zeit natürlich ausgelaufen, oder die durch die Gewalt der Krankheit oft ohne Not u. nur aus Mangel des Glaubens hingerissen würden u. nicht nötig sterben u. beten sollten, weil vor dem Ziel niemand schuldig sei, an einer Krankheit zu sterben, der da glaube er solle noch länger leben, sollten verfahren." 9. März 1731: „Br. Timoth. Fiedler fand ich in herzl. Arbeit; ich informirte ihn u. den Br. Piesch sehr treuherzig zu Ablegung des Ekels u. zum liebgewinnen der unangenehmen Sachen, erzählte ihnen, wie mich ein einzig Speichelauflecken viel geholfen, u. wie ich gleich im Anfange m r Ehe bei einem gewissen 70jährigen alten Man, der an der Lungensucht gestorben, etliche Tag und Nächte Krankenwärterdienste verrichtet, da ich Gelegenheit gehabt, ihm ans Herz zu r e d e n . . . " 1731 scheinen die Nachtwachen bei den Kranken auch die Nachtwächter mit übernommen zu haben, denn am 22. Januar wurde im Gemeinrat besprochen: „Ob die Nachtwächter jedesmal sollen dieselbe Nacht zugleich Krankenwärter sein? Ja." 244 Die Gemeinratsprotokolle der Jahre nach 1730 verraten uns durch die öfter erscheinenden Namenslisten mit auf Wochentage verteilten wechselnden Namen der Krankenwärter, daß diese Art der freiwilligen Krankenpflege in dem Umfange nicht so leicht durchzuführen war 245 . Es ist allerdings anzunehmen, daß hier nur die jeweilige Aufstellung für eine gewisse Zeit bekanntgegeben und zu Protokoll genommen wurde. Doch kam es gerade bei diesem Amte auch vor, daß der eine oder andere es abschlug. Am 20. November 1731 hieß es im Herrnhuter Diarium: „wurde in der früh Betstunde sehr scharf von Anwendung der Gaben u. Widersetzlichkeit gegen die, so sie forderten, geredt. Es machte zieml" Kumer bei denen, so sich bewußt waren, daß sie jemals mit Vorschützung der Untüchtigkeit einige Bedienung der Gem n abgeschlagen hatten; sonderl. bekante es H . Münster in der Betstund, nach derselben etliche. Die Suse Nitschman kam zur Ane Lene, bereute mit Tränen, daß sie vorm Jahr ihr Krankenwärteramt aufgegeben." Doch dürfen wir annehmen, daß die Pflege in der Regel im Gehorsam gegen das Los oder die Ältesten, vor allem aber aus innerer Verantwor244 R 6 Aa 25, 22. 1. 1731.
245 r 6 Aa 25 (bis 1735).
204
tung übernommen wurde. Am 24.12.1730 stand im Gemeinratsprotokoll: „Es fehlte an einem Krankenwärter auf den Son tag, da resolvirte sich freywillig J . Leonhard Dober" (der spätere General-Älteste) 245 . Es ist darum Zinzendorfs Erwägung begreiflich, ob dieses freiwillige Amt nicht in ein bezahltes Berufsamt überführt werden sollte. Er brachte im Gemeinrat am 6. Oktober 1731 vor, „ob man nicht ein oder zwei gewisse Krankenwärter ausmachen solle, die beständig der Sache abwarten sollten; die wollten der Herr Graf speisen, und wenn sie zur Zeit der Wartung etwas versäumen, so soll es ihnen die Gemeine gut tun" 248 . Doch blieb es auch in Zukunft bei dem täglich wechselnden freiwilligen Dienst. 1732 wurde dies von Zinzendorf auch noch einmal ausdrücklich begründet: „Die Krankenwartung ist in nichts von dem, was etwa anderwärts aus christlicher Liebe geschieht, different, als daß man anderwärts die geringsten Leute dazu besoldet und etwa außerdem mit einer alten Weibsperson genugsam versehen achtet, hierselbst aber sowohl alles von wohlhabenden Leuten umsonst bestellt als dem unterschiedenen Sexe (Geschlecht) alle Handreichung durch seinesgleichen getan wird, und ist der Zweck davon, daß, weil unsre Exulanten ihr Brot gerade von Tag zu Tag verdienen können, einer solchen Familie die Ungelegenheit und Hindernis in ihren Berufsgeschäften, welche sie oft lange nach der Genesung nicht verwinden kann, erspart und ein jedes in seiner Ordnung erhalten wird." 2 4 7 Interessant ist die soziale Begründung, daß die Pflege die um die Existenz ringende Familie nicht in Armut stürzen sollte und daß es besonders den Wohlhabenden oblag, den Krankenpflegedienst zu übernehmen. Hierin kommt die Gesinnung des gegenseitigen Dienens besonders schön zum Ausdrude. Mit dem Aufkommen der Chorhäuser ist dann die Krankenpflege mehr und mehr Sache der einzelnen Chöre geworden, die dafür aus ihrer Mitte Krankenwärter erwählten. Hören wir schließlich noch auf das, worin Zinzendorf im Eventualtestament 1738 seine Erfahrungen mit diesem Amt zusammenfaßte; es ist der längste Abschnitt unter den Ämterermahnungen: „Die Krancken-Wärter müssen sehr weißlich zu unterscheiden wissen, was eine leibliche Unpäßlichkeit, oder eine geistliche Kranckheit, Zucht der Liebe, Bewährung des Glaubens, Ziel der Tage, Tod-Sünde, Schwermuth, und Phantasie sey; und sich in einen jeden von diesen Umständen so schicken lernen, wie sie von der Salbung gelehret werden: im übrigen gebrauchen sie sich des Artztes in billiger Ordnung, und haben dieselben und die übrigen Diener der Natur in beständigem Andencken ihres Amts und Gabe, suchen ihnen auch ihren Credit bey den Krancken zu conserviren, 24β R 6 Aa 25, zit. n. Uttd. A-H., S. 122. Spangenberg, Sdilußsdirift, S. 428, zit. n. Uttd. A-H., S. 120.
205
damit nicht aus Leichtsinn, Fürwitz, frühzeitigen Wagen, Ungedult und dergleichen, dem HErrn, der Natur, der Gemeine und denen Umständen Nachtheil entstehe. Sie haben auch weißlich dahin zu sehen, daß die Krancken weder zu wenig noch zu viel Pflege kriegen, und eine jede Unpäßlichkeit etwa nur so lange währe, als es nach Gnade und Natur nöthig ist."248 So hatten die Krankenwärter zwar kein leichtes aber ein wichtiges Amt in der Gemeine. Nur die Bereitschaft zum Dienst aneinander machte es möglich, daß das Amt auf freiwilliger Basis die Jahre hindurch besetzt werden konnte. Wiederholt war schon vom Arzt der Gemeine die Rede, dem die Krankenpflege natürlich besonders aufgetragen war. An ihn waren die Krankenwärter in allen Fragen gewiesen. Er leitete ihre Spezialkonferenzen. Zwei Ärzte waren es, die in unserer Zeit in Herrnhut wirkten und die für die späteren Gemeinärzte das Vorbild gaben: Licentiat Gutbier und Medicus Kriegelstein. Für beide gilt das, was sie zu wirklichen Gemeinärzten machte: sie sahen ihre Arztpflichten nicht nur in der körperlichen Genesung der Patienten erfüllt, sondern achteten darauf, daß sie den Kranken auch seelsorgerlich halfen. Beide haben ihre Patienten, ob arm, ob reich, mit gleicher Sorgfalt behandelt und ihre Tätigkeit nicht um Gewinnes willen ausgeübt, sondern als ein Amt in der Gemeine aufgefaßt. Daneben bekleideten sie auch noch andere Ämter der Gemeine. Lie. Gutbier, geb. 1679, traf mit Zinzendorf 1723 in Schmiedeberg zusammen. Zinzendorf erzählte darüber: „AufF dieser Reise kamen sie nach Schmiedeberg (Zinzendorf, M. Scheffer, Fr. v. Watteville), daselbst war einem Medico nahmens Lie. Gutbier die Frau im Kindbette mit Hinterlassung 6 lebendiger Kinder verstorben und hatte ihn in äußerstem Jammer und Bedrängnis zurückgelassen. Als der Graf dieses hörete, wurde er bewegt und gedachte: Du wilst eine Schul anlegen, wie wenn das der Medicus drinnen wäre."249 So kam er 1723 nach Berthelsdorf-Herrnhut. „Licentiat Johan Christ. Gutbier wurde als Medicus der zukünftigen Anstalt in Dienste genommen und ihme vor 5 seiner Kinder Versorgung verschaffet."250 Er war bald in Berthelsdorf zu Hause, heiratete 1724 wieder, zog 1727 nach Herrnhut und versorgte nun hier nicht nur das Waisenhaus ärztlich, sondern auch die Kranken der Gemeine. Nebenbei unterhielt er eine kleine Apotheke. 248 Theol. Bedenken, S. 175 f. 2 4 9 In: Kurze und authentique Erzehlung von dem ersten Ursprung und Wadisthum des Ortes Herrnhut (von 1726), ZBG 1911, S. 100. 250 in; Kurze Relation von Herrnhut (von 1727), ZBG 1912, S. 46, 1723 N r . 2.
206
Zinzendorf gab ihm 1728 das Zeugnis: „Und dieser Mann ist in etlichen Jahren aus einem hefftigen Welt-Menschen ein so wohl gearteter und treuer Knecht Christi worden, daß ihn der Graf vor einen nützlichen MitGehülffen in Leiblichen und Geistlichen ansiehet, auch die Würkung seiner einfältigen Liebe bey dem gefährlichen Separatismo (wohl 1726) zur Genüge erfahren hat." 251 In den Memoires von 1742 rühmte ihn Zinzendorf auch als Fremdendiener: „Sein Amt, soviel ihm sein Beruff zuliesse, war das Entretien der Fremden, die in die Gemeine kamen, absonderlich wenn es solche waren, wie sie David beschreibt: Sie kommen, daß sie schauen u.s.w."252 Gutbier trennte sich 1728 von der Gemeine, blieb bis 1731 in Sorau, kehrte dann voller Reue nach Herrnhut zurück und blieb schließlich, mit Unterbrechungen, bis an sein Ende 1759 dortiger Gemeinarzt 253 . Medicus Kriegelstein, geb. 1689 in Bautzen, hatte erst Theologie studiert, beschloß aber, wohl weil ihm der geistliche Beruf zu verantwortungsvoll erschien, Arzt zu werden. Er praktizierte in Bautzen. „Im Jahr 1729 wurde er von dem Grafen von Zinzendorf schriftlich ersucht, von Bautzen nach Herrnhut zu komen, um in Abwesenheit des Br. Gutbier einigen Kranken beyzustehen."254 Hier in der Herrnhuter Gemeine fand er aus seinen Zweifeln zum Glauben zurück: „Einfältig ergab er sich dem Heiland ganz, um von nun an ohne einige Ausnahme als ein armer Sünder Sein zu bleiben ewiglich." Er beschloß, in Herrnhut zu bleiben. „Neben seinem Dienst bey den Kranken in Herrnhut fing er auch an Arzneyen zu verfertigen, setzte den kleinen Anfang fort, der zur Herrnhutischen Apotheke war gemacht worden, u. wurde bald darauf als ordentlicher Gemein-Arzt angestellt. So wie er in der Gnade und Erkentniß Jesu Christi u. seiner selbst weitere Fortschritte machte, wurde er auch ein brauchbarer Diener der Gemeine. Den ledigen Brüdern wurde er als Mitarbeiter vor-
251 In: Geschichte d. verb, vier Brüder (von 1728), ZBG 1912, S. 99. 252 ZBG 1913, S. 184. Das Zitat ist Ps. 41,7, ergänze: „und meinens doch nicht von hertzen: sondern suchen etwas, daß sie lästern mögen, gehen hin, und tragens aus." (Cansteinsche Bibel, 1736). Uber Gutbier erzählte Zinzendorf in den Memoires vorher, wie ihn die Gnade ergriff: „Da war dieser muntere, behertzte und gerade Mann auf einmal mit der Lehre des Kreuzes so innig verbunden, daß er sie auf eine sothane muntere, behertzte und gerade Arth an den Mann brachte, die ihm auswärts viel Verdruss und Feindschafft, doch aber auch dem Heilande und seiner Sache Ehre machte, in der Gemeine aber von allen, die des Herrn Wege verstunden, als ein besonders höchstnöthiges Ingrediens ins Ganze bewundert, geehrt und werth geachtet wurde." ZBG 1913, S. 184. 253 Vgl. Bediler, Herrnhut, S. 67. Dort noch weitere Angaben. 254 Lebenslauf Kriegelsteins in der Sammlung der Lebensläufe von Schweinitz, R 22 Nr. 129b, Bd. II, S. 105. Vgl. den ganzen erschütternden Lebenslauf S. 103 ff., in veränderter Form abgedruckt im Brüderboten 1879, S. 82 ff. und danach Bechler, 200 Jahre ärztliche Missionsarbeit, S. 32 ff.
207
gesetzt."255 So hatte Kriegelstein bald einen festen Platz im Dienst der Gemeine. Besonders ernst nahm er die Seelsorge an den ihm anvertrauten Kranken. „In Absicht auf seine Patienten stand er in einem genauen Verständniß u. Umgang mit dem Heiland, daher er oft bestirnt wußte, ob ein Kranker heimgehen oder genesen werde. Ueberhaupt hatte er bey seinen Kuren die Herzens-Situation seiner Patienten zum Augenmerk, war oft zugleich ihr Beichtvater, u. wußte gut zu unterscheiden, ob jemand aus Zucht vom Herrn oder nach dem gewöhnlichen Lauf der Natur krank sey." Bei schweren Krankheiten beriet er sich auch mit anderen Ärzten, „sah aber dabey doch vornehmlich auf den eigentlichen Arzt Leibes u. der Seele, dessen Diener er war, u. mit dem er sich jederzeit vertraulich u. gläubig über sein ganzes Dienstgeschäft besprach." Er wollte dabei finanziell nicht besser gestellt sein als die andern Brüder: „Für alle seine Mühe nahm er von den Kranken durch die Bank nichts, sondern begnügte sich mit seinem u. seiner Familie nothdürftigen Unterhalt." Wie Gutbier war er wohl vom Grafen für das Waisenhaus angestellt. Um 1734 „fing er auch an, den Krankenwärtern u. denen auf Missionsposten bestirnten Brüdern einen praktischen medicinisdien Unterricht zu ertheilen; ein gleiches that er audi auf Seiten der Schwestern"256. Die wöchentliche Konferenz mit den Krankenwärtern gehörte aber wohl immer schon zu den Aufgaben des Gemeinarztes. Das Herrnhuter Diarium von 1731 nennt Kriegelsteins Namen oft. Ein Wunder wird am 20.4.1731 erwähnt, „so der Herr an einer 14 Wochen krank gelegenen Person durch Kriegelsteins Glauben in einem Augenblick gethan hat, wodurch dieselbe leiblich u. geistl. gesund worden". Am 19.6.31 spricht das Diarium von der wirksamen Seelsorge Kriegelsteins an Gerichtsdirektor G. Marche. 1738 wurde er mit seiner Frau nach Livland gesandt, um in der dortigen Arbeit mitzuhelfen, war dann noch andernorts tätig und sollte 1747 die Leitung des Werkes in Livland übernehmen. Noch im gleichen Jahr wurde er dort aber mit einem andern Bruder zusammen gefangen gesetzt. Nach 12jähriger Gefangenschaft wurde er 1759 endlich von Petersburg nach dem russischen Ort Kasan entlassen, wo er noch kurze Zeit als stark gesuchter Arzt und Seelsorger wirken konnte. Er starb dort im Dezember 1760257. 255 Alle Zitate Lebenslauf R 22 Nr. 129b, Bd. II, S. 108 f. Im Brüderboten 1879 heißt es falsch wiedergegeben: „wo er audi durch eigenhändige Bereitung von Arzneien, um den Geschwistern billiger helfen zu können, den Grund zu der späteren Apotheke legte" (S. 84). Bediler, der sich an diesen Wortlaut hielt, mußte darum ausdrücklich anmerken: „Lic Gutbier hatte eine solche schon ins Leben gerufen, s. meine Ortsgeschichte von Herrnhut S. 67". (in: 200 Jahre ärztliche Missionsarbeit, S. 33, Anm. 33). 25« Alle Zitate Lebenslauf R 22 Nr. 129b, Bd. II, S. 110 ff. 257 Vgl. Lebensläufe und Bechler, 200 Jahre ärztliche Missionsarbeit, S. 33 ff.
208
So mag die Beschreibung, die auf einer Konferenz von einem „GemeinMedico" gegeben wurde, besonders die Tätigkeit dieser beiden ersten Ärzte Herrnhuts vor Augen gehabt haben: „Ein wahrer Gemeinarzt, der die Wichtigkeit seines Amtes verstehet, hat einmal aus Gnaden ein weiches und mitleidiges Herz gegen seine Brüder und Schwestern bekommen. Er hat mit Beschämung glauben lernen: ,Was du thust dem geringsten unter meinen Brüdern, das thust du mir'; dies ist wie ein Feuer in ihn gefahren; dies bleibt sein Trost und seine Belohnung durch sein ganzes Leben; dies macht seinen Gang leicht und selig. Das beschämt ihn, bey jedem grossen Gedanken, und richtet ihn auf, wenn sein Herz über viele Gebrechen und Menschlichkeiten weint. Das Gefühl seiner Mangelhaftigkeit und das Bewußtseyn von der Größe seiner Bestimmung, läßt ihn den ganzen Tag auf nichts anders denken, als wie er seine Seele in der Hand tragen, und seinen Faden nicht verlieren möge. Sobald er erwacht, denkt er mit mitleidigem Herzen an seine Kranken, empfiehlt sie und sich ihrem Herrn und dieser Rapport währet den ganzen Tag durch und ist unzertrennlich. Er denkt, reflectirt, liest, notirt, so viel ihm Zeit übrig bleibet, doch alles dieses mit beständiger Rücksicht auf Ihn. Dabey vergisst er sich und sein Haus. Der Arzt und der Kranke müssen die vertrautesten und besten Freunde seyn und sich mit einer Zärtlichkeit freuen, wenn sie einander sehen. Das bringt die Natur der Sache mit sich. Die Arbeiter des Orts müssen sich eine Freude, ja einen Gottesdienst daraus machen, dem Gemeinarzt unter die Arme zu greifen und seine Anstalten, soviel es möglich ist, zum Besten der Kranken auszuführen. Geht der Arzt gedrückt einher, so leidet das Ganze; Es sind Seine (des Heilands) Kranke, Seine Geliebte." 258 Gemeinärzte und Krankenwärter sorgten jedenfalls gemeinsam dafür, daß in Herrnhut kein Kranker unversorgt blieb, und übten die Pflege mit ganzem Einsatz ihrer Person. Es wird zu gleicher Zeit schwer ein Ort zu finden sein, an dem die medizinische Versorgung der Bewohner in gleich guter Weise organisiert war wie im alten Herrnhut. Die Beteiligung vieler Brüder und Schwestern an der Krankenbetreuung zeigt die Art und Weise, wie man sich gegenseitig zu dienen bereit war, und gab die Möglichkeit, neben der medizinischen Versorgung der Kranken seelsorgerliche Hilfe zu leisten.
II. D i e Ä m t e r d e r
Schwestern
„Weil aber bey unß in denen Besonderen Verrichtungen, u. dienstfertigkeiten, die Schwestern, von den Brüdern gantz unterschieden sein, so 258 Zit. im Synodal-Verlaß 1769 (Marienborn), N B V R 2 No. 2, S. 197 f. Die Schilderung wird dort eingeleitet: „Folgende Beschreibung, die einer unsrer Medicorum von
209
haben sie audi unter sich, fast gleich wie die Brüder, ihre Besondere ämbter, theils umb den bößen schein zu vermeyden, theils umb sich beßer Bauen zu können Errichtet", so schrieb Christian David „Dennen glaubigen Brüdern" 173125". Daß auch die Schwestern ihre Ämterordnung bekamen, war Erbe der Rotheschen Ämtersetzung von 17252eo. Der Anlaß war damals und zu der von uns jetzt betrachteten Zeit ein seelsorgerlicher. Zinzendorf hatte die Erfahrung gemacht, daß eine Seelsorge vom Mann zur Frau immer belastet ist mit mancherlei Spannungen 261 . Also ordnete man eigene Ämter für die Schwestern und ging damit einen guten Weg. Darum bemerkte Christian David, nachdem er die verschiedenen Ämter beschrieben hatte: „Und dieses sind die Aemter unter den Schwestern, die sie zum gemeinen Nutzen und Erbauung unter sich errichtet haben, damit aller böser Schein zwischen Brüdern und Schwestern wegen des Umgangs in Ansehung des Unterrichts vermieden möchte werden, und nichts nachtheiliges zu befürchten sey, und doch der Zwedk ihrer Erbauung auch erreicht werden könne unter dieser Ordnung." 262 Die „apostolische" Ordnung: „Einer Frau gestatte idi nicht, daß sie lehre..." (1. Tim. 2,12) sollte aber nidit durchbrochen werden263. In der großen Gemeinversammlung haben anfangs die Frauen kaum geredet; die Lehrerinnen hatten auch keine Versammlungen zu leiten, in denen etwa Männer anwesend gewesen wären. Ihre Ämter bezogen sich ausschließlich auf das weibliche Geschlecht, allerdings eben auch so stark, daß den Brüdern alle persönliche Seelsorge bei den Schwestern, bis auf einzelne Ausnahmen, besonders Zinzendorf, verwehrt war. Später traten die Schwestern stärker hervor, z.B. wünschte Zinzendorf 1753, daß sie die Singstunde halten sollten264. Die einzelnen Ämter waren ähnlich geprägt wie die behandelten der Brüder; natürlich fielen alle äußeren Leitungsaufgaben für die Schwestern fort. Ihre Ämter waren sämtlich von vornherein seelsorgerlich ausgerichtet. einem Gemein-Medico gegeben, stellet den Charakter desselben ins rechte Licht." So stammen die Worte also von einem Arzt und zeigen das Selbstverständnis seines Amtes. Wären sie von Zinzendorf gesprochen worden, wie Bechler vermutet (200 Jahre ärztliche Missionsarbeit, S. 15), so wäre dies im Synodal-Verlaß sicher vermerkt worden. as» D. gl. Br. 1731, R 6 Aa 22, 1, S. 36. 2βο Siehe Abschnitt A 2, S. 126 ff. Zum Ganzen vgl. Uttendörfer, Frauen, S. 20 ff.: „Die Ämter der Sdiwestern". 2βι Vgl. Reichel, Anfänge Herrnhuts, S. 162. 2«2 c . D. Beschr. Druck, S. 30. 288 Zinzendorf hat sich oft zur Stellung der Frau in der Gemeine geäußert; vgl. Uttendörfer, Frauen, Abschnitt 3: „Zinzendorfs Urteil über die Rechte und Ämter der Schwestern", S. 36 ff. Uber das Lehren der Frauen sprach Zinzendorf besonders auf dem Gothaer Synodus 1740 (Uttendörfer, Frauen, S. 49 ff.). 284 Uttendörfer, Frauen, S. 53.
210
Wenn wir die Ämter jetzt im einzelnen noch einmal durchgehen, so wollen wir nur das beschreiben, was über die Ämter der Brüder hinaus bemerkenswert ist; vor allem wollen wir aber auf die Namen der Schwestern achten, die die Ämter innehatten. Über das Amt der Bandenhalterin braudien wir hier nicht gesondert zu sprechen, da die Lehrerinnen vor allem für die Leitung der Banden in Frage kamen. Über das Amt der Almosenpflegerin haben wir unter den Ämtern der Brüder schon einiges gesagt. Die Nachrichten sind auch so spärlich, daß wir hier auf eine besondere Beschreibung verzichten können. So bleibt uns noch etwas zu berichten über die Ältestinnen, die Helferinnen, die Lehrerinnen, die Aufseherinnen, die Ermahnerinnen, die Dienerinnen und die Krankenwärterinnen. 1. Die
Ältestinnen
Das Ältestinnenamt scheint wesentlich später eingeführt worden zu sein als das männliche Vorbild. Das Diarium berichtet uns, daß am 1.11. 1728 der Beschluß dazu gefaßt wurde, der am 15.11. dann zur Ausführung kam. Allerdings muß der Plan dazu schon lange bestanden haben, denn in der „Ersten Gemeineinrichtung" erscheint unter der Bandenaufstellung („Brüderl. Associationen zum geistln Zweck") unter Dienstag die Bande der Gräfin mit 8 Namen, die den Zusatz tragen „Welches die Ältestinnen unter den Weibern sind"265. Auf dem Schriftstück „PrivatÄmter aufs Winter Theil" vom Herbst 1728 erscheinen dann 10 Namen: „Zu Aeltestinnen sind im Vorschlage die Fr. Gräfin die Fr. Licentiatin die Fr. Heintzschelin die Fr. Imigin Anne Lene Nitschmannin die ölßnerin die Judith Jagin die Anna Neißerin die Goldin die Zeisbergerin."2®8 Hier begegnen uns, wenn man so sprechen darf, die Namen der führenden Frauen dieser Jahre in Herrnhut, die immer wieder unter den verschiedensten Ämtern auftauchen, natürlich ergänzt durch eine ganze Reihe anderer. Christian David meldete in seiner Beschreibung 1729 gar 12 Ältestinnen: „Auch seyn wie bei den Brüdern 4 durchs Loos zu Ober-Ältestinnen erwehlt." 297 Also werden die Obengenannten wirklich in das Amt eingesetzt worden sein, einige andere Schwestern waren dazugekommen. Daß das Ältestenamt erst im November 1728 auf weiblicher Seite eingeführt wurde, mag damit zusammengehangen haben, daß sich in dieser Zeit auch beim männlichen Ältestenamt die Wendung von der weltlichen Leitungsfunktion zum mehr seelsorgerlichen Amt vollzog. Damit war es auch auf weiblicher Seite nötig. Interessant ist dann aber, daß man noch bei der großen Zahl von 12 Ältestinnen geblieben ist. »» R 6 Aa 18, lb, vgl. Beil. 2. 2·« R 6 Aa 16, 4/24, vgl. Beil. 3.
287
211
C. D. Livland 1729, R 6 Aa 22,2.
Indessen bestand die Einrichtung in dieser Form nicht lange. 1730 war dann nur noch Anna Nitschmann Älteste der Frauen und Mädchen. Ihr standen Frau Christina Doberin und Frau Judith Fiedlerin zur Seite 268 . Zinzendorf begründete die Umstellung 1750 im Rückblick sehr drastisch, vielleicht im 20jährigen Abstand etwas überzeichnet: „Die damaligen Ältesten und die zwölf Ältestinnen Herrnhuts waren großenteils schlechte Leute, und was die Weiber betrifft, entweder zu vornehm oder zu gescheut oder zu dumm, so daß nach damaliger Beschaffenheit Herrnhut nicht lange hätte bestehen können." 269 Die junge Anna Nitschmann erhielt mehr und mehr das Vertrauen der Gemeine und blieb dann die Älteste sogar über die Veränderung des General-Ältestenamtes 1741 hinaus. Ihr Amt war von Anfang an ein rein geistlich-priesterliches, allerdings mit größten Vollmachten begabtes. Zinzendorf berichtete über sie 1730 im Brief an die Erbprinzessin von Dänemark: „Anna Nitschmannin ein besonderes Werckzeug göttlicher Gnade, sonst eine Wollspinnerin u. Mägdlein von 15 Jahren ist eine derer allerersten Seelen, welche allhier ergriffen u. zu Gott gezogen w o r d e n . . . da denn ihr Zunehmen tägl. gewesen ist u. diese gel. Schwester endl. eine Arbeiterin fast an allen Seelen von ihrem Alter gewesen, aber anno 1730 . . . traf auf sie das loß die 2te Älteste der gantzen Gemeine derer herrnhutischen Schwestern zu werden. Sie strahlt mit einem göttl" Lichte in ihrer Einfalt lebt ohne Tadel u. in großer Demuth." 2 7 0 Christina Dober war des Töpfers Martin Dobers Frau. Zinzendorf berichtete über sie: „ . . . sie ist nicht nur eine Älteste, sondern auch eine Lehrerin unter denen Weibern, deren sie eine ziemliche Anzahl unter ihrer sanften Aufsicht hat. Sie redet außer Noth fast gar nichts, ist dabey fleißig in ihrem Beruff, zieml. aufgeweckt, und wurde jüngsthin, da man etl. Personen zur besonderen Fortführung und Rathgebung bey denen übrigen gesamten Schwestern bestellte wegen ihrer großen Weißheit mit dazu erwählet." 2703 Das Urteil über Judith Fiedlerin hören wir bei den Aufseherinnen. 288 R 20 С 3c, N o . 88. 2 6 9 Am 15. März 1750, zit. bei Uttendörfer, Frauen, S. 21. Die Spezification Zinzendorfs vom Januar 1730 (R 6 Aa 21b/l) nennt die Namen der 12 Ältestinnen kurz vor der Umgestaltung (den jeweils dazugesetzten Geburtsnamen der sämtlich verheirateten Frauen lassen wir hier fort): Frau Elisabet Heintzschelin, Anna Helena Nitzschmannin, Eva Maria Imigin, Judit Rohlederin, Anna Zeißbergerin, Anna Neißerin, Martha Neißerin, Christine Doberin, Catharina Riedelin, Catharina Goldin, Susanna Quittin, Rosina Nitzschmannin. 2 7 0 R 20 С 3c, 88a; Anna Nitschmann wurde am 24. 11. 1715 geboren (nach Sterberegister Herrnhut). 270a R 6 Aa 21b/l u. 3, N o . 14. Die Überschrift und Einleitung dieser Liste der Herrnhuter Frauen lautet: „Spezification aller Personen weiblichen Geschlechts, welche in der Herrnhuth wohnhaft, und Mägde Jesu Christi sind, theils nach ihren unter sich habenden geistlichen Ämtern theils nach der N o . ihrer Wohnungen abgetheilet, samt
212
2. Die Helferinnen Neben den 3 Ältestinnen nannte Zinzendorf der Erbprinzessin 6 Mithelferinnen, nämlich „Fr. Heintschelin, Anna Helene (Nitschmann) und Rosina Nitschmannin, Judith Rohlederin, Anna Rosina Kneschkin u. meine Gemahlin", welche sich mit den Ältestinnen „der Seelenumstände ihrer sämtl. Mitschwestern annehmen und ihre Lebensart dirigieren, damit sich keine Mannesperson außer Erfordern darein mengen dürffe, und man desto gewißer seyn könne, daß die von den Gemeinen Christi gewöhnl. Lästerreden, bei uns ohnfehlbar nicht zutreffen, auch keinen Schein für sich haben."2®8 Zinzendorfs Frau, die unter den Helferinnen genannt wird, hat hier sicherlich die führende Rolle gespielt, galt sie doch, solange Zinzendorf das Vorsteheramt innehatte, als Vorsteherin für die Schwestern. Christian David sagte noch 1729/30 von ihr: „und wie die Brüder von dem Herrn Grafen geführet werden, also werden die Schwestern von der Frau Gräfin geführet" 271 . Er schrieb 1729 an Heitz: „das was der H. Graf unter den Männern ist, das ist die Frau Gräfin unter den Weibern. Sie stehen einander sehr bei. Es hat die Frau Gfin eine besondere Gabe zu prüfen. Sie gibt sich viel Mühe im Umbgang mit den Schwn. Sie beweisen sich beide gegen Gott u. Menschen als Diener u. Haushalter über Seine Geheimnisse."272 1730 war sie nun also, wie er, unter den Helfern zu finden und wird das Amt stark mitgeprägt haben. Von 1732 an war sie nach dem Güterkauf auch noch Ortsherrschaft geworden und damit regierende Obrigkeit273. Anna Helena Nitzschmann, geb. Anders, Frau des Leinewebers David Nitzschmann, gab Zinzendorf in seinen Memoires ein schönes Zeugnis: „eine Viehmagd aus Berthelsdorf arm, kränklich und unbehülflich, aber die erste Seele, welche in dem neugekaufften Gut Christo gewonnen worden . . . Der Herr theilete dieser Person solche Gaben in allen Theilen einer kurtzen Beschreibung ihrer Bekehrung, Führung und gegenwärtigen GemüthsBesdiaffenheit von den Jahren 1729—30. Geschlossen am 19. January." (R 6 Aa 2 1 b / l ) Das Verzeichnis war für die Erbprinzessin von Dänemark bestimmt. г " C . D. Besdir. Druck, S. 29. 272 R 24, В 68, S. 179 ff., N r . 3 7 ; vgl. R 6 Aa 2 1 b / l : „Die Direction derer sämtlichen Gottliebenden Weibs Personen in Herrnhut führen, Frau Erdmuth Dorothea Gräfin von Zinzendorff, gebohrene Reussin, Gräfin von Plauen." 273 Vgl. dazu Zinzendorfs Äußerung auf dem Gothaer Synodus am 17. 6. 1740 (zit. n. Uttendörfer, Frauen, S. 3 4 ) : „Die Obrigkeit in Herrnhut ist die Frau Gräfin, und die behält die Pflege in allen Stücken bei der Gemeine und an allen Orten. Die Könige sollen seine Pfleger und Fürstinnen deine Säugammen sein. Ein König ist hoc sensu ein jeder großer Herr, der viel Vermögen hat. Wenn der sich nun ganz mit allem, was er hat zum Dienst der Gemeine hingibt, so ist er ein Pfleger der Gemeine und die Königin eine Säugamme . . . Nun ist's die Frau Gräfin. Solche Pfleger und Säugammen müssen in der Gemeine Respekt haben und audi behalten, wenn sie sidi gleich herunterlassen."
213
mit, vornehmlidi aber eine solche Weisheit mit Seelen umzugehen, einen solchen unermüdeten Fleis, ein so unerhörtes Glück, dass sie in kurzer Zeit mehr Seelen ihres Geschlechts vor das Lamm gewonnen, als mans von dem begabtesten öffentlichen Lehrer erwarten könnte . . . Sie arbeitete von 1724 bis 1733 und sie war eine Haupt Person bei der neuen Gemeine."274 Sie war übrigens Oberältestin bis zur Umgestaltung des Amtes. Christian David schrieb über sie an Heitz: „Sie hat ganz ungemeine Gaben u. große Einsichten in die geheimen Wege Gottes, eine sehr starke Vernunft u. Erkenntnis die Geister zu prüfen. Sie ist sehr gesetzt u. langsam in Sachen, die von Wichtigkeit sein. Sie arbeitet sehr in der Gemeine an den Schwestern." 275 Ausführlich wird im Herrnhuter Diarium davon berichtet, wie Judith Haberland 1731 zur Junghelferin berufen wurde. Da das Gesagte sicherlich auch auf das Helferamt allgemein bezogen werden kann und uns überhaupt über eine Amtsbesetzung informiert, sei es hier wiedergegeben: Unter dem 6. März 1731 wird von Zinzendorf erzählt: „endl. hatte ich eine besondere Confz mit der Ältestin Nitsdiman über den Zustand ihrer Gemeine, da wir den vor nötig funden, noch eine Helferin unter ihnen zu setzen. Die 1. Schw. Nitschman brachte dazu in Vorschlag: die Rosina Hauerin, die Judith u. Juliane Haberlandin; u. nachdem sie es dem Herrn für sich allein in ringendem Gebet vorgetragen, fiel das Los auf die 1. Schw. Judith Haberlandin, welche den mit Freunden dazu angenomen werden konte." Am 7. März heißt es dann weiter: „Ich wurde den über einige Nachlässigkeit bei den Kranken wieder (nieder?) gebeugt, richtete indessen doch das teuere Geschäfte bei der Judith Haberlandin mit der Anna Nitschman aus, welche ihr den Segen des Herrn kräftig dazu mitteilte. Es war ungemein zu sehen, mit was vor einem Geist diese Magd des Herrn in dem Augenblick angezogen wurde, da ihr dieses Amt gegeben wurde. Es wurde ihr dabei gesagt: Nun würde sie der Schuhhader aller Schw11, nun würde sie ein Object meiner äußersten Härte u. continuirlichen Zucht über allen Kleinigkeiten. Ihr würde nichts passiren, sie müßte aber alles zum Besten deuten, was ihr widerführe. Sie nahm es mit gebeugter Freude sehr herzl. an, u. ging den wieder zu ihrem Waschfaß, die Älteste an ihr Wollrad, u. ich zur Vollendung des angefangenen weitläuftigen Briefes... Abends vollendete ich die Instruction der Schw. J u d i t h . . . mit vielem Segen."278 Judith sollte also Helferin in Anna Nitschmanns Classe der Jungfern sein. Schon am 15.11.1728, als die Ältestinnen gewählt wurden, wurden 274
ZBG 1913, S. 182 f.; 1725 war sie Krankenwärterin. 1729, R 24, В 68, S. 179 ff., Nr. 13a. 276 H. Diar., 6. u. 7. 3. 1731. Der enge Zusammenhang mit dem Ärger über die Krankenwärter führte Uttendörfer (A-H., S. 122) zu dem Irrtum, J. Haberland wäre Krankenwärterin gewesen. 275
214
14 Helferinnen für die Landsdiaftsgemeinen eingesetzt 277 . Wir haben damit in dieser Gliederungsform bereits das Amt vor uns, das später (s. oben) in der Classen-(Chor-)Helferin für die verschiedenen Classen (Chöre) wieder erschien. 3. Die Lehrerinnen In ihrem Amte können wir eigentlich das Amt der Bandenhalterinnen erkennen, allerdings wurde durch den Titel „Lehrerin" besonders das Lehrhafte in ihrer Tätigkeit betont. C . D a v i d berichtete über sie am ausführlichsten: „Zum 1. haben sie auch unter sich ihre Lehrerinnen, die entweder zu den Schwestern hingehen in ihre Wohnungen, oder lassen sie zu sich kommen. Dieses sind gemeiniglich solche Seelen, die in die Gemeinschaft sollen aufgenommen w e r d e n . . . Diese werden von den Lehrerinnen unterrichtet, und so lange sie nicht werden vor tüchtig erkant, so lange werden sie auch nicht in die genaue Gemeinschaft aufgenommen und zum heiligen Abendmahl gelassen. Zum andern haben auch die Lehrerinnen die Schul-Mägdgen unter sich, die sie so wohl im Lesen und Schreiben lernen, als auch in der Lehre von der Gottseligkeit Christo JEsu unterrichten: das ist so das Amt der Lehrerinnen. Aber in der Gemeine schweigen sie: ausgenommen bey der Confirmation der Mägdgen, wenn sie der Gemeine vorgestellet und befragt werden über ihren Grund der Hoffnung, den sie geben sollen, sonst dürfen sie nicht lehren." 278 Als Begründung für das Lehramt der Frauen unter ihresgleichen wird auf Titus 2,3 ff. verwiesen: „eine Lehrerin nach Tit 2 ν. 3, die die Sorge andere ihresgleichen im Wort zu unterrichten über sich hat" 2 7 8 . Dort Ältestinnenversammlung am 15. 11.1728 (R 6 Aa 25, 1/3): „Die Helferinnen: In der Sehlisdien Gemeine Susana Quittin In der Zauditenthalisdien Gemeine Ana Helena Nitsdimanin u. Ana Friedridiin In der Kuhnewalder Gemeine Judith Jagin u. ? Piesdiin In der Senftlebischen Gemeine die Christ. Davidin In der Schönauischen Gemeine die Münsterin In der Seibtendorff u. ? Mährisdien Gemeine die Gotthart Demuthin In der böhmischen die Augustin Leupoldin In der Oderwitzisdien (?) Gemeine Ane Marie Kühnelin In der Henersdorfer Gemeine die ölßnerin Α. M. Paulin In der Gemeine der Fremden Fr. Elisabeth Heintsdielin, Fr. Eva Maria Imigin." » 8 C. D. Besdir. Druck, S. 29 f. 2 7 9 R 6 Aa 21, b, 1. Wir bringen im Text den Wortlaut der Cansteinschen Bibel von 1736. Zinzendorf übersetzte (v. 3—5): „Den alten frauen deßgleichen, daß sie sich allezeit ankleiden sollen, wie man in den tempel gehen könte, keine klatsdiereyen machen, sich nicht mit stardien getränck einlassen, gute lehren geben, damit sie die
215
steht, daß Titus den „alten weibern" gebieten soll: „daß sie sidi stellen, wie den heiligen ziemet, nicht lästerinnen seyn, nicht weinsäufferinnen, gute lehrerinnen, daß sie die jungen weiber lehren züchtig seyn, ihre männer lieben, kinder lieben, sittig seyn, keusch, häuslich, gütig, ihren männern unterthan, auf daß nicht das wort GOttes verlästert werde." (V. 3 if.) Am erwähnten 15. November 1728 wurde eine große Zahl Schwestern als Lehrerinnen genannt. Die Aufzählung ihrer Namen geschah mit ausdrücklichem Hinweis auf ihre Tätigkeit in den Banden: „Es sind aber die Lehrerinnen... unter den Weibern die Gräfin v. Zinzendorf Dienstags wie audi tägl. Anne Lene Nitschmannin Freytags Rosina Nitschmannin Sonnabends Fr. Lie. Gutbier Montags Fr. Immigin Mittwochs Ana Neißerin Donnerstags unter den jungen Weibern Susanna Quittin unter den Jungfern Ana Quittin Dienstags Rosina Wagnerin Montags unter den kleinen Jungfern Rosina Münsterin Bey den mädgen Charlotte von Seydewitz Donnerstags Susane Kühnelin Mittwochs Juliane Quittin Freytags Hanna v. Sydewitz Sonnabends."280 Insgesamt kommt die stattliche Zahl von 14 Lehrerinnen zusammen. Die 4 Mädchen am Schluß und die zugegebenen Wochentage kennzeichnen sie deutlich als Bandenhalterinnen. Vergleicht man die Namen mit denen der „Ersten Gemeineinrichtung" vom Frühjahr 1728, so fällt auf, daß sie dieselben geblieben sind. Sogar die Tage, an denen sie ihre Banden versammelten, waren dieselben. Audi die Gräfin, die im Frühjahr noch nidit unter den Lehrerinnen aufgeführt war, hat den Dienstag als Versammlungstag ihrer Bande behalten. Nach der Aufstellung von 1727/28 sammelte sie darin alle als Lehrerinnen bezeichneten Schwestern. Sie werden „die Ältestinnen unter den Weibern" genannt. Vielleicht ist dies hier im Sinne von Banden- oder Classen-Ältestinnen zu verstehen281. Auch von den Brüdern waren die meisten Lehrer geblieben, während andere Ämter stark wechjungen weiber mit guter art ihre manner und kinder lieben lernen, deßgleidien bescheiden seyn, keusch, häußlich, fromm, ihren männern unterthänig, daß ja die lehre GOttes nicht verlästert werde." (NT, 2. Edition,vom Jahr 1746). — Audi G. Arnold wies in der „Ersten Liebe" S. 228 u . a . auf Titus 2 , 3 hin: „da er (Paulus) haben will, daß die alten weiber sollen gute lehrerinn seyn, und die jungen weiber lehren. Womit er ihnen das wort der ermahnung zu hause zulasse, daß sie die andern lehren sollen, was gut ist, es seye nun die lehre zur gottseligkeit, oder andere gute sitten (Chrysost.)" 280 R 6 Aa 25, 1/3. 281 R 6 Aa 18, lb, vgl. Beil. 2.
216
selten. Offensichtlich verlangte das Lehramt, auch im Blick auf die Leitung der Banden, größere Stetigkeit. Im Brief Zinzendorfs von 1730 an die Prinzessin von Dänemark wurden Fr. Immigin, Rosina Nitschmannin und Anne Helene Nitschmannin immer noch für dieselben Wochentage als Bandenleiterinnen genannt. Wir sehen daraus, welche Stetigkeit in der Einrichtung der Banden steckte. Dazu gekommen waren Fr. Heintschelin, Christina Doberin, Timoth. Fiedlerin (Judith), Catharina Riedelin und, selbstverständlich, die Waisenmutter Judith Rohlederin 282 . Beobachteten wir bei den Helferinnen im November 1728 eine Aufgliederung nach den Herkunftsgemeinen, so zeigt sich hier bei den Lehrerinnen ebenso wie bei den Aufseherinnen und Ermahnerinnen eine Aufteilung auf die verschiedenen Altersklassen (die späteren Chöre). „Zu genauer Observanz des Lebens und Wandels aller, die sich unter den Weibspersonen zu Christo bekennen, sind sie in Weiber, Witwen, Jungfrauen, Mädchen, mittlere und kleine Kinder abgeteilt...", schrieb Zinzendorf an die Erbprinzessin282. Die Banden waren nach dieser Ordnung gruppiert. So kam es zu der großen Zahl von Lehrerinnen. Hier gab die Gliederung das Maß der benötigten Ämter an. Ob die Gaben dem immer entsprochen haben? Bei einzelnen wohl doch, dies geht aus ihren Charakteristiken hervor. Von Frau Christina Doberin hörten wir schon unter den Ältestinnen, von der Gräfin und Anne Helene Nitschmannin unter den Helferinnen. Von Eva Maria Immig wußte Zinzendorf, wohl 1730, folgendes zu berichten: „Nach ihres Mannes Todte ward sie in herrschaftl. Dienste als Wartfrau des Graf Christian Renati genommen, u. nahm dergestalt von Tag zu Tage in der Kraft Jesu Christi und in einem solchen brennenden Eyfer nach den Seelen zu, daß man wohl sagen kan: der H . habe ihr große Menge zur Beute gegeben. Es ist sonst keine Wittbe die Gott in Herrnhuth ergriffen, welche nicht ihren Dienst erkandt, u. wo unter den Weibern ein hartes Gemüth übrig ist, das schenkt ihr Gott." Auch Fremde, Zittauer, kamen zu ihr nach Herrnhut, „welche sich ihrer Seelen Pflege anvertrauen, wobey sie in beständiger Einkehr und Demuth bleibet, sie ist eine Frau von 34 Jahren, u. eine Lehrerin in der Gemeine"283. Sie wurde 1740 Spangenbergs Frau und seine Gehilfin beim schweren Missionswerk in Amerika 284 . In Herrnhut hat sie als Witwe besonders mit 282 R 20 С 3c, N o . 88. „. . . die Weiber haben folgende Banden: Mont. keine (Fr. Gutbier befand sich nicht mehr in Herrnhut). Dienstags bei der Fr. Heintschelin. Mittwochs bei der Immigin und Christina Doberin. Donerstags bei der Catharina Riedeln und Timoth. Fiedlerin. Freitags bei der Anne Helene Nitschmannin. Sonnabends bei der Judith Rohlederin und Rosina Nitschmannin." 283 An die Erbprinzessin v. Dänemark. — R 6 Aa 21a, S. 13. C. David bezeichnete sie als „Ausgeberin" im gräfl. Haushalt; R 24 В 68, S. 179 ff., Nr. 37. 284 Reichel, Spangenberg, S. 126.
217
den Witwen zu tun gehabt. C. David nannte sie „eine ernstlidie und auf- ' richtige Seele". Von Judith Rohleder schrieb C. David an Heitz, sie sei „unermüdet an den Mädchen u. in großem Segen"285. Uber Rosina Nitschmann hören wir etwas bei den Ermahnerinnen.
4. Die
Aufseherinnen
„Diejenigen nun, so unter der gemeinsamen Ordnung sind, haben einige Aufseherinnen, welche in den unterschiedl. Classen (denn eine jede hat ihre völlige Einrichtung für sich) acht geben, die gleichsam Augen des Leibes sind, das es recht zugehe."288 Im Frühjahr 1728 waren es 5 Schwestern, in der folgenden Zeit scheint es dann bei 7 bis 8 geblieben zu sein. Die Namen wechseln. Eine von ihnen war Judith Fiedler, Frau des Leinewebers Timoth. Fiedler, der sich 1730 als Bote der Gemeine in Livland befand: „eine Wollspinnerin, u. muntere Magd Christi..."; am Thomastag 1728 „faßte sie den Tapferen Sdiluß Christum über alles zu lieben und allein u. ihren Willen völlig a u f z u o p f e r n . . . von dem an gehet sie unverrückt fort, weiß von nichts als Jesu, verläugnet um seinet willen alles bey ihren sehr jungen J a h r e n . . . sie hat in der Gemeine die Ämter einer Dienerin u. Aufseherin unter ihresgleichen." Wir fanden sie audi unter den Ältestinnen und Lehrerinnen genannt. Von Rosina Pisch (od. Piesch), „Georg Pischens, eines gottseligen Schusters Eheweib", berichtete Zinzendorf: „eine Wollspinnerin u. Aufseherin in der Gemeine"; sie wurde beim Abendmahl im August 1727 erweckt; „im Winter bemerkten Jahres (27/28) von der Stunde an, ist sie in der Liebe treu geblieben, bis auf diesen Tag wandelt allen zum Exempel.. ,"287. 5. Die
Ermahnerinnen
„Sie haben andre welche sie, im fall von denen Aufseherinnen (die wol Gabe zu richten, aber nicht allemal zu beßern haben) vielerley angebracht wird, mit sanftmüthigem Geiste zurechte helfen", sagte Zinzendorf über ihr Amt286. Auch ihre Zahl war mit der verfeinerten Aufgliederung der Gemeine von 4 auf 8 gestiegen (1728/29)288. Unter ihnen befand sich „Martha, Augustin Neißers Ehefrau". Sie „ist 285 R 24 В 68, S. 179 ff. Nr. 37 u. 38. 28β R 20 С 3c, No. 88; Zdf. a. d. Erbprinzessin. 287 R 6 Aa 21b/3, No. 12 u. 9. Rosina Pisdi war im Winter 1727/28 vor eine „Conferenz der Ältesten" gefordert worden, „da s i e . . . sehr ernstl. und hart erinert worden, zur völligen Beugung und Zersdimeltzung ihres Sinnes komen" (No. 9). 288 R 6 Aa 18, lb u. R 6 Aa 16, 4/24 (vgl. Beilagen). 218
zu der Zeit der großen Erweckung zu Berthoisdorf genomen ( = gewonnen?) u. ergriffen worden. Im vergangenen Jahre aber ist sie zum Durchbruch komen, da von dem geistl. Kampf und Siege continuirl. geredet, und gezeuget worden. Sie wandelt Einfältig mit Gott, ohne den geringsten Anstoß, ist treu verschwiegen, eine Älteste, Ermahnerin, und dem äußern nach eine Wollspinnerin" 280 . Auch Rosina Nitzschmann, geb. Schindler, Frau des Zimmermanns David Nitzsdimann, wurde von Zinzendorf als Ermahnerin bezeichnet. Zugleich war sie „Älteste u. Helferin in der Weibergemeine". Sie „ist vor 4 Jahren (1726?) bey einer großen Erweckung gewiß worden daß ihr Barmherzigkeit wiederfahren sey versiegelt aber ist sie worden im Winter 1727. ( . . . bey der Fr. G r ä f i n . . . einstmals eine Nacht im Gebet u. Wachen geblieben... gleichsam ertrunken in der Gottheit.)" 290 Wir kennen sie audi als langjährige Lehrerin. Die Erwähnung ihres Ältestinnenamtes muß sich bei beiden auf die Zeit vor der Umgestaltung des Ältestinnenamtes 1730 beziehen. 6. Die Dienerinnen „Sie haben endlich 7 Dienerinnen, welche sich der fremden WeibsPersonen, welche zu uns komen, anehmen, der ankörnenden exulantinnen Ihre Wohnung, Speise u. Kleidung, Lager u. Decke verschaffen, auch die Arbeit u. Hanthierungen der Schwestern einrichten, und befördern, denen fremden zu Anhörung des Wortes und Genuß anderer Erbauung beförderlich seyn", schrieb Zinzendorf nach Dänemark 288 . Natürlich ist vieles vom männlichen Dieneramt hier nicht zu finden. Besonders lag f ü r die Frauen der Ton auf der Fremdenbetreuung. Dies war, wie schon gesagt, ein wichtiger Dienst an den nach Herrnhut kommenden Besuchern. Schön ist der Zug, daß ankommende Exulantinnen sofort von ihresgleichen in Empfang genommen und schwesterlich betreut wurden. Aber auch das Amt der Saaldienerinnen war vorhanden. Schwestern mußten ja bei großen Liebesmahlen unter ihren Classen aufwarten. Darum kam auch die Bezeichnung vor „eine Dienerin oder Aufwärterin bey den Versamlungen" 291 . Judith Fiedler wurde von Zinzendorf als Dienerin genannt, Rosina Nitzsdimann und Catharina Riedel, die Frau des Maurers, waren es 1728. Frau Riedel wurde 1728/29 Älteste und Aufseherin. Auch Marianne (Mariana), die Ehefrau des Messerschmieds Wenzel Neüßer (Neißer), war einmal Dienerin (1728/29). Sie „ist eine stille, eingekehrte, redliche Schwester die zwar nicht weiter ist, als daß sie ihren Sinn geändert und Christo 28» Spezification R 6 Aa 21b/3, No. 18. 2»o R 6 Aa 21b/3, No. 16.
291 R 6 Aa 21b/l.
219
zugewandt hat, die aber in seiner täglichen Arbeit stehet, und nicht wird gelaßen werden, biß ihr der H . thue alles, was Er ihr geredet hat", berichtete Zinzendorf über sie292. Und über Frau Cath. Elisabeth Friedrich, geb. Heintschel, Frau des Hausmeisters Tobias Friedrich, die im Winter 1728/29 ebenfalls Dienerin war, schrieb C. David an Heitz: „Seine Frau ist stille zu Gott, der ihr hilft. In der Gemeine eine Zierde, unter den Schwestern in Segen."293 Die 7-Zahl erklärt sich wohl auch bei den Schwestern daraus, daß für jeden Tag eine Dienerin zum Dienst eingesetzt war. Hier verhielt es sich ebenso wie bei den Krankenwärterinnen, von denen wir schließlich noch zu sprechen haben. 7. Die
Krankenwärterinnen
„Sie haben 7 Krankenwärterinnen, weldie einen Tag um den andern die kranken Weibsleute (Bekehrte u. unbekehrte) warten und pflegen"294. Zinzendorf betonte also bei diesem Amt, daß es über die Begrenzung derer, „so unter der gemeinsamen Ordnung sind", hinausreichte. Wir haben über die Tätigkeit der Krankenwärter genügend unter den männlichen Ämtern gesprochen. Die Dinge lagen hier auf weiblicher Seite natürlich ganz ähnlich. Über die Dienerin und Krankenwärterin Anna Zeißberger, Melchior Zeißbergers Frau, urteilte C. David: sie „hat einen munteren Geist, ist im Guten sehr willig, u. ist sehr brauchbar" 295 . Unter den Krankenwärterinnen nannte Zinzendorf der Erbprinzessin auch noch die Frau des Krämers Johann Neißer (Neußer), Rosina, und schrieb von ihr: Sie „ist nach einem langgeführten tugendhaften Leben endl. am vergangenen Somer zu einer lebendigen Kraft komen, denn es sind ihr die Worte sehr eingedrungen: So jemand will des Willen thun, der wird inne werden, ob die Lehre von Gott sey: Sie sagte Ihr gantzes Bestreben gehe in Christi Tod und allem abzusagen, daß sie habe, Ihr sey alles ein Greuel, aber der gn. liebeswille ihres Vaters nicht"29®. Er grüßte die dänische Prinzessin außerdem von „Rosina Matthes Fritsches Maurers Eheweib, eine Krandienwärterin, in welchem Amt sie alle Treue beweist, ist am 2. Febr. 1729 zum Durchbruch k o m e n . . . " Sie grüßte mit: „Wer ein rechter Christ will sein, Gott dienen allein, müsse ritterlich im Streit kämpfen allezeit"297. Mag dies an Beispielen genügen. Vielleicht ist es ganz instruktiv, die Ämterhäufung bei einzelnen und den öfteren Wechsel der übernommenen 292 293 294 295
R 6 Aa 21b/l, No. 21. R 24 В 68, S. 179 ff., Nr. 37; vgl. R 6 Aa 26/60Б. R 20 С 3c, No. 88. 2ββ R 6 Aa 21b/l, No. 20. R 24 В 68, S. 179 ff., Nr. 9a. 2»? R 6 Aa 21b/3, No. 3.
220
Dienste an einigen Namen darzustellen. Man nahm die Ämter, es wurde ja gelost, für eine Zeitlang gehorsam aus Gottes Hand, übte sie aus und gab das eine oder andere weiter, wenn einem das Los ein neues zuteilte. Z . B . war Rosina Nitzschmann im Frühjahr 1728 Dienerin, in der Ältestenbande, Lehrerin und Ermahnerin. Am 15.11.1728 wurde sie als Lehrerin und Dienerin genannt. Zinzendorf bezeichnete sie 1730 als Älteste, Ermahnerin und Helferin in der Weibergemeine. Ihr Name erscheint aber auch unter den Lehrerinnen. Oder die Anna Neißer wurde 1728 in der „Ersten Gemeineinrichtung" als Lehrerin, Aufseherin und Mitglied der Ältestinnenbande der Gräfin genannt; im Winter 1728/29 war sie Älteste, Lehrerin (d. h. hatte eine eigene Bande) und Ermahnerin. Frau Eva Maria Immig war im Frühjahr 1728 Krankenwärterin und Lehrerin. Auch sie gehörte zur Ältestinnenbande. Im November 1728 wurde sie dann Älteste, Lehrerin (einer Bande), Helferin der Gemeine der Fremden und Aufseherin. Lehrerin war sie auch 1730 noch. Frau Susanna Quitt war 1728 im Frühjahr Ermahnerin und wurde zum Winter Ober-Älteste (durchs Los), Lehrerin unter den jungen Weibern, Helferin in der Sehlischen Gemeine und, nach einer anderen Liste, auch noch Dienerin. Nach Zinzendorfs Brief nach Dänemark 1730 war sie Ermahnerin 298 . So könnte man bei einer Reihe von Schwestern fortfahren. Wir sehen daraus eine große Dienstwilligkeit, die besonders bei den eben geschilderten Ämterhäufungen stark beansprucht wurde. Nicht ohne Absicht haben wir darum Zinzendorfs völlig im Geist des Pietismus verfaßte Beschreibungen wiedergegeben. Denn nur in der geistlichen Erweckung zur Hingabe an den Herrn und Heiland ist der Grund zu solcher Dienstbereitschaft zu suchen. Für diese Dienstwilligkeit gibt der Rückblick auf das Jahr 1734 noch ein eindrückliches Zeugnis im Bericht über die letzten Wochen im Leben der Anne Helena Nitzschmann. Aus ihm wird ersichtlich, daß man jeden Auftrag, der einem übertragen wurde, wenn irgend möglich, auch erfüllte. Es gab keine Bewertung nach hohen oder geringen Ämtern. Es ging immer um den Dienst, der getan werden sollte. „Die selige Anne Lene war tödlich krank u. wollte doch ihrer Ordnung nach einen Monat lang Dienerin sein. Ihr wurde im Glauben durch die Gemde anbefohlen, gesund zu werden. Sie wurde es, ging die ganze Zeit ihres Dienstes, da lauter stürmisches Wetter war, u. ihr Zustand nichts weniger leiden konnte, als dieses, überall herum. Nach diesem wurde sie wieder krank. Man loste, ob sie solle glauben oder leiden? Die Antwort fiel: Leiden! Sie litt und starb." 299 298 Vgl. dazu die verschiedenen Listen: R 6 Aa 18, l b ; R 6 Aa 16, 4/24 (Beil. 2 u. 3), R 6 Aa 25, 1/3 v. 15. 11. 1728; R 6 Aa 21a u. b. 299 H. Diar. beim 31. 12. 1734, vom 15. 1. 1735.
221
Abschließend sei zu den Ämtern der Schwestern noch gesagt, daß gerade die Beauftragung mit einem festen Dienst die Mitarbeit der Fau in der Gemeine stark gefördert haben muß. Zwar begegnen uns unter den Trägerinnen der Ämter immer wieder dieselben Namen; aber die so in die Mitverantwortung hineingewachsenen Schwestern bildeten ein tragendes Element im Leben der Gemeine. Die Ehepaare standen oft gemeinsam im Dienst. Das Beispiel der verschiedenen Frauen im Dienst der Gemeine wird auf viele ermunternd gewirkt haben, gleichen einsatzbereiten Dienst zu üben. III.Besondere Dienste Unter diesem Begriff wollen wir noch zusammenfassen, was an Diensten nicht ausgesprochen zu den Ämtern der Ämterordnung gerechnet werden kann. Es handelt sich um einen Dienst, der jeweils für einen Tag übernommen wurde, nämlich das Besuchen der Brüder und Schwestern in ihren Häusern, um mit ihnen über die Tageslosung zu sprechen, dann um den Dienst des regelmäßigen Gebetes, wie ihn die Stundenbeter täglich für eine Stunde übernahmen, und schließlich um den Einsatz der musikalischen Gaben im Dienst der Gemeine. Es waren dies alles Dienste, die von den sich dafür eignenden Brüdern und Schwestern ausgeübt wurden ohne Rücksicht auf andere von ihnen versehene Ämter.
1. Der tägliche Besuch als geordneter
Dienst
Der Beginn des täglichen Besuches in den Herrnhuter Häusern gehört in den Zusammenhang mit dem Anfang der täglichen Losungen. Wir müssen deshalb hier auch von ihnen sprechen. In der„Samlung der Loosungs-und Text-Büchlein der Brüder-Gemeine von 1731 bis 1761" heißt es über den Beginn in der Vorrede: „Man fand aber bey den Anfängen der Gemeine in Herrnhut einen täglichen HausBesuch unumgänglich nöthig. Diesen in Gang zu bringen und desto realer zu machen, fand der Ordinarius für gut, für jeden Tag der Woche einen Spruch oder Vers aus Liedern aufzuschreiben."800 Dieses Losungswort hat Zinzendorf vom 3. Mai 1728 ab in der Singstunde für den nächsten Tag ausgegeben und erklärt, damit es die Brüder und Schwestern zum Bedenken mit nach Hause nehmen konnten. Die erste solcher Losungen hieß: „Liebe hat Ihn hergetrieben, Liebe riß Ihn von dem Thron, und ich solte Ihn nicht lieben?" Es handelte sich in der Ansoo Barby 1762; Erster Band, Vorrede, S. 10 (eig. Zählung). Vgl. zum Ganzen auch H. Renkewitz, Die Losungen.
222
fangszeit um Bibelsprüdie oder Liedverse, ζ. T. von Zinzendorf selbst®01. Am nächsten Morgen besuchte dann ein Bruder alle Häuser, um die Geschwister an das Losungswort zu erinnern, seelsorgerliche Gespräche mit ihnen darüber zu führen oder auch nur eine Ermahnung anzuknüpfen. Im Jahre 1729 war die Regelung so: „Man that alle für das Jahr aus der Bibel oder aus Liedern genommene Stellen, die der Gemeine zur Lehre, zur Warnung, zum Tröste, zur Erinnerung, zur Bestrafung, und zur Besserung dienen konten, zusammen in ein Kästgen. Aus dieser Samlung zog einer von den Gemeinältesten des Abends die Loosung für den folgenden Tag, und gab sie dem Bruder, welcher an demselben den Besuch hatte. Dieser trug sie in der Gemeine von Haus zu Haus herum. Und diese besuchenden Brüder merkten zugleich auf alle Umstände eines jeglichen Hauses und brachten Abends den Aeltesten Nachricht davon." 802 So ähnlich berichtet es uns auch die Vorrede zur „Samlung der Loosungs-... Büchlein" von 1762, in einigen Einzelheiten allerdings etwas anders: Die aufgeschriebenen Sprüche oder Liedverse „wurden in ein Schächteigen einzeln zusammen gewikkelt geleget und dem Ältesten der Gemeine übergeben. Der Bruder, der denselbigen Tag besuchen solte, fand sich allemal zuerst bey demselben ein, welcher ihn einen von den Zetteln heraus nehmen ließ, mit welchem der Besucher die ganze Gemeine in allen Häusern grüßte. Und weil man hierinnen einige Gleichheit fand mit dem, was unter der Militz die Loosung genennet wird; so machte sichs 3 0 1 Vgl. Spangenberg, Zinzendorf, S. 473 f. Er gab noch weitere Losungen des Mai 1728 an: 5. Mai: „Tausend Ursache solten es machen, daß wir stets blieben voll loben und lieben." 7. Mai: „Priester in Ewigkeit, meine Gedanken denken mit brennendem Eifer an Dich." 17. Mai: „JEsus Christus gestern und heute." 18. Mai: „Christus ist uns gemacht von GOtt zur Heiligung." — Vgl. auch Beyreuther, Zinzendorf II, S. 208 ff. Beyreuthers Deutung einiger Losungen als „Nachhall edlen Streitens alter Geschlechter, deren Blut in seinen Adern pulste" mit dem Hinweis auf die Kämpfe gegen die Türken und die Verteidigung Wiens (S. 209) erscheint mir allerdings etwas gewagt. Daß die Brüder „von Haus zu Haus gingen und die Losung des Tages zur Tür hineinriefen" (S. 208) ist nach den Quellen s о nicht richtig. — Daß Zinzendorf die Losungen anfangs ausgelost hat, zeigt eine Bemerkung im Gemeinrat vom 3. Aug. 1732 (R 6 Aa 25): „Die Loosung aufs künftige Jahr soll nicht mehr durchs Loos ausgemacht werden, sondern nach Gutbefinden, weil man das wohl selbst ausmachen kan u. das Looß nicht muß unnötiger Weise mißbrauchet werden, wie wol das Loos viele Loosungen so gemacht, daß es accurat sich auf die Umstände ieder Zeiten schickte." Die Verbindung der Bezeichnung Losung mit dem Los ist also gar nicht so zu verneinen, wie Renkewitz es tut (Die Losungen, S. 16 f.). Von Zinzendorf wurde allerdings die Erklärung des Namens mit dem Hinweis auf die militärischen Parolen gegeben: „Loosungen sind das, sagt der Selige Ordinarius, was man im Kriege die Parole nennt . . ." (Samlung d. Loosungs-Büchlein, Vorrede, S. 12). 3 0 2 Spangenberg, Zinzendorf, S. 544. Über die zählte er vom Jahr 1728 (S. 475): „Zu Ende dieses res ging er (Zdf.) mit einigen Brüdern die Bibel Schrift ein so genantes Schatzkästchen zu machen; wurde."
223
Entstehung dieses „Kästchens" erund im Anfang des folgenden Jahdurch, um von Sprüchen aus der womit er am 29. Jun. 1729 fertig
ganz ungezwungen, daß sie auch diesen Namen krigten, und dergleichen Texte Loosungen genennet wurden. Diß continuirte mit Segen bis zum Jahre 1730." 803 In diesem Bericht kann auch gemeint sein, daß das bereits für den Tag gezogene und am Abend ausgelegte Losungswort von dem Besucher des Tages nur bei den Ältesten abgeholt wurde, damit er den Zettel bei seinen Besuchen immer bei sich tragen konnte. Merkwürdig ist, daß Christian David in seinen Beschreibungen von dem Kästchen nichts berichtete. Bei ihm heißt es (1731) so: „Dieße (Losungen) werden von einem Bruder, welchen die reihe trift, der gemeine täglich überbracht, deß abendts zu vor, in der SingeStunde wird solche den Brüdern gesaget, u. Kürtzlich erkläret, damit sie, u. auch der Jenige der sie träget, wißen kan, was der Sinn, der morgenden Looßung ist, u. also auf den morgen, gehet der Bruder, mit dießer Looßung in alle häußer, Saget sie ihnen erst, u. darauf fängt er an mit ihnen zu reden, ob sie daß erfahren haben, u. wie es um sie stehet, u. also wird ein Jeder Bruder, täglich besucht, zum streit u. Kampff aufgefordert, auf die weiße machen wir uns die Loßung zu nutze, u. bieten ein ander die Hand, zum streyt vors vatterland." 8 0 4 1729 scheinen mit den Losungsbesuchen die Diener beauftragt worden zu sein, jedenfalls gehörte es nach C. David zu ihren Dienstpflichten. Aber das wird keine ständige Regelung gewesen sein, denn er sagte selbst, daß dies auch alle Brüder täten 805 . 1730 jedenfalls wurden im Gemeinrat am Sonntag die Losungsträger von Woche zu Woche bestimmt. Die Protokolle zeigen die in jeder Sitzung auf die Wochentage verteilten Namen. Es sind die bekannten Namen der führendenBrüder der Gemeine 806 . Die Besucher hatten also die wichtige seelsorgerliche Pflicht, für die gemeinsame Ausrichtung aller Brüder und Schwestern nach dem jeweiligen Samlung der Loosungs-Büchlein, Vorrede, S. 10 f. so* D. gl. Br. 1731, R 6 A a 22, 1, S. 70 f. so« C. D . Beschr. Druci, S. 21 u. 70. soe Gemeinratsprotokoll R 6 A a 25/3; z. В.: 22. Okt. 1730: „tragen die Loosung: Gold, Georg Behnisch, der?, der mahler, Nitzschman, Krügelstein." 29. Okt.: „Loosung: Gottl. Hahn, C. David, Georg Haberland, Christ. Kramer, Christoph Knesdike, Fr. Riedel." 5. N o v . : „Loosung: Joh. Nitzsdimann, Georg Zeisberger, Andreas Hickel, Riedel, Pisch Schuster, Tim. Fiedler." 12. N o v . : „ D a v . Zeisberger, d. alte Schindler, Schuster Nitschman, Tob. Leupold, Christian Stach, Mathes Stadl." 19. N o v . : „ J o h . Nitschm., jun. Thom. Micksch, Wenzel Weber, Nitzsdimann d. Wagner, Schneider Hans, Zimerm. Nitschm." 26. N o v . : „Mo. Bettag, Die. Meldi. Zeisberger, Wenzel Weber, Schuster Nitschman, Georg Erndte (?), Leonh. Dober." 3. Dez.: „Augustin Neuser, Wenzel N e u ser ( = N e i ß e r ) , Christian Kramer, D a v i d Weber, Der H . Graf, Nitzsdimann d. Weber." — So geht es Woche für Woche. Einzelne Namen wiederholen sich öfter. Losungen wurden nur an den Wochentagen getragen. Die Sonntage sind in den Listen ausgelassen. Jedoch hieß es am 5. März 1731 im Gemeinrat (R 6 A a 25): „ O b man künftighin auch an den Feyertagen solle die Loosungen tragen u. Nachtwache halten: Die Eltesten haltens für gut, es solle geschehen." 303
224
Losungswort zu sorgen. Täglich wurde jeder in Herrnhut besucht. Keiner konnte sagen, um ihn kümmere sich niemand. Jeder hatte, neben allen anderen Möglichkeiten, auf alle Fälle beim Losungsbesucher die Gelegenheit, Sorgen und seelische Nöte auszusprechen. Doch ging der Sinn der täglichen Losung noch weiter. Christian David schrieb: „Hernach den Tag über, wo Brüder und Schwestern in ihrem Beruffe zusammen kommen, wird denn davon geredet, was die heutige Losung ist, damit wir immer in der Fassung und Einkehrung bleiben." 307 Die Losung sollte das Wort sein, von dem der Tag für alle geprägt wurde. Diese Bedeutung der Losungen im Gemeinleben schilderte C . D a v i d 1731: „Unßere Looßungen in der gemeine sein nichts anders, als theils gewieße begrießungen, da einer dem andern Etwas in Nahmen gottes, u. von gottes gnaden im glauben an wünschet, theils gewieße streitregeln, nach welchen sich die brüder u. schwestern, zum Harmonirlichen Kampffe wieder die Sünde, anschicken sollen, theils gewieße fragen ob der Herr uns genädig ist, u. mit unß sey, u. theils gewiße KennZeichen, dabey einer zu erkennen, ob er freund oder feind, ob er mit unß oder wieder unß ist." 308 Die kämpferische Seite der Losungen hatte er 1729/30 noch ausführlicher dargestellt: „ U n d weil wir nun auch mit dem Fürsten der Finsterniß angebunden haben, und mit der äussern und innern Welt im Streite liegen, so ist es denn audi sehr nöthig, mit einerley Sinn gewapnet zu seyn, einmüthig und einhellig in einerley Regeln zu stehen, und mit zusammen gesetzten Kräften die Macht der Finsterniß anzugehen, auf daß wir das Reich GOttes zu uns reissen mögen, und nicht dem Evangelio weder bey uns noch bey andern eine Hinderung machen." 300 Aus alledem wird deutlich, worin die Aufgabe des Besuchers bestand. Er wurde am Abend vorher durch die Auslegung des Grafen auf den Besuch vorbereitet, führte ihn dann am Morgen bei allen durch, um die Gemeine an das Losungswort zu erinnern und für den Tag innerlich mit ihm zu verbinden und erstattete dann am Abend bei den Ältesten (wohl im Beisein Zinzendorfs) Bericht über die innere Verfassung der ganzen Gemeine. D a er über deren Zustand an seinem Tage am besten unterrichtet war, bekam er dann auch noch den Auftrag, das Gebet in der Singestunde zu halten. Darüber heißt es in der „Verfassung" von 1733: „Derjenige Mann, welcher am Tage den Besuch gehabt, betet in der AbendSinge-Stunde, und trägt dem HErrn das Gros von der Gemeine Umständen samt allen ihren anderwärts bekanten und der Zeit zur Fürbitte recommendirten und öffentlichen Umständen treulich v o r . . ." 3 1 0 307 a·» 309 310
C. D . Beschr. Druck, S. 70. D. gl. Br. 1731, R 6 A a 2 2 , 1 , S. 70. C. D. Beschr. Druck, S. 68 f. Beschr. Druck, S. 125.
