Gemeinwohl im Prozess: Elemente eines funktionalen subjektiven Rechts auf Umweltvorsorge [1 ed.] 9783428524518, 9783428124510

Subjektive öffentliche Rechte auf Umweltvorsorge widersprechen der etablierten Trennung von Gefahrenabwehr und Risikovor

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German Pages 390 Year 2009

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Gemeinwohl im Prozess: Elemente eines funktionalen subjektiven Rechts auf Umweltvorsorge [1 ed.]
 9783428524518, 9783428124510

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1147

Gemeinwohl im Prozess Elemente eines funktionalen subjektiven Rechts auf Umweltvorsorge Von

Julian Krüper

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

JULIAN KRÜPER

Gemeinwohl im Prozess

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1147

Gemeinwohl im Prozess Elemente eines funktionalen subjektiven Rechts auf Umweltvorsorge

Von

Julian Krüper

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf hat diese Arbeit im Jahre 2006 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D 61 Alle Rechte vorbehalten # 2009 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Werksatz, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-12451-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

„Es handelt sich im Verwaltungsrecht also um eine objective Rechtsordnung, welche auch unabhängig von Parteianträgen um des öffentlichen Rechts und Wohles willen zu handhaben ist. Folgeweise sind alle Controlen der Staatsverwaltung gleichzeitig zum Schutz der Gesammtheit wie des Einzelnen bestimmt“ Rudolf von Gneist, Der Rechtsstaat und die Verwaltungsgerichte in Deutschland, 1879

Vorwort Das Verfassen einer Dissertation, der Nachdenkens- und Produktionsprozess und schließlich die Veröffentlichung des abgeschlossenen Werkes sind regelmäßig nicht denkbar ohne die Unterstützung vieler Menschen. Ihnen zu danken ist mir Bedürfnis und Freude zugleich. An erster Stelle ist hier mein Doktorvater Prof. Dr. Martin Morlok zu nennen: Er hat mich als Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl erfahren lassen, was Freiheit der Wissenschaft auch im Mittelbau einer Universität an Kreativität freisetzen kann. Des Marquis’ von Posa Losung „Sire, geben Sie Gedankenfreiheit!“ hat er sich verpflichtet, was ein anregungsreiches Arbeiten ohne Denkverbote ermöglicht und diese Dissertation geprägt hat. Gleichzeitig trugen seine Hinweise über „den juristischen Tellerrand“ hinaus wesentlich dazu bei, mein Verständnis nicht nur für das Thema der Arbeit, sondern für das öffentliche Recht im Ganzen zu vertiefen. Dafür gebührt ihm mein herzlicher Dank. Dieser Dank gilt auch Prof. Dr. Lothar Michael. Die Erfüllung seiner Gutachterpflichten war ihm mit einem prestissimo erstellten und sehr konstruktiven Zweitgutachten eine für mich außerordentlich angenehme Selbstverständlichkeit. Er hat daneben aber vor allem durch die kritische Vorab-Lektüre einiger Kapitel die Arbeit ebenso gefördert, wie er im Umfeld diverser Mensa-Mittagstische vielfältige Anregungen zur Sache und darüber hinaus gegeben hat – und dabei stets auch die Fertigstellung des Manuskripts anmahnte. Meinen Eltern Ingeborg Krüper und Wolfgang Krüper gebührt besonderer und bloß unvollkommen abzustattender Dank für die Kärrnerarbeit, die Voraussetzungen für ein Promotionsvorhaben durch ihre stete ideelle Unterstützung geschaffen zu haben. Sie haben mir darüber hinaus eine Ausbildung frei von materiellen Sorgen ermöglicht und dadurch meine Konzentration auf die Sache entscheidend gefördert. All das ist keineswegs selbstverständlich. Dieser Dank gilt auch Else Beckmann, die meinen Werdegang aufmerksam und wohlwollend begleitet und gefördert und hochbetagt den Abschluss meines Promotionsverfahrens erlebt hat. Meiner Patentante Ursula Cross gebührt Dank für die großzügige Unterstützung der Drucklegung der Arbeit. Mein Dank gilt weiter meiner ehemaligen Lehrstuhlkollegin Ri’inSG Dr. Alexandra Schindler. Mit ihr verband mich eine menschlich besonders angenehme und sachlich außerordentlich produktive Zusammenarbeit, an die ich gerne zurückdenke. Mit der ihr eigenen Mischung aus professioneller Gründlichkeit und

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Vorwort

Optimismus half sie, manch heiklen Punkt dieser Arbeit glücklich zu umschiffen. RiArbG Dr. Fabian Clemens hat sich der Mühe einer kritischen Lektüre dieses und in unserer gemeinsamen Studienzeit auch der mancher meiner studentischen Manuskripte unterzogen. Hier wie dort hat er mit unbestechlicher Klarheit inhaltliche Irrungen und sprachliche Wirrungen beseitigt. Die Arbeit wurde ausgezeichnet mit dem Preis der Düsseldorfer Goethe-Buchhandlung für die beste Dissertation des Jahres 2006 an der juristischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität. Dem Stifter des Preises, Herrn Wolfgang Teubig, gebührt mein besonderer Dank. Dieser geht auch an den Freundeskreis der juristischen Fakultät der Universität Düsseldorf für den von ihm verliehenen Förderpreis. Schließlich danke ich Familie und Freunden, akademischen wie musikalischen Lehrern, Kommilitonen und Kollegen, die es mir durch ihre Unterstützung, ihr Entgegenkommen und Wohlwollen ermöglicht haben, neben meiner juristischen Arbeit spätberufen ein Musikstudium zu absolvieren. In diesem Sinne ist die Arbeit gewidmet dem Andenken an meinen Paten Stanley Harry Cross, der mir nicht allein darin, wie er Thespis und Justitia in seinem Leben zu ihrem Recht hat kommen lassen, immer Vorbild sein wird. Köln, im Frühjahr 2009

Julian Krüper

Inhaltsverzeichnis Teil A Einleitung

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Teil B Vorsorge im (Umwelt-)recht

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§ 1 Der Regelungskontext der immissionsschutzrechtlichen Vorsorgepflicht . . . . I. § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BImSchG: Die Schutzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Probleme des Immissionsschutzes als Gefahrenabwehr . . . . . . . . . . . . a) Gefahrenprognose und der Grundsatz der umgekehrten Proportionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Wissenselement der Gefahrenprognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gefahrenverdacht, Gefährlichkeitsverdacht und Besorgnispotential d) Zur inneren Struktur des § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BImSchG . . . . . . . . 2. Drittschützender Gehalt der Schutzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 und 4 und § 5 Abs. 1 S. 2 – 4 BImSchG sowie § 5 Abs. 3 BImSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 2 Das Vorsorgeprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Prinzipien im (Umwelt-)recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsqualität der Umweltrechtsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Elemente des Vorsorgeprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Struktur und Funktion des Rechtsprinzips Vorsorge . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorsorge als offenes Leitprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorsorge als Optimierungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vorsorge als rechtssatzförmiges Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Vorsorge als Struktur- und allgemeines Rechtsprinzip . . . . . . . . . . e) Grenzen der Vorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Strukturelle Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Vorsorgeimmanente Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Konkretisierung des Rechtsprinzips Vorsorge: § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BImSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42 42 43 49 52 52 53 53 55 55 56 56 60

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Inhaltsverzeichnis a) Anwendungsbereich der Vorsorge: Gefahrenabwehr, Risikovorsorge und Restrisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 b) Maßnahmen nach der Vorsorgepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 c) Bewirtschaftungsrechtliche Deutungen des Vorsorgeprinzips . . . . . 69 (1) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 (2) Staatliche Bewirtschaftung von Umweltgütern am Beispiel des Wasserrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 (3) Freiraumthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 3. Der Grundsatz der Nachhaltigkeit und das Vorsorgeprinzip . . . . . . . . . 77 a) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 b) Anwendungsfelder der Nachhaltigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 c) Steuerungswirkungen des Nachhaltigkeitsbegriffs . . . . . . . . . . . . . 80 (1) Exkurs: Die zeitliche Wirkungsmächtigkeit menschlichen Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 (2) Die zeitliche und prozessuale Dimension der Nachhaltigkeit . . 82 (3) Nachhaltigkeit und „distributive justice“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 (4) Positive beziehungsweise ressourcenökonomische Dimension . 86 (5) Negative Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 d) Konvergenzen der Umweltrechtsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 (1) Modal- und Finalprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 (2) Nachhaltigkeit und Schutzgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 (3) Nachhaltigkeit und Vorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 4. Das Vorsorgeprinzip im Europarecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 5. Der drittschützende Gehalt der Vorsorgepflicht nach geltendem Recht 98 a) Nationale Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 b) Europäische Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 c) Ausblick: Eigener Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

Teil C Subjektives öffentliches Recht und Schutznormtheorie § 3 Das Konzept des subjektiven öffentlichen Rechts und seine Entwicklung . . . I. Historische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Subjektive Rechte im bürgerlichen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Subjektive Rechte und Öffentliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Rechtsperson Staat als Voraussetzung subjektiver öffentlicher Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zur Theorie des subjektiven öffentlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

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(1) Historischer Kontext des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . (2) „Subjektives öffentliches Recht“ als Begriff . . . . . . . . . . . . . . . (3) Der subjektivrechtliche Gehalt der Grundrechte . . . . . . . . . . . . (4) Subjektive Rechte und Grundrechtsstatus . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Exkurs: Das subjektive öffentliche Recht im Totalitarismus . . II. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 4 Die Schutznormtheorie und ihre Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Schutznorm und Schutzgesetz im bürgerlichen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Schutznormtheorie im Öffentlichen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Merkmal des „Interesses“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sprachliche Entwicklung und innere Struktur des Interessenbegriffs b) Der juristische Interessenbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Interesse, Recht und Rechtsreflex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Privates und Öffentliches Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Interessenzuweisung, materiale und funktionale Subjektivität . . . . . . . a) Zur Zuweisung von Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Kontinuität zivilrechtlicher Strukturen und die Zuweisung von Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der „Zuweisungsgehalt“ und seine methodische Bedeutung für das subjektive Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Funktion und Bedeutung des § 42 Abs. 2 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kritik an der Schutznormtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetzesakzessorietät der Schutznormtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundrechte als Quelle subjektiver Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Multipolare Rechtsbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zweckpluralismus in der Schutznormtheorie und der Rechtsverhältnislehre V. Die Schutznormtheorie „in Auflösung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Verbandsklage: Zur „Privatisierung des Gemeinwohls“ . . . . . . b) „Sperrgrundstücke“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gemeinsamkeiten – Divergenzen – Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . VI. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis Teil D Vorsorge als Kategorie des materiellen und des Verfahrensrechts

§ 5 Begründungsansätze aus materiellem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG als Gebot oder Grenze der Subjektivierung der Vorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Art. 20a GG als Gebot zur Subjektivierung der Vorsorge . . . . . . . . . . . . . 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Transanthroporelationaler Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Transanthroporelationalität und Vorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Subjektivierung der Vorsorge als Gebot des Demokratieprinzips . . . 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Teilhabe und Rechtsschutz zwischen Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsschutz zwischen Staat und Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Umweltschutz im Spannungsfeld zwischen Individualinteresse und Gemeinwohl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Vorsorge als Ausdruck grundrechtlicher Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . 1. Schutzpflichten als objektives Gebot oder subjektives Recht . . . . . . . . 2. Vorsorge und Schutzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Tatbestand der Schutzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Gegenwärtig Betroffene (Nachbarn) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Zukünftig Betroffene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Gefahrenabwehrrechtliche Deutung des Vorsorgeprinzips . (b) Bewirtschaftungsrechtliche Deutung des Vorsorgeprinzips (c) Nachhaltigkeitsorientierte Deutung des Vorsorgeprinzips . c) Schutzgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Der Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die Rechtsfolge der Schutzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Europarechtliche Impulse zur Subjektivierung der Vorsorge . . . . . . . . . . . 1. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorsorgerechtsschutz im Europarecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 6 Verfahrensrechtliche Begründungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorsorge und integrativer Umweltschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Konzept integrativen Umweltschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Konzept des integrativen Umweltschutzes am Beispiel der IVURichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

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c) Zur Kritik des integrativen Umweltschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Integration als Verfahrenskategorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundmodelle: Horizontale Inklusion und vertikale Exklusivität . b) Neues Modell: Integration durch vertikale Inklusion . . . . . . . . . . . II. Subjektive Vorsorgerechte und Planungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Teil E Vorsorge als prozessuale Gemeinwohlkategorie § 7 Subjektive Rechte als Mechanismus des Gemeinwohlschutzes . . . . . . . . . . . . I. Subjektive Rechte und Rechtsgüterschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Subjektive Rechte und Belange des Gemeinwohls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zur soziologischen und juristischen Funktion subjektiver Rechte . . . . a) Reziprozität und Komplementarität sozialer Beziehungen . . . . . . . b) Subjektive Rechte und objektive Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . (1) Zur Durchsetzbarkeit als Unterscheidungskriterium . . . . . . . . . (2) Zur Objektivität des Öffentlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Öffentliche Interesse an der Geltendmachung subjektiver Rechte a) Das Öffentliche Interesse im Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Öffentliche Interesse am materiellen Prozessergebnis . . . . . . . (1) Rechtsstaat und Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) „Interessen durch Ideen“: Umweltschutz im Prozess . . . . . . . . III. Gemeinwohlbelange zwischen Staat und Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Konzept der Trennung von Staat und Gesellschaft . . . . . . . . . . . . a) Zum Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Staat, Gesellschaft und individuelle Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gemeinwohl als Staatsaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff des Gemeinwohls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Gemeinwohl als Abwägungs- und Interessenkategorie . . . . . . . (3) Gemeinwohl und Nachhaltigkeitsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die staatliche Ausgangsverantwortung für das Gemeinwohl . . . . . (1) Gemeinwohl und Systemtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Gemeinwohl als Staatsaufgabe oder öffentliche Aufgabe . . . . . (3) Gesellschaftliche Gemeinwohlverantwortung als Residual- und Komplementärkategorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Formen der Gemeinwohlpflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Allgemeine Betrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

212 212 212 217 217 217 220 220 222 224 225 226 226 228 229 229 229 231 234 235 235 236 238 242 243 245 246 249 249

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Inhaltsverzeichnis (2) Vorsorge im Speziellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Umwelt als Defizitposten staatlicher Gemeinwohlpflege . . . . . . . . . (1) Vollzugsdefizit im Umweltrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Normative Generalität und faktische Komplexität . . . . . . . (b) Instrumente des Umweltrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Implementationshemmnisse durch Entformalisierung . . . . (2) Rechtsstaat und Umweltstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Staatszwecke im Verfassungsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Antagonismus von Staatsstrukturprinzipien . . . . . . . . . . . . (3) Interessenkonkurrenz, Konvertierbarkeit und subjektive Rechte (a) Zweck und individuelle Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Materielle Freiheit in Grundrechtstheorie und Grundrechtsdogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (α) Belangvolle Freiheit und Grundrechte . . . . . . . . . . . . . (β) Dogmatische Konsequenzen „belangvoller Freiheit“ . . (4) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gesellschaft als subjektivrechtlich konstituiertes System . . . . . . . . . . . 4. Neuverteilung von Gemeinwohlverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Kooperationsverhältnis zwischen Staat und Gesellschaft bei der Gemeinwohlpflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Prozess als Medium der Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Prozessführung im Kooperationsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Kooperation und staatliche Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Konsequenz: Das funktionale subjektive Recht auf Umweltvorsorge . . a) Modell und Bedenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Subjektive Rechte und staatlich-ziviles Koordinationsverhältnis . . c) Funktion, Konstruktion und Zuschnitt eines funktionalen subjektiven Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Zuweisung und Subjektivität des Vorsorgeinteresses . . . . . . . . (2) Vorsorgeklage und Popularklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Exkurs: Funktionale subjektive Rechte als gouvernementales Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Zum Begriff der Gouvernementalität . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Die staatsorganisatorische Dimension der Gouvernementalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Die subjektive Dimension der Gouvernementalität . . . . . . d) Verfassungsstaatliche Grenzen und philosophischer Kontext gemeinwohlorientierter funktionaler subjektiver Rechte . . . . . . . . . . . (1) Grenzen: Die Funktionalisierung subjektiver Rechte im Verfassungsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

251 254 255 258 259 259 260 260 264 267 270 272 273 275 278 278 281 281 284 285 288 290 290 294 297 300 301 304 304 305 309 310 310

Inhaltsverzeichnis (a) Egoistisches Interesse vs. soziale Verantwortung . . . . . . . . (b) Grundrechts(status)theoretische Funktionalisierungsgrenzen: der status activus cooperationis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Kontext: Kommunitarismus und Liberalismus . . . . . . . . . . . . . (a) Modelle der kommunitaristischen Weltsicht und ihr Verhältnis zu subjektiven Rechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Liberaler Kommunitarismus unter dem Grundgesetz: Funktionale subjektive Rechte und Generationenverantwortung (α) Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (β) Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15 311 313 316 317 320 320 321

Teil F Zusammenfassung

325

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 Personen- und Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384

Teil A

Einleitung „Nichts“, so im Jahr 1905 Georg Jellinek in seinem „System der subjektiven öffentlichen Rechte“, „steht (..) weniger fest als der Begriff des subjektiven öffentlichen Rechts selbst“ 1. Tatsächlich führt das subjektive öffentliche Recht bis heute ein vielgestaltiges Dasein 2. Während es einerseits zu einem Schlüsselbegriff für das Verständnis weiter Teile des ius publicum geworden ist, so ist der Begriff gleichzeitig in Gestalt des Schlagwortes der Klagebefugnis oder des Drittschutzes 3 immer wieder Anlass und Zentrum rechtswissenschaftlichen Disputs. Dabei hat sich die Diskussion unter dem Eindruck materieller Rechtsstaatlichkeitsverpflichtung des grundgesetzlichen Verfassungsstaats davon entfernt, die Existenz subjektiv-öffentlicher Rechte allein deshalb in Frage zu stellen, weil kein Recht im engeren Sinne sein kann, wo es einseitig vom Rechtsverpflichteten, nämlich dem Staat, aufgelöst werden kann 4 – jedoch stellt dies lediglich einen rechtlichen Minimalkonsens dar. Das theoretische Fundament ist gleichsam gelegt, über den dogmatischen Auf- und Ausbau herrscht auch weiterhin Streit 5. 1 G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1905, (Nachdruck), 1963, S. 5. 2 s. für einen systematischen, theoretisch wie rechtspraktisch instruktiven Überblick A. Scherzberg, Subjektiv-öffentliche Rechte, in: Erichsen / Ehlers (Hg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2005, § 11. 3 Die Drittschutzproblematik bezeichnen R. Wahl, in: Schoch / Schmidt-Aßmann (Hg.), VwGO, Kommentar, Bd. I, 15. Lfg. September 2007, Vorb. § 42 Abs. 2 Rn. 44, als das „Zentrum der Probleme um das subjektiv-öffentliche Recht heute“. 4 s. dazu Jellinek, (Fn. 1), S. 10; R. Thoma, Das System der subjektiven öffentlichen Rechte und Pflichten, in: Anschütz / ders. (Hg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. II, 1932, § 102, S. 607 f.; s. weiter die prototypischen Bemerkungen P. Labands: „Die Freiheitsrechte oder Grundrechte sind Normen für die Staatsgewalt, welche dieselbe sich selbst gibt, sie bilden Schranken für die Machtbefugnisse der Behörden, sie sichern dem Einzelnen seine natürliche Handlungsfreiheit in bestimmtem Umfange, aber sie begründen nicht subjektive Rechte der Staatsbürger. Sie sind keine Rechte, denn sie haben kein Objekt.“, in: ders., Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. I, 5. Aufl., 1911, S. 429.; s. in rechtsgeschichtlicher Perspektive die Arbeit von J. Kersten, Georg Jellinek und die klassische Staatslehre, 2000, S. 425 ff.; s. auch M. Herdegen, Objektives Recht und subjektive Rechte, in: Heckmann / Meßerschmidt (Hg.), Gegenwartsfragen des Öffentlichen Rechts, 1988, S. 161 ff., 165, der die Doppelstellung des Bürgers als Rechtsträger und Rechtsunterworfener beschreibt und feststellt, dass aus dem Status der Rechtsunterworfen-

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Teil A: Einleitung

Nicht zuletzt durch das Europarecht motiviert, vollzieht sich seit einigen Jahren ein stetiger Wandel 6: Danach wird das herkömmlich starre Konzept des subjektiven öffentlichen Rechts zum Teil aufgebrochen 7 und zunehmend als Zuordnungsmechanismus zwischen Rechtssubjekten und Rechtsgütern begriffen und konstruiert 8. Kriterien einer materiellen Subjektivität solcher Rechte verlieren zugunsten funktionaler Erwägungen 9 an Raum. Die Kontroverse um das subjektive öffentliche Recht schwelt allgemein in Form der Kritik an der Subjektivierung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes und im Besonderen vor allem festgemacht an Fragen des „klagebefugenden“ Charakters einzelner Normen des öffentlichen Rechts. Zu diesen Normen zählt auch § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BImSchG, der die Pflicht des Anlagenbetreibers zu Vorsorgemaßnahmen statuiert 10. Ein wesentlicher Teil der Kontroverse um diese Vorschrift ist vor allem darauf zurückzuführen, dass es bis heute nur unvollkommen gelungen ist, Rang und Inhalt der immissionsschutzrechtlichen Vorsorgepflicht – wie der Vorsorge überhaupt – zu konsolidieren. Der subjektivrechtliche Gehalt der Vorsorge wird dabei mal betont, doch überwiegend negiert, was jeweils Ausdruck ihrer Verortung eher im Bereich der Gefahrenabwehr oder im Bereich prognostischer Planung ist 11.

heit folge, dass zwischen Staat und Bürger kein echtes Koordinationsverhältnis bestehe; dazu auch J. Isensee, Wer definiert die Freiheitsrechte?, 1980, passim. 5 Zu diesem Ergebnis kommt auch H. K. Heinz, Die Problematik des Staatszieles Umweltschutz im Lichte der Unterscheidung von subjektiven Rechten und objektivem Recht, in: Heckmann / Meßerschmidt (Hg.), Gegenwartsfragen des Öffentlichen Rechts, 1988, S. 181 ff., 182; R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 2. Aufl. 1994, S. 159; H. Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 12 differenziert zwischen der verfassungs- und der verwaltungsrechtlichen Diskussion. 6 Zu dieser Entwicklung grundlegend T. v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und Europäische Integration, 1996. 7 Für die Entwicklung subjektiver Ermessensansprüche s. T. Schmidt, Die Subjektivierung des Verwaltungsrechts, 2006, passim. 8 s. M. Reiling, Zu individuellen Rechten im deutschen und im Gemeinschaftsrecht, 2004, passim; ders., Interesse als Rechtsbegriff, DÖV 2004, S. 181 ff. 9 Von funktionalen gegenüber materiellen subjektiven Rechten sachlich zu unterscheiden ist die historisch tradierte Differenzierung zwischen formellen und materiellen subjektiven Rechten, dazu Schmidt, (Fn. 7), S. 131 ff. 10 Übersicht z. B. bei J. Dietlein, in: v. Landmann / Rohmer (Begr.), Umweltrecht, Bd. I, BImSchG, Kommentar, 40. Lfg. Mai 2003, § 5 Rn. 131 ff.; M. Kotulla, in: ders. (Hg.), BImSchG, Kommentar, Bd. I, 4. Lfg. November 2004, § 5 Rn. 63 ff.; A. Roßnagel, in: Koch / Scheuing (Hg.), GK-BImSchG, § 5 Rn. 415 ff., Juni 1994; sehr knapp: G. Feldhaus, in: ders. (Hg.), Bundesimmissionsschutzrecht, Bd. 1 – Teil I, BImSchG, 145. Lfg. April 2008, § 5 Rn. 2 ff. 11 Dazu jetzt E. Schmidt-Aßmann, Das Allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, (Nachdruck), 2006, S. 116.

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Die Kontroverse um den individualschützenden Gehalt der Vorsorge ist dabei in den letzten Jahren durch verfassungs- und völkerrechtliche Entwicklungen neu munitioniert worden 12. Mit der Staatszielbestimmung des Art. 20a GG und dem Grundsatz der Nachhaltigkeit auf der juristischen Hinterbühne sind die Fronten zwischen Zustimmung und Ablehnung zum vorsorgefundierten Rechtsschutz neu zu ziehen 13. Dass das Rechtsschutzsystem europarechtlich, zuletzt vor allem durch die Arhus-Konvention und ihre Umsetzung Impulse beispielsweise im Bereich der Verbandsbeteiligung erfährt, darauf an sei an dieser Stelle nur hingewiesen. Über die unmittelbare verfahrens- und prozessrechtliche Dimension hinaus liegen der Kontroverse um die subjektiven Rechte auf Umweltvorsorge noch andere, weitaus grundsätzlichere Fragen und Probleme zugrunde. Die Diskussion wird geprägt vom Vorverständnis 14 der Rechtsanwender vom Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft, Individualinteresse und Gemeinwohl 15, von Aufgaben des Staates und des Einzelnen und von der Funktion von Rechten und Rechtsschutz in einer freiheitlich-demokratischen Staatsform 16. Darüber hinaus schwingen Elemente einer philosophischen und ethischen Grundsatzdiskussion um Ökozentrik und Anthropozentrik des Rechts und um die Verantwortung des Menschen für seine Umwelt 17 mit, die in der fachjuristischen Diskussion bislang nur zum Teil rezipiert wurden 18. Während das geschriebene Recht, insbesondere in Form des Art. 20a GG weithin allein an12 Dabei verhält es sich nicht so, dass das „vergehende Verfassungsrecht“ für das „bestehende Verwaltungsrecht“ bedeutungs- und in diesem Zusammenhang insbesondere auslegungsirrelevant wäre, vielmehr ist die Verfassungsakzessorietät des Verwaltungsrechts heute anerkannt, s. R. Wahl, Der Vorrang der Verfassung und die Selbständigkeit des Gesetzesrechts, NVwZ 1984, S. 401 ff. 13 Zum Wandel der öffentlich-rechtlichen Dogmatik unter dem Einfluss des Nachhaltigkeitsprinzips I. Appel, Staatliche Zukunfts- und Entwicklungsvorsorge, 2005, passim. 14 In diesem Sinne begriffsbildend J. Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung, 1972; kritisch dazu F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Aufl. 1991, S. 154 ff. 15 Die Probleme der Multipolarität des Verwaltungsrechts und namentlich des subjektiven öffentlichen Rechts behandelt grundlegend M. Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 2005, passim; s. auch P. M. Huber, Konkurrenzschutz im Verwaltungsrecht, 1991, S. 100 ff. zum subjektiven öffentlichen Recht. 16 S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, systematisiert grundlegend nichtsubjektivrechtliche Klagebefugnisse im Verwaltungs- und Gemeinschaftsrecht de lege lata. 17 F. Fraser-Darling, Die Verantwortung des Menschen für seine Umwelt, in: Birnbacher (Hg.), Ökologie und Ethik, 1980, S. 9 ff.; ebd. auch D. Birnbacher, Sind wir für die Natur verantwortlich?, S. 103 ff.; ebd. M. Rock, Theologie der Natur und ihre anthropologisch-ethischen Konsequenzen, S. 72 ff. 18 Maßgeblich D. v. d. Pfordten, Ökologische Ethik, 1996; s. auch H.-U. Nennen / G. Hörning (Hg.), Energie und Ethik, 1999; M. Heidrich, Rechtsphilosophische Grundla-

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thropozentrische Züge trägt, entwickeln Philosophie und Rechtstheorie zunehmend Konzepte, die den Schutz der Natur um ihrer selbst Willen mit ihrem Schutz als natürliche Lebensgrundlage des Menschen zu verbinden 19 sowie das Problem einer Verantwortungszuschreibung in komplexen Prozessen kollektiver Schadensverursachung mit Hilfe philosophischer Überlegungen aufzuschlüsseln versuchen 20. Die Arbeit will – nach einer Darstellung der beispielgebenden immissionsschutz- und umweltrechtlichen Grundlagen – den Begriff des subjektiven öffentlichen Rechts in seiner geschichtlichen Entwicklung und ausführlicher in seiner heutigen prozessualen Funktion beleuchten. Darauf aufbauend soll nach Begründungsansätzen geforscht werden, die Aufschluss darüber geben können, ob nach heutigem Rechtsverständnis eine Subjektivierung des immissionsschutzrechtlichen Vorsorgeprinzips denkbar und wünschenswert ist. Die Arbeit folgt dabei der These, dass die subjektivrechtliche Qualität einer Norm des öffentlichen Rechts letztlich das Ergebnis juristischer Übereinkunft ist: Das subjektive Recht ergibt sich ganz überwiegend also nicht „natürlich“, sondern wird dogmatisch konstruiert. Damit wird die Kategorie des subjektiven Rechts nicht der inhaltlichen Beliebigkeit preisgegeben, denn die Konstruierbarkeit subjektiver öffentlicher Rechte macht eine Begründung dieser Konstruktion nicht entbehrlich. Dieser Übereinkunftsthese folgend, sollen hier Argumentationsansätze für eine solche dogmatische Konstruktion subjektiver Rechte auf Vorsorge gegeben werden. Dabei will die Arbeit einen Bogen schlagen vom fassbaren umweltverwaltungsrechtlichen Ausgangspunkt des § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BImSchG hin zu grundlegenden Ordnungskonzepten von Staat und Verfassung. Die Arbeit fühlt sich dabei in besonderer Weise dem Ziel verpflichtet, „das Große im Kleinen“ zu untersuchen: Der These vom Verwaltungsrecht als konkretisiertem Verfassungsrecht soll auf diese Weise besonders Rechnung getragen werden. Die Arbeit will dabei einen Anstoß geben, das Verständnis subjektiver öffentlicher Rechte im Umweltrecht zu überdenken und staatliche und gesellschaftliche gen des Ressourcenschutzes, 2004; aus der i. e. S. juristischen Diskussion s. z. B. S. Emenegger / A. Tschentscher, Taking Nature’s Rights seriously – The long way to Biocentrism in Environmental Law, Georgetown International Environmental Law Review, Bd. IV, 1994, S. 545 ff. m.w. N.; H. K. Heinz, Eigenrechte der Natur, Der Staat 29 (1990), S. 415 ff., insbes. S. 438; ders., (Fn. 5); Appel, (Fn. 13), S. 66 ff.; ein weiterführender Ansatz bei K. Leondarakis, Menschenrecht „Tierschutz“, 2006, insbes. S. 30 ff.; ein Klassikertext der Eigenrechtsdebatte ist C. Stone, Should trees have standing, 1974, (Nachdruck), Umwelt vor Gericht, 2. Aufl. 1992, S. 30 ff.; aus der pol. Diskussion R. D. Precht, Noahs Erbe, 2000; kritisch vom Standpunkt der Liberalismustheorie M. N. Rothbard, The Ethics of Liberty, 1982, abrufbar unter http://mises.org/rothbard/ethics/ethics.asp. 19 Sog. transanthroporelationaler Ansatz, dazu v. d. Pfordten, (Fn. 18), S. 256 ff.; s. auch M. Kloepfer (Hg.), Anthropozentrik, Freiheit und Umweltschutz in rechtlicher Sicht, 1995, passim. 20 s. dazu W. Lübbe, Verantwortung in komplexen kulturellen Prozessen, 1998, vor allem S. 121 ff.

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Gemeinwohlverantwortung unter dem Aspekt der Kooperation im Sinne Konrad Hesses in ein „konkretes und differenziertes“ Zuordnungsverhältnis bringen. In dieser Perspektive soll die durch subjektive Rechte vermittelte Freiheit des Einzelnen als eine verantwortliche Freiheit begriffen und ausgefüllt werden. Subjektive Rechte erweisen sich in dieser Perspektive als ein gemeinwohlrelevanter Mechanismus zivil-staatlicher Kooperation 21. Sie aktualisieren sich im Kontext eines klassischen Bereichs staatlichen und zivilen Zusammenwirkens, nämlich dem gerichtlichen Verfahren, namentlich dem Verwaltungsprozess. Die Untersuchung knüpft damit in Teilen an die von verschiedenen Autoren vorgelegten (europarechtlichen) Arbeiten an 22, grenzt sich thematisch aber auch von ihnen ab. Die von Masing festgestellte Notwendigkeit, einen (behutsamen) Strukturwandel der Dogmatik des subjektiv-öffentlichen Rechts gerade auch unter europäischem Blickwinkel zu bewirken, wird hier aufgegriffen. Anregungen für eine solche modifizierte Dogmatik sollen hier aber dezidiert vom nationalen verwaltungs- wie verfassungsrechtlichen Standpunkt aus gegeben werden. Dabei bestehen zwischen dem hier vorgeschlagenen Modell eines (nationalrechtlichen) funktionalen subjektiven öffentlichen Rechts 23 auf Vorsorge und dem Rechtsschutzansatz des Europäischen Gerichtshofs durchaus Parallelen 24. Die Arbeit unternimmt aber bewusst den Versuch, ein nationalstaatliches Konzept gemeinwohlbezogener subjektiver Rechte zu entwickeln. Freilich kann ein solcher Ansatz bedeutsame Impulse aus dem Gemeinschaftsrecht erfahren. Dabei wird sich erweisen, dass die europarechtlichen Rechtsschutzkonzepte der nationalen Rechtsordnung bei Fortschreibung ihrer eigenen Logik und Gesetzmäßigkeiten keineswegs fremd sind. Eine zentrale Rolle spielt im Konzept funktionaler subjektiver Rechte der Begriff des Gemeinwohls 25. Dabei begreift die Untersuchung umweltrechtliche Vorsorge als einen Belang des Gemeinwohls, ohne damit die Debatte um den Gemeinwohlbegriff selbst führen zu wollen. Der Sache nach liegt der Arbeit gleichwohl ein eher prozedurales Gemeinwohlverständnis zugrunde. Gemeinwohl realisiert sich situativ und als Ergebnis einer Interessenkonkurrenz. Formalisiert 21 Zur Kooperation als Mechanismus einer delegierten Staatsgewalt (aus korporativem Blickwinkel) H.-G. Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, S. 66 ff. 22 J. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, Berlin 1997; einschlägig für den europarechtlichen Kontext insoweit B. W. Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, sowie M. Ruffert, Subjektive Rechte im Umweltrecht der europäischen Gemeinschaften, 1996 sowie Reiling, (Fn. 8), Rechte und Schlacke, (Fn. 16), S. 371 ff., 517 ff. 23 Zum Begriff und Konzept der funktionalen subjektiven Rechte Ruffert, (Fn. 22), S. 220 ff. 24 s. zur Rechtsprechung des EuGH J. H. Jans / A.-K. v d. Heide, Europäisches Umweltweltrecht, 2003, S. 221 ff. 25 Dazu jetzt M. Anderheiden, Gemeinwohl in Republik und Union, 2006, passim.

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ausgetragen werden solche Interessenkonkurrenzen im gerichtlichen Verfahren, welches sich materiell in den Kategorien von Recht und Gegenrecht abbilden lässt. Sie gilt es für die Dimensionen des Gemeinwohls zu entschlüsseln und zu aktivieren. Es geht also darum, den bestehenden dogmatischen Ordnungsrahmen des subjektiven öffentlichen Rechts auf seine Grundlagen hin zu befragen, behutsam zu erweitern und zum Teil neu zu positionieren. Dabei soll einmal die spezifische Gemeinwohlrelevanz des Prozessrechts besonders in den Blick genommen und der Idee eines „prozeduralen Gemeinwohls“ eine ganz fassbare und praktische Seite abgewonnen werden. Andererseits sollen die Herausforderungen, die sich an das Prozessrecht in dieser Hinsicht stellen, thematisiert werden 26. Nahtstelle zwischen materiellem Recht und Verwaltungsprozess bildet hier § 42 Abs. 2 VwGO, dessen vorsichtige Öffnung hin zu (funktionalen) subjektiven Rechten außerhalb materieller Schutznormvorschriften durchaus Fürsprecher kennt 27. Diesem Ansatz sieht sich die Arbeit verpflichtet. Schließlich unternimmt die Arbeit den Versuch, das Konzept gemeinwohlbezogener funktionaler subjektiver Rechte durch eine Einordnung in größere theoretische Zusammenhänge zu validieren. Dies geschieht vorrangig in dreierlei Hinsicht: Einmal gilt es, das Konzept der funktionalen Subjektivität von Rechten rückzubinden an zentrale Begriffe der verfassungsstaatlichen Grundrechtsdogmatik, namentlich der Statuslehre, die Grund und Grenzen jeglicher Funktionalisierungsbemühungen subjektiver Rechte beschreibt. Weiter untersucht die Arbeit die Strukturen des sozialwissenschaftlichen Modells der Gouvernementalität auf ihre Aussagen zur Position und Kompetenz des Individuums in einem zeitgenössischen Modell der Regierungskunst. Es wird sich aus dieser Perspektive erweisen, dass moderne Theorien des Regierens Handlungsmuster des rationalen Individuums gezielt in ihren Fundus aufnehmen und nutzen. Schließlich wird, rückangebunden an die Verfassung und in Fortschreibung der Ergebnisse der gouvernementalen Lesart subjektiver Rechte, das Modell des funktionalen subjektiven Rechts eingestellt in die Debatte zwischen politischem Liberalismus und Kommunitarismus. Der weitere Verlauf der Untersuchung gliedert sich in insgesamt vier Teile: Ausgehend von einer Untersuchung des einfachgesetzlichen Kontexts des Immissionsschutzrechts steht zunächst das Vorsorgeprinzip als konstitutives Element der deutschen Umweltrechtsordnung im Mittelpunkt. Besonderes Augenmerk wird dabei gerichtet auf die Impulse, die das Vorsorgeprinzip aus dem Grundsatz der Nachhaltigkeit erfährt (B.). 26

s. dazu Schmidt-Aßmann, (Fn. 11), S. 226. Schmidt-Aßmann, (Fn. 11), S. 226: „Notwendig ist es, § 42 Abs. 2 VwGO (‚soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist‘) so zu interpretieren“, dass (..) auch „eine im Gesetz als substantiell anerkannte Interessenposition als ausreichend angesehen wird“. 27

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Das subjektive öffentliche Recht, seine historische Entwicklung und seine praktische Erscheinung in Form der Schutznormtheorie werden im Hinblick auf ihre zwingenden und fakultativen Bestandteile untersucht. Vor dem Hintergrund des Modells funktionaler Subjektivierung stehen dabei insbesondere der Begriff des „Interesses“ sowie der Mechanismus seiner Zuweisung auf dem Prüfstand (C.) Aufmerksamkeit verdient dabei die Rolle subjektiver Rechte in den theoretischen Konzeptionen totalitärer Rechtssysteme. Sie vermögen darüber Aufschluss zu geben, welche verfassungsrechtlichen Grenzen einer Funktionalisierung subjektiver Rechte gesetzt sind. In einem dritten Teil geht die Untersuchung schließlich der Frage nach, aus welchen Quellen ein Modell funktionaler Subjektivierung umweltrechtlicher Vorsorgevorschriften argumentative Unterstützung erfährt. Dabei werden gleichermaßen materiellrechtliche wie verfahrensrechtliche Ansätze einer genauen Untersuchung unterzogen (D.). Es erweist sich, dass abseits der strengen Dogmatik der Schutznormtheorie deutliche Anhaltspunkte für eine großzügigere Konzeption subjektiver Rechte auch im nationalen Recht gegeben sind. Im abschließenden vierten Teil (E.) wird vor dem Horizont der gewonnenen Untersuchungsergebnisse das gemeinwohlbezogene funktionale subjektive Recht als Kategorie subjektiver Rechte beschrieben und argumentativ legitimiert und abgesichert. Dabei geht es um die Bedeutung subjektiver Rechte innerhalb der Rechtsordnung ebenso wie um die Artikulationsfähigkeit und –bedürftigkeit öffentlicher Interessen im gerichtlichen Verfahren. Das Konzept einer gemeinsamen Verantwortung von Staat und Bürgern für die Erreichung des Gemeinwohls wird dabei in Bezug auf Belange des Umweltschutzes begründet und, vermittelt über die Figur des funktionalen subjektiven Rechts, in die Kooperationsstruktur des Verwaltungsprozesses gegossen Die Untersuchung ist mit dem Problem geradezu unübersehbarer Mengen an Literatur allein zum Problem der subjektiven öffentlichen Rechte und des Gemeinwohls konfrontiert, die in Gänze zu erfassen kaum möglich ist. Sie bemüht sich daher, wesentliche Werke zu verarbeiten, kann aber auf den sprichwörtlichen „Mut zur Lücke“ nicht verzichten – und sieht sich daher zwangsläufig Bachofs Diktum verpflichtet: „Wollte der Jurist sich weigern, gelegentlich auch ohne Netz zu arbeiten, so müsste er vor seiner Aufgabe kapitulieren“ 28. Auf das durch wissenschaftliche Redlichkeit gebotene Netz wird hier nicht verzichtet, jedoch ist es an der einen oder anderen Stelle aus dem genannten Grund grobmaschiger geknüpft als an anderen. Das damit verbundene Risiko zu tragen, ist der Verfasser gerne bereit.

28

O. Bachof, Die Dogmatik des Verwaltungsrechts vor den Gegenwartsaufgaben der Verwaltung, in: VVDStRL 30 (1972), S. 193 ff., 218.

Teil B

Vorsorge im (Umwelt-)recht § 1 Der Regelungskontext der immissionsschutzrechtlichen Vorsorgepflicht Das Immissionsschutzrecht 29 ist zu einem Großteil Anlagenrecht. Nicht der personalkonzessionierende Ansatz des Gewerberechts bildet in diesem Rechtsbereich den Anknüpfungspunkt für Gefahrenabwehr und Gefahrenvorsorge, sondern die betriebene Anlage, wie sie in § 3 Abs. 5 BImSchG legaldefiniert ist. Bereits die Preußische Allgemeine Gewerbeordnung von 1845 enthielt eine Genehmigungspflicht für solche Anlagen, die „durch ihre örtliche Lage oder durch die Beschaffenheit der Betriebsstätte für die Besitzer oder Bewohner der benachbarten Grundstücke oder für das Publikum überhaupt erhebliche Nachteile, Gefahren oder Belästigungen herbeiführen“ konnten 30. Die Gewerbeordnung von 1869 und die Reichsgewerbeordnung von 1900 übernahmen die Vorschrift sinngemäß, die bis zum Erlass des BImSchG am 01. 04. 1974 31 – gewisse Änderungen inbegriffen – Geltung behielt 32. Der Betrieb einer so definierten Anlage 33 ist unter den Voraussetzungen der §§ 4 – 6 BImSchG in Verbindung mit der 4. Verordnung zur Durchführung des 29 Einen systematischen Überblick über das BImSchG, seine Einrichtungen (Umweltbeauftragte u.ä.) und zentrale Begriffe (schädliche Umwelteinwirkungen usw.) gibt mit kritischer Bestandsaufnahme H. D. Jarass, Zur Systematik des Immissionsschutzrechts, in: Dolde (Hg.), Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 381 ff., passim. 30 s. zur geschichtlichen Entwicklung aus der Rechtsschutzperspektive auch P. Preu, Die historische Genese der öffentlichrechtlichen Bau- und Gewerbenachbarklagen (ca. 1800 – 1970), 1992, passim. 31 Zur Entstehung des BImSchG G. Feldhaus, Konturen eines modernen Umweltschutzrechts, DÖV 1974, S. 613 ff. 32 Dazu im Ganzen H. D. Jarass, BImSchG, 7. Aufl. 2007, § 4 Rn. 1; R. Sparwasser / R. Engel / A. Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, Kap. 10, Rn. 52 ff. 33 s. zum Anlagenbegriff und zum Genehmigungsumfang H. D. Jarass, Der Umfang einer immissionsschutzrechtlichen genehmigungsbedürftigen Anlage, NVwZ 1995, S. 529 ff.; s. für den weiteren Anwendungsbereich der Grundpflichten K. Hansmann, Vorsorgepflichten bei nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen, in: Ministerium für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft des Landes Nordrhein-Westfalen (Hg.), Neuere Entwicklungen im Immissionsschutzrecht, 1991, S. 10 ff.; H.-W. Rengeling, Die immissions-

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Bundesimmissionsschutzgesetzes (4. BImSchV) genehmigungsbedürftig 34. Voraussetzung der gebundenen 35 Genehmigungserteilung gem. § 6 Abs. 1 BImSchG ist es, dass den Betreiberpflichten des § 5 BImSchG genügt ist 36. Dabei stellt die Entscheidung des Gesetzgebers zur Festschreibung solcher Betreiberpflichten bereits einen gesetzlichen Fortschritt dar. Zwar war der Betrieb emittierender Anlagen bereits seit Langem genehmigungspflichtig, jedoch bestand ursprünglich keine über den Genehmigungszeitpunkt hinausgehende normierte Pflicht des Betreibers, seine Anlage gefahrlos zu betreiben 37. Zwar konnte die Behörde ihn darauf verpflichten, jedoch – abgesehen vom Zeitpunkt der Errichtung und Inbetriebnahme – nur bei wesentlichen Änderungen oder im Falle nicht hinreichenden Schutzes der Nachbarschaft oder der Allgemeinheit 38. In Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie und der IVU-Richtlinie 39 ist die Vorschrift ergänzt worden um die sogenannte Integrationsklausel 40 („Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt“), welche die erforderliche medienübergreifende Gefahren- und Risikoanalyse bei der Anwendung der Grundpflichten nochmals deutlich macht 41. Die Vorschrift über die Betreiberpflichten stellt insgesamt eine Schlüsselnorm des Immissionsschutzrechts dar, nicht nur, weil in ihnen die Rechtspflichten des Anlagenbetreibers positiviert sind und sie daher die materiellen immissionsschutzrechtlichen Steuerungsimpulse setzt, sondern auch, weil sie sich im Kern der dogmatischen Auseinandersetzung um ein modernes Umweltrecht befindet 42. schutzrechtliche Vorsorge als Genehmigungsvoraussetzung, in: Börner (Hg.), Umwelt, Verfassung, Verwaltung, 1982, S. 181 ff. 34 Zu den (weiteren) Arten der Schutzpflichtkonkretisierung Dietlein, (Fn. 10), § 5 Rn. 12 ff.; Kotulla betont auch die Bedeutung des § 5 BImSchG als Konkretisierung des Auftrags aus Art. 20a GG, ders., (Fn. 10), § 5 Rn. 1. 35 Sparwasser / Engel / Voßkuhle, (Fn. 32), Kap. 10, Rn. 172; M. Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 14 Rn. 98 unter Hinweis auf die IVU-Richtlinie, deren Wortlaut (Art. 8: „..erteilt“) einer gebundenen Entscheidung nicht im Wege steht, da das Gemeinschaftsrecht gebundene und Ermessensentscheidungen als Umsetzungsformen des nationalen Rechts anerkennt, dazu W. Erbguth / F. Stollmann, Die Verzahnung der integrativen Elemente von IVU- und UVP-Änderungs-Richtlinie; ZUR 2000, S. 379 ff., 382. 36 Dazu R. Breuer, Anlagengenehmigung und Grundpflichten, in: Czajka / Hansmann (Hg.), Immissionsschutzrecht in der Bewährung, FS Feldhaus, 1999, S. 49 ff.; D. Sellner, Die Grundpflichten im Bundes-Immissionsschutzgesetz, in: Bachof / Heigl (Hg.), Verwaltungsrecht zwischen Freiheit, Teilhabe und Bindung, FS BVerwG, 1978, S. 603 ff.; M. Rebentisch, Immissionsschutzrechtliche Grundpflichten im Wandel – Ambivalente Entwicklungen, in: Dolde (Hg.), Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 419 ff. vor allem zur Abfallvermeidungspflicht und Energieeffizienzverpflichtung. 37 s. dazu Dietlein, (Fn. 10), § 5 Rn. 3; s. auch Kotulla, (Fn. 10), § 5 Rn. 1 ff. 38 Dazu Feldhaus (Fn. 10), § 5 Rn. 2. 39 Zu beiden unter § 6 I. 40 Kotulla, (Fn. 10), § 5 Rn. 18. 41 Zu Einzelfragen der Anwendung Kotulla, (Fn. 10), § 5 Rn. 19 ff.

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Dabei unterscheiden sich die für das vorliegende Thema vorrangig interessierenden Pflichten des § 5 Abs. 1 S.1 Nr. 1 und § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BImSchG strukturell dadurch, dass die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BImSchG im Genehmigungszeitpunkt tatsächlich vorliegen müssen, der Vorsorgegrundsatz des § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BImSchG hingegen zwar tatsächliche Vorkehrungen zur Gefahrenvorsorge verlangt, ob ihm aber Genüge getan ist, bleibt jedenfalls vor Betriebsaufnahme der Anlage eine Entscheidung mit deutlich stärkerem prognostischem Gehalt. Dieser vermag sich mit dem Betrieb der Anlage und gewonnenen Erkenntnissen über die tatsächliche Immissions- und Emissionslast zu vermindern und die Anforderungen an den Betrieb der Anlage zu modifizieren. Daran wird deutlich, dass die Betreiberpflichten des § 5 BImSchG nicht statisch, sondern dynamisch sind 43.

I. § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BImSchG: Die Schutzpflicht Den Ausgangspunkt einer Beschäftigung mit dem Vorsorgegrundsatz im Immissionsschutzrecht bildet nach klassischem Ansatz der § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BImSchG als Positivierung des sogenannten Schutzgrundsatzes beziehungsweise der immissionsschutzrechtlichen Parallelnorm zur Generalklausel des Gefahrenabwehrrechts 44. In ihm sind die „präventiv-polizeilichen Genehmigungsvoraussetzungen der früheren §§ 16 ff. GewO“ beibehalten worden 45. Die Beschäftigung mit § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BImSchG findet ihren Grund vorliegend vor allem darin, dass Vorsorge bislang ganz überwiegend negativ gegen den Bereich der Gefahrenabwehr abgegrenzt und als Ergänzung dazu verstanden 42 Freilich bedarf es zu ihrer praktischen Anwendbarkeit erheblicher Konkretisierungsleistungen von Rechtssetzung und Rechtsanwender, s. dazu die Vielzahl von Ausführungsverordnungen zum BImSchG, dazu Kotulla, (Fn. 10), § 5 Rn. 9 ff. 43 Jarass, (Fn. 32), § 5 Rn. 2; Dietlein, (Fn. 10), § 5 Rn. 6; Kotulla, (Fn. 10), § 5 Rn. 6 f.; Breuer, (Fn. 36), S. 57 f.; dabei erstreckt sich diese Dynamik auch auf die Zeit nach Betriebseinstellung, BVerwGE 84, S. 220 ff., 224; die rechtliche Pflichtendynamik korrespondiert unter Schutzpflichtgesichtspunkten mit der Grundrechtsschutzintensität (sog. „dynamischer Grundrechtsschutz“), dazu für das Atomrecht BVerfGE 49, S. 89 ff., 139; s. auch A. Roßnagel, Wie dynamisch ist der „dynamische Grundrechtsschutz“ des Atomrechts?, NVwZ 1984, S. 137 ff.; s. zu der grundrechtlichen Perspektive auch M. Rodi, Grundlagen und Entwicklungslinien des Atomrechts, NJW 2000, S. 7 ff., 9 f. 44 H.-H. Trute, Vorsorgestrukturen und Luftreinhalteplanung im Bundesimmissionsschutzgesetz, 1989, S. 14; hinzuweisen ist freilich darauf, dass das BImSchG nur „erhebliche“ Störungen regulieren will; zu diesem Ausgangspunkt s. auch T. Darnstädt, Gefahrenabwehr und Gefahrenvorsorge, 1983, S. 22 ff. 45 R. Breuer, Strukturen und Tendenzen des Umweltschutzrechts, Der Staat 20 (1981), S. 393 ff., 411 mit Hinweis auf D. Sellner, Der Vorsorgegrundsatz im Bundesimmissionsschutzgesetz, NJW 1980, S. 1255 ff.; s. auch Dietlein, (Fn. 10), § 5 Rn. 51 f.

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wird 46, was dem Rechtsanwender einen der raren, einigermaßen gesicherten 47 Angriffspunkte im Umgang mit der Vorsorge bietet 48. Je nachdem, wie weit man also den Bereich der Gefahrenabwehr zieht, beschränkt beziehungsweise erweitert man den Bereich der Vorsorge 49. Dies darf jedoch nicht dahingehend missverstanden werden, dass Vorsorge als Unter- oder Sonderfall der Gefahrenabwehr zu verstehen sei, vielmehr hat bereits das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich festgestellt 50: „Vorsorge gegen Schäden (..) ist mit Gefahrenabwehr im Sinne des polizeirechtlichen Gefahrenbegriffs nicht identisch; sie umfasst auch eine gefahrenunabhängige Risikovorsorge (..)“.

Gleichwohl wird an dieser Einschätzung deutlich, und die Darstellung beispielsweise von Kloepfer bestätigt dies 51, dass die Perspektive auf die Vorsorge die der Gefahrenabwehr ist 52. Wirkungsweisen und Ziele der Vorsorge werden herkömmlich mit den Begriffen und Strukturen der Gefahrenabwehr umrissen und – jedenfalls nach herrschender Meinung – auch darauf begrenzt. Die bewirtschaftungsrechtliche beziehungsweise ressourcenschonende Deutung der Vorsorge ist noch immer ein Minderheitenstandpunkt 53. § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BImSchG enthält die Verpflichtung, Anlagen, die nach § 4 Abs. 1 S. 1, 3 BImSchG der Genehmigung bedürfen, so zu errichten, dass 46 So S. Aichmayer / I. Schindler, in: Umweltbundesamt Österreich (Hg.), The Precautionary Principle – A Necessary Complement To Impact Based Approaches, Tagungsbeitrag zur SETAC-Konferenz „Challenges in Environmental Risk Assessment and Modelling: Linking Basic And Applied Research“, 2002, passim. 47 Dies soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich auch vermeintlich sicheres Hausgut des Polizeirechts, wie z. B. der Gefahrenbegriff gerade angesichts moderner umweltund risikospezifischer Herausforderungen an das Öffentliche Recht, der Erosion bzw. Angriffen ausgesetzt sehen, s. zu diesem Beispiel jetzt M. Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 2002, S. 162 ff., 167 f. 48 Zum Verhältnis der Pflichten Breuer, (Fn. 36), S. 58 ff.; eine Rückwirkung der Vorsorge auf die Strukturen der Gefahrenabwehr beschreibt U. Di Fabio, Gefahr, Vorsorge, Risiko: Die Gefahrenabwehr unter dem Einfluß des Vorsorgeprinzips, JURA 1996, S. 566 ff., 570 ff. 49 Die Unterscheidung der beiden Kategorien wird auch wissenschaftsübergreifend analysiert, s. dazu D. Cansier, Gefahrenabwehr und Risikovorsorge im Umweltschutz und der Spielraum für ökonomische Instrumente, NVwZ 1994, S. 642 ff.; s. zur Gegenperspektive auch C. Koenig, Internalisierung des Risikomanagements durch neues Umweltund Technikrecht?, NVwZ 1994, S. 937 ff. 50 BVerwGE 72, S. 300 ff., 301. 51 Kloepfer, (Fn. 35), § 4 Rn. 18 warnt ausdrücklich davor, Gefahrenvorsorge könne völlig losgelöst von Gefahrenabwehr verstanden werden. Gegenstand der Gefahrenvorsorge sei die „Noch-nicht-Gefahr“, das Risiko. 52 s. z. B. F. Ossenbühl, Vorsorge als Rechtsprinzip im Gesundheits-, Arbeits- und Umweltschutz, NVwZ 1986, S. 161 ff., 162 ff. 53 Dazu im Einzelnen § 2 II.2.c).

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„schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können“. Dabei definiert der § 3 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG, was das Gesetz hier unter „schädlichen Umwelteinwirkungen“ versteht 54. Der Sache nach handelt es sich bei der vom Gesetz geforderten Prüfung um die klassische Gefahrenbestimmung nach den Parametern des allgemeinen Gefahrenabwehrrechts 55, freilich angepasst an die Erfordernisse des Immissionsschutzrechts 56. Dies bedeutet einerseits einen Grundstock an rechtlicher Gewissheit, wird man doch die Dogmen des Polizeirechts als halbwegs gesichert betrachten dürfen 57. Andererseits transformiert dieser Ansatz eben auch die Unwägbarkeiten des Gefahrenabwehrrechts in das Immissionsschutzrecht und stellt altbekannte Probleme – vor allem wenn es um die nähere Betrachtung der Vorsorge geht – in ganz neue Zusammenhänge. Im Einzelnen: 1. Probleme des Immissionsschutzes als Gefahrenabwehr a) Gefahrenprognose und der Grundsatz der umgekehrten Proportionalität Jede Entscheidung über das Vorliegen einer Gefahr trägt begriffsnotwendig ein Element des Prognostischen in sich, es wird ein Schaden beziehungsweise eine Störung als vermutetes Ergebnis der Gefahr vorausgesagt. Dieses Element der Prognose liegt bereits im Gefahrenbegriff begründet, dessen Anwendung und wertende Ausfüllung durch die Behörde die im Einzelfall zu treffende Entscheidung determiniert. Die Gefahr beziehungsweise ihr Eintritt muss in einem hinreichenden Maße wahrscheinlich sein, um den Einsatz der freiheitsbeschränkenden Mittel des Gefahrenabwehrrechtes zu rechtfertigen. Das Wahrscheinlichkeitsurteil folgt dabei objektiven Maßstäben 58, nicht den subjektiven 54 s. zu den Konkretisierungen durch die Rechtsprechung M. Gerhardt, Aus der neueren Rechtsprechung zum Atom-, Immissionsschutz- und Abfallrecht, DVBl. 1989, S. 125 ff., 125.; s. weiter auch H.-J. Koch, „Schädliche Umwelteinwirkungen“ – ein mehrdeutiger Begriff?, in: Breuer / Kloepfer (Hg.), Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts, Bd. 9, 1989, S. 205 ff., insbes. 208 ff. 55 So Trute, (Fn. 44), S. 17. 56 R. Lukes, Gefahren und Gefahrenbeurteilungen in der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland, in: ders. (Hg.), Gefahren und Gefahrenbeurteilungen im Recht, Teil I, 1980, S. 17 ff., 33; zum Ursprung des immissionsschutzrechtlichen Gefahrenbegriffs im allgemeinen Gefahrenabwehrrecht s. OVG Lüneburg, GewArch 1987, S. 305. 57 Lukes, (Fn. 56), S. 21, spricht davon, dass im allgemeinen Polizeirecht der Gefahrenbegriff und die Gefahrenbeurteilung grundlegend auch für das spezielle Überwachungsrecht entwickelt worden seien. Insofern bietet sich ein Rückgriff auf die dort geltenden Grundsätze hier an. 58 Lukes, (Fn. 56), S. 24.

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Überzeugungen des handelnden Sachwalters. Der Gefahrenprognose wächst in praxi die Funktion eines rechtlich institutionalisierten Ausgleichs zwischen den verschiedenen Rechtspositionen zu 59, jedenfalls gilt dies für den Regelfall 60. Dabei katalysiert der Gefahrenbegriff das rechtliche Problem des Umgangs mit Ungewissheit 61 in eine handhabbare Form. Da man, insbesondere im Hinblick auf die unmittelbar freiheitsbeschränkende Wirkung einer Gefahrenabwehrmaßnahme, mit einem bloß faktischen Wahrscheinlichkeitsurteil allein aber keine rechtlich beständigen Lösungen wird erzielen können, wird die genannte Prognoseentscheidung normativ aufgeladen. Diese wird maßgeblich bewerkstelligt durch eine Einbeziehung der Wertigkeit des Schutzgutes 62, des ihm drohenden Schadens 63 und – dies ist streitig – auch des Eingriffsgutes 64. Je höherwertig das gefährdete Rechtsgut einzustufen ist, desto geringere Anforderungen sind an die Eintrittswahrscheinlichkeit der Störung zu stellen (Grundsatz der umgekehrten Proportionalität) 65. Führt man sich auch im Vorgriff auf eine Auseinandersetzung um die spezifischen Probleme der Vorsorge die typische immissionsschutzrechtliche Dreieckskonstellation (Behörde-Betreiber-Nachbar) vor Augen, so erscheint die Ansicht, in das Wahrscheinlichkeitsurteil auch das Eingriffsgut einzubeziehen, durchaus plausibel. Wo auf Seiten des Betreibers möglicherweise Art. 12 Abs. 1 GG und im Falle späterer Anordnungen nach § 17 Abs. 1 S.1 BImSchG auch Art. 14 Abs. 1 GG 66 als betroffene Grundrechte zur Disposition stehen, erscheint eine Öffnung der Rechtsverhältnisse hin zu polygonalen Strukturen 67, trotz aller (konstruktiven) Bedenken, als durchaus angemessen.

59 Das BVerwG spricht z. B. in E 55, S. 250 ff., 255 davon, negative Auswirkungen müssten „mit hinreichender, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechender Wahrscheinlichkeit“ ausgeschlossen sein, was die angesprochene Funktion des Wahrscheinlichkeitsurteils als verfassungsrechtliches Ausgleichsmodell noch unterstreicht. 60 s. dazu grundlegend Möstl, (Fn. 47), S. 186 ff., 193 ff. 61 s. z. B. U. Di Fabio, Vorläufiger Verwaltungsakt bei ungewissem Sachverhalt, DÖV 1991, S. 629 ff., 631. 62 BVerwGE 62, S. 36 ff., 39; 57, S. 61 ff., 65; 45, S. 51 ff., 61. 63 s. Möstl, (Fn. 47), S. 187. 64 Einen Überblick über den Streitstand gibt Trute, (Fn. 44), S. 16. 65 s. dazu E. Denninger, Polizeiaufgaben, in: Lisken / ders. (Hg.), Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl. 2007, E 45, der dieses Prinzip für den Regelfall beschreibt, aber auch auf dessen Simplifizierung des Bedingungsgefüges hinweist, s. allgemein auch Möstl, (Fn. 47), S. 162 f. 66 Zumindest in der freilich umstrittenen und vom BVerfG nach anfänglicher Bejahung zurückhaltend beurteilten Konstellation des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs, s. dazu statt vieler z. B. J. Berkemann, in: Umbach / Clemens (Hg.), GG, Kommentar, Bd. I, 2002, Art. 14 Rn. 14 ff. 67 s. dazu W. Martens, Wandlungen im Recht der Gefahrenabwehr, DÖV 1982, S. 89 ff., 96, der unter dem Stichwort „Trigonalität“ die rechtliche Einbeziehung betroffener Dritter aus verfassungsrechtlichen Gründen betont.

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b) Das Wissenselement der Gefahrenprognose Prognoseentscheidungen werden nicht „aus der hohlen Hand“ heraus getroffen, sondern auf Grundlage eines mehr oder weniger stark entwickelten Fundus’ an positivem Wissen. Gleichzeitig wohnt der Prognose aufgrund ihrer Zukunftsgerichtetheit zwangsläufig eine, wenn auch normativ abgesicherte, Vermutung über eine zukünftige Entwicklung inne. Dabei steigen die Anforderungen an die Legitimation einer solchen – (dritt-)belastenden – Prognoseentscheidung in dem Maße, wie das Element positiven Wissens zu Gunsten des Elements der Vermutung zurückgedrängt wird 68. Für diesen Problemkomplex maßgeblich ist die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum Kernkraftwerk Wyhl 69, die sich, wie überhaupt das ganze Atomrecht, zu einer Referenzordnung für die Beurteilung der Fragen entwickelt hat, die im Bereich von Gefahrenabwehr und Risikovorsorge angesiedelt sind. Zur möglichen tatsächlichen Ungewissheit als Grundlage einer ordnungsbehördlichen Entscheidung führt das Gericht – bezogen auf das Maß zu leistender Vorsorge – aus: „(..) das insoweit erforderliche Urteil hat sich am „Stand von Wissenschaft und Technik“ zu orientieren. Unsicherheiten bei der Risikoermittlung und Risikobewertung ist nach Maßgabe des sich daraus ergebenden Besorgnispotentials durch hinreichend konservative Annahmen Rechnung zu tragen; (..)“ 70.

Das Gericht bemüht, wie bei der regulären Ermittlung einer Gefahr, den Gedanken einer umgekehrten Proportionalität: Je höher das Besorgnispotential ist, welches man wiederum als Produkt aus betroffenen Rechtsgütern und drohendem Schaden wird ansehen müssen, desto konservativer seien die Annahmen anzustellen, mit anderen Worten, desto strenger sind die Anforderungen, die an die zu leistende Vorsorge zu stellen sind. Die vom Gericht apostrophierten Unsicherheiten bei der behördlichen Urteilsfindung speisen sich sowohl für den Bereich der Gefahrenabwehr, wie auch für den Bereich der Vorsorge, primär aus zwei Quellen, nämlich (1.) aus der fachlichen Kompetenz sowie (2.) aus der einer möglichen Kausalitätenkumulation. Bei der Genehmigung von Großvorhaben stellt sich für Gericht und entscheidende Behörde nämlich in aller Regel das Problem, nicht ohne weiteres oder nicht im gebotenen Maße den für eine sachgerechte Beurteilung erforderlichen naturwissenschaftlichen Sachverstand zu besitzen 71. Während für die in der Regel recht 68 Solche „Grenzen des Wissens“ werden auch in anderen Disziplinen relevant und behandelt, darunter die Philosophie und die Wissenschaftstheorie, s. umfassend J. Mittelstraß, Die Zukunft des Wissens, 1999 passim, insbes. S. 253 ff. zu „Technik und Langzeitverantwortung“. 69 BVerwGE 72, S. 300 ff. 70 BVerwGE 72, S. 300 ff., 316.

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einfach strukturierten Prognosen des allgemeinen Polizeirechts ein Grundstock allgemeiner oder situationsspezifischer Lebenserfahrung ausreicht 72, verlangt das Recht der technischen Sicherheit „spezialisiertes und differenziertes Prognosewissen“ 73. Hierbei handelt es sich um ein Problem, das durch den Einsatz von Sachverständigen gemildert, wenn auch nicht beseitigt werden kann 74. Dringlicher jedoch ist das Problem, dass die möglicherweise bemühten sachverständigen Fachleute selbst gewisse risikobegründende Zusammenhänge, namentlich die Kumulation für sich risikofreier Einzelfaktoren zu einem risikobegründenden Gesamtfaktor, nicht überschauen können 75, dieser Faktor also bei einer Gesamtrisikobeurteilung zunächst faktisch und in der Folge damit rechtlich ausfällt 76. Es ist dies auch außerhalb des engeren rechtlichen Rahmens ein Kennzeichen einer hochentwickelten Industriegesellschaft, dass deren Fähigkeit, die von ihr begründeten Risiken zu beherrschen und auf einer höheren Ebene auch ethisch zu rechtfertigen, mehr und mehr abnimmt. Jonas 77 beschreibt dies vom Standpunkt der Philosophie aus: „Die Einhegung der Nähe und Gleichzeitigkeit ist dahin, fortgeschwemmt von einer räumlichen Ausbreitung und Zeitlänge der Kausalreihen, welche die technische Praxis, auch wenn für Nahzwecke unternommen, in Gang setzt. (..) Dazu ihr kumulativer Charakter: ihre Wirkungen addieren 71

Anschaulich die Ausführungen bei R. Wolf, Der Stand der Technik, 1986, S. 31 ff. s. dazu z. B. H.-M. Wolffgang / M. Hendricks / M. Merz, Polizei- und Ordnungsrecht Nordrhein-Westfalen, 2. Aufl. 2004, Rn. 82, die davon sprechen, eine gefahrbegründende Wahrscheinlichkeit liege vor, wenn der Schadenseintritt „nach der Lebenserfahrung (..)“ zu erwarten sei; ebenso F.-L. Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht, 11. Aufl. 2007, Rn. 87, der eine „verständige, auf allgemeiner Lebenserfahrung beruhende Beurteilung“ fordert. 73 Trute, (Fn. 44), S. 21. 74 Hierbei handelt es sich um ein Phänomen, das in der Gerichtspraxis in verschiedenen Gerichtsbarkeiten durchaus geläufig ist; s. dazu im Allgemeinen C.-R. Wellmann, Der Sachverständige in der Praxis, 1997; G. Frieling, Der gerichtliche Sachverständige, 2001 bzw. im Speziellen: J. Salzgeber, Der psychologische Sachverständige im Familiengerichtsverfahren, 1992; I. Rode, Psychiatrisch-psychologische Sachverständige im Strafprozess, 1998. 75 M. Kloepfer, Planung und prospektive Rechtswissenschaft, in: Erbguth (Hg.), Planung, FS Hoppe, 2000, S. 111 ff., 112 beschreibt die kognitiven und evaluativen Grenzen der klassischen Gefahrenprognose, welche das erfahrungsgestützte Ordnungsrecht verlange. 76 s. zu diesem Komplex auch R. Wahl / I. Appel, in: Wahl (Hg.), Prävention und Vorsorge, 1995, S. 4 f. 77 H. Jonas, Das Prinzip Verantwortung, 1979, (Nachdruck), 2003, S. 28 f.; s. auch A. Kiepas, Verantwortung als ein Faktor der nachhaltigen Entwicklung und der Risikominderung in der Technik, in: Mittelstraß (Hg.), (Fn. 68), S. 278 ff.; G. Banse, Technik – Nachhaltigkeit – Folgenabschätzung: Kognitive und normative Aspekte, ebd., S. 255 ff.; A. Grunwald, Langzeitverantwortung und Technik – eine Einführung, ebd., S. 270 ff.; K. Mertens, Sinn und Unsinn einer Verantwortung für die Zukunft, ebd., S. 285 ff. 72

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sich, so dass die Lage für späteres Handeln und Sein nicht mehr dieselbe ist wie für den anfänglich Handelnden, sondern zunehmend davon verschieden ist und immer mehr ein Ergebnis dessen, was schon getan ward. (...) Aber die kumulative Selbstfortpflanzung technologischer Veränderung der Welt überholt fortwährend die Bedingungen jedes ihrer beitragenden Akte und verläuft durch lauter präzedenzlose Situationen, für die die Lehren der Erfahrung ohnmächtig sind. Ja, die Kumulation als solche, nicht genug damit, ihren Anfang bis zur Unkenntlichkeit zu verändern, mag die Grundbedingung der ganzen Reihe, die Voraussetzung ihrer selbst, verzehren.“ Ein solcher zu befürchtender rechtlicher Komplettausfall dieser Faktoren ist jedenfalls für die Hochrisikotechnologie Kernenergie verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen. Das Bundesverwaltungsgericht hält dazu fest: „Vielmehr müssen auch solche Schadensmöglichkeiten in Betracht gezogen werden, die sich nur deshalb nicht ausschließen lassen, weil nach dem derzeitigen Wissensstand bestimmte Ursachenzusammenhänge weder bejaht noch verneint werden können und daher insoweit noch keine Gefahr, sondern nur ein Gefahrverdacht oder ein „Besorgnispotential“ besteht“ 78.

An die Stelle einer „empirisch fundierten Wahrscheinlichkeitsprognose“ 79 treten als unvollkommene Substitute Denkmodelle und Störfallszenarien (GAUModell 80), mit denen die Schwächen des behördlichen oder gerichtlichen Beurteilungsprozesses eine normative Bewältigung erfahren sollen 81. Vergegenwärtigt man sich den wesentlichen Zweck dieser Bemühungen, nämlich einen verfassungsrechtlich beständigen Interessenausgleich in mehrpoligen Rechtsverhältnissen zu schaffen, wird die begrenzte Übertragbarkeit dieser Rechtsprechung auf Gebiete außerhalb des Strahlenschutzrechtes deutlich. Im Atomrecht geht es darum, auch bloß theoretisch denkbare Möglichkeiten einer normativen Einordnung zu unterwerfen 82, um die allfälligen und offenbaren horrenden Risiken dieser Technologie rechtsstaatlich regulieren zu können 83. Führt man sich das zwar noch immer erhebliche, aber im Regelfall wohl weniger gravierende Risiko 78

BVerwGE 72, S. 300 ff., 315. U. Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 77. 80 Erläuterung bei Sparwasser / Engel / Voßkuhle (Fn. 32), Kap. 9, Rn. 37. 81 Bei den Ermittlungen etwaiger Risiken werden ingenieurwissenschaftlich die sog. deterministische und die probabilistische Methode unterschieden, bei denen auf Grundlage einer Systemanalyse entweder eine risikoqualifizierende oder eine risikoquantifizierende Bewertung vorgenommen wird; s. dazu weiterführend M. Stötzel, Kerntechnische Schutzkonzepte und atomrechtliche Anlagengenehmigung, 1998, S. 184 ff.; H.W. Rengeling, Probabilistische Methoden bei der atomrechtlichen Schadensvorsorge, 1989; F. W. Heuser, Anwendung und Probleme wahrscheinlichkeitsmäßiger Methoden zur technischen Sicherheitsbeurteilung in der Kerntechnik und in anderen Techniken, in: Lukes (Hg.), Gefahren und Gefahrenbeurteilungen im Recht, Teil I, 1980, S. 43 ff. 82 Di Fabio, (Fn. 79), S. 78. 79

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immissionsschutzrechtlicher Störfälle vor Augen, so verdeutlicht dies, dass eine doppelte Übertragung der hochgezonten Sicherheitsschwelle des Atomrechts einerseits und der damit verbunden abgesenkten Eingriffsschwelle andererseits an Grenzen stößt. Insofern ist eine unreflektierte Übernahme der aus dem Atomrecht gewonnenen Grundsätze und Bewertungsmaßstäbe nicht angezeigt. Jedoch darf dies andererseits nicht den Blick darauf verstellen, dass es im Hinblick auf die Frage, wie Gefahrenabwehr und Risikovorsorge gegeneinander abzugrenzen sind, Gemeinsamkeiten zwischen den Rechtsgebieten gibt. Nicht um die Übernahme von Eingriffsschwellen und Schutzniveaus geht es, sondern darum, Kongruenzen und Divergenzen zwischen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge deutlich zu machen, wie sie unabhängig von der jeweiligen Rechtsmaterie bestehen. c) Gefahrenverdacht, Gefährlichkeitsverdacht und Besorgnispotential Gleichermaßen problematisch in allgemeinen gefahrenabwehrrechtlichen wie in immissionsschutzrechtlichen Kontexten ist die Rechtsfigur des Gefahrenverdachts 84. Sofern ihre Relevanz für die Anwendung des Immissionsschutzrechts nicht als solche geleugnet wird 85, wird vor allem ihr Verhältnis zu § 5 Abs. 1 Nr. 1, 2 BImSchG diskutiert 86. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Gefahrenverdacht ist bislang nicht eindeutig 87 beziehungsweise geprägt von den jeweiligen spezifischen Anforderungen der einschlägigen Rechtsmaterie. Im Atomrecht steht 83 Ein Problem im Übrigen, das sich durch den sog. „Atomausstieg“ keineswegs erledigt hat, sondern auch in Form von Genehmigungsverfahren für Zwischen- und Endlager für radioaktiven Restmüll eigene Bedeutung erfährt, s. dazu z. B. die Entscheidungen (vor dem Atomausstieg) BVerfG, NVwZ 1991, S. 870 ff. (Schacht Konrad), BVerwG, NVwZ 1998, S. 281 ff.; OVG Magdeburg, NVwZ 1999, S. 93 ff. (Endlager Morsleben); aus der Literatur H. Wagner, Rechtsfragen der Endlagerung radioaktiver Abfälle, DVBl. 1991, S. 24 ff.; ders., Das neue Strahlenschutzrecht, NVwZ 2002, S. 168 ff.; H.-J. Koch / A. Roßnagel, Neue Energiepolitik und Ausstieg aus der Kernenergie, NVwZ 2001, S. 1 ff. 84 Darnstädt, (Fn. 44), S. 85 ff.; allg. dazu Denninger, (Fn. 65), E 48; (mit kostenrechtlichem Hintergrund) dazu M. P. Bürmann, Der Gefahrenverdacht, 2002, passim. 85 So z. B. bei P.-T. Stoll, Sicherheit als Aufgabe von Staat und Gesellschaft, 2003, S. 70; s. auch A. Reich, Gefahr, Risiko, Restrisiko, 1989, S. 144 ff. unter besonderer Akzentuierung des „Unfalls“ als Realisierung des Gefahrenverdachts; F. Petersen, Schutz und Vorsorge, 1993, S. 148 ff. 86 Zur Zuordnung und zum Drittschutz in Fällen des Gefahrenverdachts s. OVG Münster, NVwZ 1991, S. 1200 ff., 1203; OVG Koblenz, NVwZ-RR 1989, S. 399 f., 400; instruktiv VG Neustadt, NVwZ 1992, S. 1008 ff., 1011 zur Drittschutzfrage; VG Gießen, NVwZ-RR 1993, S. 534 ff., 538; aus der Kommentarliteratur z. B. Kotulla, (Fn. 10), § 5 Rn. 54 ff. (gegen die Einbeziehung), s. auch Rn. 67 für den Vorsorgekontext. 87 Vor allem BVerwGE 69, S. 37 ff., 43 für das Immissionsschutzrecht, eher der Vorsorge zuneigend, in diesem Sinne auch Petersen, (Fn. 85), S. 148; weiter BVerwGE 72,

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neben dem Begriff des Gefahrenverdachts synonym der des Besorgnispotentials, wobei beide als Kategorien der strahlenschutzrechtlichen Schadensvorsorge begriffen werden 88. Dies ist nur auf den ersten Blick erstaunlich, da parallel dazu im Atomrecht der Drittschutz vermittelnde Bereich auf solche Aspekte der Vorsorge erstreckt wird, die die Begrenzung von Individualrisiken zum Ziel haben 89. Denkt man also das Gefahrenabwehrrecht von der Drittschutzfrage her, dehnt das Bundesverwaltungsgericht hier den Bereich der (drittschützenden) Gefahrenabwehr gleichsam auf den Bereich der (in seinem Sinne eigentlich objektivrechtlichen) Schadensvorsorge aus. Demnach unterscheidet die richterliche Dogmatik im Atomrecht die Gefahrenabwehr, die (teils drittschützende) Schadens- oder Risikovorsorge (welche das Besorgnispotential umfasst) sowie das verfassungsrechtlich hinnehmbare Restrisiko, angesiedelt jenseits der Grenze „praktischer Vernunft“. Daneben verwendet das Gericht den Begriff des Besorgnispotentials in Einzelfällen doch in gefahrenabwehrrechtlichen Kontexten 90 im engeren Sinne. Dogmatisches (wie praktisches) Grundproblem der Kategorie des Gefahrenverdachts 91 ist die Friktion zwischen seiner dogmatischen Herkunft aus dem einfachen Gefahrenabwehrrecht und dem Anspruch des modernen Umweltrechts, Risikomanagement unter Unsicherheitsbedingungen zu betreiben 92. Das Umweltrecht will mit seinen Mitteln Sachverhalte in Grenzbereichen normativ erfassen, die naturwissenschaftlich nicht oder nicht hinreichend gewiss sind – Risiko wird zum Rechtsproblem 93. Demgegenüber operiert das einfache Gefahrenabwehrrecht unter dem rechtsstaatlichen Gebot tatsächlicher (also inhaltlicher) Definität. Der Begriff des Gefahrenverdachts selbst und die ihm eigene Dogmatik (des Gefahrerforschungseingriffs) erweist sich als die Antwort des Gefahrenabwehrrechts auf seine Grenzbereiche. Überträgt man ihn auf die zwar qualitativ vergleichbaren, aber in ihrer Komplexität quantitativ erheblich divergierenden Rechtsprobleme des besonderen Umweltrechts, bleiben Anpassungsschwierigkeiten nicht aus. S. 300 ff., 315 im Kontext des atomrechtlichen Vorsorgebegriffs; jetzt diese Entscheidungen bekräftigend BVerwG, NVwZ 2004, S. 610 ff., 611. 88 BVerwGE 72, S. 300 ff., 315. 89 R. Wahl / P. Schütz, in: Schoch / Schmidt-Aßmann (Hg.), (Fn. 3), § 42 Abs. 2 Rn. 155. 90 BVerwG, NVwZ 1993, S. 988 für Fragen des Abfallrechts; demgegenüber VGH Kassel, NVwZ 1989, S. 1183 ff., 1185 sowie OVG Koblenz, NVwZ-RR 1989, S. 399 f. mit eindeutiger Zuordnung zum Bereich der Gefahrenabwehr. 91 Petersen, (Fn. 85), S. 112 ff. spricht vom „Gefährlichkeitsverdacht“. 92 Zu den Elementen Kloepfer, (Fn. 35), § 4 Rn. 18 ff. 93 s. A. Scherzberg, Risiko als Rechtsproblem, VerwArch 84 (1993), S. 484 ff., insbes. S. 500 ff. zur Ausgestaltung des einfachen Rechts und S. 509 ff. zum Risikomanagement als Verfassungsaufgabe; s. jetzt auch umfassend ders. und O. Lepsius, Risikosteuerung durch Verwaltungsrecht: Ermöglichung oder Begrenzung von Innovation?, VVDStRL 63 (2004), S. 214 ff und 264 ff.

§ 1 Der Regelungskontext der immissionsschutzrechtlichen Vorsorgepflicht

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Praktisch tritt das Problem des Verdachts einer Gefahr im immissionsschutzrechtlichen Kontext dann auf, wenn zum Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung Zweifel an der Schädlichkeit einer Immission bestehen, regelmäßig geht es dabei um Unwägbarkeiten in der Dosis-Wirkungs-Beziehung eines Stoffes 94, beispielsweise weil nicht alle die Stoffschädlichkeit bestimmenden Faktoren bekannt sind. Es stellt sich dann regelmäßig die Frage, ob ein bestimmter immissionsschutzrechtlicher Sachverhalt eine „schädliche Umwelteinwirkung“ im Sinne des Gesetzes darstellt, § 3 Abs. 1 BImSchG. Wesentliches Kennzeichen des Gefahrenverdachts gegenüber der vollgültigen Gefahr ist mit Petersen nicht, dass hier eine bloß prognostizierte vermeintliche Gefahrenlage besteht, wo dort objektiv eine gefährliche Situation vorliegt; entscheidend ist vielmehr eine geringere Eintrittswahrscheinlichkeit der – hier wie dort zu prognostizierenden – schädigenden Situation 95. Gefahr und Gefahrenverdacht sind danach also nicht qualitativ, als aliud, voneinander zu scheiden, sondern nur quantitativ im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit ihrer Realisation. Ist der Schadenseintritt im Rechtssinne hinreichend wahrscheinlich, was sich auch aus der Einbeziehung des betroffenen Schutzguts und des drohenden Schadensausmaßes in die Prognoseentscheidung ergibt, ist danach der Gefahrenverdacht auch als immissionsschutzrechtlich relevante Gefahr anzusehen und unterfällt unter diesen Voraussetzungen dem Bereich der Schutzpflicht des § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BImSchG 96. Fehlt es an der hinreichenden Wahrscheinlichkeit, fällt der Gefahrenverdacht als Gefahr im Rechtssinne aus. Neben den allgemeinen Problemen und Anforderungen, die das Immissionsschutzrecht als besonderes Gefahrenabwehrrecht mit dem allgemeinen Polizeirecht teilt, stellen die jeweiligen Vorschriften, namentlich der hier untersuchte § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BImSchG, naturgemäß auch spezifisch immissionsschutzrechtliche Anforderungen 97. Um diese soll es hier im Weiteren gehen. Dabei bleiben dogmatische Einzelfragen, die es in diesem Bereich in großer Zahl gibt 98, außen vor. Es soll hier, um vom eigentlichen Zweck der Untersuchung nicht abzulenken, bloß ein skizzenartiges Bild der immissionsschutzrechtlichen Betreiberpflichten insoweit gezeichnet werden, wie es für das Verständnis der Materie notwendig ist. 94 Petersen, (Fn. 85), S. 113, 150; nach der von ihm unternommenen Unterscheidung zwischen Risikoerkenntnis-, Risikozurechnung und Risikosteuerung im Immissionsschutzrecht wird die Gefahrenverdachtsproblematik als Gefährlichkeitsverdacht (im Rahmen der schädlichen Umwelteinwirkung) und als Gefahrenverdacht (als Verursachungsfrage) relevant. 95 Petersen, (Fn. 85), S. 114, 150. 96 Im Ergebnis auch Roßnagel, (Fn. 10), § 5 Rn. 157, auch zur Anscheinsgefahr. 97 Überblick und detaillierte Erläuterungen typischer Maßnahmen zur Umsetzung der Schutzpflicht bei Dietlein, (Fn. 10), § 5 Rn. 99 ff. 98 s. Petersen, (Fn. 85), S. 174 ff.

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d) Zur inneren Struktur des § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BImSchG § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BImSchG ist „zweipflichtig“ strukturiert. Einerseits regelt die Vorschrift, dass genehmigungsbedürftige Anlagen so zu betreiben sind, dass schädliche Umwelteinwirkungen nicht hervorgerufen werden können. Andererseits verlangt sie, dass sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen zu vermeiden sind. Vergegenwärtigt man sich die Legaldefinition der „schädlichen Umweltwirkungen“ in § 3 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG, so wird die enge Verwandtschaft der beiden Schutzpflichten offenbar. Die Stoßrichtung der Verpflichtungen ist identisch, unterschiedlich sind sie hinsichtlich der von ihnen ins Auge gefassten Schadensquellen. In der ersten Alternative der „schädlichen Umwelteinwirkungen“ ist Ursache der abzuwehrenden Beeinträchtigungen der Immissionsausstoß der jeweiligen Anlage. In der zweiten Alternative geht es um Beeinträchtigungen, die aufgrund sonstiger Ursachen entstehen 99. Konkretisiert werden die normativen Vorgaben des § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BImSchG im Wesentlichen durch die zu seinem Vollzug erlassenen „technischen Anleitungen“ (TA), namentlich die TA Luft und die TA Lärm. Diese legen verbindliche Schadstoffgrenzwerte fest, die einzuhalten der Anlagenbetreiber verpflichtet ist 100. Welche Maßnahmen der Anlagenbetreiber zur Einhaltung dieser festgelegten Grenzwerte zu treffen hat, ist weitgehend seinem Ermessen anheim gestellt 101, kann aber nach § 7 BImSchG durch Rechtsverordnung oder nach § 48 BImSchG durch normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift gelenkt werden. Grundsätzlich gilt es, schädliche Umwelteinwirkungen zu vermeiden, wo dies nicht möglich ist, auf eine räumlich und zeitlich angemessene Verteilung zu achten und schließlich gegebenenfalls solche Umwelteinwirkungen zu kompensieren. Kompensation meint hier nicht primär die Möglichkeit einer z. B. naturschutzrechtlich möglichen Kompensationszahlung, sondern eine anlagen- und immissionsbezogene Belastungssaldierung (im Rahmen der Emissionsgrenzwerte) 102. Wo Vermeidung, Verteilung und Kompensation ausnahmsweise nicht geeignet sind, die entstehende Beeinträchtigung abzufedern, billigt das Bundesverwaltungsgericht einem rechtsbetroffenen Dritten einen (freilich von engen Voraussetzungen abhängigen) Ausgleichszahlungsanspruch zu 103. Grundsätzlich jedoch bilden anlagenbezogene Maßnahmen den Schwerpunkt der immissionsschutzrechtlichen Betreiberpflichten. Neben der Grundpflicht zur 99 Jarass, (Fn. 32), § 5 Rn. 7; zu den im Einzelnen höchst streitigen Abgrenzungsproblemen zwischen den Tatbestandsmerkmalen im Detail Petersen, (Fn. 85), S. 118 ff. 100 Einen Überblick über untergesetzliche Ausführungsnormen gibt Kotulla, (Fn. 10), § 5 Rn. 18 ff. 101 Jarass, (Fn. 32), § 5 Rn. 33. 102 Jarass, (Fn. 32), § 5 Rn. 33. 103 BVerwG, JZ 1989, S. 237 ff. mit Anmerkung D. Murswiek.

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umweltsichernden Betriebsorganisation, z. B. § 52a ff. BImSchG, lassen sich Maßnahmen der Immissionswertsteuerung unterscheiden von Maßnahmen der direkten Emissionsbegrenzung, wie sie beispielsweise Nr. 5.2.7.1.1 TA Luft für kanzerogene Stoffe anordnet. Ungeklärt ist, ob und wie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in die Schutzpflicht des § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BImSchG Eingang findet, sofern es um die Umsetzung normativierter Schutzpflichtkonkretisierungen geht 104. Während aus dem Wortlaut der Vorschrift zum Teil abgeleitet wird, das Gebot der Immissionsvermeidung sei relativierungsfest verankert 105, geht die ganz überwiegende Auffassung davon aus, dass auch die Schutzpflicht, welche als normativer Befehl selbst grundrechtsrelevant ist, durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geformt sei 106. Dagegen ist vom immissionsschutzrechtlichen Standpunkt folgendes einzuwenden: Im Hinblick darauf, dass es sich bei der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung um ein sog. präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt handelt, vermag die Ansicht, die die Schutzpflicht relativierungsfeindlich begreift, kaum zu überzeugen, da sie die grundrechtlich geschützte Position eines Anlagenbetreibers einseitig zugunsten der immissionsschutzrechtlichen Schutzvorgaben beansprucht. Darüber hinaus begegnen wirklichkeitsindifferente Vorrangrelationen ohne Abwägungsreserve grundsätzlichen Bedenken, denn zwar ist gegen die Aufwertung bestimmter Belange gegenüber zu leichter Relativierung durch Abwägung nichts einzuwenden, absolute Vorrangrelationen blenden aber, um funktionstüchtig zu sein, regelmäßig zu viele Aspekte der Wirklichkeit aus, um noch wirklichkeitsangemessen zu sein. Die Maßnahmen beziehungsweise der Vermeidungsaufwand, der auf Grundlage von § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BImSchG zu fordern ist, müssen also im Ergebnis „risikoadäquat“ 107 sein. Bejaht man die verhältnismäßige Deutung der Schutzpflicht, so gehen die Meinungen noch in der Frage auseinander, an welchem Tatbestandsmerkmal 104

Dietlein, (Fn. 10), § 5 Rn. 111 mit einer im Ergebnis differenzierenden Beurteilung der Frage; dort auch Hinweis auf das differenzierte Verhältnismäßigkeitskonzept des § 17 BImSchG für nachträgliche Anordnungen, s. dazu K. Hansmann, in: v. Landmann / Rohmer (Begr.), Umweltrecht, BImSchG, Kommentar, Bd. I, 24. Lfg. Oktober 1996, § 17 Rn. 73 ff. 105 So noch Jarass, (Fn. 32) in der Erstaufl. § 5 Rn. 15; auch Kotulla, (Fn. 10), § 5 Rn. 40; weiter R. Breuer, Anlagensicherheit und Störfälle – Vergleichende Risikobewertung im Atom- und Immissionsschutzrecht, NVwZ 1990, S. 211 ff., 213; ders., Gefahrenabwehr und Risikovorsorge im Atomrecht, DVBl. 1978, S. 829 ff., 837; H.-J. Papier, Zum Vorsorgegrundsatz im Immissionsschutzrecht, Anm. zum Urteil des OVG vom 17. 7. 1978, DVBl. 1979, S. 162 ff., 163. 106 Petersen, (Fn. 85), S. 162 f.; H. D. Jarass, Reichweite des Bestandsschutzes industrieller Anlagen gegenüber umweltrechtlichen Maßnahmen, DVBl. 1986, S. 314 ff.; F. Hansen-Dix, Die Gefahr im Polizeirecht, im Ordnungsrecht und im technischen Sicherheitsrecht, 1982, S. 39; BVerwGE 68, S. 62 ff., 67; 69, S. 37 ff., 43 f.; 79, S. 245 ff., 260 f. 107 Dietlein, (Fn. 10), § 5 Rn. 111.

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des § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BImSchG man anzuknüpfen habe. Während zum Teil die Begriffe der „schädlichen Umwelteinwirkungen“ beziehungsweise der „Erheblichkeit“ durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einer Relativierung zugeführt werden soll 108, wollen andere im Passus „nicht hervorrufen können“ das Korrektiv der Verhältnismäßigkeit im Wort „nicht“ verankert sehen 109. Unabhängig von seiner konkreten Verortung ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Rahmen der Schutzpflicht des § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BImSchG immissionsschutzrechtlich durch- und überformt. Er entfaltet Wirkung nämlich zunächst im Kontext des Anlagennormalbetriebs und im Rahmen der rechtlichen Anforderungen an die Störfallsicherheit. Für das Normalbetriebsrisiko greift der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gleichermaßen auf der Ebene der Emissionswie der Immissionswerte und auch in Bereichen, die den Schutz hochwertiger Rechtsgüter zum Gegenstand haben. So steht auch die Grenzwertregelung für die Emission kanzerogener Substanzen in der TA Luft (Nr. 5.2.7) unter dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Entsprechendes gilt auch für die Immissionswertsteuerung, die für gewöhnlich den stärkeren grundrechtlichen Eingriff in Rechtspositionen Dritter zum Gegenstand hat. Während dies meist im Kontext nachträglicher Anordnungen nach § 17 BImSchG als Eingriff in bestandsgeschützte Rechtspositionen thematisiert wurde, weist Petersen darauf hin, dass auch bei Genehmigungserteilung verhältnismäßige Konkretisierungen der Schutzpflicht vorgenommen werden müssen. Namentlich hält er es für problematisch, die Erteilung einer Genehmigung aus Gründen einer starken Vorbelastung eines Gebiets zu verweigern, wenn die zu genehmigende Anlage nur einen minimalen Beitrag zur Belastung des Gebiets beiträgt, durch diesen aber der Immissionsschwellenwert überschritten wird 110. Der Maßstab für das Risikomanagement von Störfällen wird durch § 3 12. BImSchV festgelegt, dem in seinen Absätzen I und III der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu entnehmen ist. Durch die Verankerung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in der Schutzpflicht selbst werden Belange des Anlagenbetreibers sowie Belange der Allgemeinheit grundsätzlich berücksichtigungsfähig. Grundsätzlich nachrangig sind die Belange des Anlagenbetreibers dann, wenn durch den Betrieb der Anlage sozialinadäquate Gesundheitsrisiken Dritter begründet werden 111. Sind demgegenüber Positionen Dritter unterhalb der Schwelle der Gesundheitsgefahr (d. h. beispielsweise bloße Belästigungen) oder Sachgefahren zu befürchten, müssen sich die geforderten Schutzmaßnahmen 108 G. Feldhaus, Zumutbarkeitsgrenzen als Wege zur Konfliktlösung am Beispiel des Immissionsschutzrechts, DVBl. 1979, S. 301 ff., 305; BVerwGE 68, S. 62 ff., 67; 69, S. 37 ff., 43 f. 109 H. D. Jarass, Schädliche Umwelteinwirkungen, DVBl. 1983, S. 725 ff., 730; BVerwG, UPR 1983, S. 27; OVG Münster, DVBl. 1979, S. 798. 110 Petersen, (Fn. 85), S. 167.

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einer strengeren Verhältnismäßigkeitsprüfung unterwerfen 112. Belange der Allgemeinheit (Arbeitsplätze, Umweltbelange) sind als bloß abstrakte Positionen nicht im Rahmen einer verhältnismäßigen Ausgestaltung der Schutzpflicht berücksichtigungsfähig 113, sondern können allenfalls im konkreten anlagenkonstituierten Kontext Berücksichtigung finden, sofern man sie nicht generell als außerhalb der Gefahrenabwehrinstrumente stehend ansieht 114. 2. Drittschützender Gehalt der Schutzpflicht Nach allgemeiner und völlig unbestrittener Auffassung kann sich ein Nachbar einer nach BImSchG genehmigungsbedürftigen Anlage auf die Schutzpflicht des § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BImSchG berufen und die erteilte Genehmigung mit der Behauptung anfechten, sie verletze die Schutzpflicht. Die Pflicht konkretisiert dabei zunächst den allgemeinen gefahrenabwehrrechtlichen Grundsatz der Gefahrenvermeidung, wie er unverstellt in den Generalklauseln des Polizeirechts zum Ausdruck kommt 115. Begründet wird die drittschützende Qualität überwiegend mit dem Wortlaut der Vorschrift, der die Nachbarschaft ausdrücklich in Bezug nimmt 116. Die Schutzpflicht erweist sich in dieser Hinsicht als spezialgesetzliche Ausprägung des Rücksichtnahmegebotes, so dass Immissionen, die sich im von § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BImSchG gezogenen Rahmen halten, nicht über Art. 14 GG als „schwerer und unerträglicher Eingriff“ 117 oder unter Berufung auf das baurechtliche Rücksichtnahmegebot 118 bekämpft werden können. 111 Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit dieser Vorrangrelation s. Breuer, (Fn. 105), Gefahrenabwehr, S. 873; G. Feldhaus, Zum Inhalt und zur Anwendung des Standes der Technik im Immissionsschutzrecht, DVBl. 1981, S. 164 ff., 165, 170; H. W. Rengeling, Die immissionsschutzrechtliche Vorsorge als Genehmigungsvoraussetzung, DVBl. 1982, S. 622 ff., 627. 112 s. das Beispiel bei Jarass, (Fn. 106), S. 316. 113 Petersen, (Fn. 85), S. 72, 111, 172; anders aber: D. Markou, Der Interessenkonflikt zwischen gewerbetreibenden und Nachbarschaft am Beispiel des § 17 Bundes-Immissionsschutzgesetz, 1986, S. 80. 114 So Hansen-Dix, (Fn. 106), S. 149 f., die der Ansicht ist, solche Belange seien kein taugliches Eingriffsgut, sondern könnten nur durch Instrumente der Leistungs- und Planungsverwaltung gefördert werden; kritisch dazu Petersen, (Fn. 85), S. 172 f. m.w. N. 115 Zu deren Drittschutzgehalt J. Dietlein, Der Anspruch auf polizei- und ordnungsbehördliches Einschreiten, DVBl. 1991, S. 685 ff., wonach auch nach restriktiver Auffassung der Schutznormtheorie mindestens partieller Drittschutz durch die Generalklauseln gegeben ist, S. 689. 116 Statt vieler: Jarass, (Fn. 32), § 5 Rn. 120; Dietlein, (Fn. 10), § 5 Rn. 114. 117 Dazu BVerwGE 68, S. 58 ff. 118 Eine Berufung auf das baurechtliche Gebot der Rücksichtnahme entfällt im Übrigen auch schon aufgrund der Konzentrationswirkung des § 13 BImSchG – die immissi-

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Den drittschützenden Charakter der Schutzpflicht teilen die zu ihrer Konkretisierung ergangenen Rechtsvorschriften, beispielsweise der 22. BImSchV oder der aufgrund von § 48 BImSchG erlassenen Verwaltungsvorschriften oder technischen Normen 119. Im Einzelnen umstritten ist auch, ob Vorschriften zur Emissionsbegrenzung, beispielsweise in Verwaltungsvorschriften, drittschützenden Charakter haben 120. Dies wird von der herrschenden Meinung dann verneint, wenn es hinreichende Schutzpflichtkonkretisierungen durch Immissionsgrenzwerte gibt. Zwar soll die strenge Scheidung „Immissionswerte dienen dem Drittschutz“ und „Emissionswerte dienen der Vorsorge“ nicht mehr konsequent durchgehalten werden, da eine Emissionsminderung regelmäßig eben auch zu einer Immissionsminderung führt, eine gewisse Indizwirkung den Drittschutz betreffend wird aber weiterhin angenommen. Unterschieden werden soll im Einzelfall danach, ob der Normgeber durch Festsetzung der Emissionswerte auch Immissionsminderung in der Nachbarschaft bezwecke. Dies ist vor allem der Fall bei Emissionswerten für kanzerogene Stoffe, für die ein definiter Grenzwert oftmals nicht zu bestimmen ist 121, Entsprechendes gilt für mutagene und teratogene Stoffe, wie sie Nr. 5.2.7 TA Luft zum Gegenstand hat 122.

II. § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 und 4 und § 5 Abs. 1 S. 2 –4 BImSchG sowie § 5 Abs. 3 BImSchG Die Pflichten eines Anlagenbetreibers werden über die Schutzpflicht des § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und die Vorsorgepflicht der Nr. 2 hinaus von Gesetzes wegen noch weiter spezifiziert. Namentlich integriert § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BImSchG den Dreischritt des Kreislaufwirtschaft- und Abfallgesetzes (KrW- / AbfG) von „Vermeidung – Verwertung – Entsorgung“ in das BImSchG. Dies hat seinen Grund darin, dass über die Konzentrationswirkung des § 13 BImSchG jedenfalls alle onsschutzrechtliche Genehmigung umfasst die Genehmigung, die nach Baurecht für die Anlage erforderlich ist, s. E. Rehbinder, in: v. Landmann / Rohmer (Begr.), Umweltrecht, Bd. I, BImSchG, Kommentar, 41. Lfg. Oktober 2003, § 13 Rn. 80. 119 BVerwG, NVwZ-RR 1996, S. 498 ff.; OVG Münster, NVwZ 1989, S. 482 ff., 484; abweichend wegen Fehlens einer Konkretisierung in der DIN-Norm 4150 („Erschütterungen durch Baulärm“) OVG Münster, UPR 1982, S. 273 ff. mit a. A. bei Roßnagel, (Fn. 10), § 5 Rn. 402, Entsprechendes soll für die LAI-Richtlinie für Lichtemissionen gelten; weiteres bei Dietlein, (Fn. 10), § 5 Rn. 116. 120 Dazu und für das Folgende im Detail Dietlein, (Fn. 10), § 5 Rn. 117 ff. 121 OVG Münster, NVwZ 1991, S. 1200 ff., 1201; VGH Mannheim, ESVGH 46, S. 74 ff. mit Einschränkung in NVwZ 1995, S. 292 ff.; Jarass, (Fn. 32), § 48 Rn. 57. 122 Aus der Rechtsprechung zur inhaltsgleichen Vorgängervorschrift Nr. 2.2.1.5. TA Luft: OVG Münster, NVwZ 1991, S. 1200 ff., 1201; VGH München, NVwZ 1996, S. 284 ff., 294; VGH Mannheim, NVwZ 1996, S. 297 ff., 300.

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Fragen des Anlagenbetriebs der Immissionsschutzbehörde zur Letztentscheidung zugewiesen sind. Daher legt auch das BImSchG selbst Ausnahmetatbestände für die Abfallvermeidung fest (§ 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 2. HS), da diese unmittelbar mit dem Betrieb der Anlage zusammenhängen, verweist jedoch für Einzelfragen der nicht betriebsbezogenen Abfallverwertung und Abfallentsorgung wiederum auf die einschlägigen Vorschriften des KrW- / AbfG. Die abfallbezogene Betreiberpflicht integriert den bewirtschaftungsrechtlichen Ansatz des KrW- / AbfG 123 in das gefahrenabwehrrechtlich orientierte BImSchG, soweit es um die Vermeidung (und Verwertung) von Abfällen geht, spezifiziert also die allgemeine Vorsorgepflicht des § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BImSchG 124. Die Pflicht zur ordnungsgemäßen Entsorgung von Abfällen konkretisiert, auch im KrW- / AbfG, die den Anlagenbetreiber beziehungsweise Abfallbesitzer treffende Schutzpflicht. § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BImSchG erweist sich also gleichermaßen als konkretisierende Ausprägung der ihm vorausgehenden Betreiberpflichten „Schutz“ und „Vorsorge“. § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BImSchG sowie § 5 Abs. 3 Nr. 1 – 3 BImSchG regeln schließlich die im Detail hier nicht weiter erheblichen Pflichten zur effizienten und sparsamen Energienutzung sowie zur Nachsorge nach Betriebseinstellung. § 5 Abs. 1 S. 2 – 4 BImSchG, eingefügt durch Art. 2 des Gesetzes vom 08. 07. 2004, vollziehen die notwendigen Änderungen nach, die sich aus der Etablierung des internationalen Emissionshandels durch das Kyoto-Protokoll 125 und den nachfolgenden europäischen 126 und nationalen Gesetzgebungsakten ergeben 127. Die Regelung ist unmittelbar bezogen auf die Betreiberpflicht des § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BImSchG, sie konkretisiert den Schutzgrundsatz und versucht, die denkbaren immissionsschutzrechtlichen und emissionshandelsrechtlichen Divergenzen zu moderieren. Im Verhältnis zu den immissionsschutzrechtlichen Betreiberpflichten, der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung sowie den nachträglichen Auflagen und dem Bestandsschutz liegt die besondere dogmatische Herausforderung 123

Dazu J. Fluck, in: ders., KrW- / AbfG, Kommentar, Stand 1995, Bd. I, § 1 Rn. 37. Zur ressourcenschonenden Dimension des Abfallrechts Fluck, (Fn. 123), § 1 Rn. 45. 125 Abrufbar als deutsche Textfassung unter http://unfccc.int/resource/docs/convkp /kpger.pdf. 126 Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG des Rates, Amtsblatt Nr. L 275 vom 25. 10. 2003, S. 32 ff. 127 Zu Problemen des Emissionshandels vor allem aus verfassungsrechtlicher Perspektive s. L. Michael, Grundfragen des Emissionshandels, in: Labisch (Hg.), Jahrbuch der Heinrich-Heine-Universität 2003, S. 433 ff.; s. weiter M. Burgi, Emissionszertifikate als Eigentum im Sinne von Art. 14 Grundgesetz, RdE 2004, S. 29 ff.; ders., Grundprobleme des deutschen Emissionshandelssystems: Zuteilungskonzept und Rechtsschutz, NVwZ 2004, S. 1162 ff. auch zu den Rechtsproblemen der Anlagenbetreiber; ders. / P. Müller, Das Emissionshandelssystem in Deutschland, ZUR, Sonderheft 2004, S. 419 ff. 124

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des Emissionshandels. Gleichzeitig öffnet § 5 Abs. 1 S. 2 BImSchG das Ordnungsrecht hin zu Elementen einer zivilen Handelswirtschaft, was zu weiteren Friktionen führt 128.

III. Zwischenergebnis Die immissionsschutzrechtlichen Betreiberpflichten etablieren ein materiell wie rechtsdogmatisch anspruchsvolles Programm ordnungsrechtlicher Pflichten des Anlagenbetreibers. Kennzeichnend für dieses Programm ist dabei einerseits seine sachnatürliche Technizität, von der die Steuerungsinstitute des Rechts affiziert werden. Andererseits sind diese geprägt von den Spannungslagen eines Umweltrechts, das sich verschiedenen Zielen verpflichtet hat. Wenn auch die prominente Zweckbestimmung des BImSchG in § 1 sich gegenüber dem sonstigen Kodifikationstext, namentlich gegenüber den zu seiner Konkretisierung ergangenen Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften, ausnimmt wie anspruchsvolle, gleichsam „lyrische“ Rechtsetzung, so darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich beim Immissionsschutzrecht um technisches Gefahrenabwehrrecht handelt, das im Alltag der Rechtspraxis ein Instrument des Risikomanagements, weniger der umweltschützerischen Risikoentwicklung ist. Im Brennpunkt dieser Spannungslagen steht die Verpflichtung des Anlagenbetreibers auf Vorsorgemaßnahmen. Um diese soll es im Folgenden gehen.

§ 2 Das Vorsorgeprinzip I. Einführung Betrachtet man Vorsorge als eine Kategorie des Rechts, so bieten sich verschiedene Perspektiven an. Neben der Rechtsidee, die hinter dem Vorsorgegedanken steht, lassen sich die verschiedenen Konkretisierungs- und Anwendungsebenen dieses Konzepts beleuchten. Konkret gewinnt die Verpflichtung auf Vorsorge Gestalt zum Beispiel in § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BImSchG und in denen zu seiner Konkretisierung ergangenen Verwaltungsvorschriften. Abstrakter bringt § 1 BImSchG die Idee der Vorsorge zum Ausdruck. Am Unbestimmtesten begegnet sie schließlich im Kontext verfassungs- und völkerrechtlicher Normen wie zum Beispiel dem Art. 20a GG; nicht selten fällt sie sachlich oder begrifflich mit dem Nachhaltigkeitsgrundsatz zusammen.

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s. zu dieser „Privatisierung“ des Rechts Michael, (Fn. 127), S. 438 ff.

§ 2 Das Vorsorgeprinzip

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Bevor der den Anlass dieser Untersuchung bildende § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BImSchG als Ausprägung der immissionsschutzrechtlichen Betreiberpflichten näher im Mittelpunkt der Betrachtungen steht, soll es zunächst auf einer theoretisch höheren Ebene um das Vorsorgeprinzip an sich gehen 129, im Anschluss an die Darstellung der immissionsschutzrechtlichen Dimension sollen dann Fragen der Nachhaltigkeit staatlichen und zivilen Handelns und die europarechtliche Dimension der Vorsorge im Mittelpunkt stehen. 1. Prinzipien im (Umwelt-)recht „Prinzipiell“, so Kloepfer 130, „hat das deutsche Umweltrecht einiges zu bieten“. In der Tat ist das bundesdeutsche Umweltrecht in besonderer Weise geprägt und bestimmt von (umwelt-)politischen und rechtlichen Grundprinzipien 131. Jedoch verdient nicht alles, was im Gewande eines Prinzips daher kommt, gleichermaßen prinzipielle wie rechtliche Beachtung. Den Status eines juristischen Prinzips im engeren Sinne 132, also eines rechtsprägenden Grundsatzes 133, haben vor allem das Vorsorge- 134, das Verursacher- sowie das Kooperationsprinzip 135. Sie sind in Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur entfaltet worden und kennen Neben- und Nachbarprinzipien 136. 129 Einführend z. B. H. v. Lersner, Vorsorgeprinzip, in: Kimminich / ders. (Hg.), HdUR, Bd. II, 2. Aufl. 1994, Sp. 2703; s. aus technischer Perspektive J. Bally, Das Vorsorgeprinzip bedeutet keine Verhinderung, BioTeCH forum 3/2001, S. 8 ff. 130 Kloepfer, (Fn. 35), § 4 Rn. 1. 131 Eine Übersicht gibt Kloepfer (Fn. 35), § 4 Rn. 1; zur rechtlichen Relevanz der Unterscheidung zwischen politischer Leitlinie und Rechtsprinzip sogleich. 132 Zu Struktur und Funktion des Rechtsprinzips s. begriffsbildend R. Alexy, Zum Begriff des Rechtsprinzips, in: ders., Recht, Vernunft, Diskurs, 1995, S. 177 ff.; die Funktion (nicht-positivierter) Rechtsgrundsätze und verfassungsgestaltender Grundentscheidungen als Rechts- und Erkenntnisquelle behandelt grundlegend H.-J. Wolff, Rechtsgrundsätze und verfassungsgestaltende Grundentscheidungen als Rechtsquellen, in: Bachof / Drath (Hg.), Forschungen und Berichte aus dem öffentlichen Recht, GS Jellinek, 1955, S. 33 ff. 133 Dazu z. B. R. Schmidt, Der Staat der Umweltvorsorge, DÖV 1994, S. 749 ff., 755, der die Individualisierungs- und Harmonisierungsfunktion von Rechtsprinzipien für bestimmte Rechtsgebiete betont; s. auch Schmidt-Aßmann, (Fn. 11), S. 115 f. 134 So z. B. Schmidt (Fn. 133), der davon spricht, das Vorsorgeprinzip sei „politische Handlungsmaxime und [es ist] Rechtsgrundsatz“. Erkenne man Umweltschutz als Staatszweck der Moderne an, so ergebe sich daraus die Staatsaufgabe Prävention und Vorsorge. S. 752; s. auch M. Kloepfer, Auf dem Weg zum Umweltstaat?, 1989, (Nachdruck), in: Brandner / Meßerschmidt (Hg.), Michael Kloepfer: Umweltschutz und Recht, 2000, S. 11 ff. 135 Hierzu insbesondere BVerfGE 98, S. 83 ff.; U. Di Fabio, Das Kooperationsprinzip – ein allgemeiner Rechtsgrundsatz des Umweltrechts, NVwZ 1999, S. 1153 ff. 136 So gilt das sog. „Cradle-to-Grave“-Prinzip als Sonderfall des Vorsorgeprinzips und hat sich, aus dem amerikanischen Recht kommend, schwerpunktmäßig im deutschen

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Daneben firmieren einzelne rechtliche Erscheinungen, teils solche des öffentlichen Rechts allgemein, teils umweltrechtsspezifische, wohl vor allem aus Gründen einfacher terminologischer Handhabbarkeit unter dem Stichwort „Prinzip“ 137. Ob jedoch durch das Hochzonen bekannter und bewährter öffentlichrechtlicher Argumentationsmuster zu Rechtsprinzipen dem Anliegen einer dogmatischen und begrifflichen Kohärenz des öffentlichen (Umwelt-)Rechts gedient ist, kann bezweifelt werden 138 – denn zwar machen wohl Kleider Leute, aber bloße Begriffsverwendung eben noch keine Prinzipien 139. Ihren Ursprung finden die Umweltrechtsprinzipien rechtlich betrachtet im Umweltprogramm der Bundesregierung von 1972 sowie dem Umweltbericht 1976 140. Art. 16 des Staatsvertrags über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik 141 erhob die Prinzipientrias aus Vorsorge-, Kooperationsund Verursacherprinzip zu rechtlich verbindlichen Leitlinien gesamtdeutscher Umweltpolitik und Rechtssetzung 142. Die Vorschrift verbindet die erstmalige rechtliche Festschreibung der Umweltrechtsprinzipien mit einem Drei-PhasenModell der Umweltrechtsangleichung zwischen der Bundesrepublik und der DDR 143. Daneben kennen verschiedene andere Artikel des Staatsvertrages Passagen, die Fragen des Umweltschutzes und des Umweltrechts zum Gegenstand haben, so z. B. Art. 1 Abs. 1 S. 3 zu den ökologischen Erfordernissen einer soziaAbfallrecht und seinem Gedanken der Kreislaufwirtschaft niedergeschlagen, §§ 22 ff., 40 ff., 49 ff. KrW- / AbfG. 137 Beispielsweise: Prinzip der Status-quo-Erhaltung (Bestandsschutzprinzip); Vorsichtsprinzip; das ökologische Abwägungsgebot, welches wohl eher – vermindert um das Adjektiv „ökologisch“ – Ausdruck eines allgemeinen öffentlich-rechtlichen Prinzips ist; das Schutzprinzip, in welchem am ehesten allgemeine Grundsätze des Gefahrenabwehrrechts zum Tragen kommen. 138 U. Di Fabio, Voraussetzungen und Grenzen des umweltrechtlichen Vorsorgeprinzips, in: Kley / Sünner (Hg.), FS Ritter, 1997, S. 807 ff., 808, sieht der Einheit des Umweltrechts neben der Anknüpfung an das allgemeine Verwaltungsrecht am ehesten „durch die nachdrücklich betriebene Ausprägung und Pflege spezifischer (Hervorh. des Verf.) Rechtsgrundsätze gedient“. 139 Dabei ist die Wirkungsweise von Rechtsprinzipien dichotom, einerseits strukturieren sie Rechtsgebiete vor und wirken so rechtsgebietsbildend, andererseits wirken sie in Rechtsgebiete hinein und in ihnen fort und dienen in „mehrschichtig positivierten Rechtsmassen [als] notwendiger Kompass, um das Fachrecht im Systemzusammenhang zu verstehen und die Geltungshierarchie der Normebenen bei der Rechtsanwendung präsent zu halten.“, Di Fabio, (Fn. 138), S. 813. 140 BT-Drs. 6/2710, S. 9 ff; BT-Drs. 7/5684, S. 8 f.; zwar kannte das AtomG von 1959 bereits den Begriff der „Vorsorge“, seine Aufwertung zum rechtsprinzipiellen Terminus erfuhr der Begriff aber erst später. 141 BGBl. 1990 II S. 518. 142 M. Kloepfer, Das Umweltrecht in der deutschen Einigung, 1991, S. 25. 143 M. Kloepfer, Umweltrecht im geeinten Deutschland, DVBl. 1991, S. 1 ff., 3.

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len Marktwirtschaft, Art. 11 Abs. 2 S. 1, der die Stimulation umweltschützender Privatinitiativen vorsieht und schließlich Abs. 3 der Präambel, der allgemein die Verantwortung gegenüber der Umwelt statuiert. Entsprechend wurde die Rechtslage auch durch Art. 34 Einigungsvertrag 144 fortgestaltet 145. Die umweltrechtlichen Prinzipien haben nicht erst seither auch in einfachgesetzlichen Vorschriften ihren als Konkretisierung anzusehenden 146 Niederschlag gefunden, so z. B. in § 17 ChemG, § 1 Abs. 1 UVPG und im bereits genannten § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BImSchG. Dem Abfallrecht des KrW- / AbfG, insbesondere dem Grundsatz der Abfallvermeidung der §§ 4 ff., liegt der Gedanke der Vorsorge im Sinne einer Gefahren- und Belastungsvermeidung in einem ganz umfassenden Sinne zugrunde 147. Trotz ihrer zum Teil recht langen Vita herrscht über Ausmaß und Inhalt der genannten Prinzipien, namentlich des Vorsorgeprinzips, bis heute keine endgültige rechtliche Klarheit 148. Di Fabio sieht, ungeachtet der großen wissenschaftlichen Aufmerksamkeit, derer sich die Umweltrechtsprinzipien erfreuen 149, „Potemkinsche Dörfer, mit schöner Fassade, aber ohne Substanz“ 150. Eine im juristischen Sinne endgültige Gewissheit über den Gehalt eines Rechtsprinzips ist nicht zu erzielen, da es in der Natur des Prinzips im Gegensatz zur Rechtsregel 151 liegt, ein nicht unerhebliches Quantum inhaltlicher Offenheit in sich zu tragen und tragen zu sollen 152. Dies gewährleistet die Entwicklungsoffenheit der vom jeweiligen Prinzip geprägten (Teil-) Rechtsordnung.

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BGBl. 1990 II S. 885. Für einen weitergehenden Überblick zu den umweltrechtlichen Regelungen des Einigungsvertrages s. Kloepfer (Fn. 143), S. 4 ff. 146 Di Fabio, (Fn. 138), S. 814, betont die Konkretisierungsbedürftigkeit von Rechtsprinzipien als charakteristische Eigenschaft. Von daher sind die genannten Normen auch nicht als jeweils positivierter Ausdruck des Prinzips, sondern als Konkretisierung seines Rechtsgedankens zu sehen. 147 Kloepfer, (Fn. 35), § 20 Rn. 22 spricht von einer konsequenten Zuwendung des Abfallrechts zum Vorsorgeprinzip, wiewohl dieses dort sprachlich anders gefasst ist als „Vorrang der Abfallvermeidung“; zur Rechtslage noch nach AbfG s. C. S. Illig, Das Vorsorgeprinzip im Abfallrecht, 1992; s. auch H. C. Atzpodien, Geltung und Grenzen des Vorsorgeprinzips im Abfallrecht, NVwZ 1989, S. 415 ff., zu Fragen der Verhältnismäßigkeit S. 419 ff. 148 Trute, (Fn. 44), S. 6. 149 s. dazu nur die Nachweise bei Kloepfer, (Fn. 35), S. 161 ff. 150 Di Fabio, (Fn. 138), S. 808 f.; für die immissionsschutzrechtliche Vorsorge (als Konkretisierung des Prinzips) s. E. Kutscheidt, Anmerkungen zum Vorsorgegrundsatz, in: Dolde (Hg.), Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 437 ff., 439, der von einem fehlenden „präzisen Begriffselement“ spricht. 151 R. Dworkin, Bürgerrechte ernst genommen, 1984, S. 75: „Nur Regeln schreiben Ergebnisse vor, komme was wolle“. 145

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Prinzipien sollen ein Rechtsgebiet oder eine Rechtsordnung nicht vorrangig entwicklungslimitieren, sondern primär strukturieren 153. Dies gilt in einem auf materielle Werte verpflichteten Verfassungsstaat wie der Bundesrepublik freilich nicht ausnahmslos, sondern stößt an Grenzen: Durch das Herauslösen der Grundrechte aus allein subjektiver Bezüglichkeit und ihrer Hochzonung zu „objektiven Wertentscheidungen“ 154 erlangen sie die Qualität rechtsprägender und rechtsanwendungsprägender Grundsätze. In Verbindung mit der Wesensgehaltgarantie 155 des Art. 19 Abs. 2 GG, vor allem wenn man sie nicht individuell und relativ deutet 156, sondern ihren absoluten, institutionellen Charakter betont, werden jedenfalls der theoretischen Struktur nach dem staatlichen Gemeinwesen letztverbindliche und eben prinzipiell gegründete Entwicklungsgrenzen gesetzt. Trotz der angesprochenen begriffsnotwendigen wie hinnehmbaren inhaltlichen Indetermination rechtlicher Prinzipien ist auf der anderen Seite auch im Interesse einer praktischen Operationabilität solcher Rechtsgrundsätze ein Mindestmaß an Präzisierung und Ausformung notwendig 157. Denn anders als politische 152 s. in Bezug auf das Vorsorgeprinzip z. B. K. R. Foster / P. Vecchia / M.H. Repacholi, Science and the Precautionary Principle, in: Science, Vol. 288 (2000), S. 979 ff., die die inhaltliche Varianz des Vorsorgeprinzips thematisieren: „But its greatest problem, as a policy tool, is its extreme variability in interpretation“. 153 M. Morlok, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Verfassungstheorie?, 1988, S. 122, spricht davon, Rechtsprinzipien determinierten die Entscheidung nicht vollständig, sähen nicht zwingend eine bestimmte Entscheidung vor; K. Larenz, Richtiges Recht, 1979, S. 23 ff. beschreibt als „negative Funktion“ der Rechtsprinzipien den Ausschluss ihnen widersprechender Wertungen und Regeln. 154 BVerfGE 7, S. 198 ff.; 49, S. 89 ff; 56, S. 54 ff; 73, S. 261 ff.; dazu auch: H. D. Jarass, Grundrechte als Wertentscheidungen bzw. objektivrechtliche Prinzipien in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, AöR 110 (1985), S. 363 ff. 155 Grundlegend dazu P. Häberle, Die Wesensgehaltgarantie des Art. 19 Abs. 2 Grundgesetz, 3. Aufl. 1983, der Art. 19 II GG als deklaratorisch einstuft, S. 234 ff.; P. Lerche, Grundrechtsschranken, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HStR, Bd. V, 2. Aufl. 2000, § 122, insbes. Rn. 25 ff.; s. auch BVerfGE 22, S. 180 ff.; 30, S. 47 ff.; 39, S. 1 ff.; 45, S. 187 ff.; 61, S. 82 ff. 156 Zu dieser Begrifflichkeit H. D. Jarass, in: ders. / B. Pieroth, Grundgesetz, 9. Auflage 2007, Art. 19 Rn. 9; die Problematik im Überblick bei T. Maunz, in: ders. / Dürig (Begr.), Grundgesetz, Kommentar, Bd. III, 51. Lfg. Dezember 2007, Art. 19 Abs. 2 Rn. 3 ff.; für den subjektiven Ansatz tritt ausdrücklich ein z. B. Alexy, (Fn. 5), S. 268 f., der der objektiven Interpretation lediglich ergänzende Funktion einräumt; vermittelnd dazu z. B. W. Krebs, in: v. Münch / Kunig (Hg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. I, 5. Aufl. 2000, Art. 19 Rn. 23 ff.; unter Akzentuierung eines qualitativen Ansatzes: P.M. Huber, in: v. Mangoldt / Klein (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. I, 5. Aufl. 2005, Art. 19 Rn. 138 ff., insbes. 152 ff.; für ein objektives Verständnis z. B. E.R. Huber, Der Streit um das Wirtschaftsverfassungsrecht, DÖV 1956, S. 142 ff. in Fortsetzung einer gegenüber subjektivrechtlichen Rechtsverständnissen ablehnenden Haltung, s. nur ders., Die volksgenössische Rechtsstellung in der Verwaltung, ZAkDR 1937, S. 323 ff., sowie ders., Die Verwirkung der volksgenössischen Rechtsstellung im Verwaltungsrecht, ZAkDR 1937, S. 366 ff.

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Leitlinien, in denen der Vorsorgegedanke seinen Ursprung hatte und denen er auch zuzurechnen ist 158, entfalten Rechtsprinzipien nicht bloß politiksteuernde, sondern unmittelbare rechtliche Wirkung 159. Hinzuweisen ist hier insbesondere auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 07. 05. 1998 160. Darin erklärte das Gericht auf die Verfassungsbeschwerde verschiedener Firmen hin die Vorschriften diverser Landesabfallabgabengesetze, die kommunale Verpackungsabgaben zuließen, für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, da diese gesetzgebungskompetenzwidrig seien 161. Sie widersprächen – ungeachtet ihrer finanzverfassungsrechtlichen Ausgestaltung – dem Kooperationsprinzip, wie es im Bundesimmissionsschutzrecht 162 und dem Abfallrecht (KrW- / AbfG) für die Vermeidung und Verwertung von Abfällen vorgesehen sei. Die angefochtenen Gesetze beziehungsweise ihre jeweiligen kommunalen Umsetzungen entfalteten steuerlich begründete Lenkungswirkung in einem Bereich, in dem sich demgegenüber der Bundesgesetzgeber für ein Rechtsmodell entschieden habe, welches sich durch Maßnahmen aufgrund einer „individualisierten Verhältnismäßigkeit“ und durch Wahlmöglichkeiten des Rechtspflichtigen auszeichne. Solange dieser Kooperationsansatz nicht für gescheitert erklärt werde, sperre er abweichende Maßnahmen anderer Hoheitsträger. Mit dieser Entscheidung hat das Gericht die reine Verortung des Kooperationsprinzips in der Sphäre des Politischen, also des nicht unmittelbar Rechtserheblichen beendet und dem Prinzip rechtliche Wirkung zugesprochen 163. Dass es sich dabei eines Prinzips als Argumentationstopos bedient, dessen grundsätzliche Berechtigung und Eignung „zum Prinzip“ nicht außer Streit steht, lässt sich aus methodischer Sicht rechtfertigen. Einem der Wertungsjurisprudenz verpflichteten Gemeinwesen komme es nicht, so Bydlinski 164, auf eine Rechtsfindung im Konsens an. Vielmehr verhelfe der Bezug auf eine Rechtsidee dazu, den Rechts157

Morlok, (Fn. 153), differenziert zwischen der objektiven Unbestimmtheit verfassungsrechtlicher Bestimmungen und Prinzipien und die von den im Rechtssystem Handelnden aus der Unbestimmtheit folgenden „empfundenen Unsicherheit“, S. 125. 158 s. dazu H.-M. Beyer, Das Vorsorgeprinzip in der Umweltpolitik, 1992, S. 30, der darlegt, dass Umweltvorsorge Gegenstand aller Programme der „großen“ Parteien geworden ist. 159 Larenz, (Fn. 153), beschreibt dies als die „positive Wirkung“ von Rechtsprinzipien. 160 BVerfGE 98, S. 83 ff.; dazu S. Westphal, Das Kooperationsprinzip als Rechtsprinzip, DÖV 2000, S. 996 ff. 161 s. dazu grundsätzlich H.-J. Koch, Umweltabgaben in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: Osterloh / Schmidt (Hg.), Staat, Wirtschaft, Finanzverfassung, FS Selmer, 2004, S. 769 ff., insbes. 778 ff. zum Kooperationsprinzip. 162 Für eine Verabschiedung des Kooperationsprinzips – gerade vor dem Hintergrund der genannten Entscheidung – plädiert A. Voßkuhle, Das Kooperationsprinzip im Immissionsschutzrecht, ZUR 2001, S. 23 ff. 163 s. dazu Di Fabio, (Fn. 135), S. 1156. 164 Bydlinski, (Fn. 14), S. 134.

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stoff nicht als eine Vielzahl von mehr oder minder zufälligen Entscheidungen des Gesetzgebers aufzufassen, sondern als Versuch einer bei der Bewertung menschlicher Interessen gerechten und widerspruchsfreien Ordnung aufzufassen. Stelle man eine solche Rechtsidee fest, sei der Rechtsanwender „genötigt“, dieses Prinzip auch in der genannten Form zu beachten Ansätze zu einer inhaltlichen Ausleuchtung des Rechtsprinzips „Vorsorge“ hat es bis heute zahlreiche gegeben 165. Dabei sind auseinanderzuhalten diejenigen Ansätze, die eine strukturelle Konkretisierung des Rechtsprinzips versuchen und solchen, die das Rechtsprinzip auf einfachgesetzlicher Ebene konkretisieren. Dabei setzt ein Rechtsprinzip eine Regel nicht voraus, ebenso wenig wie eine Regel ein Prinzip voraussetzt, wenngleich dies auch wünschenswert wäre, soweit man im Rechtsprinzip eine Verkörperung der Rechtsidee im Sinne eines „objektiven Zwecks“ sehen möchte 166. Diese Konkretisierungsbemühungen sind gekennzeichnet durch eine Wechselbezüglichkeit der Ansätze. Die jeweilige Ungewissheit 167 in der Rechts- beziehungsweise Rechtsprinzipienanwendung wird dadurch zum Teil kompensiert, dass man bei der jeweils anderen Kategorie Anleihen nimmt, d. h. also das Rechtsprinzip durch die Ergebnisse der Anwendung seiner Konkretisierungen weiterentwickelt und umgekehrt die Konkretisierung der Norm dadurch bewerkstelligt, dass z. B. in Fällen ihrer Lückenhaftigkeit auf das übergeordnete Prinzip Bezug genommen wird 168. Mit fortschreitender Entwicklung der jeweiligen Strukturen erlangen beide Begriffe eine größere funktionelle und materielle Unabhängigkeit voneinander. Das Rechtsprinzip permutiert dabei im Grade seiner fortschreitenden Konkretisierung zu einer Kategorie zweiter Ordnung. Dabei zeigt sich beim Vorsorgeprinzip die schon beschriebene Eigentümlichkeit, dass die Regel- und Prinzipienbildungsprozesse hier umgekehrt abzulaufen scheinen. Nicht die Regel wird aus dem Prinzip deduziert, sondern das Prinzip aus einer Vielzahl anzuwendender Regeln und dem daraus gewonnenen Erfahrungswissen 169. Dies ist zum Teil sicher dem Umstand geschuldet, dass die Umweltrechtsprinzipien politischen Ursprungs sind und von daher unmittelbar 165 s. zu den verschiedenen Inhalten, die dem Begriff „Vorsorge“ beigegeben werden können E. Rehbinder, Vorsorgeprinzip im Umweltrecht und präventive Umweltpolitik, in: Simonis (Hg.), Präventive Umweltpolitik, 1988, S. 129 ff., 132 f.; J. Salzwedel, Rechtsgebote der Umweltvorsorge, in: Nicklisch (Hg.), Prävention im Umweltrecht, 1988, S. 13 ff. 166 Dazu m.w. N. Bydlinski, (Fn. 14), S. 132. 167 Zu dieser Unsicherheit in der Rechtsanwendung s. Morlok, (Fn. 157). 168 Grundlegend dazu J. Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, 4. Aufl. 1990, Kap. XI, passim; s. für das strukturgleiche Verhältnis von Verwaltungs- und Verfassungsrecht Bauer, (Fn. 5), S. 11.; zur Beschaffenheit verfassungsrechtlicher Prinzipien und ihrer Genese s. U. Volkmann, Solidarität – Programm und Prinzip der Verfassung, 1998, S. 382 ff., 386 ff.; s. zu einer verfassungsrechtlichen Parallelkonstellation (auch zum methodischen Vorgehen) M. Payandeh, Völkerrechtsfreundlichkeit als Verfassungsprinzip, JöR 57 (2009), S. 465, 467 ff.

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transformierbarer rechtlicher Strukturen entbehren. Gleichzeitig ist diese Entwicklung ein klares Beispiel für die nicht untypische Selbstreferentialität von Rechtsbildungsprozessen. 2. Rechtsqualität der Umweltrechtsprinzipien Die Rechtsqualität der Umweltrechtsprinzipien war lange Zeit umstritten und ist bis heute Gegenstand erheblicher wissenschaftlicher Kontroverse. Diese lässt sich nicht zuletzt darauf zurückführen, dass nach wie vor zwei Begriffe nicht operationabel definiert sind: Der Begriff des Rechtsprinzips auf der einen sowie der materiell noch nicht geklärte Begriff der Vorsorge auf der anderen Seite konstituieren eine rechtliche Gleichung mit zwei Unbekannten. Wenn es zur Annahme der Rechtsqualität einer Rechtsaussage 170 auch nicht des Konkretisierungsniveaus einer Rechtsregel bedarf, so ist auf der anderen Seite aber doch hinreichende rechtliche Fassbarkeit nötig, um Rechtswirksamkeit annehmen zu können. Dabei meint Rechtswirksamkeit auf der Ebene eines Rechtsprinzips nicht Konditionalität der rechtlichen Aussage: Prinzipien bilden oftmals nur einen – dann aber relevanten – Faktor einer rechtlichen Entscheidung. Sie steuern und beeinflussen konkrete, multikausale Abwägungsvorgänge, ohne sie regelmäßig allein zu entscheiden 171. In dem Maße, wie über ihre Struktur und Grenzen verlässliche Aussagen getroffen werden können, können sie auch rechtswirksam in Erscheinung treten. Die Frage nach dem Inhalt eines Prinzips stellt also zugleich die Frage nach seiner Rechtsqualität 172. Der Ursprung der umweltrechtlichen Prinzipien in der Politik, ihre Entstehung als politischer Programmsatz bildet einen zentralen Grund für die bestehende Unklarheit über den Begriff der Vorsorge. Die rechtlich letztlich voraussetzungslose und nur vom gesetzgeberischen Willen abhängige Transformation politischer Generalideen in normative Prinzipien überträgt nicht nur den materiellen Gehalt einer politischen Idee, sondern auch die ihr anhaftende Unbestimmtheit in die Sphäre des Rechts. Je weniger politische Leitvorstellungen in rechtlichen und rechtswissenschaftlichen Zusammenhängen parallel mit- und fortentwickelt wurden, desto größer ist die Rechtsungewissheit im Falle ihrer Transformation 173 und der Bedarf, den materiellen politischen Gehalt rechtlich zu entschlüsseln. Zusätzlich erschwert wird die rechtliche Fassbarkeit des politischen Vorsorgebe169 Wohingegen Bydlinski, (Fn. 14), S. 132 den Ansatz Essers, (Fn. 14), dahingehend deutet, dieser wolle das Rechtsprinzip am „Fallproblem“ erkennen und ihm auch nur insoweit rechtliche Verbindlichkeit zukommen lassen, wie es positiviert sei. 170 Hier verstanden gleichsam als Oberbegriff zu Rechtsregel und Rechtsprinzip. 171 s. dazu Morlok, (Fn. 153). 172 Di Fabio, (Fn. 138), S. 810. 173 Ein aktuelles Beispiel hierfür ist der Begriff der „Nachhaltigkeit“, s. dazu § 2 II.3.

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griffs durch die strukturelle Verpflichtung des kontinentaleuropäischen Rechts auf die Ideale eines axiomatischen Denkens, wie es das Naturrecht propagiert. Denn unterwirft man sich dem Erfordernis der Ableitbarkeit der Rechtsregel aus dem übergeordneten Prinzip, so wendet man sich gleichzeitig ab von den technischen Erfordernissen einer Rechtssatzbildung und damit von Rechtsbildungsregeln 174. Steht aber ein kein rechtlich konturiertes Prinzip, sondern nur eine politische Maxime als Ableitungsfundus zur Verfügung, stößt ein solcher Denkansatz an natürliche Grenzen. Es fehlen letztlich die Werkzeuge zur Rechtsund damit auch zur Prinzipienbildung – mindestens aber sind die Mechanismen unerprobt, mit denen aus dem normativen Rohmaterial das juristische Prinzip geläutert werden könnte 175. Demgemäß werden die Umweltrechtsprinzipien zum Teil nicht als Rechtsprinzipien im normativen Sinne angesehen, sondern allein als rechtspolitische Handlungsmaximen 176. Ausnahmen seien nur dort zuzulassen, wo die Prinzipien die Gestalt einer gesetzlichen Norm annähmen 177, so beispielsweise in § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BImSchG. Dieser Ansatz macht in exemplarischer Weise deutlich, dass in den Frühzeiten des bundesdeutschen Umweltrechts der Mangel an Konkretisierung der Umweltrechtsprinzipien besonders eklatant war. Diese Einschätzung scheidet nämlich das Rechtsprinzip von seiner jeweiligen Konkretisierung, also den Grundsatz von der Norm beziehungsweise das Prinzip von der Regel 178. Vorschriften wie die genannte sind nicht primär selbst Verkörperung des Prinzips, sondern seine Konkretisierung, also Ausdruck einer Vorsorgeregel 179. Zwar sind in Vorsorge-Tatbeständen, solange es eine „magna charta“ der Vorsorge beispielsweise in Form einer rechtsprinzipiellen Regelung in einem Allgemeinen Teil eines Umweltgesetzbuches 180 nicht gibt, gleichzeitig auch Repräsentanten des jeweiligen Prinzips zu sehen. Mit zunehmender Ausbildung der Prinzipienstruktur aber verliert die besondere Norm an Bedeutung für die Bestimmung des Ganzen. Mit anderen Worten: Durch den Zugewinn an Sicher174

Dazu Esser (Fn. 168), S. 220. Zur Problematik der Rechtsbildung außerhalb einer gegebenen Regelstruktur auch Alexy, (Fn. 132), S. 178 f. 176 Zum politischen Gehalt bzw. Herkunft der Prinzipien s. Sparwasser / Engel / Voßkuhle, (Fn. 32), Kap. 1, Rn. 8. 177 Kloepfer, (Fn. 35), § 4 Rn. 6; in diesem Sinne wohl R. Breuer, Umweltschutzrecht, in: Schmidt-Aßmann (Hg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2005, 5. Kap. Rn. 6, der ansonsten von rechtspolitischen Prinzipien spricht. 178 Zur Begrifflichkeit grundlegend Dworkin, (Fn. 151). 179 Trute, (Fn. 44), S. 6 spricht hier vom „gesetzlichen Vorsorgegrundsatz“. 180 s. hierzu Umweltbundesamt (Hg.), Umweltgesetzbuch – Allgemeiner Teil, 1990, § 4 UGB-AT KomE: Durch geeignete Maßnahmen, insbesondere durch eine vorausschauende Planung und eine dem Stand der Technik entsprechende Begrenzung von Emissionen, ist darauf hinzuwirken, dass vermeidbare oder hinsichtlich ihrer langfristigen Folgen nicht absehbare Umweltbeeinträchtigungen möglichst ausgeschlossen werden. 175

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heit hinsichtlich Ausmaß, Struktur und Grenzen eines Rechtsprinzips nimmt die Unterscheidung zwischen dem Prinzip selbst und seiner Konkretisierung an Bedeutung zu 181. Dies gilt sowohl, wenn man davon ausgeht, dass Prinzip und Konkretisierung (Regel) klassifikatorisch, als aliud, zu scheiden sind, als auch unter der Voraussetzung, dass sie sich komparativ nach dem Grade ihrer Generalität unterscheiden lassen 182. Ohne dass es bislang eine einheitliche Regelung des Vorsorgegedankens gäbe, wird man jedoch selbst vom rein rechtswissenschaftlichen Standpunkt aus konzedieren müssen, dass die Umweltrechtsprinzipien den Zustand reiner politischer Zielvorgaben deutlich verlassen haben: Erste Ansätze zur Normativierung der Umweltrechtsprinzipien finden sich nationalrechtlich im Vertrag über die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR und nachfolgend dann im Einigungsvertrag. Damit erlangten sie gegenüber staatlichen Stellen Rechtswirkung, die im Einzelnen zu benennen jedoch schwer fallen dürfte 183. Auf den Standpunkt rechtlicher Verbindlichkeit hat sich – bezogen auf das Kooperationsprinzip – auch das Bundesverfassungsgericht gestellt 184. Dabei zeichnet sich das Urteil – für unseren Zusammenhang – vor allem durch das aus, was es nicht sagt. Das Gericht nimmt nämlich zur Rechtsqualität des Kooperationsprinzips ausdrücklich keine Stellung, sondern unterstellt sie. Bemerkenswert ist weiter, dass der Senat für diese Annahme gerade nicht auf normative Konkretisierungen abstellt. Zwar macht er das Kooperationsprinzip in einzelnen Vorschriften des Abfallrechts und untergesetzlicher Normen aus, stellt jedoch auch ausdrücklich fest: „Das Umweltrecht in der Konzeption des Bundesgesetzgebers kennt neben den verbindlichen Anordnungen, insbesondere den Geboten, Verboten und Erlaubnisvorbehalten, auch Instrumente mittelbarer Verhaltenssteuerung. Im Rahmen der gemeinsamen Umweltverantwortung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft soll der Ausgleich zwischen individueller Freiheit und gesellschaftlichen Bedürfnissen jeweils unter Mitwirkung der Betroffenen gefunden werden.

