Gedichte des französischen Symbolismus in deutschen Übersetzungen 9783111333816, 9783110986877


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German Pages 155 [184] Year 1955

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Table of contents :
VORWORT
INHALT
BAUDELAIRE: AU LECTEUR
MALLARMÉ: APPARITION
VERLAINE: CHANSON D'AUTOMNE
RIMBAUD: LES EFFARÉS
VALÉRY: CIMETIÈRE MARIN
DER SYMBOLISMUS
DIE DICHTER
NACHWEISE DER ÜBERSETZUNGEN
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Gedichte des französischen Symbolismus in deutschen Übersetzungen
 9783111333816, 9783110986877

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GEDICHTE DES FRANZÖSISCHEN SYMBOLISMUS IN DEUTSCHEN ÜBERSETZUNGEN HERAUSGEGEBEN VON

WOLFGANG KAYSER

DEUTSCHE TEXTE 2

MAX N I E M E Y E R V E R L A G T Ü B I N G E N 1955

DEUTSCHE T E X T E Herausgegeben von R i c h a r d A l e w y n u n d L u d w i g E. S c h m i t t

2 Gedichte des französischen Symbolismus in deutschen Übersetzungen Herausgegeben von Wolfgang Kayser

Alle Rechte vorbehalten Printed in Germany Satz und Druck H. Laupp jr Tübingen

VORWORT

Die vorliegende Sammlung bezweckt zunächst, den Studenten der Literaturgeschichte mit wichtigen und kennzeichnenden Gedichten des französischen Symbolismus bekannt zu machen. Vertreten sind die fünf bedeutendsten Gestalten: Baudelaire, Mallarme,Verlaine, Rimbaud,Valery. Zugleich soll durch den ermöglichten Vergleich mehrerer Übersetzungen mit dem Original einiges Material für die Behandlung des Problems der lyrischen Übersetzung im allgemeinen und der aus dem Französischen im besonderen an die Hand gegeben werden. Schließlich soll der Vergleich der Übersetzungen untereinander der Beobachtung, Erfassung und Bestimmung von Stileigenheiten und der Behandlung von Versproblemen dienen. Deshalb wurde angesichts der Notwendigkeit, unter den zum Teil recht zahlreichen Übersetzungen überhaupt auszuwählen, nicht nur nach dem künstlerischen Rang gefragt; das Charakteristische, sei es für einen Autor, eine Strömung, eine Geschmacksrichtung, wurde gleichermaßen als Maßstab herangezogen. Auch Texte, die um der Treue willen die Formung vernachlässigen, wurden gelegentlich aufgenommen und einige Male sogar Übersetzungen, die unter jedem Gesichtspunkt eigentlich unmöglich sind. Da fast alle Übersetzer mehrfach vertreten sind, mag in den Fällen, da eine starke persönliche Eigenart spürbar wird, der Blick quer durch die Sammlung schweifen und den Benutzer zu der Skizze einer Stilmonographie anregen; das wird da besonders verlockend sein, wo der Übersetzer zu-

VI

Vorwort

gleich als Lyriker hervorgetreten ist (R. Dehmel, St. George, E. Hardt, R. v. Schaukai, R. M. Rilke u. a.). Die Anordnung der Übersetzungen zu den einzelnen Gedichten sucht der Chronologie zu folgen, soweit sich Feststellungen treffen ließen. Der Anhang soll dem Anfänger das Eindringen in die Dichtung des Symbolismus und dem Fortschreitenden die Zugänge zur Forschung erleichtern. Der Herausgeber hat für mancherlei Hilfe bei der Beschaffung der Texte zu danken, obwohl noch immer einige Übersetzungen unerreichbar blieben. Der Dank gilt insbesondere Herrn Dr. Reichenberger (Bonn), Herrn cand. phil. Geske (Göttingen) und Frl. cand. phil. R. Hueck (Freiburg).

INHALT Vorwort

V

BAUDELAIRE:

Au Lecteur L'Albatros Correspondances Parfüm exotique La Cloche fêlée Spleen Le Crépuscule du matin

i 6 9 12 15 18 21

MALLARMÉ:

Apparition Brise marine Autre éventail, de MademoisellejMallarmé Petit air Ses purs ongles Le Tombeau d'Edgar Poe Mes bouquins refermés

26 30 34 38 42 43 45

VERLAINE:

Chanson d'automne La lune blanche Bruxelles (Chevaux de bois) Green Gaspard Hauser chante Le ciel est, par-dessus le toit Art poétique

47 54 61 66 69 74 82

Inhalt

VIII RIMBAUD:

Les Effarés Bateau ivre Voyelles O Saisons, o châteaux

85 92 103 106

VALÉRY:

Le Cimetière marin Les pas

108 116

Anhang D E R SYMBOLISMUS DIE

119

DICHTER:

Baudelaire Mallarmé Verlaine Rimbaud Valéry Nachweise der Übersetzungen

122 126 IJO 134 137 139

I

B A U D E L A I R E : A U LECTEUR

Zum E i n g a n g Von Dummheit, Irrtum, Wollust, Geiz verpestet, Wird Leib und Seele gleicherart geplagt. Die Reue füttern wir, die an uns nagt, Just wie ein Strolch sein Ungeziefer mästet. Die Sünder schwelgen, und die Büßer gähnen! Wer beichtet, glaubt noch Lohnes wert zu sein Und taucht gleich wieder in den Pfuhl hinein Und wäscht sich rein mit ein paar lump'gen Tränen. Indes wir uns auf Unheilskissen wälzen, Betäubt der Riese Satan unsern Geist. Und unsres Willens harter Stahl zerreißt, Ihn bringt der rote Alchymist zum Schmelzen. Uns hält im Netz umstrickt der Herr der Sünde! Das Ekle grade packt und zerrt uns mit, Wir nähern uns der Hölle Schritt um Schritt Und fürchten nicht den Mißduft ihrer Schlünde. Wie einer Märterin im Liebesfrohne Der Wüstling küßt und leckt die welke Brust, So greifen wir nach der verborgnen Lust Und saugen wie an fauliger Melone. Millionen Würmern gleich, zum Knäul geschlungen, Durchwühlt das Hirn uns der Dämonen Schar. Mit jedem Atemzug dringt unsichtbar Und ungehört der Tod in unsre Lungen. i Deutsche Texte 2

2

Baudelaire Daß Raub und Gift und Dolch im Buntstickrahmen Nicht ganz einwoben ihren grellen Reiz Dem groben Teppich unsres Erdenleids, Kommt nur, weil feige Herzen leicht erlahmen. Zähl auf die Bestien hinter Käfigmauern: Hyäne, Geier, Natter, Ur, Mandrill, Die mit Gekreisch, mit Zischen und Gebrüll Im weiten Zwinger unsrer Laster lauern: Kennt ihr die scheußlichste? Die nicht gleich jenen Bei Zeiten droht und wachruft unser Graun Sie, die die ganze Welt in Stücke haun Und sie verschlingen möcht' in riesigem Gähnen. Erschlaffung ist's! Sie schnürt uns zu die Kehle, Umqualmt den Tränenblick mit Haschischrauch. Dies art'ge Scheusal, Leser, kennst du auch . . . Verleugn' es, Heuchler - Mitmensch - Bruderseele I S. Mehring An den Leser Torheit und Irrtum, Sünde, kleiner Geiz - sie währen In dem bedrängten Geist, zerwirken auch den Leib; Wir füttern den Gewissensbiß zum Zeitvertreib Gefällig, wie die Bettler Ungeziefer nähren. Starrköpfig sind die Sünden, schlaff sind unsre Reuen, Für ein Geständnis rechnen wir den fetten Preis; Wir kehren munter heim ins schlammige Geleis; Wir werden feile Zähren auf den Makel streuen. Der Dreimalgrößte, Satan, schaukelt auf des Bösen Behextem Kissen uns in Schlaf - den Kopf, das Herz; Der kluge Alchimist versteht das reiche Erz Der guten Willenskraft in Dämpfe aufzulösen. Der Teufel hält die Fäden fest, die uns bewegen. So widrig ist kein Ding, daß es uns nicht entzückt! Wir sind um Tag und Schritt der Hölle zugerückt, Uns graut es nicht vor dem Gestank, den finstern Stegen.

Baudelaire

3

Dem armen Wüstling gleich, der die geschundnen Brüste Der abgewelkten Dirne nagt mit seinem Kuß, Entwenden wir im Husch den heimlichen Genuß Wie eine faule Frucht, mit pressendem Gelüste. Wie wenn die Maden wimmeln, dichtgedrängt, verschlungen Häuft sich das Teufelsvolk im Hirn und tobt und trinkt; Ein unsichtbarer Strom von dumpfen Klagen sinkt Der Tod, wenn wir den Atem ziehn, in unsre Lungen. Noch haben Dolch und Notzucht, Gift, gelegte Brände Den öden Kanevas, den das Verhängnis schickt, Mit ihren Mustern, reich an Kurzweil, nicht bestickt, Weil unsre matte Seele nicht die Kühnheit fände. Doch ist in unsrer Laster schnödem Raubtiergarten, Wo Schakal, Panther, Hündin, eine ganze Zucht, Die kläfft und bäfft, die heult und grunzt und kriechend sucht, Wo Affe, Geier, Skorpion und Schlange warten, Eines das ärgste, wüsteste, bis zu den Zähnen Voll Unrat; es bewegt sich nicht, tut keinen Schrei Und risse doch die Erde voller Lust entzwei, Es schlänge eine Welt hinab mit seinem Gähnen: Der Überdruß! - Die ungewollten Tränen schleichen Ihm an das Lid; er träumt vom Blutgerüst im Rauch Der Huka - das verwöhnte Scheusal, kenntlich auch Für Dich, verkappter Leser! - Bruder! - Meinesgleichen! W. Hausenstein

An den Leser Verirrung, Dummheit, Sünde, Lug erschüttern Im Fleisch uns, legen auf den Geist die Hand. Wir päppeln unseres Gewissens Brand Wie Bettelleute Ungeziefer füttern. Wir büßen feige; unsere Sünden hecken; Wir nehmen für Geständnis Wucherpreis, Begehn dann lustig neu verschlammtes Gleis Im Wahne feile Tränen löschten Flecken.

4

Baudelaire Der Große Satan auf des Bösen Kissen Erst lange die behexte Seele wiegt, Und unsres Willens reiches Erz verfliegt In Dampf vor dieses Alchimisten Wissen. Der Teufel zieht die Fäden, die uns führen! Vom Eklen nehmen wir noch Reize mit; Gehn jeden Tag zur Hölle einen Schritt Durch Stank und Nacht - und lassen uns nicht rühren. Gleich den Verbuhlten ohne Geld, die fressen Der alten Hure ausgeschundene Brust, Ergaunern hehlings wir am Wege Lust, Die wir wie alte Apfelsinen pressen. Dicht wimmelnd wie die Maden in dem Darme In unserem Hirn ein Volk von Teufeln schmaust; Ein Atemzug - in unsre Lungen saust Der Tod, Strom unsichtbar und leis im Harme. Wenn Brand und Gift, Gewalt an Frauen In unsres Schicksals jämmerlichen Riß Noch nicht ihr spaßig Bild gestickt - gewiß, Nur weil die Seelen, leider I sich nicht trauen . . Doch unter den Schakalen, Skorpionen, Den Affen, Geiern, Hündinnen in Brunst, Dem Ungetier, das kläfft und brüllt und grunzt Im Zwingerloch, wo unsre Laster wohnen, Ist eins noch wüster, böser noch im Raffen! Ist leise auch sein Schrei und träg sein Flug Es lockert noch der Erde festen Fug Und schluckt das All in eines Gähnens Klaffen: Verdrossenheit! - Im Aug erzwungenes Weinen Träumt es vom Block und saugt am Pfeifenrohr. Du kennst es, Leser, mache dir nichts vor, Du Heuchler, o mein Bruder vor den Peinenl K. Schmid

Baudelaire

5

An den L e s e r Verirrung, Torheit, Geiz und sündiges Begehren Bedrängen unsren Geist, belasten unsren Leib; Die Reue füttern wir als holden Zeitvertreib, So wie die Bettler sonst ihr Ungeziefer nähren. Die Sünden wuchern, der Gewissensbiß ist träge, Wir fordern dreist für ein Geständnis hohen Preis Und kehren froh zurück ins alte Schlammgeleis . . . Die Schmach zu tilgen sind die feilen Tränen rege. Es schaukelt frech auf der Verworfenheiten Kissen Der Satan, Dreimalgroß, den ihm verfallnen Geist; Das Erz der Willenskraft verflüchtigt sich, zerspleißt, Es wird zunichte vor des Alchimisten Wissen. Es führt des Teufels Hand die Fäden, dran wir hangen! Und selbst das Widrige uns seine Reize zeigt; Wann täglich unser Fuß zur Hölle niedersteigt, Empfinden trotz Gestank und Nacht wir nie ein Bangen. Dem ärmsten Wüstling gleich mit seinen wilden Küssen Auf einer Hure oft mißbrauchte, schlaffe Brust, Ergaunern heimlich wir uns eine schnelle Lust, Die wir zuvor noch wie Zitronen pressen müssen. Gedrängt und wimmelnd wie der Maden Wohlbehagen In unsren Hirnen der Dämonen Vielzahl schmaust; Ein Atemzug genügt, in unsre Lungen braust Der Tod unsichtbar mit dem Strom der düstren Klagen. Sind Notzucht nicht und Gift, noch Dolch und Feuerbrände, Als eine holde Zier ins Muster eingestickt Des öden Teppichs, den für uns das Schicksal flickt, So nur, weil unser Geist, ach! nie die Kühnheit fände. Doch bei den Panthern und den Wölfen, Skorpionen, Bei Affe, Geier und bei Schlange und Schakal Bei dieses Viehzeugs Lärm, Gekläff, Gegrunz, Gelall Im Raubtiergarten, wo die Laster schamlos wohnen -

6

Baudelaire

Ist Eins das schrecklichste und schlimmste im Gedränge! Wenn es auch niemals nur sich regt und niemals bellt, Zerfetzte es doch gern den Fug der ganzen Welt, In Einem Gähnen es die Erde dreist verschlänge: Der Überdruß! - im Aug der falschen Tränen Zeichen, Die Houka rauchend, träumt es nur vom Blutgerüst: Auch du, mein Leser, kennst des Untiers Raubgelüst. - Mein Leser, Heuchler du - mein Bruder - meinesgleichen! C. Fischer BAUDELAIRE: L'ALBATROS

Der A l b a t r o s Oft kommt es dass das schiffsvolk zum vergnügen Die albatros • die grossen vögel • fängt Die sorglos folgen wenn auf seinen zügen Das schiff sich durch die schlimmen klippen zwängt. Kaum sind sie unten auf des deckes gängen Als sie- die herrn im azur- ungeschickt Die großen weißen flügel traurig hängen Und an der seite schleifen wie geknickt. Er sonst so flink ist nun der matte steife. Der lüfte könig duldet spott und schmach: Der eine neckt ihn mit der tabakspfeife • Ein andrer ahmt den Aug des armen nach. Der dichter ist wie jener fürst der wölkeEr haust im stürm- er lacht dem bogenstrang. Doch hindern drunten zwischen frechem volke Die riesenhaften flügel ihn am gang. St. George

Der A l b a t r o s Oft kommt es vor, daß Schiffer zum Vergnügen Sich Albatros, die großen Vögel, fangen, Die unbekümmert folgen auf den Flügen Den Schiffen, die in Meereswogen bangen.

Baudelaire

1

Kaum sind sie unten, in des Bootes Gängen, Einst Könige der Luft, jetzt link, verschämt. Da lassen sie die weißen Flügel hängen Wie eingelegte Ruder, wie gelähmt. Der Lüfte Segler, welch ein matter Gauch! Er einst so schön, wie ist er seltsam schwach! Der eine neckt ihn mit dem Tabaksrauch, Der andre ahmt den Lahmen hinkend nach. Der Dichter gleicht dem Fürst in Wolkenschwärmen, Er lacht des Schützen, sucht das Sturmeswehen, Doch auf der Erde, bei der Menge Lärmen Die Riesenflügel hindern ihn am Gehen. P. Lövenich

Der Albatros Oft fängt die Mannschaft auf dem Schiff, gelaunt zum Spiele, Die Vögel, deren Flug die Meere überspannt; Gleichmütiges Geleit, so folgen sie dem Kiele, Der gleitet, ob dem Salz des Abgrunds hingesandt. Kaum sind die Könige der Bläue zu den Planken Erniedrigt, lassen sie, von Ungeschick bedrängt Und Scham, die weißen Schwingen kläglich an den Flanken Hinschleifen, wie ein Ruderpaar am Nachen hängt. Der lahme Gast! So schön geflügelt, daß er schweife, Wie steht er linkisch, häßlich! Komisch in der Schmach! Den Schnabel neckt ihm einer mit der Stummelpfeife, Den siechen Flieger äfft ein andrer humpelnd nach. Der Dichter gleicht dem Fürsten auf der hohen Wolke, Der eines Bogners lacht, behaust in Sturmeswehn; Zum Boden her verbannt hört er nur Spott im Volke, Sein Riesenfittich hindert ihn, im Schritt zu gehn. W. Hausenstein

8

Baudelaire Der A l b a t r o s Manchmal vergnügt die Mannschaft sich mit Albatrosen, Den Ungetümen Meeresvögeln blauer Weiten, Die mit den Schiffen fliegen - träge Fahrtgenossen - , Wie sie durch klaffend schwarze Wellenschlünde gleiten. Die Leute ziehn auf's Deck die Vögel, die sie fingen, Und diese Könige der Lüfte, welche Schmach! Erbarmungswürdig schleifen sie die weißen Schwingen Wie große Ruder neben sich am Boden nach. Wie ist der schwerelose Segler auf dem festen Grund Mit einem Male hässlich plump und ungeschickt! Mit Pfeifenköpfen schlägt man ihm den Schnabel wund Und äfft ihn hinkend nach, da ihm sein Flug mißglückt. Dem Dichter geht es ähnlich wie dem Prinz der Meere, Der mit dem Sturm sich mißt in kühnem Gleiten: Am Boden fühlt er sich verloren und voll Schwere, Denn seine Riesenflügel hindern ihn am Schreiten. E. Scheer

Der A l b a t r o s Oft fängt sich das Schiffsvolk zu launigem Spiele die Albatrosse, die schwingenleicht fliegen und gleichmütig folgen dem ziehenden Kiele der Schiffe, die über dem Abgrund sich wiegen. Kaum daß sie berühren der Schiffe Planken, die Fürsten des Aethers, sie täppisch schreiten und lassen die Flügel verzagt an den Flanken hinschleifen, wie Ruder am Bootsrande gleiten. Wie linkisch sieht man den Segler jetzt tappen! Der Schöne will häßlich und komisch nun scheinen. Der eine läßt ihn nach der Pfeife schnappen, ein andrer äfft ihn nach mit hinkenden Beinen.

Baudelaire

9

Du, Dichter, vergleichbar den Vögeln, die schweben, der Schützen spottend, der Stürme Wehen, bist ausgesetzt du ins höhnende Leben, dann hindern dich deine Schwingen am Gehen. M . Rieple

Der Albatros Seeleute fangen wohl zum Zeitvertreib sich einen Der großen Meeresvögel, einen Albatros, Der unentwegt den Schiffen überm Schaum der reinen, Salzigen Fluten folgt als steter Fahrtgenoß. Doch setzen sie ihn auf den glatten Planken nieder. Läßt dieser König, vom Azur der Aether her, Schamvoll der mächt'gen Flügel schneeiges Gefieder Wie Ruder an der Seite schleifen, plump und schwer. Wie kläglich ist des Seglers Gang, der komisch steife, Des' Flug in wilder Schönheit durch die Wolken brach! In seinen Schnabel steckt ihm einer frech die Pfeife, Ein andrer äfft den Heimwehkranken hinkend nach. Der Dichter gleicht dem Fürsten der Gewittersänge, Der in den Stürmen badet und des Schützen lacht: Muß er am Boden haften in der dumpfen Menge, Hemmt ihm den freien Gang der Riesenschwingen Macht. A . Schoenhals

BAUDELAIRE:

CORRESPONDANCES

Einklänge Aus der natur belebten tempelbaun Oft unverständlich wirre worte weichen • Dort geht der mensch durch einen wald von zeichen Die mit vertrauten blicken ihn beschaun.

IO

Baudelaire Wie lange echo fern zusammenrauschen in tiefer finsterer geselligkeit • Weit wie die nacht und wie die helligkeit Parfüme färben töne rede tauschen. Parfüme gibt es frisch wie kinderwangen Süss wie hoboen grün wie eine alm Und andre die verderbt und siegreich prangen Mit einem hauch von unbegrenzten dingenWie ambra moschus und geweihter qualm Die die Verzückung unsrer seelen singen.

St. George

Zusammenklänge Ein Tempelbau ist die Natur, dort flüstern Lebendige Pfeiler manches wirre Wort, Symbole ragen auf im Rätseldüstern Und sehn vertraut auf uns von Ort zu Ort. Wie lange Echos fern zusammenklingen In dunkler Einheit durch die weite Luft, So wollen stark und innig sich verschlingen Die tief verwandten: Farbe, Ton und Duft. Oft ist ein Duft wie Kinderkörper frisch, Sanft wie Oboenklang, grün wie ein See, Und andre sind verderbt, gebieterisch Und können unbegrenzt den Raum durchdringen, Wie Moschus, Ambrahauch und Benzoe, Die Sinn und Seele in Verzückung singen. H. Horvät Entsprechungen Ein Tempel ist Natur, lebendig auferbaut, Die Pfeiler sprechen hier und dort in wirren Zungen; Der Mensch ist in den Wald von Zeichen eingedrungen, Aus hundertfachem Blick vertraulich angeschaut.

Baudelaire Die Femen schmelzen langgezogene Gesänge, Ihr Echo ist ein tiefer, dunkelnder Verein, Geräumig wie die Nacht und wie des Tages Schein. So reden miteinander Düfte, Farben, Klänge. Gerüche sind, dem Hauch vom Fleisch der Kinder gleich, Süß wie Hoboentöne, grün wie frische Wiesen, - Und andere, verderblich, triumphierend, reich: Aus der Unendlichkeit zu uns herab gewiesen Entrücken sie den Geist, die Sinne nun wie je - Musik aus Amra, Bisam, Weihrauch, Benzoe. W. Hausenstein

Zusammenhänge Natur, du bist ein Tempel, darin, lebend, Säulen Bisweilen ungereimte Worte aus sich holen; Der Mensch durchschreitet weite Wälder von Symbolen, Die mit vertrauten grossen Augen auf ihm weilen. Wie lange Echos, die sich ineinanderweben In tiefer undurchdringlicher Geschlossenheit, Weit wie die schwarze Nacht und wie das Helle weit, Sich alle Düfte, Farben, Töne Antwort geben. Die Düfte sind bisweilen frisch wie Kinderhaut, Weich wie Oboen, und wie junger Rasen grün; Und andre gibt es, würzig, welk und sieghaft laut, Die in die Weite der Unendlichkeit entflieh'n: So Amber, Moschus oder Weihrauch; sie besingen Des Geistes und der Sinne Ineinanderklingen. E. Scheer

Einklang Natur, Du Tempel, dessen Säulen leben, Welch wirre Worte tönen Dir im Mund, Wenn uns in der Symbole Urwaldgrund Geheimnisse vertrauten Blicks umgeben!

12

Baudelaire Wie lange Echos weit und fern entschweben Zu tiefer Einheit in dem dunklen Schlund, Wie Nacht und Licht unendlich, sich zum Bund Die Düfte, Farben, Töne sanft verweben. Und Düfte gibt es, frisch wie Kinderlachen, Zart wie Hoboenton und grün wie Klee, Gebrochne auch, die reich und stark im Klang. Die Lust zum Grenzenlosen uns entfachen Wolln Ambra, Moschus, Weihrauch, Benzoe Und Geist und Leib vermischt sich im Gesang. E. Jaime

Entsprechung Im Tempel der Natur, wo jede Säule lebt Und zu uns redet mit geheimnisvollen Zungen, Sind wir in einen Wald der Zeichen eingedrungen, Des Blick uns so vertraut und aufmerksam umwebt. Und wie die Echo, die verhallend in den Lüften Sich fern vereinigen zu satter Dunkelheit, Und endlos wie die Nacht und wie die Helligkeit Entsprechen Klänge sich mit Farben und mit Düften. Ein Duft mag frisch sein, so wie er auf Kindern ruht, Und grün wie Wiesen, süß wie der Hoboen Singen . . . - Ein andrer herrisch und betäubend, voller Glut, Mag gleich Unendlichem in letzte Tiefen dringen: Wie Ambra, Benzoe und Weihrauch uns beweist. Ist doch ein jeder wie Musik für Sinn und Geist. C. Fischer B A U D E L A I R E : P A R F Ü M EXOTIQUE

Fremdländischer Duft Wenn sich mein auge schliesst am sommerabend Und deines heissen busens duft mich lezt Dann bin ich in ein selig reich versezt. An immer gleicher sonnenglut sich labend

Baudelaire

13

Ein träges eiland das natur beglückt Mit seltnen bäumen früchten süsser säfte Mit männern schlanken leibes voller kräfte Und frauen deren auge freimut schmückt. A n wunderbarem Strand bin ich zu gast-

Im weiten hafen drängt sich mast an mast

Noch von der reise müh ein wenig düster-

Indes vom grünen tamarindengang Entschwebt ein duft und dringt mir in die nüster Vermischt im geiste mit der Schiffer sang. St. George

Exotischer Duft Wenn ich, die Augen zu, der Welt entrückt, In deines Busens warmem Duft mich bade, Dann seh' ich vor mir selige Gestade, Auf die das Taggestirn stets glühend blickt. Ich seh ein üppig Inselland sich breiten Mit Pflanzen, seltsam und gigantenhaft, Und Männern schlank und braun, geschwellt von Kraft, Und Frauen von erstaunlich freiem Schreiten. Dein Duft führt mich in wunderbare Zonen: Ein Hafen liegt vor mir, am Meeressaum Der Schiffe wimpelfrohe Legionen; Es senkt ein Hauch vom Tamarindenbaum In meiner Seelen wachen Traum sich nieder Und fern erklingen der Matrosen Lieder. . . H. Horvät

Exotischer Duft Wenn geschlossenen Auges an lauem Herbstesabend Ich die Düfte atme von deinen Brüsten warm, Seh' ich heitere Ufer entrollen ihren Charm Und in einer ruhigen Sonne Gluten sich labend.

14

Baudelaire

Eine Insel der Muße, wo Natur froh gelaunt Seltene Bäume zeitigt und Früchte safterfüllt, Männer, deren edler Leib von Kräften quillt, Frauen, deren Auge durch seinen Freimut erstaunt. Geleitet von deinem Dufte nach bestrickenden Zonen, Seh' ich den Hafen, den Segel und höhe Mäste bewohnen, Noch Ermüdung verratend von letzter Stürme Wehn, Während Düfte strömen aus Tamarindengrün Und die Luft durchkreisend meine Nüstern blähn, Meine Seele verwoben mit Schiffergesängen durchziehn. H. Havemann

Fremder Duft Wenn abends mich im Herbst die Winde warm umwehen, Dann atm' ich deinen Duft geschloss'nen Auges ein, Dann sehe ich vor mir, in greller Sonne Schein, Gestade fernen Glücks im Meeresblau entstehen. Ich seh' im Wellenspiel ein müßig Eiland stehen Mit Bäumen hier und dort, da laden Früchte ein . . . Und Männer gehn voll Kraft, die Körper dennoch fein, Und Frau'n mit tiefem Blick, wie wir ihn niemals sehen. Geführt von deinem Duft nach freundlichen Gebreiten, Erblick' ich einen Port mit Segel, Mast und Schiff, Ermüdet alle noch vom Spiel der blauen Wogen. Ich hör' der Schiffer Sang durch meine Seele gleiten, Und während er sich mischt mit Wellenschlag am Riff, Kommt Tamarindenduft süß zu mir hergezogen. E. v. Beckerath

Exotischer Duft Wenn abends sich im Herbst mein Augenpaar geschlossen, Aus deiner heißen Brust ein Hauch mich süß erschlafft, Dann seh ich ein Gestad, verträumt und märchenhaft, Von immer gleicher Glut der Sonne nur umflossen.