225
Die Bedeutung der Losung war nicht nur deshalb so groß, weil an dem Tage die Gemeinschaft durch ein Wort geprägt wurde, sondern sie lag vor allem darin, daß dieses Wort als direkte göttliche Leitung der Gemeine aufgefaßt wurde. Durch die mancherlei Erfahrungen, wie sehr die Worte oft den Lebenssituationen entsprachen, verstärkte sich dieser Eindruck nur noch mehr. „Die Loosungen sind oift connectirende Gespräche des Heylandes mit der Gemeine auf Tag und Stunden, dahin sie gehören", konnte Zinzendorf deshalb über diese Erfahrungen im Eventualtestament schreiben311. Die Aufgabe, die Losung den besuchten Brüdern und Schwestern verständlich zu machen, scheint nicht immer von den Besuchern gelöst worden zu sein. Am 27. Dezember 1730 mußte im Gemeinrat erinnert werden: „Die die Losung tragen, sollen entweder des Abends vorher oder doch desselben Morgens in der Morgenstunde zugegeben sein, daß sie den Sinn derselben recht verstehen lernen, weil es geschehen, daß manche die Loosungen nicht verstehen, die sie tragen." 312 Zu dieser Zeit gaben die Losungen also auch schon die Texte für die Frühversammlungen ab und wurden dort ausgelegt. Vom Jahr 1731 an wurden die Losungen dann im voraus gezogen, gedruckt und an Freunde versandt. Auch die reisenden Brüder sollten sie bei sich haben können813. In diesem Jahr wurde der Dienst der Losungsbesucher noch weiter verstärkt, denn vom Sept. 1731 bis zum April 1732 war jeder Tag mit 2 Besuchern besetzt314. Herrnhut war ja inzwischen gewachsen. Dann hat man wegen des gedruckten Losungsbüchleins das Austragen der Tageslosung wohl nicht mehr nötig gefunden, denn am 28.12.1732 hieß es im Gemeinrat: „Die Loosungen werden nicht mehr so getragen wie bisher, sondern so besucht einer die gantze Gemeine durch, u. ist also ein Besuch."314® Von jetzt an wurden die Listen überschrieben: „Den Besuch in der Gemeine verrichten künftige Woche... (folgen Namen). Der Zweck des Besuches ist, die Brüder zu prüfen u. zu sehen wie sie stehen, uns ihrer Gnade zu freuen, u. wo man einen Fehl merkt anzuzeigen oder zu verbessern suchen." Es wurde nun also ein rein seelsorgerlicher Besuch daraus. Am 25. Januar 1733 fragte man: „Ob die Schwestern einander auch besuchen sollen. Ja." Und so wurden Sus. s u Theol. Bedenken, S. 178.
»i* R 6 Aa 25, 27. 12. 1730.
313
Vgl. Gemeinrat am 26. 11. 1730 (R 6 Aa 25): „4) Weil andere unsere Loosungen haben wollen, so ist's dienl. daß sie solche vorher haben sollen, daher ward beschlossen, die Loosungen aufs gantze Jahr zu ziehen, halb Sprüche halb Lieder, und dann drucken zu lassen. Ein ieder Bruder solte eine Loosung bey (sich) tragen." 3i" Gemeinratsprotokolle R 6 Aa 25; ab 24. Sept. 1731 bis 26. April 1732 sind jeweils zwei Brüder angegeben. 314a R 6 Aa 25. Am 28. 12. 1732 hieß es weiter: „Die Loosungen bleiben wol denoch auf jeden Tag." Das folgende Zitat findet sich unter dem 4. 1. 1733.
226
Nitzschmannin, Riedelin, Paul Nitzschmannin, Bergerin, Steigerin, Liebischin die ersten Besucherinnen 315 . Zinzendorf hat die Besucher regelmäßig in ihre Aufgabe eingewiesen: „Die die Wache u. Besuch haben, auf die Woche, komen allemal Sonntags nach der großen Versamlung ins H . Grafen Vorgemach zusamen." 318 Natürlich mußte nun eine weitere Differenzierung nach den bestehenden seelsorgerlichen Classen (Chöre) erfolgen, und so meldet uns die „Verfassung" 1733: „Die Gemeine i s t . . . in die Classen der Männer, Weiber, Witwen, Jungfrauen, junge Pursche, Knaben, Mädgen, und kleine Kinder abgeteilt, da gehet täglich ein Mann, Weib, Jüngling und Jungfrau zu allen ad Sexum gehörigen Personen, dieselbe hertzlich zu besuchen und freundlich zu ermahnen, auch derjenigen Wahrheiten, welche selbigen Tages sonderlich vorkommen, nochmals zu erinnern, anbey auf Krancke und Arme ώς έν παρόόω zu invigiliren, und solche, die sich selbst nicht anmelden, ultro zu entdecken." Diese seelsorgerlichen Besucher rechnete Zinzendorf neben den Bandenhaltern zu den „Privat-Lehrern", die „Mütterliche Verrichtungen haben" 317 . D a ß während des Besuches auch weiterhin über die Tageslosung gesprochen wurde, läßt die Wendung vermuten: „auch derjenigen Wahrheiten, welche selbigen Tages sonderlich vorkommen, nochmals zu erinnern". Schließlich wird sich der Besuch innerhalb der Classen und Banden, durch den die einzelnen Mitglieder „gesprochen" wurden, immer mehr durchgesetzt haben, denn beim Bettag am 16. Juli 1734 wurde die ganze Einrichtung des Besuchs zur Aussprache gestellt: „Wie es die Gemeine erkenete: ob der Besuch noch sollte fortgesetzt werden, oder ob es unterbleiben sollte? U. es kam vor, es schiene den Brr n nicht mehr so erwecklich zu sein. So fiel endlich der Schluß dahinaus, daß es bleiben sollte u. nur diejenige sollten besuchen, die die Wache hätten." 318 315 R 6 Aa 25 v. 25. 1 1733. Es blieb im Gemeinratsprotokoll so doppelt besetzt bis 30. Mai 1733. Im Rückblick auf das Jahr 1733 heißt es: „Untern Schwestern ist in diesem Jahre auch die Hausbesuchung mit großem Nutzen angefangen worden." (R 6 Aa 25, Bettag am 31. 12. 1733.) sie R 6 Aa 25 v. 31. 12. 1733. 317 Beschr. Druck, S. 124. Auch bei Gottfried Arnold gehörte der Hausbesuch zu den Pflichten der Lehrer (allerdings der öffentlichen Lehrer): „Hier aber berühre ich von ihren sonderbaren unterrichten, so sie schuldig waren einem jeden Christen insonderheit zu hause zu thun. Es war ihnen nicht genug, etwa nur auf erforderung zu krancken oder andern trostbedürfftigen zu gehen, sondern sie stellten die haußbesuchungen fleißig an, zumal in den ersten gemeinen unter denen Verfolgungen . . . Wozu sie sich denn auch deswegen verbunden sahen, damit sie erfahren konten wie ihre anvertraute seelen vor Gott lebeten, ob das wort der warheit auch frucht bey ihnen schaffete." (Erste Liebe, S. 280 r.) "8 H. Diar., 16. Juli 1734 (Bettag), S. 32. So sind die Wochenlisten nun überschrieben (R 6 Aa 25): „Die Wache und Besuche haben diese Woche" (5. 9. 1734). Sonntags ist für die Wache eine Bande angegeben.
227
Mit der Wache ist die nächtliche Gebetswache gemeint. Wer die Nacht fürbittend gewacht hatte, besuchte am nächsten Morgen die Brüder oder Schwestern, für die er besonders im Gebet eingetreten war (vgl. III, 2 S. 234). Über das Aufhören des Losungsbesuches im Jahr 1734 unterrichtet uns auch der Rückblick im Herrnhuter Diarium: „Die Losungen sind dieses Jahr nicht sonderl. herumgetragen worden, wie es andere Jahre gewöhnlich war. Auch ist dieselbe Art des Besuchs abgekomen, weil man den Zweck nicht mehr darinen gefunden, den sie haben sollen. Sie sollen eigentlich sein tägliche Ermunterungen u. Trost im Kampf. Zu Anfang des Jahres sind 2 u. 2 zusamengethan worden, um sich insonderheit in Acht zu nehmen."319 Also hörte der Dienst des Besuchens nicht auf, er änderte nur seine Art. Die gegenseitige „tägliche Ermunterung u. Trost im Kampf" geschah in den aufkommenden Lebensgemeinschaften der Chöre und in den kleinen Zusammenschlüssen der Banden. Zur Einrichtung der Chöre gehörte später selbstverständlich der „Besuch", und die Bandenhalter hatten den ausgesprochenen Auftrag, ihre Mitglieder zu besuchen320. Bei der Kleinheit der Banden wird dies in irgendeiner Weise täglich geschehen sein. Die tägliche Losung wird in den folgenden Jahren weiter den Gesprächen die Ausrichtung gegeben haben, denn ihre Bedeutung ist im Laufe der Jahre immer mehr gewachsen. Sie war vor allem in der Zeit, da sich die Gemeine im Dienst in die Welt hin zerstreute, das alle umschließende Band und wirklich die Tagesparole für den Dienst im Kampf um die Ausbreitung des Reiches Christi. Die Losungen gehören zur Streiteridee Zinzendorfs unmittelbar hinzu. „Loosungen sind das, was man im Kriege die parole nennt, daraus sich die Geschwister ersehen können, wie sie ihren Gang nach Einem Ziel nehmen sollen", kennzeichnete sie Zinzendorf 321 . „Unsere Loosungen haben 310 H. Diar. beim 31. 12. 1734, vom 15. 1. 1735. Über diesem Aufhören des „Besuchs" muß man aber wieder auf das alte Losungstragen zurückgekommen sein, denn in den Gemeinratsprotokollen erscheinen Namenslisten, nun wieder mit der alten Überschrift „Loosung" (R 6 Aa 25. August 1735) neben andern Listen „Wadien". Eine undatierte Notiz (wohl von 1736/37) berichtet: „Besuch: Da alle Tage ein Bruder und Schwester herum gehet und der Br. die Brüder und die Schw. die Schwestern besuchen in den Häusern, damit imer eine Connexion unter ihnen erhalten werde." (R 6 Aa 15/5). 320 Zum „Chorbesuch" als feste Einrichtung vgl. den Brief Maria Magdalena Augustins vom 3. Mai 1742 an Zinzendorf, in dem sie unter den Einrichtungen den Besuch als erste nannte: „Was nun die Einrichtungen sind unter unserm Chor, so haben wir Besuch . . . Der Besuch ist so: Es sind 26 Schwestern, und da gehen die Woche 10 das ganze Chor besucht (!) und auch das große Mädchenchor zugleich. Unser Chor ist 100 und etliche 20 stark, das große Mädchenchor 39, und der Besuch wird alle 4 Wochen geändert." (R 6 Aa 42 1, 20, zit. n. Uttd. A-H., S. 93). Zum „Bandenbesuch" vgl. das Zitat S. 187 H. Diar., 19. 11. 1735. 321 Samlung der Loosungs-Büchlein, Vorrede, S. 12.
228
mehrentheils den Zwek, daß der Heiland uns über unsre gegenwärtigen Umstände bedeuten w i l l , . . „ M i t den Loosungen hats überhaupt die Bewandtnis, sie sind Haushaltungs-Regeln, wornach man den Gang der Gemeine richtet." 322 Bis 1732 waren es wechselnd Bibelworte und Liedverse oder -Zeilen, 1733 Verszeilen zu alttestamentlichen und neutestamentlichen Worten. 1734 und 1735 loste Zinzendorf Psalmtexte aus und setzte dazu jeweils einen Liedvers oder eine Verszeile. 1736 wählte (!) er Jesusworte, dabei erschienen Worte aus Matth. 10 fast versweise über 3 Wochen hin (25.4. bis 13.5.). 1737 ging er, den Kapiteln folgend, das Buch Jesaja durch, und für 1738 loste er die Jesajaworte noch einmal aus. 1739 bot er seinen über die Welt verstreuten Brüdern und Schwestern täglich „ D a s gute Wort des H E R R N . . . Aus allen P r o p h e t e n . . . " an 323 . So wurden die Losungen zu einer „extrahirten Bibel" 322 für die Gemeine, deren Worte man Vers für Vers täglich in die Tat umsetzen wollte, um sie zu erproben. Dabei erfuhr man ihre Realität. Wenn wir auch aus diesen ersten Gemeinjahren nicht mehr wissen, was in den Versammlungen der Gemeine im einzelnen gelehrt worden ist, so wissen wir durch die Losungen, jedenfalls vom Jahr 1731 an, nach welchen Worten man sich ausrichtete. Die Losungen haben deshalb für das Dienen in der Gemeine und über den Bereich der Gemeine hinaus ihre große Bedeutung gehabt. Der tägliche Besuch als ein besonderer, geordneter Dienst im Leben des alten Herrnhut war eine ihrer gesegneten Auswirkungen. 2. Die Fürbitte als geordneter
Dienst
Stundengebet und Nachtwache Von starker Wirkung auf den Geist der Herrnhuter Gemeine waren zwei Einrichtungen der Anfangszeit, die sich über Jahre hinaus lebendig gehalten haben: Das Stundengebet und die brüderliche Nachtwache. In ihnen fand ein wichtiger Dienst seine geordnete Form: die Fürbitte. Die Einrichtung des Stundengebets geht auf den August 1727 zurück, als sich mancherlei Gegnerschaft gegen Zinzendorf und sein Herrnhut zu regen schien324. Zinzendorf gab darum die Anregung, daß sich genügend 322 Samlung . . . Vorrede, S. 13 u. 14. 823 Vgl. Samlung der Loosungs-Büchlein, Barby 1762. Vom Jahr 1729 ist ein Fragment der Losungen vom 1. Jan. bis 14. Sept. abgedruckt. 1730 fehlt ganz. 3 2 4 Spangenberg, Zinzendorf. S. 440: „ S o gesegnet es überdem in Herrnhut ging; so dikke Wolken zogen sich, wie es schien, über der Gemeine, und sonderlich über unsern Grafen, zusammen. Auf keinen Menschen wolte und konte man sich dabey verlassen.
229
Brüder und Schwestern verbinden sollten und jeder eine Tages- oder Nachtstunde zum Gebetsdienst übernehmen möge. So sollte von Mitternacht bis Mitternacht unaufhörlich eine Mauer des Gebetes um die Gemeine stehen, um ihr den weiteren gesegneten Fortgang zu erhalten 325 . Im Herrnhuter Diarium heißt es darüber am 22. Aug. 1727: „Diese Tage überlegten wir, wie nötig es sei, daß die Gemeine, welche in ihrer ersten Kindheit war u. einen alten Widersacher am Satan hat, sich wider einen solchen, dem Tag u. Nacht kein Schlumer ankäme, verwahrte u. eine beständige heil. Wacht über ihr gehalten würde. Wir resolvirten zu dem Ende, ein freiwilliges Opfer der Fürbitte anzuzünden in unserem Orte, welches Tag u. Nacht brenen könte, ließen aber der Wirkung des Herrn in den Herzen der Brr den völligen Lauf u. begnügten uns, diese Sache zu proponieren." Der Gedanke kam sehr schnell zur Auswirkung, bereits am nächsten Tag meldeten sich 14 Brüder dazu an. Am 25. Aug. konnte man notieren: „Die Stundengebetsangelegenheit war inzwischen so weit gekomen, daß es zu einer ordentlichen Einrichtung gedeihen konte; da näml. die Brr u. Schw n jedes in seinem Kämerlein, eine Stunde nach der andern dem Herrn die ganze N o t u. Anliegen aller uns von innen u. außen Bekanten umständl. u. herzl. vortragen." Und am 27. Aug. „nahm die Zahl der stündlich betenden Manspersonen bis auf 42 z u . . . Es gaben sich wiederum 28 Weibspersonen zu dem 24stündigen Gebet an." 3 2 6 Im N u war also die Zahl der Freiwilligen auf 70 angestiegen, und man kam bald auf 77 Brüder und Schwestern, die eine Stunde im Gebet verbringen wollten. Doch bestand der eigentliche Kreis der Beter aus 24 Brüdern und 24 Schwestern, die in der „Ersten Gemeineinrichtung" namentlich aufgeführt wurden (Beilage 2). Uns begegnen wieder die bekannten Namen der auch sonst in der Gemeine besonders aktiven Brüder und Schwestern. Es kann ja auch gar nicht anders sein, sie werden sich selbstverständlich zuerst für diesen Gebetsdienst zur Verfügung gestellt haben. So haben wir in dieser Liste den Kern der Mitarbeiterschaft Zinzendorfs im Jahr 1727/28 vor uns. Spangenberg sagt uns nun etwas über die Aufgabe der Stundenbeter aus der Sicht des Rückblicks heraus: „Ein jedes dieser Stundenbeter hatte eine der vierundzwanzig Stunden der Nacht und des Tages, wie sie sich für seine Umstände schikte, zum Gebet vor Gott, zum kindlichen Umgange mit Ihm, und zur Fürbitte für die gesamte Kirche JEsu, für die Gemeine, und in der folgenden Zeit, für alle Brüdergemeinen und derDiese und nodi andere Umstände waren die Gelegenheit zu dem sogenanten Stundenoder stündlichen G e b e t . . . " 325 Vgl. Verfassung 1733, Beschr. Drude, S. 125: „ . . . dem HErrn anzuliegen, daß er sein Volck segnen, und inn- und äusserlich schützen wolte. Wir sehen dieses an als einen rechten Wall um uns h e r . . 3 2 8 H. Diar., August 1727.
230
selben Chöre, f ü r einzelne Seelen, f ü r die Pilger und Boten des H E r r n , f ü r das Land, darinn man wohnet, f ü r die Obrigkeit und Lehrer, f ü r die gesamte Christenheit und f ü r das ganze menschliche Geschlecht; so daß, vermittelst dieser Einrichtung Tag und Nacht kein Schweigen vor dem H E r r n seyn durfte, nach Jes. 62,6. 7."ш Die biblisdie Begründung ist interessant, heißt es doch an der angegebenen Stelle: „ O Jerusalem, ich will wächter auf deine mauren bestellen: die den gantzen tag und die gantze nacht nimmer stille schweigen sollen; und die des H E R R N gedencken sollen, auf daß bey euch kein schweigen sey. U n d ihr von ihm nicht schweiget, bis daß Jerusalem gefertiget und gesetzt werde zum lobe auf erden." D a ß es sich hier um einen übernommenen Dienst der Fürbitte handelt, wird audi aus der Beschreibung in der „Verfassung" deutlich: „Das institutum der immerfort währenden täg- und nächtlichen Fürbitte für das gantze H a u s GOttes, und mehr dann 1200 Seelen, die sich dem besonderen Gebet empfohlen haben, oder sonst durdi ihre connexion mit dem Reich Christi bekant sind . . ," 325 U n d C. David sprach 1731 ausführlich darüber: „viele die unter dem druck u. in gefängnüßen warren, ließen unß ihre N o t t u. anliegen wießen, u. befahlen sich in unßer gebeth, deßgleichen vielle die am Evangelio arbeiteten, vielle die mit unß in eine genaue gemeinschafft treten wolten, vielle die Krank u. angefochten warren, vielle die im bußKampfF stunden befahlen sich in unßer gebeth." 328 Wie betont man dabei Fürbitte üben wollte, ist aus einer Mahnung am Bettag, den 16.7.1734, ersichtlich: „4. Wurde wegen des Stundengebets erinert, d a ß das Gebet mehr sollte vor andere geschehen als vor seine eigene Person. Wen mans vor sich thäte, so wäre es eine Ungezogenheit u. dem Zweck entgegen, den man bei der Einrichtung gehabt. Man hätte so viele Stunden des Tages, da man imer an sich denken könte, u. ein Kind Gottes sollte im beständigen Gebet sein, u. ein jedes hätte vom H e r r n die Verheißung, Er sorget vor euch."329 Dieses Stundengebet hielt in der Regel jeder f ü r sich allein: „jedes in seinem Kämmerlein täglich zu seiner bekanten Stunde", es kam aber auch vor, daß man sich zur gesetzten Stunde zu einer A r t Gebetsgemeinschaft zu zweit zusammenfand 330 . Christian David betonte besonders den Wert der Ordnung bei dieser Einrichtung, die einen dabei hält, daß er im Gebet treu bleibt: „ . . . um aber solches nicht zu vergessen, oder aus Trägheit zu unterlassen, daß ge327
Spangenberg, Zinzendorf, S. 440. зге D. gl. Br. 1731, R 6 Aa 22, 1, S. 63. Nadi Plitt, Denkwürdigkeiten, wurden die Menschen, denen die reisenden Brüder begegneten, mit ins Gebet genommen, за» H. Diar., 16. Juli 1734 (Bettag). 330 Verfassung 1733, Besdir. Drude, S. 125: „und an einem Ort, wo allenfalls eine in bekümmerten Umständen stehende Person gleiches Geschlechts sie finden könte . . . "
231
wisse Stunden dazu ausgesetzet seyn möditen, die einen gleichsam erinnerten, und wegen des gemachten Bundes und gethanen Versprechens so ermahnten, einmal das Hertz vor Gott auszuschütten, damit in der Gemeine Tag und Nacht, von Stunde zu Stunde, dem HErrn dem Mächtigen ein angenehm Opfer gebracht würde" 831 . Die Verteilung auf die Stunden geschah nach C. Davids Bericht anfangs durchs Los: „wie nun ein ieden seine Stunde traf, so behielt er diese."332 Später (1733) haben die Nachtstunden besonders die „ledigen Jünglinge und jungen Ehe-Leute" übernommen333. Wer nicht eine ganze Stunde beten konnte, sollte „indessen mit geistlichen lieblichen Liedern GOtt loben und preisen, bitten und beten, rühmen und e h r e n . . . und also dem HErrn entweder ein Lob-Opfer, oder Danck-Opfer, oder ein Bußund Bet-Opfer für sich und alle Heiligen bringen, damit JEsus Christus ohn Unterlaß in der Gemeine angebetet, gelobet und verherrlichet werde"332. Wir sehen also, daß der geordnete Gebetsdienst zum Leben der Herrnhuter Gemeine von vornherein hinzugehörte. Er ergänzte das gottesdienstliche Versammlungsleben und war für alle andern Dienste die wichtige innere Voraussetzung. Die „Stundenbeter" hatten ihre regelmäßigen Konferenzen, in denen ihnen die wichtigsten Gebetsanliegen mitgeteilt wurden. Auch darüber erfahren wir einiges von C. David: „sonst Kommen sie alle wochen, Ein mahl Conferentz zu halten zusammen, in welchen alle die nachrichten, auß allen reichen undt Ländern, so viel man haben u. wießen kann, bekandt gemacht werden, auch alle besondere nott u. anliegen, dießes u. Jennes volckes, dießer u. Jener gemeine, dießer u. Jener Person, damit so wohl ihre gnade, in Leyden, als auch ihre gaben u. treue, dennen Stunden betern wißend werde, alle die Jenige Briefe, die von anderswo her erhalten werden, wird ihnen wißend u. bekand gemacht, um sie dadurch zum gebete zu erwecken, u. dem Herrn in der großen gemeine davor Lob und Danckopffer zu bringen."334 So wurden die Beter vor allem am inneren und äußeren Werdegang der Gemeine beteiligt. Es ist eine Erfahrung, daß das Gebet für eine Sache oder eine Person den Beter ganz stark an 331 C. D. Beschr. Druck, S. 48. 832 C. D. Besdir. Drude, S. 49. »38 Verfassung, Besdir. Druck, S. 126. 334 D. gl. Br., 1731, R 6 Aa 22, 1, S. 63 f. Vgl. audi das Zitat S. 70 aus Besdir. Druck, S. 91 f. Die Verfassung von 1733 (Besdir. Druck, S. 125) sagt über diese Konferenz: „und in derselben, denen den gantzen Tag und die gantze Nacht im Gebet verharrenden Brüdern, (dann die Weibs-Personen mengen sich in nichts leiditlidi, was nicht ihren eigentlidien Sexum betrifft) die von wol 100 Orten her einlauffenden Nachrichten, von dem Statu Regni Christi риЬПсё, privatim und privatissime zur angelegenen Fürbitte recommendirt." Hiernach scheinen nur noch die Brüder das Stundengebet gehalten zu haben. Oder hatten die Schwestern ihre eigene Zusammenkunft? 1736 bat auch John Wesley die Gemeine und Zinzendorf um ihre Fürbitte (Schmidt, Wesley I, S. 132).
232
deren Geschichte bindet. Audi aus der Fürbitte wird darum die Dienstwilligkeit erwachsen sein, die in den anderen Ämtern und vor allem im Botendienst so gute Früchte brachte. Vom Stundengebet her wurde eine andere Einrichtung der Gemeine sehr stark mitgeprägt: die brüderliche Nachtwache. Hier wurde eine äußerliche bürgerliche Einrichtung, welche zu damaliger Zeit für den Bestand eines Anwesens notwendig war, von der geistlichen Zielsetzung durchdrungen. Die Ausübung des Nachtwächterdienstes wechselte in ihrer Art in diesen Jahren 335 . Anfangs waren alle männlichen Glieder der Gemeine im Alter von 16 bis 60 Jahren reihum dazu verpflichtet. Man konnte allerdings auch einen anderen auf seine Kosten für sich wachen lassen. Später (ab 1736) wurde ein Nachtwächter angestellt und von allen bezahlt. Neben dieser zum Schutz der Siedlung nötigen Nachtwache gab es dann aber noch die geistlichen Nachtwachen, zu denen sich oft mehrere Brüder verbanden. In der Blütezeit der Banden brachte so immer wieder eine kleine Gesellschaft eine Nacht oder wenigstens einen Teil derselben im Gebet zu336. Anlaß dazu gaben Bibelworte, die vom Wachen in der Verbindung mit dem Gebet sprechen, vielleicht aber auch Gottfried Arnolds Abbildung der ersten Christen, in der es heißt: „Im übrigen pflegten sie auch meistentheils ein gut theil der nacht in geistlichen Übungen zuzubringen. Daher saget Ambrosius: Wir dürfen nicht die gantze nacht durch schlaffen, sondern den meisten theil davon mit lesen und beten zubringen. Der tag reichet nicht zu zum gebet, sondern man muß auch des nachts deßwegen aufstehen." 337 Christian David betonte 1731 in seiner Beschreibung besonders den persönlich erbaulichen Sinn der Nachtwache: „Wer die naditzeiten, wen alles so stille ist, wohl an zu wenden weiß, hat großen nutzen d a v o n . . . 335 Vgl. dazu Uttd. A-H., S. 38 f. ззв Spangenberg, Zinzendorf, S. 424: „Es waren aber ausser dieser, noch Nachtwachen von anderer Art in Herrnhut; da nemlich entweder einzelne Brüder, oder kleine Gesellschaften, die ganze Nacht im Gebet und andern gottseligen Uebungen zubrachten. Diese Nachtwachen hielt unser Graf für eine wahre Ruhe in Gott, und wohnte denselben oft mit Freuden bey." 337 G. Arnold, Erste Liebe, S. 712. Interessant ist, daß Arnold auch folgendes zu berichten wußte: „Ja sie gewehneten auch ihre junge kinder dazu, und führten sie an, daß sie des nachts zum beten und singen mit aufstehen mußten, nachdem sie abends schon ihr opffer dem Herren gebracht hatten." (Erste Liebe, S. 712) Sollte die doch außergewöhnliche Tatsache des nächtlichen Betens der Kinder in der Zeit der Kindererweckung in Herrnhut (1727) daher rühren, daß man das von Arnold empfangene Ideal-Bild der lebendigen Urgemeinde ganz getreu in Herrnhut wiederfinden wollte? Vgl. H. Diar., 29. August (Randbem.: Sept.): „hörte man in der Nacht lange ein Geschrei u. flehen der Kinder aus Hhut u. Berthelsdf. weibl. Geschlechts, u. die Knaben lagen anderwärts audi im Gebet. Es war ein so gewaltiger Geist unter ihnen, daß es an Worten fehlt, ihn auszudrücken."
233
о die nacht Stunden sind seelige stunden, weil der mensch von natur ohne dem sehr faul u. träg ist, der wiedersacher aber, sehr munter u. geschäfftig, so ist nötig, daß kinder gottes, öffters ein ander zu rufen wachet u. b e t e t . . . alles das was der natur zu wieder u. beschwerlich ist, darinnen suchen wir unß zu üben . . ." 3 3 8 Aber es wird audi hier die Fürbitte als Zweck unter anderen genannt: „Übrigens wachen die gantze Nacht zwey Personen auf öffentlicher Gasse, um in solcher Zeit alles, was in der Gemeine erwacht, mit geistlichen lieblichen Liedern aufzumuntern, auch das gantze Volck des HErrn ihm in hertzlicher Fürbitte hinzugeben."389 Vor allem aber berichtet uns Lintrup in seinen Anmerkungen 1734 davon. Er machte einen deutlichen Unterschied zwischen Bürger-Wache und Brüder-Wache: „Die BrüderWache ist aber was anders, da alle Feyer-Abende ein Bande-halter mit seinen Banden-Brüdern, wie sonst alle Nächte ein eintzelner Bruder, im Gebet und Flehen vor dem HErrn bleibet, daß er fernerhin seinem Volcke gnädig seyn und seinen Leuchter unter uns bleiben lassen wolle, damit es uns nicht so gehen möge, wie vielen andern Orten, wo er gewesen, aber nun nicht mehr da ist, sondern nur eine äusserliche leere Verfassung hinterblieben, da ein ieder sich selber suchet etc. Man gedencket audi da im Gebet eintzelner Seelen, so wol in als ausser der Gemeine, denen man sich verbunden achtet, und überhaupt der gegenwärtigen Umstände des Reichs Christi unsers Königs. Hat man Zeit und Trieb dazu, so gehet man auch wol herum, sonderlich in der Morgen-stunde, und dienet den Brüdern in Liebe und Einfalt mit dem was der H E r r gibt ihnen zur Stärckung und Ermunterung vorzusingen . . ." 34 ° In dieser Zeit war es wohl auch geordnet, daß ein Bruder, der die Nacht fürbittend vor Gott zugebracht hatte, diejenigen, die er sich im Gebet besonders vorgestellt hatte, am folgenden Morgen besuchen ging, um sich um ihren Zustand zu kümmern und ihnen die Losung zu sagen, wie es das Herrnhuter Diarium am 1 9 . 2 . 1 7 3 1 z.B. erwähnt: „D. Nitschm. der Zimerman trug die heutige Losung mit großem Segen u. wachte auch die Nacht recht treulich." So gingen Fürbitte und Seelsorgedienst ineinander über und bedingten sich gegenseitig. Uns bleibt hier festzustellen, daß Herrnhut ohne den Dienst der intensiven und geordneten Fürbitte kaum das geworden wäre, was aus ihm in diesen geistlich so bewegten Jahren entstand. Hier im Gebet der Gemeine 338 D. gl. Br. 1731, R 6 A a 22, 1, S. 87 f. 33» Verfassung 1733, Beschr. Drude, S. 133. Hier handelt es sidi offensichtlich wieder um die eigentlichen Nachtwächter, die ihren Dienst aber geistlich zugleich verstanden. „Wer nidit singen kann, soll beten für sich und die Gemeine", hieß es im Gemeinrat am 24. Juni 1733 (R 6 Aa 25). 840 Beschr. Drude, S. 73 f., Anm. o. Die Bandenwadie war vor allem in der auf den Sonntag folgenden Nacht üblich.
234
lag die eigentliche Kraftquelle und Vollmacht für den gegenseitigen Dienst daheim und für den der Boten draußen in der Ferne. Natürlich ging der Dienst der Fürbitte über den Kreis der Stundenbeter und der Nachtwache hinaus. Die ganze Gemeine war daran beteiligt, indem sie ihn im persönlichen Gebet und auch im öffentlichen Gebet in den Versammlungen übte. Die Tatsache, daß die Fürbitte als fester Gebetsdienst geordnet wurde, wird immer wieder dazu ermuntert haben, darin nicht müde zu werden. Sie war ein unübersehbarer Hinweis auf den Wert der Fürbitte im Leben und Dienen einer Gemeine.
3. Die musikalischen Gaben im Dienst der Gemeine Es würde unserer Darstellung der Ämter und Dienste im alten Herrnhut ein wichtiges Stüde fehlen, wenn wir nicht auch einiges davon berichteten, wie die musikalischen Gaben in den Dienst der Gemeine gestellt wurden. Zwar erscheint in den Ämterlisten kein Hinweis darauf, daß für den Einsatz dieser Gaben ein besonderer Auftrag in der Form eines Amtes gegeben worden ist; aber bei der großen Liebe der Exulanten aus Mähren zum Singen und doch wohl auch Musizieren und bei der starken Betonung des Gesanges in den Versammlungen der Gemeine durch Zinzendorf konnten sich die besonderen musikalischen Gaben des einen und des anderen in natürlicher Weise entfalten. Die so angewandte Gabe mußte dann auch ihren notwendigen Platz unter den Diensten in der Gemeine finden. Dies wissen wir aus der späteren Zeit der Gemeine gewiß. Für die Frühzeit sind uns nur wenige Zeugnisse davon geblieben. Allerdings lassen sie uns Rückschlüsse ziehen, die uns für unsere Fragestellung hier genügen können. Am Singen waren alle Glieder der Gemeine beteiligt. Wir sprachen über die Bedeutung des Singens im alten Herrnhut schon im Zusammenhang mit der Beschreibung der Singestunde in Kapitel 2 (S. 84). Das dort Gesagte soll hier nicht wiederholt werden, aber wir müssen noch einmal darauf hinweisen, daß das ganze tägliche Leben vom Singen umschlossen war. Daß die Lieder eine so große Bedeutung im Leben der Gemeine und des einzelnen gewinnen konnten, ist Zinzendorfs ständigen Bemühungen zuzuschreiben. Wo er nur irgend konnte, machte er den Brüdern und Schwestern die vorhandenen Lieder lieb, erklärte sie eingehend und gab ihnen immer wieder neue, die das gemeinsame Erleben deuteten. So berichtete Spangenberg vom Jahr 1727: „Unser Graf gab sich überdem viele Mühe, den Gesang in der Gemeine in eine GOttgefällige und den Menschen erbauliche Ordnung zu bringen. Er bediente sich hierbey seines Secretärs Tobias Friedrich, welcher nicht nur in der Music vortreflich geübt war, 235
sondern auch eine unvergleichliche Gabe hatte, andern dieselbe beyzubringen. Am Sonntag Cantate nahmen die sogenannten Singstunden ihren Anfang, darinn man zuerst ganze Lieder nahm, und dann fortfuhr, mit einzelnen Versen bald diese, bald eine andere Materie, auf eine rührende Weise zu besingen... Er vertrat also, in einem ganz eigenen Sinn, die Stelle eines C a n t o r s . . . in Herrnhut." 341 Anfänglich wurde diese Singstunde am frühen Nachmittag des Sonntags in der Berthelsdorfer Kirche gehalten. Sie schloß sich an das „Catechismus Examen" und eine Betstunde, in der dem gegenseitigen Austausch in Gesprächsform Raum gegeben war, an 342 . Zinzendorf selbst erzählte später davon in seinen Memoires: „Diese liebliche Conversation beschloss eine innige Singstunde, in welcher Herr Rothe sein oberwähnter Helffer ( = Zinzendorf) und Tobias Friedrich das Herz aller Anwesenden durch die lieblichsten Gesänge in eine harmonie mit den obern Chören zu bringen suchten, daraus denn nach und nach die Methode der Liederpredigten entstanden ist, da man in einer Suite die Materien fortsinget und aus einer Melodie unvermerkt in die andere fällt, welches die Munterkeit und Gegenwärtigkeit des Gemüths vortrefflich erhält und den Zusammenhang der Materien auf eine göttliche Art eindrücket."343 Wenn Tobias Friedrich hierbei erwähnt wird, so heißt das, daß die Gemeinde durch ein Instrument, das Friedrich spielte, wahrscheinlich doch die Orgel, beim Singen begleitet wurde. Bleiben wir aber zunächst noch beim Gesang selbst. Er wurde durch die allabendlichen Singstunden in Herrnhut weiter gepflegt. Wie gut die Ge341 Spangenberg, Zinzendorf S. 443 f. G. Burkhardt schreibt in seinem Aufsatz: Einige Gedanken über die vom Grafen Zinzendorf ausgegangenen Anregungen auf liturgischem Gebiet (Monatsschrift für Gottesdienst und kirchl. Kunst, Göttingen, April 1901), S. 118: „Zinzendorf selbst hatte musikalische Begabung und war ein großer Freund des Gesanges. Gleiche Gesangesfreude fand er bei den um ihres evangelischen Glaubens willen ausgewanderten Mähren, die sich in Herrnhut niederließen. Auch in den Dörfern der Oberlausitz liebte man den Gesang." Vgl. audi das von Beyreuther, Zinzendorf II, S. 83 ff. über die Musikalität des 18. Jahrhunderts Gesagte. Er bezieht sich auf K. Barth, Die protestantische Theologie des 19. Jahrhunderts. 342 i n d e r Geschichte der verbundenen vier Brüder, 1727/28, berichtete Zinzendorf darüber (ZBG 1912, S. 80): „Zu Bertholdsdorf wurde des Sonntags nach dem gewöhnlichen Cathechismus-Examine und Bet-Stunde, eine Sing-Stunde in der Kirche eingeführet, in welcher etliche auserlesene und auf die an demselben Tage abgehandelte Materien sidi schickende Lieder gesungen wurden, und hat diese Singstunde bishero einen ungemeinen Segen unter uns geschaffet." 343 Zinzendorf, Memoires von 1742, ZBG 1913, S. 202. G. Burkhardt, a.a.O., S. 119, schreibt über Tobias Friedrichs Spiel: „In jenen obengenannten Singstunden nun begleitete er den Gesang auf einer kleinen Hausorgel. Aber er begleitete ihn nicht nur, er leitete und beherrschte ihn vielmehr. Er wechselte bei den einzelnen Versen auf seinem Instrument die Tonart je nach dem Inhalt der Verse oder der Stimmung der Singenden. So hob er die Versammlung, zog sie mit sich fort und machte die vorhandene Gemeinschaft inniger, wärmer und tiefer. In dieser Weise war er auch in Herrnhut als Organist
236
meine sich aufeinander eingesungen hatte, zeigt das Urteil Spangenbergs von seinem ersten Besuch 1730: „Ihre Singstunden waren Harmonien nicht nur der Stirnen, sondern auch des Herzens u. Geistes. In Ewigkeit werde ich nicht vergessen, wie mir dabey gewesen ist."344 Können wir aus dem Ausdrude „Harmonien der Stimmen" schließen, daß der Gesang mehrstimmig war? Die Melodien waren jedenfalls so, daß man bei einiger Musikalität ohne Schwierigkeiten eine Unter- oder Oberstimme finden konnte, zumal wenn die Orgel wirklich begleitete. Vor allem erwartete man von den wachenden Brüdern, daß sie singen konnten, sollten sie doch durdi ihren Gesang die Brüder und Schwestern auch nachts „erwecken", d. h. in der Fassung des Glaubens und gemeinsamen Geistes erhalten. Neben dem „Stunden-Lied bey der Nacht", das Zinzendorf 1727 für die Nachtwächter gedichtet hatte345, sangen sie die sonst bekannten Herrnhuter Lieder. Einige Brüder müssen sich darin besonders hervorgetan haben. Ζ. B. schrieb C. David über Christoph Demuth: „Er hat eine besondere Gabe andere zu erwecken, sonderl. mit Singen."346 Und Zinzendorf nannte gar einen, der für die Brüder einsprang, denen die Gabe des Singens nicht so gegeben war: „David Mosig, ein Leineweber, eins der nützlichsten Werkzeuge Gottes in Herrnhut, den er wacht vor alle, die nicht singen können, mit großer Erbauung, indem er der Gemeine die teuersten u. kräftigsten Wahrheiten vorzusingen w e i ß . . ."S47 Neben den eigentlichen Nachtwächtern pflegten auch bisweilen Gruppen singend durch Herrnhut zu ziehen, vor allem am Sonntag, etwa nach der Gemeinversammlung. Die Bande, die die sonntägliche Bandenwache hatte, wird es wohl immer getan haben. Aus den Tagen nach dem 13. August 1727 wird uns im Herrnhuter Diarium berichtet: So. 24. Aug. „hatte Andreas Boyer die Nachtwache, dabei 13—14 Brr., auf dem Hutberg sich im Gebet vereinigten. Zu gleicher Zeit ließ sich ein Chor von Berthelsdorf hören, die von Hhut hineingingen . . . " . Fünf der gesungenen thätig." Allerdings ist bei dieser Beschreibung nidit deutlich, ob Burkhardt noch eine weitere Quelle kennt, oder sich auf die genannte Schilderung in den Memoires bezieht; dann wäre die Sache mit der wechselnden Tonart vorsichtig zu behandeln. 344 Einl. zur Declaration 1750, zit. n. Joh. Plitt, Denkwürdigkeiten § 153, Bd. 2, S. 276. 3 « Herrnhuter Gesangbuch, 1735, Nr. 354. Vers 1: 7 Uhr abends, Vers 12: 6 Uhr früh. Ζ. B. Vers 5: Die glock ist elff: auch in der elfften stunde, rufft unser grosser HERR zu seinem bunde. — Vers 6: Die mitternacht ist da: habt ihrs vernommen: zur mitternacht wird unser bräutgam kommen. — Vers 8: (Sommers) Die glock ist zwey: auf! kommt dem tag entgegen, und preist den HErrn der tage nach vermögen. — Vers 9: (Sommers) Die glock ist drey: es hebet an zu tagen: wer ist nun noch bey GOtt, wer kan es sagen? — Vers 12: Die glock ist sechs: (sommers vier) der wächter geht vom wachen : nun mag sich jedes an die wache machen. 346 An Heitz, R 24 В 68, S. 179 ff., Nr. 21. 347 Spezification der nach Jena gehenden Schriften, R 6 Aa 16, 1 Nr. 60.
237
Lieder werden ausdrücklich genannt, darunter „Ermuntert euch ihr Frommen" und „Es glänzet der Christen inwendiges Leben". Doch kehren wir noch einmal zur Singstunde zurück. Zinzendorf war nicht immer zufrieden mit dem Gesang der Brüder und Schwestern. Weihnachten 1733 mußte er ihn im Gemeinrat geradezu rügen: 26. Dez. 1733 „war St. Stephans-Tag, an welchem der Gn. H . Graf mit Ernst wieder erinerten, daß man bey dem Singen nicht so unbesonen schreyen, noch sonst ohne behörige Gemüths-Fassung so leichtsinnig und ohne auf die Sache und auf die Melodie acht zu haben, sondern mit gehörigem affect, der sich zur materie des Liedes und audi für eine Gemeine des HErrn schickt, singen solle. Dabey sungen einige von den Brüdern der Gemeine aus verschiedenen Liedern zur probe vor, denen die Gemeine fein sittsam u. ordentl. nachsingen solte; welches auch geschehen, u. ein ungemein ordentl. und wohlgefaßtes Singen war, das recht andächtig u. afficient war. So solle es denn nun künftig hin beständig gehalten werden, damit man den behörigen Nutzen jederzeit dabey erhalten möge."348 Dieses Vorsingen der Melodien hatte seinen Zweck wohl so gut erreicht, daß man am 1. Februar 1734 einen festen Kreis von Vorsängern bestimmte: „Weil das Singen in der Singstund manchmal so schlecht gehet, so wurden dazu ernenet den Gesang zu dirigiren: Krügelstein, der H . Graf, Oettinger, Spangenberg, Gottl. Weber, Raschke, Wenzel Neusser junior, M. Dober, Dürr, Bezold, Nitzschmans Anel, Pfeilin, Fr. Siegelin, Gn. Fr. Gräfin, die junge Arndtin, Jule Haberlandin." 349 In ihnen haben wir die besonders musikalischen Brüder und Schwestern zu sehen. Sie werden auch in der Vorrede des Gesangbuchs von 1735 erwähnt: „Unsere Vor-Sänger haben die Melodien in Noten gebracht, und werden sie besondern ediren, wenn es verlangt wird." 350 Wie das Vorsingen dann praktisch durchgeführt wurde, läßt sich leider nicht mehr feststellen. Vielleicht so, daß dieser Kreis von Brüdern und Schwestern neue oder fremde Melodien vorher einübte, um dann die Gemeine im Gesang führen zu können. Oder sie werden u. U. mit den verschiedenen Classen (Chören) einzelne Lieder besonders geübt und gesungen haben. Uns ist hier wichtig, daß es überhaupt die Einrichtung der „Vorsänger" gegeben hat. Ihre Melodienkenntnis wird vor allem dann nötig gewesen sein, wenn man ohne Orgel singen mußte, wie etwa bei den Singstunden, die im Herrschaftsgarten gehalten wurden. Kriegelstein, der unter den Vorsängern an erster Stelle genannt wurde, muß sich auch um die Sache der Musik der Gemeine besonders verdient gemacht haben, denn es heißt in seinem Lebenslauf: „Der selige Tobias Friedrich u. er besorgten die Gemein-Musick zu jedermans Freude, wie 348 R 6 Aa 25 V . 26. 12. 1733 (S. 193). sie R 6 Aa 25 v. 1. 2. 1734 (S. 216). 350 Herrnhuter Gesangbuch, 1735, Vorbericht, S. 5.
238
er den ins besondere mit seiner Singgabe die Gemeine ungemein erbaute, indem er nicht nur eine vortreffliche Stime hatte, sondern auch mit fühlbarer Salbung des heiligen Geistes u. so zusamenhängend sang, als wäre es eine Rede." 351 Offensichtlich hat er in den Versammlungen audi hin und wieder Solo gesungen. Wiederholt wurde in den verschiedenen Zitaten von Tobias Friedrich gesprochen. Seinem Wirken müssen wir uns vor allem zuwenden, wenn wir von dem Einsatz der musikalischen Gaben im Dienst der Gemeine sprechen. Zinzendorf nannte ihn in einem Brief „Chef meiner Musik"352 und setzte ihm in seinen Memoires das Denkmal: „Nach seinem eigentlichen talent aber war er ein glückseliger Director der Gemein-Music, welche er zu ihrem eigentlichen Zweck, nemlich einer himmlischen Harmonie ihres Gesanges und der genauesten nachahmung der englischen Chöre, die unsre Zeit leiden kan, so nahe brachte, dass er von königlichen Capellmeistern bewundert, und zugleich vor inimitabel erkannt ward. Man hat auch von dem an, dass er von der Gemeine hinauf ist, bei keinem einigen das wieder angetroffen, und die Gemeine ist mit seiner Person zugleich dieses Segens bis dahero beraubt blieben."353 Mag dies auch in der Erinnerung etwas verklärt erscheinen, so hat doch Tobias Friedrich ganz besonders stark das musikalische Leben der Gemeine geprägt. Da auch in andern Ämtern immer wieder von ihm die Rede war, sei hier etwas von seinem Werdegang erzählt. Er wurde am 25. November 1706 in Kleinlangheim in der Grafschaft Kastell als Sohn einfacher Bauersleute geboren. Da sein Vater „bei ihm eine große Neigung zur Musik verspürte, so that er ihn in seinem 12ten Jahr nach Kastell zum Kantor in die Schule, bei welchem er dann in kurzer Zeit auf mehreren Instrumenten, besonders auf der Orgel und Violine eine ungemeine Fertigkeit erlangte" 354 . 1720 lernte ihn Zinzendorf in Kastell kennen und nahm ihn in seine Dienste. Er schrieb: „bis ao 25, in welcher Zeit er s. ernstlich zum H . bekehrte, wendete ich allen Fleiß an ihn, ließ ihn die Musik aus dem Grund lernen u. absonderl. zur Expedition zurichten."355 Friedrich stieg in Zinzendorfs Haus sehr rasch auf: 1726 wurde er Kammer-Lakai, 1727 Registrator, 1728 Haushofmeister in Berthelsdorf. Er »51 Lebensläufe, gesammelt v. Fr. v. Schweinitz, R 22 Nr. 129b, Bd. II, S. 110. Die Liebe zum vielen Singen wurde allerdings nicht von allen Brüdern geteilt. Im Gemeinratsprotokoll, R 6 Aa 25, vom 24. 1. 1734 heißt es: „Augustin Neusser erinerte, daß die Brüder durch das viele Singen aufm Saal vor der Rede des H. Grafen abgemattet u. schläfrig würden, daß sie hernadi der Rede nicht so aufgeweckt zuhöreten." 352 An die Herzogin von Braunsdiweig-Wolfenbüttel, R 20 C. 2, 30 v. ca. Ostern 1730. 353 Memoires 1742, ZBG 1913, S. 184. 354 Lebenslauf des Bruders Tobias Friedrich, in: Gemeinnachrichten 1839, S. 910 u. ff. Vgl. R 22 Nr. 129a, Lebensläufe, gesammelt v. Schweinitz, I, S. 105 ff. 355 R 22 N o . 121 Lebenslaufsnotizen 9a.
239
heiratete in diesem Jahr die tüchtige Catharina Elisabeth Heintzschel. Von 1733 ab war er Sekretär Zinzendorfs, zugleich Mitglied des RichterCollegiums356. Neben den reichlichen Aufgaben im gräflichen Dienst und verschiedenen Ämtern in der Gemeine widmete er sich mit großer Liebe der Musik. Wenn er als „Director der Gemein-Music" bezeichnet wurde, dann wird damit nicht nur das Orgelspiel zum Gesang der Gemeine gemeint gewesen sein, sondern auch die Leitung des 1731 erwähnten Collegium musicum357. Audi die Bläser werden ihm wohl unterstanden haben. Ob eine Art Chorsingen bewußt betrieben wurde, ist leider nicht feststellbar; doch läßt Zinzendorfs Wendung „einer himmlischen Harmonie ihres Gesanges und der genauesten nachahmung der englischen Chöre"353 beinahe vermuten, daß etwas Dementsprechendes angestrebt wurde. Es ist auch nicht festzustellen, ob zum genannten Collegium musicum nur Instrumente gehörten. Tobias Friedrichs Hauptaufgabe wird aber im Orgelspiel gelegen haben. Die Berthelsdorfer Kirche hatte 1724 eine neue Orgel bekommen, der Herrnhuter Gemeinsaal wurde 1727 mit einer Orgel versehen358. Nun wird kaum bei jeder Frühstunde die Orgel gespielt worden sein. Zu den Gemeinversammlungen am Sonntag jedodi und zu den Singstunden gehörte ihre Begleitung und damit auch Tobias Friedrichs Dienst 359 . 35β R 22 No. 121, 9b; er wird dort audi „Ein Liturgischer Bedienter der Music" genannt. Vgl. Lebenslauf, Gemeinnadir. 1839, S. 912. 357 R 6 Aa 25, Gemeinrat am 1. 4. 1731: „Ob nicht tägl. solle ein Colleg. Musicum im Gasthof gehalten werden. Ja (52 Stimmen), Nein (durchgestrichen). Die gantze Gemeine ist zufrieden." »58 1724 beim Umbau der Kirche für 126 Taler; vgl. Korscheit, Berthelsdorf, S. 50. Allerdings wirkte in Berthelsdorf von 1717 bis 1756 der Lehrer Johann Christian Weber, der 1733 bis 1751 nur als Organist tätig war. Er wird wohl auch vorher Organist der Kirche gewesen sein. — Korscheit, Herrnhut, S. 48: „Nachdem im Herbst 1727 das Haus ( = das Waisenhaus) durch Christian David mit einem Thürmchen versehen worden war, kaufte der Graf eine Glocke darauf und für 180 Thier eine Orgel für den Saal." In den Gemeinratsprotokollen (R 6 Aa 25) erscheint allerdings unter dem 27. 3. 1731 die Notiz: „Es ward referirt, daß die Orgel dem H . Lehman bezahlt worden mit 100 rth." Welche Orgel damit gemeint ist, wird nicht gesagt. Orgelbauer Lehmann aus Dresden war Martin Dobers Schwager, Christinas Bruder. Vermutlich hat Johann Klemm die Orgeln gebaut. Er war Orgelbauerssohn und erlernte, nachdem er sein Theologiestudium aufgegeben hatte, den Beruf des Vaters. Zinzendorf hielt im gleichen Hause, in dem Klemm seine Werkstatt hatte, seine Dresdener Versammlung ab. Sie lernten sich kennen, und der Graf lud Klemm ein, in Berthelsdorf eine Orgel zu bauen. 1726 zog er ganz nach Herrnhut. Da Lehmann und er sich gut kannten, ist zu vermuten, daß er auf alle Fälle am Orgelbau beteiligt war. Er baute später auch die Orgel in Bethlehem/Pa. in Nazareth-Hall. (Vgl. Diarium des Gemeinhauses Beilage X V zur 47. Woche, nach Heinz Schmidt, Martin Dober. NB 1, R 4, 206.) 359 Vgl. C. Davids Beschreibung der Gemeinversammlung (Livland 1729, R 6 Aa 22,2 „Wie der S o n n t a g . . . " ) : „erst werden etwa 3 Lieder gesungen, da wird die Orgel dazu gespielet und die Waldhörner geblasen."
240
Friedrich war ein sehr zuverlässiger Mann, denn Zinzendorf schenkte ihm, seinem „Elieser", in den wirtschaftlichen Dingen unbegrenztes Vertrauen. Geschick hatte er audi im Umgang und im Briefwechsel mit Adligen bewiesen. Er wurde eigentlich überall geschätzt. In der Gemeine liebte man ihn. In seinem Lebenslauf heißt es: „Im Umgang war er herzlich, kindlich und demüthig." 360 Und Zinzendorf schrieb in den Memoires: „Seine Gabe und Gnade eusserte sich hauptsächlich sowohl im Umgange mit allerley weltlichen Standespersonen, ihnen ohne viel Worte mit seinem blossen Exempel Lust zu machen, dass sie zu werden wünschten wie er, in einem sehr bescheidenen Umgange mit unterthanen, in der vortrefflichen arrangirung der Oeconomie, welche der fonds zu so vielen Artikeln werden muste, in einer lieblichen und fast unbegreiflichen methode freundschafft zu stifften, zu unterhalten und hernach alles auf Jesum und die Gemeinschafft mit ihm zu führen." 381 Tobias Friedrich starb sehr früh, noch nicht ganz 30 Jahre alt, am 8. Juni 1736. Im Lebenslauf wird ein Gebet aus seinen „schriftlichen Zeugnissen" wiedergegeben, das den Inhalt seines Lebens und die Art seines Dienstes kennzeichnet: „Herr, es ist Alles Dein; Ehre oder Schmach; beides schadet mir nicht, wenn ich mich nur durch Deine Barmherzigkeit in eine Gleichgültigkeit aller Dinge und Begebenheiten, des Leides und der Freude setze; wenn ich allezeit meinen Willen dem Deinigen ohne die geringste Ausnahme aufopfere; wenn ich Alles in Dir anzusehen suche, mich durch nichts fesseln lasse, als durch Dich; wenn ich mich beständig im Umgang mit Dir ü b e . . . wenn ich Jedermann, der es nöthig hat oder verlangt, mit herzlicher Willigkeit allezeit zu dienen bereit bin, sollte dies auch mit der größten Unbequemlichkeit für mich verbunden sein;.. ." se2 Neben Tobias Friedrich werden aber auch noch andere Brüder als Musiker bezeichnet. In der „Spezifikation der nach Jena gehenden Schriften" schrieb Zinzendorf 1728 über Augustin Leupold: „Ein Leinweber u. Exulant aus Deutsch-Böhmen, ein redlicher Mann, der Gott ernstl. sucht. Er ist ein Musicus bei der Gemeine." Und über Joh. Raschke: „Ein Exulant von Waischsstadt (?) i. Böhmen u. Musicus bei der Gerne i n Hhut, sonst ein Leinweber." 363 Auffällig ist die Bezeichnung „Musicus bei der Gemeine". Sie standen also nicht in gräflichen Diensten, sondern wollten mit ihrem Können der Gemeine dienen. Da die Gemeine überhaupt keine 380 Lebenslauf, Gemeinnadir. 1839, S. 913. 3βι Memoires, ZBG 1913, S. 183 f. 382 Lebenslauf, Gemeinnadir. 1839, S. 914. Zinzendorf dichtete auf ihn: „Treuer Knecht! wir lieben didi, und woll'n deiner unterdessen nicht vergessen, bis man dich beim Seelen-Mann küssen kann; in der Harfenspieler Bande an's krystallnen Meeres Rande treffen wir dich wieder an!" (Lebenslauf, Gemeinnadir. 1839, S. 920) »es R 6 Aa 16, 1 Nr. 16 u. 32 u. H. Diar. 1728, Beil. 3.
241
hauptberuflich Tätigen hatte, war dies ein unentgeltlicher Dienst wie alle andern auch. Raschke, der spätere Gründer von Niesky, war musikalisch gebildet. In seinem Lebenslauf berichtete er selbst: „Mein Vater schickte mich auf die Stadtschule, um die Music zu erlernen... ao 23 begab ich mich auf 2 Jahre bey einem Organisten an der Elisabeth-Kirche zu Breßlau in die Lehre, hauptsächlich, um der Evangel11 Gnaden-Ordnung kundig zu werden . . . Auf Zureden eines meiner Verwandten aber begab ich mich ao 24 nach Brünn zu den Jesuiten, die mich, weil ich etwas Music verstand, unter ihre Seminaristen aufnahmen. Ich fing an zu studiren . . ,"864 Durch seinen Vetter Augustin Leupold kam er im August 1727 zu einem kurzen Besuch nach Herrnhut und blieb dann von der Adventszeit 1727 an endgültig dort365. Welche Instrumente die beiden so ausdrücklich bezeichneten Musici gespielt haben, ist nicht gesagt. Auf späteren Zeichnungen sind bisweilen Musikanten zu sehen. Z.B. zeigt die Tuschzeichnung vom Begräbnis in Herrnhut vom Jahr 1754 (Beilage Bild 8) 7 Musikanten (Les Musiciens): 2 Trompeten, 4 Geigen, 1 größeres Streichinstrument. Auf einer Tuschzeichnung aus demselben Jahr 1754, die die Ostermorgenfeier der Herrnhuter Gemeine auf dem Gottesacker am Hutberg zeigt, nehmen die Musiker die gesamte linke Seitenfront in recht beträchtlicher Zahl ein. Die Figuren sind sehr klein, man meint aber folgende Instrumente erkennen zu können: 2 — 3 Trompeten oder Posaunen, 2 Waldhörner, 3 Violinen, 2 größere Streichinstrumente (Celli), 1 Fagott und ca. 10 Sänger366. Aber damit ist nicht gesagt, daß diese Instrumente auch in der Frühzeit vorhanden waren. Sehr früh wurden aber Blasinstrumente gemeldet. Zuerst waren es wohl nur Waldhörner, die man zum Orgelspiel, vor allem aber draußen erklingen ließ. Von der Gemeinversammlung am Sonntagabend wußte C. David 1729 in Livland zu berichten: „Denn (nach 5 Uhr) komt in Herrnhut die gantze Gemeine zusamen, da denn die Brüder aus Bertholdsdorff mit dazu komen, erst werden etwa 3 Lieder gesungen, da
864 Lebenslauf, Beilagen zum Diarium des Gemeinhauses, 39. Wodie 1762, Niesky, S. 616. Vgl. Gemeinnadir. 1850, II, S. 211 ff. 865 Lebenslauf, a.a.O., S. 620. In Niesky hielt er nicht nur die ersten Versammlungen in seiner Scheune und seinem Hause zum Teil selbst, sondern versah dabei audi den Dienst des Organisten (a.a.O., S. 623). 866 Auskunft des Herrnhuter Archivs und Brief des Archivars Träger an Diakon Lösdier v. 1. 6. 1960. Abschrift im Herrnhuter Archiv. Ein farbiges Kleinbild von 1746 „Liebesmahl" im kleinen Kreis im Herrnhaager Betsaal zeigt: „In die rechte Sei ten wand eingebaut eine kleine Zimmerorgel (Positiv?) daneben stehend ein Waldhornbläser, ein Quer-Flötist, ein Geiger; sitzend ein Cello- oder Gambenspieler (An der Wand hängen noch anscheinend eine Trompete und eine Geige)." Archivar R. Träger an Diakon Löscher 1. 6. 1960.
242
wird die Orgel dazu gespielet und die Waldhörner geblasen.. ."3β7 So müssen also Anfang 1729 Waldhörner in Herrnhut gewesen sein368. Daß die Brüder ihr Blasen als einen unentgeltlichen Dienst in der Gemeine verstanden, wird aus einem Besprechungspunkt des Gemeinrats am 1. April 1731 deutlich: „Es ward vorgebracht, ob u. was man den Waldhornbläsern geben solle, da protestirte gleich Hans Raschke sie wolten durchaus nichts nehmen."369 Also gehörte Raschke zu diesen ersten Bläsern im alten Herrnhut und machte sich zum Sprecher der andern. Ob die Mähren die Fertigkeit im Blasen und u.U. sogar einzelne Instrumente mitgebracht hatten? Wir wissen es nicht. Jedenfalls gehörte im alten Herrnhut das Musizieren auf Blasinstrumenten bald zum Gemeinleben hinzu. Und zwar bliesen die Brüder eben nicht als bezahlte Musikanten, sondern sie stellten ihre besondere Gabe, wie andere die ihre, in den Dienst der Gemeine. Im Mai 1731 kamen zu den Waldhörnern Posaunen, denn am 12. Mai wurden sie bei der Erwähnung des Geburtstagssingens für Pfarrer Rothe ausdrücklich genannt: „Nach der Singstunde gingen unser etliche 40 zu H . Rothe u. stimten 4 Lieder an als: Allein Gott in der Höh pp. Unser Herrscher, unser König pp. Du Geist des Herrn pp. endl. Mein Heild, nim mich ein zur Ruh pp. Als wir zurückkamen sangen wir wieder am Ring in Hhut, da der alte Schindler Paul u. sie sehr weinten, als sie darüber erwachten. Wir hatten die Posaunen u. Waldhörner" 370 . Das Blasen auf den neuen Instrumenten wurde nun bei allen passenden Gelegenheiten geübt. David Hans erzählte ζ. B. in seinem Lebenslauf, wie er als Exulant am 1. Juni 1731 in Herrnhut begrüßt wurde: „Den folgenden Tag, den I. Juni, gingen wir nach Herrnhut, wo wir abends nach der Singstunde a n k a m e n . . . Da eben in diesen Tagen die Gemeine die ersten Posaunen bekommen hatte, so bewillkommten sie uns mit denselben, und die Brüder sangen das Lied dazu: Wie schön ist unsers Königs Braut, welches midi so einnahm, daß ich glaubte, ich wäre nicht mehr in der Welt, und mich vor Weinen nicht zu lassen wußte." 371 In diesen Tagen begann dann audi schon der Brauch, zum Begräbnis auf dem Hutberg die Posaunen mitzunehmen: „Es wurde die Schwester ( = Rosina Schindler, geb. Teicher) begraben . . . Etliche 100 Br r u. Schw. gingen mit der schönsten Ordnung zugleich, zuerst ihre Bande, hernach alle Schw., dan die Brr, j e 3 u. 3. Erstl. wurde gesungen: Mein edler Geist pp. hernach: Wie schön ist unsers '«7 C. D. Livland 1729, R 6 Aa 22,2, „Wie der Sonntag bey uns angewandt wird." see Bereits am 6. 3. 1729 schrieb C. David aus Riga. Th. Bechler, Christian David, S. 34. »ee R 6 Aa 25 v. 1. 4. 1731. SO H. Diar. 1731. »7i Lebenslauf v. David Hans, zit. n. Bettermann, Wie das Posaunenblasen in der Brüdergemeine aufkam, Jahrbuch der Brüdergem. 1937/38.
243
Königs Braut pp., bei der Einsenkung: Die Seele Chi heiige mich, alles mit Beinehmung der Posaunen." 372 So ist es nicht verwunderlich, daß die nach Amerika ziehenden Brüder ihre Kunst und ihre Instrumente mitnahmen und dort, wie sie es von Herrnhut gewohnt waren, in das Leben der Gemeine und ihren Dienst einfügten. Unter den Brüdern, die am 5. August 1735 mit der zweiten Gruppe von Kolonisten nach Georgien gingen, war Johann Böhner, geb. 1710 in Grumberg in Mähren, den der General Oglethorpe in Georgien dann durchaus als seinen Trompeter für 110 Schilling im Monat anstellen wollte. Bei der Auflösung der Kolonie 1739 kaufte Oglethorpe den Brüdern auch ihre Trompeten und Waldhörner ab „und gab ihnen 10 Schilling mehr als sie begehrten". „Als Torna Chachi (der Indianerhäuptling Tomochichi) begraben worden, hat er audi die Brüder bezahlen wollen, wenn sie Musik machen wollten, allein sie schlugens ihm ab", schrieb Peter Böhler im Dezember 1739 nach Herrnhut 373 . Offensichtlich hatte das Blasen auf den General großen Eindruck gemacht. Wenn die Brüder es in Georgien so eifrig betrieben, mußte es in Herrnhut erst recht üblich gewesen sein. Daß jeglicher Dienst gegen Bezahlung abgelehnt wurde, obgleich man das Geld sicherlich hätte gebrauchen können, ist wieder ein Zeichen dafür, daß die Brüder ihr Blasen allein als Dienst Christi in der Gemeine verstanden haben 374 . So sehen wir aus dem Ganzen, daß jede Gabe, die der Auferbauung der Gemeine dienen konnte, ihre Betätigungsmöglichkeit und ihren Platz im 372 H. Diar., 4. Juni 1731. 373 R 14 A Nr. 6e, 710—713, Brief Peter Böhlers aus Savannah v. 14./25. Dez. 1739, nadi einer Archiv-Notiz im Herrnhuter Archiv v. 31. 5. 1960. Vgl. zu diesem ersten Missionsversuch in Georgien: K. Müller, 200 Jahre Brüdermission, S. 200 ff. 374 Über die weitere Entfaltung des Posaunenblasens berichten die Notizen, die Bettermann gesammelt hat (a.a.O., Jahrbudi der Brüdergem. 1937/38): 1742 wurden die Kommunikanten zum Abschluß der Abendmahlsfeier („Verlaß") mit „Trommeten" in den Saal gerufen. 1747 wurde am 2. Mai in Herrnhaag zum Liebesmahl geblasen. 1747/ 48 wurde in der Neujahrsnacht ein Vers mit Trompeten angestimmt. Eine Reihe von Notizen nach 1751 meldet das Blasen zum Bekanntmadien des Heimganges eines Gemeinmitgliedes. — H. Erbe schildert in seinem Budi „Bethlehem/Ра." S. 93 f. audi das musikalische Leben in diesem Gemeinwesen der Herrnhuter um 1750. Dort zog man mit Trompetenschall ins Feld und zur Heuernte. „Von der Orgel, von Harfen, Flöten und Streichinstrumenten wurden die Gesänge der Gemeine in den Liebesmählern begleitet, wodurch gerade diese Veranstaltungen ihren fröhlichen, ,wahrhaft festlichen Charakter' erhielten. Spangenberg selbst hatte nämlich im Januar 1748 ein ,collegium musicum' gegründet..., in dem täglich eine Stunde unter der Leitung von Bruder Westmann fleißig geübt wurde; 14 Köpfe zählte damals diese Musikerschar. Gleichzeitig legte man audi einen Fonds zur Anschaffung neuer Instrumente an." Darf man von diesen täglichen Übungsstunden in Amerika auf die täglichen Zusammenkünfte des „Collegium Musicum" in Herrnhut 1731 schließen? (vgl. Anm. 357) Dann wäre damals sdion ein kleines Orchester unter den Brüdern vorhanden gewesen, das mit seinem Spiel der Gemeine und ihrem Herrn dienen wollte.
244
geordneten Dienen der Gemeine bekam. Gerade den musikalischen Brüdern und Schwestern wird es zu danken sein, daß die Gemeinversammlungen so anziehend wurden und auf viele Besucher einen unvergeßlichen Eindruck machten. Dadurch aber, daß man auch diese Gabe dem Dienst Christi heiligte, werden viele Lust bekommen haben, ihre Fähigkeiten auszubilden und in den Dienst der Gemeine zu stellen. Selbstverständlich dürfte gewesen sein, daß man seine Musikalität nicht für sich selbst genießen, sondern gemeinsam mit den andern denen zur Freude nutzbar machen wollte, denen diese Gabe in gleichem Maße nicht gegeben war.
C . D I E BEDEUTUNG DER ÄMTERORDNUNG
Wir überblicken noch einmal den ganzen Abschnitt, in dem wir von den Ämtern der Gemeine sprachen. Es ist das Anziehende dieser ersten Zeit der Herrnhuter Gemeine, daß das Prinzip, die Aufgaben unter viele aufzuteilen und diese wiederum nach den einzelnen Gaben mit einem Amt zu betrauen, hier noch nach einer klaren Ordnung durchgeführt wurde. Die Ämterordnung war allerdings nur dadurch möglich, daß Menschen da waren, die zur Übernahme der verschiedenen Aufgaben bereit und auch befähigt waren. Das Leitbild blieb in dieser ersten Zeit von 1725 an Rom. 1 2 , 7 u. 8 als Ausdruck der apostolischen Gemeindeordnung. Hier fand man sich mit seinen Möglichkeiten am ehesten wieder. Die Ämterbezeichnungen in 1. Kor. 1 2 , 2 8 ff. und Eph. 4 , 1 1 tauchten in dieser Zeit der Gemeine nur im „Helfer" und als „Regierer" in sachentsprechender Form in den Aufsichtsämtern auf. Aus der Apostelgeschichte kamen die „Ältesten" hinzu (in der späteren Ausdeutung des Amtes). „Apostel und Propheten" fand und bezeichnete man erst zu späterer Zeit in der Gemeine. Auffällig ist, daß Paulus in Römer 12 weniger von ausgeteilten Ämtern als von Geistesgaben und ihrem geistgemäßen Einsatz redet. Rothe und Zinzendorf formten daraus festgeprägte, mit Instruktionen versehene Ämter. Sie taten es in seelsorgerlicher Absicht: das Amt erhält im Dienst 375 . Hierbei spielte natürlich eine Rolle, daß die alte böhmische Brüderordnung auch ihre Ämter, ihre geordnete Armen- und Krankenpflege und die zu besserer Seelsorge gegliederte Gemeine kannte 876 . So traf sich ein doppeltes Interesse: apostolische Gemeinde darzustellen und in der alten brüderischen Ordnung zu bleiben. Dabei wird den Brüdern damals wohl kaum zum Bewußtsein gekommen sein, daß sie mit 375 Vgl. di e Wiedergabe der Predigt Rothes in C. Davids Beschreibung von 1731, s. A. 2, S. 138 ff. 37β Vgl. Müller, Zinzendorf als Erneuerer, S. 26/27.
245
ihren Ämtern sowohl den Inhalt der Dienstgaben in Römer 12 nach Zeitumständen und Notwendigkeiten verschoben (das zeigen die Auslegungen Zinzendorfs in den Ämterinstruktionen), als auch der alten Brüderordnung nur insofern nahe kamen, als sie eben eine Ordnung schufen. Die Gliederungsformen und damit auch die Amtsbezeichnungen deckten sich ja kaum. Zum Nachvollzug des Lebens der apostolischen Gemeine gehörte auch die Genauigkeit, mit der man sich bei aller sonstigen freiheitlichen Aktivität an die Weisungen der Schrift hielt. Bei den Ämtern der Schwestern wird dies ζ. B. deutlich. Das Amt der Lehrerinnen wurde, anders geartet als das der Lehrer, in Titus 2, 3 ff. begründet und dem hier Ausgesagten entsprechend geformt. Wichtig ist uns die hier noch einmal ausdrücklich zu betonende Feststellung, daß es sich in der gesamten Ämterordnung um reine Laienämter handelte. Rothes Pfarramt war deshalb nur lose (im öffentlichen Lehrer) in diese Ordnung eingebaut, weil er seine Stellung durch sein Amt zu dieser Zeit noch in selbstverständlicher Anerkennung über oder neben den Laienämtern hatte. Man fügte sich in die Ordnungen des lutherischen Pfarramtes als „äußerlicher Kirchenverfassung", wie man zu sagen pflegte, ein und suchte in der eigenen Ordnung das zu verwirklichen, was das Pfarramt mit seinem einzelnen Amtsträger nie hätte geben können377. Die Brüder und Schwestern, die ein Amt bekamen, blieben in ihrem weltlichen Beruf, in dem sie, um durchzukommen, Tüchtiges leisten mußten. Sie stellten aber die ihnen verbleibende freie Zeit völlig dem Dienst in der Gemeine zur Verfügung. Oder vielleicht müßte man, da unser Begriff der Freizeit für Herrnhut kaum paßt, sachgemäßer sagen: sie stellten von ihrer Arbeits- und Ruhezeit dem gemeinsamen Leben das Nötige zur Verfügung. Es gehört zum Glanz dieser ersten Gemeinzeit, daß dies von ihnen selbstverständlich geschah, ohne einen Pfennig Entgelt dafür zu nehmen. So schrieb Zinzendorf einmal in seinem Tagebuch am 2.4.1731: „Bei Christ. David fand ich eine Menge der herrlichsten Briefe, die er geschrieben; u. ist fast nicht begreifl., wo der Man sein Brot hernimt, weil seine Frau krank ist, er continuirlich in Gemeinsachen arbeitet u. sich nicht gern auch nur zu essen anbieten läßt." 878 Dieser unentgeltliche Dienst in allen Ämtern bedeutete ein großes finanzielles Opfer des einzelnen. Die Geld377 Vgl. Notanda 6 der Ersten Gemeineinrichtung: „Die äusserl. Kirchen Verfaßung als Tauffen, Abendmahlhalten, Betstunden u. Predigten besuch gehöret ordentl* Weise, nebst Trauungen u. Begräbnißen nach BerthelsdorfiF in das lutherisdie Kirchspiel solange solches in der Freyen u. unpartheyischen Verfaßung b l e i b t . . . " R 6 Aa 18, lb, vgl. Beil. 2. 378 H . Diar. Vom unentgeltlichen Dienst M. Dobers als Lehrer sprachen wir an anderer Stelle schon, s. S. 178.