181 Zum Verhältnis von Prinzip und Norm s. Esser, (Fn. 168), der feststellt, die Norm konstituiere sich aus vier Elementen, nämlich dem formalen Element des Rechtssatzes, dem materiellen des Prinzips, dem technischen des Rechtsbegriffs und dem judiziellen des Standard (im Sinne einer rechtlichen Verhaltens- und Erwartungsregel). 182 Dazu Alexy, (Fn. 132), S 184 f. 183 s. dazu M. Kloepfer, Umweltrecht, in: Achterberg / Püttner (Hg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. II, 1992, Rn. 658 f. 184 Gegen den Ansatz des BVerfG wendet sich D. Murswiek, Das so genannte Kooperationsprinzip – ein Prinzip des Umweltschutzes?, ZUR 2001, S. 7 ff.; s. auch Voßkuhle, (Fn. 162); die Verbindung ordnungsrechtlicher und kooperativer Ansätze beleuchtet kritisch J. Fluck, Das Kooperationsprinzip im Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht, UPR 2000, S. 281 ff.

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Teil B: Vorsorge im (Umwelt-)recht Innerhalb der Instrumente mittelbaren Einwirkens unterscheidet sich eine zielgebundene Kooperation von einer zielorientierten steuerlichen Verhaltenslenkung. Die zielgebundene Kooperation verpflichtet die Kooperationspartner zur Zusammenarbeit beim Erreichen eines rechtlich vorgegebenen Ziels, lässt aber die konkrete Form dieser Zusammenarbeit offen (..). Nach der Grundentscheidung des Abfallgesetzgebers im Abfallgesetz, die auch im Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz beibehalten worden ist, werden die abfallwirtschaftlichen Ziele der Vermeidung und Verwertung von Einwegverpackungen nach dem Kooperationsprinzip verfolgt“ 185.

Dass dem Abfallrecht das Kooperationsprinzip zugrunde liege, macht das Gericht an verschiedenen Vorschriften, ihrer Genese und ihren amtlichen Begründungen fest, erkennt mit seinen Gründen aber gleichzeitig den bereits beschriebenen Dualismus von Rechtsprinzip und Konkretisierung an.

II. Elemente des Vorsorgeprinzips 1. Struktur und Funktion des Rechtsprinzips Vorsorge Die Frage nach der Rechtsqualität der umweltrechtlichen Prinzipien hat bereits die Frage nach ihrer Gestalt und ihrem Inhalt aufscheinen lassen. Eine strukturelle Ausleuchtung der Prinzipien muss dem bereits beschriebenen Spannungsverhältnis zwischen dem Prinzip und seiner Konkretisierung einerseits und dem Dualismus „Rechtsprinzip versus politischer Handlungsgrundsatz“ andererseits Rechnung tragen. Dabei darf jedoch das Bemühen um definitorische und strukturelle Prägnanz nicht zu einer Kategorisierung führen, die sich jeglicher operativer Nützlichkeit entzieht. Gleichzeitig wird deutlich, dass – unabhängig davon, ob man die (einfachrechtliche) Vorsorge konkret mit dem Bundesverwaltungsgericht als „multifunktional“ deutet oder als monofunktional betrachtet – auf der nichtkonkretisierten Ebene des Prinzips jedenfalls eine Mehrdeutigkeit vorliegt 186. In funktionaler Perspektive ist zunächst die Rolle und Aufgabe eines Prinzips für die gesetzgeberische Arbeit im Allgemeinen zu beachten. Dabei ist seine Wirkungsweise aus grundrechtlicher Perspektive durch eine typische Gegenläufigkeit gekennzeichnet: Einerseits fungiert das Prinzip als Legitimationsgrundlage für Eingriffe in Grundrechtspositionen, wirkt auf der anderen Seite aber gerade auch eingriffslimitierend. Es sind darüber hinaus Ansätze zu weiterer struktureller Ausformung der umweltrechtlichen Vorsorge gemacht. Scheidet man Prin185

BVerfGE 98, S. 106 ff., 120 f., 126. Allgemein dazu Esser, (Fn. 168), S. 226, der feststellt: „Wenn aber je ein Prinzip echte juristische Stringenz beansprucht, so bemerkt der Forscher unschwer die Vielfalt der in ihm wirksamen Rechtsgedanken (..)“; bezogen auf die Vorsorge Di Fabio, (Fn. 138), S. 816. 186

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zipien mit bloß informativer Funktion von solchen mit normativen Gehalten, so kann das Vorsorgeprinzip normativ differenziert werden in unterschiedliche Wirkungsgehalte 187: a) Vorsorge als offenes Leitprinzip Der politische Gehalt der Vorsorgeidee weist ihr in rechtlichen Zusammenhängen eine informative Funktion zu, die der Rechtsanwendung eine Richtung geben kann. Damit ist gleichzeitig gesagt, dass auch die Vorsorge als politische Leitidee Rechtswirkungen entfalten kann, und zwar rechtsstrukturell besonders über den Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung. Di Fabio stellt dazu fest: „Das, was nach eigener Erklärung stetes politisches Handlungsziel ist, wird zu einer Folie für die Anwendung des Gleichheitssatzes, steht aber unter Umständen auch im Zusammenhang mit rechtsstaatlich hergeleiteten Vertrauenstatbeständen.“ 188

Hinzu kommt, dass in der parlamentarischen Sphäre politisch-programmatische Zielvorstellungen Grundlage des gesetzgeberischen Handelns werden und, vermittelt über den Vorgang der Rechtsetzung, rechtsrelevant werden 189. Deutlich wird dies vor allem in Ansehung des vorsorgeverwandten Prinzips der Nachhaltigkeit, das sich von einer politischen Absichtserklärung zunehmend entwickelt zu einer rechtlich verbindlichen Zielvorgabe und in diesem Entwicklungsprozess und den damit verbundenen verschiedenen Konkretisierungsebenen unterschiedliche rechtsformende Impulse gibt. Ob damit wesentlich neue Regulierungsimpulse oder bloß anders gewichtete Schwerpunkte gesetzt werden, bleibt der weiteren Untersuchung vorbehalten 190. b) Vorsorge als Optimierungsgebot Die Nähe und Verwandtschaft der Vorsorge mit und zu dem Institut der Planung 191 wird deutlich in ihrer Struktur als Optimierungsgebot 192. Anders als die herkömmliche, konditional programmierte Norm zeichnet sich das Planungs187 E. Rehbinder, Prinzipien des Umweltrechts in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts: Das Vorsorgeprinzip als Beispiel, in: Franßen / Redeker (Hg.), Bürger – Richter – Staat, FS Sendler, 1991, S. 269 ff. 188 Di Fabio, (Fn. 138), S. 816. 189 Hier gleicht die Diskussion um die Vorsorge dem Konzept der grundrechtlichen Schutzpflichten, welche eine allgemeine staatliche Präventivpflicht zur Risikogestaltung grundrechtlich gewandet als Rechtspflicht an das jeweilig handelnde Staatsorgan zurückgibt, Di Fabio, (Fn. 138), S. 817; zum Konzept der Schutzpflichten s. J. Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 1992, S. 112 ff. 190 s. zum Verhältnis der Vorsorge zum Nachhaltigkeitsgrundsatz § 2 II.3. 191 Dazu grundlegend W. Hoppe, Planung, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HStR, Bd. IV, 3. Aufl. 2006, § 77; zum Verhältnis von Vorsorge und Planung erstmals grundlegend ders.,

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Teil B: Vorsorge im (Umwelt-)recht

recht durch Elemente der Prognose und der prognostischen Wertentscheidung aus, so dass der „rechtliche“ Verhaltensentwurf, der in der Planung zur Rechtsverwirklichung aufgegeben ist, von extremer Weitmaschigkeit ist. 193 Dies gilt in besonderer Weise für sogenannte Optimierungsgebote. Darunter versteht man anschließend an die Grundsatzentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts 194 Normen, die den darin genannten Belangen ein besonderes Gewicht verleihen, mit anderen Worten: normative Gewichtungsvorgaben. Dabei sollen die Optimierungsgebote neben den Planungsleitlinien, die beeinflussend auf die Zusammenstellung des jeweiligen Abwägungsmaterials einwirken, auf der Stufe der Gewichtung der abwägungsrelevanten Belange die durch sie normativ privilegierten Belange stärken 195. Dabei geht es weder planungsrechtlich noch im Bereich der Vorsorge um eine absolute Optimierung im Sinne einer Durchsetzung, sondern um einen angemessenen Ausgleich der betroffenen Optimierungsbelange untereinander. Sieht man Planung im Sinne einer Vorsorgeplanung auch als Aufgabe der Legislative 196, so werden die Grenzen, die der normativen Wirkungsmächtigkeit eines solchen Gebots, z. B. in Gestalt des Art. 20a GG, gezogen sind, offenbar. Die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers entfaltet auch hier ihre Bedeutung. Die Kontrollfunktion der Gerichte bleibt in diesen Bereichen in aller Regel bloß rudimentär. Die Bedeutung der Vorsorge als Optimierungsgebot beschreibt wesentlich eine Funktion, die man dem Konzept „Vorsorge“ zuschreibt und die auf unterschiedlichsten Konkretisierungsstufen angesiedelt ist. Vorsorge soll optimierend wirken, wo sie Teil einer verfassungsrechtlichen Staatszielbestimmung 197 ist, ebenso wie der Optimierungsgehalt den §§ 1 Abs. 1, 5 Abs. 1 S. 1 BImSchG innewohnt. Staatsaufgabe Umweltschutz, VVDStRL 38 (1980), S. 213 ff., 228 ff.; s. auch R. Wahl, Umweltschutz durch Planung, in: Bizer / Koch (Hg.), Sicherheit, Vielfalt, Solidarität, 1998, S. 87 ff., vor allem S. 97 ff. zu Abwägungsproblemen; zur Rechtsschutzdimension W. Blümel, Planung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl. 1975, S. 695 ff., mit einem „Stufensystem der Betroffenheit“ eventueller Kläger, S. 706 ff. 192 Zum Charakter von Rechtsprinzipien verstanden als Optimierungsgebote s. z. B. K. Larenz / C.-W. Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1995, S. 303, die dieser Funktion aber vor allem in Situationen von Prinzipienkonkurrenzen entfaltet sehen wollen. 193 Hoppe, (Fn. 191), Planung, Rn. 21. 194 BVerwGE 71, S. 163 ff., 165.; auch BVerwG, NVwZ 1998, S. 1181 zu § 124 BBergG. 195 R. Wahl / J. Dreier, Entwicklung des Fachplanungsrechts, NVwZ 1999, S. 606 ff., 617 ff.; zum Verhältnis von Planungsleitlinien und Optimierungsgeboten s. J. Dreier, Strikte Normen, generelle Planungsleitbegriffe, Planungsleitlinien und Optimierungsgebote, 1995, passim; das Optimierungsgebot des § 50 BImSchG beleuchtet W. Rinke, § 50 BImSchG – auch nach In-Kraft-Treten der Verkehrslärmschutzverordnung keine nachbarschützende Wirkung?, NVwZ 2002, S. 1180 ff.; s. auch W. Hoppe, Die Bedeutung von Optimierungsgeboten im Planungsrecht, DVBl. 1992, S. 1381 ff. 196 Dazu grundsätzlich Hoppe, (Fn. 191), Planung, Rn. 45 ff.

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c) Vorsorge als rechtssatzförmiges Prinzip Vorsorge begegnet in umweltrechtlichen Kodifikationen vielfach auch in Form eines rechtssatzförmigen Prinzips, prototypisch sei hier § 1 Abs. 1 BImSchG genannt. In ihm kommt in Form eines Rechtssatzes, genauer: einer Gesetzesvorschrift, die Verpflichtung der Normadressaten auf das Konzept der Vorsorge zum Ausdruck. Dabei kann die Vorsorgepflicht in anlagenbezogenen Kontexten erscheinen als Betreiberpflicht oder auch als planungsähnliche Pflicht der Behörden, § 1a Abs. 1 WHG sowie in verschiedenen Nummern des § 8 BNatSchG, pauschale Individualpflicht, §1a Abs. 2 WHG oder auch als Genehmigungsvoraussetzung, so z. B. in § 7a Abs. 1 WHG. d) Vorsorge als Struktur- und allgemeines Rechtsprinzip Ob man neben der rechtssatzförmigen Ausprägung der Vorsorge auch noch ihre Funktion als allgemeines Rechtsprinzip oder als bloßes Strukturprinzip anerkennen will, ist im Lichte des Art. 20a GG heute anders zu beurteilen als noch vor wenigen Jahren. Unter allgemeinem Strukturprinzip ist dabei zu verstehen, dass bestimmte Vorschriften der umweltrechtlichen Vorsorge dienen, ohne dies aber als solches zu benennen, zu denken ist hier an Planungsgebote, die die Berücksichtigung von Umweltbelangen festschreiben, z. B. § 1 Abs. 6 Nr. 7ai BauGB. Ein allgemeines Rechtsprinzip beansprucht demgegenüber Beachtung über die Verankerung von einzelnen Vorsorgebelangen im Gesetz hinaus. Während Rehbinder 198 1988 neben der rechtssatzförmigen Konkretisierung der Vorsorge allein ein allgemeines Vorsorgestrukturprinzip anerkennen wollte, hat sich heute mit Art. 20a GG der Wandel zum „ökologischen Verfassungsstaat“ 199 positiv verfassungsrechtlich manifestiert. Ob man dabei dann von einem Vorsorgestaat sprechen will oder von einem verfassungsrechtlich verankerten Nachhaltigkeitsprinzip, ist eine Frage der dogmatischen Feinabstimmung, vermag aber am festgestellten Ergebnis wenig zu ändern.

197 Zur Möglichkeit verfassungsrechtlicher Optimierungsgebote s. P. Lerche, Die Verfassung als Quelle von Optimierungsgeboten?, in: Burmeister (Hg.), Verfassungsstaatlichkeit, FS Stern, 1997, S. 197 ff., 204 f. mit umfassender Einbindung in die Prinzipientheorie Alexys. 198 Rehbinder, (Fn. 165), S. 130. 199 R. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 1998; ders., Verfassungsrechtlicher Umweltschutz durch Grundrechte und Staatszielbestimmung, NJW 1996, S. 1985 ff., 1990 ff. zur Staatszielbestimmung Umweltschutz.

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Teil B: Vorsorge im (Umwelt-)recht

e) Grenzen der Vorsorge Auch die Verpflichtung des Staates, insbesondere der Exekutive, auf die Vorsorge hat Grenzen. Eine öffentliche Rechtsordnung, die über den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Abwägungsprozesse als Strukturelement ihrer selbst etabliert hat, steht rechts- und wirklichkeitsindifferenten Vorrangrelationen skeptisch gegenüber. Es gibt keinen natürlichen Vorrang der Vorsorge gegenüber anderen Belangen, auch und gerade nicht im Lichte des Art. 20a GG, der selbst kein Supremat des Umweltschutzes, sondern ein Abwägungsmodell etabliert 200. (1) Strukturelle Grenzen Mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 201 ist bereits eine wichtige äußere Grenze einer Vorsorge-Umweltrechtsordnung benannt 202. Wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch jeglichem staatlichen Handeln eine äußere Grenze setzt, so entfaltet er in vorsorgerechtlichen Konstellationen vor allem deshalb Bedeutung, weil subjektive Belange in unserer Rechtsordnung gegenüber objektiven Belangen (Umweltschutz) tendenziell abwägungsdeterminierend sind. Dabei kommt es zu der eher ungewöhnlichen Konstellation einer pauschalen Vorrangkonstellation von subjektiven gegenüber objektiven Belangen. Kennzeichnend für eine typische Abwägung (oder auch die Herstellung praktischer Konkordanz) ist aber die Relativität der Gewichtung der jeweils betroffenen Belange 203. Eine ergebnis- und damit abwägungsoffene Konstellation besteht daher nur zwischen strukturell vergleichbaren Belangen. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird daher zu einem Vehikel subjektiver Drittrechte, die sich den Gemeinwohlbelangen gegenüber als überlegen erweisen und Vorsorgeaspekte eher ins Hintertreffen geraten lassen. Als subjektive Drittrechte betroffen sind hier vor allem Wirtschaftsgrundrechte national- und europarechtlicher Provenienz 204. Neben Art. 12, 14 GG sind dies auch die Waren200 D. Murswiek, in: Sachs (Hg.), Grundgesetz, Kommentar, 4. Aufl. 2007, Art. 20a Rn. 58. 201 B. Schlink, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, in: Badura / Dreier (Hg.), Klärung und Fortbildung des Verfassungsrechts, FS BVerfG, Bd. II, 2001, S. 445 ff. zu den klassischen Strukturen der Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Akzentuierung von Aspekten der Gewaltendifferenzierung, S. 460 f. 202 s. z. B. BVerwGE 55, S. 250 ff., 254, 260, 261 f.; 69, S. 37 ff., 44 zu § 5 I S. 1 Nr. 2 BImSchG; H. Sendler, Grundprobleme des Umweltrechts, JuS 1983, S. 255 ff., 257; Grenzen und Konkurrenzen der staatlichen Umweltpflichtigkeit beschreibt M. Kloepfer, Umweltschutz und Verfassungsrecht, DVBl. 1988, S. 305 ff., 307 f.; S. Werner, Das Vorsorgeprinzip – Grundlagen, Maßstäbe und Begrenzungen, UPR 2001, S. 335 ff., 339. 203 s. dazu N. Jansen, Die Struktur der Gerechtigkeit, 1998, S. 126 ff. für die Abwägung zwischen Prinzipien.

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verkehrs- und Dienstleistungsfreiheit. Die deutsche Rechtsdogmatik, wesentlich geprägt vom Bundesverfassungsgericht, ist bei der Annahme eines Verfassungsschutzes struktureller wie institutioneller Voraussetzungen wirtschaftlicher Betätigung deutlich zurückhaltend. Hingewiesen sei hier z. B. auf die noch nicht gänzlich vollzogene Anerkennung des „eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs“ 205 als Schutzgut des Art. 14 GG und die Entscheidung zur Wirtschaftsordnung des GG 206. Demgegenüber fußt das europäische Recht gerade auf dem Gedanken einer Wirtschaftsrechtsordnung. unabhängig davon, dass sich die Gemeinschaft mittlerweile von der Idee einer reinen Wirtschaftsgemeinschaft emanzipiert hat 207. Noch immer bildet nämlich die „Wirtschaftssäule“ der Europäischen Union mit der EWG, EGKS und EURATOM den am weitesten entwickelten der drei Pfeiler 208 der Gemeinschaft. Offenbar wird die wirtschaftliche Prägung an zahlreichen Vorschriften des europäischen Primärrechts, so an Art. 2 EG 209 (Aufgaben der Gemeinschaft: „Entwicklung des Wirtschaftslebens“, „hohes Beschäftigungsniveau“, „Wettbewerbsfähigkeit und Konvergenz der Wirtschaftsleistungen“, „wirtschaftlicher (..) Zusammenhalt zwischen den Mitgliedsstaaten“), wortlautähnlich nun auch Art. 2 EU („Förderung der wirtschaftlichen (..) Fortschritts“, „Stärkung des wirtschaftlichen (..) Zusammenhalts“, aber auch die Grundlegung einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und der Zusammenarbeit auf den Gebieten der Polizei und der Justiz). Vgl. ferner Art. 3 EG mit einer Art. 2 EG erläuternden Tätigkeitsbeschreibung der Gemeinschaft. Schließlich zu beachten ist der dritte Teil des EG mit den Wirtschaftsfreiheiten, Warenverkehrsfreiheit (Art. 23 – 31), Zollunion (Art. 25 –27), Freizügigkeit und Dienstleistungs- und Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 39 – 60). 204

Im Detail Di Fabio, (Fn. 138), S. 833 f. Zur zivilrechtlichen Seite s. BGHZ 23, S. 157 ff., 162 ff.; H. Sprau, in: O. Palandt (Begr.), BGB, Kommentar, 67. Aufl. 2008, § 823 Rn. 128 ff. 206 BVerfGE 58, S. 300 ff., 353, dazu z. B. R. Wendt, in: Sachs (Hg.), Grundgesetz, Kommentar, 4. Aufl. 2007, Art. 14 Rn. 47; s. auch BVerfGE 50, S. 290 ff.; F. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998, S. 159 ff.; BVerfGE 17, S. 306 ff., 308: „..dass dem Grundgesetz kein verfassungskräftiges Bekenntnis für ein bestimmtes Wirtschaftssystem zu entnehmen ist..“; s. auch K. Schlaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, 1972, S. 107. 207 Zu allem Di Fabio, (Fn. 138), S. 834. 208 Zum Pfeilermodell J. C. Wichard, in: Calliess / Ruffert (Hg.), EU-Vertrag und EGVertrag, Kommentar, 2. Aufl. 2002, Art. 1 EG Rn. 16. 209 J. Ukrow, in: Calliess / Ruffert (Hg.), (Fn. 208), Art. 2 EG Rn. 11 spricht von einer Relativierung der ursprünglich dominierenden Orientierung der Vertragsziele auf die Wirtschaft, welche durch den Vertrag von Maastricht und den Vertrag von Amsterdam stattgefunden habe, die andere Politikbereiche in die vertragsprägenden Grundsätze des Art. 2 EG integriert hätten. Gleichwohl genieße die „Entwicklung des Wirtschaftslebens“ eine herausgehobene Position im Kanon der Vertragsziele, Rn. 14. 205

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Teil B: Vorsorge im (Umwelt-)recht

Erkennt man an, dass dem Eigentum und der von Art. 12 Abs. 1 GG geschützten unternehmerischen Freiheit in einer freiheitlichen Rechts- und Wirtschaftsordnung eine zentrale Systemfunktion zukommt, so wird deutlich, dass Vorsorgepolitik von einem grundrechtlichen Standpunkt aus die Integrität dieser Funktion wahren muss, will sie nicht in verfassungsrechtliche Grauzonen geraten 210. Auf der anderen Seite ist die Eigentumsgarantie nicht als Hindernis einer wirksamen staatlichen Umweltpolitik aufzufassen 211. Die Vorsorge befindet sich also in einer Konkurrenzsituation zu subjektivrechtlichen Belangen, die einen Ausgleich erforderlich macht. Der strukturelle Nachteil, in dem sich die Vorsorgebelange in diesem Abwägungsprozess gegenüber subjektiven öffentlichen (Grund-)Rechten befinden, konnte bislang noch nicht befriedigend kompensiert werden 212. Dieser Nachteil wird fachgesetzlich begründet durch die Verortung der Vorsorge unterhalb der Schwelle der Gefahrenabwehr und muss, vertraut man nicht allein auf die Steuerungswirkung von Staatszielbestimmungen wie Art. 20a GG, auch auf dieser Ebene ausgeglichen werden 213. Mit anderen Worten: Eine Beschränkung der verfassungsrechtlichen Grundrechtspositionen durch Vorsorgebelange muss geleistet werden durch die einfachgesetzliche Umstrukturierung des besonderen Gefahrenabwehrrechts 214. Will man dabei nicht mit der überkommenen polizeirechtlichen Dogmatik brechen, indem man auch unterhalb 210

Di Fabio, (Fn. 138), S. 835. B.-O. Bryde, in: v. Münch / Kunig (Hg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. I, 5. Auflage 2000, Art. 14 Rn. 66. 212 Diesen Nachteil illustriert der – nach geltendem Recht einleuchtende – Vorschlag von H.-J. Papier, in: Maunz / Dürig (Begr.), Grundgesetz, Kommentar, Bd. II, 40. Lfg. Juni 2002, Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Rn. 111 ff., der den Schutz des Art. 14 I GG gegenüber Gefahrenabwehr als eher nachrangig, gegenüber Vorsorgemaßnahmen als eher vorrangig einstuft und die hier angesprochene problematische Vorrangstellung wirtschaftlicher Belange prototypisch zum Ausdruck bringt; die Thematik beleuchtet auch grundlegend Hoppe, (Fn. 191), Staatsaufgabe, S. 280 zu den Zielkonflikten staatlichen Umwelthandelns; dazu auch H.-P. Ipsen, Diskussionsbeitrag in VVDStRL 38, S. 333 f., 333; Feldhaus, (Fn. 108), sieht im (damaligen) Immissionsschutzrecht eine Balance zwischen ökonomischen und ökologischen Belangen verwirklicht. 213 s. zur Rolle des Gefahrenabwehrrechts als Mittel des Umweltschutzes die Kontroverse in VVDStRL 38, namentlich den Diskussionsbeitrag G. Dürigs, S. 331 f., der den Vollzug und die „Rückkehr“ zum polizeirechtlichen Mittelkatalog einfordert – demgegenüber dann W. Hoppe, S. 346, der (im Jahre 1979!), dies bereits nicht für wirkungsvoll hielt. O. Bachof plädiert an gleicher Stelle, S. 334 f., für eine Rückverlagerung der Verantwortung für den Bereich unterhalb der Gefahrenschwelle in die Sphäre der Politik, S. 334 f., dazu dann D. Rauschning, S. 344 f.; aus einer polizeirechtsdogmatischen Perspektive J. Kokott, Die dogmatische Einordnung der Begriffe „Störer“ und „Anscheinsstörer“ in einer zunehmend technisierten Gesellschaft, DVBl. 1992, S. 749 ff., die von einer „Renaissance des Polizeirechts“ spricht. 214 V. Prittwitz, Gefahrenabwehr – Vorsorge – Ökologisierung, in: Simonis (Hg.), Präventive Umweltpolitik, 1988, S. 49 ff., erläutert die Vorzüge einer „strukturellen Ökologisierung“ als grundlegender Umstrukturierung des (rechtlichen) Steuerungsprogramms; in diese Richtung auch der Vorsitzende des über das BImSchG beratenden Innenaus211

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der Gefahrenschwelle klagbare subjektive Rechte zulässt und Vorsorgebelange auf diesem Wege aufwertet, müssen andere Ansätze gefunden werden, welche Vorsorgebelange gegenüber Rechtspositionen Dritter einfach- wie verfassungsrechtlich durchsetzungsstärker machen. Möstl weist in diesem Zusammenhang auf den bedeutsamen Aspekt hin, dass Risikosteuerung ebenso wie -vorsorge gegenüber der Gefahr nicht ein bloßes lineares Minus darstellten, sondern im Hinblick auf die anwendbaren Steuerungsmechanismen ein strukturell andersartiges aliud bildeten 215, sowohl hinsichtlich Tatbestandsstruktur wie auch der Rechtsfolgen. Die Folgen dieses Umstands für den erforderlichen beziehungsweise wünschenswerten Rechtsschutz sind bislang noch nicht hinreichend in den Blick genommen und bedürften einer vertieften Auseinandersetzung. Dabei gilt es, die Chancen und Grenzen der Vorsorge als „planungsähnlicher Sozialgestaltung“ 216 zu nutzen, respektive zu beachten. Etwaige Anforderungen und Impulse des Europarechts, welches Vorsorgevorschriften sehr wohl subjektivrechtliche Qualität zubilligt, sind dabei zu berücksichtigen 217. Im Allgemeinen ist darauf hinzuweisen, dass sich bei der durchsetzungssteigernden Implementation von Vorsorgebelangen in den Abwägungsprozess eine Konstellation offenbart, bei der es vordergründig um die Einschränkung individueller Freiheit (in der Regel in Form von Wirtschaftsgrundrechten) geht. Tatsächlich geht es aber um eine Konkurrenz freiheitlicher Rechtspositionen, also um die Herstellung praktischer Konkordanz zwischen gleichermaßen freiheitsrelevanten Fragen. Die Vorsorge gegen Umweltschäden hat in wirtschaftlicher wie allgemein-ökologischer Hinsicht freiheitssichernde Wirkung. Dieser Aspekt kommt, unter dem Diktum kurzfristiger wirtschaftlicher Zweckmäßigkeitserwägungen in aller Regel zu kurz. In der ihm eigenen Schärfe weist Hayek auf diese Problematik hin: „Dass der Zweck der Freiheit ist, die Möglichkeit von Entwicklungen zu schaffen, die wir nicht voraussagen können, bedeutet, dass wir nie wissen werden, was wir durch eine Beschränkung der Freiheit verlieren. (..) Wenn die Entscheidung zwischen Freiheit und Zwang als eine Zweckmäßigkeitsfrage behandelt wird, die in jedem Einzelfall besonders zu entscheiden ist, wird die Freiheit fast immer den kürzeren ziehen. (..) Soschusses des Bundestages, Schäfer: „Umweltschutz heißt vielmehr, alle Vorgänge unseres Wirtschafts- und Verwaltungslebens so zu planen und zu gestalten, dass der Gemeinschaft bestmögliche Umweltbedingungen erhalten bleiben können oder wieder verschafft werden“, BT-Protokoll vom 18. 01. 1974, S. 4688. 215 Möstl, (Fn. 47), S. 255 mit Verweis auf a. A., vertreten durch Breuer, (Fn. 105), Anlagensicherheit, S. 213; s. auch J. Ipsen, Die Bewältigung der wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen durch das Verwaltungsrecht, VVDStRL 48 (1990), S. 177 ff., 187. 216 Di Fabio, (Fn. 138), S. 836. 217 s. dazu § 2 II.4.

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Teil B: Vorsorge im (Umwelt-)recht bald also die Freiheit als Zweckmäßigkeitsfrage behandelt wird, ist ihre fortschreitende Untergrabung und schließlich Zerstörung unvermeidlich. (..) Die Freiheit (kann) nur erhalten werden (..), wenn sie nicht bloß aus Gründen der erkennbaren Nützlichkeit im Einzelfalle, sondern als Grundprinzip verteidigt wird, das der Erreichung bestimmter Zwecke halber nicht durchbrochen werden darf. (..) Eine wirksame Verteidigung der Freiheit muss (..) notwendig unbeugsam, dogmatisch und doktrinär sein und darf keine Zugeständnisse an Zweckmäßigkeitserwägungen machen“ 218.

Der Rechtswissenschaft stellt sich vor diesem Hintergrund die komplexe Aufgabe, eine Gewichtung und Ordnung konkurrierender Freiheitsbelange herzustellen – zunächst eine politische Entscheidung, deren rechtlicher Implementierung sich der Gesetzgeber aber nicht versagen darf. Eine ganz offenbare äußere Grenze des Vorsorgegebots kann auch der jeweilig einschlägige Normtext bilden. Beispielhaft sei hier im Immissionsschutzrecht das Tatbestandsmerkmal des „Stands der Technik“ in § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BImSchG genannt, welches gegenüber dem Parallelmerkmal der „best available techniques“, wie es sich in Art. 2 Nr. 11 IVU-Richtlinie findet, weniger strenge Anforderungen an die Vorsorgetechnik stellt 219. Praktisch verflüchtigt sich diese Diskrepanz freilich in der Regel durch eine europarechtskonforme Auslegung der nationalrechtlichen Vorschrift. (2) Vorsorgeimmanente Grenzen Das Üben von Vorsorge wird aber nicht nur äußerlich durch konkurrierende Rechtspositionen, sondern auch vorsorgeimmanent begrenzt: Die Verpflichtung des Staates zu einer vorsorgenden Umweltpolitik entbindet diesen nicht von allgemeinen rechtsstaatlichen Anforderungen. Insbesondere sind die Anforderungen an die Rationalität staatlichen Handelns zu wahren, gerade auch da, wo es in Rechte Dritter eingreift. Im überkommenen System, in dem Vorsorge als Vorverlagerung der Risikoschwellen der Gefahrenabwehr verstanden wird, besteht die Notwendigkeit einer ausreichenden Tatsachengrundlage. Spekulative Vorsorge „auf gut Glück“ vermag allgemeinen rechtsstaatlichen Anforderungen nicht zu genügen 220. Daraus ergibt sich Folgendes: Wenn auf der einen Seite der Staat zu Vorsorgemaßnahmen verpflichtet ist und auf der anderen Seite Tatsachenungewissheit besteht, deren Beseitigung aus rechtsstaatlichen Gründen geboten ist, so besteht eine Rechtspflicht des Staates zur Informationserhebung und Nutzung 218 F. A. v. Hayek, Die Ursachen der ständigen Gefährdung der Freiheit, in: Ordo, Bd. XII, 1961, S. 103 ff. 219 G. Feldhaus, Beste verfügbare Techniken und Stand der Technik, NVwZ 2001, S. 1 ff., 2 ff.; s. zu den gesteigerten Anforderungen der IVU-Richtlinie U. Neuser, Die Erweiterung der immissionsschutzrechtlichen Vorsorgepflicht auf den Bereich der Anlagensicherheit, UPR 2001, S. 366 ff., insbes. 368 ff. zur Vorsorgepflicht. 220 Dazu Wahl / Appel, (Fn. 76), S. 59.

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aller zur Verfügung stehenden Informationsquellen 221, so wie es Art. 174 Abs. 3 EG für die Umweltpolitik der Gemeinschaft vorschreibt 222. Welche Konsequenzen für die Anwendung des Vorsorgeprinzips daraus folgen, ist damit allerdings noch nicht beantwortet. Denn die Ausnutzung aller Erkenntnisquellen hat nicht notwendig einen Erkenntniszuwachs zur Folge, der allen rechtsstaatlichen Anforderungen an hoheitliche Eingriffe im Einzelfall genügt. Calliess weist aus europarechtlicher Perspektive darauf hin, dass die von Art. 174 Abs. 3 EG verlangte Ausschöpfung aller Erkenntnisquellen zur Vorsorge in einem wechselseitigen Begrenzungsverhältnis stehe 223. Danach ist die Verpflichtung zur Informationsbeschaffung aber nicht zu lesen als Pflicht zur Beseitigung jeglicher Erkenntnisungewissheiten, dies ließe das Vorsorgekonzept leerlaufen, sondern als Gebot zu ihrer Minimierung. Eine Vorsorgemaßnahme, die diesen Anforderungen nicht Genüge tut, wäre demnach per se rechtswidrig. Zu lösen blieben dann solche Fälle, in denen unter Ausschöpfung aller Erkenntnisquellen ein Rest an Ungewissheit bleibt, den hinzunehmen oder nicht dann wiederum eine Frage rechtsstaatlicher Anforderungen ist. Letztlich wird so die Frage nach dem Verhältnis von Vorsorge und Rechtsstaat verlagert auf den Zeitpunkt nach Informationsbeschaffung in der Hoffnung, die problematischen Fälle zuvor weitgehend aussondern zu können. In den verbleibenden Fällen aber stellt sich die Frage erneut und mit aller Schärfe. Es wird daran deutlich, dass die nationale Rechtsordnung die Konfrontation mit dieser Konkurrenzsituation zwar verlagern, letztlich aber nicht vermeiden kann. Gleichzeitig entsteht der Eindruck, dass die Anforderungen des Rechtsstaates ähnlich wie die des Demokratieprinzips nicht harmonisch mit denen der Vorsorge zu parallelisieren sind 224. Es besteht ein Steuerungsantagonismus, der nur durch Zurückdrängung eines Belangs oder durch Neustrukturierung der betroffenen Belange gelöst werden kann. Die Pflicht zur Informationserhebung ist nicht statisch, sondern dynamisch. Der Erkenntnis folgend, dass Vorsorgeentscheidungen bedingt durch ihre fehlende kognitiv-verlässliche Grundlage bloß vorläufig sein können, besteht eine Anpassungspflicht staatlicher Vorsorgemaßnahmen bei geänderter Tatsachen- oder Rechtslage 225. Wenn das Bundesverfassungsgericht auch keinen Zweifel daran gelassen hat, dass der Gesetzgeber zum Erlass „experimenteller“ Rechtsvorschrif221

Dazu auch Werner, (Fn. 202); Di Fabio, (Fn. 138), S. 822. Dazu C. Calliess, in: ders. / Ruffert (Hg.), (Fn. 208), Art. 174 EG Rn. 38. 223 Calliess, (Fn. 222), Art. 174 EG Rn. 38. 224 s. umfassend auch T. Stein, Demokratie und Verfassung an den Grenzen des Wachstums, 1998, passim. 225 Wann man im Einzelnen von einer geänderten Tatsachenlage ausgehen kann, ist – vor allem aus der atomrechtlichen Perspektive betrachtet – streitig, namentlich, ob auch geänderte Tatsachenbewertungen darunter fallen sollen, s. A. Roßnagel, Zum rechtlichen und wirtschaftlichen Bestandsschutz von Atomkraftwerken, JZ 1986, S. 716 ff., 222

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ten berechtigt ist 226, so hat es auch klar die Nachbesserungspflichtigkeit 227 des Gesetzgebers benannt. 2. Konkretisierung des Rechtsprinzips Vorsorge: § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BImSchG a) Anwendungsbereich der Vorsorge: Gefahrenabwehr, Risikovorsorge und Restrisiko Das Vorsorgeprinzip ist trotz seiner in die vierte Dekade gehenden rechtlichen Lebensgeschichte nach wie vor in Inhalt und Ausmaß nicht abschließend bestimmt 228. Die durch eine recht gefestigte „herrschende Meinung“ zunächst stabilisierten Fronten zwischen einer sicherheitsrechtlichen Interpretation der Vorsorge und einem bewirtschaftungsrechtlich und ressourcenschonend orientiertem Ansatz sind in Fluss geraten, vor allem durch den Grundsatz der „Nachhaltigkeit“ 229. Trotz aller Kontroverse um die Ausdeutung des Vorsorgeprinzips hat sich gerade auch im Hinblick auf das Atomrecht, wurzelnd im klassischen Gefahrenabwehrrecht, eine strukturelle Einordnung der Vorsorge herauskristallisiert. Sie ist angesiedelt im Spannungsfeld zwischen der rechtlich relevanten Gefahrenabwehr auf der einen und dem rechtlich hinzunehmenden Restrisiko 230 auf der anderen Seite. Dies ist nicht so zu verstehen, dass Vorsorge die Fortsetzung von 717 f.; K. Lange, Rechtliche Aspekte eines „Ausstiegs aus der Kernenergie“, NJW 1986, S. 2459 ff., 2463; B. Bender, Abschied vom Atomstrom?, DÖV 1988, S. 813 ff., 817. 226 Dies namentlich in zwei Entscheidungen, BVerfGE 16, S. 147 ff., 188; 50, S. 290 ff., 355 – Werkverkehrsentscheidung und Mitbestimmungsentscheidung; den Begriff der „experimentellen Gesetzgebung“ beleuchtet u. a. M. Kloepfer, Gesetzgebung im Rechtsstaat, VVDStRL 40 (1982), S. 63 ff., 92 f. 227 Der Frage einer verfassungsrechtlichen Kontrolle dieser Nachbesserungspflicht geht nach R. Steinberg, Verfassungsrechtliche Kontrolle der „Nachbesserungspflicht“ des Gesetzgebers, Der Staat 26 (1987), S. 161 ff. 228 s. die umfassende Darstellung bei Di Fabio, (Fn. 138). 229 Dazu sogleich unter § 2 II.3. 230 Die Restrisikoproblematik ist dabei – vornehmlich verfassungsrechtlich – im Strahlenschutzrecht relevant, s. BVerfGE 49, S. 89 ff., 137 – Kalkar. Das Gericht entwickelt hier das Konzept des sog. „dynamischen Grundrechtsschutzes“ im Atomrecht, nach dem am Maßstab „praktischer Vernunft“ entsprechend dem jeweils aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik die atomrechtlichen Genehmigungsvoraussetzung fortwährend, also dynamisch, angepasst werden können, s. dazu auch Roßnagel, (Fn. 43); R. Kramer, Die nach dem Atomgesetz erforderliche Schadensvorsorge als Grundrechtsproblem, NJW 1981, S. 260 ff. zur Konkretisierung des Maßstabs „praktischer Vernunft“; D. Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 181 ff.; s. auch E. Bohne, Staat und Konfliktbewältigung bei Zukunftstechnologien, NVwZ 1999, S. 1 ff. mit einem verfassungsrechtlichen Konfliktlösungsmodell, S. 5 ff.

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Gefahrenabwehr mit anderen Mitteln darstellt, sondern als Vorverlagerung der Prävention vor die Gefahrenschwelle 231. Der Dreischritt aus Gefahr – Risiko – Restrisiko hat sich vornehmlich entwickelt durch die Anwendung polizeirechtsdogmatischer Grundsätze auf die Gegebenheiten des Atomrechts 232. Grundlage der Unterscheidung ist das allgemeine gefahrenabwehrrechtliche Gewichtungsprinzip, nämlich das (im Wege der Abwägung zu ermittelnde) Produkt aus Eintrittswahrscheinlichkeit und Ausmaß des drohenden Schadens in den Blick zu nehmen 233. Die untypischen, weil horrenden Gefahrenlagen der atomaren Technologie haben dabei zu einer Ausdifferenzierung des dogmatischen Instrumentariums geführt, vornehmlich durch Ausbildung der Kategorie des „Restrisikos“. Zwar kann eine definitive Abgrenzung der drei Begriffe kaum vorgenommen werden, der vergleichsweise gesicherte Bestand an Abgrenzungsdogmen lautet dabei aber wie folgt: Durch den Begriff der Gefahr wird die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts an rechtsrelevanten Gütern beschrieben. Erfasst werden Risiken, deren Abwehr von Rechts wegen kategorial geboten ist 234. Das Risiko zeichnet sich demgegenüber durch eine geringere Eintrittswahrscheinlichkeit aus, nach ihm erscheint der Schadenseintritt lediglich möglich 235. Teils werden Gefahr und Risiko auch geschieden in die Kategorien des „nicht hingenommenen Risikos“ und des „hingenommenen aber unerwünschten Risikos“ 236. Dabei macht diese Terminologie einerseits deutlich, dass der Risikobegriff gegenüber dem Gefahrenbegriff der allgemeinere ist, verunklart aber andererseits, dass das Ziel des Immissionsschutzrechts gerade ist, das Risiko nicht hinzunehmen, denn die rechtliche Steuerung des weiten, zwischen Gefahr und Restrisiko angesiedelten Feldes des Risikos ist gerade dem Vorsorgebegriff anheim gegeben. Beschrieben wird der Bereich des Risikos allein negativ durch den Begriff der Gefahr einerseits und den des Restrisikos („hingenommenes Risiko“ 237) an231 M. Kloepfer / H. Kröger, Zur Konkretisierung der immissionsschutzrechtlichen Vorsorgepflicht, NuR 1990, S. 8 ff., 9. 232 s. H.-W. Rengeling, Die immissionsschutzrechtliche Vorsorge, 1982, S. 31 ff., 81 ff. (zum Restrisiko); D. Sellner, Gestuftes Genehmigungsverfahren, Schadensvorsorge, verwaltungsgerichtliche Kontrolldichte, NVwZ 1986, S. 616 ff., insbes. S. 618 zur Schadensvorsorge; s. auch C. Greipl, Schadensvorsorge und „Restrisiko“ im Atomrecht, DVBl. 1992, S. 598 ff. 233 Breuer, (Fn. 105), Anlagensicherheit, S. 211, 213. 234 Petersen, (Fn. 85), S. 215. 235 Petersen, (Fn. 85), S. 214; Murswiek, (Fn. 230), S. 83 stellt zusätzlich noch auf den höheren Schadensumfang ab; inwieweit die Begriffe „hinreichende Wahrscheinlichkeit“ und „Möglichkeit“ tatsächlich taugliche, also normative Unterscheidungskriterien bilden, kann dabei bezweifelt werden, klar ist jedenfalls, dass sie sich per Übereinkunft durch ihren Wahrscheinlichkeitsgrad unterscheiden sollen. 236 Kloepfer / Kroeger, (Fn. 231), S. 11; ähnlich auch Roßnagel, (Fn. 10), § 5 Rn. 180.

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dererseits. Letzteres ist, mit der Formel des Bundesverfassungsgerichts, jenseits „der Schwelle praktischer Vernunft“ 238 angesiedelt 239. In Fortschreibung ihrer gefahrenabwehrrechtlichen Konstruktion sehen einige Stimmen in der Literatur 240 und der Rechtsprechung 241 den Anwendungsbereich der Vorsorge auf den Bereich des Gefahrenverdachts bezogen. Geht man davon aus, dass der „einfache“ Gefahrenverdacht, verstanden als Situation mit unklaren Ursachenzusammenhängen, grundsätzlich dem Bereich der Schutzpflicht unterfällt 242 und sich von der Gefahr nur durch eine geringere Eintrittswahrscheinlichkeit unterscheidet, so ließe sich – theoretisch – eine weitere Abstufung dahingehend treffen, dass eine Gefahr mit besonders geringer Eintrittwahrscheinlichkeit nur noch von der Vorsorgepflicht erfasst ist 243. Vom Problem der trennscharfen Unterscheidbarkeit der einzelnen Gefahrensituationen abgesehen 244, wird gegen diese Konzeptualisierung eingewandt, sie unterwerfe die Vorsorge den gleichen Rahmenbedingungen wie die Schutzpflicht, was dieser als anderem Steuerungsansatz nicht gerecht werde 245. Will man mit dieser Ansicht also den Gefahrenverdacht aus dem Anwendungsbereich der Vorsorgepflicht entlassen, muss auf der anderen Seite, um nicht zu weitreichenden Steuerungsausfällen zu kommen, die Schutzpflicht weit interpretiert werden, also der Gefahrenverdacht gänzlich von ihr absorbiert werden 246. Die Probleme, die durch die gefahrenabwehrrechtliche Kontextualisierung der Vorsorge hervorgerufen werden, sollen zum Teil dadurch kompensiert werden, dass man die durch den klassischen Begriff des Gefahrenverdachts beschriebene Situation als Entscheidung unter Ungewissheit übersetzt 247. Wesentlich ist dabei, dass das Merkmal der Ungewissheit das Problem des Vorsorgerisikos wie seine 237

Kloepfer / Kroeger, (Fn. 231), S. 11. BVerfGE 49, S. 89 ff., 137 – Kalkar; s. zu den verfassungsrechtlichen Implikationen auch C. Lawrence, Grundrechtsschutz, technischer Wandel und Generationenverantwortung, 1989. 239 Zur Erheblichkeit dieses Maßstabs für die Vorsorge insgesamt Kotulla, (Fn. 10), § 5 Rn. 77. 240 Trute, (Fn. 44), S. 42. 241 BVerwGE 69, S. 37 ff., 43; für das Atomrecht: BVerwGE 72, S. 300 ff., 315. 242 Dazu unter § 1 I. 1. c). 243 Petersen, (Fn. 85), S. 217. 244 Dazu z. B. Trute, (Fn. 44), S. 42. 245 U. Rid, Die Vorsorgepflicht bei genehmigungsbedürftigen Anlagen im BundesImmissionsschutzgesetz, Diss. iur., Tübingen 1985, S. 70. 246 So aber gerade nicht Rid, (Fn. 245), S. 42, der für eine enge Anlehnung an die Gefahr plädiert. 247 Petersen, (Fn. 85), S. 218; s. dazu § 2 II.1.e)(2); s. auch C. Calliess, Vorsorgeprinzip und Beweislastverteilung im Verwaltungsrecht, DVBl. 2001, S. 1725 ff., 1728 f., der den Umgang mit Ungewissheit jetzt auf die prozessuale Frage der Beweislast bezieht; L. Boisson de Chazournes, Die Integration von Unsicherheit in das Rechtssystem, 238

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Legitimation gleichzeitig ist. Genau betrachtet liegt hier die besondere normative Bedeutung der Vorsorgepflicht, nämlich zu normativieren, nicht obwohl, sondern gerade weil Ungewissheit in einem bestimmten Bereich besteht 248. Daraus ergeben sich folgende Konsequenzen: Vorsorge betrifft solche Risiken, die aufgrund von Unsicherheit über die Beurteilungsgrundlagen unterhalb der Schwelle hinreichender Wahrscheinlichkeit liegen. Liegt eine solche Situation vor, sind die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeitsprognose zu reduzieren, mit anderen Worten: die geringere Eintrittswahrscheinlichkeit lässt das Eingreifen der Schutzpflicht zugunsten der Vorsorge entfallen. b) Maßnahmen nach der Vorsorgepflicht Fragt man nach den dem Anlagenbetreiber durch die Vorsorgepflicht vorgegebenen Maßnahmen, so steht zunächst der Wortlaut des § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BImSchG im Vordergrund, der eine „Emissionsvermeidung“ nach dem „Stand der Technik“ verlangt. Entscheidend ist dabei zunächst, dass es sich hier um die Vermeidung von Emissionen handelt, nicht um die Milderung ihrer Auswirkungen oder ihre Verteilung 249. In diesem Ansatz zeigt sich die Typik des Vorsorgegebots in deutlicher Weise. Während die Schutzpflicht des § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BImSchG den Schutz einschlägiger Drittrechte beziehungsweise von Rechtsgütern der Allgemeinheit im Blick hat (also Gefahren abwehrt), legt die Vorsorgepflicht dem Anlagenbetreiber bestimmte Pflichten auf, ohne diesem Normbefehl dabei eine konkretisierte Vorstellung seines Schutzzwecks zugrunde zu legen 250. Diese Blickrichtung kommt auch im Ansatz der Emissionssteuerung zum Ausdruck. Es geht nicht um die Abwehr eines konkreten, möglicherweise gefährlichen Einwirkungspotentials einer Immission, sondern um die nichteinzelfallbezogene Steuerung von Emissionsrisiken. Streitig ist dabei im Einzelnen, inwieweit es sich bei der Vorschrift um eine inhaltsoffene oder eine verbindliche Festlegung des Vorsorgeinhalts handelt 251. Der Wortlaut der Vorschrift („insbesondere“) und der immissionsschutzrechtliche Regelungskontext sprechen jedoch insgesamt dafür, von einem offenen BioTeCH forum, 3/2001, S. 10 ff. beleuchtet das Problem aus naturwissenschaftlich-technischer und juristischer Perspektive. 248 Umfassend theoretisch aufgearbeitet findet sich das Problem der „Entscheidung unter Ungewissheit“ bei C. Engel, Rechtliche Entscheidungen unter Untersicherheit, in: ders. / Schulte (Hg.), Wissen – Nichtwissen – Unsicheres Wissen, 2002, S. 305 ff., dort allerdings außerhalb des Vorsorgekontextes. 249 Petersen, (Fn. 85), S. 293. 250 Zu den unterschiedlichen betroffenen Rechtspositionen von Anlagenbetreibern und Dritten s. Roßnagel, (Fn. 10), § 5 Rn. 137. 251 Für die abschließende Festlegung Rid, (Fn. 245), S. 78 f.; Übersicht bei Petersen, (Fn. 85), S. 291 ff.

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Regelungsgehalt auszugehen 252. Namentlich liefen das Tatbestandsmerkmal der „sonstigen Maßnahmen“ in § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BImSchG sowie die Vorschriften der §§ 22, 23 BImSchG leer, wollte man den § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BImSchG als abschließende Inhaltsfestlegung der Vorsorgepflicht deuten 253. Zweites wesentliches Tatbestandsmerkmal der Vorsorgepflicht ist der „Stand der Technik“ 254, dem eine Dynamisierungs- und Anpassungsfunktion 255 sowie eine Rezeptionsfunktion 256 zukommt. Der Begriff des Stands der Technik steht dabei in innerem Zusammenhang zu ähnlichen Begriffen wie dem „Stand von Wissenschaft und Technik“ und den „allgemeinen Regeln der Technik“ 257. Von seinen normativen Anforderungen ist er zwischen den beiden Begriffen angesiedelt, wobei die „allgemeinen Regeln der Technik“ die mildesten 258 Anforderungen stellen, der „Stand von Wissenschaft und Technik“ die strengsten, vor allem für das Atomrecht 259. Als unbestimmter Rechtsbegriff, der außerrechtliche Sachverhalte in Bezug nimmt 260, bedarf der „Stand der Technik“ weiterer Konkretisierung. Diese wird über die Verweisung des § 3 Abs. 6 BImSchG auf den im Lichte der IVU-Richtlinie ausgestalteten Anhang zum BImSchG bewerkstelligt, der den europarechtlichen Begriff der „besten verfügbaren Techniken“ zwar nicht förmlich, aber materiell in nationales Immissionsschutzrecht übersetzt 261. Nach wie vor nicht abschließend geklärt ist die Frage, ob wirtschaftliche Erwägungen inhärentes Merkmal des „Stands der Technik“ sind, die Vorsorgepflicht also ökonomischen Abwägungskriterien unterworfen ist 262. Dies wird von der ganz überwiegenden Meinung bejaht, allerdings nicht in einem Sinne einer 252

Sachlich so auch Jarass, (Fn. 32), § 5 Rn. 54 ff. Dazu Petersen, (Fn. 85), S. 292 f. 254 Sein Verhältnis zum europarechtlich geprägten Topos der „best available technique“ behandelt Jarass, (Fn. 32), § 3 Rn. 93; Details auch bei Rid, (Fn. 245), S. 111 ff. 255 P. Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, 1979, S. 158 f.; R. Breuer, Direkte und indirekte Rezeption technischer Regeln durch die Rechtsordnung, AöR 101 (1976), S. 46 ff., 51. 256 Marburger, (Fn. 255), Breuer, (Fn. 255). 257 Freilich werden die Begriffe in der Praxis zwar getrennt geführt, von ihren Anforderungen aber zunehmend aneinander angeglichen, Jarass, (Fn. 32), § 3 Rn. 96 f. 258 Marburger, (Fn. 255), S. 162 f.; Breuer, (Fn. 255), S. 67; BVerfGE 49, S. 89 ff., 135 – Kalkar. 259 Dazu BVerfGE 49, S. 89 ff., 135 – Kalkar. 260 Dietlein, (Fn. 10), § 5 Rn. 150. 261 Dazu Feldhaus, (Fn. 219), S. 4; s. auch R. Wahl, Materiell-integrative Anforderungen an die Vorhabenzulassung – Anwendung und Umsetzung der IVU-Richtlinie, NVwZ 2000, S. 502 ff., 506; insbesondere berücksichtigungspflichtig sind die von der EU-Kommission veröffentlichten BVT-Merkblätter, die den jeweils aktuellen Stand der Technik festschreiben, dazu C. Tausch, Die Bedeutung der BVT-Merkblätter im Umweltrecht, NVwZ 2002, S. 676 ff. 262 Übersicht bei Petersen, (Fn. 85), S. 300 ff. 253

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vorgezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung, sondern als verallgemeinerter Maßstab eines „durchschnittlichen Betreibers“ 263. Vorweg genommen wird insofern allenfalls ein, freilich objektivierter, Zumutbarkeitsmaßstab. Daher unterliegen Maßnahmegebote, die sich auf die Vorsorgepflicht stützen, auch den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, der aufgrund der strukturellen Offenheit der Vorsorgepflicht und der Vielgestaltigkeit möglicher Maßnahmen von besonderer Bedeutung ist 264. Es kommt also auch im Rahmen von § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BImSchG auf die Risikoadäquanz der angeordneten Maßnahmen an. Dabei sind vor allem der wirtschaftliche Aufwand für den Anlagenbetreiber und die erzielte Risikominimierung zueinander ins Verhältnis zu setzen 265. Dabei geht das Bundesverwaltungsgericht aber davon aus, dass die notwendige Abwägung regelmäßig bereits vom Vorschriftengeber der TA Luft geleistet wurde 266. Die fließenden Übergänge zwischen Schutz- und Vorsorgepflicht, namentlich durch die Figur des Gefahrenverdachts, lassen auch die Anforderungen der Vorsorgepflicht abhängig von ihrer konkreten Ansiedlung nah oder fern von Gefahrenabwehr variieren. Je mehr die Vorsorge den Bereich der Gefahrenabwehr betrifft, beispielsweise in Form der Annäherung des Vorsorgerisikos an einen Gefahrenverdacht, umso strengere Anforderungen können dem Anlagenbetreiber auferlegt werden. Je näher die Vorsorge demgegenüber dem Restrisiko steht, desto weiter ist der Spielraum, der dem Anlagenbetreiber zur Erfüllung seiner Pflichten offen steht – und desto mehr können Belange des Anlagenbetreibers in die Abwägung einfließen, was für den Bereich der Schutzpflicht auszuschließen ist 267. Selbst bei hohem Besorgnispotential gebietet die Vorsorgepflicht nicht zwingend die Durchführung jeder sinnvoll erscheinenden Maßnahme. Vielmehr wirkt sich in solchen Fällen die doppelte Kombination von Unsicherheit (der Prognoseentscheidung einerseits und des gegebenenfalls experimentell erscheinenden „Stands der Technik“ andererseits) dahingehend aus, dass die Anforderungen anhand des Maßstabs der „praktischen Vernunft“ rationalisiert werden. In welcher Form die Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommen werden muss, hängt 263 So z. B. A. Stapelfeldt, Die immissionsschutzrechtliche Anlagenzulassung nach europäischem Recht, 2000, S. 121 ff.; Feldhaus, (Fn. 219), S. 4; Dietlein, (Fn. 10), § 5 Rn. 150; spezielle lärmschutzrechtliche Fragen des „Stands der Technik“ erörtern U. Rid / W. Hammann, Immissionsschutzrechtliche Lärmvorsorge, NVwZ 1989, S. 200 ff., 203. 264 Dietlein, (Fn. 10), § 5 Rn. 159. 265 BVerwGE 64, S. 37 ff., 44. 266 BVerwG, NVwZ 1997, S. 497 ff., 499: „folglich kommt eine weitere (Hervorh. d. Verf.), in besonderer Weise auf den individuellen wirtschaftlichen Aufwand abstellende Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall nur bei atypischen Sachverhaltslagen in Betracht“; s. auch BVerwG, NVwZ 1995, S. 994 ff., passim, zur Bindungswirkung der den TA zugrundeliegenden Erwägungen des Vorschriftengebers. 267 Dietlein, (Fn. 10), § 5 Rn. 160.

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davon ab, ob die Vorsorgepflicht bereits durch Rechtsverordnungen oder Verwaltungsvorschriften konkretisiert wurde. Ist dies der Fall, so ist allein die konkretisierende Vorschrift am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu messen (sog. „große Verhältnismäßigkeitsprüfung“). Ist dies nicht der Fall, sind die jeweiligen Maßnahmen im Einzelfall den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit zu unterwerfen (sog. „kleine Verhältnismäßigkeitsprüfung“) 268. Anders als Maßnahmen nach der Schutzpflicht des § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BImSchG erweist sich die erforderliche Konkretisierung der Vorsorgepflicht durch behördliche Verfügungen als besonders komplex und schwierig 269. Aufgrund dessen wird bezweifelt, ob die behördliche Verfügung allein überhaupt das geeignete Mittel sei, die komplexen naturwissenschaftlichen und technischen Fragestellungen zu beantworten und die umfangreichen Abwägungen der betroffenen Rechtspositionen vorzunehmen 270. Vielmehr sei zur Konkretisierung der Vorsorgepflicht an Stelle der Einzelfallentscheidung eine umfassende Vorsorgekonzeption geboten 271. Als ein Beispiel für ein hinreichendes Konzept wird dabei z. B. die 13. BImSchV (GroßfeuerungsanlagenVO) angesehen 272, die ein umfassendes Konzept für die Vermeidung von Risiken, die durch FerntransportEmissionsverschiebungen hervorgerufen werden können, etabliert. Neben hier nicht weiter zu verfolgenden Einzelfragen der Ausgestaltung eines Vorsorgekonzepts ist dabei entscheidend, dass über die Figur des „Konzepts“ spezifische Dimensionen der Vorsorge deutlich werden, nämlich einmal ihre zeitliche Dimension und ihr enger Zusammenhang zur Risikosteuerung im Bereich des Ungewissen 273. Sie wird daher ihrem Charakter nach der Planung angenähert. Das Bundesverwaltungsgericht verdeutlicht, freilich nicht ausdrücklich, dass es die in der Literatur vertretenen unterschiedlichen Ansätze zur Bestimmung des „Wesens“ der Vorsorge gekoppelt verwendet, Vorsorge also „multifunktional“ deutet 274. Die Besonderheit liegt dabei darin, dass das Planungselement in die individualverpflichtenden Vorgaben des § 5 Abs. 1 BImSchG integriert wird, also eine behördliche Handlungsformenmischung (Einzelakt mit gefahrenabwehrrechtlichem und planungsrechtlichem Gehalt) stattfindet. Um dieses planungsähnliche Element der Vorsorge soll es im Folgenden gehen. Dies begeg268 Zur Sache und Begrifflichkeit s. M. J. Ohms, Praxishandbuch Immissionsschutzrecht, 2003, S. 64; zu den Maßstäben der „kleinen Verhältnismäßigkeitsprüfung“ s. Dietlein, (Fn. 10), § 5 Rn. 162. 269 Petersen, (Fn. 85), S. 316 zu den Einzelproblemen. 270 Petersen, (Fn. 85), S. 317. 271 Umfassend dargestellt und für die Ferntransport-Problematik entwickelt bei Petersen, (Fn. 85), S. 318 ff.; dazu auch BVerwGE 69, S. 37 ff., 44. 272 BVerwGE 69, S. 37 ff., 44 f. 273 Zum „prospektiv-planerischen“ Element der Vorsorge schon Hoppe, (Fn. 191), Staatsaufgabe, S. 229. 274 BVerwGE 69, S. 37 ff.

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net regelmäßig unter dem Stichwort der „bewirtschaftungsrechtlichen“ Deutung der Vorsorge beziehungsweise unter dem Begriff der sog. Freiraumthese. c) Bewirtschaftungsrechtliche Deutungen des Vorsorgeprinzips (1) Einleitung Vor dem Hintergrund des Berichts über „Die Grenzen des Wachstums“ 275 und seines Nachfolgers über „Die neuen Grenzen des Wachstums“ 276, die ein Ende der wirtschaftlichen Entwicklung durch drohende Ausbeutung aller Naturalressourcen prognostizieren, wird Vorsorge als Gebot verstanden, Belastungsreserven (für zukünftige wirtschaftliche Entwicklung) freizuhalten. Dabei gründet diese Ansicht mit der Akzentuierung des Bewirtschaftungsgedankens nicht auf rechtlichem Neuland – die Bewirtschaftung von Umweltressourcen hat eine längere tatsächliche wie rechtliche Geschichte 277. Hintergrund dieses Ansatzes ist die Vorstellung einer staatlichen Umweltvorsorgeplanung 278, in der das im Planungsrecht etablierte Planungsermessen der Behörde zu einem planungsähnlichen Vorsorgeermessen umstrukturiert wird. Die Besonderheit einer so verstandenen Vorsorgeplanung gegenüber der ansonsten eher gestaltenden Planung ist ihr Ziel, Belastungsreserven zu erhalten beziehungsweise vorhandene (Natur-)Güter eben nicht nutzend zu gestalten, sondern entweder als wirtschaftliche Ressource zu erhalten (Freiraumthese) oder um ihrer selbst willen zu schützen (transanthropozentrischer beziehungsweise ökozentrischer Ansatz 279). Das Konzept der Umweltvorsorge durch staatliche Umweltvorsorgeplanung ist dabei nicht neu, sondern wird im Kontext der „Staatsaufgabe Umweltschutz“ seit langem diskutiert 280. Dabei ist Vorsorge nicht identisch mit Planung, da sie auch im Bereich der Gefahrenabwehr angesiedelt ist, also auch repressiv wirkt 281. Auf der anderen Seite zählt sie unzweifelhaft zu den gestalterischen Kernauf275 D.L. Meadows / D.H. Meadows / E.K. O. Zahn / P. Milling, Die Grenzen des Wachstums, 1972. 276 D.H. Meadows / D.L. Meadows / J. Randers, Die neuen Grenzen des Wachstums, 1992. 277 Zur Bedeutung des Bewirtschaftungsgedankens für den Zukunftsbezug des Rechts jetzt Appel, (Fn. 13), S. 170 ff. 278 Dieser Zusammenhang findet sich auch bei Wahl / Appel, (Fn. 76), S. 59. 279 s. dazu § 5 II.3. 280 Hoppe, (Fn. 191), Staatsaufgabe, S. 228 ff.; der Professorenentwurf zu einem UGBAT sieht auch die Einführung einer Umweltleitplanung vor, s. dazu ders., Empfiehlt sich die Regelung einer eigenständigen Umweltleitplanung?, in: Dolde (Hg.), Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 267 ff.; W. Erbguth, Die Umweltleitplanung im Entwurf eines Umweltgesetzbuches – Allgemeiner Teil, DVBl. 1992, S. 1122 ff. 281 Feldhaus, (Fn. 31), S. 615 m.w. N.

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gaben moderner Staatlichkeit 282. Freilich ist mit dieser Feststellung allein noch nichts gewonnen, vielmehr bedarf es einer bereichsspezifischen Konkretisierung der Aufgabe. Maßgebliche Kriterien einer Umweltvorsorgeplanung sind dabei die Abkehr vom sektoralen Schutz einzelner Umweltmedien, die Hinwendung zum Schutz ökologischer Systeme und die Erfassung und Berücksichtigung der langfristigen Interaktionen von Schadstoffen und ihrer Anreicherung in den Medien der Biosphäre 283. Staatliche Umweltvorsorgeplanung vermag allerdings nur dann wirksame Impulse zu setzen, wo sie bereichsspezifisch konkretisierte Vorhaben verfolgt. Eine solche Konkretisierung ist, freilich vor allem aus eher wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Motivationen, im Wasserrecht erfolgt, dessen planerische Strukturen hier kurz beleuchtet werden sollen. (2) Staatliche Bewirtschaftung von Umweltgütern am Beispiel des Wasserrechts Referenzgebiet für die staatliche Bewirtschaftung von Umweltgütern ist seit jeher das Wasserrecht. Das Wasser, namentlich das Grundwasser, als essentieller Bestandteil der Biosphäre steht unter Schutz- und Nutzungsaspekten traditionell im Blickpunkt juristischer Aufmerksamkeit 284 und unterliegt seit „unvordenklicher Erinnerung“ der Verrechtlichung 285. Rechtsprechung und Wissenschaft haben im Bereich des Wasserrechts die Strukturen staatlicher Umweltbewirtschaftung präzisiert, was einen näheren Blick auf diese Materie lohnend macht. Herkömmlich wird unterschieden zwischen dem Wasserwirtschafts- und haushaltsrecht auf der einen und dem hier nicht weiter relevanten Wasserwegerecht auf der anderen Seite 286. Erstgenanntes Begriffspaar wird dabei synonym verwendet und berücksichtigt gleichermaßen Aspekte der Wassergüte wie der Wassermenge 287. Wasserwirtschaftsrecht ist demnach also nicht allein Wassernut282 H. P. Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 2. Aufl. 1977, S. 224: „Wenn der Staat überhaupt Aufgaben hat, dann gehört dazu, dass er die natürlichen (‚biologischen‘) Grundlagen menschlichen Lebens schützt, weitere Nachweise bei Hoppe, (Fn. 191), Staatsaufgabe, S. 231. 283 So Hoppe, (Fn. 191), Staatsaufgabe, S. 238 f., der in vorausschauender Weise die Anforderungen der staatsplanerischen Praxis mit denen einer umfassenden ökologischen Risikosteuerung verbindet. 284 Eine neue Dimension der rechtlichen Umweltbewirtschaftung nimmt jetzt in den Blick G. Wustlich, Die Atmosphäre als globales Umweltgut, 2003, vor allem S. 86 ff. zur Bewirtschaftung. 285 s. z. B. Sparwasser / Engel / Voßkuhle, (Fn. 32), Kap. 8 Rn. 46; dazu grundlegend H. Seiler, Die Gewässerbenutzungen und ihre Rechtsgrundlagen im Verlauf der Geschichte des Wasserrechts, Diss. iur., Bonn 1976; dazu auch M. Kloepfer, Zur Geschichte des deutschen Umweltrechts, 1994, S. 58 ff. 286 Breuer, (Fn. 177), 5. Kap. Rn. 127. 287 BVerfGE 15, S. 1 ff., 15.

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zungs-, sondern auch Umweltschutzrecht. Dabei dient der Schutz des Wassers in besonders deutlich zu Tage tretender Weise der Gewährleistung der zivilisatorischen Grundlagen, wie sie auch Art. 20a GG im Blick hat. „Das Wasser ist eine der wichtigsten Grundlagen allen menschlichen, tierischen und pflanzlichen Lebens. Es wird nicht nur als Trink- und Brauchwasser, sondern auch als Produktionsmittel in Industrie und Handwerk benötigt. (..) Dem Grundwasser kommt hiernach eine kaum zu überschätzende Bedeutung zu“ 288.

Gewässerbewirtschaftung ist nicht allein verfassungsrechtlich unbedenklich, sondern vielmehr gerade geboten 289. Um einen angemessenen Ausgleich der betroffenen Belange bewerkstelligen zu können, ist den Wasserbehörden ein sogenanntes Bewirtschaftungsermessen eingeräumt. Unter dogmatisch-funktionalen Aspekten kommt es zur Ausübung dieses Ermessens vor allem im Rahmen der Erteilung wasserrechtlicher Genehmigungen nach §§ 7, 8 WHG. Als eine Materie des besonderen Gefahrenabwehrrechts ist das Wasserrecht dabei vom Grundsatz eines möglichst wirksamen Gewässerschutzes bestimmt, an dem sich behördliches Handeln zu orientieren hat. Dabei sind die staatlichen Stellen gem. § 1a Abs. 1 WHG verpflichtet und ermächtigt, auf eine möglichst schonende Bewirtschaftung der Ressourcen hinzuwirken. Diese Verpflichtung gestaltet sich dabei zweigliedrig, nämlich einmal als Sicherungsverantwortung gem. § 1a Abs. 1 S. 1 WHG und als Bewirtschaftungsverantwortung gem. § 1a Abs. 1 S. 2u 3 WHG 290. Die Vorschrift bringt damit idealtypisch das Spannungsverhältnis zum Ausdruck, in welchem sich staatliche Umweltverantwortung befindet: Im Rahmen von § 1a Abs. 1 S. 1 WHG sind die Behörden aufgerufen, die Gewässer mit dem Ziel der Erhaltung ihrer Ökofunktonalität in eine medienübergreifende Umweltschutzstrategie einzubinden und vor gefahrenbegründenden Eingriffen zu schützen. Unter dem Regime des § 1a Abs. 1 S. 2 u. 3 WHG hingegen sind die Behörden verpflichtet, die allgemeinwohldienliche Bewirtschaftung allen nutzbaren Wassers zu ermöglichen 291, also jedenfalls Zugriffe, gegebenenfalls auch Eingriffe, zu ermöglichen. Bewirtschaftung ist dabei jede Einflussnahme auf den nutzbaren Anteil des Wasserschatzes nach Menge und Güte zum Zweck der Sicherung des Wasserhaushaltes 292. Bewirtschaftung erfordert danach eine geordnete Koordinierung der an ein Gewässer – oder eine andere Umweltressource – gestellten Nutzungsansprüche durch Abschätzung der Belastungsfähigkeit der angebotenen Ressource, Gewichtung der Nutzungsprioritäten sowie durch Ermittlung aller öffentlichen und privaten Nutzungsanliegen 293. 288

BVerfGE 58, S. 300 ff., 344 – Naßauskiesung. BVerfG, ZfW 1996, S. 521 (st. Rspr.), so auch in E 58, S. 300 ff., 341 f. 290 Letztere obliegt vornehmlich den Wasserbehörden, s. M. Kotulla, WHG, Kommentar, 2003, § 1 Rn. 9. 291 Kotulla, (Fn. 290), § 1 Rn. 7. 292 M. Czychowski / M. Reinhardt, WHG, Kommentar, 8. Aufl. 2003, § 1a Rn. 2. 289

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Teil B: Vorsorge im (Umwelt-)recht

Behördliche Gewässerbewirtschaftung umfasst neben der Entscheidung über das „ob“ der Gewässernutzung auch die Entscheidung über die Art der (Be-)Nutzung und den Ausgleich der konkurrierenden Nutzungsansprüche. Der Behörde kommt dabei ein weiter Ermessensspielraum 294 zu. Leitkriterium einer jeden wasserwirtschaftlichen Ermessensausübung ist das Wohl der Allgemeinheit in Form unmittelbar mit der Wasserwirtschaft im Zusammenhang stehender Belange 295. An anderer Stelle aber weist das Bundesverwaltungsgericht auch darauf hin, dass sich der Zweck der gesetzlichen Regelungen (hier des § 6 WHG), nicht allein in der Sicherung des Wasserhaushaltes erschöpfe 296: „Die Benutzung der Gewässer soll nach dem Willen des Gesetzgebers vielmehr in umfassenderer Weise dem Wohl der Allgemeinheit und im Einklang mit ihm auch dem Nutzen einzelner dienen.“

Stellt das Gericht damit zwar auf die Modalitäten der Nutzung ab, so kommt darin doch gleichzeitig ein Steuerungsauftrag an die Exekutive zum Ausdruck, dass Belange des allgemeinen Wohls bei der Anwendung der wasserrechtlichen Vorschriften zu beachten sind 297. Wie weit dabei die Grenze zu nicht-wasserrechtlichen Allgemeinwohlbelangen zu ziehen ist, dürfte wohl eine Frage des Einzelfalls bleiben – und ist als solche überaus umstritten 298. Feststellbar ist jedoch abseits des Streits um das „wasserrechtliche Gemeinwohl“ Folgendes: Während Bewirtschaftung des Wasserhaushaltes zunächst, auch in den Augen des Bundesverfassungsgerichts, als Nutzbarmachung verstan293

s. Kotulla, (Fn. 290), § 1 Rn. 8. M. Kotulla, Rechtliche Instrumente des Grundwasserschutzes, 1999, S. 49; von einem „planerischen Gestaltungsspielraum“ spricht BVerwG, ZfW 1988, S. 436, M. Schröder, „Nachhaltigkeit“ als Ziel und Maßstab des deutschen Umweltrechts, WiVerw 1995, S. 65 ff., 71 spricht von einem „breiten Gestaltungsspielraum in Gestalt eines Beurteilungsermessens“. Grundlage einer jeden Ermessensausübung ist dabei aber ein Bewirtschaftungskonzept, welches sich aus einem Bewirtschaftungsplan, § 36b WHG, ergeben muss. 295 BVerfGE 58, S. 300 ff., 348; s. auch BVerwGE 55, S. 200 ff., 229; ausführlich zum Streitstand auch R. Büllesbach, Die wasserrechtliche Gemeinwohlklausel, DÖV 1992, S. 477 ff., 479 f.; Parallelfragen des Abfallrechts problematisieren M. Beckmann / W. Appold / E.-M. Kuhlmann, Zur gerichtlichen Kontrolle abfallrechtlicher Planfeststellungen, DVBl. 1988, S. 1002 ff., 1005. 296 BVerwGE 81, S. 347 ff., 349. 297 So auch ausdrücklich R. Breuer, Öffentliches und privates Wasserrecht, 3. Auflage 2004, Rn. 70. 298 Die Auffassung des Gerichts, die insofern abweicht von BVerfGE 58, S. 300 ff., 348, widerspricht einer starken Auffassung, die auf der Linie des BVerfG liegt, z. B. A. Lang, Naturschutz und wasserrechtliche Planfeststellung, BayVBl. 1981, S. 679 ff.; A. Schink, Die Berücksichtigung ökologischer Belange in der wasserrechtlichen Planfeststellung, ZfW 1985, S. 1 ff., 9; P. Thurn, Schutz natürlicher Gewässerfunktionen durch räumliche Planung, in: Ernst / Hoppe (Hg.), Beiträge zum Siedlungs- und Wohnungswesen und zur Raumplanung, 1986, S. 87; H.-J. Peters, Planung, NuR 1990, S. 103 ff., 104. 294

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den wurde, ist heute ein Wandel im Bewirtschaftungsverständnis zu verzeichnen. Zwar betont auch das Bundesverfassungsgericht in der Nassauskiesungsentscheidung (und andernorts) die herausragende Bedeutung des Wassers 299 für Menschen, Natur und Tiere, pointiert seine Aussage aber hin auf Wasser als Lebensund Nutzmittel. Demgegenüber rückt die jüngere Literatur auch das ökologische Potenzial des Wassers für den gesamten Naturhaushalt 300 in den Blickpunkt. Der Wechsel im Duktus der Darstellung ist zwar sprachlich betrachtet nur ein kleiner, aber wohl wesentlicher. Nutzung des Wassers wird als zwar gewichtiger, aber doch immerhin dem Erhalt der Ökosphäre nachgeordneter Aspekt angesehen. Während die herkömmliche Ansicht die Nutzungsbegrenzung von Ökoressourcen vor allem um der Nutzungsmöglichkeit selbst Willen betrieb und daneben auch allgemeine ökologische Aspekte anerkannte, zieht nach zeitgenössischer Auffassung die Integrität des Naturhaushalts der Nutzung Grenzen. Es sind dies erste, auch hier noch weiter zu vertiefende Ansätze, objektiv schutzwürdige Belange gegenüber subjektivrechtlich geschützten Positionen in rechtsfassbarer Weise aufzuwerten. Die Soziologie hat – prominent vertreten durch Beck – diesen hier erst im Ansatz erkennbaren Paradigmenwechsel im Verhältnis von Mensch und Natur, genauer von Gesellschaft und Natur, bereits in den achtziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts beschrieben und versucht, ihn mit der Formel der Risikogesellschaft 301 auf einen Begriff zu bringen. Danach soll die der Industriegesellschaft des 19. Jahrhunderts zugrundeliegende Trennung von Natur und Gesellschaft durch die technologisch-industrielle Zersetzung der ökologischen Grundlagen aufgehoben und durch eine Vergesellschaftung der Natur 302 abgelöst sein. Danach hört die Zerstörung einer solchermaßen integrierten Natur auf, bloße Naturzerstörung zu sein, sondern wird integraler Bestandteil aller gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Dynamik 303. Die Bewältigung so generierter Risiken sieht Beck als zentrale Herausforderung einer industrialisierten Gesellschaft und ihrer (Sub-)Systeme an. Umweltprobleme seien danach gesellschaftliche Probleme im Sinne von Problemen des Menschen und seiner „ökonomischen, kulturellen und politischen Verfassung“ 304. Aus juristischer Perspektive ist zu er299

BVerfGE 58, S. 300 ff., 344, zum genauen Wortlaut s. o. Kotulla, (Fn. 290), § 1a Rn. 5. 301 s. hier U. Beck, Risikogesellschaft, 1986, (Nachdruck), 2003; weiterführend ders., Gegengifte, 1988; J. Franklin (Hg.) / ders., The politics of risk society, 1998; grundlegend die Arbeiten von M. Douglas / A.B. Wildavsky, Risk and Culture, 1983, insbes. S. 186 ff., die den Umgang mit Risiken als ein Unterscheidungskriterium moderner Gesellschaften sieht; s. auch Douglas, Risk acceptability according to the social sciences, 1985; kritisch zum Begriff der Risikogesellschaft A. Honneth, Desintegration, 1994, S. 20 f. 302 Beck, (Fn. 301), S. 107. 303 Beck, (Fn. 301), S. 107. 304 Beck, (Fn. 301), S. 108. 300

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gänzen, dass es sich dabei auch um Probleme der rechtlichen Verfassung handelt. Die besondere Leistung dieses soziologischen Ansatzes liegt dabei im Gegensatz zu der auch in der Rechtswissenschaft geführten Risikodebatte 305 darin, einen Perspektivwechsel zu vollziehen: Die Ursachen werden klar beschrieben, die den in der Rechtswissenschaft ebenfalls zu spürenden Anpassungsdruck auslösen und transparent machen. Dabei wird der Risikobegriff als ein Phänomen sui generis begriffen und nicht, wie überwiegend in der Rechtswissenschaft, als Abkömmling des Gefahrenbegriffs 306. (3) Freiraumthese Die planungsrechtliche Deutung des Vorsorgeprinzips im Immissionsschutzrecht manifestiert sich nun konkret in der sogenannten Freiraumthese 307, die Vorsorge versteht als ein Element der Planung und Verteilung von Umweltressourcen 308, sei es in Form von Belastungsreserven für zukünftige industrielle Nutzung oder als menschliche oder sonstige ökologische Lebensräume 309. Während diese Auffassung in den Anfängen des Immissionsschutzrechts noch gleichberechtigt neben der gefahrenabwehrrechtlichen Deutung stand, ist sie, auch aufgrund weitgehend fehlender neuer und weiterführender Impulse aus Rechtsprechung und Literatur, zunehmend ins Abseits geraten. Zwar konzediert das Bundesverwaltungsgericht die „Multifunktionalität“ der Vorsorge 310, praktisch betrachtet liegt 305 s. zur Risikoproblematik z. B. Di Fabio, (Fn. 79); Möstl, (Fn. 47); Stoll, (Fn. 85), S. 265 ff., jeweils beispielgebend für den rechtswissenschaftlichen Ansatz, den Risikobegriff vorrangig als Teilproblem des Gefahrenabwehrrechts und seiner Dogmatik zu begreifen. 306 s. dazu aus sozialwissenschaftlicher Perspektive auf das Recht G. Banse / G. Bechmann, Interdisziplinäre Risikoforschung, 1998, S. 43 f., die eine eigenständige, d. h. nicht vom Gefahrenabwehrrecht kommende Risikodebatte in der Rechtswissenschaft vermissen. 307 So aus der aktuellen Literatur sehr differenzierend J. Dietlein, in: v. Landmann / Rohmer (Begr.), Umweltrecht, Bd. I, BImSchG, Kommentar, 41. Lfg. Oktober 2003, § 1 Rn. 10 ff. zur anthropozentrischen bzw. ökozentrischen Schutzrichtung des BImSchG; Murswiek, (Fn. 230), S. 340 ff.; weiter auch G. Feldhaus, Der Vorsorgegrundsatz des Bundesimmissionsschutzgesetzes, DVBl. 1980, S. 133 ff., 135; ders., (Fn. 111), S. 171; Sellner, (Fn. 45), S. 1261; W. Martens, Immissionsschutzrecht und Polizeirecht, DVBl. 1981, S. 597 ff., 602; Hansen-Dix, (Fn. 106), S. 212 ff., 215; Hoppe, (Fn. 191), Staatsaufgabe, S. 229; J. Schmölling / W. Möder, Zum Vorsorgeanspruch des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, GewArch 1979, S. 47 ff., 49; H. Soell, Aktuelle Probleme und Tendenzen im Immissionsschutzrecht, ZRP 1980, S. 105 ff., 106. 308 Zum inhaltlichen planerischen Element und dem diesbezüglich wenig aussagekräftigen Wortlaut s. Rengeling, (Fn. 232), S. 63 ff. 309 Den „Schutz der Natur und ihre schonende Inanspruchnahme“ bezeichnet v. Lersner, (Fn. 129), Sp. 2704, als Zweck der Vorsorge. 310 Beispielsweise in BVerwGE 65, S. 313 ff., 320; 69, S. 37 ff., 43 ff.

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der Akzent jedoch deutlich auf der gefahrenabwehrrechtlichen Auffassung der Vorsorge. Die Freiraumthese stützt sich historisch auf Passagen der amtlichen Begründung zum BImSchG, in denen es heißt: „1. Die Forderung nach ausreichender Vorsorge ist angesichts der zunehmenden Verdichtung unserer Lebensräume unabdingbar. 2. Sie ist aber ebenso im Interesse der Industrie selbst notwendig, um rechtzeitig zu verhindern, dass später die Errichtung neuer Industrieunternehmen wegen vorhandener bedenklicher Immissionsbelastung untersagt werden muss“ 311.

Weiter heißt es im Umweltbericht der Bundesregierung von 1976, dass durch vorausschauende und gestaltende planerische Maßnahmen erreicht werden müsse, dass alle gesellschaftlichen und staatlichen Kräfte sich umweltschonend verhielten und bei ihren Entscheidungen mögliche Umweltauswirkungen berücksichtigten 312. In der Abgrenzungsperspektive zu § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BImSchG begreift diese Auffassung die Vorsorge als gefahrenunabhängiges Prinzip 313, macht damit also ihren Steuerungsbefehl erheblich anspruchsvoller und damit schwerer zu handhaben 314. Danach dienen Vorsorgebemühungen der Schaffung von (anlagenund betriebsunabhängigen) Freiräumen für verschiedene Zwecke 315. Aufgrund der doppelten Schutzrichtung des Begriffs der „schädlichen Umwelteinwirkungen“, nämlich Nachbarschaft einerseits und Allgemeinheit andererseits, ergibt sich nach der Freiraumthese die Notwendigkeit einer gebietsbezogenen Vorsorge ebenso wie die einer allgemeinbezogenen 316. Dabei soll es gerade nicht um eine bloße Vorverlegung der Rechtspflicht des § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BImSchG gehen, da die Vorsorgebelange sonst, so wird befürchtet, mit zunehmender Distanz zur Gefahrenschwelle durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit regelmäßig den Betreiberinteressen unterlegen wären 317. Freilich räumen auch Anhänger der Freiraumthese ein, dass sich die Vorsorgepflicht des § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BImSchG nicht als eine Planungsvorschrift im 311

BT-Drucks. 7/179, S. 32 zu § 6. BT-Drucks. 7/179, S. 26. 313 Feldhaus, (Fn. 307), S. 135. 314 Aus diesem Grund Bedenken anmeldend Dietlein, (Fn. 10), § 5 Rn. 140 („äußerst behutsam zu handhaben“). 315 Zu den Zwecken des BImSchG in diesem Kontext sehr informativ Kutscheidt, (Fn. 307); das Verhältnis von § 1 BImSchG zu § 5 I Nr. 2 BImSchG beleuchtet Feldhaus, (Fn. 111), S. 134 ff. 316 Feldhaus, (Fn. 111), S. 170. 317 Feldhaus, (Fn. 307), S. 135. 312

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eigentlichen Sinne verstehen lasse 318. Jedoch enthält die Implementierung der Vorsorgepflicht zweifellos planerische Elemente, insbesondere dann, wenn man sie einem Konzeptionalisierungsgebot unterwirft. Zwar verlagert dies die Planungslast auf eine höhere Ebene (sofern man beispielsweise in der 13. BImSchV ein Vorsorgekonzept sieht, auf die Ebene des Ministeriums), Planung bleibt es aber gleichwohl 319. Ausdrücklich betont wird der planende Gehalt der Vorsorge in § 5 Abs. 1 UGB-Kommissionsentwurf, wonach Umweltrisiken durch „vorausschauende Planung“ ausgeschlossen werden sollen 320. In der Praxis der Rechtsanwendung kommen gefahrenabwehrrechtliche und planerische Deutung der Vorsorgepflicht häufig zu identischen Ergebnissen 321, was die Bedeutung dieser Kontroverse zu relativieren vermag. Dies sollte aber nicht zu dem Schluss verleiten, die Unterscheidung entbehre jeglicher praktischen Relevanz, denn es scheint, als sei der planerische Ansatz der Vorsorge noch nicht in vollem Umfang ausgeschöpft und demgemäß die Eigenständigkeit der Vorsorgepflicht noch nicht in hinreichendem Maße deutlich geworden. Gestützt wird diese Vermutung durch die Einführung des Art. 20a GG mit seiner Verpflichtung des Staates, die Rechte zukünftiger Generationen in die Motive seines Handelns einzubeziehen. Darin kommt eine Konzentration auf die „überzeitlichen“ Dimensionen staatlichen Handelns zum Ausdruck, wie sie typisch sind allgemein für staatliche Planung und eben insbesondere auch für das Verständnis des Vorsorgeprinzips und seiner Konkretisierungen. Hinzu kommt, dass der Grundsatz der Nachhaltigkeit völkerrechtlich, europarechtlich und auch nationalrechtlich zunehmend an Bedeutung gewinnt und im Begriff ist, dem Vorsorgeprinzip als materiellem Kernprinzip des Umweltrechts den Rang abzulaufen, nicht zuletzt durch Art. 20a GG. Die regulative Idee des Nachhaltigkeitsprinzips ist trotz vieler Ungewissheiten eine präzisere als der normative Gehalt des Art. 20a GG. Gleichzeitig ist die unmittelbare Verwandtschaft zum planungsrechtlichen Gehalt der Vorsorge eine größere. Daher soll es im Folgenden um die Steuerungsmechanismen des Nachhaltigkeitsprinzips und sein Verhältnis zum Vorsorgeprinzip gehen. 318

Feldhaus, (Fn. 307), S. 137. Dietlein, (Fn. 10), § 5 Rn. 139 f. bewertet die planungsrechtliche Deutung der Vorsorgepflicht kritisch, da die Vorschrift nicht die für die Planung typische Sphäre „kreativer“ Planung durch die Behörde eröffne, allenfalls ermögliche die Vorschrift nachvollziehende, nicht aber gestaltende Planung. 320 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hg.), UGBKomE, 1998, § 5; s. allgemein zur Erforderlichkeit eines UGB M. Kloepfer, Empfiehlt es sich, ein Umweltgesetzbuch zu schaffen, gegebenenfalls mit welchen Regelungsbereichen?, JZ 1992, S. 817 ff.; ders. Zur Kodifikation des Umweltrechts in einem Umweltgesetzbuch, DÖV 1995, S. 745 ff. 321 s. OVG Berlin, DVBl. 1979, S. 159 ff.; VGH Mannheim, VBlBW 1982, S. 176 ff. 319

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3. Der Grundsatz der Nachhaltigkeit und das Vorsorgeprinzip a) Einleitung Spätestens seit dem UN-Umweltgipfel in Rio de Janeiro 1992 ist, ausgehend vom anglo-amerikanischen Konzept des sustainable development, der Begriff der Nachhaltigkeit menschlichen Handelns populär geworden 322 und sodann zu einem ebensolchen Rechtsbegriff avanciert 323. Betrachtet man den Begriff der Nachhaltigkeit vom vergleichsweise gesicherten Standpunkt der nationalrechtlichen Vorsorge aus, so drängt sich eine Parallele zur bewirtschaftungsrechtlichen Deutung des Vorsorgeprinzips auf 324. Dies legt es nahe, den Begriff der Nachhaltigkeit genauer zu untersuchen. Neu ist der Begriff der Nachhaltigkeit keineswegs. Seine Geschichte ist eine für das öffentliche Recht bemerkenswert längere: Bereits das Forstrecht des 18. Jahrhunderts kannte diesen Begriff und verlieh mit ihm der generationenübergreifenden Planungsnotwendigkeit der Forstwirtschaft einen Namen 325. Er ist mittlerweile nicht allein im Umweltrecht beheimatet, sondern findet sich in einer Vielzahl von bundes- wie landesrechtlichen Vorschriften 326. Auch in verfassungs- beziehungsweise vereinsrechtlichen Zusammenhängen wird der Begriff von der Literatur bemüht 327. Er hat sich, wie die Beispiele veranschaulichen, 322

Von einer „nahezu beispiellosen Karriere“ spricht in diesem Zusammenhang M. Schröder, Sustainable Development – Ausgleich zwischen Umwelt und Entwicklung als Gestaltungsaufgabe der Staaten, ArchVR 34 (1996), S. 251 ff., 251; s. weiter W. Frenz, Sustainable Development durch Raumplanung, 2000; Y. H. Lee, Nachhaltige Entwicklung, 2000; D. v. Bubnoff, Der Schutz der künftigen Generationen im deutschen Umweltrecht, 2001; Lange (Hg.), Nachhaltigkeit im Recht, 2003; M. Lendi, Nachhaltigkeit in der Bürgergesellschaft, UPR 2001, S. 321 ff.; für den rechtsphilosophischen Kontext s. Anderheiden, (Fn. 25), S. 137 f.; für einen neuen Anwendungsbereich des Nachhaltigkeitsgrundsatzes im Bereich des Sozialstaatsprinzips plädiert M. Kotzur, Der nachhaltige Sozialstaat, BayVBl. 2007, S. 257 ff.; s. auch dens., Nachhaltigkeit im Völkerrecht – eine sektorenübergreifende und systembildende Ordnungsidee, JöR 57 (2009), S. 503 ff. 323 Der Begriff der Nachhaltigkeit bzw. der nachhaltigen Entwicklung findet sich seit der Konferenz von Amsterdam auch in einer Reihe von Vorschriften des europäischen Primärrechts, so in der Präambel zum EUV und in dessen Art. 2 sowie in Art. 6, 37 EG; umfassend zu diesem Begriff G. Beaucamp, Das Konzept der zukunftsfähigen Entwicklung im Recht, 2002 sowie jetzt Appel, (Fn. 13), passim. 324 Den ressourcenökonomischen Gehalt der Nachhaltigkeit betont auch E. Rehbinder, Das deutsche Umweltrecht auf dem Weg zur Nachhaltigkeit, NVwZ 2002, S. 657 ff., 660. 325 H. Rubner, Forstgeschichte im Zeitalter der industriellen Revolution, 1967, S. 56 ff., 103 ff., 147 ff.; R. Streinz, Auswirkungen des Rechts auf „sustainable development“ – Stütze oder Hemmschuh?, Die Verwaltung 31 (1998), S. 449 ff., 469. 326 s. z. B. für das Baurecht M. Krautzberger, Nachhaltige Entwicklung und Städtebaurechtsordnung, UPR 2001, S. 130 ff.; weitere Nachweise bei D. Murswiek, Schadensvermeidung – Risikobewältigung – Ressourcenbewirtschaftung, in: Osterloh / Schmidt (Hg.), Staat, Wirtschaft, Finanzverfassung, FS Selmer, 2004, S. 417 ff.

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mittlerweile von seinen Anfängen in im weitesten Sinne umweltrechtlichen Zusammenhängen emanzipiert und ist zu einer Erscheinung der Rechtsordnung im Allgemeinen geworden. Ob dies als Ausdruck einer zunehmenden Einsicht in die Notwendigkeit langfristiger Planungen und Entscheidungen zu werten ist, ist ungewiss, denn die hypertrophe Verwendung des Begriffs steht gerade in einem eigentümlichen Spannungsverhältnis zu seinen eigentlichen beziehungsweise behaupteten Zielvorgaben. Die Nachhaltigkeit ist dabei in die Falle eines Gesetzgebungsaktionismus geraten 328, was die Notwendigkeit einer genauen rechtlichen Bestimmung umso dringender macht. Die mit der „Nachhaltigkeit“ verbundene Hoffnung, das Umweltrecht werde um einen operationablen und umweltschutzeffektiven Begriff erweitert, hat – vorerst – getrogen 329. Abgesehen von rein linguistischen Problemen der bedeutungsgemäßen Übersetzung des Begriffs „sustainable development“ in die deutsche Sprache 330, hat sich die dogmatische Kontroverse um die Nachhaltigkeit bis heute nicht gelegt 331 und darin eine kaum erstaunliche Parallele zur Diskussion um den Vorsorgebegriff gefunden. Ebenso wie dort besteht bei der Nachhaltigkeit Unklarheit über Dimensionen und Strukturen. Diese Unklarheit wird dabei zum Teil gerade als Wesensmerkmal der Nachhaltigkeit angesehen. Es handele 327

L. Michael, Die „nachhaltige“ Gefahr als Eingriffsschwelle für Vereins- und Parteiverbote, in: Häberle / Morlok (Hg.), FS Tsatsos, 2003, S. 383 ff., 403; s. auch Kotzur, Sozialstaat, (Fn. 322). 328 M. Reinhardt, Möglichkeiten und Grenzen einer „nachhaltigen“ Bewirtschaftung von Umweltressourcen, in: Marburger / ders. (Hg.), Die Bewältigung von Langzeitrisiken im Umwelt- und Technikrecht, UTR 43 (1998), S. 73 ff., 102, spricht von „junk-law eines überforderten oder sich verweigernden Legislators, der das Gerüstetsein für die Zukunft nur vortäuscht“. 329 s. zur Umsetzung des Begriffs in Strukturen des Rechts W. Bückmann / Y.H. Lee / U.E. Simonis, Das Nachhaltigkeitsgebot der Agenda 21 und seine Umsetzung in das Umwelt- und Planungsrecht, UPR 2002, S. 168 ff.; aus Perspektive des Europarechts C. Calliess, Die neue Querschnittsklausel des Art. 6 ex 3c EGV als Instrument zur Umsetzung des Grundsatzes der nachhaltigen Entwicklung, DVBl. 1998, S. 559 ff. 330 Umfassend dazu Streinz, (Fn. 325), S. 451 ff.; Beaucamp, (Fn. 323), S. 11 f., der „nachhaltig“ in diesem Kontext für missverständlich hält, weil es auch „intensiv“ bedeuten könne, wohingegen es dem „sustainability“-Konzept auf Optimierung und Schonung ankomme. Er schlägt daher „zukunftsfähige Entwicklung“ als Übersetzung vor, im Anschluss an U. E. Simonis, Globale Umweltprobleme und zukunftsfähige Entwicklung, APuZg 1991, B 10, S. 3 ff.; s. auch Appel, (Fn. 13), S. 243 ff., er spricht von Zukunftsund Entwicklungsvorsorge, passim. 331 Unklar ist bereits, in welchem Maße Nachhaltigkeit verbindliche Vorgaben macht bzw. wie die durch den Nachhaltigkeitsbegriff erfassten Güter untereinander ausgleichsfähig sind. Als Sustainability-Formen unterschieden werden „weak“, „reasonable“ und „strong“ mit abnehmender Ausgleichsfähigkeit der Nachhaltigkeitsgüter untereinander, s. dazu H. Weidner, Gemeinwohl und Nachhaltigkeit – ein prekäres Verhältnis. Discussion Paper FS II 02 – 303 des Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, abrufbar unter http://skylla.wz-berlin.de/pdf/2002/ii02-303.pdf.

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sich um einen dynamischen und normativen Begriff, dessen Inhalt diskursiv immer wieder neu bestimmt werden müsse und der daher in einem hohen Maße konsens- und partizipationsabhängig sei 332. Dieser Diskurs um den Nachhaltigkeitsbegriff ist gegenwärtig in vollem Gange, und wenn auch ein Konsens über den genauen Begriffsinhalt nicht erzielt ist, so lassen sich doch vorläufig gewisse Grundstrukturen destillieren 333. b) Anwendungsfelder der Nachhaltigkeit Nachhaltigkeit als staatliche Aufgabe beschränkt sich ihrer Idee nach nicht auf den ökologischen Bereich, sondern strahlt ebenfalls aus in den Bereich der Ökonomie und des Sozialen 334, die zusammen ein Dreieck bilden, innerhalb dessen ein Ausgleich betroffener Interessen gefunden werden muss 335. Gerade zwischen ökonomischer und ökologischer Nachhaltigkeit bestehen dabei wohl einerseits die engsten Verflechtungen, andererseits aber auch erhebliche Friktionen – dies jedenfalls dann, wenn man ökonomische Nachhaltigkeit nicht lediglich als nachhaltiges Wirtschaftswachstum im Sinne einer Steigerung des Bruttosozialprodukts ansieht. Vielmehr zeichnet sich eine ökonomische Nachhaltigkeit gerade auch durch eine Inbezugnahme ökologischer und ressourcenökonomischer Ansätze aus 336. So verstanden bildet das Gebot nachhaltigen Handelns eine Schranke einer auf Wachstum verpflichteten Wirtschaftsordnung. Kaum greifbar ist die soziale Dimension des Nachhaltigkeitsbegriffs, was nicht zuletzt darauf zurückzuführen ist, dass das Adjektiv „sozial“, von Hayek als „Wieselwort“ klassifiziert 337, die Unklarheiten um die Nachhaltigkeit noch vergrößert, da der Inhalt des Begriffs „sozial“ ebenso wenig erklär- und fassbar ist. Menzel definiert den Kerngehalt der sozialen Nachhaltigkeit als das Ziel, „lo332

H.-J. Menzel, Das Konzept der „nachhaltigen Entwicklung“ – Herausforderungen an Rechtsetzung und Rechtsanwendung, ZRP 2001, S. 221 ff., 223. 333 Eine theoretische Grundlegung findet sich beispielsweise bei F. Ekardt, Zukunft in Freiheit, 2004, passim; ders., Das Prinzip Nachhaltigkeit, 2005, mit einer Pointierung der im ersten Werk aufgestellten Thesen. 334 s. z. B. Rehbinder, (Fn. 324), S. 657, der hier den Charakter als politische Handlungsmaxime betont; kritisch J. Huber, Nachhaltige Entwicklung, 1995, S. 123 ff.; s. dazu auch W. Bückmann / H. Rogall, Nachhaltigkeit – rechtliche und wirtschaftswissenschaftliche Aspekte, UPR 2001, S. 121 ff. 335 s. zum Drei-Säulen-Modell Appel, (Fn. 13), S. 339 ff. 336 Diesen Gedanken formuliert für Maßnahmen auf Grundlage des Vorsorgeprinzips auch Werner, (Fn. 202). 337 F. A. v. Hayek, Was ist und was heißt „sozial“?, 1956, (Nachdruck), in: Vanberg (Hg.), Friedrich A. von Hayek – Gesammelte Schriften in deutscher Sprache, Bd. A5, 2002, S. 251 ff.; s. weiter ders., Der Atavismus „sozialer Gerechtigkeit“, 1976, (Nachdruck), in: Streit (Hg.), Friedrich A. von Hayek – Gesammelte Schriften in deutscher Sprache, Bd. A7, 2004, S. 197 ff.

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kal und global Konflikten im gesellschaftlichen Zusammenleben vorzubeugen“. Dies schließe „Verteilungsgerechtigkeit“ sowie „sozialen Ausgleich als Voraussetzungen für Frieden und Sicherheit“ ein 338. Auf dieser Stufe ist Nachhaltigkeit vor allem als politische Steuerungsidee anzusehen, eine Konkretisierung hin zu einem Rechtsbegriff hat hier noch nicht stattgefunden 339. Um die rechtlichen Dimensionen soll es im Anschluss gehen. Festzuhalten ist daher: Nachhaltigkeit ökologisch gedeutet wird verstanden als strukturierendes Element wirtschaftlichen Handelns. Sie bildet von Rechts wegen eine Grenze gegen ungehemmtes und unreflektiertes Wirtschaftswachstum und erfüllt darauf bezogen Steuerungs- und Verteilungsfunktionen, die näherer Konkretisierung bedürfen. Das Hauptaugenmerk liegt im Folgenden auf diesem Aspekt der Nachhaltigkeit. c) Steuerungswirkungen des Nachhaltigkeitsbegriffs Nachhaltigkeit versucht (in der Regel) zwei verschiedene Aspekte miteinander zu verbinden, nämlich die Beschreibung eines bestimmten Handelns einmal unter qualitativen und gleichzeitig unter zeitlichen Aspekten 340. Dabei lässt sich die Art des jeweiligen Handelns weiter danach unterscheiden, ob die Handlung in ein bestimmtes Schutzgut eingreift (negative Dimension), oder ob sie dem Schutze eines bestimmten Gutes dient (positive, ressourcenökonomische oder bewirtschaftungsrechtliche Dimension 341). (1) Exkurs: Die zeitliche Wirkungsmächtigkeit menschlichen Handelns Es drängt sich zunächst die Frage auf, wie das Bewusstsein für die Notwendigkeit der Nachhaltigkeit zu erklären ist. Die Zunahme des Bewusstseins für die Relevanz des Wirkungsfaktors Zeit im menschlichen Handeln ist ganz wesentlicher Ausdruck des technologischen Fortschritts 342. Die Einsicht in die Notwendigkeit beispielsweise einer Technikfolgenabschätzung ist dabei das eine, die technologischen Möglichkeiten, verlässliche Prognosen und Folgenabschät338

Menzel, (Fn. 332). Die besondere Konkretisierungsbedürftigkeit umreißt auch Rehbinder, (Fn. 324), S. 661 f. 340 s. dazu Beaucamp, (Fn. 323), S. 241 ff.; s. zu den Wirkungsweisen jetzt auch Appel, (Fn. 13), S. 328 ff.; für die negative Dimension OLG Zweibrücken, NJW 1992, S. 2841, bestätigend T. Fischer, StGB, Kommentar, 55. Aufl. 2008, § 326, Rn. 5a. 341 s. zum Verhältnis der ressourcenökonomischen Dimension der Vorsorge und der Nachhaltigkeit Appel, (Fn. 13), S. 312 f. 342 s. Appel, (Fn. 13), S. 45 ff., 71 ff. 339

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zungen zu erstellen, aber das andere. So ist technologisch-industrieller Fortschritt gleichzeitig Grund und Voraussetzung für ein staatliches Handeln, welches sich der Idee der Nachhaltigkeit – welchen Inhalt man ihr im Einzelnen auch zubilligen mag – verpflichtet fühlt. Damit ist gleichzeitig all solchen Vorstellungen eine Absage erteilt, die unter dem Regnum der Nachhaltigkeit ein „zurück zu den Wurzeln“ menschlichen Wirtschaftens und Handelns anstreben. Hinzu tritt die Erkenntnis, dass die Handlungsmächtigkeit der menschliche Existenz im 20. Jahrhundert sich grundlegend gewandelt hat. Hans Jonas beschreibt dies so, dass der Mensch ursprünglich in einen bestimmten natürlichen Zusammenhang gestellt war, der die Reichweite menschlichen Handelns und dessen Qualität bestimmt. Diese Voraussetzungen seien entfallen, da „mit gewissen Entwicklungen unserer Macht sich das Wesen menschlichen Handelns geändert“ 343 hat, was eine neue (ethische) Kategorisierung dieses Handelns erforderlich mache. Wesentliches Element dieser Änderung menschlichen Handelns ist, so wird man sagen können, die stärkere zeitliche Wirkmächtigkeit jedenfalls des umweltrelevanten menschlichen Verhaltens. Einfacher gewandet ist zu formulieren, dass menschliche Existenz im 20. Jahrhundert in diesem Umfang erstmals nicht von den Zinsen des ökologischen Kapitals, sondern von der Substanz zu zehren begonnen hat. Weyma Lübbe weist vom Standpunkt der praktischen Philosophie auf ein Anschlussproblem hin, das im Zusammenhang mit der Jonas’schen Erkenntnis steht: Sie analysiert im Kontext der Verantwortungsdebatte ein erhebliches Reflektionsdefizit den Subjektsbegriff des Verantwortungskonzepts betreffend: „Was für eine Art Subjekt stattdessen (Anm.: an Stelle des Individuums) handelt, wenn nicht Einzelsubjekte, das erfährt man nicht“ 344. Zurechenbare Verantwortung des Individuums wird substituiert durch einen kollektivierten Verantwortungsbegriff, der zwar ein kollektives Verursachen im Sinne einer Kausalität erklärt (alle tragen bei), aber eine gleichsam haftungsrechtliche Einstandspflicht nicht zu begründen vermag (niemand „haftet“). Angesprochen ist damit die handlungstheoretische Erfassbarkeit eines „kollektiven Handelns“ und „kollektiver Verantwortung“. Während eine Desintegration des Verantwortungsbegriffs in Teilsegmente bei kollektivem Zusammenwirken innerhalb überschaubarer Kausalverläufe und überschaubarer Kollektive in der Regel möglich ist, wird dies für Zusammenhänge von Umweltschadenskausalitäten meist nicht der Fall sein. Zunächst sind diese Kausalverläufe höchst komplex und die Beteiligten von großer Zahl. Darüber hinaus ist aber von Bedeutung: Verantwortungsattributierung als Zurechungsvorgang wird hier wesentlich erschwert durch den eben nicht als gewiss vorauszusetzenden kollektiven Handlungserfolg. Es ist also, kurz gesagt, 343

Jonas, (Fn. 77), S. 15. W. Lübbe, Kollektive Verursachung und kollektive Verantwortung – Zivilisationsfolgeschäden als ethische Herausforderung, in: Arnswald / Kertscher (Hg.), Herausforderungen der angewandten Ethik, 2002, S. 19 ff., 19. 344

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unklar, wem was in welchem Umfange zugerechnet werden kann. Dem Problem ist auch nicht durch eine Entdifferenzierung des Zurechnungsvorgangs zu begegnen. Die Antwort des Rechts auf kollektive (mittäterschaftliche) Verursachung ist nur unter engen Voraussetzungen eine gemeinsame Einstandspflicht – in der Regel ist nach Verantwortungsteilen zu differenzieren 345. Gleichsam auf die Spitze getrieben wird das Problem kollektiver Verantwortlichkeit dann, wenn es außerhalb institutionalisierter Strukturen angesiedelt ist, wie es für die alltägliche Umweltverschmutzung der Fall ist 346. Die Etablierung tragender Zurechnungskriterien versagt hier in der Regel gänzlich. Das Recht, in seinen Antworten auf Gegenwartsprobleme traditionell in einem Zustand kultureller Verspätung begriffen, vermag hier bislang keine überzeugenden Lösungen anzubieten. Es muss daher nach Kompensationsmechanismen gesucht werden, es müssen „in mühevoller juristischer Kleinarbeit Netze geknüpft werden“ 347, die einen Komplettausfall juridischer Sicherungsstrukturen zu verhindern helfen. Ansätze dazu sind im Begriff der Nachhaltigkeit zu sehen, dessen Dimensionen im Folgenden näher erörtert werden sollen. (2) Die zeitliche und prozessuale Dimension der Nachhaltigkeit Gemeinsames Merkmal einer positiv wie negativ verstandenen Nachhaltigkeit ist das der Zeit, der langfristigen, zukunftsgerichteten, vorausschauenden oder auch vorsorgenden menschlichen Handlung. Dieses Element der Langfristigkeit begegnet dem aufmerksamen Betrachter in einer Vielzahl faktischer, rechtlicher und politischer Zusammenhänge, so bei der zunehmenden Umweltzerstörung, der Ressourcenknappheit, der globalen demographischen Entwicklung, sowie unter den Schlagwörtern Generationengerechtigkeit, Rechte zukünftiger Generationen (Art. 20a GG), Nachweltschutz, Vorsorgeprinzip, Langzeitverantwortung, Technikfolgenabschätzung 348 und so fort. Nachhaltigkeit als Auftrag an staatliches Handeln ist dabei gleichermaßen ein zeitliches wie ein prozessuales Phänomen 349, da seine Zielvorstellungen nur im Zuge eines kontinuierlichen Prozesses erreichbar sind, nicht aber ad hoc. Dabei bewirkt diese Zweigliedrigkeit des Begriffes, dass staatliches Handeln, namentlich die Planung, um eine qualitative 345 Lübbe, (Fn. 344), S. 22 f.; Ausnahmen bestehen freilich auch hier, s. insoweit §§ 420, 840 BGB. 346 Lübbe, (Fn. 344), S. 27 („Nichtorganisierte kollektive Verursachung“). 347 Lübbe, (Fn. 344), S. 30 f. 348 So ist z. B. beim Deutschen Bundestag das „Büro für Technikfolgenabschätzung“ angesiedelt, das vom Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse des Forschungszentrums Karlsruhe betrieben wird, dessen Ziel es unter anderem ist, die potentiellen Auswirkungen neuer Technologien vorausschauend und umfassend unter Einbeziehung einer Risikoanalyse zu untersuchen, s. dazu http://www.tab.fzk.de/de/kurzinfo.htm. 349 Rehbinder, (Fn. 324), S. 662.

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zeitliche Dimension erweitert wird und Nachhaltigkeit dann das Entwickeln von Zeitfenstern und Innovationsschüben erforderlich macht 350. Freilich stößt auch dies an Grenzen, weil die Problemverarbeitungskapazität politischer Planung, insbesondere auch der der Umweltplanung, kraft Natur der Sache begrenzt ist und sich bei zunehmender Langfristigkeit in der Zeit verliert. Von daher plädiert Rehbinder in Fortentwicklung der prozessualen Nachhaltigkeitsdimension für eine Akzentuierung sektoraler Nachhaltigkeitsprojekte und die Koordination umweltspezifischer Fachplanung unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit, nicht aber für eine zentrale Nachhaltigkeitsplanung 351. Durch die Inbezugnahme des Zeitfaktors versucht der Nachhaltigkeitsbegriff die Steuerungsimpulse des Rechts neu zu rhythmisieren. Nicht mehr die kurzfristige, vornehmlich ökonomisch determinierte Organisation der Ressourcenausbeute ist gefragt, sondern die von gegenwärtigen Interessen nicht allein abhängige qualitative Bewirtschaftung der Umweltgüter auf einen nicht absehbaren Zeitraum hin. Dabei freilich geht der Gesetzgeber nicht durchweg konsequent vor. In rechtstechnischer Hinsicht ist nämlich folgendes festzuhalten: Wenn es auch nicht die Regel ist, so kommt es doch vor, dass sich die Bedeutung des Wortes „nachhaltig“ in zeitgenössischen Gesetzen auf das Element einer langfristigen Wirkung eines Handelns beschränkt 352. §§ 8, 11 BNatSchG a. F. beispielsweise definierte Eingriffe als „erhebliche und nachhaltige“ Beeinträchtigungen des Naturhaushalts – also als qualitativ besondere (nämlich erhebliche) und nachhaltige (also zeitliche) Beeinträchtigungen. Ein prototypisches Nachhaltigkeitsverständnis einer kombinierten Bedeutung wird man wohl dem § 2 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG unterlegen können. Danach sind Naturgüter „soweit sie sich nicht erneuern, sparsam und schonend zu nutzen (..)“. Der Schutz nichterneuerbarer Naturgüter ist also gegenüber ihrer ökonomischen oder sonstigen Nutzbarmachung nachrangig. Jedoch wird die Nutzung dem Erfordernis der Sparsamkeit und der Schonung unterworfen. Demgegenüber dürfen erneuerbare Güter „nur so genutzt werden, dass sie nachhaltig zur Verfügung stehen.“ Die Norm lehnt sich in ihrer Steuerungswirkung also an ein ökologisch-tatsächliches Verständnis von Nachhaltigkeit an, indem sie die Erneuerbarkeit einer Ökosphäre zum Maßstab des zeitlichen Elements des Nachhaltigkeitsbegriffs macht. Ein erneuerbares Umweltgut steht nämlich nur dann nachhaltig – also dauerhaft und ununterbrochen – zur Verfügung, wenn der Faktor seiner Ausbeutung nicht größer ist als die Rate seiner Erneuerung. Wenn man darin auch nicht eine Anerkennung von Natur um ihrer selbst willen sehen kann, werden aber die Strukturen und Grenzen des Naturhaushalts Gegenstand und Maßstab des Normverständnisses. 350 Wahl / Appel, (Fn. 76), S. 60 zum Zukunftsbezug einer Vorsorgeplanung; Rehbinder, (Fn. 324), S. 662. 351 Rehbinder, (Fn. 324), S. 663. 352 Dies beschreibt auch Rehbinder, (Fn. 324), S. 658.

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(3) Nachhaltigkeit und „distributive justice“ Auf einer theoretisch höheren Ebene ist der Begriff der Nachhaltigkeit in seiner zeitlichen Dimension Ausdruck eines Konzepts distributiver Gerechtigkeit als theoretischem Ideal 353. Jedwede Theorie der Gerechtigkeit, die eine gleiche Verteilung an Ressourcen (im weitesten Sinne) verlangt, muss einen Zeitraum benennen, innerhalb dessen das egalitäre Verteilungsmuster gelten soll 354. Über die Bestimmung des maßgeblichen Verteilungszeitpunkts herrscht Uneinigkeit 355. Während von manchen Stimmen eine sequentielle Sichtweise im Sinne von Lebenssegmenten des Einzelnen präferiert wird 356, fassen andere den Zeitraum großzügiger und wollen distributive justice innerhalb des ganzen Lebenszeitraums einer Person 357. In dieser Kontroverse kommen unterschiedlich starke Konzepte von Gerechtigkeit zum Ausdruck. Strebt man Ergebnisgerechtigkeit im Sinne einer Summation von individuellen Vorteilen und Nachteilen an, lässt sich dem complete lives view zwanglos beitreten. Striktere Gerechtigkeitsvorstellungen hingegen müssen sequentialistisch Gerechtigkeit nicht als Ergebnisgerechtigkeit, sondern als Zustandsgerechtigkeit begreifen. Typische Folge einer strikten Herstellung von Gerechtigkeit ist aber die Einbuße an persönlicher Dispositionsfreiheit des Einzelnen – ebenso wie die Überbetonung individueller Freiheit unter dem Aspekt gleicher Gerechtigkeit problematisch ist. Geht es um die Verteilung von natürlichen Ressourcen in der Zeit, stoßen auch die philosophischen Konzepte von Verteilungsgerechtigkeit an Grenzen, beziehen sie sich doch vornehmlich auf die Herstellung von Gleichheit im „Jetzt“. Dies erklärt sich zum Teil aus der Diesseitigkeit der Distributionsgüter (z. B. ökonomische Macht, politische Gestaltungsmacht 358). Die Einbeziehung von übergreifenden Distributionsgütern, nämlich den Umweltressourcen, macht eine Anpassung der theoretischen Überlegungen gleichermaßen nötig wie möglich. Ihre Verteilung in Gegenwart und Zukunft ist dabei ebenso Herausforderung an individuelle Freiheit wie an bürgerschaftliche Gleichheit. Nachhaltiges Ressourcenmanagement in diesem Sinne versucht eine Antwort auf das Spannungsverhältnis von Liberalismus und Egalitarismus durch einen integrativen Ansatz einer „Freiheit 353 Klassisch dazu Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch V, (Nachdruck), 1972; ein moderner Klassiker zum Thema ist J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1979, passim. 354 S. Gosepath, Gleiche Gerechtigkeit, 2004, S. 265 f. 355 Zur Problematik allgemein s. J. C. V. Pezzey / M. Toman, Progress and problems in the economics of sustainability, abrufbar unter http://www.colby.edu/economics/faculty /thtieten/ec476/Toman.pdf, S. 5: Sustainability when? – The choice of time horizon. 356 D. McKerlie, Equality and Time, in: Ethics 99 (1989), S. 274 ff., passim. 357 Gosepath, (Fn. 354), S. 265 f.; Rawls, (Fn. 353), S. 98 f., 204; s. auch R. Dworkin, What is Equality?, Part 2: Equality of Resources, in: Philosophy and Public Affairs 10 (1981), S. 283 ff., vor allem S. 304 f. 358 Zu deren Rang als Prototypen politischer Freiheit s. Gosepath, (Fn. 354), S. 289.

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in Gleichheit“ zu geben 359. Beide Aspekte sind danach einander jeweiliges Komplement zur Verwirklichung eines „einzigen humanistischen Ideals“ 360, nämlich der moralischen Gleichheit aller Menschen 361. Ein solcher Ansatz konstruiert das Verhältnis von Freiheit und Gleichheit als Anspruch (claim) auf gleiche Rechte auf Freiheit, welche eine Gleichverteilung von Gütern voraussetzt 362. Zugrunde liegt dieser Annahme eine These der politischen Philosophie, nach der eine Ungleichverteilung von Gütern (Rechten, Privilegien) grundsätzlich rechtfertigungsbedürftig ist, eine Gleichverteilung hingegen nicht 363, jedenfalls dann, wenn sich aus der Ungleichverteilung Nachteile für Menschen ergeben, die nicht bestünden im Falle einer gleichmäßigen Güterverteilung. Dies bedeutet, dass nicht Ungleichheit als solche problematisch ist, sondern im Gegenteil auch Vorteile beispielsweise in Form von Anreizstrukturen haben kann, sondern Ungleichheit als Problem nur da aktuell wird, wo sie die unbestrittene moralische Gleichheit der Individuen antastet. Eine einseitig gegenwartsorientierte Ausbeutung natürlicher Ressourcen birgt nun aber, wie dargelegt wurde, eine solche moralische Komponente in sich. Sie mindert nämlich die für die menschliche Gleichheit konstitutive Vermutung der Notwendigkeit gleicher Ausgangschancen. Die Minderung dieser Ausgangschancen für die Freiheitsbetätigung künftiger Generationen ist der gleichheitsdogmatische Grund der Nachhaltigkeitsdebatte. Überträgt man diese Überlegungen auf das Ressourcenmanagement, so stellt sich die Frage nach den Unterschieden zur Verteilung herkömmlicher Güter. Dabei ist festzuhalten, dass zwischen den Distributionsgütern der Gegenwart und den natürlichen Ressourcen eine qualitative Differenz besteht, die eine unterschiedliche Behandlung (nämlich unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit) erlaubt. Dieser Unterschied zwischen den Distributionsgütern ist der ihrer zeitlichen Bedeutung einerseits und der ihrer Endlichkeit andererseits. Während politische wie ökonomische Gestaltungsoptionen ihre Bedeutung und Wirkung weitgehend in der Gegenwart des Individuums entfalten und kaum quantifizierbar sind, sind 359 In Anknüpfung an Rawls „Theory of Justice“ (Fn. 353) beschreibt R. Dworkin das Verhältnis von Freiheit und Gleichheit aus Perspektive der Liberalismuskritik als das Verhältnis des Gutem zum Gerechten, ders., Foundations of Liberal Equality, in: Darwall (Hg.), Equal Freedom, 2000, S. 190 f. 360 Gosepath, (Fn. 354), S. 294. 361 R. Dworkin, What is Equality?, Part 3: The Place of Liberty, Iowa Law Review 73 (1987), S. 1 ff, insbes. S. 3, 12. 362 Gosepath, (Fn. 354), S. 293; Dworkin, (Fn. 359), S. 223: „Liberal equality is equality of resources not welfare“, hier freilich unter Zugrundelegung eines abstrakten Ressourcenbegriffs. 363 s. dazu W. Hinsch, Angemessene Gleichheit, in: Geiger / Merle (Hg.), Modelle politischer Philosophie, 2003, S. 260 ff., insbes. mit einer Auseinandersetzung mit Konzepten proportionaler Gleichheit, S. 265 ff.; weiter S. Gosepath, Grundprinzipien einer gerechten Verteilung materieller Güter, ebd., S. 279 ff.

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die ökologischen Ressourcen von kontinuierlicher Bedeutung – und begrenzt. Im engeren Sinne ist ihre Nutzung Gegenstand von Freiheitsbetätigung, im weiteren Sinne bilden sie die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen. Sie sind also in einem höheren Maße Voraussetzung für die sachliche wie ideelle Entfaltung der menschlichen Existenz, unabhängig von deren Bestehenszeitpunkt. Dementsprechend ist ihre Ausbeutung unter freiheits- wie gerechtigkeitsrelevanten Aspekten problematisch. Ist nun die Bedeutung des Distributionsguts gegenüber der Bedeutung herkömmlicher Distributionsgüter eine größere, ist auch der Gerechtigkeitsmaßstab entsprechend strenger. Das bedeutet: Wenn natürliche Ressourcen nicht nur in der Gegenwart, sondern auch in nächster wie ferner Zukunft Freiheitsvoraussetzung sind, ist das egalitäre Verteilungsschema auf diese zeitlichen Dimensionen hin zu konstruieren. Dem Recht fällt dabei die Aufgabe zu, diese Dimension der Lang-Zeitlichkeit in die Gegenwart zu übersetzen. Damit verbunden ist vor allem eine Bestimmung der Grenzen individueller Freiheit unter dem Aspekt gegenwartsübergreifender Gerechtigkeitsmaßstäbe 364. (4) Positive beziehungsweise ressourcenökonomische Dimension Nachhaltigkeit in ihrer positiven Ausprägung stellt einen Auftrag an Gesetzgebung und Verwaltung dar. Sie leistet als unbestimmter Rechtsbegriff eine Programmierung der Staatsgewalten hin auf zukunftsgerichtetes Handeln. Welche Ziele dieses Handeln verfolgt, ist dabei nicht im Einzelnen klar und Gegenstand der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Anders als im Rahmen der Vorsorge ist bei der Diskussion um die Nachhaltigkeit der Aspekt der Ressourcenökonomie von besonderer Bedeutung 365. In dieser positiven Ausprägung findet der Nachhaltigkeitsbegriff seinen Ursprung im Bericht der sogenannten BrundtlandtKommission der Vereinten Nationen und hat Eingang in eine Vielzahl von Gesetzen gefunden. Dabei ist das schon beschriebene Phänomen festzustellen, dass die gesetzgeberischen Fertigkeiten zum Teil zu freiwilligen oder unfreiwilligen Doppelungen der Regelungen geführt haben. So statuiert beispielsweise der bereits genannte § 1 Abs. 1 Landschaftsgesetz NRW in seinen Nrn. 1 und 2, dass Natur und Landschaft so zu pflegen und entwickeln seien, dass die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts (Nr. 1) und die Nutzungsfähigkeit der Naturgüter als Lebensgrundlagen des Menschen nachhaltig gesichert seien. Diese Vorschrift zielt offenbar auf die Nutzung und Bewirtschaftung von Umweltgütern in ihrer Funktion als Wirtschaftsgut ab (Leistungsfähigkeit und Nutzungsfähigkeit), was 364 Gerechtigkeit als Grenze von Freiheit untersucht Gosepath, (Fn. 354), S. 290; s. dazu im Weiteren § 7 III. 2. d) (3) (b). 365 Beaucamp, (Fn. 323), beispielsweise umreißt die hier sogenannte positive Dimension ausschließlich als Aspekt der Ressourcenökonomie und untersucht die Steuerungswirkung des Begriffs für verschiedene Bereiche des Umweltrechts, S. 245 ff.

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kraft Natur der Sache eine Regelungsanordnung ist, deren Relevanz sich erst in der Zeit entfaltet und aufgrund des Regelungskontextes (Natur- und Landschaft) in besonderer Weise einer Langfristigkeit verpflichtet ist, der Zusatz „nachhaltig“ in seiner zeitlichen Dimension hier also kaum von Belang ist. Auch in qualitativer Hinsicht ist durch die Anordnung nachhaltigen Bewirtschaftens kaum etwas gewonnen: Aus der Kombination der Tatbestandsmerkmale „entwickeln / pflegen, Leistungs- / Nutzungsfähigkeit, Lebensgrundlagen des Menschen“ ergibt sich nämlich das Erfordernis einer materiellen Bewirtschaftung, also einer solchen, die über bloße Verteilung des Ressourcen hinausgeht und stattdessen auch Aspekte der Sparsamkeit und Verfügbarkeit berücksichtigt Im Sinne einer geltungsfördernden Interpretation ließe sich das Merkmal „nachhaltig“ in diesem Zusammenhang verstehen als ein umweltspezifisches Optimierungsgebot, welches den damit versehenen Belangen (Langfristigkeit, Leistungsfähigkeit etc.) gegenüber anderen Abwägungsbelangen eine stärkere Durchsetzungsfähigkeit verleiht 366. Unter diesen Voraussetzungen würde aber die Strukturierung des Begriffs in eine zeitliche und qualitative Dimension obsolet, da er diese Strukturierung bereits aus der restlichen Norm beziehen würde und diese selbst eben nur wirkungsverstärken würde. Dieser Ansatz wird im Grunde jedoch bestärkt durch den Art. 20a GG, in welchem zumindest Teilaspekte der Nachhaltigkeit über die Inbezugnahme der „zukünftigen Generationen“ verrechtlicht werden. Im Lichte des Art. 20a GG wird dem Grundsatz der Nachhaltigkeit zum Teil auch ein Verschlechterungsverbot entnommen, wobei dies dem Grunde und dem Umfange nach streitig ist 367. Fasst man Art. 20a GG als Staatszielbestimmung des Zwecks auf, die Umweltsituation gegenüber dem Zeitpunkt ihrer Einführung 1994 zu verbessern, liegt der Schritt zu einem Verschlechterungsgebot nahe 368. Auf der anderen Seite legt der Wortlaut der Vorschrift eher ein Abwägungsmodell nahe, in dem die ökologischen Belange durch Art. 20a GG rechtlich aufgewertet werden, was jedenfalls einem Verständnis der Norm als absolutem Verschlechterungsverbot entgegensteht 369. Ein anderer Ansatz liegt darin, die Funktion des Nachhaltigkeitsbegriffes in diesem Kontext als Anreicherung des Tatbestands mit „ungeschriebenen“ Belangen zu sehen. Geht man vom umfassenden politischen Nachhaltigkeitsbegriff aus, der ökologische, ökonomische und soziale Belange in einer Gleichzeitigkeit 366 Zur Rolle von Prinzipien als Optimierungsgeboten s. – in Auseinandersetzung mit Alexy (Fn. 132) – W. Enderlein, Abwägung in Recht und Moral, 1992, S. 87 f. 367 Dafür wohl Kloepfer, (Fn. 35), § 4 Rn. 35; Murswiek, (Fn. 200), Art. 20a Rn. 44. Eher ablehnend: B. Söhnlein, Die Landnutzung im Umweltstaat des Grundgesetzes, Stuttgart 1999, S. 122 f. 368 So Murswiek, (Fn. 200), Art. 20a Rn. 44. 369 So Rehbinder, (Fn. 324), S. 659.

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zu verwirklichen trachtet 370 und einen Ausgleich von verschiedenen rechtlichen Interessen gerade auch unter Berücksichtigung zukünftig Betroffener leisten will, würden solche Belange durch die Einbeziehung in den Tatbestand rechtlich aufgewertet. Dies entbindet den Rechtsanwender allerdings nicht von einer Abwägung im Einzelfall, in dem sich im Zweifel grundrechtlich aufgeladene Rechtspositionen gegenwärtig Betroffener gegenüber nicht individualisierbaren Rechten und Interessen zukünftiger Betroffener durchsetzen werden. Hinzu käme noch, dass unter solchen Voraussetzungen der Nachhaltigkeitsbegriff an rechtsstaatliche Grenzen stieße, jedenfalls soweit die durch ihn aufgewertete Norm als Grundlage für Freiheitsbeschränkungen herhalten muss, da dem Gebot hinreichender Bestimmtheit nach dieser Maßgabe nicht mehr Genüge getan wäre. Daran wird deutlich, dass der Begriff der Nachhaltigkeit in seiner positiven Ausfaltung im Alltag der Rechtsanwendung an vielerlei Grenzen stößt, was nicht zuletzt auf seine recht unspezifische Verwendung durch den Gesetzgeber zurückzuführen ist. Auf der anderen Seite birgt er die Chance, die vom ökologischen Standpunkt nötige, vom rechtlichen Standpunkt aber nur schwer zu bewältigende Öffnung der Rechtsordnung hin zu zukünftigen Entwicklungen und Problemen mit zu initiieren. (5) Negative Dimension In seiner negativen Dimension charakterisiert der Begriff der Nachhaltigkeit die Qualität eines Eingriffs in bestimmte Umweltgüter 371 und dessen Dauer. Ein typisches Beispiel bildet auch hier das Naturschutzrecht, namentlich § 2 Abs. 1 Nr. 5 BNatSchG, wonach gilt: „(..) empfindliche Bestandteile des Naturhaushalts dürfen nicht nachhaltig geschädigt werden.“ Ähnliche Beispiele finden sich in den Vorschriften des Umweltstrafrechts, z. B. in § 326 Abs. 1 Nr. 4a StGB. Es ist im Besonderen diese Ausprägung des Nachhaltigkeitsbegriffes, die Zweifel an seiner Notwendigkeit schürt. Sofern es um die Beeinträchtigung eines Schutzgutes geht (Gewässer, z. B. in § 326 Abs. 1 Nr. 4a StGB), vermag die klassische Auslegung bereits Hinreichendes zu leisten, um unterschiedliche Qualitätsstandards eines Rechtsgüterschutzes zu realisieren. Über den gefahrenabwehrrechtlichen Grundsatz umgekehrter Proportionalität ist dem Rechtsanwender nämlich das Mittel einer abgestuften Steuerung in die Hand gegeben. Von Verfassungs wegen gleichsam anwendungsimmanent ist den verwaltungsrechtlichen Vorschriften zudem der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der über seine drei- beziehungsweise vierstufige Prüfung staatlicher Interventionen (in ein bestimmtes schädigendes Dritthandeln) eine normative Bewertung der jeweils betroffenen 370

s. dazu § 2 II. 3. b). Beaucamp, (Fn. 323), S. 243; zur negativen Dimension auch Rehbinder, (Fn. 324), S. 662. 371

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Schutzgüter möglich macht. Durch das Aufladen solcher negativen Tatbestände durch den Nachhaltigkeitsbegriff verdoppelt man die ansonsten durch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung besorgte Güterabwägung; denn wie sonst soll tatbestandlich das Vorliegen eines nachhaltigen Schadens beurteilt werden, wenn nicht zumindest auch durch eine Einbeziehung des betroffenen Schutzgutes? Eine solche Isolierung des Schutzgutes aus der normativen Betrachtung löst auch die normativen Bezüge und macht eine sachgerechte Tatbestandsanwendung nicht einfacher. Wenn die Simplizität ihrer Anwendung an sich natürlich kein hinreichendes Kriterium für die Beurteilung einer Norm beziehungsweise ihrer Tatbestandsmerkmale ist, so sollte das jeweilige Merkmal aber jedenfalls einen Steuerungsgewinn bringen. Ob das in den Fällen der negativen Nachhaltigkeit der Fall ist, ist aber zweifelhaft. d) Konvergenzen der Umweltrechtsprinzipien Wendet man sich von einer grundsätzlichen Sichtweise auf die Probleme einer ökologisch sich orientierenden Rechtsordnung ab und wendet sich hin zu dogmatischen Strukturfragen, so rückt die Frage nach Konvergenzen und Divergenzen der Umweltrechtsprinzipien, insbesondere zwischen Vorsorgeprinzip und dem Grundsatz der Nachhaltigkeit, in den Mittelpunkt 372. Dabei ist zunächst eine Unterscheidung der Prinzipien nach der Art ihres Steuerungszwecks vorzunehmen 373. (1) Modal- und Finalprinzipien Namentlich zu unterscheiden sind solche Prinzipien, die nicht die Aufgabe selbst (Erhalt eines hohen Schutzniveaus der Umwelt), sondern die Art und Weise der Aufgabenerfüllung zum Gegenstand haben. Dazu zählen das Verursacherprinzip, das Kooperationsprinzip 374 sowie das Integrationsprinzip des Art. 6 EG 375. Sie sind in ihrer Wirkung rein formal und auswirkungsneutral, was den Stand des Umweltschutzes anbelangt. Sie sind von daher zu bezeichnen als Modalprinzipien 376. 372 Ausgeblendet bleiben sollen hier weitere Verwandtschaftsbeziehungen, so z. B. zwischen Nachhaltigkeit und dem UVP-Gedanken oder dem des integrativen Umweltschutzes, zu beidem aber Appel, (Fn. 13), S. 318 ff.; s. zum integrativen Umweltschutz aber § 6 I. 373 Dazu im Ganzen Murswiek, Schadensvermeidung – Risikobewältigung – Ressourcenbewirtschaftung: Zum Verhältnis des Schutz-, des Vorsorge- und des Nachhaltigkeitsprinzips als Prinzipien des Umweltrechts, in: Osterloh / Schmidt / Weber (Hrsg.), Staat, Wirtschaft, Finanzverfassung, FS Selmer, 2004, S. 418 f. 374 Kritisch dazu Voßkuhle, (Fn. 162), passim; kritisch auch Murswiek, (Fn. 184). 375 Dazu § 6 I. 376 Murswiek, (Fn. 372), S. 419.

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Demgegenüber zielen das Schutz- und das Vorsorgeprinzip sowie der Grundsatz der Nachhaltigkeit ab auf einen bestimmten qualitativen Zustand der Umwelt beziehungsweise des jeweilig in Bezug genommenen Umweltmediums. Sie lassen sich in Abgrenzung zu den Modalprinzipien auch als zweckgerichtete Finalprinzipien bezeichnen 377. Abgrenzungsbedarf besteht hier allein zwischen Prinzipien mit materiellen Inhalten. Die Modalprinzipien spiegeln nur Steuerungsmechanismen des Umweltrechts, mit welchen es versucht, die inhaltlichen Ziele zu verwirklichen. Dies kann situativ variieren, Mittel von Befehl und Zwang (Verursacherprinzip) kommen ebenso in Betracht wie verfahrensrechtliche Instrumente im engeren Sinne (Integrationsprinzip) oder kooperative Elemente. (2) Nachhaltigkeit und Schutzgrundsatz Wesentlicher Unterschied zwischen dem Grundsatz der Nachhaltigkeit und dem Schutzgrundsatz 378 ist das Objekt des Schutzes. Der Schutzgrundsatz zielt ab auf eine möglichst wirksame Einhegung einzelner und – im Kontext des prozessrechtlich interessierenden subjektiven Rechts – oft auch individueller wie aber auch konkret-kollektiver Rechtsgüter 379. Demgegenüber wählt der Grundsatz der Nachhaltigkeit einen zwar ähnlichen, jedoch generelleren Ansatz, indem er die Ressource selbst in den Mittelpunkt stellt. Während der Schutzgrundsatz also beispielsweise das Medium Luft, wiewohl in § 1 BImSchG genannt, nicht als solches, sondern nur im Rahmen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG schützt, schützt der Nachhaltigkeitsgrundsatz das Medium als Lebensgrundlage des Menschen außerhalb konkreter Gefährdungslagen. Die gefahrenabwehrrechtliche Herkunft des Schutzgrundsatzes begründet auch, dass seine Interventionswirkung begrenzt ist auf nachvollziehbare Kausalzusammenhänge, wohingegen Nachhaltigkeit beispielsweise auch die Schäden verhindern soll, die sich durch Risikosummation ergeben. Überhöht man diesen Gedanken unter Zugrundelegung der verschiedenen Schutzobjekte, so lässt sich verallgemeinernd feststellen, dass die Umweltgüter als Lebensgrundlagen vom Schutzgrundsatz erfasst werden, die Nachhaltigkeit aber die Umweltgüter als Lebensvoraussetzung schützen soll. Der Funktionalitätszusammenhang „Umweltgut als konkrete Lebensgrundlage“, der letztlich Ausdruck der Indivi377 Murswiek, (Fn. 372), S. 420, unterscheidet terminologisch zwischen den Modalprinzipien als Sekundär- und den hier so bezeichneten Finalprinzipien als Primärzielen des Umweltrechts. 378 Dieser kann mit Murswiek, (Fn. 372), S. 420 ff., weiter differenziert werden in das Schadensvermeidungs- und Gefahrenabwehrprinzip. 379 Als kollektive Rechtsgüter sind beispielsweise Schutzgebiete (im untechnischen Sinne) nach §§ 22 ff. BNatSchG anzusehen.