Baudelaire

15

Ein träges Eiland . . . doch in welcher Fülle sprossen Die seltnen Bäume dort, die Früchte voller Saft! Wie ist der Männer Leib voll Anmut und voll Kraft, Wo ich den freien Blick der Frauen froh genossen. An welch beglückten Strand führt mich dein Duft als Gast? Im Hafen drängen sich die Schiffe Mast an Mast, Ein wenig müde noch von dem Gewog der Reise . . . Indessen aber steigt vom Tamarindengang Ein dunkler Wohlgeruch - kreist in den Lüften leise Der mir im Geist sich mischt mit der Matrosen Sang. C. Fischer

B A U D E L A I R E : L A CLOCHE FÊLÉE

Die gesprungene Glocke Wie süss und herb ists in der winternacht Zu lauschen wenn des feuers wölken ringelnWenn ferner zeit erinnrung leis erwacht Bei den geläuten die im nebel klingeln. Beglückt die glocke die mit starkem Schlünde Trotz ihres alters heiter und mit macht Gebet ertönen lässt aus frommem munde Wie alte krieger vor dem zeit auf wacht ! Ich — meine seele sprang . . und wenn betrübt Zum trost sie nächtig sich in liedern übt So hallt es oft wie dumpfes röcheln dessen Den man verwundet auf dem feld vergessen Der unter dichtem leichenschwarm verdirbt Und regungslos in grossen nöten stirbt. St. George

i6

Baudelaire Die geborstene Glocke

Es ist so süß und bitter, in der Winternacht, Wenn im Kamin die Flammen aus dem Rauch entspringen, Hinaus zu horchen, bis Erinnrung sanft erwacht, Indes die Turmgeläute durch die Nebel singen. Glückselig, ach, die Glocke mit dem starken Schlund, Die noch im Greisenalter heile und behende! Sie wirft den frommen Schrei aus einem treuen Mund. So ruft ein Veteran vom Zelt in das Gelände. Doch meine Seele ist durch einen Riß verstört. Wenn sie die kalte Luft der Nacht mit Hymnen schwört Zu schwängern, gleicht die Stimme, schwach, noch kaum geboren, Des Wunden dichtem Röcheln: längst liegt er verloren Unter dem Leichenberg, an einem See aus Blut Und rührt sich nicht und stirbt mit ungeheurem Mut. W. Hausenstein Die gesprungene Glocke Wie bitter und süß, kann man winters zur Nacht Vor rauchenden Feuerbrands loderndem Rauschen Beim Turmglockenspiel, das im Nebel erwacht, Der fernen Erinnerung Tritte belauschen. O selig die Glocke mit kraftvollem Schlünde, Die, trotz ihres Alters gesund, auf die Stadt Die heiligen Losungen ruft jede Stunde, Wie einsam auf Schildwacht ein alter Soldat! Die Seele zersprang mir . . . Belebt ihre Qual Der Nacht kalte Lüfte mit ihrem Choral, Gleicht oft ihre Stimme, ermattet und laß, Dem Röcheln des Wunden, den spät man vergaß, Vergraben in Leichen, der blutmeerumflutet Und reglos in grausiger Mühsal verblutet. K. Schmid

Baudelaire

17

Die geborstene Glocke Süß ist's und traurig, wenn in winterlicher Nacht Im flackernden Kamin die Flammen leise singen, Und langsam steigend die Erinnerung erwacht Beim Lied der Glocken, die im Nebel fernher schwingen. Gebenedeit der Glocke erzgegoss'ner Mund, Der alte, welcher treu und wachsam in die Kälte Den frommen Mahnruf sendet zu den Tälern rund, So wie ein alter Landsknecht Wache steht am Zelte! Mir aber brach das Herz. Und wenn aus seinem Leid Ein Ruf will steigen in die kühlen Nächte weit, Dann mag es sein, daß seine Stimme, diese schwache, Wie des Todwunden Röcheln stöhnt, aus einer Lache Von Blut, wo er vergessen liegt im Totenfeld Und reglos stirbt, indes noch letztes Mühn ihn hält. A. Schoenhals Die gesprungene Glocke Es ist so bittersüß in langer Winternacht, Wenn knisternd im Kamin die Flamme schwelt, zu lauschen, Wie die Erinn'rung fern und langsam neu erwacht, Indes die Glocken durch den weichen Nebel rauschen. Die Glocke sei gelobt mit ihrem guten Klang, Denn auch im Alter darf als kraftvoll sie noch gelten; Sie läutet so getreu den heiligen Gesang, Sie singt wie ein Soldat auf Wache bei den Zelten! Doch mir ist längst mein Herz zersprungen . . . wenn es singt, Und wenn sein schmerzlich Lied in kalter Nacht erklingt, Bricht seine Stimme sich gleichwie das Stöhnen dessen, Der einsam auf dem Feld, verwundet und vergessen, In einem See von Blut, mit Toten ganz allein, Sich nicht mehr regt und stirbt in grenzenloser Pein. C. Fischer 2 Deutsche Texte 2

i8

Baudelaire BAUDELAIRE:

SPLEEN

Trübsinn Mir deucht ich hätte vor mir tausend jähr. Kein schreibtisch überfüllt mit einer schar Von versen liedern liebesbriefen akten Und haaren schwer in rechnungen gepackten Mehr heimlichkeiten als mein hirn bewacht. Ein riesenbau ists wo in tiefem Schacht Mehr tote als im massengrabe rollen. Ich bin ein kirchhof dem die Sterne grollen. Wo - innre quälen - lange würmer ziehn • Sie raffen meine liebsten toten hin. Ich bin ein alt gemach wo rosen schmachten Mit einem wirrwarr von verjährten trachten. An offnen fläschchens dufte laben sich Ein kläglich bildnis ein verblas ster stich . . Nichts dehnt sich wie der lahmen tage stocken Wenn unter schneeiger jähre schweren flocken Der missmut der aus dumpfer müde rinnt Die grosse der Unsterblichkeit gewinnt. Nun bist du weiter nichts - o staub mit leben Als ein granit mit schreckenshauch umgeben In tiefer wüsten nebeldunst versenkt. Vergessner alter sfinx dess niemand denktNirgends vermerkt und dessen wilde laune Beim Sonnenuntergang sein lied nur raune. St. George

Spleen Hab' mehr Erinnerungen als wär' tausend Jahre ich alt. Ein großes Möbel mit Fächern voll Rechnungen mannigfalt, Gefüllt mit Akten, Romanzen, mit zärtlichen Briefchen, Gedichten, Wo mit verstaubten Papieren gerollte Löckchen sich schichten, Birgt mehr als mein trauriges Hirn an Geheimnissen kaum. S'ist eine Pyramide, ein unermeßlicher Raum, Wo mehr als in Massengräbern Tote liegen verstaut.

Baudelaire

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Ich bin ein scheußlicher Friedhof, vor dem dem Monde graut, Wo wie Gewissensbisse lange Würmer sich winden, Die meine teuersten Toten stets als Beute finden. Ich bin ein altes Boudoir, wo welke Rosen am Boden Liegen mit einem Haufen Kleider vergangener Moden, Wo nur verblaßte Boucher's und Pastelle voll Harm Aus entkorktem Fläschchen atmen des Duftes Charm. Nichts kann jenen schmutzigen Tagen an Länge gleichen, Wenn unter schweren Flocken schneeiger Jahre, der bleichen, Die Langeweile, geboren aus trübsel'ger Lässigkeit, Hohnvoll zu den Massen steigt der Unsterblichkeit. Künftig bist du lebend'ger Leib nichts anderes mehr Als ein Stein - Entsetzen lagert dumpf um ihn her. Betäubt ruhst du in einer Sahara dunstigem Grund, Eine alte Sphinx, der achtlosen Welt nicht kund, Auf der Karte vergessen, die selten dem Bann sich entringt, Nur in den sterbenden Strahlen der Sonne noch einmal singt! H. Havemann Spleen Mir denkt's, als wär' ich mehr denn tausend Jahre alt. Die bauchige Kommode, immer vollgeballt Mit Akten, Liebesbriefen, Quittungen, Romanzen, Mit Versen, schwerem Haar in Rollen aus Bilanzen, Birgt weniger Geheimnis als die trübe Stirn. Ein Keller, eine Pyramide ist mein Hirn. Das Massengrab versammelt nicht so viele Leichen. - Ich bin ein Friedhof. Wie Gewissensqualen schleichen Die langen Würmer hin; der Mondschein ist entsetzt; Den Liebsten meiner Toten liegt das Fleisch zerfetzt. Ich bin auch ein Boudoir, erfüllt mit welken Rosen; Verjährte Moden liegen wirr; die freudelosen Pastelle, die Bouchers eratmen ausgebleicht, Einsam den Duft, der einem Flaschenmund entweicht.

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Nichts währt wie Tage, die durch ihren Winter hinken. Die dicken Flocken schneeverhängter Jahre sinken; Aus düstrem Gleichmut steigt die Langeweile breit; Sie nimmt das ungeheure Maß der Ewigkeit. Einst wirst du nicht mehr sein, du Stoff, du Leib und Leben! Bloß ein Granit, von ungewisser Angst umgeben, Schläft auf dem Grund der Nebelwüste stumm und still. O alte Sphinx, von der kein Mensch noch weiß und will, Auf keinem Plan vermerkt - von deinem wilden Sange Erfährt allein der Strahl im Sonnenuntergänge. W. Hausenstein

Trübsinn Ich weiß so viel, als wär ich tausend Jahre alt. Ein Schrank mit alten Abrechnungen vollgeballt, Mit Versen, Akten, Liebesbriefen und Romanzen Und schweren Locken, eingewickelt in Bilanzen, Birgt weniger Geheimnis als mein Hirn beruft. O diese Pyramide, diese Riesengruft, In der mehr Tote als im Massengrabe liegen! Ich bin ein Friedhof, dem des Mondlichts Gnaden schwiegen, Wo lang Gewürme kriecht, wie ein Gewissen plagt, Und immerdar an meinen liebsten Toten nagt. Ich bin ein alt Gelaß, wo welke Rosen zittern, Verjährte Kleider haufenweise sich zerknittern, Ein weinerlich Pastell, ein zarter Fragonard Allein den Duft noch atmen, der im Fläschchen war. Nichts gleicht an öder Länge diesen Hinketagen, Wenn unter schneeiger Jahre schwerem Flockenjagen Die Frucht der Wissensunbegier, Verdrossenheit, Sich auswächst in den Maßen der Unsterblichkeit. Du bist von nun an weiter nichts, o Stoff mit Leben, Als nur ein Klotz, den Dünste schwanken Grauns umschweben, Der tief in einer Sahara von Nebel steckt, Ein alter Sphinx, von leichter Welt noch nicht entdeckt, Noch unvermessen, dessen wilder Sinn allein Ans Singen denkt bei toter Sonne letztem Schein. K . Schmid

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Spleen Erinnerungen - als sei ich ein Jahrtausend alt. Kein dicker Schreibtisch mit Papieren vollgeballt, Mit Versen, Liedern und mit Liebesbriefen, Akten, Mit schweren Haaren, in die Rechnungen gepackten, Birgt mehr Geheimnis, als in meinem Schädel wacht. Den Pyramiden gleicht er, einem tiefen Schacht Mit noch mehr Toten als in Massengräbern hausen. - Ich bin ein Friedhof . . . selbst den Mondschein faßt das Grausen. Wie Würmer windet sich die Reue dort entlang, Der Toten Teuerste befällt ihr wüster Drang. Ich bin wie ein Gemach, wo welke Rosen sterben, Wo alte Kleider mit dem Lauf der Zeit verderben, Wo Stiche von Boucher samt manch vergeßnem Bild Am Duft sich laben, der aus offnen Gläsern quillt. Nichts gleicht den Tagen, die durch ihren Winter hinken : Wenn schwere Flocken auf verschneite Jahre sinken, Wächst sich der Überdruß - Frucht der Verschlossenheit Ins Ungeheure aus und wird zur Ewigkeit. - Und nun bist du nicht mehr, o Staub, begabt mit Leben I Als ein Granit, vom Hauch der Bangigkeit umgeben, In der Sahara Dunst und Nebel eingesenkt. Vergeßne Sphinx, der nie die leichte Welt gedenkt, Kein Atlas kennt ihr Land . . . dort singt in wilder Wonne Sie einzig und allein im Schein der Abendsonne. C. Fischer B A U D E L A I R E : L E CRÉPUSCULE DU MATIN

Morgendämmerung Die frühwache tönt in den höfen der kasernenDie morgenwinde blasen auf die laternen. Das ist die zeit wo gefährliche träume wehnDie braunen jünglinge auf ihren kissen sich drehn. Die lampe macht in den tag einen roten flecken: So bleibt ein blutiges auge zitternd stecken. Die seele unter des störrischen körpers gewicht

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Die nämlichen kämpfe des tags und der lampe ficht. Wie in einem antütz voll tränen die leise verwischenIn lüften entschwebender dinge schauer sich mischen. Der mann hat am schreiben, die frau hat am lieben genug. Schon sieht man auf einzelnen häusern des rauches flug. Die freudenmädchen mit aschfahlen augendecken Und offenem mund im stumpfen schlafe sich streckenDie bettlerin abgemagert- mit starrendem blutBläst sich auf die finger und bläst in die glimmende glut. Es ist die stunde wo unter frost und entbehren Die schmerzen der Wöchnerinnen sich vermehren.

Wie seufzer gedämpft von erbrochenen blutes schäum Durchdringen die hahnenrufe den qualmigen räum. Ein meer von nebeln badet mauern und dächerDie sterbenden in den winkeln der krankengemächer Stossen beschwerlich die letzten Schluchzer heraus Die sünder von ihrer arbeit matt gehen nach haus. Die morgenröte in rosa und grünem gewande Kommt frierend langsam daher am Seine-strande Und das düstre Paris das den schlaf aus den äugen sich streift • Ein rüstiger alter mann- nach dem Werkzeuge greift. St. George Morgendämmerung Die Reveille erklang schon im Hof der Kasernen Und der Morgenwind blies gegen die Laternen. Ein Schwärm von bösen Träumen plagte in dieser Stunde Braune Knaben im Kissen mit geschlossenem Munde. Gegen das Licht der Frühe, ein blutiges Auge das wallt, Zeichnet als roter Fleck sich der Lampe flackre Gestalt. Seele, herabgezogen von störrischen Leibes Gewicht, Rang im gleichen Kampf wie Lampe und Tageslicht. Tränenüberströmtes Antlitz, getrocknet von Winden, War die Luft voll Schauer der Dinge die entschwinden. Frauen waren müde zu lieben, der Mann zu schreiben.

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Häuser begannen schon Rauch zum Himmel zu treiben. Frauen im Freudenhause sanken, die Lider bleich, Offenen Mundes in tiefen Schlaf nun dumpf und weich. Mit kalten, mageren Brüsten schleppten sich Bettlerinnen, Bliesen auf Scheite und Finger, um Wärme zu gewinnen. In dieser Stunde rangen in Kälte, Elend und Grauen Mit ihren schlimmsten Schmerzen die gebärenden Frauen. Wie ein Schluchzen und Würgen, das im Blutsturz endet, Dunstige Luft zerreißend, der Hahn seinen Schrei entsendet. Die Gebäude rings badet' ein Nebelmeer, Und aus Hospitalen sandten Sterbende her Ihr letztes Röcheln in ungleichen Stößen, erstickt von Schleim. Von Ausschweifungen gebrochen kehrten die Prasser heim. In rosiggrünem Gewände rückt' fröstelndes Morgenrot Langsam näher und näher zur Seine öde und tot, Und das dumpfe Paris rieb die Augen sich leis, Packt' in die Faust sein Werkzeug, arbeitsamer Greis. H. Havemann

Die Morgendämmerung Der Weckruf schallte durch die Höfe der Kasernen, Der Wind der ersten Frühe blies an die Laternen. Die Stunde war, da von der Träume Schwärm verführt Der braune Jüngling sich am Kissen wälzt und spürt, Da einem Auge gleich, das blutig zuckt und zittert, Der rote Fleck der Lampe in den Tag gewittert, Die Seele, von der spröden Last des Leibs bedrängt, Den Kampf der Lampe mit dem Tag in sich empfängt. Wie ein Gedicht, wenn Brisen seine Tränen heilen, Erbebt die Luft vom Flug der Dinge, die enteilen. Vom Schreiben ist der Mann, die Frau von Liebe matt. Der neue Rauch entstieg der häuserreichen Stadt. Die Freudenmädchen, fahl vom Blei der Lider, schliefen Klaffenden Mundes ihren Schlaf, den stumpfen, tiefen, Die Ofenglut, die Finger blies die Bettelfrau, Sie schleppte karge, kalte Brüste durch das Grau. Die Stunde war, wo zwischen Pfennigen und Frösten

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Baudelaire Die Weiber in den Wehen sich nicht mehr getrösten; Wie Schluchzen abgehackt, von Blut erstickt und Schaum, Zerriß der ferne Hahnenschrei den Dunst und Raum, Ein Meer aus Nebel badete die Staatspaläste, Im Winkel des Spitals verendeten die Gäste, In rauhen Stößen fuhr ihr letztes Röcheln aus, Der Wüstling ging von seiner Fron geknickt nach Haus. Im rosig grünen Kleid erschauerte die Helle, Auf öder Seine schwamm sie langsam von der Stelle, Das düstere Paris rieb sich die Augen licht, Nahm Werkzeug auf, den Fleiß im greisen Angesicht. W. Hausenstein

Morgendämmern Fern sang die Tagwacht auf den Höfen der Kasernen, Der Morgenwind blies kühl hin über die Laternen. Es war die Stunde, da in Schwärm von bösen Träumen Auf ihren Kissen sich die braunen Knaben bäumen; Da wie ein blutend Aug, das zuckt und sich bewegt, Die Lampe auf den Tag rot einen Flecken legt, Die Seele sich, bedrängt von störrigen Leibes Tracht, Der Lampe und des Tags Gefecht zueigen macht. Wie tränend Antlitz, das die Winde trocken wischen, Ist voll die Luft vom Graun der Dinge, die entwischen. Zu laß zum Schreiben ward der Mann, die Frau zum Kuß. Zum Himmel stieg schon da und dort der Essenruß. Die Dirnen lagen schwer im Schatten fahler Lider Und offnen Munds im Schlaf ihrer verstumpften Glieder; Das Bettelweib, im Frost von magerer Brust und Lende, Blies seine Kohlen an und blies auf seine Hände. Es war die Zeit, da sich in Frost und Elend mehren Die Wehn der Frauen, die in Armutei gebären; Wie Schluchzen, das ein Blutsturz schaumig unterbrach, Der Hahnenschrei von fern durch zähe Schwaden stach;

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Die Dächer schwammen in des Nebelmeeres Fahle, Und was zu sterben kam in Winkeln der Spitale Stieß letztes Röcheln in ungleichen Stößen aus. Es gingen schlaff vom Werk die Wüstlinge nach Haus. Das Morgenrot bekränzt mit rosagrünem Bande Schlich fröstelnd an der Seine menschenödem Strande, Und dunkel griff Paris, ein fleißiger alter Mann, Die Augen reibend jetzt sein schweres Werkzeug an. K . Schmid

Die M o r g e n d ä m m e r u n g Der Weckruf schallte durch die Höfe der Kasernen; Der frische Morgenwind blies über die Laternen. Die Stunde war, da von der Träume Schwärm umweht Der braune Jüngling sich auf seinen Kissen dreht; Da wie ein blutend Aug, das schmerzlich zuckt und flimmert, Der Lampe roter Fleck im Morgengrauen schimmert, Und da die Seele, die des Leibes Last verspürt, Den Kampf der Lampe mit dem Tage selber führt. Wie ein Gesicht, auf dem im Wind die Tränen heilen, Erschauert jetzt die Luft von Dingen, die enteilen. Das Schreiben fällt dem Mann, der Frau die Liebe schwer. Vereinzelt stieg ein Rauch auf aus dem Häusermeer. Der Dirnen Auge war voll schwerer dunkler Schatten, Nun schliefen offnen Munds sie ihren Schlaf, den satten. Mit fröstelnd karger Brust die Frau am Straßenrand Blies auf die Kohlenglut und blies auf ihre Hand. Die Stunde war es, wo nach Frieren und Entbehren Die Wehn der Weiber sich um vieles noch vermehren; Und wie ein Stöhnen, halb erstickt von Blut und Schaum, Zerriß der Hahnenschrei den dunstig finstren Raum; In einem Nebelmeer die Dächer all ertranken; Im Innern des Spitals verstarben jetzt die Kranken, Beschwerlich stießen sie die letzten Seufzer aus; Der Wüstling ging geknickt von seiner Fron nach Haus.

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Die Morgenröte fror in rosig grünen Schleiern, Auf öder Seine floß sie weiter, dumpf und bleiern; Paris die Augen rieb und düster sich besann, Es griff zum Werkzeug wie ein alter Arbeitsmann. C. Fischer M A L L A R M É : APPARITION

Erscheinung Der mond war in trauer und weinende engel im träum • Den bogen in ihren händen im blumigen räumIm hauchenden- Hessen aus den sterbenden saiten Wie weisse seufzer auf azurne kelche gleiten. Es war deines ersten kusses gesegneter tag. Mein schwärmen quälte mich mit geisselndem schlag Und tauchte mich weise unter im dufte der trauer Der ohne nachgeschmack lässt und ohne bedauern Das pflücken eines traums fürs herz das ihn pflückt. Ich irrte das auge aufs alternde pflaster entrückt Da kamst du mit der sonne im haar auf den wegen Und in dem abend auf einmal mir lächelnd entgegen. Ich glaubte ich sähe die fee im Strahlenhut Die einst überm schlaf des verwöhnten kindes geruht Mit halbverschlossenen händen vorübergleiten Draus weisse sträusse von duftenden Sternen schneiten. St. George

Erscheinung Der Mond war düster. Engel, in der Hand die Geigen, Voll Träumen, trugen weinend durch der Blumen Schweigen Sterbende Veilchen aufwärts, unter weißen Klagen Die blauen Blüten, Nebeln gleich, dahingetragen _. . Es war der Tag, als ich den ersten Kuß empfangen Von dir, - und es berauschte sich in tiefem Bangen Mein Herz am Duft der Traurigkeit, Die ohne Ekel es empfindet, ohne Leid, Wenn es ein schöner Traum beglückt.

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Ich ging, aufs alte Pflaster meinen Blick gedrückt, Als durch die abendliche Gasse jung und klar Du kamst, von Sonnenlicht umsäumt das goldne Haar. Die Fee meint' ich zu sehn, wie ich sie glanzumstrahlt Im Traume meiner Kindheit mir gemalt, Aus den halboffnen Händen schneien lassend weiße Aus duftenden Sternen gewundene Sträuße. K. L. Ammer

Vision Das Mondlicht trübt sich. Die Engel im Weinen Träumend, den Bogen in Fingern, in der Blumen Vereinen Die stumm im Dunstflor, locken mit sterbendem Bogen Seufzer, die weiß der Dolden Bläue durch wogen: Das war der Tag den mir dein erster Kuß geweiht. Mein Sinnen, immer mich zu quälen tief bereit, Schwelgte den täubenden Duft trübsinniger Gedenken Die ohne Bedauern und ohne Reue schenken Die Ernte der Traumfrucht dem Herzen das sie geboren. So irrte ich um, das Aug an das Pflaster verloren, Als in dem Grund der Straße, in dieses Abends Dienst, Du, noch die Haare besonnt, mir lächelnd erschienst, Und ich glaubte die Fee zu sehn mit dem Hut von Licht Die einst im schönen Schlaf der Kindheit mir so dicht Vorüberging, und immer aus schlecht bewahrender Hand Schneiten Sträuße von Sternen weiß duftend über das Land. W. Petry

Erscheinung Der Mond verging vor Trauer. Seraphim in Tränen träumend die Hand am Bogen, ruhig vom Hauch umgössen der Blumen, zogen weiße Seufzer aus den Sehnen sterbender Geigen, die aufs Blau der Kronen flössen. - Es war der Tag, den mir Dein erster Kuß geweiht. Mein Sinnen, mich zu martern immer gleich geneigt, berauschte mit Bedacht sich an dem Duft von Traurigkeit, der einem Traum, hat ihn das Herz gepflückt, entsteigt, selbst wenn es Kummer nicht noch Bitternis gekränkt. Ich schweifte denn, den Blick aufs alte Pflaster eingesenkt,

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Mallarme

als in der abendlichen Gasse, Sonnenlicht im Haar, du mir erschienst mit lachendem Gesicht: ich hab geglaubt, die Fee im Strahlenkran2 2u schauen, die einst auf des verwöhnten Kindes schönen Schlummerauen hinschwebte, nimmermüd aus kaum verschloßnen Händen schneeweiße Sträuße duftiger Sterne zu verschwenden. R. v. Schauka)

Erscheinung Die Seraphinen weinten und der Mond war blaß, Sie träumten in der Stille Dunst im Blumengras, Die Hand am Bogen lockten sie aus matten Geigen Ganz weiße Seufzer über blauen Blütenzweigen. Es war an deines ersten Kusses Segenstag, Und wenn mein Sinnen auch mich oftmals quälen mag, Nun war es wissend trunken von dem Rauch der Trauer, Den selbst ohn späten Reueschmerz und ohn Bedauer Die Ernte eines Traums im Herz läßt, das ihn pflückte. So irrte ich, mein A u g zum Pflaster hin sich bückte, Als auf der Straße und das Haar voll Sonnenlicht, D u mir am Abend lächelnd gingst in mein Gesicht, Und ich glaubte die Fee im Strahlenkranz zu sehn, Wie einst durch meiner Kindheit schöne Träume gehn Und immer aus halboffner Hände Reihen, Sträuße von duftend weißen Sternen schneien. R. Netzer

Erscheinung Der Mond wurde trübe, und Engel, tränenfeucht, zogen Im Blumenduft sinnend mit ihrem Bogen Aus sterbenden Saiten ein weißes Schluchzen hervor, Das sich, entschwebend, im Blau der Kelche verlor; Es war deines ersten Kusses gesegneter Tag. Mein Träumen, das mich so peinvoll zu geißeln vermag, Berauschte sich weise am Duft der Trauer, Der ohne Bedauern, ohne des Nachgeschmacks Schauer Das Pflücken des Traums dem Herzen läßt, das ihn gepflückt. Ich irrte - und habe vom Pflaster nicht aufgeblickt; Da bist Du erschienen, ein Sonnenleuchten im Haar,

Mallarmé Des Abends, lachend, in einer Straße. Es war, Als ob ich die Fee mit dem Strahlenhelm schaute, Die aus sorglosen Kinderträumen Vertraute, Aus deren halbgeöffneter Hand im Entgleiten Sträuße von Sternen duftend herniederschneiten. E. Scheer Erscheinung Der Mond war traurig. Engel weinten in den Traum, Die weißen Seufzer glitten auf dem blauen Saum Der stillen Blumen, von den Fingern, von den Bogen Aus sterbenden Violen in den Duft gezogen. Der benedeite Tag mit deinem ersten Kuß . . . Weil meine Träumerei mich immer foltern muß, Trank sie mit Kunst den Rausch aus dem Geruch der Trauer, Der in dem Herzen bleibt, ob es auch ohne Schauer Und unverstimmt vom Nachgeschmack den Traum gepflückt. Ich lief umher, zum alten Pflaster hin gebückt, Den Blick vernietend - da, die Sonne in den Haaren, Bist du am Abendweg mir lachend aufgefahren. Mir war, ich sah' die Fee mit einem Hut aus Licht. Verwöhntem Kinde ging sie einst, ein Schlafgesicht, So hold vorbei, aus immer schlecht geschloßnen Händen Den Schnee der Sternensträuße, ihren Hauch zu spenden. W. Hausenstein Erscheinung Der Mond war betrübt. Träumende Engel zogen Weinend, in Händen den Bogen, Aus sterbenden Violen weiße Klagen, Sie wurden über das Blau der schweigenden Blüten getragen. Dies war deines ersten Kusses gesegneter Tag. Meine Träumerei, die sich gern Quälereien ergab, Berauschte sich wissend an den Düften, dem Trauern, Die selbst ohne Kränkung und ohne Bedauern Die Ernte eines Traumes in dem Herzen, das ihn gepflückt, verbreiten.