246
gaben, die kollektiert wurden oder als Spenden von reichen Freunden kamen, konnten so völlig der Gemein- und Armenkasse zufließen oder zum direkten missionarischen Dienst und für die Anstalten eingesetzt werden. Die Übernahme eines Amtes geschah zudem völlig freiwillig. Wie wir sahen, konnte man ein Amt zurückweisen. Dies ist natürlich audi vorgekommen. Aber in der Regel übernahm man das zugedachte Amt. Man war dazu von den Vertrauenspersonen der Gemeine vorgeschlagen und durchs Los bestimmt oder bestätigt worden. So gehorchte man gern in der vorhandenen Bereitschaft zum Dienen, auch wenn man, wie es oft vorkam, mehrere Dienste zugleich übernehmen mußte. Das Los sagte ja, daß der Wille des Heilandes selbst dahinter stand 379 . Die große Zahl der Brüder und Schwestern im gleichen Amt versicherte einen dabei der tragenden Gemeinschaft, man stand ja nie allein in seinem Dienst. Zugleich war damit gewährleistet, daß Überforderungen nicht vorkommen konnten. Die Gliederung in kleine Gemeinschaften, in denen man sein Amt versah, oder die Aufteilung auf die Wochentage schaffte dem einzelnen ein kleines Arbeitsgebiet, das er mit seiner Gabe bedienen konnte. Dadurch und durch die ganz verschiedenen Dienste, die angeboten wurden, war es möglich, die geringsten Gaben zu üben und einzusetzen. Man konnte sein Amt ja auch nach einer gewissen Zeit wieder wechseln. Eine genaue Einführung in sein Amt bekam man durch das Gespräch mit dem Vorsteher Zinzendorf oder mit den Ältesten. „Wenn einer ein Amt kriegt, wird er von dem jenigen, der die Conf. der Aemter hält, oder vom Aeltesten gerufen und ihm angezeiget auch erkläret, was es auf sich hat oder was darzu erfordert wird." 3 8 0 Was in der kurzen Einführung nicht geschah, vollzog sich als laufende gegenseitige Belehrung in den wöchentlichen Konferenzen. Jedes Amt hatte seinen Tag, an dem die Konferenz stattfand. Christian David schrieb darüber: „Alle Tage früh Morgens nach der Erbauungs-Stunde 8'» Zum Los vgl. Beyreuther, Zinzendorf II, S. 93—95; III, S. 10 u. Lostheorie und Lospraxis bei Zinzendorf, Z K G 1960. D a s Entscheidende am Losgebrauch war, daß eine gründliche Überlegung und meist eine eingehende Beratung vorangingen und man erst dann das Los entscheiden ließ, wenn zwischen zwei oder drei möglichen Personen oder Wegen entschieden werden mußte. Man nahm dazu später wohl immer auch ein leeres Los. Wurde dies gezogen, so ließ man die Sache als zur Entscheidung noch nicht reif anstehen. Es gehörte zum Losgebraudi die Vorbereitung durdi das Gebet. Daraus folgte die gewisse Oberzeugung, daß der Herr selbst so wie das Los entschied. Die Frucht davon war der kindliche Gehorsam, der auf Grund des Loses auch schwierigen Aufgaben gegenüber nicht zurückschreckte. In der Zuteilung der Ämter hat das Los stets eine wichtige Rolle gespielt. Man berief sidi dabei auf die Art der Apostelnachwahl Apg. 1. Wir werden der Lospraxis immer kritisch gegenüberstehen. Jedoch hatte sie im alten Herrnhut ihre große Bedeutung in der Vermittlung der Berufungsgewißheit. 380 R 6 Aa 15/5 v. 1736/1737 (s. d.).
247
der allgemeinen Versammlung der Brüder und Schwestern kommen pünctlich diejenigen Brüder und Schwestern, die einerley Aemter haben, zusammen in eines des Herrn Grafen sein Zimmer, die Brüder zum Herrn Grafen, und die Schwestern zur Frau Gräfin, und bleiben eine viertel oder halbe Stunde, nachdem viel oder wenig zu überlegen ist, beysammen, und das gehet alle Tage so nach einander weg die gantze Woche hindurch." Er nannte auch die einzelnen Tage: Montags früh die Lehrer, nachmittags die Oberältesten (vor 1730), dienstags die Aufseher, mittwochs die Helfer, donnerstags die Krankenwärter, freitags die Ermahner, sonnabends die Diener, montags auch noch „die über die Handthierungen gesetzet sind"381. Die Wochentage wechselten natürlich im Laufe der Jahre. Als Tageszeit scheint man aber an der Morgenstunde festgehalten zu haben382. Man war ja eine geschlossene Gemeinschaft, in der man sich seine Zeit einteilen konnte. In der Konferenz müssen wir die eigentliche Ämterschule sehen. Die Krankenwärter ζ. B. bekamen hier wichtige Instruktionen für ihre Pflege. Zugleich sorgte der Erfahrungsaustausch dafür, daß keine Frage ungeklärt blieb. Hierfür nahm man sich auch Zeit und kam darum wöchentlich einmal und bei Bedarf sicher auch öfter zusammen. Wichtig ist uns ferner, daß für die seelsorgerlichen Ämter vermutlich, auf alle Fälle für die der Ältesten und Helfer, eine Einsegnung durch Handauflegung geschah. Für die anderen wird uns dies nicht ausdrücklich berichtet. Die Krankenwärter ζ. B. schienen nur durch ein Gespräch mit einem Segenswort in Dienst genommen worden zu sein. Sonst dürfen wir aber annehmen, daß der Segen mehr gespendet wurde, als ausdrücklich erwähnt wird. Als das Ältestenamt rein geistliches Amt geworden war, war die Handauflegung (wohl nach 1. Tim. 4,14) Sache der Ältesten383. Wesentlich ist besonders, daß die Ämter auf der Schwesternseite in veränderter Gestalt, die dem Wesen der Frau entsprach, ebenfalls ausgeteilt wurden. Die gute Erfahrung im Laufe der Geschichte hat dieser seelsorgerlichen Weisheit recht gegeben. Wie waren nun die Auswirkungen dieser Ordnung? Man wird sagen dürfen, daß sich die Ämter in diesem lebendigen Gemeinwesen in der sei C. D . Besdir. Druck (1729/30), S. 31 ff. über die Conferenzen. 382 Vgl. R 6 Aa 25, Gemeinrat am 22. Okt. 1730: „Die Versamlung derer Ämter soll audi tägl. früh um 6 Uhr nach der Frühversamlung zu sein. Mo. Allmosenpfl. Die. Diener Mi. Krankenw. Do. Aufseher Fr. Ermahner Sa. Lehrer." 1728/29 waren die Tage so eingeteilt: Mo. Krankenwärter, Die. Lehrer, Mi. Helfer, Do. Aufseher, Fr. Ermahner, Sa. Diener. H. Diar. 15. 11. 1728 u. C. D a v i d an Heitz, R 24 В 68, S. 179 ff. 383 Bei Abwesenheit, etwa durch eine Reise, wurde ein Vertreter des Ältesten eingesetzt. Auch er wurde dazu eingesegnet: H . Diar. 16. 3. 1731: „Hernach segnete der 1. Br. Linner ( = Ältester) den 1. M. Rohleder zum Ältesten uns r Gem e ein u. wurde hingegen von Ältesten u. Helfern, unter denen er nunmehr bis zum Ende s r Reise ist, zur Wegfahrt eingesegnet."
248
Regel bewährt haben. Sonst wären sie nicht mit ihrer Ordnung in weite Zukunft hinein (bis zu den Synoden 1764/69) immer das stille Vorbild einer rechten Verfassung geblieben. Durch die Ordnung wurde die geistliche Bewegung jener Jahre in Bahnen gelenkt, in denen sie nützen und nicht schaden konnte. Hier hatte die Gemeine ihre hohe Schule für das Tragen von Verantwortung. Durch den häufigen Wechsel der Ämter lernte der einzelne die verschiedenen Dienste kennen und ausüben. Besondere Gaben können so erst richtig erkannt und ausgebildet werden. Auf ihren Reisen und Botengängen, beim Gründen neuer Gemeinschaften und bei ihrer Betreuung wird den Brüdern und Schwestern das in den Ämtern Geübte und Gelernte zugute gekommen sein. Wichtig ist dabei, daß es keine besseren oder schlechteren Ämter gab. Der Dienst des Herrn kennt keine Karriere. Anne Lene Nitschmann, die gerühmte Seelsorgerin unter den Frauen, war im letzten Monat ihres Lebens Dienerin. Im Blick auf das Leben der Gemeine wird zu sagen sein, daß durdi die Fülle der verschiedenen Ämter der Geist der Dienstwilligkeit immer wieder von neuem gefördert wurde. Es muß doch zum selbstverständlichen Satz in der Gemeine gehört haben: Wer Glied ist, hat auch einen Dienst und ein Amt oder, falls dazu nodi keine Möglichkeit bestand, rechnet damit, demnächst eins zu bekommen. Auch diese Wechselwirkung wird stattgefunden haben: Die Gliederung der Gemeine verlangte Ämter, die vorhandenen geübten Träger derselben erlaubten eine weitere Gliederung. Der Drang zum Dienst brachte dann die Boten der Gemeine auf Wege bis zu den Enden der bekannten Welt. Nur durch die ausgebaute Ämterordnung war also das vielgestaltige Leben der Gemeine möglich. Eins erforderte das andere. Zinzendorfs überragende Persönlichkeit fand dabei in den Ämtern ihr Korrektiv. Er prägte die Gemeine, aber diese Prägung geschah durch Menschen, die seine Ideen veränderten, brauchbar gestalteten und eben audi umgestalten oder ablehnen konnten. Vor allem war dies dadurch gegeben, daß er und andere der Gemeine an sich geistig überlegene Menschen sich in die Ordnung der Gemeine mit ihren Ämtern einfügten. Man wird nicht sagen können, daß die Ämterordnung in der ausgestalteten Form von vornherein geplant war. Sie ist im Wechselspiel von Wunsch, Plan und Erfahrung gewachsen. Sie blieb für die Zukunft damit irgendwie prägend. Die hier gesetzten Ämter oder ihre Funktionen kamen in irgendeiner, meist ähnlichen Form immer wieder, ja man kehrte zur Zeit der verfassungsgebenden Synoden 1764 und 1769 nach einer Zeit hohen Fluges in Titeln und Amtsbezeichnungen zu ihrer Einfachheit zurück. Die ersten Ämter hatten in sich die regulierende Kraft der ersten Gemeinzeit. Es bleibt noch einiges kritisch zu fragen: Ob das Ideal nicht doch weit über der Wirklichkeit des Herrnhuter Alltags lag? Auch Tagebücher und 249
Ämterlisten, vor allem aber Berichte nach auswärts können verzeichnen und, wenn der Wunsch der Vater des Gedankens ist, idealisieren. Der häufige Wechsel der Personen in den einzelnen Ämtern ist auch nicht nur das Positivum, das wir eben darin zu erkennen suchten. Es wird audi mancherlei Versagen im Amt gegeben haben. Es mag auch vorgekommen sein, daß man die Vielfalt der Ämter als Last empfand, zumal selbst in Herrnhut die kritische Frage aufkam, ob denn die so geprägten Ämter wirklich biblisch zu begründen seien. Es heißt im Gemeinratsprotokoll vom 7. Januar 1731: „Es ward vorgetragen, weil sich viel stoßen an den mancherley Ämtern, davon man nicht ausdrückl. kan sagen, daß es die Apostel so geordnet hätten, so wolte man solche Ämter niederlegen u. einen ieden nach derer Wirkung d. freien Gnade überlassen. Weil auch die Statuten nur zu Anfang nöthig gewesen u. wir sie itzo nicht mehr bedürfen, also (?) werden sie aufgehoben. Es werden aufgehoben die Aemter der Aufseher, der Ermahner u. Helfer wird ein ieder frey gelassen. Die Banden sollen aufgehoben werden u. ein ieder zu denen gehen, wohin er Lust hat. Bey den Weibern aber, weil noch viel Segen dabey ist, sollen die Banden annoch bleiben. — Wegen der Aemter wurden die folgenden Capitel i. d. Bibel gelesen Actor. 6. 20.21 Rom 12.16. Ob man solle loosen ob die Bande sollen bleiben, oder ob man solle darin nachgeben u. sie aufheben, weil sich viele daran ärgern wollen. Die meisten Stimmen fielen aufs Loos. — Das Loos fiel: Haltet ob den Satzungen der ihr gelehret seyd." So kehrte man doch wieder in die einmal erprobte Ordnung zurück. Auch die stärksten Kritiker ordneten sich wieder ein, denn eine Woche später, am 14. Januar 1731, heißt es: „Chr. David erzehlte, daß die 4 Personen, die sich Zeithero abgesondert hatten, sich erkläret, sie erkenten wol die Ordnung für gut, nur hätten sie diej. die da Ämter hätten, nicht für tüchtig erkant. Sie hätten auch vorgegeben, sie hätten nutz von bisheriger Stille, u. hätten gewünscht, wieder in die Gemeine aufgenommen zu werden. Darauf ward ihm gesagt, wen sie wollten aufgenomen werden, so müsten sie der Gemeine u. ihrer Ordnung unterthan sein." 384 Zu bedauern ist für den außenstehenden Beobachter, daß im Laufe der Entwicklung doch wieder einzelne an führende Stellen der Gemeine kamen, etwa Anna Nitschmann in ihrem Ältestenamt, das, obgleich Leon3 8 4 R 6 A a 25, Gemeinratsprotokolle v. 7. u. 14. 1. 1731. Die Kapitelangabe ist nicht uninteressant. In Apg. 6 handelt es sich um die Wahl der 7 Almosenpfleger, in Apg. 20 geht es um das Ältestenamt, in Apg. 21 wird von „Jüngern", von Philippus, dem Evangelisten, und seinen 4 weissagenden Töchtern und vom Propheten Agabus geredet. Bei Rom. 12 wird es sich um die von uns öfter angeführten Verse 7 u. 8 gehandelt haben. In Rom. 16 wird man auf die verschiedenen Bezeichnungen in der Namensliste geaditet haben. Auffällig ist, daß Stellen im 1. Korintherbrief und im Epheserbrief nicht genannt werden.
250
hard Dobers Generalältestenamt als menschliches Amt abgeschafft worden war, in einsamer Höhe und Vollmacht über der Gemeine stand. Aber das waren Fehlentwicklungen, die nicht in der geschilderten Ordnung begründet lagen. Für diese erste Gemeinzeit war sie jedenfalls das Gefäß, in dem ein geordnetes gegenseitiges Dienen möglich war, so gut, daß man die Ordnung im alten Herrnhut immer als Modell einer lebendigen „eingerichteten" Gemeine empfunden hat. So erlebte man die Gliedschaft am Leib der Gemeine im geordneten Dienst. Das „allgemeine Priestertum" wurde in einer Weise erfahren, daß man ein Gegenüber von Amtsträgern und Gemeine nicht spürte. Später wurde dies anders. Davon zeugt ein Rückblick Zinzendorfs auf das Leben im alten Herrnhut vom 12. Mai 1754: „Zu einem halben Dutzend Menschen fand sich allemal ein Freund, der, wenn er gleich nicht Hauptmann über hundert oder Oberst über tausend sein konnte, desto geschickter war zu einem Rottmeister über z e h n . . . Das macht Arbeiter und Knechte des Herrn in alle Welt. Wie hätten wir mit 18 mährischen Brüdern just so viel Heidenposten aufsuchen und mehr als tausendmal einen oder mehr Fischer auf die See schicken können, wenn's nicht auf diese Art präpariert worden wäre. Jetzt sollten wir unter tausend Menschen kaum den zehnten Teil aufjagen, was wir damals aus 70 bis 80 aufbrachten. Warum? Es ist in unserer Kirche der Pfaffenstand aufgekommen, der Unterschied zwischen Laientum und Klerisei, zwischen Pfarrern und Eingepfarrten. Wir wußten damals auch schon, was Priester und Liturgi waren, aber das war nicht der Kompaß der Arbeiter. Wollte Gott, ich bleibe dabei, daß alles Volk weissagte und der Herr seinen Geist über sie gäbe: Das ist der Ressort worauf meine ganze Maschine gehen muß." 385 Sehen wir von der etwas eigenartigen Ausdrucksweise ab, so spüren wir an Zinzendorfs Worten, daß er in der Fülle der zum Dienst bereiten Brüder und Schwestern das Wesentliche der ersten Gemeinzeit sah. An der Dienstbereitschaft erkannte er das Wirken des heiligen Geistes in der Gemeine. Ja, er konnte die Bereitschaft zur Übernahme von Diensten und Ämtern geradezu zum Kennzeichen einer lebendigen Gemeine machen: „Wenn nur vier Seelen miteinander verbunden sind, sehen die Gaben aneinander und setzen jeden dazu, wozu er soll, so ist eine Gemeine."386 Wie stark man dabei von der Begabung durch Christi Geist abhängig bleiben wollte, zeigt eine Äußerung Zinzendorfs vom September 1741: „Wenn jemand seine Gabe verliert, soll er ein anderes Amt bekommen, und wenn er sich zur Zeit zu nichts schickt, pro emerito gehalten werden, 385 J. H. D., 12. 5. 1754, zit. n. Uttendörfer, Weltbetradnung, S. 281 f. 38« R 2a 2, lb, S. 20 f. zit. n. Uttendörfer, Weltbetraditung, S. 282. Uttendörfer fährt fort: „Dementsprechend am 14. Oktober 1752: ,Eine Gemeine muß ihre Arbeiter aus sidi selbst schaffen, sonst kann sie in die Länge keine Gemeine bleiben'." (J. H. D. 1752, Beil. 36, No. 18)
251
auf kurz oder lang, bis ihn das Lamm wieder durch seinen Geist begabt." 3 8 7 Von dieser Sicht her ist der oftmalige Wechsel der Personen in den Ämtern auch zu sehen. Es liegt darin die weise Erkenntnis, daß man nicht jahraus, jahrein im gleichen Dienst stehen kann, ohne zu ermüden, ja daß die Gaben nicht nur bei verschiedenen Menschen verschieden sind, sondern auch in einem Menschenleben im Ablauf der Jahre in verschiedener Stärke ausgeprägt erscheinen. Auf das Erkennen der jeweiligen Gabe und auf ihren rechten Einsatz hat Zinzendorf bei seinen Brüdern und Schwestern und haben diese auch untereinander viel Aufmerksamkeit verwandt. Als letzte Stimme in unserer Beurteilung der Ämterordnung wollen wir noch einmal Christian David hören. Er hat uns nämlich in seiner Beschreibung von Herrnhut am Schluß seiner Ämterdarstellung eine eigene Würdigung der Ämter und ihrer Ordnung gegeben. Seine Sätze führen uns noch einmal darauf, wie die Brüder selbst ihren gegenseitigen Dienst verstanden wissen wollten. „Dieses sind die mancherley Aemter und Bedienungen der verbundenen Brüder zu dem gemeinen Nutz, welche sie aus Christlicher Liebe gegen einander und unter einander, ohne die geringste leibliche Bezahlung über- und unternommen, um einander als Glieder an Christi Leibe Handreichung zu thun, dazu man gantz willig ist, und ein ieder dem andern mit der empfangenen Gabe zu dienen sich angelegen seyn läst: Und das thut die Liebe JEsu Christi mit Freuden, mit heiliger Lust und Brunst, wenn sie auch gleich keinen Danck und Erkäntlichkeit weiß, denn es ist nicht Menschen-Liebe. Den Menschen-Liebe höret bald auf, sie wird bald müde: Christi Liebe aber ist schon die Vergeltung, und höret nicht auf, wird auch nicht müde; denn es ist in ihr ein unsterblicher Geist, eine unendliche Kraft, einen zu erquicken, zu sättigen, zu erfreuen, nicht nur auf eine Zeit, sondern auf ewig, nicht nur in guten, sondern auch in bösen Tagen." Nun stellte C. David menschliche Liebe und die Liebe Christi einander gegenüber, indem er dabei 1. Kor. 13, 4—7 folgte 388 . Dann fuhr er fort: „Diese Liebe Christi ist reichlich durch den Heiligen Geist über uns und in uns ausgegossen, daß wir einander lieben und auf einem Sinne bleiben können, und durch diese seine in uns wohnende Liebe, damit er uns geliebet, kan erst eine Seele wissen, wie reichlich sie von Gott begnadiget ist, und als denn, wenn eine Seele mit allen Heiligen Gottes die unendliche Liebe JEsu Christi anfängt zu begreiffen, wie derselben Breite, Länge, Höhe und Tiefe kein Ende ist, da gehet ihr Hertz und ihr Mund von diesem JEsu erst recht über: Denn ihre Einflüsse von der Liebe JEsu erfüllen Leib und Seele, daß eine Seele von diesem ihrem Leibe 387 R 2a 6, lb, Sept. 1741, zit. n. Uttendörfer, Weltbetrachtung, S. 272. 388 C. D. Besdir. Druck, S. 23 f. Das Stück verrät eine tiefe seelsorgerliche Erkenntnis und läßt spüren, warum C. Davids Predigt so wirksam sein mußte.
252
Ströme des lebendigen Wassers fliessen lässet, und dabey freut sich ihr Leib und Seele in diesem ihren lebendigen Gott, daß sie so durch und durch geheiliget ist, sich dem HErrn zu ergeben, und ihm aus reiner Liebe anzuhangen. O ! wer kan bey dieser ewigen Liebe wohnen, daß er auch nicht solte von ihr entbrant werden, daß ihn die Flamme der Liebe nicht solte anzünden." 389 Und damit ging Christian David zu einem Gebet über, das in großer meditierender Ausführlichkeit Gott um neue Liebe bat. Es schien uns wichtig zu sein, diese Sinndeutung des Dienens in den Ämtern zum Teil wenigstens wiederzugeben, weil sie uns deutlich machen kann, daß es sich in allen, auch in den äußerlichsten Ämtern und auch in der Leitung der Gemeine um echten Dienst christlicher Liebe handelte, daß jedenfalls in der Gemeine die Übernahme jedes Amtes so verstanden wurde. Und wir können aus dieser Beurteilung, die die Liebe Christi preist, schließen, daß die Glieder der jungen Siedlung am Hutberg selbst erstaunt in dem Leben standen, das unter ihnen erwuchs. Christian David gab seinen Bericht über Herrnhut ja dazu, daß andere die Wunder Christi in ihrer Mitte erfuhren, sich daran freuten, mit erbaut wurden und auch selber danach trachteten. Er tat dies, indem er die Liebe Christi rühmte, die unter ihnen mächtig geworden war. Es gehört zur sachgemäßen Beurteilung, daß dieser Ton des Staunens beachtet wird. Es geht darum, daß die Dienstbereitschaft und Dienstordnung, die wir uns so ausführlich vor Augen stellten, nicht von ihrem Wurzelboden getrennt werden: echter Erweckung durch den Heiligen Geist. Nur dadurch, so sagt uns C. David sehr deutlich, war die Liebe untereinander da, die Einmütigkeit und die Glaubenserkenntnis der einzelnen mit der selbstverständlichen Dienstwilligkeit; ohne diese Gaben des Geistes wäre Herrnhuts Gestaltung undenkbar gewesen. Zugleich sagt er uns, daß aller Dienst der Glieder aneinander letztlich Hingabe an den Herrn selbst ist. Aus diesem Heiligtum heraus ergibt sich dann, nun aber ohne Rückhalt und ohne Schielen nach Lohn oder Dank, der Dienst aneinander, weil man ja Glied ist am selben Leibe und die durch Christi Liebe empfangenen Gaben einzusetzen hat zum gemeinsamen Nutzen. 38« c . D. Besdir. Druck, S. 24 f.
253
KAPITEL 4
Geordnetes Dienen an den Kindern und den hilfsbedürftigen Gliedern der Gemeine und an den Fremden Mit diesem Kapitel treten wir in den Bereich ein, für den man heute das Wort „Diakonie" im engeren Sinn anwendet. Obgleich wir dieses Gebiet auch in den vorangegangenen Abschnitten schon wiederholt gestreift haben, besonders bei der Darstellung der Ämterordnung, wollen wir es als Lebensausdruck der Gemeine noch einmal gesondert ins Auge fassen. Es geht dabei zunächst um einen Dienst, der in der späteren Geschichte der Brüdergemeine eine große Rolle spielen sollte, den Dienst in der Erziehung der Kinder. Hierfür bedeutete Zinzendorfs Anstalt, das Waisenhaus, sehr viel. Dann geht es um die Armenpflege mit ihrer Betreuung der sozial schwachen Glieder, der Arbeitsbehinderten, der Witwen, der Waisen und der Alten. K u r z soll unser Blick auch noch einmal die Krankenversorgung umfassen. Ein wichtiger Dienst war in der Exulantenkolonie Herrnhut die Aufnahme Fremder, sowohl neuer Flüchtlinge aus katholischen Ländern, als auch der fremden Besucher, die oft lange Zeit in Herrnhut blieben, um sich der Gemeine schließlich ζ. T . sogar völlig anzuschließen. Erziehungsdienst — Armenpflege — Krankenversorgung — Gastfreundschaft, diese Gebiete gemeindlichen Dienstes wollen wir hier darstellen. Einzelne Wiederholungen werden sich dabei um des Gesamteindruckes willen nicht ganz vermeiden lassen.
A . D E R D I E N S T A N D E N K I N D E R N IN D E N H E R R N H U T E R A N S T A L T E N
Auch für dieses Gebiet des Dienstes im alten Herrnhut können wir auf eine umfassende und gründliche Vorarbeit zurückgreifen. Uttendörfer hat im III. Teil seines Buches „ D a s Erziehungswesen Zinzendorfs und der Brüdergemeine in seinen Anfängen" die Entwicklung und das Leben des Herrnhuter Waisenhauses nach allen Richtungen hin dargestellt. Wir können uns darum hier für die Geschichte des Waisenhauses und der mit ihm zusammenhängenden Anstalten mit einigen zum Verständnis wichtigen Hinweisen begnügen und unser Augenmerk vor allem auf die Frage richten, die uns besonders interessiert: wie der Dienst an den Kindern von den Gliedern der Gemeine aufgefaßt und ausgeübt wurde. 254
1. Zur Geschichte der Anstalten Am 12. Mai 1724 wurde der Grundstein zu dem von den verbundenen vier Brüdern beschlossenen Adelspädagogium am Hutberg neben der entstehenden Siedlung der mährischen Emigranten gelegt. Damit begann zugleich die Geschichte des Erziehungswesens der Brüdergemeine. Das Gebäude des Pädagogiums wurde in den nächsten Jahren der Mittelpunkt des wachsenden Ortes, seine Bewohnerschaft blieb aber mitten in der werdenden Gemeine ein Fremdkörper. Die Adelsschule war allein das Unternehmen der verbundenen Brüder und eigentlich im ganzen Plan eine Nachahmung der Halleschen Anstalten. Im Jahr 1725 war das „große Haus" ausgebaut. Es bekam zur Rechten und zur Linken noch 2 Flügel, die als Armenhäuser, eins für männliche, das andere für weibliche Bewohner, gedacht waren 1 . 1726 bestand die adlige Schule aus 9 leitenden Erwachsenen, 11 jungen Edelleuten und einem wendischen Knaben. Lie. Gutbier, der Arzt, war Inspektor des Unternehmens, Bibliothekar war Baron Reichwein, Hofmeister die Kapitäne Riemer und Kluge, Schreibmeister ein früherer Akzisinspektor Fiedler, als Informatoren fungierten drei Kandidaten, und ein ökonomus sorgte für die äußere Ordnung des Anwesens2. Diese Anstalt wurde Ende Oktober 1727 wieder aufgelöst. Das „große Haus" wurde Waisenhaus und damit zugleich zur Schule in Herrnhut, die die Herrnhuter Kinder auch besuchten. „Die Fr. Gräfin proponirten daß Ihnen das Collegium gar nicht anstünde, daß es der Einfalt Jesu nicht gemäß, u. daß es Ihre Meinung wäre, es in ein bloses Waisenhaus zu verwandeln. Es ward solches gleich approbirt u. zu Werk gerichtet."3 Mitten im Hause lag der Versammlungssaal der Gemeine. Die eine Seite bezog der Schneider und Waisenvater Rohleder mit seinen Waisenknaben, auf der anderen Seite wurden die Mädchen des bisherigen Berthelsdorfer Mädchenstiftes mit ihrer Waisenmutter Judith Jagin untergebracht (Beilage Bild 4). Die Aufsicht über das Knabenwaisenhaus bekam der Älteste der Gemeine Melchior Nitschmann, die Inspektion über die Mädchen, wie auch den Unterricht bei ihnen, die „Lehrerin" Frau Gutbier4. Im Waisenhaus wurden nun nicht nur Waisenkinder oder erziehungsVgl. Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 27. Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 28 nadi Gesch. d. verb, vier Brüder, Z B G 1912, S. 107. 3 H . Diar., 24. Okt. 1727. „Waisenhaus" wurde damals in weiterem Sinne verstanden. „Waysenhaus sind Anstalten vor die Kinder", Zdf. im H . Diar., 5. 8. 1737 nadi Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 39, Anm. 1. 4 Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 37 u. 38. Zu Fr. Gutbier vgl. Erste Gemeineinrichtung, R 6 Aa 18, l b (vgl. Beil. 2). Sie steht unter den Lehrerinnen mit der Bemerkung: „die zugl. mit der Ännel Quittin alle Mägd. informiert". Sie wurde am 14. Juni 1727 ( H . Diar.) zur Mäddienschulmeisterin von den Ältesten gewählt. 1
2
255
bedürftige Knaben und Mädchen auf Kosten des Grafen untergebracht. Auch die Gemeinjugend Herrnhuts empfing hier ihren Schulunterricht. Die Trennung der Geschlechter wurde dabei von vornherein klar durchgehalten: Die Mädchen sollten und durften nur von Schwestern betreut und unterrichtet werden. Die Entstehung dieser Erziehungsanstalt hing eng mit der Kindererweckung zusammen, die im Laufe des August 1727 zuerst die Mädchen und dann auch die Knaben Herrnhuts ergriff 5 . Christian David berichtete 1731 unter der Überschrift „Vonn unßeren Schulanstalten" über die Entstehung folgendes: „Dießes war die ursach unßerer Schulanstald, Eß gieng aber also zu, als nun 1727 so wohl bey unß in Herrnhuth als audi in unßerer Nachtbarschaft Eine große u. allgemeine Erweckung wahr, so war sie auch zugleich bey unßeren Kindern. Eß hielten sich die Knaben aparte zusammen, deßgleichen die mägdgen, und hielten bethstunden, deß abends giengen sie auf das feld u. blieben bis 10 u. 11 uhr im gebet bey sammen, den Kämmen sie unter einem gesange nach hauß, dießes währte so einen gantzen Sommer, alß wir aber daß vor dem Hern in erwegung genomen wie sie in dem guten stände könten erhalten und darinen weiterfort geführet werden, wir beschloßen die Kinder unter der Brüder u. Schwester Hände zu thun, weil wir auch räum hatten, wir thaten die Knaben besonders u. die Mägdgen besonders, gaben Etliche Brüder und Schwestern, die beständig solten um sie sein u. mit ihnen hertzlich vertraulich u. gemeinschafftlich umgehen, zu ihrer aufsieht, die also sie leßen schreiben u. arbeiten solten lernen, und daß hat auch noch biß dato continuiret." 6 Anfang 1728 sah die Besetzung so aus: Inspektoren waren Lie. Gutbier und seine Frau, er zugleich als Arzt, ihm zur Seite Tobias Friedrich. Waisenvater war Rohleder; als Informator wurde jetzt Klemm genannt. Neben 13 Waisenknaben wohnten 3 erwachsene Arme im Hause, die dort mit beköstigt wurden. Waisenmutter war noch Judith Jagin, Lehrerin Frau Gutbier. Den vorhandenen 12 Mädchen waren 4 erwachsene Jungfern als Gehilfinnen beigegeben. Vom Waisenhaus aus wurden auch nodi 6 Witwen versorgt 7 . Der Begriff „Waisenhaus" ist nun schon gar nicht mehr eng zu fassen. Mehr und mehr wurden audi Kinder armer Exulanten aufgenommen oder Kinder, bei deren Eltern für eine rechte Erziehung nicht garantiert werden konnte. Später kamen Kinder dazu, deren Eltern durch den Gemeindienst oder gar längere Reisen von ihren Erziehungspflichten abgehalten wurden. In dieser Zeit entstand aus der Sorge der Gemeine um eine rechte Erziehung der Kinder noch ein anderes Amt: das der Kinder-Besucher. Es bezog sich auf die einzelnen Kinder im Waisenhaus, aber audi auf alle anVgl. Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 33 ff. β D. gl. Br. 1731, R 6 Aa 22, 1, S. 85 f. 7 Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 39, nadi R 6 Aa 32 С 2 u. 3. 5
256
dem sonst in Herrnhut. Christian David beschrieb es 1729 so: „Und noch einen jeden Knaben besonders wurde auch aus der Gemeine von den Brüdern ein besonderer Waysen-Vater gegeben, der als wie auf sein eigen Kind vor sein geistliches und leibliches besorget seyn solte, mit ihnen zum öfteren reden, beten und wenn sie erwachsen zu einem nützlichen Handwerk behülflich seyn und daß sowohl, die ihre leiblichen Altern noch haben als auch, die wirkliche Waysen sein. Allen wurden solche Väter gegeben. Und eben auf diese Weise wird es audi mit den Mädgens gehalten." 8 Zu dieser Zeit hatten dieses Amt der Kinder-Väter oder Kinder-Besucher noch mehrere Brüder und Schwestern. Sie halfen und rieten den oft unbeholfenen Eltern bei der Erziehung, gemeint ist dabei immer: Erziehung zur Bekehrung. Später hatten einige dieses Amt für eine ganze Anzahl Kinder zu übernehmen. Allerdings war da auch die Anstaltserziehung der Gemeinkinder weiter vorangeschritten. So heißt es in der „Verfassung" von 1733: „Ausser der Waysen-Anstalt, in welcher etliche und 70 Personen sind, und die von einem WaysenVater und Mutter mit Separation beyderley Geschlechts so wol ratione der Information als allenthalben dirigirt wird, sind verschiedene Christliche Personen, denen die Coinspection mit denen Eltern über ihre Kinder aufgetragen worden, weil man observirt, daß es einigen Eltern an Einsicht fehle, ihre bereits in Mähren leichtsinnig gewordene Kinder wieder zur Fassung und Praeparation zu den Gnaden-Zügen zu bringen." 9 Schon 1727 gab es „zwey Kinder-Vorsteher bey dem männlichen und zwey bey dem weiblichen Geschlecht"10. Sie werden wohl die Aufsicht über die sonst noch vorhandenen „Kinder-Besucher" gehabt haben. 1732 werden uns hier genannt für die Knaben: Kriegelstein, ölßner, die beiden Nitschmann, für die Mäddien: die Kloßin und A. Rosina. Die Ältesten hatten sowieso die Aufsicht über die Kindererziehung. „Diese alle sollen sich sonderl. Mühe geben, sowohl der Altern Kinderzucht zu beobachten alß auch die Kinder zu e r m a h n e n . . D i e Kinder-Besucher hatten ihre regelmäßigen Konferenzen, in denen Erziehungsprobleme im Blick auf die einzelnen betreuten Kinder besprochen wurden 12 . Zinzendorf selbst bemühte sich stets sehr um die Erziehung der Kinder; er war auch im Mai 8 C. D. Beschr. Livland 1729, zit. n. Uttendörfer, ZBG 1912, S. 225 (R 6 Aa 22,2). Audi 1728 berichtete er von einer solchen Einrichtung: „10. Sind über die Kinder gesetzt, die mit ihnen essen, schlaffen, reden, beten, lesen, was im Waysen-Hause anbelanget; und audi sonst bey denen Einwohnern, wie die Zucht der Eltern zu Hause gehalten wird, die Eltern werden offt befraget." (in P. Regent, Unpartheyisdie Nachricht . . . 1729). » Besdir. Druck, S. 129. 10 Kurze Relation v. 1727, ZBG 1912, S. 68. 11 H. Diar., 24. 6. 1732, zit. n. Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 134. 12 Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 134.
257
1727 selbst einmal Waisen-Vater zusammen mit seiner Frau, die zur Waisen-Mutter erwählt worden war 13 . Bis 1732 stieg die Zahl der Knaben im Waisenhaus auf 35; im Oktober 1733 wurden 29 Knaben von 3 bis 18 Jahren und 20 Mädchen von 6 bis 17 Jahren angegeben14. 1733 scheint das Waisenhaus den Dienern unterstellt gewesen zu sein, denn über sie heißt es in der „Verfassung": „Die Diener, welche um die äussere Umstände besorget sind, mithin auch das Directorium über das Waysen-Haus... führen." 15 Doch kann dies wohl nur die äußeren Umstände betroffen haben. Wirtschaftlich war die Anstalt in diesen Jahren immer wieder in Not. Vom Dezember 1733 an kam das Waisenhaus dann endlich unter eine erfahrene Leitung: „Am 8ten Dec. 1733 wurde von dem Herrn Gr. von Zinzendorf mir Aug. Gottl. Spangenberg, und der Judith Rohlederin eine Aufsicht über das Herrnhutsche Waisenhaus gegeben, welche auf alles gehen soll..., es mag die Kinder, oder die Arbeiter, oder das Gebäude, oder die Speisen, oder die Kleider, oder die Information, oder die Ordnungen, oder sonst was betreffen."1® Spangenberg hatte schon in Jena eine Armenschule geleitet. Er griff die Leitung auch in Herrnhut voller Umsicht an, ordnete die einzelnen Dienste und versuchte, mit Sparsamkeit und Eigenarbeit der Anstalt zu einer wirtschaftlichen Tragfähigkeit zu helfen. 1735 befanden sich im Waisenhaus 47 Knaben und 38 Mädchen, 1736 54 Knaben und 39 Mädchen, dazu 19 Knaben in der sog. „Flügelanstalt", einer Abteilung mit besserer Schulbildung (Fremdsprachen). „Anfang 1736 waren 11 Arbeiter im Knabenwaisenhaus tätig, die teils mit der Aufsicht und dem Unterricht, teils mit der Anleitung der Knaben zum Handwerk, teils mit äußerer Arbeit für das Waisenhaus betraut waren; sie wurden von 11 Gehilfen, die aus den älteren Knaben gewählt waren, unterstützt." 17 Nach Spangenbergs Weggang nach Amerika lag die Leitung wieder in den Händen Rohleders; als der 1736 nach der Wetterau abreiste, übernahm sie für einige Monate der Generalälteste Leonhard Dober. Dann wurde schließlich die Leitung im August 1737 Magister Hehl übertragen, einem Tübinger Theologen, der schon seit 1734 in Herrnhut weilte und seit 1735 Lehrer der Kinder war. Er übernahm die ι» H. Diar., 24. 5. 1727. Am 9. Februar 1728 hieß es im H. Diar.: „Die Kinder im Waisenhause haben Sie ( = Zinzendorf) selbst o f t zu sprechen, audi nach Gelegenheit zu katediisieren gepflegt. Heute besuchten Sie sie, ordneten auch selbst mit zum morgenden L. M. ( = Liebesmahl) an." 14 Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 44 nach R 4 В Va 1, 2 u. 8. is Beschr. Drude, S. 121. ie R 4 В Va, Nr. 2, 1, zit. n. Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 46, Vgl. seinen Aufsatz: Spangenberg als Inspector des Herrnhuter Waisenhauses, ZBG 1911, S. 1 ff. 17 Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 47, nach R 4 В Va, Nr. 1, 13; 1, 9 u. 5, 21.
258
Knaben, Anna Maria Jähne, die er am 27. November 1737 heiratete, die Mädchen18. Am 14. August 1737 hieß es: „Hehl hat sich auf ewig zum Dienste des Waisenhauses gewidmet mit Verleugnung aller Hoffnung weltlicher Ehre, Glückseligkeit usw. . . . Er wurde zum Arbeiter aufs gantze erklärt." 19 Hehl hatte jetzt die innere Oberleitung über Waisenhaus, Flügel ( = Lateinschule) und Gemeinanstalt ( = Tagesschule für die übrigen Herrnhuter Kinder). Hehl erwies sich vorher schon als ein wirklicher Diener der Kinder. 1735 wurden ihm die 4- bis 6jährigen Kinder übergeben, die er mit einem Gehilfen Tag und Nacht zu besorgen hatte. „In diesem Amt lebt er nun mit ganzer Seele; es ist ihm ,das seelige Joch, wo man Einfallt lernet'. Keine äußere Arbeit ist ihm zuviel, er badet die Kinder, er beflickt sie. Seine Treue erwirbt ihm allgemeines Vertrauen, immer mehr kleine Kinder werden von den Eltern seiner Obhut übergeben. Zinzendorf lobt seine Einfalt, Treue und Mütterlichkeit und nennt ihn ,einen Kinderwärter, der seinesgleichen wenig oder gar nicht hat, er lebt so gantz in dieser Sache, daß sein Bette mit Wiegen umgeben stehet'." 20 Im August 1737 übernahm er die Gesamtleitung der Anstalten und unter der Leitung von ihm und seiner Frau machte sie innere und äußere Fortschritte21. „Es wird Ordnung in der verwickelten Leitung und verständnisvolles Zusammenwirken hergestellt, und dadurch gelingt es, allmählich die Zeiteinteilung, die Hausordnung und die erzieherischen Grundsätze immer zweckmäßiger auszugestalten."22 Eine letzte Zahlenangabe noch für unseren Zeitabschnitt: Im September 1738 waren in der Anstalt 78 Knaben von 4 bis 20 Jahren und 53 Mädchen von 4 bis 19 Jahren 23 . Für alle Jahre, die wir schilderten, wird anzunehmen sein, daß der Schulunterricht für die zu Hause wohnenden Kinder vom Waisenhaus aus gleichmäßig weiterging. Es fehlte audi in der frühen Zeit Herrnhuts nicht an Versuchen, alle Kinder Herrnhuts um des religiösen Zieles willen in die Anstaltserziehung zu bekommen. Aber dies scheiterte wohl allemal am Widerstand der Eltern 24 . Erst nach der von uns behandelten Zeit setzte sich die reine Anstaltserziehung durch. Eine Tagesanstalt für kleine Kinder, also eine Art ganztägiger Kindergarten, dagegen erfreute sich seit Hehls Anfang 1735 allgemeiner Beliebtheit. Nach Hehl hatte sie auf 18
Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 56 u. 57. H . Diar. 14. Aug. 1737, zit. n. Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 56. 20 Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 58, zitiert wird aus R 4 В Va, Nr. 5, 10/1737 u. R 5 А 7, 53/1737. 21 Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 58 f. 22 Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 60. 23 Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 61 nach R 6 Aa 32 D 1. 24 Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 136. 19
259
männlicher Seite Thomas Pisch unter sidi25. Vom Oktober 1737 an stand sie, vom Waisenhaus etwas abgesondert (wenn auch sonst dazugehörig und unter Hehls Gesamtleitung), unter der Leitung der beiden jungen Ehepaare Pisch und Rudolf 26 . „So ist das Ergebnis jener Zeit, daß ein großer Teil der kleinen Kinder der Gemeine Herrnhuts den Tag über unter Anstaltserziehung steht, daß aber von den größeren Kindern nur die Kinder der Gemeinglieder, die sich der Erziehung zu widmen keine Zeit und Gelegenheit hatten, und die Kinder, bei denen äußere oder innere Hindernisse die Erziehung im Elternhaus erschwerten, völlig in Anstalterziehung gegeben werden. Für die älteren Bürgerkinder ist die Familienerziehung noch die Regel." 26
2. Der Dienst im Waisenhaus Obgleich manche Spenden für das Waisenhaus einliefen, konnte man bei der immer mehr ansteigenden Zahl der Insassen wirtschaftlich nur mit großer Sparsamkeit durchkommen. Zinzendorf wollte dafür nicht systematisch kollektieren. Er selbst hat für seine Anstalt viel geopfert. Die Gemeine war zu arm, um für ihre in der Anstalt untergebrachten Kinder zahlen zu können27. So war es üblidi, daß alle im Waisenhaus Beschäftigten ihren Dienst nur gegen „Sustentation", d. h. für Kost und Bekleidung taten. „Diese alle dienen aus Liebe ohne Sold für nothdürftig eßen u. Kleidung." 28 Daß sich unter solchen Verhältnissen immer wieder Brüder und Schwestern zu diesem ja so schon nicht leichten Dienst bereit fanden, ist ein weiteres deutliches Zeichen für die Dienstbereitschaft in der Gemeine. 25 Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 139 ff. Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 141. Vgl. Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 66 ff. zu den finanziellen Verhältnissen des Waisenhauses. Bis zu seiner Ausweisung hat Zinzendorf das Waisenhaus aus seinem gräflichen Haushalt finanziert. Einzelne Gaben von Freunden halfen ihm dabei. Von der Gemeine wollte er nichts dafür nehmen. U n d wenn er eine Gabe einmal mit der Gemeine teilte, dann nur zu dem Zweck, die Kapazität des Waisenhauses zu erweitern. So heißt es am 20. Dezember 1728 im H . Diar.: „Endl. auf langes Zureden der Confz. ließ sich der Vorsteher bedeuten, daß er das Drittel von dem, was der Anstalt geschenkt wurde, als eine kleine Beisteuer zu seinem Waisenhaus annahm. Die Gründe der Gemeine waren die, daß vermutl. die meisten, die was schenkten, es um des Waisenhauses willen thäten, hielten daher vor unbillig, daß dem Waisenhause, welches dodi so sehr weitläuftig worden wäre, nichts davon werden sollte. E r ließ es zwar zu, aber nahm nadi dieser Einrichtung, da Sie 25 Thl. erhielten, im Waisenhause gleich wieder 3 Personen davor hinein." 26 27
2 8 R 4 В Va N r . 1, 15/1736, zit. n. Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 114. „Die Lehrer dienen dem Waisenhaus ohne Besoldung, nur gegen den nötigen Unterhalt, wer es kann, bezahlt selbst den." Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 68.
260
Die Erzieher lebten mit den Kindern zusammen, in Gruppen von 10 bis 20 auf die verschiedenen Wohnzimmer verteilt. Geschlafen wurde im Bettsaal. Auch die Lehrer schliefen hier. Das erforderte von den Brüdern und Schwestern ein großes Maß von Verzicht auf eigene Lebensgestaltung. Sie hatten die Kinder ja ständig um sich. „Die Arbeiterinnen sollen sich nicht besser halten, als die Kinder, im essen, trincken, schlafen", hieß es 1734 29 . Der jung verheiratete Hehl schrieb im Februar 1738 über seine Ehe an Zinzendorf: „Unser meister Umgang ist so nach Gelegenheit, wenn eins bey dem andern was zu fragen, zu hohlen oder etwas übrige Zeit hat. Wäre das nicht, wir würden kaum einmal recht bekannt." 30 Der Dienst umfaßte eigentlich alles, was bei Kindern nötig ist. Die Kinder wurden unterrichtet, im Garten beschäftigt, spazieren geführt, sonst beaufsichtigt, gebadet. Hehl badete als Waisenvater die Kleinen persönlich. Große Mühe machte der Kampf gegen die Läuse. Die Erzieher hatten oft im „Kämmerlein" mit der gründlidien Reinigung der Köpfe zu tun 31 . Die „Fußwaschung" wurde im Waisenhaus auch ohne Liturgicum täglich geübt. Die Gesundheitspflege überwachte der Gemeinarzt, Gutbier oder Kriegelstein. Die Kranken wurden nach damaligem Maßstab sorgfältig betreut. Das Waisenhaus hatte seine besonderen Krankenwärter (männlich und weiblich). Für ansteckende Krankheiten gab es auch eine besondere Krankenstube. Trotzdem war die Kindersterblichkeit ziemlich groß 32 . Die Kost war einfach, man legte aber Wert auf Abwechslung. Verschiedene Suppen beherrschten den Speisezettel 33 . Selbstverständlich aßen die Erzieher dasselbe wie die Kinder. In der Verpflegung wollte Zinzendorf auch keine übertriebene Sparsamkeit haben. Deswegen ging es aber wahrlich nicht üppig zu. Nur sonntags gab es ein Fleischgericht. Der Tageslauf bestand, wie der von Herrnhut überhaupt, aus Arbeitszeit — Essenszeit — Andachtszeit — Ruhezeit. Für die Erzieher bedeutete das einen angespannten Tag von früh um 5 oder 6 Uhr bis abends um 10 Uhr 34 . Und audi dann war für sie noch keine Ruhe. Unter Hehl, 2» R 4 В Va, Nr. 2 , 1 v. 8. 2. 1734, zit. n. Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 114. 3 0 R 4 В Va N r . 3, 2 zit. n. Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 58. 3 1 Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 69. 3 2 Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 71 ff. 3 3 Uttendörfer druckt Erziehungswesen S. 70 eine „Speißordnung vors Waisenhaus" etwa von 1733 ab. Zur Kost vgl. den ganzen Abschnitt S. 69 ff. 3 4 N a d i dem Bericht an die Regierungskommission vom 17. Mai 1736 (R 4 В Va, N r . 1, 9) berechnet Uttendörfer „folgende Tageseinteilung für den vollen Schul tag: 7 Stunden Schlaf, 3 Stunden für Aufstehen, zu Bettgehen, Essen, 5 Stunden für Unterricht, 6 Stunden für körperliche Arbeit, ein kleiner Teil davon manchmal für Bewegung, 3 Stunden für Andacht, zusammen 24 Stunden". (Erziehungswesen, S. 74) „Die Größeren haben danach 12 Stunden Religion, 6 Stunden Lesen, 8 Stunden Schreiben und 2 Stunden Redinen, die Mittleren 12 Stunden Religion, 12 Stunden Lesen und 4 Stunden Schreiben, beide Abteilungen 28 Stunden die Woche." (Erziehungswesen, S. 75)
261
der großen Wert auf die gemeinschaftliche Leitung legte, traf man sich abends nadi 10 Uhr oder morgens vor 6 Uhr noch zu Konferenzen, in denen die ganze Arbeit brüderlich durchgesprochen wurde. 1738 beschloß man ausdrücklich, daß diese Nachtkonferenzen fortgesetzt werden sollten35. So werden die wirklichen Stunden der Entspannung für die Erzieher nur die Stunden im Gemeinsaal gewesen sein oder die, in denen die Kinder durch einen andern beschäftigt wurden. Doch wird dies selten genug vorgekommen sein, weil es ein wichtiger Grundsatz der Erziehung war, daß die Kinder keinen Augenblick unbeaufsichtigt bleiben durften. Auch der Sonntag bot da kaum eine Erleichterung. „Von den hauptsächlichsten Lehrern war nur Hehl Theologe; Rohleder, Pisch u. H. Nitschmann hatten keine Vorbildung, doch blieben sie so lange in ihrer Stelle, daß sie sich einige Erfahrung aneignen konnten. Weit bedenklicher war es, daß die Hilfslehrer sehr schnell wechselten, daher bei mangelnder Vorbildung wohl nur sehr Geringes leisten konnten", schreibt Uttendörfer über die Erzieher36. Doch wird das bei Hilfslehrern auch an andern Orten nicht anders gewesen sein. Ältere Zöglinge, später ζ. T. aus der „Flügelanstalt" mit ihrer besseren Bildung, wurden als Gehilfen eingesetzt, die mit den Kindern unter Anleitung eines Lehrers elementare Übungen trieben. Das Wesentliche der Erziehung war jedoch gar nidit das vermittelte Wissen, sondern vielmehr der gemeinschaftliche Umgang zwischen Lehrern und Schülern, der die Kinder durchs Beispiel erziehen sollte. So schrieb auch Christian David 1731: „sie (die Kinder) haben sonst ihre ordentliche Stunden, wen dießes oder Jenes zu halten, vorgenomen wird, sonst werden sie zum öfteren, von den brüdern u. schwestern besuchet, weil ein Itwedes Einem besonderen Bruder u. schwester anvertrauet ist, die öffters mit einander reden u. betten sollen, die gemeinschaft finden wir vor daß aller beste mitel, Kindern, daß wahre weßen beyzubringen, so wohl der vertrauliche umgang mit ihnen macht ihnen einen tiefen Eindruck als auch ihr Eigner gemeinschafftlicher u. vertraulicher Umbgang." 37 Natürlich war der ganze Erziehungs- und Unterrichtsplan völlig auf das geistliche Ziel ausgerichtet, die Kinder zum Heiland zu führen. Darum war die Liebe zu ihnen die Hauptforderung, die an den Erzieher gestellt werden mußte. Uber die Hausordnung wurde dabei streng gewacht38. Die wichtigsten Vertreter der Erzieher haben wir ζ. T. schon wiederholt genannt: Rohleder, Hehl, Pisch, Heinrich Nitschmann und Jakob Till 39 . „In der ersten Zeit sind die Erzieher meistens Männer, die aus 35 Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 58 f. nach R 4 В Va N r . 2, 7 / v . 1738. 8 8 Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 81. 37 D. gl. Br. 1731, R 6 A a 2 2 , 1 , S. 86. 38 Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 98 ff. gibt dazu einige Beispiele. 3» Über die Erzieher und ihre Gehilfen vgl. Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 113 ff.
262
inneren Gründen nach Herrnhut gekommen, dort in die Gemeine aufgenommen sind und nun im Waisenhaus ihre erste Anstellung im Gemeindienst finden. Von da werden die, welche sich bewähren, sehr häufig als Zeugen in andere Länder ausgesandt. Ihre Nachfolger fangen dann wieder im Waisenhaus mit äußeren Dienstleistungen an und steigen allmählich zu wichtigeren Stellungen auf. Von Arbeitern im Waisenhaus haben Graßmann und Schneider in Lappland, Fr. Böhnisch und Christian David in Grönland, L. Dober, Fr. Martin, Gottlieb Israel, Freundlich, Boenike und Grothaus in Westindien, David Nitsdimann II und Spangenberg in Amerika, G. Schmidt im Kapland, David Nitschmann III in Ceylon, Dähne in Berbice, Kriegelstein, Türk, Hadewig in Rußland gearbeitet . . . Ihrem Beruf nach sind es fast alles frühere Handwerker mit geringer Schulbildung, von Theologen hat nur Hehl länger im Waisenhaus als Erzieher gewirkt." 40 Wir erfahren hier nicht nur die Namen verschiedener Mitarbeiter im Waisenhaus, sondern sehen auch aus dieser Zusammenstellung, in welcher engen Verknüpfung Anstaltsdienst und Missionsdienst standen. Die Hauptarbeit der Erzieher war die Aufsicht. 1735 waren zu jeder der 3 Stuben zwei erwachsene Brüder und ein „Mitgehilfe von denen Bekehrten Kindern" zur Aufsicht eingeteilt41. Wenigen Mitarbeitern war der Unterricht anempfohlen, andere unterwiesen die Kinder im Stricken und Wollspinnen. Es gab auch eine Schneider- und eine Schusterstube im Haus, in der die älteren Knaben bei den dort arbeitenden Brüdern das Handwerk lernen konnten. Z . T . arbeiteten die leitenden Brüder audi nodi für das Waisenhaus und die Kinder. Pisch nähte, Anton wirkte für das Waisenhaus, Hehl beflickte alle seine Kinder 42 . Die Brüder hatten natürlich bei der Trennung der Geschlechter für die Instandsetzung der Kleider und der Wäsche der Kinder zu sorgen43. Wie schon gesagt, fiel ihnen auch das Waschen der Knaben allein zu. „Jac. Till reinigt die bösen Köpfe, Martin u. Joseph die kleinen Kinder, die reine Köpfe haben, u. Joseph gibt achtung, daß sich die großen Knaben selbst reinigen."44 Später bekam ein Bruder dies ganze Amt. Gottlieb Israel und Heinrich Nitschmann fingen ihren Gemeindienst damit an. „Israel ist den ganzen Tag im Kämmerle, sonst t r e u . . . " , hieß es 173845. Einen Teil der äußeren Geschäfte nahmen ihnen andere Brüder ab. Ein Hausknecht ( = Hausmeister) war ja da. Christian David hatte die40
Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 113 nadi H . Diar., 20. 8. 1737. R 4 В Va N r . 1,13 nach Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 114. 42 Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 114. 43 Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 115. Kodien und Waschen der Kleider gesdiah aber auf der Schwesternseite. 44 R 4 В Va Nr. 2, 1 v. 13. 3. 1734 zit. n. Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 115. 45 R 4 В Va Nr. 3, 2 zit. n. Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 115, Anm. 5. 41
263
ses Amt eine Zeitlang (1732) inne46. Der Hausknecht hatte nach der Instruktion „die Lieferung von Holz und Lebensmitteln zu besorgen, die Heizung, die Beleuchtung, die Ordnung in den Zimmern, einen Teil der äußeren Arbeiten der Kinder zu beaufsichtigen, zugleich aber das Essen aufzutragen, Wasser zu tragen, alle kleinen Reparaturen im Hause zu besorgen ,ohne was sich täglich findt u. ihn sein eigen gewissen ermahnt' " 47 . 1734 hieß es von soldi einem Bruder im Diarium: „Liebisch wurde ein Diener im Waisen Hauß, welches nichts geringes ist." 48 Jüngere Brüder fingen bisweilen als Krankenwärter an, ehe sie Stubenvorsteher wurden. Der Krankenwärter hatte „die Kranken in allen Stükken zu versorgen mit Doctor, Medicin und allem andern, hat sich audi zu bekümmern die Krankheiten zu unterscheiden, damit er im Fall der Noth sich selbst rathen kann. Dieser aber hat auch noch dazu den Schlafsaal zu besorgen, die Bette Tägl. in Ordnung zu bringen, den Saal Tägl. auszureinigen..." Er durfte sich zu allem einige Gehilfen von den besten Kindern nehmen49. Die Brüder wußten sich in diesen gewiß nicht leichten Dienst berufen; auch hier hat das Los seine Bedeutung gehabt. Wer einen neuen Dienst, auch den äußerlichsten, übernahm, bekam dafür von Zinzendorf einen Bibelspruch mit. Der Dienstbeginn wurde oft mit einem Liebesmahl gefeiert. Auch sonst stärkten sie sich durch die Gemeinschaft beim Liebesmahl für ihren Dienst50. Etwas sei noch zu den Gehilfen bemerkt: Man stellte sie aus Grundsatz an, „um die Kinder von Jugend auf zur Arbeit im Dienst des Ganzen und zum Gefühl ihrer Verantwortung zu erziehen". So gab man ihnen nicht nur mannigfache Aufgaben, sondern auch besondere Ämter. An äußeren Ämtern werden genannt: „die Verwaltung des Papierschranks und die Bedienung der Schulstube, das Tafeldecken, Lichteradministratur, Auskehren im Saal und Haus, Gehilfe sein auf dem Bettsaal, Gehilfe sein auf dem Kammkämmerle" 51 . Reifere Kinder bekamen darüber hinaus 4 8 ZBG 1 9 1 1 , S. 2 ff. ist ein Brief (Fragment) von ihm an die Gräfin abgedruckt, in dem er allerlei Vorschläge f ü r eine sparsamere Wirtschaftsführung macht. 4 7 Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 1 1 6 nach R 4 В V a Nr. 1, 7. « H. Diar., 31. 12. 1734, Rückblick. 4 9 R 4 В V a Nr. 1, 13 v. 1735 zit. n. Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 116. 5 0 Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 117. Zur Amtsübertragung vgl. Jakob Tills Bericht von seiner Übernahme des Krankenwärteramtes Kap. 3 В I 3c S. 203. 51 Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 121 n. R 4 В V a Nr. 2, 7 v. 1738. Der Grundsatz der Erziehung zum Dienst wurde 1735 einmal so ausgesprochen (R 4 В Va Nr. 1, 13): „Weil (die Bekehrten) aber Kinder sind, auf welche man sich dodi schon verlaßen kan, daß sie nicht allein nicht anstößig wandeln, sondern auch den andern erbaulich vorwandeln, so sind sie alle — was die Größte anlangt außer der Sdiul-Classe adjungirt zu denen Vorgesetzten bey unterschiedenen Verrichtungen, damit sie von denen Dingen die selbe Vorgesetzte thun, eine Gründlichkeit bekommen, und hernach durch die Gründlichkeit und Übung zu einer Fertigkeit kommen, damit im Fall der Noth, sie einer Sa-
264
auch schon erzieherische Aufgaben, ja sogar seelsorgerliche, denn Christian David berichtete 1731: „sie sein Jetzt in unterschiedene Banden zertheilet, u. geben unter sich auf einander sehr acht, so bald eines etwas versiehet, schließen sie es aus ihrer gemeinschaft auß, haben mit ihnen nichts zu schafen, bieß sich es wahrhaftig beyget u. abbitte thut, sonst gehn sie mit den erwachsenen gantz vertraulich um, Er hollen sich bey den ältesten, lehrern, hölfern, r a t h . . ," 5 2 Nach Bewährung in kleineren Ämtern wurden die Knaben eigentliche Gehilfen, die unter der Leitung der Erwachsenen die andern Kinder mit zu beaufsichtigen und zu Arbeiten anzuleiten hatten. Ein solcher Gehilfe bekam allmählich immer mehr Aufgaben zugeteilt. So konnte „also ein Knabe im Waisenhaus von Amt zu Amt zum Vorsteher einer Stube aufsteigen und von da weiter in den Dienst der Gemeine übergehen" 53 . Dadurch, daß sie z . T . schon an Konferenzen teilnehmen durften, wurden sie auch innerlich an den Aufgaben der Erzieher beteiligt und wuchsen so in das Erzieheramt immer mehr hinein. Ganz ähnlich lagen die Dinge auf der Mädchenseite des Waisenhauses. 1738 wurden als Erzieherinnen und Mitarbeiterinnen genannt: Waisenmutter: Frau Hehl, Stuben Vorsteherinnen bei den Größeren: Rosina Jäschkin und Dorothea Teucherin, bei den Kleineren: Judith Schneiderin. „Ros. Barb. Doberin hat die Krankenwarte, das Decken und manchmal das Schulehalten; Grottin, der Hehlin rechte Hand in allen äußerlichen Sachen; Liebischin;" und einige Mägde 54 . Im Schwesternteil des Hauses wurde audi für das ganze Haus gekocht und gewaschen. Von der inneren Amtsauffassung berichtet uns der Lebenslauf der Anna Schindler, die von 1732 an im Waisenhaus tätig war: „Man sah an ihr, daß sie die Gnade beugte und daß der Heiland etwas in sie geleget, das zu seinem Dienst zu gebrauchen war; sie wurde als Vizewaisenmutter ins Waisenhaus berufen. Man sah an ihr, daß es ihr sehr naheging und sie sich in ihrem Sinn ganz untüchtig dazu achtete, doch lagen ihr ihr Beruf und die Seelen der Kinder sehr am Herzen, und sie brachte unzählige Nächte wachend mit Flehen vor dem Heiland ihrethalben zu. Der Heiland ließ sie auch nicht unerhört, und es wurde manches Kind eine Beute des Lammes, und insgesamt waren der Kinder Herzen ihr in Liebe sehr zugetan." 55 Ähnlich schrieb sie selbst in ihr Tagebuch: „Nachdem die selbst können vorstehen, weil die Arbeiter so immer wollen in Herrnhuth zu wenig werden." (Zit. n. Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 121, Anm. 1) 52 D. gl. Br. 1731, R 6 Aa 22, 1, S. 86. 5 3 Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 122. 5 4 Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 118 nach R 4 В Va, N r . 2, 8. Zur Lage im Mäddienwaisenhaus vgl. überhaupt S. 118 ff. 5 5 Aus: Kurtzer Bericht von dem Leben und Ende einer armen Sünderin Anna Doberin, geb. Schindlerin, abgedruckt in: Brüderbote 1883, S. 214 ff., zit. n. Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 119, Anm. 2.
265
kriegte ich einen beruff ins weisenhaus zu Kindern, weil ich aber mein Unvermögen allenthalben sähe so überlies ich mich dem Heyland u. bat ihn er solte mir doch das nöthige geben was ich von stund zu stund würde bedürfen. Mein Haupt Zweck gieng aber dahin, Seelen zu suchen u. lag mir, die Kinder in Gehorsam u. zugleich in der liebe zu behalten. Der Heyl. gab mir Gnade u. ein Hertz voller Erbarmen gegen S i e . . ." 5 β Fassen wir unsere Eindrücke über den Dienst im Waisenhaus zusammen. Wir sahen, wie auch der Dienst an den Kindern in der Anstalt völlig in das Gemeinleben eingeordnet war. Das gottesdienstliche Leben prägte den Tageslauf und das gemeinsame geistliche Ziel die Erziehung. So schrieb Zinzendorf im Eventualtestament 1738: „Was aber ist die KinderZucht? Eine heilige priesterliche Methode den Seelen von ihrer Wiege an nichts anders wissen zu lassen, als, daß sie vor J E S U M da sind, und ihre gantze Glückseligkeit darinn bestehet, wenn sie ihn kennen, ihn haben, ihm dienen, mit ihm umgehen, und ihr gröstes Unglück, auf einigerley Art von ihm getrennet zu seyn." 57 Das Erziehungsziel „ihm dienen" wurde auch durch die mannigfachen kleinen und größeren Dienste und Ämter hindurch verfolgt. Es ist doch eindrücklich, wie bei manchem der Weg so geradezu vom Waisenhaus mit seinen diakonischen Diensten über das ledige Brüderchor, als eigentlicher Streiterschar, hinausführte in den Zeugendienst vor Christen oder Heiden. Hier war eine Verknüpfung von Diakonie und Mission erreicht, die für beide Dienste bereichernd gewesen sein muß. Denken wir nur daran, daß Christian David, der bewährte Zeuge, eine Zeitlang Hausknecht des Waisenhauses war und alle seine K r a f t in diesen Dienst legte. Von hier aus ging er dann nach Grönland. Uber die engeren Fragen der Erziehung brauchen wir hier nicht zu handeln. Uns ging es darum zu zeigen, wie an jeder Stelle des Gemeinlebens die Dienstgesinnung zum Ausdruck kam und wie die Anstalt mit ihrem Gefälle zu eigengeprägter Organisation und Gemeinschaftsformung das Leben der Gemeine nicht störte, sondern vielmehr mit ihren Dienstmöglichkeiten als Schule zum Dienen ergänzte und befruchtete. Eine Abstufung in geringere oder bessere Dienste gab es auch hier nicht. Jeder Dienst war gleich wichtig, nur nicht von der gleichen Verantwortung. Die besondere Gabe des einzelnen erlaubte den Dienst mit größerer Verantwortung. Eine wertmäßige Klassifizierung der Dienste fiel schon deshalb fort, weil alle ja nur ihren Lebensunterhalt erhielten und lediglich dem Heiland und seiner Gemeine in ihren Kindern dienen wollten. «· R 22 Nr. 2, 2a, 2, abgedruckt in: Brüderbote 1883, S. 214 ff. zit. n. Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 119. 57 Theol. Bedenken, S. 172.
266
В . D E R D I E N S T AN DEN HILFSBEDÜRFTIGEN GLIEDERN DER GEMEINE
1. Die Armenpflege Wir sind schon wiederholt auf das Gebiet der Armenpflege im alten Herrnhut zu sprechen gekommen. Es sei darum zuerst auf das bereits Gesagte verwiesen. Im Kapitel 2, Abschnitt Α „Das bürgerliche und wirtschaftliche Leben" sprachen wir von der finanziellen Lage des einzelnen (S. 60 ff.). Dabei erwähnten wir die große Gemeinkasse, aus der immer wieder Darlehen gewährt wurden, und gaben audi ein Beispiel dafür, in welcher Geduld man mit Schuldnern umging. Unter den diakonischen Ämtern (Kap. 3, В I) sprachen wir ausführlich über die Aufgaben der Almosenpfleger und der Cassenhalter (S. 194 ff.). Und auch im letzten Abschnitt über das Waisenhaus mußten wir schon verschiedenes zur Armenpflege Gehöriges streifen. Für den ganzen folgenden Abschnitt können wir uns wieder auf Uttendörfers Untersuchung „Alt-Herrnhut" beziehen58. Zunächst erscheint uns wichtig, daß die Armenpflege zu den Grundplänen Zinzendorfs gehörte, die er mit den verbundenen Brüdern im Sinne des Pietismus und nach Halles Vorbild durchzuführen suchte. In der „Historischen Nachricht von meiner Führung" berichtete er über das Jahr 1725: „Der Herr v. Watteville vollführte das Collegium. Die Information nahm ihren Anfang, und wurden auch 2 Armenhäuser, eines vor Manns und eines vor Weibsleute zu bauen angefangen, wozu ich von meiner Einnahme, die sich unserer beständigen Ausgaben ungeacht unter denen Händen vermehrte, einen Theil anwendete." 59 Ganz im Geiste Halles erscheint die Durchführung der Anstaltsarmenpflege. Zinzendorf rühmte die „wunderbare Hand der providentz" Gottes auf der finanziellen Seite des Unternehmens60. „Die Armenanstalt vor die Frauens Personen, wobey nebst etlichen adligen Fräuleins und andern erwachsenen und alten Personen alle Kinder weiblichen Geschlechts des Ortes von Weibspersonen informirt werden, nahm unter der Direction einer gottseligen Freylen auch ihren Anfang. Die Armenschule vor die Mannsleute fing ich in Ermangelung bequemer Subiecte selbst an und informirte die Herrnhuter Kinder bis wir mit einem sehr feinen durch dieses Exempel dazu aufgemunterten Manne versorget wurden." 81 5 8 Uttd. A-H., Abschn. 8: „Der Haushalt der Gemeine; die Armen- und Krankenpflege", S. 107 ff. 5« ZBG 1911, S. 112. •o ZBG 1911, S. 116. Die „Providenz Gottes" war ja der Hauptbegriff in Franckes „Segensvollen Fußstapfen", n ZBG 1911, S. 115. Zuerst hatte Johanna von Zetzschwitz die Leitung, auch nach
267
Als beim Kirchumbau zu Berthelsdorf 1724/25 sehr viele Steine übrig blieben, wurde 1725 audi ein Armenhaus in Berthelsdorf geplant, für das sofort 2000 Taler ausgesetzt wurden 62 . In der Berthelsdorfer Armenschule wurden 1727 80 bis 100 Kinder unterrichtet 03 . Wir sahen im Abschnitt über das Waisenhaus, wie dieser Grundplan einer Armenschule dann weiter in Herrnhut verwirklicht wurde. Im Waisenhaus wurden auf Kosten des Grafen die wirklich bedürftigen Kinder aufgenommen und versorgt. In der ersten Zeit fanden hier auch erwachsene Arme Unterkunft und Arbeitsmöglichkeit. In der Spezifikation der Insassen vom Januar 1728 werden uns 3 erwachsene Arme genannt, „darunter Thomas Pisch ,ein Zwerg 1 und ein lahmer Mensch, wohl der später als Krankenwärter angestellte Gottlob Hahn, einer der ersten Erweckten in Berthelsdorf". Uttendörfer schließt aus den Verzeichnissen: „Man erkennt also deutlich, daß es sich nicht nur um Waisenkinder handelt, sondern daß auch die Kinder soldier Exulanten, die zu arm waren, um für sie sorgen zu können, im Waisenhaus unterhalten wurden, daß es ferner anfangs zugleich Armenhaus war, wo alle Bedürftigen, zeitweise selbst Geistesgestörte, von der Herrschaft untergebracht wurden. Auch die Arbeiter im Waisenhaus waren teils Leute, die wegen körperlicher Mängel sonst wenig Verdienst finden konnten." 64 Vom Mädchenwaisenhaus wurden ja audi 6 alte Witwen versorgt, „darunter nach Zinzendorfs Notizen eine Blinde und eine Hure mit ihrem Kind" 64 . Nach einer Spezifikation vom Februar 1729 handelte es sich bei den 3 erwachsenen Armen im Waisenhaus um Friedrich Böhnisch, Paul Schneider und Thomas Piesch ( = Pisch). Gottlob Hahn wurde als Hausknecht genannt 65 . Daß im Waisenhaus Geisteskranke gesondert untergebracht wurden, scheint aus folgenden Eintragungen im Diarium hervorzugehen: 11. Okt. 1727: „Wir haben immer Gemütskranke in unserm Lazareth. Es befindet sich u. a. ein Magister, namens Menzel bei uns, der uns vor alle Liebe u. Wohlthaten tägl. lästert u. schmähet u. uns das Leben auf alle Art sauer macht. Aber wir sehen seine N o t d u r f t . . . " 25. Okt. 1727: „Die in unserem Lazareth befindlichen Gemütskranken waren sehr ungezogen."66 Auch solche durch Krankheit in Armut Gefallene versuchte man ihr eigen Brot essen zu lassen und wandte damit eine Art Arbeitstherapie an. Am Dienstag, 24. Febr. 1728 ihrer Heirat mit Fr. v. Watteville, dann ihre Schwester Lisettgen und nach dieser die Jungfrau Bonacker. Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 24 f. Kurze Relation, ZBG 1912, S. 52, Nr. 39 u. 42. «3 Gesch. d. verb, vier Brüder, ZBG 1912, S. 108. βί Uttendörfer, Erziehungswesen. S. 39 nach R 6 Aa 32 С 2 u. 3 und R 4 В Va 1, 1. 65 H. Diar. 1728. Beil.: Spezification derer gegenwärtigen Personen im Waisenhaus u. Collegium. β0 Η. Diar.; Uttendörfer, Erziehungswesen, S. 39, bringt die N o t i z : „Ein rasendes Mädgen ist ferner nach wolausgeschlagener Cur wieder dimittiret worden."
