Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz bei der Realisierung transeuropäischer Verkehrsnetze [1 ed.] 9783428493296, 9783428093298

Der Autor untersucht die rechtlichen Zusammenhänge zwischen den gemeinschaftlichen und den nationalen Planungskompetenze

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German Pages 339 Year 1998

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Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz bei der Realisierung transeuropäischer Verkehrsnetze [1 ed.]
 9783428493296, 9783428093298

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THOMAS JÜRGENSEN

Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz bei der Realisierung transeuropäischer Verkehrsnetze

Schriften zum Europäischen Recht Herausgegeben von

Siegfried Magiera und Detlef Merten

Band 53

Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz bei der Realisierung transeuropäischer Verkehrsnetze Von Thomas Jürgensen

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme

Jürgensen, Thomas:

Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz bei der Realisierung transeuropäischer Verkehrsnetze I von Thomas Jürgensen. - Berlin : Duncker und Humblot, 1998 (Schriften zum europäischen Recht ; Bd. 53) Zugl.: Potsdam, Univ., Diss., 1997 ISBN 3-428-09329-l

D517 Alle Rechte vorbehalten Humblot GmbH, Berlin Satz: W. März, Tübingen Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany

© 1998 Duncker &

ISSN 0937-6305 ISBN 3-428-09329-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 8

Vorrede Als Winston Churchill 1946 von den "Vereinigten Staaten von Europa" sprach, griff er damit Jahrhunderte alte Ideen der europäischen Geistesgeschichte auf. Nachdem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts diese Konzeptionen mit Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und nachfolgend der Europäischen Union einen konstruktiven rechtlichen Rahmen erhielten, ist die praktische Umsetzung der europäischen Einigungsidee heutzutage in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Diskussion gerückt. Hieran knüpft die vorliegende Arbeit an. Denn die europäische Einigung kann nur durch eine gemeinsame Identität und ein gegenseitiges Verständnis erreicht werden. Diese Ziele werden sowohl durch die Garantie europäischer Grundrechte als auch durch die transeuropäischen Verkehrswege erreicht. Die Arbeit wurde im Juni 1996 von der Juristischen Fakultät der Universität Potsdam als Dissertation angenommen. Literatur und Rechtsprechung konnten noch bis September 1997 berücksichtigt werden. Sehr zu Dank bin ich meinem Doktorvater Prof. Dr. Eckart Klein verpflichtet, dem ich so manche Anregung verdanke und der mir die nötige Freiheit bei der Anfertigung der Arbeit gegeben hat. Weiteren Dank schulde ich Frau Prof. Dr. Heidrun Pohl-Zahn für die sehr zügige Erstellung des Zweitgutachtens sowie Herrn Prof. Dr. Siegfried Magiera und Prof. Dr. Dr. Detlef Merlen für die Aufnahme in die Schriftenreihe. Zuletzt möchte ich nicht unerwahnt lassen, daß die Motivation durch meine Eltern, Renale Nikolay und Christoph Haas bei der Erstellung der Arbeit eine nicht unwesentliche Unterstützung gewesen ist. Berlin, im Juli 1998

Thomas Jürgensen

Inhaltsübersicht Einleitung

I. Der Begriff der "transeuropäischen Verkehrsnetze" Il. Die Notwendigkeit eines europäischen Verkehrsnetzes III. Bedeutung der Grundrechtsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . .....

25 25

26 30

I. Teil

Verkehrswegeplanung in der EG

A. Zielsetzung und Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten in der europäischen Infrastrukturpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

I. Das Ziel eines Gemeinschaftsnetzes Il. Die wichtigsten Aktivitäten der Gemeinschaft im Bereich der Verkehrsinfrastrukturen seit 1966 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

32 32 35

III. Zusammenfassendes Ergebnis . . . . . . . . . . . . .

46

B. Das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung und die Natur der Vertragskampelenzen im Bereich der transeuropäischen Verkehrsnetze

47

I. Problemstellung

. . . . . . . . .. . .. .. . . . . . . . . .. . . . . ..

II. Voraussetzungen für die Annahme einer ausschließlichen Kompetenz .

47 49

IIL Abgrenzung von konkurrierender und paralleler Kompetenz

57

IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

C. Gemeinschaflliche Rahmenplanung transeuropäischer Netze: Art. 129b ff. und Art. 74, 75 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . ... . . . . . . . .

58

L Der Zentralbegriff der Leitlinien .

59

8

Inhaltsübersicht

II. Das Verfahren nach Art. l29d EGV . . . . . . . . . .. .

70

III. Das Verhältnis von Art. l29b ff. zu Art. 74, 75 EGV: Verdrängung der "alten" Verkehrskompetenz im Bereich der Verkehrsrahmenplanung? . . .

71

D. Zulässigkeil einer gemeinschaftsrechtlichen Umsetzung europäischer Leitlinien: Das Problem direkter Implementierungsakte durch die EG . . . . . .

77

I. Problemstellung, Bedeutung und mögliches Verfahren . . . . . . . . . . . . .

78

II. Kompetenz der Gemeinschaft aus Art. 129c Abs. l I. Sp.strich EGV:

Möglichkeiten der Implementierung von Infrastrukturprojekten . . . . . . .

83

III. Art. 74, 75 EGV als Kompetenz fiir direkte Implementierungsmaßnahmen . .

91

IV. Voraussetzungen flir die Anwendung des Art. 75 Abs. l lit. d) EGV im Bereich der konkreten Projektimplementierung . . . . . . . . . . . .

99

E. Nationale Umsetzung europäischer Leitlinienplanung . . . . . . . . . . . . . .

115

I. Verwaltungsrechtliche Umsetzung der Leitlinien durch die Mitgliedstaaten am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . .

116

II. Nationaler Vollzug durch den Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

133

2. Teil Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz im Bereich der europäischen Verkehrsinfrastrukturplanung

145

A. Geltungsgrund europäischer Grundrechte: Ein Abriß . . . . . . . . . . . . . .

145

I. Rechtsgeschichtlicher Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

147

II. Dogmatische Grundlagen der europäischen Grundrechte . . . . . . . . . . .

156

III. Reichweite des Prüfungsrechts des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

176

B. Allgemeiner Grundrechtsschutz der nationalen Gerichte bei Sachverhalten mit Gemeinschaftsbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

205

I. Bundesverfassungsgerichtliche Solange-Rechtsprechung und das sogenannte Kooperationsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

205

II. Änderung der Eurocontrol-Rechtsprechung, BVerfGE 58, I

212

Inhaltsübersicht

9

III. Möglichkeiten des bundesverfassungsgerichtliehen Grundrechtsschutzes bei nicht mehr vom Zustimmungsgesetz gedecktem Gemeinschaftshandeln . . .

216

IV. Zusammenfassendes Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

220

C. Gemeinschaftliche und nationale Grundrechtsprobleme bei der Umsetzung transeuropäischer Verkehrsnetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

221

I. Gemeinschaftsgrundrechtsschutz bei einer direkten gemeinschaftsrechtlichen Verkehrsprojektimplementierung nach Art. 75 Abs. I lit. d) EGV . .

221

Il. Allgemeine gemeinschaftsrechtliche Leitlinien und nationale Verwaltungsumsetzung

252

III. Allgemeine europäische Leitlinien und nationale Umsetzung durch Gesetz . . . . . . . . . . . . . . .

271

D. Grundrecht auf Mobilität? ..

295

I. Begriffsbestimmung und Problemstellung

295

II. Herleitungsversuche auf nationaler Ebene

297

III. Grundrecht der Mobilität aus europäischer Sicht . . . . . . . . . . . .

Resümee I. Effektive Kompetenzausfüllung der Gemeinschaft II. Bedeutung innerstaatlicher Planungsumsetzungen . . . . . . . . . . . .

305

308 308 309

III. Effektiver Gemeinschaftsgrundrechtsschutz ... .. . . .

310

IV. Nationaler Grundrechtsschutz

312

V. Das Grundrecht auf Mobilität

313

Literaturverzeichnis

314

Stichwortverzeichnis

337

Inhaltsverzeichnis Einleitung

25

I. Der Begriff der "transeuropäischen Verkehrsnetze"

25

II. Die Notwendigkeit eines europäischen Verkehrsnetzes

. . . . . . . . . . . .

26

III. Bedeutung der Grundrechtsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30

I. Teil

Verkehrswegeplanung in der EG

32

A. Zielsetzung und Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten in der europäischen Infrastrukturpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

I. Das Ziel eines Gemeinschaftsnetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

I. Allgemeine Zielformulierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

2. Art. 129b EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34

II. Die wichtigsten Aktivitäten der Gemeinschaft im Bereich der Verkehrsinfrastrukturen seit 1966 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

I . Infrastrukturpolitik der Gemeinschaft bis zur Einfügung der Art. 129b ff. EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

a) Die Phase der Konsultationen 1966 bis 1979

36

b) Die Phase der Investitionsförderung 1979 bis 1993 . . . . . . . . . .

37

2. Die Leitschemaplanung aufgrund Art. 129b ff. EGV

. . . . . . . . . . .

41

a) Primärrechtliche Vorgaben einer Leitschemaplanung . . . . . . . . . .

42

b) Planungsansätze der Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

aa) Die Entscheidung Nr. 1626 I 96 des Rates und des Parlamentes vom 23.7.1996, ABI. L 228/ I vom 9.9.1996, corrigendum in ABI. L 15/ I vom 17.1.1997....... . ... .. . . . . . . . . .

43

bb) Interoperabilität eines Hochgeschwindigkeitsnetzes, Richtlinie Nr. 96/48 des Rates vom 23.7.1996, ABI. L 235/6 vom 17.9.1996

44

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0

Inhaltsverzeichnis

11

cc) Finanzierungsfragen

44

dd) Die Bildung der Christophersen-Gruppe

45

III. Zusammenfassendes Ergebnis . . . . . . . . . . . . .

46

B. Das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung und die Natur der Vertragskompetenzen im Bereich der transeuropäischen Verkehrsnetze

47

I. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Voraussetzungen ftir die Annahme einer ausschließlichen Kompetenz

47 49

l. Auffassung des Schrifttums in bezug auf die Verkehrspolitik . . .

49

2. Ansicht der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

a) EuGH Rs. 22170, Slg. 1971, 263- AETR

51

b) EuGH Rs. 1175, Slg. 1975, 1355- Lokale Kosten . . . . . .

51

c) EuGH Gutachten 2/91, ABI. C 109/1 vom 19.4.1993 - /LOKonvention Nr. 170 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53

3. Vertragsanalyse aus semantischer, systematischer und teleologischer Sicht im Hinblick auf eine ausschließliche Kompetenz . . . . . . . . . .

54

a) Wortlautinterpretation . . . . . .. .. . . .

54

b) Systematischer Blickwinkel ... . . .. .

55

c) Teleologisches Argument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

4. Zwischenergebnis

56

III. Abgrenzung von konkurrierender und paralleler Kompetenz . . .

57

IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

C. Gemeinschaftliche Rahmenplanung transeuropäischer Netze: Art. 129b ff.

und Art. 74, 75 EGV

. .. . . .. . .. ... . . . . . . . .. . . . . .

I. Der Zentralbegriff der Leitlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58 59

I. Leitlinien als Rechtsakt sui generis

59

2. Rechtshandeln im Rahmen der Art. 189 EGV

62

a) Kriterien ftir die Auswahl der Rechtsform .. . ..... .

62

b) Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

c) Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

d) Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . .. .

66

12

Inhaltsverzeichnis e) Eine exemplarische Einordnung: Die Entscheidung Nr. 1626/96 des Rates und des Parlamentes vom 23.7.1996, ABI. L 228 vom 9.9.1996, corrigendum in ABI. L 15 vom 17.1.1997 . . . . . . . . . .

67

aa) Abgrenzung zur Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67

bb) Abgrenzung zu einer Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68

3. Ergebnis zur Rechtsnatur der Leitlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

II. Das Verfahren nach Art. 129d EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

1. Möglichkeiten der Beschlußfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

a) Art. 129c Abs. 1 i.V.m. Art. 129d Abs. l EGV

. . . . . . . . . . . .

70

b) Art. 129d Abs. 3 i.V.m. Art. 189c EGV . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

2. Erfordernis der Billigung durch den Mitgliedstaat, Art. l29d Abs. 2 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

III. Das Verhältnis von Art. 129b ff. zu Art. 74, 75 EGV: Verdrängung der "alten" Verkehrskompetenz im Bereich der Verkehrsrahmenplanung? . . .

71

I. Verkehrsinfrastrukturpolitik als Teil der Gemeinsamen Verkehrspolitik im Sinne von Art. 74 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

2. Lösung des Verhältnisses durch allgemeine Rechtsgrundsätze . . . . . .

74

a) Lex specialis derogat Jegi generali . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

74

b) Lex posterior derogat Jegi anteriori

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

74

3. Die Wahl der Rechtsgrundlage in der EuGH-Rechtsprechung . . . . . .

75

4. Vergleich mit EuGH Rs. 167/73, Slg. 1974, 359 - Kommission/ Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

D. Zu1ässigkeit einer gemeinschaftsrechtlichen Umsetzung europäischer Leitlinien: Das Problem direkter Implementierungsakte durch die EG . . . . . .

77

I. Problemstellung, Bedeutung und mögliches Verfahren . . . . . . . . . . . . .

78

1. Problemstellung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . .

78

a) Verwaltungsimmanente Gründe für ein direktes Handeln der Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

78

b) Grundrechtliche Erwägungen für einen Gemeinschaftsakt . . . . . . .

82

2. Verfahren

. .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . .

83

II. Kompetenz der Gemeinschaft aus Art. 129c Abs. 1 I. Sp.strich EGV: Möglichkeiten der Implementierung von Infrastrukturprojekten . . . . . . .

83

Inhaltsverzeichnis

13

I. Wortlaut von Art. 129b ff. EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83

2. Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

a) Art. 129c Abs. 2 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

b) Art. 129c Abs. I 2. und 3. Sp.strich EGV . . . . . . . . . . . . . . . .

86

c) Art. 1.3 Abs. I EUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

87

3. Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

a) Art. 3 lit. n), Art. 129b EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

b) Implied powers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

89

III. Art. 74, 75 EGV als Kompetenz für direkte Implementierungsmaßnahmen . .

91

I. Gemeinsamkeiten von Art. 235 und Art. 74, 75 Abs. I lit. d) EGV . . . .

92

2. Unterschiede von Art. 235 und Art. 75 Abs. I lit. d) EGV . . . . . . .

92

3. Lösungsansätze für das Verhältnis beider Kompetenznonnen

93

a) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

b) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

c) Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

94

aa) Die Einfügung der neuen Kompetenz . . . . . . . . . . . . . . . .

94

bb) Die Argumentation a maiore ad minus . . . . . . . . . . . . . . .

95

cc) Korrektur des Ergebnisses aus demokratischen Gesichtspunkten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96

dd) Folgerungen aus der Gemeinschaftsrechtsprechung zu der Wahl der Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

97

4. Zusammenfassendes Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

98

5. Verfahren

. .. . . . . . . .. . . .. . ... . . . . . . .. . . . . . . . . . . .

98

IV. Voraussetzungen ftir die Anwendung des Art. 75 Abs. I lit. d) EGV im Bereich der konkreten Projektimplementierung . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

I. Voraussetzungen des Art. 75 Abs. I lit. d) EGV . . . . . . . . . . . . . .

99

a) Ziele des Vertrages im Rahmen einer Gemeinsamen Verkehrspolitik, Art. 74 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

b) Rechtsfolge: Alle sonstigen zweckdienlichen Vorschriften . . . . . . .

100

2. Einwände aus dem Subsidiaritätsprinzip, Art. 3b Abs. 2 EGV

. .. . .

102

a) Anwendbarkeit des Subsidiaritätsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . .

I03

b) Tatbestandsvoraussetzung: Keine ausreichende Zielerreichung . . . .

105

c) Vorteil wegen Umfang oder Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

107

Inhaltsverzeichnis

14

d) Schließt intergouvernementale Zusammenarbeit Gemeinschaftshandeln aus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

107

e) Entgegenstehende Interpretation wegen der Ergebnisse des Europäischen Rates von Edinburgh? . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

109

f) Zusammenfassendes Zwischenergebnis

110

g) Verhältnismäßigkeit, Art. 3b Abs. 3 EGV . . . . . . . . . . . . . . . .

II 0

aa) Souveränitätskreis der Mitgiedstaaten . . . . . . . . . . . .

110

bb) Grundrechtsbereich der Unionsbürger .

111

cc) Schlußfolgerungen

112

.

3. Gemeinschaftsgleichgewicht

112

4. Rechtsfolge: Verordnung oder Entscheidung . . . . . . . . . . . . .

114

5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

115

E. Nationale Umsetzung europäischer Leitlinienplanung .....

115

I. Verwaltungsrechtliche Umsetzung der Leitlinien durch die Mitgliedstaaten am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . .

116

I. Die Fachplanungen nach den Änderungen des Planungsvereinfachungsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

117

a) Rahmenplanung ..... . . . . . . . . . .

117

b) Voruntersuchungen . . . . . . . . . . . . .

119

c) Raumordnungsverfahren

119

d) Linienbestimmungsverfahren . ...... .

120

e) Planfeststellungsverfahren

121

f) Plangenehmigung . . . . . . . . . . . . . . .

124

2. Folgerungen des innerdeutschen Fachplanungsverfahrens für die transeuropäischen Netze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

128

3. Das Verkehrswegeplanungsbesch1eunigungsgesetz

130

4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

132

Il. Nationaler Vollzug durch den Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

133

l. Notwendigkeit und Verfahren bei Investitionsmaßnahmegesetzen

134

2. Staatsorganisationsrechtliche Verfassungsprobleme . . . . . . . . .

135

a) Problem der Bundeszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

135

b) Eingriff in den Kernbereich der Exekutiven? . . . . . . . . . . .

138

Inhaltsverzeichnis

15

aa) Problemstellung und Lösungsansatz ..

138

bb) Die Entscheidung des BVerfG NJW 1997, 383 - "Südumfahrung Stendal" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

142

3. Bedeutung ftir die Umsetzung transeuropäischer Verkehrsnetze . . . . .

143

2. Teil Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz im Bereich der europäischen Verkehrsinfrastru)cturplanung

145

A. Geltungsgrund europäischer Grundrechte: Ein Abriß . . . . . . . . . . . . . .

145

I. Rechtsgeschichtlicher Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

147

I. Das Fehlen eines Grundrechtskatalogs

147

a) Rechtliche Aspekte

147

b) Grundrechte- und Demokratiedefizit ....

148

c) Der politisch-geschichtliche Gesichtspunkt 2. Die Entwicklung der Grundrechte durch den EuGH . . . . a) Gemeinschaftsimmanenter Aspekt

.. . . . . . . .. . . . . . . . . .

150 154 154

b) Rechtsprechung in der Bundesrepublik und Italien

156

II. Dogmatische Grundlagen der europäischen Grundrechte

156

I. Grundrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze . . . . . . . . . . .

156

2. Rechtlicher Gehalt der gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen

158

a) Wertende Rechtsvergleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

158

b) Minimalschutz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

160

c) Maximalstandard? .. .. . .. .. .. .. . .. .

161

3. Grundrechte nach den internationalen Verträgen

165

a) Bindung der EU an die EMRK kraft Sukzession?

166

b) Internationale Verträge als Mindeststandard? .. .

171

4. Grundfreiheiten als Grundrechte im weiteren Sinne

172

a) Argumente ftir eine Gleichsetzung . . . . . . .

172

b) Argumente gegen eine Gleichsetzung ... .

174

c) Stellungnahme .... . . . . . . . . . . . . . .

174

III. Reichweite des Prüfungsrechts des EuGH .... .

176

16

Inhaltsverzeichnis I. Der EuGH als Verfassungs- und Verwaltungsgericht . . . . . . . . . . . .

176

2. Überprüfung von Gemeinschaftsakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

177

a) Rechtsschutz gegen eine Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

178

aa) Nichtigkeitsklage nach Art. 173 Abs. 4 I. Alt. EGV des einzelnen gegen eine an ihn gerichtete Entscheidung . . . . . . . . .

178

bb) Nichtigkeitsklage nach Art. 173 Abs. 4 2. Alt. EGV des einzelnen gegen eine Entscheidung, die an einen anderen gerichtet ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

179

cc) Beispielsweise: Die Leitlinienentscheidung Nr. 1626/96 vom 23.7.1996, ABI. L 228 vom 9.9.1996, corrigendum in ABI. L 15 I I vom 17 .1. 1997 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

182

b) Rechtsschutz gegen eine Verordnung

.. . . . . .. . .. . . . . . . . .

182

c) Rechtsschutz gegen eine Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

183

3. Überprüfung nationaler Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

185

a) Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

186

aa) EuGH Rs. 36175, Slg. 1975, 1219- Rutili . . . . . . . . . . . .

186

. .

187

. .. . . . .. .

188

dd) EuGH Verb. Rs. 60 und 61/84, Slg. 1985, 2605 - Cinetheque . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

189

ee) EuGH Rs. 222/84, Slg. 1986, 1651 - Johnston/Chief Constable of the Royal Ulster Constabulary . . . . . . . . . . . . . . .

190

bb) EuGH Rs. 118175, Slg. 1976, 1185- Watson und Belman cc) EuGH Rs. 149177, Slg. 1978, 1365 - Defrenne

ff) EuGH Rs. 201/85, Slg. 1986, 3477 - Klensch . . . . . . . . . .

191

gg) EuGH Rs. 12/86, Slg. 1987, 3719 - Demirel . . . . . . . . . . .

192

hh) EuGH Rs. 352/85, Slg. 1988, 2085 - L'Association Bond van Adverteerdes vs. the Netherlands . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

193

ii) EuGH Rs. 5/88, Slg. 1989, 2609 - Wachauf . . . . . . . . . . .

194

jj) EuGH Rs. C-260/89, Slg. 1991, I-2925- ERT . . . . . . . . . .

194

kk) EuGH Rs. C-2/92, Slg. 1994, I-955 - Bostock . . . . . . . . . .

195

II) EuGH Rs. C-368/95, EuGRZ 1997, 335 - Familiapress . . . .

196

mm) Zusammenfassende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

196

b) Eigenständige Literaturansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

196

aa) Parallele zum amerikanischen Verfassungsrecht . . . . . . . . . .

197

(I) Inkorporationstheorie

. . . . . .. . . . . .. . . . . . . . . . . .

197

(2) Bedeutung einer analogen Inkorporation für das Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

199

Inhaltsverzeichnis bb) Argumentation Bleckmanns . . . . . . . c) Stellungnahme

. . .. . . . . .. . ... . . . . . . ... . . .. . . . . . .

17 199 200

aa) Zu einer Inkorporation im allgemeinen

200

bb) Bedeutung flir die transeuropäischen Verkehrsnetze . . . . . . . .

204

B. Allgemeiner Grundrechtsschutz der nationalen Gerichte bei Sachverhalten mit Gemeinschaftsbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

205

I. Bundesverfassungsgerichtliche Solange-Rechtsprechung und das sogenannte Kooperationsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

205

1. Erinnerung an Solange .

206

2. "Kooperationsverhältnis"

208

a) Unterschied zu Solange II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

208

b) Erweiterter nationaler Grundrechtsprüfungsumfang? . . . . . . . . . .

210

II. Änderung der Eurocontrol-Rechtsprechung, BVerfGE 58, 1 . . . . . . . . .

212

1. Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

212

2. Bewertung der Rechtsprechung . . . . . . . . .

213

III. Möglichkeiten des bundesverfassungsgerichtliehen Grundrechtsschutzes bei nicht mehr vom Zustimmungsgesetz gedecktem Gemeinschaftshandeln . . .

216

I. Der EGV I EUV als Prüfungsgegenstand .. .

217

2. Der grundgesetzliche Prüfungsmaßstab ... .

218

3. Auswirkungen dieser Konzeption auf den bundesverfassungsgerichtliehen Grundrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . .

220

IV. Zusammenfassendes Ergebnis . . . . . . . . . . .

220

C. Gemeinschaftliche und nationale Grundrechtsprobleme bei der Umsetzung transeuropäischer Verkehrsnetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

221

I. Gemeinschaftsgrundrechtsschutz bei einer direkten gemeinschaftsrechtlichen Verkehrsprojektimplementierung nach Art. 75 Abs. I lit. d) EGV . .

221

1. Das Eigentumsgrundrecht in der EG

. . . . . . . . .. . . . .. . . . . . .

221

a) Art. 222 EGV als Hindernis flir Gemeinschaftsgrundrecht?

221

b) Schutzbereich des gemeinschaftlichen Eigentumsgrundrechts

223

c) Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

225

d) Rechtfertigung eines Eingriffs in das Eigentum

227

2 Jürgensen

18

Inhaltsverzeichnis aa) Grundsätzliche Aussagen zu den Grundrechtsschranken

227

(I) EuGH-Rechtsprechung bezüglich des Grundrechtsschutzes .

227

(2) Bedeutung der EMRK

. . . . . .. . . . .. . .. . . .. . . . .

230

bb) Verhältnismäßigkeitspriifung und Wesensgehaltsgarantie . . . . .

232

(I) Legitimes Ziel

. .. .. . .. .. . . . .. .. . . . . . . . . . . .

232

(2) Geeignetheil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

233

(3) Erforderlichkeil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

233

(4) Verhältnismäßigkeit i.e.S./ Allgemeininteresse . . . . . . . . .

235

(5) Wesensgehaltsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

235

cc) Eigentumsspezifische Anforderungen an Grundrechtseingriffe . .

236

(I) Sozialbindung und gesellschaftliche Funktion . . . . . . . . .

236

(2) Verbot des Einzelfallgesetzes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

237

(3) Enteignungsentschädigung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

237

dd) Sonstige allgemeine rechtsstaatliche Grundsätze bei der Begrenzung von Grundrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

239

(I) Gesetzes- bzw. Parlamentsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . .

239

(2) Vertrauensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

240

2. Das Grundrecht auf Gesundheit

. . .. . .. . . . . .. . . . . .. . . . . .

240

3. Verfahrensgrundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

242

a) Beachtlichkeil europäischer Verfahrensgrundrechte . . . . . . . . . . .

242

aa) Beschränkung auf das Europäische Verwaltungsrecht? . . . . . .

242

bb) Europäische Verfahrensgrundrechte außerhalb eines eigenständigen Gemeinschaftsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

243

b) Vertrauensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

244

aa) Vertrauenstatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

245

bb) Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

247

cc) Schutzwürdigkeit des Vertrauens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

248

dd) Interessenahwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

248

c) Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs

. . . . . .. . . . . . . . . . . .

249

II. Allgemeine gemeinschaftsrechtliche Leitlinien und nationale Verwaltungsumsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

252

I. Betroffenheit europäischer Grundrechte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

252

2. Nationaler Grundrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

252

Inhaltsverzeichnis

19

a) Art. 14 GG als verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab im herkömmlichen Planungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

253

aa) Gerichtliche Kontrolldichte durch das BVerfG, BVerwG und den BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

253

bb) Administrativenteignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

256

(I) Der Allgemeinwohlbegriff

257

(2) Europäische Einwirkungen

258

(3) Junktimklausel

260

. .. .. ... . .. . . .. .. . . . . . . . . . . .

cc) Nachbarrechtliche Einwirkungen bei Verkehrsprojekten b) Gesundheitsschutz nach Art. 2 Abs. 2 S. I GG

262

. . . . . . . . . . . .

265

c) Rechtsschutzrelevante Grundrechtsprobleme beim innerstaatlichen Verwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

266

aa) Verfahrensstraffungen im Planfeststellungsverfahren und gerichtlicher Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

266

bb) Grundrechtsbedenkliche Plangenehmigung? . . . . . . . . . . . . .

267

cc) Grundrechtsrelevantes Rechtsschutzdefizit beim VerkPBG?

269

III. Allgemeine europäische Leitlinien und nationale Umsetzung durch Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

271

I. Europäischer Grundrechtsmaßstab? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

271

2. Nationaler Grundrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

271

a) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung eines Eingriffs in Art. 14 Abs. I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

272

aa) Zulässigkeit einer Legalenteignung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

272

(l) Begriff der Legalenteignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

272

(2) Verhältnis zur Administrativenteignung . . . . . . . . . . . . .

273

(3) Besonderheiten fl.ir Legalenteignungen . . . . . . . . . . . . . .

274

bb) Einzelfallgesetz und nachbarrechtliche Auswirkungen . . . . . . .

277

b) Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. l GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

279

c) Maßnahmegesetz und Art. 19 Abs. I S. I GG . . . . . . . . . . . . .

279

d) Die Beachtung des Art. 19 Abs. 4 S. l GG . . . . . . . . . . . . . . .

282

2*

aa) Verfahrensanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

282

(l ) Innerstaatliche Verfahrensanforderungen . . . . . . . . . . . . .

284

(2) Europäische Mindestanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . .

287

Inhaltsverzeichnis

20

bb) Der gerichtliche Rechtsschutz nach An. 19 Abs. 4 S. I GG ..

288

cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

292

3. Kommunale Selbstverwaltung gemäß An. 28 Abs. 2 GG

. . . . . . . .

292

D. Grundrecht auf Mobilität? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .

295

.... . .... . .... ... .. .

295

1. Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .

295

2. Problemstellung

. . . . . . .. . .. .. .. . . . . . . ... . .. . . . . . . .

296

II. Herleitungsversuche auf nationaler Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

297

I. Begriffsbestimmung und Problemstellung

. . . . . .. . . ... . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . .

297

2. Mögliche Ansatzpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1. Klammertheorie

298

a) Dogmatische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .

298

b) Die Kategorisierung als "Grundrecht" . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

299

3. Das Grundrecht auf Mobilität als Abwehr- und Teilhaberecht .. . .. .

302

4. Das Grundrecht auf Mobilität als Leistungsgrundrecht

. . . . . . . .. .

304

III. Grundrecht der Mobilität aus europäischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . .

305

Resümee

I. Effektive Kompetenzausfüllung der Gemeinschaft

308 308

II. Bedeutung innerstaatlicher Planungsumsetzungen . . . . . . . . . . . . . . . .

309

III. Effektiver Gemeinschaftsgrundrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

310

IV. Nationaler Grundrechtsschutz

312

V. Das Grundrecht auf Mobilität

313

Literaturverzeichnis

314

Stichwortverzeichnis

337

Abkürzungsverzeichnis a.A.

anderer Ansicht

a.a.O.

am angegebenen Ort

ABI.

Amtsblatt

AEG

Allgemeines Eisenbahngesetz

AFDI

Annuaire franc;ais de droit international

AtP

Archiv fiir Presserecht

Arun.

Anmerkung

AöR

Archiv des öffentlichen Rechts

AWD

Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters

BauGB

Baugesetzbuch

BayVBI.

Bayerische Verwaltungsblätter

BB

Betriebsberater

BGBI.

Bundesgesetzblatt

BGH

Bundesgerichtshof

BlmschV

Bundesimmissionsschutzverordnung

BK

Bonner Kommentar zum Grundgesetz

BR-Ds

Bundesratsdrucksache

BT-Ds

Bundestagsdrucksache

BullBReg

Bulletin der Bundesregierung

BullEG

Bulletin der Europäischen Gemeinschaften

BullEU

Bulletin der Europäischen Union

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BVerfGG

Bundesverfassungsgerichtsgesetz

BVerwG

Bundesverwaltungsgericht

BVerwGE

Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts

CahDrEur

Cahiers de droit europeen

CMLRev.

Common Market Law Review

DAR

Deutsches Autorecht

DB-AG

Deutsche Bahn-Aktiengesellschaft

ders.

derselbe

22

Abkürzungsverzeichnis

DJT

Deutscher Juristentag

DÖV

Die öffentliche Verwaltung

DtZ

Deutsch-deutsche Rechts-Zeitschrift

DVBI.

Deutsches Verwaltungsblatt

E

Entscheidung

EA

Europa-Archiv

E/B

Ehlermann I Bieber, Handbuch des Europäischen Rechts

EEA

Einheitliche Europäische Akte

EGMR

Europäischer Gerichtshof fiir Menschenrechte

EGV

Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft

Einl. ALR

Einleitung zum Allgemeinen Landrecht fiir die Preußischen Staaten ( 1794)

EJIL

European Journal of International Law

ELR

European Law Review

EMRK

Europäische Menschenrechtskonvention

EP

Europäisches Parlament

EuG

Europäisches Gericht 1. Instanz

EuGH

Europäischer Gerichtshof

EuGRZ

Europäische Grundrechte-Zeitschrift

EuR

Europarecht

EUV

Vertrag zur Gründung einer Europäischen Union

EuZW

Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

EWGV

Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft

EWR

Europäischer Wirtschaftsraum

EWS

Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht

FernStrAbG

Bundesfernstraßenausbaugesetz

FernStrG

Bundesfernstraßengesetz

FS

Festschrift

GASP

Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik

GATT

General Agreement on Tariffs and Trade

GG

Grundgesetz

GS

Gedächnisschrift

GTE

von der Groeben I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWG-Vertrag

GVP

Gemeinsame Verkehrspolitik

HandKornmEUV

Handkommentar zum EUV

HdBStR

Handbuch des Staatsrechts

Abkürzungsverzeichnis HRLJ

23

Human Rights Law Journal

Hrsg.

Herausgeber

ICLQ

International and Comparative Law Quarterly

IPWSKR

Internationaler Pakt fur wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

JCMS

Journal of Common Market Studies

JIR

Jahrbuch des Internationalen Rechts

JöR

Jahrbuch des öffentlichen Rechts

JT

Journal des tribunaux

JuS

Juristische Schulung

JZ

Juristenzeitung

KSE

Kölner Schriften zum Europarecht

LIEI

Legal Issues of European Integration

LuftVG

Luftverkehrsgesetz

MD

Maunz I Dürig, Grundgesetz

NJ

Neue Justiz

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NuR

Natur und Recht

NVwZ

Neue Zeitschrift fur Verwaltungsrecht

NVwZ-RR

Neue Zeitschrift fur Verwaltungsrecht I Rechtsprechungsreport

PlverfG

Planungsvereinfachungsgesetz

RAE

Revue des affaires europeennes

RatsE

Entscheidung des Rates

RIW

Recht der Internationalen Wirtschaft

RL

Richtlinie

RMC

Revue de Marche Commun et de I'Union Europeenne

Rn.

Randnummer

ROG

Raumordnungsgesetz

Rs.

Rechtssache

Rspr.

Rechtsprechung

RTDE

Revue trimestrielle de droit europeenne

s.

siehe

Slg.

Sammlung

TEN

Transeuropäische Netze

TGV

Train

UPR

Umwelt- und Planungsrecht

Urt.

Urteil

a grande vitesse

24

Abkürzungsverzeichnis

UVP

Umweltverträglichkeitsprüfung

VBlBW

Verwaltungsblätter Baden-Würtenberg

Verb. Rs.

Verbundene Rechtssachen

VerkPBG

Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz

vgl.

vergleiche

vo

Verordnung

Vol.

Volume

VVDStRL

Veröffentlichungen der Vereinigung deutscher Staatsrechtslehrer

VwGO

Verwaltungsgerichtsordnung

VwVfD

Verwaltungsverfahrensgesetz

WaStrG

Bundeswasserstraßengesetz

WLR

Washington Law Review

WM

Wertpapiermitteilungen

WRV

Weimarer Reichsverfassung

WTO

World Trade Organsisation

YbEL

Yearbook of European Law

ZaöRV

Zeitschrift fiir ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht

ZfVerk

Zeitschrift fiir Verkehrswissenschaft

ZParl

Zeitschrift fiir Parlamentsrecht

ZSchrift

Zeitschrift

ZSchwlnt und EuropR

Schweizerische Zeitschrift fiir Internationales und Europäisches Recht

[Europe] is the fountain of Christian faith and Christian ethics. lt is the origin of most of the culture, arts, philosophy and science both of ancient and modern times. If Europe were once united in the sharing of its comrnon inheritance, there would be no Iimit to the happiness, to the prosperity and glory which its three or four hundred million people would enjoy. ( ... ) We must build a kind of United States of Europe. Sir Winston S. Churchi/1 ( 1946)

Einleitung I. Der Begriff der "transeuropäischen Verkehrsnetze" Durch den Maastrichter Unionsvertrag vom 7.2.1992 wurde ein neuer Titel XII in den E(W)GV aufgenommen, der sich mit den transeuropäischen Netzen beschäftigt. Gemeint sind damit Infrastrukturnetze im Bereich Verkehr, Telekommunikation und Energie, Art. 129b EGV. Dadurch, daß die Vertragsschöpfer den Begriff der transeuropäischen Netze wählten, drückten sie aus, daß der Aufbau dieser Infrastrukturen nicht auf die Gemeinschaft beschränkt, sondern gesamteuropäisch angelegt sein solle. 1 Im Rahmen dieser Arbeit geht es um die Errichtung der transeuropäischen Verkehrsnetze. Was ist darunter zu verstehen? In erster Linie sind damit die grundlegenden Infrastruktureinrichtungen wie Straßen, Eisenbahn- und Wasserwege sowie See- und Flughäfen gemeint. Darüber hinaus werden aber auch die sie begleitenden Einrichtungen erfaßt. Dies betrifft ·zum Beispiel Verkehrsmanagementsysteme, die der effektiven Nutzung der Straßen dienen.2 Im Eisenbahnbereich betrifft dies beispielsweise Fragen der technischen Operabilität der Netze. Als eine begleitende Einrichtung kann darüber hinaus 1 Siehe Art. 2 lit. h) der Entscheidung Nr. 1626/96 des Rates und des Parlamentes vom 23.7.1996, ABI. L 22811 vom 9.9.1996, corrigendum in: ABI. L 1511 vom 17.1.1997 (im folgenden: Entscheidung Nr. 1626 I 96); s.a, Grabitz I Hilf-Frohnmeyer, vor Art. 129b Rn. I; E I B-Erdmenger, Art. 129b Rn. 2. 2 Siehe Art. 3 i.V.m. Anhang II, Abschnitt 2 B. Entscheidung Nr. 1626196 vom 23.7. 1996, ABI. L 228 1 I vom 9.9.1996.

26

Einleitung

der kombinierte Verkehr aufgefaßt werden. Dieser stellt kein eigenes Betriebssystem dar, sondern dient der optimalen Verknüpfung der verschiedenen Transportmittel. Entsprechend kommt es insoweit insbesondere im Güterverkehr auf geeignete Umschlagplätze an. 3 Angesichts dieser Komplexität nimmt die nachfolgende Darstellung gezwungenermaßen eine Eingrenzung auf den wichtigsten Bereich der transeuropäischen Verkehrsnetze vor: Es werden nur die Probleme beim Aufbau der grundlegenden Infrastruktureinrichtungen insbesondere in Hinblick auf den Straßen- und Schienenwegebau erörtert, da die rechtstheoretischen und praktischen Grundlagen hier am weitesten entwickelt sind.

II. Die Notwendigkeit eines europäischen Verkehrsnetzes Die Verkehrsleistungen im Güterverkehr sind von 1970 bis 1990 um 65% gestiegen, wobei insbesondere der Straßenverkehr um ca. I 00% zunahm, während bei der Bahn sogar ein leichter Rückgang zu verzeichnen war. Im Personenverkehr stieg die Anzahl der Personenkilometer in dem gleichen Zeitraum um über 85%, wobei auch hier der Zuwachs im PKW-Verkehr bei fast 100% lag.4 Während die jährliche Zuwachsrate beim Personenverkehr somit 3,1% erreichte, belief sie sich bei Gütern immer noch auf 2,3%.5 Das Verkehrsaufkommen ist insgesamt nicht nur rasant gestiegen, sondern hat sich auch hin zum Individualverkehr verlagert. Bis zum Jahr 2000 rechnet man mit einer Zunahme des Verkehrs um weitere 30%. 6 Die zwischenstaatliche Verkehrsentwicklung ist dabei im Vergleich zum rein innerstaatlichen Binnenverkehr überproportional gestiegen. 7 Hier stößt diese Entwicklung jedoch auf eine insbesondere in den Grenzgebieten schlechter ausgebaute Verkehrsinfrastruktur. 8

3 Art. 14 i.V.m. Anhang II, Abschnitt 7 Entscheidung Nr. 1626 196 vom 23.7.1996, ABI. L 228 1 I vom 9.9.1996. 4 Siehe BullEG Beil. 3 I 93, S. 8 f., 76 f. 5 KOM (92) 231 , S. 4. 6 KOM (92) 231, S. 4; vgl. auch Tagesspiegel vom 14.9.1995; s. zu diesen Zahlen aus verkehrswissenschaftlicher Sicht Va/lee, Quantifizierung oberer und unterer Grenzen der Mobilität, IntVerkehrswesen 1995, 99 ff.; ders., Das Verkehrsangebot als Basis zur Berechnung der Mobilität im Stadtverkehr, ZtVerkehrswissenschaft 1994, 255 ff.; Czerwenka, Verkehrsentwicklung im Zivilisationsprozeß, IntVerkehrswesen 1992, 422 ff. 7 BullEG Beil. 8 I 1979 Ziff. 5, 9; Elsholz, ZtVerk 1994, I I 2. 8 Es verwundert angesichts dieser Zahlen nicht, daß nach einer Umfrage von 1993 bei 1500 europäischen Wirtschaftsmanagern mehr als die Hälfte die Infrastruktur für unzureichend im globalen Wettbewerb halten; s. Vinois, RMC 1995, 83 I 83 f.

Einleitung

27

Diese Verkehrsentwicklung spiegelt im industriellen Bereich den Trend zu neuen Produktionsweisen wie z.B. dem "Just-in-time"-Prinzip wieder, wonach die Unternehmen auf große Lagerkapazitäten verzichten und es daher statt eines größeren und umfangreicheren Transportes vieler kleinerer und rechtzeitiger Lieferungen bedarf. 9 Für den Dienstleistungssektor ist daneben eine immer größere Mobilität festzustellen, die zu einer Europäisierung der nationalen Märkte geführt hat. Die Liberalisierungsansätze im Dienstleistungshereich des Güter- und Personenverkehrs haben schon im Luftverkehr für einen rasanten Zuwachs der Passagierzahlen gesorgt, so daß der weitere Abbau von Beschränkungen auch im Transportgewerbe zu einer verstärkten Belastung der Landverbindungen führen wird. 10 Zeitverluste beim Transport beeinträchtigen dabei die Produktivität und die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft im weltweiten Vergleich. 11 Gleichzeitig ist der Verkehrssektor ein wichtiger Arbeitgeber. Der Anteil am Bruttoinlandsprodukt liegt bei ca. 8%, die Anzahl der direkt Beschäftigten 1991 bei ca. 5,6 Mio. Im allgemeinen wird dem Bau der transeuropäischen Netze damit auch eine Schlüsselfunktion bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zugewiesen. 12 Im privaten Bereich hat der zunehmende Wohlstand zu einer Stadtflucht geführt mit der Folge, daß Arbeitsplatz und Wohnstätte immer weiter auseinander liegen. Die Steigerung des verfügbaren Einkommens bewirkte eine Zunahme des individuellen Kraftfahrzeugbestandes und des Ferien- und Freizeitverkehrs.13 Zunehmende Mobilität ist somit gerade auch für die persönliche Lebensführung kennzeichnend und selbstverständliches Bedürfnis geworden. Diese Verkehrsentwicklung wird auch unter dem Aspekt der Regionalförderung gesehen. 14 In wirtschaftlicher Hinsicht geht es darum, ein Gleichgewicht zwischen den Ballungsgebieten und den Randgebieten der Gemeinschaft herzustellen. 15 Gleichzeitig soll das Verknüpfen von nationalen Netzen und das Zusammenbringen der Regionen und Völker eine europäische Identität fördern. 16 Insoweit bleiben Abs. I und 8 Präambel-EGV aktuell, die es 9

Schmidhuber! Hitz/er, DÖV 1991, 2711272. Hort, EA 1989, 703 I 705 f.

10 11

Weißbuch der EG, BullEG Beil. 6 193, S. 82.

Weißbuch der EG, BullEG Beil. 6 I 93, S. 82; s.a. Wirtschafts- und Sozia1ausschuß, ABI. C 397124 vom 3l.l2.1994, Ziff. 1.4. 12

13

BullEG Beil. 3 I 93, S. 7.

14

Art. 2 lit. g) Entscheidung Nr. 1626196 vom 23.7.1996, ABI. L 2281 I vom 9.9.1996.

15

Vgl. nur EP vom 18.9.1992, ABI. C 2841176 vom 2. Il.l992.

16 Zum Zusammenhang von wirtschaftlicher und politischer Konzeption im Sinne Robert Schumanns Cartou, Communautes europeenes, 1991, S. 36 Rn. 43; vgl. auch Dinan, An Ever Closer Union?, 1994, S. 9 ff.

28

Einleitung

zum Ziel der Gemeinschaft erklären, "die Grundlagen für einen immer engeren Zusammenschluß der europäischen Völker zu schaffen" und "durch diesen Zusammenschluß ihrer Wirtschaftskräfte Frieden und Freiheit zu wahren und zu festigen." Da auf der anderen Seite die öffentlichen Investitionen in das Infrastrukturnetz von 1,5% im Jahre 1975 auf 1% ( 1990) gemessen am Anteil des Bruttosozialproduktes zurückgegangen sind, besteht die Gefahr, daß das Ziel des freien Verkehrs von Personen, Waren und Dienstleistungen als Kernbestandteile des Binnenmarktes nicht mehr erreicht werden kann. 17 In dem Zusammenhang mit dem Verkehrswegebau muß ebenfalls der Umweltschutzes erwähnt werden, wenn auch ein vertiefendes Eingehen auf diese Problematik im Laufe der Arbeit kaum möglich sein wird. 18 Der Bundestag hat bei den Beratungen zum Maastrichter Vertrag darauf hingewiesen, daß ein "umweltverträglicher Verkehr" zu ermöglichen sei und daher den Schienenwegen Vorrang bei den transeuropäischen Netzen eingeräumt werden müsse. 19 Diese Forderung korrespondiert mit einer Entschließung des Europäischen Parlamentes über Verkehr und Umwelt vom 11.9.1991 und vom 18.9.1992, wo auf die Weiterentwicklung umweltverträglicher Verkehrsinfrastrukturen gedrängt wird. 20 Die Kommission ist durch ein Grünbuch zu den Auswirkungen des Verkehrs auf die Umwelt vom 19.2.1992 auf diese Problematik ausführlich eingegangen. 21 Auch der Rat hat die Bedeutung des Umweltschutzes erkannt. 22 Im Bereich der Realisierung transeuropäischer Verkehrsnetze werden im Rahmen der vorliegenden Arbeit die verschiedenen planungsrechtlichen Wege darzustellen sein, die der Realisierung des Gemeinschaftszieles dienen kön17

KOM (92) 231, S. 5.

S.a. BuiiEG Beil. 3 I 93, S. II f., 38 tf., z.B. würde bei einer kontinuierlichen Zunahme der bisherigen Verkehrsentwicklung allein die Kohlendioxyd-Emissionen von 1990 bis 2000 um 24,6% ansteigen; wohl auch vor diesem Hintergrund geht es der Kornmission um eine "auf Dauer tragbare Mobilität", s. ebd. S. 14 f. 19 BT-Drs. 12 13895 vorn 1.12.1992, S. 9. IK

20 ABI. C 267 vorn 14.10.1991, BuiiEG 911991, Ziff. 1.2.46.; ABI. C 2841165 vorn 2.11.1992; s.a. ABI. C 176 vorn 28.6.1993; das EP hat nunmehr die Kornmission aufgefordert, innerhalb der nächsten zwei Jahre Mindesturnweltstandards fiir jeden Verkehrsträger vorzulegen, ABI. C 151 I 248 vorn 19.6.1995, Vorschlag des EP zur Einfugung eines entsprechenden Art. 28a in die Entscheidung über das Leitlinienkonzept In dem Gemeinsamen Standpunkt des Rates vorn 28.9.1995, ABI. C 331 vorn 8.12.1995 ist dieser Vorschlag nicht aufgegriffen worden. Nach Anrufung des Vermittlungsausschusses durch das Parlament, mit dem Ziel, eine Einigung über die Aufnahme der Notwendigkeit einer Urnweltverträglichkeitsprüfung in den Rechtsakt zu erreichen, wurde in Art. 8 Entscheidung Nr. 1626196 vorn 23.7.1996, ABI. L 228 1 I die Beachtung des Umweltschutzes ausdrücklich festgelegt. 21 KOM (92) 46, BullEG 1- 2 I 1992, Ziff. 1.3.111. 22

BuiiEG 6 I 1993, Ziff. 1.2.11 0.

29

Einleitung

nen. Es handelt sich insoweit um ein kooperatives Verhältnis zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, wo die Gemeinschaft einen allgemeinen (Ziel-) Rahmen erarbeitet und die konkrete (Rechts-) Umsetzung in aller Regel den Mitgliedstaaten obliegt. 23 Gleichwohl ist es möglich, daß in Einzelfällen auch ein europäischer Rechtsakt Grundlage fiir die Projektverwirklichung sein kann. 24 Diese Überlegung beruht einerseits auf der national oft nur schwierigen Entscheidungstindung bzw. der verfassungsrechtlichen Umstrittenheit von Investitionsmaßnahmegesetzen. Andererseits muß die nationale Infrastrukturplanung auch nicht stets mit dem gemeinschaftlichen Interesse übereinstimmen. 25 Als Beispiele seien hier nur die Verbindung von London zum Ärmelkanaltunnel oder der Streckenausbau von Paris über Brüssel nach Köln erwähnt. 26 Gerade kleinere Mitgliedstaaten zeigen zum Teil geringeres Interesse am Ausbau des Hochgeschwindigkeitsnetzes, da sie keine großen Entfernungen im Binnenverkehr zu überwinden haben und der Zeitgewinn somit relativ gering ist. Hinzu kommt, daß die Rentabilität der Strecke auf rein nationaler Ebene nicht immer gewährleistet sein kann. 27 Schematisch dargestellt sehen die Prüfungseckpunkte fiir den transeuropäischen Verkehrswegebau folgendermaßen aus:

Rolle der Gemeinschaft

Rolle der Bundesrepublik

Grundplanung, -entscheidung

Leitlinien, Art .. 129c Abs. 1 I. Sp.strich EGV

Bundesverkehrswegeplan, gesetzliche Ausbaupläne

Einzelplanung, -entscheidung

Kompetenz aus Art. 75 Abs. I lit. d) EGV

Umsetzung durch Verwaltungsakt oder Gesetz

23 Ein kooperatives Verhältnis muß nicht nur fiir die Umsetzung gelten, sondern kann auch schon fiir die innerstaatliche Rahmenplanung relevant sein, vgl. die Aussage des damaligen Bundesverkehrsministers Krause zum Bundesverkehrswegeplan 1992 in: BuliBReg. 1992, 745. 24 Hort, EA 1989, 703 1708 hat insoweit schon das Wort vorn "Europäischen P1anfeststellungsverfahren" geprägt, dieses dann jedoch selbst allein auf finanzielle Maßnahmen beschränkt. 25 Vgl. insoweit nur die zwischen Nachbarländern oftmals geringe Koordinierung, EP vom 6.4.1987 ABI. C 125 vom 11.5.1987; s.a. BuliEG Beil. 8 / 1979, Ziff. 12, 31. 26 BuliEG 9 / 1990, Ziff. 1.2.180.; zu den Divergenzen von nationalen und europäischem Interesse vgl. auch FAZ vom 5.4.1995, FAZ vom 7.4.1995; zu den finanziellen Schwierigkeiten bei der Verwirklichung dieser Projektes. Kornmissionsbericht, EuZW 1996, 99. 27 Siehe Kulke-Fiedler, Int. Verkehrswesen 1992, 259 / 260.

30

Einleitung

111. Bedeutung der Grundrechtsfragen Bei der Schaffung von Verkehrsinfrastrukturen müssen individuelle Rechte soweit wie möglich geachtet werden, um Konflikte zu vermeiden. In einem Bericht der "Christophersen"-Gruppe28 an den Europäischen Rat in Korfu wurde ausdrücklich formuliert29 : "Der Auf- und Ausbau transeuropäischer Verkehrsinfrastrukturnetze ( .. .) unterliegt einer Vielzahl materiell- und verfahrensrechtlicher Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Union. Hierzu zählen u.a.: ( ... ) Eigentumsfragen und die Verfahren zur freiwilligen und zwangsweisen Enteignung (mit angemessener Entschädigung) sowie der Schutz staatsbürgerlicher Rechte, wonach der Einzelne vor Gericht gehen kann, wenn er sich von einem Infrastrukturvorhaben in seinen Rechten beeinträchtigt fiihlt."

Das EP hat in einer Entschließung vom 12.6.1992 ebenfalls zum Ausdruck gebracht, daß "( . . . ) es zwar wünschenswert ist, die Planungs- und Bauzeiten fiir Infrastrukturvorhaben abzukürzen, z.B. durch rechtzeitiges Tätigwerden der nationalen und lokalen Planungsbehörden, rasche politische Entscheidungen und beschleunigte Durchführung der Bauvorhaben, die Mitspracherechte von Bürgern, ( .. .) in den Verwaltungsverfahren und der Umweltverträglichkeitsprüfung aber gewahrt werden müssen, ( . .. )." 30

Der damit angesprochene Grundrechtsschutz ist im Prinzip unterschiedlich ausgestaltet, je nachdem, ob sich der Betroffene gegen Maßnahmen der Gemeinschaft oder der Mitgliedstaaten wendet. Europäische und nationale Grundrechte sind nicht identisch. Zwar ist das Ziel des Individualschutzes gleich, dennoch ist die Abwägung mit anderen Rechtsgütern in dem jeweiligen Rechtssystem verbunden. Es wird im Verlaufe der Darstellung allerdings deutlich werden, daß die nationalen Grundrechte unter stärkerer Berücksichtigung europäischer Belange auszulegen sind, so daß insoweit eine Annäherung der beiden Rechtsordnungen erfolgt. Wie diese gemeinschaftsrechtlichen Abwägungen im Bereich der transeuropäischen Verkehrsnetze aussehen, wird bei der Prüfung der einzelnen Gemeinschaftsgrundrechte deutlich werden. Im Bereich des gerichtlichen Grundrechtsschutzes ist eine kritische Bewertung der Haltung des BVerfG zum EuGH geboten. Dies erfolgt unter Berücksichtigung der Veränderungen durch den Art. F Abs. 2 EUV und des 2x Es handelt sich dabei um eine Gruppe der persönlichen Beauftragten der Staats- und Regierungschefs, die in regelmäßigen Abständen über die Fortschritte bei der Verwirklichung der transeuropäischen Netze berichten soll, s. BullEU Beil. 2 I 94, S. 41 ff. 29 BullEU Beil. 2 11994, S. 41 / 56 f.; vgl. auch Bu!IEU 12 / 1994, Ziff. I. 37, und zust. der Europäische Rat in Essen, Bui!EU 12 I 1994, Ziff. 1.6. 30 EP am 12.6.1992, ABI. C 176 / 248 vom 13.7.1992.

Einleitung

31

Karlsruher Urteils zum Maastrichter Vertrag. 31 In diesem Zusammenhang ist darzulegen, wie sich das "Kooperationsverhältnis" zugunsten eines Letztentscheidungsrechts des EuGH auswirken kann, wenn der Gerichtshof einen Gemeinschaftsgrundrechtsschutz auch gegenüber mitgliedstaatliehen Maßnahmen gewährt. Dies erscheint vor allem vor dem Hintergrund einer rechtlichen Gleichbehandlung und eines einheitlichen und identitätsstiftenden europäischen Grundrechtsgedankens gerechtfertigt. Die Erörterung dieser Fragen geht von dem klassisschen Verständnis der Grundrechte als Abwehrrechte aus. In letzter Zeit hat es allerdings daneben in der Lehre Bemühungen gegeben, ein Grundrecht auf Mobilität zu begründen. Darunter wird in der Regel ein Leistungs- und Teilhaberecht auf die Schaffung und die Nutzung von Infrastruktureinrichtungen verstanden. Es wird in einem letzten Abschnitt dargelegt werden, daß die Anerkennung eines Grundrechtes der Mobilität grundsätzlich berechtigt ist. Allerdings muß sich dieses in die gängige Grundrechtslehre einfügen, und deswegen ist es in erster Linie als Abwehrrecht aufzufassen. Darüber hinaus hat es als Teilhaberecht für die Nutzung der vorhandenen Infrastruktureinrichtungen Bedeutung. Es ist angesichts der bestehenden Verkehrswegeeinrichtungen jedoch nicht möglich, das Grundrecht der Mobilität als ein allgemeines Leistungsrecht zu definieren.

31

BVerfGE 89, 155.

1. Teil

Verkehrswegeplanung in der EG Verkehrswege sind für die Entwicklung eines Gemeinwesens seit jeher von großer Bedeutung gewesen. Schon in römischer Zeit war die Anlegung von Straßen eine wesentliche Voraussetzung für den Ausbau und Erhalt des imperium romanum. Der Eisenbahnbau des 19. Jahrhunderts war nicht nur für die wirtschaftliche und politische Entwicklung Europas, sondern beispielsweise auch für die Erschließung des amerikanischen Westens und Ostafrikas eine conditio sine qua non. 1 Dieser erste Teil der Arbeit soll zunächst auf die unter diesen Gesichtspunkten naturgemäß sehr viel bescheideneren Ansätze innerhalb der Gemeinschaft eingehen (A.). In einem zweiten Schritt sind die rechtlichen Grundlagen einer gemeinschaftsrechtlichen Verkehrswegeplanung in Hinblick auf den Kompetenzrahmen zu untersuchen (B.). Im dritten Abschnitt wird die eigentliche originäre Aufgabe der Gemeinschaft im Bereich der Rahmenplanung vertieft (C.). Darüber hinaus kann die Gemeinschaft ausnahmsweise selber spezielle Planungsakte anstelle der eigentlich zuständigen Mitgliedstaaten erlassen (D.). Der letzte Teil wird sich im Gegensatz hierzu mit der regulären Umsetzung durch die nationalen Organe beschäftigen. Diese Darstellung wird auf das Planungsrecht der Bundesrepublik beschränkt sein (E.).

A. Zielsetzung und Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten in der europäischen Infrastrukturpolitik I. Das Ziel eines Gemeinschaftsnetzes 1. Allgemeine Zielformulierungen

Der Begriff der "transeuropäischen Netze" ist zwar erst durch den Maastrichter Vertrag eingefiihrt worden, doch zumindest für den Bereich des Ver1 Für den Bau der Eisenbahn von Mombasa nach Kampala in Ostafrika s. z.B. Miller, The Lunatic Express, Nairobi 1987.

A. Zielsetzung und Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten

33

kehrs ist das dahinterstehende Ziel sehr viel älter. 2 In einer Mitteilung an den Rat vom 25.10.1973 bezeichnete die Kommission die Infrastrukturpolitik als Teil der Gemeinsamen Verkehrspolitik (GVP) im Sinne des Art. 74 EWGV. 3 In einem Memorandum der Kommission vom 7.11.1979 wurde ausdrücklich formuliert, daß "( ... ) die gemeinsame Verkehrspolitik die ihr im Vertrag von Rom gesetzten Ziele nur dann erreichen und ihre gesamtwirtschaftliche Aufgabe nur dann erfüllen kann, wenn sie auch die Verkehrswege einschließt. " 4

Die (politische) Notwendigkeit von Gemeinschaftsnetzen wird dabei bis heute unterschiedlich begründet. Abgesehen von der Aufgabe der Verwirklichung der allgemeinen Vertragsziele stellt man insbesondere auf die Integration und den Fortschritt in der Gemeinschaft durch die Entwicklung der Randgebiete und der Vernetzung zwischen den Mitgliedstaaten ab. 5 Die politische und wirtschaftliche Dimension drückt sich in Formulierungen wie "Zusammenhalt der Gemeinschaft"6 oder "Aufbau der Gemeinschaft"7 aus. 8 Zum Teil wird daneben auch konkret auf die Beseitigung von Engpässen, die Förderung technischer Innovationen und einen einheitlichen Planungsraum hingewiesen. 9 Die darüber hinausgehenden Ziele Umwelt2 Weinstock, in: Grabitz (Hrsg.), Abgestufte Integration, 1984, S. 125 I 150 Fn. 64 weist darauf hin, daß schon auf der Regierungskonferenz von Messina 1956 die Notwendigkeit des Aufbaus transnationaler Verkehrsnetze gesehen wurde, s.a. Oppermann, Europarecht, Rn. 1335: er nennt dies eine "wahrhaft europäische Aufgabe". 3 BuiiEG Beil. 16 I 1973, Ziff. 42. 4

BuiiEG Beil. 811979, Ziff. 5.

s BullEG II I 1977, Ziff. 3.3.1. , 1.3., II.6.; vgl. aber die zurückhaltenden Äußerungen des EP vom 12.6.1992, demzufolge Ziele der Infrastrukturpolitik unabhängig von regionalen Proritäten sein soll, ABI. C 176 vom 13.7.1992, BuiiEG 6 11992, Ziff. 1.3.78.; s. jetzt aber auch ftir die Regionen das EP in ständiger Hervorhebung des Zusammenhanges von Verkehr und Regionalentwicklung ABI. C 2841176 vom 2.11.1992; hinsichtlich der Integration EP ABI. C 240/70 vom 16.9.1991, ABI. C ABI. C 44154 vom 14.2.1994 und Weinstock, in: Grabitz (Hrsg.), Abgestufte Integration, S. 125 1 151: "( ... )der unmittelbare, geradezu anschaubare Integrationswert der innergemeinschaftlichen Verkehrsinfrastrukturen [ist] doch völlig unbestreitbar( .. . )". 6

BuiiEG 411987, Ziff. 2. 1.171.

7

BuiiEG 6 1 1992, Ziff. 1.3.73.

Zu der wirtschaftlichen Sichtweise s. BuiiEG 4 I 1988, Ziff. 2.1.177. "Vollendung des Binnenmarktes"; BuiiEG 7-8 I 1988, Ziff. 2.4.24. "positiver Einfluß auf innergemeinschaftlichen Handel und regionale Wirtschaftsentwicklung"; BuiiEG 12 I 1988, Ziff. 1.1.7. "Verwirklichung des europäischen Wirtschaftsraumes"; BuiiEG 6 I 1990, Ziff. 1.3.244., VO 1738193 vom 25.6.1993 ABI. L 161 14 "integrierter Verkehrsmarkt"; BuiiEG 7-8 1 91 Ziff. 1.2.1 04. "wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt"; RatsE 93 I 629 und 93 I 630 2. und 7. Begründungserwägung, ABI. L 305 I I vom I 0.12.1993 "Funktionieren des Binnenmarktes". 9 S. schon BuiiEG II I 1972, Ziff. 57 zum Verkehr als Instrument in der Regional- und 8

3 Jürgensen

34

1. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

schutz, Mobilität des Einzelnen und Arbeitsplätze spielten auch schon vor dem Maastrichter Vertrag eine Rolle. 10

2. Art. 129b EGV Nunmehr faßt Art. l29b Abs. I und 2 EGV die Zielmotivationen für die Gemeinschaftsaktionen explizit zusammen. Der Verweis auf Art. 7a Abs. l EGV kann als Bezug auf eine Reihe von Einzelvorschriften verstanden werden, die für die Realisierung des Binnenmarktes besonders dringlich erscheinen." Dadurch, daß Art. 7a Abs. l EGV ausdrücklich Art. 59 EGV nennt, wird indirekt die Dienstleistungsfreiheit als ein herausgehobenes Ziel beim Ausbau der transeuropäischen Netze betrachtet. 12 Die anderen Grundfreiheiten können in diesem Rahmen nur über Art. 7a Abs. 2 EGV Bedeutung erlangen. Dies gilt insoweittrotzder angehängten Formulierung in Art. 7a Abs. l EGV "unbeschadet der sonstigen Bestimmungen dieses Vertrages". Ansonsten wäre die explizite Nennung der Dienstleistungsfreiheit ohne Bedeutung. Die Nennung der "Wirtschaftsbeteiligten" in Art. l29b Abs. I EGV zeigt daneben, daß die Zielvorstellung durchaus nicht nur bei der Mobilitiät der Unionsbürger stehen bleibt, da zum Beispiel auch Drittstaatsangehörige, die Raumordnungspolitik; BullEG Beil. 8 / 1979, Ziff. 5, zu den Engpässen und den technischen Innovationen, ebenda, Ziff. 17, 37. 10 Vgl. für die Kommission BullEG Beil. 811979, Ziff. 20 f., Weißbuch der Kommission BullEG Beil. 6 1 1993, Ziff. 3.1.; Grünbuch der Kommission KOM (92) 46, BuiiEG 1-2 I 1992, Ziff. 1.3.111.; für das EP ABI. C 240171 vom 16.9.1991, ABI. C 125 188f. vom 7.4. 1992, speziell zu Umweltauswirkungen ABI. C 2841165 vom 18.9.1992; zu den Arbeitsplätzen s. nur BullEG 6 I 1993, Ziff. 2.1.213.; vgl. auch dazu Europäischer Rat in Brüssel BuiiEG 12 11993, Ziff. 1.3.; KOM (93) 701, S. 2, 4. 11 Grabitz I Hilf-Grabitz , Art. 8a Rn. 6; nur nebenbei sei hier die Verweisung auf Art. 84 erwähnt, die den Binnenmarkt auch insbesondere für den Verkehrssektor erfordert; das Ziel "Binnenmarkt" wird zudem durch die Bezugnahme auf Art. 7a Abs. 2 EGV in Art. 129b Abs. I EGV individualrechtlich abgesichert. Der "freie Verkehr von Waren, Personen und Dienstleistungen" erfaßt in einer weiten Umschreibung die klassischen vier Grundfreiheiten des EGV: Art. 30 ff., Art. 52 ff., Art. 59 ff. und Art. 48 ff. EGV. Allen diesen Grundfreiheiten hat der EuGH sukzessive eine zumindest grundrechtsähnliche Geltung zuerkannt. 12 Diese besondere Erwähnung kann unter Umständen auf das Urteil des EuGH Rs. 13 I 83, Slg. 1985, 1513 Europäisches Parlament I Rat hinsichtlich der Untätigkeitsklage des EP gegen den Rat zur Einführung einer gemeinsamen Verkehrspolitik zurückzuführen sein. Der EuGH verneinte zunächst eine allgemeine Verpflichtung zur Entwicklung einer Gemeinsamen Verkehrspolitik, sah dies aber bzgl. der Herstellung der Dienstleistungsfreiheit anders (EuGH Rs. 13 183, Slg. 1985, 1513 11596f., 1599 ff. Rn. 47 ff., 64 ff.); den Zusammenhang dieses Urteiles mit dem Güterverkehr und den Liberalisierungsansätzen in diesem Dienstleistungsbereich hebt wiederum Hort, EA 1989, 703 I 704 hervor; s.a. die besondere Erwähnung des Verkehrssektors im Bereich der Dienstleistungsfreiheit in Art. 61 EGV; zu dem Urteil allgemein Erdmenger, EuR 1985, 375 ff., s.a. ders., in: Basedow (Hrsg.), Europäische Verkehrspolitik, 1987, S. 83.

A. Zielsetzung und Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten

35

gegenüber der Gemeinschaft keine hervorgehobene Stellung haben, begünstigt sein können. 13 Die schon in der bisherigen Zieldefinition eine Rolle spielende Einbindung abgelegener Regionen findet sich nunmehr in Art. 129b Abs. 2 EGV wieder. Darüber hinaus werden die Regionen aber auch über den Verweis in Art. 129b Abs. 1 EGV auf Art. 130a EGV und insbesondere dessen Abs. 2 als privilegiert herausgehoben, was für das Klagerecht gern. Art. 173 Abs. 4 EGV von Bedeutung sein könnte, wenn die regionalen Gebietskörperschaften z.B. in ungerechtfertigter Art und Weise finanziell ungleich behandelt werden. 14 Die Regionalbedeutung der transeuropäischen Netze kommt daneben auch durch die Beteiligung des Ausschusses der Regionen bei der Erstellung der Leitlinien nach Art. 129d Abs. I EGV zum Ausdruck. 15

II. Die wichtigsten Aktivitäten der Gemeinschaft im Bereich der Verkehrsinfrastrukturen seit 1966 1. Infrastrukturpolitik der Gemeinschaft bis zur Einfügung der Art. 129b ff. EGV Schon die Übersicht über die Ziele zeigt, daß der Bereich der Verkehrswegeplanung kein völlig neuer Politikbereich der Gemeinschaft ist. 16 Er war bisher im Rahmen von Art. 75 I lit. c) EWGV (jetzt Art. 75 I lit. d) EGV) Gegenstand gemeinschaftsrechtlicher Aktionen. Trotz dieser "Generalerrnächtigung" hat die Gemeinschaft die Frage der Infrastrukturen allerdings eher am Rande behandelt und sich mehr mit Fragen der Marktordnung für den Güterverkehr beschäftigt. 17 13 S. aber auch EIB-Erdmenger, Art. 129b Rn. 15, der als "Wirtschaftsbeteiligte" grundsätzlich nur die Unionsbürger im Sinne von Art. 8-Se EGV sieht, sofern sie sich unabhängig von wirtschaftlichen Zwecken bewegen (z.B. beim touristischen Fernreiseverkehr).

14 Eine Klagebfi.Jgnis nach Art. 173 Abs. 2 und 3 EGV besteht allerdings nicht; dieses könnte allenfalls aus Gründen des institutionellen Gleichgewichts geboten sein (zum EP s. EuGH Rs. C-70 / 88, Slg. 1990, I-2041 12072 f. Rn. 21 ff. - Tschernobyl[); für eine allgemeine Klagebefugnis der Kommunen aus Art. 173 Abs. 2 und 3 aber Gern, NVwZ 1996, 532 I 533. 15 Zur Forderung der Beteiligung des AusschuBes aus Gründen des Subsidiaritätsprinzips, Eurpäisches Parlament ABI. C 44 I 58 vom 14.2.1994; s.a. die Forderung des EP die Einbeziehung der Regionen in die transeuropäischen Netze, BullEG 9 I 1992, Ziff. 1.2.66., ABI. C 284 vom 2.11.1992; im Gegensatz dazu die Zurückhaltung in BullEG 6 I 1992, Ziff. 1.3.78., ABI. C 176 vom 13.7.1992.

16

S.a. die Übersicht in Vinois, RMC 1995, 83 I 84.

Weinstock in: BieberiBleckmann i Capotorti, GS Sasse, Bd. I, S. 511 / 513 bezweifelt angesichts dessen den Sinn der Generalermächtigung im Bereich des Verkehrs; s.a. Pernthafer I Prantl, Raumordnung in der europäischen Intergration, 1994, S. 151 : Sie weisen 17

3•

36

1. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

a) Die Phase der Konsultationen 1966 bis 1979

Die erste Phase der gemeinschaftlichen Infrastrukturpolitik war geprägt von den Bemühungen der Kommission, einen Dialog der betroffenen Mitgliedstaaten über die Notwendigkeiten und die Möglichkeiten einer gemeinschaftlichen Verkehrswegeplanung in Gang zu setzen. Rechtliches Mittel dazu war die Ratsentscheidung zu dem Konsultationsverfahren im Bereich der Verkehrsinfrastrukturen vom 28.2.1966 18 , deren Bedeutung aber relativ gering blieb. 19 Ein entscheidender Impuls fur die Gemeinschaftsaktivitäten ging erst von der Mitteilung der Kommission an den Rat über die weitere Entwicklung der GVP vom 25.10.1973 aus. 20 Vor dem Hintergrund der Geltung der allgemeinen Vertragsziele im Verkehrssektor forderte die Kommission die Anwendung der Gemeinschaftsregeln auch im öffentlichen Infrastrukturbereich. In diesem Rahmen könne die Gemeinschaft Infrastrukturziele koordinieren, ohne Entscheidungsbefugnisse zu zentralisieren. 21 Die Kommission schlug vor, daß die Gemeinschaft in regelmäßigen Abständen eine Vorschau über die Entwicklung des Verkehrs erstellen könne, die zu einem "Gesamtorientierungsplan" fur Vorhaben von gemeinsamen Interesse fuhren würde. 22 Aufgrund dieser Mitteilung hat die Kommission in den folgenden Jahren jährlich einen Bericht über die Buchfuhrung fur die Ausgaben der Verkehrswege erstellt. 23 Daneben hat die Kommission informelle Sitzungen über die nationalen Infrastrukturprogramme organisiert, um die Mitgliedstaaten über die jeweiligen Zielvorstellungen der Nachbarstaaten zu informieren.24 Implizit sollten aber wohl auch Gemeinschaftsinteressen damit ausreichend Berücksichtigung finden.25 darauf hin, daß wegen der Unbestimmtheit der Vorschriften der Art. 74 ff. EGV Deutschland, Frankreich und Großbritannien zunächst eine Kompetenz der Gemeinschaft bestritten. IM RatsE 66 / 161/EWG vom 28.2.1966, ABI. 42 vom 8.3.1966, S. 583/66. 19 Weinstock, in: Grabitz (Hrsg.), Abgestufte Integration, S. 125/149.

2° Für Oppermann, Europarecht, Rn. 1324 ist dies der Beginn der "infrastrukturellen Phase" von 1973 bis 1982; Weinstock, in: Bieber/Bleckmann / Capotorti, GS Sasse, Bd. I, S. 511/525 weist auf den politischen Impuls für die Verkehrspolitik durch den Beitritt von Großbritannien, Irland und Dänemark hin. 21 BullEG Beil. 16/1973, Ziff. 42 f.; damit drückte die Kommission eine inherente Subsidiarität des Handeins der Gemeinschaft aus, die mit dem Eingriff in den öffentlichen Sektor der Verkehrswegeplanung erklärt werden kann. 22 BullEG Beil. 16 / 1973, Ziff. 50, 68; zum Aufbau einer Verkehrsstatistik ebd., Ziff. 87 f.

23 ABI. L 130 vom 1970, Rats VO vom 4.6.1970 zur Einführung einer Buchführung über die Ausgaben für die Verkehrswege des Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehr; s. z.B. BullEG 111975, Ziff. 2261 ; BullEG 411975, Ziff. 2280; BullEG 211977, Ziff. 2.1 .52.; BullEG 3 / 1978, Ziff. 2.1.84 f.; BullEG 2 / 1978, Ziff. 2.1.68; BullEG 7-8 I 1978, Ziff. 2.1.109.; BullEG 3/1979, Ziff. 2.1.105.; KOM (85) 481. 24 Vgl. BullEG 4/1975, Ziff. 2279; BullEG 3 I 1976, Ziff. 2299.

A. Zielsetzung und Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten

37

Im Jahre 1978 wurde diese Praxis der informellen Koordinationssitzungen durch die Gründung eines Verkehrsinfrastrukturausschusses und die Einführung eines Beratungsverfahrens institutionalisiert. 26 Dieser aus den Vertretern der Mitgliedstaaten unter Vorsitz eines Kommissionsmitglieds zusammengesetzte und der Kommission angegliederte Ausschuß ermöglichte insbesondere einen Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten sowie eine Prüfung der Entwicklung des Verkehrswegenetzes von gemeinschaftlicher Bedeutung. Alle drei Jahre sollte die Kommission dem Rat und dem Parlament einen Bericht über die Tätigkeit des Ausschusses vorlegen. Das Konsultationsverfahren gemäß der Ratsentscheidung von 1966 wurde durch Art. 7 der Ratsentscheidung über die Einrichtung des Verkehrsinfrastrukturausschusses aufgehoben. Da die Entscheidung auf Art. 75 EGV gegründet worden war, bezog sich die Tätigkeit des Ausschusses nicht auf den See- und Lufttransport gemäß Art. 84 EWGV. 27 b) Die Phase der Investitionsforderung 1979 bis 1993

Mit dem Memorandum der Kommission vom 7.11.197928 wurde die zweite Phase gemeinschaftlicher Verkehrsinfrastrukturpolitik eingeleitet. In diesem von der Kommission selbst als "Leitlinie" bezeichneten Papier erwog die Kommission eine konkrete finanzielle Förderung der Projekte von gemeinschaftlicher Bedeutung.29 Die von der Kommission schon 1976 und 1977 unterbreiteten Vorschläge waren vom Rat bis dahin nicht entschieden worden. 30 Die Kommission schlug vor, Engpässe zu ermitteln und ein Gemeinschaftsnetz zu entwerfen.31

25 Vgl. Mitteilung der Kommission an den Rat vorn 28.11.1977, BullEG 11 / 1977, Ziff. 3.3.1., Il.6. 26 RatsE 78 / 174/EWG vorn 20.2.1978, ABI. L 54/16 vom 25.2.1978; in der Entscheidung des Rates und des Parlamentes Nr. 1626/96 vorn 23.7.1996, ABI. L 228 / 1 vorn 9.9. 1996 wurde nunmehr in Art. 22 der Verkehrinfrastrukturausschuß abgeschafft und stattdessen durch Art. 18 ein spezielles Beratungskommittee für den Informationsaustausch geschaffen. 27 Siehe Aussant/Fornasier in: Commentaire Megret, Bd. III, S. 318 Rn. 156; Vinois, RMC 1995, 83 / 86 weist darauf hin, daß (auch) im Rahmen von Art. 129b EGV diese koordinierende Tätigkeit der Kommission erhalten bleibt. 2" BullEG Beil. 8/1979. 29 BullEG Beil. 8/1979, Ziff. 29 ff.

30 Vgl. ABI. C 207 vorn 2.9.1976; ABI. C 249 vorn 18.10.1977; zwar hatte schon die Kommission 1973 die Finanzierung angesprochen (BuliEG Beil. 16 / 1973, Ziff. 50), doch blieb sie dort sehr vage. 31 BullEG 12 / 1979, Ziff. 2.1.134; dieses Bulletin enthält schon einen Kartenteil zu Straßen-, Eisenbahn- und Binnenwasserstraßennetzen.

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l. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

Auf Grundlage von Art. 75 32 , Art. 235 EWGV33 aber auch Art. 54 EGKSV34 gewährte der Rat in den achtziger Jahren zunächst einmalige Finanzhilfen. 35 Ein erster Schritt in Richtung auf ein Gesamtkonzept bedeutete der Beschluß der Kommission dreizehn Infrastrukturvorhaben zu fördern. 36 Die Bezuschussung durch die EG steuerte dadurch den an den Bruttoanlageinvestitionen gemessenen relativen Rückgang der Infrastrukturausgaben entgegen. 37 Am 14.12.1984 legte die Kommission dem Rat in den "Leitlinien der mittelfristigen Infrastrukturpolitik" erstmalig einen Netzplan vor, in dem sie Grundzüge einer längerfristigen finanziellen Unterstützung skizzierte. 38 Diese Leitlinien vertiefte sie in einer nachfolgenden Mitteilung am 25.6.1986. 39 Es wurden daraufhin Kriterien fiir eine Finanzförderung von Projekten entwikkelt40, die tatsächlich in einer bis dahin sehr umstrittenen mehljährigen Mittelausstattung der Projekte mündete. 41 Ausdruck dieser Umstrittenheit ist die 32 VO 4048 I 88 des Rates vom 19.2.1988, ABI. L 356 I 5 vom 24.12.1988, BuiiEG 12 I 1988, Ziff. 2.1.326.; VO 1738193 des Rates vom 25.6.1993, ABI. L 16114 vom 2.7.1993. 33 VO 1889184 des Rates vom 26.6.1984, ABI. L 17714 vom 4.7.1984; Aussant/ Fornasier, a.a.O., S. 318 Rn. 157 fiihren diese Rechtsgrundlage auf das primäre Ziel des Budgetausgleichs zurück. 34

BuiiEG 211989, Ziff. 2.1.133.

Dies war erstmalig 1982 der Fall, nachdem auf Initiative des EP 10 Mio. ECU in dem Haushalt vorgesehen worden waren, s. VO 3600182 vom 30.12.1982, ABI. L 376 110 vom 31.12.1982; s. KOM (92), 231, S. 5f.; BuiiEG 7-8 I 1992, Ziff. 2.1.151.; s. im folgenden auch VO 3620184 vom 19.12.1984, ABI. L 333158 vom 21.12.1984, BuiiEG 1211984, Ziff. 2.1.199.; VO 4059186 vom 22.12.1986, ABI. L 378 vom 3L12.1986; VO 4048188 vom 19.12.1988, ABI. L 35615 vom 24.12.1988; vgl. auch die Darstellung von Pernthaler I Prantl, a.a.O., S. 153 ff. 36 Siehe Übersicht BuiiEG 7-8 I 1985, Ziff. 2.1.191. 35

37 Dieser betrug 1982 ca. 2% des Bruttosozialproduktes (absolut: 44,9 Mrd. ECU); Rückgang gemessen an den Bruttoanlageinvestitionen von 5,2% (1977) auf 4,3% (1982), KOM (85) 481, BuiiEG 9 I 1985, Ziff. 2.1.118.; gemessen am Bruttosozialprodukt ein Rückgang von von 1,5% (1975) auf 1% (1990), KOM (92) 231, S. 5. 38 BuiiEG 1211984, Ziff. 2.1.199.

BuiiEG 6/1986, Ziff. 2.1.221.; ABI. C 288 vom 15.11.1986. BuiiEG 1111986, Ziff. 2.1.227.; BuiiEG 6/1988, Ziff. 2.1.254. 41 Vgl. fiir das dreijährige Programm von 1990 bis 1992, VO 3359 I 90 vom 20.11.1990, ABI. L 326 vom 24.11.1990, BuiiEG 11/1990, Ziff. 1.3.181., fiir die Vorarbeiten s. Bezugnahmen in BuiiEG II I 1990, Ziff. 1.3.181.; fiir die Durchfiihrung durch Beschlüsse der Kommissions. BuiiEG 1111991, Ziff. 1.2.63., BuiiEG 1011992, Ziff. 1.3.69., BuiiEG 111 1992, Ziff. 1.3.93., BuiiEG 1211992, Ziff. 1.3.131.; fiir die zweijährige Verlängerung durch die VO 1738193 des Rates vom 25.6.1993, ABI. L 16114 vom 2.7.1993, fiir die Vorarbeiten s. Bezugnahmen in BuiiEG 611993, Ziff. 1.2.112.; fiir die Durchfiihrung durch die Kommissions. BuiiEG 7- 8 I 1993, Ziff. 1.2.101.; BuiiEU 7-8 I 1994, Ziff. 1.2.86. Das Versuchsprogramm war schon 1982 fiir die Jahre 1983- 87 zwar vom Rat angefordert worden, doch zeigte er sich im folgenden wenig entschlußfreudig, BuiiEG 12 I 1982, Ziff. 2.1.156.; Aussant/ Fornasier, a.a.O., S. 320 Rn. 159 wollen diese zögerliche Ratshaltung 39 40

A. Zielsetzung und Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten

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Festlegung der Kostenbeteiligung der Gemeinschaft an Projekten auf höchstens 25% der Gesamtkosten42 , nachdem ursprünglich eine Höchstgrenze von 70% bzw. 40% vorgesehen worden war. 43 Im Bereich der Verkehrsinfrastrukturen nahm die Entwicklung eines europäischen Hochgeschwindigkeitsnetzes fiir Eisenbahnen einen besonderen Stellenwert ein. 44 Nachdem die Kommission dieses Projekt bereits 1986 angestoßen hatte45 , fand sich sowohl die Unterstützung des Parlamentes46 als auch des Europäischen Rates von Rhodos. 47 Der französische TGV Atlantique wurde vom Rat auf Grundlage von Art. 54 EGKSV finanziell unterstützt. 48 Der Rat ließ diesbezüglich 1989 eine Arbeitsgruppe von der Kommission einsetzen, die ein Leitschema entwerfen sollte.49 Nachdem die Kommission zunächst eine Mitteilung an den Rat verfaßte50, gediehen die Arbeiten soweit, daß die Kommission dem Rat 1990 vorschlug, ein Leitschema fiir ein europäisches Hochgeschwindigkeitsnetz zu entwerfen, soweit es grenzüberschreitenden Charakter habe. 51 Allerdings ist das Projekt über dieses Stadium hinaus zunächst nicht vorangekommen.52 Der politische und weittragende Charakter einer Entscheidung zum Hochgeschwindigkeitsnetz mag hier hemmend gewirkt haben. 53

gerade auch in den wechselnden Rechtsgrundlagen fiir die einmaligen Finanzhilfen wiedererkennen. 42 Vgl. nur Art. 6 Abs. 4 VO 1738 / 93, ABI. L 161/4 vom 2.7.1993. 43 BullEG 7-8/ 1983, Ziff. 2.1.175; BullEG 3/1984, Ziff. 2.1.158. 44

Vgl. dazu allgemein Hort, EA 1989, 703/705 ff.; Pernthaler / Prant/, a.a.O., S. 157 ff.

BullEG 611986, Ziff. 2.1.225.; fiir weitere Kommissionsarbeiten s. BullEG I I 1989, Ziff. 2.1.89.; ABI. C 34 vom 14.2. 1990, BullEG 1111989, Ziff. 2.1.183., BullEG 12/1990, Ziff. 1.3 .2 71. "'BullEG 4/1987, Ziff. 2.1.141.; s.a. Stellungnahme des EP vom 15.5.1992 ABI. C 150 v. 15.6.1992, BuliEG 5/1992, Ziff. 1.1.73. 45

47 BullEG 12 I 1988, Ziff. 2.1.326; interessant ist dabei die beratende Beteiligung der "Gemeinschaft der europäischen Eisenbahn", BullEG 1/ 1989, Ziff. 2.1.89. 4N BullEG 211989, Ziff. 2.1.133 . 49

BuiiEG 12 / 1989, Ziff. 2.1.242.

°KOM (89) 643 endg., s. dazu Schmidhuber / Hitzler, DÖV 1991, 271/272.

5

BuiiEG 12 I 1990, Ziff. 1.3.271.; s.a. Stellungnahme des Wirtschafts-und Sozialausschusses (BuliEG 5/199,1 Ziff. 1.2.68.), der bedauert, daß noch nicht alle Mitgliedstaaten die Haupttrassen fiir das Netz endgültig festgelegt hätten. Dies deutet entweder die Fortgeschrittenheil (i.S.v. Detailliertheit) des Projektes oder aber die mitgliedstaatliche Prädominanz bei der Netzerstellung an. 52 Für weitere Untersuchungsaufträge über das Hochgeschwindigkeitsnetz vom Rat an die Kommissions. BullEG 1211990, Ziff. 1.3.272.; BuliEG 6 / 1993, Ziff. 1.2.112. 51

53 Erinnert sei nur an die Diskussion in der Bundesrepublik über den Transrapid, die zeigt, daß ein außergewöhnliches Projekt politisch nur schwer durchzusetzen ist.

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I. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

Hingegen konnten im Bereich des Straßenverkehrs, des kombinierten Verkehrs und bezüglich des Binnenwasserstraßennetzes am 29.10.1993, drei Tage vor lokrafttreten der Art. l29b ff. EGV, auf der Grundlage des alten Art. 75 Abs. I lit. c) EWGV drei Ratsentscheidungen erlassen werden. 54 Diese Entscheidungen zielen auf die Verknüpfung und Kompatibilität der nationalen Netze unter Einschluß der Verbindung von Zentral- und Randregionen. 55 Es wurde ein Leitschema zur Ermittlung von Projekten von gemeinsamem Interesse festgelegt. 56 Die Entscheidungen sind besonders interessant, da sie einen Übergang von der alten zur neuen Kompetenz vermitteln. 57 Materiell gesehen, handelt es sich um einen ersten normativ-konzertierten Ansatzpunkt für die Schaffung der transeuropäischen Netze, da z.B. auch ein ausführlicher Kartenanhang mit den Entscheidungen verbunden wurde. Inhaltlich ist der evolutive und richtungsweisende Charakter der Entscheidungen hervorzuheben. 58 Dieser drückt sich in allen drei Präambeln aus. 59 Die Karten wirkten präjudizierend fur das eigentliche Leitschema nach Art. l29c Abs. I I. Sp.strich EGV60, da dieses in dieser Hinsicht - bis auf die Einarbeitung neuer Netzpläne fur die beigetretenen Staaten Österreich, Schweden und Finnland- keine Differenzen aufweist. Konkrete Maßnahmen sehen diese Entscheidungen nicht vor. Es handelt sich bei der allgemeinen zeitlichen Zielvorstellung (zwischen sechs und zwölf Jahren) um eine politische Vorgabe, die unter den Vorbehalt des Möglichen gestellt wurde. Teilweise sollen die Projekte auch erst innerhalb der nächsten 54 Entscheidungen 93 I 628 I EWG; 93 I 629 I EWG; 93 I 630 I EWG; ABI. L 305 vom 10.12.1993; fiir die Vorarbeiten s. Bui!EG 1011993, Ziff. 1.2.74.ff.; angestoßen wurden die drei Entscheidungen durch eine Mitteilung der Kommission an den Rat vom 11 .6.1992, KOM (92) 23; s. aber auch Aufforderung des EP zur Entwicklung eines Leitschemas vom 9.7.1990, ABI. C 240 vom 16.9.1991, BullEG 7- 8 I 1991, Ziff. 1.2.104; die Kommission hat die Verbindung von dem Finanzierungsprogramm der VO 2259 I 90 und den neuen Zielsetzungen des Maastrichter Vertrages ausdrücklich hervorgehoben, KOM (92) 231, BullEG 611992, Ziff. 1.3.73. 55 Bezüglich der Regionen, s. RatsE 93 I 628 I EWG bzgl. kombinierten Verkehr Präambel, 2. Begründungserwägung; RatsE 93 I 629 I EWG bzgl. Straßennetz, Präambel I. und 4. Begründungserwägung, Art. 2 lit. a); RatsE 93 I 630 I EWG bzgl. Binnenwasserstraßennetz; Präambel 2. Begründungserwägung. 56 BullEG 1011993, Ziff. 1.2.74. 57 Das EP wollte in seinem Abänderungsvorschlag schon die ausdrückliche Kompetenznennung nach Art. 129b ff. EGV aufnehmen, was allerdings die Verabschiedung der Entscheidungen nach dem 1.11.1993 vorausgesetzt hätte, ABI. C 315 I 34 vom 26.10.1993. 5" Vgl. insoweit schon die Kommission BullEG 6 11992, Ziff. 1.3.73. 59 RatsE 93 I 628 I EWG 9. Begr.erwägung, RatsE 93 I 629 I EWG 6. Begr.erwägung RatsE 93 1630 1EWG 7. Begr.erwägung. 60 Entscheidung des Rates und des Parlamentes Nr. 1626196 vom 23.7.1996, ABI. L 228 vom 9.9.1996.

A. Zielsetzung und Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten

41

zehn Jahre in Angriff genommen werden. 61 Diese Formulierung zielt wegen der allgemeinen zeitlichen Befristung bis zum 30.6.1995 auf den Beginn der Planungen. Diese zeitliche Eingrenzung dürfte im Ergebnis zugleich nur eine geringe Bedeutung der Entscheidungen bewirken. Auch deswegen handelt es sich eher um eine politische Ankündigung nachfolgender Programme. In den Begründungserwägungen ist ebenfalls ausdrücklich auf einen nachfolgenden Leitlinienrahmen hingewiesen worden, der die Kriterien für die Auswahl der Aktionen und Vorhaben enthalten solle.62 Erstaunlich an diesen Entscheidungen ist eigentlich weniger der Inhalt als vielmehr der Zeitpunkt des Zustandekommens. Im Endeffekt entschied der Rat so rechtzeitig (man ist geneigt zu sagen: überstürzt), daß eine Rücksichtnahme auf die Stellungnahme des Parlamentes nicht mehr nötig und erforderlich war. Abgesehen von dem Procedere nach Art. 189b EGV, wie es Art. 129d Abs. 1 EGV verlangt, und im Gegensatz zu dem alten Art. 75 EWGV, der die Stellungnahme des Parlamentes ausreichen ließ, wurde dadurch versäumt, die Bedeutung des neuen Titels XII hervorzuheben. Insoweit läßt sich der Eindruck nur schwer von der Hand weisen, daß die neuen Kompetenzvorschriften eigentlich überflüssig seien, da ja Art. 75 E(W)GV eine ausreichende Rechtsgrundlage darstelle. 63

2. Die Leitschemaplanung aufgrund von Art. 129b ff. EGV Die bisherigen Phasen haben insgesamt einen fließenden Übergang erkennen lassen. Daran hat sich grundsätzlich auch nach Einfügung der Art. 129b ff. EGV nichts geändert. Die Aufnahme eines eigenständigen Titels als Primärrecht bedeutet (verglichen mit einer bloßen Generalermächtigung) zunächst einmal nur eine stärkere normative Relevanz und rechtliche Verpflichtung zum Tätigwerden. 64 61

Art. 2 E 93 I 629 I EWG; Art. 2 E 93 I 630 I EWG.

RatsE 93 I 628 I EWG I 0. Begr.erwägung; RatsE 93 I 629 I EWG 7. Begr.erwägung; RatsE 93 I 630 8. Begr.erwägung. 62

63 V gl. in diesem Zusammenhang auch gerade das EP, daß am 18.1.1994 forderte, daß "die Kommission dem Rat und dem Parlament bis zum 30.6.1995 einen Bericht darüber vorlegt, ob der Vertrag von Maastricht unter dem Gesichtspunkt der Rechtsgrundlage geeignet ist, die Zielsetzungen des neuen Konzepts der Gemeinsamen Verkehrspolitik zu tragen; ( ... )", ABI. C 44 156 vom 14.2.1994; Vinois, RMC 1995, 83 185 hebt insoweit die koordinierende Bedeutung des Titels XII hervor, um das frühere einzelfallbezogene Vorgehen zu vermeiden. 64 Die Kommission spricht davon, daß das Handeln der Gemeinschaft nunmehr "klarer" festgelegt sei, KOM (93) 70, S. I; s.a. BullEG Beil. 3/1993, Ziff. 139; s.a. EP vom 7.4. 1992, demzufolge nunmehr "ein stärkeres politisches Engagement auf Gemeinschaftsehene" gegeben sei, ABI. C 125 188 vom 18.5.1992; s. zur Bedeutung und Aufbau des Titels XII auch Grabitz i Hilf-Frohnmeyer, vor Art. 129b Rn. I ff.

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I. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

a) Primärrechtliche Vorgaben einer Leitschemaplanung

Art. 129b Abs. I EGV enthält zwei bemerkenswerte Vorgaben für ein Vorgehen der Gemeinschaft. Zum einen fällt die zurückhaltende Formulierung auf: "Um einen Beitrag ... zu leisten ... , trägt die Gemeinschaft zum Auf- und Ausbau der transeuropäischen Netze ... bei." Diese - sprachlich wenig geglückte - doppelte Betonung des "Beitrags" drückt den subsidiären Gedanken des Gemeinschaftsvorgehens aus, wie es allgemein auch in Art. 3b EGV, Art. B Abs. 2 EUV niedergelegt wurde. 65 Andererseits kann sich der "Beitrag" jedoch grundsätzlich auf alle im Zusammenhang mit den transeuropäischen Netzen ergebenen Fragen beziehen. Somit sind sowohl die Schaffung des bloßen Wegenetzes, dessen Finanzierung, Verkehrsmanagementprojekte als auch die technischen und rechtlichen Normen erfaßt. 66 Dies stellt Art. l29b Abs. 2 EGV noch einmal klar, da die Interoperabilität der Netze den europäischen Verkehrsmarkt vorwiegend in technischer Hinsicht vereinheitlichen soll. Bedeutung hat dies überwiegend im Eisenbahn-, Schiffs- und Flugverkehr, wo es kaum einheitliche Normen zum Beispiel bezüglich der Spurweite, der technischen Mindestanforderungen an Kanäle und im Bereich der Flugsicherung gibt. Für den Zugang zu den Netzen kommt es daneben auf eine rechtliche Standardisierung z.B. im Bereich der Zulassung anderer Eisenbahn- oder Flugunternehmen an. Die Erwähnung des Systems "offener und wettbewerbsorientierter Märkte" ist sowohl als ein Ziel als auch als ein Mittel zur Erreichung der zunächst genannten und im Ergebnis entscheidenden Zielvorstellungen zu verstehen. Unabhängig von einer detaillierten ökonomischen Einordnung des Begriffs "offener und wettbewerbsorientierter Märkte" ist damit zumindest an eine der Marktwirtschaft korrespondierende Vorstellung konkurrierender Unternehmen gedacht. Dies ist heute in monopolisierten Bereichen wie z.B. der Bahn oder Flugsicherung noch nicht der Fall. Abgesehen von diesem operativen Sektor kann dies auch auf dem weitgehend administrativen Bereich der Verkehrswegeplanung anzuwenden sein. Im einzelnen wäre hier an die Zulassung privater Planungsgesellschaften oder Nutzung von Privatkapital z.B. durch private Betreiber von Verkehrsinfrastrukturen zu denken.67 65 S.a. KOM (92) 231, S. 8: ,,Die Aktion muß zwar auf gemeinschaftlicher Ebene definiert werden, aber es obliegt den Mitgliedstaaten, die spezifischen Trassen sowie den Zeitpunkt und den Rhythmus der Verwirklichung der Infrastruktur auf das definierte Ziel hin zu bestimmen. In der Tat läßt der hinweisende Charakter der Leitschemata für das Gemeinschaftsnetz den Mitgliedstaaten die Entscheidungsfreiheit."; s.a. leicht anders BTDrs. 12/3895 vom 1.12.1992, S. 9: "Die Gemeinschaft soll den Verbund( ... ) fördern, aber keine gemeinschaftsweiten umfassenden Gesamtpläne für Verkehrs- ( ... ) netze aufstellen." In diesem Sinne auch der Rat "Verkehr", BuiiEU 6/1995, Ziff. 1.3.110.; vgl. auch Vinois, RMC 1995, 83 / 85 f. "un röle de stimulateur"; s.a. EIB-Erdmenger, Art 129b Rn. 3 f. 66 Vgl. auch Art. 129c Abs. I 2. und 3. Sp.strich EGV.

A. Zielsetzung und Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten

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b) Planungsansätze der Gemeinschaft

aa) Die Entscheidung Nr. 1626196 des Rates und des Parlamentes vom 23.7.1996. ABI. L 22811 vom 9.9.1996, corrigendum in ABI. L 1511 vom 17.1.1997 Auf Grundlage von Art. 129c Abs. I I. Sp.strich EGV wurden nach langer Vorarbeit gemeinschaftliche Leitlinien für den Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes vom Rat und dem Europäischen Parlament verabschiedet. 68 Die Leitlinienentscheidung enthält einen allgemeinen und einen speziellen Teil. Im allgemeinen Teil werden der Zweck (Art. I), die Ziele (Art. 2), der Netzumfang (Art. 3), die Grundzüge und Prioritäten von Aktionen (Art. 4 und 5), das Verhältnis zu Netzen von Drittstaaten (Art. 6), der Begriff der Vorhaben von gemeinsamem Interesse (Art. 7) sowie der Umweltschutz (Art. 8) festgelegt. Nach Art. I II stellen die Leitlinien einen allgemeinen Bezugsrahmen dar, durch den die Maßnahmen der Mitgliedstaaten und gegebenfalls die gemeinschaftlichen Maßnahmen gefördert werden sollen. Als Zeithorizont für die Verwirklichung des Netzes wird das Jahr 2010 veranschlagt (Art. 2 I). Im Gemeinschaftsgebiet sollen vor allem regionale Gebiete angeschlossen werden (Art. 2 lit. g), Art. 5 lit. b); s.a. die Gemeinsame Stellungnahme von Rat, Parlament und Kommission am Ende der Entscheidung). Das Netz soll prin~ipiell auf gesamteuropäischer Ebene ausbaufahig sein (Art. 2 lit. h), wozu unter Umständen mit Drittländern geeignete Abkommen abzuschließen sind (Art. 4 lit. h). Die Gemeinschaft kann Studien durchführen, die zu einer besseren Planung und Realisierung der transeuropäischen Verkehrsnetze beitragen (Art. 5 lit. j).

67 S. dazu u.a. Grupp, Rechtsprobleme der Privatfinanzierung von Verkehrsprojekten, in: Blümel (Hrsg.), Verkehrswegerecht im Wandel, 1994, S. 129 ff. ; Hahn, Privatisierung und Privatfinanzierung der Bundesautobahnen, in: Blümel, ebenda, S. 149 ff. ; Bruns, Privatfinanzierung: Erfahrungen, in: Blümel, ebd., S. 159 ff.; umfassend Pabst, Verfassungsrechtliche Grenzen, S. 184 ff.; vgl. auch Grabitz/Hilf-Frohnmeyer, Art. 129b Rn. 13 f. 68 ABI. L 228 vom 9.9.1996; fur die Vorarbeiten s. Leitlinienvorschlag der Kommission ABI. C 220 vom 8.8.1994, geänderte Fassung ABI. C 97 vom 20.4.1995 (Integration von Österreich, Schweden, Finnland) und Gemeinsamer Standpunkt des Rates vom 28.9.1995, ABI. C 331 vom 8.12.1995; s.a. BullEG 12 / 1993, Ziff. 1.2.116., KOM (93) 701; zum Gesetzgebungsverfahren s. darüber hinaus Stellungnahme des Ausschusses der Regionen, ABI. C 210 / 34 vom 14.8.1995, BullEU 9 / 1994, Ziff. 1.2.101; des Wirtschafts- und Sozialausschusses ABI. C 397 vom 31.12.1994, BuliEU 1111994, Ziff. 1.2.84; Stellungnahme des EP in erster Lesung ABI. C 151 vom 19.6.1995, BuliEU 5 / 1995, Ziff. 1.3.61.; zur politischen Einigung im Rat "Verkehr" BullEU 6 / 1995, Ziff. 1.3.110.

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1. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

Unter den Voraussetzungen von Art. 2, 3 und 5 und bei einer gewissen Wirtschaftlichkeit des Projektes gilt dieses als ein Vorhaben von gemeinsamem Interesse (Art. 7). Dabei handelt es sich um Vorhaben, die innerhalb des Kartenanhang I und im Rahmen der Anforderungen des Annexes II über das transeuropäische Gesamtverkehrsnetz als besonders wichtig gelten. Diese Projekte sind vorrangig finanzierungswürdig. 69 Im besonderen Teil des Entscheidungsvorschlags werden für die einzelnen Verkehrsträger jeweils gesondert einzelne Merkmale festgelegt. Dies betrifft beispielsweise die Art der Verbindung (Hochgeschwindigkeits- oder konventionelles Eisenbahnnetz) oder den anzustrebenden Qualitäts- und Sicherheitsstandard. Durch Art. 22 ist der Verkehrsinfrastrukturausschuß aufgelöst und durch einen bei der Kommission eingesetzten Ausschuß für das transeuropäische Verkehrsnetz ersetzt worden (Art. 18). Alle fünf Jahre erfolgt eine Anpassung der Leitlinien an die Wirtschafts- und Technologieentwicklung, Art. 21 . Diese Leitlinienentscheidung ist für nachfolgendes Sekundärrecht wegen der Konkretisierungsfunktion, die primärrechtlich schon in Art. l29c Abs. I 1. Sp.strich EGV angelegt ist, bindend. bb) Interoperabilität eines Hochgeschwindigkeitsnetzes, Richtlinie Nr. 96148 des Rates vom 23.7.1996, ABI. L 235 16 vom 17.9.1996

Neben diesem Leitlinienentwurf ist zeitgleich eine Ratsrichtlinie für die Interoperabilität des europäischen Hochgeschwindigkeitsnetzes erlassen worden, die sich auf Art. 129d Abs. 3 EGV stützt.70 Durch diese Richtlinie kommt die besondere Bedeutung des Projektes eines europäischen Hochgeschwindigkeitsnetzes zum Ausdruck, vgl. auch Art. 129c Abs. l 2. Sp.strich EGV. 71 cc) Finanzierungsfragen

Die finanziellen Förderungen werden nicht allein von der Leitlinienentscheidung erfaßt. Insoweit gab es schon parallel zu der Ausarbeitung des Entscheidungsentwurfes Vorschläge für eine Verordnung über Gemeinschafts69

Siehe Begrundung des Gemeinsamen Standpunktes, S. 108.

Zu den Vorarbeiten s. ABI. C 134 vom 17.5.1994, BullEU 4 / 1994 Ziff. 1.2.75.; Gesamtbericht EU 1994, Ziff. 326; vgl. die politische Einigung im Rat "Verkehr" BullEG 6 I 1995, Ziff. 1.3.111. und ABI. C 203 vom 8.8.1995. 71 S. weiterfuhrend E I B-Erdmenger, Art. 129c Rn. 19 ff. ; eine Übersicht über die eingeleiteten Projekte findet sich bei Wilckens, Int. Verkehrswesen 1997, 120 ff. 70

A. Zielsetzung und Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten

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zuschüsse für transeuropäische Netze. 72 Diese mündeten in die Ratsverordnung für Gemeinschaftshilfen für die Transeuropäische Netze, die schon 1995 in Kraft trat. 73 Die Rechtsform einer Verordnung ist angesichts des bloßen Rahmencharakters der Leitlinienentscheidung notwendig. 74 Daneben wird auf europäischer Ebene insbesondere die Möglichkeit einer Public-Private-Partnership, d.h. die Einbindung Privater in Bau und Betrieb von Verkehrsanlagen, diskutiert. 75 dd) Die Bildung der Christophersen-Gruppe Bei der Christophersen-Gruppe handelt es sich um eine Gruppe der persönlich Beauftragten der Staats- und Regierungschefs, deren Aufgabe es ist, die Verwirklichung der transeuropäischen Netze zu fördern und zu koordinieren.76 Sie wurde aufdem Brüsseler Rat vom 10.111.12.1993 ins Leben gerufen. In institutioneller Hinsicht führt die Schaffung dieser Gruppe dazu, daß es nunmehr die Kommission, einen Verkehrsinfrastrukturausschuß und diese Gruppe gegeben hat bzw. noch gibt, die sich alle mit dem Bereich der Verkehrsinfrastrukturen befassen. Hier stellt sich die Frage nach der Effektivität und dem Sinn dieser Institutionen, gerade auch wenn man bedenkt, daß das Parlament, der Wirtschafts- und Sozialausschuß und der Ausschuß der Regionen ebenfalls an der Erarbeitung bzw. Verabschiedung der transeuropäischen Netze beteiligt sind.77 Die Christophersen-Gruppe legte dem Europäischen Rat in Korfu einen ersten Bericht über die Problemschwerpunkte vor, der u.a. eine Liste über elf vorrangige Projekte von gemeinschaftlichem Interesse enthielt. 78 Diese zeich72 ABI. C 89 vom 26.3.1994, Bu!IEU 311994, Ziff. 1.2.79., BullEU 4 / 1994, Ziff.l.2.73., BullEU 5 / 1994, Ziff. 1.2.69; ABI. C 115 vom 9.5.1995, BullEU 3/1995, Ziff. 1.3.89. 73 VO Nr. 2236/95 vom 18.9.1995, ABI. L 228/1 vom 23.9.1995; vgl. dazu näher Grabitz/Hilf-Frohnmeyer, Art. 129c Rn. 11 ff. 74 Weitergehend Vinois, RMC 1995, 83/90 ff.; allein flir den Hochgeschwindigkeitsverkehr werden die Kosten auf 207 Mrd. ECU geschätzt, Kru/l-Lamothe, Int. Verkehrswesen 1995, 778. 75 S. insbesondere Jahresbericht-1995 der Kommission an den Rat und das Parlament, Dok. Nr. (95) 571, Annex I, S. 26 ff. 76 BullEU 6/1994, Ziff. 1.2. 7 ., kritisch zu dieser Gruppe wegen der Nichtbeteiligung des Parlamentes EP in: PE 211.161/ endg. vom 25.4.1995, S. 60. 77 Zwar ist nach Art. 22 der Leitlinienentscheidung der Verkehrsinfrastrukturausschuß aufgelöst worden, gleichzeitig wurde jedoch ein neuer Ausschuß fiir Verkehrsinfrastrukturen bei der Kommission geschaffen, Art. 18. 78 BullEU 6 / 1994, Ziff. 1.7 .; der Bericht ist veröffentlicht in BullEU Beil. 2 / 1994; der Europäische Rat in Essen vom Dezember 1994 hat eine Liste mit 14 vorrangigen Verkehrsprojekten bestätigt, Gesamtbericht EU 1994, Ziff. 32 1; BullEU 12 / 1994, Ziff. 1. 35.

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I. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

nen sich durch einen außergewöhnlichen Umfang, die Einstufung als Vorhaben von gemeinsamem Interesse, Rentabilität, der Möglichkeit zur Beteiligung privater Investoren sowie einer schnellen Durchführbarkeit aus.79

111. Zusammenfassendes Ergebnis Die Verkehrswegeplanung der EG in den letzten 25 Jahren ist von einer großen Zurückhaltung geprägt gewesen. Trotz einiger Ansätze der Kommission in den siebziger Jahren konnte sich eine echte Gemeinschaftspolitik nicht durchsetzen. Insoweit spiegelt sich insbesondere das Dogma der öffentlichen Daseinsvorsorge wieder, demzufolge die einzelnen Mitgliedstaaten für Infrastrukturmaßnahmen verantwortlich zu bleiben haben. 80 Der gesamte Entscheidungsprozeß ist sehr schwerfällig und langwierig gewesen, wie allein die Diskussion um die Finanzbeiträge der Gemeinschaft zeigt. Dies ist eigentlich umso unverständlicher, als die Mitgliedstaaten im Ergebnis davon profitieren. Wahrscheinlich spielte eine Rolle, daß demjenigen, der zahlt, als Gegenleistung auch Mitwirkungsbefugnisse eingeräumt werden müssen. Dies wollten die Mitgliedstaaten gerade nicht. Sichtbarer Ausdruck für eine gewisse Verschleppung der Entscheidungen ist auch das ständige Schaffen neuer Institutionen, die am Entscheidungsprozeß beteiligt werden müssen. In dieser Hinsicht ist die Gründung der "Christophersen"-Gruppe ein schlechtes Zeichen für die weitere Gemeinschaftspolitik, obwohl sie unmittelbar den Staatsund Regierungschefs zuarbeitet und somit großen politischen Einfluß ausüben kann. Daran ändert auch nichts, daß nach Art. 22 der Leitlinienentscheidung Nr. 1626 I 9681 der Verkehrsinfrastrukturausschuß abgeschafft worden ist, da zugleich bei der Kommission ein Ausschuß für das transeuropäische Verkehrsnetz eingesetzt wurde (Art. 18 Entscheidung). Trotz dieser Bedenken über den politischen Willen und die effektive Struktur des Gemeinschaftshandeins ist es geboten, die rechtlichen Möglichkeiten der Schaffung transeuropäischer Netze auf Grundlage des Titels XII auszuloten. Dabei soll ganz bewußt in Betracht gezogen werden, daß dieser dazu eingehend Vinois, RMC 1995, 83 187 ff.; vgl. aber konträr hierzu die Streichung der Liste der vorrangigen Projekte und die Ersetzung durch eine politische Erklärung im Rat "Verkehr", BullEU 611995, Ziff. 1.3.110. 79 Das EP hat gerade den letzten Punkt kritisiert, da es nicht auf die "Baureife" eines Projektes ankomme, sondern es auch gerade Sinn und Zweck der Leitlinienplanung (und damit eingeschlossen finanzieller Förderungsmöglichkeiten) sei, zu bestimmten Bauvorhaben erst zu ermuntern, PE 211.16llendg. vom 25.4.1995, S. 60. 80 Zu der grundsätzlichen Antinomie von dirigistischen und liberalistischen Anschauungen in der Gemeinsamen Verkehrspolitik, wie sie sich schon in der vagen Vertragskonstruktion ausdrückte, s. anschaulich Weinstock in: Bieber I Bleckmann I Capotorti, GS Sasse, Bd. I, S. 511 ff. 81 ABI. L 228 vom 9.9.1996, corrigendum in ABI. L 15 11 vom 17.1.1997.

B. Begrenzte Einzelermächtigung und Natur der Vertragskompetenzen

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Titel nicht nur eine Festschreibung des gemeinschaftlichen Besitzstandes sein kann, sondern, da er durch Art. G EUV eingefügt wurde, gemäß Art. A Abs. 2 EUV als "neue Stufe bei der Verwirklichung einer immer engeren Union" auszulegen ist.

B. Das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung und die Natur der Vertragskompetenzen im Bereich der transeuropäischen Verkehrsnetze I. Problemstellung Das strukturelle Prinzip der begrenzten Ermächtigungen ist für die abschließende Abgrenzung der Verbandskompetenz zwischen der EG und den Mitgliedstaaten relevant. 82 Die Gemeinschaft besitzt keine - auch nicht aus Art. F Abs. 3 EUV - Kompetenz-Kompetenz83 , da die Mitgliedstaaten mit der Gründung der Gemeinschaft ihre Souveränitätsrechte nur im Rahmen ihrer Zustimmung übertragen haben. 84 Normative Grundlagen des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigungen finden sich in Art. 3, 3b, 4 Abs. 1, 145, 155, 189 EGV sowie Art. B Abs. 2 EUV. 85 Weder die "implied powers"Lehre noch der Grundsatz des "effet utile" heben dieses Prinzip auf. 86 Das Strukturprinzip der "competence d'attribution" gibt allerdings keine Auskunft darüber, ob die Kompetenz im einzelnen ausschließlicher, konkurrierender oder paralleler Natur ist. 87 Eine ausschließliche Kompetenz ist dabei so zu charakterisieren, daß die Gemeinschaft allein zur Rechtsetzung befugt ist. 88 Nur in diesem Rahmen kann auch die Sachwalterfunktion eine Rolle "2 Oppermann, Europarecht, Rn. 433; Streinz, Europarecht, Rn. 436; Grabitz i Hilf-Grabitz, Art. 189 Rn. 4; Kraußer, Das Prinzip begrenzter Ermächtigung, 1991, S. 18 ff.; Lambers, EuR 1993, 229 I 233; kritisch zum Prinzip der begrenzten Ermächtigungen gerade auch in Hinblick auf den EuGH, Barents, CMLRev. 1993, 85 I 86 f. " 3 BVerfGE 89, 1551194; schon vorher BVerfGE 75, 223 I 242; Everling, CMLRev. 1992, 105311069. 84 EuGH Rs. 26 162, Slg. 1963, I 125- van Gend und Laos; EuGH Rs. 6 164, Slg. 1964, 1251 I 1269- Costa / ENEL. " 5 Die in der Regel relevante Formulierung lautet: "nach Maßgabe dieses Vertrages"; Jarass, EuGRZ 1994, 209; Kraußer, a.a.O., S. 17 f.

"" Oppermann, Europarecht, Rn. 439 ff. ; Kraußer, a.a.O., S. 18; vgl. auch EuGH Gutachten 2 I 94, EuZW 1996, 307 I 309 Rn.30. " 7 Zu dieser Dreiteilung Grabitz I Hilf-von Bogdandy I Nettesheim, Art. 3b, Rn. II; Schweitzer ! Hummer, Europarecht, Rn. 342 ff.; a.A. Jarass, EuGRZ 1994, 209 1210; Bleckmann, Europarecht, Rn. 392; s.a. GrabitziHilf-Frohnmeyer, vor Art. 129b Rn. 4: "gemischte Zuständigkeit".

•• Pechstein, Die Mitgliedstaaten der EG als Sachwalter des "gemeinsamen Interesses", S. 45.

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I. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

spielen. 89 Das Subsidiaritätsprinzip nach Art. 3 b Abs. 2 EGV findet im Bereich der ausschließlichen Kompetenz keine Anwendung. 90 Der Umfang dieser Kompetenz kann jedoch nicht weiter gehen, als es unbedingt notwendig für die Realisierung des Gemeinschaftszieles ist. 91 Sowohl bei der konkurrierenden als auch bei der parallelen Kompetenz bleiben hingegen die Mitgliedstaaten grundsätzlich zur Rechtsetzung befugt. Während jedoch im Rahmen der konkurrierenden Kompetenz ein Ausschluß der mitgliedstaatliehen Zuständigkeit nach Ausübung der Kompetenz durch die Gemeinschaft stattfindet, bleiben bei einer parallelen Kompetenz Gemeinschaft und Mitgliedstaat in demselben Sachbereich stets für die Rechtsetzung zuständig. 92 Im Rahmen der transeuropäischen Netzplanung können drei Kompetenznormen von Bedeutung sein und eine Bestimmung der Natur der Kompetenz erforderlich machen: Art. 129c, Art. 75, Art. 235 EGV. Da es sich bei Art. 235 EGV allerdings um eine allgemeine Vertragsabrundungskompetenz handelt, kann auf eine Einordnung insoweit verzichtet werden, als es vorliegend um die Feststellung der Kompetenz in dem speziellen Politikfeld des transeuropäischen Planungsbereichs geht. Im übrigen ist in jedem Fall zweifelhaft, ob für eine Anwendung von Art. 235 EGV neben Art. 75 Abs. I lit. d) überhaupt noch Raum ist. 93 Für die verbleibenden Kompetenzbereiche des Titels XII (Transeuropäische Netze) und des Titels IV (Gemeinsame Verkehrspolitik) ist entgegen der Parallelität der Titel eine einheitliche Kompetenzbestimmung notwendig, ohne daß allerdings im einzelnen schon auf die konkrete Reichweite der jeweiligen Ermächtigungsnorm eingegangen zu werden braucht. Dieser Ansatz ergibt sich aus Art. 74 EGV, der von einer "Gemeinsamen Verkehrspolitik" spricht. Als Oberbegriff sind damit grundsätzlich auch Verkehrsinfrastrukturplanungen erfaßt, so daß es denklogisch möglich ist, den speziellen Unterbegriff "transeuropäische Netze" im Rahmen bzw. im Lichte der gemeinsamen Verkehrspolitik auszulegen. 94 Die vom Wortlaut her angeK9 Pechstein, a.a.O., S. 45; vgl. implizit EuGH Rs. 174 I 84, Slg. 1986, 559 I 584, 590 ff. Rn. 23 ff., 47 ff.- Bulk Oil; EuGH Verb. Rs. 47 u. 48 183, Slg. 1984, 1721 I 1738 Rn. 22 f. - Pluimveeslachterij; EuGH Rs. 804179, Slg. 1981, 104511975 f. Rn. 30- SeejischereiErhaltungsmaßnahmen; vgl. instruktiv zu dem Bereich der ausschließlichen Kompetenz Louis, in: Commentaire Megret, Bd. X, S. 581 Rn. 63 ff. 90 Dazu Jarass, EuGRZ 1994, 209 1210. 91 Lenaerts l van Yperse/e, CahDrEur 1994,3118 f.; s. dazu auch Ca/lies, EuZW 1995, 693 ff. 92 Zur parallelen Kompetenz s. EuGH Rs. 14 / 68, Slg. 1969, I I 13 f. Rn. 4 f. - Wilhelm. 93 S. dazu unten I. Teil, D.III. 94 Vgl. auch Wirtschafts- und Sozialausschuß, ABI. C 397 I 23 vom 31 .12. 1994, Ziff.

B. Begrenzte Einzelermächtigung und Natur der Vertragskompetenzen

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legten Unterschiede zwischen dem zurückhaltend formulierten Art. I29b f. EGV und den sehr umfassenden Bestimmungen Art. 74, 75 Abs. I lit. d) EGV müssen harmonisch miteinander in Einklang gebracht werden.

II. Voraussetzungen für die Annahme einer ausschließlichen Kompetenz 1. Auffassung des Schrifttums in bezug auf die Verkehrspolitik

Eine ausschließliche Gemeinschaftskompetenz kann dort angenommen werden, wo eine nationale Maßnahme sonst die Wirksamkeit einer gemeinschaftlichen Regelung nachhaltig beeinträchtigen könnte. 95 Bereiche, wo man eine ausschließliche Kompetenz der EG annehmen kann, können sich dadurch auszeichnen, daß der EGV von einem "gemeinsamen" Politikbereich spricht.96 Allerdings ist gerade für den Bereich der "Gemeinsamen Verkehrspolitik" (Art. 74 EGV) eine ausschließliche Kompetenz nicht angenommen worden97 Dagegen spreche, daß es - im Gegensatz zu Art. 39 EGV - an einer konkreten Zieldefinition fehlt. 98 Pechstein unterscheidet jedoch zumindest zwischen den konkret geregelten Punkten (Art. 75 Abs. I lit. a, b- jetzt auch lit. c) 1.2.; auch Grabitz/Hi!f-Frohnmeyer, vor Art. 129b Rn. 11 betont, daß die Transeuropäischen Verkehrsnetze weiterhin zum Bereich der Gemeinsamen Verkehrspolitik gehören; ebenso EIB-Erdmenger, vor Art. 129b-d Rn. 5. 95 Grabitz/Hilf-von Bogdandy/Nettesheim, Art. 3b Rn. 16. 96 Renzsch, ZParl1993, 1041109 f.; a.A. Schwartz, AfP 1993, 4091413; zu Art. 110 ff.: Schweitzer/Hummer, Europarecht, Rn. 343; EuGH Rs. 1/75, Slg. 1975, 1355 11364Lokale Kosten, wo der EuGH allerdings weniger auf den Wortlaut als vielmehr auf den funktionalen Zweck abstellt; EuGH Rs. 41/76, Slg. 1976, 1921 I 1937 Rn. 24 129 Donckerwolke; zu Art. 39 ff.: Constantinesco, a.a.O., S. 248; a.A. hier SchweifzerI Hummer, Europarecht, Rn. 344 "konkurrierende Gemeinschaftskompetenz"; auch in dem Gutachten EuGH 2 191, ABI. C 1091 I 1993 wurde dieses Argument von der Bundesrepublik, Spanien und Irlands gebraucht; der EuGH lehnte diese Sichtweise nunmehr explizit ab (Rn. 10). 97 Vgl. G/aesner, in: Schwarze (Hrsg.), Gesetzgebung in der EG, S. 31 132; Constantinesco, Recht der Europäischen Gemeinschaften I, S. 244; unmittelbar konkurrierende Kompetenz annehmend Oppermann, Europarecht, Rn. 433; differenzierend hingegen Streinz, Europarecht, Rn. 129 ff.; s. aber auch Kommission SEK (92) 1990, demzufolge die wesentlichen Regeln der Gemeinsamen Verkehrspolitik in den Bereich der ausschließlichen Kompetenz der Gemeinschaft fallen, zitiert nach Louis, in: Commentaire Megret, Bd. X, S. 582 Rn. 64; s. dazu Schwartz, AfP 1993, 409/413 Fn. 37, demzufolge die Kommission diesen Begriff jetzt dahingehend umschrieben hat, daß es sich um das Funktionieren des Binnenmarktes fiir Verkehrsdienstleistungen und die Verkehrsbeziehungen mit Drittländern handeln soll, KOM (92) 494 endg. vom 2.12.1993; Barents, CMLRev 1993, 85 / 88 meint, daß die Formulierung "gemeinsame Politik" offen läßt, was damit gemeint ist. 98 Glaesner, in: Schwarze (Hrsg.), Gesetzgebung in der EG, S. 31 I 33. 4 Jürgensen

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1. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

EGV), bei denen eine ausschließliche Kompetenz bestünde und der Generalklausel (jetzt Art. 75 Abs. l lit. d) EGV), die eine eindeutige konkurrierende Zuständigkeit festlege. 99 Zur Begründung fUhrt er an, daß es bei der Generalklausel an einem statuierten Ausschluß der Zulässigkeit mitgliedstaatliehen Tätigwerdens unabhängig vom Normerlaß fehle. Die ausschließliche Zuständigkeit im Rahmen von Art. 75 Abs. 1 lit. a) und b) EWGV fUhrt er auf den Ablauf der Übergangsfrist zurück. 100 Constantinesco argumentiert darüber hinaus, daß im Verkehrssektor Kompetenzen nur punktuell und in sehr beschränkten Maße zugewiesen seien und diese vorwiegend der Koordinierung und Vereinheitlichung bestimmter Problemlösungen dienten. 101 Unter Zugrundelegung dieser Argumente könnte nach der EinfUgung der Art. l29b ff. EGV schwerlich eine ausschließliche Kompetenz ausgeschlossen werden. Eine konkrete Zieldefinition folgt nunmehr aus Art. l29b, Art. 3 lit. n) EGV. Diese Zielvorstellungen sind auch nicht weiter gespannt als beispielsweise Art. 110, 113 EGV, die aber nach allgemeiner Ansicht eine ausschließliche Gemeinschaftskompetenz darstellen. 102 Gleichzeitig entfällt mit Art. l29b EGV das Argument, demzufolge im Verkehrssektor der Gemeinschaft nur punktuelle und in beschränktem Maße Kompetenzen zugewiesen seien. 103 Vielmehr bietet der Titel XII einen Sachbereich mit weitreichenden Sonderkompetenzen. 104 Würde man der Auffassung Pechsteins folgen, der ausschließliche und konkurrierende Zuständigkeitshereiche im Grunde nach allgemeinen und konkreten Regelungen abgrenzt, könnte der Titel XII, der im Vergleich zu Art. 75 Abs. l lit a) bis c) EGV ähnlich bestimmt ist, sogar eine ausschließliche Kompetenz der EG zumindest im Bereich der Rahmenleitlinienplanung von Vorhaben begründen, die fiir das Gemeinschaftsrecht bedeutsam sind. 105

Pechstein, a.a.O., S. 81. Pechstein, a.a.O., S. 81. 101 Constantinesco, Recht der Europäischen Gemeinschaften I, 1977, S. 248. 102 Schweitzer/ Hummer, Europarecht, Rn. 343; a.A. von Bogdandy / Nettesheim, EuZW 1993, 465. 99

100

103 Wegen Art. 75 Abs. I lit. c) EWGV war dieses Argument auch bisher schon wenig überzeugend.

Jarass, EuGRZ 1994, 209 f.; Lane, CMLRev. 1993, 939 / 944. Auch Durand, in: Cornrnentaire Megret, Bd. I, S. 395 erwähnt bei den neuen Kompetenzen, die der Maastricher Vertrag zur Ergänzung der nationalen Politiken eingefugt hatte, die transeuropäischen Netze gerade nicht. Daraus könnte bei Durand im Umkehrschluß auf die Einordnung als ausschließliche Zuständigkeit geschlossen werden. 104 105

B. Begrenzte Einzelermächtigung und Natur der Vertragskompetenzen

51

2. Ansicht der Rechtsprechung a) EuGH Rs. 22 I 10, Slg. 1971, 263 - AETR

Ausgerechnet im Bereich des Titels IV hatte der EuGH erstmalig Gelegenheit, zu der Frage der ausschließlichen Kompetenz Stellung zu nehmen. Im konkretem Fall ging es um die Außenkompetenz der Gemeinschaft, internationale Abkommen abzuschließen. Der EuGH hatte formuliert 106 : "Insbesondere sind in den Bereichen, in denen die Gemeinschaft zur Verwirklichung einer vom Vertrag vorgesehenen gemeinsamen Politik Vorschriften erlassen hat, die in irgendeiner Form gemeinsame Rechtsnormen vorsehen, die Mitgliedstaaten weder einzeln noch selbst gemeinsam handelnd berechtigt, mit dritten Staaten Verpflichtungen einzugehen, die diese Normen beeinträchtigen." Da die EG schon in dem fraglichen Bereich durch eine Verordnung tätig geworden war, konnte aufgrund dessen eine ausschließliche Kompetenz angenommen werden. Der EuGH hatte diese im Ergebnis sowohl aus dem konkreten Wortlaut von Art. 75 Abs. 1 lit. a) EWGV als auch aus dem tatsächlichen Tätigwerden abgeleitet. Er ging hingegen nicht darauf ein, ob schon der Begriff "Gemeinsame Verkehrspolitik" ausreichend sei. 107 In Hinblick auf diese Argumentation des EuGH könnte eine ausschließliche Kompetenz jedenfalls im Bereich der Rahmenplanung der transeuropäischen Verkehrsnetze angenommen werden, da es sich bei Art. 129b ff. EGV um sehr bestimmte primärrechtliche Regelungen handelt. Zugleich kann der Verweis des AETR-Urteils auf die internationale Bedeutung der Kompetenz des Art. 75 Abs. 1 lit. a) EWGV Auswirkungen auf den Begriff der transeuropäischen Netze haben. Wenn die transeuropäischen Verkehrsnetze sich auch über die Gemeinschaft hinaus erstrecken, müßte parallel dazu innergemeinschaftlich die Gemeinschaft die alleinige Kompetenz haben. Das AETR-Urteil würde dadurch fortgeführt werden, da es nicht in erster Linie um eine Begründung der Außenkompetenz der Gemeinschaft geht, sondern um die Anerkennung einer ausschließlichen Binnenkompetenz der Gemeinschaft. b) EuGH Rs. 1 I 15, Slg. 1975, 1355- Lokale Kosten

In diesem Gutachten hat der EuGH eine ausschließliche Gemeinschaftskompetenz dann angenommen, wenn parallele Aktionen der Mitgliedstaaten die Ziele oder Verfahren des Politikbereiches beeinträchtigen könnten. Ent-

106 107

EuGH Rs. 22/70, Slg. 1971,263 / 274 f. Rn. 15 / 19. EuGH Rs. 22/70, Slg.l971, 263 / 275 f. Rn. 23 / 29.