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dualzentriertheit des Rechts ist, wird im Vergleich der beiden Prinzipien im Kontext der Nachhaltigkeit somit zwar nicht aufgegeben, jedoch gelockert 380. Diese Lockerung führt dazu, dass die Perspektive der beiden Prinzipien eine andere ist: Der Schutzgrundsatz will Freiheitsbeschränkungen (beispielsweise durch schädliche Umwelteinwirkungen) vermeiden, die Nachhaltigkeit hat unmittelbar freiheitsbeschränkende Wirkung, weil sie nicht die Handlung (Betrieb einer Anlage), sondern deren Folgen in den Blick nimmt – freilich mit dem Ziel, Freiheitsbetätigung auf Dauer zu ermöglichen 381. (3) Nachhaltigkeit und Vorsorge Was die politische und gesellschaftliche Aufmerksamkeit und Verwendung betrifft, so hat „Nachhaltigkeit“ als Begriff des Umweltschutzes der 1990er Jahre die „Vorsorge“ als Umweltschutztopos der 1970er Jahre abgelöst. Vorsorge hat sich jedoch als Begriff und Konzept des Rechts bereits weitgehend etabliert, so dass sich die Frage stellt, wie sich beide Konzepte, sofern sie im Recht parallel verwandt werden, voneinander scheiden lassen 382. Dabei ist zunächst darauf hinzuweisen, dass ähnlich wie im Kontext der Vorsorge, engere und weitere Auffassungen über den Inhalt des Nachhaltigkeitsbegriffs vertreten werden. Spiegelt sich in der weiten Auffassung das hier schon angesprochene Säulen-Modell aus Ökologie, Ökonomie und sozialer Dimension 383, will eine andere Ansicht mit der Begrenzung der Nachhaltigkeit auf ökologische Fragen ein Ausspielen ökologischer Belange gegen ökonomische Belange vermeiden 384 und Nachhaltigkeit verstehen als Synonym für die ressourcenschonende beziehungsweise planende Dimension des Vorsorgeprinzips 385. Aus dieser Perspektive betrachtet ergeben sich bei den Möglichkeiten der Nachhaltigkeitsimplementierung auch weitgehende Überschneidungen mit den Mitteln der Vorsorge 386. Dementsprechend werden auch hier wie dort die „planerischen Elemente“ 387 einer qualitätsorientierten Umweltpolitik betont. 380 Gleichwohl bleibt er, vor allem im Rahmen des Art. 20a GG, noch bestehen; zu den daraus resultierenden Friktionen s. § 5 II. 381 Dazu ausführlich § 5 II. sowie § 7 III. 2. d) (2). 382 Dazu auch Appel, (Fn. 13), S. 312 ff. 383 s. dazu auch Sparwasser / Engel / Voßkuhle, (Fn. 32), Kap. 2 Rn. 23. 384 Dazu § 2 II. 1. e) (1) sowie § 7 III. 2. d) (1). 385 So z. B. v. Bubnoff, (Fn. 322), S. 90; Steinberg, (Fn. 199), Umweltschutz, S. 112 f.; I. Appel, Europas Sorge um die Vorsorge, NVwZ 2001, S. 395 ff., 397 geht von einem Näheverhältnis der Prinzipien aus; s. jetzt auch ders., (Fn. 13), S. 312 ff., insbes. S. 314 f., der die Abgrenzungsdiskussion vor allem im Bereich der Kongruenz von ressourcenökonomischer Deutung des Vorsorgeprinzips und der Nachhaltigkeit für notwendig erachtet. 386 s. die Übersicht bei Sparwasser / Engel / Voßkuhle, (Fn. 32), Kap. 2 Rn. 29, die beispielsweise von „Kontrollerlaubnissen mit dynamischen Betreiberpflichten“ sprechen und auf die Vorsorgepflicht des § 5 I S. 1 Nr. 2 BImSchG verweisen.

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Eine der umfangreichsten und maßstabsetzenden Ausarbeitungen zu den inhaltlichen Dimensionen des Nachhaltigkeitsgrundsatzes ist die von der Bundesregierung vorgelegte nationale Nachhaltigkeitsstrategie „Perspektiven für Deutschland“ 388. Danach kommt dem Nachhaltigkeitsbegriff ein wesentlicher Gehalt zu, der ihn zwar nicht qualitativ, aber doch quantitativ von der Vorsorge unterscheidet, nämlich die Dimension intergenerationeller Gerechtigkeit 389. Bezogen wird der Grundgedanke einer generationenübergreifenden staatlichen Politik von der Bundesregierung auf zahlreiche, nicht allein ökologische Fragestellungen. So sind Gegenstand ihrer Nachhaltigkeitsstrategie auch Fragen des Wirtschaftswachstums, der Bildung, der Beschäftigung, Ausländerintegration und weitere mehr 390. Schon die Vorsorge wirkt planend in eine im Einzelfall näher zu bestimmende Zukunft, Nachhaltigkeit hingegen wählt eine größer dimensionierte Perspektive auf rechtliche und politische Steuerungsentscheidungen: Während es der Vorsorge meistenteils um das rationale Management spezifischer Gefahren- und Risikosituationen geht, ist die Perspektive der Nachhaltigkeit die einer Ergebnisgerechtigkeit im Ganzen 391. Sie kann verstanden werden als ein (mehr oder weniger) positiviertes Korrektiv gegenüber den meist kleinteiligen Steuerungsappellen des Rechts. Zur Vorsorge steht eine so verstandene Nachhaltigkeit in einer Zweck-Mittel-Relation 392. Vorsorge zu betreiben erweist sich als die greifbare Ausformung des vergleichsweise ungewissen Nachhaltigkeitskonzepts. Solange dieses allerdings keine weitere rechtsdogmatische Ausfaltung erhält, vermag die Idee der intergenerationellen Gerechtigkeit als typisierendes Merkmal der Nachhaltigkeit nur insoweit Wirkung zu entfalten, wie der Vorsorgebegriff gegenüber den Belangen qualitativer Umweltplanung durchlässig gestaltet wird; namentlich gewinnt im Lichte des Nachhaltigkeitskonzepts die ressourcenschonende Deutung der umweltrechtlichen Vorsorgepflicht wirkungsverstärkende Impulse.

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Sparwasser / Engel / Voßkuhle, (Fn. 32), Kap. 2 Rn. 30. Die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung, Perspektiven für Deutschland, ist abrufbar unter http://www.bundesregierung.de/Webs/Breg/nachhaltigkeit/DE /Startseite/Startseite.html. 389 Bundesregierung, (Fn. 388), S. 50; zu philosophischen Aspekten der Nachhaltigkeitsdebatte s. umfassend Mittelstraß (Hg.), (Fn. 68), S. 253 ff. („Technik und Langzeitverantwortung“). 390 Bundesregierung, (Fn. 388), S. 93 ff. 391 Zu den Bezügen zwischen Nachhaltigkeit und distributive justice s.§ 2 II. 3. c) (3). 392 Bundesregierung, (Fn. 388), S. 50. 388

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4. Das Vorsorgeprinzip im Europarecht Das Vorsorgeprinzip ist nicht allein eine Erscheinung der nationalen Rechtsordnung, sondern auch – und im Hinblick auf seine subjektivrechtliche Qualität vor allem – eine Kategorie des Europarechts 393. Umweltschutz generell ist ein primärrechtlich abgesichertes Ziel europäischer Politik. Insbesondere der EG-Vertrag behandelt in einer Reihe von Vorschriften Belange des Umweltschutzes, so zum Beispiel in Art. 2 EG („umweltverträgliches Wachstum“), Art. 3 lit. 1 EG („Politik auf dem Gebiet der Umwelt“). Der Schutz der Umwelt ist durch die Querschnittsklausel des Art. 6 EG an prominenter Stelle verankert und überformt die Politiken der Gemeinschaft 394, wie sie in Art. 3 EG niedergelegt sind. In der geltenden Fassung kommt der Vorschrift, anders als der alten Querschnittsklausel in Art. 130r Abs. 2 S. 2 EWGV, die teils als rein politische Zielvorgabe gewertet wurde 395, rechtliche Bindungswirkung zu. Ihre Stoßrichtung ist insoweit deutlicher als die entsprechende nationalrechtliche Staatszielbestimmung des Art. 20a GG, die eine Ökologisierung des Staatshandelns gerade nicht vornimmt 396 – wenngleich auch das Europarecht keinen absoluten Vorrang des Umweltschutzes kennt 397. Die EG-rechtliche Querschnittsklausel des Art. 6 EG erweist sich in ihrer erstarkten Form als Antwort auf auch europarechtlich zu konstatierende Vollzugsdefizite im Bereich des Umweltrechts 398. Ihre (kompetenzrechtliche) Ausformung erhalten die Vorschriften der Art. 3 und 6 EG in den Art. 174 ff. EG. Sie grundieren die Umweltpolitik der Gemeinschaft auf der Basis verschiedener rechtlicher Prinzipien 399, nicht bloß politischer Vorgaben. Zu diesen zählen das „Prinzip des hohen Schutzniveaus“ (Art. 174 393

Deutlich hierzu z. B. H.-J. Koch, Das Subsidiaritätsprinzip im europäischen Umweltrecht, 2004, S. 59; G. Lübbe-Wolff, Präventiver Umweltschutz – Auftrag und Grenzen des Vorsorgeprinzips im deutschen und europäischen Recht, in: Bizer / Koch (Hg.), Sicherheit, Vielfalt, Solidarität, 1998, S. 47 ff., insbes. S. 61 ff. zum Verhältnis zur Nachhaltigkeit; s. auch C. Calliess, Zur Maßstabswirkung des Vorsorgeprinzips im Recht, VerwArch 94 (2003), S. 389 ff.; H.-W. Rengeling, Umweltvorsorge und ihre Grenzen im EWG-Recht, 1989; s. jetzt auch Appel, (Fn. 13), S. 199 ff. 394 A. Epiney / A. Furrer, Umweltschutz nach Maastricht, EuR 1992, S. 369 ff., 373 sprechen vom „Gemeinschaftsziel Umweltschutz“. 395 Z. B. bei W. Haneklaus, Zur Verankerung umweltpolitischer Ziele im EWG-Vertrag, DVBl. 1990, S. 1135 ff., 1137. 396 s. dazu § 5 II. 397 Zum Rangverhältnis des Umweltschutzes s. M. Zuleeg, Umweltschutz in der Rechtsprechung des EuGH, NJW 1993, S. 31 ff., 35 (relativer Vorrang) sowie W. Kahl, Der EuGH als „Motor des europäischen Umweltschutzes“?, ThürVBl. 1994, S. 225 ff., 227. 398 C. Calliess, in: ders. / Ruffert (Hg.), (Fn. 208), Art. 6 EG Rn. 2. 399 M. Nettesheim, in: Grabitz / Hilf (Hg.), Das Recht der Europäischen Union, Kommentar, Bd. III, 32. Lfg April 2007, Art. 174 Rn. 30 ff.]

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Abs. 2 S. 1 EG), das „Prinzip der regionalen Differenzierung“ (Art. 174 Abs. 2 S. 1 EG), das Vorsorge- und Vorbeugeprinzip (Art. 174 Abs. 2 S. 2 EG) sowie Ursprungs 400-, Verursacher 401- und Integrationsprinzip 402. Wiewohl die Lektüre des Art. 174 Abs. 2 EG den Eindruck erwecken könnte, das Vorsorgeprinzip rangiere gleichrangig neben den anderen genannten Prinzipien des europäischen Umweltrechts, genießt es eine Vorrangstellung. Die Mitteilung der Kommission über die Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips 403 sieht seinen Anwendungsbereich nicht durch den Wortlaut des Art. 174 Abs. 2 S. 2 EG abschließend beschrieben, sondern versteht das Vorsorgeprinzip als allgemeines Rechtsprinzip des gesamten Umwelt- und Gesundheitsbereichs 404. Zwar kommt der Erklärung der Kommission selbst keine rechtliche Bindungswirkung zu 405, sie entfaltet aber als Auslegungsrichtlinie faktische Bindungswirkung. Obwohl also das europäische Primärrecht die Idee der Vorsorge an prominenter Stelle verankert, sind im Detail manche Fragen seiner Reichweite und seines Inhalts ungeklärt, insofern spiegelt das europäische Recht lediglich die Rechtsunsicherheit, die auch auf nationaler Ebene anzutreffen ist 406. Namentlich streitig ist die Eignung des europarechtlichen Vorsorgegrundsatzes als Befugnisnorm für Eingriffsmaßnahmen 407. Während unter dem Blickwinkel der Implementationsverbesserung umweltrechtlicher Vorschriften die Heranziehung des Vorsorgegrundsatzes als Eingriffsermächtigung sich durchaus anbietet (zumal, wie noch zu zeigen sein wird, gerade das Verhältnis der Vorsorge zu grundrechtlichen Gewährleistungen ein dogmatisch problematisches ist 408), ist unter dem Aspekt des Gesetzesvorbehaltes einer (zu großzügigen) Anwendung ein Riegel vorgeschoben. Es ist nämlich überaus fraglich, ob rechtsstaatliche Mindeststandards im Hinblick auf die normative Bestimmtheit des Prinzips gewahrt sind. Relativiert wird dieses Problem zu einem Gutteil jedoch dadurch, dass dem allgemeinen Rechtsgedanken des lex specialis derogat legi generali auch im Europarecht dadurch Rechnung getragen wird, dass sekundärrechtliche Konkre-

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Auch Quellenprinzip genannt, Art. 174 II S. 2 EG. Art. 174 II S. 2 EG. 402 Fließend aus Art. 6 EG – Umweltschutz als Querschnittsaufgabe, zur Idee des integrativen Umweltschutzes s. ausführlich § 6 I. 403 KOM (00) 1, abrufbar unter: http://eurlex.europa.eu/LexUriServ/site/de/com/2000 /com2000_0001de01.pdf. 404 Appel, (Fn. 385), S. 397. 405 H.-W. Rengeling, Bedeutung und Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips im europäischen Umweltrecht, DVBl. 2000, S. 1473 ff., 1478. 406 Zu den Gründen ausführlich § 1 III. 407 Appel, (Fn. 13), S. 371; Rengeling, (Fn. 405), S. 1477. 408 s. dazu ausführlich § 7 III. 2. d) (2). 401

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tisierungen des Vorsorgeprinzips, z. B. im Rahmen der IVU-Richtlinie und ihrer Umsetzungen, Anwendungsvorrang gebührt. Wesentlicher struktureller Unterschied der europarechtlichen gegenüber der nationalrechtlichen Vorsorge ist das Verständnis von Vorsorge als Prävention unter Unsicherheitsbedingungen 409. Anders als das deutsche Gefahrenabwehrrecht, das herkömmlich trennt zwischen Gefahrenabwehr und gefahrenunabhängiger Risikovorsorge (und gegebenenfalls dem hinzunehmenden Restrisiko 410), kommt es der europarechtlich geprägten Vorsorge auf die Nichtausschöpfung kritischer Belastungsgrenzen an 411. Dabei unterscheidet das Europarecht zweierlei, nämlich den Vorsorgeanlass und die Vorsorgemaßnahmen 412. Der Rückgriff auf das Vorsorgeprinzip (der Anlass) ist davon abhängig, dass zunächst die möglichen negativen Folgen eines bestimmten Sachverhalts erfasst werden und eine umfassende wissenschaftliche Risikoanalyse durchgeführt wird, die keine eindeutige Bewertung der Risikosituation ergibt 413. Dieses Modell ist gegenüber dem deutschen Vorsorgemodell mit seinen Schwellen-Strukturen und der mit ihnen einhergehenden unterschiedlichen subjektivrechtlichen Behandlung insoweit deutlich komplizierter. Es kennt aber die gleichen Probleme der Tatsachenungewissheit, wählt jedoch bei der Bewältigung den Ansatz einer Lösung per definitionem durch die Festlegung von bestimmten Grenzwerten. Auf der Grundlage einer festgestellten Tatsachenungewissheit ordnet das Europarecht sodann die Ergreifung von Maßnahmen zur Vorsorge an, die aber ausweislich der Auffassung der Kommission politische Entscheidungen sind, die abhängig sind vom gesellschaftlich akzeptierten Risikoniveau 414. Auch hier unterscheidet sich der europarechtliche Ansatz deutlich von dem der deutschen Rechtsordnung. Während diese die Entscheidung über die Notwendigkeit von Vorsorgemaßnahmen normativ internalisiert hat (Grenzwertfestsetzungen, TA Luft, TA Lärm, TA Siedlungsabfall), lässt das Europarecht bereits eine Risikoungewissheit ausreichen, ist insofern also großzügiger, stellt dann aber den Umfang der Maßnahme in das politische Ermessen der Gesellschaft. 409 Einen rechtswissenschaftlich-interdisziplinären Ansatz vertritt hierzu (außerhalb der konkreten Vorsorgeproblematik) Engel, (Fn. 248), der Berührungspunkte mit Fragen der Ökonomie, S. 307 ff., der Psychologie, S. 324 ff., der Systemtheorie, S. 337 ff., und der Kulturtheorie, S. 342 ff., darstellt. 410 Insgesamt dazu s. § 2 II. 2. 411 G. Lübbe-Wolff, IVU-Richtlinie und Europäisches Vorsorgeprinzip, NVwZ 1998, S. 777 ff., 779. 412 Rengeling, (Fn. 405), S. 1478; so differenziert auch Calliess, (Fn. 247), S. 1727 für das deutsche Recht. 413 Appel, (Fn. 385), S. 396. 414 KOM (00) 1, (Fn. 403), S. 18.

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Bedeutsam ist der Unterschied zwischen den Modellen insoweit, als dass im nationalen Recht bei der Frage danach, ob Risiken bestehen (Grenzwertfestsetzung in den technischen Anleitungen), bereits die Einbeziehung des politischen Elements vorgesehen ist, die Risikoanalyse also gleichsam sozialisiert wird 415. Demgegenüber überlässt das Europarecht die Risikoanalyse weitgehend den Maßstäben der Wissenschaft. Hätte dies zur Folge, dass – anders als im partizipativen und interessengeprägten Verfahren deutscher Provenienz – eine objektivere Risikobewertung vonstatten ginge, so wäre dies mindestens mit einem Zugewinn an Rationalität verbunden. Dass aber wissenschaftliche Analyse allein eine akzeptable Risikoeinschätzung produziert, wird unter Infragestellung ihrer Maßstäblichkeit bezweifelt – nicht wissenschaftliche Analyse determiniere verbindlich das Vorliegen eines Risikos, sondern soziale Akzeptabilität 416. Im Vergleich der beiden Systeme berechenbarer ist das deutsche, weil es im Vergleich mit dem Europarecht verbindliche Festsetzungen trifft und daran dann die im Ermessen der handelnden Behörde stehenden Maßnahmen knüpft. Den größeren Gestaltungsspielraum eröffnet freilich das Europarecht, weil es sich einer strikten Festlegung dessen, was es als Risiko verstehen möchte, enthält und die Reaktionsmöglichkeiten auf eine vorgefundene Risikolage gleichsam „öffentlich“ verhandelt. Das Verfahren der Risikoanalyse im europäischen Umweltrecht verläuft dreistufig und besteht aus den Schritten Risikobewertung – Risikomanagement-Strategie – Information über Risiken 417. Die eingehende Bewertung der in Frage 415 s. zum Spannungsverhältnis von wissenschaftlicher Risikoanalyse und gesellschaftlicher Risikobewertung aus soziologischer Perspektive Beck, Risikogesellschaft, (Fn. 301), S. 254 ff., der die Präponderanz ingenieurwissenschaftlicher Risikoeinschätzung zugunsten sozial akzeptierter Risikobewertungen zurückdrängen will. Ob freilich das etablierte System der Risikobewertung unter Einbeziehung „beteiligter Kreise“ eine solche Sozialisierung von Risikobewertung leistet, muss bezweifelt werden. Entscheidend dürfte nach Beck sein die Einbeziehung der nicht beteiligten Kreise, der bloß allgemein Betroffenen (im Gegensatz zum juristischen Gegenbegriff der „Nachbarn“); s. zu verschiedenen Formen der Regelungstechniken und Risikobewertungen auch übersichtlich A. Roßnagel, Risikobewertung im Recht, in: Bizer / Koch (Hg.), Sicherheit, Vielfalt, Solidarität, 1998, S. 75 ff.; weiter auch J. S. Applegate, Worst Things First: Risk, Information and Regulatory Structure in Toxic Substances Control, Yale Journal on Regulation 9 (1992), S. 277 ff., passim; s. zum weitergehenden Problem der Risikozurechung J. Lege, Die Zurechnung neuer Risiken im Technik- und Umweltrecht, in: Kaufmann / Renzikowski (Hg.), Zurechnung als Operationalisierung von Verantwortung, 2004, S. 173 ff.; dazu auch W. Lübbe (Hg.), Kausalität und Zurechnung, 1994. 416 Beck, Risikogesellschaft, (Fn. 301), S. 254 ff.; s. zur Problematik der normativen Risikobewertung F. Ossenbühl, Die Bewertung technischer Risiken bei der Rechtsetzung, DÖV 1982, S. 833 ff., 835 zum Modell einer stufenweisen Risiko-Konkretisierung; s. M. J. Montoro Chiner, Rechtssicherheit, Vorsorgeprinzip und wissenschaftliche Ausschüsse, ZÖR 59 (2004), S. 1 ff. zum Problem der verbindlichen Konkretisierung von Vorsorgeinhalten und der zugehörigen Kompetenz, passim.

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stehenden Risiken soll in jeder Handlungsphase die Benennung der wissenschaftlichen Unsicherheit möglich machen. Die Risikobewertung erfolgt ihrerseits in einem vierstufigen Verfahren der Ermittlung der Gefahrenquellen (1), der Gefahrenbeschreibung (2), der Risikoabschätzung (3), worunter man die Bestimmung der Wahrscheinlichkeit einer Kontamination versteht, sowie (4) die Risikobeschreibung, bei der die Risiken im engeren Sinne beschrieben werden, also Wahrscheinlichkeit, Häufigkeit und Schweregrad bekannter oder möglicher umwelt- oder gesundheitsschädlicher Wirkungen. Im Rahmen der Risikomanagement-Strategie geht es um das „ob“ der zu ergreifenden Maßnahmen, also im engeren Sinne um die Umsetzung von Vorsorgebelangen nach Maßgabe des Vorsichtsprinzips 418. Die Entscheidung erfolgt unter Einbeziehung der wissenschaftlichen Bewertung und der möglichen Folgen bei Nicht-Einschreiten. Zwar sind die Anforderungen an ein vorsorgliches Einschreiten aufgrund der vom nationalen Recht unterschiedlichen Vorsorgekonzeption geringer, jedoch verlangt auch das Europarecht ein mindestens „potentielles Risiko“. Die gegebenenfalls zu ergreifenden Vorsorgemaßnahmen unterliegen insgesamt fünf allgemeinen Grundsätzen des Risikomanagements, nämlich dem Verhältnismäßigkeitsprinzip, dem Diskriminierungsverbot, dem Gebot der Kohärenz sowie einer umfassenden Folgen-Abwägung bei Einschreiten beziehungsweise Nicht-Einschreiten 419. Die Mitteilung der Kommission konzentriert sich inhaltlich auf die Vorsorge im Kontext des Lebensmittel-, Stoff- und Produktsicherheitsrechts. Die umweltrechtliche Vorsorge wird von der Kommission nur am Rande und auch nicht in Form ihrer ressourcenökonomischen Dimension behandelt, was angesichts der Verankerung des Nachhaltigkeitsgrundsatzes im EG-Primärrecht durch den Amsterdamer Vertrag und des Standes der Vorsorgedogmatik im Allgemeinen Wunder nimmt 420.

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s. Grünbuch der Kommission über die allgemeinen Grundsätze der Lebensmittelsicherheit v. 30. 04. 1997, KOM (97) 176 endg.; sowie Kommissionsmitteilung „Gesundheit der Verbraucher und Lebensmittelsicherheit“, KOM (97) 183. 418 Kommissionsmitteilung „Gesundheit der Verbraucher und Lebensmittelsicherheit“, KOM (97) 183. 419 Mitteilung der Europäischen Kommission über die Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips vom 02. 02. 2000, S. 21. 420 Dazu Appel, (Fn. 385), S. 397.

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5. Der drittschützende Gehalt der Vorsorgepflicht nach geltendem Recht a) Nationale Rechtslage Nach Auffassung sowohl der Literatur wie auch der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kommt der Vorsorgepflicht des § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BImSchG grundsätzlich keine drittschützende Wirkung zu 421. Während anfänglich ein drittschützender Gehalt der Vorschrift von der Rechtsprechung bejaht wurde 422, geht man heute davon aus, dass die Interessen Dritter bereits hinreichend durch den (drittschützenden) Schutzgrundsatz des § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BImSchG abgedeckt sind 423. Vorsorge dient danach nur einer Minderung des Kollektivrisikos und entfaltet auch da, wo sie „Lästigkeitsvorsorge“ ist, keine drittschützende Wirkung mit der Folge, dass rechtlich als zumutbar angesehene Lebensverhältnisse durch sie weiter optimiert würden 424. In dieser Ausprägung erweist Vorsorge sich auch im Rechtsschutzkontext daher als Ausdruck der Vergesellschaftung dessen, was als Risiko bezeichnet wird beziehungsweise mit seiner Zurechnung. Die Vergesellschaftung des Risikos „führt zu einer Abkehr von einer akteurszentrierten Rechtsordnung“ – und verursacht dadurch erhebliche Folgeprobleme, dass „Gesellschaft“ kein taugliches Zurechnungsobjekt (im Sinne eines Verantwortungsträgers) ist 425. Auslegungstechnisch stützen kann sich diese Auffassung auf einen Normvergleich von § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 mit Nr. 2 BImSchG, wobei ersterer durch die Bezugnahme auf die „Nachbarschaft“ nach etablierter Dogmatik den Weg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet 426. Dem ist zunächst zuzustimmen, es stellt sich 421 Dietlein, (Fn. 10), § 5 Rn. 163; Roßnagel, (Fn. 10), § 5 Rn. 847; Jarass, (Fn. 32), § 5 Rn. 121 mit Wiedergabe der herrschenden Meinung, s. aber unten Fn. 430; Petersen; (Fn. 85), S. 344 ff.; Rid, (Fn. 245), S. 97 ff., 101; Hansen-Dix, (Fn. 106), S. 215; Feldhaus, (Fn. 307), S. 135; Sellner, (Fn. 45), S. 1261; R. Breuer, Ausbau des Individualschutzes gegen Umweltbelastungen als Aufgabe des öffentlichen Rechts, DVBl. 1986, S. 849 ff., 854 f.; Sparwasser / Engel / Voßkuhle, (Fn. 32), Kap. 10 Rn. 159; Kloepfer, (Fn. 35), § 14 Rn. 360; ähnlich auch Wahl / Appel, (Fn. 76), S. 143; s. mit modifizierender Ansicht P. M. Huber, Der Immissionsschutz im Brennpunkt des modernen Verwaltungsrechts, AöR 114 (1989), S. 252 ff., 286 ff.; unter Einbeziehung der europarechtlichen Perspektive auch Ruffert, (Fn. 22), S. 13 ff. sowie kritisch Wegener, (Fn. 22), S. 185 ff.; BVerwGE 65, S. 313 ff., 320; OVG Münster, DVBl. 1984, S. 896; OVG Lüneburg, NVwZ 1985, S. 357 ff., 359; BayVGH, GewArch 1988, S. 307 ff., 308; VGH Mannheim, NVwZ 1996, S. 297 ff., 303; NVwZ 1998, S. 766 ff., 768; BGHZ 102, S. 350 ff., 360. 422 OVG Münster, NJW 1976, S. 2360 ff.; OVG Lüneburg, GewArch 1980, S. 203 ff., 205 f.; OVG Berlin, DVBl. 1979, S. 159 ff. 423 BVerwGE 65, S. 313 ff., 320: „in jedem Fall (der unterschiedlichen Interpretation der Vorsorge – Anm. d. Verf.) werden individualrechtliche Positionen nicht begründet“. 424 BVerwGE 65, S. 313 ff., 320. 425 Lepsius, (Fn. 93), S. 287.

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allerdings die Frage, wie vor diesem Hintergrund das Merkmal der „schädlichen Umwelteinwirkungen“ in § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BImSchG zu verstehen ist, welches nach der Legaldefinition des § 3 Abs. 1 BImSchG nicht nur die Allgemeinheit, sondern gerade auch die Nachbarschaft in Bezug nimmt. Die redaktionelle beziehungsweise rechtstechnische Fassung einer ausgegliederten Legaldefinition vermag wohl keine materiellen Folgen nach sich zu ziehen, die „Nachbarschaft“ ist also ebenso Begriffsmerkmal des § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BImSchG. Nun bedeutet dies nicht, dass nicht grundsätzlich der gleiche Begriff in unterschiedlichen normativen Kontexten eine unterschiedliche Bedeutung haben kann, es ist allerdings überaus zweifelhaft, dass es sich hier um einen in diesem Sinne „anderen“ normativen Kontext handelt. Die dogmatische Verbindung von Schutzgrundsatz und Vorsorgepflicht durch die allgemeinen Strukturen des Gefahrenabwehrrechts spricht im Gegenteil für einen so engen Zusammenhang zwischen beiden Vorschriften, dass von einer unterschiedlichen Bedeutung beziehungsweise Wirkung des Begriffs „Nachbarschaft“ in der einen und in der anderen Vorschrift nur mit erheblich größerem Begründungsaufwand ausgegangen werden kann, als ihn die herrschende Meinung üblicherweise auf sich nimmt. Daher ist der Ansicht zu folgen, die das Nachbarschaftsargument relativiert und von den Inhalten des Vorsorgegebots her argumentiert, die nach bislang herrschender Auffassung eben nicht drittschützend sind (Risikomanagement unterhalb der Gefahrenschwelle, planende und ressourcenschonende Dimension) 427. Zutreffend ist auch die Ansicht, welche die Gründe für den drittschützenden Gehalt der Vorsorge-Dosisgrenzwerte des Atomrechts nicht auf das Immissionsschutzrecht übertragen will. Diese werden dort ausnahmsweise als drittschützend angesehen, weil es an definitiven Schutzgrenzwerten fehlt, was Ausdruck der vom Bundesverfassungsgericht postulierten Notwendigkeit des atomrechtlichen Gefahren- und Risikomanagements ist, welches bis an die Grenze praktischer Vernunft reicht 428. Solche Schutzgrenzwerte werden allerdings im Immissionsschutzrecht durch die konkretisierenden Verwaltungsvorschriften festgelegt. Diese an sich durchaus nachvollziehbare Unterscheidung von Atomrecht und Immissionsschutzrecht basiert freilich auf der Ausgangshypothese, immissionsschutzrechtliche Risiken ließen sich naturwissenschaftlich verbindlich determinieren, atomrechtliche hingegen nicht. Erst vor diesem Hintergrund wird die Unterscheidung nach drittschützenden und nicht-drittschützenden Vorsorgestandards plausibel. Ob diese Vermutung allerdings zutreffend ist, bleibt – in der Natur der Vorsorge liegend – ungewiss. Etwaige Schutzdefizite will die herrschende Meinung durch die auch hier befürwortete Einbeziehung des Gefahrenverdachts in die Schutzpflicht des § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BImSchG überbrücken 429. 426 427 428

Dietlein, (Fn. 10), § 5 Rn. 163. So Dietlein, (Fn. 10), § 5 Rn. 163. BVerwG, NVwZ 1997, S. 161 ff., 161 – AKW Krümmel.

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Die herrschende Meinung begegnet freilich auch Einwänden. Abgesehen von dogmatischen Inkonsistenzen, die sich im Hinblick auf die drittschützenden Vorsorgestandards des Europarechts ergeben, trägt die fehlende Einklagbarkeit von Vorsorgebelangen zum umweltrechtlichen Vollzugsdefizit durchaus bei 430. Rechtspraktisch kommt hinzu, dass eine Verletzung der vorsorgenden Emissionswerte (für den Nachbarn) deutlich leichter nachweisbar ist, als eine Verletzung der drittschützenden Immissionswerte 431. b) Europäische Rechtslage Aus gemeinschaftsrechtlichem Blickwinkel stellt sich die Rechtslage den drittschützenden Gehalt des Vorsorgegrundsatzes betreffend anders dar. Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs vermitteln nämlich auch Vorsorgestandards des europäischen Rechts, namentlich solche der IVU-Richtlinie, drittschützende Wirkung. Sofern also unmittelbar geltendes Europarecht oder durch Europarecht bestimmtes nationales Recht solche europäischen Vorsorgestandards aufgreift, kommt diesen, auch im Kontext von § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BImSchG drittschützende Wirkung zu. Es kann hier nicht darum gehen, die weit gediehene Diskussion um Divergenzen und Konvergenzen der nationalen und europäischen Rechtsschutzkonzeption im dogmatischen Detail nachzuvollziehen, daher nur einige grundsätzliche Anmerkungen: Der Unterschied zwischen nationaler und europäischer Rechtsordnung liegt zunächst in einem grundlegend anderen Ansatz: Während das Europarecht vom Gedanken einer präventiven Umweltpolitik beherrscht ist, gründet das deutsche Umweltrecht auf dem Konzept der Gefahrenabwehr 432. Folge dieser konzeptionellen Differenz ist ein materiellrechtlich unterschiedlicher Steuerungsimpuls: Das Europarecht schützt personale Rechtsgüter vor Risikosituationen 433 und denkt von daher auch den Individualrechtsschutz. Zudem aber scheut es 429 Dietlein, (Fn. 10), § 5 Rn. 163 mit Hinweis auf Huber, (Fn. 421), S. 297, der für eine flexiblere Gestaltung des Nachbarschutzes durch Anwendung des baurechtlichen Gebots der Rücksichtnahme plädiert. 430 Jarass, (Fn. 32), § 5 Rn. 122 f. 431 H. D. Jarass, Effektivierung des Umweltschutzes gegenüber bestehenden Anlagen, DVBl. 1985, S. 193 ff., 196 f. 432 F. Schoch, Individualrechtsschutz im deutschen Umweltrecht unter dem Einfluß des Gemeinschaftsrechts. NVwZ 1999, S. 457 ff., 459. 433 D. Ehlers, Die Europäisierung des Verwaltungsprozessrechts, 1999, S. 53 betont, dass das „personale Rechtsgut“ als Ansatzpunkt der Klagbarkeit auch im Europarecht ein Spezifikum des Umweltrechts sei und daher von einer Übertragung dieses Gedankens auf andere Rechtsmaterien nicht ohne weiteres ausgegangen werden kann; C. D. Classen, Die Europäisierung des Verwaltungsrechts, in: Kreuzer / Scheuing (Hg.), Die Europäisierung der mitgliedschaftlichen Rechtsordnungen in der Europäischen Union, 1997, S. 107 ff., 117 sieht die Relevanz der EuGH-Rechtsprechung vor allem für den

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sich nicht, im Wege einer funktionalen Subjektivierung die Einbindung des Bürgers in den Schutz der Belange der Allgemeinheit zu fördern – Klagen werden dementsprechend nicht allein als Verletztenklagen, sondern eben als Interessentenklagen verstanden 434. Beispielhaft dafür sind die Entscheidungen Großkrotzenburg 435, Kraaijeveld 436 und Linster 437. Zu differenzieren ist in der Betrachtung der europäischen Rechtsprechung dabei streng zwischen der Frage der Direktwirkung einer umweltrechtlichen Vorschrift des Europarechts auf der einen Seite 438 und der Frage, ob eine Berufung auf sie eine rügefähige (materiale oder eben auch nur funktionale) Rechtsposition enthält 439. Das nationale Umweltrecht hingegen denkt den Individualrechtsschutz vom subjektiven Recht – wo dieses eingeräumt ist, kann geklagt werden. Dass eine Vorschrift auch personale Rechtsgüter schützt, soll allein nicht ausreichen, um eine Klagebefugnis zu begründen. Der europarechtliche Ansatz des Individualrechtsschutzes erweist sich in seiner Konzeption, wiewohl er die Belange des Einzelnen in den Blick nimmt, als eher dem französischen Prinzip der objektiven Rechtskontrolle durch Individualklagen angenähert 440. Ob mit dieser Diskrepanz angesichts der Europäisierung der nationalen Rechtsordnungen auch eine zwingende Revision der deutschen Lehre vom subjektivöffentlichen Recht verbunden ist, wird unterschiedlich beurteilt 441. Anpassungsbedarf allerdings besteht unbestritten.

Bereich der öffentlichen Aufträge; s. auch weitergehend ders., Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1996, S. 39 ff. zum Konzept des Individualrechtsschutzes. 434 Schoch, (Fn. 432), S. 483. 435 Rs. C-431/92 Großkrotzenburg – Slg. I (1995), 2189. 436 Rs. C-72/95 Kraaijeveld – Slg. I (1996), 5431. 437 Rs. C-287/98 Linster – Slg. I (2000), 6917. 438 s. zu diesem Zusammenhang aber M. Ruffert, Subjektive Rechte und unmittelbare Wirkung von EG-Umweltschutzrichtlinien, ZUR 1996, S. 235 ff. 439 s. dazu Jans / von der Heide, (Fn. 24), S. 221 ff. 440 s. zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden umfassend M. Rott, Das verwaltungsrechtliche subjektive öffentliche Recht im Spiegel seiner Entwicklung im deutschen liberalen Rechtsstaat und in der französischen „théorie des droits subjectifs des administrés“, Diss. iur., Gießen 1976, passim, sowie M. Fromont, Rechtsschutz gegenüber der Verwaltung in Deutschland, Frankreich und den Europäischen Gemeinschaften, 1967, passim. 441 Eher vorsichtig D. Triantafyllou, Zur Europäisierung des subjektiven öffentlichen Rechts, DÖV 1997, S. 192 ff., 198 ff.; Masing, (Fn. 22), insbes. S. 232 ff., der in der Einbeziehung des Bürgers in die Durchsetzung des Rechts den Revisionsgrund für die Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht sieht, die theoretischen Unterschiede der Rechtsschutzkonzepte aber für entscheidender hält als die praktischen, S. 181 ff.; der Frage nach einer zweigeteilten Dogmatik individuellen Rechtsschutzes geht nach Wegener, (Fn. 22), S. 305 ff.; s. auch Ruffert, (Fn. 22), S. 337 ff., insbes. S. 340 ff.

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Teil B: Vorsorge im (Umwelt-)recht

c) Ausblick: Eigener Ansatz Im weiteren Verlauf der Arbeit soll diesem Anpassungsbedarf durch die Entwicklung eines eigenen Ansatzes in der Konstruktion subjektiver öffentlicher Rechte im Umweltvorsorgebereich nachgegangen werden. Dabei steht zunächst nicht, wie im Europarecht, das durch die jeweilige Vorschrift zu schützende Rechtsgut im Mittelpunkt der Überlegung, sondern die grundsätzliche Frage, welchen Zweck die Einräumung subjektiver Rechte im Verhältnis zwischen Staat und Bürger verfolgt. Dabei sollen verschiedene Diskussionen der öffentlichen Rechtslehre gewinnbringend miteinander verknüpft werden. Ausgehend von einer Betrachtung des subjektiven öffentlichen Rechts wird dabei die Frage im Mittelpunkt stehen, wie die Sorge um das Gemeinwohl, zu dessen Belangen die Vorsorge hier gezählt wird, zwischen Staat und Gesellschaft verteilt ist und wie in Ansehung von „Demokratie und Verfassung an den Grenzen des Wachstums“ 442 dem subjektiven öffentlichen Recht neue Funktionen zuwachsen können, die ökologischen Herausforderungen an den Verfassungsstaat zu bewältigen. Namentlich soll dabei der Gedanke der Kooperation zwischen Staat und Gesellschaft für den Bereich der Umweltvorsorge vor dem Hintergrund konkreter verwaltungsrechtlicher und vor allem verwaltungsprozessrechtlicher Strukturen konkretisiert werden.

III. Ergebnis Betrachtet man die Idee der Vorsorge im Umweltrecht, ihre Umsetzungen und Konkretisierungen, so ergibt sich ein uneinheitliches Bild. Einerseits verspricht „Vorsorge“, das Recht aus seiner Gegenwartsfixierung zu lösen und auf zukünftige Belange, wenn nicht gar auf Belange Zukünftiger hin zu orientieren. Das Recht versucht damit, seinem Anspruch gerecht zu werden, die notwendigen Maßnahmen zu treffen, die für ein dauerhaftes und „gutes“ (Zusammen-)leben der Menschen erforderlich sind. Andererseits mutet es an, als verbleibe es bei dem Versuch, die als notwendig erkannten Maßnahmen zu ergreifen: Eine konsequente Umsetzung der Anforderungen an ein vorsorgendes Umweltrecht findet nicht statt. Seinen konkreten Ausdruck findet dies vor allem in zwei dogmatischen Einzelfragen: Die enge Bindung des Vorsorgekonzepts an die Dogmatik des Gefahrenabwehrrechts kappt vorsorgende Steuerung zu einem Zeitpunkt, wo sie ihre Wirkung noch gar nicht hat entfalten können. Prozessuales Korrelat ist die Freistellung der Vorsorgepflichten von der Klagbarkeit durch Dritte. Die Negierung der subjektivrechtlichen Qualität von Vorsorgebelangen, in konsequenter Fortführung 442

Stein, (Fn. 224).

§ 2 Das Vorsorgeprinzip

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gefahrenabwehrrechtlicher Parameter, drückt eine Übersteuerung national-rechtlicher Prozessrechtsinstitute aus. Diese verstehen die Subjektivität eines Rechts ausschließlich als zuzuordnende, gleichsam natürliche Personalität des geschützten Guts. Die im Europarecht bestehenden Ansätze einer funktionalen Subjektivierung von Rechtsvorschriften muten vor diesem Hintergrund problematisch an. Wo durch die Objektivierung eine weitgehende Freistellung der Vorsorgepflichten von gerichtlicher Kontrolle bewirkt wird und dies im Kontext ungewisser Tatsachenkausalität zu offensichtlichen Friktionen führt, sollen diese durch eine Ausweitung des gefahrenabwehrrechtlichen Schutzauftrags kompensiert werden. Gleichzeitig ist das Bemühen der Rechtsordnung um Vorsorge gekennzeichnet durch einen Mangel an fassbarer Vorsorgedogmatik. Die Idee einer Steuerung ins „Ungewisse“, das Management ungewisser Risiken, die Berücksichtigung von Belangen künftiger Generationen lässt sich bislang nicht umsetzen in die etablierten Instrumente des Umweltverwaltungs- und Umweltverfassungsrechts. Zwar finden sich vor allem im (untergesetzlichen) Immissionsschutzrecht zahllose Vorschriften, die der Konkretisierung von Schutz- und Vorsorgepflichten dienen. Von einer höheren Warte aus betrachtet aber erweist sich die Teilrechtsordnung Umweltrecht als letztlich weitgehend sprachlos gegenüber den aktuellen Herausforderungen, die sich zumeist treffender in den Begriffen der Rechtsethik und der Rechtsphilosophie ausdrücken lassen, als in denen des einfachen und praktikablen besonderen Verwaltungsrechts. Erschwert und befruchtet wird das Bemühen um Vorsorge durch die Impulse, die das europäische Recht in die nationale Rechtsordnung aussendet. Dieses wählt jedenfalls im Hinblick auf die subjektivrechtliche Qualität von Vorsorgestandards einen abweichenden Ansatz, der aufgrund seiner anderen dogmatischen Struktur bislang nicht befriedigend in den nationalrechtlichen Kontext übersetzt werden konnte. Unausweichlich wird eine erneute intensive Beschäftigung mit dem Konzept der Vorsorge durch den hier eingehend dargestellten Grundsatz der Nachhaltigkeit, als dessen Mittel sich Vorsorge im Recht erweist. Zwar gelten die Dogmatikdefizite, wie sie die Vorsorge kennzeichnen, für die Nachhaltigkeit in viel höherem Maße, ihre Bedeutung liegt aber darin, Mittlerin zwischen der durch die herrschende Meinung konturierten Vorsorge und den angesprochenen rechtsethischen und rechtsphilosophischen Herausforderungen zu sein, deren rechtliche Implementierung der Vorsorge deutlich andere, ressourcenökonomische Prägung geben kann.

Teil C

Subjektives öffentliches Recht und Schutznormtheorie § 3 Das Konzept des subjektiven öffentlichen Rechts und seine Entwicklung I. Historische Grundlagen Subjektive Rechte, seien sie privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Natur, sind besondere Erscheinungsformen der Rechtsordnung. Im Verhältnis der Bürger untereinander bilden sie seit jeher die dogmatische Einkleidung von Anspruchspositionen. Ihre Struktur und Geschichte im europäischen Rechtskreis geht zurück auf das römische Recht, dessen dogmatisches Erbe bis heute fortwirkt. Im Unterschied zum subjektiven Recht des öffentlichen Rechts ist das subjektive Recht im Privatrecht – jedenfalls in freiheitlich konstituierten Rechtsordnungen – in seinem Bestand und seiner Notwendigkeit weitgehend unangefochten: Es ist nicht allein hinreichende, sondern notwendige Voraussetzung eines Privatrechts in unserem Sinne. Dementsprechend ist es als Topos des Privatrechts zwar bekannt, aber letztlich nicht (mehr) bestritten. Es wird in seiner Existenz vorausgesetzt, Streit entzündet sich allenfalls an seinem Umfang im dogmatischen Einzelfall. Thon bezeichnet die subjektiven Rechte des Privatrechts daher nicht zufällig als die „vollkommensten und ausgeprägtesten subjectiven Rechte“ 443. In der privatrechtswissenschaftlichen Debatte spielt die Diskussion um die Normstruktur des subjektiven Rechts daher auch heute keine besondere Rolle mehr 444. Wiewohl auch das subjektive öffentliche Recht in unserer Rechtsordnung durch Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG auf Verfassungsebene und durch § 42 Abs. 2 VwGO auf der Ebene des einfachen Rechts (und daneben in unzähligen Vorschriften des materiellen Verwaltungsrechts) etabliert und wissenschaftlich unterfangen ist 445, so ist sein standing in historischer Perspektive ein schwaches. Dies nimmt nicht 443

A. Thon, Rechtsnorm und subjectives Recht, 1878, S. 108. N. Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, 2003, S. 469 für die deliktsrechtliche Diskussion m.w. N. auch aus dem Bereich des Zivilrechts allgemein. 444

§ 3 Das Konzept des subjektiven öffentlichen Rechts

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wunder, begreift man subjektive öffentliche Rechte als Bindeglied zwischen den Sphären des Individuums auf der einen und der des Staates auf der anderen Seite. Als institutionalisierte Form eines Interessenausgleichs zwischen privaten und öffentlichen Belangen ist es auf rechtlich wie institutionell definite Antagonisten angewiesen. Staatlichkeit in diesem definiten Sinne kennt unserer Rechtskreis aber erst seit dem 19. Jahrhundert und Bürger als Träger von Rechten gegen den Staat sind gleichfalls Erscheinungen des 19. Jahrhunderts – verglichen mit subjektiven privaten Rechten und ihrer Tradition handelt es sich also bei subjektiven öffentlichen Rechten gleichsam um eine rechtliche Neuschöpfung. Ihrer Entwicklung und etwaigen Parallelitäten zum subjektiven privaten Recht soll im folgenden Abschnitt nachgegangen werden. 1. Subjektive Rechte im bürgerlichen Recht Die Anerkennung ziviler Rechtsmacht im Privatrechtsverkehr war Voraussetzung wirtschaftlicher Freiheit, die – jedenfalls auf deutschem Gebiet – der Entstehung politischer Freiheit vorausging 446. Anders als sich zunächst vermuten lassen könnte, unterlag die Entwicklung subjektiver Rechte im Privatrecht ebenfalls einem Wandel 447 – aber anders als das subjektive öffentliche Recht, das sich eher in seinem Bestand als solchem Anfechtungen ausgesetzt sah, unterlag das subjektive Recht des Privatrechts eher strukturellen Modifikationen 448. Heute begegnen subjektive Rechte im Privatrecht in Gestalt des Anspruchs und werden ganz überwiegend auch als solche bezeichnet. Weder dem Begriff, noch vor allem der dogmatischen Kategorie kommt ihm in der Anwendung des Privatrechts immense Bedeutung zu 449. Allerdings kommt dem Begriff des Rechts selbst eine privatrechtsstrukturierende Funktion zu (im Sinne der dingli445 s. zur vielfachen Geprägtheit der Rechtsschutzproblematik B. Wiegand, Drittschutz im Spannungsverhältnis zwischen Verfassung, Gesetz und Verwaltungshandeln, BayVBl. 1994, S. 609 ff., zur Schutznormtheorie vor allem S. 610 f. 446 Man mag beispielgebend dafür gegenüberstellen die Einführung der Gewerbefreiheit in Preußen im Jahre 1808/1810 sowie das Hambacher Fest 1832 als Höhepunkt frühliberaler Bestrebungen im Vormärz. 447 H. Coing, Zur Geschichte des Begriffs „subjektives Recht“, in: ders. / F.H. Lawson / K. Grönfors, Das subjektive Recht und der Rechtsschutz der Persönlichkeit, 1959, S. 7 ff., 20; s. weiter L. Raiser, Der Stand der Lehre vom subjektiven Recht im Deutschen Zivilrecht, JZ 1961, S. 466 ff. 448 Ein rechtstheoretischer und dogmatischer Beitrag aus der zivilistischen Literatur, der das subjektive Recht als theoretisches Problem deutlich benennt, stammt z. B. von K. Adomeit, Zivilrechtstheorie und Zivilrechtsdogmatik – mit einem Beitrag zur Theorie des subjektiven Rechts, in: Albert / Luhmann (Hg.), Rechtstheorie als Grundlagenwissenschaft der Rechtswissenschaft, 1972, S. 503 ff., insbes. S. 510 ff. 449 In wissenschaftshistorischer Perspektive freilich ist dies anders zu bewerten, s. z. B. Coing, (Fn. 447), S. 7 ff.; K.-H. Fezer, Teilhabe und Verantwortung, 1986, S. 205 ff.

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Teil C: Subjektives öffentliches Recht und Schutznormtheorie

chen und persönlichen Rechte 450). Am offensichtlichsten ist die Bedeutung der subjektiven privaten Rechte noch im Haftungsrecht, namentlich im Kontext des § 823 Abs. 2 BGB, der in der Sache wie § 42 Abs. 2 VwGO die Verletzung eines Schutzgesetzes fordert und dadurch bestimmte Rechtsgüter subjektivrechtlich auflädt. Seinen Grund hat die unterschiedliche Repräsentation des Begriffs der subjektiven Rechte im Privatrecht vor allem darin, dass der absolute Gehalt, den man Rechten überwiegend zubilligt, weniger im weitgehend privatautonomen Bereich des Vertragsrechts aktuell wird, sondern im – wenn man so möchte – eher öffentlich orientierten Bereich des Haftungsrechts. Nicht umsonst wird dort in Anlehnung an das (öffentliche) Strafrecht vom Charakter des Schadensersatzes als Privatstrafe gesprochen 451. Mit anderen Worten: Delikt im haftungsrechtlichen Sinne ist nur ein Verstoß gegen ein durch staatliche Ordnung gesetztes subjektives Recht (ebenso wie die subjektiven öffentlichen Rechte auch staatlicher Provenienz sind – von einer naturrechtlichen oder überpositiven Ableitung von Grundrechtsgewährleistungen einmal abgesehen). Verstöße gegen privat gesetzte Rechtsbindungen, also Verträge, sind keine Delikte, sondern begründen gegebenenfalls schuldrechtliche Konsequenzen 452. Dabei verdeutlicht insbesondere das private Haftungsrecht einen Aspekt, der im öffentlichen Recht nicht in gleichem Maße im Bewusstsein ist, nämlich die Rechtsgutsbezogenheit subjektiver Rechte 453. Die vom Haftungsrecht geschützten absoluten Rechte (Rechtsgüter) genießen einen stärkeren Schutz als bloße zivile Interessen 454. Die im öffentlichen Recht mittlerweile weitgehend, wenn auch nicht gänzlich relativierte Unterscheidung von Rechten und Interessen ist also im Bereich des Privatrechts noch deutlich aktueller. Jedoch stellt auch die Zivilrechtswissenschaft die Frage nach den Kriterien, nach denen Rechte absolut sind, beziehungsweise welche sonstigen Rechte neben die absoluten Rechte des § 823 Abs. 1 BGB treten sollen 455.

450 451 452

Jansen, (Fn. 444), S. 456 m.w. N. Zu diesem Kontext Jansen, (Fn. 444), S. 363 ff. Dazu G. F. Puchta, Vorlesungen über das heutige römische Recht II, 1847, § 261,

S. 82. 453 454 455

So für das Privatrecht Jansen, (Fn. 444) S. 455. Jansen, (Fn. 444), S. 455. Nachweise bei Jansen, (Fn. 444), S. 455, dort Fn. 1 –3.

§ 3 Das Konzept des subjektiven öffentlichen Rechts

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2. Subjektive Rechte und Öffentliches Recht a) Die Rechtsperson Staat als Voraussetzung subjektiver öffentlicher Rechte Subjektive Rechte im öffentlichen Recht sind voraussetzungsvoller als subjektive Rechte, die sich nicht in der Sphäre des Öffentlichen bewegen, denn sie verlangen nach einem staatlich verfassten Gemeinwesen 456. Sie leiten ihren zentralen Wesenszug, nämlich als Rechtskreiserweiterung Privater zu wirken 457, aus der Frontstellung zwischen dem Staat auf der einen und der Gesellschaft auf der anderen Seite ab 458. Subjektive öffentliche Rechte bedürfen eines Staates in Form einer Rechtspersönlichkeit, um konstruktiv denkbar zu sein 459. Erst mit dem Staat und durch den Staat konstituiert sich eine Sphäre des Öffentlichen, die bereits begrifflich notwendige Voraussetzung subjektiver öffentlicher Rechte ist. Dies erklärt die Verwurzelung dieser Rechtsfigur in der (deutschen) Rechts- und Verfassungsgeschichte des 19. Jahrhunderts, die durch das Erstarken rechtlich verfasster Staatsgebilde gekennzeichnet ist und die für ein Verständnis dieses Problemkomplexes notwendige stringente Trennung von Staat und Gesellschaft sowohl rechtlich wie auch politisch erst auf breiter Front gebracht hat. Die Transformation des Staatsgebildes in eine juristische Person des öffentlichen Rechts ermöglichte es, die Idee der Intersubjektivität von Rechten in die Sphäre Staat – Bürger zu übertragen. Dabei ging – jedenfalls aus heutiger verfassungsrechtlicher Perspektive – nicht die Intersubjektivität als Wesensmerkmal subjektiver Rechte verloren, nur die Bezugsperson wurde ausgewechselt 460. An die Stelle einer rein privat strukturierten Konstellation trat eine privat-staatliche Konstellation 461. Diese ist aber in Ansehung der Rechtspersönlichkeit des Staates nicht gekennzeichnet durch fehlende Intersubjektivität, vielmehr handelt es sich 456

K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995, (Nachdruck), 1999, S. 9 begreift den Begriff des Gemeinwesens anders, nämlich als Einheit zwischen dem sonst konstruierten Begriffspaar Staat und Gesellschaft und will den Begriff Staat enger verstehen als das Handeln und Wirken der im Wege der politischen Einheitsbildung konstituierten Gewalten. 457 Dementsprechend sind subjektive öffentliche Rechte des Staates auch nicht denkbar, s. Huber, (Fn. 15), S. 106, a. A. insoweit H. Bauer, Subjektive öffentliche Rechte des Staates, DVBl. 1986, S. 208 ff.; für die Berufung der Träger öffentlicher Gewalt auf die Grundrechte bei grundrechtstypischen Gefährdungslagen K. A. Bettermann, Juristische Personen des öffentlichen Rechts als Grundrechtsträger, NJW 1969, S. 1321 ff., zu dieser Thematik BVerfGE 61, S. 82 ff., 103. 458 Schmidt-Preuß, (Fn. 15), S. 186. 459 s. zum Erfordernis und dem Verhältnis der subjektiven öffentlichen Rechte zur Staatlichkeit auch Masing, (Fn. 22), S. 55 ff. 460 A. A.: Bauer, (Fn. 5), S. 48. 461 s. zur Rolle des Staates in der Dogmatik des subjektiven öffentlichen Rechts auch Schmidt-Preuß, (Fn. 15), S. 134.

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Teil C: Subjektives öffentliches Recht und Schutznormtheorie

dabei um eine Frage der rechtlichen Organisationsform der durch die in Frage stehenden Rechte verbundenen Rechtssubjekte. In rein historischer Perspektive lässt sich dies freilich auch anders beurteilen: Erkennt man mit der Staatslehre und dem Staatsverständnis des 19. Jahrhunderts den Staat als Träger der Souveränität im Sinne einer einheitlichen und vor allem umfassenden Staatsgewalt an 462, so befindet sich der Bürger gegenüber diesem Staat in einem status subjectionis 463, der eher ein allgemeines Gewalt-, denn ein allgemeines Rechtsverhältnis darstellt. Die rechtlichen Beziehungen zwischen Bürger und Staat sind dann nicht intersubjektiv im Sinne einer „interindividuellen“ 464 Rechtsbeziehung, sondern eben subordinativ zu verstehen. Rechte werden dort bestenfalls gewährt, nicht aber als Element einer Organisationsstruktur gewährleistet. Dementsprechend wurde die Möglichkeit der Existenz subjektiver öffentlicher Rechte auch lange abgelehnt. Namentlich Kelsen wollte dem Bürger allein eine Normpflichtigkeit zuerkennen, deutete er die Rechtsordnung doch monistisch (rein objektiv), weil er sie mit dem Staat selbst identifizierte 465. Wo der Staat die „einzige Rechtsperson“ 466 ist, also die Gesamtpersönlichkeit des Rechts bildet, werden damit der Begriff des subjektiven Rechts und letztlich auch der des Rechtssubjekts zu einer Erscheinung allein der objektiven Rechtsordnung (im heutigen Sinne) 467. Zwar könne, so konzediert Kelsen, der Staat als Unterworfener seiner eigenen Rechtsordnung auf die Befolgung ihrer Normen ideell verpflichtet sein 468, Kelsen betont diese Verpflichtung sogar 469, leitet aber ein subjektives öffentliches Recht gegen den Staat daraus nicht ab, da der typische Gegensatz zwischen dem „Sollen“ der objektiven Norm und dem subjektiven Wollen entfalle 470. Da er die Möglichkeit eines Staatsunrechts konstruktiv ausschließt 471, kann es dementsprechend auch keine subjektiven öffentlichen Rechte auf Erfüllung der Staatspflichten geben.

462

s. in diesem Sinne H. Quaritsch, Staat und Souveränität, Bd. I, 1970, S. 497 ff. Jellinek, (Fn. 1), S. 86. 464 So W. Henke, Das subjektive Recht im System des öffentlichen Rechts, DÖV 1980, S. 621, 624. 465 H. Kelsen, Reine Rechtslehre, 1934, S. 58, 120; ders., Der soziologische und juristische Staatsbegriff, 1922, S. 182, 183. 466 Kelsen, (Fn. 465), Staatsbegriff, S. 241. 467 U. Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, 1959, S. 68 Fn. 19 sowie S. 169 Fn. 24. 468 H. Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, 1923, (Nachdruck), 1960, S. 245 ff., 397 ff. 469 H. Kelsen, Reichsgesetz und Landesgesetz nach österreichischer Verfassung, AöR 31 (1914), S. 202 ff., 291. 470 Kelsen, (Fn. 468), S. 250. 471 Kelsen, (Fn. 468), S. 658; zurückhaltender ders. in der 2. Aufl. der „Reinen Rechtslehre“, S. 306, wo er die Zuschreibung einer Pflichtverletzung an den Staat für möglich hält. 463

§ 3 Das Konzept des subjektiven öffentlichen Rechts

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Aus verfassungsstaatlicher Perspektive hingegen ist der Idee einer bloßen Normpflichtigkeit des Individuums, also eines allgemeinen Gewaltverhältnisses 472 eine deutliche Absage zu erteilen 473, begegne es nun in Form eines grundrechtlichen Eingriffsmodells oder als Deutung eines zivilen Status allgemein. Nicht der Wille des Staates als einzige normative Kategorie ordnet die Beziehungen zwischen Bürger und Staat, sondern das (Verfassungs-)Recht. Es ordnet die unterschiedlichsten Verhältnisse, die zwischen beiden Seiten bestehen können. Rupp beschreibt daher die Sichtweise Kelsens auf Staat und Bürger dementsprechend als „Fremdkörper im Gebäude des objektiven Rechts“ 474. Rechtliche Bindung staatlichen Handelns ist im Verfassungsstaat nicht länger Ausdruck einer staatlichen Selbstverpflichtung, sondern Voraussetzung für die Rechtsstaatlichkeit des Handelns an sich. Es ist dieser Umstand, den in den Blick genommen zu haben das besondere Verdienst der Rechtsverhältnislehre ist 475. Sie gibt die Konstruktion der Staat-Bürger-Beziehung über den Begriff des Rechts auf und setzt an seine Stelle sodann den Begriff des Rechtsverhältnisses, das über den Bestand eines einzelnen Rechts hinausweist und sich als Bündel beziehungsweise Abbild einzelner Rechtsbeziehungen darstellt. b) Zur Theorie des subjektiven öffentlichen Rechts (1) Historischer Kontext des 19. Jahrhunderts Die Diskussion um eine gültige Theorie des subjektiven öffentlichen Rechts beschäftigt die deutsche öffentliche Rechtslehre nun seit über 150 Jahren. Dabei ist sie einerseits gekennzeichnet durch eine bereits von Gerber 1853 beklagte 476, wohl aber „überlebensnotwendige“ Vergessenheit der unübersehbaren Literatur einerseits und andererseits davon, mit Rechtsinstituten des nationalstaatlichen 19. Jahrhunderts Probleme des sich entstaatlichenden 21. Jahrhunderts beantworten zu wollen beziehungsweise zu müssen. Dementsprechend gilt das Fazit Jellineks, das nichts so unbestimmt sei, wie das subjektive öffentliche Recht auch noch einhundert Jahre nach seinem „System der subjektiven öffentlichen Rechte“. In die Debatte um das subjektive öffentliche Recht haben sich zahlreiche Autoren eingeschaltet 477, von denen viele ihre besondere wissenschaftliche Reputa472

Die Trennung zwischen dem allgemeinen und besonderen Gewaltverhältnis geht zurück auf O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. I, 3. Aufl. 1924, S. 101 f. 473 Für die Grundrechtsdogmatik und das „besondere Gewaltverhältnis“ so grundlegend in BVerfGE 33, S. 1 ff – Strafgefangene. 474 H. H. Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, 2. Aufl. 1991, S. 151. 475 Grundlegend: N. Achterberg, Die Rechtsordnung als Rechtsverhältnisordnung, 1982, passim. 476 C.F. Gerber, Ueber öffentliche Rechte, 1852, (Nachdruck), 1913, S. 1.

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Teil C: Subjektives öffentliches Recht und Schutznormtheorie

tion ihren Stellungnahmen in dieser Diskussion verdanken. Zu nennen sind hier beispielsweise Gerber 478, von Gneist 479, Sarwey 480 , Georg 481 und Walter 482 Jellinek, Bühler 483, später dann beispielsweise Bachof 484, Henke 485, Scherzberg 486, Bauer 487 und Huber 488. Seinen Ursprung nimmt das subjektive öffentliche Recht im Verwaltungsrecht und dokumentiert damit eine von der Verfassungsstaatlichkeit der Gegenwart erheblich verschiedene verfassungsrechtliche Situation. Heute stellen sich subjektive öffentliche Rechte des einfachen Rechts dar als Ausprägung der Grundrechte und sind unter dieser Voraussetzung auch weitaus weniger erklärungs- beziehungsweise rechtfertigungsbedürftig. Den Zeitgenossen des 19. Jahrhunderts hingegen schien es durchaus noch ungewöhnlich, dass der Einzelne gegenüber dem Staat Rechte für sich in Anspruch nehmen können sollte 489. Wenn auch die wissenschaftliche Diskussion des 19. Jahrhunderts nicht mehr primär die Denkbarkeit subjektiver öffentlicher Rechte negierte, sondern sich auf ihre dogmatisch saubere Herleitung konzentrierte, wurde sie unterschwellig doch von der gleichsam revolutionären Aufwertung des bourgeois zum citoyen geprägt. Der Nachvollzug der unterschiedlichen in der Literatur zum subjektiven öffentlichen Recht vertretenen Positionen fällt für die damalige 490 wie für die 477 Seit jeher kommt es zu breiten Abhandlungen über das subjektive Recht in der wissenschaftlichen Literatur, zur Illustration der langen Tradition s. z. B. L. Richter, Das subjektive Recht, AöR 8 (1925), S. 1 ff. (83 Seiten) oder die höchst umfängliche (30 Seiten) Besprechung der Bühlerschen Habilitationsschrift bei W. Jellinek, AöR 32 (1914), S. 580 ff. 478 Gerber, (Fn. 476). 479 R. v. Gneist, erstmals in: Der Rechtsstaat, 1874. 480 O. v. Sarwey, Das öffentliche Recht und die Verwaltungsrechtspflege, 1880. 481 Jellinek, (Fn. 1). 482 Jellinek, (Fn. 477). 483 O. Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1914; ders., Altes und Neues über Begriff und Bedeutung der subjektiven öffentlichen Rechte, in: Bachof / Drath (Hg.), Forschungen und Berichte aus dem öffentlichen Recht, GS Jellinek, 1955, S. 269 ff. 484 O. Bachof, Reflexwirkungen und subjektive Rechte im öffentlichen Recht, in: ders. / Drath (Hg.), Forschungen und Berichte aus dem öffentlichen Recht, Forschungen und Berichte aus dem öffentlichen Recht, GS Jellinek, 1955, S. 287 ff. 485 W. Henke, Das subjektive öffentliche Recht, 1968. 486 A. Scherzberg, Grundlagen und Typologie des subjektiven öffentlichen Rechts, DVBl. 1988, S. 129 ff. 487 Bauer, (Fn. 5). 488 Huber, (Fn. 15). 489 Zur Bedeutung des monarchischen Prinzips für die Hinderung subjektiver öffentlicher Rechte s. ausführlich Bauer, (Fn. 5), S. 45 ff. 490 Bauer, (Fn. 5), S. 44.

§ 3 Das Konzept des subjektiven öffentlichen Rechts

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gegenwärtige 491 Situation schwer. Eine Aufarbeitung dogmatischer Einzelfragen wird seit jeher als einer eigenen Untersuchung vorbehalten angesehen, regelmäßig vermag eine Auseinandersetzung mit der geschichtlichen Entwicklung des subjektiven öffentlichen Rechts nur die Grundzüge und zentralen Strukturen dieses Instituts zu beleuchten. Ein wesentlicher Punkt in der Entwicklung des subjektiven öffentlichen Rechts ist seine Verwurzelung in der positivistischen Verwaltungsrechtslehre der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Diese fußt – ob der personalen Identität der wissenschaftlichen Protagonisten hier wie dort nicht überraschend – auf der Staatspersönlichkeitslehre 492, wie sie Gerber, Jellinek und andere prononciert vertraten. Die Konstruktion des Staates als Person des Rechtsverkehrs entkleidet diesen von sämtlichen außerrechtlichen, besser „metarechtlichen“ 493 Bezügen und unterwarf ihn den säkularen Rationalitätslogiken moderner Staatslehre. Diese wandte sich ab von einer „ganzheitlichen“ Betrachtung staatlicher Tätigkeit und reduzierte Staatshandeln auf die Erscheinungsformen des Rechts. Die Rechtswissenschaft und ihre juristische Methode waren damit angewiesen auf die Ableitung ihrer Regeln aus dem eigenen Fundus – das Ausgreifen und Ausweichen auf überpositive Rechtsquellen war damit verwehrt und verpönt. Seine besondere Ausprägung fand dieser staatsrechtliche Positivismus in der zunehmend unabhängig sich entwickelnden Verwaltungsrechtslehre 494, die sich für eine konsequente Positivierung in besonderer Weise zugänglich erwies. (2) „Subjektives öffentliches Recht“ als Begriff Nachdem die Rechtspersönlichkeit des Staates als wesentliche Voraussetzung für die Konstruktion subjektiver öffentlicher Rechte wissenschaftlich begründet und durchgesetzt war, konzentrierte sich die Rechtswissenschaft auf die dogmatische Erfassung, Beschreibung, Ausdeutung und Systematisierung des subjektiven öffentlichen Rechts. Im Sinne einer begriffsjuristischen Denkweise wurde also der „Begriff“ des subjektiven öffentlichen Rechts erarbeitet und – wiewohl kontroversenbehaftet – grundgelegt. Tonangebend im vielstimmigen Chor der Rechtswissenschaft waren trotz inhaltlicher Differenzen im Einzelnen vor allem Jellineks „System“ sowie die Habilitationsschrift Bühlers 495. 491 Huber, (Fn. 15), S. 102: „Es würde den Rahmen (..) sprengen, wollte man auf all diese Probleme im einzelnen eingehen“. 492 s. dazu auch unter § 3 I. 2. a). 493 Bauer, (Fn. 5), S. 52. 494 s. dazu P. Badura, Das Verwaltungsrecht des liberalen Rechtsstaates, 1967 und M. Stolleis, Verwaltungsrechtswissenschaft und Verwaltungslehre 1866 –1914, in: Jeserich / Pohl (Hg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. III, 1984, S. 90 ff. 495 Dazu auch Bauer, (Fn. 5), S. 69 f.

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Teil C: Subjektives öffentliches Recht und Schutznormtheorie

Bis heute wirkt in der Erscheinung des subjektiven öffentlichen Rechts seine Herkunft aus dem zivilrechtlichen Kontext in verschiedener Hinsicht nach. Noch im Absolutismus entwickelte sich eine Spaltung der einheitlichen Vorstellung eines „subjektiven Rechts“ in einen privatrechtlich-rechtsschutzbewehrten und einen öffentlich-rechtlichen und nicht mit Rechtsschutz bewehrten Teil 496. Die wissenschaftlichen Bemühungen des 19. Jahrhunderts waren in Folge dessen darauf gerichtet, das subjektive öffentliche Recht als rechtsschutzbewehrtes Recht in das öffentliche Recht zu integrieren. Die noch heute engste Verknüpfung subjektiver öffentlicher Rechte mit dem Rechtsschutz findet darin ihren Grund. Entsprechendes gilt für das Verständnis subjektiver öffentlicher Rechte als „Willensmacht“ oder „rechtlich geschütztes Interesse“. Das zivilrechtliche Erbe Savignys und Bindings dominiert auch hier und erweist sich in den Zentralpunkten auch der heutigen Dogmatik des subjektiven öffentlichen Rechts als konstituierend. Bis heute begriffsprägend, wenn auch mit Modifikationen im Detail, ist die Definition Bühlers, nach der ein subjektives öffentliches Recht „diejenige rechtliche Stellung des Untertanen zum Staat (ist), in der er auf Grund eines Rechtsgeschäftes oder eines zwingenden, zum Schutz seiner Individualinteressen erlassenen Rechtssatzes, auf den er sich der Verwaltung gegenüber soll berufen können, vom Staat etwas verlangen kann oder ihm gegenüber etwas tun darf“ 497. Diese Definition verbindet die von Bühler und anderen erarbeiteten Voraussetzungen miteinander und verdichtet sie hin zum Begriff dessen, was man unter subjektiven öffentlichen Rechten schlechthin versteht. Entscheidend sind dabei die Merkmale des zwingenden Rechtssatzes, der Willens- oder Rechtsmacht und der Schutznorm. Das Erfordernis eines zwingenden Rechtssatzes erklärt sich durch den engen Zusammenhang zwischen subjektiven öffentlichen Rechten und objektivem Recht, wie es um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert ganz überwiegend gesehen wurde 498. Möglich war ein solches rein gesetzesakzessorisches beziehungsweise gesetzgebungsakzessorisches Verständnis subjektiver öffentlicher Rechte nur vor dem Hintergrund einer aus heutiger Perspektive noch unterentwickelten Grundrechtskultur. Zwar ist auch der heutige Gesetzgeber „frei“ darin, subjektive öffentliche Rechte im einfachen Recht zu schaffen oder dies zu unterlassen, dabei ist sein Handeln aber in ganz erheblicher Weise überformt vom Geltungsanspruch der Grundrechte, die gegebenenfalls selbst subjektive Rechte vermitteln 499. Das Kriterium der Rechtsmacht, welchem heute ganz überwiegend keine besondere Bedeutung mehr zugesprochen wird 500, wurde in zweierlei Hinsicht als 496

Dazu Bauer, (Fn. 5), S. 70 ff. Bühler, (Fn. 483), Rechte, S. 224. 498 Eine Übersicht über die Standpunkte gibt F. Giese, Die Grundrechte, 1905, S. 62 ff. 499 Zur Relativierungsbedürftigkeit des Merkmals „zwingender Rechtssatz“ unter dem Grundgesetz auch Bachof, (Fn. 484), S. 294 ff. 497

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erheblich für die Bestimmung subjektiver öffentlicher Rechte angesehen. Einmal wollte man darin das Wesen der Rechtsfigur beschrieben sehen (im Sinne einer „rechtlichen Macht über die öffentliche Gewalt“ 501), andererseits verstand man die Rechtsmacht als Voraussetzung für die Entstehung subjektiver öffentlicher Rechte 502 – sie bildete insoweit die Anbindung an den Komplex des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes. Die relative Bedeutungslosigkeit des Rechtsmachtkriteriums aus heutiger Perspektive erklärt sich auch hier vor allem verfassungsrechtlich: Die Einräumung von Rechten des Einzelnen gegenüber der staatlichen Gewalt erscheint unter der Herrschaft des Grundgesetzes keineswegs so ungewöhnlich, im Gegenteil sogar geboten, wie es den Vertretern des Konstitutionalismus vorgekommen sein mag. Auch hat sich eine unabhängige Verwaltungsgerichtsbarkeit unter der Herrschaft des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG sicher etabliert, Rechtskontrolle durch Verwaltungsgerichte ist also weder ein Novum noch eine Sonderheit, so dass das Rechtsmachtkriterium auch in dieser Hinsicht seine Bedeutung als Anschlusstatbestand zwischen subjektivem Recht und Rechtsschutzinstituten verliert. Zentrale und bis heute relevante Entstehungsvoraussetzung subjektiver öffentlicher Rechte ist das Vorliegen einer Schutznorm, also einer Rechtsvorschrift, die den materiellen Gehalt eines subjektiven öffentlichen Rechts bestimmt und ihn einem individualisierbaren Einzelnen zuweist. Schlüsselbegriff des Schutznormmerkmals ist der des Interesses. Seiner Bedeutung für die Ermittlung subjektiver Rechte und seiner Einordnung im Spannungsfeld zwischen öffentlich und privat wird im Rahmen der Beschäftigung mit der Schutznormtheorie näher nachzugehen sein. (3) Der subjektivrechtliche Gehalt der Grundrechte Vom Standpunkt der heutigen Grundrechtslehre aus betrachtet, kann es als gesichert gelten, dass Grundrechte selbst subjektive Rechte sind 503 beziehungsweise 500 s. aber M. Sachs, Unterlassungsansprüche gegen hoheitliche Immissionen aus § 22 BImSchG, NVwZ 1988, S. 127 ff., 129 f., der im dort behandelten Kontext das Kriterium der Rechtsmacht „wiederbeleben“ möchte. 501 O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. I, 1895, S. 110. 502 Einzelheiten z. B. bei Henke, (Fn. 485), S. 2 ff. 503 BVerfGE 7, S. 198 ff., 204 – Lüth; Alexy, (Fn. 5), S. 414, 443 f., 451 f.; K. Hesse, Bedeutung der Grundrechte, in: Benda / Maihofer (Hg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Aufl. 1994, § 5 Rn. 15; zurückhaltend in der Frage der Subjektivierungsfähigkeit der Grundrechte K. E. Heinz, Grundrechtsschutz und Gemeinschaftsrecht, DÖV 1987, S. 851 ff., 852; von Interesse ist aufgrund der gesicherten subjektivrechtlichen Basis die objektivrechtliche Dimension, s. zu diesem Spannungsverhältnis R. Alexy, Grundrechte als subjektive Rechte und als objektive Normen, Der Staat 29 (1990), S. 49 ff., zum Begriff einer „Grundrechtsakzessorietät“ objektiver Gehalte S. 68.

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solche in Konkretisierung ihrer selbst „im einfachgesetzlichem Gewande“ 504 vermitteln. Ihnen kommt subjektivrechtliche Qualität dabei ebenso gegenüber dem einfachen Gesetzesrecht wie auch gegenüber dem parlamentarischen Gesetzgeber zu 505. Wesentliche dogmatische Ausfaltung hat der letztgenannte Aspekt im Konzept der Schutzpflicht gefunden, das bestimmte staatliche Mindestbemühungen zum Schutz des Kernbereichs der Grundrechte verlangt 506. Geht es um die Abwehr von Kernbereichsbeeinträchtigungen, erlaubt auch die Schutznormtheorie – vor allem im Kontext des Art. 14 GG – Rückgriffe auf die Grundrechte selbst 507. Freilich ist die subjektivrechtliche Dimension der Grundrechte historisch betrachtet keineswegs ein Kontinuum und noch heute, wenn auch der Sache nach völlig unangefochten, ist „die Rolle der Grundrechte im System der subjektiven öffentlichen Rechte“ 508 noch nicht abschließend geklärt. Problematisch im Einzelfall ist die Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang eine Tangierung der Grundrechte durch staatliches Handeln neben dem bereits bestehenden einfachgesetzlichen Rechtsschutz auch grundrechtlichen Rechtsschutz verlangt. Einigkeit besteht insoweit, dass eine originäre Rechtsschutzfunktion den Grundrechten nur als Auffangordnung im Extremfall zuwachsen soll, um das bestehende Ordnungsgefüge der Schutznormtheorie nicht verfassungsrechtlich auszuhöhlen (ohne damit die Verfassungsakzessorietät des einfachen Rechts in Frage stellen zu wollen). Nicht restlos bestimmt und bestimmbar sind dabei freilich die Kriterien, nach denen sich das Vorliegen eines solchen „extremen“ Ausnahmefalls bestimmt. Das Bundesverwaltungsgericht rekurriert auf die von ihm entwickelte sogenannte Schweretheorie, nach der Eingriffe in Rechtspositionen Dritter nur dann und solange geduldet werden müssen, wie sie nicht rechtlich „schwer und unerträglich“ sind 509. Diese Auffassung wurzelt in Art. 14 Abs. 1 GG und baurechtlichen Zusammenhängen, findet aber bei vergleichbaren grundrechtlichen Gefährdungslagen auch im Anlagenumweltrecht des Immissions-, Atom- und auch des Gewerberechts Anwendung. Darin liegt jedoch nach Aussage des Bundesverwaltungsgerichts keine Begren504 M. Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, 2000, passim; s. zur Gegenperspektive A. Scherzberg, Unterverfassungsrechtliche Rechtssätze als Grundlage subjektiv-öffentlicher Rechte, JURA 1988, S. 455 ff., zu den verfassungsrechtlichen Zusammenhängen S. 457. 505 Huber, (Fn. 15), S. 115. 506 Besondere, hier nicht näher zu beleuchtende Probleme weisen die Schutzpflichten allerdings im Hinblick auf ihre prozessuale Durchsetzung auf, s. dazu M. Möstl, Probleme der verfassungsprozessualen Geltendmachung gesetzgeberischer Schutzpflichten, DÖV 1998, S. 1029 ff. 507 Papier, (Fn. 212), Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Rn. 83. 508 U. Ramsauer, Die Rolle der Grundrechte im System der subjektiven öffentlichen Rechte, AöR 111 (1986), S. 501 ff. 509 BVerwGE 32, S. 173 ff., 178; 36, S. 248 ff., 249 f.; 44, S. 244 ff., 246 ff.; 50, S. 282 ff., 287.

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zung der Schweretheorie auf Art. 14 Abs. 1 GG, auch andere Grundrechte sollen nach Auffassung des Gerichts in dieser Weise zur Geltung gebracht werden 510. Auch hat das Gericht den unmittelbaren Rückgriff auf Grundrechte auch in Fällen gestattet, in denen es nach seiner eigenen Ansicht nicht um die Verletzung des grundrechtlichen Kernbereichs ging 511. Teils finden sich auch Institute des einfachen Rechts, die in besonderer Weise als Ausprägung des grundrechtlichen Schutzanspruchs zu werten sind, zuvörderst ist hier das baurechtliche Gebot der Rücksichtnahme zu nennen, welches allerdings ebenso einen objektivrechtlichen Gehalt hat 512 Weitere Probleme ergeben sich hinsichtlich der Frage, inwieweit Art. 2 Abs. 1 GG geeignet ist, ein rechtsschutzbegründendes subjektives öffentliches Recht zu vermitteln oder ob er ein solches Recht nicht gerade erst voraussetzt. Teils wird ihm, wiewohl als Grundrecht anerkannt 513, die Fähigkeit abgesprochen, in Konkurrenz zu spezifischer Freiheitsgewährleistung der anderen Grundrechte schützende Wirkung zu entfalten 514. Neben dem Einfluss, den Grundrechte als subjektivrechtliche Auffangordnung in Fällen des ausfallenden einfachen Rechts entfalten können, finden sie auch noch auf anderem Wege Eingang in die Sphäre subjektiver Rechte, nämlich durch eine verfassungskonforme Auslegung des einfachen Rechts. Berührt das einfache Recht in seinen Regelungsinhalten die Freiheitsgewährleistung eines Grundrechts, so ist diese Vorschrift, wenn der einfache Gesetzgeber nicht hinreichend dafür Sorge getragen hat oder die rechtliche Situation uneindeutig ist, im Lichte des jeweils einschlägigen Grundrechts auszulegen. (4) Subjektive Rechte und Grundrechtsstatus Zwischen subjektiven öffentlichen Rechten und den durch die Grundrechte vermittelten vielgestaltigen Rechtsstatus des Bürgers bestehen innere Zusammenhänge. Ob der „status“ im Sinne der Jellinek’schen Statuslehre dabei mit Rupp „Rechtsboden“ subjektiver öffentlicher Rechte ist 515, oder ob die Beziehungen zwischen beiden doch bloß eine gleichsam phänotypische Spiegelbildlichkeit aufweisen, soll hier kurz beleuchtet werden. 510 BVerwG, BauR 1977, S. 394 ff., 398; beispielsweise in BVerwG, NVwZ 1984, S. 306 ff., 307 für die Bedeutung von Art. 2 Abs. 1 GG für die Wettbewerbsfreiheit. 511 BVerwGE 42, S. 141 ff. ließ einen unmittelbaren Rückgriff auf Art. 6 GG zu, da sich der staatliche Schutz von Ehe und Familie nicht lediglich auf den Kernbereich des Grundrechts reduzieren ließe. 512 Ramsauer, (Fn. 508), S. 532 f. 513 BVerfGE 6, S. 32 ff.; 9, S. 83 ff.; 80, S. 137 ff. 514 BVerwG, BauR 1977, S. 394 ff; s. auch Huber, (Fn. 15) m.w. N. 515 Rupp, (Fn. 474), S. 153.

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Offenbar wird der Zusammenhang zwischen einfachgesetzlichem subjektiven Recht und dem Grundrechtsstatus vor allem bei den Abwehrrechten 516. Wo Grundrechte als Garanten einer Freiheit vom Staat begriffen werden, wie es die klassische liberal-rechtsstaatliche Grundrechtstheorie tut, liegt der Schritt nahe, zivile Interventionsrechte beziehungsweise prozessuale Interventionsinstitute als Ausdruck des grundrechtlichen Status zu werten. Unklar ist dabei allerdings, ob sich das jeweilige (einfachgesetzliche) subjektive öffentliche Recht bereits aus dem Status ergibt (also konstant ist in seiner Existenz) oder es situativ bei der Verletzung des Status entsteht 517. Während die herrschende Meinung den Zusammenhang zwischen Status und subjektivem öffentlichen Recht als eher lose begreift, also im Kontext von Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG oder § 42 Abs. 2 VwGO nicht nach einem verletzten Status, sondern nach einem vom Status verschiedenen Recht fragt, sieht Rupp darin eine Verunklarung der ohnehin schon unübersichtlichen Lage das subjektive öffentliche Recht betreffend 518. Letztlich gehe es, so seine Auffassung, immer um eine Verletzung des Status, und zwar nicht allein in öffentlich-rechtlichen Zusammenhängen, sondern auch in solchen des Privatrechts. Unabhängig davon aber ist die Zuordnung der subjektiven öffentlichen Rechte zum jeweiligen Status eines Grundrechts anerkannt 519, gemeinhin unterschieden werden nach Jellinek 520 subjektive Rechte, die sich aus dem status negativus, dem status positivus und dem status activus ergeben. Mittlerweile hat die Grundrechtstheorie des Verfassungsstaats die Statuslehre im Bereich des status activus fortentwickelt und erweitert 521. Deutet man diesen mit Jellinek 522 als einen Status aktiver Zivität, als status activus civilis, „in welchem der sich befindet, der die sogenannten politischen Rechte im engeren Sinne auszuüben berechtigt ist“ 523, liegt es nahe, Teilhabemöglichkeiten des Individuums am Staat und der Ausübung seiner Kompetenzen subjektivrechtlich zu unterfangen 524. Dabei ist im 516

Rupp, (Fn. 474), S. 154. Als vornehmlich akademisches Problem bezeichnet diese Kontroverse Huber, (Fn. 15), S. 155. 518 Rupp, (Fn. 474), S. 161. 519 Dazu Huber, (Fn. 15), S. 102 f.; Rupp unterscheidet anders nach „positiven“ und „negativen“ subjektiven öffentlichen Rechten, (Fn. 474), S. 161 ff.; W. Henke entwickelt demgegenüber die Parallelen zur zivilistischen Anspruchskonzeption fort, Juristische Systematik der Grundrechte, DÖV 1984, S. 1 ff., 2. 520 Jellinek, (Fn. 1), S. 86 ff. 521 s. dazu vor allem P. Häberle, Grundrechte im Leistungsstaat, VVDStRL 30 (1972), S. 43 ff. 522 Jellinek, (Fn. 1), S. 87. 523 Jellinek, (Fn. 1), S. 87. 524 Alexy, (Fn. 5), S. 242 beschreibt den status activus mit der juristischen Modalität der „Kompetenz“. 517

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Hinblick darauf, dass heute ganz überwiegend einem Verständnis materieller (im Gegensatz zu funktionaler) Subjektivität der subjektiven öffentlichen Rechte angehangen wird, darauf hinzuweisen, dass Jellinek selbst die Einbeziehung des Individuums in den Staat durch Gewährung subjektiver Rechte für möglich gehalten hat. Er war der Ansicht, „der Staat kann durch Zuweisung bestimmter Fähigkeiten an den einzelnen diesen in den Stand setzen, öffentliche Interessen wahrzunehmen“ 525. Bezogen auf den hier interessierenden Kontext kann diese Fähigkeit darin bestehen, ein Gerichtsverfahren zur Kontrolle einer behördlichen Entscheidung aus eigener autonomer Kraft in Gang zu setzen 526. Dies setzt nach allgemeiner Auffassung voraus, dass der so aktiv werdende Bürger klagebefugt ist, also die Verletzung „eigener“ Rechte behaupten kann. Dies veranschaulicht, dass die vom Staat verliehenen Fähigkeiten im eigentlichen Sinne Rechte sind, die einen bestimmten Anspruch – z. B. auf staatliches Handeln – zum Gegenstand haben. Ihre Verleihung setzt mit Jellinek freilich voraus, dass neben dem öffentlichen Interesse an der Wahrnehmung dieser Fähigkeiten auch ein erhebliches privates Interesse an ihrer Wahrnehmung besteht 527. Andernfalls müsste der Staat wiederum über die zwangsweise Verwirklichung dieser Rechte nachdenken, was ihnen die freiheitsergänzende Wirkung eines Rechts (im Sinne eines Anspruchs) raubte und sie so zu einer Rechtspflicht mutieren ließen. Auf der anderen Seite wird die mit der Einräumung zusätzlicher Freiheit verbundene Wahlmöglichkeit des Individuums als nicht hinderlich angesehen für die Annahme einer Teilhabe am Staat 528. Wiewohl danach also die Idee einer gemeinsamen, kooperativen Wahrnehmung staatlicher Verantwortung nicht neu ist, ist sie in ihrer grundrechtstheoretischen Funktion erst in den letzten Jahren erkannt und unterfüttert worden 529. Wo sie sich für einen von Staat-Bürger-Kooperation Betroffenen (welcher durchaus auch der Kooperationspartner sein kann) präsentiert, tritt sie rechtlich erheblich in der Sphäre des status negativus cooperationis 530 in Erscheinung. Für den kooperierenden Bürger freilich, dem staatlicherseits im Jellinek’schen Sinne „Fähigkeiten“ eingeräumt werden, betrifft die kooperative Verantwortung für die Wahrnehmung staatlicher Aufgaben den status activus, genauer einen status 525 Jellinek, (Fn. 1), S. 138; freilich ist mit Kersten, (Fn. 4), S. 425 darauf hinzuweisen, dass Jellineks soziales Grundmodell das des Gehorsam schuldigen Untertans, nicht das des Bürgers ist. Rechtswahrnehmung im öffentlichen Interesse als Ausweis von Citoyenität war ihm fremd. 526 Alexy, (Fn. 5), S. 242 sieht allerdings gerade diese Option als einen schwierigen Grenzfall bei der Zuordnung zum status activus an. 527 Jellinek, (Fn. 1), S. 139 f. 528 Alexy, (Fn. 5), S. 242. 529 Umfassend bei L. Michael, Rechtsetzende Gewalt im kooperierenden Verfassungsstaat, 2002, S. 320 ff. 530 Michael, (Fn. 529), S. 357 et passim.

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activus cooperationis. Seine Rechtsstellung wird gegenüber der Rechtsstellung Dritter aufgewertet, die mitgestaltende Freiheit im Verfassungsstaat wird erweitert – mit allen damit verbundenen, vor allem verfassungsrechtlich-legitimatorischen Problemen 531. Grundlage der Status-Betrachtungen, ihrer Grenzen und Entwicklungsmöglichkeiten ist die klassische öffentlich-rechtliche Frage nach dem Verhältnis von Staat und Gesellschaft, welches sich in der Existenz und der Ausgestaltung der subjektiven öffentlichen Rechte abbildet. Ohne den Ausführungen im Folgenden vorgreifen zu wollen, bleibt an dieser Stelle zunächst festzuhalten: Es besteht eine Korrespondenzbeziehung zwischen der Konstruktion der grundrechtlichen Status-Dimensionen und den einfachgesetzlichen subjektiven öffentlichen Rechten. Je mehr man den Bürger kooperativ in die Wahrnehmung staatlicher Aufgaben einbindet und eine solche Einbindung befürwortet, desto mehr ist der status activus civilis in der Form eines status activus cooperationis 532 betroffen und bedarf der Fortentwicklung. Insbesondere wird damit ermöglicht, subjektive öffentliche Rechte in Bereichen zu begründen, welche nach der bislang herrschenden Doktrin einer Subjektivierung öffentlicher Rechte verschlossen waren. Notwendig ist dafür zunächst eine theoretische Begründung für eine gemeinwohlbezogene Kooperation zwischen Bürger und Staat. Diese kann, will man die Kategorien von Staat und Gesellschaft beziehungsweise Bürgerschaft nicht gegeneinander völlig entgrenzen, nur bereichsspezifisch und konkret begründet werden 533. Anknüpfungspunkt für die gemeinsame Zuständigkeit von Staat und Bürger für die Gemeinwohlkonkretisierung bildet, darauf sei an dieser Stelle im Vorgriff auf weitere Ausführungen hingewiesen, der Verantwortungsbegriff 534. (5) Exkurs: Das subjektive öffentliche Recht im Totalitarismus Individuelle Freiheit begegnet in staatlichen Ordnungssystemen verfassungsstaatlicher Prägung nicht allein, aber doch primär in der Gestalt subjektiver Rechte. Ihre Rolle und Ausgestaltung korrespondiert daher nicht bloß zufällig mit den Strukturen der staatlichen Ordnung. Mit anderen Worten: Subjektive Rechte in einem freiheitlichen System nehmen andere Gestalt an als solche in totalitären Staaten 535, sie haben eine Indexfunktion für die Freiheitlichkeit eines 531

s. dazu die Legitimationsdebatte im Kontext der Verbandsklage, § 4 V. a). Dazu ausführlich unter § 7 III. 5. d) (1) (b). 533 Dazu umfassend § 7 III. 4. 534 s. hier unter § 7 III.2.b); Michael, (Fn. 529), S. 249 ff.; s. weiter aus der umfangreichen Literatur P. Saladin, Verantwortung als Staatsprinzip, 1984; U. Di Fabio, Verantwortung als Verfassungsinstitut, in: Knies (Hg.), Staat – Amt – Verantwortung, FS Fromme, 2002, S. 15 ff.; Kaufmann / Renzikowski (Hg.), Zurechnung als Operationalisierung von Verantwortung, 2004, dort insbes. A. Carrino, Die Demokratie nach der Verfassung – Zurechnung und Verantwortung im Verfassungsrecht, S. 163 ff. 532

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Gemeinwesens. Handelt man von subjektiven Rechten, ist diese Dimension also nicht auszublenden, lässt doch die Betrachtung des einen Rückschlüsse auf das jeweils andere zu. Daher soll, da es bislang um die Gestalt subjektiver Rechte unter der Voraussetzung staatliche Gewährleistung individueller Freiheit ging, im Folgenden ein kursorischer Einblick in die Funktion subjektiver Rechte in totalitären Systemen gegeben werden. Die jüngere Rechtsgeschichte bietet im Hinblick auf die gesellschaftliche Bedeutung subjektiver Rechte vor allem zwei Ansatzpunkte: Die Bedeutung der subjektiven öffentlichen Rechte im Nationalsozialismus 536 und im sozialistischen Herrschaftsraum der DDR 537 (und anderer Ostblockstaaten): Die öffentliche Rechtsgeschichte des Nationalsozialismus ist vor allem seit den siebziger Jahren in den Werken von Stolleis u. a. und auch anlässlich der Auseinandersetzung mit einzelnen Lebenswegen 538 in den Blickpunkt der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit gerückt 539. Dabei wurde die besondere Bedeutung des Nationalsozialismus als einer umfassenden (und entgrenzenden) Ideologie von Staat, Gesellschaft und Individuum besonders beleuchtet. Der soziale Alleinvertretungsanspruch der nationalsozialistischen Gedankenordnung wirkte in alle Bereiche des Rechts nahezu gleichermaßen, wenngleich das öffentliche Recht in besonderer Weise von den ideologischen Umwälzungen betroffen war. Die Rechtslehre des Nationalsozialismus stellte zentrale Bausteine der Demokratie und des Rechtsstaats 540 in Frage beziehungsweise substituierte sie durch ein Konglomerat eigener materialer und methodischer Ordnungsideen 541. Inwieweit dabei die hergebrachten liberalen Strukturen der Weimarer Reichsverfas535 Für die zivilistische Perspektive s. P. Hofmann, Subjektives Recht und Wirtschaftsordnung – Untersuchungen zum Zivilrecht in der Bundesrepublik Deutschland und der SBZ, 1968, passim. 536 s. zum Individualrechtsschutz im Nationalsozialismus Schlacke, (Fn. 16), S. 45 ff. 537 Dazu ebenfalls Schlacke, (Fn. 16), S. 49 ff. 538 s. dazu z. B. den Beitrag m.w. N. von M. Stolleis, Theodor Maunz – Ein Staatsrechtslehrerleben, in: ders., Recht im Unrecht, 1994, S. 306 ff.; R. Walkenhaus, Konservatives Staatsdenken, 1997, S. 171 ff. und S. 275 ff. 539 s. z. B. den obigen Sammelband von Stolleis, (Fn. 538); ders., Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. III, 1999, S. 246 ff., 316 ff.; s. auch die Beiträge von H. Dreier und W. Pauly, Die deutsche Staatsrechtslehre in der Zeit des Nationalsozialismus, VVDStRL 60 (2001), S. 10 ff. und S. 73 ff. 540 Zentral war beispielsweise die Lockerung der Gesetzesbindung der Verwaltung hin zu einer Bindung an ein gegebenenfalls frei zu schöpfendes nationalsozialistisches Recht, dazu T. Maunz, Die Rechtmäßigkeit der Verwaltung, in: Frank (Hg.), Deutsches Verwaltungsrecht, 1937, S. 51 ff.; eine „vermittelnde“ Position bei E. Forsthoff, Der totale Staat, 2. Aufl. 1934, S. 40 f., der allgemeine Gesetze und Verwaltungsanweisungen für die Funktionalität einer Massenverwaltung für unausweichlich hält, jedoch neben bzw. über dieses Denkmodell noch das einer „Führerordnung“ stellt, die auf die Verwaltungsabläufe Einfluss hat.

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sung und des Rechtsdenkens des 19. Jahrhunderts gleichwohl Bestand hatten, namentlich in den Werken verschiedener mehr und weniger regimefreundlicher Staatsrechtslehrer, kann hier im Einzelnen nicht nachgezeichnet werden 542. Eine der zentralen Auseinandersetzungen, welche die „deutsche“ Staatsrechtslehre mit ihren Widersachern ausfocht, war die Debatte um Rang und Daseinsberechtigung des subjektiven öffentlichen Rechts 543. In ihr, so Stolleis, „konzentrierte sich alles, was zur Stellung des Einzelnen in der Gemeinschaft zu sagen war“ 544. Das subjektive öffentliche Recht wurde als liberales Erbe, so man es nicht als abgeschafft ansah, seines durch den grundrechtlichen status negativus beschriebenen Kerns beraubt. Nicht Abgrenzung von Individuum und Staat, sondern – vermittelt über den Begriff der „Bewegung“ 545 – die wechselbezügliche Auflösung dieser Begriffe in der Kategorie „Volk“ war Ziel des nationalsozialistischen Rechtsdenkens 546. Alle Mechanismen, die der Konstitutionalismus und die liberale Rechtslehre aufgerichtet hatten, um die Rechtsstellung des Einzelnen gegenüber staatlicher Intervention abzuschirmen, wurden dementsprechend „geschleift“. Ideologische Grundlage dieses Vorgehens war dabei der Gedanke, dass zwischen Individuum und Volksgemeinschaft beziehungsweise zwischen Individuum und nationalsozialistischem Staat kein Interessengegensatz bestehe, da der Einzelne lediglich als Teil der Gesamtheit konstruiert wurde. Institutionalisierte 541

Bauer, (Fn. 5), S. 102 ff., 104 f.; s. beispielsweise C. Schmitt, Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens, 1934, S. 57 ff., der für ein „konkretes Ordnungsund Gestaltungsdenken“ plädiert; zu den Kategorien dieses Ordnungsdenkens ders., Staat, Bewegung, Volk, 1933; dazu R. Schröder, Verwaltungsrechtsdogmatik im Wandel, 2007, S. 41 ff. 542 M. Stolleis, Im Bauch des Leviathan – Staatsrechtslehre im Nationalsozialismus, in: ders. (Fn. 538), S. 126 ff. mit einem Überblick über die (ideengeschichtliche) Positionierung und Entwicklung verschiedener Staatsrechtslehrer seit der Weimarer Republik (Smend, Scheuner, von Oertzen; Thoma, Triepel, Anschütz; Koellreuter, Tatarin-Tarnheyden; Herrfahrdt; Larenz, Brunstädt, Dulckeit sowie Huber, Forsthoff, Höhn und Schmitt). 543 Dazu z. B. die Werke von E. R. Huber, (Fn. 156); T. Maunz, Das Ende des subjektiven öffentlichen Rechts, ZStW 96 (1936), S. 71 ff.; O. Koellreuter, Deutsches Verwaltungsrecht, 1936; A. Köttgen, Deutsche Verwaltung, 1937; E. Kraiss, Das klagbare subjektive öffentliche Recht im deutschen Führerstaat, Diss. iur., Tübingen 1935; K. Larenz, Rechtsperson und subjektives Recht, 1935; G. Brings, Das subjektiv-öffentliche Recht und die Verwaltungsgerichtsbarkeit in ihrer Bedeutung für den nationalsozialistischen Staat, Diss. iur, Würzburg 1938; W. Schönfeld, Der Kampf wider das subjektive Recht, ZAkDR 1937, S. 107 ff. 544 Stolleis, (Fn. 539), Geschichte, S. 363. 545 Dazu Walkenhaus, (Fn. 538), S. 225 ff. 546 Auszug aus der Reichstagsrede A. Hitlers vom 30. Januar 1937: „Damit steht über der Person und der Sache auch im deutschen Rechtsleben von jetzt an das Volk“, in: Verhandlungen des Reichstages, Bd. 459, S. 7 Rn. B; s. weiter die umfassende Darstellung bei Walkenhaus, (Fn. 538), S. 218 ff.; E. R. Huber spricht von einer „ideologischen Fiktion“ des „liberalen Gesellschaftsbegriffs“, den Menschen in seiner „Funktion“ vom Staat zu lösen, Bedeutungswandel der Grundrechte, AöR 23 (1932/33), S. 1 ff., 86.

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Vorkehrungen der praktischen Konkordanz, die gegenläufige Interessen gegeneinander abschirmen sollten, waren dementsprechend obsolet. Die überkommene Vorstellung vom subjektiven öffentlichen Recht als Mediator der Beziehung zwischen Individuum und dem Staat 547 war danach zu verabschieden. Einher damit ging die über das rein Rechtliche weit hinausweisende Abkehr von der Anerkennung des Individuums als Wert, als Zweck in sich selbst. Nur „als Glied des Volkes, nur in seiner Einordnung in die Gemeinschaft findet der Einzelne seine Stellung im Leben, seine Aufgabe und seinen Wert“ 548. Ausdruck fand dieser buchstäbliche Wertewandel in der neuen Rechtsfigur der „volksgenössischen Rechtsstellung“ 549. In ihr spiegeln sich die allgemeinen Tendenzen zur Auflösung fester Rechtsstrukturen des politischen Gemeinwesens im Nationalsozialismus wider. Die „volksgenössische Rechtsstellung“ verband gleichermaßen Rechte wie Pflichten, was ihrer gliedschaftlich-genossenschaftlichen Struktur geschuldet war. Hinzu trat ihre Deutung als ein konkretes, aus seinen zahlreichen spezifischen Kontexten sich konstituierendes Rechtsverhältnis, das dementsprechend ideologieaffin war. Nicht eine allgemeine zivile Rechtsstellung – zum Beispiel in Form der Jellinek’schen Statuslehre – wurde garantiert, sondern eine den Wechselfällen politischer Ideologie anheim gegebene Rechtsunterworfenheit der Person 550. Der berechenbare Rechtsstaat Weimarer Prägung wandelte sich unter diesen Vorzeichen zu einem willkürlich operierenden Maßnahmestaat. Unterfüttert wurde dieser Wandel vor allem durch eine Neubestimmung des Freiheitsbegriffs. Während das liberale Erbe des 19. Jahrhunderts Freiheit individualistisch als „vom Staate weg“ konzipierte 551, band der konservative Freiheitsbegriff, wie er sich beispielsweise bei Huber findet 552, die Ausübung von Freiheit durch das Individuum an deren Nützlichkeit für das Gemeinwesen 553.

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Bühler, (Fn. 483), Rechte, S. 522. U. Scheuner, Die Rechtsstellung der Persönlichkeit, in: Frank (Hg.), Deutsches Verwaltungsrecht, 1937, S. 82 ff., 82. 549 Deutlich bei E. R. Huber, Die Rechtsstellung des Volksgenossen, ZStW 96 (1936), S. 438 ff., 446 ff.: „Die Rechtsstellung des Volksgenossen ist (..) nicht um des Einzelnen willen begründet, sondern um der Gemeinschaft willen.“; s. auch die Aufsätze dess., (Fn. 156); allgemein zu diesem Komplex Bauer, (Fn. 5), S. 108 ff. 550 Wesentliche Voraussetzung für diese Ideologisierung des Staatshandelns war die ebenfalls staatsrechtlich unterfütterte Verschmelzung von Partei und Staat, dazu Forsthoff, (Fn. 540), S. 34 ff., 36. Zum Verhältnis nationalsozialistischer Ideologie und der Auslegung des Rechts s. (für das Privatrecht) grundlegend B. Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, 6. Aufl. 2005, S. 295 ff. 551 In diesem Verständnis offenbart sich in demokratischer Perspektive gleichzeitig ein erheblicher Kompensationsmechanismus als Ergebnis einer historischen Entwicklung, die an die Stelle politischer Teilhabe des Bürgertums, wie sie im Rahmen der Revolution von 1848 vergeblich gefordert wurde, die Gewährleistung einer subjektiven Rechtssphäre setzte, s. dazu näher § 5 III. 552 E. R. Huber, Das deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, 1931, S. 28. 548

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Teil C: Subjektives öffentliches Recht und Schutznormtheorie

Vergleicht man in einem bloß skizzenartigen Überblick die Rolle subjektiver Rechte in faschistischen und sozialistischen beziehungsweise kommunistischen Regimen, so ergeben sich, trotz der vorgeblichen Ferne dieser Ideologien, erstaunliche Parallelen. Umso erstaunlicher erscheinen diese Parallelen bezogen auf die deutsche Situation, in der das sozialistische Herrschaftssystem der DDR auch als bewusste Abwendung von den Entartungen der nationalsozialistischen Herrschaft aufzufassen ist und gleichzeitig auf dem selben geistesgeschichtlichen und rechtswissenschaftlichen Fundus aufbauen konnte, wie er der westdeutschen Rechtswissenschaft zur Verfügung stand. Gemeinsamer Ausgangspunkt der faschistischen und der „linken“ Ideologien ist ihre Leugnung der Bedeutung des Individuums. Wo der Einzelne auf der einen Seite als Teil einer rassisch und national sich definierenden Volksgemeinschaft verstanden wird, wird er auf der anderen Seite als Element einer sozialen Klasse begriffen und als solches konstruiert im Hinblick auf die soziale Funktion seiner Klasse. Freilich unterscheidet sich die ideologisch gefärbte offizielle Rechtsmeinung in beiden Systemen. Während der Nationalsozialismus gleichsam „mit offenem Visier“ scharf gegen die Rechte des Einzelnen ficht, propagiert der Sozialismus individuelle Freiheit, begreift sie aber als notwendig gesellschaftlich durch- und überformt 554 und zieht auch in seinem Verständnis von Demokratie parallele Konsequenzen 555. Beide Ansätze wenden sich vom Grundrechtsmodell des bürgerlichen Liberalismus ab, wie das 19. Jahrhundert es maßgeblich hervorgebracht hat. Die sozialistische Kritik setzt dabei an verschiedenen Punkten an. Ablehnung erfährt die hergebrachte Vorstellung von Grundrechten (also subjektiven Rechten) aufgrund der Tatsache, dass sie anknüpft an Individualismus, Privatismus, einen formalen Freiheitsbegriff, der Ungleichheiten duldet sowie – klassisch – an die Existenz privaten Eigentums 556.

553 Walkenhaus, (Fn. 538), S. 143; s. auch die insoweit instruktive Gegenüberstellung von (liberaler) Verfolgung eigener Interessen und gemeinwohlorientierter Pflichterfüllung bei C. Offe, Wessen Wohl ist das Gemeinwohl?, in: Münkler / Fischer (Hg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn, 2002, S. 55 ff., 56. 554 s. beispielhaft den typischen Titel des Beitrags von W. Büchner-Uhder, Zur Entwicklung und Bedeutung der verfassungsmäßigen Rechte und Freiheiten für die Entwicklung der Gesellschaft (Hervorh. vom Verf.) und Persönlichkeit im Sozialismus, in: Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft (Hg.), Verfassung der DDR, 1984, S. 28 ff.; s. weiter W. Kutschinski, Persönlichkeit, Freiheit, Recht, 1980, S. 43 ff., 66 ff., der den Begriff der „sozialen Freiheit“ bzw. „gesellschaftlichen Freiheit“ verwendet. 555 G. Haney, Demokratie, 1973, S. 115, 119: „Der Gegensatz zwischen der privaten und gesellschaftlichen Existenz wird hier (Anm.: im Sozialismus) aufgehoben.“ (..) „Das egoistische, sich selbst betrügende „Ich darf das, was ich will‘ und das humane, verantwortungsbewusste, souverän-demokratische „Ich trage Verantwortung für die Gesellschaft“ sind nicht miteinander vereinbar“.

§ 3 Das Konzept des subjektiven öffentlichen Rechts

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Die Existenz des Individuums und damit seine Rechtsstellung und -ausübung wurde in den Dienst der sozialistischen (kommunistischen) Gesellschaftsordnung gestellt. Dies erfolgte einmal (soweit Grundrechte zum Beispiel in der Verfassung der DDR von 1968 niedergelegt, wenn auch nur vorsichtig als subjektive Rechte anerkannt waren 557) durch starke Betonung der grundrechtsimmanenten Schranken sowie durch ihre Nutzbarmachung für politische Zwecke 558, von der man sich integrierende Wirkung versprach 559. Eine solche Inpflichtnahme der Grundrechte ließ sich gegenüber den eher freiheitsnegierenden Ansätzen der faschistischen Rechtsideologie grundsätzlich einfacher erklären, da sich Sozialismus und Kommunismus gerade als besonders effektive, gleichsam institutionalisierte Form individueller Freiheit missverstanden, da sie die Anfechtungen persönlicher Freiheit durch die Beseitigung von Klassenunterschieden für überwunden geglaubt hielten. Typisch für den Totalitarismus des Sozialismus und des Kommunismus war neben einer nur zögerlichen Anerkennung des subjektivrechtlichen Charakters 560 auch eine Unterscheidung zwischen den „wirklichen“ beziehungsweise den „sozialistischen“ und den „bürgerlichen“ Grundrechten, in der sich die Kritik am Steuerungsprogramm der klassischen Grundrechtstheorie fortsetzte, in welchem man einen Sicherungsmechanismus der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft 556 Ausführlich dazu U. Volkmann, Grundrechte und Sozialismus, in: Merten / Papier (Hg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. I, 2004, § 12, Rn. 9 f., 12 f., 15 f., 19 f., 23 f. 557 s. insoweit höchst instruktiv Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR (Hg.), Staatsrecht der DDR, 1977, S. 185 f. 558 G. Brunner, Grundrechtstheorie im Marxismus-Leninismus, in: Merten / Papier (Hg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. I, 2004, § 13 Rn. 9 für den Leninismus. 559 Brunner, (Fn. 558), Rn. 32; prominenter Vertreter der gegenüber subjektiven Rechten skeptischen marxistischen Rechtslehre der DDR ist vor allem Gerhard Haney, dessen Auseinandersetzung mit dem subjektiven Recht freilich auch innerhalb des Regimes erheblichen Widerspruch zeitigte, s. Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR (Hg.), (Fn. 557), S. 185, dort Fn. 20; s. zur Sache G. Haney, Sozialistisches Recht und Persönlichkeit, 1967, S. 281 ff.; ders., Wert und Recht, unveröff., S. 311 ff., Nachweis bei Behlert, (Fn. 804), S. 13, der auch die Position Haneys in einen relativierenden naturrechtsphilosophischen Kontext einstellt. Haney war es darum getan, das subjektive Recht aus der zivilistischen und obrigkeitlichen Denkschule des 19. Jahrhunderts zu lösen, die das subjektive Recht als von der objektiven Rechtsordnung gewährt ansah. Er plädierte für ein Recht des Individuums aus dessen eigenem Wert heraus begründet, s. weiter S. Poppe, Subjektives Recht und marxistisch-leninistisches Menschenbild, Wiss. Z. der Karl-MarxUniversität Leipzig 1987, S. 556 ff.; G. Baranowski, Die Kategorie „subjektives Recht“ im Meinungsstreit in der DDR-Rechtswissenschaft der 60er Jahre, Wiss. Z. der KarlMarx-Universität Leipzig 1981, S. 280 ff. 560 Brunner, (Fn. 558), Rn. 29 f. für die 1950er Jahre und die Diskussion in der Sowjetunion; Volkmann, (Fn. 556), Rn. 11 zum Vorrang kollektiver vor individueller Freiheit im Sozialismus, als dessen Ausdruck die genannte Entwicklung auch zu sehen ist.

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Teil C: Subjektives öffentliches Recht und Schutznormtheorie

sah 561. Dogmatische Konsequenz hatte diese Unterscheidung nicht nur auf der Ebene der Konstruktion der Grundrechte selbst, sondern auch im Kriterium der Grundrechtssubjektivität. Entgegen dem freiheitlich-liberalen und ansonsten auch von den linken Ideologien beschworenen Bekenntnis menschlicher Gleichheit, wurden nämlich als Grundrechtsträger teils nur die Werktätigen anerkannt 562. In Übersteigerung der dem Kollektiv zugebilligten politischen Gestaltungsmacht wurde beispielsweise in der ersten sowjetischen Verfassung vom 18. Juli 1918 die Garantie der Grundrechte prägend überformt durch die für die Staatsbildung konstitutive Idee der „Diktatur des Proletariats“ 563. Untersucht man die Literatur aus den Anfängen der DDR-Rechtswissenschaft und aus ihrer Endzeit, zeigt sich eine geradezu verblüffende Sprachlosigkeit die dogmatische Funktion subjektiver öffentlicher Rechte betreffend. Zwar findet sich beispielsweise eine Ausgabe der Wissenschaftlichen Zeitung der Karl-MarxUniversität Leipzig aus dem Jahre 1981, die das „sozialistische subjektive Recht“ zum Thema hat, es aber vor allem als Topos der Rechtsphilosophie im Kontext der marxistisch-leninistischen Ideologie begreift. Auch fand in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts eine größere wissenschaftliche Auseinandersetzung um die Bedeutung subjektiver Rechte statt 564. Demgegenüber aber beschäftigte sich Ende 1988 der Schwerpunkt einer Ausgabe der Zeitschrift „Staat und Recht“ mit dem „Verwaltungsrecht im Staat-Bürger-Verhältnis“, ohne aber den Begriff oder auch nur eine inhaltlich äquivalente Kategorie dessen zu bemühen, was unter subjektiven öffentlichen Rechten verstanden wird 565. Zwar ist auch dort immer wieder von Rechten (und meist auch Pflichten 566) des Bürgers gegenüber dem Staat die Rede, jedoch ausschließlich in einem höchst gegenständlichen Sinne, kaum je abstrahierend oder kategorial argumentierend. Überhaupt erscheint die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem öffentlichen Recht insgesamt wenig dogmatisch 567. Insofern überrascht auch die weitgehend ausschließliche Einordnung des subjektiven Rechts in den Bereich der Rechtsphilosophie beziehungsweise -theorie (z. B. in Werken Gerhard Haneys) nicht. Vorsichtig geurteilt 561

Brunner, (Fn. 558), Rn. 11. Brunner, (Fn. 558), Rn. 11. 563 Brunner, (Fn. 558), Rn. 10, 11. 564 s. den Beitrag Baranowskis, (Fn. 559). 565 s. dazu H. Pohl / G. Schulze, Weitere Erhöhung der Wirksamkeit des Verwaltungsrechts, Staat und Recht 1988, S. 561 ff., insbes. 568 f.; W. Bernet, Verwaltungsarbeit – Bürger – Recht, ebd., S. 576 ff.; W. Büchner-Uhder / W. Kemnitzer, Nutzung der Vorzüge des Verwaltungsrechts für die weitere Festigung der Staat-Bürger-Beziehungen, ebd., S. 584 ff.; R. Brachmann / K.-H. Christoph, Zur Vervollkommnung verfahrensrechtlicher Regelungen im Verwaltungsrecht, ebd., S. 570 ff. 566 Insofern auch beispielhaft der Beitrag K. Bönningers, Zu Problemen der subjektiven Rechte im Staats- und Verwaltungsrecht und ihres Verhältnisses zu den Pflichten, Wiss. Z. der Karl-Marx-Universität Leipzig 1981, S. 226 ff.; s. auch: Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft (Hg.), (Fn. 557), S. 175 ff. 562

§ 3 Das Konzept des subjektiven öffentlichen Rechts

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mag man darin einen Ausweichmechanismus sehen, die ideologisch propagierte Aufwertung des Einzelnen nicht an der Wirklichkeit des sozialistischen Rechtsalltags messen zu müssen. Das Verbleiben in der Abstraktion und die offenbare Dogmatikferne vermögen Disparitäten zwischen „Sein“ und „Sollen“ vergleichsweise „gnädig“ zu kaschieren. Anders als die Rechtslehre des Nationalsozialismus, die ausdrücklich eine Abkehr vom subjektiven öffentlichen Recht propagierte und dieses durch Eigenkonstrukte zu ersetzten versuchte, scheint ein ähnlicher Vorgang in der Rechtswissenschaft der DDR nicht stattgefunden zu haben. Dies nimmt vor allem deshalb wunder, weil beide Systeme auf der deutschen Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, des Kaiserreichs und der Weimarer Republik aufbauten und dort der Begriff der subjektiven öffentlichen Rechte – beispielsweise schon 1853 durch die Schrift Gerbers „Ueber öffentliche Rechte“ – ein fest eingeführter Topos war. Seinen Grund findet dies darin, dass die argumentative Ausgangssituation beider Ideologien eine andere war: Der Nationalsozialismus hat den Wert des individuellen Interesses schlicht geleugnet und konnte insofern auf die Kategorie der subjektiven Rechte verzichten. Demgegenüber leugnet der Sozialismus nicht den Wert individueller Interessen, sondern „bloß“ die Gegenläufigkeit von Individualinteresse und gesellschaftlichem Interesse 568. Gedacht freilich war diese Argumentation von den Bedürfnissen der Gesellschaft her – insofern also grundlegend anders als die bürgerliche Konzeption. Die Rechtsstellung des Bürgers im Sozialismus war daher überformt durch ein kollektivistisches „EingabenDenken“, bei dem die Einbeziehung des Bürgers primär der Optimierung der staatlichen Gewalt diente. Eingaben, welche auf die Beseitigung von staatlicher Fehlleistung zielten, zeugten danach „von einem höher entwickelten Bewusstsein ihrer Urheber“ 569 als solche, die der Wahrung eigener Interessen zu dienen bestimmt waren. Demgemäß wandte sich die sozialistische Rechtswissenschaft auch in scharfen Worten gegen die „Illusion der Rechtsstaatlichkeit“ der „imperialistischen Bourgeoisie“ 570, da diese ihrer Auffassung nach nur in dem Staat genehmen Fällen die Wahrung von Rechten des Bürgers einräume, es an einem „wirksamen Mittel zur Durchsetzung der Rechte der Werktätigen gegenüber den Willkürmaßnahmen der bürgerlichen Exekutivorgane“ 571 aber fehle. Gerade diese Aussage offenbart nochmals den wesentlichen konzeptionellen Unterschied in der Herangehensweise: Wo hier die Rechte des Individuums (so sie bestehen), 567 s. z. B. die Definition eines Verwaltungsakts, die sich darauf beschränkt, in ihm eine staatliche Bestimmung von Rechtsfolgen zu sehen, bei K. Bönninger / H.-U. Hochbaum, Das Verwaltungsrecht der Deutschen Demokratischen Republik – Allgemeiner Teil, 1957, S. 170. 568 Haney, (Fn. 559), Sozialistisches Recht, S. 288. 569 Bönninger / Hochbaum, (Fn. 567), S. 295. 570 Bönninger / Hochbaum, (Fn. 567), S. 298. 571 Bönninger / Hochbaum, (Fn. 567), S. 298.

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Teil C: Subjektives öffentliches Recht und Schutznormtheorie

kategorisch geschützt werden, entgrenzt dort das Merkmal der Klassenzugehörigkeit den Begriff des Rechts (verstanden als konkrete Rechtsbeziehung) hin zu einer allgemeinen Rechtsstellung, die dann aber auch nur recht allgemein abgesichert ist. Bilanzierend ist festzuhalten: Die Betrachtung der Geschichte subjektiver Rechte in totalitären Regimen des 20. Jahrhunderts erweist sich in zweierlei Hinsicht als fruchtbar. Sie verdeutlicht einerseits, dass sich subjektive öffentliche Rechte stets der Gefahr einer Funktionalisierung und damit tendenziell der Gefahr einer Entwertung ausgesetzt sehen. Nach klassischem Verständnis erweist sich das subjektive öffentliche Recht als Rechtsmacht des Bürgers gegenüber Trägern hoheitlicher Gewalt. Die Aufladung mit ideologischen Inhalten und Zielvorstellungen birgt das Risiko, den eigentlichen Gewährleistungszweck zu verdrängen, jedenfalls aber zu beeinträchtigen. Darüber hinaus kommt in der historischen Betrachtung zum Ausdruck, dass Gehalt und Gewährleistung subjektiver Rechte gleichzeitig Auskunft geben über die Stellung des Individuums in der Gesellschaft an sich. Damit ist eine äußere Grenze jeglicher Funktionalisierung subjektiver öffentlicher Rechte beschrieben. Dort, wo eine Aufladung subjektiver Rechte mit nicht im engeren Sinne individuellen Belangen die rechtliche Integrität des Rechtsträgers als Person in Frage stellt, ist aus verfassungsstaatlicher Perspektive Einhalt geboten. Etwaige Funktionalisierungsbemühungen, denen im weiteren Verlauf nachgegangen werden soll, haben dies zu beachten. Verallgemeinernd lässt sich zudem festhalten: Subjektive öffentliche Rechte sind im allgemeinen Indikator der Freiheitlichkeit einer Gesellschaft und geben, bei näherem Hinsehen, durch ihre dogmatische Ausgestaltung auch Aufschluss über die Freiheitlichkeit der Rechtsordnung im Detail.

II. Zusammenfassung Subjektive Rechte sind besondere Ausprägungen der Rechtsordnung. Während sie im Zivilrecht als ordnende Kategorie und in ihrer dogmatischen Struktur fest etabliert und daher kaum mehr Gegenstand intensiver wissenschaftlicher Kontroverse sind, hat sich das subjektive Recht im öffentlichen Recht noch immer nicht vollständig konsolidiert. Es trägt nach wie vor deutliche Züge seiner Herkunft aus dem 19. Jahrhundert und wird durch veränderliche verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen und deren Weiterentwicklung stets aufs Neue herausgefordert. Namentlich seine Verbindung zu einer zeitgenössischen Dogmatik der Grundrechte wirft Fragen auf, die noch nicht oder jedenfalls nicht vollständig beantwortet sind. Kontrovers diskutiert wird dabei insbesondere das Verhältnis der subjektiven öffentlichen Rechte, vor allem solcher des einfachen Rechts, zu einem bestimmten Grundrechtsstatus.

§ 4 Die Schutznormtheorie und ihre Elemente

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Während das Zivilrecht mit der Figur des subjektiven Rechts eine rechtsgutsbezogene Perspektive verbindet, kreist das subjektive öffentliche Recht seit jeher um die Bestimmung seines personalen Gehalts. Dieser ist geprägt von grundlegenden verfassungsrechtlichen Strukturvorgaben und reflektiert und prägt gleichzeitig das allgemeine verfassungsrechtliche Verhältnis von Staat und Gesellschaft. In ihrer Staatsbezogenheit sind die subjektiven öffentlichen Rechte voraussetzungsvoller als die subjektiven Rechte des Privatrechts, da sie ein als Rechtsperson ausgeprägtes staatliches Gemeinweisen zur Voraussetzung haben, zu dem intersubjektive Beziehungen aufgebaut werden können. Diese Voraussetzung hat in weiten Teilen erst der Wandel zur Staatspersönlichkeitslehre gebracht, wie ihn die Staatswissenschaft des 19. Jahrhunderts vollzogen hat. Die Rechtswissenschaft des Konstitutionalismus konstruierte das subjektive öffentliche Recht positivistisch und gesetzesakzessorisch, da die Grundrechte selbst nicht als präformierende subjektive „Generalrechte“ anerkannt waren, sondern bloß Vorgaben, an denen sich staatliches Handeln orientieren sollte. Der Ausfall einer subjektivierungsfreundlichen Grundrechtslehre hatte konkrete Auswirkungen auf die Dogmatik des subjektiven öffentlichen Rechts – so ist heute unter anderen grundrechtsdogmatischen Voraussetzungen beispielsweise das Kriterium der „Rechtsmacht“ als Rechtfertigungsbegriff des subjektiven Rechts weitgehend obsolet geworden. Der Versuch, eine gültige Theorie des subjektiven öffentlichen Rechts zu begründen, beschäftigt die Rechtswissenschaft nun seit geraumer Zeit und wird stetig dadurch erschwert, dass vorläufig konsolidierte Zwischenergebnisse durch den raschen verfassungsrechtlichen Wandel der letzten 150 Jahre stets in Frage gestellt wurden. Die jüngste Herausforderung stellt dabei die Integration des nationalstaatlich konturierten subjektiven öffentlichen Rechts in einen gemeinschaftsrechtlichen Kontext dar. Der Blick auf die Rolle subjektiver Rechte in den deutschen totalitären Systemen des 20. Jahrhunderts schließlich lehrt die Funktionalisierungsanfälligkeit subjektiver Rechte für über- oder außerindividuelle Steuerungszwecke, derer eine verfassungsstaatliche Theorie des subjektiven Rechts sich stets bewusst sein sollte.

§ 4 Die Schutznormtheorie und ihre Elemente Handelt man von subjektiven öffentlichen Rechten in der deutschen Rechtsordnung, so handelt man unweigerlich vom Mechanismus ihrer Ermittlung, der

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Teil C: Subjektives öffentliches Recht und Schutznormtheorie

Schutznormtheorie 572. Viele der wissenschaftlichen Kontroversen um das subjektive öffentliche Recht präsentieren sich heute als Kontroverse um ein gültiges Verständnis der Schutznormtheorie. Daher sollen im Weiteren zentrale Streitfragen um die Struktur des subjektiven öffentlichen Rechts in diesem Kontext behandelt werden.

I. Schutznorm und Schutzgesetz im bürgerlichen Recht Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass der Begriff des subjektiven Rechts im Zivilrecht gegenüber seiner öffentlich-rechtlichen Entsprechung in erheblich geringerem Maße streitbefangen ist als im öffentlichen Recht. Entsprechendes gilt für die Behandlung der sogenannten Schutznormtheorie, dem Mechanismus also, mit dessen Hilfe subjektive Rechte, seien sie privat- oder öffentlich-rechtlicher Natur, ermittelt werden sollen. Eine terminologisch ausdrücklich fassbare Existenz führt die Schutznormtheorie im Privatrecht heute vor allem im Kontext des § 823 Abs. 2 BGB, bei dessen Anwendung sich regelmäßig die Frage stellt, ob eine bestimmte Norm des Rechts ein Schutzgesetz darstellt oder nicht. Anders als in entsprechenden Kommentierungen des öffentlichen Rechts wird sie aber in der zivilrechtlichen Literatur selbst kaum je problematisiert. Zwar werden auch dort verschiedene Maßstäbe entwickelt, wie im Einzelfall der schützende Charakter einer Rechtsvorschrift zu ermitteln ist – das Institut als solches bleibt aber vergleichsweise unbefragt 573, und zwar sowohl in materiellrechtlichen wie auch prozessualen Zusammenhängen.

II. Die Schutznormtheorie im Öffentlichen Recht Die Frage nach dem subjektiven öffentlichen Recht eines Individuums stellt sich in der Rechtspraxis meist im Rahmen der Prüfung der Klagebefugnis, § 42 Abs. 2 VwGO, also im konkreten Verwaltungsstreitverfahren. Ihr kommt als zentrale, semi-materiellrechtliche Sachentscheidungsvoraussetzung hervorgehobene Bedeutung zu, deren Behandlung Bedeutung für die Begründetheit einer Klage hat. Die Klagebefugnis ist gegeben, wenn sich der Kläger darauf berufen kann, durch einen Verwaltungsakt oder seine Unterlassung 574 in seinen eigenen Rechten möglicherweise verletzt zu sein, wobei das Recht „das Prius, die Klage 572

Dazu Scherzberg, (Fn. 2), § 11 Rn. 9 ff. s. hierzu beispielhaft G. Wagner, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 5, 4. Aufl. 2004, § 823 Rn. 317 ff.; J. Hager, in: Staudinger (Begr.), Kommentar zum BGB, 13. Bearb. 1999, § 823 Rn. G 15 ff.; demgegenüber Wahl, (Fn. 3), Vorb. § 42 Abs. 2 Rn. 97 ff. 573

§ 4 Die Schutznormtheorie und ihre Elemente

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das Spätere“ 575 darstellt. Solche Rechtspositionen leiten sich regelmäßig ab aus Vorschriften des einfachen Rechts oder den Grundrechten 576. Ob Vorschriften des geschriebenen Rechts solche klagbaren Rechte verleihen, kann, sofern ihr Wortlaut nicht eindeutig ist, nur durch Auslegung der Vorschrift ermittelt werden. Als Auslegungsmaßstab fungiert die sogenannte Schutznormtheorie 577, wie sie vor allem das Bundesverwaltungsgericht seiner Rechtsprechung zugrunde legt. Dabei handelt es sich nicht um eine Theorie, denn sie erklärt oder deutet nicht, sondern ist bloß Werkzeug des allgemeinen juridischen Auslegungsvorgangs. Gleichzeitig ist die Schutznorm wesensimmanenter Teil der hergebrachten Definition des subjektiv-öffentlichen Rechts 578. Das Vorliegen eines anspruchsbegründenden Rechts festzustellen, ist Gegenstand der Prüfung des § 42 Abs. 2 VwGO. Den Bedürfnissen einer praktischen Verwertbarkeit entsprechend, werden unter dem Oberbegriff der Schutznormtheorie einzelne, wesentliche Begriffsmerkmale des subjektiven öffentlichen Rechts besonders betont und als analytisch entscheidend konstruiert. Diese Verengung des Begriffs des subjektiven öffentlichen Rechts und seine Umwidmung in den Begriff der Schutznormtheorie bringt erhebliche Rationalisierungsgewinne mit sich, allerdings auch ebensolche Verluste. Dogmatische und konzeptionelle Zweifelsfragen, wie sie das subjektive öffentliche Recht seit jeher kennzeichnen, werden gezielt ausgeblendet. Unmittelbare Folge dessen ist die Stilisierung einer materiellen Selbstbetroffenheit des Klägers (mit anderen Worten: seiner Klagebefugnis) zu einer notwendigen Bedingung eines funktionierenden prozessrechtlichen Systems, wiewohl es dabei eigentlich doch nur um den Modus des Prozesses (als Verletztenprozess) geht. Herkömmlich werden dabei die Definitionsmerkmale des „zwingenden Rechtssatzes“ und der „verliehenen Rechtsmacht“ 579 vernachlässigt beziehungsweise als selbstverständlich vorausgesetzt (zwingender Rechtssatz) oder in das Merkmal der Schutznorm hineingelesen (Rechtsmacht). Dies hat vor allem damit zu tun, dass sich die Vorstellung vom subjektiven öffentlichen Recht des grundgesetzli574 Das BVerwG befürwortet im Übrigen eine Ausdehnung der Vorschrift des § 42 Abs. 2 VwGO über seinen Wortlaut hinaus auch auf Fälle von Feststellungs- und auch Leistungsklagen, dazu und weitergehend Wahl / Schütz, (Fn. 89), § 42 Abs. 2 Rn. 21 ff. 575 B. Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts, vom Standpunkt des heutigen Rechts, 1856, S. 230. 576 Dazu im Einzelnen: Ramsauer, (Fn. 508); H. D. Jarass, Die Grundrechte: Abwehrrechte und objektive Grundsatznormen, in: Badura / Dreier (Hg.), Klärung und Fortbildung des Verfassungsrechts, FS BVerfG, Bd. II, 2001, S. 35 ff. ; G. Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, 1988. 577 s. dazu umfassend H. Bauer, Altes und Neues zur Schutznormtheorie, AöR 113 (1988), S. 582 ff. 578 Zu diesem Zusammenhang Wahl, (Fn. 3), Vorb. § 42 Abs. 2 Rn. 94. 579 Bühler, (Fn. 483), Rechte, S. 21, 224.

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chen Verfassungsstaats unterscheidet von der eines Bühler oder Jellinek: Dem citoyen werden seine (Grund-)rechte vom Staat nicht mehr gewährt, sondern umfassend gewährleistet. Das konkrete subjektive öffentliche Recht ist damit dann aber nicht mehr Ausdruck einer besonderen staatlichen Verleihung 580, sondern Ausfluss eines zivilen Rechtsstatus allgemein. Die Schutznormtheorie verlangt daher für die Anerkennung eines subjektiven öffentlichen Rechts ein subjektives Interesse, welches der in Frage stehende Rechtssatz zumindest auch schützen soll. Der schillernde Begriff des Interesses ist dabei der zivilistischen Interessentheorie Jherings entlehnt 581. Die Einbeziehung des „Interesses“ bedeutet nicht allein eine terminologische Verschiebung für die Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, sondern auf einer theoretischen Ebene auch eine „Abkehr“ von der sog. Willenstheorie. Diese stand im 19. Jahrhundert vor allem im Zivilrecht in einer Auseinandersetzung mit der Interessentheorie. Während Bühler mit seiner Definition des subjektiven Rechts Windscheids zivilistische Definition rezipiert 582, wird Jherings Ansatz mit der gegenwärtigen Fassung der Schutznormtheorie gestützt. Interessant ist der zivilistische Hintergrund der Schutznormtheorie vor allem deshalb, weil sich mit den genannten Theorien auch bestimmte Vorstellungen von der Stellung des Individuums zum Recht und im Recht verbinden. Begreift man mit der Willenstheorie subjektive Rechte als Handlungsspielräume, innerhalb derer das Individuum nach freier Entscheidung operieren kann, so dienen sie der Sicherung individueller Freiheit 583. 1. Das Merkmal des „Interesses“ a) Sprachliche Entwicklung und innere Struktur des Interessenbegriffs Der Begriff des Interesses hat eine lange sprach-, geistes- und rechtsgeschichtliche Entwicklung durchlaufen, in welcher er einer zunehmenden Bedeutungsweiterung unterworfen war. Wo das römische Recht mit dem Begriff des id quod interest eine Differenz beschrieb, die zwischen einem positiven Schaden und entgangenem Gewinn bestand 584, überhaupt der Begriff des Interesses frühzeitig vor 580

Wahl, (Fn. 3), Vorb. § 42 Abs. 2 Rn. 95. s. dazu Henke, (Fn. 485), S. 28; zu Jherings Interessentheorie s. auch G. Wagner, Rudolph von Jherings Theorie des subjektiven Rechts und der berechtigenden Reflexwirkungen, AcP 193 (1993), S. 319 ff., 321 f., 338 ff., der auch auf eine Paralleldiskussion (Willens- vs. Interessentheorie) zwischen Jeremy Bentham und John Austin hinweist. 582 Nach B. Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. I, 9. Aufl. 1906, ist ein subjektives Recht „eine von der Rechtsordnung verliehene Willensmacht oder Willensherrschaft“; ähnlich auch F. C. v. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. I, 1840, § 4 S. 7. 583 Wagner, (Fn. 581), S. 322. 584 F. Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 1960, S. 327. 581

§ 4 Die Schutznormtheorie und ihre Elemente

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allem als Rechtsbegriff bekannt war 585, wurde er zunehmend als Synonym für „Vorteil“ gebraucht 586. Der persönlichen Dimension, die ein Interesse an etwas beinhaltet, entspricht das Verständnis des Begriffs als „Antheil, den wir an einer Sache nehmen“ 587. Schließlich bezeichnet Interesse, heute noch im Englischen als interest, einen Zinssatz, der für eine bestimmte Leihfrist auf einen Geldbetrag erhoben wird. Bezogen ist das Interesse als tatsächliche Erscheinung immer auf ein bestimmtes Objekt, z. B. tatsächlicher, künstlerischer oder rein affektiver Natur. Interesse selbst ist damit also eine (relationale) Reflexionskategorie 588. Gleichzeitig weist Interesse, so komplex es im Einzelnen ist 589, eine duale Struktur auf: Es ist gleichermaßen persönliche Präferenzbekundung wie es auch sozial vermittelt ist aus der „sozioökonomischen Position des einzelnen (und der mit ihr verbundenen Rollenerwartungen)“ 590 – es ist also zu ähnlichen Teilen subjektiv wie objektiv. Dabei ist die objektivierbare Bewertung von Interessen und ihrer Realisierung abhängig davon, ob es sich dabei um ökonomische oder sonstige Interessen handelt. Während erstere von der liberalen Gesellschaftstheorie für berechenbar gehalten werden (dies ist genau betrachtet nicht Annahme, sondern Voraussetzung dieser Theorie), werden soft interests (der Religion, Weltanschauung, politischen Überzeugung oder Ästhetik) für wenig kalkulierbar erachtet. b) Der juristische Interessenbegriff Das juristische Interesse am Interesse erfährt bisweilen neue Impulse, basiert aber nach wie vor in seinen Grundstrukturen auf den Gedanken des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Freilich kann aber der Interessenbegriff bei der verwaltungsrechtlichen Systembildung nicht außer Acht gelassen werden 591. Er ist im Kontext des subjektiven Rechts und des Abwägungsgebots als zentraler Institute des öffentlichen Rechts sowie als Merkmal zahlreicher positivrechtlicher Tatbestände ein Schlüsselbegriff nicht allein des allgemeinen Verwaltungsrechts, sondern des öffentlichen Rechts schlechthin 592. Jellinek bestimmt das Interesse im Kontext des subjektiven öffentlichen Rechts als die subjektive Seite dessen, was objektiv als Gut anzusehen sei: „Ein Interesse 585

J. Grimm / W. Grimm, Deutsches Wörterbuch, 1829, Bd. X, Sp. 2147, abrufbar unter http://www.dwb.uni-trier.de/. 586 Grimm / Grimm, (Fn. 585), Sp. 2147. 587 Grimm / Grimm, (Fn. 585), Sp. 2148. 588 Mit zahlreichen Nachweisen Reiling, Rechte, (Fn. 8), S. 189 f. 589 s. H. Neuendorff, Der Begriff des Interesses, 1973, passim. 590 Reiling, Rechte, (Fn. 8), S. 191 mit Hinweis auf P. Massing, Interesse und Konsensus 1979, S. 93, der dort von der „dialektischen Struktur“ des Interesse spricht. 591 Schmidt-Aßmann, (Fn. 11), S. 147.