268
hieß es im Diarium: „Es waren der H. Gr. nach dero mehr als mütterl. gesinnten Art besorgt, wie sie doch dem armen M. Menzel Brod, gegen Arbeit zwar, geben könten." Es ist kennzeichnend für Zinzendorfs Haltung, daß er, wenn er nur irgend finanziell in der Lage dazu war, neue Arme ins Waisenhaus aufnahm. Als die Gemeine ihm einmal endlich ein Drittel eines Geldgeschenkes für sein Waisenhaus aufgedrängt hatte, nahm er für die 25 Taler „gleich wieder 3 Personen davor hinein" 67 . Verlassen wir damit die Armenpflege Zinzendorfs in seiner Anstalt und versuchen wir, das früher schon gewonnene Bild von der Armenversorgung innerhalb der Gemeine durch einige Striche zu ergänzen. Die wesentlichste und weiseste Armenpflege bestand doch wohl darin, daß man jedermann Arbeit zu verschaffen suchte und gegen Müßiggang mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln anging. Hier lag, wie wir sahen, eine der Hauptaufgaben der Aufsichtsämter, besonders der Handwerksmeister. C. David schrieb darüber: „auch müssen sie darauf sehen, daß kein Bruder müßig gehe, der entweder aus Mangel der Arbeit, oder aus Faulheit und Nachläßigkeit nicht arbeitet: Denn unter uns darf kein Bruder müßig gehen, und wer nicht Arbeit hat, der muß sich bey diesen melden." 68 Wir sahen auch, wie Zinzendorf versuchte, wirklichen Arbeitslosen im Herrschaftsgarten Arbeitsmöglichkeit zu verschaffen69. Es gab darum innerhalb der Gemeine keinen Bettel. Bei Bedürftigkeit trotz Arbeitswillens setzte die geordnete Armenpflege ein. Stieß man wirklich auf einen Arbeitsunwilligen, so erhielt er von der Armenkasse nichts, erlaubte ihm dann aber aus Mitleid mit seiner Frau und seinen Kindern, in Herrnhut (und nur hier) um Brot betteln zu gehen. Doch dürfte dies nur in Ausnahmefällen vorgekommen sein70, denn man wollte ja das eigene Brot verdienen. Die Eingliederungszeit in die Gemeine und ihre Wirtschaft mußte allerdings bei manchem überbrückt werden. „Wenn Leute od. Br. Nach Hhuth komen, die Arme sind und sidi da nieder laßen wollen, aber nichts zu leben haben, so erhält man sie anfangs bis sie sich eingerichtet haben", hieß es in einer mit „Armen Anstalt" überschriebenen Notiz wohl aus dem Jahr 1736/37 7 1 . Für die Glieder der Gemeine war die kleine Armenkasse da, für von auswärts kommende Bedürftige die Bettelkasse. Uber beide haben wir «7 H . Diar., 20. 12. 1728, das ganze Zitat s. Anm. 27. 68 C. D. Beschr. Drude, S. 22. Vgl. das in Kap. 2, S. 54 ff. (Die tägliche Arbeit) und Kap. 3, S. 161 ff. (Die Aufsiditsämter) darüber Gesagte. 6 9 Spangenberg, Zinzendorf, S. 4 8 0 : „Der Graf legte auch in diesem Jahr (1728) seinen Garten in Herrnhut an, mit der Absicht, den Armen daselbst, bey dem Mangel des Verdienstes Arbeit zu sdiaffen." 1732 konnten täglich 8 Personen im herrschaftlichen Garten arbeiten. Uttd. A - H . , S. 6 9 f. 7« Uttd. A - H . , S. 70. 7» R 6 A a 15/5, ohne Datum.
269
einige Nachrichten, die uns ein, allerdings nur bruchstückartiges, Bild der Armenpflege der Gemeine vermitteln. Die Armenkasse wurde gespeist aus Spenden auswärtiger Freunde, aus Uberschüssen der großen Gemeinkasse und aus Kollekten innerhalb der Gemeine. In den Diarien wurde die Armenkasse öfter erwähnt. Ζ. B. wurden 1728 bisweilen Spenden von auswärts genannt: Am 1.4.1728 brachte Mag. Scheffer 100 fl. für die Armenkasse, am 22. 6. hinterließ Gr. Gersdorf 21 Thl. in die Armenkasse72. So wird es öfter noch vorgekommen sein, daß Spenden begüterter Freunde oder Besucher für die Armenkasse Verwendung fanden. Innerhalb der Gemeine wurde sonntags kollektiert. In welchen Versammlungen, wird nicht gesagt. Es ist zu vermuten, daß es in der ersten Zeit wohl in der allgemeinen Gemeinversammlung geschah. „Am 15. März 1731 wird getadelt, daß Sonntags so wenig in die Armenkasse eingelegt worden ist, und am 29. April 1731 bestimmt: Die Diener sollen die kleine Armenkasse alle Sonntag früh herumtragen; wer da wollte, sollte geben, doch ohne Zwang. Schuster Nitschmann sagte: Wenn der alte Mensch nicht geben wollte, sollte der neue geben."73 Es gab auch Sonderkollekten für besondere Fälle. Z.B. schenkte die Gemeine 1733 einmal einem kranken Schuster in Meffersdorf 20 Taler zur Bezahlung seiner Schulden beim Gerber; 17 Taler brachte die Kollekte dafür ein, den Rest bezahlte die Kasse74. Oder 1741: „als die sehr armen Enders noch dazu bestohlen worden sind, um ihnen einiges zu ersetzen, und ein andermal, als die Brotschulden der Armen in der Gemeine hoch geworden sind, wozu 34 Taler einkommen" 75 . Die dritte Einnahmequelle der kleinen Armenkasse waren Überschüsse der großen Gemeinkasse. Es kam auch öfter vor, daß aus der großen Kasse direkt etwas für Arme ausgegeben wurde. Sehr groß waren die Bestände beider Kassen ja nie. Was einkam, wurde meist auch bald wieder angewendet. Sehr umfangreich konnte bei der allgemeinen Armut auch die gewährte Hilfe nicht sein. Aber es gelang doch immer, die größte Not von den armen Geschwistern abzuwenden, vor allem einer Hungersnot durch systematische Hilfe zu steuern. Aus der Armenkasse wurden so oftmals Brotschulden der Bedürftigen bezahlt (1736/37). Bis zu einem bestimmten Betrag wurde dem Mehl72 H. Diar. Zinzendorf sagte in seinen Memoires 1742, daß die Armenkasse mit einem Dukaten angefangen hätte. (ZBG 1913, S. 209) Die kleine Armenkasse scheint aber erst Anfang 1730 gebildet worden zu sein: „Die kleine Armencasse, welche am Neujahrstag vorm Jahr ihren Anfang genomen, hat bisher über 150 Thlr ausgegeben, die unter die Hausarmen verteilt worden; die große aber gegen 2000 Thl." H. Diar., 2. 1. 1731
(Zdf.). 73 Uttd. A-H., S. 116, nach H. Diar. R 6 Aa 25 u. H. Diar., 5. 9. 1733. 75 Uttd. A-H., S. 117 nach PA II R 5, 2 v. 29. 6. 1740 u. 25. 8. u. 18. 9. 1741.
270
händler dafür gut gesagt und die Summe dann aus der Kasse gezahlt. Allerdings wurde bei dieser sozialen Maßnahme darauf gesehen, daß der Mehlhändler den armen Brüdern gegenüber auch im Handel lauter blieb7*. Aus der großen Kasse wurden 1737 auch mehrmals Beträge für die Brotverteilung an die Armen ausgegeben: 3 Taler, 20 Gr. im Januar, 28 Taler im April, 29 Taler im Mai 1737". Hier haben wir, so scheint es, eine monatlich abgerechnete Verteilung vor uns. Vor Festtagen wurde später für die armen Brüder und Schwestern Brot gebacken. Am 21. Dez. 1741 hieß es im Herrnhuter Diarium: „Wir theilten audi heute denen armen Br r u. Schwestern, die sich auf künfftige Feyertage nichts verdienen können, da sie in 5 Tagen nicht arbeiten werden, in allen Chören Brodte aus bey 4tehalb 100 große Brodte, mancher familie 4.5.6. war manchen eine Gelegenheit sich zu schämen über seinen Unglauben." Am 24. März 1742 wurden 207 große Brote unter die armen Geschwister ausgeteilt78. Die Bezahlung der Brotschulden führte schon im Sommer 1741 dazu, daß man die Kollekte für die Armenkasse in die Viertelstunden der Chöre verlegte. Beim 27. August 1741 steht darüber im Herrnhuter Diarium: „Weil die Gemeine jetzo viel vor die armen Brr u . Schwestern bey dem Br. Linner vor Brodt wird bezahlen müssen, so wurde vor gut befunden, daß in den ordentl. Viertelstunden dazu soll colligiert werden. In der led. Br«1 4telstunde u. der led. Schwestern wurden in jeder 16 rth. dazu heute u. die Woche über colligirt, u. so gehets auch in den andern." Damit wurde dann auch die Armenkasse selbst auf die Chöre aufgeteilt. Schon am 28. August wurde den ledigen Schwestern „von der Gemeine zur Probe erlaubet, ihre eigene Armen-Casse zu haben u. dazu in ihrer Viertelstunde samein zu lassen"79. Am 11. September 1741 wurde das Kassenwesen dementsprechend neu geordnet: „Unsere Gemein Cassen wurden aufs neue in Ordnung gebracht. Augustin Leypold u. Otto nehmen sich des Allmosen-Pfleger Amts u. der Gemein Cassen ins gantze an, u. Langguth hat mit die Aufsicht drüber. Die große Gemein Casse gehet ihren Gang wie bisher u. Aug. Leypold führet die Rechnung drüber. Die kleine Armen-Casse, zu der in den Sonntags-Viertelstunden gesamlet wird, soll, wie schon bisher angefangen worden, in die Chöre getheilet werden. Doch haben die Gemein-Allmosenpfleger die Inspection u. Direction davon. So hat Langguth über die Casse der led. Brr Otto der led. Schw. und Wittwen, u. Aug. Leypold der Männer die Aufsicht, u. weil die Wittwen in ihrer Casse nicht so viel als nöthig ist, bekomen werden u. sie nach der Sr ( = Schrift) von der gantzen Gemeine zu verpfle76
Vgl. Uttd. A-H., S. 117, dort die einzelnen Belegstellen. 77 Uttd. A-H., S. 113. 78 H. Diar. 1741, R 6 Ab 14, die zweite Notiz nadi Uttd. A-H., S. 117. 7β H. Diar. 1741, R 6 Ab 14.
271
gen sind, so wird von den übrigen 3 Cassen das nöthige dazu gegeben; die Männer u. Weiber Casse giebt allemahl die Helfte, u. der led. Brr u. Schw. ihre jed χ ein 4tel. Aus den kleinen Armen-Cassen werden die Brodt-Schulden, Artzneyen u. andere Sachen für die Nothleidenden Br r u. Schw. bezahlet. Und das soll alle Monathe geschehen u. nicht auf ein oder 2 Jahr zusamen gespaart werden. Es wurde auch sonst alles eingerichtet, wie es mit dem, was in die Cassen von großen Posten geschenkt wird, gehalten werden soll; die Kinder gehören zur Männer- u. Weiber-, die großen Knaben zur led. Br r - u. großen Mädgen zur led. Schw. Casse. Br. Linner u. Augustin Leypold übergaben Nachmittags ihre Rechnung, die sie bisher geführt. In der großen Gemein Casse haben wir viel Schulden zu bezahlen gefunden; in den kleinen aber geht es noch an u. sind keine Schulden da." 7 9 Diese Teilung auf die Chöre verursachte eine Besserung der Armenversorgung, denn im Jahr 1745 wurde berichtet: „Auf diese Weise ist es nun vier Jahre in guter Ordnung und Harmonie gegangen, und der Segen des Herrn ist mit der Einrichtung so gewesen, daß zu Zeiten ein Chor soviel den Armen hat mitteilen können als sonst die ganze Gemeine." 80 Wir sehen auch hieraus wieder, daß die Gliederung der Gemeine für ein geordnetes Dienen eine unumgängliche Voraussetzung bildet und daß ein kleinerer Kreis besser für eine geordnete Diakonie geeignet ist als eine unübersichtliche große Zahl von Menschen. Besondere Hilfe ließ man durch die Gemeine den Witwen zukommen. So wurde 1736 für die armen Witwen und Jungfern im September und November der Hauszins aus der großen Kasse bezahlt. Auch die Bezahlung von Holz zur Feuerung wird gemeldet (1742) 81 . Witwen lebten in Herrnhut zum Teil schon in dem von uns betrachteten Zeitraum zusammen. 1739 wohnten bereits in mehreren Häusern eine Anzahl Witwen in einer Stube. Damit wurde ihnen eine möglichst billige Wohnmöglichkeit gegeben82. Bald tauchten dann auch Pläne auf, für die Witwen ein besonderes Haus in Herrnhut zu bestimmen. „Es kam in Vorschlag ein eigen Hauß vor die Wittwen da sie in Seegen u. Gnade ihre Tage zubringen könnten, zu destiniren." 83 1743 wurde ihnen das Kühneische Haus als künftiges Witwenhaus eingerichtet. Hier haben wir so etwas wie ein Altersheim vor uns, darum schauen wir über unseren engeren Zeitraum hinweg. „Nach einem Katalog von 1744 wohnen im Witwenhaus auf der großen Stube die Vorsteherin Micksch, die zugleich die ,besondere Aufsicht hat über die alten Muttern', mit 11 Witwen, auf der anderen Seite eine Vorgesetzte mit 8 Witwen, oben in einer Stube eine Vorgesetzte mit 80 V A R I V 1 1 . I V . 4 . z i t . n . U t t d . A - H . , S . 1 1 8 . ei U t t d . A - H . , S. 113.
82 Uttd. A-H., S. 96 nach R 6 Aa 16, 54.
272
83 H. Diar., 26. Aug. 1741, R 6 Ab 14.
3 Witwen, eine davon mit einer Tochter, und in einem Stübchen 1 Vorgesetzte mit 2 Witwen, im Hinterhaus eine Witwe mit vier kleinen Kindern, zusammen 29 der 44 damals in Herrnhut vorhandenen Witwen." 84 Dies ist allerdings nur auf Grund der vorangeschritttenen Chortrennung so möglich gewesen. In der ersten Gemeinzeit haben die Alten bei ihren erwachsenen Kindern gelebt und wurden von ihnen mit versorgt. Nur die alten einsamen Witwen werden der Gemeine zur Last gefallen sein. Die jüngeren haben sich durch eigene Arbeit zu erhalten gesucht. In der unmittelbaren ersten Not sprang die Gemeine ein. Als Immig gestorben war, hieß es im Diarium: „In der Abendstunde schenkte der H . zu einem herzl. Gebet vor die Frau Imig, vor ihn, vors Kind (Gnade). Es wurde zugl. auf ein Mittel gedacht, dem Kinde zu helfen." 85 So blieb es also im Gleis der Statuten, die ja im Punkt 33 der „Herrschaftlichen Gebote und Verbote" geordnet hatten: „Sobald ein Mann gestorben, sollen sich die darzu gesetzte Ältesten der Witwen annehmen und die Waisen ernstlich anbefohlen sein lassen. Sobald eine Frau gestorben, soll zu Erziehung der Kinder dem Witwer Rat geschaffet werden." Ebenso hat die Gemeine sich um ihre Alten gekümmert, so wie es die Statuten vereinbarten (Herrschaftl. Gebote 7): „Wenn er aber alt, krank und unvermögend ist, soll ihn die Gemeine nähren." Doch blieb die Pflicht zur Unterhaltung der Alten den Angehörigen, solange unterstützungsfähige Kinder da waren (Willkür 21): „Kein Sohn soll den Vater oder die Mutter aus dem Hause und Brote heißen, solange sie bei ihm bleiben und in der Stille ihr Wesen schaffen wollen." Die Alten haben sich ja auch, solange sie nur irgendwie arbeiten konnten, nützlich gemacht. Die Witwen waren mit ihrer Hilfeleistung in mancher Familie unentbehrlich86. Einige nahmen sich im Auftrag der Gemeine der Kinder der ausgesandten Boten an, wenn sie nicht im Waisenhaus untergebracht werden konnten. Die Gemeine zahlte dafür einen Taler im Monat 87 . Über die Tätigkeit und die Personen der Armenpfleger brauchen wir hier nichts mehr auszuführen, da das hinreichend unter den diakonischen Ämtern geschehen ist. Dort berichteten wir auch von der noch 1731 üblichen Einteilung der Armenpflege nach Straßen (S. 195). Nur sei noch einmal darauf aufmerksam gemacht, daß die Armenpfleger nicht nur die Gaben zu verteilen hatten, sondern auch darauf zu achten hatten, daß sie in rechter Weise von den Empfängern verwendet wurden. Die Gemeine hatten sie im Geist der Willigkeit und Milde zu erhalten. Hingewiesen sei hier schließlich auf die Bettelkasse, die seit 1736 vorhanden war. Sie allerdings entstand auf ein königliches Patent hin. Am 84 Uttd. 8« Uttd. 87 Uttd. gemeinsam
A-H., S. 96 nach R 23. 85 H. Diar., 3. 2. 1728. A-H., S. 96 f. A-H., S. 112. Dies war vor allem von dem Zeitpunkt an nötig, als Ehepaare ausgesandt wurden.
273
6. August 1737 wurde über sie ein besonderer Almosenpfleger gesetzt (Walde), dem das zunächst wöchentlich gesammelte Geld zur Verteilung anvertraut wurde. Wie schon gesagt, war sie für von auswärts kommende Bedürftige bestimmt. In späterer Zeit waren feste Tage für die Austeilung von Geld und Brot an auswärtige Arme angesetzt; außer an diesen Tagen bekam kein Bettler etwas in Herrnhut 88 . Die Jahreseinnahmen dieser Bettelkasse betrugen „70 bis 80 Taler, der Ertrag der einzelnen Sammlungen 2 bis 5 Taler, und wenn wir von hier aus auf die Kollekten für die Gemeinarmenkasse schließen dürfen, deren Rechnungen nicht erhalten sind, so werden wir annehmen müssen, daß die Gemeine soviel tat, wie nur irgend möglich war" 8 ". Bei dem Geist der Gemeine müssen wir auch vermuten, daß über das uns durch die Kassenführung bekannte Maß hinaus gegenseitige brüderliche Hilfe geleistet wurde, wo immer sie nötig war. Wie wir schon bei den Ämtern sagten, ist aus dem Schweigen der Quellen über vieles auf diesem Gebiet zu schließen, daß die Armen im Maße damaliger Genügsamkeit ihrer Notdurft nach versorgt worden sind. Herrnhut hatte jedenfalls eine geordnete Armenpflege auf dem Boden echter christlicher Brüderlichkeit. Bei aller oft allgemeinen finanziellen Not wurde keiner der Armen in seiner Lage ohne Hilfe sich selbst überlassen.
2. Die Krankenpflege Da wir der Krankenversorgung bei den diakonischen Ämtern in der Schilderung der Tätigkeit der Krankenwärter und der Gemeinärzte gebührend gedacht haben, sei hier nur noch einiges zur Sache hinzugefügt. Der Gesundheitszustand der Einwohner Herrnhuts war nicht zu gut. Eine ganze Reihe früher Todesfälle, besonders durch Schwindsucht, ist ein Kennzeichen dafür. Auch die hygienischen Verhältnisse ließen manches zu wünschen übrig. Bei dem Mangel an Platz und der Tatsache, daß nicht jeder Einwohner Herrnhuts ein eigenes Bett hatte, ist die Bestimmung vom 29.12.1731 wichtig, „es solle ein Register der Krankenbetten gehalten werden, wo jedes hinkomme, daß man es wisse im Notfall zu suchen und, wenn jemand in einem Bett gestorben ist, es wieder reinigen lasse"90. Im Waisenhaus war eine besondere Krankenstube. Vielleicht ist sie mit dem „Lazareth" gemeint, in dem nach dem Diarium (25.10.27) Gemütskranke untergebracht worden waren (s. S. 203). Daß eine Schwester für das Krankenessen zu sorgen hatte, wird uns vom Januar 1739 berichtet. Es sollte 88 Uttd. A-H., S. 119. 89 Und. A-H., S. 120. 90 Uttd. A-H., S. 122 nach Gemeinratsprotokoll R 6 Aa 25 v. 29. Dez. 1731.
274
der Schwester Dober „angezeigt werden, wieviel dazu wöchentlich kontribuiert werden soll"91. So wurde, vor allem durch das Amt der Krankenwärter, für die Kranken der Gemeine in Liebe gesorgt. Ärmere Geschwister haben die Gemeinärzte Lie. Gutbier und Kriegelstein umsonst behandelt. Sie hatten ihr Auskommen durch gräfliche Bezahlung und dienten der Gemeine mit ihren Gaben. Es konnte sogar vorkommen, daß für eine Badekur zweier kranker Schwestern besonders kollektiert wurde (10.2.1732) 92 . Wichtig war für die geordnete Krankenversorgung die eigene Apotheke Herrnhuts 93 . Sie war schon 1724 von den verbundenen vier Brüdern „zum Dienst des Nächsten" mit guten Arzneimitteln geplant worden. Von 1725 an betrieb sie allerdings Lie. Gutbier auf eigene Rechnung. 1731 kaufte sie ihm Zinzendorf ab. Gewinnbringend war die kleine Apotheke für den Grafen nicht, denn was an Gewinn vorhanden gewesen wäre, „wurde durch Abschreiben der aussichtslosen Schulden armer Geschwister verzehrt" 94 . Allerdings mögen diese Schulden nicht nur durch den Kauf von Arzneimitteln entstanden sein, denn die Apotheke führte wahrscheinlich schon zu dieser Zeit allerlei andere zum täglichen Leben notwendige Waren. Unter Dürrs Leitung von 1735 bis 1744 war sie jedenfalls ein regelrechter Kramladen und wurde da auch rentabel 95 . Arzneikosten werden für arme Geschwister wohl immer bezahlt worden sein, denn vom Oktober 1742 ist uns eine Zahlung in Höhe von 48 Talern für arme Kranke an die Apotheke bekannt 96 . Für die geordnete Krankenversorgung bedeutete die Entstehung der Chorhäuser einen wesentlichen Fortschritt. Jedes dieser Häuser hatte meist mehrere besondere Krankenstuben und eine gut funktionierende Ordnung der Krankenwärter. Die engere Gemeinschaft eines Chorhauses ließ es noch unwahrscheinlicher werden, daß ein Kranker nicht die nötige Pflege bekam. Mag dies an Ergänzungen zu dem unter den Gemeinämtern Gesagten genügen. Zinzendorf und die Gemeine wandten jedenfalls der Krankheit und den Kranken immer ihre große Aufmerksamkeit zu. Zinzendorf hat sich über das Wesen der Krankheit viele, wenn auch manchmal etwas merkwürdige Gedanken gemacht. In einem Punkte haben die Brüder ihre Uttd. A-H., S. 122 f. nach PA II R 5,1. »2 Gemeinratsprotokoll R 6 Aa 25 v. 10. 2. 1732 nach Uttd. A-H., S. 123. »3 Darüber Uttd. A-H., S. 127 ff. Μ Uttd. A-H., S. 128 nach Kreditorenbuch S. 22/23 u. 53. 95 „Enthält doch die Inventur von 1738 nidit nur Arzneimittel, sondern audi Zucker, Kaffee, Tee, Korinthen, Mandeln, Gewürze, Tabak, Schnupftabak, Stärke, Puder, Leim, Schießpulver, Gänsefedern, Kreide, Stöpsel, Papier, Buntpapier, Blei- und Buntstifte und Feuerschwamm." Uttd. A-H., S. 128 nach VAR 14,1. •β VAR 11 I A 1, nach Uttd. A-H., S. 123.
275
Kranken in ganz moderner Weise betreut: Sie wußten um die Einheit von Leib und Seele und verbanden mit der Krankenversorgung leiblicher Art immer eine intensive Seelsorge. Man war nicht ohne Grund und ohne Ziel krank. Darum war der Dienst an den Kranken und der Umgang mit ihnen ein besonderer Auftrag und verlangte seine besonderen Gaben.
C . D E R DIENST DER GASTFREUNDSCHAFT DEN FREMDEN GEGENÜBER
Die Gastfreundschaft ist eines der besonderen Kennzeichen Herrnhuts zu allen Zeiten gewesen. Eigentlich war sie ja auch die Wurzel zur Entstehung des ganzen Ortes, denn ohne den Willen zu echter Gastfreundschaft hätte Zinzendorf die Fremden aus Mähren kaum aufgenommen. Bei dem ungeheuren Zuzug, durch den die Einwohnerzahl in fünf Jahren fast auf das Doppelte stieg (1727 ca. 350, 1734 ca. 600 Einwohner), mußten die Ansässigen den Neuankommenden gegenüber ein großes Maß von Gastfreundschaft gewähren. So ist es angebracht, daß wir über diesen Dienst am hilfsbedürftigen Nächsten hier einiges sagen. „ K a m . . . jemand in Herrnhut an, so stieg er im Gasthof ab oder wurde, wenn da kein Platz war, was oft genug der Fall gewesen sein dürfte, irgendwo einlogiert... und wurde den Behörden gemeldet." 97 Nach einem ersten „Sprechen" fiel die Entscheidung, ob der Betreifende dableiben durfte oder gleich wieder fortgeschickt werden mußte. Fiel die Entscheidung für Bleiben, dann handelte es sich zunächst nur um eine Probezeit, in der er die Gemeine und die Gemeine ihn kennenlernen sollten. Für solche Leute und für die vielen Besucher, die nur kurze Zeit bleiben wollten, um das berühmte (oder auch berüchtigte) Herrnhut kennenzulernen, mußte Platz geschaffen werden. Und das ging nicht selten auf Kosten des sowieso schon knappen Wohnraumes der Ansässigen. Um Festtage herum wurde bei dem Besucherstrom die Unterbringung zu einem ernstlichen Problem. Von da ist das Amt der Fremdendiener zu verstehen, die auf der einen Seite die Fremden unterzubringen hatten und auf der andern Seite für die tägliche Betreuung, Beratung und Führung der Besucher zuständig waren. In der „Verfassung" von 1733 heißt es von ihnen: „Die Diener, welche um die äussere Umstände besorget sind, mithin auch das Directorium ü b e r . . . die Gast-Freyheit führen." 98 Wir sprachen darüber schon bei dem Amt des Dieners in Kapitel 3 (S. 192). Uttd. A - H . , S. 52. Vgl. zum Ganzen Uttd. A-H., S. 52 ff.: „Die Probleme des Anwachsens Herrnhuts", S. 129 ff.: „Der Gasthof" und S. 139 ff.: „Die Fürsorge für die Besucher Herrnhuts". Beadite audi den Stidi von 1732 (Beil. Bild 1), auf dem nicht nur „4. Der ordentliche Gasthoff", sondern audi „7. Die Herberg frembter Manns Personen" und „8. Die Herberg frembter Weibs Personen" angegeben sind, ss Beschr. Drude, S. 121.
276
Zum Amt des Fremdendieners trat 1731 das Amt des Gemeinwirts. Am 7. Januar 1731 wurde Friedrich Riedel dazu gewählt; „zu dem Ende soll er ins Gemeinhaus ziehen und alle ankommenden Brüder und Schwestern daselbst bedienen. Auch eine Krankenstube für Fremde wird in Aussicht genommen"99. Da er als Maurermeister dieses ihn bindende Amt nicht recht ausüben konnte, wurde „Timotheus Fiedler vorgeschlagen, weil er schon gereist ist und weiß, wie Reisenden zu Mute ist, und mit Kochen und Haushaltung umgehen kann. Er war es zufrieden." 99 Hingewiesen sei auch darauf, daß ebenfalls Anfang 1731 (Februar) die ledigen Brüder den Gasthof bezogen und zwei von ihnen, Tobias Leupold und M. Kremser vom Ältesten Augustin Neißer „unter herzlichem Gebet" in diesem Hause zu Wirten eingeführt wurden 100 . Allerdings mußte 1733 der Gasthof unter andere Leitung gestellt werden, weil die Wirtschaft der jungen Männer auf die Dauer eben doch nicht befriedigen konnte. Gasthof und Gemeinlogis bestanden in den folgenden Jahren nebeneinander, der Gasthof mehr für Durchreisende, die Herberge mehr für Besucher Herrnhuts, bis dann von 1747 ab auch der Gasthof zum Gemeinlogis wurde 101 . Doch sprach man in der Sache der Fremdenbeherbergung auch die ganze Gemeine an und ermunterte sie zur Gastfreundschaft. Am 5. Juli 1733 wurde im Gemeinrat protokolliert: „Wenn fremde Brüder herkommen, so sind sie bisher vom Gemeinwirt aufgenommen worden. Dadurch aber wird andern was entzogen, und es ist nicht so gemeinschaftlich, als wenn man die Brüder selbst aufnimmt. Daher es wohl besser sein würde, wenn die Brüder hinfüro der Reihe nach die Fremden aufnähmen. Haben sie
90 Uttd. A - H . , S. 139 nach R. 6 Aa 25, Gemeinratsprotokoll. ">o Uttd. A-H., S. 131 nach H . Diar. Vgl. R 6 Aa 25 v. 26. 2. 1731, Gemeinrat. Dort heißt es wohl mit Bezug auf Leupold, den neuen Gastwirt: „Da er den nach Gebet u. Gesang von dem Eltesten, Augustin (erg. Neißer) durch Handauflegung, unter allgemeinen Seufzen der gegenwärtigen Brüder eingesegnet wurde." 101 Uttd. A-H., S. 138. Am 14. Aug. 1742 gab das Richterkolleg dem Gastwirt Philipp Till in Herrnhaag folgende Bestimmungen: „. . . Zu vörderst sei Dir also hiermit angepriesen (wie wir denn daran nicht zweifeln), daß D u in allen Stücken also der Dir vom Heylande geschenkten Gnade gemäß und würdig aufzuführen vor Augen sein lässest, damit D u auch in Deinem Teil Deinen Brüdern und der Gemeine zur Ehre Dein Amt führest. Ein Wirt in der Gemeine muß dienstfertig und unverdrossen sein, allen Geiz aus seinem Herzen durch die Gnade verbannen, gewissenhaft handeln und dahin sehen, daß er nidit allein gesunde und gute Getränke allen Leuten vorsetze, sondern auch vor einen höchst möglichst billigen Preis gebe, daß er keinen höhern Vorteil begehret, als soweit die höchste Notwendigkeit seiner Unterhaltung erfordert, und sich in dem Stücke absonderlich sowohl als in allem andern der Welt nicht gleichstelle, sondern jedermann durch seine Bewirtung überzeuge, daß er um der Gemeine willen und zum Dienst seines Nächsten ohne allen eigennützigen Absichten allein sein Amt mit Gerecht- und Redlichkeit verwalte. Eine solche Weisheit Dir vom Heiland schenken zu lassen, soll Dir angelegen sein . . ." Zitiert nadi Uttd. A-H., S. 137 f., Anm. 505.
277
kein ander Lager, so können sie ihr Bette hergeben und sich indes so behelfen. Sind sie arm und es fällt ihnen zu schwer, wenn sie jemand bei sich haben, so kann man's ihnen gut tun. Die Gabe der Brüder kann zu gemeinem Nutz noch mehr gebraucht und angewendet werden. Audi hat der Apostel selbst befohlen, daß wir gerne herbergen sollen. Die Gemeine kriegt weniger Last, und das kommt Armen zu gute."102 Es ist hieraus zu schließen, daß dem Gemeinwirt sonst aus der Gemeinkasse etwas für die Beherbergung der Fremden gegeben wurde. Bisweilen wurde dafür auch von den Fremden, die die Versammlung besuchten, etwas gesammelt, damit die Gemeine nicht beschwert würde 103 . Über eine Bezahlung der genossenen Gastfreundschaft von Seiten der Besucher finden sich sonst keine genaueren Nachrichten. „Arme hat man jedenfalls umsonst aufgenommen, bei anderen suchte man es zum mindesten möglichst billig zu machen. Reiche Gäste hinterließen oder sandten später öfter nicht unerhebliche Gaben." 104 Am 23. August 1733 wurde Dober bestimmt, „daß er es allemal demjenigen sage, der jetzo solle bewirten" 105 . Danach verpflichtete man sich also zu einer gewissen Reihenfolge in der Beherbergung. Fremdenstuben wurden 1739 wieder erwähnt. In David Fritschs Haus (abwesend) „wohnen außer der Frau und 3 Kindern 10 Witwen und Jungfern, dazu 5 Fräuleins von Seydlitz mit ihren Aufseherinnen und Dienerinnen und endlich in einer Stube 15 verheiratete und unverheiratete Frauenspersonen, die in Herrnhut besuchen und von denen einige bleiben wollen. Ebenso wohnen im Haus des Schusters Ender die Eltern mit 2 Kindern und 2 Gesellen und 8 Burschen aus Schlesien, fast alle nur zum Besuch, und im Haus von Michael Kloß ist außer der Wohnung für das Ehepaar und 3 Kinder noch die Gemeinstube, wo jetzt 6 schlesische und 2 berlinische Burschen logieren."106 Da es sich meist nur um kleine Häuser handelte, waren alle Räume in Herrnhut wirklich überbelegt. Wir können uns denken, welches Maß von Gastfreiheit nötig war, um in dieser Enge noch Besucher in großer Zahl zu beherbergen. Dies war nur darum möglich, weil die Gemeine die Betreuung der Besucher als einen ihr aufgetragenen Dienst verstand, durch den andere auch in den Genuß des Segens kommen sollten, den sie täglich empfing. Genügsamkeit und Selbstbeschränkung auf den allernötigsten Raum zum eigenen Leben gehörten deshalb zum Dienst der Brüder an den andern notwendig hinzu. 102 R 6 Aa 25 v. 5. 7. 1733, zit. n. Uttd. A-H., S. 140 f. юз Uttd. A-H., S. 140 nach einer Notiz v. 16. 4. 1733, R 6 Aa 25. IM Uttd. A-H., S. 143, Anm. 533: „z. B. hinterläßt am 18. 4. 1743 Hartmann aus Hirsdiberg 100 Taler für die Kassen. PA II R I С 1, 2." 105 Uttd. A-H., S. 141 nach R 6 Aa 25 v. 23. Aug. 1733. ιοβ Uttd. A-H., S. 141; Zitat S. 12 nach R 6 Aa 16, 54.
278
Die Besudier haben jedenfalls die ihnen entgegengebrachte Gastfreundschaft immer als besonders wohltuend empfunden. Das sagen alle Zeugnisse, die von ihnen erhalten geblieben sind. Gerade dieser Dienst in seiner geordneten Form hat Herrnhut für viele so anziehend gemacht und sie zum Wiederkommen oder sogar zum ständigen Bleiben gelockt. Wir schauen noch einmal auf das in diesem Kapitel Gesagte zurück. Gerade auf dem Gebiet der „Diakonie" (im heutigen engeren Sinne 107 ) mußte sich ja das geordnete Dienen im alten Herrnhut bewähren. Ordnungen, Ämter und Anstalt kamen so zu einem Zusammenspiel und ergänzten sich gegenseitig. Dienst in der Anstalt und Dienst in der Gemeine waren keine Gegensätze, sondern befruchteten sich wechselseitig. Eins war ohne das andere nicht zu denken. Die Anstalt mit ihren Kräften und ihren Räumlichkeiten diente der Gemeine, und die Gemeine sah in der in ihrer Mitte liegenden Anstalt ein Stück ihres Lebens. So konnten wir in allen vier Bereichen des „diakonischen" Dienstes, der Kindererziehung, der Armenpflege, der Krankenbetreuung und der Fremdenfürsorge sehen, daß das Waisenhaus, in einem Fall mehr, im andern weniger, beteiligt war. Andererseits verstand die Gemeine die einzelnen Bereiche als ihr aufgetragene Dienste, die sie um der Liebe Christi willen zu erfüllen hatte. Sie hat darum immer wieder Überlegungen angestellt, wie die Kinder am besten zu betreuen und zu erziehen, wie die bedürftigen Glieder am zweckmäßigsten zu versorgen, wie die Kranken am ausreichendsten zu pflegen und wie die Fremden am wohltuendsten zu bewirten wären. Sie hat audi immer die Menschen aus ihrer Mitte hervorbringen können, die für die verschiedenen Dienste bereit waren; ja sie hat ihre ganze Erziehung im Waisenhaus darauf abgestellt, daß die Jungen und Mädchen zur Übernahme von Diensten bereit wurden. Die führenden Brüder und Schwestern der Gemeine haben mit ihrer Bereitschaft audi zu geringen Diensten dafür nachahmenswerte Beispiele gegeben. Eine Abgrenzung eines ausgesprochen „diakonischen" Bereiches ist deshalb innerhalb des Lebens der Gemeine gar nicht möglich. In den Statuten und der Ämterordnung, also der eigentlichen Verfassung der Gemeine, war der Dienst an den Armen, Kranken und Fremden fest verankert. Der Dienst der Erziehung fand im Lehreramt seinen Platz. Und die sich zusätzlich als nötig erweisenden Ämter der „diakonischen" Einrichtungen, wie ζ. B. die Erzieher und ihre Gehilfen im Waisenhaus oder der Gemeinwirt im Gasthof (bzw. im Gemeinlogis) wurden selbstverständlich als Dienste der Gemeine verstanden. Durch die Kinderbesucher, durch die wechselnden Krankenwärter, durch die Kollekten für die bedürftigen 1 0 7 U m das W o r t „Diakonie" als im heutigen Sinne gebraucht zu kennzeichnen, setzen wir es in dieser Zusammenfassung stets in Anführungsstriche.
279
Brüder und Schwestern, für die reichlich geopfert wurde, und durch das öffnen der Häuser und Stuben für die Gäste der Gemeine war auch die Gemeine als Ganze an den „diakonischen" Einrichtungen beteiligt. Die verschiedenen Gliederungsformen, die wir kennenlernten, haben dabei die Verpflichtung zum Dienst aneinander stets in sich enthalten. Besonders wirksam mußte der Dienst an den Alten, Armen und Kranken aber durch die Chorgliederung werden, vor allem als in den Chorhäusern die Lebensgemeinschaften der Chöre ihre eigenen Ordnungen bekamen. In ihnen erhielt der gegenseitige Dienst in den Notfällen des Lebens wiederum seinen unübersehbaren Platz 108 . So war im alten Herrnhut die „Diakonie" eine wirkliche Wesens- und Lebensäußerung der Gemeine und aus ihrem Leben überhaupt nicht fortzudenken. Es war der Gemeine damit möglich, eine „Diakonie" zu betreiben, die zu ihrer Zeit außergewöhnlich war und für viele beispielhaft wirkte. Sie hat schließlich dadurch, daß die Herrnhuter Boten binnen weniger Jahre in alle Welt hinausgingen, ihr Verständnis und ihre Formen gegenseitigen Dienstes überall dorthin getragen, wo Brüder und Schwestern in der Art der Herrnhuter Gemeine zusammenlebten. Viele hatten das Dienen ja wirklich innerhalb der „diakonischen" Einrichtungen Hermhuts gelernt. Draußen wurden die einzelnen Formen natürlich der verschiedenartigen Lage entsprechend um- und ausgestaltet. Aber das Beispiel AltHerrnhuts mit seinem geordneten Dienst an Kindern, Alten, Armen, Kranken und Fremden blieb doch immer das prägende Vorbild, nadi dem man sich bewußt oder unbewußt ausrichtete. Letztlich war es wieder das Bild der ersten Christenheit, nach welchem man das gemeinsame Leben überall gestalten wollte, indem man die biblischen Weisungen zu verwirklichen trachtete109. 108 Vgl. dazu, was Uttendörfer, Wirtschaftsgeist Herrnhuts, bes. S. 208 f. über die soziale Fürsorge im Brüderhaus und S. 269 über die Krankenbetreuung im Schwesternhaus berichtet. ioe müssen hier noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen, daß sidi auch und vielleicht sogar besonders auf dem diakonischen Gebiet das Ideal der ersten Christenheit, wie es Arnold in der „Ersten Liebe" zeichnete, ausgewirkt hat. Im dritten Budi „Von der ersten Christen Pflichten und Bezeigungen gegen einander" widmete er das 10., 11. und 12. Kapitel speziell diesen Fragen. Im 10. Kapitel sprach er „Von der Verpflegung der Armen unter den ersten Christen" und begann mit den Worten: „So wie es insgemein mit der mildigkeit eines ieden Christen nach des HErrn willen zugienge, daß ein ieder vor sich selbst seiner pflicht dabey wohl wahrnahm: War auch die allgemeine Versorgung der armen angestellet, da sie alle sich in liebe dißfalls vereinigten zu gemeiner und zusammengesetzter Verpflegung derselben." (S. 472) Eingehend erzählte er davon, wer versorgt, wie das Geld dazu gesammelt und mit welcher Sorgfalt es von den Aufsehern verwaltet wurde. Er kam bei der Versorgung der Armen mit Lebensmitteln auch auf die Liebesmahle zu sprechen (S. 478 ff.), bei denen sie gespeist wurden. Interessant ist das über das Betteln Gesagte (S. 481): „Eben diese weißheit und allgemeine
280
liebe brachte sie dahin, daß sie in den ersten Zeiten niemand leiditlich öffentlich betteln H e s s e n . . . weil sie keinen bruder oder schwester mit willen darben liessen, und dahero sie lieber selber freywillig unterhielten, und nicht den heyden zum schau-spiel herum gehen liessen." Im 11. Kapitel „Von der Christen Vorsorge vor die Witwen, Waysen, Alten, Krancken, Gefangenen und Märtyrer" (S. 482 ff.) erwähnte Arnold nicht nur „waysen- oder findelhäuser", sondern auch „wittwen-häuser". Zu den Waisenhäusern bemerkte er: „In solchen Wohnungen suchte man die kinder in der furcht des H E R R N aufzuziehen, und unter genauer aufsieht der bestellten Vorsteher zu halten." (S. 484) — Zur Krankenpflege stellte Arnold eine ganze Reihe von Kirchenväterzitaten zusammen, die ihre Notwendigkeit unterstreichen sollten (S. 485 f.). Auffällig ist der Satz: „Wie auch hernach die kirchendiener und aufseher sonderlich die inspection über die Medicos und krancken-wärter hatten", weil es in der „Verfassung" von 1733 hieß: „Die Diener, welche um die äussere Umstände besorget sind, mithin auch das Directorium über das Waysen-Haus, über die Krandsen-Wärter, die Versammlungen, die Armen-Casse und die Gast-Freyheit führen." (Besdir. Druck, S. 121). Im 12. Kapitel sprach Arnold schließlich „Von der ersten Christen Gastfreyheit" und begann mit den Worten: „Die wahre liebe breitet sich allenthalben aus, und theilet sich gerne jedermann m i t . . . " (S. 493). Er verwies auf die Mahnungen der Apostel und beschrieb dann, mit welcher Gastfreundschaft die ersten Christen den Fremden begegneten. D a ß damit nicht nur eine leibliche Versorgung geschah, betonte Arnold ausdrücklich: „Im übrigen aber sahen die Christen bey solchen bedienungen darauf, daß sie vor allen dingen auch am geiste versorget und gelabet möchten seyn." (S. 498) Im Zusammenhang mit der „Gastfreyheit" berichtete er über das Fußwaschen (S. 501 ff.) als wichtigen Dienst den Reisenden gegenüber und über die „hospitaler und gasthäuser der alten", in denen die Fremden a u f genommen wurden. Audi vom A m t der „aufnehmer der fremden . . . , denen die bewirthung der fremdlingen anvertrauet w a r " ist die Rede (S. 505). Wir sehen an diesen wenigen Hinweisen wieder, wie stark in allem Tun in H e r r n h u t der Gedanke mitgesprochen hat, der ersten Christen treue Nachfolger zu sein. Arnold hätte sich keine besseren Leser seiner Darstellung der Urdiristenheit wünschen können.
281
KAPITEL
5
Mission als Dienst über den Bereich der Gemeine hinaus Wir haben uns in unserer Darstellung bisher auf den Bereich der Herrnhuter Gemeine beschränkt, um das gegenseitige Dienen der Glieder in allen Bereichen des gemeinsamen Lebens möglichst deutlich werden zu lassen. Wiederholt mußten wir aber schon darauf hinweisen, wie alles Dienen in der Gemeine zuletzt auf einen großen Dienst hindrängte, in dem die Gemeine schließlich ihren Beruf in dieser Welt erkannte: die Botschaft vom Heiland hinauszutragen, so weit es nur irgend ging. Der Auftrag, Bote des Heilandes und seiner Gemeine zu sein, wurde damit zum wichtigsten Dienst überhaupt. Wie wir schon im vorangegangenen Kapitel sahen, daß man den Bereich der im engeren Sinne „diakonischen" Arbeit im Gemeinleben nicht abgrenzen kann, so werden wir nun sehen, daß auch die missionarischen Unternehmungen so im Leben der Gemeine verwurzelt waren, daß sie zwar als die wesentliche Frucht, aber eben nur als eine Frucht der lebendigen Gemeinschaft im alten Herrnhut anzusehen sind. Die Darstellung des Dienstes über den Bereich der Gemeine hinaus ist nicht ganz einfach, weil die Motive und Anlässe zur Tätigkeit nach außen hin wechselten und die Entwicklung sich in den ersten Jahren beinahe überstürzte. Allerdings ist es auch nicht unsere Aufgabe, an dieser Stelle eine Geschichte der Diasporaarbeit und der Mission der Brüdergemeine in ihren Anfängen zu bieten. Dafür sei auf die Untersuchungen, die für beide Gebiete vorliegen, hingewiesen. O. Steinecke beschreibt in seinem Buch „Die Diaspora der Brüdergemeine in Deutschland" die Wirksamkeit der Brüder in der Heimat, und Karl Müller bringt im ersten Band seiner Darstellung „200 Jahre Brüdermission" das Wesentliche aus dem ersten Missionsjahrhundert über die verschiedenen Gebiete draußen. Wichtig ist uns hier, die Wurzel des Missionseifers zu finden, der sich in diesen Jahren zu entfalten begann; wesentlidi ist uns dabei der Nachweis, wie aus dem Leben in Herrnhut der Botengang als beinahe selbstverständliche Frucht herauswuchs; und es kommt uns darauf an zu erfahren, wie die hinausziehenden Brüder ihren Dienst verstanden und was sie als ihren Auftrag mitbekamen. Man pflegt seit Zinzendorf schon den ganzen Komplex des Dienstes nach außen hin als den des „Streiters" zu bezeichnen. Streiteridee, Strei282
terlieder, Streiterehe sind Begriffe, die im Zusammenhang mit dem Botengang und dem Missionsdienst auftauchen. Wir wollen uns mit der Herkunft des Streitergedankens im nächsten Kapitel noch eingehend beschäftigen. Hier sei nur schon gesagt, daß der Dienstgedanke im alten Herrnhut im Streiterideal seine ausgeprägteste Form gefunden hat.
1. Die ersten Botengänge und ihre Anlässe
Von Beginn an gehörten die Botengänge zum Wesen herrnhutischer Lebensäußerungen. Wir werden in den Jahren 1727/28 drei verschiedene Arten soldier Botschaftsreisen zu unterscheiden haben 1 . Ihre Anfänge sind alle sehr früh zu finden, unmittelbar nach der Erweckung der Herrnhuter Gemeine am 13. Aug. 1727 als Botschaften der Gemeine, vorher jedoch sdion als Gänge und Reisen einzelner. Die unmittelbarste Äußerung der Gemeine nach außen war die Predigttätigkeit verschiedener Brüder in den umliegenden Ortschaften. Als am 17. August 1727 einige Seifhennersdorfer mit der Klage kamen, ihnen sei der Besuch in Herrnhut verboten worden, erklärten sich sofort zwei Herrnhuter bereit, die Brüder dort zu besuchen. Es waren der gräfliche Tafeidecker Gottlieb Wried und der Messerschmied Jakob Neißer. „Gottlieb Wried und Jacob Neußer fanden sich willig, die Brüder zu besuchen und gingen hin, redeten auch daselbst über zwei Lieder... mit großer Kraft, wo etliche und fünfzig Menschen zugegen waren." Die Versammlung wurde durch Gerichtsleute gestört, die beiden Herrnhuter gefangen gesetzt. Im Gefängnis „fuhr er (Wried) immer fort, Jesum zu verkündigen, sonderlich überzeugte er auf dem Weg nach der Stadt seine Wächter kräftiglich und öffentlich von der Wahrheit der Lehre Jesu Chris t i . . . Darauf wurde er ins Stockhaus geworfen, darin er herzlich gebet e t . . . Abends kamen Brüder aus jenem Dorf und berichteten Gottliebs Bande und Trübsal, darüber eine herzliche Freude in Herrnhut entstand." 2 Solche Besuche, manchmal mit ähnlichem Ausgang, wurden wiederholt und auch in anderen Orten durchgeführt; und „aller Anfeindungen ungeachtet bildeten sich vielfach kleine Häuflein Erweckter, die sich zu Herrnhut hielten" 3 . In die Nähe von Herrnhut führten auch Handwerksreisen, von Brüdern unternommen, die in Herrnhut selbst nicht genügend Verdienst fin1 Vgl. auch Steinecke, Diaspora, S. 66 ff., der vier verschiedene Arten von Anfängen der Diasporaarbeit nennt. 2 Cröger, Geschichte der erneuerten Brüderkirdie, 1. Teil, S. 119 f. nach H. Diar. Vgl. Die Brüder, S. 42 und Steinecke, Diaspora, S. 68. 3 Steinecke, Diaspora, S. 68.
283
den konnten. 1731 hieß es so von den arbeitslosen Maurern, die wohl die Zeit der Arbeitslosigkeit durch Weben oder Spinnen überbrücken wollten: „Der Herr Graf antwortete, sie sollten vielmehr Paar und Paar miteinander ausziehen, beisammen arbeiten und den Heiland verkündigen" 4 . In der Art solchen Botenganges wird man sich stark an Mt. 10 und Lk. 10 angelehnt haben. Wir sehen es schon daran, daß sie zu zweit gingen, arbeiteten und predigten. Eine große finanzielle Ausrüstung konnten die Brüder bestimmt nicht mitnehmen. Eine andere Art der Botschaftsreisen war die Briefbotschaft zu erweckten, Herrnhut innerlich nahestehenden Fürstenhöfen und Adligen oder sonstigen bedeutenden Männern und Frauen. Zwischen den Erweckten im Pietismus bestand ja der lebhafteste Briefverkehr. Jede Regung in der Geschichte des Reiches Gottes wurde an Freunde brieflich mitgeteilt. Audi Zinzendorf war darin sehr produktiv. Das Portogeld bildete auf der Ausgabenseite des Zinzendorfschen Haushaltes immer einen ansehnlichen Posten. Am 14. Februar 1728 stand im Diarium: „Es lagen zu Zeiten 100, 160 Briefe da. Das Postgeld belief sich und meist für das Reich Gottes, auf 160 Taler das Jahr und darüber." 5 Auch die Brüder und Schwestern in Herrnhut schrieben mit; ζ. B. gingen im April 1728 Grüße von über 75 Brüdern nach Jena 8 . Verwundert es uns da, wenn Zinzendorf ein und das andere Mal die Briefe durch Boten überbringen ließ, die selbst durch ihr Berichten zu lebendigen Briefen wurden? So wurden z.B. im Herbst 1727 der Leineweber David Nitschmann und sein Vetter Johann Nitschmann (der Lange) auf die Fußreise nach Dänemark geschickt, fast ohne Reisegeld, auf die Gastfreundlichkeit der Besuchten angewiesen. Ziemlich abgerissen kamen sie schließlich nach mancherlei Wirren beim Prinzen Karl von Dänemark an und konnten ihre schriftlichen und mündlichen Botschaften ausrichten. Natürlich hatten sie unterwegs, wo immer sie konnten, von ihrem Glauben und vom Herrnhuter Erleben Zeugnis abgelegt7. In diesem Zusammenhang müssen wir Zinzendorfs eigene Reisen sehen, Besuchs- und Evangelisationsreisen mit einer Begleiterschar. Die Brüder reisten mit ihm als seine gräflichen Bediensteten, aber wurden in den Aufenthaltsorten unter Hohen und Niedrigen selbst zu Evangelisten und Boten Herrnhuts. Wichtig ist hier vor allem die so im Jahr 1728 geknüpfte Verbindung zu den Professoren und Studenten in Jena. Als die Brüder David Nitschmann (Zimmermann), Johann Töltschig und Wenzel Neißer auf einer Botschaftsreise nach England waren, überbrachten sie * R 6 A a 25, 82 zit. n. Uttd. A-H., S. 70. 5 H. Diar. zit. nach Steinecke, Diaspora S. 69. 6 Spezification der nach Jena gehenden Schriften, R 6 A a 16, 1 mit 78 Namen. 7 Vgl. die ausführliche Schilderung der Reise in: Die Brüder, S. 42 f. nach Brüderbote 1863, S. 33 ff.
284
auch eine Botschaft an Professor Buddeus, die der Ausgangspunkt für die folgende Reise Zinzendorfs nach Jena wurde8. Diese Art von Erweckungsreisen lag schon Jahre vorher in Zinzendorfs Plänen. Zum Bund der vier Brüder von 1723 gehörte als die vierte der geplanten Arbeiten das Reisen „zur Ausrottung des Reichs der Finsternis u. Ausbreitung des Reiches Jesu Christi" 9 . Und so ist denn Zinzendorf schon in der Anfangszeit Herrnhuts immer wieder zu längeren Reisen aufgebrochen, um Verbindungen mit anderen Erweckten zu knüpfen und vor allem um überall, wohin er kam, Erbauungsstunden zu halten. Später wurde das Reisen mit der „Pilgergemeine" zum Wesensmerkmal der unablässigen Erweckungs- und Missionstätigkeit des Grafen 10 . Die dritte Art des Reisens hatte auch ein Vorbild in der Zeit vor dem Anbau Herrnhuts: in Christian Davids gefährlichen Besuchsreisen im mährischen Kuhländle. Immer wieder trieb es ihn auf die Straße, weil er den dort so Bedrängten geistlichen Beistand und neue Erweckung bringen wollte. Die ersten Auswanderungen nach Berthelsdorf geschahen dann 1722 auf seine Anregungen hin. Auch während des Aufbaus Herrnhuts verschwand er wiederholt für einige Zeit zu Predigtreisen in die mährische Heimat, nicht immer zum Vorteil der Herrnhuter Bauarbeiten11. 1727 ging Christian David auf seine zehnte Fahrt, „ins Reich" zu den Salzburgern. E r suchte sich also wieder Menschen aus, über die eine Verfolgung ausgebrochen war. Sie wollte er stärken12. Ist es verwunderlich, daß das Beispiel dieses angesehenen Mannes unter den Mähren, von denen mancher Christian David seine Erweckung zu danken hatte, Nachahmung fand? Im April 1728 versuchten auch der Oberälteste Melchior Nitschmann und der Waisenhausknecht und Koch der ledigen Brüder Georg Schmidt eine Besuchsreise zu den Salzburgern zu unternehmen13. Sie hatten sie schon im Vorjahr geplant. Die Gemeine riet ab. Melchior war schon ein todkranker Mann. Aber er war seines Rufes nach Gottes Willen gewiß. So empfingen sie am 20. April, am zweiten Fast- und Bettag der Gemeine, den Segen für ihre Reise und zogen am 27. April aus14. Nachdem sie schon im Dorf Friese eine HausversammSpangenberg berichtete darüber aus eigenem Erleben ausführlich Zdf. S. 4 8 4 — 5 1 5 . β Zit. n. Joh. Plitt, Denkwürdigkeiten § 135, Bd. 2, S. 43. 1 0 Vgl. Beyreuthers Beurteilung der „apostolischen Reisen" Zinzendorfs Bd. II, S. 258. 1 1 Vgl. Das Lebensbild C. Davids von Th. Bechler, Herrnhut 1922. Zinzendorf hatte diesen Reisen C. Davids gegenüber die größten Bedenken. E r hat diese auch einmal 1725 schriftlich geäußert R 6 A a 10, 3a, abgedruckt Büd. Samml. I, S. 266 ff. (Datierung 1724 ist falsch, C. David war 1725 Krankenwärter.) 12 Bechler, C. David, S. 30. 8
1 3 Vgl. dazu Karl Müller, Melchior Nitschmann, Herrnhut 1922 und Gedenktage, S. 2 1 3 — 2 1 9 . 1 4 Cröger, Brüdergeschichte 1. Teil, S. 155. „Am 20. (4.) war der zweite allgemeine Fasttag . . . Dem Melch. Nitschmann wurde auf seine erstaunliche und apostolische De-
285
lung abgehalten hatten, wurden sie in Schildberg in Böhmen mit etwa 30 anderen, die sich zu ihnen gehalten hatten, gefangen gesetzt. Hier im Gefängnis starb Melchior Nitschmann am 27. Februar 1729, in den letzten Tagen noch etwas durch Georg Schmidt gepflegt. Er war 25 Jahre alt. Auch im Gefängnis hatte er versucht, die Botschaft Christi zu verkündigen. Schmidt brachte 6 Jahre in Gefangenschaft zu, ehe er nach Herrnhut heimkehren konnte 15 . Solche Erfahrungen formten den Streitergedanken in der Gemeine und bei Zinzendorf. Sie minderten die Sehnsucht, Jesu Bote zu sein, nicht, sie vertieften sie vielmehr durch den Gedanken, Zeuge Jesu gerade auch durchs Leiden werden und damit die Zeiten der ersten Christen und ihrer Märtyrer erleben zu dürfen. Wir werden im nächsten Kapitel sehen, daß das Märtyrerideal zum Streitergedanken hinzugehörte. Damit wurde dem Dienstgedanken jede Begrenzung durch Rücksicht auf sich selbst genommen. Man wurde zum Äußersten bereit, wenn man nur seinem Herrn wirklich dienen konnte. Das Abschiedsschreiben Melchior Nitschmanns an die Gemeine kann uns dafür Zeugnis sein. Darin führte er u. a. aus: „ . . . О daß doch keiner wäre unter euch, lieben Brüder, der sich nicht mit allem, was er hat, Gott zum Opfer hingäbe, heute an diesem Tage sich vor ihm in den Staub legte, und ein jeglicher seine Krone vor dem Thron des Lammes niederwürfe, sich im geringsten nicht dafür zu halten, etwas zu wissen, ohne allein Jesum den Gekreuzigten. Ach der treue Hohepriester, Jesus Christus, trage Holz auf den Altar eures und meines Herzens, und verbrenne uns ganz und gar. О wenn doch nichts mehr von uns bliebe, о du allerliebste L i e b e ! . . S e i n e n Willen zur Reise begründete er mit folgendem: „Denn wir haben keine andere Gründe, als erstlich, daß wir vor dem Angesichte Jesu Christi nicht anders sagen können, obgleich in großer Unwürdigkeit, als daß uns Barmherzigkeit widerfahren ist, und daß uns Christus gesetzt hat, daß wir hingehen sollen, und Frucht bringen, und wie Er an einem andern Orte sagt, daß eine jegliche Rebe, die nicht Frucht bringet, wird abgehauen: das wollen wir nicht werden, nachdem uns Barmherzigkeit widerfahren ist. Der andere Grund ist die innerliche Ueberzeugung und Gewißheit des Herzens von Gott, weldie mit dem Zeugniß des Wortes Gottes übereinstimmet, welche Gewißheit und Ueberzeugung wir nach langem Bitten und Flehen von Gott erlangt haben. Die dritte Ursach ist: weil wir uns bey diesem allen dennoch unwürdig befunden, so suchen wir claration nebst seinem Gefährten nadi Oesterreich der Segen des Herrn angewünsdit." Cröger nennt als Auszugstag den 26. 4. „Jeder hatte etwa zwei Gulden, ein Hemd und Schnupftuch bei sich und der Graf sang ihnen von der Gallerie seines Hauses (gegen den Garten) noch einige Verse nach." (Brüdergesdi. I, S. 170) In den Gedenktagen, S. 218, wird der 27. 4. angegeben, so richtig nach H. Diar. v. 27. 4. 1728. " Gedenktage, S. 218 f.
286
nicht sowohl andern erbaulich zu seyn, oder jemanden zu erwecken, welches Gottes Werk alleine ist, als einen wahrhaftigen Nutzen für unsere Seelen zu haben, wie wir es denn im Glauben völlig überzeugt sind, daß wir doch gewissen Nutzen haben werden, dieweil wir schon zum Voraus sehen, daß manche Kreuzigungen über den alten Menschen kommen, daß, wo wir dem Trieb der Natur hätten folgen wollen, wir nicht aus Herrnhut hätten dürfen herausgehen; aber durch Gottes Gnade fürchten wir der keines, das über uns etwa kommen möchte. Es gehe, wie es wolle, so wissen wir doch, daß wir alles vermögend sind, durch den, der uns mächtig macht, Christus. Ein Christ muß ohnedem seinem eigenen Leben absterben, ja nicht allein das, sondern er muß gesinnet seyn, wann er auch gleich tausend Leben hätte, dieselbige alle aufzuopfern um Christi willen. Wir können euch hierbey versichern, lieben Brüder, daß wenn uns gleich auch sollten Bande und Gefängniß betreffen, daß wir uns durch die Gnade Gottes und durch die Kraft Jesu Christi so zu halten gedenken, und beständig zu bleiben, daß ihr nicht werdet Ursach haben, euch über uns zu betrüben, noch die Ehre unsers Gottes darunter geschändet werden w i r d . . . also sehet (ihr), daß wir nichts anders suchen, als die Ausbreitung des Reiches Christi, und das Heil der Menschen.. ."1β Zinzendorf war es gegeben, diese Märtyrererfahrungen der ersten Zeit in seinen Liedern der Gemeine positiv abzuschließen. So verminderten sie nicht die Glut, sie fachten sie an. Sein Gedächtnislied auf Melchior Nitschmann ist ein Beispiel dafür: „Mein Bruder, kennst du deinen Weg? Er geht ins Todes Rachen. Das ist der allgemeine Steg für die, so Frieden machen. Bleib da! — Du kannst nicht? — Ei so geh durchs Todestal zur Lebenshöh'!" 17 In der späteren Gesangbuchfassung hieß es dann übertragen auf alle: „Ihr brüder! kennt ihr euren w e g . . . ! " und in weiteren Versen: 8. „Geht hin ihr muntern zeugen, (geht) des bischofs ohne gleichen, die ihr im überwinden steht, ihr Väter vieler reichen, fahrt hin durch Creutz und todesschmertz ins allertheuerste bruder-hertz." und 9. „Ihr sieger durch i« Ganz abgedruckt in den Gedenktagen, S. 214 ff. und Büd. Samml. III, S. 787 ff., zit. nach den Gedenktagen. Meldiior ahnte, daß er die Gemeine wahrscheinlich nicht Wiedersehen würde: „ . . . so kitten wir euch, daß ihr uns eurer Liebe und Gebet wollet anbefohlen seyn lassen; nachdem unsere Reise, wie ihr wohl wisset, so beschaffen ist, daß wir einander nidit mehr sehen dürften, wiewohl ich es jetzt noch nicht fest überzeugt bin, Gott ists am besten bekannt, wir machen uns dazu gefaßt." (Gedenktage, S. 216 f.) — Wir zitieren noch öfter aus Briefen, die in „Die Gedenktage der erneuerten Brüderkirche", Gnadau 1821, abgedruckt wurden. In der Vorrede (S. VI) heißt es: „Die hier mitgetheilten Nachrichten sind großentheils aus den ursprünglichen Diarien, Briefen und Aufsätzen derjenigen Personen genommen, welche einen Hauptantheil an den erzählten Begebenheiten hatten. So viel möglich hat man, auch da, wo es nicht ausdrücklich erwähnt und angeführt wird, die eigenen Worte derselben beybehalten." 17
Nach Müller, M. Nitschmann, S. 10 f.
287
des Lammes blut, ihr von des HErren volcke, ihr funcken von der zeugen gluth, ihr tropffen jener wolcke, verstärcket die geehrte Schaar der seelen unter dem altar." 18 In dieser Tonart blieben die Zeugen- und Streiterlieder nun auch künftig. Sie ließen von der Schwere des Weges nichts aus, aber zeigten zugleich den Lohn, den Segen Gottes, der auf solchem Zeugniswege liegt.
2. Die Boten und ihr
Auftrag
Die Botschaftsreisen nahmen sofort nach der Erweckung im Sommer 1727 einen Umfang an, der erstaunlich ist. Verschaffen wir uns nur einmal einen Überblick über die ersten beiden Jahre. Dabei erfahren wir auch, wer die ersten Boten der Gemeine gewesen sind19: Im September 1727 reisten der Leineweber David Nitschmann (3) und Hans Nitschmann, der Lange, nach Dänemark. Zur gleichen Zeit waren Andreas Beyer und Gottlieb Wried nach Jena unterwegs, Christian David und Christoph Demuth reisten zu den Salzburgern nach Österreich und der Zimmermann David Nitschmann (2) und Georg Böhnisch nach Böhmen und Mähren. Im November 1727 begab sich Zinzendorf mit einigen Begleitern nach Jena und verschiedenen anderen Orten in Thüringen. Spangenberg schrieb über diese ersten Botschaftsreisen der Brüder: „Dieselben hatten keine andere Absicht, als Seelen für den Heiland zu gewinnen, und die Gemeinschaft mit Kindern und Dienern Gottes zu unterhalten. Ehe die Brüder abreiseten, wurden sie der Gemeine zum Gebet empfohlen, und ihnen von derselben einige Segensverse gesungen. Nach der Rükkunft machte man ihnen Gelegenheit, der Gemeine zu erzählen, was der HErr durch sie ausgerichtet hatte. Dafür wurde Ihm Lob und Dank gebracht, und man nahm die Personen, die Gegenden und Orte, wo die Brüder gewesen, besonders ins Gebet."20 1728 wurde der Leineweber David Nitschman (3) nach Bayreuth und Saalfeld geschickt, Augustin Neißer ging nach Halle, Andreas Beyer nach Sorau in Schlesien und Melchior Zeisberger nach Stockholm. Wenzel Neißer, Johann Töltschig und der Zimmermann David Nitschmann (2) machten sich auf den langen Weg über Jena nach London. Im Sommer folgte dann Zinzendorfs zweite Reise nach Thüringen, insbesondere nach Jena. Außer seiner Familie hatte er wieder einige Brüder bei sich: David 18 Herrnhuter Gesangbuch 1735, Nr. 863 (1737, Nr. 865); zu den letzten beiden Zeilen vgl. Offb. 6, 9. 19 Nach Plitt, Denkwürdigkeiten (§§ 146, 147, 150) zusammengestellt. 20 Spangenberg, Zinzendorf, S. 452 f.
288
Nitschmann (3), Georg Böhnisch und Matthäus Miksch unterschrieben einen Brief nach Herrnhut 21 . 1729 waren besonders wichtig die Reisen Christian Davids und Timotheus Fiedlers über Berlin und Königsberg nach Riga in Livland, wo man nach Nachrichten von Herrnhut verlangte, und der Brüder Tobias Leupold, Raschke und ölßner nach Schwedisch-Pommern zu Mag. Bagewitz. So könnte man nun Jahr für Jahr fortfahren, um Orte und Namen von Brüdern aufzuzählen. Es begegnen uns hier natürlich diejenigen, denen man eine würdige Vertretung der Gemeine nach außen hin zutraute. Ihr schlichtes Zeugnis von den Erlebnissen in Mähren und Herrnhut gewann der Gemeine überall viele Freunde. Herrnhut und das Leben seiner Bewohner waren schon bald weithin bekannt. Es verhielt sich bei mancher Reise so, daß die Initiative dazu gar nicht mehr von Herrnhut ausging, sondern man wollte die Brüder, von denen man so Erstaunliches gehört hatte, selbst einmal sehen und sprechen. So konnte Zinzendorf 1733 in der „Verfassung" schreiben: „Es werden immer Leute aus der Gemeine an andere Orte verlangt, zu Erweckung und Gründung der Seelen, diese werden in dem wöchentlichen geordneten Rath der Gemeine resolvirt, und in denen öffentlichen und extraordinaire angestellten Bet-Tagen mit hertzlichem Flehen und Seufzen in die Leitung des HErrn übergeben."22 Eine große Reiseausrüstung haben die Brüder nie mitbekommen. Entweder wurden sie von den Besuchten unterhalten oder sie haben sich von ihrem Handwerk ernährt. Wo immer sie aber hinkamen, waren sie Zeugen ihres Herrn. Für den Weg gaben ihnen Zinzendorf und die Gemeine ein bescheidenes Reisegeld mit, von dem sie manchmal aber noch etwas zurückbrachten. Vom Jahr 1731 haben wir aus Christian Davids Feder eine kurze Darstellung davon, wie die Brüder die Reisen zu jener Zeit verstanden 23 . Er war ja dazu der berufene Mann, die Motive und Abzweckungen zu schildern. Unter der Überschrift „Von unßeren Brüderlichen reißen" berichtete er: „Was unßere reißen der vereinigten Brüderschaft anlangt, so ist eben fals dießes unßer grund, dahero wir auch niemanden laßen reißen wir se21 Das Protestschreiben v. 13. 8. 1728, Büd. Samml. II, S. 631 f. 22 Besdir. Druck, S. 131 f. Am 31. 12. 1733, Bettag zum Beschluß des Jahres, hieß es im Gemeinratsprotokoll (R 6 Aa 25): „In diesem Jahre wären über 50 Personen in Sachen des Reichs Christi ausgesandt worden (denn (?) zwar einige wiedergekomen, die meisten aber noch außen sind) nach Ebersdorf, Grönland, Tübingen, Coppenhagen, S. Crux, Sundhausen, Selbitz, Lobenstein, unter die Salzburger, nach Uhlstädt, Neustatt an der Aisch, ins Reich, nach Sorau (allwo der H. Graf selber gewesen . . .) ins Vogtland, nach Jena etc." 23 D. gl. Br. 1731, R 6 Aa 22, 1, S. 88 f. Ein soldier Abschnitt fehlt in der Handschrift von 1729 (Livland, R 6 Aa 22, 2) und in der Überarbeitung von 1730 für den Druck.
289
hen den, er habe grund vor sich selbst, u. auch zu seiner reiße, sonst aber, wen die gemeine reißen vor sich selbst zu bestellen hat, so werden entweder welche durchs votieren oder durchs looß dazu genommen, damit kein Eigen wille dazu Kommen kan, weil wir aber gewohnt sein, einen Bruder nicht allein gehen zu laßen, so geben wir umb der Übung willen, ihm solche zu geferthen mit, die es bedürftig seyn, u. wir hernach in der gemeine braudien können." Damit ist deutlich gesagt, wer für die „Brüderschaft" als Bote reisen durfte: wer Grund hatte für sich selbst, d. h. wer im Glauben lebte. An anderer Stelle hat C. David gesagt, „was wir den vor Grund halten. Antwort: Vor grund halten wir, wen die Seellen mit ihrem Hertzen auf Jeßum fein zu stehen Kommen, so daß mans an ihnen siehet wie der Geist Jeßu Christy die Seellen bemeystert, die in einer solchen tiefen Beygung vor dem Herrn u. seiner gemeine, in Einer solchen hertzlichen Liebe zu Jeßu u. den Brüdern, u. in einer solchen kindlichen einfalt, u. willigem gehorsam, so dahin gehen, daß halten wir vor grund." 24 Wer so beschaffen war, durfte also Bote sein. Es mußte dann bei ihm eine innere Berufung und Sendung von Gott zu dieser Reise hinzukommen, erkenntlich an klarer innerer Gewißheit, und eine reguläre Sendung durch die Gemeine, wobei der Bote durch das positive Los noch einmal der göttlichen Berufung versichert wurde. Interessant ist in C. Davids Bericht die Bemerkung, daß der zweite Bruder ihm als eine Art „Lehrling" beigegeben wurde. Dieser zweite war dann der selbständige Bote auf einer der kommenden Reisen. Uber den Grund der Reisen sagte C. David folgendes: „Der grund aber vonn unßeren reißen, sind vor daß Erste, die Exempel, deß Herren Jeßu u. der Ersten Christen, die Verheißungen gottes, auf die brüderliche zusammenKünften, u. Vereinigungen, u. weil wir selbst auch Übungen nötig haben." Es werden also drei Gründe von ihm genannt: 1. Man wollte dem Beispiel Jesu, der Apostel und der ersten Christen nacheifern. Wir erkennen hier wieder deutlich das Leitbild der Urgemeine. 2. Man wußte um die Verheißungen, die Gott auf die Verbindung seiner Kinder zu einem Leib gelegt hat, und wollte sie erlangen. 3. Man spürte die Notwendigkeit von „Übungen", d. h. Erprobungen im Christenleben, die nur in der Ausübung des Dienstes erfahren werden können. Hierher gehörten auch die Anfeindungen, Gefängnisstrafen und Verfolgungen auf soldier Reise25. 24 D. gl. Br. 1731, R 6 Aa 22, 1, S. 41. Vgl. dazu audi die dritte Begründung in Melchior Nitschmanns Absdiiedssdireiben: „so suchen wir nicht sowohl andern erbaulich zu seyn, oder jemanden zu erwecken, welches Gottes Werk alleine ist, als einen wahrhaftigen Nutzen für unsere Seelen zu haben . . . " (Gedenktage, S. 215 f.). Interessant ist, daß Gottfried Arnolds Darstellung des Martyriums als Zeugnis, in der, wie wir noch sehen werden, eine Wurzel des Streitergedankens zu finden ist, auch unter der Überschrift erscheint: „Von den Pflichten und Verhalten der Ersten Christen gegen sich selbst." (Erste Liebe, 4. Buch) 25
290
Doch nun gibt uns der „Apostel" der Gemeine auch noch den Zweck der Reisen an: „Der Zweck aber dabey ist gemeinschafften am Evangelio zu stiften, daß wir unß mit andern erwecken und stärken können u. in der nachfolge Jeßu, immer mehr u. mehr gegründeter möchten werden, wir an unßerem Theil haben bießhero von unßeren reißen Keinen Schaden gehabt, sondern großen nutzen, u. so lange wir daß finden, so lange nehmen wir es audi noch vor ein Siegel u. Kennzeichen an, daß es Gott gefeit, u. vor die Zeit hat haben wollen." Es ging ihm also darum, die in Herrnhut und anderswo erfahrenen Erweckungen weiterzuleiten, neue Gemeinschaften zu gründen, nicht nur andere, sondern auch sich selbst dadurch zu stärken, kurz: Jesus in der Gemeinschaft der Gewonnenen nachzufolgen 2 '. Interessant ist die letzte Bemerkung, daß die Herrnhuter Brüder von ihren Reisen bisher noch keinen Schaden gehabt hätten. Offensichtlich verteidigte Christian David hier sich und seine Brüder, vielleicht geschah es unbewußt nur, aber deutlich. Eins können wir aus diesem Abschnitt in C. Davids Beschreibungen von 1731 noch entnehmen: Man überlegte in Herrnhut sorgsam, ob für den Betreffenden auch die Zeit zur Reisetätigkeit gekommen war. So begann er nämlich diesen Teil seines Berichtes: „Es hat alles vor nehmen gottes seine Zeit und Stunde, die Kinder gottes auf Erden theilen sich überhaupt in zwey theile, in würcksame u. stille." Und er fuhr etwas später fort: „u. da ist Keine Zeit, wen noch die Seellen im Suchen begrifen sein zu arbeiten u. würcken, sondern jetzt ist Zeit suchen, forschen u. fragen, biß man gefunden". Auch das genügte noch nicht zum Botendienst: „da ist auch noch Keine Zeit zu würcken, den da ist nötig, wen man gefunden hat, Eine Zeit lang stille zu sein, u. in dießem stände suchet man gemeiniglich, die seellen ins würcken zu führen, welches unnrecht ist, den dieße Seellen müßen es wie Elisabeth machen, die alß sie schwanger wurde, fünf monden lang sich verborgen hielte, also auch eine Seelle, die Christum im geist empfangen oder gefunden, muß stille sein u. sich feste machen laßen, u. sich von niemanden, zu würcken bereden laßen, biß sie es selbst überzeiget ist, u. der Herr ihr eine Thür öffnet." Und das Ganze galt nicht nur für den einzelnen: „also wie eß mit einer Jeden Seele in Sonderheit zugehet, so muß es auch in einer gemeine Gottes überhaupt gehalten werden, die apostel selbst, alls sie Jeßum gefunden, blieben Erst in ihrer muter hauß, in ihrer mutter Kammer, Ehe sie ins weite arbeiteten, dahero ist nötig, daß man unterscheyd mache, aber daß auch ein Jeder sein selbst werck prüfe, würcken u. stille sein, ist zu seiner Zeit, beydes sehr gut u. höchst nötig, ist es doch auch in der natur gegründet, daß man auch die 2 6 Gemeinsdiaftsgründung ist die für Christian D a v i d typische Idee. Zinzendorf war darin vorsichtiger, vielleicht aber auch nur in seinen sdiriftlidien Äußerungen, denn in seinem Plan lag dies natürlich audi.