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1. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

scheidend sei das in Art. 113 EWGV konzipierte Funktionieren des Gemeinsamen Marktes und der Schutz des Gesamtinteresses der Gemeinschaft108 : "Die Antwort auf diese Frage (ob die Gemeinschaft ausschließlich zuständig ist] hängt ab zum einen vom Gegenstand der fraglichen Vereinbarung und zum anderen von der Ausgestaltung der gemeinsamen Handelspolitik durch den Vertrag. . .. Diese Politik ist in Artikel 113 auf das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes hin und zum Schutz des Gesamtinteresses der Gemeinschaft konzipiert; die Sonderinteressen der Mitgliedstaaten müssen sich innerhalb des Rahmens, den das Gesamtinteresse setzt, einander anpassen." Aufgrund dieser Aussagen ist es schwierig, eine ausschließliche Kompetenz der Gemeinschaft jedenfalls für den Bereich der Rahmenplanung der transeuropäischen Verkehrsnetze zu begründen. Die relevanten Ziele der Gemeinschaft in Art. 129b EGV (insbesondere Mobilität des einzelnen sowie regionaler, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt) sind schon dem Wortlaut nach auf einen "Beitrag" der Gemeinschaft beschränkt. Eine Beeinträchtigung dieser Ziele durch eine mitgliedstaatliche Projektplanung müßte bedeuten, daß eine primärrechtlich nur geforderte Beitragsleistung beeinträchtigt wäre. Das würde im Ergebnis aber zu einer Umkehrung der von Art. 129b EGV vorgesehenen Gewichtung führen, da dann angenommen werden müßte, daß der Gemeinschafts"beitrag" wichtiger sei als das mitgliedstaatliche Handeln. Dies kann nicht der Fall sein. Insoweit kann es auch nicht darauf ankommen, daß die Mitgliedstaaten vereinzelt andere Schwerpunkte bei der nationalen Infrastruktur setzen, die insbesondere mit dem Ziel der Gemeinschaftsintegration nicht korrespondieren können. Eine Beeinträchtigung wäre nämlich allenfalls dann gegeben, wenn der Gemeinschaft überhaupt kein "Beitrag" mehr an einem innerstaatlichen gemeinschaftsrelevanten Projekt möglich wäre. Eine solche Konstellation entbehrt aber einer realistischen Grundlage. Allenfalls im Bereich der Interoperabilität der Netze (Art. 129c I 2. Sp.strich EGV), wo es um die Harmonisierung von technischen Normen geht, kann unter dem Eindruck dieser EuGH-Rechtsprechung eine ausschließliche Kompetenz angenommen werden. Aus der Natur der Sache heraus kann nur die EG als ganzes Normen vereinheitlichen. 109 Hier wäre ein einseitiges Vorgehen eines Mitgliedstaates potentiell geeignet, eine Vereinheitlichung zu behindern, wenn er eigene nationale technische Normen aufstellt.

108 109

EuGH Rs. I /75, S1g. 1975, 1355 / 1363 f. Rn. 26, 29 f. Zu Art. 100a EGV s. aberJarass, EuGRZ 1994, 209 / 210.

B. Begrenzte Einzelermächtigung und Natur der Vertragskompetenzen

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c) EuGH Gutachten 2/91, ABI. C 109 I 1 vom 19.4.1993- ILO-Konvention Nr. 170

Wiederum im Bereich der Außenkompetenzen der Gemeinschaft mußte sich der EuGH mit der Frage der ausschließlichen Kompetenz befassen. Ähnlich wie in dem AETR-Urteil hat er in diesem Gutachten auf den Zusammenhang von vertraglichen Kompetenzen und Sekundärrechtsnormen hingewiesen.110 Es komme darauf an, ob die sekundärrechtlichen Vorschriften zur Verwirklichung der Ziele der Gemeinschaftsrechtsnormen durch nachfolgende mitgliedstaatliche Maßnahmen beeinträchtigt werden könnten. Ein "gemeinsamer" Politikbereich sei nicht erforderlich 111 : "Ob die Zuständigkeit der Gemeinschaft ausschließlich ist, bestimmt sich nicht nur nach dem EWG-Vertrag, sondern auch danach, in welchem Umfang die Gemeinschaftsorgane zur Durchfuhrung des EWG-Vertrags Maßnahmen getroffen haben. . . . Die Aufgabe der Gemeinschaft und die Ziele des EWG-Vertrags werden aber auch gefährdet, wenn die Mitgliedstaaten völkerrechtliche Vereinbarungen eingehen können, deren Bestimmungen Rechtsnormen auf Gebieten beeinträchtigen oder in ihrer Tragweite ändern könnten, die nicht unter eine gemeinsame Politik fallen."

Für den Bereich der transeuropäischen Netze ist sekundärrechtlich im Planungsbereich insbesondere die Entscheidung Nr. 1626 I 96 des Rates und des Parlamentes von besonderer Bedeutung. 112 Die sich daran anknüpfende Frage lautet, ob eine parallele innerstaatliche Gesamtinfrastrukturplanung diese Gemeinschaftsentscheidung beeinträchtigen würde. Dies könnte z.B. dann angenommen werden, wenn die Mitgliedstaaten ihrer nationalen Planung den Vorrang einräumen und gegebenenfalls den europäischen Projekten Geldoder Verwaltungsmittel entzogen bzw. vorenthalten würden. Gerade dieses letzte Argument müßte aber empirisch fundiert sein. Ansonsten entspricht es eher einer hypothetischen Annahme. 113 In rechtlicher Hinsicht hat der EuGH 110 Lenaerts lvan Ypersele, CahDrEur 1994, 3 I 13, 20 sprechen insoweit auch von einer "competence exclusive par nature et par exercice". 111 EuGH Gutachten 2/91, ABI. C 109 / I, 7 Rn. 9, II vom 19.4.1993. 112 ABI. L 228 / I vom 9.9.1996, corrigendum in ABI. L 15 vom 17.1.1997. 113 Etwas anderes folgt auch nicht schon aus dem Bundesverkehrswegeplan oder zum Beispiel aus dem Gesetz über den Ausbau der Schienenwege des Bundes (BGBI. 1993 I S. 1874, geändert durch BGBI. 1993 I S. 2423); interessant an diesem Gesetz ist, daß es in einer Anlage zu § I einen Bedarfsplan für Bundesschienenwege aufstellt, in dem unter Nr. 3) länderiibergreifende Projekte genannt werden. Dazu wird vermerkt, daß zum Ausbau dieser Strecken eine Vereinbarung mit den jeweiligen Nachbarländern erforderlich sei. An eine Beriicksichtigung von EG-Kompetenzen wird insoweit gar nicht gedacht, obwohl auch innergemeinschaftliche Strecken (z.B. Hamburg-Kopenhagen; Amsterdam-Ruhrgebiet) genannt werden: Dabei ist das Gesetz vom 15.11.1993 (in Kraft getreten am 16.11.1993 ), also zu einer Zeit, wo der Maastrichter Vertrag bereits galt und vorher von der Kommission gerade in Hinblick auf die neuen Kompetenzen (Art. 129b ff. EGV) auch schon Planungen eingeleitet worden waren (vgl. ABI. L 305 vom 10.12.1993).

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1. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

schon in dem ILO-Gutachten auf den Mindestcharakter gemeinschaftlicher Rechtsvorschriften hingewiesen. 114 Darüber hinausgehende mitgliedstaatliche Regelungen (in diesem Falle Sozialvorschriften) würden keine Beeinträchtigung des Gemeinschaftsrechtes darstellen. Demnach müßte im Bereich der Verkehrs-TEN sichergestellt werden, daß die gemeinschaftlichen Leitlinienplanungen bzw. die darauf bezogenen Projekte sich zumindest in den nationalen Vorschriften wiederfinden. Dies wird regelmäßig der Fall sein, da zum einen der Mitgliedstaat der Einordung als transeuropäisches Verkehrsprojekt selbst zustimmen muß (Art. l29d Abs. 2 EGV), andererseits aber damit auch finanzielle Vorteile verbunden sind. Gibt es jedoch konträre Abweichungen, bedeutet dies zunächst gemäß dem Vorrangprinzip des Gemeinschaftsrechtes nur, daß die europäische Planung vorgeht. Ein damit verbundener vollständiger kompetenzieller (Rahmen-) Planungsentzug kann jedoch insoweit nicht schon mit der Begründung, die gemeinschaftliche Infrastrukturplanung sei in ihrer Wirksamkeit gefährdet, "erzwungen" werden. Interessant ist an diesem Urteil daneben die Bemerkung des EuGH, daß es auf den Begriff der "gemeinsamen" Politik nicht ankomme. 115 Damit entfällt insoweit das von der Literatur angenommene Argument für die Abgrenzung von konkurrierender I paralleler und ausschließlicher Gesetzgebung. 3. Vertragsanalyse aus semantischer, systematischer und teleologischer Sicht im Hinblick auf eine ausschließliche Kompetenz a) Wortlautinterpratation

Schon der Wortlaut der Art. l29b ff. EGV läßt es als unwahrscheinlich erscheinen, daß es sich um eine ausschließliche Kompetenz der Gemeinschaft handeln soll. Formulierungen wie "Beitrag", "Leitlinien", "Grundzüge" oder "Förderung" sind nicht in einem Ausschließlichkeitssinne zu verstehen. 116 Allerdings könnte dem entgegengehalten werden, daß die genannten Begriffe nicht näher konkretisieren, wie der "Beitrag" bzw. die "Förderung" auszusehen hat. Insoweit könnte die verbindliche Rahmenplanung gerade als die entscheidende Teilhabe der Gemeinschaft an der Verwirklichung der transeuropäischen Netze anzusehen sein und deswegen eine ausschließliche Kompetenz bestehen. Diese vom Wortlaut her als durchaus möglich erscheinende Variante kann aber im Zusammenhang mit dem Willen der Vertragspartner EuGH Gutachten 2/91, ABI. C 10911, 8 Rn. 18 vom 19.4.1993. EuGH Gutachten 2 / 91, ABI. C 109 / 1, 7 Rn. 10 vom 19.4.1993. 11 6 S.a. Lhouest I Nihou/, JT 1992, 785/787 demzufolge die Staaten in erster Linie verantwortlich bleiben und diese Begriffe als Ausdruck des Subsidiaritätsprinzips verstehen. Dies begründen sie auch mit dem umständlichen Verfahren. 114 11 5

B. Begrenzte Einzelermächtigung und Natur der Vertragskompetenzen

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kaum anzunehmen sein. Zwar sind die Verhandlungsprotokolle zu dem Maastrichter Vertrag nicht zugänglich, doch bedarf es keiner großen Mutmaßung, daß die Mitgliedstaaten den Wortlaut nicht in einem ausschließlichen Planungssinne verstehen wollten. Wenn die Gemeinschaft bisher also über gar keine konkreten Befugnisse verfügte, ist das Leitlinienmodell allenfalls als ein erster Schritt konzipiert gewesen. Dies folgt ja auch gerade aus den schon bis zum Maastrichter Vertrag ausgearbeiteten Leitplänen. 117 Das heißt, daß die Gemeinschaft zwar zu den Planungen beitragen darf, sie aber andererseits nicht die vollständige (Rahmen-)Planung als Beitrag zu den transeuropäischen Netzen übernehmen soll. b) Systematischer Blickwinkel

In systematischer Hinsicht ist auf Art. 129c Abs. 2 EGV hinzuweisen. Die mithin angesprochenen Koordinierungsaufgaben der Mitgliedstaaten sind insbesondere für die Planungen in Grenzgebieten von Bedeutung. Dieser geographische Raum ist für eine Gemeinschaftskompetenz am interessantesten und das in zweierlei Hinsicht: Es handelt sich einerseits um potentiell benachteiligte Grenzregionen. Andererseits zeigt sich hier deutlich die räumliche nationale Beschränkung der nationalen Planungshoheit Art. 129c Abs. 2 EGV verdeutlicht, daß die grundsätzlichen Koordinierungsmöglichkeiten im Bereich der Planung und dem Bau der Verkehrsinfrastrukturen den Mitgliedstaaten verbleiben sollen. Wenn aber selbst dort, wo am ehesten ein Planungsfeld für die Gemeinschaft bestünde, der Vertrag den Mitgliedstaaten ausdrückliche Befugnisse vorbehält, dann kann von einer die transeuropäischen Netze insgesamt betreffenden ausschließlichen (Rahmen-) Planungskompetenz nicht die Rede sein. c) Teleologisches Argument

Eine ausschließliche Gemeinschaftszuständigkeit im Grenzbereich ist darüber hinaus nicht sinnvoll. Es ist zu bedenken, daß die Frage der ausschließlichen Kompetenz insbesondere für einen gesamten Politikbereich bedeutsam ist. Insoweit könnte die Bestimmung des ausschließlich kompetenzbegründenden Politikbereiches Probleme aufwerfen, wenn es um die Einordnung als "Transeuropäisches Verkehrsnetz" geht. 11 8 Zwar könnte man hier an eine konkretisierende sekundärrechtliche Klarstellung in dem Sinne denken, daß Vgl. oben I. Teil, A.II.l.b.). Zum Beispiel sind auch rein innerstaatliche Verbindungen von den transeuropäischen Verkehrsnetzen erfasst; fiir die Bundesrepublik die Straßenverbindungen Kassel- Frankfurt, Erfurt- Würzburg, Göttingen-Halle; s. ABI. C 220 vom 8.8.1994, Anhang li, Abschnitt 2. 117 118

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I. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

alle Projekte, die die Gemeinschaft zu den transeuropäischen Verkehrsnetzen zählt, in ihre ausschließliche Kompetenz fallen. Dieses Vorgehen ist aber insofern unbefriedigend, als die Frage der Kompetenz eine abstrakte Vorfrage ist. 119 Weil eine Kompetenz ausschließlich ist, darf- nur - die Gemeinschaft handeln, aber nicht weil die Gemeinschaft gehandelt hat, ist die Kompetenz ausschließlich. 120 Dies folgt nunmehr ja auch aus dem Subsidiaritätsprinzip gern. Art. 3b Abs. 2 EGV. Wenn die Gemeinschaft allein durch die Kompetenzausübung eine ausschließliche Zuständigkeit erhielte, dann würde das Subsidiaritätsprinzip leerlaufen. Offensichtlich ist davon ausgegangen worden, daß es sich um eine Frage handelt, die vor der Kompetenzausübung beantwortet werden muß. 121 Allenfalls wegen der Wahrung des gemeinschaftlichen Besitzstandes wäre daran zu denken, diejenigen Bereiche, die der EuGH schon über den sekundärrechtlichen Weg als ausschließlich erkannt hat, auch weiterhin zum alleinigen Kompetenzbereich der Gemeinschaft zu zählen. Für die Verkehrsinfrastrukturpolitik ist dies allerdings nicht der Fall. Die Frage der Bestimmung des Politikbereiches wird auch nicht dadurch erleichtert, daß man - wie z.B. im nationalen Recht bei der Unterscheidung von Bundes-, Land- oder Kreisstraßen - davon ausgeht, daß, wenn der Bund plant, seine Zuständigkeit sich selbstverständlich nur auf die Bundesstraßen erstreckt. Mit anderen Worten: allein aus der Stellung des Vorhabensträgers ergibt sich die Einordnung in den Kompetenzbereich. Dies gilt fiir die Gemeinschaft nicht. Die EG wird z.B. in keinem Falle Eigentürnenn der Infrastrukturen, sondern der Mitgliedstaat. Es gibt keine "Gemeinschafts"straßen, fiir die die EG allein kompetent sein könnte. Insoweit besteht wieder die Gefahr, schon aus einem sekundärrechtlichen Vorgehen auf die Kompetenz schließen zu wollen. Dieser Ansatz wurde jedoch gerade eben verworfen. 4. Zwischenergebnis

Ein Rückgriff auf eine pauschale Aussage, was der Regelfall im EGV sei, überzeugt offensichtlich nicht. 122 In dem Bereich der Leitlinienplanung der transeuropäischen Netze (Art. 129c Abs. 1 I. Sp.strich) kann aus den genann119 So auch Jarass, EuGRZ 1994, 2091210; a.A. Toth, CMLRev. 1992, 1079 11091, fiir den gerade wegen der durch die Kompetenzausübung definierten ausschließlichen Zuständigkeitsbereiche im Prinzip alle Kompetenzen exklusiv sind; s. aber auch Lenaerts I van Yperse/e, CahDrEur 1994, 3 I 2!, die allenfalls wegen Art. 235 EGV alle Kompetenzen potentiell als ausschließlich ansehen. 120 Insoweit auch gerade anders der EuGH in den oben genannten Fällen. 121 S.a. Lenaerts I van Ypersele, CahDrEur 1994, 3 I 28, die deswegen nur die "competence par nature" dem Subsidiaritätsprinzip unterwerfen. 122 S. dazu z.B. im Sinne einer konkurrierenden Kompetenz: Schweifzer I Hummer, Europarecht, Rn. 344; Streinz, Europarecht, Rn. 132 (zu Art. 75 Abs. I lit. c) EGV); Jarass, EuGRZ 1994, 209 1210 f.; Grabitz i Hilf-von Bogdandyi Nettesheim, Art. 3b Rn. 15.

B. Begrenzte Einzelermächtigung und Natur der Vertragskompetenzen

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ten Gründen keine ausschließliche Gemeinschaftskompetenz angenommen werden. 123 Der sekundärrechtliche Begründungsansatz des EuGH kann für die Infrastrukturen aus grundsätzlichen Überlegungen zum Verhältnis Kompetenz und Kompetenzausübung nicht herangezogen werden.

111. Abgrenzung von konkurrierender und paralleler Kompetenz Aufgrund des negativen Befundes zur Annahme einer ausschließlichen Kompetenz der transeuropäischen Netzplanung stellt sich die Frage, ob die Planungskompetenz der Gemeinschaft zumindest dann eine mitgliedstaatliche Zuständigkeit ausschließt, wenn die Gemeinschaft tätig geworden ist (insoweit dann konkurrierende Kompetenz). 124 Eine parallele Kompetenz ist hingegen nur sinnvoll, wo die gleichzeitige Regelung des Sachverhalts durch gemeinschaftliche und nationale Vorschriften der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts mit Gewißheit nicht schadet. 125 Aus strukturellen Gründen ist unter diesem Gesichtspunkt eine konkurrierende Gemeinschaftskompetenz anzunehmen. Auszugehen ist zunächst von dem Grundsatz der einheitlichen Auslegung des Titels XII und des Titels IV. Zwar mag fiir die bloße Leitlinienplanung im Sinne von Art. 129c Abs. I I. Sp.strich EGV eine parallele mitgliedstaatliche Bedarfsplanung unschädlich sein126 , doch ändert sich dies mit einer zunehmenden verbindlichen Konkretheit des gemeinschaftlichen Planungsaktes. Es wird noch nachzuweisen sein, daß Art. 75 Abs. I lit. d) EGV in dieser Hinsicht Art. 129c Abs. I 1. Sp.strich EGV ergänzen kann. In diesem Bereich würde eine parallele mitgliedstaatliche Zuständigkeit jedoch eine erhebliche Rechtsunsicherheit bedingen, wenn zwei unterschiedliche Verbände gegebenenfalls widersprüchliche Planungsakte erlassen könnten. Der Grundsatz der harmonischen Auslegung der Titel IV und XII fuhrt somit dazu, daß aufgrund der unbestimmten Weite (vorsorglich) dieser Kompetenzbereich in seiner Gesamtheit als konkurrierend aufzufassen ist. Daß gerade die Möglichkeit eines konkreten Planungsaktes die konkurrierende Kompetenz für den Sachbereich der transeuropäischen Netze begründen kann, ergibt sich auch aus Art. l Abs. 2 S. l der Leitlinienentscheidung 123 Davon geht auch die Kommission aus, BullEG Beil. 3 / 93, S.l6 ("gemischte Zuständigkeit"); auf S. 15 wird allerdings auf die ausschließliche Zuständigekeit bzgl. der Verkehrsbeziehungen mit Drittländern und der Vollendung und dem Funktionieren des Binnemarktes für Verkehrsdienstleistungen hingewiesen. 124 So andeutungsweise Grabitz I Hilf-Frohnmeyer, vor Art. 129b Rn. 4. 125 Grabitz/Hilf-von Bogdandy! Nettesheim, Art. 3b Rn. 16. 126 S.o. II.3.c).

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I. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

Nr. 1626 I 96.127 Demnach bleiben die Mitgliedstaaten grundsätzlich für Umsetzung der Rahmenplanung zuständig. 128 Eigentlich hätte es einer solchen Bestimmung gar nicht bedurft, da die Gemeinschaft im allgemeinen keinen eigenen Verwaltungsunterbau besitzt, der eine Umsetzung durchführen könnte. Die Tatsache, daß gleichwohl eine entsprechende Bestimmung aufgenommen wurde, kann bedeuten, daß die Mitgliedstaaten befürchteten, Kompetenzen in dem Sachbereich "Transeuropäische Verkehrsnetze" zu verlieren. Ein entsprechender Verlust kann aber nur entweder im Rahmen einer (hier abzulehnenden) ausschließlichen Kompetenz oder aber (ausgeübten) konkurrierenden Zuständigkeit verursacht sein.

IV. Ergebnis Der gesamte von Art. 129b ff. und Art. 74 ff. EGV erfaßte Bereich der Transeuropäischen Verkehrsnetze - als Teil der Gemeinsamen Verkehrspolitik - ist als konkurrierende Gesetzgebungsbefugnis aufzufassen. Weder eine ausschließliche noch eine parallele Zuständigkeit vermögen die strukturellen Erfordernisse der Wirksamkeit und der Effektivität des Gemeinschaftsrechts129 zu befriedigen.

C. Gemeinschaftliche Rahmenplanung transeuropäischer Netze: Art. 129b ff. und Art. 74, 75 EGV Im folgenden Kapitel geht es um eine Darstellung des Gemeinschaftshandeins im Bereich der transeuropäischen Rahmenplanung. Diese erfolgt gemäß Art. 129c Abs. 1 1. Sp.strich EGV durch die Erstellung von Leitlinien, deren Rechtsnatur geklärt werden müssen (1.). Nach einer kurzen Übersicht über den Verfahrensablauf (11.) ist dann auf das Verhältnis von Art. 129b ff. und Art. 74, 75 EGV in Hinblick auf die Rahmenplanung einzugehen (III.)

127

ABI. L 228 vom 9.9.1996.

S.a. zustimmende Äußerung des Wirtschafts- und Sozialausschusses, ABI. C 397 I 27 vom 3 1.1 2.1994. 128

129 Zu diesen Einordnungskriterien s. Grabitz/ Hilf-von Bogdandy / Nettesheim, Art. 3b Rn. 15.

C. Gemeinschaftliche Rahmenplanung transeuropäischer Netze

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I. Der Zentralbegriff der Leitlinien Art. 129c Abs. 1 l. Sp.strich EGV sieht fur die Gemeinschaftsplanung die Erstellung von Leitlinien vor. Die Vorschrift nennt damit nicht die Rechtshandlungen der Gemeinschaft, wie sie in Art. 189 EGV aufgefuhrt sind. Die Vorschrift ähnelt insoweit anderen Bestimmungen im Vertrag, die ebenfalls keine Eingrenzung vomehmen. 130 Daraus ergibt sich das Problem der Definition der Handlungsweise der Gemeinschaft. Wegen der ausdrücklichen und eigenständigen Nennung als "Leitlinie", könnte es möglich sein, einen Rechtsakt sui generis anzunehmen. Andererseits könnten die Leitlinien in den von Art. 189 EGV vorgesehenen Rechtsformen erlassen werden. 131 Diese letztere Alternative entspricht grundsätzlich dem jetzigen Stand des Gemeinschaftsrechts, da die Leitlinienentscheidung Nr. 1626 I 96 Entscheidung im Sinne von Art. 189 Abs. 4 EGV darstellt. 132

1. Leitlinien als Rechtsakt sui generis Art. 189 EGV enthält nach allgemeiner Auffassung keine abschließende Regelung über die gemeinschaftlichen Rechtsformen. 133 Die Abgrenzung zwischen Rechtsakten sui generis und den Rechtshandlungen gemäß Art. 189 EGV verläuft dabei weder unbedingt anband der Innen- oder Außenwirkung des Gemeinschaftshandelns 134 noch hinsichtlich der Rechtsverbindlichkeit der Regelung. 135 Art. 173 EGV gewährleistet nämlich einen umfassenden Rechtsschutz gegenüber jeglichem Gemeinschafts"handeln", so daß keine Beschränkung auf Art. 189 EGV gegeben ist. 136 Selbst Rechtsakte mit verbindlicher Außenwirkung würden in jedem Fall denselben Rechtmäßigkeitsanforderungen wie die formalisierten Gemeinschaftsakte unterliegen. 137 130 Z.B. Art. 51, 55 Abs. 2 EGV "beschließen"; Art. 54 Abs. 1 EGV "Programm aufstellen"; weitere Beispiele bei GrabitziHilf-Grabitz, Art. 189 Rn. 32; Constantinesco, Recht der Europäischen Gemeinschaften I, S. 581, Ziff. 5 13; vgl. zum Handeln der Gemeinschaftsorgane Everling, GS Constantinesco, S. 133 I 142 f. 131 So Grabitz i Hilf-Frohnmeyer, Art. 129c Rn. 2. 132 Zurgenauen Einordnungs. unten C.I.2.e). 133 /psen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 477; Grabitz I Hilf-Grabitz, Art. 189 Rn. 32; Constantinesco, Recht der Europäischen Gemeinschaften I, S. 582 Ziff. 516; zu den darüber hinausgehenden Rechtsakten Everling, GS Constantinesco, 1983, S. 133 ff. 134 Also Wirkung nur gegenüber den Gemeinschaftsorganen oder auch gegenüber Dritten; vgl. Constantinesco, Recht der Europäischen Gemeinschaften I, S. 582 Ziff. 516; Oppermann, Europarecht, Rn. 488. 135 Dies folgt schon aus Art. 189 Abs. 4 EGV; s. aber so im Prinzip Everling, GS Constantineso, S. 133 I 1SO f., der eine Bindungswirkung von nichtformalisierten Gemeinschaftshandeln grundsätzlich über Art. 5 EWGV (Gemeinschaftstreue) abzuleiten versucht. 136 EuGH Rs. 22170, Slg. 1971, 2631277 Rn. 28142 - AETR; s.a. Constantinesco, Recht der Europäischen Gemeinschaften I, S. 580 Ziff. 513.

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1. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

Wo die Abgrenzung zwischen einem Rechtsakt sui generis und den Rechtshandlungen nach Art. 189 EGV genau verläuft, ist in seiner Allgemeinheit schwierig zu bestimmen. Am ehesten kann jedoch noch auf das Merkmal der Binnenwirkung des Rechtsaktes im Rahmen der Organisationseinheit abzustellen sein, wie es z.B. beim Haushaltsgesetz oder einer Verwaltungsrichtlinie gegeben ist. 138 Da auf der anderen Seite alle Rechtsakte nach Art. 189 EGV eine verbindliche oder unverbindliche Wirkung gegenüber Dritten (Mitgliedstaaten oder Privaten) haben, erscheint die ausschließliche Wirkung nach innen ein durchaus taugliches Abgrenzungskriterium zu sein. Ist den Leitlinien vor diesem Hintergrund eine Außenwirkung abzusprechen, wäre der Rückgriff auf Art. 189 EGV nicht nötig. 139 Diese verwaltungsinterne Bedeutung der Leitlinien scheint auf den ersten Blick vorzuliegen. Art. 129c Abs. 1 l. Sp.strich EGV spricht von der Ausweisung von Vorhaben von "gemeinsamen Interesse". In der Gemeinschaftspraxis hat dies zunächst zu einem ausführlichen Projektkatalog geführt. Diese Liste der Gemeinschaftsprojekte sollte die erste Planungsstufe für die Realisierung von Vorhaben darstellen, deren Notwendigkeit und Verwirklichung dadurch auf europäischer Ebene besonders angestrebt wird. 140 Innerstaatlich könnte diese Ausweisung grundsätzlich mit dem Bundesverkehrswegeplan zu vergleichen sein. Dieser vom Kabinett beschlossene Plan wird nicht im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. 141 Ihm fehlt damit eine (verbindliche) Außenwirkung. Allein die Beschränkung der Leitlinien auf die Einordnung als Projekte von gemeinsamen Interesse könnte damit eine rein verwaltungsinterne Bedeutung in dem Sinne haben, daß ein Rückgriff auf Art. 189 EGV nicht nötig wäre. Insoweit drängt sich auch der Vergleich mit einer Verwaltungsrichtlinie auf. 137 S. insoweit Art. 190, 191 EGV; Constantinesco, Recht der europäischen Gemeinschaften I, S. 584 Ziff. 518; Oppermann, Europarecht, Rn. 501; vgl. auch die Übersicht in Grabitz/Hilf-Grabitz, Art. 189 Rn. 41b f.; dies betrifft u.a. die Begründungspflicht, die notwendige Bekanntgabe gegenüber einem einzelnen Betroffenen; die Rechtssicherheit und insbesondere den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. 138 Auch die von Oppennann, Europarecht, Rn. 488, 493 genannten externen Beschlüsse beziehen sich nur auf Beschlüsse der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten; die von ihm ansonsten genannten Beispiele (Rn. 491) haben alle Binnencharakter; s.a. die Differenz bei Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 466 f., 478, der nur im Einzelfall Außenwirkungen annimmt. 139 S.a. Kapteyn I VerLoren van Themaat, Introduction to the Law of the European Communities, 1990, S. 190 f. 140 Zwar hatte der Gemeinsame Standpunkt des Rates vom 28.9.1995, ABI. C 331 vom 8.12.1995, diese Liste nicht beibehalten, jedoch wurde sie in der endgültigen Entscheidung als Annex III wieder angefügt; s. dazu auch 11 . Begründungserwägung der Entscheidung Nr. 1626/96. 141 Vgl. Vetter/, Die Planungsakte des Gesetzgebers und der Regierung beim Ausbau der Bundesfemstraßen, 1985, S. 25 f.

C. Gemeinschaftliche Rahmenplanung transeuropäischer Netze

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Eine bloß gemeinschaftsinterne Relevanz von Leitlinien kann darüber hinaus auch an zwei Punkten festgestellt werden: Im Bereich der Verkehrsinfrastrukturen unternahm die Kommission 1979 in einem Memorandum an den Rat einen ersten Ansatz, um diesem ein politisches Handlungskonzept zu eröffnen. 142 In diesem Dokument verwendete sie ständig den Begriff "Leitlinien", ohne daß an eine drittbezogene Außenwirkung gedacht gewesen war.l43 Ein anderer Bereich der EU, wo den Leitlinien grundsätzlich nur eine Innenwirkung zukommt, stellt die GASP dar. Art. J.8 Abs. l EUV nennt die Formulierung "allgemeiner Leitlinien" durch den Europäischen Rat. Gemäß Art. J.8 Abs. 2 EUV trifft der Rat der EG auf dieser Grundlage die erforderlichen Entscheidungen. Leitlinien könnten demzufolge auch über die GASP hinaus generell nicht mehr als eine Selbstbindung der Gemeinschaftsorgane bedeuten. 144 Trotz dieser Hinweise sprechen jedoch mehrere Gründe gegen den bloßen verwaltungsinternen Charakter von Leitlinien im Bereich der transeuropäischen Verkehrsnetze. 145 Zum einen bedeutet der Bundesverkehrswegeplan keine abschließende Definition der Vorhaben wie z.B. das Gesetz zum Ausbau der Schienenwege des Bundes 146 oder das Femstraßenausbaugesetz 147 zeigen. 148 Zum anderen ist die Innenwirkung in Art. J.8 Abs. 1, 2 EUV nicht abschließend zu verstehen, wie der Hinweis auf die Loyalitätspflicht der Mitgliedstaaten hinsichtlich (der durch die Leitlinien konkretisierten) verbindlichen Außenpolitik der Union in Art. J.l Abs. 4 EUV zeigt. Verwaltungsinterna werden demzufolge nicht ausschließlich durch Leitlinien ausgedrückt, so daß im Umkehrschluß Leitlinien auch nicht nur Binnenwirkung haben können. Schwerer wiegt darüber hinaus, daß die transeuropäischen Netzleitlinien im Gegensatz zu der GASP gerade einer verbindlichen Außenwirkung gegenüber den Mitgliedstaaten bedürfen, da nur die Mitgliedstaaten im allgemeinen 142

BullEG Beil. 8/1979.

Weitere Beispiele sind daneben die "Leitlinien" des Verkehrsinfrastrukturausschußes fiir Vorhaben von gemeinsamer Bedeutung, BullEG 5 I 1979, Ziff. 2.1.119; die "Leitlinien" der Kommission zu der Finanzierung von Infrastrukturprojekten, BullEG 12 / 1984, Ziff. 2.1.199, vertieft in KOM (86) 340; das "Leitschema" des Europäischen Rates zu einem Hochgeschwindigkeitsnetz vom 4. / 5.12.1989; die "Leitpläne" des EP zur Verkehrspolitik, ABI. C 240/68 vom 16.9.1991. 144 Oppermann, Europarecht, Rn. 499. 143

145 Vgl. auch instruktiv Perntha/er I Prantl, Raumordnung in der europäischen Integration, 1994, S. 166 im Zusammenhang mit den Rechtswirkungen der Leitlinien. 146 BGBI. 1993 I S. 1874, geändert am 27.12.1993, BGBI. 1993 I S. 2423. 147 BGBI. 1993 I S. 1878, geändert am 29.12.1994, BGBI. 1995 I S. 13. 148 Vgl. Vetter!, a.a.O., S. 25.

62

I. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

über die rechtlichen und finanziellen Mittel zur Umsetzung der Projekte verfügen. Schon aus dem Dogma der grundsätzlichen Trennung der Rechtsordnungen folgt, daß eine Planung der Gemeinschaft nicht automatisch die Mitgliedstaaten bindet. 149 Die in Art. 5 EGV statuierte Loyalitätspflicht reicht insoweit nicht aus, da diese Vorschrift selbst erst eine bestimmte primär- oder sekundärrechtliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten voraussetzt. 150 Gerade diese wird erst durch eine bindende außenwirksame Maßnahme erreicht. Allein die Möglichkeit einer an die Staaten gerichteten Entscheidung bestätigt die Feststellung, daß eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten nicht schon aus einer internen Verwaltungsplanung folgt. Da die Gemeinschaft in keinem Falle ein selbständiger Vorhabensträger ist, wäre zu befürchten, daß ihre bloße verwaltungsinterne Vorarbeit nach außen nur eine geringe praktische Bedeutung erlangen würde. Folgt aus dem Gesagten, daß es einer Bindung der Mitgliedstaaten bedarf, so scheidet die Annahme eines Rechtsaktes sui generis im Sinne eines Verwaltungsintemums aus. Da somit kein Grund ersichtlich ist, warum für die Leitlinienplanung der Rahmen des Art. 189 EGV verlassen werden sollte 151 , ist zu prüfen, welche der vorgesehenen Rechtshandlungen geeignet für die Realisierung der Gemeinschaftsziele sind. 2. Rechtshandeln im Rahmen des Art. 189 EGV a) Kriterien für die Auswahl der Rechtsform

Die Wahl der Rechtsform unterliegt nur sehr vagen Kriterien. Im allgemeinen wird auf die jeweilige Vorschrift, deren systematische Stellung und auf das Vertragsziel abgestellt. Sowohl der Gleichheitsgrundsatz als auch Zweckmäßigkeitserwägungen sind zu berücksichtigen. 152 Eine äußerste Grenze bildet der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, da die verschiedenen Rechtsformen in einer abgestuften Hierarchie zueinander stehen. 153 149 Dies ist wohl auch der Hintergrund dafür gewesen, daß das EP aus Art. 129d EGV eine rechtliche Bindung der Mitgliedstaaten in bezug auf die Durchführung nicht sieht, PE 211.161 I endg. vom 25.4.1995, S. 60. 150 S. aber auch zu Art. 5 E(W)GV bzgl. den unverbindlichen Empfehlungen und Stellungnahmen Jpsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 461. 15 1

Vgl. aber auch Pernthaler I Prantl, a.a.O., S. 162 ff. "atypische Handlungsform".

Vgl. Everling, BB 1959, 52 / 53; Grabitz ! Hilf-Grabitz, Art. 189 Rn. 33, 42; Constantinesco, Recht der Europäischen Gemeinschaften I, S. 594 Ziff. 525; Smit I Herzog, Art. 189 Ziff. 189.05; Kapteyn I VerLoren van Themaat, a.a.O., S. 189; GTE-Daig I Schmidt, Art. 189 Rn. 20. 153 Vgl. z.B. Fuß, NJW 1964, 327 / 330, der die Rangordnung schon aus der Reihenfolge ihrer Aufzählung erkennen will; s.a. GTE-Daig I Schmidt, Art. 189 Rn. 23; Constantinesco, 152

C. Gemeinschaftliche Rahmenplanung transeuropäischer Netze

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Darüber hinaus ist in jedem Fall trotz der Einschätzungsprärogative der handelnden Gemeinschaftsorgane die materielle Sichtweise des EuGH im Auge zu behalten. Selbst wenn sich der Rat oder die Kommission auf eine Rechtsform festgelegt haben, behält sich der Gerichtshof vor, diese Einordnung gerade auch in Hinblick auf das Rechtsschutzbedürfnis zu revidieren und nicht von der formalen Titulierung, sondern vom Inhalt des Rechtsaktes auszugehen. 154 Das hat zur Folge, daß gerade unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit der EuGH korrigierend eingreifen kann, wenn sich z.B. eine übermäßige ·Verordnung in eine erforderliche Entscheidung umdeuten läßt. b) Verordnung

In einem ersten Ansatz sprach die Kommission von einer (Rahmen-) Verordnung, die sie im Rahmen des Handeins der Gemeinschaft im Bereich der transeuropäischen Netze erlassen wolle. 155 Damit stellt sich die Frage, inwieweit die Vertragsziele und der Sinnzusammenhang des Titels XII eine Verordnung erforderlich machen könnte. Typisches Kennzeichen einer Verordnung ist die unmittelbare und allgemeine Geltung in den Mitgliedstaaten. Demzufolge können sich auch Individuen auf eine Gemeinschaftsregelung berufen. Das Ziel der Leitlinien besteht nach Art. l29c Abs. 1 1. Sp.strich EGV nun aber darin, die Ziele, Prioritäten und Grundzüge der Aktionen und in diesem Rahmen die Vorhaben von gemeinsamen Interesse festzulegen. Schon von diesen Vorgaben her ergibt sich, daß sich die Leitlinien an die Mitgliedstaaten richten sollen, da nur sie überhaupt in der Lage sind, Verkehrsvorhaben im Rahmen der Ziele und Prioritäten zu verwirklichen. Die Formulierung "Grundzüge" deutet zudem an, daß eine gegenüber dem einzelnen beabsichtigte Wirkung nicht angestrebt wird. Dies folgt daraus, daß sich die Rechtssubjekte gar nicht sinnvollerweise auf eine Verordnung berufen können, wenn sie wegen einer allgemeineren Formulierung nicht regelungsintensiv genug ist. Eine Verordnung macht somit keinen Sinn im Bereich der gemeinschaftlichen Rahmenplanung, wenn nur festgelegt wird, welche Verkehrsvorhaben überhaupt im Bereich der transeuropäischen Verkehrsnetze verfolgt werRecht der Europäischen Gemeinschaften I, S. 595 Ziff. 526; GrabitziHilf-Grabitz, Art. 189 Rn. 33 stellt bei der Verhältnismäßigkeit auf die Formvorschriften, die Rechtswirkungen und den Rechtsschutz ab. 1s4 Vgl. nur EuGH Rs. 20158, Slg. 1959, 1651183- Phoenix-Rheinrohr; EuGH Verb. Rs. 22 u. 23160, Slg. 1961, 3891408 - Elz; EuGH Verb. Rs. 16 u. 17162, Slg. 1962, 961 I 979 f. - Confederation nationale des producteurs des fruits et tegumes; EuGH Rs. 307181, Slg. 1982, 346313472 Rn. 10 f. -Alusuisse. ISS BuliEG Beil. 3 I 1993, S. 70 Ziff. 368.

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l. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

den. 156 Jedoch könnte im Bereich der privaten Projektfinanzierung im Rahmen der Vorhaben von gemeinsamen Interesse eine Verordnung dann von Nutzen sein, wenn sie so detaillierte Förderrichtlinien enthielte, daß der einzelne nicht nur erkennen könnte, welche Projekte gefördert werden, sondern wie eine finanzielle Beteiligung durch ihn aussehen könnte. 157 Allerdings ist im Zusammenhang mit der Rahmenplanung problematisch, ob die Rechtsform der Verordnung auch dann zulässig ist, wenn sich diese ausschließlich an die Mitgliedstaaten richtet. In Hinblick auf die Formulierung in Art. 189 Abs. 2 EGV ("Wirkung in den Mitgliedstaaten") wird dies teilweise bestritten. 158 Bleckmann stellt dem jedoch entgegen, daß insbesondere im Agrarbereich zahlreiche Verordnungen an die Mitgliedstaaten ergehen, auch wenn eine Marktordnung noch durch nationale Gesetze einzufUhren ist. In Abgrenzung zur Richtlinie stellt er fest, daß aufgrund der Annäherung von Richtlinie und Verordnung auch Verordnungen, die nur die Staaten binden, zuzulassen sind. 159 Die Anwendbarkeit der Verordnung im Agrarbereich kann jedoch darauf zurückgefiihrt werden, daß die Gemeinschaft detaillierte Regelungen nicht nur in Hinblick auf das Ziel (dann Richtlinie) oder im Einzelfall (dann Entscheidung) erlassen wollte, sondern es der EG darauf ankam, eine generelle Wirkung zu erreichen, ohne aber gleichzeitig eine unmittelbare Geltung fiir den einzelnen zu beabsichtigen. Diese Praxis ist dogmatisch nicht einwandfrei. Insoweit stellt sich aber die Frage, inwieweit aus einem tatsächlichen Handeln rechtliche Rückschlüsse zulässig sind. Nur eine von einer gemeinsamen Rechtsüberzeugung getragene Fortentwicklung kann Rechtswirkungen erzeugen. 160 Dies mag im Einzelfall wie z.B. im Agrarbereich der Fall sein, doch verbietet sich eine analoge Verallgemeinerung auch auf andere Politikbereiche. Da ein Rückgriff auf eine Verordnung rechtlich auch nur dann geboten ist, wenn eine unmittelbare Wirkung gegenüber dem einzelnen beabsichtigt ist 161 , 156

Vgl. i.E. ebenso Pernthaler/ Prant/, a.a.O., S. 162.

Über die "Erklärung zum gemeinschaftlichen Interesse" hinaus könnte dies Fälle wie Laufzeiten von privaten Finanzhilfen oder die Dauer der Gebührenerhebung betreffen. 157

158 GTE-Daig I Schmidt, Art. 189 Rn. 32; in der Regel wird gerade auf die doppelte Wirkung sowohl gegenüber dem Mitgliedstaat als auch gegenüber den einzelnen hingewiesen, vgl. nur Constantinesco, Recht der Europäischen Gemeinschaften I, S. 606 ff. Ziff. 535 ff.; Grabitz/Hilf-Grabitz, Art. 189 Rn 46; Kapteyn / VerLoren van Themaat, a.a.O., S. 339. 159 B/eckmann, Europarecht, Rn. 410 f.; ebenso ohne Begründung Oppermann, Europarecht, Rn. 454. Ein vergleichbares Vorgehen ergibt sich im Rahmen von Rechtsvereinheitlichungsverordnungen auf Grundlage von Art. lOOa EGV. 160

Vgl. die völkerrechtlichen Formen des Völkergewohnheitsrechts oder der desuetudo.

16 1

Inwieweit eine Verordnung darüber hinaus eine Rechtsverbindlichkeit gegenüber einer

C. Gemeinschaftliche Rahmenplanung transeuropäischer Netze

65

muß eine ausschließlich an die Staaten gerichtete Verordnung ohne unmittelbare Wirkung als unzulässig erachtet werden. c) Richtlinie

Die Wahl einer Richtlinie fiir die Normierung der Leitlinien begegnet den eben genannten Schwierigkeiten nicht, da sie sich zunächst nur an die Mitgliedstaaten richtet. Regelmäßig könnte die Richtlinie gerade auch wegen des Rahmencharakters der Leitlinien die nächstliegendste Rechtsform sein. 162 Unter diesem Gesichtspunkt ist die Parallele zwischen Art. I89 Abs. 3 EGV und Art. I29c Abs. I I. Sp.strich EGV bemerkenswert, da beide Vorschriften ausdrücklich auf die "Ziele" Bezug nehmen. Art. 129c Abs. I 1. Sp.strich EGV fordert fiir die Leitlinien in dieser Hinsicht eine Zielkonkretisierung im Rahmen von Art. l29b EGV, die auch die Prioritäten als Unterpunkt mit berücksichtigt. Insoweit werden die Ziele hierarchisiert. 163 Art. 189 Abs. 3 EGV könnte diese Vorschrift in dem Sinne ergänzen, daß bei dem Erlaß einer Richtlinie die Verbindlichkeit der Ziele festgeschrieben würde. Gleichwohl kann aber damit Art. l29c Abs. I l.Sp.strich EGV nicht uneingeschränkt entnommen werden, daß Richtlinien die geeignetste Rechtsform darstellen. Die Leitlinien sollen nämlich auch die Grundzüge der Aktionen und insbesondere die Kriterien fiir die Vorhaben von gemeinsamem Interesse erfassen. Somit erlangen die Leitlinien ein zusätzliches funktionales Element. Unabhängig von der Ausgestaltung der Grundzüge oder des Kriterienkataloges gehen sie damit über die alleinige, den Mitgliedstaaten freigestellte Zielerreichung hinaus. Die reine Projektliste würde zwar durchaus am ehesten der Richtlinie entsprechen, doch hat Art. l29c Abs. I I. Sp.strich EGV eine darüber hinausgehende Intention und Zielrichtung. 164 Dies entunbestimmten Anzahl der Fälle entfalten muß (vgl. EuGH Rs. 64180, Slg. 1981, 693 1703 Rn. 6 f. - Giuffr ida; EuGH Rs. I 0 I 176, Slg. 1977, 797 I 807 f. Rn. 20 I 22, 23 I 25 - Koninlijke), muß deswegen nicht weiter erörtert werden. Gerade über die Konkretheil der Sachverhalte - und nicht der Adressaten - könnte insoweit die Abgrenzung zur Entscheidung gesucht werden. 162 Vgl. GrabitziHilf-Grabitz, Art. 189 Rn 51, der auf die Vergleichbarkeit zur deutschen Rahmengesetzgebung hinweist. 163 Eine Erweiterung von Art. 129b EGV ist damit nicht verbunden. Sekundärrechtlich kann Art. 129c Abs. I I. Sp.strich EGV nicht weiter gehen als die primärrechtlichen Ziele in Art. 129b EGV. Der Auftrag des Art. 129c Abs. I I. Sp.strich EGV besteht insoweit nur in einer Konkretisierung der Ziele, um fiir den bestimmten Rechtsakt den Handlungsrahmen abzustecken. 164 In diesem Rahmen braucht nicht beachtet zu werden, daß die Richtlinie oftmals sehr genau auch die Mittel formuliert (GTE-Daig / Schmidt, Art. 189 Rn. 37, 41; Oppermann, Europarecht, Rn. 456, 460), was in der Rechtsprechung sowohl zu der Annahme einer unmittelbaren Wirkung als auch zu möglichen Schadensersatzleistungen wegen Nichtumsetzung der Richtlinie gefiihrt hat (EuGH Rs. 8 I 81 , Slg. 1982, 53 - Becker; EuGH Verb. Rs.

S JUrgensen

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I. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

spricht auch nicht dem Charakter der Richtlinie als ein primäres Mittel zur Rechtsangleichung. 165 d) Entscheidung

Entscheidungen werden wegen ihres Einzelfallcharakters oft mit einem Verwaltungsakt verglichen. 166 Die Bestimmung des Einzelfalles oder der allgemeinen Gültigkeit, die primäre Grundlage fiir die Abgrenzung der Entscheidung zur Verordnung ist, ist immer wieder Gegenstand der Erörterung gewesen, da der Anknüpfungspunkt - Adressat oder Sachverhalt - nicht klar festgelegt ist. 167 Der EuGH hat auf die Bestimmtheit des Adressatenkreises abgestellt. 168 Demzufolge grenzt sich die Entscheidung von der Verordnung durch die abgeschlossene Individualisierbarkeit der Adressaten ab. Bei der Richtlinie erfolgt daneben zusätzlich eine Mitteldefinition im Gegensatz zur bloßen Zielverbindlichkeit Aus diesen Abgrenzungen folgt, daß Leitlinien primär in die Rechtsform der Entscheidung einzukleiden sind. 169 Die Mitgliedstaaten sind individualisierbar und sollen als Vorhabensträger auch in die Pflicht genommen werden.170 Die einzelnen Mitgliedstaaten werden durch die Entscheidung in dem Maße betroffen, wie das Verkehrsvorhaben nach den Planungen ihr Hoheitsgebiet berührt. C-6 und 9190, Slg. 1991, 1-5357 - Francovich). Diese Gesichtspunkte sind deswegen nicht zu berücksichtigen, da es vorliegend um die dogmatische Vorfrage geht, welches Rechtsinstitut fiir die Umsetzung der Leitlinien am geeignetesten ist, nicht jedoch wie in der Praxis die Dogmatik durchbrochen wird. 165 Grabitzl Hilf-Grabitz, Art. 189 Rn. 5; GTE-Daig I Schmidt, Art. 189 Rn. 35; s. darüber hinaus Pernthaler I Prantl, a.a.O., S. 163, die zu Recht darauf hinweisen, daß zudem fiir die Umsetzung der Leitlinien nicht nur die Mitgliedstaaten verantwortlich, wie dies aber typischerweise bei den Richtlinien der Fall ist. 166 Vgl. nur Oppermann, Europarecht, Rn. 473; Constantinesco, Recht der Europäischen Gemeinschaften I, 1977, S. 629 Ziff. 562; Bleckmann, Europarecht, Rn. 463; Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 452; GrabitziHilf-Grabitz, Art. 189 Rn. 65. 167 Vgl. nur Fuß, NJW 1964, 327, 945, 1600. 16M EuGH Verb. Rs. 16 u. 17162, Slg. 1962,9611979- Confederation nationale des Producteurs des fruits et /egumes; EuGH Verb. Rs. 41 -44 I 70, Slg. 1971, 421 Rn. 2 I 4, 16122, 23 129 - lnt. Fruit Company; s.a. Fuß NJW 1964, 945; Bleckmann, Europarecht, Rn. 459 i.V.m. 404 f. stellt auf den "überschaubaren" Personenkreis ab; Grabitz i Hilf-Grabitz, Art. 189 Rn. 71 stellt in Anlehnung an Art. 173 Abs. 2 EGV auf die Individualisierbarkeit ab; s.a. Oppermann, Europarecht, Rn. 475. 169 S.a. E I B-Erdmenger, Art. 129c Rn. 16 ff.; a.A. Pernthaler! Prantl, a.a.O., S. 163, da der Mitgliedstaat zustimmen müsse und zudem wegen des Rahmencharakters der Leitlinien keine entscheidungstypische Einzelverpflichtung begründet werde. 170 In diesem Zusammenhang erscheint es geboten, auf den verpflichtenden Charakter einer Entscheidung hinzuweisen. Dies wird mißachtet, wenn im Rat "Verkehr" die Planung als "hinweisend" bzw. als "Aufforderung" bezeichnet wird; vgl. Vinois, RMC 1994, 83 I 87.

C. Gemeinschaftliche Rahmenplanung transeuropäischer Netze

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Im Rahmen der Entscheidung könnte sich allerdings die Frage stellen, ob die Individualisierbarkeit entfallen kann, wenn ein Mitgliedstaat gezwungen wird, aufgrund einer Gemeinschaftsentscheidung eine allgemeine Regel zu erlassen. Gerade dann könnte es an dem Einzelfallcharakter der Entscheidung fehlen. Dieses Argument geht jedoch fehl. Auch in diesem Falle ist das eigentliche Gemeinschaftshandeln durchaus noch auf einen bestimmbaren Personenkreis (die Mitgliedstaaten) zurückzuführen, so daß die Rechtsnatur der Entscheidung im Sinne von Art. 189 Abs. 4 EGV erhalten bleibt. 171 e) Eine exemplarische Einordnung: Die Entscheidung Nr. 1626/96 des Rates und des Parlamentes vom 23.7.1996, ABI. L. 228 vom 9.9.1996, corrigendum in ABI. L 15 vom 17.1.1997

Diese Entscheidung stellt den ersten umfassenden Rechtsakt für die Leitlinien im Rahmen des Titels XII dar. Die Entscheidung richtet sich an alle Mitgliedstaaten (Art. 24). Durch die Festlegung von Netzplänen in den verschiedenen Mitgliedstaaten kann die Entscheidung einerseits als eine Summe von Einzelentscheidungen aufgefaßt werden, andererseits stellt er auch eine "allgemeingültige Entscheidung" dadurch da, daß er allgemeine Kriterien fiir die Projektrealisierungen z.B. hinsichtlich der Projekte von gemeinsamem Interesse, den Prioritäten, den Grundzügen der Aktionen und dem Netzumfang enthält. Ob die formulierten Leitlinien jedoch tatsächlich als "Entscheidung" einzuordnen sind, ergibt sich nicht aus der formellen Bezeichung, sondern aus dem materiellen Inhalt. 172 aa) Abgrenzung zur Verordnung

Eine Verordnung liegt nach der Legaldefinition gemäß Art. 189 Abs. 2 EGV dann vor, wenn der Rechtsakt allgemein und unmittelbar gilt. Dies trifft fiir den vorliegende Entscheidung nicht zu. Die Kommission hatte zwar in der Begründung des Entscheidungsentwurfes angegeben, daß die Entscheidung ebenso fiir die Organe der Gemeinschaft, die Finanzinstitute und die privaten Geldgeber gelten solle 17\ was für eine über Art. 24 hinausgehende unmittelbare Wirkung der Entscheidung sprechen könnte. Nach Constantinesco wäre es unter Umständen auch möglich von einem "Mischakt" auszugehen, für den Fall, daß nicht alle Bestimmungen desselben Rechtsaktes, dieselbe Rechtsnatur haben. 174 171 Kapteyn I VerLoren van Themaat, a.a.O., S. 200 f.; Constantinesco, a.a.O., S. 632 Ziff. 568. 172 Vgl. HandKommEUV /Magiera, Art. 189 Rn. 4; Oppermann, Europarecht, Rn. 446. 113 KOM (94) 106, S. 2, 14 Tz 33. vom 8.8.1994; Bleckmann, Europarecht, Rn. 458 sieht eine solche ,,Außenwirkung" hinsichtlich der Organe als selbstverständlich an.

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l. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

Dieser "Geltung" bzw. diesem "Hinweis" für Dritte neben den Mitgliedstaaten kann jedoch nach dem Sinn und Zweck des Vorschlags keine rechtliche Verbindlichkeit zukommen, sondern er betrifft allenfalls eine faktische Bindung der Behörde gegenüber Dritten. 175 Eine unmittelbare und allgemeine Bindung von Dritten kommt auch deswegen nicht in Betracht, weil die Entscheidung sehr allgemein gehalten ist. Er bedarf in jedem Falle noch einer konkreten mitgliedstaatliehen Umsetzung (Art. 1 Il}. 176 Die angesprochene "Geltung" ist demnach nur insoweit relevant, als Behörden und private Investoren einen Überblick über die gemeinsamen Projekte in den Anhängen erhalten. Diese können nunmehr die Kriterien abschätzen, die für die - finanziell bevorzugten - Projekte von gemeinsamem Interesse gelten. Wie auch Art. I II, 4, 5 und 18 deutlich machen, geht es in erster Linie um eine Koordinierung der mitgliedstaatliehen Verkehrsprojektierungen. Als Bauherr tritt der Staat auf, selbst wenn die konkrete Ausführung einem privaten Investor überlassen bleiben sollte. Demzufolge kann jedoch eine unmittelbare Wirkung in den Mitgliedstaaten nicht angenommen werden. Die von der Kommission verfolgte Geltung ist somit höchstens von mittelbarer Art. bb) Abgrenzung zu einer Richtlinie

Der Charakter der Entscheidung wirft die Frage auf, ob infolge der noch erforderlichen Umsetzung durch die Mitgliedstaaten nicht stattdessen eine Richtlinie angenommen werden müßte. Eine Richtlinie wendet sich an die Mitgliedstaaten, genauso wie es eine Entscheidung tun kann. Allerdings wird eine Entscheidung regelmäßig als eine Einzelfallentscheidung aufgefaßt, die sich z.B. an einzelne Mitgliedstaaten richten kann. Der genannte Entscheidungsvorschlag wendet sich aber an "alle" Mitgliedstaaten und kommt somit der in Art. 189 Abs. 3 EGV gewählten Form nahe. Es wurde schon dargestellt, daß sich Richtlinie und Entscheidung dadurch unterscheiden, daß die Richtlinie mehr allgemein (normativ) wirkt' 77 und eine grundsätzliche Loslösung von einem konkreten Problemsachverhalt bedeutet, wie er z.B. einem Verwaltungsakt zu Grunde liegt. Die Einordnung der Entscheidung als Richtlinie kann insoweit für sich in Anspruch nehmen, daß in 174 Constantinesco, a.a.O., S. 597 Ziff. 528; s. aber Bleckmann, Europarecht, Rn. 411, der auf den überwiegenden Charakter des gesamten Rechtsaktes abstellen will. 175 Diese Möglichkeit der faktischen Betroffenheit ergibt sich auch aus Art. 173 Abs. 4 EGV; s. zur Angreifbarkeil einer an die Mitgliedstaaten gerichteten Entscheidung, Kapteyn I VerLoren van Themaat, a.a.O., S. 339 f.; Grabitz, EuR 1971, I ff.; Wägenbaur, AWD 1970,481 ff.; Arnull. CMLRev. 1995,7 ff.; Nihou/, RTDE 1994, 171 ff. 176 S. auch die Begründung des ursprünglichen Entwurfes KOM (94) 106, S. 10 Tz. 18. 177 Vgl. Bleckmann, Europarecht, Rn. 439; Oppermann, Europarecht, Rn. 470.

C. Gemeinschaftliche Rahmenplanung transeuropäischer Netze

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dem Kartenanhang eine konkrete Zielvorgabe hinsichtlich des zu schaffenden Netzes vorgesehen wurde. Genau dies wird ja auch in Art. 129c Abs. I 1. Sp.strich EGV gefordert und in Art. 2 der Leitlinienentscheidung bekräftigt. Auf der anderen Seite ergibt aber die Betonung der Mittel, daß es sich um eine Entscheidung handeln muß. Die Festlegung des Netzumfanges (Art. 3), der Grundzüge der Aktion (Art. 4) und die Projekte von gemeinsamem Interesse (Art. 7) sind Mittelbeschreibungen zur Zielerreichung. Die genannten Vorschriften dienen der Optimierung der Schaffung der Netze. Sowohl eine Richtlinie als auch eine (diese) Entscheidung sind verbindlich für die Mitgliedstaaten. Die Entscheidung bedarf - genauso wie es eine Richtlinie täte - noch der Umsetzung in nationales Recht. Aufgrund der verbindlichen Mittelvorgabe erscheint in diesem Falle die Wahl einer Entscheidung, die nach Art. 189 Abs. 4 EGV im Gegensatz zu Art. 189 Abs. 3 EGV auch noch die Ziele enthalten kann, Art. 129c Abs. 1 1. Sp.strich EGV am ehesten gerecht zu werden. Berücksichtigt man die Rechtswirkungen, die Formvorschriften und die Möglichkeiten des Rechtsschutzes 178, ergeben sich vorliegend auch in Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit keine Unterschiede zu einer Richtlinie. Insbesondere die Rechtsschutzmöglichkeiten bestimmen sich mangels einer individuellen Wirkung vorliegend allein nach Art. 169, 170, 173 Abs. 2 EGV. Damit kann aber sowohl unter Zweckmäßigkeitserwägungen als auch unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die bisherige Leitlinienplanung auf die Rechtsform der Entscheidung gestützt werden.

3. Ergebnis zur Rechtsnatur der Leitlinien Soweit Leitlinien sowohl einen Zielcharakter haben als auch die Mittel zur Umsetzung regeln, ist die Entscheidung nach Art. 189 Abs. 4 EGV die geeignetste Rechtsform. Ansonsten liegt der Gebrauch einer Richtlinie nahe, da die Zielbeschreibung regelmäßig im Vordergrund stehen wird und die Mitgliedstaaten zuallererst für die Durchführung verantwortlich sind. Eines Rückgriffes auf die Rechtsfigur des Rechtsaktes sui generis bedarf es nicht.

17R

Übersicht zum unterschiedlichen Rechtsschutz in Grabitz/Hi!f-Grabitz, Art. !89

Rn. 33.

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1. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

II. Das Verfahren nach Art. 129d EGV 1. Möglichkeiten der Beschlußfassung a) Art. 129c Abs. 1 i.V.m. Art. 129d Abs. 1 EGV

Die Leitlinien sollen vom Rat und dem Parlament gemäß dem Kodezisionsverfahren nach Art. 189b EGV festgelegt werden. Ergeht der Beschluß formal auch durch den Rat (Art. 129d Abs. I EGV), so kann das Europäische Parlament diesen doch endgültig zum Scheitern bringen, Art. 189b Abs. 6 S. 2 EGV. Die Einzelheiten des Verfahrens nach Art. 189b EGV bedürfen an dieser Stelle keiner vertieften Behandlung. 179 b) Art. 129d Abs. 3 i.V.m. Art. 189c EGV

Im Gegensatz zu dem (auch) politischen Grundsatzcharakter der Leitlinien stehen die Harmonisierung der technischen Normen und die Finanzierungsmöglichkeiten gern. Art. 129c Abs. 1 2. und 3. Sp.strich EGV. Die verminderte Entscheidungsform für das Europäische Parlament gemäß Art. 189c EGV kann sich dabei nur eingeschränkt aus den technischen Detailfragen erklären, da Art. 129c Abs. 1 3. Sp.strich EGV die typischerweise dem Parlament zukommende Etathoheit nennt. Allerdings ist wegen des Aufkommens der EG-Mittel aus den Mitgliedstaaten und der dortigen nationalen parlamentarischen Kontrolle Vorsicht bei der Übertragung nationaler staatlicher Vorstellungen geboten. Jedenfalls spricht Art. 129c Abs. 1 3 . .Sp.strich EGV ausdrücklich von "Vorhaben von gemeinsamem Interesse, die im Rahmen der Leitlinien ... ausgewiesen sind" . Das EP wirkte jedoch schon mitentscheidend an den Leitlinien mit, so daß es hier um die exekutive Durchführung der Leitlinien geht.

2. Erfordernis der Billigung durch den Mitgliedstaat, Art. 129d Abs. 2 EGV Das durch Art. 129d Abs. 2 EGV eingeräumte "Vetorecht" hat zur Folge, daß keine Leitlinien für einen Mitgliedstaat ohne dessen Zustimmung aufgestellt werden können. Die Zustimmung kann auch aus einem qualifizierten Schweigen folgen (acquiescence). Dies folgt aus einer Analogie zu dem Schweigen des Parlamentes im Rahmen von Art. 189b, l89c EGV, das ebenfalls als Billigung verstanden wird (Art. 189b lit. b), Art. 189c lit. b) 2. UA EGV). Interessanterweise steht dieses Vetorecht nur den Mitgliedstaaten, 179 Zum Kodezisionsverfahren Boest, EuR 1992, 182 / 184; kritisch unter Demokratiegesichtspunkten Curtin, CMLRev. 1993, 17 I 36 ff.

C. Gemeinschaftliche Rahmenplanung transeuropäischer Netze

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nicht jedoch den Regionen zu.180 Insoweit vertreten die Mitgliedstaaten die Regionalinteressen über den Regionalausschuß hinaus. Die Mitgliedstaaten könnten allenfalls nach innerstaatlichem Recht gehalten sein, Forderungen einer betroffenen Region nach Ausübung des Vetorechts nachzugeben. Damit treten die Mitgliedstaaten dann als "Sachwalter der Regionen" auf, wobei sich gemeinschaftsrechtlich keine Pflicht zur Ausübung des Vetorechts begründen läßt. 181 Dies folgt allein daraus, daß das vorliegende Entscheidungssystem grundsätzlich schon von einer wirksamen Regionalinteressenvertretung ausgeht. 182 Art. 129d Abs. 2 EGV erwähnt ausdrücklich das Recht der Mitgliedstaaten, ihr Vetorecht auszuüben, gibt jedoch keinen Maßstab vor. Allenfalls auf innerstaatliche Rechtsbehelfe wie z.B. auf das Prinzip der Bundestreue, das auch den Bund gegenüber den Ländern verpflichtet, kann daher abgestellt werden. 183

111. Das Verhältnis von Art. 129b ff. zu Art. 74, 75 EGV: Verdrängung der "alten" Verkehrskompetenz im Bereich der Verkehrsrahmenplanung? 1. Verkehrsinfrastrukturpolitik als Teil der Gemeinsamen Verkehrspolitik im Sinne von Art. 74 EGV Art. 74 f. EGV (insbesondere Art. 75 Abs. 1 lit. d) EGV) könnte Anwendung finden, da Art. 74 f. EWGV bis zur Einfügung von Art. 129b ff. EGV den Bereich der Planung, Erstellung und Unterhaltung der Verkehrsinfrastruktur erfaßte 184, obwohl der englische, französische und italienische Text ("transport", "transporti") enger zu verstehen sein könnte. 185 Art. 75 Abs. I lit. d) EGV ermöglicht auch den Erlaß konkreter Maßnahmen 186 im Rahmen der in Art. 74 EGV erwähnten Vertragsziele eines immer engeren IRO In diesem Zusammmenhang ist darauf hinzuweisen, daß ja auch das Subsidiaritätsprinzip sich nur auf die Mitgliedstaaten und nicht auf die lokalen und regionalen Körperschaften bezieht; s.a. Lhouest I Nihoul, JT 1992, 785 I 793. IKI Instruktiv die Ausruhrungen des BVerfG zur Femsehrichtlinie, BVerfG NVwZ 1996, 1093. 1! 2 Vgl. insoweit Neßler, EuR 1994, 216. IRJ In diesem Sinne BVerfG NVwZ 1996, 1093, 1096. 1! 4 Grabitz/Hilf-Frohnmeyer, Art. 74 Rn. 4 mit Hinweis auf a.A. von Großbritannien, Deutschland und Frankreich, die dieses auf Art. 235 EWGV stützen wollten. 185 GTE-Erdmenger, Art. 74 Rn. 4. 1K6 Grabitz ! Hilf-Frohnmeyer, Art. 74 Rn. 7; vgl. auch Pieper in: Bleckmann, Europarecht, Rn. 2408; Oppermann, Europarecht, Rn. 1305: "Voraussetzungen fiir weitgehende und inhaltlich intensive Ausgestaltung einer Gemeinsamen Verkehrspolitik".

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I. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

Zusammenschlusses der Völker, der Besserung der Lebensbedingungen und des gemeinsamen Marktes 187, so daß auch Planungen grundsätzlich erfaßt sein können. Art. 75 Abs. I lit. c) EWGV (jetzt lit. d) EGV) gibt eine nahezu unbegrenzte Ermächtigung, die sich nicht nur auf Art. 75 Abs. I lit. a) und b) EWGV beschränkt. 188 Für die Erreichung dieser Ziele ist die Schaffung eines Systems von Verkehrswegen erforderlich. 189 Dabei kann es sich um Maßnahmen handeln, die sich nicht in nationale oder internationale Bereiche trennen lassen. 190 Die damit eingeräumten weitreichenden Möglichkeiten eines großräumigen Verkehrs wurden allenfalls zurückhaltend kritisiert und die Kritik mehr auf die tatsächlichen praktischen Möglichkeiten als auf die rechtlichen Grenzen gestützt.191 Wie schon ausführlich an anderer Stelle dargestellt wurde, sah sich die Gemeinschaft - gestützt auf diese Vertragsvorschriften - grundsätzlich zur Verkehrsinfrastrukturpolitik befugt. Die Kommission hat, ausgehend von der entscheidenden Rolle der Infrastrukturpolitik für das gemeinsame Verkehrssystem192, dem Rat insbesondere Finanzierungshilfeprojekte unterbreitet, die dieser auch annahm. 193 Darüber hinaus wurde 1978 ein VerkehrsinfrastrukturausschuB gegründet, um die mitgliedstaatliehen Maßnahmen zu koordinieren. 194 Allerdings ist es zu einem direkten Einfluß auf die Verkehrsinfrastrukturplanung nicht gekommen. Insgesamt hat sich die Gemeinschaft bis zur Einführung der neuen Kompetenz nach Art. 129b bis 129d EGV insbesondere auf Art. 74, 75 EWGV 195 und z.T. auf Art. 235 EWGV 196 gestützt. 187 Letzterer wird allgemein mit dem Binnenmarkt in Art. 7a Abs. 2 EGV gleichgesetzt; Grabitz I Hilf-Frohnmeyer, Art. 74 Rn. 10, zum Zusammenhang mit dem Verkehr GTEErdmenger, vor Art. 74 Rn. 3; zu den Zielen s. Präambel, Art. 2 und Art. 3 E(W)GV, vgl. dazu GTE-Erdmenger, Art. 74 Rn. 8; GrabitziHi!f-Frohnmeyer, Art.74 Rn. 9; EuGH Rs. 167/73, Slg. 1974, 359 I 310. 188 Grabitz i Hi!f-Frohnmeyer, Art. 75 Rn. 32. 189 Grabitz i Hi!f-Frohnmeyer, Art. 74 Rn. 9; GTE-Erdmenger, vor Art. 74 Rn. 4, Art. 74 Rn. 4, 14 und 25; vgl. insoweit auch die Übersicht zu dem bisherigen Gemeinschaftshandeln I. Teil, A. 190 GTE-Erdmenger, Art. 75 Rn. 41. 19 1 GTE-Erdmenger, Art. 74 Rn. 18. 192 BullEG Beil. 1611973. 193 Übersicht bei Grabitz i Hilf-Frohnmeyer, Art. 74 Rn. 60. 194 VO 174/78 ABI. L 54 vom 25.2.1978. 195 Z.B. VO 174/78 ABI. L 54 I I vom 25.2.1978 zur Einsetzung eines Verkehrsinfrastrukturausschusses; VO 4048 188 ABI. L 356 vom 19.12.1988 bzgl. Finanzbeihilfen; zuletzt ABI. L 305 vom 10.12.1993 bzgl. drei Entscheidungen vom 29.10.1993, zwei Tage vor Inkrafttreten der Art. 129b ff. EGV. 196 VO 1889 I 84 ABI. L 177 vom 26.6.1984 bzgl. Sondermaßnahmen auf dem Gebiet der Verkehrsinfrastruktur.

C . Gemeinschaftliche Rahmenplanung transeuropäischer Netze

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Nach Einfügung der Art. 129b ff. EGV ist fraglich, ob Art. 74 f. EGV überhaupt noch für die Verkehrswegeplanung herangezogen werden können oder ob nicht der Titel XII eine abschließende Regelung für diesen Sachbereich getroffen hat. 197 Im Rahmen des Anwendungsbereiches der Art. 129b ff. EGV ist eine Klärung dieses Verhältnisses allein schon wegen der unterschiedlichen Verfahren zur Beschlußfassung nötig. Während Art. 129d EGV das Kodezisionsverfahren (Art. 189b EGV) von Rat und Parlament vorsieht, gilt für Art. 74, 75 EGV grundsätzlich nur das Anhörungsverfahren nach Art. 189c EGV (abgesehen von der Sondervorschrift des Art. 75 Abs. 3 EGV). Bei Art. 75 EGV gibt es kein Zustimmungserfordernis des betroffenen Mitgliedstaates wie in Art. 129d Abs. 2 EGV. Beide Verfahren sehen allerdings grundsätzlich mindestens die qualifizierte Mehrheit für den Ratsbeschluß bzgl. des gemeinsamen Standpunktes und die einfache Mehrheit für die Beschlußfassung vor. 198 Die praktische Relevanz dieser Frage wird insbesondere dann deutlich, wenn man sich vor Augen hält, daß die Gemeinschaft drei Tage vor Inkrafttreten der Art. 129b ff. EGV drei Entscheidungen im Bereich des Straßenverkehrs, des kombinierten Verkehrs und bzgl. des Binnenwasserstraßennetzes auf der Grundlage des alten Art. 75 Abs. 1 lit. c) EWGV erlassen hat. 199 Es handelte sich dabei ebenfalls um allgemeine Leitvorstellungen. Wenn demnach die Gemeinschaft schon auf der Grundlage von Art. 75 Abs. I lit. c) -jetzt lit. d)- E(W)GV Leitlinien erlassen konnte, stellt sich die Frage, ob nicht diese Vorschrift nunmehr auch parallel zu Art. 129b ff. EGV anwendbar bleibt. Aus politischen Gründen könnte dies z.B. relevant werden, wenn das Parlament aus dem Entscheidungsprozeß herausgehalten werden soll. 200

197 Zu dieser Frage s.a. GrabitziHilf-Frohnmeyer, Art. 129b Rn. 11; EIB-Erdmenger, vor Art. 129b-d, Rn. 4 ff. dieser Aspekt ist zu trennen von dem Problem, ob wenigstens die Ziele des Titels IV noch Berücksichtigung finden können; s. insoweit zustimmend Vinois, RMC 1995, 83 I 85. 198 Für Art. 129d Abs. 1 EGV folgt dies aus Art. 189b Abs. 2 2. UA lit. a) i.V.m. Art. 148 Abs. I EGV bzw. Art. 189b Abs. 3 S. I i.V.m. Art. 148 Abs. I EGV bzw. Art. 189b Abs. 5 S. I EGV; fiir Art. 75 EGV folgt dies aus Art. 189c lit. b) 2. Abs. i.V.m. Art. 148 EGV bzw. Art. 189c lit.c) 2. UAbs. (Einstimmigkeit) bzw. Art. 189c lit. e) i.V.m. Art. 189c lit. f) S. I i.V.m. Art. 148 Abs. I EGV. 199 Ratsentscheidungen 931628/EWG; 93/629 1EWG; 93 1630/EWG; ABI. L 305 vom 10.12.1993; fiir die Vorarbeiten s. BullEG 1011993, Ziff. l.2.74.ff. 200 Genau dieses Motiv lag den Fällen EuGH Rs. C-300 / 89 - Titandioxid, Slg. 1991, 1-2867; EuGH Rs. C-70 I 88 - Tschernobyl I, Slg. 1991 , 1-4529 zugrunde.

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I. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

2. Lösung des Verhältnisses durch allgemeine Rechtsgrundsätze

Da eine ausdrückliche Bestimmung wie z.B. im Bereich der Landwirtschaft (Art. 38 Abs. 2, 42 EGV) fehlt, ist das Verhältnis anband allgemeiner methodischer Grundsätze zu bestimmen. a) Lex specialis derogat legi generaU

Wie allein schon die Verfahrensausgestaltung im Rahmen von Art. 129b ff. EGV gezeigt hat, handelt es sich bei diesen Vorschriften um im Vergleich zu Art. 74 f. EGV spezialisierte Rechtsnormen. Die Spezialität folgt darüber hinaus aus dem engeren Sachbereich der transeuropäischen Netze im Rahmen des allgemeinen Sektors der Verkehrspolitik. Erdmenger weist darauf hin, daß der lex-specialis-Grundsatz insoweit Anwendung findet, als der spezielle Kompetenztitel perfekt regelungsintensiv sei. 201 Dies sei nur für wenige Vorschriften wie Art. 76, 79 und 81 E(W)GV festzustellen. 202 Nunmehr zeigen jedoch auch Art. 129b ff. EGV eine bestimmte Planungsmethode bzgl. der Verkehrsinfrastrukturen. Gerade diese umfassende Verfahrensregelung im Rahmen des Leitlinienmodells spricht demnach für einen abschließenden Charakter der Art. 129b ff. EGV. b) Lex posterior derogat legi anteriori

Bei Art. 129b ff. EGV handelt es sich um durch den Maastrichter Vertrag neu eingefügte und am 1.11.1993 in Kraft getretene Vorschriften. Sie gingen nicht auf eine schon bestehende Norm zuriick, so daß keine bloße Modifizierung vorlag. Demgegenüber beruht Art. 75 Abs. I lit. d) EGV auf dem wortgleichen Art. 75 Abs. I lit. c) EWGV, der seit der Griindung der EWG existierte. Allerdings hat auch Art. 75 Abs. I lit. d) EGV durch den Maastrichter Vertrag eine Änderung erfahren, da die Rolle des Europäischen Parlamentes durch die Verfahrensanforderungen aus Art. 189 c EGV gestärkt wurden. Da Art. 75 Abs. 1 lit. d) EGV jedoch im materiellen Tatbestand unverändert blieb, kann die jüngere Norm der Art. 129b ff. EGV gemäß dem lex-posterior-Grundsatz prinzipiell die ältere (Art. 74, 75 EGV) verdrängen. Dies wäre nur dann nicht gegeben, wenn die geregelten Sachbereiche nicht übereinstimmten, da in diesem Fall keine Überschneidung der Normen, sondern eine Parallelität vorliegen würde. Schon die einleitenden Worte haben jedoch die Verbindung der Gemeinsamen Verkehrspolitik und der Verkehrs201 202

GTE-Erdmenger, vor Art. 74 ff. Rn. 18. GTE-Erdmenger, vor Art. 74 ff. Rn. 19.

C. Gemeinschaftliche Rahmenplanung transeuropäischer Netze

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wegeplanung im Bereich der transeuropäischen Netze deutlich gemacht. Jedenfalls bildet der Sachbereich eine gemeinsame Schnittmenge, in der Art. 129b ff. EGV somit gemäß dem Iex-postenor-Grundsatz Art. 74 f. EGV verdrängen. 3. Die Wahl der Rechtsgrundlage in der EuGH-Rechtsprechung Der Gerichtshof hat in verschiedenen Urteilen zu der Frage der Wahl der Rechtsgrundlage Stellung genommen. 203 Er hat dazu ausgefiihrt204 : "Nach ständiger Rechtsprechung muß im Rahmen des Zuständigkeitssystems der Gemeinschaft die Wahl der Rechtsgrundlage einer Handlung auf objektiven, gerichtlich nachprüfbaren Umständen beruhen. Zu diesen Umständen gehören insbesondere das Ziel und der Inhalt der Handlung( ... )."

Für unser Problem ist diese Rechtsprechung allerdings nur von eingeschränktem Nutzen. Zum einen gibt es bisher nur eine Leitlinienentscheidung und keine divergierende Rechtsakte, die miteinander verglichen werden könnten. Die angesprochenen Ratsentscheidungen vom 28.10.1993 standen nicht in Konkurrenz zu dem Leitlinienvorschlag, da die Rechtsgrundlage nach Art. 129b ff. EGV noch nicht in Kraft war. Dies macht es dann jedoch schwierig, bei einem Vergleich der unterschiedlichen Ziele und Inhalte der Rechtsakte Schlußfolgerungen in Hinblick auf die Rechtsgrundlage zu ziehen. Zum anderen würde sich selbst bei Bestehen divergierender Rechtsakte die Einordnung nicht so eindeutig wie in den vom EuGH entschiedenen Fällen vornehmen lassen. Dies folgt daraus, daß der Verkehrstitel in allgemeiner und übergeordneter Form Infrastrukturmaßnahmen erfaßt. Es gibt insoweit keine sachliche Unterscheidung wie z.B. im Tschernobyl-Fall zwischen dem Gesundheitsschutz und dem Funktionieren des Binnenmarktes. Da sich vielmehr die Bereiche sachlich überschneiden, wäre die Rückfiihrung auf den Schwerpunkt des Regelungsbereiches205 nur sehr schwer, wenn nicht gar unmöglich.

203 EuGH Rs. 45/86, Slg. 1987, 1493/1519 f. Rn. 8 ff. - Kommission / Rat; EuGH Rs. C-300/89, Slg. 1991, I-2867 /2898 ff. Rn. 10 ff. - Titandioxid; EuGH Rs. C-70 / 88, Slg. 1991, I-4529 / 4564 Rn. 9 ff. - Tschernobyl!; EuGH Rs. C-155/91, NVwZ 1993, 872Kommission I Rat; EuGH Rs. C-187 /93, Slg. 1994, I-2857- Parlament / Rat. 204 Vgl. zuletzt EuGH Rs. C-187 / 93, Slg. 1994, I-2857 / 2880 Rn. 17- Parlament/ Rat; s.a. EuGH Rs. C-84/94, S1g. 1996, I-5755/5802 Rn. 25- Vereinigtes Königreich / Rat; EuGH Rs. C-360/93, Slg. 1996, I-1195/1217 Rn. 23 -Parlament / Rat; EuGH Rs. C-271 I 94, Slg. 1996, I-1689 1171 I Rn. 13 f.- Parlament / Rat. 205 Zu diesem Kriterium Voß / Wenner, NVwZ 1994, 332 / 337; Dreier, EuR 1995,46 / 50.

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1. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

4. Vergleich mit EuGH Rs. 167/73, Slg. 1974, 359 - Kommission I Frankreich

Ein anderer Fall könnte hingegen Aufschlüsse für die Fragestellung der Kompetenznormen geben. In der Entscheidung ging es um die Anwendung der allgemeinen Vertragsvorschriften im Verkehrssektor. Diese Frage war insbesondere wegen Art. 84 Abs. 2 EWGV bedeutsam, da der Titel IV (Verkehr) nur fakultative Anwendung finden sollte. Zudem fehlte es an einer wie im Agrarsektor (Art. 38 Abs. 2, 42 EWGV) vergleichbaren KonkurrenzregeL Der EuGH entschied folgendes 206 : "Art. 74 erwähnt die Vertragsziele und nimmt damit Bezug auf die Art. 2 und 3, zu deren Verwirklichung vor allem die fiir das gesamte Wirtschaftsleben geltenden Grundsatzbestimmungen beitragen. Die Vorschriften über die gemeinsame Verkehrspolitik dienen nicht dazu, diese Grundsatzbestimmungen außer Kraft zu setzen, sondern gerade dazu, ihnen Wirksamkeit zu verleihen und sie durch gemeinsame Aktionen auszuflillen. Sofern sich demnach diese Ziele mit Hilfe der besagten Vorschriften irgend erreichen lassen, sind diese Vorschriften auch anzuwenden."

Da somit die Sondervorschriften des Titels IV nicht das restliche einheitliche Vertragswerk verdrängen, konnten die allgemeinen Ziele auch mit den allgemeinen Regeln weiter verfolgt werden. 207 Für unsere Frage könnte dies insoweit bedeutsam sein, als das allgemeine Ziel einer Verkehrsinfrastrukturpolitik auch mit den allgemeinen Regeln (hier: Art. 75 Abs. 1 lit. d) EGV) weiterhin erreicht werden könnte, da wegen der Einheitlichkeit des Vertragswerkes diese Vorschriften grundsätzlich nicht verdrängt werden. Um die Parallelität zu verdeutlichen, kann dies in folgende Formel umgesetzt werden: *EuGH Rs. 167/73, Slg. 1974, 359:

allgemeine Vertragsregeln (Art. 74 f. [Art. 84 II])

*Überlegung:

Art. 74 f. (Art. 129b ff.)

So wie die allgemeinen Vertragsregeln auf Art. 84 Abs. 2 EWGV trotz der Herausnahme aus dem Bereich der Art. 74 f. EWGV Anwendung fanden, könnte Art. 74 f. EGV nunmehr für Art. 129b ff. EGV vor die Klammer gezogen wirken. Der Denkansatz ist insoweit mit dem systematischen Schachtelprinzip des BGB vergleichbar. 206 EuGH Rs. 167/73, Slg. 1974, 359/370 Rn. 24/26- Kommission / Französische Republik. 207 S.a. GTE-Erdmenger, vor Art. 74 ff. Rn. 15; Oppermann, Europarecht, Rn. 1303; zum strittigen Verhältnis des Verkehrstitels zu den allgemeinen Vertragsvorschriften, s.a. Pieper in: Bleckmann, Europarecht, Rn. 2397 ff.

D. Zulässigkeil direkter Implementierungsakte durch die EG

77

Diesem Gedankengang steht jedoch fiir das Verhältnis Art. l29b ff. zu Art. 74 f. EGV folgender Einwand entgegen: In der genannten EuGH-Entscheidung ging es um die grundsätzliche Herausnahme der in Art. 84 Abs. 2 EWGV genannten Bereiche Seeschiffahrt und Luftfahrt aus dem Bereich der Gemeinsamen Verkehrspolitik gemäß Art. 74 EWGV. Insoweit blieben die allgemeinen Vertragsvorschriften anwendbar. Vorliegend ist zwar die Verkehrsinfrastrukturpolitik zunächst auch aus dem Titel IV der Gemeinsamen Verkehrspolitik herausgenommen worden, doch nicht deswegen, um diesen Bereich der Gemeinschaftskompetenz zu entziehen, sondern umgekehrt um deren Zuständigkeit zu stärken. Da Art. 84 Abs. 2 E(W)GV somit vom Sinn und Zweck der Vertragsregelung her gerade nicht mit Art. l29b ff. EGV in dem Sinne verglichen werden kann, daß die allgemeineren Vorschriften des Vertrages in jedem Fall noch Anwendung finden können, bleiben sowohl der lex-specialis als auch der Iex-postenorGrundsatz gültig, mit der Folge, daß Art. 74 f. EGV verdrängt sind. Die Grundsätze des EuGH-Urteil sind somit nicht übertragbar. 5. Ergebnis Im Rahmen der Leitlinienplanung Art. l29b ff. EGV sind Art. 74, 75 EGV nicht mehr anwendbar. Für die Bereiche, die der Titel XII nicht regelt, kann hingegen noch auf die "alte" Vertragskompetenz zurückgegriffen werden.208 Dies ist im folgenden insbesondere in bezug auf konkrete Implementierungsakte zur Durchfiihrung der·allgemeinen Leitlinien zu erörtern.

D. Zulässigkeit einer gemeinschaftsrechtlichen Umsetzung europäischer Leitlinien: Das Problem direkter Implementierungsakte durch die EG Nachdem im vorherigen Abschnitt die infrastrukturelle Rahmenplanung abgehandelt wurde, geht es in diesem Kapitel um die Durchführung bzw. Umsetzung der Leitlinienplanung durch die Gemeinschaft. Zunächst wird die Rechtfertigung fiir einen solchen konkreten Planungsakt dargestellt (I.). Dann geht es um die Auslegung der in Betracht zu ziehenden Rechtsgrundlagen. In erster Linie ist zu fragen, ob die Kompetenzgrundlage über die Rahmenplanung nach Art. 129c Abs. I I. Sp.strich EGV auch für spezielle Implementierungsakte herangezogen werden kann (II.). Nach der negativen Beschei208 S.a. GTE-Erdmenger, vor Art l29b-d, Rn. 7: bei Maßnahmen auf dem Gebiet der Infrastruktur gehen Art. l29c ff. EGV den Art. 75 und 84 Abs. 2 EGV, letztere sind subsidiär.

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1. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

dung dieser Frage ist eine Darstellung der stattdessen einschlägigen Kompetenz aus Art. 74, 75 EGV geboten, wobei allerdings zunächst eine Abgrenzung zu Art. 235 EGV erforderlich ist (III.). In einem letzten Schritt sind die einzelnen Voraussetzungen für einen Gemeinschaftsakt auf Grundlage von Art. 75 Abs. 1 lit. d) EGV und unter Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips zu klären.

I. Problemstellung, Bedeutung und mögliches Verfahren I. Problemstellung a) Verwaltungsimmanente Gründe für ein direktes Handeln der Gemeinschaft

In einer Gemeinschaft von fünfzehn Mitgliedstaaten gibt es fünfzehn verschiedene Verwaltungsrechtssysteme und fünfzehn verschiedene Verwaltungsrechtsschutzmöglichkeiten. Diese Unterschiede können bei der planensehen Realisierung grenzüberschreitender Verkehrsvorhaben zu Reibungsverlusten und Effektivitätseinbußen führen. Ein Verkehrsprojekt in der Bundesrepublik kann von der Planung bis zum ersten Spatenstich eine Zeitspanne von bis zu 20 Jahren in Anspruch nehmen.209 Bezüglich der transeuropäischen Netze erscheint es darüber hinaus schon jetzt denkbar, daß die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Leitlinien nicht immer mit dem erforderlichen Nachdruck vorgehen werden. Diese Annahme rechtfertigt sich dadurch, daß nicht immer die jetzige Streckenplanung der EG mit der in den Mitgliedstaaten parallel verläuft. Die Prioritäten in den Mitgliedstaaten und in der EG müssen nicht unbedingt kongruent sein. 210 Desweiteren zeigt gerade der Grad der Umsetzung von Richtlinien in den Mitgliedstaaten, daß die Initiierung und die nachdrückliche Durchsetzung europäischer Verkehrsvorhaben in der Praxis zu Schwierigkeiten führen wird. 211

209 Steinberg, Fachplanung, S. 51, s.a. Rone/lenfitsch, DVBI. 1991, 9201921; Kommission, BuliEG Beil. 3 I 93, Ziff. 8 I bzgl. des Luftverkehrs; die Auswirkungen des Planungsvereinfachungsgesetzes werden im übrigen abzuwarten sein. 210 Siehe den Bericht der persönlichen Beauftragten an den Rat in Korfu, BuliEU Beil. 2 I I 994, S. 49; nicht unbedingt im Widerspruch dazu steht die Aussage des Europäischen Rates in Essen, der begrüßt, daß die vorrangigen Vorhaben im Bereich der Verkehrsinfrastrukturen, insbesondere im Eisenbahnsektor, schon ab 1995 in Angriff genommen werden. Die jetzige Konzeption der transeuropäischen Verkehrsnetze zählt insoweit auch rein innerstaatliche Verbindungen dazu. 211

So auch ein Bericht der Kommission, Tagesspiegel vom 26.6.1995.

D. Zulässigkeil direkter Implementierungsakte durch die EG

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Art. 1 Abs. 2 S.l der Leitlinienentscheidung Nr. 1626/96 vom 23.7. 1996212 sieht vor, daß die Mitgliedstaaten in der Regel Maßnahmen zur

Durchfuhrung der Leitschemata treffen. Grundsätzlich werden damit aufgrund des komplexen mitgliedstaatliehen verwaltungsrechtlichen Verfahrens langwierige Realisierungszeiträume in Kauf genommen. In ihrem Weißbuch "Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung" hatte die Kommission jedoch zugleich die Beschleunigung der Schaffung transeuropäischer Verkehrsnetze als wichtigstes Thema im Bereich der Gemeinschaft angesehen. 213 Aufgrund der Wiedervereinigung hat es in der Bundesrepublik dabei schon gesetzliche Maßnahmen zur Planungsvereinfachung gegeben. Verwaltungsrechtlich am bedeutsamsten ist das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz gewesen, das ein fur Ostdeutschland und die Verbindungen zu den westlichen Knotenpunkten räumlich und zeitlich begrenztes Sonderrecht geschaffen hat und das Grundlage fur das Planungsvereinfachungsgesetz wurde.214 Darüber hinaus hat sich der Gesetzgeber zu Investitionsmaßnahmegesetzen entschlossen, wobei die Zulässigkeit solcher Gesetze allerdings verfassungsrechtlich sehr umstritten ist und politisch von einer nie sicher bestehenden parlamentarischen Mehrheit abhängt. 215

Gerade in diesem Bereich der Einzelfallgesetzgebung erscheint ein europäischer Rechtsakt ein gangbarer Mittelweg zwischen verwaltungsrechtlichen Anforderungen und legislativer Funktionenabgrenzung, ohne daß damit das Gebot der Verfahrensbeschleunigung aus den Augen verloren wird. Jedenfalls sind die verfassungsrechtlichen Bedenken, die gegen Investitionsmaßnahmegesetze vorgebracht werden (Gewaltenteilungsgrundsatz, Art. 19 Abs. I und 4 GG), gegenüber europäischen Rechtsakten nicht ohne weiteres übertragbar, auch wenn die vorbereitenden Verfahren und die Rechtswirkungen vergleichbar sein können. Unabhängig von dieser innerstaatlichen Bedeutung europäischen Handeins ist auf das Problem der administrativen Verzögerungen zurückzukommen. Diese gewinnen aus europäischer Sicht dann eine zusätzliche Relevanz, wenn es um eine grenzüberschreitende Fachplanung zwischen den nationalen Ver212

ABI. L 228 vom 9.9.1996, corrigendum in ABI. L 15 vom 17.1.1997:

Weißbuch EG, KOM 92 (494). Der Vizepräsident der Kommission, Henning Christophersen, nennt in einem Vorwort des "Berichts der Gruppe der persönlichen Beauftragten" die Beschleunigung der Durchfiihrung der Projekte ebenfalls als eine Aufgabe der Union, BullEU Beil. 2 / 1994, S. 45. S.a. Art. 5 lit. j) Entscheidung Nr. 1626/96 (ABI. L 228 vom 9. 9.1996), die eine Priorität bei den Gemeinschaftsaktionen darin sieht, Studien durchzufiihren, "die zu einer besseren Planung und Realisierung des transeuropäischen Verkehrsnetzes beitragen". 2 13

214 BGBI. 1991 I S. 2174, letzte Änderung in BGBI. 1995 I S. 1840, § I I VerkPBG: das Gesetz gilt bis zum 31.12.1999. 2 15 Vinois, RMC 1995, 83/90 weist darauf hin, daß auch in Großbritannien und in den Niederlanden eine entsprechende gesetzgebensehe Debatte stattfindet.

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1. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

waltungen geht. 216 Aufgrund unterschiedlicher organisatorischer Strukturen, die den relevanten Entscheidungsträger nicht erkennen lassen, verschiedenen politischen Einflüssen unterliegenden Stellen und nicht zuletzt wegen der unterschiedlichen Sprachen, kann es zu Problemen bei der konzertierten und effektiven Umsetzung von Infrastrukturprojekten kommen. Dabei sind auch die unterschiedlichen Widerstände in der Bevölkerung zu berücksichtigen, die dazu fuhren können, daß die Verwaltungen unterschiedlich schnell arbeiten können. Diese transnationalen Probleme wiegen dabei umso schwerer, als gerade die Effizienz des Binnenmarktes durch die Überwindung nationaler Verkehrsnetze gesteigert werden soll. 217 Schlagwortartig könnte man das Problem auf folgenden Nenner bringen: doppelte Verwaltungsarbeit, Duplizität der Probleme. · Aus diesen Gründen ist ein Transfer der Planungsentscheidungen auf europäische Ebene sinnvoll und vorstellbar. 218 Auch Art. 1 Abs. 2 S. l der Leitlinienentscheidung Nr. 1626/96 vom 23.7.1996 deutet diese Möglichkeit an. Dort heißt es, daß "die Leitlinien nach Absatz l einen allgemeinen Bezugsrahmen [darstellen], durch den die Maßnahmen der Mitgliedstaaten und gegebenfalls die gemeinschaftlichen Maßnahmen ( ... ) gefördert werden sollen".219 Diese gemeinschaftliche Option ist wünschenswert, da auch nationale Maßnahmen oder Beschleunigungsgesetze alleine nicht die Unterschiede der nationalen Umsetzungsmaßnahmen beseitigen können. Jede nationale Behörde kann nur bis zu der staatlichen Souveränitätsgrenze handeln. Somit wird insbesondere im grenzüberschreitenden Bereich eine viel stärkere mitgliedstaatliche Kooperation erforderlich. 220 Diese Zusammenarbeit kann jedoch 216 S.a. Vinois, RMC 1995, 83 I 90; Wirtschafts- und Sozialausschuß, ABI. C 397 I 25 vorn 3l.l2.1994, Ziff. 3.2. 217 BuliEG Beil. 3 193, S. 34.; darauf weisen auch Schmidhuberi Hitz/er, DÖV 1991, 271 I 272 hin. Sie leiten einen größeren Gemeinschaftseinfluß insbesondere aus einer finanziellen Beteiligung der EG ab. De lege ferenda wollen sie die Gerneinschaft insbesondere im Raumordnungssektor tätig werden lassen. 218

Kritisch hingegen Perntha/er I Prantl, a.a.O., S. 166 f.

Damit wurde der 5. Änderungsvorschlag des EP zu Art. I Abs. 2 aufgegriffen, der lautete: "Die Leitlinien stellen einen strategischen Bezugsrahmen dar, auf dessen Grundlage die Maßnahmen der Mitgliedstaaten und die gemeinschaftlichen Maßnahmen( ... ) gefördert werden sollen." (Herv. vom Verf.), ABI. C 1511235 vom 19.6.1995. Kontraproduktiv unter diesen Gesichtspunkten der Vorschlag eines Entwurfs der Europaminister der Länder zur Regierungskonferenz 1996, wonach Art. 129b Abs. I EGV um die Formulierung ergänzt werden solle, daß die "Gemeinschaft unbeschadet der ausschließlichen Planungshoheit der Mitgliedstaaten zum Auf- und Ausbau der transeuropäischen Netze" beiträgt (Stand: September 1995). S. zu den bisherigen Ansätzen der Gemeinschaft, Perntha/er I Prantl, a.a.O., s. 164 f. 219

220 So auch der damalige Bundesverkehrsminister Krause, BuiiBReg. 1992, S. 749 zum grundsätzlichen Kooperieren der Nachbarstaaten bei der Realisierung von Eisenbahnstrekken.

D. Zulässigkeit direkter Implementierungsakte durch die EG

81

dadurch, daß beide Verwaltungen sich gleichberechtigt gegenüberstehen, zu einer Pattsituation fiihren, wenn eine Einigung über die Planungen nicht erzielt wird. An dieser Stelle können Planungen durch eine letztverbindlich entscheidende übergeordnete Gemeinschaft zu einer beschleunigten Durchsetzung des Vorhabens fiihren. Daneben könnte allein die "Drohung" mit einem gemeinschaftlichen Handeln eine Beschleunigung der nationalen Verwaltungsarbeiten bedingen. Daß die räumliche Planungsgrenze Probleme aufwerfen kann, zeigt letztlich auch das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz. Dort wurde der Anwendungsbereich auf die westlichen Knotenpunkte ausgedehnt, um die Verbindungen von Ost nach West effektiv und einheitlich planen und durchsetzen zu können. 221 Da es auch bei den transeuropäischen Netzen insbesondere darum geht, Grenzen zu überwinden, kann parallel hierzu eine grenzüberschreitende einheitliche Planungsumsetzung durch die Gemeinschaft geboten sein. Dieses Problem ist auf europäischer Ebene auch durchaus schon erkannt worden, wenn in einer Stellungnahme der Gruppe der persönlichen Beauftragten der Staats- und Regierungschefs fiir den Europäischen Rat auf Korfu auf die komplizierten Verwaltungsverfahren hingewiesen222 und die Notwendigkeit eines möglichen Einschreitens erwähnt wurde. 223 In dem Konzeptpapier der Kommission "Chancen fiir eine auf Dauer tragbare Mobilität" wird explizit aufgefiihrt, daß Verbesserungen bei der Planung der Infrastrukturen im Sinne der Effizienz des Gesamtzieles anzustreben seien. 224 In der Tat wäre es wohl auch illusorisch, daß bei einem Anwachsen des Verkehrs wie bishei25 das traditionelle Verwaltungsrecht allein die verkehrsplanefische Aufgabe verwirklichen könnte.

22 1 Daliiber hinaus sei darauf hingewiesen, daß z.B. Bundesfernstraßen und Schienenwege weitgehend nach einem einheitlichen Bundes- und nicht Landesrecht geplant werden (FemStrG bzw. AEG); soweit dabei eine Abschnittsbildung (über Landesgrenzen hinaus) zulässig ist, muß diese objektiv planerisch gerechtfertigt sein. Eine mitgliedstaatliche Grenze als absolute Planungsgrenze kann aber planerischen Erfordernissen entgegenstehen. 222 BullEU Beil. 2 I 1994, S. 49. 223 BullEU Beil. 2 / 1994, S. 51, 57; insoweit ist es inkonsequent, wenn gemäß einer politischen Übereinkunft im Rat "Verkehr" gleichwohl wieder betont wird, daß die Rechte der Mitgliedstaaten bzgl. der genauen Projektgestaltung unbeliihrt bleiben; BuiiEU 6 / 1995, Ziff. 1.3. 224 BullEG Beil. 311993, Ziff. 124 ff. 225 S. dazu BuiiEG Beil. 311993, Ziff. 14 f. und Anhang; allein im Zeitraum 1970 bis 1990 stieg die Verkehrsleistung im Personenverkehr um 85%; in Ziff. 28 geht die Kommission grundsätzlich von einer Verdopplung der Nachfrage im Personen- und Güterverkehr aus, was angesichts des Endes des Ost-West-Konfliktes auch nicht unrealistisch sein dürfte.

6 Jürgensen

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l. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

Neben die verwaltungstechnischen und politischen Durchsetzungsprobleme tritt die Bedeutung des Rechtsschutzes. Die sehr langen und komplexen Gerichtsverfahren haben zu einer nicht unerheblichen Verlängerung der Realisierung von Großprojekten beigetragen. In der Bundesrepublik hat gerade dieser Umstand zu den eben schon erwähnten Maßnahmegesetzen geführt. Dieses ist zwar ein effektives aber auch sehr umstrittenes Verfahren. 226 Für die europäische Ebene bietet es jedenfalls nur eingeschränkt eine praktikable Lösung, da ein deutsches Gesetz selbstverständlich nur für den deutschen Hoheitsbereich Geltung beanspruchen kann. Auch hier bleibt damit die Schwierigkeit bei einer effektiven Durchsetzung transnationaler Maßnahmen bestehen. Natürlich kann es durch die Gesetzesform zu einer einseitig schnelleren Vorgehensweise kommen. Es geht aber um einen europäischen Binnenmarkt in dem Sinne, daß auch eine möglichst einheitliche und koordinierte Vorgehensweise anzustreben ist. Im Grunde genommen ist dies im Rahmen der EG auch schon anerkannt, wenn man sieht, daß der erste Kommissionsentwurf für die Leitlinien in Form einer Entscheidung und gerade nicht als Richtlinie erging und insoweit die Mittel der Umsetzung in die Verbindlichkeit mit aufgenommen wurden. b) Grundrechtliche Erwägungen für einen Gemeinschaftsakt

In diesem Zusammenhang darf auch die grundrechtliche Komponente nicht vernachlässigt werden. Diese betrifft die Frage des Schutzes des Grenznachbarn in dem für ihn jeweils ausländischen Verwaltungsverfahren. Ein Beispiel hierfür bietet der Fall um den Flughafen Salzburg.227 Die Kläger, deutsche Grundeigentümer, besaßen im Österreichischen Verwaltungsverfahren keine Parteistellung. Erst aufgrund eines deutsch-österreichischen Staatsvertrages wurden gewisse Rechte geregelt. Bei einem europäischen Vorgehen hätte ein vergleichbares Verfahrensproblem nicht entstehen können, da sowohl im Planungsverfahren als auch in Hinblick auf den Rechtsschutz ein gemeinschaftsrechtlich einheitlicher Maßstab für alle Unionsbürger anwendbar wäre. 228 Gegen einen Gemeinschaftsakt hätten Verfahrens- und gerichtliche Rechte jedenfalls aus den Gemeinschaftsgrundrechten abgeleitet werden können. Steinberg hat ebenfalls auf das Problem der Beteiligung des Grenznachbarn im deutschen Planfeststellungsverfahren hingewiesen. Eine GleichbeS. dazu i.e. unten I. Teil, E.Il.; 2. Teil, C.III. BVerfGE 72, 66. 228 Grundrechtliche Auswirkungen von Planungen sind dabei nicht nur im Lärmschutzbereich, sondern auch in Hinblick auf Grundwasserbeeinträchtigungen denkbar, vgl. Steinberg, Fachplanung, S. 141. 226 227

D. Zulässigkeit direkter Implementierungsakte durch die EG

83

handlung von In- und Ausländern sei völkerrechtlich nicht anerkannt. Europarechtlich wäre dies nur über die Gemeinschaftsgrundrechte zu begründen, vorausgesetzt diese Rechte fänden auf nationale Verwaltungsverfahren Anwendung.229 Allein diese im deutschen Recht umstrittene Frage230 zeigt deshalb, daß ein europäisches Rechtshandeln in Grenzfällen einem nationalen Verwaltungsakt vorzugswürdig sein kann. 2. Verfahren

Eine europäische Verkehrswegeplanung könnte entweder nach mitgliedstaatlicher Verwaltungsvorarbeit oder einer privaten Planungsgesellschaft ergehen.231 Unrealistisch ist hingegen eine originär gemeinschaftsrechtliche Planung.

II. Kompetenz der Gemeinschaft aus Art. 129c Abs. 1 1. Sp.strich EGV: Möglichkeiten der Implementierung von Infrastrukturprojekten 1. Wortlaut von Art. 129b ff. EGV

Art. l29c Abs. I, Art. 129d Abs. 1 EGV nennen für die Vorgehensweise der Gemeinschaft den Begriff der "Leitlinien".232 Dieser Wortlaut kann im Sinne von "Leitsatz, Richtlinie oder richtungsweisenden Gedanken" definiert werden. 233 Im französischen Sprachraum kann das "ensemble d'orientations" noch am ehesten als "direction donnee a une action representee par un groupe d'elements formant un tout ou ayant les memes characteristiques" definiert werden. 234 Der Begriff der "Leitlinien" wird demnach grundsätzlich als "richtungsweisende Orientierung" verstanden. Konkrete Projektierungen sind kaum gemeint, obwohl sie doch auch nicht prinzipiell ausgeschlossen werden können. 235 (Große) Einzelvorhaben können für ein Gesamtprojekt wichtig und 229 Zu dem damit verbundenen Problem der Inkorporation von Gemeinschaftsgrundrechten in das nationale Recht, s.u. 2. Teil, A.III.3. 230 Zum Meinungsstand Steinberg, Fachplanung, S. 144 ff. 23 1 Zu der Bedeutung privater Planungsgesellschaften im Fernstraßenbau in der Bundesrepublik s. umfassend Pabst, Verfassungsrechtliche Grenzen, S. 120 ff., 240 ff. 232 Franz. Text: "ensemble d'orientations"; eng!. Text: "guidelines". 233 Brockhaus I Wahrig, Deutsches Wörterbuch, Bd. IV, S. 458. 234 Larousse, Dictionnaire de Ia Iangue francaise, 1992, S. 643 und 1294; zum Problem der Mehrsprachigkeil bei der Auslegung s. Anweiler, Auslegungsmethoden, S. 146 ff., s. dazu auch EuGH Rs C-72 I 95 Slg. 1996, I-5403 I 5443 Rn. 28 - Kraaijeve/d u.a. 235 Vgl. auch die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers, Art. 65 GO sowie die Bezugnahme im Bereich einer Rahmenbefugnis, Art. 75 Abs. 2 GO.

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1. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

leitend sein, ohne daß damit das gesamte Vorhaben geplant wird. Beispielsweise mag der Bau einer Hochgeschwindigkeitsstrecke für sich genommen ein großes Einzelvorhaben sein, für ein zukünftiges Hochgeschwindigkeitsnetz ist es jedoch nur ein relativ kleines - wenn auch möglicherweise richtungsweisendes - Modell. Dies zeigt auch gerade die Diskussion um den Transrapid, dessen Bau einer Strecke zwischen Berlin und Harnburg eine richtungsweisende Pilotfunktion zukommen soll. Es kommt somit offensichtlich auf den zu entscheidenden Rahmen an. Im Bereich der transeuropäischen Netze ist nach den verschiedenen Verkehrsträgem zu trennen. Ein im Rahmen der Leitlinien geplantes größeres Einzelvorhaben (wie z.B. der Bau eines Straßenabschnittes) wäre somit in keinem Falle für die gesamten transeuropäischen Verkehrsnetze von Bedeutung, sondern nur für den Straßennetzbereich. Demnach wäre der Bezugsrahmen zunächst so zu fassen, daß ein konkretes Einzelprojekt für ein spezifisches Verkehrsnetz grundsätzlich als richtungsweisend - und somit durch Leitlinien durchführbar - möglich ist. Gleichwohl ist damit nicht schon der Weg zu den konkreten Einzelprojekten eröffnet. Zweifel ergeben sich daraus, daß Art. 129c Abs. I I. Sp.strich EGV den Begriff der "Leitlinien" inhaltlich konkretisiert. Diese sollen "die Ziele, die Prioritäten und die Grundzüge der im Bereich der transeuropäischen Netze in Betracht gezogenen Aktionen" erfassen. Die Frage ist, wie konkret die "Grundzüge" (franz. Text: "grandes lignes"; engl. Text: "broad lines") gefaßt werden können. Die sprachliche Formulierung zwingt dabei zu der Feststellung, daß jedenfalls konkrete Projekte als Ganzes nicht im Rahmen der "Leitlinien" i.S.v. Art. 129c Abs. I I. Sp.strich EGV geplant werden können. Der Begriff der "Grundzüge" setzt naturgemäß voraus, daß es noch eine Detailplanung gibt und geben kann. Diese grammatikalische Konkretisierung hat zur Folge, daß für Art. l29c Abs. 1 I. Sp.strich die engste aller denkbaren Auslegungen anzunehmen ist. Mit anderen Worten: Auch wenn konkrete, detaillierte Einzelprojekte einen "Beitrag" (Art. l29b Abs. I EGV) zum verkehrsträgerspezifischen transeuropäischen Netz sein können (bzw. eben "richtungsweisend"), so ist doch der Begriff der Grundzüge umfassend auch für Einzelvorhaben zu verstehen und somit bindend. Demnach bezieht sich der Begriff der Grundzüge nicht nur auf die Gesamtplanung, sondern auch auf die einzelnen Teile der Planung. Gleichzeitig drückt sich damit das Subsidiaritätsprinzip aus. 236 Stößt man bei Art. l29c Abs. 1 1. Sp.strich EGV in dieser Hinsicht an die Wortlautgrenze, käme eine konkrete Projektierung auf Grundlage von Art. 236 Schlußfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates in Edinburgh BullBReg. 1992, 1277 /1280; s.a. Wirtschafts- und Sozialausschuß ABI. C 397 I 27 vom 31.1 2.1994, Ziff. 5.

D. Zulässigkeil direkter Implementierungsakte durch die EG

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l29c f. EGV allenfalls dann in Betracht, wenn man die Wortlautgrenze nicht als Auslegungsgrenze akzeptiert. Bleckmann I Pieper weisen darauf hin, daß der EuGH grundsätzlich von einer Beschränkung durch den Wortlaut ausgeht.237 Der allgemeine Sprachgebrauch sei nur durch eine teleologische Reduktion (also nicht Erweiterung) anderweitig auslegbar. Für ein Ausgreifen käme nur eine Analogie oder eine Auslegung contra Iegern in Betracht.238 Die systematische und teleologische Auslegung können insoweit grundsätzlich nur zur Bestätigung der granunatikalischen Auslegung herangezogen werden.239 Aufgrund der besonderen Bedeutung der systematischen und teleologischen Auslegung im Gemeinschaftsrecht soll deswegen vorliegend ebenfalls auf diese Auslegungsmethoden eingegangen werden. 240 2. Systematische Auslegung a) Art. 129c Abs. 2 EGV

Art. l29c Abs. 2 EGV betrifft Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten treffen und statuiert insoweit ein Koordinierungsgebot. Diese Vorschrift kann sich sowohl im Rahmen der Leitlinien im Sinne von Art. l29c Abs. l l. Sp.strich EGV auswirken als auch auf Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten neben der gemeinschaftsrechtlichen Leitlinienvorgaben über die transeuropäischen Netze treffen. Entscheidend ist, daß Art. 129c Abs. 2 EGV von einem grundsätzlichen Politikspielraum der Mitgliedstaaten ausgeht. Wenn die EG selber eine detaillierte Planung erarbeiten bzw. den Planungsakt erlassen würde, wäre dieser mitgliedstaatliche Freiraum weitestgehend nicht mehr vorhanden. Dies könnte gegen die Annahme einer konkreten Projektimplementierung sprechen, da Art. 129c Abs. 2 EGV dann leerliefe. Andererseits kann dieses Argument des Koordinierungsgebotspielraumes aber nicht absolut gelten. Schon der Wortlaut zeigt, daß einerseits eine Koordination nur bei "erheblichen" Auswirkungen vorgesehen ist. Unterhalb dieser Schwelle würde ein Gemein237

Bleckmann I Pieper, in: Dauses (Hrsg. ), Handbuch des EG-Wirtschaftsrechts, B.I,

Rn. 5 f.; s.a. die Beispiele aus der EuGH-Rechtsprechung bei Anweiler, Auslegungsmetho-

den, S. 402 ff. 238 Bleckmann / Pieper, in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EG-Wirtschaftsrechts, B.I, Rn. 7; die Auslegung contra Iegern kann hier sogleich außer Betracht gelassen werden, da sie insbesondere fiir einen sittenwidrigen Rechtsmißbrauch bedeutsam ist (von dem hier keine Rede sein kann), Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 490. 239

Bleckmann / Pieper, in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EG-Wirtschaftsrechts, B.l,

Rn. 10; Grabitz I Hilf-Pernice, Art. 164 Rn. 23 spricht hingegen von einer besonderen Ge-

wichtung der systematischen und teleologischen Interpretation, um dann in Rn. 29 darauf hinzuweisen, daß der EuGH nicht ohne Grund von dem allgemeinen Sprachgebrauch abweicht; dies impliziert aber grundsätzlich den Wortlaut als Auslegungsgrenze. 240

Vgl. Anweiler, Auslegungsmethoden, S. 199 ff.

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1. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

schaftshandeln das Koordinierungsgebot also gar nicht beeinträchtigen. Da es andererseits zudem immer nur um sehr begrenzte Einzelimplementierungen gehen kann, würde Art. 129c Abs. 2 EGV jedenfalls für den weit überwiegenden Bereich der normalen Verkehrsplanung seine Bedeutung behalten. Selbst wenn also bei erheblichen Auswirkungen das Koordinierungsgebot greift, besagt Art. 129c Abs. 2 doch nicht, daß dies in toto geschehen muß. In Einzelfällen könnte die EG demnach auch hier tätig werden. Wegen dieses qualitativen und quantitativen Arguments kann systematisch aus Art. 129c Abs. 2 EGV nicht auf die Unzulässigkeit detaillierter Gesamtplanung aufgrund der Leitlinienkompetenz geschlossen werden. b) Art. 129c Abs. 1 2. und 3. Sp.strich EGV

Fraglich ist, inwieweit ein Vergleich von Art. 129c Abs. 1 l.Sp.strich EGV mit den zwei folgenden Spiegelstrichen eine konkrete Planung im Rahmen der "Leitlinien" ausschließen könnte. Der Gedanke ist, daß der 2. und 3. Spiegelstrich konkrete Bestimmungen für die Interoperabilität der transeuropäischen Netze und der finanziellen Fragen beinhaltet. Im Umkehrschluß könnte daraus geschlossen werden, daß den "Leitlinien" selber nur ein allgemeiner Charakter zukommen soll, da zumindest konkrete Fragen der Interoperabilität und der Finanzen nicht erfaßt sein könnten. Ein solcher Umkehrschluß wäre jedoch nur dann statthaft, wenn es sich um ein abgeschlossenes Vertragssystem handeln würde, das heißt, wenn Art. 129c Abs. 1 EGV abschließend alle Fragen der transeuropäischen Netze regeln wollte. Rechtsmethodisch würde dies bedeuten, daß nur Art. 129c Abs. 1 2. und 3. Sp.strich konkrete Regelungen zulassen sollen. 241 Dies ist aus zwei Gründen nicht der Fall: Erstens bietet grundsätzlich Art. 75 Abs. 1 lit d.) EGV Möglichkeiten, über die Leitlinien hinaus weitere detaillierte Fragen, die im Zusammenhang mit den transeuropäischen Verkehrsnetzen auftauchen, zu regeln. Insoweit sind die transeuropäischen Verkehrsnetze nur Teil einer umfassenden Verkehrspolitik, die wie "vor die Klammer gezogen" wirkt. Dies zeigt allein schon die bisherige auf Art. 75 EWGV gestützte Verkehrsinfrastrukturpolitik, 241 Vgl. zur Methodik Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 390; gegen diesen Ansatz s. aber Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 350: "Daß die üblichen Interpretationsmittel des argurnenturn e contrario und der Analogie völlig wertlos sind, geht schon daraus zur Genüge hervor, daß beide zu entgegengesetzten Resultaten fuhren und es kein Kriterium dafiir gibt, wann das eine oder das andere zur Anwendung kommen soll." In der Entscheidung EuGH Rs. C-271 I 94, Slg. 1996, 1689 I 1698 Rz. II - Parlament I Rat hatte der Generalanwalt La Pergola gerade auch im Vergleich mit Art. 130s Abs. 3 EGV diesen Ansatz vertreten; der Fall behandelte allerdings nicht die hier aufgeworfene Frage, ob Art. 129b Abs. I I. Sp.strich EGV konkrete Maßnahmen ermögliche.

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die z.B. auch zur Griindung des Verkehrsinfrastrukturausschusses gefiihrt hatte.242 Indizierend kann zweitens auch Art. 1 Abs. 2 S. 1 der Leitlinienentscheidung herangezogen werden. 243 Diese Regelung sieht vor, daß die Gemeinschaft gegebenfalls Maßnahmen zur Durchfiihrung der Leitlinien erläßt.244 Dadurch bleibt allerdings offen, ob weitere Maßnahmen auf Grundlage des Primärrechts oder zur Durchfiihrung der Rahmenentscheidung erlassen werden sollen. 245 Materiell ist damit jedoch die Notwendigkeit des Eingreifens weiterer und damit auch konkreter Aktionen selbst in der Entscheidung angelegt. Im Ergebnis kann wegen der Offenheit des Regelungssystems aus Art. 129c Abs. 1 und 2 EGV im Umkehrschluß nicht auf die Unzulässigkeil detaillierter Gemeinschaftsrechtsplanung aufgrund von Art. 129c Abs. 1 I. Sp.strich geschlossen werden. 246 c) Art. J.3 Abs. 1 EUV

Der Begriff der "Leitlinien" taucht in den Gemeinschaftsverträgen außer in Art. 129c, Art. 7b Abs. 2 EGV noch in Art. J. 3 Abs. 1 und J.8 Abs. 1 und 2 EUV auf. Aufgrund der engen Verschränkung von EGV und EUV (Art. A Abs. 3 EUVi47 können grundsätzlich auch aus dem übergeordneten Unionsvertrag Rückschlüsse auf den EGV gezogen werden.248 242 VO 174/78 ABI. L 54 vom 25.2.1978. Nach Art. 22 der Leitlinienentscheidung Nr. 1626196 vom 23.7.1996, ABI. L 228 vom 9.9.1996 ist dieser Aufschuß jetzt aufgelöst worden. 243 Diese einschränkende Formulierung ergibt sich daraus, daß die Ratsentscheidung normhierarchisch unter Art. 129c EGV steht, so daß eine direkte Beeinflußung der primärrechtlichen Vorschriften durch untergeordnete Normen nur dann möglich ist, wenn diese die höherrangigen Regelungen ausfiillen und Indizien fur den Inhalt geben; vgl. auch insoweit das methodische Vorgehen des Generalanwaltes La Pergola, in EuGH Rs. C-271 194, Slg. 1996, I-1689 I 1698 Rz. 11 Fn. 18 - Parlament I Rat. 244 S.a. Bui!EG Beil. 3 I 93, S. 31. 245 Diese Aussage ist nur materiell zu verstehen; aus dem Prinzip der gebrenzten Einzelermächtigungen folgt, daß Sekundärrechtsakte stets auf eine vertragliche Grundlage gestützt werden müssen, da ansonsten die Gefahr einer Kompetenz-Kompetenz fiir die Gemeinschaft entstünde. 246 Darüber hinaus hat der EuGH jetzt fiir den Bereich der Telekommunikationsnetze festgestellt, daß die konkreten Maßnahmen nach Art. 129c Abs. I 2. Sp.strich nicht Leitlinien nach Art. 129c Abs. I I. Sp.strich voraussetzen, EuGH Rs. C-271 194, Slg. 1996, I1689 I 1714 f. Rn. 25 f. -Parlament I Rat. 247 S. dazu von Bogdandyi Nettesheim, NJW 1995, 2324 ff.; Pechstein i Koenig, EuZW 1997, 225. 248 Entgegen Art. M EUV, der nach Oppermann nur einen Einbruch der intergouvernementale Zusammenarbeit in die Gemeinschaftspolitiken verhindem soll, Oppermann, in: HornmethoffI Kirchhof (Hrsg.), Der Staatenverbund der Europäischen Union, 1994, S. 87 I 93.

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Es fällt auf, daß Art. 1.3 Abs. 1 und Art. J.8 Abs. 1 und 2 EUV von "allgemeinen Leitlinien" sprechen. Im Gegenzug erscheint es denkbar, im ·Rahmen von Art. 129c Abs. 1 EGV auch "konkrete" Leitlinien zu erlassen, da eine entsprechende ausdrückliche Beschränkung fehlt. Zwei Gesichtspunkte stehen einem solchen Umkehrschluß allerdings entgegen: Zum einen handelt es sich bei den Politikbereichen des EUV um regelmäßig intergouvernemental geprägte Vorschriften. Der Ansatz ist insoweit schon ein ganz anderer als bei der supranationalen Gemeinschaft. Ein einfacher e contrario-Schluß verbietet sich unter diesem Gesichtspunkt. Zum anderen ist aber auch der Wortlaut der Gemeinschaftsvorschrift des Art. 129c Abs. I I. Sp.strich EGV durchaus nicht auf den reinen Begriff der "Leitlinien" begrenzt. Vielmehr wird dieser durch den Zusatz ergänzt, daß die Leitlinien "die Grundzüge erkennen lassen" können sollen. Dann allerdings ist ein Unterschied zu den "allgemeinen Leitlinien" im Sinne des Art. J. 3 Abs. 1 EUV nicht mehr erkennbar. 3. Telos Eine am Ziel orientierte Auslegung von Art. 129c Abs. I 1. Sp.strich EGV kann sich auf zwei spezielle Zielvorschriften stützen: Art. 3 lit. n) und Art. 129b EGV. Darüber hinaus ist an eine Auslegung gemäß dem effet utile beziehungsweise den implied powers zu denken. a) Art. 3 lit. n), Art. 129b EGV

Art. 3 EGV ist für den Rahmen der Auslegung der Einzelvorschriften relevant, wobei der EuGH allerdings aufgrund der relativ vagen Zielbeschreibung den Organen einen weiten Ermessensspielraum zubilligt. 249 Betrachtet man unter diesem Gesichtspunkt die Zieldefinition des Art. l29b EGV, fällt auf, daß das Ziel allein die "Förderung" bzw. der "Beitrag" zu den transeuropäischen Netzen ist. Der Text ist somit fiir das Tätigwerden der Gemeinschaft eher zurückhaltend formuliert. Auch Art. 3 lit. n) EGV beschreibt nicht das tatsächliche Bestehen der transeuropäischen Netze als ein Ziel. Zwar wurde schon auf die Bedeutung von Einzelvorhaben für ein Gesamtprojekt hingewiesen, doch kann sich selbst bei Anerkennung des weiten Ermessensspielraumes der Gemeinschaftsorgane aus dieser Zieldefinition nicht eindeutig eine Korrektur der Wortlautauslegung des Art. 129c Abs. I EGV ergeben. Das Ziel mag zwar in dieser Hinsicht interpretierbar sein, für einen zwingenden Rückschluß auf die Auslegung der Leitlinien ist es jedoch zu schwach.

249

Anwei/er, Auslegungsmethoden, S. 208 ff. m.w.N.

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In enger Verbindung zu den Zielen steht die Auslegung einer Vorschrift nach dem effet utile. Demnach ist dem geschriebenen Gesetzestext die größtmögliche Wirksamkeit (im integratorischen Sinne) zukommen zu lassen, ohne daß es dabei um eine Vertragsabrundungskompetenz wie bei den implied powers geht. 250 Die Grenze des effet utile bildet aber die Vertragskompetenz selbst. Wie demnach der Wortlaut von Art. 129c Abs. 1 l. Sp.strich EGV und die Ziele zeigen, kann der effet utile integrationspolitisch darüber hinausgehende Wünsche nicht ermöglichen. Der effet utile gebietet es nicht, die Gemeinschaftskompetenz bzgl. der Leitlinien auch auf eine Befugnis zur konkreten Projektimplementierung auszudehnen, da das Ziel des Art. 3 lit. n) und die Kompetenz des Art. 129b EGV zumindest insoweit kongruent sind.251 b) lmplied powers

Die implied powers gehen über den effet utile hinaus, da es sich nicht nur um die weite Auslegung einer Gemeinschaftskompetenz handelt, sondern eine inhärente Zuständigkeit der Gemeinschaft angenommen wird. 252 Die Grenzen der implied powers liegen einerseits in der sachlichen Gemeinschaftszuständigkeit für das Gebiet, andererseits ist erforderlich, daß die Funktionsfahigkeit der Gemeinschaft gerade erst dann erhalten bleibt, wenn der nicht geregelte Teil sachlich mit abgedeckt wird.253 Grabitz weist beispielhaft auf die Durchführung von vertraglichen Ermächtigungen hin, die an sich den Mitgliedstaaten obläge. 254 Diese Theorie bedeutet jedoch nicht, daß ein genereller Schluß von der Aufgabe auf die Befugnis gezogen wird. 255

250 Oppermann, Europarecht, Rn. 441; für eine Gleichsetzung von effet utile und implied powers aber Kapteyn / VerLoren van Themaat, a.a.O., S. 118; implizit auch Meyer, Jura 1994, 455 I 457, die implied powers könnten insoweit spezieller Ausdruck des effet utile sein. 251 Eine Kompetenzausübung von Art. 75 Abs. I lit. d) EGV ist hingegen auch unter dem Blickwinkel des Art. 3 lit. n) möglich, soweit Art. 129b ff. EGV nicht alle Möglichkeiten zur Zielerreichung beinhalten, s. dazu im einzelnen unten I. Teil, D.III. 252 Oppermann, Europarecht, Rn. 439, GrabitziHi!f-Grabitz, Art. 189 Rn. 6; s. aber auch Nicolaysen, EuR 1966, 129 I 131 f., der die implied powers in erster Linie als die Anwendung von Auslegungsmethoden auf ausdrücklich gesetztes Recht ansieht, nur am Ende erwähnt er auch die sog, "resulting powers" als Zuständigkeit kraft Natur der Sache (S. 140). 253 Grabitz i Hilf-Grabitz, Art. 189 Rn. 9; Oppermann, Europarecht, Rn. 440 weist insoweit auf die Nähe zu Art. 235 E(W)GV hin. 2~ 4 Grabitz i Hilf-Grabitz, Art. 189 Rn. 9; so auch Nicolaysen, EuR 1966, 1291135. 255 S.a. GTE-Zuleeg, Art. 2 Rn. 5 f.; damit findet ein staatliches (und auch bestrittenes) Axiom keine Anwendung, das sich z.B. in § 89 Ein!. ALR ausdrückte: "Wem die Gesetze ein Recht geben, dem bewilligen sie auch die Mittel, ohne welches dasselbe nicht ausgeübt werden kann."

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1. Teil: Verkehrswegeplanung iri der EG

Der EuGH umschreibt die implied powers-Lehre folgendermaßen 256 : "Der Gerichtshof hält, ohne dabei eine extensive Auslegung vorzunehmen, die Anwendung einer sowohl im Völkerrecht als auch im innerstaatlichen Recht allgemein anerkannten Auslegungsregel für zulässig, wonach die Vorschriften eines völkerrechtlichen Vertrages oder eines Gesetzes zugleich diejenigen Vorschriften beinhalten, bei deren Fehlen sie sinnlos wären oder nicht in vernünftiger und zweckmäßiger Weise zu Anwendung gelangen könnten."