Mallarmé

Da, mein Aug' gesenkt auf das alternde Pflaster im Schreiten, Erschienst du mir in der Straße im Abendlicht, Sonne im Haar und ein lachend Gesicht, Und ich meinte, es wäre in dem Hut der Helle die schönste der Feen, Die einst das verwöhnte Kind in seinen Träumen gesehen, Aus deren halbgeschlossenen Händen im Vorübergleiten Stets weiße Sträuße von duftenden Sternen schneiten. H. Strassova M A L L A R M É : B R I S E MARINE

Seebrise Das fleisch ist trauernd ach ! und alle bücher las ich. O fliehen dorthin fliehn! ich weiss dass vögel trunken Inzwischen unbekanntem schäum und himmel sind. Nichts - auch die alten gärten die das auge spiegelt Nicht - hält dies herz zurück das sich im meere badet. O nächte ! weder die verlassne helle meiner lampe Auf meinen leeren blättern die die weisse schüztNoch auch die junge frau die ihren Säugling stillt. Ich zieh ins ferne. Dampfer das getakel schaukelnd Den anker heb nach einer fremden heissen erde! Ein leid - um grausam hoffen in verzweifelung. Vertraut noch auf der taschentücher lezten gruss • Vielleicht sind diese mästen die die stürme laden Von denen die ein windstoss neigt auf die zerschellten Verlornen • ohne mast noch grüner insel flor . . . Doch- o mein herz - horch horch auf der matrosen chor! St. George Seewind Ach, kläglich das Fleisch! Alle Bücher gelesen! Fliehen! Fliehen hinaus! Trunkene Wesen Sind Vögel, ich weiß, zwischen Himmel und fremdem Geschäume! Nichts, nichts hält mehr dies Herz, daß zum Meere es träume, Nicht mehr im Blicke von alten Gärten das Bild, O Nächte ! die Lampe nicht, einsam und klar und mild Über die Weiße der leeren Papiere gebeugt,

Mallarmé

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Das junge Weib nicht, wenn sie das Kindlein säugt. Reisen will ich! Dampfer, wiege den Mast, Exotischen Sonnen zu hebe die Ankerlast! Ein Härmen, gequält durch der Hoffnungen Grausamkeit, Ist noch ans letzte Lebwohl der Tücher zu glauben bereit. Vielleicht auch wollen die Mäste Orkane locken, Vielleicht wollen Stürme sie quer verlorenen Wracken pflocken, Mastlos, mastlos, nirgends ein Inselhang . . . Doch, o mein Herz, höre Matrosengesang! A . Neumann

Seebrise Mein Fleisch ist dumpf, mein Gott, las aller Bücher Seiten Flieh'n! weitfern flieh'n! Ich fühl's, in Trunkenheiten Schwebt zwischen fremdem Schaum und Blau der Vögel Schar. Nichts, nicht die alten Gärten, die ein Augenpaar Rückstrahlt, nichts hält dies Herz zurück, das in die Wellen Sich taucht: O Nächte! nicht verlass'ner Lampe Hellen Dort auf dem Leer-Papier, des Weiß dem Angriff wehrt; Das junge Weib auch nicht, das fromm ihr Kindlein nährt. Zur Ferne auf! Du Schiff mit deiner Masten Schaukeln, Die Anker hoch! Fahr hin, wo fremde Wunder gaukeln! Ein Überdruß, entsetzt durch Hoffnungsgraus und Spott, Glaubt noch an Tüchergruß und letztes „Zieh mit Gott" . . . Sind's etwa Masten, von Orkanen auserkorne, Und solche, die der Sturm auf Trümmer deckt? verlorne? Bald Schiff nicht mehr, noch Mast? . . . Blustinseln nirgendwo? Und dennoch, Herz! O hör des Seevolks Hohihol F. J . Nobiling

Meereswind Das Fleisch ist traurig, ach! und ich hab ausgelesen. Fliehn! Dorthin fliehn! Du Rausch von Flügelwesen, so zwischen unbekanntem Schaum und Himmel sein! Nichts, nicht im Aug' der alten Gärten Widerschein hält mein ins Meer schon tauchendes, das Herz mir hier noch, o ihr Nächte! auf dem leeren Blatt Papier,

Mallarmé es weigert mir sein Weiß, einsamer Lampe Licht, nein, auch die junge Frau, die dort ihr Kind stillt, nicht. Ich werde weggehn! Dampfer, Masten wiegend, schwanker, lichte nach fremden Wunderwelten deinen Anker I Weh, vor Qual grausamer Hoffnung, glaubt beim Blinken der Tücher noch, daß sie den letzten Abschied winken! Und, nach Gewittern rufend, diese Masten sind vielleicht wie sie auf Schiffbruch niederbeugt ein Wind: dann ohne Mast noch fruchtbar Eiland Untergang . . . Doch, o mein Herz, halt ein, horch der Matrosen Sang! R. v. Schaukai Seewind Das Fleisch ist müde, ach, und alles las ich aus; Fernwärts nur fliehn! Ich fühl der trunknen Vögel Braus, Die zwischen unbekannten Schäumen und Azuren. Nichts, weder in dem Aug der alten Gärten Spuren, Hält dieses Herz zurück, das tief ins Meer sich taucht, O Nächte, noch der Schein, der von der Lampe raucht Aufs leere Bogenblatt, das weiß noch weist zurück, Und noch die junge Frau, - stillendes Kinderglück. Dampfer! Ich fahre fort, schaukle mit deinem Mast, Heb deinen Anker auf zu ferner Tropen Glast. Ein Schmerzen, das zerstört, Hoffnungen graus durchwehn, Glaubt noch dem tücherwinkenden Aufwiedersehn. Und unsre Mäste, die Orkane auf sich ziehn, Vielleicht beugt sie ein Wind auf wracke Planken hin, Verloren, ohne Mast, Meer, inselloses Schwingen . . . Doch, o mein Herz, horch auf, wie die Matrosen singen! R. Netzer Seewind Das Fleisch ist traurig, ach! die Bücher sind gelesen. Entfliehn! nach dort entfliehn! ich fühle, trunknen Wesen Gleich, Vögel zwischen Gischt und Wolken schweben. Nichts - alte Gärten nicht, die sich dem Blicke geben Kann halten dieses Herz, das sich ins Meer versenkt; O Nächte! - auch verlaßner Schein nicht, den die Lampe schenkt

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Dem unbeschriebnen Bogen, in sein Weiß verhüllt, Die junge Mutter nicht, die ihren Säugling stillt. Ich reise! Dampfer takelschaukelnd, südwärts lichte Den Anker; heiße unbekannte Länder sichte 1 Ein Leid, an qualvolles Erwarten preisgegeben oft, Noch auf ein letztes grüßend Tücherwehen hofft. Vielleicht sind jene Masten, die den Wettern winken, Verloren, masten-mastenlos - kein Eiland blüht. . . Doch, o mein Herz, lausch dem Matrosenlied! E. Scheer Seewind Das Fleisch ist traurig, ach, die Bücher ausgelesen. Fliehn! Dorthin fliehn! Ich fühl' der Vögel trunknes Wesen: Sie wollen zwischen fernem Schaum und Himmel sein. Nichts, auch in meinen Augen nicht der Widerschein Der alten Gärten, hemmt dies Herz, im Meer zu schwimmen, O Nächte, noch auch meiner Lampe ödes Glimmen Überm Papier, das, leer und weiß, sich mir verwehrt, Und auch die junge Frau nicht, die ihr Kind ernährt. Ich werde fahren! Dampfer, wiege deine Masten Und trag in fremde, heißre Länder deine Lasten! Ein Leid, das nach grausamem Wahn verzweifeln muß, Vertraut noch auf der Taschentücher letzten Gruß! Die Mäste sind vielleicht ein lockend Ziel den Wettern, Sind solche, die vom Sturm hinabgebeugt zerschmettern, Fruchtbaren Inseln fern, geweiht dem Untergang . . . Doch, o mein Herz, nun hör' auf der Matrosen Sang! W. Willige Seewind Das Fleisch ist traurig, ach, und jedes Buch gelesen. Entfliehen! Vögel sind, ich fühl's, berauscht gewesen Dort zwischen Himmel und dem unbekannten Gischt. Nichts hält mein Herz, das mit den Meeren sich vermischt: Die alten Gärten nicht, im Augenlicht gespiegelt, O Nächte - nicht das leere Blatt, vom Weiß versiegelt, Vom Schein der Lampe in der Einsamkeit verklärt, Auch nicht die junge Frau, die ihren Säugling nährt. 3 Deutsche Texte 2

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Dein Mastwerk schaukle, Steamer! Denn ich will entweichen! Die Anker hoch ! Hinaus zu tropischen Bereichen ! Von falscher Hoffnung trostlos glaubt der Überdruß, Daß ihn der Wink der Taschentücher enden muß. Doch sind die Mäste, stehn sie steil in den Gewittern, Vielleicht von denen, die im Schiffbruch nieder splittern? Kein Mast! Verspielt! Kein fruchtbar Eiland zum Empfang . . . Doch hör' die Schiffer, o mein Herz! Hör' ihren Sang! W . Hausenstein

Meerwind Das Fleisch ist traurig. Alle Bücher ausgelesen. Fliehn, dorthin fliehn ! Ich spür der Vögel trunknes Wesen In Weiten, wo aus Schaum der blaue Himmel bricht. Nichts spiegelt mehr das Aug : die alten Gärten nicht. . . Und nichts mehr hält dies Herz, das in die Meerflut taucht, Die Nächte nicht, da einsam noch die alte Lampe raucht, Mit ihrem Glanz die weißen, leeren Blätter rillt, Und nicht die junge Frau, die zart ihr Kindlein stillt. Ich werde ziehn. O STEAMER deine Masten schwingend, Die Anker lichte du, in fremde Weiten dringend ! Verlorenheit, wo noch die trübe Hoffnung blinkt Und schon vertraut das Taschentuch des Abschieds w i n k t . . . Ihr Mäste tut es selbst und ruft den Sturm zu Gast, Wie um's verschollne Schiff die Gischt, der Meerwind rast. Verloren, ohne Mast und Zuflucht, tief in Windes Tosen Hör dennoch, du mein Herz, das Weltlied der Matrosen ! G . Schneider MALLARMÉ: A U T R E EVENTAIL, DE MADEMOISELLE MALLARMÉ

Der Fächer O Träumerin, daß ich mich trüge zur Wonne, die kein Weg je fand, behalte du durch kühnste Lüge nur meinen Flügel in der Hand.

Mallarmé

Von einer Dämmerung die Kühle hat jeder Schlag dir eingeflößt, der mit gefangenem Gefühle die Weite sanft hinüberstößt. Da schwindelt einem: sieh, nun wehen die Räume wie ein großer Kuß, der, toll, für keinen zu entstehen, unhingenommen kommen muß. Dir ist: ein Paradies verschlüge dein Lächeln jäh zur Unterwelt, daß es in unbeschränkte Züge von deinem Mund hinüberfällt. Das Szepter rosiger Gestade, die spät im Gold erstarrn, das ist der weiße Flug, der sich gerade am Feuer eines Armbands schließt.

R. M. Rilke

D e r F ä c h e r des F r ä u l e i n M a l l a r m é O Träumerin ! auf daß ich dringe Zu reiner Lust weglosem Land, Halt fest in zarter Lüge Schlinge Hier meinen Flügel in der Hand. Sieh, abendkühle Winde breitet Ein jeder Schlag um dich, und sein Gefangner Schwung, der weitet, weitet So zart den Horizont, so fein . . . Mir schwindelt! Fühl's, dem R a u m entschauert Ein großer Kuß, der wie entzückt Auf sein Geborenwerden lauert, Dem, ach, nicht Sein noch Nichtsein glückt. Dies wilde Eden, fühlst du's fließen (Ein Lachen war's, nun schon sein Grab) Aus deines Mundes Burgverließen Zu der nun e i n e n Falte ab?

Mallarmé Das Scepter rosiger Gestade In Abendgolds erstarrter Flut, Dein weißer Flügel ist's, der, grade Geschlossen, ruht an Armbands Glut. F. J . Nobiling

A n d e r e r Fächer (der meiner Tochter) Daß ich in reines Entzücken tauche, wegloses Land, behalte, die Lüge wird glücken, den Flügel in träumender Hand. Dämmer und Kühle gelangen zu dir mit jeglichem Schlag, behutsam entfernt er, gefangen, am Saum den gebreiteten Tag. Schwindel ! Die Weiten erschauern wie ein großer Kuß, der begann und, Narr für niemand zu dauern, nicht heraus noch zur Ruhe kann. Fühlst verhüllt wie ein Lächeln Du schleichen, das am Rande des Munds Dich verließ, scheu zum Grunde der immer sich gleichen Falte das Paradies! Der die rosigen Ufer so lange über goldenen Abenden trug, den Stab ans Feuer der Spange legst Du, weißen geschlossenen Flug. R. v. Schaukai

Der Fächer des F r ä u l e i n M a l l a r m é O Träumende, faß meinen Flügel Mit deiner Hand, auf daß ich gleite An der Unwirklichkeiten Zügel Zu wegeloser Wonnen Weite.

Mallarmé

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Es weht mit jedem neuen Schlag Dir eine frische Dämmerung, Den Hori2ont erweitet zag Des eingefangnen Fächeins Schwung. O Taumel! siehe, es erbebt Der Raum nun wie ein grosser Kuß, Der wild und niemandem noch lebt, Noch stillt, noch tränkender Erguß. Fühlst du des Paradieses Brand Wie ein verhülltes Lächeln und Wie's rinnt von deines Mundes Rand Zu der geeinten Faltung Grund. Ein Zepter rosenhafter Hügel Im Gold des Abends, unbewegt, Ist nun der weiß geschloss'ne Flügel, An deines Armreifs Glanz gelegt.

R. Netzer

E i n anderer F ä c h e r von Fräulein Mallarmé O Träumerin, daß ich mich schlüge Glückwärts in wegloses Land, Bewahre, durch zärtliche Lüge, Meinen Flügel in deiner Hand. Ein Atem von Abendfrische Kehrt sich zu dir bei jedem Schlag, Dessen Hauchen die Ferne verwische, Daß der Horizont schwanken mag. O Schauer! Nun spüre erbeben Den Raum als Kuß, der im Bann Der Betrübnis, für niemand zu leben, Nicht blühn, nicht verschweben kann. Fühl, wie sich ein Lächeln versteckte Im Winkel des Munds, so zurück In den Fächer, der schloß und es deckte, Sank das berauschende Glück.

Mallarmé Der als Szepter ob Küsten waltet, Über Rosen und Gold, unbewegt, Der Fittich ist's, der sich gefaltet An das Feuer des Armbands legt.

F. Usinger

Ein anderer F ä c h e r des F r ä u l e i n M a l l a r m é O Träumerin, auf daß ich tauche In ein Entzücken ohne Weg, Versteh's, subtilen Trugs zu halten Am Flügel mich in deiner Hand. Ein frischer Hauch von Abendluft Kommt dir mit jedem Auf und Ab, Indessen sich der Horizont Zart am gefangenen Schlag verliert. O Taumel, es erzittert, sieh, Der Raum in einem grossen Kuß, Der irr für niemand zu entstehn, Nicht enden kann noch Frieden finden. Fühlst du das wilde Paradies, Wenn nun ein Lächeln eingehüllt Sich aus dem Winkel deines Munds Einmütig mir ins Herze faltet? Der Herrscherstab der rosigen Ufer Von Abendgold begrenzt, - er ist's, Der abgeschloss'ne Flug, den du Weiß an des Armbands Feuer legst. K. Reidemeister M A L L A R M É : PETIT AIR

Kleines Lied Irgendeine Einsamkeit Ohne Kai und ohne Schwan Spiegelt seine Sonderheit In den Blick, den ich getan.

Mallarmé Hier von hoher Gloriole Niemals angerührtem Schein Gleitet Abendaureole Mancher Himmelsbuntheit ein. Doch mit leiser Brunst vergleitet Gleichend wehend weißem Linnen Flüchtiger Vogel, wie geleitet Rings von Jubiliererinnen. In den Wassern du Gestalt, Nackte jauchzende Gewalt!

A. Neumann

Irgendwo All-Einsamkeiten Irgendwo All-Einsamkeiten - Ohne Schwan, kein Flußsteg, nichts Spiegeln nur Gewesenheiten In dem Blick, nun voll Verzichts Auf des eitlen Prunks Berücken, Das zu hoch, ungreifbar, loht, Wann sich bunt die Himmel schmücken In goldschwangerm Abendrot. Flücht'ger Vogel, wehmutsträchtig, - Ist es weißes Linnen nicht? Schwebt und gleitet: aber mächtig, Jauchzend taucht ins Wellenlicht - Wurdest eins jetzt mit der Welle Deiner Nacktheit Hymnenhelle. F. J. Nobiling

K l e i n e Weise Einsamkeit irgend beiseiten ohne den Damm noch den Schwan spiegelt ihr Außerdenzeiten im Blick, den ich abgetan

Mallarmé hier vom unfaßbar Hohen, das manchmal am Himmel strahlt, wann er mit Gold aus dem Lohen der sinkenden Sonne sich malt. Aber schmachtend streicht im Verschweben wie Wäsche weiß lagernd entlang flüchtend ein Vogel, wo neben in die Woge voll Überschwang taucht, die geworden ist, was Du Jubel der Nacktheit bist. R. v. Schaukai

Kleines Lied Eine vage Einsamkeit, Ohne Ufer, ohne Schwan, Spiegelt nun Vergessenheit In gewandter Blicke Bahn - , Von des Ruhmes Höh', so leer, Unerreichbar jeder Hand, Hier im golddurchwirkten Meer Abendlicher Himmel Brand. Aber voller Sehnsucht weit, Weiß wie Leinen draußen liegt, Tauchst mit jubelndem Geleit, Wie ein Vogel rasch entfliegt, Mit den Fluten im Verein, Nackte, Jauchzende, du ein. R. Netzer

Kleine Weise Einsamkeit, wie Wellenwehen Ohne Schwan und Ufersaum Spiegelt zögernd ihr Vergehn, Wissend, daß ich eitlem Traum

Mallarmé

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Hier entsage stolz beglückt; Ruhmes Höhe winkt wohl hold Und so mancher Himmel schmückt Sich mit des Vergehens Gold. Aber sehnsuchtsvoll bereit, Weit, wie Linnen blühet weiß, Wie ein Vogel flüchtig streift Jauchzend stummer Wasser Kreis, Wirst du in der Wellen Reich Deinem nackten Jubel gleich! A. Müller-Biirldin

Kleines Lied Welch eine Einsamkeit Ohn' Schwan und ohne Kai Legt ihren Spiegel fremd Vors Aug, dem ich entsagt. Hier ist das Ruhmeslicht Hoch unberührbar weit, Womit manch Himmel sich Am goldnen Abend schmückt. Doch sehnend ziehts dich hin, Das blanke Linnen schwindet. Ein Vogel, jauchzend, taucht, Entzücken dir zur Seite, In Woge, die du wurdest, Dein nackter Jubel ein. K. Reidemeister

Kleines Lied Fern ein Teich voll Einsamkeit Ohne Ufer ohne Schwan Spiegelt die Verlassenheit Eines Blicks der abgetan.

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Mallarmé Und ein Ruhmeskranz hängt weit Unberührt von Mensch und Wahn Wo zur Dämmerung bereit Schaukelt goldner Wolken Kahn. Nur geweihte Müdigkeit Ruht im Gras wie weißes Linnen Wenn sein Jubellied beginnen Will ein Vogel scheu zur Seit. Wo dir jauchzend in den Wellen Deine nackten Arme schwellen. — E. Jaime

M A L L A R M É : S E S PURS ONGLES . . .

In W e i h e h e b e n d h e l l e r N ä g e l . . . In Weihe hebend heller Nägel Sardonyx, Stützt Fakelträg'rin A n g s t - Nacht ist's - manch feierschweren Spättraum, im Abendrot verbrannt vom Goldphoenix . . . Kein Urnenkrug wird Aschen je dort Schutz gewähren Auf den Kredenzen! Leer der Raum! hier ist kein P t y x , Entthronter Nippesschmuck, voll töneschwangrer Leeren . . . (Vergessenstränen schöpfen ging der H e r r zum Styx Mit diesem e i n e n Stück, das N i c h t s würdig zu ehren.) Doch nah dem Fenster, das dort nordwärts klafft, stöhnt bleich Ein G o l d : vielleicht in Spiegelrahmens gläserm Reich Einhörner, die mit Funkenspritz ein Nixlein drängen : S i e , nackte Schöne, die im Spiegel stirbt, obgleich Sich ins Vergessen, das der Rand umschließt, einzwängen Des Bären sieben Glitzersterne allsogleich. F. J . Nobiling

Mallarmé

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Sehr hoch gereckt der blanken Nägel Onyxpracht, hält manchen Abendtraum, wie Phönix sie verbrannte, die Angst, als Leuchterträgerin, heut Mitternacht, Asche, von keinem Krug auf ein Gerät gebannte, im leeren Saal, der hier, Tand, um sich selbst gebracht, erhallend von Vergeblichkeit, die Urne kannte (Tränen am Styx zu schöpfen hat sich aufgemacht der Meister in die würdig nur dem Nichts verwandte.) Doch nah dem gegen Norden offnen Fenster stirbt etwas aus Gold, vielleicht am Zierat, der's umwirbt: Einhörner Feuer auf eine Nixe schießend, Sie, tote Wolke, noch als Spiegelbild zerfließend, während in dem Vergessen, das verschlossen dunkelt vom Rahmen, dauernd schon der Siebenklang erfunkelt. R. v. Schaukai

M A L L A R M É : LE TOMBEAU D ' E D G A R POE

Das Grab von E d g a r Poe Wie ihn nun Ewigkeiten in sich selbst verschönen, Erweckt der Dichter jetzt, das Nackt-Schwert in der Hand, Sein Dumpf-Jahrhundert, starr, daß es nicht d i e s erkannt: Mors Imperator sprach aus diesen sondern Tönen. Wie Vipernbrut aufzischt, so schrien, wie er den Söhnen - Der E n g e l ! - sprach vom reinem Sinn, den er den LandUnd Stammesworten gab, so schrien sie: „Mordio, Brand! D e r trank im Schandschleim schwarzen Gifts sich solches Höhnen.' ' Erdhaftem feind und Wolken feind! Weh euch und Ach! . . . Ist unser Meißelarm für ein Relief zu schwach, Um Poes lichtweißen Gruftstein zu umranken, Den Still-Block, der aus dunklem Trümmerfelde fiel, Soll wenigstens der Grabgranit erbau'n die Schranken, Für Läst'rungs Zukunftsflug und Schwarz-Schwarm Halt und Ziel. F. J . Nobiling

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Mallarmé Das Grab Edgar Poes

Erst in sich selbst verwandelt von der Ewigkeit aufscheucht mit nacktem Schwert der Dichter das verstörte Jahrhundert, das des Todes Siegsgesang nicht hörte in dieser unerkannten Stimme Seltsamkeit. Sie, weil der Engel, der landläufigem Wort vor Zeit reinern Sinn verlieh, die Vipernbrut empörte, verschrien den Zaubertrank, der flutend sie betörte, als eine schwarze Mischung der Verworfenheit. Dem Boden und der Wolke gleich Feindselige, weh! So draus gemeißelt unserm Geist kein Bild ersteh, womit Poes Grab sich halb erhaben blendend schmückte, ruhiger Block, aus dunkelm Unheil her verirrt: daß, Grenzstein, der Granit auf immer doch entrückte der Schmähung Krähenflug, der in die Zukunft schwirrt! R. v. Schaukai

Das Grab von E d g a r Poe So wie die Ewigkeit ihn in sich selbst verwies, Steht nackten Schwertes nun der Dichter da, Aufstörend seine Zeit, die schrickt, daß sie nicht sah, Wie diese Stimme schon der Tod sein eigen hieß. Sie, eitlen Wahnes, daß nur eine Hydra zischt, Wenn sich der Engel müht ums Wort, dem Volk zu Danke, Verschrien sich laut, es sei ein Zauber in.dem Tranke, Den er hinabgestürzt mit Schande, trübgemischt Aus Boden bös, der Wolke Haß. O Schmerzgewalten 1 Will der Gedanke uns daraus kein Bild gestalten, Womit das Grabmal Poes zu seinem Ruhm sich schmücke, Granit, herabgestürzt aus dunklem Sternengrund, Dann stelle dieser Stein für immer doch sein Rund Dem schwarzen Flügelschlag entgegen künftiger Tücke. F. Usinger

Mallarmé

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M A L L A R M É : M E S BOUQUINS REFERMÉS

Schloß meine Schmöker z u . . : Schloß meine Schmöker zu beim heil'gen Paphos-Wort. . . Nun lockt's mich, mir zu küren, nur kraft Gnadenträumen, Fern, fern ein Trümmerschloß, geweiht von Wellenschäumen, Von Hyazinten einst'ger Siegestage . . ., dortl Nun stürm' mit Todessensenschweigen her der Nord ! : Will leer Geheul und Grablied dem nicht gegenbäumen, Wenn dieser Schlohweißtanz auf Bodens e c h t e n Räumen Sagt Nein zu jeder f a l s c h e n Landschaft Ehrenhort. Mein Hunger, dem auf Erden hier nicht Früchte reifen, Weiß sich aus ihrem weisen Fehlen Obst zu greifen . Und ob du aufbrichst, Frucht aus Fleisch, des Duft berückt, Den Fuß am Herd, wo unsrer Liebe Schlangenkrone Versprüht, denk ich der a n d e r n lange, wohl verzückt Des Feuerbusens der antiken Amazone ! Variante zur letzten Strophe: Den Fuß am Herd, wo Liebe uns verglimmt zur Rüste, Denk ich der a n d e r n lange, ja, vielleicht, verzückt: An der antiken Amazone Feuerbrüste. F. J . Nobiling

Mit Paphos' Namen schloß ich meine Seiten, Nun will ich mir mit einzgem Geist erträumen Eine Ruine, hell von tausend Schäumen Von Hyazinthen, fern von Sieges-Zeiten. Stürmt auch der Frost mit seinem stummen Schwert, Ich will mich nicht in leeren Klagen bäumen, Wenn auch der Schneefall auf den kahlen Säumen Dem Land nie Ehre falschen Lands gewährt. Mein Hunger, dem hier keine Früchte reichen, Findet in ihrem weisen Fehl den gleichen Geschmack wie düftevolles, fleischlich Leben!

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Mallarmé Am Ofenfeuer flackern unsre Lüste, Da denk ich lang an andre hingegeben, An einer Amazon verbrannte Brüste. R. Netzer

Beim Namen Paphos schlug ich meine Bücher zu. Nun lockt zu wählen mich, was der Gedanke häuft: Die Trümmerstätte, dran das Meer in Schäumen läuft, Bei Hyazinthen, fern, und frühen Ruhmes Ruh. Komme die Kälte rasch mit stiller Sicheln Biß, Ich werde darum keine leere Naenie tönen, Will dies sehr weiße Spiel am Grund des Bodens höhnen Die Ehre überall der Landschaft ungewiß. Mein Hunger, der an keiner irdischen Frucht sich stillt, Aus wissender Entbehrung schöpft er gleiche SüJße, Wie aus des Menschen Leib, zu Glanz und Duft gewillt. Auf einem Feuerbock, da Liebe schürt, die Füße, Wohl länger denke ich, der ich in Träumen wohne, An die verbrannte Brust antiker Amazone. F. Usinger

Das Buch beim Namen Paphos zugeschlagen Gefällt es mir, dem Geist dies zu erwählen: Ruinen fern von Tagen des Triumphes Mit tausend Hyazinthen überschäumt. Schwingt auch die Kälte lautlos ihre Sense, Ich breche nicht in leere Klage aus, Wenn das sehr weiß Entsprungne rings am Boden Der falschen Landschaft nicht die Ehre gibt. Mein Durst, der sich an keiner Frucht hier stillt, Schmeckt im bewußten Mangel einen Duft, So wie er sich aus nackten Leibern hebt. Den Fuss am Ofen, den die Liebe schürt, Denk ich, vielleicht zu lange hingegeben, An Andres, süsser Amazone Brust. K . Reidemeister

Mallarmé

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Beim Namen Paphos s c h l u g i c h m e i n e B ü c h e r zu Beim Namen Paphos schlug ich meine Bücher zu, und laß nun meinen Geist den alten Turm umspielen, um dessen Trümmer-Einst schaumselig sprühn die vielen Salzwellen: ferner Ruhm und veilchenfarbne Ruh. Mag auch der starre Frost mit stummer Sichel mähn, kein leeres Totenlied klagt drum mit meinem Munde, wenn in dem blendenden Weißwirbel überm Grunde geträumte Bilder mir und wirkliche vergehn. Mein Durst, den keine Frucht der Erde kann erquicken, weiß in ihr Fehlen sich gelehrten Trosts zu schicken: so sei die Eine mir aus Fleisch und Duft bestimmt! Die Füße vorm Kamin, wo unsre Liebe glimmt, sinn' ich der Andern nach, daß reiner Wunsch mich lohne: der ausgebrannten Brust antiker Amazone.

P. Gan

VERLAINE: CHANSON

D'AUTOMNE

Herbstlied Seufzer gleiten Die saiten Des herbsts entlang Treffen mein herz Mit einem schmerz Dumpf und bang. Beim glockenschlag Denk ich zag Und voll peinen An die zeit Die nun schon weit Und muss weinen.

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Verlaine Im bösen winde Geh ich und finde Keine statt. . . Treibe fort Bald da bald dort Ein welkes blatt.

St. George

Herbstlied Höre ich die Harfenlaute Des Herbstes nahn, Füllt sich mein Herz, Mein verwundetes Herz, Mit tiefster Sehnsucht an. Nun schlägt die Stunde . . . O, wie alles wehe Und bleich erscheint. Ich denke an ferne Versunkene Sterne, Und meine müde Seele weint. Mit schwankenden Schritten, Heimatlos Irre ich hin durch den Wind . . . Irre, irre Den Blättern gleich Blättern, Die abgestorben sind . . . H. Bethge Herbstlied Den Herbst durchzieht Das Sehnsuchtslied Der Geigen Und zwingt mein Herz In bangem Schmerz Zu schweigen.