291
allerbesten äcker zu Zeiten muß außruhen u. brache liegen laßen, die vätter, die in der stillen einsamkeit gelebet, haben vielleicht mit ihrem Stillen Exempalisdien (!) Leben, Eben so vielle Seellen, zur nachfolge Jeßu angemahnet, alß sonst die würcksamen apostel mit ihren reißen." Hier hielt sich Christian David selbst die Lektion. Oder er sagte damit, warum er zwischen den Reisen längere Pausen einlegte und eines Tages plötzlich wußte: die Zeit zum Besuchsgang war wieder da. Uns schien die Wiedergabe auch dieser letzten Sätze Christian Davids wichtig, weil wir damit eine sachgerechte Deutung der Geschichte der Brüdergemeine erhalten. Erst erbaute sich Herrnhut innen und außen. Das missionarische Wirken setzte dann aber an ganz bestimmtem Punkte ein: als die innere Kraft so überfließend da war, daß sie sich mitteilen mußte. Es blieb so eigentlich immer derselbe Dienst, ob er in Herrnhut oder unterwegs auf dem Botengang geschah, man diente seinem Heiland auf mancherlei Weise. Man arbeitete für das Reich Gottes in der Gemeine mit ihren Ämtern ebenso wie in einer Versammlung anderswo. Eins gehörte zum andern und eins flöß ins andere. Der Ort, an dem Brüder suchten und fanden und stille waren, um auf den Ruf zum Botendienst zu warten, war insonderheit die Wohn- und Lebensgemeinschaft der ledigen Brüder. Entstand doch die erste Gemeinschaft der 26 jungen Brüder im „Flügel" des Waisenhauses mit seinen 4 Stuben nach dem ersten Fast- und Bettag am 10. Februar 1728, bei dem von Missionsplänen eingehend geredet worden war. Der Vorbereitung auf den Missionsdienst sollte ihr gemeinsames Leben dienen. Es war eine Saat, die wirklich in der Stille 3 Jahre ausreifen mußte, bis sie 1731/32 aus der „Jünglingsbande", den Reifsten also, die ersehnte Frucht brachte, als die ersten Boten sich zum Heidenmissionsdienst meldeten und schließlich auch ausgesandt wurden 27 . So ist Christian Davids Wort ein Zeugnis aus dieser Vorbereitungszeit auf jene Reisetätigkeit, die den kommenden Jahrzehnten in der werdenden Brüdergemeine eigentlich ihr Gepräge gab. Eins wuchs dabei aus dem andern und eins befruchtete das andere: Erweckungs- und Evangelisationsreisen im christlichen Land wurden zu Missionsreisen in die fernsten Länder. Beides wiederum befruchtete das Leben der Gemeine, indem durch die Berichte, mündliche wie schriftliche, das Feuer der ersten Liebe und des brennenden Diensteifers erhalten blieb, so daß es einen nach dem andern entzündete. Bevor wir jedoch von den eigentlichen Missionsreisen sprechen wollen, sei hier zur Kennzeichnung des Auftrags der Boten einiges aus dem „Extract aus Bruder David Nitschmanns Reise Diarium nach Berleburg, Schwartzenau, Würtemberg und der Schweitz" vom 19. Juni bis 19. Sep27
Vgl. zur Lebensgemeinschaft der ledigen Brüder das in Kap. 2, С 5a, S. 109 ff. Ge-
sagte.
292
tember 1730 wiedergegeben, das für die Art der Durchführung der brüderlichen Botschaftsreisen sehr aufschlußreich ist28. Die Brüder bekamen für ihre lange Reise mit dem nicht leichten Auftrag, die Separatistengemeinden in Berleburg-Schwartzenau zu besuchen, ein ausdrückliches Beglaubigungsschreiben der Gemeine mit: „den 19. Junii wurden sie in Hhut mit folgendem Attestat abgefertigt: ,Dav. N. Helfer der Gemeine zu Hhuth u. Fried. Riedel gehen unter göttlichem Geleite nach Lausane in die Schweitz u.s.f. Der H. kenet sie u. die Gemeine ehret sie mit vieler Liebe um ihres Werks willen am Wort u. Dienst Christi. Alle unsere Brüder, welche sie unterweges sehen werden, werden herzlich gegrüßt u. gebeten ihnen ofene Herzen finden zu laßen. Gold u. Silber dürfen sie nicht was sie aber fordern ist Gemeinschaft und Ermunterung. Hhuth am 19. Junii 1730 Zinzend. m. p. Die Aeltesten der Gemeine Augustin Neusser Martin Liner.'" Und dann gab ihnen Zinzendorf eine genaue Instruktion, wie sie sich an den einzelnen Orten verhalten sollten: „d. 20. Junii gingen sie von Hhut ab, und der sei. J. (d. h. Jünger = Zinzendorf) begleitete sie bis Bauzen, woselbst er ihnen am 21. folgende Instruction zu ihrer Reise mitgab: Ebersdorf — Weisheit, Uhlstädt — Treuherzigkeit, Jena — Gemeinschafft u. liebeskuß in Demuth, Frankfurth am Mayn zu H. Groß, aus KrafFt in Krafft. Tubingen — Gemeinschafft stiften, auf Grund und Einfalt dringen. Haupt-Personen Pfaff, Reuß, D. Cammerer. Berleburg — Liebe, Respect; wens Noth ist ein Wort reden; (u. wenn man euch fraget) genaue Erkundigung einziehen von den Französischen Umständen (und was für Hofnung sey brüder mit zu bekomen, auch ob dieselben einfältig, und auff ihre Kosten mitgehen wollen). Hauptpersonen sind: Kalkreuth ist in der Liebe (wol) zu menagiren. Seebach ist über die Bibel zu hören. (Insp.) Schefer über die Accentuation. (D.) Carlen ist das Herz ganz zu öffnen dem Grafen alle Demuth zu erzeigen. (Witgenstein) Dippel Weisheit, Kraft, respect. Schwartzenau nichts zu thun als sehen, hören, prüfen, (sonderl. wie es vor alters gewesen) absonderlich in punct der Ehe bey denen, die darinen gelebet. Schweitz wohin von Berleburg recommendationes zu nehmen. Da hat man sich jeder Seele nach ihrer Führung zu accomodiren. Nur daß Christus alles in allem sey, und seine Gnade, und Gottes Liebe um seinetwillen. Allenthalben wandelt im Geist, inig, unbefleckt und beständig aufgeweckt. laßt die Secten stehen, zeiget die Sicherheit der unsichtbaren Kir28
R 6 Aa 24 Ao. 1730. Die Abweidlungen der Handschriften geben wir in Klammern
an.
293
che, die Unzulänglichkeit der Religionen, die Gnade der sichtbaren Gemeinen, wen sie treu gelehrig und demüthig sind. Der Segen des BundesEngels sey über euch, und der Sohn des großen Ananiae gehe mit euch, am 19t. Juny 1730." Eine Handschrift hat dann noch den Zusatz: „Von allen Hauptorten schreibt bei eurer Ankunfft, u. bei eurer abreise 2mal. man wird sich auch...? . . . zu antworten. Schickt die Briefe allmal an sichere Adressen." Das folgende Reisetagebuch ist lebendig geschrieben, nennt die Orte und die besuchten Personen und schildert die Aufnahme bei ihnen. Der Sinn der Reise war, Verbindungen zu knüpfen, mit Herrnhut Bekannte zu besuchen und andere Gemeinschaften mit ihren Führern kennenzulernen. Von Herrnhut und seinem Leben erzählten die Brüder dabei überall. Nach Berleburg, Schwarzenau und Frankfurt kam Zinzendorf noch im September des gleichen Jahres 1730. Die beiden Brüder werden also seine Reise dorthin vorbereitet haben29. Interessant ist an der Instruktion Zinzendorfs, zu welcher Vorsicht er seine Brüder den sektiererischen Gemeinschaften gegenüber ermahnte. Die ständige Berichterstattung und die darauf erfolgenden Antworten hielten bei einer so langen Reise die Verbindung zu Herrnhut. In ähnlicher Weise wie oben werden auch die andern Boten Herrnhuts ihre Legitimation und ihre Instruktion bekommen haben. Trotzdem hatten sie in der Art und Weise, wie sie ihren Auftrag ausführten, eine große Selbständigkeit und damit audi eigene Verantwortung. Durch die Berichte in Hermhut nahm dann die ganze Gemeine an den Erfahrungen der reisenden Brüder teil. So mußten diese Jahre mit ihren Unternehmungen als Vorbereitung aller auf das eigentliche Ziel, den Missionsdienst, wirken.
3. Die Anfänge der
Missionsreisen
Damit kommen wir zu dem Dienst, der inmitten aller andern Dienste der Gemeine jener Anfangszeit als die Krönung des Einsatzes für Jesus empfunden wurde. Mit den ersten Reisen in die fernen Länder verwirklichte sich zugleich Zinzendorfs Jugendplan, Boten in die Welt zu senden. Es ist ja bekannt, wie tief ihn in Halle der Besuch der Missionare in Ostindien, Plütschau, Ziegenbalg und Gründler beeindruckt hatte30. In der 89 Vgl. S. 271 ff. 80 Vgl. auf diese Aufbrudi dar.
Spangenberg, Zinzendorf, S. 614—640, ferner Beyreuther, Zinzendorf, Bd. II, Müller, 200 Jahre Brüdermission, Bd. I, S. 6 ff. Wir können uns weitgehend Darstellung des Missionswerkes Herrnhuts beziehen. Beyreuther stellt den zur Heidenmission in seiner Zinzendorfbiographie, Bd. III, Kap. 1, S. 9 ff.
294
Rückschau wurde für ihn das Jahr 1715 zum Zeitpunkt, „da die HeidenIdee angefangen worden"31. Vor allem mit Fr. v. Watteville hatte Zinzendorf sidi zur künftigen Missionstätigkeit verbunden. Und bei allen folgenden kleinen Societäten, die er anregte, spielte der Missionsgedanke eine wichtige Rolle. Von dem Bund mit Watteville schrieb er später einmal: „Ihrer zwo machten An. 1715 einen Bund zur Bekehrung der Heiden, und zwar nur solcher, an die sich sonst niemand machen würde, und ihre Idee war eigentlich nicht, dieses und dergleichen selbst zu bewerkstelligen; denn sie waren beide von den Ihrigen in die große Welt destiniert und wußten von nichts als gehorsam sein: sie hofften aber, der Gott, der dem gottseligen Baron von Canstein... einen Professor Francken zugewiesen, werde ihnen audi Leute zuweisen oder etwa schon jetzt durch ihren Dienst unter ihren Mit-Studiosis selbst präparieren, die zu so wichtigen Dingen genugsam wären."32 Nun hatte Zinzendorf durdi die mährische Emigration solche Leute zugeführt bekommen. Und so ging eigentlich schon vom Jahre 1727 ab sein Bemühen dahin, sie in eine bestehende Mission (Grönland) auszusenden38. Von „Heidensachen" war deshalb in diesen Jahren immer wieder die Rede, nicht nur am Bettag, dem 10.2.1728. Auch das Bibelstudium der Apostelgeschichte durch die ledigen Brüder gehörte dazu, daß sie zum Missionsdienst angeregt werden sollten. Wie stark man die Botschaftsgänge in Deutschland als Vorbereitung für die Mission unter den Heiden empfand, wird aus einer Besprechung im Gemeinrat am 26. November 1730 deutlidi: „Ob es gute Zeit, wichtig (richtig?) und thunlich sey, daß man die Sendung unter die Heyden dem Beruff unter den Christen vorziehe?" 45 stimmen mit Ja, darunter die 3 Ältesten, 6 sind sich nicht gewiß, einer stimmt mit Nein. Das Protokoll über die Diskussion der Frage zeigt, daß manche gern zu den Heiden gegangen wären, aber es fehlte ihnen noch der eigentliche Ruf. Auch die Sprachschwierigkeiten wurden erwähnt. So war das Ergebnis der Besprechung, daß die Brüder und die Gemeine zunächst noch fester gemacht werden müßten, ehe die Sendung zu den Heiden geschehen könnte34. Erst die Begegnung mit dem Kammermohren Anton in Kopenhagen, der Zinzendorf und den ihn begleitenden Brüdern einen sie tief erschütternden Bericht über das Elend der heidnischen Sklaven in seiner Heimat St. Thomas gab, und das Zusammentreffen mit zwei Grönländern, die Egede mit nach Dänemark gebracht hatte, führten dann zur ersten klaren Entscheidung35. 3» 1753 R 2 A 39b, 1, S. 56, zit. n. Müller, 200 Jahre, Bd. I, S. 7. 82 Naturelle Reflexionen, Beil. S. 6 f., zit. n. Müller, 200 Jahre, Bd. I, S. 8. ss Vgl. Müller, 200 Jahre, Bd. I, S. 10. 34 R 6 Aa 25, 1, Gemeinrat am 26. 11. 1730. as Müller, 200 Jahre, Bd. I, S. 12.
295
Zinzendorfs Bericht am 23. Juli 1731 in einer Abendstunde der Gemeine zündete in den Herzen von zwei jungen Männern, die im Gasthof der ledigen Brüder wohnten. Leonhard Dober und sein Freund Tobias Leupold, beide zur Jünglingsbande gehörig, wurden innerlich gepackt und kamen nicht mehr los von dem Gedanken, zum Botengang zu den Sklaven in Westindien berufen zu sein. Unabhängig voneinander beschäftigten sie sich damit, bis sie in einem Gespräch ihre verwandten Gedankengänge feststellten. Leupold schrieb dann dem Grafen für beide: „ . . . E s war gleich den Abend dem Bruder Leonhard Dober vieles sehr wichtig und nötig aufgefallen, sonderlich aber, unter die Sklaven zu gehen... und fällt ihm gleich ein, du und Leipold wollt schon gehen, wenn ihr nur geschickt darzu w ä r e t . . . " Von sich selbst sagte Leupold: „ . . . und machte den Schluß, wenn die Brüder uns beide darzu beriefen, ich wollte kein Wort darwider sagen, und ist mir auch kein anderer Bruder nur in die Gedanken gekommen als er und auch kein anderer Ort als unter die Sklaven, welches uns sonderlich sehr nachdenklich war, daß wir grade einerlei Gedanken gehabt hatten."3® Wir sehen, wie sehr sich die beiden prüften, ob ihre Berufung echt wäre. Dies blieb audi in der folgenden Zeit bei anderen so. Zinzendorf teilte das Schreiben ohne Namensnennung der Gemeine in einer Abendversammlung mit. Matthäus Stach, der spätere Grönlandfahrer, erzählte über den Eindruck auf ihn: „Als ich das Schreiben der zwey Brüder, die nach St. Thomas gehen wollten, öffentlich verlesen hörte, wurde der Trieb, der bei der ersten Nachricht von Grönland bey mir entstanden war und den ich wegen meiner Untüchtigkeit und wenigen Erfahrung (denn ich war kaum zwey Jahr in Herrnhut gewesen) zu entdecken anstand, aufs neue bey mir rege. Ich arbeitete damals mit Friedrich Böhnisch an dem neuen Gottes-Acker auf dem Hutberg. Diesem sagte ich zuerst, was in meinem Gemüth vorging, und fand, daß in ihm gleichfalls bey eben denselben Gelegenheiten ein Verlangen nach dem Heil der Heiden rege geworden war. Wir besprachen uns einfältig darüber und spürten die stärkste Neigung, nach Grönland zu gehen; wußten aber nicht, ob wir die bei uns entstandene Regung für einen gottgewirkten Trieb halten, und denselben der Gemeine anzeigen; oder ob wir warten sollten, bis uns ein Ruf angetragen werden würde." 37 Das gemeinsame Gebet gab ihnen darüber Klarheit und sie schrieben am 23. September 1731, daß sie sich zum Dienst in Grönland zur Verfügung stellen wollten. Die Gemeine war in beiden Fällen zurückhaltend. Der zweite Brief sah dem ersten auch zu ähnlich. Stach war ja außerdem erst 20 Jahre und 36 37
R 15 Ba 1 I, 2b, zit. n. Müller, 200 Jahre, Bd. I, S. 13 f. Gedenktage, S. 183, vgl. auch Die Brüder, S. 54.
296
Böhnisch 21 Jahre alt 38 . So folgte für alle vier noch eine lange Wartezeit. Es zeugt von der Weisheit Zinzendorfs, daß er, der an der Mission doch ein so brennendes Interesse hatte, hier nicht gedrängt hat, sondern warten konnte, bis der Gedanke audi in der Gemeine ausgereift war, denn sie sollte ja mit ganzem Herzen hinter dem Botengang der Brüder stehen. Zugleich konnte er aber die zum Missionsdienst bereiten Brüder prüfen und vorbereiten. Dober nahm er dazu mit auf eine Reise nach Thüringen39. Es ist bewegend zu sehen, wie weit die Dienstbereitschaft der Brüder ging. Als der Neger Anton nach Herrnhut kam, um von seiner Heimat zu berichten, insbesondere vom Sklavenschicksal seiner Stammesgenossen, waren die beiden zum Gang nach Westindien Entschlossenen bereit, auch selbst das Los der Neger auf sich zu nehmen. Sie „erklärten: sie wären willig, ihr Leben im Dienste des Heilandes aufzuopfern, und sich auch zu Sklaven hinzugeben, wenn sie nur eine Seele für Ihn gewinnen könnten" 40 . Nach fast einjähriger Wartezeit war die Gemeine endlich im Sommer 1732 mit der Aussendung der Brüder einverstanden. In der nochmaligen Begründung seines Entschlusses hatte Leonhard Dober sie wissen lassen: „weil von mir verlangt wird, den Grund, welchen ich dazu habe, bekannt zu machen: so kann ich sagen, daß mein Sinn nicht gewesen ist, für diese Zeit zu reisen, sondern nur, sich fester in unserm Heilande zu gründen; daß aber, wie der gnädige Herr Graf von der Reise nadi Dänemark zurückgekommen, und von den Sklaven erzählten, mir solches so aufgefallen, daß ich's nicht wieder los werden können. Da entschloß ich midi, wenn noch ein Bruder mit mir gehen wollte, daß ich mich zu einem Sklaven geben, und ihnen so viel sagen wollte, als ich von unserm Heiland erfahren habe: weil ich gewiß glaube, daß das Wort vom Kreuz auch in der Niedrigkeit eine besondre Kraft an den Seelen beweist. An meinem Theil dachte ich auch: wenn ich gleich niemand darin nützlich werden sollte, wenn ich dann dodi nur meinen Gehorsam gegen unsern Heiland dadurch bezeugen könnte! Ich überlasse es der Gemeine Gutachten, und habe keinen andern Grund, als daß ich denke, daß noch Seelen auf der Insel seyen, die nidit glauben können, weil sie nichts gehört haben." 41 Das Los entschied am 16. Juli 1732: „Laß den Knaben ziehen, der Herr ist mit ihm." „ . . . der Aelteste Martin Linner gab ihm dazu im Namen 38 Müller, 200 Jahre, Bd. I, S. 117. Stadl: geb. 4. März 1711 in Menkendorf, Böhnisdi: geb. 16. April 1710 in Kunewalde. 39 Müller, 200 Jahre, Bd. I, S. 17. 40 Gedenktage, S. 161. Vgl. Müller, 200 Jahre, Bd. I, S. 17. Vermutlidi war dies ein Mißverständnis. Anton wird gemeint haben, daß sie am besten als Sklavenaufseher in Berührung mit den Sklaven kämen. « Gedenktage, S. 162.
297
der Gemeine den Segen." Leupold sollte nach dem Los nodi bleiben. Auch andere junge Brüder wurden durch das Los abgelehnt. So gab man Dober schließlich den am dänischen Hof schon bekannten Zimmermann David Nitschmann als Begleiter bis an Ort und Stelle mit. Er sollte dann bald mit Nachricht heimkehren42. „In der Abendversammlung des 18. August wurden beide Brüder feierlich von der Gemeine verabschiedet, und ein paar Tage darauf, in den Morgenstunden des 21. August, zogen sie aus. Zinzendorf hatte noch die ganze Nacht zuvor mit Leonhard Dober verbracht, am Morgen brachte er die beiden in seinem Wagen bis Bautzen. Kurz vor der Stadt ließ er den Wagen halten, unter freiem Himmel knieten sie nieder, der Graf betete und segnete Leonhard Dober unter Handauflegung, dann kehrte er heim." 42 Zu Fuß wanderten die Brüder nach Hamburg, von dort ging es per Schiff nach Kopenhagen. „Ihr ganzes Reisegut bestand in einem schlichten Bündel, ein paar Talern baren Geldes, zu denen der Graf noch jedem einen Dukaten geschenkt hatte, und ein paar Adressen guter Freunde, bei denen sie unterwegs einkehren konnten."42® In Kopenhagen mußten sie noch eine Menge Schwierigkeiten überwinden, bis sie endlich am 13. Dezember 1732 mit einem holländischen Schiff in St. Thomas landeten. Ähnlich ging es den ersten Boten nach Grönland. Auch sie mußten warten, über ein Jahr. Die Gemeine schien ihr Anerbieten nicht so ernst genommen zu haben. Matthäus Stach erzählte: „Wir ließen uns aber dadurch so wenig, als durch die Vorhaltung der beschwerlichen Reise- und Lebensart in Grönland, wovon wir beyläufig manches hörten, abschrekken, und erwarteten mit Gelassenheit, ob man unser Erbieten annehmen oder verwerfen werde. Nach geraumer Zeit ließ uns der Herr Graf von Zinzendorf zu sich rufen, und fragte uns, ob wir noch des Sinnes wären? und als wir ihm mit Ja antworteten, und zu erkennen gaben, daß wir gern nach Grönland gingen, gab er uns die Schwierigkeiten wegen unsers Unterhalts und Bestehens daselbst nochmals zu überlegen, und fügte endlich hinzu: daß, wenn wir im Vertrauen auf den Heiland es wagen wollten, wir uns mit seinem und der Gemeine Segen zur Reise fertig machen könnten." 43 Dazu kam es im Januar 1733. Friedrich Böhnisch war inzwischen auf einer anderen Reise, so wurde Stadls Begleiter der erfahrene Christian David. In beiden Fällen wurden den jungen Brüdern also ältere auf Reisen erprobte Brüder beigegeben, die durch ihr Zimmermannshandwerk in der Lage waren, ein erstes Anwesen im fremden Lande zu bauen, und die da42
Müller, 200 Jahre, Bd. I, S. 18 (erstes Zitat nach H. Diar. vom 16. Juli 1732) und Gedenktage, S. 163. « a Müller, 200 Jahre, Bd. I, S. 18, vgl. Gedenktage, S. 163 ff. 48 Gedenktage, S. 184 f., vgl. Die Brüder, S. 55. Der Bericht stammt vom Jahr 1762 (Die Brüder, S. 56).
298
nach zum Bericht nach Herrnhut zurückkehren sollten. Der dritte nach Grönland Ausgesandte wurde auf Bitte von Matthäus Stach sein Vetter Christian Stach44. „Unsre Ausrüstung brauchte nicht viel Zeit und Kosten. Die Gemeine bestand mehrentheils aus armen Exulanten, die uns nicht viel mitgeben konnten, und wir selber hatten außer unsrer gewöhnlichen nöthigsten Kleidung garnichts. Wir waren gewohnt, uns mit welligem zu behelfen, und sorgten nicht, wie wir nach Grönland kommen oder da bestehen würden." 45 „Man konnte uns auch nicht viel Unterricht ertheilen: denn die Gemeine hatte noch keine Erfahrung von Mission, und wir waren die zweyten, welche versuchen sollten, ob Heiden die Botschaft des Friedens von ihrem Schöpfer und Erlöser annehmen würden. Man überließ uns also, in allen Umständen zu handeln, wie uns der Herr durch seinen Geist leiten würde. Nur wurden wir erinnert, uns untereinander brüderlich zu lieben . . ." 4 e Aus einer eben eingegangenen Spende bekamen sie etwas Geld für die Reise nach Kopenhagen mit. „Kurz vor unsrer Abreise wurden wir von dem damaligen Aeltesten Augustin (Neißer) mit Auflegung der Hände und Gebet zu unserm Vorhaben gesegnet."47 So gingen sie denn am 19. Januar 1733 „unter unzähligen Segenswünschen der Gemeine" aus, zunächst über Halle und Hamburg nach Kopenhagen; am 20. Mai 1733 langten sie in Grönland an. Allerdings hatten sie in Kopenhagen das Nötigste an Ausrüstung für das ihnen unbekannte unwirtliche Land von reichen Freunden empfangen48.
4. Streitergeist und
Zeugendienst
Um die Haltung der Brüder und den Dienst, der sie draußen erwartete, zu kennzeichnen, wollen wir den Erfahrungen auf den westindischen Inseln und in Grönland noch etwas nachgehen. Der Beginn der Arbeit war auf beiden Stationen schwer genug. Daß die Brüder durchgehalten haben, zeigt uns ihre Gewißheit in der Berufung zu diesem Dienst. Wir können hier nicht alle Einzelheiten schildern. Sie sind in Karl Müllers „200 Jahre Brüdermission" (Band 1) ausführlich dargestellt worden 49 . Nur müssen wir auf Dinge hinweisen, die uns für die Art und die Auffassung des Dienstes der Boten wichtig erscheinen. Das Wichtigste in den ersten Jahren im fremden Land war wohl das Kennenlernen, das Knüpfen von Verbindungen, das Vorbereiten auf 4 4 Gedenktage, S. 185. „Derselbe nahm den Ruf mit Freuden an und madite sidi eiligst reisefertig." Vgl. auch Müller, 200 Jahre, Bd. I, S. 118. « Gedenktage, S. 185. « Gedenktage, S. 187. « Gedenktage, S. 186. « Müller, 200 Jahre, Bd. I, S. 118 f. 4 9 Müller, 200 Jahre, Bd. I, S. 22 ff. für St. Thomas; S. 119 ff. für Grönland.
299
Künftiges und dann vor allem die Briefe nach Herrnhut, die wiederum dazu führten, daß der Missionsgeist angefacht und die Dienstbereitschaft in diese Richtung gelenkt wurde. Nach den westindischen Inseln St. Thomas und St. Croix wurden dann zweimal Gruppen ausgesandt. Im Jahr 1733 waren es 18, 1735 waren es 11 Brüder und Schwestern, die nicht nur Zeugen Christi sein, sondern zugleich audi auf den Plantagen des Herrn von Pleß als Aufseher arbeiten sollten50. Hier wurde, wie später noch oft, nur in anderen Formen, Mission mit Kolonisation verknüpft. Wie hätten die Boten audi sonst auf den Inseln festen Fuß fassen können? Aber die Schwierigkeiten wurden dadurch nicht weniger. Leonhard Dober reiste wieder ab, um sein Ältestenamt in Herrnhut zu übernehmen. Die Kolonisten auf St. Croix mußten sich indessen im Busch mühsam einen Platz zum Leben schaffen. Krankheit kam und raffte einen nach dem andern hin. Doch die Brüder hielten aus. Innere Schwierigkeiten drohten dazu, den Zusammenhalt zu zerstören51. „Im Frühjahr 1735 traf die Kunde von dem Hinscheiden der 10 Mitglieder der ersten Kolonne in Herrnhut ein. Es war ein Schlag so hart, daß er im ersten Augenblick nur tief niederbeugend wirken konnte, einzelne murrten über das törichte Unternehmen." 52 Wieder verstand es Zinzendorf, das Geschehen positiv zu werten, und die Gemeine nahm das willig an: „Nun werden Zehn dahingesät, als wären sie verloren — auf ihren Beeten aber steht: Das ist die Saat der Mohren!" 52 Dennoch mußte das Werk auf St. Croix 1736 vorläufig aufgegeben werden. Von den 29 nach dort gesandten Geschwistern waren in zwei Jahren 19 gestorben, nur 8 der Rückreisenden haben Herrnhut wiedergesehen53. Auf St. Thomas wurde die Arbeit 1736 durch Friedrich Martin um so erfolgreicher wieder aufgenommen. Auch hier blieben freilich Schwierig5 0 Müller, 2 0 0 Jahre, Bd. I, S. 24 und 25 f. Müller nennt die 18 der ersten Gruppe, die am 18. Aug. 1733 Herrnhut verließen und am 11. Juni 1734 in St. Thomas anlangten: „vier Ehepaare: Martin Schenk, Wenzel und David Weber, Timotheus Fiedler; sechs verheiratete Brüder, deren Frauen in Herrnhut zurückblieben, darunter Tobias Leupold und ein älterer David Nitschmann, und vier unverheiratete Brüder. Die Führung hatte Tobias Leupold." (S. 26) Die zweite Gruppe der 11, die am 20. Februar 1735 Herrnhut verließ und am 28. Mai 1735 in St. Thomas eintraf, bestand aus „vier Ehefrauen, darunter die des Tobias Leupold; eine Witwe Anna Berger; ein bejahrtes Ehepaar Gold und vier Brüder, unter ihnen Matthäus Freundlich und der .Chirurg und Schiffsmedikus' Kretschmer." (S. 29). „Die Leitung hatte Kaspar Güttner, der zu diesem Zweck audi die Ordination empfangen hatte." (S. 31) 5 1 Vgl. den Brief Georg Webers, abgedruckt in: Die Brüder, S. 51, und zum Ganzen: Müller, 2 0 0 Jahre, Bd. I, S. 27 ff. 5 2 Müller, 200 Jahre, Bd. I, S. 29 f. schildert die Aufnahme der Nachricht in Herrnhut. Zitat aus Die Brüder, S. 52. Der Vers findet sich Herrnhuter Gesangbuch 1735, II. Anh. n. N r . 1041. 53 Die Brüder, S. 52 u. Müller, 200 Jahre, Bd. I, S. 31.
300
keiten, Anfeindungen und sogar Gefängnis nicht aus. Zinzendorf mußte die Brüder 1739 bei seinem Besuch auf St. Thomas aus ihrer dreimonatigen Gefangenschaft befreien. Er kam mit zwei neuen Ehepaaren, die im Missionsdienst helfen sollten. Hier fielen die oft erwähnten Worte: Zinzendorf: „Wie aber, wenn unsere Brüder nicht mehr am Leben und niemand mehr vorhanden ist?" D a meinte Löhans: „Das kann der Heiland nicht getan haben", und Georg Weber entgegnete: „Nun, dann sind wir d a . " Und Zinzendorf wußte nur eins mit frohem Stolz zu erwidern: „Gens aeterna, diese Mähren!" 5 4 Doch sie fanden 1739 nicht nur die Brüder, wenn auch gefangen, sondern bereits die ersten Früchte ihrer Tätigkeit: 700 Neger sammelten sich um sie, getauft worden waren im Juli 1738 16 Neger 55 . Sogar eine eigene Plantage hatten die Brüder, von der aus sie ihre Arbeit seit dem Sommer 1738 als von ihrer eigenen Missionsstation aus tun konnten 56 . In Grönland ging es auch recht beschwerlich zu. Pastor Egede half den Brüdern in den Anfangsschwierigkeiten, so gut er konnte. Lebensbedingungen, Sprache und Gemüt der Grönländer waren ihnen fern und fremd. Aber sie gingen voller Vertrauen auf ihren Herrn an ihre Arbeit. In welcher Haltung sie dies taten, können wir am besten aus den ersten Briefen Matthäus Stachs an die Gemeine entnehmen. Er schrieb am 13. Juni 1733 den Brüdern und Schwestern in Herrnhut, daß Gott sie mit großer Liebe geführt und in dieses Land gebracht habe. „Was wir gesucht haben, das finden wir da, nämlich Heiden, die von Gott nichts wissen, sich auch um nichts bekümmern, als wie sie viele Seehunde, Fische und Renthiere fangen; . . . Diesem Volke wollen wir zeigen, daß ein Gott ist, und daß ein Jesus ist und daß ein heiliger Geist ist, und können ihre Sprache nicht. Wir wollen sie besuchen, und wissen nicht, wo sie wohnen. Sie wohnen bald hier, bald da auf den Inseln, so daß wir ihnen nicht nachkommen können. Ihr ganzes Wesen ist so verkehrt, daß man auch durch Zeichen und Winke sie nicht bedeuten kann, so daß sie es vernähmen... Wir werden aber durch Gottes Gnade nicht verzagen, sondern der Hut des Herrn warten. Wenn Er gehen wird, so wollen wir mitgehen und wollen von seinem Angesicht nicht weichen... und denken, wo der Durchbrecher ist, da muß Luft und Weg werden, wenn es noch so verkehrt aussieht. In diesem Sinn gedenken wir allezeit zu bleiben; und wenn wir auch nichts in Grönland ausrichten sollten, so werden wir doch Jesum preisen und sei54 Müller, 200 Jahre, Bd. I, S. 41 nach Zeist Mai/Juni 1746, R 2 A 19, 1, S. 155; J . H . D. 24. 10. 1748, 6. 11. 1752, 1. 6. 1757. Die ihn begleitenden Ehepaare waren Georg und Elisabeth Weber und Valentin und Veronika Löhans. 5 5 Müller, 200 Jahre, Bd. I, S. 42 u. 36. Die T a u f e gewährte man nur nach gewissenhafter Prüfung. 50 Müller, 200 Jahre, Bd. I, S. 37 f. „1757 erhielt dann die Missionsstation endgültig den offiziellen Namen Neuherrnhut." (S. 38)
301
nem Namen die Ehre geben, wenn es auch weiter nichts wäre, als daß wir gedemüthigt und redit klein in unsern Augen w ü r d e n . . . Jesus a b e r . . . weiß alle unsre W e g e . . . Zu dessen Ehre sey unser Leben, Gut und Blut hingegeben. Er hat durch seinen Tod uns das Leben wieder gebracht, unsre Sünde vertilget, uns mit sich selbst ausgesöhnt, und sich ein Volk gesammelt, das sein Eigenthum seyn und seine Tugend verkündigen soll." Und damit wandte er sich ermahnend an die Gemeine zu Hause: „Ihr Zeugen der Kraft Euers Erlösers, die Ihr Euer Faß bewahret in Heiligkeit und in Lauterkeit vor dem Herrn, wandelt mit wackern Herzen vor dem Herzog des Lebens, auf daß Ihr nicht beschämt werdet vor I h m . . . " Er bat sie um ihr Gebet: „Traget fein viel Räuchwerk auf den Liebesaltar, daß der süße Geruch aufsteige von Euerm Opfer und ins Gedächtnis vor Gott komme. Wenn Ihr das künftige Jahr uns schreiben werdet, so tragt die Glaubensbränder recht zusammen, damit wir in diesem kalten Lande von Eurer Glut entzündet werden. Wen die Liebe Christi dringet, der schicke uns von seinen Flammen. Gott wird Euch mehr entzünden. Jesus segne Eudi!" 57 An die ledigen Brüder schrieb er ganz im Streitergeist der ersten Boten am 9. Juni 1733: „ . . . weil Ihr geschmeckt habt, wie freundlich der Herr ist, so gehet hin in Kraft derselben Speise, krieget und sieget im Namen des Herrn. Ich bin mit Euren Herzen verbunden unter der Kreuzes Fahne des treuen Heilandes. Demselben will ich leben, demselben will ich sterben: denn nichts kann midi mehr erfreuen, als der Name meines Heilandes, der meine Seele von dem Tode gerissen h a t . . . Ihr seyd Glieder von dem geheiligten Volk des Herrn; so beweiset die Gnade, die Euch widerfahren ist, und seyd nicht träge; denn das Heil ist groß und die Ernte wird herrlich seyn, wenn wir viel Samen mit Thränen ausgesäet haben."57® Es läßt sich denken, daß solche Briefe in Herrnhut eine große Wirkung gehabt haben. Mancher der Brüder wollte dieser Opferbereitschaft und diesem Vertrauen nicht nachstehen und faßte den Entschluß, dem Beispiel der ersten Boten zu folgen. Indessen wurde es in Grönland immer schwieriger. Von Kopenhagen her waren die Blattern eingeschleppt worden. Eine Epidemie mit furchtbaren Folgen brach aus. Uber 2000 Grönländer starben in wenigen Monaten dahin. Egede gab den Brüdern ein Beispiel unermüdlichen Einsatzes, indem er die Kranken besuchte, die zu ihm Kommenden in seine Wohnung aufnahm, mit seiner Frau zusammen pflegte und sie zum Sterben vorzubereiten versuchte. An diesem schweren Pflegedienst beteiligten sich die Brüder mit ganzer Kraft, wenn auch in äußerlicher und innerlicher 57 Gedenktage, S. 192 ff. Vgl. zum Ganzen audi: Die Brüder, S. 56 ff. u. Müller, 200 Jahre, Bd. I, S. 119 ff. 57a Gedenktage, S. 195 f.
302
Hinsicht ziemlich vergeblich. Doch sehen wir daran, wie missionarischer und diakonischer Dienst für sie untrennbar zusammengehörte. Um die Jahreswende 1733/34 herum war die Gegend um Neuherrnhut fast menschenleer. Die Brüder selbst erkrankten. Es erforderte viel Glaubensmut und Geduld von ihnen, tapfer auf dem Posten auszuhalten 58 . Sie schrieben nach Herrnhut: „Wir sind jetzt in einer Glaubensschule, da wir noch gar nichts vor uns sehen. Unter den Heiden spüren wir noch gar nicht das geringste G u t e . . . Uns mögen wir ansehen, wo wir wollen, so finden wir nichts als lauter Elend von außen und i n n e n . . . Dem Herrn ist es bekannt, warum Er die allerschwächsten und ungeübtesten, die zum Theil erst angefangen, unter Euch zu gedeihen, auf diesen Posten gestellt hat. Wir wollen aber in dieser Schule, da wir um die Wette glauben müssen, und nichts als Unmöglichkeiten vor uns sehen, verbleiben, bis uns Jesus als Elenden durchhilft, und wollen für nichts sorgen, als wie wir Ihm gefallen mögen. Unsre Hoffnung ist, daß Gott bey seinen Kindern alles durchs Gedränge gehen läßt, und unsre Freude ist das Andenken der vielen Kinder Gottes in Europa." 59 Eine große Stärkung war es für sie, daß 1734 Friedrich Böhnisch und Johann Beck als Helfer zu ihnen stießen; Christian David konnte deshalb nach Herrnhut zurückkehren®0. Leider wurde aber auch das Zusammenleben der Brüder untereinander und die Zusammenarbeit mit Egede durch Zwistigkeiten getrübt. Doch ist es ein gutes Zeichen, daß man sich wieder fand und nach mancher Aussprache, in der man um die Gemeinschaft kämpfte, schließlich wieder gemeinsamen Grund hatte 61 . Am 16. März 1736 stellte man die Grundlagen der Gemeinschaft in 8 Punkten zusammen, die uns wieder etwas vom Geist der ersten Heidenboten sagen: „Zum Anfang unsrer genauen Gemeinschaft und brüderlichen Verbindung, zum gläubigen Aushalten in unserem Beruf und zur Treue gegen Gott und die Werke seiner Hände sollen von uns folgende Punkte festgesetzt werden und sein: 1. Es soll bei uns nicht vergessen werden, daß wir im Glauben und Vertrauen zu Gott und unserem H e i l a n d . . . hierher gegangen sein, nicht aufs Sehen, sondern aufs Glauben und also so lange anhalten im Glauben und Gebet, bis der Herr sich aufmachet, Zion zu bauen, und uns eine Tür auftut. 2. Soll die Erkenntnis Christi, wie er am Kreuz die Reinigung unserer Sünden durch sein Blut gemacht hat und allen, die da glauben, eine Ur-
se 5» «o ei
Vgl. Gedenktage, S. 197 f., Die Brüder, S. 58, Müller, 200 Jahre, Bd. I, S. 120. Gedenktage, S. 198 f. Gedenktage, S. 199 f. u. Müller, 200 Jahre, Bd. I, S. 126 f. Vgl. Müller, 200 Jahre, Bd. I, S. 120 f.
303
sach zur ewigen Seligkeit worden ist, eine Hauptlehre bei uns sein, die wir mit Wort und Wandel als aus dem Vermögen, das Gott darreichet, bezeugen wollen, und nichts reden, als was Christus in uns gewirket hat, die Heiden zum Gehorsam des Glaubens zu bringen. 3. daß wir die Sprache im Glauben, in der Liebe und Hoffnung und in der Furcht des Herrn erlernen und fleißig acht darauf geben, was der Herr für Spuren darinnen wird zeigen und derselben mit allem Fleiß wahrnehmen. 4. daß wir einer dem andern mit Ehrerbietung zuvorkommen und einer des andern Gnade erkennen und hochachten und einander in der Furcht des Herrn Untertan sein. 5. daß wir die brüderliche Zucht, Strafe und Ermahnung untereinander nach der Regel Christi feste halten. 6. daß wir unsere Geschäfte im äußern im Namen des Herrn tun, wo aber derselben Mangel gespüret würde, Erinnerung, Bestrafung und nach der Besserung Vergebung folgen müsse. 7. daß wir nicht sorgen und sagen: was werden wir essen, was werden wir trinken oder womit werden wir uns kleiden, sondern dem unsere Sorge befehlen, der die Sperlinge nähret und die Blumen auf dem Felde kleidet, aber dabei wahrnehmen das Wort des Herrn, der da spricht: Im Schweiß deines Angesichts sollst du dein Brot essen etc., und was Paulus saget: Ihr wisset, daß mir diese Hände gegeben sind etc. actor 20 ν. 34 und auch bezeuget, daß man also arbeiten müsse. 8. Soll auch unter uns der Liebeskuß als ein Zeichen der wahren Gemeinschaft eingeführet sein. So aber ein Bruder sündigt und nicht nach der Lauterkeit des Evangelii wandelt, wir uns mit demselben von ihm entziehen, bis er gebeugt ist vor Gott und den Brüdern." 6 2 Hier haben wir den Streitersinn vor uns, wie ihn die Brüder verstanden. Dieser aufrichtigen Treue blieb die Frucht nicht versagt. 1735 kam der erste Grönländer, „durch Egedes Predigt zum Nachdenken veranlaßt, zu den Brüdern, um von ihnen mehr zu hören" 63 . Im Juli 1736 traf eine neue Gruppe von Herrnhutern in Grönland ein: ein Bruder, Georg Wiesner, und 3 Schwestern, Mutter Stadl, die Stiefmutter des Matthäus, mit ihren beiden Töchtern Rosina und Anna. Bei der Abordnung der Schwestern „dachte Zinzendorf nicht nur an den geistlichen Dienst der Frau, ohne den man sich in Herrnhut eine Gemeine überhaupt nicht denken konnte. E r sah audi mit nüchternem, praktischem Blick, daß die Boten erst dann im fremden Lande Wurzeln schlagen würden, wenn eine Frau die weiblichen Pflichten des Haushalts übernahm, wenn sie als Gattin und Mutter ihrer Kinder ihnen das einsame Haus zur 62 R 15 Ja 2b, zit. n. Müller, 200 Jahre, Bd. I, S. 121 f. es Müller, 200 Jahre, Bd. I, S. 127.
304
Heimat machte." 64 Rosina Stach wurde dann auch schon im August 1736 mit Johann Beck getraut. An der Ausrüstung dieser Gruppe für ihre Reise hatte sich die Gemeine beteiligt, soweit sie dazu in der Lage war. „ I m Februar 1736 wird der alten Stachin und ihren zwei Töchtern als Ausstattung für Grönland für 5 Taler 8 Groschen Leinwand und Pelzwerk angeschafft, sonst gibt man den Reisenden nach Grönland und Lappland in diesem Monat 15 Taler 12 Groschen mit und erwartet wohl, daß ihnen die Kopenhagener Freunde weiterhelfen." 65 Das Geld dazu entnahm man der Gemeinkasse. Mit der Verstärkung durch die Neuankömmlinge konnte der eigentliche Missionsdienst besser betrieben werden. Im März 1739 wurde die erste Familie getauft. Immerhin hatte es einer fast sechsjährigen Wartezeit für die Brüder bedurft. Uber das gemeinsame Leben der auf die Einsamkeit im fremden Land Beschränkten und über ihre Schwierigkeiten berichtet uns der Brief des 1737 nachgekommenen Bruders Markgraf vom Januar 1738: „Wie ich mit meinen Brüdern in der Gemeinschaft stehe, so haben wir uns einander lieb, weil wir erkennen die Barmherzigkeit, die einem jeden widerfahren. Dem Äußern nach reiben wir uns dann und wann, das hebt aber die Liebe nicht auf. Wenn wir uns vergangen, bekennen wir einander unsre Sünde und vergeben einander. Dann dient es uns zum besten und lernen einander immer besser kennen. Ich erkenne, daß ich muß nachgeben und meinen Brüdern gehorsam sein und denken: ich bin in der grönländischen Schule, da es heißt: Markgraf, greif deinen alten Menschen an und rudre besser auf deiner Seite, daß wir ans Land kommen, ehe uns der Sturm zu fassen kriegt und reißt uns den alten Boot in Stücken." 66 Nun könnten wir fortfahren und in ähnlicher Weise von den folgenden Missionsunternehmungen berichten. Doch ist dafür hier nicht der Ort. Bis 1738 gingen die Brüder fast nach allen möglichen Richtungen von Herrnhut aus: In Suriname in Südamerika trafen am 20. Dezember 1735 die ersten 3 Brüder ein: von Larisch, Berwig, Piesch. Auch hier war es ein dornenM Müller, 200 Jahre, Bd. I, S. 127. „ S o gab Zinzendorf die direkte Instruktion an Matthäus Stach mit, daß die 23jährige Rosina baldmöglichst mit Wiesner, Beck oder Böhnisdi verheiratet werden solle. Audi die jetzt 13jährige Anna solle heiraten, sobald es ihr Alter erlaube." es Uttd. A-H., S. 111. O b hierfür und audi sonst in der Anfangszeit für die Missionstätigkeit kollektiert worden ist, wird nicht gesagt. A m 17. Mai 1742 wird „eine Kollekte wegen der vielen Ausgaben für reisende Brüder vorgeschlagen und hat in den folgenden Wochen einen im Vergleich zur Armut Herrnhuts erfreulidien Erfolg 1 '. (Uttd. A-H., S. 112) Natürlich unterstützte die Gemeine die zurückbleibenden Frauen der Männer, die allein auszogen. Wie Zinzendorf seinen ganzen Haushalt auf das Kommen und Gehen der Boten einstellte, besprachen wir schon in K a p . 3, В I Id, S. 171 ff. Vgl. Uttd. A-H., S. 164 ff. «β Zit. n. Müller, 200 Jahre, Bd. I, S. 129.
305
voller Beginn mit Krankheit, Tod und Rückschlägen, aber immer neuem Anfang". Im April 1735 betraten die ersten 10 Brüder mit Johann Töltschig an der Spitze nordamerikanischen Boden, um unter den Indianern zu arbeiten. Sie siedelten in Georgien. Im August 1735 brach bereits die zweite Gruppe von 25 Personen von Hermhut aus dorthin auf und traf im Februar 1736 in Georgien ein68. Am 9. Juli 1737 landete Georg Schmidt, der Herrnhuter Fleischergeselle, der 6 Jahre im Gefängnis zugebracht hatte, in Südafrika und arbeitete dann voller Mühsal ganz einsam unter den Hottentotten, nur durch die Gebete und Briefe der Heimatgemeine gestärkt69. Im Frühjahr 1734 sandte man Boten nach Lappland aus, die Brüder Graßmann, Schneider und Johann Nitsdimann. Da dieser Plan nicht gelang, sollten sie 1736, verstärkt durch den Bruder Micksch, über Moskau zu den Samojeden reisen. Aber auch hier konnten sie nicht ans Ziel gelangen. Sie wurden gefangen genommen, zurück nach Petersburg geschafft und schließlich des Landes verwiesen70. Selbst Versuche, über den Orient weiter in den Osten bis nach China vorzustoßen, wurden gemacht, allerdings scheiterten audi sie71. Wenn man die Berichte über die ersten Aussendungen liest, ist man ergriffen von der ungeheuren Glaubenszuversicht, die die Mäner und dann «7 Vgl. Müller, 200 Jahre, Bd. I, S. 88 ff. * 8 Vgl. Müller, 200 Jahre, Bd. I, S. 202 ff. Als der Missionsversuch in Georgien aufgegeben werden mußte, wandte man sich den Indianern im Norden zu. Im Zusammenhang mit der Mission an ihnen entstand im Jahre 1741 Bethlehem in Pennsylvanien, das in den nächsten Jahren der Mittelpunkt der ganzen Arbeit werden sollte. Spangenberg hat in der Leitung dieses beinahe kommunistisch durchorganisierten Gemeinwesens sein „Meisterstück" vollbradit. Hier wurden die Herrnhuter Lebensformen und die Ämterordnung der besonderen Lage einer Missiongemeine entsprechend umgeformt. Vgl. dazu das interessante Buch H. Erbes „Bethlehem, Pa. Eine kommunistisdie Herrnhuter Kolonie des 18. Jahrhunderts." und G. Reichel, „August Gottlieb Spangenberg". Zur Mission unter den nördlichen Indianern vgl. Müller, 200 Jahre, Bd. I, S. 206 ff. 6 9 Vgl. Müller, 200 Jahre, Bd. I, S. 173 ff. „Zunächst galt es, den Leuten die primitivsten Stücke äußerer Kultur beizubringen. Er lehrte sie, solidere Hütten zu bauen; er lehrte sie, die gewohnt waren, aus der Hand in den Mund zu leben, für die Zukunft sorgen; er legte ihnen selbst Gärten an, die er mit europäischen Gemüsen bepflanzte." (S. 175). Eindrüddich ist Schmidts Verhalten nach seiner Rückkehr aus Afrika. Bei Plitt, Denkwürdigkeiten § 193, Bd. 3, S. 429, heißt es: „Der ehrwürdige Mann aber — einst Melchior Nitschmans Reisegefährte, der 6 Jahre im Sdiildberger Gefängnis u. eben so lang in der afrikanischen Wildniß zugebracht u. wirkliche Frucht geschafft hat, dessen Tagebücher die Würze der Gemeintage gewesen waren, hat sich seitdem in der Gemeine mit Tagelöhner-Arbeit erhalten, ohne die angebotenen Erleichterungen annehmen zu wollen. Seine Brüder haben indeß sidi Kränze gewunden. Er hat als ein Exempel der einfältigsten Demuth — wie niemand Prätensionen zu machen habe, wie unter den Brüdern keine Verdienste u. keine Thaten dazu berechtigen, ihnen vorleuchten sollen." 70 Vgl. Müller, 200 Jahre, Bd. I, S. 160 ff. 71 Vgl. Müller, 200 Jahre, Bd. I, S. 247 ff.
306
ja audi Frauen beseelte, die sich mit soldi mangelhafter Ausrüstung, kaum einer Fremdsprache mächtig, zu Fuß auf den Weg in die fernsten Länder machten. Und auch, wo ihnen weiter geholfen wurde, war es ja immer dieser ihr Zeugeneifer und der nicht aus ihrem Herzen zu reißende Drang, die Botschaft vom Heiland zu den Heiden zu bringen, der die Freunde der Brüder trotz aller Bedenken bewog, ihnen finanziell und sonst weiterzuhelfen. Es ist dabei für unsere Fragestellung bedeutsam, daß die Brüder sich für ihren Dienst solche Gegenden und Völkerschaften als Ziel aussuchten, die durch ihre Primitivität ein gehöriges Herabsteigen in bezug auf Lebensgewohnheiten und Kultur verlangten. Das war den Brüdern gerade recht. Sie wollten denen das Licht bringen, die völlig im Dunkeln lebten: Sklaven, Eskimos, Hottentotten, Indianern und Samojeden. Als Gegner erlebten sie dabei weniger das Heidentum als vielmehr die „christlichen" Weißen, die die Primitiven entweder als Sklaven zur Arbeit nutzten oder im Eroberungsdrang unterdrückten und sogar ausrotten wollten. Da sich die Brüder, soweit sie es konnten, zu den Farbigen stellten, waren sie den Weißen unbequem. Daher rührte neben den ausgesprochen kirchenregimentlichen Anfeindungen die Gegnerschaft, die ihnen ihren Dienst so schwer machte und gegen die sie sich voller Duldersinn und Tapferkeit behaupteten. Um den Auftrag der Boten Herrnhuts eingehender zu kennzeichnen, wollen wir noch einige Anweisungen zur Führung ihres Dienstes zitieren, die Zinzendorf ihnen mitgab. Damit rundet sich für uns das Bild vom Dienst der Boten Herrnhuts72. Zinzendorf schrieb ζ. B. 1736 eine „Kurtze Instruction vor meinen Br. Schmidt nach Cabo", die in ihrer persönlichen Art sehr anziehend ist78. Er teilte darin die Aufgaben des Boten ein in die des Kundschafters und die des Boten: „Als Knecht müstest du Seegen haben entweder als Kundschafter oder als Bote, und das ist gleich viel. Merkest du den Seegen in deinen Augen allein, so halt das Maul, biß du wieder zu uns kommst, macht dir aber der Heyland die Zunge flammend, so zeuge und laß dir Gehülfen schicken. Der Zweck unserer Botschaft muß wohl gefaßet werden. Wir pflegen gemeiniglich erst zu sehen und zu hören, wo der Heyland hinauswill. Ich kann also nicht gewiß wißen, wie weit es mit dir gehen werde. Nur merke dir das, mein Bruder. Du bist nicht um dein selbst willen auf der Welt, viel weniger auf der Reise." 74 Diese Unterscheidung der Aufgaben ist uns wichtig. Mancher der ersten Boten wurde erst als Kundschafter gesandt, der Möglichkeiten zur Arbeit 7 2 Wir entnehmen sie der Zusammenstellung Uttendörfers: Die wichtigsten Missionsinstruktionen Zinzendorfs, Herrnhut 1913. 7 3 Uttendörfer, Missionsinstruktionen, S. 13 ff. nadi R 15 Μ 2 u. 2 anderen Abschriften. 7 4 Uttendörfer, Missionsinstruktionen, S. 14.
307
unter den Heiden erkunden sollte, um dann sofort zurückzukehren. „Laß dich solange allenthalben zur leiblichen Arbeit brauchen, bis du dadurch Liebe und Eingang in die Hertzen krigst", mahnte Zinzendorf weiter. Genaue Anweisungen konnte er ihm nicht erteilen, da er selber die Umstände in Afrika nicht kannte: „Specieller kann ich dir keinen Unterricht geben. Bleibe du in beständigem Gebet, Dehmuth, Hertzlichkeit, so wird der Heyland Gnade und Kraft geben, das Pünctgen zu treffen... Der Heyland bewahre dich in allen Gnaden und lasse dich einen reinen Pfeil seyn in seiner Hand." 7 5 Ebenso herzlich war eine Anweisung an die Brüder in Grönland vom 16. 3 . 1 7 3 8 gehalten: „Kinder! Greifts männlich an. So lange man euch da last, so bleibt, heist man euch gehen, so geht, und da wird euch der Freund eine andere Ecke anweisen, das weis ich gewiß. Nur geglaubt, denn Er hat euch dahin gesandt, seine Jünger an dieses Volk zu seyn, und ich bin gewiß, ihr seyd sein Mund, wie Er Euer Gott ist." 78 Solche Aufmunterungen, die die Grönländer ja nötig brauchten, schafften draußen neuen Mut. Und die Losungen, die nun immer für ein ganzes Jahr hinausgeschickt wurden, taten das Ihre. Zinzendorf suchte schon Worte und Verse aus, die einen müden Streiter ermuntern konnten. Greifen wir nur beispielsweise einmal die Losungen der 46. Woche (23. n. Trin.) des Jahres 1735 heraus: 13. Nov. Sey nun wieder zufrieden, meine Seele; denn der Herr thut dir Gutes: denn Du hast meine Seele vom Verderben gerissen, mein Auge von den Thränen, meinen Fuß vom Gleiten. Ps. 116, 7. 8. Wunder-Hände führen in ein Ruhe-Haus, so behende und so lieblich, daß man noch keins gehöret, das heraus begehret. 14. Um deinetwillen trag ich Schmach. Ps. 69, 8. Ich will je williglich um deinetwillen mich verleugnen und nicht kennen, wenn Du midi nur wilt nenen den allerkleinsten Knecht. 15. Die Erde ist des Herrn. Ps. 2 4 , 1 . Kein König ist Dir gleich, dein allgewaltig Reich ist oben und hierunten eines. 16. Von Gnade und Recht will ich singen. Ps. 101,1. Er schwört bey Seinem Leben, das Er ein Mittel kennt, die Menschen aus den Banden los zu geben; ein Mittel, das die Gnad und Recht nicht trennt. 17. Ich habe Dir, GOtt, gelobet, daß ich Dir danken will. Ps. 5 6 , 1 3 . О daß wir tausend Zungen hätten, und einen tausendfachen Mund, wir stimmten damit in die Wette, vom allertiefsten Herzens-Grund ein Lob-Lied nach dem andern an, von dem, was GOtt an uns getan. 75 76
Uttendörfer, Missxonsinstruktionen, S. 15. Uttendörfer, Missionsinstruktionen, S. 17.
308
18. Nun kennet Er ja unsers Herzens Grund. Ps. 44, 22. Herzenskündiger, Dein Auge siehet unsre Einigkeit, daß dabey nichts gelt und tauge, als die Abgestorbenheit. 19. Der Gerechte muß viel leiden; aber der HErr hilft ihm aus dem allen. Ps. 3 4 , 2 0 . Man weiß, wen Du wilst herrlich zieren, und über manche Höhen führen, den führest Du zuvor hinab 77 . So könnten wir Woche für Woche fortfahren. In den Losungsworten und den dazu gewählten Liedversen lag eine große ermutigende Kraft. Doch noch eine Instruktion sei hier mitgeteilt. Vom August 1738 datiert eine „Instruction an alle Heyden-Boten" 7 8 , in der es u. a. heißt: „Es ist bey eures gleichen Verrichtungen schwehr, eine Anweisung zu geben, weils überhaupt schwehr ist, Brüder zu instruiren." Weil man alle vorkommenden Umstände ja nicht kennt. „Unserm ersten Boten nach Thomas gaben wir die Instruction mit, allda eine Seele zum Heyland zu bringen, und was der Heyland sonst mehr geben würde. Denen nach Grönland, sie sollten sehen, ob sie dem Pfarrer Egedi was helffen könnten, und das wars alles. Was soll man den Brüdern auf ein paar 1000 Meilen sagen, da man keine Seele kennt, zu denen sie kommen? Die Instruction des Heylandes: gehet hin in alle Welt und prediget aller Creatur das Evangelium, war auch g e n e r a l . . . " So schrieb Zinzendorf den Brüdern vor allem 46 Warnungen vor Versuchungen, die ihnen nach seiner Erfahrung begegnen konnten 79 . Ζ. B. warnte er sie vor den Versuchungen: „3) Sich erst in den Ländern besinnen, was man dort will. 11) Sich ansäßig machen wollen und vergessen, daß man sich auf der Wanderschafft befindet und ein Pilger unter den Nationen ist. 14) Sich einen Gedanken von Commoditäten (Bequemlichkeit) einfallen lassen. 18) Die Gemeinschafft der Güter entweder nicht verstehen oder hassen oder unweißlich administriren ( = verwalten) und mit dem geringsten Schein einer Partheylichkeit, sonderlich für sich und die seinen, worunter der geringste Vorzug, den man sich in etwas vor den andern Brüdern nimmt, mitzuzehlen ist, wenn sie es gleich einem antragen." (Wir sehen aus dieser Warnung, daß die Brüder und Schwestern auf den Stationen weitgehend in Gütergemeinschaft lebten. So konnte es kommen, daß schließlich in Bethlehem (in Pennsylvanien) eine ganze große Brüderansiedlung zum Besten der Mission eine lange Zeit in Gütergemeinschaft stand 80 .) Zinzendorf warnte weiter davor: Entnommen der Samlung der Loosungs-Büchlein, 1762, 1. Band, S. 221 f. Uttendörfer, Missxonsinstruktionen, S. 19 ff., abgedr. in Büd. Samml. I, S. 669. 7 9 Uttendörfer, Missionsinstruktionen, S. 21 ff. so Vgl. H . Erbe, Bethlehem, Pa. 77
78
309
„28) Bei sich selbst Knecht und Kind nicht unterscheiden." (Das bedeutet, daß der Bote auf der einen Seite männlicher Streiter und Bote sein sollte, auf der andern Seite aber Schüler Christi unter seiner Zucht.) „ 2 9 ) . . . vergessen, daß eine Haupt-Maxime ( = Grundsatz) glücklicher Streiter ist, daß sie unter den Unmöglichkeiten ausdauern und die Schwürigkeiten abwarten können und Sachen und Personen überleben. 35) Zu eine grosse Idee haben vom Zweck seiner Expedition und die höchst geseegnete und göttliche Rede aus den Augen verlieren, daß wenn man in Einfalt und Liebe nicht mehr auf 3000 Meil-Weges thut, als wenn ein Bothe ein Stück acten aus der Stadt ins Dorff trägt, es dem Heylande und der Gemeine genug ist. 39) Die Streitigkeiten älter werden zu lassen als einen Tag. 45) Wenn was nicht fort will, so ists nicht allemahl ein böß Zeichen; nur Gedult." Mit solchen Mahnungen versuchte Zinzendorf, den Weg seiner Brüder wenigstens etwas zu leiten. Fleißig wurde aber auch von Herrnhut oder später von der Pilgergemeine aus an die oft auf einsamen Posten stehenden Brüder geschrieben. An diesen Briefen merkten die Brüder draußen, daß die betende Gemeine, die sie ausgesandt hatte, hinter ihnen stand. Nur dadurch ist es zu erklären, daß die Brüder trotz der manchmal über das ertragbare Maß hinausgehenden Schwierigkeiten ausgehalten haben. David Nitschmann, der Zimmermann, damals schon Bischof, schrieb z.B. am 17.September 1738 an Georg Schmidt in Südafrika: „ . . . M e i n lieber Bruder, stehe... auf der Hut und sage den Hottentotten nichts anders, als daß ein Heiland sei, der aus Liebe vor alle Menschen gestorben, daß sie nur an denselbigen glauben sollen und durch ihn selig werden... Einen solchen Heiland haben wir, auf den man viel wagen kann. Er ist mit seiner Kraft unter seinen Gliedern, die sich ihm ergeben, allein vor ihn zu leben. Das muß in allen Landen unser Zweck sein.. ." 81 Spangenberg schrieb am 4. Oktober 1740 an Schmidt: „Laß nur die Hände nicht lässig werden, laß nur die Knie nicht wanken; werde nur nicht mattherzig; denke nur nicht, die Gemeine habe dich vergessen oder der Heiland will die Sache nicht recht fördern, die du in der Hand hast. Sei getrost und ein Held im Herrn. Derer, die bei dir sind, sind mehr als der Feinde, die wider dich sind. Sind sie, die Engel, nicht allzumal dienstbare Geister, ausgesandt zum Dienst um derer willen, die ererben sollen die Seligkeit? Und ist Christus nicht unser Heerfürst, der vorn an der Spitze geht?... Ich empfehle dich den treuen Händen Jesu. Der lehre dich, was du tun sollst, und lasse dich getrost handeln wie einen jungen Löwen." 88 81 ZIt. n. Müller, 200 Jahre, Bd. I, S. 179. 82 Müller, 200 Jahre, Bd. I, S. 179 f.
310
So haben sie sich gegenseitig im Streitersinn erhalten, die Boten ermunterten die Gemeine und die Gemeine stärkte die Boten. Welche Kraft aber von der täglichen Fürbitte ausging, läßt sich gar nicht ermessen. Es gehört in diesen Zusammenhang, daß Zinzendorf daran gelegen war, den Dienst der Brüder draußen in geordneten Bahnen gehen zu lassen. In dem Augenblick, als die ersten Taufbewerber sich meldeten, wurde die Frage brennend, ob die Brüder überhaupt taufen durften. Dies wurde der Anlaß dazu, daß ein Amt entstand, dessen wir bisher noch nie gedacht haben, weil es nicht zur Ordnung der Herrnhuter Gemeine selbst gehörte: das Bischofsamt. Spangenberg sagte darüber: Zinzendorf „überlegte also zuvörderst mit seinen Mitarbeitern, ob man es nicht darauf anzutragen hätte, daß einer von den zur Gemeine in Herrnhut gehörigen mährischen Brüdern zum Bischof geweiht würde, damit durdi ihn die Brüder, welche den Heiden mit dem Evangelium dienen, ordinirt werden könten?" 83 . Für die Brüder in den englischen Kolonien war es darüber hinaus wichtig, daß dieser Bischof innerhalb der Succession stehen mußte. „Als sie nun auf die Weise zu dem Entschluß gekommen waren, die bischöfliche Consecration für einen aus ihrem Mittel zu suchen; so dachte und redete man über den Personen, die dazu in Vorschlag kommen könten, und David Nitschmann, der Zimmermann, war es, der der Brüder Approbation hatte, und durchs Loos dazu bestimmt wurde." 34 Der Berliner Oberhofprediger Jablonsky, selbst noch im Besitz der Bischofsweihe der Brüderkirche, ordinierte David Nitschmann dann am 13. März 1735 mit Einverständnis des Seniors Christian Sitkovius in Polen, „im Namen GOttes, mit Auflegung der Hände und Gebet, zum Bischof der auswärtigen Brüdergemeinen. . . . mit ertheilter Vollmacht, die ihm obliegenden Visitationes zu verrichten, die daselbst befindlichen Pastores und Kirchendiener zu ordiniren, und allen denen Verrichtungen, welche einem Seniori und Antistiti der Kirchen gebühren, sich zu unterziehen."85 David Nitschmann hat solche Ordinationen dann laufend vollzogen, aber eben wirklich nur für den Dienst der Mission, denn die europäischen Gemeinen sollten in der Verbindung zu den bestehenden Kirchen gehalten werden. Allerdings drängte die ganze Entwicklung schon auf eigene Kirdienbildung hin. Das erneuerte Bischofsamt war ein Symptom auf diesem Wege. Zinzendorf selbst empfing am 20. Mai 1737 die Weihe zu einem Bischof der Brüderkirche durch Jablonsky und David Nitschmann. Sitkovius hat88 84 8ä
Spangenberg, Zinzendorf, S. 897; vgl. zum Ganzen S. 893 ff. Spangenberg, Zinzendorf, S. 899. Spangenberg, Zinzendorf, S. 900.
311
te schriftlich Zustimmung und Segen erteilt86. So war audi er berechtigt, die Brüder zu ordinieren, und er hat es persönlich und schriftlich, wenn die Boten unerreichbar waren, immer wieder getan. Das Bischofsamt verstanden die Brüder also als ein Amt vornehmlich zur Vornahme der Ordination und Durchführung von Visitationen, damit der Dienst überall in geordneter Form erfolgen konnte. Es verwundert nicht, daß Zinzendorf, sobald er konnte, sich selbst auf eine Visitationsreise nach einem der Missionsgebiete begab. Er besuchte 1738/39 die Station auf St. Thomas und führte dort in der entstehenden Negergemeine die völlige Einrichtung einer Gemeine nach dem Muster Herrnhuts durch: Älteste, Helfer, Diener, Aufseher, Ermahner, Almosenpfleger, alles war da und mußte davon Zeugnis ablegen, wie die Ämterordnung Zinzendorf und den Brüdern im Blute lag und wie gut sie sich in Herrnnhut bewährt hatte 87 . Das Eventualtestament, von uns schon oft zitiert, das Zinzendorf bei seiner Abreise aus Europa für die Gemeine schrieb, zeigt ja alle seine Gedanken und Gemeinpläne zu dieser Zeit. Hier faßte er auch zusammen, was er bis dahin unter dem Botengang verstand, ob in Deutschland, Europa oder ins Heidenland: „Bothschafften sind solche Commissionen, da man einen und den andern nach der nächsten Stadt, Dorff, Land, Gegend, auch wohl in die Ferne, auch wohl über die See, in die andern Welt-Theile, in die Inseln, u.s.f. abschicket, etwas vor den Heyland zu bestellen, es sey viel oder wenig, auch zuweilen wohl etwas vor den Heyland zu probiren, abzuwarten, sich darzustellen, ob man nöthig und gebräuchlich seyn möchte: das nennt man so lange Bothschafften, als es eine blosse Bestellung eintzelner Personen ist. Sind ihrer mehr, und lassen sich nieder, so nennt mans Colonien: sinds denn eingerichtete, und in das gantze Apostolische Fach gebrachte Versammlungen, so höret die Boten-Idee wieder auf, und es sind Gemeinen. Der in diese Gemeinen angestellte Besuch wird eine Visitation genennet." 88 So sah Zinzendorf alle Botengänge in eins: sie waren Dienst des Herrn „etwas vor den Heyland zu bestellen, es sey viel oder wenig". Eine Trennung von Diasporaarbeit in Europa und Heidenmission gab es noch nicht. Man hatte einen Auftrag: Bote Jesu zu sein. Nur die Wege waren verschieden. Der Zweck war derselbe: dem Heiland Seelen zu gewinnen. Es muß wohl nicht ausdrücklich darauf hingewiesen werden, daß auch hier das Ideal der apostolischen Gemeinde im Hintergrund stand 89 . Die 86 Vgl. Spangenberg, Zinzendorf, S. 1056 ff. Die schriftliche Segensmitteilung von Sitkovius findet sich Büd. Samml. I, S. 526 ff., das Ordinationsinstrument Büd. Samml. I, S. 170 ff. 87 Vgl. Plitt, Denkwürdigkeiten § 191, Bd. 3, S. 411. 88 Theol. Bedenken, S. 177 f. 89 Wenn es auch im Blick auf die Mission nidit so von Arnold vermittelt wurde.
312
Briefschlüsse des Paulus sind ja voll von Ankündigungen eines Besuchers, von Empfehlungen anderer und Grüßen an Bekannte. Man wollte auch in diesem Punkte dem apostolischen Vorbild getreu und gehorsam sein und reiste. Zuerst in der näheren Umgebung und dann als Boten und „Apostel" „bis an die Enden der Erde". Bis dahin, daß es ein Mann von der anderen Seite des Wassers war, der bat: „Komm herüber, . . . und hilf uns!", war alles biblisch getreu90. So ging man zu Fuß, ernährte sich von seiner Hände Arbeit und richtete seine Botschaft aus, wo immer sich die Gelegenheit dazu ergab. Das Bewußtsein, durch das Leben der Gemeine ganze Bücher der Heiligen Schrift neu zu erleben und innerhalb der Schrift und ihrer von Gott gesegneten Bahnen zu leben, gab den Brüdern und Schwestern damals diese besondere geistliche Kraft, die eine Rücksicht auf sich selbst nicht kannte und nur eins im Sinne hatte: dem Worte Gottes gehorsam zu sein. So konnte Zinzendorf diese Grundhaltung im Eventualtestament 1738 in die Worte fassen: E r hoffe zu der Gnade des Heilandes, „Er werde eine Zeit kommen lassen, (*) daß kein Wort in der heiligen Schrifft seyn werde, daß unserer Gemeine nicht von aussen und innen bekannt, und mit unserer Salbung und gantzen Führung in der schönsten Harmonie sey. Biß dahin wünsche ich, daß der General-Geist der Schrifft, des Gesetzes, der Psalmen, der Weissagungen, der Geschieht von JESU, des KirchenPlans, der Grund- und Special-Lehren der Apostel, in unserer Gemeine lebe, und überall der Commentarius der Sprüche, und die Bibel ein Lexicon sey, darinnen wir alles auffschlagen, und finden können, was wir in Lehr und Wesen täglich und stündlich brauchen." 91 Zinzendorf setzte die kühnen Worte als Anmerkung dazu: „(*) Die ist nun gekommen.", nämlich die Zeit, in der die Führung der Gemeine mit der Schrift in der schönsten Harmonie war. Im selben Dezember 1738 hatte der Graf die Losungen für das folgende Jahr fertig gemacht. Die Widmung verrät etwas von dem heimlichen Stolz auf die überall verstreuten Boten der Gemeine, der sich auch den einsamen Brüdern mitteilen sollte: „Das gute Wort des H E R R N 1739. Aus allen Propheten, für Seine Gemeinen und Diener, zu Herrnhut, Herrnhaag, Herrndyk, Pilgerruh, Ebersdorf, Jena, Amsterdam, Rotterdam, London, Oxfort, Berlin, Grönland, St. Crux, St. Thomas, St. Jan, Barbisies, Palästina, Suriname, Savanna in Georgien, bey den Mohren in Carolina, bey den Wilden in Yrene, in Pensylvanien, unter den Hottentotten, in Guinea, in Letten und
Apg. 16, 9, vgl. die Begegnung mit Anton, dem Mohren. Theol. Bedenken, S. 187. E r fuhr fort: „Es ist unmöglich, daß ich diesen Gedanken nach seiner Wichtigkeit genugsam ausdrücken kann; ich will also nichts weiter hinzu thun, und überhaupt meinen Heiland bitten, er wolle meinen lieben Brüdern in diesem 90 91
313
Esthen, Litthauen, Rußland, am weissen Meer, Lappland, in Norwegen, in der Schweitz, Man, Hitland, im Gefängnis, auf der Pilgerschaft nach Ceylon, Aethiopien, Persien, auf der Visitation bey den Boten der Heiden, und sonst, zu Land und See."92 Und die ersten Losungen des neuen Jahres waren wieder Stärkungen und Ermunterungen zum treuen Dienst: 1. Jan. Sie liefen hin und her wie der Blitz. Ezedi. 1,14. Sie gehn nach Arbeit fragen, wo welche ist. 2. Ich habe Wächter über euch gesetzt; merket auf die Stimme der Trommeten. Jer. 6,17. Sie rufen alle die zu seinen Zelten, bey denen Zug und Trieb noch etwas gelten. 4.