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ist ein Gut nach der subjektiven Wertschätzung für die menschlichen Zwecke“ 593. Er wendet sich gegen die reine Willenstheorie Rousseau’scher sowie Hegel’scher Prägung, nach der ein Recht Ausdruck der von der Rechtsordnung anerkannten Willensmacht, des Wollendürfens eines Individuums sei. Vielmehr könne ein Wille nur in Bezug auf etwas existieren, Wille als formale Kategorie existiere nicht 594. Hier deutet sich bereits der schon erörterte relationale Charakter des Interesses an, an welchen Jellinek seine Theorie des subjektiven öffentlichen Rechts anbindet. Er verfolgt dabei offensichtlich die Verbindung aus Willensund Interessentheorie und legt die noch heute herrschende Kombinationstheorie grund, nach der sich der Wille auf ein bestimmtes Gut oder Interesse bezieht, wobei der Wille formales, das Gut jedoch materiales Element des subjektiven Rechts sei 595. Jellinek gelingt mit diesem Ansatz eine Einordnung des Interessenbegriffs in das strukturelle Gefüge subjektiver Rechte (auch solcher der Privatrechts) und veranschaulicht dadurch in augenfälliger Weise nochmals seine Relevanz – was ein Interesse freilich sei, lässt sich mit seiner Struktur auch nicht verbindlich sagen. Der Rechtsanwender ist auch hier zurückgeworfen auf die allgemeinen sprachlichen Bestimmungen als Anteilname, Aufmerksamkeit, Vorliebe oder Vorteil. Vor der Kritik, die der Interessenbegriff aus diesem Grunde als Rechtsbegriff erfahren hat 596, nimmt ihn zu Recht Reiling in Schutz, der ihn als rechtsterminologisch voraussetzungslosen Begriff für erforderlich hält und ihm durch verdeutlichende Attribute eine entsprechende Bedeutung beigeben will 597. Als Minimalkonsens den Begriff betreffend stellt Reiling fest, das Interesse zeichne sich gegenüber anderen menschlichen Leidenschaften durch ein Element des Kalkulierbaren und Rationalen aus 598, worin letztlich auch seine Eignung „zum Juristischen“ begründet liegt. Will man den Begriff des Interesses also durch bestimmte Kontextualisierungen näher bestimmen, so bieten sich aus juristischer Perspektive vor allem 592 Dies gilt nicht allein im deutschen Recht. So kennt z. B. auch das spanische öffentliche Recht den Begriff des legitimen Interesses und den des subjektiven Rechts, wobei letzterer eine Konkretisierung einer Norm durch Verwaltungsakt selbst verlangt, abseits der Grundrechte bestehen also keine normunmittelbaren Interessen, dazu J. Martinéz Soria, Der Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt in Spanien, 1997, S. 146 ff. 593 Jellinek, (Fn. 1), S. 43. 594 Jellinek, (Fn. 1), S. 42. 595 Jellinek, (Fn. 1), S. 45. 596 Z. B. bei R. Dubischar, Grundbegriffe des Rechts, 1962, S. 42 („schillernde Gemeinplatznatur“), H. Bauer, Schutznormtheorie im Wandel, in: Heckmann / Meßerschmidt (Hg.), Gegenwartsfragen des Öffentlichen Rechts, 1988, S. 113 ff., 126 („blasser, juristisch gehaltloser Blankettbegriff“). 597 Reiling, Rechte (Fn. 8), S. 194 f. 598 Reiling, Rechte (Fn. 8), S. 195.

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zwei Blickwinkel an, nämlich die Frage nach dem Verhältnis von rechtlich geschützten Interessen und demgegenüber bloßem Interesse sowie dasjenige von öffentlichem und privatem Interesse. Darum soll es im Folgenden gehen. c) Interesse, Recht und Rechtsreflex Geraume Zeit galt, zurückgehend auf Jhering 599, auch im öffentlichen Recht die Unterscheidung von Rechten und Rechtsreflexen. Während erste rechtlich geschützte Interessen sein sollten, sollte der Rechtsreflex bloß eine vom Zweck des Gesetzes nicht umfasste faktische Begünstigung eines Individuums erfassen 600. Bachof konkretisiert dies dahingehend, dass die Begünstigung einer Person nur durch Verpflichtung einer anderen erfolgen kann. Ein Recht ist in diesem Sinne also zweiseitig (berechtigend und verpflichtend). Hingegen kann eine Verpflichtung beispielsweise einer Behörde erfolgen, ohne dass sich daraus zwingend Berechtigungen Dritter ableiten lassen. Ergeben sich allerdings aus einer Verpflichtung Begünstigungen einer Person, so stellt sich nach Bachof die Frage, ob diese Begünstigung vom Gesetz gewollt, also ein Recht, oder ob sie bloß eine zufällige Nebenfolge, also ein Rechtsreflex, ist. Die zivilistische Herkunft der Kategorien aus der Rechtszwecklehre Jherings wird hier besonders deutlich, denn es ist die Bestimmung des Rechtszwecks, welche die Stellschraube für die Frage nach der subjektivrechtlichen Qualität einer Begünstigung abgibt. Von Belang wird die Unterscheidung vor allem in Fällen, in denen die in Rede stehenden Normen eines Gesetzes nicht klar imperativisch oder begünstigend gefasst sind, ein Beispiel gibt die hier im Mittelpunkt stehende Norm des § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BImSchG. Maßgebliches Abgrenzungsobjekt zwischen subjektivem Recht und Rechtsreflex ist der Begriff des subjektiven öffentlichen Rechts, namentlich das Definitionsmerkmal der Individualbezogenheit des geschützten Interesses 601. Dabei sind nach Bachof zweierlei Aspekte wesentlich, nämlich der bewusste Schutz durch das Recht für ein Interesse, welches „konkret bestimmbar“ individualisiert sein muss. An dieser selbstreferentiellen Bezugnahme wird deutlich, dass die Scheidung von Rechtsreflex und subjektivem Recht letztlich eine Außensicht auf die Definitionsmerkmale des subjektiven öffentlichen Rechts ist, der Kern des Problems liegt auch hier bei der Bestimmung dessen, was als individuelles Interesse anzuerkennen ist. Darüber aber schweigt sich die Literatur weitgehend aus. Das Individuelle oder Kollektive eines Interesses wird im Einzelfall untersucht und jeweilig be599 R. v. Jhering, Geist des Römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung, Bd. III/1, 1865, S. 327 ff. 600 Bachof, (Fn. 484), S. 288. 601 Bachof, (Fn. 484), S. 291 ff., 296 ff.

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jaht oder verneint, einheitliche Bestimmungen aber darüber, wann ein Interesse individuell sei, gibt es nicht. Zweifellos werden Vorschriften, die expressis verbis individuelle Rechtsgüter schützen die mit ihnen verbundenen Interessen schützen und also subjektive Rechte vermitteln. Problematisch sind erst solche Fälle, in denen das in Rede stehende Rechtsgut nicht mehr oder nur noch in mittelbaren Zusammenhängen ein individuelles ist. Ist ein individuelles Interesse ausgemacht, stellt sich sodann die Anschlussfrage nach seiner Schutzwürdigkeit 602, also danach, ob es die Rechtsordnung auch als subjektives Recht anerkennen will, anders formuliert: Ob der Rechtsgutsinhaber mit der Rechtsmacht ausgestattet wird, Schutz für das jeweilige Rechtsgut für sich in Anspruch zu nehmen. Entscheidend ist für diesen Zusammenhang Folgendes: Die Ermittlung eines Interesses, seine Qualifizierung als individuell und als schutzwürdig ist ein Vorgang, der seinem Wesen nach ein wertender ist. Also ist eine Unterscheidung von subjektiven und objektiven Rechten, von subjektiven Rechten und Rechtsreflexen ein normativer, kein empirisch-analytischer Vorgang. Es handelt sich um den Vorgang der Auslegung. Wenngleich dies als solches keineswegs bestritten ist, so operiert die rechtswissenschaftliche Literatur doch weitenteils mit der unausgesprochenen Vermutung einer analytisch aufschlüsselbaren Vorfindlichkeit individueller und rechtlich schützenswerter Interessen. Dies ist aber, abgesehen von den ohnehin unproblematischen Fällen eindeutiger subjektiver Rechte (grundrechtlicher Provenienz), eine Fiktion. Die Diskussion um das subjektive öffentliche Recht leidet darunter, dass dieser Zusammenhang nicht in angemessener Weise offengelegt wird, sondern unterschwellig die Diskussion um den subjektivrechtlichen Gehalt einzelner Vorschriften dominiert. Entscheidend kommt es daher nicht darauf an, objektive oder objektivierende Gründe zu finden oder zu konstruieren, welche die subjektivrechtliche Qualität einer Norm begründen, sondern den Wertungsvorgang, der zur Zuschreibung subjektivrechtlicher Qualitäten führt, den Rationalitätsanforderungen der Rechtswissenschaft zu unterwerfen und transparent zu machen. Die Validität dieser Einschätzung wird bestätigt durch eine außerrechtliche Perspektive auf das Recht vom Standpunkt der Sprach- und Bedeutungstheorie aus, wie sie maßgeblich Morris geformt hat 603. Danach verweist ein Sprachzeichen, also z. B. ein Wort, auf einen bestimmten Gegenstand. Es enthält in sich 602 Beispielhaft für den Komplex des Baunachbarrechts H.-C. Sarnighausen, Zur Schutzwürdigkeit im Baunachbarrecht, NVwZ 1996, S. 110 ff., mit empirischem Kategorisierungsansatz und Differenzierung nach Schutzwürdigkeit, besonderer Schutzwürdigkeit und fehlender Schutzwürdigkeit. 603 C. Morris, Grundlagen der Zeichentheorie, 1979, passim mit dem Modell aus Semantik, Syntax und Semiotik.

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eine Referenz, einen Bedeutungsgehalt, der sich aus dem Gegenstand speist, auf den das Zeichen referiert. Dieser Bedeutungsgehalt ist nun aber nicht gegeben, sondern vereinbart im Wege fach- oder gemeinsprachlicher Konvention. Er wird festgelegt durch die Gemeinde der Sprachverwender durch sogenannte Referenzfixierungsakte. Das konventionalistische Element der Referenzfixierung importiert gleichzeitig das (über die Auslegung wiederum zu disziplinierende) Element einer sprachlichen Bedeutungsvarianz in das Recht. Eben diese Bedeutungsvarianz aber bildet den Hintergrund vieler juristischer Diskussionen, und insbesondere der um den subjektivrechtlichen Gehalt von Rechtsvorschriften. Die Diskussion kreist mit anderen Worten um die Überzeugungskraft rhetorischer Figuren im juristisch-konventionalistischen Diskurs. Damit ist nicht einer Bedeutungsbeliebigkeit Tür und Tor geöffnet, sondern einem argumentativen Diskurs, dessen Ziel im konkreten Fall die Referenzfixierung des Begriffs der Subjektivität ist. In der Folge dürften schließlich auch Binnendifferenzierungen nach Rechten, Rechtsreflexen oder bloßen rechtlich geschützten Interessen an Bedeutung verlieren. In diesem Sinne stellt Fleiner fest: „..subjektives Recht und Reflex objektiven Rechts unterscheiden sich durch kein äußeres Merkmal“ 604. d) Privates und Öffentliches Interesse Die Scheidung öffentlicher und privater Interessen ist eine Aufgabe, welche die Rechtsdogmatik ständig verlangt 605, die theoretische Beschäftigung mit dem Recht jedoch lehrt seit jeher, dass eine trennscharfe Scheidung nicht möglich ist 606. Thon stellt fest: „Es ist nicht möglich, die Interessen des Gemeinwesens und der Einzelnen in solcher Weise gegeneinander zu stellen“ 607. Auch Binding erklärt, dass eine Trennung von Normen nach privatrechtlichen und öffentlichrechtlichen aus dem Wesen der Norm heraus (ihrem Imperativ) nicht erklärt werden kann: „Jede Norm ist (..) öffentlich rechtlicher Natur, jede Normverletzung eine Verletzung des öffentlichen Rechts“ 608. Bachof stellt schließlich fest: „Nun 604 F. Fleiner, Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts, 8. Aufl. 1928, (Nachdruck), 1963, S. 176. 605 Beispielweise im Strafverfolgungsrecht bei der Feststellung, ob ein „öffentliches Interesse“ an der Verfolgung einer Straftat besteht, s. dazu auch die Definition in Nr. 86 II RiStBV. 606 Zum komplexen Verhältnis beider Begriffe s. P. Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, 1970, S. 60 ff., der die Bedeutung des Begriffs der privaten Interessen als „Gegen- oder Ergänzungsbegriff, als eigenständigen Begriff oder als immanenten Bestandteil“ des Begriffs der öffentlichen Interessen untersucht; dazu die gleichnamige Besprechung von M. Stolleis, VerwArch 65 (1974), S. 1 ff.; s. auch grundlegend R. Smend, Zum Problem des Öffentlichen und der Öffentlichkeit, in: Bachof / Drath (Hg.), Forschungen und Berichte aus dem öffentlichen Recht, GS Jellinek, 1955, S. 11 ff., passim. 607 Thon, (Fn. 443), S. 110.

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schließen freilich Individualinteresse und Gemeininteresse einander nicht aus. Individualinteressen finden rechtliche Anerkennung nur insoweit, als sie nicht dem Gemeininteresse zuwiderlaufen, und umgekehrt würde ein Gemeininteresse diesen Namen nicht verdienen, wenn seine Befriedigung nicht mittelbar auch im Interesse der die Gemeinschaft bildenden Individuen läge“ 609. Auch wenn man mit Rousseau eine volonté générale von einer volonté de tous unterscheiden möchte 610, wobei ersterer der um die Extrempositionen des zweiten bereinigte „allgemeine Wille“ im Sinne des Gemeinwohls ist, so schließt dies gerade nicht aus, dass das Interesse des Individuums Güter zum Gegenstand hat, welche nicht oder nicht ausschließlich eigen-, sondern durchaus aus fremdnützig sein können. Wenn Uerpmann öffentliches und privates Interesse danach unterscheidet, dass das private Interesse der individuelle Belang sei, bevor er durch Abwägung mit anderen Interessen relativiert worden sei und das öffentliche Interesse eben das Ergebnis der Abwägung 611, so werden dabei Multiplikatoren mit dem Produkt verwechselt. Anders gesprochen: Die These einer fehlenden Unterscheidbarkeit beziehungsweise der Unmöglichkeit einer trennscharfen Abgrenzung von öffentlichem und privatem Interesse versteht Interesse materiell, als Willen bezogen auf einen Belang oder ein Gut. Öffentliches Interesse (im Sinne von Gemeinwohl) hingegen bezeichnet einen untereinander ausbalancierten formellen Komplex materieller Interessen. In diesem Sinne sind öffentliche und private Interessen nach Maßgabe der Kategorien formal vs. materiell zu scheiden. Dies schließt aber nicht aus, dass es nichtindividualisierte, also öffentliche Belange gibt, die von einem öffentlichen, meist staatlich-behördlichen, Willen in Bezug genommen werden. Ein solches Interessenverständnis liegt aber der These von der (Teil-)kongruenz öffentlicher und privater Interessen zugrunde 612. Der enge Zusammenhang von öffentlichem und privatem Interesse wird in Ansehung zentraler Regelungstechniken des öffentlichen Rechts als solchem in besonderer Weise offenbar. Das öffentliche Recht zeichnet sich dadurch aus, dass der Gesetzgeber horizontale Konfliktverhältnisse zwischen Privaten unter verallgemeinernden und systematisierenden Gesichtspunkten geordnet hat 608 K. Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Bd. I, 4. Aufl. 1922, (Nachdruck), 1991, S. 144. 609 Bachof, (Fn. 484), S. 290.; s. auch ders., Über öffentliches Recht, in: ders. / Heigl (Hg.), Verwaltungsrecht zwischen Freiheit, Teilhabe und Bindung, FS BVerwG, 1978, S. 1 ff. 610 J.-J. Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag oder Die Grundsätze des Staatsrechts, (Nachdruck), 1977, Kap. II 3. 611 R. Uerpmann, Das öffentliche Interesse – Seine Bedeutung als Tatbestandsmerkmal und als dogmatischer Begriff, 1999, S. 35 f. 612 Zum (Vor-)Rangverhältnis zwischen öffentlichen und privaten Interessen Häberle, (Fn. 606), S. 65 f.

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und die Lösung dieser Konflikte auf die Ebene des Rechts verlagert. Die zur Lösung dieser typisierten Konfliktlagen aufgerufenen Staatsorgane haben dann zum einen genuin öffentliche, also nicht im Kern persönliche, persönliche und derivativ-öffentliche (ursprünglich persönliche) Interessen zu berücksichtigen, die wenigstens zum Teil gleichgerichtet sind 613. Auch aus grundrechtstheoretischer Perspektive lässt sich eine enge Verwandtschaft, wenn nicht sogar eine Kongruenz öffentlicher und privater Interessen konstatieren. Wo Grundrechte der Konkretisierung des Gemeinwohls dienen 614 in Bereichen, die (bewusst oder nichtintentional) entstaatlicht sind, ist eine trennscharfe Abgrenzung der Interessensphären nicht mehr möglich 615. Aktuell weist Reiling deutlich auf einen weiteren Faktor hin, welcher für eine Kongruenz öffentlicher und privater Interessen streitet, nämlich den der Aggregation von Interessen 616. Die bereits angesprochene Publifizierung individueller Interessen durch das öffentliche Recht und die aufgaben- und befugnismäßige Zuweisung ihrer Wahrnehmung durch den Staat transformiert diese förmlich in ein öffentliches Interesse – dieses ist aber selbst nur die Summe seiner aggregierten Teile. Bislang verhält es sich dabei so, dass es sich um greifbare Interessen der gegenwärtig Lebenden beziehungsweise von Gefahren betroffenen Individuen handelt. Verdeutlicht man sich aber den Aggregationsmechanismus als solchen, so wird klar, dass sich die Publifizierung individueller Interessen nicht wesensnotwendig auf schon, sondern gerade erst auf noch entstehende, insoweit also antizipierte Interessen beziehen kann. Regelmäßig sind dabei solchermaßen aggregierte Interessen nicht subjektivrechtlich abgesichert, die immissionsschutzrechtliche Vorsorge mag als Prototyp hier zur Veranschaulichung dienen, freilich ist eine Subjektivierung solcher Interessen auch nicht ausgeschlossen 617.

613 Zur Gleichgerichtetheit der Interessen W. Leisner, Privatinteressen als öffentliches Interesse, DÖV 1970, S. 217 ff. 614 Ausführlich zum Verhältnis von subjektiven (Grund-) Rechten und Gemeinwohl unter § 7 II. 615 Dazu insgesamt J. Isensee, Menschenrechte – Staatsordnung – Sittliche Autonomie, in: Schwartländer (Hg.), Modernes Freiheitsethos und christlicher Glaube, 1981, S. 70 ff., 95; W. Schmitt Glaeser, Die Position der Bürger als Beteiligte im Entscheidungsverfahren gestaltender Verwaltung, in: Lerche / ders. (Hg.), Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 35 ff., 59; zum Ganzen auch Reiling, Rechte, (Fn. 8), S. 196 f. 616 Reiling, Rechte, (Fn. 8), S. 198 f. 617 Beispielhaft sei hier auf die sog. „Herstatt-Entscheidung“, BGHZ 75, S. 120 ff. verwiesen, wonach bestimmte Vorschriften des Bankenaufsichtsrechts drittschützenden Gehalt haben können.

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2. Interessenzuweisung, materiale und funktionale Subjektivität a) Zur Zuweisung von Interessen Die vorgehenden Betrachtungen führen nun zu folgendem Schluss: Ist eine Scheidung öffentlicher und privater Interessen theoretisch nicht eindeutig möglich, operiert das Recht aber doch damit, so liegt der Scheidung der Interessenssphären tatsächlich eine andere Überlegung zugrunde, nämlich nicht die einer Interessenqualifikation, sondern die einer Interessenzuweisung 618. Es geht also der Rechtsordnung in der Sache darum, wer zur Geltendmachung eines bestimmten Interesses zuständig sein soll. Dabei entfaltet der personale Gehalt eines Interesses (beispielsweise an gesundheitlichem Wohlergehen) selbstverständlich eine starke, im Einzelfall gar unwiderlegliche Indizwirkung auch für die Interessenträgerschaft 619. Entscheidend ist aber, dass auch einer solchen Interessenzuordnung zunächst die Zuweisung des Interesses an eine bestimmte Person zugrunde liegt. Freilich hat sich die Wahrnehmung der Rechtspraxis dahingehend verschoben, den personalen Gehalt eines Interesses als konstitutives Element eines subjektiven Rechts als eigentliche Voraussetzung der Interessenträgerschaft anzusehen. Ihre manifeste äußere Form findet diese Sichtweise in der Schutznormtheorie, die in der Praxis als gleichsam identisch mit dem subjektiven Recht verstanden wird. Es verhält sich aber bei genauerer Betrachtung so, dass die Schutznormtheorie allein Werkzeug zur Auffindung von Interessenzuweisungen durch das Recht ist 620. Jedoch bleibt auch mit ihr der Akt der Zuschreibung ein normativer, der zum Teil durch den erklärten gesetzgeberischen Willen, ansonsten aber erst durch den Willen des Rechtsanwenders selbst erfolgt. Die Schutznormtheorie fingiert also letztlich die Rationalität der Zuschreibung im Wege juristischer Konvention. Die Zuweisung von Interessen kann aus verschiedenen Gründen stattfinden: Diese können sein die genuine Personalität des in Frage stehenden Interesses, die fehlende Fähigkeit zur Interessenwahrnehmung durch den eigentlichen Interessenträger (Zuweisung der Interessen von Kindern an ihre Eltern) aber auch aus Gründen anderweitiger Rechtsrationalität, beispielsweise zum Zwecke der Effektuierung des Rechtsvollzugs oder zur Mehrung bürgerschaftlicher Partizipation. In diesem Sinne muss das zugewiesene Interesse also nicht zwingend ein eigenes, persönlich-materielles sein 621, sondern kann auch ein fremdes, allgemein618

Reiling, Rechte, (Fn. 8), S. 201 ff. s. dazu mit einer eingehenden Untersuchung der umweltrechtlichen Normsituation A. Blankenagel, Klagefähige Rechtspositionen im Umweltrecht, Die Verwaltung 26 (1993), S. 1 ff., insbes. S. 16 ff. 620 Der Einzelne muss „Träger“ des Interesses sein, Scherzberg, (Fn. 504), S. 457; s. auch B. Schilcher, Starke und schwache Rechte, in: Koziol / Rummel (Hg.), Im Dienste der Gerechtigkeit, FS Bydlinski, 2002, S. 353 ff., 364 f. 621 Jellinek, (Fn. 1), S. 71; Bachof, (Fn. 484), S. 292; Scherzberg, (Fn. 504), S. 457; s. auch D. Lorenz, Der Rechtsschutz des Bürgers und die Rechtsweggarantie, 1973, S. 76. 619

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formelles Interesse sein. Demnach lässt sich abhängig vom Inhalt des zugewiesenen Interesses eine Kategorisierung öffentlicher Rechte danach vornehmen, ob sie zum Schutz materialer Interessen eingeräumt sind (subjektive Rechte der Person) oder ob sie aus funktionalen Gründen eingeräumt werden (sog. funktionale Subjektivierung, beispielsweise im europarechtlichen Vorsorgebereich 622). Der wesentliche Unterschied zwischen in diesem Sinne materialen und funktionalen subjektiven öffentlichen Rechten liegt in ihrer Feststellbarkeit und Begründbarkeit: Materiale subjektive Rechte der Person sind mehr oder minder offensichtlich gegeben und aus grundrechtlichen Gründen in aller Regel wenig erklärungsbedürftig. Weist man jedoch Rechte aus funktionalen Gründen zu, bedarf es einer gesonderten Begründung, zu welchem Zweck die Zuweisung erfolgt. Dabei vermag nicht allein schlichte Nützlichkeit eine Zuweisung zu rechtfertigen – ähnlich wie bei der grundrechtlichen Fundierung materialer subjektiver Rechte bedarf es einer Begründung „von Rang“, vorzugsweise gründend auf verfassungsrechtlichen oder verfassungstheoretischen Kategorien. Der Grund dafür liegt nicht primär in der mit der funktionalen Subjektivierung verbundenen Abkehr von einer strengen Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht an sich, die vorrangig einfachrechtlicher Natur ist. Der Grund liegt vielmehr darin, dass die selektive Rechtskreiserweiterung Einzelner sich im Verfassungsstaat vor den Schranken allgemeiner Gleichheit und den Rationalitätsanforderungen des Rechtsstaatsprinzips rechtfertigen können muss. b) Die Kontinuität zivilrechtlicher Strukturen und die Zuweisung von Interessen Der allenthalben wahrgenommene Widerstreit zwischen materialer und funktionaler Subjektivierung von Interessen gründet maßgeblich auf der zivilrechtlichen Lesart des subjektiven Rechts. Wenn dort beispielsweise im Kontext des Deliktsrecht (z. B. auch im Rechtskreis des common law) von der Verletzung subjektiver Rechte gehandelt wird, so geht es dabei schon lange nicht mehr um die durch die vindicatio oder actio negatoria erst zum Recht geadelten einfachen Ansprüche, sondern um das „Recht als Grund für etwas“ 623, nämlich für ein schutzwürdiges Rechtsgut. Diese Konzeption des subjektiven Rechts steht in augenfälligem Widerspruch zur sogenannten Imperativentheorie Thons 624, nach der das einfache Recht durch die Klage erst zum subjektiven Recht in unserem Sinne wird. Während dort die Subjektivität des Rechts durch die Zuweisung einer formalen Verfahrensstellung erst entsteht, gründet die Gegenvorstellung die Subjektivität in der Idee einer „immediate moral basis“ 625, die geschützt sei durch „a 622 623 624

s. dazu Ruffert, (Fn. 22). Jansen, (Fn. 444), S. 462. Thon, (Fn. 443), S. 8.

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complete bundle of legal claims“ 626, also Verletzungsverboten. Während einer weitgehend individualisierten Rechtsordnung letztere Ansicht näher steht, ist sie doch in der Begründung, warum einem bestimmten Individuum ein bestimmtes Recht beziehungsweise Rechtsgut zustehen soll, weitaus weniger klar als die Imperativentheorie. Die Auffassung operiert auf der Grundlage eines juridischen common sense, dass bestimmte Rechtsgüter personal sind, die daran geknüpften Rechte also auch. Während das für höchstpersönliche Güter wie Leib und Leben letztlich nicht produktiv zu bestreiten ist, ist die Lage bei normativ begründeten Rechtsgütern wie Eigentum und gegebenenfalls auch berechtigtem Besitz komplexer. In Fällen wie diesen, und damit erst recht in weiten Teilen verwaltungsrechtlich gegründeter Rechte, stellt sich die Frage, wie zwischen Rechtsgut und Recht beziehungsweise zwischen Rechtsgut und Rechtsinhaber ein mittelndes Verhältnis herzustellen ist. Offenbar nicht hinreichend begründungstauglich ist der Begriff des Interesses selbst. Seine Qualifikation als subjektiv oder objektiv bleibt normativ und im Kern also nicht abschließend bestimmbar. Kommt es danach wesentlich auf den Vorgang der Zuweisung an, so ist der Blick damit zu richten auf diesen Vorgang selbst. Aufgeworfen ist damit die Frage nach dem Zuweisungsgehalt 627 von Rechten. c) Der „Zuweisungsgehalt“ und seine methodische Bedeutung für das subjektive Recht Der Begriff des Zuweisungsgehalts von Rechten ist selbst ein unscharfer und bezeichnet den Mechanismus, mit dem bestimmte Rechtsgüter einem bestimmten Rechtsträger zugewiesen werden. Von seinem Vorliegen beziehungsweise seiner Zielrichtung hängt die subjektive oder objektive Zielrichtung eines Rechtssatzes ab. Die Beschäftigung mit dem Begriff des Zuweisungsgehalts setzt sich dem Vorwurf aus, selbst mit einem inhaltsleeren Begriff zu operieren 628, da es oftmals an der gesetzlichen Anordnung fehle, die erkennen lasse, ob ein Recht einen subjektiven oder objektiven Zuweisungsgehalt habe. Typisches Beispiel 625 N. Jansen, Duties and Rights in Negligence: A Comparative and Historical Perspective on the European Law of Extracontractual Liability, Oxford Journal of Legal Studies Vol. 24 (2004), No. 3, S. 443 ff., 447; zum Begriff des subjektiven Rechts im englischen Recht F. H. Lawson, Das subjektive Recht im englischen Deliktsrecht (law of torts), in: H. Coing / ders. / K. Grönfors, Das subjektive Recht und der Rechtsschutz der Persönlichkeit, 1959, S. 24 ff. 626 Jansen, (Fn. 625), S. 447. 627 Zur umfangreichen zivilistischen Literatur, zur Bedeutung und Herkunft des Begriffs des Zuweisungsgehalts aus dem Bereicherungsrecht s. die instruktive Übersicht bei Jansen, (Fn. 444), S. 476 f. 628 G. Kleinheyer, Rechtsgutsverwendung und Bereicherungsausgleich, JZ 1970, S. 471 ff., 472 f.; H. H. Jakobs, Eingriffserwerb und Vermögensverschiebung in der Lehre von der ungerechtfertigten Bereicherung, 1964, S. 24.

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aus dem Zivilrecht ist hier § 823 Abs. 1 BGB, dem im Wege der Rechtsfortbildung neue Zuweisungsgehalte beigegeben wurden, denkt man beispielsweise an das allgemeine Persönlichkeitsrecht 629. Insofern verhält es sich mit dem Zuweisungsgehalt also ähnlich wie mit dem Begriff des Interesses. Im Gegensatz zu diesem erfährt der Zuweisungsgehalt als normativer Begriff aber auch eine ausdrückliche Behandlung. Anders nämlich als der Interessenbegriff, in den eine rationale Wertung bereits hineingelesen wird, der also ein Ergebnis vorzugeben scheint, legt der Zuweisungsgehalt die Notwendigkeit einer Wertung offen. In den Worten Jansens ist es also nicht entscheidend, ob eine bestimmte Rechtsposition einen Zuweisungsgehalt (gleich welcher Art) hat, „sondern ob ihr ein solcher zugesprochen werden soll“ 630. Der rationalisierende Gewinn des Begriffs vom Zuweisungsgehalt eines Rechts ist damit vor allem ein methodischer, da er sich der unübersichtlichen Diskussion um den Interessenbegriff entzieht und stattdessen die Notwendigkeit eines juridischen Abwägungsvorgangs offenlegt 631. Jansen spricht hier von der Leistung, „das Recht zu strukturieren und die einschlägigen Wertungsfragen richtig zu bezeichnen“ 632. Sinnhafte Folge der Zuweisung eines Interesses beziehungsweise eines Rechtsguts ist die damit verbundene rechtliche Privilegierung des Interessenträgers beziehungsweise Rechtsgutsinhabers, namentlich die daran geknüpften Störungsverbote und damit verbundenen Sekundäransprüche wie Schadensersatz etc. Den subjektiven Gehalt einer Rechtsposition macht also ihre objektive, exklusive Wirkung gegenüber Dritten aus 633, man mag hier mit § 906 BGB als dem Prototypen einer Subjektivierung auf ein weiteres zivilrechtliches Beispiel verweisen. Auch in diesem Zusammenhang taucht also der Gedanke des Rechtsschutzes als qualifizierender Faktor eines subjektiven Rechts wieder auf, mit anderen Worten: Der subjektive Zuweisungsgehalt trifft eine Verteilungsentscheidung über das „ob“ und gegebenenfalls auch über die Reichweite von Rechtsschutz. Auf einer höheren Ebene erweist sich die Zuweisung von Rechten als gesetzliche Ausformung eines zivilen Freiheitsstatus 634; zugewiesene Rechte und die an sie geknüpften rechtlichen Folgen sichern dem Einzelnen einen Gestaltungsspielraum, und zwar ebenso im Privatrecht wie im öffentlichen Recht 635.

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Jansen, (Fn. 444), S. 495. Jansen, (Fn. 444), S. 495. 631 Zur Abwägungsnotwendigkeit in diesem Kontext s. A. Kobbelt, Der Schutz von Immaterialgütern durch das Bereicherungsrecht, 1999, S. 105 ff., 163 ff., 171 ff. 632 Jansen, (Fn. 444), S. 500. 633 Jansen, (Fn. 444), S. 497. 634 H.-P. Haferkamp, Die heutige Rechtsmißbrauchslehre – Ergebnis nationalsozialistischen Rechtsdenkens?, 1995, S. 103 ff.; F. Wieacker, Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtslehrbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft, in: ders., Industriegesellschaft und Privatrechtsordnung, 1974, S. 9 ff., 15. 630

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Für die im Mittelpunkt der Untersuchung stehende Frage nach der subjektivrechtlichen Deutung umweltrechtlicher Vorsorgevorschriften von besonderer Bedeutung ist vor allem folgende Erkenntnis, welche die Differenzierung nach formeller und materieller Subjektivierung von Interessen auf die Dimension des Zuweisungsgehalts überträgt: Es entspricht der Regel, in der Zuweisung eines Rechts die Zuweisung eines Freiheitsbereichs zu sehen – zwingend ist dieser Zusammenhang jedoch nicht. Mit anderen Worten: Die Zuweisung eines Rechtsguts durch eine Rechtsvorschrift impliziert nicht logisch auch die Verfügungsgewalt beziehungsweise die Herrschaft über das Rechtsgut selbst 636. Offenbares Beispiel ist das Rechtsgut Leben, welches als Inbegriff eines subjektiven Rechtsguts anzusehen ist und doch nicht zur Disposition des Rechtsgutsträgers steht. Daraus folgt, wie schon im Kontext des Interessenbegriffs festgestellt, dass nicht die materielle Zugehörigkeit eines Rechtsguts zu seinem Inhaber entscheidendes Kriterium sein kann, sondern die Frage, ob der Inhaber auf die Integrität des zugewiesenen Rechtsguts vertrauen darf. Bei Rechtsgütern, die in einem materiellen Sinne subjektiv sind, ergibt sich dies aus der Bindung an die Person beziehungsweise rechtlich in der Regel aus den Grundrechten. Bei Rechtsgütern, die einer formellen Subjektivierung zugänglich sind, muss es dementsprechend überzeugende Gründe dafür geben, dass der Rechtsinhaber auf ihren Bestand vertrauen darf. 3. Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG Zentral für das Verständnis subjektiver öffentlicher Rechte ist der verfassungsrechtliche Normbestand: Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG, die Rechtsweggarantie des Grundgesetzes, wird gemeinhin als „Schlussstein“ des verfassungsrechtlichen Grundrechtskatalogs und vollendeter Ausdruck des Rechtsstaates apostrophiert 637. Darin schwingen verfassungsgeschichtliche Vergleichsbetrachtungen ebenso mit wie Rechtswirkungsanalysen. Die Norm hat sich in der Verfassungsentwicklung der Bundesrepublik Deutschland zu einem Gravitationspunkt 638 der öffentlichen Rechtsentwicklung entwickelt, weil die Idee der gesetzesunterworfenen Verwaltung in ihr ihren besonderen Ausdruck findet. Die Vorschrift beendet gleichzeitig von Verfassungs wegen die Auseinandersetzung um den spezifisch verwaltungsrechtlichen Rechtsschutz, der im 19. Jahrhundert zunächst verwaltungsintern als Selbstkontrolle gewährt wurde 639, dann in eine eigene Gerichts635 s. dazu beispielsweise Coing, (Fn. 447), S. 22 f.; kritisch zu dieser „ordoliberalen“ Verkürzung des subjektiven Rechts J. Habermas, Faktizität und Geltung, 4. Aufl. 1994, (Nachdruck), 1998, S. 115. 636 Jansen, (Fn. 444), S. 499. 637 G. Dürig, Gesammelte Schriften 1952 – 1983, 1984, S. 137 ff. 638 E. Schmidt-Aßmann in: Maunz / Dürig (Begr.), Grundgesetz, Kommentar, Bd. III, 42. Lfg. Februar 2003, Art. 19 Abs. 4 Rn. 1.

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barkeit verselbständigt 640 und in der Zeit des Nationalsozialismus zwischenzeitlich wieder beschnitten wurde 641. In der Sache vervollständigt die Vorschrift die materiellen Gewährleistungen des Grundrechtskatalogs um die formale, grundrechtliche Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes vor Beeinträchtigungen durch staatliche Gewalt. Neben ihrer intra-verfassungsrechtlichen Dimension als Ausformung der rechtsstaatlichen Staatsstruktur und grundrechtlicher „Komplettierungsvorschrift“ hat Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG im hier relevanten Kontext auch eine rechtsschutzspezifische Dimension. Er trifft, mit den Worten von Krebs, eine „Systementscheidung für den Individualrechtsschutz“ 642, indem die Vorschrift Rechtsschutz in den Fällen fordert, in denen der Bürger in „seinen“ Rechten verletzt ist. Die im 19. Jahrhundert zunächst vor allem in Preußen favorisierte objektive Rechtskontrolle durch die Gerichte (im Gegensatz zu der in Bayern und Baden schon früh etablierten subjektiven Rechtskontrolle 643) wird durch Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG nicht mehr in den Blick genommen. Die Vorschrift, wiewohl selbst Grundrecht, sagt jedoch über Gehalt und Gewährleistung der klagbaren subjektiven Rechte zunächst nichts aus. Sie ist „akzessorisch“ zu den über die unmittelbar durch die Verfassung gewährten Rechte hinausgehenden Rechtspositionen des einfachen Rechts 644. Deren Umfang und Ausgestaltung bestimmen daher maßgeblich die praktische Reichweite des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG mit 645. Aus diesem Grund stellt sich jede Debatte um den subjektivrechtlichen Charakter einer bestimmten Rechtsnorm dar als Debatte um die Gewährung effektiven Rechtsschutzes. Die Grenzen werden dabei beschrieben durch die dogmatischen Strukturen, die Rechtsprechung und Literatur entwickelt haben, um den Schutz639 H. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hg.), Grundgesetz, Kommentar, Bd. I, 2. Aufl. 2004, Art. 19 IV Rn. 2; s. allgemein dazu W. Krebs, Verwaltungskontrolle durch Verwaltungsgerichte?, Die Verwaltung 21 (1988), S. 155 ff., insbes. S. 159 f. zur historischen Entwicklung. 640 Näheres dazu bei Schulze-Fielitz, (Fn. 639), Art. 19 IV Rn. 2 f.; publizistisch trat besonders R. v. Gneist, Der Rechtsstaat und die Verwaltungsgerichte in Deutschland, 1872, mit seiner rechtsstaatlich begründeten Forderung nach Verwaltungsgerichten hervor. 641 M. Stolleis, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Nationalsozialismus, in: ders., (Fn. 538), S. 190 ff., weist allerdings auch darauf hin, dass die Verwaltungsgerichte sich tendenziell als bremsendes liberales Element gegenüber dem nationalsozialistischen Regime erwiesen haben, S. 218 f., gleichwohl aber inneren wie äußeren Verformungen unterlagen. 642 Krebs, (Fn. 156), Art. 19 Rn. 58.; s. zu den Modellen Individualrechtsschutz und Popularrechtsschutz K. Redeker, Entwicklungen und Probleme verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung, in: Achterberg / Krawietz (Hg.), Recht und Staat im sozialen Wandel, FS Scupin, 1983, S. 861 ff., 863 ff. 643 Schulze-Fielitz, (Fn. 639), Art. 19 IV Rn. 2. 644 So z. B. Huber, (Fn. 15), S. 112 f. 645 Z. B. in BVerfGE 82, S. 182 ff., 194 f.; 61, S. 82 ff., 110; 51, S. 176 ff., 185.

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normcharakter einer Rechtsvorschrift zu bestimmen (vor allem in Gestalt der sogenannten Schutznormtheorie 646). Wiewohl also die Entscheidung der Verfassung für den Individualrechtsschutz spricht, ist das Element des objektiven Rechtsschutzes nicht aus dem verfassungswie einfachrechtlich determinierten Prozessrecht verdrängt 647. Neben den verfassungsprozessrechtlich vorgesehenen (objektivrechtlichen) Normenkontrollen tritt objektive Rechtskontrolle auch im Verwaltungsprozess in Erscheinung 648: Seit jeher erkennt die Verwaltungsrechtsprechung Verfahrensfehler als Grund für die Kassation einer behördlichen Entscheidung an, unabhängig davon, ob der Fehler im Einzelfall tatsächlich zu einer Rechtsverkürzung des klagenden Individuums geführt hat 649. Die wissenschaftliche Publizistik hat diesen Ansatz, der als solcher nicht wirksam Anfechtungen ausgesetzt war 650, vor allem in der Rechtswissenschaft nach dem zweiten Weltkrieg stark gemacht und die Bedeutung des Verfahrens und seiner Vorschriften für eine rechtsstaatliche Verwaltung herausgearbeitet 651. Die jüngeren gesetzgeberischen Bemühungen, Verfahrensabläufe in der Verwaltung zu straffen, haben durch die Neufassung der §§ 45 Abs. 2, 46 VwVfG und durch § 44a VwVfG die Bedeutung des Verfahrens im Rahmen allgemeiner Rechtskontrolle geschmälert 652. Entsprechendes gilt für die Vorschriften der §§ 214, 215 BauGB 653. Im Kontext spezifischer Einzelmaterien ist der Einhaltung des Verfahrens ein dogmatischer Eigenwert zugewachsen, und zwar als Ausdruck einschlägiger Grundrechte. Der „Grundrechtsschutz durch Verfahren“, wie er im MülheimKärlich-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts verlangt wird, prozeduralisiert 646

Dazu unter § 4. Masing, (Fn. 22), S. 99 ff. 648 s. allgemein zum Verhältnis des Gerichtsschutzes und des Verwaltungsverfahrens E. Schmidt-Aßmann, (Fn. 638), Art. 19 Abs. 4 Rn. 24 ff. 649 PrOVGE 11, S. 293 ff.; 14, S. 384 ff.; 30, S. 412 ff. 650 Insofern gegenläufig W. Niese, Über den Streitgegenstand der Anfechtungs- und Vornahmeklagen im Verwaltungsprozeß, JZ 1952, S. 353 ff., der für eine objektive Kontrollfunktion von Anfechtungs- und Verpflichtungsklage plädiert. 651 Aus rechtssoziologischer Sicht z. B. N. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 2. Aufl. 1975, der vor allem die legitimierende Wirkung des Verfahrens konstruiert; aus verwaltungsrechtsdogmatischer Perspektive F. Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, 4. Aufl. 2002, passim; s. auch Schmidt-Aßmann, (Fn. 11), S. 30 zur „inneren“ Prozeduralisierung des Rechts; grundlegend auch K. A. Bettermann, Anfechtbare und nichtanfechtbare Verfahrensmängel, in: Erichsen / Hoppe (Hg.), System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, FS Menger, 1985, S. 709 ff. 652 Von einer „Reanimation“ des Verfahrensrechts vor dem Hintergrund der Internationalisierung und Europäisierung spricht (für den Bereich des Umweltrechts) aber J. Ziekow, Von der Reanimation des Verfahrensrechts, NVwZ 2005, S. 263 ff., insbes. S. 265 ff. 653 Dazu M. Morlok, Die Folgen von Verfahrensfehlern am Beispiel kommunaler Satzungen, 1988, passim; Hufen, (Fn. 651), Rn. 555. 647

§ 4 Die Schutznormtheorie und ihre Elemente

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den Rechtsschutz bereits auf der Ebene des Verwaltungsverfahrens und verlagert ihn ob der spezifischen Risiken der Kernenergie vor die Schwelle des gerichtlichen Verfahrens 654. Die Einbettung in die Grundrechte lässt hierbei den objektivrechtlichen Charakter des Verfahrens in den Hintergrund treten, es handelt sich um eine versubjektivierte objektive Rechtskontrolle 655. In prozessrechtlichem Gewande schließlich begegnet objektivrechtliche Rechtskontrolle vor allem im Anwendungsbereich des § 47 VwGO. Zwar fordert dieser entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO auch die Geltendmachung einer Rechtsverletzung, reduziert diese aber auf eine bloße Zulässigkeitsvoraussetzung – Begründetheitsvoraussetzung ist sie nicht 656. Diese Betrachtung wirft insgesamt die Frage auf, wie sich Elemente der objektiven Rechtskontrolle verhalten zur Systementscheidung für den subjektiven Rechtsschutz. Zunächst ist dabei festzuhalten, dass die Entscheidung für die subjektive Rechtskontrolle Elemente der objektiven Rechtskontrolle offensichtlich nicht als solche ausschließt 657, seien sie inzidenter oder direkter Art. Die Entscheidung für den Individualrechtsschutz ist aber verfassungsrechtsdogmatisch weiter abgesichert: Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG kommt nämlich über den unmittelbar subjektivrechtlichen Charakter und die Systementscheidung für den Individualrechtsschutz hinaus auch noch die Qualität einer objektiven Wertentscheidung und einer institutionellen Garantie zu 658. Rechtsschutz ist mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts eine „staatliche Leistung, deren Art näher bestimmt und deren Umfang im einzelnen näher festgelegt werden müssen“ 659. Dies bedeutet, dass zwar eine Anreicherung der Gerichtstätigkeit mit Elementen objektiver Rechtskontrolle möglich ist und bleibt, die institutionalisierte Garantie eines individuellen und effektiven Rechtsschutzes 660 aber unangetastet bleiben muss. Mit anderen Worten: Objektive Rechtskontrolle inzidenter wie unmittelbarer Art darf unter dem Regime des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG zwar vorkommen, das Regel-Ausnahme-Verhältnis zur subjektiven Rechtskontrolle muss aber gewahrt bleiben. Ob dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis sich nach rein formalen oder 654

BVerfGE 53, S. 30 ff., 62 ff. s. auch A. Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, S. 269 ff. 656 s. dazu instruktiv den Überblick bei M. Gerhardt / W. Bier, in: Schoch / SchmidtAßmann (Hg.), (Fn. 3), § 47 Rn. 3; auch J. Schmidt, in: Eyermann / Fröhler (Begr.), VwGO, Kommentar, 12. Aufl. 2006, § 47 Rn. 5; M. Redeker, in: Redeker / v. Oertzen (Begr.), VwGO, Kommentar, 14. Aufl. 2004, § 47 Rn. 1 unter Betonung des objektivrechtlichen Charakters; BVerwGE 82, S. 225 ff.; BVerwG, DVBl. 1992, S. 37 f. 657 Schmidt-Aßmann, (Fn. 638), Art. 19 Abs. 4 Rn. 9. 658 Schmidt-Aßmann, (Fn. 638), Art. 19 Abs. 4 Rn. 9 ff. 659 BVerfGE 101, S. 106 ff., 123 f. 660 Zur Lesart des Individualrechtsschutzes als effektivem Rechtsschutz s. W.-R. Schenke, in: Dolzer / Waldhoff (Hg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 46. Lfg. 1982, Art. 19 IV Rn. 27. 655

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auch materiellen Kriterien bestimmt, ist in anderem Kontext näher zu vertiefen. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang aber schon darauf, dass sich der Gewährleistungsumfang des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG nach den Rechtspositionen des einfachen Rechts, also den dort verankerten subjektiv-öffentlichen Rechten richtet. Ob diese solche notwendig personaler Art sein müssen, oder ob die inhaltliche Anreicherung einer formalen subjektivrechtlichen Position mit nicht genuin subjektiven Belangen möglich ist, ohne in Konflikt mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben zu kommen, bedarf näherer Untersuchung 661. 4. Funktion und Bedeutung des § 42 Abs. 2 VwGO Die Regelung des § 42 Abs. 2 VwGO stellt – unmittelbar für die geschriebenen Anwendungsfälle und mittelbar gewährleistet durch die ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts 662 – eine zentrale Sachurteilsvoraussetzung nahezu jedes verwaltungsgerichtlichen Rechtsbehelfs dar 663. Die Vorschrift erweist sich dabei einerseits als einfachrechtliche Konkretisierung des Rechtsschutzgebots des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG, weist daneben aber auch eine weitere, gleichsam verfassungsstrukturelle Dimension auf: Durch die Festschreibung der Möglichkeit einer subjektiven Rechtsverletzung als Voraussetzung der richterlichen Kontrolle zieht die Vorschrift den Kontrollmöglichkeiten der Judikative eine Grenze und sichert so das Institut der Gewaltenteilung 664. Nicht die völlige Zurückdrängung gerichtlicher Kontrolle im Bereich des exekutivischen Handelns ist dabei gefordert, aber die Sicherung eines gestalterischen Eigenbehalts der Exekutive gegenüber den Gerichten. Dieser Eigenbehalt besteht unangefochten solange und soweit die Verletzung subjektiver Rechte durch einen Bürger nicht behauptet werden kann. Und auch in diesem Fall ist der Kontrollbereich der Gerichte z. B. durch die Ermessensfehlerlehre beziehungsweise die Lehre vom unbestimmten Rechtsbegriff 665 und die Dogmatik zur Bindungswirkung von Verwaltungsvorschriften 666 eingeschränkt. 661

s. dazu § 5 I. Eine Übersicht zur Ausweitung des Anwendungsbereichs des § 42 Abs. 2 VwGO über den Wortlaut hinaus findet sich z. B. bei Wahl / Schütz, (Fn. 89), § 42 Abs. 2 Rn. 21 ff. 663 s. eingehend H.-U. Erichsen, Zur Regelung der Klagebefugnis in § 42 Abs. 2 VwGO, VerwArch 64 (1973) S. 319 ff.; D. Neumeyer, Die Klagebefugnis im Verwaltungsprozeß, 1979; D. Rüffel, Das Institut der Klagebefugnis zur Verfolgung von Umweltinteressen, 2008, S. 157 ff. 664 s. zu diesem Aspekt Wahl, (Fn. 3), Vorb. § 42 Abs. 2 Rn. 3. 665 s. aus der überbordenden Literatur beispielsweise H.-U. Erichsen, Verfassungsund verwaltungsrechtsgeschichtliche Grundlagen der Lehre vom fehlerhaften belastenden Verwaltungsakt und seiner Aufhebung im Prozeß, 1971, S. 218 f.; R. Breuer, Legislative und administrative Prognoseermächtigungen, Der Staat 16 (1977), S. 21 ff.; U. Di Fabio, Die Ermessensreduzierung, VerwArch 86 (1995), S. 214 ff; H. Schulze-Fielitz, Neue Kriterien für die verwaltungsgerichtliche Kontrolldichte bei der Anwendung unbestimmter 662

§ 4 Die Schutznormtheorie und ihre Elemente

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Eine Besonderheit unter den Sachurteilsvoraussetzungen ist § 42 Abs. 2 VwGO aber vor allem auch und deshalb, weil er das Bindeglied zwischen Prozessrecht und materiellem Recht darstellt, da in ihm nach Maßgabe der sogenannten Möglichkeitstheorie 667 Teilaspekte der Begründetheitsprüfung (nämlich die Frage einer denkbaren materiellen Betroffenheit) in die Zulässigkeit vorverlagert werden. Praktische Relevanz erhält die Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht regelmäßig im Kontext dieser Vorschrift im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung einer verwaltungsgerichtlichen Klage. Die durch § 42 Abs. 2 VwGO verkörperte prozessrechtliche Systementscheidung für den Individualrechtsschutz findet ihre Fortsetzung auf Seiten der Begründetheit in den Vorschriften des § 113 Abs. 1 S. 1 und Abs. 5 S. 1 VwGO, nach dem zwischen einer angefochtenen staatlichen Entscheidung und einer Verletzung subjektiver öffentlicher Rechte ein Rechtswidrigkeitszusammenhang bestehen muss 668. Das Erfordernis der Klagebefugnis ist jedoch nicht bedeutungsgleich mit der im Zivilprozess bekannten Prozessführungsbefugnis. Zwar führt ihr jeweiliges Fehlen hier wie dort zur Unzulässigkeit der Klage, jedoch sind die Institute unterschiedlich verwurzelt: Während die Prozessführungsbefugnis des Zivilrechts Ausfluss der materiellen Rechtsstellung ist, hat die Klagebefugnis eine dem geltend gemachten materiellen Recht vorausgelagerte Rechtsstellung 669, deren Verletzung das mit der Klage selbst verfolgte Recht in der Regel erst zur Entstehung bringt. So richtet sich eine Anfechtungsklage auf die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, verfolgt also einen Aufhebungsanspruch, die VerpflichtungsRechtsbegriffe, JZ 1993, S. 772 ff.; R. Wahl, Risikobewertung der Exekutive und richterliche Kontrolldichte – Auswirkungen auf das Verwaltungs- und das richterliche Verfahren, NVwZ 1991, S. 409 ff. 666 Dazu instruktiv H. D. Jarass, Bindungswirkung von Verwaltungsvorschriften, JuS 1999, S. 105 ff.; H. Hill, Normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften, NVwZ 1989, S. 401 ff. mit eigenem dogmatischen Ansatz, S. 402 ff.; weiter R. Hendler, Verwaltungsvorschriften zur Konkretisierung technischer Standards im Umweltrecht, in: Marburger / Reinhardt (Hg.), Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts, Bd. 40, 1997, S. 55 ff., passim; G. Lübbe-Wolff, Konstitution und Konkretisierung außenwirksamer Standards durch Verwaltungsvorschriften, DÖV 1987, S. 896 ff. 667 Aus der Praxisliteratur z. B. J. Brandt / M. Sachs (Hg.), Handbuch Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, 2. Aufl. 2003, S. 474 f.; zur Darlegungslast des Klägers im Rahmen der „Möglichkeitstheorie“ BVerwG, NVwZ 1997, S. 149 f.; H. v. Nicolai, in: Redeker / v. Oertzen (Begr.), (Fn. 656), § 42 Rn. 15; von der Notwendigkeit einer „unmittelbaren Gefährdung“ der Rechte des Antragstellers sprechen für das einstweilige Rechtschutzverfahren K. Finkelnburg / M. Dombert / C. Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Aufl. 2008, Rn. 75; F. O. Kopp / W.-R. Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, § 42 Rn. 59. 668 BVerwG, NVwZ 1990, S. 857 ff.; NVwZ 1995, S. 598 ff. 669 s. D. Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, 2000, § 18 Rn. 2;s. weiter Rupp, (Fn. 474), S. 171 ff.

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klage verfolgt einen Verpflichtungsanspruch aufgrund der Ablehnung eines Verwaltungsaktes. Dieser Zusammenhang wird in der praktischen Wahrnehmung kaum gesehen, vielmehr stellt sich die Klagebefugnis in der verkürzten Prüfung stets als das prozessrechtliche Äquivalent eines subjektiven Rechts dar. Wenn natürlich eine Verbindung zwischen Klagebefugnis und subjektivem Recht in der Weise besteht, dass der jeweils verfolgte Anspruch letztlich im jeweiligen Recht wurzelt, so vermag die Erkenntnis einer logischen Trennbarkeit von eingeklagtem Recht und geltend gemachtem Anspruch vor dem Hintergrund einer Entsubjektivierung des subjektiven Rechts Aufschluss über die Anpassungsfähigkeit prozessrechtlicher Strukturen zu geben. Die Anbindung der Klagebefugnis an das subjektive Recht hat Literatur und Rechtsprechung stets Schwierigkeiten bereitet, einmal, weil am Konzept grundsätzlich Anstoß genommen wurde 670, aber auch im Hinblick auf die Anpassung der einfachgesetzlichem Strukturen an die prozessrechtlichen Voraussetzungen. Über „die Legitimation zur Anfechtung von Verwaltungsakten“ 671 wurde und wird dabei ebenso gestritten wie über Spezialfragen des Rücksichtnahmegebots 672 oder über den Rechtsschutz im Umweltrecht im Besonderen 673. Dabei entzündet sich der Streit aber regelmäßig nicht an der Vorschrift des § 42 Abs. 2 VwGO selbst, sondern lediglich in seinem Rahmen, aber begründet durch Kontroversen über einzelne Vorschriften des materiellen Rechts 674.

670

Dazu sogleich unter § 4 III. s. dazu die Beiträge K. A. Bettermanns, Über die Legitimation zur Anfechtung von Verwaltungsakten, in: Saladin / Wildhaber (Hg.), Der Staat als Aufgabe, GS Imboden, 1972, S. 37 ff.; ders., Die Legitimation zur verwaltungsgerichtlichen Anfechtung, in: Fasching / Kralik (Hg.), FS Schima, 1969, S. 71 ff.; ders., Klagebefugnis und Aktivlegitimation im Anfechtungsprozess, in: Külz / Naumann (Hg.), Staatsbürger und Staatsgewalt, Bd. II, 1963, S. 449 ff.; H. H. Rupp, Zur neuen Verwaltungsgerichtsordnung: Gelöste und ungelöste Probleme, AöR 85 (1960), S. 149 ff. 672 R. Breuer, Das baurechtliche Gebot der Rücksichtnahme – ein Irrgarten des Richterrechts, DVBl. 1982, S. 1065 ff.; H. Dürr, Das Gebot der Rücksichtnahme – eine Generalklausel des Nachbarschutzes im öffentlichen Baurecht, NVwZ 1985, S. 719 ff.; zu den Problemen des Nachbarschutzes als privater und öffentlicher Rechtsbehelf K. Redeker, Nachbarklage – öffentlich-rechtlich oder zivilrechtlich?, NJW 1959, S. 749 ff.; s. dazu auch H. Johlen, Bauplanungsrecht und privatrechtlicher Immissionsschutz, BauR 1984, S. 134 ff. 673 H. H. Rupp, Fluglärm: Rechtsschutz gegen die Festlegung von An- und Abflugwegen von und zu Flughäfen durch das Luftfahrt-Bundesamt, NVwZ 2002, S. 286 ff.; W. Baumann, Betroffensein durch Großvorhaben – Überlegungen zum Rechtsschutz im Atomrecht, BayVBl. 1982, S. 257 ff., 292 ff.; H. D. Jarass, Drittschutz im Umweltrecht, in: Leßmann / Großfeld (Hg.), FS Lukes, 1989, S. 57 ff.; s. auch ders., Der Rechtsschutz Dritter bei der Genehmigung von Anlagen, NJW 1983, S. 2844 ff.; P. Kunig, „Dritte“ und Nachbarn im Immissionsschutzrecht, in: Selmer / v. Münch (Hg.) GS Martens, 1987, S. 599 ff.; M. Kloepfer, Rechtsschutz im Umweltrecht, VerwArch 76 (1985), S. 371 ff. und VerwArch 77 (1986), S. 30 ff. 671

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Die Entwicklung geht dabei eindeutig hin zu einer bereichsspezifischen Konkretisierung der Dogmatik 675, während es vereinheitlichende Maßstäbe nicht oder nur im jeweiligen fachgesetzlichen Kontext gibt. Insgesamt erweist sich die Rechtsschutzdogmatik als zersplittert und unübersichtlich, so dass die Steuerungswirkung des § 42 Abs. 2 VwGO nicht generalisierend, sondern nur bereichsspezifisch beschrieben werden kann. Klar ist allerdings, dass die in ihm zum Ausdruck kommende Systementscheidung für den Individualrechtsschutz verschiedene Auswirkungen auf die Ausgestaltung der prozessualen Spielräume gibt hat. Insbesondere ist die Initiativberechtigung maßgeblich bestimmt durch die prozessuale Systementscheidung 676: Es stehen danach vier (beziehungsweise drei) Alternativen zu Wahl: Verletztenklage, Interessentenklage, Popularklage und – sofern man hierin eine eigene Kategorie sehen möchte 677 – die Verbandsklage. Ihnen entsprechen verwaltungsverfahrensrechtliche Beteiligungsgarantien, letzteres stützt die Aufnahme der Verbandsklage als eigenständige Kategorie, kommt doch gerade Verbänden im naturschutzrechtlichen Verfahren eine eigene Rechtsstellung zu. Entscheidend ist dabei, dass sich die Ausgestaltungen der Initiativberechtigungen keineswegs exklusiv gegenüberstehen, sondern dass es zu Überschneidungen und Kombinationen einzelner Formen kommen kann 678. Namentlich muss eine partielle Abkehr vom System der Verletztenklage keineswegs zwingend zu einem Popularklagesystem führen. Auch dies ist ein Aspekt, der in der prozesspraktischen Diskussion häufig nicht entsprechend berücksichtigt wird. Schließlich wird die eigentliche Bedeutung des § 42 Abs. 2 VwGO erst erschlossen durch die Konstruktion des Begriffes des subjektiven öffentlichen Rechts selbst. Die Vorschrift und die mit ihr bezweckte Rationalisierung des Zugangs zum Gericht ist also in zweierlei Hinsicht akzessorisch: materiell, indem sie anknüpft an den bereichsspezifisch durchformten Begriff des subjektiven öffentlichen Rechts und formell im Sinne einer bestimmten Systematik des prozessualen Rechtsschutzsystems. 674 Allgemein zur Nachbarklagenproblematik J. Martens, Der verwaltungsrechtliche Nachbarschutz – eine unendliche Geschichte?, NJW 1985, S. 2302 ff. mit einer rechtsverhältnisorientierten Problemlösung, S. 2307 ff. 675 s. z. B. die Arbeiten von U. G. Berger, Grundfragen umweltrechtlicher Nachbarklagen, 1982, S. 152 ff. zum Drittschutz im Immissionsschutzrecht, S. 161 ff. besonders zum Vorsorgeprinzip; M. Beckmann, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im raumbedeutsamen Umweltrecht, 1987; D. Frers, Die Nachbarklage im Gewerberecht, GewArch 1989, S. 73 ff. 676 Wahl, (Fn. 3), Vorb. § 42 Abs. 2 Rn. 10. 677 Insoweit ablehnend W. Skouris, Verletztenklagen und Interessentenklagen im Verwaltungsprozess, 1979, S. 7 ff. 678 Wahl, (Fn. 3), Vorb. § 42 Abs. 2 Rn. 10; s. zu vergleichbaren Problemen im Zivilprozess J. Goebel, Zivilprozessrechtsdogmatik und Verfahrenssoziologie, 1994, S. 141 ff.

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III. Kritik an der Schutznormtheorie Das Konzept der Schutznormtheorie ist verschiedentlich auf Kritik gestoßen, die hier nur in ihren Grundzügen nachgezeichnet werden kann. Mit SchmidtPreuß sind dabei drei Kategorien der Kritik in der verwaltungsrechtlichen Literatur zu unterscheiden 679. 1. Gesetzesakzessorietät der Schutznormtheorie Subjektive öffentliche Rechte sind im herkömmlichen System faktisch gesetzesakzessorisch . Sie setzen die Existenz von Gesetzen voraus, aus denen mit Hilfe der Schutznormtheorie sodann die jeweiligen Rechte gewonnen werden. Genau betrachtet setzt also die Schutznormtheorie Gesetze voraus und führt damit zu der hier schon verschiedentlich angesprochenen Dominanz prozesspraktischer Fragen über solche des materiellen Rechts und der Dogmatik subjektiver Rechte. Die Reichweite der subjektiven Rechte hängt danach von der Reichweite des Gesetzes ab und steht damit, grundrechtliche Vorbehalte ausgenommen, weitgehend im Belieben des Gesetzgebers und des Rechtsanwenders, namentlich der Gerichte. Es soll aber, wie Henke einwendet, auf die Betroffenheit des Bürgers „in eigenen Angelegenheiten“ durch die Verletzung einer Norm ankommen, und zwar unabhängig davon, ob dies vom Gesetzgeber intendiert war oder nicht 680. In eine ähnliche Richtung argumentiert auch Bartlsperger, nach dem subjektive öffentliche Rechte nicht Ergebnis einer Auslegung des Gesetzes, sondern einer Bewertung der tatsächlichen Auswirkungen öffentlich-rechtlicher Normen auf individuelle Angelegenheiten seien 681. Die Kritik macht deutlich, dass eine enge Fassung der Schutznormtheorie vor allem im Hinblick auf die Bedeutung und die Reichweite der Funktion der Grundrechte wenig überzeugend ist 682. Diese Kritik soll im weiteren Verlauf der Untersuchung unter dem Aspekt der grundrechtlichen Gemeinwohlkompetenz des Bürgers aufgegriffen werden und dem subjektiven öffentlichen Recht neue Facetten abgewinnen 683.

679

Schmidt-Preuß, (Fn. 15), S. 190 f. Henke, (Fn. 485), S. 60 f. 681 R. Bartlsperger, Das Dilemma des baulichen Nachbarrechts, VerwArch 69 (1969), S. 35 ff., 49; zur Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Normen dabei s. ders., Subjektives öffentliches Recht und störungspräventive Baunachbarklage, DVBl. 1971 S. 723 ff., 731. 682 Schmidt-Preuß, (Fn. 15), S. 191. 683 s. dazu § 7 III. 2. b) (3). 680

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2. Grundrechte als Quelle subjektiver Rechte Die Bedeutung der Grundrechte für die subjektiven öffentlichen Rechte wird nicht allein im Kontext ihrer strengen Gesetzesakzessorietät thematisiert, sondern auch darüber hinaus. Darin spiegeln sich die rechtsordnungsinternen Spannungslagen zwischen zeitgenössischer Grundrechtstheorie einerseits und der dem Staatsdenken des 19. Jahrhunderts noch immer nahestehenden Dogmatik des einfachgesetzlichen subjektiven öffentlichen Rechts andererseits. Dementsprechend rekurrieren Stimmen in der Literatur auf die Grundrechte selbst, wenn es um die Gewinnung subjektiver öffentlicher Rechte geht, und zwar entweder unmittelbar 684 oder rechtsverhältnistheoretisch vermittelt 685. Besondere Bedeutung gewinnt dabei Art. 2 Abs. 1 GG 686 – freilich mit dem Problem, dass ihm keine genauen Vorgaben über Struktur und Inhalt eines konkreten subjektiven-öffentlichen Rechts zu entnehmen sind 687. Gerade in diesem Umstand bündeln sich die Einwände, die gegen die grundrechtsunmittelbare Herleitung subjektiver Rechte zu erheben sind: Mit Schmidt-Preuß ist der Stellenwert der „Konfliktschlichtungsprärogative“ des einfachen Gesetzgebers hoch anzusetzen. Ihm obliegt die Entscheidung, ob er eine Konfliktschlichtung objektivoder subjektivrechtlich ausgestalten möchte 688. Erst durch seine Ausgestaltungsentscheidung gewinnen die Grundrechte ihre praktische Dimension. Damit ist nicht einer Gesetzesakzessorietät der Grundrechte das Wort geredet, aber Verfassunggebung und Gesetzgebung unterscheiden nach ihren Funktionen wesentlich. Eine Überfrachtung des grundrechtlichen Steuerungsanspruchs mit materiellen Einzelproblemen dient weder der Grundrechtspflege noch dem einfachen Recht. Zudem ist mit dem Rekurs auf die Grundrechtsgarantien als unmittelbare Quellen subjektiver Rechte ein nicht unerheblicher Rationalitätsverlust verbunden, da die Ausgestaltung der subjektiven Rechtssphäre des Individuums weitgehend nach den situativen Erfordernissen des Rechtsanwenders geschehen müsste, im Ergebnis also die ordnende und systematisierende Funktion des Parlamentsgesetzes zugunsten einer einzelfallbezogenen Rechtsfindung entwertet würde. Die Gesetzesanbindung subjektiver Rechte, der damit unter den oben gemachten Einschränkungen eine Berechtigung zuzusprechen ist, erweist sich auch für 684 M. Zuleeg, Hat das subjektive öffentliche Recht noch eine Daseinsberechtigung?, DVBl. 1976, S. 509 ff., 514 ff.; Lorenz, (Fn. 621), S. 60; C. Sening, Abschied von der Schutznormtheorie im Naturschutzrecht, NuR 1980, S. 102 ff., 105; s. zum Thema auch ders., Rettung der Umwelt durch Aufgabe der Schutznormtheorie?, BayVBl. 1982, S. 428 ff.; N. Achterberg, Die Klagebefugnis – eine entbehrliche Sachurteilsvoraussetzung?, DVBl. 1981, S. 278 ff. 685 Bauer, (Fn. 577), S. 592 ff. 686 s. die umfangreichen Nachweise dazu bei Schmidt-Preuß, (Fn. 15), S. 191. 687 Zu dieser Problematik, Lorenz, (Fn. 621), S. 66. 688 Schmidt-Preuß, (Fn. 15), S. 37.

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Teil C: Subjektives öffentliches Recht und Schutznormtheorie

das Europarecht als einflussreichere Parallelmaterie als das gültige dogmatische Konzept 689. 3. Multipolare Rechtsbeziehungen Schließlich erweist sich die Schutznormtheorie in ihrer klassischen Prägung als wenig geeignet, die Multipolarität verwaltungsrechtlicher Verhältnisse adäquat in prozessrechtliche Zusammenhänge zu übersetzen 690. Die Verwaltungsrechtsordnung ist geprägt von der Regelungsbedürftigkeit des bipolaren StaatBürger-Verhältnisses 691 und blendet kollidierende Privatinteressen gezielt aus ihrer Dogmatik aus 692. Maßgeblicher Ausdruck ist die Bezogenheit der Schutznormtheorie auf die Interessen des „Einzelnen“ im Verhältnis zum Staat. Subjektive Rechte werden also nicht als Ordnungsmechanismus komplexer sozialer Strukturen begriffen, sondern letztlich allein als Abgrenzungsmechanismen zwischen der staatlichen und zivilen Sphäre. Dass sie darüber hinaus anspruchsvolle soziale Funktionen erfüllen 693 und vermittelnd auch die Rechtsbeziehungen Privater gestalten, bleibt dabei weitgehend außen vor. Vor dem Hintergrund der juristischen Debatte um den Nachhaltigkeitsbegriff und etwaige Rechte künftiger Generationen ist hier schon darauf hinzuweisen, dass die zivile Zuordnungsfunktion subjektiver Rechte auch eine temporale Dimension hat. In den Abwägungshorizont einer subjektivrechtlichen Konfliktlage sind also nicht allein gegenwärtige Rechte, sondern auch Rechtspositionen Zukünftiger mit einzubeziehen. Verwaltungsrechtsverhältnisse werden damit auf zwei Ebenen multipolar, nämlich im Verhältnis gegenwärtig Betroffener und zukünftig Betroffener 694.

689

Reiling, Rechte, (Fn. 8), S. 311 f. Zu den Schwierigkeiten des Interessenausgleichs im Dreiecksverhältnis schon M. Bothe, Die Entscheidungen zwischen öffentlich-rechtlich geschützten Positionen Privater durch Verwaltung und Gerichte, JZ 1975, S. 399 ff., zur prozessualen Bewältigung S. 401 ff.; s. zur prozessrechtlichen Seite auch W. Brohm, Verwaltungsgerichtsbarkeit im modernen Sozialstaat, DÖV 1982, S. 1 ff., insbes. S. 3 ff. 691 s. dazu die Ausarbeitungen von R. Scholz, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, VVDStRL 24 (1976), S. 145 ff., 157, 198 ff. und E. SchmidtAßmann, ebd., S. 221 ff., 234 ff., 245 ff. 692 Schmidt-Preuß, (Fn. 15), S. 192. 693 Zur soziologischen Funktion subjektiver öffentlicher Rechte s. unter § 7 II. 1. 694 s. dazu unter § 7 III. 2. d) (3) sowie unter § 7 III. 5. d) (2). 690

§ 4 Die Schutznormtheorie und ihre Elemente

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4. Zusammenfassung Die vorgestellten Kritiken an der Schutznormtheorie zeigen, dass das geltende Konzept in verschiedener Hinsicht eine prozessökonomisch motivierte Simplifizierung öffentlich-rechtlicher Konfliktlagen darstellt. Subjektive Rechte werden vor diesem Hintergrund ganz überwiegend rein formal bestimmt: Betroffenheit und faktische Interessenlagen werden nur insoweit zur Kenntnis genommen, wie sie sich dem theoretischen Ordnungsrahmen der Schutznormtheorie fügen. Dabei kommt es zu dem Umstand, dass bei der Bestimmung dessen, was „Interesse des Einzelnen“ im Sinne der Theorie sein kann, die Figur zugewiesener, quasi funktionaler Interessen 695 faktisch nicht rezipiert wird. Das Individuum kann danach nur eigene, höchstpersönliche Interessen haben. Interessen, die beispielsweise durch eine partizipationsfreundliche Interpretation der Grundrechte erst zu generieren wären, finden letztlich „nicht statt“. Aufgrund dessen ist die Schutznormtheorie unter Druck geraten und in Wissenschaft und Praxis modifiziert und durch alternative Konzepte ergänzt worden – wenn nicht gar die Aufgabe des sie konstituierenden subjektiven öffentlichen Rechts als solchem gefordert wurde 696. Mit der Rechtsverhältnislehre und der Diskussion um die Zulässigkeit von Verbandsklagen sollen zwei der gegenüber der Schutznormlehre neueren Entwicklungen kurz vorgestellt werden.

IV. Zweckpluralismus in der Schutznormtheorie und der Rechtsverhältnislehre Schon seit geraumer Zeit versucht die Rechtswissenschaft, maßgeblich angeregt durch Achterberg , die verwaltungsrechtlichen Beziehungen der Rechtsbeteiligten nicht mehr allein in den Kategorien von Recht und Gegenrecht, sondern als Ausdruck eines umfassenden, kohärenten Rechtsverhältnisses zu deuten 697. Ein solches Rechtsverhältnis konstituiert sich durchaus auch aus Beziehungen, 695

Jellinek, (Fn. 1), S. 71; Bachof, (Fn. 484), S. 292; Lorenz, (Fn. 621). Zuleeg, (Fn. 684), passim. 697 Achterberg, (Fn. 475); ders.; Rechtsverhältnisse als Strukturelemente der Rechtsordnung, Rechtstheorie 9 (1978), S. 385 ff.; ders., Die rechtsverhältnistheoretische Deutung absoluter Rechte, in: Just / Wollenschläger (Hg.), Recht und Rechtsbesinnung, GS Küchenhoff, 1987, S. 1 ff., insbes. 17 ff.; einen Überblick über die Entwicklung des Begriffs und seiner Bedeutung bei R. Gröschner, Vom Nutzen des Verwaltungsrechtsverhältnisses, Die Verwaltung 30 (1997), S. 301 ff.; s. auch ders., Das Überwachungsrechtsverhältnis, 1992. 696

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die durch subjektive Rechte bestimmt werden, sein Ansatz ist aber ein weiterer. Namentlich drückt sich die Beziehung des Individuums zum Staat in einer unbestimmten Vielzahl von Rechtsverhältnissen aus. Die Deutung der Staat-Bürger-Beziehungen in Verhältnis-Kategorien geht ursprünglich zurück auf Mayers Scheidung des allgemeinen vom besonderen Gewaltverhältnis 698 und allen daran hängenden dogmatischen Konsequenzen staatlicher Eingriffsbefugnisse. Während dies durch die umfassende Grundrechtsbindung heute überwunden ist, hat sich das Verwaltungsrechtsverhältnis 699 als besondere Form eines Rechtsverhältnisses jedoch etablieren können, da es anders als die Gewaltverhältnislehre Mayers grundrechtsneutral ist. Ein Rechtsverhältnis ist danach jede sich aus einer rechtlichen Regelung ergebende Beziehung zwischen mindestens zwei Rechtssubjekten 700. Subjektive Rechte spielen hier nur dann eine entscheidende Rolle, wenn man dem Staat und seinen Einheiten keine solchen Rechte zubilligen will, diese aber als Voraussetzung eines Rechtsverhältnisses annimmt 701. Das konkrete Verwaltungsrechtsverhältnis lässt sich ausgehend von der subjektsverbindenden Regelung oder ausgehend vom Sachverhalt bestimmen. Ihre besondere Leistungsfähigkeit erfährt die Rechtsverhältnislehre dann, wenn man Verwaltungsrechtsverhältnisse sachverhaltsorientiert bestimmt: Die multipolaren Konfliktlagen im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht sind nämlich in materieller wie personeller Hinsicht mehrdimensional – zusammengehalten werden sie beispielsweise durch den gemeinsamen Sachverhalt des „Anlagenbetriebs“ 702. Aufgrund der besonderen Rechtsbeziehungen der an einem solchen Verwaltungsrechtsverhältnis Beteiligten, die sich oftmals, aber nicht ausschließlich als subjektivrechtlich konstituiert erweisen, kann man das Verwaltungsrechtverhältnis verstehen als eine Sonderverbindung im Staat-Bürger-Verhältnis, die sich durch die Existenz vollstreckbarer Rechte und Pflichten auszeichnet 703. Wiewohl in der Wissenschaft zum Teil deutlich begrüßt 704, scheint sich die bisherige Bedeutung des Verwaltungsrechtsverhältnisses weitgehend in seinem deskriptiven Gehalt zu erschöpfen. Es ist bislang kaum gelungen, dem Verhält698 Zur Einordnung H. P. Bull / V. Mehde, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl. 2000, Rn. 186 ff. 699 s. z. B. B. Remmert, Verwaltungshandeln und Verwaltungsrechtsverhältnis in: Erichsen / Ehlers (Hg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2005, § 17; J. Ipsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2007, Rn. 163 ff. 700 Remmert, (Fn. 699), § 17 Rn. 4; BVerwGE 89, S. 327 ff., 329. 701 Z. B. bei P. Krause, Rechtsverhältnisse in der Leistungsverwaltung, VVDStRL 45 (1987), S. 212 ff., 221. 702 s. zur Sachverhaltsorientierung des Verwaltungsrechtsverhältnisses T. v. Danwitz, Zu Funktion und Bedeutung der Rechtsverhältnislehre, Die Verwaltung 30 (1997), S. 339 ff., insbes. 349 f. 703 Remmert, (Fn. 699), § 17 Rn. 2 ff.

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nisbegriff eigene dogmatische Konturen zu verleihen 705. Auch das Verwaltungsrechtsverhältnis konstituiert sich aus den hergebrachten und etablierten Kategorien von Recht und Pflicht 706. Auch Achterberg beschreibt als wesentliche Elemente des Rechtsverhältnisses nur seine Gestaltetheit durch Rechtsnormen, also Rechte und Pflichten, und die an ihm beteiligten Subjekte 707. Freilich vermag es durch die Einbeziehung auch einer unbestimmten Vielzahl von Subjekten als „Endpunkten“ die Multipolarität verwaltungsrechtlicher Beziehungen einfacher darzustellen 708. Anhaltspunkte für eine dogmatische Verwertbarkeit des Rechtsverhältnisbegriffs finden sich jedoch auch bei Achterberg nicht, es bleibt vor allem eine analytische, heuristische wie strukturierende Kategorie 709 einer bestimmten theoretischen Konstruktion der Rechtswirklichkeit. Dem Begriff eignet jedoch eine besondere Funktion, die ihn vom Rechtsund Pflichtenbegriff abhebt und für die hier verfolgten Zwecke nützlich sein lässt: Das Verwaltungsrechtsverhältnis verdeutlicht nämlich die offene und eine verdeckte Vielschichtigkeit der Interessen, die durch eine Rechtsbeziehung betroffen sind. Mit anderen Worten: Stellt man auf eine durch eine Norm generierte interpersonale Beziehung ab, so besteht die Neigung, diese allein nach den Maßstäben der Norm zu beurteilen. Etwaige (objektive) Zwecke, welche die Norm verfolgt oder Belange, die ihrer Regelung unterliegen, bleiben ausgeblendet. Zudem findet der Umstand, dass sich ein Rechtsverhältnis in verschiedenen Verfahrensordnungen vermittelt, auch größere Beachtung. Dies bedeutet, dass die Auflösung der rein linearen Struktur eines Rechts hin zur plastischen Struktur eines Rechtsverhältnisses es erlaubt, die Zweckkomplexität rechtlicher Regelungen zu beschreiben, ohne allein auf die personale Beziehung als Abbildungsmaßstab verwiesen zu sein, aber auch ohne auf sie verzichten zu müssen. Erkennbar wird dies, wenn man sich vor Augen führt, dass subjektives Recht und objektives Recht in einem Näheverhältnis und einem spezifischen Zusammenhang stehen 710, der sich gerade im Hinblick auf den konkreten Einzelfall 704 P. Häberle, Das Verwaltungsrechtsverhältnis, in: Das Sozialrechtsverhältnis, Schriftenreihe des Deutschen Sozialrechtsverbandes, Bd. XVIII, 1979, S. 60 ff. bezeichnet das Verwaltungsrechtsverhältnis als „archimedischen Punkt“. 705 Differenzierend bewertet Ipsen, (Fn. 699), Rn. 168, der eine Bedeutung der Rechtsverhältnislehre darin sieht, die intersubjektive Bedeutung des Rechts zu verdeutlichen; Erträge sieht auch Gröschner, (Fn. 697), Nutzen, S. 319 ff.; v. Danwitz, (Fn. 702), S. 347 ff. betont die heuristische Funktion des Verwaltungsrechtsverhältnisses. 706 Deutlich kritisch zum Verwaltungsrechtsverhältnis zum Beispiel J. Pietzcker, Das Verwaltungsrechtsverhältnis – Archimedischer Punkt oder Münchhausens Zopf?, Die Verwaltung 30 (1997), S. 281 ff. 707 Achterberg, Deutung, (Fn. 697), S. 33 f. 708 Achterberg, Deutung, (Fn. 697), S. 35. 709 s. Schmidt-Aßmann, (Fn. 11), S. 302 f., der die dogmatische Bedeutung der Rechtsverhältnislehre nicht bestreitet, aber insgesamt als recht gering einstuft und schwerpunktmäßig im Bereich des besonderen Verwaltungsrechts als relevant ansieht.

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nicht auflösen lässt. Abzubilden ist er aber nur auf einen Maßstab, der dieser Komplexität Rechnung trägt. Für das hier zu entwickelnde Modell eines vorsorgeorientierten subjektiven Rechts bedeutet dies konkret: Die Schutznormtheorie verfolgt einen am Normbegriff orientierten und daher begrenzten Zweckbegriff. Telos des Rechtsverhältnisses ist also gleichbedeutend mit Telos der Norm. Demgegenüber lehrt die Rechtsverhältnislehre die Möglichkeit eines Zweckpluralismus innerhalb eines Rechtsverhältnisses, wiewohl es auch nur durch eine Norm und eine begrenzte Anzahl von Subjekten konstituiert sein mag. Eine verhältnistheoretische Deutung subjektiver Rechte vermag daher den Zweckpluralismus von gesetzlichen Regeln in einer anderen und besseren Weise zu verdeutlichen, als eine allein an personalen Interessen orientierte Schutzgutlehre, die zwangsläufig einen monistischen Zweckbegriff zugrunde legen muss, um operationabel zu bleiben. Die damit notwendig verbundene Auflösung einer durch das subjektive Recht konstituierten bipolaren Beziehung wird im Übrigen auch in der verfahrenssoziologischen Diskussion um den Zivilprozess diskutiert, dort als Überwindung des Zweiparteienkonzeptes 711. Auf diese Dimension einer rechtsverhältnistheoretischen Deutung subjektiver Rechte wird im Weiteren noch zurückzukommen sein.

V. Die Schutznormtheorie „in Auflösung“ Neben grundsätzlicher Kritik an der Schutznormtheorie stößt diese auch in der Praxis an Grenzen. Namentlich der Rechtsschutz im Umweltrecht ist traditionell eine konfliktträchtige Materie 712. Innere wie äußere Grenzen werden dabei vor allem durch Klagerechte verdeutlicht, die von Umweltverbänden in Wahrnehmung ihrer Tätigkeit geltend gemacht werden, teils mit, teils ohne Zustimmung der Gerichte und Parlamente 713. Diese Fälle werden unter dem Oberbegriff der Verbandsklagen 714 verhandelt, unterscheiden sich jedoch im dogmatischen Detail wie im rechtlichen Ergebnis ganz erheblich.

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Zum Verhältnis von subjektivem und objektivem Recht s. § 7 II. 1. b) (2). Goebel, (Fn. 678), S. 143 f. 712 s. R. Sparwasser, Gerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, in: Dolde (Hg.), Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 1017 ff., zur Klagebefugnis S. 1021 ff. 713 s. H. Fliegauf, Rechtsmissbrauch durch „Sperrgrundstücke“? – Zugleich eine rechtspolitische Anmerkung, NVwZ 1991, S. 748 ff., der für eine deutlich strenge Handhabe der Zulässigkeitskriterien plädiert. 714 Zivilrechtliche Klagen sollen hier ausdrücklich nicht behandelt werden, s. dazu E. Schmidt, Verbraucherschützende Verbandsklagen, NJW 2002, S. 25 ff. 711

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a) Die Verbandsklage: Zur „Privatisierung des Gemeinwohls“ Seit Beginn der 1970er Jahre wird über die rechtlichen und politischen Implikationen vor allem naturschutzrechtlicher Verbandsklagen 715 sowie der Verbandsmitwirkung 716 debattiert. Die Verbandsklage ist seither vor allem landesrechtlich normiert und mittlerweile auch in § 61 BNatSchG verankert worden 717. Daneben bestehen europarechtlich motivierte Verbandsklagepositionen 718, die in Umsetzung der dritten Säule der Arhus-Konvention 719 die Öffentlichkeitsbeteiligung in Umweltverfahren 720 verbessern sollen 721 Die Verbandsklage begegnet in öffentlich-rechtlichem Kontext 722 in unterschiedlichen Erscheinungsformen, namentlich als Verbandsbeteiligungsklage (sog. Partizipationserzwingungsklage) 723, als egoistische 724 und als altruistische 725 Verbandsklage 726. Während die egoistische Verbandsklage als Form der gewillkürten Prozessstandschaft 727 engen prozessualen Voraussetzungen unterliegt 728, 715 Rechtsvergleichend z. B. J. Kokott / L.-F. Lee, Die Verbandsklage im deutschen und US-amerikanischen Umweltrecht – unter besonderer Berücksichtigung des Reformvorschlags im UGB-Entwurf der Unabhängigen Sachverständigenkommission, in: Marburger / Reinhardt (Hg.), Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts, Bd. 45, 1998, S. 215 ff.; unter prozessualen Aspekten E. Gassner, Anfechtungsrechte Dritter und „Schutzgesetze“, DÖV 1981, S. 615 ff. zur Verbandsklage im hessischen und Bremer Naturschutzgesetz. 716 Dazu z. B. J. Kokott / L.-F. Lee, Mitwirkung von Umweltverbänden – Vorteile und Bedenken, GAIA 1999, S. 130 f. 717 s. dazu jetzt L. Michael, Fordert § 61 BNatSchG eine neue Dogmatik der Verbandsklagen?, Die Verwaltung 2004, S. 35 ff.; s. auch R. Seelig / B. Gündling, Die Verbandsklage im Umweltrecht, NVwZ 2002, S. 1033 ff., 1034 f.; zur Rechtslage nach der Novellierung des BNatSchG auch M. Gellermann, Das modernisierte Naturschutzrecht, NVwZ 2002, S. 1025 ff., 1032 f. 718 s. zur Möglichkeit einer „Direktwirkung europäischer Verbandsklagerechte?“ jetzt den gleichnamigen Beitrag von W. Durner, ZUR 2005, S. 285 ff. 719 Deutsche Fassung unter http://www.bmu.de/files/pdfs/allgemein/application/pdf /aarhus.pdf.; s. zur Sache Schlacke, (Fn. 16), S. 233 ff., 720 s. dazu die RL 2003/35/EG; dazu L. Knopp, Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetz und Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, ZUR 2005, S. 281 ff.; s. zur Konvention selbst T. v. Danwitz, Arhus-Konvention: Umweltinformation, Öffentlichkeitsbeteiligung, Zugang zu den Gerichten, NVwZ 2004, S. 272 ff. 721 s. im Überblick zur Genese des Richtlinienentwurfs der Kommission M. Dross, Die Access-Studie: Konsequenzen für den Richtlinienvorschlag zu Klagerechten in Umweltangelegenheiten, ZUR 2004, S. 152 ff. 722 Daneben ist die Verbandsklage als Instrument des Verbraucherschutzes auch in Vorschriften des Zivilrechts verankert, beispielsweise zur Kontrolle von AGB in § 1 UKlaG, auch in § 13 BGG, s. auch Schmidt, (Fn. 714), S. 28 f. zur Individualisierbarkeit öffentlicher Interessen; eine ausführliche Darstellung findet sich bei Schlacke, (Fn. 16), S. 333 ff. 723 Schlacke, (Fn. 16), S. 168 f.

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scheitert sie seit jeher an der Hürde des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG, sofern sie mit einem Ausschluss des Individualklagerechts der Verbandsmitglieder verbunden wird 729. Partizipationserzwingungsklagen sind im engeren Sinne keine Verbandsklagen, sofern man darunter die Geltendmachung nicht-eigener Rechte versteht, dienen sie doch dazu, die Verkürzung bestehender Verbandsverfahrensbeteiligungsrechte zu rügen 730. Die rechtliche Bedeutung der Verbandsklagen ist in jüngerer Zeit auf europäischer Ebene vor allem durch die Arhus-Konvention und die sie umsetzende Arhus-Verordnung aufgewertet worden 731. Gegenstand der juristischen Kontroverse war und ist vor allem die altruistische Verbandsklage 732, durch die einem anerkannten Naturschutzverband unter Ausnutzung des § 42 Abs. 2 VwGO („soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist“) die Möglichkeit eingeräumt wird, die Verletzung objektiven Rechts im gerichtlichen Verfahren zu rügen 733. Neben verfahrensrechtlichen Bedenken im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG sind im Verbandsklagekontext vor allem Fragen der Gewaltenteilung und des Demokratieprinzips diskutiert worden 734. Zentral dürfte in diesem Zusammenhang der Einwand sein, Verbandsklagen führten zu einem „unlösbaren Legitimationsproblem“ 735. Inwieweit nämlich sollen Verbände über724 s. B. Bender, Von der Verbandsbeteiligung zur Verbandsklage?, in: Bachof / Heigl (Hg.), Verwaltungsrecht zwischen Freiheit, Teilhabe und Bindung, FS BVerwG, 1978, S. 37 ff. 725 E. Rehbinder, Argumente für die Verbandsklage im Umweltrecht, ZRP 1976, S. 157 ff., 158; von einer „prozessualen Beanstandungsinstitution“ spricht G. Hammer, Bedenken gegen die Verbandsklage im öffentlichen Recht, GewArch 1978, S. 14 ff., 14; s. kritisch K. Redeker, Verfahrensrechtliche Bedenken gegen die Verbandsklage, ZRP 1976, S. 163 ff., 164 f. zur altruistischen Verbandsklage. 726 s. auch den Überblick bei L. Harings, Die Stellung der anerkannten Naturschutzverbände im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, NVwZ 1997, S. 538 ff., 539. 727 s. H. Embacher, Die Verbandsklage im Verwaltungsprozess, Diss. iur., Saarbrücken 1979, S. 34 f. 728 Insbesondere ist sie für Anfechtungs- wie Verpflichtungsklagen ausgeschlossen, s. F. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 7. Aufl. 2008, § 12 Rn. 28. 729 Hammer, (Fn. 725); C. H. Ule / H.-W. Laubinger, Empfehlen sich unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung notwendigen Umweltschutzes ergänzende Regelungen im Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrecht?, Gutachten B zum 52. dt. Juristentag, 1978, S. 100. 730 Schlacke, (Fn. 16), S. 169. 731 Eingehend dazu Schlacke, (Fn. 16), S. 395 ff. 732 Jüngst die altruistische Verbandsklage deutlich befürwortend der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, Rechtsschutz für die Umwelt – die altruistische Verbandsklage ist unverzichtbar, Stellungnahme 5, Februar 2005, abrufbar unter http://www.umweltrat .de/03stellung/downlo03/stellung/Stellung_Verbandsklage_Februar2005.pdf. 733 Ausführlich zu den Rügemöglichkeiten nach neuer naturschutzrechtlicher Rechtslage Seelig / Gündling, (Fn. 717), S. 1036 f.; s. weiter ausführlich dazu Schlacke, (Fn. 16), S. 161 ff. 734 Ein Überblick dazu bei Michael, (Fn. 717), S. 37 ff.

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haupt berechtigt sein, als außerstaatliche Verwaltungskontrollinstanz tätig zu werden? Droht durch die Aufwertung von Vereinen und Verbänden ein „neokorporativer Ständestaat“ 736, wird das Gemeinwohl gleichsam „privatisiert“? 737 Dem sind verschiedene Argumente entgegenzuhalten: Zu unterscheiden ist die Auslösung von der Ausübung staatlicher Gewalt. Die Gerichte als demokratisch legitimierte Rechtsprechungsorgane üben in ihren Urteilssprüchen staatliche Gewalt aus – und zwar auf Anrufung durch die Parteien des gerichtlichen Verfahrens hin. Ebenso wenig aber, wie Zivilpersonen, die Partei eines gerichtlichen Verfahrens werden, staatliche Gewalt ausüben, üben Verbände, die einen Verwaltungsprozess in Gang setzen, staatliche Gewalt aus. Sie lösen staatliche Gewalt, indes sie üben sie nicht aus 738. Zuzugeben ist den Kritikern der Verbandsklage, dass den Verbänden eine besondere Rolle zuwächst, ähnlich der einer Beleihung oder eines Verwaltungshelfers 739. Diese zielt aber weder ab auf die Einräumung privilegierender Rechtspositionen noch auf die außenwirksame Ausübung hoheitlicher Befugnisse, sondern sie sichert allein den Vollzug objektiven Rechts 740. Die Kritik an der Einbeziehung der Verbände über Verbandsbeteiligungsrechte und ihre prozessuale Durchsetzbarkeit ist auf einer ähnlichen Ebene angesiedelt wie die reservierte Haltung gegenüber Popularklagen beziehungsweise Interessentenklagen. Auch auf einer theoretischen Ebene ist den Bedenken gegenüber der Verbandsklage entgegenzutreten. Die Negierung der demokratischen Legitimation korporativer Rechtsgestaltung ist Ausdruck eines formalen Legitimations- und Demokratieverständnisses, welches in der Repräsentation und ihren Derivaten den einzig zulässigen Typus von Demokratie sieht 741. Dieses Verständnis greift aber zu kurz. Demokratische Legitimation leitet sich nämlich nicht allein ab aus dem Volk als Wahlvolk und dem von ihm konstituierten Parlament. Grundrechtsausübung selbst, gerade in ihrer korporativen Dimension 742, ist Ausdruck eines 735 R. Breuer, Wirksamer Umweltschutz durch Reform des Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrechts, NJW 1978, S. 1558 ff., 1562. 736 U. Battis / N. Weber, Zum Mitwirkungs- und Klagerecht anerkannter Naturschutzverbände, BVerwGE 87, 63, JuS 1992, S. 1012 ff., 1016; von „oligarchischen Tendenzen“ spricht H. Faber, Die Verbandsklage im Verwaltungsprozess, 1972, S. 87; s. auch Schlacke, (Fn. 16), S. 501 ff. m.w. N. 737 C. Calliess, Die umweltrechtliche Verbandsklage nach der Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes, NJW 2003, S. 97 ff.; Schlacke, (Fn. 16), S. 491 ff. 738 Calliess, (Fn. 737), S. 101. 739 Zum Verwaltungshelfer: BVerwG, NVwZ 1997, S. 905 ff., 906. 740 So auch Calliess, (Fn. 737), S. 101. 741 E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HStR, Bd. I, 3. Aufl. 2004, § 24; kritisch: P. Häberle, Verfassung als öffentlicher Prozeß, 3. Aufl. 1998, S. 169 ff. 742 s. dazu Dederer, (Fn. 21), § 17.

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demokratischen Gemeinwesens, welches seine Bürger nicht allein im status negativus vor staatlicher Intervention schützt, sondern vielmehr bürgerschaftliches Engagement in der res publica begrüßt, wenn nicht gar erwartet. Demokratie kennt also auch eine Dimension der Teilhabe, die gegenüber ihrem repräsentativen Aspekt keineswegs ein qualitatives Minus darstellt 743. Differenziert man im Kontext demokratischer Legitimation genauer zwischen Output- und Input-Legitimation 744, so bietet die Verbandsklage dem Bürger die Möglichkeit, vermittelt über den Verband Gemeinwohlinteressen zur Durchsetzung zu verhelfen 745, also den Output staatlichen Handelns inhaltlich zu optimieren. Damit ist aber ein weiterer Problempunkt benannt, nämlich der gegen die Verbandsklage erhobene Vorwurf, sie sei „Vehikel zur Privatisierung des Gemeinwohls“ 746 und parallelisiere in unzulässiger Weise die Verantwortung für das gemeine Wohl mit der für private Interessen. Dem ist jedoch entgegen zu halten, dass staatliche Gemeinwohlverantwortung beispielsweise dort, wo der Staat gleichermaßen Agierender und Kontrollierender ist (Vorhaben im Bereich der Daseinsvorsorge und der Infrastruktur), die Kongruenz von Gesetzesbeachtung und -vollzug in einer Hand wenig überzeugend erscheint. Hier vermag die Dopplung in der Gemeinwohlverantwortung eine kompensatorische Funktion auszuüben, die primäre Defizite auf Seiten des Staates durch sekundäre Bürgerverantwortlichkeit auszugleichen versucht 747. Entsprechendes gilt in Kontexten in denen der Staat seiner Verantwortung für das Gemeinwohl (z. B. Vorsorge vor Umweltschäden) aus systeminternen wie systemexternen Gründen nicht in einem befriedigenden Maße gerecht wird. Dort vermag auch eine noch zu entwickelnde Form der Bürgerbeteiligung kompensatorisch zu wirken. b) „Sperrgrundstücke“ Vor allem im Kontext von umweltrelevanten Großvorhaben ist das Phänomen der sogenannten Sperrgrundstücksklagen virulent geworden, in dem sich die formelle und die materielle Dimension zeigt, welche der Schutznormtheorie und vor allem dem Eigentumsrecht zukommt 748. 743 Zum Verhältnis von Grundrechten und Demokratie s. die Nachweise bei § 7 III. 1. b); ausführlich zur teilhaberechtlichen Dimension der Demokratie unter § 5 III. 744 Für diesen Kontext z. B. bei Michael, (Fn. 717), S. 39. 745 Michael, (Fn. 717), S. 40. 746 Calliess, (Fn. 737), S. 100. 747 Dazu ausführlich unter § 7 III. 2. b) (3); befürwortend gegenüber der Verbandsklage in dieser Funktion auch Anderheiden, (Fn. 19), S. 547. 748 Zu den Sperrgrundstücksklagen als materielle Ausprägung der Verbandsklage s. Schlacke, (Fn. 16), S. 176 ff.

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In der Regel handelt es sich dabei um Fälle, in denen ein Umweltverband ein von umweltrechtlicher Planung betroffenes Grundstück erwirbt und sich so in die für § 42 Abs. 2 VwGO erforderliche Rechtsposition gleichsam „einkauft“ 749. Dabei ist es zu rechtlich bemerkenswerten Konstrukten beispielsweise in der Art gekommen, dass sich der Umweltverband gegenüber dem ursprünglichen Eigentümer verpflichtet hat, das Grundstück nach Durchlaufen des Rechtswegs wieder rückzuübertragen. Auf diese Weise wurde der Grundstücksübereignung quasi die Rechtsnatur eines befristeten Mietvertrags aufgedrängt, allein um die verwaltungsverfahrens- wie prozessrechtliche Rechtsstellung zu erlangen 750. Während die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts über lange Zeit diese Form der Klage für zulässig hielt 751, hat sie in einem späteren Urteil eine Wende vollzogen 752. In der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum Rhein-Main-DonauKanal 753 vertrat das Gericht noch die Auffassung, das Prozessrecht frage nicht nach der Motivation seiner Kläger, dementsprechend seien naturschützerische Ambitionen der Klage nicht hinderlich im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO. Auch die eventuell erforderliche Rückübertragung eines Grundstücks im Falle seiner vertragswidrigen (weil nicht den Belangen des Umweltschutzes dienlichen) Nutzung hindere die Annahme einer Klagebefugnis nicht. Die rein formal begriffene Klagebefugnis ergibt sich nach dieser Ansicht unmittelbar aus Art. 14 Abs. 1 GG, dessen Rechtsgehalt gegenüber spezifisch motivierter Nutzung neutral ist. Während dieser Ansatz zwar von weiten Teilen der Literatur durchaus begrüßt wird, finden sich auch einschränkende Ansätze, die um einen Ausgleich der scheinbar konkurrierenden Interessen bemüht sind. Ein solcher Ausgleichsmechanismus wird in einer gegenüber „echtem“ Eigentum schwächeren Durchsetzungsfähigkeit von Verbandseigentum im Rahmen der Begründetheitsprüfung einer solchen Sperrgrundstücksklage 754 gesehen. Ein solcher Einschränkungsversuch vermag aber letztlich kaum zu überzeugen, denn er vermischt prozessuale Fragen mit materiellen. Dieser Ansatz negiert die Interdependenz zwischen Klagebefugnis 749 A. Epiney, in: v. Mangoldt / Klein (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. II, 5. Aufl. 2005, Art. 20a Rn. 12 spricht von „egoistischem Umweltschutz“ aus der Eigentümerposition heraus. 750 Wahl / Schütz, (Fn. 89), § 42 Abs. 2 Rn. 233. 751 BVerwGE 72, S. 15 ff., 16, 25 ff. – Rhein-Main-Donau-Kanal; BVerwG, NVwZ 1991, S. 781 f.; zustimmend H. Sodan, in: ders. / Ziekow (Hg.), VwGO, Kommentar, 2. Aufl. 2006, § 42 Rn. 456; a. A. z. B. BayVGH, NVwZ 1989, S. 684 f.; OVG Münster, UPR 1990, S. 391 ff.; mit deutlicher Kritik an der Rechtsprechung des BVerwG Fliegauf, (Fn. 713); R. Pietzner / M. Ronellenfitsch, Das Assessorexamen im Öffentlichen Recht, 10. Aufl. 2000, § 14 Rn. 34. 752 BVerwG, NVwZ 2001, S. 427 ff.; dazu J. Masing, Relativierung des Rechts durch Rücknahme verwaltungsgerichtlicher Kontrolle, NVwZ 2002, S. 810 ff. 753 BVerwGE 72, S. 15 ff. 754 Wahl / Schütz, (Fn. 89), § 42 Abs. 2 Rn. 233.

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und Begründetheitsprüfung in Fällen von Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen als Prototypen des subjektiven Rechtsschutzes. Ein Recht, das im Rahmen von § 42 Abs. 2 VwGO angenommen wird, ist dann „im Rahmen der Begründetheit“ entweder verletzt oder nicht, anspruchsbegründend oder nicht. § 42 Abs. 2 VwGO verlangt nämlich sehr wohl das Vorliegen eines Rechts, lediglich die Behauptung seiner Verletzung muss möglich erscheinen. Eine Aufweichung dieses Rechts in der Begründetheitsprüfung unter Berufung auf die Ausübungsmotivation seines Inhabers überzeugt nicht, namentlich kennt Art. 14 Abs. 1 GG eine solche Einschränkung nicht. Zwar ist gerade das Eigentumsrecht nicht verfassungsunmittelbar geprägtes Recht, sondern einfachgesetzlich auszufüllen. Eine Differenzierung gleichsam nach echten und unechten Eigentumsschutzlagen erscheint dann aber als zu weitgehende Aushöhlung des Schutzgehalts der Vorschrift. Das Bundesverwaltungsgericht legt also einen deutlich strengeren Maßstab an Klagen an, die von Verbänden als Eigentümern erhoben werden 755. Erstaunlich ist dies zunächst, weil der zu entscheidende Fall sich nicht wesentlich von Konstellationen unterschied, in denen das Gericht zuvor geradezu zwanglos eine Klagebefugnis der Verbände bejaht hatte 756. Daran wird deutlich, dass grundlegende Erwägungen den Senat bewogen haben, eine Änderung der bisherigen Rechtsprechung vorzunehmen. Ergebnis dieses Kurswechsels ist eine Entformalisierung des Eigentumsbegriffs 757, mit allen daran hängenden Folgen. c) Gemeinsamkeiten – Divergenzen – Konsequenzen Die Debatte um Verbandsklagen und Sperrgrundstücke verdeutlicht, dass es ein Leitmotiv der deutschen, subjektiven Rechtsschutzkonzeption ist, ein materielles Verständnis von Rechten im Rechtsschutzverfahren zu pflegen. Wo einem Verband die Rüge von objektiven Rechtsverletzungen versagt ist oder die Klagebefugnis für eine Sperrgrundstücksklage unter Berufung auf deren angebliche Rechtsmissbräuchlichkeit versagt wird, wird im Kern die Frage nach den Inhalten der geltend gemachten Rechte gestellt. Anders formuliert: Nicht die Innehabung eines gesetzlich zugewiesenen Rechts wird für ausreichend gehalten, sondern dem Rechtsinhaber muss ein bestimmtes schützenwertes Rechtsgut zustehen, zu dessen Verteidigung er das eingeräumte Recht einsetzt: Der Verband muss danach das ihm gehörende Grundstück bestimmungsgemäß, das heißt als Eigentum nutzen wollen, um in den Genuss der grundrechtlichen Freiheit zu kommen, die Art. 14 Abs. 1 GG gewährt. Er muss selbst in seinen Eigentümerrechten verletzt sein, um klagen zu dürfen. In der Terminologie der Schutznormtheorie gespro755 756 757

BVerwGE, NVwZ 2001, S. 427. Im Einzelnen nachgewiesen von Masing, (Fn. 752), S. 813. Masing, (Fn. 752), S. 813.

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chen fragt diese Auffassung nach der Beschaffenheit des „privaten Interesses“. Ein solches soll nur dann angenommen werden, wenn es an ein individualisierbares, disponibles Rechtsgut des Klagenden anknüpft, wenn es dessen Charakter oder „Wesensgehalt“ zum Ausdruck verhilft. Die rein formale Rechtsposition, ohne Rücksicht auf die Motive ihrer Nutzung, wird dabei nicht anerkannt. Eine solche Auffassung müsste aber, um zu überzeugen, die Maßstäbe benennen, nach denen sie rechtsbewehrte Rechtsgüter den Parteien eines Prozesses zurechnen will. Die Benennung solcher Maßstäbe sucht man jedoch vergeblich, auch das Bundesverwaltungsgericht benennt sie in seinem Urteil, das den Kurswechsel bei den Sperrgrundstücken begründet, nicht. Während bislang also eine allgemeine Entwicklung hin zur Entgrenzung des Dogmas von der klagebefugenden Schutznorm zu verzeichnen war, ist mit der genannten Entscheidung eine Kontrapunkt gesetzt, der Individualinteresse und Individualrechtsträgerschaft wieder zu expliziteren Kriterien macht 758.

VI. Zusammenfassung Der in Wissenschaft und Praxis verbreitete Begriff der Schutznormtheorie wird heute zumeist stellvertretend für den des subjektiven öffentlichen Rechts verwandt. Dies hängt damit zusammen, dass man die von Bühler begründete Definition des subjektiven öffentlichen Rechts gleichsam in den Kontext des § 42 Abs. 2 VwGO interpoliert und als Mechanismus zur Prüfung der Klagebefugnis etabliert hat. Darin kommt die traditionell starke Verankerung des Begriffs des subjektiven Rechts im prozessrechtlichen Kontext zum Ausdruck. Freilich handelt es sich keineswegs um eine Theorie, sondern lediglich um einen Mechanismus eines juridischen Auslegungsvorgangs. Zentrales Merkmal von Schutznormtheorie und subjektivem öffentlichen Recht gleichermaßen ist der Begriff des Interesses, dem neben einer philologischen Tradition auch eine lange Geschichte als Rechtsbegriff aufweist. Er steht im Spannungsfeld des Rechtsbegriffs auf der einen und des Rechtsreflexes auf der anderen Seite. Eine besondere Relevanz erhält er, wenn er ergänzt um die Begriffe des „privaten“ beziehungsweise des „öffentlichen“ kategoriale Bedeutung bekommt und zum Scheidepunkt öffentlichen und privaten Rechts wird. Freilich beruht die Lehre der Scheidbarkeit öffentlicher und privater Interessen weitgehend auf einer 758 Zur Bedeutung der Rechtsprechung des BVerwG für die Belange des Umweltschutzes im Allgemeinen s. H. Sendler, Vom Nutzen und Nachteil der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für den Umweltschutz, in: Dolde (Hg.), Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 975 ff., zu den Eigentumsrechten S. 977, zur Vorsorge S. 981 ff. und S. 984 ff.

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Teil C: Subjektives öffentliches Recht und Schutznormtheorie

Fiktion. Insbesondere in Ansehung des öffentlichen Rechts, welches ursprünglich private Interessen aggregiert und durch Publifizierung entindividualisiert, wird die Fragwürdigkeit einer strengen Trennung beider Sphären offenbar. Unter dem Blickwinkel juristischer Rationalität entscheidend ist daher der Umstand, dass eine Kategorisierung eines Interesses als öffentlich oder privat im Kern ein Wertungsvorgang ist, der keineswegs zwingend determiniert ist. Orientiert man sich an den in Bezug genommen Interessenobjekten, so indiziert der höchstpersönliche Charakter des Objekts auch den subjektiven Charakter des Interesses, außerhalb naturgemäß personaler Güter wie Leib oder Leben, gegebenenfalls auch Eigentum, versagt dieser Zuordnungsmechanismus jedoch regelmäßig. Entscheidende theoretische wie methodische Bedeutung gewinnt vor diesem Hintergrund der Begriff des Zuweisungsgehalts einer Rechtsnorm, der zwischen der „Interessenrichtung“ als gleichsam affektivem Moment des Interesses und dem Interessenobjekt selbst mittelt. Er legt den Ort und die Notwendigkeit des Wertungs-, genauer des Zuweisungsvorgangs fest, der aus einer tatsächlichen affektiven Zuwendung eines Willens zu einem Objekt ein rechtlich erhebliches Interesse macht und durch die Zugabe einer Durchsetzungsmöglichkeit schließlich ein subjektives Recht erzeugt. Über den Begriff des Zuweisungsgehalts erschließt sich auch die Unterscheidung zwischen materiellen subjektiven Rechten und funktionalen subjektiven Rechten. Während ein materiales subjektives Recht anknüpft an einen subjektiven Gehalt des Interessenobjekts und daher zurückwirkend gewisse Zuweisungsgehalte gar nicht zulässt, ermöglicht ein Denken in Kategorien des Zuweisungsgehalts auch die Zuordnung nicht im Kern persönlicher Interessenobjekte zum Willen einer Person. Mit geformt wird der Begriff des subjektiven Rechts und seine praktische Erscheinungsform in Gestalt der Schutznormtheorie maßgeblich auch durch rechtliche Vorgaben, namentlich Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG und § 42 Abs. 2 VwGO. Die verfassungsrechtliche Systementscheidung für den Individualrechtsschutz wird traditionell im Lichte einer etablierten, materiellen Sichtweise des subjektiven Rechts begriffen. Letztlich aber ist der Begriff des subjektiven Rechts weitgehend vorverfassungsrechtlicher Natur. Die Verfassung setzt die Existenz subjektiver Rechte voraus – dies schließt aufgrund der personalen Struktur der Grundrechtsgewährleistungen natürlich zunächst materiale subjektive Rechte mit ein, aber beschränkt sich nicht auf sie. Inwieweit einer Funktionalisierung subjektiver Rechte allerdings von Verfassungs wegen eine Grenze gezogen ist, ist eine Frage, die im Hinblick auf die faktischen Auswirkungen auf die Rechtsschutzmöglichkeiten des Bürgers beantwortet werden muss. Die Schutznormtheorie ist verschiedentlich auf erhebliche Kritik gestoßen, die vor allem in drei Richtungen argumentiert. Die Gesetzesakzessorietät bindet die Möglichkeit der Klage an die Entscheidung des Gesetzgebers. Es kommt dann

§ 4 Die Schutznormtheorie und ihre Elemente

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nicht mehr auf eine wirkliche Betroffenheit in eigener Sache, sondern auf die Anerkennung einer Betroffenheit in eigener Sache an. Vom Standpunkt eines Rechtsschutzverständnisses, welches eher dem Konzept einer Interessentenklage anhängt, ist diese Abhängigkeit kritisch zu beurteilen. Sie führt zudem – zweiter Punkt der Kritik – zu einer Spannungslage zwischen einfachgesetzlichem und grundrechtlich motivierten Rechtsschutz. Nicht umsonst bilden, z. B. in der baurechtlichen Bestandsschutzdiskussion, regelmäßig Fragen über das Ordnungsverhältnis von einfachem Recht und Grundrechten Anlass zur Kontroverse. Schließlich ist die Fähigkeit der Schutznormtheorie, multipolare Rechtsbeziehungen in Strukturen des Prozessrechts zu übersetzen, sehr begrenzt. Dieses Problem nimmt insbesondere die Rechtsverhältnislehre in den Blick, die intersubjektive Beziehungen nicht primär nach den vermittelnden Rechten, sondern nach den sachlichen Strukturen beurteilt. Sie ermöglicht es auch, die Pluralität von unterschiedlichen Zwecken, die sich in einer Rechtsordnung und auch in einzelnen Rechtsverhältnissen finden, angemessener abzubilden. Schließlich sind seit jeher Gegenentwicklungen zum engen Konzept der Schutznormtheorie festzustellen. Im Umfeld der Diskussion um die naturschutzrechtliche Verbandsklage und sogenannte Sperrgrundstücksklagen ist die Reichweite und Belastungsfähigkeit der Schutznormdoktrin ausgereizt worden. Nach einer lange recht großzügigen Rechtsprechung hat das Bundesverwaltungsgericht in einer Entscheidung zu einer Sperrgrundstücksklage wieder einer restriktiveren Kurs eingeschlagen und die materielle Seite des Rechts stark gemacht, aus dem heraus die Befugnis zur Klage abgeleitet wird.

Teil D

Vorsorge als Kategorie des materiellen und des Verfahrensrechts Spricht man über den subjektivrechtlichen Gehalt einer Rechtsvorschrift, so setzt dies geschriebenes Recht voraus. Eine Ableitung von subjektiven Rechten aus ungeschriebenen Regeln ist schon allein aus Gründen der Prozessökonomie gänzlich unüblich, von rechtsstaatlichen Aspekten der Konkretisierungsbefugnis von Individualrechten einmal ganz abgesehen, wie sie in den Stichworten von der Wesentlichkeitstheorie und den Schutzpflichten zum Ausdruck kommen. Gleiches gilt aber auch für die Ableitung von subjektiven Rechten aus Begriffen des geschriebenen Rechts, die sich nicht in der von der Schutznormtheorie kanalisierten Form um die Begründung subjektiver Rechte kümmern. Stützen kann sich eine solche Position maßgeblich auf den Wortlaut des § 42 Abs. 2 VwGO, wonach im Verwaltungsprozess die Behauptung der Verletzung subjektiver Rechte als Sachurteilsvoraussetzung gilt, „soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist“. Nun wird dieser Teil der Vorschrift in aller Regel als Form eines Vorbehalts einer ausdrücklichen Regelung interpretiert, welche vom Erfordernis von der Inhaberschaft eines subjektiven Rechts Ausnahmen zulässt. Unternimmt man den Versuch, einer Rechtsvorschrift, die nach überwiegender Meinung bislang nicht subjektivrechtlich verstanden wurde, eine solche subjektive Bedeutung beizugeben, gilt es, nach Argumenten zu suchen, welche für das vorgeschlagene Verständnis streiten und welche sich abbilden lassen in den Strukturen der etablierten Dogmatik subjektiver öffentlicher Rechte. Diese Argumente sollen hier gesucht werden im materiellen Recht, im Verfahrensrecht und schließlich in einem verfassungsrechtlich fundierten und im technischen Sinne prozessualen Gemeinwohlbegriff.

§ 5 Begründungsansätze aus materiellem Recht Rationale Rechtsordnungen sind auf Kohärenz und Konsistenz angelegt. Sie versuchen, Sinnzusammenhänge zu stiften, Kategorisierungen vorzunehmen und

§ 5 Begründungsansätze aus materiellem Recht

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unter dem Aspekt der Verallgemeinerung gleiche oder ähnliche Sachverhalte dem gleichen rechtlichen Regime zu unterwerfen. Dabei stehen Rechtsnormen in einem Verhältnis der Wechselbezüglichkeit sofern sie rechtsnormhierarchisch vergleichbar sind; aber auch zwischen Normen unterschiedlicher Hierarchiestufen können Wechselwirkungen bestehen 759. Die systematische Auslegung macht sich dieses Wechselwirkungsverhältnis – jedenfalls im Rahmen einer engeren gesetzlichen Systematik – zu Nutze. Wenn es um die Frage nach der subjektivrechtlichen Qualität einer Rechtsnorm geht, sind solche Wechselwirkungen ebenfalls zu verzeichnen. Über die von der systematischen Auslegung ins Auge gefassten innergesetzlichen Zusammenhänge hinaus können sich solche Wechselwirkungen aber vor allem auch aus verfassungsrechtlichen Abhängigkeiten oder verfahrensrechtlichen Zugehörigkeiten ergeben. Den Zusammenhängen zwischen umweltrechtlichen Vorsorgevorschriften und dem materiellen Recht sowie dem Verfahrensrecht soll nachgegangen werden. Dabei steht im Mittelpunkt stets die Frage, ob sich aus der Zusammenschau umweltrechtlicher Vorsorgevorschriften und anderer Gebiete des Rechts Argumente gewinnen lassen, die eine Subjektivierung der Vorsorge tragen oder widerlegen können.

I. Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG als Gebot oder Grenze der Subjektivierung der Vorsorge Die Bedeutung und die Reichweite des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG als Ergänzung der materiellen Grundrechtsgarantien und als Kernvorschrift für den Rechtsschutz wurden bereits behandelt. Hier stellt sich nun die Frage, ob und wie sich diese Verfassungsnorm über die genannten Kontexte hinaus zu einer Subjektivierung von Vorsorgevorschriften verhält. Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG enthält die institutionelle Garantie des effektiven Individualrechtsschutzes 760. Während die organisatorische Seite des institutionellen Gehalts der Rechtsweggarantie weitgehend klar ist, wird ihr nach allgemeiner Ansicht aber auch ein materielles Effektivitätsgebot entnommen 761. Es geht also nicht um die Garantie irgendeines, eben bloß formalen Rechtsschutzes, sondern darum, betroffene Rechte wirksam zu schützen 762. 759 Zum komplexen Wechselwirkungsverhältnis zwischen Regeln und Prinzipien im Umweltrecht s. unter § 2 I 1. 760 Schulze-Fielitz, (Fn. 639), Art. 19 IV Rn. 42; P. M. Huber, (Fn. 156), Art. 19 Rn. 376 spricht von einer „objektiven Wertentscheidung“ und „optimierungsbedürftige Prinzipiennorm“; s. auch BVerfGE 31, S. 364 ff., 368. 761 Statt aller m.w. N. Schulze-Fielitz, (Fn. 639), Art. 19 IV Rn. 84 unter Herausstellung der leistungsrechtlichen Dimension der Vorschrift.

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Teil D: Vorsorge als Kategorie des Verfahrensrechts

Reflektiert man also über die subjektivrechtliche Qualität bestimmter Vorschriften, beziehungsweise über die Frage einer Einräumung solcher subjektiven Rechte, so sind solche Überlegungen stets auch immer auf die institutionellen Effektivitätsdimensionen des verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgebotes zu beziehen. Stein des verfassungsrechtlichen Anstoßes könnte hier sein, dass mit der Einräumung eines subjektiven Rechts auf Umweltvorsorge nicht eigentlich „echte“ subjektive Rechte geschützt werden, sondern nur konstruktive subjektive Rechte, im Sinne der hier verwandten Terminologie „funktionale“ subjektive Rechte. Fraglich wird damit, wie sich Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG also verhält zum Element der Subjektivität eines Rechtes. Wesentlicher Sinn der Rechtsweggarantie ist ein prozessualer Schutz individueller Autonomie vor staatlichen Eingriffen 763. Individuelle Autonomie im Rechtssinne entfaltet sich vor allem in den Vorgaben der Grundrechte, auf die Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG keineswegs allein, aber doch auch bezogen ist. Zwar wohnt der Rechtsweggarantie auch ein objektivrechtliches Kontrollelement inne, dies ist jedoch lediglich eine Nebenfolge des Individualrechtsschutzes 764. Die Verfassung nimmt mit der Entscheidung für den Individualrechtsschutz also insgesamt weniger die institutionellen und funktionellen Weiterungen, die mit einem ausgebauten Rechtsschutzsystem verbunden sind, in den Blick, sondern die menschliche Selbstverwirklichung 765. Damit rücken auch die mit der funktionalen Subjektivität verknüpften Steuerungsziele vom Kernbereich der Rechtsweggarantie ab 766. Sie sind ihrer Natur nach nicht personal orientiert, sondern verfolgen grundlegendere Zwecke einer gesellschaftlichen Kompetenz zur Konkretisierung des gemeinen Wohls. Hier wirkt sich in besonderer Weise die Abhängigkeit des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG von den Strukturen des einfachen Rechts aus: Es ist durch einfachgesetzliche Regelung festgelegt, dass Vorschriften, die der Umweltvorsorge dienen, nicht der Sache nach Rechtsgüter des Einzelnen im Sinne eines subjektiven öffentlichen Rechts schützen sollen – was nicht heißt, dass man nicht auf interpretatorischem Wege zur Annahme der subjektiven Rechtsqualität einer solchen Vorschrift kommen kann. Das Verfassungsrecht ist aber insofern an die Vorgaben des einfachen Rechts gebunden, als dass es nur solche Rechte schützt, die abseits der Grundrechte subjektiv ausgestaltet sind. 762

s. zur Vielgestaltigkeit der Einschränkungsmöglichkeiten des Rechtsschutzes BVerfGE 40, S. 272 ff., 274 f.; 60, S. 253 ff., 269; 69, S. 381 ff., 385 f. 763 P. M. Huber, (Fn. 156), Art. 19 Rn. 344. 764 W. Krebs, Subjektiver Rechtsschutz und objektive Rechtskontrolle, in: Erichsen / Werner (Hg.), System der verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, FS Menger, 1985, S. 191 ff., 192. 765 So P. M. Huber, (Fn. 156), Art. 19 Rn. 344. 766 Zur kompensatorischen Funktion privater Gemeinwohlkonkretisierung s. unter § 7 III. 2. b) (3).

§ 5 Begründungsansätze aus materiellem Recht

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Zusammenfassend ist festzuhalten, dass ein Gebot der Subjektivierung dem Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG danach nicht entnommen werden kann. Freilich könnte der Vorschrift aber eine Grenze für die Subjektivierung objektiver Belange zu entnehmen sein. Damit ist eine Frage angesprochen, die bereits im Kontext der Diskussion um Zulässigkeit und Grenzen der Verbandsklage gestellt wurde 767: Es ist also die Frage zu stellen, ob eine Funktionalisierung von Vorsorgevorschriften eine Systemausnahme oder eine Systemsprengung darstellen würde 768. Dabei ist die Festlegung eines konkreten Maßstabes schwierig, nach dem ein Umschlagen von der Ausnahme zur Regel genau zu bestimmen wäre. Entscheidend ist, wie im Einzelfall die zuzusprechenden Klagerechte ausgestaltet sind. Das AusnahmeRegel-Verhältnis lässt sich nämlich nur im jeweiligen gesetzlichen Einzelfall beurteilen, nicht abstrakt und pauschalierend im Bezug auf den Rechtsschutz allgemein. Unter diesen Voraussetzungen ist daran zu denken, das Klagerecht aus funktionalen subjektiven Rechten nach Maßgabe anerkannter Nachbarschaftsdogmatik zu begrenzen. Es geht nämlich nicht um die Ausweitung hin zu popularklageartigen Strukturen, sondern um die gezielte Zuweisung von Klagerechten aus funktionalen Gründen. Eine Systemsprengung wäre daher dann anzunehmen, wenn Klagen aus funktionalen subjektiven Rechten Klagen aus materiellen subjektiven Rechten quantitativ überlagerten oder aufgrund ihrer prozessualen Ausgestaltung einfacheren oder schnelleren Rechtsschutz versprächen. Aufgrund dessen sind also funktionale subjektive Rechte ihrerseits akzessorisch zu materiellen subjektiven Rechten auszugestalten. Einer „grenzenlosen“ Öffnung der Klagerechte, die zu einer Überlagerung oder Verdrängung materiell subjektivrechtlicher Klagen führen würde, wäre also eine verfassungsrechtliche Schranke durch Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG gezogen 769.

II. Art. 20a GG als Gebot zur Subjektivierung der Vorsorge 1. Einführung Im Rahmen der Verfassungsreform nach der deutschen Einigung wurde 1994 Art. 20a GG (nach langer Diskussion auch in der Rechtswissenschaft 770) neu in das Grundgesetz eingefügt. Als Verfassungsnorm im Range einer Staatszielbestimmung rückt er den Schutz der Umwelt in den Mittelpunkt verfassungsstaatli767 K. Balleis, Mitwirkungs- und Klagerechte anerkannter Naturschutzverbände, S. 80 f. 768 Balleis, (Fn. 767), S. 80. 769 s. dazu unter § 7 III. 5. c) (2).

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Teil D: Vorsorge als Kategorie des Verfahrensrechts

cher Aufmerksamkeit 771. Anders als Fachgesetze des Umweltverwaltungsrechts, die weitgehend die jeweilige Gefahrenquelle und deren Gefahrenmanagement im Hinblick auf ein bestimmtes Umweltmedium in den Blick nehmen, orientiert sich Art. 20a GG hin auf das gleichsam transmediale Schutzgut der Umwelt allgemein, differenziert dabei nicht nach Gefahrenquellen 772 und unterstreicht die Bedeutung der Umwelt auch für künftige Generationen. Schutzgut des Art. 20a GG ist die natürliche im Sinne der naturbelassenen Umwelt ebenso wie die menschlich manipulierte Umwelt. Nicht hinzuzuzählen hingegen sind solche Faktoren, die neben der natürlichen Umwelt das Wohlbefinden und Fortkommen des Menschen gewährleisten, namentlich politische, kulturelle, ökonomische oder soziale Bedingungen 773. Die Vorschrift geht also von einem naturwissenschaftlichen, nicht von einem kulturwissenschaftlichen Umweltbegriff aus. Wiewohl Art. 20a GG eine Vorschrift des nationalen Rechts ist, ist sein Wirkungsanspruch ein größerer, denn er verstellt sich nicht der Erkenntnis, dass Umweltschutz und Umweltbelastung gleichermaßen transnationale Phänomene sind. Sinnvolle staatliche Umweltpolitik muss diesen Rahmen beachten 774. Eine der zentralen Kontroversen um die Einführung des Art. 20a GG war von der Frage bestimmt, ob er ökozentrisch oder anthropozentrisch 775 zu fassen und zu verstehen sei 776 – ob, mit anderen Worten, also die Natur um ihrer selbst Willen oder in ihrem funktionalen Verständnis als „natürliche Lebensgrundlage des Menschen“ geschützt sei. Nach herrschender Meinung handelt es sich bei der Staatszielbestimmung des Art. 20a GG um eine Vorschrift mit anthropozentrischem Grundbezug. Die Ansicht kann sich nicht zuletzt darauf stützen, dass die Verfassungsordnung als solche anthropozentrisch ist, dass ihr ein bestimmtes 770 s. dazu z. B. die Stellungnahme H. H. Rupps aus einer parlamentarischen Sachverständigenanhörung mit kritischer Bestandsaufnahme, ders., Ergänzung des Grundgesetzes um eine Vorschrift über den Umweltschutz?, DVBl. 1985, S. 990 ff., vor allem S. 992. 771 s. umfassend H. Hofmann, „Umweltstaat“: Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen und Schutz vor den Gefahren und Risiken von Wissenschaft und Technik in staatlicher Verantwortung, in: Badura / Dreier (Hg.), Klärung und Fortbildung des Verfassungsrechts, FS BVerfG, Bd. II, 2001, S. 873 ff., insbes. auch zu Grenzen staatlicher Verantwortung für die Umwelt, S. 882 ff.; D. Murswiek, Staatsziel Umweltschutz (Art. 20a GG), NVwZ 1996, S. 222 ff. mit einer Auseinandersetzung mit der Schutzniveau-Problematik, S. 226 f.; M. Kloepfer, Umweltschutz als Verfassungsrecht: Zum neuen Art. 20a GG, DVBl. 1996, S. 73 ff.; ders., (Fn. 202), insbes. 308 ff. 772 Epiney, (Fn. 749), Art. 20a Rn. 20. 773 Epiney, (Fn. 749), Art. 20a Rn. 18; Art. 150 WRV stellte demgegenüber auf einen eher kulturell geprägten Umweltbegriff ab. 774 s. K. Odendahl, Die Umweltpflichtigkeit der Souveränität, 1998, passim. 775 Differenzierend zur Begrifflichkeit v. d. Pfordten, (Fn. 18), S. 19 f., der unterscheidet zwischen dem Sachbezug, der als anthropozentrisch gekennzeichnet wird, dem Trägerbezug auf den / die Menschen und der Intensität der Bezugnahme. 776 s. zu diesem Spannungsverhältnis jetzt auch Appel, (Fn. 13), S. 64 ff.

§ 5 Begründungsansätze aus materiellem Recht

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Bild des Menschen zugrunde liegt 777. Die Diskussion des verfassungsändernden Gesetzgebers soll hier im Einzelnen nicht nachvollzogen werden, sondern vielmehr auf Probleme aufmerksam gemacht werden, die sich im Kontext der Umweltvorsorge auch im Lichte des Art. 20a GG stellen beziehungsweise durch ihn noch begünstigt werden. Mit der Annahme eines Anthropozentrismus des Art. 20a GG ist zunächst die Erkenntnis verbunden, dass die Umwelt nicht Träger von Rechten ist 778 und die Aufwertung ihres Schutzes zu einer Staatszielbestimmung ihr keine Schutzpriorität gegenüber anderen verfassungsrechtlich geschützten Belangen einräumt 779. Eine solche Schutzpriorität ist rechtssystematisch wie auch methodisch auf Dauer wenig fruchtbar, wie sich an der aufgebrochenen Diskussion um die Relativierbarkeit selbst des zentralsten verfassungsrechtlichen Gehalts der Menschenwürde zeigt 780. Es bestehen jedoch Zweifel daran, ob wenigstens von einer faktischen Gleichrangigkeit der unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Belange gesprochen werden kann. Die Reichweite verfassungsrechtlicher Verbürgungen wird in der Praxis nämlich weitgehend bestimmt von den Strukturen des einfachen Rechts, hier des Verwaltungsrechts 781. Dieses hat als zentralen Funktionsmechanismus das subjektive öffentliche Recht etabliert, welches in concreto die jeweilige Grundrechtsfunktion im Rechtsverkehr absichert und zum Ausdruck bringt. Grundrechtsausübung im Kontext umweltrelevanten Handelns stellt sich jedoch ganz regelmäßig als Umweltnutzung dar, die meistenteils gleichzusetzen ist mit Umweltbelastung 782. Eine Grundrechtsausübung, die dem Schutze der Umwelt dient, findet in einem kompensatorisch relevanten Ausmaß nicht statt, beziehungsweise wird, wenn man an die sog. Sperrgrundstücksklagen denkt, für nicht zulässig gehalten 783. Umweltschutz findet im Staat und durch den Staat regelmäßig nicht in einem Maße statt, das mit sonstiger Grundrechtsausübung ebenbürtig wäre, weil ihm die subjektivrechtliche Aufladung fehlt, die im allgemeinen Rechtsvollzug

777 Dazu P. Häberle, Das Menschenbild im Verfassungsstaat, 1988, S. 26 zum Zusammenhang mit ökologischen Grundfragen; W. Schmitt Glaeser, Dauer und Wandel des freiheitlichen Menschenbildes, in: Geis / Lorenz (Hg.), Staat – Kirche – Verfassung, FS Maurer, 2001, S. 1213 ff. 778 s. z. B. den in der Literatur weitbekannten Fall der sog. „Robbenklage“, VG Hamburg, NVwZ 1988, S. 1058 f. 779 R. Scholz, in: Maunz / Dürig (Begr.), Grundgesetz, Kommentar, Bd. III, 40. Lfg. Juni 2002, Art. 20a Rn. 41. 780 s. dazu als Ausgangspunkt allein E.-W. Böckenförde, Die Würde des Menschen war unantastbar, FAZ vom 02. 09. 2003, Nr. 204, S. 33 f. 781 Sinngemäß BVerwGE 78, S. 214 ff., 226; 83, S. 182 ff., 195. 782 Scholz, (Fn. 779), Art. 20a Rn. 5. 783 s. dazu § 4 V. b).

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Teil D: Vorsorge als Kategorie des Verfahrensrechts

durchsetzungsprioritär ist 784 (dazu Weiteres auch im Kontext des umweltrechtlichen Vollzugsdefizits 785). Es ergibt sich also, dass die anthropozentrische Deutung des Art. 20a GG die für umweltrechtliche Belange bestehenden einfachgesetzlich-strukturellen Durchsetzungsschwächen perpetuiert und diese noch verschärft. Die Anwendung des Umweltverwaltungsrechts, das die Moderation von Umweltnutzung und Umweltschutz zur Aufgabe hat, wird durch eine Staatszielbestimmung, die allein anthropozentrisch gefasst ist, einseitig zu Gunsten der Umweltnutzung geprägt. Anthropozentrisch ist, was dem Menschen nützt – und das ist im Zweifel die Nutzung der Umwelt als Medium seiner Grundrechtsausübung. Unter diesem Blickwinkel erweist sich eine rein anthropozentrische Interpretation des Art. 20a GG als zu „kurz gesprungen“, jedenfalls wenn man defizitäre staatliche Umweltvorsorge als Tatsache anerkennt 786. Hinzuweisen ist darauf, dass durch die redaktionelle Fassung („zukünftige Generationen“) der Rechtsgedanke der Nachhaltigkeit Eingang in das Verfassungsrecht gefunden hat, was norminterne Friktionen auslöst. Nachhaltiges Ressourcenmanagement (im freiheitssichernden Interesse zukünftiger Generationen) erweist sich nämlich in der Gegenwart als Erscheinung eines eher ökozentrischen Normverständnisses 787. Sollen natürliche Ressourcen nämlich für zukünftige Nutzung erhalten werden, kann dies effektiv nur geschehen, wenn sie in der Gegenwart um ihrer selbst willen geschützt werden und nicht dem relativierungsfreundlichen Schutzverständnis einer anthropozentrischen Interpretation des Art. 20a GG anheim gegeben sind. 2. Transanthroporelationaler Ansatz Während die juristische Diskussion um die Verfassungsänderung zwischen den extremen Polen der Anthropozentrik und der Ökozentrik schwankte, haben sich in der Rechtsphilosophie differenzierende und vermittelnde Ansätze einer ökologischen Ethik entwickelt, deren Rezeption im Kontext des Art. 20a GG nicht allein aus Gründen einer Effektuierung der Vorsorge sinnvoll erscheint. Namentlich von der Pforten dekonstruiert den weitgehend im Pauschalen bleibenden Topos der Anthropozentrik und unterscheidet ihn, zunächst auf einer terminologischen Ebene, feingliedrig 788. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die Frage nach der inhaltlichen Beschaffenheit und dem Prioritätsverhältnis 784 785 786 787 788

s. dazu § 2 II. 1. e) (1). s. dazu § 7 III. 2. d) (1). Dazu § 7 III. 2. d). s. dazu § 7 III. 2. d) (2) (b). Ders., (Fn. 18), S. 21.

§ 5 Begründungsansätze aus materiellem Recht

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rechtlicher Begründungen, das heißt: Wie wird der Erlass einer Norm inhaltlich begründet, aus welchen Gründen wird sie also erlassen? In welchem hierarchischen Verhältnis stehen die möglicherweise unterschiedlichen Gründe für ihren Erlass? Ist primärer Grund z. B. die Integrität der Natur oder die Wahrung der menschlichen Lebensgrundlagen? Unter dem Begriff der „Bezugnahme einer Begründung“ unterscheidet er, quantitative wie qualitative Aspekte kombinierend, vier verschiedene Formen des „Anthropo-Topos“. Bezugnahme in diesem Zusammenhang meint die Motivation für den Erlass einer Norm. Insofern steht also der Schutzzweck der Norm im Mittelpunkt. Von anthroporelational soll danach gesprochen werden, wenn wenigstens eine Bezugnahme auf den Menschen gerichtet ist. Sind alle Bezugnahmen auf den Menschen gerichtet, spricht er von Anthropozentrik. Sind die meisten oder wesentlichen Bezugnahmen auf den Menschen gerichtet, bezeichnet er dies als unvollständig anthropozentrisch, ist keine Bezugnahme auf den Menschen gerichtet, ist von nichtanthroporelational oder nichtanthropozentrisch zu sprechen. Ausgehend von dieser Überlegung wird ein Stufenmodell der Beziehungsebenen einer Begründung für eine Rechtsvorschrift entwickelt, welche die Bezugnahme auf einer Primärebene von der Bezugnahme auf einer Sekundärebene trennt. Ist die Bezugnahme der ersten Stufe anthroporelational oder anthropozentrisch, die Bezugnahme auf der zweiten Stufe aber nichtanthroporelational, so handelt es sich danach um transanthroporelationale Bezugnahmen. Dabei soll jeweils das Gewicht der Bezugnahmen durch den Zusatz „stark“ oder „schwach“ benannt werden 789. Die theoretische Entwicklung des transanthroporelationalen Ansatzes greift auf die Ausgangsüberlegung zurück, dass ein menschliches Verhalten, welches die nichtmenschliche Natur verändert, nur dann erlaubt ist, wenn es Interessen eines anderen Menschen nicht verletzt. Diese Ausgangsüberlegung ist in ihrer Schutz- wie in ihrer Erlaubnisrichtung genuin anthropozentrisch. Gleichzeitig leidet sie unter dem bereits diskutierten Problem der Kausalitätskumulation menschlicher Handlungen 790 oder allgemein der Unbeherrschbarkeit menschlichen Handelns 791. Wollte man daher die prinzipielle oder pragmatische Nachweisbarkeit einer Interessenverletzung verlangen, liefen die Schutzüberlegungen leer. Abgesehen davon stellte sich weiter die Frage, wessen Interessen hier ver-

789 v. d. Pfordten, (Fn. 18), S. 21 f.; ein Gegenmodell (in Teilen) findet sich bei B. Norton, Environmental Ethics and Weak Anthropocentrism, in: Environmental Ethics 6 (1984), S. 131 ff., 134. 790 s. dazu vor allem § 1 I. 1. b). 791 v. d. Pfordten, (Fn. 18), S. 259 spricht von der „Unbeherrschbarkeitsthese“; dazu aus rechtlicher Perspektive Wahl / Appel, (Fn. 76), S. 58, die von der „Ambivalenz der Nichtvorhersehbarkeit“ sprechen.

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letzt sein müssten, z. B. die der gegenwärtigen oder zukünftigen Menschen 792, um die Kernidee des Nachhaltigkeitsgrundsatzes anzusprechen. Die fehlende Vorhersehbarkeit aller Handlungskonsequenzen macht die Ausgangshypothesen wenig tauglich, als allgemeine Grundsätze der Rechtsanwendung oder Auslegungsmaßstab des Art. 20a GG zu fungieren 793. Es bedarf der Integration des Unsicherheits-, beziehungsweise Risikomoments in die Hypothesen, um zu theoretisch befriedigenden wie praktikablen Ansätzen zu kommen 794. 3. Transanthroporelationalität und Vorsorge Eine Integration des Risikomoments in die Begründungsansätze des Rechts lässt sich – jedenfalls im Kontext des Art. 20a GG – dadurch bewerkstelligen, dass die Vorschrift aus der anthropozentrischen Verengung gelöst wird und unter dem Aspekt der Vorsorge nach Maßgabe transanthroporelationaler Begründungsansätze interpretiert wird. Konkret bedeutete dies, den Schutzzweck des Art. 20a GG nicht mehr allein im Menschen zu sehen und Umwelt nicht als nachgeordnetes Objekt grundrechtlicher Freiheit zu begreifen. Der Schutz der Umwelt müsste auf einer zweiten Begründungsstufe entfunktionalisiert und als Selbstzweck anerkannt werden. Ein solches Verständnis verhülfe dem Merkmal der „zukünftigen Generationen“ auf dem Umweg über die Transanthroprelationalität zu stärkerer normativer Geltung. Wertet man die Umwelt als Schutzgut der Verfassungsvorschrift auf, effektuiert dies mindestens der theoretischen Idee nach ihre Durchsetzungsfähigkeit im Alltag der Rechtsanwendung. Neben ihren Schutz zum Zwecke des Menschen träte ihr Schutz als selbständiges Rechtsgut. Erst diese Aufwertung verspricht die Erhaltung der Umwelt in einer Weise, die auch zukünftigen Generationen zu Gute käme. Deren Belange können sich nämlich mangels subjektivrechtlicher Fassbarkeit in der Gegenwart gegenüber umweltbelastender Freiheitsausübung nicht durchsetzen. Da sie auch rein tatsächlich kaum je weder zu quantifizieren noch zu qualifizieren sein werden, bedarf es gleichsam eines rechtlichen Vertreters im Prozess der Rechtsanwendung, nämlich der Umwelt selbst. Herunter gebrochen auf die Anwendungsfälle der Praxis streitet ein transanthroporelational konstruierter Art. 20a GG für eine Subjektivierung umweltrecht792 793

s. dazu § 2 II. 3. c) (3). Wahl / Appel, (Fn. 76), S. 58 mit einer Einordnung in grundrechtliche Zusammen-

hänge. 794 Engel, (Fn. 248), S. 326 ff. nähert sich der Problematik des Entscheidens unter Bedingungen fehlender Gewissheit unter dem Aspekt verschiedener Begriffspaare: „Entscheiden vs. Erkennen“, „Entscheidungspraxis vs. gesollte Entscheidung“, „Grenzen individueller Entscheidungen vs. Grenzen der Entscheidung des Rechts“, „Individuelles Entscheiden vs. Entscheidung des Rechts“.