Verlaine

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Bleich und voll Leid, Daß die letzte Zeit Erscheine, Gedenk' ich zurück An fernes Glück, Und ich weine. Und so muß ich gehn Im Herbsteswehn Und Wetter, Bald hier, bald dort, Verweht und verdorrt Wie die Blätter. W . v. Kalckreuth

Herbstgesang So dumpfen Reigen Die Herbstgeigen Stöhnen, Daß sie im Herzen Wie stumpfe Schmerzen Dröhnen. Gewürgt vom entsetzten Gewissen beim letzten Schlage, Denk ich an meine Jugend und weine Und klage! Ich segle blind Mit bösem Wind Der hat Sein Spiel, feldaus, feldein Treibt er mich hin wie ein Totes Blatt. E. Hardt 4 Deutsche Texte 2

Verlaine Herbstlied Mit deinen langen Schluchzenden bangen Bogenstrichen entfärbst Du grausam das arme, Tränenwarme Herz mir, geigender Herbst! Wenn wieder in Hast Die Stunde schlägt, Erstick ich fast, Und mich bewegt Mit unendlicher Traurigkeit Die Vergangenheit. Dann trott ich blind Im bösen Wind, Der mich ergreift, Wie er ein Blatt, Welk und matt, Raschelnd schleift. R. v.

Herbstlied Herbstgeigenklang Wie Seufzer bang verklingend Trifft tief mein Herz, mit Sehnsuchtsschmerz es zwingend. Erstickend und bleich gedenke ich weich und alleine beim Stundenschlag an den fernen Tag und weine.

Verlaine

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Es treibt mich fort bald hierhin, bald dort, und ich finde keine Ruhestatt, wie das welke Blatt im Winde. M. Lehts

Herbstlied Mein Herz erwacht. Es rauscht die Nacht. Wann tagt es? Wohin, du Herz? Novemberwärts, So klagt es. O Stundenschlag, Begann mein Tag Mir jemals? Vergaß ich dein, Du holder Schein Von ehmals? Der nichts gewinnt, Im schlimmen Wind Zu dauern, Vergeht wie Laub Und weht im Staub Der Mauern. G. v. d. Vring

Herbstlied Geigen Des Herbstes, Wie schluchzet ihr tief! Brecht mir das Herz, Das voll Sehnsucht rief! 4*

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Verlaine Weinend Steh ich . . . Die Stunde verrinnt . . . Einstiger Tage Gedenkend, wie taub . . . Frierend Treibt mich Ein kalter Wind, Hierhin Und dorthin Wie totes Laub! G. Haug

Es seufzen und stöhnen in einsilbgen Tönen die Violinen des Herbstes, und Trauern und Sehnsucht durchschauern mein Herz mit ihnen. Die Dinge verschwimmen, da die Uhren anstimmen, im bleichen Scheine; erinnernd beklage ich alte Tage, und ich weine. Und ich mache mich gehen im widrigen Wehen der wehmütigen Stadt, und nach hier und nach dort trägt es mich fort wie ein totes Blatt. J. Maass

Verlaine

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Herbstlied Die langen Seufzer der Geigen im Herbstesreigen verwunden mein Herz mit ihrem einschläfernden Schmerz. In bleichem Bangen Und voll Verlangen Gedenk ich wieder beim Glockenschlage der alten Tage und weine. So irre ich weiter im bösen Winde, verweht und matt, von Ort zu Ort, bald hier, bald dort. . . Ein welkes Blatt. H. Kehrli

Herbstlied (alemannisch) E Gigeklang So lang und bang Im Spotjohr, Dä chunnt mym Sinn Im Lüden inn So dot vor. Müed, bleich, verschmacht I schier und Schlacht En Uhr derhäre Denkt mer e Stund, Vo amme, chunnt Mer s'Pläre.

Verlaine No gangi so Wie Aine, wo Zuem Raub fallt Im Wind, dohi Dörthi, I bi Dot Laub halt. H. Burte V E R L A I N E : L A LUNE BLANCHE

Helle Nacht Weich küßt die Zweige Der weiße Mond. Ein Flüstern wohnt Im Laub, als neige, Als schweige sich der Hain zur Ruh; Geliebte du. Der Weiher ruht, und Die Weide schimmert. Ihr Schatten flimmert In seiner Flut, und Der Wind weint in den Bäumen: Wir träumen - träumen Die Weiten leuchten Beruhigung. Die Niederung Hebt bleich den feuchten Schleier hin zum Himmelssaum: O hin - o Traum — R. Dehmel H e l l e Nacht Der Mond, der weisse, blinkt durch den Hain, es wiegt sich leise das Laubwerk ein in flüsternde Ruh . . . Geliebte du!

Verlaine

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Der tiefe Weiher spiegelt klar mit schwarzem Schleier ein Weidenpaar . . . Der Wind weint immerzu . . . Lass uns träumen, du! Es schwebt eine weiche Beruhigung vom Sternenreiche zur Niederung . . . Wie schimmern alle Pfade! Oh Stunde der Gnade! F. Evers

Im Walde leuchtet . . . Im Walde leuchtet Der weiße Mond, Der Nebel feuchtet, Ein Raunen wohnt In allen Zweigen . . . O du mein Eigen! Die schwarzen Rüstern Spiegelt der Teich, Die Winde flüstern So tränenweich In diesen Bäumen . . . O laß uns träumen! Es ist hienieden, Als taute sacht Ein tiefer Frieden Aus blauer Nacht Sternhellem Grunde . . . Die süße Stunde! O. Hauser

Verlaine

Vom Mondenschein ist Der Wald so blaß. Im ganzen Hain ist Ein Flüstern, das Vom Laubdach tönte: O Vielersehnte! Im tiefen Teiche Bespiegeln lind Sich schwarze Sträuche, Es weint der Wind In Weidenbäumen . . . Zeit ist zu träumen. Ein zartes Schweigen Scheint sanft und rein Herabzusteigen Vom Dämmerschein Der Sternenrunde . . . Das ist die Stunde. W. v. Kalckreuth

Nun hüllt der weiche Mondenschein Den Wald in bleiche Fluten ein. Von allen Bäumen Ruft's wie aus Träumen . . . Der Weide Schatten im Weiher Scheint Ein schwarzer Schleier. Leise weint Der Wind im Dunkeln . . . Die Sterne funkeln. Seliges Schweigen Schwebt und hält Die Schwingen im Neigen Über der Welt. . . Sanft sinkt es nieder: Schließe die Lider . . . R. v. Schaukai

Verlaine

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Der weiße Mond Leuchtet im Holz, Wo er gewohnt, Flüsternd zerschmolz Des Laubdachs Ruh: Geliebteste Du! Auf Silberseide Malet der Teich Das Bild der Weide . . . Ein Wind schluchzt weich Im schwarzen Baum: Nun suchet den Traum! Trostreiche Milde Sinkt nah und fern Vom blauen Gefilde, Das still der Stern Rosig erhellt. . . : O Feier der Welt. E. Hardt

Mondnacht Durch Waldesdüster Das Mondlicht webt. Heimlich Geflüster Im Blattwerk bebt Und raunt uns zu . . . Geliebte du! Im Silberkleide Schlummert der Teich. Die schwarze Weide Spiegelt sich bleich. Der Wind in den Bäumen Rauscht. . . Laß uns träumen!

Verlaine

Ein tiefer Friede Vom Himmelszelt Neigt sich hernieder Zur stillen Welt. Es leuchtet die Runde . . . O selige Stunde! v. Oppeln-Bronikowski Des Mondes Scheibe Scheint überm Wald, Von allen Zweigen Weht es bald Und fragt in die Runde. So Mund auf Munde! Im Teich gespiegelt Zu Lieb und Leide Hängt schwarz versiegelt Die Trauerweide Dem Wind am Munde. Weile o Stunde! Durchs unhörbare Wehn der Welt Wandelt das klare Sternenzelt Stunde um Stunde. Bleib mir im Bunde!

G. v. d. Vring

Der Mond, der bleiche, schwebt überm Wald im ganzen Bereiche ein Flüstern mir schallt aus den Zweigen zu: . . . Geliebte du!

Verlaine

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Im Weiherspiegel, schwärzlich vereint, stehn Weiden und Hügel, der Abendwind weint in dunklen Bäumen: . . . Komm, laß uns träumen! Und Mondenschimmer besänftigend fällt mit süßem Geflimmer vom Himmelszelt auf jede W u n d e : . . . O selige Stunde! M. Lehrs

Der blasse Mond Glänzt im Gesträuch. Ein Stimmlein bebt Aus jedem Zweig Und schwebt zu dir O Liebste mir! Im Weiher scheint, Tiefschwarz, doch mild, Als Schattenbild Der Weidenbaum. Der Nachtwind weint. . . O Schlaf! O Traum! Wie dehnt sich weit Die Einsamkeit! Der Himmelsraum Erfüllt sich ganz Mit Farbenglanz . . . Still steht die Zeit! G. Haug

Verlaine Über den B ä u m e n Über den Bäumen Steht weiß der Mond; In allen Träumen Des Laubes wohnt Ein Lied-Verschweben . . . O Du - o Leben Spiegelnd im Weiher Hängt schwarz und still Der Weide Schleier; Ein Windhauch will Noch leis verwehen . . . Laß stumm uns gehen. Traumtiefen Frieden Hat mild die Nacht Der Welt beschieden; Hoch schreitet sacht Die Sternenrunde . . . Horch: unsre Stunde - ! A. Schoenhals

Das weiße Mondlicht glänzt im Wald; von jedem Ast im Laube fällt ein leiser Laut. . . O Liebste . . . Des Teiches Spiegel widerstrahlt das dunkle Bild der Weide, drin der Wind wehklagt. Jetzt ist die Stunde, träumen wir!

Verlaine

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Ein weiter sanfter Friede scheint herabzuwehn vom Himmel, den der Mond verklärt. . . Es ist die Zeit der Seligkeit. H. Kehrli

V E R L A I N E : B R U X E L L E S ( C H E V A U X DE BOIS)

Das Karussell Dreht, dreht euch, hölzerne Rösselein, Dreht euch hundertmal, dreht euch tausendmal, Dreht euch oft, dreht euch immerzu ohne Zahl, Dreht, dreht euch zum Ton der Hoboen fein! Strammer Bursch und die dickste der Küchenfeen Sitzen auf und tun ganz so, wie wenn sie zu Haus, Denn heute sind sämtliche Herrschaften aus, Im städtischen Lustwald spazieren zu gehn. Dreht, dreht euch, ihr Herzensrößlein, herum, Was kümmert denn euch der durchtriebne Filou? Ihr dreht euch, der Gauner guckt listig euch zu Dreht, dreht euch - es siegen die Trompeten undTrumm. Entzückend, das macht ja betrunken beinah, In so einer Reitbahn zu reiten, hurrjeh! Im Leibe so wohl und im Schädel so weh, Und so massenhaft: »oh!« und so massenhaft: »ah!« Dreht, dreht euch, ihr habt nicht nötig, mein Treu, Die Sporen zu brauchen beim runden Galopp, Kommandos zu geben bei Hupp und bei Hopp, Dreht, dreht euch, es geht ohne Häcksel und Heu.

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Verlaine

Nun eilt euch, ihr Rößlein der Lust, mit Tamtam, Schon senkt sich die Nacht, und ein Ende muß sein, Der Tauber will weg mit dem Täubchen allein, Vom Jahrmarkt fern und fern von Madame. Dreht, dreht euch! Mit goldenen Sternen beset2t Der Himmel allmählich sein samtenes Kleid. Der Schatz und die Schätzin verschwinden beiseit . . . Dreht, dreht euch - die Pauke dröhnt toll bis zuletzt. K. Henkell Brüssel (Ringelspiel) Im Kreis, du gutes Ringelspiel, und hundermal und tausendmal, dreh dich im Kreis und ohne Zahl zum zärtlichen Oboenspiel. Auf deinen Pferdchen schwingt sich hin Soldat und Kindermädchen breit; den beiden wirds im Walde weit so heimelig und gut zu Sinn. Und Pferdchen ihrer Liebe, dreht euch im Turnier, das der Patron blinzelnd mit halbem Aug errät, dreht, dreht euch zum Trompetenton. Wie das berauscht, o wundervoll, in diesem Zirkus eng und dumm, dem Kopf tuts weh, dem Bauche wohl, und Glück und Unglück um und um. Im Kreis, ihr Pferdchen, die man nicht zu spornen braucht, und immer neu lauft im Galopp nach eurer Pflicht und hofft auf Hafer nicht und Heu.

Verlaine

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So eilet, Pferdchen ihrer Seelen, denn da bricht schon die Nacht herein, den beiden Täubchen hold zu sein, wo Leutnant und Madam nicht quälen. Dreht euch! Schon leuchtet wunderbar des Himmels Samt und Sternlein all. Zur Seite schreitet brav das Paar. Dreht euch zum frischen Trommelschall! M. Brod

Karussellpferde Par saint Gille, Viens nous-en, Mon agile Alezan. (V. Hugo)

Dreht euch, dreht euch, brave Pferde, Hundertmal und tausendmal, Dreht euch immer, dreht euch gerne, Dreht euch zum Trompetenschall. Militär und dicke Bonne Sind auf euch wie nie zu Haus, Hingelehnt in eitel Wonne, Wang an Wang und Brust heraus. Dreht euch, dreht euch, Liebesgäule, Immer links im Ring herum. Ins Geschwirr der bunten Säule Blinzelt rings das Publikum. Volles Glück, dahinzubrausen. Trommel dumpf und Hörner klar. Liebeslust und Schädelsausen, Schaudervoll und wunderbar.

Verlaine

Dreht euch, dreht euch, muntre Schecken. Niemand spornt euch Hüh und Höh, Niemand läßt euch Zucker lecken. Dreht euch, dreht euch, sowieso. Vorwärts! Hurtig! Bald im Laube, Wenn der Tag ins Dunkel rann, Sucht der Tauber sich die Taube, Fern von Jahrmarkt und Madam. Dreht euch, dreht euch! Droben kleiden Schon die Sterne sich in Gold. Hinter Scheiden kommt das Meiden, Wenn die letzte Trommel rollt. G. v. d. Vring

Holzpferdchen Dreht euch, gute Pferdchen, dreht euch weiter, Hundertmal, und tausendmal, und ohne Ruh'! Dreht euch oft, ihr Pferdchen, dreht euch immerzu, Dreht euch, die Oboen klingen heiter. Plump der Bursche, plumper noch die Maid; Beide reiten auf den Pferdchen gern, Und sie fühlen sich so ganz als Herren In dem Walde von La Cambre heut'. Dreht euch, liebe Pferdchen, dreht euch alle! Dort ein Gauner augenzwinkernd steht, Während munter ihr die Runden dreht; Dreht euch zu der Siegeshörner Schalle! Wie euch das berauscht I Welch ein Genuß, So zu fahren in dem Kreis, dem dummen, Lust im Bauche, in dem Schädel Brummen, Lust und Weh zugleich im Überfluß.

Verlaine

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Dreht euch, ohne daß es nötig sei, Daß die Sporen jemals euch verwunden, Anzufeuern euch zu schnellen Runden. Dreht euch, dreht euch, wenn's auch gibt kein Heu. Eilt euch, Pferdchen, denn die Nacht wird lau, Schon beginnt sie mählich zu erscheinen, Täuberich und Taube zu vereinen, Fern dem Jahrmarkt, fern der gnäd'gen Frau. Dreht euch, dreht euch; denn das Himmelszelt Kleidet langsam sich mit gold'nen Sternen, Und die Liebespärchen sich entfernen. Dreht euch! Heit'rer Trommelwirbel gellt. P. Lövenich

Ringelspiel Sankt Aegid' Bitt' schön, bitt', Bring das rote Füchslein mitl (V. Hugo)

Dreht Dreht Dreht Dreht

euch, dreht euch, gute Pferdchen alle, euch hundert, tausend Mal herum, euch öfter, immer dreht euch um, euch, dreht euch beim Oboenschalle I

Der Soldat, das dickste Kindermädchen Sind auf eurem Rücken wie zu Haus. Herrschaftlicher sehn sie heute aus Hier im Lustpark auf dem Rädchen. Dreht euch, Rößlein ihrer Hochgefühle, Laßt den blöden Gaffer immer stehn, Schielt er auch, euch im Turnier zu seh'n, Dreht euch, dreht euch, beim Trompetenspiele! Herrlich, wie euch das behagt, so enge In dem dummen Kreis zu jagen; Schädelbrummen, Lust im Magen, Lust in Fülle, Weh in Menge I 5 Deutsche Texte 2

Verlaine Dreht euch, daß es nicht mehr nötig, J e die Sporen euch zu geben, Und den Rundlauf so zu heben, Dreht euch und seid ohne Heu erbötig I Eilt doch, Rößlein ihrer Seelenliebe 1 Seht, schon sinkt die Nacht hernieder, Tauber sucht sein Täubchen wieder, Fern von Hausfrau und Getriebe. Dreht euch, dreht euch! Gold'ne Sternlein sprengen Schon das Kleid des Himmels, samtverbrämt. Seht! Zwei Liebchen gehn schon ganz verschämt. . . Dreht euch, dreht euch froh bei Trommelklängen! G. Haug VERLAINE:

GREEN

Green Hier siehst du blätter früchte blumenspenden Und hier mein herz • es schlägt für dich allein! Zerreiß es nicht mit deinen weißen händen! Laß dir die kleine gäbe teuer sein. Ich komme eben ganz von tau noch blinkend den kühler wind an meiner stirn gefriertGeruhe daß sie dir zu füßen sinkend in teurer rast die müdigkeit verliert. Mein haupt noch dröhnend von den letzten küssen Laß michs an deinen jungen busen tun Daß es genest von starken wettergüssen Und laß mich da du schläftst ein wenig ruhn! St. George Green Hier hast du Zweige, Blätter, Früchte, Blumenspenden Und hier mein Herz, es schlägt ja einzig dir allein. Zereiß' es nicht mit deinen feinen, weißen Händen: Dir Schönen möge lieb die schlichte Gabe sein.

Verlaine

6?

Noch ganz bedeckt von klarem Tau will ich dich grüßen, Der meine Stirn erfrischt im kühlen Morgenwind. Laß den Ermatteten ausruhn zu deinen Füßen, Daß seine Müdigkeit in sel'gem Traum zerrinnt. Und laß mein Haupt an deinem jungen Busen liegen, Mein Haupt, das noch von deinen letzten Küssen bebt; Mag nach dem freien Sturm mein Herz in Ruh sich wiegen Und schlummern, da auch dich ein leiser Schlaf umweht. W. v. Kalckreuth Green Sieh, hier sind Früchte, Blumen, Blätter, Zweige und hier mein Herz, das nur an dich noch glaubt 1 Zerbrich es nicht mit deinen Händen! Neige der kargen Gabe mild dein schönes Haupt. Ich komm, vom Tau bereift der Morgenauen, der Wind hat ihn auf meiner Stirn erstarrt. O laß ihn träumend schon ins Aug dir schauen, darin er süßer Auferstehung harrt! Gestatte, daß den Kopf ich an dich bette. Noch hallen deine Küsse durch ihn hin. Gewähr nach solchem Sturm die Ruhestätte: erwachend schaur' ich selig, wo ich bin. R. v. Schaukai Green Hier hast du Früchte, Blumen, Blätter, Zweige Und hier mein Herz, das deines nur ergötzt. Nimm's mit den weißen Händen hin und zeige, Daß nicht gering dein schönes Aug' es schätzt. Ich komm', noch ganz bedeckt vom Tau der Frühe, Den glitzernd mir der Wind ins Antlitz blies. O leid' es, daß ich müde vor dir kniee, Bis daß ein kurzer Traum mich ruhen ließ. 5»

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Verlaine Ganz klingend noch von deinen letzten Küssen, Laß ruh'n mein Haupt auf deiner jungen Brust. O mach mich still, vom Sturme hingerissen, Und gib ein wenig Schlaf, indes du ruhst! G. Haug Green Hier Früchte, Zweige, Blätter, Blütenspenden, und hier mein Herz - das nur für dich will schlagen. Zerreiß es nicht mit deinen weißen Händen, und lieb sei dir, was schlicht dir zugetragen. Ich komm zu dir mit Perlentau behangen, und fühle Morgenwind die Stirn mir kühlen; laß mich, den Müden, deine Knie umfangen, im Traum des Augenblicks Entspannung fühlen. Laß ruh'n mein Haupt, das Düfte noch umzittern von deinen Küssen, an der jungen Brust; gib Stille ihm nach trunkenen Gewittern und flücht'gen Schlaf, indes du selber ruhst. M. Rieple Green

Hier hast Du Früchte, Blumen, blättergrüne Zweige, Und hier nimm noch mein Herz. Es schlägt für Dich allein. In Deinen Händen halt's, zu denen ich mich neige, Und laß Dein schönes Aug' der Gabe gnädig sein I Ich komme ganz vom frischen Morgentau gebadet, Der mir im kalten Frühwind an der Stirne fror. Nun mich die Müdigkeit zu Deinen Füßen ladet, Gönn' ihr den lieben Traum, daran sie sich verlor. Laß mich in Deinen jungen Schoß das Haupt hinbetten, Das rauschend noch von Deinen letzten Küssen klingt, Und laß im Schlaf das aufgewühlte Blut sich glätten Vom süßen Sturmwind, der auch Dich in Schlummer singt. A. Schoenhals

Verlaine

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Green Nimm Früchte hier, die Blätter an den Zweigen, Und hier mein Hetz, es schlägt für dich, es ist ganz dein. Zerreiß es nicht mit deinen weißen Händen, laß es bleiben Und flehn zu deinen schönen Augen, Gabe dir zu sein. Bedeckt von Tau komm ich, mit dem die Morgenwinde Die Stirne und die Haare kühlend mir genetzt. O dulde, daß zu deinen Füßen ich die Ruhe finde, Von jenen Stunden träumend, die mein Herz in Rausch versetzt. An deinen jungen Busen laß mein Haupt mich betten, In dem noch deine letzten Küsse widerhallen; Hier werden sich die sturmbewegten Wellen glätten, Und während du noch ruhst, laß mich in Schlaf hier fallen. H. Strassova V E R L A I N E : KASPAR

HAUSER

Kaspar Hauser singt: Sanften blickes ein stiller waise Zu großer Städte getös Kam ich auf meiner reise Niemand nannte mich bös. Im zwanzigsten jähre ein grauen (Man heißt es auch liebesglut) Gab mir die Schönheit der frauen Sie waren mir nicht gut. Wenngleich ohne heimat und erben Wenngleich ich für tapfer nicht golt • Im kriege wollt ich sterben. . . Der tod hat mich nicht gewollt. Kam ich zu spät* zu frühe? ich weiß nicht wie mirs ergeht. O ihr all! schwer ist meine mühe Sprecht für mich ein gebet! St. George

Verlaine Lied Kaspar Hausers Ich kam so fromm, ein Waisenkind, das nichts als seine stillen Augen hat, zu den Leuten der großen Stadt; sie fanden mich zu blöd gesinnt. Mit zwanzig Jahren ward ich klug und fand die Frauen schön und gut; sie nennen das die Liebesglut. Ich war den Fraun nicht schön genug. Ohne Vaterland und Königshaus, und wohl auch kein sehr tapfrer Held, wollt ich den Tod im Ehrenfeld; der Hauptmann schickte mich nach Haus. Kam ich zu früh, kam ich zu spät in diese Welt? was soll ich hierl Ach Gott, ihr lieben Leute ihr, sprecht für den Kasper ein Gebet I R. Dehmel

Kaspar Hausers Lied Bin einst, ein armes Waisenkind, mit meinen Augen, den stillen und frommen, zu den Leuten der Stadt gekommen: die fanden mich nur bös und blind. Mit zwanzig Jahren lernt ich verstehn, wie einen die Flammen der Liebe verzehren, nach holden Frauen trug ich Begehren: aber sie fanden mich nicht schön. War ohne König und Vaterland und bin kein besonderer Held gewesen, doch hab ich im Feld mir den Tod erlesen: aber der Tod gab mir nicht seine Hand.

Verlaine

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Zu früh geboren oder zu spät, was soll ich auf dieser Welt beginnen? Ein wilder Kummer verzehrt mich tief innen . . . Sprecht für den armen Kaspar ein Gebet! F. Evers Kaspar Hauser spricht: Ich kam, ein scheuer Waisenknab', zur Stadt: da hat man bald gefunden, Daß ich, in meinen Mußestunden, Das Pulver nicht erfunden hab\ Und als ich zählte zwanzig Jahr', Erlebt' ich was, das war noch schlimmer: Schön fand ich jedes Frauenzimmer, Doch - keine fand, daß ich es war. Dann, ob auch Fremdling hier wie dort Und kein Held, ließ ich mich anwerben Und wollt' als Held im Kriege sterben: Der Tod, - der nahm mich nicht beim Wort. Kam ich zu früh, zu spät ans Licht? Kann Kaspar denn noch ärmer werden? Was tut der Ärmste hier auf Erden? Ihr Leute, betet für den Wicht! O. Haendler Kaspar Hauser Ich kam zur Stadt, ein Waisenkind, Mein Reichtum nur die stillen Augen. Was sollt' ich unter Menschen taugen? Sie fanden mich zu dumm, zu blind. Da plötzlich, wie aus Himmelshöhn, Kam, als ich zwanzig Jahre zählte, Ein Glühen, das mich neu beseelte Die Frauen fanden mich nicht schön.

Verlaine Dann, königslos und heimatlos, Im Kriege wär' ich gern gestorben Ich habe keinen Ruhm erworben, Empfangen nicht den Todesstoß. Kam ich zu früh, kam ich zu spät In diese Welt? O habt Erbarmen Mit mir, dem Ärmsten aller Armen, Und sprecht für Kaspar ein Gebet. O. Hauser

Caspar Hauser singt: Als schlichter Waise, reich genug an meiner Augen stillem Scheine, Kam ich zur Stadt, fremd und alleine, Die Männer fanden mich nicht klug. Mit zwanzig Jahren wurde ich Im Feuer der verliebten Sinne Der Weiber süßer Schönheit inne: Doch freilich schön fand keine mich. Wenn auch in keines Königs Sold, Ich Heimatloser Ruhm erworben, Wär' gern ich doch im Krieg gestorben, Doch hat der Tod mich nicht gewollt. Kam ich zu früh, kam ich zu spät In diese Welt voll herber Trauer? Was soll mir, ach, des Lebens Dauer? Denkt an mich Armen im Gebet! W. v. Kalckreuth

Das Lied Kaspar Hausers Wie ich als Waise, still und stumm, Reich nur durch der Augen tiefern Sinn, Zu den großen Städten gekommen bin, Da fanden alle mich dumm!

Verlaine Mit zwanzig Jahren ist's geschehn, Daß, wie Liebe heiß, ein Verlangen Nach der Schönheit der Frau'n mir aufgegangen Doch fanden sie mich nicht schön! Wohl war mir nicht König noch Vaterland hold; Mein Mut bot nicht eben Gewähr. Doch schien mir der Tod im Krieg nicht schwer. Doch der Tod hat mich nicht gewollt. Kam ich zu früh zur Welt, zu spät? Ich weiß nicht,was ich hier soll! O, wenn ihr es fühltet! Das Maß ist voll! So sprecht für den Kaspar ein Gebet! G. Haug

Kaspar Hausers Klage Zu Menschen in der großen Stadt gekommen Bin ich, ein stiller Waisenknabe Mit sanftem Auge meiner einz'gen Habe: Sie haben meine Einfalt nicht für ernst genommen. Als Jüngling ist mir neues Leid erwacht, Verwirrtes Sehnen ließ mich jäh erglüh'n Und trunken vor der Frauen Schönheit niederknien: Sie haben sich nicht viel aus mir gemacht. Ich hab' kein Vaterland, ich habe keinen König, Auch ist's um meinen Mut nicht gut bestellt, Ich wollt' im Kriege sterben wie ein Held: Es machte sich der Tod aus mir indessen wenig. Bin ich zu früh, bin ich zu spät geboren ? Was soll mir überhaupt dies trübe Erdenlos? Ach, seht, mein Leid ist unaussprechlich groß! Sprecht ein Gebet und sagt mir: Bin ich ganz verloren E. Scheer

Verlaine Lied Kaspar Hausers Ich kam, ein stilles Waisenkind, Mit nichts als Augen, heimatlosen. Die Menschen in der Stadt, der großen, Sie waren mir nicht gut gesinnt. Mit zwanzig Jahren warf der Trug Der Liebe mich in süßes Grauen. Ich träumte heiß von schönen Frauen: Sie fanden mich nicht schön genug. Nicht Vaterland, nicht Königs Sold, Nicht Ruhm hat mir mein Stern gebracht. Ich rief den Tod an in der Schlacht: Der Tod hat nichts von mir gewollt. Kam ich zu früh, kam ich zu spät In diese Welt? Daß niemals taget Mein tiefes Leid? - Ach, Leute, saget Dem armen Kaspar ein Gebet I A. Schoenhals

VERLAINE: L E CIEL EST, PAR-DESSUS LE TOIT

Einkehr Das Glöckchen überm Dache da tönt heut so weise. Das Bäumchen überm Dache da bewegt sich leise. Der Himmel überm Dache da steht klar und stille. Die Lerche überm Dache da singt: es gescheh dein Wille.