So spricht der HErr, der soldies machet, thut und ausrichtet, HErr ist Sein Name: rufe mir, so will ich dir antworten, und will dir anzeigen grosse und gewaltige Dinge, die du nicht weißst. Jer. 33,2. 3. An diese täglichen Verheißungen klammerten sich die Brüder und Schwestern. Und sie erlebten wirklich Dinge, von denen sie sonst nur in der Schrift gehört hatten, ähnliche Verhältnisse, ähnliche Schwierigkeiten, aber audi ähnliche Wunder. Das Los gab ihnen darüber hinaus noch die innere Gewißheit der direkten Führung durch ihren Herrn. Wir werden in vielen Dingen, ζ. B. in Fragen des Loses, heute viel zurückhaltender sein. Aber dies sollten wir Heutigen doch gerade am Beispiel der Anfangszeit der Brüdergemeine sehen, welche Kräfte der Hingabe und Dienstbereitschaft frei wurden unter Menschen, die in kindlicher Einfalt (im echten, guten Sinn des Wortes) den Vorbildern der Schrift nachfolgen und ihren Weg nacherleben wollten. Es ist gar nicht von der Hand zu weisen, daß dieser kindliche Gehorsam der Brüder von Gott bestätigt wurde durch die Früchte, die er ihnen schon bald überall in der Welt zuwachsen ließ. Ihre Art, die Heilige Schrift zu lesen und zu leben, blieb nicht ungesegnet. Zwei Liedverse Zinzendorfs mögen diesen Abschnitt unserer Untersuchung abschließen, die, 1727 und 1737 gedichtet, unsern Zeitabschnitt gleichsam umfassen: In der „Declaration" der Gemeine in Herrnhut 1727 hieß es wie ein Programm: „Herrnhut soll nicht länger stehen als die wercke deiner Hand, ungehindert drinne gehen, und die liebe sey sein band. Bis wir fertig und allen so ziemlich klar machen, worauf ich bisher gearbeitet, und so wohl von den Heydnischen Gegenden aus, als bey meiner Zurückkunft G. G. wieder fort arbeiten werde." 9 2 Samlung der Loosungs-Büchlein, 1. Band, S. 417.
314
gewärtig, als ein gutes saltz der erden, nützlich ausgestreut zu werden."" Nach den Erfahrungen dieser 10 Jahre, in denen die Brüder und Schwestern ausgestreut wurden, konnte Zinzendorf darum ganz im Geiste seiner zum Dienst bereiten Gemeine dichten: „Hier hast du uns alle zu deinen befehlen, je mehr du befiehlst, je mehr siege wir zehlen; denn deine gebot sind so viele versprechen, durch alle verhauene bahnen zu brechen."94 •8 Herrnhuter Gesangbuch 1735, Nr. 878 (1737, Nr. 880), V. 17, aus dem Lied „O Ihr auserwehlten seelen, in dem Pella H e r r e n h u t . . . " . Auch Büd. Samml. I, S. 24 ff. Vgl. Hymnolog. Handbuch, S. 199; Handschrift im Un. Archiv: „die von der Gemeine Herrnhut über ihre Lehre und Gemeinanstalten geschehene Declaration im Sept. 1727." Vgl. Spangenberg, Zinzendorf, S. 450 f. μ Herrnhuter Gesangbuch, Nr. 1216, 10, wohl von 1737, „Gesinde des Heilands . . . " ; vgl. Hymnolog. Handbuch, S. 130.
315
KAPITEL
6
Die Streiteridee als prägender Dienstgedanke Wir haben im Laufe der Untersuchung schon oft, besonders aber im letzten Kapitel, auf die Streiteridee hinweisen müssen, die mehr und mehr in den von uns untersuchten Jahren im alten Herrnhut zu dem Dienstgedanken wurde, der das ganze Gemeinschaftsleben prägte. Je mehr der Botengang und die Heidenmission als wichtigster Dienst der Gemeine in das Blickfeld der Brüder und Schwestern trat, desto mehr formte der Gedanke vom rückhaltlosen Einsatz im Kampf um die Ausbreitung des Reiches Christi, eben der Streitergedanke, die Lebensauffassung. Wir müssen deshalb dem Streiterideal noch genauer nachgehen, soll unsere Untersuchung nicht unvollständig bleiben. Vor allem soll uns dabei die Frage nach der Herkunft des Streitergedankens, nach seiner Ausprägung in den Äußerungen Zinzendorfs und nach seinen Auswirkungen auf die Organisation der Herrnhuter Gemeine beschäftigen. Dies erscheint uns deshalb wichtig, weil der Gedanke selbst in der Literatur wohl immer wieder an Hand von Äußerungen Zinzendorfs und der sog. Streiterlieder entfaltet wurde 1 , aber der Herkunft des Ideals nirgends in befriedigender Weise nachgegangen worden ist 2 . Wir können gegen Ende dieses Kapitels vor allem aber auch auf organisatorische Entwicklungen hinweisen, die vom Streitergedanken ausgelöst wurden. Sie gingen jedoch über die Alt-Herrnhuter Zeit hinaus und wur1 Uber die in Frage kommenden Äußerungen Zinzendorfs informieren eingehend: Hermann Pütt: Zinzendorfs Theologie, Bd. 1, S. 440 ff.; Otto Uttendörfer: Zinzendorfs christliches Lebensideal, 12. K a p . Die Streiteridee, S. 200 ff. und Evangelische Gedanken, X . Der Christ als Streiter, S. 181 ff.; auch H . Bauer: Zinzendorfs Streiteridee, in: Die Brüder, S. 129 ff.; zuletzt E. Beyreuther, Zinzendorf, Bd. II, S. 207 ff., 220 u. 244 ff., Bd. III. S. 15. — Sonst verstreut in der Literatur, meist besonders im Blick auf den Missionsdienst der Brüder. 2 Der Ursprung der Idee wird nirgends recht untersucht. H . Plitt weist auf folgende Zusammenhänge hin (Theologie I, S. 441 f.): 1. Die im Pietismus aufgekommene größere missionarische und diakonische Aktivität, die für die Laien ein Betätigungsfeld öffnete, 2. „dazu die durch gleichzeitige mystisdi-ascetische Richtungen erweckten Ideale eines weltentsagenden, jungfräulichen Lebens, brachten nach und nach die Idee des .Zeugen Jesu', des Streiters Christi nach dem Vorbilde des Apostels Paulus im Sinne von 1. Kor. 9 in weiteren Kreisen zu Verständnis und Leben" (S. 441).
316
den die Brücke zu dem Neuen, das in der eigenen Kirchenbildung der Brüder zu finden ist. 1. Die Herkunft der Streiteridee Wenn wir nach der Herkunft der Streiteridee fragen, muß zunächst festgestellt werden, daß sie keineswegs eine Erfindung Zinzendorfs war. Es gibt eine ganze Reihe von echt pietistischen Liedern, die das Gedankengut des ritterlichen Kampfes und Sieges in der Nachfolge des Herzogs Christus aufweisen. Das Herrnhuter Gesangbuch von 1735 (1737), in dem die im alten Herrnhut gesungenen Lieder wiedergegeben sind, bringt sie unter dem Titel: „Vom rechtschaffenen Wesen in Christo Jesu, und von der Überwindung des Bösewichts" (Nr. 390—426). Ζ. B. ist von Justus Falckner das Lied „Auf, ihr Christen, Christi G l i e d e r . . . " (1697) abgedruckt, in dem es heißt: (4) „Christi heeres Creuzesfahne, so da weiß und roth gesprengt, ist schon auf dem sieges-plane, uns zum tröste, ausgehängt: wer hier kriegt, nie erliegt, sondern unterm Creuze siegt. 3. Die Zeiten der Not im dreissigjährigen Krieg hatten „manchen redlichen Bekenner" „unfreiwillig aus einem Bürger zum Pilgrim und Märtyrer gemacht" (S. 441). 4. Der seit der Stiftung des Jesuitenordens „wiedererweckte Ordens- und Streitergeist" der römischen Kirche, der die evangelische Kirche, „die Bekenner der gereinigten Lehre aus ihrer Beschränktheit und Lethargie wecken" mußte (S. 442). 5. Die mährischen Emigranten. 6. Zinzendorf selbst: „Wie er sich äußerlich und innerlich getrieben fühlte, nicht neben, sondern aus dem Herzen der reformatorischen Gnadenlehre heraus überhaupt ein tiefgreifendes, innerliches Heiligungsleben erbauen zu helfen, so disponirte ihn sein angeborener ritterlicher Heldengeist und seine Stellung inmitten jener mährischen Zeugengemeine speciell dazu, innerhalb des Gebietes allgemeiner christlicher Lebensheiligung den besonderen Beruf des Streiters und Zeugen Jesu zu erfassen, seinem Wesen und Inhalte nach zu bestimmen und gegen den des christlichen Bürgers soviel möglich abzugrenzen" (S. 442). Beyreuther versucht (Zinzendorf I I , S. 207 ff.), indem er Äußerungen Gerhard Meyers (Zinzendorf, Hamburg 1950) aufnimmt, die Streiteridee vornehmlich auf das ritterliche österreichische Ahnenerbe Zinzendorfs zurückzuführen. „Der Nachfahre tapferer Ritter, berühmter Türkensieger, die einst mit Leib und Leben die Grenzen der Christenheit gegen die anstürmenden Türkenheere gedeckt hatten, weckte in seiner Gemeine den Streitergedanken. Sein hochfliegender Geist warf den zündenden Gedanken in die Seelen kleiner Bauern und Handwerker, die sich in Herrnhut um ihn scharten, und er entflammte sie zu begeisterter Kampfesfreudigkeit" (S. 208). So sehr Zinzendorf für die Gestaltung des Streitergedankens als verantwortlich anzusehen ist, kann man doch eine solche einseitige Auffassung, als sei die Streiteridee die „Intuition seines Genius", nicht gelten lassen. Auch Beyreuthers Versuch, einige Losungen von 1729 und 1731 vom Geist der Ritterkämpfe gegen die Türken her zu deuten (S. 209), erscheint uns reichlich gewagt. Wohl schuf sich Zinzendorf in seiner Weise in den „Streitern" ein Heer von Soldaten Christi und wohl stellte sich darin, in dieser so geprägten Form, die Streitmacht des Reichsgrafen Zinzendorf dar, aber es dürften mehr
317
(5) Diesen sieg hat auch empfunden vieler heiigen starcker mut da sie haben überwunden frölich durch des Lammes blut. Sölten wir dann alhier auch nicht streiten mit begier."* Das Lied „Du bist ja, JEsu, meine f r e u d e . . v o n Christian Jakob Koitsch (1704) nennt die Feinde, mit denen es der Streiter zu tun hat: (3) "Du hast, о Held! ja überwunden, gib mir auch überwindungs-kraft, und laß mich in den kampfesstunden erfahren, was dein leiden schaft, dadurch du alles hast besieget, das unter deinen füssen lieget, weit, sünde, teufel, höll und tod: nun mach sie audi an mir zu spott." 4 Im alten Herrnhut bekannt war auch die Liedstrophe der böhmisdien Brüder: „Wer ein rechter Christ wil seyn, GOtt dienen allein, der muß ritterlich im streit kämpfen allezeit, sein begierd halten im zaum, der lust nicht lassen räum, sich mit ihr in keinem schein, in fried lassen ein."5 Gern gesungen wurde das Lied von Wilhelm Erasmus Arends (1714): „Rüstet euch ihr Christen-leute, die feinde suchen euch zur beute, ja satan selbst hat eur begehrt. Wapnet euch mit GOttes worte, und kämpfet frisch an jedem orte, damit ihr bleibet unversehrt. Ist euch der feind zu schnell', hier ist Immanuel! Hosianna! der starcke fält, durch diesen held, und wir behalten mit das feld." e Am 13.12.1732, als Leonhard Dober und David Nitschmann in St. Thomas ankamen, waren die ersten Zeilen des Liedes mit Jes. 13,4: „Der Herr Zebaoth rüstet ein Herr zum Streit" die Tageslosung7. Gedanken dabei mitgesprochen haben als „Geist vom Geist Maximilians, des letzten Ritters" (S. 209, nach Meyer S. 11). * Herrnhuter Gesangbuch 1737, N r . 391, vergleiche Hymnolog. Handbuch, S. 81. Wir zitieren im folgenden immer die Gesangbuch-Ausgabe v. 1737. * H . Ges.buch N r . 396, vgl. Hymnolog. Handbuch, S. 105. 5 H . Ges.buch N r . 402, 7 „ H ö r mensdi ein traurigs geschieht...". Gal. 5 , 1 7 steht dahinter, wie hinter dem ganzen Lied. — Rosina Fritsch grüßte mit dem Vers die Erbprinzessin von Dänemark, R 6 A a 21 b 3, N o . 3. * Η . Ges.buch N r . 413, 1. » Die Brüder, S. 49.
318
Die Feinde des Christen werden auch in einem ganz nach den Überwindersprüdhen in Offb. 2 u. 3 gedichteten Lied aufgezählt, das von Ph. B. Sinold genannt von Schütz (1704) stammt: (14) „ O Jesu! hilf du mir selbst überwinden! der feinde zahl ist gros, ach! kom geschwind: weit, teufel, fleisch und blut, samt meinen Sünden, seynd mir zu stark, о Herr! erhör dein kind! so sol dort oben mein geist dich loben, wenn ich erhoben den sieg erlangt." 8 Mag dies an Proben älterer, nidit-herrnhutischer Lieder genügen. Der Stoff war also bereits im Pietismus gegeben, ehe Zinzendorf seine Streiterlieder dichtete. Allerdings müssen wir feststellen, daß der Kampfplatz des Christen in diesen Liedern fast ausschließlich sein persönliches Leben zu sein scheint. Der Streit gegen Welt, Teufel und Sünden ist der Heiligungskampf des Christen selbst. Hierüber ging Zinzendorf dann weit hinaus. Auf diesem Wege mag Zinzendorf wieder durdi das Studium der schon oft zitierten „Wahren Abbildung der Ersten Christen" ( = „Erste Liebe") von Gottfried Arnold gefördert worden sein. Auch bei Arnold finden sich Äußerungen zum Leben des Christen als Streiter, aber in ganz besonderem Zusammenhang. Er widmet der Beschreibung des Martyriums in der ersten Christenheit ganze 5 Kapitel mit 55 Seiten. Diese Darstellung bringt er auffälligerweise im 4. Buch „Von den Pflichten und Verhalten der Ersten Christen gegen sich selbst", also als Beschreibung der persönlichen Heiligung. Die das Martyrium betreffenden Kapitelüberschriften lauten: „Cap. 7: Der ersten Christen Creutz und Leiden. 8: Von ihrer Geduld. 9: Von der Märtyrern insgemein, und ihrer Geduld insonderheit. 10: Von ihrer Freude und Beständigkeit in der Marter. 11: Von den vornehmsten Arten ihrer Marter." Hier begegnen wir dem Streitergedanken in derselben Ausprägung, die Zinzendorf ihm in den Streiterliedern der Frühzeit gab. Arnold beginnt den ganzen Abschnitt mit den Worten: „Es bliebe aber bey denen wahren jüngern Christi nicht alleine bey dem innerlichen kampff wider die feinde ihrer Seligkeit, sondern es kamen auch noch die andern arten der trübsalen dazu. Jene waren bey ihnen das rechte geheimniß des creutzes Christi, diese gehörte auch mit zu den mahlzeichen desselben: Alle bey de aber dieneten zu ihrer seligen reinigung und Vollendung."9 Nun belegt Arnold mit seinen Kirchenväterzitaten, wie diese 8 H. Ges.buch Nr. 423 „Wer überwindet, sol vom holz geniessen..." vgl. Hymnolog. Handbuch, S. 234. » Erste Liebe, S. 568.
319
Anfechtung zur Übung der Christen überaus nötig sei, wie sie die Leiden mit Freuden erduldeten und Gott ihnen die Kraft zum Uberwinden gab. Er erklärt ausführlich die Wortbedeutungen „Märtyrer" und „Bekenner" und schildert die Arten ihres Zeugnisses10. Und dann folgen ziemlich gehäuft über 6 Seiten verteilt einige Zitate aus Cyprians Episteln, in denen von Kampf und Streit biblischen Worten folgend die Rede ist. Hören wir diese Cyprianworte hier einmal ausführlich, da uns durch sie die Ausprägung der Streiteridee Zinzendorfs verständlich wird: „Als einsmals eine harte Verfolgung vor der thür war, schriebe ein weiser mann gar hertzlich an seine brüder: ,Es ist nunmehro ein scharffer und grausamer kampff vorhanden, worzu sich die kämpffer Christi mit unverrücktem glauben und grosser stärcke ausrüsten müssen. Das heißt aber mit Christo erfunden werden, wenn man ihm darinne folget, was Christus gethan und gelehret hat. Es will der HErr haben, daß wir uns in Verfolgung freuen und hüpffen sollen: Denn eben darinnen werden cronen des glaubens ausgetheilet, die kämpffer Gottes werden bewähret, die himmel stehen den märtyrern schon offen. Wir haben uns ja mit Christo nicht dergestalt verbunden, daß wir nur auf frieden dächten, und uns vor den kampff wehren solten. Der HErr selbst ist zuerst in den kampff getreten, als ein Meister der demuth, der gedult und leidens, und hat also zuerst gethan, was er uns zu thun gelehret hat. Ja er hat erst selber vor gelitten, was er andern zu leiden ermahnet hat. 1 " u Und ein anderes Zitat: „ O wer wolte dem todt nicht fröhlich und ohne furcht entgegen gehen, der in den äugen Gottes so werth geachtet ist? Er muß ja den äugen dessen gefallen, der auf die kämpffenden von oben herab siehet und an unsern kampff ein Wohlgefallen träget, audi darinnen uns beystehet, und nach dem sieg bekrönet." 12 Beachtenswert in der ganzen Gedankenwelt ist auch folgende Äußerung unter der Überschrift: „Ihr glaube brach durch alles durch": „ . . . daß sie kein schmertz aus ihrer festung konte fallend machen, sondern sie in einem unbeweglichen glauben starckmüthig hindurch brachen, was ihnen die feinde von reitzungen oder audi von drohungen entgegen gesetzet hatten." Und nun folgt der Beleg aus Cyprian: „Es war der feind hervor getreten, daß er mit seinem schrecken und gewalt das heer-lager Christi verwirren möchte. Allein er wurde mit gleicher macht abgetrieben, und fand so viel stärcke und tapfferkeit, so viel schrecken und furcht er angerichtet hatte. Zwar meynte er, er wolte die knechte Gottes unter sich werffen, und sie als junge und unerfahrne schüler, ja als unbedachtsame und unbereitete leute gleich zerschlagen. Er fiel zu erst nur einen an, wie ein wolff das 10 Erste Liebe, S. 589. « Erste Liebe, S. 600 f. nadi Cyprian, Ep. 32. 12 Erste Liebe, S. 600 nach Cyprian, Ep. 77.
320
schaaf von der heerde abzusondern. Er wurde aber durch den muntern glauben des vereinigten heeres abgeschlagen, und sähe, daß die Streiter JEsu Christi nüchtern sind und wachen, gewaffnet zum streit sich darstellen, und deswegen nicht besieget werden, audi nicht sterben, noch unterliegen. Denn sie fürchten sich gar nicht vor dem todt, wehren sich auch gar nicht gegen ihre feinde. О was war das vor ein herrlich schauspiel in Gottes äugen, und was vor freude ists in dem angesicht Christi und der gemeine?" 13 Dies mag an Hinweisen genügen. Wenn wir die genannten Cyprianzitate und Arnolds Darstellung des Martyriums als Teil der Heiligung lesen und dabei berücksichtigen, wie stark Arnolds Buch im alten Herrnhut beachtet wurde, dann wird uns klar, daß audi die Streiteridee ihrem Ursprung nach in den Versuch einer Abbildung der ersten Christenheit hineingehört. In der Verbindung des pietistischen Heiligungsstrebens mit der Vorstellung von dem Bekenner als Märtyrer liegt der Ursprung des Zinzendorfschen Streitergedankens. Das vorhandene Gedankengut mußte sich nun, als es in der Praxis des persönlichen und des gemeinsamen Lebens erprobt wurde, in ganz bestimmter Richtung weiter entfalten. Sowohl vom pietistischen Liedgut als audi von Arnolds Darstellung des Lebens der ersten Christen führt der Weg zurück zur Schrift selbst. Hier fand Zinzendorf ja die eigentliche Beschreibung des Apostolats. Er nahm, indem er vom Streit des Christen im Dienste seines Heilandes sprach, biblische Gedanken und Wendungen auf, um den Versuch zu machen, sie mit den Menschen seiner Umgebung und in seiner Zeit als gültig zu erfahren. Paulus spricht 1. Kor. 9,24 ff. vom Kampf um die unvergängliche Krone, in dem der Kämpfende sich „alles Dinges enthält" und seinen Leib bezähmt. In Hebr. 12,4 ist vom Kampf gegen die Sünde die Rede. Eph. 6,10 ff. heißt es: „Zuletzt, meine brüder, seyd starck in dem HErrn, und in der macht seiner stärcke. Ziehet an den hämisch GOttes, daß ihr bestehen könnet gegen die listigen anläuffe des teufels. Denn wir haben nicht mit fleisch und blut zu k ä m p f e n . . ." 14 In den Sendschreiben der Offenbarung wird von denen gesprochen, die „überwinden". Und Timo18 Erste Liebe, S. 603 nach Cyprian, Ep. ad Cornelium. Vgl. schließlich nodi S. 605: „Meine brüder, wir sind noch auf der weit, wir sind noch im streit begriffen, wir kämpffen noch täglich um unser leben . . . " Cyprian, Ep. 5. Arnold schrieb „von der märtyrer beständigkeit": „Als wir etwa von denen in Africa mit grosser Vergnügung lesen können, wie sie sich von keinem kampff haben abhalten lassen, vor keiner marter gefurcht, sondern vielmehr durch die pein zum streit erwedcet werden." Und er zitierte wieder Cyprian (Ep. 9): „Freylich müssen die Streiter Christi in dem heer-lager Gottes so beschaffen seyn, daß die unverrückte festigkeit des glaubens keine schmeicheley betrügen könne, keine drohungen schrecken, keine pein noch marter überwinden. Denn der ist grösser, der in uns, als der in der weit ist." (S. 605). 14 Die Bibelstellen werden zitiert nach: Cansteinsche Bibel von 1736.
321
theus wird ermahnt: „Kämpfe den guten Kampf des glaubens!" (1. Tim. 6 , 1 2 ) Nur auf den rechten Kampf folgt die Siegeskrone (2. Tim. 2,5). Wer so intensiv nach der Schrift zu leben versuchte wie Zinzendorf und seine Gemeinde, mußte auch von diesen Bibelstellen her sein Leben formen. Der Gedanke des Leidens im Kampfe Christi, in seiner Nachfolge ist ebenfalls biblisch: „Leide dich als ein guter Streiter JEsu Christi", heißt es im 2. Timotheusbrief (2, 3). „Darum so schäme dich nicht des Zeugnisses unsers HErrn, noch meiner, der ich sein gebundener bin; sondern leide dich mit dem evangelio, wie ich, nach der kraft GOttes." ( 1 , 8 ) Damit ist das Zeugnis in der Erwartung des Martyriums gemeint. Und hier wartet auf den Bewährten die „crone der gereditigkeit" (4, 8). Wichtig für das Verständnis des Christen als Streiter Christi ist aber vor allem der Zusammenhang von Hebräer 11 und 12. In die Kette der Glaubenszeugen, die in Hebr. 11 aufgezählt werden, mit ihrem Kämpfen und Siegen und mit all ihrem Leiden um des Glaubenszeugnisses willen (bes. 11, 32 ff.) sahen sich Zinzendorf und die Brüder hineingestellt. Manches Lied spielt darauf an. Der geduldige Lauf in dem uns verordneten Kampf (12,1 ff.) wird aber eigentlich erst wesentlich und unumgänglich, weil er in die Nachfolge Jesu Christi gehört, des Anfängers und Vollenders des Glaubens, „welcher, da er wohl hätte mögen freude haben: erduldete das creutz, und achtete der schände nicht, und ist gesessen zur rechten auf dem stuhl GOttes. Gedenket an d e n . . . " (Hebr. 12, 2 f.). Der Weg des Streiters ist der Weg des Jüngers in der Nachfolge Christi. Je mehr der Christ in das Bild seines Herrn hineingestaltet wird und je mehr Christus in ihm Gestalt gewinnt, desto ähnlicher wird der Weg des Jüngers dem seines Herrn. So etwa lautete schließlich der Kerngedanke der Streiteridee Zinzendorfs. „Es gehet ins gantze, daß ein Mensch in seinem Hertzen nicht anders denckt, als der Heyland; nicht anders redet, und sich alsdenn natürlicher Weise bezeiget, in allen seinem Thun, so wie der Heyland. Das heisset dem HErrn in Gedancken, Worten und Wercken nachfolgen", sagte Zinzendorf 1738 in seinen Berliner Reden an die Männer 15 . Eine Bibelstelle ist für den Streitergedanken der alten Herrnhuter Zeit sehr wesentlich geworden, die in der Brautmystik des Hohen Liedes ihre Bedeutung hatte. Im Hohen Lied heißt es ( 3 , 7 u. 8): „Siehe, um das bette Salomo her stehen sechtzig starcken, aus den starcken in Israel. Sie halten alle schwerdter, und sind geschickt zu streiten. Ein ieglicher hat sein schwerdt an seiner hüften, um der furcht willen in der nacht." Zinzendorf hat dieses Thema der 60 Starken um Salomos Bett wie15
Berliner Reden an die Männer (1738), S. 291.
322
derholt behandelt. Er hat es allerdings ganz im Sinne eines aktiven Kämpfertums für Christus ausgestaltet18. Auch die Mystik stand mit mancherlei Motiven hinter der Streiteridee. Eph. 6,15 schließlich zeigt uns, daß die Verbindung des Botendienstes der Brüder mit dem Gedanken des dem Christen aufgetragenen Kampfes ebenfalls aus der Schrift abgeleitet worden sein wird. Dort heißt es im Zusammenhang der Beschreibung der Waffenrüstung des Christen: „Und an beinen gestiefelt, als fertig zu treiben das evangelium des friedens, damit ihr bereitet seyd." In dem Augenblick, in dem man in Herrnhut den Kampf für Christus und um die Ausbreitung seines Reiches als den dem Gottesvolke aufgetragenen Streit in dieser Welt ansah, bezog man in übertragener Bedeutung in Herrnhut auch alttestamentliche Stellen, die vom heiligen Krieg sprechen, auf den Weg der Gemeine und ihrer Boten. Den heiligen Krieg sah man aber nun ausschließlich in der Verkündigung des Evangeliums Christi in dieser Welt und im Leiden um seinetwillen. Vielleicht war dies die wichtigste Ausprägung des Streitergedankens durch Zinzendorf, daß er ihn mit dem missionarischen Auftrag Christi verknüpfte. Nicht nur das Bild des Streiters bekam dadurch neue Züge, nein, auch der Missionsbefehl, wie er uns Mt. 28,18 ff., Mk. 16,15 ff. und Apg. 1, 8 überliefert ist, wurde in neuartiger Weise aufgenommen: eben als der den Jüngern Jesu Christi vor allem aufgetragene Dienst, der äußersten Einsatz und letzte Hingabe verlangt, der deshalb mit der Terminologie des Kampfes um den Sieg des Reiches Gottes belegt wird. Erst wenn man diesen Zusammenhängen der Streiteridee genügend Raum gegeben hat, kann man auch davon sprechen, wie es kommen konnte, daß gerade Zinzendorf sich des vorhandenen Gedankengutes in derartiger Weise annahm und es zur prägenden Formulierung des Dienstes der Gemeine in dieser Welt ausgestaltete. Hier mag der Reichsgraf in le Vgl. zum Thema der 60 Starken um das Bett Salomos: W. Bettermann, Theologie und Sprache bei Zinzendorf, S. 40 ff. und Uttendörfer, Mystik, S. 106 ff., die sich beide auf Reden Zinzendorfs über das Thema um die Jahreswende 1729/30 beziehen. „Danach sind die sechzig Starken je zwanzig Kräfte des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung, die jede gegen zwei einander entgegengesetzte Feinde zu kämpfen haben, die die Verbindung der Seele mit dem himmlisdien Bräutigam bedrohen könnten." (Uttendörfer, Mystik, S. 106). Die Reden haben ihren Niederschlag in 3 Liedern gefunden, die im Herrnhuter Gesangbuch unter Nr. 742 (Glaube), 744 (Liebe), 1022 (Hoffnung) stehen. Die Gedanken der Streiteridee finden sich vor allem unter den 20 Starken der Abteilung „Glaube". Zur Kennzeichnung sei hier der Anfang des Liedes über die Hoffnung wiedergegeben, Nr. 1022: „Die dritte Wach ums Bette Salomo, der Hofnungs-Held. / Steht auf ihr starken Salomo, w o seyd ihr Hüter seiner Liebe? / Allein welch Unverstand fragt so, ihr wacht in ew'gem Helden-Triebe. / Wir kennen die erfahrenheit der unerschrocknen GlaubensRitter, / der Liebes-Helden Freundlichkeit, die winket uns durchs Streiter-Gitter, / wo stehn die übrige des Königs Redliche, mit Hofnungs-Helmen auf den Köpfen? / die
323
ihm, der von edlem Rittergeschlechte abstammte, mitgesprochen haben. Er, der Graf, hat das Gedankengut des Streiters Christi aus dem Quietismus und dem auf sich selbst und seine Heiligung bedachten Pietismus heraus umgestaltet zum Dienstgedanken ausgeprägtester Aktivität. Hier liegt das echt Zinzendorfische an der Streiteridee der Brüdergemeine. Zugleich aber fand die Idee ihre organisatorische Formung im Leben der Herrnhuter Gemeine. Audi dies war neu, daß sich eine „Streiterschaft" in der Gemeine formierte und zum schnellen und äußersten Einsatz bereitstand. Wie sollte es anders sein, als daß dabei Gedanken und Ausdrücke einflossen, die aus dem militärischen Bereich des 17. und 18. Jahrhunderts stammten? Aber wenn sie gebraucht wurden, wurden sie biblisch umgeprägt und erhielten durch das ihnen unterlegte biblische Gedankengut erst ihre Bedeutung. Die täglichen „Losungen" sind dafür das eindrücklichste Beispiel (s. S. 222 ff.). Der Ausprägung der Idee in den Äußerungen Zinzendorfs und ihren Auswirkungen auf die Organisation der Herrnhuter Gemeine müssen wir nun noch nachgehen.
2. Die Ausprägung der Streiteridee bei
Zinzendorf
Es ist an dieser Stelle nicht möglich, die ganze Fülle der Äußerungen Zinzendorfs zur Streiterschaft des Jüngers Jesu in dieser Welt zu bringen. Die wesentlichen Aussagen zu diesem Thema sind andernorts nachzulesen1. Es geht hier nur darum, das Besondere dieses Dienstgedankens, der im alten Herrnhut so bestimmend wurde, an einigen Beispielen aufzuzeigen. Der Kern des Streitergedankens liegt, wie wir schon sahen, in der Vorstellung von der Nachfolge, ja Nachahmung Christi. Wenn man ihm gehört, sich ihm ganz überlassen hat, ist man zu jedem Dienst bis zum Einsatz des Lebens bereit. Aus der frühen Zeit haben wir, außer den Liedern, nicht viele Äußerungen. Aus zwei Tagebucheintragungen wird aber der Grundgedanke des Streiterdienstes, wie Zinzendorf ihn geprägt hat, sehr deutlich: Am 31. Okt. 1728 hielt Zinzendorf eine Ansprache, von der es im Herrnhuter Diarium heißt: „Der Hauptsinn ging dahin, der Gem. einzuprägen, wie alle rechten Anhänger u. Nachfolger Jesu imer auf sn. Ruf u. Wink parat stehen müssen, u. jeder, wen er hört, es soll was der Liebe gewagt, gemacht oder gearbeitet werden, soll gleich da sein u. sagen, welaufschrift zeiget sidi: Hier sdiwerdt des H E R R N und ich; / ein jeder hat sein feur im topfen." Der Gedanke der drei Helden stammt aus 2. Sam. 23, 8 ff.: die 3 Helden Davids. Uttendörfer (Mystik S. 107) gibt die Grundgedanken der Reden über den Glauben wieder.
324
eher unter uns allen, jeder soll der erste sein wollen; mit einem Wort, lauter Willigkeit zum Dienst des H . in allem sein."17 Wie Zinzendorfs Gedanken in den Brüdern nachwirkten, zeigt eine Eintragung Martin Dobers in sein Tagebuch am 5.9.1731. Von seiner Teilnahme an einer Konferenz berichtete er: „Ich hab dabei einen ungern11 Zug bekomen, als etliche Jahre nicht so stark gehabt, in Ansehung eines wahrhaften Streiters darauf los zu gehen, wo nur der geringste Nutzen vor den H . Jesus raus komt, u. Leib u. Leben, Hab, Ehr u. Gut u. Blut mag bleiben, wo es will. Deswegen ich auch etliche gebeten von Brr u. Schw. mir hierin Beständigkeit erbitten zu helfen." 17 Daß bei solcher Dienstgesinnung alles in den Dienst genommen und ihm unterstellt wurde, wird deutlich sein. Audi die Ehe wurde dem Dienstund Streitergedanken untergeordnet und wurde zur sog. „Streiter-Ehe". Zinzendorf selbst ist seinen Brüdern und Schwestern darin vorangegangen. Sein eigenes Hochzeitslied dichtete er 1722 ganz im Gedanken an die Streiterschaft Christi18. Es beginnt mit den Worten „Krön und lohn beherzter ringer, der Seligkeit herwiederbringer, HErr JESU, HERR der herlichkeit!..." Die Seligpreisungen der Bergpredigt stehen dahinter, z.B.: (4) „Selig sind, die leide tragen, sie sollen trosts genug erjagen, ihr herzog gieng den weg voran: stieg er auf durch creuz und leiden; so wil er uns den kelch bescheiden, der ihm hienieden gut gethan, uns ist in dieser zeit kein feier-tag bereit, hier gilts weinen; beim lammes mahl ist keine quaal; wir aber gehn durchs jammerthal." Und dann folgt gegen Ende des Liedes die oft zitierte Strophe: (14) „Laß uns ritter-mäßig ringen, durch tod und leben zu dir dringen, als Feld-HErr trit ins erste glied, das ist so ein ritter-rennen, da wir noch manchen beiden kennen, der mit uns auf die bahne zieht, das kleinod ist es wert, daß man es ganz begehrt, es ist unser, wir sprechen schon im hohen ton: was gilts, wir bringen es davon." 17
Beide Zitate unter den genannten Daten im H. Diar. 18 H. Ges.buch Nr. 860, vgl. Hymnolog. Handbuch, S. 170.
325
Lassen wir hier gleich noch ein anderes Lied aus der Frühzeit folgen. In Dresden dichtete Zinzendorf im Februar 1727 sein Lied „Der glaube bricht durch stahl und stein.. ," 1 9 . Von den Starken um Salomos Bett ist hier die Rede: (4) „Die starken um des Salomo des Königs ehrenbette, die weichen nicht, wie leichtes Stroh sie stehn, als eine kette; sie stehn, und schweifen nirgends hin, was aber an sie fället, das wird vor seinen frevel-sinn von ihrer kraft zersdiellet." Dann spricht das Lied von den Streitern. Sind noch die Helden Glaube — Liebe — Hoffnung und ihre Vasallen gemeint oder bereits die Jünger Jesu in ihrem Kampfe? (5) „Gelobet sey die tapferkeit der Streiter unsers Fürsten, verlacht sey die Verwegenheit nach ihrem blut zu dürsten. Wie gut und sicher dient sichs nicht dem ewigen Monarchen; im feuer ist er Zuversicht, vors wasser baut er archen." Sofort ist hier auch die Verbindung zum Zeugendienst da, der seine Krönung im Leiden um des Herrn willen findet: (6) „Und wenn denn treue zeugen sehn, worauf sies leben wagen, so woln sie oft nicht wiederstehn, und lassen sich erschlagen. Sie mögen der erlösung nicht, die sie vorm leiden birget; um jener Auferstehung licht ist mancher gern erwürget." Wenn wir dieses Zinzendorflied lesen, werden wir an das erinnert, was wir im ersten Abschnitt an verschiedenen Quellen des Streitergedankens genannt haben. Im alten Herrnhut formte nun der Streitergedanke das Leben der Gemeine und er wiederum wurde durch die Erfahrungen in bestimmter Richtung ausgeprägt: er betonte den Streit für das Reich Christi durch den Botengang in alle Welt. Wir sagten bereits, als wir die ersten Lebensgemeinschaften der Ledigen beschrieben, daß der Streitergedanke in ihnen die empfänglichsten Herzen fand. Die Lebensgemeinschaft der „jungen Pursche" war 1728 ja geradezu auf das Ziel hin begonnen worden, daß die jungen Männer einmal für den besonderen Dienst der Boten vorbereitet würden. In einem Lied auf die verschiedenen Stände (v. 1728) sprach Zinzendorf sie an: „Jünglings-Schaar, wo schäumt dein eifer vor des Herrn sein ganzes hauß, speist du allen unflat aus, eckelt dir vor satans geifer?
1 9 H. Ges.buch Nr. 513, vgl. Hymnolog. Handbudi, S. 97. Auffällig ist der Anklang an Gottfried Arnolds Wendung: „Ihr glaube brach durch alles durdi", die er als kleine Übersdirift über einen Abschnitt setzte, der von der Leidensbewährung der „Streiter Jesu Christi" redet (Erste Liebe, S. 603).
326
kämpfst du bis aufs blut und leben, dringst du ein in GOttes reich, wirst du weder mat noch weich? nun das wolle JEsus geben. Selig sind die zu löwen erzogen und muntere löwen geblieben sind."20 Das Bild des Löwen steht für das Streiterideal. Und dann bekam die Streiteridee mit den ersten Berichten von den Missionsstationen Farbe und Deutlichkeit: „Wo seyd ihr, ihr Schüler der ewigen gnade, ihr creuz-genossen unsers HErrn, wo spüret man eure geheiligte pfade, so wol daheim als in der fern. Ihr mauer-zerbrecher, wo sieht man euch die felsen, die löcher, die wilden sträuch, die inseln der heiden die tobende wellen, sind eure von alters bestimmete stellen." Zinzendorf hatte das Lied 1735 oder 1736 zu einem Liebesmahl der ledigen Brüder gedichtet. An die noch in Herrnhut Weilenden wandte er sich mit den Worten: „Hier ruhet ihr, um einmal lasten zu tragen, hier eßt ihr, daß ihr fasten könt, hier lernet ihr, um Lectionen zu sagen, ihr wartet bis das Feuer brent, das feuer von oben, wo euer Fürst, zur zeit seiner proben, darnach gedürst, gebt Achtung, es ist auf die Erde gefallen, das zeichen erscheinet, der Heer-zug sol wallen." 21 Solche Lieder haben natürlich ihre Wirkung nicht verfehlt. Das Lied schließt mit den werbenden Worten: „ . . . hier hast du uns, alle nicht, aber doch viele, und alle sind deine unfehlbare ziele." Dieses Werben um alle zur Streiterschaft klingt auch aus dem Liedvers: „Wir binden alle Schwierigkeit auf deinen heldenrüken, hingegen woln wir uns erfreut zu deinem joche schiken nur ruhe nicht mit geist und kraft bis du die brüder all beredst zu deiner ritterschaft, das war uns ein gefalle." 22 20 H. Ges.buch. Nr. 722, 5. 21 H. Ges.buch. Nr. 1069, 2 u. 3, vgl. Hymnolog. Handbuch, S. 210 f. 22 H. Ges.buch Nr. 1049, 8 nach Hymnolog. Handbuch, S. 114 f., 1735 zu einem Liebesmahl gedichtet.
327
Woher der Zeugeneifer kommt, hat Zinzendorf sehr klar in einem Geburtstagslied f ü r Heinrich X X I X . Graf Reuss im November 1733 ausgedrückt: „Was gibt man dem theuersten Fürsten der Herzen? womit bezeugt man seinen dank? die schulden der liebe die machen uns schmerzen, die Dienst-begierde macht uns krank, H E r r JEsu! wir haben nie viel gehabt, mit eigenen Gaben wirstu begabt. Hie hast du uns: wilt du was bessers: so eile, und mach aus uns reine und treffende Pfeile." 28 Das gilt sicher audi f ü r alle andern Dienste in der Gemeine: aus Dank für erfahrene Liebe geschehen sie. Man gibt Jesus zurück, was er uns gab. Man setzt Jesu Geschenke ein zu seinem Dienst. Der Erlöste kann nidit untätig bleiben. Er muß etwas für Christus wagen und tun. 1736 hat Zinzendorf dies für die Gräfin Theodora Reuss gedichtet. Nachdem er von der Ruhe und dem kindlichen Lachen im Schutze des Herrn gesprochen hatte, fuhr er fort: „Dodi woln wir uns auch wagen in unsern tagen der ruhe abzusagen, die's thun vergist: wir woln nach arbeit fragen, wo welche ist; nicht mehr am amt verzagen, uns frölich plagen, und unsre steine tragen aufs bau-gerüst'. Gesegnet seyn die bände vom diener-stande; sie sind der thoren schände, bey uns geehrt.. ."24 Früher schon, zur Hochzeit Kriegelsteins mit Anna Gold im Jahre 1733, war die Strophe entstanden, die man später zur obigen gesellte. Sie zeigt uns, wie Zinzendorf ebenso wie Christian David in seinem Bericht von Streiterzeit und Ruhetag wußte: „Die liebe wird uns leiten, den weg bereiten, und mit den äugen deuten auf mancherley, obs etwa zeit, zustreiten? ob rasttag sey? wir sehen schon von weiten die grad und Zeiten, von unsern Seligkeiten, nur treu, nur treu." 2ä Lassen wir es an Liedern genug sein. Die Zahl ähnlicher Strophen ist groß. Es muß durch die Erfahrung, daß nicht jeder Bruder sich von Herrnhut f ü r den ganzen Streiterdienst lösen konnte, gekommen sein, daß Zinzendorf in den letzten Jahren der von uns zu betrachtenden Zeit den Gedanken mehr und mehr betonte, man müsse zum Streiter einen ausdrück23 H. Ges.budi Nr. 810, 4, vgl. Hymnolog. Handbuch, S. 101. 24 H. Ges.budi Nr. 1079, 3 u. 4. Das Lied beginnt „Du blut-verwante liebe . . .", vgl. Hymnolog. Handbuch, S. 102 u. 105. 25 H. Ges.budi Nr. 829, 1, vgl. Hymnolog. Handbudi, S. 102.
328
liehen Ruf haben. Er teilte die Gemeine, wie wir im einzelnen noch sehen werden, indem er die sog. Streitergemeine aussonderte. Er kam auch in den Berliner Reden an die Männer (1738) darauf, daß der Streiterdienst nicht allen Christen auferlegt sei. Für alle galt: „Von der Stunde an, da Seelen Gnade haben, sind sie im Dienst des H e y l a n d e s . . . So bald man Zeit vor sich hat, muß man von der Gnade zeugen, dem Creutze dienen, und als ein Triumph des Lammes leben." 26 Aber dann unterschied Zinzendorf: „In Ansehung der Sachen, die der Heyland in seinem Reich den Menschen zu thun giebt, sind sie sehr unterschieden, sonderlich aber sind sie zweyerley Art. Es giebt Menschen, die der Heyland auf die gewöhnliche Art braucht, und in denen Dingen, die man so bürgerlich nöthig hat, sich beschäftigen lässet. Die können noch alles, was sie thun, ihm thun, und in der That gläubige und begnadigte Christen seyn. Es giebt aber auch Menschen, die er auf eine besondere Art zu seinem Dienst bestimmet. Die heissen Jünger." 28 Wie Zinzendorf diese Jüngerschaft verstand, hatte er schon 1737 in den Frankfurter Gelehrten Zeitungen erklärt: „ D a s ist die Jüngerschafft, das ist dieselbe Aehnlichkeit J E S U Christi, wenn einer, da er wohl könte Freude haben, das Leid erduldet, und der Schande nicht achtet. Es ist eine Art Menschen, die ihre Glückseligkeit ohngefehr in 4 Stücke setzen: 1. Gering, verachtet, geschmähet, oder übersehen und vergessen zu werden in dieser Welt. 2. Alle Sinne, die sie nicht brauchen zum Dienst ihres HErrn, zu versäumen, und zu vernachläßigen, und wenn ja eine Empfindung seyn soll, den Schmertzen lieb haben, weil er eine Aehnlichkeit machet mit ihrem HErrn, einem Mann voller Schmertzen und Kranckheit um unsert willen. 3. Entweder nichts zu haben, oder, was sie bekommen, wieder wegzugeben, und allenfalls bey dem Besitz der Reichthümer dieser Erden nicht roth werden zu dürffen, wenn sie lesen, daß der Heiland in den sie verliebt sind, kein Kopf-Küssen hatte, das seine war. 4. Taglöhner-mäßig zu arbeiten, nicht um Verdiensts, sondern um des Beruffs und um der Sache des HErrn willen, und ihres Nächsten. Das sind so die Leute, wie sie der Heiland in seinem Geschäffte brauchet, und die dasjenige, was die andern Christen Verleugnung heissen, gantz unafFectirt ihre Passion nennen k ö n n e n . . . Der Streiter-Sinn ist eine Natur. Man thut ehe man denckt, und man hats schon wieder vergessen, so bald man gethan hat." 2 7 » Berliner Reden an die Männer, 1738, S. 159. 27 Büd. Samml. I, S. 326 ff. 2
329
Aber diese Jüngerschaft bleibt freiwillig. Ausdrücklich betonte Zinzendorf das 1738 in den Berliner Reden an die Männer: „ . . . die Zeugen- und Jüngerschafft ist eine gantz freywillige Sache, und macht man billig einem, ein Zeuge und Nachfolger des Heylandes zu werden, eher Schwierigkeiten, als daß man jemand dazu beordern s o l t e . . . Es wird nicht von einem jeden gefordert, daß er alles verlassen, sich zum ausdrücklichen einigen Dienst JEsu aufopfern soll, mit Hindansetzung aller äusseren Umstände Seelen zu JEsu bringen, ein Bote und Diener des Evangelii werden. Denn auch bey wahren Kindern GOttes gehört dazu eine besondere Gnadenwahl und Aufruffung, und der Heyland muß denen, die er dazu braucht, göttliche Geschicklichkeit mittheilen... Denn da will der Heyland uns gantz haben, da muß alles bey Seite liegen, nicht nur Ehre, Gemächlichkeit, Profit, ehrlicher Nähme, Vergnügen, äussere Glückseligkeit, und alles, woraus man sich in der Welt etwas zu machen pflegt, sondern auch alles natürliche und in seiner Ordnung geheiligte Gute, was nicht zur Jüngerschafft bräuchlich ist. Hingegen muß JEsu Schmach, Spott, Verachtung und Armuth, unsere Sache gar w e r d e n . . . Aber das steht nicht einem jeden an, das ist nicht jedermanns Ding." 2 8 Es könnte bei alledem, was der Zeuge und Streiter Christi zu erleiden hat, der Eindruck entstehen, als wäre dieser besondere Dienst für den einzelnen eine schwere Last. Wir müssen darum hier noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen, daß für Zinzendorf und die Brüder der Dienst von der Freude her gesehen wurde, und zwar von der Freude her, dem Herrn folgen und in seiner Nähe leben zu dürfen. Zinzendorf betonte dies stark in den Berliner Reden an die Männer: „ O ! Was ist das vor eine Gnade, Christo zu dienen, und es mit Lust zu t h u n . . . W e n n . . . der Mensch einmahl den Heyland erfährt, so hält ers für ein Glück, nichts zu seyn, nichts zu geniessen, nichts als ein Eigenthum zu besitzen. Also will ein Christ nichts anders, als heilig seyn, und hält sichs für eine Ehre, dem Heyland in allen Dingen ähnlich zu werden, in seiner 28 Berliner Reden an die Männer, 1738, S. 2 0 9 f. E r fuhr fort: „Denn wie der H e y land freywillig bey uns gewesen, so müssen wir auch freywillig bey ihm seyn, und dergleichen Knechte haben ein besonderes Zeugen-Glück, Seegen und Wunder-Kräffte, wenns nöthig ist, aber audi erhungern, ausgepeitscht, geschunden werden, ist bey ihren Umständen nichts neues und unanständiges." Hier scheint Zinzendorf u. a. an den Sdiluß von Hebr. 11 gedacht zu haben. Ausdrücklich wies er bei anderer Gelegenheit auf diese Bibelstelle hin: „. . . die eigentlich so genannte Soldaten sind, die Jünger, die Menschen, die sich an JEsum zu Knechten und Mägden auf ewig verkaufft haben, und weder Ort, noch Person, noch Beruff, noch Gefahr, noch zu praetendirendes Recht oder Billigkeit, mehr anzusehen haben, sondern eben mit Leib und Leben, Gut und Blut, da stehen zum Gebrauch zu Wasser und Land, Leben und Tod, (Ebr. X I . 2. Cor. X I . ) " aus „Bedencken an die Gemeine zu Berlin, wegen ihrer Gemeinschafft" v. Aug. 1738, in Theol. Bedenken S. 161.
330
Schmach, Armuth, Niedrigkeit, und siehts nicht an, als eine gesetzliche Pflicht, sondern es ist sein eintziges Vergnügen, sein Element, sein Leben, seine Freude, sein wahres Glück, wenn er Christi Joch auf sich nehmen, und ihm nachtragen darff." 2 9 In einer anderen Ansprache in Berlin ging er dagegen an, als diente man um eines Verdienstes bei Gott willen: „Die Leute dencken: Wer dem Heyland dienet, der wird selig. Wer ihm aber nicht dienet, der gehet verlohren. Allein der Heyland hat uns alle gute Thaten und Dienst-Erweisungen bloß aus Gnaden und Barmhertzigkeit, aus einer Liebes-vollen Condescendentz erlaubet. GOttes Werck würcken ist eine Gnade für eine Seele. . . . Es ist nur ein einziges Verdienst, dessen man hier und dort erwehnen wird: Du bist erwürget, und hast uns geliebet, und gewaschen von den Sünden mit deinem Blut. Ofifenb. Joh. 1, 5." 3 0 Immer wieder kehrte Zinzendorf zu dieser Mitte und zu diesem Ursprung allen Dienstes zurück: zur Hingabe Jesu für uns am Kreuz. Die Rechtfertigungslehre war bei ihm der Schlüssel zur Heiligungslehre. Damit ist er im Zentrum evangelischen Glaubens geblieben. Alle Aktivität und aller Drang zur Tätigkeit für Christi Reich ist Dienst aus Dank und Liebe zum Gekreuzigten. Vielleicht konnte Zinzendorf deshalb so viel von sich und seinen Brüdern verlangen, weil ihnen der Gekreuzigte und sein Verdienst so eindrücklich vor Augen stand und weil die Liebe zu ihm als ihrem Heiland sie nicht untätig bleiben lassen konnte. Insofern ist die Unterschrift unter jenem Bild des Dorngekrönten, das der junge Graf in der Düsseldorfer Bildergalerie 1719 sah, die Lebensfrage für ihn geblieben und für die Brüder geworden: „Ego pro te haec passus sum; Tu vero, quid fecisti pro me?" (Ich habe dies für dich gelitten. Du aber, was hast du für mich getan?) 31 Diese Frage, ob ausgesprochen oder unausgesprochen, war das Herz der Dienstgesinnung und des Diensteifers im alten Herrnhut 32 . Wir möchten die Wiedergabe der Aussagen Zinzendorfs, die er über die Streitersache machte, nicht abschließen, ohne ihm selbst noch einmal das 2» Berliner Reden an die Männer 1738, S. 208 f. 8 0 Berliner Reden an die Männer 1738, S. 163 f. S 1 Vgl. Steinecke, Zinzendorfs Bildungsreise, S. 9 f., zit. n. Urner, Quellen. Der Pietismus, S. 62. 3 2 Später drüdcte Zinzendorf dies so aus: „Unser Feldherr ist auch im Streit fürs Vaterland geblieben, er hat im Erliegen gesiegt, und unser höchstes Triebwerk, der stärkste Ressort unserer Maschine, das perpetuum mobile bis zur grossen Ruhe ist der T o d unsers Herrn, des unvergesslichen Märtyrers für uns." J H D . , 13. 9. 1758 nadi U t tendörfer, Lebensideal, S. 223.
331
Wort zu einer Zusammenfassung zu geben. Wieder ist es sein Eventualtestament von 1738, das uns auch zu diesem Thema zusammenfassend seine Gedanken in der von uns geschilderten Zeit bietet: „Die Streiter-Sache ist das Geschafft JEsu Christi auf seinem Erdboden, wozu sich gewisse von Ewigkeit vorerwählte, in der Zeit geruffene, mit dem Streiter-Sinn angethane, Seelen dergestalt widmen, daß sie Essen und Trincken, Schlaffen, Nothdurfft, ehrlichen Nahmen, Zeit und Kräffte, und alles dran spendiren, und zwar, weil sie nicht anders können, mit einem solchen einfältigen Hertzen, daß ihnen nicht einfällt, es anders zu machen, daß sie bey mehrerer Wahrnehmung ihrer selbst Unruhe hätten, bey der Mühe und Last aber frölidi und lichte sind, sich auch keine Merite draus machen, sondern die Zeugen-Sache treiben, wie der Fisch das Schwimmen, und das Wasser das naß machen. Es liegt in solchen Hertzen ein inniges Gefühl von der Treue und von dem Verdienst JEsu, und seinem gantzen heiligen Wandel auf dieser Welt. Man pflegt von gewissen Leuten zu sagen, sie fallen nie ohne Vortheil von der Banck. Die Streiter wissen alle äusserliche Dinge, auch die geringsten, so einzufädeln, daß sie einen gewissen Profit vor ihren HErrn draus ziehen, sonst lassen sie sich damit unverworren. • Das Glauben auf Hoffnung, da nichts zu hoffen ist, das ist ein bey der Streiter-Sache täglich vorkommender Fall." 33 Später konnte sich Zinzendorf kritisch über die Streiteridee äußern, vor allem während der sog. Sichtungszeit34. Jedoch ist die im Streitergedanken zum Ausdruck kommende Dienstgesinnung audi zu späterer Zeit festzustellen, wenn das Streiterideal auch nicht in der alten ausgeprägten Form lebendig blieb. Die Streiteridee ist wirklich der Dienstgedanke, der zum alten Herrnhut gehört35. 83 Theol. Bedenken, S. 184. 34 Vgl. Uttendörfer, Lebensideal, S. 208 ff. Auch 1752 stellte er das Kind Gottes über den Streiter: „Man hat ehedem die Idee gehabt, ein Streiter sei mehr als ein ordinäres Kind Gottes. Jetzt aber ist unsere Erkenntnis: Zwanzig Streiterehren weichen der Würde, ein Kind Gottes zu sein." (R 2, Α 32a, 4. v. 17. 5. 1752 zit. n. Uttendörfer, Lebensideal, S. 209). 85 1759 allerdings sdieint Zinzendorf wieder die ganze Gemeine als Streiter Christi gesehen zu haben: „ich merke, daß nicht allein die Welt irre ist in puncto der Streiter Sache, sondern daß wir sie audi unter uns noch nicht recht verstehen. Der Regel nach wird ein ieder Bruder, der bey uns in die Brüdergemeine aufgenommen wird, ipso hoc ein Streiter Jesu Christi. U. was nicht ein solcher Streiter Jesu Christi ist, das ist an und für sich ein Diaspora Man, er mag wohnen, wo Er will, drinnen oder draußen. Das sagt nicht, daß die Leute in der Diaspora schlechter wären als in der Gemeine, sondern daß die Br. u. Schw. in der Diaspora Gottes Menschen seyn sollen auf eine andere Arth, u. was zur Br. Kirche gehört, wieder auf eine andere. Was das Wort Streiter Jesu Christi betrifft, so heisst das nichts anders, als resolvirt sein bei dem Mane ( = Jesus), u. seiner Familie zu halten, u. dem zu dienen. Er mag einen zum Aschenbrödel oder zum Räucherer brauchen, oder wozu Er sonst will, wen
332
3. Die Auswirkungen der Streiteridee auf die Organisation der Herrnhuter Gemeine Interessant ist es nun zu verfolgen, wie der Streitergedanke im Laufe der Entwicklung auf die Organisation der Gemeine einwirkte. Es kam, um den Weg kurz zu kennzeichnen, dazu, daß sich innerhalb der ortsansässigen Herrnhuter Gemeine eine Schar von Menschen formierte, auf die schließlich die Beschreibungen der Streiterschaft Christi ausschließlich zugeschnitten zu sein scheinen. Wir sahen schon bei der Darstellung der Gedanken Zinzendorfs, daß er von seiner ursprünglichen Meinung, alle seien zu Streitern berufen, später abgewichen ist, indem er für den Streiter Christi eine besondere innere Berufung verlangte. In der sog. „Streitergemeine" fand dieser innere Ruf in der Gemeindeorganisation dann seine äußere Bestätigung. Ganz ohne Frage haben bei dieser Entwicklung auch von außen kommende Umstände mitgewirkt. Es ist ja auffällig, daß die Aussonderung der Streiter zur sogenannten „mährisdien Streitergemeine" erfolgte, nachdem die erste Untersuchungskommission 1732 in Herrnhut gewesen war und zur Besorgnis berechtigten Anlaß gab, wie lange Herrnhut seine bisherige Entfaltung würde weiter fortsetzen können. Auch sonst wurden in diesen Jahren mehr und mehr Angriffe gegen die Siedlung am Hutberg und gegen ihre Einwohner und Boten gerichtet, so daß die Frage aufkommen mußte, ob sich die Gemeine mit ihren vielen Sonderformen innerhalb der lutherischen Kirche des Landes würde halten können. Zinzendorf wollte es gern, aber er bereitete sich doch für den Fall vor, daß er mit denen, die dazu mit ihm bereit wären, emigrieren müßte. Er selbst wurde ja Anfang 1733 zum ersten Mal des Landes verwiesen, wenn dann auch praktisch nichts aus der Ausweisung wurde88. Das Tübinger Bedenken von 1733 schließlich schien ihm die Rechtfertigung dafür in die Hand zu geben, daß er zu einer stärkeren Ausprägung mährischen Kirchentums, wie er es verstand, innerhalb der lutherischen Kirche kommen konnte. Aber dies waren nur den Vorgang fördernde Momente. Die eigentliche Triebkraft zur Aussonderung einer Schar, die zu jedem Dienst bereit stand und sich auf die Pilgerschaft in dieser Zeit vorbereitete, lag in der Vorstellung der Streiterschaft. Eine in dieser Weise ausgeprägte Nachman ihm nur dienen kan, man mag keinem andern dienen, daher wen sich einer in den principiis festgesetzt hat, so kan Er vom Heyland sehr genuzt werden" (Rede am 9 . 1 1 . 1759 in der 45. Woche des JHD, zit. n. R 2 A 43b II, 17. Sammlung von SynodalIdeen). 3 6 Vgl. dazu Beyreuther, Zinzendorf III, S. 22 u. 54; Renkewitz, Zinzendorf, S. 47 f.; Müller, Zinzendorf als Erneuerer, S. 44 ff. Nach dem königlichen Rescript vom 28. X . 1732 sollte sich Zinzendorf nach Verkauf seiner Güter binnen 3 Monaten aus Sachsen wegbegeben.
333
folgeethik mußte zu ganz enger Gemeinsdiaftsbildung führen, die einem Orden nahe kam. Solange Herrnhut selbst ein „Pilgerort", ein „Pella", eine Zufluchtsstätte Verfolgter oder geistlich Heimatloser war, konnte sich dieses Gemeinschaftsideal auf die ganze Gemeine erstrecken: alle sollten Streiter Christi sein. Je mehr aber das Gros der Ansiedler seßhaft wurde und der Ort sich festigte, desto mehr drängte das Streiterideal nach einem engeren Zusammenschluß innerhalb der Gesamtgemeine. Hinzu kam die Erfahrung der ersten Boten, die von 1732 an in fernen Ländern weilten. Heidenmission verlangte denn doch noch mehr Einsatz als Botendienst im eigenen Lande. Und es kam dazu die Erfahrung, daß bei aller Dienstbereitschaft der Gesamtheit der Glieder der Gemeine doch nur eine bestimmte Gruppe führender Brüder und Schwestern die besonderen Dienste in der Gemeine, die mit ganzer Selbsthingabe verbunden waren, zu übernehmen in der Lage war. Gehen wir der Entwicklung im einzelnen nach. a) Die Aussonderung einer
Streiterschaft
Hingewiesen sei hier zunächst noch einmal auf die Bildung der Lebensgemeinschaft der ledigen Brüder im Februar 1728. Wir sprachen im 2. Kapitel ausführlich davon (S. 109 ff.). Der künftige Botendienst war hierbei schon im Blick. In der Gemeinschaft sollten die Brüder für ihren Einsatz zugerüstet werden. Der Streitergedanke fand darum unter den ledigen jungen Männern einen besonders guten Boden. Weiter muß die Einteilung in die kleinen Classen nach dem Gesichtspunkt des geistlichen Fortschreitens genannt werden, die 1731 durchgeführt wurde. Audi davon war schon ausführlich die Rede (Kap. 2, S. 99 ff.). Die Classe der „Jünglinge" oder „Jünger", zu der zu gehören das Ziel des inneren Fortschreitens war, war die Gruppe der zur Streiterschaft Christi bereiten Brüder. Die Beschreibung der „Jünglinge" in dem Brief Martin Dobers vom 23. 6i 1731, den wir S. 101 f. zitierten, ist ja die eines Streiters Christi, wie er uns sonst geschildert wird. Dazu kam nun der Botendienst selbst. Die Erfahrungen zeigten, daß man nur ganz erprobte Brüder auf Botschaftsreise schicken konnte. Man mußte planen und überlegen, wer aus der Gesamtgemeine für solchen Dienst in Frage käme. Der persönliche Drang zum Einsatz mußte bei jedem einzelnen geprüft werden, und ihm wurde nur stattgegeben, wenn das Los ihn als Berufung bestätigte. Einzelne Boten hatten ihre Streiterschaft in Verfolgung und Gefängnis zu bewähren. Zu den erfahrenen „Streitern" wurden dann jüngere Brüder gegeben, die als Begleiter lernen sollten. Es konnten auf Reisen auch nur Brüder geschickt werden, die sich für eine gewisse Zeit von ihrem Erwerb und ihrer Familie zu lösen in der 334
Lage waren. Dies wurde vor allem deutlich, als die Reisen dann bis nach Amerika und Grönland ausgedehnt wurden. Es erwies sich weiter, daß dieser Zeugendienst besonderer Gaben bedurfte, die nicht jedem gegeben waren. Man verstand, daß der Herr seine Jünger verschiedene Wege führte, daß er den einen im treuen Dienst daheim benötigte, den andern aber im Einsatz in der Ferne. In diese Erfahrungen der Gemeine hinein kam einerseits die erste Untersuchung der Regierung 1732 und die damit verbundene Erregung. Das am 1 3 . 4 . 1 7 3 3 ausgestellte Gutachten der Tübinger theologischen Fakultät bejahte andererseits ausdrücklich die Frage, ob die Mährische Brüdergemeinde bei ihren Einrichtungen verbleiben und dennoch ihre Konnexion mit der Evangelischen Kirche behaupten könne37. Die Vorsicht, die einerseits in Zukunft geboten war und die Gewißheit, die Zinzendorf andererseits gegeben worden war, veranlaßten ihn zu einem für die Zukunft wichtigen Schritt: Der Gemeinrat beschloß am 29. August 1733, die Gemeine in zwei Teile zu teilen, in eine mährische Gemeine, die fest bei allen ihren Einrichtungen bleiben sollte, und eine „fremde" oder „neue" Gemeine, die die sog. mährischen Einrichtungen nicht ohne weiteres behalten sollte. Martin Dober schrieb darüber ins Tagebuch: „Zu ersterer (der mährischen Gemeine) gehören Brüderexulanten; sie bleiben in ihrer Verfassung, machen sich aber gefasst, wenn man sie im Lande nicht dulden will, dieselbe in jedem andern Zufluchtsort fortzusetzen . . . Denjenigen Einwohnern, die nicht aus Mähren sind, soll mehr Freiheit gegeben werden, ob sie unter der mährischen Brüderverfassung stehen wollen, oder nicht. Man will ihnen soviel als jenen nicht zumuten, sie von den Leiden der mährischen Brüder befreien, doch aber suchen, ihnen soviel Erweckung als möglich zu machen. Sie sollen besondere Versammlungen und Arbeiter haben.. ." 3 8 Beide Teile der Gemeine bekamen wirklich ihre eigenen Ämter. Leonhard Dober wurde Ältester der Mährischen Gemeine, der Arzt Kriegelstein wurde Ältester des anderen Teils. Allerdings bezog sich Dobers Amt als Generalältester letztlich auf beide Teile. Es erscheint jedoch fraglich, ob das ursprünglich gewollte Einteilungsprinzip nach der geographischen Herkunft je Bedeutung gewonnen hat. Praktisch blieb die ganze Gemeine bei ihren gemeinsamen Einrichtungen. Aber eine Teilung bildete sich von hier aus nach inneren Gesichtspunkten heraus: es erschien die Bezeichnung „mährische Simiergemeine". In sie konnten auch andere aufgenommen werden, die nicht im engeren Sinne Mähren und Exulanten waren. Aus der Vorsichtsmaßregel wurde also 8 7 Vgl. Müller, Zinzendorf als Erneuerer, S. 44 ff. zur Kommission und S. 46 ff. zum Tübinger Bedenken. 88 Martin Dobers Diarium MS. zit. n. Müller, Zinzendorf als Erneuerer, S. 50.
335
etwas ganz anderes. Wer bereit war, im Entscheidungsfall wieder auf Wanderschaft zu gehen, um das erfahrene Gemeinschaftsleben weiterzuleben und im Dienste Christi ganz aufzugehen, der wurde in die mährische Streitergemeine aufgenommen 39 . In den Naturellen Reflexionen ging Zinzendorf später selbst einmal auf diese Teilung der Gemeine ein. Er schrieb, es sei „gleich nach erhaltenem Tübingischem Bedenken, eine ordentliche und jedermann bekannte Scheidung der Gemeine der Mährischen Brüder und der darunter sortirenden Convertirten von andern Religionen an einem, dann der ersten Evangelischen Leute in Herrnhuth am andern Theil, unter dem Namen der alten und neuen Gemeine, besorget worden. . . . die beyden Divisionen bekamen diverse Arbeiter, diverse Ältesten, Vorsteher und Diener." Wichtig für uns ist dabei der folgende Satz, der das Ideal des Streiters Christi ausdrücklich in dem mährischen Teil verwirklicht sieht: „Die alte Gemeine wurde aufs Bleiben und sich Gottselig nähren angewiesen; die Mährischen Brüder richteten sich aufs Pilgern und Bedienen der Kirche GOttes in aller Welt e i n . . . Und so gingen hoc Anno 1733 die freywilligen Emigrationen, Verschikkungen und Heiden-Plane an, sonderlich die Mohren-Bekehrung, die Mission nach Stra.-David, die Colonie nach St. Crux etc." 40 Wir sehen also, wie der durch äußeren Anlaß entstandene Plan, einen ursprünglich mährischen Teil aus der Gemeine herauszusondern, vom Gedankengut der Streiterschaft Christi umgeprägt wurde. Die Streiteridee mußte bei der Organisationsfreudigkeit Zinzendorfs in irgendeiner Weise Gestalt gewinnen in einer gekennzeichneten Gruppe innerhalb der Ge8 9 Vgl. Pütt, Denkwürdigkeiten § 168, Bd. 2, S. 105. „Leonhards Amt bezog sich auf beide Gemeintheile, als welche ,nur in Verfassung u. Einrichtung verschieden, im inern Grunde eins sind; wie den auch andre in die mährische Streitergemeine könen aufgenomen werden." — Bei der Vernehmung der Gemeine vor der zweiten sädisischen Untersuchungskommission im Mai 1736 spielte die ursprüngliche Einteilung nodi eine Rolle: „Nachher wurde mit Vernehmung der Aeltesten des evangelischen u. des mährischen Gemeintheils der Anfang gemacht. Kriegelstein war von 8—12, Leonhard von 2 bis 5 v o r . " (Plitt, Denkwürdigkeiten § 177, Bd. 2, S. 216). 40 Naturelle Reflexionen, S. 153 f. Beim Ebersdorfer Synodus 1739 beschrieb Zinzendorf die Einteilung mit den Worten: „Darauf wollten Rothe und Schäfer sie zum Luthertum bereden. Darum beschloß ich eine doppelte Gemeine u. Gemein Aufnahme, eine Gemeine Jesu überhaupt u. die Gemeine der mährischen Brüder. Zu letzterer gehören auch die, so sich zum Dienst insonderheit unter den Heiden hergeben, daher auch die Aufnahme in diese ,zur Streiterschaft' geschieht." Zit. n. Plitt, Denkwürdigkeiten § 196, Bd. 3, S. 465. — Merkwürdig ist der Satz in den Naturellen Reflexionen: „ D i e alte Gemeine wurde nach den Haus-Nachbarschaften in Classen getheilt, und die Mährisdien Brüder hatten nach den innerlichen Profectibus eingerichtete kleinere Gesellschaften unter sich, die man Banden nennte." (S. 153 f.). Zinzendorf bezeichnete sich selbst: „erwehlter Vorsteher der beyden Gemeinen." (S. 154).
336
meine, die zur Verwirklichung der Streitervorstellung bereit war und zum Einsatz zur Verfügung stand. Spangenberg unterstrich dies im Blick auf die Einteilung von 1733: „Die eigentlichen mährischen Brüder, und was mit ihnen verbunden war, sähe er (Zinzendorf) als ein Zeugenvolk an, das von dem H E R R N dazu erwekt worden, sein Evangelium unter die Heiden, und wo sie sonst Beruf haben würden, zu tragen. Er ließ sie also seyn, was sie wirklich waren, nemlich ein eigenes Häuflein, und gewissermassen eine besondere Gemeine. Diese hatte ihre eigenen Arbeiter, u n d . . . audi gewisse aparte Versamlungen." 41 Im Jahre 1734 fand diese Ordnung eine weitere Ausgestaltung, die nunmehr rein vom Botendienst und der Streitersdiaft her bestimmt war. Im Rückblick auf das vorangegangene Jahr 1734 heißt es am 31.12. im Herrnhuter Diarium: „Verbindung und Verlosung der Br r zum Dienst Chi auf Gut u. Blut teils unter die Heiden, teils unter die Br r nach dem Fleisch." Was bedeutet das? Spangenberg berichtete davon. Als von Zinzendorf am 6. Januar 1734, dem Epiphaniasfest, von der Arbeit unter den Heiden geredet wurde: „so bezeugten viele ihre Willigkeit, mit Dranwagung Leibes und Lebens, sich dem Heiland dazu hinzugeben. Am 17ten September kam die Sache, die ein jeder für sich bisher hinlänglich bedacht hatte, öffentlich in Uberlegung, und es wurde eine ziemliche Anzahl von Brüdern zu diesem Dienste des Herrn bestimmt." 42 Die Eintragungen des September 1734 im Herrnhuter Diarium berichten uns folgendes: Am 17. 9.1734 hieß es: „Heute wurden alle Streiter versamelt, u. eine Anzahl von Brr n im Vorgemach u. vom H . Grafen gefragt, ob sie es nicht darauf ankomen ließen, zufrieden zu sein mit dem, was der Herr ihnen schenken wollte, sich hinzugeben u. im Werke des Heilands brauchen zu lassen. Da wurden 2 Lose gemacht, u. sollte ein jeder, der freiwillig u. von Herzen vor dem Heild damit zufrieden sein wollte, ein Los ziehen, wohin es ihn treffe, ob unter die Heiden oder für Europa sich brauchen zu lassen. Es wurde aber zunächst bis auf den Abend in Überlegung gegeben für die, welche nicht gleich fertig waren oder auch gar nicht wollten, damit diese wegbleiben könnten. Da kamen wir zum 2mal zusamen. Es traf das Los den Grafen unter 41 Spangenberg, Zinzendorf, S. 820. Vgl. andererseits Plitt, Denkwürdigkeiten § 174, Bd. 2, S. 182 zur mährischen Gemeine: „die mährische Streitersdiaft für die Religion des Heilandes, u. die altmährisdie Brüder-Verfassung nach Disciplin u. Episcopat, . . . in diesen Stücken sah er (Zinzendorf) deren ineres u. äusseres Einheitsband; nicht minder aber deren Unterschied von dem evangelisch-lutherischen Theil der Muttergemeine zu Hhut. Denn für diesen sollte keins der 2 Stücke gelten. In volle Wirklichkeit ist diese Zweytheilung niemals getreten. Es blieb doch immer eine Gemeine." 42 Spangenberg, Zinzendorf, S. 871 f.