§ 5 Begründungsansätze aus materiellem Recht

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licher Vorsorgevorschriften. In ihnen kommt nämlich das Bedürfnis zum Schutz der Umwelt außerhalb subjektivrechtlicher Grenzen maßgeblich zum Ausdruck. Wertet man sie auf zu einem klagbaren Recht und unterwirft man sie gerichtlicher Kontrolle, ist damit einmal der Umwelt selbst, aber vor allem auch zukünftigen Generationen ein Dienst erwiesen. Insofern liegt in einer Subjektivierung der Vorsorge gerade auch kein Widerspruch zu einem transanthroporelationalen Verständnis des Art. 20a GG, da Subjektivierung in diesem Kontext ein Modus der Rechtsdurchsetzung ist, der sich allein der äußeren Form der individuellen Klagbarkeit bedient. Die immissionsschutzrechtlichen Betreiberpflichten des § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und Nr. 2 BImSchG mögen hier als Paradigma einer einfachgesetzlichen Widerspiegelung des zweistufigen Transanthroporelationalität-Konzeptes angesehen werden. Während § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BImSchG mit dem Schutzgrundsatz den einfachen (erststufigen) Anthropozentrismus des Art. 20a GG zum Ausdruck bringt, spiegeln sich in § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BImSchG, dem Vorsorgegrundsatz, rechtliche Wertentscheidungen, die individual- wie umweltbezogen gleichermaßen sind. Da ihnen im Prozess der Rechtsanwendung aber kein minderer Durchsetzungsrang zukommen sollte, drängt sich ihre prozessrechtliche Gleichordnung mit dem § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BImSchG auf.

III. Die Subjektivierung der Vorsorge als Gebot des Demokratieprinzips 1. Einführung Dass Rechtsschutzfragen und Demokratie Berührungspunkte haben können, mutet auf den ersten Blick erstaunlich an 795. Während nämlich Rechtsschutz in seiner heutigen Fassung weitgehend individualzentriert ist, haftet dem Demokratiebegriff etwas Kollektivistisches an 796. Eine Kombination beider Ansätze erscheint daher auf den ersten Blick wenig fruchtbar 797. Überhaupt lassen sich Rechtsschutz als organisatorisches Spezifikum der Staatlichkeit und Demokratie als Legitimationsprinzip eines Gemeinwesens zwanglos voneinander unterschei-

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B. W. Wegener, Rechtsschutz für gesetzlich geschützte Gemeinwohlbelange als Forderung des Demokratieprinzips, Humboldt-Forum Recht 2000, Beitrag 3, abrufbar unter http://www.humboldt-forum-recht.de/druckansicht/druckansicht.php?artikelid =35, dort S. 1; s. dazu auch Rott, (Fn. 440), S. 325 ff. 796 A. Lincoln spricht von „government of the people, by the people, for the people“, in: The Gettysburg Address, in: Basler (Hg.), The Collected Works of Abraham Lincoln, Bd. VII, 2. Aufl. 1988. 797 Das Spannungsverhältnis erörtert z. B. E. Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HStR, Bd. II, 3. Aufl. 2004, § 26 Rn. 91 ff., 96.

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den – beides ist ohne das jeweils andere zu denken, jedenfalls aber Rechtsschutz ohne Einbindung in eine demokratische Gesamtstruktur 798. Geht man beiden Konzepten jedoch im Detail nach, zeigen sich durchaus Anknüpfungselemente. In der verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Diskussion gehen die Begriffe in Gestalt des „demokratischen Rechtsstaats“ nicht selten Hand in Hand – der Begriff des Verfassungsstaats umfasst gleichermaßen Demokratie wie Rechtsstaatlichkeit 799, wobei wesentlicher Ausdruck der Letztgenannten die Möglichkeit eines effektiven Rechtsschutzes ist 800. Zurückhaltend wird aber in der juristischen Literatur der Zusammenhang zwischen beiden Konzepten betont 801, zumal die Gegensätze offensichtlicher scheinen 802. Dies gilt vor allem in Kontexten, in denen Demokratie ganz überwiegend strukturgebend und strukturfordernd begriffen wird. Dies betrifft beispielsweise legitimationsstiftende Ableitungstheoreme wie das „Kettenmodell“, das „Zurechnungszusammenhänge“ 803 schafft. Entformalisiert man in diesem Sinne den Demokratiebegriff und verallgemeinert ihn hin zu einem allgemeinen, zu einem sozialen 804 Wirkungsprinzip, erscheint damit die teilhaberechtliche Dimension von Demokratie in einem helleren Licht. Es geht also um „Formen autonomer Legitimation“ 805. Als Re798

s. jetzt aus der sozialwissenschaftlichen und systemvergleichenden Perspektive K. v. Beyme, Demokratie und Rechtsstaat in den theoretischen Konflikten zwischen den USA und Europa, in: Brink / Wolff (Hg.), Gemeinwohl und Verantwortung, FS von Arnim, 2004, S. 517 ff. 799 Nicht im Einzelnen nachgegangen werden soll hier der Frage, inwiefern der hier verwandte Rechtsstaatsbegriff ein summativer oder integraler ist und wie sich die vorgeschlagenen Funktionalisierungen des Rechtsschutzes in diesem Lichte zum Rechtsstaatsprinzip verhalten, s. zur Unterscheidung zwischen summativem und integralem Rechtsstaatsbegriff P. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 63 ff.; zustimmend mit Differenzierung zwischen terminologischer Bezeichnung und dogmatischer Verortung Schmidt-Aßmann, (Fn. 797), Rn. 7; methodisch folgt die Arbeit einem eher summativem Verständnis von Rechtsstaatlichkeit, lassen sich die vorgeschlagenen Modifikationen im Rechtsschutzverständnis doch recht unkompliziert mit Art. 19 Abs. 4 GG verbinden. 800 Dazu und zu weiteren Elementen des heutigen Rechtsstaatsverständnisses umfassend K. Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, 1997, S. 201 ff., deren konzeptioneller Ansatz dem Summationsgedanken Kunigs folgt (Fn. 799). 801 Z. B. bei H. Dreier, in: ders. (Hg.), Grundgesetz, Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Art. 20 (Demokratie) Rn. 27 f. 802 So nennt Wegener, (Fn. 795), S. 3, beispielsweise den grundrechtlichen (rechtsstaatlichen) Schutz gegen demokratisch legitimierte Staatsgewalt sowie die teils als mangelhaft betrachtete demokratische Legitimation der dritten Gewalt. 803 Schmidt-Aßmann, (Fn. 11), S. 89. 804 Dazu W. Behlert, Subjektives Recht versus demokratische Verantwortung, in: Gröschner / Morlok (Hg.), Recht und Humanismus, 1997, S. 9 ff., 13. 805 Schmidt-Aßmann, (Fn. 11), S. 94 ff.; klassische und institutionalisierte Formen autonomer Legitimation zeigen sich im Bereich der funktionalen Selbstverwaltung.

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gierungsform der Menschen, für die Menschen und durch die Menschen begriffen, verdeutlicht der Demokratiebegriff seine Relevanz auch außerhalb repräsentationstheoretischer Legitimationsfragen 806. Schmidt-Aßmann spricht von einer „Gemeinwohlordnung durch Selbstbestimmung“ 807. Ansätze zu einem weniger formalen Verständnis demokratischer Wirkungsweisen finden sich auch in der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 808. Zwar wird auch dort an tradierten Strukturen des demokratischen Prinzips festgehalten 809, jedoch ihre Ausschließlichkeit für bestimmte Fragen der Verwaltungsorganisation relativiert. Außerhalb unmittelbarer Staatsverwaltung eröffne das Demokratiegebot die Möglichkeit zu anderen, vom Erfordernis lückenloser personeller demokratischer Legitimation abweichenden Formen der Organisation und Ausübung von staatlicher Gewalt 810. Insbesondere erlaube „das Grundgesetz auch besondere Formen der Beteiligung von Betroffenen bei der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben“. Auch sei die exklusive Erledigung gemeinwohlrelevanter Aufgaben durch den Staat keineswegs ein zwingendes demokratisches Gebot 811. Wenn mit der Entscheidung auch vorrangig Legitimationsfragen im Zusammenhang funktionaler Selbstverwaltung zu beantworten waren und insofern eine nahtlose Übernahme ihrer Leitgedanken in den Rechtsschutzkontext nicht möglich ist, so gibt sie doch Aufschluss über die Reichweite demokratischer Wirkungsmechanismen. Auch mit dieser Entscheidung lässt sich einer Auflösung legitimationsstiftender Nähe- oder Betroffenheitsbeziehungen nicht das Wort reden, aber ein für bürgerschaftliche Partizipation an staatlicher Gewalt durchlässiges Demokratieverständnis wird man daraus sicher ablesen dürfen. Wird damit die teilhaberechtliche Dimension der Demokratie genauer beleuchtet, schließen sich unmittelbar Fragen nach den Mitwirkungs- und Gestal806

Hier mag der Ort sein, auf ein vor allem europarechtlich geprägtes Verständnis von Demokratie als „composite democracy“ hinzuweisen, das ein Nebeneinander unterschiedlicher Legitimationsquellen kennt, s. dazu A. Héritier, Elements of democratic legitimation in Europe: an alternative perspective, in: Journal of European Public Policy 6 (2), S. 269 ff.; dies., Composite democratic legitimation in Europe: The role of transparency and access to information, Preprints der Max-Planck-Projektgruppe: Recht der Gemeinschaftsgüter, abrufbar unter http://www.mpp-rdg.mpg.de/abst2001_6.html. Wenn dieses Modell zwar vor allem auf eine institutionelle Diversifikation von Legitimation abzielt, so sei der in ihm zum Ausdruck kommende Gedanke, Legitimation könne sich vielfältig vermitteln, hier ausdrücklich in Bezug genommen. 807 Schmidt-Aßmann, (Fn. 11), S. 87. 808 BVerfGE 107, S. 59 ff. – Lippeverbands- und Emschergenossenschaftsgesetz NRW; dazu J. Becker, Das Demokratieprinzip und die Mitwirkung Privater an der Erfüllung öffentlicher Aufgaben, DÖV 2004, S. 910 ff., 914 ff., der das Ergebnis des Urteils trotz kritischer Einwände teilt. 809 BVerfGE 107, S. 59 ff., 87 zur Rückführbarkeit der Staatsgewalt auf das gesamte Volk als Legitimationssubjekt in Form „ununterbrochener Legitimationsketten“. 810 BVerfGE 107, S. 59 ff., 91. 811 BVerfGE 107, S. 59 ff., 93.

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tungsrechten des Individuums an 812. Es geht folglich um das Verhältnis von „Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung“ 813. Demokratie in einem solchen Sinne verstanden weist eine Dimension egalitärer Gestaltungsbefugnisse auf 814, die einerseits Ausdruck individueller Freiheit ist, in ihrem egalitären Anspruch aber gerade auch in Konkurrenz zu ebensolcher Freiheit treten kann 815. Gleichzeitig aber realisiert sich mit der Demokratie staatliche Herrschaft in der einzigen Form, die der Selbstbestimmung des Einzelnen als Ausdruck persönlicher Freiheit am angemessensten Rechnung tragen kann. Selbstbestimmung aktualisiert sich im institutionalisierten Kontext der Verfassungsstaatlichkeit besonders durch unterschiedliche Formen der Mitbestimmung 816. In Wahrnehmung dieser Mitbestimmungsbefugnisse realisieren sich Funktionen der Demokratie, die über legitimationsstiftende Ableitungszusammenhänge 817 weit hinausweisen und autonome Legitimationsformen begründen 818. Deren konkrete Ausgestaltung freilich stößt regelmäßig an die Grenze des subjektiven öffentlichen Rechts, welches das einfachgesetzliche öffentliche Recht profilgebend durchzieht. Auf prozessrechtliche Kategorien gewendet begegnet diese Grenze im allenthalben zu vernehmenden Vorwurf, der Einzelne dürfe mit einer Klage oder einem Widerspruch nicht mehr als die Verletzung dessen rügen, was ihm die Rechtsordnung an Rechten zugesteht. Die teilhaberechtliche Reichweite des demokratischen Prinzips wird also abseits verfassungsstaatlicher Rhetorik aus rechtsschutzstrukturellen, nicht rechtsstaatlichen, Gründen empfindlich beschnitten 819. Die Idee bürgerschaftlicher Partizipation 812 Wegener, (Fn. 795), S. 3; s. zu Strukturen und Modellen der Partizipation, D. Roth, Partizipative Demokratie, in: Brink / Wolff (Hg.), Gemeinwohl und Verantwortung, FS von Arnim, 2004, S. 761 ff., insbes. 771 ff.; s. weiter K. Redeker, Zur Ausgleichsfunktion von Teilhaberechten zwischen Freiheit und Bindung, in: Bachof / Heigl (Hg.), Verwaltungsrecht zwischen Freiheit, Teilhabe und Bindung, FS BVerwG, 1978, S. 511 ff. 813 s. die gleichnamige Monographie Fisahns, (Fn. 655). 814 s. zum Spannungsverhältnis von Demokratie und Grundrechten W. Höfling, Demokratische Grundrechte – Zu Bedeutungsgehalt und Erklärungswert einer dogmatischen Kategorie, Der Staat 33 (1994), S. 493 ff. unter Betonung des ergänzenden Charakters der politischen Teilhabefunktion der Grundrechte, S. 503. 815 s. zum Verhältnis von Freiheit und Gleichheit Gosepath, (Fn. 354), S. 288 ff., 292 f. 816 Bezogen auf die Existenz der demokratischen Staatlichkeit als solcher stellt Laband, (Fn. 4), S. 158 fest, eine Demokratie sie keine Demokratie mehr, wenn sich in ihr keine aktiven Staatsbürger mehr sammelten; zur institutionellen Vielgestaltigkeit von Legitimationsvermittlung in Europa s. Héritier, (Fn. 806), Composite democratic legitimation, S. 2. 817 Dazu z. B. BVerfGE 83, S. 60 ff., 72 f.; 93, S. 37 ff., 66 f.; BVerfG, NVwZ 2003, S. 974 ff. 818 Schmidt-Aßmann, (Fn. 11), S. 94 f.; zum Zusammenhang zwischen grundgesetzlichem Menschenbild und Demokratie s. Häberle, (Fn. 777), S. 44 f. 819 Wegener, (Fn. 795), S. 5, spricht von der „Frustration durch das Rechtsschutzsystem“.

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bricht sich hier an einem Rechts- und Gesetzesverständnis, das die Zuweisung bestimmter normativer Gewährleistungen als ebenso „zufällig“ wie „absolut“ begreift. Das Gesetz wird im prozessrechtlichen Kontext also allein als Gestaltungsmittel der subjektiven Rechtssphäre anerkannt. Dementsprechend ist nur seine Verletzung in dieser Hinsicht rügbar. Darin kommt ein besonderes rechtshistorisches Erbe zum Ausdruck. Nicht allein, dass die Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht ihren rechtswissenschaftlichen Ausgangspunkt im 19. Jahrhundert hat – sie ist selbst Ausdruck einer Entwicklung, an deren Beginn die demokratische Forderung des Bürgertums nach Teilhabe an politischer Macht stand – wie sie vor allem im Zusammenhang der Revolution von 1848 artikuliert wurde. Als aliud zu demokratischer Teilhabe wurde den Bürgern vom monarchischen Staat die Gewährung individueller Freiheit („Freiheit und Eigentum“) als eine Sphäre persönlicher Entfaltung abgetreten, welche die fehlenden Mitgestaltungsbefugnisse im Staat kompensieren sollte. Hier wurzelt das noch immer starke liberale Verständnis von Freiheit als „Freiheit vom Staat“, die es um jeden Preis zu verteidigen gilt – auch in prozessrechtlichen Kontexten. Dieses Verständnis verkennt aber ein theoretisches gesetzgebungstechnisches Ideal, welches für die Geltung der Grundrechte bereits umfassend expliziert wurde, nämlich das einer „objektiven Werteordnung“. Diese Sichtweise begreift die einzelne Norm als individuellen Ausdruck eines übergeordneten Werte- oder auch Organisationskonzepts ebenso wie als Vehikel zur Einräumung subjektiver Rechtsmacht. Dieser Gedanke der konzeptionellen Ordnung einer Rechtsmaterie lässt sich aber über den Anwendungsbereich der Verfassung hinaus fruchtbar machen und auf die Strukturen des einfachen Rechts übertragen. Unterlegt man diese Erkenntnis mit einer teilhaberechtlichen Deutung des demokratischen Prinzips, so wird es plausibel, warum dem Einzelnen im Prozess unter dem Gesichtspunkt bürgerschaftlicher Partizipation auch die Befugnis eingeräumt werden kann, sich zum Amtswalter des gemeinen Wohls zu machen. Denn wenn die „streitentscheidende Norm“ neben subjektiven Rechten (ins prozessuale Werk gesetzt durch § 42 Abs. 2 VwGO sowie durch Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG) auch eine grundsätzliche Wert- oder Ordnungsentscheidung des parlamentarischen Gesetzgebers zum Ausdruck bringt, warum soll diese dann nicht ebenso durch prozessuale Mechanismen (nämlich die Klagbarkeit einer Rechtsverletzung) überprüft werden können. Damit zwangsläufig verbunden ist eine Rückkehr zu einem Verständnis des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes als echte Mischform zwischen objektiver und subjektiver Rechtskontrolle, wie sie im 19. Jahrhundert weit verbreitet war. Analog der funktionalen Selbstverwaltung kommt in einem solchermaßen verstandenen Mitwirkungsrecht des Einzelnen die Repräsentation weniger eines individuellen als eines „breiter gefassten institutionellen Interesses“ 820 zum Ausdruck, welches normativ durch das positive Recht greifbar wird. 820

Schmidt-Aßmann, (Fn. 11), S. 96.

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Eine solche Objektivierung wie auch „Demokratisierung“ des Rechtsschutzes erscheint vor dem Hintergrund umso plausibler, dass die Rüge der Verletzung objektiven Rechts durch einen Kläger im Verwaltungsprozess keineswegs ausgeschlossen ist, denkt man beispielsweise an den klagebefugten Eigentümer, dessen Grundstück unter Verstoß gegen objektives Recht enteignet werden soll 821 beziehungsweise an allgemeine verfahrensrechtliche Rügen 822. 2. Teilhabe und Rechtsschutz zwischen Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip Teilhaberechte und Rechtsschutz finden ihren Ursprung in den jeweiligen korrespondierenden Vorgaben der Verfassung, namentlich dem Demokratie- und dem Rechtsstaatsprinzip. Gleichzeitig finden beide Erscheinungen wechselseitig in diesen Prinzipien auch ihre Grenzen. Nähert man sich einem hier angeregten Verständnis von Gemeinwohlbelangen als ebenso demokratisch wie rechtsschutzund rechtsstaatsrelevant, so stellt sich weiterhin die Frage nach den damit verbundenen Wirkungszusammenhängen. Teilhaberechte des Bürgers wurzeln in einem Begriff von Demokratie, der Legitimationsvermittlung gleichermaßen formalisiert wie intermediär zulässt. Die Einbeziehung der Bürger in die verschiedenen Arten hoheitlicher Entscheidungen in Parlament, Verwaltung und den Gerichten ergänzt die Rückkopplung des Staates an die Gesellschaft 823. Beide Rückbindungsformen stehen nicht in einem Exklusivitäts- oder Substitutionsverhältnis, sondern in einem Komplementärverhältnis. Jedoch wird man in legitimationsbegründender Hinsicht auch eine kompensatorische Wirkung bürgerschaftlicher Partizipation vermuten dürfen 824. Eine solche Kompensationsfunktion kann ziviler Partizipation auch vor dem Hintergrund zunehmender Informalisierung staatlicher Herrschaftsausübung zuwachsen. Das Phänomen des Informalen 825 ist gleichermaßen eine Erscheinung des Verfassungs- 826 wie des Verwaltungsrechts 827. Mit ihm verbunden sind vor allem zwei zentrale Probleme, nämlich mögliche Rationalitätseinbußen in staatli821

Näheres zu diesem Beispiel bei Wegener, (Fn. 795). s. dazu ausführlich unter § 4 II. 3. 823 Fisahn, (Fn. 655), S. 335; s. hierzu auch D. Merten, Bürgerverantwortung im demokratischen Verfassungsstaat, VVDStRL 55 (1996), S. 8 ff., 11. 824 G. Lübbe-Wolff, Europäisches und nationales Verfassungsrecht, VVDStRL 60 (2001), S. 246 ff., 278 f. erwägt Klage- und Partizipationsmöglichkeiten des Bürgers als „Entschärfungsoptionen“ der Legitimationsdefizite europäischer Institutionen. 825 M. Morlok, Informalisierung und Entparlamentarisierung politischer Entscheidungen als Gefährdungen der Verfassung?, VVDStRL 62 (2004), S. 37 ff., 52, definiert Informalität als den von einer Mehrzahl von Personen praktizierten, regelorientierten, pragmatisch-situativen, interessengeleiteten und professionellen Umgang mit den einschlägigen Normen des Rechts. 822

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chem Handeln sowie ein Ausfall, jedenfalls aber eine Minderung seiner Legitimation 828. Während Fragen hinreichender oder notwendiger Rationalität staatlicher Handlungen nicht primär juristischer Natur sind, ist (verfassungs-) rechtlich von Belang vor allem der Vorwurf, Informalität mindere die Legitimation staatlichen Handelns. Darin kommt zum Ausdruck der Gedanke eines procedural due process of law 829, einer „Legitimation durch Verfahren“ 830 wie er vor allem im angloamerikanischen Rechtskreis entfaltet wurde 831. Danach wirkt die Einhaltung verfahrensrechtlicher Vorgaben eben nicht allein rationalitätsstiftend, sondern gerade deshalb auch legitimierend 832. Fehlt es an einem solchen due process, so ist die daraus resultierende staatliche Handlung (z. B. eine Anlagengenehmigung) unter Legitimationsgesichtspunkten angreifbar. Das Bundesverfassungsgericht formuliert diesen Gedanken so: „Freiheit erfordert zumal Verlässlichkeit der Rechtsordnung. Denn Freiheit meint vor allem die Möglichkeit, das Leben nach eigenen Entwürfen zu gestalten“ 833. Im Kontext umweltrechtlichen Gesetzesvollzugs beispielsweise kommt es gleichsam „im Schatten des Rechts“ 834 in vielfältiger Weise zu informalen Kooperationen zwischen Staat und Privaten (Anlagenbetreibern etc.), deren Ziel in aller Regel nicht die möglichst effektive Implementierung der umweltrechtlichen Vorgaben, sondern eine ökonomische Nutzenmaximierung des Privaten ist 835. Wenn staatliche Herrschaftsausübung ihre Rechtfertigung aus dem verfahrensmäßigen Vollzug des positiven Rechts bezieht, so verdeutlicht das gegebene Beispiel, dass Kompensationsmechanismen für solchermaßen strukturierte Legitimationsdefizite geboten sind. Die Einschaltung des Einzelnen in die Kontrolle 826 Dazu z. B. Morlok, (Fn. 825), m.w. N. in Fn. 1; Herdegen ebd., S. 7 ff.; M. Ruffert, Entformalisierung und Entparlamentarisierung politischer Entscheidungen als Gefährdungen der Verfassung?, DVBl. 2002, S. 1145 ff.; H. Schulze-Fielitz, Der informale Verfassungsstaat, 1984, passim. 827 Aus der umfassenden Literatur z. B. M. Schulte, Schlichtes Verwaltungshandeln, 1995; E. Bohne, Der informale Rechtsstaat, 1981. 828 Morlok, (Fn. 825), S. 40 für informales Handeln im Bereich der Verfassung. 829 H. H. v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, 1977, S. 183 ff. beleuchtet die spezifische Funktion eines „Due-Process-Pluralismus“ bei der Bestimmung des Gemeinwohls. 830 Luhmann, (Fn. 651). 831 s. das Fifth Amendment zur amerikanischen Verfassung: „No person shall be (..) deprived of life, liberty and property without due process of law“; zur Rolle des „due process“ (in strafverfolgungsrechtlichen Fragen), s. z. B. die Leitentscheidung des amerikanischen Supreme Court Miranda v. Arizona, 384 US 436 (1966). 832 Als Dimension des Rechtsstaatsprinzips im Detail erläutert bei Schmidt-Aßmann, (Fn. 797), Rn. 88. 833 BVerfGE 60, S. 253 ff., 268. 834 Morlok, (Fn. 825), S. 55. 835 Zu diesem Komplex s. § 7 III. 2. d) (1).

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solcher staatlichen Entscheidungen beziehungsweise die Einräumung eines Initiativrechtes zur Auslösung staatlicher Kontrolle 836 kann kompensierend wirken. In einer solchen Einschaltung des Bürgers realisiert sich die zivile Mitverantwortung 837 in konkret-individuellem Kontext 838 – Partizipation (oder Verantwortung) im Verfassungsstaat ist sinnvoll nämlich kein Abstraktum, sondern nur wirksam und relevant, wenn sie persönlich und bereichsspezifisch ausgestaltet ist 839. Namentlich ist damit einem Verantwortungs- und Partizipationsverständnis eine Absage erteilt, das eine unspezifizierte Generalverantwortung des Einzelnen für das Gemeinwohl als solches etablieren will 840. Wenn bürgerschaftliche Partizipation auch nur konkret-individuell zu denken ist, so ist mit dieser Voraussetzung gleichzeitig die Grenze ihrer theoretischen Wirkungsmächtigkeit beschrieben. Einzuräumen ist in diesem Zusammenhang nämlich, dass die Kompensation staatlicher Legitimationsdefizite durch die Rückanbindung an Partizipation des Einzelnen nur eine unvollkommene ist. Die Legitimation staatlichen Handelns erklärt sich aus seiner theoretischen Rückführbarkeit auf das gesamte Staatsvolk als Legitimationsträger. Bürgerschaftliche Partizipation aber ist Partizipation des Individuums, welches selbst gegenüber dem Staatsvolk als Ganzem in weitaus geringerem Maße legitimiert ist. Gleichwohl ist ihm eine Teillegitimation nicht abzusprechen 841, die jedenfalls als ausreichend anzusehen ist, ihrerseits staatliche Kontrolle staatlicher Entscheidung zu initiieren. Das gleichsam synallagmatische 842, kooperative Verhältnis von Staat und Bürger 843 wird in diesem Zusammenhang besonders deutlich 844. Schließlich vermag der bürgerschaftlichen Partizipation auch in einer weiteren Hinsicht legitimationskompensatorische Funktion zuzukommen. Bereits in anderem Kontext wurde das Problem der Zukunftsgerichtetheit gesetzgeberischen 836

Für die vergleichbare Situation bei Verbänden s. § 4 V. a). Zum Verantwortungsbegriff in diesem Zusammenhang Merten, (Fn. 823), S. 9 f. 838 Dazu O. Depenheuer, Bürgerverantwortung im demokratischen Verfassungsstaat, VVDStRL 55 (1996), S. 90, 98 mit Hinweis auf F. A. v. Hayek, Die Verfassung der Freiheit, 3. Aufl. 1991. 839 v. Hayek, (Fn. 838), S. 102. 840 Merten, (Fn. 823), S. 9: „In der Tat bleibt abstrakte Verantwortung vielfach im Ungreifbaren und damit im Unverbindlichen“. 841 Merten, (Fn. 823), S. 11 spricht vom Bürger im Verhältnis zum gesamten Staatsvolk als „Teilsouverän“. 842 Merten, (Fn. 823), S. 12 spricht von der „synallagmatischen Staat-Bürger-Beziehung“. 843 Zum Kooperationsverhältnis bei der Gemeinwohlpflege s. § 7 III. 4. 844 Zum Spannungsverhältnis zwischen Volkssouveränität und gesellschaftlichem Pluralismus, als dessen Ausdruck man die Einbindung Einzelner zur Kompensation staatlicher Legitimationsdefizite auch werten könnte, s. grundlegend I. Maus, Zur Aufklärung der Demokratietheorie, 1992, S. 203 ff. 837

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Handelns und der damit verbundenen Legitimationsfrage angesprochen. Der parlamentarische Gesetzgeber ist vor allem im Umweltrecht, aber nicht allein dort 845, vor die Aufgabe gestellt, Sachverhalte zu regeln und zu steuern, die in besonderer Weise Zukunftsbezug beziehungsweise Zukunftsrelevanz haben. Auf der anderen Seite ist aber das Parlament nur in kurzen Intervallen, nämlich den Legislaturen, legitimiert. Über die Legislatur weit hinausreichende Entscheidungen leiden also tendenziell unter einer legitimatorischen Diskontinuität. Diese ist der Sache nach nicht völlig aufzulösen, weil auch der partizipierende Bürger selbst nur für die Dauer seiner eigenen Lebenszeit mitgestaltungsbefugt ist. Jedoch vermag die bereits genannte doppelte Rückanbindung des staatlichen Handelns an legitimationsstiftende Größen eine Entschärfung der Problematik zu bewirken. Betrachtet man Rechtsschutz beziehungsweise Rechtsschutzmöglichkeiten unter dem Aspekt demokratischer Teilhabe, so sperrt sich das Judiz gegen eine zu starke Vereinnahmung des einen durch das andere. Die schon angesprochene Antinomie zwischen individualzentriertem Rechtsschutz und kollektiv-legitimatorisch orientierter Demokratie erscheint als kaum überbrückbar. Dies hat seinen Grund vornehmlich in der spezifischen Funktion des Rechtsschutzes in unserer Rechtsordnung. Seine effektive Gewährleistung komplettiert die materiellen Grundrechtsgarantien der Verfassung hin zu einer tatsächlich bindenden Werteordnung, die über bloße Programmsätze hinaus den Freiheitsbereich des Individuums entfaltet 846. In dieser Funktion aber sichert und bildet die Rechtsschutzgarantie einen Teilbereich individueller, persönlicher Freiheit und vollendet erst (nach heutigem Verständnis) die materielle Rechtsstaatsgarantie der Verfassung. Jedweder Ansatz, dem Rechtsschutz eine andere – weitere – Funktion zuzuschreiben, hat dessen originäre Aufgabe als materielle Grenze neuer Funktionszuordnungen zu gewärtigen 847. Eine Überlastung von Rechtsschutzinstitutionen mit nicht-individualschützenden Funktionen kann daher im Lichte der Verfassung keinen dauerhaften Bestand haben. Eine Anreicherung der Rechtsschutzfunktionen jedoch ist dadurch noch keineswegs ausgeschlossen. Eine solche, hier vorgeschlagene Anreicherung setzt zweierlei voraus. Zunächst gilt es, die Wirkungen der Verfassungsprinzipien (Demokratie und Rechtsstaat) und ihrer konkreten Ausformungen (Teilhabe und Rechtsschutz) füreinander zu entschlüsseln. Typischerweise fungieren Verfassungsprinzipien als Entscheidungsregeln in meist einfachgesetzlichen Kontroversen, sie wirken „nach unten“ in die Ausgestaltung und die Anwendung des einfachen Rechts hinein. Gleichzeitig aber wirken sie nach Maßgabe der Idee der „Einheit der Verfas845 Parallelkonstellationen ergeben sich für das gesamte Recht der staatlichen Sozialversicherungsleistungen. 846 s. zu Umfang und Grenzen des Individualrechtsschutzes § 4 II. 3. 847 s. dazu auch unten § 7 III. 2. d) (3) (b).

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sung“ wechselseitig aufeinander ein 848. Rechtsschutz lässt sich also im Lichte des demokratischen Prinzips teil-partizipatorisch konstruieren, ebenso wie die Demokratie ihre Eigengesetzlichkeiten (Mehrheitsprinzip) nicht ohne Beachtung rechtsstaatlicher Einrichtungen (z. B. subjektiver Rechte) durchsetzen kann. Zweitens: Subjektiver Rechtsschutz ist dort, wo die unmittelbare Wirkung von Grundrechten verlassen wird, faktisch akzessorisch zum einfachen Recht 849. Weite Teile des Verwaltungsrechts also konkretisieren, erweitern und begrenzen den Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG. Zwar fingiert die Dogmatik in Form der Schutznormtheorie Zurechnungsmodi, die den subjektivrechtlichen Gehalt einer Vorschrift destillieren sollen, tatsächlich aber ist sein Vorliegen ebenso eine Frage (rechtswissenschaftlicher) Übereinkunft wie der Mechanismus seiner Ermittlung (Schutznormtheorie) durch die Gerichte. Damit ist der Schutznormtheorie (gleichsam als Chiffre für die derzeitige Lehre vom subjektiven Rechtsschutz) und der mit ihr verbundenen Vorstellung von subjektiven Rechten nicht per se eine Abfuhr erteilt. Es scheint jedoch angebracht, darauf hinzuweisen, dass sie lediglich Mittel, nicht aber Zweck ist. Die Zuschreibung subjektiver Gehalte zu einer Rechtsvorschrift geschieht nicht durch sie, sondern sie setzt diese voraus. Damit steht sie aber einer teilhaberechtlichen Deutung von Rechtsschutzmöglichkeiten nicht im Wege. Es ist damit also vom Standpunkt einer rechtsstaatlichen Rechtsschutzgarantie aus denkbar, Vorschriften über einen subjektiven (individuellen) Schutzgehalt hinaus eine subjektiv-partizipatorische Schutzdimension zuzuweisen 850. 3. Rechtsschutz zwischen Staat und Gesellschaft Weist man Rechtsschutzeinrichtungen Funktionen zu, die über den Schutz subjektiver Rechte hinausgehen, verobjektiviert man ihre Funktion. Während Rechtsschutz nach gegenwärtigem Modell die formellrechtliche Verlängerung materieller Rechtspositionen des Bürgers ist, ist ein in obigem Sinne objektivierter Rechtsschutz ein besonders gemeinwohlrelevanter. Wiewohl also eine Verobjektivierung des Rechtsschutzes durch Zuweisung gemeinwohlspezifischer Schutzfunktionen festzustellen ist, bleibt Rechtsschutz im Kern wesensnotwendig subjektiv, nicht zuletzt aufgrund von Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG. 848 Ein Beleg für diese These findet sich beispielsweise bei K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, 1962, S. 26 ff., der die Wirkungszusammenhänge zwischen dem Bundesstaatsprinzip und der Gewaltenteilung (als Ausdruck der Rechtsstaatsprinzips), S. 27 f., und dem Demokratieprinzip, S. 29 ff., 30, aufschlüsselt; s. zu diesem Wirkungsprinzip auch R. Herzog, Bundes- und Landesstaatsgewalt im demokratischen Bundesstaat, DÖV 1962, S. 81 ff. 849 Zum Verhältnis von Art. 19 Abs. 4 GG und einer (einfachgesetzlichen) Rechtsverletzung s. Sobota, (Fn. 800), S. 207 f. 850 Zu den Grenzen einer solchen zusätzlichen Funktionalisierung Sobota, (Fn. 800), S. 208.

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Auf einer theoretischen Ebene zu erklären ist eine solche Funktionszuweisung daher nur mit einem bestimmten Verständnis der Grundrechtsausübung durch Private. Grundrechte dienen danach nicht allein der Abwehr hoheitlicher Intervention, sondern weisen in ihrer Ausübung ein Element des Öffentlichkeitsrelevanten 851 auf, das es erlaubt, ihre Geltendmachung im Prozess nicht allein aus Gründen des Schutzes individueller Rechtsgüter, sondern auch aus Gründen des Gemeinwohlschutzes zu begreifen. Freilich ist damit auch verbunden, von einer strengen Scheidung von Staat und Gesellschaft im Sinne einer Rechtssphärentrennung Abschied zu nehmen. Der Rechtsschutz wird so zu einem Mittler zwischen der Sphäre des Staates, die auf die Wahrung des Rechts insgesamt ausgerichtet ist und der Gesellschaft, die sich rechtlich nach außen vor allem durch die Agglomeration und Wahrnehmung subjektiver öffentlicher Rechte konstituiert 852. 4. Umweltschutz im Spannungsfeld zwischen Individualinteresse und Gemeinwohl Dem Vorschlag, Rechtsschutzinstitute mit nicht-individuellen Belangen aufzuladen, ließe sich mit einem bereits von Forsthoff formulierten zentralen Problem des Staates der Industriegesellschaft begegnen. Dieser geht davon aus, dass grundrechtlich geschütztes Eigeninteresse und das Allgemeininteresse an Umweltschutz nicht in Übereinstimmung zu bringen, da grundsätzlich gegeneinander gerichtet seien 853. Legt man diese Auffassung zugrunde, so hieße dies, mit obigem Vorschlag den grundrechtlich geschützten und verfassungsrechtlich geforderten effektiven Rechtsschutz mit Belangen zu befrachten, die er bereits in struktureller Hinsicht nicht tragen kann. Dass die von Forsthoff behaupteten Divergenzen bestehen können, ist nicht sinnvoll zu leugnen, jedoch ist vor voreiligen Schlüssen zu warnen. Grundsätzlich ist der These in der abgeschwächten Form zuzustimmen, dass Individualinteresse und Gemeinwohl nicht zwingend kongruent, häufig sogar inkongruent sind. Jedoch ist diese Inkongruenz keine notwendige, sondern eine im Einzelfall bestehende. Vielmehr kann auch unter den Vorzeichen des industriellen Staates eine Kongruenz von Privat- und Allgemeininteresse im Einzelfall bestehen 854. Hinzu kommt, dass Forsthoffs These auf dem Dualismus von Staat und Gesellschaft und in der Folge dessen auf einer Interpretation der Grundrechte allein 851

Dazu ausführlich § 7 III. 1. b). Die gesellschaftliche Binnenorganisation vollzieht sich freilich nicht primär nach den Vorschriften über subjektiv-öffentliche Rechte, sondern im Kontext des Privatrechts insgesamt und natürlich weit über bloße rechtliche Verbindungen hinaus. 853 E. Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft, 1971, S. 25 ff. 854 D. Rauschning, Staatsaufgabe Umweltschutz, VVDStRL 38 (1980), S. 168 ff., 171 zum Interesse des industriellen Akteurs an der Erhaltung der Umwelt als Ressource. 852

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als Abwehrrechte des Individuums 855 gründet. Es ist bereits andernorts darauf hingewiesen worden, dass eine zeitgenössische Auffassung den Grundrechten einen spezifischen Öffentlichkeitsbezug sowie eine gemeinwohlkonkretisierende Funktion zuweist. Löst man sich von einem Grundrechtsverständnis, dass allein in Strukturen von „Eingriff – Schranke“ denkt, so wird plausibel, dass unter der Voraussetzung einer Interessenkongruenz beim Individuum eine Grundrechtsausübung (i.e. das Nachsuchen um Rechtsschutz durch staatliche Gerichte) gleichermaßen echte individuelle Belange wie solche des allgemeinen Wohls schützen kann.

IV. Vorsorge als Ausdruck grundrechtlicher Schutzpflichten Es gehört zum gesicherten Bestand verfassungsrechtlicher Dogmatik, den Grundrechten neben den klassischen Funktionen der Abwehr und Teilhabe (und gegebenenfalls auch Leistung) eine von der Individualbezogenheit des Grundrechtsträgers im engeren Sinne abgelöste Funktion zuzuweisen, nämlich Ursprung der staatlichen Schutzpflicht zu sein 856. Darin kommt zum Ausdruck, dass neben der individualrechtlichen Dimension den Grundrechten eine objektive Wertentscheidung zum Schutz der in ihnen verkörperten Rechtsgüter zukommt 857. Fassbar wird diese Funktion in der Weise, dass es dem Staat nicht nur untersagt ist, im Einzelfall in Grundrechte verfassungswidrig einzugreifen, sondern er darüber hinaus dazu verpflichtet ist, allgemeine Vorkehrungen zum Schutz der Grundrechtsgüter vor Eingriffen Dritter zu treffen 858. Der Staat ist al855

Ausführlich dazu unter § 7 III. 1. b). Früh schon bei G. Dürig, Kommentierung der Artikel 1 und 2, in: Maunz / ders. (Begr.), Grundgesetz, Kommentar, (Sonderdruck), 2003, Art. 1 Rn. 2; umfassend Dietlein, (Fn. 189), passim; J. Isensee, Das Grundrecht als Abwehrrecht und als staatliche Schutzpflicht, in: ders. / Kirchhof (Hg.), HStR, Bd. V, 2. Aufl. 2000, § 111; s. aus der umfänglichen Literatur z. B. auch A. Bleckmann, Staatsrecht II – Die Grundrechte, 4. Aufl. 1997, S. 336 ff.; E. Klein, Grundrechtliche Schutzpflichten des Staates, NJW 1989, S. 1633 ff.; P. Häberle, Grundrechtsgeltung und Grundrechtsinterpretation im Verfassungsstaat, JZ 1989, S. 913 ff., 914 konstatiert eine „fortschreitende Intensivierung und Extensivierung“ der Grundrechtsgeltung und deutet dies als Ausdruck einer „Grundrechtskultur“, S. 915. 857 Wesentlich für dieses Verständnis sind vor allem die Entscheidungen des BVerfG zum Schwangerschaftsabbruch in BVerfGE 39, S. 1 ff., 71 ff. sowie BVerfGE 88, S. 203 ff., 252 ff.; s. weiter BVerfGE 46, S. 160 ff., 164 ff. – Schleyer; BVerfGE 49, S. 89 ff., 140 – Kalkar; BVerfGE 53, S. 30 ff., 57 – Mülheim-Kärlich; s. auch H. Dreier, Subjektiv-rechtliche und objektiv-rechtliche Grundrechtsgehalte, JURA 1994, S. 505 ff., insbes. S. 512 f. zu den Schutzpflichten. 858 Die vermittelte Situation zwischen Privaten und Staat in Bezug auf die Grundrechte beleuchtet J. Pietzcker, Drittwirkung – Schutzpflicht – Eingriff, in: Maurer (Hg.), Das akzeptierte Grundgesetz, FS Dürig, 1990, S. 345 ff., 356 ff. zu den Schutzpflichten; s. auch Jarass, (Fn. 576), insbes. 39 f. und 50 ff. zu den Schutzpflichten. 856

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so verpflichtet, die Rechtsordnung in Bezug auf das Verhältnis gleichgeordneter Rechtssubjekte untereinander auf eine grundrechtsschützende Weise auszugestalten und zu handhaben 859. Diese Aufgabe schlägt sich dabei gegebenenfalls bis in die Dogmatik der Sondermaterien des besonderen Verwaltungsrechts nieder 860. Die Relevanz staatlicher Schutzpflichten erhöht sich angesichts der vor allem im Umweltrecht zu verzeichnenden verantwortungsdiffusen Kausal- und Schädigungsprozesse in erheblichem Maße, staatliches Unterlassen stellt staatliche Legitimität daher in diesem Bereich tendenziell schärfer in Frage als auf anderen Feldern des Rechts 861. 1. Schutzpflichten als objektives Gebot oder subjektives Recht Im Zusammenhang mit staatlichen Schutzpflichten stellt sich mit Alexy zunächst die Frage nach der Beschaffenheit einer solchen Pflicht: Begegnet sie als subjektives Recht oder objektives Handlungsgebot? 862 Dies ist für den vorliegenden Kontext vor allem deswegen von Belang, weil eine subjektivrechtliche Konstruktion umweltrechtlicher Vorsorge über den „Umweg“ einer objektivrechtlich zu verstehenden staatlichen Schutzpflicht kaum überzeugend erscheinen kann. Während sich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu dieser Frage nicht eindeutig verhält, spricht für eine Subjektivierung der staatlichen Schutzpflicht die prinzipientheoretische Deutung der Grundrechte, wiewohl dies zunächst widersprüchlich erscheint. Prinzipien zeichnen sich nämlich durch die in ihnen enthaltene Aufforderung aus, ein bestimmtes Rechtsgut beziehungsweise Rechtsgüter möglichst optimal zu schützen (Optimierungsgebote) 863. Da sich die Einräumung subjektiver Rechte als wehrfähige Freiheitsposition gegenüber der bloß objektivrechtlichen Schutzverpflichtung des Staates als die bessere, da optimalere Umsetzung des jeweiligen grundrechtlichen Prinzips erweist, spricht 859

Alexy, (Fn. 5), S. 411. s. z. B. W. Frenz, in: Kotulla (Hg.), BImSchG, Kommentar, Bd. I, 3. Lfg. Juli 2004, § 1 Rn. 7 ff. für das BImSchG; C. Enders, Neubegründung des öffentlich-rechtlichen Nachbarschutzes aus der grundrechtlichen Schutzpflicht?, AöR 115 (1990), S. 611 ff., 628 ff.; s. dazu auch R. Steinberg, Grundfragen des öffentlichen Nachbarrechts, NJW 1984, S. 457 ff., 458 f.; R. Breuer, Baurechtlicher Nachbarschutz, DVBl. 1983, S. 431 ff., 436 zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen. 861 s. zu diesem Komplex W. Lübbe, Die schwindende Legitimität staatlichen Unterlassens, in: Bundesministerium des Innern (Hg.), Bewährung und Herausforderung, 1999, S. 211 ff., insbes. 216 ff. 862 Alexy, (Fn. 5), S. 412 ff.; s. dazu auch ausführlich Dietlein, (Fn. 189), S. 144 ff., der sich für eine (begrenzte allgemeine) Subjektivierung der Schutzpflichten ausspricht, insbesondere in Fällen staatlicher Ingerenz. 863 Dazu Morlok, (Fn. 153), S. 121 f. 860

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daher mehr dafür, die staatliche Schutzverpflichtung auch subjektivrechtlich zu verstehen 864. Diese Form grundrechtlicher Abwehransprüche stellt dabei eine Fortentwicklung der klassischen Abwehrrechtsperspektive auf die Grundrechte dar und bringt in geradezu prototypischer Weise die Funktionsweise von Rechtsprinzipien zum Ausdruck: Grundrechte als Rechtsprinzipien optimieren staatliches Handeln, vor allem die Gesetzgebung 865. 2. Vorsorge und Schutzpflicht a) Einleitung Konzipiert ist die Figur der grundrechtlichen Schutzpflichten für Situationen, in denen einem grundrechtlichen Schutzgut ein Eingriff durch Private droht 866. Den Ableitungsfundus der Schutzpflichten bilden die Grundrechte 867, in den Anfängen der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zunächst das Menschenwürdegebot, später genügte dem Gericht der allgemeine Rekurs auf die Grundrechte 868. Geschlossen werden soll durch die Etablierung der grundrechtlichen Schutzpflicht die „offene Flanke des Grundrechtsschutzes“ 869, die entsteht, billigt man dem Privaten Rechtsstörer die grundrechtlichen Privilegien zu, ohne gleichzeitig dem Gestörten einen ebenfalls grundrechtlichen Abwehranspruch zuzubilligen. Wenn auch für verfassungsrechtliche Grenzsituationen wie den Schwangerschaftsabbruch, Terrorismusbedrohungen und Gefahren der Kernenergie geschaffen, so wird die Notwendigkeit der Schutzpflicht vor allem auch vor dem Hintergrund des staatlichen Gewaltmonopols plausibel. Wo dem Individuum die Verteidigung seiner grundrechtlich geschützten Rechtspositionen von Verfassungs wegen aus der Hand genommen ist, trifft den Staat eine Auffangverantwortung, um ungehemmte Übergriffe Privater in die Rechtssphäre des Individuums 864 s. zum Problem der Durchsetzbarkeit schutzpflichtsbegründeter Rechte Klein, (Fn. 856), S. 1638. 865 Zu den Adressaten der Schutzpflichten s. Dietlein, (Fn. 189), S. 70 ff., der zwischen einer gewaltenspezifischen und grundrechtsspezifischen Dimension differenziert und sich dementsprechend für eine einzelfallorientierte Konkretisierung der Schutzpflichten ausspricht. 866 J. Schwabe will solche Eingriffe dem Staat als eigene zurechnen und Schutzpflichten daher dogmatisch nicht als eigenständige Kategorie neben der abwehrrechtlichen Funktion der Grundrechte anerkennen, ders., Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 213 ff. 867 So z. B. auch Dietlein, (Fn. 189), S. 74 ff.; F. Dirnberger, Recht auf Naturgenuß und Eingriffsregelung, 1991, S. 154 ff. 868 Dazu im Überblick Isensee, (Fn. 856), § 111 Rn. 80 ff. 869 Isensee, (Fn. 856), § 111 Rn. 85.

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zu verhindern. Dies gilt allemal dann, wenn es sich um wehrloses menschliches Leben handelt wie im Falle des Schwangerschaftsabbruchs. Als problematisch erweist sich bei der Anwendung beziehungsweise Fortentwicklung der Schutzpflichten, dass sie ihren Ursprung in einem grundrechtlichen Bereich finden, dessen Eingriffsanfälligkeit evident ist: Eine Beeinträchtigung des Lebens oder der Gesundheit hat „physische Evidenz“ 870. Wie es sich hingegen mit schutzpflichtigen Beeinträchtigungen anderer Freiheitsrechte verhält, ist demgegenüber unklar, nicht zuletzt deshalb, weil vor allem im Kontext normgeprägter Grundrechte enge Zusammenhänge zwischen Verfassungsrecht und einfachem Recht bestehen 871, die für die Konstituierung einer Schutzpflicht maßgeblich sein können. Entsprechend intrikat verhält sich die Frage nach einer möglichen Indizwirkung beziehungsweise Begründungskraft des Schutzpflichtgedankens für ein subjektives Verständnis umweltrechtlicher Vorsorge. Im Vordergrund der Überlegungen stehen dabei zwei Fragen, nämlich zunächst, ob die Verletzung einer Vorsorgevorschrift als schutzpflichtauslösender Tatbestand gewertet werden kann und sodann, ob die Subjektivierung der verletzten Vorsorgevorschrift ein angezeigtes und geeignetes Mittel ist, um die staatliche Schutzpflicht in verfassungsgemäßer Weise zu erfüllen 872. b) Tatbestand der Schutzpflicht Vorsorge ist als Belang des Gemeinwohls ein Rechtsgut, das auch bei einer subjektivrechtlichen Konzeption keiner Person ohne weiteres als eigenes zuzuordnen ist. In prozessualen Kategorien handelt es sich dabei also um einen Fall formeller beziehungsweise funktionaler Subjektivierung. Von daher stellt sich bereits in diesem Zusammenhang die Frage, ob die Verletzung einer Vorsorgevorschrift den Tatbestand einer Schutzpflicht auslösen kann, der abzielt auf den Schutz einer durch Dritte betroffenen Grundrechtsposition. Dabei ist im Lichte der einfachgesetzlichen Vorsorge-Dogmatik 873 zum Zwecke einer analytischen Aufschlüsselung auf der Ebene des geschützten Rechtsguts zu differenzieren zwischen möglichen in Betracht kommenden Grundrechtsträgern. (1) Gegenwärtig Betroffene (Nachbarn) Nach herrschender Auffassung dienen die Vorschriften über die Vorsorge im Umweltbereich nicht dem Schutz individueller Rechtsgüter. Eine Ausnahme 870

Isensee, (Fn. 856), § 111 Rn. 86. Isensee, (Fn. 856), § 111 Rn. 87. 872 Zum „Bauplan und Anwendungsschema der Schutzpflicht“ s. Isensee, (Fn. 856), § 111 Rn. 88 ff. 873 s. dazu umfassend unter § 2 II. 2. 871

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wird gemacht für die Vorsorgestandards im Atomrecht aufgrund der besonderen und besonders großen Gefahren für Leib und Leben, die mit der Kerntechnologie verbunden sind. Gemäß der bundesverfassungsgerichtlichen Forderung eines kerntechnologischen Risikomanagements bis an die Grenze praktischer Vernunft wird durch die Einbeziehung der Vorsorgestandards in den Drittschutz eine stärkere Kontrollintensität erreicht. Für den Bereich der atomrechtlichen Vorsorgevorschriften wird man also von einer schutzpflichtsauslösenden Tatbestandsverletzung sprechen können, würde gegen sie verstoßen. Demgegenüber entzöge sich eine Verletzung der Vorsorgepflicht außerhalb der atomrechtlichen Standards einer Aktualisierung durch die verfassungsrechtliche Schutzpflichtendoktrin. Jedoch ist an dieser Stelle darauf zurückzukommen, dass die Unterscheidung zwischen immissionsschutz- und atomrechtlichen Risiken zunächst eine reine Bewertungsfrage ist. Ihr liegt die Überzeugung einer qualitativen tatsächlichen und damit auch rechtlichen Scheidbarkeit atomarer und sonstiger immissionsbezogener Risiken zugrunde. Dass die atomare Technologie besondere Risiken beinhaltet, sich also tatsächlich von den Risiken, die durch sonstige Anlagen hervorgerufen werden, unterscheidet, soll hier nicht bestritten werden. Ob damit jedoch auch die Konsequenz einer rechtlich geforderten Scheidung angezeigt ist, ist keineswegs zwingend vorgegeben, sondern Ergebnis einer Bemühung um dogmatische Konsequenz im einfachen Umweltrecht. Offenbar sollte hier die Unterscheidung zwischen subjektivrechtlicher Schutzpflicht und objektivrechtlicher Vorsorgepflicht nur ausnahmsweise durchbrochen werden. Freilich ist die Entscheidung über die rechtliche Differenzierung solcher Risiken eine im Kern politische, also politisch-parlamentarische. Auf Grundlage der herrschenden Meinung muss man jedoch zu dem Ergebnis kommen, dass eine Verletzung der Vorsorgepflicht außerhalb des Atomrechts keinen schutzpflichtauslösenden Tatbestand begründet, weil eine Anknüpfung an grundrechtliche Freiheitsgarantien nicht möglich ist. Will man, wie im Folgenden darzulegen sein wird, von einer zivilen Kompetenz zur Gemeinwohlpflege auch aus grundrechtlichen Gründen ausgehen, so vermag auch das die Bewertung nicht zu ändern. Denn dort geht es dann um verfassungsrechtliche Teilhabepositionen, die als solche nicht in den Kategorien der Schutzpflicht zu erfassen sind. (2) Zukünftig Betroffene Es mag zunächst befremdlich anmuten, eine staatliche Schutzpflicht für nicht gegenwärtig von der Verletzung der Vorsorgepflicht betroffene Bürger zu erwägen, wenn man eine solche auf Grundlage der herrschenden Meinung bereits für gegenwärtig Lebende verneint hat. Ein genauerer Blick zeigt jedoch die Berechtigung eines solchen Gedankengangs. Dabei ist zweierlei zu unterscheiden, nämlich die allgemeine Überlegung, ob es eine zukunftsbezogene Schutzpflicht

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gegenüber zukünftig Betroffenen gibt und ob es eine solche zukunftsbezogene Vorsorge-Schutzpflicht geben kann. Bei der Frage nach der denkbaren Begünstigung zukünftig Betroffener ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die bundesverfassungsgerichtliche Etablierung der Schutzpflichten ihren Ursprung in einer Konstellation nahm, die den Schutz von Embryonen zum Gegenstand hatte. Das Gericht hat in seinen Entscheidungen über die Verfassungsmäßigkeit des § 218 StGB zwar ausdrücklich offen gelassen, ob der nasciturus selbst Träger eines durch Schutzpflichten vermittelten Rechts oder nur vom objektivrechtlichen Schutz der Verfassung erfasst sei 874, hat aber jedenfalls an der Begünstigtenstellung des Ungeborenen keinen Zweifel gelassen 875. In Fortschreibung des pränatalen Grundrechtsschutzes drängt sich angesichts der mit hochindustrieller Tätigkeit verbundenen Langzeitrisiken die Überlegung auf, über staatliche Schutzpflichten vermittelten Grundrechtsschutz auch auf erst zukünftig Betroffene im Sinne der künftigen Generationen zu erweitern. Zu Recht weist Dietlein in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es auf die „ausstehende personale Existenz“ der Grundrechtsträger nicht ankommen könne, da die staatlichen Schutzpflichten einen objektivrechtlichen Gehalt aufwiesen, der ihre Erfüllung unabhängig von einer subjektivrechtlichen Inanspruchnahme durch einen Grundrechtsträger erforderlich mache 876. Gleichsam auf der entgegengesetzten Seite hat das Gericht in seiner Mephisto-Entscheidung den Grundrechtsschutz der persönlichen Ehre auch auf die Zeit post mortem bezogen 877. Festzuhalten ist hier also zunächst, dass grundrechtlicher Schutz keineswegs zwingend mit selbständiger biologischer Existenz verbunden, sondern zum Teil unabhängig davon ist. Im Hinblick auf das Verhältnis von Vorsorge und Schutzpflicht ist festzustellen: Vorsorge entfaltet sich ihrem Wesen nach in der Zukunft, sie bedeutet in rechtlichen Parametern eine „Steuerung ins Ungewisse“. Ob sie in dieser Zukunftsbezüglichkeit aber gleichzeitig auch eine identifizierbare Grundrechtsbezüglichkeit aufweist, die sie als schutzpflichterheblich erscheinen ließe, ist fraglich. Um diese Frage zu beantworten, bedarf es eines Rückblicks auf die andernorts gemachten Ausführungen zum Bedeutungsgehalt des umweltrechtlichen Vorsorgegedankens. (a) Gefahrenabwehrrechtliche Deutung des Vorsorgeprinzips Begreift man Vorsorge mit der herrschenden Meinung als abgeleitet aus gefahrenabwehrrechtlichen Kontexten, so kommt ihr gegenüber der immissions874 875 876 877

Dazu im Detail Dietlein, (Fn. 189), S. 124 ff., insbes. 125. BVerfGE 39, S. 1 ff., 36 ff. Dietlein, (Fn. 189), S. 126; so auch Murswiek, (Fn. 230), S. 209. BVerfGE 30, S. 173 ff., 193 ff.

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schutzrechtlichen Schutzpflicht eine Ergänzungsfunktion in dem Sinne zu, dass sie Risiken unterhalb der Gefahrenschwelle minimieren und möglichst abwenden soll. Die enge gefahrenabwehrrechtliche Sichtweise auf die Vorsorge ist vom Standpunkt der Schutzpflicht aus nur schwer zu erschließen: Sie verhält sich gegenüber dem Grundrechtsschutz der gegenwärtig Lebenden ablehnend, denn sie setzt unterhalb der Gefahrenschwelle an. Gegenüber den Grundrechten zukünftig von Umweltbelastung Betroffener verhält sie sich indifferent. Dies erklärt sich aus ihrer Bezogenheit auf den Gefahrenbegriff, der notwendig gerade nicht zukunftsbezogen ist und sein kann, da ihm eine Risikoanalyse zugrunde liegt, die mit quantifizierbaren und qualifizierbaren Größen operiert. Er will also gerade keine Steuerung ins Ungewisse bewirken, sondern eine Vermeidung der gewissen Störung eines Rechtsguts. Ein solches Verständnis von Vorsorge sperrt sich also gegen eine Erfassung durch die Kategorie der Schutzpflicht. (b) Bewirtschaftungsrechtliche Deutung des Vorsorgeprinzips Gegenüber der relativ engen Interpretation der Vorsorge weiter ist die Auffassung, welche die Verpflichtung zur Vorsorge bewirtschaftungsrechtlich deuten will 878. Wesentlich ist danach, dass die durch Vorsorge besorgte Risikosteuerung unterhalb der Gefahrenquelle einen bestimmten Zweck verfolgt, nämlich den der Offenhaltung von Belastungsreserven für zukünftige immissionserhebliche Tätigkeiten sowie zur Schaffung von Freiräumen als Lebensraum für Menschen 879. Vermieden werden sollen unabsehbare Folgen, die beispielsweise durch Belastungssummation und Belastungskombinationen entstehen und gefahrbegründend wirken können. Unabhängig davon, ob man dieser sog. Freiraumthese eine sowohl ökonomische wie auch anthropologische Stoßrichtung abgewinnen will, wird doch deutlich, dass im einen wie im anderen Falle die Motivation in erkennbarer Weise grundrechtlich fundiert ist. Sowohl bei der ökonomischen Urbarmachung natürlicher Ressourcen, wie auch bei der Erhaltung intakter natürlicher Lebensgrundlagen stehen mit Art. 12 GG und gegebenenfalls Art. 14 GG sowie mit dem Art. 2 Abs. 2 GG benennbare Grundrechtsgarantien im Hintergrund, denen ein schutzpflichtaktivierendes Potential zu eigen ist. In diesem Kontext erweist sich also ein Verstoß gegen die Vorsorgepflicht als denkbarer Anwendungsfall der Schutzpflichtdoktrin. Darin ist in Übereinstimmung mit der durch das Bundesverwaltungsgericht geprägten Auffassung einer Multifunktionalität des Vorsorgeprinzips auch kein zwingender Gegensatz zu dem oben gefundenen Ergebnis statuiert, dass eine streng gefahrenabwehrrechtliche Deutung der Vorsorge durch die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten nicht erschlossen werden kann. Entscheidend ist dabei nämlich, dass die ver878 879

s. zur Diskussion ausführlich § 2 II. 2. c). Sparwasser / Engel / Voßkuhle, (Fn. 32), Kap. 10 Fn. 155.

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schiedenen Funktionen der Vorsorge eben auch unterschiedliche dogmatische Konsequenzen haben können. (c) Nachhaltigkeitsorientierte Deutung des Vorsorgeprinzips Schließlich lässt sich Vorsorge als Mittel zur Verwirklichung eines nachhaltigkeitsorientierten Umweltrechtsregimes verstehen. Sie erweist sich dabei gegenüber der Nachhaltigkeitsidee als konkretisiertes Werkzeug, welches im Lichte einer intergenerationellen Gerechtigkeit auszulegen ist. Vergegenwärtigt man sich diesen Zusammenhang, so gewinnt die bewirtschaftungsrechtliche Deutung des Vorsorgeprinzips erheblich an Bedeutung. Der Grundsatz der Nachhaltigkeit krankt an seiner nicht hinreichenden dogmatischen Ausfaltung und daher an einem Implementationsdefizit – er wird regelmäßig erst da praktikabel, wo er in Gestalt etablierter Vorsorgemechanismen in rechtliche Entscheidungsabläufe integriert werden kann. Die Vorsorgemechanismen werden aber durch die Nachhaltigkeitsidee maßgeblich präformiert: Nachhaltigkeit hat gegenüber der klassischen Vorsorgekonzeption als Risikosteuerung unterhalb der Gefahrenschwelle eine deutlich verschiedene Stoßrichtung. Es geht ihr um die Bewirtschaftung von Umweltressourcen in zeitlicher und qualitativer Hinsicht, um als Ausdruck distributiver Gerechtigkeitsvorstellungen die gleiche Verteilung von Freiheitsvoraussetzungen über die Zeit hinweg zu gewährleisten. Die Parallelen zur bewirtschaftungsrechtlichen Deutung des Vorsorgeprinzips werden hier offenbar, wenngleich die Nachhaltigkeitsidee noch deutlicher abzielt auf den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen und weniger auf die Bereitstellung von Belastungsressourcen. Das bewirtschaftungsrechtliche beziehungsweise ressourcenökonomische Verständnis der Vorsorge wird also durch den Nachhaltigkeitsgrundsatz in dem Sinne gestärkt, dass eine Intakterhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen durch Maßnahmen des vorsorgenden Umweltrechts stärker als bislang in den Mittelpunkt rückt. Damit werden auch die damit verbundenen Grundrechtsgarantien, vor allem Art. 2 Abs. 2 GG, rechtlich aufgewertet und für die Schutzpflichtdogmatik erschließbar. c) Schutzgut Die Erschließung der Vorsorgevorschriften durch die Schutzpflicht stößt allerdings auf das Problem des ungewissen Schutzguts. Zwar zielt Vorsorge in der bewirtschaftungsrechtlichen Deutung ebenso wie die Nachhaltigkeit auf den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen ab, jedoch in einer abstrakt-generellen Weise. Die Rechtsordnung gewährt also den Schutz nicht individualisierbarer grundrechtlicher Rechtsgüter gegenüber einer ebenfalls geschützten Grundrechtsbetätigung, des Betriebs einer Anlage, was in die Strukturen der

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herkömmlichen Rechtsschutzdogmatik kaum zu passen scheint. Dem ist jedoch das Folgende entgegenzuhalten: Zunächst entspricht es gerade dem Wesen der Schutzpflicht, nicht individualbezogen Rechtsschutz zu gewähren, sondern als Ausfluss einer objektiven Wertentscheidung für ein bestimmtes Grundrechtsgut. Zudem wird man den grundrechtlichen Schutz des Anlagenbetreibers nicht ausdehnen können auf den rechtswidrigen Betrieb einer Anlage. Es ist gleichgültig, ob der Betrieb der Anlage über Art. 12 Abs. 3 GG oder Art. 2 Abs. 1 GG als abgesichert anzusehen ist, er steht jeweils unter dem Vorbehalt einer gesetzlichen Einschränkung. Solche gesetzlichen Einschränkungen sind in den Vorschriften über die Wahrung von Vorsorgebelangen zu sehen. Da diese ihrerseits selbst verfassungsmäßig sind, kann sich die Grundrechtsposition eines Anlagenbetreibers also nicht gegen die durch Schutzpflichten aktualisierten Grundrechtspositionen Dritter durchsetzen. d) Der Eingriff Der Eingriff in die grundrechtlichen Schutzgüter erfolgt bei vorsorgerelevanten Maßnahmen in zwei Konstellationen: Entweder durch die rechtswidrige staatliche Genehmigung, was nicht schutzpflichtrelevant ist, sondern den allgemeinen rechtsstaatlichen Anforderungen an die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns unterliegt. Alternativ erfolgt der Eingriff durch den vorsorgewidrigen Betrieb einer genehmigten Anlage, also durch den Privaten, und ist in dieser Form schutzpflichtauslösend. Es werden allerdings Zweifel angemeldet, ob eine einfachgesetzlich vermittelte Rechtswidrigkeit eines Eingriffs selbst schon schutzpflichtaktivierend wirken kann. Maßstab für die Rechtswidrigkeit des Eingriffes sei aufgrund des insgesamt verfassungsrechtlichen Regelungsgefüges der Schutzpflicht letztlich nur die Verfassung selbst 880. Eine zentrale Rolle im verfassungsrechtlichen Schrankengefüge spielt dabei das Gewaltmonopol des Staates gegenüber seinen Bürgern. Physische Gewalt ist im Verhältnis Privater untereinander stets illegitim und illegal. Nicht zufällig sind die zentralen Verfassungsgerichtsentscheidungen zur Schutzpflichtdogmatik in diesem Bereich angesiedelt und hat die Schutzpflicht gerade in den Fällen ihre größte Relevanz erfahren, in denen es um die Gefährdung von Leib und Leben ging. In Konstellationen, die durch das Vorsorgeprinzip einfachrechtlich strukturiert sind, ist jedoch eine physischem Zwang entsprechende Situation nicht mit Gewissheit gegeben. Vielmehr geht es darum, Beiträge zu einer dem physischem Zwang vergleichbaren Situation in der Zukunft zu unterbinden. Die Einbeziehung der Vorsorgesituation in den Anwendungsbereich der Schutzpflicht bedeutete also eine erhebliche Ausweitung des Schutzpflichtgedankens. Dem mag man 880

Isensee, (Fn. 856), § 111 Rn. 100.

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entgegenhalten, dass die nähere Bestimmung dessen, was als verfassungsrechtlich illegitime Gewalt unter Privaten anzusehen ist, erst durch die verfassungsgemäße Ordnung des einfachen Rechts konkretisiert wird, um dann unterschiedslos durch das Institut der Schutzpflicht effektuiert zu werden. Zudem korrespondiert die Idee einer grundrechtlichen Schutzpflicht gerade mit den nach menschlichem Ermessen nicht letztgültig absehbaren Risiken moderner Hochtechnologien. Ihr Anwendungsbereich soll also gerade nicht begrenzt sein durch die Strukturen des Gefahrenabwehrrechts. Die Schutzpflicht umfasst die Gefahr also ebenso wie das bloße Risiko 881. Die Konsequenz aus dieser Überlegung ist, will man die Institute der Vorsorge und der Schutzpflichten in diesem Bereich nicht leerlaufen lassen, vom Erfordernis einer strengen Eingriffslage abzusehen und die durch die Vorsorgevorschriften beschriebenen Beiträge eines Anlagenbetreibers zu einer zukünftigen Risikolage genügen zu lassen. Nicht schutzpflichtauslösend sind freilich Kontributionen zur Risikolage jenseits der Schwelle praktischer Vernunft. e) Die Rechtsfolge der Schutzpflicht Grundsätzlich ist die Rechtsfolge einer staatlichen Schutzpflicht die Pflicht zur Abwendung des drohenden Grundrechtseingriffs beziehungsweise die Abwendung einer Gefahr des Grundrechtseingriffs 882. Zu beachten ist hierbei freilich, dass es sich bei der Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten nicht um eine befolgungsfähige Regel im Sinne einer entweder / oder-Alternativität handelt, sondern um ein verfassungsrechtlichtes Optimierungsgebot, das dem Staat sowohl die Wahl der Mittel als auch eine Güterabwägung im Einzelfall durchaus überlässt. Die Staatsgewalten sind je nach ihrer Natur aufgerufen, geeignete und hinreichende Mittel zum Schutze der Grundrechte einzusetzen. Namentlich ist die Konkretisierung des Schutzpflichtauftrags eine Aufgabe des einfachen Rechts. Die Rechtsprechung hat in der Anwendung und Auslegung des einfachen Rechts die Ausstrahlungswirkung und die systemprägende Natur der Grundrechte zu beachten. Freilich unterliegt die staatliche Pflicht zu Schutzmaßnahmen gegen Grundrechtsbeeinträchtigungen auch Einschränkungen, insbesondere durch das Subsidiaritätsprinzip und einen Möglichkeitsvorbehalt. Damit ist einmal der Bürger in die Verantwortung genommen, zumutbare Vorkehrungen gegen Grundrechtsbeeinträchtigungen selbst zu treffen. Andererseits ist der Staat dahingehend entlastet, dass nicht buchstäblich jede Anstrengung unternommen werden muss, um eine denkbare Grundrechtsbeeinträchtigung zu verhindern. Nun stellt 881 882

So auch, wenngleich zurückhaltend, Kloepfer, (Fn. 35), § 3 Rn. 48. Isensee, (Fn. 856), § 111 Rn. 90.

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sich mit der schutzpflichtorientierten Interpretation der Vorsorge allerdings eine Konstellation zur Diskussion, die im Hinblick auf das Subsidiaritätsprinzip einen Sonderfall darstellt. Vorsorge verstanden als nachhaltigkeitsorientierte Bewirtschaftung von Umweltressourcen zielt gerade nicht auf den Schutz schon individualisierbarer Rechtsgüter ab, kann also in diesem Sinne auch nicht besser vom betroffenen Bürger wahrgenommen werden. Rechtsträger, deren Rechte geschützt werden sollen, existieren bei einem intergenerationell überformten Verständnis der Vorsorge eben (noch) nicht. Es stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, wie sich eine Subjektivierung der Vorsorge zu ihrer Konstruktion als Anwendungsfall grundrechtlicher Schutzpflichten verhält. Eine Implementation der Subjektivierung der Vorsorge wäre Aufgabe der Legislative oder der Rechtsprechung: Sowohl durch den klarstellenden Akt des Gesetzgebers, dass sich aus den umweltrechtlichen Vorsorgevorschriften subjektive öffentliche Rechte ergeben wie auch durch eine Akzeptanz dieser Vorschriften als die Klagebefugnis begründend durch die Rechtsprechung ließe sich der hier diskutierte Vorschlag in die Rechtswirklichkeit übersetzen. Auf den ersten Blick will es zwar nicht einleuchten, die staatliche Aufgabe des Grundrechtsschutzes dadurch zu bewerkstelligen, dass sie gleichsam delegiert wird an den klagenden Bürger. Dieses Modell stößt sich an vielen etablierten Streben der Rechtsordnung, zuvörderst am Konzept des exklusiv verstandenen Individualrechtsschutzes. Dass es sich dabei aber letztlich mehr um eine aprioristische Behauptung der Lehre und der Rechtssprechung handelt, deren dogmatische Bestandskraft bei intensiverer Betrachtung als recht fragil einzuschätzen ist, soll hier nur noch einmal wiederholt werden 883. Freilich, die im Einwand der Individualrechtsbezogenheit des Rechtsschutzsystems zum Ausdruck kommenden Bedenken tragen auf einer anderen Ebene deutlich besser: Die Verwirklichung der staatlichen Schutzpflicht für die Grundrechte künftiger Generationen durch Einräumung subjektiver Rechte für gegenwärtig Lebende ist insofern problematisch, als eben diese Verwirklichung abhängig ist von der individuellen Entscheidung des jetzt „betroffenen“ Dritten. Die Aktualisierung der Schutzpflicht im konkreten Fall hinge damit von einer autonomen Entscheidung eines nicht von ihr begünstigten Privaten ab. Zwar mag der allgemeine Rechtsvollzug durch die Einräumung des Klagerechts verbessert werden, ein geeignetes Mittel zur Verwirklichung der grundrechtlichen Schutzpflicht ist darin jedoch nicht zu sehen. Die Subjektivierung der Vorsorge ist also ungeeignet, um der aus den Grundrechten (und gegebenenfalls Art. 20a GG) folgenden staatlichen Schutzverpflichtung für die Rechte künftiger Generationen gerecht zu werden. Dementsprechend streitet das Konzept der Schutzpflicht auch nicht für eine subjektivrechtliche 883

s. dazu umfassend § 4.

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Deutung der umweltrechtlichen Vorsorge und kann auch im Folgenden nicht argumentativ in Ansatz gebracht werden.

V. Europarechtliche Impulse zur Subjektivierung der Vorsorge 1. Vorbemerkung Das Europarecht wirkt auf praktisch alle Bereiche der Rechtsordnung mittelbar oder unmittelbar ein. Angefangen von Fragen der verfassungsrechtlichen Bewältigung des europäischen Integrationsprozesses bis hin zu Problemen des Verbraucherschutzes im Versandhandel ist die Rechtsordnung erheblichen europarechtlichen Einflussnahmen ausgesetzt. Teil des allgemeinen Prozesses der Europäisierung ist auch das Verwaltungsrecht 884, darunter auch das Verwaltungsprozessrecht. Vor allem im Bereich des einstweiligen Rechtsschutzes hat die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs erhebliche Veränderungen und Umstrukturierungen zur Folge gehabt. Dementsprechend lebhaft ist auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung über Fragen des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes 885 unter europäischem Einfluss. Dabei sind die Fragen eines spezifisch europäischen Rechtsschutzsystems, namentlich vor dem europäischen Gericht erster Instanz und dem Europäischen Gerichtshof 886, und die eines europäisierten nationalstaatlichen Rechtsschutzsystems 887 auseinanderzuhalten. Bei letzterem stehen verschiedene Aspekte im Mittelpunkt. Einmal ist das Unionsrecht natürlich Maßstab richterlicher Kontrolle und gestaltet den Verwaltungsprozess also materiell. Daneben ist das 884

Einen Überblick gibt z. B. Classen, (Fn. 433), Verwaltungsrecht, S. 107 ff., insbes. 115 ff. zum subjektiven Recht. 885 s. dazu die Monographien von Ehlers, (Fn. 433), Claassen, (Fn. 433); M. Burgi, Verwaltungsprozeß und Europarecht, 1996; weiter P. M. Huber, Die Europäisierung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, BayVBl. 2001, S. 577 ff.; J. Bergmann, M. Kenntner und R. Hauser, Europarecht im deutschen Verwaltungsprozeß (1 –3), VBlBW 2000, S. 169 ff., 297 ff., 377 ff.; J. Schwarze, Europäische Rahmenbedingungen für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, NVwZ 2000, S. 241 ff; V. Götz, Europarechtliche Vorgaben für das Verwaltungsprozeßrecht, DVBl. 2002, S. 1 ff. 886 Dazu C. Koenig / M. Pechstein / C. Sander, EU- / EG-Prozessrecht, 2. Aufl. 2002, S. 60 ff. und S. 92 ff. zum instanziellen Verhältnis des EuG und des EuGH sowie S. 123 ff. zum Verfahrensablauf; s. S. Stüber, Subjektive Rechte aus Gemeinschaftsrecht, JURA 2001, S. 798 ff. zu gemeinschaftsrechtsunmittelbaren Rechtskreiserweiterungen; s. auch B. Stüer / S. Rude, Gemeinschaftsrechtliche Einwirkungen auf den innerstaatlichen Rechtsschutz im Umweltrecht, DVBl. 1999, S. 154 ff. 887 s. z. B. G. Winter, Individualrechtsschutz im deutschen Umweltrecht unter dem Einfluß des Gemeinschaftsrechts, NVwZ 1999, S. 467 ff.; M. Ruffert, Dogmatik und Praxis des subjektiven öffentlichen Rechts unter dem Einfluß des Gemeinschaftsrechts, DVBl. 1998, S. 69 ff., 74 ff.

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nationale Prozessrecht aber auch in Gänze nach Maßgabe des europarechtlich geforderten effet utile zu interpretieren. Dementsprechend kommt es also auch zu Veränderungen bei genuin prozessrechtlichen Fragen wie dem Zugang zu Gericht oder zu wahrenden Fristen. Neben dem bereits erwähnten Anpassungsbedarf im Bereich des vorläufigen Rechtsschutzes 888 fordert das Europarecht ebenfalls Modifikationen des nationalen Rechts im Bereich der Klagebefugnis 889. Um den speziellen Anwendungsfall der Klagebefugnis aus Vorsorgestandards soll es im Folgenden gehen. 2. Vorsorgerechtsschutz im Europarecht Das europäische Umweltrecht in Form der vom Europäischen Gerichtshof gesetzten Rechtsprechung ist bei der Annahme subjektiver Rechte im Vorsorgebereich großzügiger, da es eine andere Konzeption von Rechtsschutz verfolgt. Während hierzulande mit § 42 Abs. 2 VwGO der Idee einer Verletztenklage angehangen wird, favorisiert das europäische Recht das Modell einer Interessentenklage 890, welche die Anforderungen an die Selbstbetroffenheit des klagenden Bürgers gegenüber den Anforderungen einer Verletztenklage deutlich absenkt 891. Seit langem gibt es Versuche, die jedenfalls zum Teil divergierenden Rechtsund Rechtsschutzkonzepte der deutschen und der europäischen Rechtsordnung zu harmonisieren. Dabei gehen die Meinungen darüber, ob die Systeme grundsätzlich verschieden oder grundsätzlich ähnlich seien, deutlich auseinander. Dementsprechend unterscheiden sich auch die Deutungsversuche und Synthetisierungsbemühungen 892. Um einen Nachvollzug dieser Debatte soll es hier ausdrücklich nicht gehen – der Untersuchung geht es vielmehr darum, aus der nationalen Rechts- und Verfassungsordnung selbst ein Modell subjektiver Rechte auf Vorsorge zu entwickeln. Eine dogmatische Einbeziehung der europarechtlichen Dimension würde den Rahmen der Untersuchung gänzlich sprengen. Es sei insofern auf den Katalog einschlägiger Monographien verwiesen, aus jüngerer Zeit auf die umfassende Studie Reilings über die Gründe, die Ermittlung und Durchsetzung individueller Rechte im deutschen und europäischen Recht 893. Die europarechtliche Perspektive und verbunden damit auch die international rechtsvergleichende Perspektive vermögen allerdings eine Deutungsmatrix 888

Dazu z. B. Huber, (Fn. 885), S. 582; Burgi, (Fn. 885), S. 66 ff. Huber, (Fn. 885), S. 579 f. 890 Ähnlich insoweit auch das amerikanische Prozessrecht mit seiner „zone of interest“-Doktrin, s. dazu D. Ehlers, Die Klagebefugnis nach deutschem, europäischem Gemeinschafts- und U.S.-amerikanischem Recht, VerwArch 84 (1993), S. 139 ff., 160. 891 s. zu Rechtsschutzfragen im Europarecht grundlegend Ruffert, (Fn. 22), Masing, (Fn. 22) und Wegener, (Fn. 22) und Reiling, (Fn. 8), Rechte. 892 s. dazu ausführlich Wegener, (Fn. 22), S. 132 ff. et passim. 893 Reiling, (Fn. 8), Rechte, passim. 889

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bereitzustellen, die das hier entwickelte Modell eines gemeinwohlorientierten subjektiven Rechts in Kategorien einer Interessentenklage einzuordnen und zu erklären vermag. Terminologische Parallelen zwischen deutschem und europäischem Recht in der Frage der Konstruktion subjektiver Rechte bestehen, da das „Interesse“ den gemeinsamen Begriff bildet, um den herum die dogmatischen Fragen des Rechtsschutzes gruppiert sind. Freilich ist die jeweilige Perspektive auf den Begriff des Interesses eine andere. Während die nationale Rechtsdogmatik nach dem Interesse als dem Schutzzweck der Norm fragt, betrachtet das europäische Recht das individuelle Interesse danach, ob es vom Schutzzweck 894 der umweltschützenden Norm erfasst ist 895. Das deutsche Recht fragt nach der Qualität des Interesses als eigenes und lädt damit den Interessenbegriff um Elemente des Personalen, wenn nicht Höchstpersönlichen auf. Demgegenüber versteht das Gemeinschaftsrecht ein Interesse als „direkt“, nicht wenn es bestimmte qualitative Kriterien erfüllt, sondern wenn es einem bestimmten Interessenträger zugewiesen ist 896. Gefragt ist damit allein nach dem hier bereits thematisierten Begriff des Zuweisungsgehalts einer Norm, der sich auch in nationalrechtlicher Perspektive als sinnvolle Ergänzung des Interessenbegriffs erwiesen hat 897. Kriterien der Zuweisung des Interesses sind dabei vielmals faktischer Natur und beziehen Wertungsgesichtspunkte ein, die das Rechtsverhältnis in seiner ganzen normativen Beschaffenheit betrachten. Die Bestimmung subjektiver Rechte ist damit weitaus weniger theoretisch und abstrakt als im deutschen Recht, sondern in besonderem Maße einzelfallbezogen 898. Der „Fall“ ist hier jedoch nicht zu verwechseln mit einem prozessual geformten Streitgegenstandsbegriff, sondern meint den Rechtsfall, wie er durch die Norm gestaltet wird. Gewendet auf die konkrete Fragestellung des drittschützenden Gehalts von Vorsorgestandards ist Folgendes festzustellen: Der Europäische Gerichtshof hat in seiner Rechtsprechung die deutsche Unterscheidung nach drittschützendem Gefahrenabwehrstan894 Freilich ist die Bedeutung des Schutzzweckkonzepts im europäischen Recht umstritten, s. dazu die Übersicht bei Wegener, (Fn. 22), S. 166 ff. 895 So C. Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 499; ausgeblendet bleibt hier die weitere Möglichkeit aus europäischem Recht subjektive Rechte herzuleiten, nämlich in Fällen, in denen es um die fehlende oder mangelhafte Umsetzung europäischen Rechts in nationales Recht geht, s. dazu Ruffert, (Fn. 22), S. 166 ff. und passim, der diese Möglichkeit von der Möglichkeit scheidet, dass gemeinschaftsrechtlich motiviert subjektive Rechte im nationalen Umsetzungsakt geschaffen werden; s. auch Ruffert, (Fn. 22), S. 157 f., der freilich darauf hinweist, dass der Schutzzweck nicht alleiniges Kriterium zur Bestimmung subjektiver Rechte sein könne. 896 M. Gellermann, in: Rengeling / Middecke (Hg.), Handbuch des Rechtsschutzes in der europäischen Union, 2. Aufl. 2003, § 36 Rn. 20 ff.; zustimmend Reiling, (Fn. 8), Rechte, S. 392. 897 s. dazu unter § 4 II. 2. c). 898 Reiling, (Fn. 8), Rechte, S. 405.

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dards und nicht drittschützenden Vorsorgestandards nicht rezipiert. Demnach kommt sowohl den emissions- wie den immissionsbezogenen Grenzwerten des europäischen Umweltrechts oder des europäisch veranlassten nationalen Rechts drittschützende Funktion zu 899. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs begreift Vorsorgestandards als individualrechtsschützend 900. Der Zuweisungsgehalt der Normen differenziert also nicht nach qualitativen Bewertungsmaßstäben 901. Es ergibt sich für die Anwendung des deutschen Rechts also insoweit die Schwierigkeit, dass die Verletzung von Vorsorgevorschriften nicht einheitlich klagebefugnis-begründend wirkt, sondern davon abhängt, ob es sich um europarechtlich geforderte Schutzstandards handelt oder nicht. Es gibt also abseits von der Frage der Sinnhaftigkeit des drittschützenden Gehalts von Vorsorgevorschriften eine nicht unerhebliche Rechtszersplitterung in diesem Bereich zu beklagen, die insbesondere die Praxis vor die im Einzelfall schwierige Aufgabe der Ermittlung der Normgenese stellt. Ist diese nationalrechtlicher Natur, bleibt die Verletzung ohne Folgen, ist sie europarechtlicher Natur, ist eine Klage gegen ihre Verletzung zulässig, vorbehaltlich der Erfüllung weiterer Voraussetzungen. Es erweist sich nicht zuletzt vor diesem praktischen Hintergrund als bedenkenswert, die Differenzierung des deutschen Rechts zwischen drittschützender Gefahrenabwehr und gemeinwohlorientierter Vorsorge aufzugeben. Freilich ist einzuräumen, dass eine bloße Anpassung des einen Systems an das andere aus Praktikabilitätsgründen allein wenig überzeugend ist. Es muss daneben um Anstrengen zur Herstellung von konzeptioneller Kohärenz der konkurrierenden Rechtsordnungen geben 902. Es ist jedoch keineswegs von der Hand zu weisen, dass bei weiterer Europäisierung des technischen Sicherheitsrechts im Detail ein normativer fait accompli geschaffen wird, dessen dogmatische Bewältigung den nationalstaatlichen Rechtswissenschaften vorbehalten bleibt 903.

899 I. Pernice, Gestaltung und Vollzug des Umweltrechts im europäischen Binnenmarkt – Europäische Impulse und Zwänge für das deutsche Umweltrecht, NVwZ 1990, S. 414 ff., 425 f.; H. D. Jarass, Haftung für die Verletzung von EU-Recht und nationalem Recht vor den Gerichten der Mitgliedsstaaten, NJW 1994, S. 881 ff., 883 Fn. 39; H.W. Rengeling, Deutsches und Europäisches Verwaltungsrecht – wechselseitige Einwirkungen, VVDStRL 53 (1994), S. 202 ff., 210. 900 Wegener, (Fn. 22), S. 186. 901 s. Reiling unter dem Aspekt der Differenzierung von Gesamtinteressen und Individualinteressen im Gemeinschaftsrecht, (Fn. 8), Rechte, S. 332. 902 Von einem „Kooperationsverhältnis“ der Rechtsordnungen spricht – für das allgemeine Verwaltungsrecht – F. Schoch, Die Europäisierung des Allgemeinen Verwaltungsrechts, JZ 1995, S. 109 ff., 118. 903 In diese Richtung auch Calliess, (Fn. 895), S. 501.

§ 6 Verfahrensrechtliche Begründungsansätze

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§ 6 Verfahrensrechtliche Begründungsansätze Die Diskussion um den drittschützenden Charakter einer Norm, beispielsweise der Vorsorgepflicht, wird ganz ausschließlich als eine Frage des materiellen Rechts begriffen. Dies ist, was die Auslegung einer einzelnen in Frage stehenden Norm betrifft, auch richtig. Freilich, die Perspektive lässt sich weiten, wenn man, wie hier, nach Argumentationsansätzen sucht, die eine Subjektivierung stützen. Es soll im Folgenden die Frage im Mittelpunkt stehen, ob durch eine Subjektivierung der Vorsorge die Idee des integrativen Umweltschutzes in eine weitere Dimension entwickelt werden kann. Verstand man Integration bislang horizontal als Integration der Materien des besonderen Verwaltungsrechts, so soll es hier gleichsam um die vertikale Integration der Verfahrensordnungen gehen 904.

I. Vorsorge und integrativer Umweltschutz 1. Das Konzept integrativen Umweltschutzes a) Einleitung Das Umweltrecht ist medial organisiert 905, bezogen auf einzelne Umweltgüter, z. B. den Boden, die Luft und das Wasser, was sich in den entsprechenden Kodifikationen, dem BBodSchG, dem BImSchG und dem WHG spiegelt. Diese Diversifizierung der Gesamtmaterie in Einzelkodifikationen hängt maßgeblich mit dem erst nach und nach gewachsenen Bewusstsein für die Gefährdung der Umwelt zusammen. Dies erstreckte sich zunächst auf die Verschmutzung der Atmosphäre durch die Schwerindustrie und erfasste nach und nach andere Gebiete, zum Beispiel den weiten Bereich des Abfallmanagements. Seit geraumer Zeit gibt es Bestrebungen nationaler wie europäischer Art, über die Vielfalt der Einzelmaterien einen integrierenden Bogen zu spannen 906. Dazu zählen die Anstrengungen, eine einheitliche Kodifikation des Umweltrechts in Form eines Umweltgesetzbuches zu schaffen ebenso wie verschiedene Rechts904 s. zu Tendenzen einer „gesamthaften Betrachtung“ im Verwaltungsrecht Appel, (Fn. 13), S. 154 ff. 905 Zur Genese des Umweltrechts als Produkt der Umweltrechtspolitik s. E.-H. Ritter, Umweltpolitik und Rechtsentwicklung, NVwZ 1987, S. 929 ff. 906 Kritisch gegenüber den integrativen Ansätzen U. Di Fabio, Integratives Umweltrecht, NVwZ 1998, S. 329 ff., 330, der die bloß rhetorische Funktion des Integrationstopos betont. Integration kann sich freilich auch auf andere Faktoren als die Umweltmedien beziehen, namentlich wird vertreten ein Verständnis von integrativem Umweltschutz als prozessoptimierten, produktionsintegriertem, gesamthaften und bilanzierendem, s. die Nachweise bei Di Fabio, S. 330.

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akte des europäischen Rechts, namentlich die UVP-Richtlinie, die Öko-AuditVerordnung sowie schließlich die IVU-Richtlinie 907. Ziel der integrativen Bemühungen ist es, umweltrelevante Vorhaben nicht wie bislang summativ zu beurteilen, also die rechtlichen Einzelfragen getrennt zu beurteilen, sondern einer umweltrechtlichen Gesamtbetrachtung zu unterwerfen, die alle Auswirkungen eines Vorhabens oder eines Produktionsprozesses im Vorhinein bedenkt und sodann beurteilt – mit dem Ziel einer allgemeinen Qualitätssteigerung umweltsteuerungsrechtlicher Maßnahmen 908. Der integrative Umweltschutz stellt damit einem Rationalisierungmodell der Differenzierung in Einzelmaterien ein Rationalisierungsmodell der Integration im Interesse einer Schutzgutoptimierung entgegen 909. Es geht ihm um medienübergreifende 910 Umweltverantwortung im Gegensatz zur Verantwortungsparzellierung 911. Dabei ist dem Gedanken der Integration in seinen verschiedenen Spielarten stets ein Element der Inklusion beziehungsweise der Verbindung differenzierter Komplexe zu Eigen 912. Neben der inhaltlichen Seite umfasst das Verständnis der Integration auch gesetzgebungstechnische Fragen, wie beispielsweise die Zusammenführung der verschiedenen Materien des Umweltrechts in einer gemeinsamen Kodifikation und die Zusammenführung verschiedener Genehmigungstatbestände zu einer integrierten Vorhabensgenehmigung, §§ 80 ff. KomE-UGB 913.

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Zur Implementation von UVP- und IVU-Richtlinie H.-J. Koch / H. Siebel-Huffmann, Das Artikelgesetz zur Änderung der UVP-Änderungsrichtlinie, der IVU-Richtlinie und weiterer Umweltschutzrichtlinien, NVwZ 2001, S. 1081 ff., insbes. S. 1084 zur Grundpflicht des § 5 BImSchG; weiter s. R. Enders / M. Krings, Das Artikelgesetz aus immissionsschutz- und abfallrechtlicher Sicht, DVBl. 2001, S. 1389 ff., insbes. S. 1393 zu den Betreiberpflichten. 908 J. Masing, Kritik des integrierten Umweltschutzes, DVBl. 1998, S. 549 ff., 550. 909 Zu den Konsequenzen für die Strukturen des deutschen Umweltrechts M Albers, Reformimpulse des Konzepts integrierten Umweltschutzes, ZUR 2005, S. 400 ff., insbes. S. 405 ff. zur Bedeutung des Begriffs und der Ermittlung der „best available techniques“ für den integrativen Steuerungsansatz. 910 Freilich hat der medienintegrierende Ansatz Auswirkungen auf die Einzelmaterien, s. z. B. W. Seidel / J. Rechenberg, Rechtliche Aspekte des integrativen Gewässermanagements, ZUR 2005, S. 213 ff., insbes. zu den Auswirkungen der Wasserrahmenrichtlinie, RL 2000/60/EG, ABl. EG Nr. L 327, S. 1 ff. 911 K. Lange / A. Karthaus, Medienübergreifende Umweltverantwortung – Wege zu einem integrierten Umweltschutz, in: Lange (Hg.), Gesamtverantwortung statt Verantwortungsparzellierung im Umweltrecht, S. 15 ff. insbes. mit einer Analyse des immissionsschutzrechtlichen Normapparats, S. 19 ff. 912 s. zu diesem Gedanken einen frühen Beitrag von R. Wahl, Genehmigung und Planungsentscheidung, DVBl. 1982, S. 51 ff., in dem die Idee einer Handlungsformenintegration expliziert wird. 913 s. M. Rebentisch, Die immissionsschutzrechtliche Genehmigung – ein Instrument des integrierten Umweltschutzes?, NVwZ 1995, S. 949 ff. zu Steuerungsmöglichkeiten über die Genehmigungserteilung; integrierende Wirkung gibt es seit jeher auch schon

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Getragen ist die Idee des integrativen Umweltschutzes davon, dass das Bedürfnis nach Umweltschutz überall gesehen wird, „aber nicht alles verdrängender Gemeinwohlzweck“ wird 914. Wesentlich verbunden damit ist ein, wenn auch dezenter Abschied von strikten Ursache-Wirkung-Kompensationszusammenhängen im Umweltrecht und ein „Aufbruch“ hin zu qualitativen Gesamtbetrachtungen 915. Entsprechend ist auch die Berücksichtigung der nachhaltigen Entwicklung als Abwägungsbelang in § 1 Abs. 5 S. 1 BauGB zu verstehen. Schließlich wirkt der integrative Umweltschutz auf der Ebene der Verantwortungsverteilung „desintegrierend“ in dem Sinne, dass nach § 4 BNatSchG „jeder“ zur Berücksichtigung der Ziele des Natur- und Landschaftsschutzes aufgerufen ist, wenngleich diese Vorschrift faktisch nur appellativen Charakter hat. Dem integrativen Umweltschutz kommt durch seine Tendenz zum „vorweg Bedenken“ und zur Einbeziehung mittel- und langfristiger Kausalzusammenhänge eine wesentliche Funktion umweltrechtlicher Vorsorge zu, deren Wirkungsmechanismus, wie bereits dargelegt, wesentlich auf Steuerung in die Zeit hinein angelegt ist. Insofern erweist sich das Bemühen um integrativen Umweltschutz als ein Mittel der Vorsorgeorientierung des Rechts 916. Freilich kommt es dabei, jedenfalls im Verhältnis des nationalen Rechts zur IVU-Richtlinie 917, zu Friktionen durch die Ausgestaltung der technischen Anforderungen in der Richtlinie, denen hier jedoch nicht weiter nachgegangen werden kann 918. Insgesamt lassen sich die unterschiedlichen Gehalte des Integrationskonzepts dahingehend zusammenfassen, dass es ihnen um „holistischen Umweltschutz“ 919 geht.

außerhalb neuer integrativer Steuerungsmodelle, s. z. B. R. Breuer, Die Bedeutung des § 8 BNatSchG für Planfeststellungen und qualifizierte Genehmigungen nach anderen Fachgesetzen, NuR 1980, S. 89 ff. 914 Di Fabio, (Fn. 906), S. 331. 915 Ein Beispiel ist hier das Naturschutzrecht, das eine Eingriffskompensation (allerdings subsidiär) auch abseits des eigentlichen Eingriffsortes erlaubt, § 19 II BNatSchG. 916 Zur Zeitlichkeitsdimension z. B. Masing, (Fn. 908), S. 550. 917 Deren Hintergrund im anglo-amerikanischen Rechtskreis wird beleuchtet von N. Haigh, Integratives Umweltrecht, in: Gesellschaft für Umweltrecht (Hg.), Dokumentation zur 21. wissenschaftlichen Fachtagung der Gesellschaft für Umweltrecht, 1998, S. 57 ff., insbes. S. 60 ff. 918 s. dazu umfassend Lübbe-Wolff, (Fn. 411), passim; s. auch K.-P. Dolde, Die EGRichtlinie über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (IVU-Richtlinie) – Auswirkungen auf das deutsche Umweltrecht, NVwZ 1997, S. 313 ff., 315 ff.; J. Zöttl, Die EG-Richtlinie über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung, NuR 1997, S. 157 ff., zum Verhältnis zur UVP-Richtlinie S. 160 f. 919 s. Masing, (Fn. 908), S. 551, der die Spezifika des holistischen Ansatzes weiter differenziert.

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b) Das Konzept des integrativen Umweltschutzes am Beispiel der IVU-Richtlinie Prototyp des integrativen Umweltschutzes ist die Richtlinie des Rates über die integrierte Vermeidung und Verhinderung der Umweltverschmutzung (IVURichtlinie) 920. Sie stellt auf einen übermedialen Schutz von Boden, Wasser und Luft ab und etabliert Standards für den Betrieb einer für diese Medien erheblichen Industrieanlage. Sie verlangt dabei, dass alle ökologisch relevanten Auswirkungen eines Vorhabens im Genehmigungsprozess berücksichtigt werden, insofern ähnelt sie auch dem Ansatz der UVP-Richtlinie 921. Ihr Innovationspotential liegt jedoch nicht in der Verpflichtung des Anlagenbetreibers auf die Beachtung verschiedener Umweltbelange, denn eine solche wird immissionsschutzrechtlich schon durch das Pflichtenprogramm des § 5 BImSchG sowie vor allem durch § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG gewährleistet, der das komplette öffentlich-rechtliche Rechtsregime für den Betreiber einer Anlage verbindlich macht. Entscheidend ist, dass die Richtlinie eine medienübergreifende Emissionsbewertung verlangt 922. Gegenüber dem materiellen, an Emissionsgrenzwerten orientierten deutschen Vorsorgestandards koppelt Art. 9 Abs. 3, 4 IVU-Richtlinie dabei die Grenzwerte aber an den Stand der „best available technique“ (sog. BAT-Standard). Dem liegt offenbar die Vorstellung einer unbegrenzten technischen Kompatibilität von einzelnen Anlagentechnologien zugrunde, nach dem der besonders emissionssenkende Baustein A mit ungünstigerer Abfallquote mit dem weniger emissionssenkenden aber im Hinblick auf Abfallrückstände günstigeren Baustein B einer anderen Technologie komplikationslos zu verbinden sei. c) Zur Kritik des integrativen Umweltschutzes Die materielle Erweiterung des rechtlichen Steuerungsbefehls hin zu integrativer Berücksichtigung verschiedener Belange geht einher mit einem erheblichen Verlust an normativer Gewissheit. Es bleibt nämlich unklar, wie die verschiedenen Belange untereinander berücksichtigungs- beziehungsweise anrechnungsfähig sind, und zwar bis hin zu gänzlich praktischen Fragen: So mag eine Technologie emissionsmindernd sein für einen Stoff, aber abwasserbelastend 920

RL 96/61/EG, Abl. EG Nr. L 257/26. Freilich hat jene nur verfahrensrechtliche Wirkung, diese aber auch materiellrechtliche, so M. Schmidt-Preuß, Integrative Anforderungen an das Verfahren der Vorhabenszulassung – Anwendung und Umsetzung der IVU-Richtlinie, NVwZ 2000, S. 252 ff., 252; s. zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden von IVU- und UVP-Richtlinie auch D. Sellner, Der integrative Ansatz im Bundes-Immissionsschutzgesetz, in: Dolde (Hg.), Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 401 ff., 402 ff. 922 Eine genauere Untersuchung der materiellen Wirkung der IVU-Richtlinie findet sich bei Wahl, (Fn. 261), S. 505, 507 ff. 921

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oder im Vergleich mit einer anderen, weniger emissionseffizienten Technologie, energieaufwendiger. Hier wird durch den integrierenden Ansatz gleichzeitig ein weiter Bereich letztlich umweltpolitischer Entscheidungen eröffnet 923. Gleichzeitig wird damit die Bandbreite möglicher Ermessenfehler erheblich vergrößert, da die Zahl der zu berücksichtigenden Belange und ihre Komplexität deutlich zunehmen 924. Die planungsähnlichen Gestaltungswirkungen umweltrechtlicher Gestattungen gewinnen durch diese materielle Aufweitung erheblich an Bedeutung. Darin liegt ein manifester struktureller Widerspruch zu einer im Umweltrecht ansonsten verbreiteten Regelungstechnik, nämlich der Festschreibung verbindlicher Grenzwerte. Wesen der Integrationsbemühungen im Umweltrecht ist mit Masing „Kompensation und Relativität“ verschiedener Belastungsgrößen, die im Einzelfall mit festgeschriebenen Grenzwerten um den Vorteil anderweitiger Belastungsminderung oder Ressourcenschonung 925 kollidieren können. Festzuhalten bleibt, dass der integrative Anspruch, der durch die IVU-Richtlinie maßgeblich in das deutsche Umweltrecht eingebracht worden ist 926, zu erheblichen materiellen Abwägungskonflikten führt, die in ihrem Gefolge Verfahrensprobleme aufwerfen und die zum Vollzug berufenen Behörden mit anspruchsvollen Normkonkretisierungsaufgaben zu überfordern drohen 927, was eine Steigerung des Vollzugsdefizits zur Folge haben mag. 2. Integration als Verfahrenskategorie a) Grundmodelle: Horizontale Inklusion und vertikale Exklusivität Integrativer Umweltschutz zeichnet sich durch seinen umfassenden, inklusiven Steuerungsansatz aus. Dieser hat primär materiellen Gehalt, es geht also um den gleichzeitigen materiellen Abgleich aller umweltrelevanten Belange eines Vorhabens. Verschiedene rechtliche Einzelmaterien werden also zueinander ins Verhältnis gesetzt. Einher damit geht eine Gleichzeitigkeit der jeweiligen Verfahrensordnungen, die man beispielsweise in der IVU-Richtlinie durch ein einheitliches Genehmigungsverfahren zu ersetzen versucht hat. Die Überwindung der Gleichzeitigkeit der verschiedenen Teilverfahrensrechtsordnungen wird in der Literatur auch unter dem Namen der „formellen Integration“ 928 geführt. 923

s. auch Masing, (Fn. 908), S. 550 auch mit Beispielen. Di Fabio, (Fn. 906), S. 333. 925 Zu weiteren Friktionen zwischen holistischem Ansatz und dem „linearen“ Ansatz des deutschen Umweltrechts Masing, (Fn. 908), S. 553 f. 926 Zur Umsetzung der Richtlinie durch sog. Öffnungsklauseln s. G. Lübbe-Wolff, Integrierter Umweltschutz – Brauchen die Behörden mehr Flexibilität?, NuR 1999, S. 241 ff. 927 Zu den Auswirkungen s. Lübbe-Wolff, (Fn. 926), S. 243 ff. 928 Schmidt-Preuß, (Fn. 921), S. 255 ff. 924

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Teil D: Vorsorge als Kategorie des Verfahrensrechts

Der Umweltrechtsordnung sind solche Bemühungen um verfahrensrechtliche Vereinheitlichung keineswegs fremd, sondern werden seit jeher unter dem Aspekt der Konzentrationswirkung 929 behördlicher Gestattungen diskutiert, vgl. z. B. § 13 BImSchG. Wesentlich für die formelle Integration des IVU-Ansatzes wie für die mit Konzentrationswirkung ausgestatteten Genehmigungen des einfachen Rechts ist ihre horizontale Inklusivität. Damit ist beschrieben ihre Einbindungswirkung gegenüber Verfahren gleicher Ordnung, also solchen, die sich rechtsnormhierarchisch und sachlich auf der gleichen Ebene bewegen. Eingebunden werden gleichrangige, aber materiell unterschiedliche Verfahrenssysteme. Demgegenüber ist transverfahrensrechtlich, also im Verhältnis rechtsnormhierarchisch gleichrangiger aber sachlich unterschiedlicher Verfahrensordnungen wie dem Verwaltungsverfahrensrecht und dem Verwaltungsprozess im Umweltrecht ein Verhältnis vertikaler (oder auch linearer) Exklusivität etabliert, wo nämlich Rechtsschutzfragen durch das Institut der Präklusion präjudiziert werden. Dabei werden die Verfahrensordnungen durch Präklusionsvorschriften nicht zwingend miteinander verschränkt. Nur dort, wo neben eine formelle 930 auch eine materielle 931 Präklusion tritt – also die Möglichkeit der Geltendmachung subjektiver Rechte im Verwaltungsprozess von ihrer fristgerechten Geltendmachung im Verwaltungsverfahren abhängt – findet eine solche vertikale Verschränkungen der Verfahrensordnung in einem exklusiven Sinne statt 932. b) Neues Modell: Integration durch vertikale Inklusion Im Lichte eines subjektiven Verständnisses umweltrechtlicher Vorsorgevorschriften soll hier der Gedanke aufgeworfen werden, eine Verschränkung von verwaltungsprozessrechtlicher und materiellrechtlicher Rechtsebene als Ausdruck einer Integration über die Grenzen von materieller und formeller Rechtsordnung hinweg zu unternehmen. Dabei ist natürlich darauf hinzuweisen, dass eine solche Verschränkung in Form des § 42 Abs. 2 VwGO als semi-materieller Sachurteilsvoraussetzung schon existiert. Der Impuls zu einem gerichtlichen Verfahren ist danach notwendig ein materieller, kein formeller. Zwar wird er durch die Verfahrensvorschriften des Verwaltungsprozessrechts in seiner Struktur formalisiert, indem er in Gestalt der Statthaftigkeit und ihrer prozessualen Folgen in eine ei-

929

s. dazu umfassend K. Odendahl, Die Konzentrationswirkung: Formenvielfalt, Kollisionsfragen und Alternativmodelle, VerwArch 2003, S. 222 ff.; dies., Kollision von Genehmigungsvorbehalten mit Konzentrationswirkung, NVwZ 2002, S. 686 ff. 930 Dazu K. Brandt, Die Präklusion im Verwaltungsverfahren, NVwZ 1997, S. 233 ff. 931 Brandt, (Fn. 930), S. 234 f. 932 Die weitere verfahrenstechnische Differenzierung nach horizontaler und vertikaler Einwendungspräklusion bzw. Anspruchspräklusion spielt für die vorliegenden Überlegungen keine Rolle, s. dazu aber Brandt, (Fn. 930), S. 234 ff.

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genständige Prozessrechtsform einer Klage überführt wird, im Kern bleibt er jedoch ein materieller, nämlich interessengeleiteter Impuls. Die Idee, subjektive Rechte auch im Bereich nicht-personaler Schutzgüter wie der Umweltvorsorge 933 zuzulassen, führt den Gedanken einer Verschränkung der materiellen und formellen Teilrechtsordnungen weiter, und zwar aus folgenden Gründen: Die bisherige Verschränkung von materiellem und formellem Recht, wie sie in Gestalt des § 42 Abs. 2 VwGO und entsprechender anderer Prozessordnungen (z. B. § 40 Abs. FGO) begegnet, bildet die Bedeutung des formellen Rechts als dienendes Recht zur Durchsetzung materieller Interessen ab. Gleichzeitig liegt in der Beschränkung des § 42 Abs. 2 VwGO auf die Verletzung eigener Rechte eine Abbildung verfassungsrechtlicher Mindestvorgaben der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG auf die Strukturen des einfachen Rechts. Der Orientierung des gerichtlichen Rechtsschutzes auf den Individualrechtsschutz hin ist aber im Laufe der Zeit, nicht zuletzt eben aus verfassungsrechtlichen Gründen, eine materielle Eigenwertigkeit zugewachsen und gilt vielfach als ein nicht zur Disposition stehendes Faktum, wo doch Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG Elemente objektiver Rechtskontrolle keineswegs verbietet, sie nur nicht in systemsprengender Weise an die Stelle des Individualrechtsschutzes setzen will 934. Dieser Zuwachs an Eigenwertigkeit hat auch zu einer Funktionsverselbständigung des Prozessrechts in seiner individualschützenden Gestalt geführt. An diese eigenständige Funktion der Prozessstrukturen knüpft nun die Idee einer Subjektivierung der Vorsorge an, indem sie neue materielle Inhalte an sie bindet. Es hat sich im Laufe der Untersuchung bereits gezeigt 935 (und soll noch weiter vertieft werden 936), dass im Verwaltungsvollzug durchsetzungsdominant nur solche Interessen sind, denen subjektivrechtliches Gewicht mitgegeben ist. Die Zuweisung funktional-subjektiver Inhalte zur Systematik des Verwaltungsprozesses nutzt nun die Durchsetzungsstärke subjektivierter Belange und integriert so die prozessuale Perspektive in das materielle Recht. Die funktionale Subjektivierung kompensiert nämlich den in der Praxis des exekutiven Normvollzugs diagnostizierbaren Mangel einer Mindergewichtung objektiver Belange, die durch die Umweltvorsorge prototypisch verkörpert werden. Die Funktion der Subjektivierung wird also eine andere, im engeren Sinne materielle: Wo in der herkömmlichen Prozessrechtssystematik die Orientierung auf den subjektiven Rechtsschutz nur die materielle Interessenlage in die Strukturen des gerichtlichen Verfahrens überblendet hat, kommt dem Verfahren hier 933 934 935 936

Zur Schutz- und Rechtsgutqualität der Vorsorge s. ausführlich unter § 7 I. s. zu diesem Verhältnis ausführlich unter § 5 I. s. unter § 2 II. 1. e) (1). s. unter § 7 III. 2. d) (1).

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eine faktische zeitliche Vorwirkung zu. Es ist eine gleichsam vollzugsoptimierende Vorwirkung des Prozessrechts gegenüber dem materiellen Recht. In dieser Vorwirkung spiegelt sich die funktionale Subjektivierung der prozessualen Schutzgüter in deutlicher Weise. In dem Maße wie die funktional-subjektiven Belange Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens werden, werden sie auch Gegenstand des Verwaltungsverfahrens. Die dienende Funktion des Prozessrechts wechselt also gleichsam „die Seiten“ und stellt sich in den Dienst objektiver Umweltschutzbelange. Dieser Ansatz einer verfahrensrechtlichen Integration des Umweltrechts weiß sich einig mit der Kritik des integrierten Umweltschutzes, wie sie beispielsweise Di Fabio formuliert 937. Der hier nur kursorisch mögliche Abriss der materiellen Seite des integrativen Umweltschutzes hat bereits gezeigt, dass sich sein Ansatz praktisch nur schwer mit den rechtsstaatlich durchformten Anforderungen eines rationalen und gerichtlich überprüfbaren Verwaltungsverfahren in Einklang bringen lässt 938. „Die eigentlichen Möglichkeiten des integrativen Umweltschutzes liegen dort, wo das verwaltungsrechtliche Konzessionsdenken noch nicht herrscht“ 939. Dies bezieht sich in erster Linie auf Bereiche, in denen mit indirekten staatlichen Steuerungsmodellen und Anreizsystemen die Bereitschaft zu freiwilliger Selbstkontrolle und umweltorientierter Binnenorganisation von Betrieben und Unternehmen gefördert werden kann. Es gilt dabei, dass es einem integrativen Umweltschutz darum gehen muss, „geeignete Druckpunkte zu finden, die sichere Implementierung des Umweltzwecks und zugleich Schonung unternehmerischer Autonomie versprechen“ 940. Dem ist hinzuzufügen, dass solche geeigneten Druckpunkte sich eben nicht allein im Verhältnis zwischen Anlagenbetreiber und Staat, sondern auch im Verhältnis von klagendem Dritten und Staat finden lassen. Dies gilt umso mehr, da der Staat selbst mit dem in seiner Verantwortungssphäre liegenden Vollzugsdefizit im Umweltrecht einen wesentlichen Grund für die Notwendigkeit neuer Mechanismen der Optimierung des Normvollzugs setzt. Die Ebene, auf der sich diese Integrationsleistung abspielt, ist die der Zuständigkeit für den Normvollzug. Integrativer Umweltschutz ist Ausdruck des Wandels vom „Imperativen zum Kooperativen und vom konditional gesetzesgebundenen Handeln zur situativen Elastizität“ 941. Der defizitäre Normvollzug der Exekutive wird kompensiert über die Einräumung von Klagebefugnissen an betroffene oder interessierte Dritte 942. Die Differenz zwischen staatlicher 937 938 939 940 941 942

Di Fabio, (Fn. 906), passim. Di Fabio, (Fn. 906), S. 336. Di Fabio, (Fn. 906), S. 336. Di Fabio, (Fn. 906), S. 336. Di Fabio, (Fn. 906), S. 337. Zur Ausgestaltung solcher Klagerechte s. unter § 7 III. 5. c) (2).

§ 6 Verfahrensrechtliche Begründungsansätze

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Implementationsverantwortung und individueller Interessenverfolgung wird so zugunsten einer Umweltrechtspflege in Kooperation integriert. Vom Standpunkt einer allgemein-verwaltungsrechtlichen Systematik mag man eine vermehrte Integration getrennter Rechtsregime kritisch beurteilen. SchmidtAßmann weist dem allgemeinen Verwaltungsrecht gegenüber dem besonderen Verwaltungsrecht die Funktion einer „Disziplinierung von Sonderinteressen“ 943 zu, indem es die speziellen Eigengesetzlichkeiten der Sondermaterien einem einheitlichen systematischen Regime unterwirft. Insofern mag eine Effektuierung spezifischer Einzelmaterien im Wege einer Annäherung von Materien des besonderen Verwaltungsrechts an die des allgemeinen Verwaltungsrechts beziehungsweise des Verwaltungsprozessrechts bedenklich erscheinen. Dem ist jedoch entgegen zu halten, dass es sich dabei nicht um eine Privilegierung einer Materie oder eines Belanges gegenüber minderprivilegierten anderen Belangen handelt, sondern im Gegenteil um ein Gleichziehen in der Implementationsrate, da die in Rede stehenden Belange der Umweltvorsorge nur mangelhaft umgesetzt werden. Gleichzeitig vermögen eventuelle Bedenken auch mit dem Hinweis darauf relativiert zu werden, dass einem solchermaßen „integrierten“ Umweltrecht erneut die Funktion eines Referenzgebietes im öffentlichen Recht zuwachsen kann. Schmidt-Aßmann betont die Bedeutung von Referenzgebieten innerhalb einer Teilrechtsordnung als Indikator für aktuelle Probleme und Lösungsstrategien im Recht 944. Insoweit kann einer vertikal integrierten Verwaltungsrechtsordnung prototypische Funktion zukommen für ein partizipationsfreundliches öffentliches Recht, welches die Inklusion des Bürgers in den Prozess der Gemeinwohlaktualisierung positiv sich zu Nutze macht.

II. Subjektive Vorsorgerechte und Planungsrecht Ansätze für ein subjektivrechtliches Verständnis der Vorsorge könnten sich weiter auch aus einer vergleichenden Betrachtung des Bauplanungsrechts 945 ergeben. Seit jeher nämlich war für das Bauplanungsrecht die Frage streitig, ob aus § 1 Abs. 7 BauGB ein subjektives Recht auf fehlerfreie Abwägung im Planungsverfahren abgeleitet werden kann. In Anlehnung an das Planfeststellungsverfahren 946 und dessen spezialgesetzliche Ausprägungen wurde dies von einigen Stimmen in der Literatur und der Rechtsprechung befürwortet 947. Als Gründe für die subjektivrechtliche Qualität werden dabei vor allem die rechtsstaatliche Ver943

Schmidt-Aßmann, (Fn. 11), S. 7. Schmidt-Aßmann, (Fn. 11), S. 8 f. 945 Zur Bedeutung planerischer Elemente für die Zukunftsvorsorge des Staates Appel, (Fn. 13), S. 160 ff. 946 Zur subjektivrechtlichen Qualität von Abwägungsfehlern dort s. BVerwGE 82, S. 17 ff., 18; BVerwG, NVwZ 1997, S. 994 ff., 995; BVerwG, NVwZ 1997, S. 394. 944

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wurzelung des Abwägungsgebots und die Nichtigkeitsfolge für Bebauungspläne bei Abwägungsfehlern namhaft gemacht. Demgegenüber betont eine Gegenauffassung den öffentlichen Zweck der Planung, auf die es als solche keinen Anspruch gebe, wie § 2 Abs. 3 BauGB es festlegt 948. Es gehe der Bauleitplanung allein um die bauliche Nutzung der Grundstücke im Hinblick auf eine angestrebte städtebauliche Entwicklung. Wenn es aber keinen Anspruch auf das „ob“ gebe, könne es auf das „wie“ auch keinerlei rechtliche Ansprüche geben. Dies überzeugt freilich nicht. Der Umstand, dass es keinen Anspruch auf staatliches Handeln (Normerlass) gibt, bedeutet nicht, dass staatliche Handlungen selbst nicht für die Rechte des Einzelnen relevant werden können (Normprogramm). Das Bundesverwaltungsgericht hat in einer weitbeachteten Entscheidung 1998 dann ein Recht auf fehlerfreie Abwägung im Bauplanungsrecht bejaht 949 und darin auf die rechtlichen und tatsächlichen Besonderheiten des Instruments Planung hingewiesen. Anders als bei der Genehmigung von Einzelvorhaben anlagenrechtlicher Natur geht es beim Instrument der Planung darum, ein bestimmtes Planungsziel zu verwirklichen. In diese Zielvorstellung fließen zahlreiche faktische und rechtliche Faktoren ein, die in ein Ordnungsverhältnis zu setzen sind. Diese Ordnung zu generieren ist das Kernelement der Planungsentscheidung. In rechtsstaatlicher Hinsicht geht es dabei darum, die von der Planung betroffenen privaten und öffentlichen Belange gegeneinander abzuwägen und zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Der spezifische Gehalt einer Planungsentscheidung, sei sie baurechtlicher oder sonstiger Natur, ist also gegenüber der Einzelzulassung ein erheblich höherer 950. Dies rechtfertigt es nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts, den von der Planung betroffenen Belangen eine hinreichende Abwägungsposition zu sichern 951. Weder folgt aus dieser einer zwingende Erstarkung des Belangs zum subjektiven Recht, noch ein Anspruch auf Durchsetzung in der Planung 952. Es geht allein um die Absicherung einer verfahrensmäßigen Stellung des Belangs. 947 VGH Mannheim, DVBl. 1998, S. 236 ff., 238; H. Dürr, Die Entwicklung der Rechtsprechung zur Antragsbefugnis bei der Normenkontrolle von Bebauungsplänen, NVwZ 1996, S. 105 ff., 109; K. Redeker, Neue Experimente mit der VwGO?, NVwZ 1996, S. 521 ff., 526; W.-R. Schenke, Anmerkung zur Entscheidung des OVG Münster v. 23. 01. 1997, 7 D 70/93 NE (DVBl. 1997, S. 675 ff.), DVBl. 1997, S. 853 ff., 854. 948 Dazu und zum Folgenden OVG Münster, DVBl. 1997, S. 675 ff., 676. 949 BVerwG, NJW 1999, S. 592 ff.; s. dazu P. Schütz, Das „Recht auf gerechte Abwägung“ im Bauplanungsrecht, NVwZ 1999, S. 929 ff. 950 BVerwG, NJW 1999, S. 592 ff., 593. 951 Schütz, (Fn. 949), S. 932 weist auf die verfassungsrechtliche Folgefrage hin, ob die Anerkennung eines Rechts auf fehlerfreie Abwägung zur Folge habe, dass ein Normenkontrollverfahren von Art. 19 Abs. 4 GG zwingend gefordert werde. 952 BVerwG, NJW 1999, S. 592 ff., 593.

§ 6 Verfahrensrechtliche Begründungsansätze

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Die Interessenlage, die dem rechtlichen Konzept der Vorsorge zugrunde liegt, ist gekennzeichnet durch die Vielzahl betroffener Belange, die Unwägbarkeit bestimmter Faktoren sowie durch die Prospektivität der Steuerungsidee – letzteres vor allem im Hinblick auf die Deutung der Vorsorge als Mittel einer Nachhaltigkeitspolitik. Die Verwandtschaft der Vorsorge mit der Planung ist also unverkennbar. Die Rechtsidee, die hinter der Vorsorge steht, ist die Einsicht, dass nicht allein Fehlplanung freiheitserheblich werden kann, sondern auch eine fehlende Planung, also das unreflektierte Verfügungen über den Planungsgegenstand oder Planungsressourcen 953. Die hier auch schon thematisierte Bewirtschaftung von Umweltgütern, namentlich im Wasserrecht, trägt diesem Umstand Rechnung. Freilich entfaltet die Vorsorge ihre Schutzwirkung nicht in der Gegenwart. Dies besorgt dogmatisch betrachtet der korrespondierende Schutzgrundsatz. Vorsorge wirkt in und für die Zukunft. Sie unterscheidet sich damit nicht qualitativ von etablierten Instrumenten der Planung, sondern in erheblichem Maße quantitativ. Das Verhältnis von Planung zu Vorsorge gestaltet sich, den Abstraktionsgrad betreffend, ähnlich wie das Verhältnis von Einzelmaßnahme zur Planung. Dies legt es nahe, die Argumentation, mit der das Bundesverwaltungsgericht ein Recht auf fehlerfreie Abwägung bejaht hat, auch für den Bereich der Vorsorge fruchtbar zu machen, also auf die in größerem Maße freiheitsbeschränkende Wirkung abzustellen, die planende beziehungsweise vorsorgende Maßnahmen gegenüber Einzelmaßnahmen haben. Eine solche Übertragung stößt sich freilich an der einfachgesetzlichen Dogmatik, nach der Vorsorge eben nicht konkrete und individualisierbare Freiheitspositionen zum Schutzgegenstand hat. Will man dieses Problem überwinden, müssen die Bemühungen dahin gehen, den durch die Vorsorge ins Auge gefassten Belang in einer Weise zu personalisieren, der seine Abbildung in Kategorien des subjektiven Rechts erlaubt. In Vorgriff auf die noch folgenden Überlegungen zur Befugnis des Bürgers zur Gemeinwohlkonkretisierung sei hier dessen grundrechtlich und verfassungsrechtlich zu begründende Residualverantwortung für die Durchsetzung der Belange der Umweltvorsorge ins Feld geführt 954. Die Friktionen, die sich mit der herkömmlichen Drittschutzdogmatik ergeben, können vor dem planungsrechtlichen Hintergrund mit der Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts gemindert werden, dass ein subjektives Recht auf fehlerfreie Planung nicht zwingend ein subjektives Recht voraussetzt, dessen Durchsetzung bewirkt werden soll, es reicht vielmehr ein persönlicher Belang. Was ein solcher Belang sei, bedarf der Bestimmung durch juristische Konvention, es gelten also hier die entsprechenden Ausführungen zum Element des Interesses bei der Bestimmung des subjektiven öffentlichen Rechts 955. 953 954 955

Hoppe, (Fn. 191), Staatsaufgabe, S. 235. s. dazu ausführlich unter E. s. dazu § 4 II. 1.

Teil E

Vorsorge als prozessuale Gemeinwohlkategorie § 7 Subjektive Rechte als Mechanismus des Gemeinwohlschutzes I. Subjektive Rechte und Rechtsgüterschutz An dieser Stelle ist nun ein Aspekt zu beleuchten, der in der bisherigen Betrachtung keine Rolle gespielt hat und auch in der Literatur zum subjektiven Recht eher stiefmütterlich behandelt wird 956. Es handelt sich um das Verhältnis zwischen subjektivem Recht und dem konkreten Rechtsgüterschutz. Operator der Schutznormtheorie und der etablierten Merkmale des subjektiven öffentlichen Rechts ist der Begriff des Interesses 957, der als subjektiver und relationaler Begriff als Vehikel zur Aufwertung individueller Präferenzen zu kollektiv anerkannten Rechten dient. Während es bislang nur um den Relationsmechanismus und die Struktur des rechtlichen Zuweisungsgehalts ging, soll nun der Blick auf die durch das subjektive Recht zugeordneten Interessenobjekte gerichtet werden: Die Erkenntnis der Relationalität des Interesses unterstellt, stellt sich im Anschluss die Frage nach den Relationsobjekten wie den Relationsubjekten, das heißt mit anderen Worten: Wem wird was durch das Recht zugeordnet? Zuordnungssubjekt ist zunächst in aller Regel eine natürliche Person, in ihrer Folge dann auch juristische Personen, soweit das in Rede stehende Zuordnungsobjekt in einem sinnvollen Zusammenhang zum Zuordnungssubjekt der juristischen Person steht. Die Ausnahme einer positivierten, rein formalen Zuweisungsvorschrift ist in diesem Kontext in Art. 19 Abs. 3 GG, der den auf natürliche Personen bezogenen Zuweisungsgehalt der Grundrechte normativ überformt und auf juristische Personen überträgt 958. 956 s. beispielsweise die Arbeit von Henke, (Fn. 485), der sich dazu nicht explizit äußert. 957 s. dazu § 4 II. 1. 958 s. zur Übertragungsproblematik „ihrem Wesen nach“ statt aller W. Krebs, in: v. Münch / Kunig (Hg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. I, 5. Aufl. 2000, Art. 19 Rn. 34 ff.; zu einem aktuellen Anwendungsfall A. Schindler, Die Partei als Unternehmer, 2006, S. 78.

§ 7 Subjektive Rechte als Mechanismus des Gemeinwohlschutzes

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Das Zuordnungsobjekt, auf welches sich das Interesse bezieht, kann ein in der Natur des Zuordnungssubjekts liegendes Gut sein (Leib und Leben), ein an die Person des Zuordnungssubjekts anknüpfendes Gut (höchstpersönliche Rechte wie die Testierfreiheit, die Ehe etc.) oder schließlich ein allein normativ generiertes Gut, beispielsweise das Eigentum oder der Anspruch auf Beachtung baurechtlicher Vorschriften über das Abstandsgebot oder das außerhalb von § 15 Abs. 2 BauNVO nicht positivierte Rücksichtnahmegebot. Das zugeordnete Objekt, auf welches sich das individuelle Interesse bezieht, wird durch die Erfassung in den Strukturen des Rechts zu einem Rechtsgut. Subjektive Rechte dienen damit letztlich dem Schutz eines durch individuelles Interesse in Bezug genommenen Rechtsguts. Subjektive Rechte sind also rechtsgutsbezogen, solange und soweit die Rechtsordnung anerkennt, dass das durch ein Interesse in Bezug genommene Gut zu Recht vom Interessenträger für sich in Anspruch genommen wird. Eindeutig ist diese Zuordnung bei höchstpersönlichen Rechtsgütern wie Leib oder Leben, deren Trägerschaft selbsterklärend ist. Die Rechtsordnung vollzieht hier beispielsweise in Gestalt des Haftungsrechts nur nach, was als nicht disponibles „Natur“-Recht als gewiss gilt. Diese Rechtsgüter, wie sie auch Gegenstand von Art. 2 Abs. 2 GG sind, tragen in sich selbst einen Zuweisungsgehalt, der eine von der natürlichen Zuordnung abweichende Zuweisung an einen Dritten willkürlich und unwirksam erscheinen ließe. Entsprechendes gilt für Rechtsgüter, die an Eigenschaften beziehungsweise an die Person selbst anknüpfen. Auch hier wäre eine von der „natürlich“ sich aufdrängenden Zuordnung abweichende Zuweisung des Rechts letztlich nicht überzeugend. Dass auch solche Rechte im Einzelfall nicht völlig zur Disposition des jeweiligen Rechtsträgers stehen, ist in der Regel tatsächlichen Einschränkungen in seiner Dispositionsfähigkeit geschuldet. Beispielhaft ist hier zu denken an das elterliche Aufenthaltsbestimmungsrecht 959 für die eigenen Kinder. Grundsätzlich steht dem Menschen beziehungsweise dem Deutschen aus Art. 2 Abs. 1 GG beziehungsweise Art. 11 GG das Recht, seinen Aufenthaltsort zu bestimmen, selbst zu. Es ist nicht im engeren Sinne ein in der Person des Menschen wurzelndes Recht, knüpft jedoch unmittelbar an die Person an. Da Kinder jedoch nach zutreffender Einschätzung des Rechts nicht in hinreichendem Maße in der Lage sind, Risiken und Lasten einer autonomen Aufenthaltsbestimmung zu tragen, ist dieses Recht für die Zeit ihrer Minderjährigkeit den Eltern übertragen. Komplizierter verhält es sich hingegen bei Gütern, die erst normativ generiert und sodann zugewiesen sind. Vor allem an sie knüpft nämlich die etablierte Fassung der Schutznormtheorie an, wenn sie fragt, ob eine bestimmte Norm zumindest auch subjektiven Interessen zu dienen bestimmt sei. Die Frage ist dort 959 s. zum Aufenthaltsbestimmungsrecht als Teil der elterlichen Personensorge B. Voit, in: Bamberger / Roth (Hg.), Online-Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Edition 9, 2008, § 1631 Rn. 11 ff.

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Teil E: Vorsorge als prozessuale Gemeinwohlkategorie

praktisch rhetorischer Natur, wo sie durch eindeutige gesetzliche Regelungen beantwortet wird, die durch die Bezugnahme auf berücksichtigungsbedürftige Interessen Dritter (zum Beispiel durch den Begriff der „Nachbarschaft“) den subjektiven Charakter einer Norm festschreiben. Es bleiben jedoch immer wieder und immer erneut Zweifelsfälle, für die der Untersuchung zugrunde liegende § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BImSchG ein Beispiel abgibt. Dabei gilt, dass mit dem Grade zunehmender Abstraktion des in Rede stehenden Guts die Wahrscheinlichkeit seiner subjektiven Rechtsqualität abnimmt. Auch hier vermögen die umweltrechtlichen Vorsorgevorschriften ein treffendes Beispiel zu geben. Mit abnehmender Individualisierbarkeit eines Interessenobjekts steigt der Grad seiner kollektiven Relevanz. Individuelles Interesse hat also im Recht in diesem Sinne eine Exklusionswirkung, welche durch die privilegierende Wirkung des subjektiven Rechts zusätzlich unterstrichen wird. Von daher verwundert es auch nicht, dass gerade auf dem Schauplatz des öffentlichen Rechts sich die Frage nach der Natur subjektiver Rechte in besonders deutlicher Form stellt, da dieses Rechtsgebiet mit seinen Mechanismen der Publifizierung ursprünglich privater Interessen die Abstraktion als besonders charakteristisches Merkmal in sich trägt. Es stellt sich also in solchen Fällen, in denen die subjektive Qualität eines normativ generierten Guts zur Debatte steht, sodann die Frage, nach welchen Kriterien ein solches Gut zum Rechtsgut aufgewertet wird. Solche Kriterien gibt es bislang nicht: Es bleibt im Kern eine zwar rationalisierbare, aber kaum abschließend begründbare Wertentscheidung, welches Gut Rechtsgut sein soll und welches nicht. Letztlich läuft die Frage nach der Anerkennungswürdigkeit eines Interessenobjekts als Rechtsgut als auf die Frage nach der Rationalisierbarkeit des Anerkennungsvorgangs durch Mittel der juristischen Methode hinaus. Die Methodenfrage stellt sich namentlich hinsichtlich des Vorgangs richterlicher Entscheidungsfindung. In Ansehung der vergleichsweise abstrakten Steuerungsbefehle umweltrechtlicher Prinzipien gewinnt die richterliche Normkonkretisierung besondere Bedeutung. Wo die Rechtsordnung nämlich zu Lasten juridischer Dezision politische Programmappelle vermehrt zum Gegenstand rechtlicher Steuerung macht, politisiert sie gleichzeitig die Strukturen richterlicher Entscheidung. Dies gilt sowohl in Ansehung des umweltrechtlichen Vorsorgeprinzips wie insbesondere auch des Nachhaltigkeitsgrundsatzes. Der durch die Interessenjurisprudenz vorgesehenen subsidiären Eigenwertung des Richters bei der Ermittlung und Bewertung eines gesetzlich geregelten Interessenkonflikts wächst so eine wesentliche bestimmendere Funktion zu 960. Letztlich erfassbar ist diese Wertung in den Begriffen des Rechts kaum 961. Es kann allenfalls Indizien geben, die für oder gegen die Annahme der rechtlichen Anerkennung 960

s. dazu S. Brink, Über die richterliche Entscheidungsbegründung, 1999, S. 126. s. für eine ähnliche Problematik im Kontext des integrierten Umweltschutzes Masing, (Fn. 908), S. 551. 961

§ 7 Subjektive Rechte als Mechanismus des Gemeinwohlschutzes

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eines Interessenobjekts als Rechtsgut sprechen. Preuß unterscheidet bei den „Gegenständen“ des subjektiven Rechts zwischen marktfähigen Gütern und nichtmarktfähigen Gütern, verkürzt ausgedrückt zwischen öffentlichen Gütern und privaten 962. Voraussetzung für diese Differenzierung ist die Konstruktion des subjektiven Rechts als einem marktbezogenen Mechanismus. Hier bestätigt sich das Ergebnis, welches die historische Betrachtung des subjektiven Rechts erbracht hat, nämlich dass seine Ausgestaltung unmittelbar Aufschluss über die freiheitliche Struktur eines Gemeinwesens gibt 963. Markt nämlich ist der soziale Mechanismus eines freiheitlichen Ausgleichs divergierender Interessen, der von staatlicher Intervention weitgehend frei bleibt beziehungsweise bleiben soll. Der durch das Recht flankierte Interessenwiderstreit wird mit den Mechanismen des Marktes beigelegt, er sorgt für eine Verteilung der durch die Rechtsordnung dem Einzelnen zur Disposition gegebenen Güter. Nun sind nicht alle Güter gleichermaßen in diesem Sinne ökonomisierbar, sie sind in den Kategorien des exklusiven subjektiven Rechts nicht zu erfassen, da sie allenfalls einer joint consumption 964 unterliegen. Die Vorsorge vor Umweltschäden ist ein solches Gut, vor allem deshalb, weil sie zukunftsorientiert und weniger gegenwartsbezogen strukturiert ist und von daher für einen Handel am Markt der Gegenwart kaum taugt. Zum Teil lassen sich die kollektiven Güter dadurch ökonomisieren, dass sie bepreist werden und darüber die marktgängige Verknappung künstlich generiert wird 965. Auch hier jedoch ist die Umweltvorsorge kaum tauglich zu erfassen, allenfalls in Form eines „Freikaufens“ durch diejenigen, die gegen Umweltvorsorgestandards verstoßen – eine Methode, die als ultima ratio auch im Ausgleichsregime des Naturschutzrechts (Eingriffsvermeidung – Eingriffsausgleich – finanzielle Kompensation) etabliert ist. Dass es sich bei der Umweltvorsorge beziehungsweise der durch sie geschützten Umwelt jedoch um ein klassisches Kollektivgut handelt, wird an zwei Dingen deutlich. Sie ist, wie Infrastrukturen, in einem gewissen Sinne Voraussetzung für die Freiheitsbetätigung des Einzelnen. Während Infrastrukturen allerdings sonst vor allem als Voraussetzung für die Produktion handelbarer, also privater Güter, angesehen werden, ist die durch Vorsorge erhaltene Umwelt in einem umfassenderen Sinne nicht Produktionsvoraussetzung, sondern Daseinsvoraussetzung des Menschen. Hinzu kommt, dass die sozialen Kosten kollektiver Güter nicht internalisierbar, also nicht individuell

962

U. K. Preuß, Die Internalisierung des Subjekts, 1979, S. 49 ff., 54 ff. s. dazu § 3 I. 2. b) (5). 964 s. aus „legal-ökonomischer“ Perspektive jetzt B. Böhler, Die Ökonomie der Umweltgüter, 2003, S. 40 ff. zu Umweltgütern in der ökonomischen Theorie. 965 Zu neueren Ansätzen der Bepreisung öffentlicher Güter s. B. S. Frey / S. Lüchinger / A. Stutzer, Valuing Public Goods: The Life Satisfaction Approach, abrufbar unter http:/ /www.iew.unizh.ch/wp/iewwp184.pdf. 963

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Teil E: Vorsorge als prozessuale Gemeinwohlkategorie

zuzuordnen sind 966. Nach dem ökonomischen Modell können daher kollektive Güter nicht Gegenstand von subjektiven Rechten sein. Ergänzend sei hier auf Folgendes hingewiesen: Die Probleme einer rechtlichen Fassbarkeit „ökologischer Güter“ stellt sich auch im Strafrecht 967. Dies knüpft an die Vorstellung eines bestimmten, gegen gesteigertes Unrecht in Schutz zu nehmenden Rechtsguts an. Gemeint ist damit ein subjektives Rechtsgut, mit anderen Worten also ein subjektives Recht. Wo es an diesem fehlt, geht aber der Pönalisierungsansatz des Strafrechts ins Leere, der ein quantifizierbares Unrecht verlangt. Dementsprechend tut sich die strafrechtliche Dogmatik nach wie vor schwer mit den weitgehend verwaltungsrechtsakzessorischen Umweltdelikten. Um der „Subjektivierungsfalle“ des Rechtsgutsbegriffs zu entgehen, wird daher vorgeschlagen, allein einen bestimmten Normverstoß zu bestrafen und die Notwendigkeit einer Rechtsverletzung, also das Erfolgsunrecht, entfallen zu lassen 968. Der Verlust an Steuerungsfähigkeit des Subjektiven wird damit auch für das Strafrecht offenbar. Das verletzte Recht, welches ein bestimmtes Rechtsgut bewehrt, wandelt sich damit zum kollektiven Interesse: Wo Erfolge nicht mit Bestimmtheit festzustellen sind, rückt ein bestimmtes Verhalten in den Mittelpunkt der Betrachtung, dem die Rechtsordnung die Fiktion eines Erfolgsunrechts zuschreibt. Entsprechend versucht das öffentliche Recht, die Gefahr eines Erfolges durch die Publifizierung der Vermeidungsinteressen zu unterbinden. Es stellt aber einem solchermaßen aggregierten Interesse nicht die gleiche Vollzugsmotivation an die Seite, wie bei einer echten Gefahr, was zu einem erheblichen Verwirklichungsverlust für diese Interessen führt. Hieraus resultiert das Vollzugsdefizit. Das Ergebnis unmöglicher Subjektivierbarkeit öffentlicher Güter vermag allerdings nicht zu überzeugen, und zwar aus folgenden Gründen: Die Betätigung individueller Freiheit beispielsweise in Form der Nutzung von Umweltressourcen ist heute lückenlos grundrechtlich unterfangen. Das heißt, dass jede Freiheitsbeschränkung durch den Staat einer besonderen Rechtfertigung bedarf. Bezogen auf die Nutzung von Umweltressourcen bedeutet dies konkret: Ihre Nutzung ist erlaubt, diese kann nur durch staatliche Intervention abgewendet oder gezielt gesteuert werden. Im Unterschied zur Nutzung privater Güter ist aber die Nutzung kollektiver Umweltgüter insofern ein Sonderfall, als dass diese in besonderem Maße Freiheitsvoraussetzung für Dritte, vor allem für zukünftige Generationen 966

Preuß, (Fn. 962), S. 57. s. dazu L. Schulz, Strafrecht als Rechtsgüterschutz – Probleme der Mediatisierung am Beispiel „ökologischer“ Güter, in: Lüderssen (Hg.), Aufgeklärte Kriminalpolitik oder Kampf gegen das Böse?, Bd. I, 1998, S. 208 ff.; weiter ebd. G. Staechlin, Interdependenzen zwischen der Rechtsgutstheorie und den Angriffswegen auf die dadurch bestimmten Güter, S. 239 ff. 968 G. Stratenwerth, Zukunftssicherung mit den Mitteln des Strafrechts?, ZStrW 105 (1993), S. 679 ff., 696. 967

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sind. Diesen zukünftigen Drittrechten an einer intakten Umwelt fehlt in unserer Rechtsordnung die Artikulationsfähigkeit, das heißt, sie bleiben notwendig hinter der grundrechtlich aufgeladenen Freiheitsbetätigung der gegenwärtig Lebenden zurück. Diese ist aber notwendig Ressourcenbeanspruchung, nicht Ressourcenschutz. Daher kann die rechtliche Freistellung solcher Kollektivgüter für den Bereich der Ausbeutung natürlicher Ressourcen aus den anderenorts schon erörterten Gründen 969 nicht überzeugen. Der Funktionslogik unserer Rechtsordnung folgend kann eine Berücksichtigung zukünftiger Interessen nur erfolgen, wenn sie selbst Gegenstand von Rechten werden. Mit anderen Worten: Die Rechtsordnung muss Interessen, die sich auf kollektive Güter beziehen, als schutzwürdig und also die Objekte als Rechtsgüter anerkennen. Eine solche Anerkennung erfolgt in praxi durch die Gerichte, welche die Verletzung von Vorschriften zum Schutz kollektiver Güter als klagebefugend ansehen müssten. Gleichwohl muss es daneben eine den Maßstäben juristischer Rationalität genügende Begründung für eine solche Annahme geben. Im Folgenden soll es daher um eine genauere Betrachtung des Verhältnisses von subjektiven Rechten und kollektiven Gütern, anders formuliert, von subjektiven Rechten und Belangen des Gemeinwohls gehen.