Verlaine

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Mein Gott, wie liegt das Dasein da: wie Ruhebetten. Und da, die ferne Unruh da kommt aus Werkstätten. O Du, o Mensch - Du da, Du da mit deinen Klagen! was hast du angefangen, Mensch, mit deinen Jugendtagen?! R. Dehmel

Es glänzt der Himmel über dem Dach So blau, so stille. Ein Baum wiegt draußen über dem Dach Der Blätter Fülle. Eine Glocke im Himmel, den du siehst, Hörst sanft du klingen, Einen Vogel auf dem Baum, den du siehst, Seine Klage singen. Mein Gott! Mein Gott! Das Leben fließt dort Ohne Leiden und Härmen, Vom Städtchen kommt mir herüber dort Ein friedliches Lärmen. Und du dort, der weint bei Tag und Nacht In schmerzlicher Klage, O sage mir du dort, wie hast du verbracht Deine jungen Tage? W. v. Kalckreuth

Der Himmel über dem Dache so blau, so lind! Ein Baum wiegt über dem Dache den Wipfel im Wind.

Verlaine Die Glockenklänge drüben verschweben leise. Ein Vogel im Baume drüben klagt seine Weise. O Gott, dort ist das Leben, in Einfalt und Ruh! Dies Raunen der Stadt ist L e b e n Und du?! . . . Was weinst du bei Tag im Stillen, weinst laut in der Nacht? Was hast du, um Gotteswillen, aus deiner Jugend gemacht! R. v. Schaukai

Im G e f ä n g n i s Der Himmel, drüben über dem Dach in tiefblauem Schweigen, ein Baum, drüben über dem Dach mit wiegenden Zweigen. In dem Himmel, den man sieht, klingts wie von Glocken, ein Vogel auf dem Baum, den man sieht, singt sein Frohlocken. Mein Gott, mein Gott so friedlich und schön! D a s dort ist Leben. In der Stadt drüben dieses frohe Getön und Summen und Weben. Und du, der du hier weinst, durchs Gitter lugend, was hast du gemacht, sag, der du hier weinst, mit deiner Jugend? C. Flaischlen

Verlaine Der Himmel ist am Dache dort So blau, so lind! Ein Wipfel dicht am Dache dort Schaukelt im Wind. Die Glocke in dem Himmel dort So traulich klingt, Ein Vogel in dem Baume dort Wehklagend singt. Mein Gott, mein Gott, die Welt liegt da Schlicht - still und glatt, Das liebe leise Raunen da Kommt aus der Stadt. Was hast Du getan - oh Du dal Weinst nun voll Pein! Sage, wie hast Du verbracht - oh Du da! Die Jugend Dein? E. Hardt Der Himmel ist dort über dem Dach Der Himmel ist dort über dem Dach So blau, so lind! Ein Baum bewegt sich über dem Dach Und wiegt sich im Wind. Die Glocke im Himmel, welchen du siehst, Klingt leise und zage, Ein Vogel des Baumes, welchen du siehst, Singt seine Klage. Mein Gott, mein Gott, das Leben ist dort So ruhig und glatt, Das friedliche ferne Getöse dort Kommt von der Stadt. O sprich, was tust du, der du dort stehst Und weinst immerzu, Mit deiner Jugend, der du dort stehst: Was tatest du? A. Neumann

Verlaine Im G e f ä n g n i s Es lacht der Himmel überm Dach so blau, so lind! Des Baumes Wipfel überm Dach wiegt sich im Wind. Eine Glocke am Himmel, den du siehst, tönt leise - leise, ein Vöglein, das im Baum du siehst, singt seine Weise. Mein Gott, mein Gott, das Leben ist dort, so still und heiter, ein friedvoll Rauschen klingt von dort mir weit und weiter. O der du dort weinest, sag mir an, weinest ohn Unterlaß: was hast du mit deiner Jugend getan? O sage mir: was ? M. Lehrs

Der Himmel am Dach liegt So still, so rein. Der Baum dort am Dach wiegt Die Krone hinein. Die Glocke im Blau klingt So süß und müd. Der Vogel im Baum singt Sein Klagelied. Mein Gott, ist dies Leben Hier still und voll Ruh. Verworrene Laute nur schweben Mir zu. -

Verlaine - Was hast du, du einsamer Weiner, Sag an, Was hast du mit deiner Jugend getan? G. Haug Der H i m m e l ist ü b e r dem D a c h . Der Himmel ist über dem Dach Voll Blau und Schweigen! Ein Baum rauscht über dem Dach Sacht in den Zweigen. Die Glocke im Himmel oben Leise erklingt. Ein Vogel im Baume droben Klagevoll singt. O mein Gott! hier das Leben Ist einfach und glatt. Friedlich Gesumm von eben Tönt aus der Stadt. Was hast du getan, der Du hier Tränen vergießt, Was hast Du getan, dem Dir Die Jugend verfließt? E. Scheer Der Himmel dehnt sich überm Dach so still, so blau! Ein Baum wiegt linde überm Dach, den Wipfel, schau! Am Himmel, den man sieht, so leis die Glocke klingt, ein Vogel in dem Baume dort so klagend singt.

Verlaine Das Leben, Gott, mein Gott, ist hier einfach, voll Ruh; ein friedlich Raunen aus der Stadt nur hörest du. »Was tatest du, der immerdar in Tränen wacht? Was hast aus deiner Jugend, sag, du nur gemacht? H. Kehrli

D e r H i m m e l ist ü b e r d e m D a c h Der Himmel ist über dem Dach So blau und so linde. Ein Baum wiegt über dem Dach Den Wipfel im Winde. Die Glocke am Himmel, den man sieht, Sie läutet so leise, Ein Vogel im Baume, der dort blüht, Singt klagende Weise. Mein Gott, oh wie ist das Leben dort Voll Ruhe, gelassen, Nur friedlich Lärmen kommt von dort Aus Straßen und Gassen. Was tatest denn du, der du nur Weinst ohn' Unterlassen? Sag' an, wo hast du denn nur Die Jugend gelassen?

P. Wantzen

Der H i m m e l . . . Der Himmel ist hoch dort über das Dach so blau geschmiegt! Ein stiller Baum hoch über dem Dach die Krone wiegt.

Verlaine

8i

Die Glocke im Himmel, den man erschaut, süßlockend schwingt. Ein Vogel im Baume, den man erschaut, aufschluchzend singt. Mein Gott, mein Gott, das Leben hier geht so stillen Gang. Verhaltenes Lärmen der Stadt nur weht hier leis entlang. Was tatest du, sprich, der du nun hier so weinst immerzu, mit deiner Jugend, o sage mir, was tatest du?

M. Rieple

Der H i m m e l d r ü b e n überm Dach Der Himmel drüben überm Dach So blau, so linde, Ein Nußbaum drüben überm Dach Wiegt sich im Winde. Weich schwingt im Himmel, den man sieht, Das Mittagläuten. Ein Fink im Nußbaum, den man sieht, Singt in die Weiten. Mein Gott, da geht das Leben hin Auf klaren Bahnen, Da raunt die Stadt ihr Weben hin Wie leises Mahnen: Was ward aus Dir, der Du so weinst, Herüber lugend, Sag doch, was ward, der Du so weinst, Aus Deiner Jugend?

A. Schoenhals

6 Deutsche Texte 2

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Verlaine VERLAINE: A R T POÉTIQUE

Dichtkunst Du sollst es nicht nach Regeln zwingen, Laß dein Gedicht im Winde wehn, Laß es gelöst zu Hauch zergehn : Musik, Musik vor allen Dingen 1 Wähl nicht das WortI Mag sich verbinden, Was sich begegnet ungefähr I Was nüchtern steht, ist plump und schwer. Laßt uns berauschte Lieder finden. Augen wie Schleier, sie verstecken Den Mittag, wie sein Schweigen schwingt, Das Licht, wie's in der Nacht ertrinkt : Das wollen wir im Wort erwecken. Wir wollen Farbe nicht, nur Schatten, Den leisen feinen Übergang, Die Schwingungen, den halben Klang, Daß Träume sich mit Träumen gatten. Wie Gift meid schnöden Witz und »Geist«, Flieh die verruchten Mörder »Spitzen«, Darauf gespießte Silben sitzen, Den Knoblauch, der die andern speist. Das Rückgrat brich der Rednerei Und halte deinen Reim im Zügel, Er trägt dich sonst mit frechem Flügel In Schäferwölkchenbimmelei. Wer wird ihm die Epistel lesen, Den taub ein Kind, ein Neger fand Und uns vererbt als Unterpfand, Daß taub und blöd ein Mohr gewesen ! Noch einmal denn: Musiki und nur Musik! Und sei dein Vers die Seele, Die sich wie eines Vogels Kehle Tönend verbreitet im Azur.

Verlaine

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Und sei dein Vers wie durch die Saaten Im Morgentau der Frühlingswind Mit zärtlichem Geriesel rinnt . . . Der Rest gehört den Literaten! R. v. Schaukai Dichtkunst Musik, vor allen andern Dingen! Und nur die Ungeraden zählen in der Kunst, Die unbegreiflicher vergehn im Dunst Und nicht mit Schwere, nicht mit Pose ringen. Verachtungswürdig muß es Dir erscheinen Zu wägen auf der Zunge jedes Wort genau Was ist denn herrlicher als eines Liedes Grau, Wo Ungewisses sich und Klares einen? Es ist wie schöne Augen hinter einem Schleier, Als ob ein heißer Tag in Mittagsglut erbebe, Und unter einem herbstlich lauen Himmel schwebe In blauem Durcheinand' ein Sternenfeuer. Nuancen, nur Nuancen! singen wir von vorn, Denn grelle Farben wären ganz verfehlt, Und weiches Übergleiten nur vermählt Die Träume miteinander, Flöte mit dem Horn. Vermeide ängstlich mörderische Geistesblitze, Und Pointen, Spitzen, jede noch so kleine, Damit das milde Auge des Azurs nicht weine, Und unterlasse scharfe Würze, leere Witze. Zwing' die Rhetorik schonungslos ins Knie! Und alldieweil Du grad im Zuge bist, Schau, daß der Reim disziplinierter ist, Was sonst noch werden könnte, weiß man nie. O wieviel Torheit birgt der Reim, wie schlecht Hat ein verrückter Mohr, ein taubes Kind Geschmiedet diesen eitlen Tand geschwind, Der unterm Feilen hohl erklingt und wenig echt? 6*

Verlaine

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Musik denn einzig, immer nur Musik! Dein Vers sei wie ein Hauch, der leis entschwebt Aus einer Seele, sich in freiem Fluge hebt Zu jenen neuen Himmeln und zu neuem Glück. Laß ihn auf ungewisser Abenteurerspur Im frischen Morgenwind verweh'n nach hier, nach dort, Im Duft von Minz und Thymian treiben fort. . . Das andere ist Literatenmache nur. E. Scheer Dichtkunst Ein Hauch Musik tut not vor allen Dingen, Nimm gerade drum den ungeraden Reim, Der unbestimmter und auch löslicher wird sein, Nichts in sich trägt, das künstlich nur will klingen. Auch tut es not, daß Wort zu Wort sich schart, Frei von Versehen und von Unterlassen: Kein Lied kann herzlicher das Herz erfassen Als jenes, drinnen Schein mit Sein sich paart! Das Das Das Das

ist wie schöne Augen tief im Schleier, ist wie heller Tag in grellem Mittagsglast, ist, in milde Herbstluft himmlisch eingefaßt blaue Funkeln klarer Sternenfeier.

Wir sehen stets nur Licht und Schatten gern, Die Farbe nicht, allein nur die Schattierung! Oh, die Nuance gibt uns erst die Führung Von Traum zu Traum, von der Schalmei zum Horn. P. Wantzen (vom Übers, gekürzt) Musik, Musik vor allen Dingen! Unpaare Reime ziehe vor, Gewichtlos werden sie im Ohr Wie linder Lüfte Lied erklingen:

Verlaine

Ein Ein Ein Dir

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Schleier gibt dem Blick erst Ferne, großer Mittag schwimmt im Licht, stiller Tag im Herbst verspricht blaues Funkeln klarer Sterne.

Nur die Nuance sei erkoren, Die reine Farbe sei verwischt: Nur die Nuance, die sie mischt, Gibt Traum, gibt Klang den Ohren. Drum fort die zugespitzten Worte, Den harten Sinn, das blöde Lachen, Die Küchenscherze die entfachen Nur Tränen an der Himmelspforte. Wir wollen das Geschwätz ermorden Und wirken mit der ganzen Kraft, Daß nie der zarte Reim erschlafft Noch uns entweicht zu dunklen Borden. Musik, Musik zuerst und immer: Dein Vers sei ein gewichtlos' Ding, Das leicht entschwebt von Ring zu Ring Zu andrer Liebe lichtem Schimmer. Dein Vers ein Abenteuer nur Wird sanft vom Morgenwind verweht, Wo Minz' und Thymian blühend steht. . . . Und aller Rest ist »Literatur«. E. Jaime (vom Übersetzer gekürzt)

RIMBAUD: LES E F F A R É S

Die verstörten

Kinder

Im Schnee, vorm hellen Keller, hocken Fünf Kleine, schwarz bis zu den Socken, Ein Kreis Popos,

Rimbaud Sie sehn: dort drinnen macht der Bäcker Das Brot, ach je, so blond und lecker. Noch ists ein Kloß. Den schiebt er nun mit starken Armen Zum Ofen, ohne ein Erbarmen, Ins Loch ganz rot, Man hörts schon knistern, brutzeln, reifen Und hört den feisten Bäcker pfeifen. Das gute Brot! Sie knieen, ohne sich zu rühren: Gleich einer Brust, so warm zu spüren, Hauchts aus dem Schacht, Jetzt kommt das Brot, wie Zuckereier So schön geformt, für welche Feier Noch in der Nacht? Und in dem rußigen Gewinde Die Kruste singt, die duftige Rinde, Und Grillen auch, Ihr kleines Kinderherz belebt sich Und unter ihren Lumpen hebt sich Der arme Bauch. Fünf Jesuskindlein draußen kauernd, Im dunklen feuchten Nebel schauernd, Sehn starr durchs Glas, Die dünnen Mäulchen, die sich drücken Ans Gitter, murmeln durch die Lücken Irgend was: Sie beten zuckend, dumme Kleine, Zu dieses offnen Himmels Scheine, Den Leib verdreht,

Rimbaud

So heftig, daß die Hosen reißen Und daß ihr Hemd im scharfen weißen Wintersturm weht. A. Wolfenstein

Die Verzückten Im Nebel schwarz, in Schnee und Feuchte, Am Kellerhals wie eine Leuchte, Knielings, o Not, Im Kreis die Hintern, sehn die Kleinen Den schweren blonden Laib erscheinen, Das frische Brot. Der weiße Arm walkt unverdrossen, Der graue Teig wird eingeschlossen, Das Loch ist Licht. Das gute Brot! Sie hören's machen, Der Bäcker singt ein Lied, ein Lachen Im Schalksgesicht. Sie kauern, ohne sich zu regen, Dem Dunst des roten Schlunds entgegen, Dem warmen Schoß. Das Brot entfährt zu spätem Schmause Dem Herd, gleich dem Pastetenhause Geformt und bloß; Den angerauchten Balken dringen Die Düfte zu, die Krusten singen, Die Heimchen auch; Die Kluft, sie atmet wie das Leben! Mit Leib und Seele hingegeben Dem heißen Hauch,

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Rimbaud Bereift, in lauter Lumpen spüren Die Armen das Gelüst sich rühren, Sind alle dort; Die kleinen Rosenmäuler kleben Am Gitter, murmeln auch daneben Ein halbes Wort; Sie beten dumm, vom Glanz befangen, Als war' der Himmel aufgegangen - O Jesuskind! Die Hosen platzen von dem Sitzen, Die Hemdlein zittern aus den Schlitzen Im Winterwind. W. Hausenstein Die Verstörten In Nebel und in Schnee ist schwarz umstellt Das große Kellerloch, von Glut erhellt; Ach, welche Notl Fünf kleine Kerlchen, knieend und gekrümmt, Schau'n, wie der Bäcker aus dem Ofen nimmt Das gold'ne Brot. Sie seh'n den starken weißen Arm bereiten Den grauen Teig und dann sein Übergleiten Ins helle Loch. Sie müssen großen Auges überwachen das gute Brot, das Bäckers sattes Lachen; Was summt er doch? Geduckt, bewegungslos, daß Gott erbarm! Die Luft an diesem Kellerloch ist warm Wie Mutters Brust. Für irgendeine große Festlichkeit Steh'n viele Kuchen da, gar hoch und breit. Ach,welche Lust!

Rimbaud Im rauchgeschwärzten Balken ist Gesang Der Krusten, lieblich duftend, braun und lang, Und Grillenleid. O dieses feuerrote Loch ist Leben! Und ihre Seelchen ganz beglückt erbeben Im Bettelkleid. Das Dasein finden sie so wunderschön, Die armen Kleinen, die vor Frost vergehn; Sie weichen nicht Und kleben ihre kleinen feuchten Mäulchen Fest an die Stäbe, brummein wohl ein Weilchen Ins rote Licht, Ganz täppisch, und sie sprechen ihr Gebet In dieses Warm, das aus dem Himmel weht, Gebeugt im Schnee, So tief, daß ihre Höschen dabei reißen, Im Winterwind die weißen Hemdchen gleißen; Groß ist ihr Weh! E. Scheer

Die Verzückten Im Schneedunst dort die Hosenmätzchen; Fünf Hinterchen wie schwarze Bätzchen! So sieht die Not, Tagglanz in seinen Nachtbezirken, Durchs Kellerloch, den Bäcker wirken Das liebe Brot. Da kneten Arme, starke weiße, Und formen Laibe, die das heiße Lichtloch verschlingt. Das Brot fängt leise an zu krächeln; Der Bäcker sich mit sattem Lächeln Ein Liedchen singt.

Rimbaud Der regungslos geduckten Runde Zuströmt ein Hauch vom Kellergrunde Ein wohlig Glück. Der Schießer holt - zu welchem Schmause? Die Brote aus der Feuerklause Fein Stück für Stück. Die Grillen singen im berußten Gebälke mit den Knister-Krusten Ein Festduett; Das steigt und hebt zu dumpfen Süchten; Den Fünfen will die Seele flüchten Aus lumpgem Bett; Sie wähnen selbst so gut zu leben, Doch ihre Körperchen erbeben, Es ist so kalt; Fünf rosenrote Schnäuzchen drücken Mit warmem Kuß den Gitterrücken; Dazwischen lallt Ein frommes Wort mit frommem Hoffen, Als stünd der ganze Himmel offen, Ein jedes Kind; Die ausgespannten Höschen reißen, Die Hemdchen flattern an den Steißen Im Winterwind. F. H. Herrmann

Die Entrückten Schwarz, düster in Nebel und Flocken Fünf arme Kleine hocken Am Kellerloche, das loht, Mit runden Rücken und gaffen Und sehen den Bäcker schaffen Das schwere blonde Brot.

Rimbaud

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Sie sehen die Arme rühren Den grauen Teig und ihn führen Ins Ofenloch, rotheiß Sie hören die Brote backen Und der Bäcker, mit feisten Backen, Singt eine alte Weis Sie kauern da, keiner rührt sich Der Atem des Ofens spürt sich Wie einer Mutter Brust Und wenn für Fastnachtsschmause Geformt wie Kringel zur Jause Hervortaucht das Gekrust Wenn Rauche um Balken schwingen Und hauchend die Brote singen Und die Heimchen dazu Dann füllt der Raum im Schwelen Mit hellem Entzücken die Seelen Und Löcher in Rock und Schuh Die Kleinen, im Frost noch eben, Fühlen sich herrlich leben Alle vor diesem Loch 1 Die klebenden rosigen Schnuten Singen am Gitter vom Guten Und Schönen, leise jedoch! Es ist ein Gebet, ein Flehen Zum Himmel, den sie sehen Über dem Ofenrost: Und doch so stark, daß Hosen Reißen und weisen die losen Zipfel dem Wind im Frost! H. Burte

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Rimbaud RIMBAUD: BATEAU IVRE

Das trunkene Schiff Da ich mitleidslose Ströme abwärts treibe, Fühlte ich von Schleppern mich nicht mehr geleitet. Rothaut griff sie brüllend, pflockte sie als Scheibe, Nackt an bunten Pfahl genagelt und gespreitet. 5 Wenig kümmerten mich alle Schiffsmannschaften, Der ich Korn von Flandern, Twist von England trug. Als die Brüller meine Schlepper tödlich strafften, Ließ der Strom doch meinem Willen freien Flug . . . Süßer als das saure Apfelfleisch dem Kind 10 Hat die grüne Flut mein Tannenholz durchdrungen, Wusch mir Flecken, die vom Wein und Brechen sind, Und hat Steuer und den Anker fortgeschwungen. Und dann badete ich mich in dem Gedicht Dieses Meeres, milchig hell und sterngegossen, 15 Spellend Grünazure, wo als fahle Schicht Ganz versonnene Ertrunkne tiefwärts flössen. Wo, die Bläue plötzlich färbend, Wahn und Schwang Langer Rhythmen unter Tag-Gelbröte schwären, Mächtiger als Alkohol und Leierklang, 20 Und der Leidenschaften bittre Rötel gären. Blitzgeborstne Himmel weiß ich und den Strom, Brandung, Wirbel; und ich weiß das Nachtgeschehen Und den taubenhaft verzückten Morgendom; Manchmal sah ich, was der Mensch gewähnt zu sehen. 25 Niedre Sonnen sah ich, mystisch schreckgefleckt, Lange violette Strahlenrinnen schnellen, Wie ein Spieler alter Dramen, der sich streckt, Sah die Schauderschaufeln rollen in den Wellen.

Rimbaud

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Grüne Nächte träumte ich in Schnee und Eis, 30 Küsse, die zum Meeresblick gemach sich stufen, Und der unerhörten Säfte Wandelkreis Und der Phosphorsänger gelb und blaues Rufen. Monatsregeln, gleichend mutterkranken Küh'n Folgte ich: den Fluten, die an Riffe springen, 36 Und bedachte nicht: Leuchtfüße der Marien Konnten Mäuler schlächtiger Ozeane zwingen . . . Ich, das Schiff, in Bucht und Schlinggewirr verloren, Ich, in vogellosen Äthers Stürmebett, Selbst von segelschnelien Hansamonitoren 40 Nie gegriffnes wassertrunkenes Skelett. . . Ich, der Zittrer, fühle fünfzig Meilen weit Brunst der Behemots, des Maelstroms schweren Schwall, Ewigen Spinners blauer Unbeweglichkeit: Ich beklage dich, Europa, alt im Wall. 45 Sternenarchipele sah ich! Insel, deren Fieberhimmel breit über dem Schwimmer klafft. Die verbannt du schläfst: Urnächte überqueren Tausend goldne Vögel, zukünftige Kraft? Doch ich weinte viel zu viel. Die Früh trägt Leid, so Jeder Mond ist wild, die Sonne bitter schwer. Herbe Liebe schwellte mich berauscht und breit: Kiel, zerspringe! O ich ginge auf dem Meer! Wünschte ich Europawasser, ist's die Lache Schwarz und kalt: ein Kind in Dämmerungenluft 55 Hockt dort, spielt dort traurig, zieht das kleine schwache Schifflein, wie ein Schmetterling im Maienduft. Nicht mehr kann ich, von euch müden Wellen schwer, Fahrt und Spur zu Stoffeträgern schicken. Nicht durchqueren Fahnenstolz und Flammenmeer, 6o Schwimmen unter grauenvollen Brückenblicken. A. Neumann

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Rimbaud Trunkenes Schiff

Als ich hinabfuhr die breiten gefühllosen Flüsse, Kamen die Schiffszieher jäh aus dem Takt: Opfer der Rothäute, Zielscheiben gellender Schüsse, Schnell angenagelt am bunten Marterpfahl, nackt. Gleichgültig war mir, wo meine Mannschaft steckte, Wie das flämische Korn, die englische Wolle im Kiel. Als mit den Schiffsziehern all dies Wesen verreckte, Ließen die Flüsse mich schwimmen, wohin mirs gefiel. . . Sanft, wie wenn Kinder die Säure von Äpfeln lecken, Sog mein tannener Kahn grünes Wasser ein, Steuer und Anker ging weg, es wusch mich von Flecken Blauen Weins und erbrochener Speise rein. Dann verfiel ich ganz den grünen Azuren, Die der Himmel mit Sternen und Milchglanz nährt, Darinnen bleich, mit nachdenklichen Spuren, Selig mancher Ertrunkene fährt, Wo in langen Stößen aufpulsend ein Fieber Jäh aus den Rhythmen des Tages loht Und stärker als Alkohol, schwungvoller als eure Lieder Aufpeitscht der Liebe bitteres Rot! Und ich weiß nun, wie Blitze die Himmel verwirren, Sah die Strudel und Brandungen kommen und gehn, Dämmrungen, die wie ein aufgeregt Taubenvolk schwirren, Und was der Mensch kaum glaubte zu sehn! Sah die tiefe Sonne mit nahen geheimnisvollen Schrecken gefleckt, in violetter Glut, Sah wie bei alten erhabenen Schauspielern rollen Weithin die Faltenwürfe der Flut. Träumte von grünlicher Nacht, die mit blendenden Eisen Wie mit langen Küssen das Auge des Meeres bedeckt, Von noch niemals enthüllter Säfte Kreisen, Blaugelben, singendem Phosphor, der morgendlich weckt.

Rimbaud

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Folgte monatelang den schwappenden Ungeheuern, Die mit hysterischen Eutern das Riff umschrein Und mit überfließenden Mäulern scheuern An der Küste glänzendem Bein . . . So, verloren in waldiger Buchten Fransen, Durch den vogellosen Äther geschleudert, Geschoß Des Orkans, und nie von den Seglern der Hansen Aufgefischt im wassertrunkenen Floß . . . Ich, der des Maelstroms malmendes Gleiten Nahe, auf fünfzig Meilen, vernahm, im All Schweifender, Landstreicher durch die Unendlichkeiten: Ich fürchte Europas alten Festungswall. Sternarchipelen nahte ich, glühenden Schächten, Wo der Himmel offen dem Suchenden klafft: Schlummerst du in diesen grundlosen Nächten, O Million von Goldvögeln, künftige Kraft? Aber ich weinte zuviel. Die Morgen enttäuschen, Gräulich ist jeder Mond, die Sonne ist schwer. Heiße Liebe dehnt mich zu wilderen Räuschen. O, zerplatze, mein Brettl O, ich gehe ins Meer! Muß ich ans Wasser Europas denken, Ist es ein Tümpel, ein schwarzes frostiges Ding, Wo im Abendduft traurig ein Kind hockt, zu schwenken Sein Schiffchen wie einen Maischmetterling. Ich, nach eurer Umarmung, o Wogen, kann nicht mehr In der Baumwoll-Lastschiffe Kielwasser gehn Oder im Pomp der Fahnen und Fackeln, kann nicht mehr In die schaurigen Augen der Kerker sehn. A. Wolfenstein Trunkenes Schiff Auf Strömen, die nicht fühlen, fuhr ich Schiff zu Tale. Von Schlepperknechten spürt' ich nimmer mich geführt; Rothäute hatten sie am bunten Marterpfahle Als nackte Schützenscheiben schreiend festgeschnürt.

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Ich ließ die gan2e Mannschaft, ohne mich zu härmen, Ob ich auch flandrisch Korn, Kattun aus England trug. Um jene Leinpfadläufer endete das Lärmen, Der Strom, er gab mich los, ich war mir selbst genug . . . Das Fleisch der sauren Äpfel ist den Kindern teuer. Doch süßer drang die grüne Flut in meinen Rumpf Aus Tanne; sie zerwarf die Haken und das Steuer, Wusch mich von Flecken blauen Weins, gespucktem Sumpf. Seit jenen Tagen bad' ich im Gedicht der Meere. Die Sterne sind hineingegossen und es blinkt; Ich schlinge grünes Blau, darin mit leichter Schwere Entzückt der bleiche Leichnam, denkend niedersinkt, Darin die Bränste einer bittren Liebe gären; Sie röten jäh das Blau; nun herrscht der Überschwang Und träge Takt der Lohen, die den Tag gebären; Kein Weingeist ist so stark, so weit kein Harfenklang. Von Blitzen aufgeschlitzte Himmel, Wasserhosen Und Brandung, Strömung weiß ich wohl, die nahe Nacht, Den Flug der Frühe gleich dem Taubenschwarm, dem losen; Ich sah zuweilen, was ein Mensch zu sehn gedacht. Die Sonne sah ich tief, von grausen Flecken vielen Umgeistert, lange Bänder, veilchenblau, beglänzt - Sie glichen Mimen aus uralten Trauerspielen; Fern bebten Schaufelräder, flimmernd, flutumkränzt. Mir träumte: Kreislauf unerhörten Safts, geblendet Vom eignen Glitzern reicher Schnee in grüner Nacht, Der Kuß, zu Meeres Augen langsam aufgewendet, Der Sang des Phosphors, wenn er gelb und blau erwacht. Die vollen Monde folgte ich der hohlen Welle, Die mit verrücktem Eigensinn das Riff besprang; Ich träumte nicht den Fuß der Jungfrau, dessen Helle Das Maul, das schnaufende, des Meers zur Stille zwang . . .