337
die Heiden, wie audi Dobern u. die 3 Nitschmäner. Mich (J. Till) traf es unter die Br r nach dem Fleisdi oder für Europa. Die Losung hieß: der Herr kenet den Weg der Gerechten Ps. 1 , 6 Alle Weg u. Stege sind vor ein seligs Gnadenkind auf das Beste zubereitet, daß es ja nicht etwa gleitet." Die Eintragung macht deutlich, daß es einen festen Kreis von Menschen gegeben haben muß, der als „alle Streiter" bezeichnet wird, die Streitergemeine. Der Anlaß zu dieser Versammlung am 17.9. war offensichtlich die Losung des Tages. Man wollte den Herrn, der den Weg der Gerechten kennt, fragen, wohin der Weg der einzelnen gehen würde. So kam es zur Auslosung. Allerdings stellten sich dem Los nur die, die bereit waren, dem ihnen durch das Los gezeigten Weg zu folgen. Es mußte demnach bereits eine Vorentscheidung gefallen sein. Die Bereitschaft zu jedem nötigen Dienst, die das wesentliche Merkmal eines „Streiters" war, mußte vorhanden sein. Die zweite Versammlung am Abend sollte also nur die Brüder umfassen, die zu diesem Gehorsam bereit waren. Es ist erstaunlich, wie groß ihre Zahl war. Auf dem Gemeintag am 22. Sept. wurde der ganzen Gemeine bekannt gemacht, „daß sich etliche 70 Br r zum Reisen dem Heiland zu seinem Dienste gewidmet hätten". Sie wurden „in der Gern« Gebet befohlen" 43 . Diese Auslosung zog noch weitere Kreise. Am 2 4 . 9 . feierten die jungen Burschen ein Liebesmahl, „in Anlass der abreisenden Br r . Die ihren Beruf noch nicht wussten u. gerne wissen wollten, losten darüber und ward unter ihnen ausgemacht welcher Sache es wäre, unter die Heiden zu gehen, u. welcher ihre Br r nach dem fleisch zu reizen. Eine solche Musterung war schon einige Tage zuvor unter allen reisetüchtigen verheirateten u. ledigen gewesen."44 Etwa 40 Brüder waren versammelt. „Zu den vormals 24 gesellten sich noch 16, die sich dem Heild zum Gebrauch u. Botschaften übergaben." „Sie assen ihr Mahl unter Beten u. singen. Auch mir (Layritz?) [fiel das Los, in der Christenheit zu bleiben] da ich mich auch Gott gelassen übergab. Sich für beides zu präparieren ist notwendig, weil verschiedene Gnade erfordert wird, bei den Heiden ein grossmütiger Heldengeist, bei den Christen ein mütterlicher ja brüderlicher Liebesgeist."44 Offen bleibt die Frage, ob diese Brüder nun in irgendeiner Weise der mährischen Gemeine eingegliedert wurden, so daß die mährische Gemeine wirklich so etwas wie ein Orden innerhalb der Gesamtgemeine geworden wäre. Daß sich ähnliches wie die Bildung eines Dienstordens in diesen Jahren vollzog, ist gar nicht von der Hand zu weisen. Nur scheinen die Grenzen zur Gesamtgemeine fließend gewesen zu sein. Es wurde keine andere Aufnahmebedingung gestellt, als die Bereitschaft zu rückhaltlosem Einsatz bei der Ausbreitung des Evangeliums. «
H . Diar., 22. 9. 1734. H. Diar., 24. 9. 1734. Sollte der Ausdruck „Musterung" etwa ganz militärisch als Musterung zur Streitersdiaft verstanden worden sein? 44
338
Den entscheidenden Schritt zur weiteren Festigung einer Dienstgemeinschaft für die Mission, wie sie die Streiterschaft ja eigentlich darstellte, tat Zinzendorf mit den Brüdern in dem Augenblick, als er 1736 aus Herrnhut ausgewiesen wurde. Zinzendorf war während der Tätigkeit der zweiten Regierungskommission gar nicht in Herrnhut anwesend gewesen. Er hatte versucht, brieflich in das Geschehen einzugreifen, hatte aber schließlich nur das Ergebnis aus der Ferne abwarten können. Auf der Heimfahrt begriffen, hatte er in Kassel die Nachricht von seiner Ausweisung bekommen45. Da entschloß er sich, wie dies ja eigentlich schon längst vorbereitet worden war, die wichtigsten Brüder und Schwestern neben seiner Familie um sich zu sammeln und eine Pilgergemeine zu bilden, die ihren einzigen Auftrag darin sah, überall, wohin ihre Glieder kamen, den Heiland zu verkündigen. Spangenberg berichtete über diesen Entschluß: „Tages darauf (nachdem er von seiner Ausweisung erfahren hatte), am 22ten April, wurde der Graf in seinem Herzen völlig überzeugt, daß dieses sein Exilium nicht zum Schaden, sondern zur Beförderung der ihm anvertrauten Geschäfte, von GOtt dem H E R R N gemeint sey. Denn die Brüder und Schwestern, welche der HERR zu seinem Dienst theils bestimmt, theils angestellt habe, würden sich zu ihm herzufinden und samlen; und so würde sein Haus zu einer Gemeine von Dienern JEsu Christi und Pilgern der Erde werden4". Einzelheiten zu nennen, können wir uns hier sparen, da sie in den Zinzendorfbiographien und den Darstellungen der Brüdergeschichte oft genug geschildert worden sind. Frankfurt am Main, die Ronneburg und Herrnhaag in der Wetterau, aber nicht nur diese Orte, waren die Stationen der Gründungszeit der Pilgergemeine. Über unser zeitlich und sachlich begrenztes Blickfeld würde eine solche Darstellung auch zu weit hinausgehen. Wesentlich ist für unsere Darstellung des Streitergedankens und seiner Auswirkungen jedoch, daß die Gründung der Pilgergemeine und damit Spangenberg, Zinzendorf, S. 958 ff. Vgl. zum Ganzen Pütt, Denkwürdigkeiten § 177 u. 178, Bd. 2, S. 205 ff.; Beyreuther, Zinzendorf III, 3. Kap., S. 88 ff.; Renkewitz, Zinzendorf, S. 53 ff. 46 Spangenberg, Zinzendorf, S. 958 f. Er sagte an anderer Stelle (S. 968 f.): „Mit diesem Exilio ging seine Pilgerschaft wirklich an, und hat seitdem bis an das Ende seiner Tage nicht aufgehört. Er war wol schon vorher immer des Sinnes gewesen, um JEsu und des Evangelii willen alles fahren zu lassen, und auf seinen Wink in alle Welt zu gehen. Audi war es nidit bey dem guten Vorsatz allein geblieben, sondern er hatte schon manche Reisen, mit vielen Beschwerlichkeiten, JEsu Christo seinem H E R R N zu Liebe und Dienst gethan. Itzt aber bekam er, durch sein Exilium, gleichsam einen Botenschild, und das Pilgerredit; und wurde in seinem Herzen um desto gewisser, es sey des H E R R N Wille, daß er, als ein Pilger der Erde überall, w o sidi nur dazu Gelegenheit fände, in seinem Dienste geschäftig seyn solte."
339
des Jüngerhauses Zinzendorfs ganz in der Linie einer Gestaltwerdung der Streiteridee lag. Diese wirkte sich aus bis hinein in die Organisation des neuartigen Gemeinschaftsgebildes, das aus der Not der Ausweisung die Tugend einer um so einsatzbereiteren Dienstgemeinschaft machte. Allerdings trug die Pilgergemeine nach außen hin ganz die Züge einer gräflichen Hofhaltung. Zinzendorf war eben Reichsgraf und lebte durchaus in den Ordnungen seines Standes. Aber dieser ganze gräfliche Hofstaat stand im Dienst und wurde nur vom Gedanken an die Ausbreitung des Evangeliums geprägt und von Ort zu Ort getrieben. Hier wäre noch einmal auf die bereits in Kap. 3 zitierte Stelle aus den Memoires (1742) hinzuweisen, wo Zinzendorf diese Form der Pilgergemeine ausdrücklich begründete: „Das Haus behielt diese 20 Jahr über die Art eines kleinen Hofes, aber eines Hofes, der dem Heiland unterthan und unter dem axiomate des Herrn Dienstes eigentlich auf Christus Dienst aus war." 4 7 Die Art dieser Gemeinschaft charakterisiert uns Spangenberg folgendermaßen: „Von der Zeit an machte sich dann die Pilgergemeine um ihn herum. Denn wo er war, da samleten sich die Brüder und Schwestern, die im Dienst des H E R R N gebraucht wurden, gemeiniglich zu ihm, und waren, so zu sagen, bey ihm zu Hause. Wenn sie wieder zu den ihnen bestimmten Posten abreiseten, so nahmen sie Abrede mit ihm, und wurden mit dem Segen der Gemeine, die in seinem Hause war, begleitet. Veränderte er seinen Aufenthalt, so gingen gemeiniglich die Brüder mit, die zum Dienst des Heilands und seiner Kirche hauptsächlich bestimmt waren. Und so war sein Haus nicht nur in dem Sinn ein Pilgervolk, wie der Apostel alle Kinder GOttes Pilger und Fremdlinge der Erde nennt, sondern in einem ganz eigentlichen Sinn. Er war dann der Hausvater, und sorgte für die Nothdurft, nicht nur nach Vermögen, sondern auch über Vermögen. Seine Gemahlin aber wußte, als Hausmutter, alles so weislich einzutheilen, daß mit wenigem viel geschähe, und man kam pilgermäßig aus. Wer von den Pilgern noch etwas eigenes hatte, der schaffte sich selbst seine Kleidung und andere geringere Bedürfnisse an; wer aber nichts hatte; dem wurde geholfen, so gut man konte. Wer eine Gabe zum dienen hatte, der wurde dazu gebraucht, nahm aber keinen Lohn. So war es auf der Brüder, wie auch auf der Schwestern Seite." 48 Die seelsorgerlichen Einrichtungen der Pilgergemeine glichen denen in Herrnhut. „Nur war die Pilger- oder Hausgemeine des Grafen von andern Gemeinen darinnen unterschieden, daß man in ersterer oft ganze Tage, ja ganze Wochen, mit Ueberlegung der Dinge, die das Reich Christi betreffen, zubrachte. Die Correspondenz war stark, der Besuche von andern Orten waren viel, und die Arbeit unter Christen und Heiden wurde immer weitläuftiger." 49 « Memoires 1742, ZBG 1913, S. 205 f. Vgl. audi das weitere Zitat in Kap. 3, S. 173 unserer Untersuchung. 48
Spangenberg, Zinzendorf, S. 969 f.
49
340
Spangenberg, Zinzendorf, S. 970.
J e mehr die Gemeine sich ausbreitete und an verschiedenen Orten in aller Welt seßhaft wurde, desto mehr mußte die Pilgergemeine der Mittelpunkt werden. Hier wurden die weiteren Unternehmungen geplant, von hier aus wurden die Boten ausgesandt und hierher kehrten sie immer wieder zurück. Hier wurden neue Ideen geboren, von hier aus wurden die Gemeinen geleitet und der Gemeingeist, die innere Ausrichtung aller, geprägt. Wenn man diesen Ausdruck gebrauchen will, so war die Pilgergemeine das bewegliche Hauptquartier der Gemeinen und ihrer Streiterschaft, an dessen Spitze wohl Zinzendorf stand, aber letztlich eben nicht selbst als Feldherr, der die Unternehmungen leitete. E r selbst wußte sich abhängig vom Heiland, den die Brüder 1741 zum Generalältesten aller Gemeinen offiziell erklärten und dessen Willen sie im Losentscheid jeweils zu erfahren trachteten.
b) Die Aufnahme in die Streiterschaft In die Streiterschaft, also in den Bund der Streiter Christi, die zum Dienst bereit standen, wurden wohl von 1733/34 an immer wieder Brüder und Schwestern aufgenommen. Ein Bettag war dazu der gegebene Anlaß. Wahrscheinlich nach innerer Vorbereitung und auf eigenen Wunsch wird eine solche Aufnahme geschehen sein. Es gab dann also eine doppelte Aufnahme oder auch Konfirmation, wie man beide Handlungen bezeichnete. Die erste war die Aufnahme in die große Gemeine, die zweite die in die Streiterschaft selbst50. Von einem Bettag im November 1737, als Zinzendorf wieder für einige Zeit in Herrnhut weilen durfte, wird uns soldi eine Aufnahme geschildert. Es war kurz vor der Abreise Zinzendorfs (4.12.) zurück nach der Wetterau. D a führte er am 3 0 . 1 1 . noch einen „außerordentlichen Bettag" der Gemeine durch. Er gedachte dabei der „Gnadenwunder des H E R R N in der Gemeine überhaupt" und mancher wunderbarer Gnadenbeweise, die „seit zehen Jahren an vielen Personen insonderheit vorgekommen". Nun heißt es im Bericht Spangenbergs weiter: „Hierauf wurden vierzig Brüder und Schwestern confirmirt, oder wie es die alten Brüder zu nennen pflegen, zu Acoluthen angenommen. Sie traten in sechs Abtheilungen hervor, 5 0 Vgl. Bettermann, Geschichte d. Konfirmation, S. 2 5 2 : „So kann es vorkommen, dass einer zweimal konfirmiert wird, einmal zur Gemeine, das andere Mal zum Abendmahl, und im Jahre 1734 wird beschlossen, die Konfirmation von der Zulassung zum Abendmahl zu trennen; denn das Abendmahl sei eigentlich ein Streitermahl, in dem sich die bewährten Streiter und Zeugen verbänden, ihr ganzes Leben hinzugeben. Diese Trennung — die zugrunde liegende Auffassung mußte man selbstverständlich bald wieder fallen lassen — verhinderte nicht, dass man beides eine Zeitlang Konfirmation nannte."
341
und einer jeden hielt der Graf eine aparte für sie passende kurze Rede; sodann wurde über die Brüder von den Aeltesten, und über die Schwestern von den Aeltestinnen gebetet; und dann der ganze Bettag mit Gebet beschlossen."51 An anderer Stelle berichtete Spangenberg von einer solchen Konfirmation, allerdings nur eines Bruders, an einem außerordentlichen Gemeintag am 2. 6 . 1 7 3 9 in Marienborn. Er kennzeichnete den Sinn der Handlung mit den Worten: „ . . . confirmirt, das ist (nach dem damaligen Gebrauch und Sinn des Wortes) er wurde in den Bund der Brüder und Schwestern, die sich dem Heiland und der Gemeine zum Dienst ergaben, und seinem Wink und Ruf zu folgen mit Hand und Mund versprachen, öffentlich auf- und angenommen." 52 Wir können aus diesen beiden Äußerungen festhalten, daß es sich bei der Streiterschaft wirklich um eine Verbindung von Brüdern und Schwestern zu besonderem Dienst handelte, in die man ausdrücklich aufgenommen wurde und die eine Zeitlang sogar mit gesonderter Abendmahlsgemeinschaft53 bedacht war. Die Aufnahme oder Konfirmation geschah nach einer Ansprache Zinzendorfs mit dem Versprechen zu gehorsamer 5 1 Spangenberg, Zinzendorf, S. 1075 f. 1737 war von einer Annahme zur Acoluthie allerdings noch keine Rede. Die Acoluthie wurde erst 1745 mit den anderen Weihegraden der mährischen Brüder eingeführt. Siehe S. 344 ff. Wichtig ist uns allerdings an diesem zeitlichen Vorgriff Spangenbergs, daß die Aufnahme in die Streiterschaft und die spätere Annahme zur Acoluthie im Grunde denselben Sachverhalt kennzeichnen. 5 2 Spangenberg, Zinzendorf, S. 1193. Von einer Annahme zum Dienst wurde erst in späterer Zeit geredet. Spangenberg skizzierte kurz die Rede, die Zinzendorf bei dieser Gelegenheit am 2. Juni 1739 hielt: „Bey der Gelegenheit redete der Graf von der Treue im Kleinen, da man sein Herz stündlich und augenblicklich, durdi die Gnade unseres HErrn JEsu Christi, so zu verwahren sucht, daß (wie es in einem Liede heißt) kein Gedank, auch nicht der kleinste Hang, sich vom Heilande verlieren, und von Ihm abweichen möge; und bezeugte, daß dieses eine viel grössere, und dem H E R R N gefälligere Sache sey, als wenn man noch soviel in seinem Dienst ausriditete." (Spangenberg, Zinzendorf, S. 1193 f.). Anschließend an diese Konfirmation wurden zwei Brüder „durch Auflegung der Hände, nach Kirchenbraudi, zu Predigern des Evangelii ordinirt." (S. 1194). Aus der Erwähnung der Handauflegung an dieser Stelle ist wohl zu schließen, daß die erste Handlung ohne Handauflegung geschah. 5 3 Vgl. dazu neben Anm. 50 eine Rede Zinzendorfs an die ledigen Brüder (v. 22. Juli 1740), die Plitt, Denkwürdigkeiten § 198, Bd. 3, S. 504 f. zitiert: „Man hat 4erley Brüder: 1. Gäste, Zuschauer, die behandelt man liebreich, 2. Jünger, Schüler, die sich in die Pflege begeben, denen läßt man Zeit zum Besinnen, 3. die sich zum Streit verbinden ( = Aufgenommene), die behandelt man behutsam, ehe man sie recht kent, machts ihnen aber nicht leicht; 4. die in Sold treten, u. mitessen dürfen ( = Abendmahlsgenossen), die behandelt man als Soldaten, u. ist ihnen hart, falls sie sich nicht beweisen wie sie s o l l e n . . . Von unsern Brüdern fordern wir einen fast klösterlichen Gehorsam. Sonst gehts nidit. Der Gehorsam macht zu Streitern, der Ungehorsam zu Tändlern." Die nochmalige Unterscheidung der dritten und vierten Gruppe ist auffällig. Wichtig ist uns hier der Hinweis auf eine besondere Abendmahlsgemeinschaft der Streiter im engeren Sinne. Aber wie mag das in der Praxis durchgeführt worden sein?
342
Nachfolge unter dem Gebet der Ältesten bzw. Ältestinnen. Daß dabei die Hände aufgelegt wurden, wird nicht erwähnt. Spätere Berichte sprechen vom Handschlag. Jedoch ist es gar nicht ausgeschlossen, daß anfangs auch eine Segnung der Aufgenommenen geschah. Das Problem einer doppelten Aufnahme, zuerst in die Gemeine überhaupt und dann in die besondere Dienstgemeinschaft, hat Zinzendorf und die Brüder in dieser Zeit immer wieder beschäftigt. Der Gedanke liegt ja nahe, als würde man erst den für einen vollgültigen Christen ansehen, der auch die zweite Aufnahme erlebt hatte. Zinzendorf versuchte, dieser Gefahr wieder vom Dienstgedanken her zu wehren. Die Aufnahme in die Streitergemeinschaft führte in keinen höheren Stand des Christen, sondern in einen Stand, der sich dem Herrn in stärkerem Maße zum Dienst zur Verfügung stellte. Als am 11. November 1743 in Gnadenfrei in Schlesien 81 Personen in die dortige Gemeine aufgenommen wurden, sagte Zinzendorf in seiner Rede u. a.: „Es hat sich also kein Mensch einzubilden, daß er durch unsere Aufnahme, in unsere Streitersache, in unsern Zeugenplan, in unsere vom Heiland da und da bestimmten Kampfstellen gezogen, gezwungen oder gelockt werde, oder daß er eine Veränderung seiner äußeren Lebensart, seiner Wohnung, seines Gewerbes vornehmen müsse. Das geht Alles nach eines Jeden vom Heiland ihm gesteckten Ziel, seinen gewöhnlichen und naturellsten Gang." 5 4 Hier handelte es sich um eine Aufnahme in die mährische Gemeine selbst, denn den mährischen Brüdern hatte der preußische König zur Gemeingründung in Gnadenfrei seine Konzession gegeben55. Die Verbindung des Streitergedankens mit der Aussonderung eines mährisdien Gemeinteils, wie es 1733/34 in Herrnhut geschah, war zehn Jahre später gar nicht mehr möglich. Die eigene Kirchenbildung war überall weiter vorangeschritten. So mußte, wenn man bei der Bildung einer besonderen Dienstgemeinschaft bleiben wollte, nun wiederum innerhalb der Gesamtgemeine in anderer Weise als damals der Zusammenschluß oder die Aussonderung zum Dienst geschehen. Alles drängte auf eine Neuordnung zu. Seit 1743 etwa hatte man der Aufnahme in die Streitergemeine die Bezeichnung „Annahme" gegeben, um sie von der Aufnahme in die Gemeine zu unterscheiden58. Die Annahme-Handlung fand ihren Platz am Schluß einer Synode beim Gebet der Litanei. Bei den Worten „treue Arbeiter in deine Ernte senden" wurden am 15. Juni 1744 in Marienborn „74 Brüder u. Sdiwestern von den anwesenden Arbeitern u. Arbeiterinen bei der Hand zum Dienste des Lames angenomen oder
5 4 Aus der Rede zu Gnadenfrei am 11. 11.1743, zit. nach Sdirautenbadi, Zinzendorf, S. 343. 5 5 Vgl. Müller, Zinzendorf als Erneuerer, S. 79 ff. 5 6 Vgl. Sdirautenbach, Zinzendorf, S. 335.
343
confirmirt". Sie feierten nachmittags gemeinsam ein Liebesmahl57. Damit waren Neuerungen, die im Jahre 1745 erfolgten, äußerlich und innerlich vorbereitet. Es bedurfte nur noch eines kleinen Schrittes. Der Sommer-Synodus vom 12.—27. Juli 1745 in Marienborn hatte die Frage nach der Brüderkirche zu seinem Gegenstand58. Überall waren die Gemeinen selbständiger geworden. Gegen Zinzendorfs Plan hatte sich das mährische Kirchentum in ihnen gefestigt. So mußte die Entwicklung ihren Abschluß finden. Ganz bewußt sollten nun alte Ordnungen eingeführt werden. In der alten Unität wurden Jünglinge in Brüderhäusern auf den zukünftigen Priesterberuf vorbereitet. Man nannte sie „Jünglinge, die sich in der Brüderunität dem Dienst an Christus und für seine Kirche widmen wollten"59, und man pflegte sie als Akoluthen zu ordinieren. Diese Lehrjünglinge wurden nach der üblichen Laufbahn zu Diakonen, deren Tätigkeit in der Seelsorge, im Unterricht und in der Mitbeteiligung an der Predigt und an der Fürsorge für Arme und Kranke bestand. „Die Akoluthen und Diakone wurden in größerer Zahl auf den Synoden ordiniert mit Betonung der Besonderheit des Dienstes, zu dem sie berufen waren."60 Die nächste Stufe war dann die Priesterordination, die in die vollen priesterlichen Rechte einsetzte. Das leitende Organ der Unität war der enge Rat, dessen 4 bis 5 Mitglieder, alles Priester, als Senioren ihres leitenden Amtes walteten61. Diese altbrüderische Ordnung übertrug Zinzendorf und mit ihm die Synode 1745 auf die neue Gemeine. Am 26. Juli wurde in der XVII. Sitzung abends von 6 bis 9 Uhr eingehend darüber gesprochen62: „Wir sind also audi vor dem Heiland imer mehr und mehr darauf bedacht, die alte ordentliche u. seelige Verfassung in dieser Kirche vollends gar zu machen. Sie hat neml. aus gantz besonderer Schidkung des Heilands gewisse Principia, die wir ietzt haben und die wir nicht als eine Mährische Kirche sondern als eine Anstalt des Heilands allzeit gehabt haben, zu ihrer Zeit 57 Plitt, Denkwürdigkeiten § 225, Bd. 4, S. 201. Interessant ist dabei folgende Bemerkung: „Bey Gelegenheit der heute anzunehmenden 74 Geschwister wurde erinnert, daß die Annahme zum Dienst des Heilands kein Beweis von der Kindschaft Gottes sey, wohl aber eine Gelegenheit werden könne, seinen eigenen Grund und Seligkeit redht fest zu setzen." (Hhaag, Syn. 1744, den 15. Jun. zit. nach Samlung von Synodal Ideen R 2 A 43b I, 2. Mappe) Man ging also von der strengen Voraussetzung einer Bekehrung ab. 58 Vgl. zum Folgenden Plitt, Denkwürdigkeiten § 227, Bd. 4, S. 229 ff. und Th. Müller, Zinzendorf als Erneuerer, S. 89. 59 So im Titel des sog. „Lehrlingsbudies" (gedruckt 1585 und 1609), vgl. Rudolf RiCan, Die böhmischen Brüder, S. 219 f. 80 Rican, Die böhmischen Brüder, S. 220. 61 Rxöan, Die böhmischen Brüder, S. 222. 82 R 2 A 15, 1, Synodus 1745 in Marienborn, S. 490 ff. vgl. Plitt, Denkwürdigkeiten § 227, Bd. 4, S. 234 ff.
344
schon gebraucht.", sagte Zinzendorf in seiner Rede63. Er fand also verwandte Ordnungen, wie er meinte, vor und wollte sie nun, weil sie nützlich sein konnten, auf das Bestehende übertragen. Er beschrieb die alte Ordnung: „Darunter gehört dass sie das Kirchenwesen unter der Hand gewisser treuer Mäner, treuer Zeugen gehabt, mit völliger Freyheit: die haben sie Bischöffe genennet. Diese BischöfFe haben gewisse Kirchen-Aeltesten constituiret, die mit ihnen das gantze besorgt haben. Sie haben hernach öffentliche Lehrer, Ordinarios, Prediger gehabt, sie haben nach einem andern Grad solcher Diener gehabt die hat man Diaconos genannt oder Diener, die sind Gehülffen der Prediger gewesen, oder auch auf ihre Commission ihre Vicarii, u. haben in ihrer Abwesenheit alles das thun können, was jenen selbst zugekommen wäre. Und denn haben sie noch eine dritte Classe gehabt von Geschwistern, das waren die angehenden Jünger die man heut zu Tage nach unserer Art die angenomene, Brüder nennt: die nenneten sie Acoluthen, Leute die sich nun mehr zum Dienst des HErrn wiedmen, sich dazu weihen lassen, zu dem Zweck sich gantz und gar im Dienste des HErrn zu verzehren." 64 Wir sehen an diesem Zitat, wie sich die alte Ordnung sofort im Blick auf das z. Zt. Vorhandene verschob. Erst recht mußte dies dann geschehen, wenn die Weihe-Grade auf die Brüder und Schwestern verteilt wurden und sich in der Praxis des Gemeinlebens zu bewähren hatten. Die Annahme und die Einsegnungen geschahen am Schluß der Sitzung beim Gebet der Litanei. Nach den Worten „ . . . deine heilige christliche Kirche" wurden 72 Akoluthen zum Dienst des Herrn angenommen. 37 Brüder und 35 Schwestern, sie werden im Synodalbericht namentlich aufgeführt, gingen vor den Bischöfen, Ältesten und Ordinariis vorbei. Die Annahme (Konfirmation) geschah durch Handschlag 65 . Darauf folgte die Einsegnung der Diakone und Diakonissen. Bei den Worten der Litanei: „ . . . treue Arbeiter in deine Erndte senden..." traten zunächst 12 Brüder vor und stellten sich im Kreis auf. Auch sie werden namentlich genannt, Layritz als erster wird als „Archi Diaconus" bezeichnet. In seiner Rede sagte Zinzendorf u. a.: „Es ist ein altes Sehnen und Verlangen bei uns gewesen, daß die Diener bei unsrer Gemeine zugl möchten Diener im Heiligthum werden, und es ist da mit gegangen wies mit allen Geistes-Sachen geht, sie wollen ihre Zeit haben und lassen sich nicht übereilen, und izt ist nun so die Stunde da, da wir in den 20 Jahren, die wir beisammen sind, jezt das erste mahl daran denken, und es auch zugleich ins Werk richten, wie es jezt geschieht, 63 R 2 A 15,1, S. 494. « R 2 A 15, 1, S. 494 u. 496. es R 2 A 15, 1, S. 499; Plitt, Denkwürdigkeiten § 227, Bd. 4, S. 235. 345
nehml. daß wir einen theil unsrer Geschwister mit dem heil. Diener-Amt unsrer Gemeine belegen, so daß sie der Gemeine ihre Zahl vermehren helfen an lehrern u. Zeugen J e s u . . ." ββ Es waren Brüder, die nicht im Lehramt standen, sondern als Chor-Älteste, Anstaltsdirektoren und Vorsteher von Einrichtungen im Dienst waren. Sie sollten durch die Diakonenweihe im Lehramt helfen können. „Und zu dem Ende ist es nöthig, daß diese Anzahl Brüder, die hier beisammen ist, die Diener-Weihe empfangen, u. dadurch den Anfang zu einem neuen Segen gemacht w e r d e . . . " , sagte Zinzendorf am Schluß seiner kurzen Rede. Nach einigen Liedversen „fielen sie alle auf die Knie, Br. Johannes, Anthon u. G. Schmit als ältester Diaconus segneten sie mit gemeinschaftl. Auflegung der Hände u. mit dem Friedenskuß zu ihrem Diakonat ein. Nachher küßten sie auch den Bischöffen u. Ältesten die H ä n d e . . Ähnlich verfuhr man bei der Einsegnung der Diakonissen. 20 Schwestern werden genannt, die erste, Schwester Schellingerin, als Archi-Diakonissa. Auch sie standen im Kreis, als Zinzendorf seine Einleitungsansprache hielt. Sie sollten unter den Schwestern den gleichen Dienst tun wie die Diakone an den Brüdern. Ein Vers wurde gesungen, bei dem sie niederknieten, „und die Mutter Anna Maria nebst die Schw. Anna legten ihnen die Hände auf, u. segnete(n) sie zu ihrem Amte ein". Die versammelte Gemeine sang zu der Handlung verschiedene Liedverse. „Unter den Versen gingen sie herum u. küssten den Aeltestinnen die Hände." 6 8 Es folgten dann noch an bestimmter Stelle in der Litanei zwei Ordinationen zum Predigtamt (Priesterweihe) und die Einsegnung von vier Brüdern zu Seniores Civiles, die die Gemeine nach außen hin vertreten sollten. Die Bischöfe hatten ja fast ausschließlich geistliche Funktionen 69 . Mit dieser Einführung einer förmlichen Ordination zum Diakonenbzw. Diakonissenamt und der zu den sog. Kirchengraden gehörenden Annahme zur Akoluthie begann etwas Neues. Der Streitergedanke wurde aufgenommen vom hierarchischen Denken und in eine Stufenleiter verschiedener Ordinationsmöglidikeiten eingebaut. Darin blieb er lebendig, doch hatte er nunmehr seine kirchlich gebundene Form gefunden. Zinzenββ R 2 A 15, 1, S. 501 f. 6 7 R 2 A 15, 1, S. 503 f. Die Namen der 12 Diakone waren: Layritz als „Archi Diaconus", Beza, Seebaß, Coshart, Stöhr, Rubusdi, Piesdi, Lasdienal, Hocker, Lawatsch, Dörrbaum, Johann Nitschmann Registr. (S. 501). R 2 A 15, 1, S. 504 ff. Audi ihre Namen seien genannt: Schellingerin als ArchiDiaconissa, Gersdorffin, Anna Antonie, Petsdiinin, Henr. Nitsdimannin, Böhlerin, Layrizin, Wattevillin, Fr. Lelong, Weishin, Sus. Nitschmannin, Lorel, Lisel Sdiweinizin, M. Elis. Neisserin, Pet. Dielin, W . Anna Cremserin, Bezain, Wunderlingin, Maria, die Mohrin (!), Peistelin. 6 9 R 2 A 15, 1, S. 508 ff. Seniores civiles wurden: Watteville, Gersdorff, Peistel und Schellinger. Vgl. audi Sdirautenbadi, Zinzendorf, S. 409 f.
346
dorf nannte den ganzen Vorgang damals „die Herstellung der mährischen Hierarchie". Wenn auch von einer Hierarchie im eigentlichen Sinne keine Rede sein kann, so müssen wir doch festhalten, daß das Charismatische der Anfangszeit, das auch dem Streiterideal eignete, übergeleitet wurde in eine Weihe- und Ämterordnung, in deren Stufenleiter man aufsteigen konnte. Dies ist ein kirchengeschichtlich interessanter Vorgang, der unsere Beachtung verdient. Die Annahme zur Akoluthie blieb in Zukunft die Form, in der man zum Dienst bereite Brüder und Schwestern in der Gemeine herausstellte. Schrautenbach kennzeichnete die Art und Weise der Annahme-Handlung: „Die Annahme ist die Akoluthie: der erste Grad, den die Kirche denen ertheilt, die sich dem Dienst des Heilands im Allgemeinen eigentlich widmen. Ein Bruder ist wohl oft schon lange mit vielem Segen in der Arbeit, ehe er einen solchen Grad erhält — wenn die Gelegenheit es so etwa gab. Die hinzukommende Feierlichkeit ist eine bedachte Erklärung von Seiten seiner, daß sein ganzer Sinn auf den Dienst des Heilandes gestellt sei, und von Seiten der Gemeine, daß sie ihn als einen solchen ansehe. Es ist also eine Ordnungs-Einrichtung und um dieser willen wird über ihr gehalten."70 Es waren nun also nicht mehr besonders die Boten, wie sie seinerzeit zur Streiterschaft angenommen wurden, die zu den Akoluthen zählten. Zur Akoluthie wurde der angenommen, der überhaupt zum Dienst bereit war. Audi die Ortsgemeinen boten viele Dienstmöglichkeiten, für deren Erfüllung man dienstbereite Brüder und Schwestern benötigte. Als Akoluthen, als Nachfolger Christi, nahm man sie zum Dienst an. Im Dienst 70 Schrautenbadi, Zinzendorf, S. 335. Vergleiche dazu noch zwei spätere Äusserungen: In der „Kurzen und zuverlässigen Nachricht von d e r . . . Unitas Fratrum" (1757 geschrieben) heißt es (S. 29): „Ausser denen Ordinationen geschieht unter der Litaney auch noch die Annahme solcher Personen, die sich in ihrem Gemüth zum Dienst Gottes bey der Gemeine, selbst verordnen, deren Ruf des H . Geistes an ihr Gemüth (wies die Englische Kirche nennt) nebst ihrer Tüchtigkeit und Treue die Arbeiter vorher prüfen und alsdenn ihren angebottenen Dienst, vor der Gemeine mit dem Handschlag annehmen, zu Vermeidung alles Scheins eines selbstlaufens, jedoch mit demüthiger Willigkeit und Paratschaft auf den geringsten Wink. Solche Personen wurden schon in der alten BrüderKirche Acoluthi genennet (von άχολον&εΐν, nachfolgen) und mögen mit den Proponenten in der Reformierten und den Candidaten in der Lutherischen Kirche einige Aehnlichkeit haben." — Im Verlass der Synode von 1775 (NB V/R 2, 4, Kap. 14) steht (S. 315): „Die Annahme zur Akoluthie ist keineswegs zum Ministerio ecclesiastico zu rechnen, und also nicht so anzusehen, als würde dadurch ein Kirchengrad ertheilet, sondern es ist ein in unseren Brüdergemeinen eingeführter gesegneter Gebrauch, da Personen, von deren treuen Sinn und Brauchbarkeit man überzeugt ist, durch den Handschlag sich öffentlich verbinden, zum Dienst des Heilands von Herzen u. ohne Ausnahme willig und den Dienern der Unität in Liebe gehorsam zu seyn . . ." (S. 315). — „Es ist dabei vorneml. auf diejenigen Geschwister zu reflectiren, die zur Aufsicht und Information in Anstalten od. Schulen, zu Hausdienern in den Chören, zu Diasporaarbeitern und dergleichen Dienst des Heilands in den Gemeinen angestellt sind." (S. 316). „Die zur Akoluthie
347
Bewährten oder mit besonderen Aufgaben Betrauten gewährte man dann die Diakonen- bzw. Diakonissenweihe. Bis 1760, dem Todesjahr Zinzendorfs, also innerhalb von 16 Jahren, waren 257 Diakone und 202 Diakonissen eingesegnet und 542 Brüder und 420 Schwestern zu Akoluthen angenommen worden 71 . Die aktive Mitarbeit vieler Brüder und Schwestern blieb also auch weiterhin das Kennzeichen der Gemeine. Zinzendorf war es aber wichtig, den in besonderem Dienst stehenden Brüdern und Schwestern immer wieder einzuschärfen, daß Dienst Gnade ist und nicht Grundlage zu besonderen Ehren. Als er 1746 einmal über den Unterschied der Aufnahme in die Gemeine und der Annahme zum besonderen Dienst sprach, betonte er: „daß obgleich die Angenommenen es viel schwerer haben, als die Aufgenommenen, obgleich Diener Gottes viel mühseliger d'ran sind, als die puren Kinder, die sich in der Gemeine nur pflegen lassen, die nur essen und trinken dürfen; so sind doch die Kinder, die aufgenommen werden, viel vornehmer als die Diener, die angenommen werden; sie sind Prinzen, Kinder vom Hause" 7 2 . Damit können wir die Untersuchung über die Streiteridee als den Dienstgedanken, der das Leben der Herrnhuter Brüdergemeine in ihren angenomenen Geschwister sollen dan und wann bey Gelegenheit, an ihren im Angesicht der Gemeine versprochenen Fleiß, Treue und Gehorsam erinert werden. Diejenigen aber, weldie durch ihren Wandel beweisen, daß sie denselben Sinn nicht mehr haben und sich nicht wollen zurechtweisen lassen, sollen auch nicht mehr als Akoluthen angesehen werden." (S. 317). Wir sehen aus dieser Äußerung der späteren, nachzinzendorfischen Zeit, wie die Annahme zur Akoluthie weiter in ihrer Bedeutung profiliert worden ist, und bemerken audi die Korrekturen, zu denen man sich veranlaßt sah. 7 1 Vgl. Verzeichnis der ordinirten Brüder und Schwestern (R 4 D 17 A). Auf die einzelnen Jahre verteilt, er gibt sidi folgendes Bild: Diaconi Diaconissae Acoluthi Acoluthae 1745 12 20 37 35 11 1746 21 21 10 63 1747 19 15 53 17 67 1748 28 31 1749 18 15 12 12 — — 1750 13 9 — — — 1751 3 — — 1752 5, 1 — — 1753 11 6 1754 13 25 23 19 1755 13 3 46 13 73 1756 18 17 64 — 1757 4 1 1 1758 44 141 49 120 62 1759 21 13 59 4 1760 7 3 — Zus.: 257 202 542 420 Rede gehalten zu Heerendyk am 17. 4. 1746 (Zeister Reden N r . 3, S. 13), zit. n. Schrautenbach, Zinzendorf, S. 345. 72
348
Anfängen prägte, abschließen. Wenn wir nun am Ende des Kapitels auch weit über die uns eigentlich gesetzte zeitliche Grenze hinausgegangen sind, so schien es uns doch unerläßlich zu sein, dem Streitergedanken bis in seine organisatorische Ausprägung und bis zur Ausmündung in die mährischen Weihegrade nachzugehen. Zusammenfassend können wir sagen, daß es Zinzendorf verstanden hat, in der Streiteridee eine Dienstauffassung auszuformen, die die Gemeine in der Mehrzahl ihrer Glieder zu größtem Einsatz fortriß. Denn auch die wurden ja von ihr gepackt, die daheim blieben und den fernen Brüdern und Schwestern als Gemeine fürbittend zur Seite standen. Für die Vorbereitung auf den missionarischen Dienst ist die Streitervorstellung als ziel- und richtungsweisender Grundgedanke der Zurüstung gar nicht hoch genug zu bewerten. Die wechselnden und in ihrer Entwicklung fortschreitenden Organisationsformen der Streiterschaft waren das Gefäß für eine sich zum Dienst ordnende Gruppe der Gemeine. Nur dadurdi, daß diese bereit stand und augenblicklich ausgesandt werden konnte, ist die große Leistung der Gemeine in der Anfangszeit ihrer missionarischen Unternehmungen zu erklären. Und nur der Streitergedanke mit der in ihm enthaltenen Leidensbereitschaft konnte die Gemeine über die oft großen Rückschläge hinweg immer wieder zu freudigem Einsatz auf ungewissen Wegen und zum tapferen Ansteuern unbekannter Ziele bewegen. Jedoch war es letztlich nicht die Streiteridee, die die Brüder in Bewegung erhielt und stärkte, sondern die in ihr Gestalt gewinnende biblische Weisung zur gehorsamen Nachfolge, die keinen Einsatz scheut. Es ist Zinzendorf zu danken, daß er, wenn auch in seiner ihm eigenen Ausdrucksweise, diese in der Christenheit zum Teil vergessenen oder doch vernachlässigten biblischen Gedankengänge aufgenommen und sie mit seinen Brüdern und Schwestern beispielhaft vorgelebt hat.
349
SCHLUSS
Ergebnisse Wir stehen am Ende unserer Untersuchung und haben nun noch die Aufgabe, die Ergebnisse für die Überlegungen über heutige Gemeindegestaltung festzuhalten. Wie wir schon in der Einleitung (S. 23) bemerkten, kann das Ergebnis nicht so aussehen, als könnten wir heute damalige Lebensformen einfach übernehmen und aus dem Zeugnis der Brüder direkte Anweisungen für eine Gestaltung unseres Gemeindelebens herauslesen. Dennoch ist durch das Kennenlernen des Herrnhuter Gemeindelebens unser Nachdenken angeregt worden und fragt nach dem Gültigen. Dieses müßte deshalb Gültigkeit bis heute haben, weil es derselbe Herr ist, der jene und unsere Gemeinden leitet, und weil sein Auftrag zum Dienst in der Gemeinde und in der Welt damals und heute der gleiche ist. Die gesellschaftliche Struktur, in ihr die Menschen und die Lebensformen der Gemeinde Jesu Christi haben sich gewandelt, aber der Auftrag zum Dienen und die Sendung zum Zeugnis sind die gleichen geblieben und werden sich die zu jeder Zeit nötigen und möglichen Wege schaffen. Die Frage an uns Heutige wird sich dahin zuspitzen, ob bei allem zeitlichen und vielleicht audi theologischen Abstand zu der von uns betrachteten Gemeine in Alt-Herrnhut die gleiche Hingabe und der gleiche Gehorsam auf Gottes Auftrag antworten. Auftrag und gleiche Bereitschaft, ihn zu erfüllen, Gebot und gleicher Gehorsam, Sendung und mit gleichem Einsatz gegebenes Zeugnis können uns dem Leben der Brüder und Schwestern allerdings nahe bringen und uns trotz allem zeitlichen Abstand die Erkenntnis vermitteln, daß ihr Leben und unser Leben, wenn es nur wirklich ein Leben im Dienste des gleichen Herrn ist, einander in merkwürdiger Weise entsprechen. Es wird nicht unwesentlich sein, daß wir auf einige Voraussetzungen des geordneten Dienens in Herrnhut achten, ohne die das Leben der Gemeine in dieser Weise unmöglich gewesen wäre. 1. Herrnhut entstand aus dem freiwilligen Zusammenschluß von Menschen, die zum großen Teil schon in der Bewährung des Glaubens gestanden hatten und bewußt eine gemeinschaftliche Ordnung suchten, in die sie sich einfügen wollten. 2. Sie wurden fast alle erfaßt von der Erweckung des Jahres 1727, die sich in ihren Auswirkungen auch auf die erstreckte, die in den folgenden 350
Jahren zuzogen. Das bedeutet, daß die einzelnen im wesentlichen gleiche oder ähnliche Erfahrungen ihres Lebens mit Gott machten. Der lebendige Umgang mit Gott im Gebet kennzeichnete das Leben der Herrnhuter Gemeine und aller ihrer Glieder. 3. Die Brüder und Sdiwestern wurden sich einig über das Ziel des gemeinsamen Weges: eine apostolische Gemeine aufzurichten, die in der K r a f t der ersten Christenheit lebte. Diesem großen Ziel ordnete sich das persönliche Lebensziel ein: ein Leben in der Heiligung vor Gott zu führen. 4. Der von allen anerkannte Maßstab des einzelnen und des gemeinsamen Lebens war das Wort der Schrift, das sie in biblizistischem Gehorsam in das tägliche Leben umzusetzen sich bemühten. 5. Die so in Frömmigkeit und Ziel übereinstimmende Gemeinschaft lebte auf kleinstem Raum beieinander. Das tägliche Leben sorgte für ständige Berührung und menschliche Kontakte. Man kannte in Herrnhut keine äußeren Schwierigkeiten, etwa zeitlicher Art, zueinander zu kommen. 6. Soziologisch war die Bewohnerschaft Alt-Herrnhuts ziemlich einheitlich. Fast alle haben neu anfangen müssen und waren zu Handwerkern geworden. Der große Zuzug von Adligen setzte erst später ein, die schon anfangs anwesenden, wie ζ. B. Graf von Zinzendorf und Friedrich von Watteville, ordneten sich in die Gemeinschaft ein. 7. Die kleine Gemeine hatte in Zinzendorf einen an Ideenreichtum kaum zu überbietenden steten Anreger neuer Gestaltungsformen in ihrer Mitte. Als Ortsobrigkeit nahm er von vornherein die führende Stellung ein. Zugleich achtete man seine geistliche Autorität und ordnete sich ihr unter. 8. Diese Voraussetzungen fanden ihre wesentliche Grundlage neben dem zum Gehorsam bereiten Hören auf das Zeugnis der Schrift in der Hochschätzung der Sakramente. Die Heilige Taufe galt immer als Voraussetzung der Zugehörigkeit zu der Gemeine 1 . Das Heilige Abendmahl bildete den Mittelpunkt des gemeinsamen Lebens. Auf dem Hintergrund dieser für christliche Gemeinschaftsbildung und Gemeinschaftsformung günstigen Voraussetzungen gestaltete sich das geordnete Dienen der Gemeine. 1 Über die Stellung Zinzendorfs und der Herrnhuter Gemeine zur Taufe sei hier noch einiges gesagt. In der Ersten Gemeineinrichtung von 1728 heißt es am Sdiluß (R 6 Aa 18, l b ; vgl. Beil. 2): „6) Die äusserl. Kirchen Verfaßung als Tauffen, Abendmahlhalten, Betstunden u. Predigten besuch gehöret ordentl r Weise, nebst Trauungen u. Begräbnißen nach Bertheisdorff in das lutherische Kirchspiel . . . " Zinzendorfs Kinderlied von 1723 „ I d i bin ein kleines Kindelein . . . " zeigt uns seine Haltung gegenüber der T a u f e : „6. Du hast mich in der taufe ja zum kindlein eingeweiht, und da ichs weder wust noch sah, mich wunderschön erneut.
351
1. Zentrum des Lebens im alten Herrnhut waren die gottesdienstlichen Versammlungen der Gemeine. Dem Sonntag kam dabei als herausgehobenem Tag die wesentliche Bedeutung zu. Zu Gottesdienst und Gemeinversammlung fand sich die ganze Gemeine zusammen. Die Verkündigung war stark auf die „praxis pietatis" ausgerichtet und machte den Gliedern der Gemeine ihre in der Gnade begründete Dienstpflicht unmißverständlich deutlich. In den regelmäßigen Abendmahlsfeiern erfuhr die ganze zum Abendmahl zugelassene Gemeine die Gemeinschaft mit ihrem Herrn und wurde dadurch zur Dienstgemeinschaft. 2. Der Alltag wurde umspannt von Versammlungen, die dem Hören auf die Schrift und dem gemeinsamen Lob Gottes dienten. E r wurde von daher in Gottes Dienst gestellt. Auch das Berufsleben erfuhr seine Heiligung. 3. Neben der Predigt und der seelsorgerlichen Tröstung und Mahnung hatten die Lieder der Gemeine eine große "Wirksamkeit auf das gemein7. Gesund, gewaschen, rein und klar ward meine seele nun, und das ist ja gewislich wahr, was sol sie nun noch thun? 8. Sie sol, wie man versprochen hat, mein Heiland deine seyn, von eigensinn und loser that, sol sie sich halten rein." H. Ges.budi 1737 Nr. 852 (1735 Nr. 851); vgl. Hymnolog. Handbuch, S. 150. — Audi in der Verfassung von 1733 wird ganz selbstverständlich von der Kindertaufe gesprochen: „nadi der Geburt wird so gleich über das neugeborne Kind, weil die gegenwärtige Aeltesten ausser der Ehe leben, von den Helfern oder Helferinnen, nachdem es ein Sohn oder Tochter ist, gebetet, so dann die heilige Tauffe, wo möglich, in der öffentlichen Gemeine mit zusammen gesetzter Fürbitte vollzogen. Ehe das Kind entwöhnt ist, wird es schon in die oberzehlte Sonntägliche Sing-Stunde aufgenomen, und alles drauf angefangen, den wahrhaftig gemachten Bund und Recht seiner H. Tauffe ihm Lebenslang zu erhalten." (Beschr. Druck, S. 129). — Welche Wichtigkeit bei der Kindertaufe die christliche Erziehung hat, betonte Zinzendorf 1738 im Eventualtestament: „Die heilige Tauffe gehört den Kindern, das glauben wir; aber wir glauben audi ohnfehlbahr, daß die getauffte Kinder wie die Printzen gepfleget werden müssen, und daß das verfluchte Eltern sind, die ihre Kinder zur Tauffe tragen, und hernach dieselbe Tauff-Gnade selber verwahrlosen helffen." (Theol. Bedenken, S. 171). An zwei Stellen mußte die Wertschätzung der Taufe durdi Zinzendorf besonders zum Ausdruck kommen: 1. gegenüber den Gemeinschaften, die das Sakrament der Taufe gering achteten, und 2. auf dem Missionsfeld. In den Theologischen Bedenken ist (S. 73 ff.) der „Extract eines Antwort-Schreibens an N. N. über verschiedene Puncte, die Gemeine zu H. h. betreffend. 1734" abgedruckt. Dort heißt es (S. 74): „Wir haben nicht eigentlich die Kinder-Tauffe so ernstlich angepriesen, ob gleich der Tauff-Bund nach Biblischer Regel und Exempel euren Kindern audi gehörte; sondern wir haben gesagt, daß ohne Tauffe keine sichtbahre Gemeine ist, und welche also gar keine Tauffe habe, von der können wir auch nicht glauben, daß sie eine sichtbahre Gemeine seye." Zur Meinung, daß die Taufe unnötig sei, schrieb Zinzendorf: „Aber da irret man und weiß die Schrifft
352
same Leben. Eine Besonderheit der in Herrnhut entstandenen Lieder war ihre starke Bezogenheit auf den geforderten Dienst des Christen. 4. Die Gemeine entwickelte in biblizistischer Haltung besondere gemeinschaftsfördernde Handlungen im Liebesmahl und im Fuß waschen. 5. Die herausgehobenen Bet-Tage formierten die Gemeine auf ein bestimmtes Ziel hin und hatten ihren besonderen Wert darin, daß die Einmütigkeit aller gefördert wurde. 6. Für das umfangreiche Versammlungsleben war das in der Mitte des Ortes liegende Gemeinhaus eine unbedingte Notwendigkeit. 7. Die seelsorgerliche Verantwortung nötigte zu einer Gliederung der Gemeine in große, kleine und kleinste Gruppen. Die seelsorgerliche Ansprache fand ihren Platz in den nach den natürlichen Ständen gegliederten Classen (Chöre). Das brüderliche Gespräch sowie die gegenseitige Mahnung und Tröstung waren vor allem in den Banden zu Hause. Innerhalb dieser Ordnung bildeten sich Lebensgemeinschaften von Ledigen, die sich für besondere Dienste der Gemeine rüsteten. nicht, und fähret übers Ziel und meistert den einigen Meister. Man soll die Menschen im Nahmen des Vaters, Sohnes und Heil. Geistes, tauffen, die man gelehret hat und gläubig achtet; so streitet man, seiner Meynung nach, mit den Theologis. So lange man aber gar nicht tauftet, so streitet man wissentlich mit der SchrifTt, und macht weniger Tauffen, als ihrer sind: denn der die Geist- und Feuer-Tauffe giebt, der hat audi das Wasser-Bad im Wort geordnet." Im Dezember 1740 schrieb Zinzendorf ein „Project vor unsre Boten zu einem allgemeinen Heiden-Catechismo". Sie sollten dies zur Grundlage dessen machen, was sie im Missionsdienst lehrten (Abgedruckt in Uttendörfer, Die wichtigsten Missionsinstruktionen Zinzendorfs, S. 36 ff.). Darin heißt es: „Fr. Ey, den (HErrn JEsum) möchte ich wohl lieb kriegen? A. Du sollst seine Liebe ins Hertz gegossen kriegen. Fr. Wie bald kan das seyn? A. Sobald du wilst, besinne didi nur erst, ob du glaubst, was ich dir sage, und was du dabey fühlest in dir. Fr. Wie geschichts denn? A. Ich tauffe didi mit Wasser im Namen des Vaters, seines Sohnes und des Heiligen Geistes. Fr. Warum muß ich denn mit Wasser getaufft werden? A. Das Blut, das der HErr JEsus bey seinem Tode für dich vergossen hat, kommt unsichtbar mit dazu und wascht alle deine Sünde und Straffen vom Hertzen weg. Fr. Ey, sagt mir noch mehr. A. Wenn du getaufft bist, nach und nach." (Uttendörfer, Missionsinstruktionen, S. 40 f.). Audi Christian David schrieb über die Taufe. Vgl. C. D. Beschr. Druck, S. 92 ff.: „Von unsrer Kindlein Tauffe." und D. gl. Br. 1731, R 6 Aa 22, 1, S. 47 ff.: „Von unßer gemeinschaftlichen Kinder taufe." Zinzendorf handelt in seinem Katediismus von 1723 „Gewisser Grund Christlicher Lehre, Nach Anleitung des einfältigen Catediismi seel. Herrn D. Luthers . . . " (Neue und verbeßerte Auflage, Leipzig u. Görlitz 1735) auf den Seiten 229—266 „IV. von dem Gnaden-Zeichen und Siegel des neuen Bundes, nehmlidi der heiligen Tauffe."
353
8. Die seelsorgerliehe und die diakonische Aufgabe führten die Gemeine dazu, besondere Dienste zu ordnen und geprägte Ämter dafür zu setzen. Sie richtete sich dabei nach biblischem Vorbild und lehnte sich an Rom. 12,7 u. 8 an. Die Ämter sollten den Dienst des Pfarrers nicht einschränken oder gar verdrängen, sondern wurden durch die Forderung nach intensiver Seelsorge an jedem Glied der Gemeine nötig. Das Amt legitimierte seinen Träger vor der Gemeine und erhielt ihn im geordneten Dienst. 9. Die leitenden Ämter erwuchsen z . T . aus der bürgerlichen Verfassung, empfingen ihre Legitimation aber aus der geistlichen Vollmacht. Auch sie waren letztlich seelsorgerliche Ämter. 10. Die Aufgabe der Lehrer wurzelte ebenfalls im seelsorgerlichen Auftrag. Sie hatten nicht am öffentlichen Lehramt des Pfarrers teil, sondern ihr Amt wurde begründet in der brüderlichen Mahnung und Stärkung durch das biblische Wort. Die Ämter der Aufseher und Ermahner und der Dienst der Bandenhalter waren klar vom Seelsorgerlichen her bestimmt. 11. Die gesetzten diakonischen Ämter erfüllten ihre Aufgabe, daß die Versammlungen geordnet zu geschehen und die Fremden nicht ohne Aufnahme, die Armen nicht ohne Hilfe und die Kranken nicht ohne Pflege zu bleiben hätten, in wirksamer Weise. Die Armenpflege und die Krankenpflege wurden als der Gemeine aufgetragene Dienste verstanden, die nicht vernachlässigt werden durften. 12. Die wichtigste Erkenntnis, daß in der Seelsorge und derDiakoniedie durch das Geschlecht gesetzte Grenze zu beachten sei, führte zur Teilnahme der Schwestern an fast allen Diensten und Ämtern, soweit sie unter Frauen und Mädchen geordnet wurden. 13. Die Vielfalt der Dienste und die Möglichkeit, nach einer gewissen Zeit sein Amt zu wechseln, erleichterten die Übernahme eines Amtes oder sogar mehrerer Ämter. 14. Die Konferenzen der im gleichen Amt Befindlichen bedeuteten eine ständige Zurüstung für die gestellten Aufgaben. 15. Neben den Ämtern gab es noch weitere Dienstmöglichkeiten im täglichen Besuch, in der geordneten Fürbitte und im Einsatz der musikalischen Gaben. 16. Jede Gabe, die der Auferbauung der Gemeine nützen konnte, fand so ihre Betätigungsmöglichkeit und ihren Platz im geordneten Dienen der Gemeine. Darüber hinaus ergaben sich durch das tägliche Zusammenleben vielfache Gelegenheiten zur spontanen Hilfeleistung von Mensch zu Mensch. 17. Die innerhalb der Gemeine gelegene Anstalt für Kinder fügte sich organisch in das Gesamtleben ein und war für das Leben der Gemeine und als Schule des Dienens unentbehrlich. 18. Die Gemeine war in erstaunlicher Weise offen für Besucher und 354
öffnete sich für den, der den Anschluß an die Gemeinschaft suchte, wenn er bereit war, sich in ihre Ordnungen zu fügen. 19. Von Beginn an begnügte sich die Gemeine nicht mit einem in sich ruhenden Eigenleben. Sie drängte über ihren Bereich hinaus und suchte Kontakte mit Gleichgesinnten. 20. Sie erkannte als ihren besonderen Auftrag die Verkündigung des Evangeliums in aller Welt. Sie wußte sich dabei zuerst den Menschen der näheren Umgebung und der alten Heimat verpflichtet, fand aber sehr bald Möglichkeiten zur Mission in großer Entfernung und unter schwierigsten Bedingungen. Indem sie sich mit ihren ungeschulten Missionaren besonders den Völkern niederer Kulturstufe zuwandte, versuchte sie, in den ihr gesetzten Grenzen zu bleiben. 21. Alle diese Aufgaben innerhalb der Gemeine und über ihren Bereich hinaus griffen die Brüder an aus der Grunderkenntnis, daß das Leben des einzelnen Christen wie das der christlichen Gemeinschaft erst im Dienst zur Reife kommt. Das Leben mit Christus erfüllte sich für sie im Dienen aus Liebe. 22. Dieser Dienst erforderte alle Kräfte des einzelnen und der Gemeine. Der prägende Ausdruck für die Hingabebereitschaft, die Leiden und Tod mit in den Dienst einbezog, wurde der biblische Gedanke der Streiterschaft Christi. Es konnte nicht ausbleiben, daß sich die zur letzten Hingabe bereiten Glieder der Gemeine in besonderer Weise sammelten, um durch die Geschlossenheit ihres Einsatzes ihrem Dienst die erwünschte Wirksamkeit zu verleihen. 23. Das Leben der Gemeine im alten Herrnhut mit seinen vielfältigen Formen vollzog sich ohne Isolierung eines Bereiches innerhalb des Gesamtlebens. Gottesdienst und Berufsarbeit, Verkündigung, Seelsorge, Erziehung, Diakonie und Mission forderten wohl verschiedene Weisen des Dienstes, hatten aber kein gesondertes Eigenleben. Die Bezogenheit der einzelnen Bereiche, der Lebensformen und der Ämter aufeinander und ihr gegenseitiger Dienst machten die Lebendigkeit und die Wirksamkeit des Herrnhuter Gemeindelebens aus. 24. Das Leben der Herrnhuter Gemeine wurzelte im Glauben an den gegenwärtigen Herrn, der dem zum Gehorsam Bereiten seinen Willen in seinem Wort kundtut und in der täglich erfahrbaren Führung die ihm Folgenden und Dienenden seines Segens vergewissert. Haben wir mit den vorstehenden Sätzen den Umfang des geordneten Dienens in den Lebensformen des alten Herrnhut zu umschreiben versucht, so muß nun die Frage gestellt werden, ob eine solche Ordnung als schrift- und bekenntnisgemäß zu bejahen ist. 355
Zinzendorf hat die Brüdergemeine in Herrnhut immer in der Übereinstimmung mit der lutherischen Lehre und dem Bekenntnis der lutherischen Kirche halten wollen. Zu der von uns betrachteten Zeit lebte die Gemeine völlig in der Zuordnung zum lutherischen Pfarramt in Berthelsdorf. Auch später, als das eigene Kirchenwesen sich schon sichtbar zu entfalten begann und in anderen Ländern (England, Preußen) als solches anerkannt wurde, galt den Brüdern die Confessio Augustana als gültiges Bekenntnis. Nicht umsonst ließ Zinzendorf sich von der Tübinger Fakultät bescheinigen, daß die mährische Brüdergemeine mit ihren Einrichtungen „ihre Connexion mit der evangelischen Kirche (gemeint ist die lutherische) behaupten könne und solle" 2 . Daß die Herrnhuter Ordnungen dem Zeugnis des Neuen Testamentes nicht widersprachen, müßte eigentlich schon daraus hervorgehen, daß die Brüder nichts sehnlicher wünschten, als mit ihrem Leben dem Geiste des Neuen Testamentes und der in ihm geschilderten Gemeinde zu entsprechen. Jedoch hätte ja die Möglichkeit bestanden, daß die Gemeine gerade in der ängstlichen Bemühung, urchristliches Leben nachzuvollziehen, in gesetzlicher Weise zur Sekte geworden wäre, in der Form, daß sie einen Gedanken, etwa den der Lebensformen und des Dienstes in ihnen, so stark betont hätte, daß er den Grundartikel der Rechtfertigung aus Glauben verdeckt hätte. Es mag schon die Gefahr bestanden haben, daß einzelne Brüder im ersten Stolz auf das lebendige Gemeindeleben die Formen und Ordnungen zu stark betonten. In der Grundlinie lag dies jedoch nicht. Die Grundlinie Herrnhuts blieb beim solus Christus, bei sola gratia und sola fide. Wo immer der Verkündigungsgehalt kenntlich wird, ist man überrascht, in welch starker Betonung dies entfaltet wurde. So bedeuten die der Schrift entnommenen und in lebendiger, praktischer Exegese verwirklichten Lebensformen Alt-Herrnhuts keine Verdunkelung der evangelischen Hauptartikel. Ganz im Gegenteil mußten alle Lebensformen und Dienste dazu dienen, daß sie die Rechtfertigung 2 D i e H i n t e r g r ü n d e des a m 13. 4. 1733 ausgestellten „ B e d e n k e n der theol. F a k u l t ä t zu T ü b i n g e n " hat J o s . Th. Müller in seiner Untersuchung: Zinzendorf als Erneuerer der alten Brüderkirche, S. 46 fT. dargestellt. D e n A n l a ß bildete die beabsichtigte Ber u f u n g v o n Magister Steinhofer aus Tübingen z u m P a s t o r in H e r r n h u t . „ I m M ä r z dieses J a h r e s (1733) reiste Z i n z e n d o r f nun nach Tübingen, teils um die Entlassung Steinhofers aus dem Württembergischen Kirchendienst beim Stuttgarter K o n s i s t o r i u m mit bewirken zu helfen, teils um zugleich v o n der Tübinger F a k u l t ä t ein Gutachten über die v o n ihm fixierte Stellung Herrnhuts innerhalb der lutherischen Kirche zu erlangen. E i n soldies schien ihm als die notwendige G r u n d l a g e f ü r Steinhofers Stellung und zugleich wichtig zur Orientierung f ü r Freunde und G e g n e r . " (Müller, Erneuerer, S. 46). — In dem Bedenken „ w i r d ausdrücklich unter K o n n e x i o n nicht nur ,eine innerliche Gemeinschaft der Heiligen im Geist' verstanden, sondern ,die Kirchengemeinschaft mit der E v a n g e l i schen K i r d i e Augsburgischer C o n f e s s i o n ' . " (Müller, Erneuerer, S. 46 f. nach Tübinger Bedenken, S. 45, 47). V g l . auch K a p . 2. A n m . 19.
356
aus Gnaden allein in seelsorgerlicher Verantwortung dem einzelnen so nahe brachten, daß er den Anspruch des Evangeliums verspürte und der gebotenen Entscheidung nicht ausweichen konnte. Wesentlich ist aber, daß es nicht allein bei der Zusage der Rechtfertigung blieb. Die Heiligung des Lebens als Frucht der erfahrenen Vergebung durfte nach Meinung der Brüder nicht fehlen. Zu dieser Frucht gehörte der Dienst aller Glieder der Gemeine, der vom Dienst im bürgerlichen Beruf über den Dienst in den gottesdienstlichen Versammlungen und in den seelsorgerlichen Gruppen bis zur Diakonie und zur Mission mit letztem Einsatz reichte. Dienen als das Ziel der Gnade ist das echt Neutestamentliche, das man in Herrnhut erfuhr. Gerade d a f ü r waren die dem Neuen Testament entsprechenden, nur nach dem Bedürfnis dieser Zeit abgewandelten Lebensformen das Gefäß. In der T a t ging Herrnhut über das sonstige Kirchenwesen zur gleichen Zeit in diesem Punkte hinaus. Aber es ging diesen Weg mit Recht. N u r eine Freiwilligkeitsgemeinde war dazu in der Lage. So mußte Herrnhut zum Beispiel für viele werden, wie man als Gemeinde Christi auch leben kann. Die Auswirkungen in die Zukunft hinein kamen nicht von ungefähr. Eine besondere Frage, die gestellt werden könnte, ist die, ob die Verteilung der Aufgaben unter viele und die Fülle der Ämter im alten Herrnhut nicht den in den lutherischen Bekenntnisschriften enthaltenen Aussagen über das A m t der Kirche widerstreiten. Wir müssen dies verneinen. Die Vollmacht des öffentlichen Predigtamtes (ministerium docendi evangelii et porrigendi sacramenta, C A V und C A X I V ) wurde von den Ämtern der Herrnhuter Ordnung nicht beschränkt. G a n z im Gegenteil genoß das A m t die Anerkennung der ganzen Gemeine. Der V. Artikel der Confessio Augustana richtet sich gegen die Meinung, als könne man „ohn das leiblich Wort des Evangelii den Heiligen G e i s t . . . erlangen", und nicht gegen eine Vielzahl von Ämtern. U n d im X I V . Artikel geht es um das „publice docere", das nur dem zusteht, der „rite v o c a t u s " und ordiniert wurde. Der V I I . Artikel von der Kirche gibt sogar eine Vielzahl von Gestaltungsformen kirchlichen Lebens frei, wenn nur das Evangelium rein gepredigt und die Sakramente dem Evangelium gemäß gereicht werden. D a ß Alt-Herrnhut „congregatio sanctorum" gewesen ist, „in qua evangelium pure docetur et recte administrantur sacramenta", wird man ihm nicht bestreiten dürfen. J a , die Beschreibung, die Luther im Großen Katechismus (II/3) von der rechten „Gemeine" gab, dürfen wir mit Fug und Recht auch auf Herrnhut anwenden: „Ich glaube, daß da sei ein heiliges Häuflein und Gemeine auf Erden eiteler Heiligen unter einem H ä u p t , Christi, durch den heiligen Geist zusammenberufen, in einem Glauben, Sinne und Verstand, mit mancherlei Gaben, doch einträchtig in der Liebe, ohn Rotten 357
und Spaltung." Der Heilige Geist „brauchet sie dazu, das Wort zu fuhren und treiben, dadurch er die Heiligung machet und mehret, daß sie täglich zunehme und stark werden im Glauben und seinen Früchten, so er schaffet." 3 Daß die Glieder der christlichen Gemeinde sich gegenseitig seelsorgerliche Hilfe zu geben haben, wird aus der oft zitierten Wendung der Schmalkaldischen Artikel (3. Teil/IV) deutlich, nach der Gottes Gnade nicht nur durch Predigt, Taufe, Sakrament des Altars und durch die Kraft der Schlüssel vermittelt wird, sondern „auch per mutuum colloquium et consolationem fratrum", wobei diese wechselseitige Tröstung der Brüder mit unter die Schlüsselgewalt geredinet wird 4 . Zinzendorf, Pfarrer Rothe und die Brüder hatten also ein gutes Empfinden für die gegebenen Möglichkeiten, wenn sie ihre ganze Ämterordnung in der seelsorgerlichen Aufgabe begründeten. Hier waren neben dem öffentlichen Pfarramt weitere Ämter nötig, wenn die gegenseitige Seelsorge nicht unterbleiben sollte. Die Diakonie forderte darüber hinaus geordnete Dienste. So kam es zur Ämterordnung. Die Brüder führten sie nicht ein, um dem Predigtamt in irgendeiner Weise die im göttlichen Mandat liegenden Rechte zu nehmen, sondern um die der Gemeinde in dem ihr eigenen Priestertum übertragenen Aufgaben in geordneter Weise erfüllen zu können. In der Mission wurde dieser Auftrag allerdings überschritten. Sie gewährte Anteil am apostolischen Amt. Aber auch hier blieb alles in der Ordnung. Kein Bote verließ Herrnhut, der nicht den ordentlichen Auftrag der Gemeine hatte. Keiner arbeitete in der Ferne, hinter dem nicht die ganze Gemeine als Sendende stand. Wir kommen also zu dem Ergebnis, daß die Lebensformen, die Laienämter und die Dienste im alten Herrnhut in den von der Heiligen Schrift und dem Bekenntnis gesteckten Bahnen möglich waren. Wir können weiter gehen und sagen, daß sie vom seelsorgerlichen, diakonischen und missionarischen Auftrag her geradezu geboten waren. Wir fragen uns, warum es in unserer heutigen Zeit nicht zu einer entsprechenden Gemeindeordnung vom gleichen Auftrag her kommen sollte. So können wir schließlich für unsere heutigen Fragen folgern: Eine durch den Heiligen Geist in Wort und Sakrament gegründete Gemeinde wird auch heute nur als dienende Gemeinde leben können. Sie wird sich eine Ordnung geben, die dem Dienst entspricht, den die Dankbarkeit für Christi Liebestat fordert.