Bezüglich der Außenkompetenzen hat der EuGH diese Rechtsprechung bestätigt. 257 Demzufolge ist die implied powers-Lehre an einer Ziel-MittelRelation zu messen.258 Ziele können dabei die "Funktionsfahigkeit" der Gemeinschaft bzw. die konkreten Vorgaben des betreffenden Sachgebietes sein. 259 Selbst unter Berücksichtigung einer gemeinschaftsfreundlichen Zielauslegung kann eine Zuständigkeit nach den implied powers für konkrete Einzelvorhaben hier nicht entnommen werden. Man kann nicht behaupten, daß die Regelung der Art. 129b ff. EGV sinnlos wäre (im Sinne der Funktionsfahigkeit), wenn der Gemeinschaft nicht das Recht zu konkreten Projektimplementierungen auf Grundlage des Titels XII zustünde. Gerade insoweit könnte sogar argumentiert werden, daß für die Gesamtheit der transeuropäischen Verkehrsnetze konkrete Einzelvorhaben, die durch die Gemeinschaft umgesetzt würden, regelmäßig keinen Sinn machen, wenn sie nicht in einen gesamten Streckenverlauf eingegliedert sind.260 Dafür kann jedoch die Theorie der implied powers keinesfalls herangezogen werden. Somit könnten die implied powers überhaupt erst dann zum Tragen kommen, wenn von den Mitgliedstaaten schon bedeutende Vorarbeiten bei der Umsetzung der Leitlinien gemacht worden wären. Jedenfalls in Hinblick auf die verwaltungsrechtliche Bedeutung (d.h. also unabhängig von der Frage des Rechtsschutzes) bedürfte es aber dann wohl regelmäßig der Gemeinschaftskompetenz gar nicht mehr, da normalerweise gleich ein ganzes Projekt von dem Mitgliedstaat durchgeplant wäre. Die implied powers-Lehre wäre jedoch gerade dann interessant, wenn die Gemeinschaft zur Verwirklichung transeuropäischer Verkehrsnetze dadurch beitrüge, daß sie planensehe Vorarbeit leistete oder aber die Kompetenzausübung androhen könne. Beides kann auf die implied powers Lehre nicht gestützt werden.

EuGH Rs. 8 I 55, Slg. 1956, 299 I 312 - Fedechar. EuGH Rs. 22/70 Slg. 1971, 263 I 281 f. Rn. 81 I 90 - AETR. 258 S.a. Meyer, Jura 1994, 455 1457. 259 Vgl. Meyer, Jura 1994, 455 1456. 260 Vgl. Vickerman, JCMS 1994, I 18.

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111. Art. 74, 75 EGV als Kompetenz für direkte Implementierungsmaßnahmen Da konkrete Implementierungen von Verkehrsprojekten nicht auf Art. 129b ff. EGV gestützt werden können, verdrängen diese Vorschriften auch grundsätzlich keine anderen Vertragsnormen. Der lex-specialis-Grundsatz ist nicht anwendbar. Art. 129c Abs. 1 1. Sp.strich EGV ist nur für die gemeinschaftliche Rahmenplanung eine abschließende Regelung. Unter Rückgriff auf die schon zitierte EuGH-Entscheidung261 könnte man nun aber behaupten, daß die allgemeineren Vorschriften (insbesondere Art. 75 Abs. 1 lit. d EGV im Verhältnis zu Art. 129b ff. EGV) Anwendung finden können. Es wurde bereits dargestellt, daß die Verkehrsinfrastrukturpolitik im Sinne des Titel IV als Teil der Gemeinsamen Verkehrspolitik angesehen wird. 262 Aufgrund der weiten Formulierung und Auslegung von Art. 75 Abs. 1 lit. d) EGV erscheint es grundsätzlich auch möglich, über die Leitlinien nach Art. 129c Abs. 1 l .Spiegelstrich EGV hinaus, Maßnahmen im Bereich der Verkehrsinfrastrukturen zu erlassen. 263 Insoweit könnten auch konkrete Verkehrsprojekte erfaßt sein. 264 Das entscheidende Problem ist zunächst die Abgrenzung zu Art. 235 EGV. In seiner überaus weiten Formulierung korrunt Art. 75 Abs. 1 lit. d) EGV der Generalermächtigung nach Art. 235 EGV gleich. Von der Funktion her dienen beide Vorschriften der Lückenfullung. 265 Aufgrund dieses engen Zusam261 EuGH Rs. 167173, Slg. 1974, 359- Kommission / Französische Republik; s.a. I. Teil, C.III.3. 262

Siehe I. Teil, A.II; im weiteren Sinne auch Vinois, RMC 1995, 83 I 85.

S. aber Steindorff, Grenzen der EG-Kompetenzen, S. 120: Art. 235 EWGV (respektive Art. 75 Abs. I lit. d EGV) kann nicht dazu dienen, die auf Koordination und Kooperation angewiesenen Gemeinschaftsaufgaben (s. Art. 129c Abs. 2 EGV) der Bewältigung durch autonome Gemeinschaftsmaßnahmen zuzuführen. Insoweit hat jedoch schon Schwartz, EuR Sonderheft 1976, 27 ff. überzeugend dargelegt, daß ein kooperatives Handeln der Mitgliedstaaten nicht eine Gemeinschaftsbefugnis ausschließen könne (s. unten I. Teil, C). 263

264 Vgl. prinzipiell die Parallele zum amerikanischen Verfassungsrecht, The Federalist Nr. 44, ed. Wright 1961, S. 322 (zit. nach Nicolaysen, EuR 1966, 129/134): "wherever a general power to do a thing is given, every particular power necesssary for doing it is included", Nicolaysen, a.a.O., S. 1291 134 folgert daraus eine Beschränkung der Zieldefinition, die sich nunmehr nicht allein aus Art. 2 EWGV ableiten lassen könne. - Wegen Art. 75 Abs. I lit. d) EGV ist insoweit auch der Ansatz des Generalanwaltes La Pergola in der Entscheidung EuGH Rs. C-271 I 94, Slg. 1996, I-1689 I 1698 Rz. 11 - Parlament I Rat nicht übertragbar, der die Vorschrift des Art. 129c nur aus sich heraus interpretiert und insoweit nur im Rahmen von Art. 129c 2. Sp.strich EGV konkrete Maßnahmen furmöglich hält. 265 Constantinesco, Recht der Europäischen Gemeinschaften I, S. 272 Tz. 187; der EuGH hat jetzt klargestellt, daß Art. 235 EGV im System des EGV zu keiner "wesentlichen Änderung des Gemeinschaftssystems" fuhren dürfe (wozu auch das Prinzip der begrenzten

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1. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

menhanges beider Vorschriften ist das Verhältnis beider Normen zueinander zu klären. Die Bedeutung dieser Frage soll dabei zunächst anband der Darstellung der Gemeinsamkeiten (I) und Unterschiede (2) der beiden Ermächtigungsnormen dargestellt werden, bevor eine Lösung vorgeschlagen wird (3). 1. Gemeinsamkeiten von Art. 235 und Art. 74, 75 Abs. 1 lit. d) EGV

Art. 75 Abs. I lit. d) EGV ermöglicht den Erlaß aller "zweckdienlichen Vorschriften" zur Durchfiihrung des Art. 74 EGV. Das Ziel einer Gemeinsamen Verkehrspolitik nach Art. 74 EGV hat stets auch Infrastrukturmaßnahmen erfaßt. Darüber hinaus sind jedoch auch die materiellen Prinzipien (Präambel, Art. 2 E(W)GV) fiir den unbestimmten Rechtsbegriff der "Gemeinsamen Verkehrspolitik" zu beachten. 266 Auch der EuGH folgte der Auffassung, daß der Titel IV eine Ausfiihrung und Ergänzung zu Art. 2 und 3 E(W)GV darstelle. 267 Dieser Verweis auf die allgemeinen Ziele fuhrt damit zu einer völligen Kongruenz der Zielbestimmung im Rahmen von Art. 235 EGV. Denn dessen Ziele ergeben sich aus Art. 2, 3 EGV und den speziellen Vertragsvorschriften. 268 Demnach könnte eine Verkehrsinfrastrukturpolitik als Teil der Gemeinsamen Verkehrspolitik, soweit nicht Art. 129 b ff. EGV sperren, sowohl über Art. 75 Abs. I lit. d) als auch über Art. 235 EGV betrieben werden.

2. Unterschiede von Art. 235 und Art. 75 Abs. 1 lit. d) EGV Unterschiede ergeben sich insbesondere aus dem Rechtsetzungsverfahren. Art. 235 EGV verlangt eine einstimmige Entscheidung des Rates auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlamentes, während Art. 75 Abs. 1 EGV das komplizierte Verfahren der Zusammenarbeit nach Art. 189c EGV sowie die Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses vorsieht. Diese Unterschiede verdeutlichen, daß eine Maßnahme nicht auf beide Generalermächtigungen gemeinsam gestützt werden kann. Auch eine alternative Anwendung im Einzelfall kommt nicht in Betracht, da dies die Gefahr Einzelermächtigungen zählt), EuGH Gutachten 2/94, S1g. 1996, 1-1759/1789 Rn. 34 -

EMRK.

266 Schmitt, Die Rechtsgrundlage der gemeinsamen Verkehrspolitik der EWG, S. I I 8; Grabitz/Hilf-Frohnmeyer, Art. 74 Rn. 9; GTE-Erdmenger, Art. 74 Rn. 8, GTE-Erdmenger, vor Art. 74 Rn. 15. 267 EuGH Rs. 167/73, Slg. 1974, 359 / 370 Rn. 24 / 26- Kommission / Französische Republik. 268 Kapteyn / VerLoren van Themaat, a.a.O., S. 114; differenziert Grabitz / Hilf-Grabitz, Art. 235 Rn. 12 ff.

D. Zulässigkeil direkter Implementierungsakte durch die EG

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bergen würde, daß sich das handelnde Organ das einfachere Verfahren aussucht und somit u.U. nicht alle notwendigen Organbeteiligungen vornimmt. Aus rechtsmethodischer Hinsicht ist es deswegen erforderlich, das Verhältnis der beiden Vorschriften zueinander zu bestimmen. 269

3. Lösungsansätze für das Verhältnis beider Kompetenznormen In der Kommentarliteratur ist dieses Verhältnis, soweit ersichtlich, noch nicht behandelt worden. 270 a) Wortlaut

Der Text des Art. 235 EGV könnte dazu führen, Art. 75 Abs. 1 lit. d) EGV allgemeinen Vorrang einzuräumen. Art. 235 EGV formuliert als Tatbestandsvoraussetzung: "( ... ) sind in diesem Vertrag die hierfür erforderlichen Befugnisse nicht vorgesehen, so erläßt der Rat ( .. . ) die geeigneten Vorschriften." Demzufolge könnte man wegen der damit in Art. 235 EGV festgeschriebenen Subsidiaritäe'' davon ausgehen, daß ja gerade Art. 75 Abs. I lit. d) EGV diese Befugnis bzw. Generalermächtigung für ein Tätigwerden gibt und somit Art. 235 EGV unanwendbar ist. b) Systematik

Art. 75 Abs. 1 lit.d) EGV steht in einem speziellen Titel, der in seiner Weite grundsätzlich auch die Verkehrswege erfaßt. 272 Art. 235 EGV ist hingegen eine ganz allgemeine und für den Vertrag insgesamt anwendbare Norm. Aufgrund dieser sachnäheren Beziehung könnte es geboten sein, Art. 75 Abs. 1 lit. d) EGV unter dem Gesichtspunkt des Iex specialis als die vorrangige Norm anzusehen.273 Diese Spezialität leitet sich primär aus dem Verhältnis des gesamten Regelungsbereichs des Verkehrstitels zu den allgeVgl. Larenz, Methodenlehre, S. 267 ff. S. aber den Hinweis von Grabitz ! Hilf-Frohnmeyer, Art. 74 Rn. 4, daß Deutschland, Großbritannien und Frankreich ursprünglich Art. 235 EWGV im Verkehrsinfrastrukturbereich anwenden wollten; s. a. grob Schwartz, EuR Sonderheft 1976, 27 /37; Tomuschat, EuR Sonderheft 1976, 45/57, die ohne weitere Begründung Art. 75 den Vorrang einräumen. 271 Smit/Herzog, 235.05, S. 286; Grabitz/Hilf-Grabitz, Art. 235 Rn. 37; s.a. EuGH Rs. C-271194, Slg. 1996, 1-1689/1710 Rn. 13- Parlament / Rat. 269 270

272 Larenz, Methodenlehre, S. 326 weist darauf hin, daß die sachliche Zusammengehörigkeit von Vorschriften sich auch aus der äußeren Gesetzessystematik ergeben kann. 273 Dies würde auch der von Grabitz/Hilf-von Bogdandy/ Nettesheim, Art. 3b Rn. 18 vorgenommenen Vorrang von sachlich-gegenständlichen Kompetenznormen (Art. 75 EGV) und final definierten Vorschriften entsprechen.

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1. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

meinen Vorschriften ab und weniger aus dem Verhältnis zweier einzelner Normen zueinander. 274 Dieser letztere Fall bezeichnet eine Vorschrift als Iex specialis, wenn die speziellere Norm alle Tatbestandsmerkmale der allgemeineren Norm und mindestens ein zusätzliches Element enthält. 275 Unter diesem Aspekt ist eine Spezialität schwierig zu begründen, da Art. 75 Abs. 1 lit. d) EGV sogar noch allgemeiner als Art. 235 EGV formuliert ist, wenn man von der Beschränkung auf den sachlichen Zielzusammenhang absieht. Ob es auf der anderen Seite jedoch materiell wegen der generellen Bedeutung geboten erscheint, Art. 75 Abs. l lit. d) EGV nicht weiter als Art. 235 EGV auszulegen, kann hingegen zunächst dahingestellt bleiben, wenn eine Spezialität schon kraft Regelungsbereiches angenommen wird. c) Telos

Unter dem Gesichtspunkt des Sinn und Zwecks ist auf die ratio legis des Art. 75 Abs. 1 lit. d) EGV und Art. 235 EGV einzugehen, wie er sich aus dem Regelungszusammenhang ergibt. Grundsätzlich bleiben damit übergesetzliche politische Erwägungen außer Betracht, wenn sie sich nicht in der Normierung wiederfinden. 276 aa) Die Einfügung der neuen Kompetenz Der Umstand, daß Art. l29b ff. EGV neu in den Vertrag eingefUgt wurden, könnte dafiir sprechen daß die Vertragsparteien offensichtlich der Auffassung waren, daß der bisherige Verkehrstitel fiir die Schaffung von Verkehrsinfrastrukturen nicht ausreichend sei. Interessanterweise hat man fiir die transeuropäischen Netze einen ganz neuen Titel geschaffen, wo man doch bezüglich des transeuropäischen Verkehrs eine sachnähere Regelung im Titel IV hätte treffen können. Diese Trennung bzw. Herausnahme der Infrastrukturpolitik aus dem Verkehrssektor zeigt sich auch in den unterschiedlichen Zielbestimmungen Art. 3 lit. f) und Art. 3 lit. n) EGV sowie der konkreten Zielsetzung von Art. 129b Abs. 1 EGV. Wenn aber die Verkehrswegeplanung somit bewußt von der restlichen Verkehrspolitik abgekoppelt wurde, erschiene der Rückgriff auf Art. 75 Abs. 1 lit. d) EGV bei einer direkten Verkehrsimplementierung inkonsequent. Wenn noch nicht einmal die Art. 74 ff. EGV als ausreichend fiir die Erstellung von Leitlinien angesehen wurden, Larenz, Methodenlehre, S. 269 müßte insoweit von "Regelungskomplexen" sprechen. Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 465; dagegen in dieser Allgemeinheit Larenz, Methodenlehre, S. 267 f., der auf die unterschiedlichen Rechtsfolgen abstellt. 276 Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 332. 274 275

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dann müßte dies doch erst recht fiir Aktionen gelten, die über die Art. 129b ff. EGV hinausgehen. Dieser Argumentation kann jedoch entgegengehalten werden, daß die besondere Regelung der transeuropäischen Netze sich nicht gegen den Verkehrstitel als solchen richtet, sondern daß vielmehr der Verbundcharakter der Verkehrsinfrastrukturen wie auch der Energie oder Telekommunikation besonders hervorgehoben werden sollte. Tatsächlich kommen allen drei Bereichen der transeuropäischen Netze die Aufgabe zu, Distanzen zu überwinden. Dieses räumliche Element ist gerade im Ralunen der Verkehrspolitik nicht in jedem Falle gegeben. Somit können Art. 129b ff. EGV vielmehr Ausdruck der sachnäheren Gemeinsamkeiten innerhalb von europäischen Vernetzungen als eine prinzipielle Ausgliederung der Verkehrsinfrastrukturpolitik aus dem Verkehrstitel bedeuten.277 bb) Die Argumentation a maiore ad minus

Schwerer könnte ein Schluß a maiore ad minus wiegen. Diese Schlußfolgerung ist grundsätzlich dann zulässig, wenn zwei Tatbestände einander so ähnlich sind, daß die Rechtsfolge in beiden Fällen gleich sein muß und wenn die ratio legis der gesetzlichen Regelung in dem zweiten Fall noch in einem weit größerem Maße zutrifft als in dem zunächst geregelten Tatbestand.278 Auf unseren Fall übertragen könnte dies folgendes bedeuten: Wenn Art. 129d Abs. 2 EGV schon ein Zustimmungserfordernis des Mitgliedstaates gegenüber der Erstellung von allgemeinen Leitlinien vorsieht, die sein Hoheitsgebiet betreffen, dann müßte dies erst recht fiir darüber hinaus gehende konkrete Maßnalunen gelten. Ein Zustimmungserfordernis ist aber bei Art. 75 Abs. I lit. d) EGV grundsätzlich nicht vorgesehen. Für einen Rechtsakt auf Grundlage dieser Vorschrift reicht vielmehr die qualifizierte Mehrheit (Art. l89c EGV). Demzufolge würden Implementierungsakte verfahrensrechtlich einfacher erlassen werden können als die generelle Leitlinienplanung, obwohl diese doch einen stärkeren Eingriff in die mitgliedstaatliche Souveränität bedeuten. Gerade in diesem Falle könnte es geboten erscheinen, dem einzelnen Mitgliedstaat erst recht ein Zustimmungsrecht zuzugestehen und sei es durch die in Art. 235 EGV geforderte Einstimmigkeit. Gleichwohl ist einer so weiteren Folgerung im Ergebnis nicht zuzustimmen. Maßstab fiir das Argument a maiore ad minus kann nur Art. 129d Abs. 2 EGV sein, da von den Leitlinien auf die Implementierungsakte geschlossen werden soll. Das dort statuierte Zustimmungserfordernis ist jedoch 277 Vgl. auch in diesem Sinne die drei Ratsentscheidungen zur Verkehrsinfrastrukturplanung ABI. L 305 vom 10.12.1993 aufGrundJage von Art. 75 EGV. m Larenz, Methodenlehre, S. 389.

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1. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

mit dem Einstimmigkeitsprinzip nach Art. 235 unvergleichbar. Die Verhinderungsmöglichkeit durch das Zustimmungserfordernis des betroffenen Mitgliedstaates ist nicht identisch mit dem Erfordernis der Einstimmigkeit im Rahmen von Art. 235 EGV. Wenn beispielsweise ein Konsens erforderlich ist, kann es sein, daß aus politischen Gründen (z.B. im Rahmen eines beabsichtigten package-deal) auch ein nicht-betroffener Mitgliedstaat einen Implementierungsakt verhindert, während der Mitgliedstaat, wo sich die Umsetzungsmaßnahme eigentlich auswirken soll, zustimmt. Dann wäre aber einerseits das Zustimmungsrecht nicht ausgeübt, andererseits könnte im Verfahren nach Art. 235 EGV der Umsetzungsakt trotzdem nicht wirksam werden können. Art. 235 EGV geht somit über das Zustimmungserfordernis hinaus. Dies ist aber nicht unter dem Aspekt des Eingriffs in Souveränitätsrechte erforderlich.279 Im Gegensatz dazu zeigen zumindest Art. 129d Abs. 1 und Art. 75 Abs. 1 EGV hinsichtlich des Quorums einer qualifizierten Mehrheit im Rat eine strukturelle Gleichheit. Die Problemlösung könnte demnach vielmehr darin bestehen, daß Art. 129d Abs. 2 EGV analog auf Art. 75 Abs. 1 EGV angewendet wird. Eine Anwendung des Art. 235 EGV ist hingegen jedenfalls in Hinblick auf einen Schluß a maiore ad minus von der ratio legis nicht erforderlich.

cc) Korrektur des Ergebnisses aus demokratischen Gesichtspunkten? Auch vom Demokratiegedanken her könnte es geboten sein, Art. 75 Abs. 1 lit. d) EGV anzuwenden, da dieser ein stärkeres parlamentarisches Anhörungsverfahren als Art. 235 EGV vorsieht. Insoweit gibt es auch für die Erstellung der Leitlinien das Verfahren nach Art. 189b EGV. Sofern man Art. 235 EGV als Rechtsgrundlage heranziehen würde, wären über Art. 129c Abs. 1 1. Spiegelstrich EGV hinausgehende Beschlüsse undemokratischer als "reguläre Maßnahmen". Vom demokratischen Gesichtspunkt her würde somit ein Rückschritt zu verzeichnen sein. 280 Dieser Umstand ist jedoch für die Anwendbarkeit von Art. 75 Abs. 1 lit. d) EGV nicht zwingend. Implementierungsakte sind auch innerstaatlich typische Verwaltungsarbeit und unterliegen in erster Linie dem Verwaltungsund nicht dem Demokratievorbehalt Die Gemeinschaft ist im übrigen kein 279 Es wäre z.B. nicht einzusehen, warum Finnland im Rahmen von Art. 235 EGV einen direkten Planungsakt der Gemeinschaft in Portugal aus Souveränitätsgründen verhindem können sollte; diese Entscheidung müßte allein Portugal überlassen bleiben. 280 Vgl. zu diesem Gesichtspunkt auch EuGH Rs. C-300 / 89, Slg. 1991, I-2859 / 2900 f., Rn. 18 ff. - Titandioxid; Voß I Wenner, NVwZ 1994, 332 I 335 werten die Ausfiihrungen des Gerichtshofs gerade unter dem demokratischen Aspekt.

D. Zulässigkeit direkter Implementierungsakte durch die EG

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Staat. Die vorrangige Frage der Gewaltenteilung entscheidet sich weniger horizontal zwischen den Organen als vielmehr vertikal zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten. Die jetzige Struktur der Gemeinschaft ist immer noch relativ stark gouvernemental gepägt. Vom rechtstheoretischen und rechtsphilosophischen Hintergrund aus gibt es keine natürliche Prärogative der europäischen Legislativen, sondern die demokratische Rückkopplung erfolgt nach wie vor primär über die nationalen Parlamente (Art. F Abs. I EUV)281 • In dem bestehenden Gemeinschaftssystem soll nicht das Europäische Parlament soweit wie möglich die demokratische Legitimierung liefern. Auch wenn das Demokratiedefizit zunehmend beklagt wird282 , so kann sich daraus vorliegend für die Abgrenzung von Art. 75 Abs. I und Art. 235 EGV keine durchschlagende Argumentationswirkung ergeben. Die Unterschiede zwischen den demokratischen Verfahren sind insoweit auch eher marginal. Während Art. 189c EGV, auf den Art. 75 Abs. I EGV verweist, ein komplexes und insgesamt ausgereiftes Anhörungsverfahren vorsieht, verlangt Art. 235 EGV schlicht die Anhörung des Parlamentes. Diese Unterschiede sind keineswegs so schwerwiegend, daß es das Demokratieprinzip zwingend geböte, Art. 75 Abs. I zur Anwendung kommen zu lassen. 283 dd) Folgerungen aus der Gemeinschaftsrechtsprechung zu der Wahl der Rechtsgrundlage

In den von dem Gerichtshof entschiedenen Fällen ging es regelmäßig um die Abgrenzung von Art. IOOa und Art. 130s EGV. 284 Im Ergebnis hat der EuGH dabei auf den Schwerpunkt der Regelung abgestellt und untersucht, ob Ziel und Inhalt des erlassenen Rechtsaktes eher dem Umweltschutz oder der 281 So auch BVerfGE 89, 155/186; dazu Schröder, DVBI. 1994, 316/320; Wieland, EJIL 1994, 259/262. 282 S. dazu Bieber, Democratization of the European Community through the European Parliament, Außenwirtschaft 1991, 391 ff.; Boest, Ein langer Weg zur Demokratie in Europa: Die Beteiligungsrechte des Europäischen Parlamentes bei der Rechtssetzung nach dem Vertrag über die Europäische Union, EuR 1992, 182 ff.; Boyce, The Democratic Deficit of the European Community, Parliamentary Affairs 1993, 458 ff.; Classen, Europäische Integration und demokratische Legitimation, AöR 1994, 238 ff.; Lodge, Transparency and Democratic Legitimacy, JCMS 1994, 343 ff.; Pernice, Maastricht, Staat und Demokratie, Die Verwaltung 1993, 449 ff.; Raworth, A Timid Step Forwards: Maastricht and the Democratisation of the European Community, ELR 1994, 16 ff.; Weber, Zur künftigen Verfassung der Europäischen Gemeinschaft. Föderalismus und Demokratie als Strukturelemente einer Europäischen Verfassung, JZ 1993, 325 ff.; Zuleeg, Demokratie in der Europäischen Gemeinschaft, JZ 1993, 1069 ff. 283 Vgl. auch EuGH Rs. C-70/88, Slg. 1991, I-4529- Tschernobyl; EuGH Rs. C-155 / 91, NVwZ 1993, 872- Kommission / Rat; EuGH Rs. C-187 / 93, Slg. 1994, I-2857- Parlament I Rat, wo der EuGH dieses Argument auch nicht mehr aufgriff. 2114 S. jetzt aber auch EuGH Rs. C-271/94, Slg. I-1689 - Parlament/Rat zum Verhältnis von Art. 129c Abs. I 2. Sp.strich zu Art. 235 und Art. lOOa EGV.

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I. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

für die Funktion des Binnenmarktes notwendigen Rechtsangleichung zuzuordnen sind. 285 Eine Anwendung dieser Gemeinschaftsrechtsprechung ist problematisch, da es im Verhältnis von Art. 75 und Art. 235 EGV an getrennten Regelungsbereichen fehlt. Vielmehr gilt Art. 235 EGV grundsätzlich für den gesamten Vertrag und somit grundsätzlich auch für die Gemeinsame Verkehrspolitik. Dies zeigt insoweit auch die Zielidentität von Art. 75 und Art. 235 EGV, die in dem einen Fall final-sachgebietsbezogen in dem anderen Fall nur final ist. Dies ist immerhin ein gewichtiger Unterschied im Vergleich zum Verhältnis von Art. lOOa zu Art. 130s EGV. Folgerungen können somit im Ergebnis aus der Gemeinschaftsrechtsprechung vorliegend nicht gezogen werden. 4. Zusammenfassendes Ergebnis

Im Ergebnis kann allein Art. 75 Abs. 1 lit. d) EGV eine mögliche Rechtsgrundlage für Implementierungsakte bieten Dies folgt aus den dargelegten semantischen und systematisch-teleologischen Gründen. Im Ergebnis wird dadurch auch die rechtspolitische Umstrittenheil der Vorschrift des Art. 235 EGV umgangen, obwohl z.B. bei den Beratungen zum Maastrichter Vertrag der damalige Außenminister Genscher diese Vorschrift gerade für die Dynamik des Gemeinschaftsrechtes erhalten wissen wollte. S. Verfahren

Kann Art. 75 Abs. 1 lit. d) EGV demnach grundsätzlich als Rechtsgrundlage dienen, muß in Hinsicht auf das Verfahren doch das Zustimmungserfordernis aus Art. 129d Abs. 2 EGV anerkannt werden. Dies beruht auf einem Analogieschluß. Eine Analogie ist dann begründet, wenn es sich um eine planwidrige Gesetzeslücke handelt. Larenz weist darauf hin, daß eine Lücke nicht schon immer dann angenommen werden kann, wenn das Gesetz schweigt, da es sich insoweit auch um eine rechtspolitische Entscheidung handeln kann. Ob eine Gesetzeslücke vorliegt, ist anband der Regelungsabsicht des Gesetzes zu beurteilen.286 Die ratio legis des Art. 75 Abs. 1 lit. d) EGV ist in dieser Hinsicht durchaus lückenhaft, da die Anwendung der Ge285 EuGH Rs. C-187 193, Slg. 1994, 1-285712880 Rn. 18 ff. -Parlament / Rat: EuGH Rs. C-155191, NVwZ 1993, 8721873 Rn. 7 ff.- Kommission / Rat; s. dazu Voß! Wenner, NVwZ 1994, 332 I 336 f.; Breier, EuR 1995, 46 I 50 ff. 2M6 Larenz, Methodenlehre, S. 370, 374; s. aber auch Kelsen, Rechtslehre, S. 252, der die rechtspolitische Entscheidung eines nicht geregelten Bereichs eindeutig in den Vordergrund stellt und das Vorliegen einer Lücke generell verneint.

D. Zulässigkeit direkter Implementierungsakte durch die EG

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neralklausel für Implementierungsakte ursprünglich nicht erwogen worden war. Dies zeigt die bisherige Praxis bei der Ausdehnung auf den infrastrukturellen Sektor. Andererseits beruhten die eher apodiktischen Einzelvorschriften im Bereich des Verkehrs auf einem politischen Dissens über die öffentliche oder privatrechtliche Einordnung des Verkehrsbereichs287, so daß dem Sekundärrecht gerade über Art. 75 Abs. 1 lit. c) EWGV (jetzt lit. d) EGV) eine besondere Bedeutung in der Gestaltung der Verkehrspolitik zukommen sollte.288 Die Generalklausel ist insoweit gerade offen. Unter dem Gesichtspunkt des Eingriffs in den Souveränitätsbereich muß ein "Vetorecht" anerkannt werden, da die Mitgliedstaaten dieses in jedem Falle bei einer detaillierten Regelung vorgesehen hätten. Insoweit liegt auch die Ähnlichkeit des Analogieschlusses mit dem argurnenturn a maiore ad minus auf der Hand. 289 Im Ergebnis bedeutet dies, daß ein gemeinschaftsrechtlicher Implementierungsakt auf Grundlage des Art. 75 Abs. I lit. d) EGV unter Einhaltung des Verfahrens nach Art. 189c EGV, der Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses, und Art. 129d Abs. 2 EGV analog zulässig ist. 290

IV. Voraussetzungen für die Anwendung des Art. 75 Abs. 1 lit. d) EGV im Bereich der konkreten Projektimplementierung 1. Voraussetzungen des Art. 75 Abs. 1 lit. d) EGV a) Ziele des Vertrages im Rahmen einer Gemeinsamen Verkehrspolitik, Art. 74 EGV

Die Vorschrift des Art. 74 EGV bezieht sich nicht allein auf die allgemeinen Zielvorstellungen, wie sie in Art. 2, 3, 7a EGV geregelt sind291, sondern m S. dazu in bezugauf Italien, Belgien, Deutschland und die Niederlande Kapteyn / VerLoren van Themaat, a.a.O., S. 705 f. m S.a. Grabitz/Hilf-Frohnmeyer. Art. 74 Rn. 8, die Kompetenz soll fortschreitend von den Mitgliedstaaten auf die Gemeinschaftsorgane übergehen. 2 ~9 S.o. I. Teil, D.III.3.e).bb.); zur Methodik Larenz, Methodenlehre, S. 389. 290 Art. 75 Abs. I lit. d) EGV erfahrt dadurch als Kompetenz eine Aufwertung. Nicht zu folgen ist insoweit Schmidhuberl Hitz/er, DÖV 1991, 271 / 274, die schon eine übergreifende Planungs- und Raumordnungskompetenz der Gemeinschaft auch auf Grundlage des alten Art. 75 Abs. I lit. c) EWGV nicht gegeben sahen; das von ihnen angeführte Prinzip der begrenzten Einzelermächtigungen greift aber ja gerade nicht angesichts der bestehenden Generalermächtigung innerhalb des Verkehrstitels. 29 1 S. insoweit allein EuGH Rs. 163/73, Slg. 1974, 359 / 370 Rn. 24 / 26, wonach der Titel IV Ausführung und Ergänzung zu Art. 2, 3 EGV darstellt.

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1. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

ebenfalls auf die in den einzelnen Titeln genannten Ziele, soweit sie durch eine Gemeinsame Verkehrspolitik erreicht werden können. 292 Von besonderer Bedeutung ist insoweit die Vorschrift Art. 129b EGV, die auf Art. 7a, 130a EGV sowie die Vorteile für die Unionsbürger und die regionalen Gebietskörperschaften verweist. Dieser Zweck des Art. 129b EGV kann sowohl in einem umfassenden Sinne der Zielerreichung als auch funktional begrenzt auf einen bestimmten Beitrag aufgefaßt werden. Ein Gemeinschaftsakt dient der Zielverwirklichung aus Art. 129b Abs. I EGV, der Schaffung eines Raumes ohne Binnengrenzen, in jedem Falle. Dieser hier durchaus wörtlich zu nehmende Terminus kann gerade in Einzelbereichen eine konkrete Implementierung transeuropäischer Projekte jedenfalls als Beitrag erfassen. Daß gerade auch die primär wirtschaftspolitischen Ziele des Art. 2 EGV durch ein Handeln der Gemeinschaft im Infrastrukturbereich abgedeckt werden, bedarf keiner näheren Erläuterung. Auch auf die Bedeutung der Infrastrukturpolitik im Bereich der Gemeinsamen Verkehrspolitik wurde schon wiederholt hingewiesen. 293 b) Rechtsfolge: Alle sonstigen zweckdienlichen Vorschriften

Art. 75 Abs. I lit. d) EGV ermöglicht den Erlaß jeglicher Rechtsform nach Art. 189 EGV, wobei im Einzelfall nur auf allgemeine Grundsätze gemäß der Rechtsnatur des Rechtsaktes sowie der Verhältnismäßigkeit Rücksicht zu nehmen ist. 294 Frohnmeyer bezeichnet die Ermächtigung darüber hinaus als inhaltlich "nahezu unbegrenzt"295 , während Erdmenger sie insbesondere fiir Vorschriften innerhalb eines Mitgliedstaates einschränken will. 296 Die Generalklausel nach Art. 75 EGV bedarf in der Tat einer inhaltlichen Begrenzung, da schon aus dem verfassungsrechtlich gebotenen Bestimmtheitsgrundsatz im Rahmen von Art. 24 GG (jetzt Art. 23 GG) eine inhaltlich offene Übertragung von Hoheitsrechten auf die Gemeinschaft nicht zulässig ist. 297 Ob eine abstrakt-generelle Grenze allerdings tatsächlich gezogen werden kann, erscheint wegen des weiten Begriffs der Verkehrspolitik fragwür292 Vgl. Grabitz!Hilf-Frohnmeyer, vor Art. 74 Rn. 2, Art. 74 Rn. 9 f. ; GTE-Erdmenger, Art. 74 Rn. 8 f. 293 Kapteyn I VerLoren van Themaat, a.a.O., S. 707 bezeichnen z.B. die Infrastruktur als den ,,möglichetWeise wichtigsten Teil der Verkehrspolitik". 294

Vgl. Grabitz!Hilf-Frohnmeyer, Art. 75 Rn. 9; GTE-Erdmenger, Art. 75 Rn. 3.

295

Grabitz!Hilf-Frohnmeyer, Art. 75 Rn. 32.

GTE-Erdmenger, Art. 75 Rn. 38. Tomuschat, EuR Sonderheft 1976, 45/60 f. hat diesen Gedanken aus Demokratiegesichtspunkten fiir Art. 235 EWGV ausgesprochen; Bülow, EuR Sonderheft 1976, S. 69 (Diskussionsbeitrag); s.a. BVerfGE 89, 1551191 ff. 296 297

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dig. 298 Jedenfalls kann eine relative inhaltliche Schranke aber aus dem Kompetenzgefiige der Gemeinschaft entnommen werden, wie es sich zum einen in dem Strukturprinzip der begrenzten Einzelermächtigung als auch im Subsidiaritätsprinzip wiederspiegelt.299 Demnach kann eine vollständige Vergemeinschaftung des Verkehrssektors auf Art. 75 Abs. 1 lit. d) EGV wegen der Unbestimmtheit des Rechtsbegriffes nicht gestützt werden. Auf der anderen Seite müssen jedoch begleitende Maßnahmen der Gemeinschaft im gesamten Bereich der Gemeinsamen Verkehrspolitik möglich sein. 300 Aus dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot läßt sich ableiten, daß eine Gemeinschaftsregelung entweder nur in einer weiten, aber oberflächlich geregelten Art und Weise zulässig ist oder aber bei einer begrenzten und dann möglicherweise intensiven Normierung in Betracht kommt. Der letztlich erlassene Rechtsakt muß darüber hinaus "zweckdienlich" sein. Dieses Merkmal korrespondiert mit den "geeigneten Vorschriften" gemäß Art. 235 EGV. Es drückt sich darin der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz aus. 301 Die Auswirkungen auf die Kompetenzausübung werden im Rahmen des Subsidiaritätsprinzips an späterer Stelle auszufuhren sein. 302 Die Nähe von Art. 75 Abs. 1 lit. d) EGV zu Art. 235 EGV drückt sich noch an einer anderen Stelle aus. So heißt es in Art. 75 Abs. 1 EGV "wird der Rat ( ... ) erlassen" bzw. in Art. 235 EGV "erläßt der Rat". In sachlicher Hinsicht ist weniger der Gebrauch des Präsens bzw. Futurs interessant als vielmehr die Abwesenheit eines Ermessens. Schwartz hat fiir Art. 235 EGV daraus abzuleiten versucht, daß der Rat zum Erlaß der Vorschriften verpflichtet ist, sobald jedenfalls auf der Tatbestandsebene die Erforderlichkeil bejaht wird. 303 Eine solche Ansicht mag in Hinblick auf den Wortlaut und die Systematik vertretbar sein. 304 Allerdings ist dies in der Praxis kein relevantes Problem. Dies ergibt sich zum einen aus dem weiten Beurteilungsspielraum, der den Vgl. Schwartz, EuR Sonderheft 1976, 27137. Insoweit scheidet eben auch bei Art. 235 E(W)GV eine Politik außerhalb der Kompetenzbereiche der Gemeinschaft aus, Tomuschat, EuR Sonderheft 1976, 45 I 64; Ever/ing, EuR Sonderheft 1976, 2 I II. 300 Vgl. fur Art. 235 E(W)GV Tomuschat, EuR Sonderheft 1976, 45 166 "akzessorische und komplementäre Befugnisse". 301 Steindorff, Grenzen der EG-Kompetenzen, 1990, S. 117 f.; Smit I Herzog, 235.08, S. 291; Kapteyn / VerLoren van Themaat, a.a.O., S. 115 Fn. 60; vgl. auch Grabitz i HilfGrabitz, Art. 235 Rn. 77, 83. 29R

299

302 Zum Zusammenhang von Subsidiaritätsprinzip und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, wie er sich auch in Art. 3b Abs. 3 EGV ausdrückt, s. Jarass, EuGRZ 1994, 209 / 214. 303 Schwartz, EuR Sonderheft 1976, 27 I 29 f.; s.a. Lagrange, RTDE 1974, 93; a.A. Kapteyn / VerLoren van Themaat, a.a.O., S. 115. 304 Grabitzi Hilf-Grabitz, Art. 235 Rn. 73 ff.

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1. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

Gemeinschaftsorganen zukommt. Demzufolge könnte man schon bei der Frage des Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen eine mögliche Verpflichtung umgehen. In dem Urteil zur gemeinsamen Verkehrspolitik hat der EuGH daher auch eine unmittelbare Handlungspflicht für die Einführung einer solchen Politik gerade wegen deren Unbestimmtheit vemeint. 305 Darüber hinaus entspricht eine Handlungsverpflichtung auch nicht dem System der Gemeinschaft. Insoweit fehlt es an einer Sanktionsmöglichkeit gegen den Rat. Ein "self-executing" kommt nicht in Betracht, und dies umso mehr, als es bei der Schaffung von transeuropäischen Netzen um eine Leistung geht. Insoweit erscheint es im Wege einer teleologischen Auslegung angemessen, Art. 75 Abs. 1 lit. d) EGV - und im übrigen auch Art. 235 EGV - als eine "Kann"Vorschrift aufzufassen. 2. Einwände aus dem Subsidiaritätsprinzip, Art. 3b Abs. 2 EGV

Angesichts der überbordenden Literatur zu dem Subsidiaritätsprinzips würde es den Rahmen dieser Arbeit sprengen, den Literaturstreit bis in jede Einzelheit nachzuvollziehen.306 Dies erfaßt auch die Frage der Justitiabilität des 305 EuGH Rs. 13183, Slg. 1985, 151311539 Rn. 50 ff. - Europäisches Parlament / Rat auch in Hinblick auf die mangelnde Justitiabilität; s.a. EuGH Rs. 22 I 70, Slg. 1971, 263 I 282 Rn. 95 - AETR, wo der EuGH eine Handlungsverpflichtung aus Art. 235 EWGV ablehnte; zust. Lenaerts I van Ypersele, CahDrEur. 1994, 3 I 41. 306 Eine Auswahl aus der Literatur: Adonis I Jones, Subsidiarity and the European Community's Constitutional Future, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1991, 179 ff.; Barents, The Interna! Market Unlimited: Some Observations on the Legal Basis of Community legislation, CMLRev. 1993, 85 ff.; Brunner, Das Subsidiaritätsprinzip als europäisches Prinzip, in: Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, 1993, 146 S.; Cass, The Word that Saves Maastricht? The Principle of Subsidiarity and the Division of Power within the EC, CMLRev. 1992, 1107 ff.; Constantinesco, La Subsidiarite comme Principe Constitutionnnel de l'Integration Europeenne, Außenwirtschaft 1991, 439 ff.; ders., Le principe de subsidiarite: un passage oblige vers !'Union europeenne?, L'Europe et Je droit, Melanges en hommage de Jean Boulouis, 1993, S. 35 ff.; ders., "Subsidiarität": Magisches Wort oder Handlungsspielraum der Europäischen Union?, EuZW 1991, 561 ff.; Cox, Derogation, Subsidiarity and the Single Market, JCMS 1994, 127 ff.; Emi/iou, Subsidiarity: An Effective Barrier Against "the Enterprises of Ambition"?, ELR 1992, 383 ff.; Goppel, Die Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips, EuZW 1993, 367 ff.; Grimm, Effektivität und Effektivierung des Subsidiaritätsprinzips, KritV 1994, 6 ff.; Heintzen, Subsidiarität in der Europäischen Gemeinschaft, JZ 1991, 317 ff.; Hummer, Subsidiarität und Föderalismus als Strukturprinzipien der Europäischen Gemeinschaften?, ZfRV 1992, 81 ff.; Jachtenfuchs, Die EG nach Maastricht. Das Subsidiaritätsprinzip und die Zukunft der Integration, EA 1992, 279 ff.; Jarass, EG-Kompetenzen und das Prinzip der Subsidiarität nach Schaffung der Europäischen Union, EuGRZ 1994, 209 ff.; Kahl, Möglichkeiten und Grenzen des Subsidiaritätsprinzip nach Art. 3b EG-Vertrag AöR 1993, 414 ff.; van Kersbergen / Verbeek, The Politics of Subsidiarity in the European Union, JCMS 1994, 215 ff.; Konow, Zum Subsidiaritätsprinzip des Vertrags von Maastricht, DÖV 1993, 405 ff.; Lambers, Subsidiarität in Europa - Allheilmittel oder juristische Leerformel ? EuR 1993, 229 ff.; Lecheler, Das Subsidiaritätsprinzip, 1993; Lenaerts l van Ypersele, Le principe de subsidiarite et son contexte:

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Subsidiaritätsprinzips. 307 Insoweit ist also eine Beschränkung auf die wichtigsten in diesem Zusammenhang auftauchenden Probleme geboten. a) Anwendbarkeit des Subsidiaritätsprinzips

Das Subsidiaritätsprinzip ist nur im Rahmen der konkurrierenden Kompetenzen relevant. Dies ist hinsichtlich Art. 75 Abs. 1 lit. d) EGV gegeben. In diesem Zusammenhang ist ergänzend zu den insoweit schon gemachten Ausfiihrungen auf die Auffassung hinzuweisen, derzufolge die Generalklausel Art. 235 EGV als ausschließliche Kompetenznorm dem Subsidiaritätsprinzip nicht unterliegt. Diese fiir Art. 235 E(W)GV vorgetragene Ansicht ist auch fiir Art. 75 Abs. 1 lit.d) EGV von Interesse, da sich ein inhaltlicher Unterschied zu Art. 235 EGV kaum zeigt, sondern es sich vielmehr um ein grundsätzliches strukturelles Problem einer Generalklausel handelt. Im Ergebnis wäre demnach auch Art. 75 Abs. 1 lit. d) EGV als ausschließliche Kompetenz einzuordnen. 308 etude de l'article 3 B du Traite CE, CahDrEur 1994, 3 ff.; Mecking, Das Europa der Zukunft: Subsidiarität, Föderalismus, Regionalismus, BayVBI. 1991, 746 ff.; Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, 1993; Möschel, Zum Subsidiaritätsprinzip im Vertrag von Maastricht, NJW 1993, 3025 ff.; Pieper, Subsidiarität, 1994; ders., Subsidiaritätsprinzip Strukturprinzip der Europäischen Union, DVBI. 1993, 705 ff.; Pipkorn, Das Subsidiaritätsprinzip im Vertrag über die Europäischen Union - rechtliche Bedeutung und gerichtliche Überprütbarkeit, EuZW 1992, 697 ff.; Renzsch, Die Subsidiaritätsklausel des Maastrichter Vertrages: Keine Grundlage fiir die Kompetenzabgrenzung in einer Europäischen Politischen Union, ZParl 1993, 104 ff.; Schmidhuber, Das Subsidiaritätsprinzip im Vertrag von Maastricht, DVBI. 1993, 417 ff.; SchmidhuberiHitzler, Die Verankerung des Subsidiaritätsprinzips im EWG-Vertrag- ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer föderalen Verfassung der Europäischen Gemeinschaft, NVwZ 1992, 720 ff.; dies., Binnenmarkt und Subsidiaritätsprinzip, EuZW 1993, 8 ff.; Schweitzer I Fixson, Subsidiarität und Regionalismus in der Europäischen Gemeinschaft, Jura 1992, 579 ff. ; Scott I Peterson I Miliar, Subsidiarity: A "Europe of the Regions" v. the British Constitution?, JCMS 1994, 47 ff.; Stein, Subsidiarität als Rechtsprinzip?, in: Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, 1993, S. 23 ff.; Steindorjf. Grenzen der EG-Kompetenzen, 1990; Stewing, Subsidiarität und Föderalismus in der Europäischen Union, 1992, 186 S.; Strozzi, Le principe de subsidiarite dans Ia perspective de l'integration europeenne: une enigme et beaucoup d'attentes, RTDE 1994, 373 ff.; Toth, The principle of subsidiarity in the Maastricht Treaty, CMLRev. 1992, 1079 ff., Constantinesco, Who's afraid of subsidiarity?, YbEL 1991, 33 ff.; Kühnhardt, Föderalismus und Subsidiarität, Politik und Zeitgeschichte 1991, Heft B45; Schwartz, Subsidiarität und EG-Kompetenzen, AfP 1993, 413 ff. 307 Umfassend z.B. Toth, ELR 1994, 268 ff.; Emiliou, ELR 1992, 383 1405; Pipkorn, EuZW 1992, 697 ff.; wie schwierig es ist, diese Frage zu beantworten, zeigt sich z.B. gerade an der Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 72 Abs. 2 GG, das die nationale Subsidiaritätsklausel grundsätzlich als nicht justitiabei angesehen hat, s. Hinweise und kritische Anmerkung bei Hirsch, NJW 1996, 2457 I 2460. Fraglich ist, ob sich dies durch die neue Vorschrift Art. 93 Abs. I Nr. 2a GG ändern wird. Jos So auch ausdrücklich Schwartz, EuR Sonderheft 1976, 27 I 33; vgl. insoweit die Mitteilung der Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament bezgl. dem Subsidiaritätsprinzip (abgedruckt bei Merten [Hrsg.], Die Subsidiarität Europas, 1993, S. 112),

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Diese Auffassung geht davon aus, daß die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips einen Integrationsrückschritt bedeuten würde und mit der Wahrung des acquis communautaire (Art. B letzter Sp.strich EUV) nicht zu vereinbaren wäre. Art. 235 EGV könne insofern "undoubtly" eine "exclusive competence" darstellen, als er nur Maßnahmen im Rahmen des Funktionierens des Gemeinsamen Marktes gestatte.309 Dies gelte gerade auch für Bereichsregelungen, die bisher auf Art. 235 EGV im Rahmen des Binnenmarktes gestützt wurden und unabhängig davon, ob diese Bereiche neu geregelt wurden. 310 Allerdings verkennt diese Ansicht, daß der Begriff des "Binnenmarktes" oder der "Gemeinsamen Verkehrspolitik" zu weit ist, um als eigener Bereich der ausschließlichen Kompetenz der EG zu unterliegen. 311 Es ist auch nicht einzusehen, warum eine allgemeine Vertragsabrundungskompetenz eine ausschließliche Zuständigkeit begründen können soll, wenn dies schon nicht fiir die bereichsspezifische Vertragsnorm gilt. Diese Auslegung korrespondiert mit dem strukturellen Regel-AusnahmeVerhältnis von konkurrierender und ausschließlicher Kompetenz. 312 Da eine exklusive Gemeinschaftskompetenz nur restriktiv besteht, muß auch der Begriff "Bereich" so ausgelegt werden, daß nur Teile innerhalb eines Sektors eine ausschließliche Zuständigkeit begründen können. Mangels einer ausschließlichen Kompetenz im Bereich der transeuropäischen Netze ist das Subsidiaritätsprinzip nach Art. 3b Abs. 2 EGV somit grundsätzlich anwendbar.313

im Anhang Il nennt die Kommission als auschließliche Zuständigkeit die "wesentlichen Elemente der Verkehrspolitik, fur die ebenfalls im Vertrag bereits 1957 eine präzise Verpflichtung zum Handeln vorgesehen wurde (z.B. Artikel 75 a und b);" inwieweit andere präzisierte Bereiche der Verkehrspolitik wie z.B. Art. 129b ff. EGV sowie weitere in diesem Bereich auf Art. 75 Abs. I lit. d) EGV gestützte Maßnahmen eine ausschließliche Kompetenz begründen, erscheint damit offen; vgl. auch Schwartz, AfP 1993, 409 I 413 Fn. 37. 309 Vgl. Toth, CMLRev 1992, 107911082, 1091, 1095 f.; vgl. auch schon Schwartz, EuR Sonderheft 1976, 27 I 32, der darauf hinweist, daß im Vertagsgefuge eine konkurrierende Zuständigkeit sonst ausdrücklich genannt ist. 310 Toth, CMLRev. 1992, 10791 1093 f., 1096. 311 Zu dem analogen Problem bei Art. lOOa Jarass, EuGRZ 1994, 209 1210 f.; s. aber Mitteilung der Kommission an den Rat und das EP, in: Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, 1993, S. 120. 311 Vgl. Mitteilung der Kommission an Rat und EP, in: Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, 1993, S. 121. 313 V gl. Cass, CMLRev. 1992, II 07 I 1131; s.a. Schlußfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates in Edinburgh, BullBReg. 1992, 1277 I 1281.

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b) Tatbestandsvoraussetzung: Keine ausreichende Zielerreichung

Bei der Frage der ausreichenden Zielerreichung ist fraglich, ob sich ein konkreter Mangel bei der Umsetzung transeuropäischer Verkehrsnetze abzeichnen muß oder ob abstrakt entscheidend ist, daß die Mitgliedstaaten nicht in der Lage sind, die Ziele zu erreichen.314 Stellt man auf die erstgenannte Auffassung ab, daß es auf eine konkrete bilanzierende Betrachtungsweise ankomme315 , wurden schon die möglichen nationalen Defizite genannt. In dieser Hinsicht wäre abzuwarten, ob sich ein solcher Mangel bewahrheiten würde. Zum Beispiel könnte bei dem Erlaß eines Gemeinschaftsrechtsaktes jedenfalls der Mangel eines überlangen Verwaltungsgerichtsverfahrens abgekürzt werden, da der EuGH über die Rechtmäßigkeit des Planungsaktes der Gemeinschaft letztverbindlich entscheiden müßte. Allerdings gibt es auch in der Bundesrepublik Bestrebungen, das Rechtsschutzverfahren zu verkürzen, wie es sowohl im Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz, in dem Planungsvereinfachungsgesetz als auch bei den Investitionsmaßnahmegesetzen geschehen ist. 316 Aber zum einen können die Mitgliedstaaten zu solchen Maßnahmen nicht gezwungen werden. Zum anderen endet auch die Geltungswirkung eines jeden nationalen Gesetzes an der Grenze, so daß dies fiir transnationale Verkehrsvorhaben auch nur eine engeschränkte Wirkungskraft hätte. Insoweit wäre es durchaus sinnvoll, einen europäischen Rechtsakt zu erlassen. Daneben ist auch die über die Bundesrepublik hinausgehende Bedeutung eines Gemeinschaftshandeins zu berücksichtigen. Ohne die einzelnen mitgliedstaatliehen Planungsverfahren und Rechtsschutzverfahren bewerten zu wollen, kann doch ein Gemeinschaftsakt jedenfalls in anderen Mitgliedstaaten noch eher geboten sein. Insoweit würde eine konkrete Betrachtungsweise flexibler auf den jeweiligen Mißstand reagieren als eine abstrakte Beurteilung, derzufolge die Zulässigkeit eines Gemeinschaftshandeins in toto zu beurteilen wäre. Der abstrakten Sichtweise zufolge ist erforderlich, daß die Mitgliedstaaten das Ziel gar nicht erreichen können.317 Hinsichtlich der transeuropäischen Verkehrsnetze würde sich dabei ergeben, daß die Umsetzung der allgemeinen 314 Jarass, EuGRZ 1994, 209/210 bzgl. der Umweltpolitik; Strozzi, RTDE 1994, 373/ 377; fiir eine abstrakte Sichtweise Merten, a.a.O., S. 77/81. 315 Vgl. Lambers, EuR 1993,229/236. 316 Für das VerKPBG ist das BVerwG Eingangsinstanz, § 5 Abs. 1; nach den Neuerungen des Planungsvereinfachungsgesetzes stets das OVG, § 48 Abs. 1 Nr. 6-9 VwGO. 317 Siehe Jarass, EuGRZ 1994, 209 / 210f.; Merten, in: ders. (Hrsg.), Die Subsidiariät Europas, 1993, S. 80 f.; so Strozzi, RTDE 1994, 373/377; Pieper, DVBL 1993, 7051709; wohl auch Emiliou, ELR 1992, 383 / 401.

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1. Teil: Verkehrswegeplanung iri der EG

Verkehrsprojekte selbstverständlich grundsätzlich mit Mitteln des jeweiligen nationalen Verwaltungsrechts durchsetzbar sind. Das Subsidiaritätsprinzip würde demzufolge die Anwendung von Art. 75 Abs. 1 lit. d) EGV in diesem Falle sperren. Diese zuletzt genannte Auffassung ist allerdings abzulehnen. Auch bei einer mangelhaften (z.B. zeitlichen) Zielerreichung muß die Gemeinschaft tätig werden können. Dies folgt schon aus dem Wortlaut von Art. 3b Abs. 2 EGV, der auf das "ausreichen" bzw. "daher ... besser" abstellt. 318 Es kann demnach nicht allein darum gehen, "ob" die Mitgliedstaaten die Ziele überhaupt erreichen können, sondern es geht auch um das "wie".319 Letzteres ist natürlich eine relative Frage. 320 Ein besseres, d.h. in der Regel effektiveres Erreichen, ist nicht schon allein dann gegeben, wenn die Mitgliedstaaten die Ziele nicht erreichen können. "Besser" kann insoweit auch von einem "mangelhaften" Standpunkt aus interpretiert werden. 321 Es handelt sich allein um eine komparative Steigerungsform. Im Ergebnis ist deswegen daran festzuhalten, daß es zunächst auf die konkrete Bewertung eines Mangels durch die Gemeinschaft bzw. Mitgliedstaaten ankommt. 322 Soweit in den Schlußfolgerungen des Rates gefordert wird, daß deutliche Vorteile erzielt werden sollten323 , ist dies eine Frage des Einzelfalles. Zu berücksichtigen ist dabei die potentielle Bedeutung des Projektes, der aktuelle Mißstand, die voraussichtlichen Planungszeiten und Einwände, die politische Durchsetzungskraft in den betreffeneo Ländern und die Finanzierungskraft der Mitgliedstaaten. Bei letzterem könnte relevant sein, daß z.B. bei einer privaten Projektfinanzierung eine schnelle Projektumsetzung geboten ist, da sonst eine zu lange Rentabilitätszeit entstünde.

m S. dazu auch Renzsch, ZParl 1993, 104 / 111. S. eben auch Jarass, EuGRZ 1994, 209 / 211; a.A. Merten, a.a.O., S. 81; unklar Stein, Subsidiarität als Rechtsprinzip?, in: Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, 1993. s. 23 / 30 f. 320 Z.B. welcher Zeitrahmen noch als "ausreichend" angesehen werden soll. 32 1 Vgl. Lambers, EuR 1993, 229 / 237; Jarass, EuGRZ 1994, 209 / 211 negiert insoweit auch seinen eigenen restriktiven Standpunkt. 322 Beispielhaft sei der Fall erwähnt, daß die umliegenden Mitgliedstaaten oder die Gemeinschaft ein größeres Interesse an der Realisierung einer Infrastruktur haben als der betroffene Mitgliedstaat; dies könnte v.a. für Transitländer wie Luxemburg oder Belgien gelten; diesen Gedanken greifen auch Schmidhuber / Hitzler, DÖV 1991, 271 / 272 auf und sehen unter gewissen Voraussetzungen eine Planungskompetenz der Gemeinschaft gerade wegen des Subsidiaritätsprinzips für erforderlich an (S. 276). 323 Schlußfolgerungen des Europäischen Rates in Edinburgh, BuiiBReg. 1992, 1280 I 1281. 319

D. Zulässigkeit direkter Implementierungsakte durch die EG

107

c) Vorteil wegen Umfang oder Wirkungen

Jarass hält diese Merkmale für irrelevant. 324 Toth verweist in origineller Weise anband der schottischen Seenqualität auf die Relativität dieser Begriffe.325 In der Tat ist die Frage, wann eine Regelung "besser" auf Gemeinschaftsebene erreicht werden kann, schwierig. 326 Allerdings drücken die Begriffe "Umfang" und "Wirkung" aus, daß es sowohl um quantitative als auch qualitative Merkmale geht. 327 Insoweit kann auf die eben genannten Merkmale verwiesen werden. Es handelt sich um eine individuelle Abwägung. d) Schließt intergouvernementale Zusammenarbeit Gemeinschaftshandeln aus?

Die Frage der intergouvernementalen Zusammenarbeit ist deswegen von besonderer Bedeutung, da grenzüberschreitende Projekte bisher ausschließlich in diesem Rahmen behandelt wurden. 328 Dabei ist auf den Zusammenhang zu Art.l30r EWGV hinzuweisen, der von einem vorrangigen Handeln auf der Ebene der "einzelnen" Mitgliedstaaten im Verhältnis zu der Gemeinschaft sprach. Die Neuformulierung des allgemeinen Subsidiaritätsprinzipes in Art. 3b Abs. 2 EGV könnte ebenfalls diesen Gedanken beinhalten mit der Folge, daß die Mitgliedstaaten aufgrund einer intergouvernementalen Zusammenarbeit ein Gemeinschaftshandeln ausschließen könnten. 329 324

Jarass, EuGRZ 1994, 209 I 211.

325

Toth, CMLRev. 1992, 1079 I 1097 f:

V gl. in diesem Zusammenhang auch Renzsch, ZParl 1993, I 041111: "Die scheinbare Klarheit der Begriffe nicht ausreichend und besser in der Formulierung von Maastricht täuscht über die Probleme, die mit ihnen verbunden sind, hinweg. Nimmt man sie so wörtlich, dann sind sie banal. Weder haben Organe der Gemeinschaft jemals verlangt, Aufgaben an sich zu ziehen, von denen sie meinten, sie würden diese weniger gut, also schlechter erfüllen als die Mitgliedstaaten, noch haben die Mitgliedstaaten oder Regionen verlangt, daß ihnen Zuständigkeiten verbleiben, die sie nicht oder nicht ausreichend wahrnehmen könnten." Renzsch folgert daraus, daß das Ziel des Subsidiaritätsprinzips eher ein politisches sei, Aufgaben auf der niedrigsten staatlichen Ebene (nicht unbedingt den Nationalstaat) zu verwirklichen. 326

327 Emiliou, ELR 1992, 383 1401; Toth, CMLRev. 1992, 107911097 f.; Schlußfolgerungen des Europäischen Rates in Edinburgh, BullBReg. 1992, 1277 I 1281.

m S. auch jetzt das Abkommen zwischen Frankreich und Spanien über den Bau eines Pyrenäentunnels im Rahmen des Hochgeschwindigkeitsverkehrs vom 10.10.1995, KrullLamothe, IntVerkehrswesen 1995, 778/779. 329 Vgl. Lambers, EuR 1993, 2291236; i.E. ebenso Leche/er, Das Subsidiaritätsprinzip, 1993, S. 63; unklar ist insoweit der Europäische Rat in Edinburgh, BuliBReg. 1992, 1277 I 1281; dieser stellt nur fest, daß auch wenn die Gemeinschaft wegen des Subsidiaritätsprinzipes nicht handeln darf, die Mitgliedstaaten doch auch Art. 5 EGV zu beachten hätten. Dies kann aber ebenfalls für intergouvernementale Vereinbarungen gelten. Im Ergebnis wird man hier also nicht die Ursache und Wirkung verwechseln dürfen. Demzufolge ist

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1. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

Dem steht jedoch das Argument entgegen, daß die intergouvernementale Zusammenarbeit grundsätzlich außerhalb der Gemeinschaftszuständigkeiten liegt und somit auch außerhalb der europäischen Handlungsmöglichkeiten angesiedelt werden muß. 330 Lenaerts I van Ypersele schließen aus teleologischen Gründen darauf, daß eine intergouvernementale Zusammenarbeit nicht ein Gemeinschaftshandeln wegen Art. 3b Abs. 2 EGV ausschließt. Ansonsten wären die Gemeinschaftskompetenzen entleert, wenn es sich z.B. um eine noch nicht ausgeübte Gemeinschaftskompetenz handeln würde. 331 Auch Schwartz hatte sich schon bzgl. Art. 235 E(W)GV gegen eine Subsidiarität des Gemeinschaftshandeins gegenüber den gemeinsamen handelnden Mitgliedstaaten gewandt. Art. 2 E(W)GV würde von der Aufgabe der "Gemeinschaft" sprechen und damit die in Art. 4 Abs. l E(W)GV genannten Organe meinen. Gerade der Zweck der Generalermächtigung als Lückenfüller solle eine Kooperation ausschließen. 332 Es würde tatsächlich der Grundstruktur und den fundamentalen Prinzipien von der Einheit und dem Vorrang des Gemeinschaftsrechts widersprechen, wenn eine intergouvernementale Zusammenarbeit ein Gemeinschaftshandeln nach dem Subsidiaritätprinzip ausschließen könnte. Es bestünde die Gefahr, daß die Gemeinschaft nicht mehr in dem Maße in der Lage wäre, ihre Kompetenzen und ihre Integrationsfunktion auszuüben, wie dies bei der Schaffung der Gemeinschaft/Union vorgesehen war: Es erscheint gerade von dem Sinn und von den Grundlagen der Gemeinschaft her richtig, daß institutionalisierte Regeln und Verfahren zugunsten einer loseren Zusammenarbeit gestärkt werden. Ansonsten wäre ein erheblicher Integrationsrückschritt möglich. 333 Es würde somit eine "dritte Ebene" der Entscheidungskompetenz geschaffen. 334 Die Bedenklichkeit dieser Schlußfolgerung zeigt sich insbesondere auch dann, wenn man diese Ansicht mit einem restriktiven Effektivitätskriterium kombiniert, demzufolge die Gemeinschaft nur handeln darf, wenn die Vernicht anzunehemen, daß Art. 5 EGV bei der intergouvernementalen Zusammenarbeit gelten soll und somit im Rahmen des Subsidiaritätsprinzips ein Gemeinschaftshandeln ausgeschlossen ist. Art. 3b EGV ist davon unabhängig zu interpretieren; s. auch schon Steindorf!, Grenzen der EG-Kompetenzen, 1990, S. 120. 330 Schmidhuber, DVBI. 1993, 417 / 419; i.E. dagegen auch Jarass, EuGRZ 1994, 209/ 211, der die Möglichkeit der intergouvernementalen Zusammenarbeit allenfalls im Rahmen der Verhältnismäßigkeit berücksichtigt wissen will (wobei sich sofort wieder die Frage stellt, warum eine intergouvernementale Zusammenarbeit verhältnismäßiger als ein Gemeinschaftshandeln sein soll; diese Prämisse gilt wohl nur für überzeugte Anhänger des nationalen Souveränitätsgedankens). 331 Lenaertsl van Yperse/e, CahDrEur. 1994, 3/46 f. Fn. 100: "atteinte munautaire". 332 Schwartz, EuR Sonderheft 1976, 27 /32 ff., 40 f. 333 Vgl. auch Toth, CMLRev. 1992, 1079/1089 f. 334

Leche/er, a.a.O., S. 63.

a l'acquis com-

D. Zulässigkeil direkter Implementierungsakte durch die EG

109

tragsziele durch die Mitgliedstaaten tatsächlich nicht erreicht werden können.335 Letzteres wäre nämlich grundsätzlich nur bezüglich Maßnahmen denkbar, die nicht auf ein Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates beschränkt sind. Wollte man jetzt noch der intergouvernementalen Zusammenarbeit Vorrang einräumen, bliebe von einer Gemeinschaftszuständigkeit nicht viel übrig. Diese Einbruchstelle in die europäische Integration gilt es schon im Ansatz als unzulässig abzulehnen. 336 e) Entgegenstehende Interpretation wegen der Ergebnisse des Europäischen Rates von Edinburgh?

Die Schlußfolgerungen des Europäischen Rates in Edinburgh sind deswegen von Bedeutung, da es sich um eine originäre und grundsätzlich über Art. 31 Abs. 3 lit. a) WVK verbindliche Interpretation handelt. Bezeichnend ist die relative Bedeutung, die der Rat dem Subsidiaritätsprinzip beimißt Eine absolute Grenze bestünde nicht, sondern die Kompetenzen müßten im Lichte des Einzelfalls ausgelegt werden. 337 Allerdings muß das Subsidiaritätsprinzip umso stärkere Beachtung finden, je weiter die Aufgabe im Vertrag definiert sei. 338 Demnach muß gerade bei der Generalklausel Art. 75 Abs. 1 lit. d) EGV das Subsidiaritätsprinzip Beachtung finden. Für die Frage der ausreichenden Mittelerreichung verfolgt der Rat einen relativen Ansatz. Als Kriterium kommt zunächst die Transnationalität in Betracht, die eine nicht zufriedenstellende mitgliedstaatliche Maßnahmeerfiillung zur Folge haben könnte. Darüber hinaus seien Größe und Auswirkungen der Maßnahme Indizien für die Gemeinschaftsaufgabe, wo sich dann "deutliche Vorteile" ergeben könnten. 339 Der Rat sagt nicht, ob die Kriterien alternativ oder kumulativ vorliegen müssen. Durch die Formulierung "nicht zufriedenstellend" bzw. "deutliche Vorteile" umschreibt er allerdings auch nur generalklauselartig die zu beachtende Mittel-Zweck-Relation. Jedenfalls können insoweit keine anderen Ergebnisse bezüglich Art. 75 Abs. 1 lit. d) EGV im Vergleich zu der Auseinandersetzung mit den Literaturansichten festgestellt werden. Gerade im Bereich der grenzüberschreitenden Projekte ist die mögliche Anwendung von Art. 75 Abs. 1 lit. d) EGV bejaht worden. Ein deutlicher Vorteil ist in dem monistischen Planungs- und Rechtsetzungsverfahren zu sehen. Vgl. Merten, in: ders. (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, S. 77 I 81. S. auch EuGH Rs. 22 I 70, Slg. 1971, 263 I 280 Rn. 15 I 19 - AETR, wo der Gerichtshof den Vorrang des Gemeinschaftshandeins sowohl gegenüber dem einzeln als auch gegenüber den gemeinsam handelnden Mitgliedstaat(en) abgrenzt. 337 BullBReg. 1992, 1277 I 1281. m BullBReg. 1992, 1277 I 1281. 339 BullBReg. 1992, 1277 I 1281. 335

336

110

1. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG f) Zusammenfassendes Zwischenergebnis

Für den Bereich der transnationalen detaillierten Verkehrswegeplanung und deren Umsetzung kann Art. 75 Abs. 1 lit.d) EGV grundsätzlich als Rechtsgrundlage dienen. Abhängig von der Einstufung eines Projektes hinsichtlich der Bedeutung für den Gemeinsamen Markt kann einem gemeinschaftsrechtlichen Implementierungssakt nicht das Subsidiaritätsprinzip entgegen gehalten werden. 340 Eine besonders langwierige Durchsetzung transeuropäischer Verkehrsnetze durch die einzelnen Mitgliedstaaten ist nicht als "ausreichend" im Sinne von Art. 3b Abs. 2 EGV anzusehen. Der Gemeinschaft steht insoweit ein weiter Beurteilungsspielraum zu. 341 g) Verhältnismäßigkeit, Art. 3b Abs. 3 EGV

Gemäß dem vormals in Art. 6 EWG geregelten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit darf das Handeln der Gemeinschaft nicht über das erforderliche Maß hinausgehen. 342 Dieser an sich eindeutige Grundsatz begegnet allerdings im Rahmen der transeuropäischen Netze Schwierigkeiten bei der Bestimmung des maßstäblichen Rechtskreises: Geht es um die Souveränitätsrechte der Mitgliedstaaten oder um die individuellen Grundrechtsbereiche der Unionsbürger? · aa) Souveränitätskreis der Mitgliedstaaten

Die systematische Stellung des Verhältnismäßigkeitsprinzips im Rahmen der Subsidiarität läßt unzweideutig auf die Intention der Vertragsschöpfer schließen, den Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten so wenig wie möglich einzuschränken. Dies könnte im Rahmen der Infrastrukturplanungen dazu führen, daß man insbesondere nur konkrete Zielvorgaben formuliert. Folgende Stufen der Eingriffsintensität sind unter dem Gesichtspunkt der mitgliedstaatlichen Souveränität denkbar: ( 1) Europäische Leitlinie, mitgliedstaatliche Umsetzung durch Verwaltung oder Gesetzgeber; (2) Europäische Leitlinie, Harmonisierung der Verwaltungsanforderungen für mitgliedstaatliche Planung transeuropäischer Netze; (3) Europäische Leitlinie, Erlaß einer gemeinschaftlichen Verordnung / Entscheidung. 340 Zum Kriterium der Transnationalität Jarass, EuGRZ 1994, 209 I 215; Lhouest I Nihoul, JT 1992, 785 I 793, sehen den Sinn des Subsidiaritätsprinzips auch darin, eine neue Kompetenz so weit wie möglich zu beschränken; hier geht es aber um eine "alte Kompetenz". 341 So auch i.E. in Hinblick auf die Justitiabilität Emiliou, ELR 1992, 383 I 405. 342 S. dazu schon EuGH Rs. 116 I 82, Slg. 1986, 2519 I 2544 Rn. 21 - Kommission I Bundesrepublik Deutschland.

D. Zulässigkeil direkter Implementierungsakte durch die EG

111

Die Verhältnismäßigkeit ist in allen Konstellationen nicht grundsätzlich ausgeschlossen. 343 Es bedarf jeweils im Einzelfall einer Abwägung zwischen den Eingriffen in die mitgliedstaatliche Souveränität und der gemeinschaftlichen Bedeutung des Infrastrukturprojektes. Für die Verhältnismäßigkeit wird jedoch auf jeder Stufe die Mitarbeit des betroffenen Mitgliedstaates sprechen, die - wie gesehen - in dem Zustimmungserfordernis aus Art. 129d Abs. 2 EGV (analog) gipfelt. Man könnte insoweit von einer Einwilligung des Mitgliedstaates in die Beschränkung seiner Souveränitätsrechte sprechen. Aus innenpolitischen Gründen könnte der Mitgliedstaat zum Beispiel versuchen, den Weg über die EG zu gehen. 344 Daß mit dieser Zustimmung gleichwohl unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität bzw. Verhältnismäßigkeit nicht automatisch eine Rechtmäßigkeit des Gemeinschaftsrechtsaktes einhergehen muß, folgt aus der Stellung der anderen Mitgliedstaaten als privilegierte Klagebefugte oder auch der im Einzelfall berechtigten individuellen Kläger. Diese könnten geneigt sein, den Grundsatz der Subsidiarität bzw. der Verhältnismäßigkeit aus grundsätzlichen Erwägungen gegen einen Gemeinschaftsimplementierungsakt ins Feld zu fUhren. Dies leitet insoweit auch auf den weiteren Aspekt des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes fiir den gemeinschaftlichen Grundrechtsschutz über.

bb) Grundrechtsbereich der Unionsbürger Die Stufen der Eingriffsintensität stellen sich im Vergleich zu dem Souveränitätsanspruch der Mitgliedstaaten unterschiedlich dar. Demnach sind zu unterscheiden: (I) Europäische Leitlinie, mitgliedstaatliche Verwaltungsumsetzung; (2) Europäische Leitlinie, gemeinschaftsrechtlicher Implementierungsakt; (3) Europäische Leitlinie, nationales Maßnahmegesetz. Insoweit zeigt sich, daß das Tätigwerden des nationalen Gesetzgebers unter dem Gesichtspunkt der mitgliedstaatliehen Souveränität einen sehr geringen Eingriff darstellt, während es fiir den Einzelnen die schwerste Form der Belastung bedeutet.

343 Eine von Steindorjf, Grenzen der EG-Kompetenzen, 1990, S. 63 vorgeschlagene Regelung, daß eine Vermutung gegen die "Verhältnismäßigkeit einer Gemeinschaftsmaßnahme spricht, wenn diese als singuläre Maßnahme oder Intervention auf diesem Gebiet erscheint, auf dem die Gemeinschaft nicht planmäßig tätig wird", ist abzulehnen. Zwar könnte einerseits ein planmäßiges Vorgehen in der Rahmenplanung der Gemeinschaft erkannt werden, andererseits entspricht dem Wesen der Verhältnismäßigkeit doch gerade die Einzelfallabwägung. Eine Vorannahme, wie sie Steindorff anspricht, ist nicht gerechtfertigt. 344 Vgl. auch oben I. Teil, D.l.

112

1. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

Die besondere Schwere des Eingriffs durch nationale Maßnahmegesetze beruht sowohl auf dem verfahrensrechtlichen Zustandekommen als auch der beschränkten Reichweite des Rechtsschutzes durch das BVerfG. Während für ein Gesetz nur das Gesetzgebungsverfahren und bei den Ausarbeitungen ein nicht formalisiertes Anhörungsverfahren durchgeführt wird, unterliegt ein Gemeinschaftsrechtsakt den besonderen Voraussetzungen des europäischen Verwaltungsrechts. Darauf wird im einzelnen im Rahmen des Grundrechtsschutzes einzugehen sein. Es sei insoweit nur darauf hingewiesen, daß das BVerfG Gesetze nur einer eingeschränkten Kontrolle wegen der Einschätzungsprärogativen der Legislativen unterwirft, während der EuGH eine umfassende Kontrolle im Sinne eines Verwaltungsgerichtes wahrnimmt. cc) Schlußfolgerungen

Die beiden Überlegungen zeigen, daß der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht einseitig an einem Rechtsmaßstab orientiert sein kann. Es bedarf mithin einer doppelten Verhältnismäßigkeitspliifung des Gemeinschaftsaktes sowohl unter dem Gesichtspunkt des Eingriffs in das Organisationsgefüge der Gemeinschaft als auch in Hinblick auf den individuellen Grundrechtsbereich. Für die problematischen Fälle der nationalen Maßnahmegesetze und der Gemeinschaftsimplementierungen muß damit festgestellt werden, ob die Maßnahme dem jeweils anderen, schwerer zu rechtfertigenden Eingriffsmaßstab genügt. 3. Gemeinschaftsgleichgewicht

Ist eine Handlungsmöglichkeit somit grundsätzlich auch gegeben, drängt sich die Frage auf, ob ein solcher Eingriff in das Verwaltungsgefüge der Mitgliedstaaten mit der Struktur von Gemeinschaft und Mitgliedstaaten vereinbar ist. Für dieses Problem wurde der Begriff "Gemeinschaftsgleichgewicht" gewählt, um die geistige Nähe zum Prinzip des institutionellen Gleichgewichtes zu verdeutlichen. Soweit es um den Begriff des "Europäischen Verwaltungsrechtes" geht, wird stets darauf hingewiesen, daß der Kommission ausdruckliehe Verwaltungsbefugnisse aus dem EGV zustehen müssen. 345 Diese sind für die Gemeinschaft nun aber bei den transeuropäischen Netzen gerade nicht zugestanden worden, sondern zumindest von der Konzeption her geht es um eine politische Rahmenplanung. Gleichwohl verbietet sich vorliegend eine schlichte Übertragung dieses Grundsatzes. Dies folgt aus einem Vergleich mit dem innerstaatlichen Maßnahmegesetz, wo es um ein Verwaltungshandeln in Gesetzesform geht. Für 345

Vgl. z.B. Streinz, Europarecht, Rn. 464.

D. Zulässigkeit direkter Implementierungsakte durch die EG

113

die Gemeinschaft gilt analog, daß eine ausnahmsweise Projektumsetzung eher mit einem Investitionsmaßnahmegesetz als mit einem Exekutivhandeln zu vergleichen wäre, so daß die Grundsätze des Europäischen Verwaltungsrechtes nicht unumschränkt gelten. Dieser Vergleich von Gemeinschaftsakt und legislativen Handeln ergibt sich zum einen aus dem Tätigwerden des Rates, da der Rat im allgemeinen als der "Gemeinschaftsgesetzgeber" verstanden wird. Zum anderen folgt dies jedoch aus dem singulären Charakter des Handeins der Gemeinschaft. Im Gegensatz zum Agrar- oder Wettbewerbsrecht geht es gerade nicht um eine konstante planensehe Verwirklichung der transeuropäischen Netze, sondern um einen einmaligen Rechtsakt, der sowohl hinsichtlich seiner planensehen Vorarbeiten als auch in Hinblick auf den Rechtsschutz eher einem innerstaatlichen Gesetz vergleichbar ist. Als Ausdruck des Gemeinschaftsgleichgewichtes können das Subsidiaritätsprinzip, die Grundsätze vom Vorrang des Gemeinschaftsrechtes, Art. F Abs. l und 3 EUV sowie der bisherige sonstige acquis conununautaire, soweit er sich auf das institutionelle Verhältnis Gemeinschaft-Mitgliedstaaten wie z.B. bei der Außenhandelskompetenz bezieht, gezählt werden. Diese Prinzipien erlauben fur sich alleine allerdings nicht schon einen Rückschluß auf die Unzulässigkeil eines Gemeinschaftsaktes im Bereich der Ausfuhrung transeuropäischer Netze. Die Relativität des Subsidiaritätsprinzips wurde schon bei der Behandlung der Kompetenz angedeutet. Die Bestinunung der nationalen Identität betrifft sicherlich nicht das Planungsverfahren, sondern schon vom Sinn und Zweck der Vorschrift ergibt sich zumindest in rechtlicher Hinsicht nur die Wahrung der Verfassungsidentität Soweit ein Vergleich mit dem institutionellen Gleichgewicht statthaft ist, beinhaltet dieser vor allem die Wahrung der Rechte im gerichtlichen Verfahren. Zumindest dieses Recht steht den Mitgliedstaaten jedoch im Rahmen der Nichtigkeitsklage nach Art. 173 Abs. l und 2 EGV zu. Allerdings würde sich ein Mitgliedstaat widersprüchlich verhalten, wenn er einerseits im Rat einer innerstaatlichen Planungsmaßnahme zustinunen346, andererseits dann hiergegen Klage erheben würde. Im Ergebnis wird man damit sagen können, daß ein konkreter Planungsakt der Gemeinschaft nicht in das balancierte Gemeinschaftsgefuge unverhältnismäßig eingreifen würde.

346 S. insoweit die Begründung des Zustimmungserfordernis Art. 129d Abs. 2 EGV analog im Rahmen von Art. 75 Abs. I lit. d) EGV.

8 Jürgensen

114

I. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

4. Rechtsfolge: Verordnung oder Entscheidung

Art. 75 Abs. 1 lit. d) EGV sieht keine zwingende Handlungsfonn vor, so daß die Gemeinschaft grundsätzlich in ihrer Wahl der Mittel frei ist. 347 Vorliegend folgt jedoch schon aus der Natur der Fragestellung, daß eine Richtlinie für eine Projektimplementierung nicht sinnvoll wäre, da im Vergleich zu den Leitlinien nach Art. 129c Abs. 1 1. Sp.strich EGV nicht viel gewonnen wäre: Entweder würde die Richtlinie einen so großen Spielraum lassen, daß die Handlungsfonn der Leitlinien ausreichen würde oder aber die Richtlinie wäre so detailliert, daß sie dem Mitgliedstaat keinen Freiraum mehr böte. Dann könnte jedoch gleich ein unmittelbar wirksamer Rechtsakt - eine Verordnung oder Entscheidung - erlassen werden. Das Verhältnismäßigkeltsprinzip steht diesem Ergebnis nicht entgegen, wie schon die Anwendbarkeit von Art. 75 Abs. 1 lit. d) EGV gezeigt hat. Ebensowenig kann jedoch das Übennaßverbot für die Abgrenzung VerordnungEntscheidung dienlich sein, da kein festgeschriebenes Stufenverhältnis erkennbar ist. Dies gilt insbesondere auch für die Rechtschutzmöglichkeiten, wie es in Art. 173 Abs. 4 EGV zum Ausdruck kommt. Bei den Projektimplementierungen stellt sich die Frage, ob für die Abgrenzung von Verordnung I Entscheidung bei der allgemeinen bzw. konkreter Geltung auf den Adressatenkreis oder auf den betroffenen Sachverhalt abzustellen ist. Bei ersterem wäre eine Verordnung naheliegend, bei letzterem eine Entscheidung. 348 Der EuGH tendiert dazu, generell auf den Adressatenkreis abzustellen. 349 Die ganz überwiegende Auffassung im Schrifttum nimmt eine allgemeine Geltung (und damit eine Verordnung im Sinne von Art. 189 Abs. 3 EGV) dann an, wenn es sich um eine abstrakt umrissene Personengruppe handelt. 350 Da (auch ein beschränktes) Verkehrsprojekt regelmäßig eine Vielzahl von Adressaten treffen kann, müßte demzufolge eine Verordnung erlassen werden. Gleichwohl erscheint dieses Ergebnis befremdlich, da die Verordnung nach der Definition von Art. 189 Abs. 3 EGV grundsätzlich in der gesamten Grabitz / Hilf-Grabitz, Art. 189 Rn. 33. Übertragen auf das deutsche Recht erfolgt die Abgrenzung von Allgemeinverfügung I Gesetz (=VA i.S.v. § 35 S. 2 VwVfG) bzw. VA und Einzelfallgesetz nach dem Handeln des Organs: Bei exekutivem Handeln liegt eine Allgemeinverfügung vor; bei legislativen Handeln ein Gesetz. 349 EuGH Rs. 101/76, Slg. 1977, 7971807 f. Rn. 20 122, 23 125- Konin/ijke Schalten Honig NV; EuGH Rs. 147/83. Slg. 1985,257 1271 Rn. 13- Herold Binderer; s.a. Bleckmann, Europarecht, Rn. 403; lpsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, S. 447. 350 S.a. /psen, a.a.O., S. 449; HandkommEUV I Magiera, Art. 189 Rn. 7; Grabitz 1Hi1fGrabitz, Art. 189 Rn. 47; zustimmend Bleckmann, Europarecht, Rn. 403 mit Verweis auf den Wortlaut von Art. 189 Abs. 4, 173 Abs. 2 (jetzt Abs. 4 ), 175 Abs. 3 EGV. 347

34K

E. Nationale Umsetzung europäischer Leitlinienplanung

115

Gemeinschaft gilt. Bei einer beschränkten Verkehrsimplementierung soll die beabsichtigte Wirkung jedoch nur in einem oder zwei Mitgliedstaat(en) eintreten. Dieser Konflikt löst sich durch die Auslegung des Begriffes "Adressatenkreis". Dieser muß bestimmbar sein. Ist die Bestimmbarkeit gegeben, liegt eine individuelle Entscheidung vor. 351 Ausschlaggebend ist insoweit die "Unmittelbarkeit" der Maßnahme. Bei einer konkreten Projektimplementierung liegt eine unmittelbare Verbindlichkeit z.B. bezüglich der Anwohnerschaft vor. 352 Auch herausgehobene Interessenverbände (z.B. Naturschutzverbände) können grundsätzlich als unmittelbar betroffen angesehen werden. Jeder "Betroffene"353 kann dabei als zum individualisierten Adressatenkreis gehörig gezählt werden. Auch wenn es demnach eine nicht exakt bestimmbare Zahl von Betroffenen gibt, folgt aus der Öffentlichkeit eines Verfahrens und einer damit einhergehenden Individualisierung, daß der Implementierungsakt auf eine Entscheidung zu stützen ist. Damit würde dem Umstand Rechnung getragen werden, daß einerseits ein bestimmter Sachverhalt geregelt wird, andererseits jedoch auch im Hinblick auf den Adressatenkreis nur eine beschränkte belastende Wirkung gegeben ist. 5. Ergebnis

Unter den Tatbestandsvoraussetzungen von Art. 75 Abs. I lit. d) EGV kann ein Gemeinschaftsakt den nationalen Planfeststellungsbeschluß oder das nationale Maßnahmegesetz ersetzen. Das Subsidiaritätsprinzip nach Art. 3b Abs. 2 EGV steht dem nicht entgegen. Insoweit ist ein Gemeinschaftshandeln vor allem bei einer grenzüberschreitenden Planung gerechtfertigt. Ein Gemeinschaftsakt muß in diesem Fall als Entscheidung ergehen.

E. Nationale Umsetzung europäischer Leitlinienplanung Die gemeinschaftsrechtliche Leitlinienplanung wird in der Regel durch die Mitgliedstaaten umgesetzt. Dies ergibt schon die Auslegung des Begriffs "Leitlinien" und folgt auch aus Art. l29c Abs. 2 EGV.354 In Art. I Abs. 2 der Leitlinienentscheidung Nr. 1626 / 96 vom 23.7.1996 wird die Rolle der 351 HandkommEUV / Magiera, Art. 189 Rn. 18; Grabitz i Hilf-Grabitz, Art. 189 Rn. 71; EuGH Rs. 11 /70, Slg. 1971, 411 I 422 Rn. 23 129 -International Fruit Company. m Insoweit auch kein Dazwischentreten nationaler Verwaltungen, vgl. EuGH Rs. 29 I 69, Slg. 1969, 4591483; Grabitz i Hilf-Grabitz, Art. 173 Rn. 58. 353 Vgl. insoweit § 73 IV, 74 IV VwVfG für das Planfeststellungsverfahren. 354 S.o. I. Teil, C.I.

8•

116

1. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

Mitgliedstaaten ausdrücklich hervorgehoben. 355 Dieser Implementierungsauftrag richtet sich in erster Linie an die nationalen Verwaltungen. Allerdings ist es in der Bundesrepublik für Ausnahmefalle auch denkbar, daß der nationale Gesetzgeber im Bereich der Planung rechtssetzend tätig wird. Sowohl das administrative als auch das legislative Vorgehen sollen im folgenden dargelegt werden.

I. Verwaltungsrechtliche Umsetzung der Leitlinien durch die Mitgliedstaaten am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland In der Bundesrepublik trägt der Bund die Baulast für die Realisierung der transeuropäischen Netze, da es sich im Bereich der Leitschemata um Fernwege handelt. 356 Als fachspezifisches Sonderrecht kommen in der Regel §§ 16 ff. FemStrG, §§ 17 ff. AEG, §§ 12 ff. WaStrG und §§ 6 ff. LuftVG zur Anwendung. Diese Vorschriften wurden durch das Planungsvereinfachungsgesetz (PlVG) vom 17.12.1993 harmonisiert. 357 Ausnahmsweise können Verkehrsvorhaben auch gemäß dem Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz (VerkPBG) vom 16.12.1991 geplant werden, das für die neuen Bundesländer und Berlin bis zu den nächsten Knotenpunkten im Altbundesgebiet gilt. 358 Das Planungsvereinfachungsgesetz und das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz sind Ergebnis einer Diskussion des als zu schwerfällig empfundenen Planungsrechtes. 359 Infolge der deutschen Wiedervereinigung 355 Entscheidung der Rates und des Parlamentes Nr. 1626 / 96 vom 23.7.1996, ABI. L 228 vom 9.9.1996, corrigendum in ABI. L 15 vom 17.1.1997. 356 Zur Klassifizierung der Baulastträgerschaft im Bereich der Straßen Peine, Öffentliches Baurecht, S. 301. 357 BGBI. 1993 I S. 2123; zum Gesetzgebungsverfahren des Planungsvereinfachungsgesetzes Rone/lenfitsch, DVBI. 1994,441 / 445. m BGBI. 1991 I S. 2174, zuletzt geändert durch Gesetz vom 15.12.1995, BGBI. 1995 I S. 1840; vgl. zum Gesetzgebungesverfahren Stüer, DVBI. 1992, 547/549 Fn. 21; Ronellenfitsch, DVBI. 1994, 441/442 f.; s. die Übersicht bei Reinhardt, DtZ 1992, 258 ff. m S. zu den Anfängen der Diskussion sehr instruktiv Bullinger, Beschleunigte Genehmigungsverfahren filr eilbedürftige Vorhaben. Ein Beitrag zur zeitlichen Harmonisierung von Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft, 1991; zu den Vorschlägen der baden-würtembergischen Landesregierung, Würtenberger, VB!BW 1992, 1/ 4; s. die zusammenfassende Bewertung im Rahmen eines Berichts über die Rostocker Umwelttage bei Wiegand. DVBI. 1995, 1125 ff; vgl. in diesem Zusammenhang auch Krumsiek I Frenzen, DÖV 1995, 1013 ff., die die Diskussion insbesondere auf die allgemeine Bauleitplanung beziehen; s.a. Broß, in: Blümel (Hrsg.), Verkehrslärmschutz- Verfahrensbeschleunigung, 1991, S. 69 ff. Es ist bemerkenswert, daß filr Großprojekte des Bundesverkehrswegebaus vom Planungsbeginn bis zum ersten Spatenstich zum Teil von einem Zeitrahmen von 20 Jahren ausgegangen wird, Steinberg, Fachplanung, S. 51. Pabst, Vaerfassungsrechtliche Grenzen, S. 149 f.; s.a. jetzt den überwiegend positiven Bericht zu den Beschleunigungsgesetzen bei der Fernstraßenplanung von Schulze, NVwZ 1996, 773 f. über den 34. Deutschen Verkehrsgerichtstag 1996 in Goslar.

E. Nationale Umsetzung europäischer Leitlinienplanung

117

hat die verfassungsrechtliche Verpflichtung zur Schaffung einheitlicher Lebensverhältnisse (vgl. Art. 72 Abs. 2, Art. 106 Abs. 3 S. 4 Nr. 2 GG) neue Bedeutung erhalten. Dabei wurde die Verbesserung der (Verkehrs-)Infrastrukturen als vorrangiges Ziel angesehen. 360 Bullinger hat in diesem Zusammenhang dargestellt, daß dem Beschleunigungsgesichtspunkt im bisherigen Verwaltungsrecht weder durch § I 0 VwVfG, § 75 VwGO noch durch die Rechtsprechung des BGH (zur Amtshaftung) und des BVerfG großes Gewicht zukam. 361 Zügigere Verfahren könnten aber auch dem Bürger zugute kommen und seien als Vorstufe eines effektiven Rechtsschutzes im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG zu verstehen. 362 1. Die Fachplanungen nach den Änderungen des Planungsvereinfachungsgesetzes

Die Planung von Verkehrswegen wird nach einem mehrstufigen Verwaltungsverfahren durchgeführt. Dieses wird im folgenden in den Grundzügen dargelegt. 363 a) Rahmenplanung

Die Rahmenplanung entspricht einer Art Bedarfsplanung, in der Aussagen über das "Ob" einer Verkehrsverbindung getroffen werden. Grundlage des Bedarfsplanes ist der Bundesverkehrswegeplan, der nicht als Gesetz ergeht, sondern vom Bundeskabinett beschlossen wird. 364 Der aktuelle Bundesverkehrswegeplan stammt aus dem Jahr 1992.365 Diese Grundplanung wird ergänzt durch gesonderte gesetzliche Ausbaupläne. 366 Das BVerwG hat die Bedeutung dieser Pläne zunächst eingeschränkt beurteilt367 : 360 Zur politischen Diskussion s. Ronellenfitsch, DVBI. 1991, 9201924 f.; allgemeiner das Erfordernis der Verkehrsbewältigung ins Auge fassend Stüer, DVBI. 1992, 547 I 547 ff. 361 Bullinger, a.a.O., S. 28 ff. 362 Bullinger, a.a.O., S. 30 Fn. 54, S. 36 ff.; allerdings müssen Beschleunigungen in dem hier zu besprechenden Rahmen eher als begrenzend fiir den Einzelnen aufgefaßt werden. Vorhabensträger ist der Staat und nicht ein privater Grundrechtsinhaber. 363 S. dazu Wagner, NVwZ 1992, 232 ff.; Rone/lenfitsch, DVBI. 1991, 920 f.; Kuschnerus, UPR 1992, 167; BT-Ds. 12 I 1092; die Komplexität der Verfahren wird daran deutlich, daß allein fiir zehn Kilometer Straße I00 qm Pläne und ein Textbuch von 600 Seiten erstellt werden, Kuschnerus, UPR 1992, 167 I 168. 364 Vetter!, Die Planungsakte des Gesetzgebers und der Regierung beim Ausbau der Bundesfemstraßen, 1985, S. 27 f.; s. a. Steinberg, Fachplanung, S. 387 ff. 365 BullBReg. 1992, 745; s. dazu eingehend Kraft! Deffke / Dörries, lnt. Verkehrswesen 1992, 368 ff. 366 Dies betriffi das Bundesschienenwegeausbaugesetz vom 15.11.1993, BGBI. 1993 I S. 1874, geändert durch Gestez vom 27.9.1993, BGBI. 1993 I S. 2378; das Femstraßenausbaugesetz vom 15.11.1993, BGBI. 1993 I S. 1878, geändert durch Gestez vom 29.12.1994,

118

1. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

"Der Regelungsgehalt [der Bedarfspläne] erschöpft sich aber in einer internen Bindung der Verwaltung vor allem in Hinblick auf haushaltsmäßige und zeitliche Prioritäten. Unmittelbare rechtliche Außenwirkung etwa im Sinne einer gesetzgeberischen (Teil-) Aussage über die Zulässigkeil einer konkreten Straße und der durch sie bedingten Enteignung (Art. 14 Abs. 3 GG) entfalten die Ausbaugesetze nicht."

Die Pläne waren demnach zum Beispiel für die Frage der Planrechtfertigung (also ob eine Verbindung objektiv erforderlich und gemessen an den Zielen des Fachplanungsgesetzes vernünftigerweise geboten ist)368 und im Rahmen der planerischen Abwägung grundsätzlich bedeutungslos. Allenfalls können tatsächliche Rückschlüsse auf die Zielkonformität eines Vorhabens gezogen werden, da die Pläne eine Analyse der Verkehrsbedürfnisse, eine Abwägung der Verkehrsinteressen mit anderen öffentlichen Belangen und eine Kostenanalyse ausdrücken. 369 Diese Beschränkungen hat das BVerwG in seiner neuesten Rechtsprechung nunmehr aufgegeben und die Bedeutung der Rahmenplanung wegen der Neufassung von § 1 II FStrAbG bzw. § 1 II BSchienenwegeAbG erweitert. Das BVerwG hat dargelegt, daß "die Festlegung des Bedarfs im Bedarfsplan fiir die Planfeststellung nach § 18 AEG verbindlich [ist]. Damit konkretisiert der Bundesgesetzgeber den Bedarf im Sinne der Planrechtfertigung fiir die in den Bedarfsplan aufgenommenen Vorhaben mit bindender Wirkung auch für die zur Rechtmäßigkeilskontrolle von Planfeststellungen berufenen Gerichte."370

Die Grenze der gerichtlichen Bindung endet erst dann, wenn die gesetzliche Bedarfsfeststellung offensichtlich verfehlt wäre und es für das Verkehrsprojekt an ,jeglicher Notwendigkeit" fehlen würde. In diesem Fall müßte das Ausbauplanungsgesetz den BVerfG vorgelegt werden. 371 Darüber hinaus hat die Rahmenplanung nunmehr auch in den Bereich der planensehen Abwägung teilweise Eingang gefunden. In dessen Rahmen sei die durch den Bedarfsplan ausgewiesene Verkehrsprognose verbindlich. 372 BGBI. 1995 I S. 13. S. in diesem Zusammenhang auch das Magnetschwebebahngesetz, BGBI. 1994 I S. 3486; ein Bundeswasserstraßenausbaugesetz ist in Vorbereitung. 367 BVerwGE 71, 1661169; s.a. BVerwGE 84,1231131. 36R St. Rspr., BVerwGE 56, 1101118; 71, 1661168; 72,282 1284 f.; 84, 123 1130. 369 BVerwGE 71, 166 I 170; die Grenze ist insoweit höherrangiges Verfassungsrecht, BVerwGE 72, 15123. 370 BVerwG NVwZ 1997, 1651167; st. Rspr. seit BVerwG NVwZ 1996, 381 1383 = BVerwG Urt. vom 8.6.1995, Buchholz 407.4 Nr. 102. 371 BVerwG NVwZ 1996, 3811383 f.; NVwZ 1996, 895 1898 f.; NVwZ 1996, 10111 1013; NVwZ-RR 1997, 2101211; NVwZ 1997, 1651167. S. dazu auch die instruktiven Ausfiihrungen von Blümel, DVBI. 1997, 205 I 214 ff. 372 BVerwG NVwZ 1996, 788/792.

E. Nationale Umsetzung europäischer Leitlinienplanung

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Die insoweit begrenzte Außenwirkung des Bedarfsplans auf die planensehe Abwägung hält sich damit innerhalb der Grenzen, die das BVerfD in einem Kammerbeschluß aus dem Jahre 1995 gezogen hat und wonach der Bedarfsplan nur fiir die Feststellung des Bedarfs nicht jedoch auch fiir die Linienbestimmung und Trassierung sowie die Abwägung verbindlich ist. 373 b) Voruntersuchungen

Voruntersuchungen dienen der informellen Klärung der Probleme bei den verschiedenen Planungsvarianten. In diesem Rahmen werden die betroffenen öffentlichen Stellen vom Vorhabensträger konsultiert, um so zu einer ersten Auswahl bei den Realisierungsalternativen zu kommen. Es sollen erste Argumente fiir die Vor- und Nachteile einer Trasse untersucht werden, um diese später gegenüber der Öffentlichkeit begründen zu können. Diese Voruntersuchungen können bis zu zehn Jahren beim Eisenbahnbau und zweieinhalb Jahre fiir den Fernstraßenbau dauern. 374 c) Raumordnungsverfahren

Im Raumordnungsverfahren wird von der Landesplanungsbehörde die günstigste Trassenalternative bestimmt. Das betroffene Land gibt seine Einschätzung über die günstigste Raumverträglichkeit ab.375 In diesem Verfahrensabschnitt kommt es auch zu einer ersten Umweltverträglichkeitseinschätzung der verschiedenen Alternativen. 376 Erstmalig wird dabei die Öffentlichkeit in die Planung mit einbezogen.377 Über die Notwendigkeit der Durchfiihrung eines Raumordnungsverfahrens muß innerhalb von vier Wochen entschieden werden. Die Entscheidung richtet sich dabei grundsätzlich nach Landesrecht.378 Auch im Falle eines Verzichts auf die Durchfiihrung des Raumordnungsverfahrens besteht jedoch eine unmittelbare Bindung des Planungsträgers an die Grundsätze des Raumordnungsverfahrens nach § 3 I ROG. 379 373 BVerfG NVwZ 1996, 261; vgl. zu diesem ganzen Komplex auch die Hinweise von Vallendar, UPR 1996, 1211123 und ders., UPR 1997, 129 / 131. 374 BT-Drs. 12 I 1092, S. 7.

m S. zu den gesetzlichen Zielen der Raumordnung§§ I, 2 ROG. 376 Zu der rechtlichen Bewertung der UVP s. grundsätzlich BVerwG Urt. vom 25.1.1996, Buchholz 407.4 Nr. 107. 377 Dies ist ein wichtiger Unterschied zum VerkPBG (§ 2 II), wo die Öffentlichkeit erst im Rahmen des Planfeststellungsverfahren einbezogen wird. 37K BVerwG NVwZ 1997, 1651167; BVerwG Beschl. vom 29.11.1995, Buchholz Nr. 442.09 Nr. 7 im Rahmen einer Planung nach dem VerkPBG; s.a. BVerwG Beschl. vom 15.5.1996, Buchholz Nr. 442.09 Nr. 13. 379 Für Wasserstraßen gilt daneben § 13 I! WaStrG.

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1. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

Wird ein Raumordnungsverfahren durchgeführt, darf dieses nicht länger als sechs Monate dauem. 380 Das BVetwG hat dem Ergebnis des Raumordnungsverfahrens wegen § 6a X ROG nur eine vetwaltungsinteme gutachterliehe Bedeutung beigemessen. Eine unmittelbare Rechtswirkung nach außen bestehe nicht. 381 d) Linienbestimmungsverfahren

Im Rahmen des Linienbestimmungsverfahrens legt das Bundesministerium für Verkehr den Trassenverlauf fest. 382 Dieses Verfahren gilt grundsätzlich nur für Fernstraßen und Wassetwege, § 16 FernStrG, § 13 WaStrG. Das VerKPBG hatte zusätzlich eine Erstreckung auf die Schienenwege und auf Flughäfen383 mit sich gebracht, § 2 I i.V.m. § 1 VerkPBG, doch ist das Linienbestimmungsverfahren mit dem 1. Gesetz zur Änderung des VerkPBG vom 15.12.1995 wieder abgeschafft worden. 384 In dem Linienbestimmungsverfahren hat das BVetwG einen rein behördeninternen Vorgang gesehen. 385 Adressat seien ausschließlich die mit der fernstraßenrechtlichen Planung befaßten Landesbehörden. 386 Aus Art. 90 Abs. 2 GG folge, daß der Bund grundsätzlich keine gegenüber Dritten wirkende Entscheidung treffen könne, da nur die Länder aufgrund eigener und selbständiger Kompetenz die Auftragsvetwaltung wahrnehmen. 387 Als Folge dieser Auffassung ergibt sich, daß die Linienbestimmung kein angreifbarer Vetwaltungsakt ist. Im übrigen sei sie für die Feststellung der einzelnen Betroffenheit zu unbestimmt und damit keiner effektiven vetwaltungsgerichtlichen Überprüfung zugänglich. 388 3" 0

§ 6a VIII ROG.

381

BVerwG UPR 1993, 300; weiterführend Vallendar, UPR 1996, 121 I 124.

3" 2 S.a. Steinberg, Fachplanung, S. 393 ff. mit Hinweis auf relevante Verwaltungsrichtlinien; die Bundeskompetenz zur Linienbestimmung ist vom BVerwG (E 62, 342 I 344 f.) aus der Natur der Sache abgeleitet worden, s. dazu Steinberg, Fachplanung, S. 397 m.w.N. 3" 3 Vgl. insoweit aber auch das Genehmigungserfordernis gemäß § 6 LuftVG, das der Linienführung sachlich nahe kommt (s. §§ 6 II LuftVG, 16 II FernStrG, 13 II WaStrG); zur Genehmigung s. Ronel/enfitsch, Einführung in das Planungsrecht, S. 151 f., 155 f. 3"4 S. i.ü. die weiterführende Hinweise von Vallendar, UPR 1996, 121 I 123 zur Vereinbarkeit des Linienbestimmungsverfahrens mit der UVP-Richtlinie. m St. Rspr., s. nur BVerwG NVwZ 1996, I 0 II/I 0 14; s.a. BVerwG Beschl. vom 29 .II. 1995, Buchholz 442.09 Nr. 7, wo das Gericht darüber hinaus feststellt, daß eine Linienbestimmung nicht zu den Rechtmäßigkeilsvoraussetzungen der Planfeststellung gehöre, was den behördeninternen Charakter unterstreicht. 3" 6 BVerwGE 48, 56 I 60 - B 42; BVerwGE 62, 342; ; vgl. auch umfassend lbler, Zur Bindungswirkung der Planungs- und Linienführungsbestimmung des Bundesministers für Verkehr bei der Fernstraßenplanung, DVBI. 1989, 76 ff. 3" 7

BVerwGE 62, 342 I 344 f.

3""

BVerwGE 62, 342 I 349 f.; insoweit komme auch eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4

E. Nationale Umsetzung europäischer Leitlinienplanung

121

Dieses Prinzip der Nicht-Justitiabilität der Linienbestimmung hat das BVerwG allerdings dadurch wieder eingeschränkt, daß Abwägungsmängel im Linienbestimmungsverfahren gegebenfalls auf das Planfeststellungsverfahren durchschlagen können und dann im Rahmen dieses Verfahrensstadiums geltend gemacht werden können. 389 Nach der alten gesetzlichen Regelung durfte der Bundesminister über die Linienbestimmung gern. § 16 FernStrG nur im förmlichen Einvernehmen mit den beteiligten Bundesministerien (z.B. Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Bundesministerium für Wirtschaft) und den für die Raumordnung zuständigen Ministerien bzw. Landesplanungsbehörden entscheiden. Dies führte dazu, daß in der Regel Ergebnisse des Raurnordnungsverfahrens übernommen wurden. 390 Wohl auch aus diesem Grunde wurde die Notwendigkeit dieses Verfahrensabschnittes vom Bundesrat bestritten.391 Das geänderte Planungsrecht sieht nunmehr für den Fernstraßenbau nur noch das "Benehmen" der zuständigen Landesplanungsbehörden im Bereich des Wasserwege- und Straßenbaus vor. 392 In Anlehnung an § 2 I 2 VerKPB, das dieses Benehmen nach 4 Monaten fehlender Einwendungen der zuständigen Landesbehörden hergestellt sieht, bedeutet die Regelung in § 16 I FernStrG, daß zumindest bis zum Abschluß des Linienbestimmungsverfahrens nach spätestens drei Monaten 393 die Zustimmung als erteilt angesehen werden kann. Insoweit entfallt also ein förmliches Einverständnis. e) Planfeststellungsverfahren

Dieser Verfahrensteil ist der umfangreichste Abschnitt der Verkehrswegeplanung. Wegen des Ziels, eine Vielzahl von Interessen zum Ausgleich zu bringen, ist er gerichtsförmig ausgestaltet. 394 In ihm werden die festgelegte GG nicht in Betracht; die Linienbestimmung könne nur im Rahmen des endgültigen Planfeststellungsbeschlußes bei der Prüfung der Planrechtfertigung und des Abwägunsgebotes Beachtung finden, BVerwGE 72, 15 / 17; darüber hinaus hat das BVerwG selbst bei Fehlen eines Linienbestimmungsverfahrens (gern. § 2 I VerkPBG) einen Planfeststellungsbeschluß nicht fiir rechtswidrig gehalten, BVerwG NVwZ 1996, 165 / 166. 3" 9

BVerwG DVBI. 1997, 1115 1 1117 f.

Steinberg / Berg, NJW 1994, 488 / 488; Stüer, DVBI. 1992, 5471549; Wagner, NVwZ 1992, 232 I 233; der Bundesrat hat darin ein im Grunde "zusätzliches Raumordnungsverfahren" gesehen, BR-Drs. 756 I 92, An!. S. 39. 390

391

Vgl. Rone/lenfitsch, DVBI. 1994, 441 I 446.

392

§ 13 I I WaStrG, § 16 II FStrG. § 16 II 2 FemStrG. Oh, Vertrauensschutz im Raum- und Stadtplanungsrecht, 1990, S. 104; unverständlich

393 394

122

I. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

Linie überprüft sowie Feinarbeiten zu den bisherigen Vorarbeiten durchgeführt. Bis zur Einreichung der Planunterlagen wird nach Abschluß des Linienbestimmungs- und I oder Raumordnungsverfahrens verwaltungsintern eine umfangreiche Prüfung in Zusammenarbeit mit den Planungsbeteiligten vorgenommen, um zu einem Vorentwurf zu gelangen. 395 Das Planfeststellungsverfahren wird in einem ersten Abschnitt von der Anhörungsbehörde durchgeführt. Ziel ist es, die unterschiedlichen Interessen umfassend zusammenzustellen. Dazu müssen die Pläne von den Gemeinden ausgelegt werden. 396 Die Einwendungen werden gesammelt und mit einer Stellungnahme den beteiligten Behörden zugeleitet. In der Praxis hat sich dabei gezeigt, daß die Behörden im Planfeststellungsverfahren zum Teil eine andere Auffassung als im Raumordnungsverfahren oder bei der Voruntersuchung vertraten. 397 Nach Durchführung eines Erörterungstermins nimmt die Anhörungsbehörde abschließend zu dem Projekt Stellung. Diese wird der Planfeststellungsbehörde übermittelt, die die öffentlichen und privaten Belange umfassend gegeneinander abzuwägen hat. 398 Darin eingeschlossen ist eine abschließende Umweltverträglichkeitsprüfung (s. §§ 18 I 2 AEG; 17 I 2 FStrG). Diese soll grundsätzlich nach dem UVPG ausgestaltet sein. Allerdings hat das BVerwG dann auf eine förmliche UVP verzichtet, wenn materiell eine gleichwertige Prüfung vorgenommen wurde und keine andere Entscheidung zu erwarten gewesen wäre. 399 Dieses Verfahren dauerte je nach Komplexität bis zu 4 Jahren.400 ist insoweit die Auffassung des BVerwG (DÖV 1980, 516), wonach ein ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens keine subjektiven Rechte Betroffener verletzen könne, s. dazu Steinberg, S. 318 m.w.N. s Siehe Kuschnerus, UPR 1992, 167 I 168 f.; Peine, Öffentliches Baurecht, S. 301. § 17 Illb FernStrG; § 20 I Nr. 2 AEG; § 17 Nr. 2 WaStrG; § 10 li Nr. 3 LuftVG; ebenso § 3 li VerkPBG. 397 BT-Drs. 1211092, S. 8. 398 Ronellenfitsch, Einführung in das Planungsrecht, 1986, S. II! f. weist darauf hin, daß die Unterscheidung zwischen Anhörungs- und Planfeststellungsbehörden nur die Funktion im Planungsverfahren erfaßt und nicht zwingend eine organisatorische Trennung vorliegt; das BVerwGE 58, 344 I 347 hat dazu geäußert: "Aus der gesonderten Erwähnung von Planfeststellungsbehörde und Anhörungsbehörde läßt sich ( ... ) vielmehr nur folgern, daß damit eine Aufteilung des Planfeststellungsverfahrens in zwei Verfahrensabschnitte und auf zwei getrennte Behörden jedenfalls zugelassen ( ... ) wird." Eine zwingende organisatorische Trennung ergebe sich nicht aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung (S. 350). Im Wasserstraßengesetz würden beispielsweise Anhörung und Planfeststellung auch einheitlich der zuständigen Wasser- und Schiffahrtsdirektion übertragen (S. 350 f.). Eine organisatorische Trennung der Behörden war nach dem alten § 35 III, IV BbG gegeben, s. Ronellenfitsch, Einfiihrung in das Planungsrecht, S. 119. 399 BVerwG NVwZ 1996, 3041306 m.w.N.; überholt ist allerdings die auf S. 305 geäußerte Ansicht, einer förmlichen UVP bedurfte es wegen des Fehlens eines UVPG nicht, da die dem Gesetz zugrundeliegende UVP-Richtlinie auch nach Ablauf der Umsetzungsfrist nicht unmittelbar anwendbar sei. Diese Sichtweise hat der EuGH in der Entscheidung 39

396

E. Nationale Umsetzung europäischer Leitlinienplanung

123

Mit dem Planungsvereinfachungsgesetz wurden insbesondere Fristen in das Planfestellungsverfahren eingeführt. 401 Dies geschah in Anlehnung an das früher ergangene Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz. Die Behörden müssen ihre Stellungnahmen nach drei Monaten abgegeben haben. 402 Danach sind weitere Einwendungen ausgeschlossen. Eine Ausnahme besteht allerdings dann, wenn die Belange der Behörde auch ohne das Vorbringen der Planfeststellungsbehörde hätten bekannt sein müssen. 403 Diese Einschränkung war notwendig, um somit jedenfalls ein Minimum an unverzichtbarem Abwägungsmaterial sicherzustellen.404 Die Gemeinden sollen die Planungsunterlagen spätestens drei Wochen nach Erhalt auslegen. 405 Innerhalb dieser Frist müssen die Betroffenen ihre Einwendungen vorgebracht haben, ansonsten sind diese materiell auch mit Wirkung für das Verwaltungsgerichtsverfahren präkludiert.406 Zwischen dem Ende der Einwendungsfrist und dem Abschluß der Erörterungen bei der Anhörungsbehörde dürfen nicht mehr als drei Monate vergehen.407 Die abschließende Stellungnahme der Anhörungsbehörde muß bei Fernstraßen nach einem Monat vorliegen. 408 "Großkrotzenburg" ausdrucktich verworfen, EuGH NVwZ 1996, 369 I 370 Rn. 26. S. jetzt auch anders und ergänzt durch eine umfassende Würdigung der UVP im Rahmen des Fernstraßenhaus BVerwG NVwZ 1996, 788 I 789 ff. 400 Wagner, NVwZ daß für den Bau von nehmigung nach § 6 Planungsrecht, S. 151

1992, 232 1233; Kuschnerus, UPR 1992, 167 I !69. Zu beachten ist, Flughäfen über das Planfeststellungsverfahren hinaus noch eine GeLuftVG erforderlich ist, s. dazu Ronellenfitsch, Einführung in das f., 155 f.

401 In den Begrundungen zu den Investitionsmaßnahmegesetzen wurde allerdings auf die möglichen Unzulänglichkeiten der Fristen hingewiesen, s. BT-Drs. 1213477, Ziff. 7; BTDrs. 1215000, Ziff. 6; BT-Drs. 1215001, Ziff. 6; s. näher unten Teil2, E.II.

401

§ 20 I Nr. I AEG; § 17 Illb FemStrG; § 17 Nr. I WaStrG; § 19 II Nr. I LuftVG.

Steiner, NVwZ 1994, 313 1314; § 20 II AEG; § 17 IV FemStrG; § 17 Nr. I WaStrG; § 10 IV LuftVG. 403

404

Vgl. für das VerkPBG Stüer, DVBI. 1992, 547 I 55!.

405

§ 20 I Nr. 2 AEG; § 17 Illb FemStrG; § I 7 Nr. 2 WaStrG; § 10 II Nr. 3 2 LuftVG.

Zur Bedeutung der materiellen Präklusion für die Verfahrensbeschleunigung s. Krumsiek I Frenzen DÖV I 995, I 013 I I 024 f.; s.a. Ronellenfitsch, Einführung in das Planungsrecht, S. 154 fiir den Bereich des LuftVG; eingehend Solveen, DVBI. 1997, 803 ff.; s. BVerwG Beschl. vom I2.2.1996, Buchholz 407.4 Nr. 109; BVerwG Urt. vom 24.5.1996, Buchholz 407.4 Nr. 119 erstreckt die materielle Präklusion auch auf Enteignungen gern Art. 14 Abs. 3 GG; s. i.ü. BVerwG NVwZ 1996, 267, und BVerwG NVwZ 1996, 895 für § 20 II AEG; BVerwG NVwZ 1997, 171 1172 zu § 17 li I FStrG; in BVerwG NVwZ 1996, 399 I 400 wird klargestellt, daß die Behörde auf den Einwendungsausschluß · nicht verzichten kann. 407 § 20 I Nr. 3 AEG; § 17 Illc, S. I FemStrG; § 17 Nr. 3 WaStrG; § 10 II Nr. 4 LuftVG. 40K § 17 Illc, S. 2 FemStrG. 406

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I. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

Der Planfeststellungsbeschluß entfaltet Konzentrationswirkung. Er regelt umfassend die Rechtsbeziehungen zwischen dem Vorhabensträger und den Betroffenen und bildet zugleich die Grundlage für ein nachfolgendes unter Umständen erforderliches Enteignungsverfahren. Das BVerfG hat diese enteignungsrechtlichen Vorwirkungen der Fachplanung folgendermaßen beschrieben409: "Im Rahmen der Planfeststellung wird - abgesehen von der Trassenführung - die grundlegende Entscheidung getroffen, welche konkreten Grundstücke und in welchem Umfang diese fur das von der Verwaltung geplante und von ihr durchzufUhrende Vorhaben benötigt werden. Die durch die behördliche Planung festgelegte Auswahl der betroffenen Grundstücke determiniert damit etwa nachfolgende Enteignungen."

Auch diese Planungsentscheidung unterliegt damit dem Maßstab aus Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG, da eine Enteignung nur soweit zulässig ist, wie das festgestellte Bauvorhaben notwendig ist. 410 f) Plangenehmigung

Das Planfeststellungsverfahren und der sich daran anschließende Planfeststellungsbeschluß können seit dem Planungsvereinfachungsgesetz durch eine Plangenehmigung ersetzt bzw. ergänzt werden.411 . Da ein Planfeststellungsverfahren nicht mehr stattfindet, bedarf es keiner Öffentlichkeitsbeteiligung412 oder förmlichen Umweltverträglichkeitsprüfung mehr. 413 Ein Raumordnungs409

BVerfGE 45, 297 1327; vgl. auch BVerwG NVwZ 1996, !Oll I 1012.

BVerwGE 72, 2821283 ff.; 72, 15124 f.; s.a. BVerwG NuR 1994, 234 1237; zum Zusammenhang von Eigentumsgrundrecht und Planfeststellungsbeschluß im Rahmen des Abwägungsgebotes, wenn abschließend über die Zulässigkeit einer Enteignung befunden wird, BVerwGE 67, 74177. 411 § 17 Ia FemStrG; § 18 II AEG; § 14 Ia WaStrG, § 8 II LuftVG; vgl. dazu Ronellenfitsch, in: Blümel, Verkehrswegerecht im Wandel, 1994, S. 179 I 203 f.; zur Ergänzung des Planfeststellungsverfahrens durch eine Plangenehmigung, wenn dadurch der Planfeststellungsbeschluß teilweise vorweggenommen wird, BVerwG NVwZ-RR 1997, 208. 412 Gerade an der fehlenden Öffentlichkeitsbeteiligung knüpft auch die Kritik an der Konzentrationswirkung der Plangenehmigung an, s. Axer, DÖV 1995, 495 1497. Das BVerwG hat jetzt unter Hinweis auf die fehlende Öffentlichkeitsbeteiligung ein Mitwirkungsrecht anerkannter Naturschutzverbände gern. § 29 I I Nr. 4 BNatSchG versagt, BVerwG DVBI. 1995, I 006 f. 413 Steiner, NVwZ 1994, 3131316; Ronellenfitsch, in: Blümel, a.a.O., S. 179/190 weist aber darauf hin, daß die Klärung der Umweltbelange Tatbestandsvoraussetzung ist (im Rahmen einer Plangenehmigung gern. dem VerkPBG), so daß insoweit der UVP-Richtlinie Genüge getan ist; das BVerwG hatte auch für das Planfeststellungsverfahren schon festgestellt, daß selbst, wenn eine UVP fOrmlieh nicht vorgeschrieben sei, Belange des Umweltschutzes im Rahmen des Abwägung von öffentlichen und privaten Interessen abzuwägen seien, BVerwG NuR 1994, 234 I 236. 410

E. Nationale Umsetzung europäischer Leitlinienplanung

125

verfahren ist nicht erforderlich und bleibt den Ländern freigestellt. 414 Die Voraussetzungen einer Plangenehmigung sehen vor, daß Rechte anderer nicht beeinträchtigt werden dürfen oder die Betroffenen in die Inanspruchnahme ihrer Rechte einwilligen.415 § 17 Ia Nr. 1 FemStrG geht dabei noch weiter, als auch bei einer "nicht wesentlichen Beeinträchtigung" eine Plangenehmigung möglich ist. 416 Erforderlich ist weiterhin, daß mit anderen Behörden Benehmen hergestellt worden ist. 417 Die vom Bundesrat zusätzlich geforderte Bedingung, daß "erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt nicht zu besorgen seien", hat sich nicht durchgesetzt. 418 Die Plangenehmigung entbindet grundsätzlich nicht von einer Abwägung zwischen den Vor- und Nachteilen des Vorhabens. 419 Dies folgt schon daraus, daß die Plangenehmigung den Planfestsstellungsbeschluß grundsätzlich vollständig ersetzt. 420 Die Plangenehmigung ist neben der möglichen Bedeutung flir die transeuropäischen Verkehrsnetze darüber hinaus von europarechtlichem Interesse, als auf eine Umweltverträglichkeitsprüfung unter Einschluß einer förmlichen Öffentlichkeitsbeteiligung verzichtet wird. 421 Diese Form der Prüfung ist grundsätzlich nur im Rahmen eines Planfeststellungsverfahrens vorgesehen. Der Wegfall der förmlichen Öffentlichkeitsbeteiligung könnte einen Verstoß gegen die UVP-RL 85 I 337 bedeuten. 422

414 Angesichts der Tatbestandsvoraussetzungen einer Plangenehmigung kann es aber sehr zweifelhaft sein, ob insoweit überhaupt raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen (s. §§ 3 I, 6a 1-III ROG) in Frage stehen. 415

§ 17 Ia FemStrG; § 20 III AEG; § 14 Ia WaStrG; § 8 II LuftVG.

416

Zur fehlenden Grundrechtsrelevanz dieser Vorschrift s. Axer, DÖV 1995, 495 I 498.

417

S. im einzelnen Steiner, NVwZ 1994,3131315 f.

Kritisch zu diesem Erfordernis unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit Ronellenfitsch, DVBI. 1994, 441 I 447; s. dazu Kern (Diskussionsbeitrag), in: Blümel (Hrsg.), a.a.O., S. 233. 41 H

419 Steinberg / Berg, NJW 1994, 488 1490; Steiner, NVwZ 1994, 313 1316; Paetow, in: Blümel (Hrsg.), Verkehrswegerecht im Wandel, 1994, S. 213 1218 stellt hinsichtlich des vergleichbaren ehemaligen§ 4 VerkPBG (jetzt aufgehoben, BGBL 1993 I S. 2134) darauf ab, daß der materielle Rechtmäßigkeitsmaßstab gleich geblieben ist. 420 In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist daneben zu beachten, daß bei einer Plangenehmigung im Gegensatz zu einem Planfeststellungsbeschluß ein Mitwirkungsrecht von Naturschutzverhänden gern. § 29 Abs. 1 Nr. 4 BNatSchG entfallt, s. dazu BVerwG NVwZ 1996, 392. 421 Hingegen vertritt die Bundesregierung die Auffassung, daß eine materielle UVP in jedem Planungsstadium notwendig sei, BT-Drs. 12 I 1092, S. 9 zu § 2. Zur generellen Bedeutung der UVP in der Praxis s. Schwab, NVwZ 1997,428 ff. · 422 RL 85 1337, ABI. L 175140 vom 5.7. 1985; Klinski / Gaßner, NVwZ 1992, 235 1237; Viebrock, NVwZ 1992, 939 I 940 f.; s.a. Peine, in: Wiegand, Bericht zu den Rostocker Umwelttagen, DVBI. 1995, 112511126; s.a. die eingehende Diskussion bei Erhguth l Schink, UVPG, Ein!. Rn. 91a; § 3 Rn. 102 ff. ; kritisch Eckert, DVBL 1997, 158, 158 ff.

126

I. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

Drei denkbare Lösungen sind hier in Betracht zu ziehen: Einerseits kann wegen der gleichen Rechtswirkungen der Plangenehmigung wie bei der Planfeststellung eine analoge Anwendung des Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetzes erwogen werden. Eine planwidrige Lücke wäre darin zu sehen, daß sich das UVP-Gesetz nur auf den zum damaligen Zeitpunkt bekannten Planfeststellungsbeschluß beziehen konnte. Aufgrund des materiellrechtlich weitergehenden umfassenden Abwägungsgebotes wäre eine Umweltverträglichkeitsprüfung unter Einschluß einer Öffentlichkeitsbeteiligung erforderlich. 423 Eine andere Möglichkeit besteht in der direkten Wirkung der UVP-Richlinie, da es nunmehr an einem nationalen Anwendungsbefehl fehle. 424 Demgegenüber stützt sich die Bundesregierung auf die Ausnahmeregelung Art. 2 Abs. 3 RL 85 I 337 bezüglich von Einzelfällen, wenn eine UVP je nach Sachlage von der EG-Richtlinie nicht gefordert werde. 425 Da im Vorentwurf (insoweit bzgl. des VerkPBG) eine UVP noch als Ermessensvorschrift vorgesehen war, diese Vorschrift aber gestrichen wurde426 , fehle es jedenfalls an einer planwidrigen Lücke, die eine analoge Anwendung des UVPG rechtfertigen würde. Für die Richtigkeit der Ansicht der Bundesregierung könnte sprechen, daß die Plangenehmigung von ihren Voraussetzungen her eher einen Ausnahmefall bilden wird und somit die Berufung auf die Ausnahmeregelung gern. Art. 2 Abs. 3 UVP-RL zulässig ist. 427

423 Steiner, NVwZ 1994, 31313I6; Stüer, DVBI. 1992, 547 1551; gegen eine Öffentlichkeitsbeteiligung im Rahmen des VerkPBG Ronel/enfitsch, DVBI. 1994, 44 I I 444. 424 Siehe Klinski I Gaßner, NVwZ 1992, 235 I 238, Steinberg, Fachplanung, S. 302; zu den Voraussetzungen einer unmittelbaren Richtlinienwirkung s. EuGH Rs. 8 I 81 , Slg. 1982, 53171 Rn. 25 - Hecker, und zuletzt EuGH Slg. I 994, 1-483 I 502 Rn. 8 ff. - Regione Lombardia; dagegen explizit das Niedersächsische OVG, DVBI. 1994, 770/771, da die UVP-RL keine den einzelnen begünstigende Rechtsposition vermittele. Ebenso BVerwG NuR 1994, 234 I 236. Einer Richtlinie, die einen allgerneinen Personenkreis schützen soll, kann demnach nie unmittelbare Wirkung zukommen. Allerdings ist insoweit zwischen der unmittelbaren Wirkung fiir den einzelnen und einem direkten Anwendungsbefehl der UVPRichtlinie fiir die Verwaltung - als Adressaten - zu unterscheiden; in diesem Sinne EuGH NVwZ I996, 3691370 Rn. 26- Großkratzenburg mit Anrn. Ca/lies, NVwZ 1996, 339; s.a. Epiney, DVBI. 1996, 409 und E. Klein, Objektive Wirkung von Richtlinien, FS Everling, 1995, S. 641 ff. 425 Vgl. BT-Drs. 12 11092, S. 10 zu § 4; BT-Drs. 1212608, S. 6; dagegen Steinberg I Berg, NJW 1994, 488 I 490; s.a. BVerwG DVBI. 1996, 49 I 50 demzufolge der nationale Gesetzgeber nicht nach freiem Belieben von einer UVP absehen darf; entscheidend sei die Frage der Größe des Projektes und deren Auswirkungen. 426

Siehe Klinski / Gaßner, NVwZ 1992, 235 1237.