II. Subjektive Rechte und Belange des Gemeinwohls 1. Zur soziologischen und juristischen Funktion subjektiver Rechte a) Reziprozität und Komplementarität sozialer Beziehungen Der Begriff des subjektiven Rechts (sei es privatrechtlicher oder öffentlichrechtlicher Natur) ist nicht allein Gegenstand rechtswissenschaftlicher Betrachtung, sondern auch Gegenstand der Rechtssoziologie, die es divergierend bestimmt und analysiert. Weber lehnt sich mit seiner Definition, dass eine Person durch ein subjektives Recht „die durch den einverständnismäßig geltenden Sinn einer Rechtsnorm faktisch garantierte Chance“ habe, für die Durchsetzung bestimmter Zwecke notwendige staatliche Unterstützung zu erhalten 970, recht nah an die auch heute noch verbreitete juristische Definition der dem Einzelnen verliehenen „subjektiven Rechtsmacht“ 971 an und bestimmt damit den soziologischen Begriff des subjektiven Rechts weitgehend mit den Mitteln der Rechtswissenschaft. Lévy-Bruhl versteht das subjektive Recht demgegenüber gleichsam als Freiheitsenklave des Individuums, die vom objektiven Recht gewährt wer969 970 971

s. dazu § 2 II. 3. c) (3). M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Bd. I, 5. Aufl. 1976, S. 237. s. den Überblick bei Schmidt-Preuß, (Fn. 15), S. 186 ff.

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de 972 und verkürzt damit aus juristischer Perspektive die Bedeutung subjektiver Rechte, jedenfalls mindert er ihre Bedeutung durch die Art der dogmatischen Ableitung. Von Interesse ist sein Ansatz jedoch insoweit, als dass in ihm das spezielle Verhältnis von subjektivem Recht und objektiver Rechtsordnung, das auch aus juristischer Perspektive besonderer Aufmerksamkeit bedarf, besonders hervortritt. Luhmann stellte 1970 die Frage nach der „Funktion der subjektiven Rechte“ 973 und nahm in der Fragestellung bereits Teile der von ihm gegebenen Antwort vorweg. Nicht um das Subjekt gehe es bei subjektiven Rechten, sondern vielmehr um die Funktion solcher Rechte, die als subjektiv gekennzeichnet würden. Weder sei nämlich das Subjekt Rechtsquelle (im Sinne von „Je veux, donc j’ai des droits“ 974), auch sei nicht die individuelle Dispositionsfähigkeit Merkmal subjektiver Rechte 975, ebenso wenig wie es den subjektiven Rechten allein um individuelle Interessen gehe 976. Luhmanns funktionaler Ansatz gründet sich in einer Konstruktion sozialer Beziehungen als entweder komplementär oder reziprok. Komplementär sind danach solche Sozialbeziehungen, bei denen beide Seiten den gleichen Erwartungshorizont haben, aber nur eine Seite zur Erbringung einer Leistung verpflichtet ist (Beispiel: A und B erwarten beide, dass B eine Leistung an A erbringt). Demgegenüber zeichneten sich reziproke 977 Beziehungen dadurch aus, dass auch die Leistungen jedenfalls formal symmetrisch geordnet seien (im Sinne der englischen vertragsrechtlichen Consideration-Dogmatik gesprochen, nicht zwingend „equal“ aber jedenfalls „adequate“ 978). Der damit angestrebte Zustand der Gerechtigkeit wird freilich erst unter Hinzuziehung materialer Gerechtigkeitsvorstellungen erreicht (gleichsam im Sinne eines „not adequate but equal“). Wird dieses unterlassen, bleibt die Zuordnung allein formal. Diese Form der Reziprozität, so Luhmann, sei dem Rechtsdenken des alteuropäischen Rechtskreises lange Zeit zu Eigen gewesen. Der Begriff „ius“ sei nicht im Sinne von „Anspruch“, sondern als Synonym für ein ausbalanciertes, 972

L. Lévy-Bruhl, Sociologie du Droit, 1961, S. 5 f. s. den gleichnamigen Beitrag N. Luhmanns in JBRS 1970, Bd. I, S. 322 ff. 974 R. Saleilles, De la personnalité juridique – Histoires et théories, 1922, S. 535. 975 So auch J. Schmidt, Ein soziologischer Begriff des „subjektiven Rechts“, JBRS 1970, Bd. I, S. 299 ff., 302; dies stieße, als absolut gesetzt, abseits der von Luhmann genannten Bedenken, auch auf den Vorbehalt objektiver Rechtsgehalte, die nach ganz überwiegender Auffassung auch in subjektiven Rechten verankert sind, dazu Herdegen, (Fn. 4), S. 163. 976 Zum Verhältnis von subjektivem Rechtsgehalt und Allgemeininteresse Herdegen, (Fn. 4), S. 161 ff.; Schmidt, (Fn. 975), S. 303 m.w. N. dekonstruiert die juristische Perspektive auf das Schutzgut als Gegenstand des subjektiven Rechts und rückt die auf das Schutzgut bezogenen Handlungen und Unterlassungen anderer in den Mittelpunkt. 977 Der Begriff der Reziprozität ist nach wie vor ein wichtiger Terminus der soziologischen Forschung, s. dazu F. Adloff / S. Mau (Hg.), Vom Geben und Nehmen, 2005. 978 Insgesamt dazu Luhmann, (Fn. 973), S. 323. 973

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selbsttragendes Rechtsverhältnis verstanden worden 979, das Rechtsanspruch und Rechtspflicht gleichermaßen erfasse. Demgegenüber habe der Begriff des subjektiven Rechts heute eine andere Bedeutung, weil er das Erfordernis der Reziprozität zugunsten der bloßen Komplementarität aufgegeben habe 980. Berechtigung sei damit nun ohne gleichzeitige Verpflichtung zu denken 981. Mit der Aufgabe der Gegenleistungsverpflichtung habe das subjektive Recht gegenüber dem „ius“ alter Provenienz den gerechtigkeitsgenerierenden Ausgleich aufgegeben. Dieser Gerechtigkeitsverzicht korreliert nach Luhmann mit einem Entwicklungsmerkmal moderner Gesellschaften. Die funktionale Differenzierung der Gesellschaft habe die Notwendigkeit zu einer Abstraktion und Spezifikation sozialer Beziehungen mit sich gebracht. Die mit dem überkommenen reziproken Rechtsbegriff verbundene Vorstellung, ein Gerechtigkeitsausgleich lasse sich jeweils in casu der Sozialbeziehung bewerkstelligen, wird ersetzt durch eine soziale Gesamtbetrachtung. Danach findet der angestrebte Gerechtigkeitsausgleich „umgeleitet“ in den unterschiedlichen Rollenbeziehungen statt, die ein Individuum eingeht, die teils rein pflichtig, teils anspruchsbegründend seien 982. Das Recht und also die subjektiven Rechte erhalten dadurch eine höhere adaptive Elastizität an die Strukturen der Gesellschaft. Dieser Zuwachs an Adaptionsflexibilität ist in bestimmter Hinsicht von besonderer Bedeutung. Einher mit der systemischen Ausdifferenzierung der Gesellschaft geht nämlich das Bedürfnis, die daraus resultierenden Probleme ebenso spezifisch zu lösen. Die Herauslösung des Rechts aus den Zwängen der Komplementarität hat eine Generalisierung seiner Strukturen bewirkt, die es erlaubt, das subjektive Recht als Problemlösungsmechanismus nicht nur dort einzusetzen, wo ein Interessenabgleich geschehen muss (im Sinne der Reziprozität), sondern auch andernorts. Mit anderen Worten: Das Auseinanderfallen von Problem und Lösung beziehungsweise der Ausgleich von Gerechtigkeitsansprüchen wird durch das komplementäre Verständnis subjektiver Rechte ermöglicht 983. Insofern bewirken subjektive Rechte aus soziologischer Perspektive eben nicht primär den Schutz von individuellen Interessen (oder eben Rechten), sondern dienen als Organisationsmechanismus gesellschaftlicher Problemlösung 984. 979

Luhmann, (Fn. 973), S. 324. s. zum Aspekt der Reziprozität im Kontext der Debatte um die Rechte zukünftiger Generationen Appel, (Fn. 13), S. 74 f. 981 Luhmann, (Fn. 973), S. 325. 982 Luhmann, (Fn. 973), S. 327. 983 Es sei die These gewagt, dass sich aus diesem Auseinanderfallen von Problem und Lösung bzw. durch diese Problemlösungsfunktionalisierung subjektiver Rechte zu einem Gutteil die dogmatischen Probleme des multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnisses ergeben, zu letzterem Schmidt-Preuß, (Fn. 15), S. 84, der die künstliche Separation des Staat-Bürger- und des Bürger-Bürger-Verhältnisses durch Mechanismen des subjektiven öffentlichen Rechts beschreibt. 980

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Damit ist dem gerechtigkeitsorientierten Anspruch der Reziprozität nicht per se eine Absage erteilt. Der Ausgleich von Rechten und Pflichten kann nicht auf- oder den Wechselfällen des Zufalls anheim gegeben werden, weil er gerechtigkeitsrelevant ist. Eine gänzliche Preisgabe dieses Anspruchs korrespondiert mit der ökonomistischen Variante der liberalen Staats- und Gesellschaftsidee, die dem subjektiven Recht als Annex zum freien Subjekt ideologische Priorität einräumt 985. Vom beschriebenen soziologischen Standpunkt aus betrachtet, mutet der hier unternommene Versuch, subjektiven Rechten unter gemeinwohlrelevantem Blickwinkel eine Funktion im Hinblick auf umweltrechtliche Vorsorge einzuräumen weitaus weniger problematisch an, als es von rein juristischem Standpunkt aus erscheinen mag. Subjektive Rechte erfüllen bereits in ihrer gegenwärtigen Fassung erhebliche soziale Funktionen der genannten Art, die aber im juristischen Diskurs kaum je thematisiert werden. b) Subjektive Rechte und objektive Rechtsordnung (1) Zur Durchsetzbarkeit als Unterscheidungskriterium Das Verhältnis des subjektiven öffentlichen Rechts zur objektiven Rechtsordnung geht über die geometrische Vorstellung zweier sich zur Gesamtrechtsordnung ergänzender Halbkreise weit hinaus. Subjektives Recht und objektive Rechtsordnung stehen in einem vielfältigen Wechselwirkungsverhältnis, das kaum auf einen eindeutigen Nenner zu bringen ist 986. Entscheidender Unterschied zwischen subjektivrechtlichen Normen und solchen des objektiven Rechts ist die Möglichkeit ihrer Durchsetzung durch Private 987. Während Ansprüche, die auf subjektive Rechte zurückgehen, im Zwangswege durchgesetzt werden können und diese Durchsetzbarkeit als Wesenselement in sich tragen 988, verbleiben Normen des objektiven Rechts entweder im Zustand allgemeiner normativer Verbindlichkeit oder im Zustand des Vollzugs durch Träger hoheitlicher Gewalt. Neben der formellen Unterscheidung nach dem Kriterium der Durchsetzbarkeit ist aber auch ein Zusammenhang beider 984 Dementsprechend lässt sich Reziprozität auch deuten als umfassenderer Mechanismus der Organisation eines Gemeinwesens insgesamt, s. S. Lessenich / S. Mau, Reziprozität und Wohlfahrtsstaat, in: Adloff / Mau (Hg.), (Fn. 977), S. 257 ff., 260 f. 985 s. insoweit zur „binnen“-liberalen Gegenthese, die den Zusammenhang von Freiheit und Verantwortung betont F. A. v. Hayek, Die Verfassung der Freiheit, 3. Aufl. 1991, S. 89 ff. 986 s. rechtsgeschichtlich beispielsweise Thon, (Fn. 443), S. 108 ff.; E. Jung, Subjektives Recht und objektives Recht, 1939. 987 s. aber zur historischen Entwicklung, in der zeitweise durchsetzbaren privaten subjektiven Rechten die nichtdurchsetzbaren subjektiven öffentlichen Rechte gegenüberstanden, ausführlich Bauer, (Fn. 5), S. 71. 988 Herdegen, (Fn. 4), S. 161.

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Sphären nicht zu leugnen. Vor allem den subjektiven Rechten ist eine spezifische objektivrechtliche Dimension zu Eigen. Gerade an den Grundrechten wird deutlich, dass es eine objektive Entscheidung des Gesetzgebers für den in ihnen verkörperten „Wert“ gibt 989. Erkennbar wird der objektive Gehalt subjektiver Rechte besonders an der nach wie vor fortschreitenden Konstitutionalisierung der Rechtsordnung, also der verfassungsrechtlichen Durchdringung und Überformung des einfachen Rechts 990. Diese geht mittlerweile so weit, dass das Bundesverfassungsgericht zivilrechtliche Verträge unter Rückgriff auf Verfassungsrecht, namentlich Art. 2 Abs. 1 GG „kippt“ (Bürgschaft) 991, und auf dieser Weise z. B. eine verfassungsrechtliche Interpretation genuin zivilrechtlicher Institute, hier der Privatautonomie, postuliert. Vor diesem Hintergrund kommt der Durchsetzbarkeit subjektiver Rechte nicht allein eine individualschützende Funktion zu, sondern auch die, die Normativität der positiven Rechtsordnung beziehungsweise auch die des objektiven Rechts zu sichern 992. Dies ist insbesondere dort der Fall, wo die Zuerkennung des subjektiven Rechts nicht primär dem Schutz materieller Rechtspositionen dienen soll, sondern der Durchsetzung der objektiven Rechtsordnung. Vor allem relevant ist hier der allgemeine Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 GG, in dem eine deutlich objektiv überformte Entscheidung für ein rechtsstaatlich organisiertes Gemeinwesen zum Ausdruck kommt 993. Die Rüge seiner Verletzung ist mindestens ebenso stark eine objektiv-, wie eine subjektivrechtliche 994.

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s. dazu unter § 5 III. 2. s. zur (objektivrechtlichen) Konstitutionalisierung z. B. F. Clemens, Entgeltumwandlung zur betrieblichen Altersvorsorge, 2005, S. 139 ff. zu gleichheitsrechtlichen Fragen im Hinblick auf die Gestaltung von Versicherungsverträgen, namentlich im Lichte des Art. 141 EG (ex-Art. 119) sowie Art. 3 GG; L. Leuschner, Verkehrsinteresse und Verfassungsrecht, 2005; K. Bengsch, Der verfassungsrechtlich geforderte Mindestkündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 2005; J. C. Bartelt, Beschränkung des Schadensersatzumfangs durch das Übermaßverbot?, 2004; und allgemein dazu G. F. Schuppert / C. Bumke, Die Konstitutionalisierung der Rechtsordnung, 2000; kritisch zur Konstitutionalisierung als Überdehnung der grundrechtsdogmatischen Prinzipientheorie R. Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 82 ff. 991 Z. B. in BVerfG, NJW 1994, S. 2749. 992 Herdegen, (Fn. 4), S. 162. 993 Rechtsgleichheit als zentrale Forderung des Rechtsstaatsprinzips erläutert z. B. bei Sobota, (Fn. 800), S. 59 f. mit der Unterscheidung zwischen der Gleichheit vor dem Gesetz und der gleichmäßigen Rechtshandhabung, s. weiter S. Huster, Rechte und Ziele, 1993 sowie L. Michael, Der allgemeine Gleichheitssatz als Methodennorm komparativer Systeme, 1997. 994 Herdegen, (Fn. 4), S. 163. 990

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(2) Zur Objektivität des Öffentlichen Rechts Im engen Zusammenhang mit der Frage nach dem Verhältnis zwischen subjektivem und objektivem Recht steht für das öffentliche Recht die Frage nach seiner Objektivität schlechthin. Einig ist man sich, dass das Zivilrecht eine rechtliche Gegenseitigkeitsordnung etabliert 995, in der Streitigkeiten als eine „Collision von Recht und Gegenrecht“ 996 begriffen werden, beruhend auf dem der Gegenseitigkeit innewohnenden Element der Gleichordnung – mit anderen Worten: der Koordination 997. Rechtsgeschichtlich betrachtet sind solche Elemente einer Gegenseitigkeit dem öffentlichen Recht eher fremd (geworden). Zwar wird mit Rousseaus „Contrat Social“ eine der Gründungsurkunden neuzeitlicher Staatslehre auf dem Theorem einer vertraglichen Beziehung errichtet 998. Es handelt sich dabei aber um eine vorstaatliche Beziehung unter Gleichen, welche erst Staatlichkeit konstituiert und gerade nicht um eine Koordinationsbeziehung zwischen Staat und Individuum 999. Von daher ist auch dort keine Aussage über eine Gegenseitigkeitsdimension des Öffentlichen getroffen, als dessen Untergattung das öffentliche Recht zu begreifen ist. Im Gegenteil scheint gerade des öffentliche Recht auf intersubjektive 1000 Gültigkeit, verstanden als Gültigkeit inter omnes, angewiesen zu sein, um als Teilrechtsordnung Gültigkeit beanspruchen zu können 1001. Ihm kommt im Sinne der Luhmann’schen These von Reziprozität und Komplementarität der Sozialbeziehungen die Funktion einer „Erwartungskoordinierung“ und „Handlungsorientierung“ zu, die zwangsläufig eine generelle sein muss 1002. Besonders deutlich wird dies, wenn man sich die Moderationsfunktion des Rechts verdeutlicht, welche ihm im Fall des Rechtsstreits zukommt. Zwangsläufig muss sich das Recht dann von der Sichtweise der Parteien emanzipieren, um Funktionalität und Akzeptabilität zu wahren 1003. Dieser im Grundsatz bestehenden Orientierung auf das Objektive hin widerspricht es nur auf den ersten Blick, dass die privat- wie öffentlich-rechtliche Rechtsordnung der Sache nach den einzelnen Menschen in den Blick nimmt 1004. Denn zwar strebt die Rechts995 Dazu und zur Scheidung von privatem und öffentlichem Recht W. Henke, Recht und Staat, 1988, S. 631 f. 996 v. Gneist, (Fn. 640), S. 265. 997 Zu Koordination und Subordination im Kontext subjektiver Rechte und objektiven Rechts s. Herdegen, (Fn. 4), S. 165. 998 s. auch G. Haverkate, Verfassungslehre, 1992, der das Verfassungsrecht als weitgehend auf dem Reziprozitätstheorem aufbauend deutet. 999 Zur spezifischen Beziehung von individueller Freiheit und freiwillig eingegangener Unterwerfung unter (staatliche) Macht Henke, (Fn. 995), S. 44. 1000 Dazu M. Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 1 ff. 1001 Henke, (Fn. 995), S. 637 f. beschreibt die Funktion, welche dem öffentlichen Recht gegenüber dem durch das Zivilrecht gestalteten Rechtskreis zukommt. 1002 Morlok, (Fn. 1000), S. 1, 10. 1003 Dazu V. Gessner, Recht und Konflikt, 1976, S. 177 ff.

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ordnung Gerechtigkeit im Einzelfall an, jedoch unter Anlegung von Maßstäben, die durch Generalisierung, Typisierung und Abstraktion 1005 geläutert wurden. Freilich ist nicht zu leugnen, dass durch die Vergröberung des rechtlichen Fokus, welche die Objektivierung mit sich bringt, Friktionen zwischen objektivem Recht und subjektivem Recht entstehen, die sich als grundlegende Antinomie deuten lassen 1006. Ursache dieser Antinomie ist wesentlich nicht allein die Objektivierung des Rechts, sondern einmal der damit verbundene funktionale Zuwachs, nämlich die überindividuelle Moderationsfunktion im Falle konkurrierender Interessen. Zweitens bewirkt die Abstraktion vom Individuum eine Herauslösung des individuellen Interesses aus konkreten Bezugsrahmen. Abstraktion bewirkt damit Vereinfachung und Vernachlässigung individuell motivierter Detailaspekte zugunsten eines Rationalitätsgewinns – aber unter Inkaufnahme der Hintanstellung individueller Einzelinteressen 1007. Auf der anderen Seite nimmt die moderne (objektive) Rechtsordnung in Teilen ganz bewusst subjektive Überzeugungen, das Selbstverständnis des Einzelnen, in Bezug und kultiviert sie zu einem Rechtskriterium 1008. Dies hat neben anderem seinen Grund darin, dass sich individuelle Freiheit und soziale Gebundenheit im Einzelnen berühren, nicht notwendig gleichgerichtet, aber auch nicht unabhängig voneinander sind 1009. Konkret gewendet ergibt sich daraus weiter, dass der vom Recht erhobene Anspruch auf Herrschaft, der in seiner Universalität ebenso Voraussetzung legitimen Rechts wie rechtfertigungsbedürftig ist, in eine Beziehung gesetzt wird zum Individuum. Dies geschieht vornehmlich durch die demokratische Aufwertung des institutionalisierten Rechtssetzungsprozesses und durch die Grundrechte 1010. Schließlich vermag aus sozialwissenschaftlicher Perspektive der Befund der Individualisierung und Pluralisierung in einer differenzierten Gesellschaft Aufschluss darüber zu geben, dass dem Recht eine sachlich korrelierende Anpassungslast obliegt. Mit anderen Worten: Soziale Individualisierung verlangt jedenfalls in einem bestimmten Umfang nach rechtlicher Pluralisierung 1011. In dieser Kontrastierung beider Sphären kommt die sich auf einer höheren Ab1004 J. Esser, Wandlungen von Billigkeit und Billigkeitsrechtsprechung im modernen Privatrecht, in: Summum ius summa iniuria, 1963, S. 22 ff., 31 f. spricht vom Recht des Einzelnen als „Zentrum der Rechtswelt“. 1005 Morlok, (Fn. 1000), S. 10. 1006 K. Larenz, Fall – Norm – Typus, in: Ritzel (Hg.), Rationalität, Phänomenalität, Individualität, FS Glockner, 1966, S. 149 ff. 1007 In diesem Sinne ist privates Recht „personal“, öffentliches Recht aber gerade unpersönlich, dazu Henke, (Fn. 995), S. 640 f. 1008 Morlok, (Fn. 1000), S. 34 ff. 1009 Dazu Morlok, (Fn. 1000), S. 227, der die Nichtidentität der individuellen und sozialen Perspektive behandelt und das Spannungsverhältnis zwischen Individuum und sozialer Ordnung unter rechtlichem Blickwinkel näher erörtert. 1010 Morlok, (Fn. 1000), S. 230.

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straktionsebene bewegende Scheidung von Staat und Gesellschaft, wie sie in unterschiedlichen Kontexten immer wieder rechtswissenschaftlich thematisiert wurde, zum Ausdruck. Vor diesem Hintergrund lässt sich die vorgefundene Sachlage, das Verhältnis von objektiver Rechtsordnung und subjektiven Rechten betreffend, verdichten hin zu der These, dass es sich hier nicht um ein bloß zufälliges, sondern ein notwendiges Interdependenzverhältnis handelt. Damit verbunden ist einmal die Erkenntnis, dass eine puristische Scheidung beider Bereiche weder gegeben, noch zwingend geboten ist. Hinzu kommt, dass eine Verschränkung beider Sphären als Strategie zur Bewältigung bestimmter rechtlicher Problemlagen sich jedenfalls nicht dem Vorwurf aussetzen lassen muss, ein rechtsordnungsfremdes Phänomen zu sein. Genau betrachtet ist das Gegenteil der Fall. Im Ergebnis lässt sich daher festhalten: Das Verhältnis von subjektiven Rechten und objektiver Rechtsordnung lässt sich deuten als das einer notwendig gegenseitigen Wechselbeziehung. In ihr spiegelt sich in concreto das abstrakte Verhältnis von Staat und Gesellschaft, die sich überwiegend durch objektives Recht (Staat) und subjektives Recht (Gesellschaft) konstituieren und zueinander ebenfalls in einem wechselbezüglichen Verhältnis der Konfluenz stehen 1012. Im Folgenden soll dieses Ergebnis untersucht, entfaltet und konkretisiert werden: Dies geschieht anhand der Bedeutung von öffentlichen Interessen im konkreten gerichtlichen Prozess, oder, mit anderen Worten, am öffentlichen Interesse, das an der Geltendmachung subjektiver Rechte im Hinblick auf ihr (soziologisches) Problemlösungspotential besteht. 2. Das Öffentliche Interesse an der Geltendmachung subjektiver Rechte Das gerichtliche Verfahren, der Prozess, ist einerseits Gegenstand des öffentlichen Interesses und dient andererseits seiner Befriedigung. Die verwaltungsrichterliche Tätigkeit dient dabei mit den Mitteln Verfahrensordnung der Konkretisierung des Gemeinwohls 1013 und zwar in doppelter Hinsicht. Einmal bringt der Richter in rechtsgültiger Weise Gemeinwohlnormativierungen zur Geltung, indem er sie seinem Urteilsspruch zugrunde legt 1014, auf der anderen Seite bedient er die Befriedungsfunktion, die einem verfahrensmäßigen Prozess zukommt. 1011

Insofern einen Gegenentwurf vertretend U. Di Fabio, Das Recht offener Staaten, 1998, S. 15 f., 35 f., 80 f., der Tendenzen der Entdifferenzierung und Re-Integration als Mechanismen einer Komplexitätsbewältigung beschreibt. 1012 Dazu ausführlich unter § 7 III. 1. b); s. zur Bedeutung des Gegensatzes objektivsubjektiv für den Rechtsschutz Krebs, (Fn. 764), S. 191 ff., passim. 1013 M. Kaufmann, Untersuchungsgrundsatz und Verwaltungsgerichtsbarkeit, 2002, S. 286. 1014 Kaufmann, (Fn. 1013), S. 286.

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a) Das Öffentliche Interesse im Prozess 1015 Wurzelnd in den Vorstellungen des Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts sind öffentliche Interessen wesensimmanenter Teil des Verwaltungsprozesses, sie bilden nachgerade seinen Kern, gekleidet jeweils in die Hülle des konkreten Prozessrechtsverhältnisses. Diese Fundierung auf öffentlichen Interessen tritt unterschiedlich stark in Erscheinung. Während bei Streitigkeiten zwischen Trägern hoheitlicher Gewalt, zu denken ist hier beispielsweise an den Kommunalverfassungsstreit 1016, bei denen der Bezug zum Öffentlichen (in Form des ÖffentlichRechtlichen) offenbar sein mag, ist dies bei den klassischen, subordinativ strukturierten Streitigkeiten 1017 nicht auf den ersten Blick der Fall. In diesen Fällen ist aus dem konstitutionalistischen Blickwinkel an die Gewaltenteilung und die Gesetzesbindung der Verwaltung als Grundmerkmal verfasster Rechtsstaaten zu erinnern 1018, wenn man nicht sogar so weit gehen will, im Prozess „die Fortsetzung der Verwaltung mit anderen Mitteln“ 1019 zu sehen. Fraglich bleibt allein, welche Form solchermaßen vermutete öffentliche Interessen annehmen sollen, ob sie als prozessrelevante Kategorie formell- oder materiellrechtlich in das Verfahren eingeführt werden sollen oder bereits Teil dessen sind. Zweifel an ersterem Ansatz sind, das wird an diesen Fragen deutlich, angebracht. Aus staatsorganisationsrechtlicher Perspektive stößt diese Sichtweise nämlich auf erhebliche Bedenken 1020. Die Gesetzesbindung der Gerichte aus Art. 97 Abs. 1 GG hat zwar die Stoßrichtung, die Unabhängigkeit des Richters zu gewährleisten, ihn jedoch gleichzeitig in verfassungsstaatlicher Weise dem Gesetz zu unterwerfen. Außerrechtliche öffentliche Interessen können daher für die Rechtsanwendung im Prozess nur dort eine entscheidungserhebliche Rolle spielen, wo sie normativiert sind, dem Gemeinwohl positivrechtlich Ausdruck verleihen 1021. Dies darf jedoch nicht ausblenden, dass das Stattfinden des Prozesses selbst durchaus im öffentlichen Interesse liegt, und zwar im individuellen Interesse 1015

Die folgende Untergliederung der Bezugskategorien des „öffentlichen Interesses“ ist bei Kaufmann (Fn. 1013), S. 286 ff. entlehnt, verfolgt aber im Detail leichte Modifikationen; s. auch H. Koch, Prozessführung im öffentlichen Interesse, 1983, S. 13 f., der ähnlich differenziert. 1016 s. hierzu umfassend R. Bleutge, Der Kommunalverfassungsstreit, 1970, passim. 1017 Als typischen Fall verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes bezeichnet von W. Kuhla / J. Hüttenbrink / J. Endler, Der Verwaltungsprozess, 3. Aufl. 2002, A Rn. 4. 1018 Dazu W. v. Calker, Die Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten, in: Anschütz / Thoma (Hg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. I, 1930, § 5 S. 52. 1019 So – diese Ansicht fortschreibend – z. B. D. Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, 2000, § 1 Rn. 5. 1020 s. dazu detailliert Kaufmann, (Fn. 1013), S. 291. 1021 Gegen eine in diese Sinne administrativ-politische Verwaltungsgerichtsbarkeit z. B. Lorenz, (Fn. 1019), § 5 Rn. 5; s. zur Notwendigkeit der Positivierung abstrakter rechtlicher Argumentationsfiguren J. Krüper, Alle Bekenntnisse sind in der Schule gleich, NdsVBl. 2005, S. 249 ff., 252.

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der Prozesspartei, wie im generellen der rechtsunterworfenen Staatsbürger als Gemeinschaft. Dies hat seinen Grund im Gewaltmonopol des demokratischen Rechtsstaates. Um der Berechenbarkeit und der persönlichen Sicherheit willen ist die Ausübung von Zwang zur Durchsetzung von Rechten in der Hand des Staates monopolisiert. Der Bürger ist auf die Tätigkeit staatlicher Organe zur Durchsetzung seiner Rechtspositionen angewiesen 1022. Der Ausfluss des Gewaltmonopols im Gerichtswesen ist der korrespondierende Justizgewährungsanspruch 1023 fußend auf Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG. In dem Maße nämlich, wie dem Bürger das Verfolgen eigener Rechte von Verfassungs wegen aus der Hand genommen ist, wächst die Durchsetzungslast staatlicher Stellen 1024. Gewährleisten der Staat und seine Organe die Durchsetzung privater wie öffentlicher subjektiver Rechte nicht oder nicht hinreichend, so verliert das Gewaltmonopol als Garant der inneren Sicherheit an Wirkungsmächtigkeit 1025. Dies hat zur Folge, dass das Vertrauen in die Geltungsmacht subjektiver Rechte sinkt. Zudem wird die auf Friedfertigkeit ausgelegte gesellschaftliche Grundordnung damit in ihren Grundfesten bedroht. Auf einer verfassungsprinzipiellen Ebene dient die Garantie eines gerichtsmäßigen Verfahrens der Garantie formaler (noch nicht zwingend materieller, dazu unten) Rechtsstaatsgarantien. b) Das Öffentliche Interesse am materiellen Prozessergebnis Öffentliches Interesse besteht jedoch nicht allein am Prozess, sondern unter Umständen auch an seinem Ergebnis. Dafür gibt es vor allem zwei Gründe: (1) Rechtsstaat und Öffentlichkeit Zunächst einmal kann der Öffentlichkeit kaum ein Interesse daran abgesprochen werden, dass am Ende eines Prozesses ein gerechtes, mindestens jedoch ein 1022 Zum Gewaltmonopol und dem Gerichtswesen s. R. Herzog, Ziele, Vorbehalte und Grenzen der Staatstätigkeit, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HStR, Bd. IV, 3. Aufl. 2006, § 72 Rn. 26. 1023 Dazu H.-J. Papier, Justizgewährungsanspruch, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HStR, Bd. VI, 2. Aufl. 2001, § 153 Rn 1. 1024 s. zur verfassungsrechtlichen Dimension einer Durchsetzungsschwäche staatlicher Entscheidungen im Umweltbereich M. Kloepfer, Die Durchsetzung staatlicher Entscheidung als Verfassungsproblem, in: Börner (Hg.), Umwelt, Verfassung, Verwaltung, 1982, S. 13 ff., insbes. S. 18 ff.; s. auch P. Häberle, Praktische Grundrechtseffektivität insbesondere im Verhältnis zur Verwaltung und Rechtsprechung, Die Verwaltung 26 (1989), S. 409 ff., insbes. S. 416 ff. zur Popular- und Verbandsklage; s. zur Bedeutung unverbrüchlichen Rechts auch P. Kirchhof, Der deutsche Staat im Prozeß der europäischen Integration, in: ders., Stetige Verfassung und politische Erneuerung, 1995, S. 257 ff., 266. 1025 Zum Aspekt der Durchsetzbarkeit subjektiver Rechte als wesentlicher Bestandteil ihrer Definition, der in der geschilderten Situation ebenfalls der Relativierung anheim fiele s. Herdegen, (Fn. 4), S. 161.

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materiell richtiges Ergebnis steht 1026. Dogmatisch nimmt dies die Gestalt einer „zutreffenden Auslegung der einschlägigen Rechtsnormen“ 1027 an. Theoretisch fußt dieses Interesse auf genuin rechtsstaatlichen Erwägungen der materiellen Gesetzmäßigkeit sowie der Bindung der Gerichte an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG) 1028. Es werden als Begründung zum Teil auch Kategorien materieller Gerechtigkeit bemüht 1029. Eine solche Einschätzung mag zunächst als Übersteigerung der Kategorie „Öffentlichkeit“ angesehen werden. Sie ist aber jedenfalls dann naheliegend, wenn man angelehnt an Häberle Öffentlichkeit (im Zusammenhang mit Rechtsprechung 1030) nicht als konturenloses Abstraktum, sondern bereichsspezifisch 1031 konstruiert. Dabei meint Öffentlichkeit keineswegs allein die Gerichtsöffentlichkeit, wie sie durch § 169 S. 1 GVG angeordnet wird, sondern eine im besten Sinne interessierte Öffentlichkeit, wie sie z. B. – korporativ gedeutet – in den §§ 58 ff BNatSchG und den dort niedergelegten Vereinsverfahrensbeteiligungsrechten zum Ausdruck kommt 1032. Gleichwohl darf man auch bei Anerkennung öffentlichen Interesses am Prozessergebnis richterliche Tätigkeit nicht zu einem Akt reiner Gerechtigkeitsfindung überhöhen, auch hier bleibt das Spannungsverhältnis zwischen dem Gerechten und dem Guten 1033 bestehen. Dies soll freilich materiell aufgelöst werden hin zu einem möglichst guten Ergebnis, wobei man sich mit der Fiktion behilft, dass ein gerechtes, weil verfahrensmäßiges Ergebnis ein gutes Ergebnis ist – einmal mehr muss dabei die legitimationsstiftende Wirkung des Verfahrens 1034 als Argument herhalten. 1026 Insofern anders, jedenfalls aber deutlicher als Kaufmann, (Fn. 1013), S. 291, der dies nur recht zurückhaltend annehmen will. 1027 Kaufmann, (Fn. 1013), S. 291. 1028 Von dem Erfordernis eines „ausgewogenen Rechtsschutzes“ spricht Schmidt-Aßmann, (Fn. 638), Art. 19 Abs. 4 Rn. 4; im Hinblick auf den Untersuchungsgrundsatz im Verwaltungsprozess auch W.-R. Schenke, in: Dolzer / Waldhoff (Hg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 46. Lfg. 1982, Art. 19 IV Rn. 87. 1029 J. Haverkämper, Die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Maximen des Verwaltungsprozessrechts, Diss. iur., Münster 1973, S. 84, 95 f. 1030 P. Häberle, Formen und Grenzen normierender Kraft der Öffentlichkeit in gemeinwohlhaltigen Fragen der Praxis, in: ders., Verfassung als öffentlicher Prozeß, 3. Aufl. 1998, S. 480 ff., 492. 1031 Zum Gedanken der Bereichsspezifität s. P. Häberle, z. B. in Europäische Verfassungslehre, 2002, S. 162 ff., 165.; ders., Gibt es eine europäische Öffentlichkeit, ThürVBl. 1998, S. 121 ff. 1032 Insoweit im Grundsatz anders Habermas, (Fn. 635), S. 435 f., der eine Spezialisierung der Öffentlichkeit auf bestimmte Inhalte als ihrem Wesen fremd ansieht. Öffentlichkeit beziehe sich auf nicht Funktion oder Inhalte der Kommunikation, sondern auf den im kommunikativen Handeln erzeugten sozialen Raum, S. 436. 1033 Rawls, (Fn. 354), S. 486 ff. 1034 Im Sinne von N. Luhmann, (Fn. 651); dazu in einem größeren Zusammenhang Fisahn, (Fn. 655), S. 326 f.

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Bereits an dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass unter dem Aspekt des „guten Ergebnisses“ ein verfahrensrechtlicher Zusammenhang nicht außer Acht gelassen werden darf. Es besteht nämlich nicht zwingend eine Korrespondenz zwischen dem, was materiell an Recht gesetzt ist und dem, was formell geltend gemacht werden kann: Je größer aber die Diskrepanz zwischen materiellem Recht und seiner formellem Durchsetzbarkeit, desto gewichtiger ist die Legitimationsfrage, die sich an den Prozess stellt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn andere Mechanismen, die den Vollzug des materiellen Rechts gewährleisten sollen, unzureichend bleiben 1035. Im Gegensatz zum „öffentlichem Interesse im Prozess“, welches sich als Ausdruck des formalen Rechtsstaats darstellt, ist das „öffentliche Interesse am Prozessergebnis“, wie es hier begegnet, Ausdruck einer Verpflichtung auf materielle rechtsstaatliche Gewährleistungen. (2) „Interessen durch Ideen“: Umweltschutz im Prozess Öffentliches Interesse, begriffen als eine Vielzahl privater Interessen, strebt nicht zwangsläufig und nicht zwingend ausschließlich 1036 auf die Mehrung persönlicher Vorteile. Menschliches Handeln ist zwar wesentlich durch individuelle Interessen determiniert, nicht aber allein: Menschliche Interessen sind nicht bloß selbstgeneriert, sondern auch Ausdruck von Theorien, Konzepten, Prinzipien, also normativen Leitbildern, denen sich Individuen verpflichtet fühlen 1037. Dies mögen einmal individualverpflichtende Ideen sein, aber auch kollektive oder korporative Akteure unterwerfen sich ihren teils spezifischen und für verbindlich gehaltenen Ideen 1038. Daher kann es, gewendet auf die hier vorrangig interessierenden umweltrechtlichen Konstellationen, ein Interesse am Prozessergebnis auch außerhalb der reinen, kunstgerechten Anwendung des positiven Rechts, außerhalb des Prozessrechtsverhältnisses als fassbarer Größe geben. Unterstellt man einen sozialen Konsens über einen rechtmäßigen und vor allem effektiven Schutz der natürlichen Umwelt, sei es aus unmittelbar anthropozentrisch motivierten Gründen oder z. B. aus Gründen religiös dominierter Achtung vor der Schöpfung 1039, so ist der Schritt zu einem daraus folgenden 1035

s. dazu § 7 III. 2. d) (1). s. hierzu bereits rechtsgeschichtlich R. v. Jhering. Der Kampf um’s Recht, 22. Aufl. 1929, S. 50: „In seinem Recht verteidigt er (der Einzelne) zugleich das Gesetz als die unerlässliche Ordnung des Gemeinwesens“. 1037 V. Vanberg / J.M. Buchanan, Interest and Theories in Constitutional Choice, Journal of Theoretical Politics 1 (1989), S. 49 ff. passim; s. weiter A. S. Yee, The Causal effects of Ideas on Policies, International Organization 50 (1996), S. 66 ff. 1038 C. Engel, Offene Gemeinwohldefinitionen, Preprints aus der Max-Planck-Projektgruppe „Recht der Gemeinschaftsgüter, 2000/16, abrufbar unter http://www.coll.mpg.de /pdf_dat/00016.pdf, S. 4. 1039 Ein Überblick zu den verschiedenen ethischen Begründungsansätzen findet sich bei v. d. Pfordten, (Fn. 18), S. 102 ff. 1036

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Interesse an effektivem Rechtsvollzug wie effektivem Rechtsschutz nur noch ein kleiner. Über die Trägerschaft eines solchen, dann notwendig fassbaren Rechts ist damit noch nichts ausgesagt. Festzustellen ist aber, dass ein gleichsam supraprozessuales Interesse am Vollzug bestimmter Normen, hier: des Umweltrechts, durchaus als gegeben vermutet und theoretisch unterfangen werden kann.

III. Gemeinwohlbelange zwischen Staat und Gesellschaft 1. Das Konzept der Trennung von Staat und Gesellschaft a) Zum Ausgangspunkt Das Verhältnis von societas civilis 1040 und verfasster res publica genießt seit jeher die Aufmerksamkeit der Staatslehre wie der Verfassungsrechtslehre, handelt es sich dabei doch um eine der Grundfragen, in denen sich die Rechtsund Verfassungsentwicklung eines Gemeinwesens spiegelt 1041. Abhängig vom jeweiligen gesellschaftswissenschaftlichen oder politischen Standpunkt wird die Trennung beider Sphären mal mehr betont, mal weniger 1042. Einigkeit herrscht jedoch insoweit, dass ihre trennscharfe Abgrenzung weder möglich noch wünschenswert ist, ebenso wenig wie der „totale Staat“ 1043 als Zustand ihrer völligen Kongruenz. Die Trennung und die Trennbarkeit beider Bereiche ist einerseits Ausdruck der Entstehung von Staaten als Körperschaften am Ausgang der frühen Neuzeit 1044 und andererseits der Etablierung einer bürgerlichen, in diesem Sinne freiheitlich-liberalen Gesellschaft vor allem seit dem 18. Jahrhundert. Dabei vollzog sich diese Entwicklung historisch betrachtet schrittweise von der Anerkennung 1040

Gemeint als „societas civilis sine imperio“ im Gegensatz zu „societas civilis cum imperio“, s. E. Angermann, Die Auseinandersetzung von Staat und Gesellschaft im Denken des 18. Jahrhunderts, ZPol 1963, S. 89 ff. Während letztere mangels staatsgewaltlicher Herrschaftsstruktur durch gesellschaftsinterne politische Adhäsionskräfte und Strukturen ausgezeichnet ist, ist erstere als rein gesellschaftliche Einheit gegenüber einer staatlichen Ordnung zu verstehen. 1041 s. H. H. Rupp, Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HStR, Bd. II, 3. Aufl. 2004, § 31 Rn. 1 f. 1042 Die widerstreitenden Ansätze werden beschrieben von K. Hesse, Bemerkungen zur heutigen Problematik und Tragweite der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, DÖV 1975, S. 437 ff. 1043 Dieser zeichnet sich durch eine Verstaatlichung der Gesellschaft nach den Prinzipien das Staates aus, Staat und Gesellschaft werden also „gleichgeschaltet“; s. dazu aus verfassungsgeschichtlicher Perspektive W. Frotscher / B. Pieroth, Verfassungsgeschichte, 6. Aufl. 2007, Rn 585 ff.; umfassend theoretisch grundgelegt wurde das Konzept des totalen Staats von Forsthoff, (Fn. 540), passim, dazu einordnend Dreier sowie Pauly, (Fn. 539), S. 17 und S. 80 f.; s. auch Hesse, (Fn. 1042), S. 439. 1044 Quaritsch, (Fn. 462), S. 155 ff., 178 ff.

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einzelner Freiheiten, z. B. der Religion 1045, später dann der Wirtschaft 1046 hin zur Anerkennung einer umfassenden, grundrechtlich fundierten bürgerschaftlichen Freiheit im Verfassungsstaat. Entsprechend wandelte sich das Verständnis von der Rolle des Individuums als einem bloß herrschaftsunterworfenen bourgeois hin zu einem auch an Herrschaft teilhabenden citoyen beziehungsweise einem mit Rechten ausgestatteten homme 1047. Die Ausstattung mit (vorstaatlichen) subjektiven Rechten grenzt das Individuum als konstituierendes Element jedweder Gesellschaft 1048 von der Sphäre des Staates ab. Dabei ist die Perspektive zunächst die der Abwehr staatlicher Intervention 1049, der Garantie der Freiheit des und der Freiheit im Privaten im Sinne des Jellinek‘schen status negativus 1050. Jedoch greift dies allein zu kurz: Grundrechtsausübung in der Moderne ist nicht allein Abgrenzung zum Staat, sondern auch Teilhabe im beziehungsweise am Staat 1051. Sie ist als solche nicht zwangsläufig und ausschließlich privat, sondern durchaus auch öffentlich, denkt man allein an die Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG als un des droits les plus précieux de l’homme und ihre „schlechthin konstituierende“ Bedeutung für eine „freiheitlich-demokratische Staatsordnung“ 1052. Hinzu tritt als Ausprägung sozialstaatlicher Verfahrensgewährleistungen die Grundrechtsfunktion des status activus processualis 1053, auch gedeutet in seiner Funktion als Vehikel zur Gemeinwohlkonkretisierung 1054. Geschuldet ist dieser Wandel vor allem einer Veränderung der Rechtsform Staat. Ein demokratischer Rechtsstaat pflegt zwangsläufig eine andere Beziehung zu seinen Bürgern als ein monarchischer 1045 s. dazu z. B. M. Morlok, in: Dreier (Hg.), Grundgesetz, Kommentar, Bd. I, 2. Aufl. 2004, Art. 4 Rn. 1 ff. 1046 Theoretisch grundgelegt von A. Smith, An inquiry into the Nature and the Cause of the Wealth of Nations, 5. Aufl. 1789, (Nachdruck), Der Wohlstand der Nationen, 10. Aufl. 2003. 1047 Im Sinne des Art. 1 der déclaration des droits de l’homme et du citoyen vom 26. 08. 1789: „Les hommes naissent et demeurent libres et égaux en droits”; s. auch das entsprechende Werk R. Smends, Bürger und Bourgeois im deutschen Staatsrecht, in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen, 3. Aufl. 1994, S. 309 ff. 1048 s. Rupp, (Fn. 1041), Rn. 18. 1049 Dazu umfassend G. Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 35 ff. 1050 G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl. 1928, (Nachdruck), 1976, S. 94 ff. 1051 Zu den Grundrechtsfunktionen in diesem Zusammenhang Hesse, (Fn. 1042), S. 438. 1052 BVerfGE 7, S. 198 ff., 208. 1053 Häberle, (Fn. 521), S. 86 ff.; s. auch K. Redeker, Grundgesetzliche Rechte auf Verfahrensteilhabe, NJW 1980, S. 1593 ff., insbes. 1595 ff. zu den Konsequenzen grundgesetzlicher Verfahrensteilhabe; weiter auch H.-U. Erichsen, Freiheit – Gleichheit – Teilhabe, DVBl. 1983, S. 289 ff., 292 ff. 1054 Michael, (Fn. 529), S. 259 f.

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Obrigkeitsstaat, nicht nur die Rechtsstellung des Individuums, sondern auch seine Rechtsetzungs- und Verwaltungskompetenz betreffend 1055. Die Annäherung von Bürger und Staat findet also nicht allein in Richtung des Erst- auf den Zweitgenannten statt, sondern auch umgekehrt. Der moderne Staat lässt Teilhabe zu, ist aber andererseits gerade auch auf Kooperation nach innen wie außen angewiesen 1056. Schließlich ist festzustellen, dass eine Trennung von Staat und Gesellschaft, so sehr sie aus verfassungsgrundsätzlichen Erwägungen geboten ist, rechtlich wie empirisch nicht konsequent verwirklicht ist und werden kann 1057. Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG bestimmt als eine der verfassungsrechtlichen Kernvorschriften zum Demokratieprinzip das Volk zum Träger aller Staatsgewalt. Die Ausübung dessen, was dem Staat an Aufgaben und Kompetenzen zugewiesen ist und was er mittels der ihm eingeräumten Durchsetzungsmacht, der staatlichen Gewalt, realisiert, geht vom Volk aus. Volk ist aber nichts anderes als die zu einer Rechtseinheit zusammengefasste Vielheit von Individuen 1058. Damit ist es nicht gleichzusetzen mit Gesellschaft, die neben Individuen auch korporative Strukturen kennt, aber jedenfalls ist das Staatsvolk in systemtheoretischer Perspektive ein bedeutendes Subsystem der Gesellschaft und als solches Inhaber der staatlichen Autorität. Es findet damit eine Verkettung der beiden Sphären in der Weise statt, dass die Handlungen der staatlichen Sphäre ihre Legitimation – wie auch immer sie konstruiert sein mag – aus der Gesellschaft beziehen. Damit kommt also dem, weil teilhabe- und abstimmungsberechtigten, demokratisch entscheidenden gesellschaftlichen Subsystem „Volk“ staatliche Eigenheit zu, was die reine strukturelle Unterscheidung von Staat und Gesellschaft nicht tragfähig sein lässt. b) Staat, Gesellschaft und individuelle Freiheit Dem Trennungsgedanken wird vielfach eine besondere Bedeutung gerade deswegen zugeschrieben, weil die Scheidung von Staat und Gesellschaft Voraussetzung individueller Freiheit sei 1059, ihre Auflösung demzufolge die Gefahr 1055 Zum Wandel des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft seit dem 19. Jahrhundert s. Hesse, (Fn. 1042), S. 438 m.w. N., vor allem Fn. 22. 1056 Dazu Michael, (Fn. 529). 1057 In diesem Sinne auch H. H. Klein, Die Grundrechte im demokratischen Staat, 1974, S. 43 f. 1058 Den Begriff des Volkes als verfassungsrechtliche Größe beleuchtet R. Grawert, Staatsvolk und Staatsangehörigkeit, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HStR, Bd. II, 3. Aufl. 2004, § 16, Rn. 1 ff., 20 ff., 30 ff. (zur Staatsgewalt). 1059 In aller Deutlichkeit z. B. E. Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft, 1971, S. 21, der freilich gleichwohl von einer spezifischen Verschmelzung des Staates mit der Industriegesellschaft ausgeht, z. B. S. 168.

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der Totalisierung des Staates zu Lasten der Gesellschaft in sich berge 1060. Namentlich Böckenförde hat diese These in der Nachfolge Forsthoffs prononciert artikuliert 1061. Hinzuweisen ist freilich darauf, dass auch Böckenförde nicht einem synthetischen Trennungstheorem das Wort redet, sondern vor allem in Ansehung des bereits bemühten Art. 20 Abs. 2 GG Verflechtungen und Wechselwirkungen zwischen den beiden Sphären konstatiert und für unausweichlich hält 1062. Diese These steht im Zusammenhang mit der Konstruktion und der Dogmatik der Grundrechte. Der Gedanke einer strikten Trennung der Sphären entspricht einem Verständnis der Grundrechte als Garanten eines freiheitssichernden status negativus, allgemeiner gesprochen eines status libertatis 1063. Status in diesem Sinne meint mit Jellinek eine die Persönlichkeit des Individuums qualifizierende Beziehung zum Staat 1064. Dieser Ansatzpunkt sieht sich in der liberal-rechtsstaatlichen Grundrechtskonzeption des 19. Jahrhunderts verwurzelt und ist zwar nicht darin, aber in seinem konstruktiven Verständnis deutlicher Kritik ausgesetzt: Die Status-Theorie arbeitet in der Tendenz nicht kategorisierend, indem sie die Vielfalt denkbarer Grundrechtsbetätigungen ordnend erfasst, sondern setzt in deterministischer Weise bereits vorher an, indem sie Grundrechtsausübung schematisch kanalisiert. Dies hat den Vorzug einer klaren und möglicherweise im Einzelfall einfacheren Analyse von Freiheitsausübung und Freiheitsbeschränkung. Jedoch verschließt sich diese Ansicht, wie es für gleichsam geometrische Sphären-, Stufen- und eben Status-Theorien typisch ist, in ihrer Rigidität einerseits der lebenswirklichen Vielgestaltigkeit und andererseits einer spezifisch demokratischen, gemeinwohlrelevanten Dimension der Grundrechte. Diese Bedenken greift vornehmlich Häberle erstmals in seiner Dissertation über die Wesensgehaltgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG auf 1065. Dabei wendet er sich ausdrücklich nicht gegen die Einordnung der Grundrechte als Garantien einer freiheitlichen Privatsphäre 1066, will deren Funktion aber ergänzt sehen um ein „aktivbürgerliches Element“ 1067. In der Tradition Smends und dessen Deutung der Grundrechte als „persönliches, politisches Berufsrecht“ 1068 des Staatsbürgers werden Grund1060

s. dazu auch die Bemerkungen bei Hesse, (Fn. 1042), S. 438. E.-W. Böckenförde, Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit, in ders. (Hg.), Recht, Staat, Freiheit, 1991, S. 209 ff., passim; s. dazu auch Fisahn, (Fn. 655), S. 217 ff. 1062 Böckenförde, (Fn. 1061), S. 225 ff. 1063 E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, 1976, S. 245.; Rupp, (Fn. 1041), Rn. 18 ff., insbes. Rn. 24. 1064 Jellinek, (Fn. 1), S. 81 ff., 83, 86. 1065 P. Häberle, Die Wesensgehaltgarantie des Art. 19 Abs. 2 Grundgesetz, 3. Auflage 1983, S. 18 ff. 1066 Häberle, (Fn. 1065), S. 20; in diese Richtung aber die Kritik von Rupp, (Fn. 1041), Rn. 24. 1067 Häberle, (Fn. 1065), S. 18. 1068 Smend, (Fn. 1047). 1061

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rechte nicht als Mechanismus der Ab- oder Ausgrenzung verstanden, sondern als sozial-funktionale Mechanismen der Zuordnung individueller Persönlichkeitsentfaltung auf das demokratische Gemeinwesen hin 1069. Häberle verfolgt dabei das Ziel, die Jellinek’sche Statustheorie im Wege eines „Umbaus“ 1070 (wohlgemerkt nicht eines Abrisses) „von ihrem spätabsolutistischen Kopf auf demokratische Füße zu stellen“ 1071. Dabei etabliert er die Kategorie des status activus processualis 1072 als Status der Partizipation nicht allein am Staat, sondern auch als Partizipation im Staat, wodurch die Bedeutung von der rein leistungsrechtlichen Ebene auf die demokratietheoretische Dimension hin sublimiert wird. In Abkehr von der nachgerade grundrechtsarchitektonischen „verräumlichenden“ 1073 StatusLehre strebt Häberle ein auf das einzelne Grundrecht bezogenes „differenziertes Statusbild“ 1074 an. Im Hinblick auf die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft bedeutet dies Folgendes: Über die Ausweitung und Überhöhung des teilhaberechtlichen Gehalts der Grundrechte wird die vielfach vertretene, allenfalls mit der Vorstellung einer Vielzahl individualisierbarer Einzelakte verbundene Wechselbezüglichkeit zwischen Staat und Gesellschaft 1075 dekomponiert. An ihre Stelle tritt das Bild angrenzender Sphären, zwischen denen in organischer Weise homogene, fließende Übergänge bestehen. Damit sind die Differenz der beiden Sphären und ihre grundsätzliche Unterscheidbarkeit nicht aufgelöst, aber die empirisch festzustellenden starken und zahlreichen Bindungen sind auf diese Weise gedeutet als Zustand der Konfluenz 1076. Man mag hier mit Krüger zur Verdeutlichung und zugespitzt von der „Unmittelbarkeit des Staates als Gesellschaft“ 1077 sprechen. Dem entspricht die Auffassung Hesses 1078, der darauf hinweist, dass die von der älteren Staatslehre vermutete und vorgeblich vorfindliche Einheit des Staates über- oder außerhalb der Gesellschaft die Realitäten moderner Staatlichkeit verfehle. Die Idee einer integrationsstiftenden Einheit, die diesem Staatsver1069

Häberle, (Fn. 1065), S. 19. Häberle, (Fn. 521), S. 80. 1071 Häberle, (Fn. 521), S. 80. 1072 Häberle, (Fn. 521), S. 81. 1073 Häberle, (Fn. 1065), S. 18. 1074 Häberle, (Fn. 521), S. 82. 1075 Kritisch dazu Hesse, der das Verhältnis von Staat und Gesellschaft als das einer differenzierten und konkreten Zuordnung sieht, (Fn. 1042), S. 440, in der älteren Lehre aber einen Zuordnungsaspekt als allein gültigen überhöht sieht, weil an die Unterscheidung bereits konkrete Folgen wie der Verfassungsbegriff und die Grundrechtsfunktionen geknüpft werden. 1076 Weitergehend Fisahn, (Fn. 655), S. 308 ff., 321, der Demokratie als Prozess der Aufhebung der „Besonderung des Staates“ beschreibt. 1077 H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. 1966, S. 341 ff. 1078 Hesse, (Fn. 1042), S. 439. 1070

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ständnis anhafte, gewinne ihre Bedeutung erst in menschlichem Handeln, sie sei „politische Handlungs- und Entscheidungsfreiheit“, die erst gesellschaftlich „hervorgebracht“ 1079 werden müsse. Im Unterschied zu totalisierenden Staatstheorien ist Zweck und Ziel dieser festzustellenden Konfluenz aber nicht die Überhöhung einer politischen Idee hin zum Zweck eines Gemeinwesens, sondern die demokratietheoretische Funktionalisierung der Grundrechtsausübung. Von daher liegt diesem Konzept auch nicht ein konservativ-etatistischer Freiheitsbegriff zugrunde 1080, wie man auf den ersten Blick meinen könnte. Nicht Beschränkung der Freiheitsausübung auf Zwecke des Gemeinwesens hin ist das Ziel, sondern eine Weiterung. Anders gewendet wird dadurch eine „Vergesellschaftung“ der Ausübung staatlicher Gewalt theoretisch unterfangen und demokratisch gedeutet. Freilich redet Häberle dabei nicht einer grenzenlosen „Politisierung“ 1081 der Grundrechtsausübung das Wort, deren freiheitsbeschränkende Wirkung er sieht, er legt damit aber die Fundamente des von ihm propagierten Konzepts einer „offenen Gesellschaft der Verfassungsinterpreten“. Darin kommt gleichzeitig zum Ausdruck, dass eine Reduzierung staatlicher Funktionen (im Sinne einer Zurückdrängung) zwar notwendige Bedingung für ein freiheitliches Gemeinwesen ist, gleichzeitig aber keineswegs hinreichende Bedingung. Staatlichkeit ist um ihrer Funktion Willen auf ein gesellschaftliches Fundament angewiesen. Das bedeutet gewendet auf den Ausgangspunkt der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, dass Freiheitssicherung nicht allein durch eine Scheidung, sondern gerade auch durch eine Verbindung beider bewerkstelligt werden muss 1082. Gemittelt wird diese Verbindung durch den Begriff der Demokratie 1083, namentlich in ihrer partizipativen und grundrechtlich fundierten Dimension. 2. Gemeinwohl als Staatsaufgabe Die Trennung von Staat und Gesellschaft, wie sie soeben dargelegt wurde, ist nicht allein eine in organisatorischer, sondern auch in materieller Hinsicht. Getrennt werden neben Institutionen nämlich auch Aufgaben. Dabei sind die dem Staat zugewiesenen Aufgaben mannigfach, wenn in Zahl und Gewicht nicht gar hypertroph 1084. Begrifflich verallgemeinerbar sind diese Aufgaben hin auf die

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Krüger, (Fn. 1077), S. 619, bei Hesse (Fn. 1042), S. 439. s. dazu E. R. Huber, Das deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, 1931, S. 28. 1081 Häberle, (Fn. 1065), S. 20. 1082 Hesse, (Fn. 1042), S. 441. 1083 s. dazu § 5 III. 1084 Zur qualitativen und quantitativen Zunahme der Staatsaufgaben und den damit verbundenen Problemen aus der Sicht des Rechts s. D. Grimm (Hg.), Wachsende Staatsaufgaben – sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, 1990, passim. 1080

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„Staatsgeneralaufgabe“ 1085 der Gemeinwohlpflege, der Wahrung des öffentlichen Interesses. a) Begriff des Gemeinwohls (1) Vorbemerkung Der Begriff des Gemeinwohls, über dessen inhaltliche Bestimmung und Fundierung im Einzelnen eine historisch tradierte Kontroverse besteht 1086, ist bereits als solcher nicht unangefochten. Teils wird bereits die Relevanz und die Berechtigung der Debatte um seine inhaltliche Bestimmung in Abrede gestellt 1087. Während er meistenteils synonym verwendet wird mit den Begriffen der allgemeinen oder öffentlichen Belange oder Interessen, kontrastiert Häberle ihn ausdrücklich mit dem Begriff der öffentlichen Interessen, um den Öffentlichkeitsbezug solcher Belange deutlicher herauszustreichen 1088. Diese besondere Akzentuierung ist Ausdruck seines Verständnisses, welches Verfassung als „öffentlichen Prozess“ begreift und die Herstellung der Öffentlichkeit der Verfassung als Aufgabe ansieht 1089. Wenn im Laufe dieser Darstellung vermehrt von Gemeinwohl und Gemeinwohlbelangen gesprochen wird, so ist dies vor allem dem Umstand geschuldet, dass die Untersuchung rein terminologisch den Begriff des Gemeinwohls geringfügig anders akzentuiert sehen will. Gemeinwohl ist das Ziel staatlichen Handelns, das öffentliche Interesse hat meist in kongruenter Weise Gemeinwohl zum Gegenstand. Dies ist aber nicht zwingend, denn auch private Rechte können im öffentlichen Interesse liegen, Art. 14 Abs. 3 GG sei hier nur als Beispiel genannt. Zudem fußt die Arbeit zentral auf der Überlegung, dass die Aufgabe, das Gemeinwohl zu gewährleisten, zunächst beim Staat anzusiedeln ist und von dort aus eine Weiterung hin auf die Gesellschaft zu unternehmen ist – der Begriff der öffentlichen Interessen antizipiert also für die Zwecke dieser Darstellung bereits ein Ergebnis, welches in den spezifischen, hier zur Diskussion stehenden Strukturen erst noch gefunden werden muss.

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Weiter zum Begriff der Staatsaufgabe s.§ 7 III. 2. b) (2). Einen Überblick über die schon „ereignisreiche“ Nachkriegsgeschichte des Begriffs gibt Uerpmann, (Fn. 611), S. 5 ff.; s. auch P. Koller, Das Konzept des Gemeinwohls, in: Brugger / Kirste (Hg.), Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, 2002, S. 41 ff.; umfassend mit eigener Konzeptualisierung Anderheiden, (Fn. 25), passim. 1087 Dazu Engel, (Fn. 1038), S. 4. 1088 Häberle, (Fn. 606), S. 28: „Insgesamt erscheint das öff. Interesse als „verspäteter Begriff“, der seine – öffentliche – Zukunft noch vor sich hat und jenen Gemeinwohlbegriff abzulösen vermag, der gleich einem erratischen Block aus einer vorverfassungsrechtlichen Landschaft in die Gegenwart der res publica ragt (..)“; s. ders. Öffentliches Interesse revisited, in: Winter (Hg.), Das Öffentliche heute, 2002, S. 157 ff. 1089 Häberle, (Fn. 606), S. 29 f. 1086

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(2) Gemeinwohl als Abwägungs- und Interessenkategorie Ciceros Sentenz salus rei publicae suprema lex esto 1090 bringt die ethische Grundlage staatlicher Existenz zum Ausdruck und dient der Rechtfertigung staatlichen Handelns. In seinem Mittelpunkt stehen verschiedenste verfassungs- oder einfachrechtliche Handlungszwecke, seien es Staatszwecke auf der Ebene der Verfassung oder solche, die aus der jeweiligen einfachrechtlichen Materie selbst sich ergeben. Deren gemeinsames Ziel aber liegt darin, das bonum commune zu fördern, worauf sie bezogen sind. Dies schließt nicht aus, dass der Begriff des Gemeinwohls oder eines seiner zahlreichen Äquivalente zum Gegenstand einzelner Rechtsnormen wird 1091. Auch hat sich das Gemeinwohl bereits früh als – jedenfalls mittelbarer – Gegenstand verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung etablieren können 1092. Gleichwohl wird das Gemeinwohl als Begriff stets von Rezeptionsproblemen begleitet. Ein Teil dieser Probleme rührt her aus seinem Missbrauch zur Zeit des Nationalsozialismus, in der er zur Nivellierung von Persönlichkeitsinteressen und Persönlichkeitsrechten instrumentalisiert wurde. Ein anderer Teil rührt daher, dass dem Begriff kaum ein fassbarer Inhalt beigegeben werden kann – andererseits aber doch etwas „dran“ sein muss am Gemeinwohl, da es der Sache und dem Begriff nach ein ständiger Vertreter im politischen, philosophischen und auch juridischen Diskurs ist 1093. Was jedoch das Gemeinwohl sei, darüber ist und kann kein letztverbindlicher Konsens erzielt werden. Man mag es einerseits als bloße Handlungsmaxime begreifen, als normativen Maßstab für Entscheidungen innerhalb eines politischen Gemeinwesens 1094. Der Idee nach chiffriert es die Vorstellung eines Wohls einer 1090 Bei J. Locke, The Second Treatise of Government, 1689, (Nachdruck), Über die Regierung, 1974, S. 121 (Kap. XIII Nr. 158) in der Fassung: „Salus populi suprema lex“; entsprechend auch C. L. Montesquieu, De l’Esprit des Lois, 1748, (Nachdruck), Forsthoff (Hg.), Vom Geist der Gesetze, 2. Aufl. 1992, Bd. II, S. 235: „Das Wohl des Volkes ist das oberste Gesetz.“ und I. Kant, Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis, 1793, (Nachdruck), in: Weischedel (Hg.), Werke, Bd. XI, 1968, S. 125 ff., 154 f.: „Salus publica suprema civitatis lex est“. 1091 Z. B. Art. 14 III 1 GG (Wohl der Allgemeinheit); s. aus der Literatur mit Beispielen u. a. Uerpmann, (Fn. 611) mit dem Hinweis auf die Arbeiten von G. Dürig, Die konstanten Voraussetzungen des Begriffes „Öffentliches Interesse“, Diss. iur., München 1949; H. J. Wolff / O. Bachof, Verwaltungsrecht I, 9. Aufl. 1974, § 29; W. Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, 1969; Häberle, (Fn. 606). 1092 s. dazu P. Häberle, „Gemeinwohljudikatur“ und Bundesverfassungsgericht, AöR 95 (1970), S. 86 ff. und S. 260 ff.; deutlich kritisch zur verfassungsgerichtlichen Gemeinwohlrechtsprechung W. Leisner, Der Abwägungsstaat, 1997, S. 86.; in diese Richtung auch T. Läufer, „Gemeinwohl“ und „öffentliches Interesse“ – Summarische Wertsetzung oder unverzichtbare Rechtsprechungshilfe?, JuS 1975, S. 689 ff. 1093 Koller, (Fn. 1086), S. 42. 1094 Koller, (Fn. 1086), S. 45 entwickelt einen dreiteiligen Maßstab: Danach muss eine gemeinwohlverträgliche Handlung zweckmäßig, klug und moralisch akzeptabel sein.

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Gesamtheit von Menschen innerhalb eines Gemeinwesens 1095 und die Maßstäbe, die an die Handlungen zur Erreichung dieses Wohls anzulegen sind. Dabei soll sich dieses Wohl unterscheiden vom bloßen Einzelinteresse und den Einzelinteressen übergeordnet sein 1096. Um aber dem – auch grundgesetzlich weitgehend abgesicherten – freiheitsbegründeten Individualismus zu entsprechen, muss ein Begriff vom gemeinen Wohl gewisse Voraussetzungen erfüllen: Er muss begründen, dass eine Spannungslage zwischen einem individuellen Wohl und dem einer Personenmehrheit besteht und deutlich machen, dass dem allgemeinen Wohl der Vorrang einzuräumen ist. Schließlich wird noch verlangt, dass eine Verknüpfung zwischen dem Gemeinwohl und den Partikularinteressen aufgezeigt wird 1097. Uerpmann weist deutlich darauf hin, dass das „öffentliche Interesse“ eine Abwägungskategorie 1098 sei. Es ist damit also Objekt und nicht Subjekt eines (öffentlichen) Diskurses. Damit wird einmal einer inhaltlich abschließenden und bestimmbaren Vorstellung von Gemeinwohl eine Absage erteilt und zum zweiten auch ihrer Vorstellbarkeit 1099: Wo Gemeinwohl Diskursobjekt ist, ist es nur kontextuell zu bestimmen und zwar nach seinem jeweiligen Diskurskontext und dort dann situativ. Das schließt keineswegs aus, dass der stattfindende Diskurs auch von Rechts wegen Steuerungsimpulse erfährt, also nicht jeder im Wege eines Diskurses ermittelte Belang auch tatsächlich ein solcher des gemeinen Wohls ist. Diese rechtlichen Impulse können dabei einfach- wie verfassungsrechtlicher oder gar überpositiver Natur sein – denkt man an die quasi-naturrechtliche Vorstellung von inalienable rights des Individuums, wie sie beispielsweise in der Präambel der UN-Menschenrechtskonvention und der amerikanischen Verfassung bemüht werden. Bereits daraus ergibt sich, dass Belange des gemeinen Wohls auch solche des Individuums sein können, vielleicht sogar sein müssen. Dürig weist demgemäß darauf hin, dass Gemeinwohl auf menschliche Interessen zurückzuführen sei, es gebe kein objektives, gemeint im Sinne eines entindividualisierten Interesses 1100. Dies bedeutet gleichwohl nicht zwangsläufig, dass 1095 Koller, (Fn. 1086), S. 56, der allerdings auch auf das Spannungsverhältnis eines „übergeordneten Gemeinwohls“, welches sich andererseits auf individuelle Interessen zurückführen lassen muss, hinweist. Dieses Spannungsverhältnis ergibt sich aus der im Wesentlichen historisch begründeten Erkenntnis, dass ein kollektives, also nicht auf Individualinteressen rückführbares Gemeinwohlverständnis in erheblichem Maße missbrauchsanfällig ist, wenn nicht sogar im Grunde nach mit der verfassungsstaatlichen Idee nicht vereinbar. 1096 Koller, (Fn. 1086), S. 56. 1097 Koller, (Fn. 1086), S. 56. 1098 Uerpmann, (Fn. 611), S. 268 ff., insbes. 289 f. 1099 Für offene Gemeinwohldefinitionen plädiert daher Engel, (Fn. 1038), passim, ohne aber dabei die Berechtigung einer Debatte um den Gemeinwohl-Begriff zu leugnen. 1100 Dürig, (Fn. 1091), S. 20.

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menschliches Handeln allein interessengeleitet sei 1101, vielmehr bewegt es sich im Spannungsfeld von Interessen und Ideen. Eine Idee kann dabei ein Interesse generieren beziehungsweise ein Interesse lenken, sofern es darum geht, dass Menschen in Übereinstimmung mit normativen Modellen leben wollen, denen sie sich verpflichtet fühlen 1102. Demnach verhält es sich auch nicht so, dass Gemeinwohl bloß die Summe aller sachlich zusammengehörigen Einzelinteressen ist (eingeschränkt verstanden als die Summe individueller Interessen bezogen auf einen bestimmten Sachzusammenhang). Vielmehr können Ideen und die individuelle Verpflichtetheit auf sie 1103 den Gemeinwohlbegriff theoretisch wie praktisch überhöhen und restrukturieren und für individuelle, gleichwohl aber nicht zurechenbare Belange öffnen. Dies wird besonders deutlich, wenn man sich als Teilnehmer am öffentlichen Gemeinwohldiskurs eben nicht allein Individuen, sondern auch korporativ verfasste Personenmehrheiten als Interessenvertreter denkt. Interessen fungieren dabei als „Brennstoff“ der öffentlichen Kontroverse. Als wesentlich festzuhalten ist, dass bei aller Kontroverse um den Gemeinwohlbegriff eine überwiegende Auffassung deutlich eine inhaltliche Festlegung dessen, was Gemeinwohl ist, ablehnt beziehungsweise gar nicht für möglich hält 1104. Zeitgenössische Deutungen operieren mit dem Gemeinwohl daher eher als funktionale Kategorie und nicht als materielle Zielvorstellung 1105. Gleichwohl wohnen dem Konzept des Gemeinwohls als Argumentationsfigur materielle Elemente inne, nur sind sie nicht abschließend bestimmt. (3) Gemeinwohl und Nachhaltigkeitsbegriff Während das Gemeinwohl als theoretische Idee eine bis in die Antike zurückreichende Geschichte hat, hat der Begriff der Nachhaltigkeit im Recht – von seinen frühen Ursprüngen im 19. Jahrhundert abgesehen – erst eine etwa zwei Dekaden umspannende Geschichte. Jedoch beziehen sich beide auf der Ebene von Metareferenznormen auf die Kategorien von Gerechtigkeit, Gleichheit 1101 Zum Spannungsverhältnis zwischen ökonomischer Nutzenmaximierung des Individuums und ethischer Verpflichtung s. H.-G. Petersen, Ökonomik, Ethik und Demokratie, in: Grabes (Hg.) Wissenschaft und neues Weltbild – Gießener Diskurse, 1992, S. 37 ff., passim, der eine moralische Begründung der Ökonomik unternimmt. 1102 Engel, (Fn. 1038), S. 4; dazu weiter W. Brugger, Liberalismus, Pluralismus, Kommunitarismus, 1999, S. 357 ff., 359; für die Staatszwecke Jellinek, (Fn. 1050), S. 184 ff., 220 ff. 1103 s. zu diesem Zusammenhang aus sozialwissenschaftlicher Perspektive O. E. Kangas, Self-interest and the common good, Journals of Socio-Economics, Vol. 26 (1997), S. 475 ff.; s. aus liberaler Perspektive v. Hayek, (Fn. 985), S. 97. 1104 Anders aber jetzt Anderheiden, (Fn. 25), passim. 1105 s. z. B. den Ansatz W. Bruggers, Gemeinwohl als Integrationskonzept von Rechtssicherheit, legitimation und Zweckmäßigkeit, in: ders. / Kirste (Hg.), Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, 2002, S. 17 ff.

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und öffentlicher Güter 1106 und reflektieren durch diese Gemeinsamkeit das Spannungsverhältnis von individueller Freiheit und öffentlichem Nutzen. Unterschiede bestehen zwischen beiden Konzepten im Hinblick auf ihre politische Wirkungsgeschichte. Dem Gemeinwohlbegriff haftet keineswegs erst seit den Diktaturen des 20. Jahrhunderts ein „obrigkeitsstaatlicher Hautgout“ 1107 an. Bereits die auf Gemeinwohlkriterien rekurrierende Forstpolitik des 18. und 19. Jahrhunderts machte sich die Vermutung des Altruismus des Gemeinwohlarguments zu Nutze, um erhebliche Einschränkungen der bürgerlichen „Freiheit im Wald“ zu rechtfertigen 1108. Demgegenüber verbindet sich die Idee der Nachhaltigkeit, wohl nicht zuletzt durch das deutliche intergenerationelle Element, mit der Idee einer partizipativen Zivilgesellschaft, die einen kooperativen Staat und Subsidiarität betont. Deutlicher Ausdruck gerade des Subsidiaritätsgedankens ist das im Nachgang zur Rio-Konferenz 1992 etablierte und weit verbreitete Konzept einer Agenda 21, welche die Ergebnisse des Gipfels von Rio auf die Belange regionaler und lokaler Gemeinschaften umzusetzen versucht. Unterschiede bestehen auch insoweit, als dass der Gemeinwohlbegriff verstanden als regulative Idee angesichts der tatsächlichen Herausforderungen eher an seiner Unterkomplexität leidet, wohingegen der Nachhaltigkeitsbegriff, je nachdem, in welcher Schattierung er vertreten wird 1109, eher zu scharfen Eingriffen in den Interessendiskurs führt. Abseits davon aber bestehen eine Reihe von Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen zwischen beiden Begriffen und den mit ihnen verbundenen weitergehenden Konzepten. Beiden eignet gleichermaßen eine erhebliche Offenheit. Es handelt sich um argumentative Blankette, die erst durch einen bestimmten Diskurskontext ihre eigentliche Bedeutung erhalten. Ihnen kommt in der politischen und wissenschaftlichen Diskussion die Funktion einer regulativen Idee zu, indem sie rechtliche Auseinandersetzungen ebenso wie politische oder allgemein soziale strukturieren. Beiden ist in erheblichem Maße ein prozedurales Element 1106 H. Weidner, Gemeinwohl und Nachhaltigkeit – ein prekäres Verhältnis. Discussion Paper FS II 02 – 303 des Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, abrufbar unter http://skylla.wz-berlin.de/pdf/2002/ii02-303.pdf, S. 1; s. auch J. H. Klement, Nachhaltigkeit und Gemeinwohl, in: Kahl (Hg.), Nachhaltigkeit als Verbundbegriff, 2008, S. 99 ff. 1107 Weidner, (Fn. 1106), S. 6. 1108 s. dazu U. E. Schmidt, Waldfrevel contra staatliche Interessen, in: Der Bürger im Staat 51 (2001), S. 17 ff. 1109 Zu unterscheiden sind hier mit Weidner, (Fn. 1106), S. 8, „weak sustainability“, „reasonable sustainability“ und „strong sustainability“. Alle Konzepte basieren auf der Idee der Kapitalstöcke Wirtschaft, natürliche Umwelt und Soziales, die untereinander ausgleichsfähig sein sollen, wobei mit zunehmender Strenge die Austauschfähigkeit sinkt und die eigenständige Bedeutung des Kapitalstocks Umwelt deutlich zunimmt.

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zu Eigen. Sie können recht eigentlich allein prozedural verstanden werden, will man nicht in den bereits erwähnten hoheitlichen Bevormundungsreflex verfallen, den beide Konzepte nur zu schnell auslösen. Es stellt sich schließlich die Frage, wie sich beide Begriffe, abgesehen von inhaltlichen oder strukturellen Kongruenzen, zueinander verhalten. Stehen sie im Verhältnis der Alternativität, der Konkordanz oder verhalten sie sich substitutiv zueinander, mit anderen Worten: „Wie nachhaltig ist das Gemeinwohl?“ 1110 Weidner weist in seinen Überlegungen zu Recht darauf hin, dass dem Gemeinwohlbegriff die nachhaltigkeitstypischen Elemente der Globalität und der Futurität kaum zu eigen sind, es handele sich dabei im allgemeinen Gemeinwohldiskurs um „periphere Aspekte“ 1111. Es besteht eine erhebliche Skepsis gegenüber der „Universalisierung des Gemeinwohlprinzips“ 1112 bereits für den Bereich alter Nationalstaatlichkeit, eine supranationale und intertemporale Ausdehnung erscheint vor diesem Hintergrund fast abwegig. Die Idee des gemeinen Wohls also scheint sich gegenüber der Nachhaltigkeit exklusiv, nicht aber inklusiv zu verhalten. Es steht damit die Frage im Raum, ob der Nachhaltigkeitsbegriff Inklusionswirkung gegenüber dem Gemeinwohlbegriff hat, ob sich dieser also als Unterfall des jenen begreifen lässt. Dies wird man dann gegebenenfalls bejahen können, wenn man Nachhaltigkeit als umfassendes Steuerungsprogramm begreift und nicht allein als Mittel einer ökologisch orientierten Politik. Jedoch ist das mit ihr verbundene Konzept einer rücksichtsvollen Entwicklung der Kapitalstöcke Wirtschaft, Umwelt und „Soziales“ in einer Weise nicht neutral programmiert, die eine Herauslösung des ökologischen Elements nicht erlaubt. Gegenüber Fragen der Wirtschaftlichkeit oder der sozialen Strukturen ist die Ökologie auf einer erheblich geringeren Abstraktionsebene angesiedelt, sie ist gleichsam ein materieller Kapitalstock, wohingegen allgemeine Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkte eher neutral oder formell begreifbar sind. Mit anderen Worten: Nachhaltigkeit verliert als regulative Idee ihr Signum, will man sie ökologisch neutral konstruieren. Denn ihr liegt gerade die Erkenntnis zu Grunde, dass moderne Industriegesellschaften die ökologische Frage als Schicksalsfrage begreifen müssen. Nachhaltigkeit als Idee vollzieht zu einem Gutteil die Voranstellung, mindestens jedoch die Gleichsetzung der ökologischen Bedürfnisse eines Gemeinwesens mit den ökonomischen Notwendigkeiten. Sie ist also zu einem erheblichen Teil kongruent mit abstrakten Gemeinwohlvorstellungen. Sie ist gegenüber dem Gemeinwohlbegriff als 1110 s. den Beitrag von H. Weidner, Wie nachhaltig ist das Gemeinwohl?, in: Schuppert / Neidhardt (Hg.): Gemeinwohl, WZB-Jahrbuch 2002, S. 127 ff.; s. auch Anderheiden, (Fn. 25), S. 137 ff. 1111 Weidner, (Fn. 1106), S. 21. 1112 F. Neidhardt, Öffentlichkeit und Gemeinwohl, in: Münkler / Fischer (Hg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn, 2002, S. 157 ff.

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solchem um die ökologische Nuance spezieller. Danach setzte der Gemeinwohlbegriff erst an bei einem konstituierten Gemeinwesen, innerhalb dessen dann ein Pluralismus der Interessen das bonum commune hervorbringen würde. Freilich ließe sich argumentieren, dass die ökologischen Bedürfnisse eines Gemeinwesens ihre Spezialität verloren haben und mehr seien als ein bloßer Aspekt des gemeinen Wohls, nämlich seine Voraussetzung. Die Nachhaltigkeitsidee, besonders in ihrer ökologischen Ausprägung, wirkt nach klassischem Verständnis schon auf den Interessenwettstreit ein, an dessen Ende das Gemeinwohl stehen soll: Gewisse Interessen werden nämlich unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit geringer gewichtet oder schutzfrei gestellt. Zu denken ist hier an die vielen Formen menschlicher Erwerbstätigkeit mit Umweltressourcenbezug. Diese Neugewichtung von Interessen wiederum konfligiert mit zentralen, vor allem verfassungsrechtlichen Gewährleistungen des Gemeinwohldiskurses. Die grundrechtlichen Freiheiten als Gegenstand und Voraussetzung eines gemeinwohlorientierten Gemeinwesens werden unter dem Blickwinkel einer Nachhaltigkeitsverantwortung minder gewichtet, was nicht unerhebliche Friktionen hervorruft. Wiewohl in allen berührten Wissenschaftsdisziplinen die Bedeutung der ökologischen Frage für die Menschheit nicht geleugnet wird, scheint die Vermutung eines Konsens über die Bedeutung ökologischer Fragen jedoch nach wie vor als zu voreilig. Namentlich in internationaler Perspektive stößt das „Verzichtselement“, welches im Nachhaltigkeitskonzept zum Ausdruck kommt, auf Skepsis. Länder der zweiten und dritten Welt sehen ihr gemeines Wohl zunächst – analog der historischen Erfahrungen der Industriestaaten – in einem möglichst rasanten Wirtschaftswachstum unter Mehrung des kollektiven Wohlstands. Die selbstauferlegten Restriktionen, die Nachhaltigkeitspolitik verlangt, stoßen sich gerade in diesen Ländern an dem durchaus nachvollziehbaren und berechtigten Anspruch auf Teilhabe am „Glück der größten Zahl“. Namentlich eine Hintansetzung eigener Bedürfnisse zur Schonung von ökologischen Ressourcen, die vor allem von den Industriestaaten genutzt und belastet wurden und werden, ist kaum vermittelbar 1113. Gleichzeitig zeigt sich an der internationalen Dimension ein weiterer wesentlicher Unterschied, nämlich der geographische Bezugsrahmen: Gemeinwohl ist primär ein Topos eines nationalstaatlich sich konstituierenden Gemeinwesens, bestenfalls eines kulturell kohärenten Staatenraums, als der die Europäische Union beurteilt werden mag 1114 – Nachhaltigkeit als Konzept jedoch zielt letztlich auf die globale Perspektive. Zwar lässt sich das Konzept herunter brechen von der Makroebene der Rio-Konferenz auf die staatliche Metaebene oder lokale Mikroprozesse – seine Eigenheit erfährt das Konzept aber durch den globalen und intertemporalen Bezug. 1113

Weidner, (Fn. 1106), S. 25. s. zur Dimensionierung des Gemeinwohls, M. Albrow, Abschied vom Nationalstaat, 1998, S. 271; s. auch K. Ballestrem (Hg.), Internationale Gerechtigkeit, 2001, S. 8. 1114

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Die Verwandtschaft, die trotz aller Gegensätze zwischen beiden Konzepten besteht, lässt sich mit Weidner am besten als ein vermitteltes Verhältnis der Komplementarität begreifen 1115. Beide Begriffe werden danach bezogen auf einen dritten, sei es die Idee des „guten Lebens“, der „Lebensqualität“ oder auch der „guten Ordnung“. Dieser darf nicht allein vordergründigen Funktionslogiken einer Gemeinwohlrhetorik folgen und andererseits nicht über aktuelle Bedürfnisse hinweg ein Nachhaltigkeitspostulat forcieren, welches allein auf die Zukunft gerichtet ist. Nachhaltigkeit hat nämlich in ihrer sozialen und wirtschaftlichen Dimension auch einen Gegenwartsbezug, der die Aufopferung der Belange der gegenwärtig Lebenden zum Schutz der künftigen Generationen um den Preis sozialer Verwerfungen in der Gegenwart ebenso verbietet. b) Die staatliche Ausgangsverantwortung für das Gemeinwohl Im Grundsatz gilt, dass die Verantwortung für das Gemeinwohl beim Staat liegt. Die Verantwortungszuweisung hat einmal eine legitimatorische Dimension und ist andererseits durch Institute des einfachen Rechts, so zum Beispiel der Schutznormtheorie im Prozessrecht, unterfangen 1116. Auch die Trennung von Staat und Gesellschaft bringt neben grundrechtsfunktionalen Problemen die Frage nach den Zuständigkeiten für das gemeine Wohl mit sich, dessen Realisation zu einem Gutteil durch Träger staatlicher Gewalt bewerkstelligt wird 1117. Aufgerufen ist dabei vor allem die Exekutive, welche die legislativen Normbefehle umzusetzen hat. Das Parlament als Gesetzgeber fungiert als „verkleinertes Abbild“ der Gesellschaft im und als Brennpunkt des Diskurses um das Gemeinwohl und spiegelt in besonders augenfälliger Weise die Interessengebundenheit dieses Diskurses wider. Man mag also von einer Zuständigkeitsvermutung oder Ausgangsverantwortung des Staates für das gemeine Wohl ausgehen. Die recht pauschale Erkenntnis einer staatlichen Ausgangsverantwortung für das Gemeinwohl lässt sich mit Michael weiter differenzieren nach Ergebnis- und Verfahrensverantwortung 1118. Den Staat trifft danach also eine Verantwortlichkeit für das Ergebnis einer Gemeinwohlkonkretisierung wie für die Ausgestal1115

Weidner, (Fn. 1106), S. 26 f. Wegener, (Fn. 795), S. 2, untersucht in diesem Sinne den Zusammenhang zwischen der Konstruktion der Schutznormtheorie und der Verantwortung für das gemeine Wohl. 1117 Zu binnenstaatlichen Diversifizierung der Gemeinwohlkompetenz s. S. Kirste, Die Realisierung von Gemeinwohl durch verselbständigte Verwaltungseinheiten, in: Brugger / ders. (Hg.), Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, 2002, S. 327 ff., insbes. S. 360 ff.; s. auch H.-D. Horn, Staat und Gesellschaft in der Verwaltung des Pluralismus, Die Verwaltung 26 (1993), S. 545 ff. 1118 Michael, (Fn. 529), S. 297 m.w. N. 1116

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tung des Konkretisierungsprozesses. Er hat also gleichsam das verantwortliche „letzte Wort“ 1119 und bestimmt „den Weg“ dorthin. In diesen Hinsichten ist die staatliche Verantwortung für das Gemeinwohl auch nicht delegationsfähig, eine Sphäre der Gemeinwohlanarchie kennt der Verfassungsstaat nicht. Dies bedeutet freilich nicht, dass eine kooperative Ausgestaltung des Konkretisierungsprozesses verfassungsstaatlich ausgeschlossen wäre. Geboten ist aber eine gegebene verfahrensrechtliche Struktur, innerhalb derer es dann zu Kooperationsverhalten zwischen Staat und Gesellschaft, Volk und Bürger kommen kann. In diesem Bereich hat das Wort von der Gewährleistungsverantwortung 1120 des Staates seine besondere Berechtigung und Bedeutung. Freilich kann der Gewährleistungstopos auch auf die angesprochene Ergebnisverantwortung bezogen werden, setzt sich dann aber im Kontext des Gemeinwohls in Kontrast zu einem prozeduralen Gemeinwohlbegriff. Als gleichsam prototypische Sphäre einer Verfahrensstruktur erweist sich der gerichtliche Prozess. Wird er bislang als Prozessrechtsverhältnis zwischen den beteiligten Parteien verstanden, soll der Begriff des Prozessrechtsverhältnisses auf die Beziehung zwischen dem Kläger, der den Prozess mit der Behauptung initiiert hat, es sei gegen gemeinwohlrelevante Vorschriften verstoßen worden, und dem Staat, hier in Form des Richters und der beklagten Behörde ausgedehnt werden 1121. Ein solchermaßen verstandenes Prozessrechtsverhältnis bildet den im Kontext der Auseinandersetzung mit der Rechtsverhältnislehre bereits behandelten normativen Zweckpluralismus auch nach außen in greifbaren Strukturen ab. (1) Gemeinwohl und Systemtheorie Aus systemtheoretischer Perspektive 1122 mag man den Begriff des Gemeinwohls auch als Kontingenzformel betrachten. Eine Kontingenzformel dient einem sozialen System als Mechanismus einer Aufgaben- oder Zielzuschreibung, die das System erst konstituiert beziehungsweise seinen Zweck begründet. Wesensmerkmal einer Kontingenzformel ist ihre Generalität und Gültigkeit für eine unbestimmte Vielzahl von Situationen 1123. Freilich weist Luhmann dem Ge1119 Zur Letztverantwortlichkeit H. Dreier, Informales Verwaltungshandeln, StWuStPr 1993, S. 647 ff., 669. 1120 U. Di Fabio, Verwaltung und Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung, VVDStRL 56 (1997), S. 235 ff., 262 mit Diskussionsbeiträgen von R. Steinberg, S. 289 und G. F. Schuppert, S. 296 ff. 1121 Zu weiteren Kooperationsstrukturen im Verwaltungsrecht s. R. Pitschas, Neues Verwaltungsrecht im partnerschaftlichen Rechtsstaat?, DÖV 2004, S. 231 ff. 1122 s. zum Verhältnis von Systemtheorie und materialem Gemeinwohlbegriff Anderheiden, (Fn. 25), S. 1 ff. 1123 D. Horster, Gemeinwohl als Kontingenzformel, in: Brugger / Kirste (Hg.), Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, 2002, S. 245 ff.

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meinwohlbegriff als Kontingenzformel des politischen Systems keine wirksame Steuerungsfunktion zu, weil eine klare Scheidung dessen, was Gemeinwohl und Individualinteresse ist, nicht möglich sei. Stattdessen sei Legitimität die Kontingenzformel des Subsystems Politik 1124, weil sich in einer wertpluralistischen Gesellschaft weder das Individuum noch die Gemeinschaft an sich auf einen einheitlichen Wert festlegen ließen. Daher sei allein ein Verfahren zu installieren, in welchem Wertkonflikte gelöst werden könnten 1125. Allein verallgemeinerungsfähig und damit kontingenzformeltauglich sind danach die Prinzipien eines rationalen Prozesses 1126, in welchem Wertkonflikte mediatisiert werden. „Konsens ist erforderlich als Rahmenkonsens über Grundlagen und Grenzen von Dissens“ 1127. Dieser Ansatz stößt jedoch auf das Problem, dass sich das Gemeinwesen beispielsweise im Wege parlamentarischer Gesetzgebung oder gar der Verfassunggebung (als konsentierter Verfahren zur Dissensbewältigung) auf bestimmte materielle Zielvorstellungen, Gemeinwohlbelange oder auch Kontingenzformeln verpflichtet. Der moderne Verfassungsstaat ist eben gerade nicht neutral oder in diesem Sinne bloß verfahrensformal, sondern im Gegenteil in allerhöchstem Maße ein unter Berufung auf materiale Vorstellungen konstituiertes Gemeinwesen 1128. Ihm reicht es nicht aus, allein die verfahrenstechnischen Vorgaben für eine soziale Konsensbildung bereit zu stellen, sondern er verlangt auch nach Umsetzung einmal gefundener Vorgaben. Einher mit diesem Prozeduralisierungsverständnis geht eine teilweise Verlagerung der Gemeinwohlverantwortung aus dem exklusiven Bereich des Politischen hin auf die Sphäre der Gesellschaft. Aus rechtlicher Perspektive ist diese Verlagerung aber keine totale, sondern allenfalls eine funktionale. Denn anders als das politische System, der Staat, der seine Legitimation maßgeblich daraus ableitet, bestimmte äußere Rahmenbedingungen menschlicher Existenz zu gewährleisten, bedarf das System Gesellschaft einer solchen Legitimation nicht. Zudem macht das Rechtssystem dem politischen System inhaltliche Vorgaben und legt es auf bestimmte materiale Vorgaben fest (Grundrechte, Staatszielbestimmungen etc.) 1129. Diese zu verwirklichen ist Zweck des politischen Systems. Ob man diese Vorgaben dabei als solche des Gemeinwohls, also gleichsam auf zweiter, verfahrensmäßig geläuterter Stufe bezeichnet oder nicht, macht in der Sache kaum einen Unterschied und spielt also allenfalls eine terminologische 1124

N. Luhmann, Die Politik der Gesellschaft, 2000, S. 123. Luhmann, (Fn. 1124), S. 124. 1126 H. Willke, Ironie des Staates, 1992, S. 48. 1127 Willke, (Fn. 1126), S. 49. 1128 Anderheiden, (Fn. 25), passim, plädiert wider einen rein prozedural verstandenen Begriff des Gemeinwohls und für einen materialen Gemeinwohlbegriff. 1129 Weitere Beispiele für solche strukturellen Kopplungen nennt N. Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, 1997, S. 781 ff. 1125

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Rolle. Will man die zur Ermittlung dieser Belange eingesetzten legitimitätsstiftenden Verfahren aber nicht delegitimieren, kann an der Verbindlichkeit dieser Vorgaben kein Zweifel bestehen. Vor dem Hintergrund ihrer legitimationsstiftenden Wirkung für den Staat ist dem gemäß auch die Ursprungsverantwortung für die Wahrung dieser Belange beim Staat zu sehen, Gemeinwohlpflege ist danach also staatliche Aufgabe. (2) Gemeinwohl als Staatsaufgabe oder öffentliche Aufgabe Der Begriff der Staatsaufgabe beziehungsweise die Diskussion um ihn und seinen Inhalt spiegelt auf einer konkreteren Ebene die Frage nach der Legitimation staatlichen Handelns. Staatsaufgabe ist jede Aufgabe, mit der sich der Staat in rechtlicher Form befasst und von Verfassungs wegen befassen darf oder muss 1130. Kennzeichnend für den Begriff der Staatsaufgabe ist dabei, dass er zunächst ein formaler ist und sich erst in der spezifischen verfassungsrechtlichen Situation auf eine materielle Aufgabe beziehungsweise auf eine Pflicht hin konkretisiert 1131. Er ist also in einem ähnlichen Sinne prozedural zu verstehen wie der Gemeinwohlbegriff. Gleichzeitig ist er verfassungsrechtlich überformt, weil die Verfassung staatlichem Handeln in Form rechtsstaatlicher Garantien äußere Grenzen und in Form grundrechtlicher Schutzpflichten und bestimmter Staatszielbestimmungen materielle Vorgaben setzt. Versteht man den Begriff der Staatsaufgabe eng, so ist eine Übertragung jeglicher konkreten, diesem Oberbegriff unterfallenden Aufgabe auf Private ausgeschlossen 1132. Der delegationsfreundliche Parallelbegriff wäre dann jener der „öffentlichen Aufgabe“, die gleichermaßen von Staat und Privaten wahrgenommen werden kann 1133. Ob mit der begrifflichen Unterscheidung tatsächlich viel gewonnen ist, muss in diesem Kontext offen bleiben. Begriffliche Unterscheidung macht jedenfalls nur dann Sinn, wenn sie an inhaltliche Differenzen anknüpft. Diese bestimmen sich jeweils in Ansehung des Einzelfalls, also danach, ob in Ansehung der spezifischen (konkretisierten) Aufgabe eine Delegation denkbar ist und in welchem Umfang. Lassen sich verallgemeinerungsfähige Grundsätze finden, nach denen eine solche Delegation möglich ist, lassen sich Aufgaben 1130

M. Heintzen, Beteiligung Privater an der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben und staatliche Verantwortung, VVDStRL 62 (2003), S. 220 ff., 228. 1131 Heintzen, (Fn. 1130), S. 228 zum Verhältnis von Aufgabe als „Recht“ und „Pflicht“. 1132 Heintzen, (Fn. 1130), S. 228. 1133 A. Voßkuhle, Beteiligung Privater an der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben und staatliche Verantwortung, VVDStRL 62 (2003), S. 266 ff., 273 mit zahlreichen Nachweisen aus der umfassenden Literatur.

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dann danach unterscheiden, ob sie in diesem Sinne staatlich oder öffentlich sind 1134 (wobei nur wenige Aufgaben denkbar sind, die zwingend rein-staatlich sein müssen 1135). Inhaltliche Entscheidungen aber vorab nach terminologischen Kriterien zu entscheiden, ist nicht sinnvoll. Von daher kommt es für den Zweck dieser Untersuchung nicht wesentlich darauf an, ob man die Wahrnehmung bestimmter Belange des Gemeinwohls als „Staatsaufgabe“ oder „öffentliche Aufgabe“ bezeichnet, weil den unterschiedlichen Begriffen hier keine unterschiedliche inhaltliche Struktur beigegeben ist. Ordnet man die Verantwortung für Belange des Gemeinwohls allein dem Staat zu, so müsste man von Gemeinwohlpflege allein als von einer Staatsaufgabe reden. Da hier aber der Versuch unternommen wird, unter dem Aspekt defizitärer staatlicher Gemeinwohlpflege eine kooperative Einbeziehung Privater in die Verantwortung für den Schutz der Umwelt zu begründen, lässt sich sagen, dass hier auf einer terminologischen Ebene der Wandel des Gemeinwohls von der Staatsaufgabe zur öffentlichen Aufgabe begründet werden soll. Wie unter diesen geänderten Voraussetzungen die Rolle des Staates und des Einzelnen als Grundeinheit der Gesellschaft zu beurteilen ist, wird im weiteren Gegenstand der Überlegungen sein. Angesprochen ist damit eine weitere Facette dessen, was als Gewährleistungsstaat oder Gewährleistungsverantwortung bezeichnet wird. (3) Gesellschaftliche Gemeinwohlverantwortung als Residual- und Komplementärkategorie Staatliche Verantwortung im Verfassungsstaat ist repräsentative Verantwortung, abgeleitet vom Staatsvolk als Träger der Staatsgewalt. Zwar findet im Prozess der Delegation eine Verselbständigung der staatlichen Verantwortung in dem Sinne statt, dass eine Ausgangsvermutung für die staatliche Zuständigkeit zur Gemeinwohlkonkretisierung besteht, die letzte Verantwortung liegt jedoch beim Staatsvolk, wie sich aus der Präambel des Grundgesetzes ergibt. Mag dies zunächst als Widerspruch erscheinen zur oben getroffenen Feststellung einer staatlichen Letztverantwortung für das Gemeinwohl, so lässt sich der Widerspruch auflösen, wenn man die Bedeutung des Verantwortungsbegriffs differenzierend auffächert. Die Verantwortung des Staatsvolkes, welche die Präambel bemüht, meint etwas anderes als beispielsweise der Begriff der Gewährleistungsverantwortung. Der Verantwortungsbegriff der Präambel auf der einen und 1134 Nach Heintzen, (Fn. 1130), S. 230, ist das entscheidende Differenzierungskriterium die Möglichkeit des „staatlichen Zugriffs“ auf die Aufgabe. 1135 Heintzen, (Fn. 1130), S. 238; Unterscheidungen finden sich z. B. bei M. Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, 1999, S. 175 ff.; selbst im genuin staatlichen Bereich der Rechtsprechung ist die Einbindung Privater (Laienrichter) geläufig, dazu A. Voßkuhle / G. Sydow, Die demokratische Legitimation des Richters, JZ 2002, S. 673 ff., 680 f.

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alle weiteren Verantwortungsbegriffe 1136 auf der anderen Seite verhalten sich in Systemen repräsentativer Demokratie zueinander wie „Kompetenz“ und „Aufgabe“. Die Kompetenz, also die originäre Zuständigkeit (Verantwortung), liegt beim Staatsvolk, welches die sich aus der Kompetenz ergebende Aufgabe an den Staat delegiert. Bezüglich der „Aufgabe Verantwortung“ trifft den Staat nun eine Ausgangszuständigkeit und auch eine Letztverantwortlichkeit. Entscheidet sich nun der Staat aus politischen oder sonstigen Gründen dazu, im Bereich der „Aufgabe Verantwortung“ kooperative Modelle zu etablieren, so ändert dies nichts an der grundsätzlichen Zuständigkeitsverteilung. Eine solche Weiterung bürgerschaftlicher Mitwirkungsbefugnisse ergänzt dann die bestehenden zivilen Verantwortungskonkretisierungen in Gestalt des Wahlrechts, plebiszitärer Elemente in Ländern und Kommunen oder der Öffentlichkeitsbeteiligungen im Verwaltungsverfahren und ähnlichen Elementen 1137. Abhängig von Ausgestaltung und Bewertung bürgerschaftlicher Mitwirkungsbefugnisse, erweisen sich diese (in Form gesellschaftlicher Gemeinwohlverantwortung) als Residual- oder Komplementärkategorie zur staatlichen Gemeinwohlverantwortung. Auf Grundlage der Erkenntnis, dass Ausgangs- und Letztverantwortung für die Gemeinwohlkonkretisierung notwendig beim Staat liegen, ist die Funktion gesellschaftlicher Gemeinwohlverantwortung primär kompensatorisch zu bewerten 1138. Sie erweist sich dann als Residualverantwortung in Fällen defizitärer staatlicher Gemeinwohlpflege. Erkennt man aber die Möglichkeit an, dass staatliche Verantwortung von der Erfüllungs- zur Gewährleistungsverantwortung umstrukturiert wird, so wächst ziviler Gemeinwohlpflege eine Komplementärfunktion zu. Sie erweist sich dann als unmittelbare Konkretisierung der „Kompetenz Verantwortung“. Zu Recht weist Michael in diesem Kontext auf die Ursprünge der Verantwortungsethik in der Philosophie Kants hin 1139, in deren Mittelpunkt das mit einem freien und vernunftbegabten Willen ausgestattete Individuum steht 1140. Es 1136 Einen detaillierten Überblick mit zahlreichen Nachweisen gibt Michael, (Fn. 529), S. 298, dort u. a. mit den Beispielen der Erfüllungs-, Beratungs-, Überwachungs-, Organisations-, Einstands-, Maßstabs-, Vorbereitungs-, Verfahrens-, Implementations-, Kontroll-, Realisierungs- und Folgenverantwortung; s. zu einem konkreten Beispiel auch J. Masing, Regulierungsverantwortung und Erfüllungsverantwortung, VerwArch 95 (2004), S. 151 ff., 160 ff. sowie S. 166 ff. 1137 s. zur Idee einer Verantwortungsteilung J. Pietzcker, Mitverantwortung des Staates, Verantwortung des Bürgers, JZ 1985, S. 209 ff. mit einer Untersuchung verschiedener Bereiche gemeinsamer Verantwortung, so im technischen Anlagenrecht, S. 212 ff., und im Parteienrecht, S. 215 ff. 1138 s. dazu ausführlich § 4 V. a. zur Diskussion um die „Privatisierung des Gemeinwohls“. 1139 Michael, (Fn. 529), S. 301 f. 1140 I. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, 1788, (Nachdruck), in: Weischedel (Hg.), Werke, Bd. VII, 1968, S. 107 ff., 256.

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ist Adressat des Kant’schen Appells an die Vernunft und danach aufgerufen, verantwortlich zu handeln 1141. Verantwortlichkeit ist also keine sich ins Generelle verflüchtigende allgemeine Handlungskategorie, sondern kann als Auftrag an den einzelnen Bürger gewertet werden 1142. Verantwortung ist also ein Zurechungsbegriff 1143. Wenn auch das Grundgesetz, anders als beispielsweise die reformierte Schweizer Bundesverfassung in Art. 6, eine solche Verantwortung des Individuums für die Prozesse in Staat und Gesellschaft nicht positiviert, so kann die Verantwortung des Einzelnen (als bürgerschaftliche, freilich nicht erzwingbare 1144 Pflicht) angesehen werden als Wesenselement des modernen Verfassungsstaats 1145. Dafür spricht nicht zuletzt, dass auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts offen mit der kooperativen Deutung des Verantwortungsbegriffs arbeitet, ohne seine verfassungsrechtliche Relevanz gesondert zu begründen 1146. Mit Ziekow ist darauf hinzuweisen, dass mit dem Konzept einer Eigenverantwortlichkeit des Individuums der Staat aus seinem Verständnis als pater familias für die Gesellschaft entlassen und diese für ihre Funktionsfähigkeit selbst zuständig ist 1147. Verantwortung entwickelt sich in diesem Sinne neben dem Bereich des Verfassungsrechts auch im materiellen Umweltrecht zunehmend zu einem zentralen Strukturbegriff, mit dem Steuerungsdefizite bewältigt werden sollen 1148. Unter demokratietheoretischen Gesichtspunkten vermag eine geteilte Gemeinwohlverantwortung zu einer „übergreifenden“ Legitimationsverantwortung führen. Maßgeblich wird damit nicht mehr allein der Akt der Zurechnung von Legitimation, 1141 Kant, (Fn. 1140), S. 107; auch ders., Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 1785, (Nachdruck), in: Weischedel (Hg.), Werke, Bd. VII, 1968, S. 11 ff., 81 ff., 97 ff. 1142 s. J. Ziekow, Eigenverantwortung als Verfassungsprinzip, in: Brink / Wolff (Hg.), Gemeinwohl und Verantwortung, FS von Arnim, 2002, S. 189 ff. mit Rekurs auf N. Luhmanns Bestimmung menschlicher Würde als das „Gelingen einer achtungswürdigen Selbstdarstellung vor sich selbst“, ders., Grundrechte als Institution, 2. Aufl. 1974, S. 73 ff., 75. Dies beinhaltet auch die Verantwortung des Menschen für sich selbst und sein eigenes – nicht allein selbstbezogenes – Handeln. 1143 W. Lübbe, „Eigenverantwortung“ und „Benachteiligung“, in: Walter-RaymondStiftung (Hg.), Privatvermögen, Gesellschaft und Corporate Governance – neue Perspektiven für die Vermögensbildung, 2002, S. 33 ff., 33 unter Betonung der Anreizwirkung von Zuweisungsmechanismen, S. 34. 1144 D. Merten, Bürgerverantwortung im demokratischen Verfassungsstaat, VVDStRL 55 (1996), S. 8 ff., S. 22. 1145 So Michael, (Fn. 529), S. 304 ff. mit rechtsvergleichender Perspektive. 1146 s. z. B. BVerfGE 69, S. 315 ff., 359 – Brokdorf; BVerfGE 98, S. 83 ff., 98 – Landesabfallgesetze. 1147 Ziekow, (Fn. 1142), S. 196. 1148 s. B.-O. Bryde, Grenzüberschreitende Umweltverantwortung und ökologische Leistungsfähigkeit der Demokratie, in: Lange (Hg.), Gesamtverantwortung statt Verantwortungsparzellierung im Umweltrecht, S. 75 ff.; W. Höfling, Verantwortung im Umweltrecht – Eine grundrechtsdogmatische Problemskizze, ebd., S. 155 ff.

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sondern das dadurch erreichte „Legitimationsniveau“ 1149. Schmidt-Aßmann weist hier darauf hin, dass nicht durch Art. 20 Abs. 2 GG gleichsam schon ein Legitimationsmaximum gewährleistet werde mit der Folge, dass jegliches andere Legitimationsmodell, also beispielsweise ein partizipatorisches, zwingend zu einem Legitimationsminus führen müsse 1150. Insbesondere dort, wo der Legitimationszusammenhang mangels effektiver Implementierung der parlamentarisch legitimierten Normbefehle sich aufzulösen droht, vermag eine kompensatorisch verstandene zivile Kompetenz zur Gemeinwohlkonkretisierung innerhalb des gegebenen normativen Rahmens vielmehr erst wieder das Legitimationsniveau herzustellen, das zu gewährleisten formale Demokratiekonzepte in diesem Bereich nur vorgeben. Gerade im Bereich der Implementierung umweltrechtlicher Standards erweist sich also aus rechtlichen Gründen die Notwendigkeit empirischer Betrachtungen: Das Vollzugsdefizit im Umweltrecht ist eine Tatsache, die in eminenter Weise rechtserheblich ist, da sie legitimationszersetzend wirkt. Von daher erweisen sich die klassischen und strengen Legitimationskonzepte als letztlich der Sachlage nicht angemessene Einwände gegen partizipatorische Strukturen im Bereich der Rechtsanwendung und -durchsetzung. Es geht dabei nicht um eine Entwertung formaler Legitimationsstrukturen zugunsten vermeintlich „besserer“, weil direkt-demokratischer Legitimationsmechanismen, da ein rechtsstaatliches Gemeinwesen formaler Strukturen sicher bedarf. Wo diese aber versagen, ist die kompensatorische Funktion der eher informalen Legitimationsstrukturen nicht zu gering zu schätzen. c) Formen der Gemeinwohlpflege (1) Allgemeine Betrachtungen Der Staat wie auch seine Einrichtungen handeln im öffentlichen Interesse, sie dienen dem Gemeinwohl. Die Staatsgewalten haben je ihren funktionsspezifischen Anteil daran. Das normative Programm der Verfassung dient der gesetzgebenden Gewalt als Richtschnur für ihr Handeln. Ihre Gesetze werden durch die Judikative in einem nachschöpferischen Prozess im Streitfall angewandt und konkretisiert und die in ihnen enthaltende Gemeinwohlkonkretisierung „ins Leben gesetzt“ 1151. Die Exekutive schließlich übernimmt im Vergleich zu den anderen Gewalten die Hauptlast der Gemeinwohlpflege, indem sie die vom Parlament erlassenen Gesetze anwendet beziehungsweise durch selbständigen Normerlass 1152 1149

Schmidt-Aßmann, (Fn. 11), S. 99 f. Schmidt-Aßmann, (Fn. 11), S. 99. 1151 So mit umfassender Begründung schon H. Kelsen, Wer soll Hüter der Verfassung sein?, Die Justiz 11/12 (1930/31), S. 576 ff., passim. 1152 Die Bedeutung gubernativer Rechtsetzung hat erhebliche praktische Relevanz, umfassend A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000. 1150

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weiter konkretisiert. Wenn auch eine Bestimmung von konkreten Staatsaufgaben durch die Verfassung denkbar ist 1153, so ist das grundgesetzliche Programm weitgehend offen gegenüber den verschiedenen Alternativen staatlichen Handelns und seiner Inhalte. Welche Belange und Interessen im Rahmen der Verfassungsordnung gefördert und privilegiert werden sollen, ist wesentlich eine politische Entscheidung. Neben der grundlegenden strukturellen Verpflichtung der Gewalten auf das bonum commune nimmt diese Pflicht aber auch durchaus konkrete Formen an. So finden sich in der gesamten Rechtsordnung zahlreiche Bezugnahmen und Hinweise auf das Gemeinwohl beziehungsweise eines seiner zahlreichen terminologischen Äquivalente 1154. Neben die generelle Verpflichtung des Rechtsanwenders auf das Gemeinwohl tritt in diesen Fällen dann der Normbefehl, solche übergeordneten Belange im Einzelfall besonders zu beachten. Dies ist namentlich dort der Fall, wo Allgemeinbelange nicht im Vorfeld aufgrund einer gesetzgeberischen Wertentscheidung endgültig zu individuellen Belangen ins Verhältnis gesetzt werden können. Belange des Gemeinwohls begegnen dem Rechtsanwender in der Praxis in unterschiedlichsten Formen, da das einfache Recht sich eben nicht auf eine abstrakte Festlegung auf das gemeine Wohl beschränken kann, sondern dieses konkretisieren muss. Im Hinblick auf die einfach- beziehungsweise umweltrechtliche Normsituation und dem verbreiteten prozeduralen Gemeinwohlverständnis ist dabei Folgendes festzuhalten: Es gibt nur einzelne Interessen oder Belange 1155, die durch eine einfachgesetzliche Norm gefördert oder in ihrer Durchsetzung gehemmt werden sollen. Die Norm selbst bestimmt also nicht einen Zustand des Gemeinwohls, sondern hebt nur in der einen oder anderen Weise einen Gemeinwohlbelang aus der Menge denkbarer Belange und Interessen heraus. Dementsprechend gibt der einfachgesetzliche Normtext nicht zwingend und bisweilen auch gar nicht Aufschluss darüber, Gemeinwohlbelange zum Gegenstand zu haben. Gleichwohl dient die Gesamtheit des Normkatalogs der Herstellung Gemeinwohls. Zu diesem tragen viele Faktoren bei – allein der Umstand, dass es ein „Schlussbild“ dessen, was Gemeinwohl innerhalb eines Gemeinwesens ist, nicht gibt, bedeutet nicht, dass nicht Einzelfaktoren benannt werden können (z. B. kollektive Güter 1156), die in besonderer Weise gemeinwohlerheblich sind. Solche Einzelfaktoren sollen hier mit dem Begriff des „Belangs“ gekennzeichnet werden. Belange können ihrer Natur nach eher objektiv oder eher subjektiv strukturiert sein – so sind private Interessen ebenso Gemeinwohlbelange, wie es öffentliche 1153 1154 1155 1156

G. Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, S. 353 ff. s. dazu die beeindruckende Übersicht bei Uerpmann, (Fn. 611), S. 2 ff. Zur Begriffstrias Wohl – Interesse – Belang s. Uerpmann, (Fn. 611), S. 22 f. Anderheiden, (Fn. 25), S. 60 ff.

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Interessen (im Sinne materieller Einzelprobleme) sein können 1157. Zu solchen Belangen zählt in ganz allgemeiner Form der Umweltschutz, auf den der Staat kraft Art. 20a GG verpflichtet ist. Der Verfassung kommt in der Festlegung von Gemeinwohlbelangen eine besondere Bedeutung zu, weil sie zentrale Kontributionsfaktoren kraft ihrer normativen Autorität bestimmt. Sie trägt durch die Explizierung der Gemeinwohlidee dazu bei, dem Gemeinwesen eine „normative Grammatik“ beizugeben, die der Selbstvergewisserung dient 1158. Die Verpflichtung des Gemeinwesens auf den Schutz der Umwelt hat Niederschlag im einfachen Recht gefunden 1159: Eine wesentliche Ausprägung dieses Gemeinwohlbelangs ist die einfachgesetzliche Verpflichtung auf Vorsorgemaßnahmen. Adressat dieser Verpflichtung sind Staat und handelnder Bürger gleichermaßen. (2) Vorsorge im Speziellen Umweltrechtliche Vorsorge, beispielsweise in Gestalt des § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BImSchG, stellt also einen Belang des Gemeinwohls dar. Diese Aussage erscheint auf den ersten Blick wenig erläuterungsbedürftig, herrscht doch darüber, dass der Schutz der Umwelt im öffentlichen Interesse liegt, weitgehend Einigkeit. Art. 20a GG bringt dies positivrechtlich zum Ausdruck 1160. Erläuterungsbedürftig ist diese Annahme für den Zweck der vorliegenden Untersuchung aber deshalb, weil Gemeinwohl hier als Summe von Individualinteressen verstanden werden soll und es daher notwendig erscheint, die in diesem Sinne subjektive Dimension der Vorsorge zu erläutern. Das im Kern subjektiv sich konstituierende Gemeinwohlverständnis bricht sich an der einfachrechtlichen Konzeption der Vorsorge als objektiver Kategorie. Daher wird hier zunächst die sprachgeschichtliche Herkunft des Begriffs in Zusammenhang mit seinem spezifisch sozialphilosophischen Gehalt, als dessen Abkömmling die Vorsorge anzusehen ist, im Mittelpunkt stehen. Sprachgeschichtlich besteht eine enge Verwandtschaft zwischen Vor- beziehungsweise Fürsorge und dem Begriff der Sorge 1161. Die Begriffe zielen zunächst ab auf einen individuell „vorausgefühlten inneren Druck, vorausempfundene Be1157 s. zum Gemeinsinn als subjektiver Kategorie gegenüber dem eher objektiven Gemeinwohl Anderheiden, (Fn. 25), S. 140 ff. 1158 Engel, (Fn. 1038), S. 13. 1159 s. zu Fragen des Umweltschutzes als Gemeinwohlbelang Anderheiden, (Fn. 25), S. 308 ff. 1160 s. dazu § 5 II. 1161 J. Grimm / W. Grimm (Hg.), Deutsches Wörterbuch, 1829, Bd. XXVI, Sp. 1592, abrufbar unter http://www.dwb.uni-trier.de/.

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sorgnis“ 1162 oder Furcht, werden also rein passivisch und nicht als Ausdruck gezielter menschlicher Handlungen verstanden. Später dann erweitert sich das Begriffsverständnis hin zur heutigen aktivischen Fassung. Vorsorge ist danach auf „Voraussicht beruhende Bemühung, Bestreben, Tätigkeit, um ein drohendes oder doch mögliches Übel für sich oder andere abzuwenden“ 1163, sie ist die „vorhergehende Sorge zur klugen Einrichtung einer künftigen Sache“ 1164. Sprachlich betrachtet ist (Vor-)Sorge zunächst eine subjektive Handlungskategorie des vorausschauenden Individuums bezogen auf die Einrichtung seiner selbst. Gleichgelagert ist eine sozialphilosophische Herkunftsbetrachtung des Begriffs 1165, die an diese subjektive, gleichsam private Dimension anknüpft und sie sodann aber in einem zweiten Schritt auf die Allgemeinheit hin bezieht 1166. Selbstsorge (durchaus auch als leibliche cura sui corporis) ist danach nicht nur eine Sorge um sich, sondern auch eine Sorge um die Allgemeinheit, um den Bestand der polis. Sorge als Kategorie des Selbst erfährt dabei philosophiegeschichtlich verschiedene Ausprägungen als selbstrezeptive, selbstreflexive, selbstproduktive, therapeutische, asketische wie parrhesiastische 1167 Sorge. Deutlich ist jeweils die prospektive wie präventive Wirkungsrichtung, das Vorwegbedenken zukünftiger Entwicklungen und das Einstellen darauf 1168. Sorge in diesem Sinne meint damit eben auch Vorsorge im heutigen Sinne. Sie erweitert den Blick auf den Horizont des Künftigen. Schließlich wird Sorge auch auf ihre politische Dimension hin konstruiert, nämlich die individuelle, zu fördernde Sorge als Voraussetzung zur Organisation und Regierung der polis (Wahrnehmung der Sorge als Vorbereitung der Sorge für andere). Neben der mehrdimensionalen Ausdeutung und Spezifizierung, die dem Sorge-Begriff im Laufe seiner Entwicklung zuteil wurde, tritt jedenfalls für den Bereich außerhalb des Rechts durchaus auch ein subjektives Element hinzu. (Vor-)Sorge lässt sich eben nicht allein als oktroi eines Fürsorgers begreifen, sondern als autonomer Akt eines Individuums zum Zwecke seiner Selbst. Der Begriff der Vorsorge im Recht hat sich aus diesem subjektiven Kontext allerdings nahezu gänzlich gelöst und wird daher in einem subjektivrechtlich organisierten 1162

Grimm / Grimm, (Fn. 1161), Sp. 1592. Grimm / Grimm, (Fn. 1161), Sp. 1592. 1164 Grimm / Grimm, (Fn. 1161), Sp. 1592; s. schon hier die philosophischen Parallelen bei W. Schmid, Philosophie der Lebenskunst, 1998, S. 245 f. 1165 s. zum „Sinn der Sorge“ M. Heidegger, Sein und Zeit, 15. Aufl. 1979, §§ 61 ff., insbes.§ 64. 1166 W. Schmid, Selbstsorge, in: Ritter / Gründer (Hg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 9, 1995, Sp. 528 ff. 1167 Von parrh¯esía (griech.), meint ein freimütiges „alles sagen“ im Sinne eines offenen und öffentlichen Umgangs mit sich und den Anforderungen der Sorge um sich selbst und das Gemeinwesen. 1168 Schmid, (Fn. 1166), Sp. 530. 1163

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Rechtssystem auch aus dem Verantwortungskontext des Individuums herausgelöst 1169. Dem liegt eine Entwicklung des Vorsorgekonzepts auf der Grundlage eines Verständnisses von Vorsorge als Fürsorge oder sogar Seelsorge zugrunde. Das Individuum als Subjekt der Sorge wird aus dem Kernbereich der Verantwortung für sich selbst in den Rang eines Objekts der Sorge gestellt. Einher mit dem evidenten unmittelbaren Autonomie- und Verantwortungsverlust geht der Verlust an Selbstverantwortungsbewusstsein 1170. Hochdifferenzierter Ausdruck dieser Entwicklung ist die Etablierung des säkularen Vorsorgestaats 1171, der die christliche Idee der Fürsorge 1172 in die Strukturen moderner Staatlichkeit interpoliert 1173. Die Idee des Vorsorgestaats erweist sich dabei als eine Antwort auf den Topos der „Risikogesellschaft“, wobei jedoch die Begrifflichkeiten einerseits die gemeinsame Risikobegründung wie -verantwortung von Staat und Gesellschaft verschleiern und andererseits den Status quo der Verantwortungsverteilung zementieren. Als Ergebnis dieser Betrachtung ist festzuhalten: Vorsorge lässt sich als Begriff wie als Konzept in historischer Perspektive als subjektiver Akt wie auch als Akt eines sorgenden Gemeinwesens begreifen. Die gesellschaftliche Tendenz, (Selbst-)Sorge auf den Staat hin zu verlagern, hat im Rechtssystem darin ihren Ausdruck gefunden, dass das Konzept der Vorsorge nahezu gänzlich objektiviert und damit auch verantwortungsobjektiviert wurde 1174. Vollkommener Ausdruck dessen ist die Idee des Vorsorgestaats. Vorsorge erweist sich jedoch als Belang des Gemeinwohls und zwar sowohl dann, wenn man sie eng als Ausdruck subjektiver Selbstsorge begreift als auch dann, wenn man sie in den Bereich staatlicher 1169

In einem umfassenderen Kontext dazu auch Hesse, (Fn. 1042), S. 441. Die Ausdeutung von Grundrechten in einem demokratisch-partizipatorischen Sinne (s. Smend, Fn. 1047) erhält auf dieser Ebene eine besondere Facette. Grundrechtsausübung im politischen Gemeinwesen erfordert danach nämlich auch Bewusstsein für die demokratische, gemeinwohlorientierte Dimension der Rechtsausübung, das als umso geringer einzustufen ist, je höher der Grad an Verantwortungsdelegation an übergeordnete Institutionen ist. Gemeinwohl setzt in diesem Sinne einen Gemeinsinn der Grundrechtsträger voraus, dazu ebenfalls: Hesse, (Fn. 1042), S. 441 f. 1171 Eine rechts- wie sozialwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Konzept des Vorsorgestaats findet sich bei F. Ewald, Der Vorsorgestaat, 1993, insbes. S. 242 ff., 452 ff. Er operiert mit den auch in diesem Kontext zentralen Begriffen von Risiko, Verantwortung und Vorsorge. 1172 Zum Begriff und der Bedeutung der „Nächstenliebe“ in diesem Kontext Ewald, (Fn. 1171), S. 311 ff. 1173 Schmid, (Fn. 1164), S. 249; s. auch U. Di Fabio, Grundrechte im präzeptoralen Staat am Beispiel hoheitlicher Informationstätigkeit, JZ 1993, S. 698 ff., 690, der diesen Blickwinkel beschreibt als „Staat als besorgter, ermahnender und erziehender pater familias“; s. auch Forsthoff, (Fn. 1059), S. 158 f.; s. kritisch zum fürsorgenden Staat Krüger, (Fn. 1077), S. 777 ff., 779. 1174 s. W. Köck, Risikovorsorge als Staatsaufgabe, AöR 121 (1996), S. 1 ff., insbes. S. 16 ff. 1170

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Verantwortung verlagert. Die Gemeinwohlbezogenheit der Vorsorge, ihr Verständnis als Gemeinwohlbelang, bestätigt sich auch vor dem Hintergrund der näheren Bestimmung des Gemeinwohlbegriffs 1175 als Dreiecksverhältnis (Spannungslage – Verknüpfung – Priorität). Offenbar besteht im dargelegten Sinne eine Spannungslage zwischen Individualinteresse und allgemeinem Interesse: Der Betreiber einer immissionsschutzrechtlichen Anlage ist naturgemäß bestrebt, den Betrieb weitestmöglich von Auflagen frei zu halten. Demgegenüber bringen die Betreiberpflichten des BImSchG den Willen und das Interesse an einer vorsorgenden Umweltpolitik zum Ausdruck. Eine Verknüpfung dieser widerstreitenden Interessen ergibt sich aus dem faktischen und normativen Sachzusammenhang des Anlagenbetriebs. Schließlich kommt in der Beachtlichkeit der gesetzlichen Vorgaben auch die Priorität des allgemeinen Interesses vor dem Individualinteresse zum Ausdruck. Darüber hinaus lässt sich ein ressourcenökonomischer Umgang mit der Natur aber auch aus verfassungsrechtlichen und internationalrechtlichen Kontexten herleiten. Art. 20a GG sei hier stellvertretend genannt. Gleichzeitig wird an diesem konkreten Fall die erhebliche normative Prägung des Gemeinwohlbegriffs deutlich. Seine Ausgestaltung erhält das Gemeinwohl primär also durch den demokratischen Gesetzgeber 1176. d) Umwelt als Defizitposten staatlicher Gemeinwohlpflege Früh schon beschreibt Forsthoff als Signum des „Staats der Industriegesellschaft“ 1177 das Versagen des demokratischen Mechanismus, dass nämlich ein Interesse vieler sich gegen die gegenläufigen Interessen weniger durchsetzt 1178 – beispielhaft verdeutlicht an der Reinhaltung der Gewässer und der Luft. Zwar sieht Forsthoff widerstreitende „partikulare Interessen“ 1179 als mitursächlich für diese Entwicklung, die tieferen Gründe für dieses Phänomen aber bleiben zunächst im Dunkeln. Als Weg aus der Krise benennt er die Schaffung (beziehungsweise Erhaltung) einer starken Institution (=Staat), welche sich der vernachlässigten Belange annehme. In Fortsetzung der liberalen Tradition des 19. Jahrhunderts, die in einem von der Gesellschaft verschiedenen Staat einen Garanten bürgerlicher Freiheit sah, sieht er die Funktion des Staates der Industriegesellschaft in der Garantie der natürlichen Lebensgrundlagen als Voraussetzung der Freiheit. Dass es aber die staatlichen beziehungsweise rechtlichen Strukturen selbst sind, welche den beklagten Antagonismus mit verursachen, wird nicht benannt. Das 1175

s. unter § 7 III. 2. a) (2). BVerfGE 24, S. 367 ff., 403 f. – Hamburgisches Deichordnungsgesetz. 1177 s. dessen gleichnamiges Werk (Fn. 1059); s. auch die Arbeit von Douglas, (Fn. 301), die moderne Gesellschaften nach der Art ihres Umgangs mit Risiken unterscheiden will. 1178 Forsthoff, (Fn. 1059), S. 25. 1179 Forsthoff, (Fn. 1059), S. 26. 1176

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Defizit nämlich, welches sich beim Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen allenthalben offenbart, hat identifizierbare Gründe. Zweien dieser Gründe soll an dieser Stelle nachgegangen werden, sodann sollen eventuelle Gemeinsamkeiten bestimmt werden. (1) Vollzugsdefizit im Umweltrecht Das Umweltrecht gilt seit langem als Referenzgebiet für mangelhafte Implementation der normativen Gebote in der Rechtswirklichkeit. Zusammengefasst wird dies Phänomen üblicherweise unter dem Stichwort des Vollzugsdefizits 1180. Die Besonderheit einer mangelhaften Implementation des geltenden Rechts kann dabei als Ausdruck einer Auflösung des „formbestimmenden Dualismus des Rechts ‚gerecht-ungerecht‘ angesehen werden, an dessen Stelle nun die Frage nach Effektivität von Steuerungsprogrammen tritt 1181. Gleichzeitig erweist sich dieser Befund auch als Ausweis der Krise des Rechts in der „Risikogesellschaft“ der Moderne 1182. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass die empirische Grundlage für die Feststellung des Implementationsgrades umweltrechtlicher Vorschriften eher dürftig ist. Von der Berichtspflicht des § 139b Abs. 3 GewO 1183 abgesehen, finden sich keine von öffentlicher Seite veranlassten allgemeinen Datenbestände oder Bestandsberichte 1184. Auch das auf Grundlage der EG-Umweltinformationsrichtline 1185 erlassene Umweltinformationsgesetz (UIG) sieht keine Sammlung von Datenbeständen vor. Die behördliche Kenntnis über umweltrelevante Vorhaben 1180 Z. B. schon frühzeitig die kasuistisch angelegte Studie von G. Winter, Das Vollzugsdefizit im Wasserrecht, 1975 sowie das ebenfalls empirisch angelegte Werk von R. Mayntz (Hg.), Vollzugsprobleme der Umweltpolitik, 1978; aus verfassungsföderaler Perspektive H.-J. Koch / F. Mechel, Naturschutz und Landschaftspflege in der Reform der bundesstaatlichen Ordnung, NuR 2004, S. 277 ff., 278 f., 282 f. 1181 W. Behlert, Subjektives Recht versus demokratische Verantwortung, in: Gröschner / Morlok (Hg.), Recht und Humanismus, 1997, S. 9 ff., 17. 1182 s. dazu W. Hoffmann-Riem, Risiko- und Innovationsrecht im Verbund, Die Verwaltung 38 (2005), S. 145 ff.; R. Wolf, Zur Antiquiertheit des Rechts in der Risikogesellschaft, Leviathan 1987, S. 357 ff.; s. auch B.-O. Bryde, Das Recht der Risikogesellschaft, in: Grabes (Hg.), Wissenschaft und neues Weltbild, 1992, S. 71 ff., mit einer Auseinandersetzung mit dem Risikobegriff und dem Begriff der Risikogesellschaft, S. 76 ff.; s. auch H. Faber, Vorbemerkungen zu einer Theorie des Verwaltungsrechts in der nachindustriellen Gesellschaft, in: Stein / ders. (Hg.), Auf einem Dritten Weg, FS Ridder, 1989, S. 291 ff. mit einem allgemeinen Problemaufriss. 1183 s. dazu W. Kahl, in: v. Landmann / Rohmer (Begr.), GewO, Kommentar, Bd. I, 49. Lfg. Januar 2007, § 139b Rn. 34 ff. 1184 Im Wasserrecht, so z. B. §§ 157 ff. LWG NW, ist aber das Führen von Wasserbüchern verlangt, welche Aufschluss über zulassungsbedürftige Gewässerzuleitungen geben. Über den Stand des Gesetzesvollzugs hingegen geben sie auch keine zureichende Auskunft.

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variiert abhängig von der einfachgesetzlichen Ausformung. So ist aus naheliegenden Gründen das Wissen über genehmigungspflichtige Vorhaben nach BImSchG größer als das über nichtgenehmigungsbedürftige 1186. Generell, so stellt Lübbe-Wolff beispielgebend für einen Teilbereich des Wasserrechts fest, sei der Informationsstand der verantwortlichen Behörden schlecht bis „katastrophal“ 1187, das Durchsetzungsdefizit des Umweltrechts sei „zentral und ubiquitär“ 1188. Dabei erweisen sich die Bereiche der Anlagenzulassung seit jeher als vollzugsfreundlicher als die des genehmigungsunabhängigen Vollzugs, was auf die subjektivrechtlich, also anspruchsbegründend ausgestaltete Materie der Anlagengenehmigung zurückzuführen ist 1189. Zudem ist auf Seiten der Anlagenbetreiber der Kooperationswille im Genehmigungsverfahren höher, als wenn sie sich im antragsunabhängigen Vollzug Informationsverlangen der Behörden gegenüber sehen. Verschärfend hinzu kommt vor allem die im Bauordnungsrecht zu verzeichnende Tendenz, mittels Vereinfachungen des Verfahrens und der Genehmigungserteilung sowie Genehmigungsfiktionen auch diesen Teil des Rechtsvollzugs zu erleichtern 1190. Nimmt man eine Inventur des Normmaterials vor, so erweist sich die Decke umweltrechtlicher Regelungen in der Bundesrepublik zwar nicht als geschlossen, jedoch aber als dicht geknüpftes Netz. Mit fehlendem legislativem Engagement können die faktischen Defizite der Umweltrechtspflege also kaum erklärt werden 1191 . Es ist die Umsetzung der Normen, die aus verschiedenen Gründen Schwierigkeiten bereitet.

1185 Richtlinie des Rates vom 7. Juni 1990 über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt (90/313 EWG), Abl. Nr. L158/56. 1186 Dazu G. Lübbe-Wolff, Stand und Instrumente der Implementation des Umweltrechts in Deutschland, in: dies. (Hg.), Der Vollzug des europäischen Umweltrechts, 1996, S. 77 ff., 78; s. auch M. Kloepfer, Die europäische Herausforderung – Spannungslagen zwischen deutschem und europäischem Umweltrecht, NVwZ 2002, S. 645 ff. 1187 Lübbe-Wolff, (Fn. 1186), S. 78; s. auch G. Winter, Toxic Ignorance, in: ZiF Mitteilungen 3/99, abrufbar unter http://www.uni-bielefeld.de/(de)/ZIF/Publikationen /mitteilungen_archiv.html mit Verweis auf D. Roe / W.S. Pease, Toxic Ignorance, in: The Environmental Forum, May / June 1998, S. 24 ff. für den Bereich der Produktkontrolle durch Behörden; speziell zur Lage im Wasserrecht s. auch I. Graf, Vollzugsprobleme im Gewässerschutz, 2002, passim sowie ders. zur empirischen Seite abrufbar unter http:/ /wasser.forschungsstelle-umweltrecht.de/graf2.php. 1188 Lübbe-Wolff, (Fn. 1186), S. 79. 1189 s. beispielsweise die bei Lübbe-Wolff, (Fn. 1186), S. 83 nachgewiesene Bonner kriminologische Untersuchung zu Vollzugsdefiziten im Wasserrecht in NRW, in der das Defizitgefälle zwischen genehmigungsabhängigem Vollzug und anlassfreiem Vollzug deutlich zu Tage tritt. 1190 Einen landesrechtlich aufgefächerten Überblick über die Vereinfachungsbemühungen des Gesetzgebers findet sich bei K. Finkelnburg / K.-M. Ortloff, Öffentliches Baurecht II, 5. Aufl. 2005, S. 99 ff.; s. auch W. Brohm, Öffentliches Baurecht, 3. Aufl. 2002, S. 522 ff.