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Ich wassertrunknes Schiff, im Haar der Bucht verloren, In vogellosen Äther von dem Sturm geschwenkt, Ich werde nie von Hansaseglern, Monitoren Empor gefischt - Gerippe ich, im Rausch versenkt. . . Ich hört' es stöhnend zittern über fünfzig Meilen: Des Mahlstroms zähe Gier, den Wasserstier in Brunst; Ich wünsche, Läufer an den Bläuen, die verweilen, Europa mir zurück, der Zinnen alte Kunst. Ich sah den Archipel - er war ein Bund von Sternen - , Den Eilandshimmel, der verzückt dem Schiffer klafft, - Schläfst du verbannt, im Dunkel bodenloser Fernen, O Unzahl goldner Vögel - Zukunft, Manneskraft? Zuviel hab' ich geweint im Schmerz der frühen Morgen! Ein Graus ist jeder Mond, und jede Sonne sticht. O starre Liebe, Schwall und Rausch, geätzt mit Sorgen! O Kiel, zerbirst! Den Tod zur See - ihn fürcht' ich nicht. Such' ich Europens Wasser, ist es eine Lache, Geschwärzt und kalt; im Duft der Dämmerstunde biegt Der Trauer voll ein Kind sich nieder; seine schwache Fregatte flattert, wie der Mai den Falter wiegt. Getauft mit eurer Sehnsucht, Wogen, kann ich nimmer Dem Baumwollfrachter auf die Wasserfurche sehn; Vom Blick des Kerkerschiffs entsetzt, ein freier Schwimmer, Will ich dem Stolz der Flaggen aus der Flamme gehn. W. Hausenstein

Trunkenes Schiff Wie ich hinunterglitt die unbewegten Flüsse, ward mir zu Mut, als würd' meiner Treidler ich los: Rothäute, schreiend, hatten sie, Ziel ihrer Schüsse, an farbige Pfähle genagelt, nackt und bloß. Ich sorgte um all die Mannschaft mich nicht, befrachtet mit flämischem Korn oder Kattun aus Britenland. Als dieses Gelärm die Treidler mir hingeschlachtet, ließ ich den Fluß mich treiben, wie der Sinn mir stand . . . 7 Deutsche Texte 2

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Viel süßer als der herben Äpfel Fleisch dem Kinde, durchdrang mich grünes Naß, wusch blauen Wein und Dreck hinab von des bespienen Schiffes Tannenrinde und riß mir das Steuer mitsamt dem Anker weg. Und seitdem hab ich gebadet im Meergedichte, wo milchig schäumend der Sterne Gewimmel blinkt, sausend durch Azurgrün, wo mit sel'gem Gesichte ein Toter, manchmal, bleich, gedankenvoll versinkt. Wo plötzlich unter des Mittags brünstigen Feiern langsam trunkene Glut die blauen Räume verklärt, und stärker als Wein, weiter als euere Leiern, die bittere Röte der Liebe wallet und gärt. Ich weiß die Himmel, platzend von Blitzen, das Schnauben der windgepeitschten Brandung, weiß des Abends Wehn, die Morgenröte, schwärmend wie ein Volk von Tauben, und was der Mensch zu sehn gewähnt, hab ich gesehn. Ich sah die Sonne tief voll mystisch grauser Flecken, wie sie mit langen starren Strahlen violett festlich erleuchtete, gleich alter Dramen Recken, die Fluten, rollend weit ihr schauerndes Rosenbett. Ich hab geträumt von grüner Nacht schneegrellem Glänzen, von meerentstiegnem Kuß auf meiner Augen Lid, von unerhörter Säfte weit kreisenden Tänzen und von des gelblich blauen Phosphors Morgenlied. Ich folgte Monde lang den Wogen, wie sie spien, hysterischer Stierwut gleich, die an die Klippen sprang, Nicht ahnend, daß der leuchtende Fuß der Marien der atemlosen Meere Rachen stets bezwang . . . Jetzt, ich, verlornes Schiff im Haargeflecht der Riffe, vom Sturm geschleudert hoch in vogelleere Luft, ich, wassertrunkenes Skelett, das keine Panzerschiffe und Hansa-Segler nicht fischten aus seiner K l u f t . . .

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Ich, der ich zitterte, hört ich ächzen von Weiten der Behemothe Brunst, den Maelstrom, dicht und schwer, ich, ewiger Segler blauer Unbeweglichkeiten, ich sehn mich nach Europas alter, enger Wehr. Ich durfte Sternenarchipele, Inseln schauen, wo offner Himmel Glut dem Wandrer sich erhellt: schläfst du, verbannt, in dieser Nächte tiefem Grauen, goldner Vögel Million, o Zukunftskraft der Welt? Ich hab zuviel geweint. Weh tun die Morgenhellen, wahr, jeder Mond ist bös und jede Sonne Leid. Die bittre Liebe ließ zu starrem Rausch mich schwellen. Ohl bräche doch mein Kiel! O Meer, ich bin bereit 1 Wenn in Europa ich ein Wasser noch begehre, ist es das kalte, schwarze Loch, in das hinein ein Kind, in der Dämmrung, gebückt, voll Leid und Schwere, ein Schifflein setzt, zart, wie ein Schmetterling im Mai'n! Ich kann in eurer Mattigkeiten Bad, o Wellen, entreißen ihre Spur den Baumwollträgern nicht, nicht ziehn mehr durch den Stolz, drin Fahnenflammen schwellen nicht schwimmen in der Brückenkähne bösem Licht! W. Küchler Trunkenes Schiff Als müde Flüsse abwärts glitt die Fracht, Da spürt ich, daß die Treidler nun verschwunden. Rothäute hatten Scheiben draus gemacht, An Pfähle sie genagelt und gebunden. Nicht kümmert mich die ganze Schifferschar, Wo Flamlands Korn und Englands Wolle blieb. Als mit den Treidlern es zu Ende war, Ließ treiben mich der Fluß, grad wie mir's lieb . . . 7*

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Und langsam, wie wenn Kinder Fleisch der Äpfel schlecken, Drang grünes Wasser durch die Tannenschale, Wusch vom Erbrochnen rein mich und von Weines Flecken, Riß Ruder mir und Anker fort mit einem Male. Dann hab ich mich der Dichtung anvertraut, Der milch'gen See, von Sternen übersät, Hab' nach den grünen Weiten ausgeschaut, Hab' selige Ertrunkene erspäht, Dort, wo die Fieber plötzlich färben Himmels Bläue, Wo müder Rhythmus unter roten Tages Pracht Wie Alkohol und stärker als der Lyra Weihe Der Liebe bittre, rote Säfte gären macht. Ich kenne Tromben, Himmel, wenn sie Blitze spalten; Mit Abend, Strudel, Strömen bin ich tief vertraut, Mit Morgenröten, die gleich Tauben sich entfalten, Und was noch niemand sah, hab manchmal ich geschaut. Ich sah, wie Flecken in die Sonne kamen, Mit langem, violettem Rinnsal zu entzünden, Den Mimen gleich der sehr antiken Dramen, Die fernen Wogen, ihren Schauer zu verkünden. Ich träumte von dem weißen Schnee und grüner Nacht, Von Küssen, die zum Meeresauge langsam steigen, Von unerhörter Säfte Kreisen, neu entfacht, Und vom Erwachen gelber, blauer Phosphorreigen. Und lange Monde sah ich in hyster'schen Sprüngen Die Wogen an die Riffe schlagen wild, Und ahnte nicht, daß ihre Wucht sei zu bezwingen Von der Madonnen leuchtend hellem Bild . . . So war ich Schiff, verirrt in weiter Buchten Riffe, Geschleudert in den vogellosen Aether vom Orkan; Es hätten aller kühnen Hansen Segelschiffe Nicht aufgefischt den wassertrunkenen, zerfallenen K a h n . . .

loi

Rimbaud

Ich, der ich ächzen fühlte in der Weite Die Wasserstiere, die der Malstrom ließ erzittern; Wenn ich durch die Unendlichkeiten gleite, Dann hab ich Sehnsucht nach Europas alten Gittern. Und Sternenarchipele wurden mir bekannt Und Inseln, da der Fieberhimmel offen klafft; Ist schlafend in solch tiefen Nächten uns gebannt Der goldnen Vögel Riesenschar, der Zukunft Kraft? Ich hab' zuviel geweint. Mich quält die Morgenröte. Ein jeder Mond ist grausam, jede Sonne weh. Die bittre Liebe gab berauschter Starre Nöte. O, du mein Kiel sollst bersten, wirf mich in die See! Wenn ich mich nach Europas Wasser sehne, kühl Und schwarz erscheint ein Tümpel mir im Abendduft, Wo, traurig Kind, das hingekauert zu dem Spiel, Das Schifflein schwimmen läßt bei Maienluft. Ich kann nicht mehr, getränkt von solchen Traurigkeiten, Ihr Wogen, zu der Baumwollfrachter Fahrten taugen, Und durch den Prunk der Fahnen und der Flammen schreiten, Noch schwimmen unter fürchterlichen Brückenaugen 1 P. Lövenich

Das trunkene Schiff Geruhig ließ der Strom die Wasser treiben. Mein Schiff glitt frei - die sonst das Schlepptau zogen, Hingen an bunten Pfählen, krumm gebogen, Nackt, den Indianern als willkommne Scheiben. Was kümmert mich Matrosenvolk und Fracht, Vlämisches Korn und englische Gewebe, Wenn all dies Lärmen schwindet und ich sacht Zum traumersehnten Meer stromabwärts schwebe . . . Und langsam drang das Naß zu mir herein Süß, o so süß wie Kindern Saft von Früchten Und schwoll zu grüner Flut und wusch mich rein Von allem Schmutz und allen Menschensüchten.

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Rimbaud

Verloren Anker, Steuer - und ich sank Tief in das strahlende Poem der Meere, Hinstarrend wie so mancher, der ertrank, Hinstarrend selig in die grüne Leere. Darin mit einemmal, azurenzart Und leisen Pulsschlags unterm Glanz des Tages, Doch stark wie Wein, sich mir ein dunkles, vages Empfinden bittrer Liebe offenbart, Von dem kein Dichter weiß; und himmelhoch Sah ich die Sturzsee sich zerbrandend bäumen, Die Nacht vom Blitz durchzuckt - dann aber zog Der Morgen auf, schön wie erträumtes Träumen, Gleich einem Volk von Tauben aufwärts strahlend; Und wieder sah ich tief die Sonne stehn, Mit mystischem Violett den Himmel malend, Und hörte fern die Wellen brausend gehn Wie dumpfes Chorgemurmel. Nächte kamen, Schneenächte, grünlich schimmernd, sanft wie Küsse. Mir träumte Kraft und Saft und Schöpfersamen, Erglühenden Phosphors blau und gelbe Flüsse. Und Wochen gingen hin, dieweil ich starrte, Wie sich die Flut, von Milch und Schaum ein Meer, Am weißen Felsgeklüfte selber narrte . . . Vorbeil Und neue Wunderküsten her! . . . . . . In tausend Riffen Verloren hing mein Kiel, bis ein Orkan Mich trunken auswarf in den Ozean, Draus mich errettet keine Macht von Schiffen . . . Das endlos Weite lieb ich, mich verdrießt, Wenn fernher Behemoth und Maelstrom grollen Und mir die blaue Traumfahrt stören wollen Armes Europa, das ein Wall umschließt!

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Rimbaud

Was sah ich nicht? Entrückte Sternenreiche Und Zauberinseln goldner Phantasie . . . Du lebst, Kraft meiner Zukunft, göttergleiche, In solcher WundernachtI - erwachst du nie? . . . Genug, genug - zuviel der Klagen! Gräßlich Kommt schon - vorbei, mein Traum! - der Morgen her; Der Mond ist trüb, das Sonnenlicht so häßlich . . . Zerspring, verdammter Kiel 1 Ins Meerl Ins Meerl Was lockt mich in Europa noch ? Vielleicht Der Straßentümpel, wo ein armes Kind Sein Schifflein, das dem Frühlingsfalter gleicht, Vom Stapel schickt im lauen Abendwind. Endlose Wellen! Seit ich euch genoß, Mag ich euch nicht mehr Frachten tragen sehn, Nichts! Keine Schlote mehr, kein Fahnenwehn, Und keiner Brücke ehernen Koloß. P. v. Thun-Hohenstein

RIMBAUD:

VOYELLES

Vokale A schwarz E weiss I rot U grün O blau - vokale Einst werd ich euren dunklen ursprung offenbaren: A: schwarzer samtiger panzer dichter mückenscharen Die über grausem stänke schwirren- schattentale. E : helligkeit von dämpfen und gespannten leinen • Speer stolzer gletscher • blanker fürsten • wehn von dolden. I: purpurn ausgespienes blut • gelach der Holden Im zorn und in der trunkenheit der peinen. U: räder• grünlicher gewässer göttlich kreisenRuh herdenübersäter weiden • ruh der Weisen Auf deren stirne schwarzkunst drückt das mal.

Rimbaud

O: seltsames gezisch erhabener posaunen • Einöden durch die erd- und himmelsgeister raunen. Omega - ihrer äugen veilchenblauer strahl. St. George

Vokale A schwarz E weiß I rot U grün O blau, Vokale, Ich werde kommenden Tags eures Werdens Geheimnis sagen. A: schwarzer Zottenpelz gleißender Fliegenplagen Aufkreiselnd um der Stänke grausame Schandenmale, Dust-golfe; E: der Glanz von Dämpfen und Linnenlagen, Der Gletscher schroffe Grate weiß herrschend, Doldenfahle; I: Purpur, Blutgespei, Lachen schönlippiger Baale Die zorntoll oder in Rausches reuwütigem Verzagen; U: Zyklen aller Meere göttliches grünes Schwanken, Frieden der Trift und der Heerden und Frieden der Gedanken Die hinter stolzen Stirnen um dunkle Künste schwingen; O: höchsten Hornes Ton, zerspellt von Mißlautstaufen, Schweigebenen durchquert von Stern- und Engelhaufen O Omega, lila Strahl, ihrer Augen Abschiedssingen! W. Petry

Vokale A schwarz, E weiß, I rot, U grün, O blau: Vokale, Ich kenne eurer Herkunft Heimlichkeiten: A, Bart behaarter Fliegen, starres Streiten Um Aas, um faden Stank von Abfallschale, Ein Schattengolf. E, Schnee von Zelten, Nebeln, Weiten, Der Eise Speere, helle Speichen, Beerenwippen. I, ausgespienes schieres Blut, begierige Lippen, Die trinkend lachen, büßend uns entgleiten. U, runde Strudel, grüner Fluten Brausen, Vom Vieh gerupfte ruhige Flur, der Runzeln Hausen Auf kluger Stirn und Suchens Spur und Spott.

Rimbaud

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O, höchstes Horn, darin besondere Töne wohnen, Des Kosmos von Seraph und Mond durchzogne Zonen, O, Omega, violetter Donnerstoß aus Gottl A. Wolfenstein

Vokale A schwarz, E weiß, I rot, U grün, O blau, Vokale Einst künd ich den verborgnen Grund, dem ihr entstiegen. A, schwarzbehaartes Mieder glanzvoll prächtiger Fliegen, Die summend schwärmen über stinkend grausem Mahle. Der Schatten Golf. E, Weiß von Dämpfen und von Zelten, Speer stolzer, weißer Gletscherkönige, Rausch von Dolden; I, Purpur, Blutsturz, Lachen, wie's von Lippen, holden, In trunkner Reue strömt und in des Zornes Schelten. U, Kreise, grüngefurchter Meere göttlich Beben, Der Almen Friede, wo die Herden weidend leben, Friede, den Alchemie in Denkerstirnen gräbt. O, wunderbares Horn, voll seltsam schrillen Weisen, Stillschweigen, drin die Welten und die Engel kreisen: - O, Omega, Strahl, der ihr Auge blau umwebt.

W. Küchler

Vokale A schwarz, E weiß, I rot, U grün, O blau, Vokale I Noch hab' ich eure dunkle Herkunft nicht entdeckt! Wie schwarzer Sammetpanzer, schillerndes Insekt Ist A, das der Verwesung zuschwirrt, seinem Mahle Im Schatten. E ist rein wie Dunst und weißes Leinen, Wie königstolze Gletscherspitzen, Doldenwippen; Und blutigrot ist I, wie Lachen schöner Lippen Im Zorne, oder Trunkenheit, um die wir weinen; U nichts als Kreise, göttlich Schwingen, grüne Meere Und weidend' Vieh an stillem Hang, der Furchen Schwere, In Denkerstirnen von der Alchemie gegraben;

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Rimbaud

O - himmlisch Hörnerblasen, schrill und niegehört, Die Stille, die von Welten und von Engeln wird durchquert, Und Omega, und dunkles Blau, das Seine Augen haben. E. Scheer Vokale A schwarz, E weiß, I rot, U grün, O blau. - Hier weise Ich Dir, wo magisch ihre Laut-Ursprünge liegen. A : blitzend schwarzer Atlaspanzer schneller Fliegen, Die stinkend Aas umschwirr'n in taumeligem Kreise; Schattige Bucht. - E : Zeltmeer, Dampfstrahl, Doldenwiegen; Der königlichen Firne Glanz im ew'gen Eise. I: Purpurtücher, Blutfleck, schöner Lippen leise Bereu'ndes Lachen oder wutverzerrtes Biegen. U: schöpferisches Kreisen in smaragdnen Meeren; Die Stille, die erlauchte Alchemie den hehren Furchen auf großen Forscherstirnen läßt zurück; Frieden um Koppeln her. - O: hellstes Hörnerklingen; Schweigender Raum, wo Welten und wo Engel gingen; Omega; veilchenblauer Strahl aus Deinem Blick. A. Schoenhals

RIMBAUD: O

SAISONS, O CHATEAUX

O S c h l ö s s e r , o Gezeiten! O Schlösser, o Gezeiten! Keine Seele kann ihre Fehler bestreiten. Ich trieb viel magische Studien Des Glücks, danach jederman späht. Ich begrüße es, wenn nach Präludien Der gallische Hahn kräht.

Rimbaud

Ach, ich habe gar keine Absichten mehr, Dies Glück übernahm mein Sein. Dieser Reiz macht keine Anstrengung schwer, Fängt Seele und Körper ein. O Gezeiten, o Schlösserl Und dann, im Augenblick der Flucht, Ach, werde ich vom Tod besucht. O Gezeiten, o Schlösser! A. Wolfensteiii

O Zeiten, o Paläste O Zeiten, o Paläste, Welche Seele ist ohne Gebreste? O Zeiten, o Paläste, Ich hab die magische Kunst erreicht Des Glückes, dem keiner entweicht. O, er mög leben, wenn früh und spät Der gallische Hahn sein Liedchen kräht. Doch ich entsage allem Streben, Er hat sich beladen mit meinem Leben. Der Zauber! Hat Seele und Leib geraubt Und alle Kraft in den Wind zerstaubt. Versteht ihr was von meinem Wort? Es flieht und fliegt und ist schon fort. O Zeiten, o Paläste! W. Küchler

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Valéry

VALÉRY: CIMETIÈRE

MARIN

F r i e d h o f am M e e r Dies stille Dach, auf dem sich Tauben finden, scheint Grab und Pinie schwingend zu verbinden. Gerechter Mittag überflammt es nun. Das Meer, das Meer, ein immer neues Schenken! 5 O, die Belohnung, nach dem langen Denken ein langes Hinschaun auf der Götter Ruhnl Wenn Diamanten aus den Schäumen tauchen, wie rein die feinen Blitze sie verbrauchen, ein Friede, scheints, besinnt sich seiner Kraft! 10 Stützt sich die Sonne auf des Abgrunds Schwingung, als reines Werk der ewigen Bedingung wird Zeit zum Glanz und Traum zu Wissenschaft. Stetiger Schatz, Minervens Tempelhülle, Vorrat der Ruh und alles Schauens Fülle, 15 hochmütiges Wasser, Aug, das flammend wach, bedenkt, wie es so großen Schlaf verhehle, o meine Stille I . . . Bau in meiner Seele, doch First aus Gold mit tausend Ziegeln, Dachl Tempel der Zeit, im Seufzen gleich versöhnter, 20 zur reinen Anhöh steig ich schon gewöhnter, um mich mein Meerblick, welcher alles tränkt, und wie ich oben nun den Göttern spende, ist mir, als ob der Schimmer rings verschwende ein Überheben, völlig unumschränkt. 25 So wie die Frucht sich auflöst im Genüsse, Abwesenheit Entzücken wird zum Schlüsse in einem Mund, drin ihre Form verschwand, so atm' ich hier von meinem Zukunftsrauche, der Himmel singt der Seele im Verbrauche 30 von den Geräuschen beim vertauschten Land.

Valéry Sieh, schöner wahrer Himmel, mich verwandelt, nach so viel Hoffart:, so viel ungehandelt Verlorenem, das doch voll Mächte war, hab ich mich diesem Lichtraum angeboten, 35 mein Schatten geht über das Haus der Toten, sein zartes Wandeln zähmt mich sonderbar. Die Seele Sonnwendfackeln preisgegeben, halt ich dich aus mit meinem ganzen Leben, Gericht des Lichts, das keine Gnade kennt! 40 Und du kommst rein an deine erste Stelle! O Eintagsspiegel 1 . . . Doch wer schenkte Helle, der sie als Hälfte nicht vom Schatten trennt! Für mich, bei mir nur, in mich eingerichtet, an einem Herzen, das mich doch gedichtet, 45 zwischen dem Nichts und dem, was rein geschieht, wart ich, ob innre Größe widerhalle, Zisterne, finstre, bittre - , draus vor alle, nie eingeholt, ein Ton des Hohlen zieht! Weißt du, des Blattwerks falsche Kerkerschwelle, so gieriger Golf der klappernden Gestelle, wenn ich die Augen schließe, glanzvoll blind, was für ein Leib mich zieht ins träge Ende, zu welcher Stirn ich mich nach abwärts wende? Ein Funken drin denkt die, die nicht mehr sind. 55 Geheiligt, zu, voll Feuer rein von Stoffen, Ein Erdenstück erstauntem Lichte offen, wie mir, so flammend, dieser Ort gefällt —, aus Baum und Gold und Marmor sich verwebend, und so viel Stein auf so viel Schatten bebend, 60 das Meer schläft treu auf meiner Gräberwelt. Hündin aus Glanz, verjag mir den Beirrten! siehst du mich so, mit Müdigkeit des Hirten, bei meinen Lämmern stehn, wie eingepflockt; laß mich an meine Herde Gräber glauben, 65 halt von ihr ferne die zu klugen Tauben, die Grübelei'n, die Engel, die es lockt!

IIO

Valéry

Kommt sie hierher, so wird die Zukunft träge. Der harte Käfer ist des Trocknen Säge; alles ist aufgebrannt, verzehrt - , geht ein 70 in irgendwie gestrengere Essenzen. . . Der Rausch des Nicht-Seins sprengt des Lebens Grenzen, und Bitternis ist süß, und Geist ist rein. Die Toten habens gut in diesen Brocken, sie werden warm und ihr Geheimnis trocken. 75 Mittag dort oben, Mittag ohne Schwung, denkt in sich selbst und ist sich selbst zum Lohne . . . Haupt ohne Rest und ganz geschloßne Krone, ich bin in dir die Spur Veränderung. Du hast nur mich, die Ängste zu enthalten, so den Zwang, den Zweifel - , alle die Gewalten, sind wie ein Fleck in deines Demants Wert! . . . Doch unterm Marmor, finster überlistet, hat sich ein Volk, das um die Wurzeln nistet, allmählich langsam schon zu dir bekehrt. 85 Sie sind zergangen in des Nicht-Seins Dichte. Die rote Erde trank das Andre, Lichte, das Leben weiß, daß es in Blumen soll! Wo sind die Worte, die den Toten fehlen, wo ihre Künste, die besondren Seelen? 90 Die Larve spinnt, wo einst die Träne quoll. Der Mädchen Schrei und Kitzligsein der Glieder, die Augen, Zähne, feuchte Augenlider, die süße Brust, die glüht und sich erfrischt, das Blut, das glänzt in Lippen, die sich geben, 95 und Finger, die sich vor das Letzte heben, hinab mit allem und ins Spiel gemischt I Großartige Seele, hoffst du noch, dir füge sich eines, das nicht Farben dieser Lüge besäße, die hier Gold und Woge leihn? IOO Wirst du noch singen, an die Luft verloren? Geh, alles flieht I Mein Dasein ist voll Poren, und auch die heilige Ungeduld geht einl

Valéry

in

Schwarz-goldnes Zerrbild der Unsterblichkeiten, mag uns die schnöde Trösterin bereiten 105 den Tod zum Mutterschoße unsres Sinns, o schöne Lüge, listig frommes Steigern! Wer kennt sie nicht und muß sie nicht verweigern, den Schädel und sein ewiges Gegrins? Die tiefen Väter, Köpfe ohne Gäste, 110 die das Gewicht von so viel Schaufeln preßte, nur wie auf Staub wirkt unser Schritt auf sie. Der Wurm, dem keiner widerspricht, der Nager, ist nicht für euch und euer Grab und Lager, er lebt vom Leben, er verläßt mich nie! 115 Die Liebe zu mir selber - oder Hassen? Ihr Zahn greift tief und weiß so nah zu fassen, daß ihm kein Name wirklich widerstrebt! Diesem Gefühl - : es sieht, es will, es nimmt mich! Ihm schmeckt mein Fleisch, und selbst mein Bett bestimmt mich 120 lebendig ihm, das immer von mir lebt! Grausamer Zeno, Zeno, deine Worte! Ob mich am Ende jener Pfeil durchbohrte, der schwirrt und fliegt und doch nicht fliegt zuletzt? Der Ton gebiert - , der Pfeil will mich bestatten! 125 Ach, Sonne, achl Und da . . . Schildkrötenschatten, Achilleus, unbeweglich und gehetzt! Nein, nein! . . . Auf, auf! Ins große Nacheinander! . . . Nicht denken, Leib, - ergib dich dem Gewander, trink, meine Brust, den Wind, der aus sich dringt! 130 Das weht vom Meer, und in dem Wehn enthalten ist meine Seele . . . Salzige Gewalten! . . . Zur Welle hin, aus der man lebend springt! Ja, Meer! du großes, dein ist alles Wüten, du Pantherfell, du Mantel, drin die Mythen 135 der Sonne flimmern, tausende vielleicht - , von Bläue trunkne, unbeschränkte Schlange, die sucht, wie sie ihr eignes Gleißen fange in einem Aufruhr, der der Ruhe gleicht.

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Valéry

Der Wind erhebt sich! Leben: ich versuch esl 140 Riesige Luft im Blättern meines Buches, und Wasser, dort zu Staub zersplittert sichs! Ihr Seiten fliegt beglänzt aus meinem Schöße, und Woge, du! mit frohem Wellenstoße, das Dach unter dem Klüverschwarm - , zerbrichsl R. M. Rilke

F r i e d h o f am M e e r Dies stille Dach, auf dem die Taube schreitet, Ist zwischen Pinien und Gräbern ausgespreitet. Mittag, der strenge, kocht aus Feuersglut Das Meer, das Meer in stetem Neubeginnen! O Lohn des Geistes, wenn nach manchem Sinnen Der Blick auf Götterstille lange ruht. Wie emsig rein die Strahlen hier zerglühen Des unfaßbaren Schaums demantnes Sprühen, Wie scheint der Friede hier dem Geist bereit! Wenn Sonne überm Abgrund ausgegossen - O reine Werke ewigem Grund entsprossen Wird Traum zu Wissen, funkelnd schwebt die Zeit. Minervas schlichter Tempel, feste Truhe, Sichtbares Schatzhaus, dichter Hort der Ruhe, Kräuslung des Wassers, Auge immer wach, Soviel des Schlafs auch unterm Schleier schwele, O du mein Schweigen! Bauwerk in der Seele Und goldner First aus tausend Ziegeln, Dach! Tempel der Zeit, du Beute eines Hauches, Den reinen Punkt erklimm' ich neuen Brauches. Ganz eingehüllt in meinen Meeresblick. Und wie wenn Göttern ich die Gabe brächte, Steigt aus dem Funkeln heitrer Meeresprächte Mein königlicher Hohn auf das Geschick.