A.A. Viebrock, NVwZ I992, 939 1941; Erbguth / Schink, UVPG, § 3 Rn. 102; ablehnend auch - allerdings mit unzutreffender Begründung angesichts der Voraussetzungen einer Plangenehmigung - Steinberg, Fachplanung, S. 301. 427

E. Nationale Umsetzung europäischer Leitlinienplanung

127

Gegen diese Argumentation sprechen jedoch teleologische Gründe, und im Ergebnis ist auch bei einer Plangenehmigung eine umfassende UVP durchzuführen. Rechtsmethodisch ist dabei sowohl eine analoge Anwendung des innerstaatlichen UVP-Gesetzes als auch die direkte Anwendbarkeit der Richtlinie (im Sinne des effet uti/e) ein gangbarer Weg. 428 Entscheidend ist, daß eine Verkehrsplanung Konflikte schafft. Wenn diese Konflikte schon zu einem wichtigen Teil durch den Verzicht auf ein Planfeststellungsverfahren oder auf einen eingeschränktereD Rechtsschutz unterdrückt werden, ist es geboten, wenigstens Belange des Allgemeinwohls (zu dem der Umweltschutz zählt) zu berücksichtigen (Grundsatz der Konftiktbewältigung). Die Natur der Plangenehmigung legt dies auch nahe. Da diese nur bei Einverständnis potentieller Dritter möglich ist, bedeutet dies doch nicht, daß Dritte auch wirksam auf Allgemeinwohlbelange verzichten können.429 Auch der Untersuchungsgrundsatz nach § 24 I VwVfG spricht fiir eine Umweltverträglichkeitsprüfung.430 Buroparechtlich erscheint es zudem nicht logisch, auf der einen Seite unter Umständen eine beschleunigte Umsetzung transeuropäischer Verkehrsnetze durch eine Plangenehmigung zu forcieren, auf der anderen Seite jedoch eigene rechtsverbindliche Vorgaben außer acht zu lassen. Ein solcher Schluß wäre widersprüchlich und sollte nicht gezogen werden. Insoweit spricht auch die Leitlinienentscheidung Nr. 1626/96 vom 23.7.1996 in der achten Begründungserwägung der Präambel davon, daß die Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung anzuwenden sei. Der Sinn dieser Begründungserwägung verbietet es dabei, direkt auf die Ausnahmebestimmung der Richtlinie zu rekurrieren. Soweit eine UVP nicht mehr auf der Ebene des Raumordnungsverfahrens vorgenommen wird (weil dieses nicht mehr durchgeführt würde), kann allerdings eine europarechtliche Unvereinbarkeit mit dem "Frühzeitigkeitsprinzip" nicht angenommen werden. 431 Dies wäre nur dann möglich, wenn eine bestimmte Verfahrenslänge oder bestimmte Verfahrensstufen vorausgesetzt sein würden. Dies ist jedoch nicht der Fall. Auch eine Umweltverträglich42H In diesem Zusammenhang ist dabei das Argument abzulehnen, eine Gewähr zur Einhaltung des Gemeinschaftsrechtes bestünde nicht mehr, wenn sich die Notwendigkeit der Umweltverträglichkeitsprüfung nur noch aus der Richtlinie ergäbe, K/inski I Gaßner, NVwZ 1992, 235 I 238; dies ist nur eine Frage der Kenntnis europarechtlicher Normen. 429 In dieser Hinsicht ist die Entscheidung des BVerwG zur Beteiligung der Naturschutzverbände gern.§ 29 I Nr. 4 BNatSchG fragwürdig, BVerwG DVBI. 1995, 1006 f. 430 Vgl. insoweit BVerwG NuR 1994, 2341236 zur UVP im Bereich des Abwägungsgebotes; die Rüge einer (fehlerhaften) UVP ist jedoch auch nach der Rechtsprechung des BVerwG nur dann begründet, wenn der Mangel entscheidungserheblich gewesen ist, BVerwG NVwZ 1995, 779. 431 So Klinski / Gaßner, NVwZ 1992, 235 1238; wohl abrückend von der Idee der Frühzeitigkeit, da sich diese nicht aus der RL ergebe, Viebrock, NVwZ 1992, 939 I 940 Fn. 9; tatsächlich kommt die Idee der Frühzeitigkeil in der I. Begründungserwägung RL 85 I 337 zum Ausdruck; vgl. auch BVerwG NVwZ 1996, 7881790.

128

1. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

keitsprüfung im Rahmen der Vorarbeiten zur Plangenehmigung kann "frühzeitig" sein, wenn dies die erste Planungsstufe darstellt. 432 Viehrock hat darüber hinaus unter Hinweis auf das EuGH-Urteil Costanzo433 zu belegen versucht, daß die UVP im Rahmen zumindest des Linienbestimmungsverfahrens erforderlich sei, da dieser Abschnitt fiir die weitere Planung verbindlich sei und der EuGH nicht zwischen Innen- und Außenrecht unterscheide. 434 Diese Ansicht überzeugt aber deswegen nicht vollständig, da die Richtlinie, obwohl sie durch das Erfordernis der Öffentlichkeitsbeteiligung durchaus dem einzelnen Rechte verleihen könnte435 , selbst nicht das Ausmaß der Einflußnahme regelt. Demzufolge kann aus europarechtlicher Sicht auch bei dem Planfeststellungsverfahren (soweit dieses stattfindet) oder bei der Plangenehmigung im Rahmen der weiteren planerischen Vorarbeiten durchaus dem Öffentlichkeitserfordernis Rechnung getragen werden. 436 2. Folgerungen des innerdeutschen Fachplanungsverfahrens für die transeuropäischen Netze

Im Hinblick auf Art. 129b ff. EGV ordnen sich die Leitlinien, wie sie in der Entscheidung des Rates und des Parlamentes zum Ausdruck kommen437, im nationalen Planungsverfahren im Rahmen der gesetzlichen Ausbaupläne ein. Eine weitergehende mögliche Bedeutung fiir die Linienbestimmung wurde ursprünglich im Planungsvereinfachungsgesetz vorgesehen, erlangte aber nicht Gesetzeskraft. Folgende Vorschrift sollte aufgenommen werden438 : "Bei Bundesfernstraßen von europäischer oder besonderer nationaler Bedeutung kann insbesondere fiir Vorhaben, die von der Europäischen Gemeinschaft als Vorhaben von gemeinsamem Interesse ausgewiesen sind oder die Gegenstand einer zwischenstaatlichen Vereinbarung sind, die Linienführung durch Bundesgesetz bestimmt werden."

Zwar hat das BVerwG die Linienbestimmung selbst nur als verwaltungsinterne Maßnahme gewertet439 , doch handelt es sich dabei um eine Handlung Vgl. auch Ronellenfitsch, DVBI. 1991, 9201927 f. EuGHRs.I03188,Slg. l989, 1839. 434 Viebrock, NVwZ 1992, 939 I 940; Steinberg, Fachplanung, S. 389, geht sogar zum Teil auf die Ebene der Bedarfsplanung zurück, soweit umwelterhebliche Entscheidungen getroffen werden; zu diesem Pb. vgl. i.ü. BVerwG NVwZ 1996, 304 1305 f. 435 A.A. BVerwG NuR 1994, 234 I 236. 436 I.E. vgl. ebenso BVerwG NVwZ 1996, 3891391 f. zum Verhältnis Planfeststellungsbeschluß-Linienbestimniung. 437 ABI. L 228 vom 9.9.1996, corrigendum in ABI. L 15 vom 17.1.1997. 43 H Begründung der Bundesregierung in BT-Drs. 12 14238 vom 11 .2.1993; vgl. insoweit auch Ronellenfitsch, in: Blümel, a.a.O., S. 179 I 199 f. 439 S.o. I. Teil, E.I.I.d). 432

433

E. Nationale Umsetzung europäischer Leitlinienplanung

129

des Bundesministeriums fur Verkehr. Wenn eine Linienbestimmung hingegen durch Gesetz erlassen würde, hätte dies zumindest im Rahmen der Planungsabwägung zusätzliche Bedeutung. Immerhin wäre im Gegensatz zu den allgemeinen Ausbauplänen die Trasse unter Ausschluß von möglichen Alternativen verbindlich durch Gesetz festgestellt worden. Um den konkreten europäischen Einfluß auf das nationale Verwaltungsrecht zu bestimmen, ist es notwendig, sich an die grundlegende Dogmatik des BVerwG zur planerischen Gestaltungsfreiheit zu erinnern. In dem "B 42"-Urteil hatte das BVerwG dazu ausgefuhrt440 : "Schranken der im übrigen umfassenden planensehen Gestaltungsfreiheit der Planfeststellungsbehörde ergeben sich - erstens - aus ihrer behördeninternen Bindung an die vorbereitende Planungsentscheidung des Bundesministers flir Verkehr, -zweitens- aus dem Erfordernis einer der fernstraßenrechtlichen Zielsetzung entsprechenden Rechtfertigung des konkreten Planvorhabens, - drittens - nach Maßgabe der gesetzlichen Planungsleitsätze sowie - viertens - aus den Anforderungen des Abwägungsgebots."

Die innerstaatlichen gesetzlichen Ausbaupläne sind in dieser Systematik fur die Frage der Planrechtfertigung, also auf der zweiten Stufe, relevant. Hieran müssen die Leitschernata der Gemeinschaft in erster Linie anknüpfen. Darüber hinaus können sie jedoch auch Bedeutung im Rahmen des Abwägungsgebotes erlangen. Wie schon dargestellt wurde, hat das BVerwG den nationalen Ausbauplänen sowohl im Rahmen der Planrechtrechfertigung als auch - in Grenzen beim Abwägungsgebot Bindungswirkungen zuerkannt. Dies muß erst recht fur höherrangige Gemeinschaftsvorgaben gelten. Der Zusammenhang der Leitlinien und der Planrechtfertigung läßt sich im übrigen auch innerstaatlich unter dem Aspekt der Prognoseentscheidung begründen. Das BVerwG hatte insoweit zur richterlichen Zurückhaltung angehalten. 441 Da die transeuropäische Verkehrsnetzplanung zu einem nicht unbedeutenden Teil Ergebnis einer Prognose über die europäische Verkehrsentwicklung ist, kann im Bereich der Planrechtfertigung kaum eine gerichtliche Korrektur erfolgen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß die transeuropäischen Netze gerade die Lücken zwischen den einzelstaatlichen Netzen schließen sollen.442 Darüber hinaus können sich auch im Rahmen des Abwägungsgebotes Auswirkungen auf das innerstaatliche Verwaltungsverfahren ergeben. Aus der allgemeinen Vorrangstellung des EGV resultiert, daß die Verwaltung die 440 BVerwG 48, 56, I. Leitsatz; vgl. auch den Hinweis in VGH Mannheim, VBIBW 1995, 388 I 389. 441 BVerwGE 72, 282 1286; s. dazu Kühling, Fachplanungsrecht, S. 177. 442 Zu diesem Kriterium des Lückenschlusses BVerwGE 72, 282 1288; 84, 123 I 130 ff.

9 Jürgensen

130

I. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

transeuropäischen Projekte vorrangig umsetzen muß. 443 Bei einer umfassenden Abwägung von privatem und öffentlichem Interesse müssen die hinter dem Aufbau der transeuropäischen Netze stehenden und verfassungsrechtlich abgesicherten Ziele der europäischen Integration (Art. 23 Abs. 1 GG) ausreichend Beachtung finden. Das obiter dieturn des BVerwG im "B 42"-Urteil, wonach öffentliche Belange grundsätzlich überwiegen würden444 , erfährt damit bei der Realisierung der transeuropäischen Netze eine konkrete Ausgestaltung. 445 Für die Umsetzung der transeuropäischen Netze dürfte die Bedeutung der Plangenehmigung abzuwarten sein. Aus europarechtlichen Gesichtspunkten ist ihre Anwendung allerdings nicht gefordert. Einem stärkeren Einsatz dieses Planungsinstrumentes, um die Durchfiihrung der Ziele der transeuropäischen Netze zu beschleunigen, stehen insoweit die engen Tatbestandsvoraussetzungen entgegen. Diese sind nicht aus europarechtlicher Sicht modifizierbar. Dies betrifft insbesondere das Erfordernis eines "untergeordneten" Einzelvorhabens. Es müßte widersprüchlich erscheinen, auf der einen Seite die Bedeutung der transeuropäischen Netze herauszustreichen, auf der anderen Seite aber auf einem planensehen Wege die Voraussetzung der untergeordneten Relevanz fiir eine Plangenehmigung gegebenenfalls über eine Teilung eines Projektes in Abschnitte zu konstruieren.446 Gerade wegen der Größe der Projekte ist wohl auch eine Drittbetroffenheit nie auszuschließen. 447 3. Das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz448

Die Bedeutung des VerKPBG fiir den Bau der transeuropäischen Netze darf nicht überschätzt werden. Dies liegt zum einen daran, daß der örtliche Geltungsbereich doch vorwiegend in den neuen Bundesländern liegt und so443 Dies geht insoweit über ein einfaches und zweckmäßiges Verwaltungsverfahren gern. § 10 S. 2 VwVfG hinaus; der genannte Grundsatz folgt aus EuGH Verb. Rs. 205-215 I 82, Slg. 1983, 2633 - Milchkontor. 444 BVerwGE 48, 56167.

445

S. zu diesem Ansatz der konkreten Gewichtung auch BVerwGE 72, 15 I 19.

Auch eine Abschnittsbildung muß jedenfalls inhaltlich gerechtfertigt sein, VGH Mannheim, VBIBW 1996, 18120; BVerwG NVwZ-RR 1996, 210; NVwZ 1996, 896 1897. 446

447 Dies muß nicht unbedingt so weit gehen, wie Kastner (Diskussionsbeitrag), in: Blümel (Hrsg.), a.a.O., S. 234 meint, der eine Rechtsbeeinträchtigung schon dann annimmt (i.R. der Plangenehmigung als Enteignungsgrundlage), wenn nur "1 qm fremden Bodens" in Anspruch genommen wird (Bagatellprinzip). 448 BGBI. 1991 I S. 2174; zuletzt geändert durch Gesetz vom 15.12.1995, BGBI. 1995 I S. 1840; zur Ausarbeitung des Gesetzes und zu Einzelheiten der Regelungen s. Ronellenfitsch , Neues Verkehrswegeplanungsrecht, in Blümel (Hg.), Verkehrswegerecht im Wandel, 1994, S. 179 I 185 ff.; s.a. die Zusammenfassungen bei Reinhardt, DtZ 1992, 258 ff.; Pabst, Verfassungsrechtliche Grenzen, S. ISO ff.

E. Nationale Umsetzung europäischer Leitlinienplanung

131

mit zumindest momentan eher im Randbereich der Gemeinschaft. Zwar erfassen die europäischen Leitlinien auch rein innerstaatliche Verkehrsverbindungen, doch liegt der Schwerpunkt bei den grenzüberschreitenden Transversalen. Darüber hinaus ist der zeitlich beschränkte Anwendungsbereich zu bedenken. Ursprünglich sollte das VerkPBG nur bis zum 31.12.1995 (fur Eisenbahnen: 31.12.1999) gelten. Nunmehr ist eine von den ostdeutschen Ministerpräsidenten gewünschte allgemeine Ausdehnung der zeitlichen Geltungskraft bis zum 31.12.1999 in Kraft getreten.449 Gleichwohl schränkt diese Frist die Bedeutung für die Umsetzung der transeuropäischen Verkehrsnetze ebenfalls ein. Das VerkPBG hat flir das normale Planungsverfahren emtge Vereinfachungen vor allem bei den unechten Verfahrensstufen gebracht. 450 Raumordnungs- und Linienbestimmungsverfahren wurden zusammengefuhrt, indem sie parallel stattfinden können. Bei der Linienbestimmung wurde fur das "Benehmen" zusätzlich eine Frist eingeführt, derzufolge nach vier Monaten die Zustimmung der Landesbehörden fingiert wird, § 2 I 2 VerkPBG. Für das Planfeststellungsverfahren wurden Fristen festgesetzt, wobei diese Bestimmungen Vorbild fur das Planungsvereinfachungsgesetz wurden. Diese Fristen zielen auf eine grundsätzliche Beschränkung der Planungszeiten. Allerdings hat die Bundesregierung in den Begründungen zu zwei Gesetzesentwürfen zu den Investitionsmaßnahmegesetzen über den Bau von Autobahnabschnitten der A 20 und A 14 auf die Relativität der zeitlichen Begrenzung hingewiesen.451 Für die Abwägungsentscheidung im Rahmen des Planfeststellungsbeschlusses finden die allgemeinen Fachplanungsgrundsätze auch im Rahmen des VerKPBG Anwendung, da eine abweichende Regelung nicht gegeben ist. 452

449 Art. I Nr. I des Ersten Gesetzes zur Änderung des VerkPBG vom 15.12.1995, BGBI. 1995 I S. 1840. 450 Vgl. dazu Ronellenfitsch, in: Blümel, a.a.O., S. 179 / 1885 ff.; Steinberg, Fachplanung, S. 51 ff., äußert insbesondere wegen der eingeschränkten Öffentlichkeitsbeteiligung verfassungsrechtliche Bedenken. 45 1 Vgl. BT-Drs. 12 / 5000, Ziff. 6, und gleichlautend BT-Drs. 12 / 5001, Ziff. 6: "Bei der Einschätzung des Zeitbedarfs fiir das Planfeststellungsverfahren kann nicht lediglich eine Addition der im Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz vorgesehenen Fristen zugrunde gelegt werden. So ist zu berücksichtigen, daß es im Planfeststellungsverfahren auch nach Maßgabe des Beschleunigungsgesetzes Verfahrensschritte gibt, die gesetzlich nicht befristet sind (z.B. die Erarbeitung des Planfeststellungsbeschlusses durch die Verwaltung). Ferner liegen Risikofaktoren fiir die Verzögerungen dann, daß die Überschreitung gesetzlich festgelegter Fristen z.B. durch die Anhörungsbehörde, die Träger öffentlicher Belange sowie durch die Gemeinden sanktionslos möglich ist." 452 BVerwG NuR 1993, 125 I 126 f.

9*

132

1. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

Die ursprünglich vorgesehene Möglichkeit der Plangenehmigung nach § 4 VerkPBG ist gestrichen worden453 Für Gemeinschaftsprojekte, die nach dem VerkPBG fristgerecht begonnen wurden oder fortgeführt werden (§ 11 VerkPBGt54, finden dieselben gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze hinsichtlich der Planrechtfertigung und des Abwägungsgebotes Anwendung, wie sie auch im normalen Planungsverfahren gelten. In dieser Hinsicht kann also die Leitlinienentscheidung nachträglich neue Gesichtspunkte im Rahmen der Planfeststellung einfließen lassen. 4. Zusammenfassung

Die transeuropäischen Netze werden in aller Regel aufgrund der Fachplanungsgesetze durchgeführt werden. Dabei ist in das Planungsrecht der Bundesrepublik in den letzten Jahren Bewegung gekommen. Die Verfahren wurden zeitlich gestrafft.455 Die Plangenehmigung wurde allgemein in den Fachplanungsgesetzen verankert. Gemeinschaftsrechtliche Anforderungen an ein schnelles und effektives Verfahren wurden somit ansatzweise schon aus innerstaatlichen Gründen umgesetzt. Ob diese Verfahrenserleichterungen genügen, ist nicht abschließend zu klären. Es wird erst abgewartet werden müssen, wie zum Beispiel die Planungszeiten im Vergleich zu den anderen Mitgliedstaaten sein werden. Sollte es tatsächlich zu bedeutsamen Verzögerungen bei der Realisierung der transeuropäischen Netze in der Bundesrepublik kommen un(j sind als Ursache Mängel im Verwaltungsverfahren erkennbar, dann müßte aus europäischer Sicht de lege ferenda auch über gemeinschaftliche Regeln nachgedacht werden. Insoweit stehen aber auch andere Möglichkeiten der Realisierung zur Verfügung, wie die nachfolgenden Ausführungen zum innerstaatlichen Maßnahrnegesetz und dem Gemeinschaftsvollzug zeigen werden. Eine europäisch bedingte Auswirkung auf das nationale Planungsverfahren ist in Hinblick auf die Planrechtfertigung und das Abwägungsgebot anzuerkennen. Ronellenfitsch hatte dabei angedeutet, daß man sich "wohl nur mit europäischer Hilfe der Abwägung selbst zuwenden könnte". 456 Hier ist insoBGBI. 1993 I S. 2134. § II II VerkPBG: Die Planung gilt als begonnen mit dem Antrag auf Linienbestimmung an den Bundesminister fur Verkehr, mit dem Antrag auf Einleitung der Planfeststellung bei der Anhörungsbehörde sowie mit dem Antrag auf Plangenehmigung. 453

454

455 Eine eher fur die Abwägungsentscheidung bedeutsame Diskussion entspannt sich hingegen um den Begriff des Optimierungsgebotes. Es geht dabei darum, ob die zweckrationale Entscheidungsfindung an sich als ein fester Planungsleitsatz aufzufassen sei; s. Stüer, Bericht über die Tagung des Forschungsinstitut Speyer, DVBI. 1995, 1345. 456 Ronel/enfitsch, DVBI. 1994, 441 / 449.

E. Nationale Umsetzung europäischer Leitlinienplanung

133

weit ein erster Schritt zu europäischen Abwägungsgrundsätzen gemacht worden. Die Änderungen im Planungsverfahren haben allerdings auch grundrechtsrelevante Fragen aufgeworfen. Dies gilt zum Beispiel fiir Rechtsschutzbegrenzungen im Rahmen des VerkPBG bzgl. des generellen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage. 457 Darüber hinaus ist das BVerwG die einzige Rechtsschutzinstanz. 458 Auf das damit verbundene Grundrechtsproblem wird im Rahmen der Grundrechtsschutzes einzugehen sein. 45q

II. Nationaler Vollzug durch den Gesetzgeber Unter diesem Titel soll das Problem der Maßnahme- bzw. Einzelfallgesetze angesprochen werden. Seit der deutschen Vereinigung und dem Infrastrukturaufbau in den Neuen Bundesländern hat sich in der Bundesrepublik zu diesem Thema eine kontroverse Diskussion entfacht. 460 Das BVerfG hatte schon vorher grundsätzlich Einzelfallgesetze fiir zulässig erachtet. 461 Vorliegend soll zunächst die praktische Notwendigkeit und die Form der Ausarbeitung dargestellt werden, bevor auf die staatsorganisationsrechtlichen Probleme eingegangen wird. Grundrechtliche Fragen folgen an späterer Stelle.462 Für die transeuropäischen Verkehrsnetze könnte sich die Bedeutung von Einzelfallgesetzen insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Projektabstufung ergeben. Die Leitlinienentscheidung sieht in Art. 7 Projekte von ge457

§ 5 II VerKPBG.

§ 5 [ VerkPBG; s. zu den bisher vor dem BVerwG relevanten Fällen Paetow DVBI. 1994, 94; ders., in: Blümel (Hrsg.), Verkehrswegerecht im Wandel, 1994, S. 213. 459 2. Teil, C.I.2. 460 S. z.B. Kunig, Jura 1993, 308; Ronellenfitsch, in: Blümel, a.a.O., S. 179 / 192 ff.; ders., DÖV 1991, 771; Stüer, DVBI. 1991, 1333; Würtenberger, VBIBW 1992, 1; s. jetzt auch kritisch Blümel, DVBI. 1997, 205/210 ff.; Pabst, UPR 1997, 284/285 f. ; Investitionsmaßnahmegesetze bestehen für die "Südumfahrung Stenda1" (BGBI. I S. 1909) und für einen Autobahnabschnitt bei der Umfahrung von Wismar auf der A 20 (BGBI. 1994 I S. 734); hingegen wurde ein weiteres Gesetz im Rahmen der A 14 Magdeburg-Halle nicht mehr verabschiedet, s. dazu BT-Drs. 12 / 5000; ursprünglich sollten alle 17 Verkehrsprojekte Deutsche Einheit durch Gesetz verabschiedet werden, s. Bullinger, a.a.O., S. 108, Steinberg, Fachplanung, S. 52. Bullinger, a.a.O., S. 96 ff. hat darüber hinaus die Möglichkeit erörtert, durch bloßen Parlamentsbeschluß Vorhaben zu genehmigen. 461 BVerfGE 74, 264 Boxberg; s. umfangreiche Nachweise bei Stüer, DVBI. 1991, 1333/1335 Fn. 18; in der hessischen Begründung zum Normenkontrollantrag bzgl. des Investitionsmaßnahmegesetzes "Stendal" (im folgenden: Rone/lenfitsch, Normenkontrolle Hessen) wird von Ronellenfitsch daneben dargelegt, daß das BVerfG die Unbeachtlichkeit des Begriffs "Maßnahmegesetz" nur im weiteren Sinne, nicht jedoch auf Maßnahmegesetze im engeren Sinne, wie es hier vorliegt, erstreckt (ebd. S. 20 ff.). 462 S. unten 2. Teil, C.III. 458

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l. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

meinsamen Interessen vor. Dies sind Vorhaben, deren Verwirklichung als besonders dringlich angesehen werden. Einer dadurch bedingten finanziellen Besserstellung dieser Projekte könnte dabei eine mitgliedstaatliche Pflicht korrespondieren, diese Vorhaben besonders zügig umzusetzen.463 Innerstaatlich könnte dies den Einsatz von Maßnahmegesetzen bedingen.

1. Notwendigkeit und Verfahren bei Investitionsmaßnahmegesetzen In den bisher verabschiedeten Maßnahmegesetzen hat die Bundesregierung die Notwendigkeit beschränkter Einzelfallgesetze mit besonderen regionalplanerischen Schwierigkeiten464 bzw. wirtschaftlichen Notwendigkeiten465 und dem verfassungsrechtlichen Auftrag zur Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse begründet. 466 Diese besonderen tatsächlichen Umstände würden die Planungszeiten des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes ungenügend erscheinen lassen.467 Die Ausarbeitung der Pläne, die dem Maßnahmegesetz zugrunde liegen, hat in der Praxis eine private Gesellschaft übernommen.468 Der Grund dafür ist, daß die Verwaltungen in den neuen Ländern angesichts der zahlreichen Infrastrukturprojekte und der andauernden Aufbauphase überfordert seien. 469 Daneben mögen auch Zweifel an der Effektivität der Verwaltungsarbeit bestanden haben. Beim Gesetz zur Südumfahrung Stendal (GStendal) hat es darüber hinaus eine öffentliche Anhörung durch den Ausschuß sowie Informationsbesuche in Stendal gegeben.470 463 So sah es auch der im Ergebnis nicht beibehaltene Art. 7 des Entscheidungsentwurfs der Kommission (ABI. C 220 vom 8.8.1994, geändert ABI. C 97 vom 20.4.1995) vor. 464 Vgl. BT-Drs. 1215126, Ziff. II I, III 2; in der Gesetzesbegründung BT-Drs. 121 3477, Ziff. 6 wird zudem ausdrücklich die Notwendigkeit der gleichzeitigen Fertigstellung der Südumfahrung Stendal im Rahmen des Gesamtprojektes festgestellt. 465 BT-Drs. 12 15000, Ziff. 5; BT-Drs. 1215001, Ziff. 5.

Vgl. § I GStendal; § I BT-Drs. 12 I 5000 und 12 I 500 I. BT-Drs. 1215000, Ziff. 6 ff.; BT-Drs. 1215001, Ziff. 6 ff.; BT-Drs. 1213477, Ziff. 7 ff.; in BT-Drs. 1215126, S. 5 Nr. 15 ff. wurde der Zeitgewinn als ausdrückliche Frage an die Sachverständigen formuliert. 46 R S.a. Würtenberger, VBIBW 1992, I I 3; vgl. auch Klofat, Einschaltung Privater, in: Blümel (Hrsg.), Einschaltung Privater beim Verkehrswegebau, 1993, S. 7 ff.; Steinberg, Fachplanung, S. 52 Fn. 209 sieht insoweit einen Verstoß gegen Art. 33 Abs. 4 GG gegeben; zu der Beteiligung Privater s. umfassend Pabst, Verfassungsrechtliche Grenzen der Privatisierung im Fernstraßenbau, 1997, S. 240 ff., 120 ff. 466 467

469 BT-Drs. 1215000, Ziff. 10; BT-Drs. 1215001, Ziff. 10; BT-Drs. 1213477, Ziff. II. Bezüglich des GStendal bestreitet der Bürgermeister der Stadt Stendal allerdings gerade diese Behauptung, Gebhardt, in: Wortprotokoll, S. 45. 470 BT-Drs. 1215126, Ziff. I 2 ff.; vgl. BT-Ausschuß fiir Verkehr, Ausschuß-Drs. 121 364.

E. Nationale Umsetzung europäischer Leitlinienplanung

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2. Staatsorganisationsrechtliche Verfassungsprobleme a) Problem der Bundeszuständigkeit

Voraussetzung für den Erlaß spezieller Einzelfallgesetze des Bundes ist zunächst seine Gesetzgebungskompetenz. Die Bundesregierung hat für die Investitionsmaßnahmegesetze die Kompetenz aus den Art. 73, 74 GG abgeIeitet.471 Für den Bereich der Bundesbahn und des Luftverkehrs gilt die ausschließliche Bundeszuständigkeit aus Art. 73 Nr. 6, 6a GG. Für den Bereich der Straßen- und Wasserwege ist hingegen die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Nr. 21, 22 GG einschlägig. Art. 73 Nr. 6a und Art. 74 Nr. 22 GG nennen fiir den Eisenbahn- und Straßenverkehr ausdrücklich den "Bau" der entsprechenden Verkehrswege. Das nach Art. 74, 72 Abs. 2 GG erforderliche Bedürfnis nach einer bundeseinheitlichen Regelung ergibt sich nach Auffassung der Bundesregierung aus der Herstellung "einheitlicher Lebensverhältnisse" in der Bundesrepublik.472 § I Abs. 1 Gstendal, § 1 Abs. 1 GAutobahn-Wismar und § I Gesetzentwurf Könnern greifen das in Art. 72 Abs. 2 GG genannte Erfordernis ausdrücklich auf, wobei zugleich die besondere Ausnahmesituation dieser Vorgehensweise gerechtfertigt werden soll. Im Rahmen von Art. 72 Abs. 2 GG kann insoweit auch auf Art. 129b EGV Bezug genommen werden. Die Förderung des europäisch-wirtschaftlichen Zusammenhaltes paßt zu dem in Art. 72 Abs. 2 GG formulierten überregionalen Bezug, da die Einheitlichkeit (bzw. Gleichwertigkeit) der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet zugleich als Teil der Gemeinschaft angesehen werden kann. Hessen hat in seinem Normenkontrollantrag bzgl. des GStendal allerdings auf die Einschlägigkeit der Verwaltungskompetenz der Länder hingewiesen.473 Der Bund würde in den Verwaltungsbereich der Länder eingreifen, was mit der föderalen Gewaltenteilung unvereinbar sei. Zwar belasse Art. 87 Abs. 1 S. I, 87d, 87e und 89 GG Wasserstraßen, Eisenbahn und Luftverkehr grundsätzlich in der bundeseigenen Verwaltung, doch sei auch der Bund bei den planefischen Vorarbeiten auf die Landesbehörden angewiesen. Hier be47 1 Vgl. BT-Drs. 12/5000, S. 11; BT-Drs. 12/5001, S. 11; a.A. aber Bullinger, a.a.O., S. 106: allenfalls kann eine Kompetenz aus der Natur der Sache vorliegen, da es sich um eine Verwaltungstätigkeit handelt. 472 Ein sachlicher Unterschied zu der in Art. 72 Abs. 2 n.F. festgeschriebenen "Gleichwertigkeit" der Lebensverhältnisse ist insoweit kaum festzustellen. 473 Ronellenfitsch, Normenkontrolle Hessen, S. 33 f.; s. auch die Ausschußminderheit zum GStendal, BT-Drs. 12 / 5126, Ziff. III 4; zu diesem Problem vgl. Kunig, Jura 1993, 308 I 309; Bullinger, a.a.O., S. 105 f. weist auf die (theoretische) Möglichkeit der Mischverwaltung hin, wenn die Landesbehörden die Pläne ausarbeiten und der Bundestag diese als Gesetz erläßt.

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1. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

stünde aber ein qualitativer Unterschied, ob die Landesbehörden mit einer Bundesbehörde oder dem Bundesgesetzgeber konfrontiert werden. 474 Bezüglich der Bundesautobahnen sei die Befugnis der Länder sogar noch stärker, da deren Planung prinzipiell im Wege der Bundesauftragsverwaltung erfolge, Art. 85, 90 GG. Nach Art. 90 Abs. 3 GG sei aber eine Rückübertragung der Verwaltungskompetenz auf die Länder nur mit deren Zustimmung möglich475 , an der es hier fehlen würde. Aus der bundesstaatliehen Trennung von Gesetzgebungszuständigkeit und Verwaltungsvollzug folge zudem, daß eine umgekehrte Ableitung, d.h. der Schluß von der Verwaltungszuständigkeit auf die Gesetzgebungszuständigkeit nicht zulässig sei.476 Diese Argumente überzeugen im Ergebnis allerdings nicht. 477 Die Verwaltungskompetenzen nach Art. 83 ff. GG setzen etwas Vollzugsfähiges voraus, was andererseits jedoch nicht vorhanden ist, wenn das Gesetz den Verwaltungsvollzug schon selbst regelt. 478 Die Kompetenz zur Regelung des Verwaltungsvollzuges folgt dabei im Einzelfall aus Art. 73 Nr. 6, 6a, 74 Nr. 21, 22 GG. Der Grundgedanke der Art. 83 ff. GG bliebe dabei institutionell erhalten, da der Bund ja nicht in einem gesamten Bereich die Verwaltung übernimmt. Der Bund wird vielmehr nur in einem sehr beschränkten Planungsabschnitt aufgrund einer besonderen wirtschaftlichen oder politischen Situation tätig. 479 Gewaltendurchbrechungen im Verhältnis von Bund und Ländern sind in einem föderalen bundesstaatliehen System nichts Ungewöhnliches, wie ja auch die abgestuften Verwaltungskompetenzen im System der Art. 83 ff. GG zeigen. Entscheidend ist die Frage, ob der hinter den Regelungen stehende Gedanke der Gewaltenhemmung und der Eigenstaatlichkeit der Länder durch ein Bundesinvestitionsmaßnahmegesetz ausgehebelt wird. Dies kann aber wegen der Singularität eines Einzelfallgesetzes nicht angenommen werden. Darüber hinaus ist zusätzlich die Eigenart der in Rede stehenden Verwaltungskompetenz zu berücksichtigen. Der Einfluß des Bundes besteht mindestens in Form der Bundesauftragsverwaltung bei den Bundesautobahnen gern. Art. 90 Abs. 2 GG, ansonsten handelt es sich um eine bundeseigene Verwaltung. 480 Auch wenn bei den anderen Verkehrsbereichen von der grundgesetz474 475

Ronellenfitsch, Normenkontrolle Hessen, S. 34. Vgl. Würtenberger, VBIBW 1992, 1/2.

476 Ronellenfitsch, DÖV 1991, 771 / 779; ders., in: Wortprotokoll, S. 41, 52, 56 f.; kritisch unter dem Gesichtspunkt der Aufgabenteilung auch Klinski, Wortprotokoll, S. 15. 477 Im Ergebnis ebenso Klinski, Wortprotokoll, S. 37. 47" Bethge, Wortprotokoll, S. 15. 479 Vgl. auch Bullinger, a.a.O., S. 105. 4" 0 Der Begriff der "Verwaltung" umfaßt in jedem Fall auch die Planung von Verkehrs-

E. Nationale Umsetzung europäischer Leitlinienplanung

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lieh vorgesehenen Möglichkeit der Bundesauftragsverwaltung gern. Art. 87d Abs. 2, Art. 89 GG Gebrauch gemacht wurde und die Verkehrswegeplanung somit grundsätzlich durch Landesbehörden durchgeführt wird, ist der Einfluß des Bundes z.B. bei der Linienbestimmung und allein schon wegen seiner Eigentümerstellung nicht unerheblich. Darin liegt gerade ein qualitativer Unterschied im Vergleich zu den normalerweise von den Landesbehörden gegenüber den einzelnen zu vollziehenden Gesetzen. 481 Die Wahrnehmung der Bundeskompetenz gern. Art. 72 ff. GG kann letztlich als Ausfluß der EigentümerstelJung des Bundes gesehen werden, die zumindest in Ausnahmefallen gestattet sein muß. In diesem Zusammenhang sind auch Ausführungen des BVerwG in einem Fall von Interesse, wo es um die Bundeskompetenz zum Erlaß von Verwaltungsakten im Rahmen der straßenrechtlichen Bundesauftragsverwaltung (Art. 90 Abs. 2 GG) ging482 : "Für eine bundeseigene Verwaltungskompetenz ist danach im Bereich der Bundesfernstraßenverwaltung grundsätzlich kein Raum. Eine Kompetenz des Bundes kommt vielmehr allenfalls ausnahmsweise unter dem Gesichtspunkt einer ,Kompetenz aus der Natur der Sache' in Betracht. ( ... ) Eine Befugnis des Bundes, im Rahmen der ihm nach § 16 Abs. I FemStrG obliegenden Aufgaben Verwaltungsakte zu erlassen, wird daher durch Zweckmäßigkeitserwägungen nicht nahegelegt und erscheint auch im Interesse einer sachgerechten Aufgabenerfüllung nicht erforderlich. Nur unter dieser letzten Voraussetzung wäre jedoch die Annahme gerechtfertigt, daß der Bund stillschweigend aus der Natur der Sache heraus befugt wäre, auch Verwaltungsakte auf einem Gebiet zu erlassen, das nicht zur bundeseigenen Verwaltung gehört( .. . )."

Diese Grundsätze sind für den Bereich der Investitionsmaßnahmegesetze nur indizierend, da es nicht um eine Tätigkeit einer Bundesbehörde im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung geht. Gleichwohl ist festzustellen, daß in Ausnahmebereichen der Bund unter der Voraussetzung einer "sachgerechten Aufgabenerfiillung" tätig werden kann. Für Investitionsmaßnahmegsetze ist parallel hierzu zu fordern, daß die Wahrnehmung einer Gesetzgebungskompetenz jedenfalls diesem Kriterium genügen muß. Hier kann insoweit das Beschleunigungsgebot maßgeblich fiir eine sachgerechte Aufgabenerfüllung herangezogen werden. infrastrukturen, BVerwGE 62, 342 I 344; MD-Maunz, Art. 87d Rn. 12; MD-Maunz, Art. 89 Rn. 37; MD-Maunz, Art. 90 Rn. 31, 34; Schmidt-Bleibtreu / Klein, Art. 90 Rn. 40; zur Auftragsverwaltung der Länder bei der Planfeststellung von Flughäfen s. Bäum/er I Kopf/ Schönfelder, NJW 1980, 922 ff; Schmidt-Aßmann, DVBI. 1981, 334 ff. •Kt Insoweit ist auch die vom BVerfGE 22, 180 I 216 f. angenommene Möglichkeit, daß der Bund in Bereichen, die nicht der bundeseigenen Verwaltung gern. Art. 86 ff., sondern Art. 83 ff. unterfallen, in Ausnahmefallen kraft einer Kompetenz aus der Natur der Sache tätig werden kann, im Bereich der Straßenverwaltung nicht überzeugend. 4K2 BVerwGE 62, 342 I 344 f.

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l. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

Die Wahrnehmung der Bundeskompetenz muß auch vor Art. 72 Abs. 2 GG Bestand haben. Allerdings hat der Bund des öfteren eine Kompetenz fur sich in Anspruch genommen, ohne dem dahinterstehenden Subsidiaritätsgedanken vertieft Rechnung zu tragen. Dies zeigt, daß es sich um ein vorwiegend politisches Prinzip handelt.483 An dieser Stelle wird darauf auch wegen des europäischen Subsidiaritätsprinzips hingewiesen. Es muß janusköpfig erscheinen, wenn der Bund auf der nationalen Seite dem Subsidiaritätsgedanken im Grunde genommen wenig Aufmerksamkeit schenkt, auf der europäischen Seite jedoch dieses Prinzip vehement verficht.484 Das BVerfG hat in seinem Beschluß vom 17.7.1996 zur "Südumfahrung Stendal" in der Bundeszuständigkeit kein entscheidendes Hindernis fur ein Investitionsmaßnahmegesetz gesehen. Das Gericht weist auf die Gesetzgebungskompetenz des Bundes bei Eisenbahnen aus Art. 73 Nr. 6a GG und auf die Verwaltungskompetenz aus Art. 87 Abs. 1 S. 1 a.F. und Art. 87e GG hin.485 Das BVerfG brauchte sich wegen dieser "doppelten" Kompetenz nicht darauf festzulegen, ob fur die Frage der Kompetenz die Gesetzgebungs- oder Verwaltungszuständigkeit ausschlaggebend sei. Interessant ist darüber hinaus, daß das BVerfG unabhängig von dem konkreten Fall beiläufig die Verwaltungskompetenz für Straßen gern. Art. 90 Abs. 3 GG erwähnt. Dadurch deutet es an, daß es auch fur Investitionsmaßnahmegesetze im Bereich des Straßenbaus keine Zuständigkeitsprobleme sieht. 486 Der Unterschied von Art. 87e GG (bundeseigene Verwaltung) und Art. 90 Abs. 3 GG (erst auf Antrag des Landes bundeseigene Verwaltung) ist unter diesen Umständen unerheblich. b) Eingriff in den Kernbereich der Exekutive?

aa) Problemstellung und Lösungsansatz

In einem engen Zusammenhang mit der Frage nach dem Einfluß der Verwaltungskompetenzen stellt sich das Problem, ob der Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG) nicht Einzelfallgesetze generell verbietet. Es handelt sich dabei um das Problem der horizontalen Gewaltenteilung im Gegensatz zu der eben diskutierten Schwierigkeit der vertikalen Kompetenz483 Fraglich ist, ob das Erfordernis gemäß Art. 72 Abs. 2 GG durch die GO-Änderung gestärkt worden ist, wie es ursprünglich beabsichtigt war. 484 Dies gilt insbesondere auch fllr das BVerfG, s. die berechtigte Kritik bei Hirsch, NJW 1996, 2457 I 2460. 485 BVerfG NJW 1997, 383/384. 486 A.A. Pabst, UPR 1997, 284 / 286.

E. Nationale Umsetzung europäischer Leitlinienplanung

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verteilung. Der Gesetzgeber handelt als Verwaltungsorgan. 487 Dies könnte der "organadäquaten Funktionenverteilung" widersprechen, derzufolge die sachgemäße Kompetenzverteilung an der unterschiedlichen Struktur der Staatsorgane orientiert ist. 488 Die Frage ist, ob es möglich ist, daß der Gesetzgeber als Gesetzesvollzieher tätig wird.489 Bei der Planungsentscheidung ist das Parlament sowohl an landesrechtliche Regelungen wie z.B. das Bauordnungsrecht, Naturschutz- und Wasserrecht gebunden als auch zur Berücksichtigung von Individualinteressen verpfl.ichtet. 49° Funktional könnte der Bundestag damit überfordert sein, da es sich um eine typische Verwaltungsarbeit handelt.491 Diese Einwände können jedoch nicht überzeugen. Da der Gesetzgeber nicht die Planung, sondern nur die Rechtsnatur des Beschlusses ersetzt, wird die Funktion der Verwaltung insoweit nicht ausgehebelt. 492 Vielmehr handelt es sich damit im Grunde genommen um eine Kritik an den Planungsgesellschaften, die anstelle der Verwaltung die Planung durchführen.493 Deren Qualität bei der Planung in bezug auf die Beachtung von Landes- und Individualrechten wird in Frage gestellt. Kunig vertritt in Hinblick auf die horizontale Kompetenzverteilung die Auffassung, daß nur ein relativer Kernbereichsschutz in Frage komme. Solange die Grundentscheidung der Funktionentrennung nicht in Frage gestellt 487 Praktisch interessant ist insoweit der Ausschußbericht zum GStendal, BT-Drs. 12 I 5126, in dem die Arbeitsweise deutlich wird. So stimmen die Ausschußmitglieder mehrheitlich über die einzelnen verfassungsrechtlichen und verfahrensrelevanten Fragen sowie über die Qualität der Planung ab, was z.B. bei der Frage, ob eine Auslegungszeit der Unterlagen von zwei Wochen ausreichend ist, durchaus kurios wirkt. Bedenklich stimmt allerdings, daß die Abstimmung klar anhand der Fraktionsgrenzen verläuft, was darauf schließen läßt, daß die planensehen Abwägungsfragen nicht allein nach sachgemäßen Punkten entschieden werden. 488 Würtenberger, VBlBW 1992, I / 2; in BVerfGE 68, I hat das Gericht gefordert, daß prinzipiell das fachlich am geeignetsten Organ entscheiden möge; Ausnahmen wie in unserem Fall sind in dieser Hinsicht zumindest möglich; s.a. Bullinger, a.a.O., S. 110, der für diese "typusfremde Tätigkeit" eine besondere Rechtfertigung verlangt. 489 Vgl. dagegen Rone/lenfitsch, Normenkontrolle Hessen, S. 29 f. 490 Rone/lenfitsch, DÖV 1991, 771 /780. 49 1 Kunig, Jura 1993, 308/314 spricht auch die Überforderung des einzelnen Abgeordneten an, lehnt diese Argument letztlich aber - zu Recht - ab; s.a. Rone/lenfitsch, Normenkontrolle Hessen, S. 28 f. ; in BT-Drs. 12/5126 wurde von den Vertretern der Opposition des öfteren dieser Einwand vorgebracht. 492 In der Anhörung zu dem GStendal wurde wiederholt auf die Notwendigkeit hingewiesen, daß die Planungen ausreichend alle Abwägungsbelange berücksichtigen müsse·, vgl. Kunig, Wortprotokoll, S. 34. 493 Insoweit erscheint es inkonsequent, wenn Würtenberger, VBIBW 1992, I I 4 diese offensichtlich als zulässig erachtet, soweit sie nicht mittelfristig zu einer Aushöhlung der Länderkompetenzen führten.

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I. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

werde, könne der Gesetzgeber auch verwaltungstypische Entscheidungen an sich ziehen. 494 Kunig begründet dies damit, daß der Gesetzesvollzug nicht nach Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG monopolisiert sei, sondern nur der qualifizierte Bestand der Exekutiven gefordert werde. 495 Zieht der Gesetzgeber eine Verwaltungstätigkeit an sich, kann dies als Vorrang der Legislative gedeutet werden. Entscheidend dürfte dabei auch sein, inwieweit der Gesetzgeber "quantitativ" Einzelfallgesetze erläßt. Entgegen der Ansicht von Ronellenfitsch kann nicht bestritten werden, daß die Legislative über der Exekutive steht. 496 Dies gebietet sowohl der Gesetzesvorrang als auch die unmittelbarere demokratische Legitimation. Somit kann die Legislative aber auch in legitimer Weise, als Ausdruck der "volonte generale", in einem weiten Maße Entscheidungen an sich ziehen. 497 Der Sinn der Gewaltenteilung besteht zwar auch in einem absoluten Kernbereichsschutz, der jedoch insbesondere quantitativ zu bestimmen ist. Wie der Begriff "Einzelfall"-Gesetz aber schon zeigt, geht es nicht darum, der Exekutive Planungsentscheidungen vollständig zu entziehen. Insoweit kommt es auch tatsächlich auf die besondere Einzelfallsituation an. In diesem Zusammenhang drängt sich der Vergleich mit einer Legalenteignung auf, die nicht nur wegen der expliziten Nennung in Art. 14 Abs. 3 GG als zulässig angesehen werden kann. Die horizontale Gewaltentrennung dient nicht nur dem Prinzip des "checks and balances", sondern sie ist auch eingebettet in den staatlichen Gesamtrahmen. Der Staat dient als Organisationseinheit der Verwirklichung bestimmter Allgemeinwohlaufgaben, die einerseits verfassungsrechtlich vorgegeben sind, andererseits durch die Bevölkerungsmehrheit in Wahlen und Abstimmungen als dringlich erachtet werden. Daraus folgt, daß diese Allgemeinwohlaufgaben grundsätzlich auch effektiv verwirklicht werden müssen. In staatsorganisatorischer Hinsicht bedeutet eine solche Orientierung an den Allgemeinwohlzielen, daß der Gesetzgeber dann auch im eigentlich exekutiven Bereich tätig werden kann, wenn im Einzelfall eine effektivere und gleichwohl sachgemäße Realisierung dieser Ziele möglich ist. Soweit gerade die "sachgemäße" Entscheidung bezweifelt wird498 , ist 494 Kunig, Jura 1993, 308 1310; vgl. ders., Wortprotokoll, S. 9: Es gibt keinen absoluten "Verwaltungsvorbehalt". 495 Kunig, Jura 1993, 308 I 310. 496 Siehe Ronellenfitsch, DÖV 1991 , 771/777. 497 V gl. auch in anderer Hinsicht BVerfG EuZW 1994, 281 I 310 ff. zum konstitutiven Entscheidungserfordernis des Parlaments bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr. 49R Ronellenfitsch, Normenkontrolle Hessen, S. 28: "Die Richtigkeitsgewähr solcher Zulassungsentscheidungen ist grundsätzlich nur gegeben, wenn sie von der Verwaltung getroffen werden."; ebd. S. 31 : "Gebundene Entscheidungen und planensehe Abwägungsentscheidungen sind aber, da sie keine Mehrheitentscheidungen gestatten, der demokratischen Gesetzgebung wesensfremd"; vgl. auch Gebhardt, Wortprotokoll, S. 71 ff.

E. Nationale Umsetzung europäischer Leitlinienplanung

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die planensehe Verwaltungsvorarbeit zu berücksichtigen, in der die Letztentscheidung maßgeblich vorbereitet wird. Der Gesetzgeber verleiht dem Entscheidungsakt vor allem eine besondere Rechtsnatur; er plant und wägt jedoch nicht selbständig und losgelöst von einem Verwaltungssachverstand ab.499 Die Argumentation, daß der Bundesgesetzgeber die Landesgesetze beachten muß, mutet dann seltsam an, wenn es um die Bindung des parlamentarischen Gesetzgebers gehen sollte. Denn das Parlament ist nie vollständig frei in seinen Entscheidungen und z.B. auch der Verfassung unterworfen. Darüber hinausgehende Bindungen an Landesgesetze bedeuten eine freiwillige Selbstbeschränkung. Der Planungsvorteil liegt fur den Vorhabensträger regelmäßig vielmehr darin, daß er - neben dem eingeschränkten Rechtsschutz - nicht an ein formalisiertes öffentliches Verfahren gebunden ist. 500 Dadurch wird natürlich eine Gesetzesbindung des Parlamentes nicht ersetzt. Tatsächlich liefen die Verwaltungsvorarbeiten der privaten Planungsgesellschaften ähnlich einem Planfeststellungsverfahren unter Einbeziehung der Behörden und der betroffenen Bürger ab. 501 Das Argument des administrativen Vorbehaltes wird daneben mit der Überforderung des Abgeordneten begründet. 502 Diese mag zwar in der Realität bestehen, doch ist dies nicht nur ein Problem des Einzelfallgesetzes. 503 Die Spezialisierung und Technisierung der Bereiche hat zur Folge, daß der Bundestag oftmals Regelungen beschließen muß, die nicht alle Abgeordneten nachvollziehen können oder woller1.. Verfassungsrechtlich kann daraus allein aber noch nicht die Unzulässigkeit entsprechender Maßnahmegesetze folgen.s04 499 Insoweit ist das oben schon erwähnte Dokument BT-Drs. 12/5126 aufschlußreich. Die von den Ausschußminderheit vorgebrachten Bedenken sind insgesamt prinzipieller Art. Eine verwaltungstechnische Beratung zu einzelnen Fragen, wie sie auch im Planfeststellungsbeschluß erörtert werden, wäre bei sachkundiger Beratung in jedem Falle möglich gewesen. 500 Vgl. BT-Drs. 12/5000, Ziff. 8 f.; BT-Drs. 12/5001, Ziff. 8 f.; BT-Drs. 12 / 3477, Ziff. 9 f. 50 1 Ronellenfitsch, Normenkontrolle Hessen, S. 29 f.; s.a. Berichte über den Verfahrensgang, z.B. in BT-Drs. 12/5001, S. 91 ff. 502

So die Ausschußminderheit zum GStendal, BT-Drs. 12 / 5126, Ziff. III I, 9c), 9f).

503

I.E. ebenso Kunig, Wortprotokoll, S. 25.

504 Dies auch nicht dadurch, daß Ronel/enfitsch, Normenkontrolle Hessen, S. 27 ff. auf die Besonderheiten des planensehen Abwägungsverfahren hinweist. In letzter Konsequenz würde dies dann dazu fuhren, daß bei jeder parlamentarischen Debatte die Frage nach der Sachkompetenz auftauchen würde. Es geht insoweit aber auch um die politische Verantwortung fiir ein Verkehrsprojekt.

142

I. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

Somit kann das Prinzip der Gewaltenteilung einem Einzelfallgesetz für die Umsetzung konkreter Verkehrsprojekte regelmäßig nicht entgegenstehen. Auf grundrechtsrelevante Fragen wird später einzugehen sein. 505 bb) Die Entscheidung des BVerfG NJW 1997, 383" Südumfahrung Stendal" Das Gericht hat in seiner Entscheidung die oben dargelegten Grundsätze weitgehend bestätigt. Es führt aus, daß staatlichen Planung weder eindeutig der Legislativen noch der Exekutiven zugeordnet werden könne, obwohl die Planvorbereitung jedenfalls der Verwaltung obliege. 506 Das Prinzip der Gewaltenteilung sei durch den Gedanken der Gewaltenverschränkung durchbrachen, und nur der Kernbereich der Gewalten sei unveränderbar. 507 Gerade Art. 14 Abs. 3 S. 2 und Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG bestätigten, daß durch ein Gesetz auch Einzelfälle geregelt werden könnten. Jedoch hat das BVerfG dem Grundsatz der Gewaltenteilung auch eine besondere Schranke entnommen5os: "( ... ) Schranken ergeben sich aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung insofern, als diese auf die gegenseitige Mäßigung und Kontrolle der Staatsorgane ausgerichtet ist und mithin auch grundrechtsschützende Funktionen erfullt. Eine Entscheidung über eine konkrete Fachplanung ist nach den einschlägigen Fachplanungsgesetzen üblicherweise der Verwaltung vorbehalten, die dafur den erforderlichen Verwaltungsapparat und Sachverstand besitzt. Das Parlament darf durch Gesetz eine solche Entscheidung nur dann an sich ziehen, wenn hierfur im Einzelfall gute Gründe bestehen, etwa weil die die schnelle Verwirklichung des Vorhabens von besonderer Bedeutung fur das Gemeinwohl ist. Insofern steht dem Gesetzgeber ein Beurteilungs- und Einschätzungsspielraum zu."

Im konkreten Fall hat das BVerfG das Vorliegen "guter Gründe" bejaht und das Gesetz insoweit für verfassungsgemäß erachtet.509 Dieser Rechtsprechung des BVerfG ist im Grundsatz zuzustimmen, auch wenn das Kriterium Siehe 2. Teil, C.II.2. BVerfD NJW 1997, 383. 507 BVerfD NJW 1997, 383. 508 BVerfD NJW 1997, 383 / 384. 509 BVerfD NJW 1997, 383 / 384. Interessanterweise hat das BVerfD auch darauf abgestellt, daß die Hochgeschwindigkeitsstrecke Hannover-Berlin (dessen Teil die Südumfahrung Stendal ist) nach dem gesetzgebensehen Vorstellungen auch im internationalen OstWest-Verkehr eine zentrale Rolle zukommt, was gerade in Hinblick auf die transeuropäischen Netze fiir ein zusätzliches Gewicht bei der Frage der Zulässigkeit von Einzelfallplanungsgsetzen spricht. S.a. die beachtliche Urteilskritik von Blümel, DVBI. 1997, 205 I 210 f., und Pabst, UPR 1997, 284 / 285 f., die darauf hinweisen, daß es angesichts des geänderten Planungsrechtes fraglich sei, ob das GStendal überhaupt eine beschleunigte Planung bewirke. 505

506

E. Nationale Umsetzung europäischer Leitlinienplanung

143

des "guten Grundes" von einer gewissen Lustlosigkeit des Gerichts zeugt, überzeugende Anhaltspunkte für die Zulässigkeit von Einzelfallgesetzen in Hinblick auf die horizontale Gewaltenteilung zu finden. 510 Dies ist jedoch im Ergebnis jedenfalls dann unschädlich, wenn sich - wie hier - aus der Grundrechtsrelevanz des Planungsgesetzes ein erhöhter Rechtfertigungsdruck ergibt. Die dabei herangezogenen Gründe, können grundsätzlich auch fiir die Frage der Durchbrechung der Gewaltenteilung herangezogen werden. 3. Bedeutung für die Umsetzung transeuropäischer Verkehrsnetze

Es wurde darauf hingewiesen, daß die Investitionsmaßnahmegesetze auf einer besonderen politischen und wirtschaftlichen Ausnahmesituation basieren, die im Einzelfall eine Abweichung von regulären staatsorganisationsrechtlichen Prinzipien gestattet. Auf europäischer Ebene kann selbst bei dem prognostizierten Verkehrsaufkommen grundsätzlich nicht von einem vergleichbaren infrastrukturellen Defizit gesprochen werden, das allgemein Einzelfallgesetze rechtfertigen würde. Stattdessen wird jedoch hier die besondere Bedeutung europäischer Verpflichtungen relevant. Art. 23 Abs. 1 GG und die Präambel verpflichten die Bundesrepublik zur Verwirklichung eines vereinten Europas. Als konkrete Folge davon kann Art. 72 Abs. 2 GG in einem Sinne ausgelegt werden, daß der Bund auch zur Verwirklichung europäischer Ziele eine bundesgesetzliche Regelung grundsätzlich treffen kann. Werden Leitlinien als Entscheidungen erlassen, entsteht eine unbedingte Umsetzungsverpflichtung. Daraus leitet sich aber nicht schon per se die Notwendigkeit eines Investitionsmaßnahmegesetzes ab, da europarechtlich grundsätzlich kein Eingriff in das innerstaatliche Kompetenzgefiige begründet ist, solange die Umsetzung effektiv und die Rechtssicherheit gewährleistet ist. 511 Gleichwohl sieht die Leitlinienentscheidung eine Abstufung der Vorhaben nach besonderer Dringlichkeit vor, wenn es sich um Projekte von gemeinsamem Interesse handelt. Insoweit kann eine europarechtlich bedingte höherrangige Verpflichtung grundsätzlich geeignet sein, eine besondere Situation für ein Investitionsmaßnahmegesetz zu begründen. Es kommt dann auf eine tatsächliche Gesamtschau an. Zu berücksichtigen wäre der Realisierungsmaßstab in den angrenzenden Mitgliedstaaten. Im GStendal hat die Bundesregierung ausdrücklich auf die Notwendigkeit eines gleichzeitigen Projektabschlus510 Blümel, DVBI. 1997, 205 I 211 weist auf die Nähe zu dem Kriterium des "trifitigen Grundes" filr die Zulässigkeit einer Legalenteignung hin. 511 Vgl. zur Umsetzung durch Verwaltungsvorschriften EuGH Rs. C-361 188, Slg. 1991, I-2567 12601 Rn. 18 ff. - TA Luft; vgl. in diesem Zusammenhang auch EuGH Rs. C-131 I 88, Slg. 1991, I-825 - Kommission I Deutschland; zu dem Problem der Verwaltungsvorschriften s.a. von Danwitz, VerwArch 1993, 73 ff.

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I. Teil: Verkehrswegeplanung in der EG

ses der gesamten Strecke hingewiesen. Dies gilt ebenso für transeuropäische Transversalen, die u.U. sogar ein Tätigwerden der EG rechtfertigen könnten. Die Dringlichkeitseinstufung durch die EG ist ein ebenfalls zu berücksichtigender Punkt. Hierbei können auch lokale Besonderheiten und Bedingungen eine Rolle spielen, wenn ein Engpaß kurzfristig beseitigt werden muß. Die Bedeutung von Investitionsmaßnahmegesetzen für die transeuropäischen Netze hängt somit entscheidend von den tatsächlichen Infrastrukturdefiziten ab. Grundsätzlich gilt jedoch, daß die europarechtliche unbedingte Umsetzungsverpflichtung einen geringeren Defizitgrad im Vergleich mit den neuen Bundesländern ausgleichen kann. Der Vorteil von Investitionsmaßnahmegesetzen im Vergleich zu einem europäischen Rechtsakt kann dabei prinzipiell darin gesehen werden, daß er einen Mangel in einem rein innerdeutschen Teilstück transeuropäischer Netze beheben kann, wo die EG wegen des Subsidiaritätsgedankens zurückstehen muß.

Zweiter Teil

Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz im Bereich der europäischen Verkehrsinfrastrukturplanung Verkehrswegeplanungen rufen vielfach Konflikte hervor, wo ein Interessenausgleich zwischen öffentlicher Gewalt und Grundrechtsträger gefunden werden muß. Dahinter stehen neben gesellschaftspolitisch relevanten Aspekten wie beispielsweise urnwelt- und marktwirtschaftpolitischen Fragen die einzelnen Grundrechte, die verfahrens- und interessenmäßig gegeneinander und mit öffentlichen Interessen abzuwägen sind. Es würde im Rahmen dieser Arbeit allerdings zu weit fUhren, wenn die außergrundrechtliehen Probleme fiir die transeuropäischen Verkehrsnetze behandelt würden. Insoweit soll der Hinweis auf deren Relevanz genügen. Die Fragen des Grundrechtsschutzes beziehen sich in erster Linie auf den Abwehrgehalt gegenüber gemeinschaftlichen und mitgliedstaatliehen Planungen. Da es an einer ausdrücklichen Vorrangregelung zugunsten der Gemeinschaftsrechtsprechung gerade auch in Hinblick auf den Grundrechtsschutz fehlt, bedarf es nach der Darstellung des grundsätzlichen gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtsstandards (A.) der Abgrenzung der europäischen Jurisdiktion zu der innerstaatlichen Bundesverfassungsgerichtsbarkeit Es muß in dieser Hinsicht die viel diskutierte Frage geklärt werden, ob dem EuGH oder dem BVerfG das verbindliche Letztentscheidungsrecht zukommt (B.). Anschließend ist auf einzelne Grundrechtsprobleme bei der Umsetzung der Verkehrswegeplanung einzugehen (C.). Bei der Frage nach dem Grundrecht auf Mobilität (D.) geht es hingegen nicht um die durch eine Verkehrswegeplanung Belasteten, sondern um die Infrastrukturbegünstigten. Damit verbunden ist die Frage, ob es ein Grundrecht auf Mobilität gibt.

A. Geltungsgrund europäischer Grundrechte: Ein Abriß Europäische Grundrechte sind sowohl in ihrer Entwicklung als auch in ihrem Geltungsbereich schon häufig Gegenstand wissenschaftlicher Untersu10 Jürgensen

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2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

chungen gewesen. 1 Grundrechte sind zumindest im westlichen Demokratieverständnis integraler Bestandteil für ein (staatliches) Gemeinwesen. Die Weiterentwicklung der Gemeinschaft durch die Gründung der Europäischen Union und die aktuelle Diskussion über das Endziel der europäischen Integration lassen die Grundrechte zu einem wichtigen Baustein im gemeinschaftlichen Gefüge werden. 2 Vor diesem Hintergrund erscheint ein knapper rechtshistorischer Rückblick auf die Positivierung der europäischen Grundrechte geboten, um über den tagespolitischen Schwierigkeiten die Tragweite der europäischen Einigung nicht aus den Augen zu verlieren (1.). Die umfassende Ausübung gemeinschaftsrechtlicher Hoheitsgewalt durch die EG zwar nicht als Staat wohl aber als supranationale Organisation3 bzw. funktionaler Zweckverband4 rechtfertigt es darüber hinaus, auf die allgemeinen Grundlagen der Grundrechtsdogmatik des EuGH einzugehen (II.) und Fragen der verfahrensmäßigen Durchsetzung von Gemeinschaftsgrundrechten zu klären (III.).

1 Vgl. zuletzt Chwo/ik-Laufermann, Grundrechtsschutz in der Europäischen Union, 1994; Rengeling, Grundrechtsschutz in der Europäischen Gemeinschaft, 1993; Weidenfeld (Hrsg.), Der Schutz der Grundrechte in der Europäischen Gemeinschaft, 1992; Schermers I Waelbrock, Judicial Protection in the European Community, 5. Aufi. 1992; s.a. Feger, Grundrechte im Recht der Europäischen Gemeinschaften, 1984; Pernice, Grundrechtsgehalte im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1979; Claudi, Die Bindung der EWG an Grundrechte, 1976; Zieger, Das Grundrechtsproblem in den Europäischen Gemeinschaften, 1970.

2 So auch GrabitziHilf-Hilf, Art. F Rn. 21 , 47; kritisch in Hinblick auf die tatsächliche Behandlung der Grundrechte durch den EuGH Coppel I 0 'Nei/1, CMLRev. 1992, 669 I 692; Epiney, SchwZschlnt und EuropRecht 1995, 135 I 170; gegen diese Kritik ausfuhrlieh Weileri Lockhart, CMLRev. 1995, 51 ff.; s. jetzt auch Zuleeg, NJW 1997, 1201 I 1203 am Beispiel der Bananenmarktordnung: Er fuhrt aus, daß deutscher und europäischer Grundrechtsschutz im Ergebnis gleichgelagert sind. 3 Der vom BVerfG gewählte Begriff "Staatenverbund" (BVerfGE 89, 155 I 156 LS 8) ist hingegen nicht eindeutig, steht der Annahme einer supranationalen Organisation aber kaum entgegen; zum Begriff "Staatenverbund" vgl. Frowein, ZaöRV 1994, I I 6 f.; vertiefend zu Einzelproblemen Hommelhoffl Kirchhof (Hrsg.), Der Staatenverbund der EU, 1994; Kahl, Der Staat 1994, 241; Blanke, DÖV 1993,412 ff.; Meessen, NJW 1994, 549 1553 f. ; Schröder, DVBI. 1994, 310 I 320; Schwarze, NJ 1994, 1/3 sieht in dem Begriff einen Versuch, die völkerrechtlichen Grundlagen der Gemeinschaft wieder stärker zu betonen; Tomuschat, EuGRZ 1993, 489 I 491 f. betrachtet die Bezeichnung als neutral. 4 lpsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972 S. 196 ff.; Gersdorf, AöR 1994, 400 I 418 weist insoweit darauf hin, daß Grundrechte nur im Rahmen der Einzelermächtigungen Anwendung finden können; im Gegensatz zum deutschen Recht beinhalten sie keinen Auftrag zu entsprechenden Schutzmaßnahmen des Staates (vgl. das Sozialstaatsprinzip in Hinblick auf den status positivus des einzelnen Grundechtsträgers); die Gemeinschaft ist eben kein Staat.

A. Geltungsgrund europäischer Grundrechte: Ein Abriß

147

I. Rechtsgeschichtlicher Hintergrund 1. Das Fehlen eines Grundrechtskatalogs a) Rechtliche Aspekte

In der frühen Rechtsprechung des EuGH vertrat der Gerichtshof die Auffassung, daß es sich bei dem Grundrechtsschutz um eine rein nationale Angelegenheit handele. 5 In den beiden Urteilen Stork und Ruhrkohle Verkaufsgesellschaften ging der Gerichtshof von einer strikten Trennung der nationalen und gemeinschaftsrechtlichen Rechtsordnung aus.6 Indem er zu einem Grundrechtsschutz auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene schwieg, oblag die Gewährleistung eines effektiven Schutzes auch gegenüber einer Entscheidung iSv. Art. 14 Abs. 2 EGKSV (entsprechend Art. 189 Abs. 3 EWGV) den nationalen Gerichten. 7 Insoweit stand die Ausübung gemeinschaftlicher Hoheitsgewalt unter einem mitgliedstaatliehen Grundrechtsvorbehalt 8 Die völkerrechtlichen Grundlagen der Verträge von 1951 und 1957 und damit die grundsätzliche Mediatisierung des einzelnen9 sollten deutlich bleiben. 10 Daran änderte die Einsicht, daß ein Rechtsverhältnis im Gemeinschaftsrecht nicht nur wie im normalen Völkerrecht von Staat zu Staat bestünde 11 , zunächst nichts. 5 EuGH Rs. I I 58, Slg. 1958 I 59, 45 I 63 f. - Stork; EuGH Verb. Rs. 36-38 I 59, 40 I 59, Slg. 1960, 887 1921- Ruhrkohle Verkaufsgesellschaften; vgl. auch eingeschränkt in diesem Zusammenhang EuGH Rs. 40164, Slg. 1965,295 1312 -Sgarlata. 6 Hilf, in: Arbeitskreis europäischer Integration (Hrsg.), Grundrechte, S. 23 I 27; Pescatore, in: MosleriBernhardiHilf(Hrsg.), Grundrechtsschutz, S. 64. 7 S.a. Starck, EuGRZ 1981, 545 I 546; Dauses, RAE, 1992, 9 I II, Kapteyn I VerLoren van Themaat, a.a.O., S. 165 f.; Scheuner, CMLRev 1975, S. 171 f.; Pescatore, in: Moslerl BemhardiHilf (Hrsg.), Grundrechtsschutz, S. 64 f. 8 S. in diesem Zusammenhang die sog. "Hypothekentheorie", wonach bei der Übertragung von Hoheitsrechten auf die EG die Bindung an deutsche Grundrechte als Hypothek mit beinhaltete, vgl. Notthoff, RIW 1995, 541; Zieger, Das Grundrechtsproblem in der EG, S. 15 weist allerdings darauf hin, daß bei der Ausarbeitung der Römischen Verträge die Vertragsparteien auf einen Vorbehalt zugunsten nationaler Grundrechte verzichteten, da die Gemeinschaft eine selbständige Rechtsordnung darstelle, s.a. Wohlfarth I Everling I Glaesner I Sprung, vor Art. 189, Erl. 4; dieser Hinweis ist jedoch deswegen fragwürdig fiir das Fehlen eines gemeinschaftlichen Grundrechtsschutzkatalogs, da die Feststellung, daß es sich bei der Gemeinschaft um eine originäre und nicht nur abgeleitete neue Gewalt handelt, erst sieben Jahre nach dem lokrafttreten der Gemeinschaftsverträge getroffen wurde (EuGH Rs. 6164, Slg. 1964, 125111269 - Costa i ENEL) und in der Verhandlung von der italienischen Regierung bestritten wurde. 9 Vgl. Epping, in: Ipsen, Völkerrecht,§ 7 Rn. 3; Verdross i Simma, Universelles Völkerrecht, § 47, § 422 Fn. I. 10 Vgl. auch Verges, RAE 4 11994, S. 75, der Menschenrechte jedenfalls andeutungsweise in der Formulierung der Präambel ("einen immer engeren Zusammenschluß der Völker Europas") erkennen will. 11 Küchenhoff, DÖV 1963, 161 I 163; s. z.B. die Möglichkeit von Individualsanktionen gern. Art. 89 Abs. 2 E(W)GV oder Art. 171 Abs. 2 3. UA EGV.

10•

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2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

Auch die schon nach den Regeln des klassischen Völkerrechts anerkannte Durchbrechung des Grundsatzes von der Mediatisierung des einzelnen, wenn es sich um konkret determinierte und von den (nationalen) Gerichten anwendbare Rechte handele'\ konnte mangels eines eigenen Grundrechtskataloges vom EuGH von seinem damaligen Standpunkt aus gerade nicht fruchtbar gemacht werden. Erst mit der Abkehr von dem klassischen völkerrechtlichen Ansatz im Van Gend-Urteil 13 erkannte der EuGH die unmittelbare Geltung des EWGV an und öffnete den Weg für eine richterrechtliche Zuerkennung von gemeinschaftsimmanenten Grundrechten. b) Grundrechte- und Demokratiedefizit

Die rechtliche Struktur des EWG-Vertrages war von Beginn an von einem Demokratiedefizit gekennzeichnet. 14 Dies war auch darauf zurückzuführen, daß es sich bei der Gründung der Gemeinschaften um internationale Verträge handelte (und nicht um eine Verfassung). Es fehlte das europäische Volk, und auch Art. A Abs. 2 EUV spricht noch von der Union der Völker EuropasY Die Versammlung wurde 1979 vom 7. bis 10.6. erstmalig unmittelbar von den einzelnen Staatsvölkern gewählt. 16 Ein einheitliches Wahlrecht gibt es bis heute nicht. 17 Die Mitwirkungsmöglichkeiten des Parlamentes erschöpfen sich oft in Beratungsfunktionen. 18 Die demokratische Legitimation des Rates durch die einzelnen Mitgliedstaaten war und ist ebenfalls nur von sehr indirekter Art. 19 12 Siehe StiGH, Serie 8 Nr. 15 (1928); Epping, in: lpsen, Völkerrecht, § 7 Rn. 4; Verdross I Simma, Universelles Völkerrecht, § 424. 13

EuGH Rs. 26 I 62, Slg. 1963, 1.

14

Pernice, Die Verwaltung 1993, 449/451 m.w.N.

15 S.a. Mancini, CMLRev. 1989, 595 I 596; Tomuschat, EuGRZ 1993, 489 I 491 ; von Simson, EuR 1991, 1 ff.

Grundlage: ABI. L 278 vom 20.9.1976. Art. 137 Abs. 3 EGV enthält jetzt erst den Auftrag, ein einheitliches Wahlrecht zu schaffen. IR Zur Kompetenzverteilung vor und nach dem Maastrichter Vertrag, vgl. Steinberger, VVDStRL (Heft 50) 1991, S. 3; Pernice, Die Verwaltung, 1993, 449/468 ff.; Reich, RMC 1992, 287. 16

17

19 Dies reicht fiir das BVerfG angesichts der besonderen Gemeinschaftsstruktur fiir den jetzigen Integrationsstand aber aus, BVerfGE 89, 155 / 186 f.; vgl. auch Schröder, DVBI. 1994, 316 ff. und zum Ganzen Bieber, in: Weibel/Feiler (Hrsg.), Schweizer Identität und Europäische Integration, S. 79 ff.; ders., Democratization of the European Community through the European Parliament, Außenwirtschaft 1991, 391 ff.; Boest, EuR 1992, 182 ff.; Boyce, Parliamentary Affairs 1993, 458 ff.; Classen, AöR 1994, 238 ff.; Featherstone, JCMS 1994, 149 ff.; Lodge, JCMS 1994, 343 ff.; Pernice. Die Verwaltung 1993, 449 ff.;

A. Geltungsgrund europäischer Grundrechte: Ein Abriß

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Die "Erklärung der Grundrechte und Grundfreiheiten" des Europäischen Parlamentes vom 12.4.198920 verdeutlicht den engen Zusammenhang von Grundrechten und Demokratie (s. Art. 17 der Erklärung zum Grundsatz der Demokratie). In Großbritannien ist z.B. das Fehlen eines Grundrechtskataloges in Rechtsprechung und Literatur dadurch kompensiert worden, daß Grundrechte als Teil des demokratischen Staatsbegriffes angesehen werden. 21 Diese Hervorhebung des Zusammenhanges von Demokratie und Grundrechten ist deswegen so bedeutungsvoll, da Grundrechte eigentlich dem reinen demokratischen Prinzip insoweit entgegenstehen, als gewisse Rechte der Verfiigungsbefugnis der Mehrheit entzogen werden. 22 Staatsrechtlich hat das BVerfG den Zusammenhang von Demokratie und Grundrechten im Maastricht-Urteil ausgedrückt23 : "Die Verbürgung [des Art. 38] erstreckt sich auch auf den grundlegenden demokratischen Gehalt dieses Rechts: Gewährleistet wird den wahlberechtigten Deutschen das subjektive Recht an der Wahl des Deutschen Bundestages teilzunehmen und dadurch an der Legitimation der Staatsgewalt ( ... ) mitzuwirken. ( ... ) Das durch Art. 38 GG gewährleistete Recht ( ... ) schließt es im Anwendungsbereich des Art. 23 GG aus, dieses Recht durch Verlagerung von Aufgaben und Befugnissen des Bundestages so zu entleeren, daß das demokratische Prinzip, soweit es Art. 79 Abs. 3 i. V.m. Art. 20 Abs. I und 2 GG für unantastbar erklärt, verletzt wird."

Da die EWG gerade nicht auf dem unmittelbaren demokratischen Gedanken einer Volksbeteiligung aufbauen sollte (unbeschadet der vereinzelten Rechte wie z.B. aus Art. 173 Abs. 2 EWGV), konnte auch auf einen das demokratische Prinzip ergänzenden Grundrechtskatalog verzichtet werden. 24 Diese Einsicht hat auch heute noch Gültigkeit, so daß es bis heute immer noch keines korrelierenden Grundrechtskataloges bedürfte. Das BVerfG stellte fest25 : Raworth, ELR 1994, 16 ff.; Weber, JZ 1993, 325 ff.; Zuleeg, JZ 1993, 1069 ff.; Randelzhofer, Zum behaupteten Demokratiedefizit der Europäischen Gemeinschaft, in: HommelhoffiP. Kirchhof (Hrsg.), Der Staatenverbund der Europäischen Union, S. 39 ff.; Rupp, Europäische "Verfassung" und demokratische Legitimation, AöR 1995, 269 ff. 20 BuliEG 4 189, Nr. 3.2.1., S. 124. 21 Dauses, ELR 1985, 398. 22 Vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 407. 23

BVerfDE 89, 1551171 f., 182.

Zum Zusammenhang von Grundrechte und Demokratie s.a. Müller, EuGRZ 1983, 337 ff.; Bahlmann, FS für Carstens, S. 18 I 35; GTE-Beut/er, Grundrechtsschutz, Rn. II; Komm. der EG BuliEG 5 176, S. 14; Ratserklärung vom 7. I 8.2.1978 BuliEG 3 178, S. 5 f.; Häber/e, Die Verwaltung 1993, 421 ff. Überdies hatte die EG nur eine geringe Kompetenz zur Durchführung von Gemeinschaftsrecht; Grundrechtseingriffe gingen somit in erster Linie von den Mitgliedstaaten aus. 24

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2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

"Demokratie, soll sie nicht lediglich formales Zurechnungsprinzip bleiben, ist vom Vorhandensein bestimmter vorrechtlicher Voraussetzungen abhängig, wie einer ständig freien Auseinandersetzung zwischen sich begegnenden sozialen Kräften, Interessen und Ideen, in der sich auch politische Ziele klären und wandeln (vgl. BVerfGE 5, 85 /l35, 198, 205; 69, 315 I 344 ff.) und aus der heraus eine öffentliche Meinung den politischen Willen verformt."

Aufgrund dieser Anforderungen attestierte das BVerfG der Union, daß sie auch jetzt nicht die Voraussetzungen für einen eigenen demokratischen Unterbau erfülle.26 Allerdings folgt daraus selbstverständlich nicht, daß ein Grundrechtskatalog mangels einer demokratischen Binnenstruktur in der Gemeinschaft nicht möglich wäre. Eine logische Verbindung in dem Sinne, daß erst eine demokratische Organisation der staatlichen Hoheitsgewalt bestehen muß, bevor ein Grundrechtschutz formuliert werden kann, besteht nicht. Es soll nur verdeutlicht werden, daß eine mögliche (und nicht zwingende, wie das Beispiel Großbritannien zeigt) Voraussetzung für einen Grundrechtskatalog bis heute fehlt. c) Der politisch-geschichtliche Gesichtspunkt

Das Fehlen eines eigenen Grundrechtskatalogs im EWG-Vertrag erklärt sich auch aus den Gründungsumständen der EWG. Zuvor waren zwei europäische Einigungsverträge gescheitert: der Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft vom 27.05.1952 und der Entwurf für eine politische Gemeinschaft vom 26.02.1953 . Beide Verträge sahen im Art. 3 bzw. Art. 2 eine Verpflichtung der Gemeinschaft zum Schutz der Menschenrechte vor. 27 Mit dem Scheitern des konstitutionell-föderalen Ansatzes zur Schaffung einer Europäischen politischen Union28 und dem Konzept einer funktionell-wirtschaftlichen Integration29 wurden Grundrechte in einem derart technischen Vertragswerk wie dem EWGV nicht mehr für erforderlich gehalten.30 DaneBVerfGE 89, 1551185. Vgl. auch Ossenbühl, DVBI. 1993, 629/634; Ipsen, EuR 1987, 195 / 207; Schröder, DVBI. 1994, 316/318; Classen, ZRP 1993,57/59 f.; Oppermann, in: Hrbek (Hrsg.), Der Vertrag von Maastricht in der wissenschaftlichen Kontroverse, S. 103 / 114; Everling, DVBI. 1993, 936/944. 27 Pescatore, EuGRZ 1978, 441 ; Krogsgaard, LIEI I /93, 99 I 103. 28 Dazu Constantinesco, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften I, 1977, S. 116 ff. 29 Schweitzer / Hummer, Europarecht, Rn. 34; Kirchhof, EuR Beiheft 1/ 91, S. 11113; dagegen Everling, DVBI. 1993, 936 / 937f., der auf eine von Beginn an politische Finalität abstellt. 25

26

30 Vgl. lpsen, 45. DJT, Bd. II L, S. I I !5; anders ders., Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, S. 716, 721; diese von lpsen zunächst vertretene Auffassung ist auch deswegen interessant, da das BVerfG im Maastricht-Urteil andeutungsweise eine vergleichbare Behauptung bzgl. Art. J und K EUV aufgestellt hat, indem es die Ansicht vertritt, den Bestimmungen des EUV würde eine "grundrechtserhebliche Verbindlichkeit fur den Einzel-

A. Geltungsgrund europäischer Grundrechte: Ein Abriß

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ben mag die Befiirchtung gestanden haben, daß Grundrechte eine starke Integrationsfunktion ausüben, die zu der Entwicklung einer starken Zentralgewalt fUhren könnten. 31 Interessant ist in diesem Zusammenhang deswegen jetzt die Aufnahme des Art. F Abs. 2 EUV. Die Europäische Union bedeutet im Ansatz die Verwirklichung der ursprünglich angestrebten politischen Union. Mit der politischen Einigung wurden nunmehr auch die Menschenrechte verbunden. 32 Allerdings ist hier die weitere Entwicklung über einen eigenen Grundrechtskatalog und insbesondere die Begrenzung der Zuständigkeit des EuGH (Art. L EUV) noch offen. 33 Damals wie heute dürfte ein weiterer Grund fiir den Verzicht auf einen Grundrechtskatalog darin zu sehen sein, daß Grundrechte sich geschichtlich immer im Rahmen eines staatlichen Gebildes entwickelt haben, welchem eine umfassende Zuständigkeit und ein unifizierender Charakter zukommt. 34 Dies zeigt die Geschichte der englischen Kolonien in Nordamerika im 18. Jahrhundert zur Zeit ihrer Loslösung vom englischen Mutterland und die Umbildung in die Vereinigten Staaten von Amerika. Wichtigstes Zeugnis ist die "Bill of Rights" von Virginia (12. Juni 1776}, wo Grundrechte und staatliche Zusammengehörigkeit in derselben Erklärung erwähnt werden (s. Art. 1, 3, 5, 6, 7, 14). Die Präambel verdeutlicht diese These: "A declaration of rights made by the representatives of the good people of Virginia, assembled in full and free convention; which rights do pertain to them and their posterity, as the basis and foundation of government". (Herv. vom Verf.)

Hingegen entstand die amerikanische Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776 zwar außerhalb eines staatlichen Gebildes (erst 1781 wurde von den einzelnen souveränen amerikanischen Staaten ein lockerer Staatenbund gegründet}, doch erklärt sich diese Besonderheit neben der Situation des amenen" fehlen (BVerfGE 89, 155 I 176). Es stellt sich die Frage, ob diese Ansicht auf Dauer haltbar ist (vgl. in diesem Sinne Wieland, EJIL 1994, 2591261 f.); s. insgesamt dazu Pescatore, EuGRZ 1978, 441 ff. und ders., in: MosleriBernhardiHilf, Grundrechtsschutz, S. 64; Hilf, in: Arbeitskreis europäischer Intergration (Hrsg.), Grundrechte, S. 23 126; GTEBeutler, Grundrechtsschutz; Rn. 5; Dauses, ELR 1985, 398 1399. 31 Siehe Mancini, CMLRev. 1989, 595 I 608; Dauses, ELR 1985, 398 I 399 hebt aber hervor, daß selbst die Satzung des Europarates in Art. 3 und die Präambel des NATO-Vertrages einen Hinweis auf die Grundrechte enthalten.

32

S.a. Art. K.2 Abs. 1 EUV.

33

Zur restriktiven Auslegung des Art. L s. aber GrabitziHilf-Hilf, Art. F Rn. 42 f.

34 Götz, JZ 1994, 265 I 269; Zieger, Das Grundrechtsproblem in der EG, S. 54; zur kompetenzbegründenden Funktion von Grundrechten s. auch EuGH Rs. 43 I 75, Slg. 1976, 4551479 Rn. 30 134, 61/64- Defrenne, wo die Gemeinschaftsorgane aufgefordert werden, ihre Kompetenzen zum Schutz der Grundrechte einzusetzen, s. dazu Hilf, in: Arbeitskreis europäische Intgration (Hrsg.), S. 23 I 34; Everling, in: Weidenfeld (Hrsg.), Der Schutz der Grundrechte in der EG, S. 73178, und Steinberger, in: MosleriBernhardtiHilf (Hrsg.), Grundrechtsschutz in Europa, S. 124.

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2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

rikanischen Unabhängigkeitskrieges mit dem politischen Charakter der Erklärung. Justitiable Grundrechte wurden erst 1791 in den ersten zehn Amendements (Bill of Rights) zu der 1789 in Kraft getretenen Bundesverfassung geschaffen. 35 Auch in Frankreich bestand schon ein funktionierendes Staatsgebilde, innerhalb dessen die Menschenrechtserklärung vom 26.08.1789 - nach amerikanischem Vorbild - entwickelt worden war. 36 So heißt es in der Deklaration: "!es representants du peuple francais, constitues en Assemblee nationale, ( ... ), ont resolu d'exposer, dans une declaration solennelle, !es droits naturels, inalienables et sacres de l'homme, afin que cette declaration, constamment presente a tous les membres du corps social, leur rappeHe sans cesse leurs devoirs et leurs droits; afin que !es actes du pouvoir legislatif et ceux du pouvoir executif, ( ... ) en soient plus respectes." (Herv. vom Verf.)

Der in Deutschland 1848 unternommene Versuch, einen allgemeinen Grundrechtskatalog im Rahmen einer Nationalstaatsverfassung (Art. VII, §§ 130 ff. Paulskirchenverfassung) zu etablieren, scheiterte mit dem Fortbestehen der alten Strukturen des deutschen Staatenbundes.37 Allerdings verbietet sich auch ein Umkehrschluß von einem Bundesstaat auf einen Grundrechtskatalog, wie die deutsche Verfassung von 1870/71 zeigt, die keine eigenen Grundrechtsbestimmungen enthielt. Gemessen an diesen geschichtlichen Erfahrungen ist die Nichtaufnahme von Grundrechten in den EWGV kaum verwunderlich, da die EG sich gerade von der Etablierung eines europäischen föderalen Staates unterscheiden sollte. Konzepte, die über Jahrhunderte hinweg erdacht wurden (182 Projekte in den letzten sechs Jahrhunderten)38, scheiterten auch nach dem Zweiten Weltkrieg. Die EWG von 1957 gründete gerade auf der Absicht, in kleinen Schritten eine Teilintegration zu erreichen.39 Die EWG war .ausdrücklich eine "Wirtschafts"-Gemeinschaft, deren politischen Organen keinesfalls eine staatliche Allzuständigkeit im Sinne von Souveränität zukommen sollte.40 35 Johnson, in: Grabitz (Hrsg.), Grundrechte in Europa und USA, Bd. I, S. 885 I 892; s.a. Jellinek, in: Schnur (Hrsg.), Zur Geschichte der Erklärung der Menschenrechte, S. I ff. 36 Auf diese konnte man sich jedoch nicht vor Gericht berufen, Starck, GS Sasse, Bd. II, s. 777/782. 37 Hilf, in: Weidenfeld (Hrsg.), Schutz der Grundrechte in der EG, S. 61. 3R S. dazu allgemein Foerster, Europa. Geschichte einer politischen Idee, 1967, s.a. Cartou, Communautes europeennes, S. 29 ff.; der auf die geschichtlich-politische Entwicklung in Europa seit der Antike eingeht. 39 Constantinesco, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften I, 1977, S.119 ff. 40 Diese Allzuständigkeit ist allerdings auch für die Mitgliedstaaten umstritten; s. Grabitz, DVBI. 1977, 786 ff.; Pernice, NJW 1990, 2409 / 2411, s. zur Totalverantwortung des Staates auch Münch, in: Mosler / Bernhardt/Hi1f (Hrsg.), Grundrechtsschutz in Europa, S. 117, und Doehring, ebd. S. 81 f.; Götz, JZ 1993, I081 I I 082.

A. Geltungsgrund europäischer Grundrechte: Ein Abriß

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Die wirtschaftliche Beschränkung zeigt jedoch zugleich das einheitsstiftende politische Moment von Grundrechten, da in ihrem Geltungsbereich jeder einzelne die gleichen einheitlichen Rechte hat. 41 Obwohl in Europa durchaus der Begriff von den "Vereinigten Staaten von Europa" seit Victor Hugo existent (1851t2 und von Winston Churchill in einer Rede vom 19.09.1946 in Zürich wieder aufgegriffen worden war, konnte von einer Überwindung des Nationalstaats selbst bei den größten Verfechtern dieser Idee keine Rede sein. Auch heute wird das Ziel der "Vereinigten Staaten von Europa", ein Begriff der, wie die terminologische Anlehnung an die Vereinigten Staaten von Amerika zeigt, einen Bundesstaat impliziert, zumindest nicht offiziell verfolgt. 43 Soweit es dennoch zu der Etablierung eines Grundrechtskatalogs außerhalb der Nationalstaaten kam (EMRK; Internationale Pakte von 1966, Europäische Sozialcharta von 1961; Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Generalversammlung von 1948) waren diese ausschließlich auf eine bestehende nationale Gewalt bezogen. 44 Die Schaffung einer überstaatlichen Hoheitsgewalt ohne Etablierung eines Staates wurde und wird bis heute nicht durch einen eigenen Grundrechtskatalog gebunden. Dabei dürfte in diesem Zusammenhang auch relevant sein, daß Grundrechte für ihre Effektivität grundsätzlich eines verfassungsstaatlichen Organisationsrahmens bedürfen, wie z.B. Rechtsschutzverfahren oder eine gewaltenteilige Trennung der Hoheitsmacht.45 Beides war im EWG-Vertrag nur sehr schwach ausgeprägt und hat sich erst mit der Entwicklung des Gemeinschaftsrechts geändert.46

41 Hilf, in: Weidenfeld (Hrsg.), Schutz der Grundrechte in Europa, S. 61; Dauses, RAE 1992, 9 ff. 42 Foerster (Hrsg.), Die Idee Europa 1300-1946, 1963, S. 222; Cartou, Communautees europeennes, S. 29 Rn. 33. 43 Rede des Bundeskanzlers arn 6.5.1993 in Köln, BullBReg. Nr. 39 vorn 17.5.1993, S. 341 I 343 f.; s. aber auch Rede des Bundeskanzlers in Zürich, BullBReg. Nr. 73 vorn 3.7.1992, S. 697, und Rede vorn 3.4.1992, BullBReg. Nr. 8 vorn 8.4.1992, wo der Kanzler gerade diese Ziel nannte. 44 Nicolaysen, Europarecht I, S. 549 f. 45 Starck, EuGRZ 1981, 545 ff. 46 Auf die Frage, ob jetzt ein Grundrechtskatalog erforderlich wäre, soll in diesem Zusammenhang nicht näher eingegangen werden; vgl. dazu Hilf, in: Weidenfeld (Hrsg.), Grundrechtsschutz in Europa, S. 57 ff.; Starck, EuGRZ 1981, 545 ff.; Bah/mann, FS für Carstens, S. 18 ff.; Pescatore, in: Mosler/Bernhardt/Hilf (Hrsg.), Grundrechtsschutz in Europa, S. 64/70; Langguth, EuZW 1991, 393 / 394; s.a. zur Entwicklung, Dauses, ELR 1985, 398 / 413. In dieser Frage könnten auch vergleichbare Überlegungen in Großbritannien über die Notwendigkeit einer bill of rights fruchtbar gernacht werden, vgl. Bailey I Harris / Jones, Civil Liberties, 1991, S. 12 ff.

154

2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

2. Die Entwicklung der Grundrechte durch den EuGH a) Gemeinschaftsimmanenter Aspekt

Mit der Feststellung der Eigenständigkeil und des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts blieb der Rückgriff auf nationale Grundrechte zur Bindung der Gemeinschaftsgewalt endgültig versperrt.47 Das höherrangige Gemeinschaftsrecht konnte nicht mehr durch untergeordnete nationale Normen - und sei es, daß sie Verfassungsrang haben - begrenzt werden.48 Dieser Anspruch vom Vorrang des Gemeinschaftsrechts war jedoch nur akzeptabel, wenn ein eigener dem nationalen Recht vergleichbarer Grundrechtsschutz (europaweit) durchgesetzt werden würde. 49 Dies folgte auch aus der Konzeption einer eigenständigen Rechtsordnung, die nicht lückenhaft sein durfte. 50 Die grundsätzliche Kompetenz des EuGH für die Entwicklung des Grundrechtsschutzes ergibt sich aus Art. 164 EWGV51 sowie der Ableitung aus vertraglichen Sondervorschriften (z.B. Diskriminierungsverbote in Art. 119, Art. 40 Abs. 3, Art. 7, Präambel EWGV). 52 Mit dem Rückgriff auf "allgemeine Rechtsgrundsätze", die vom EuGH schon vor der Anerkennung von Grundrechten in das Gemeinschaftsrecht integriert worden waren,S 3 verfUgte der Gerichtshof über eine dogmatische Grundlage fiir seine Rechtsprechung. 47

Bestätigt in BVerfGE 75, 244.

EuGH Rs. 6164, Slg. 1964, 1251 11270- Costa / ENEL; EuGH Rs. 11/70, Slg. 70, 1125 I 1135 Rn. 3 - Internationale Handelsgesellschaft; Rengeling, in: Weidenfeld (Hrsg.), Der Schutz der Grundrechte in der EG, S. 3; dagegen Rupp, NJW 1970, 353 I 356. 49 Pescatore, in: MosleriBernhard i Hilf(Hrsg.), Grundrechtsschutz in Europa, S. 64165; ders., EuGRZ 1978, 441; Krogsgaard, LIEI 1193, 991101; Weiler, WLR 1986, 11031 1137. 50 Hilf, in: Arbeitskreis europäische Integration (Hrsg.), Grundrechte, S. 23 I 24 f.; a.A. Zieger, Das Grundrechtsproblem in der EG, 1970, S. 16. 51 Dauses, ELR 1985, 398 I 406. 52 Everling, in: Weidenfeld (Hrsg.), Der Schutz der Grundrechte in der EG, S. 73, Pescatore, EuGRZ 1978, 441 f.; s.a. GTE-Beutler, Grundrechtsschutz, Rn. 29: EuGH nur deklaratorisch zwecks Lückenfiillung; so auch Zieger, Das Grundrechtsproblem in der EG, 1970, S. 26 tf., 34; Bleckmann, Europarecht, Rn. 619; zur Präambel s.a. Sitzungsbericht zum Gutachten über den Beitritt der EU zur EMRK, EuGRZ 1995, 692 1693. 53 Vgl. EuGH Verb. Rs. 7 I 56, 3-7 I 57, Slg. 1957, 83 I 118 f.- Algera: der EuGH nimmt hier eine Rechtsvergleichung bzgl. des Widerrufs von Verwaltungsakten vor und ebnet somit den Weg fiir die Anerkennung "allgemeiner" Rechtsgrundsätze; s.a. explizit EuGH Verb. Rs. 42 u. 49159, Slg. 1961, 109/169- SNUPAT; EuGH Rs. 19 161 , Slg. 1962, 717/754 - Mannesmann; EuGH Rs. 32 162, Slg. 1963, 107 I 123- Alvis; vgl. Philip, AFDI, 1975, 383 I 389; sehr ausfuhrlieh Zieger, JöR 22 (1973), 299 I 327 ff.; Meessen, JIR (1974), 283 ff.; Hilf. in: Arbeitskreis europäische Integration (Hrsg.), Grundrechte, S. 23 I 28 weist darauf hin, daß es sich um allgemeine Rechtsgrundsätze und nicht nur um Grundsätze des Gemeinschaftsrechtes handelt (s. insoweit jetzt aber gerade Art. F Abs. 2 EUV!), s.a. Bleckmann, Europarecht, Rn. 572; Verges, RAE 4 I !994, S. 75/76, 80 weist darauf hin, daß mit dem Rückgriff auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze der EuGH die Grundrechte auf der höchsten Stufe des Gemeinschaftsrechts einordnet. 48

A. Geltungsgrund europäischer Grundrechte: Ein Abriß

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Die Gemeinschaft hat, unterstützt durch den EuGH, die Gemeinschaftskompetenzen immer extensiver ausgelegt. 54 Durch diese verstärkte Regelungsintensität55 wurde vermehrt in grundrechtsrelevante Bereiche eingegriffen.56 Dies zeigte sich schon in dem Van Gend-Urteil, wo die Zuerkennung der unmittelbaren Wirksamkeit von Art. 12 EWGV letztlich als Ausdruck der Berührung der Berufs- und Gewerbefreiheit gedeutet werden kann. Auf der anderen Seite spielten auch nicht-wirtschaftliche Grundrechte in der bisherigen Rechtsprechung eine Rolle. 57 Der ursprüngliche Ausgangspunkt, daß die EG nur ein wirtschaftstechnisches Vertragswerk (vergleichbar dem GATT) sei58, konnte damit nicht aufrecht erhalten werden. Die Nicht-Anerkennung von Grundrechten hätte, angesichts des bestehenden demokratischen Defizits, die Ausdehnung und Akzeptanz des Gemeinschaftsrechtes erschwert und eine einheitliche Entwicklung des Gemeinschaftsrechtes unmöglich gemacht. 59 Dabei könnte auch eine Rolle gespielt haben, daß 1969 - also in dem Jahr, wo sich der EuGH erstmals zu gemeinschaftsweiten Grundrechten bekannte- die Übergangszeit für zahlreiche Vertragsregeln auslief. Daraus könnte sich ergeben, daß der Gerichtshof der europäischen Integration neue Zielvorgaben und Impulse vermitteln wollte, indem er das Gemeinschaftsrecht und das nationale Recht miteinander verzahnte. 60 Die grundrechtsrelevanten Erklärungen der Organe61 und die Anerkennung des Rechtsstaatsprinzips durch den EuGH62 bilden heute darüber hinaus eine selbständige Grundlage für die Positivierung der Grundrechte.63 54 Siehe Scheuner, CMLRev 1975, 171 I 173 f.; zu den Auslegungsgrundsätzen Grabitz I Hilf-Pernice, Art. 164 Rn. 23 ff.; vgl. zu neueren Entwicklungen Epiney, ZSchwint und EuropRecht 1995, 135 I 170 ff. 55 GTE-Beutler, Grundrechtsschutz, Rn. 6; s.a. Everling, DVBI. 1993, 936 I 938; Dauses, ELR 1985, 398 I 400 weist insoweit auch auf die Gefahr eines dann unter Umständen fehlenden Grundrechtsschutzes in der modernen Industriegesellschaft hin.

56 Vgl. dazu die Aussprache in Mosler/Bernhardt/Hilf (Hrsg.), Grundrechtsschutz in Europa, S. 83 ff.; Smit I Herzog, Art. I, 1.04. 57 Übersicht bei GTE-Beutler, Grundrechtsschutz, Rn. 22; Ve7Xes, RAE 4 I 1994, S. 75 I

83.

58 Philip, AFDI 1975, 383 I 385. 59 Bleckmann, FS Bömer, S. 29 I 31 ; zur Bedeutung der Grundrechte für die Legitimation

gemeinschaftlichen Handeins Grabitz i Hilf-Hilf, Art. F Rn. 47.

60 Vgl. Hilf, in: Arbeitskreis europäische Integration (Hrsg.), Grundrechte, S. 23128; Philip, AFDI 1975, 383 I 393.

61 Siehe die Gemeinsame Erklärung der Organe vom 5.4.1977, ABI. C 1031 l vom 27.4. 1977; Ratserklärung vom 7.18.2.1978 in Kopenhagen, Bul!EG 311978, S. 5f.; Erklärung der Grundrechte und Grundfreiheiten des EP, Bul!EG 4 1 1989, S. 124 ff.; s. dazu Ve7Xes, RAE 411994, S. 75178 f. 62

EuGH Rs. 101 178, Slg. 1979, 623 I 637 Rn. 5 Granaria.

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2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz b) Rechtsprechung in der Bundesrepublik und Italien

Die Entwicklung der Grundrechte wurde auch von mitgliedstaatlicher Seite vorangetrieben. 64 In der Bundesrepublik zeigten sich gerade das BVerfG und der BFH zurückhaltend gegenüber dem gemeinschaftlichen Grundrechtsschutz.65 In die gleiche Richtung ging eine Entscheidung des italienischen Verfassungsgerichtshofes vom 27. Dezember 1973. Dieser entschied, daß der Vorrang des Gemeinschaftsrechtes nicht soweit gehen könne, daß grundlegende Prinzipien der nationalen Ordnung oder der unveräußerlichen Rechte verletzt werden. Dann wäre vielmehr das nationale Gericht zum Schutz berufen.66 Da die EG als Rechtsgemeinschaft allein durch die Macht des Rechts ihre Ziele durchsetzen kann, wurde der EuGH mittels dieser mitgliedstaatliehen Rechtsprechung gezwungen, einen effektiven Grundrechtsschutz zu gewährleisten.67

II. Dogmatische Grundlagen der europäischen Grundrechte 1. Grundrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze Ein erster Ansatz zu einer gemeinschaftlichen Grundrechtsrechtsprechung zeigte sich in der Entscheidung Gutmann. 68 Die heute allerdings in ständiger Rechtsprechung verwendete Formulierung, daß die Grundrechte zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehören, die der Gerichtshof in Übereinstimmung mit den Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten und den internationalen Verträgen zu wahren hat, geht auf die Urteile Stauder, Internationale Handelsgesellschaft und Nold zurück. 69 Diese Formulierung wurde in Bleckmann, FS Börner, S. 29 I 32. S. dazu Philip, AFDI 1975, 383 1396 ff.; Mancini, CMLRev 1989, 595 1611; GTEBeutler, Grundrechtsschutz, Rn. 7 ff., Bleckmann, FS für Börner, S.29 I 31. 63

64

BFH EuR 1969, 2551256; BVerfGE 37,271 ff. Corte Costituzionale, CahDrEur. 1975, 1141 122; s. dazu insgesamt Mancini l di Bucci, in: Clapham (Hrsg.), Collected Courses of the Academy of European Law, 1990, Vol. I, Book I, S. 35147. 67 Zuleeg, NJW 1994, 545; vgl. auch Dauses, ELR 1985, 398 I 400 der auf die Notwendigkeit struktureller Gleichheit von Gemeinschaft und Mitgliedstaaten verweist. Diesen Gedanken drückt jetzt auch Art. F Abs. I EUV und Art. 23 Abs. I GG aus; insoweit auch Grabitz I Hilf-Hilf, Art. F Rn. 36. 6g EuGH Verb. Rs. 18 u. 35165, Slg. 1967,79187 f. 69 EuGH Rs. 29169, Slg. 1969,4191425 Rn. 17- Stauder; EuGH Rs. 11170, Slg. 1970, 1125 I 1135 Rn. 4 - Internationale Handelsgesellschaft; EuGH Rs. 4173, Slg. 1974, 491 I 507 Rn. 13 - Nold. 65

66

A. Geltungsgrund europäischer Grundrechte: Ein Abriß

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der nachfolgenden politischen und rechtlichen Gemeinschaftspraxis unter besonderer Betonung der EMRK bestätigt. 70 Der in diesem Zusanunenhang verwendete Begriff der "allgemeinen Rechtsgrundsätze" lehnt sich an den Wortlaut des Art. 215 Abs. 2 E(W)GV, Art. 188 Abs. 2 EAGV an. Es erscheint denkbar, daß der EuGH bei seiner grundrechtliehen Rechtsprechung bewußt auf eine vertragliche Formulierung zurückgriff, um eine gesichertere normative Grundlage fiir die Herleitung der Grundrechte zu haben. Damit konnte der EuGH in Anlehnung an Art. 215 Abs. 2 E(W)GV auch in dieser Hinsicht auf den normalen Auslegungskanon fiir eine positive Norm bei der Grundrechtsentwicklung zurückgreifen. Die Nennung der "allgemeinen Rechtsgrundsätze" kann darüber hinaus aber auch als eine Rückfiihrung auf Art. 38 lit. c) IGH-Statut zu verstehen sein, wodurch der EuGH die völkerrechtliche Grundlage des Vertrages betonen würde. 71 Andererseits hat der EuGH jedoch gerade im Van Gend-Urteil den Unterschied zu dem Völkerrecht betont72, so daß auch eine Anlehnung an das französische Recht stattgefunden haben könnte.73 In dieser Hinsicht könnte dies - wie der Verweis auf die mitgliedstaatliehen Verfassungsüberlieferungen - als ein Anknüpfen an die geistesgeschichtlichen Wurzeln der traditionslosen Gemeinschaft74 aufgefaßt werden. Dadurch käme zum Ausdruck, daß sich die Gemeinschaft eher an den Traditionen staatlicher Strukturen als an den Grundsätzen des Völkerrechts orientiere. 75 70 S. die "Gemeinsamen Erklärung von EP, Rat und Kommission" vom 5.4.1977, ABI. C Nr. 10311 vom 27.4.1977; Art. 4 Abs. 1 Entwurf eines Vertrages zur Gründung der Europäischen Union vom 14.2.1984, ABI. C 77133 vom 19.3.1984; Art. F Abs. 2 EUV; s. aber auch die wiederum weiter gefaßten Formulierungen in der Grundrechtserklärung des Europäischen Parlamentes vom 12.4.1989, Präambel der Erklärung der Grundrechte und Grundfreiheiten des Europäischen Parlaments vom 12.4.1989; BuiiEG 4189, 3.2.1., S. 124 und 3. Absatz Präambei-EEA. 71 Bleckmann, FS Bömer, S. 29; ders., Bindung der EG, S. 5 ff. zur völkerrechtlichen Entwicklung der allgemeinen Rechtsgrundsätze; s. aber auch kritisch Zieger, Grundrechtsprobleme, 1970, S. 3. Dauses, ELR 1985, 3981406 leitet insoweit aber einen autonomen vom EWGV unabhängigen Geltungsgrund der Grundrechte ab. 72 EuGH Rs. 26162, Slg. 1963, 1125 Rn. 10- Van Gend und Loos; EuGH Rs. 6164, Slg. 1964, 1251 I 1270 Rn. 8 - Costa I ENEL; EuGH Rs. 11170, Slg. 1970, 1125 I 1135 Rn. 3 - Internationale Handelsgesellschaft; st. Rspr. 73 Vgl. Schwarze, NJ 1994, 53; zu den "principes generaux du droit" de Laubadere, Traite de droit administratif, Bd. I, N' 557 ff.; Rivero, Droit administratif, S. 96- 99; Zieger, Grundrechtsproblem, 1970, S. 41 f. weist darauf hin, daß es auch im französischen Recht keinen dem Grundgesetz vergleichbaren Grundrechtskatalog gibt und die damaligen Grundrechtsprobleme (bis 1970) eher über die objektiven Grundsätze des Verwaltungsrechtes als über subjektive Rechte gelöst wurden. Verges, RAE 4 I 1994, S. 75 I 80 ordnet die allgemeinen Rechtsgrundsätze - wie im französischen Recht üblich - auch im Gemeinschaftsrecht "au plus haut niveau de Ia hierarchie des normes communautaires" ein. 74 Hilf, in: Arbeitskreis europäische Integration (Hrsg.), Grundrechte, S. 23 I 24; allerdings wäre auch ein Anknüpfen an die Begriffe "Frieden und Freiheit" in der Präambel statthaft gewesen, vgl. insoweit den Sitzungsbericht fiir das Gutachten 2 I 94 über den Beitritt der EG zur EMRK, EuGRZ 1995, 692 1693.

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2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

Nunmehr greift Art. F Abs. 2 EUV den Begriff der allgemeinen Grundsätze auf. Die Präzisierung der Prinzipien als Grundsätze des "Gemeinschaftsrechts" kann dabei als Ausdruck der Eigenständigkeit der EG I EU gewertet werden, wie sie zuvor durch die Bezugnahme auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze noch nicht gegeben war. Obwohl Art. F Abs. 2 EUV allerdings ausdrücklich nur die Union als Verpflichtete nennt, gilt diese Vorschrift auch für die EG. Abgesehen davon, daß die Trennung von EU und EG im allgemeinen nicht eindeutig ise6 , muß Art. B Abs. 2 letzter Spiegelstrich EUV beachtet werden. Dadurch gilt die bisherige Grundrechtssprechung des EuGH im Grundsatz weiter, und jedenfalls hinsichtlich der inhaltlichen Geltung der EMRK (im Sinne einer materiellen Inkorporation?7 ist Art. F Abs. 2 EUV mit der bisherigen Judikatur teilidentisch. Art. F Abs. 2 EUV stellt eine Mindestgarantie dar, die gerade erst im Bereich des EGV seine größte Wirkung entfaltet. Ein im Bereich der EG darüber hinausgehender Rückgriff auf die internationalen Verträge als Grundrechtsquelle ist durch Art. F Abs. 2 EUV nicht verwehrt.78 2. Rechtlicher Gehalt der gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen Die Frage nach der Reichweite der Grundrechte kann grundsätzlich nur im Einzelfall beurteilt werden. Für den Aufbau der transeuropäischen Verkehrsnetze erfolgt dies an späterer Stelle. An dieser Stelle ist zu fragen, ob es äußerste Grenzen für die Entwicklung und Interpretation der Grundrechte gibt. Dies bezieht sich sowohl auf die Frage, ob die vom EuGH gewählte Formulierung einen Maximalstandard im europäischen Grundrechtssystem gewährleistet bzw. gewährleisten sollte oder ob ein Schutz 'auf dem kleinsten gemeinsame Nenner gegeben ist. a) Wertende Rechtsvergleichung

Literatur und Rechtsprechung greifen bei der Ermittlung der gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen79 auf die Methode der wertenden Rechtsverglei75 Zur rechtlichen Bindungswirkung allgemeiner Rechtsgrundsätze, Dauses, ELR 1985, 398 1405 f. 76 S. dazu einerseits von Bogdandy I Nettes heim, NJW 1995, 2324 ff., und andererseits Dörr, NJW 1995, 3162 ff.; ders., EuR 1995, 334 1344 ff.

77

HandKonunEUV I Klein, Art. F Rn. 8; Grabitz I Hilf-Hilf, Art. F Rn. 32.

Krogsgaard, LIEI 199311, 99 I 111; i.E. ebenso Grabitz I Hilf-Hilf, Art. F Rn. 25 Art. F Abs. 2 sichert "nur unabdingbaren Kembestand". 78

79 Verges, RAE 4 I !994, S. 75 I 81 weist darauf hin, daß der Begriff "Verfassungsüberlieferungen" grundsätzlich weiter zu verstehen ist als die "Verfassung".

A. Geltungsgrund europäischer Grundrechte: Ein Abriß

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chung zurück. 80 In den verschiedenen nationalen Rechtsordnungen anerkannte Grundrechte versucht der EuGH dabei in die Ziele und Strukturen der Gemeinschaft einzuordnen. 81 Die Formulierung des EuGH verdeutlicht, daß die wertende Rechtsvergleichung sich sowohl auf den Schutzbereich als auch auf die Schranke der nationalen Grundrechte bezieht, da erst durch dieses Ensemble die tatsächliche (nationale) Gewährleistung festgestellt werden kann. 82 Der Hinweis auf die "Strukturen und Ziele" kann weder als exklusive Schutzbereichsbestimmung83 noch als einzige Eingrenzungsmöglichkeit verstanden werden. In der Entscheidung Nold formulierte der EuGH schon84 : "Die so [in den Verfassungsordnungen der Mitgliedstaaten] garantierten Rechte sind aber weit davon entfernt, uneingeschränkten Vorrang zu genießen; sie müssen im Hinblick auf die soziale Funktion der geschützten Rechtsgüter und Tätigkeiten gesehen werden. ( ... ) In der Gemeinschaftsordnung erscheint es weiterhin auch berechtigt, für diese Rechte bestimmte Begrenzungen vorzubehalten, die durch die dem allgemeinen Wohl dienenden Ziele der Gemeinschaft gerechtfertigt sind, solange die Rechte nicht in ihrem Wesensgehalt angetastet werden."

Dadurch hat der EuGH klargestellt, daß er sowohl die mitgliedstaatliehen Grundrechtsschranken zumindest im Sinne von Hinweisen als auch die gemeinschaftsrechtlichen Vorbehalte beachten will. 85 Diese Ansicht findet sich in etwas anderer Umschreibung auch in neueren Entscheidungen wieder, wo im Rahmen der Begrenzungen auf die gesellschaftliche Funktion des Eigentumsrechts und damit auch auf mitgliedstaatliche Schrankenvorbehalte verwiesen wird. 86 Dies ergibt sich auch klar aus dem Hoechst-Vrteil, worin der EuGH ausdrückt87 : "Daher hat die Kommission, wenn sie mit Unterstützung der nationalen Behörden Nachprüfungsmaßnahmen vornehmen will, die nicht auf der Mitwirkung der betroffenen Unternehmen beruhen, die insoweit im nationalen Recht vorgesehenen Verfahrensgarantien zu beachten." "0 Bleckmann, FS Börner, S. 29 ff.; Meessen, JIR 1974, 283 I 300; Everling, DVBI. 1993, 9361945; Zieger, Grundrechtsproblem in der EG, 1970, S. 36; EuGH Rs. 44179, Slg. 1979, 372713745 Rn. 20- Hauer; EuGH Verb. Rs. 46187 u. 227188, Slg. 1989, 28591 2923 f. Rn. 17 - Hoechst. 81 EuGH Rs. II I 70, Slg. 1970, 1125 I 1135 Rn. 4 - Internationale Handelsgesellschaft; dies gilt insbesondere auch in Hinblick auf Art. 2, 3 EGV und die Interessen der Gemeinschaft, NotthojJ, RIW 1995, 541 I 542, 544. 82 Streinz, Bundesverfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz, S. 403. " 3 Dazu E. Klein, in: Mosler I Bernhardt I Hilf (Hrsg.), Grundrechtschutz, S. 102. H4 EuGH Rs. 4173, Slg. 1974, 491 I 507 f. Rn. 14 (Herv. vom Verf.). 85 S. aber Sachs, in: Stern, Staatsrecht, Bd. III I 2, S. 286. " 6 EuGH Rs. C-177 190, Slg. 1992, 1-35163 Rn. 16- Kühn; EuGH Rs. C-44 189, Slg. 1991, 1-511915157 Rn. 28- von Deetzen ll; EuGH Rs. 5188, Slg. 1989, 2609 12639 Rn. 18- Wachauf; EuGH Rs. 265187, Slg. 1989, 223712268 Rn. 15 - Schräder. 87 EuGH Verb. Rs. 46 I 87 u. 227 I 88, Slg. 1989, 2859 I 2928 Rn. 34.

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2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

Für eine Anlehnung an die nationalen Schrankenvorbehalte spricht auch, daß die in der Bundesrepublik bekannte Dogmatik von den Grundrechtskollisionen auf europäischer Ebene - soweit ersichtlich - noch nicht behandelt worden ist. 88 Ziel der Rechtsvergleichung ist es, für das Gemeinschaftsrecht die "beste Lösung" zu finden 89 • Allerdings hilft diese Formulierung nicht weiter bei der Frage, was die beste Lösung ist. 90 Jedenfalls zeigt die Rechtsprechung des EuGH, daß die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen für die Transposition der Grundrechte in das Gemeinschaftsrecht sowohl bezüglich des Schutzbereiches als auch der Schranken einen großen Spielraum lassen. 9 1 b) Minimalschutz?

Der Hinweis auf die "gemeinsamen" Verfassungsüberlieferungen impliziert, daß nur die übereinstimmenden Grundrechtsgewährleistungen der Mitgliedstaaten eines europäischen Grundrechtsschutzes zugänglich sind.92 Dabei wären dann sowohl die verschiedenen Schutzbereiche, Schranken als auch die faktischen Grundrechtsgewährleistungen (ohne daß es sich um geschriebene Grundsätze handeln müßte)93 zu berücksichtigen. Nur in dieser Schnittmenge der mitgliedstaatliehen Grundrechte würde der EuGH einen individuellen Schutz des einzelnen sicherstellen. In der Entscheidung Hoechst hat der EuGH einen solchen Minimalschutz verfolgt, indem er urteilte, daß der Grundsatz der Unverletzlichkeit der Wohnung nicht in allen Mitgliedstaaten auch für Geschäftsräume gelte. Insoweit könnten also keine "Hinweise" für die Gemeinschaftsgrundrechtssprechung gewonnen werden. 94 88 Bleckmann, GS Sasse, Bd. II, S. 665 I 672 erwähnt aber immerhin das Problem der Kollision von Grundfreiheiten. 89 Hilf, in: Arbeitskreis europäische Integration (Hrsg.), Grundrechte in der EG, S. 23 I 29; Bernhardt, BullEG Beilage 5/76, S. 45 f.; Bleckmann, FS Börner, S. 29 I 30; zu der tatsächlich vorgenommenen rechtsvergleichenden Prüfung durch den EuGH Kutscher, in: Moslerl BernhardtiHilf (Hrsg.), Grundrechtsschutz, S. 89, und EuGH Verb. Rs. 7 I 56, 37 I 57, Slg. 1957,831118 f. -Algera u.a.; EuGH Verb. Rs. 46187 u. 227188, Slg. 1989, 2859 I 2924 Rn. 19- Hoechst; EuGH Rs. 44 I 79, Slg. 1979, 3727 I 3745 f. Rn. 20- Hauer, s.a. Generalanwalt Warner, EuG H Rs. 15 5 I 79, S1g. 1982, 15 75 I 1619, 1631 ff. - AM & S. 90 S. insoweit z.B. Notthoff, RIW 1995, 541 I 543, der fiir den Bereich der Berufsfreiheit die deutsche Lösung wegen ihrer Differenziertheil fiir die beste Lösung hält - ein nicht unproblematischer Ansatz. 91 V gl. Bleckmann, FS Bömer, S. 29 I 32f.; Bernhardt, BullEG Beilage 5 176, S. 22. Problematisch ist allerdings, daß die Konkretisierungen durch den EuGH zum Teil sehr undifferenziert sind. 92 Dagegen GrabitziHilf-Hi/f, Art. F Rn. 37. 93 Bernhardt, BullEG Beilage 5 176, S. 19; insoweit Verfassungsüberlieferungen, s. Verges, RAE 4 11994, s. 75181.

A. Geltungsgrund europäischer Grundrechte: Ein Abriß

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Allerdings hat der Gerichtshof diese Linie in seiner Rechtsprechung nicht konsequent verfolgt. Er hat auch Grundrechte anerkannt, die nicht in allen Mitgliedstaaten existent sind.95 Darüber hinaus ist beispielsweise die Wesensgehaltsgarantie weder in Belgien noch in Großbritannien anerkanntes Rechtsprinzip96, wohl aber in der Rechtsprechung des EuGH.97 Ein anderes Beispiel ist der Grundsatz des audi alteram partern, den Generalanwalt Wamer in dem Transocean Marine Paint Association-Fall anführte, obwohl er im italienischen und niederländischen Recht nicht als generelles Erfordernis besteht.98 Eine wortlautgetreue Selbstbeschränkung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner ist auch vorn Ergebnis her nicht wünschenswert. Grundrechte sind identitätsstiftende Integrationsfaktoren.99 Sie geben dem einzelnen erst einen rechtlichen Schutz gegen eine anonyme Hoheitsgewalt Die Entfaltungsmöglichkeiten des Individuums hängen ganz entscheidend von seinem Freiheitsraum ab, die ihm Grundrechte erst in Abgrenzung zu der staatlichen Mehrheit verschaffen. Wegen der elementaren Bedeutung dieser Rechte kann nicht von einer generellen Beschränkung auf einen Minimalschutz im Sinne der mitgliedstaatliehen Grundrechtsgemeinsamkeiten ausgegangen werden. 100 c) Maximalstandard?

In dem Urteil Nold formulierte der EuGH folgendes 101 : "Hiernach kann er [der Gerichtshof] keine Maßnahmen als Rechtens anerkennen, die unvereinbar sind mit den von den Verfassungen dieser Staaten anerkannten und geschützten Grundrechten."

94 EuGH Verb. Rs. 46187 u. 227 188, Slg. 1989, 285912925 Rn. 17; gerade unter diesen Gesichtspunkt kritisiert Clapham, YbEL 1990, 309 I 331 die Herleitung der Grundrechte aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen. 95 Bleckmann, FS Börner, S.29 I 30,32 weist daruf hin, daß der EuGH z.B. die Berufsfreiheit anerkannt hat, die sich nicht in allen Rechtsordnungen wiederfindet; zur Berufsfreiheit s.a. Notthoff, RlW 1995, 541 ff. 96 Bernhardt, BuiiEG Beilage 5 I 76, S. 28 f. 97 EuGH Rs. 44179, Slg. 1979, 372713747 Rn. 23 - Hauer; EuGH Rs. 265 187, Slg. 1989, 223712268 Rn. 15- Schräder; EuGH Rs. 5188, Slg. 1989, 2609 12639 Rn. 18 Wachauf; EuGH Rs. C-44189, Slg. 1991, 1-511915157 Rn. 28- von Deetzen I/. 98 EuGH Rs. 17174, Slg. 1974, 1063 11088 f.; dazu Mendelson, YbEL 1981, 125 1133. 99 Frowein, Fundamental human rights as a vehicle of legal integration in Europe, in: Capellati I Secambe I Weiler, Integration through Law, 1986, S. 300 ff. unter besonderen Berücksichtigung der EMRK. 100 I.E. ebenso Verges, RAE 4 11994, S. 75185. 101 EuGH Rs. 4173, Slg. 1974, 491 1507 Rn. 13.

II Jürgensen

162

2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

Diese Formulierung wurde auch in dem Urteil Wachauf wieder aufgegriffen.102 In der vor kurzem ergangenen Entscheidung ERT hat der EuGH allerdings vorsichtiger formuliert 103 : "[Bei dem Grundrechtsschutz] geht der Gerichtshof von den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten sowie von den Hinweisen aus, die die völkerrechtlichen Verträge über den Schutz der Menschenrechte geben, an deren Abschluß die Mitgliedstaaten beteiligt waren oder denen sie beigetreten sind. [Es] ergibt sich daraus, daß in der Gemeinschaft keine Maßnahmen als Rechtens anerkannt werden können, die unvereinbar mit der Beachtung .der so anerkannten und gewährleisteten Menschenrechte sind."

Die Na/d-Formulierung hat die Frage aufgeworfen, ob ein Maximalstandard eines europäischen Grundrechtsschutzes in dem Sinne besteht, daß die weitreichendste nationale Schutzgewährung auch fiir den EuGH bindend sein muß. 104 Das ERT-Urteil könnte zumindest auch in diesem Sinne ausgelegt werden. Für einen Maximalstandard wurde nach dem Solange J-Urteil 105 angefiihrt, daß eine solche Gewährleistung erforderlich sei, da mindestens der deutsche Grundrechtsstandard gewahrt werden muß. Ein nationales Normenkontrollverfahren vor dem BVerfG sei gerade erst dann möglich, wenn die nationalen Gerichte die EuGH-Auslegung nicht fiir grundrechtskonform im Sinne des Grundgesetzes halten. 106 Erst bei Annahme eines Maximalstandards könnten sich die nationalen Gerichte der Auslegung des EuGH nicht mehr widersetzen. Ein Maximalstandard wäre dann insoweit begründet, wenn man davon ausgeht, daß der deutsche Grundrechtsstandard der am weitesten entwickelte ist. Diesen Ansatz hat das BVerfG in der Maastricht-Entscheidung erst kürzlich weiterverfolgt, da die nationalen Organe gehindert seien, Gemeinschaftsakte zu vollziehen, denen es an einer Kompetenzgrundlage fehlt. 107 Der Grundrechtszusammenhang ergibt sich aus folgender Überlegung: Nationale 102 EuGH Rs. 5188, Slg. 1989, 2609 12639 Rn. 17; s.a. Generalanwalt Warner, EuGH Rs. 7176, Slg. 1976, 1213 1 1237-JRCA. 103 EuGH Rs. C-260 189, Slg. 1991 , 1-2925 12963 Rn. 41; s.a. EuGH Rs. 159 190, Slg. 1991, 1-4685 14741 Rn. 30 ff. - Grogan. 104 Siehe Streinz, Grundrechtsschutz, S. 402, 431 ; vgl. Sasse, in: Mosler I Bernhardt l Hilf (Hrsg.), Grundrechtsschutz, S. 51 ff.; Karpenstein, ebd. S. I 03; Pescatore, ebd. S. 130; Bleckmann, DVBI. 1978, 457 1458 f.; Kommission der EG, BullEG Beil. 5176, S. 16; GrabitziHilf-Hiif, Art. F Rn. 38. 105 BVerfGE 37,271 1285. 106 Jaenicke, in: Mosler I Bernhardt I Hilf (Hrsg.), S. I 06 f. ; vgl. in diesem Zusammenhang auch Dauses, ELR 1985, 398 I 409; dieses Verständnis indiziert auch Verges, RAE 4 I

1994, 107

s. 75 182.

BVerfGE 89, !55 I 188; s. dazu Frowein, ZaöRV 1994, I I 9.

A. Geltungsgrund europäischer Grundrechte: Ein Abriß

163

Organe messen Gemeinschaftsakte an den nationalen Grundrechten. Wenn sie feststellen, daß eine nationale Grundrechtsverletzung vorliegt, 108 kann eine solche Grundrechtsverletzung grundsätzlich nicht von dem Zustimmungsgesetz gedeckt sein. 109 Art. 23, 24 GG könnten einen Eingriff der Gemeinschaft in grundrechtlich geschützte Positionen dann nicht mehr decken. 110 Bei einer Grundrechtsverletzung würde es dann an einer aus dem EGV abzuleitenden, rechtfertigenden Rechtsgrundlage für das Gemeinschaftshandeln fehlen. Grundrechtseingriffe bedürfen jedoch stets einer Rechtsgrundlage. 111 Im Ergebnis müßten somit Gemeinschaftsakte, um überhaupt Geltung zu erlangen, dem nationalen Grundrechtsschutz genügen 112 , da die Gemeinschaftsorgane ansonsten außerhalb der Kompetenzordnung und dem deutschen Ratifikationsgesetz handeln würden. Jeder Bürger könnte eine Grundrechtsverletzung mit der Behauptung geltend machen, daß die Staatsorgane ohne Rechtsgrundlage tätig wären, wenn es zu Grundrechtseingriffen kommt, die nicht durch das Grundgesetz gedeckt sein würden. 113 Soweit es darüber zu einem Rechtsstreit vor den nationalen Gerichten käme, müßten diese allerdings erst nach Art. 177 EGV dem EuGH vorlegen. 114 Um eine nachträgliche Kontrolle vor dem BVerfG zu vermeiden, müßte der EuGH dem Prinzip des Maximalstandards folgen. Ein weiterer Grund für den Maximalstandard wäre auch der Grundsatz "in dubio pro libertate", der sich aufgrund der liberalen Tradition der Mitgliedstaaten und den Zielen des E(W)GV ergäbe. 115 Der EuGH hat allerdings bisher deutlich gemacht, daß er der Theorie vom Maximalstandard nicht zu folgen bereit ist. Schon in der Entscheidung InterIOR S.a. auch die Gefahr eines deutschen "Verfassungsimperialismus", Everling, DVBI. 1993, 936 I 945; Schwarze, NJ 1994, I I 3,5; Bleckmann I Pieper, RIW 1993, 969 I 972 sprechen von einer "Weltgeltung der Grundrechte". 109 Vgl. auch Frowein, ZaöRV 1994, I 13; s. aber auch E. Klein, VVDStRL (50) 1991, 56 ff. 110 S. zum Zusammenhang von Art. 24 GG und gemeinschaftlichen Rechtsakten E. Klein, VVDStRL 50 (1991), S. 56 181. 111

EuGH Verb. Rs. 46 I 87 u. 227 I 88, Slg. 1989, 2859 I 2924 Rn. 19 - Hoechst.