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Der Vollzug des Umweltrechts gestaltet sich vor allem deswegen problematisch, weil dem Umweltrecht ein eigenes Vollzugsinteresse fehlt 1192 beziehungsweise vorhandene Vollzugsinteressen durch durchsetzungsdominante Drittinteressen überlagert werden 1193. Im Einzelnen ist zwischen beiden Aspekten nicht durchgängig klar zu trennen. Dominierendes Moment des umweltrechtlichen Gesetzesvollzugs jedenfalls ist die Ökonomie. Gesetzesbefolgung im Umweltrecht ist in der Regel mit Kosten verbunden, umweltfreundliches technisches Verhalten ist unter betriebswirtschaftlichen Aspekten also regelmäßig auf der Soll-Seite der Bilanz zu verbuchen. Rechtliche compliance ist daher auf Seiten der Anlagenbetreiber, ökonomisch bedingt, nur unvollkommen ausgeprägt. Auch unter wettbewerblichen Vorzeichen erfährt die mangelnde Implementation des Umweltrechts stabilisierende Impulse: Solange die Investitionsbelastung für umweltfreundliche technische Einrichtungen nur unvollkommen und vor allem ungleichmäßig auf die Wettbewerber verteilt sind, und das ist typischer Ausdruck mangelnder Implementation, umso höher ist das unternehmerische Interesse, selbst nicht „zufällig“ mit Vollzugsanforderungen belastet zu werden 1194. Aber auch auf Seiten der unmittelbar zum Gesetzesvollzug aufgerufenen Behörden spielen mittelbar ökonomische Belange eine Rolle. Regelmäßig sehen sich Umweltordnungsbehörden nämlich sachfremden Erwägungen wirtschaftlicher Art ausgesetzt, sei es systemimmanent durch Behördenleitung oder Politik, sei es systemextern durch potentielle Anlagenbetreiber. Ebenso wie nämlich das Umweltrecht nur einen Teil der staatlichen Gesamtrechtsordnung bildet, ist die Umweltverwaltung nur Teil staatlicher Gesamtverwaltung. Deren Ziele sind vielgestaltig und unterschiedlich durchsetzungsstark. Mit anderen Worten: Belange des Umweltschutzes, wie sie in den einschlägigen Vorschriften zum Ausdruck kommen, befinden sich in einem permanenten Interessenwettstreit. Dabei konkurrieren kurz- und mittelfristige Erwägungen wirtschaftspolitischer Prägung mit solchen des Umweltrechts, die eher langfristig orientiert sind. Verschärft wird dieses Konkurrenzverhältnis durch den Ansiedlungswettbewerb konkurrierender Gebietskörperschaften – Umweltrechtsvollzug entwickelt sich so unversehens zu einem Standortnachteil inter communes. Die ökonomischen Dependenzen beider involvierter Seiten ergänzen sich in der Folge im Alltag der Rechtsanwendung 1191 P. C. Mayer-Tasch, Kein Recht für die Umwelt?, NuR 1991, S. 153 ff., spricht von der starken Fraktionierung des Umweltrechts als einem „Gesetzgebungsdefizit“ in einem qualitativen Sinne. 1192 G. Lübbe-Wolff, Vollzugsprobleme der Umweltverwaltung, NuR 1993, S. 217 ff., 218; s. auch Wegener, (Fn. 795), S. 2 zu „vested interests“. 1193 s. dazu auch § 2 II. 1. e) (1); entsprechend wird traditionell in der Einräumung von Klagerechten eine Möglichkeit der Vollzugskontrolle gesehen, s. B. W. Wegener, Vollzugskontrolle durch Klagerechte von mitgliedsstaatlichen Gerichten, in: Lübbe-Wolff (Hg.), Der Vollzug des europäischen Umweltrechts, 1996, S. 145 ff. 1194 Lübbe-Wolff, (Fn. 1192), S. 219; als ein psychologisches „Fairnessproblem“ beschreibt Engel, (Fn. 248), S. 323 ein solches Verhalten der Normadressaten.

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gegenseitig zu einem don’t ask – don’t tell-Mechanismus, an dessen Ende eine ökonomisch, nicht aber ökologisch sinnvolle Implementation des geltenden Umweltrechts steht. Schließlich weist das Umweltrecht gegenüber den prekären Motivationslagen seiner Anwender und Adressaten eine Reihe struktureller Mängel auf, die die dargelegte Situation noch verschärfen 1195. (a) Normative Generalität und faktische Komplexität Anders als sich auf den ersten Blick vermuten ließe, ist ein wesentlicher Faktor für den mangelhaften Vollzug des Umweltrechts nicht seine hohe Komplexität. Zwar ließen sich stellenweise beispielsweise technische Detailvorgaben durch Zielvorgaben ersetzen und so vereinfachen, generell leidet der Vollzug aber an der Auslegungsbedürftigkeit zahlreicher Generalklauseln 1196. Die Kommunen als häufig zuständige untere Umweltordnungsbehörden sind mit der Anwendung solcher Vorschriften regelmäßig, so nicht überfordert, aber doch allein gelassen 1197. Demgegenüber tendiert die Materie Umweltschutz, je mehr auch sie unter Effektivitätsgesichtspunkten gesehen wird, als solche zu einer deutlichen Komplexitätserhöhung. Die Tendenz, Umweltschutz nicht mehr medial, sondern integrativ zu verstehen und gleichzeitig Verantwortlichkeitsstrukturen über neue Zurechnungs- und Verantwortungskategorien „aufzulösen“, lädt das Umweltrecht mit faktischen wie normativen Erwartungen auf, deren Umsetzung in der Praxis problematisch wird 1198. Das Recht wird dabei in seinem Geltungsanspruch und in seiner Struktur zunehmend verallgemeinert und mit überabstrakten Steuerungsimpulsen (Kooperation, kollektive Verantwortung, Vorsorge) aufgeladen, ohne das für einen effektiven Vollzug notwendige „mittlere Abstraktionsniveau“ 1199 zu erreichen.

1195 s. U. Di Fabio, Komplexes Verwaltungshandeln und juristische Dogmatik, in: Lorz / Spies (Hg.), Umwelt und Recht, 1991, S. 9 ff., insbes. S. 19 ff.; Ansätze, umweltschützerische Belange in die Anwendung des Rechts zu integrieren bzw. ihre Durchsetzung generell zu fördern, finden sich bei D. Pearce, Public policy and natural resources management, http://ec.europa.eu/environment/enveco/waste/pdf/rmpearce.pdf. 1196 Lübbe-Wolff, (Fn. 1186), S. 97; Mayer-Tasch, (Fn. 1191), S. 156 f. 1197 s. dazu A. Schink, Vollzugsdefizite im kommunalen Umweltschutz, ZuR 1993, S. 1 ff., 8; eine umfangreiche Analyse personaler Probleme des Umweltrechtsvollzugs findet sich bei R. Stich, Personale Probleme des Vollzugsdefizits in der Umweltschutzverwaltung, in: König / Laubinger (Hg.), Öffentlicher Dienst, FS Ule, 2. Aufl. 1977, S. 215 ff., insbes. S. 225 ff., 231 ff.; zur Sache auch Hoppe, (Fn. 191), Staatsaufgabe, S. 224. 1198 O. Lepsius, Vom Abfall zum Produkt, NVwZ 2003, S. 1182 ff., 1186 f. 1199 Lepsius, (Fn. 1198), S. 1187.

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(b) Instrumente des Umweltrechts Das Umweltrecht befindet sich in einem besonderen Spannungsfeld zwischen seinen ordnungsrechtlichen Zielen einerseits und dem Anspruch auf Kooperation und der Komplexität der Informationserhebung auf der anderen Seite. Die zur Verfügung stehenden Instrumente erweisen sich dabei als zunehmend untauglich, die gesetzgeberisch vorgegebenen Vollzugsziele zu erreichen 1200. Die mangelnde Vollzugsmotivation auf Seiten der Verwaltung und die mangelhaft ausgebildete compliance auf Seiten der Vollzugsadressaten kann nur durch eindeutige Vollzugsimperative überwunden werden. Demgegenüber erweist sich das geltende Umweltrecht als zu wenig definitiv. Nicht gesetzliche Dezision dominiert, sondern behördliches Einzelfallermessen. Während dies zwar die Möglichkeit einer rechtsstaatsoptimierenden Feinsteuerung eröffnet, erweist es sich als besonders anfällig für die bereits benannten vollzugsfeindlichen extrinsischen Faktoren 1201. Virulent wird diese Problematik nicht primär bei Genehmigungserteilungen, denn dort gibt es oftmals strikte Grenzwertfestlegungen. Betroffen ist auch hier der schon angesprochene antragsunabhängige Vollzug, sofern es überhaupt zu einem solchen kommt 1202. (c) Implementationshemmnisse durch Entformalisierung Das Vollzugsdefizit im Umweltrecht lässt sich schließlich als Ausdruck einer rechtlichen Übersteuerung werten – nicht zu wenig Umweltschutz, zu viel Umweltschutz führt zu geringem Vollzug 1203. Das Bemühen des Gesetzgebers, ein hohes Niveau an Umweltschutz zu erreichen, hat dazu geführt, dass von imperativen Detailformulierungen im Gesetz zunehmend zugunsten von finalen Zielvorgaben Abstand genommen wird 1204. Gleichzeitig wird die Umweltpflich1200

Wahl / Appel, (Fn. 76), S. 28 ff.; s. allgemein M. Kloepfer, Zu den neuen umweltrechtlichen Handlungsformen des Staates, JZ 1991, S. 737 ff., insbes. S. 739 ff. zu Absprachen; weiter auch R. Breuer, Zunehmende Vielgestaltigkeit der Instrumente im deutschen und europäischen Umweltrecht, NVwZ 1997, S. 833 ff. 1201 Lübbe-Wolff, (Fn. 1192), S. 220. 1202 s. dazu die Ausführungen bei R. Müller, Darstellung der Vollzugsdefizite bei der kommunalen Umsetzung umweltrechtlicher Normen am Beispiel der Bundesländer Sachsen und Sachsen-Anhalt, i.A. der Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt“, 1993, S. 19 ff. 1203 Lepsius, (Fn. 1198), S. 1186. 1204 Ein weiteres Modell rechtlicher Steuerung ist das des „Leitbildes“ bspw. im Raumordnungsrecht, s. dazu J. Karstens, Rechtliche Steuerung von Umweltinnovationen durch Leitbilder: Leitbilder als materieller Kern von regulierter Selbstregulierung, in: Eifert / Hoffmann-Riem (Hg.), Innovation und rechtliche Regulierung, 2002, S. 50 ff.; zu einem entsprechenden Problem H. D. Jarass, Luftqualitätsrichtlinien der EU und die Novellierung des Immissionsschutzrechtes, NVwZ 2003, S. 257 ff., 259 f.

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tigkeit im Lichte des Kooperationsprinzips zwischen Staat und – soweit ermittelbar – Normadressaten selbst 1205 angesiedelt. Die Auflösung des klassischen normativen Skeletts des Gefahrenabwehrrechts von Gesetzesauftrag und Normadressat zugunsten eines im Wege von Kooperation und Prozess zu erreichenden Ergebnisses wird zu einer Hypothek auf das eigentlich zu erreichende Ziel. Während Mittel von Befehl und Zwang an faktischen Hindernissen scheitern und deswegen nicht zielführend sind (Vollzugsdefizit), vermögen alternative Anreizmechanismen des soft law zwar der komplexen ökonomischen Gemengelage eher gerecht zu werden, aber dafür noch keine gesetzesadäquate compliance der Normadressaten zu bewirken. Letztlich bleibt unklar, was von wem wie bewerkstelligt werden soll. Das Recht vermag also weder klassisch ordnungsrechtlich noch modern kooperativ auf die faktische Komplexität von umweltrelevanten Sachverhalten zu reagieren. Dies ist mit Lepsius auch darauf zurückzuführen, dass die an sich schon unzulänglichen Regelungsmittel des Gesetzes mit einer Doppelaufgabe be-, wenn nicht gar überlastet werden. Die Einbeziehung der Normadressaten in den Kreis der Normsetzer, beispielsweise durch Selbstverpflichtungen der Wirtschaft als Normsubstitut, stellt das Recht vor die Aufgabe, normsetzungsfähige Subjekte zu generieren und gleichzeitig eine in irgendeiner Weise vollzugsfähige normative Aussage in Form objektiver Handlungspflichten zu treffen 1206. Die auch hier zu beobachtende Entgrenzung beziehungsweise Vermischung von Normbefehl und Normbefolgung führt parallel zu einer Entgrenzung beziehungsweise einer buchstäblichen Entschärfung des Norminhalts. Wo also im Falle eines Ausfalls beispielsweise einer Selbstverpflichtung der Wirtschaft mit Normerlass durch Verordnungsermächtigung gedroht wird, antizipiert das Gesetz eine nicht-gesetzliche im Sinne einer gesetzesexternen Regelung, die es selbst zu schaffen nicht in der Lage wäre 1207. (2) Rechtsstaat und Umweltstaat (a) Staatszwecke im Verfassungsstaat Die Zweckbindung staatlicher Gewalt ist im Verfassungsstaat Grundvoraussetzung für die Rechtmäßigkeit staatlichen Handelns 1208. Zu unterscheiden sind 1205 Zu Rechtsproblemen, die bei beratendem Handeln von Umweltbehörden auftreten, s. G. Lübbe-Wolff, Rechtsprobleme der behördlichen Umweltberatung, NJW 1987, S. 2705 ff., vor allem zu Zuständigkeits-, S. 2706 f., und Drittrechtsfragen, S. 2708 ff. 1206 Lepsius, (Fn. 1198), S. 1186. 1207 s. weiter zu Grenzen der Rechtsetzung in Kooperation zwischen Staat und Bürger G. F. Schuppert, Erscheinungsformen und Grenzen kooperativer Rechtsetzung, in: Osterloh / Schmidt (Hg.), Staat, Wirtschaft, Finanzverfassung, FS Selmer, 2004, S. 227 ff., der insbesondere das Problem der Bestimmung verfassungsrechtlicher Grenzen einbezieht, S. 234 ff., 239 ff.; Vorschläge zu einer Dogmatik der „Rechtsetzung im kooperativen Verfassungsstaat“ finden sich bei Michael, (Fn. 529), passim.

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dabei die bindungsbegründenden (abstrakten) Staatszwecke von den bindungsausfüllenden und damit im Vergleich konkreteren Staatszielen beziehungsweise Staatsstrukturen 1209. Ein Staat, der sich auf die Erreichung bestimmter Zwecke verpflichtet hat, kann diese nach heutiger Auffassung nicht in freier Formenund Mittelwahl, also willkürlich, verfolgen. Er muss sich rechtliche und rechtlich verbindliche Strukturen der Zweckerreichung geben. Er genügt damit bestimmten verfassungsstaatlichen Anforderungen, wie sie beispielsweise in Art. 16 und Art. 3 der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte zum Ausdruck kommen. Namentlich muss er zumindest ein gewaltengeteilter, rechtsgewährleistender 1210 und demokratisch verfasster Staat sein 1211. Neben diesen eher formalen Strukturen verfolgt der moderne Staat aber auch materiale Ziele, was angesichts der umverteilenden Leistungsverwaltung des 20. Jahrhunderts offensichtlich wird 1212. Rechtlich findet diese Materialisierung ihren Ausdruck beispielsweise im Verständnis der Grundrechte als objektive Wertentscheidungen und Quelle staatlicher Schutzpflichten 1213. Rechtlich konkretisiert werden Staatszwecke und Staatsstrukturen durch die Normen der Verfassung, zuvörderst durch die in der Verfassung niedergelegten Prinzipien. Daher lassen sich Begriffe wie beispielsweise Rechtsstaat einerseits als Bezeichnung der Struktur eines staatlichen Gemeinwesens, andererseits aber auch als Synonym der verfassungsrechtlichen Anordnung (Art. 20 Abs. 3 GG) begreifen. Dies wiederum wird von Rechtsprechung und Literatur weiter konkretisiert. Diesen Konkretisierungen wächst in der Praxis dann nahezu ein verfassungsunmittelbarer Geltungsrang zu. Dies gilt z. B. für den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der zwar dogmatisches Konstrukt ist, aber gleichzeitig als verfassungsgeboten angesehen wird 1214. Die Doppelverwertung der Begriff1208

s. z. B. Jellinek, (Fn. 1050), S. 184, 220; Brugger, (Fn. 1102), S. 357. Zur Bedeutung der Staatsaufgaben- und Staatszielbestimmungen als klassischer Lösungsstrategien rechtlicher Probleme s. jetzt Appel, (Fn. 13), S. 94 ff. 1210 Zu den Gehalten des Verfassungsprinzips Rechtsstaat s. umfassend K.-P. Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 1997, S. 205 ff. 1211 K. Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 2. Aufl. 1984, S. 79 spricht vom „Ideal des Verfassungsstaates“. 1212 So erkennt z. B. J. Isensee, Staat und Verfassung, in: ders. / Kirchhof (Hg.), HStR, Bd. II, 3. Aufl. 2004, § 15 Rn. 91 ökologische Sicherheit als staatslegitimierenden Zweck an, wiewohl seine Anerkennung staatlicher Legitimationszwecke ansonsten eher zurückhaltend ist; s. zur Dimension des sozialen Leistungsstaats im Recht: C. Enders und E. Wiederin, Sozialstaatlichkeit im Spannungsfeld von Eigenverantwortung und Fürsorge, VVDStRL 64 (2005), S. 7 ff. und S. 53 ff. sowie dazu: H. M. Heinig, Der Sozialstaat im Dienst der Freiheit, 2008; s. auch W. Brohm, Soziale Grundrechte und Staatszielbestimmungen in der Verfassung, JZ 1994, S. 213 ff., 214 zum Wandel staatlicher Legitimation in Zeiten des umverteilenden Leistungsstaats. 1213 s. zu den objektivrechtlichen Gehalten der Grundrechte M. Borowski, Grundrechte als Prinzipien, 1998; weiter auch Sommermann, (Fn. 1210), S. 327 ff. zum Verhältnis von Grundrechten und Staatszielbestimmungen. 1209

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lichkeiten birgt dementsprechend erhebliches Verwirrungspotential, was eine Erklärung über die jeweilige Begriffsverwendung erforderlich macht. Entsprechende Doppelbedeutung zeichnet auch die Grundrechte aus, die sich einerseits als subjektive Rechte, andererseits aber auch als objektive Wertentscheidungen beziehungsweise Prinzipien verstehen lassen und sich damit in ihrer Funktion den Staatsstrukturprinzipien annähern 1215. Es ergibt sich damit ein begrifflich wie sachlich bestimmter Dreiklang aus Staatszweck, Staatsstruktur und Verfassungsprinzip, dessen Elemente zueinander in einem Verhältnis abnehmender Abstraktionshöhe stehen. Dieses begriffliche Dreieck beschreibt ein abstraktes Steuerungsprogramm, dem jegliches staatliche Handeln wie staatliche Organisation in mittel- wie unmittelbarer Art unterworfen ist 1216. Typisches Kennzeichen einer Rechtsordnung ist die ihr immanente Konkurrenz von verschiedenartigen Steuerungsimpulsen. Ähnlich wie Rechtsprinzipien können auch Staatszwecke zueinander in Widerspruch treten 1217, sich also nicht gleichzeitig vollumfänglich realisieren lassen. Bewegt man sich auf der Abstraktionsebene von Staatszwecken und Staatsstrukturprinzipien, kommt erschwerend noch eine erhebliche sachliche Kongruenz der einzelnen Ebenen hinzu: Beispielhaft für die Überlappung der Kategorien ist der Terminus des Umweltstaats 1218, normativ fundiert durch Art. 20a GG. Einerseits kann der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen Ausdruck der staatlichen Verpflichtung zur Gewährleistung der Grundlagen der Freiheitsbetätigung sein (oder des Umweltschutzes als Selbstzweck). Andererseits aber verleiht die Vorschrift diesem Belang den Rang eines Staatsstrukturprinzips und schließlich gewinnt er die Qualität eines Rechtsprinzips, wo einfaches Recht in seinem Lichte ausgelegt werden muss. Diese funktionale Vielfalt, die einem einzelnen Begriff wie Umweltstaat zukommen kann, weist insofern eine erhebliche rechtliche Komplexität auf, als dass der Grad der rechtlichen Verbindlichkeit, die Strenge des ausgelösten Steuerungsimpulses abhängig von der Zuordnung eines Begriffes zu einer der genannten Kategorien variiert. Während der Steuerungsimpuls des Staatszwecks Sicherheit, als dessen Ausprägung man den Begriff des Umweltstaates ansehen kann, ein 1214 s. zu der in diesem Sinne zweigliedrigen Struktur des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als verfassungsrechtlich durchformtes Rechtsanwendungsdogma L. Michael, Die drei Argumentationsstrukturen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit – Zur Dogmatik des Über- und Untermaßverbotes und der Gleichheitssätze, JuS 2001, S. 148 ff. 1215 Brohm, (Fn. 1212), S. 214 f., 217 ff. 1216 Die besonderen Wirkungsmechanismen abstrakter Steuerungsprogramme wie Staatszielbestimmungen erläutert Sommermann, (Fn. 1210), S. 355 ff. 1217 Brugger, (Fn. 1102), S. 362 f. 1218 Eine Bestandsaufnahme zur Implementation der Umweltstaatlichkeit bei M. Kloepfer, Aspekte eines Umweltstaates Deutschland, in: Dolde (Hg.), Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 745 ff. mit staatsorganisationsrechtlichen und grundrechtlichen Aspekten.

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höchst allgemeiner ist, ist der Steuerungsimpuls des Art. 20a GG, der die Umweltstaatlichkeit auf Verfassungsebene festschreibt, deutlich fassbarer. Gleichwohl ist das spezifische Gewicht des Umweltstaates gegenüber etablierten Staatsstrukturen ein minderes, weil er in weitaus geringerem Maße dogmatische Ausfaltung erfahren hat 1219 Gemeinschaftlich gekennzeichnet sind die genannten Kategorien selbst wie ihr Zusammenwirken in der Rechtswirklichkeit durch „Unwägbarkeiten sowohl im Hinblick auf unterschiedliche Abstraktionsstufen und Verbindlichkeitsgrade der Zielvorgaben als auch in Bezug auf die Spannung zwischen unverträglichen Staatszielen sowie zwischen faktisch verfolgten und objektiv vorgegebenen Staatszwecken“ 1220. Nichtsdestoweniger sind im Hinblick auf die Staatszwecke Funktionen auszumachen, die eine Beschäftigung mit ihnen lohnen. Brugger unterscheidet drei Funktionen von Staatszwecken: Die Identifizierung eines Staatstyps, die Rechtfertigung staatlichen Handelns sowie die Komplexitätsreduktion 1221. Die Rechtfertigungsfunktion von Staatszwecken knüpft an die Erkenntnis an, dass staatliche Gewalt rechtsstaatlich nur ausgeübt werden kann, wenn sie bestimmten Vorgaben folgt und auf die Erreichung gemeinwohlverträglicher Ziele ausgerichtet ist, sie ist unmittelbarer Ausdruck der Legitimationsfrage. Immanent ist ihr gleichzeitig die Kontrolldimension, denn wo staatliches Handeln zweckund wertgebunden sein soll, bedarf es einer effektiven Kontrolle anhand dieses Maßstabs. Staatliche Bindung erfordert also explizierte staatliche Zwecke, da wirksame Kontrolle, wie sie Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG fordert, ansonsten leerläuft. In Anlehnung an Luhmann ist die Komplexitätsreduktion als eine weitere Funktion der Staatszwecke zu begreifen. Er will den Staatszwecken keine eigene inhaltliche Vorgabe entnehmen, sieht sie aber als Darstellungsregel und Begründungserleichterung mit genuin ideologischer Funktion 1222. Sie eröffnen eine Bandbreite an Handlungsmöglichkeiten, ziehen diesen aber gleichzeitig weite äußere Grenzen, innerhalb derer das politische System eigene Zwecke setzen kann. Abhängig von Bestand und Umsetzung der jeweiligen Zwecke lassen sich Staaten nach ihrem Entwicklungsstand unterscheiden und bewerten. Diese Identifikationsfunktion von Staatszwecken wird bildhaft gezeichnet von Isensee, der eine historisch begründete pyramidale Stufung der Staatszwecke vornimmt, ausgehend von ersten Ausformungen des Gewaltmonopols als Ausdruck des Staats1219 Insofern aufschlussreich allein schon der äußere Umfang der Ausführungen bei Sommermann, (Fn. 1210), S. 247 ff. 1220 Brugger, (Fn. 1102), S. 364. 1221 Brugger, (Fn. 1102), S. 364. 1222 N. Luhmann, Zweckbegriff und Systemrationalität, 1968, S. 150.

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zwecks Sicherheit, darauf folgend dann der liberale Rechtsstaat des 19. Jahrhunderts sowie der soziale Rechtsstaat des 20. Jahrhunderts 1223. Während zunächst Bürger gegen Übergriffe anderer Bürger geschützt werden mussten, schützte der liberale Rechtsstaat vor unrechtmäßiger staatlicher Intervention, wohingegen der soziale Rechtsstaat des 20. Jahrhunderts seine Schutzanstrengungen gegen Risiken des sozialen Systems insgesamt ausrichtete. Schutzfunktion und Schutzzweck der Staatlichkeit wurden in diesem Prozess sublimer und anspruchsvoller, aber auch überforderter. Der ökologische Rechtsstaat des 21. Jahrhunderts schließlich steht vor der Herausforderung, unter Beibehaltung des liberal- und sozialrechtsstaatlichen 1224 Erbes gegenwärtige und vor allem zukünftige Rechtsträger gegen die Folgen der von ihm selbst gewährleisteten Freiheitsbetätigung Einzelner zu schützen 1225. Um die daraus sich ergebenden Spannungslagen soll es im Folgenden gehen. (b) Antagonismus von Staatsstrukturprinzipien Auf einer höheren Ebene lassen sich Ursachen für defizitäre Umweltpflege des Staates in einem (verfassungs-)rechtlichen Prinzipien- beziehungsweise Zweckantagonismus finden. Bis in die jüngere monographische Literatur hinein wird das Verhältnis von Rechtsstaat und Umweltstaat 1226 als ein Oppositionsverhältnis analysiert 1227, wobei das Rechtsstaatsprinzip als der Sache nach formale Idee dem Konzept eines Umweltstaats als materiale Idee vorgelagert ist und ersteres das letztere präformiert. Symptomatisch ist insoweit auch die unangefochtene Ableitung der Vorsorge als „Leitprinzip des Umweltstaats“ 1228 aus den Gegebenheiten der Gefahrenabwehr als konkrete Ausprägung des Staatszwecks Sicherheit 1229.

1223 Isensee, (Fn. 1212), § 15 Rn. 118.; s. zur Entwicklung der Staatszwecke in diese Richtung auch Appel, (Fn. 13), S. 54 f., 123 ff. 1224 Zur Begrifflichkeit des liberalen gegenüber dem sozialen Rechtsstaat s. Hesse, (Fn. 456), Rn. 183 ff. 1225 Zum Umweltschutz als Staatszweck s. Scholz, (Fn. 779), Art. 20a Rn. 5; zum Umweltschutz als Phänomen eines internationalen verfassungsrechtlichen Prozesses P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 470. 1226 Zum Begriff des Umwelt(vorsorge)staats Schmidt, (Fn. 133). 1227 s. C. Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, z. B. die Gliederungspunkte „Umweltschutz als rechtsstaatliches Problem“, S. 12 ff., „Die Idee des ‚Umweltstaats‘ als Herausforderung des Rechtsstaats“, S. 30 ff., „Rechtsstaatliche Grenzen des Umweltstaats“, S. 253 ff. usw. Das Spannungsverhältnis ist in seiner Grundanlage jedoch bereits früh beschrieben, s. z. B. P. Häberle, Zum Staatsdenken Ernst Forsthoffs, 1976, in: Vitzthum (Hg.), Peter Häberle – Kleine Schriften, 2002, S. 169 ff., der das Spannungsverhältnis beschreibt, wie es im Schaffen Ernst Forsthoffs zum Ausdruck kommt; s. auch ders., Retrospektive Staatsrechtslehre oder realistische Gesellschaftslehre, ZHR 136 (1972), S. 425 ff. 1228 Calliess, (Fn. 1227), S. 153 ff. et passim.

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Die Felder, in denen der opponierende Charakter beider Prinzipien regelmäßig zu Tage tritt, sind dabei mittlerweile recht klar bestimmt. Neben prozessualen Problemen offenbart sich die Spannung zwischen den Prinzipien besonders in subjektivrechtlich fundierten Dreieckskonstellationen Staat-Betreiber-Nachbar. Die als gewiss fingierten Zurechnungsmodi der Gefahr und (zum Teil) des Risikos 1230, als solche in rechtsstaatlicher Weise dogmatisch unterfangen, stehen ungewissen Kausalitäten umweltnaturwissenschaftlicher Provenienz gegenüber und erweisen sich untereinander als nur bedingt kompatibel. Konkret werden die Spannungen dann in Einzelfragen z. B. der administrativen Prognoseentscheidungen, in der Folge bei Aspekten gerichtlicher Kontrolldichte oder der Bindungswirkung umweltrechtlicher Verwaltungsvorschriften usw. Der Staat als Rechtsstaat ist aufgerufen, Eingriffe in die Freiheit der Bürger nur unter bestimmten Voraussetzungen zu tätigen (formaler Rechtsstaatsbegriff), er darf aber darüber hinaus den Schutz der Grundlagen der Freiheitsbetätigungen nicht außer Acht lassen, er ist auch ein materieller beziehungsweise ein subjektiver Rechtsstaat 1231. Grundrechte als Schutzpflichten 1232 gedeutet und durch Art. 20a GG in die Zeit perpetuiert, lassen ein „sich Blindstellen“ des Staates in Umweltdingen nicht zu. Andererseits hindert die Wahrung der Rechte der gegenwärtig Lebenden eine nicht wünschenswerte Fortentwicklung in einen ökologischen Polizeistaat alter Prägung 1233. Das Bedürfnis nach Kompatibilität beider Strukturprinzipien jedoch bleibt und die Verortung der staatlichen Umweltpflichtigkeit 1234 als direkter Ausdruck der staatlichen Verpflichtung auf das Gemeinwohl macht Kompatibilisierungsanstrengungen umso dringlicher. Dabei lässt sich trefflich darüber streiten, ob die vorzunehmende Interessenabwägung eine qualitativ oder bloß eine quantitativ andere ist, als sie auch sonst im Recht, namentlich im Verfassungsrecht, auf der Tagesordnung steht. Entscheidend ist jedoch, dass die Herausforderungen, die durch die Ökologisierung der Rechtsordnung an den Verfassungsstaat gestellt werden, sich ihrer 1229 Calliess, (Fn. 1227), S. 153.; dazu grundlegend G. Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, 1987. 1230 Zu den Zurechnungsmodi s. U. Di Fabio, (Fn. 79), S. 56 f. 1231 Zur Begrifflichkeit des subjektiven Rechtsstaatsprinzips s. A. Bleckmann, Vom subjektiven zum objektiven Rechtsstaatsprinzip, JöR 36 (1987), S. 1 ff.; zur materiellen Seite des Rechtsstaatsprinzips s. Sobota, (Fn. 800), S. 478 ff., insbes. S. 485 ff; s. dazu auch Hesse, (Fn. 456), Rn. 192. 1232 s. umfassend Dietlein, (Fn. 189), passim; G. Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987. 1233 Entsprechend F. Ekardt, Das Prinzip Nachhaltigkeit, 2005, S. 112 f., 114; zum Widerstreit zwischen Rechtsstaatlichkeit und Umweltvorsorge s. Scholz, (Fn. 779), Art. 20a Rn. 9. 1234 Zur Staatsaufgabe des Umweltschutzes s. auch Appel, (Fn. 13), S. 42 ff., dort gewertet als Ausdruck der staatlichen Aufgabe zur Zukunfts- und Entwicklungsvorsorge, insbes. S. 52 f., 57 ff.

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Natur nach nicht mehr in den Strukturen der liberalen Grundrechtstheorie beschreiben lassen. Das Verhältnis von Staat und Gesellschaft wird also, anders gewendet, durch eine Verfassungs- und Rechtsordnung, die sich auf die Gewährleistung von Freiheit in der Gegenwart beschränkt, nicht mehr vollständig abgebildet 1235. Seine Ursache findet dies unter anderem darin, dass der individualisierbare Mensch als Rechtsträger Zentrum unserer Rechtsordnung ist und als solcher auch in den Kategorien des Verfassungsrechts erfassbar. Die nicht allein ökologischen Herausforderungen der Gegenwart stellen aber nicht den Status des individualisierbaren Einzelnen in Frage, sondern den rechtlichen und freiheitlichen Status einer unbestimmten Vielzahl von Individuen, den „künftigen Generationen“. Deren Belange in die Strukturen des etablierten Rechts zu übersetzen, fällt bislang schwer. Parallel zur Diskussion um die Funktion der Grundrechte im Spannungsfeld zwischen Staat und Gesellschaft (Freiheit vs. Teilhabe) bedarf es also einer Grundsatzentscheidung zwischen den Positionen des liberalen Rechtsstaats auf der einen und des vorsorgenden Umweltrechtsstaats auf der anderen Seite 1236. Die mit dem Grundsatz der Nachhaltigkeit und dem Art. 20a GG zum Ausdruck gebrachte Notwendigkeit, im Hinblick auf den Schutz freiheitssichernder Reserven für die Zukunft in der Gegenwart Freiheitsbeschränkungen hinzunehmen 1237, kanalisiert die Entwicklung der Verfassung „als öffentlicher Prozess“ (Häberle) in einer ökologischen, also materiellen Weise. Der Prozess der Freiheitsbeschränkung, wie er z. B. in den dogmatischen Figuren der Abwägung und der praktischen Konkordanz rechtsstaatlich begegnet, wird auf diese Weise um einen zentralen neuen Faktor erweitert: Nicht-individualisierbare, einstweilen also kollektive zukünftige Belange werden abwägungsrelevante Größe gegenüber aktueller (Grund-)Rechtsbetätigung. Die Dogmatik des Rechtsstaats befindet sich dabei in der Zwangssituation, von der subjektivrechtlichen Ausrichtung des einfachen wie des konstitutionellen Rechts einerseits, wie von der objektiven Zielrichtung des Art. 20a GG andererseits mit geformt zu sein. Das Beharrungsvermögen auf der klassischen Position liberaler Rechtsstaatlichkeit schwindet dabei zusehends. Es geht also nicht darum, ob, sondern wie die Anforderungen der Umweltstaatlichkeit mit denen des Rechtsstaats abzugleichen sind 1238. Die Herausforderungen, die an die liberale Funktion des Rechtsstaats gestellt werden, sind damit 1235

Brohm, (Fn. 1212), S. 214. C. Calliess, Rechtsstaat und Wirtschaftsfreiheit vor den Herausforderungen des Staatsziels Umweltschutz (Art. 20a GG), in: Institut für Völkerrecht der Universität Göttingen, Abteilung Europarecht (Hg.), Göttinger Online-Beiträge zum Europarecht, S. 1 ff., 13, abrufbar unter www.europarecht.uni-goettingen.de/Paper9.pdf. 1237 Einen solchen kalkulierten „Verzicht in der Gegenwart“ sehen Wahl / Appel, (Fn. 76), S. 61 als gegebenenfalls notwendigen Teil umweltrechtlicher Vorsorge; diesbezüglich ausdrücklich kritisch Kloepfer, (Fn. 35), § 4 Rn. 27. 1236

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allerdings keineswegs geschwunden, sondern haben sich drastisch verschärft. Während der konstitutionelle Liberalismus des 19. Jahrhunderts von einer unverbrüchlichen Gesamtheit an individuellen Freiheiten ausgehen konnte, die durch rechtsstaatliche Vorkehrungen zur Entfaltung gebracht werden sollten, sind es eben diese Freiheitsbetätigungen, welche heute die Grundlage ihrer selbst in Frage stellen 1239. Dieser Befund macht deutlich, dass ein Ordnungsverhältnis, welches dem formalen Prinzip Rechtsstaat allein den Vorrang vor dem materiellen Prinzip des Umweltstaats einräumt, den neuzeitlichen Anforderungen kaum gerecht wird. Die dogmatischen Bemühungen müssen also auf ein integratives Verständnis von Rechts- und Umweltstaatlichkeit ausgerichtet sein 1240. Freilich, die besonderen Schwierigkeiten dieser Integration lassen sich relativieren: Operiert man nämlich mit der Vorstellung von Begriffskernen und Begriffshöfen eines konkreten Rechtsprinzips, so knüpft im konkreten Problemfall die Feinabstimmung der konkurrierenden Prinzipien an den Begriffshof des Rechtsstaats 1241 an. Es geht also nicht um einen grundsätzlichen Umbau rechtsstaatlicher Gewährleistungen, jedoch wird sich langfristig die Durchsetzungsfähigkeit umweltrelevanter Freiheitsbetätigungen am strengen Maßstab zukünftiger Interessen messen lassen müssen. So problematisch einerseits das Operieren mit verräumlichenden Vorstellungen von Rechtsstrukturen ist, so hilfreich ist sie hier: Es wird nämlich deutlich, dass die Bedenken, die gegen eine „Ökologisierung“ des Staatswesens vorgebracht werden, nicht den Kern der Rechtsstaatlichkeit betreffen, sondern lediglich ihren variablen Hof – und sie damit ihre Relevanz zwar nicht einbüßen, aber in ihrer Bedeutung relativiert werden. (3) Interessenkonkurrenz, Konvertierbarkeit und subjektive Rechte Das Vollzugsdefizit im Umweltrecht wie auch das dargelegte Spannungsverhältnis von Rechtsstaat und Umweltstaat kennen gemeinsame, allgemeine Ursachen. Abstrahiert man von dogmatischen oder verfassungsprinzipiellen Einzelfragen der genannten Art, so erweisen sich die dargelegten Probleme zunächst als Ausdruck einer allgemeinen Interessenkonkurrenz, wie sie typisch ist für das 1238

Ausführlich dazu z. B. Wahl / Appel, (Fn. 76), S. 13 ff., insbes. auch S. 49 ff.; Ekardt, (Fn. 1233), sieht im Prinzip der Nachhaltigkeit und daraus abzuleitenden Einzelaspekten die Lösung der konkurrierenden Positionen. 1239 s. hierzu Brohm, (Fn. 1212), S. 214. 1240 s. aus sozialwissenschaftlicher Perspektive dazu C. Offe, Wessen Wohl ist das Gemeinwohl?, in: Münkler / Fischer (Hg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn, 2002, der die Vermutung äußert, dass modernen Gesellschaften, die allein als freiheitliche und demokratische Rechtsstaaten verfasst seien, ohne Rückanbindung an Kategorien verpflichtender Sittlichkeit „etwas fehle“, es danach also materielle Gemeinwohlkategorien geben müsse. 1241 So Calliess, (Fn. 1227), S. 605.

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Recht: Das Zivilrecht moderiert und mediiert den Ausgleich privater Interessen, das Strafrecht verhilft dem normativen staatlichen Ausgleichsmodell von (privaten wie öffentlichen) Rechtspositionen gegenüber überbordenden Freiheitsbetätigungen einzelner zur Geltung; das öffentliche Recht schließlich setzt öffentliche beziehungsweise private und öffentliche Belange zueinander ins Verhältnis. Die diagnostizierten Interessenkonkurrenzen der oben genannten Art unterscheiden sich aber von den soeben genannten dadurch, dass sie nicht rechtsexterner Natur sind. Mit anderen Worten: Es handelt sich dabei um einen Widerstreit von Belangen, die selbst außerhalb der Rechtsordnung liegen. Das Recht moderiert also gleichsam natürliche Interessen. Das Vollzugsdefizit wie auch das Spannungsverhältnis von Rechtsstaat und Umweltstaat sind demgegenüber zunächst einmal rechtsordnungsinterne Phänomene. Die Rechtsordnung etabliert also widerstreitende Zielvorgaben, was sich nicht nur, aber auch daraus erklärt, dass es sich bei der Idee des Rechtsstaates um eine formale, bei dem Prinzip der Umweltstaatlichkeit aber um eine materielle Vorgabe handelt. Eine Rechtsordnung aber, deren „Einheit“ sogar als methodologisches Argument fungiert 1242, wird sich die Frage gefallen lassen müssen, wie sie interne Disparitäten befriedigend auflöst. Dabei ist zweierlei zu bedenken: Für die Ebene des Verfassungsrechts ist die Konkurrenz ungleichgerichteter Prinzipien keineswegs ungewöhnlich – auch dass ihr Ausgleich eigenen Kriterien unterliegt 1243. Ein Prinzip begriffen als Geltungsgebot mag dabei in anderer Weise verwirklicht werden, als ein Prinzip begriffen als Optimierungsgebot oder gar ein hin zu einer strikten Rechtsregel tendierendes Prinzip. Verfassung als Ausdruck der prinzipiellen Organisation eines Gemeinwesens ist wesensnotwendig auf eine Agglomeration rechtsprinzipieller Gebote angewiesen, um als Verfassung im öffentlichen Prozess Verfassungswandel aushalten und in langfristiger Perspektive bestehen zu können. Dass dabei der Konkretisierungsgrad von Prinzipien situativ unterschiedlich ausfallen kann, ist ebenfalls eine verfassungsimmanente Größe. Zweitens ist zu bedenken: Naheliegend ist es, eine rechtsordnungsinterne Interessen- oder Zieldisparität nach Maßgabe rechtsordnungsexterner Kriterien für die Auflösung von Interessenkonflikten zu lösen. Dies setzt aber jeweils voraus, dass die betroffenen Interessen untereinander ausgleichsfähig sind. Hier liegt, bezogen auf die oben beschriebenen Spannungslagen, das Problem. Rechtszwecke sind vielgestaltig – so verfolgt das Recht zum Beispiel die Idee größtmöglicher individueller Freiheit, aber auch die Möglichkeit der Einschränkung dieser Freiheit im Rahmen allgemeiner Rechtsstaatlichkeit. Dieses Spannungsverhältnis lässt 1242 Dazu K. Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, 1935, (Nachdruck), 1987, passim; kritisch dazu D. Felix, Einheit der Rechtsordnung, 1998, passim, zustimmend: C. Brüning, Einheit der Rechtsordnung, NVwZ 2000, S. 296. 1243 s. dazu N. Jansen, Die Struktur der Gerechtigkeit, 1998, S. 92 ff., 127 ff.

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sich ausdrücken im Schema Recht – Eingriff. Konkreter gesprochen verfolgt die Rechtsordnung auch die Idee einer vorsorgenden Umweltpolitik, die wiederum eigenen Rationalitätskriterien unterliegt. Sofern Interessenkonflikte innerhalb ein und desselben Rationalitätssystems gelöst werden müssen (beispielsweise Grundrechtskonkurrenzen), so stellen sich, von der Dogmatik abgesehen, letztlich wenige Probleme. Problematisch aber wird der Abgleich zwischen Interessen, die verschiedenen Rationalitäten unterliegen, nämlich formalen einerseits (Rechtsstaat) und materiellen andererseits (Umweltstaat). Dies ist hier der Fall: Spezifische, das heißt individualisierbare Grundrechtsbeschränkungen in der Gegenwart damit zu rechtfertigen, dass sie im Allgemeinen Grundrechtsbeschränkungen in der Zukunft vermeiden helfen, bewegt sich noch im Rahmen grundrechtsdogmatischer Schutzbereich-Schranken-Kategorien, deren Spannungslagen aufzulösen sind 1244. Verdeutlicht man sich aber, dass das angestrebte Ziel nur um den Preis eines Schutzes der Umwelt an sich, also mindestens transanthroporelational, wenn nicht gar ökozentrisch motiviert, zu haben ist, kombiniert dies zwei Rationalitäten, die untereinander nur schwer ausgleichsfähig sind. Dem Schutz der Umwelt wächst in dieser Perspektive also eine Stellvertreterfunktion im Prozess rechtlicher Ergebnisfindung zu. Jedoch akzeptiert die Rechtsordnung, um im Bilde zu bleiben, die Vertretungsmacht dieses Substituts bislang nicht oder nicht hinreichend und verweigert daher faktisch einen Ausgleich der Rationalitäten. Damit ist nicht grundlegend mangelnde Konvertierbarkeit festgestellt. Die verschiedenen Zielvorgaben erweisen sich aber angesichts des umweltrechtlichen Vollzugsdefizits jedenfalls als nur sehr schwer kombinierbar, weil die Belange des Umweltschutzes in aller Regel nicht in Rechtsmechanismen gegossen sind, die sich der hergebrachten öffentlich-rechtlichen Dogmatik in einer Weise einpassen, die ihre „problemlose“ Berücksichtigung erlauben würde. Entsprechendes gilt für rechtlich begründete ökonomische und ökologische Disparitäten, welche maßgeblich das umweltrechtliche Vollzugsdefizit verantworten. Festzuhalten ist: Ob das beschriebene Spannungsverhältnis zwischen Belangen des Rechtsstaats und des Umweltstaats ein gegenüber anderen rechtlichen Konkurrenzsituationen quantitativ oder qualitativ anderes ist, kann im Ergebnis an dieser Stelle offen bleiben. Deutlich wird aber, dass es erheblicher Kompatibilisierungsanstrengungen bedarf, um den notwendigen Ausgleich zwischen beiden Positionen zu bewerkstelligen. Die Frage, wie solche Spannungslagen aufgelöst werden können, lässt sich unterschiedlich beantworten. Während man einerseits einer mehr oder weniger erzwungenen Absorption der verschiedenen Rationalitäten das Wort reden könnte, ließe sich die Rationalitätskonkurrenz ebenso als Ausdruck eines fortdauernden Diskurses deuten, dessen Ausgang einstweilen im Sinne eine prozeduralen Gemeinwohlbegriffs offen bleiben muss 1245. Einen 1244

s. aber Haverkate, (Fn. 998), S. 249 ff., 252 zur Schwierigkeit, die Rechte zukünftiger Generationen in den verfassungsstaatlichen Freiheitsbegriff einzubeziehen.

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gemeinsamen Ansatzpunkt für die eine wie die andere Sichtweise bilden das subjektive Recht und seine Trägerschaft in der Gegenwart und der Zukunft. Einen Ausgleich der (gerade zeitlich) widerstreitenden Interessen lässt sich unter Umständen dadurch bewerkstelligen, dass man das subjektive Recht in seiner Funktion und Struktur beleuchtet und beide Parameter gegebenenfalls einer neuen Bewertung unterzieht 1246. Ein Ansatzpunkt liegt dabei darin, sich die Struktur der durch die subjektiven Rechte abgesicherten individuellen Freiheit vor Augen zu führen. Begreift man sie analog der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 2 Abs. 1 GG als allgemeine, nicht spezifizierte Freiheit, so wird ein Abgleich mit anderen Belangen schwierig, denn formale Strukturen ohne Adaptionspotential dominieren abwägungsaffine materielle Positionen. (a) Zweck und individuelle Freiheit Individuelle Freiheit ließe sich im Verfassungsstaat des Grundgesetzes aber strenger auch material als „Freiheit zu etwas“ begreifen. Einen solchen, tendenziell konstruktivistisch wie spezifisch angelegten Freiheitsbegriff, findet sich – freilich in einem ganz bestimmten dogmatischen Kontext – im Sondervotum Grimms zur „Reiten im Walde“-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 1247. Die Konstruktion von Freiheit zu etwas impliziert, dass mit etwas anderem möglicherweise keine Freiheitsgarantien korrespondieren 1248. Das Grimm’sche Sondervotum will den Schutz des Art. 2 Abs. 1 GG auf solche Tätigkeiten begrenzen, die einen Bezug zur Persönlichkeitsentfaltung des Menschen haben, die also gleichsam „zu etwas gut sind“. Persönlichkeitsentfaltende menschliche Betätigungen genießen danach Grundrechtsschutz. Solche, die nicht der Persönlichkeitsentfaltung dienen, genießen keinen Schutz. Die Frage, wie die Grenze zu ziehen ist zwischen beiden Kategorien, bleibt offen beziehungsweise eine Frage des Einzelfalls. Auch Grimm stellt lediglich fest: „Die Persönlichkeitsentfaltung des einzelnen hängt nicht von der Möglichkeit ab, im Walde zu reiten“ 1249, legt aber die Kriterien für diese Entscheidung nur höchst allgemein dar. Man mag an dieser Stelle die Bestimmbarkeit beziehungsweise die Denkbarkeit solcher Grenzen im Anschluss an Morlok generell mit dem Einwand in Zweifel ziehen, grundrechtliche Freiheitsausübung sei als solche ganz überwiegend nur subjektiv, in Abhängigkeit vom Grundrechtsverständnis des jeweiligen Rechts1245 Ausführlich zur Konkretisierung der Staatsziele im „praktischen Diskurs“ Sommermann, (Fn. 1210), S. 319 ff. 1246 Kritisch zu einer Abkehr von der abwehrrechtlichen Konstruktion von (Grund-) rechten Forsthoff, (Fn. 1059), S. 147 f. 1247 BVerfGE 80, S. 137 ff., 164 ff. (Sondervotum Grimm). 1248 Für den Kontext der Umweltnutzung jetzt ausführlich problematisiert bei Appel, (Fn. 13), S. 102 ff. 1249 BVerfGE 80, S. 137 ff., S. 170.

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trägers zu bestimmen 1250. Damit ist allerdings noch nichts darüber ausgesagt, ob nicht Grenzen der Grundrechte objektiv zu bestimmen seien. Denn ob ein Verhalten in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, ist zweifellos primär und vorrangig durch den Grundrechtsträger selbst zu beantworten. Ein Aussondern menschlichen Verhaltens per definitionem aus dem Gewährleistungsumfang der Grundrechte wird dem Anspruch auf Lückenlosigkeit grundrechtlichen Freiheitsschutzes kaum gerecht. Eine Modifikation in der Beschränkung grundrechtlicher Freiheit hingegen ist eine Frage der Schranken, die naturgemäß einer objektiven Bestimmung unterliegen. Entscheidend am Grimm’schen Sondervotum ist die Erkenntnis, dass die verfassungsrechtlich verbürgte Freiheit des Individuums nicht zwingend als inhalts- beziehungsweise zweckfreie konstruiert werden muss, sondern als materiale Freiheit „zu etwas“ gleichzeitig auch materiale Grenzen kennt. Erst die Inbezugnahme eines materialen Kriteriums (beispielsweise nachhaltiges Ressourcenmanagement durch den Staat) als Bezugspunkt und Grenze persönlicher Freiheit ermöglicht es, sie gegenüber noch vergleichsweise unspezifischen Belangen zu begrenzen. Plausibel wird ein solches Verständnis auch dann, wenn man sich die theoretischen Grundlagen des liberalen Freiheitsbegriffs vor Augen führt. Freiheit findet dort ihre notwendige Entsprechung im Begriff der Verantwortung 1251. Der Verantwortungsbegriff erschöpft sich gerade dabei nicht in Fragen bloßer Kausalität oder Tatsachenbeschreibung 1252. Die Verantwortlichkeit menschlichen Handelns, die Ausübung persönlicher Freiheit im Lichte persönlicher Verantwortung bezweckt, menschliche Handlungen anders zu machen, als sie wären, spielte Verantwortung keine Rolle 1253. Verantwortliche Freiheitsausübung berücksichtigt also die Folgen ihrer selbst, sie enthält ein Element des Vorwegbedenkens. Mit anderen – dem Kontext der Untersuchung angepassten – Worten: Sie enthält ein Element der Vorsorge. Freilich erlaubt sich der Liberalismus die scheinbare Inkonsequenz, auch unverantwortliche Freiheitsausübung um Erhaltung der Freiheit willen zu dulden 1254. Der hier vorgeschlagene, materialisierende Ansatz von Freiheit erweist sich jedoch (gerade auch in historischer Perspektive) als in besonderer Weise erklärungsbedürftig. Zwar ist die Anbindung an das Merkmal der Verantwortung selbst einem freiheitlichen Denken nicht fremd. Fraglich ist aber, ob eine darüber hinaus gehende Konkretisierung freiheitsimmanenter Grenzen erfolgen kann, oder ob der Verantwortungsbegriff im Lichte der Freiheit selbst nicht notwendig inhaltsoffen verstanden werden muss. Im Einzelnen: 1250

Morlok, (Fn. 1000), passim. v. Hayek, (Fn. 985), S. 89 ff. 1252 v. Hayek, (Fn. 985), S. 94. 1253 v. Hayek, (Fn. 985), S. 94. 1254 Für die Dimension der Grundrechtsbetätigung zum Wohle der res publica bzw. nur zu eigenen Zwecken s. Herdegen, (Fn. 4), S. 168 m.w. N. 1251

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(b) Materielle Freiheit in Grundrechtstheorie und Grundrechtsdogmatik Die Materialisierung von Freiheitsbetätigungen, ihre Ausrichtung auf einen gemeinsamen, gemeinnützigen Zweck und ihre Rückanbindung an überindividuelle Zielvorgaben ist in unmittelbarer Nachbarschaft gelegen einerseits zu (national-)konservativen Freiheitskonstrukten, wie sie beispielsweise Huber sowie Schmitt theoretisch formuliert und grundgelegt haben 1255 sowie andererseits zu Inhalten der marxistisch-leninistischen Rechtstheorie mit ihrer Affinität zur Sozialisierung individueller Rechtsausübung 1256. Daher stellt sich die Frage, ob ein solches Freiheitsverständnis von der Verfassung gedeckt ist, mit anderen Worten, ob eine solche Konstruktion grundrechtlicher Freiheit noch im Rahmen dessen liegt, was das Grundgesetz erlaubt. Wäre dies der Fall, so sähe sich eine solche Auffassung „lediglich“ der Theorienkonkurrenz ausgesetzt und müsste im wissenschaftlichen und rechtlichen Diskurs bestehen. Fehlt es an dieser Voraussetzung, erübrigte sich jede weitere Debatte 1257. Die hier aufscheinende Frage nach der „richtigen“ Grundrechtstheorie ist als solche überaus umstritten 1258 – und mit ihr auch die Antwort auf die prima facie schwierige Frage nach äußeren, einer Theorie von der Verfassung gezogenen theoretischen Grenzen 1259. Überhaupt lässt sich – auf einer höheren Ebene gesprochen – die Möglichkeit einer verfassungsmäßigen Verfassungstheorie unter Berufung auf die Offenheit der verfassungsrechtlichen Vorgaben an sich bestreiten 1260. Erst diese Offenheit der Verfassung ist danach der Grund für die Notwendigkeit einer Verfassungstheorie. Gleichzeitig ist dieses Verständnis bereits 1255 s. dazu Huber (Fn. 1080); C. Schmitt, Verfassungslehre, 1928, (Nachdruck), 5. Auflage 1970, S. 164 zu Grundrechten, die auch, aber nicht allein „Rechte des isolierten Einzelmenschen“ seien. 1256 Grundlegend G. Haney, Sozialistisches Recht und Persönlichkeit, 1967. 1257 Zur Verfassungsmäßigkeit der Grundrechtstheorie als kleinstem gemeinsamen Nenner s. Brugger, (Fn. 1102), S. 163. 1258 Die allgemeine juristische Theorie der Grundrechte bezeichnet als „theoretisches Ideal“ bei Alexy, (Fn. 5), S. 28 ff.; Zweifel an der Möglichkeit einer solchen Theorie äußert auch A. Bleckmann, Staatsrecht II – Die Grundrechte, 4. Aufl. 1997, S. VII (Vorwort der ersten Aufl.), s. dort auch den Überblick über den Diskussionsstand in § 11, S. 243 ff. 1259 Dies gilt vor allem dann, wenn – wie hier – Grundrechtstheorie verstanden wird als „Grundansicht allgemeinster Art über den Zweck und die Struktur der Grundrechte“, zu diesem Verständnis Alexy, (Fn. 1258), S. 29; E.-W. Böckenförde spricht von der „Funktion einer normativen Leitidee für die Interpretation“, ders., Die Methoden der Verfassungsinterpretation, NJW 1976, S. 2089 ff., 2096, vorliegend wird jedoch genau genommen von der normativen Leitidee für die Konstruktion der Grundrechte gehandelt. 1260 So Morlok, (Fn. 153), S. 133 ff. in Abgrenzung zu Böckenförde, (Fn. 1259), S. 2098.

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Ausdruck einer bestimmten theoretischen Vorstellung von der Verfassung. Die Idee einer verfassungsmäßigen Verfassungstheorie operiert mit der Vorstellung eines Wechselwirkungszusammenhangs zwischen normativer Vorgabe der Verfassung und theoretischer Konstruktion der Verfassung selbst. Die Annahmen einer solchen Verfassungstheorie seien, so Böckenförde, der „strengen Bewährung“ 1261 nach Maßstab der Verfassung selbst zu unterwerfen, womit letztlich eine Einheit von positivem Recht und Rechtstheorie bewerkstelligt werden soll. Der Ansatzpunkt soll hier aber in der Sache weniger weit und daher auch weniger anfechtbar gesetzt werden. Die hier aufgeworfene Frage nach den Grenzen einer Grundrechtstheorie ist tatsächlich die Frage nach den Grenzen einer Grundrechtsfunktion. Ähnlich wie der subjektivrechtliche Charakter einer Rechtsnorm nämlich kein gleichsam natürliches Phänomen, sondern das Ergebnis juristischer Übereinkunft ist, ist auch die Funktion der Grundrechte maßgeblich durch einen Konsens der juristischen Gemeinschaft geprägt. Dass dabei die klassische abwehrrechtliche Stoßrichtung der Grundrechte den Kern ihrer Funktion bildet, wird nicht bestritten. Hinzutretende Funktionen haben diesen Kern wesentlich zu achten und eben zu ergänzen, nicht aber zu verdrängen. Insofern ist die aufgeworfene Frage dahingehend zu präzisieren, ob ein materielles, belangvolles Verständnis grundrechtlicher Freiheit mit dieser Kernfunktion der Grundrechte vereinbar ist und wie dieses gegebenenfalls dogmatisch zu fassen ist. (α) Belangvolle Freiheit und Grundrechte Gemeinhin unterschieden werden fünf allgemeine Theorien der Grundrechte, die klassisch-liberale (bürgerlich-rechtsstaatliche) Grundrechtstheorie, die institutionelle Grundrechtstheorie, die Werttheorie der Grundrechte 1262, die demokratisch-funktionale und die sozialstaatliche Grundrechtstheorie 1263. Diese stehen aber eben nicht in einem Exklusivitäts-, sondern in einem Kombinationsverhältnis 1264. Sie beschreiben unterschiedliche Funktionen, die den Grundrechten in spezifischen Kontexten zukommen. Von daher taugen sie unmittelbar nicht, wiewohl sie ursprünglich möglicherweise als jeweils allgemeingültig konstru1261

Böckenförde, (Fn. 1259), S. 2098. Deren Grundlage findet sich bei R. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen, 3. Aufl. 1994, S. 119 ff., 264, der von Grundrechten als „Wertsystem“ spricht, weitgehend rezipiert vom BVerfG z. B. in E 7, S. 198 ff., 205 – Lüth. 1263 Die Unterscheidung geht zurück auf E.-W. Böckenförde, Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, NJW 1974, S. 1529 ff., 1530, daran angelehnt auch Alexy, (Fn. 5), S. 29 und Brugger, (Fn. 1102), S. 163. 1264 Alexy, (Fn. 5), S. 30 f. 1262

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iert worden sein mögen, um eine allgemeine verfassungsrechtliche Grenze einer Funktionalisierung von Grundrechtsausübung zu beschreiben. Eine solche Grenzziehung erweist sich daher auch auf den zweiten Blick als schwer. Ansätze, theoretische materielle verfassungsrechtliche Grenzen der Grundrechtsausübung positiv zu formulieren, hat es gleichwohl gegeben. Namentlich Brugger unternimmt den Versuch der Konstruktion allgemeinverbindlicher Vorgaben für das Verständnis der Grundrechte. Dabei plädiert er für die integrative Fortschreibung der klassisch-liberalen hin zu einer verfassungsliberalen Grundrechtstheorie, in der die im Übrigen vertretenen Ansätze zur Grundrechtsinterpretation möglichst umfassend aufgehen sollen 1265. Dabei wird in Abkehr von der klassisch-liberalen Grundrechtstheorie ein Element der Sinngebung, der Sinnhaftigkeit als Ausdruck individueller Verantwortung einbezogen in den Begriff individueller Freiheit. Liberales Denken hat danach nicht den rational actor mit dem Ziel der persönlichen Nutzenoptimierung zum Gegenstand, sondern den reasonable man, der Persönlichkeitsentfaltung nicht als grundsätzlich entgrenzt, sondern als sinnhaft und verantwortlich begreift. Dieser Ansatz fußt auf der Vorstellung eines so bezeichneten ethischen Verfassungsliberalismus, der die klassisch-liberale Betonung der persönlichen Entfaltung – verkörpert durch die Idee der Freiheit als „Freiheit der freien Wahl“ – als Dominanz wirtschaftliberaler Prämissen in nicht-wirtschaftlichen Kontexten begreift 1266. Der klassisch-liberale Ansatz vermag daher als solche völlig anerkannte Erscheinungen wie soziale Rechte oder Rechte auf demokratische Mitwirkung nicht oder nur dann zu erklären, wenn er – wie bei allgemeinen Gerechtigkeitsgedanken – diese ökonomisiert 1267. Dementsprechend setzt ein verfassungsliberales Grundrechtsverständnis in der Frage der Gewichtung individueller Belange anders an. Persönlicher Entfaltung im Sinne der „freien Wahl“ kommt eine starke, aber nicht alleinige Bedeutung zu – dementsprechend wird die Persönlichkeitsentfaltung auch nicht allein durch die Abwehrfunktion der Grundrechte gesichert. Grundrechtliche Entfaltung soll danach eine eigenständige, sinnhafte und verantwortliche Lebensführung 1268 gewährleisten.

1265

Brugger sieht eine Reihe von Vertretern aus der Literatur auf dieser Linie, wiewohl diese sich nicht explizit seiner Terminologie bedienen, s. ders., (Fn. 1102), S. 172 m.w. N. 1266 Brugger, (Fn. 1102), S. 168; Vertreter einer solch radikalen Ökonomisierung ist beispielsweise Rothbard, (Fn. 18) mit seiner Deutung von Individualrechten, wie beispielsweise der Meinungsfreiheit, als „property rights“, also Eigentumsrechte, S. 113 ff. 1267 Brugger, (Fn. 1102), S. 169. 1268 Zum philosophischen Kontext einer Lebensführung als „Lebenskunst“ s. Schmid, (Fn. 1164), passim.

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(β) Dogmatische Konsequenzen „belangvoller Freiheit“ Legt man obigen theoretischen Ansatz zu Grunde, so erweisen sich die Elemente der Verantwortlichkeit und Sinnhaftigkeit einerseits und der eigenständigen Lebensführung (im Sinne einer Persönlichkeitsentfaltung) andererseits als die ins Verhältnis zu setzenden Rechtspositionen. Betrachtet man die Eigenständigkeit als den Mechanismus der Lebensführung, so bezeichnen die Elemente der Verantwortlichkeit und Sinnhaftigkeit der Lebensführung die Grenzen der Freiheitsbetätigung. Nach Maßgabe der Idee der praktischen Konkordanz darf keiner der in einer (grundrechtlichen) Abwägung relevanten Belange gänzlich zurückgedrängt werden, sondern soll in möglichst weitgehender Weise zur Geltung gebracht werden 1269. In Ansehung dieser Erkenntnis ist der vorgestellte Ansatz, Freiheitsausübung bestimmten zweckmäßigen Grenzen zu unterwerfen, auf seine Tragfähigkeit hin zu überprüfen: Im Unterschied zur nationalsozialistischen Ideologie, nach der Freiheitsbetätigung ihren Zweck allein im Wohle des Gemeinwesens hatte und dementsprechend nicht individuell, sondern kollektiv konzipiert war, werden im hier dargelegten Ansatz kollektive Belange als Grenze einer grundsätzlich individuellen Freiheitsbetätigung gesehen. Wenn sich die Ansätze also zwar dogmatisch grundlegend unterscheiden, darf dieser Unterschied nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie in ihrer praktischen Auswirkung zu vergleichbaren Ergebnissen führen können 1270. Auf der anderen Seite kennt das verfassungsliberale Freiheitsverständnis gerade die hier geforderte materiale Sinnhaftigkeit als Element des Freiheitsbegriffs: Versteht man Sinnhaftigkeit auch als Freiheitsverpflichtung auf die dem Gemeinwesen eigenen verbindlichen Werte und Zielvorgaben, so kann im Lichte des 1269 Hesse, (Fn. 456), Rn. 72, 317 f. unter Bezugnahme auf U. Scheuner, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 20 (1963), S. 125 f. zur „Verfassungsharmonisierung“; ders., Die Pressefreiheit, VVDStRL 22 (1965), S. 1 ff., 53 ff.; P. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, 1963, S. 152 ff. 1270 Zur Verdeutlichung sei hier ein Beispiel aus der Grundrechtsdogmatik zu Art. 14 I GG angeführt: Nicht allein der völlige Entzug einer Rechtsposition kann danach als Enteignung oder enteignend wirkend gewertet werden, auch eine praktisch so weitreichende Einschränkung der Rechtsgewährleistung, dass dem Rechtsinhaber nur die praktisch nicht verwertbare Rechtshülle, das sogenannte nudum ius bleibt, erweist sich als Eingriff in Art. 14 I GG – die Beschränkung des Grundrechts in Gestalt gesicherter Dogmatik erweist sich unversehens als Entzug desselben, s. insgesamt dazu aus der jüngeren Rechtsgeschichte z. B. die Diskussion um die Verfassungsmäßigkeit des Atomausstiegs im Hinblick auf Art. 14 I GG, z. B. bei M. Schmidt-Preuß, Atomausstieg und Eigentum, NJW 2000, S. 1524 ff.; H.-J. Koch, Der Atomausstieg und der verfassungsrechtliche Schutz des Eigentums, NJW 2000, S. 1529 ff. Die beschriebene Gefahr ist auch keineswegs eine typisch eigentumsrechtliche. Zwar leiden normgeprägte Grundrechte in besonderer Weise unter der Gefahr einer einfachgesetzlichen Aushöhlung. Diese Gefahr besteht aber dort umso mehr, wo – wie hier – über die Zweckhaftigkeit grundrechtlicher Freiheitsbetätigung im Allgemeinen gesprochen wird, außerhalb jeder dogmatischen Einkleidung und Eingriffsbeschränkung.

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Art. 20a GG eine Eingrenzung der Freiheitsbetätigung im Hinblick auf die Rechte zukünftiger Generationen durchaus angezeigt und verfassungsstaatlich vertretbar sein. Verantwortlich ist nach obiger Ansicht ein Handeln, dass Rechte anderer achtet, wobei sich hierbei die dogmatische Anbindung an Art. 2 Abs. 1 GG dem bereits genannten Problem gegenüber sieht, dass dort Rechte individualisierbarer Dritter gemeint sein dürften 1271. Deutlich wird dies, wenn man sich vor Augen führt, dass Rechte Dritter im Regelfall über das Merkmal der verfassungsmäßigen Ordnung in den Schrankenkontext des Art. 2 Abs. 1 GG eingeführt werden und regelmäßig positiviert sind. Kodifizierte Rechte nicht individualisierbarer Dritter aber kennt unsere Rechtsordnung bislang gerade nicht – sie entfalten daher auch im Rahmen von Art. 2 Abs. 1 GG keine Wirkung. Es soll daher hier der Ort sein, die bislang eher allgemeinen Erwägungen, die zum Grundsatz der Nachhaltigkeit als Rechtsprinzip angestellt werden, auf einen konkreten Anwendungsfall hin auszurichten. Verlangt man die Einbeziehung einer spezifischen zeitlichen Dimension in die Rechtsordnung, jedenfalls in Fragen ökologischer Zukunftsplanung, mag eine gleichsam ergänzende Auslegung des Begriffs der „Rechte anderer“ im Lichte des Nachhaltigkeitsgrundsatzes, wie er durch Art. 20a GG ins verfassungsrechtliche Werk gesetzt wird, angezeigt sein. Dies ermöglicht es, vermittelt über den Begriff der Verantwortlichkeit des Handelnden, seine Freiheitsbetätigung im Hinblick auf den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen zu funktionalisieren. Dabei ist jedoch Folgendes zu beachten: Es soll ausdrücklich nicht der Dispositionsbefugnis des Grundrechtsträgers über den Zweck seiner Freiheit eine materielle Grenze gesetzt werden. Grundrechtsausübung erfolgt allein nach dem Selbstverständnis des Grundrechtsträgers. Die hier vorgeschlagene Materialisierung soll daher zweistufig vorgenommen werden. Zunächst ist die Beschränkbarkeit gegenwärtiger Freiheitsbetätigung zum Schutz der Lebens- und also Freiheitsvoraussetzungen künftiger Generationen als Schranke einer Grundrechtsbetätigung aufzufassen. Es erweist sich nach diesem kurzen Blick auf grundrechtstheoretische Grundlagen, dass eine gemäßigte Funktionalisierung von Grundrechten im Hinblick auf ein nicht-individuell zuzuordnendes Ziel mit der Verfassung in Einklang steht. Eine völlige Entindividualisierung der Rechtsausübung nach national-konservativem Verständnis wäre hingegen mit geltendem Verfassungsrecht nur schwerlich kompatibel. Legt man die oben gewonnenen Maßstäbe zugrunde, zeigt sich, dass der Ansatz, der Grundrechtsausübung allein zum Zwecke des Gemeinwesens konstruiert, das hier geforderte verfassungsliberale Element der „Eigenständigkeit“ 1271 Die praktische Relevanz der „Rechte anderer“ ist innerhalb der Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG gering, da Kollisionslagen recht umfassend über das Merkmal der „verfassungsmäßigen Ordnung“ gelöst werden, dazu H. Dreier, in: ders. (Hg.), Grundgesetz, Kommentar, Bd. I, 2. Aufl. 2004, Art. 2 I Rn. 53.

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als Ausdruck freier Wahl und Eigenverantwortlichkeit praktisch aufgibt und in dieser Konsequenz weiter hinter das klassisch-liberale Verständnis zurückfiele, welches den Aspekt der Wahl als Ausdruck individueller Freiheit besonders betont. Wiewohl die festgestellten dogmatischen Differenzen der verschiedenen Freiheitskonzepte eine Gleichsetzung verbieten, bedarf es aber weiterer Schutzmechanismen, um eine Instrumentalisierung individueller Freiheit zu verhindern. Dabei sind vor allem zwei Lösungsansätze von besonderem Interesse: Einerseits lassen sich die Bedenken zum Teil dadurch kompensieren, dass die Gemeinwohlanbindung der Freiheitsbetätigung in besonderer Weise eine öffentliche ist. Die Konzeption von Verfassung als öffentlichem Prozess vermag hier in beide Richtungen zu vermitteln. Einerseits macht ein solches Verständnis es plausibel, die mit Verfassungsrang ausgestattete Freiheitsbetätigung des Individuums nicht bloß als solche, sondern eben auch als gemeinwohlrelevante zu begreifen. Ist Gemeinwohl prozedural zu verstehen, so können die Freiheitsausübung und ihre Beschränkung als Gemeinwohlkonkretisierung in casu gewertet werden. Auf der anderen Seite bedarf es eines spezifisch öffentlichen Elements im Sinne einer Kontrollinstanz, welches den Ausgleich von individueller Freiheit und Gemeininteresse im Einzelfall zu regulieren vermag. Als solches öffentliches Element vermag hier das gerichtliche Verfahren, der Verwaltungsprozess zu fungieren. In ihm realisiert sich schließlich das dritte Kontroll- beziehungsweise Kompensationselement, das einer Aushöhlung individueller Freiheit Grenzen ziehen kann: Das „Initiativrecht“ liegt im Verwaltungsprozess nämlich beim klagenden Bürger selbst 1272. Das bedeutet: Sieht man die Einräumung von Klagemöglichen zum Schutz überindividueller Belange als zulässig an, so kann die darin liegende Instrumentalisierung auch dadurch kompensiert werden, dass dem Einzelnen die Entscheidung darüber, ob er seine individuelle Rechtsposition in diesem Sinne instrumentalisieren lassen möchte, selbst in die Hand gegeben ist. Anders formuliert: Der in einer Funktionalisierung der Grundrechtsausübung möglicherweise zu sehende Eingriff in die grundrechtliche Freiheit erfährt seinen Ausgleich dadurch, dass der betroffene Bürger selbst über den Eingriff entscheidet. Dabei muss die Entscheidung, um selbst frei zu sein, von äußeren Einflussnahmen unangetastet bleiben 1273. Insbesondere dürfte in concreto die Rüge der Verletzung funktionaler subjektiver Rechte prozessual nicht von leichteren Voraussetzungen abhängig sein als die Rüge der Verletzung materiellen subjektiven Rechts, was namentlich eine Begrenzung der Rügemöglichkeit auf einen abgegrenzten Personenkreis notwendig macht. Die Möglichkeit, objektive Rechtskontrolle zu veranlassen, muss also eine rechtlich wie faktisch frei wählbare Alternative bleiben und darf sich nicht aufgrund einer anderen Ausgestaltung selbst aufdrängen. 1272 Herdegen, (Fn. 4), S. 163 spricht ähnlich von der „Anstoßwirkung“, die von Rechtsbehelfen, insbesondere Verfassungsbeschwerden, für die Normativität der Rechtsordnung ausgehen. 1273 v. Hayek, (Fn. 985), S. 94, Fn. 8.

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(4) Zwischenergebnis Staatliche Gemeinwohlverantwortung erweist sich als vielgestaltige und anspruchsvolle Aufgabe. Im Bereich staatlicher Umweltvorsorgemaßnahmen zeigen sich seit jeher erhebliche Defizite in der (exekutiven) Implementation normativer Vorsorgestandards. Diese unter dem Oberbegriff des Vollzugsdefizits geführten Umsetzungsschwächen kennen verschiedenen Ursachen, die primär einfachrechtlicher Natur sind, aber auch durch verfassungsrechtsstrukturelle Vorgaben mit erzeugt sind. Namentlich zeigt sich eine aus der Orientierung der Rechtsordnung auf das Individuum ergebende Durchsetzungshypotrophie solcher Belange, die nicht subjektivrechtlich aufgeladen sind. Verschärft wird diese Schwäche noch durch die strukturellen Defizite des einfachen Umweltrechts. Auf einer höheren Ebene erweisen sich die Defizite auch als Ausdruck einer im Verfassungsrecht selbst angelegten Steuerungspluralität, wie sie durch die Festlegung des Staates auf das Rechtsstaatsprinzip einerseits und des Umweltstaatsprinzips andererseits beschrieben wird. Die Anforderungen des formalen Rechtsstaatsprinzips und des materialen Umweltstaatsprinzips wirken divergierend auf den Bestand individueller Freiheit ein. Während das Rechtsstaatsprinzip diese einhegt und gegen Eingriffe abschirmt, verlangt eine echte Umweltvorsorgepolitik Freiheitsbeschränkungen in der Gegenwart zur Freiheitserhaltung in der näheren oder weiteren Zukunft. Ein Ansatzpunkt für die Kompatibilisierung beider Prinzipien liegt daher in dem ihnen gemeinsamen Begriff persönlicher Freiheit. Deren Grenzen und ihre Funktion unterliegen in ökologischer beziehungsweise umweltstaatlicher Hinsicht einer neuen Bestimmung, die die Verpflichtung des Einzelnen auf verantwortliche Freiheitsbetätigung erneuern und aktualisieren. Die Funktion subjektiver Rechte, die die greifbare Ausprägung des abstrakten Konzepts persönlicher Freiheit darstellen, rückt damit erneut in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Ihre Bedeutung für die Konstituierung der Gesellschaft einerseits und die Konflikt- und Verteilungssteuerung innerhalb der Gesellschaft andererseits sind dabei neu zu thematisieren: 3. Gesellschaft als subjektivrechtlich konstituiertes System Das Gegensatzpaar Staat und Gesellschaft setzt, will man mit ihm als Gegenstand einer juristischen Argumentation operieren, rechtliche konstituierte Elemente voraus. An der rechtlichen Konstituierung des Staats besteht – auch in Zeiten interund supranationaler Entgrenzungen herkömmlicher Nationalstaatlichkeit 1274 – 1274

Zum Rechtssystem offener Staaten s. umfassend Di Fabio, (Fn. 1011), passim.

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kein Zweifel. „Der Staat ist Wirklichkeit“ 1275. Seit jeher ist seine rechtliche Erfassung Gegenstand der klassischen Staatslehre ebenso wie der Nationalökonomie. Freilich haben es alle Bemühungen nicht zu einer dauerhaften oder abschließenden Bestimmung gebracht 1276. Die Perspektive auf den Staat kennt dabei die Außensicht des Völkerrechts 1277 oder die Innensicht der Staats- und Verfassungslehre, wie sie stellvertretend durch die 3-Elemente-Lehre Jellineks zum Ausdruck kommt. Dass aus beiden Perspektiven Staatlichkeit nicht bestritten wird, darf als gesichert gelten, so dass sich der Blick hier auf die rechtliche Konstitution des Gegenbegriffs der Gesellschaft richten soll. Der Begriff der Gesellschaft ist im Vergleich zum Staatsbegriff nicht minder komplex und im Gegensatz zu diesem in einem erheblich höheren Maße kontingent. Um zu einem im Kontext der Untersuchung handhabbaren Ergebnis zu kommen, soll daher im Folgenden allein eine juristische Perspektive auf das Phänomen der Gesellschaft beziehungsweise auf den Begriff gewählt werden. Sozialwissenschaftliche Konstitutionsfaktoren sollen außen vor bleiben, namentlich die Desintegration des Gesellschaftsbegriffs durch die Systemtheorie in einzelne autopoeitische Systeme. Zu fragen ist also nach den die Gesellschaft vom Staat abgrenzenden Mechanismen des Rechts. Als solche lassen sich die im Mittelpunkt der Untersuchung stehenden subjektiven öffentlichen Rechte identifizieren. Ihre gesellschaftskonstituierende Wirkung erfahren sie primär aus der ihnen seit jeher innewohnenden Abwehrrichtung gegen staatliche Intervention. Sie grenzen das Individuum vom Staat ab, indem sie ihm einen gegenüber staatlichen Eingriffen freien Raum persönlicher Disposition einräumen. Durch die Verfassungsordnung des Grundgesetzes kommt ihnen nicht alleine eine Individualisierungsfunktion zu, sondern auch die Funktion, kollektive Freiheitsbetätigung des Individuums zu organisieren. Zu denken ist hier natürlich vor allem an die Art. 6, 8, 9 GG und Art. 4 Abs. 1 GG i.V. m. Art. 137 Abs. 2 WRV über Art. 140 GG. Dies ist insoweit von Bedeutung, als dass einer gebietsbezogenen und institutionengeprägten Staatlichkeit als Gegenpol mehr entgegengestellt werden soll als bloß eine Vielzahl von Individuen – wiewohl Staat und Gesellschaft natürlich den Einzelnen als letzten Bezugspunkt, als Substrat haben. Preuss will subjektive Rechte sehen als Sicherung persönlicher Freiheit und staatlicher Sicherung gleichzeitig und hält ihre Existenz in der hier diskutierten Form nur innerhalb des Staates für möglich. Dem liegt zugrunde die Konstruktion der Beziehung Staat – Gesellschaft als der eines Systems und eines Subsystems. Gesellschaft ist danach notwendig auf den Staat als äußere Kon1275 1276 1277

Isensee, (Fn. 1212), § 15 Rn. 46. Isensee, (Fn. 1212), § 15 Rn. 46 f. s. W. Rudolf, Wandel des Staatsbegriffs im Völkerrecht, 1986.

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stante angewiesen 1278. Dem soll hier nicht weiter nachgegangen werden, da dies das Prioritätsverhältnis von Staat und Gesellschaft betrifft, nicht aber den Umstand ihrer rechtlichen Differenzierung. Ob es sich bei Staat und Gesellschaft systemtheoretisch um autopoeitische Systeme handelt oder nicht, spielt für die Frage ihrer rechtlichen Scheidbarkeit keine entscheidende Rolle 1279. Die gesellschaftskonstitutive Wirkung der subjektiven Rechte stellt freilich nur einen Teil ihrer Wirkung dar. Vergegenwärtigt man sich die einzelnen Teile der Jellinek’schen Statuslehre, so wird deutlich, dass die subjektiven Rechte durchaus auch einen staatsgerichteten Anteil haben, wenn es ihnen um Teilhabe und Partizipation sowie auch um Leistung geht. Sie erfüllen in diesen Bereichen die Einbindung des Einzelnen in die Sphäre des Staates und konstituieren das Individuum rechtlich dort als citoyen, hier als homme 1280. Subjektive Rechte sind auch für die Binnenstruktur der Gesellschaft maßgeblich, nämlich vor allem in Form der privaten subjektiven Rechte, welche die Rechtsstellung des Individuums unter Gleichen maßgeblich ausgestalten. Sofern es dort um Rechtsgüter wie Leib, Leben, persönliche Freiheit oder das Eigentum und die auf sie bezogenen Rechte geht, kommt ihnen eine dichotome Struktur als abgrenzend gegenüber dem Staat und anspruchsbegründend beziehungsweise anspruchsausschließend gegenüber dem privaten Dritten zu. Freilich: Die Abgrenzungsfunktion gegenüber staatlicher Intervention wird allerdings erst praktisch, wo sie grundrechtlich, also wiederum öffentlich-rechtlich flankiert ist. Folge der konstitutiven Wirkung subjektiver Rechte ist auch die Kompetenz zu ihrer Geltendmachung. Nur ausnahmsweise ist der Staat befugt, sich an die Stelle des Rechtsinhabers zu setzen und über ein Recht zu disponieren: Klassisches Beispiel ist die gefahrenabwehrrechtlich begründete Pflicht des Staates, Selbstmorde zu verhindern. Bürgerliche „Übergriffe“ in den Zuständigkeitsbereich des Staates sind von der Rechtsordnung auch nur höchst ausnahmsweise und als Ausnahme, welche die Regel bestätigt, zugelassen: Prominentes Beispiel ist hier § 127 StPO, das zivile Festnahmerecht und gegebenenfalls auch die öffentlichrechtliche Geschäftsführung ohne Auftrag, sofern man diese für zulässig hält. Der Staat stellt dem Bürger dabei Institutionen und Verfahren zur Verfügung, mit deren Hilfe dieser sowohl gegenüber dem Staat selbst wie auch gegenüber Privaten seine Rechte durchsetzen kann. Dabei sind diese Instrumente, namentlich das gerichtliche Verfahren, festgelegt und begrenzt auf die Wahrung individueller 1278

Preuß, (Fn. 962), S. 117 ff. Es geht dabei unter anderem um die Frage der materiellen Ursprünglichkeit subjektiver Rechte – sieht man sie allein staatlich generiert, so stärkt dies die These vom System und Subsystem. Gründet man subjektive Rechte (jedenfalls teilweise) auf vorstaatliche, beispielsweise naturrechtliche Grundlagen, hat dies auch Konsequenzen für die theoretische Deutung des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft. 1280 s. dazu Preuß, (Fn. 962), S. 117. 1279

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Rechte, weder ist dem Grundsatz nach die Möglichkeit einer gewillkürten Prozessstandschaft vorgesehen, noch eine Klage, die sich auf die Verletzung objektiven Rechts stützt. Die Ausnahme stellt § 47 VwGO dar. Damit ist gleichzeitig das rechtlich begründete staatliche Monopol zum Vollzug und zur Durchsetzung des objektiven Rechts begründet. Beiden Systemen sind damit theoretisch wie praktisch bestimmte Aufgaben zugewiesen, eine Aufgabenkongruenz wird von der Rechtsordnung weitgehend vermieden. 4. Neuverteilung von Gemeinwohlverantwortung Es hat sich gezeigt, dass die grundsätzliche Verantwortung für die Pflege und die Wahrnehmung der Gemeinwohlbelange beim Staat liegt. Dies hat legitimatorische und systematische Gründe ebenso wie rein praktische, da regelmäßig allein der Staat über die personellen und sachlichen Mittel verfügt, sich den Belangen des öffentlichen Wohls zu widmen. Allein, staatliche Gemeinwohlpflege stößt auf Grenzen verschiedenster Art und ist, jedenfalls was die Implementation umweltrechtlicher Schutzstandards betrifft, in erheblichem Maße defizitär. Es soll daher hier der Vorschlag einer Neuverteilung der Gemeinwohlverantwortung für den Bereich umweltrechtlicher Vorsorgestandards gemacht und nach einer Rechtsform, die sich auf eine legitimationstheoretische Begründung stützen kann, gesucht werden 1281. a) Das Kooperationsverhältnis zwischen Staat und Gesellschaft bei der Gemeinwohlpflege Äußerlich geht es bei diesem Vorschlag um die Begründung eines Kooperationsverhältnisses zwischen Staat und Gesellschaft bei der Pflege von Gemeinwohlbelangen. Der Sache nach ist die Idee einer gemeinsamen Verantwortung von Staat und Gesellschaft bei dem Streben nach dem allgemeinen Besten nicht neu. Dass die Grundrechtsträger aufgerufen sind, sich ihrer Freiheit nur gemäß und nicht gegen das gemeine Wohl zu betätigen, ist dabei ebenso klar, wie die Verantwortung des Staates, solche Belange zu fördern, die nicht der Wahrnehmung Einzelner anheim gegeben sind 1282. Diese Aufgabenteilung fußt wesentlich auf der liberalen Idee, dass die Verfolgung privater Interessen durch die Bürger im Ergebnis, gleichsam als Produkt, das Gemeinwohl generiere. Die Aufgabe des Staates dabei ist, die Instrumentarien und Institutionen bereit zu stellen, derer eine solche Interessenverfolgung bedarf, und in Bereichen defizitärer gesellschaftlicher Aufmerksamkeit selbst gemeinwohlfördernd aktiv zu werden 1283. 1281

s. zu Modellen der Verantwortungsteilung auch Appel, (Fn. 13), S. 176 ff. J. Isensee, Gemeinwohl im Verfassungsstaat, in: ders. / Kirchhof (Hg.), HStR, Bd. IV, 3. Aufl. 2006, § 71 Rn. 110 f. 1283 Isensee, (Fn. 1282), § 71 Rn. 111. 1282

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Bezieht man eine solche Aufgabenverteilung auf die Strukturen des Rechts selbst, so erweist sich das Verhältnis von Primär- und Residualverantwortung allerdings als umgekehrt. Außerhalb der Wahrnehmung individueller Interessen räumt die Rechtsordnung dem Einzelnen kaum Befugnisse zur konkreten Gemeinwohlaktualisierung ein. Zwar kann der Bürger sich „in fremder Sache“ auf die Garantien der Grundrechte berufen, beispielsweise die Vereinigungsfreiheit, auch kann er im Rahmen institutionalisierter Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung Einfluss auf Verwaltungsentscheidungen nehmen 1284. Darüber hinausgehend aber sind die Mitwirkungsbefugnisse des Individuums, vor allem aus rechtsstaatlichen Gründen, äußerst begrenzt. Darin spiegelt sich die bereits andernorts thematisierte Dimension einer teilhabefeindlichen Auffassung des demokratischen Prinzips, mindestens aber eine Dominanz rechtsstaatlicher Kriterien vor solchen der demokratischen Teilhabe in der verfassungsrechtlichen Diskussion 1285. Richtig an einer solchen eher zurückhaltenden Auffassung über Teilhabebefugnisse des Individuums an staatlichen Entscheidungen ist der Einwand rechtsstaatlicher Rationalität, die eine Desintegration sowohl der Entscheidungsbefugnisse wie der Entscheidungsträger schon aus Gründen des Rechtsschutzes kritisch sehen muss 1286. Jedoch stehen die Bedürfnisse nach Teilhabeformen auf der einen Seite und rechtsstaatlicher Rationalität auf der anderen Seite nicht in einem Verhältnis der Exklusivität. Es kommt vielmehr auf die Ausgestaltung der jeweiligen Teilhabeform an: Jedwede Einbindung des Individuums in die Zwecke des Gemeinwohls sieht sich dem Verdacht ausgesetzt, totalitäre Staatsstrukturen grundlegen zu wollen 1287. In der Tat erweist sich die Verpflichtung des Einzelnen auf die Zwecke des Ganzen als Problem im Lichte der umfassenden Garantie individueller Freiheit 1288. Jedoch: Ebenso wenig wie sich Demokratie und Rechtsstaat in einem Ausschlussverhältnis begegnen, begegnen sich Freiheit und Teilhabe in einem solchen Verhältnis. Es kommt vielmehr darauf an, dem Element individueller Freiheit auch in der Teilhabe äußere Form zu geben und ihm zur Geltung zu verhelfen. Dies kann auf verschiedene Weise geschehen. Vergegenwärtigt man sich die Grundlage privater Gemeinwohlkompetenz, nämlich die Grundrechte, so macht dies deutlich, dass es sich dabei nicht um 1284

Zur umweltrechtlichen Perspektive s. A. Roßnagel, Der Bürger im umweltrechtlichen Anlagenzulassungsverfahren, in: Dolde (Hg.), Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 997 ff., insbes. S. 1001 ff. zum Immissionsschutzrecht. 1285 s. dazu ausführlich § 5 III. 1286 s. dazu Di Fabio, (Fn. 906), S. 329 ff. passim, für den Ansatz des integrativen Umweltschutzes. 1287 Dazu in Bezug auf Rudolf Smends Idee der Grundrechte als „Berufs- und Standesrecht“ des Staatsbürgers, Isensee, (Fn. 1282), § 71 Rn. 117. 1288 s. dazu § 3 I. 2. b) (5).

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eine Generalkompetenz zeitlicher und materieller Universalität handelt, sondern um eine situationsgebundene und auch nur vorläufige 1289. Situationsgebunden deshalb, weil Gemeinwohl als Abwägungsbelang nur prozedural und situativ bestimmt werden kann. Mit Hayek gilt: „Allgemeiner Altruismus ist (..) sinnlos. Niemand kann sich wirklich um alle anderen kümmern; die Verantwortungen, die wir übernehmen können, müssen immer partikulär sein, sie können nur jene betreffen, von denen wir konkrete Tatsachen wissen und mit denen wir uns entweder durch Wahl oder durch besondere Umstände verbunden fühlen. Es gehört zu den fundamentalen Rechten und Pflichten eines freien Menschen, zu entscheiden, welche und wessen Bedürfnisse ihm am wichtigsten erscheinen“ 1290.

Ebenso wenig wie dem Staat die Vorgabe eines bestimmten Gemeinwohlziels möglich und erlaubt ist, ist dies dem Individuum erlaubt 1291. Es kann an der Konkretisierung eines Gemeinwohlbelangs lediglich mitwirken, ihn abschließend bestimmen kann es nicht. Dadurch ist auch die Vorläufigkeit der Gemeinwohlkonkretisierung durch das Individuum bedingt, denn es kann lediglich einen Impuls setzen, der ein Verfahren in Gang setzt, an dessen Ende die Konkretisierung eines Gemeinwohlbelangs steht. Die Ausgestaltung der Konkretisierungsbefugnis des Individuums muss gleichzeitig dem abwehrrechtlichen Gehalt der Grundrechte als Freiheitskonstituens Rechnung tragen. Von daher ist einer Rechtspflicht oder einem als Pflicht sich auswirkenden Recht zur gemeinwohlbezogenen Teilhabe des Einzelnen eine Grenze gesetzt. Das Element der Freiwilligkeit des Engagements für das Gemeinwohl ist hier wesentlich. Einher damit geht das Verbot einer staatlichen Motivforschung. Warum sich der Einzelne in den Dienst des gemeinen Wohls stellt, bleibt allein seine Sache. Insbesondere ist keine altruistische Motivlage nötig. Auch aus egoistischen Motiven ist ein Einsatz für das Gemeinwohl erlaubt und erwünscht. Eigennutz kann und darf Vehikel des Gemeinwohls sein 1292. Die Notwendigkeit der Freistellung des Einzelnen von der Rechtspflicht zum Einsatz für das Gemeinwohl verlangt nach rechtlich verlässlichen Strukturen. Gemeinwohlpflege des Einzelnen darf sich danach nicht quasi-transzendent verwirklichen, sondern gebunden an das Recht 1293. Anders gewendet: „Grundrechte schützen auch vor hoheitlich auferlegter Eigenverantwortung“ 1294. Weitergeführt 1289

Isensee, (Fn. 1282), § 71 Rn. 156: „Die verfassungsstaatliche Konsequenz (Anm.: der Unbestimmbarkeit des Gemeinwohls) ist die Freiheit aller Bürger, im Bewußtsein ihrer eigenen Fehlbarkeit, unter den unvollkommenen Bedingungen der Wirklichkeit zusammenzuwirken, die Erfordernisse des Gemeinwohls situationsgerecht und vorläufig zu deuten wie zu erfüllen“. 1290 v. Hayek, (Fn. 985), S. 98. 1291 Isensee, (Fn. 1282), § 71 Rn. 155 f. 1292 Isensee, (Fn. 1282), § 71 Rn. 40, 116 ff. 1293 Heintzen, (Fn. 1130), S. 238.

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ergibt sich daraus das Erfordernis staatlicher Veranlassung für private Gemeinwohlverantwortung 1295. Die Deutung einer gleichzeitig zivilen wie staatlichen Gemeinwohlverantwortung entbindet nämlich nicht von einer theoretischen und gedanklichen Trennung beider Bereiche 1296. Ein Einwand, der gegen partizipative Strukturen im Bereich des Verfahrensrechts, als die sich subjektive Rechte auf Umweltvorsorge darstellen, klassischerweise vorgebracht wird, ist die drohende Aushöhlung des Gewaltenteilungsgrundsatzes 1297. Diesem Einwand ist aber, wie schon im Kontext der Darstellung der Verbandsklageproblematik, zu begegnen, hier auf verfassungsrechtlich höherer Ebene. Es gibt kein Gemeinwohlmonopol der Exekutive, wie überhaupt des Staates. Staat und Gesellschaft sind gemeinsam zur Konkretisierung des Gemeinwohls aufgerufen. Daher gibt es auch kein Exklusivrecht einzelner Gewalten, welches durch die Einbindung Privater unterlaufen werden kann. Hinzu kommt: Gewaltenteilung als Ausdruck des Rechtsstaats zielt auf die Verteilung der Entscheidungsbefugnisse über das Gemeinwohl auf verschiedene Organe des Staates ab, die je nach ihrer spezifischen Funktion zu seiner Konkretisierung berufen sind 1298. Sieht man in der rechtsprechenden Gewalt das Organ, welches Gemeinwohl durch die letztverbindliche Entscheidung von Interessenkonflikten für den Einzelfall generiert, so ist dieser Funktion durch bürgerschaftliche Partizipation nicht im Mindesten Abbruch getan. Auch hier gilt: Die Auslösung hoheitlicher Gewalt ist zu unterscheiden von ihrer Ausübung. Hinzu tritt folgende, ebenfalls rechtsstaatlich motivierte Überlegung. Wenn nach den Grundlagen der Staatstheorie die Bindung des Staates an bestimmte Zwecke Voraussetzung dafür ist, den Bürgern Rechtsgehorsam abverlangen zu können, so lässt sich sagen: In dem Maße, in dem der Staat diese Zwecke nicht erfüllt, in dem Maße verliert er an Legitimität und Legitimation. Dieser Legitimationsverlust, der seine Ursache in verschiedenen Faktoren findet, bedarf unter Rechtsstaatlichkeitsgesichtspunkten der Kompensation in der Form, dass die Bindung des Staates an die verfassungsrechtlich gesetzten Zwecke optimiert wird. b) Der Prozess als Medium der Kooperation Überträgt man die verfassungsrechtlichen Anforderungen an kooperative Gemeinwohlpflege auf die hier vorliegende Diskussion, so stellt sich der Verwal1294

Di Fabio, (Fn. 1120), S. 258. Heintzen, (Fn. 1130), S. 239. 1296 Heintzen, (Fn. 1130), S. 239. 1297 s. dazu statt vieler R. Breuer, Wirksamer Umweltschutz durch Reform des Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrechts, NJW 1978, S. 1558 ff. passim. 1298 Uerpmann, (Fn. 611), S. 185. 1295

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tungsprozess selbst als die Rechtsform der Kooperation zwischen Staat und Gesellschaft dar. Ihm kommt Kraft seiner Natur die Funktion eines institutionalisierten Verfahrens zum Ausgleich widerstreitender Interessen zu. Während aber bislang ein Abgleich zwischen privaten subjektiven Rechten und öffentlichem Interesse am Vollzug des öffentlichen Rechts im Vordergrund stand, also eine mittelbare Gemeinwohlproduktion, wird seine Funktion im hier vorgeschlagenen Modell nun explizit angereichert um die Optimierung defizitärer Gemeinwohlbelange. (1) Prozessführung im Kooperationsverhältnis Die Urbarmachung des Verwaltungsprozesses für Gemeinwohlbelange 1299 außerhalb materieller subjektiver Rechte, die Erschließung des Prozesses für Funktionen außerhalb der Streitbeilegung mutet zunächst sachfremd an und zwar aus verschiedenen Gründen. Ihr liegt wesenszentral die „Verabschiedung“ des simplifizierten liberalen Modells einer Gemeinwohlproduktion zugrunde, die allein auf die Verfolgung egoistischer Interessen des Einzelnen und die staatliche Garantie der Rahmenbedingungen des Marktes setzt. Es hat sich erwiesen, dass dieses Modell für die Belange des Umweltschutzes, für die Umweltvorsorge, nicht tauglich ist 1300. Es besteht daher zwar kein Bedarf nach Überwindung, aber nach einer Fortentwicklung dieses Systems im Kontext des geltenden Rechts. Denn der Sache nach treten im Verwaltungsprozess öffentliche Interessen durchaus, wenn auch indirekt auf 1301, allein, es fehlt ihnen die prozessrechtliche Artikulationsfähigkeit. Gleichzeitig befremdet der Gedanke, ein dem Wesen nach kontradiktorisches Verfahren wie den klassischen Anfechtungsprozess um Elemente der Kooperation aufzuladen. Darin liegt jedoch die Neuerung des hier vorgeschlagenen Ansatzes, die sich mit den klassischen Strukturen des gerichtlichen Verfahrens durchaus verträgt. Der Vorschlag zielt im Kern nämlich nicht auf die Kooperation im Prozess, sondern auf Kooperation durch den Prozess. Der Prozess mit seinen Eigengesetzlichkeiten erweist sich als Medium der Kooperation. Insofern hat dieser Vorschlag auch eine erhebliche Anschlussfähigkeit zur herkömmlichen Idee der Gemeinwohlproduktion durch die Verfolgung von Individualinteressen. Unter diesem Blickwinkel erweist sich die Öffnung des Prozesses für überindividuelle Belange nämlich als Bereitstellung eines Mechanismus zum 1299 Zum Einsatz prozessualer Mittel zur Stärkung des Umweltschutzes Appel, (Fn. 13), S. 179 ff. 1300 Zur Durchsetzungsschwäche von Umweltschutzbelangen im Verwaltungsverfahren s. § 7 III. 2. d); s. z. B. Hoppe, (Fn. 191), S. 213 ff., 231 zum Umweltschutz als Gemeinschaftsaufgabe von Staat und Gesellschaft. 1301 Zum öffentlichen Interesse am Prozess, im Prozess und am Prozessergebnis s. ausführlich unter § 7 II 2.

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Interessenabgleich durch den Staat. Dies bestätigt also im Kern wiederum das klassische Modell der Gemeinwohlproduktion. Die Idee des Kooperativen fügt sich für den hier vorliegenden Kontext auch ein in die Systematik des einfachen Umweltrechts. In ihm ist das Kooperationsprinzip seit jeher geltendes Recht und strukturgebende Form 1302. Bislang wird der Gedanke der Kooperation im Umweltrecht ganz überwiegend als Bindeglied zwischen staatlichem und zivilem Handeln mit Umweltrelevanz begriffen. Es begründet Handlungsverantwortlichkeiten nicht einseitig-autoritativ, sondern unterwirft sie einer einvernehmlichen Lösung, die von den Beteiligten auszuhandeln ist. Als solches steht das Kooperationsprinzip im Umweltrecht neben oder, wenn man will, in Konkurrenz zu den übrigen Prinzipien. Hier wird nun der Begriff der Kooperation bezogen auf den der Vorsorge. Vorsorge- und Kooperationsprinzip unterscheiden sich ihrer Binnenstruktur nach wesentlich, handelt es sich bei diesem doch um ein Finalprinzip, bei jenem jedoch um ein Modalprinzip 1303. Während also das Vorsorgeprinzip ein materielles Ziel vorgibt, beschreibt das Kooperationsprinzip einen Modus der Zielerreichung. Von daher sind die beiden Prinzipien auch strukturell kompatibel: Die Einräumung subjektiver Rechte auf Umweltvorsorge etabliert also zur Beförderung der Vorsorgezwecke einen Mechanismus der Kooperation zwischen Staat und Bürger, allerdings mit der Besonderheit, das Kooperationsverhältnis nicht zwischen Verursacher und Staat, sondern zwischen klagendem Dritten und dem Staat zu etablieren. Solchermaßen beschaffene subjektive Rechte bringen die beiden Prinzipien also in ein Verhältnis der Konkordanz statt der Konkurrenz und erhöhen auf diese Weise die Integrationsleistung des Rechts. Die Feststellung Rauschnings, „Umweltschutz als unausweichliche Menschheitsaufgabe ist gegenwärtig nur unter Einsatz des Staates zu bewältigen“ 1304, erweist sich vor diesem Hintergrund als noch immer zutreffend. Sie ist gleichzeitig aber auch Ausdruck einer rechtswissenschaftlichen Diskussion, die den Umweltstaat als Kategorie und den Umweltschutz als Staatsaufgabe erst noch konstituieren musste 1305. Diese Herausforderung ist mittlerweile überwiegend bewältigt und hat dazu geführt, dass Kooperation als Steuerungsmechanismus des Umweltrechts etabliert ist. An dieser Etablierung hat der Staat in der vorliegenden Konstellation maßgeblichen Anteil, weil nur durch seine Institutionen subjektive Rechte etabliert werden können. Durch den Import von Allgemein1302

s. zum Kooperationsprinzip unter § 2 I 2 m.w. N. s. zu dieser Unterscheidung § 2 II. 3. d) (1). 1304 Rauschning, (Fn. 854), S. 168 ff., 171; s. zu den Staatsaufgaben auch Krüger, (Fn. 1077), S. 759 ff. 1305 s. z. B. den Beitrag R. Breuers, Der Umweltschutz im System der Rechtsordnung, in: Börner (Hg.), Umwelt, Verfassung, Verwaltung, 1982, S. 37 ff., der erkennbar noch in die Konstituierungsphase des Umweltrechts fällt und zu dieser Konstituierung beiträgt. 1303

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wohlbelangen in den Verwaltungsprozess gewinnt auch die Rechtsverhältnislehre als analytische Kategorie an Bedeutung. Bislang spiegelt der Prozess das streitgegenstandskonstituierte Prozessrechtsverhältnis, welches durch die Klage zwischen Kläger, Beklagtem und dem Gericht als staatlicher Institution geschaffen wird. Die Einbeziehung funktionaler subjektiver Rechte in den Prozess lässt sich rechtsverhältnistheoretisch als ein neues Rechtsverhältnis zwischen den Parteien deuten, in dem allerdings dem Kläger die Rolle einer interessierten Öffentlichkeit zukommt, die auf den Vollzug gemeinwohlrelevanter Vorschriften pocht. Das öffentlichkeitsbezogene Element des Prozesses als Instrument zum Interessenausgleich wird so gestärkt und dem öffentlichen Interesse am Prozess, im Prozess und am Prozessergebnis ein neuer Stellenwert verliehen 1306. Gleichzeitig überwindet der kooperative Ansatz die Vermutung, dass nämlich in Umweltdingen ein unauflöslicher Widerspruch zwischen Privatinteresse und Gemeinwohl bestehe, der allein durch staatliche Intervention überwunden werden könne 1307. Dies ist nur zum Teil richtig. Der Staat hat mit der strengen Scheidung von Privatinteresse und Gemeinwohl im öffentlichen Umweltrecht ein System geschaffen, das im praktischen Vollzug hinter seinen theoretischen Ansprüchen zurückblieb. In praxi ist der Staat nämlich nicht in der Lage, die ihm abverlangte Intervention gegen umweltbeanspruchende Grundrechtsbetätigung zu erbringen, das hier schon erörterte Stichwort des Vollzugsdefizits chiffriert diese Problemlage. Es scheint daher durchaus angemessen, über den Modus der notwendigen Intervention nachzudenken. Das hier vorgeschlagene Modell baut dabei nicht auf die Ausweitung staatlicher Interventionsmöglichkeiten, sondern die parallele Ausrichtung privater Interventionsrechte auf materiell-subjektive und funktional-subjektive Belange gleichermaßen. Das Prozessrechtsverhältnis erweist sich in diesem Modell als idealtypische Struktur einer kooperativen Gemeinwohlpflege auch im Hinblick auf die Freiheitlichkeit des Gemeinwesens. Mit Hayek gilt: „Either the risk or the choice rest with individual, or he is deprived of both“. Wo das subjektive Recht für Gemeinwohlbelange funktionalisiert wird, wird der Einzelne tendenziell zum Objekt seiner Handlungen, nicht zum Subjekt – so auch hier. Jedoch wird diese Freiheitsbeeinträchtigung durch zwei Aspekte kompensiert. Der Einzelne hat zwar die Wahl, ob er mit der Behauptung der Verletzung von Vorsorgestandards vor Gericht klagen möchte. Aber er trägt eben auch das Prozessrisiko und muss dies tragen. Viel weniger als im Kontext einer durch Verbände „gesponsorten“ Klage einzelner Bürger realisiert sich in der hier vorgeschlagenen Struktur sowohl das Wahl- als auch das Risikomoment. Klagen, die sich auf die Verletzung von Vorsorgevorschriften stützen, werden regelmäßig aufgrund der faktischen

1306 1307

s. dazu § 7 II. 2. Forsthoff, (Fn. 1059), S. 25 ff.; anders Rauschning, (Fn. 854), S. 171.

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Ungewissheit der Materie ein höheres Prozessrisiko bergen, was sich hier konsequent als freiheitliches Korrelat zu den gesteigerten Mitwirkungsrechten erweist. (2) Kooperation und staatliche Verantwortung Freilich ist darauf hinzuweisen, dass die verfassungsrechtliche Anerkennung der legitimierenden Kraft des Kooperativen keineswegs unumstritten ist 1308. Dabei ist sachlich die Bedeutung des Kooperationsprinzips als Gebot oder Ermächtigung an den Staat auseinander zu halten 1309. Von einem Gebot zur Kooperation kann für die hier vorgeschlagene Konstellation nicht ausgegangen werden. Ein solches Gebot lässt sich nicht apriorisch behaupten, sondern muss sich aus den Strukturen der jeweiligen Rechtsmaterie ergeben. Zwar konstatiert das Bundesverfassungsgericht für das Immissionsschutzrecht ein „Konzept des kooperativen Verwaltens“ 1310, dies vermag eine Pflicht zu einer prozessualen Kooperation aber nicht zu begründen. Der Verwaltungsprozess in seiner herkömmlichen Fassung ist allein auf die Beilegung subjektivrechtlich munitionierter Streitigkeiten ausgelegt, er ist kontradiktorisch und nicht kooperativ. Daran vermag auch die in Rede stehende Spezialmaterie im Einzelfall nichts zu ändern. Abgesehen davon ist das Prozessrecht auf den Individualrechtsschutz hin ausgerichtet und darauf bezieht sich auch das einfache Recht mit seiner Trennung zwischen Vorschriften, die subjektive Rechte vermitteln und solchen, die objektives Recht darstellen. Freilich lässt sich die Einbeziehung des Bürgers in die Belange der Umweltvorsorge als ein Modell gewandelter staatlicher Verantwortung für die Belange des Gemeinwohls deuten. Angesprochen ist damit das in der aktuellen Diskussion vielfach bemühte Stichwort einer staatlichen Gewährleistungsverantwortung. Bekannt ist das Konzept aus dem Zivilrecht, namentlich dem Haftungsrecht, nach dem sich ein für einen gefahrbegründenden Verkehr Zuständiger seiner haftungsrechtlichen Einstandspflicht dadurch entledigen kann, dass er sie an einen Dritten überträgt. Hier wie dort führt dies allerdings nicht zu einer „Aufgabe der Aufgabe“, sondern zu einer Umstrukturierung der Verantwortungskategorien. Dem ursprünglich Verantwortlichen verbleibt eine Residualverantwortung im Sinne einer Überwachungspflicht beziehungsweise einer Mindestgarantie der Einhaltung der rechtlichen Vorgaben 1311. Die Besonderheit des Gewährleistungskonzepts im Verfassungsrecht liegt daneben darin, dass die Anforderung an die gewährleistende Kraft des Staates 1308 Ein Überblick über den Stand der Literatur findet sich bei Michael, (Fn. 529), S. 279 f. 1309 Michael, (Fn. 529), S. 280. 1310 BVerfGE 98, S. 83 ff., 98 – Landesabfallgesetze. 1311 BGH, NJW-RR 1989, S. 394; BGHZ 142, S. 227 ff.

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gegenüber den zivilrechtlichen Anforderungen noch gesteigert ist. Während sich der zivilrechtlich Gewährleistende mit der Wahrung seiner Überwachungspflicht exkulpieren kann, gibt es für den Staat keine Flucht in die Kooperation, um sich von den verfassungsrechtlichen Fesseln zu befreien 1312. Bei genauer Betrachtung stellt sich jedoch heraus, dass die spezifischen verfassungsrechtlichen Probleme, welche die Kooperation in einigen Bereichen aufweist, sich hier nicht beziehungsweise nicht in der gleichen Form stellen. Die Legitimität des Kooperativen steht nämlich vor allem dort in Frage, wo sie sich auf die Ausübung staatlicher Gewalt unmittelbar bezieht. Wo der Bürger oder Verbände Anteil haben am klassischen Staatshandeln, beispielsweise der Rechtssetzung, bedarf es eines erheblichen verfassungsrechtlichen Begründungsaufwands, um dies zu erklären und zu rechtfertigen 1313. Der Bezugspunkt des Kooperationsmechanismus ist hier aber ein anderer: Das kooperationsvermittelnde Medium ist der Verwaltungsprozess, der Mechanismus der bürgerschaftlichen Partizipation ist das subjektive öffentliche Recht. Bezogen sind beide hier auf den Vorgang des Gesetzesvollzugs. Dieser erweist sich in Umweltdingen als defizitär, was Kompensationsmechanismen erforderlich macht. Durch die Einräumung von Klagerechten soll der Vollzug von Umweltvorsorgevorschriften effektiviert werden. Entscheidend dabei ist: Die Einräumung des Klagerechts bedeutet keine Teilhabe an staatlicher Gewalt, weder an exekutiver noch an justizieller. Zwar soll durch die prozessuale Interventionsbefugnis die Exekutive angehalten werden, in einem stärkeren Maße Umweltinteressen im Vollzug zu berücksichtigen, jedoch ist die Wirkung, welche die Einräumung des subjektiven öffentlichen Rechts hat, eine bloß faktische. Es handelt sich um eine faktische, aber nicht eigentlich normative Vetoposition. Dies lässt sich formell und materiell begründen. Es handelt sich bei einem solchen Recht nicht um einen Mechanismus, der den klagenden Bürger mit einem eigenen Anteil einbindet in die Ausübung staatlicher Gewalt. Ihm wird vielmehr nur die Möglichkeit gegeben, bestimmte von der Rechtsordnung geschützte Interessen in einem förmlichen Verfahren zu artikulieren. Die Einräumung subjektiver Rechte auf Umweltvorsorge erweitert die Rechtsstellung des Klägers letztlich um eine formale (funktionale) Verfahrensposition, räumt ihm also eine weitere Möglichkeit ein, staatliche Gewalt in seinem Sinne in Bewegung zu setzen. Bindet man ein solches formal subjektiviertes Recht an bereits vorhandene materielle Positionen an, so ergibt sich auch keine Erweiterung der formalen Verfahrenspositionen im Sinne weiterer Klagemöglichkeiten, sondern nur eine Verbreiterung des etwaigen Streitgegenstandes im Prozess. Natürlich kommt einem solchen Verfahrensrecht eine Vetoposition zu. Es wirkt faktisch auf den Vollzug des Rechts und schafft dadurch Tatsachen. Der 1312 1313

Sinngemäß Michael, (Fn. 529), S. 297. Ausführlich für diesen Fall bei Michael, (Fn. 529), S. 286 ff., 294 ff.

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Umstand allein, dass sich dies nicht als Ausübung staatlicher Gewalt qualifizieren lässt, vermag nicht jeden Einwand gegen ein solches Konstrukt zu entkräften. Nicht zufällig bemüht sich die Rechtswissenschaft beispielsweise im Verfassungsrecht, Prozesse der Informalisierung, politisches fait accompli durch die Externalisierung von Entscheidungsprozessen beispielsweise in Sachverständigengremien, rechtlich in den Griff zu bekommen 1314. Die Konstellationen sind jedoch insofern unterschiedlich, als dass dort funktionierende Verfahrensabläufe aus Gründen des politischen Kalküls gezielt umgangen werden. Es entwickelt sich eine parallele Verfassungsstruktur, welche die gegebenen Verfahren entwertet und entkernt. Hier geht es jedoch um den umgekehrten Prozess einer Internalisierung öffentlicher Interessen in einen Verfahrensgang. Das Verfahren wird angereichert um materielle Aspekte, die in ihm bislang nicht in hinreichendem Maße Berücksichtigung fanden. Weder wird das bestehende Verfahren durch ein funktionalsubjektives Recht intransparent, noch wird die eigentliche Entscheidung andernorts getroffen und von den Verfahrensbeteiligten nur nachvollzogen. Hinzu kommt, dass kooperative Wahrnehmung von Umweltverantwortung in der vorgeschlagenen Form die Funktion einer Ergänzungsverantwortung hat. Weder entledigt sich der Staat seiner Vollzugsverantwortung – er kann dies gar nicht – noch werden die Mechanismen seiner Ursprungsverantwortlichkeit geschwächt. Bürgerschaftliche Umweltvorsorgeverantwortung tritt im Gegenteil da ein, wo staatliche Ursprungsverantwortung aufgrund der dem Umweltrecht eigenen Vollzugsschwierigkeiten versagt. 5. Konsequenz: Das funktionale subjektive Recht auf Umweltvorsorge a) Modell und Bedenken Konsequenz des hier Vorgeschlagenen ist ein neues, erweitertes Modell subjektiver öffentlicher Rechte, nämlich ein funktionales subjektives Recht auf Umweltvorsorge. Es geht von einem funktionalen Verständnis subjektiver Rechte als Ordnungsmechanismen innerhalb eines Gemeinwesens aus. Subjektive Rechte dienen danach nicht allein der Zuordnung bestimmter Rechtsgüter zur autonomen Verfügung des Individuums, sondern können auch die Wertschätzung des Gemeinwesens für bestimmte Belange zum Ausdruck bringen. Sie können also mit anderen Worten gemeinwohlbezogen sein. Funktionale subjektive Rechte in diesem Sinne haben einen oder mehrere Belange des Gemeinwohls zum Ge1314 s. aus der umfangreichen Literatur statt vieler M. Morlok, Informalisierung und Entparlamentarisierung politischer Entscheidungen als Gefährdungen der Verfassung?, VVDStRL 62 (2004), S. 37 ff., m.w. N.

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genstand, die durch sie in den Mittelpunkt und zur Aufmerksamkeit staatlicher Verfahren gebracht werden können. Dass sie gleichwohl als subjektive Rechte aufgefasst werden können ist darauf zurückzuführen, dass die Befugnis zur Konkretisierung von Gemeinwohlbelangen im Verfassungsstaat nicht allein den staatlichen Stellen zugewiesen ist, sondern dass auch der Bürger situativ und im Einzelfall eine Befugnis hat, an der Bildung des gemeinen Wohls mitzuwirken. Dies ist dabei nicht a priori bestimmbar, sondern Ausdruck eines Abwägungsprozesses. Subjektive Rechte in diesem Sinne setzen nicht personalisierbare Freiheit des Individuums fort, sondern räumen eine verfahrensrechtliche Freiheitsposition ein. Es handelt sich dabei um Rechte im Sinne einer Kompetenz, die sich durch die freie Wahl des Individuums zur Aufgabe hin aktualisiert, ohne den Einzelnen dabei vom Risiko seiner Wahl freizustellen. Diese Befugnis zur Gemeinwohlkonkretisierung fügt sich nicht allein ein in den vorgegebenen verfassungsrechtlichen Rahmen, vielmehr lassen sich zahlreiche verfassungsrechtliche ebenso wie einfachrechtliche Argumente für die Plausibilität eines funktionalen subjektiven Rechts auf Umweltvorsorge finden. Namentlich können sich gemeinwohlbezogene subjektive Rechte stützen auf ein Gemeinwohlverständnis, welches mit Dürig im öffentlichen Interesse (im Sinne des Gemeinwohls) immer auch menschliches Interesse sieht 1315, also einer Metaphysikalisierung des Gemeinwohlbegriffs ein durchaus diesseitiges und greifbares Deutungsmodell des gemeinen Wohls entgegensetzt. Ein solches juridisches Gemeinwohlverständnis bildet mit handlungstheoretischen Ansätzen des rational-choice-Modells joint forces. Begreift man auch den Akteur im Recht als auf die Maximierung von ökonomischem Nutzen gerichtet, so erfüllt ein funktionales subjektives Recht gleich eine zweifache Funktion, indem es nämlich den mit ihm gestärkten Gemeinwohlbelang zur Geltung bringt und gleichzeitig dem beispielsweise von einer Anlage betroffenen Nachbarn die Option gibt, im eigenen Interesse gegen ein Vorhaben vorzugehen. Diese Option ist nun in Schutz zu nehmen gegen den allenthalben zu vernehmenden Einwand, die Verbreiterung von Klagerechten führe zu einem Missbrauch von Rechtspositionen, eine Kritik, die üblicherweise auf den Begriff des „Ausschlusses der Popularklage“ gebracht wird 1316. Dieser Kritik ist auf verschiedenen Ebenen zu begegnen. Zunächst ist auf das in eigenartiger Weise kaum je thematisierte Spannungsverhältnis hinzuweisen, welches eine Ansicht hervorruft, 1315

Dürig, (Fn. 1091), S. 20. s. dazu R. Klenke, Der „Ausschluss der Popularklage“ – vom Sinn des § 42 Abs. 2 VwGO, NWVBl. 2005, S. 125 ff., zahlreiche Nachweise dort, der die Funktion der Vorschrift im Hinblick auf dieses Ziel mit beachtlichen Argumenten bezweifelt; s. auch Lorenz, (Fn. 1019), § 18 Rn. 4; kritisch zu den behaupteten Steuerungsfunktionen der Klagebefugnis H. H. Rupp, Kritische Bemerkungen zur Klagebefugnis im Verwaltungsprozeß, DVBl. 1982, S. 144 ff., vor allem S. 146 ff. 1316

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die einer Klage, die aufgrund der Verletzung objektiven Rechts erfolgreich wäre, ein Missbrauchselement zuschreibt, weil Rechtsmittel nur zum Schutz eigener Rechte eingesetzt werden dürfen. Es mag eine Systementscheidung sein, nur individualrechtlich gestützte Rechtsbehelfe zuzulassen, die eine Systemwidrigkeit einer solchen Klage zur Folge hätte, aber ein spezifisches Missbrauchselement kann darin kaum gesehen werden. Dies gilt umso mehr dann, wenn eine solche Klage das Fiktionale der Vermutung einer stets rechtmäßig handelnden Verwaltung im konkreten Fall erweist. Damit verbleibt der Argumentation wider die Popularklage allein ihr prozessökonomischer Gehalt, also der Wunsch, die Verwaltungsgerichte von einer Unzahl von Klagen zu entlasten. Wenn die Tragweite dieses Einwandes angesichts der deutlich positiven Erfahrungen mit den landesrechtlichen Verbandsklagen im Naturschutzrecht, die nicht zu einer Prozessflut geführt haben, auch nur begrenzt ist, ist er als solcher jedoch nicht unberechtigt. Der Vorwurf der Missbräuchlichkeit ist also letztlich, wenn man eine grundsätzliche Gemeinwohlverantwortung des Bürgers nicht ausschließen will, allein Ergebnis einer Systemfremdheit einer Klage zur Beseitigung objektiver Rechtsverletzung. Missbräuchlichkeit könnte man jedoch nur annehmen, wenn das Ergebnis einer solchen Rechtsausübung ein ungewolltes wäre. Dies wird jedoch kaum je anzunehmen sein, denn die Einhaltung bestimmter (im klassischen Verständnis objektiver) Umweltrechtsstandards ist gerade vom Gesetzgeber gewollt. Dass es einem Kläger darauf möglicherweise nicht oder nur nachrangig ankommt, muss in diesem Zusammenhang aber unbeachtlich bleiben, das Prozessrecht betreibt auch ansonsten keine Motivforschung, es ist weitgehend blind gegenüber den außerrechtlichen Zwecken seiner Akteure. Schließlich handelt es sich bei der Gefahr des „Missbrauchs“ einer solchen Klageposition um ein Korrelat zur individuellen Freiheit, als deren Ausprägung subjektive Rechte, auch solche bloß funktionaler Natur, sich erweisen. Hayek führt aus: „Freiheit, die nur gewährt wird, wenn im voraus bekannt ist, daß ihre Folgen günstig sein werden, ist nicht Freiheit. Wenn wir wüßten, wie Freiheit gebraucht werden wird, würde sie in weitem Maße ihre Rechtfertigung verlieren. Wir werden die Vorteile der Freiheit nie genießen, nie jene unvorhersehbaren Entwicklungen erreichen, für die sie die Gelegenheit bietet, wenn sie nicht auch dort gewährt ist, wo der Gebrauch, den manche von ihr machen, nicht wünschenswert erscheint. Es ist daher kein Argument gegen individuelle Freiheit, daß sie oft mißbraucht wird.. Unser Vertrauen auf Freiheit beruht nicht auf den vorhersehbaren Ergebnissen in bestimmten Umständen, sondern auf dem Glauben, daß sie im Ganzen mehr Kräfte zum Guten als zum Schlechten auslösen wird“ 1317.

Diese Auffassung bestätigt die Notwendigkeit der Motivationsblindheit der Prozessordnung, denn selbst wenn man das prozessuale Erzwingen altruistischer Ziele durch ein Individuum zur Befriedigung egoistischer Interessen für einen 1317

v. Hayek, (Fn. 985), S. 40.

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rechtsordnungswidrigen Missbrauch halten wollte, erweist sich dessen Sanktionierung als Ausdruck eines freiheitsfeindlichen Misstrauens gegenüber dem Verantwortungsbewusstsein der Bürger. Man mag dies aus konservativem Blickwinkel für angebracht und legitim halten, aus liberaler Perspektive wird man im Missbrauch ebenso wie im Risiko ein natürliches, nicht auszuschließendes Korrelat zur persönlichen Freiheit sehen müssen. Nimmt man die handlungstheoretische Perspektive auf funktionale subjektive Rechte ein, so erweist sich ihre Konstruktion der oftmals sehr heterogen strukturierten Motivlage menschlichen Handelns als durchaus angemessen. Menschliche Handlungen werden motiviert und geleitet wesentlich von Interessen, darauf beruht die Perspektive der Nutzenmaximierung des rational-choice-Modells; aber daneben bestimmen auch Ideen, normative, ethische, moralische oder religiöse Ordnungsideen menschliches Handeln 1318. Das hier vorgestellte Modell führt nun zu einer rechtlichen Parallelisierung von individuellem Interesse und einer Verpflichtung auf generelle Ideen, wie es die Umweltvorsorge beziehungsweise der Schutz der Umwelt allgemein sind. Die strukturelle Durchsetzungsschwäche von Umweltgemeinwohlbelangen wird also durch die Kopplung an durchsetzungsstarke Interessen des Individuums überwunden 1319. Die scheinbare Systemfremdheit funktionaler subjektiver Rechte relativiert sich vor dem Hintergrund einer keineswegs neuen, für das öffentliche Recht beispielsweise von Rupp erschlossenen Argumentation, welche die dienende Funktion des Prozessrechts gegenüber dem materiellen Recht betont und daher auch zu einem Verständnis subjektiver öffentlicher Rechte kommen kann, das nicht von den Strukturen prozessrechtlicher Nützlichkeitserwägungen präformiert ist 1320. Die Systementscheidung für den Individualrechtsschutz, wie sie vor allem in den Normen des einfachen Rechts, § 24 Abs. 1 EG GVG, § 54 Abs. 1 S. 2 SGG, § 40 Abs. 2 FGO und schließlich § 42 Abs. 2 VwGO, zum Ausdruck kommt, hat in der Praxis der Gerichte und in der Folge auch der Rechtswissenschaft eine Eigenwertigkeit bekommen, die den Begriff des subjektiven öffentlichen Rechts 1318 s. dazu Engel, (Fn. 1038), S. 4; aus verfassungsrechtlicher Sicht Brugger, (Fn. 1102), S. 357 ff.; aus der historischen rechtswissenschaftlichen Literatur Jellinek, (Fn. 1050), S. 184 ff., 220 ff.; aus sozialwissenschaftlicher Perspektive dazu Kangas, (Fn. 1103), passim sowie v. Hayek, (Fn. 985). 1319 H. Kötz, Klagen Privater im Öffentlichen Interesse, in: v. Caemmerer / Jescheck (Hg.), Klagen Privater im Öffentlichen Interesse, 1975, S. 69 ff. weist im Hinblick auf die USA darauf hin, dass eine Verstärkung des Sanktionspotentials privater Klagen Ausdruck eines bestimmten Gesellschaftsbildes sei, welches geprägt sei von einem robusten Individualismus und dem Vertrauen darauf, soziale Konflikte durch offene (gerichtliche) Auseinandersetzung zu lösen und daher dem deutschen Recht fremd. Dem ist freilich entgegen zu halten, dass die Publifizierung von Konflikten im Umweltschutzbereich erst zu einem Defizit in der Berücksichtigung bestimmter Belange geführt hat. 1320 Rupp, (Fn. 474), S. 160.

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ganz überwiegend allein in seiner prozessualen Funktion als Zulässigkeitsvoraussetzung wahrnimmt, ihn seiner materiellen und systematischen Funktion aber weitgehend entkleidet. So erscheint er regelmäßig allein im Kontext prozessualer Zulässigkeitserwägungen, im Rahmen der Begründetheit ist meist allein von den verletzten Rechten die Rede, deren Vorliegen durch die Bejahung der Zulässigkeit als indiziert gilt, was eine weitere inhaltliche Beschäftigung mit ihnen dann entbehrlich scheinen lässt. Dass das subjektive öffentliche Recht realwissenschaftlich betrachtet in erheblichem Maße konflikt- und innerhalb eines Gemeinwesens wertigkeitsstrukturierend ist, hat die soziologische Perspektive auf die subjektiven öffentlichen Rechte erwiesen 1321. Es ist als Versäumnis der rechtswissenschaftlichen Analyse der subjektiven Rechte zu sehen, seine tatsächlichen Wirkungsweisen zu wenig in die juristische Bewertung und Konzeptionierung des subjektiven Rechts einbezogen zu haben. Es geht dabei gleichermaßen um die bewusste Einbeziehung des Bürgers und Rechtsträgers in die Sorge und Verantwortung für Belange des gemeinen Wohls wie um die Tatsache, dass subjektivrechtlich aufgeladene Belange sich als durchsetzungsstark im Vollzug wie im Prozess erweisen. Namentlich die verfahrensrechtliche „Vorwirkung“ der subjektiven Rechte im Rechtsvollzug gilt es bewusst zu nutzen. b) Subjektive Rechte und staatlich-ziviles Koordinationsverhältnis Subjektive Rechte lassen sich begreifen als Medium einer Staat-Bürger-Beziehung. Sie spiegeln das Verhältnis, in welchem sich der Staat und der Bürger begegnen, indem sie die Freiheitssphäre des Individuums gegenüber staatlicher Intervention abschirmen, Freiheitsbetätigung des Individuums durch staatliche Leistung ermöglichen oder auf öffentlich-private Freiheitsverwirklichung hinwirken. Herkömmlich setzt das subjektive öffentliche Recht dabei ein Subordinationsverhältnis zwischen Staat und Bürger voraus 1322. Der Einzelne ist dann gleichermaßen Rechtsträger wie Rechtsunterworfener. Setzt der Staat einfachgesetzliche subjektive Rechte und gewährleistet ihre Durchsetzung, wird dadurch zwischen ihm und dem Bürger nach hergebrachtem Verständnis kein Koordinationsverhältnis begründet. Demnach bestimmt, wer die Freiheitsrechte definiert 1323 auch über das darin zum Ausdruck kommende Verhältnis zwischen Staat und Bürger mit. Freilich mag die Anerkennung des individuellen „Selbstverständnisses als 1321 1322 1323

Dazu unter § 7 II. 1. Herdegen, (Fn. 4), S. 165. Isensee, (Fn. 4), passim.

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Rechtskriterium“ 1324 hier eine andere Lesart nahe zu legen. Die Einschätzung einer notwendigen Subjektion des Individuums als Begriffsmerkmal subjektiver Rechte bricht sich freilich an einer schon seit langem festzustellenden Entwicklung, welche die rechtlich vermittelte Beziehung zwischen Staat und Bürger als zunehmend kooperativ, konsensual oder eben koordinativ im technischen Sinne des Wortes versteht. So kommt laut Volkszählungsurteil von 1983 der Akzeptanzfähigkeit einer gesetzlichen Regelung nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts eigene verfassungsrechtliche Bedeutung zu 1325. Bestätigt wird die Entwicklung im Brokdorf-Beschluss, nach dem zwischen Polizeikräften und den durch die Versammlungsfreiheit kollektiv legitimierten Demonstranten eine Art partnerschaftliche Beziehung vermutet wurde mit dem Ziel, gewaltsame Ausschreitungen zu verhindern. In der kollektiven Demonstration sah das Gericht eine Artikulation von Allgemeinbelangen, deren Integration in den politischen Willensbildungsprozess in offenbarer Weise fehlgeschlagen war 1326. Dabei propagiert die Entscheidung nicht eine Desintegration des Kanons demokratischer Regeln, macht aber deutlich, dass die durch die Versammlungsfreiheit ins Werk gesetzte Artikulationsoption des Bürgers ebenfalls wesentliche Funktionen im Willensbildungsprozess eines Gemeinwesens ausfüllen kann. Diese bleibt notwendig situativ und einzelfallbezogen. Sie entspricht in dieser Beschränktheit gleichzeitig aber der Freiheitlichkeit der zivilen Rechtsstellung des Einzelnen. Ihm ist die Entscheidung darüber, ob er sich zum Fürsprecher des gemeinen Wohls machen will, überlassen. Die Rechtsordnung unterstützt ein solches Verhalten, allein sie fordert es nicht. Eine erhebliche Fortentwicklung des herkömmlichen Staat-Bürger-Verhältnisses stellt das Aushandeln normativer Vorgaben zwischen staatlichen Stellen dar. Hier geht es nicht allein um eine einzelfallbezogene Konkretisierung bestimmter Norminhalte, sondern um die Festlegung des Normprogramms in konsensualen Strukturen 1327. Dabei sind die Erscheinungsformen dieses Phänomens unterschiedlich. Im sog. Atomkonsens ist letztlich die novellierte Fassung des Atomgesetzes ausgehandelt worden. Daneben gibt es normvertretende Absprachen, die den formalen gesetzlichen Steuerungsbefehl zugunsten konsensualer Übereinkünfte vermeiden 1328. Die koordinationsrechtliche Privilegierung des Bürgers erreicht im Phänomen konsensualer Rechtssetzung eine neue Qualität. 1324

Morlok, (Fn. 1000). BVerfGE 65, S. 1 ff., 50 – Volkszählung. 1326 BVerfGE 69, S. 315 ff., 347 – Brokdorf. 1327 s. dazu Michael, (Fn. 529). 1328 Aus der umfangreichen Literatur s. z. B. H. Kube, Vom Gesetzesvorbehalt des Parlaments zum formellen Gesetz der Verwaltung?, NVwZ 2003, S. 57 ff.; A. Schendel, Selbstverpflichtungen der Industrie als Steuerungsinstrument im Umweltschutz, NVwZ 2001, S. 494 ff.; P. Kirchhof, Demokratie ohne parlamentarische Gesetzgebung?, 1325

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Seit jeher stößt die Auflösung der subordinationsrechtlichen Strukturen zugunsten einer koordinationsrechtlichen Beziehung aber auf Kritik. In ihr kommt, bezogen auf das subjektive Recht selbst, zum Ausdruck, was im Kontext ziviler Gemeinwohlkompetenz bereits erörtert wurde, nämlich das Bedürfnis nach einer bestimmten Form ziviler Partizipation – Herdegen beurteilt die Grundlage des Koordinationsdenkens als eine Fiktion 1329. Die Hingabe der Definitionsmacht über Gesetzesinhalte führe zu einer „gestuften Normativität“ 1330, da sie die Möglichkeit der Ausgrenzung bestimmter Normadressaten von der Verbindlichkeit und Anwendbarkeit allgemein geltender gesetzlicher Regelungen erlaube. Zwar ließe sich die Einbindung der Grundrechtsbetätigung des Einzelnen zum Wohle der Allgemeinheit durchaus demokratietheoretisch plausibilisieren, konfrontiere aber die Organe des Staates mit schwierigen Wertungsfragen, welche Verhaltensweisen nun als gemeinsinnig und daher beachtlich anzusehen seien und welche nicht 1331. Selbstverständnisse eines Kollektivs (beispielsweise von Kirchen) oder von Individuen jedenfalls sollen nach seiner Auffassung rechtlich keine Erheblichkeit behaupten dürfen. Diese Einwände sind nicht ohne Weiteres von der Hand zu weisen. In der Tat wirft die weitgehende koordinationsrechtliche Deutung des Staat-BürgerVerhältnisses grundsätzliche Fragen über die Reichweite der zivilen Mitgestaltungsbefugnisse auf. Zwar weist auch Herdegen darauf hin, dass „mit der Diagnose koordinationsrechtlicher Tendenzen nicht etwa das Gespenst einer Fragmentierung der Rechtsordnung durch eine Hypertrophie des subjektiven Rechts evoziert werden soll“ 1332, es stellt sich jedoch die Frage nach den Entäußerungsgrenzen der staatlichen Kompetenz zur abschließenden Feststellung dessen, was als Recht gelten soll. Die Lösung des Problems und die Antwort auf diese problematischen Fragen liegen primär darin, ein Verhältnis der Balance herzustellen. Koordinationsrechtliche Strukturen zwischen Staat und Gesellschaft, die grundrechtlich vermittelt werden, lassen sich begreifen als Ausdruck einer schwindenden Bindungskraft hoheitlich-staatlichen Handelns, als Ausdruck eines Bedeutungsverlusts der Form. Gibt man, wie es das Bundesverfassungsgericht in den genannten Urteilen getan hat und wie es auch durch weitreichende Kooperationsbeziehungen des einfachen Rechts der Fall ist, solcher koordinatorisch geprägten Partizipation des Einzelnen an der Ausübung staatlicher Gewalt Raum, so bedarf dies ihrerseits einer bestimmten äußeren Form, die Rationalität und Rechtssicherheit garantiert. NJW 2001, S. 1332 ff.; B. Pasemann / S. Baufeld, Verfassungsrecht und Gesetzgebung auf Grundlage von Konsensvereinbarungen, ZRP 2002, S. 119 ff. 1329 Herdegen, (Fn. 4), S. 167. 1330 Herdegen, (Fn. 4), S. 167. 1331 Herdegen, (Fn. 4), S. 167. 1332 Herdegen, (Fn. 4), S. 167.

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Insofern erweist sich die institutionelle Deutung der Versammlungsfreiheit, wie das Verfassungsgericht sie im Brokdorf-Beschluss vorgenommen hat, als problematisch. Ob nämlich die im Wege einer Demonstration artikulierten Interessen oder politischen Auffassungen allein deswegen verfassungsrechtliche Erheblichkeit beanspruchen können, weil sie in Gestalt einer Grundrechtsbetätigung, nämlich der Versammlungsfreiheit, erscheinen, ist fraglich. Die Partizipation des Einzelnen an der Ausübung staatlicher Kompetenzen lässt sich, wie es hier auch unternommen wurde, aus verfassungsrechtlichen wie funktionalen Gründen durchaus rechtfertigen und legitimieren. Die in ihr liegende Grenzverwischung zwischen den aus rechtsstaatlichen Gründen separat konstituierten Systemen Staat und Gesellschaft wird eben nicht allein dadurch kompensiert, dass die vom Einzelnen (als Individuum oder im Kollektiv) zur Beachtung gebrachten Interessen anerkennungswürdig sind. Die Artikulation solcher Interessen bedarf einer äußeren Form, wenn sie als quasi-staatlich anerkannt und nachvollzogen werden soll. Nicht umsonst sind beispielsweise kommunale Bürgerbegehren in ihrer materiellen Zulässigkeit ebenso wie verfahrensrechtlich streng und höchst detailliert ausgestaltet 1333. Das Bedürfnis nach einer förmlichen Ausgestaltung ziviler Mitwirkung an staatlicher Kompetenz ist hier schon im Kontext ziviler Gemeinwohlbefugnisse diskutiert und auch bejaht worden. Auch aus der Perspektive, die eher die dogmatischen Voraussetzungen des subjektiven Rechts beleuchtet, erweist sich dieses Ergebnis also als zutreffend. Die hier propagierte und vorfindliche Form ist der Verwaltungsprozess. c) Funktion, Konstruktion und Zuschnitt eines funktionalen subjektiven Rechts Die Sonderheit eines funktionalen subjektiven Rechts drückt sich gegenüber materiellen subjektiven Rechten in seiner anderen prozessualen Funktion aus. Während üblicherweise die Ausübung eines Klagerechts im Prozess zu einer Aktualisierung des Rechts in dem Sinne führt, dass über den Rang und die Reichweite des darin verkörperten Schutzgutes entschieden wird und so gegebenenfalls eine Begrenzung eines Gegenrechts bewirkt wird, aktualisiert ein funktionales subjektives Recht allein die Grenzen des Gegenrechts unter Heranziehung nicht-individueller Maßstäbe. Es wird daran deutlich, dass mit der Einräumung eines funktionalen subjektiven Rechts als Ausdruck einer kooperativen Gemeinwohlpflege ein Befugnis-, genauer ein Kompetenztransfer zwischen 1333 s. dazu S. Muckel, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid – wirksame Instrumente unmittelbarer Demokratie in den Gemeinden?, NVwZ 1997, S. 223 ff.; G. Looman, Bürgerbegehren auf Aufstellen oder Unterlassen von Bebauungsplänen – Verstoß gegen die kommunale Planungshoheit?, NVwZ 1998, S. 1271 ff.; K. Ritgen, Zu den thematischen Grenzen von Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, NVwZ 2000, S. 129 ff.