3 4
Die Bekenntnissdiriften der evangelisdi-lutherisdien Kirdie, 2. Aufl. 1955, S. 657 f. Bekenntnisschriften, S. 449 „Vom Evangelio". 358
1. Quellort des Gemeindelebens sind Wort und Sakrament. Mittelpunkt des gemeindlichen Lebens können deshalb auch heute nur die gottesdienstlichen Versammlungen der ganzen Gemeinde sein. Der Leib Christi verlangt danach, daß er sich an einer Stelle seines sonst differenzierten Lebens als Ganzes darstellt. Dies kann sich jedoch nicht im sonntäglichen Vormittagsgottesdienst erschöpfen. Der Sonntag als „Tag des Herrn" sollte der eigentliche Versammlungstag der lebendigen Gemeinde sein. Die „Familie Gottes auf Erden" nützt ihn zur Entfaltung ihres Lebens. In der Verkündigung ist darauf zu achten, daß sie über der Lehre und dem Trost nicht die ständig nötige Erinnerung an die Dienstpflicht aller Glieder vergißt. Wird sie evangelisch, d. h. in der erfahrenen Begnadigung begründet, so wird diese Mahnung von falscher Gesetzlichkeit frei bleiben. Den regelmäßigen Abendmahlsfeiern der ganzen Gemeinde kommt besondere Bedeutung zu. Man sollte ihnen auch ihren herausgehobenen Platz zuweisen. Auf das Liedgut der Gemeinde gilt es zu achten. Man müßte stärker darauf sehen, daß die Gemeinde Choräle und Lieder zu singen bekommt, die zu Hingabe und Dienst ermuntern. Das Evangelische Kirchengesangbuch bedarf in dieser Richtung dringend einer Ergänzung. Es ist zu fragen, ob die urchristliche Agape nicht in unserer Kirche zu erneuern sei. Das Leben der „familia Dei" verlangt nach der Tischgemeinschaft im kleinen und großen Kreis. Ebenfalls ist zu erwägen, ob nicht die Handlung des Fußwaschens ihrem Inhalt nach zum Leben der Kirche gehört. Es muß an irgendeiner Stelle kenntlich werden, daß in der Gemeinde Christi die Höhergestellten zum geringsten Dienst an den Brüdern bereit sind. Die positiven Erfahrungen mit Rüstzeiten als Einübung in das Leben des Glaubens könnten in der Form des Gemeindetages auf die Ortsgemeinde übertragen werden. Solche Gemeindetage, vielleicht über das Wochenende gelegt, sollten dem Gebet und dem Bibelstudium großen Raum geben und die Einzelgemeinde in das Leben der Gesamtkirche mit ihren geschichtlichen Erfahrungen einordnen. Sie sollten die Gemeinde im Wollen einmütig machen und ihr ihren missionarischen und diakonischen Auftrag unausweichlich vor Augen stellen. Der Christ kann nicht leben, ohne daß sein Tagewerk umspannt ist vom Hören auf Gottes Wort und dem Dankgebet für erfahrene Wohltaten. Der Christenheit in der Zerstreuung entspricht es, wenn die tägliche Andacht im Familienkreis oder durch den einzelnen allein geschieht. Jedoch sollte sie, wo immer es möglich ist, gemeinsam gehalten werden. In der Gemeinde sollte mindestens an einem Ort das Tagesgebet am Morgen und am Abend für alle Kommenden offen sein. Bei einer weit verstreut 359
wohnenden Gemeinde sollte man an verschiedenen Orten zur täglichen Andacht einladen. Christliche Lebensgemeinschaften ordnen den Tag mit seiner Arbeit durch das gemeinsame Gebet. Ohne ein Gemeindehaus mit verschiedenen Versammlungsräumen kann eine Gemeinde ihr Leben nur schwer gestalten. 2. Es ist keine Frage der Organisation des Gemeindelebens sondern eine Aufgabe für das Gebet der Kirche, daß sie Gottes Heiliger Geist zu lebendigem Glauben und herzlicher Bruderliebe erwecke. Wir sollten der Erkenntnis stärker als bisher Raum geben, daß alles kirchliche Leben ohne solche Erweckung des einzelnen und der Gemeinschaft fruchtlos bleibt. Missionarisch und diakonisch handelnde Gemeinde kann nur dort entstehen, wo Gott selbst Menschen zu einem Leib zusammenfügt und ihnen das Bewußtsein gegenseitiger Verantwortung im Dienst der Liebe in das Herz gibt. Frucht solcher Erweckung wird sein, daß Menschen eins werden im Ziel, das sie verfolgen. Sie werden das gemeinsame Ziel haben, in der Kraft dessen zu leben, der diese Welt aus dem Argen retten will. Sie werden ihm allein zu dienen und seinen Auftrag in dieser Welt zu erfüllen suchen. Als Leitbild ihres Lebens wird das Bild, das das Neue Testament von der Gemeinde Jesu Christi und ihren Gliedern zeichnet, immer Gültigkeit behalten. Biblische Maßstäbe sollten deshalb in der Praxis des gemeinsamen Lebens wie audi des Einzellebens wieder stärkere Betonung erfahren. Die Weisungen der Heiligen Schrift zeigen ihre Gültigkeit, wenn sie im Gehorsam befolgt werden. Wer meint, sich vorschnell biblischer Ordnung entziehen zu können, bringt sich selbst um den verheißenen Segen. Die Kirche in unserem Volk wird in Zukunft mehr und mehr den Freiwilligkeitscharakter annehmen. Frucht der Erweckung durch Gottes Geist wird es sein, wenn die Glieder dieser Kirche nach einer bruderschaftlichen Lebensordnung verlangen, die zum Ausdruck ihrer Gemeinschaft mit Christus und miteinander wird. Man sollte dem aber stärker als bisher Rechnung tragen und auf eine für die Glieder der Kirche verbindliche Ordnung zugehen, zu der sich der Getaufte und Konfirmierte verpflichtet weiß. So wird die Gemeinde als Leib Christi in lebendiger Bruderschaft unter ihrem Haupte Christus leben. Es gehört schließlich zur Erweckung durch den Heiligen Geist, daß die Gaben des einzelnen erweckt werden zum Dienst im Leben des Ganzen. Je mehr eine Kirche die Gaben verkümmern läßt, die Christus dem Christen, gerade auch dem Laien, gegeben hat, desto gestaltloser und fruchtloser wird ihr Leben. Je mehr sie darauf Wert legt, daß jede vorhandene Gabe als Gabe des Geistes Gottes erkannt, geehrt und eingesetzt wird, desto lebendiger und vielgestaltiger wird ihr Zeugnis vor der Welt. Damit die Gaben zum Einsatz kommen können, muß in unserer heutigen Diasporasituation die Gestaltung des Gemeindelebens stark darauf ausgerichtet 360
sein, daß eine möglichst vielfache persönliche Berührung der Gemeindeglieder untereinander geschieht. Gemeinde als „familia Dei" kann nur dort werden, wo ihre Glieder sich wie Glieder einer Familie miteinander verbinden und einander mit ihren Gaben dienen. 3. Zum Leben des Leibes Christi gehört die Verantwortung für den anderen, die sich im geordneten Dienen erweist. Die Gemeinde Christi wird deshalb vom seelsorgerlichen und diakonischen Auftrag her eine dem Leben des einzelnen und der Gesamtheit hilfreiche Gliederung vornehmen. Sie wird im allgemeinen Priestertum der Gläubigen begründete Dienste und Ämter setzen, die den Träger des öffentlichen Predigtamtes für seinen eigentlichen Dienst freimachen. Sie wird darauf sehen, daß keines ihrer Glieder ohne die Möglichkeit eines Dienstes bleibt. a) Nimmt die Gemeinde die ihr gebotene Seelsorge an allen ihren Gliedern ernst, dann kann sie eine Gliederung unter seelsorgerlichen Gesichtspunkten nicht unterlassen. Die natürlichen Gruppen der Männer, Frauen und Jugendlichen werden heute berücksichtigt. Man gliedert auch schon weiter nach dem Lebensstand innerhalb dieser Gruppen und sammelt ζ. B. die Mütter, die berufstätigen Frauen, die Alten und einzelne Berufsgruppen. Die Kirche sollte der jeweils verschiedenen seelsorgerlichen Situation der Lebensstände audi durch bewußt differenzierte seelsorgerliche Arbeit an ihnen Rechnung tragen. Neben diesen größeren Kreisen verlangt der Christ jedoch nach dem ganz persönlichen Austausch über seine wesentlichen Lebensfragen im kleinsten Kreis. Ob dies in der Form von Hausbibelkreisen oder in anderen Gruppierungen heute möglich ist, ist zu prüfen. Ohne solchen persönlichen Austausch jedoch läßt sich ein lebendiges Gemeindeleben nicht denken. Es baut sich auf diesen kleinsten Zellen auf. b) Eine Vielzahl von Diensten und Ämtern wird eine lebendige Gemeinde ordnen müssen. Sie haben, soweit sie der Verkündigung dienen, Anteil an dem der Kirche anvertrauten Predigtamt. Sie nehmen als seelsorgerliche oder diakonische Ämter ihre Vollmacht aus dem der Gemeinde gegebenen seelsorgerlichen und diakonischen Auftrag. Sie werden geordnet und eingesetzt, um ihre Träger vor der Gemeinde zu legitimieren und zur Treue ihrem Auftrag gegenüber anzuhalten. Die leitenden Ämter sollten als Ämter mit geistlicher Vollmacht verstanden werden. Ihre Befugnisse haben vor allem dazu zu dienen, daß der der Gemeinde gegebene Auftrag Christi erfüllt wird. Neben dem öffentlichen Lehramt des Ordinierten sollten Männer und Frauen herausgestellt werden, denen die Unterweisung der Gemeindeglieder im kleinen Kreis anvertraut ist, sei es die Mithilfe im Kindergottesdienst, das Sammeln der Kinder zur Christenlehre und der Jugend zu ihren Abenden oder die Leitung eines Hausbibelkreises. Die Gaben des 361
seelsorgerlichen Zuspruchs sollten in vielen Gemeindegliedern geweckt und geschult werden. Für die Dienste in Kirchgebäude und Gemeindehaus, für die Betreuung fremder Besucher, für die geregelte Versorgung der bedürftigen und alten Gemeindeglieder und für die geordnete Pflege der Kranken sind in der Gemeinde verschiedene Menschen mit besonderem Dienstauftrag nötig. Neben den geordneten Ämtern sind allen Gemeindegliedern Möglichkeiten zur Ausübung eines Dienstes anzubieten. Die gegenseitige brüderliche Hilfe, der Besuch, die Fürbitte und der Einsatz der musikalischen und auch der anderen musischen Gaben bieten Dienstmöglichkeiten für alle. Es ist zu fragen, ob nicht Seelsorge und Diakonie auch heute nach einer stärkeren Beachtung der begrenzten Aufgabe am eigenen Geschlecht verlangen, so daß der Dienst an den Frauen und Mädchen der Gemeinde vornehmlich von Frauen, der Dienst an den Männern von Männern geschieht. Jedoch können wir heute in der gegenseitigen Abgrenzung nicht so ängstlich verfahren, wie man es in Alt-Herrnhut tat. Die Geschlechter haben gerade in ihrer Verschiedenheit eine Aufgabe aneinander, und die Stärkung der Familie ist heute besonders nötig. Es sollte bei der Beauftragung mit Diensten und bei der Setzung von Ämtern darauf gesehen werden, daß der einzelne sie nur so lange zu versehen hat, als er dafür geeignet ist. Ein Wechseln des Dienstes sollte man, allerdings unter Ausschluß der Leichtfertigkeit, immer wieder gewähren. Die anzubietende Vielzahl der Dienste muß es jedem erlauben, seine besondere Gabe zu finden und zu üben. Ein lebendiges und differenziertes Gemeindeleben mit vielen Mitarbeitern verlangt nach der Konferenz der im gleichen Dienst Befindlichen. Diese Konferenzen sollten oft und streng sachbezogen gehalten werden. Solange sie dem Fortgang der Sache dienen und auf die Stärkung im Dienst ausgerichtet sind, werden sie nicht als Last sondern als Hilfe empfunden werden. 4. Die Gemeinde Christi hat ihren Auftrag zum Dienst an ihren der Hilfe bedürftigen Gliedern als Gebot Christi wahrzunehmen und kann dies nicht an andere Institutionen abgeben. Es wird darum immer wieder nötig sein, daß eine Gemeinde oder, wenn dies die K r a f t einer einzelnen Gemeinde übersteigt, mehrere zusammen eine Anstalt unterhalten, die zur Erfüllung besonderer diakonischer Aufgaben, vor allem an den Kindern, den Kranken und den Alten, bestimmt ist. Diese Anstalt wird sich um so leichter dem Gemeindeleben einfügen, als sie für den Dienst der Gemeinde an ihren Gliedern unentbehrlich wird. Sie könnte zugleich Schule des Dienens für viele werden. Von diesem diakonischen Zentrum aus kann der Dienst an den kranken, alten und bedürftigen Gemeindegliedern in den Häusern am sachgemäßesten geschehen. 362
Die Gemeinde wird nur dann anziehend für Fremde sein, wenn sie sich in herzlicher Gastfreundschaft dem Besucher zuwendet und ihre Tore geöffnet hält für den, der in ihr zu leben wünscht. Dies erfordert eine diakonisch ausgerichtete Gesamthaltung der Gemeinde und die Herausstellung einzelner Glieder, die sich der Fremden besonders annehmen. Durch das finanzielle Opfer werden mehr Gemeindeglieder an der Diakonie teilnehmen, als dazu unmittelbar in der Lage sind. Man wird darauf zu achten haben, daß dieses Opfer nie Ablösung einer versäumten Pflicht, sondern immer Ausweitung des persönlich schon von Mensch zu Mensch geübten Dienstes ist. 5. Eine lebendige Gemeinde kann sich nidit mit ihrem Eigenleben begnügen. Sie sucht die enge Verbindung zu denen, die wie sie Jesus Christus nachfolgen. Gegenseitiger Besuch und Austausch gehören darum zu ihrem Leben hinzu. Die lebendige Gemeinde wird darüber hinaus zur Mission in ihrer Umwelt und in ferne Länder getrieben. Sie wird die ihr gegebenen Möglichkeiten nutzen, in denen sie dem Auftrag Christi zum Zeugnis in dieser Welt genügen kann. Sie wird die Ausbreitung des Evangeliums als ihren wesentlichen Dienst empfinden und viele Glieder dafür bestimmen. Sie wird die ihr besonders gestellte missionarische Aufgabe zu erkennen und zu erfüllen suchen. Dabei wird sie erfahren, daß ihr Leben in der Nachfolge und Liebe Christi als solches schon Strahlkraft besitzt, das andere Menschen zum Evangelium lockt. Dann aber wird sie versuchen, ihr Zeugnis in der ihr gegebenen Weise zu sagen. Sie wird diejenigen Glieder, die am unmittelbarsten mit der Welt konfrontiert sind, mit einem ausgesprochenen Sendungsauftrag versehen und besonders ihres Dienstes in der gemeinsamen Fürbitte gedenken. Für größere Aufgaben der Mission werden sich wiederum mehrere Gemeinden zusammenschließen müssen, um sie mit gesammelter Kraft bewältigen zu können. Immer aber wird die Gemeinde als Ganze hinter den missionarischen Unternehmungen stehen und jeden im missionarischen Dienst Tätigen als ihren Beauftragten mit Fürbitte und finanziellem Opfer begleiten. Dies wird ihr jedoch nur möglich sein, wenn sie regelmäßig über die Lage der Mission in der Nähe und in der Ferne unterrichtet wird. 6. Bestimmte Dienste kann die Kirche Jesu Christi nur üben, wenn Menschen dafür ganz und vorbehaltlos zur Verfügung stehen. Dem Gedanken der „militia Christi", des ganzen Lebenseinsatzes mit Einschluß des Leidens um Christi willen, ist in Lehre und Leben der Kirche deshalb Raum zu gewähren. Sollten sich daraus bruderschaftliche Zusammenschlüsse zum Dienst Christi ergeben, so ist darauf zu achten, daß sie nicht zur Isolierung der ihnen Angehörenden vom Leben der Kirche sonst führen, sondern daß gerade der hervorgehobene Einsatz das Gemeindeleben 363
zur allgemeinen Dienstwilligkeit befruchtet. Die Bruderschaft und die Schwesternschaft sind allerdings in besonderer Weise dazu bestimmt, Diakonie und Mission der Kirche auszugestalten und in gehorsamer Nachfolge zu vollziehen. Die lebendige christliche Gemeinde wird sich darin erweisen, daß keiner ihrer verschiedenen Dienste isoliert geschieht, sondern alles zum Ausdruck des Lebens des Leibes wird, an dem die Glieder sich gegenseitig dienen. So ergänzen und befruchten sich die Dienste im Gottesdienst und im Alltagsleben, in Verkündigung, Erziehung, Seelsorge, Diakonie und Mission. In der Ordnung, die Wort und Sakrament ihnen verleihen, vollbringen sie ihr Werk in der Auferbauung der Gemeinde. Die geistlichen Lebensbewegungen der Leiturgia, Martyria und Diakonia werden vom Zentrum der Gegenwart Christi in seiner Gemeinde her im Leben des einzelnen, der kleinen und großen Gruppen, der Einzelgemeinde und der Gesamtkirche spürbar werden. Sie haben jeweils ihr ihnen eigenes Ziel, das sie voneinander deutlich abhebt, aber sie können nur in ihrer Gemeinsamkeit Ausdruck des Lebens in der Gemeinschaft mit Jesus Christus werden.
364
TAFEL Ι
Bild 1: Herrnhut um 1732. Nach der Natur gezeichnet und gestochen von Johann Daniel de Montalegre (Zittau 1732).
Bild 2: Herrnhut im Jahre 1753. (Tuschzeichnung im Unitäts-Archiv Herrnhut)
T A F E L II
Bild 3: Das „Gemeinhaus" in Herrnhut. Aufriß der Rückseite mit dem später wieder entfernten Ausbau des Betsaales. Undatierte Zeichnung im Unitäts-Archiv Herrnhut NB X . S . 8 a , vermutlich von 1748.
Ι
I Я!
Τ
,,
ο
ч
*
.
*
f. '
«J.. J * Ч
Τ
Щ. рШ'МШ^Щ
"ϊάιτ,,ι,ι. - » - °ν * *? * Э м ч ?
С**/ Ilifti .
„
Bild 4: Das „Gemeinhaus" in Herrnhut. Grundriß des Obergeschosses. Undatierte Zeichnung im Unitäts-Archiv Herrnhut NB X . S . 8 a , vermutlich von 1748.
T A F E L ΠΙ
Bild 5: Das „Gemeinhaus" in Herrnhut. Hauptfront nach dem jetzigen Zinzendorfplatz. Aufnahme vermutlich um 1900. Das Gebäude ist seit 1945 zerstört.
Bild 6: Der älteste Betsaal in Herrnhut im Obergeschoß des Gemeinhauses. Mit dem Gebäude seit 1945 zerstört.
T A F E L IV
с/
t ( j J - ? 6 f it&t*
ία
-litU'VL
б о р е е м Г
Г
Г . , TJ?/f,i
'%-J
ййМйгМмп
Bild 7: Kinder-Liebesmahl im Herrnhuter Betsaal. Tuschzeichnung (etwa um 1754) im Unitäts-Archiv Herrnhut.
Bild 8: Begräbnis in Herrnhut. Aufstellung der Gemeine nach der Versammlung im Betsaal auf dem Platz vor dem Gemeinhaus zum Zug nach dem Gottesacker am Hutberg. Tuschzeichnung (von C. Meder 1754) im Unitäts-Archiv Herrnhut.
Die Ämter im alten H e r r n h u t
Beilage 1
Datierung
1725
1727/28
Quelle
bes. Ämter
R 6 Aa 16, 4/27 u. Kurze Relation ZBG 1912, S. 51
R 6 Aa 18 lb v. Frühjahr 1728 Erste Gemeineinrichtung
1 Vorsteher und 1 Adjunctus
Älteste
Helfer
Lehrer
1 Ältester (Pfr. Rothe)
"im Weissagen" 1 männlich 1 weiblich
"in der Lehre" 1 männlich 1 weiblich
4 Oberälteste 9 Älteste
6 Helfer 4 Helferinnen
6 Lehrer 5 Lehrerinnen
geistl. Helfer in Herkunftsgemeinen 16 männlich 8 weiblich sog. "Landschaftsheiler
1728
Herrnhuter Diarium 26.6.1728
1728
C. David in Pater Regent, Unpartheyische Nachricht.
1728
R 6 Aa 25, 1/3 15.11.1728 Altestinnenversammlung
weibl. Oberälteste u. Ältestinnen erwähnt
R 6 Aa 16, 4/24 Privat-Amter aufs Winter Theil
4 Oberälteste 7 Älteste (10 Ältestinnen im Vorschlag)
1729
C. David in Livland R 6 Aa 22,2
12 Älteste davon 4 Oberälteste 12 Ältestinnen davon 4 Oberältestinnen
6 Helfer Helferinnen
6 Lehrer Lehrerinnen
1730
C. David-Beschr. Veränderungen im Druck
3 Älteste 3 Ältestinnen
3 Helfer Helferinnen
4 Lehrer Lehrerinnen
1730
R 6 Aa 25, 3 Gemeinratsprotokolle v. 13. 8.1730 v. 5.11,1730
1730
R 20 С 3c No. 88 Zinzendorf an die Erbprinzessin
1728/29
4 Älteste
6 "Weissager"
14 Helferinnen (in 10 Herkunftsgemeinen)
Lehrer
14 Lehrerinnen ("Bandenhalterinnen")
5 Lehrer
8 Lehrer
3 Ältestinnen
6 Mithelferinnen
Lehrerinnen
Eine Übersicht über die Jahre 1725 - 1738 nach den Quellen
Aufseher
Ermahner
" i m Fürstehen u.
" i m Ermahnen"
Diener ,,εί; -го faxovslv"
achtgeben"
1 männlich
1 männlich
1 männl., 1 weibl.
1 weiblich
1 weiblich
Almosenpfleger
Krankenwärter
" i m Austheilen u.
"allerl. LiebesWercke"
Fürsorgen" 1 männl., 1 weibl.
Aufsichts-Ämter
1 männlich 1 weiblich 1 Taxmeister
4 Aufseher 5 Aufseherinnen
5 Ermahner 4 Ermahnerinnen
3 Diener 2 Dienerinnen
2 Handwerksmeister
2 Almosenpfleger
3 Krankenwärter
2 Cassenhalter
2 Krankenwärterin-
1 Almosenpflegerin
nen
1 Straßenvogt 1 Brunnenvogt 1 Hausvogt 1 Feldinspector
Armenpfleger erwähnt (unter Helfern gezählt)
Aufseher
"Regierer über die
Almosenpfleger
Ermahner
Handthierungen"
Armen-Cassa
"Taxir-Meister"
7 Aufseherinnen
6 Ermahnerin-
4 Krankenwärterin-
2 Dienerinnen
nen
nen
8 Aufseher
6 Ermahner
7 Diener
5 Krankenwärter
8 Aufseherinnen
8 Ermahnerin-
6 Dienerinnen
6 Krankenwärterin-
nen
nen
8 Almosenpfleger ("ArmenVersorger") 2 Cassenhalter 6 Aufseher Aufseherinnen
6 Ermahner Ermahnerin-
7 Diener Dienerinnen
nen
("die, welche über die Armen-Casse gesetzt sind")
Krankenwärter Krankenwärterinnen
"die über die Handthierungen gesetzet sind"
Schwestern "keine A r men-Casse und ArmenPflegerinnen"
6 Aufseher Aufseherinnen
6 Ermahner Ermahnerin-
8 ArmenVersorger 7 Diener Dienerinnen
nen
"die, welche über die Armen-Casse gesetzt sind"
Krankenwärter Krankenwärterinnen
7 Almosenpfleger 6 Aufseher
5 Ermahner
9 Diener
(nach Herkunftsdörfern)
7 (10) Krankenwärter
2 Cassierer
einige Aufseherinnen
"welche zurechte helfen"
7 Dienerinnen
Almosenpflegerinnen
7 Krankenwärterinnen
"die über die Handthierungen gesetzet sind"
1731
C. David, Dennen glaubigen Brüdern R 6 Aa 22, 1
1731
H. Diarium 22.1. п. 5.3.1731
1733
Verfassung in C. David Beschr. Druck S. 120 ff.
1733
Älteste
Lintrups Anmerkungen in C. David Beschr, Druck
1736
R 5 A 7, 38 ν, 17.5.1736 Namen der "Officianten" für die 2. Untersuchungskommission 1736
Lehrer
bei den Schweste r n : " so haben sie
Pastor
1 Ältester 1 Mitältester 1 Vice-Ältester
R 6 Aa 25 Gemeinrat 26. 5.1733
1734
5 Helfer
4 Helfer (aus diesen der Mitälteste)
Privat-Lehrer " alle die
Helfer (ohne Begrenzung der Zahl) 1 1 1 1
Ältester Vice-Ältester Mitältester Älteste verschiedene Classen-Älteste
3 Älteste
Helfer (mehr als 3) Helferinnen
1 Lehrer
7 Helfer
16 "So genanten
1736/37
R 6 Aa 15, 5 s.d. 1736/37 ?
1738
J. Wesleys Journal / II (Nos. III u. IV) S. 133
1738
Eventualtestament Theol. Bed. S. 169 ff.
Bemerkungen:
Charnier
Charnier Vorsteher Bischöfe
General-Ältester Gemein-Älteste Chor-Älteste u. jeweils Vice-Älteste
"Helffer ins Ganze"
1 Ältester (Eldest of the whole church) Chorälteste (of every particular branch of it) Chor-Ältestinnen
Helfer (Helpers or Deacons)
General-Älteste Älteste
Lehrer und
Helfer
4 Lehrer (Teachers)
1. ordin. Prediger 2. "andere Zeugen die der HERR begabt hat"
1. E s sind nur Quellen verwandt worden, die eine Mehrzahl-von Ämtern erwähnen. 2. E s werden in dieser Aufstellung die in der einzelnen Quelle genannten Ämter aufgeführt. Ist die Anzahl der Brüder und Schwestern in der Quelle angegeben oder kann sie durch Zählung der genannten Namen festgestellt werden, steht die Zahl vor der Bezeichnung. 3. Daß ein Amt in einer Quelle nicht erwähnt wird, bedeutet nicht, daß es zu dieser Zeit nicht trotzdem vorhanden war. Wir haben die Rubrik deshalb offen gelassen.
Ermahner
Aufseher
7 Diener
Almosenpfleger
7 Krankenwärter
auch unter sich, fast g eich wie die Brüd er, ihre Besonder ämbter" Aufseher + 1 Bruder + 2 Schwestern
"über die Handthierungen und würtschaften"
Ermahner + 1 Bruder + 1 Schwester
Diener + 1 Bruder +1 Schwester
Almosenpfleger + 1 Bruder + 1 Schwester
Krankenwärter +1 Mitkrankenwärter + 1 Mitkrankenwärterin
Ermahner
Diener
Cassierer oder Almosenpfleger
Krankenwärter
Handwerks-Inspection u. Dorfgericht zu Berthelsdorf
9 Almosenpfleger u. Handwerksmeister
9 Krankenwärter
Handwerksmeister (bei Almosenpfleger)
Aufseher
andere Aemter haben ( ie Weibs-Leute au ch unter sich selb st" als i- mter aufgehoben
aufgehoben
1 allgem. Aufseher
als öffentl. Amt abgeschafft
7 Diener
kein bes. Amt "Brüder-GerichtsBediente", Gemeinrat
1 allgem. Diener
5 Diener 6 FremdenVersorger
3 Armenpfleger oder Cassierer
7 Krankenwärter
Almosenpfleger
Krankenwärter
Banden-Führer"
Aufseher
Ermahner
Diener
11 Aufseher (Overseers or Censors)
11 Ermahner (Monitors)
Diener (Servants or deacons of the lowest order)
Aufseher
Ermahner
Diener
Bandenhalter oder Arbe iter
11 Almosenpfleger (Almoners)
7 Krankenwärter (Attenders on the sick)
Almosenpfleger
Krankenwärter
4. Die Ämter der Schwestern sind in den Quellenschriften nicht immer ausdrücklich genannt oder gar im einzelnen aufgeführt. Aber auch dann, wenn von ihnen keine Erwähnung geschieht, waren sie in ähnlicher Weise wie bei den Brüdern geordnet. 5. Das Amt der Bandenhalter und -halterinnen wäre in jedem Jahr zu nennen, da die Bandeneinteilung immer in Geltung war. 6. Die besonderen Dienste im täglichen Besuch (Losungstragen) und im Stundengebet sind hier nicht berücksichtigt. Vgl. dazu die betreffenden Abschnitte der Arbeit.
4 Gemeinrichter 2 Gerichts-Männer 2 Brunnen-u.StraßenAufseher 2 Handwerks-Inspectoren 1 Bau-Inspector
Beilagen Beilage 2 Die erste Gemeineinrid>tung der Herrnhuter Gemeine 1727128 nach R 6 Aa 18, 1 b vom Frühjahr 1728. W e l t i ® D i r e c t i o n v o n d e r R e p u b l i c G o t t e s zu
Herrenhuth.
Vorsteher: 1) Der Graf und deßen Adjunctus der Herr von Watteville. Ober-Älteste, durdis Looß: 1) Christian David, der Zimermann aus den Ersten 2) Georg Nitzschmann, der Tischer aus den Zauditenthalern 3) Melchior Nitzschmann, der Weber aus den Kuhnewaldern 4) Christoph Hoffmann, aus den Frembden. Alteste, die in wichtigen Sachen, außer welchen die obigen alles ausmachen könen, mit dazugenomen werden. 1) Augustin u. Neißer Erstere 2) Jakob
Zauchtenthaler
3) David Nitzschmann, der Zimermann 4) Andreas Beyer 5) Hanß Nitzschmann
Kuhnewalder
6) David Nitzschmann, der Schuster 7) David Quitt, der Weber
Frembde
8) Friedrich Kühnel, der Weber 9) George Weiß
Hiernechst sind geordnet: 1) 1 Taxmeister, 2) 2 Handwerksmeister, 3) 2 Allmosenpfleger, 4) 2 Cassenhalter, 5) 6) 7) 8) 9)
1 Straßen-Vogt, 1 Brunen-Vogt, 1 Haus-Vogt, 1 Feld-Inspector, 3 Diener,
ist Friedrich Kühnel d. Nitzschm. Schstr. u. Andr. Beyer Georg Nitzschm. u. Andr. Beyer Joh. Martin Dober und Dav. Nietzschm. d. Zim. Hanß Quitt Melch. Zeißberger der Zimerm. Hanß Münster der Zimermann Michael Kloß, der Böttger M. Kloß, Georg Piesch, der Sdiuster u. ölßner, der Lweber 365
10) 3 Kranckenwärter,
David Nitzschmann, Hanß Nitzschmann u. Tobias Friedrich die Friedr. Riedlin u. Rosina Nitzsdimannin Catharina Elisabeth Heintzsdielin u. Judith Jagin die alte David Nitzschmannin.
11) 2 Dienerinnen, 12) 2 Krandcenwärterinnen, 13) 1 Allmosenpflegerin,
B r ü d e r 1. A s s o c i a t i o n e n z u m g e i s t i n Manns Gesellschaften
Zweck.
Weib-Gesellsdiafften Montags 1) Frau Licentiat (u. 5 Namen)
1) Georg Nitzsdimann (u. 10 Namen) Dienstags 1) David Nitzsdiman d. Zimermann (u. 9 Namen)
Welches die Ältestinen unter den Weibern sind 1) Frau Gräfin von Zinzendorff 2) Fr. Licentiatin 3) Fr. von Watteville 4) Frau Immigin 5) Frau Heintzsdielin 6) Anna Helena Nitzschm. 7) Anna Neißerin 8) Rosina Nitzschmanin Mittwochs
1) Melchior Nitzschmann (u. 7 Namen)
1) alte Nitzschmanin, Dav. Mutter (u. 7 Namen) Donnerstags
1) Joh. Martin Dober (u. 8 Namen)
1) Anna Neißerin (u. 10 Namen) Freytags
1) Augustin Neißer (u. 11 Namen)
1) Anna Helena. Nitzschmannin (u. 12 Namen) Sonnabends
1) Martin Rohleder (u. 7 Namen) HErr Klein (u. 2 Namen)
1) Rosina Nitzschmanin (u. 6 Namen)
Jungfern Gesellschaften Montags Dienstags Mittwochs
1) Catharina Elisabeth Heintzsdielin (u. 5 Namen) 1) Anna Barbara Alscherin (u. 5 Namen) 1) Susana Kühnelin (u. 4 Namen)
366
Donnerstags Freytags Sonnabends
1) Juliana Fischerin (u. 4 Namen) 1) Juliana Quittin (u. 4 Namen) 1) Hanna von Seydewitz (u. 3 Namen)
Die Waysen u. andre junge Knaben haben ihre Einrichtung für sich. Die Mansleuthe komen auff des Grafen Vorzimer zusamen, Abends gegen 6 Uhr. Die WeibsLeuthe, komen Winters in dem Tafelzimer, u. Somers in der Gräfin Vorzimer zusamen, audi um 6 Uhr abends. Die Jungfern, komen die 2 ältesten Banden in des H E r r von Wattevills Zimer und die 4 Jüngeren Classen im großen H a u ß in einer Stube zu eben dieser oberwehnten Stunden zusamen. Die Jungen Pursdie haben sich alle aus ihren bisherigen Wohnungen retiriret, u. in 4 Zimer des Flügels vertheilet, da sie ihre Haushaltung gantz für sich haben, unter folgenden Directoren welchen sie durchs Looß gefallen Christian David über alle. 1) Melchior Nitzschman (u. 6 Namen) 2) David Nitzsdiman der Zimerm. (u. 6 Namen) 3) David Nitzsdiman der Lweber (u. 7 Namen) 4) Melchior Zeißberger (u. 7 Namen) George Schmidt ist ihrer aller Koch. Die ihre Handthierung haben bleiben so lange es nöthig dabey, wen sie aber nach Herrenhuth oder sonst von der Arbeit komen, haben sie daselbst ihren Samelplatz, u. werden audi zugleich in Schreiben, in der geographie, in der Medicin, in Böhmisdi, u. was ihnen sonst zum künftigen Ausgehen nützl. seyn kan, unterrichtet. Winters wohnen Melchers u. des Webers Davids Bande beysamen, ingleidi des Zimerm. Davids u. Zeisbergers, des Somers aber in 4 Stuben übereinander, mitten im Flügel. Zu genauer und beßerer abwartung der euserl11 Ordnung, bey den Führungen des Christenthums sind, in Herrenhuth verordnet durchs Looß, zu: Lehrern H . Joh. Andr. Rothe (eine davor stehende 1) ist im Original gestrichen) privatim 1) Augustin Neißer 2) Joh. Martin Dober 3) Dav. Nitzschman d. Schuster 4) Melchior Nitzsdiman 5) H E r r Klein u. 6) Martin Rohleder Helffer 1) 2) 3) 4) 5) 6)
H . Liberda Η . M. Sdiäffer H . von Watteville David Nitzschman der Weber Jacob Neißer Christian David d. Zimerman.
und
Lehrerinen
1) Anna Helena Nitzschmanin 2) Fr. Licentiatin Gutbierin die zugl. mit der Ännel Quittin alle Mädg. informirt 3) Rosina Nitzsdimannin 4) Ännel Neißerin 5) die Frau Imigin durchs Loß. und
Helff erinen 1) 2) 3) 4)
367
Die Gräfin von Zinzendorff die Frau Heintzsdielin die Frau von Watteville Die Frau M. Schäfern
Ermahner 1) 2) 3) 4) 5)
David Nitzsdiman, d. Zimerm. David Quitt der H E r r Licentiat Christoph Demuth Melchior Nitzsdiman.
1) 2) 3) 4)
George Schmidt Melcher Zeisberger David Tanneberger H . Bar. v. Reichwein.
Aufseher
und
Ermahnerinen 1) 2) 3) 4)
Martha Neißerin Rosina Nitzschmanin Susana Quittin Cathrin Elis. Heintzsdielin bey den Jungfern.
1) 2) 3) 4) 5)
die sogenandte Born-Fritzsdiin die Püsdiin die alte Quittin Anna Fiedlerin Anna Neißerin.
und
Aufseherinen
Die Lehrer halten ihre ordentl® privat Versamlungen DonnersTags. Die Ermahner Sonnabends. Die Aufseher Freytags, da von den unterschiedenen materien ihrer Ämter geredt wird. Die Lehrer exerciren ihr Amt in der Gemeine des Morgens früh von 5 bis 6 u. Va9 bis 9 gegen die so früh nicht dazu komen könen. Die Aufseher observiren alles genau was anstößig ist, und sagen es denen Ermahnern, die es alsden einem jegl n in großer Liebe unpartheyisch beybringen. Wer sich aber unter diese Ordnung einmahl freywillig begeben, derselbe kan nidit anders, als mit Unordnung wieder heraus, den separirt er sich selbst, so wird er gemieden. Um beharrl 1 Unlauterkeit, Wiederspenstigkeit beym Ermahnen wird einer nach Gelegenheit außgeschloßen oder gar gebannet. Hiernechst versamlen sich ins geheim des Tages 2 mahl, f r ü h von 9 bis 1 Λ auf 10 u. abends wen es dunkel wird in des Grafen Vorzimer Er selbst nebst 8 od 9 Brüder, in dem Zimer Sie, nebst etl n Schwestern, und treiben V< Stunde lang auff das innere des Christenthums, mit genauer observation der unterschiedenen Führung. Es währet aber nie länger als eine Viertl. Stunde, die Texte sind die Bibel oder Tauleri medulla anima u. diese sind einander im Umgange sehr ernstl. Wer gegen diese Übung das geringste einzuwenden hat, ist eo ipso ausgeschloßen, von derselben, aber nidit von denen andern. Die öffentl n allgemeinen Versamlungen sind tägl. f r ü h von 5—6. Somers aufn Saal des großen Hauses, Winters in der Tafel-Stube. V29 Somers a u f n Saal, u. Winters auf des Grafen Vorzimer, Abends die Sing-Stunde um Va9 des Winters, des Somers nadi 9. diese aufn Saal, jene in der Tafel Stube, in der l t e n Frühstunde wird allemahl ein Cap. aus der Bibel, in der 2dern einige verse aus den Liedern, betrachtet. In der Singstunde aber entweder gebetet oder gesungen, in dieser werden audi alle ausm Reich Christi ankörnende nova bekant gemacht, u. nach Gelegenheit Gott öffentl. vorgetragen. Die besonderen, die Männer, Weiber u. Jungfern Banden komen tägl. Abends von 6—7 Winters zusamen, die Somer Stunde ist noch nidit ausgemacht. Die Ältesten Versamlung regulariter Sonabends, der 4 in des Grafen Zimer, aller 12 da nöthig in der TafelStube. Einige andere N o t a n d a : 1) Wer zum ersten mahl zum Abendmal gehen will, muß sich erstl. bey denen Lehrern oder Lehrerinen melden, hernach wird Er oder sie, zu derjenigen genauen Umgang u. Gebet gewiesen, welche das letzte mahl zuerst gangen sind.
368
2) Wen wichtige Sachen Gott gemeinschaftl. vorzutragen sind, wird es denen 24 Stunden betern bekand gemacht, aber nur den ersten 48 Brüd. u. Schwestern, den ob Ihrer gleich 77 zusamen getreten, so ist doch der eigentl e Bund nur unter denen die sich am genauesten kefien. Es traten aber am 26. Aug. (bey der großen Verbindung der Welt wieder uns) zusamen (von Mitternacht um 12 geht es an bis wieder dahin) 12— 1 1— 2 2— 3 3— 4 4— 5 5— 6 6— 7 7— 8 8— 9 9 — 10 l o - 11 l l — 12 12— 1 1— 2 2— 3 3— 4 4— 5 5— 6 6— 7 7— 8 8— 9 9 — 10 l o - 11 l l — 12
Martin Rohleder Andreas Beyer David Fritzsch Georg Behnisch Melch. Zeisberger Joh. Gottl. Wried Christian David David Nitzschman d. Lweber Augustin Neißer Hanß Friedrich . . . Friedrich Behnisch Melchior Nitzschman Joh. Martin Dober Hansel Böhm George Schmidt HErr Licentiat Gutb. Hanß Nitzschman Jacob Neißer HErr Klein Dav. Nitzschm. d. Zimerm. Tobias Friedrich Dav. Nitzschm. d. Schuster Friedrich Kühnel der Graf Zinzendorff
Rosina Neißerin Anna. Ros. Kneschkin Martha Neißerin Christina Doberin Anna Nitzschmanin Judith Wasdikin Christina Schwerdnerin Dor. Tugendr. Gutbierin Anna Fritzschin Eva Maria Imigin Anna Helena Nitzschm. Elisabeth Heintzschelin Rosina Fiedlerin Rosina Münsterin Ros. Zeisbergerin Ros. Püschin eine böhmische Frau Anna Münsterin Anna Quittin Cath. Elis. Heintzschelin Judith Tanebergerin Judith Jagin Anna Neißerin Rosina Nitzschmanin.
Frembde so dazu getreten sind Joh. Just. Heinrich Mayer die Frl. Phillipine von Gersdorff HErr Waneck Herr Liberda und außer noch etl e Brüd. und Schwestern in großHennersdorff. Es haben ihrer aber viele die Stunden verwechselt, u. an der ausgegangenen Stellen sind andre wiederkomen. 3) So offt es der Gemeine Umstände erfordern, wird ein gemeiner Fasttag gehalten, welcher mit Gebet u. Flehen, auch öffentl n Ermahnungen zugebracht u. mit einem gemeinen Liebesmahl beschloßen wird. 4) Die Comunion in der Kirche halten sie gern alle zugleich, so viel möglich, es wäre den daß welche durch Unordnung, Unlauterkeit p.außgeschloßen würden. 5) Alle bürgerl. Sachen dependiren bis zum Ungehorsam von denen Ältesten, wer sich aber denenselben ungehorsam erzeiget, gehöret unter die Berth. Gerichtsbarkeit. 6) Die äusserl. Kirchen Verfaßung als Tauffen, Abendmahlhalten, Betstunden u. Predigten besuch gehöret ordentl' Weise, nebst Trauungen u. Begräbnißen nach Bertheisdorff in das lutherische Kirchspiel solange solches in der Freyen u. unpartheyisdien Verfaßung bleibt, so bald aber eine Religions, Meinungs oder Secten bekäntniß verlanget wird, behält sich die Gemeine ihre Freyheit vor, als vor diesem in ihrer besonderen Verfaßung für sich zu bleiben, u. ihre gantze geistl e Einrichtung, mit Erwartung aller Verfolgung auf den Fuß der alten böhmischen Brüder allein fort zu setzen.
369
Beilage 3. Ämterliste nach der Umbesetzung im Herbst 1728 R 6 Aa 16, 4/24. (Vgl. H. Diar. 18. 10. 1728: Wahl neuer Oberältesten. Vgl. H. Diar. 26. 10. 1728: . . . las der Vorsteher mit denen Arbeitern die Statuten aufs neue durch, wobei Ämter richtig und wohl besetzt wurden. Die neuen Ermahner, Krankenwärter u. Aufseher wurden erwählt.) l.Bl.
Privat-Ämter
aufs
Winter
Theil
in
Herrnhut.
Lehrer Augustin Neißer Martin Dober David Nitzsdimann, der Schuster David Melchior Nitzsdimann abwesend.
2. Bl.
3. Bl.
Ermahner Christoph Demuth Martin Rohleder David Quitt Der Herr Licentiat Johann Nitsdimann David Nitzsdimann, der Zimermann
Erm ahnerinnen Martha Neißerin Anna Neißerin Anna Helena Nitsdimannin David Zeisbergerin Judith Jagin Elisabeth Heintzschelin die Goldin die Ane Rosina Knesdikin
Auffseher Christian David Andreas Beyer Andr. Hickel David Taneberger Georg Pisdi Michael Kloß Caspar ölßner Tobias Friedrich
Auff Seherinnen Catharina Riedelin George Friedrichin Tim. Fiedlerin Georg Pischin David Weberin Christian Davidin Christina Doberin Frau Immigin
Dienerinnen Mariana Neißerin Susane Quittin Cath. Elisabeth Friedridiin H. Münsterin Rosina Nitzsdimannin Rosina Paulin
Diener ölßner Meldi. Kuntz Hans Münster Christoff Kneschke David Fritsdi Zimerm. Adam Raschke Leopold Beck
Kranckenwärter Tobias Friedrich Melchior Zeißberger Georg Behnisdi Hans Töltzsdiig Hans Raschke
Kranckenwärterinnen Matth. Fritzsdiin Rosina Hauerin Mich. Kloßin Ana Bähnisdiin Susane Nitzsdimannin die ölßnerin
370
Unter den Mädgen Charlotte von Seydewitz Anna Nitsdimannin Juliana Quittin (?) Susanna Kühnelin Hanna von Seydewitz 4. Bl.
Ober Älteste Nitsdimann der Schuster Johann Nitzsdimann Nitsdimann der Zimermann Dober, der Töpfer Älteste Christian David Augustin Neißer Jacob Neißer Georg Nitsdimann David Quitt Melchior Nitsdimann Andreas Beyer Zu Aeltestinnen sind im Vorsdilage: die Fr. Gräfin die Fr. Licentiatin die Fr. Heintzsdielin die Fr. Imigin Anne Lene Nitsdimannin die ölßnerin die Judith Jagin die Anna Neißerin die Goldin die Zeisbergerin (folgt Aufzählung: „die Kinder Banden")
371
Literatur 1. Handschriftliche
Quellen
R 2 A 8
Beilage 5 „General-Regeln vors Volk des Herrn" (Zinzendorfaussprüche) Beilage 5 zum Synodus zu Hirschberg im Vogtland 1743. R 2 A 15,1 Marienborner Sommersynodus 11.—27. Juli 1745, Protokoll. R 2 A 43b I u. II Sammlung von Synodal-Ideen aus Zinzendorfs Zeit. R 2 В 45,2a Beilagen zum Synodalprotokoll 1769 I, 1.—6. Sitzung. R 3 А 4 Zinzendorfs Berufung zum Vorsteher 1733 und spätere Akten gleicher Art (bis 1753). R 3 А 5 Zinzendorfs Eventualtestament 1738. R 4 D 17 Α Verzeichnis der ordinirten Brüder und Schwestern in der erneuerten Brüder-Kirche. Original Acta, die zwey Commissionen in Herrnhut betreifende Anno R 5 А 7 1732—1736. R 6 Aa 10 Briefe und Aufsätze zur Geschichte der Jahre 1722—26. R 6 Aa 12 Zur Chronologie von Herrnhut. R 6 Aa 13 Ranzaus kurze und chronologische Rekapitulationen. R 6 Aa 15 Sammlung zur Geschichte der ersten Gemeineinrichtung im Jahr 1727. R 6 Aa 16 Wichtige Verzeichnisse von Brüdern und Schwestern 1722—1729. R 6 Aa 17 Einteilung der Gemeine nach ihren Dörfern 1727—30. R 6 Aa 18 Einrichtungen der Gemeine zu Herrnhut 1727—36. R 6 Aa 19 Historische Nachrichten, Zeugnisse, Erklärungen der Gemeine über ihre Verfassung 1728—36. R 6 Aa 20 Erklärungen bei einzelnen Vorkommnissen 1728—36. R 6 Aa 21 Zinzendorfs Beschreibung von Herrnhut für die Erbprinzessin von Dänemark 1731. R 6 Aa 22 Christian Davids Beschreibung von Herrnhut 1731. R 6 Aa 24 David Nitschmanns (des Syndikus) Reise nach der Wetterau, Württemberg und Schweiz 1730. R 6 Aa 25 Protokolle des Gemeinrats und anderer Konferenzen 1727—35. R 6 Aa 26 Briefe zur Geschichte Herrnhuts 1725—39. R 6 Aa 29 Briefe zur Geschichte Herrnhuts von und an Zinzendorf und andere 1725, 1727—36 u. o. D. R 6 Aa 39a Zu den Herrnhuter Statuten gehörige Stücke. R 6 Ab 1 Bettags-Nadirichten von Herrnhut 1735—37. R 6 Ab 6 Kombiniertes Herrnhuter Gemein-Diarium 1727—1739 von S. Fr. Hark. R 6 Ab 14 Gemein-Diarium 1741. R 20 С 3c Briefe Zinzendorfs an Prinzessin Charlotte Amalie von Dänemark. R 20 G 2d Briefe Zinzendorfs an Wallbaum 1716—32. R 22, 1 u. 2 Lebensläufe. R 22, 121 Lebenslaufsnotizen. R 22,129a-d Lebensläufe von Mitgliedern der erneuerten Brüderkirche gesammelt von L. v. Schweinitz Bd. 1—4. R 24 В 68 Briefe von Christian David gesammelt von L. v. Schweinitz 1722—1751. Jüngerhausdiarium (JHD.) Exemplar im Unitäts-Archiv Herrnhut.
372
NB V R 2,1 Verlaß des Synodi der Brüder-Unitaet gehalten zu Marienborn 1764. NB V R 2,2 Verlaß des Synodi der Brüder-Unitaet gehalten zu Marienborn 1769. NB V R 2,3 Verlaß des Synodi der Brüder-Unitaet gehalten zu Barby 1775. 2. Gedruckte
Quellen
Pfarrer Annonis Besuch in Herrnhut 1736, mitgeteilt von J . Th. Müller, in: Zeitschrift für Brüdergeschichte (ZBG) Herrnhut 1911, S. 50 ff. Gottfried Arnold: Die Erste Liebe. Das ist: Wahre Abbildung Der Ersten Christen, Nach Ihrem Lebendigen Glauben Und Heiligen Leben..., 3. Ausfertigung, Altona 1722. Biblia, Das ist: Die gantze H. Schrift Altes und Neues Testaments, Nach der Teutsdien Uebersetzung D. Martin Luthers, Halle 1736. Johann Arnos Comenius: Kurzgefaßte Kirchen-Historie der Böhmischen Brüder, verlegt v. Enderes, Schwabach 1739. Christian David: Beschreibung und Zuverläßige Nachricht von Herrnhut in der Ober-Lausitz, Wie es erbauet worden, und welcher Gestalt Nach Lutheri Sinn und Meinung Eine recht Christliche Gemeine sich daselbst gesammlet und eingerichtet hat, Leipzig 1735. enthält ausserdem: I Extract aus dem Notariats-Instrument, so Anno 1729 in Herrnhut errichtet worden II Verfassung der Herrnhutischen Mährisdien Brüder-Gemeine, 1733 und Erinnerungen an Matthäus und Martin Linner. Der Evangelischen Brüder-Gemeine zu Herrnhut brüderliches Einverständnis über derselben Ordnungen und ihrer Mitglieder und Einwohner Verhalten nadi Christi Sinn, Barby 1770 (ebenso von anderen Gemeinen). Das Gesangbuch der Gemeine in Herrn-Huth 1735 und 1737 mit Anhängen. Kurze, zuverlässige Nachricht von der unter dem Namen Böhmisch-Mährisdien Brüder bekannten Kirche Unitas Fratrum Herkommen, Lehr-Begriff, äussern und innern Kirchen-Verfassung und Gebräuchen . . . von 1757, gedruckt 1762. Kurzgefaßte historische Nachricht von der gegenwärtigen Verfassung der evangelischen Brüderunität augspurgischer Confeßion, Frankfurt und Leipzig 1774. Samlung der Loosungs- und Text-Büchlein der Brüdergemeine von 1731 bis 1761, Erster Band 1731—1740, Barby 1762. Johann Jakob Moser, Altes und Neues aus dem Reich Gottes, Teil 3, Frankfurt und Leipzig 1733, enthält: Neueste Nachricht zur Historie der Böhmischen Brüder von Herrnhut. Quellen, Ausgewählte Texte aus der Gesdiichte der christlichen Kirche, Heft 34: Der Pietismus, ausgewählt von Hans Urner, Berlin 1961. Ratio Disciplinae Unitatis Fratrum A. C. Oder: Grund der Verfassung der Evangelischen Brüder-Unität Augsburgischer Confession, Barby 1789. P. Car. Regent: Unpartheyische Nachricht von der in Laußnitz überhandnehmenden . . . Neuen Sect der so genannten Schefferianer und Zinzendorffianer, Breßlau 1729. Scheffer-Schwedler-Rothe: Zeugniß der Wahrheit der Gemeine zu Herrnhut wider Hn P. Carl Regent, S. J . Missionarii Nachricht von . . . (s. o.) . . . auf vielfältiges Begehren zum Druck befördert von M. Christian Gottfried Märchen, Herrnhuth 1730. August Gottlieb Spangenberg: Leben des Herrn Nicolaus Ludwig Grafen und Herrn von Zinzendorf und Pottendorf, 8 Teile, Barby 1772—75. —: Declaration über die Zeither gegen Uns ausgegangene Beschuldigungen, Leipzig u. Görlitz 1751.
373
—: Apologetische Schluß-Sdirifft, Leipzig u. Görlitz 1752. An Extract of the Rev. Mr. John W e s 1 e у s Journal Nos. III u. IV. (zum Besuch in Herrnhut 1738), London 1825. Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf: Die ältesten Berichte Zinzendorfs über sein Leben, seine Unternehmungen und Herrnhuts Entstehen, hrsg. v. J. Th. Müller, Zeitschrift für Brüdergeschichte (ZBG) 1911, S. 93 ff.; 1912, S. 45 ff. u. 196 ff.; 1913, S. 114 ff. u. 171 ff. —: Gewisser Grund Christlicher Lehre (Katechismus), Leipzig u. Görlitz 1735. —: Berliner Reden an die Männer („Inhalt dererjenigen Reden, Welche zu Berlin vom lten Januarii 1738 biß 27ten Aprilis in denen Abend-Stunden sonderlich für die Manns-Personen gehalten worden"), 1738. —: Kleine Schrifften, Gesammlet In verschiedenen Nachlesen. = Der Frey willigen Nachlese, Bey den bißherigen Gelehrten und erbaulichen Monaths-Schrifften I—XIII, Sammlung Frankfurth a. M. 1735—40. —: Büdingische Sammlung Einiger In die Kirchen-Historie Einsdilagender sonderlich neuerer Schrifften, 3 Bde, Büdingen 1740—44. —: Theologische und dahin einschlagende Bedencken..., Büdingen 1742. Hierin besonders S. 169 ff.: Zurückgelassenes Eventual-Testament an die Gemeine, 1738. —: Die gegenwärtige Gestalt Des Creutz-Reichs JEsu in seiner Unschuld, Frankfurt u. Leipzig 1745. —: Eines Abermaligen Versuchs zur Ubersetzung Der Historischen Bücher Neuen Testaments unsers H E R R N JESU Christi aus dem Original, Erste Probe Zweyte Edition, Büdingen 1744. . . . Der Lehr- und Prophetischen Bücher, Büdingen 1746. —: Rede am Kirchweyh-Feste der Märischen Brüder, den 12. May 1745, hrsg. v. J. Th. Müller, Zeitschrift für Brüdergeschichte (ZBG) 1909, S. 207 ff. —: ΠΕΡΙ ΕΑΥΤΟΥ. Das ist: Naturelle Reflexiones über allerhand Materien, 1747— 49. —: Summarischer Unterricht in Anno 1753 für Reisende Brüder, London 1755. —: Auszüge aus des Seligen Ordinarii der Evangelischen Brüder-Kirche Herrn Nikolaus Ludwig Grafens und Herrn von Zinzendorf und Pottendorf sowol ungedrukten als gedrukten Reden über die vier Evangelisten gefertigt und herausgegeben von Gottfried Clemens, 6 Bde, Barby 1766—1790. —: Auszüge aus des Seligen Ordinarii der Evangelischen Brüder-Kirche sowol ungedrukten als gedrukten Reden über biblische T e x t e . . . hrsg. von Gottfried Clemens über die 5 Bücher Mose, Bde. 1—3, Barby 1763—65. —: Die wichtigsten Missionsinstruktionen Zinzendorfs, hrsg. v. O. Uttendörfer, Herrnhut 1913. 3. Literatur zur Geschichte Herrnhuts und der
Brüdergemeine
Leiv Aalen: Die Theologie des Grafen von Zinzendorf, in: Gedenkschrift für D. Werner Eiert, Berlin 1955, S. 220 ff. Karl Barth: Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert, 3. Aufl. Berlin 1961. H . Bauer: Rückblick und Ausblick, eine Betrachtung an der Zeitenwende, in: Gemeinfragen, Flugblätter zum „Herrnhut" 10. Heft, Herrnhut, März 1916. Theodor Bechler: Ortsgeschichte von Herrnhut, Herrnhut 1922. —: Christian David (1690—1751). Der Erbauer Herrnhuts, in: Lebensbilder aus der Brüdergemeine H e f t 4, Herrnhut 1922. —: 200 Jahre ärztliche Missionsarbeit der Herrnhuter Brüdergemeine, Herrnhut 1932. Bernhard Becker: Zinzendorf im Verhältnis zu Philosophie und Kirchentum seiner Zeit, Leipzig 1886. Wilhelm Bettermann: Grundsätzliches zum Gottesdienst in der Brüdergemeine. —: Die Geschichte der Konfirmation in der Brüdergemeine, in: Monatsschrift für Got-
374
tesdienst und kirchliche Kunst, begr. v. Spitta u. Smend, Hefte 2/3 und 9/10, 34. Jahrg., 1929. —: Das Los in der Brüdergemeine, in Zeitschrift für Volkskunde, Bd. III, Heft 3, Jahrg. 1931, S. 284 ff. —: Theologie und Sprache bei Zinzendorf, Gotha 1935. Erich Beyreuther: Bd. 1: Der junge Zinzendorf, Marburg 1957. Bd. 2: Zinzendorf und die sich allhier beisammen finden, Marburg 1959. Bd. 3: Zinzendorf und die Christenheit, Marburg 1961. Die Brüder — Aus Vergangenheit und Gegenwart der Brüdergemeine, hrsg. v. Otto Uttendörfer und Walther E. Schmidt, Gnadau 1914. G. Burkhardt: Die Brüdergemeine, Gnadau 1893. —: Einige Gedanken über die vom Grafen Zinzendorf ausgegangenen Anregungen auf liturgischem Gebiet, in: Monatsschrift für Gottesdienst und kirchliche Kunst, Göttingen, April 1901, S. 118 ff. E. W. Cröger: Geschichte der erneuerten Brüderkirche, 3 Teile, Gnadau 1852—1854. Hellmuth Erbe: Bethlehem, Pa. Eine kommunistische Herrnhuter Kolonie des 18. Jahrhunderts, Stuttgart 1929. H. W. Erbe: Brüdergemeine. Artikel im Handwörterbuch des Grenz- und Auslandsdeutschtums, Bd. I, Breslau 1933, Sp. 547 ff. Leonhard Fendt: Die Theologie des jungen Zinzendorf. Besprechung von Leiv Aalen: Den unge Zinzendorfs teologi, Oslo 1952, in: Theol. Literaturzeitung 1954, Nr. 10, S. 593 ff. Erwin Förster: Diakonie in der Brüdergemeine, in: Die Innere Mission, 50. Jahrg., 5. Heft, 1960. Theophil Funk: Die Anfänge der Laienmitarbeit im Methodismus. Bremen 1941. A. Glitsch: Verzeichnis der Gemälde in der Gemäldesammlung des Brüder-UnitätsArchivs zu Herrnhut (mit biographischen Notizen), Herrnhut o. J . Herbert Hammer: Abraham Dürninger, Berlin 1925. Liemar Hennig: Kirche und Offenbarung bei Zinzendorf (Dissertation), Zürich 1939. Heinrich Herzog: Die rechtliche Sonderstellung der Oberlausitz in der sächsischen Landeskirche, in: Herbergen der Christenheit, hrsg. v. Franz Lau, Leipzig 1959. Helmut Hickel: Das Abendmahl zu Zinzendorfs Zeiten, in: Herrnhuter Hefte, 9. Heft, Hamburg 1956. Stephan Hirzel: Der Graf und die Brüder, Gotha 1935. Wilhelm Jannasch: Erdmuthe Dorothea Gräfin von Zinzendorf geborene Gräfin Reuss zu Plauen, in: Zeitschr. f. Brüdergesch., Herrnhut 1914. Jeschke-DobidS: Unitas fratrum, in: Aufsätze zur Theologie und Religionswissenschaft, hrsg. v. Schott/Urner, Heft 12, Berlin 1960. Kirchenordnung der Evangelischen Brüder-Unität in Deutschland vom Jahre 1935, Gnadau 1935. Hermann Knothe: Die Stellung der Gutsunterthanen in der Oberlausitz zu ihren Gutsherrschaften, in: Neues Lausitzisches Magazin, 61. Band, Görlitz 1885. Friedrich Ludwig Kolbing: Die Gedenktage der erneuerten Brüderkirche, Gnadau 1821. Wilhelm Ludwig Kolbing: Die Geschichte der Verfassung der Evangelischen Brüderunität in Deutschland, Leipzig 1906. G. Korscheit: Geschichte von Berthelsdorf, Berthelsdorf 1852. —: Geschichte von Herrnhut, Berthelsdorf/Leipzig 1853. —: Geschichte von Oderwitz, Neu-Gersdorf 1871. Friedrich Lütge: Deutsche Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Berlin, Göttingen, Heidelberg 1952. E. R. Meyer: Schleiermachers und C. G. von Brinkmanns Gang durch die Brüdergemeine, bes. I I : Das Herrnhutertum jener Zeit, Leipzig 1905, S. 19ff. Gerhard Meyer: Zinzendorf, Hamburg 1950.
375
Felix Moeschier: Alte Herrnhuter Familien. Die mährischen, böhmischen und österreichisch-schlesischen Exulanten, Herrnhut 1922. Heinz Motel: Was versteht die Gemeine unter dem Dienst, in dem sie lebt? in: Mitteilungen aus der Brüdergemeine, H e f t 6, Herrnhut 1938, S. 157 ff. Jos. Th. Müller: Das Ältestenamt Christi in der erneuerten Brüderkirche, in: Zeitschr. f. Brüdergeschichte (ZBG), Herrnhut 1907, S. 1 ff. —: Geschichte der Böhmischen Brüder, Bd. 3, Herrnhut 1931. —: Hymnologisches Handbuch zum Gesangbuch der Brüdergemeine, Herrnhut 1916. —: Zinzendorf als Erneuerer der alten Brüderkirche, Leipzig 1900. Karl Müller: Melchior Nitschmann, in: Lebensbilder aus der Brüdergemeine, H e f t 2, Herrnhut 1922. —: 200 Jahre Brüdermission, Bd. I: Das erste Missionsjahrhundert, Herrnhut 1931. —: Gotteswirklichkeit und Religion. Zinzendorfs Gedanken über Mission in ihrer Bedeutung für die Gegenwart. Sonderdruck aus: Neue Allgemeine Missionszeitschrift, H e f t 11, Gütersloh 1932. Hermann Plitt: Zinzendorfs Theologie, 3 Bde, Gotha 1869—74. Johannes Plitt: Denkwürdigkeiten aus der Geschichte der Brüder-Unität, Buch 1—12, 1828—1840, nur handschriftlich. Es lag vor die Kopie des Unitäts-Archivs Herrnhut in 8 Bdn, NB I R 3 10a. Woldemar Pressler: Entstehung und Entwicklung der Deutschen Brüder-Unität in Herrnhut (Sachsen), insbesondere ihre Verfassung (Dissertation), Frankfurt/M. 1929; dazu: Brief v. W. Bettermann vom 7. 7. 1930, NB V R 1, 109a u. b. Gerhard Reichel: August Gottlieb Spangenberg, Tübingen 1906. —: Der „Senfkornorden Zinzendorfs", Leipzig 1914. —: Die Anfänge Herrnhuts, Herrnhut 1922. —: Die Geschidite des 13. August 1727, Gnadau 1927. H . W. Reichel: David Nitschmann, der erste Bischof der erneuerten Brüderkirche, in: Lebensbilder aus der Brüdergemeine, H e f t 1, Herrnhut 1922. Heinz Renkewitz: Die Anfänge der Gemeindebildung und die sozialen Ordnungen der Brüdergemeine, in: Die Innere Mission, 23. Jahrg., Berlin 1928, S. 107 ff. —: Zinzendorf, Herrnhut 1935. —: Was versteht die Brüdergemeine unter Gemeine? in: Mitteilungen aus der Brüdergemeine, H e f t 6, Herrnhut 1938, S. 147 ff. —: Der diakonische Gedanke im Zeitalter des Pietismus, in: Das diakonische Amt der Kirche, hrsg. v. H . Krimm, Stuttgart 1953, S. 258 ff. —: Sozialethik des Pietismus; Sozialethik, Herrnhuter, in: Evangelisches Soziallexikon, hrsg. v. Fr. Kirrenberg, 2. Auflage, Stuttgart 1956, Sp. 942 ff. u. 944 f. —: Die Losungen. Entstehung und Gesdiichte eines Andachtsbuches, Hamburg o. J. Rudolf &6an: Die böhmischen Brüder, Berlin 1958. Albrecht Ritsehl: Geschidite des Pietismus in der lutherischen Kirche des 17. und 18. Jahrhunderts, Bd. 2 u. 3, Bonn 1884 u. 1886. Gottfried Schmidt: Die Banden oder Gesellschaften im alten Herrnhut, in: Zeitschr. f. Brüdergeschichte, Herrnhut 1909, S. 145 ff. Martin Schmidt: John Wesley, Zürich/Frankfurt 1953. Ludwig Carl Freiherr von Schrautenbach: Der Graf Zinzendorf und die Brüdergemeine seiner Zeit, Gnadau/Leipzig 1851. Kurt Schuster: Gruppe, Gemeinschaft, Kirche. Gruppenbildung bei Zinzendorf, in: Theologische Existenz heute, N F Nr. 85, München 1960. Erich Seeberg: Gottfried Arnold, Meerane 1923. H . Steinberg: Die Brüderkirche in ihrem Werden und Sein, Herrnhut 1921. O. Steinecke: Die Diaspora der Brüdergemeine in Deutschland, Bd. 1, Halle 1905. Eberhard Teufel: Johann Andreas Rothe 1688—1758. Sonderdruck aus: Beiträge zur sächsischen Kirchengeschichte, 30. u. 31. Heft, Leipzig 1917/18.
376
Otto Uttendörfer: Das Erziehungswesen Zinzendorfs und der Brüdergemeine in seinen Anfängen, Berlin 1912. —: Die Entstehung der „Beschreibung und zuverlässigen Nachricht von Herrnhut", in: Zeitschrift f. Brüdergeschichte, Herrnhut 1912, S. 220 ff. —: Zinzendorf und die Frauen, Herrnhut 1919. —: Abraham Dürningers Anfänge, in: Lebensbilder aus der Brüdergemeine, H e f t 5, Herrnhut 1922. —: Zinzendorf und die Jugend. Die Erziehungsgrundsätze Zinzendorfs und der Brüdergemeine, Berlin 1923. —: Alt-Herrnhut. Wirtschaftsgeschichte und Religionssoziologie Herrnhuts während seiner ersten zwanzig Jahre (1722—1742), Herrnhut 1925. (Abk. A—H.) —: Wirtschaftsgeist und Wirtschaftsorganisation Herrnhuts und der Brüdergemeine von 1743 bis zum Ende des Jahrhunderts (Alt-Herrnhut 2. Teil), Herrnhut 1926. —: Zinzendorfs Weltbetrachtung, Berlin/Herrnhut 1929. —: Zinzendorfs Gedanken über den Gottesdienst, Herrnhut 1931. —: Zinzendorfs religiöse Grundgedanken, Herrnhut 1935. —: Aus Zinzendorfs Alltagsleben, in: Mitteilungen aus der Brüdergemeine, 3. u. 4. Heft, Herrnhut 1939. —: Zinzendorfs christliches Lebensideal, Herrnhut 1940. —: Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf. Evangelische Gedanken, Berlin 1948. —: Zinzendorf und die Mystik, Berlin 1950. Zinzendorf-Gedenkjahr 1960. Eine Sammlung von Vorträgen, in: Herrnhuter Hefte, 16. Heft, Hamburg 1960. 4. Literatur zur heutigen
Fragestellung
Paul Althaus: Communio sanctorum. Die Gemeinde im lutherischen Kirchengedanken I. Luther, München 1929. Helmut Appel: Dienste und Ämter, Berlin 1962. Karl Barth: Die Kirchliche Dogmatik IV/2, Zürich 1955 — bes. § 67 Der Heilige Geist und die Erbauung der christlichen Gemeinde, S. 695 ff.; § 68 Der Heilige Geist und die christliche Liebe, S. 825 ff. Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, hrsg. v. Deutschen Ev. Kirchenausschuß 1930. 2. Aufl., 2 Bde, Göttingen 1955. Hermann Wolfgang Beyer: Art. διακονέω, διακονία, διάκονος, in: Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, hrsg. v. G. Kittel, Bd. II, Stuttgart 1935, S. 81 ff. Erich Beyreuther: Geschichte der Diakonie und Inneren Mission in der Neuzeit, Berlin 1962. Wilhelm Brandt: Dienst und Dienen im Neuen Testament, Gütersloh 1931. Gerhard Brennecke (Hrsg.): Diakonie der Kirche in einer veränderten Welt, Berlin 1956. Concept, Deutsches H e f t „Die missionarische Struktur der Gemeinde", 2. Abzug, Genf, Frühjahr 1963. Horst Fichtner: Neubau der praktischen Großstadtseelsorge, Berlin 1949. Martin Fischer (Hrsg.): Einer trage des anderen Last. Ein diakonischer Predigtband, Berlin 1957. Hans Christoph von Hase: Vom Amt des Dienstes in der Kirche Christi, Stuttgart 1948. — (Hrsg.): Diakonie der Gemeinde, 1. Halbband, Berlin/Stuttgart 1961. Adolf Harleß: Kirche und Amt nach lutherischer Lehre, Stuttgart 1853. Т. A. Kantonen: Lebendige Gemeinde. Theologie der Haushalterschaft, Stuttgart 1958. Hans Kreßel: Die lebendige Gemeinde — das Schicksal der Kirche, Gütersloh 1939. Herbert Krimm: Die Ämter und Dienste der Kirche, in: Gerstenmaier, Krimm, Berg, Die Kirche in der Öffentlichkeit, Stuttgart 1948.
377
— (Hrsg.): Das diakonische Amt der Kirche, Stuttgart 1953. Hans Jodien Marguli: Theologie der missionarischen Verkündigung. Evangelisation als oekumenisches Problem, Stuttgart 1959. — : Missionarische Gemeinden, ökumenische Arbeit zu Strukturfragen, in: Zeichen der Zeit, Heft 7/8, 1963, S. 273 ff. Friedrich Merzyn (Hrsg.): Das Verfassungsrecht der Evangelischen Kirche in Deutschland und ihrer Gliedkirchen, Bd. I — I I I , Hannover 1957. — (Hrsg.): Die Ordnung von Hilfswerk und Innerer Mission im Bereich der Evangelischen Kirche in Deutschland und ihrer Gliedkirchen, Verlag d. Amtsblattes der EKiD, 1954. John R . Mott: Laienaufgebot der Christenheit, Stuttgart 1951. Alfred Dedo Müller: Grundriß der praktischen Theologie, Berlin 1954. E. Müller/H. Stroh (Hrsg.): Seelsorge in der modernen Gesellschaft, Hamburg 1961. Neu-Delhi 1961. Dokumentarbericht über die Dritte Vollversammlung des ökumenischen Rates der Kirchen, hrsg. v. W. A. Visser 't Hooft, Stuttgart 1962. Neu-Delhi 1961. Oekumenische Rundschau, 11. Jahrg., Heft 1/2 (März), Stuttgart 1962. Ernst zur Nieden: Die Gemeinde nach dem Gottesdienst, Stuttgart 1955. Gerhard Noske: Helfende Kirche, Berlin 1951. — : Wicherns Plan einer kirchlichen Diakonie, Stuttgart 1952. — (Hrsg.): Heutige Diakonie der Evangelischen Kirche, Berlin 1956. H. Ochsenbein/A. Funke: Gemeinde im Umbruch, Gladbach 1958. E. F. von Rabenau: Die Gemeinde, Berlin 1948. Herbert Reich: Besuchsdienst in christlicher Haushalterschaft, in: Gottes Mitarbeiter, Heft 3, Hannover o. J . Heinrich Rendtorff: . . . als die guten Haushalter, in: Rufe in die Gemeinde, Neuendettelsau 1953. Trutz Rendtorff: Die soziale Struktur der Gemeinde, Hamburg 1958. Sammlung und Sendung. Vom Auftrag der Kirche in der Welt. Festgabe für D. Heinrich Rendtorff zu seinem 70. Geburtstag, hrsg. v. J . Heubach u. Η. H. Ulrich, Berlin 1958. Martin Schian: Die evangelische Kirchgemeinde, in: Studien zur praktischen Theologie, hrsg. v. C. Clemen, Bd. 1, Heft 4, Gießen 1907. Adolf Schlatter: Der Dienst des Christen in der älteren Dogmatik, in: Beiträge zur Förderung christlicher Theologie, Gütersloh 1897. Edmund Schlink: Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften, 2. Aufl., München 1946. Helmuth Schreiner: Vom Redit der Kirche, Gütersloh 1947. Eduard Schweizer: Das Leben des Herrn in der Gemeinde und ihren Diensten. Eine Untersuchung der neutestamentlichen Gemeindeordnung, Zürich 1946. — : Gemeinde nach dem Neuen Testament, in: Theologische Studien, hrsg. v. Karl Barth, Heft 26, Zürich 1949. Rudolf Sohm: Kirchenrecht, Bd. 1: Die geschichtlichen Grundlagen, Leipzig 1892. Ernst Sommerlath: Das Amt und die Ämter, in: Viva Vox Evangelii. Festschrift für Landesbischof D. H. Meiser, München 1951, S. 292 ff. — : Amt und Allgemeines Priestertum, Berlin 1954. Wilhelm Stählin: Das Amt des Laien in Gottesdienst und kirchlicher Unterweisung, Kassel 1947. Hans Storck: Die Zeit drängt, 2. Auflage, Berlin 1957. — : Kirche im Neuland der Industrie. Berlin 1959. Stoughton/Endress: Doing God's Work. A Manual on Christian Stewardship, 4th Printing New York 1951. E. Sülze: Die evangelische Gemeinde, 2. Aufl., Leipzig 1912. Ludwig Thimme: Kirche, Sekte und Gemeinschaftsbewegung vom Standpunkt einer christlichen Soziologie aus, Schwerin 1925.
378
Wilhelm Thomas: Lebendige Gemeinde nach dem Neuen Testament und nach Luther, in: Gottes Mitarbeiter, Heft 1, Hannover o. J. Kundgebung der Generalsynode der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands zur Volksmission und Die missionierende Kirche — 22 Thesen der Generalsynode der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands vom 6. Juni 1958, abgedruckt in: Amtsblatt der Ev. Kirche in Deutschland 1958/59, Nr. 126 u. 127, S. 203 fi. A. F. C. Vilmar: Die Lehre vom geistlichen Amt, Marburg/Leipzig 1870. Hans Ruedi Weber: Die Laienfrage in ökumenischer Sicht, in: Oekumenische Rundschau, 8. Jahrg./3, Stuttgart Juli 1959. Heinz Dietrich Wendland: Die Kirche in der modernen Gesellschaft, Hamburg 1956. Erik Wolf: Zur Rechtsgestalt der Kirche, in: Bekennende Kirche. Martin Niemöller zum 60. Geburtstag, München 1952, S. 254 ff. (Abgeschlossen 1963)
379
A R B E I T E N ZUR
PASTORALTHEOLOGIE
Herausgegeben von Martin Fischer und Robert Frick HARDING
MEYER
Pascals Pensees als dialogische Verkündigung 1962. 160 Seiten, kart. 16.80 DM „Diese Monographie gibt eine vortreffliche Einführung in die Struktur des Denkens Pascals . . . Die dialogische Bewegtheit findet sich in seinem Verständnis von Wahrheit wie in seiner Auffassung vom Menschen und kann daher als Methode seines Denkens überhaupt bezeichnet werden. Meyer zeigt schließlich an den Репвёев, daß Pascal audi die Apologie des christlichen Glaubens nicht in abstrakt-dogmatischer, sondern ebenfalls in dialogischer Form entfaltet. Denn Pascals Überzeugung nach ,ist menschliche Rede allein dann wirklich hörbar, verstehbar und annehmbar, wenn sie Antwortcharakter trägt'." Dt. Pfarrerblatt HEINRICH
WITTRAM
Die Kirche bei Theodosius Harnack Ekklesiologie und Praktische Theologie 1963. 189 Seiten, kart. 19.80 DM
„Nur wenige werden verfolgt haben, wie Th. Harnacks Lehre vom Amt, von Recht und Ordnung der Kirche in den 1930er Jahren kritisch ins Gespräch gezogen wurde . . . Die Verantwortlichkeit, mit der sich Harnacks Werk die Theologie den Fragen des kirchlichen Lebens stellte, und die Energie, mit der hier das kirchliche Leben von der Theologie in Frage gestellt wurde, weisen Harnack in der Darstellung dieses Buches als einen Großen unter den praktischen Theologen aus . . . Die instruktive Monographie zeigt, wie nötig und förderlich es für die heutige Aufgabe der Erbauung der Gemeinde ist, kritisch und gerade so lernend auf diesen Mann zu hören." Die Zeichen der Zeit H A R T M U T G. M E T Z G E R
Kriterien christlicher Predigt nach Sören Kierkegaard 1964. 196 Seiten, kart. 24.— DM Kierkegaard nannte die Christlichkeit seiner Zeit einen „ungeheuerlichen Betrug". Eine „neue Waffenlehre" sei nötig, um der Lüge, die sich über die Kirche und die Frömmigkeit des Einzelnen gelegt hat, zu wahren. Doch „neu" bedeutet dasselbe wie ursprünglich; denn Kierkegaard geht es nur darum, die Kriterien der Verkündigung aufzuzeigen, die in der Christus-Botschaft selbst liegen, in einer verchristlichten Zeit aber weithin vergessen sind. In diese Richtung zielt auch der Stoß der vorliegenden Arbeit. Was zeitgeschichtlich in Kierkegaards Werk überholt ist, wurde nur gestreift. Es zeigt sich aber, daß seine Hauptanliegen heute noch ebenso aktuell sind wie vor hundert Jahren. VANDENHOECK & RUPRECHT · GÖTTINGEN UND ZÜRICH