Sehr kritisch hinsichtlich der Rolle des BVerfG in diesem Fall, Meessen, NJW 1994, 549 I 552: "Der Anspruch auf letztinstanzliehe Überprüfung derartiger Entscheidungen durch das BVerfG stellt das europäische Rechtsschutzsystem in Frage." 112

113 Eine petitio principii folgt daneben auch schon aus der Konstruktion des BVerfG, die Grenzen des Demokratieprinzips an Art. 38 GG zu messen; Tomuschat, EuGRZ 1989, 4291432. 114

Schröder, DVBI. 1994, 3161324; Götz, JZ 1993, 1081 I 1086.

Bleckmann, FS Börner, S. 29 I 30 f.; Streinz, Grundrechtsschutz, S. 402; dieser Grundsatz ist allerdings wegen seines generellen Vorrangcharakters nicht unumstritten, s. Stern, Staatsrecht, Bd. III I 1; von Münch I Kunig-v. Münch, Vorb. Art. 1- 19 Rn. 51. 115

II•

164

2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

nationale Handelsgesellschaft 116 hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, daß es einen gemeinschaftsrechtlichen Schrankenvorbehalt gibt. Dieser Hinweis wäre ansonsten überflüssig gewesen, da bei Anerkennung des Maximalstandardes keine stärkere Beschränkung als im nationalen Bereich möglich wäre. In der Entscheidung Hoechst hat der EuGH jetzt auch eine eindeutige Abkehr von seiner Formulierung aus dem No/d-Urteil vollzogen. 117 Dieses Urteil hat der Gerichtshof später noch einmal weitgehend wortgleich bestätigt. 118 Dieser im Vergleich zum deutschen Recht verkürzte Grundrechtsbereich auf europäischer Ebene spricht eindeutig gegen die These vom Maximalstandard. 119 Zugleich wird deutlich, daß der EuGH sich einen weiten Beurteilungsspielraum ausbedingt, da der Hinweis auf die "dem Recht der Mitgliedstaaten gemeinsamen Grundsätze" nicht im wörtlichen Sinne verstanden werden kann. Die hier diskutierte Theorie vom Maximalstandard ist im Ergebnis abzulehnen. So würde sich die Gemeinschaft von einer nationalen Rechtsprechung abhängig machen, da ein mitgliedstaatliches Gericht durch eine extensive Grundrechtsauslegung den europäischen Grundrechtsstandard präjudizieren könnte. Dies widerspräche grundsätzlich dem Dogma von der Eigenständigkeil des Gemeinschaftsrechts, das Grundlage für die Rechtseinheit in der EG ist. Wegen der Verselbständigung des Gemeinschaftsrechts ist deswegen auch die Aussage problematisch, daß die Grundrechte eine "Hypothek" seien, die den Hoheitsrechten bei ihrer Übertragung auf die Gemeinschaft anhafteten. 120 Die Befugnisse sind jedoch ebensowenig statisch wie die Grundrechtsverbürgungen.121 Eine Bestimmung des "Hypothekenumfanges" könnte allein durch die mitgliedstaatliehen Gerichte erfolgen. Dieser Grundkonzeption scheint ja auch gerade das BVerfG jedenfalls in äußersten Grenzen zuzuneigen. Deutlich wird dabei auch die Gefahr für die Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechtes.122 Die vom BVerfG in seiner letzten Entscheidung vertretene Ansicht ist auch schon aus diesen Gründen abzulehnen. 123 116 EuGH Rs. 11170, Slg. 1970, 1125 11135 Rn. 4; in den dem Urteil No/d nachfolgenden Urteilen, s. z.B. EuGH Rs. C-62 / 90, Slg. 1992, 1-2575 / 2609 Rn. 23 - Kommission I Deutschland; EuGH Rs. C-280/93, EuZW 1994, 688/692 Rn. 78- Bananen. 117 EuGH Verb. Rs. 46/87 u. 227 / 88, S1g. 1989,2859/2924 Rn. 17. 118 EuGH Verb. Rs. 97-99/87, Slg. 1991, 316513185 Rn. 14 - Dow Chemical lberia

SA.

So auch Krogsgaard, LIEI 1193, S. 991106; Pernice, NJW 1990, 240912414. Vgl. Serensen, EuGRZ 1978, 33 I 34, der die innerstaatlichen Befugnisse durch nationale Grundrechte und die Bindung an die EMRK beschränkt sieht; s.a. im Hinblick auf die Europäische Kommission fiir Menschenrechte Clapham, YbEL 1990, 309 I 333 f.; s.a. NotthojJ, RIW 1995, 541 ff. 121 Vgl. Ganshofvan der Meersch, EuGRZ 1978, 37/42. 122 Vgl. E. Klein, VVDStRL 50 (1991) S. 56178 f.; a.A. Dauses, ELR 1985,398 1408. 119

120

A. Geltungsgrund europäischer Grundrechte: Ein Abriß

165

Ebensowenig kann einer teilweise vertretenen Ansicht gefolgt werden, daß wenigstens eine faktische wenn schon keine rechtliche Bindung an den nationalen Grundrechtsstandard besteht. 124 Davon kann zumindest nach dem Hoechst-Urtei1 nicht mehr ausgegangen werden. Diese Freiheit muß dem EuGH auch zugestanden werden, da ansonsten doch wieder eine Bindung des Gerichtshofes gegeben wäre, die schon aus den genannten Gründen abzulehnen ist. 125 Allerdings schließt die Ablehnung einer Bindungswirkung nicht aus, daß der EuGH dennoch grundsätzlich dem Prinzip der Maximierung des Grundrechtsschutzes zu folgen bereit ist. 126

3. Grundrechte nach den internationalen Verträgen Seit der Entscheidung Nold sind die internationalen Verträge in ständiger Rechtsprechung als Erkenntnisquelle fiir den europäischen Grundrechtsstandard herangezogen worden. 127 Dabei wurde inbesondere auf die EMRK abgestellt. 128 Diese Hervorhebung leitet sich schon aus der "Gemeinsamen Erklärung von Europäischem Parlament, Rat und Kommission" vom 5. April 1977 129 sowie Art. 4 Abs. 1 des Parlamentsentwurfes eines Vertrages zur Gründung der Europäischen Union vom 14. Februar 1984130 ab. In Art. F Abs. 2 EUV ist die besondere Stellung bestätigt worden, was mit der europäisch-geistesgeschichtlichen Wurzel der EMRK erklärt werden kann. 131 123 S. zur Kritik an dem Urteil: Frowein, ZaöRV 1994, I ff.; Tomuschat, EuGRZ 1993, 489 ff.; Schwarze, NJ 1994, l ff.; Meessen, NJW 1994, 549 I 552; sehr instruktiv auch Hirsch, NJW 1996, 2457 ff. 124 Hilf, in: Arbeitskreis europäische Integration (Hrsg.), Grundrechte, S. 40; Grabitzl Hilf-Pernice, Art. 164 Rn. 44. 125 Dauses, ELR 1985, 398 I 408 f. weist darauf hin, daß der EuGH bei der Suche nach der optimalen Lösung fiir die Besonderheiten des Gemeinschaftsrechtes nicht durch schematische Übertragungen nationalen Rechts behindert werden soll. 126 B/eckmann, Europarecht, Rn. 588; kritisch jetzt aber Nettesheim, EuZW 1995, l 06 ff.; Coppell 0 'Nei/1, CMLRev. 1992, 669 I 692; dagegen wiederum Weiler I Lockhart, CMLRev. 1995, 51 I 81 ff., 579 ff.; vgl. auch die Einzelfallprüfung der Bananenmarktordnung anband europäischer Grundrechte bei Zuleeg, NJW 1997, 1201 I 1203 ff. 127 S. z.B. EuGH Verb. Rs. 46 I 87 und 227 I 88, Slg. 1989, 2859 I 2923 - Hoechst; dabei hatte der EuGH augenscheinlich insbesondere an die EMRK gedacht, der Frankreich kurz zuvor am 3.5.1974 beigetreten war, BGBI. 1975 II S. 1346; s.a. EuGH Rs. C-260 I 89, S1g. 1991, I-2925 12963 Rn. 41 - ERT; EuGH EuZW 1991, 248 1249 Rn. lO - lberia; EuGH Rs. 222 184, Slg. 1986, 1651 I 1682 Rn. 18- Johnston. 128

GrabitziHilf-Hi/f, Art. F Rn. 29; Verges, RAE 4 1 1994, S. 75183 ff.

129

ABI. C 103 I 1 vom 27.4.1977.

130

ABI. C 77 133 vom 19.3.1984.

Siehe Doehring, in: Bemhardti Mosleri Hilf(Hrsg.), Grundrechtsschutz, S. 122 f., der der EMRK aus der historischen Entwicklung der Europäischen Gemeinschaften heraus eine Primärstellung einräumt. S.a. HandKommEUV I Klein, Art. F Rn. 8, "entwickelste Menschenrechtsverbürgung". 131

166

2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

Die Gleichstellung der internationalen Verträge mit den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ist wegen deren Integration in die verschiedenen nationalen Ordnungen konsequent. 132 Verfassungen wie internationale Menschenrechtsverträge enthalten in der Regel die grundlegenden Organisations- und Verfahrensprinzipien sowie Individualrechtsverbürgungen. Darüber hinaus sind sowohl Verfassungsänderungen als auch die Loslösung von einem internationalen Vertrag nur unter erschwerten Voraussetzungen möglich. a) Bindung der EU an die EMRK kraft Sukzession?

In der Literatur ist diskutiert worden, ob die EG schon kraft Sukzession Vertragspartei der EMRK geworden ist. 133 Diese Theorie lehnt sich an eine entsprechende Vorstellung über die Bindung der EWG an das GATT im Sinne einer de facto-Mitgliedschaft an134, wobei diese Möglichkeit allerdings grundsätzlich auch in Art. XXXIII GATT 135 fiir ein separates Zollgebiet vorgesehen ist. 136 Zunächst sprach der EuGH immer von den "Hinweisen", die die internationalen Verträge fiir den Grundrechtsschutz geben könnten. 137 Dadurch vermied er ein detaillierteres Eingehen auf die unterschiedlichen Bindungen der EMRK in den nationalen Rechtsordnungen. 138 In seiner nachfolgenden Rechtsprechung verzichtete der EuGH zwischenzeitlich darauf, von den "Hinweisen" zu sprechen 139, was in der Literatur teilweise als unmittelbare Bindung der EG an die EMRK gewertet wurde. 140 Diese Ansicht läßt sich jedoch mit den neuesten Entscheidungen nicht mehr aufrecht erhalten, da der EuGH wiePhilip, AFDI 1975, S. 383 I 395. So Kapteyn / VerLoren van Themaat, a.a.O., S. 177; Pescatore, in: Mosleri Bemhardt i Hilf, (Hrsg.) Grundrechtsschutz, S. 71; s.a. Grabitz i Hilf-Hilf, Art. F Rn. 28. 134 Vgl. Berrisch, Der völkerrechtliche Status der EWG im GATT, 1992; so implizit Dauses, ELR 1985, 39814llf.; s.a. Bleckmann, Die Bindung der EG an die EMRK, 1986. 13 s Quelle: Verträge der Bundesrepublik Deutschland, Ser. A, Nr. 1-11, Bd. I, S. 4181 478. 136 Art. XI, XIV WTO-Abkommen sehen jetzt eine explizite Regelung fiir die EG vor. 137 Z.B. EuGH Rs. 44 179, Slg. 1979,372713745 Rn. 15 -Hauer. m Für Großbritanniens. Warbrick, ELR 1994, 34; Staebe, EuGRZ 1997, 401 ff. ; s. insgesamt Bleckmann, EuGRZ 1994, 149 ff.; Frowein i Peukert-Frowein, EMRK, Einf. Rn. 6. 139 EuGH Rs. 136/79, Slg. 1980, 203312057 Rn. 18 f.- National Panasonic; vgl. auch die direkte Bezugnahme auf Art. 6 EMRK in EuGH Rs. 98 /79, Slg. 1980, 691 /7 16 Rn. 21-Pecastaing; EuGH Verb. Rs. 209-215,218 I 78, Slg. 1980,3125 13248 Rn. 79 Van Landewyck; Generalanwalt van Gerven in EuGH Rs. 404 192 P, Slg. 1994, I-4737 I 4769 - X / Kommission. 140 Streinz, Bundesverfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz, S. 400. 132

133

A. Geltungsgrund europäischer Grundrechte: Ein Abriß

167

der auf den Begriff "Hinweise" zurückgekommen ist. 141 Daneben spricht er in Urteilen teilweise das Eigentumsrecht an, ohne überhaupt das erste Zusatzprotokoll zur EMRK zu erwähnen. 142 Auch die anderen Organe der EG nehmen eine unmittelbare Bindung an die EMRK nicht an, wie die seit Jahren andauernde Diskussion über den Beitritt der EG zur EMRK zeigt. 143 Der EuGH hat jetzt in einem Gutachten hierzu wegen der fehlenden Kompetenzgrundlage ablehnend Stellung genommen. 144 Eine unmittelbare Bindung der EG an die EMRK ist aus mehreren Gründen abzulehnen. Zum einen steht die Beitrittsmöglichkeit nur Staaten offen (Art. 66 EMRK i.V.m. Art. 4 Satzung des Europarates)} 45 Zum anderen könnte diese Bindung rechtsdogmatisch nur über eine Sukzession der Gemeinschaft zu den Mitgliedstaaten begründet werden. Angesichts der unterschiedlichen Bindungen der Mitgliedstaaten ist dies jedoch problematisch. 146 Hat ein Staat die Zuständigkeit der Kommission und des Europäischen Ge141 EuGH Rs. C-260189, Slg. 1991, 1-2925 12963 Rn. 41 - ERT; EuGH Rs. 265 187, Slg. 1989, 223712268 Rn. 14 - Sehröder - allgemein bzgl. den "völkerrechtlichen Verträgen, an denen die Mitgliedstaaten beteiligt sind". 142 EuGH Rs. C-280 I 93, EuZW 1994, 688, 692 Rn. 78 - Bananen; EuGH Rs. C-2 I 92, Slg. 1994, 955 I 984 Rn. 19 f. - Bostock; EuGH Rs. C-177 I 90, Slg. 1992, 1-35 I 63 -Kühn; EuGH Rs. C-44 189, Slg. 1991,1-511915156 Rn. 26 ff. - von Deetzen 1/. 143 Rengeling, EuR 1979, S. 124 ff.; GTE-Beut/er, Grundrechtsschutz, Rn. 69 f. ; Eh/ermann I Noi!l, GS Sasse, Bd. II, S. 685 ff. ; siehe jetzt auch die Ablehnung eines Beitritts zur EMRK durch den EuGH wegen der fehlenden Kompetenzgrundlage, EuGH Gutachten 2194, Slg. 1996, 1-1759- EMRK. Zu beachten ist, daß die EMRK geändert werden müßte, da mangels Staatsqualität die EG nicht Mitglied des Europarates gemäß Art. 4 Satzung des Europarates ist und somit nicht Mitglied der EMRK gemäß Art. 66 Abs. I EMRK werden kann; FroweiniPeukert-Frowein, EMRK, Einf. Rn. 13. 144 Sehr instruktiv ist der Sitzungsbericht zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung am 7.11.1995 (fortan: Sitzungsbericht), EuGRZ 1995, 692 ff. Die EG I EU solle demnach auch gerade nicht Mitglied des Europarates werden. Weitere erörterte Probleme betrafen die Zulässigkeil des Gutachtenantrages (s. Art. 228 VI EGV) sowie die Frage der Rechtsgrundlage. Bezüglich der Rechtsgrundlage hatte die Österreichische Regierung nicht Art. 235 EGV angefiihrt, sondern interessanterweise die Außenkompetenz aus den einzelnen Vertragskompetenzen abgeleitet, da Grundrechte bei der Kompetenzwahrnehmung stets beachtet werden müßten (S. 695). Zur Frage, inwieweit ein Beitritt die Autonomie des Gemeinschaftsrechts beeinträchtige, s. Sitzungsbericht, EuGRZ 1995, 692 I 697 f. Der EuGH hat nunmehr eine Beitrittsmöglichkeit der EG zur EMRK verneint, da keine geeignete Kompetenzgrundlage zur VerfUgung stünde. Art. 235 EGV sei nicht ausreichend, da das Kompetenzgefüge der EG wesensmäßig verändert würde, EuGH Gutachten 2 I 94, Slg. 1996, 1-175911787 ff. Rn. 27 ff. 145 Selbst bei einer entsprechenden Vertragsänderung würde die Gemeinschaft in diesem Kreise politisch ein quasi-staatlicher Status zukommen, s. Mancini I Di Bucci, in: Clapham (Hrsg.), Collected Courses, 1990, 35 I 51. 146 Vgl. Pescatore, EuGRZ 1978, 441 I 434.; dies ist relevant für die Frage der Kompetenznachfolge der Gemeinschaft: wäre die Gemeinschaft umfassender als der Mitgliedstaat gebunden, wäre dies bezogen auf die übertragene Kompetenz eine Ausweitung der einzelstaatlichen Bindung.

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2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

richtshofs für Menschenrechte nicht akzeptiert, kann materiell diese nicht über eine Sukzession der Gemeinschaft als ganzes für sein Staatsgebiet begründet werden. Eine Nachfolge ist nur in bestehende Bindungen möglich. Eine Sukzession auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner kann insoweit kein Ausweg sein, da in den Staaten, die die EMRK vollständig akzeptiert haben, sonst eine Minderung des Grundrechtsschutzes angenommen werden müßte.'47 Gegen eine Bindung der EG an die EMRK., die den Mitgliedstaaten nachfolgt, spricht auch Art. 15 EMRK, der eine Einschränkungsmöglichkeit "im Falle eines Krieges oder eines öffentlichen Notstandes, der das Leben der Nation bedroht" ermöglicht. Soweit die Mitgliedstaaten von dieser Regelung Gebrauch gemacht haben, erscheint eine einheitliche Substituierung nicht möglich. 148 Die Annahme einer "funktionalen" Substitution bezüglich der Einzelkompetenz ist auch wegen der Dynamik des Gemeinschaftsrechtes und der damit einhergehenden veränderlichen Reichweite des Gemeinschaftsrechtes abzulehnen.149 Ansonsten würde eine Unsicherheit über die Geltungsweite der EMRK im nationalen Bereich entstehen, da auch nationalen Organen grundsätzlich noch eine Regelungsbefugnis in Bereichen zusteht, die im EGV ansonsten normiert sind. 150 Gerade dies unterscheidet auch die Frage des Grundrechtsschutzes vom GATT, wonach gemäß Art. 110 ff. EGV der Gemeinschaft unstreitig die alleinige Außenhandelskompetenz zufällt. 151 Eine Bindung der EG an die EMRK würde zudem in Hinblick auf die Rolle des EGMR Schwierigkeiten aufwerfen. Dieser orientiert seine Rechtsprechung unter anderem an der Souveränität der Mitgliedstaaten, so daß ge147 Gleichzeitig sollte jedoch ein Beitritt zur EMRK nur soweit erfolgen, wie die Konvention von allen Mitgliedstaaten ratifiziert ist. Im Gegensatz zu einer Sukzession blieben die Mitgliedstaaten immer noch in dem jeweiligen Umfang gebunden, Sitzungsbericht, EuGRZ 1995, 692. 148 Vgl. Mendelson, YbEL 1981, 125 I 163, der auf die Schwierigkeit eines Ausgleichs von Art. 15 EMRK mit Art. 223-225 E(W)GV hinweist. 149 Die Europäische Kommission fiir Menschenrechte ist insoweit allerdings einem anderen Ansatz gefolgt und hat vertreten, daß die EMRK den Vertragsstaat auch dann bindet, wenn er Souveränitätsrechte überträgt, da er sich von seinen internationalen Verpflichtungen nicht lösen könne, Europäische Kommission fiir Menschenrechte, Entscheidung vom 9.2.1990, Rs. Nr. 13258/82,- M. & Co./ Bundesrepublik Deutschland; s. dazu Frowein/ Peukert-Frowein, EMRK, Einf. Rn. 15. 150 Vgl. auch die Argumentation der portugiesischen Regierung, wonach der EGMR im Falle eines Beitritts verpflichtet wäre, Gemeinschaftsrecht auszulegen und Entscheidungen über die Zuständigkeit der Gemeinschaft zu treffen, Sitzungsbericht, S. 692 I 698. 151 In EuGH Verb. Rs. 21-24 / 72, Slg. 1972, 1219 / 1228 Rn. 14/18 -International Fruit Company konnte der EuGH insoweit auch auf die klare Zuständigkeitsverlagerung abstellen.

A. Geltungsgrund europäischer Grundrechte: Ein Abriß

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genüber der EG grundsätzlich ein anderer Maßstab gelten müßte. Zum Beispiel könnte dies fiir die Beurteilung des Einschätzungsspielraumes hinsichtlich des eigentumbegrenzenden Allgemeininteresses von Bedeutung sein. 152 Ein fundamentaler Unterschied ist daneben darin zu sehen, daß das Dogma der Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechtes nicht in dem gleichen Maße fiir die Anwendung der EMRK gilt. 153 Die Regelungen der EMRK als "Gemeinschaftsrecht" könnten somit unterschiedlich ausgelegt werden. 154 Somit kann sowohl von der Funktion als auch von der Tragweite der Entscheidungen des EGMR ein Unterschied zwischen den Staaten und der Gemeinschaft festgestellt werden. 155 Fraglich könnte allenfalls sein, ob die Union materiell an die EMRK gebunden ist, da jetzt auch Art. F Abs. 2 EUV die Menschenrechtserklärung positiv festschreibt. 156 Der bisherigen Rechtsprechung konnte eine solche Bindung bisher nicht mit eindeutiger Sicherheit entnommen werden. 157 Zwar hat der EuGH in der Entscheidung National Panasonie geprüft, ob ein statthafter Eingriff im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK vorliegt. 158 Die Prüfung eines 1s2 Zu den unterschiedlichen Funktionen von EuGH und EGMR vgl. insoweit Sorensen, EuGRZ 1978, 33 I 35; beispielhaft hinsichtlich der Auslegungsmethoden Ganshof van der Meersch, EuGRZ 1978, 37 I 40 ff. lll Ganshof van der Meersch, EuGRZ 1978, 37 I 44; so auch die portugiesische Regierung, Sitzungsbericht, EuGRZ 1995, 692 I 696. 154 S. den vergleichbaren Fall hinsichtlich des zunächst vorgesehenen EWR-Gerichtshofes, der für den Bereich des EWR dem EGV gleichlautende Bestimmungen anwenden sollte. Der EuGH sah hierin eine Gefahr für eine uneinheitliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts, wenn es zu divergierenden Interpretationen ("fehlende Homogenität") gleicher Bestimmungen im Bereich des EWR und der EG kommen sollte, EuGH Gutachten I I 91, Slg. 1991, I-6079 Rn. 41 ff.- EWR I. Das Gutachten ist umso bemerkenswerter, als dem EWR-Gerichtshof fünf (von acht) Richtern des EuGH angehören sollten. Wenn aber insoweit schon an einer fehlenden Homogenität gezweifelt wurde, müßte dies für das Verhältnis von EuGH und EGMR umso mehr gelten. ll l Grabitzl Hilf-Hilf, Art. F Rn. 32 nimmt jedoch im Einzelfall auch die Beachtung der Spruchpraxis der EMRK-Organe an, wobei nicht klar ist, wann dies im Einzelfall möglich bzw. notwendig ist; konsequenter wäre dann schon eine allgemeine Bindung an die Judikatur, s. in diesem Sinne Ress, JuS 1992, 989 I 990. In bezug auf einen möglichen Beitritt der EG zur EMRK ist es nach Ansicht der belgiseben und Österreichischen Regierung gerade das Ziel, eine unterschiedliche Auslegung von Grundrechten von den Gemeinschaftsorganen und dem EGMR zu vermeiden, Sitzungsbericht, S. 692 1695. 1s6 So HandKommEUV I Klein, Art. F Rn. 8 ,,materielle Inkorporation"; s.a. Grabitz l Hilf-Hilf, Art. F Rn. 32. Siehe jetzt auch die Vorlage des Österreichischen VGH an den EuGH zur Frage, ob die EMRK Bestandteil des primären Gemeinschaftsrechts über Art. 164 EGV ist, EuGRZ 1995, 570 1575. ll? So aber Bleckmann, Bindung der EG an die EMRK, S. 5 schon vor dem Erlaß des Art. F Abs. 2 EUV. ll S EuGH Rs. 136179, Slg. 1980, 2033 I 2057 Rn. 19; so auch kürzlich Generalanwalt Van Gerven in EuGH Rs. 404 192 P, Slg. 1994, I-4737 14750, 4762 Rn. 12, 25 -XI Kommission.

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2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

einzelnen Schrankenvorbehalts kann jedoch noch nicht zu einer allgemeinen Annahme der Bindungswirkung führen. Insoweit ist die Einschränkungsmöglichkeit gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK als ein Hinweis für den Grundrechtsstandard zu verstehen. Dagegen hat der Gerichtshof in der Entscheidung Hoechst den Schutzbereich von Art. 8 EMRK geprüft, dessen Einschlägigkeit jedoch verneint. 159 Im Ergebnis lehnte der EuGH dabei eine Schutzbereichsverletzung sowohl in Hinblick auf die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen als auch der EMRK ab, um dann aber bei den Verfahrensanforderungen ausschließlich auf die mitgliedstaatliehen Erfordernisse einer Rechtsgrundlage zu rekurrieren. Art. 8 Abs. 2 EMRK, der die korrespondierende Vorschrift der EMRK darstellt, erwähnte er nicht. Daraus kann gefolgert werden, daß der Gerichtshof bei der Interpretation der Grundrechte wahlweise auf Vorschriften aus den internationalen Verträgen und I oder den mitgliedstaatliehen Verträgen zurückgreifen möchte, ohne sich durch eine materielle Bindung in seiner richterlichen Freiheit eingeengt fühlen zu wollen. 160 Dieses Ergebnis bestätigt jetzt auch die Entscheidung X I Kommission. Nachdem der EuGH Art. 8 EMRK explizit im Rahmen der gemeinschaftlichen Grundrechtsgeltung nennt, greift er dennoch auf die allgemeinen Beschränkungsmöglichkeiten gemäß seinem Richterrecht zurück und weicht damit offensichtlich von dem Vorgehen des Generalanwaltes van Gerven ab. 161 Aufgrund Art. F Abs. 2 EUV sollte jedoch jetzt eine materielle Bindung der Union an die EMRK kraft einer expliziten Selbstverpflichtung angenommen werden.162 Klein spricht insoweit gar von einer rechtsverbindlichen einseitigen "Inkorporation", die über die mittelbare Geltung über die allgemeinen Rechtsgrundsätze hinausgeht. 163 Zwar ist Art. F Abs. 2 EUV wegen Art. L EUV nicht justitiabel, so daß die eigentliche Grundrechtssprechung des EuGH weiterhin auf Art. 164 EGV beruht. Da Art. A Abs. 2 und 3 EUV jedoch andererseits auf die neue Stufe der Gemeinschaftsentwicklung hinweisen, kann Art. 164 EGV im Sinne des (übergeordneten) Art. F Abs. 2 EUV ausgelegt werden. 164 159 EuGH Verb. Rs. 46 I 87 u. 227 I 88, Slg. 1989, 2859 I 2923 Rn. 18 auch unter Hinweis auf die fehlende Rechtsprechung des EGMR; ebenso EuGH Rs. 85187, Slg. 1989, 3137 I 3157 Rn. 29 - Dow Benelux; EuGH Verb. Rs. 97-99 I 87, Slg. 1989, 3165 13185 f. Rn. 15- Dow Chemical lberia; bzgl. Art. 6 EMRK im Prinzip ebenfalls EuGH Rs. 98/79, Slg. 1980, 691 1716 Rn. 21 - Pecastaing, s. dazu Mendelson , YbEL 1981, 125 I ISO. 160 Für Schwarze, NJ 1994, 53 ist diese richterliche Freiheit (man möchte beinahe von Dezionismus sprechen, vgl. Meesen, JIR 1974, 283) wegen der Flexibilität und möglichen Ausgestaltung anzuerkennen. 161 EuGH Rs. C 404192 P, Slg. 1994,1-473714789 f. Rn. 17 f. -X/ Kommission; zur Prüfung des Generalanwaltes s. S. 4762 ff. Rn. 25 ff., der insbesondere die Rechtsprechung des EGMR heranzieht; dies übersieht Grabitz I Hilf-Hilf, Art. F Rn. 31; vgl. aber auch Kühling, EuGRZ 1997, 2961297. 162 Diese Möglichkeit schon bejahend Pernice, NJW 1990, 240912415. 163 HandKommEUV / Klein, Art. F Rn. 8; ebenso Grabitz i Hilf-Hilf, Art. F Rn. 32.

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b) Internationale Verträge als Mindeststandard?

Eine andere Frage geht dahin, ob die internationalen Verträge einen Mindeststandard für den Grundrechtsschutz vorgeben. Es wird vertreten, daß die internationalen Verträge allenfalls einen kleinsten gemeinsamen Nenner der teilnehmenden Vertragsparteien darstellen würden 165 , wie sich zum Beispiel an den weiten Beschränkungsmöglichkeiten der EMRK zeige. 166 Diese Gewährleistungen der internationalen Verträge dürften keinesfalls unterschritten werden. Diese Ansicht ist im Ergebnis nicht zweifelhaft. Allerdings stellt sich die Frage, ob tatsächlich von einem Mindeststandard zum Beispiel bezüglich der EMRK gesprochen werden kann. Eine solche Problemstellung ist dabei nicht beschränkt auf die Frage der Bindung der Gemeinschaftsgewalt durch die EMRK. Vielmehr ist hier ein Vergleich mit den nationalen Grundrechtsgarantien anzustellen. Unter diesem Blickwinkel zeigt sich, daß keineswegs behauptet werden kann, daß die nationalen Verfassungsordnungen regelmäßig einen ausgedehnteren Grundrechtsschutz gewährleisten. 167 Wenn die nationalen Verfassungsüberlieferungen tatsächlich regelmäßig einen weiteren Grundrechtsschutz als zum Beispiel die EMRK böten, wäre diese Konvention - abgesehen von der völkerrechtlichen Kontrollfunktion - in materieller Hinsicht obsolet. Zumindest dürfte dann theoretisch kein Verfahren in Straßburg mehr zum Erfolg führen. Jedesmal wenn jedoch ein Verfahren vor dem EGMR mit dem Ergebnis der Feststellung einer Vertragsverletzung endet 164 Dies gilt auch entgegen einem zu engen Verständnis von Art. M EUV, der vom Sinn her eine "Entgemeinschaftung" bestehender Kompetenzen durch den intergouvernementalen EUV verhindem sollte, Oppermann in: HommelhoffI Kirchhof, Der Staatenverbund der Europäischen Union, S. 87193. Alle Verträge sind auf das Ziel einer europäischen Integration ausgerichtet (s. Art. B Abs. I letzter Spiegelstrich, Art. A Abs. 2 EUV, Präambel des EUV erste Begründungserwägung). Dies zeigen auch die historischen Entwürfe für die Europäische Union (vgl. z.B. Entwurf des EP vorn 14.2.1984; s. dazu Spine/li, in: SchwarzeiBieber, Eine Verfassung für Europa, S. 231 ff.; Pernice, EuR 1984, 126). Aus systematischer Hinsicht folgt, daß die Unberührtheitsklausel des Art. M EUV für die Kompetenzbegrenzung des EuGH gemäß Art. L EUV relevant ist. Art. M EUV als Grenze für einen Integrationsrückschritt zutreffend auffassend, Oppermann, in: Homrnelhoff I Kirchhof (Hrsg.), Der Staatenverbund der Europäischen Union, S. 87 193; i.E. ebenso Grabitz i HilfHi/f, Art. F Rn. 42 f.

165 Vgl. Zieger, Grundrechtsproblern in der EG, S. 19 ff.; zur EMRK s. Bahlmann, FS für Carstens, S. 18126; Beutler, EuGRZ 1989, 186 f.; Bernhardt, in: Mosleri Bemhardtl Hilf(Hrsg.), Grundrechtsschutz, S. 122; Mancini, CMLRev. 1989, 5951610; Streinz, Bundesverfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz, S. 400; vgl. zum Eigentumsschutz Peukert, EuGRZ 1981, 971114. 166

696.

So Bahlmann, FS fur Carstens, S. 18 I 29; s.a. Kommission, Sitzungsbericht, S. 692 I

167 So aber Bleckmann, Bindung der EG an die EMRK, S. 159; s.a. Frowein, Europäischer Grundrechtsschutz und nationale Gerichtsbarkeit, 1983, S. 9 f., der auf die Fälle eingeht, wo die Bundesrepublik bisher verurteilt wurde.

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2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

(und sei es durch eine andere Sachverhaltsinterpretation), wird ein größerer Grundrechtsschutz gewährt, als er im nationalen Recht vorgesehen ist. 168 Insoweit wäre es also verfehlt, zumindest die EMRK als grundrechtliehen Mindeststandard zu verstehen. 4. Grundfreiheiten als Grundrechte im weiteren Sinne

Im Rahmen einer Arbeit über Grundrechtsprobleme bei der Schaffung transeuropäischer Netze muß geklärt werden, ob Grundfreiheiten auch als Grundrechte angesehen werden können. 169 Dies könnte die Frage einschließen, ob Probleme und Lösungen, die zu den (nationalen) Grundrechten entwickelt wurden, auf die Grundfreiheiten übertragbar sind. Die Relevanz zeigt sich beispielsweise bei der Bedeutung der Menschenwürde oder dem Charakter des Grundrechts bzw. der Grundfreiheit als Abwehrrecht. 170 Der Begriff der Grundfreiheiten erfaßt dabei zunächst den Bereich des Waren-, Kapitalund Personenverkehrs. Er erstreckt sich darüber hinaus auf alle primärrechtlichen den einzelnen begünstigenden Vorschriften. 171 a) Argumente für eine Gleichsetzung

In der Literatur werden die Grundfreiheiten teils als "gemeinschaftsspezifischer Ausdruck innerstaatlicher Grundrechtsgarantien" aufgefaßt. 172 In diesem Zusammenhang wird auf die EuGH-Entscheidung Rutili verwiesen, wo der EuGH fiir die Einschränkung von Art. 48 EWGV auf die Art. 8 ff. EMRK Bezug nimmt 173 : "Insgesamt stellen sich die Beschränkungen der ausländerpolizeilichen Befugnisse der Mitgliedstaaten als eine besondere Ausprägung eines allgemeineren Grundsatzes dar, der in den Artikeln 8, 9, 10 und 11 der am 4. November 1950 in Rom 16M Vgl. auch Ress / Ukrow, EuZW 1990, 501; Rengeling, Grundrechtsschutz, S. 210212; s. z.B. BVerfG EuGRZ 1995, 410 - Feuerwehrabgabe; es handelte sich bei dieser Entscheidung um eine Abgabe, die auf Männer beschränkt war. Das BVerfG hat in diesem Fall seine ursprüngliche Rechtsprechung geändert, nachdem der EuGH-MR in einem Urteil diese Angabe als konventionswidrig eingestuft hatte (EGMR EuGRZ 1995, 392); s. dazu Bleckmann, EuGRZ 1995, 387 ff. 169 Vgl. aber auch den Ansatz von Notthojf, RIW I 995, 5411544: Grundfreiheiten als Rechtsquelle von Gemeinschaftsgrundrechten. 170 B/eckmann, GS Sasse, Bd. II, S. 665 I 666 ff.; ders., Europarecht, Rn. 755 ff. ; auch eine Ausdehnung der Grundfreiheiten von den wirtschaftlichen Bezügen in den privaten Bereich sei erstrebenswert, Bleckmann, Europarecht, Rn. 782. 171 Z.B. Art. 119 EGV. 172 Grabitz / Hilf-Pernice, Art. 164 Rn. 53; so auch GTE-Krück, Art. 164 Rn. 31; Schwarze, EuGRZ 1986, 293 spricht vom "grundrechtsähnlichen Charakter". 173 EuGH Rs. 36/75 Slg. 1975, 1219 / 1232 Rn. 32.

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173

unterzeichneten und von allen Mitgliedstaaten ratifizierten Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten und in Artikel 2 des am 16. September 1963 in Straßburg unterzeichneten Protokolls Nr. 4 zu dieser Konvention verankert ist, die gleichlautend bestimmen, daß die zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorgenommenen Einschränkungen der in den genannten Artikeln zugesicherten Rechte nicht den Rahmen dessen überschreiten dürfen, was für diesen Schutz "in einer demokratischen Gesellschaft,, notwendig ist."

Aus dem Umstand heraus, daß der EuGH in dem No/d-Urteil gerade erst auf die Bedeutung der internationalen Verträge fiir die Gewährleistungen der Gemeinschaftsgrundrechte hingewiesen hatte 174, konnte die Schlußfolgerung gezogen werden, daß Grundrechte und Grundfreiheiten (jedenfalls hinsichtlich der Schranken) gleichgestellt seien. 175 In den Entscheidungen ADBHU116 und Heylens 171 hat der Gerichtshof ebenfalls die Grundfreiheiten und die Grundrechte in einem Atemzug genannt, so daß die Gleichsetzung dieser Rechte dadurch ebenso gerechtfertigt sein könnte. 178 Insbesondere Bleckmann hat wiederholt eine Gleichsetzung von Grundfreiheiten und -rechten vertreten. 179 Er stützt sich dabei auf den Freiheitscharakter von Grundrechten und Grundfreiheiten, die hinsichtlich der Grundrechtsträgerschaft, -funktionen und -schranken die gleichen Probleme aufwiesen.180 Sowohl Grundrechte wie Grundfreiheiten seien unmittelbar anwendbar und primär als Abwehrrecht zu verstehen. 181 Insoweit könnten Grundfreiheiten eben nicht mehr nur als objektive Konstitutionsprinzipien angesehen werden182, obwohl sich gerade in dieser Funktion die fundamentale Bedeutung der Grundfreiheiten zeige. 183

EuGH Rs. 4/73, Slg. 1974,4711507 Rn. 13. Vgl. auch GTE-Beut/er, Grundrechtsschutz, Rn. 42; Bleckmann, Europarecht, Rn. 755; ders., GS Sasse, Bd. II, S. 665/666. 176 EuGH Rs. 240/83, Slg. 1985, 5311548 Rn. 9. 177 EuGH Rs. 222/86, Slg. 1987,4098/4117 Rn. 14. 178 Vgl. auch Coppe/IO'Neil/, CMLRev. 1992, 669/689 f. 179 Bleckmann, GS Sasse, Bd. Il, S. 665 ff., ders., Europarecht, Rn. 755, ders., EuGRZ 1981, 258 f.; ders., DVBl. 1978, 457 ff. 180 Bleckmann, GS Sasse, Bd. II, S. 665/677. 181 Bleckmann, GS Sasse, Bd. II, 665 / 668. 182 Bleckmann, GS Sasse, Bd. Il, 665/667; ebenso Hilf, in: Arbeitskreis europäische Integration (Hrsg.), Grundrechte, S. 23 / 27. 183 Hilf, in: Arbeitskreis europäische Integration (Hrsg.), Grundrechte, S. 23/27 verweist auf EuGH Rs. 43/75, Slg. 1976, 455 Defrenne, wo es um Art. 119 EWGV ging; Hilf impliziert die Gleichsetzung der Grundfreiheiten und Grundrechte mit der Bemerkung, daß sich insoweit eine "fundamentale Werteordnung ausdrücke" und er dieses i.E. auch auf die Grundrechte bezieht. 174 175

174

2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

b) Argumente gegen eine Gleichsetzung

Gegen eine Gleichsetzung wird vor allem die unterschiedliche Bindungswirkung eingewandt. Grundrechte wenden sich an die Gemeinschaftsorgane, während sich die Grundfreiheiten jedenfalls primär an die Mitgliedstaaten richten würden. 184 Die Grundfreiheiten seien zugleich Ermächtigungsnormen und der Regelungsbereich auf wirtschaftliche Betätigungen beschränkt. 185 Grundfreiheiten würden auch nur bei einem grenzüberschreitenden Bezug Anwendung finden, während Grundrechte ftir alle Unionsbürger gelten. 186 c) Stellungnahme

Die ablehnende Haltung zu einer Gleichsetzung der Grundfreiheiten und Grundrechte überzeugt hinsichtlich der zuletzt genannten Argumente nicht. Die Geltung der Gemeinschaftsgrundrechte ist im Ergebnis auch nur bei grenzüberschreitenden Bezügen gegeben. Die Gemeinschaftsrelevanz liegt nur im Anwendungsbereich des EGV. Der Bezug ist sowohl bei den Grundfreiheiten als auch bei den Gemeinschaftsgrundrechten gleich. Auch aus einer abstrakten Sichtweise heraus kann nicht von einer grundsätzlich notwendigen allgemeinen Geltung der Grundrechte gesprochen werden. Im deutschen Recht ist insoweit die Unterscheidung von Bürger- und Menschenrechten geläufig.187 Daraus folgt, daß eine uniforme Geltung von Grundrechten per definitionem nicht gefordert werden kann. Die Behauptung, daß Grundfreiheiten Ermächtigungsnormen seien 188 , schließt ebenfalls eine Gleichsetzung mit Gemeinschaftsgrundrechten dann nicht aus, wenn man diesen einen Leistungs- und Teilhabecharakter, abgeleitet aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten 189 , zubilligt. Bleckmann spricht insoweit auch bei den Grundfreiheiten von Leistungsrechten, was die Nähe zu den Leistungsgrundrechten impliziert. 190 Wie 1114

GTE-Beutler, Grundrechtsschutz, Rn. 65 und 42.

185

GTE-Beutler, Grundrechtsschutz, Rn. 42 f.

Streinz, Europarecht, Rn. 720; zur Bedeutung einer Grundfreiheit als Schutzpflicht und der den Grundrechten insoweit fehlende kompetenzielle Anknüpfungspunkt Gersdorf, AöR 1994,4001418,422 ff. 187 Umgekehrt hat z.B. Art. 16a Abs. I GG fur Deutsche keine Bedeutung. 188 Vgl. aber z.B. bzgl. Art. 119 EuGH Rs. 43 175, Slg. 1976, 455 Rn. 61/64 Defrenne, wo der EuGH auf die (Hilfs-) Kompetenz aus Art. 100, 155, 235 EWGV verwiesen hat. 186

189 Vgl. zu den Grundrechten in den einzelnen Mitgliedstaaten EuGRZ 1978, 478 ff.; Feger, Jura 1987, 6 ff.; s. aber gerade dagegen Gersdorf, AöR 1994, 400 I 418, 424 f. Der Rat hat im Sitzungsbericht zum Beitritt der EG zur EMRK vertreten, daß der EG keine Handlungsbefugnis im Bereich der Menschenrechte zustünden, EuGRZ 1995, 692 I 69; zust. EuGH Gutachten 2 I 94 Slg. 1996, 1-1759 I 1787 Rn. 27 ff. 190 Bleckmann, GS Sasse, Bd. II, S. 665 I 677; hinsichtlich der Grundfreiheit des Dis-

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in dem Defrenne li-Urteil hinsichtlich einer Grundfreiheit angedeutet, könnten auch Gemeinschaftsgrundrechte hilfsweise durch subsidiäre Kompetenznormen wie Art. l 00, 235 EGV umgesetzt werden. 191 Zumindest verwaltungsintern ist dies auch die Folge des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs192, wenn die Gemeinschaft verpflichtet wird, im Verwaltungsverfahren dieses Grundrecht effektiv zu beachten. Andererseits kann dem Argument nicht widersprochen werden, daß die Gemeinschaftsgrundrechte im Gegensatz zu den Grundfreiheiten grundsätzlich nur die Gemeinschaftsorgane binden. Insoweit hat der EuGH eine Überprüfung nationaler Maßnahmen allein anband der Gemeinschaftsgrundrechte regelmäßig abgelehnt, während dies für die Grundfreiheit ständige Gerichtspraxis ist. 193 Eine Gleichsetzung der Grundrechte und der Grundfreiheiten berührt damit die Frage der Grundrechts- bzw. Grundfreiheitsverpflichteten im Gegensatz zu der Frage der Begünstigten. Die ansonsten durchaus gegebene strukturelle Gleichheit der Grundrechte und -freiheiten als unmittelbar geltende subjektive-öffentliche Rechte wie auch der synonyme Sprachgebrauch z.B. in der Erklärung des Europäischen Parlamentes zu den Grundrechten und Grundfreiheiten vom 12. April 198919\ vermag an dieser unterschiedlichen Bindungswirkung nichts zu ändern. Allein der Umstand, daß die Grundfreiheiten auch die Gemeinschaftsorgane binden, führt nicht umgekehrt zu einer von den Grundfreiheiten isolierten Bindung der Mitgliedstaaten an Gemeinschaftsgrundrechte. Diese ist nur mittelbar gegeben, wenn es sich um einen ausdrücklich im Gemeinschaftsrecht geregelten Bereich handelt. 195 Die von den Befürwortern einer Gleichsetzung genannte Ru/i/i-Entscheidung ist dabei auch kein ausreichendes Argument. Der EuGH hatte nur zur Schrankenproblematik Stellung genommen und insoweit sowohl die Frage des Gewährleistungsumfanges als auch die Frage der Verpflichteten offengelassen. Gerade diese Punkte wären aber für eine Gleichsetzung von Grundrechten und Grundfreiheiten von Bedeutung, da sich gerade hieran entscheidende Probleme knüpfen.

kriminierungsverbotes (Art. 119 EGV) insoweit anschaulich EuGH Rs. 43175, S1g. 1976, 455 Rn. 30 I 34 Defrenne, wo der Gerichtshof von einer "Ergebnispflicht" spricht. 19 1 EuGH Rs. 43175, S1g. 1976, 455 Rn. 61/64. 192 S. z.B. EuGH Rs. 234/84, Slg. 1986,2263 / 2288 Rn. 25 ff. -Belgien / Kommission. 193 EuGH Verb. Rs. 60 und 61 / 84, Slg. 1985,2605 - Cim?theque; EuGH Rs. C-260 / 89, Slg. 1991, 1-2925 - ERT, EuGH Rs. C-159 / 90, S1g. 1991 , 1-4685 - Grogan; kritisch Schwarze, EuGRZ 1986, 293 I 298; vgl. auch GTE-Beutler, Grundrechtsschutz, Rn. 64; s. ausfUhrlieh 2. Teil, A.III. 194 BullEG 4 / 89, Nr. 3.2.1. 195 EuGH Rs. C-260 / 89, Slg. 1991, 1-2925 / 2964 Rn. 42 - ERT; EuGH Rs. C-159 / 90, Slg. 1991 , 1-4685 / 4741 Rn. 31- Grogan.

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2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

Ausgehend von dem fundamentalen Unterschied bei der Bindungskraft erscheint zumindest eine sprachliche Gleichsetzung der Grundfreiheiten mit den Gemeinschaftsgrundrechten als irrefuhrend. Solange Gemeinschaftsgrundrechte nicht in gleichem Maße die Mitgliedstaaten binden wie die Grundfreiheiten, sollte auf eine terminologische Gleichsetzung verzichtet werden. Andererseits bedeutet dies jedoch nicht unbedingt eine materielle Ablehnung der grundrechtsähnlichen Auslegung der Grundfreiheiten. Dies wird allerdings ja auch kaum bestritten. 111. Reichweite des Prüfungsrechts des EuGH Nach der Darstellung des allgemeinen gemeinschaftlichen Grundrechtsschutzes ist nunmehr auf die verfahrensrechtliche Durchsetzung vor dem EuGH einzugehen. Ein effektiver Grundrechtsschutz ergibt sich erst aus der Möglichkeit, diesen vor Gericht auch durchzusetzen. 196 Dies wirft die Frage der Justitiabilität der Gemeinschaftsgrundrechte im Bereich des EGV auf. 197 In einem ersten Schritt ist die Rolle des EuGH als Verfassungs- bzw. Verwaltungsgericht kurz darzustellen. Die anschließenden Ausruhrungen trennen dann zwischen der Überprüfung von Gemeinschaftsakten und nationalen Maßnahmen, da die Prüfungskompetenz aus Art. 164 EGV unterschiedlich weit reicht. 1. Der EuGH als Verfassungs- und Verwaltungsgericht

Die Natur der europäischen Gerichtsbarkeit ist im Vergleich mit den innerstaatlichen obersten Gerichten bedeutsam. In der Bundesrepublik üben BVerfG und BVerwG unterschiedliche Kontrollbefugnisse aus. Das BVerfG beschränkt sich auf die Beachtung verfassungsrechtlicher Regelungen, während das BVerwG in erster Linie verwaltungsrechtliche Vorschriften prüft. Die Struktur der europäischen Gerichtsbarkeit erlaubt eine entsprechende Klassifizierung nicht. Der EuGH hat aus Art. 164 E(W)GV einen umfassenden Prüfungsauftrag abgeleitet, was insoweit eher einem nationalen Verwaltungsgericht gleicht. Hingegen spricht die Kompetenz, letztverbindliche Ent196 S. zum Zusammenhang von subjektiven öffentlichen Rechten und Verfahrensgrundsätzen Kelsen, Reine Rechtslehre, 1960, S. 140: "Daher liegt ein ,Anspruch' als ein rechtswirksamer Akt nur vor, wenn ein subjektives Recht im technischen Sinne, daß heißt die Rechtsmacht eines Individuums vorliegt, die Nichterfullung einer ihm gegenüber bestehenden Rechtspflicht durch Klage geltend zu machen." 197 Für den Bereich des EUV wird eine Gerichtsbarkeit des EuGH durch Art. L EUV ausgeschlossen; allerdings hat das BVerfG auch einen möglichen Grundrechtseingriff durch die Kompetenznormen des EUV verneint, BVerfGE 89, 155 / 175 f.; s. dazu oben 1. Teil, A.II.l.

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scheidungen auch bei Streitigkeiten zwischen den Verfassungs- bzw. Gemeinschaftsorganen zu treffen, eher für die Einordnung als Verfassungsgericht 198 Die Vergleichbarkeit der gemeinschaftsrechtlichen Entscheidung mit einem Verwaltungsakt bzw. der Verordnung mit einem Gesetz fuhrt im Gegensatz zu innerstaatlichen Ansätzen gleichfalls nicht zu einer unterschiedlichen Prüfungsreichweite. Dies hat zur Folge, daß prinzipiell ein Gemeinschaftsakt einer umfassenderen Rechtmäßigkeitskontrolle unterliegt als ein innerstaatliches Gesetz, da der EuGH keine Prüfungsbegrenzung anerkennt. 199 Für die Frage, ob ein Gemeinschaftsakt oder ein nationales Gesetz einen schwerwiegenderen bzw. Verhältnismäßigeren Grundrechtseingriff darstellt, folgt daraus, daß der Gemeinschaftsakt einen schwächeren Eingriff in die Grundrechtssphäre des einzelnen bedeutet. Diese Feststellung ist auch gerade in Hinblick auf das Subsidiaritätsprinzip interessant, da die pauschale Implizierung, daß das Gemeinschaftshandeln belastender als ein nationales (gesetzliches) Handeln sei, so nicht zutrifft. 2. Überprüfung von Gemeinschaftsakten Gegen einen Gemeinschaftsakt ist nur Rechtsschutz vor dem EuGH möglich, da er die Wahrung des (Gemeinschafts-) Rechts sichert (Art. 164 EGV) und die Eigenständigkeit der Rechtsordnung der Gemeinschaftsverträge anerkannt ist. 200 Die wichtigste Klagemöglichkeit stellt Art. 173 Abs. 4 EGV dar. In diesem Zusammenhang ist die Reichweite des Klagerechts zu prüfen, da der einzelne im Gegensatz zu den Gemeinschaftsorganen oder den Mitgliedstaaten kein besonders privilegierter Klageberechtigter ist. Damit wird bewußt das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 177 EGV ausgeblendet. In dessen Rahmen kann grundsätzlich eine Entscheidung des Gerichtshofes herbeigefuhrt werden. Allerdings hat der EuGH jetzt eine Präklusionswirkung angenommen, wenn ein Betroffener einen Rechtsakt nach Art. 173 Abs. 4 I. Alt. EGV hätte angreifen können, dies jedoch versäumt hat. 201 Diese Entscheidung könnte prinzipiell auch dann Anwendung finden, wenn ein Fall des Art. 173 Abs. 4 2. Alt. EGV vorläge. 202 198 Iglesias, EuR 1992, 225 ff. : Verfassungsgericht; Dauses, Integration 1994, 215 ff.; s.a. Oppermann, DVBI. 1994, 901 /902 f.: Verfassungs-, Vetwaltungs- und Zivilgericht. 199 S. aber zum Vergleich des deutschen und europäischen Vetwaltungsrechtsschutzes sehr instruktiv Classen, NJW 1995, 2457 I 2459 fT. 200

EuGH Rs. 6164, Slg. 1964, 1251 I 1269- Costa / ENEL.

Siehe EuGH Rs. C-188192, Slg. 1994, 8331853 f. Rn. 14 ff.- Textilwerke Deggendorf, s. dazu Sedemund I Montag, NJW 1995, 1126 I 1132. 202 Dagegen aber Gröpl, EuGRZ 1995, 583 I 588 wegen der Unsicherheit, wann eine unmittelbare und individuelle Betroffenheit vorliegt. Insoweit wäre immer eine vorsorgliche 201

12 Jilrgensen

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2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz a) Rechtsschutz gegen eine Entscheidung

aa) Nichtigkeitsklage nach Art. 173 Abs. 4 1. Alt. EGV des einzelnen gegen eine an ihn gerichtete Entscheidung

Die Bedeutung dieses Rechtsschutzes ergibt sich aus der im ersten Teil der Arbeit dargelegten Möglichkeit der Gemeinschaft, aufgrund von Art. 75 Abs. 1 lit. d) EUV direkte Implementierungsakte zu erlassen. Die Klagemöglichkeit nach Art. 173 Abs. 4 EGV steht in jedem Fall Privatpersonen zu. Aber auch juristische Personen des öffentlichen Rechts wie zum Beispiel die Gemeinden verfUgen über ein Klagerecht. 203 Dies gilt wegen der besonderen Stellung in Art. 129 b Abs. 2 EGV gleichfalls fiir die Regionen. Voraussetzung fur eine Klagebefugnis ist ein unmittelbares und individuelles Betroffensein des Klägers. Nach dem EuGH ist dies der Fall, wenn der einzelne wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, ihn aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt ist. 204 Die in diesem Zusammenhang diskutierten Beschränkungen205 sind jedenfalls hinsichtlich der von der Umsetzung der Netze betroffenen Anwohnerschaft nicht gegeben, so daß bei einem Implementierungsakt regelmäßig die individuelle und unmittelbare Betroffenheit zu bejahen wäre. Der Sinn des Art. 173 Abs. 4 1. Alt. EGV besteht allerdings darin, eine sachgerechte Rechtsschutzverlängerung der vorab erforderlichen Beteiligungsrechte zu ermöglichen.206 Da die Gemeinschaft in keinem Fall ein eigenes Verwaltungsverfahren durchfuhren würde, könnte eine Nichtigkeitsklage nach Art. 173 Abs. 4 1. Alt. EGV sinnwidrig sein. Im Ergebnis muß aber auch das nationale Verwaltungsvorverfahren im Rahmen des Art. 173 Abs. 4 l. Alt. EGV ausreichend sein. Aufgrund der Atypik eines Gemeinschaftsvorgehens können die für den Normalfall geltenKlage nach Art. 173 Abs. 4 EGv notwendig, um die Präklusionswirkung in Hinblick auf Art. 177 EGV auszuschließen. 203 EuGH Rs. 18174, Slg. 1974, 933 1944 Rn. 13 I 16 - Allgemeine Gewerkschaft; implizit EuGH Rs. 222 I 83, Slg. 1984, 2889 I 2896 f. Rn. 12 f. - Gemeinde Differdange; s.a. GTE-Krück, Art. 173 Rn. 42; Rengeling I Middeke I Gellermann, Rechtsschutz, Rn. 134; zu den Kommunen s.a. Gern, NVwZ 1996, 532. 204 EuGH Rs. 231 I 82, Slg. 1983, 2559 ff.; s. dazu Gündisch, Rechtsschutz, 1994, S. 81; Bleckmann, FS Menger, 1985, S. 871 I 881. 205 Grabitz I Hilf- Wenig, Art. 173 Rn. 54; dies gilt z.B. für die Eingrenzung auf eine Verordnung, die sich rückwirkend auf einen Adressatenkreis auswirkt, s. EuGH Rs. 112 I 77, Slg. 1978, 10191 1030- Toepfer. 206 Insoweit EuGH Rs. 26176, Slg. 1977, 187511902 Rn. 13 f.- Metro; vgl. Grabitzl Hilf-Wenig, Art. 173 Rn. 56; s. zu diesem Zusammenhang auch Arnu/1, CMLRev. 1995, 7 I 34.

A. Geltungsgrund europäischer Grundrechte: Ein Abriß

179

den Zweckbestimmungen nicht unbeschränkt übertragen werden. Wenn vielmehr der Gemeinschaft eine Handlungskompetenz zugestanden wird, muß damit auch eine direkte Rechtsschutzmöglichkeit des einzelnen korrespondieren. Gerade der Fall, daß eine Entscheidung, die an eine Person gerichtet ist, zugleich einen anderen belastet (was den Weg nach Art. 173 Abs. 4 2. Alt. EGV eröffnet) zeigt, daß Abweichungen von dem Normalfall zulässig sind. Dies gilt damit aber auch dann, wenn die Gemeinschaft nach mitgliedstaatlieber Verwaltungsvorarbeit tätig wird. Auch dann ist ein gemeinschaftlicher Rechtsschutz eine Verlängerung der (mitgliedstaatlichen) Verwaltungsvorarbeit bb) Nichtigkeitsklage nach Art. 173 Abs. 4 2. Alt. EGV des einzelnen gegen eine Entscheidung, die an einen anderen gerichtet ist

Art. 173 Abs. 4 2. Alt. EGV eröffnet zusätzlich eine Klagemöglichkeit, wenn der einzelne bei einer an eine andere Person gerichteten Entscheidung unmittelbar und individuell betroffen ist. 207 Diese Aussage gilt auch, wenn sich die Entscheidung an eine juristische Person (wie die Mitgliedstaaten) richtet. Die Gefährdungssituation für den einzelnen kann insoweit identisch sein. 208 Der EuGH hat für diesen Fall das Vorliegen des unmittelbaren Betroffenseins bei einem Dritten in der Entscheidung Bananen 11 sehr restriktiv formuliert. Er äußerte dort209 : "Zur Frage des individuellen Betroffenseins der Kläger ist darauf hinzuweisen, daß nach ständiger Rechtsprechung, aus dem Umstand, daß sich diejenigen Personen, auf die eine Maßnahme anwendbar ist, mehr oder weniger genau der Zahl nach oder sogar namentlich bestimmen lassen, keineswegs folgt, daß diese Personen als durch diese Maßnahme individuell betroffen anzusehen sind, sofern nur feststeht, daß die Maßnahme nach ihrer Zweckbestimmung aufgrund eines durch sie festgelegten objektiven Tatbestandes rechtlicher oder tatsächlicher Art anwendbar ist." "Als individuell betroffen können diese Personen nur dann angesehen werden, wenn sie in ihrer Rechtstellung aufgrund von Umständen betroffen sind, die sie Grabitz/Hilf-Wenig, Art. 173 Rn. 53. S. z.B. EuGH CMLRev. 1994, 1399: auch eine an die Mitgliedstaaten gerichtete Entscheidung nach Art. 93 EGV kann von betroffenen Privaten angegriffen werden; ein individuelles Betroffensein einer juristischen Person, die allgemeine Verbandsinteressen wahrnimmt, reicht für Art. 173 Abs. 4 EGV jedoch nicht aus, EuGH Verb. Rs. 16 u. 17 /62, Slg. 1962, 963 / 980- Fruits et /egumes; EuGH Rs. 117 / 86, Slg. 1986, 3255 / 3260 Rn. 12 - UFADE; s. dazu Arnull, CMLRev. 1995, 7/27. 209 EuGH Rs. C-286/93, EuZW 1993, 486 Rn. 8f. st. Rspr.; vgl. auch EuGH Rs. C309 / 89, Slg. 1994, I-1853/1886- Codorniu; vgl. auch die Zusammenstellung bei Nihou/, RTDE 1994, 171/175 ff.; Arnun, CMLRev. 1995, 7/39 folgert aus Codorniu, daß der Begriff des individuellen Betroffenseins gelockert wurde; s. dazu auch Nihoul, RTDE 1994, 171 / 185 ff. 207

20M

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2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

aus dem Kreis aller übrigen Personen herausheben und sie in ähnlicher Weise individualisieren wie einen Adressaten."

Sehr deutlich war der EuGH auch in der Entscheidung Plaumann 210: "Wer nicht Adressat einer Entscheidung ist, kann nur dann geltend machen, von ihr individuell betroffen zu sein, wenn die Entscheidung ihn wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, ihn aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und ihn daher in ähnlicher Weise individualisiert wie den Adressaten."

Bei an Staaten gerichteten Entscheidungen ist dies gegeben, wenn Betroffene nach Zahl und Person individualisiert sind.211 Entscheidend ist, daß ein geschlossener, feststellbarer und nicht mehr veränderbarer Personenkreis besteht.212 Dies kann sich unter anderem dann ergeben, wenn die nationalen Behörden bei Ausfiihrung der Entscheidungen keinen Ermessensspielraum mehr haben und so die materielle Regelung praktisch von der Gemeinschaft selbst getroffen wird. 213 Im Gegenzug fehlt es hingegen grundsätzlich an der unmittelbaren Rechtsbetroffenheit dann, wenn die mitgliedstaatliehen Verwaltungsstellen die Rechtsnorm im Rahmen ihres Ermessens umsetzen. 214 Die Rechtsprechung des EuGH zu der Klagebefugnis des einzelnen ist insgesamt als sehr restriktiv zu bewerten. 215 Angesichts der Kompetenzausdehnungen, von denen die EG jedoch ausnahmsweise Gebrauch machen kann EuGH Rs. 25 I 62, Slg. 1963, 211 Rn. 8. Nicht unproblematisch ist in diesem Zusammenhang die Entscheidung EuG Rs. T472/93, Slg. 1995, 11-421/435 f., Rn. 32 ff, 36- Cambo Ebro / Rat. Dort wurde eine Klagebefugnis eines Isoglukoseherstellers gegen eine Verordnung abgelehnt, obwohl der Hersteller als einziger betroffen war. Die Betroffenheit ergab sich nämlich nur aufgrund objektiver Eigenschaften, die potentiell fur alle Wirtschaftssubjekte gleich gelten. Dadurch wird vom EuG aber übersehen, daß im Einzelfall eine Verordnung ja gerade aufgrund ihrer allgemeinen Formulierung eine Entscheidung kaschieren kann. 21 2 Gündisch, Rechtsschutz, 1994, S. 83. 213 Oppermann, Europarecht, Rn. 648; Werbke, NJW 1970, 2137 ff.; s.a. EuGH Rs. 9/ 70, Slg. 1970, 825 Rn. 5- Leberpfennig; EuGH Slg. 1973, 1363 1 1379; EuGH Rs. 121 I 77, S1g. 1979, 1363/1379 Rn. II - Nachi Fujikoshi; EuGH Slg. 1980, 2671 Rn. 5- Philip Morris; EuGH CMLRev. 1994, 1399; vgl. weitere Nachweise bei Arnu/1, CMLRev. 1995, 7124 ff. 214 EuGH Verb. Rs. 10 u. 18 / 68, Slg. 1969, 459 1483 Rn. 12 113 f. - Eridania; EuGH Rs. 92 I 78, Slg. 1978, 777 I 798 Rn. 27 f. - Simmenthal; an der unmittelbaren Wirkung einer an die Mitgleidstaaten gerichteten Gemeinschaftsentscheidung könnte zum Beispiel dann nicht gezweifelt werden, wenn bei einem detailliert vorbereiteten Gemeinschaftserlaß die nationalen Verwaltungen allenfalls noch bei der Bauausfuhrung (z.B. Auftragsvergabe an Unternehmer) handeln könnten, dies aber fiir die Verbindlichkeit des Rechtsaktes keinen Einfluß mehr hätte. 2 15 Vgl. z.B. auch die ablehnende unmittelbare und individuelle Betroffenheit der Bananenimporteure in EuGH Rs. C-286 / 93 EuZW 1993, 486 f. - Atlanta; s. jetzt auch EuGH Rs. C-209 I 94 P EuZW 1996, 243 / 244 Rn. 24 ff. - Bural!IX u.a. 2 10

211

A. Geltungsgrund europäischer Grundrechte: Ein Abriß

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(beispielsweise im Wege der implied powers) ist dieser Zustand unbefriedigend.216 Wenn der Gerichtshof sich häufig auf den Grundsatz des "effet utile" beruft, um einen Gemeinschaftsakt gegenüber den Mitgliedstaaten zu rechtfertigen, kann dasselbe Prinzip dazu dienlich sein, die Voraussetzungen für eine individuelle Klagebefugnis zu erleichtern. Auch dann geht es um die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts, da grundrechtliche Positionen zum gemeinschaftlichen Besitzstand zählen. Eine verengte Sicht auf die Kompetenzausübung der EG und die Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts gegenüber den Mitgliedstaaten ist jedenfalls unter dem Blickwinkel, daß es sich bei dem EGV um einen Vertrag zugunsten Dritter handelt, nicht mehr gerechtfertigt. Da dem einzelnen Grundpositionen durch den EGV zugebilligt werden, ist die Anerkennung einer erleichterten gerichtlichen Durchsetzung dieser Rechte im Sinne des "effet utile" erforderlich.217 Art. 173 Abs. 4 2. Alt. EGV müßte auch gerade dann eine erleichterte Auslegung erfahren, wenn ein Gemeinschaftsgrundrechtsschutz gegenüber nationalen Durchführungsmaßnahmen in Betracht käme.218 Dies wäre der Fall, wenn die Gemeinschaft einen Rechtsakt erläßt, der insbesondere eine Zielvorstellung enthält und den Mitgliedstaaten einen Ermessensspielraum bei der Durchführung verbleibt. Eine solche Entscheidung würde sich an die Mitgliedstaaten richten. Eine Klagemöglichkeit nach Art. 173 Abs. 4 EGV wäre demzufolge nur bei einer extensiven Auslegung der zweiten Alternative möglich. Die Kriterien der Unmittelbarkeit bzw. Individualität müßten dann grundrechtskonform ausgelegt werden. Eine unmittelbare Betroffenheit wäre beispielsweise anzunehmen, wenn die Mitgliedstaaten bei Durchführung der Gemeinschaftsentscheidung Grundrechte beeinträchtigen würden. Die nationalen Verwaltungen handeln dann im Grunde im Sinne einer "Auftragsverwaltung", so daß bei einer extensiven Auslegung des Art. 173 Abs. 4 2. Alt. EGV das Handeln trotzdem der Gemeinschaft zurechenbar sein könnte. Dann müßte sichergestellt sein, daß der materielle Gemeinschaftsgrundrechtsschutz, der de lege ferenda existieren kann, auch prozessual durchsetzbar wäre. 219

21 6 Vgl. dazu auch Schmidt-Aßmann, JZ 1994, 823 ff.; Lenz, NJW 1994, 2063 ff.; von Danwitz, NJW 1993, 1108 ff. 21 7 Im Ergebnis ebenso Gündisch, Rechtsschutz, 1994, S. 84, in Hinblick auf das institutionelle demokratische Defizit, daß durch die erleichterte Individualklage ausgeglichen werden könnte; zurückhaltender Nihoul, RTDE 1994, 171 ff. 21 R S. dazu 2. Teil, A.III. 219 Angesichts dieser hypothetischen Annahme genügt es, die Notwendigkeit eines parallelen materiellen und verfahrensrechtlichen Grundrechtsstandards aufzuzeigen. Gegen die Erweiterung der Nichtigkeitsklage und für eine Stärkung des Vorabentscheidungsverfahrens spricht sich allerdings Nihoul, RTDE 1994, 171 I 187 ff. aus.

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2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

cc) Beispielsweise: Die Leitlinienentscheidung Nr. 1626196 vom 23.7.1996, ABI. L 228 vom 9.9.1996, corrigendum in ABI. L 15 I 1 vom 17.1.1997

Diese Entscheidung richtet sich gemäß Art. 24 direkt nur an die Mitgliedstaaten. Eine Klagemöglichkeit des einzelnen nach Art. 173 Abs. 4 EGV ist nach den vorgenannten Alternativen somit nur in der zweiten Variante begründbar. Allerdings ergibt sich auch hier unter dem Aspekt der möglichen Drittbetroffenheit, daß keine Klagemöglichkeit nach Art. 173 Abs. 4 3. Alt. EGV besteht. Die Entscheidung berührt keine individuellen Rechte. Vielmehr ist sie inklusive seiner Anhänge, der die zu schaffenden Verkehrsverbindungen und die Vorhaben von gemeinsamen Interesse präzisiert, wie eine allgemeine Handlungsanleitung zum Aufbau einer Verkehrsinfrastruktur zu verstehen (Art. 1 II). Diese erste Entscheidung soll insbesondere der Koordinierung, der Zielformulierung und der Mittelbereitstellung dienen. Individuelle Verkehrsprojekte werden damit noch nicht umgesetzt. Den nationalen Behörden verbleibt weiterhin ein äußerst weiter Spielraum.220 Die Leitlinienentscheidung sieht in Art. 21 I vor, daß eine Bewertung des Leitlinienprogrammes nach spätestens fünf Jahren vorgenommen wird, um die Fortschritte festzustellen. Art. 1 II enthält darüber hinaus eine programmatische Erklärung für den Erlaß von Gemeinschaftsakten.221 Der Vorschlag könnte damit grundsätzlich schon einen Hinweis auf die Möglichkeit einer direkten Implementierung von Verkehrsinfrastrukturprojekten auf Grundlage von Art. 75 Abs. 1 lit. d) EGV enthalten. Soweit durch qiese nachfolgenden Rechtsakte Einzelne betroffen werden, sei es durch Verletzung von Eigentumsrechten, sei es durch Mißachtung des rechtlichen Gehörs im Verwaltungsverfahren, könnte der betroffene Rechtsakt aufgrund Art. 173 Abs. 4 1. Alt. EGV angegriffen werden. b) Rechtsschutz gegen eine Verordnung

Denkbar ist es, daß die Gemeinschaft im Rahmen der gemeinschaftlichen Verkehrswegeplanung durch eine Verordnung handelt. Eine Verordnung hat keinen bestimmten Adressaten. Sie richtet sich sowohl an die Mitgliedstaaten und deren Organe als auch an die Gemeinschaftsbürger kraft ihrer unmittelbaren und allgemeinen Geltung. Sie kann nur nach Art. 173 Abs. 4 2. Alt. EGV angegriffen werden. Dabei ist die Formulierung in Art. 173 Abs. 4 220 So auch die Begründung der Kommission bzgl. des ersten Entwurfes einer Leitlinienentscheidung, ABI. C 220 vom 8.8.1994, S. 9. 22 1 "Die Leitlinien nach Absatz I stellen einen allgemeinen Bezugsrahmen dar, durch den die Maßnahmen der Mitgliedstaaten und gegebenfalls die gemeinschaftlichen Maßnahmen( ... ) gefördert werden sollen."

A. Geltungsgrund europäischer Grundrechte: Ein Abriß

183

EGV insoweit interessant, als von einer Entscheidung die Rede ist, die "obwohl sie als Verordnung ergangen ist", doch wie eine Entscheidung angreifbar ist. Damit kommt es letztlich nicht auf die förmliche Titulierung des Rechtsaktes, sondern auf den materiellen Gehalt an. 222 Dieser richtet sich dann nach der Angreitbarkeit von Entscheidungen, so daß auf die obigen Ausführungen verwiesen werden kann. 223 In diesem Zusammenhang sei auf eine jüngere Entscheidung des EuG hingewiesen.224 Das Gericht hatte vorab gepliift, ob die Verordnung als Entscheidung zu verstehen sei. Nachdem es feststellte, daß dies nicht der Fall war, prüfte es weiter, ob nicht doch durch die Verordnung eine individuelle Betroffenheit gegeben sei. Aus dieser Ptiifungsfolge könnte vordergründig zu folgern sein, daß die Kriterien für eine mittelbare Betroffenheit des einzelnen nur für eine Entscheidung gelten. Daß dieser Schluß gleichwohl nicht gezogen werden kann, folgt jedoch aus der späteren ausdrücklichen Bezugnahme auf die Entscheidung Plaumann.225 Demzufolge gelten auch bei einer Verordnung die gleichen Kriterien nach Art. 173 Abs. 4 2. Alt. EGV wie in bezug auf eine Entscheidung. c) Rechtsschutz gegen eine Richtlinie

Wie aus Art. 189 Abs. 3 EGV und im übrigen aus dem Sinn und Zweck der Richtlinie folgt, richtet sich diese stets an die Mitgliedstaaten. Art. 173 Abs. 4 EGV eröffnet dem einzelnen vom Wortlaut her keinen Rechtschutz gegen eine Richtlinie. 226 Allerdings hat der EuGH seit der Entscheidung Spa SACE227 einer Richtlinie unter bestimmten Voraussetzungen unmittelbare Geltung zuerkannt. Ein sogenanntes "self-executing" kommt dann in Betracht, wenn die Richtlinie perfekt regelungsintensiv ist.228 Sie muß gleich einer Verordnung einen unbedingten, hinreichend genauen und deshalb unmittelbar 222 Renegling I Middeke I Gellermann, Rechtsschutz, Rn. 143, 151; s. dazu auch Arnull, CMLRev. 1995, 7120 ff., der zwischen den bindenden Entscheidungen und den durch eine Verordnung nur Betroffenen unterscheidet; vgl. hierzu auch die jüngste Entscheidung des EuGH EuZW 1996, 434 - Christina Kik.

223 Vgl. ausfuhrlieh Arnull, CMLRev. 1995, 7135 ff.; dagegen Nihou/, RTDE 1994, 171 I 173 ff. der die folgenden Fälle unterscheidet (S. 177): - der Betroffene ist im Rechtsakt genannt; - der Rechtsakt zielt auf den Betroffenen; - es existiert nur eine beschränkte und abgrenzbare Zahl der Betroffenen. 224

EuG Rs. T-116194, Slg. 1995, II-I- Cassa Nazianale I Rat.

225

EuG Rs. T-116 I 94, Slg. 1995, 11-1 I II ff. Rn. 21 ff., 26 - Cassa Nazianale I Rat.

Vgl. dazu Nihoul, RTDE 1994, 1711174 Fn. 12; s.a. mit Blick auf das BVerfG Schneider, AöR 1994, 294 ff. 226

227

EuGH Rs. 34/70, Slg. 1970, 1233.

228

S.a. Oppermann, Europarecht, Rn. 466.

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2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

anwendbaren Inhalt haben. 229 Aufgrund der Möglichkeit einer Richtliniendirektwirkung könnte damit eine materielle Umdeutung in eine Verordnung oder Entscheidung stattgefunden haben mit der Folge, daß somit doch wieder Art. 173 Abs. 4 EGV Anwendung finden würde. 230 Diese Annahme kann jedoch mit den Grundsätzen der Direktwirkung einer Richtlinie kollidieren. Wenn eine Richtlinie nicht zu Lasten eines Einzelnen geltend gemacht werden kann,231 erscheint es inkonsequent, durch eine Umdeutung diese Rechtswirkung gleichwohl zu konstruieren. Geht man zunächst allein von der Dogmatik hinsichtlich der direkten Richtlinienwirkung aus, kann und braucht deswegen (und somit entgegen der Möglichkeit einer Umdeutung) keine Klagemöglichkeit gegen eine Richtlinie bestehen, da eine direkte Richtlinienwirkung eben nicht zu Lasten des einzelnen angenommen werden kann. Diese Schlußfolgerung müßte im Grunde genommen auch für eine kürzlich ergangene Entscheidung des EuG gelten: Das EuG lehnte eine Klagemöglichkeit nach Art. 173 Abs. 4 EGV gegen eine umdeutungsfähige Richtlinie ab, wobei es sich jedoch insoweit auf den Verordnungscharakter und die fehlende individuelle Betroffenheit des einzelnen stützte.232 Als logische Folgerung müßte damit angenommen werden, daß die Richtlinie, wenn sie materiell einer Entscheidung gleichkäme, nach Art. 173 Abs. 4 EGV angreifbar wäre. Dies hat dann aber die problematische Folge, daß eine belastende Direktwirkung von Richtlinien grundsätzlich über den Weg der Umdeutung konstruierbar ist. 233 Zwar erscheint dieses Urteil vor dem Hintergrund der grundsätzlich materiellen Einordnung der Gemeinschaftsrechtsakte sowie dem Ziel eines umfassenden Rechtsschutzes akzeptabel 234 , doch wird die Notwendig229

S.a. Schweifzer I Hummer, Europarecht, Rn. 365.

S. dazu auch Klüpfe l, EuZW 1996, 393 f.; zust. Renegling! Middeke / Gellermann, Rechtsschutz, Rn. 152. 230

231 EuGH Rs. 80/86, Slg. 1987, 3969 / 3985f. - Kolpinghues; EuGH Rs. 152 / 84, Slg. 1986, 7231749 - Marshall I; EuGH Rs. C-91/92, Slg. 1994, I-3325, 3355 f. Rn. 20 ff. Faccini Dori; EuGH Rs. C-192 / 94, Slg. 1996, 1-1281 / 1303 Rn. 15 ff. - EI Corte lngles. 232 EuG Rs. T-99 / 94, EuZW 1995, 254/255 Rn. 19 ff.- Asocarne mit Anm. von Burchard; vgl. auch EuGH Rs. C-289 / 89, Slg. 1993, I-3605 Rn. 16 ff. - Gibratrar zur Um-

deutungsfahigkeit einer Richtlinie in eine Entscheidung, wo der EuGH die Rechtsnatur der Akte nicht von der Bestimmtheit der Adressaten allein abhängig gemacht hat. 233 Natürlich kann dem entgegengehalten werden, daß es sich dann ja in Wahrheit nicht um eine Richtlinie handelt und deswegen auch keine belastende Direktwirkung vorliegt. Tatsächlich sind aber die Rechtswirkungen einer Verordnung bzw. einer unmittelbar geltenden Entscheidung und einer perfekt regelungsintensiven, unmittelbar wirkenden Richtlinie im Ergebnis gleich. Eine Bestimmung und Unterscheidung der "wahren Natur" des Rechtsaktes ist deswegen kaum möglich. 234

So von Burchard, Urteilsanmerkung, EuZW 1995, 254 / 256.

A. Geltungsgrund europäischer Grundrechte: Ein Abriß

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keit des Rechtsschutzes gegen die Richtlinie im Grunde genommen erst durch die Möglichkeit der Umdeutung erforderlich gemacht. Dieser Weg ist daher abzulehnen. 235 Wenn eine Richtlinie hingegen perfekt regelungsintensiv (und somit grundsätzlich auch umdeutungsfähig) und vom Mitgliedstaat rechtzeitig umgesetzt worden ist, besteht keinesfalls eine Klagemöglichkeit nach Art. 173 Abs. 4 EGV gegen die Richtlinie. Innerstaatlicher Geltungsgrund ist dann die nationale Umsetzungsmaßnalune.236 Kommt es zu einem Konflikt zwischen der nationalen Umsetzungspflicht (da dem Mitgliedstaat kein eigener Vollzugsspielraum verbleibt) und individuellen Rechtspositionen, so bleibt nur eine Inzidentkontrolle nach Art. 177 EGV. 237 Prüfungsmaßstab sind in diesem Fall die Gemeinschaftsgrundrechte, da der EuGH über die Vertragskonformität der Richtlinie entscheiden muß. Im Ergebnis ist dann bei der Prüfung von nationalem Recht Maßstab das Gemeinschaftsrecht 238 Daran ändert nichts, daß unter Umständen im Ausgangsverfahren vor dem nationalen Gericht die nationale Maßnahme unter Hinweis auf nationale Grundrechte angegriffen wurde. Ein solcher Hinweis ist fiir das Verfahren vor dem EuGH wegen des Grundsatzes vom Vorrang des Gemeinschaftsrechtes unerheblich.

3. Überprüfung nationaler Maßnahmen Leitlinien sollen regelmäßig durch die Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Dadurch stellt sich die Frage, inwieweit nationale Maßnalunen anband von Gemeinschaftsrecht überprüfbar sind. Der dogmatische Hintergrund kann insbesondere in einer Gleichbehandlung von nationalen und gemeinschaftlichen Organen zu sehen sein. Zudem sollen mitgliedstaatliche Verwaltungen, die Gemeinschaftsrecht ausfUhren, nicht von der Gemeinschaft zugleich Immunität von den Gemeinschaftsanforderungen beanspruchen können. 239 Dieses Problem gewinnt durch das problematische Verhältnis des EuGH und des BVerfG zusätzliche Bedeutung. Im Falle einer Prüfungskompetenz des EuGH müßte sowohl wegen des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts als auch wegen des "Kooperationsverhältnisses" eine bundesverfassungsgerichtliehe Kontrolle zurücktreten, obwohl das BVerfG im Grunde genommen eine 235 236 237

Ebenso Neßler, DVBI. 1993, 1240 I 1244; Nihoul, RTDE 1994, 171 I 175. EuG Rs. T-99 I 94, EuZW 1995, 254 I 255 Rn. 17 - Asocarne. E. Klein, VVDStRL 50 (1991), S. 56 184.

E. Klein , VVDStRL 50 (1991) S. 56 178. Zu weiteren Begründungsversuchen s. Temple Lang, LIEI 21199, S. 23 I 28 f.; s.a. Ruffert, EuGRZ 1995, 518 I 523 f., der in diesem Zusammenhang auf den Vorrang und die unmittelbare Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts (insoweit der Grundrechte) hinweist. Er erwähnt auch den Ansatz über die Unionsbürgerschaft gern. Art. 8 EGV. 238

239

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2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

unbedingte Prüfungspflicht gegenüber nationalen Maßnahmen aus Art. 1 Abs. 3, 19 Abs. 4, 92 GG innehat. 240 Auch für die innerstaatliche Stellung der EMRK ist diese Frage von Bedeutung, da sie als Teil des Gemeinschaftsrechtes höherrangiger als das einfache Gesetz ist. Ein Gemeinschaftsgrundrechtsschutz gegenüber nationalen Maßnahmen würde zugleich eine Transformation der EMRK aus dem innerstaatlich nur einfachgesetzlichen Geltungsrang bedeuten.241 Im folgenden soll in einem ersten Schritt die bisherige Rechtsprechung des EuGH zu dieser Frage analysiert werden (a.). Anschließend ist auf einen eigenständigen Literaturansatz einzugehen (b.), bevor abschließend zu diesem Problem Stellung bezogen wird (c.). a) Rechtsprechung des EuGH

aa) EuGH Rs. 36175, S/g. 1975, 1219-Ruti/i In dieser Entscheidung hatte der EuGH über die Vereinbarkeit eines französischen Verwaltungsaktes mit Art. 48 Abs. 3 EGV zu urteilen. Zunächst führte er dazu aus242 : "Daher haben die Gerichte den Normen des Gemeinschaftsrechts, die gerichtlich geltend gemacht werden können, gegenüber den Bestimmungen des nationalen Rechts zur Durchsetzung zu verhelfen, wenn Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die ein Mitgliedstaat zur Beschränkung der Freizügigkeit und des Aufenthalts von Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten in seinem Staatsgebiet erlassen hat, gegen eine Verpflichtung verstoßen."

Anschließend formulierte er43 : "Insgesamt stellen sich die Beschränkungen der ausländerpolizeilichen Befugnisse der Mitgliedstaaten als eine besondere Ausprägung eines allgemeineren Grundsatzes dar, der in den Artikeln 8, 9, 10 und 11 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten und von allen Mitgliedstaaten ratifizierten Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und in Art. 2 des am 16. September 1963 in Straßburg unterzeichneten Protokolls Nr. 4 zu dieser Konvention verankert ist, die gleichlautend bestimmen, daß die zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorgenommenen Einschränkungen der in den genannten Artikeln zugesicherten Rechte nicht den Rahmen dessen überschreiten dürfen, was flir diesen Schutz ,in einer demokratischen Gesellschaft' notwendig ist." 24() Rujfert, EuGRZ 1995, 518 I 527 sieht dabei keine Kompetenzüberschreitung durch den EuGH, da er fur die nationalen Gerichte nur Anleitungen zur Entscheidung gibt. 241 Vgl. Drzemczewski, ICLQ 1981 , 1181127; Bleckmann, EuGRZ 1994, 149 1150. 242 EuGH Rs. 36 175, Slg. 1975, 1219 11229 Rn. 16 118. 243 EuGH Rs. 36175, S1g. 1975, 1219 I 1232 Rn. 32.

A. Geltungsgrund europäischer Grundrechte: Ein Abriß

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Durch die ein Jahr zuvor erfolgte Bezugnahme auf die EMRK bei der Herleitung der Gemeinschaftsgrundrechte244 könnte dies als ein Hinweis auf die Kontrolle nationaler Maßnahmen anband europäischer Grundrechte zu verstehen sein. 245 Dafür könnte auch sprechen, daß der EuGH seit dem Urteil Stauder46 die Grundrechte als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts eingeordnet hat und diese, wie die zunächst zitierte Passage zeigt, insoweit ein (ungeschriebener) Rechtmäßigkeilsmaßstab für nationale Maßnahmen sein können. Weiler verweist in diesem Zusammenhang auch auf die Formulierung "allgemeineren Grundsatzes". Gerade dies könne als Hinweis auf die Grundrechte zu verstehen sein. 247 Ein gemeinschaftlicher Grundrechtsschutz würde also unabhängig von einer speziellen Gemeinschaftsregel bestehen.248 Eine solche Auslegung des Urteils ist sicherlich nicht naheliegend. Sie kann aber für sich immerhin in Anspruch nehmen, daß sie an die EMRK als Rechtmäßigkeilsmaßstab anknüpft, die auch schon bisher eine Kontrolle von nationalem Recht ermöglichte. Materiell (nicht prozessual) gesehen, wäre ein solches Verständnis des EuGH durchaus vertretbar.

bb) EuGH Rs. 118175, Slg. 1976, 1185- Watson und Belman In einem ebenfalls Art. 48 EWGV tangierenden Fall, ging es um eine Ausweisungsverfügung an eine britische Staatsbürgerin, die ihrer Meldeverpflichtung in Italien (nach drei Tagen!) nicht nachgekommen war. Obwohl der EuGH nicht die Notwendigkeit sah, auf die Frage der Überprüfung von nationalen Maßnahmen anband der Gemeinschaftsgrundrechte einzugehen, hatte der Generalanwalt Trabucchi in seinem Schlußantrag ausgeführf49 : "Gewiß unterliegen die Rechtsakte der Mitgliedstaaten anders als die der Gemeinschaftsexekutive der Kontrolle durch die Gerichte der einzelnen Staaten, die zusammen mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte schon einen wirksamen Grundrechtsschutz gewährleisten. Aber auch unser Gerichtshof kann, ohne 244

EuGH Rs. 4/73, Slg. 1974,4911507 Rn. 13- Nold.

S. aber auch Bleckmann, EuGRZ 1976, 265 I 266 der diese Passage als möglichen Hinweis auf einen zusätzlichen nationalen Vorbehalt deutet, dem die Verwaltungsmaßnahme (neben dem Erfordernis der Gemeinschaftskonformität) genügen muß; die EMRK sei insoweit einem nationalen Grundrechtsmaßstab gleichzusetzen, s.o. 2. Teil, A.II.4. 245

246

EuGH Rs. 29169, Slg. 1969,4191425 Rn. 17.

Weiler, WLR 1986, II 03 I 1140 bezeichnet dies selbst aber als "obiter dictum"; diese Wendung hat der EuGH in ständiger Rechtsprechung verwendet, s. EuGH Rs. C-177 I 90, Slg. 1992, 1-35 163- Kühn; EuGH Rs. C-44189, Slg. 1991, 1-511915157 Rn. 28- v. Deetzen //; EuGH Rs. 201185, Slg. 1986,347713507 Rn. 9 - Klensch. 247

248

Weiler, EJIL 1992, 65 I 81.

249

EuGH Rs. 118175, Slg. 1976, 118511207.

188

2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

in die Zuständigkeiten anderer Gerichte einzugreifen, die Verletzung eines Grundrechts durch eine staatliche Behörde berücksichtigen, zwar nicht in gleichem Umfang, wie er bei der Prüfung der Gültigkeit von Gemeinschaftsrechtsakten Grundrechtsverletzungen berücksichtigen kann, aber doch zumindest in dem Maße, in dem das Grundrecht, dessen Verletzung behauptet wird, mit dem Schutz des wirtschaftlichen Rechts verknüpft werden kann, das zum spezifischen Gegenstand des Vertrages gehört."

Soweit der Generalanwalt auf die Verknüpfung mit dem wirtschaftlichen Recht abstellte und damit die Grundfreiheiten meinte, knüpfte er an die Rutili-Entscheidung an. Die Formulierung könnte jedoch dann weiter zu verstehen sein, wenn es nur auf einen Binnenmarktbezug ankäme. Ob das Schweigen des EuGH zu diesen Ausführungen zumindest nicht als Widerspruch aufzufassen se?50, kann nicht entschieden werden. Es ginge aber andererseits zu weit, dies als eine Bekräftigung des Rutili-Urteils zu verstehen. Die fehlenden Ausführungen des EuGH dürften wohl darauf zurückzuführen sein, daß ein so offensichtlicher und nicht zu rechtfertigender Verstoß gegen Art. 48 EWGV vorlag, daß es eines Eingehens auf die Grundrechte im Rahmen der Schranken nicht bedurfte. cc) EuGH Rs. 149 /77, Slg. 1978, 1365- Defrenne

Diese Entscheidung betraf das materielle Diskriminierungsverbot nach Art. 119 EGV und den ungeschriebenen Gemeinschaftsgrundrechten. Generalanwalt Capotorti lehnte eine Kontrolle mitgliedstaatlicher Maßnahmen anhand von Gemeinschaftsgrundrechten ab, sofern nicht die innerstaatlichen Regeln durch eine Kompetenzausübung der Gemeinschaft verdrängt seien. Dies sei bei direkt wirkendem Gemeinschaftsrecht der Fall.251 Der Generalanwalt hat damit einen sehr restriktiven Ansatz gewählt, der im Endeffekt auf eine Negierung der Geltung der Gemeinschaftsgrundrechte gegenüber nationalem Recht hinausliefe. Der EuGH schloß sich diesem Ergebnis des Generalanwaltes an. Das gemeinschaftsgrundrechtlich abgesicherte Diskriminierungsverbot könne der EuGH nicht auf die belgisehe Regelung anwenden252 : "Was dagegen die dem nationalen Recht unterliegenden Arbeitsverhältnisse betrifft, so besaß die Gemeinschaft zur Zeit der von den belgiseben Gerichten zu beurteilenden Vorgänge keine Kontroll- und Garantiefunktion ( ... )." 250 Weiler, FS Pescatore, 1987, S. 821/835; in diese Richtung wohl auch Mancini / Di Bucci, in: Clapham (Hrsg.), Collected Courses of the Academy of European Law, 1990, Vol I, Book I, S. 35/41 f. unter Hinweis auf das Cinetheque-Urteil, das jedoch erst 10

Jahre später erging. 25 1 EuGH Rs. 149/77, Slg. 1978, 1365/1385. 252 EuGH Rs. 149/77, Slg. 1978, 1365 / 1379 Rn. 30 / 32.

A. Geltungsgrund europäischer Grundrechte: Ein Abriß

189

Schon vorher hatte der EuGH ausgefiihrt, daß sekundärrechtliche Regelungen, insbesondere die RL 76 I 207 bzgl. des gleichen Zugangs zur Beschäftigung, Berufsbildung und beruflichem Aufstieg253 , nicht in Kraft gewesen waren. Hier hat der Gerichtshof somit fiir die Gemeinschaftsgrundrechtsgeltung gegenüber nationalen Maßnahmen einen im Gemeinschaftsrecht geschriebenen Anknüpfungspunkt gesucht. Dieses Vorgehen hat sich in den nachfolgenden Urteilen weiter verfestigt. dd) EuGH Verb. Rs. 60 und 61 I 84, Slg. 1985, 2605- Cinetheque In diesem Fall war ein französisches Gesetz über den Vertrieb von Videofilmen umstritten. Nachdem der EuGH festgestellt hatte, daß Art. 30 EWGV nicht galt, urteilte er zum Vorwurf der Verletzung von Art. 10 EMRK254: "Der Gerichtshof hat zwar für die Einhaltung der Grundrechte auf dem Gebiet des Gemeinschaftsrechts zu sorgen; er kann jedoch nicht prüfen, ob ein nationales Gesetz, das wie im vorliegenden Fall zu einem Bereich gehört, der in das Ermessen des nationalen Gesetzgebers fällt, mit der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar ist."

Zunächst ist die sprachliche Ungenauigkeit des EuGH auffallend, der eine Kontrolle anband der EMRK ablehnte, wo es präziser auf eine Nicht-Überprüfung der Gemeinschaftsgrundrechte unter Heranziehung der EMRK angekommen wäre. Die Entscheidung berücksichtigt darüber hinaus auch nicht die Austubrungen des Generalanwaltes Slynn, der eine Grundrechtskontrolle im Rahmen von Art. 30, 36 EWGV bejahte hatte und damit an die Rutili-Entscheidung anknüpfte. 255 Dies kann allerdings nicht als Zurückweisung der Auffassung des Generalanwaltes durch den EuGH gewertet werden. 256 Eine Abweichung vom Ruti/i-Urteil hätte vielmehr ausdrücklich festgestellt werden müssen. 257 Die eindeutige Formulierung in der Cinetheque-Entscheidung deutet vielmehr darauf hin, daß der EuGH eine Ansicht zurückweisen wollte, die ABI. L 39 I 40 von 1976. EuGH Rs. 60 I 84, Slg. 1985, 2605 I 2627 Rn. 26. 255 So dürften die Ausführungen des Generalanwaltes zu verstehen sein, s. EuGH Rs. 60184, Slg. 1985, 2605 12616; s.a. Weiler, FS Pescatore, 1987, S. 821 1822 f. 256 S. insoweit widersprüchlich im Vergleich zu der Auslegung im Fall Watson und Belmann, Weiler, FS Pescatore, 1987, S. 8211824, 833; s. aber auch S. 823 f., wo Weiler insoweit die lakonische Begründungsweise des EuGH bedauert. 257 Wie z.B. in der Keck-Entscheidung, wo der EuGH in einer allerdings sehr brüsken Art und Weise formuliert hatte (EuGH Verb. Rs. C-267 u. C-268191 EuZW 1993, .770): "Da sich die Wirtschaftsteilnehmer immer häufiger auf Art. 30 EWGV berufen, um jedwede Regelung zu beanstanden, die sich als Beschränkung ihrer geschäftlichen Freiheit auswirkt, auch wenn sie nicht auf Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten gerichtet ist, hält es der Gerichtshof für notwendig, seine Rechtsprechung auf diesem Gebiet zu überprüfen und klarzustellen." 253

254

190

2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

nationale Maßnahmen (jedenfalls soweit es sich um Ermessensentscheidungen handelt258 ) generell den Gemeinschaftsgrundrechten unterworfen sieht. Darauf deutet der Umstand hin, daß für den EuGH schon der Anwendungsbereich der Warenverkehrsfreiheit nicht eröffnet war und daher die nationale Regelung in einen Bereich fiel, die in das - von der Gemeinschaft unabhängige - Ermessen des Gesetzgebers fiel. Bei einem Vergleich dieser Entscheidung mit dem Ruti/i-Urteil kommt es also auf den Unterschied von Personenund Warenverkehrsfreiheit nicht entscheidend an.259 ee) EuGH Rs. 222 I 84, Slg. 1986, 1651 Johnston I Chief Constable of the Royal Ulster Constabulary

In dieser Entscheidung hatte der EuGH in eine EG-Richtlinie Art. 6 und 13 EMRK über den gerichtlichen Rechtsschutz "hineingelesen"260 : "Der in Art. 6 [der Richtlinie) vorgeschriebene Rechtsschutz ist Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes, der den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten zugrunde liegt. Dieser Grundsatz ist auch in Art. 6 und 13 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 verankert. Wie in der Gemeinsamen Erklärung der Versammlung, des Rates und der Kommission vom 5. April 1977 (ABI. C 103, S. 1) und in der Rechtsprechung des Gerichtshofes anerkannt ist, sind die leitenden Grundsätze dieser Konvention im Rahmen des Gemeinschaftsrechts zu berücksichtigen."

In dem Fall wurde aus diesem Grunde ein innerstaatliches Gesetz mit dem Gemeinschaftsrecht für unvereinbar erklärt. Wiederum ist der gemeinschaftliche Grundrechtsschutz jedoch nicht von einer geschriebenen Gemeinschaftsrechtsnorm losgelöst gewesen. Der Hinweis auf die Grundrechte wirkt insoweit allenfalls verstärkend für die gerichtliche Argumentation. 261

258 Hingegen ist wohl irrelevant, daß es sich um ein Gesetz und nicht um eine nationale Verwaltungsmaßnahme handelt, wie beispielsweise die Dogmatik zu der Grundrechtsgeltung bei Einschränkungen von Grundfreiheiten zeigt; s. zu der Frage der Durchführung auch die Entscheidung EuGH Rs. 12 / 86, Slg. 1987, 3719- Demirel, wo er aUgemein von "nationaler Regelung" spricht; s.a. EuGH Rs. 222 / 84, Slg. 1986, 1651/1680 f. Rn. 28 Johnston (bzgl. eines "Sex Discrimination Order"); EuGH Rs. 222 / 86, Slg. 1987, 4097 I 4114 Rn. 2 - Heylens (bzgl. eines französischen Gesetzes). 259 So aber Weiler, EJIL 1992, 65 / 81 f.; Mancini/di Bucci, a.a.O., S. 35 / 42 unterstellen, daß die Zurückhaltung in Cinetheque u.a. auf Art. 164 EGV zurückzuführen ist, demzufolge der EuGH das Recht bei der Anwendung des Gemeinschaftsrechts, nicht jedoch bei nationalem Recht wahren soll; dieser Ansicht kann aber entgegengehalten werden, daß die Gemeinschaftsgrundrechte als Teil des Gemeinschaftsrechts grundsätzlich genauso Beachtung finden müssen wie die Grundfreiheiten. 260 EuGH Rs. 222 / 84, Slg. 1986, 1651/1682 Rn. 18. 26 1 Vgl. Collins, European Cornrnunity Law in the UK, S. II.

A. Geltungsgrund europäischer Grundrechte: Ein Abriß

191

ff) EuGH Rs. 201 I 85, Slg. 1986, 3477- Klensch

Im Rahmen einer Entscheidung zu dem Diskriminierungsverbot im Agrarbereich nach Art. 40 Abs. 3 EWGV stellte der EuGH fest262 : "Dies gilt umso mehr, als das Diskriminierungsverbot des Artikels 40 Absatz 3 EWGV nach ständiger Rechtsprechung ( ... ) nur der spezifische Ausdruck des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes ist, der zu den Grundprinzipien des Gemeinschaftsrechts gehört."

Bezüglich der Kontrolle mitgliedstaatlicher Maßnahmen hatte der Generalanwalt Slynn schon etwas deutlicher plädierf63 : "Ich meine, daß Artikel 40 Absatz 3 bei richtiger Auslegung auf den Erlaß der Vorschriften über die Errichtung einer solchen gemeinsamen Marktorganisation durch die Gemeinschaftsorgane, nicht aber auf die Maßnahmen gerichtet ist, die von Mitgliedstaaten zur Durchführung dieser Vorschriften getroffen werden. Es gibt freilich einen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts, von dem Artikel 40 Absatz 3 nur eine Ausprägung in einem besonderen Zusammenhang ist. Danach müssen die Mitgliedstaaten bei der Verwaltung einer derartigen gemeinsamen Marktorganisation sachgerecht handeln und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sowie das Diskriminierungsverbot beachten."

Daraus ergibt sich, daß die Mitgliedstaaten jedenfalls an den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz gebunden sind, der somit als ungeschriebenes Gemeinschaftsgrundrecht gilt. Weiler hat die Diskrepanz hinsichtlich der generellen Geltung der Gemeinschaftsgrundrechte in der Cim?theque-Entscheidung damit zu erklären versucht, daß es sich um unterschiedliche Kompetenzbereiche der Gemeinschaft handele. 264 Geht es um eine mitgliedstaatliche Aktion in einem überwiegend gemeinschaftlichen Jurisdiktionsbereich (z.B. Fischerei oder Handelspolitik), könne der EuGH dort auch anband der Gemeinschaftsgrundrechte prüfen. 265 Diese Argumentation ist zwar durchaus erwägenswert, trifft aber wohl nicht ganz den Kern der EuGH-Aussage. Entscheidend dürfte vielmehr die unmittelbare Geltung des Gemeinschaftsrechtes sein. 266 Diese war vorliegend insoweit zu bejahen, als es sich einerseits um eine Gemeinschaftsverordnung handelte, die per definitionem gern. Art. 189 Abs. 2 EWGV immer unmittel262 EuGH Rs. 201/85, Slg. 1986, 3477/3507 Rn. 9; ebenso EuGH Verb. Rs. C-267/88 bis C-285/88, Slg. 1990, 1-435 / 480 Rn. 13- Wuidart; EuGH Slg. 1994, 1-223 Rn. 27Herbrink; EuGH Rs. C-280/93 EuZW 1994, 688/691 Rn. 67- Bananen //; s.a. EuGH Rs. C-63/93 EuZW 1996,309/312 Rn. 25 f. -Fintan Duffu.a. 263 EuGH Rs. 201/85, Slg. 1986,3477/3500 Rn. 29 f. 2114 Weiler, FS Pescatore, 1987, S. 821/823 ff., 827. 265 Weiler, FS Pescatore, 1987, S. 821/827 ff. 266 Vgl. auch die nachfolgende Entscheidung EuGH Rs. 12 / 86, Slg. 1987, 3 719 - Demi-

rel.

192

2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

bare Geltung beanspruchen kann, andererseits aber auch der Iuxemburgischen Durchführungsverordnung relativ wenig Spielraum ließ. Insoweit lehnte sich die Iuxemburgische Verordnung in einem nicht geringen Maße an die Gemeinschaftsverordnung an. Jedenfalls zeigt auch die K/ensch-Entscheidung, daß es eines gemeinschaftsrechtlichen "Schlüssels" zur Eröffnung einer Grundrechtsprüfung bedarf, der vorliegend in der Gemeinschaftsverordnung zu finden war. Neu ist aber gewesen, daß es sich nicht um eine SchrankenSchranken-Prüfung im Rahmen einer Grundfreiheit handelte, sondern im Rahmen mitgliedstaatlicher Durchführungsmaßnahmen. gg) EuGH Rs. 12 I 86, S/g. 1987, 3 719 - DemireI

In diesem Verfahren ging es um die Vereinbarkeit einer Ausweisungsverfügung mit dem Assoziationsabkommen der EWG mit der Türkei 267 und des - durch eine Verordnung umgesetzten - dazugehörigen Zusatzprotokolls268 • Der EuGH urteilte269 : "Was etwaige Auswirkungen des Artikels 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention auf die Beantwortung dieser Frage angeht, ist festzustellen, daß der Gerichtshof nach seinem Urteil [Cinetheque] nicht prüfen kann, ob eine nationale Regelung, die nicht im Rahmen des Gemeinschaftsrechtes liegt, mit der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar ist. Im vorliegenden Fall gibt es aber, wie aus der Antwort auf die erste Frage hervorgeht, gegenwärtig keine gemeinschaftsrechtliche Vorschrift, durch die die Voraussetzungen festgelegt werden, unter denen die Mitgliedstaaten die Familienzusammmenführung rechtmäßig in der Gemeinschaft wohnender türkischer Arbeitnehmer zulassen müssen. Die im Ausgangsverfahren in Frage stehende nationale Regelung ist demnach nicht zur Durchfiihrung einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift erlassen worden."

Zu der mitentscheidenden Frage, wann eine mitgliedstaatliche Regelung "zur Durchführung einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift" dienen würde, formulierte der EuGH vorab270: "Bei der Prüfung des Artikels 12 des Abkommens und des Artikels 36 des Protokolls zeigt sich also, daß diese Bestimmungen im wesentlichen Programmcharakter haben und keine hinreichend genauen, nicht an Bedingungen geknüpfte Vorschriften sind, die die Freizügigkeit der Arbeitnehmer unmittelbar regeln könnten."

Zwar nimmt der EuGH auf die Cinetheque-Entscheidung Bezug, um auf den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechtes zu verweisen, doch spricht der Gerichtshof hier nur aus, was er in dem Kiensch-Urteil schon angedeutet ABI. 1964, 3685. ABI. L Nr. 293/l vom 19.12.1972. 269 EuGH Rs. 12/86, S1g. 1987, 3719/3754 Rn. 28 (Herv. vom Verf.). 270 EuGH Rs. 12/86, S1g. 1987, 3719/3753 Rn. 23. 267

268

A. Geltungsgrund europäischer Grundrechte: Ein Abriß

193

hatte. Vorliegend ergibt sich dabei die "Durchführung" bzw. der Gemeinschaftsbezug aus der unmittelbaren Geltung von internationalen Abkommen. 271 Analog den Richtlinien müssen diese eine klare und eindeutige Verpflichtung enthalten, darüber hinaus aber auch nach Sinn und Zweck geeignet sein, unmittelbare Wirkung zu entfalten. 272 In der Demirel-Sache fehlte es dabei gerade an der unmittelbaren Geltung der Assoziationsabkommen und des Zusatzprotokolls.273 Die Tragweite dieser Entscheidung für die transeuropäischen Netze, deren Gemeinschaftsleitlinien ja auch der mitgliedstaatliehen Durchführung bedürfen, wird im Rahmen der Stellungnahme aufzuzeigen sein. hh) EuGH Rs. 352185, Slg.J988, 2085L 'Association Bond van Adverteerdes vs. the Nether/ands

In dieser Rechtsache hatte das vorlegende Gericht die Frage nach der Kontrolle nationaler Rechtsakte anband von Gemeinschaftsrechten formuliert. Der EuGH ließ diese Frage ausdrücklich offen und erklärte die niederländische Maßnahme schon in Hinblick auf die Unverhältnismäßigkeit mit Art. 59 ff. EGV für unvereinbar. 274 Er schloß sich damit implizit dem Generalanwalt Mancini an, der die Chance der Inkorporation von Gemeinschaftsgrundrechten von den mitgliedstaatliehen Gerichten abhängig machte und somit von der Rechtsprechung des EuGH loslöste. 275 271 Das Erfordernis der unmittelbaren Geltung übersieht, Ruffert, EuGRZ 1995, 518 / 521, 527 f. 272 Siehe EuGH Rs. 12/86, Slg. 1987, 3747/3752- Demirel; EuGH Rs. 104 / 81, Slg. 1982, 364113665 Rn. 23 ff.- Kupferberg; EuGH Verb. Rs. 21-2/72, Slg. 1972, 1219/ 1228 Rn. 19/20 ff. - International Fruit Company; fiir die Richtlinien s. EuGH Rs. 8 / 81 Slg. 1982, 53/71 Rn. 25 - Becker; gegen das Erfordernis einer detaillierten Regelung Temple Lang, LIEI 2/1991, 23/31 f., da die Gemeinschaftsgrundrechte ja schon selbst unmittelbar anwendbar sind. 273 EuGH Rs. 12/86, Slg. 1987, 3719/3752 f. Rn. 14, 16, 23 f.; dies obwohl es sich zumindest bei dem Zusatzprotokoll um eine Verordnung handelte. 274 EuGH Rs. 352/85, Slg. 1988, 2085/2136 Rn. 41. 275 EuGH Rs. 352/85 Slg. 1988,2085/2122 Rn. 12, der sich dabei auffolgende Bemerkung Fraweins in: Cappelletti / Secombe/Weiler, Integration through Law, Bd. I.3, S. 300 / 302, bezieht: .,One may ask, nevertheless, whether this developement in Community law has any bearing on the question of legal integration in Europe. ( ... ). it is possible to foresee a dialectic developement by which the legal order of a Member State will be inftuenced by the jurisprudence of the Court of the Communities. Since Community law is directly applicable in the domestic sphere it is rather unlikely that national courts will fall behind established Community standards when applying domestic fundamental rights, even in matters which have nothing to do with Community law." - Frawein nimmt eine Grundrechtsinkorporation demnach nur aus der Einsicht der nationalen Gerichte heraus an, ohne daß es eines direkten .,Zwanges" durch den EuGH bedürfe. Auf der anderen Seite geht er aber über den hier diskutierten Fall der Ausdehnung des Gemeinschaftsgrundrechtsschutzes

13 Jürgensen

194

2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz ii) EuGH Rs. 5188, S/g. 1989, 2609- Wachauf

In dieser Entscheidung ging es um die Rechtmäßigkeit der Milchreferenzmenge. Wie in der Entscheidung Demirel urteilte der EuGW76 : "Da auch die Mitgliedstaaten diese Erfordernisse [des Grundrechtsschutzes in der Gemeinschaftsordnung] bei der Durchführung der gemeinschaftsrechtlichen Regelungen zu beachten haben, müssen sie diese, soweit irgend möglich, in Übereinstimmung mit diesen Erfordernissen anwenden."

Hier spricht der EuGH deutlich die mitgliedstaatliche Bindung an Gemeinschaftsgrundrechte an. Ansonsten betont er wieder das Erfordernis der "Durchführung" von Gemeinschaftsrecht, welches sich vorliegend aus der unmittelbar geltenden Gemeinschaftsverordnung ergab. Der Generalanwalt Jacobs hatte in dieser Entscheidung zugleich auf das Gleichheitsgebot hingewiesen: Wenn die Mitgliedstaaten Gemeinschaftskompetenzen durchführten, müßten sie den gleichen Verpflichtungen wie der Gemeinschaftsgesetzgeber unterliegen. Der Generalanwalt Reischi hatte diese Ansicht in der EuGH-Entscheidung Benedetti277 sogar auf Handlungen anwenden wollen, die die Mitgliedstaaten nicht in Ausführung eines Gemeinschaftsaktes, sondern allein im Rahmen des Agrarbereiches erlassen. Damit hat er wohl auf den ausschließlichen Kompetenzbereich der Gemeinschaft abgestellt, in dessen Bereich die Gemeinschaftsrechte die Mitgliedstaaten in jedem Fall binden würden. 278 jj) EuGH Rs. C-260189, Slg. 1991,1-2925 -ERT

In diesem Fall bekräftigte der EuGH seine Auffassung, daß er eine nationale Maßnahme dann anband der Gemeinschaftsgrundrechte prüfen könne, wenn sie in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts falle279 : "Nach seiner Rechtsprechung kann der Gerichtshof eine nationale Regelung, die nicht im Rahmen des Gemeinschaftsrechts ergangen ist, nicht in Hinblick auf die Europäische Menschenrechtskonvention beurteilen. Fällt eine Regelung dagegen in hinaus, wenn er den Einfluß der Grundrechtsrechtsprechung sogar auf nationale Felder erstreckt, die nichts mit dem Gemeinschaftsrecht zu tun haben. 276 EuGH Rs. 5188, Slg. 1989, 2609 12639 f. Rn. 19. 277 EuGH Rs. 52176, Slg. 1977, 163 1188. 278 Zust. Temple Lang, LIEI 2 I 1991, 23 I 30; Mancini I di Bucci, a.a.O., S. 35 I 43 weisen darauf hin, daß damit der EuGH einen Grundrechtsschutz unabhängig von der Umsetzung in spezifische Gemeinschaftsdispositionen anerkannte; für Coppel I 0 'Nei/1, CMLRev. 1992, 669 I 676 ist die WachaufEntscheidung deswegen von besonderer Bedeutung, da erstmalig Grundrechte auf nationale Implementierungsakte angewandt wurden. 279 EuGH Rs. C-260189, Slg. 1991, 1-292512964 Rn. 42 f.; vom Wortlaut fast identisch auch EuGH Rs. C-150190, Slg. 1991, I-468514741 Rn. 31- Grogan; in dieser Perspektive Coppel I 0 'Nei/1, CMLRev. 1992, 669 I 686 ff.

A. Geltungsgrund europäischer Grundrechte: Ein Abriß

195

den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts, so hat der Gerichtshof ( ... ) die Vereinbarkeit dieser Regelung mit den Grundrechten [zu] beurteilen. ( .. . )" "Insbesondere wenn ein Mitgliedstaat sich auf Art. 66 in Verbindung mit Artikel 56 beruft, um eine Regelung zu rechtfertigen, die geeignet ist, die Ausübung der Dienstleistungsfreiheit zu behindern, ist diese im Gemeinschaftsrecht vorgesehene Rechtfertigung im Lichte der allgemeinen Rechtsgrundsätze und insbesondere der Grundrechte auszulegen. Die in Artikel 66 in Verbindung mit Art. 56 vorgesehenen Ausnahmen können daher für die betreffende nationale Regelung nur dann gelten, wenn sie im Einklang mit den Grundrechten stehen, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat."

Diese Entscheidung knüpft insofern an das Rutili-Urteil an, als Grundrechte im Rahmen einer Grundfreiheit geprüft werden. 280 Auf die unmittelbare Geltung der Gemeinschaftsregelung brauchte der EuGH in der ERT-Entscheidung nicht ausdrücklich abzustellen, da diese für die Dienstleistungfreiheit seit langem anerkannt war. 281 Vielmehr ist sowohl in der Rutili-Entscheidung als auch (implizit) im Cinetheque und in dem ERT-Urteil die EMRK im Sinne des Gemeinschaftsgrundrechts als Schranken-Schranke für den Gemeinschaftsvorbehalt aus Art. 48 Abs. 3, Art 36282 bzw. Art. 66 EWGV herangezogen worden. Insoweit kann auch von einem mittelbaren Gemeinschaftsgrundrechtsschutz gegenüber nationalen Rechtsakten gesprochen werden. In einer nachfolgenden Entscheidung hat der EuGH diese Aussage noch einmal bekräftigt. 283

kk) EuGH Rs. C-2 / 92, S/g. 1994, 1-955- Bostock In einem wiederum die Milchreferenzquote in Frage stellenden Fall, knüpfte der EuGH an die Urteile Klensch und Wachauf an284 : "Der Gerichtshof hatte jedoch zuvor (Randnr. 19) [des Urteils Wachauj] festgestellt, daß auch die Mitgliedstaaten die Erfordernisse des Grundrechtsschutzes in der Gemeinschaftsrechtsordnung bei der Durchführung der gemeinschaftsrechtlichen Regelungen zu beachten haben und diese deshalb, soweit irgend möglich in Übereinstimmung mit diesen Erfordernissen anwenden müssen."

Dieses Urteil kann als letzte Bestätigung der EuGH-Rechtsprechung angesehen werden. Inhaltlich deckt es sich mit der Wachau.f-Entscheidung. lRO Bei Rutili ging es um die Arbeitnehmerfreizügigkeit, EuGH Rs. 36/75, Slg. 1975, 1219 / 1229 Rn. 16-18; s. jetzt auch EuGH Slg. 1992, I-2575 / 2609 Rn. 23 - Kommission I Deutschland. 2K1 EuGH Rs. 33/74, Slg. 1974, 1299 / 1310 f. Rn. 18 ff.- van Binsbergen.

2K2 Siehe insoweit Generalanwalt Slynn in EuGH Verb. Rs. 60 u. 61 / 84, Slg. 1985, 2605 / 2616, der zunächst auf die Bedeutung der EMRK fiir Art. 36 verweist, dann aber Art. 10 EMRK selbständig prüft. 2K3 EuGH Rs. C-62/90, Slg. 1992, I-2575/2609 Rn. 23 - Kommission / Deutschland. 2K4 EuGH Rs. C-2 / 92, Slg. 1994, l-955 / 983 Rn. 16.

13*

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2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

ll) EuGH Rs. C-368195, EuGRZ 1997, 335- Familiapress Eine Erweiterung der bisherigen EuGH-Rechtsprechung hat die Entscheidung Fami/iapress mit sich gebracht. Der EuGH urteilt in dieser Entscheidung2ss: "Wenn ein Mitgliedstaat sich auf zwingende Erfordernisse beruft, um eine Regelung zu rechtfertigen, die geeignet ist, den freien Warenverkehr zu behindern, ist diese Rechtfertigung im Lichte der allgemeinen Rechtsgrundsätze und insbesondere der Grundrechte auszulegen (vgl. Urteil vom 18.Juni 1991 in der Rechtssache C-260189, ERT, S1g. 1991, I-2925, Rn. 43.)"

Diese Entscheidung bedeutet eine Ausdehnung der bisherigen Rechtsprechung, da die Gemeinschaftsgrundrechte nunmehr auch als Schranke-Schranke für die immanenten Schranken herangezogen wird.286

mm) Zusammenfassende Bewertung Der zitierten EuGH-Rechtsprechung sind damit insgesamt zwei Kriterien für die Überprüfung nationaler Maßnahmen anband von Gemeinschaftsgrundrechten zu entnehmen: Entweder handelt es sich um eine Schranken-Schranke im Rahmen der vom Gemeinschaftsvertrag grundsätzlich gestatteten Einschränkung einer Grundfreiheit oder es geht um die Durchführung von unmittelbar wirksamen Gemeinschaftsrecht, wo die Mitgliedstaaten gleichwohl einen eigenen Spielraum haben. 287 Das Merkmal des eigenen Handlungsspielraums ist dabei wichtig, um keiner Verwechslung mit dem Grundrechtsschutz gegenüber einer Gemeinschaftsregelung zu unterliegen, die die Mitgliedstaaten aber dennoch regelmäßig dann im Rahmen einer gebundenen Verwaltung vollziehen. In diesem Fall geht es zwar formell auch um einen nationalen Vollzugsakt, der jedoch dann gemeinschaftsrechtlich determiniert ist, so daß ein Grundrechtsschutz materiell im Ergebnis gegenüber der Gemeinschaftsregelung besteht. b) Eigenständige Literaturansätze

In der Literatur ist dieses Problem bisher nur am Rande behandelt worden.288 Dies mag zum einen an den (vermuteten) geringen Auswirkungen auf den materiellen Grundrechtsschutzstandard liegen, da die Mitgliedstaaten ihEuGH Rs. C-368 I 95, EuGRZ 1997, 335 I 345 Rn. 24- Familiapress. m Siehe Kühling , EuGRZ 1997,296 / 298 f. m.w.N. m Zu diesen Kriterien s.a. die Darstellung bei Jürgensen I Schlünder, AöR 1996, 200 ff. 288 Vgl. insbes. Weiler, WLR 1986; 1103 / 1141; Temple Lang, LIEI 2 / 1991, 23; Ruffert, EuGRZ 1995, 518 ff. 2R5

A. Geltungsgrund europäischer Grundrechte: Ein Abriß

197

rerseits einen ausreichenden Grundrechtsschutz gewährleisten. Zum anderen vermag der vermutete Legitimationsgewinn für die Gemeinschaft289 ein zu diffuses Argument sein. Demgegenüber hat Weiler auf die möglichen Auswirkungen hinsichtlich einer einheitlichen Geltung der EMRK unabhängig von den einzelnen mitgliedstaatliehen Vorbehalten oder von der innerstaatlichen Geltung hingewiesen. 290 Schon hinsichtlich der Rutili-Entscheidung hatte Schweitzer auch die Befürchtung geäußert, daß die Mitgliedstaaten nunmehr an Bestimmungen der EMRK gebunden seien, die sie gar nicht ratifiziert hätten.291 Darüber hinaus könnte ein vom EuGH nur aus einigen staatlichen Verfassungsüberlieferungen abgeleiteter Grundrechtsstandard nunmehr gemeinschaftsweite Bedeutung auch innerhalb eines Rechtssystems erlangen.292 aa) Parallele zum amerikanischen Verfassungsrecht Insbesondere Weiler ist es zu verdanken, eine dem amerikanischen Verfassungsrecht parallele Entwicklung zu der innerstaatlichen Geltung von Gemeinschaftsgrundrechten aufgezeigt zu haben. 293 Diese lehnt sich an die amerikanische Inkorporationstheorie an. In einem ersten Schritt ist diese Theorie darzustellen (1.), bevor in einem zweiten Teil auf die innergemeinschaftliche Bedeutung einzugehen ist (2.). ( 1) Inkorporationstheorie

Die Inkorporationstheorie basiert auf der Trennung der Geltungsbereiche einzelstaatlicher Grundrechte für die Unionsstaaten und der föderalen Bill of Rights für die bundesstaatliche Gewalt. 294 Im Zuge des amerikanischen Bürgerkrieges und als Reaktion auf die Sklavenhaltung in den Südstaaten wurde 289

GTE-Beutler, Grundrechtsschutz, Rn. 64.

Zur innerstaatlichen Geltung der EMRK in den Mitgliedstaaten s. übersichtlich Polakiewicz/Jacob-Foltzer, HRLJ 1991, 65; Drzemczewski, European Human Rights Convention in Domestic Law. A Comparative Study, 1983; Frowein, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts VII, § 180 Rn. 5; ders., in: Frowein/Peukert, EMRK, Einf. Rn. 6 m.w.N.; Bleckmann, EuGRZ 1994, 149/151 f.; zu Großbritanniens. grundlegend Duffy, English Law and the European Convention on Human Rights, ICLQ 1980, 280 ff.; Warbrick, Rights, the European Convention on Human Rights and English Law, ELR 1994, 34 ff.; Staebe, EuGRZ 1997, 401; s.a. Weiler, FS Pescatore, 1987, S. 821 / 838 f.; vgl. auch allgemeiner zur einheitlichen Geltung allgemeiner Rechtsgrundsätze Bleckmann, Europarecht, Rn. 615. 290

Schweitzer, NJW 1976,467 / 470; dagegen Meier, NJW 1976, 1026 f. Weiler, WLR 1986, II 03 I 1141. 293 S. aber auch Mancinildi Bucci, a.a.O., S. 35/39. 294 Die Bill of Rights bezeichnet die ersten zehn Amendments zur amerikanischen Verfassung vom 15.12.1791. 291

292

198

2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

am 09.07.1868 das 14. Amendment ratifiziert, das Grundlage für die Inkorporation der Bill of Rights in die Einzelstaaten wurde. 295 Das 14. Amendment lautet in seinem ersten Absatz: "All persons bom or naturalized in the United States and subject to the jurisdiction thereof, are citizens of the United States and of the State wherein they reside. No State shall make or enforce any law which shall abridge the privileges or immunities of citizens of the Unites States; nor shall any State deprive any person of life, liberty, or property, without due process of law; nor deny to any person within its jurisdiction the equal protection of the laws."

Es ist dabei bis heute umstritten, ob es tatsächlich die historische Absicht der Verfasser des 14. Amendments gewesen ist, die Bill of Rights in die Einzelstaaten zu inkorporieren. 296 Dies stünde in Widerspruch zu den ursprünglichen Absichten der Verfassungsschöpfer, die die Bill of Rights nur gegenüber einer (wie man befürchtete) zu starken Zentralregierung konzipiert hatten.297 Der Supreme Court hatte jedenfalls bis zum Erlaß des 14. Amendments eine einzelstaatliche Bindung abgelehnt. 298 Auch nach dem Inkrafttreten des Amendments lehnte es der Supreme Court zunächst ab, in die Wendung "priviliges and immunities", eine Inkorporation "hineinzulesen".299 Erst 1897 deutete sich eine Wendung des Gerichts an, diese restriktive Haltung angesichts der Bedeutung der Bill of Rights und dem zunehmenden Druck, einzelstaatliche Grundrechtsdefizite auszugleichen, aufzugeben. 300 1925 inkorporierte der Gerichtshof dann in dem Urteil Gitlow ausdrücklich die Meinungsfreiheit in die einzelstaatlichen Rechtsordnungen. 301 In der Folgezeit hat der Supreme Court die Bill of Rights selektiv anband der Formulierung des 14. Amendment "due process of law" eingebunden. 302 Auf diese Art und Weise wurden nahezu alle Bestimmungen der Bill of Rights (bis auf das fünfte und siebente Amendment) selektiv nacheinander inkorporiert.303 Auffallend ist dabei die enge Anlehnung an den geschriebenen S. insgesamt dazu Frankfurter, Harvard Law Review 1965, 746 ff. So Justice Black in Adamson v. Califomia, 332 U.S. 46, 74 (1947); dagegen Berger, Govemment by Judiciary, 1977, S. 143 ff. 297 Williams, Constitutional Analysis, 1987, S. 56; Berger, Govemment by Judiciary, S. 135. 29R Barron v. Mayor and City Council ofBaltimore, 32 U.S. (7 Pet.) 243 (1833). 299 Slaughter-House Cases, 83 U.S. (16 Wall.) 36 (1873); s. dazu Ely, Democracy and Distrust, S. 22 ff., und Berger, Govenrment by Judiciary, 1977, S. 20 ff. 300 Wil/iams, Constututional Analysis, 1987, S. 62; Clapham, YbEL 1990, 309, 327 f. weist insoweit auf die Bedeutung der civil rights "pressure groups" hin. 301 Gitlow v. New York, 268 U.S. 652 (1925). 302 Chicago, Burlington and Quincy R.R. Co. v. Chicago, 166 U.S. 226 ( 1897). 303 Henkin, "Se1ective lncorporation" in the Fourteenth Amendement, Yale Law Journal 1963, 74 ff. 295

296

A. Geltungsgrund europäischer Grundrechte: Ein Abriß

199

Text des 14. Amendments gewesen. Entscheidend kam es stets darauf an, ob das entsprechende Grundrecht von fundamentaler Bedeutung für die Verfassungswirklichkeit der Vereinigten Staaten sei. 304 (2) Bedeutung einer analogen Inkorporation für das Gemeinschaftsrecht Soweit man eine vergleichbare Grundrechtskontrolle anband höherer Gemeinschaftsgrundrechte zulassen würde, müßte dies heißen, daß nationale Maßnahmen im allgemeinen im Rahmen der Ziele des Gemeinschaftsrechtes305 kontrollierbar wären. Es würde also der restriktive Ansatz des EuGH "im Rahmen des Anwendungsbereiches" des Gemeinschaftsrechtes wegfallen bzw. aber auf die weite Fassung "Binnenmarkt" ausgedehnt werden müssen.306 Ein Grund für die Notwendigkeit einer Inkorporation könnte dabei die Gefahr für die Verwirklichung der Grundfreiheiten sein und zwar gerade in dem Bereich, wo es um die zulässigen nationalen Vorbehalte geht. 307 Zwar könnte es dadurch zu einer unkontrollierten Klagewelle vor dem EuGH kommen308, es müßte aber auch das identitätsstiftende Moment berücksichtigt werden. 309 bb) Argumentation Bleckmanns Bleckmann hat das Problem der Gemeinschaftsgrundrechtsgeltung gegenüber nationalen Maßnahmen im Rahmen der Geltung der allgemeinen Rechtsgrundsätze bei der Durchführung des Gemeinschaftsrechtes angesprochen. Ausgehend von der Lückenschließungsfunktion der Grundsätze befürwortet er die Anwendbarkeit (der Grundrechte), da die Mitgliedstaaten in einer Art "Auftragsverwaltung" als europäische Organe tätig werden. Die Verwaltungen konkretisieren auch bei Ermessenshandlungen europäische 304 Vgl. Duncan v. Louisiana, 391 U.S. 145, 149 (1968); Benton v. Maryland, 395 U.S.784, 795 (1969); Diese selektive Inkorporation ist innerhalb des Gerichts jedoch deswegen umstritten gewesen, da nunmehr im Einzelfall bestimmt werden muß, welche Rechte der Bill of Rights denn nun als so fundamental angesehen werden müßten, daß sie inkorporierbar seien; s. Lockhart I Kamisar IChoper I Shiffrin, Constitutional Law, 1991, S. 392 ff.; s.a. Ely, Democracy and Distrust, S. 43 ff. 305 Wegen des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigungen fehlt es an einer staatlichen Allzuständigkeit, so daß selbst die weitestgehende Inkorporation (im Rahmen der Gemeinschaftsziele) nicht über die Regelungsbereiche des Gemeinschaftsvertrages hinausgehen könnte; Weiler, WLR 1986, 1103 I 1141. 306 A.A. Weiler, WLR 1986, 1103 1 1141 f.; ders., FS Pescatore, 1987, S. 821 1836 ff., wo Weiler eine Inkorporation allenfalls im Rahmen der Gemeinschaftsbereiche für möglich hält. 307 30R 309

Weiler, FS Pescatore, 1987, S. 821 I 839. Weiler, FS Pescatore, 1987, S. 8211839 f. Weiler, FS Pescatore, 1987, S. 8211841.