Valéry Wie Früchte schmelzen, wenn sie uns berauschen; Wie sie ihr Nichtmehrsein in Wonne tauschen In einem Munde, wo die Form erstirbt, So atm' ich hier mein künftiges Verwehen; Der Himmel singt der Seele im Vergehen Den Sang der Wandlung, die den Strand zermürbt. Du wahrer Himmel! sieh mich den vergänglichen! Nach so viel Hochmut, nach so überschwenglichem Und doch so machterfülltem Müßiggang Geb' ich mich hin den glanzerfüllten Weiten, Seh' über Gräber meinen Schatten gleiten, Der mich bezähmt mit seinem spröden Zwang. Und ob der Sonne Fackelbrand mir sehre Die Seele, tragen will ich dich, du hehre Gerechtigkeit aus mitleidlosem Licht! Ich geb' dich rein zurück dem Ursprungsorte, Betrachte dich I . . . Jedoch dem Licht antworte Ich nur dank trüben Schattens Steuerpflicht. O für mich selbst, in mir, ohne Gesellen Bei meinem Herzen, an der Dichtung Quellen, Zwischen der Leere und des Werdens Drang Harr' ich des Echos meiner innern Prächte, Ihr bittern, finstern, widerhallenden Schächte, Gebt in der Seele ewig hohlen Klang I Kennst du, im Laubwerk scheinbar eingefangen, Gefräßiger Golf an des Geheges Stangen, In meiner Augen rätselvollem Schein Den Leib, der mich hinschleppt zum trägen Ende, Die Stirn, die mich zum erdigen Beinhaus wende? Ein Funke drin gedenkt der Toten mein. Umzirkt, geweiht, stofflosem Feuer verwoben, Ein Erdenstück zum Licht emporgehoben, Gefällt mir dieser Ort, den Flamme traf, Gefügt aus Gold, aus Stein und dunklen Bäumen, Wo soviel Marmor bebt auf soviel Träumen; Das treue Meer hält über Gräbern Schlaf. 8 Deutsche Texte 2

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Valéry Gleißende Hündin, scheuch den Gottverirrten I Wenn einsam mit dem Lächeln wie des Hirten Ich lange meine Lämmer führ' zur Trift, Die seltsamen, der Gräber weiße Herde, Daß nicht der Tauben Schwärm hier sichtbar werde, Der Engel Fürwitz, eitler Träume Gift! Hier angelangt, wird alle Zukunft träge. Im dürren Erdreich wetzt des Käfers Säge. Verbrannt, zerstoben, hin ist, was da war; Luft sog es auf in allerfeinsten Stoffen, Leben wird weit, vom Rausch des Nichts betroffen, Und Bitternis wird süß und Geist wird klar. Die Toten ruhn so wohl in diesem Grunde; Er wärmt sie an und trocknet ihre Wunde. Mittag dort oben, Mittag unbewegt Denkt sich in sich und wird sich selbst zum Lohne. Vollkomm'nes Haupt und makellose Krone, In dir bin ich Geheimnis, das sich regt! Nur bin ich da, um deine Furcht zu fassen! Mein Müssen, meine Reu', mein Unterlassen Ist Makel deinem großen Diamant. Aber in ihrer Nacht marmorner Schwere An Baumeswurzeln namenlose Heere Haben gemach dein Recht schon anerkannt. Sie schmolzen hin in dichtem Nichtmehrsein. Der rote Ton trank auf den weißen Schein. Des Lebens Gabe ward der Blumen Sold! Wo sind der Toten altvertraute Sätze, Erlesne Seelen, seltne Künstlerschätze? Die Larve spinnt, wo sonst die Träne rollt. Der Mädchen greller Schrei beim Griff der Glieder, Die Augen, Zähne, die benetzten Lider, Des Busens Reiz, der gern die Glut ertrug, Die Lippen, die zu Lippen gern sich kehren, Die letzte Gift, die Finger, die sie wehren, Zur Grube fährt es nach des Spieles Fug.

Valéry

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Und du, o große Seele, kannst du hoffen Auf einen Traum, der nicht aus Lügenstoffen, Die Gold und Woge irdischen Sinnen braut? Wirst du noch singen, wenn sie dir zerrannen? Mein Dasein bröckelt. Alles flieht! Von dannen 1 Es stirbt des heiligen Eifers letzter Lautl Unsterblichkeit, düstergeschmückte, karge, Du Trösterin, lorbeerumrankte, arge, Die uns den Tod zum Mutterschoße macht; Die frommen Listen und die artigen Lügen, Wer kennt sie nicht und wer läßt sich betrügen, Wo leeren Schädels ewige Fratze lacht? Ihr unbewohnten Häupter, tiefe Ahnen, Die Erde wurden und die uns gemahnen: So vieler Schaufeln Wurf euch ward Gewicht, Der wahre Wurm, der unerbittliche Nager, Ist nicht bei euch in eurem dunkeln Lager, Er lebt von Leben, und er läßt mich nicht! Ist's Liebe, ist es Haß, was ich hier wähne? So tief zuinnerst nagen seine Zähne, Daß jeder Name ihm gehörig ist. Was tut's? Er sieht, er will, er denkt, er rühret, Mein Fleisch gefällt ihm, und mein Leben spüret Noch auf dem Lager, wie er an mir frißt. Zenon! Grausamer Zenon! Eleate! Durchbohrst du mich mit dieses Pfeiles Grate, Der zittert, fliegt und doch nicht fliegen kann! Mich zeugt der Ton, mich tötet diese Spitze 1 Sonne! Schildkrötenschatten meinem Witze, Achilles unbeweglich schreitet an! Nein, nein! . . . Steh auf! Tritt in der Zeiten Dauer! Zerbrich, mein Leib, dieser Gedanken Mauer! Trink, meine Brust, des neuen Windes Wehn I Aus Meerestiefe dünsten frische Säfte, Schenken die Seele wieder . . . Salzige Kräfte 1 Ins Wogennaß tauch' ein, neu zu erstehn! 8*

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Valéry Jal Großes Meer, trächtig mit Wahn und Rausche, Du Pantherfell I Chlamys, in deren Bausche Sich tausendfältig spiegelt Sonnenreich, Hydra, von deinem blauen Fleische trunken, Du schlägst den Zahn in deines Schweifes Funken In einem Tosen, das dem Schweigen gleich. Jetzt heißt es leben 1 . . . Wind erhebt sein Brausen! Mein Buch weht auf und zu im luftigen Sausen. Der Wogenstaub sprüht aus der Felsenwand. So fliegt denn hin, ihr überglänzten Seiten, Flut, brande 1 Brich mit Wasser-Seligkeiten Dies stille Dach, der Segel Unterstand. E. R. Curtius VALÉRY: LES PAS

Die Schritte Deine Schritte, als meines Schweigens Kinder, arglos und langsam gesetzt, nahn sie dem Bette, wo ich mich eigens wachsam halte, und frieren jetzt. Göttlicher Schatten, du reine, du gute, o deiner Schritte verhaltener Gruß 1 Was ich, ihr Götter, an Gaben vermute, kommt jetzt zu mir auf entkleidetem Fuß ! Wenn deine Lippen vielleicht schon vom Weiten jenem, der in mir sich bergen muß, seine unendliche Stillung bereiten endlich in dem nährenden Kuß, eile mir nicht zum Vollzuge, dem zarten, Süße, drin Sein und Nichtsein stritt, denn ich lebte vom Dich-Erwarten, und mein Herz war nichts als dein Schritt. R. M. Rilke

Valéry

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Die S c h r i t t e Deine Schritte, meines Schweigens Träume, zögernd hingesetzt mit heil'gem Sinn, nahen kühl dem Bette, wo ich säume, und noch wach und voll Erwartung bin. Göttergleicher Schatten, o du Reine, wie ist süß doch dein verhaltner Schritt! Was, ihr Götter, ich an Gaben meine, kommt auf nackten Füßen leise mit. Wenn dein Mund die Labe will verschenken, die gewährend du bereiten willst, jenem, der nur wohnt in meinem Denken, und den du im Kusse nährst und stillst, Übereile nicht dein zartes Geben, Lust des Seins und Nichtseins bringt es mit; von Erwartung mußte ich ja leben, und mein Herz, es war ja nur dein Schritt. M. Rieple

DER

SYMBOLISMUS

1

Unter Symbolismus im engeren Sinne versteht die Literaturgeschichte eine kur2lebige Bewegung in der französischen Literatur, deren Manifest 1886 von Moréas im Figaro verkündet wird : der Symbolismus wendet sich da gegen das Belehren in der Kunst, gegen Deklamation, Empfindelei und objektive Beschreibung. Er läßt in der Gegenständlichkeit des Gedichts dahinterliegende Ideen ahnen, die als solche nicht faßbar sind. Das Programm schöpft aus der Dichtung und Poetik der großen französischen Symbolisten (Baudelaire, Mallarmé, Verlaine, Rimbaud), deren Werk damals zum wichtigsten Teile schon vorlag. Sie erscheinen heute als die wahren Dichter des Symbolismus, und in solch weiterem Sinne ist der Symbolismus eine zusammenhängende dichterische Bewegung, die, von E. A. Poe und den englischen Präraffaeliten (Rossetti) vorbereitet, zuerst in Frankreich aufbricht und seit 1890 jede Nationalliteratur Europas und Amerikas ergreift. Er wirkt vor allem in der Lyrik (und im lyrischen Drama: Maeterlinck, Rilke, Hofmannsthal), hat dabei aber eine Prägekraft und Wirkungsweite bewiesen, die ihn in die Reihe der großen europäischen Stilbewegungen stellt. Auch die Poetik und Ästhetik der Folgezeit erhalten vom Symbolismus starke Anregungen. Gemeinsam ist symbolistischer Kunst die Absage an die Wirklichkeitswiedergabe sowie das Herauslösen der Kunst aus allen Verflechtungen durch Zweck und Anlaß. In letzter Konsequenz ergibt sich die Idee der poésie pure, des „reinen Gedichts" (Mallarmé). (Die Isolierung der Kunst, der Aufenthalt des Künstlers im elfenbeinernen Turm deutet auf eine be1 Die folgende Übersicht wiederholt - mit geringfügigen A b weichungen - den Artikel „Symbolismus" in dem Kleinen Literar. Lexikon, 2. völlig erneuerte Ausgabe, hrsg. v. W . Kayser, Bern 1953 (Sammlung Dalp, Bd. 1 5 - 1 7 ) .

I

lo

Der Symbolismus

tonte Gegensätzlichkeit zur eigenen Zeit, Gesellschaft und Kultur. Die Spannung offenbart sich mit ihren Gefahren in den Lebensläufen; sie führt zum Selbstmord bei Calé, Sá-Carneiro, zur Flucht bei Rimbaud, zum Ausweichen bei Rilke, zur Zerrüttung durch Rauschgifte bei Poe, Baudelaire, Verlaine, zum übersteigerten Heroismus des Dandys bei Baudelaire, O. Wilde, St. George, d'Annunzio.) Was sich negativ als Ablehnung der Wiedergabe, Beschreibung, Mitteilung, Empfindung äußert, wirkt sich positiv als Besinnung auf die dichtungseigenen Formen aus : der Symbolismus erweitert und vertieft die Mittel von Sprachklang und Reim, von Metrum und Rhythmus, von Wortschatz und Syntax. In der Romania steht dabei die Erneuerung des Verses im Vordergrund (in Frankreich besonders die Frage des vers libre). Vieles erscheint in der Romania als Nachholen dessen, was in den germanischen Ländern schon von der Romantik erreicht wurde. Es gilt weithin als Ziel, die suggestive Wirkung der Musik mit der Sprache zu erreichen (Verlaine: de la musique avant toute chose), so daß Valéry den ganzen Symbolismus als Versuch deutet, der Musik zu nehmen, was der Dichtung gehöre. R. Wagner wird für viele Symbolisten zu einer entscheidenden Begegnung (Baudelaire, d'Annunzio, Rubén Darío). Historisch gesehen, wirkt der Symbolismus zunächst gerade mit diesen Tendenzen auf das Ausland: Verlaine beeindruckt anfangs am stärksten (vgl. die Titel: La bonne chanson, Romances sans paroles). Er wirkt mit seiner Kunst, die „nuance", den Hauch um die Dinge, vor allem die Spuren entflohenen Lebens zu bannen (Motive der Maske, der alten Städte; Beschwörung der Spielwelt des Rokoko). Heute betont man bei der Wesensbestimmung des Symbolismus andere Tendenzen stärker, so daß manche Forscher Verlaine aus dem Symbolismus ausschließen möchten (s. u. Johansen). Entscheidend für die Welt symbolistischer Dichtung ist in der Tat ein Stilzug, den Baudelaire als Gedanken in dem Gedicht Correspondances ausgesprochen hat: die Lehre vom geheimen Zusammenhang alles Seienden (für Baudelaire selber sind dabei E. T. A. Hoffmann und Swedenborg anregend). Das Ineinander-gleiten der Bilder, die Verschränkung mehrerer Metapherschichten sind Stilkennzeichen des Symbolismus schlechthin. Mallarmé wird dabei vorbildlich durch die Wirkungsmacht, die er dem einzelnen sprachlichen Ausdruck abgewinnt,

Der Symbolismus

121

sowie durch die außerordentliche Dichte der Sprache. Die Neigung zu Dunkelheit und Preziosität wird gefördert durch die Lehre von der Bewußtheit des „Machens", die von E. A. Poes Philosophy of composition an bis zu Valéry und Benn hin zum Bestand der symbolistischen Poetik gehört. Ziel des symbolistischen Gedichtes ist die Suggestion und die Verwandlung: als Verwandlung der Wirklichkeit in reines Sein (Mallarmés Gedanke von der Verwandlung durch das magische „ Verbe", in deutlichem Zusammenhang mit Schopenhauers Ästhetik, kehrt bei Rilke wieder) und als Verwandlung des Dichters und Lesers (Valéry: für den Leser komme es nicht auf das „Verstehen" an; für den Dichter wird der Schaffensprozeß wichtiger als das Geschaffene). Die dritte Spielart eines visionären, die Wirklichkeit nicht verwandelnden, sondern sie durchdringenden Symbolismus leitet von Rimbaud zum Surrealismus; in Deutschland vertreten durch Trakl. Die Hauptvertreter des Symbolismus in Frankreich sind: Baudelaire, Mallarmé, Verlaine, Rimbaud, Laforgue, Jammes, Valéry; in Deutschland: St. George (Kreis der Blätter für die Kunst), Rilke, Hofmannsthal, alle drei im Spätwerk den Symbolismus aufhebend; in England: Swinburne, O.Wilde, Symons, Yeats (Zeitschrift Yellow Book); im Spanischen: Rubén Darío, Juan Ramón Jiménez; in Portugal: Eugénio de Castro, M. de Sá-Carnerio; in Italien; d'Annunzio (Frühphase); in Holland: Verwey, J . H. Leopold; in Rußland: Mereschkowskij, Block; in Polen: Przybyszewski (Kreis der jungen Polen); in Rumänien: Minulescu. Literatur

:

Yeats, The Symbolism in Poetry (1900), in: Ideas of Good and Evil, London 1914; R.-B. Chérix, L'Esthétique symboliste, Diss. Fribourg 1927; M. Raymond, De Baudelaire au surréalisme, 1933, 2. Aufl. 1940; C. Becker, Bilanz des französ. Symbolismus, in: G R M , 1933; E. Schinzel, Natur und Natursymbolik bei Poe, Baudelaire und den franz. Symbolisten, Bonn 1931; Svend Johansen, Le symbolisme, Kopenhagen 1945 ; C. M. Bowra, The Héritage of Symbolism (1943), dt. unter d. Titel: D. Erbe des Symbolismus, Hamburg 1947;

122

Die Dichter

Guy Michaud, Message poétique du Symbolisme, 4 Bde., Paris 1947 fr; E . Howald, Das Wesen der latein. Dichtung, Erlenbach-Zürich 1948; ders., Die absolute Dichtung im 19. Jhdt., in: Trivium 6, 1948; A. G . Lehmann, The Symbolist Aesthetic in France, Oxford 1950; T. S. Eliot, Von Poe zu Valéry, in: Merkur, 1950; Kenneth Cornell, The Symbolist Movement, Yale Roman. Studies, Serie II, Nr. 2, 1953; W. Kayser, Der europäische Symbolismus, in: Duitse Kroniek, J g . 5, 195j. DIE

DICHTER

Baudelaire Sein Leben Charles Baudelaire wurde 1821 in Paris als einziges Kind eines über 60 Jahre alten höheren Beamten und einer 27jährigen Mutter geboren. Vom Vater, der sich, bereits pensioniert, ganz seinen literarischen und vor allem malerischen Neigungen widmete, hat B. offensichtlich die merkliche zeichnerische Begabung geerbt. Die Mutter verheiratete sich nach dem Tode des Gatten (1827) mit einem höheren Offizier, den B. von früh an mit seinem Haß verfolgte. Allen Erziehungsplänen der Eltern widersetzte er sich mit dem festen Entschluß, ein unabhängiges Leben als Schriftsteller zu führen. Eine einjährige Reise (1841/42) verschafft ihm das erregende Erlebnis der tropischen Welt. Nach der Rückkehr ermöglicht ihm ein ererbtes Vermögen die wirtschaftliche Selbständigkeit, die er freilich selber durch seine Lebensführung erschüttert. Er wird entmündigt und bleibt so im Genuß einer kleinen Rente. An der Seite der Jeanne Duval, einer Halbblütigen aus S. Domingo, lebt er die Form des Dandys („Der Dandy ist vor allem eine Art weltlicher Anachoret"; „Dandysmus ist das letzte Aufleuchten des Heroismus in einer Zeit der Dekadenz"). Schriftstellerisch betätigt sich B. als Literatur- und besonders Kunstkritiker (Eintreten für Delacroix); daneben entsteht schon in

123

Die Dichter

den vierziger Jahren der Hauptteil der Fleurs du Mal. Vom Beginn der fünfziger Jahre datiert die eingehende Beschäftigung mit E. A. Poe, den B. übersetzt und dessen Lehren (Philosophy of Composition) er in seinen kritischen Schriften verkündet. In die gleiche Zeit fällt nach einem Selbstmordversuch das Erproben der Rauschgifte (Les Paradis artificiels. Opium et Haschisch. 1860). Die Veröffentlichung der Fleurs du Mal (1857) führt zur Anklage und gerichtlichen Verurteilung („wegen Erregung der Sinne"). Einige Aufsätze aus dem Beginn der sechziger Jahre treten für den umkämpften R. Wagner ein, in dem B. (nach E. A. Poe) den zweiten ihm wahlverwandten Künstler spürt. Während eines Aufenthaltes in Belgien (seit 1864) bricht in dem zerrütteten Körper, als Aphasie beginnend und zur Lähmung führend, die Krankheit aus, der B., nach Paris gebracht, im Jahre 1867 erliegt. Ausgaben

der

Werke:

ed. J . Crépet, 5 Bde, Paris 1922-28 (mit Kommentar); ed. F. F. Gautier und Y.-G. Le Dantec, 14 Bde, Paris 1918-37; ed. Le Dantec, 2 Bde, (Sammig. La Pléïade), Paris 1938 (mit Kommentar) ; ed. Th. Maulnier, 3 Bde, Paris 1948; Les Fleurs du Mal, ed. J . Crépet und G. Blin (kritische, reich kommentierte Ausgabe), Paris 1942; Les Fleurs du Mal, ed. R. B. Chérix (mit Komm.), Genf 1949. Literatur

:

François Porché: La vie douloureuse de Ch. B., dt.: Der Leidensweg des Dichters B., Berlin 1930; P. Klassen, B.s Welt und Gegenwelt, Weimar 1931 ; W. T. Bandy; B. judged by his contemporaries (1845-67), New York, Publ. Inst, of French Studies, 1932; Jean Pommier; La mystique de B., Paris 1932; A. Ferran: L'esthétique de B., Paris 1933; J . D. Hubert, L'esthétique des Fleurs du Mal, Cailler, Genf s.A. André Guex, Aspects de l'Art Baudelairien, Thèse Lausanne 1934;

124

Die Dichter

Gerda Anegger, Der Spleen bei Ch. B., Diss. Zürich 1937 A. Pellegrini, B., Mailand 1938; F. Kemp, B. und das Christentum, Marburg 1939; G. Blin, B., Paris 1939; W. T. Bandy, A Word-Index to B.s Poems, Madison, Wise. 1939; Alb. Feuillerat, L'Architecture des Fleurs du Mal, New Haven 1941; K . R. Gallas, Plastische en graphische inspiratie bij B., Neophilol. 28, 1943; Jean Massin, B. entre Dieu et Satan, Paris 1945 ; F. Porché, B., Paris 1945; J. Pommier, Dans les chemins de B., Paris 1945 (wichtig für die Quellen); J. Benett, B., A Criticism, Princeton Univ. Pr. 1946; G. Macchia, B. e la poetica della malincolia, Neapel 1946; W. Hausenstein, B., Nachwort zu: B., Ausgew. Gedichte, München 1946; B. Fondane, B. et l'expérience du gouffre, Paris 1947; P. Messiaen: Sentiment chrétien et poésie française. B., Verlaine, Rimbaud, Paris 1947; J. P. Sartre, B., Paris 1947; Margaret Gilman, From Imagination to Immediacy, Roman. Rev. 39, 1948; G. Blin, Le sadisme de B., Paris 1948; M. Rocca, L'idealismo di B., Padua 1948; W. Benjamin, Über einige Motive bei B., Sinn u. Form, Jg. I, 1949; ders., B. : Tableaux parisiens. Mit einem Vorwort über die Aufgabe des Übersetzens, Heidelberg 1923; J. B. Batermanis, Etude sur le style de B., Paris 1949; A. Coléno, Les portes d'ivoire: Nerval, B., Rimbaud, Mallarmé, 1949; T. S. Eliot, B., in: Ausgew. Essays, Berlin-Frankft. 1950; E. Auerbach, The Esthetic Dignity of the Fleurs du Mal, The Hopkins Rev. IV, 1950; Henry Peyre, Connaissance de B., Paris 1951; Jean Prévost, B., Paris 1953; G. Hess, D. Landschaft in B.s Fleurs du Mal, Sitzungsber. Heidelberg 1953.

Die Dichter Baudelaire

in

125

Deutschland:

L. Reynaud, Histoire générale de l'influence française en Allemagne. 1914; ders., Français et Allemands. Histoire de leurs relations intellectuelles et sentimentales, 4. Aufl. Paris 1930; Kurt Kaemmer, D. Versdichtungen von B. und Verlaine in dt. Sprache, Masch. Diss. Köln 1922; A. Saint-Paul, St. George et le symbolisme français, Revue d'Allemagne 1928; F. Rauhut, B. in der dt. Dichtung, Dt.-franz. Rdschau 4, 1931. M. Sior, St. George und d. franz. Symbolismus, Diss. Gießen 1932; E. L. Duthie, L'influence du symbolisme français dans le renouveau poétique de l'Allemagne : Les Blätter für die Kunst, Paris 1933; Gedichte : (Die ausgewählten Gedichte stammen sämtlich aus den Fleurs du Mal) Au lecteur (Widmungsgedicht, 1855 gedruckt) dt. von H. S. Mehring W. Hausenstein Karl Schmid C. Fischer

1 2 3 5

L'Albatros (aus der Gruppe Spleen et Idéal; vermutlich nicht vor 1846 entstanden) dt. von St. George P. Lövenich W. Hausenstein Eva Scheer M. Rieple A. Schoenhals

6 6 7 8 8 9

Correspondances (aus der Gruppe Spleen et Idéal; 1857 gedruckt) dt. von St. George 9 H. Horvât 10 W. Hausenstein 10

iz6

Die Dichter Eva Scheer E. Jaime C. Fischer

11 11 12

Parfum exotique (aus der Gruppe Spleen et Idéal; 1857 gedruckt) dt. von St. George H. Horvât H. Havemann E. v. Beckerath C. Fischer

12 13 13 14 14

La cloche fêlée (aus der Gruppe Spleen et Idéal; 1851 vorliegend) dt. von St. George 15 W. Hausenstein 16 K . Schmid 16 A. Schoenhals 17 C. Fischer 17 Spleen (aus der Gruppe Spleen et Idéal ¡ 1 8 5 7 gedruckt) dt. von St. George H. Havemann W. Hausenstein K. Schmid C. Fischer

18 18 19 20 21

Le crépuscule du matin (aus der Gruppe Tableaux Parisiens ; 1843 vorliegend) dt. von St. George 21 H. Havemann 22 W. Hausenstein 23 K . Schmid 24 C. Fischer 25 Mallarmé Sein Leben Mallarmé (den Vornamen Etienne wandelte er selber später in Stéphane um) wurde 1842 in Paris geboren. Seine frühen Gedichte (schon während der Schulzeit in Sens) standen den Parnassiens nahe. Neben den Einfluß Banvilles trat dann der

Die Dichter

127

E . A . Poes, der ihn zur Beschäftigung mit der englischen Sprache und Literatur führte (die Übersetzung des Raven erschien 1874). Nach der Heirat mit der deutschblütigen Marie Gerhard ging Mallarmé 1862-64 nach London und kam in Berührung mit den englischen Präraffaeliten. Als Lehrer des Englischen wirkte Mallarmé zunächst an Schulen in der Provinz (Tournon, Besançon, Avignon), von 1872 an in Paris. E r fand schnell Anschluß an literarische Kreise: „ D e r Komplizierte, der Erlesene, mit ruhiger priesterlicher Gebärde, von Dichtung träumend, die Musik wäre, von Versen, welche die Empfindung einer Symphonie gäben" (Fr. Coppée). Die Dichtungen um 1870: Igitur, Hérodiat, L'après-midi d'un faune künden eine neue Phase seines Dichtens an: die Ausbildung einer eigenen, konzentrierten Sprache, in der sich die Wirklichkeit verwandelt (Plan eines sprachwissenschaftlichen Werkes). Seit 1883 wurden die Dienstagabende in seiner Wohnung Rue de Rome zum Treffpunkt der symbolistischen Dichter, auch aus anderen Ländern (St. George, Swinburne, Yeats, Rubén Dario), die in ihm den Meister verehrten : „deshalb o dichter nennen dich genossen und jünger so gerne meister weil du am wenigsten nachgeahmt werden kannst und doch so großes über sie vermochtest, weil alle in sinn und wolklang nach der höchsten Vollendung streben damit sie vor deinem auge bestehen : weil du für sie immer noch ein geheimnis bewahrst und uns den glauben lässest an jenes schöne eden das allein ewig ist" (St. George in seiner Lobrede auf M.). Um das dunkle Spätwerk ranken sich heitere und spielfrohe Gelegenheitsgedichte, die erst später und nur zum Teil bekannt geworden sind. Die letzten Lebensjahre verbrachte Mallarmé, 1896 zum prince des poètes gewählt, in seinem Landhaus in Valvins (bei Fontainebleau), wo er 1898 starb. Ausgaben der

Werke:

Poésies, Genf 1943 (Les trésors de la litt, française, Bd. 6); Oeuvres complètes, ed. H. Mondor und G. Jean-Aubry, Paris 1945.

Literatur:

A. Thibaudet, La poésie de St. M., Paris 1912, 3. Aufl. 1 9 3 1 ; C. Soula, La poésie et la pensée de St. M., 2 Bde., Paris 1926, 31 ;

128

Die Dichter

Jean Royère, M., Paris 1931; F. Rauhut, Das Romantische und Musikalische in der Lyrik St. M.s, 1926; H. Cooperman, The Aesthetics of M., New York 1933 ; W.Naumann, Der Sprachgebrauch M.s, Diss. Bonn 1935; E. Duj ardin, M. par un des siens, Paris 1936; K. Wais, M., München 1938, 2. Aufl. 1951; K. Vossler, M. und die Seinen (1938; in: Aus d. roman. Welt, Karlsruhe 1948); Deborah A. K. Aish, La métaphore dans l'œuvre de St. M., Paris 1938; E. Noulet, La poésie de M., Paris 1940; - , L'œuvre poétique de M., Paris 1941; - , Dix poèmes de St. M., Exégèses, 1948; H. Mondor, La vie de M., 2 Bde., Paris 1941; - , St. M., Propos sur la poésie, Monaco 1946; Ch. Mauron, M. l'obscur, Paris 1941 ; P. Beausire, Essai sur la poésie et la poétique de M., Paris 1942 ; J. Schérer, L'expression litt, dans l'œuvre de M., 1947; Zschr. „Les Lettres", num. spécial: M., Paris 1948; A. Coléno, Les portes d'ivoire: Nerval, Baudelaire, Rimbaud, M.1949; C. Roulet, Nouveaux éléments de poétique mallarméenne, 1950; J. Gengoux: Le Symbolisme de M., 1950; W. Küchler, Weltgefühl und Formtrieb: M. und Valéry, in: Arch. f. d. Studium d. neuer. Spr. Jg. 104, Bd. 189, 1953. Mallarmé in Deutschland: (Die Arbeiten von L. Reynaud, A. Saint-Paul, M. Sior, E. L. Duthie vgl. o. bei Baudelaire) F. Nobiling, M.-Übersetzungen, Ideal. Philologie III, 1927/28; A. Thibaudet, M. en Angleterre et en Allemagne, Nouv. rev. française 1. 1. 1928 (wiederabgedrucktin Réflexions sur la litt. II); W. Kellermann, Die jüngste dt. M.-Exegese, in: GRM 27, !939; E. Pavilanaite, M. en Allemagne, Rev. de litt, comp., 1949.