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Staat und klagendem Bürger stattfindet. Das Recht des Drittbetroffenen bricht sich damit im technischen Sinne nicht an einem Gegenrecht, sondern an der kooperativen Gemeinwohlkompetenz, welche in concreto in der Form eines (nur) prozessual wirksamen Gegenrechts begegnet. Rückführbar ist diese Kompetenz auf das Erfordernis des Schutzes der Grundrechte nicht allein der gegenwärtig Lebenden, sondern auch der der zukünftigen Generationen. Es handelt sich bei diesem Recht also letztlich um eine prozessuale Treuhänderschaft der gegenwärtig Lebenden für zukünftig von Umweltbelastung Betroffenen. Der Umstand ziviler Teilhabe an der Ausübung staatlicher Gewalt ist gleichzeitig Grund und Gegengrund für die hier schon vorgestellten Bedenken gegen die Einbindung des Bürgers in staatliche Gemeinwohlpflege 1334. Zwar ist in einer Klage gestützt auf funktionale subjektive Rechte eine Ausübung einer ursprünglich staatlichen Kompetenz zur Aktualisierung des Gemeinwohls zu sehen, aber darin liegt allein auch ihre legitimatorische Kraft. In der Tat wäre es kaum erträglich, dem Bürger eine zivile Kompetenz zur Aktualisierung des Gemeinwohls einzuräumen, es gleichsam seiner alleinigen Einschätzung zu überlassen, ob und wie er von ihr Gebrauch macht. Eine „Aufgabe der Aufgabe“ durch den Staat kommt nicht in Betracht. Ein funktionales subjektives Recht ist daher seiner Natur nach eine derivative Gemeinwohlkompetenz, die sich allein realisiert in einem materiell, nämlich umweltrechtlich, und formal, nämlich prozessrechtlich, vorgegebenen staatlichen Ordnungsrahmen, welcher der staatlichen Verfahrensverantwortung gerecht wird 1335. Dass an der Einbeziehung des Bürgers in die Gemeinwohlkonkretisierung durch den Prozess nicht grundsätzlich etwas zu bemängeln ist, wurde bereits behandelt. Die im Zusammenhang mit Art. 20a GG und dem Grundsatz der Nachhaltigkeit dargestellte intergenerationelle Dimension menschlichen Handelns verwirklicht sich genau hier 1336. Der Konflikt über die Umweltnutzung, der sich zwischen den Generationen abspielt, gründet nicht primär auf staatlicher Ressourcenausbeute, sondern auf der durch Privatpersonen 1337. Zwar gestaltet sich diese im durchregulierten Staat nur in rechtlich ausgearbeiteter Form (z. B. der Anlagen- oder Nutzungsgenehmigung), diese reguliert aber allein den Zugang zur Ressource. Nutzer und Nutznießer ist regelmäßig ein Privater. Das funktionale subjektive Recht aktualisiert in der hier vorgestellten Konstellation nun die intergenerationell gebotenen Grenzen der Grundrechtsausübung 1338, hier die des 1334

s. dazu unter § 7 III. 2. s. Voßkuhle, (Fn. 1133), S. 326 zur „Rückholoption“ des Staates bei öffentlichen Aufgaben und seiner Reservefunktion, was jeweils nahe legt, dass eine Aufgabe der Aufgabe durch den Staat bzw. eine Überlassung eines bestimmten Bereich der Gemeinwohlpflege an den Privaten nicht in Frage kommt. 1336 Dazu unter § 2 II. 3. c) (1) und § 5 II. 1337 Ekardt, (Fn. 1233), S. 129. 1335

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Anlagenbetreibers, und führt sie auf ein unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten erträgliches Maß zurück. Dabei handelt es sich keineswegs um einen demokratisch unzureichend legitimierten Mechanismus, denn durch die Klage wird im Prozess gegebenenfalls nur derjenige Vorsorgestandard realisiert, der gesetzlich vorgesehen ist. Weder wird ein anderer Schutz noch ein weitergehender Schutz durch die Klage erreicht, als gesetzlich ohnehin vorgesehen ist. Die funktionale Subjektivierung bricht mit der Idee, die Klagbarkeit eigener Rechte setze personalisierbare Rechtsgüter, also vom Recht geschützte eigene Güter des Klägers voraus. Sie vollzieht damit die Erkenntnis einer letztlich unmöglichen Scheidung von privaten und öffentlichen Interessen nach. In diesem Bruch mit der materiellen Subjektivität öffentlicher Rechte liegt die entscheidende Leistungsfähigkeit dieses Ansatzes und das wesentliche Unterscheidungskriterium zu totalisierenden Auffassungen subjektiver öffentlicher Rechte: Es geht hier nämlich gerade nicht um die „Aufopferung subjektiver Zwecke“ 1339, die vom Einzelnen im Interesse des Gemeinwohls verlangt wird, sondern um eine Parallelisierung öffentlicher Interessen mit den Durchsetzungsmechanismen subjektiver Rechte. Darin liegt nicht die sozialistische Gleichsetzung privater und öffentlicher Interessen und schon gar nicht die faschistische Leugnung subjektiver Rechte, sondern eine schlichte verfahrensrechtliche Akzessorietät öffentlicher Interessen zu subjektiven Rechten. Ein solches Konzept lässt sich auch in die Strukturen der etablierten Prozessrechtsdogmatik einblenden, was jedoch voraussetzt, die verkürzende Gleichsetzung des Begriffs der Klagebefugnis mit dem des subjektiven Rechts aufzugeben. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Klagebefugnis anders als die zivilprozessuale Prozessführungsbefugnis nicht die prozessrechtliche Seite des materiellen Rechts darstellt, sondern einem im materiellen Recht wurzelnden Anspruch des Bürgers gegen die öffentliche Gewalt zur Durchsetzung verhilft. Die Besonderheit eines funktionalen subjektiven Rechts liegt darin, den Zusammenhang zwischen prozessualem Anspruch beispielsweise auf Aufhebung eines Verwaltungsakts und materiellem Recht neuartig zu konstruieren. Während die klassische Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht einen solchen Anspruch in der drittschützenden, also anspruchsvermittelnden Norm des einfachen Rechts wurzeln lässt, ergibt sich dieser Anspruch bei dem hier vorgestellten Modell aus der verfassungsrechtlich zu begründenden Kompetenz des Bürgers zur Aktualisierung von Belangen des Gemeinwohls, hier der umweltrechtlichen Vorsorge. Im Lichte dieser Kompetenz ist das einfache Recht zu lesen und auf die Strukturen des Prozesses hin zu übertragen. 1338 s. dazu umfassend mit eigenen theoretischen und dogmatischen Ansätzen F. Ekardt, Zukunft in Freiheit, 2004, passim. 1339 G.W.F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, 1821, (Nachdruck), in: Werke, Bd. VII, 1986, § 294, S. 462.

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(1) Zuweisung und Subjektivität des Vorsorgeinteresses Wie nun lässt sich ein funktionales subjektives Recht konstruieren, um im Kontext der bisherigen Erkenntnisse zum subjektiven öffentlichen Recht erklärlich zu sein? Dazu ist nochmals Bezug zu nehmen auf die Binnenstruktur des subjektiven Rechts. Öffentliches Interesse ist im theoretischen Regelfall aggregiertes Interesse, also die Summe individueller Interessen, die unter einem bestimmten Aspekt durch das Recht gebündelt und gegebenenfalls um weitere Faktoren angereichert werden 1340. Wesentlich dabei ist, dass der ursprünglich subjektive Gehalt der gebündelten Einzelinteressen sich im Aggregationsvorgang, d. h. in der Regel in der Gesetzgebung, verliert und die ursprüngliche Konfliktlage widerstreitender Einzelinteressen durch Zuweisung der Konfliktlösung an die öffentliche Gewalt vereinfacht wird. Jedoch ist die gezielte Entsubjektivierung aggregierter Interessen keineswegs eine zwingende Folge der Aggregation, in Einzelfällen wird der durch das Recht konstituierte Konfliktlösungsmechanismus auch in Fällen aggregierter Interessen als subjektiv angesehen 1341. Entscheidend dafür, ob sich im Sinne der Figur des Zuweisungsgehalts 1342 ein Recht als subjektives identifizieren lässt, ist die im Wege eines Abwägungsvorgangs zu beantwortende Frage, ob ein Individuum als Träger eines bestimmten Interesses bestimmbar ist. Dies lässt sich, die Notwendigkeit der Abwägungsentscheidung antizipierend, nur danach beantworten, ob die angestrebte Interessenträgerschaft sinnvoll ist 1343. Sinnhaftigkeit hat in diesem Zusammenhang eine utilitaristische und eine rationale Dimension. Es geht also darum, eine Subjektivierung der Vorsorge unter faktischen Aspekten der Nützlichkeit wie auch unter rationalitätsstiftenden Aspekten des einfachen wie das Verfassungsrechts zu begründen. Ein subjektives Verständnis umweltrechtlicher Vorsorgestandards bedeutet danach nicht allein eine Effektuierung des Rechtsvollzugs, es fügt sich auch ein in ein modernes Verständnis bürgerschaftlicher Partizipation im und am Staat, in neue Steuerungsansätze des einfachen Rechts ebenso wie in neuere verfassungsrechtliche Entwicklungen hin zu Fragen intergenerationeller Gerechtigkeit. Es sind damit Gründe namhaft gemacht, die in diesem Sinne ein subjektives Verständnis von Vorsorgevorschriften tragen und die Zuweisung des Vorsorge1340

Reiling, (Fn. 8), S. 198 ff. BGHZ 75, S. 120 ff., 144 – Herstatt. 1342 Dazu ausführlich unter § 4 II. 2. 1343 In diesem Sinne P. Marburger, Ausbau des Individualschutzes gegen Umweltbelastungen als Aufgabe des bürgerlichen und des öffentlichen Rechts, in: Ständige Deputation des deutschen Juristentages (Hg.), Verhandlungen des 56. deutschen Juristentages, Bd. I, Gutachten C, 1986, S. C 35; s. dazu auch M. Ronellenfitsch / R. Wolf, Ausbau des Individualschutzes gegen Umweltbelastungen als Aufgabe des bürgerlichen und des öffentlichen Rechts, NJW 1986, S. 1955 ff.; s. auch den entsprechenden Beitrag von G. Gaentzsch, NVwZ 1986, S. 601 ff. 1341

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interesses an Private rechtfertigen. Fraglich bleibt jedoch, wie der Kreis der zur Klage durch Vorsorgevorschriften Befugten geschnitten sein soll. (2) Vorsorgeklage und Popularklage Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass dem Ausschluss von Klagen, die nicht auf der Verletzung materieller subjektiver Rechte beruhen, wesentlich eine prozessökonomische Dimension zu Eigen ist. Vermieden werden soll eine Prozessflut, die zu einer Überlastung der Verwaltungsgerichte führen könnte 1344. Gleichzeitig sind etwaige Bedenken gegenüber einer „Popularisierung“ der Initiativberechtigung mit dem Hinweis darauf zu relativieren, dass die Entscheidungen für ein am Individualrechtsschutz orientiertes Prozessrecht ebenso wenig exklusiven Charakter hat wie ein System, welches allein auf objektive Rechtskontrolle setzt. Mit beiden Systemen sind Kongruenzmodelle vereinbar, die aus Gründen juristischer Rationalität Mischformen zwischen individuellem Initiativrecht und objektiver Rechtskontrolle etablieren. Gleichwohl muss sich vor dem Hintergrund eines Individualrechtschutzsystems eine Erweiterung von Klagerechten rechtfertigen im Hinblick auf ihre Folgen das Prozessaufkommen betreffend. Dabei sind zwei Konstellationen auseinander zu halten. Einmal kann der Kreis der Klageberechtigten ausgeweitet werden, klassisches Beispiel hierfür bilden die naturschutzrechtlichen Verbandsklagen. Hier tritt neben die ohnehin schon klageberechtigten Personen ein aus eigenem, neuem Recht berechtigter Klägerkreis. Das funktionale subjektive Recht auf die Einhaltung von Vorsorgestandards soll jedoch akzessorisch zu materiellen subjektiven Rechten sein 1345. Einem bereits anderweitig klagebefugten Kreis von Personen wird also ein weiteres Recht zugewiesen. Der klageberechtigte Personenkreis bleibt damit gleich, die Klagemöglichkeiten nehmen aber zu. Freilich kann damit in den Fällen auch eine Vermehrung der Gerichtsverfahren verbunden sein, in denen allein aufgrund der Verletzung des „neuen“ Rechts geklagt wird, jedoch ist dieser Einwand unbeachtlich. Prozessökonomie ist nämlich kein Selbstzweck, sondern dient dazu, Rechtsschutz demjenigen zu gewähren, der ihn nötig hat. Dies rechtfertigt lediglich, beliebige Dritte vom Prozess auszuschließen. Jedoch kann die Zurückweisung einer Klage, die von einem vorhabensbetroffenen Kläger mit der Behauptung erhoben wird, das Vorhaben verletzte Vorsorgevorschriften, kaum unter prozessökonomischen Gesichtspunkten gerechtfertigt werden. 1344

s. Schlacke, (Fn. 16), S. 497 ff.; weiter dazu Klenke, (Fn. 1316), passim. Dies gilt in beide Richtungen, also im Sinne des hier vorgeschlagenen Rechtserwerbs, aber auch im Sinne des Rechtsverlusts bspw. bei Verwirkung einer Rechtsposition durch Präklusion oder Verwirkung u.ä., s. zu Letzterem H. Bauer, Die Verwirkung von Nachbarrechten im öffentlichen Baurecht, Die Verwaltung 23 (1990), S. 211 ff., 212 ff. zu Grundlagen der Verwirkungsidee. 1345

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Die Beschränkung des Klagerechts aus funktionalen subjektiven Rechten auf den Kreis der durch die Anlage Betroffenen folgt also der Überlegung, dass es nicht grundsätzlich zu wenig Rechtsschutz gegen umweltrelevante Vorhaben gibt, sondern nicht den richtigen Rechtsschutz. Insofern geht es eben nicht um die Erweiterung des Kreises der Klageberechtigten, sondern um die Effektivierung des Rechtsschutzes in materieller Hinsicht. Die Akzessorietät des funktionalen subjektiven Rechts zur klassischen Nachbarschaftslehre im Prozessrecht liegt wesentlich in der handlungstheoretischen Dimension dieses Konzepts begründet. Die Durchsetzungsschwäche von Umweltvorsorgebelangen ist begründet in ihrer mangelhaften prozessualen Artikulierbarkeit. Sie setzen sich im Verwaltungsverfahren nicht durch, da ihnen keine prozessuale Vorwirkung zu Eigen ist 1346. Eine solche Vorwirkung im Verfahren können sie nur entfalten, wo sie eng geführt werden mit materiellen subjektiven Rechten, an deren Wahrung bereits ein genuines Interesse besteht. Es soll also auch hier der etablierte immissionsschutzrechtliche (und auch allgemein verwaltungsrechtliche) Begriff des Nachbars in seiner prozessualen Funktion aufgenommen werden. Dieser ist kein grundstücksbezogener Nachbarbegriff, sondern unterliegt den Eigengesetzlichkeiten des Anlagenrechts. Nachbar ist danach derjenige, der innerhalb des Einwirkungsbereichs der Anlage ansässig ist 1347 oder Rechte an Sachen innerhalb des Einwirkungsbereichs hat 1348. Der Nachbarbegriff ist hier also insoweit deutlich weiter als beispielsweise der des Bauplanungsrechts 1349. Es geht dem Immissionsschutzrecht um faktische, nicht allein rechtliche Betroffenheit. Der Einwirkungsbereich besteht aus der Umgebung einer emittierenden Quelle, in der der von der Quelle ausgehende Immissionsbeitrag bei Normalbetrieb oder bei Störfällen noch belegbar ist 1350. Anhaltspunkt für die Bestimmung des Nachbarschaftskreises ist dabei das Beurteilungsgebiet im Sinne der Nr. 4.6.2.5. der TA Luft 1351, sie ist jedoch nicht darauf festgelegt 1352. Die Verankerung des Nachbarschaftsbegriffs im Gedanken einer faktischen Betroffenheit hat zur Folge, dass er abhängig von der in Frage stehenden Immission variieren kann. Er kann für Geräuschimmissionen ein anderer sein als für Luftverunreinigungen 1353. Während dies jedoch für die Frage der Klagebefugnis 1346

Ekardt, (Fn. 1338), S. 367 spricht von der „abschreckenden Wirkung einer potentiellen Klage“. 1347 Jarass, (Fn. 32), § 3 Rn. 33 ff.; s. für eine immissionsrechtlich ähnliche Sachlage VG Gießen, NVwZ-RR 2005, S. 103 (zum gaststättenrechtlichen Nachbarbegriff). 1348 Petersen, (Fn. 85), S. 58. 1349 s. dazu z. B. VG Koblenz, NJOZ 2005, S. 1879 ff., 1880. 1350 Jarass, (Fn. 32), § 3 Rn. 33; OVG Lüneburg, GewArch 1980, S. 206. 1351 M. J. Ohms, Praxishandbuch Immissionsschutzrecht, 2003, Rn. 128. 1352 OVG Münster, NVwZ 1993, S. 386; enger BayVGH, NVwZ-RR 1991, S. 463 f. 1353 Petersen, (Fn. 85), S. 59.

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im Rahmen der Schutzpflicht nach § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BImSchG relevant werden kann, ist diese Differenzierung für eine Klagebefugnis als Ausdruck eines funktionalen subjektiven Rechts ohne Belang, denn sie operiert nicht mit der Vorstellung einer abzuwendenden Betroffenheit des Klägers, sondern enger mit der Abwendung einer Rechtsverletzung als solcher. Dies kann im Einzelfall dazu führen, dass Klagen, die auf die Verletzung der Schutzpflicht gestützt wären und dort aufgrund Einhaltung der Grenzwerte beispielsweise der TA Luft unbegründet wären, aufgrund der Verletzung des niedrigeren Vorsorgegrenzwerts begründet wären. Dies ergibt sich aus der Differenzierung zwischen Immissionsund Emissionssteuerung und den unterschiedlichen technischen Vorkehrungen, die damit gegebenenfalls verbunden sind. Damit wird in diesen Bereichen die Vorsorgepflicht faktisch der Schutzpflicht angenähert und die dichotome Struktur des Immissionsschutzrechts jedenfalls zum Teil aufgehoben. Gerade darum geht es dem hier vorgestellten Modell jedoch, nämlich unabhängig von einer individuellen Betroffenheit die Einhaltung von Vorsorgestandards zu überprüfen. Die systematischen Friktionen der geschilderten Art werden dabei bewusst in Kauf genommen, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der akademischen Natur der Scheidung von Schutz- und Vorsorgekategorie im Recht 1354. Sie ist nämlich letztlich nicht Voraussetzung der prozessrechtlichen Unterscheidung, die hier die Klagebefugnis gewährt und dort nicht, sondern sie ist Ergebnis der prozessrechtlichen Kategorien. Die „Verprozessrechtlichung“ des subjektiven öffentlichen Rechts wird hier in besonderer Weise offenbar. Die Scheidung der Kategorien basiert dabei zu einem nicht unwesentlichen Teil auf der Vorstellung, die Vorsorge garantiere ein gegenüber bereits hinreichender staatlicher Schutzpolitik gewährtes Plus, welches Schadenseintritte praktisch ausschließe. So verhält es sich allerdings nicht. Vielmehr beinhaltet dieses Operieren mit bloßen Bruchteilswahrscheinlichkeiten sogenannte „stochastische Schäden“, womit die Hinnahme statistisch nachweisbarer Schäden gemeint ist, die umgerechnet auf den einzelnen Bürger zu vernachlässigen sind, aber als solche durchaus eintreten 1355. Die Hochzonung des Schutzniveaus an die Ränder der praktischen Vernunft ist damit also vor allem eine rechnerische Größe. Zu Recht ist darauf hingewiesen worden, dass die Hinnahme solcher Schäden Ergebnis einer komplexen Abwägung mit verschiedensten grundrechtlichen Belangen sein kann und daher im Ergebnis verfassungsrechtlich nicht oder kaum anfechtbar ist 1356, die damit verbundene Freistellung von prozessualer Kontrolle ist jedoch keineswegs eine zwingende Folge. Die Begrenzung des Klagerechts aus funktionalen subjektiven Rechten auf den durch den Nachbarbegriff erschlossenen Kreis von Vorhabensbetroffenen 1354 1355 1356

Ekardt, (Fn. 1338), S. 328 f. Dazu umfassend Ekardt, (Fn. 1338), S. 329. Ekardt, (Fn. 1338), S. 329.

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folgt neben prozesspraktischen Erwägungen des einfachen Rechts aber auch und vor allem dem hier vorgestellten Konzept einer situationsbezogenen und konkreten Befugnis des Einzelnen, gemeinwohlkonkretisierend tätig zu werden 1357. Es bedeutete ein erhebliches theoretisches wie praktisches Missverständnis funktionaler subjektiver Rechte, in ihnen bloße Entgrenzungen der herkömmlichen Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht zu sehen. Es handelt sich genauer um eine Erweiterung in dem Sinne, dass „nachher“ mehr und andere Klagerechte bestehen als „vorher“. Diese sind aber insofern wesensverwandt mit dem klassisch materiellen subjektiven öffentlichen Recht, als dass sie sich seiner Wirkungsmechanismen bedienen. Namentlich ist dies die prozessrechtliche Durchsetzungsstärke. Auf der anderen Seite aber wird die prozessökonomische Dimension eines Individualrechtsschutzes geachtet und aufrecht erhalten. (3) Exkurs: Funktionale subjektive Rechte als gouvernementales Modell (a) Zum Begriff der Gouvernementalität Subjektiven Rechten eignet eine soziale Funktion. In ihnen drückt sich nicht allein ein bestimmtes Menschenbild und eine bestimmte Verfasstheit eines Gemeinwesens aus, sondern sie nehmen im verfassungsstaatlich institutionalisierten Ausgleich widerstreitender Interessen eine bestimmte Rolle ein. In dieser Rolle lassen sie sich daher nicht allein juristisch beschreiben und bewerten, sondern auch sozialwissenschaftlich, insbesondere soziologisch 1358. Michel Foucault hat in seinen mittlerweile als Klassikern zu bezeichnenden Vorlesungen am Collège de France zwischen 1977 und 1978 und in den Folgejahren seiner Forschung das sozialwissenschaftliche Konzept der gouvernementalité expliziert und als Deutungsmodell neuzeitlichen Regierens etabliert 1359. Unter Gouvernementalität (frz. gouvernement = Regierung; mentalité = Denkweise) versteht man einen umfassenden Begriff von Regierung. Dabei meint Regierung in diesem Zusammenhang weder die Institution Regierung, auch ist nicht allein das Regierungsgeschäft, der Regierungsalltag oder die Staatspraxis gemeint, sondern ein all diese Elemente und wesentlich mehr umfassendes Gesamtsystem der Lenkung von Menschen. Foucault: „Unter Regierung verstehe ich die Gesamtheit der Institutionen und Praktiken, mittels deren man die Menschen lenkt, von der Verwaltung bis zur Erziehung. Diese Gesamtheit von 1357 Dazu unter § 7 III. 4. a); s. zur gemeinwohlrelevanten Einbindung Betroffener Anderheiden, (Fn. 25), S. 539 ff. 1358 s. dazu unter § 7 II. 1. 1359 s. zur Genese des Begriffs und dem Phänomen des Regierens M. Foucault, Geschichte der Gouvernementalität I: Sicherheit, Territorium, Bevölkerung, 2004, S. 134 ff.; 173 ff.

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Prozeduren, Techniken, Methoden, welche die Lenkung der Menschen untereinander gewährleisten, scheint mir heute in die Krise gekommen zu sein“ 1360. Regieren in diesem Sinne ist, so formulieren es die Brüder Grimm, „die Kunst der obrigkeitlichen Gesamtleitung“ 1361. Regierung ist danach „ein diskursives Feld, innerhalb dessen die Ausübung der Macht „rationalisiert“ wird“ 1362, es geht also mit anderen Worten um die politische Aufschlüsselung bestimmter Problemlagen und das Anbieten von Lösungs- und Bearbeitungsstrategien, durch „die Erarbeitung von Begriffen und Konzepten, der Spezifizierung von Gegenständen und Grenzen, durch die Bereitstellung von Argumenten und Begründungen“ 1363. Ausgehend vom Foucault’schen Konzept hat sich vor allem im anglo-amerikanischen Raum der Forschungszweig der governementality studies entwickelt, der die (neo-)liberale Umgestaltung des Staates unter Universalisierung der Aspekte der Selbstführung, des Selbstmanagement, der Selbstkontrolle und der Selbstregulation untersucht 1364. (b) Die staatsorganisatorische Dimension der Gouvernementalität Die Besonderheit dieser speziellen Perspektive ist also ihr zweigeteilter Blickwinkel, nämlich Regieren als Staatsorganisationsform unter gleichzeitiger Einbeziehung der Rolle des Individuums zu betrachten. Es handelt sich dabei letztlich um ein im Kern liberales Raster sozialer Modelle, geht es doch um das Verhältnis des Einzelnen zum gouvernementalen Staat und seine Rolle darin. Es reflektiert gleichzeitig den Aufgabenwandel, dem das öffentliche Recht in historischer Perspektive unterliegt. Waren das 17. und 18. Jahrhundert durch die Begründung, Etablierung und Entfaltung staatlicher Souveränität geprägt, steht seit Ende des 18. Jahrhunderts und vor allem im 19. Jahrhundert die Frage nach der Begrenzung staatlicher Gewalt im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit 1365. Dabei sind nach Foucault zwei wesensverschiedene Ansätze zu unterscheiden, nämlich der naturrechtlich fundierte Gedanke eines unveräußerlichen Kerns von Rechten, die die Grenzen der Regierung, der Gouvernementalität, beschränken. Er entspringt historisch den Bemühungen um die Begründung und Etablierung staatlicher Souveränität und knüpft an diese an 1366. Daneben steht das Modell 1360

M. Foucault, Der Mensch ist ein Erfahrungstier, 1996, S. 118 ff. J. Grimm / W. Grimm, Deutsches Wörterbuch, 1829, Bd. XIV, Sp. 527, abrufbar unter http://www.dwb.uni-trier.de/. 1362 T. Lemke, Eine Kritik der politischen Vernunft, 1997, S. 147. 1363 Lemke, (Fn. 1362), S. 147. 1364 Zum Einfluss des Foucault’schen Werks dort T. Lemke / S. Krassmann / U. Bröckling, Gouvernementalität, Neoliberalismus und Selbsttechnologien, in: dies. (Hg.), Gouvernementalität der Gegenwart, 2000, S. 7 ff. 1365 M. Foucault, Geschichte der Gouvernementalität II: Geburt der Biopolitik, 2004, S. 65. 1366 Foucault, (Fn. 1365), S. 66. 1361

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des englischen Utilitarismus, der Theorie des Nützlichkeitsdenkens, die sich mit den Namen J. S. Mill 1367 und J. Bentham 1368 (später auch H. Sidgwick 1369) verbindet und der schottischen Schule der Nationalökonomie entspringt. Dabei erweist sich das Schlagwort der greatest happiness of the greatest number of people als die utilitaristische Handlungsmaxime der Gouvernementalität. Es handelt sich dabei also nicht, wie vielfach missverstanden, um ein hedonistisches Prinzip der individuellen Vorteilsmehrung, sondern um einen politischen Maßstab, nachdem sittlich ist, was nützlich ist, also dem Nutzen einer größtmöglichen Zahl von Bürgern dient 1370. Der Begrenzungsmaßstab für die Gouvernementalität ist aus utilitaristischer Perspektive also ein empirischer und kein normativer. Beide Auffassungen über die Begrenzung öffentlicher Macht haben sich im europäischen politischen Liberalismus des 19. und des 20. Jahrhunderts niedergeschlagen und ihn in der Folge als ambivalent zwischen den beiden Polen gekennzeichnet. Beide Auffassungen sind gleichfalls verfassungspolitisches wie verfassungsrechtliches Gemeingut geworden. Freilich hat sich in der Rechtswissenschaft der naturrechtlich fundierte Ansatz eines Bündels nicht zur Disposition stehender Freiheitsrechte des Einzelnen deutlicher stärker durchgesetzt. Jedoch vermag die Weiterung des Blickfeldes auf den Ansatz des Utilitarismus hilfreiche Deutungsraster zur Verfügung zu stellen. Im Übrigen ist die Heterogenität der vorgestellten Erklärungsansätze nicht verbunden mit einer Exklusivität. Sie sind in ihrem erklärenden und strukturierenden Potential nämlich nur zum Teil gegenläufig, zum Teil aber auch kongruent und vermögen daher als gleichberechtigte Theoreme zu koexistieren. Die Regierung der „gouvernementalen Vernunft“ unterscheidet sich mit Foucault von der klassischen Staatslenkung dadurch, dass sie sich weitgehend ihrer Interventionsbefugnisse begibt beziehungsweise diese ihr entzogen sind. Juristisch drückt sich dies aus in einer grundrechtlich abgesicherten Autonomie des Individuums, welche eine weitreichende Unabhängigkeit gegenüber direkter staatlicher Einflussnahme gewährleistet. Freilich bleibt auch der gouvernementale Staat auf Einflussmöglichkeiten angewiesen. Diese vermitteln sich jedoch nur indirekt über die jeweiligen Interessen, die sich in einer konkreten politischen Regelungssituation wiederfinden. Staatliche Intervention wird danach erst dort legitim, wo sie nach den Regeln utilitaristischer Vernunft durch bestimmte Interessen „belegt“ 1371, also gestützt und gerechtfertigt wird. In diesem Mechanismus 1367 Ders., Utilitarianism, 1861, (Nachdruck), 1912; s. dazu auch J.-C. Wolf, John Stuart Mills Utilitarismus, 1992. 1368 Ders., An introduction to the principles of moral and legislation, (Nachdruck), 1970. 1369 Ders., The method of ethics, 3. Aufl. 1884. 1370 Foucault, (Fn. 1365), S. 67 ff. 1371 Foucault, (Fn. 1365), S. 74.

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liegen gleichzeitig eine Limitierung des Souveräns und eine institutionelle Aufwertung des Individuums, welches sich für diese Zwecke darstellt in Form seiner Interessen. Operator gouvernementalen Handelns sind also Interessen, sie sind Mittel und Zweck moderner Regierungstätigkeit. Was bedeutet vor diesem Hintergrund die Einräumung von Klagerechten, also institutionalisierten Interessenpositionen? Dazu ist zunächst auf die theoretischen Grundannahmen des gouvernementalen Denkens Bezug zu nehmen: Voraussetzung der Idee der Gouvernementalität ist die Vorstellung des Menschen als homo oeconomicus, wie ihn das rationalchoice-Modell der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften konstruiert, also die eines auf persönliche Nutzenmaximierung angelegten Individuums. Hier zeigt sich nochmals die enge Verwandtschaft des soziologischen Begriffs der Gouvernementalität mit den ideengeschichtlichen Grundlagen des politischen Liberalismus in den Grundwerken der schottischen Nationalökonomie. Danach trachten Individuen danach, ihre Interessen zu ihrem Vorteil zu maximieren. Dies kann sich konkret beispielsweise in einer Klage eines betroffenen Nachbarn gegen ein industrielles Großvorhaben ausdrücken 1372. So verschiedenartig seine Motivation sein mag, gegen die Anlage vorzugehen, der Kläger gegen ein Vorhaben nutzt die ihm durch die Rechtsordnung zur Verfügung gestellten Mittel, um sein Interesse durchzusetzen (befürchtete gesundheitliche oder ästhetische Beeinträchtigungen, ökologische oder ökonomische Erwägungen und schließlich auch bloßer Zeitvertreib). Es ist dabei zuzugestehen, dass die Strukturen der Interessenverfolgung im Einzelnen erheblich komplizierter sind, als es diese Theorie voraussetzt. Namentlich kann es an der durch die klassische Ökonomie oftmals vorausgesetzten Rationalität menschlichen Handelns fehlen 1373. Dementsprechend mögen die revealed preferences 1374, die offenbarten Präferenzen eines Individuums nicht zwingend diejenigen sein, die seinen persönlichen Nutzen mehren – es sei denn, man verbindet die offenbarte Präferenz mit der theoretischen Vermutung einer Nutzenmaximierung 1375. 1372 Das Konzept der Nutzenmaximierung ist fortentwickelt worden und auch auf erhebliche Kritik gestoßen, s. zur Fortentwicklung H. Spencer, The Data of Ethics, 1887, S. 238 ff zur Interdependenz von allgemeiner und individueller Wohlfahrt beim eigen- und fremdnützigem Streben nach Nutzenmaximierung; s. zur Kritik z. B. A. K. Sen, Rational Fools: A Critique of the Behavioural Foundations of Economic Theory, in: Philosophy and Public Affairs 6 (1977), S. 317 ff., (Nachdruck), Rationale Trottel: Eine Kritik der behavioristischen Grundlagen der Wirtschaftstheorie, in: Gosepath (Hg.), Motive, Gründe Zwecke: Theorien praktischer Rationalität, 1999, S. 76 ff. 1373 s. zum Problem der Irrationalität D. Davidson, Paradoxien der Irrationalität, in: Gosepath (Hg.), Motive, Gründe, Zwecke, 1999, S. 209 ff.; s. ebd. auch T. Nagel, Wünsche, Motive der Klugheit und die Gegenwart, S. 146 ff. 1374 Die Theorie der offenbarten Präferenzen geht zurück auf P. A. Samuelson, A note on the pure theory of consumer’s behaviour, Economia 5 (1938), S. 115 ff. 1375 Dazu Sen, (Fn. 1372), S. 81 f.

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Will der gouvernementale Staat sich nun seiner indirekten Steuerungsmittel bedienen, um auf das Individuum in einer bestimmten Richtung einzuwirken, so muss er ihm die dafür notwendigen Mittel in die Hand geben, er muss sein Interesse am „Glück der größten Zahl“ mit dem Individualinteresse parallelisieren. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Einräumung von Klagerechten in Fällen funktionaler Subjektivierung als Ausdruck einer neuzeitlichen, eben gouvernementalen Interessenpolitik des Staates dar. Es wird deutlich, dass der in der juristischen Literatur auf Grundlage der Ausrichtung der Prozessordnungen auf den Individualrechtsschutz konstruierte Gegensatz zwischen Individualinteresse und Gemeinwohl (eben dem „Glück der größten Zahl“) sich unter diesem Blickwinkel verflüchtig. Die gouvernementale Sichtweise vergegenwärtigt diesen Befund auf der Ebene staatlicher Steuerung und verdeutlicht damit, dass der in der juristischen Debatte allenthalben erhobene Vorwurf, eine Einbindung des Individuums in die Zwecke des gemeinen Wohls sei per se antiliberal und also mit den Grundlagen unserer Verfassungsstaatlichkeit nicht oder nur kaum in Einklang zu bringen 1376, auf der prinzipiellen Ebene nicht trägt. Es stellt sich jedoch die Frage, wie der von Smith als „unsichtbare Hand“ bezeichnete Mechanismus zu verstehen beziehungsweise zu deuten ist 1377. Versucht man weniger, auf die Vorstellungswelt Smiths abzuheben und eine analytische Bestimmung unter funktionalen Aspekten zu versuchen, so lässt sich die „unsichtbare Hand“ verstehen als eine individuelle Indifferenz gegenüber dem gemeinen Wohl, eine gewisse Blindheit gegenüber dem, was gemein- und eine Aufgeschlossenheit gegenüber dem, was eigennützig ist. Erinnert sei hier an den aus der kontraktualistischen Verfassungsökonomik stammenden veil of ignorance, den Schleier der Unwissenheit 1378. Wenngleich diese Figur dort auch eine andere Funktion hat, nämlich Grundlage und Voraussetzung eines Verfassungsvertrages zur Beendigung des sozialen Urzustandes zu sein, so bestehen insofern Ähnlichkeiten, als dass hier wie dort die Stellung des Individuums im sozialen Zusammenhang im Unklaren bleibt, soweit nicht lediglich die eigenen Interessen betroffen sind. Gleichzeitig stützt die Auffassung Smiths die neuzeitliche Vorstellung einer bloß prozedural möglichen Bestimmung des Gemeinwohls. Die Realisierung eines Gemeinwohlbelangs ist im Smith’schen Deutungsmodell eine Folge individueller Interessenwahrnehmung – zum Beispiel in Form der Klage vor einem Gericht. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass das gerichtliche Verfahren in der Form des Individualrechtsschutzes natürlich auch gemeinwohlaktualisierende Funktion hat, indem es die Rechtsordnung durchsetzt, soweit und solange sie subjektive Rechte schützt. Entscheidend ist aber, dass ihm darüber hinausgehend die Funktion einer nicht-subjektiven Gemeinwohlaktualisierung 1376 1377 1378

s. dazu vor allem § 7. III. 1. b). s. dazu Lemke, (Fn. 1362), S. 175 ff. Rawls, (Fn. 354), S. 158 ff., dort als „Schleier des Nichtwissens“.

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von Seiten das Staates zugewiesen werden kann, also eine Gemeinwohlanreicherung des Verfahrens erfolgen kann, ohne sich damit in Widerspruch zu seiner Funktion oder grundlegenderen verfassungsrechtlichen wie verfassungstheoretischen Annahmen zu setzen. (c) Die subjektive Dimension der Gouvernementalität Wie eingangs kurz angerissen wurde, beinhaltet das Konzept der Gouvernementalität neben der offenbaren institutionellen, staatsorganisatorischen Dimension auch einen unzweifelhaft subjektiven Kern 1379. Dieser Kern gründet wesentlich auf einer langen Geschichte des Begriffs des Regierens. Dieser wurde nämlich stets auch verstanden und verwandt im reflexiven Sinne der „Regierung des Selbst“ 1380, der Selbstführung im Hinblick auf eine individuelle, sinnvolle Lebensführung. Hier bestehen wohl kaum zufällige Parallelen zur sprachgeschichtlichen und sozialphilosophischen Herkunft des Sorge-Begriffs, die hier bereits erörtert wurde 1381. Gleichzeitig wird die Bedeutung des Subjektiven erschlossen durch die moderne Herkunft der Gouvernementalität, die Regieren in einem Sinne versteht, der die Selbstregierung des Individuums nicht exkludiert, sondern bewusst einbezieht. Bedeutung hat diese Selbstführung nach klassischer Vorstellung für zwei aufeinander bezogene Modelle guten Regierens, nämlich die der auf- und absteigenden Kontinuität der Regierungskunst 1382: Danach setzt eine gute Regierung voraus, dass der Regierende zunächst sich selbst regieren können muss (aufsteigende Kontinuität). Hier spiegelt sich die Lehre von der Erziehung der Fürsten und der guten Regierungskunst wider 1383. Der demokratische Verfassungsstaat hat unter dem Gebot der staatsbürgerlichen Gleichheit freilich den einstigen Erziehungsprozess des Herrschers durch die verfahrensmäßige Elitenselektion durch periodische Wahlen ersetzt 1384. Absteigende Kontinuität vermittelt die Kunst der guten Regierung abwärts von der Ebene der Staatsleitung hin zum einzelnen Bürger. Diese Form der Regierungskontinuität trägt traditionell den Namen „Policey“ 1385. Nicht eben zufällig 1379

s. Lemke zu „Autonomie und Selbststeuerung“, (Fn. 1362), S. 251 ff. Einen Überblick gibt M. Foucault, Die „Gouvernementalität“, in: Bröckling / Krasmann (Hg.), Gouvernementalität der Gegenwart, 2000, S. 41 ff.; sprachgeschichtlich auch bei Grimm / Grimm, (Fn. 1361), Sp. 527 ff. 1381 Dazu unter § 7 III. 2. c) (2); s. zu den kulturgeschichtlichen Grundlagen Foucault, (Fn. 1359), S. 201 ff. 1382 Foucault, (Fn. 1380), S. 47 ff. 1383 Z. B. bei F. de La Mothe Le Vayer, La Géographie et la Morale du Prince, 1651; ders., L‘Œconomique du Prince, 1653 sowie ders., La Politique du Prince, 1653 (zitiert nach Foucault, (Fn. 1380), S. 48). 1384 Zu dieser Funktion von Wahlen, M. Morlok, in: Dreier (Hg.), Grundgesetz, Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2005, Art. 38 Rn. 51 ff. 1380

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unterliegen nun dieser Begriff und die mit ihm bezeichnete Aufgabe im öffentlichen Recht einer erheblichen Entwicklung. Während die Policey zunächst die ganz umfassende Fürsorge für das gemeine Wohl umfasste, wurde sie aus Gründen juridisch motivierter Rationalität immer weiter zurückgedrängt und umfasst heute nur noch Gefahrenabwehr, also einen nur noch kleinen Teilbereich. Der Bedeutungswandel der Polizei-Tätigkeit erstreckt sich aber nicht allein auf ihren Inhalt, sondern auch auf die Form ihrer Wahrnehmung. Was einst Aufgabe und Recht des Staates war, stellt sich heute als Erscheinungsform gemischt öffentlich-privater Aufgabenerfüllung dar: Es geht um die Herstellung von Sicherheit „als Aufgabe von Staat und Gesellschaft“ 1386. Dabei geht es nicht allein um die verfahrensmäßige Subdelegation staatlicher Befugnisse, sondern eben um die Anerkennung der Bedeutung des Individuums bei der Konkretisierung des Gemeinwohls. Für den hier interessierenden Kontext kommt es also maßgeblich darauf an, dass dem Individuum nicht allein in institutionalisierten Zusammenhängen staatliche Gewalt zur eigenständigen Ausübung übertragen wird, sondern dass der Einzelne selbst von einer grundsätzlich ihm zustehenden Befugnis Gebrauch macht als Ausdruck einer Selbstführung, die gleichzeitig fremd- und eigennützig sein kann, es aber nicht sein muss. In dieser Befugnis drückt sich der neuzeitliche Wandel hin zu einem Verständnis staatlicher Gewaltausübung („Regierung“) als teilhabefähigem Akt aus. Das Konzept der Gouvernementalität erkennt diese Funktion des Individuums und seine Befugnis zur Teilhabe an und deutet es als moderne Erscheinungsform des Regierens. d) Verfassungsstaatliche Grenzen und philosophischer Kontext gemeinwohlorientierter funktionaler subjektiver Rechte Kehrt man zu einer strenger juristischen Perspektive auf das hier vorgestellte Modell eines gemeinwohlorientierten subjektiven Rechts zurück, gilt es, seine Reichweite näher zu bestimmen. Eine funktionale Subjektivierung öffentlicher Rechte kennt auch Grenzen, vor allem historisch-ideengeschichtliche Grenzen wie auch solche der grundrechtlichen Dogmatik. Auf beide soll hier kurz eingegangen werden. (1) Grenzen: Die Funktionalisierung subjektiver Rechte im Verfassungsstaat Im Kontext der Geschichte des subjektiven öffentlichen Rechts wurde schon auf seine Indizwirkung für die Freiheitlichkeit eines Gemeinwesens im Allgemeinen und der Rechtsordnung im Besonderen hingewiesen 1387. Sowohl die 1385 1386 1387

Foucault, (Fn. 1380), S. 48 sowie ders., (Fn. 1359), S. 449 ff. s. Stoll, (Fn. 85), 2003. s. § 3 I. 2. b) (5).

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Rechtslehre des Nationalsozialismus als auch Teile der Rechtswissenschaft des Sozialismus der DDR haben sich am subjektiven öffentlichen Recht und seiner freiheitlichen Herkunft aus dem Liberalismus des 19. Jahrhunderts abgearbeitet und versucht, ideologiekompatible Alternativen beziehungsweise Fortschreibungen zu entwickeln. Die Lehre aus diesen Versuchen ist die, dass subjektive öffentliche Rechte ihres Wesens beraubt sind, wo sie allein Vehikel staatlicher Interessen werden 1388. Einher damit geht ein Verlust an Freiheitlichkeit für den Bürger als Individuum wie für das Gemeinwesen als Ganzes. (a) Egoistisches Interesse vs. soziale Verantwortung Haney als führender Vertreter der sozialistischen Staats- und Rechtstheorie der DDR sieht einen zentralen Unterschied zwischen Sozialismus und den kapitalistischen westlichen Demokratien in der wesensverschiedenen Konstruktion des Individuums. Er stellt fest: „Das egoistische, sich selbst betrügende „Ich darf das, was ich will“ und das humane, verantwortungsbewusste, souverän-demokratische „Ich trage Verantwortung für die Gesellschaft“, sind nicht miteinander vereinbar“ 1389. Gemeint sind mit dieser Ausführung nicht allein unterschiedliche subjektive Handlungsmaßstäbe, sondern konstruktive Differenzen über die Rolle und die Bedeutung des Einzelnen in einer staatlichen Ordnung. Dabei ist der von Haney postulierte Gegensatz zwischen den egoistischen Individuen des Kapitalismus und den gemeinwohlorientierten Individuen des Sozialismus in verschiedener Hinsicht nicht überzeugend. Die Behauptung der Gegensätzlichkeit unterschlägt eine wesentliche geistesgeschichtliche Tradition der liberalen Freiheitsidee, nämlich die Anbindung an Kategorien der persönlichen Verantwortung. Ausübung von Freiheit in Form der Geltendmachung subjektiver öffentlicher Rechte kann gleichermaßen Ausdruck individueller wie öffentlicher Interessenverfolgung sein. Eine freiheitliche Theorie des subjektiven öffentlichen Rechts räumt danach dem Einzelnen die Möglichkeit ein, „gut“ im Sinne von gemeinwohlorientiert zu sein. Totalitäre Theorien begreifen es demgegenüber als Pflicht des Individuums, gemeinwohlorientiert zu sein. Rechtsausübung wird danach nur dann geschützt und für wertvoll befunden, wenn sie objektiven, nicht subjektiven Zwecken dient. Es sei in diesem Zusammenhang die These gewagt, dass die Leistungsfähigkeit und die Qualität einer verfassungsstaatlichen Theorie des subjektiven öffentlichen Rechts nicht zuletzt darin begründet liegt, dass sie es versteht, die von Haney als unvereinbar postulierten individuellen Motivationen des Einzelnen miteinander zu verbinden. Der Unterschied zu vor allem sozialistischen Lehren ist dabei, dass 1388 Zu den verfassungsrechtlichen Grenzen überindividuellen Rechtsschutzes Schlacke, (Fn. 16), S. 490 ff. 1389 G. Haney, Demokratie, 1973, S. 119.

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dort im Zweifel der objektive Zweck die Interessen des Individuums dominiert, während hier noch immer der Grundsatz des in dubio pro libertate mit allen Risiken, aber auch Chancen dem freien Willen des Einzelnen Geltungsvorrang einräumt. Dies findet seinen Ausdruck im hier vorgeschlagenen Ansatz eben darin, dass es dem Einzelnen anheim gestellt ist, ob er sich zum Sachwalter des öffentlichen Umweltvorsorgeinteresses machen will oder nicht. Sogar der „Missbrauch“ der Sachwalterstellung zu eigenen Zwecken ist möglich, wenn nämlich das Individuum in einem Prozess nur auf Grundlage der Verletzung von Vorsorgevorschriften, die es gerade nicht material-subjektiv schützen, obsiegen kann. In der Möglichkeit eines solchen „Missbrauchs“ tritt die strukturelle Vergleichbarkeit öffentlicher und privater Interessen in besonders augenfälliger Weise zu Tage. Ein Rechtssystem aber, welches sich rechtsstaatlichen Anforderungen in der Weise unterwirft, dass es die normgerechte Anwendung von Gesetzen durch Behörden und Gerichte für wesentlich hält, kann eine Klage, die auf die Einhaltung „objektiven Rechts“ gerichtet ist, auch dann nicht ernsthaft für rechtsmissbräuchlich halten, wo sie nicht auch auf „subjektives Recht“ gestützt ist. Ziekow hat auf einen im juristischen Diskurs kaum je bemühten Ansatz eines Rechtsverständnisses des Individuums hingewiesen, nämlich auf die von Naumann versuchte Formulierung eines „Versuchs volksverständlicher Grundrechte“ 1390. Wenn dessen Terminologie („Der Staat heißt jetzt Volksstaat“) aufgrund der nachgelagerten historischen Erfahrung des Nationalsozialismus heute auch belastet erscheint, weist er in seinem Verständnis des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft und der Rolle des Bürgers darin doch weit voraus. Es geht ihm nicht um eine Minderung der Rolle der Person, der Entwurf ist von der individuellen Freiheit der Person aus gedacht, konzediert aber einen Zusammenhang zwischen Freiheitsoption und korrelierender Verantwortung („Pflicht“). Es handelt sich dabei um den Versuch, „Freiheit als pflichtbestimmte Mitwirkung im Staat, Grundwerte im Sinnzusammenhang des gegenwärtigen Daseins begreifbar zu machen“ 1391. Aufgegriffen wurde dieser Ansatz von der Integrationslehre Smends, die sich trotz der Anerkennung ihrer Verdienste nicht umfassend hat durchsetzen können 1392. 1390 Verhandlungen der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 336, S. 171 ff., abrufbar unter http://mdz1.bib-bvb.de/cocoon/reichsblatt/Blatt_bsb00000020 ,00173.html. 1391 Ziekow, (Fn. 1142), S. 190. 1392 s. zur Smendschen Lehre M. Morlok / A. Schindler, Smend als Klassier; Rudolf Smends Beitrag zu einer modernen Verfassungstheorie, in: Lhotta (Hg.), Die Integration des modernen Staates, 2005, S. 13 ff., insbes. S. 21 ff.; zur Integrationsfunktion der Verfassung P. Badura, Verfassung, Staat und Gesellschaft in der Sicht des Bundesverfassungsgerichts, in: ders. / Dreier (Hg.), Klärung und Fortbildung des Verfassungsrechts, FS BVerfG, Bd. II, 2001, S. 897 ff., insbes. S. 899 ff.

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Dokumentiert wird damit, dass die heutige juristische Diskussion unter einem Reflektionsdefizit leidet, wenn sie Freiheit nur berechtigend konstruiert und das Korrelat zwischen ihr und einer – wie auch immer näher zu bestimmenden – Pflichtenstellung des Individuums negiert. Nicht um eine etatistische Zähmung der Risiken persönlicher Freiheit geht es dabei, die das Wesen der Freiheit mit konstituieren, sondern um besondere Funktion, die Freiheit in einem Gemeinwesen auch haben kann. (b) Grundrechts(status)theoretische Funktionalisierungsgrenzen: der status activus cooperationis Die herrschende Auffassung sieht zwischen subjektiven öffentlichen Rechten und dem durch die Grundrechte vermittelten Rechtsstatus des Individuums einen Zusammenhang 1393. Subjektive öffentliche Rechte stellen sich danach als Ausgestaltung eines spezifischen Grundrechtsstatus dar. Fragt man nach Grenzen einer Funktionalisierung subjektiver öffentlicher Rechte, so liegt eine solche in der Möglichkeit einer Zuordnung funktionaler subjektiver Rechte zu einem Grundrechtsstatus. Diese Zuordnung stellt sicher, dass durch die Einbindung subjektiver Rechte in einen sozialen Zusammenhang die rechtliche Integrität des Individuums, wie sie maßgeblich durch die Grundrechte konstituiert wird, nicht der Durchsetzung von staatlichen Interessen geopfert wird. Es ist aber auch darüber hinausgehend angezeigt, sich um eine dogmatische Anbindung zu bemühen: Der hier vertretene und grundrechtlich begründete Ansatz einer Funktionalisierung subjektiver Rechte steht im Kontext einer generellen Relativierung (absoluter) rechtlicher Kategorien, zu denen auch das subjektive Recht zählt. Er erweist sich gleichfalls auch als eine Erweiterung der Dogmatik der Grundrechtsfunktionen. Gerade diese Erweiterung ist aber auf deutliche Kritik gestoßen 1394. Wenn dieser hier im Detail auch nicht nachgegangen werden soll, so ist dem Ansatz, einer Erweiterung der Grundrechtsfunktion eine strenge Dogmatik beizugeben, beizupflichten. Die Grundrechtsdogmatik hat dabei vor allem eine Rationalisierungsaufgabe. Konkret stellt sich die Frage, ob ein subjektives öffentliches Recht, welches mit dem Ziel eingeräumt wurde, Belange der Umweltvorsorge im Alltag der Rechtsanwendung gegenüber anderen Belangen durchsetzungsstärker zu machen, als Ausdruck eines Grundrechtsstatus gewertet werden kann 1395. Zunächst ist hier 1393

s. dazu § 3 I. 2. b) (4). E.-W. Böckenförde, Schutzbereich, Eingriff, verfassungsimmanente Schranken, Der Staat 42 (2003), S. 165 ff.; s. zur Thematik weiter W. Kahl, Vom weiten Schutzbereich zum engen Gewährleistungsgehalt, Der Staat 43 (2004), S. 167 ff.; W. HoffmannRiem, Grundrechtsanwendung und Rationalitätsanspruch, Der Staat 43 (2004), S. 202 ff. 1395 siehe hierzu den Abschnitt über die strukturellen Grenzen der Vorsorge, § 2 II. 1. e) (1)., und das Vollzugsdefizit im Umweltrecht, § 7 III. 2. d) (1). 1394

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zu fragen, welchem Grundrecht das funktionale subjektive öffentliche Recht auf Umweltvorsorge überhaupt zugeordnet werden kann. Grundrechtlicher Status existiert nämlich nicht als Abstraktum, sondern nur in Ausprägung eines konkreten Grundrechts. Will man sich nicht in ein unauflösliches Spannungsverhältnis zur immissionsschutzrechtlichen Dogmatik setzen, so wird man das hier vorgeschlagene subjektive öffentliche Recht auf Umweltvorsorge nicht als Ausdruck des Art. 2 Abs. 2 GG sehen können. Vorsorge zielt eben nur in Ausnahmefällen wie dem Atomrecht direkt auf Lebens- und Gesundheitsschutz ab. Ein Rückgriff auf Art. 2 Abs. 1 GG als Auffanggrundrecht ist also sowohl aus grundrechtsdogmatischen wie auch aus einfachrechtlichen Gründen der Individualbezogenheit des Rechtsschutzes, dem „Verbot“ der Popularklagen sowie aufgrund der Prozessökonomie nicht überzeugend. Die einfachrechtlich gewährleistete Nähebeziehung zwischen klagenden Nachbarn und immissionsschutzrechtlicher Anlage sollte nicht ohne Grund durch Heranziehung verfassungsrechtlicher Auffanginstitute wie Art. 2 Abs. 1 GG unterlaufen werden. Kooperative Gemeinwohlpflege als Ausdruck der allgemeinen Handlungsfreiheit würde Klagerechte hin auf beliebige Popularkategorien entgrenzen, was mit dem hier vorgestellten Ansatz einer kooperativen Gemeinwohlpflege im Prozess gerade nicht beabsichtigt ist. Naheliegender ist es vielmehr, die Einräumung eines Klagerechts als Erweiterung der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG anzusehen. Dieser eröffnet beim Vorliegen subjektiver Rechte Rechtsschutz vor staatlichen Gerichten für den durch das jeweilige Recht Berechtigten. Die Zuordnung zu Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG erscheint zwar insoweit ungewöhnlich, als es sich bei der Vorschrift selbst um ein förmliches Recht, nicht aber um eine materiell-gegenständliche Freiheitsgewährleistung handelt, jedoch wird sich zeigen, dass auch die Rechtschutzgarantie durchaus statustheoretisch gedeutet werden kann. Offensichtlich ist dies, ordnet man Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG vor allem der abwehrrechtlichen Grundrechtsfunktion im status negativus zu. Er eröffnet als Leistungsrecht und grundrechtsgleiche Verfahrensgarantie verfahrensmäßigen Schutz vor Eingriffen des Staates in die Rechtssphäre des Bürgers. Ob er sich dabei als bloße Verlängerung des status negativus eines betroffenen Grundrechts darstellt, oder ob man ihm eigene Status-Dimensionen zubilligen möchte – Schmidt-Aßmann spricht von Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG als einem Grundrecht im status positivus 1396 –, ist für die hier interessierende Frage zunächst noch nicht von Belang. Für die Zuordnung zu einem Grundrechtsstatus kommen konkret zwei Möglichkeiten in Betracht. Das subjektive öffentliche Recht auf Umweltvorsorge kann gedeutet werden als Ausprägung des status negativus (cooperationis) oder als Ausdruck des eines status activus. Naheliegender erscheint zunächst die Zuordnung zum status negativus, den man immer dann als verletzt ansehen kann, wenn einem durch die jeweilige Vorschrift Klageberechtigten durch die Ver1396

Schmidt-Aßmann, (Fn. 638), Art. 19 Abs. 4, Rn. 7.

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letzung von Vorsorgevorschriften eine Rechtsverletzung droht. Dieses Modell schlösse das hier vorgeschlagene Recht auf Umweltvorsorge nahtlos an die hergebrachte subjektive Rechtsdogmatik in ihrer abwehrrechtlichen Dimension an. Jedoch geht eine solche Konstruktion fehl. Das Modell eines subjektiven öffentlichen Rechts auf Umweltvorsorge weist gegenüber der herkömmlichen Dogmatik die Besonderheit auf, dass es ähnlich wie im Europarecht einen funktionalen Subjektivierungsbegriff vertritt 1397. Ihm geht es gerade nicht um die Wahrung von persönlichen, sondern um die Wahrung allgemeiner Belange, die aber einem Kreis von Individuen als prozessualen Amtswaltern zugewiesen sind. Die Einräumung des Klagerechts stellt danach keine konsequente Fortsetzung eines grundrechtlichen geschützten Verhaltens oder Rechtsguts dar, sondern eine neue Status-Begründung auf der Ebene des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG. Es geht also nicht um die Beeinträchtigung einer personalisierbaren Freiheit, sondern um die Aktualisierung einer gemeinwohlrelevanten Kompetenz des Bürgers durch Erhebung der verwaltungsgerichtlichen Klage. Darin unterscheidet sich die hier vorliegende Konstellation der Kooperation beispielsweise von der grundrechtlichen Dimension normvertretender Absprachen 1398. Wo es dort zu Kooperationen zwischen Staat und Gesellschaft auf dem Feld der Rechtssetzung kommt, die an Stelle eines imperativischen Normerlasses stattfindet, ist die grundrechtliche Gefährdungslage des kooperierenden Bürgers noch immer der klassischen Eingriffssituation angenähert. So liegt es hier aber nicht. Insofern ist vorliegend eine Zuordnung zu einem status negativus unpassend, sei er auch ein Status der Kooperation 1399. Die Einräumung eines Klagerechts zur Durchsetzung gemeinwohlrelevanter Vorsorgebelange erweist sich demgegenüber als Ausprägung eines grundrechtlichen status activus, der in dieser Form auch durch Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG vermittelt wird. Wiewohl die Vorschrift als Verfahrensgarantie überwiegend nur Ausprägung des status negativus ist, wächst ihr im Kontext gemeinwohlrelevanter Klagerechte des citoyen eine Dimension aktiver Zivität zu, wie sie Jellinek für charakteristisch für die Betätigung politischer Rechte im „aktiven Status“ hält 1400. Hier parallelisiert sich also der grundrechtliche Status des Verfahrensrechts des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG mit der Funktionalität des eingeräumten subjektiven Rechts. Die gegenüber dem Jellinek’schen Verständnis bestehende Neuerung liegt darin, dass der von ihm verwandte Begriff der „politischen Rechte“ hier demokratisch durchformt ist und in seinem teilhaberechtlichen Gehalt weiter verstanden wird 1401. Politisches Recht ist danach nicht allein Recht im 1397 F. Schoch, Individualrechtsschutz im deutschen Umweltrecht unter dem Einfluß des Gemeinschaftsrechts. NVwZ 1999, S. 457 ff., 483. 1398 Michael, (Fn. 529). 1399 Michael, (Fn. 529), S. 321, 357 et passim. 1400 Jellinek, (Fn. 1), S. 87.

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politischen Prozess, sondern das Recht des aktivbürgerschaftlichen citoyen an der Mitwirkung an staatlichen Entscheidungen. Nun sind solche Teilhaberechte, wiewohl der Sache nach anerkannt, keineswegs im gleichen Umfang realisiert wie beispielsweise bürgerliche Abwehrrechte; auch ist ein empirisches Gleichziehen von Teilhaberecht und Abwehrrecht im Hinblick auf die Unterscheidung staatlichen und zivilen Handelns nicht in vollem Umfang wünschenswert. Diesem Umstand sollte daher aber auch sachlich wie terminologisch dahingehend Rechnung getragen werden, dass man gemeinwohlbezogene Teilhaberechte des Bürgers, welche sich in Kooperation mit dem Staat realisieren, statustheoretisch als Ausprägung eines status activus cooperationis deutet. Dieser ist hier angebunden an den Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG, in dessen tatsächlicher Ausprägung des gerichtlichen Verfahrens und seiner Rechtsgrundlagen sich dieser status aktualisiert. Darin ist auch kein Widerspruch zur herkömmlichen Einordung des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG als ein dem status positivus zugehöriges Grundrecht zu sehen. Rechte im status positivus begründen Leistungsansprüche im weiteren Sinne, insbesondere Verfahrensteilhabe, vor allem also Rechtsschutz 1402. Die Komplementärfunktion des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG als formelles Hauptgrundrecht neben den Freiheitsgarantien vor allem des status negativus wird hier deutlich. Das Modell eines funktionalen subjektiven Rechts auf Umweltvorsorge setzt seinen Akzent aber nicht auf die leistungsrechtliche Dimension, sondern vielmehr auf die nicht zuletzt durch das Demokratieprinzip fundierte Teilhabedimension. Dass es durch die sachnotwendige Verwiesenheit auf ein vorzuhaltendes Rechtsschutzsystem zu Kongruenzen der Grundrechtsstatus kommt, entspricht der Natur eines funktionalen subjektiven Rechts als Ausdruck einer Indienstnahme Privater für Belange des gemeinen Wohls. (2) Kontext: Kommunitarismus und Liberalismus Die Untersuchung hat bisher auf verschiedenen Ebenen erbracht, dass eine Einbindung des Bürgers in die Bedürfnisse des gemeinen Wohls grundsätzlichen Bedenken begegnet, die sich bis in die Strukturen des einfachen Prozessrechts hinein niederschlagen. Man mag dies als eine grundrechtliche Frage, als eine Frage nach der Funktion einfacher subjektiver öffentlicher Rechte oder auch als eine Frage nach dem Verhältnis von Staat und Gesellschaft deuten. Zu den verschiedenen Perspektiven wurde hier bereits im Einzelnen Stellung bezogen. Es soll hier nun retrospektiv darum gehen, die vorgetragenen Bedenken nach 1401 Zur demokratischen Dimension gemeinwohlbezogener Klagerechte s. ausführlich unter § 5 III. 1402 D. Murswiek, Grundrechte als Teilhaberechte, soziale Grundrechte, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HStR V, 2. Aufl. 2000, § 112 Rn. 12.

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Leitmotiven durchzumustern und vereinheitlichend zusammenzufassen. Welche dogmatische oder theoretische Form auch immer die Bedenken annehmen, sie gründen in der ein oder anderen Weise auf divergierenden Auffassungen über das Verhältnis von Liberalismus und Gemeinwohl. Theoretischer Gegenbegriff zum individualzentrierten Liberalismus ist der Begriff des gemeinschaftsorientierten Kommunitarismus. Geführt wird die Debatte über die vorgeblich divergenten Ziele des Liberalismus und des stärker gemeinwohlorientierten Kommunitarismus schwerpunktmäßig auf Grundlage amerikanischer politischer Philosophie 1403. Angestoßen wurde sie von Rawls „Theorie der Gerechtigkeit“ 1404, die viele der dem Kommunitarismus zuzuordnenden Autoren als zu rationalistisch, individualistisch und konstruktivistisch brandmarkten 1405. Der Leitbegriff des Kommunitarismus bündelt dabei eine liberalismus- und kapitalismuskritische Strömung, die Gerechtigkeitsund Steuerungsdefizite des liberalen Politiksystems benennt und eine Gemeinwohlvergessenheit der zeitgenössischen Gesellschaft beklagt. Gleichzeitig betont der Kommunitarismus die natürliche Gemeinschaftsverwiesenheit des Individuums und bezieht damit gegenüber der kontraktualistischen Staatsphilosophie, wie sie eben in Rawls’ Werk beschrieben wird, die Gegenposition 1406. (a) Modelle der kommunitaristischen Weltsicht und ihr Verhältnis zu subjektiven Rechten Kennzeichen einer kommunitaristischen Weltsicht ist dabei eine Exklusivität in der Konstruktion sozialer Beziehungen. Wo Gemeinschaft als Voraussetzung individueller Entfaltung verstanden wird und nicht als deren Folge, wie der moderne Liberalismus sie sieht, bedarf es gemeinschaftskonstituierender Faktoren. Diese sieht der Kommunitarismus in Abwendung des rationalen Ansatzes des Liberalismus vielfach in Elementen der Kultur, zum Beispiel der Herkunft, Religion oder Rasse 1407. 1403 Ein Überblick findet sich bei L. C. Raeder, Liberalism and the Common Good – A Hayekian Perspective on Communitarianism, The Independent Review, 1998, S. 519 ff.; Vertreter des Kommunitarismus sind u. a. A. MacIntyre, After Virtue – A Study in Moral Theory, 1981; M. Sandel, Liberalism and the Limits of Justice, 1982; M. Walzer, Spheres of Justice. A Defense of Pluralism and Equality, 1983; A. Etzioni, The Moral Dimension – Towards a New Economics, 1988; ders., The Spirit of Community. Rights, Responsibilities and the Communitarian Agenda, 1993; C. Taylor, Sources of the Self, 1989. 1404 s. K. Haucke, Liberalismus – metaphysisch und politisch, ARSP 91 (2005), S. 49 ff. 1405 s. dazu mit Nachweisen Brugger, (Fn. 1102), S. 253 ff. 1406 s. N. Scarano, Vertragstheorie und moralischer Pluralismus, in: Geiger / Merle (Hg.), Modelle politischer Philosophie, 2003, S. 179 ff. zu den normativen Prämissen der Vertragstheorie als Mechanismus zur theoretischen Einbindung des Pluralismus.

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Der Kommunitarismus begegnet in unterschiedlichen Spielarten, deren Exklusivitätscharakter abnehmend ist. Brugger 1408 unterscheidet den konservativen beziehungsweise substantialistischen Kommunitarismus 1409 vom universalistisch-egalitären 1410 und schließlich vom liberalen Kommunitarismus 1411. Die unterschiedlichen Steuerungsansätze der Kommunitarismus-Schulen lassen sich nach verschiedenen Aspekten differenzieren 1412. Für den hier vorliegenden Kontext sind vor allem die Fragen nach dem Verständnis des staatlichen Gemeinwohls interessant, nach dem Verhältnis von Gemeinschaft und Gerechtigkeit und schließlich dem von kollektiven Zielen und individuellen Rechten 1413. Streng kommunitaristische Sichtweisen beziehen ihre Vorstellungen von Gerechtigkeit aus dem Begriff der Gemeinschaft selbst oder sehen die Gemeinschaft als autorisiert, Gerechtigkeitsvorstellungen festzulegen. Dabei geht es nicht um eine inklusive, weil pluralistische und demokratische Festlegung des Kollektivs auf bestimmte Ziele, sondern um eine der Idee der Gemeinschaftsorientierung geschuldete Vorstellung exklusiver Gerechtigkeitsvorstellungen. Dementsprechend zielt die Gemeinwohlvorstellung eines strengen Kommunitarismus auf die Achtung und Förderung kulturell überkommener Lebensformen 1414. Erst sekundär geht es um die Achtung von Freiheitsrechten, deren Verwirklichungsvoraussetzungen in einer starken Gemeinschaft gesehen werden 1415. Demnach genießen kollektive Ziele ein Supremat gegenüber persönlichen Rechten. Nach dieser Ansicht erlaubt die „öffentliche Zwecklosigkeit“ 1416 eines liberalen Gemeinwesens kein partizipationsfreundliches Gemeinwohlverständnis. Zwar garantiere sie Gleichheit, Gerechtigkeit sei aber bloß Gegenstand des sozialen Appells an das Individuum, aber nicht garantierbar 1417. Wenn sich die Denker des Kom1407

Brugger, (Fn. 1102), S. 255 f. Brugger, (Fn. 1102), S. 258; R. Forst, Kontexte der Gerechtigkeit, 1996, S. 161 ff. unterscheidet beispielsweise den substantialistischen und republikanischen Kommunitarismus. 1409 Z. B. in den Werken Sandels, (Fn. 1403). Auf eine Formel gebracht geht es um die (auf die Rolle des Individuums in der Gemeinschaft bezogene) Frage, ob das „self prior to ist ends“ oder umgekehrt „ends prior to the self“ seien, ebd., S. 15 ff., 54. ff., 78 f. 1410 Z. B. bei G. Dietze, Reiner Liberalismus, 1985; P. Koslowski, Gesellschaftliche Koordination, 1991; M. Baurmann, Der Markt der Tugend, 1996. 1411 Z. B. P. Selznick, Kommunitaristischer Liberalismus, Der Staat 34 (1995), S. 487 ff.; weitere Nachweise bei W. Kersting, Recht, Gerechtigkeit und demokratische Tugend, 1997, S. 460 ff. 1412 Brugger, (Fn. 1102), S. 259 mit einer Übersicht. 1413 Die Kriterien sind der Übersicht Bruggers, (Fn. 1102), S. 259 entnommen. 1414 s. z. B. P. L. Berger / B. Berger / H. Kellner, Das Unbehagen in der Modernität, 1987, S. 74, 157 ff. 1415 Forst, (Fn. 1408), S. 161 f. 1416 Nach B. R. Barber, The Compromised Republic: Public Purposelessness in America, in: Horwitz (Hg.), The Moral Foundations of the American Republic, 1986, S. 42 ff. 1408

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munitarismus auch als der verfassungsstaatlichen Ära zugehörig fühlen 1418, so konfligiert doch ein strenges Kommunitarismus-Verständnis am ehesten mit den egalitären wie freiheitlichen Strukturvorgaben der Verfassungsstaatlichkeit und bleibt insoweit mehr soziale Theorie als Modell einer sozialen Wirklichkeit. Ein moderates Verständnis des Kommunitarismus konstituiert sich unter Akzentuierung der egalitären beziehungsweise universalistischen Dimension in Anerkennung des faktischen (und im Übrigen verfassungsrechtlich abgesicherten) sozialen Pluralismus. Ein solches Verständnis erkennt die Gemeinschaftsbindungen des Individuums, deutet sie jedoch weniger als Voraussetzung individueller Existenz, sondern als Abgrenzungsobjekte. Die Einbindung in die Gemeinschaft bleibt ein Akt freier Wahl mit dauerhaftem Rückzugsvorbehalt. Politisch und rechtlich geht es ihm dabei vor allem um die Sicherung gleicher Freiheit für die pluralen Lebensauffassungen von Individuen und Gruppen 1419. Während sich der konservative Kommunitarismus allein den sozialen Nahverband als Bezugsgröße des Individuums wählt, steuert der universalistische Kommunitarismus personell, zeitlich und politisch auf den Fernhorizont einer durch das Menschsein allein konstituierten Weltgesellschaft 1420. In dieser radikalen Entgrenzung stellt er im eigentlichen Sinne eine gemeinschaftsfreundliche Deutung eines strengen Liberalismus dar und ist als solcher kaum noch kommunitaristisch zu nennen. Er rückt das im Liberalismusdiskurs oft nicht hinreichend gewichtete Freiheitskorrelat der Verantwortung stärker ins Blickfeld. Vermittelnd ist der liberale Kommunitarismus, der der sozialen Pluralität Rechnung trägt und daher den Gemeinschaftsbegriff als kommunitaristischen Kernbegriff in liberaler Hinsicht spezifiziert, darin erinnernd an systemtheoretische Deutungsmuster 1421. Er bezieht die Position des Individuums nicht auf einen monistischen Gemeinschaftsbegriff, der notwendig mehr oder minder exklusiv und antiplural verstanden werden muss, sondern auf einen heterogenen Begriff vieler Gemeinschaften. Die Einbindung des Menschen reicht danach von „der Gelegenheitsvergesellschaftung bis zum perennierenden Gebilde“ 1422. Dabei ist das „ob“ der Einbindung in die Gemeinschaft ebenso wie das „wie“ weitgehend eine freie Entscheidung des Individuums. 1417

Forst, (Fn. 1408), S. 162. Zum Verhältnis der Kommunitaristen zum modernen Verfassungsstaat Brugger, (Fn. 1102), S. 256; W. Reese-Schäfer, Die politische Rezeption des kommunitaristischen Denkens in Deutschland, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 1996, B 36, S. 3 ff. 1419 Dazu J. Habermas, Vom pragmatischen, ethischen und moralischen Gebrauch der Vernunft, in: ders., Erläuterungen zur Diskursethik, 1991, S. 100, 116. 1420 E. Denninger, Menschenrechte und Grundgesetz, 1994, S. 46: „Solidarität kennt weder inhaltliche noch persönliche Grenzen; sie gilt erdumspannend und menschheitsbezogen...“. 1421 Brugger, (Fn. 1102), S. 266. 1422 M. Weber, Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, 4. Aufl. 1973, S. 451. 1418

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Aus der Vielgestaltigkeit des sozialen Lebens und komplexen Vergemeinschaftungsstrukturen leitet der liberale Kommunitarismus unterschiedliche reziproke Verantwortlichkeiten des Individuums ab. Jede Vergemeinschaftung unterliegt dabei eigenen Zwecken und Rationalitäten und ist – wie man aus rechtlicher Perspektive hinzufügen muss – in unterschiedlicher Weise ausgestaltet. Familiäre Beziehungen als Ursprung und natürliche Gemeinschaft des Menschen werden rechtlich reflektiert durch weitgehende und strenge Einstandspflichten der Familienangehörigen füreinander. Arbeitsbeziehungen sind in der persönlichen Dimension ihrer Ausgestaltung gegenüber familiären Beziehungen rechtlich weniger streng, aber doch erheblich strenger als beispielsweise die Organisation menschlicher Kollektive, wie beispielsweise das Vereins- oder das Parteienrecht sie vornehmen. Mit zunehmendem Grad an Abstraktion der sozialen Beziehungen werden Rechte und Pflichten der daran beteiligten Parteien weniger persönlich und in ihrer Gesamtheit auch weitaus weniger dicht. Brugger bemüht zur Beschreibung dieser unterschiedlichen Verantwortungszusammenhänge das Bild konzentrischer Kreise 1423. Die ethische Ausgestaltung des persönlichen Nahbereichs wirkt fort bis hin in die Außenbereiche der Beziehung des Einzelnen zur Gesamtheit aller Menschen. Während der strenge Kommunitarismus diese Entgrenzung auf den moralischen Fernhorizont menschlichen Handelns nur als Preisgabe seiner strengen kulturellen Bindung begreifen kann und daher nur zurückhaltend annimmt, stellt der egalitäre Kommunitarismus unter Außerachtlassung der Autonomie des Individuums zu schnell auf die Einbindung des Einzelnen in den Verantwortungszusammenhang für das Ganze ab. (b) Liberaler Kommunitarismus unter dem Grundgesetz: Funktionale subjektive Rechte und Generationenverantwortung (α) Vorbemerkung Die Verfassungsordnung des Grundgesetzes ist sowohl deutlich liberal geprägt, kennt aber ebenso kommunitaristische Züge. In den Worten des Bundesverfassungsgerichts: „Das Menschenbild des Grundgesetzes ist nicht das eines isolierten souveränen Individuums; das Grundgesetz hat vielmehr die Spannung Individuum – Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden, ohne deren Eigenwert anzutasten“ 1424. Entscheidend ist dabei, dass mit dem Modell eines liberalen Kommunitarismus, wie es aus den Worten des Gerichts und aus seiner grundrechtsfreundlichen Rechtsprechung spricht, ein Element freier Wahl verbunden ist. Die Einstandspflichten des Individuums für die Gemeinschaft, sofern sie über die unter gleichheitsrechtlichen Gesichtspunkten gebotenen Zwangspflichten wie 1423 1424

Brugger, (Fn. 1102), S. 267. BVerfGE 4, S. 7 ff., 15 f.; s. auch BVerfGE 32, S. 98 ff., 107 f.; 33, S. 1 ff., 10 f.

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z. B. die Wehrpflicht oder die Steuerpflicht hinausgehen, stehen zur Disposition des Individuums und sind in einen spezifischen Verantwortungskontext einzustellen. Das hier vorgestellte Modell eines funktionalen subjektiven Rechts auf Umweltvorsorge löst beide Anforderungen eines liberalen Kommunitarismus ein: Es geht ihm darum, die strukturelle „Sprachlosigkeit“ des klassischen Liberalismus gegenüber der Gemeinwohlorientierung der Bürger zu beseitigen und diese dort zur Geltung zu bringen, wo es nötig erscheint 1425. Wenn auch die Verteilung von Umweltressourcen aus liberaler Perspektive zunächst „bloß“ als Problem einer angemessenen Verteilungsgerechtigkeit erscheint, worauf typischerweise mit dem Mechanismus des Marktes geantwortet wird, erweist sich diese, wie schon dargelegt wurde, in Wahrheit als eine Frage der Voraussetzung von Freiheit 1426. (β) Ausgestaltung Wie bereits dargelegt wurde, steht es dem Individuum zur freien Wahl, ob es von seinem ihm eingeräumten Klagerecht Gebrauch machen möchte oder nicht. Das die Eigenschaft der Wahl mit konstituierende Risiko liegt beim Kläger eines funktionalen subjektiven Rechts. Die Ausübung des Klagerechts schließlich aktualisiert die Eingebundenheit des Klägers in zwei Verantwortungszusammenhänge, nämlich in den konkreten Zusammenhang des einfachrechtlich konstituierten Nachbarschaftsverhältnisses 1427 einerseits und in den des intergenerationellen und intertemporalen andererseits 1428. Die Klage ist damit deutbar als Partizipation am aktuellen und intertemporalen Gemeinwohldiskurs 1429, gleichzeitig stellt sie eine Form der Institutionalisierung des öffentlichen Interesses dar 1430. Dabei ist der Verantwortungszusammenhang des Nachbarschaftsverhältnisses insofern auch ein abstrakter, als dass einfachrechtlich nur die Verletzung materialer subjektiver Rechte eine Nachbarklage im herkömmlichen, nämlich individuellen Sinne begründet. Der Verantwortungszusammenhang, der durch eine Klage wegen Verletzung funktionaler subjektiver Rechte gestiftet wird, gründet auf einer Begrenzungsfunktion der Klage gegenüber überbordender Freiheitsbe1425

Zu diesen Defiziten Forst, (Fn. 1408), S. 166. Dazu ausführlich unter § 7 III. 2. d) (2) (b). 1427 Dazu unter § 7 III. 5. c) (2). 1428 Man mag diesen Verantwortungszusammenhang auch deuten als ein Versprechen auf Gegenseitigkeit, freilich über die Grenzen der Zeit hinweg, s. zu dem Konzept einer Verfassungsordnung als Gegenseitigkeitsordnung Haverkate, (Fn. 998); H. Hofmann, Die versprochene Menschenwürde, AöR 118 (1993), S. 353 ff. 1429 Dazu Forst, (Fn. 1408), S. 163. 1430 s. dazu R. E. Goodin, Institutionalizing the public interest: The defense of deadlock and beyond, American Political Science Review, Vol. 90 (1996), No. 2, S. 331 ff. 1426

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tätigung eines Anlagenbetreibers. In der Klage und gegebenenfalls dem darauf gestützten Urteil aktualisiert sich die Grenze grundrechtlicher Freiheitsbetätigung. Es handelt sich dabei um die durch das Gebot der Nachhaltigkeit und der intergenerationellen Gerechtigkeit gebotene Grenze, wie sie durch die Ausgestaltung des Vorsorgeprinzips in den Ausführungsvorschriften zum Immissionsschutzrecht beziehungsweise Umweltrecht allgemein beschrieben wird. In dieser Konstruktion spiegelt sich in augenfälliger Weise der hier schon thematisierte Kompetenztransfer zwischen Staat und Bürger, als der funktionale subjektive Rechte zu verstehen sind. Es wird hier gleichzeitig deutlich, dass in der Aktualisierung der Grundrechtsgrenzen unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten beziehungsweise solchen intergenerationeller Gerechtigkeit eine Manifestation eines intertemporalen Verantwortungszusammenhangs liegt, in welcher der Einzelne abstrakt gestellt ist und den zu bestätigen zu seiner Disposition steht. Die Abstrahierung der Verantwortungskreise, von denen hier bereits die Rede war, hat also nicht allein eine personale Dimension, sondern auch eine überzeitliche. Dies ist mithin der Ort, an dem die Idee einer nachhaltigen Rechtsordnung im Kontext subjektiver Rechte ihre Entfaltung findet. Der verantwortungsorientierte Imperativ Jonas’ wird durch ein solches Modell verwirklicht: „Schließe in deine gegenwärtige Wahl die zukünftige Integrität des Menschen als Mit-Gegenstand deines Wollens ein 1431 “. Die Einstellung des Individuums in einen überzeitlichen Zusammenhang bringt gleichzeitig, sofern sie wie hier durch Art. 20a GG verfassungsrechtlich motiviert ist, die Integrationsfunktion der Verfassung deutlich zum Ausdruck. Es handelt sich dabei nicht um eine Integration auf der Basis eines auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner materiellrechtlicher Überzeugungen aufbauenden common sense, sondern um eine materiell und temporal anspruchsvolle Gattung der Integration durch das Recht. Grundlagen und Voraussetzungen des menschlichen Lebens werden geschützt und aufgrund ihrer fehlenden Substitutionsfähigkeit durch die Zeit hindurch rechtlich privilegiert. Dabei geht es technisch betrachtet nicht um eine klassische Abwägungskonstellation in dem Sinne, dass Rechte Zukünftiger gegen aktuelle Rechte abgewogen werden. Es gibt im technischen Sinne keine Rechte noch nicht existenter Personen 1432. Ebenso wenig handelt es sich um „Rechte“ zukünftiger Generationen, die als solche nicht im juristischen Sinne Träger von Rechten sein können, da ihnen ein personales Element fehlt. Es geht, genauer betrachtet, um Vorwirkungen zukünftiger Rechte 1433. Die Existenz und die juristische Erheblichkeit solcher 1431

Jonas, (Fn. 77), S. 36. Ekardt, (Fn. 1338), S. 121 f.; s. auch ders., Grundrechte für Zukünftige? Vorstudien zu einer Theorie intergenerationeller Gerechtigkeit und einem erneuerten Liberalismus, ARSP 78 (1992) (Beiheft 83), S. 203 ff.; D. v. d. Pfordten, Verdienen nur zukünftige Interessen Schutz, die sich tatsächlich realisieren?, ARSP 76 (1990), S. 257 ff. 1432

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Vorwirkungen ergeben sich aus einem Universalitätsanspruch liberaler Verfassungen, wie er prototypisch in Art. 79 Abs. 3 GG zum Ausdruck kommt. Verfassungen dieses Typus begreifen sich als „alternativlos in Zeit und Raum“ 1434, als zeitlos im Sinne des Wortes. Daraus ergibt sich, dass die Grundrechtsausstattung zukünftiger Generationen aus Gründen der Verteilungsgerechtigkeit weder qualitativ noch quantitativ wesentlich von der heutigen Grundrechtsausstattung verschieden sein darf. Gleichzeitig dürfen Grundrechte nicht als leere Hülle verbleiben, indem ihnen die Voraussetzungen ihrer Ausübung entzogen werden. Wenn auch keine zuverlässigen Prognosen über einen etwaigen Verfassungswandel oder allgemeine tatsächliche soziale Entwicklung im Hinblick auf Freiheitsvoraussetzungen angestellt werden können, so kann jedenfalls festgehalten werden, dass eine verfassungsrechtliche Mindestgarantie der Grundrechte über die Ewigkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3 GG gewährleistet bleibt. Unabhängig von der normativen und tatsächlichen Entwicklung verbleibt damit jedenfalls jetzt eine Achtungspflicht gegenüber der Vorwirkung künftiger Rechte. Freilich ist diese unterschiedlich stark: Sofern es um Freiheitsgarantien geht, die sich erst in ihrer Ausübung aktualisieren (z. B. Kommunikationsgrundrechte), wird es kaum eine nachweisbare Vorwirkung geben können. Sofern es jedoch um Freiheiten geht, die sich vor allem in einer Innehabung einer Rechtsposition ausdrücken, die für die Ausübung anderer Freiheiten konstitutiv sind, namentlich also Leib, Leben und körperliche Unversehrtheit, ist die Annahme solcher Vorwirkungen durchaus plausibel und naheliegend 1435. Wenn nun durch eine Klage auf Einhaltung von Umweltvorsorgestandards gedrungen wird, aktualisiert sich darin eine allgemeine Grenze der Grundrechtsbetätigung. Bezogen auf verwaltungsrechtsdogmatische Kategorien zeigt sich hierin die schon angesprochene Zweckpluralität 1436 normativ generierter Beziehungen zwischen Individuen. Da die Schutznormtheorie vor allem nur solche Zwecke normativ zur Geltung bringt, die in einem materiellen Sinne individuell sind, blendet sie die Vielzahl anderer Zwecke, die mit der Konstituierung eines Rechtsverhältnisses zwischen Individuen verbunden sein können, aus. In der Erklärung einer solchen Zweckpluralität ist daher die Rechtsverhältnislehre 1433

Ekardt, (Fn. 1338), S. 122. Ekardt, (Fn. 1338), S. 274. 1435 In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass die Rechte Zukünftiger als „Rechte“ auch von libertären Denkern wie Rothbard völlig unproblematisch angenommen werden, wiewohl sie sich der Erfassung in Kategorien des Marktes und des ökonomisch handelnden Menschen weitgehend entziehen; s. dazu ders., (Fn. 18). Es zeigt sich also auch von diesem Standpunkt, dass es keine Übersteuerung der verfassungsrechtlichen Vorgaben ist, aktuelle Grundrechtsausübung vor einem zeitlichen Horizont zu bewerten. 1436 s. dazu § 4 IV. 1434

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der Schutznormtheorie überlegen und sollte daher als Auslegungs- und Spezifizierungsmaßstab herangezogen werden, um die Gemeinwohlbezogenheit subjektiver Rechte im Kontext der Schutznormtheorie zu plausibilisieren. Das Rechtsverhältnis zwischen klagendem Nachbar und Anlagenbetreiber wird also nicht allein nach gegenseitigen Rechten und Pflichten bestimmt, es ist nicht allein in einem verwaltungsrechtlichen Sinne synallagmatisch, sondern konstituiert sich auch durch Zwecke und Ziele, die im Sachverhalt des Rechtsverhältnisses wurzeln, sich aber nicht im Gegenseitigkeitsverhältnis realisieren, sondern im Bezug auf Dritte bestehen. Etabliert wird eine zweckorientierte Dreiecksbeziehung. Die überspannenden, nicht-subjektiven Zwecke sind im Verhältnis zu den betroffenen Dritten aber rechtlich nicht artikulationsfähig, da sie sich noch nicht zu Rechten verdichtet haben. Da ihre Berücksichtigung aber verfassungsrechtlich geboten ist, ist die Rechtsordnung aufgerufen, diese Zwecke anderweitig normativ zu verwirklichen, sie also mit normativer Artikulationsfähigkeit auszustatten. Ein funktionales subjektives Recht auf Umweltvorsorge tut genau dies.

Teil F

Zusammenfassung Das öffentliche Recht ist wesentlich gekennzeichnet durch den Gegensatz zwischen objektivem und subjektivem Recht. Nicht nur lässt sich der öffentlichrechtliche Normbestand nach diesen Kategorien gliedern, die Unterscheidung hat auch dogmatische Konsequenzen. Vor allem für die Frage nach den Rechtsschutzmöglichkeiten eines von einer Rechtsverletzung betroffenen Bürgers entfaltet die Unterscheidung wesentliche Bedeutung. Konstruktiver Scheidepunkt des objektiven und des subjektiven Rechts ist der Begriff des subjektiven öffentlichen Rechts. Er grenzt zivile Eigenrechte im öffentlichen Recht ab vom bloß objektiven Recht der staatlichen Verwaltung. Der Begriff des subjektiven öffentlichen Rechts steht daher seit jeher im Mittelpunkt wissenschaftlicher Aufmerksamkeit. Gründend im (römisch-rechtlichen) Aktionendenken des Zivilrechts galt es zunächst, das subjektive Recht als eigenständige Kategorie des öffentlichen Rechts zu etablieren. Von Beginn an war es dabei geprägt von seiner zunächst vor allem verwaltungsrechtlichen Phänotypik, hintergründig aber wesentlich durch seine verfassungsrechtliche Genotypik. Was der Grundrechtsdogmatik des Verfassungsstaats zur zweiten Natur geworden ist, nämlich die Anerkennung vor- und außerstaatlicher Rechte des Einzelnen, musste die Staatsrechtslehre des 19. Jahrhunderts erst mühevoll grundlegen. Subjektive Rechte als Ansprüche des Einzelnen gegen den Staat waren unter der Voraussetzung eines monarchischen Souveräns nicht denkbar. Erst die Anerkennung des Staates als Rechtspersönlichkeit eröffnete die Möglichkeit zur Übertragung der privatrechtlichen Rechtskonstruktion in das Verhältnis zwischen Staat und Bürger. Aber erst die Aufwertung des Individuums zum Träger eigener Rechte eröffnete dem subjektiven öffentlichen Recht seinen weitreichenden Wirkungskreis. Vollendet wurde diese Entwicklung erst unter der Geltung des Grundgesetzes, das die Grundrechte des Einzelnen von Verfassungs wegen erstmals nicht bloß gewährt, sondern gewährleistet. Die Grundrechte bilden damit selbst subjektive Rechte mit Verfassungsrang und dienen gleichzeitig als Ableitungsfundus für die subjektiven Rechte des einfachen Rechts. In ihrer Funktion als objektive Ordnung integrieren sie das Individuum in die demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, „die ihrerseits erst durch die Aktualisierung jener subjektiven Rechte Wirklichkeit gewinnen kann“ (Hesse). Das subjektive öffentliche Recht fungiert neben seiner rechtlichen Dimension als statusbegründendes Institut aus realwissenschaftlichem Blickwinkel als we-

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sentliches Konstituens der Gesellschaft, hier verstanden als Antagonist zum Staat. Gleichzeitig aber kommt ihm die Wirkung eines Scharniers zwischen Staat und Gesellschaft zu, denn es zielt aus der Sphäre des Sozialen anspruchsbegründend in die Sphäre des Staates. Im Lichte klassischer Grundrechtsdogmatik ist diese Zielrichtung vor allem die einer Abwehr aus dem status negativus des Individuums. Darüber hinaus aber erschließen sich über subjektive öffentliche Rechte, insbesondere in Gestalt der Grundrechte, auch anspruchsvollere juridische Interaktionen zwischen Bürger und Staat, wie sie beispielsweise in der dogmatischen Kategorie eines status activus processualis (Häberle) zum Ausdruck kommen. Freilich hat sich die verfassungsrechtliche Fortentwicklung der Grundrechts(status)lehre bislang nicht wesentlich in der verwaltungsrechtlichen Dogmatik des einfachgesetzlichen subjektiven öffentlichen Rechts niedergeschlagen. Diese operiert vielmehr unausgesprochen noch immer auf der Grundlage eines Theorems strenger Trennung zwischen Staat und Gesellschaft. Subjektive öffentliche Rechte des einfachen Rechts aktualisieren danach regelmäßig allein die Grundrechtsfunktion des status negativus. Unmittelbare und notwendige dogmatische Folge dieser Voraussetzung ist die Konstruktion des subjektiven öffentlichen Rechts von seinem personalen Gehalt her. Subjektiv ist eine Rechtsposition danach also nur dann, wenn ihre Schutzrichtung auf ein individualisierbares und personales Rechtsgut im strengen Sinne abzielt. Fest- und fortgeschrieben wird dieser Ansatz in der Folge dann durch die Institute des Prozessrechts und ihre Interpretation durch Gerichte und Rechtswissenschaft. Dabei wächst der dogmatischen Profilierung der Prozessrechtsinstitute mittlerweile ein Eigenwert zu, der das Verhältnis von normativem materiellem Recht und dienendem Prozessrecht nahezu ins Gegenteil verkehrt. Kontroversen um den subjektivrechtlichen Charakter werden unter dem Stichwort des Drittschutzes aus der Perspektive des Prozessrechts bestritten und verwechseln regelmäßig das prozessuale Mittel mit dem materiellen Zweck. Als analytische Kategorie wird sowohl in der Debatte um das subjektive öffentliche Recht wie in prozessrechtlichen Diskussionen der Begriff des Interesses herangezogen. Durch ihn wird die „Personalitätslehre“ des subjektiven öffentlichen Rechts dauerhaft perpetuiert und festgeschrieben. Verstanden als relationaler Begriff mittelt das Interesse einen Willen hin auf ein bestimmtes Objekt des Interesses, sei es ökonomischer, juridischer, künstlerischer oder sonstiger Natur. Allein, der Interessenbegriff entbehrt als solcher eines normativen Elements und muss daher mit wertenden Attributen ergänzt werden, beispielsweise durch den Begriff „persönlich“. Wenn mit Jellinek das Interesse als subjektive Seite dessen anzusehen ist, was objektiv ein Gut des Rechts darstellt, so wird deutlich, dass der Interessenbegriff erst durch den Vorgang der Wertung und Normativierung operationabel wird. Was ein Gut sei, also den Schutz des Rechts erfährt, ist eine Frage, die das Recht autonom vom Individuum entscheidet. Dabei ist diese Entscheidung im einfachen Recht vielfach durch die Vorgaben der Verfassung

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präformiert, aber auch dann bestehen für den einfachen Gesetzgeber in der Regel weite Einschätzungsprärogativen. Daran wird deutlich, dass außerhalb tatsächlich evidenter Bereiche wie dem des Leibes- und Lebensschutzes erst durch gesetzliche Wertung ein Recht entsteht. Dabei obliegt die Entscheidung über die Subjektivität einer Rechtsvorschrift zunächst dem Parlament, auch in diesem Bereich jedoch gelten die allgemeinen Auslegungsregeln, mit denen im Zweifel die Wertung einer bestimmten Vorschrift zu ergründen ist. Durch die Verwendung des Interessenbegriffs wird in Dogmatik wie Rechtsanwendung die Notwendigkeit einer Wertung aufgrund seiner scheinbaren Objektivität aber verschleiert, was das zu findende juristische Ergebnis als zwingend erscheinen lässt und den Rechtsinterpreten der Offenlegung seines Wertungsvorgangs enthebt. Rationale Rechtsanwendung sollte jedoch Wertungsvorgänge transparent gestalten. Zur Verfeinerung des Interessenbegriffs ist daher der Begriff vom Zuweisungsgehalt einer Rechtsvorschrift heranzuziehen. Außerhalb offensichtlich persönlicher Interessen vermag er die juristische Notwendigkeit einer rationalen Zuschreibung bestimmter Rechtsgüter zu einem Rechtsträger stärker zu verdeutlichen. Es gilt daher, dass mit abnehmender Personalität und zunehmender normativer Generierung eines Rechtsguts der Begriff des Interesses zugunsten des Begriffs vom Zuweisungsgehalt an Bedeutung für den subjektivrechtlichen Charakter einer Norm verliert. Einher mit der Kritik am Interessenbegriff geht eine Kritik an seiner bedeutsamsten dogmatischen Verkörperung, der Schutznormtheorie. Diese interpoliert die wesentlichen Begriffsmerkmale des subjektiven öffentlichen Rechts in die Anwendung des § 42 Abs. 2 VwGO und parallel gelagerter Prozessvorschriften und operationalisiert sie dort zu prozessrechtlichen Zwecken. Die strenge Personalisierung des Interessenbegriffs führt zu prozessualen Kontroversen in all jenen Fällen, in denen durch gesetzliche oder interpretatorische Bemühungen das „Personalitätsdogma“ aufgelöst werden soll. Klassisch ist die Kontroverse um die Zulässigkeit, die Ausformung und die Grenzen von umweltrechtlichen Verbandsklagen geworden. Gleichsam „unechte“ Verbandsklagen in Form von auf Art. 14 Abs. 1 GG gestützten Sperrgrundstücksklagen hat die Rechtsprechung lange Zeit unter Zugrundelegung eines formalen Eigentumsbegriffs gebilligt, wendet sich aber (vor allem „in Gestalt“ des Bundesverwaltungsgerichts) seit einiger Zeit wieder einem personalen Verständnis des Eigentumsrechts zu. Demgegenüber beschreitet die Rechtsprechung auf dem Gebiet des Planungsrechts vorsichtig den Weg einer Ausweitung des Rechtsschutzes für individuelle Belange. Die Kritik an der Schutznormtheorie ist um einen Aspekt zu ergänzen, der sich vor allem vom Standpunkt der Rechtsverhältnislehre aus erschließt: Die Schutznormtheorie legt nämlich ein simplifizierendes Modell normativer Zwecke zugrunde. Sie reduziert den Zweck der Norm auf ihre materiell-subjektiven Gehalte. Dies blendet jedoch aus, dass Normen zweckpluralistisch sein können und die unterschiedlichen Zwecke realisierungsbedürftig sind.

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Zu Normen, deren Charakter als subjektives Recht stets zweifelhaft war und ist, gehört § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BImSchG. Die Vorschrift statuiert die Verpflichtung eines Anlagenbetreibers, Vorsorge vor schädlichen Umwelteinwirkungen zu treffen. Während die Norm zunächst als subjektives Recht angesehen wurde, grenzten Literatur und Rechtsprechung sie alsbald materiell und prozessual von der Nr. 1 der gleichen Vorschrift, dem gefahrenabwehrrechtlichen Schutzgrundsatz ab. Abgesehen von den weitreichenden Konkretisierungsproblemen (zum Beispiel im Bereich des Gefahrenverdachts oder der Grenzwertfestlegungen), die mit dem Konzept der Vorsorge als Erscheinung des Rechts verbunden sind, sind Grundlage dieser Abgrenzung vor allem zwei Überlegungen, die beide in der spezifischen Natur der Vorsorge wurzeln. Sieht man die notwendige Gefahrenabwehr durch die Anordnungen der Nr. 1 bereits als erbracht an, so kann man Vorsorge konstruktiv beschränken auf Risikosteuerung zwischen der Gefahrenschwelle auf der einen und der Grenze praktischer Vernunft auf der anderen Seite. In der Folge entbehrt sie dann eines eigenen personalen Gehalts, da sie nicht auf den Schutz bestimmter (höchst-)persönlicher Güter abzielt, sondern bloß einer unspezifizierten Vorbeugung dient. Interpretiert man Vorsorge mit Teilen der Literatur bewirtschaftungsrechtlich, so rückt ihre planerische Gestalt in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und damit die Erkenntnis, dass es subjektive Rechte auf Planung nicht geben könne. Das planungsrechtliche Verständnis der Vorsorge unterliegt in den letzten Jahren jedoch einem deutlichen Wandel, der vor allem von völker- und verfassungsrechtlichen Impulsen angestoßen ist. Den durch die Rio-Deklaration zu einem umweltvölkerrechtlichen Begriff avancierten Topos der Nachhaltigkeit verbindet mit dem Art. 20a GG der Ansatz, die Zukunftserheblichkeit menschlichen Handelns vor allen in ökologischer Hinsicht deutlich zu akzentuieren. Dabei rückt sein Verständnis zunehmend ab von der dem rein abstrakten Verständnis anhängenden Planungs- und Freiraumperspektive, hin zu einer individualrechtlichen. Es geht dem Recht also darum, Freiheitsoptionen und Rechtspositionen zukünftiger Generationen stärker als bisher zu schützen. Die Schutzrichtung der Vorsorge erhält dadurch eine deutliche Konkretisierung und Neugewichtung. Ihr Zweck wird stärker individualrechtlich konturiert, was in der Folge zu einer Schärfung der staatlichen Handlungs- und Schutzpflichten (im untechnischen Sinne) führt. Implementationsdefizite im Bereich staatlicher Umweltvorsorgemaßnahmen stellen sich vor diesem Hintergrund damit nicht mehr allein als Durchsetzungsschwäche des objektiven Rechts dar, sondern als Defizit im Bereich des Schutzes individueller Rechte. Was sich also bislang als eine Vakanz von staatlichen Planungsoptionen darstellte, wandelt sich zusehends zu einer Vernachlässigung von Freiheitsoptionen. Maßnahmen, dem entgegenzuwirken, sind also mehr denn je erforderlich. Seit jeher wird als Gegenmaßnahme zur mangelhaften Implementation des Umweltrechts die Verdichtung des Rechtsschutzes propagiert, sei es in Form von

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Verbands- oder offen ausgewiesenen Interessentenklagen. Dabei stießen und stoßen sich diese Forderungen an der streng personalen Interpretation subjektiver Rechte, wie sie durch die herrschende Auffassung konzipiert werden und sind daher auch letztlich nur wenig erfolgreich gewesen. Die Lehre einer strengen Personalität subjektiver Rechte operiert jedoch mit der Fiktion der Vorfindlichkeit, jedenfalls aber der Ermittelbarkeit dessen, was sie Individualinteressen nennt. Da aber weder der Begriff des Interesses noch seine Differenzierung in die Kategorien von „öffentlich“ und „privat“ überzeugend sind, vermag auch die Personalitätsdoktrin nicht zu überzeugen. Einer Forderung nach stärkeren Rechtsschutzoptionen im Bereich der Umweltvorsorge muss es daher darum gehen, rationale Alternativen zum personalen Begriff des subjektiven Rechts zu entwerfen, die den Begriff des Zuweisungsgehalts der Vorsorgenormen sinnhaft zu erfüllen vermögen sowie darüber hinaus im Stande sind, verfassungsrechtliche Grenzen der Funktionalisierung des Subjekts zu wahren. Führt man sich den Querschnittscharakter subjektiver Rechte als Erscheinung des Verfassungs- wie des Gesetzesrechts, des nationalen wie europäischen sowie des formellen und des materiellen Rechts vor Augen, so erweist sich, dass die Ansatzpunkte für eine „Subjektivierung der Vorsorge“ reich gesät sind. Dabei ist zunächst festzustellen: Eine Pflicht zur Subjektivierung umweltrechtlicher Vorsorgevorschriften besteht nicht. Sie kann namentlich nicht begründet werden mit einem Rekurs auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG, da dieser nicht Rechtsschutzmaximierung, sondern Effektivierung fordert. Er bezieht diese Forderung erkennbar auf einen Bestand subjektiver Rechte, fordert solche aber nicht. Vielmehr ist in seinem Licht all solchen Ansätzen zu widersprechen, die eine Dominanz funktionaler subjektiver Rechte vor materiellen subjektiven Rechten das Wort reden wollen. Er bildet also nicht den Grund, sondern die Grenze funktionaler subjektiver Rechte. Jedoch lassen sich anderweitig gerade aus der Verfassung erhebliche Argumente für ein subjektives Verständnis von Vorsorgevorschriften gewinnen: Art. 20a GG, bislang überwiegend verstanden als rein anthropozentrische Verfassungsvorschrift, vermag seine mit ihm verbundenen Erwartungen letztlich nur dann zu erfüllen, wenn man ihm das in der Rechtsphilosophie entwickelte Modell einer Transanthroporelationalität zugrunde legt. Es wertet ökologische Belange auf und erhebt sie in den Rang eines „Rechtsgrundes“, also einer Begründung für eine Rechtsvorschrift. Gleichzeitig enthebt sie jene ökologischen Belange der permanenten Subjektion unter umweltbeanspruchende Freiheitsbetätigungen, die aufgrund ihrer regelmäßig subjektivrechtlichen Natur gegenüber ökologischen Belangen durchsetzungsprioritär sind. Daneben streitet von Verfassungs wegen vor allem eine teilhabefreundliche Deutung des Demokratieprinzips für eine Subjektivierung: Wo Demokratie als soziales Funktionsprinzip begriffen wird, erscheint die Einbindung des Bürgers

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in die Realisierung des normativen Programms des (Umwelt-) Rechts nicht mehr als ein Bruch legitimierender Ketten, sondern als kompensatorische Verbreiterung der demokratischen Grundlage staatlicher Gewaltausübung. Rechtsstaatsprinzip und Demokratieprinzip werden also aufeinander bezogen und im Wege einer Prinzipienkonkordanz in ihrer Durchsetzung verstärkt. Zunächst erstaunlich mutet an, dass dem grundrechtlichen Konzept staatlicher Schutzpflichten nach gegenwärtigem Stand keine Impulse für ein subjektives Vorsorgeverständnis abgerungen werden können. Neben dogmatischen Inkompatibilitäten in der Verbindung von subjektivierter Vorsorge und Schutzpflicht lassen sich beide Konzepte nur unter Überspielung der Eigennatur der Schutzpflichten verbinden: Ihnen geht es nämlich gerade um staatliche Verantwortung zur Wahrung der Grundrechte. „Schutzpflichten“ sind damit also ein höchst spezifischer Zurechnungsmechanismus, den auf bürgerschaftliche Gemeinwohlpflichtigkeit zu erweitern bedeutete, ihn seiner zentralen Wesensnatur zu entkleiden. Fruchtbarer erscheinen demgegenüber Ansätze, die sich aus dem einfachen Recht beziehungsweise dem europäischen Recht ergeben. Das europäische Recht hält Vorsorgemaßnahmen durchaus für einklagbar und folgert dies auch aus einem eher funktionalen Verständnis subjektiver Rechte, nähert sich darin aber schon stark einem weitgehend entpersonalisiertem Klageverständnis einer Interessentenklage an. Es vertritt damit in rechtsvergleichender Perspektive vor allem einen Gegenentwurf zum strengen Rechtsschutzkonzept deutscher Prägung. Hinzu kommt, dass für den Bereich der Vorsorgevorschriften die Unterscheidung zwischen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge keine europarechtliche Entsprechung kennt, der Begründungsaufwand für die Klagbarkeit also ein erheblich geringerer ist. Der Unterschied des hier vorgeschlagenen Modells liegt vor allem darin, dass es ausgehend von der Idee einer strengen Personalität subjektiver Rechte kein aliud entwickeln will, sondern eine Systemweiterung anstelle einer Systemüberwindung propagiert. Bestärkt wird ein solches Modell durch das ebenfalls maßgeblich europarechtliche Konzept des integrativen Umweltschutzes. Integrativer Umweltschutz stellt dem Rationalisierungsmodell der Differenzierung das einer Inklusion gegenüber und plädiert für eine materielle wie dogmatische Verzahnung einzelner Teilrechtsordnungen. Die Zuweisung funktional-subjektiver Inhalte zur subjektivrechtlichen Systematik des Verwaltungsprozesses nutzt die Durchsetzungsstärke subjektivierter Belange und integriert so die prozessuale Perspektive in das materielle Recht. Der Integrationsimpuls folgt der Einsicht in die Notwendigkeit der prozessualen Artikulationsfähigkeit ökologischer Belange, die in der Konkurrenz mit materiellen subjektiven Rechten tendenziell durchsetzungsungeeignet sind. Es erweist sich insgesamt, dass die Frage nach der dogmatischen und theoretischen Struktur subjektiver Rechte durch eine Vielzahl von Ebenen des öffent-

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lichen Rechts schneidet. Fragt man nach der Funktionalisierbarkeit subjektiver Rechte für Zwecke außerhalb des Schutzes im engeren Sinne höchstpersönlicher Rechtsgüter, ergeben sich zahlreiche Anknüpfungspunkte auf verschiedenen Ebenen des positiven Rechts. Damit stellt sich die Frage, ob funktionale subjektive Rechte auf Umweltvorsorge auch eingeordnet werden können in einen größeren sachlichen und theoretischen Zusammenhang, der ihre Anknüpfung an einzelne normative und dogmatische Strukturen des Rechts nicht bloß zufällig erscheinen lässt. Analysiert man Umweltvorsorge als einen Belang eines gemeinen Wohls, so wirft die Forderung nach funktionalen subjektiven Rechten auf Vorsorge die Frage nach der Zuständigkeit für die Gemeinwohlpflege auf. Liegt diese beim Staat, beim Bürger oder lässt sie sich deuten als kooperative Aufgabe, wahrgenommen von Staat und Individuum gleichermaßen? Fokussiert man auf die konstituierende Funktion subjektiver Rechte für die Sphäre des Sozialen, wird zunächst eine bestimmte, das Gemeinwohl betreffende Aufgabenteilung deutlich, die in entsprechenden Diskursen zumeist als verfassungstheoretische Grundannahme vorausgesetzt wird. Danach sorgt sich der Staat um die allgemeinen oder öffentlichen Interessen, also um das Gemeinwohl. Der Einzelne trägt zu diesem allein dadurch bei, dass er seine Interessen in Konkurrenz und im Wettstreit mit anderen verfolgt. Schutzgüter subjektiver Rechte sind also nur private, in der Regel höchstpersönliche Interessen beziehungsweise Rechtsgüter. Für dieses Modell sprechen zunächst gute Gründe, namentlich soll die Gesellschaft vor dem überbordenden und demokratisch nicht legitimierten Engagement Einzelner für den „guten Zweck“ in Schutz genommen werden. Allein der Staat ist nach diesem Modell demokratisch legitimiert und verfahrenmäßig rationalisierter Gemeinwohlproduzent. Jedoch bleibt dies ein Modell. Diesem liegen die Annahmen einer liberalen Theorie des Marktes zugrunde, dass nämlich das unbeeinflusste Wirken der staatlichen und sozialen Sphären in effektiver Weise gemeinwohlverträgliche Zustände produziere und dass alle im Wettstreit stehenden Belange gleichwertig seien. Diese Annahme ist jedoch in zweierlei Hinsicht anfechtbar. Zunächst setzt sie nämlich voraus, dass die zueinander ins Verhältnis zu setzenden Belange in einem normativen Gleichordnungsverhältnis stehen. Der Verfassungsstaat der Gegenwart hat aber bestimmte Ideen, Werte und Belange materieller Natur für sich als wesentlich und also konstituierend erkannt. Dazu zählen zuvörderst die Grund- und Menschenrechte sowie gewisse organisationsrechtliche Strukturen der Gewaltenteilung, aber auch der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen als „Schicksalsaufgabe“. Prototypisch für diese Verpflichtung ist Art. 20a GG. Mit dieser materiellen Besonderung der Staatlichkeit nahezu zwingend verbunden ist der verfassungsrechtliche Anspruch auf einen bestimmten Wirkungsgrad bei der Implementation dieser besonderen Belange. Es ist dieser Anspruch, den moderne Staaten im Hinblick auf ökologische Gewährleistungen regelmäßig nur

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defizitär erfüllen. Gleichzeitig kommt darin eine strukturelle Besonderheit verfassungsstaatlicher Gemeinwesen in dem Sinne zum Ausdruck, dass sie nämlich changieren zwischen Strukturen der Offenheit und Neutralität zum Zwecke einer Optimierung persönlicher Freiheit der Bürger einerseits und der Eigenfestlegung auf die Erreichung bestimmter materieller Ziele andererseits. Verfassungsstaatlichkeit im modernen Sinne ist damit gekennzeichnet von einem Dualismus, bisweilen sogar von einem Antagonismus zwischen staatlichem Rückzug auf formelle Garantien hier und anspruchsvoller materieller Steuerungsleistung und -erwartung dort. Die Gründe für die Defizite in der ökologischen Gemeinwohlpflege liegen neben Strukturen des einfachen Rechts auch darin, dass auf verfassungsrechtlicher Ebene ein Konkurrenzverhältnis zwischen Rechtsstaatlichkeit und Umweltstaatlichkeit etabliert wurde. Dies unterscheidet sich von anderen Prinzipienkonkurrenzen unter anderem dadurch, dass der Ausgangspunkt beider Prinzipien identisch ist, nämlich Freiheitssicherung. Ihre Blickrichtungen sind jedoch grundlegend andere. Während Rechtsstaatlichkeit gegenwartsbezogen ist, ist die Umweltstaatlichkeit primär zukunftsbezogen. Dementsprechend stehen greifbare subjektive Rechte der Gegenwart eher abstrakten Rechtspositionen oder Freiheitsoptionen der Zukunft gegenüber, welche untereinander in Strukturen der herkömmlichen Dogmatik nicht oder nur schwer ausgleichsfähig sind. Ansätze zu Ausgleichsmechanismen mag man in einem deutlich anspruchsvolleren Verständnis gegenwärtiger grundrechtlicher Freiheit sehen, das sehr gezielt die intergenerationell gebotenen Grundrechtsschranken in den Blick nimmt. Freilich mahnt die historische Erfahrung zu besonderer Zurückhaltung, wenn es um die Zweckbindung individueller Freiheit geht. Sind damit Defizite in gemeinwohlerheblichen Bereichen der Umweltpflege und ihre Gründe namhaft gemacht, steht die Legitimität der verfassungstheoretischen Grundannahme einer arbeitsteiligen Gemeinwohlkompetenz in Frage. Gleichzeitig wird das Bedürfnis nach theoretisch und dogmatisch befriedigenden Kompensationsmechanismen deutlich. Damit rücken erneut die subjektiven öffentlichen Rechte in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Sieht man subjektive Rechte als wesentliches konstituierendes Element der dem Staat „entgegengesetzten“ Gesellschaft, erscheint insbesondere die Weiterung ihrer Schutzgüter hin auf gemeinwohlbezogene Belange erwägenswert. Bestärkt wird ein solcher Ansatz und seine konstruktive Denkbarkeit durch Erkenntnisse der Rechtssoziologie: Diese wertet als wesentlich für das moderne subjektive Recht die Aufgabe des Reziprozitätskonzepts. Subjektive Rechte dienen also nicht allein einem interpersonalen Ausgleich von Interessen, sondern vermögen in größeren sozialen Systemen gezielt Konfliktlösungsmechanismen zu sein. Sie können also einen Ausgleich nicht unmittelbar aufeinander bezogener Interessen bewerkstelligen und dem Gedanken der Zweckpluralität gesetzlicher Normen besser zur Geltung zu verhelfen.

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Die Wahrung beziehungsweise die Förderung von Gemeinwohlbelangen mit den Mitteln des subjektiven Rechts führt dann auf der Ebene verfassungstheoretischer Annahmen zu einer Neuverteilung der Verantwortung für das Gemeinwohl. Freilich handelt es sich bei der zu begründenden zivilen Gemeinwohlverantwortung um eine Residual- und Komplementärkategorie, die in dem Sinne derivativ ist, dass eine vollständige Entledigung des Staates von seiner Verantwortung nicht in Betracht kommt. Die Gemeinwohlkompetenz des Bürgers kann nur einzelfallbezogen und situativ sein, da eine generelle Kompetenz des Einzelnen mit repräsentativ-demokratischen Grundsätzen nicht in Übereinstimmung zu bringen wäre. Ergebnis einer Verantwortungsteilung ist also ein Verhältnis der Gemeinwohlkooperation zwischen Staat und Bürger. Es handelt sich dabei notwendig nicht bloß um ein verfassungstheoretisches Abstraktum, sondern muss schon aus rechtsstaatlichen Erwägungen in eine rechtlich greifbare Form gegossen werden. Diese Form findet das Kooperationsverhältnis im Verwaltungsprozess als gesetzlich institutionalisierter Mechanik zum Ausgleich von Interessen. Das im Verwaltungsprozess bestehende Prozessrechtsverhältnis wird durch funktionale subjektive Rechte angereichert um die gemeinwohlerheblichen Belange der Vorsorge und des Rechtsschutzes im intergenerationellen Verhältnis. Grundrechtsschranken der Gegenwärtigen werden also durch die Klage im Prozess aktualisiert und im Hinblick auf ihre Vorsorgeverträglichkeit überprüft. Dabei wahrt ein solches Modell subjektiver Rechte die Funktionslogik eines Individualrechtsschutzsystems dadurch, dass es das Klagerecht nicht undifferenziert verteilt, sondern nur in besonderer Weise Betroffenen zuweist. Es bietet sich also auch hier an, auf die etablierten Strukturen des Nachbarbegriffs zurückzugreifen und lediglich die Rechtsgründe, auf die eine Klage gestützt werden kann, zu erweitern, nicht aber den Kreis der Klageberechtigten. Dabei geht es nicht darum, sich materiell am Personalitätsdogma der Schutznormtheorie eng zu orientieren, sondern darum, der prozessökonomischen Dimension, der eine materielle Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht verpflichtet ist, in angemessener Weise Rechnung zu tragen. Wohlverstanden geht es dem Argument wider die Popularklage nämlich nicht um eine Verschonung der Gerichte vor Klagen als solchen, sondern nur um die Verschonung vor erfolglosen Klagen. Die Prozessökonomie kann also nicht in Stellung gebracht werden gegen de lege ferenda begründete, aber de lege lata noch unzulässige Klagen. Auch insoweit ist auf die dienende Funktion des Prozessrechts gegenüber dem materiellen Recht hinzuweisen. Die Einbindung des Bürgers in die Wahrung von Gemeinwohlbelangen findet allerdings dort ihre Grenzen, wo sie nicht mehr als Ausdruck eines grundrechtlich abgesicherten Freiheitsstatus zu deuten ist. Dies ist der historisch begründeten Erkenntnis geschuldet, dass sich subjektive Rechte stets der übermäßigen Funktionalisierung und damit tendenziell der Entwertung zu Gunsten allgemeiner Interessen ausgesetzt sehen. Weitert man die prozessuale Rechtsstellung

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eines Bürgers ohne die bisher durch die Personalitätslehre bewerkstelligte Anbindung an höchstpersönliche Rechtsgüter, zeigt sich, dass der status negativus als Grundlage der Abwehr von Freiheitsbeschränkungen als Erklärungsmodell hier nicht trägt. Es wurde bereits davon gesprochen, dass es sich bei der Gemeinwohlkooperation zwischen Staat und Gesellschaft um eine Art Kompetenztransfer vom einen auf die andere handelt. Dementsprechend geht es funktionalen subjektiven Rechten eher um teilhaberechtliche Sachverhalte, so dass der status activus der Grundrechte angesprochen ist. Konkret geht es um den status activus der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG: Diese verfahrensrechtliche Position wird um die Fälle eines den Nachbarn einer immissionsschutzrechtlichen Anlage zugewiesenen Vorsorgeinteresses erweitert. Deren Klagemöglichkeiten werden also als Ausdruck ihrer Kompetenz zur Gemeinwohlkonkretisierung erweitert auf Grundlage eines status activus cooperationis, der das Element „aktiver Zivität“ (Jellinek) des Bürgers in besonderer Weise betont. Damit wird das für viele Bereiche des subjektiven Rechts typische Subordinationsverhältnis zwischen Staat und Bürger zu Gunsten eines partiellen Koordinationsverhältnisses modifiziert. Die Plausibilität ebenso wie die grundrechtliche Akzeptabilität funktionaler subjektiver Rechte hat sich damit insgesamt erwiesen. Sie können verstanden und begründet werden aus den Strukturen der bestehenden Rechtsordnung, setzen freilich an einigen Stellen Weiterungen und Fortschreibungen etablierter rechtlicher Konzepte voraus. Die Arbeit folgt in ihrer Struktur der bereits ausgeführten These, dass die Qualität einer Rechtsnorm als subjektivrechtlich weitgehend das Ergebnis eines Akts konstruktiver Zuschreibung und weniger Ergebnis einer bestimmten Vorfindlichkeit ist. Es geht also vor allem darum, das vorgestellte Konzept argumentativ zu plausibilisieren. Dies lässt sich, von den vorgestellten Ansätzen ausund weitergehend, abschließend durch eine Betrachtung sozialwissenschaftlicher und philosophischer Ansätze bewerkstelligen. Funktionale subjektive Rechte auf Umweltvorsorge lassen sich deuten als Element gouvernementalen Handelns, also einer Kunst einer umfassenden Staatsleitung, die gezielt den Einzelnen und seine Handlungen zum Gegenstand ihres politischen Kalküls macht. Gouvernementales Regieren verzichtet auf das obrigkeitsstaatliche Mittel der Intervention, sondern betreibt eine gezielte Interessenpolitik in dem Sinne, dass Steuerungsimpulse stets von einem bestimmten Interesse legitimiert sein müssen und sich bestimmte zivile Interessen zu Nutze machen. Gleichzeitig kennzeichnet das gouvernementale Regieren die Einsicht in die Erkenntnis der Begrenztheit staatlicher Steuerungsmöglichkeiten. Das Verhältnis von Staat und Gesellschaft und die zwischen ihnen mittelnden Steuerungsimpulse werden wesentlich komplexer und differenzierter verstanden, als es eine eher imperativisch orientierte strenge Staats- oder Verfassungslehre tut. Vor diesem Hintergrund verlieren juristische Gewissheiten wie die der

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strengen Scheidung des objektiven vom subjektiven Recht deutlich an Überzeugungskraft, da sie anhand bestimmter Interessenkonstellationen sich bewähren müssen. Erweisen sich juridische oder politische Dogmen als untauglich für die Zwecke des gouvernementalen Regierens, so modifiziert die Gouvernmentalität diese Institute im Hinblick auf die tatsächlich vorhandene Interessenlage. Vergegenwärtigt man sich, dass die Interessenlage letztlich nichts anderes ist als die Spiegelung individueller Bedürfnisse, wird deutlich, dass gouvernementales Regieren das Individuum gezielt und nicht bloß zufällig einbezieht, ihm letztlich eine Befugnis einräumt, an der Herstellung des gemeinen Wohls mitzuwirken. In dieser Befugnis drückt sich der neuzeitliche Wandel hin zu einem Verständnis staatlicher Gewaltausübung („Regierung“) als teilhabefähigem Akt aus. Das Konzept der Gouvernementalität erkennt diese Funktion des Individuums und seine Befugnis zur Teilhabe an und deutet es als moderne Erscheinungsform des Regierens. Daneben bildet sich im Modell eines funktionalen subjektiven Rechts auch eine Kontroverse der politischen Philosophie ab, die vor allem angesichts der Funktionsmechanismen der westlichen Verfassungsstaaten um die Berechtigung eines eher liberalen oder eher kommunitaristischen Gemeinwesens streitet. Kommunitarismus versteht sich dabei als Gegenbegriff zum klassischen politischen Liberalismus und streitet wider dessen Konzentration auf das Individuum als Maß aller Dinge, auch und vor allem des Rechts und seiner Ordnung. Er betont dabei die Gemeinschaftsverwiesenheit des Einzelnen und die wesentlichen konstitutiven Wirkungen, die die Gemeinschaft für das Individuum hat. In ihrer strengen Ausprägung ordnet die kommunitaristische Philosophie subjektive Rechte deutlich dem Vorbehalt der Gemeinschaftsbindung unter, ohne sie freilich weder dem Grunde noch dem Umfang nach zu leugnen. Politischer Kommunitarismus ist eine Denkrichtung, die sich innerhalb der verfassungsstaatlichen Grenzen bewegt und bewegen will. Vermittelnde kommunitaristische Ansätze konstruieren die Gemeinschaftsbindungen des Individuums bereichsspezifisch für die unterschiedlichen Erscheinungsformen sozialer Vergemeinschaftung. Dabei tritt zweierlei deutlich zu Tage, nämlich die Wesentlichkeit der freien Wahl des Individuums in der Frage, ob es sich vergemeinschaften lassen will einerseits sowie der Dualismus aus Rechtsverpflichtung und Berechtigung, der sich aus der Vergemeinschaftung ergibt. Entscheidend ist demnach Folgendes: Je abstrakter die soziale Vergemeinschaftung ist, desto größer muss die Autonomie des Individuums in der Frage sein, ob es sich den normativen Vorgaben der Gemeinschaft unterwerfen will. Erzwungene Eingliederung des Individuums in eine normativ generierte Gemeinschaft kommt dabei grundsätzlich kaum je in Frage, ebenso wenig die Funktionalisierung seiner Handlungen zu Gemeinschaftszwecken. Gleichzeitig verdeutlicht die Bereichsspezifität der Vergemeinschaftung die unterschiedliche Dichte von Rechten und Pflichten, die sich aus den verschiedenen sozialen Kontexten er-

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geben können. Je weiter der soziale Vergemeinschaftungszusammenhang, desto „unverbindlicher“ und „weiter“ ist auch die damit verbundene Rechtsstellung. Funktionale subjektive Rechte entsprechen diesem Deutungsschema: Sie aktualisieren den Verantwortungszusammenhang in dem der Kläger zum Betreiber einer Anlage steht, also das Nachbarschaftsverhältnis. Gleichzeitig führen sie über die Figur der Zweckpluralität von Normen und Rechtsverhältnissen zu einer Aktualisierung des intergenerationellen Verantwortungszusammenhangs. Die Ausgestaltung funktionaler subjektiver Rechte als Erweiterung der Klagemöglichkeiten der Nachbarschaft schließlich betont das Element freier Wahl und freier Entscheidung des Klägers. Ihm steht es als ohnehin Klagebefugtem frei, von seiner zusätzlichen Klagemöglichkeit Gebrauch zu machen. Tut er es, trägt er das volle prozessuale Risiko. Es obliegt also ihm, den Funktionalisierungszusammenhang seiner Grundrechtsausübung zu aktivieren. Sie verbleibt damit Freiheitsausübung im eigentlichen Sinne, entweder klassisch im status negativus oder in Kooperation mit dem Staat als Ausdruck eines status activus cooperationis.

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Literaturnachweise aus dem Internet befinden sich auf dem Stand vom 31. 08. 2008.

Personen- und Sachwortverzeichnis Achterberg, Norbert 153, 155 actio negatoria 139 Aggregation von Interessen 137, 164, 300 Alexy, Robert 187 Anthroporelationalität 173 Anthropozentrik 173 – des Art. 20a GG 170 Arhus-Konvention 19, 157 – 158 Atomrecht 30, 32 – 33, 62, 66, 99, 190, 314 Bachof, Otto 23, 110, 133, 135 Bartlsperger, Richard 150 Bauer, Hartmut 110 Beck, Ulrich 73 Bentham, Jeremy 306 Besorgnispotential 30, 32 – 34, 67 Betreiberpflichten 25 – 26, 35 – 36, 41 – 43, 175, 254 Bewirtschaftungsermessen 71 BImSchV, 4. 25 BImSchV, 13. 68, 76 Binding, Karl 112, 135 Böckenförde, Ernst Wolfgang 232, 273 bourgeois, Bürger als 110, 230 Brokdorf-Beschluss 295, 297 Brugger, Winfried 263, 274, 318, 320 Brundtlandt-Kommission 86 Bühler, Ottmar 110 – 111, 130 Bundesverfassung der Schweiz 248 Calliess, Christian 61 citoyen, Bürger als 110, 130, 230, 280, 315 – 316

Daseinsvorsorge 160 Demokratieprinzip – und Vorsorge 175 – und zivile Partizipation 178, 180 Dietlein, Johannes 191 Di Fabio, Udo 45, 53, 208 Drittschutz 17, 34, 40, 190, 326 due process 181 Dürig, Günter 237, 291 Einheit der Rechtsordnung 268 Einigungsvertrag 45, 51 Emissionen 65 Entformalisierung 261 Europäischer Gerichtshof, Vorsorgerechtsprechung des 21, 100, 197 Finalprinzipien 89 –90, 286 Fleiner, Fritz 135 Forsthoff, Ernst 185, 254 Foucault, Michel 304 –306 funktionales subjektives Recht 290 – Funktion des 297 – Grenzen des 310 – und Generationenverantwortung 320 – und Grundrechtsstatus 313 GAU-Modell 32 Gebot der Rücksichtnahme siehe Rücksichtnahmegebot 115 Gefahrenabwehr 18, 24, 26 –28, 30, 33 – 34, 58, 60, 62, 67, 69, 95, 100, 200, 264, 310, 328, 330 Gefahrenprognose 28 –30 Gefahrenverdacht 33, 35, 64

Personen- und Sachwortverzeichnis Gemeinwohl – als Abwägungskategorie 236 – als Kontingenzformel 243 – als öffentliche Aufgabe 245 – als Staatsaufgabe 234, 245 – Begriff des 235 – und Nachhaltigkeit 238 – und öffentliches Interesse 235 – und staatliche Ausgangsverantwortung 242 – und Systemtheorie 243 Gemeinwohlpflege 249 – und Kooperationsverhältnis 281 Gemeinwohlverantwortung – als Residual- und Komplementärkategorie 246 – Neuverteilung der 281, 333 Generationen, künftige 170, 172, 216 Gerber, Carl Friedrich 109 – 111, 125 Gesellschaft – als subjektiv-rechtlich konstituiertes System 278 – und Staat 229 Gesellschaftstheorie, liberale 131 Gewährleistungsstaat 246 Gewährleistungsverantwortung 243, 246 – 247, 288 Gewerbeordnung von 1869 24 Gneist, Rudolf v. 110 Gouvernementalität 22, 304 – 311 Grimm, Dieter 270 –271, 305 Großkrotzenburg-Entscheidung 101 Grundpflicht, immissionsschutzrechtliche 25, 36 Grundrechtsdogmatik 22, 272, 313, 325 – 326 Grundrechtsinterpretation 274 Grundrechtsschranken 332 – und Rechte zukünftiger Generationen 269, 333

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Grundrechtsstatus 115 –116, 126, 313 – 316 Grundrechtstheorie 116, 123, 151, 266, 272 – 273 Güter – (höchst)persönliche 213 – kollektive 215, 217 – normativ generierte 213 Häberle, Peter 227, 232 –235, 326 Haney, Gerhard 124, 311 Hayek, Friedrich August v. 59, 79, 283, 287, 292 Henke, Wilhelm 110, 150 Herdegen, Matthias 296 Hesse, Konrad 21, 233, 325 homo oeconomicus 307 Huber, Ernst Rudolf 121, 272 Huber, Peter Michael 110 id quod interest 130 Immissionen 39 Imperativentheorie 139 inalienable rights 237 Individualrechtsschutz 100 –101, 143 – 145, 147, 149, 164, 168, 207, 288, 293, 301, 308 Industriegesellschaft 31, 73, 185, 254 Instrumente des Umweltrechts 259 Integrationsfunktion der Verfassung 322 Interesse – als Rechtsbegriff 131 – zivilrechtliche Grundstruktur 139 Interessenkonkurrenz, rechtliche 267 Interessentenklage 149, 165, 198 –199, 330 Interessenzuweisung 138 Interesse, öffentliches – am Prozessergebnis 226 – im Prozess 225 – und Gemeinwohl 235

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Personen- und Sachwortverzeichnis

Isensee, Josef 263 IVU-Richtlinie 25, 60, 66, 95, 100, 202 – 205 – und integrativer Umweltschutz 204

Lübbe, Weyma 81 Lübbe-Wolff, Gertrude 256 Luhmann, Niklas 218 –219, 222, 243, 263

Jansen, Nils 141 Jellinek, Georg 17, 109 – 111, 116 – 117, 121, 130 – 132, 232, 326 Jellinek, Walter 110 Jhering, Rudolf v. 130, 133 joint consumption 215 Jonas, Hans 81, 322 Justizgewährungsanspruch 226

Masing, Johannes 21 Mayer, Otto 154 Menschenbild – des Grundgesetzes 320 – subjektiver Rechte 304 Michael, Lothar 242, 247 Mill, John Stuart 306 Modalprinzipien 89 –90, 286 Möglichkeitstheorie 147 Morlok, Martin 270 Möstl, Markus 59 Mülheim-Kärlich-Beschluss 144

Kant, Immanuel 247 Kelsen, Hans 108 Klagebefugnis 17, 101, 128 – 129, 147 – 148, 161 – 163, 196, 198, 299, 302 – 303 Kloepfer, Michael 27, 43 Kommunitarismus 22, 316 – 321, 335 – konsvervativer / substantialistischer 318 – liberaler 318 – universalistisch-egalitärer 318 Komplementärverantwortung 290 Konvertierbarkeit konkurrierender Interessen 267 Kooperationsprinzip 43, 47, 51 – 52, 89, 286 – im Verwaltungsprozess 286 Kraaijveld-Entscheidung 101 Krüger, Herbert 233 Langzeitverantwortung 82 Legitimation 30, 65, 148, 159 – 160, 176, 181 – 182, 231, 244 – 245, 248, 284 – Output und Input 160 Lepsius, Oliver 260 Lévy-Bruhl, Lucien 217 Liberalismus 22, 84, 122, 267, 271, 306 – 307, 311, 316 – 317, 319, 321, 335 Linster-Entscheidung 101

Nachbar 100, 189, 291, 307, 314, 334 Nachbarschaft 25, 28, 39 –40, 75, 98, 214, 272, 336 Nachhaltigkeit 19, 22, 43, 53, 62, 76 –80, 82 – 85, 87 –92, 103, 172, 193, 238 –242, 266, 276, 298, 322, 328 – als Ressourcenschonung 86 – negative Dimension der 88 – und distributive justice 84 – und Schutzgrundsatz 90 – und Vorsorge 91 – zeitlicher und prozessualer Charakter 82 nasciturus als Rechtsträger 191 Nassauskiesungsentscheidung 73 Natur, Eigenrechte der 20 Naturrecht 50, 106, 237, 305 –306 Naturschutzrecht 88, 292 Naumann, Friedrich 312 Nebenprinzipien des Umweltrechts 43 Objektivität des öffentlichen Rechts 222 Öffentlichkeit 226, 235, 287

Personen- und Sachwortverzeichnis öffentliches Interesse – als Begriff 235 – am materiellen Prozessergebnis 226 – im Prozess 224 Optimierungsgebot 187, 268 Ordnungsdenken, konkretes 119 Partizipation – als Legitimationskompensation 182 Partizipationserzwingungsklage siehe Verbandsklage 157 Pforten, Dietmar v. d. 172 d Pluralisierung, Pluralismus 223, 241, 319 Popularklage 149, 291, 301, 333 Preuß, Ulrich K. 215 Prognoseentscheidungen 30, 265 Proportionalität, umgekehrte 28 – 30, 88 Prozessführung im Kooperationsverhältnis 285 Prozessrechtsverhältnis 243, 287, 333 Publifizierung privater Interessen 137, 164, 214, 216 rational choice-Modell 291, 293, 307 Rauschning, Dietrich 286 Rawls, John 317 Rechte künftiger Generationen 152, 196 Rechtsbeziehungen, multipolare 152 Rechtsmacht 105, 112, 126 – 127, 129, 134, 179, 217 Rechtsprechung und Öffentlichkeit 227 Rechtsreflex 133 Rechtsschutzgarantie – als Gebot und Grenze der Vorsorge 167 – als institutionelle Garantie 167 – und Grundrechtsstatus 314 Rechtsstaat 61, 121, 183, 226, 230, 261, 264 – 265, 267, 269, 282 – und Umweltstaat 260 Rechtsstaatsprinzip 180, 264, 278, 330 – und zivile Partizipation 180

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Rechtsstellung, volksgenössische 121 Rechtsverhältnislehre 109, 153 –154, 156, 165, 243, 287, 323, 327 Referenzfixierungsakte 135 Rehbinder, Eckard 55, 83 Reichsgewerbeordnung 24 Reiling, Michael 132, 137, 198 Reiten im Walde-Entscheidung 270 Residualverantwortung, des Staates für das Gemeinwohl 288 res publica 160, 229 Restrisiko 34, 62 –63, 67, 95 revealed preferences 307 Rhein-Main-Donau-Kanal-Entscheidung 161 Risikoanalyse 25, 95 –96, 192 Risikogesellschaft 73, 253, 255 Rousseau, Jean Jacques 132, 136, 222 Rücksichtnahmegebot 39, 213 Rupp, Hans Heinrich 109, 115 –116, 293 Sachurteilsvoraussetzung 146, 166, 206 Sarwey, Otto Claudius 110 Savigny, Friedrich Carl 112 Scherzberg, Arno 110 Schmidt-Aßmann, Eberhard 177, 209, 249 Schmidt-Preuß, Matthias 150 –151 Schmitt, Carl 272 Schutznormtheorie 23, 104, 113 –114, 127 – 130, 138, 144, 150, 152 –153, 156, 160, 162 –166, 184, 212 –213, 242, 323, 327, 333 – und Interessenzuweisung 138 Schutzpflicht – als objektives oder subjektives Recht 187 – Eingriff in die 194 – grundrechtliche 186 – immissionsschutzrechtliche 26, 211 – Rechtsfolge der 195

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Personen- und Sachwortverzeichnis

– Schutzgut der 193 – Tatbestand der 189 – und bewirtschaftungsrechtliche Deutung der Vorsorge 192 – und gefahrenabwehrrechtliche Deutung der Vorsorge 191 – und gegenwärtig Betroffene 189 – und nachhaltigkeitsorientierte Deutung der Vorsorge 193 – und zukünftig Betroffene 190 Selbstsorge, cura sui corporis 252 Selbstverwaltung, und Demokratieprinzip 177 Sidgwick, Henry 306 Smend, Rudolf 232, 312 Smith, Adam 308 societas civilis 229 Sperrgrundstücksklagen 160, 165, 171, 327 – und Art. 14 Abs. 1 GG 161 Staat – als Rechtsperson 107 – totaler 229 – und Gesellschaft 229 Staatszielbestimmung 19, 54, 87, 93, 169 – 172 Staatszwecke 260 – als Komplexitätsreduktion 263 Stand der Technik 66 status activus 116 – 117, 230, 314 – 316, 326, 334, 336 status activus civilis 116, 118 status activus cooperationis 118, 316, 334 status activus processualis 233 status libertatis 232 status negativus 116 – 117, 120, 160, 230, 232, 314 – 316, 326, 334, 336 status positivus 116, 314, 316 status subjectionis 108 Stolleis, Michael 119 – 120 subjektives Recht

– des bürgerlichen Rechts 105 – des öffentlichen Rechts 17 –18, 23, 102, 104 –105, 109 –110, 112, 116, 118, 120, 126 –130, 134, 171, 289, 294, 314, 325 – 326 – Indexfunktion 118 – Reziprozität 219 – soziologische Funktion 217 – und Durchsetzbarkeit 220 – und objektive Rechtsordnung 220 – und privat-staatliches Koordinationsverhältnis 294 – und Rechtsgüterschutz 212 – und Totalitarismus 116 –124 sustainable development siehe Nachhaltigkeit 77 Systemtheorie 243, 279 TA Luft 36 –38, 40, 67, 95, 302 –303 Thon, August 139 Transanthroporelationalität 173 – und Vorsorge 174 Uerpmann, Robert 136, 237 Umwelteinwirkungen – schädliche 28, 36, 38, 75, 99 Umwelteinwirkungen, schädliche 328 Umweltprogramm der Bundesregierung 1972 44 Umweltrechtsprinzipien 44 – Rechtsqualität 49 Umweltschutz, integrativer 201 – als Verfahrenskategorie 205 – durch vertikale Inklusion 206 Umweltstaat 262, 264, 267, 269 UN-Menschenrechtskonvention 237 Utilitarismus 306 UVP-Richtlinie 25, 202, 204 Verbandsklage 149, 157 –160, 165, 169 – als Verfahrensbeteiligungsklage 157 – altruistische und egoistische 157

Personen- und Sachwortverzeichnis – und demokratische Legitimation 158 Verfassungsprinzip – als Entscheidungsregel 183 – und Staatszweck 262 Verfassungsstaat 46, 55, 102, 109, 118, 139, 182, 230, 243 – 244, 246, 260, 265, 270, 291, 309 – 310, 331 Verhältnismäßigkeit 37 – 38, 47, 56, 68, 75, 88, 261 – als strukturelle Vorsorgegrenze 56 Verhältnismäßigkeitsprüfung – große 68 – kleine 68 Verletztenklage 149, 198 Verwaltungsprozess, als Kooperationsmedium 284 Verwaltungsrechtsverhältnis 154 vindicatio 139 Volk, als Kategorie nationalsozialistischer Rechtslehre 120 Vollzugsdefizit 100, 208, 216, 249, 255, 259, 267 – 269 – und Entformalisierung 259 – und umweltrechtliche Instrumente 259 Vollzugsinteresse, an umweltrechtlichen Normen 257 volonté générale / volonté de tous 136 Vorsorge 42 – als allgemeines Rechtsprinzip 55 – als Fürsorge 253 – als Gemeinwohlbelang 251 – als multifunktionales Gebot 74 – als offenes Leitprinzip 53 – als Optimierungsgebot 53 – als rechtssatzförmiges Prinzip 55 – als Seelsorge 253 – als Strukturprinzip 55

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– als subjektive Handlungskategorie 252 – bewirtschaftungsrechtliche Deutung 69 – Grenzen der 56 – immanente Grenzen der 60 – sprachgeschichtlicher Gehalt 251 – und Freiraumthese 69, 74 –75, 192 – und integrativer Umweltschutz 201 – und Nachhaltigkeit 91 – und Planungsrecht 209 – und Schutzpflicht 188 Vorsorgeinteresse, Zuweisung und Subjektivität 300 Vorsorgepflicht 18, 24, 40 –41, 55, 64 – 68, 75 – 76, 92, 98 –99, 190, 192, 201, 303 Vorsorgeprinzip 22, 42 –43, 48, 53, 62, 76 – 77, 82, 89 –90, 93 –95, 194, 286 Vorsorgerechtsschutz – als Rechtsschutzausnahme 169 – im Europarecht 198 Vorsorgestaat 253 Vorverständnis 19 Wasserrecht 70 –71, 211 Weber, Max 217 Weimarer Reichsverfassung 120 Werteordnung, objektive 179 Wesensgehaltgarantie 46, 232 Willensmacht 112, 132 Willenstheorie 130, 132 Windscheid, Bernhard 130 Wyhl-Entscheidung 30 Ziekow, Jan 248, 312 Zivilprozess 147, 156 Zuweisungsgehalt 140 –141, 200, 212 – 213, 327 Zweiparteienkonzept 156