200

2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

Leitideen und Prinzipien. 310 Aufgrund einer erforderlichen Einheitlichkeit und Effektivität bei der Anwendung des Gemeinschaftsrechtes müßten allgemeine Rechtsgrundsätze und ggf. die Grundrechte beachtet werden. 311 c) Stellungnahme

aa) Zu einer Inkorporation im allgemeinen Eine Inkorporation, wie sie im amerikanischen Velfassungsrecht vorgenommen wurde, ist auf das europäische Gemeinschaftsrecht in dieser Allgemeinheit nicht übertragbar. Zum einen fehlt es an dem geschriebenen, verbindlichen Grundrechtskatalog, zum anderen ist kein dem 14. Amendment vergleichbarer normativer Ansatzpunkt im Gemeinschaftsrecht erkennbar. 312 Art. 164 EGV reicht ebensowenig aus wie Art. F Abs. 2 EUV, da beiden Vorschriften kein unmittelbarer Bezug zu den nationalen Rechtsakten zu entnehmen ist. 313 Auch aus dem teleologisch begründeten Ziel einer Demokratisierung der Gemeinschaft durch Anerkennung eines erweiterten Grundrechtsschutzes314 kann de lege lata keine andere Auslegung der geltenden Gemeinschaftsvorschriften zu entnehmen sein. Ein Vergleich mit den USA scheitert schon an der fehlenden (Bundes-) Staatsqualität der Gemeinschaft, derzufolge auch eine staatliche Allzuständigkeit fehlt. 315 Eine historische Interpretation des Gemeinschaftsvertrages kann zu keinem anderen Ergebnis kommen, wie allein die Kontroverse um den fehlenden Grundrechtskatalog zeigt. Rechtsdogmatisch am interessantesten ist die bei einer Inkorporation erfolgende Transformierung der EMRK. 316 Durch die explizite Aufnahme in 3 10

Bleckmann, Europarecht, Rn. 614.

311

Bleckmann, Europarecht, Rn. 615 f., 621 f.

312 Vgl. Weiler, WLR 1986, 1103 I 1137, der insoweit von notwendigen "two acts of aggressive judicial activism" spricht; s.a. Coppel I 0 'Neill, CMLRev. 1992, 669 / 673: "the offensive use of human rights"; s.a. Weiler I Lockhart, CMLRev. 1995, 51 / 59 ff.; R11;f/ert, EuGRZ 1995, 518 / 525. 3 13 Vgl. auch Ruffe rt, EuGRZ 1995. 518 / 525. 314 Vgl. zu diesem Zusammenhang Weiler i Lockhart, CMLRev. 1995, 51 /66, die insoweit einen Ausgleich zu der parlamentarischen Schwäche vornehmen wollen. 31 5 Gleichwohl handelt es sich um einen gängigen Bezugspunkt s. nur die drei Teile von: Cappe!letti I Seccombe I Weiler, Integration through Law. Europe and the American Federal Experience, Vol. I, 1986. 316 Vgl. Bleckmann, EuGRZ 1994, 149/150; Ruffe rt, EuGRZ 1995, 518/526 weist darauf hin, daß kein Eingriff in die Kompetenz des EGMR vorliegen würde, da zum Beispiel das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 177 EGV als Bestandteil des innerstaatlichen Rechtsweges verstanden werden kann.

A. Geltungsgrund europäischer Grundrechte: Ein Abriß

201

Art. F Abs. 2 EUV könnte bereits eine materielle, einseitige Integration in das Gemeinschaftsrecht erfolgt sein, die über die bloße mittelbare Anwendbarkeit hinausgeht. 317 Die EMRK würde damit über die innerstaatliche einfachgesetzliche Geltung herausgehoben werden und als höherrangiges Gemeinschaftsrecht gelten. Dies wäre ein sehr starker Eingriff in das nationale Verfassungsgefüge, der in einer allgemeinen Inkorporation nicht hinnehrnbar wäre. 318 Insoweit erfolgte eine höherrangige Inkorporation der EMRK im Ergebnis ebensowenig aus der Nennung derselben in Abs. 3 Präambei-EEA, obwohl der EuGH auch auf diese Bestimmung Bezug genommen hatte.319 Interessant ist in diesem Rahmen darüber hinaus die Erwähnung der EMRK in Abs. 2 Präambel der Europäischen Sozialcharta. In dem Urteil Blaizof 20 griff der EuGH auf diese Bestimmung zurück, obwohl Belgien, dessen nationale Regelung in Frage stand, die Charta noch gar nicht ratifiziert hatte. Dieses Vorgehen rechtfertigt sich allein aus der allgemeinen Gültigkeit der EMRK, muß aber gleichwohl rechtsdogmatisch als ein "faux pas" gewertet werden. 321 Gleichwohl hat der EuGH tatsächlich schon eine Inkorporation der Gemeinschaftsgrundrechte auf nationale Maßnahmen in Einzelfällen und in starker Anlehnung an das unmittelbar geltende Gemeinschaftsrecht vollzogen. Die Berechtigung dazu leitet sich einerseits aus der Wirksamkeit des geschriebenen Gemeinschaftsrechtes ab, die eine gemeinschaftliche Grundrechtskontrolle begleitee22 und andererseits aus dem Vorrang des Gemeinschafsrechts (Gemeinschaftsgrundrechte). 323 Allerdings hat der EuGH seine Rechtsprechung nicht konsequent weiterverfolgt In der Entscheidung zu der 317

HandKommEUV I Klein, Art. F Rn. 8.

Für Bleckmann, EuGRZ 1994, 1491152 ff. folgt daraus die Notwendigkeit des Verfassungsrangs der EMRK; diese begründet er innerstaatlich über Art. 25 GG, deren Erfordernis der allgemeinen Rechtsgrundsätze er mit dem Völkerrechtswandel vom Kompetenz- zum Kooperationsvölkerrecht begründet. Demnach bezieht sich Art. 25 i.V.m. Art. 1 GG auf alle fiir die Wahrung des Weltfriedens entscheidenden Normen, wozu heutzutage auch die Menschenrechte zählen (ebd. S. !54); Temple Lang, LIEI 2 I 1991, 23 / 34 begrüßt gerade diese Transformierung fiir Staaten, wo die Verfassungsrechte beschränkt oder ineffektiv sind; ebenso Weiler I Lockhart, CMLRev. 1995, 51 / 66, 82, die eine entsprechende Gemeinschaftsgrundrechtsgeltung deswegen begrüßen, da regionale Beschränkungsmöglichkeiten gerade nicht zum Tragen kommen könnten und im Ergebnis der Grundrechtsstandard angehoben würde. 31 K

EuGH Rs. 249/86, Slg. 1989, 126311290 Rn. 10 - Kommission i Deutsch/and. EuGH Rs. 24186, Slg. 1988,379 / 403 Rn. 17. 321 S. deswegen auch die Zurückhaltung des EuGH im Rutili-Fall auf Art. 2 4. ZP EMRK zurückzugreifen; Mende/son, YbEL 1981, 125 I 134. 322 Everling, in: Weidenfeld (Hrsg.), Grundrechte, S. 74 geht allerdings von einer darüber hinausgehenden Beschränkung des EuGH wegen der Funktionenteilung von Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht aus; s.a. Zuleeg, NJW 1994, 5451547. 323 Ruffert, EuGRZ 1995, 5181529. 319

320

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2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

Rechtmäßigkeit der Bananenmarktverordnung324 ist der Gerichtshof allein auf die Gemeinschaftskonformität der Verordnung eingegangen, ohne eine Verletzung bei der konkreten Umsetzung durch die Kontingentverteilung zu prüfen. Erst in einer einstweiligen Anordnung hat das BVerfG auf diesen Aspekt der Grundrechtssicherung hingewiesen. 325 Ein Konflikt zwischen dem Grundrechtsschutz, wie ihn der EuGH und das BVerfG gewährleistet, entstand so zwar nicht, gleichwohl hätte schon der Gerichtshof die grundrechtliehen Gewährleistungen bei der Umsetzung bzw. Durchführung der Bananenverordnung zumindest im Rahmen der oben erwähnten Rechtsprechung behandeln müssen. Daß er dies nicht getan hat, könnte mit prozessualen Gründen zu tun haben, so z.B. weil es sich um die Klage der Bundesrepublik gegen die Verordnung handelte, nicht jedoch um die einzelner Grundrechtsbetroffener. 326 Weiler stellte im Zusammenhang mit der Cinetheque- und der K/enschEntscheidung auf die unterschiedlichen Kompetenzbereiche ab. 327 Dieser Ansatz muß weiterverfolgt werden. Angesichts der Notwendigkeit, einen einheitlichen und wirksamen Grundrechtsschutz in der Gemeinschaft zu gewährleisten, muß de lege ferenda eine Jurisdiktion des EuGH gegenüber nationalen Maßnahmen im gesamten Anwendungsbereich des EGV gelten. Da es im Gemeinschaftsrecht ausschließliche, konkurrierende und parallele Zuständigkeiten gibt328 , muß auch für den Grundrechtsschutz hieran angeknüpft werden. 329 Der Gemeinschaftsgrundrechtsschutz sollte parallel hierzu verlaufen. 330 Ist eine Kompetenz ausschließlich, dann gilt auch eine ausschließliche Gerichtszuständigkeit des EuGH; bei der konkurrierenden Kompetenz würde die nationale Jurisdiktion soweit gehen, wie die Gemeinschaft ihre Kompetenz noch nicht ausgeübt hat. 331 Handelt es sich hingegen um eine 324 EuGH Rs. C-280 I 93, EuZW 1994, 688 - Bananen II; zu den bisherigen gerichtlichen Verfahren vgl. übersichtlich Gröpl, EuGRZ 1995, 583 I 584. 325 BVertG EuZW 1995, 126 1 127; insoweit könnte ein klassisches Beispiel fiir das sog. Kooperationsmodell vorliegen, wenn das BVertG formuliert, daß der EuGH nicht die Auswirkungen auf den konkreten Härtefall gewürdigt habe. Es ist anzunehmen, daß sich das BVertG erst deswegen zu einem Erlaß einer einstweiligen Anordnung befugt gesehen hat. Vgl. auch den ausdrücklichen Hinweis, daß die konkrete Anwendbarkeit auch dem "gemeinschaftsrechtlich gewährten Grundrechtsschutz" zuwiderlaufe. 326 Überzeugend wäre dies aber auch nicht, da Grundrechte auch als objektives Recht vom EuGH zu beachten wären. 327 Weiler, FS Pescatore, 1987, S. 821 I 823 ff. 32R S.o. 1. Teil, B. 329 V gl. Temple Lang, LIEI 2 I 1991, 23 I 30; er stellt auf den abstrakt umrissenen Kornpelenzbereich ab. 330 S. aber auch Ru.ffert, EuGRZ 1995, 5181528: er will bei der Durchfiihrung von Gemeinschaftsrecht Gemeinschaftsgrundrechte stets subsidiär heranziehen. 33 1 Zu beachten ist, daß der EuGH in diesem Falle dann jedoch im Unterschied zur deutschen Terminologie auch von ausschließlicher Kompetenz sprechen würde, s. EuGH Gut-

A. Geltungsgrund europäischer Grundrechte: Ein Abriß

203

parallele Kompetenz, findet grundsätzlich ein Grundrechtsschutz je nachdem statt, ob der Grundrechtseingriff den Mitgliedstaaten oder der Gemeinschaft zuzurechnen ist. Eine solche Inkorporation würde wegen des ausschließlichen Kompetenzbereiches der Gemeinschaft auch nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip nach Art. 3b Abs. 2 EGV kollidieren. Der Vorteil läge dabei darin, daß ein einheitlicher, identitätsstiftender Grundrechtsschutz gewährleistet würde. Immerhin hat der EuGH in dem Agrarsektor einen solchen Weg auch schon eingeschlagen, der sich von dem bloßen Schutz der Grundfreiheiten unterscheidet. De lege ferenda wäre insoweit eine Ausdehnung auch auf die Handelspolitik vorstellbar. Die vollziehenden mitgliedstaatliehen Verwaltungen würden gleichsam im Sinne einer Organleihe für die Gemeinschaften tätig. Eine zumindest teilweise Inkorporation von Grundrechten hat im Europäischen Verwaltungsrecht stattgefunden. Seit der Milchkontor-Entscheidung332 hat der EuGH gewisse Mindestanforderungen an die nationalen Verwaltungsverfahren hinsichtlich des Effizienzgebotes und allgemeinen Diskriminierungsverbotes gestellt.333 Diese Verfahrensgrundsätze können als Teil eines umfassenderen Verwaltungsrechts angesehen werden, dessen weitere Grundsätze wie z.B. der Vertrauensschutz und das rechtliche Gehör als Grundrechte bzw. Rechtsstaatsprinzipien qualifiziert werden.334 Diese Ausdehnung europäischer Rechtsprinzipien auf nationale Maßnahmen hat im Sinne der einheitlichen und effektiven Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts überwiegend Zustimmung gefunden. 335 Daran zeigt sich, daß allgemeine Rechtsgrundsätze, zu denen die Gemeinschaftsgrundrechte zählen, in einem anderen Bereich schon eine Ausdehnung auf nationale Maßnahmen erfahren haben. Dann ist es zur Inkorporation von Gemeinschaftsgrundrechten im Sinne einer Kontrolle nationaler Maßnahmen aber auch nur noch ein relativ kleiner Schritt.

achten 2/91, ABI. C 109/ I, 7 Rn. 9 vom 19.4.1993,- ILO-Konvention Nr. 170; s. dazu Lenaerts l van Ypersele. CahDrEur 1994, 3 I 13, 20. 332 EuGH Verb. Rs. 205 - 215 I 82, Slg. 1983, 263312665 Rn. 17 ff.- Milchlwntor; s.a. EuGH Rs. 199 I 82, Slg. 1983, 3595 I 3612 Rn. 12 - San Giorgio. 333 Streinz, Europarecht, Rn. 483 ff. 334 Rengeling, Grundrechtsschutz, S. 49 ff., 150 ff. ; s.a. Ruffert, EuGRZ 1995, 518 1522. 335 Bleckmann, Europarecht, Rn. 1316, der zusätzlich von dem Grundsatz ausgeht, daß die Regeln des Verwaltungsrechtes nur das europäische Verfassungsrecht konkretis.ieren; vgl. hierzu auch Koch, EuZW 1995, 78 I 82, der die Voraussetzungen fiir die Anwendung nationaler Verfahrensvorschriften im Rahmen der Gemeinschaftsgrundrechte dergestalt festlegt, daß der Zweck mit den allgemeinen Rechtsgrundsätzen der Gemeinschaft vereinbar sein muß und sie dem Grundsatz der Rechtssicherheit, wie er sich aus den vergleichbaren Regelungen der Mitgliedstaaten ergibt, dienlich sind.

204

2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

bb) Bedeutung für die transeuropäischen Verkehrsnetze

Für die transeuropäischen Netze würde der bisherige Stand der EuGHRechtsprechung hinsichtlich des Ansatzes der unmittelbaren Geltung von Gemeinschaftrecht bei der Durchfiihrung der Leitlinien zu keinem Gemeinschaftsgrundrechtsschutz fUhren. Dies liegt an der allgemeinen Geltung der Leitlinien. Die Form der an die Mitgliedstaaten adressierten Entscheidung schließt zum jetzigen Zeitpunkt eine unmittelbare Geltung gegenüber den einzelnen Grundrechtsträgem aus. Die per definitionem vorgegebene unmittelbare Geltung einer Entscheidung bezieht sich nur auf die genannten Adressaten und somit auf die Mitgliedstaaten. Unter diesem Blickwinkel erschließt sich auch der Sinn einer Gemeinschaftsgrundrechtsgeltung bei unmittelbar geltenden Gemeinschaftsregeln: Die Grundrechte sind als Annex zu dem unmittelbar geltenden Gemeinschaftsakt zu verstehen. 336 Sie sind damit nicht aus sich selbst heraus auf jeden unmittelbaren Rechtsakt anwendbar. Dies ist ein entscheidender Unterschied zwischen den vom EuGH entschiedenen Fällen hinsichtlich einer Agrarverordnung und einer an die Mitgliedstaaten gerichteten Entscheidung. Erstere erfassen regelmäßig den einzelnen, während der Adressat einer Entscheidung individuell gewählt werden kann. Nur wenn ausnahmsweise eine Leitlinienentscheidung so konkret wäre, daß sie unmittelbare (Dritt-)Wirkung auch gegenüber dem einzelnen haben könnte, wäre ein Gemeinschaftsgrundrechtsschutz gegenüber nationalen Maßnahmen denkbar. Die Konkretheil der Entscheidung würde zum Schlüssel fiir einen gemeinschaftlichen Grundrechtsschutz sowohl unter dem Aspekt der konkreten Rechtsstellung des einzelnen als auch in Hinblick auf den äußersten Entscheidungsrahmen bei der mitgliedstaatliehen Umsetzung. 337 Soweit eine de lege ferenda anzunehmende Abgrenzung nach dem überwiegenden Kompetenzbereich in Betracht kommt, scheidet ein Grundrechtsschutz gegenüber nationalen Maßnahmen aus. Schon im ersten Teil der Arbeit wurde dargelegt, daß der Bereich der transeuropäischen Verkehrsnetze nicht den ausschließlichen Kompetenzbereich der Gemeinschaft berührt. Der zweite Argumentationszweig des EuGH im Rahmen der Grundfreiheiten könnte hinsichtlich der Umsetzung der transeuropäischen Verkehrsnetze nicht zum Tragen kommen. Wenn die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten 336 Angesichts der vorrechtliehen Geltung der Grundrechte ist dies eigentlich ein paradoxer Ansatz; so wenig wie Grundrechte aus dem einfachen Recht hergeleitet werden, müßte im Bereich des Gemeinschaftsrechts gelten, daß die Anwendung der Grundrechte aus dem einfachen Vertragsrecht begründbar ist. 337 Als Beispiel könnte an alternative konkrete Trassenvorgaben, bestimmte Kriterienkataloge fiir einen Trassenverlauf oder die Finanzierung durch die Gemeinschaft gedacht werden.

B. Grundrechtsschutz bei Sachverhalten mit Gemeinschaftsbezug

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solche Netze errichten, handeln sie allenfalls zur Umsetzung und Förderung der Grundfreiheiten, aber nicht im Bereich deren Einschränkbarkeit. Insgesamt kann also nur dann ein Grundrechtsschutz gegenüber nationalen Maßnahmen gewährt werden, wenn entweder eine Leitlinienbestimmung ausnahmsweise konkret und unmittelbar anwendbar ist oder wenn - wie im Rahmen der Umsetzung der transeuropäischen Verkehrsnetze erwähnt wurde die Gemeinschaft in einer unmittelbaren Art und Weise nach Art. 75 Abs. l lit. d) EGV Durchfiihrungsakte erläßt.

B. Allgemeiner Grundrechtsschutz der nationalen Gerichte bei Sachverhalten mit Gemeinschaftsbezug In der Bundesrepublik wird der Umfang des Grundrechtsschutzes maßgeblich durch die Rechtsprechung des BVerfG bestimmt. Die einfache Gerichtsbarkeit kann grundrechtsdogmatisch keinen weitergehenden Rechtsschutz als das Verfassungsgericht gewähren, auch wenn die Verwaltungsgerichte das exekutive Staatshandeln umfassender in Hinblick auf einfachgesetzliche Verletzungen prüfen. Bei Klagen gegen Gesetze ist diese Bedeutung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung noch unmittelbarer erkennbar, da nur das BVerfG selbst Gesetze anband der Grundrechte überprüfen und verwerfen kann. Die nachfolgende Darstellung wird sich deswegen auf die Rechtsprechung des BVerfG zur Bestimmung des Grundrechtsschutzes konzentrieren. Dabei ist in diesem Kapitel zunächst auf die allgemeine Reichweite der Verfassungsgerichtsrechtsprechung insbesondere in Abgrenzung zum EuGH einzugehen.

I. Bundesverfassungsgerichtliche Solange-Rechtsprechung und das sogenannte Kooperationsmodell Mit dem Maastricht-Urteil vom 12.10.199Y38 hat das BVerfG den Begriff des "Kooperationsverhältnisses" zum EuGH geprägt. 339 Dies wirft die Frage auf, inwieweit das BVerfG daraus eine unmittelbare Überprüfung sekundären Gemeinschaftsrechtes anband der nationalen Grundrechte ableitet. Diese Frage ist fiir nationale Umsetzungsakte - beispielsweise im Rahmen von Richtlinien - vom BVerfG im Beschluß zur einstweiligen Anordnung 338

BVertGE 89, 155.

S. aber auch schon Kirchhof, JZ 1989, 453 I 454; Streinz, Bundesverfassungsgerichtlieber Rechtsschutz, S. 304 f. 339

206

2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

hinsichtlich der Tabak-Etikettierungsrichtlinie schon beantwortet worden. Das BVerfG äußert dort340 : "Der nationale Gesetzgeber ist bei der Umsetzung an die Vorgaben des Grundgesetzes gebunden. Die Frage, ob er bei der Umsetzung im Rahmen des ihm von der Richtlinie eingeräumten Gestaltungsspielraums Grundrechte oder grundrechtsgleiche Rechte der Antragstellerinnen verletzt, unterliegt in vollem Umfang verfassungsgerichtlicher Überprüfung."

Diese Aussage ist vor dem Hintergrund einer sonst unter Umständen anzunehmenden Rechtsverweigerung zwingend. Das BVerfG hat nach Art. I Abs. 3, 19 Abs. 4 S. 1, Art. 20 Abs. 3, Art. 92 GG einen unbedingten Prüfungsauftrag gegenüber nationalen Rechtsakten. 341 Wenn allerdings der EuGH den nationalen Rechtsakt schon geprüft hae42, ist die Annahme einer weiteren Zuständigkeit durch das BVerfG problematisch. Dann würde das Verfassungsgericht sekundäres Gemeinschaftsrecht in Form eines Gerichtsurteils nochmals überprüfen. Das Kooperationsverhältnis kann aber auch so verstanden werden, daß die Prüfungskompetenz des BVerfG dann aus dem allgemeinen Grundsatz des Vorrangs und der Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechtes zurücktritt.343 1. Erinnerung an Solange

In der Solange /-Entscheidung hat das BVerfG ein Normenkontrollverfahren gegen sekundäres Gemeinschaftsrecht fiir zulässig erachtet, wenn deutsche Grundrechte verletzt sein könnten. 344 Diese vielfach kritisierte Entscheidung345, die eine Ablehnung der These vom absoluten Vorrang des Gemein-

340 BVerfG NJW 1990, 974; in der gleichen Entscheidung hatte das BVerfG zur Frage der Überprüfung von sekundärem Gemeinschaftsrecht geäußert: "Soweit die Richtlinie den Grundrechtsstandard des Gemeinschaftsrechtes verletzen sollte, gewährt der EuGH Rechtsschutz. Wenn auf diesem Wege der vom Grundgesetz als unabdingbar gebotene Grundrechtsstandard nicht verwirklicht werden sollte, kann das BVerfG angerufen werden." 341 Streinz, Bundesverfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz und Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1989, S. 84, 283; Kirchhof, EuR Beih. I / 91 S. II / 23; E. Klein, GS Grabitz, S. 271 / 277 weist darauf hin, daß der deutsche Staat so lange fur den Schutz der Grundrechte auch gegenüber Eingriffen der supranationalen Gewalt verantwortlich bleibt, wie die supranationale Organisation nicht selbst zum Staat geworden ist. 342 S. zum Beispiel die Fälle, wo der EuGH eine Überprüfung nationaler Rechtsakte anhand von Gemeinschaftsgrundrechten vornimmt, 2. Teil, A.III.3. 343 Deswegen muß der Begriff des Kooperationsverhältnisses auch nicht immer im Sinne einer stärkeren Beaufsichtigung des EuGH durch das BVerfG ausgelegt werden. 344 BVerfGE 37, 271 /285; der EuGH hatte im übrigen in derselben Sache schon am 17.12.1970 entschieden (EuGH Rs. 11 /70, Slg. 1970, 1125 - Internationale Handelsgesellschaft); beide Gerichte verneinten im Ergebnis eine Grundrechtsverletzung.

345

!psen, EuR 1975, I ff.; Zuleeg, DÖV 1975,44 ff.; Hilf, ZaöRV 1975, 5 1 ff.

B. Grundrechtsschutz bei Sachverhalten mit Gemeinschaftsbezug

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schaftsrechts bedeutete346, wurde erst in der Solange /I-Entscheidung aufgegeben.347 Demzufolge gewährleiste der EuGH generell den Grundrechtsschutz gegen Gemeinschaftsrechtsakte. Diese Gewährleistung erfasse auch den Wesensgehalt der Grundrechte. Erst wenn ein solcher Grundrechtsschutz in den EGen nicht mehr gegeben sei, würde das BVerfG seine Grundrechtsjurisdiktion wieder ausüben. Schon die Wortwahl des BVerfG zeigte, daß die Rechtsprechung des EuGH weiterhin sorgfältig beobachtet werden sollte und somit keine endgültige Aufgabe der Kontrollkompetenz verbunden war. 348 Ob insoweit das BVerfG eine materiellrechtliche oder prozessuale Lösung vertreten hat, bedarf an dieser Stelle keiner Erörterung. 349 Die offene Formulierung des BVerfG hat in der Wissenschaft teilweise den Ruf nach einem Solange III-Beschluß laut werden lassen. 350 Anlaß waren einerseits der Entwurf einer Tabakrichtlinie, mit der auf die Gesundheitsgefahren des Rauchens hingewiesen werden sollte, andererseits die Rundfunkrichtlinie 89 I 552 I EWG, mit der in das föderale Gefüge der Bundesrepublik Deutschland eingegriffen werde. 351 Die Forderung nach Solange III gründete sich dabei darauf, daß im europäischen Recht Verfahrens- und materielle Rechtsschutzdefizite bestünden.352 Es müsse Aufgabe des BVerfG sein, Gemeinschaftsrecht auf die Vereinbarkeit mit den deutschen Grundrechten und den inneren Organisationsstrukturen zu prüfen und gegebenenfalls für unanwendbar zu erklären. 353 Hinsichtlich der Tabakrichtlinie hat das BVerfG jedoch den Erlaß einer einstweiligen Anordnung unter Hinweis auf die Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde gegen einen im Rat zustimmenden deutschen Beschluß abgelehnt, da die Beschwerdeführer nicht unmittelbar betroffen seien. Soweit S. dazu Streinz, Bundesverfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz, S. 36 f. BVerfGE 73, 339 I 387 zugleich Leitsatz; zweifelhaft allerdings bzgl. der Frage des Vorrangs selbst, s. dazu Streinz, EuZW 1994, 241 ff. 34R Vgl. Streinz, Bundesverfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz, S. 41. 346 347

S. dazu E. Klein, VVDStRL 50 (1991) S. 56180 ff. m.w.N. Zu dieser Diskussion s. Friauf/ Scholz, Europarecht und Grundgesetz, S. 53 ff.; Ehlermann, EuR Beih. I 191, S. 27 ff.; Streinz, Bundesverfassungsgerichtlicher Gerichtsschutz, S. 283 ff.; E. Klein, VVDStRL 50 (1991), S. 56 ff.; Tomuschat, EuR 1990, 340 ff.; Everling, EuR 1990, 195 ff.; Hilf, EuGRZ 1987, I ff. 351 Scholz, NJW 1990, 941 f.; s. dazu die jetzt ergangene Entscheidung BVerfGE 92, 203 mit Anmerkung Herdegen, CMLRev. 1995, 1369 ff. 352 Scholz, NJW 1990, 941 I 943 ff.; diese Auffassung ist allerdings teilweise unbefriedigend, da ein Verfahren vor dem EuGH gar nicht angestrebt wurde. Immerhin ist jedoch dieser Ansicht insoweit zuzustimmen, als darauf hingewiesen wird, daß bei der RundfunkRichtlinie der EuGH nicht nationale Entscheidungsverfahren prüfen könne; vgl. Gersdorf, DVBI. 1994, 6741678; vgl. ausruhrlieh auch Everling, EuR 1990, 1951204 ff., 214 ff. 353 Zu Lösungsansätzen s. Scholz, NJW 1990,9411945 f. ; vgl. auch Everling, EuR 1990, 1951199; E. Klein, VVDStRL 50 ( 1991 ), S. 56 I 84 ff. 349

350

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2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

die Richtlinie Grundrechte verletzen würde, sei der EuGH für den Grundrechtsschutz zuständig. 354 Auch die Klage gegen die Rundfunkrichtlinie hat das BVerfG abgewiesen. Der Bund müsse jedoch bei einer innerstaatlich dem Landesgesetzgeber vorbehaltenen Materie als "Sachwalter der Länder" handeln355, wobei im einzelnen insbesondere bei der Frage des Bestehens einer Gemeinschaftskompetenz ein Einvernehmen erzielt werden müsse. 356 In Hinblick auf die Grundrechtskonformität einer deutschen Beteiligung im Rechtssetzungsprozeß hat Herdegen jedoch gefolgert, daß eine volle Beachtung des deutschen Grundrechtsschutzes nicht geboten sei, um den anderen Verfassungswert der europäischen Einigung zur Geltung zu bringen. 357 Nach der Maastricht-Entscheidung stellt sich gleichwohl die Frage, ob das Gericht dem Ruf nach Solange III nachgegeben hat. 358 2. "Kooperationsverhältnis" a) Unterschied zu Solange II

Ausgangspunkt der Überlegungen ist folgende Urteilspassage359: "Das Bundesverfassungsgericht gewährleistet durch seine Zuständigkeit (vgl. BVerfGE 37, 271 ; 73, 339), daß ein wirksamer Schutz der Grundrechte für die Einwohner Deutschlands auch gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaften generell sichergestellt und dieser dem vom Grundgesetz als unabdingbar gebotenen Grundrechtschutz im wesentlichen gleich zu achten ist, zumal er den Wesensgehalt der Grundrechte generell verbürgt. Das Bundesverfassungsgericht sichert so diesen Wesensgehalt auch gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaft (vgl. BVerfGE 73, 339 I 386). Auch Akte einer besonderen, von der Staatsgewalt der Mitgliedstaaten geschiedenen öffentlichen Gewalt einer supranationalen Organisation betreffen BVerKi NJW 1990, 974; s.a. schon BVerKiE 22,293 / 297. BVerfGE 92, 203/230. 356 BVerKiE 92, 203 I 235 ff. 357 Herdegen, CMLRev. 1995, 136911383: "The necessity to consider fundamental rights as constitutional values cannot mean that the German member of the EU Council may only cast his vote in favour of a Conununity measure if the act is fully in harmony with the entire panoply of German fundamental rights. Such a constitutional ,straitjacket' would be an unacceptable obstacle for Germany's participation in the integration process which, under the Basic Law, is also a concem with constitutional rank." 358 Zu dieser Frage auch Tietje, JuS 1994, 197 ff. 359 BVerKiE 89, 155/174 f.; rein sprachlich ist jedoch schon der Ausdruck "Kooperation" nicht sehr überzeugend, wenn man sich die einseitige Vorgehensweise des BVerKi vor Augen hält. Eine Kooperation erfolgt regelmäßig in Absprache miteinander und wird nicht einseitig oktroyiert. Dies zeigt ja auch gerade Art. 177 EGV, der als vertraglich festgelegte Norm Ausdruck tatsächlicher Kooperation ist. Zu der Ableitung des Kooperationsverhältnisses aus der Integrationsoffenheit des Grundgesetzes, dem allg. Völkerrecht bzw. Art. 5 EGV, s. i.ü. Tietje, JuS 1994, 197 / 200. 354

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B. Grundrechtsschutz bei Sachverhalten mit Gemeinschaftsbezug

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die Grundrechtsberechtigten in Deutschland. Sie berühren damit die Gewährleistungen des Grundgesetzes und die Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts, die den Grundrechtsschutz in Deutschland und insoweit nicht nur gegenüber deutschen Staatsorganen zum Gegenstand haben (Abweichung von BVerfGE 58, I). Allerdings übt das Bundesverfassungsgericht seine Gerichtsbarkeit über die Anwendbarkeit von abgeleitetem Gemeinschaftsrecht in Deutschland in einem ,Kooperationsverhältnis' zum Europäischen Gerichtshof aus, in dem der Europäische Gerichtshof den Grundrechtsschutz in jedem Einzelfall fiir das gesamte Gebiet der Europäischen Gemeinschaften garantiert, das Bundesverfassungsgericht sich deshalb auf eine generelle Gewährleistung des unabdingbaren Grundrechtsstandards (vgl. BVerfDE 73, 339) beschränken kann."

Im Vergleich zu Solange li fällt auf, daß das Gericht die Zuständigkeit positiv umschreibt: Während in jener Entscheidung gerade die Zurücknahme der bundesverfassungsgerichtliehen Zuständigkeit begründet wurde, zielt das Maastricht-Urteil auf eine Bestimmung der Zuständigkeit des BVerfG. Dabei sind zwei kleine Abweichungen bemerkenswert: In Solange /I wird festgestellt, daß der EuGH generell den Grundrechtsschutz gegenüber der Gemeinschaftsgewalt gewährleistet. Nunmehr nimmt das BVerfG eine generelle Gewährleistung des unabdingbaren Grundrechtsschutzes für sich in Anspruch, während der EuGH in jedem Einzelfall entscheidet. Darüber hinaus wird in Solange li darauf abgestellt, daß der EuGH generell auch den Wesensgehalt der Grundrechte garantiere. Diese Sicherung will nun ebenfalls das BVerfG übernehmen.360 Die unterschiedlichen Formulierungen des BVerfG stellen in seinen Augen offensichtlich keine Änderung seiner Rechtsprechung im Vergleich zu Solange // dar, wie die ausdrückliche Bezugnahme auf diese Entscheidung (BVerfGE 73, 339) zeigt. 361 Für diese Ansicht spricht, daß die Solange liRechtsprechung implizit auch von einer Grundrechtssicherung durch das BVerfG ausgeht, diese Garantie jedoch bis hin zum Wesensgehalt der Grundrechte durch den EuGH als erfüllt ansieht, so daß das BVerfG nicht mehr tätig zu werden braucht. In dem Maastricht-Urteil spricht das BVerfG nunmehr diese Implizierung nur ausdrücklich aus. 362 Unklar ist in diesem Zusammenhang allerdings die vom BVerfG benutzte Abgrenzung der Zuständigkeiten gemäß dem "Einzelfall" (da nur insoweit die Zuständigkeit des EuGH gegeben sein soll) und dem "generellen Schutz" (wonach das BVerfG zuständig wäre). Immerhin behandeln GrundrechtsproVgl. hierzu König, ZaöRV 1994, 17 125; Tomuschat, EuGRZ 1993, 489 1490. Ebenso Bleckmann I Pieper, RIW 1993, 369 I 372; Streinz, EuZW 1994, 329 I 331; Gersdoif, DVBI. 1994, 674; s. auch den Berichterstatter des Maastricht-Vrtei!s Kirchhof, in: Merten (Hrsg.), Föderalismus und Europäische Gemeinschaften, 1990, S. 109 / 115, 118, der von "diesem" Kooperationsangebot spricht und damit Solange 11 meint. 362 So auch Steindorff, EWS 1993, 341 1342. 360

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2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

bleme immer Individualfälle und stellen stets einen "Einzelfall" dar. 363 Vielleicht wollte das BVerfD andeuten, daß es nur bei grundsätzlicher (und insoweit genereller) Verkennung des Grundrechtsgehaltes seine Jurisdiktion ausüben werde. 364 In diesem Zusammenhang könnte der Begriff "Kooperationsverhältnis" zu der Annahme verleiten, daß das BVerfG zukünftig stärker den EuGH "beaufsichtige", zumindest diesen aber im Rahmen einer "Kooperation" dazu anhalten werde, die Grundrechtsrechtsprechung des BVerfG gebührend zu berücksichtigen. 365 Immerhin hat das BVerfD ja hinsichtlich seiner Kontrollbefugnis eine (notgedrungen) sehr weiche Formulierung gewählt. b) Erweiterter nationaler Grundrechtsprüfungsumfang?

In der Literatur hat sich überwiegend die Ansicht durchgesetzt, daß der Begriff des Kooperationsverhältnisses keine Neuerungen mit sich bringt, sondern nur den schon jetzt erreichten Standard der Solange li-Rechtsprechung bezeichnet, wonach das BVerfD nur tätig werde, um gegebenenfalls den Wesensgehalt der Grundrechte bzw. das Verfassungsgefüge der Bundesrepublik zu sichern. 366 Interessant ist in diesem Zusammenhang die Auffassung, derzufolge ein Kooperationsmodell die nationalen Gerichte367 ermächtigen solle, sekundäres Gemeinschaftsrecht stets auf die Vereinbarkeit mit deutschen Grundrechten zu prüfen. 368 Nur die Verwerfungskompetenz verbliebe beim EuGH, jedenfalls solange, wie der EuGH nicht den Wesensgehalt eines Grundrechts ver363 Vgl. dazu auch Zuck/Lenz, NJW 1997, 1193, 1195: die Verletzung des Grundrechtsstandards ist kein Häufigkeitsproblem.

364 Vgl. König, ZaöRV 1994, 17125 f. mit Verweis auf BVertDE 73, 3391387; ähnlich Huber, EuZW 1997, 517 I 519: er plädiert fiir ein am Wesensgehaltsmaßstab ausgerichtetes Verständnis dieser Formulierung. 365 Eine vom deutschen Verfassungsrecht ausgehende Sichtweise dieses Verhältnisses Gemeinschaftsrecht-nationales Recht drückt sich auch bei Kirchhof, in: Merten, a.a.O., S. 1091112 f., 118 aus: Der Gemeinschaftsvorrang folge allein aus dem innerstaatlichen Rechtsanwendungsbefehl; das BVerffi prüfe im übrigen deswegen nicht Gemeinschaftsrecht, da es keinen Verfassungsrang habe.

366 Tietje, JuS 1994, 197 1201; vgl. auch Bleckmann I Pieper, RIW 1993, 969 1972, Streinz, EuZW 1994, 329 I 331; Ipsen, EuR 1994, 1112; nach Steindorff, EWS 1993, 3411 342 handelt es sogar um einen "substanzlosen Begriff". 367 Ipsen, EuR 1994, I I II äußert sogar den Verdacht, daß das BVerfD selbst der Exekutive eine ultra-vires-Kontrolle zubilligen wolle; vgl. zu diesem Problem auch EuGH Rs. I 03 I 88, Slg. 1989 I 1839 - Costanzo. 36K Dagegen schon bezogen auf die Solange-Rechtsprechung E. Klein, VVDStRL 50 ( 1991 ), 56 I 82, soweit das Gemeinschaftshandeln durch Art. 24 GG (entsprechend jetzt Art. 23 GG) gedeckt sei; insoweit würde der nationale Anwendungsbefehl der Gemeinschaft einen Vorbehaltsbereich einräumen; Grenze sei die "Identität der Verfassungsordnung".

B. Grundrechtsschutz bei Sachverhalten mit Gemeinschaftsbezug

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kenne. 369 Begründet wird diese Ansicht damit, daß erst bei einer nationalen Grundrechtsprüfung eine echte Kooperation bestünde, da der EuGH dann auf die entsprechende Grundrechtsauslegung Rücksicht nelunen könne. Dies sei auch wegen der Herleitung der europäischen Grundrechte aus den "gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten" wünschenswert. 370 Die gerichtliche Prüfungskompetenz leite sich auch aus dem Umstand ab, daß die bisherige Rechtsprechung des BVerfG im Grunde auf der Kollisionsregel zum Vorrang des Gemeinschaftsrechts beruhe, diese Regel aber nicht eine regelmäßige (Vor-) Prüfung durch nationale Gerichte ausschließe. 371 Eine solche Ansicht geht damit über die Formulierung des Maastricht-Urteils hinaus, da ein Kooperationsmodell nicht nur zwischen dem BVerfG und dem EuGH besteht, sondern auch die nationalen Untergerichte einbezieht.372 Im Ergebnis würde dies aber bedeuten, daß den Gerichten eine doppelte Grundrechtsprüfung obliegen würde: Eine Maßnalune müßte sowohl anband der nationalen Grundrechte als auch anband der Gemeinschaftsgrundrechte geprüft werden. Letzteres folgt nämlich regelmäßig daraus, daß die nationalen Gerichte Gemeinschaftsrecht zu beachten und anzuwenden haben. Man könnte gleichwohl geneigt sein, die Forderung nach einer untergerichtlichen nationalen Grundrechtsprüfung als selbstverständlich anzusehen. Diese Ansicht stützt sich auf verfassungsprozessuale Gründe, wonach das BVerfG erwartet, daß der Beschwerdefiihrer einer Verfassungsbeschwerde schon im ordentlichen Gerichtsverfahren die Verletzung von (nationalen) Grundrechten behauptet hat. 373 Würde der Betroffene also schon im Rahmen des normalen Rechtsweges eine Grundrechtsverletzung nicht geltend machen, müßte das BVerfG aus prozessualen Gründen gehindert sein, über die Beschwerde zu entscheiden. Dann allerdings könnte das Kooperationsverhältnis auch nicht zum Tragen kommen, da es ja schon an der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde und somit an einer Sachentscheidungsvoraussetzung für die Frage der eigentlichen Grundrechtsverletzung fehlen würde. Dennoch reicht dieses prozessuale Argument zur Widerlegung einer untergerichtlichen Prüfungspflicht nicht aus. Zum einen wird hier ausschließlich auf eine Zulässigkeitsvoraussetzung zur Verfassungsbeschwerde Bezug ge369 Gersdorf, DVBI. 1994, 674 I 680; vgl. auch die Darstellung bei Hirsch, NJW 1996, 2457 / 2461 f. 370 Gersdorf, DVBI. 1994, 674 / 681 f. 371 Gersdorf, DVBI. 1994, 674 / 680; die letzte Konsequenz wird bei Frenz, DÖV 1995, 414 ff. angedeutet, der die Verfassungsbeschwerde über Art. 19 Abs. 4 GG zur Durchsetzung von Gemeinschaftsgrundrechten heranziehen will; ein zugunsten des BVerfG sehr extensives Kooperationsverhältnis. 372 Differenzierend zwischen der Prüfungs- und Verwerfungskompetenz von Fachgerichten, Hirsch, NJW 1996, 2457 / 2461 m.w.N. 373 Schlaich, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 249; BVerfGE 68, 384 / 389.

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2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

nmrunen und zum Beispiel die Frage nach der Möglichkeit eines konkreten Normenkontrollverfahrens nicht berührt. 374 Zum anderen ist es durchaus ein Unterschied, ob ein Gericht stets verpflichtet ist, Gemeinschaftsakte anband von nationalen Grundrechten zu überprüfen oder es aber möglicherweise eine solche Prüfung unter Hinweis auf deren Unzulässigkeil abweist. Dieser Gedanke ergibt sich aus der Eigenständigkeil der Gemeinschaftsordnung, und selbst das BVerfG nimmt ja fiir sich nur eine entsprechende Prüfung hinsichtlich des "Wesensgehaltes" in Anspruch. Die genannte Ansicht ist aber deswegen unpraktikabel, da eine generelle Prüfung nationaler Grundrechte durch ein einfaches Gericht nur hinsichtlich des Wesensgehaltes erfolgen kann. Das Gericht kann sich insoweit keine weitergehende Prüfungskompetenz als das BVerfG zubilligen. Dieser Wesensgehalt wird aber nur in den seltensten Fällen überhaupt relevant werden. Hingegen besteht eine allgemeine Prüfungspflicht der nationalen Gerichte anhand der Gemeinschaftsgrundrechte, da diese integraler Bestandteil des Gemeinschaftsrechtes sind. 375 Der Begriff des "Kooperationsverhältnis" spielt insoweit jedoch gerade keine Rolle, da es dabei nur um die Überprüfung von Gemeinschaftsakten anhand gemeinschaftlicher Grundrechte geht.

II. Änderung der Eurocontrol-Rechtsprechung, BVerfGE 58, 1 1. Ausgangspunkt

In der Eurocontrol-Entscheidung hatte das BVerfG eine Verfassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung der zwischenstaatlichen Eurocontrol-Organisation zur Leitung und Sicherung des Luftverkehrs in Europa als unzulässig abgewiesen376 • Nunmehr sieht sich das BVerfG in ausdrücklicher Abkehr von dieser Entscheidung dazu berufen, unmittelbar deutsche Grundrechte nicht nur gegenüber der deutschen öffentlichen Gewalt, sondern in Deutschland selbst zu schützen.377 Zweifelhaft ist, ob unter diesem Gesichtspunkt das Ko374 Die Frage nach der Verfassungswidrigkeit einer Norm wird zwar regelmäßig auch erst durch ein Parteivorbringen relevant werden; dieses ist aber nicht Voraussetzung, z.B. wenn der Richterex officio ein Normenkontrollverfahren nach Art. 100 I GG einleitet. 375 S. aber eingeschränkt Nettes he im, NJW 1995, 2083 I 2085, der Gemeinschaftsgrundrechte nur da anwenden will, wo nationale Organe wie z.B. im Agrarsektor gebunden seien; dieser Ansatz ähnelt insoweit der oben schon diskutierten Inkorporation; Weiler I Lockhart, CMLRev. 1995, 51/79 weisen für diesen Fall aber darauf hin, daß dann eine doppelte Prüfung anhand nationaler und Gemeinschaftsgrundrechte erfolgen müßte (und mithin nicht nur anhand von Gemeinschaftsgrundrechten). 376 BVerfGE 58, I 126. 377 BVerfGE 89, 1551174 f.; Horn, DVBI. 1995, 89 I 92 weist darauf hin, daß das

B. Grundrechtsschutz bei Sachverhalten mit Gemeinschaftsbezug

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Operationsverhältnis stärker in Richtung einer Kontrolle durch das BVertG ausgestaltet werden soll. 378 Aus dem Urteilszusammenhang kann dies vordergründig nicht angenommen werden, da materiell die Kongruenz des Prüfungsumfanges mit Solange II besteht. Auch die Intentionen des Berichterstatters Kirchhof, der den Begriff des Kooperationsverhältnisses entwickelte379, deuten nicht auf eine stärkere Renationalisierung hin. Ausgehend von der Solange li-Rechtsprechung sollten nur Fälle erfaßt werden, wo prozessual ein Grundrechtsschutz vor dem EuGH nicht erreicht werden könnte wie zum Beispiel bei fehlender Individualität einer Entscheidung beziehungsweise Verordnung (s. Art. 173 Abs. 4 EGV) oder bei einem in einer primär wirtschaftlich ausgerichteten Gemeinschaft fehlenden Grundrecht. 380 2. Bewertung der Rechtsprechung

Eine andere Interpretation dieser Urteilspassage als die Orientierung an dem materiellen Prüfungsmaßstab von Solange II ist auch nicht akzeptabel. 381 Die im Eurocontrol-Urteil tragende Begründung der Integrationsoffenheit des Grundgesetzes (Art. 24)382 ist durch Art. 23 noch bekräftigt worden. 383 In der Präambel findet sich ebenfalls das Ziel eines "vereinten Europas". 384 Interessanterweise nimmt das BVerfG nun aber gerade die Integrationsoffenheit in Verbindung mit dem Gleichheitssatz dazu, auf die möglichen GrundrechtseinBVerfG damit seine Kontrollbefugnis unmittelbar und nicht mehr über die Vermittlung des deutschen Zustimmungsgesetzes begründet hat. m Diese Befurchtung äußernd König, ZaÖRV 1994, 17 / 24 f.; s.a. Tomuschat, EuGRZ 1993, 489 I 490; sehr kritisch Frowein, ZaöRV 1994, I I 4 f.; Bleckmann I Pieper, RIW 1994, 369 I 372; Schwarze, NJ 1994, I I 3. 379 Kirchhof, JZ 1989, 453/454; ders., in: Merten (Hrsg.), a.a.O., S. 1091115, ders., EuR Beih. I I 9!, II I 22; s. aber auch Streinz , Bundesverfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz, S. 304 f. 38° Kirchhof, EuR Beih. 1191, II / 24; ders., in: Merten (Hrsg.), a.a.O., S. 109 11 18; ders., in: Hommelhoff/Kirchhof (Hrsg.), Der Staatenverbund der Europäischen Union, 1994, S. 11 / 21; zu ersterem Steindorff, EWS 1993, 341 / 342; zu letzterem Scholz, NJW 1990,9411944.

3 ~ 1 E. Klein, GS Grabitz, S. 271 I 278 meint hingegen, daß eine konzeptionelle Umkehrung der Solange /l-Rechtsprechung vorliege, da nunmehr von einer unmittelbaren Maßstabsfunktion der nationalen Grundrechte fur das sekundäre Gemeinschaftsrecht ausgegangen werde. 382 BVerfGE 58, I / 28, 41; s.a. dazu grundlegend Vogel, Die Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes fur eine internationale Zusammenarbeit, 1964.

383 Dem überwältigenden Votum von Bundestages und Bundesrates kann eine zumindest noch verstärkende moralische Legitimation entnommen werden; Horn , DVB!. 1995, 89 I 92 f. vermißt insoweit eine ausfuhrliehe Begründung fur die Rechtsprechungsänderung. 384 Vgl. auch E. Klein, VVDStRL 50 (1991), 56 / 59; Herdegen, CMLRev. 1995, 1369 / 1383 nimmt insoweit sogar an, daß ein Ausgleich zwischen einem verminderten Grundrechtstandard durch eine weitere Integration oder andere äußeren Interessen möglich ist.

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2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

griffe europäischer Organe hinzuweisen und somit die Notwendigkeit eines Abweichens von der Eurocontrol-Entscheidung zu begründen. Diese vom BVerfG eingeschlagene Richtung ist äußerst problematisch. Bleckmann I Pieper sprechen anschaulich von der "Weltgeltung der Grundrechte", wonach das BVerfG Grundrechte vor jeder möglichen Beeinträchtigung durch eine nicht deutsche Hoheitsgewalt schützen müsse, solange diese nur in Deutschland wirksam Akte setzen würde. 385 Tietje verdeutlicht darüber hinaus, daß nunmehr Verfassungsbeschwerden unmittelbar gegen Gemeinschaftsakte möglich wären und die somit vom EuGH und im übrigen auch vom BVerfG favorisierte Trennung der Rechtsordnungen unterlaufen würde. 386 In der Eurocontrol-Entscheidung hatte das BVerfG seine Ansicht mit der Funktionsfahigkeit der internationalen Organisation begründet, die durch unterschiedliche Rechtsgeltung beeinträchtigt würde. 387 Gerade bei der EG wäre eine Beeinträchtigung der Funktionsfahigkeit wegen der umfassenderen Kompetenzbereiche umso eher zu befürchten, wenn die nationalen Gerichte nicht mehr die Suprematie des Gemeinschaftsrechts akzeptieren würden. In bezug auf einen gleichförmigen Rechtsschutz hatte das BVerfG in einer früheren Entscheidung den gleichen Gedanken eindeutig zum Ausdruck gebrache88 : "Die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts würde auch durch ein noch so dringendes rechtspolitisches Bedürfnis nicht erweitert werden können; ( ... ). Namentlich ginge es nicht an, das Rechtsschutzsystem der EWG, weil ihm bestimmte prozessuale Institute des deutschen Rechts fehlen, als unzulänglich anzusehen und es deshalb auf dem Weg über die deutsche Gerichtsbarkeit zu ergänzen oder zu verbessern. Das würde zu einer Verwischung der Grenzen zwischen nationaler und supranationaler Gerichtsbarkeit und zu ungleichmäßigem Rechtsschutz in den Mitgliedstaaten führen."

JHs Bleckmann/Pieper, RIW 1993, 969 / 972; zu Recht weist E. Klein, GS Grabitz, S. 271 / 279 darauf hin, daß dies auch gegenüber Rechtsakten anderer Staaten gelten müßte, was aber mit dem Prinzip der Souveränität der Staaten und der Staatenimmunität nicht vereinbar wäre. 3H6 Tzetje, JuS 1994, 197/199 f.; vgl. in diesem Zusammenhang, Frenz, DÖV 1995, 414 ff., der die Verfassungsbeschwerde gemeinschaftsrechtlich aus den Individualrechten und Art. 6 EGV, national aus Art. 19 Abs. 4 GG ableitet; das BVerfG hatte in einer früheren Entscheidung bzgl. der Trennung der Rechtsordnung jedoch klargestellt, daß "fiir die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts nach § 90 ( ... ) allein die formale Qualifikation des Organs entscheidend [sei], das den angegriffenen Akt erlassen hat." Weiter heißt es: "Wollte man jede Art von supranationaler oder internationaler öffentlicher Gewalt, die auf dem Wege über Art. 24 Abs. I GG konstituiert worden ist, wegen dieser Mitwirkung als deutsche öffentliche Gewalt ansehen, so würde der fiir die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts nach der ständigen Rechtsprechung entscheidende Unterschied zwischen ,deutscher' und ,nicht-deutscher' öffentlicher Gewalt wieder verloren gehen" (BVerfGE 22, 293 / 297). JH? BVerfGE 58, 1/27. JHH BVerfGE 22, 293/298.

B. Grundrechtsschutz bei Sachverhalten mit Gemeinschaftsbezug

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Abgesehen von diesen Erwägungen, denen das Gericht offensichtlich nicht mehr ganz zu folgen bereit ist, greift jedoch auch der Hinweis des BVerfG auf den Gleichheitssatz zu kurz. Der Gleichheitssatz gebietet, "weder wesentlich Gleiches willkürlich ungleich, noch wesentlich Ungleiches willkürlich gleich zu behandeln".389 In einer neueren Formulierung hat das BVerfG eine Verletzung des Gleichheitssatzes dann angenommen, wenn bei einer Ungleichbehandlung "keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können."390 Vorliegend nimmt das BVerfG eine formale Gleichbehandlung aller in der Bundesrepublik lebender Rechtssubjekte vor. Es übersieht aber dabei, daß es wesentliche Unterschiede dann gibt, wenn ein Gemeinschaftsbezug vorliegt. Der vom Rechtskreis der Gemeinschaft Betroffene unterliegt nicht nur anderen Rechtsregeln, sondern wird von einer eigenständigen Rechtsordnung mit einem eigenen Rechtsschutzsystem erfaßt. Dies ist ein qualitativer Unterschied, der eine "wesentlich" ungleiche Situation darstellt. Ein sachlich gerechtfertigter Grund fiir eine Gleichbehandlung durch das BVerfG ist nicht zu erkennen, da - wie das Gericht ja selbst festgestellt hat - "im Hoheitsbereich der Europäischen Gemeinschaften ein Maß an Grundrechtsschutz erwachsen [ist], der nach Konzeption, In~halt und Wirkungsweise dem Grundrechtsstandard des Grundgesetzes im wesentlichen gleichzuachten ist." 391 Die formale Gleichbehandlung durch unterschiedslose Ausdehnung der bundesverfassungsgerichtliehen Prüfungskompetenz kann auch deswegen nicht richtig sein, wenn man bedenkt, daß in reinen Inländersituationen der EuGH ebenfalls nicht zuständig ist. Ein Vergleich mit Art. 46 EMRK verdeutlicht auch in Hinblick auf die Internationalisierung der Verfassung die Unhaltbarkeit der bundesverfassungsgerichtliehen Rechtsprechung. Nach Art. 46 EMRK verpflichten sich die Vertragsparteien, ein endgültiges Urteil des EGMR zu befolgen und eine Überwachung durch das Ministerkommittee zu gestatten. Dabei kann der EGMR erst nach Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges tätig werden, Art. 26 EMRK, was grundsätzlich auch ein Verfahren vor dem Verfassungsgericht (regelmäßig die Verfassungsbeschwerde) einschließt. 392 Obwohl es sich um einen innerstaatlichen Rechtsakt handelt, hat somit der Straßburger Gerichtshof das Letztentscheidungsrecht Für das BVerfG mag dieser Umstand hinzunehmen sein, da der EGMR nur gegen das nationale Verfassungsgericht entscheidet, wenn er die Grundrechte des einzelnen stärker betont. 393 BVerfGE 78, 104/ 121. BVerfGE 82, 60/86; zum ganzen s.a. von Münch / Kunig-Gube/t, GG-Kommentar, Bd. I, Art. 3 Rn. II ff. 391 BVerfGE 73, 339/371; so auch Kirchhof, in: Merten, a.a.O., S. 109/115. 392 Frowein / Peukert-Peukert, EMRK-Kommentar, Art. 26 Rn. 28. 393 Dies gilt jedenfalls im Verhältnis Staat- Bürger, da nur der einzelne Verletzungen der 389

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2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

Das Prinzip des Vorrangs des internationalen Gerichts muß aber grundsätzlich gelten, und dies umso mehr, als der EuGH ja die Gemeinschaftsgrundrechte auch aus der EMRK ableitet. Die Art. 46 EMRK vergleichbare Regelung findet sich in Art. 171 EGV. Nicht ersichtlich ist, wieso der EuGH in seiner eigenen Rechtsmaterie nun nicht mehr die Letztentscheidungskompetenz haben soll, wenn es sich - zumindest grundsätzlich - noch nicht einmal um nationale Rechtsakte (im Bereich der Grundrechtsprüfung) handelt. 394 Die Einwirkung auf die nationale Rechtsordnung ist sogar geringer. Soweit das BVerfG damit eine Bindungswirkung einer EuGH-Entscheidung entgegen dem Vertrag verneint, kann es dies nur mit einem nicht mehr vom Zustimmungsgesetz gedeckten Handeln eines EG-Organs (hier: dem EuGH) begründen. Darauf ist im nächsten Kapitel näher einzugehen.

111. Möglichkeit des bundesverfassungsgerichtliehen Grundrechtsschutzes bei nicht mehr vom Zustimmungsgesetz gedeckten Gemeinschaftshandeln Das BVerfG hat in der Maastricht-Entscheidung folgende Auffassung zum Ausdruck gebrache 95 : "Würden etwa europäische Einrichtungen oder Organe den Unions-Vertrag in einer Weise handhaben oder fortbilden, die von dem Vertrag, wie er dem deutschen Zustimmungsgesetz zugrundeliegt, nicht mehr gedeckt wäre, so wären die daraus hervorgehenden Rechtsakte im deutschen Hoheitsbereich nicht mehr verbindlich. Die deutschen Staatsorgane wären aus verfassungsrechtlichen Gründen gehindert, diese Rechtsakte in Deutschland anzuwenden."

Das BVerfG ordnet diese Aussage ebenfalls in den Rahmen des "Kooperationsverhältnisses" ein, obwohl die Formulierung eher auf Konfrontation angelegt zu sein scheint. 396 Verfassungsrechtlich gesehen stellt Art. 24 bzw. Art. 23 GG eine absolute Grenze dar, die auch das Zustimmungsgesetz nicht durchbrechen kann. Das Zustimmungsgesetz zu einem völkerrechtlichen Vertrag vermag eine innerEMRK vor dem EGMR geltend macht. Im Verhältnis zweier Privater zueinander kann es hingegen nur zu unterschiedlichen Abwägungen von Grundrechtspositionen (im Vergleich BVerfD und EGMR) kommen, ohne daß dann von einem "stärkeren" Grundrechtsschutz gesprochen werden könnte. I.E. ebenso Zuleeg, NJW 1997, 1201 I 1202. BVerfDE 89, 155 I 188, 209; Anschluß an BVerfGE 73, 339 I 372; s.a. Streinz, Bundesverfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz, S. 154 ff., 250 ff. 396 S.a. E. Klein, in: Hummer (Hrsg.), Die Europäische Union und Österreich, 1994, S. 1531157; Hirsch, NJW 1996,2457 ff.; Zuleeg, NJW 1997, 120111206. 394 395

B. Grundrechtsschutz bei Sachverhalten mit Gemeinschaftsbezug

217

staatliche Bindungswirkung nur solange begründen, wie einerseits der internationale Vertrag bzw. dessen Handhabung durch die internationalen Organe mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Andererseits müssen sich auch die nationalen Organe im Rahmen der innerstaatlichen Verfassungsgrenzen halten.397 Da das Zustimmungsgesetz regelmäßig kaum eigenständige Aussagen trifft, wird die Vereinbarkeit des internationalen Vertrages mit dem Grundgesetz geprüft. 398 Problematisch ist, daß vorliegend einerseits der Prüfungsgegenstand noch nicht klar definiert ist. Dies folgt aus der dynamischen Auslegung des Gemeinschaftsvertrages. Dabei liegt diese Erkenntnis auch der vom BVerfG gewählten Trennung von zulässiger Auslegung der Befugnisnorm und unzulässiger Vertragserweiterung399 zugrunde. Andererseits muß auch der grundgesetzliche Prüfungsmaßstab erst noch bestimmt werden. 400 1. Der EGV I EUV als Prüfungsgegenstand

Für die Bestimmung des Prüfungsgegenstandes kommt es dem BVerfG auf das "im wesentlichen bestimmte Integrationsprogramm" an. 401 Angesichts der dynamischen Zielformulierung des Gemeinschafts- und Unionsvertrages bereitet diese Abgrenzungsformel Schwierigkeiten.402 Erst durch die Auslegung durch den EuGH gemäß seiner Befugnis aus Art. 164, 171, 176 EGV wird das Integrationsprogramm konkretisiert. 403 Insoweit besteht die Gefahr eines Zirkelschlusses, da es um die Grenzziehung für die Befugnisauslegung durch den EuGH geht, dieser aber eigenständig die Grenzen festlegt. Dabei sind selbst mögliche Fehlurteile hinzunehmen, obgleich diese im Grunde Kompetenzüberschreitungen sind.404

397 Ersteres ist für die Handhabung des EGV durch die Gemeinschaftsorgane relevant, letzteres z.B. in dem Verfahren zu dem Blauhelmeinsätzen von Bedeutung gewesen. 398 Streinz, Bundesverfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz, S. 154. 399 BVerfGE 89, 1551210. 400 S.a. Mosler in: Isensee I Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts VII, § 175 Rn. 60. 401 Vgl. BVerfGE 89, 1551189 f., 192 f.; s.a. E 75, 223 1240; 68, I 198 f.; 58, I 137. 402 S.a. Kirchhof, EuR Beih. 1191, S. 11116; Everling, EuR 1987, 2141219; Schockweiler, EuR 1995, 191 I 194 weist gerade auf den Unterschied zwischen dem nationalen konsolidierten Rechtsraum und dem neuen Rechtsgebilde der EG hin; insoweit müssen dem EuGH auch implizite Rechtssetzungskompetenzen zustehen. Gleichzeitig stößt es auf praktische Schwierigkeiten, zwischen einer Auslegung, die sich noch im Rahmen des Vertrages hält und einer, die diesen Rahmen sprengt, zu unterscheiden, E. Klein, GS Grabitz, S. 271 I 286. 403 S.a. BVerfGE 92, 203 I 235, 239. 404 E. Klein, VVDStRL 50 (1991) 56 166 f.; ders., in: Hummer (Hrsg.), Die Europäische Union und Österreich, S. 153 I 157; s.a. Kirchhof, EuR Beih. 1 191 S. 11 I 18; unter Hinweis auf Art. 23, 24 GG überzeugend Hirsch, NJW 1996, 2457 12463 f.

218

2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

Das BVerfG bemüht sich, solche Kompetenzüberschreitungen zu sanktionieren, wenn es auf die fehlende Zustimmung des nationalen Gesetzgebers verweist. 405 Damit ersetzt das BVerfG über die Kontrolle des Zustimmungsgesetzes in Ausnahmefällen die Rechtsauslegung durch den EuGH. Dies ist im Rahmen der Tätigkeit des EuGH mit den europarechtlichen Grundsätzen von dem Vorrang und der Einheitlichkeit des Europarechtes nicht zu vereinbaren.406 Auch das Gebot der Gemeinschaftstreue (Art. 5 EGV), das auch für das BVerfG gilt, würde ebenfalls mißachtet werden. 407 Im übrigen ist zu bedenken, daß sich das mitgliedstaatliche Zustimmungsgesetz ebenfalls auf Art. 164 EGV erstreckt und demnach der EuGH notwendig auch im Wege der Auslegung die Grenzen des Gemeinschaftsrechts feststellt. 408 Eine theoretisch und praktisch eindeutige Abgrenzung des im wesentlichen vorhersehbaren Integrationsprogrammes erscheint insgesamt nicht möglich, so daß allein der Prüfungsgegenstand vage bleiben muß. 2. Der grundgesetzliche Prüfungsmaßstab

Für den grundgesetzliehen Prüfungsmaßstab scheint dem BVerfG die im Solange li-Beschluß bezeichnete "Identität der Verfassungsordnung" vorzuschweben, die einen unabdingbaren Mindestgrundrechtsschutz beinhalte.409 In diesem Zusammenhang hat das BVerfG auch auf das staatsbürgerliche 405 Das BVerfG knüpft insoweit an den Zeitpunkt vor der Befugnisausübung an, s. aber auch E. Klein, in: Hummer (Hrsg.), Die Europäische Union und Österreich, S. I53!157, der beim BVerfG-Urteil von der Prüfungs- und Letztentscheidungskompetenz des BVerfG im Rahmen des geltenden Gemeinschaftsrechts ausgeht und dies somit auf den Moment nach der Kompetenzwahrnehmung erstreckt. 406 So auch E. Klein, in: Hummer (Hrsg.), Die Europäische Union und Österreich, S. I531 I57; schon vor dem Moastricht-Urteil ders., in: VVDStRL 50 (I99I), S. 56 168 f.; allerdings hat Kirchhof, in: Merten (Hrsg.), a.a.O., S. I09 I 112, den Vorrang des Gemeinschaftsrechtes allein aus dem innerstaatlichen Rechtsanwendungsbefehl gemäß Art. 24 Abs. I, 59 Abs. 2 S. I GG abgeleitet (vgl. auch BVerfGE 75, 2231244). Dann könnte das BVerfG auch die Grenzen des Vorrangprinzips prüfen, da dieses letztlich innerstaatlich begründet ist. Diese Ansicht ist mit EuGH Rs. 6164, Slg. 1964, 1251 I 1270. - Costa/ ENEL nicht konform, der den Gemeinschaftsvorrang aus dem Vertrag selbst abgeleitet hat. s. a. fiir die gemeinschaftsimmanente Begründung des Vorrangs schon Ipsen, 45. DJT, Bd. II, L, S. I I I 5 f., I 965; s. auch die scharfe Kritik von Hirsch, NJW I 996, 2457 I 2463 wegen der Notwendigkeit der Bewahrung der Rechtseinheit 407 Es ist nur konsequent, daß das BVerfG hingegen auf das aus der Gemeinschaftstreue folgende Gebot wechselseitiger Rücksichtnahme abstellt, wenn eine Mehrheitsentscheidung gegen das Verfassungsprinzip der Bundesstaatlichkeil verstoßen würde (BVerfGE 92, 203 I 237). Diese Aussage kÖnnte auch dann gelten, wenn entsprechend ein Verstoß gegen grundrechtliche Wesensgehalte in Frage stünde. 408

E. Klein, GS Grabitz, S. 27I /281.

BVerfGE 73, 339 I 369; s.a. Mosler, in: Isensee I Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts VII, § I 75 Rn. 65 ff. 409

B. Grundrechtsschutz bei Sachverhalten mit Gemeinschaftsbezug

219

Grundrecht der demokratischen Teilhabe aus Art. 38 GG abgestellt. 4 10 Demnach dürfe eine Befugnisauslegung nicht soweit gehen, daß das Wahlrecht, das eine politische Teilhabe und Einflußnahme des einzelnen sichert, entwertet oder ausgehöhlt werde. Das BVerfG hat damit die Grenze aus Art. 23 Abs. l in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG näher konkretisiert. Das vom BVerfG genannte Staatsbürgergrundrecht ist Teil des Demokratieprinzips im Sinne von Art. 79 Abs. 3, Art. 20 Abs. l GG. Insoweit erweitert das Verfassungsgericht die in Art. 23 Abs. l S. 3 GG genannte explizite Grenze411 um eine implizite Schranke, die für die Vertragsauslegung gilt. 412 Diese verfassungsrechtliche Grenze aus Art. 23 Abs. l S. 3 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG ist allerdings nicht widerspruchsfrei. Aus Art. 23 Abs. l S. l GG i.V.m. Art. F Abs. I EUV folgt schon, daß die Union einerseits demokratisch sein soll, andererseits aber auch die Feststellung, daß sie zumindest über ihre Mitglieder demokratisch ist. 413 Dies ergibt sich auch aus der verfassungsgemäßen Zustimmung. Insoweit könnte eine Verletzung des Demokratieprinzips nicht möglich sein, da sich zumindest die so über die Mitgliedstaaten vermittelte Legitimation nicht mehr ändert. Aufgrund des dynamischen Charakters des Gemeinschaftsrechts als Ganzem (also unter Einschluß der gemeinschaftsimmanenten Weiterentwicklung) sieht dies das BVerfG nunmehr anders. Diesem Denkansatz des BVerfG ist zwar grundsätzlich zu folgen; problematisch ist jedoch, daß das BVerfG bezüglich der Wirksamkeit jedes Gemeinschaftsaktes angerufen werden kann. 414 Die für Grundrechte entworfene Konzeption findet insoweit eine staatsorganisationsrechtliche Parallele (auch 410 BVerfGE 89, 155 1 187; s.a. Streinz, EuZW 1994, 329 1331 , Bleckmann / Pieper, RIW 1993,969 1974. 411

S. dazu Nettesheim, NJW 1995, 2083 I 2084.

412

Vgl. auch BVerfGE 89, 155 1210.

413 S. zur Diskussion über demokratischen Legitimation der Gemeinschaft, Boyce, The Democratic Deficit of the European Community, Parliamentary Affairs 1993, 458 ff. ; C/assen, Europäische Integration und demokratische Legitimation, AöR 1994, 238 ff.; Lodge, Transparency and Democratic Legitimacy, JCMS 1994, 343 ff.; Pernice, Maastricht, Staat und Demokratie, Die Verwaltung 1993, 449 ff.; Raworth, A Timid Step Forwards: Maastricht and the Democratisation of the European Community, ELR 1994, 16 ff.; Zuleeg, Demokratie in der Europäischen Gemeinschaft, JZ 1993, I 069 ff. 414 S. nur die verfehlten Schlußfolgerungen bei Zuck / Lenz, NJW 1997, 1193 I 1195, 1197, die die Entscheidungen der EG-Gerichte in Direktklageverfahren gegen Rechtshandlungen der EG-Organe als der Kontrolle des BVerfG unterliegend ansehen; zudem sehen sie eine zumindest eingeschränkte Bindung der EG und deren Gerichte an deutsche Grundrechte über Art. 23 GG. Eine solche Auffassung führt i.E. zu einer Aushöhlung der Gemeinschaftskompetenz und leugnet die Selbständigkeit des Gemeinschaftsrechts gegenüber dem nationalen Recht.

220

2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

wenn Anknüpfungspunkt Art. 38 GG ist). Dort füllt das BVerfG sogar eine Lücke, die bzgl. Art.F Abs. 1 EUV wegen Art. L EUV geschlagen wurde. 3. Auswirkungen dieser Konzeption auf den bundesverfassungsgerichtliehen Grundrechtsschutz Eine Überprüfung von Gemeinschaftsakten kommt demzufolge in Betracht, wenn eine Überschreitung der für das Zustimmungsgesetz relevanten Grenze von Art. 23 Abs. I S. 3, Art. 79 Abs. 3 GG möglich erscheint. 415 Art. 79 Abs. 3 GG verweist dabei auf die Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG. Dieser Überprüfungsrahmen geht grundsätzlich nicht über die Wesensgehaltsgarantie hinaus, die das BVerfG schon nach der Solange IIRechtsprechung und dem Maastricht-Vrteil sichern wil1.416 Insoweit ist nur der andere Ansatzpunkt erwähnenswert.

IV. Zusammenfassendes Ergebnis Das vom BVerfG formulierte "Kooperationsverhältnis" bedeutet grundsätzlich keine Abweichung von der bishe~igen Solange II-Rechtsprechung. Eine allgemeine Überprüfungspflicht von Sekundärrecht durch einfache Gerichte anband nationaler Grundrechte besteht nicht. Die Abweichung vom Eurocontrol-Beschluß hat für die Rechtsprechung des BVerfG keine materiellen Auswirkungen. Sie drückt aber ein nicht nachvollziehbares Mißtrauen gegenüber dem EuGH aus. Eine Überschreitung der Zustimmungsgrenze des Art. 23 Abs. 1 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG durch die Rechtsprechung des EuGH löst in "kooperativer Weise" die Rechtsprechungstätigkeit des BVerfG aus.417 Vgl. Hirsch, NJW 1996,2457 / 2466. S.a. Huber, EuZW 1997,517/518 f. 417 Nicht gefolgt werden kann Horn, DVBI. 1995, 89/95, der eine Bindung der Gemeinschaftsgewalt wegen der Loyalitätspflicht gemäß Art. 5 EGV und Art. F Abs. 2 EUV zumindest bezüglich des unabdingbaren Grundrechtsstandards als gegeben ansieht. Die Loyalitätsverpflichtung trifft die Gemeinschaft dort, wo es sich um mitgliedstaatliche "Reservate" handelt, nicht jedoch in Bereichen, wo die Gemeinschaft zu Handlungen befugt ist. Dann muß die Gemeinschaft selbst und letztverbindlich entscheiden können, wann der unabdingbare Grundrechtsmaßstab gewährleistet ist. Die Diskussion krankt daran, daß stets davon ausgegangen wird, daß es einen objektiven, unveräußerlichen Grundrechtsgehalt gibt, der auch erkennbar ist. Wenn es diesen tatsächlich gäbe, wäre es eine sehr mißtrauische Unterstellung, daß die aus liberalen Rechtstraditionen herstammenden EuGHRichter diesen nicht erkennen (wollten). Allerdings kann im übrigen auch an der Möglichkeit eines absoluten Grundrechtsgehalt aus guten Gründen gezweifelt werden. Letzten Endes geht die Diskussion im Grunde genommen um die rechtspolitische Frage, wem das Letztentscheidungsrecht im Gemeinschaftsbereich zukommt. Unter diesem Gesichtspunkt muß dem EuGH aus den genannten Gründen dieses Recht zugestanden werden. 415

41 6

C. Grundrechtsprobleme bei Umsetzung transeuropäischer Verkehrsnetze

221

Eigenständige Bedeutung hat dies für Staatsbürgerrechte, die Mittler zu einem Staatsorganisationsprinzip wie zum Beispiel der Demokratie sein können. Allerdings muß diese Mittlerfunktion eingeschränkt gesehen werden. Sie kann nicht zu einer umfassenden Kontrolle der demokratischen Gemeinschaftslegitimation führen. Das BVerfG kann den demokratischen Ansatz nur soweit überprüfen, wie das vermittelnde Staatsbürgergrundrecht aus Art. 38 GG reicht. Auch hier gebührt aber dem EuGH gundsätzlich jedenfalls über Art. 177 EGV ein Vorrang. 418

C. Gemeinschaftliche und nationale Grundrechtsprobleme bei der Umsetzung transeuropäischer Verkehrsnetze I. Gemeinschaftsgrundrechtsschutz bei einer direkten gemeinschaftsrechtlichen Verkehrsprojektimplementierung nach Art. 75 Abs. 1 lit. d) EGV Erläßt die Gemeinschaft einen Umsetzungsakt auf Grundlage von Art. 75 Abs. I lit. d) EGV, können Grundrechtsprobleme in Hinblick auf den Landverbrauch, den Lärmschutz sowie Fragen des Rechtsschutzes im Verwaltungsverfahren und vor Gericht entstehen. Rechtmäßigkeitsmaßstab sind für ein Gemeinschaftshandeln grundsätzlich die Gemeinschaftsgrundrechte. Dies betrifft insbesondere das gemeinschaftliche Eigentumsgrundrecht und das Grundrecht der Gesundheit. Darüberhinaus muß auf die Verfahrensrechte eingegangen werden. Für einen nationalen Grundrechtsschutz bleibt daneben regelmäßig kein Raum. Hier gelten die Grundsätze des Kooperationsverhältnis zwischen BVerfG und EuGH. 1. Das Eigentumsgrundrecht in der EG a) Art. 222 EGV als Hindernis für ein Gemeinschaftsgrundrecht?

Zwar hat der EuGH das Eigentumsgrundrecht spätestens419 seit dem Urteil

Hauer420 anerkannt, doch ist dies wegen Art. 222 EGV nicht unproblematisch m Vgl. Zuck / Lenz, NJW 1997, 119311199; Zuleeg, NJW 1997, 120111205; s.a. Horn, DVBI. 1995, 89 / 95: er sieht darin allein eine Verfahrenskornponente, ohne daß die Prüfungspflicht des BVerfG insoweit suspendiert würde. 419 Zu früheren Ansätzen s. Thie/, JuS 1991, 274 / 278; Streinz, Bundesverfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz, 1989, S. 406 f.; zum folgenden s.a. allgemein Schilling, EuZW 1991, 310 ff. 420 EuGH Rs. 44/79, Slg. 1979, 3727.

222

2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

(gewesen). Soweit dieser Norm eine absolute Geltung auch für den grundrechtlichen Individualschutz zu entnehmen wäre421 , müßte es der Gemeinschaft verwehrt sein, einen grundrechtliehen Eigentumsschutz anzuerkennen. Vielmehr wäre die Gemeinschaft an die nationalen Eigentumsgarantien gebunden. Die Auffassung E. Kleins, daß gerade die Anerkennung eines Eigentumsgrundrechts die Befugnis der Gemeinschaft zu Eingriffen in das Eigentum zeige422 , könnte damit ein Zirkelschluß sein. Allerdings spricht schon die Entstehungsgeschichte dagegen, daß Art. 222 EGV ein Hindernis für die Anerkennung einer subjektiv-rechtlichen Eigentumsgarantie ist. Vielmehr richtet sich diese Vorschrift gegen mögliche Einwirkungen der Gemeinschaft auf die unterschiedlichen Sozialisierungspolitiken der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Produktionsmittel.423 Semantisch und systematisch zeigt der Vergleich mit Art. 91 EAG, daß Eigentumsordnung nicht unbedingt dasselbe wie Eigentumsrecht ist, so daß auch in sprachlicher Hinsicht Art. 222 EGV ein individuelles Eigentumsgrundrecht nicht unbedingt ausschließt. 424 Zwar bedeuten die im EGV angelegten vereinzelten Eingriffsmöglichkeiten in das Eigentumsrecht425 nicht automatisch, daß Art. 222 EGV nicht das Individualrecht "Eigentum" dem Gemeinschaftsrecht entzieht, da es sich auch um Ausnahmebestimmungen handeln könnte. 426 Doch folgt aus dem zweideutigen Wortlaut des Art. 222 EGV in Verbindung mit dem allgemeinen Prinzip des EGV als eigenständiger Rechtsordnung, daß der EuGH im Zweifel eine Befugnis zur Entwicklung eines gemeinschaftlichen Eigentumsrechts besitzen muß. 427 Dies ergibt sich auch aus der zentralen Notwendigkeit eines einheitlichen grundrechtliehen Eigentumsschutzes in einer primär wirtschaftlich geprägten Gemeinschaft. 428 421

Vgl. Rupp, NJW 1976, 993 1994.

422

HandKommEUV I Klein, Art. 222 Rn. 6.

423 GTE-Hochbaum, Art. 222 Rn. I; Hummer I Schweitzer, Raumordnung, 1992, S. 30 I; Brandt, Eigentumsschutz, 1995, S. 159 f.; die Sensibilität des Eigentumsbereiches hatte sich auch schon bei der Ausarbeitung der EMRK bzw. des ersten Zusatzprotokolls gezeigt; s. Peukert, EuGRZ 1981, 97 I 98. 424 S.a. die Auslegung bei Thiel, JuS 1991, 274 ff.; von Milczewski, Der grundrechtliche Schutz des Eigentums im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1994, S. 23 ff. 425 Zu denken ist an Art. 36 EGV "gewerbliches und kommerzielles Eigentum", demzufolge notwendigerweise die EG in diese Rechte eingreifen kann; nach Grabitz I Hilf-Pernice, Art. 164 Rn. 54 ist die Nennung des Art. 36 ein ausdrücklicher Hinweis auf einen speziellen Eigentumsschutz; ein anderes Beispiel ist Art. 54 Abs. 3 lit. e) EGV. 426 Vgl. Burghardt, Die Eigentumsordnungen in den Mitgliedstaaten und der EWG-Vertrag, 1969, S. 23; Thiel, JuS 1991, 274 1275; a.A. von Milczewski, a.a.O., S. 29. 427 Vgl. auch Rengeling, Grundrechtsschutz, S. 41 f.; Hummeri Schweitzer, Raumordnung, S. 304: So wenig wie Art. 222 E(W)GV Ansatzpunkt für ein europäisches Grundrecht ist, so wenig kann dieses aber auch hindern, ein solches Grundrecht zu entwickeln.

m Säcker I Neumann, RIW 1985, 946 I 950; Streinz, Bundesverfassungsgerichtlicher

C. Grundrechtsprobleme bei Umsetzung transeuropäischer Verkehrsnetze

223

b) Schutzbereich des gemeinschaftlichen Eigentumsgrundrechts

Im Bereich der transeuropäischen Verkehrsnetze geht es insbesondere um den Grund und Boden. Der Schutz des Grundeigentums ist in den Mitgliedstaaten im Prinzip gewährleistet, so daß insoweit keine Schutzbereichsprobleme auftauchen. 429 Sonderfälle der Eigentumsgarantie, wie der Schutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes (z.B. bei Beeinträchtigung eines Tourismusgebietes durch eine zu schaffende Verkehrsverbindung mit Folgen ftir das Überleben von Hotel- und Gastronomiebetrieben), sollen wegen ihres singulären Charakters außer Betracht bleiben. 430 Ein Problem bei der gemeinschaftlichen Eigentumsgarantie bedeutet jedoch die Frage der Grundrechtsträgerschaft juristischer Personen des öffentlichen Rechts. So hat das BVerfG ausgedrückt, daß Art. 14 GG nicht das Privateigentum, sondern das Eigentum Privater schütze.431 Das BVerfG hat juristischen Personen des öffentlichen Rechts nur dann einen Grundrechtsschutz gewährt, sofern sie sich in einer "grundrechtstypischen Gefährdungslage" befinden oder ein "personales Substrat" erkennbar sei.432 Diese Abgrenzungsbemühungen sind zum Teil sehr gewunden. Das Problem liegt letztlich in dem Zusammenfallen von Grundrechtsverletzten und Grundrechtseingreifenden in dem Träger innerstaatlicher öffentlicher Hoheitsgewalt Da eine juristische Person des öffentlichen Rechts in die Grundrechtssphäre der Bürger eingreifen kann (und Grundrechte insoweit gerade Abwehrrechte sind), kommt es zu einer "Konfusion", wenn dieselbe Person Grundrechtsträger gegen diese hoheitliche Gewalt sein soll. Gemeinschaftsrechtlich sieht diese Ausgangskonstellation jedoch anders aus. Während innerstaatlich von derselben innerstaatlichen Hoheits- und Staatsgewalt ausgegangen wird, bedeutet ein grundrechtsrelevanter Gemeinschaftsakt einen Eingriff durch eine andere, supranationale und somit neue Hoheitsgewalt Insoweit fallen der gemeinschaftsrechtlich Grundrechtseingreifende und der national Grundrechts"beeinträchtigte" nicht zusammen. Demnach muß unter dem Gesichtspunkt der Konfusion auch eine Gemeinde - als Grundrechtsschutz, S. 405; Dolzer, Eigentum, Enteignung und Entschädigung im geltenden Völkerrecht, 1985, S. 99 spricht bei Art. 222 E(W)GV von einem "Fremdkörper" . 429

Zur EMRK s. Ge/insky, Schutz des Eigentums, S. 23 f.

Der Gewerbebetrieb ist ebenfalls vom gemeinschaftlichen Eigentumsbegriff umfaßt, Brandt, Eigentumsschutz, S. 190. 431 BVerfGE 61, 82/109, zust. von Münch/Kunig-Bryde, Art. 14 Rn. 8. 430

432 Zuletzt BVerfG NJW 1995, 582 I 583: "Die Einbeziehung juristischer Personen in den Schutzbereich materieller Grundrechte ist nur dann gerechtfertigt, wenn deren Bildung und Betätigung Ausdruck freier Entfaltung privater natürlicher Personen ist. Bei juristischen Personen ist dies der Fall, soweit sie von den ihnen durch die Rechtsordnung übertragenen Aufgaben her unmittelbar einem bestimmten grundrechtlich geschützten Lebensbereich zugeordnet sind." S. dazu Pieroth ! Schlink, Grundrechte, Rn. 153 ff.

224

2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

Teil der Binnenstaatsgewalt - stets gegenüber der Gemeinschaftsgewalt grundrechtsberechtigt sein. 433 Dem steht auch nicht die auf den Individualschutz gerichtete EMRK entgegen, wonach eine juristische Person des öffentlichen Rechts dann nicht Grundrechtsträger sein soll, wenn sie staatliche Hoheitsgewalt ausübt. 434 Dieses Erfordernis der Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt könnte bei einem wörtlichen Verständnis zu nicht nachvollziehbaren Unterscheidungen im Bereich des Eigentumschutzes am Grundeigentum fUhren. Beispielsweise müßte bei einem im Gemeindeeigentum befindlichen Erholungspark eine Grundrechtsträgerschaft angenommen werden, da insofern keine Ausübung hoheitlicher Gewalt vorläge; andererseits wäre aber ein Grundrechtsschutz dann zu versagen, wenn sich auf dem gleichen Gelände eine Gemeindebehörde befinden würde. Im Ergebnis wäre die gemeindliche Funktionsfahigkeit dann aber in diesem Bereich viel stärker beeinträchtigt und die Gemeinde somit auf einen noch größeren Schutz angewiesen. Gerade bei der Ausübung hoheitlicher Tätigkeiten müßte sie grundrechtsberechtigt sein. Nun mag der Begriff der Ausübung öffentlicher Gewalt nicht so eng zu verstehen sein, wie es in unserem Beispiel gewählt wurde. Doch auch von der Schutzrichtung der EMRK her gesehen muß es bei einer Grundrechtsträgerschaft der juristischen Person des öffentlichen Rechts bleiben. Die EMRK beabsichtigt zwar primär den Schutz der Individuen, doch steht dem ein darüber hinausgehender schützenswerter Personenkreis dem Sinn der Konvention nicht entgegen. Dies zeigt auch der Wortlaut des Art. 1 1. ZP EMRK, der ausdrücklich den Eigentumsschutz auf juristische Personen bezieht und insoweit keine Unterscheidung von juristischen Personen des öffentlichen und Privatrechtes vornimmt. Diese Auslegung der EMRK hat allerdings fiir das Gemeinschaftsrecht einen bloßen Hinweischarakter. 435 Jedoch folgt in Verbindung mit der Trennung der Gemeinschaftsrechtsordnung und der innerstaatlichen Hoheitsgewalt, daß es grundsätzlich gerechtfertigt ist, auch juristische Personen des öffentlichen Rechts in den Gemeinschaftsgrundrechtsschutz miteinzubeziehen. V gl. auch Tettinger, FS fiir Hörner, S. 625 I 638 f. So aber von Milczewski, a.a.O, S. 267 ff., die aber auch darauf hinweist, daß der französische Conseil Constitutionnel den Eigentumsschutz - entgegen der Auffassung des BVerfG - auch fiir das Eigentum des Staates gelten lassen will; soweit der EuGH also von den "gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen" der Mitgliedstaaten ausgeht, zeigen sich schon hier Divergenzen .. 433

434

435 Dieser Hinweischarakter ist bzgl. der EMRK besonders stark ausgeprägt, da das Eigentumsrecht ansonsten nur in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10.12. 1948 nicht jedoch in den UNO-Menschenrechtspakten von 1966 erwähnt wird; vgl. insgesamt grundsätzlich zu den Vorarbeiten zum Eigentumsschutz in internationalen Menschenrechtserklärungen und -Verträgen Dolzer, a.a.O., S. 76 ff., 94 ff.

C. Grundrechtsprobleme bei Umsetzung transeuropäischer Verkehrsnetze

225

c) Eingriff

Ein Eingriff in das gemeinschaftliche Eigentumsgrundrecht ist unmittelbar durch eine Enteignung denkbar, wenn beispielsweise für ein Verkehrsprojekt Bauland beschafft werden muß. 436 Auf der anderen Seite stehen Eingriffe unterhalb der formalen Enteignungsschwelle, die sich für einen Anlieger aus einer nicht unerheblichen Wertminderung seines Grundstückes durch Verkehrslärm oder ungünstige neue Grundstücksteilungen bzw. -ausgleichsmaßnahmen ergeben können (mittelbarer Grundrechtseingriff). Grundsätzlich hat der EuGH mittelbare Folgen nicht als Grundrechtsverletzung gewertet. 437 Gleichwohl muß auch ein mittelbarer Eingriff in das Eigentumsrecht ebenfalls Beachtung finden. 438 Dies ergibt sich aus der besonderen Situations- und Lagegebundenheit der Grundstücke. Wird ein Verkehrsprojekt realisiert, kann dies für den Anwohner gravierende Folgen haben. Es ist nicht nachvollziehbar, wieso der Enteignete besser stehen soll als der nur mittelbar Betroffene, dessen Interessen in ähnlich schwerer Art und Weise verletzt sein können. Die grundsätzliche Möglichkeit einer mittelbaren Betroffenheit gibt allerdings keine präjudizierenden Hinweise darauf, ob und wann die Einwirkungen materiell in eine Enteignung umschlagen könnten. Unter diesem Aspekt stellt sich die Frage, inwieweit auf einen formellen oder materiellen Enteignungsbegriff zurückzugreifen ist. Die Abgrenzung wurde in der Bundesrepublik im Rahmen von Art. 14 GG kontrovers diskutiert439 • Auf der anderen Seite spielte dieses Problem in der bisherigen Rechtsprechung des EuGH keine Rolle, obwohl auch Art. 1 I. ZP EMRK in Art. 1 Abs. 1 S. 2 ZP eine Eigentumsbeschränkung und in Art. 1 Abs. 2 ZP eine Eigentumsentziehung unterscheidet. 440 In der Entscheidung Hauer wurde dieses Problem vom Generalanwalt Capotorti angesprochen. Dabei hat er darauf hingewiesen, daß eine Enteignung jedenfalls endgültiger Natur sein muß. 441 Daneben solle es materiell auf den 436 Vgl. zu diesen Überlegungen in allgemeinerer Form auch Thie/, JuS 1991, 2741280; von Milczewski, a.a.O., S. 30, 286; Hummer/Schweitzer, Raumordnung, S. 307 und widersprüchlich dazu S. 337 (keine Kompetenz wegen Art. 222 E(W)GV). 437 EuGH Rs. 116 I 82, Slg. 1986, 2519 I 2545 Rn. 27 - Kommission I Deutschland, bzgl. der wirtschaftlichen und beruflichen Freiheit, vgl. Rengeling, a.a.O., S. 27, 43 f. 438

So auch generell Rengeling, a.a.O., S. 220.

Erst die Naßauskiesung-Entscheidung in BVertDE 58, 300 ließ den klassischen Enteignungsbegriff im Gegensatz zu materiellen Abgrenzungsversuchen des BGH wieder aufleben; demnach kommt es auf eine konkrete-individuelle Entziehung des Eigentums mit dem Ziel der Güterbeschaffung des Staates an. 439

440 Zur Bedeutung dieser Unterscheidung im Rahmen der EMRK wegen der nicht normierten Entschädigungspflicht Peukert, EuGRZ 1981, 97 I I 04. 441

EuGH Rs. 44/79, Slg. 1979, 372713761.

I S Jürgensen

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2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

Umfang des wirtschaftlichen Opfers ankommen, das dem Adressaten der Maßnahme auferlegt wird. 442 Je größer das Opfer, desto eher liege eine Enteignung vor. Frowein hat daraus geschlossen, daß der EuGH es wohl grundsätzlich nicht ablehnen würde, materiell erhebliche Nutzungsbeschränkungen als Enteignungen zu qualifizieren. 443 Interessant ist die Rechtsprechung des Straßburger EGMR, die Einfluß auf den gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtsstandard haben könnte.444 In seiner Rechtsprechung hat er einen de facto-Eingriff einer möglichen förmlichen Rechtsentziehung gleichgestellt, da er einen "praktischen und effektiven" Grundrechtsschutz zu gewährleisten habe. 445 Die Schwere des Eingriffs sei anband einer Gesamtabwägung hinsichtlich der Verfügungsmöglichkeit und des Wertes festzustellen. 446 Im Urteil Sporrong ging es insoweit auch um Planungsentscheidungen im weitesten Sinne, die eine de facto-Enteignung darstellen könnten. 447 Es ist sehr wahrscheinlich, daß der EGMR zu demselben Ergebnis in der Rechtssache Arrondelle gekommen wäre, wenn sich der Rechtsstreit nicht vorher schon durch eine gütliche Einigung der Parteien erledigt hätte. 448 Dieser Fall ist deswegen einer besonderen Erwähnung Wert, da es sich um ein für die transeuropäischen Verkehrsnetze typisches Problem handelte: Frau Arrondelle besaß ein Anwesen, das auf der einen Seite in der Einflugschneise des Flughafens London-Gatwick lag, während auf der anderen Seite eine Autobahn in 150 Meter Entfernung vorbeiführte. Um eine Entschädigung durch die infrastrukturellen Ausbaumaßnahmen zu erlangen, berief sie sich unter anderem auf Art. l 1. ZP EMRK. Ohne daß es zu einer Spezifizierung der Rechtsgrundlage nach Absatz 1 oder 2 kam, wäre unter 442

EuGH Rs. 44179, Slg. 1979, 372713762.

Frowein, FS Kutscher, S. 189 I 194; daran aber zumindest zweifelnd Colinet, GS Sasse, Bd. II, S. 739 I 751. 444 Eine solche Möglichkeit deutet der EuGH ausdrücklich im Urteil Hoechst an, EuGH Verb. Rs. 46 I 87 u. 227 I 88, Slg. 1989, 2859 I 2924 Rn. 18: "Im übrigen ist festzustellen, daß hierzu keine Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vorliegt"; s. auch EuGH Rs. 85187, Slg. 1989, 313713157 Rn. 29- Dow Benelux; EuGH Verb. Rs. 97-99 I 87, Slg. 1989, 3165 / 3185 f. Rn. 15 - Dow Chemica/ lberia. 445 Urt. vom 23.09.1982 - Sporrang und Lönnroth, Serie A Nr. 52, S. 24 § 63; s.a. Urt. vom 18.02.1991 - Fredin, Serie A Nr. 192, S. 14 f. §§ 42 f.; Urt. vom 24.06.1993 -Papamichalopoulos, Serie A Nr. 260-B, S. 69 § 42; Urt. vom 29.11.1991 - Pine Valley Developement Ltd., Serie A Nr. 222, S. 25 § 56; Urt. vom 19.12.1989 - Mellacher, Serie A Nr. 169, S. 25 § 44; vgl. dazu Dolzer, a.a.O., S. 200 ff; s.a. Frowein, FS Rowedder, S. 49 I 53; Ge/insky, Schutz des Eigentums, 1996, S. 57; Frowein I Peukert-Peukert, EMRK, Art. I I. ZP Rn. 25. 446 S.a. von Milczewski, a.a.O., S. 133 ff. 447 Vgl. Do/zer, a.a.O., S. 204 f. 44 R Yearbook of the European Convention on Human Rights, Bd. 25 (1982), 2. Teil C., s. 235. 443

C. Grundrechtsprobleme bei Umsetzung transeuropäischer Verkehrsnetze

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dem Gesichtspunkt der de facto-Enteignung wohl der EGMR zu der Annahme einer Enteignung und damit zu der Anwendbarkeit von Art. I Abs. I I. ZP EMRK gekommen. In Hinblick auf die transeuropäischen Verkehrsnetze folgt aus dem Gesagten, daß eine Enteignung schon dann angenommen werden müßte, wenn es sich um schwerwiegende nachteilige Auswirkungen auf das Grundstück eines Betroffenen handelt, ohne daß es zu einer förmlichen Entziehung käme. Ob für die erforderliche Abgrenzung von Enteignung und Eigentumsbeschränkung jedoch auf den formellen oder materiellen Enteignungsbegriff zurückzugreifen ist, muß aus dem Gemeinschaftssystem heraus beurteilt werden. Das vom Generalanwalt aufgeworfene zeitliche Element bietet dabei im Rahmen der transeuropäischen Netze keine Hilfe. Wird eine Verkehrsinfrastruktur errichtet, ist diese stets dauerhaft. Entscheidend ist somit die Frage der Zulässigkeit eines materiellen Schwerekriteriums. Es ist dabei auffallend, daß die EG noch nie eine förmliche Enteignung vorgenommen hat. Nun gleichwohl auch Enteignungen in Hinblick auf materielle Auswirkungen anzunehmen, bedeutet, den zweiten Schritt vor dem ersten zu machen. Auch für die Rechtsklarheit ist es insoweit sinnvoller, nur von einem formellen Enteignungsbegriff auszugehen. Eine Trennung hat auch den Vorteil, zunächst die gemeinschaftsrechtlichen Voraussetzungen und Folgen für eine förmliche Enteignung gegebenfalls sekundärrechtlich für den Einzelfall festzulegen (z.B. für die Frage der Entschädigungspflicht und die Notwendigkeit einer Junktimsklausel). Da die Enteignung der schwerwiegendste Eingriff in das Eigentumsrecht bedeutet, ist es vorteilhaft, wenn sich der Gemeinschaftsgesetzgeber vorrangig selber über die Zulässigkeit dieses Eingriffs klar wird und dann seinen normativen Vorgaben folgt. Aus den genannten Gründen ist somit im Ergebnis von einem förmlichen Enteignungsbegriff auszugehen. Eine de facto-Enteignung im Sinne des EGMR ist hingegen als eine mittelbare Eigentumsbeschränkung einzuordnen. d) Rechtfertigung eines Eingriffs in das Eigentum

aa) Grundsätzliche Aussagen zu den Grundrechtsschranken

(I) EuGH-Rechtsprechung bezüglich des Grundrechtsschutzes Grundrechtseingriffe bedürfen grundsätzlich einer Rechtsgrundlage. 449 Daneben gilt bei Erlaß von Einzelakten die Bindung der Verwaltung an die ge449

EuGH Verb. Rs. 46 I 87 und 227 I 88, Slg. 1989, 2859 I 2924 Rn. 19 - Hoechst.

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2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

nerelle Norm und der Vorrang der Grund- vor der Ausfuhrungsverordnung. 450 Von Beginn an hat der EuGH die Grundrechte daneben unter einen materiellen Gemeinschaftsvorbehalt gestellt, wonach sich die Grundrechte in die Strukturen und Ziele der Gemeinschaft einfugen müssen. 451 In der Entscheidung Nold ergänzte der EuGH, daß Begrenzungen durch die dem allgemeinen Wohl dienenden Ziele gerechtfertigt seien, solange die Grundrechte nicht in ihrem Wesensgehalt angetastet würden. 452 In der Entscheidung Hauer hat der EuGH diesen Wesensgehalt mit der Verhältnismäßigkeit weitgehend gleichgesetzt.453 Den so formulierten Schrankenvorbehalten fehlt damit eine Abstufung, wie sie im deutschen Recht durch die einfachen, qualifizierten oder verfassungsimmanenten Schranken vorgegeben ist. 454 Es besteht vielmehr ein allgemeiner Gemeinschaftsvorbehalt455 , der mit einer weiten verfassungsimmanenten Schranke gleichgesetzt werden kann.456 Problematisch an dieser allgemeinen Schrankenformulierung des EuGH ist dabei weniger das Fehlen einer Differenzierung, als vielmehr die Bezugnahme auf die Ziele, die allein Grundrechte beschränken könnten. 457 Daß diese Ziele dabei generell dem Allgemeinwohl dienen, hat der EuGH nie in Frage gestellt.458 Gerade hier zeigt sich eine Gefahr, wenn durch eine äußerst vage und weite Zielformulierung wie z.B. Art. 2, 3 EGV Individualrechte begrenzt werden können. Die Problematik dieses Ansatzes verdeutlicht insbesondere die vom EuGH am "effet utile" orientierte und somit zielgerichtete Auslegung der Einzelbefugnisse. Die damit verbundene Kompetenzausweitung könnte prinzipiell dazu fuhren, daß Grundrechte "Opfer" einer solcherart dynamischen Vertragshandhabung werden. Die Schranken des EGV sind wegen des evolutiven Charakters der Gründungsverträge459 in dieser Hinsicht sehr viel fließender 450

Schwarze, NJ 1994, 53/57.

EuGH Rs. 11/70, Slg. 1970, 1125 / 1135 Rn. 4 - Internationale Handelsgesellschaft. EuGH Rs. 4173, Slg. 1974,491/508 Rn. 14, st. Rspr. 453 EuGH Rs. 44/79, Slg. 1979, 3727/3747 Rn. 23; s.a. wortgleich EuGH Rs. 5/88, Slg. 1989, 2609 / 2639 Rn. 18 - Wachauf; EuGH Rs. C-62 / 90, Slg. 1992, 1-2575 / 2609 Rn. 23 - Kommission I Deutschland. 454 Vgl. zu der Notwendigkeit der Entwicklung differenzierter Grundrechtsschranken Bahlmann, FS Carstens, S. 17/29; Dolzer, a.a.O., S. 212 weist hingegen darauf hin, daß im Vergleich zum EGMR die Methode des EuGH schon sehr viel differenzierter ist. Kritisch zum EGMR insoweit Peukert, EuGRZ 1992, I ff. 455 GTE-Beutler, Grundrechtsschutz, Rn. 33. 456 Streinz, Bundesverfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz, S. 411; vgl. auch Rengeling, Grundrechtsschutz, S. 43, 212. 457 Ebenso Coppel I 0 'Neill, CMLRev. 1992, 669/683 f., die dem EuGH unterstellen, daß er die Grundrechte den Gemeinschaftszielen unterordnet. 45R Kritisch aber Rengeling, a.a.O., S. 216 f. 459 Vgl. auch Kirchhof, EuR Sonderheft 1/1991, S. 11/13. 451

452

C. Grundrechtsprobleme bei Umsetzung transeuropäischer Verkehrsnetze

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als beispielsweise die verfassungsimmanenten Begrenzungen des Grundgesetzes. Aus der No/d-Entscheidung könnte zudem auf den ersten Blick gefolgert werden, daß der EuGH nur einen Wesensgehalt der Grundrechte schützt, was im Vergleich zu der deutschen Rechtsprechung eine Zurücknahme der Schutzintensität bedeuten würde. Der Hinweis auf die Verhältnismäßigkeitsprüfung könnte nur auf diese (letzte) Wesensgehaltsgrenze bezogen zu verstehen sein.460 Wie allein ein Blick auf die Grundrechtssprechung des EuGH zeigt, kann diese Schlußfolgerung gleichwohl nicht gezogen werden. Das hohe Niveau des europäischen Grundrechtsschutzes ist durchweg anerkannt. 461 Die Aussagen des EuGH dürfen nicht auf den deutschen Sprachgebrauch verengt interpretiert werden. 462 Der Begriff "Wesensgehalt" nimmt nicht die Funktion einer absoluten Schranken-Schranke ein, sondern bezeichnet auf europäischer Ebene den Grundrechtsschutz, wie er im deutschen Recht anband einer normalen Grundrechtsprüfung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung erfolgt.

460 Die Verhältnismäßigkeitsprüfung knüpft aber gerade allein an marktpolitische Erwägungen und nicht an den Konsequenzen für den Bürger an, Thiel, JuS 1991, 274 I 280 m.w.N.; die von Dolzer, a.a.O., S. 211 formulierte vierstufige gemeinschaftsrechtliche Dogmatik des Eigentumsschutzes (Ermittlung der mitgliedstaatliehen Eigentumsbeschränkungen, Maßnahme zum Wohl der Gemeinschaft, Verhältnismäßigkeit, Wesensgehalt) reduziert sich insoweit im Grunde genommen auf eine Verhältnismäßigkeits- und Wesensgehaltsprüfung. Kritisch jetzt zum Umfang der Verhältnismäßigkeilsprüfung im Agrarbereich, da der EuGH nur "offenkundig ungeeignete" Maßnahme sanktioniere, Berrisch, EuR 1994, 4611466. 461 BVerfGE 73, 3391381; Kirchhof, in: Hommelhoffi P. Kirchhof (Hrsg.}, Der Staatenverbund der Europäischen Union, S. II I 21; differenzierend Huber, EuZW 1997, 517 I 520; kritisch jetzt allerdings Nettesheim, EuZW 1995, 106/109; Epiney, ZSchwint und EuropR 1995, 135 I 170; Berrisch, EuR 1994, 461 I 464; s.a. Mendelson, YbEL 1981, I 25 I 143, 162, der darauf hinweist, daß der EuGH bisher eine Gemeinschaftsregelung kaum als Verstoß gegen die Grundrechte ansah; Coppell 0 'Neill, CMLRev 1992, 669 ff.; vgl. auch insoweit Pollak, VerhältnismäßigkeilSprinzip und Grundrechtsschutz in der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs und des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs, 1991, die feststellt, daß die Verhältnismäßigkeitsabwägung in der überwiegenden Zahl zugunsten von EG-Interessen ausfiel (S. 139); ihre Feststellung, daß der EuGH bei der Erforderlichkeil einer Regelung den größtmöglichen wirtschaftlichen Freiraum des einzelnen im Auge hat (S. 132), bezieht sich insoweit auf die Verwirklichung der Grundfreiheiten und somit gegen nationale Vorschriften. 462 Vgl. Everling, EuR 1994, 127 ff., der auf die Unterschiede in der Begründungsstruktur des EuGH hinweist. Daraus wird deutlich, daß allein schon wegen der Herkunft der Richter aus den unterschiedlichen Rechtstraditionen nicht einfach eine Übertragung deutscher juristischer Maßstäbe für das Verständnis der Urteile des Gerichtshofs möglich ist.

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2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

(2) Bedeutung der EMRK Eine unmittelbare Übernahme der Schranken von Art. l Abs. 2 l. ZP EMRK in der Ausformung durch den EGMR hat es trotzder "Hinweise", die die Konvention gibt, nicht gegeben. 463 Gleichwohl nimmt sie in der Rechtsprechung zum gemeinschaftlichen Grundrechtsschutz eine nicht unbedeutende Rolle ein.464 Dies mag daran liegen, daß sie einen klareren Rahmen vermittelt als die Synthese der gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten. Schon in der Entscheidung Hoechst hat der EuGH darauf hingewiesen, daß es eine Rechtsprechung des Straßburger Gerichtshofes nicht gäbe.465 Im Umkehrschluß kann daraus gefolgert werden, daß der EuGH die Rechtsprechung wohl berücksichtigt hätte, wenn es sie gegeben hätte. In der Entscheidung X I Kommission hat der Generalanwalt van Gerven in diesem Sinne ausdrücklich eine Prüfung des Art. 8 EMRK vorgenommen, um den gemeinschaftlichen Grundrechtsstandard zu bestimmen.466 Er hat insbesondere zu der Frage der Schranken der Menschenrechte und ihrer Auslegung durch den EGMR Stellung genommen, was insoweit maßgebend fiir die Frage der Verhältnismäßigkeit und des Wesensgehalts sei.467 Immerhin hat der EuGH nicht ganz so eindeutig die Ausfiihrungen des Generalanwaltes übernommen.468 Angesichts der vagen Formulierungen der EMRK diesbezüglich (vgl. nur die allgemeine Notsstandsklausel nach Art. 15 EMRK) bedeutet diese Vorsicht inhaltlich jedoch keine große Einbuße an normativer Rechtssicherheit In diesem Zusammenhang wird im übrigen ein Urteil des EuGH bedeutsam werden, das auf Vorlage des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs ergeht. Dieser hat die Frage aufgeworfen, ob die EMRK über Art. 164 EGV verbindlicher Bestandteil des Primärrechts geworden sei. 469 Einer Übernahme der EGMR-Rechtsprechung steht jedoch in jedem Falle entgegen, daß sich die EMRK an die Staaten richtet. Ein Staat muß in seiner grundsätzlich allumfassenden Gewalt mehr gebunden werden als die EG I EU, 463

Rengeling, a.a.O., S. 218; GTE-Beutler, Grundrechtsschutz, Rn. 35.

Dolzer, a.a.O., S. 213 geht sogar soweit zu sagen, daß es verfrüht wäre, von einer "auseinanderstrebenden Rechtsentwicklung im Vergleich zur EMRK" zu sprechen. 46s EuGH Verb. Rs. 46 187 und 227 188, Slg. 1989, 2859 12924 Rn. 18; auf die Unrichtigkeit dieser Aussage weist Clapham, YbEL 1990, 309 1337 f. hin; vgl. EGMR, Urt. vom 30.3.1989, Ser. A, Vol. 152. 466 EuGH Rs. C-2 192, Slg. 1994,1-4737 14750 Rn. 12. 467 EuGH Rs. C-2 192, Slg. 1994, 1-4737 14762 Rn. 15. 464

468 EuGH Rs. C-2 I 92, Slg. 1994, 4737 I 4789 Rn. 17 f.; s. jetzt aber auch allgemein die stärkere Hinwendung des EuGH zur EMRK in EuGH Rs. C-177 194, Slg. 1996, 1-1611 176 Rn. 20- Peifili, allerdings hatte hier das vorlegende italienische Gericht ausdrücklich nach der Auslegung von Art. 6 EMRK gefragt. 469 EuGRZ 1995, 570 / 575 ff.

C. Grundrechtsprobleme bei Umsetzung transeuropäischer Verkehrsnetze

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die sich erst auf dem Weg zu einem staatsähnlichen Gebilde befindet. 470 Durch die Festschreibung des Grundrechtsschutzes (s. auch jetzt Art. F Abs. 2 EUV) ist zwar die Notwendigkeit einer Mäßigung der Gemeinschaftsgewalt gegenüber den (Unions-) Bürgern zu Recht anerkannt. Gleichwohl bleibt der strukturelle Unterschied zwischen Gemeinschaft und Nationalstaat zu beachten, wodurch andere Abwägungen als zwischen dem Bürger und dem klassischen souveränen Staat notwendig werden können. 471 Soweit dennoch auf die Regelungen der EMRK zurückgriffen wird, ergibt sich folgendes Bild: Unter dem Gesichtspunkt der Einschränkbarkeil des Eigentumsrechts aus Art. I Abs. I S. I I. ZP EMRK ist die Aussagekraft zwischen dem "öffentlichen Interesse" im Sinne von Abs. I S. 2 und dem "Allgemeininteresse" gemäß Abs. 2 gering. 472 Den Mitgliedstaaten der EMRK fällt ein gewisser Ermessensspielraum zu. 473 Der EGMR kann in diesem Zusanunenhang einerseits die tatsächlichen Voraussetzungen für das öffentliche Interesse prüfen und andererseits die Erforderlichkeit der Beschränkungs- und Entziehungsmaßnahmen beurteilen.474 Zwischen beiden Kriterien muß ein "gerechtes Gleichgewicht" (fair balance) gefunden werden.475 Der Eingriff in das Eigentumsrecht muß darüber hinaus auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, wobei die Ausgestaltung im wesentlichen den Art. 8- 11 EMRK gleicht.476 Neben einer ausreichenden Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens kann zudem ein Mindestmaß an gerichtlichem Rechtsschutz zu gewährleisten sein.477 In dieser allgemeinen Form ergeben sich damit keine weiteren Anhaltspunkte für die Rechtsprechung des EuGH. Insoweit ist der richterrechtlich bisher herausgearbeitete Grundrechtsstandard des EuGH im Ansatz her vergleichbar mit den normativen Regelungen der EMRK. 470 Bei aller Vorsicht ist diese Aussage doch auch dem Begriff "Union", Art. A Abs. 2 EUV, zu entnehmen; s.a. schon BVerfGE 22, 293 I 296. 471 So auch die portugiesische Regierung, Sitzungsbericht, EuGRZ 1995, 692 I 696. 472 Vgl. Peukert, EuGRZ 1981, 97 I 107 f.; ders. in: FroweiniPeukert, Art. I I. ZP Rn. 51. 473 FroweiniPeukert-Peukert, EMRK, Art. I I. ZP Rn. 53, 55; vgl. auch Gelinsky, Schutz des Eigentums, S. 93 ff. 474 Offen noch Peukert, EuGRZ 1978, 97 I 107 f.; s. jetzt Dolzer, a.a.O., S. 208. 475 Fiedler, EuGRZ 1996, 354 / 355; Frowein, FS Rowedder, S. 49155; Frowein / Peukert-Peukert, EMRK, Art. 1.1. ZP Rn. 62 ff. mit Beispielen aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes. 476 Villinger, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention, 1993, S. 385; Frowein/Peukert-Peukert, Art. I I. ZP Rn. 56; zur Abgrenzung eines formellen bzw. materiellen Gesetzesbegriffes, s. Gelinsky, Schutz des Eigentums, S. 98 ff. 477 Siehe Rudolf, EuGRZ 1996, 573 I 575 f.; Rudolf will den Gereichtsschutz aus der Entscheidung des EGMR EuGRZ 1996, 593 I 598 Rn. 42 - Hentrich - herleiten.

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2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz bb) Verhältnismäßigkeilsprüfung und Wesensgehaltsgarantie

In der Dogmatik ist umstritten, ob dieses rechtsstaatliche Erfordernis bei einer Grundrechtsprüfung als ein selbständiger Rechtsgrundsatz478 oder als Teil einer immanenten Grundrechtsprüfung ohne besonderen Geltungsgrund479 anzusehen ist. Diese Frage ist jedoch allenfalls von akademischem Interesse und braucht nicht vertieft zu werden. In der Rechtsprechung des EuGH orientiert sich die Prüfung an den aus dem deutschen Verfassungsrecht vertrauten Prüfungspunkten. 480 Somit kommt es auf ein legitimes Ziel, die Geeignetheit, die Erforderlichkeil und die Verhältnismäßigkeit i.e.S. an.481 Die in der Rechtsprechung des EGMR relevante Frage, ob und wann der Gerichtshof über die Notwendigkeit einer administrativen oder legislativen Entscheidung befinden dürfe482 , ist auf die Gemeinschaft hingegen nicht übertragbar, da es an einer klassischen staatlichen Gewaltenteilung im Rahmen der Gemeinschaft fehlt. 483 (I) Legitimes Ziel Das legitime Ziel ergibt sich aus den Gemeinschaftsverträgen. 484 Dieses Erfordernis dürfte sich mit der oben kritisierten Formulierung485 decken, da ein entsprechendes Ziel grundsätzlich dem Allgemeinwohl dient und somit legitim ist. Art. 129b Abs. 1 EGV kann fur die Schaffung transeuropäischer Verkehrsnetze als Ziel unmittelbar herangezogen werden. Gleichzeitig nimmt diese Vorschrift Bezug auf die weitergehenden Ziele aus Art. 7a und 130a EGV. Aus den genannten Artikeln ergibt sich ein deutlicher Schwerpunkt allgemeiner Interessen, da Art. 129b Abs. 1 EGV bei der Nennung der Unionsbürger die Infrastrukturbenutzer im Auge hat. Das Binnenmarktpro478 GTE-Beutler, Grundrechtsschutz, Rn. 34; vgl. EuGH Verb. Rs. 41, 121 und 796179, Slg. 1980, 1979 I 1997 Rn. 21 - Testa u.a. 479 Vgl. Streinz, a.a.O., S. 412; vgl. auch Grabitz i Hilf-Pernice, Art. 164 Rn. 101 m.w.N. 480 S. auch Pol/ak, a.a.O., S. 123; Schiller, RIW 1983, 928 1929; insoweit findet auf abstrakter Ebene eine Anlehnung an die nationale Grundrechtsschranke statt (s.o. 2. Teil A. li. 2. a.); kritisch zu der tatsächlichen Prüfung der Verhältnismäßigkeit des EuGH (jedenfalls im Agrarbereich) im Urteil Bananen 11, Nettesheim, EuZW 1995, 106; Epiney, ZSchwlnt und EuropRecht 1995, 135 I 170; Herrisch, EuR 1994, 461 I 466 f; vgl. dazu jetzt auch VG Frankfurt IM, EuZW 1997, 126, hiergegen kritisch Zuleeg, NJW 1997, 1201 I 1203 f.; dem VG zustimmend Huber, EuZW 1997, 517 I 521. 4s1 Siehe Generalanwalt van Gerven, EuGH Rs. C-312 189, Slg. 1-1991, 997 11016 f. Conforama u.a.; s.a. Streinz, a.a.O., S. 413 ff. 482 Dolzer, a.a.O., S. 208. 483 Zu weiteren Kriterien des EGMR bei der Verhältnismäßigkeilsprüfung s. Rudolf, EuGRZ 1996, 573 I 575 m.w.N. 484 Streinz, a.a.O., S. 413 f. 4 ss Siehe 2. Teil, C.l.l .d).aa).

C. Grundrechtsprobleme bei Umsetzung transeuropäischer Verkehrsnetze

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gramm nach Art. 7a EGV und die regionalen Gebietskörperschaften gemäß Art. 130a EGV gehen ebensowenig von einer individual-grundrechtsbezogenen Sichtweise aus. (2) Geeignetheit Die Möglichkeit der Gemeinschaft, durch einen Rechtsakt Infrastrukturprojekte in einem eng umgrenzten Rahmen umzusetzen, ist prinzipiell geeignet, das primärrechtlich vorgegebene Ziel der Verkehrsnetze zu erreichen, da sie wenigstens in einem Teilbereich deren Realisierung erleichtern können.486 (3) Erforderlichkeit Ob das Gemeinschaftshandeln unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität im Sinne von Art. 3b Abs. 2 EGV das geringste Mittel darstellt, ist für die Frage des Grundrechtseingriffs problematisch. Einerseits ist das Subsidiaritätsprinzip ein gemeinschaftsorganisatorischer Grundsatz, der für die Frage, ob ein Gemeinschaftshandeln als verhältnismäßiger Eingriff gewertet werden kann, grundsätzlich keine Bedeutung haben könnte. Das Subsidiaritätsprinzip beschäftigt sich insoweit mit dem Verhältnis Gemeinschaft-Mitgliedstaat. Da es vorliegend aber um die Beziehung Gemeinschaft-Bürger geht, könnte dieses Prinzip außer acht gelassen werden. Andererseits haben auch Kompetenzvorschriften durchaus drittschützenden Charakter. Der Bürger hat einen Anspruch darauf, daß nur die zuständige Stelle einen belastenden Eingriff vornimmt. Aus diesem zuletzt genannten Grund muß deswegen auch das Subsidiaritätsprinzip in Hinblick auf die Erforderlichkeit eines grundrechtsrelevanten Gemeinschaftseingriffes beachtet werden. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob eine Vorannahme in dem Sinne besteht, daß ein mitgliedstaatlicher Rechtsakt für sich genommen einen geringeren Eingriff darstellt. Dahinter steht der Gedanke folgenden Stufenverhältnisses: nationaler Verwaltungsakt - nationales Einzelfallgesetz Gemeinschaftsakt Ein solches Stufenverhältnis könnte zum Beispiel unter dem Gesichtspunkt des Rechtsschutzes begründet sein. Dieser Ansatz ist aber im Ergebnis abzulehnen, da es zwischen dem Einzelfallgesetz und dem Gemeinschaftsakt materiell an einer hierarchischen Beziehung fehlt. 487 In einer rein normtheoretischen Betrachtung besteht ein Stu486 Brandt, Eigentumsschutz, S. 204 weist darauf hin, daß der EuGH insoweit nur priift, ob die Sachverhaltseinschätzung offensichtlich falsch sei oder ein Ermessensmißbrauch vorliegt; zum Priifungsumfang des Ermessens durch den EuGH s. EuGH Rs. C-84 I 94 Slg. 1996, I-5755 I 5814 Rn. 69 - Vereinigtes Königreich / Rat. 487 Dies gilt selbstverständlich nur in diesem speziellen Falle; die Höherrangigkeit des Gemeinschaftsrechts wird damit in keiner Weise in Frage gestellt. Allerdings zeigt sich

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2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

fenverhältnis nur zwischen Verwaltungsakt - Gesetz I Gemeinschaftsakt In etwas anderer Fonn hatte diesen Gedanken auch schon der Generalanwalt Capotorti in der Rechtssache Hauer hinsichtlich des Verhältnisses einer Verordnung zu einem Gesetz ausgedrückt488 : "Es ist klar, daß, wenn die Gemeinschaftsorgane an die Stelle der staatlichen Behörden treten, aus der Voraussetzung der Anwendung des Gesetzes die des Einsatzes der Verordnung wird ( ... ). "

Dieselbe Aussage gilt auch, wenn anstelle einer Verordnung eine Entscheidung ergeht. Diese wirkt wie ein Einzelfallgesetz. Diese Gleichsetzung ergibt sich daraus, daß der Rechtsschutz insoweit deutliche Ähnlichkeiten aufweist. Sowohl gegen Gesetze als auch gegen· Gemeinschaftsakte gibt es nur eine entscheidungsbedeutsame Instanz. Nach Art. 100 Abs. l GG hat das BVerfG ein Nonnverwerfungsmonopol. Gleiches gilt fiir den EuGH hinsichtlich der Gemeinschaftsakte, der - insoweit Art. l 00 GG vergleichbar - nach Art. 177 EGV angerufen werden kann. Der nationalen Verfasssungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG steht die Nichtigkeitsklage nach Art. 173 Abs. 4 EGV im Prinzip gleich. Insoweit kann es bei anderen Mitgliedstaaten sogar einen geringeren Eingriff bedeuten, wenn die Gemeinschaft den Rechtsakt erläßt, sofern es gegen Gesetze innerstaatlich keinen Rechtsbehelf gibt (wie z.B. in Großbritannien oder Frankreich). Unter dem Gesichtspunkt des Rechtsschutzes ist der Gemeinschaftsakt somit nicht per se unverhältnismäßiger als ein Einzelfallgesetz. Zu überlegen bleibt, ob nicht wegen der unterschiedlichen Legitimation von parlamentarischem Gesetz und Gemeinschaftsakt letzterer unter Umständen als schwererer Eingriff bewertet werden muß. Mit anderen Worten: Mangels geringerer demokratischer Legitimität der Gemeinschaft könnte ein von ihr erlassener Rechtsakt ein gravierenderer Eingriff sein, als wenn er durch ein mitgliedstaatliches Gesetz erfolgt. Diese Ansicht läßt sich jedoch nicht aufrecht erhalten. Dann müßte ein Verwaltungsakt auch ein schwerwiegenderer Eingriff als ein Gesetz sein. Dies sieht das BVerfG aber zu Recht anders.489 Auch sind an die demokratische Legitimitation der Gemeinschaftsentscheidungen nicht die gleichen Maßstäbe wie im nationalen Recht zu stellen.49o

dieser Gemeinschaftsvorrang gerade erst bei einer Kollision von nationalem Recht und Gemeinschaftsrecht Wird aber ein Gemeinschaftsakt statt eines nationalen Einzelfallgesetzes erlassen, kommt es zu gar keiner Kollision. 488 EuGH Rs. 44 I 79, Slg. 1979, 3727 I 3762 f. 489 BVerfGE 24, 367 I 400 ff. - Hamburger Deichbau. 490

BVerfGE 89, 155 I 182 ff.

C. Grundrechtsprobleme bei Umsetzung transeuropäischer Verkehrsnetze

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(4) Verhältnismäßigkeit i.e.S. I Allgemeininteresse

Bei der Verhältnismäßigkeit i.e.S. ist eine Gesamtgüterabwägung erforderlich. Zwar weist Streinz darauf hin, daß der EuGH dieses Merkmal nicht immer in seine Prüfung mit einbezieht491 , doch dürfte die oft lapidare Ausdrucksweise des EuGH zu berücksichtigen sein. Zudem gibt es auch Gegenbeispiele.492 Wie im deutschen Recht im Rahmen der Planrechtfertigung sind alle öffentlichen und privaten Belange abzuwägen. 493 Dies folgt sowohl aus rechtsstaatliehen Gründen als auch aus der mitgliedstaatliehen Verwaltungsvorarbeit. Der andere Legitimitätsmaßstab (Gemeinschaftsziel und nicht nationales Ziel) ist vor dem Hintergrund der innerstaatlichen Inkorporation gemeinschaftsrechtlicher Vorstellungen für die Abwägung dann unerheblich. Insoweit wurde bereits dargestellt, daß sowohl Art. 23 Abs. l GG als auch Art. 72 Abs. 2 GG gemeinschaftsfreundlich auszulegen sind. Es wäre nicht einzusehen, wieso die Gemeinschaft in diesem Rahmen strengeren oder schwächeren Rechtfertigungsanforderungen unterliegen sollte. (5) Wesensgehaltsgarantie

Sind die Erfordernisse bei der Verhältnismäßigkeilsprüfung beachtet worden, scheidet nach dem EuGH eine Verletzung des Wesensgehaltes aus. Dieser ist also relativ zu beurteilen und nicht als ein unabänderlicher, unantastbarer Kern zu verstehen. 494 Streinz weist bezüglich der Wortwahl dabei auf die bewußte Anlehnung an Art. 19 Abs. 2 GG hin, mit der der EuGH im Fall Hauer einen dem deutschen Grundrechtsstandard vergleichbaren Prüfungsrahmen entwickeln wollte. 495 Gleichzeitig bedeutet aber die Gleichsetzung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, daß der Gerichtshof nicht von einem besonderen Wert der Wesensgehaltsgarantie ausgeht.496

Streinz, Bundesverfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz, S. 418. Streinz, Bundesverfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz, S. 419. 493 Vgl. BVerwGE 71, 166 / 170; BVerwGE 48, 56/63. 494 Grabitz/Hi1f-Pernice, Art. 164 Rn. 73, s. aber auch ders., NJW 1990, 2409 / 2416; Rengeling, a.a.O., S. 214. 491

492

49s Streinz, Bundesverfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz, S. 420; s.a. von Milczewski, a.a.O., S. 283. 49 fi Dies wohl im Unterschied zu Art. 26 EP-Erk1ärung zu den Grundrechten- und Grundfreiheiten, wo nur festgestellt wird, daß in jedem Fall der Wesensgehalt der Rechte und Freiheiten unangetastet bleiben muß; zum Wesensgehalt s.a. Frowein, FS Kutscher, S. 189; a.A. Brandt, Eigentumsschutz, S. 207 f.

236

2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

cc) Eigentumsspezifische Anforderungen an Grundrechtseingriffe

Zusätzliche eigentumsspezifische Schranken können im Grunde genommen schon bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung Berücksichtigung finden. Der Klarheit halber seien sie aber gesondert erwähnt. In der grundlegenden Eigentumsentscheidung Hauer hat der EuGH auf die Sozialbindung des Eigentums hingewiesen, die ein in allen Mitgliedstaaten immanenter Rechtsgrundsatz sei. 497 In dem Urteil Schräder spricht er dann von der "gesellschaftlichen Funktion" des Eigentumsrechts. 498 Eine Übernahme der Begrenzungsmöglichkeiten gemäß der EMRK hat der EuGH dagegen nicht vorgenommen. 499 (1) Sozialbindung und gesellschaftliche Funktion Sozialbindung und gesellschaftliche Funktion des Eigentums drücken sich schon in der Schutzbereichsbestimmung aus. Im Gegensatz zu der freien Meinungsäußerung und der Versammlungsfreiheit wird das Eigentum regelmäßig durch den Gesetzgeber definiert. Erst dadurch wird festgelegt, was überhaupt als Eigentum angesehen werden kann. 500 Für die Einschränkbarkeil des Eigentumsgrundrechtes kann die Sozialbindung als ein Hinweis auf eine stärkere Bedeutung von Allgemeinwohlinteressen verglichen mit anderen Grundrechten gedeutet werden. 501 Wie bei der Zielanalyse der transeuropäischen Verkehrsnetze herausgestellt wurde, nimmt der allgemeine integratorische Aspekt insoweit ein wichtige Rolle ein. Es geht insbesondere um die Mobilisierung der (Unions-)Bürger über die bestehenden Grenzen hinweg. Demnach kann die "Mehrheit" prinzipiell einen größeren Stellenwert als der einzelne grundrechtsbedeutsame Minderheitenschutz einnehmen. In Grenzfällen könnten demnach die Zielsetzung und Bedeutung der transeuropäischen Netze graduell ein Überwiegen der Sozialbindung nach sich ziehen. 497 EuGH Rs. 44179, Slg. 1979, 3727 13747; s.a. schon EuGH Rs. 4 173, Slg. 1974, 491 I 507 f. Rn. 14 f. - Nold; Rengeling, Grundrechtsschutz, S. 42 f. meint, daß auch die nationalen Schranken zu berücksichtigen seien; dies hat der EuGH so aber nie formuliert und würde auch seiner Grundkonzeption widersprechen; vgl. insoweit die Diskussion um den "Maximalstandard", 2. Teil, A.Il.2.c). Vielmehr kann angenommen werden, daß der EuGH die nationalen Beschränkungsmöglichkeiten (hier: die Sozialbindung) als bloßen Hinweis auf gemeinschaftsrechtliche Beschränkungen verstanden hat. 498 EuGH Rs. 265187, Slg. 1989, 223312268 Rn. 15; EuGH Rs. C-177 190 Slg. 1992, I35163 Rn. 16- Kühn; EuGH Rs. C-44189, Slg. 1991, I-511915157 Rn. 28 - v. Deetzen IJ; diese gesellschaftliche Funktion hatte der EuGH in Wachauf für jede Grundrechtsbegrenzung verallgemeinert, EuGH Slg. Rs. 5 I 88, 1989, 2609 I 2639 Rn. 18. 499 GTE-Beutler, Grundrechtsschutz, Rn. 35. 500 In diesem Sinne auch BVerfGE 91, 294 I 308. 501 Völkerrechtlich ist gerade bei der Enteignung ein öffentliches Interesse als Mindeststandard erforderlich, s. Gloria in: lpsen, Völkerrecht, § 43 Rn. 16 f.

C. Grundrechtsprobleme bei Umsetzung transeuropäischer Verkehrsnetze

237

(2) Verbot des Einzelfallgesetzes? Während sich innerstaatlich das Verbot des belastenden Einzelfallgesetzes aus Art. 19 Abs. I S. 2 GG ergibt, kann gemeinschaftsrechtlich ein Verbot des belastenden Einzelfallgesetzes aus institutionellen Gründen nicht gelten. Bei einem gemeinschaftlichen Durchführungsakt in Form einer Entscheidung handelt es sich zwar im Grunde um ein Einzelfallgesetz. 502 Gleichwohl findet die Übertragung der innerstaatlichen Abgrenzung von Legislativ- und Exekutivhandeln dort ihre Grenzen, wo gemeinschaftsrechtlich dieselbe Handlungsform zur Verfügung steht. Auch wenn man den Rat als Legislative und die Kommission als Exekutive bezeichnet, verfügen beiden über das gleiche Instrumentarium aus Art. 189 EGV. Dann kann es aber gerade keinen Grundsatz des Verbots eines belastenden Einzelfallgesetzes geben. Die innerstaatlichen Begriffe "Verwaltungsakt" und "Gesetz" verschmelzen im Gemeinschaftsrecht grundsätzlich zu der "Entscheidung"; diese ist jedoch im Rahmen von Art. 75 Abs. I lit. d) EGV stets möglich und vorgesehen. Insoweit stellt sich auch nicht das oben dargestellte Problem hinsichtlich der Zulässigkeit von Maßnahmegesetzen im innerstaatlichen Bereich. (3) Enteignungsentschädigung? Eine Enteignungsentschädigung könnte in Hinblick auf die EMRK als Gemeinschaftsgrundrechtsquelle problematisch sein503 , da die EMRK keine Entschädigungsmöglichkeit kennt. 504 Eine auf den Wortlaut der EMRK gestützte Versagung einer Enteignungsentschädigung ist jedoch in keinem Fall mit rechtsstaatliehen Prinzipien zu vereinbaren. Schon der EGMR hat eine Enteignungsentschädigungspflicht im Rahmen der Verhältnismäßigkeit für erforderlich gehalten.505 In Hinblick auf die Bedeutung des Eigentumsrechts für S.o. I. Teil, D.III. Gleiches gilt i.ü. fiir Art. 17 Allg. Erklärung der Menschenrechte vom I0.12.1948: "I. Jeder Mensch hat allein oder in der Gemeinschaft mit anderen das Recht auf Eigentum. 2. Niemand darf willkürlich seines Eigentums beraubt werden." 504 S.a. Riede/, EuGRZ 1988, 333 ff. Dieses Fehlen könnte aber nur fiir Inländer Folgen haben, da fiir Ausländer das allgemeine Völkerrecht - zumindest nach dem fiir die EG maßgeblichen westlichen Verständnisses - nach der "Hull"-Formel eine Entschädigung vorsieht, die "prompt, adequate and effective" sein muß. Vgl. Frowein, FS Kutscher, S. 1891192; ders., FS Rowedder, S. 49/57; Frowein!Peukert-Peukert, EMRK, Art. I l. ZP, Rn. 84; ausfuhrlieh von Milczewski, a.a.O., S. 147 ff. m.w.N. zur Frage, ob der Hinweis des Art. I I. ZP EMRK auf das allgemeine Völkerrecht als Rechtsgrund- oder Rechtsfolgenverweisung zu werten wäre; s. auch umfassend Gelinsky, Schutz des Eigentums, S. 108 ff.; zum völkerrechtlichen Eigentumsschutz s. allgemein Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht,§ 43 m.w.N.; bzgl. der Hull-Formel ebd. § 43 Rn. 18. 505 Urt. vom 8.7.1986 Lithgow u.a., Serie A Nr. 102, S. 50 f. §§ 120 f. ; Urt. vom 21.02. 1986 - James u.a., Serie A Nr. 98, S. 36 § 54; s. Fiedler, EuGRZ 1996, 354 I 355 f.; Fra502

503

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2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

die persönliche Freiheit und die eigenverantwortliche Lebensführung folgt auch aus dem Rechtsstaatsprinzip, daß eine Entschädigung bei Eigentumsentziehung gewährt werden muß. 506 Dies ergibt sich auch aus dem Gleichheitssatz.so7 Diese Überlegungen müssen auch für eine bloße Eigentumsbeschränkung gelten. Für den EGMR kann zwar materiell unter diesem Gesichtspunkt eine Enteignung vorliegen. Gemeinschaftsrechtlich wurde dieser Ansatz aus Gründen der Rechtsklarheit allerdings abgelehnt. Jedoch macht der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auch für eine Eigentumsbeschränkung gegebenenfalls eine Entschädigung erforderlich. Dies folgt auch aus den allgemeinen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten. Problematisch könnte allenfalls sein, ob der EuGH in der Lage ist, selbständig ohne normierten Anhaltspunkt die Gemeinschaft zu einer Entschädigung zu verpflichten. Dies könnte als Eingriff in die gesetzgebensehe Gestaltungsbefugnis gewertet werden. Nur eine Befugnis des EuGH, eine Gemeinschaftsregelung als rechtswidrig zu verwerfen, könnte anerkennenswert sein. 508 Diesem restriktiven Ansatz kann jedoch nicht gefolgt werden. Der EuGH muß jedenfalls die Befugnis haben, zur Herstellung der Verhältnismäßigkeit dem Gemeinschaftsgesetzgeber verbindlich aufzugeben, eine Eigentumsentschädigung zu gewähren.509 Dies folgt einerseits daraus, daß die Feststellung wein, FS Rowedder, S. 49/58; Frowein!Peukert-Peukert, EMRK, Art. I l. ZP Rn. 84, 88 f.; instruktiv Gelinsky, Schutz des Eigentums, S. 133 ff.; s.a. die Begründung bei Dolzer, a.a.O., S. 134 mit Hinweis auf die Sporrong-Entscheidung: "Gilt die Entschädigungspflicht schon fiir Maßnahmen, welche in erheblichen Umfang in die Befugnisse des Eigentümers eingreifen, so kann sie im Falle des formellen Eigentumsenzugs nicht geleugnet werden." Auch die gütliche Einigung in der Rechtssache "Arrondelle" spricht eindeutig gegen die Versagung einer Enteignungsentschädigung, da zwar eine de facto-Enteignung nicht festgestellt werden konnte, dies jedoch einzig auf den prozessualen Ablauf zurückfuhrbar ist; s. Arrondelle-Entscheidung, in: Yearbook of European Convention on Human Rights, Bd. 26 (1982), 2. Teil C, S. 235. 506 Dolzer, a.a.O., S. 135 sieht sie insoweit als inhärente Komponente der menschenrechtliehen Eigentumsgarantie an, wobei er dies aus der Möglichkeit des totalen Entzugs ableitet, wo vom Individualrecht nur bei der Annahme einer Wertsurnrnengarantie etwas übrig bliebe. Dies kann allerdings so pauschal nicht gesagt werden. Das Grundrecht auf Leben wird bei der Todesstrafe ebenfalls endültig entzogen (grundsätzlich nach Art. 2 Abs. I EMRK mit der Konvention vereinbar) ohne daß es einer Entschädigung bedürfe; gleiches gilt innerstaatlich z.B. auch fiir Art. 104 und Art. 18 GG; Rudo/f, EuGRZ 1996, 573 I 575 weist darauf hin, daß aus dem Gedanken der Persönlichkeitsentfaltung heraus, die Notwendigkeit einer Enteignung an sich vorab geprüft werden muß und eine Entschädigung alleine nicht zwangsläufig eine Verletzung des Eigentumsrechts beseitigt. 507 Frowein, FS Kutscher, S. 1891193. 508 Siehe von Milczweski, a.a.O., S. 287 ff. 509 Zu vergleichbaren Überlegungen im deutschen Recht Steinberg, Fachplanung, S. 247; Kühling, Fachplanungsrecht, S. 184 Rn. 425.

C. Grundrechtsprobleme bei Umsetzung transeuropäischer Verkehrsnetze

239

der Rechtswidrigkeit einer Gemeinschaftsregelung einen noch stärkeren Eingriff in die Gestaltungsbefugnis des Gemeinschaftsgesetzgebers darstellt als die Zuerkennung einer Entschädigung.510 Andererseits gilt im Gemeinschaftsrecht nicht der Grundsatz von der höheren Legitimitation der Gemeinschaftslegislativen. Aufgrund der nur begrenzten demokratischen Legitimität des Rates ist ein Eingriff bzw. eine Kontrolle durch die Judikative damit in stärkerem Maße gestattet, als dies im Verhältnis nationales Parlament-Verfassungsgericht konzeptionell vorgesehen ist. Insoweit ist die Gemeinschaft sehr an einer Verwaltung orientiert. dd) Sonstige allgemeine rechtsstaatliche Grundsätze bei der Begrenzung von Grundrechten (1) Gesetzes- bzw. Parlamentsvorbehalt

Ein Eingriff in das Eigentumsgrundrecht bedarf sowohl bei einer Inhaltsbeschränkung als auch bei einer Enteignung innerstaatlich einer ausreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage, um die Legitimität der Entscheidung zu gewährleisten. Daraus folgt, daß die Verwaltungsentscheidung in dem gesetzlich geforderten Abwägungsrahmen bleibt. Der Grundsatz des Gesetzesvorbehalts bei Grundrechtseingriffen gilt auch in der Gemeinschaft, hat aber wegen der nur ausnahmsweisen Verwaltungstätigkeit kaum Relevanz.511 Im Rahmen der transeuropäischen Verkehrsnetze wurde dabei schon auf die Vergleichbarkeit von Gemeinschaftsakt und nationalem Einzelfallgesetz hingewiesen. So wenig der Gesetzesvorbehalt allerdings innerstaatlich fiir ein gesetzliches Handeln gilt, so wenig kann dieser Grundsatz fiir die Gemeinschaft herangezogen werden, wenn sie durch eine Entscheidung handelt, die nicht als Verwaltungsarbeit aufgefaßt werden kann.

510 Insoweit würde sich ein substantieller Unterschied zur Rechtsprechung des BVerfG zeigen. Das Gericht hatte ausgedrückt (BVerfGE 58, 300 I 324): "Sieht der Bürger in der gegen ihn gerichteten Maßnahme eine Enteignung, so kann er eine Entschädigung nur einklagen, wenn hierfür eine gesetzliche Anspruchsgrundlage vorhanden ist. Fehlt sie, so muß er sich bei den Verwaltungsgerichten um die Aufhebung des Eingriffsaktes bemühen. ( ... ) mangels gesetzlicher Grundlage können die Gerichte auch keine Entschädigung aussprechen." 511

Ein Beispiel ist aber EuGH Rs. Verb. Rs. 46/87 und 227 / 88, Slg. 1989, 2858 / 2924

- Hoechst gewesen, wo der EuGH formulierte: "Indessen bedürfen in allen Rechtsordnun-

gen der Mitgliedstaaten Eingriffe der öffentlichen Gewalt in die Sphäre der privaten Betätigung jeder - natürlichen oder juristischen - Person einer Rechtsgrundlage und müssen aus den gesetzlich vorgesehenen Gründen gerechtfertigt sein; ( ... ) Das Erfordernis eines solchen Schutzes [gegen willkürliche und unverhältnismäßige Eingriffe] ist folglich als allgerneiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechtes anzuerkennen."

240

2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

(2) Vertrauensschutz Der Vertrauensschutzgedanke könnte bei den Beschränkungen des Eigentumsgrundrechtes insoweit eine Rolle spielen, als er das subjektive Eigentumsrecht verstärkt. 512 Dabei hat der Vertrauensschutz eine doppelte Bedeutung: Einerseits sichert dieses Prinzip das Eigentum, indem es besondere Vermögensdispositionen schützt. In diesem Sinne können auch Rechtserwartungen eigentumsbildend sein. 513 Andererseits ist aber das Eigentum selbst ein besonderer Ausdruck des allgemeinen Vertrauensgrundsatzes. 514 Unter diesem Blickwinkel wird der Eigentümer in seinem Vertrauen auf den ungestörten Fortbestand seines Eigentums geschützt.515 Während also der erste Ansatzpunkt eher als eine SchutzbereichserWeiterung des Eigentumsgrundrechtes verstanden werden kann, ist der zweite Aspekt einer Prüfung als SchrankenSchranke eines Eigentumsgrundrechtes zugänglich. Der EuGH ist einer dogmatischen Einordnung insoweit aus dem Weg gegangen, als er den Vertrauensgrundsatz in ständiger Rechtsprechung als allgemeinen Rechtsgrundsatz anerkannt hat. 516 Damit hat er den Vertrauensschutzgedanken grundsätzlich von dem Eigentumsgrundrecht losgelöst und einer eigenständigen Prüfung unterzogen. Angesichts der Komplexität dieser Grundsatzes und der impliziten Anerkennung als Verfahrensgrundrecht erscheint es gerechtfertigt, die Bedeutung des Vertrauensgrundsatzes an gesonderter Stelle zu prüfen. 517 2. Das Grundrecht auf Gesundheit

Die Gesundheit des einzelnen ist bei Verkehrswegen in besonderer Weise betroffen. Lärm und andere Verkehrsimmissionen sind Streßfaktoren, die Schäden gerade für die Anwohnerschaft begründen können und unter Umständen Lärmschutzwände, Fahrbeschränkungen518 oder Nachtflugverbote er512 Innerstaatlich ist die Ableitung des Vertrauensschutzes aus Art. 14 GG dogmatisch aufschlußreich, gibt sie doch den engen Zusammenhang mit dem Eigentumsgrundrecht wieder, BVerfDE 64, 87 I 104; 58, 81 1210; 53, 257 1309; 45, 1421 168; im Zusammenhang mit der EMRK Peukert, EuGRZ 1992, I I 4; Peukert kritisiert dabei, daß der EGMR den Vertragsstaaten im Rahmen der EMRK einen äußerst weiten Ermessenspielraum einräumt. 513

Rengeling, Grundrechtsschutz, S. 49 ff.

514

Frowein, FS Rowedder, S. 49 I 59; vgl. auch Brandt, Eigentumsschutz, S. 211 f.

Von Milczewski, a.a.O., S. 280; auf den Zusammenhang mit dem Grundsatz von Treu und Glauben hinweisend Peukert, EuGRZ 1992, I I 2. 515

516 EuGH Verb. Rs. 7/56 und 3-7 / 57, Slg. 1957, 83 / 118- Algera: Vertrauensschutz bzgl. des Widerrufs von Verwaltungsakten. 517

S. zu den Verfahrensgrundrechte 2. Teil, C.I.3.

518

Hier ist an die Schweiz und an Österreich zu denken, die einerseits eine Höchstgren-

C. Grundrechtsprobleme bei Umsetzung transeuropäischer Verkehrsnetze

241

fordertich machen. Diese Maßnahmen dienen dem Schutz der Gesundheit und sind damit konkreter Ausfluß des national durch Art. 2 Abs. 2 S. l GG geschützten Grundrechtes. Der EuGH hat bisher ein entsprechendes Gemeinschaftsgrundrecht nicht positiv festgestellt. Allerdings kann angesichts der fundamentalen Bedeutung dieses Grundrechtes daraus nicht geschlossen werden, daß er sich einem entsprechenden Schutz versagen würde. Dies gilt umso mehr, als das Leben in Art. 2 EMRK geschützt wird und a maiore ad minus damit ebenfalls die Gesundheit erfaßt ist. Auch Art. 11 Europäische Sozialcharta sieht in Nr. 1 eine Verpflichtung der Staaten vor, die Ursachen von Gesundheitsschäden so weit wie möglich zu beseitigen, was die Prävention von Gesundheitsgefahren mit einschließt. Art. 12 Abs. l IPWSKR enthält ebenso ein klassisches Abwehrgrundrecht zum Schutz der Gesundheit. Primärrechtlich zeigen die Vorschriften Art. 36, 48 Abs. 3, 56 Abs. l , 100a Abs. 3 EGV, daß die Gemeinschaft den Gesundheitsschutz entweder bei nationalen Ausnahmeregelungen akzeptiert oder bei Gemeinschaftsakten selbst beachten muß. In der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer der Staats- und Regierungschefs vom 9.12.1989 wird in Nr. 19 das Grundrecht der Gesundheit ebenfalls erwähnt. 519 Die allgemeinen Grundrechtsschranken, die schon bezüglich des Eigentumsgrundrechts festgestellt wurden, finden auch hier Anwendung, soweit es um verhältnismäßige Beschränkungen aus Gründen des Allgemeinwohls geht. Diese Formulierung entspricht der ständigen Rechtsprechung des EuGH, so daß diese Schranke auch für das Grundrecht auf Gesundheit Anwendung finden muß. Hinsichtlich der konkreten Abwägung ist jedoch der andere Schutzwert des Grundrechts auf Gesundheit im Vergleich zum Eigentum zu beachten. Dadurch können andere Maßnahmen wie zum Beispiel bauliche Vorkehrungen zur Herstellung der Verhältnismäßigkeit erforderlich werden. Es erscheint allerdings denkbar, daß es wegen der unterschiedlichen mitgliedstaatliehen Rechts- und Verwaltungstraditionen zu Schwierigkeiten kommen kann, soweit die Frage der Zumutbarkeit von Verkehrsimmissionen in den verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedlich beurteilt wird. Dann könnte fraglich sein, welchen Zumutbarkeitsmaßstab der EuGH zugrunde legen wird. Eine mögliche Lösung kann darin bestehen, den jeweiligen nationalen Maßstab anzuwenden. Dies könnte deswegen gerechtfertigt sein, da die EG ja allenfalls anstelle des Mitgliedstaates handeln würde, dieser jedoch selbst nur an den nationalen Maßstab gebunden wäre.

ze für das Gesamtgewicht von LKW beim Transit erlassen haben, andererseits in Tirol ein Nachtfahrverbot für LKW einführten. 519 Kommission der Europäischen Gemeinschaften (Hrsg.), Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer, Luxemburg 1990. 16 Jürgensen

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2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

Andererseits widerspricht ein solcher Ansatz dem Grundsatz von der Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechts. Nun gilt dies Prinzip allerdings - wie auch das Subsidiaritätsprinzip zeigt - nicht absolut. Im Interesse eines einheitlichen Schutzes (und somit ausgehend von einem einheitlichen Menschenbild) können jedoch keine unterschiedlichen Maßstäbe angelegt werden. Um angesichts der Bedeutung dieses Grundrechts die Gefahr eines Grundrechtsschutz"dumpings" auszuschließen, ist es insoweit gerechtfertigt, die strengsten Schutzvorschriften anzuwenden, so daß in dieser Hinsicht der "Maximalstandard" zum Zuge kommt. 3. Verfahrensgrundrechte a) Beachtlichkeit europäischer Verfahrensgrundrechte

aa) Beschränkung auf das Europäische Verwaltungsrecht?

Als relevante Verfahrensgrundrechte sind in dem vorliegenden Kontext die Grundsätze des Vertrauensschutzes und des rechtlichen Gehörs zu erörtern. Beide Prinzipien sind allerdings Teil des Europäischen Verwaltungsrechtes. Dies könnte dann Probleme bereiten, da es bei der Realisierung transeuropäischer Verkehrsnetze nicht um die klassischen Felder gemeinschaftlichen Verwaltungsvollzuges wie z.B. den Wettbewerbs- oder Agrarbereich geht. 520 Die Geltung der Grundsätze könnte für ein eher legislatives Gemeinschaftshandeln ausgeschlossen sein. Diese Eingrenzung des Verwaltungsrechtes anband der Unterscheidung von Exekutiv- und Legislativhandeln ist jedoch nicht unumstritten. Zwar gibt es im Gemeinschaftsrecht ein überwiegendes Exekutivorgan - die Kommission - , gleichzeitig können aber typische VerwaltUngsregeln auch von dem Rat erlassen werden. Deswegen wird für die Geltung des Verwaltungsrechts von einigen Autoren nicht auf den Sachbereich, sondern auf den Vollzug im Einzelfall abgestellt. Dessen typisches verwaltungsrechtliches Mittel sei die Entscheidung. 521 Unabhängig von diesem Abgrenzungsproblem müssen jedoch im Ergebnis die Verwaltungsverfahrensrechtsgrundsätze auch dann zur Anwendung kommen, wenn es sich nicht um ein klassisches Verwaltungsverfahren der Gemeinschaft handelt.522 Entscheidend ist dabei die Einordnung der Prinzipien slo Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht I, S. 21 ff.; er versucht insoweit eine Eingrenzung der Verwaltungsrechts nach den Sachbereichen vorzunehmen. 521 Vgl. Beutler I Bieber I Pipkorn I Streif, Europäische Union, S. 228; Streinz , Europarecht, Rn. 413, 478, 478; vgl. auch Everling, DVBI. 1983, 649 / 652. s22 Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht Il, S. 920 f.

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als "allgemeine Rechtsgrundsätze", womit eine Loslösung aus dem engen verwaltungsrechtlichen Korsett verbunden ist. Der Begriff des "Europäischen Verwaltungsrechts", der jedenfalls in unserem Fall mangels eines eigenen Verfahrens der Kommission nicht recht zu passen scheint, findet seinen materiellen Gehalt in den Rechtmäßigkeitsanforderungen an jeglichen Gemeinschaftsakt wieder. Insoweit bilden die Rechtsakte der EG eine Einheit. bb) Europäische Verfahrensgrundrechte außerhalb eines eigenständigen Gemeinschaftsverfahrens

Die Anwendbarkeit europäischer Verfahrensgrundrechte ist somit selbst dann anzuerkennen, wenn die Gemeinschaft den Rechtsakt nicht eigenhändig verfahrensmäßig vorbereitet: Wird ein spezieller Gemeinschaftsakt durch die mitgliedstaatliehen Verwaltungen vorbereitet, muß die Administration bei der Planung europäische Verfahrensgrundsätze beachten, da der verbindliche Planungsakt Gemeinschaftsanforderungen genügen muß. Dies gilt ebenso für das Handeln einer privaten Planungsgesellschaft, da es im Ergebnis stets auf die Gemeinschaftsrechtsnatur des letztlich verbindlichen Gemeinschaftsaktes ankommt. Sind schon bei der Planung die maßgebenden gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze mißachtet worden, kann der Rechtsakt im Ergebnis nicht rechtmäßig sein. Dieser Ansatz verkennt dabei nicht die vom EuGH entwickelte Rechtsprechung zum europäischen Verwaltungsrecht, wonach mangels gemeinsamer Vorschriften die nationalen Behörden unter Beachtung des Nichtdiskriminierungsgebotes und der Wahrung der Effektivität des Gemeinschaftsrechts bei der Durchführung von Gemeinschaftsregelungen nach den Bestimmungen ihres nationalen Rechts vorgehen.523 In der Entscheidung Hoechst hatte der EuGH gar formuliert 524: "Daher hat die Kommission, wenn sie mit Unterstützung der nationalen Behörden Nachprüfungsmaßnahmen vornehmen will, die nicht auf der Mitwirkung der betroffenen Unternehmen beruhen, die insoweit im nationalen Recht vorgesehenen Verfahrensgarantien zu beachten."

Diese Entscheidung unterwirft damit das Gemeinschaftshandeln den nationalen Rechtsgrundsätzen, was einer Inkorporation europäischer Grundsätze in das nationale Verfahren eigentlich diametral entgegensteht. Unter dem hier interessierenden Aspekt für den Fall der Umsetzung transeuropäischer Netze kann dieses Urteil allerdings nicht herangezogen werden. Der Zusammenhang des Urteils geht deutlich nur auf den speziellen Fall von Zwangsmaßnahmen EuGH Verb. Rs. 205-215 I 82, Slg. 1983, 2633 12665 Rn. 17- Milchkontor. EuGH Verb. Rs. 46 I 87 und 227 I 88, Slg. 1989, 2859 I 2928 Rn. 34 (Herv. vom Verf.). 523

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16•

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gegenüber Unternehmen ein. Wie die Urteilsformulierung zeigt, ist eine Verallgemeinerung dieser Aussage in dem Sinne, daß die Gemeinschaft eher an nationale als (an zu entwickelnde) Gemeinschaftsverfahrensrechte gebunden sei, damit nicht beabsichtigt gewesen. Das Erfordernis der Beachtung gemeinschaftsrechtlicher Verfahrensgrundsätze leitet sich vielmehr aus der Natur des direkten Implementierungsaktes ab. Dieser ist ein Gemeinschaftsakt, und deswegen muß er auch Gemeinschaftsanforderungen genügen. Daß es sich materiell um ein Verwaltungshandeln handelt, welches von den Mitgliedstaaten regelmäßig vorbereitet wird, ist deswegen unschädlich, weil die nationale Administration im Gegensatz zu dem regulären mittelbaren Verwaltungsvollzug keine verbindliche drittbezogene Entscheidung trifft. Wenn zum Beispiel innerstaatlich eine private Planungsgesellschaft bei den Vorarbeiten für ein Investitionsmaßnahmegesetz Verfahrensgrundrechte mißachtet, dann kommt es für die Verfassungsbeschwerde gleichwohl nur auf das öffentlich-rechtliche Verhältnis BürgerStaat (respektive den Gesetzgeber), nicht jedoch auf die Beziehung des Bürgers zu der privaten Gesellschaft an. Diese Grundsätze sind auch auf den europäischen Rahmen in dem Sinne übertragbar, daß sich die Grundrechte nach der Rechtsnatur des verbindlich entscheidenden Organs richten. b) Vertrauensschutz

Der Vertrauensgrundsatz hat über die schon angesprochene Verbindung zum Eigentumsgrundrecht hinaus als eigenes Rechtsprinzip besondere Merkmale. Insoweit geht es gerade nicht nur um das bloße Vertrauen des Eigentümers in den Fortbestand seines Eigentums. 525 Dies ist selbstverständlich. Für den Vertrauensgrundsatz als eigenständigen Rechtsgrundsatz bedarf es zunächst des Nachweises eines besonderen Vertrauenstatbestandes, der grundsätzlich auf einem Handeln der Organe beruhen muß. 526 Gemeinschaftsrechtlich hat der EuGH ausgedrückt527 : "Außerdem ist eine Berufung auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes gegenüber einer Gemeinschaftsregelung nur insoweit möglich, als die Gemeinschaft zuvor selbst eine Situation geschaffen hat, die ein berechtigtes Vertrauen wecken kann."

Als weitere Voraussetzungen für den Vertrauensschutz sind darüber hinaus die Kausalität von Vertrauenstatbestand und eventuellen Dispositionen sowie 525 S. aber Pernice, Grundrechtsgehalte im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 186 ff.; Rengeling, a.a.O., S. 49 ff.; zumindest mißverständlich von Milczewski, a.a.O., S. 280 ff. 526

Borchardt, a.a.O., S. 79 ff.; vgl. auch Gilsdoif, RIW 1983, 22 ff.

EuGH Rs. C-177 I 90, S1g. 1991, I-35 I 63 Rn. 14 - Kühn; s. jetzt auch EuGH Rs. C63 I 93 EuZW 1996, 309 I 311 Rn. 18 ff. - Fintan Duff u.a. 527

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die objektive Schutzwürdigkeit des Vertrauens zu nennen. 528 Im Rahmen einer Abwägung muß bilanzierend das Überwiegen des Einzelinteresses über dem Gemeinschaftsinteresse an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Sicherung und Funktionsfahigkeit des Gemeinsamen Marktes festgestellt werden.s29 In diesem letzten Zusammenhang hat der EuGH erst kürzlich erneut auf eine besonders weitgehende Einschränkbarkeit des Vertrauensschutzgedankens hingewiesen530: "Wenn der Grundsatz des Vertrauensschutzes auch zu den Grundprinzipien der Gemeinschaft gehört, so dürfen die Wirtschaftsteilnehmer doch nach ständiger Rechtsprechung nicht auf die Beibehaltung einer bestehenden Situation vertrauen, die die Gemeinschaftsorgane im Rahmen ihres Ermessens ändern können."

Damit kommt der Abwägung von Vertrauensschutz und gemeinschaftlicher Ermessenshandlung im Rahmen des Übermaßverbotes eine besondere Bedeutung zu. Das Ermessen der Gemeinschaftsorgane ist regelmäßig sehr weit531 und soll eigentlich durch den Vertrauensschutzgedanken begrenzt werden. Betont der EuGH nunmehr das Ermessen, kann das durchaus zu einer besonderen Gewichtung zu Lasten des Vertrauensschutzes ausfallen, soweit der EuGH dies "im Rahmen" des Ermessens sieht. aa) Vertrauenstatbestand

Borchardt hat ausgedrückt, daß ein Vertrauensverhältnis zwischen Gemeinschaftsorganen und Gemeinschaftsbürger dann gegeben ist, wenn die Gemeinschaft einzelnen Rechte gewährt oder Erwartungen weckt, denen entsprechend sie ihre Lebensverhältnisse ordnen. Ein vertrauensbildendes Verhalten sei durch positives Handeln oder Unterlassen möglich. 532 Die entscheidende Frage ist damit, worin bei den transeuropäischen Verkehrsnetzen ein durch die EG begründeter, gesonderter Vertrauenstatbestand gesehen werden kann. Der bloße Eigentumserwerb scheidet dabei aus, da einerseits die Trennung von Eigentumsgrundrecht und Vertrauensgrundsatz hervorgehoben wurde, andererseits aber auch wegen Art. 222 EGV die Gem Borchardt, a.a.O., S. 97, 99. 529 Borchardt, a.a.O., S. 122 f. 530 EuGH Rs. C-353192, S1g. 1994, 1-3411 13449 Rn. 44 Griechenland/ Rat; s.a. EuGH Verb. Rs. 360 u. 362 I 93, Slg. 1994, 1-4863 I 4909 Rn. 57 - Crispoltoni; EuGH Rs. C-280 I 93, EuZW 1994, 688 I 692 Rn. 80 - Bananen; EuGH Rs. 52 I 81, Slg. 1982, 3745 I 3762 Rn. 27- Faust. 53 1 Siehe EuGH Rs. C-280 193, EuZW 1994, 688 1693 Rn. 90 - Bananen (Ermessen im Agrarbereich). 532 Borchardt, a.a.O., S. 77, 79.

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meinschaft eben gerade nicht allgemein den Erwerb oder Verlust von Grundeigentum regelt. Ein gesonderter Vertrauenstatbestand kommt damit nur dann in Betracht, wenn die Gemeinschaft z.B. im Bereich der Landwirtschaft oder des Naturschutzes eine besondere grundstücksbezogene (Nutzungs-)Regelung getroffen hat, die ausnahrnesweise in einer konkreten Situation vertrauensschützend wirkt. Zu denken wäre beispielsweise an individuelle Entscheidungen, die einen besonderen Schutz des Grundstücks bedeuten. Dabei kann dieser Schutz auch auf die besondere Nutzung bezogen sein und somit in die berufliche Tätigkeit übergreifen. Entscheidend ist, daß ein unmittelbar wirksamer Rechtsakt der Gemeinschaft dem einzelnen Rechte verleiht, die ihn aus anderen Grundstückseigentümern herausheben. Darüber hinausgehend läßt es die besondere Situation bei der gemeinschaftsrechtlichen Umsetzung transeuropäischer Verkehrsnetze geboten erscheinen, daß entgegen der Ansicht des EuGH auch ausnahmsweise nationale Rechtsakte Vertrauensgesichtspunkte begründen können. 533 Diese Überlegung gründet dabei im konkreten Fall darauf, daß die EG nur an Stelle der Mitgliedstaaten den Rechtsakt erlassen soll, während die federführende Ausarbeitung regelmäßig noch in den Händen der Mitgliedstaaten verbleibt. Bei einer solchen Art der Kooperation würden sich die Mitgliedstaaten aber widersprüchlich verhalten, wenn sie bei einer rein nationalen Umsetzung selbstverständlich Vertrauensgesichtspunkte zu beachten hätten und dies nur durch den Austausch des Rechtsetzungsorgans nun nicht mehr der Fall wäre. Dies würde im Ergebnis zur bewußten Umgehung innerstaatlicher Rechtsgarantien führen. Mangels einer eigenen verwaltungsrechtlichen A\lsarbeitung der Gemeinschaft zur Umsetzung der Netze, kommt es insoweit auch nicht zu einer Kollision mit dem nationalen Recht (und damit zum Problem des Gemeinschaftsvorrangs). Die Eigenständigkeil des Gemeinschaftsrechtes bei Beachtung national gesetzter Vertrauenstatbestände würde urnso weniger angetastet werden, wenn das mitgliedstaatliche Verhalten in der Gemeinschaft berücksichtigt würde. Sieht man die nationalen Verwaltungen als in Auftragsverwaltung für die Gemeinschaft tätig an534, kann damit der mitgliedstaatliehen Planung der Gemeinschaftsbezug entnommen werden mit der Folge, daß sich die Gemeinschaft das nationale Handeln zurechnen lassen muß. Da die Gemeinschaft auf der anderen Seite von der mitgliedstaatliehen Planung profitiert, ist der national gesetzte Vertrauenstatbestand nur die Kehrseite ein- und derselben Medaille. Der EuGH hat in der Milchkontor-Entscheidung auch eine Berücksichtigung nationaler Vertrauenstatbestände zumindest angedeutet. Dort heißt es535, m Vgl. auch von Milczewski, a.a.O., S. 282 f. Vgl. Bleckmann, Europarecht, Rn. 614. 535 EuGH Verb. Rs. 205-215 I 82, Slg. 1983,2633/2669 Rn. 30 (Herv. vom Verf.).

534

C. Grundrechtsprobleme bei Umsetzung transeuropäischer Verkehrsnetze

247

"( ... ) daß die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit Bestandteil der Rechtsordnung der Gemeinschaft sind. Daher kann es nicht als dieser Rechtsordnung widersprechend angesehen werden, wenn nationales Recht in einem Bereich wie dem der Rückforderung von zu Unrecht gezahlten Gemeinschaftsbeihilfen berechtigtes Vertrauen und Rechtssicherheit schützt."

Die Bedeutung von innerstaatlichen Vertauenstatbeständen für die Gemeinschaftsrechtsordnung ergab sich daraus, daß eine Beihilfe national durch Verwaltungsakt gewährt wurde. Damit war ein Vertrauenstatbestand national begrundet worden, der bei der Rückforderung zu berucksichtigen war, vgl. § 48 II 3 VwVfG. Zwar erfolgte die Rückforderung auch durch einen nationalen Akt, doch betonte der EuGH, daß dies mit dem Gemeinschaftsrecht wegen des dort ebenfalls geltenden Vertrauensschutzprinzips konform sei. Dadurch hat der EuGH die Verbindung von nationalen Verwaltungsverfahren und gemeinschaftsrechtlichen Erfordernissen geschaffen und das Verwaltungshandeln gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen des Vertrauensschutzes untergeordnet. Bei einer strikten Eingrenzung auf gemeinschaftlich begrundete Vertrauenstatbestände hätte der EuGH diese hingegen ausführlich darlegen müssen, was er jedoch nicht getan hat. Nun mag diese Entscheidung damit zusammenhängen, daß es kein Gemeinschaftsverfahren zur Rückforderung von Gemeinschaftsbeihilfen gibt. Gleichwohl ist gerade dann dieser Gedanke auf die transeuropäischen Verkehrsnetze übertragbar, da ein gemeinschaftliches Planfeststellungsverfahren ebensowenig besteht. Insoweit wäre es formalistisch, würde man allein von der gemeinschaftlichen oder nationalen Rechtsnatur des Umsetzungsaktes auf die zu berucksichtigenden Vertrauenstatbestände schließen. Nationale Vertrauenstatbestände müssen auch bei einem gemeinschaftsinitiierten Einschalten von privaten Planungsgesellschaften zu berucksichtigen sein. Dies ergibt sich aus den Rechtmäßigkeitsanforderungen, die an den im Ergebnis verbindlichen Planungsakt der Gemeinschaft zu stellen sind. Ist die Ausarbeitung schon grundrechtswidrig, kann der abschließende Hoheitsakt nicht rechtmäßig sein. Der Hoheitsakt würde dann die Fehlerhaftigkeit beinhalten, bevor es zum endgültigen Erlaß käme. bb) Kausalität

Das Erfordernis einer Kausalität zwischen Vertrauenstatbestand und der erworbenen Rechtsposition ist Ausdruck der konkreten Inanspruchnahme des Vertrauens durch den einzelnen. Soweit allerdings ein Rechtsakt unmittelbar begünstigend ist (also nicht nur Erwartungen schützt), ist die Kausalität regelmäßig zu bejahen. 536 536

Borchardt, a.a.O., S. 97 f.

248

2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

cc) Schutzwürdigkeit des Vertrauens

Diese ist gegeben, wenn der Vertrauenstatbestand so ausgestaltet ist, daß der einzelne objektiv auf den Rechtsakt vertrauen durfte. Dies entfallt bei evidenter Rechtswidrigkeit des Gemeinschaftshandeins oder entgegenstehenden, in dem Rechtsakt selbst angelegten Beschränkungen wie zum Beispiel einem Widerrufsvorbehalt537 dd) Interessenahwägung

Der Vertrauensgrundsatz konkurriert mit dem Grundsatz von der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Sicherung der Funktionsfahigkeit des Gemeinsamen Marktes. 538 Insbesondere das zweite Kriterium kann als eine Art Generalklausel angesehen werden. Dabei hat der Grundsatz der Funktionsfahigkeit des Gemeinsamen Marktes in Hinblick auf die transeuropäischen Verkehrsnetze eine besondere Bedeutung erfahren, da diese politisch eine Vorrangstellung einnehmen. 539 Bei der Abwägung im konkreten Einzelfall muß jedoch beachtet werden, daß der dahinterstehende Gedanke von den sich rasch wandelnden wirtschaftlichen, industriellen und sozialen Verhältnissen fiir die Verkehrsinfrastrukturen nicht gilt. Das vom EuGH den Gemeinschaftsorganen (und in unserem Rahmen auch der Mitgliedstaaten) insoweit eingeräumte weite Ermessen540 gilt damit nur begrenzt. Die Verkehrswege sind langfristig angelegt, und allein ihre Planung kann nicht als ein kurzfristiges Reagieren auf den raschen Wechsel ökonomischer Faktoren angesehen werden. Zwar wurde herausgestellt, daß die EG I EU ein besonderes vordringliches Interesse an der zügigen Umsetzung transeuropäischer Verkehrsnetze hat, doch gilt dies eher in einem globalen, strategischen Rahmen. Dies kann nicht mit der kurzfristigen Sicherung der Funktionsfahigkeit des Gemeinsa· men Marktes gleichgesetzt werden. Andererseits ist zu berücksichtigen, daß allein aufgrund der Dauerhaftigkeit von Verkehrsinfrastrukturen ihnen langfristig gesehen eine größere Bedeutung zukommt als dem Vertrauensschutz des einzelnen. Dies gilt zumindest dann, wenn der Vertrauensschutztatbestand sich in zusätzlichen Vergünstigungen manifestiert, die nicht existenziell sind. Dann steht von der WertigUmfassend die Möglichkeiten aufzählend Borchardt, a.a.O., S. 101 ff. Vgl. den Überblick zur EuGH-Rechtsprechung bei Borchardt, a.a.O., S. 124 f. 539 Vorsicht ist dagegen mit der Ansicht geboten, daß gerade die Sicherung der Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft die Verwirklichung aller ihrer Ziele, Interessen und allgemeinen Rechtsgrundsätze (also auch des Vertrauensschutzes) verlange; vgl. Koch, EuZW 1995, 78 I 80; jedenfalls ist aber auch dann ein Ausgleich zwischen der Funktionsfähigkeit und dem Vertrauensschutz im Wege der Abwägung herzustellen. 540 EuGH Rs. 52/81 , Slg. 1982, 3745/3762- Faust; EuGH Rs. 245/81, Slg. 1982, 2745 Rn. 27 - Edeka. 537

53 "

C. Grundrechtsprobleme bei Umsetzung transeuropäischer Verkehrsnetze

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keit her einem langfristigen und grundsätzlichen Gemeinschaftsinteresse ein eher kurzfristiges und am Rande liegendes Vertrauensinteresse entgegen. Dies muß bei einem konkreten Ausgleich im Rahmen der Verhältnismäßigkeit berücksichtigt werden. Das kann z.B. zur Folge haben, daß das Vertrauensinteresse finanziell zu ersetzen ist. Auch hier gilt aber, daß je bedeutsamer der Einwand des einzelnen ist, desto eher er bei der Projektimplementierung berücksichtigt werden muß. Da bei der Ausarbeitung der konkreten Pläne sowieso eine umfassende Wirtschaftlichkeitsprüfung z.B. hinsichtlich Baukosten, Umweltschutz und Nutzungprognosen erstellt wird, können auch besondere Vertrauensschutzeinwände, die sich auf gemeinschaftliches oder mitgliedstaatliches Rechtshandeln gründen, schon in die Planungsahwägung einfließen. Im Ergebnis kommt dies damit einer zweiseitigen Abwägung gleich: auf der einen Seite muß die Verkehrswegeplanung den konkreten Vertrauensschutz berücksichtigen, auf der anderen Seite ist beim Vertrauensschutz die strategische Bedeutung transeuropäischer Verkehrsnetze, wie sie primärrechtlich und sekundärrechtlich in den Zielen Ausdruck gefunden hat, mit einzubeziehen. c) Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs

Der EuGH hat den Anspruch auf rechtliches Gehör auf das Verwaltungsverfahren bezogen und damit neben das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gestellt. 541 Durch die Einordnung als allgemeinen Rechtsgrundsatz hat der EuGH eine Ausdehnung der vereinzelten sekundärrechtlichen Vorschriften, wie es sie v.a. im Wettbewerbsbereich hinsichtlich von Sanktionen gegenüber Unternehmen gibt, auf den gesamten Gemeinschaftsbereich vorgenommen. 542 Das Prinzip des rechtlichen Gehörs gilt damit auch dann, wenn eine gesetzliche Regelung für das Verwaltungsverfahren fehlt. 543 Den Inhalt dieses Rechtsprinzips formulierte der EuGH folgendermaßen 544 : 541 Erstmalige Anerkennung in EuGH Rs. 32 I 62, Slg. 1963, 107 I 123 - Alvis; in jüngster Zeit EuGH Rs. C-269190, S1g. 1991, I-546915499 Rn. 14- TU München; EuGH Rs. C-135192, Slg. 1994, I-288512909 Rn. 39- Fiskano; EuGH S1g. 1994, II-49- CB; vgl. zur Herleitung dieses Grundsatzes Michelsen, Das rechtliche Gehör im Verwaltungsverfahren im Recht der Europäischen Gemeinschaften, 1974; s.a. insgesamt Grzybek, Prozessuale Grundrechte im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1993; Bast, RIW 1992, 742 ff.; Hamacher, Die Maxime audiatur et altera pars im Völkerrecht, 1986, S. 164 ff. 542 Zu sekundärrechtlichen Grundlagen Gassner, DVBI. 1995, 16117 f.; zum Wettbewerbsbereich s. EuGH Verb. Rs. 100-103 I 80, Slg. 1983, 1825/1880 Rn. 9 f. -MusiqueDiffusion; EuGH Rs. 85176, Slg. 1979, 4611511 Rn. 9- Hoffmann-La Rache; vgl. dazu ausfuhrlieh Korah, Current Legal Problems 1980, 73 ff. 543 EuGH Slg. 1994, I-2885 12909 Rn. 39 - Fiskano - mit umfangreichen Rechtsprechungsnachweisen. 544 EuGH Rs. 234 I 84, Slg. 1986, 2263 I 2289 Rn. 27 - Belgien I Kommission; vgl. auch schon EuGH Rs. 85176, S1g. 1979, 4611511 Rn. 9 - Hoffmann-La Rache; EuGH Rs. C-

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2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

"Nach ständiger Rechtsprechung erfordert die Gewährung des rechtlichen Gehörs, demjenigen, gegen den die Kommission ein Verwaltungsverfahren eingeleitet hat, im Laufe dieses Verfahrens Gelegenheit zu geben, zum Vorliegen und zur Erheblichkeit der behaupteten Tatsachen und Umstände sowie zu den von der Kommission flir ihre Behauptung einer Verletzung des Gemeinschaftsrechts herangezogenen Unterlagen Stellung zu nehmen."

Von diesem Grundsatz ausgehend mußte der EuGH über die Festlegung des Anhörungsgegenstandes 545 und den Zeitpunkt der Mitteilung an die Betroffenen entscheiden. 546 Demnach sind die wichtigsten Fakten über die mögliche Betroffenheit mitzuteilen. Bei einer Planung von Infrastrukturen ergibt sich hieraus regelmäßig das Erfordernis des vollständigen Zugänglichmachens der Planunterlagen. Insoweit wird auch das Recht auf Akteneinsicht umfassend geschützt. 547 In der Entscheidung TU München hatte der EuGH zudem eine engere Formulierung aufgegeben, derzufolge der Grundsatz des rechtlichen Gehörs nur dann Anwendung finden würde, wenn eine Verwaltungsmaßnahme Interessen des einzelnen "erheblich" verletzen könnte. 548 Rechtliches Gehör sei in jedem Verwaltungsverfahren zu gewähren. 549 Darüber hinaus hat der EuGH auf den Kausalzusammenhang von der Verletzung des reetliehen Gehörs und dem Gemeinschaftsrechtsakt hingewiesen550: "Eine solche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör fUhrt jedoch nur dann zu einer Nichtigerklärung, wenn das Verfahren ohne diese Verletzung zu einem anderen Ergebnis hätte fUhren können."

Diese Beschränkung bedeutet nicht, daß damit gebundene Entscheidungen von diesem Rechtsprinzip entbunden wären, da ein rechtliches Gehör auch auf Tatsachenebene relevant sein kann. In der angeführten Entscheidung ging es vielmehr um einen Umstand, den die belgisehe Regierung schon kannte und zu dem sie schon einmal Stellung genommen hatte. Da die transeuropäischen Verkehrsnetze jedoch auf einer Ermessensentscheidung basieren, kann diese Einschränkung durch den EuGH in dem vor142/87, Slg. 1990, 959/1016 Rn. 47- Belgien/Kommission; EuGH Rs. C-269 / 90 Slg. 1991, I-5469/5501 Rn. 25 - TU München; vgl. auch implizit EuGH Rs. 121177, S1g. 1979, 1363/1382 Rn. 19 ff. - Nachi Fukikoshi. 545 EuGH Rs. 85176, Slg. 1979, 461 / 512 Rn. 11 - Hoffmann-La Roche. 546 EuGH Rs. 57/69, S1g. 1972, 933 / 949 Rn. 12114 - ACNA; s. Bast, RIW 1992,742/ 744 f.; Gassner, DVBI. 1995, 16/18 f. 547 Zu diesem Recht als Ausprägung des Grundsatzes vom rechtlichen Gehör Gassner, DVBI. 1995, 16 / 20 ff. ; Bast, RIW 1992,742/745 ff. 548 EuGH Rs. 121176, Slg. 1977, 197111979 Rn. !9121-Mo/i. 549 EuGH Rs. C-269/90, Slg. 1991, I-5495/5499 Rn. 14- TU München. 550 EuGH Rs. C-142/87, Slg. 1990, I-95911016 Rn. 48 - Belgien/Kommission.

C. Grundrechtsprobleme bei Umsetzung transeuropäischer Verkehrsnetze

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liegenden Zusammenhang in keinem Fall zum Tragen kommen. Es ist daher zu beachten, daß das rechtliche Gehör Verfahrensteilnehmern dann zu gewähren ist, wenn die tatsächlichen Sachverhaltsermittlungen abgeschlossen sind und es um die Projektalternativen geht. 551 Ausgehend von den einleitenden Bemerkungen zu der doppelten Relevanz der Verfahrensgrundrechte sowohl im vorbereitenden Planungsverfahren als auch bei der Gemeinschaftsbeschlußfassung sind die vorstehenden Erläuterungen zum rechtlichen Gehör wie folgt einzuordnen: Das nationale Planungsverfahren genügt den europarechtlichen Anforderungen zweifellos. Für die Planungen durch eine private Gesellschaft stellen die Grundsätze vom rechtlichen Gehör hingegen einen zu beachtenden Mindeststandard dar. Bei der gemeinschaftlichen Beschlußfassung stellt sich das Problem, daß der EuGH den Grundsatz des rechtlichen Gehörs allein auf das Handeln der Kommission angewendet hat. Im Rahmen der transeuropäischen Verkehrsnetze würde aber der Rat und nicht die Kommission den Rechtsakt erlassen. Gleichwohl kann dies jedoch nicht zu einer Einschränkung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs führen. Ob die Kommission oder der Rat den endgültigen Rechtsakt erlassen, ist gleichgültig, da dieses Rechtsprinzip als "fundamentaler Rechtssatz" im Gemeinschaftsrecht als Ganzem gilt. In den bisherigen Fällen ging es eben nur um ein exekutives Verwaltungshandeln der Kommission. Da der Rat bei der Implementierung transeuropäischer Netze gerade als Exekutivorgan tätig wird, müssen unter diesem Gesichtspunkt auch die verwaltungsrechtlichen Grundsätze Anwendung finden. Gerade im Vergleich zum innerstaatlichen komplizierten Anhörungsverfahren zeigt sich insoweit auch die besondere Bedeutung, die dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs bei der Verkehrswegeplanung im Ergebnis zukommt. Dies folgt auch aus der Überlegung der Konftiktvermeidung, derzufolge eine grundlegende Notwendigkeit besteht, dem Bürger die Möglichkeit zu geben, im Verwaltungsverfahren Bedenken vorzubringen. Ausgehend von dem europäischen endgültigen Umsetzungsrechtsakt ist damit auch auf europäischer Ebene in jedem Falle ein Grundrecht auf rechtliches Gehör anzuerkennen.552 Daß ein europäischer Rechtsakt in diesem Zusammenhang stets begründet sein muß, folgt schon aus Art. 190 EGV und ist als rechtsstaatliebes Gebot bei Belastungen eine Selbstverständlichkeit. 553

m Zur Bedeutung des Ermessensspielraums Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht li, S. 1309 ff.; EuGH Rs. 269190, Slg. 1991,1-546915499 Rn. 13 f.- TU München. 552 553

So auch Zuleeg, NJW 1994, 545 I 547. EuGH Rs. 222 I 86, Slg. 1987, 4097 I 4117 Rn. 14 f. - Heylens; s.a. Schwarze, NJ

1994, 53 I 58.

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2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

II. Allgemeine gemeinschaftsrechtliche Leitlinien und nationale Verwaltungsumsetzung 1. Betroffenheit europäischer Grundrechte?

Gemeinschaftsgrundrechte schützen grundsätzlich nur gegen einen Rechtsakt der Gemeinschaft. Dieser muß fiir den einzelnen eine unmittelbare Beschwer darstellen wie z.B. eine Verbotsverfiigung554 oder eine detaillierte Vorschrift, die den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung keinen Spielraum einräumt.555 Durch die konkrete Normierung wird der einzelne unmittelbar in seinen Rechten schon durch den Gemeinschaftsakt betroffen, auch wenn der belastende Bescheid durch die nationale Verwaltung ergeht. Gegenüber den Leitlinien ergibt sich damit kein Gemeinschaftsgrundrechtsschutz, da die Leitlinienentscheidung an die Mitgliedstaaten adressiert ist und der einzelne Bürger nicht unmittelbar betroffen wird. Bisher kommt auch keine mittelbare Betroffenheit in Betracht, die eine Berufung auf Gemeinschaftsgrundrechte zuließe. 556 Allerdings wurde schon erwähnt, daß der EuGH in engen Grenzen einen Gemeinschaftsgrundrechtsschutz gegenüber nationalen Maßnahmen dann in Betracht zieht, wenn diese zur "Durchführung" eines unmittelbar wirkenden Gemeinschaftsaktes angesehen werden können. Diese Rechtsprechung kann jedoch ebensowenig auf die Leitlinienentscheidung angewandt werden, da den Mitgliedstaaten ein viel zu großer Anwendungsspielraum verbleibt. Es fehlt insoweit an einer Betroffenheit, die gerade durch das Gemeinschaftsrecht bedingt ist. 557 2. Nationaler Grundrechtsschutz

Somit sind gegen die mitgliedstaatliehen Umsetzungsmaßnahmen der Leitlinienentscheidung nur nationale Grundrechte einzuwenden. Im Grundgesetz kommen dabei als materielle Grundrechte Art. 14 und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG bei Enteignungen und Immissionen in Betracht. Den Verfahrensanforderungen, die damit einhergehen, wird durch das Planfeststellungsverfahren grundsätzlich Genüge getan. Die Darstellung der Betroffenheit von Art. 14, 554

Wein.

So in EuGH Rs. 44/79, Slg. 1979, 3727- Hauer: Verbot der Neuanpflanzung von

555 In EuGH Rs. 29/69, Slg. 1969, 419- Stauder-sah die deutsche Übersetzung des Entscheidungstextes audrucklich die Namensnennung des Begünstigten vor; auch in EuGH Rs. 4/73, Slg. 1974, 491 - Nold- konnte die nationale Behörde nicht von den festgelegten Gemeinschaftsvoraussetzungen abweichen. 556

S. dazu oben die Ausführungen zu Art. 173 Abs. 4 EGV, 2. Teil, A.III.2.

557

S.o. 2. Teil, A.III.3.c).

C. Grundrechtsprobleme bei Umsetzung transeuropäischer Verkehrsnetze

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Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG kann sich in dieser Hinsicht auf eine kurze Darstellung unter Einschluß der gemeinschaftsrechtlichen Einflüsse beschränken. Anschließend sind die verfahrensgrundrechtliehen Probleme infolge des Planungsvereinfachungsgesetzes und insbesondere der Frage des ausreichenden Verwaltungsverfahrensschutzes bei der Plangenehmigung darzulegen. Die Erörterung des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes muß gesondert davon erfolgen, da es sich um ein örtlich und zeitlich nur eingeschränkt geltendes Gesetz handelt. Insoweit stellt sich insbesondere die Frage nach einem möglichen Rechtsschutzdefizit Die Frage der Rechtmäßigkeit von Enteignungen wird in diesem Rahmen zunächst nur fiir die Administrativenteignung behandelt. Auf die Voraussetzungen der Legalenteignung soll erst in Zusammenhang mit den Investitionsmaßnahmegesetzen eingegangen werden. 558 a) Art. 14 GG als verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab im herkömmlichen Planungsrecht

aa) Gerichtliche Kontrolldichte durch das BVerfG, BVerwG und den BGH Art. 14 kann in zwei Richtungen betroffen sein: einerseits kann es zu Eingriffen in das Eigentum durch Enteigungen kommen. Damit findet fiir die Rechtmäßigkeitskontrolle Art. 14 Abs. 3 GG Anwendung. Andererseits verursacht der Verkehr Immissionen wie z.B. Lärm, Abgase und Staub. Diese bedeuten fiir das Eigentum grundsätzlich keine Enteignung, sondern eine Inhalts- und Schrankenbestimmung mit der Folge, daß solche Beeinträchtigungen an Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG zu messen sind.559 Trotz der umfassenden Bindung der öffentlichen Gewalt an die Grundrechte, Art. 1 Abs. 3 GG, haben diese verfassungsrechtlichen Vorgaben fiir die Gerichte unterschiedliche praktische Bedeutung. Grundsätzlich unterliegen Planfeststellungsbeschlüsse und Administrativenteignungen der Kontrolle durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit.560 Das BVerwG fiihrt eine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle S.u. 2. Teil, C.III. Siehe BVerfGE 79, 174/191 f.; fiir die Verhältnismäßigkeitsprüfung kommen dabei nur die Folgen, die unmittelbar durch das planfestgestellte Vorhaben verursacht sind, in Betracht, VGH Mannheim, VBIBW 1996, 18/22. S. i.ü. Steinberg, Fachplanung, S. 86: Grundrechtsgefährdungen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit stehen einer Grundrechtsverletzung gleich. · 560 Grundsätzlich sind durch den einzelnen nur die Planfeststellungsbeschlüsse angreifbar und nicht die (verwaltungsintemen) Zwischenentscheidungen. Alllerdings kann dies wegen Art. 19 Abs. 4 GG ausnahmsweise anders liegen, wenn der vorangehenden Entscheidung schon ein verbindlicher Sach- und Regelungsgehalt zukommt, BVerfG DVBI. 1981 , 374 f. 558 559

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2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

durch, die die Frage der Planrechtfertigung, der Beachtung der gesetzlichen Planungsleitsätze und das planensehe Abwägungsgebot enthält.561 Die Planrechtfertigung ist dabei fur die Frage relevant, inwieweit das konkrete Vorhaben nach der fachplanensehen Zielsetzung gerechtfertigt ist. 562 Gesetzliche Planungsleitsätze sind z.B. § l V BauGB. Diese können durch Verwaltungsrichtlinien wie das "Allgemeine Rundschreiben Straßenbau"563 , das Richtlinien fur die Planfeststellung nach dem Bundesfernstraßengesetz enthält, konkretisiert werden. Eine besondere Bedeutung nimmt darüber hinaus das planensehe Gebot zur Vermeidung unnötiger Landschaftseingriffe und zum Ausgleich unvermeidlicher Beeinträchtigungen nach § 8 BNatSchG ein. Es handelt sich um ein striktes Gebot, das nicht im Rahmen der Abwägung überwunden werden kann. Das BVerwG hat diesbezüglich eine sehr feinsinnige Rechtsprechung entwickelt. 564 Das allgemeine Abwägungsgebot muß die Bedeutung der einzelnen Belange berücksichtigen und gegebenfalls einen verhältnismäßigen Ausgleich herstellen. 565 mit kritischen Anmerkungen Schmidt-Aßmann, DVBI. 1981, 3341336 ff.; s. dazu auch Bäum/er, DÖV 1981, 43 ff. 561 Grundlegend BVerwGE 48, 56 ff. - B 42; s. Stüer, DVBI. 1991, 1333 I 1338; Bender, DVBI. 1984, 301 /302; Ramsauer, DÖV 1981, 37 ff.. Sehr anschaulich ist die Entscheidung BVerwGE 71, 166 I 168, 170 f.: Das Gericht zieht Umstände wie die Qualität der Straßen hinsichtlich Ortsdurchfahrten, Kurven,' Kuppen, die Entwicklung eines unterentwikkelten Raumes im Rahmen der Planrechtfertigung in Betracht. Bei dem Abwägungsgebot stellt es Überlegungen zum Naturschutz, dem Landschaftsverbrauch, dem ausbaufähigen Zustand einer bestehenden Straße an und die dadurch schon voregegebene landschaftliche Vorprägung, die geländebedingte Straßenfiihrung bzgl. Dämmen und Einschnitten und die darauf bezogene zugrundegelegte Entwurfsgeschwindigkeit; vgl. auch Vallendar, UPR 1995, 2961297. 562 BVerwGE 72, 282; der Ptüfungsumfang ist hier sehr beschränkt; er erfaßt nur die Bedarfsplanung, für die es an jeglicher Notwendigkeit fehlt. Als Anlage zum FemStrAusbauG müßte insoweit das BVerfG nach einer richterlichen Vorlage entscheiden, BVerwG DÖV 1995, 951 1952; BVerwG NVwZ 1995, 779; zur Verbindlichkeit BVerwG NuR 1994, 2341236 f.

563 Allgemeines Rundschreiben Straßenbau Nr. 1211984, Sachgebiet 15: Rechtswesen und Gesetzgebung vom 12.4.1984.

564 BVerwG NuR 1993, 125; s.a. VGH Mannheim VBlBW 1996, 18 ff.; VGH Mannheim VBlBW 1995, 392 ff.; umfassend zu § 8 BNatSchG Berkemann, NuR 1993, 97 ff., der die Norm einer kritischen Ptüfung in Hinblick auf die auslegungsbedürftigen Bestimmungen unterzieht (insbesondere in Hinblick auf die Rechtsfolgen, S. 101 ff.). 565 BVerwGE 71, 1661171; 34, 301 1309; 48156; 561110, s. dazu Hoppe, DVBI. 1992, 8531856; umfassend auch Wahl, NVwZ 1990, 4261435 ff.; Steinberg, NVwZ 1986, 8121 813 f.; zur gerichtlichen Kontrolle Löwer, DVBI. 1981, 528 ff.; Bender, DVBI. 1984, 301 I 302; das Abwägungsgebot erfaßt folgende Punkte (nach Stüer, DVBI. 1991, 133311338 Fn. 34): Ermittlungsausfall, -defizit; Abwägungsausfall, -defizit; Abwägungsfehleinschätzung, -disproportionalität; subjektive Abwägungssperre (unzulässige Planbindungen), Abwägungsdivergenz (Regelungsinhalt der Festsetzungen und Abwägungsentscheidung weichen voneinander ab). Dies erfaßt auch das Eigentum der Gemeinden als juristische Person des öffentlichen Recht, da Art. 14 GG mangels Grundrechtsträgerschaft nicht eingreift, BVerwG UPR 1995, 268; s.a. Vallendar, UPR 1995, 2961299.

C. Grundrechtsprobleme bei Umsetzung transeuropäischer Verkehrsnetze

255

Von diesen Grundsätzen ausgehend hat das BVerwG jedoch in Hinblick auf das Eigentumsgrundrecht den Prüfungsmaßstab differenziert beurteilt und von der unterschiedlichen Betroffenheit des Eigentümers durch eine Enteignung bzw. durch eine Inhalts- und Schrankenbestimmung abhängig gemacht. Soweit eine Enteignung im Sinne von Art. 14 Abs. 3 GG vorliege, könne der Eigentümer eine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle über seine eigenen Belange hinaus verlangen: Dies beträfe auch öffentliche Interessen, wie zum Beispiel den Naturschutz, da es insoweit für die Rechtmäßigkeit der Enteignung auf das Allgemeinwohl ankomme. 566 Handele es sich hingegen wn eine eigentumsrelevante nachbarrechtliche Auswirkung, könne der Kläger nur eigene Belange geltend machen. Dies folge aus dem Sinn des Abwägungsgebotes und §§ 42 II, 113 I 1 VwG0. 567 Die Kontrollbefugnis des BGH resultiert hingegen aus seiner Zuständigkeit für die Eigentumsentschädigung. Diese folgt nicht nur für die klassische Enteignung aus Art. 14 Abs. 3 S. 4 GG, sondern ergibt sich schon aus der gewohnheitsrechtlich anerkannten Aufopferungsentschädigung wegen enteignungsgleichen Eingriffs z.B. von Verkehrslärmimmissionen.568 Allerdings hat auch das BVerwG über entsprechende Ausgleichsansprüche entschieden, soweit diese unterhalb der Enteignungsschwelle lagen. 569 Die Abgrenzung zwischen der Rechtsprechung von BVerwG und BGH ist dabei in letzter Zeit wieder in Fluß geraten, doch bedarf dies vorliegend keiner Vertiefung. 570 Daneben hat das BVerfG nur eine eingeschränkte Prüfungskompetenz. Vom verfassungsgerichtlichen Standpunkt kann eine Verfassungsbeschwerde nur bei einer grundrechtstypischen und schweren Verkennung eigentumsrechtlicher Vorgaben Erfolg haben. Der Prüfungsauftrag reicht dabei umso weiter, je intensiver sich der Grundrechtseingriff darstellt. 571 Insoweit ist ein Enteignungseingriff eher einer verfassungsrechtlichen Prüfung zugänglich als 566

BVerwGE 67, 74176.

567

BVerwGE 48, 56 I 66 - B 42; s. dazu auch Weyreuther, DÖV 1977, 419 ff.

BGH 54, 384; BGH NJW 1988, 900, vgl. Hofmann, Planungs- und entschädigungsrechtliche Fragen des Verkehrslärmschutzes, 1988; Hartung, Entschädigung fiir Straßenverkehrslärmimmissionen in der Rechtsprechung des BGH, 1987; Schwager! Krohn , WM 1991, 33142 f.; Boujong, UPR 1987, 207 ff.; Rank, BayVBl. 1985, 481 ff.; Numberger, BayVBl. 1984, 456 ff.; Bender, DVBl. 1984, 301/307ff.; weitere Nachweise bei MD-Papier, Art. 14 Rn. 460 Fn. 1208; s. a. MD-Papier, Art. 14 Rn. 470. 56'

569 BVerwGE 77, 295/297, gestützt auf§ 17 IV a.F. FStrG (jetzt§ 74 II 3 VwVfG). Das BVerwG betont, daß die Zuweisung von Art. 14 Abs. 3 S. 4 GG bereits deswegen nicht greifen könne, da diese Regelung nur den Streit um die Höhe nicht aber um den Anspruchsgrund erfasse; vgl. BK-Kimminich, Art. 14 Rn. 344; Vallendar, UPR 1995, 296 I 297 f. 570 BGH NJW 1993, 1700/1701; BVerwGE 79, 2541262 f. ; s. dazu MD-Papier, Art. 14 Rn. 471 f. 571

BVerfGE 83, 1301145; 79, 174 / 200; 43, 130 / 135; 18, 85/92 f.; st. Rspr.

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2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

ein Eingriff in Art. 14 Abs. I S. 2 GG, da es sich um eine intensivere Beschränkung des Eigentumsgrundrechts handelt. Das betroffene Eigentumsgut muß in seiner konkreten Ausgestaltung gesehen werden. Sowohl die Grundsätze der Sozialbindung als auch die Bedeutung des Grundeigentums für den einzelnen sind bei der Beantwortung dieser Frage zu berücksichtigen. 572 Für den Grund und Boden folgt grundsätzlich ein gesteigerter sozialer Bezug, der es erforderlich macht, Interessen der Allgemeinheit stärker zu berücksichtigen als bei anderen Vermögenswerten.573 bb) Administrativenteignung

Eine Enteignung liegt vor, wenn der Staat zielgerichtet zur Güterbeschaffung einzelne subjektive Eigentumspositionen entzieht.574 Nach den Fachplanungsgesetzen finden grundsätzlich die Enteignungsgesetze der Länder Anwendung. 575 Die Enteignungen müssen sich in dem vom Planfeststellungsbeschluß vorgegebenen Rahmen bewegen576, der auch die Entscheidung über Grund und Höhe der Entschädigung enthalten muß. 577 Deswegen kann der Planfeststellungsbeschluß schon enteignungsrechtliche Vorwirkungen entfalten.578 Allerdings ist fraglich, ob insoweit schon die aus Art. 14 GG abgeleiteteten strengen Enteignungsgrundsätze für eine endgültige Enteignung gelten. Das BVerwG hat für den Unterschied von Planungs- und Enteignungsentscheidung zunächst klargestellt, daß die Planfeststellung in erster Linie dem planensehen Konzept genügen muß, welches nach Maßgabe der generellen Zielvorgabe des jeweiligen Planungsgesetzes sachgerecht zu planen sei. 579 Darüber hinaus müsse die Planung aber auch Art. 14 GG standhalten. 580 Dies erfordere, daß durch die Planung Aufgaben zum Wohle der Allgemeinheit im Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG wahrgenommen würden, deren Ausführung offensichtlich sachgerecht sein müsse. 581 In einer Entscheidung hat das Gericht ausgedrückt, daß im Rahmen des Abwägungsgebotes 572 Vgl. insoweit als Anforderung an den Gesetzgeber, die aber auch fiir die Verwaltung und i.E. auch fiir die Rechtsprechung des BVerfG gilt; vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 1007 ff. 573 BVerfGE 21, 73 I 82; 50, 290 I 340; 52, I I 32 f. 574 BVerfGE 72, 66176; 74, 2641280. 575 § 19 V FemStrG; § 22 IV AEG; § 44 III WaStrG; § 28 III LuftVG. 576 MD-Papier, Art. 14 Rn. 463; s.a. BVerwG UPR 1995, 268. 577 BVerwGE 71, 166 5. LS; BVerwGE 67, 74176 f. 578 S.a. BVerfGE 45, 297 I 319 f. 579 BVerwGE 66, 1331135. 580 BVerwGE 66, 1331135. SKI BVerwGE 66, 1331136 f.

C. Grundrechtsprobleme bei Umsetzung transeuropäischer Verkehrsnetze

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"[der] verfassungsrechtliche Eigentumsschutz ( ... ) nicht erst gegenüber der Enteignung selbst, sondern schon gegenüber dem Planfeststellungsbeschluß gegeben [ist], wenn mit ihm ( ... ) abschließend über die Zulässigkeit der- möglicherweise nachfolgenden- Enteignung befunden wird". 582

Damit sind die Anforderungen aus Art. 14 GG regelmäßig auch für die enteignungsrechtlichen Vorwirkungen umfassend zu beachten. Neben diesem Normalfall einer Iandesrechtlichen Administrativenteignung auf Grundlage eines Planfeststellungsbeschlusses besteht in zwei Gesetzen eine Enteignungsmöglichkeit nach §§ 93-122 BBauG: Im "Gesetz über den Bau der ,Südumfahrung Stendal' der Eisenbahnstrecke Berlin-Oebisfelde" (GStendal), § 3 II, III GStendal und im VerkPBG, § 9 I, II. Damit können sich im Einzelfall Abweichungen zu den Enteignungsverfahren, wie sie die Landesgesetze vorsehen, ergeben. Insgesamt nimmt die Administrativenteignung für das Verkehrswegeplanungsrecht eine große Bedeutung ein und zwar unabhängig davon, ob die Vorschriften des BauGB oder der Landesgesetze Anwendung finden. Aus verfassungsrechtlichtlicher Sicht erfordert die Anwendung des Enteignungsgesetzes die Beachtung des Allgemeinwohls und der JunktimklauseL ( l) Der Allgemeinwohlbegriff Zentraler Begriff bei einer Enteignung ist das "Allgemeinwohl". Es bezeichnet sowohl Grund als auch Grenzen einer Enteignung. 583 Vom Wortlaut des Art. 14 Abs. 3 S. 1, Abs. 2 GG her ergibt sich, daß die konkrete Enteignung notwendig sein muß. Sie darf nur ultima ratio sein, wenn andere rechtliche oder wirtschaftlich vertretbare Lösungen ausscheiden. 584 Ob und wieweit das Allgemeinwohl sich von dem "Allgemeininteresse" (Art. 14 Abs. 3 GG) unterscheidet585 kann dabei dahingestellt bleiben, da die Bedeutung des Begriffes "Allgemeinwohl" generell so eng an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebunden ist586, daß sich schon daraus eine möglichst restriktive Handhabung der Enteignung ableitet. Die Enteignung muß zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben unumgänglich sein. Es ist ein besonders schwerwiegendes, dringendes öffentliches Interesse zu fordem. 587 BVerwGE 67, 74177. BVerfGE 72, 66 /78; 79, 174/198. 584 BVerfGE 45, 297 I 322; 24, 367 I 405. In dieser Entscheidung hatte das BVerfG jedoch auch das Vorgehen Hamburgs bezüglich einer Legalenteignung für rechtmäßig erklärt, obwohl die Stadt gar nicht versucht hatte, die Grundstücke vorher zu erwerben (S. 412). 585 Siehe BVerfGE 56, 249 I 273, 275 f. (abw. Meinung). 586 Vgl. BVerfGE 74, 2641286. 587 BVerfGE 74, 264/289- Boxberg; vgl. dazu Kempen, Der Eingriff des Staates in das 582 583

17 Jürgensen

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2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

(2) Europäische Einwirkungen Die europarechtlichen Einflüsse auf die Administrativenteignung sind dogmatisch im Rahmen des Abwägungsgebotes bei der Planung einzureihen. Es geht um den mittelbaren Vollzug von Gemeinschaftsrecht Damit kann die Rechtsprechung des EuGH zur Ausgestaltung des nationalen Verwaltungsrechtes parallel herangezogen werden. Am bedeutsamsten ist in diesem Rahmen die Aussage in der Mi/chkontor-Entscheidung, daß die Tragweite und die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts nicht beeinträchtigt werden darf. 588 Dieser Grundsatz muß auch dann Beachtung finden, wenn es zu einer Kollision mit der in derselben Entscheidung aufgestellten Maxime kommen sollte, daß keine Unterschiede im Vergleich zu Verfahren gemacht werden dürfen, in denen über gleichartige, aber rein nationale Rechtsstreitigkeiten entschieden wird. Die entscheidende Frage der Tragweite und Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechtes beurteilt sich bei den transeuropäischen Netzen nicht nur ausschließlich nach dem Interesse an der schnellen Realisierung der Transversalen. Auch die Grundrechte sind Teil des Gemeinschaftsrechtes und bedürfen damit einer wirksamen Beachtung im nationalen Verfahrensrecht Dieser Zusammenhang führt zu dem Ergebnis, daß europäische Grundrechtsinhalte in das nationale Recht zumindest materiell inkorporiert werden. 589 Die damit zu beachtenden Gemeinschaftsvorgaben rechtfertigen sich auch aus einem anderen Grunde. Der EGV ist in innerdeutsches Recht gemäß Art. 23 GG eingebunden worden und damit von den nationalen Behörden zumindest im Range einfachen Gesetzesrechtes zu beachten. Darüber hinaus hat der EuGH jedoch in ständiger Rechtsprechung und nunmehr auch gewohnheitsrechtlich völlig unbestritten den Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor dem innerstaatlichen Recht anerkannt 590 Demzufolge muß der verfassungsrechtliche Begriff des Allgemeinwohls sowohl aus der einfachgesetzlichen Konkretisierung durch die parlamentarische Zustimmung zum EGV591 als auch wegen der Hierarchie von Gemeinschafts- und nationalem Recht im Lichte und im Kollisionsfalle zugunsten des Gemeinschaftsrechtes ausgelegt werden. Im Ergebnis folgt deswegen daraus eine Europäisierung nationaler Grundrechte. Eigentum, 1991, Rn. 178 ff.; s.a. Kühling, Fachplanungsrecht, S. 103 f.: "deutlicher Überhang" der öffentlichen Belange. 588 EuGH Verb. Rs. 205-215 I 82, Slg. 1983, 2633 12666 f. Rn. 22, vgl. dazu E. Klein, Der Staat 1994, 39144 f. rn.w.N. 5K9 Vgl. auch andeutungsweise Frenz, DVBI. 1995, 408 I 414. 590 EuGH Rs. 6 164, Slg. 1964, 1251 I 1270- Costa / ENEL. 59 1 Siehe BVerfGE 56, 2491261 f. : "Allein dem parlamentarisch-demokratischen Gesetzgeber ist nach Sinn und Kompetenzengefüge des Grundgesetzes vorbehalten, Gerneinwohlaufgaben zu bestimmen."

C. Grundrechtsprobleme bei Umsetzung transeuropäischer Verkehrsnetze

259

Wie in seiner gesamten Grundrechtsprechung hat der EuGH auch das Eigentumsgrundrecht ganz allgemein dem Vorbehalt der der Gemeinschaft dienenden Interessen unterstellt. 592 Dieses Schrankenmerkmal überschneidet sich mit dem Allgemeinwohlgebot des Art. 14 Abs. 3 S. 3, Abs. 2 GG. Infolgedessen kann schon hierin begrifftich ein Anknüpfungspunkt fiir die Inkorporation europäischer Interessen in die grundgesetzliche Enteignungsvoraussetzung gesehen werden. Demzufolge können die Ziele bei der Umsetzung der transeuropäischen Netze, die gemeinschaftsrechtlich im allgemeinen Interesse liegen, ebenfalls im Sinne von Art. 14 Abs. 3 S. 3 GG berücksichtigt werden. Dasselbe Ergebnis folgt auch aus der Einwirkung des Gemeinschaftsrechts über Art. 23 GG. Dies hat nun allerdings nicht zur Folge, daß das Allgemeinwohl, wie es die Vorschriften zu den transeuropäischen Verkehrsnetzen anstreben, die Administrativenteignungen unter dem Gesichtspunkt des Vorrangs (insoweit gegenüber dem nationalen Grundrecht) erleichtern würde. Insoweit bedarf es fiir die Vorrangwirkung noch einer Kollision mit nationalen Vorschriften. Diese besteht jedoch nur in einem Punkt, der bei den Enteignungen nur als abwägungsrelevanter Aspekt berücksichtigt werden muß: Das BVerwG hatte hinsichtlich des Bedarfsplanes fiir das Fernstraßenausbaugesetz folgende Ansicht vertreten593 : "Unzutreffend ist schließlich auch die Annahme des Berufungsgerichts, der Bedarfsplan des Fernstraßenausbaugesetzes entfalte bindende Außenwirkung mit der Folge, daß durch ihn im vorliegenden Fall die öffentlichen Belange das ,Übergewicht' über die entgegenstehenden privaten Belange erhielten. ( .. . ) Im Zusammenhang mit dem Abwägungsgebot ergibt sich daraus folgendes: Ein zusätzliches Gewicht vermag die Einordnung eines Vorhabens auch in die höchste Dringlichkeitsstufe des Bedarfsplanes den straßenrechtlichen Belangen nicht zu verleihen."S94

Diese Ansicht kann angesichts des Regelungsauftrages der Art. 129b ff. EGV und der Planungen in den Sekundärrechtsakten aus europarechtlicher Sicht keinen Bestand haben. Daraus folgt jedoch keineswegs, daß bei der nationalen Planungsahwägung eo ipso ein Übergewicht des öffentlichen Interesses gegeben ist. Wie schon angedeutet, ist auch der Grundrechtsschutz in 592 Vgl. zuletzt EuGH Rs. C-280 / 93, EuZW 1994, 688 / 692 Rn. 78 - Bananen. 593 BVerwGE 71, 166 / 171. 594 Dies ist z.B. für das "Gesetz über den Ausbau der Schienenwege des Bundes (Bundesschienenwegeausbaugesetzes" vom 15.11.1993 (BGBI. I, 1993, 1874) relevant, das einen Bedarfsplan über die Bundesschienenwege enthält, der nicht immer mit den europäischen Bedürfnissen einhergeht (vgl. nur Entscheidung Nr. 1626 / 96, ABI. L 228 vom 9.9. 1996). In diesem Falle wurde schon der Vorrang des europäischen Rechts festgestellt. Das bedeutet aber gleichzeitig, daß nur in dem Maße wie das europäische Recht nationales Recht verdrängt, die Auffassung des BVerwG weichen muß, in anderen Fällen, die das Bundesschienwegeausbaugesetz beschreibt, findet die Ansicht des BVerwG weiterhin Anwendung.

17*

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2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

der Gemeinschaft zu beachten. Insoweit kommt der Auffassung des BVerfG allgemeine Geltung zu, wenn es die Notwendigkeit eines Gesprächs zwischen Verwaltung und Bürger betont, das Ausdruck des grundgesetzliehen Verständnisses der Stellung des Bürgers im Staat ist. 595 Dieses Bild vom mündigen Bürger gilt ebenso für die Gemeinschaftsordnung.596 Damit wäre es nicht zu vereinbaren, wenn die Individualinteressen einzelner pauschal hinter öffentlichen Prärogativen zurückweichen müßten. Im Rahmen des verwaltungsrechtlichen Abwägungsgebotes ist somit aus europarechtlicher Sicht zwar der Umstand, daß es sich um transeuropäische Verkehrsnetze handelt, von zusätzlichem Gewicht, doch ist dies nicht grundsätzlich von ausschlaggebender Bedeutung. Soweit das BVerfG ausdrückt, daß ein Eigentumsentzug nur dann vom Gemeinwohl getragen ist, wenn dies zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben unumgänglich erforderlich ist597, müssen die Zielsetzungen der Gemeinschaft darüber hinaus bei den transeuropäischen Verkehrsnetzen schwerpunktmäßig berücksichtigt werden, da nur dann die volle Wirksamkeit und Tragweite des Gemeinschaftsrechtes gewährleistet ist. (3) Junktimklausel Das Erfordernis einer Enteignungsentschädigung ist trotz Irritationen wegen der Formulierung des 1. ZP zur EMRK uneingeschränkt anzuerkennen598 , so daß sich kein Widerspruch zwischen der verfassungsrechtlichen Vorgabe nach Art. 14 Abs. 3 S. 4 GG 599 und dem Gemeinschaftsrecht ergibt. Von Interesse ist allenfalls, ob sich aus dem Gemeinschaftsauftrag zur Realisierung transeuropäischer Verkehrsnetze und deren Berücksichtigung im Bereich des Abwägungsgebotes Rückschlüsse auf die Beteiligung an einer eventuellen Enteignungsentschädigung ziehen lassen. Unter Zugrundelegung der nationalen Praxis ist diese Überlegung gerechtfertigt, da der Staat bei Enteignungen im eigenen Interesse handelt. Vollstreckt die Verwaltung darüber hinaus eine Gemeinschaftsverpflichtung, wird sie auch im (fremden) Gemeinschaftsinteresse tätig. Soweit dieses Interesse reicht, folgt schon aus dem Rechtsgedanken des Art. 215 Abs. 2 EGV, daß die Gemeinschaft ersatzpflichtig ist.

595

BVerfGE 45, 297 I 335.

Besonders deutlich zeigt dies die Parallele zum Verbraucherschutzrecht, s. EuGH Rs. 178 I 84, Slg. 1987, 1227 I 1270 f. Rn. 32, 35- Reinheitsgebot für Bier; EuGH Rs. 407 I 85, Slg. 1988, 4233 I 4280 Rn. 16 - Pasta. 597 BVerfGE 66, 2481257; 38, 175 1180. 598 S. dazu 2. Teil, C.I.I . 596

599

S. dazu Kempen, a.a.O., Rn. 172 ff.

C. Grundrechtsprobleme bei Umsetzung transeuropäischer Verkehrsnetze

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Nun ist zwar die Kausalität zwischen den Gemeinschaftsleitlinien und der konkreten Administrativenteignung nur sehr mittelbarer Art, auch wenn die nationalen Verwaltungen insoweit als "europäische Behörden" handeln. Gleichwohl kann dem Gedanken der Entschädigungsbeteiligung nach deutschem Vorbild analog § 94 II BauGB zu entsprechen sein, wonach "zur Leistung der Entschädigung ( ... ) der Enteignungsbegünstigte verpflichtet [ist]." Bei einer Bundesstraße ist dies der Bund, der Eigentümer der Straße wird. 600 Jedenfalls kommt es nicht entscheidend auf die Enteignungsbehörde an. Nun wird die EG I EU zwar nicht Eigentümerin der transeuropäischen Verkehrsnetze. Gleichwohl ist sie im Sinne von § 94 II BauGB auch "Begünstigte", da sie die Leitlinienprojekte initiiert hat und der Erreichung der Gemeinschaftsziele dient. Lägen die transeuropäischen Verkehrsnetze nicht im Interesse der EG I EU, könnte hingegen nicht von einer Begünstigung gesprochen werden. Gerade von europäischer Seite werden jedoch immer wieder die gemeinschaftlichen Vorteile bei der Realisierung der Netze hervorgehoben. Über die politische Bedeutung dieser Aussagen hinaus, muß in rechtlicher Hinsicht dieser Vorteil bzw. diese Begünstigung gewürdigt werden. Natürlich bedeutet die derzeitige Leitlinienplanung selbst nur einen sehr geringen Kausalbeitrag zu der konkreten Eigentumsbeeinträchtigung. Dies ändert jedoch nichts an dem Prinzip der finanziellen Entschädigungsbeteiligung. Daraus folgt, daß je stärker die Gemeinschaft auf die Planungen der Mitgliedstaaten Einfluß nehmen wird, desto höher die Beteiligung an einer Enteignungsentschädigung im Einzelfall liegen muß, da sich auch umso mehr das Interesse an der Realisierung und damit die Gemeinschaftsvorteile ausdrücken. Diese rechtliche Verpflichtung stößt dabei allerdings an praktische Grenzen der Quantifizierbarkeit des anteiligen Gemeinschaftsinteresses. Insoweit kann jedoch grundsätzlich eine "Gemeinschaftsentschädigung" über den konkreten Finanzbeitrag an dem einzelnen Projekt als abgegolten angesehen werden. Dies entspricht einer Pauschalisierung des Gemeinschaftsinteresses an dem konkreten Projekt, wobei die Höhe des Beitrages im Einzelfall sehr variiert und die Frage der individuellen Entschädigungen nur einen zu beachtenden Rechnungsposten darstellt. 60 1

Vgl. Kempen, a.a.O., Rn. 234. Schmidhuber / Hitzler, DÖV 1991, 271 / 272 ff. verweisen auf einen anderen Aspekt der Finanzbeteiligung, wenn sie an die verstärkte Mitwirkung der Gemeinschaft an einer europäischen Raumordnungsgesetzgebung denken. 600

MI

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2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz cc) Nachbarrechtliche Einwirkungen bei Verkehrsprojekten

Verkehr und insbesondere der Straßenverkehr verursacht Immissionen wie zum Beispiel Lärm, Abgase, Staub und unter Umständen Abrieb von Reifenund Bremsbelägen. Diese Einwirkungen unterliegen der Rechtmäßigkeitskontrolle nach Art. 14 Abs. I S. 2 GG und nicht Art. 14 Abs. 3 GG~ 602 Allerdings hat das BVerfG auch folgenden Gedanken ausgesprochen603 : "Ob die Anwendung von Art. 14 Abs. 3 GG dann in Betracht kommen könnte, wenn eine inhaltsbestimmende Regelung die Nutzung des geschützten Rechts praktisch schlechthin unmöglich machen und das Recht damit völlig entwerten würde, bedarf keiner weiteren Prüfung, weil ein solcher Fall nicht vorliegt."

Diese angedeutete mögliche Änderung des Prüfungsmaßstabes ist aus Gründen der Rechtssicherheit abzulehnen. Es würde sofort die Frage auftauchen, wann das genutzte Recht praktisch unnutzbar wäre. Gerade dies ist aber der Vorzug des formalisierten Enteignungsbegriffes, der auch auf einen hoheitlichen Rechtsakt abstellt. 604 Die enteignungsrechtliche Grenze des Allgemeinwohls läßt sich dabei auch im Rahmen der Sozialbindung nach Art. 14 Abs. 2 GG prüfen, so daß es insoweit eines Rückgriffs auf Art. 14 Abs. 3 GG nicht bedarf. Dem Erfordernis der Junktimsklausel wäre hingegen ein schlechter Dienst erwiesen, da der Gesetzgeber nur auf die Salvatorischen Entschädigungsklauseln zurückgreifen könnte, um so gegebenfalls eine materielle Enteignung doch noch zu rechtfertigen. Gerade diese Klauseln haben jedoch auch zu einer Änderung der BVerfG-Rechtsprechung hin zu dem formalisierten Enteignungsbegriff geführt. Der Verlust an R(!chtssicherheit wäre damit größer als der Gewinn bei der Berücksichtigung des Art. 14 Abs. 3 GG. Die Junktimklausel hat auch eine Warnfunktion605 , die sie ja eben dann nicht erfüllen kann, wenn erst gerichtlich geklärt werden muß, ob überhaupt eine Enteignung vorliegt. 606 Die ausgelösten Verkehrsimmissionen bedeuten dogmatisch einen nur mittelbaren Grundrechtseingriff,607 da erst die privaten Verkehrsnutzer - Autofahrer, Luftverkehrsgesellschaften oder private DB-AG - diese verursachen. Da demzufolge die tatsächlichen Auswirkungen nicht von der öffentlichen Hand ausgehen, scheidet auch ein unmittelbarer faktischer Eingriff aus. Der Sachverhalt ist insoweit vergleichbar mit der Subventionierung von JugendVgl. BVerfGE 79, 174 / 191 f.; 72, 66/76. BVerfGE 79, 174/192. 604 BVerwGE 77, 295/298. 605 BVerfGE 46, 268/287; vgl. Kempen, a.a.O., Rn. 173. 606 Deswegen sind die Salvatorischen Entschädigungsklauseln auch umstr., Kempen, a.a.O., Rn. 177. 607 Vgl. nur MD-Papier, Art. 14 Rn. 464 m.w.N. 602 603

C. Grundrechtsprobleme bei Umsetzung transeuropäischer Verkehrsnetze

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sekten. Dort hatte die öffentliche Hand private Vereine finanziell unterstützt, die Aufklärungsarbeit über die Gefährlichkeit solcher Sekten leisteten. Durch die Tätigkeit der privaten Vereine waren die Sekten in ihrer Ausübung betroffen gewesen; ein staatlicher Grundrechtseingriff folgte jedoch mittelbar erst dadurch, daß ohne staatliche Subventionen die Tätigkeit der Vereine nicht möglich oder aber zumindest nicht gleich intensiv gewesen. Genau dies ist aber auch bei der Verkehrsplanung gegeben: Ohne den zulassenden Planfeststellungsbeschluß würde keine Straße gebaut werden können. Die Immissionsverursachungen selber sind damit der öffentlichen Hand nur mittelbar zuzurechnen. Allerdings hatte das BVerffi im Rahmen der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde gegenüber Verkehrsimmissionen von einem unmittelbaren Eingriff gesprochen.608 Dabei bezog es sich jedoch schon auf den öffentlichen Bebauungsplan, der die rechtliche Grundlage für den Bau einer Straße schaffte und eines zusätzlichen gesonderten Verwaltungsaktes nicht bedurfte. Das BVerfG hatte die Frage der unmittelbaren Betroffenheit im Rahmen der Antragsbefugnis angeschnitten, wo es nach ständiger Rechtsprechung auf eine "selbst, gegenwärtige und unmittelbare" Betroffenheit ankommt. 609 In der genannten Entscheidung bezeichnete es "unmittelbar" in diesem Sinne als dann gegeben, wenn es eines zusätzlichen Rechtsaktes nicht bedürfe. Dies war nach bayerischem Recht in dem Fall gegeben. Das bedeutet aber nicht, daß in einem anderen Sinne - also wo es nicht um die Antragsbefugnis, sondern um den Grundrechtseingriff geht - "unmittelbar" eine andere Bedeutung bekommen kann. Ein mittelbarer Grundrechtseingriff ist verfassungsrechtlich nur dann relevant, wenn es sich um eine schwere und unerträgliche Beeinträchtigung handelt.610 Dies muß im Einzelfall entschieden werden, kann sich jedoch hinsichtlich des Lärms anhand der Verkehrslärmschutzverordnung vom 12.6. 1990 (16. BlmSchV)611 messen lassen. Die Zumutbarkeitsschwelle aus §§ 3, 41 ff. BlmSchG müsse deutlich überschritten werden, wenn eine grundrechtliehe Relevanz vorliegen solle.612 Eine andere mögliche Begründung des 60"

BVerfGE 79, 1741 188; 56, 54 /70.

Vgl. BVerfGE 72, 39 I 43. 610 S. dazu Steinberg, Fachplanung, S. 66 f., der zudem auf die Differenzierung von Emissionsart und -quelle hinweist. 609

611 S. dazu Kühling, Fachplanungsrecht, S. 115, und allgemein Alexander, Aktuelle Fragen des Verkehrslärmschutzes unter besonderer Berücksichtigung der Verkehrslärmschutzverordnung- 16. BlmSchV, S. 518 ff.; in: Blümel (Hrsg.), Verkehrslärmschutz- Verfahrensbeschleunigung, 1991; Ullrich, Lärmschutz an Straßen nach der neuen Verkehrslärmschutzverordnung und den RLS-90, S. 37140, in: Blümel (Hrsg.), ebd. Jarass, DVBI. 1995, 589 I 59! f. sieht aber auch diesbezüglich einen Möglichkeitsvorbehalt 6 12 BVerfGE 79, 1741199 f.

264

2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

Grundrechtseingriffs, der sich auf die Intention stützt, kann hingegen unbeachtet bleiben, da solche Immissionen generell unerwünscht sind. Liegt ein Grundrechtseingriff vor, kommt es entscheidend auf die Ausgestaltung der Schranken nach Art. 14 Abs. I S. 2 GG an. Dabei können aktive oder passive Schutzmaßnahmen zum Ausgleich von Immissionsbelastungen in Betracht kommen.613 Sind solche Vorkehrungen untunlich oder mit dem Vorhaben unvereinbar, kann ein Entschädigungsanspruch aus § 74 II 3 VwVfG erforderlich sein. 614 Insgesamt kommt es aber stets auf eine verwaltungsrechtliche Einschätzung an, die nur bei offensichtlicher Fehlsamkeit verfassungsgerichtlich anband von Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG nachprüfbar ist. Zu klären ist, inwieweit europarechtliche Bestimmungen in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen sind. Die Umsetzungsverpflichtung, die sich aus der Entscheidung zu den transeuropäischen Verkehrsnetzen ergibt, ist im Rahmen des planensehen Abwägungsgebotes615 in dem gleichen Maße wie bei einer Administrativenteignung zu berücksichtigen. Demnach ist auch bei mittelbaren Grundrechtseingriffen die Gemeinschaft grundsätzlich zu finanziellen Ausgleichszahlungen verpflichtet. Dies folgt daraus, daß die Leitlinienentscheidung zwar nur einen sehr allgemeinen Verursachungsbeitrag bedeutet, gleichwohl aber als sicher angesehen werden kann, daß es infolge einer Umsetzung zu Immissionen kommen wird.616 Allerdings wird auch insoweit durch den einzelnen Finanzbeitrag der Gemeinschaft zu dem Verkehrsvorhaben grundsätzlich pauschal dieser rechtlichen Verpflichtung zu Entschädigungsleistungen Genüge getan.

613

BVerwGE 77, 295 I 298; s.a. Vallendar, UPR 1995, 296 I 297 f.; Jarass, DVBI. 1995,

5891594.

614 BK-Kimminich, Art. 14 Rn. 342; MD-Papier, Art. 14 Rn. 465 ff.; Steinberg, Fachplanung, S. 243 ff.; Kühling, Fachplanungsrecht, S. II 0 weist darauf hin, daß der Ausgleichstalbestand bereits auf§ 14 des preußischen Eisenbahngesetzes von 1838 zurückgeht. m Vgl. auch hierzu BVerwGE 31, 273. 616 Im Einzelfall kann sich auch aus anderen Gründen über die Leitlinien hinaus ein weiterer kausaler Verursachungsbeitrag der Gemeinschaft für konkrete Immissionen ergeben. Ein Beispiel dafür bietet die Streckenplanung für den ICE von Hannover nach Berlin. Im Land Brandenburg leben in einem Vogelschutzgebiet einige vom Aussterben bedrohte Großtrappen. Die Kommission garantiert den Schutz dieser Vögel und sollte in letzter Instanz über die verträglichste Trassenalternative entscheiden (FAZ vom 5.12.1994, S. I 0, Berliner Zeitung vom 2.12.1994, S. 1, 29). Die Auswahl einer solchen Alternative beruht zwar nicht auf dem Titel über die transeuropäischen Netze, doch tritt die Gemeinschaft nach außen als Einheit auf. Zieht eine solche gemeinschaftsrechtliche Entscheidung im Ergebnis eine qualitativ stärkere Eigentumsbeeinträchtigung nach sich als die bloße Initiierung eines Verkehrsprojektes, ist dies auch bei den finanziellen Ausgleichsmaßnahmen im Rahmen des Immissionsschutzes zu berücksichtigen.

C. Grundrechtsprobleme bei Umsetzung transeuropäischer Verkehrsnetze

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b) Gesundheitsschutz nach Art. 2 Abs. 2 S. I GG

Immissionen können Gesundheitsschäden hervorrufen. Lärm kann die Konzentration stören, den Erholungswert des Zuhauses herabsetzen, Konzentration und Aufmerksamkeit mindern, Nervosität und Irritiertheitsgefühle verursachen sowie Erschrecken, Verärgerung und Furchtassoziationen auslösen.617 Zwar gibt es noch keine endgültigen wissenschaftlichen Erkenntnisse, doch schon die möglichen Gefahren für die körperliche Unversehrtheit werden vom Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG erfaßt.618 Das BVerfG hat in diesem Zusammenhang wiederholt auf den grundrechtliehen Schutzauftrag des Staates hingewiesen. 619 Dadurch hat es Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nicht als Abwehrgrundrecht geprüft. Dieser dogmatische Ansatzpunkt dürfte allerdings nicht überzubewerten sein, da im Ergebnis dem Abwehrgrundrecht nicht nur durch ein gesetzliches Verbot von Immissionen genüge getan werden kann, sondern gerade auch Lärmschutzmaßnahmen sowohl als Teil des Abwehrgrundrechts wie auch als Teil des staatlichen Schutzauftrags gewertet werden können. Auch ein finanzieller Ausgleich kann insoweit zu erwägen sein.620 Die Beachtung von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG hat wie bei den nachbarrechtlichen Einwirkungen im Rahmen von Art. 14 Abs. 1 GG den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unter einem ganz speziellen und oftmals zu wenig gesehenen Aspekt zu prüfen. Dies betrifft die umweltrelevanten Auswirkungen der Verkehrswegeplanung. In dieser Hinsicht geht es nicht um das Recht der Naturschutzverbände, beim Verkehrswegebau auf die globalen und gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen aufmerksam zu machen, § 29 I 1 Nr. 4 BNatSchG. 621 Vielmehr kann für den einzelnen Betroffenen die zu ertragende gesundheitliche oder eigentumsrelevante Belastung durchaus von der Art des Verkehrsweges abhängen. Autobahnen bedürfen mehr Platz als Schienenwege. Sie verursachen mehr Lärm und Abgase. Abgesehen von den umweltpolitischen Aspekten bedeutet der Straßenbau demnach in grundrechtlicher Hinsicht ein Mehr an verfassungsrechtlicher Rechtfertigung. Daß dem einzelnen angesichts der Alltagsfunktion des Autos eine größere Belastung zugemutet wird, relativiert zwar den erhöhten Rechtfertigungszwang, beseitigt den Unterschied jedoch nicht ganz. 617 S. umfassend DFG, Forschungsbericht Fluglärmwirkungen, 3 Bde.; Rohrmann u.a., Fluglärm und seine Wirkung auf den Menschen, 1978; Oeser I Beckers, Fluglärm, Karlsruhe 1987; Hermann, Schutz vor Fluglärm, 1993. 618 BVerfGE 56, 54177- Fluglärm, wo auch eine enge oder weite Auslegung des Begriffes "körperliche Unversehrtheit" erläutert wird, ohne daraus jedoch praktische Konsequenzen abzuleiten; s.a. Steinberg, Fachplanung, S. 87 f. 619 BVerfGE 79, 174/201 f.; 56, 54 / 73; 53, 30/65. 620 Vgl. Kühling, Fachplanungsrecht, S. 114. 621 Zu diesem wegfallenden Recht bei einer Plangenehmigung, BVerwG DVBI. 1995, 1006 f.; Vallendar,'UPR 1995, 296/299 f.

266

2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

c) Rechtsschutzrelevante Grundrechtsprobleme beim innerstaatlichen Verwaltungsverfahren

aa) VerfahrensstrafJungen im Planfeststellungsverfahren und gerichtlicher Rechtsschutz

Das Planfeststellungsverfahren hat in den Fachplanungsgesetzen durch das Planungsvereinfachungsgesetz zahlreiche Fristsetzungen erfahren. Hinsichtlich der Behördeneinwendungen gibt es eine materielle Präklusionsregel. 622 Diese der Verfahrensbeschleunigung dienenden Vorschriften können für sich allein genommen keinen verkürzten individuellen Verfahrensgrundrechtsschutz begründen. Es handelt sich insbesondere auch um behördeninterne Beschleunigungsvorgaben, um die internen und auch politischen Verzögerungen zu begrenzen. 623 Die Mitwirkungsrechte der Betroffenen werden dadurch nicht beschnitten. Insgesamt liegen also bei diesen Verfahrensänderungen infolge des Planungsvereinfachungsgesetzes keine grundrechtsrelevanten Beeinträchtigungen vor. 624 Der normale Verwaltungsgerichtsschutz bedarf keines Vorverfahrens. 625 Die Anfechtungsklage hat beim Bau von Eisenbahnstrecken oder Fernstraßen, denen nach dem Bundesschienenwegeausbaugesetz bzw. Fernstraßenaushaugesetz vordringlicher Bedarf eingeräumt ist626 , keine aufschiebende Wirkung.627 Soweit der Betroffene die aufschiebende Wirkung gern. § 80 V I VwGO herzustellen begehrt, gilt für ihn die Frist von einem Monat. 628 Das OVG ist erstinstanzlieh zuständig.629 Von besonderem Interesse für die Rechtmäßigkeilskontrolle ist die in Anlehnung an § 214 III 2 BauGB vorgenommene Beschränkung der fachgerichtlichen Kontrolle auf offensichtliche Mängel, die für das Abwägungser622

S. ausführlich I. Teil, E.I.

V gl. zu den behördeninternen Schwierigkeiten wegen des nicht ausreichenden Personals Kuschnerus, UPR 1992, 167 I 169. 623

624 I.E. ebenso Ronellen.fitsch, in: Blümel (Hrsg.), Verkehrswegerecht im Wandel, S. 179 I 189 f. 625 § 18 li 4 AEG; § 17 Ia 3 FemStrG; § 14 Ia 4 WaStrG; § 8 II 4 LuftVG diese Vorschriften gelten sowohl für Plangenehmigung als auch für die Planfeststellung, da beide Rechtsinstitute in ihren Wirkungen gleichgestellt sind; s. i.ü. die prozessuale Gleichstellung in § 20 V 2 AEG; § 17 VIa 2 FernStrG, § 19 II 1 WaStrG, § 10 VI 1 LuftVG. 626 S. dazu die Anlage zum BSchienenwegeausbauG, BGBI. I 1993, S. 1874 und zum Fernstraßenausbaugesetz, BGBI. 1993 I S. 1879, letzte Änderung in BGBI. 1995 I S. 13.

627

§ 20 V I AEG; § 17 VIa I FernStrG.

Dies folgt schon aus § 80 V 2 i.V.m. § 74 VwGO und wird jetzt in § 20 V 2 AEG, § 17 VIa 2 FernStrG sowie § 19 II I WaStrG, § I 0 VI I LuftVG klargestellt. 628

629

§ 48 I Nr. 6-9 VwGO.

C. Grundrechtsprobleme bei Umsetzung transeuropäischer Verkehrsnetze

267

gebnis von Einfluß gewesen sind.630 Dadurch wird prinzipiell der individuelle Grundrechtsschutz zurückgenommen. Diese Begrenzung ist allerdings angesichts des komplexen Verfahrens gerechtfertigt. Die Rücknahme des Prüfungsumfanges korrespondiert dabei mit dem Planungsspielraum der Behörde. Insoweit ist es hinnehmbar, daß der Verwaltung in dem gängigen Rahmen des § 214 III 2 BauGB ein größeres Gewicht zukommt, als dies ansonsten bei einer engen gerichtlichen Kontrolle der Fall wäre. Gleichzeitig zeigt sich jedoch damit bezüglich des materiellen Prüfungsumfanges auch eine Annäherung von Verwaltungsrechtsschutz und Verfassungsgerichtsschutz. Für die transeuropäischen Verkehrsnetze von besonderer Wichtigkeit ist zusätzlich der Wegfall der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen Projekte von vordringlichem Bedarf. Soweit es hier zu Differenzen von transeuropäischer Verkehrsnetzplanung und innerstaatlicher Bedarfsfestsetzung kommt, folgt aus dem Vorrangprinzip, daß die von der Gemeinschaft zumindest als Projekte von gemeinsamen Interesse angesehenen Vorhaben zugleich auch von dem Wegfall der aufschiebenden Wirkung profitieren können. Eine Kollision von Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht, die die Anwendung des Vorrangprinzip auslöst, muß zwar insoweit nicht unbedingt gegeben sein. Jedenfalls aus dem Milchkontor-Urteil folgt jedoch, daß das Gemeinschaftsrecht effektiv beachtet werden muß. 631 Dies kann nur dadurch geschehen, daß die Höherrangigkeit in die entsprechenden Vorschriften der Fachplanungsgesetze hinein interpretiert wird. bb) Grundrechtsbedenkliche Plangenehmigung?

Die Plangenehmigung ist die eigentliche Neuerung für das reguläre Planungsverfahren. Sie wurde im Anschluß an das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz allgemein in die Fachplanungsgesetze übernommen. Ihre Bedeutung für die Realisierung transeuropäischer Netze wurde schon als gering bewertet. Wegen der Verkürzung der Mitwirkungsrechte möglicher Drittbetroffener wird darüber hinaus auch bezweifelt, ob damit grundrechtliehen Verfahrensanforderungen genüge getan wird. 632 Dabei setzt die Kritik schon 630 § 20 VII AEG; § 17 Vlc FemStrG; § 19 IV WaStrG; § 10 VIII LuftVG; schon Stüer, DVBI. 1992, 547 I 552 stellte diese Forderung auf; zur entsprechenden Forderung der baden-würtembergischen Landesregierung Würtenberger, VBIBW 1992, I I 4; s. dazu auch Vallendar, UPR 1995, 296 I 298. 631 Vgl. insoweit auch instruktiv Koch, EuZW 1995, 78/ 80. 632 Vgl. Steinberg / Berg, NJW 1994, 488 1490 und insbesondere Klinski / Gaßner, NVwZ 1992, 235 I 236 f.; Wiegand, DVBI. 1995, 1125 I 1126 wegen der demokratischen Defizite; zum Ausschluß der Naturschutzverbände im Rahmen der Plangenehmigung und im Unterschied zum Planfeststellungsverfahren BVerwG DVBI. 1995, 1006 f.

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2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

daran an, daß die pure Möglichkeit des Vorbringens von Einwänden Drittbetroffener gewährleistet sein muß. Dies sei nur durch das Planfeststellungsverfahren gegeben. Demzufolge dürften Plangenehmigungen allenfalls bei Vorhaben von untergeordneter Bedeutung ergehen. 633 Die grundrechtliche Verfahrensgarantie, als Ausdruck staatlicher Schutzpfticht, erfordere ein Anhörungsrecht. Allenfalls bei einer verfassungskonformen Auslegung des Begriffs "wenn Rechte anderer nicht berührt werden" in dem Sinne, daß unter jedem denkbaren Gesichtspunkt eine Drittbetroffenheit auszuschließen ist, könnte eine Plangenehmigung bestehen bleiben.634 Diese Auffassung stößt jedoch dann an ihre Grenze, wenn wie im FernStrG, deren Voraussetzungen sogar noch vereinfacht sind. 635 Dabei mag diese Regelung auf die mittelbar Immissionsbetroffenen zugeschnitten sein, die in nicht grundrechts- oder sonst entschädigungsrelevanter Weise beeinträchtigt sind. 636 Die Plangenehmigung kann jedoch kaum als grundrechtsbedenklich angesehen werden. Stimmen die (auch mittelbar) Betroffenen zu, kann dies dann als ein Grundrechtsverzicht gewertet werden, wenn die Plangenehmigung grundrechtsrelevant in die Rechte des einzelnen eingreifen würde. Auch für den Fall, daß die Plangenehmigung zulässig ist, soweit sie Rechte anderer nicht oder nicht wesentlich beeinträchtigt, liegt kein Grundrechtseingriff vor. 637 Für die entscheidende Frage, wann ein Grundrechtseingriff gegeben ist, kann auf das Beispiel des Lärmschutzes zurückgegriffen werden: Dort werden hinsichtlich von Entschädigungen drei Stufen unterschieden638 : an erster Stelle stehen Immissionsbeeinträchtigungen, die mittelbar enteignend wirken, da sie schwer und unerträglich sind. Daran schließt sich der Kreis der Betroffenen an, deren Grundstücke zwar erheblich, jedoch unterhalb der mittelbar enteignungsrechtlichen Toleranzgrenze belastet sind. An letzter Stelle stehen die planbedingt nur geringfügig Lärmbelästigten. Ausgehend von dieser Abstufung kann eine Plangenehmigung allenfalls dann in Betracht kommen, soweit es sich (im Fernstraßenrecht) nur um Betroffene auf der letzten Stufe handelt. Dies folgt daraus, daß es sich bei § 17 Ia Nr. 1 633

Klinski I Gaßner, NVwZ 1992, 235 I 236.

634

Klinski/Gaßner, NVwZ 1992,235/237.

S. § 17 Ia Nr. I FemStrG: "( ... )kann eine Plangenehmigung erteilt werden, wenn I. Rechte anderer nicht oder nicht wesentlich beeinträchtigt werden( ... )". 636 Vgl. aber Stüer, DVBI. 1992, 547 I 551, der sehr viel zurückhaltender hinsichtlich - des jetzt aufgehobenen - § 4 VerkPBG ist. Diese Vorschrift sprach davon, daß eine Plangenehmigung zulässig sei, soweit Rechte anderer nicht beeinträchtigt würden. Stüer will Einwendungen von Nachbarn nur zulassen, wenn sie schwer und unerträglich und somit einer unmittelbaren Grundstücksinanspruchnahme vergleichbar betroffen sind. Eine solche Ansicht ist aber abzulehnen, wie ja auch gerade die Differenziertheil des Ersatzanspruches zeigt, vgl. nur Bender, DVBI. 1984, 301 ff. 637 Im Ergebnis ebenso Axer, DÖV 1995, 495/498. 63 R Vgl. Bender, DVBI. 1984, 301 1306 ff. 635

C. Grundrechtsprobleme bei Umsetzung transeuropäischer Verkehrsnetze

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FernStrG offensichtlich um eine Ausnahmebestimmung im Vergleich zu den anderen Fachplanungsgesetzen handelt, die sich wohl allein aus der Tatsache heraus rechtfertigt, daß das Auto ein weitverbreitetes Verkehrsmittel ist, so daß ein höherer Toleranzmaßstab angelegt werden kann. Gleichwohl ist diese Ausnahmeregelung eng zu verstehen. Schon die Einstufung als "erhebliche Nachteile" im Lärmschutzbereich - also auf der zweiten Stufe der Entschädigungsskala - kann im Planungsbereich nicht als "nicht wesentlich" i.S. der Plangenehmigung gewertet werden. Diese Nachteile sind auch im Bereich von Art. 14 Abs. 1 S. 1, Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG grundrechtsrelevant. Erst wenn die Eingriffsschwelle soweit unterschritten wird, daß es sich um bloße Belästigungen handelt, kann die Plangenehmigung ergehen. Dies kann im Grundrechtsbereich nur bezüglich von Lärmbeeinträchtigungen überhaupt denkbar sein, wo insoweit auch die Verkehrslärmschutzverordnung einen normativen Anhaltspunkt bietet. Darüber hinausgehende Eigentumsbeeinträchtigungen machen hingegen in grundrechtlicher Sicht die Plangenehmigung unzulässig. 639 cc) Grundrechtsrelevantes Rechtsschutzdefizit beim VerkPBG?

Das Verk.PBG sieht eine Rechtsschutzverkürzung vor, da nur noch das BVerwG als einzige Instanz entscheidet.640 Auch hier ist die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gesetzlich ausgeschlossen. 641 Bis zum November 1993 gab es 46 Klagen und 19 Eilverfahren.642 Das Gericht ist mit der bisherigen Verfahrensbewältigung angemessen fertig geworden.643 Bei den Beschwerden ging es sowohl um Fragen des Naturschutzes, Entschädigungen fur Lärmschutzmaßnahmen644 als auch um grundsätzliche Bedenken bezüglich des Frühzeitigkeitserfordernisses bei der UVP-Richtlinie sowie der Verkürzung des Rechtsweges auf nur eine Instanz. Letzteres soll mit Art. 19 IV i.V.m. Art. 3 GG unvereinbar sein.645 Soweit es um das Problem der UVP639 Auch Axer, DÖV 1995, 495 / 498 f. leitet die Zulässigkeit der Plangenehmigung im Ergebnis daraus ab, daß sie außerhalb des Anwendungsbereichs der Grundrechte liegt. 640 § 5 I VerkPBG; zunächst wurde das OVG Berlin ins Auge gefaßt; kritisch wegen der Tätigkeit als Tatsachengericht und wegen der Auslegung des Landesrechts Paetow, Rechtsprechung zum Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz, in: Blümel (Hg.), Verkehrswegerecht im Wandel, 1994, S. 213 / 224 f. ; 241 f. 641 § 5 II VerkPBG. 642 Paetow, in: Blümel (Hrsg.), a.a.O., S. 213 / 214.

643 Vgl. Franßen, DVBI. 1994, 390 / 391; Paetow, DVBI. 1994, 94 ff.; s. z.B. BVerwG NVwZ 1994, 370 für die Klage einer Gemeinde u.a. unter Berufung auf Art. 28 Abs. 2 GG. 644 Paetow, in: Blümel (Hrsg.), a.a.O., S. 213 / 215. 645 Paetow, in: Blümel (Hrsg.), a.a.O., S. 213/217 f.

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2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

Richtlinie geht, kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden. 646 Eine Verletzung des Frühzeitigkeilsprinzips ist nicht gegeben. 647 Die Beschränkung des gerichtlichen Instanzenzuges ist nicht grundsätzlich unzulässig, wie schon § 50 VwGO zeigt. Dies gilt trotz der Formulierung in Art. 99 GG, daß das BVerwG als obersten Gerichtshof dem "letzten Rechtszug" zuordnet. Das BVerfG hat ausgedrückt, daß eine instanzliehe Beschränkung auf sachlich einleuchtende Gründe zurückführbar sein muß. 648 Diese Ansicht drückt die Notwendigkeit der Beachtung des Gleichheitsgebotes aus. Für das VerkPBG und die insoweit geplanten Infrastrukturverbesserungen im Zuge der Verkehrsprojekte Deutsche Einheit ist eine sachliche Differenzierung allein aufgrund der tatsächlichen Notwendigkeit der schnellen Realisierung von Verkehrsvorhaben und der zunächst nur mangelhaften Verwaltungsgerichtsbarkeit gegeben. 649 Für die Realisierung der transeuropäischen Verkehrsnetze gelten diese beiden sachlichen Anknüpfungspunkte aber kaum: Einerseits können rein tatsächlich die (westdeutschen) Defizite im Rahmen der europäischen Verkehrsinfrastruktur nicht mit der Misere in den Neuen Bundesländern verglichen werden. Der Handlungsdruck ist in dieser Hinsicht geringer. Andererseits wird die Verwaltungsgerichtsbarkeit bis zur Realisierung europäischer Projekte vollständig aufgebaut sein. Eine gleichwohl gerechtfertigte erstinstanzliehe Zuständigkeit des BVerwG müßte demnach europarechtlich begründet werden. Dieses ist jedoch nicht ersichtlich. Es wurde einerseits schon angedeutet, daß das VerkPBG sowohl zeitlich als auch räumlich für die Realisierung der transeuropäischen Verkehrsnetze nur eine untergeordnete Rolle spielen wird. Europarechtliche Überlegungen können darüber hinaus aber auch nicht dazu führen, den vom VerkPBG erfaßten räumlichen Anwendungsbereich besonders zu privilegieren. Insoweit käme nur das gesamte mitgliedstaatliche Gebiet der Bundesrepublik in Betracht. Daraus ergibt sich im Ergebnis, daß bei transeuropäischen Verkehrsprojekten, die nicht identisch mit den vordringlichen Projekten zur deutschen Einheit sind, eine nicht mit dem Gleichheitssatz vereinbare Beschränkung des Instanzenzuges vorliegen würde. Sobald ein auch nur annäherndes Infrastrukturniveau in den Neuen Bundesländern verglichen mit den den alten Ländern erreicht ist, können Projekte nicht mehr auf das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz gestützt werden, da die Beschränkung des gerichtlichen 646

1. Teil, E.I.1.f).

S. die kontroversen Diskussionen im Protokoll der 15. Sitzung des BT-Ausschusses für Verkehr zum Entwurf des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes vorn 30.1 0. 1991, s. 38 f., 44 ff., 79 ff. 64 R BVerfGE 8, 174 I 178; ein erhöhter Rechtfertigungsdruck ergibt sich allein aus Art. 30 GG, wonach die Rechtsprechung primär in die Zuständigkeit der Länder fallt; vgl. Winter, Protokoll VerKPBG, S. 33. 649 Paetow, in: B1ürne1 (Hrsg.), a.a.O., S. 213 I 226 f. 647

C. Grundrechtsprobleme bei Umsetzung transeuropäischer Verkehrsnetze

271

Instanzenzuges nicht gerechtfertigt ist. Abgesehen von diesem rechtlichen Hintergrund dürfte jedoch auch in der Praxis das VerkPBG dadurch abgelöst werden, daß nunmehr die regulären Verwaltungsverfahren durch das Planungsvereinfachungsgesetz erleichtert wurden und wegen der Annäherungen an das VerkPBG Projekte gleich auf diese Planungsgesetze gestützt werden.

111. Allgemeine europäische Leitlinien und nationale Umsetzung durch Gesetz 1. Europäischer Grundrechtsmaßstab?

Ein Grundrechtsschutz durch europäische Grundrechte kommt bei einer nationalen gesetzlichen Umsetzung der Leitlinienentscheidung zum jetzigen Zeitpunkt nicht in Betracht. Wegen der Trennung der Rechtsordnungen sind Gesetze, die in die Grundrechtssphäre einzelner eingreifen, nur an nationalen Grundrechten zu messen. Nur soweit eine "Inkorporation" angenommen würde, wären europäische Grundrechte für ein nationales Rechtshandeln mit heranzuziehen. Für die Reichweite entsprechender Überlegungen zum europäischen Grundrechtsschutz kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.6so 2. Nationaler Grundrechtsschutz

Nachdem Einzelfall- bzw. Maßnahmegesetze schon unter staatsorganisatorischen Gesichtspunkten in Hinblick auf die Kompetenzfrage und den Eingriff in den bundesstaatlich geschützten Kernbereich der Exekutiven erörtert wurden, ist nunmehr auf den nationalen Grundrechtsschutz einzugehen. Der Schwerpunkt der Problematik liegt dabei im Bereich der verwaltungsrelevanten Verfahrensgarantien und dem grundrechtlich geforderten Rechtsschutz. Beide Punkte sind eng mit Art. 19 Abs. 1 S. I, Abs. 4 S. 1 GG verwoben, so daß darauf im Anschluß an die Darstellung zu materiellen Grundrechtsbeeinträchtigungen (Art. 14, Art. 2 Abs. 1 S. 2 GG) eingegangen werden kann. 651 Gleichwohl folgt ein verfahrensrechtlich rechtsstaatlicher Anspruch auch schon aus den genannten Grundrechten652, so daß es sich allein um ein methodisches Vorgehen handelt. 653 2. Teil, A.III.3. Von Münch/Kunig-Krebs, Art. 19 Rn. 48 bezeichnet Art. 19 Abs. 4 GG beispielsweise als Grundrecht. 652 BVerfGE 45, 297 I 322, 333 zum gerichtlichen Rechtsschutz aus Art. 14 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG; vgl. auch Goerlich, Grundrechte als Verfahrensgarantien, 1981; Blümel, Grundrechtsschutz durch Verfahrensgestaltung, 1982; Ronellenfitsch, DVBI. 1991, 920/921 mit umfangreichen Literaturnachweisen in Fn. 12; Alexy, Theorie der Grundrech650 651

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2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

a) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung eines Eingriffs in Art. 14 Abs. 1 GG

Eigentumsrelevante Grundrechtseingriffe durch gesetzliche Maßnahmen können einerseits bei einer (Legal-)Enteignung andererseits durch nachbarrechtlich relevante Immissionen entstehen. Insoweit ergeben sich prinzipiell keine unterschiedlichen Eingriffsintensitäten im Vergleich zu einer Umsetzung der Verkehrswegeplanung durch die Verwaltung. Eine Legalenteignung ist dabei nicht notwendigerweise in einem Einzelfallplanungsgesetz mitenthalten. Dies zeigt sich im Grundsatz auch an dem bisher einzigen Gesetz dieser Art bezüglich der Südumfahrung Stendal (GStendal). § 3 GStendal verweist für das Enteignungsverfahren auf die Vorschriften §§ 93-122 des Baugesetzbuches.654 Daraus folgt, daß Einzelfallplanungsgesetz und Legalenteignung grundsätzlich zu trennen sind. Da gleichwohl die Probleme für den Gesetzgeber vergleichbar sind, soll vorliegend auch auf die Voraussetzungen der Legalenteignung eingegangen werden. 655 aa) Zulässigkeil einer Legalenteignung

(1) Begriff der Legalenteignung Das BVerfG hat die Legalenteignung dahingehend umschrieben, daß das Gesetz selbst und unmittelbar mit Inkrafttreten und ohne weiteren Vollzugste, S. 446 f. begründet Verfahrensrechte damit, daß die Wahrscheinlichkeit eines grundrechtmäßigen Ergebnisses erhöht wird. 653 S.a. BVerfGE 52, 30 I 71 - Mülheim-Kärlich: "Zugleich wirken die Grundrechte ihrerseits auf das bestehende Organisations- und Verfahrensrecht ein, und zwar nicht nur die eigentlich verfahrensrechtlichen, sondern auch die materiellen Grundrechte." 654 Vgl. auch oben 2. Teil, C.II.2. Anders aber BVerfG NJW 1997, 383 I 385: "Mit Inkrafttreten des Gesetzes steht mithin fest, welche konkreten Grundstücke und in welchem Umfange dies für das Vorhaben in Anspruch genommen werden sollen. ( ... ) Außerdem erzeugt die gesetzliche Projektzulassung dadurch Bindungen für ein nachfolgendes Enteignungsverfahren, daß nach § 1 II 3 des Gesetzes mit der planensehen Zulassung des Vorhabens alle öffentlichrechtlichen Beziehungen zwischen der damaligen Deutschen Reichsbahn als Träger des Vorhabens und den Betroffenen rechtsgestaltend geregelt werden. Der durch Gesetz zugelassene Plan ist mithin dem Enteignungsverfahren zugrundezulegen; er entfaltet insoweit enteignungsrechtliche Vorwirkungen, als er abschließend und für das weitere Verfahren verbindlich über die Zulässigkeil der Enteignungen einzelner Grundstücke entscheidet. Als Legalenteignung im Gewande einer Legalplanung ist das Gesetz folglich an Art. 14 III zu messen." 655 Natürlich kann auch im Rahmen eines planensehen Administrativverfahrens eine Legalenteignung zum Tragen kommen. Dies zeigt allein schon die grundsätzliche Trennung von Planungs- und Enteignungsverfahren. Insoweit gelten die nachfolgenden Ausführungen analog für eine im regulären Verwaltungsverfahren vorkommende Enteignung durch Gesetz.

C. Grundrechtsprobleme bei Umsetzung transeuropäischer Verkehrsnetze

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akt konkrete und individuelle Rechtspositionen entzieht.656 Kimminich hat demgegenüber aus einem neueren Urteil des BVerfG657 abzuleiten versucht, daß es bei der Legalenteignung nicht um eine Eigentumsbeschaffung, sondern um die Errichtung einer sektoriellen Eigentumsordnung wie zum Beispiel im Berg- oder Deichbau gehe. 658 Allerdings besteht insoweit nicht unbedingt ein Gegensatz zwischen einem subjektiv-individuellen und einem eher objektivgeneralisierenden Ansatz. Auch eine Eigenturnsordnung muß letztlich im Einzelfall durchgesetzt werden. Dies kann durch mögliche Legalenteignungen geschehen. Stehen die Deiche im öffentlichen Eigentum und bilden sie somit eine objektive Eigenturnsordnung, kann dies gerade erst durch die (Legal-) Enteignungen möglich gemacht worden sein. Auch das öffentliche Infrastrukturnetz könnte insoweit als öffentlich-rechtliche Eigentumsordnung angesehen werden, zu deren Durchsetzung eine Legalenteignung dann erforderlich wäre. Das BVerfG ist im Hamburger U-Bahn-Fall 659 dem objektiv-generalisierenden Ansatz nicht gefolgt. Angesichts der Gleichstellung mit einer Administrativenteignung in Art. 14 Abs. 3 GG erscheint es im Ergebnis auch sinnvoller, von einem einheitlichen Enteignungsbegriff auszugehen, der sich nur in Hinblick auf das Organ, welches die Enteignung vornimmt, unterscheidet.66o

(2) Verhältnis zur Administrativenteignung Dem Wortlaut von Art. 14 Abs. 3 GG zufolge scheinen Legal- und Administrativenteignungen gleichberechtigt nebeneinander zu stehen. Die Hansestadt Harnburg hatte in zwei Fällen die Wahl der Mittel als bloße rechtstechnische und rechtspolitische Frage angesehen. 661 Dem ist das BVerfG unter Hinweis auf die historische Entwicklung der Anerkennung des Grundrechtsschutzes gegenüber Legalenteignungen entgegengetreten.662 Die eingeschränkten verwaltungsverfahrensrechtlichen Sicherungen und die begrenzten Rechtsschutzmöglichkeiten zeigten, daß die Legalenteignung nur in eng begrenzten 656 BVerfGE 45, 297 I 325f.; 52, 1 I 21; 58, 300 I 331; die Aufnahme der Legalenteignung in das GG hatte dabei zum Sinn, den Gesetzgeber im Gegensatz zur Tradition des 19. Jahrhunderts und in Anknüpfung an die Rechtsprechung des Reichsgerichts zu Art. 153 WRV zu begrenzen, BVerfGE 45. 297 I 330. 657 BVerfGE 83, 201. 658 659

BK-Kimminich, Art. 14 Rn. 355. BVerfGE 45, 297.

660 S.a. BVerfGE 24, 367 I 404: "Das Grundgesetz kennt zwar zwei Formen der Durchführung einer Enteignung, aber nur einen Enteignungsbegriff. Es besteht kein qualitativer Unterschied zwischen dem Enteignungsakt, den die Verwaltung vollzieht und dem, der unmittelbar vom Gesetzgeber vorgenommen wird." 661 BVerfGE 24, 367 I 399; 45, 297 I 331. 662 BVerfGE 24, 367 I 399 f.

18 JUrgensen

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Fällen als zulässig angesehen werden könne. 663 Dies folge auch aus dem grundsätzlichen Verständnis vom Sinn des Eigentums und der Gewaltenteilung, demzufolge der Gesetzgeber die grundsätzlichen und grundlegenden Entscheidungen des Gemeinwesens regeln solle und ein Verwaltungshandeln durch Gesetz die Ausnahme sein müsse. 664 Gleichwohl bestehen durchaus auch Gemeinsamkeiten zwischen einer Administrativ- und einer Legalenteignung, wie das Erfordernis des Allgemeinwohls und die Junktimklausel zeigen. 665 Grundsätzlich gilt demnach, daß eine Enteignung nur bei einem überwiegenden Interesse zulässig ist und andere wirtschaftliche oder rechtliche Möglichkeiten ausscheiden. 666 Trotz dieser Vergleichbarkeilen hat das BVerfG allerdings eine Mischform von Legal- und Administrativenteignung aus Gründen des garantierten Anspruchs auf effektiven und umfassenden Rechtsschutz ausgeschlossen. 667 Dies ist dadurch gerechtfertigt, daß der Betroffene Klarheit über die Rechtsnatur des ihn endgültig belastenden Rechtsaktes haben muß. (3) Besonderheiten für Legalenteignungen Der dogmatische Ausgangspunkt für die erforderliche Begrenzung der Legalenteignung kann in dem Verhältnismäßigkeilsgrundsatz gesehen werden. 668 Demzufolge können nur absolut und unbedingt erforderliche Allgemeinwohlinteressen überhaupt geeignet sein, eine Legalenteignung zu rechtfertigen. Insoweit drängt sich ein Vergleich mit der Drei-Stufen-Theorie im Rahmen der Berufsfreiheit auf. Auch dort ist die objektive Begrenzung der Berufswahlfreiheit, die mit einer Enteignung durchaus gleichgesetzt werden kann, nur verhältnismäßig, soweit es der Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschafts663 BVerfGE 24, 367 I 403 f.; MD-Papier, Art. 14 Rn. 563; ders. in Rn. 565 hebt jedoch hervor, daß auch in anderen Grundrechten eine Vorbehaltsklausel "durch oder aufgrund eines Gesetzes" enthalten ist, ohne daß insoweit das BVerfG besondere Eingriffsrestriktionen ausgemacht hätte. 664 BVerfGE 33. 1251128 f.; BVerfGE 24, 367 1400; BVerfGE 45,297 1321 f.; s.a. von Münch i Kunig-Bryde, Art. 14 Rn. 74 f.; dagegen Schenke, Rechtsschutz bei normativen Unrecht, S. 41 ff. wegen der Auflockerung des Gegensatzes Norm- Verwaltungsakt; die Zwischenschaltung eines Verwaltungsaktes könnte u.U. sogar hinderlich sein, um den gesetzgeberischen Zweck zu erfüllen. 665 BVerfGE 24, 367 I 404.

S. dazu ausführlich 2. Teil, C.III.2. BVerfGE 45, 297 I 324, 329, 333; 58, 300 I 331 . 668 Ungenau insoweit BVerfGE 24, 367 I 405: "Diese für die Administrativenteignung entwickelten Grundsätze [bei der Verhältnismäßigkeit] müssen in gleichem Maße für die Legalenteignung gelten." 666 667

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gut gilt. 669 Zwar hat das BVerfG im Hamburger Deichordnungsgesetz670 keine Anlehnungen an diese Formulierung gemacht, doch ist der dahinterstehende Gedanke fiir die Anforderungen an Legislativakte, die die Ausübung eines Grundrechts objektiv völlig unmöglich machen (sei es nun des Berufes oder des Eigentums), jedenfalls der Idee nach mit heranzuziehen. Allerdings steht einer entsprechend umfassenden Kontrolle der Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers gegenüber, so daß nur offensichtlich fehlsame Entscheidungen, die der Werteordnung des GG widersprechen, zu korrigieren sind.671 Bei der gerichtlichen Überprüfung sind auf der einen Seite Effektivitätsgesichtspunkte bei der Enteignung zu berücksichtigen, auf der anderen Seite darf die Verfahrensgestaltung nicht ausschließlich nach den Bedürfnissen der Verwaltung ausgerichtet sein.672 Entscheidend ist somit die Frage, welche Fälle oder Prinzipien eine Legalenteignung rechtfertigen können. Im Harnburgischen Deichordnungsgesetz hat das BVerfG die Rechtmäßigkeit der Legalenteignung unter Hinweis auf die besondere Dringlichkeit der Schutzmaßnahmen festgestellt. Einzelenteignungen hätten nicht in angemessener Zeit durchgeführt werden können. 673 In dem anderen zur Legalenteignung bedeutsamen Hamburger U-Bahn-Bau-Fall hatte das BVerfG hingegen gar keine Kriterien für die Rechtmäßigkeit einer gesetzlichen Enteignung genannt, da es eine solche gar nicht für gegeben hielt. Der Gesetzgeber hatte nämlich nicht die konkreten zu enteignenden Grundeigentümer und den Zeitpunkt der Enteignung bestimmt.674 Insgesamt hat das BVerfG keine eindeutige verallgemeinerungsfahige Aussagen zu den engen Voraussetzungen einer Legalenteignung gemacht. Trotzdem folgt aus der Schwere des Grundrechtseingriffs und den deswegen erforderlichen Beschränkungen, daß diese bestimmbar sein müssen. Keineswegs kann aus der Boxberg-Entscheidung675 (im Sinne eines obiter dictum) geschlossen werden, daß das BVerfG eine Eingrenzung nicht mehr für erforderlich hält, wenn es auf die schon anerkannten Einschränkungen nicht mehr gesondert eingeht.676 669

BVerfGE 7, 377 I 408- Apothekenurteil.

670

BVerfGE 24, 367.

BVerfGE 24, 367 I 405 f., gleichzeitig hat das Gericht aber auch ausdrücklich eine Bindung an die Rechtsauffassung des Gesetzgebers abgelehnt, s.a. BVerfGE 45, 297 I 406; 7, 377 I 410; vgl. im weiteren Rahmen zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei Legal- und Adrninistrativenteignungen BVerfGE 56, 2491261, 264; 45, 297 1321, 335, 338. 671

672

BVerfGE 45, 297 I 335.

673

BVerfGE 24, 367 I 403, vgl. dazu BK-Kirnrninich, Art. 14 Rn. 355.

674

BVerfGE 45, 297 I 329; vgl. zum Bestirnrntheitsgrundsatz auch BVerfGE 24, 367 I

415. 675

BVerfGE 74, 2641297.

676

S. aber andeutend MD-Papier, Art. 14 Rn. 564; Ronellenfitsch, DÖV 1991 , 77 1/775

18°

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2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

Ansatzpunkt fiir eine Bestimmung der Beschränkungen der Legalenteignung kann grundsätzlich das Allgemeinwohlinteresse sein. Die Legalenteignung ist letztlich eine besondere Form der Eigentumsentziehung, so daß bei einem engeren Verständnis der allgemeinen Erfordernisse diese Form der Enteignung eingegrenzt werden kann. Das BVerfG hat gefordert, daß eine Enteignung grundsätzlich zur Erfiillung öffentlicher Ausgaben unumgänglich sein muß677 bzw. ein besonders schwerwiegendes öffentliches Interesse zu verlangen sei. 678 Für die Legalenteignung müsse darüber hinaus ein zusätzliches und vor allem einmaliges Interesse festgestellt werden. Hinsichtlich des Deichbaus konnte dies wegen der Sturmflutgefahr bejaht werden, die einmalig den Bau der Schutzmaßnahmen erforderlich machte. Insoweit konnte auch von einer "aktuellen Notlage" gesprochen werden. 679 Interessanterweise hat das BVerfG allerdings in dem Hamburger Deichordnungsfall die Enteignung nicht als ultima ratio angesehen. Allein schon wegen der Dringlichkeit war sowohl die Legalenteignung rechtmäßig als auch das Unterlassen Hamburgs, die Grundstücke freihändig zu erwerben.680 Das BVerfG hat in der Entscheidung Südumfahrung Stenda/ Art. 14 I I GG wegen der enteignungsrechtlichen Vorwirkungen des Planungsgesetzes insbesondere in Hinblick auf die Verkürzung des Rechtsschutzes begutachtet. Es hat dazu ausgefiihrt681 : "In welchen Fällen eine derartige Verkürzung des Rechtsschutzes verfassungsrechtlich zulässig ist, bedarf vorliegend keiner abschließenden Entscheidung. Eine Legalplanung hat vor der Verfassung jedenfalls dann keinen Bestand, wenn eine mit ihr verbundene Enteignung nicht nur- wie jede Enteignung - i.S. des Art. 14 III I GG zum Wohle der Allgemeinheit erforderlich ist, ·sondern auch triftige Gründe für die Annahme bestehen, daß die Durchführung einer behördlichen Planfeststellung mit erheblichen Nachteilen für das Gemeinwohl verbunden wäre, denen nur durch eine gesetzliche Regelung begegnet werden kann."

In dem konkreten Fall hat das BVerfG - unter Berücksichtigung des gesetzgeberischen Einschätzungs- und Beurteilungsspielraums - Art. 14 I I GG deswegen als nicht verletzt angesehen, da die verkehrliehe Situation nach der Wiedervereinigung einen triftigen Grund fiir ein Einzelfallplanungsgsetz darstellte. Zudem hatten die Betroffenen zumindest während der Planungsphase die Möglichkeit, zu dem Vorhaben Stellung zu nehmen.682 Fn. 54 wiederum möchte das Urteil zusätzlich von der Zulässigkeit von Einzelfallplanungsgesetzen abgrenzen und nur auf die Legalenteignung anwenden. 677

BVerfGE 38, 1751 180; 66, 248 1257.

BVerfGE 74, 2641289. Stüer, DVBI. 1991, 1333 I 1336. 680 BVerfGE 24, 367 I 412. 681 BVerfG NJW 1997, 3831385. 682 BVerfG NJW 1997, 383 I 385 f.

618

619

C. Grundrechtsprobleme bei Umsetzung transeuropäischer Verkehrsnetze

277

Die Zulässigkeil einer Legalenteignung im Rahmen der transeuropäischen Verkehrsnetze muß zumindest unter diesen genannten Gesichtspunkten sehr eingeschränkt gesehen werden. Ein eirunaliges Interesse besteht nicht. Der Kreis der Projekte ist stets erweiterbar. Ein besonderes wirtschaftliches Interesse reicht ebenfalls im allgemeinen nicht aus, um den schwerwiegenden Eingriff der Legalenteignung zu rechtfertigen. Der dahinterstehende europäische Integrationsgedanke kann nicht zu einer pauschalen Aufgabe rechtsstaatlicher Prinzipien wie dem Grundsatz der Gewaltenteilung und dem damit verbundenen Grundrechtsschutz fuhren. Dies gebietet auch nicht der Vorrang des Gemeinschaftsrechts, da diese höherrangige Rechtsordnung selbst nicht eine Legalenteignung verlangt. Die vom BVerfG einmalig angenommene Dringlichkeit scheidet als Kriterium schon deshalb aus, da das Beschlußverfahren für die Leitlinien nach Art. 129d EGV so langwierig ist, daß dann von einer besonderen Dringlichkeit für die Legalenteignung nicht gesprochen werden kann. Daß für das normale Planungsverfahren und die normale Administrativenteignung europarechtliche Belange durchaus eine wichtige Rolle spielen683, hängt mit dem geringer wiegenden Eingriff in die Rechtssphäre des einzelnen zusammen. Insoweit ist gerade von Bedeutung, welche Beteiligungsrechte im Verfahren und welche Rechtsschutzmöglichkeiten bestehen.684 Ein zunächst erfolgloses Administrativenteignungsverfahren kann dabei ebensowenig eine nachträgliche Legalenteignung rechtfertigen. Denn wenn schon eine verwaltungsverfahrensrechtliche Enteignung unrechtmäßig wäre, dann müßte dies für die Legalenteignung erst recht gelten. Insoweit schafft die Möglichkeit der Legalenteignung nicht eine allgemeine Enteignungsbefugnis des Gesetzgebers. 685 Im Ergebnis folgt daraus, daß eine Legalenteignung im Bereich der transeuropäischen Netze grundsätzlich unzulässig ist. Ein ausnahmsweise geltend zu machendes Gemeinschaftsinteresse zur Rechtfertigung der Legalenteignung ist in diesem Rahmen kaum mehr vorstellbar. Sollte aufgrund einer Situation der wirtschaftliche Verkehr tatsächlich einmal ein unabweisliches und mibedingt vorrangiges Interesse an der schnellen Realisierung eines Gemeinschaftsvorhabens aufweisen, so würde die Gemeinschaft wohl regelmäßig selbst im Rahmen von Art. 75 Abs. 1 lit. d) EGV tätig werden. bb) Einzelfallgesetz und nachbarrechtliche Auswirkungen

Ein Investitionsmaßnahmegesetz kann ebenso wie ein anderes Planungsverfahren Auswirkungen auf nachbarschaftlieber Ebene bedingen. Das kon683

6114

m

Vgl. oben 2. Teil, C.II.2. S. dazu im allgemeineren Zusammenhang unten 2.c). BVerfGE 24, 367 I 400.

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2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

krete Projekt wird im Endeffekt genauso viele oder genauso wenige Umweltauswirkungen haben, gleichgültig, ob es auf einer gesetzlichen Grundlage oder einem verwaltungsrechtlichen Planfeststellungsbeschluß beruht. Es wurde schon darauf hingewiesen, daß sich insbesondere zu den Verkehrslärmimmissionen eine umfassende Rechtsprechung bezüglich der Aufopferungsenteignung herausgebildet hat. Grundsätzlich sind die genannten Kriterien auch fiir Ausgleichsansprüche gegenüber dem Gesetzgeber relevant. Allerdings ist in der Literatur und Rechtsprechung die Staatshaftung fiir legislatives Unrecht sehr umstritten.686 Der BGH hatte ausgedrückt, daß ohne eine gesetzliche Regelung es den Gerichten nicht zustehe, im Bereich des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG Ausgleichsleistungen zuzubilligen, da der Richter an Recht und Gesetz gebunden sei.687 Gesetze hätten in der Regel keine drittschützende Wirkung. Maurer stellt hingegen nicht auf die Kompetenznorm, sondern auf die verletzte höherrangige Rechtsnorm ab. Geht es um eine Grundrechtsbeeinträchtigung, wird die Drittwirkung bezüglich Art. I4 Abs. I S. I GG jedenfalls gegeben sein.688 Soweit man davon ausgeht, daß auch bei einem legislativen Handeln verwaltungsrechtliche Grundsätze zu beachten seien, folgt ein individualschützender Charakter, der zum Schadensersatz verpflichtet, auch aus dem stets zu beachtenden Abwägungsgebot. 689 Angesichts eines im Grunde genommen gesetzlichen Verwaltungshandeins kann vom Ergebnis her ein Ersatzanspruch nicht wegen des formalen Handeins des Gesetzgebers scheitern. Dies verbietet zum einen die Dogmatik des Art. I4 GG, der nicht nur bei der Enteignung von einer Wandlung der Bestands- in eine Wertgarantie690 ausgeht. Dieser Grundsatz muß auch gelten, wenn der Bestand anders als durch eine Enteignung grundrechtserheblich691 beeinträchtigt wird. Zum anderen entspricht dies dem rechtsstaatlichem Gebot, daß der Staat fiir von ihm kausal verursachte Beeinträchtigungen Ersatz leisten muß. Die insoweit fiir die reguläre Gesetzgebung geltenden Beschränkungen, wie zum Beispiel der Finanzierungsvorbehalt692 , gelten hier nicht. 686 Vgl. Nachweise bei Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 25 Rn. 52; zur Rechtsprechung vgl. BGHZ 100, 1361145 f.: Haushaltsprärogative des Parlaments; keine Vorwegnahme von Reformvorschlägen; s.a. BGHZ 102, 3501358 ff., 362- Wa/dschäden. 687 BGHZ 102, 358 I 363. MS Maurer, a.a.O., § 25 Rn. 52. 689 BVerwGE 59, 87195 ff. 690 BVerfGE 45, 63 I 76; 24, 367 I 397. 691 S. dazu die Darstellung im Rahmen der Verwaltungsumsetzung 2. Teil, C.l.2; vgl. zusätzlich Korbmacher, Eigentums- und entschädigungsrechtliche relevante Entscheidungen in der fachplanensehen Abwägung, S. I I 10 ff.; Bender, DVBI. 1984, 30; der Begriff "grundrechtserheblich" stellt damit die Abgrenzung zur bloßen Billigkeitsentschädigung dar, die grundrechtlich nicht gefordert ist. 692 Gemeint ist damit die nur beschränkte Leistungsfähigkeit des Staates, wenn er durch

C. Grundrechtsprobleme bei Umsetzung transeuropäischer Verkehrsnetze

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Insoweit ist auch gerade eine generelle Freistellung des Gesetzgebers von der Staatshaftung wegen der staatlichen Souveränität abzulehnen. 693 b) Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG

Ob ein Gesetz oder ein Planfeststellungsbeschluß Grundrechtsauswirkungen bedingt, ist nicht von ausschlaggebendem Belang. Der Staat haftet für Grundrechtsbeeinträchtigungen vergleichbar Art. 14 Abs. 1 GG. Die Verkehrsimmissionsverursachung wird dabei dem Staat trotz der letztlich privaten Verursachung im Ergebnis zugerechnet.694 Unter dem Gesichtspunkt des ,,Zweckveranlassers" ist dieses Ergebnis sachgerecht, umso mehr da ein Rückgriff auf den einzelnen privaten Immissionsverursacher regelmäßig zwecklos ist. c) Maßnahmegesetz und Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG

Wie auch schon im Rahmen der Legalenteignung angedeutet wurde, ist für die Rechtmäßigkeit eines Investitionsmaßnahmegesetzes das Verfahrenserfordernis als eigenes Grundrecht zu beachten. Ein wesentlicher Verfahrensgrundsatz für ein gesetzliches Handeln ergibt sich dabei zunächst aus Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG. Diese Vorschrift, die zumindest im Rahmen von Art. 14 Abs. 3 GG eine verfassungsrechtlich zugelassene Ausnahme erfährt695 , ist grundrechtlich auch für sonstige Eingriffe in das Eigentum und Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG relevant. 696 Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG bereitet deswegen besondere ein allgemeines Gesetz eine große Anzahl von Personen schädigt; BGHZ 100, 136 1 145; 102,3581362. 693 In Frankreich, das zumindest im 19. Jahrhundert vorbildlich filr das deutsche Verwaltungsrecht war, bestand zunächst aber eben gerade diese Auffassung: Conseil d'Etat (C.E.) 11 janv. 1838 - Duchätelet, Rec. 7; C.E. 5 fevr. 1875 - Moroge, Rec. 89. Diese "irresponsabilite totale de !'Etat legislateur'' wurde aber auch in Frankreich später grundsätzlich aufgegeben: C.E. Ass. 14 janv. 1938 -La Fleurette, Rec. 25. Selbst jetzt muß jedoch ausdrücklich geklärt werden, ob nicht der Staat, wenn er im Allgemeininteresse handelt, implizit einen Ausschluß der Staatshaftung vorgesehen hat. 694 Vgl. BGHZ 54, 384; BGH NJW 1988, 900; s. dazu Schwager!Krohn, WM 1991, 33 I 42 f.; Breuer, Die Bodennutzung zwischen Städtebau und Eigentumsgarantie, 1976, s. 313, 337 f.

695 BVerfGE 21, 92 I 93, 24, 367 I 396; eingeschränkt MD-Papier, Art. 14 Rn. 567, der Art. 19 I 1 GG als allgemeine rechtsstaatliche Grenze erhalten wissen will; s.a. auch MDHerzog, Art. 19 I Rn. 40b: Art. 14 Abs. 3 GG verdrängt Art. 19 Abs. 1 GG kraft Spezialität; Kunig, Jura 1993, 308 I 311. 696 Auf den Gewaltenteilungscharakter und die Bedeutung filr die Funktionengliederung soll hingegen nicht weiter abgestellt werden; vgl. Kunig, Jura 1993, 308 I 311; BK-Menger, Art. 19 I Rn. 37 f.; ablehnend unter dem Gesichtspunkt der kommunalen Selbstverwaltung Bethge, Wortprotokoll, S. 13; ders., a.a.O., S. 32 f. wirft die Frage auf, ob überhaupt bei einer solchen Grundrechtsbetroffenheit überhaupt noch ein Einzelfallgesetz vorliegt.

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2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

Schwierigkeiten, weil der Begriff "Einzelfall" äußerst schwer zu fassen ist.697 Eine Anlehnung an den Verwaltungsaktbegriff wird dabei vereinzelt als zulässig erachtet.698 In der Literatur hat sich dabei die Ansicht durchgesetzt, daß Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG als Verbot des Einzelpersonengesetzes aufzufassen sei.699 Dies folge aus der systematischen Stellung im Grundrechtsteil, so daß der individualschützende Charakter damit zum Ausdruck kommt. 700 Das BVerfG hat vertreten, daß Art. 19 Abs. I S. I GG verhindem wolle, daß ein Gesetz nur einmalig zur Anwendung kommen solle. 701 Da diese Rechtsfolge nicht von der Person zu trennen sei, könnte man auch insoweit zu einem Verbot des Einzelpersonengesetzes kommen.702 Die Vorschrift beinhalte damit im Grunde genommen einen qualifizierten Gleichheitssatz im Verhältnis zu Art. 3 As. 1 GG, von dem insofern aber auch Ausnahmen zugelassen werden können.703 Die Umdeutung des Art. 19 Abs. 1 S. I GG vom Verbot des Einzelfallgesetzes zu dem des Einzelpersonengesetzes ist zwar nicht zwingend, bietet aber den Vorteil, den Problemen, die bei der Bestimmung des Einzelfalles auftreten, zunächst aus dem Weg zu gehen. Doch auch als Verbot des Einzelpersonengesetzes ist immer noch nicht klar, wann diese Bedingung erfiillt ist. Die Größe der Gruppe oder die Betroffenheit einer einzigen Person soll nach dem BVerfG unerheblich sein, solange die Gruppe sachgerecht abgegrenzt und in sich gleichwertigen Regeln unterworfen ist. 704 Die damit verbundene Wertung wurde von Menger in Hinblick auf das objektive Erfordernis kritisiert. 705 Vielmehr solle es sich dann um einen Adressatenkreis handeln, wenn die Betroffenen dem Normgeber nicht nur als Gattungsbegriff, sondern in ihrer Individualität gegenübertreten. 706 697

Vgl. statt aller ausführliehst BK-Menger, Art. 19 I Rn. ~7 ff.

MD-Herzog, Art. 19 I Rn. 47, und wohl auch von Münch/Kunig-Krebs, Art. 19 Rn. 8. 699 Siehe Bullinger, a.a.O., S. 107. 700 MD-Herzog, Art. 19 I Rn. 34; BK-Menger, Art. 19 I Rn. 95 f. 701 BVerfDE 13, 225/229; 25, 371 / 396. Die zuletzt genannte Entscheidung "Iex Rheinstahl" ist aber zugleich Ausdruck für einen etwas naiven Umgang des BVerfG mit Art. 19 Abs. I S. I GG. Es hatte dort keinen Verstoß gegen Art. 19 Abs.l S. I GG angenommen, weil das Gesetz so abstrakt gefaßt war, daß es noch auf andere Fälle hätte Anwendung finden können. In der Praxis gab es jedoch nur drei (!) mögliche Betroffene. 702 BK-Menger, Art. 19 I Rn. 92, 97. 703 BVerfDE 25, 371/398 f.; MD-Herzog, Art. 19 I Rn. 33, s. aber auch Rn. 37; von Münch/Kunig-Krebs, Art. 19 Rn. 10; Kunig, Jura 1993, 308/312; kritisch BK-Menger, Art. 19 I Rn. 33, 67; s. Bullinger, a.a.O., S. 108. 704 BVerfDE 8, 332/361. 705 BK-Menger, Art. 19 I Rn. 100. 706 BK-Menger, Art. 19 I Rn. 112. 698

C. Grundrechtsprobleme bei Umsetzung transeuropäischer Verkehrsnetze

281

Dieser Ansatz von Menger ist aber unbefriedigend, weil ein geschlossener, individualisierter Adressatenkreis nicht schlechterdings von Art. 19 Abs. l GG verboten sein kann, wie das Beispiel der Gesetze, die an die Rundfunkanstalten adressiert sind, zeigt. 707 Insoweit kann es auch nicht darauf ankommen, ob die Grundrechtsadressaten bestimmbar sind, ohne daß weitere Personen hinzukommen können. 708 Es erscheint angesichts dieser Schwierigkeiten gerechtfertigt, den Begriff des Einzelfall- bzw. Personengesetzes so eng wie möglich zu fassen. Nur dann ist die Justitiabilität gewährleistet. Hinzu kommt, daß durch die Qualifizierung als Benachteiligungsverbot prinzipiell schon wieder eine mögliche Relativierung eröffnet wird, da Ungleichbehandlungen gerechtfertigt werden können. In diesem Sinne steht dem auch die "absolute Formulierung" nicht entgegen, wie auch der gängige Vergleich mit Art. 3 Abs. l GG zeigt. 709 Ein richtiges Verständnis von Art. 19 Abs. l S. I GG muß einerseits versuchen, die Abgrenzungsschwierigkeiten bezüglich des Einzelfalles oder der Einzelperson überzeugend zu lösen und andererseits einen eigenständigen Anwendungsbereich neben Art. 3 GG zu bewahren. Dies ergibt folgenden Lösungsvorschlag: Ausgehend von dem Begriff "Einzelperson" verbietet Art. 19 Abs. l S.l GG belastende gesetzliche Maßnahmen, die sich an eine bestimmte Person richten. Verwaltungsrechtlich steht dies dem Verwaltungsakt in seiner konkret-individuellen Ausformung gleich. 710 Ein Gruppenbezug ist abzulehnen, da die Gruppe immer so definiert werden kann, daß das Verbot des Art. 19 Abs. l S. l GG umgangen wird. Gleichzeitig muß Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG als eine absolute und unüberschreitbare Grenze aufgefaßt werden. Gerechtfertigte Ungleichbehandlungen wie bei Art. 3 GG sind damit ausgeschlossen. Somit verbleibt Art. 19 Abs. 1 S. l GG gleichzeitig ein eigener Anwendungsbereich im Sinne einer "Schranken-Schranke" von möglicherweise sonst gerechtfertigten Grundrechtsbeeinträchtigungen (z.B. nach Art. 3 GG). Damit ergibt sich, daß Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG nicht als eine Schranke für ein belastendes Investitionsmaßnahmegesetz im Rahmen der Umsetzung der transeuropäsichen Netze angesehen werden kann. Ein individuelles Planungs707

Vgl. von Münch/Kunig-Krebs, Art. 19 Rn. II.

708

Vgl. BVerfGE 36, 383 I 400 f.

Die Kritik von Menger in: BK, Art. 19 I Rn. 67, daß damit Art. 19 Abs. I GG zur Disposition des Gesetzgebers stünde, wenn ein Gedes?) sachliches Interesse die Ungleichbehandlung rechtfertigen würde, ist insoweit nicht berechtigt, als derselbe Prüfungsmaßstab wie bei Art. 3 GG Anwendung finden kann. Es ist jedenfalls nicht zwingend zu erkennen, daß Art. 19 Abs. I GG unbedingt weiter gehen soll als Art. 3 Abs. I GG. 710 Diese Eingrenzung ist notwendig, da sich der Verwaltungsaktsbegriff auch auf die Allgemeinverfugung und den Planfeststellungbeschluß erstreckt. Diese Beispiele zeigen zugleich, daß die Orientierung an dem verwaltungsrechtlichen Verwaltungsaktsbegriff (MD-Herzog, Art. 19 I Rn. 47) nur sehr schwer eine Eingrenzung bewirken kann. 709

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gesetz betrifft zwar einen konkreten Planungsfall, jedoch regelmäßig zahlreiche Anwohner. Es ist eben nicht nur ein Nachbar betroffen. Nach dieser Auffassung kann es aber dann auch nicht mehr darauf ankommen, inwieweit eine Ungleichbehandlung bei Art. 19 Abs. I S. I GG zum Beispiel durch die Bewertung des Zeitgewinns bei der Planung und den damit verbunden "Aufschwungertrag" gerechtfertigt ist. 711 Art. 19 Abs. I S. I GG ist vielmehr schon in seinem Anwendungsbereich gar nicht betroffen, so daß es auf eine Rechtfertigung nicht ankommt. 712 d) Die Beachtung des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG

Art. 19 Abs. 4 S. I GG ist fiir die Rechtmäßigkeit von Investitionsmaßnahmegesetzen von doppelter Bedeutung. Zum einen enthält die Vorschrift eine verfahrensrechtliche Aussage, die dem gerichtlichen Schutz vorgelagert ist. Zum anderen schreibt die Vorschrift einen effektiven Rechtsschutz vor, der durch die Verengung auf das BVerfG nicht mehr gewährleistet sein könnte.

aa) Verj'ahrensanj'orderungen Art. 19 Abs. 4 GG entfaltet wegen seiner Rechtsschutzgarantie Vorwirkungen auf die Gestaltung des Verwaltungsverfahrens. 713 Im Planungsrecht normiert das formliehe Planfeststellungsverfahren mit seiner Konzentrationswirkung eine effektive Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens. Den Zusammenhang von formliehen Verwaltungsverfahren und dem Rechtsschutzinteresse hat das BVerwG folgendermaßen ausgedrücke 14: "Dem wegen der regelmäßig intensiven und sachlich wie räumlich umfassenden Eingriffswirkung einer Planfeststellung möglicherweise in der Tat gesteigerten Rechtsschutzbedürfnis der Planbetroffenen trägt das Gesetz dadurch Rechnung, daß es das Planfeststellungsverfahren als formliches Verfahren ausgestaltet hat."

Das Planfeststellungsverfahren verbindet die Gestaltungsfreiheit der Verwaltung715 mit den entgegenstehenden und zugleich gebündelten Einzelinteressen. Rechtspolitischer Hintergrund dieses Verfahrens ist es, Konflikte frühzeitig zu entschärfen, um die Akzeptanz der späteren Entscheidung zu erhöhen. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit kann sich zugleich auf Verhaltens- und Verfahrenskontrolle der Entscheidungsträger konzentrieren. 716 So Kunig, Jura 1993,308/312. Vgl. insoweit auch Bethge, Wortprotokoll, S. 33. 713 Von Münch/Kunig-Krebs, Art. 19 Rn. 66; BVerfGE 8, 174/181 f. 714 BVerwGE 58, 344/350. 715 BK-Schenke, Art. 19 IV Rn. 312. 716 BVerfGE 53, 30/78, 80 ff. - Mülheim-Kärlich.

711

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Bei Investitionsmaßnahmegesetzen wird kein Planfeststellungsverfahren durchgefiihrt. Gleichwohl soll der Kontakt mit den beteiligten Gruppen gesichert werden.717 In der Regel übernimmt die Planung eine eigens gegründete private Planungsgesellschaft. 718 Offensichtlich erhofft man sich (und wohl auch nicht zu Unrecht) von den Privaten eine effektivere und schnellere Planungsaktivität.719 Daneben finden im zuständigen Bundestagsausschuß Anhörungen statt.720 Jedenfalls soweit es Einzelfallplanungsgesetze angeht, wird das formalisierte Verwaltungsverfahren damit grundsätzlich umgangen.721 Zu einer vergleichbaren Konstellation kommt es im Rahmen der Legalenteignung. Das Enteignungsverfahren nach dem BauGB sieht in §§ 85, 104 ff. ein stark formalisiertes Verwaltungsverfahren vor. Wie allein schon aus § I 04 I BauGB hervorgeht, richtet sich dieses Verfahren an die Verwaltungsbzw. Enteignungsbehörde. Der Gesetzgeber ist daran nicht gebunden, sondern fiir ihn ist prinzipiell nur das Gesetzgebungsverfahren nach Art. 70 ff. GG relevant. Damit kommt es aber zu dem Problem, daß die den einzelnen schützenden Verwaltungsverfahren nicht mehr ihren Zweck erfiillen können. Es wäre denkbar, die materiellen Bestimmungen des Planfeststellungs- und Enteignungsverfahrens aus rechtsstaatliehen Gründen auch auf die privaten Planungsgesellschaften bzw. die dem Gesetzgeber zuarbeitende Verwaltungsbehörde zu erstrecken. Daran ist jedoch unbefriedigend, daß dann ein Großteil der Effektivität dieses Vorgehens genommen würde. Im Ergebnis wäre das gesetzliche Handeln nur noch unter dem Gesichtspunkt des gerichtlichen Rechtsschutzes zeitersparend, während sich verwaltungstechnisch kein Unterschied ergäbe. Selbst der Gesichtspunkt des Rechtsschutzes wäre nur gering zu veranschlagen, wenn man bedenkt, daß die einzige reguläre Rechtsschutz71 7 Vgl. die Aussage des Vertreters des Bundesverkehrsministeriums, Pfe il, DVBI. 1991, 135111354. 71 R Bei der Südumfahrung Stendal ist die "Planungsgesellschaft Schnellbahnbau Hannover-Berlin mbH" (PGS) tätig geworden; private Planungsgesellschaften werden aber nicht nur im Rahmen der Investitionsmaßnahmegsetze aktiv, s. z.B. für Teilstrecken der A 9 plante die "Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs und -bau GmbH" (Deges); für die Bahnstrecke Berlin-Nümberg ist die "Planungsgesellschaft Bahnbau Deutsche Einheit" (PBDE) zuständig; zu deren Tätigkeit s. Klofat, Einschaltung Privater beim Verkehrswegebau, in: Blüme1 (Hrsg.), Einschaltung Privater beim Verkehrswegebau - lnnenstadtverkehr, 1993, S. 7; ausführlich zur Deges Pabst, Verfassungsrechtliche Grenzen beim Fernstraßenbau, 1997, s. 240 ff. 71 9 Dies gilt v.a. für die Arbeitsorganisation wie Teamarbeit oder bei der personellen Flexibilität, vgl. Steiner, Protokoll VerKPBG, S. 46. 720 Dies bezeichnet Blümel als nicht ausreichend, vgl. Pfeil, DVBI. 1991, 1351 I 1354. 721 In der Entscheidung Südumfahrnng Stendal hat das BVerfG (NJW 1997, 383 / 385 f.) festgestellt, daß der Gesetzgeber seine Pflicht, die Sachverhaltsermittlungen vollständig und zuverlässig durchzuführen, deswegen nicht verletzt habe, da den betroffenen Bürger und Gemeinden die Möglichkeit hatten, zu der Planung Stellung zu nehmen und der Ausschuß für Verkehr eine Anhörung zu dem Projekt durchgeführt habe.

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instanz bei dem Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz hinsichtlich des Planfeststellungsverfahrens das BVerwG ist (§ 5 I VerkPBG). Art. 19 Abs. 4 S. I GG erfordert aber nur einen Mindestrechtsschutzstandard.722 So wenig die Rechtsschutzgarantie einen Instanzenzug garantiert, so wenig kann unter grundrechtlichem Gesichtspunkt ein detailliertes und strikt formalisiertes Verwaltungsverfahren gefordert sein.723 Die Plangenehmigung als Ausnahme von dem Planfeststellungsverfahren ist beispielsweise in § 17 Abs. la Nr. 1 FemStrG nicht nur bei Zustimmung der Betroffenen gestattet, sondern schon wenn "keine wesentlichen Beeinträchtigungen" zu befürchten sind. 724 Sowohl für das Planungsverfahren als auch für Legalenteignungen muß somit der Mindeststandard bestimmt werden. Dabei können rechtsstaatliche Prinzipien zunächst aus dem innerstaatlichen Verfahrensrecht des VwVfG hergeleitet werden. Auch die Rechtsprechung des EuGH kann insoweit indizierend wirken. Mangels eines eigenen europäischen Verwaltungsverfahrensrechtes mußte der Gerichtshof im Einzelfall einen verfahrensrechtlichen Mindeststandard herausarbeiten. Daraus könnten Anregungen für ein nicht-formalisiertes Mindestverfahren im Rahmen der nationalen Gesetzgebung folgen. Einen unmittelbareren Zusammenhang bietet dann wieder die Berücksichtigung der richterlichen Kontrolle der planenden Verwaltung. Für den Rechtsschutz bilden Verwaltungsverfahren und gerichtliche Kontrolle eine Einheit. Je besser das Verwaltungsverfahren ausgestattet ist, desto zurückhaltender kann der (gerichtliche) Rechtsschutz sein. 725 Dieser Punkt wird im Rahmen des gerichtlichen Rechtsschutzgehaltes von Art. 19 Abs. 4 GG nähere Beachtung finden. ( 1) Innerstaatliche Verfahrensanforderungen Das formlose Verwaltungsverfahren enthält in seinen den einzelnen unmittelbar einbeziehenden Vorschriften726 die entscheidenden Grundsätze, die aus rechtsstaatlicher Sicht mindestens zu gewährleisten sind. Da die formalisierten Verwaltungsverfahren keine Anwendung finden, sind aber jedenfalls 722

Kunig, Jura 1993, 308 I 312; s.a. Bullinger, a.a.O., S. 113 f.

Vgl. BVerfDE 53, 30 I 77 "[Daraus, daß das atomrechtliche Verfahrensrecht nicht grundrechtsneutral ist, folgt nicht,] daß sich unmittelbar aus der in Art. 2 Abs. 2 GG verkörperten Grundentscheidung eine ins einzelne gehende Verfahrensgestaltung herleiten ließe." 123

724 Allerdings ist das Institut der Plangenehmigung gerade auch unter diesem Gesichtspunkt sehr umstritten, s.o. Teil I, D.l. 725 Vgl. BVerfDE 53, 30/65, von Münch/Kunig-Kunig, Art. 2 Rn. 69; Kunig, Wortprotokoll, S. 9. 726 Diese Einschränkung ist deswegen nötig, um nicht alle Verwaltungsrechtsgrundsätze wie z.B. auch den Grundsatz vom Vorbehalt und Vorrang des Gesetzes zu rezipieren. Diese Prinzipien werfen deswegen keine Probleme auf, da es sich bei dem Prüfungsgegenstand um einen Legislativakt handelt.

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a maiore ad minus materiell die allgemeinen Verfahrensgrundsätze zu beachten. Insoweit kann das Verwaltungsrecht auch für eine private Planungsgesellschaft von Bedeutung sein, da diese materiellen Grundsätze entgegen § I I VwVfG jedenfalls gerade dann nicht an ein bestimmtes Verwaltungsorgan gebunden sind, wenn ein Privater eine typische Verwaltungstätigkeit ausübt. Die §§ 24, 25 (insbesondere S. 2), 26, 28, 29, 30 VwVfG sind in diesem Rahmen analog anzuwenden. Diese Vorschriften gewährleisten, daß die planende Stelle von sich aus alle relevanten Umstände berücksichtigt (§§ 24, 26 VwVfG), umfassende Auskunft über das Planungsverfahren erteilt (§ 25 S. 2 VwVfG), die Beteiligten anhört (§ 28 VwVfG) sowie das Recht auf Akteneinsicht sicherstellt (§ 29 VwVfG) 727 und die Geheimhaltungspflicht garantiert (§ 30 VwVfG). Dadurch wird sichergestellt, daß die Betroffenen effektiv Einwendungen vorbringen können. Bei der eigentlichen Planungsentscheidung ist das aus § 40 VwVfG herzuleitende und gerichtlich nach § 114 VwGO überprüfbare Ermessen728, das im Rahmen des Planungsrechts das Abwägungsgebot umfaßt, zu beachten. Wie auch schon aus den verwaltungsverfahrensrechtlichen Grundsätzen folgt, ist zunächst das Abwägungsmaterial zusammenzustellen.729 Anband dieser Fakten muß eine Abwägung überhaupt stattfinden, die relevanten Tatsachen berücksichtigt sowie die öffentlichen und privaten Belange erkannt und ausgeglichen werden. 730 Soweit diese Grundsätze beachtet werden, kann unter den Gesichtspunkten der einzelnen Mitwirkungschance, der Integrität und Unparteilichkeit der zur Entscheidung Befugten sowie der Breite und Sorgfalt der Sachverhaltsermittlung und -bewertung731 Art. 19 Abs. 4 GG in verfahrensrechtlicher Hinsicht als gewahrt angesehen werden. Diese Grundsätze gelten dabei sowohl für den einzelfallgesetzlichen Plan als auch für die mögliche Legalenteignung. 732 Das Erfordernis eines Planfeststellungsverfahrens ist aus grundrechtlicher Sicht mit dem Argument belegt worden, daß nur dann festgestellt werden kann, ob überhaupt Grundrechte beeinträchtigt sein "können". 733 Art. 3 Abs. I GG wäre verletzt, wenn nicht in jedem Falle abwägungserhebliche Belange im Rahmen eines Planfeststellungsverfahrens berücksichtigt wür-

727 Dieses Recht steht allerdings grundsätzlich im Ermessen der Behörde, wie insoweit die Reduktion aus § 72 I a.E. VwVfG ergibt. 728 Vgl. MD-Schmidt-Aßmann, Art. 19 IV Rn. 209. 729 MD-Schmidt-Aßmann, Art. 19 IV Rn. 212. 730 Es geht dabei um die Frage, ob ein Abwägungsausfall, ein Abwägungsdefizit oder eine Abwägungsfehleinschätzung vorliegt, MD-Schmidt-Aßmann, Art. 19 IV Rn. 213 . . 731 Zu diesem Kriterienkatalog s. Kunig, Jura 1993, 308 / 313. 732 Interessanterweise hat sich gerade hinsichtlich der Legalenteignung keine entsprechende umfassende Diskussion über die verfahrensrechtlichen Anforderungen ergeben. 733 So die Anforderung des BVerwG in BVerwGE 84, 32.

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den. 734 Diese Ansicht ist aber zurückzuweisen. Zunächst können auch im Rahmen eines einfachen (Verwaltungs-) Verfahrens Grundrechtsverletzungen vorgebracht werden. Wäre dies nicht so, so bedürfte es stets eines formalisierten Verwaltungsvorgehens. Sicherlich ist das Planungsverfahren wegen der Vielzahl der Betroffenen von einer besonderen Komplexität. Doch der Umfang der möglichen Grundrechtsbetroffenen kann nicht ausschlaggebend für die Perpetuierung starrer Verfahrensweisen sein. Diese Starrheit äußert sich insbesondere in den formalisierten Anhörungsverfahren (§ 73 VwVfG), die auch unter Berücksichtigung der allgemeinen Vorschriften zum förmlichen Verwaltungsverfahren (§§ 63 ff. VwVfG), vonstatten gehen.735 Die Zurücknahme der Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens findet auch darin ihre Rechtfertigung, daß neben den planensehen Vorarbeiten zusätzlich ein Gesetzgebungsverfahren stattfindet. Jedenfalls in dessen Rahmen können bei wirklich schwerwiegenden Mängeln und Grundrechtsmißachtungen bei der Verwaltungsvorarbeit auch über die Kontrolle der öffentlichen Meinung Korrekturen vorgenommen werden. 736 Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist nicht davon auszugehen, daß Art. 3 Abs. 1 GG verletzt wäre. Natürlich werden Verkehrsvorhaben ungleich behandelt, wenn einerseits ein förmliches Planfeststellungsverfahren oder andererseits ein unförmliches Planungsvorgehen mit anschließender gesetzgebenscher Verabschiedung gewählt wird. Eine sachliche Rechtfertigung kann sich aus dem Beschleunigungseffeke37 und aber auch aus der gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtung ergeben. Die Ziele und Verbindlichkeiten der Gemeinschaft können insoweit volle Gültigkeit beanspruchen. Daß Art. 3 Abs. 1 GG schon deswegen auch nicht verletzt sein kann, folgt aus der Alternative der Festschreibung von Verwaltungsverfahren. Das Recht muß sich an andere Bedingungen und Umstände anpassen können, und eine absolute Geltung des Gleichheitsgrundsatzes, demzufolge das Planfeststellungsverfahren nicht in Frage gestellt werden darf, kann nicht der richtige Ansatz sein.738 Besondere Zielvorstellungen wie z.B. bei den Verkehrsprojekten Deutsche Einheit oder den transeuropäischen Verkehrsnetzen sind für den Zusammenhalt und die Ausgleichung der Lebensverhältnisse der deutschen und europäischen Gesellschaft von einer großen Bedeutung, die es grundsätzlich rechtfertigen, von herkömmlichen VerKlinskil Gaßner, NVwZ 1992, 235 I 236 f. Die §§ 72 ff. VwVfG finden hinsichtlich des Straßenbaus auch unter Berücksichtigung von § 17 Abs. 3a bis 3c Anwendung, die insoweit verbindliche Fristen festlegen. Für Eisenbahnstrecken ist ebenfalls das Planfeststellungsverfahren gemäß dem VwVfG im wesentlichen anzuwenden, vgl. §§ 18 I, 20 AEG. 736 Sehr viel zurückhaltender Stüer, DVBI. 1991, 1333 I 1338, der in informellen Beteiligungen oder Hearings vor dem zuständigen Bundestagsauschuß keinen Ersatz fiir eine formliehe Öffentlichkeitsbeteiligung sieht. 737 A.A. Klinski / Gaßner, NVwZ 1992, 235 1237. 738 S.a. Kunig, Wortprotokoll, S. 33 f. 734 735

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waltungsverfahren abzuweichen, sofern die anderen Vorgehensweisen zu effektiveren und doch zugleich die Grundrechte angemessen berücksichtigenden Ergebnissen kommen. Gerade auch bei einer Betonung des europäischen Ausmaßes der transeuropäischen Verkehrsnetze zeigt sich, daß es in den Mitgliedstaaten ganz unterschiedliche Planungsverfahren gibt, die dennoch stets grundrechtliche Interessen berücksichtigen. Die Rücksichtnahme auf die grundrechtliche Individualsphäre ist ein den europäischen Rechtsordnungen immanenter Rechtsgrundsatz, wie sich auch aus der Rechtsprechung des EuGH ergibt. Soweit es also innerstaatlich um die verfahrensrechtlichen Mindestanforderungen geht, kann aus grundrechtlicher Sicht nicht nur das deutsche Planungsverfahren als für den Bereich des GG ausreichend angesehen werden. Der Vergleich mit der europäischen Wertegemeinschaft verdeutlicht, daß auch Änderungen an dem Planfeststellungsverfahren möglich sein müssen, ohne daß dies grundrechtlichen Mindestanforderungen widerspräche. (2) Europäische Mindestanforderungen Damit ist der Brückenschlag zu der Rechtsprechung des EuGH vollzogen. Es sei noch einmal betont, daß es sich in diesem Rahmen nicht um unmittelbar verbindliche Vorgaben an das nationale Verfahrensrecht handelt, sondern daß es allein um einen parallelen Vergleich mit europäischen Verwaltungsverfahren geht. Der EuGH hat als die wichtigsten Verfahrensanforderungen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs im Verwaltungsverfahren739, den Vertrauensschutz740 und die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung741 herausgearbeitet.742 Jedenfalls vom Grundsatz her ergibt sich daraus, daß die Beteiligung des einzelnen effektiv gesichert sein muß. Soweit er besondere Vertrauenstatbestände anführen kann, ist die Planungsfreiheit darüber hinaus beschränkt. Der Gesetzgeber muß auch bei einer materiellen Verwaltungstätigkeit höherrangige Grundrechte selbstverständlich beachten (s.a. innerstaatlich Art. I Abs. 3 GG).

739 EuGH Verb. Rs. 100- 103 I 80, S1g. 1983, 182511880 f. Rn. 9 f. - Musique Diffusion; EuGH Rs. 135 I 92, S1g. 1994, I-2885 I 2909 Rn. 39 - Fiskano.

740 EuGH Verb. Rs. 42 u. 49159, S1g. 1961, 1091172 f. - SNUPAT; EuGH Verb. Rs C360 u. C-362 I 93, S1g. 1994, I-4863 I 4909 Rn. 57 - Crispo/toni u.a.; EuGH Rs. C-353 I 92, S1g. 1994, I-3411 I 3449 Rn. 44- Griechenland/Rat.

741 742

EuGH Verb. Rs. 46187 u. 227 188, S1g. 1989, 285912923 Rn. 15- Hoechst. S. dazu auch Gassner, DVBI. 1995, 16 ff.

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bb) Der gerichtliche Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG

Im nonnalen Planungsrecht erstreckt sich der gerichtliche Rechtsschutz gegenüber der Planungstätigkeit hauptsächlich auf Abwägungsausfall, -defizit und fehleinschätzung. 743 Daneben zieht das BVerwG auch die Planrechtfertigung und die Beachtung gesetzlicher Planungsleitsätze mit in Betracht. 744 Soweit der Verwaltung ein Beurteilungsspielraum noch zugestanden wird, beruht dieser auf der Erkenntnis, daß bei einem sehr komplexen Verfahren regelmäßig die Verwaltungsverfahren geeigneter für eine umfassende Interessenahwägung sind als ein Gerichtsverfahren. Bei einem nationalen Investitionsmaßnahmegesetz kommt eine gerichtliche Kontrolle nur durch das BVerfG in Betracht. Ob damit Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG sowohl in Hinblick auf das Erfordernis eines effektiven Rechtsschutzes als auch im Rahmen der ganzheitlichen Sicht von Verwaltungsverfahren und gerichtlicher Kontrolldichte genüge getan ist, muß im folgenden untersucht werden. In dem Hamburger V-Bahn-Bau-Fall hatte die Bürgerschaft vertreten, daß zumindest was den Rechtsschutz angeht, dieser gewährleistet sei, da ,jede entsprechende Rechtsvorschrift von der Bürgerschaft beschlossen werde und damit auch die zuständigen bürgerschaftliehen Auschüsse durchlaufen muß, so daß eine wirksame Kontrolle der Verwaltung durch die Organe der Gesetzgebung gewährleistet sei."745 Dieser Ansatz ging davon aus, daß die nur eingeschränkte gerichtliche Kontrolldichte durch das parlamentarische Verfahren kompensiert wird. Das BVerfG ist dem nicht gefolgt, zumindest soweit es den gerichtlichen Rechtsschutz angeht. Die Auffassung der Bürgerschaft sei deswegen nicht zutreffend, da der Gesetzgeber im Einzelfall nicht beurteilen könne, ob der Eingriff (hier in das Eigentum) dem Grunde und dem Umfange nach gerechtfertigt sein könne. 746 Diese Auffassung des BVerfG muß allerdings in einem engen Zusammenhang mit dem konkreten Fall gesehen werden. Der Gesetzgeber wußte im Endeffekt noch gar nicht, wer von einer konkreten Enteignung betroffen sein würde. Dann konnte das parlamentarische Verfahren aber auch nicht konkrete Einzelinteressen berücksichtigen und ihnen insoweit vorab kompensierenden Rechtsschutz gewähren. Grundsätzlich kann jedoch schon das parlamentarische Verfahren auch im Rahmen eines vorgelagerten gerichtlichen Rechtsschutzes bedeutsam sein. Dies folgt daraus, daß das Verwaltungsverfahren selbst in diesem Rahmen von Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG relevant ist. 747 Wird dieses rechtmäßigerweise 743 MD-Schmidt-Aßmann, Art. 19 IV Rn. 213; von Münch ! Kunig-Krebs, Art. 19 Rn. 65; Papier, in: Isensee /Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts VI, § !54 Rn. 73 f. 744

BVerwGE 34, 301/304 f.; BVerwGE 56, 110/119, st. Rspr.

745

Zitiert nach BVerfGE 45, 297 / 325. BVerfGE 45, 297 I 334.

746 747

BVerfGE 8, 1741181 f.: verfassungsgerichtlich gebotenes Wechsel-, Ergänzungs- und

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durch ein Gesetzgebungsverfahren zumindest teilweise ersetzt, dann hat dies auch Auswirkungen auf die Anforderungen an den gerichtlichen Rechtsschutz. Die Parallele von der Legalenteignung zu einem planensehen Investitionsmaßnahmegesetz liegt auf der Hand. So wenig wie Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG eine Enteignung durch Gesetz verbietet, so wenig stellt die Vorschrift eine Hürde fiir ein Planungsgesetz dar. 748 Diese vergleichbare Ausgangslage hat auch Auswirkungen auf die Interpretation der Tatbestandsvoraussetzungen von Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG. In dessen Rahmen ist umstritten, ob die Gesetzgebung als "öffentliche Gewalt" zu definieren ist und damit zusammenhängend das BVerfG als "Rechtsweg" bezeichnet werden kann. 749 Das BVerfG selbst hat dies immer ausgeschlossen. 75° Für diese Auffassung spricht, daß Art. 19 Abs. 4 S. I GG zumindest theoretisch eine Popularklage gegen Gesetze eröffnen würde, da die Antragsbefugnis gegen ein Gesetz immer auf Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG gestützt werden könnte. Auch § 90 II 1 BVerfGG zeigt, daß der Gesetzgeber wohl nicht davon ausgegangen ist, daß gegen Gesetze ein Rechtsweg gegeben ist. Die Formulierung impliziert, daß ein Rechtsweg gerade nicht bestehen kann. 751 Dies folgt daraus, daß die Vorschrift die "Erschöpfung des Rechtsweges" erwähnt, dies aber fiir Gesetze nie in Betracht kommt. Gleichwohl erscheint es sinnvoller, im Rahmen des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG auch die Verfassungsbeschwerde gegen Gesetze als Rechtsweg zu bezeichnen und damit dem Rechtsschutzgebot der Vorschrift Genüge zu tun. 752 Die Gesetzgebung ist zweifellos Teil der "öffentlichen Gewalt". Würde die Verfassungsbeschwerde dann nicht als Rechtsweg im Sinne von Art. 19 Abs. 4 S. l GG bezeichnet werden, wären die Anforderungen, die sich aus der Norm ergeben, nicht erfiillt. Hingegen ist die Verfassungsbeschwerde als Ausgleichverhältnis von vorgelagertem Rechtsschutz im Verwaltungsverfahren und gerichtlicher Kontrolle. 748 Vgl. auch Kunig, Jura 1993, 308 1313: "Wenn und soweit also insbesondere Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG den Einsatz des Gesetzes hinnimmt, kann Art. 19 Abs. 4 GG ihm auch unter Effektivitätsgesichtspunkten nicht grundsätzlich entgegenstehen, ( ... )".

749

112.

S. die umfangreichen Nachweise bei MD-Schmidt-Aßmann, Art. 19 IV Rn. 93 Fn.

750 BVerfGE 75, 108/165; 24, 367 I 401; 24, 33 I 48 ff. ; zustimmend von Mangoldt I Klein, Art. 19 Anm. VII, Sb: das Verfassungsgericht sei kein Rechtsweg, da Art. 19 Abs. 4 GG nur einen bestimmten Ausschnitt der verwaltungsgerichtlichen Streitigkeit erfasse; s.a. Maunz/Schmidt-Bleibtreu / Ulsamer / Klein, BVerfGG, § 90 Rn. 18. 751 Ronellenjitsch, Wortprotokoll, S. 53 f.: "[Wenn die Verfassungsbeschwerde] ein effektiver Rechtsschutz im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG wäre, könnte Art. 19 Abs. 4 GG nie verletzt werden, weil das BVerfG immer zuständig ist." 752 I.E. auch Kunig, Wortprotokoll, S. 38: ,,Auch vor dem BVerfG wird Rechtsschutz im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG gewährt, unabhängig davon, daß Art. 19 Abs. 4 des GG die Verfassungsbeschwerde nicht gebietet."

19 JUrgensen

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Rechtsweggarantie prinzipiell ausreichend, da kein Instanzenzug erforderlich ist. 753 Der Einwand, daß wegen des Grundrechtscharakters des Art. 19 Abs. 4 S. I GG ein allgemeines Antragsbefugnisrecht gegen Gesetze und damit eine Popularklage eröffnet sei, ist nicht berechtigt. Nach ständiger Rechtsprechung ist die Verfassungsbeschwerde zulässig, wenn der Beschwerdefiihrer eine selbst, gegenwärtige und unmittelbare Grundrechtsbetroffenheit geltend macht, die nicht schon aus Art. 19 Abs. 4 S. I GG folgt, sondern sich regelmäßig erst aus der Beeinträchtigung materieller Grundrechte ergibt. Eine Verschiebung des Kräfteverhältnisses zugunsten der Judikative ist ebenfalls nicht zu befiirchten754, da es sich ja nur um eng begrenzte Ausnahmen wie Einzelfallplanungsgesetze oder Legalenteignungen handelt. Darüber hinaus erfordert auch Art. 1 Abs. 3 GG eine verfassungsgerichtliche Kontrolle des Gesetzgebers, wie sie im Rahmen des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG erfüllt sein kann.755 Würde man die Verfassungsbeschwerde nicht als Rechtsweg gegen die öffentliche Gewalt des Gesetzgebers einbeziehen, müßten die Zivilgerichte eigentlich über eine Normverwerfungskompetenz nach Art. 19 Abs. 4 S. 2 GG verfiigen. 756 Dies ist aber in Hinblick auf die ausschließliche Kontrolle der Gesetze durch das BVerfG (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2, 4a; Art. 100 Abs. 1 GG) abwegig. Im Umkehrschluß muß dann jedoch Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG auch die Verfassungsbeschwerde als Rechtsweg erfassen. Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG erfordert desweiteren eine effektive gerichtliche Kontrolle. Im Rahmen der Verfassungsbeschwerde wird grundsätzlich nur eine spezifische Grundrechtsverletzung geprüft. 757 Allerdings gibt es auch im Planungsrecht ein nur beschränkt kontrollierbares Planungsermessen der Verwaltung. Besteht insoweit eine zumindest strukturell gleichgelagerte Zurücknahme der gerichtlichen Kontrolle, muß gleichwohl hinsichtlich einer verfassungsgerichtlichen Gesetzeskontrolle zusätzlich folgendes erwogen werden: Das BVerfG hat seine Selbstbegrenzung damit begründet, nicht zu einer "Superrevisionsinstanz" gegenüber den regulären Rechtsmittelinstanzen zu werden. Gegenüber einem Gesetz gibt es aber grundsätzlich keine Rechtsmittelinstanzen. Das heißt aber auch, daß die Grundlage für die erwähnte Ein753 BVerfGE 78, 7 I !9, st. Rspr.; MD-Schmidt-Aßmann, Art. 19 Rn. 179; vgl. Rone/lenfitsch, DVBI. 1991, 920/932.

BK-Schenke, Art. 19 IV Rn. 259. Vgl. von Münch/Kunig-Krebs, Art. 19 Rn. 56; BK-Schenke, Art. 19 IV Rn. 253; i.E. ebenso MD-Schmidt-Aßmann, Art. 19 IV Rn. 93. 754 755

756 S. zu diesem Ansatz auch BVerfGE 45, 297/334: "[Art. 19 Abs. 4 GG] gibt keinen Rechtsweg gegen gesetzliche Vorschriften, auch nicht aufgrund der subsidiären Zuständigkeit der Zivilgerichte nach Art. 19 Abs. 4 Satz 2 GG." 757 Für Ronellenfitsch, DÖV 1991, 771/780 ist u.a. aus diesem Grund ein Einzelfallmaßnahmegesetz unzulässig, s. kritisch auch Stüer, DVBI. 1991, 1333 / 1339.

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schränkung der Prüfungskompetenz, zumindest soweit es um ein unmittelbar belastendes Gesetz geht, fehlt. Dies rechtfertigt dann aber die Annahme, daß das BVerfG auch einen grundsätzlich umfassenderen Rechtsschutz gegenüber belastenden Einzelfallgesetzen garantiert. Nur in einem Punkt kann es demnach an der Effektivität des Rechtsschutzes mangeln: Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG sind Gemeinden nicht Grundrechtsträger von Art. 14 Abs. 1 GG, unabhängig davon, ob sie nun in dessen Rahmen hoheitliche oder nicht-hoheitliche Aufgaben wahrnehmen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts befanden sich nicht in einer grundrechtstypischen Gefahrdungslage. 758 Damit würde einer Gemeinde die im Verwaltungsverfahren eröffnete Möglichkeit, klageweise gegen belastende Entscheidungen vorzugehen, genommen werden. 759 Das BVerwG hatte daraus für die Prüfungstiefe den folgenden Schluß gezogen760 : "In einem Planfeststellungsverfahren, das enteignungsrechtliche Vorwirkungen hat, kann sich deswegen eine Gemeinde ( ... ) nicht auf eine Verletzung von Art. 14 GG berufen ( ... ). In einem gegen die Planfeststellung gerichteten Anfechtungsprozeß der Gemeinde entfällt damit notwendig die umfassende objektiv-rechtliche Planprüfung, die ein privater Eigentümer als Kl. beanspruchen könnte. Allerdings vermittelt auch ihr einfachrechtliches Eigentum der Gemeinde eine abwägungserhebliche Position, mit der sie geltend machen kann, die Inanspruchnahme ihrer Grundstücke verletze Gebote der gerechten Abwägung ( ... )."

Allerdings hat sich selbst das BVerfG in der Frage der Klagebefugnis der Gemeinde eine Hintertür offengelassen761 : "Der vorliegende Sachverhalt bietet keine Veranlassung, der Frage nachzugehen, ob es ganz besonders gelagerte Ausnahmefälle geben kann, in denen es denkbar ist, einer Gemeinde den Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG oder einen gleichartigen Schutz zuzubilligen, wenn sie in ihrem Eigentum außerhalb der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben beeinträchtigt wird."

Angesichts der absoluten Ausnahmefalle einzelfallplanerischen gesetzlichen Handeins erscheint es wenigstens in diesen Fällen gerechtfertigt, der Gemeinde einen effektiven Grundrechtsschutz zu garantieren. Jedenfalls ging es in den bisherigen Fällen zur Grundrechtsträgerschaft der Gemeinden nie um Einzelfallplanungsgesetze, so daß kein gegenteiliges gerichtliches Urteil angeführt werden kann. Hinzu kommt, daß die Gemeinden aber gegebenfalls zumindest eine Verletzung von Art. 28 Abs. 2 GG geltend machen können, wenn sie in ihrer BVerfGE 61 , 82/105 ff. -Sasbach; BVerfGE 45,63 /79. Ronellenfitsch, DÖV 1991, 7711 780. 760 BVerwG UPR 1995, 268. 76 1 BVerfGE 61, 82 / 109.

758 759

19*

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kommunalen Selbstvetwaltung (Planungshoheit) fundamental verletzt sein sollten. 762 Im übrigen sollte nicht vernachlässigt werden, daß gerade gegenüber Gesetzen zusätzliche Klageprivilegierte das BVerfG im Rahmen einer abstrakten Normenkontrolle anrufen können. 763 In deren Rahmen ist aber eine unumschränkte Rechtmäßigkeitskontrolle gegeben. Bezüglich des GStendal hat zum Beispiel das Land Hessen eine abstrakte Normenkontrolle beantragt, da es keine ausreichende Bundeskompetenz begründet sieht. cc) Ergebnis

Die Anforderungen aus Art. 19 Abs. 4 S. l GG bedeuten kein Hindernis für die Zulässigkeit eines Investitionsmaßnahmegesetzes. Mögliche Verfahrensabweichungen von dem Planfeststellungsverfahren verletzen nicht die von Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG für ein Vetwaltungsverfahren geforderten Möglichkeiten, effektiv seine Grundrechte zu Gehör zu bringen. Das parlamentarische Verfahren und die damit verbundene Kontrolle durch die öffentliche Meinung bedeuten eine zusätzliche Verfahrensabsicherung. Die Notwendigkeit einer gerichtlichen Kontrolle ist durch die Verfassungsgerichtskontrolle gegeben. Sie genügt Art. 19 Abs. 4 S. I GG, sowohl in Hinblick auf dessen Tatbestandsvoraussetzungen als auch in Hinblick auf den materiellen Gesichtspunkt eines effektiven gerichtlichen Verfahrens. 3. Kommunale Selbstverwaltung gemäß Art. 28 Abs. 2 GG Die Zulässigkeit von Investitionsmaßnahmegesetzen wird unter Hinweis auf eine Verletzung der Selbstvetwaltungsgarantie der Kommunen nach Art. 28 Abs. 2 GG bestritten. 764 Die Stadt Stendal hat beim Bundesverfassungsgericht gegen das GStendal aus diesem Grunde Kommunalverfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. I Nr. 4b GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG erhoben, da die gemeindliche Planungshoheit bei einem gesetzgebensehen 762 Siehe BVerwG UPR 1995, 268; Stüer, DVBl. 1991, 1333 I 1339 hält dies nicht für ausreichend; s. ebenso Ronellen.fitsch, DÖV 1991, 771 /780; bezüglich des Ausbaus des Flughafen München-Erding vgl. z.B. BVerfD DVBI. 1981, 374. Wie weit dieses Recht - zumindest nach Ansicht des BVerwG - potentiell reichen kann, zeigt BVerwG NVwZ 1994, 370/371, das Art. 28 Abs. 2 GG potentiell auch auf ein sog. Selbstgestaltungsrecht erstreckt, soweit es um ortsprägende Maßnahmen geht (im konkreten Fall ging es um die ästhetische Form einer Brückenplanung; das BVerwG lehnte hier Art. 28 GG ab, da es sich nicht um einen wesentlichen Einfluß auf das Ortsbild handelte). Zur Anerkennung der Planungshoheit im Rahmen von Art. 28 GG VGH Mannheim, VBIBW 1995, 388 I 390. 763 Siehe Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, §§ 13 Nr. 6, 76 BVerfDG. 764 Stüer, DVBl. 1991, 1333 I 1339, Ronellen.fitsch, DÖV 1991, 7711780.

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Handeln mißachtet worden sei. Das BVerfG hat diese Verfassungsbeschwerde i.E. allerdings nicht zur Entscheidung angenommen, nachdem es schon im Rahmen des Normenkontrollverfahrens ausgeführt hatte, daß Art. 28 Abs. 2 GG nicht verletzt sei. Diese folge daraus, daß die gesetzliche Planungsentscheidung sich auf eine vollständige und sorgfältige Sachverhaltsermittlungen und eine umfassende Berücksichtigung der Belange der betroffenen Gemeinden gestützt habe. 765 Zentrales Element der Kommunalverfassungsbeschwerde der Gemeinde Stendal ist der Begriff der Planungshoheit gewesen. Darunter ist das Recht auf örtliche Planung der baulichen und sonstigen Verwendung und Nutzung des Grund und Bodens im Gemeindegebiet zu verstehen. 766 Grundsätzlich ist die Planungshoheit Teil der aus Art. 28 Abs. 2 GG fließenden kommunalen Selbstverwaltungsgarantie.767 Die Gemeinden haben insoweit einen Anspruch auf eine Beteiligung im überörtlichen Fachplanungsverfahren, das sich gemäß § 38 BauGB gegen die örtliche Bauleitplanung durchsetzt. 768 Wegen des Vorbehaltes "im Rahmen der Gesetze" in Art. 28 Abs. 2 S. I GG kann jedoch ein Investitionsmaßnahmegesetz nur dann die kommunale Planungshoheit verletzen, wenn diese zum unantastbaren Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie zäh!e69 und das Gesetz in den Wesensgehalt des Rechts eingreift. Das BVerfG hat die kommunale Selbstverwaltung insgesamt eher zurückhaltend beurteilt770 : "Denn Art. 28 Abs. 2 Satz I GG als eine Garantie der Einrichtung ,Kommunale Selbstverwaltung' gewährleistet den Wirkungskreis der Gemeinden in ihrem Kernbereich nur institutionell, nicht ohne weiteres auch individuell. ( .. . ) Auf diesem Hintergrund hat der Senat entschieden, daß ein allgemeiner Eingriff in die kommunale Planungshoheit nicht vorliegt, wenn ein Gesetz den Verordnungsgeber nur ausnahmsweise zu Einschränkungen der Planungshoheit einzelner Gemeinden m räumlich klar abgegrenzten Gebieten ermächtigt( .. . )."

765

BVerfD NJW 1997, 383 I 386.

Steinberg, Fachplanung, S. 343. 767 BVerwGE 31, 263 I 265 f.; Steinberg, Fachplanung, S. 342 f.; implizit auch BVerfG NJW 1997, 383 1386; s. aber auch Ronellenfitsch, Einfiihrung in das Planungsrecht, S. 34. 76H BVerwGE 31, 263 I 264 f.; Steinberg, Fachplanung, S. 343 f.; Steinberg, DVBI. 1982, 13 I !5. Die Planungshoheit der Gemeinde darf durch die Fachplanung nur so wenig wie möglich beeinträchtigt werden, Oh, Vertrauensschutz im Raum- und Stadtplanungsrecht, 1990, S. 97 f.; BVerwG DVBI. 1984, 88; ebenso Brohm, JuS 1986, 776 1780; ders. , DÖV 1989, 429 I 438: kompetenzrechtliches Prinzip der Rücksichtnahme, um die gemeindeautonome Rechtsstellung gegenüber dem Bund und dem Land zum Ausdruck zu bringen. 769 Offengelassen i.E. in BVerfDE 56, 298 1312 f., so aber abw. Meinung Wand und Niebler, ebd. S. 334; BVerfDE 76, 107 I 118 f. 770 BVerfDE 76,1071119. 766

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2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

Dieser Aussage ist zu entnehmen, daß zumindest bei Einzelfallen der institutionelle Gehalt der Selbstverwaltungsgarantie nicht angetastet wird. 771 Der individuelle Schutz der Gemeinden werde hingegen dadurch gewährleistet, daß die Sonderbelastung nicht willkürlich sein dürfe und es einen zureichenden und verhältnismäßigen Grund für die Wahrung überörtlicher Interessen gibt. 772 Für die Frage der Rechtmäßigkeit von Investitionsmaßnahmegesetzen ist damit entscheidend, ob eine Belastung unter dem Gleichheitsgesichtspunkt gerechtfertigt ist. Dies hängt zunächst von der Schwere des Eingriffs ab. In einem großen Gemeindegebiet sind die Auswirkungen eines beschränkenden Gesetzes grundsätzlich geringer als bei einer kleineren Einheit. 773 Auch die Art der betroffenen Gemeindeplanung kann verschieden sein. Ein ausgewiesenes Industriegebiet ist durch eine Verkehrsplanung in anderer Weise berührt als ein Naherholungs- oder Wohngebiet 774 Der Eingriff wird zudem dadurch umso schwerwiegender, je weiter sich ein Investitionsmaßnahmegesetz von den fachplanensehen Verfahrensanforderungen bezüglich der Beteiligung der Gemeinden entfernt. Unter diesem Aspekt hat das BVerwG geurteilt775 : "Es kann hier offenbleiben, ob eine gesetzliche Ausschaltung der Gemeinden von jeglichen Beteiligungsmöglichkeiten und Mitwirkungsbefugnissen bei überörtlichen Planungen, die sich auf den örtlichen Bereich auswirken, den Wesensgehalt der Selbstverwaltungsgarantie aushöhlen würde."

Durch die Beschränkung auf die gesetzliche Ausschaltung ,jeglicher" Beteiligungsmöglichkeiten kann im Umkehrschluß geschlossen werden, daß keine Verletzung vorliegt, wenn der Gemeinde tatsächlich noch Einwirkungsmöglichkeiten verbleiben. Entscheidend ist damit, inwieweit im konkreten Einzelfall der Gesetzgeber die kommunalen Belange mitberücksichtigt hat (Abwägungsgebot). Hier muß das Prinzip der umfassenden Mitwirkung gelten. Tatsächlich ist die Gefahr, daß der Gesetzgeber den in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG gezogenen Eingriffsbereich weiter nutzt als die Verwaltung, ungleich größer. Handelt die Legislative, setzt sie unmittelbar die Grenze aus Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG; die Verwaltung hingegen muß zusätzlich die Gesetze beachten, was einen weiteren Rahmen für ihr Handeln bedeutet. Insoweit wurde aber bei dem GStendal auch auf die ausführliche Beteiligung der Gemeinde Stendal hingewiesen. 776 771 772

773 774 775 776

S.a. Brohm, DÖV 1989, 429 I 431. BVerfGE 76, 107 I 119; s.a. BVerfGE 56, 298/314. Vgl. BVerwGE 74, 1241132; 81,95 1106. Zum "Ortsbild" Steinberg, Fachplanung, S. 346. BVerwGE 31, 263 I 268. BT-Drs. 12/5126, Ziff. I 2 f., lii I.

D. Grundrecht auf Mobilität?

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Eine Verletzung der Selbstverwaltungsgarantie kommt prinzipiell erst dann in Betracht, wo über den Kopf der Gemeinde hinweg ein Planungsakt erlassen wird. 777 Solange hingegen eine Kooperation und Koordination zum Beispiel auch durch Schaffung von Ausgleichsmaßnahmen gesucht wird778 , ist die gemeindliche Planungshoheit nicht verletzt. Dieses Ergebnis muß über den Vorrang der Fachplanung hinaus auch aus dem Demokratieprinzip folgen. Das Parlament wird im Allgemeinwohlinteresse tätig, was grundsätzlich im Zweifel für die Legitimität seines Handeins spricht. Soweit das BVerfG darüber hinaus auf das Erfordernis einer besonderen Rechtfertigung des gesetzlichen Handeins abgestellt hat, können die allgemeinen Erwägungen herangezogen werden, die für Investitionsmaßnahmegesetze generell gelten. Dies bezieht sich auf die gerechtfertigten Ausnahmen vom Gewaltenteilungsprinzip sowie Art. 19 Abs. 1 GG. Angesichts des inhärenten Gesetzesvorbehaltes in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG kann das Recht der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie nicht zu einer grundsätzlich anderen Bewertung der Zulässigkeil von Investitionsmaßnahmegesetzen führen.

D. Grundrecht auf Mobilität? I. Begriffsbestimmung und Problemstellung 1. Begriffsbestimmung

Eine Definition eines Grundrechts auf Mobilität könnte folgendermaßen lauten: "Jeder hat das Recht, sich zu jeder Zeit und zu jedem Zweck auf die ihm gemäße Art und Weise fortzubewegen."

Abgesehen von einem noch notwendigen Schrankenvorbehalt würden damit sowohl die berufliche und private Mobilität als auch die Wahl des Verkehrsmittels sowie damit verbunden ein langsames oder schnelles Fortkommen erfaßt sein. 779 I.E. ebenso BVerfG NJW 1997, 383 I 386. So Steinberg, Fachplanung, S. 342. 779 Ronel/enfitsch, DAR 1994, 7 I 9 f. betont gerade den durch die Geschwindigkeit vermittelten Zeitbezug; dies ist unbestreitbar richtig, da die ganze moderne Verkehrsplanung ja davon ausgeht, Reisezeiten zu verkürzen; vgl. im Gegensatz hierzu eine Bemerkung des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. am Beginn des Eisenbahnzeitalters: "Ruhe und Gemütlichkeit leiden aber darunter. Kann mir keine große Seligkeit davon versprechen, ein paar Stunden früher in Berlin oder Potsdam zu sein", zitiert nach Deutsche Bahn AG, Schienenverkehrsknotenpunkt Berlin, S. 4. 777

778

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2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

2. Problemstellung

Ein solches Recht kann dabei sowohl einen klassischen Abwehrcharakter haben780 als auch im Sinne eines Teilhaberechts zum Beispiel an der Straßenbenutzung verstanden werden. 781 Darüber hinaus ist die die Einordnung als Leistungsrecht zu erwägen. Dies erfaßt die Frage, ob der einzelne einen grundrechtliehen Anspruch auf den Bau einer Verkehrsverbindung geltend machen kann. 782 Ein Leistungsgrundrecht geht insoweit über das allgemeine Sozialstaatsprinzip hinaus. 783 Die Anerkennung eines Grundrechts auf Mobilität ist gerade im Zusammenhang mit dem europäischen und nationalen Verkehrswegebau von Interesse. Bei der Analyse der Vorschriften von Art. 129b EGV wurde schon die Bedeutung infrastruktureller Maßnahmen fiir den Einzelnen hervorgehoben. Generell kann staatliches Handeln zur Verwirklichung von Grundrechten im Rahmen von Leistungsrechten oder Schutzpflichten geboten sein. Insoweit ist die mögliche grundrechtliche Motivation europäischen Verkehrswegebaus zu untersuchen. Infrastrukturen bestehen nicht um ihrer selbst willen, sondern dienen grundsätzlich der Verwirklichung grundrechtlicher Selbstbestimmung. Das Problem ergibt sich innerstaatlich zunächst daraus, daß es kein geschriebenes Grundrecht in diesem Sinne gibt. Es muß deswegen geprüft werden, ob ein Grundrecht auf Mobilität eigenständig (zur Lückenschließung) begründet werden kann oder ob es sich als Annexrecht von einem oder mehreren Grundrechten ableiten läßt. Damit zusammen hängt die Frage, wann eigentlich ein Grundbedürfnis bzw. ein selbstverständliches Recht der Mobilität zu einem Grundrecht wird. 784 Unter diesem Aspekt ist die Herleitung der bisherigen Grundrechte sowohl in der Verfassung als auch nachträglich in der Verfassungswirklichkeit zu untersuchen.

780 Ronellenfitsch, DAR 1994, 7 / I 0 weist z.B. auf Verkehrsbeschränkungen bei nächtlichen Verkehrsampeln in verlassenen Gegenden hin. Diese Beispiele sind beliebig verrnehrbar. 7B1 Zu Ietzterern s. Ronellenfitsch, DAR 1992, 321/322. 782 V gl. Ronellenfitsch, DAR 1992, 321/324: "Der Schritt von der Verkehrssicherungspflicht zum subjektiven Recht auf Straßenbau oder jedenfalls -ausbau ist nicht weit, wird jedoch nach dem Prinzip ,Wo kämen wir dahin' gescheut." In diesem Sinne Send/er, NJW 1995, 1468 ff.; Ossenbühl (nach Krings, Bericht über Trierer Kolloquium, DVBI. 1996, 90) nimmt lediglich einen auf Art. 3 GG gestützten allgerneinen Teilhabeanspruch an dem vorhandenen Verkehrsraum an. 783 S. insbesondere Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 208.

784

Vgl. auch Ely, Dernocracy and Distrust, S. 43 ff.: "Discovering Fundamental Values".

D. Grundrecht auf Mobilität?

297

II. Herleitungsversuche auf nationaler Ebene 1. KJammertheorie

Ronellenfitsch hat dargelegt, daß den einzelnen geschriebenen Grundrechten jeweils ein Mobilitätsgehalt innewohnt. Dies sieht er in Art. 2 Abs. I und 2 S. l, Art. ll Abs. I, Art. 4 Abs. 2, Art. 5 Abs. I, Art. 8 Abs. I, Art. 12 Abs. I, Art. 14 Abs. I GG gegeben. Die Mobilität könne als vor die Klammer gezogenes Grundrecht abstrahiert werden. 785 Die grundrechtliche Bedeutung folge aus der menschlichen Natur, verstärkt durch die Erfordernisse der modernen Industriegesellschaft 786 Nicht eindeutig ist, ob dieser Ansatz von einem völlig neuen, eigenständigen Grundrecht im Sinne einer Lückenschließung ausgeht, das man sich vor der Klammer stehend vorzustellen hat. Diese Konstruktion wäre insoweit mit der Menschenwürde vergleichbar, die zwar in Art. 1 Abs. I GG eigenständig besteht, gleichwohl aber auch in vielen einzelnen Grundrechten wiederzufinden ist. 787 Gleiches gilt fiir die Verfahrensrechte, die sich ebenfalls schon aus den materiellen Grundrechten ergeben. 788 Der Hinweis Ronellenfitschs auf die neu erfundenen Grundrechte wie z.B. das Grundrecht auf die informationeile Selbstbestimmung spricht allerdings gegen eine solche eigenständige Konstruktion. Die informationeile Selbstbestimmung wurde gerade aus einem einzigen Grundrecht abgeleitet. Streng genommen handelt es sich dabei insoweit gar nicht um ein neues Grundrecht, sondern um eine Konkretisierung von Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. 789 In jedem Fall vermag der Ansatz eines eigenständigen, vor die Klammer gezogenen Grundrechts die Probleme hinsichtlich der Schranken oder der Grundrechtsträgerschaft nicht zu lösen. 790 Löst sich das Grundrecht auf Mobilität von seinen ursprünglichen "Mutter"grundrechten, stellt sich die Frage, ob es sich um ein Menschen- oder Bürgerrecht handeln soll. Angesichts der differenzierten Schrankensystematik der einzelnen Grundrechte erscheint auch fraglich, ob nur der kleinste gemeinsame Nenner als Grundrechtsschranke fungieren soll. 791 Die Ableitung der informationeilen Selbstbestimmung rief 7R5

Ronel/enfitsch, DAR 1992, 321 I 322 ff.; ders., DAR 1994, 7 I 9.

7R6

Ronellenfitsch, DAR 1992, 321 1322; ders., DAR 1994, 7 19 f.

787

Stern, Staatsrecht, Bd. 111 I 2, 1994, § 89 IV 4, S. 1132.

7RR

Vgl. nur BVerfGE 52, 30/71 - Mülheim-Kärlich, und oben 2. Teil, C.III.2.d).

So auch BVerfGE 65, I I 42 f. - Volkszählung; s.a. Röthel, Grundrechte in der mobilen Gesellschaft, 1997, S. 20 I tf. 790 Ebenso Röthel, Grundrechte, S. 210. 791 Ronellenfitsch, DAR 1994, 7 I 12 nennt an einer Stelle "Schranken mit Rücksicht auf kollidierende Grundrechte, aus Gründen der Verkehrssicherheit und des Umweltschutzes", 7H9

298

2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

diese Schwierigkeiten nicht hervor, da sie sich nur aus einem Grundrecht ergab und somit dessen Schranken Anwendung fanden.

2. Mögliche Ansatzpunkte a) Dogmatische Einordnung

Die Entwicklung eines neuen Grundrechts auf Mobilität bedarf rechtstheoretisch einer Lücke. 792 Insoweit kommen fiir die Grundrechtsauslegung dieselben Rechtsregeln wie auch sonst in der juristischen Methodenlehre zum Tragen. 793 Entweder ist ein Analogieschluß zu ziehen oder aber das Problem muß über eine zu entwickelnde allgemeingültige Rechtsregel gelöst werden. 794 Ein wirklich neues Grundrecht ist unter der Ägide des Grundgesetzes nicht entwickelt worden. 795 Die genannten Beispiele leiten sich alle aus dem geschriebenen Verfassungstext ab. Es wäre hinsichtlich eines Grundrechts auf Mobilität wohl auch sehr fraglich, welche Lücke es ausfiillen sollte. Gerade die Zusammenstellung der Grundrechte durch Ronellenfitsch zeigt ja, daß eine grundsätzliche Lücke gar nicht besteht. Da andererseits auch die Klammertheorie dogmatische Defizite aufweist, kann ein Grundrecht auf Mobilität nur aus den einzelnen Grundrechten abgeleitet werden, aber auch nur soweit, wie diese reichen. 796 Damit wird die Schutzbereich- und Schrankenproblematik analog den jeweiligen Grundrechten gelöst. Ein eigentlich neues Grundrecht besteht dann jedoch nicht. 797 Vielmehr handelt es sich nur um ein Annexrecht zu dem eigentlichen "Mutdie durch das einfache Gesetz zu errichten seien. Dies impliziert allenfalls einen verfassungsimmanenten Schrankenvorbehalt 792 S. aber auch die systematische Darstellung von Röthel, Grundrechte, S. 199 tf. über die Herleitung unbenannter Freiheitsrechte. 793 Stern, Staatsrecht, Bd. III I 2, 1994, § 95 IV, S. 1694 f. 794 Letzteres nimmt der EuGH bei der Entwicklung der Grundrechte mit Rückgriff auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze vor. 795 Auch Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 56 f. stellt allein auf den formalen Ralunen des Grundgesetzes ab. 796 Ob dann allerdings von einem "echten" neuen Grundrecht gesprochen werden kann, ist fraglich; vgl. zumindest aber auch so Alexy, a.a.O., S. 62 Fn. 57 filr "zugeordnete Grundrechtsnormen"; s. aber auch Röthel, Grundrechte, S. 204 f., die - beschränkt auf Art. 2 Abs. I GG - ein Grundrecht auf Mobilität ablehnt, da es sich gerade aus dem gesamten Grundrechtekatalog ableitet; jedoch komme auch ein einheitliches Grundrechte aus der Verklammerung der Einzelgrundrechte nicht zum Tragen (S. 205 tf.). Röthel diskutiert insoweit nicht die hier angesprochene Möglichkeit des Grundrechts der Mobilität als jeweiliges Annexrecht 797 Dem Erfordernis in Stern, Staatsrecht, Bd. 111/2, § 95 IV, S. 1713, daß eine Konkretisierung nicht von der Norm gelöst werden, d.h. nicht freischöpferisch Recht gestaltet werden darf, wäre damit Genüge getan.

D. Grundrecht auf Mobilität?

299

ter"grundrecht. Diese Methode lehnt sich an die schon genannten Kerngehalte der Menschenwürde bzw. der Verfahrensvoraussetzungen an. Diese Annexrechte können dann entweder als Konkretisierung des geschriebenen Grundrechts oder als Schutzbereichserweiterung verstanden werden. 798 b) Die Kategorisierung als "Grundrecht"

Die Typisierung von den Einzelgrundrechten inhärenten Gemeinsamkeiten als "Grundrecht" ist nicht schlechterdings dadurch ausgeschlossen, daß es keinen einheitlichen Schutzbereich oder Schrankenvorbehalt gibt. Auch Verfahrensrechte sind abhängig von dem materiellen Schutzbereich des Einzelgrundrechts. Gerade insoweit variieren im Einzelfall zum Beispiel die Erfordernisse des rechtlichen Gehörs oder die Anforderungen an den Vertrauensschutz sehr stark. In deren Rahmen drückt sich nur aus, daß eine Beteiligung bzw. Beachtung überhaupt vorliegen muß (also im Sinne eines Mindestmaßes), nicht jedoch wie diese im Einzelfall auszusehen hat. Für die konkrete Ausgestaltung der Verfahrensgrundrechte sind dabei in erster Linie die einfachen Verfahrensgesetze verantwortlich. Der Auflistung der Grundrechte im Grundgesetz selber lag im Grunde keine Systematik zugrunde, sondern erfolgte - abgesehen von der Anlehnung an historische Vorbilder - eher intuitiv. 799 Gleichwohl sind systemtragende Merkmale zu unterscheiden, wobei sich diese aus individuell-personalen, ideengeschichtlich präpositiven, normativ-konstitutionellen, staatsbürgerlichpolitischen sowie sozial- und sicherheitsrelevanten, ökologischen Grundlagen ableiten Jassen. 800 Der Menschenwürdegehalt und der Schutz grundlegender Freiheits- und Gleichheitspositionen kennzeichnen die Grundrechte. Die Mobilität als solche kann in diesem Sinne durchaus als grundrechtsrelevant angesehen werden. Die Fixierung auf die klassischen Grundrechte ist heute nicht mehr zeitgemäß. Die Verfassung ist im Lichte der jeweiligen Zeitumstände zu sehen. Der Abgeordnete des Parlamentarischen Rates von Mangoldt hat dies mit folgenden Worten ausgedrückt: 801 798 Vgl. Alexy, a.a.O., S. 57, 61, der darauf hinweist, daß der grundgesetzliche Rahmen beliebig weitere Differenzierungen in Anlehnung an das Grundgesetz ermöglicht. Diese Differenzierungen bezeichnet er als "Zuordnungen". 799 Stern, Staatsrecht, Bd. III/2, 1994, § 96 V I, S. 1832. 800 Vgl. im einzelnen Stern, Staatsrecht, Bd. III / 2, § 96 III 4, S. 1784ff.; fiir Alexy, a.a.O., S. 61, 70 ist die "korrekte grundrechtliche Begrtindung" erforderlich, was damit gemeint sein soll, ist nicht klar. Von Interesse ist der Vergleich mit der "selective incorporation" des US Supreme Court in das 14. amendement, da insoweit das Gericht ebenfalls bestimmen muß, welche Grundrechte so fundamental sind, daß sie inkorporiert werden können. Justice Cardozo hat in dem Urteil Palko vs. Connecticut, 302 U.S. 319, 58 S.Ct. 149, 82 L.Ed. 288 (1937) dabei auf die Tradition und das Bewußtsein der Bevölkerung hingewiesen; s. dazu Ely, a.a.O., S. 60 ff. 801 Parlamentarischer Rat, Schriftliche Berichte, Drs. Nr. 850, 854, S. 5.

300

2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

"Gleichzeitig war man sich vollkommen klar darüber, daß es dazu notwendig sein werde, diese [vorverfassungsmäßigen] Rechte aus den besonderen Verhältnissen der Gegenwart heraus neu zu gestalten und zu formen. Das kam auch in einem am 19. November eingefiigten, aber später wieder gestrichenen Zusatz in Abs. 3 des Artikels I zum Ausdruck, in dem es hieß, daß die Grundrechte ,fiir unser Volk aus unserer Zeit geformt' seien. Trotz dieser Streichung hat sich im ganzen an Sinn und Inhalt der Grundrechte aber nichts geändert. Dies festzustellen, dürfte flir die spätere Auslegung von Bedeutung sein. Denn bei einem solchen Charakter ist für die Grundrechte die gerade fiir sie so wichtige Anpassungsfähigkeit an fortschreitende Entwicklungen in besonderem Maße gesichert."

Das Mobilitätsverständnis in der heutigen Gesellschaft ist geprägt von einer selbstverständlichen Normalität. Der bekannte Hinweis auf die "Reiseweltmeister" ist ebenso Ausdruck dafür wie das Auto als Alltagsgegenstand. Das Leben in der modernen Zivilisation ist ohne Mobilität nicht vorstellbar. Erkennbar ist allerdings auch der dienende Charakter der Mobilität. Fortbewegung ist in der Regel kein Selbstzweck oder Endziel. Sie dient der Verwirklichung anderer Ziele und ist insofern nur Mittel zum Zweck. Sehr deutlich wird dieser Umstand gerade auch bei den transeuropäischen Verkehrsnetzen: Infrastrukturprojekte dienen der Herstellung des Binnenmarktes oder auch der Integration der Europäischen Union. Sie sollen (in erster Linie) die Unionsbürger zusammenbringen und verbinden. Dieser Zweckcharakter unterscheidet ein Grundrecht auf Mobilität gerade von den klassischen Grundrechten. Diese gehen von einem sittlich-christlichen Menschenbild aus, wo insbesondere politisch-gesellschaftliche Rechte im Vordergrund stehen. Daß Mobilität regelmäßig nicht um ihrer selbst willen besteht, kann allerdings nicht dazu führen, ihm seinen grundrechtliehen Gehalt abzusprechen. Auch Verfahrensrechte sind nicht selbstlos. Sie dienen der Realisierung materieller Grundrechtspositionen. Ihrer Kategorisierung als Verfahrensgrundrechte tut dies keinen Abbruch. Der Anerkennung als Grundrecht könnte ein weiterer Grund entgegenstehen: Mobilität kann als etwas tatsächliches, faktisch Bestehendes aufgefaßt werden. Es fehlte insoweit an der rechtlichen Komponente. Fortbewegung als naturgegebene Vorgabe ist in dieser Hinsicht etwas anderes als ein rechtlich begründetes und ausgestaltetes Verfahrensrecht Gerade auch in dieser Hinsicht kann es an der von Carl Schmitt formulierten Forderung, demzufolge Grundrechte zur Grundlage des Staates gehören802 , fehlen. Ein solcher Einwand kann jedoch nicht greifen. In der klassischen Theorie gelten Grundrechte gerade als vorrechtlich und überpositiv. 803 Ein Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheil wie in Art. 2 Abs. 2 S. l GG oder die 802

C. Schmitt, Grundrechte und Grundpflichten, S. 190.

Auf die Bedeutung des Naturrechts für die Entwicklung der Grundrechte weist Ely, a.a.O., S. 48 ff. hin; er lehnt diesen Ansatz im Ergebnis allerdings ab. 803

D. Grundrecht auf Mobilität?

301

Menschenwürde nach Art. I Abs. I GG sind eine solche Selbstverständlichkeit, daß es nicht erst einer rechtlichen Absicherung bedarf.804 Der Unterschied zur Mobilität besteht nur darin, daß es historisch zu einer tatsächlichen Negierung dieser Rechte kam. Entscheidend für die Anerkennung als Grundrecht kann aber wohl kaum eine Gegenreaktion auf eine geschichtliche Erfahrung sein. 805 Gerade wegen der faktischen Selbstverständlichkeit der Mobilität müßte diese als Grundrecht anerkannt werden. Daß in dieser Hinsicht genannte Kriterium von Carl Schmitt ist in seiner staatsrechtlichen Fixiertheit gerade auch aus Gründen einer staatsorganisationsrechtlichen Mißbrauchsgefahr abzulehnen.806 Damit soll nicht die Relevanz grundrechtlicher Prinzipien für die staatliche Struktur negiert werden. Diese ist unbestritten gegeben. Nur die Sichtweise ist eine andere: Nicht die staatlichen Strukturen determinieren die Grundrechte, sondern die Grundrechte sind Ausdruck der Anforderungen an den Staat. 807 Gegen die Einordnung als Grundrecht könnte darüber hinaus der qualitative Aspekt eines Grundrechts auf Mobilität zum Beispiel im Vergleich zur Freizügigkeit sprechen. Insoweit geht es ja durchaus nicht nur um das "Ob" der Fortbewegung, sondern gerade auch um die Art und Weise. 808 Ein solcher Einwand ist zwar grundsätzlich berechtigt, er erfaßt allerdings nicht die ganze Tragweite des Mobilitätsgrundrechtes. Dieses besteht auch in wirtschaftlicher Hinsicht mit Blick auf Art. 12 Abs. I und 14 Abs. I GG. 809 Das Freizügigkeitsgrundrecht vermag die notwendige Güterbewegung im Rahmen eines eingerichteten und ausgeübten Gewerbetriebes kaum wirtschaftlich zu erfassen. Dies zeigt allein schon die Frage, inwieweit Art. 11 GG auch BewegunR04 So explizit auch die beiden grundlegenden Grundrechtsdokumente: Art. 2 Franz. Menschenrechtsdeklaration: "Le but de toute association politique est Ia conservation des droits naturels et imprescriptibles de I'homme. Ces droits sont Ia liberte, Ia propriete, Ia sürte et Ia resistance a l'oppression." - In der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung heißt es: "We hold these truths to be self-evident, that all Men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life , Liberty and the Pursuit of Happiness" (Herv. vom Verf.). Ros Selbst wenn man dieser Prämisse folgen würde, ergeben sich die Begründungsversuche eines Grundrechts der Mobilität gerade als Gegenreaktion auf das qualitative Mobilitätsdefizit Ro6 Vgl. auch Alexy, a.a.O., S. 55. 807 Diese Aussage beinhaltet auch und in erster Linie den Abwehrcharakter der Grundrechte, da der Staat ein Handeln unterlassen soll. xoR Vgl. z.B Pieroth / Schlink, Staatsrecht II, 1996, Rn. 856: "[Freizügigkeit] umfaßt jedoch weder einen bestimmten Weg noch ein bestimmtes FortbewegungsmitteL Garantiert wird allein die Erreichbarkeil des Ziels, also die Existenz irgendeines zurnutbaren Weges und die Benutzung irgendeines zurnutbaren Fortbewegungsmittels zum gewünschten Aufenthaltsort." Ossenbühl (dazu Krings, Bericht über Trierer Kolloquium, DVBI. 1996, 90) sieht das Recht auf Fortbewegung von Art. 2 Abs. I GG als abschließenderfaßt an. Ro9 S.a. Röthel, Grundrechte, S. 207.

302

2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

gen innerhalb einer Ortschaft810 oder innerhalb des Lebenskreises des Bürgers811 erfaßt. Zwar wäre es auch möglich mit einer entsprechenden umfassenden Definition des Begriffs "Freizügigkeit" zum Beispiel hinsichtlich des von Pieroth I Schlink verwendeten Terminu~ der "Zumutbarkeit" ein Grundrecht auf Mobilität im Ergebnis überflüssig zu machen. Insoweit drückt jedoch die explizite Anerkennung eines Grundrechts auf Mobilität insgesamt besser das Erfordernis einer modernen Wirtschaftsgesellschaft aus. Es ist auch in Erinnerung zu rufen, daß die Herleitung über die Einzelgrundrechte · erfolgt und somit nicht auf die Freizügigkeit des Art. 11 GG verengt ist. Im Gegensatz zu Art. 1 Abs. 1 GG kann allein schon aus der systematischen Stellung des Art. 11 GG heraus der Vergleich zwischen dem jedem Grundrecht innewohnenden Menschenwürdegehalt und einem inhärenten "Freizügigkeitsgehalt" nur schwer gezogen werden. Als Ergebnis ist somit festzuhalten, daß ein Recht auf Mobilität anzuerkennen ist, soweit es sich aus den jeweiligen Einzelgrundrechten ableiten läßt. Der fundamentale Charakter der Mobilität rechtfertigt die Einordnung als Grundrecht. 3. Das Grundrecht auf Mobilität als Abwehr- und Teilhaberecht

Einem entsprechend abstrahierten Schutzbereich des Grundrechts kommt in erster Linie ein Abwehrcharakter zu. Verkehrsbeschränkungen sind somit an dem Mobilitätsgehalt des jeweils relevanten Grundrechts zu messen. Dies kann im Einzelfall zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Der private Freizeitverkehr unterliegt im Rahmen von Art. 2 Abs. 1 GG anderen Schranken als der Berufsverkehr nach Art. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG. In jedem Falle kann ein solches Grundrecht nur einen qualitativen Mindestgehalt an Mobilität gewährleisten. Grundsätzlich ist es damit nicht möglich, dem Individualverkehr allgemeinen Vorrang vor den öffentlichen Verkehrsmitteln einzuräumen.812 Gibt es eine adäquate öffentliche Fortbewegungsalternative, kann diese dem Mindestmobilitätsgehalt eines Grundrechts genügen. Neben dieser grundrechtsdogmatischen Begrenzung müssen gerade auch für den individuellen Autoverkehr folgende Aspekte berücksichtigt werden: Der private PKW garantiert ein Höchstmaß an Flexibilität, Unabhängigkeit und Bequemlichkeit. Er ist somit grundsätzlich am besten geeignet, die freie Entfaltung der Persönlichkeit zu garantieren. Von den 1,2 Mio. Unternehmen in der Bundesrepublik sind zwar alle über die Straße zu erreichen, aber nur 810 811 812

MD-Dürig, Art. 11 Rn. 23. BK-Randelzhofer, Art. 11 Rn. 29.

Gerade dies ist aber die Intention Ronellenjitschs in DAR 1994, 7 I 12.

D. Grundrecht auf Mobilität?

303

4.000 über die Schiene. 813 Demgegenüber gehen von dem Individualverkehr im Verkehrssektor auch die größten Belastungen aus. 814 Für die Anwohner von Straßen sind sie die unmittelbarsten Verursacher von Lärm und Abgasen. Der Energieverbrauch für die individuelle Fortbewegung ist sehr viel höher als im Vergleich zur Eisenbahn.815 Die Bedeutung für die Umweltverschmutzung wird durch Relativierungen nicht geringer, da das Auto gerade auch in dieser Hinsicht als "Luxus" angesehen werden kann. 816 In der Unfallbilanz steht der Autoverkehr am ungünstigten dar, wobei die Kosten die Allgemeinheit über die Versicherungen tragen muß. Zusätzliche Streßfaktoren, die gesundheitlich oder wirtschaftlich zum Teil nur schlecht quantifizierbar sind, stellen das fehlende Tempolimit oder Stausituationen dar. 817 Das Grundrecht der Mobilität kollidiert insoweit mit den Grundrechten der Belasteten und mit wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Allgemeinwohlbelangen. 818 Das Grundrecht der Mobilität kann diese Kollisionen nicht im Detail lösen. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers zu bestimmen, welche Risiken des Autoverkehrs er als sozialadäquat hinnimmt. 819 Das Mobilitätsgrundrecht muß dabei in seiner grundrechtliehen Bedeutung Beachtung finden, die jedoch umso größer sein kann, je geringer die negativen Allgemeinwohlauswirkungen und Grundrechtskollisionen sind.

813

Ronellenfitsch, DAR 1994, 7 I 8 Fn. 14.

S.a. die Stellungnahme des Ausschusses fiir Umweltfragen, Volksgesundheit und Verbraucherschutz des EP bzgl. den Leitlinien zu den transeuropäischen Netzen, PE 211.161 I endg. vom 25.4.1995, S. 79 f. 814

815 Dies ist u.U. bei Fahrgemeinschaften schon wieder anders; in den Niederlanden gab es z.B. einen Modellversuch, Fahrgemeinschaften die Benutzung einer Sonderspur auf Autobahnen zu gestatten. 816 Ronellenfitsch, DAR 1994, 7 I 8 weist darauf hin, daß der Kohlendioxidausstoß vom Straßenverkehr nur zu 20% verursacht wird, während Haushalte und Kleinverbraucher ebenfalls 20% verbrauchen, die Kraftwerke 38% und 22% die Industrie.. Entscheidend dürften nicht dieses absoluten Zahlen sein, sondern das relative Verhältnis Kohlendioxidernmission zur erbrachten Leistung.

m EG-Bürger sollen 1,5% ihres Bruttosozialproduktes im Stau verschwenden, Ronellenfitsch , DAR 1994, 7 I 8. 818 S.a. Röthel, Grundrechte, S. 211; beachte die Aufwertung des Umweltschutzes in Art. 20b GG; zu einem umweltbezogenen Grundrecht - wenn auch ablebend - Kloepfer, Zum Grundrecht auf Umweltschutz, S. 32 ff., 35 ff.; ders. DVBI. 1988, 305 I 308 ff. K19 Dies ist v.a. auch ein wirtschaftliches Problem. Auch wenn ein Tempolimit die tötlichen Unfalle reduzieren hilft, stehen auf politischer Ebene insbesondere wirtschaftliche Nachteile der Einfiihrung eines Tempolimits entgegen. Dies kann in Hinblick auf Art. 2 Abs. S. I GG bedenklich sein, doch ist insoweit auch zu fragen, ob eine Unfallrate bei einer Geschwindigkeitsbegrenzung von I00 km I h gesellschaftlich adäquater ist als bei !50 km I h. Angesichts von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG müßte das Tempolimit so ausgestaltet sein, daß geschwindigkeitsbedingte Unfalle insgesamt ausgeschlossen wären (was natürlich nicht erreichbar ist).

304

2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

Neben dem Abwehrcharakter kommt dem Mobilitätsgrundrecht auch ein Teilhabegehalt an der Benutzung öffentlicher Wege zu. Damit ist aber nur gesagt, daß der Staat, wenn er Verkehrsinfrastrukturen schafft, diese dem einzelnen zugänglich macht. Dies bedeutet jedoch nicht, daß er solche Strukturen schaffen muß. Beschränkungen wegen Überlastungen oder zum Beispiel Fahrverbote für LKWs bedürfen insoweit einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. 4. Das Grundrecht auf Mobilität als Leistungsgrundrecht

Es ist fraglich, ob die Zurverfügungstellung von Verkehrswegen aufgrund der Anerkennung eines Grundrechts auf Mobiliät gefordert werden kann. Allgemein ist anerkannt, daß zumindest Leistungsgrundrechte im engeren Sinne820 einen Fremdkörper im grundrechtliehen System darstellen. Probleme werden insbesondere unter den Gesichtspunkten der staatlichen Bindung821 und des FehJens eines unmittelbaren Vollzuges822 diskutiert. Die Frage der Finanzierbarkeit hindert die Annahme von Leistungsgrundrechten hingegen nicht automatisch. 823 Das BVerwG hat einen Anspruch aus grundrechtliehen Verpflichtungen folgendermaßen eingegrenzt824 : "Anspruch auf behördliche Leistungen ergeben sich aber unmittelbar aus dem Grundrecht allenfalls nur ausnahmsweise, wenn die begehrte und der Behörde mögliche Leistung zum Schutz des grundrechtlich gesicherten Freiraums unerläßlich ist."

Ein mögliches Grundrecht auf Mobilität ist unter diesen Gesichtspunkten nicht begründbar. Ebensowenig kann demnach eine staatliche Planungsmaßnahme gefordert werden. Es kann nicht behauptet werden, daß insoweit eine staatliche Leistung unerläßlich zur Verwirklichung der grundrechtliehen Freiheit ist. Das tatsächlich vereinzelt bestehende Mobilitätsdefizit ist dafür nicht ausreichend. In Hinblick auf die transeuropäischen Verkehrsnetze gilt diese Feststellung auch gerade für die Grenzgebiete. In der Realität ist die wirtschaftliche (und politische) Integration der Gemeinschaft noch nicht so weit fortgeschritten, 820 Ausgenommen sind damit Rechte auf Schutz sowie Rechte auf Organisation und Verfahren, vgl. dazu Alexy, a.a.O., S. 410 ff., 428 ff. 821 Vgl. Alexy, a.a.O., S. 407 f., dies folgt daraus, daß Grundrechte nicht der parlamentarischen Mehrheit überlassen bleiben.

m Von Münch I Kunig-von Münch, Vorb. Art. 1-19, Rn. 20; Hesse, a.a.O., Rn. 208. 823 824

Stern, Staatsrecht, Bd. 111/ I, 1988, § 67 111, S. 717, 719; Alexy, a.a.O., S. 466. BVerwGE 61, 15119.

D. Grundrecht auf Mobilität?

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daß an den Binnengrenzen solche Engpässe auftauchen, die es aus Mobilitätsgesichtspunkten unabdingbar erscheinen lassen, einen grundrechtliehen Leistungsanspruch zu begründen. Anders mag die Situation an den Außengrenzen der Gemeinschaft sein, wie die Situation an der deutsch I polnischen Grenze zeigt. Allerdings ist auch in diesem Falle zu beachten, daß der grundrechtliche Leistungsanspruch nicht weiter als der Geltungsbereich des Grundgesetzes reichen könnte. Der innerstaatliche Verkehrswegebau verliert jedoch an Effektivität, wenn er nur einseitig erfolgt, so daß im allgemeinen fiir den Grenzbereich ein nationales Leistungsgrundrecht sehr fragwürdig erscheint. Ein grundrechtlicher Leistungsanspruch kann auch nicht mit der Zulässigkeil von Investitionsmaßnahmegesetzen verglichen werden. Insoweit können gesetzgebensehe Einzelfallgesetze auch sozialstaatlich durch das Allgemeinwohl motiviert sein. Gerade Hesse hat den Sozialstaatsgedanken als Minus zu einem Leistungsgrundrecht hervorgehoben825 Diese Vorstellung trifft auf ein Leistungsgrundrecht zur Schaffung von Mobilitätseinrichtungen umso mehr zu, da gerade auch gesamtwirtschaftliche Belange Infrastruktureinrichtungen sehr stark bedingen. Auf der Ebene der transeuropäischen Verkehrsnetze kommt das Staatsziel der europäischen Einigung hinzu. Staatsziele können als zwischen einem allgemeinen Verfassungsprinzip und einem individuellen Grundrechtsanspruch stehend aufgefaßt werden. Sie bündeln in konkreter Form Individualinteressen. Damit konkretisieren sie ein allgemeines Verfassungsprinzip und drücken zugleich in bestimmter Form das staatliche und damit gesellschaftliche Interesse allgemein anerkannter Ziele fiir den einzelnen Bürger aus. Ist also in diesem Sinne ein sozialstaatliches Ziel flir ein Tätigwerden der öffentlichen Gewalt gegeben, bedeutet dies gleichzeitig, daß ein darunterstehendes Individualinteresse nicht ausreicht. Ein Leistungsgrundrecht auf Mobilität im Bereich des Verkehrswegebaus besteht angesichts der vorhandenen Infrastruktureinrichtungen, die der Mobilität des einzelnen im allgemeinen genügen, grundsätzlich nicht. 826

111. Grundrecht der Mobilität aus europäischer Sicht Die Anerkennung eines Grundrechts der Mobilität im Sinne eines Abwehroder Teilhaberechtes begegnet angesichts des fehlenden Grundrechtskatalogs in der Gemeinschaft zumindest geringeren dogmatischen Schwierigkeiten. Das Gemeinschaftsrecht ist richterrechtlich flexibler. Eine Ableitung dieses Hls

Hesse, a.a.O., Rn. 208, 213.

Wo ein Anspruch aber in Betracht käme wäre im Bereich der Bezahlbarkeit von Mobilität. Dies betrifft z.B. Fahrpreise oder Ausgaben im Zusammenhang mit dem Autofahren. Für den Verkehrswegebau braucht dieser Punkt allerdings nicht weiter erörtert zu werden. H26

20 Jürgensen

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2. Teil: Gemeinschaftlicher und nationaler Grundrechtsschutz

Rechts könnte sowohl als Extrakt aus den bisher anerkannten Grundrechten als auch aus den Grundfreiheiten gewonnen werden. 827 Im Zusammenhang mit den transeuropäischen Netzen ist gerade ein Leistungsgrundrecht auf Mobilität von Interesse, da Art. l29b Abs. 1 EGV die Unionsbürger als Begünstigte, nicht aber als Belastete nennt. Allerdings spricht gegen die Anerkennung eines europäischen Grundrechts auf Mobilität, daß ein solches kaum aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten extrahiert werden kann. Dies deutet allein schon die innerstaatliche Begründung eines Grundrechts auf Mobilität an. In Hinblick auf ein Leistungsgrundrecht gehen auch die EMRK, die Europäischen Sozialcharta oder die Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer nicht über ein soziales und rechtsstaatliches Mindestmaß hinaus. 828 Ein qualitatives Mindestmaß an Mobilität wird allein wegen des fehlenden vergleichbaren Prinzips von der staatlichen Daseinsvorsorge auf Gemeinschaftsebene nicht gefordert werden können. Der einzige plausible Ausweg könnte in einer Ableitung aus den Grundfreiheiten gesehen werden, da primärrechtlich in Einzelkompetenzen eine Gemeinschaftsaufgabe besteht. Diese Dogmatik widerspricht jedoch dem richterrechtlichen Ansatz zur Begründung europäischer Grundrechte. Ausgehend von dem fundamentalen Unterschied von Grundrechten und Grundfreiheiten829 verbliebe nur die Möglichkeit, allenfalls aus der jeweiligen Grundfreiheit einen Mobilitätsgehalt abzuleiten. Im sozialen Bereich hat es insoweit vereinzelt Ansätze zu einem Leistungsanspruch gegeben.830 Aus alledem ergibt sich, daß - gerade auch in Hinblick auf die transeuropäischen Verkehrsnetze - ein europäisches Grundrecht auf Mobilität nicht anzuerkennen ist. Dies folgt allein schon aus der primärrechtlich eingeschränkten Kompetenzreichweite der Art. 129b f[ EGV. Die EG I EU ist nicht umfassend für die Gewährleistung einer transeuropäischen Mobilität verantwortlich. Die Zuerkennung eines Leistungsanspruches könnte von der EG I EU regelmäßig nicht erfüllt werden. Daraus folgt, daß die von Art. 129b EGV beabsichtigte individuelle Begünstigung denklogisch allenfalls der Reichweite der Gemeinschaftskompetenz entspricht. Die Möglichkeit des Rekurrierens auf Art. 75 Abs. 1 lit. d) EGV bietet dabei keinen Ansatz für eine m S. z.B. Ronellenjitsch, DAR 1992, 321 I 323, der Art. 48 E(W)GV neben Art. 2 Abs. I GG stellt. xzx In Betracht käme insoweit beispielsweise Art. 2 4. ZP EMRK; vgl. auch Bleckmann, Theorie der Grundrechte in der EG, 1989, S. I 0 f., der auch das Verhältnis zur Europäischen Sozialcharta beschreibt. 829 S.o. 2. Teil, A.II. xJo Bleckmann, Theorie der Grundrechte in der EG, 1989, S. 9 ff.; vgl. Zuleeg, EuGRZ 1992, 329 ff.

D. Grundrecht auf Mobilität?

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individuelle Forderung nach Inanspruchnahme dieser Kompetenz. Dies ergibt sich schon aus dem fehlenden umfassenden Sozialstaatsprinzip und der staatlichen Verantwortung einer Daseinsvorsorge im Bereich der Gemeinschaft. Demzufolge müßte ein über die normale Kompetenzreichweite zielendes Verlangen auch auf zusätzliche (Gemeinschafts-) Rechtsprinzipien gegründet sein. Diese sind aber nicht ersichtlich, wie die Grundlagen der gemeinsamen Verfassungstraditionen und der internationalen Verträge zeigen. Die bei Art. 75 Abs. I lit. d) EGV geforderte besondere Ausnahmesituation, reicht ebenfalls in tatsächlicher Hinsicht nicht aus, um einen für eine Leistung geforderten gravierenden Mangel festzustellen. Insoweit kann ein Vergleich zwischen der Zulässigkeit von Investitionsmaßnahmegesetzen und grundrechtlichem Leistungsanspruch gezogen werden. So wie innerstaatlich diesbezüglich keine Korrelation bestand, kann diese ebensowenig gemeinschaftsrechtlich zwischen Art. 75 Abs. I lit. d) EGV und grundfreiheitlichem Leistungsanspruch begründet sein. Dies ergibt sich wiederum aus dem Fehlen des Sozialstaatsprinzips. Dieses ist (zumindest innerstaatlich) a maiore ad minus zum Leistungsgrundrecht anerkannt und kann einen grundrechtliehen Leistungsanspruch insoweit "auffangen". Daraus folgt jedoch zugleich, daß, wenn das Sozialstaatsprinzip nicht existiert, eine für die transeuropäischen Verkehrsnetze relevante "Leistungsfreiheit" erst recht nicht bestehen kann. Unter diesem Blickwinkel wäre nämlich ein Leistungsanspruch allenfalls als Verstärkung eines Sozialstaatsprinzips denkbar. Ein europäisches Grundrecht der Mobilität besteht somit weder als Abwehr- noch als Leistungsrecht Eine mögliche Ableitung aus der Grundfreiheit verbietet sich auf dem Verkehrsinfrastruktursektor sowohl aus rechtsdogmatischen als auch aus tatsächlichen Gründen.

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Resümee I. Effektive Kompetenzausfüllung der Gemeinschaft Die vorangegangenen Ausführungen haben das Ziel erkennen lassen, gemeinschaftliche Strukturen und Rechtsprinzipien zu effektivieren. Dies betrifft zunächst die Kompetenznormen zu den transeuropäischen Verkehrsnetzen. Nachdem die Entwicklung im Infrastrukturbereich in den Jahren bis zum lokrafttreten des Maastrichter Vertrages nur sehr zäh vonstatten ging, erscheint vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Erfordernisse eine rechtliche Stärkung der Gemeinschaft vonnöten. Dieses Ziel wird auf einem doppelten Wege erreicht: einerseits erfolgt eine weite und insbesondere auf das Individuum bezogene Auslegung der Art. l29b ff. EGV. Andererseits wird die Generalklausel in Art. 75 Abs. 1 lit d.) EGV in dem Zusammenhang mit den transeuropäischen Netzen in ihrer Bedeutung gestärkt. Unter diesem letzten Gesichtspunkt ist für das Gebiet des Planungsrechts die Zulässigkeil einer direkten Gemeinschaftsimplementierung von grenzüberschreitenden Teilen eines Infrastrukturvorhabens hervorzuheben. Zwar muß der von der Maßnahme betroffene Mitgliedstaat nach Art. 129d Abs. 2 EGV analog zustimmen, doch muß es gar nicht zu einem Konflikt zwischen der Gemeinschaft und der über das "Vetorecht" verfügenden nationalen Exekutive kommen. Da Planungen in ihrer Komplexität auf einen breit gefächerten Widerstand zum Beispiel unterer Verwaltungsstellen oder betroffener Bürger stoßen können, kann durch die Gemeinschaftskompetenz dieser Widerstand unter Umständen im Verein mit der mitgliedstaatliehen Regierung überwunden werden. Ein solches Vorgehen impliziert dabei keineswegs ein Übergehen rechtlich bedeutsamen Abwägungsmaterials. Vielmehr geht es darum, Verzögerungen aufgrund eines alternativen rechtlichen Planungsweges minimieren zu helfen. Ein Beispiel für eine sinnvolle Anwendung der Gemeinschaftskompetenz kann gerade in der Bundesrepublik vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Auseinandersetzung nationaler Investitionsmaßnahmegesetze gegeben sein. Der von der Regierung und der sie tragenden Bundestagsmehrheit gewünschten Beschleunigung von Einzelprojekten stehen rechtliche Bedenken und Widerstände gegenüber. Würde nunmehr die EG tätig werden, müßte auch nicht mit der Ausübung des "Vetorechts" nach Art. 129d Abs. 2 EGV

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durch die Regierung gerechnet werden, da ja das Anliegen einer Planungsbeschleunigung jeweils dasselbe ist. Natürlich bildet das Subsidiaritätsprinzip in diesem Zusanunenhang eine besondere politische Hürde. Es erfordert zumindest ein Mehr an gemeinschaftlichem Begründungsaufwand. Rein rechtlich stellt es sich aber nicht als eine absolute und unüberwindbare Grenze für die Gemeinschaft dar. Schon die im Wortlaut des Art. 3b Abs. 2 EGV angelegte Relativität impliziert dies. Als politischer Grundsatz, die Gemeinschaft transparenter zu gestalten, ist das Subsidiaritätsprinzip dagegen sehr begrüßenswert. Es bietet für die EG den Vorteil, ihr Tätigwerden positiv begründen zu können und insoweit eine breitere Kornmunikation und Akzeptanz zu erreichen. In dieser öffentlichen Auseinandersetzung allein kann die für die Gemeinschaft notwendige Grundlage für den Bau einer demokratisch-europäischen Öffentlichkeit geschaffen werden. Das Gemeinschaftshandeln sollte in diesem Zusanunenhang als Kompetenzausfiillung begriffen werden. Es geht nicht um eine Extensivierung einer Gemeinschaftsbefugnis. Eine von Art. 74, 75 Abs. 1 lit. d) i.V.m. Art. 129b EGV geforderte gemeinsame Verkehrspolitik besteht eben erst dann, wenn die gemeinsamen Interessen auch durchsetzbar sind. Insoweit müssen Partikularinteressen der Mitgliedstaaten grundsätzlich zugunsten des übergeordneten Ganzen überwindbar sein. Hier zeigt sich gerade der Unterschied zu einer nur koordinierenden Zusammenarbeit. So wenig ein individuelles Recht ohne Verfahren als subjektives Recht im technischen Sinne verstanden werden kann\ so wenig könnte ein gemeinsamer Politikbereich ohne die Möglichkeit einer gemeinsamen Durchführung einer effektiven, vertragskonformen Befugnisauslegung genügen. Erinnert sei an § 89 Einl. ALR: "Wem die Gesetze ein Recht geben, dem bewilligen sie auch die Mittel, ohne welche dasselbe nicht ausgeübt werden kann."

Derselbe Grundgedanke ist vor dem Hintergrund der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts auch auf diese Befugnisauslegung übertragbar.

II. Bedeutung innerstaatlicher Planungsumsetzungen Trotz dieses Erfordernisses der Effektivierung der gemeinschaftlichen Befugniswahrnehmung werden die Mitgliedstaaten die prinzipalen Akteure bei der Realisierung der transeuropäischen Netze bleiben. In der Bundesrepublik ist dabei - bedingt durch die Wiedervereinigung - auf drei Ebenen Bewegung in das nationale Planungsrecht gekommen: zum einen hat das Planungsvereinfachungsgesetz die bisherigen Fachplanungsgesetze harmonisiert und 1

Kelsen, Reine Rechtslehre, 1960, S. 139 f.

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vereinfacht. Darüber hinaus wurde mit dem Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz ein zeitlich und örtlich begrenztes Sonderrecht vorwiegend für die neuen Bundesländer geschaffen. Auf der dritten Stufe hat der Bundestag ein Investitionsmaßnahmegesetz erlassen. Aus verfassungsrechtlicher und gemeinschaftlicher Sicht am interessantesten ist vor dem Hintergrund staatsorganisationsrechtlicher und grundrechtsbedingter Rechtsprinzipien die Zulässigkeil von nationalen Einzelfallgesetzen. Können die insoweit bestehenden Bedenken zwar in besonderen Ausnahmesituationen im Einzelfall überwunden werden, so ist die Bedeutung für die transeuropäsichen Verkehrsnetze gleichwohl zurückhaltend zu beurteilen. Dies hängt mit dem grundsätzlich geringeren Handlungsdruck bei der Schaffung transeuropäischer Verkehrsnetze im Vergleich zu dem Aufbau einer Infrastruktur in den neuen Bundesländern zusammen. Eine in diesem Zusammenhang aus dem EGV abzuleitende Überbewertung gemeinschaftlicher Interessen, die sich über verfassungsrechtliche Beschränkungen hinwegsetzen könnte, ist allein wegen der in Art. 5 EGV normierten Loyalitätsverpflichtung der Gemeinschaft gegenüber den Mitgliedstaaten nicht gegeben.

111. Effektiver Gemeinschaftsgrundrechtsschutz Es wäre zu kurz gedacht, wenn die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts allein auf die Befugnisausfüllung geschriebener Vertragsnormen begrenzt würde. Den Grundrechten als vorrechtliehen Rechtsgrundsätzen ist formell wie materiell ebenso Beachtung zu schenken. Der Zusammenhang von Kornpelenzwahrnehmung und Grundrechtsschutz ist linear miteinander verbunden: Je umfassender die EG I EU Befugnisse ausübt, desto mehr müssen grundrechtliche Garantien im Gemeinschaftsrecht gewährleistet sein. Gerade diese Konnexität führte unter anderem erst zu der Anerkennung und Weiterentwicklung der Gemeinschaftsgrundrechte. Zugleich bedeutete die Herleitung der Grundrechte aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten eine Nationalisierung europäischer Grundrechtsgehalte. Dies ist umso bemerkenswerter, als nunmehr über einen entgegengesetzten Trend nachzudenken ist, demzufolge die nationalen Grundrechte einer Europäisierung unterliegen. 2 Das Erfordernis effektiven Grundrechtsschutzes bedeutet in formeller Hinsicht einen erleichterten Zugang zum Gerichtshof für den Rechtsschutzsuchenden. Art. 173 Abs. 4 EGV stellt in diesem Zusammenhang eine Art "europäische Verfassungsbeschwerde" dar. Dieser Rechtsweg enthält damit einen identitätsstiftenden Kern, da jeder Unionsbürger die Gewißheit hat, vor 2

S. dazu unter IV.

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dem höchsten Gericht sein Recht erstreiten zu können. So wie in der Bundesrepublik aus Gliinden der Identifikation des einzelnen mit dem Staat die Verfassungsbeschwerde geschaffen und letztlich grundgesetzlich abgesichert wurde, so gilt ebenso für die Gemeinschaftsebene, daß die Akzeptanz der Gemeinschaft in einem nicht unerheblichen Maße davon abhängt, inwieweit der Bürger Zugang zu ihren Organen erlangen kann. Unter diesem Aspekt ist auch wegen der Parallelität von einem weit entwickelten materiellen Grundrechtsmaßstab und Verfahrenserfordernissen der Zugang zum Gerichtshof zu erleichtern. In materieller Hinsicht und gerade wegen der schwelenden Konkurrenz von EuGH und BVerfG erscheint es zudem angeraten, daß der Gerichtshof seinen Grundrechtsschutz konsequent dogmatisch weiterentwickelt. Dies kann zum Beispiel über die Konkretisierung von Gemeinschaftsprinzipien geschehen, ohne daß der Einzelfallcharakter dominiert. Der Gerichtshof muß hier einen Mittelweg zwischen abstrakt-allgemeingültigen Rechtsprinzipien (wie beispielsweise dem Eigentum) und der Einzelfallgerechtigkeit finden. Das Fehlen eines geschriebenen Grundrechtskatalogs bedeutet Chance und Gefahr zugleich: Chance für eine dynamische und freie dogmatische Grundrechtstheorie; Gefahr, daß der EuGH über prätorisehe Einzelfallösungen nicht hinauskommt. Wenn die Begrundungen des EuGH von ihrem apodiktischen Charakter verlieren würden, könnte ein breiterer Konsens in der interessierten Öffentlichkeit gefunden werden. Unter diesen Umständen wäre auch die Zuliickhaltung des BVerfG überwindbar. Ein Kooperationsverhältnis, das über Art. 177 EGV hinaus nie zum Tragen kommt, macht sich selbst überflüssig. Solange bleibt es jedoch bei dem vom BVerfG skizzierten Jurisdiktionsvorbehalt in einem unabdingbaren Grundrechtsbereich. Die Effektivierung des Gemeinschaftsgrundrechtsschutzes kann in einem weiteren Schritt zur Folge haben, daß der EuGH gegenüber nationalen Maßnahmen im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts einen Individualrechtsschutz gewährleistet. In Hinblick auf die Einheitlichkeit des Europarechts und das Ziel, ein "Europa der Bürger" zu schaffen, ist eine entsprechende Entwicklung grundsätzlich wünschenswert. Dieser Schritt in Richtung auf eine allgemeine Inkorporation wäre von großer politischer Bedeutung. Er könnte sichtbarster Ausdruck einer Staatswerdung Europas auf der Grundlage gemeinsamer menschenrechtlicher Wertvorstellungen sein. Eine Gemeinschaft, die die Stellung der Bürger auf diese Art und Weise aufwertet, würde eine Hinwendung zu den Unionsbürgern und eine Abwendung von der nationalstaatlichen Komponente der Gemeinschaftsverträge bedeuten. Zugleich könnte die politische Forderung nach einer Transparenz der Gemeinschaft damit rechtlich begleitet werden.

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Der für die Realisierung der transeuropäischen Verkehrsnetze bedeutsame Grundrechtsschutz des Eigentums und des Verfahrens zeigt, daß eine vollwertige Grundrechtsgewährleistung prinzipiell besteht. Insoweit geht die Tendenz der "case-law"-Rechtsprechung in Richtung eines umfassenden Rechtsschutzes. Daß der EuGH die bundesverfassungsgerichtliche Dogmatik bezüglich des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes weitgehend übernommen hat, sollte diejenigen beruhigen, die einen Verlust des materiellen Grundrechststandards im Vergleich zum nationalen Recht befürchten. Allerdings nimmt selbstverständlich der Gemeinschaftsbezug in diesem Zusammenhang bei der Abwägung eine größere Bedeutung ein, als dies bei nationalen Verfahren der Fall wäre. Der Gerichtshof steht insoweit institutionell in einem anderen Organisationsgefüge. Er muß darauf achten, daß auch die Gemeinschaftsakte nicht leichtfertig für nichtig erklärt werden. Dies gilt umso mehr, je schwieriger die Konsensfindung innergemeinschaftlich gewesen ist. In dieser Hinsicht ist die Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft zu gewährleisten.

IV. Nationaler Grundrechtsschutz Die wichtigste Erkenntnis für den nationalen materiellen Grundrechtsschutz ist die Europäisierung der Grundrechtsgehalte. Demzufolge ist bei der konkreten Abwägung die Grundrechtsnorm gemeinschaftskonform auszulegen. Die Notwendigkeit dazu ergibt sich zum einen aus dem Vorrangprinzip des Gemeinschaftsrechts. Zum anderen - und damit zusammenhängend - ist der Einfluß des Gemeinschaftsrechts über Art. 23 GG .zu berücksichtigen. Demnach fließen die europarechtlichen Grundsätze sowohl direkt aus dem Gemeinschaftsrecht als auch indirekt über (kollidierendes) Verfassungsrecht in die Grundrechtsahwägung ein. Dies hat Auswirkungen auf die Abwägung bei der Planrechtfertigung, der Berücksichtigung von Allgemeinwohlbelangen oder bei Enteignungsrechtfertigungen. Diese Entwicklung kann durchaus auch in einem dialektischen Sinne verstanden werden 3: Je weiter der EuGH den Grundrechtsschutz ausgestaltet, desto weniger werden die nationalen Gerichte hinter diesem Standard auch bei einer rein national-verfassungsrechtlichen Grundrechtsprüfung zurückbleiben (können). Die Europäisierung nationaler Grundrechte ist damit die konsequente Ergänzung zu dem ursprünglich nationalen Anstoß der Entwicklung europäischer Grundrechte.

3 Vgl. Frawein, in: Cappelletti I Seccorobe I Weiler, Integration through Law, Vol. I, Book 3, S. 300 I 302.

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V. Das Grundrecht auf Mobilität Eine postttve Verbindung von Verkehrsinfrastrukturplanungen und den Grundrechten hat der individuelle Mobilitätsgehalt der Grundrechte aufgezeigt. Die Entwicklung verläuft hier primär über das entwickeltere und sozialstaatlich gefestigtere nationale Recht. Bei dem Gemeinschaftsrecht wäre ein entsprechendes Grundrecht allenfalls über die Grundfreiheiten denkbar, die jedoch nicht fiir die Grundrechtsentwicklung determinierend sind. Im nationalen Recht ist hingegen ein qualitativer Abwehrgehalt eines Grundrechts der Mobilität anzuerkennen. Er ergibt sich aus der Interpretation der einzelnen Grundrechtsbestimmungen und unterliegt den entsprechenden Schranken.

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Alexander, Hans: Aktuelle Fragen des Verkehrslärmschutzes unter besonderer Berück-

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Alexy, Robert: Theorie der Grundrechte, Baden-Baden 1985 Anweiler, Jochen: Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Ge-

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Arbeitskreis Europäische Integration: Die Grundrechte in der Europäischen Gemeinschaft, Baden-Baden 1978 Arnull, Anthony: Private applicants and the action for annulement under Article 173 of the EC Treaty, CMLRev. 1995, 7 ff. Aussant, Jill I Fornasier, Raffaello I Louis, Jean-Victor I Seche, Jean-C1aude I Raepenbusch, Sean Van: Commentaire Megret, Le droit de 1a CEE, Vol. III, 2