Die Dichter Gedichte: Apparition (1884 gedruckt) dt. von St. George K . L. Ammer W. Petry R. v. Schaukai R. Netzer E. Scheer W. Hausenstein H. Strassova Brise marine (1866 gedruckt) dt. von St. George A. Neumann F. J . Nobiling R. v. Schaukai R. Netzer E. Scheer W. Willige W. Hausenstein G. Schneider Autre Eventail, de Mademoiselle Mallarmé (1884 gedruckt) dt. von R. M. Rilke F. J . Nobiling R. v. Schaukai R. Netzer F. Usinger K . Reidemeister Petit air (1894 gedruckt) dt. von A. Neumann F. J . Nobiling R. v. Schaukai R. Netzer A. Müller-Bürklin K . Reidemeister E. Jaime Ses purs ongles (in 1. Fassung 1868; endgültige Fassung 1887 gedruckt) dt. von F. J . Nobiling R. v. Schaukai 9 Deutsche Texte 2

129

26 26 27 27 28 28 29 29 30 30 31 31 32 32 33 33 34 34 35 36 36 37 38 38 39 39 40 40 41 41 42 43

IJO

Die Dichter

Le Tombeau d'Edgar Poe (1875 vorliegend) dt. von F. J . Nobiling R. v. Schaukai F. Usinger

43 44 44

Mes bouquins refermés (1887 gedruckt) dt. von F. J . Nobiling R. Netzer F. Usinger K . Reidemeister P. Gan

45 45 46 46 47

Verlaine Sein

Leben

Paul Marie Verlaine wurde 1844 in Metz als Sohn eines lothringischen Pionieroffiziers geboren, der 1851 nach dem Abschied mit der Familie nach Paris übersiedelte. Die Gedichte der Sammlung Poèmes saturniens, mit denen der junge städtische Angestellte 1866 Beachtung fand, stammten zu einem Teil aus der Schulzeit und standen noch den Parnassiens nahe. In den beiden folgenden Sammlungen Fêtes galantes (1869) und La bonne chanson (1870, den Gedichten der Brautzeit) erklingt durchweg der Verlaine eigene Ton, der in der ersten Sammlung erst gelegentlich (Chanson d'automne) aufgeklungen war. Der frühe Hang zum Alkohol störte die 1870 geschlossene Ehe; die Teilnahme am Kommuneaufstand wurde für Verlaine zum Vorwand, die Stellung aufzugeben. 1871 lud er den jungen Rimbaud, der sich mit Briefen und Gedichten an ihn gewandt hatte, nach Paris ein und berief damit den Stärkeren, der ihn ganz aus seiner Umwelt zog. Ohne Abschied verließ Verlaine 1872 die Familie, um mit dem Freunde zuerst nach England, dann nach Belgien zu gehen. In Brüssel verwundete Verlaine den sich trennen wollenden Rimbaud durch einen Pistolenschuß und wurde zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt. In der Haft wandte sich Verlaine dem katholischen Glauben seiner Kindheit zu. Die Sammlung Romances sans paroles, 1874 erschienen, enthielt den dichterischen Ertrag der Reise, die Sammlung Sagesse, erst 1881 veröffentlicht, spiegelte

Die Dichter die innere Wandlung. A b e r der Versuch, auf diese Weise Halt zu finden, scheiterte wie der zu einer Aussöhnung mit seiner Frau, die die Scheidung durchgesetzt hatte, oder der zu einer Annäherung an Rimbaud, den er in Stuttgart aufsuchte, oder wie jeder andere, sehnsüchtig aber energielos unternommen, ins bürgerliche Leben zurückzufinden. D e m Trunk verfallen, verbrachte Verlaine die folgenden Jahre im Elend, als stadtbekannte Figur des Quartier latin. (Spätere Sammlungen u. a. Jadis et Naguère, 1884; A m o u r , 1888; Parallèlement, 1889; Liturgies intimes, 1892; Odes en son honneur, Elégies, 1893; Dans les limbes, 1894; dazu die literarhistorisch wichtige Sammlung Poètes maudits, 1884.) Nach jahrelangem Dahinsiechen starb Verlaine im Jahre 1896, schon bei der Beerdigung gleichsam nachträglich und offiziell als der prince des poètes anerkannt, zu dem ihn die literarische Jugend seines Viertels als Nachfolger des Leconte de Lisle 1894 erwählt hatte.

Ausgaben

der

Werke:

Oeuvres complètes, 8 Bde., Paris 1931/32; Oeuvres poét. complètes, ed. Y . - G . L e Dantec (Ed. de la Pléïade), 3 Bde., Paris 1938; Poésies, ed. Y . - G . Le Dantec (Ed. de Cluny), 8 Bde., Paris 1942 ff. Literatur: W. Fleischer, Synaesthesie u. Metapher in V . s Dichtungen, Diss. Greifswald 1911; P. Martino, V . , Paris 1924; H . Strentz, P. V . Son œuvre, Paris 1925; E . Delahaye, P. V . , Paris o. J. ; M . Vogler, Die schöpferischen Werte der V . sehen Lyrik, Zürich 1927; André Benéteau, Etude sur l'inspiration et l'influence de V . , Washington 1930; W. Schwachenberg, V . und Baudelaire (Diss. Münster), Bochum 1935 ; K . Rost, Der impression. Stil V.s, Münster 1936; C. Cuénot, Etat présent des études verlainiennes, Paris „ L e s belles Lettres", 1938; 9*

Die Dichter

IJ2

F. Carco, V., Paris 1939; G. Haug, V., Die Geschichte des armen Lelian. Leben, Dichtung, Bekenntnisse, Briefe, Basel 1944; L. Morice, V., le drame religieux, Paris 1946. Verlaine in Deutschland: (Die Arbeiten von L. Reynaud, A. Saint-Paul, E. L. Duthie vgl. o. bei Baudelaire)

M. Sior,

Kurt Kaemmer, Die Versdichtungen von Baudelaire und V. in dt. Sprache, Masch.-Diss. Köln 1922; W. Küchler, P. V. in dt. Gewände, GRM. 10, 1922; L. Grebert, P. V. und seine dt. Übersetzer, Diss. Gießen 1928; G. Binder, Die Wirkung P. V.s im Räume der dt. Dichtung, in: Die Westmark, Jg. 9, 1942; Gedichte: Aus der Sammlung Poèmes Saturniens (1866) Chanson d'automne (1864 entstanden) dt. von St. George H. Bethge W. v. Kalkreuth E. Hardt R. v. Schaukai M. Lehrs G. v. d. Vring G. Haug J . Maass H. Kehrli H. Burte

47 48 48 49 50 50 51 51 52 53 53

Aus der Sammlung La Bonne Chanson (1870) La lune blanche dt. von R. Dehmel F. Evers O. Hauser

54 54 55

Die Dichter

133

W.V.Kalkreuth R. v. Schaukai E.Hardt F. v. Oppeln-Bronikowski G. v. d. Vring M. Lehrs G. Haug A. Schoenhals H. Kehrli

56 56 57 57 58 58 59 60 60

Aus der Sammlung Romances sans Paroles Bruxelles (Chevaux de bois; 1872 entstanden, zuerst in „Sagesse" gedruckt, dann, umgearbeitet, in die „Romances" eingereiht) dt. von K. Henckell M. Brod G. v. d. Vring P. Lövenich G. Haug Green dt. von St. George W. v. Kalkreuth R. v. Schaukai G. Haug M. Rieple A. Schoenhals H. Strassova Aus der Sammlung Sagesse (18 81) Kaspar Hauser dt. von St. George R. Dehmel F. Evers O. Haendler O. Hauser W. v. Kalkreuth G. Haug E. Scheer A. Schoenhals

61 62 63 64 65 66 66 67 67 68 68 69

69 70 70 71 71 72 72 73 74

134

Die Dichter

Le ciel est, par-dessus le toit dt. von R. Dehmel W. v. Kalkreuth R. v. Schaukal C. Flaischlen E. Hardt A. Neumann M. Lehrs G. Haug E. Scheer H. Kehrli P. Wantzen M. Rieple A. Schoenhals

74 75 75 76 77 77 78 78 79 79 80 80 81

Aus der Sammlung Jadis et Naguère (1884) Art poétique (1874 entstanden, 1882 gedruckt) dt. von R. v. Schaukal E. Scheer P. Wantzen E. Jaime

82 83 84 84

Rimbaud Sein Leben Jean-Arthur Rimbaud, geboren 1854 in Charleville (an der Maas), hat sein ganzes dichterisches Werk zwischen dem 16. und 20. Lebensjahr geschrieben. Abenteurerlust trieb schon den Jungen auf Streifzüge durch das Land, und die Fremdheit gegenüber allen überkommenen Lebensformen steigerte sich in dem Jüngling zu anarchistischen Auffassungen. Die Gedichte, die der 16jährige an Verlaine sandte und die in Motivik wie Sprache etwas völlig Neues boten (u. a. Bateau ivre; auch Les Effarés und Voyelles gehören zu diesen Gedichten aus den Jahren 1869-71) führten zu der für Verlaine so folgenschweren Einladung nach Paris. In den Monaten dort und auf der Reise nach England und Belgien (1872/73) entstanden die Gedichte der Gruppe Illuminations. Verlaine, der das Manuskript er-

Die Dichter

135

halten hatte, gab sie 1886 heraus, nachdem er dem ehemaligen Freunde mit den in den Poètes maudits veröffentlichten Proben Anerkennung verschafft hatte (dort die Erstdrucke von Bateau ivre, Voyelles und anderen Gedichten). Rimbaud selber hatte die während der Sommermonate 1873 entstandenen Gedichte und Skizzen unter dem Titel Une Saison en Enfer zusammengefaßt, sagte dann aber der Dichtung für immer ab. Nach einigen Streifzügen (u. a. Sprachlehrer in Stuttgart, dort letzte Begegnung mit Verlaine, den er nach einem Streit niederschlug) verließ er Europa. In verschiedenen Berufen tätig, ging er zunächst nach dem vorderen Orient (Cypern, Aden), dann, als Waffenhändler, nach Abessinien. Schwer erkrankt kehrte er nach Frankreich zurück und starb 1891 im Mar seiller Krankenhaus. Ausgaben der

Werke:

Oeuvres, ed. P. Berrichon, Paris 1898; neue Ausgabe 1934 (mit Vorwort von P. Claudel) ; Oeuvres complètes, ed. P. Berrichon, 3 Bde., Paris 1921 ; Oeuvres complètes, ed. P. Pia, Brüssel 1931; Poésies, ed. H. de Bouillane de Lacoste, Paris 1940 (Mercure de France) ; Oeuvres, ed. Bouillane de Lacoste, Paris 1950. Literatur:

H.Jacob, Das Leben d. Dichters R., München 1921; A. Bumiller, R., seine Welt und seine Kunst, Diss. Marburg 1924; K. Krollmann, R. und d. Krise d. Abendlandes, Gladbach 1929; Marcel Coulon, La vie de R. et de son œuvre, Paris 1929; F. Ruchon, J. A. R., sa vie, son œuvre, son influence, Paris 1929 ; Enid Starkie, Das trunkene Schiff, A. R. (aus d. Engl, übers. von H. B. Wagenseil), Berlin 1938, 2. Aufl. Hamburg 1948; J. P. Vaillant, R. tel qu'il fut, Paris 1930; J. Rivière, R., Paris 1930, 2. Aufl. 1938; P.-H. Paillou, A. R., père de l'existentialisme, Paris 1947; W. Küchler, Trunkene und gläubige Dichtung, R.-Claudel. In: Darstellung u. Deutung, H. 6, Iserlohn 1948; - , A. R., Bildnis eines Dichters, Heidelberg 1948.

136

Die Dichter

A. Coléno, Les portes d'ivoire: Nerval, Baudelaire, R., Mallarmé, 1949; J. Gengoux, La pensée poétique de R., Paris 1950; D. A. de Graaf, Le „Vaisseau fantôme" et le „Bateau ivre", in: Etudes German. Jg. 8, 1953; F. v. Rexroth, A. R., in: Antares Jg. 2,1954. Rimbaud

in

Deutschland:

(Die Arbeiten von L. Reynaud, A. Saint-Paul, M. Sior, E. L. Duthie vgl. o. bei Baudelaire) Franz W. Müller, R.s Trunkenes Schiff, Geschichte der dt. Übertragungen, in: Die Wandlung, Jg. 1, H. 11, 1945/46; B. Blume, R.s Ophelie in d. dt. Literatur, in: G.R.M., N. F. 4, 1954; G. Haug, R. in dt. Nachdichtung, in: Antares Jg. 2,1954. Gedichte: Les effarés (1870 entstanden) dt. von A. Wolfenstein W. Hausenstein E. Scheer F. H. Herrmann H. Burte

85 87 88 89 90

Bateau ivre (Januar 1871 vorliegend, 1884 gedruckt) dt. von A. Neumann A. Wolfenstein W. Hausenstein W. Küchler P. Lövenich P. v. Thun-Hohenstein

92 94 95 97 99 101

Voyelles (1871 vorliegend, 1884 gedruckt) dt. von St. George W. Petry A. Wolfenstein W. Küchler

. 103 104 104 105

Die Dichter

137 105 106

E . Scheer A . Schoenhals O saisons, 0 châteaux (aus den Illuminations 1873)

106 107

dt. von A . Wolfenstein W . Küchlet

Valéry Sein Leben Paul Valéry wurde 1871 in Cette (Languedoc) als Sohn eines Südfranzosen und einer Italienerin geboren. E r studierte zunächst Jura (in Montpellier), dann in Paris Mathematik, Musik und Literatur. D i e Bekanntschaft mit Mallarmé (1890) bestimmte sein frühes Dichten und Denken, daneben wirkte noch einmal E. A . Poe auf die Vorstellungen v o m dichterischen Schaffen. Schon in die 90er Jahre fallen Untersuchungen über die Methode des menschlichen Denkens (Introduction à la méthode de Leonardo da Vinci, 1895 ; La soirée avec Monsieur Teste, 1896; beides dt. v o n M . Rychner). Angestellt im Kriegsministerium und dann in der Agentur Havas, suchte Valéry das Wesen und Wirken des Geistes und die A u f g a b e der Dichtung („Überführung der Weltsubstanz in wandellose Sprachgestalt") für sich zu bestimmen, während er als Dichter völlig schwieg. Erst 1917 trat er, in schöpferischer Reaktion auf die Sinnlosigkeit des Krieges, mit dem Gedicht La jeune parque hervor. Der Band Charmes v o n 1922 (darin der Cimetière marin und Les pas) verschaffte ihm die Anerkennung als des repräsentativen Lyrikers; 1925 wurde er in die Akademie aufgenommen. Neben dem lyrischen Werk t steht das des Denkers und Kulturkritikers (5 Bände Variétés seit 1924; Dialoge wie Eupalinos ou l'architecte, précédé de L ' A m e et la danse, dt. v o n R. M . Rilke; Ansprachen wie der Discours en l'honneur de Goethe, 1932, dt. von F. Usinger). Valéry ist 1945 in Paris gestorben. Ausgabe

der

Gedichte:

Poésies, Paris 1931.

i}8

Die Dichter Literatur:

F. Lefèvre, Entretiens avec P. V., Paris 1926; G. Cohen, Essai d'explication du Cimetière marin suivi d'une glose analogue sur La jeune Parque, précédé d'un avantpropos de P. V. au sujet du Cimetière marin, Paris (1929) 1946; F. Rauhut, P. V., Geist und Mythos, München 1930; R. Palgen, Le cimetière marin. Versuch einer Deutung, Breslau 1931; P. V. (Sammelband, hg. von M. Eigeldinger) Paris 1945 (darin Th. Spoerri über den Cimetière marin); P. Mascagni, Initiation à P. V., Paris 1946; M. Raymond, P. V. et la tentation de l'esprit, Neuchâtel 1946 (dt.: P. V. und die Versuchung des Geistes, Zürich 1947); O. Macrl, II cimitero marino di P. V., Florenz 1947; J . Duchesne-Guillemin, Etude de „Charmes" de P. V., BrüsselParis 1947; E. Noulet, P. V., Etudes, Brüssel 1950; M. Doisy, P. V., Intelligence et poésie, Paris 1952; P. Guiraud, Langage et versification d'après l'œuvre de P. V., Paris 1953; M. L.-J. Austin, P. V. compose le Cimetière marin, Mercure de France, 1. 4. und 1. 5. 1953; P.-O. Walzer, La poésie de V., Genf 1953 (mit Interpret, u. Bibliogr.); F. Scarfe, The Art of P. V., London 1954; K . Maurer, Interpretationen z. spät. Lyrik V.s, München 1954. H. Gmelin, Kleines Wörterbuch zu P. V.s Gedichten, Roman. Forschungen 61, 1947; A. Henry, Langage et poésie chez P. V., Paris 1952. Valéry in

Deutschland:

(Die Arbeiten von L. Reynaud, A. Saint-Paul, M. Sior, E. L. Duthie vgl. o. bei Baudelaire) A. Grosser, Rilke traducteur du „Cimetière marin", in: Etudes German. 1949. D. Grossmann, R. u. der französ. Symbolismus, Diss. Jena 1938.

Die Dichter

139

Gedichte: Cimetière marin (1917 1. Fassung, 1920 in der Nouvelle Revue Française gedruckt) dt. von R. M. Rilke (1920 vorliegend) E. R. Curtius

108 112

Les pas (1922 gedruckt) dt. von R. M. Rilke . M. Rieple

N A C H W E I S E DER

116 117

ÜBERSETZUNGEN

A m m e r , K. L. Die Lyrik des Auslandes in neuerer Zeit, hg. H. Bethge, Leipzig 1907 (Hesse & Becker). Mallarmé: Erscheinung

26

Beckerath, Erich von Aussaat, Zeitschr. f. Kunst u. Wissensch., Jg. 1,1946. Baudelaire; Fremder Duft

14

Bethge, Hans Die Lyrik des Auslandes in neuerer Zeit, Leipzig 1907. Verlaine: Herbstlied

48

B r o d , Max P.Verlaine, Ges. Gedichte. Eine Auswahl der besten Übertragungen, hg. St. Zweig, Leipzig 1922 (Insel). Verlaine: Brüssel (Ringelspiel)

62

B u r t e , Hermann Adler und Rose. Französ. Gedichte, in das Dt. über tragen von H. B., Heidelberg 1949 (Pfeffer). Verlaine: Herbstlied Rimbaud: Die Entrückten

90

Curtius, Ernst Robert Franz. Geist im neuen Europa, Stuttgart 1925 (DVA). Valéry: Friedhof am Meer

112

53

D e h m e l , Richard Ges. Werke, Bd. I, Berlin 1906 (S. Fischer). Verlaine: Helle Nacht (1896) Verlaine : Lied Kaspar Hausers Verlaine: Einkehr E v e r s , Franz Erntelieder, Leipzig 1901 (Spohr). Verlaine: Helle Nacht Verlaine: Kaspar Hausers Lied F i s c h e r , Carl Ch. Baudelaire: Die Blumen der Verworfenheit, Nachdichtungen von C. F., Söcking 1949 (Bachmair). Baudelaire : An den Leser Baudelaire: Entsprechung Baudelaire : Exotischer Duft Baudelaire: Die gesprungene Glocke . . . . Baudelaire: Spleen Baudelaire: Die Morgendämmerung . . . . F l a i s c h l e n , Cäsar P. Verlaine, Ges. Gedichte. Eine Auswahl der besten Übertragungen, hg. St. Zweig, Leipzig 1922 (Insel). Verlaine : Im Gefängnis G a n , Peter (Richard Moering) Literarisches Deutschland, Nr. vom 5. 6. 1951. Mallarmé: Beim Namen Paphos G e o r g e , Stefan Baudelaire, Die Blumen des Bösen. Umdichtungen (1901). Gesamtausgabe Bd. 13/14, Berlin i93o(Bondi). Baudelaire: Der Albatros Baudelaire: Einklänge Baudelaire: Fremdländischer Duft (1894) . . Baudelaire : Die gesprungene Glocke . . . . Baudelaire: Trübsinn Baudelaire: Morgendämmerung Zeitgenössische Dichter, Übertragungen (1905). Gesamtausgabe Bd. 15/16, Berlin 1929. Verlaine: Herbstlied Verlaine: Green (1892) Verlaine: Kaspar Hauser singt

54 70 74

54 70

5 12 14 17 21 25

76 47

6 9 12 15 18 21 47 66 69

Die Dichter

Mallarmé: Erscheinung Mallarmé: Seebrise(189z) Rimbaud: Vokale Haendler, Otto P.Verlaine, Ausgew. Gedichte, Straßburg 1903 (Heitz.) Verlaine: Kaspar Hauser spricht Hardt, Ernst P. Verlaine, Ges. Gedichte. Eine Auswahl der besten Übertragungen, hg. St. Zweig, Leipzig 1922 (Insel). Verlaine: Herbstgesang Insel-Almanach auf das Jahr 1909. Verlaine: Der weiße Mond Verlaine: Der Himmel ist am Dache dort . . . H a u g , Gerhart Verlaine, Die Geschichte des Armen Lelian. Leben, Dichtung, Bekenntnisse, Briefe, Basel 1944 (Schwabe). Verlaine : Herbstlied Verlaine : Der blasse Mond Verlaine: Ringelspiel Verlaine: Greerr Verlaine: Das Lied Kaspar Hausers Verlaine : Der Himmel am Dach liegt . . . . Hausenstein, Wilhelm Ch. Baudelaire. Ausgew. Gedichte, dt. von W. H., Freiburg 1946 (Alber). Baudelaire: An den Leser Baudelaire : Der Albatros Baudelaire: Entsprechungen Baudelaire : Die geborstene Glocke Baudelaire: Spleen Baudelaire: Die Morgendämmerung . . . . Prisma, Jg. i, Nr. 4, Februar 1947. (Vgl. auch: D. trunkene Schiff u. and. französ. Gedichte d. i9.Jhdts. In Übers, von W. H., Freiburg/München 1950). Mallarmé: Erscheinung Mallarmé : Seewind Die Wandlung, Jg. 1, H. 4, 1945/46. (s. o.) Rimbaud: Die Verzückten Rimbaud: Trunkenes Schiff

141

26 30 103 71

49 57 77

51 59 65 67 72 78

2 7 10 16 19 23

29 33 87 95

142

Die Dichter

Hauser, Otto Französ. Lyrik seit der Großen Revolution bis auf die Gegenwart, in Übertragungen hg. von F. Gundlach, Leipzig 1904 (Reclam). Verlaine: Im Walde leuchtet Verlaine: Kaspar Hauser Havemann, Hans Ch. Baudelaire, Der Verworfene. Nachdichtungen von H. H., Hannover 1920 (Zweemann). Baudelaire: Exotischer Duft Baudelaire: Morgendämmerung Henckell, Karl Weltlyrik, Nachdichtungen, 1910. Text nach Ges. Werke, Bd. 4, München 1921 (J. M. Müller). Verlaine: Karussell Herrmann, Friedrich Hans Aus fünf Jahrhunderten französ. Poesie. Nachdichtungen französ. Lyrik, Freiburg 1947 (Brücke). Rimbaud, Die Verzückten H o r v ä t , Heinrich Die Lyrik des Auslandes in neuerer Zeit, hg. H. Bethge, Leipzig 1907 (Hesse & Becker). Baudelaire : Exotischer Duft J a i m e , Eward Der französ. Parnass. Skizzen und Nachdichtungen, Hannover 1948 (Beeck). Baudelaire: Einklang Verlaine: Musik, Musik vor allen Dingen (vom Übers, gekürzt) Mallarmé : Kleines Lied K a l k r e u t h , Wolf Graf v. P. Verlaine, Ausgew. Gedichte. Übertragen von W. Graf v. K., Leipzig 1906 (Insel). Verlaine: Herbstlied Verlaine : Vom Mondenschein ist Verlaine: Green Verlaine: Caspar Hauser singt . . . . . . . Verlaine : Es glänzt der Himmel über dem Dach

55 71

13 22

61

89

13

11 84 41

48 56 66 72 75

Die Dichter

K e h r l i , Hedwig Baudelaire, Verlaine, Rimbaud. Die großen Dichter der Franzosen. Hg., übertragen von H. K., Zürich 1946 (Classen). Verlaine: Herbstlied Verlaine : Das weiße Mondlicht Verlaine: Der Himmel dehnt sich überm Dach K ü c h l e r , Walther A. Rimbaud, Sämtl. Gedichte. Französ. mit dt. Übertragung von W. K., Heidelberg 1946 (Lambert & Schneider). Rimbaud: Trunkenes Schiff Rimbaud: Vokale Rimbaud : O Zeiten, o Paläste L e h r s , Max Dreißig ausgew. Gedichte von P. Verlaine. Übertragen von M. L., Leipzig 1930 (Seemann). Verlaine: Herbstlied Verlaine : Der Mond, der bleiche Verlaine: Im Gefängnis L ö v e n i c h , Paul Gespenster der Leidenschaft. Gedichte von Baudelaire, Verlaine, Rimbaud, Köln o. J . (Epoche). Baudelaire: Der Albatros Verlaine: Holzpferdchen Rimbaud: Trunkenes Schiff Maass, Joachim (Stockholmer) Neue Rundschau, April 1946. Verlaine: Chanson d'Automne M e h r i n g , Sigmar Das junge Frankreich. Eine Anthologie dt. Übertragungen, hg. F. v. Oppeln-Bronikowski, Berlin 1908 (Oesterheld). Baudelaire: Zum Eingang M ü l l e r - B ü r k l i n , Annely Französ. Dichter des 19. und 20. Jhdts in dt. Übertragungen, ausgew. und eingel. von O. Heuscheie, Bühl/Baden 1948 (Roland). Mallarmé: Kleine Weise

143

5j 60 79

105 97 107

50 68 78

6 64 99 52

1

40

144

Die Dichter

N e t z e r , Remigius St. Mallarmé, Gedichte und Der Nachmittag eines Fauns. Übertr. von R. N., München 1946 (Piper). Mallarmé: Erscheinung Mallarmé: Seewind Mallarmé: Der Fächer des Fräulein Mallarmé Mallarmé : Kleines Lied Mallarmé: Mit Paphos' Namen N e u m a n n , Alfred Alt- und neufranzös. Lyrik in Nachdichtungen von A . N., München 1922 (Recht). Mallarmé: Seewind Mallarmé : Kleines Lied Verlaine : Der Himmel ist dort über dem Dach Rimbaud: Das trunkene Schiff N o b i l i n g , F. J . Vom Leben und Wirken der Romanen. Übersetzungen, hg. von E . Gamillscheg. 2. St. Mallarmé, Gedichte, übersetzt von F. J . N., Jena/Leipzig 1938 (Gronau). Mallarmé: Seebrise Mallarmé : Der Fächer von Fräulein Mallarmé Mallarmé : Irgendwo All-Einsamkeiten . . . Mallarmé: In Weihe hebend heller Nägel . . Mallarmé : Das Grab von Edgar Poe . . . . Mallarmé: Schloß meine Schmöker zu . . . . O p p e l n - B r o n i k o w s k i , F. v. Das junge Frankreich. Eine Anthologie dt. Übertragungen, hg. F. v. O.-B., Berlin 1908 (Oesterheld). Verlaine: Mondnacht P e t r y , Walther Die Hören, J g . 5, Bd. 1, Berlin 1928/29. Mallarmé: Vision Rimbaud : Vokale R e i d e m e i s t e r , Kurt St. Mallarmé, Dichtungen. In Auswahl übers, und hg. von K . R., Krefeld 1948 (Scherpe). Mallarmé: Ein anderer Fächer des Fräulein Mallarmé

28 32 36 40 45

30 38 77 92

31 35 39 42 43 45

57

27 104

38

Die Dichter

145

Mallarmé: Kleines Lied Mallarmé: Das Buch beim Namen Paphos . .

41 46

Rieple, Max Das französ. Gedicht von A. Chénier bis zur Gegenwart. Eine zweispr. Anthologie mit Nachdichtungen von M. R., Konstanz 1947 (Südverlag). Baudelaire : Der Albatros Verlaine: Green Verlaine : Der Himmel Valéry: Die Schritte

8 68 80 117

R i l k e , Rainer Maria Ges. Werke, Bd. VI, Leipzig 1927 (Insel). Mallarmé: Der Fächer (gedr. 1920) Valéry: Friedhof am Meer (1920 vorliegend) Valéry: Die Schritte (um 1923)

34 108 116

Schaukai, Richard v. Verlaine, Hérédia. Nachdichtungen von R. v. S., Berlin, 1906 (Oesterheld). Vérlaine: Herbstlied Verlaine : Nun hüllt der weiche Verlaine : Der Himmel über dem Dache . . . Verlaine: Dichtkunst

jo 56 75 82

St. Mallarmé, Gedichte. Zweispr. Ausgabe, dt. von R. v. S., mit Nachwort und Anhang, Freiburg o. J. 1942 (Alber). Mallarmé: Erscheinung Mallarmé: Meereswind Mallarmé: Anderer Fächer Mallarmé: Kleine Weise Mallarmé: Sehr hoch gereckt Mallarmé: Das Grab Edgar Poes

27 31 36 39 43 44

Scheer, Eva De la musique avant toute chose. Aus der Lyrik französ. Symbolisten. Übertrag, von E. S., Karlsruhe 1946 (Stahlberg). Baudelaire: Der Albatros Baudelaire: Zusammenhänge Verlaine: Kaspar Hausers Klage

8 11 73

146

Die Dichter

Verlaine : Der Himmel ist über dem Dach . . 79 Verlaine: Dichtkunst 83 Mallarmé: Erscheinung 28 Mallarmé: Seewind 32 Rimbaud: Die Verstörten 88 Rimbaud: Vokale 105 S c h m i d , Karl Ch. Baudelaire: Die Blumen des Bösen. Übertr. von K. S., Tübingen/Stuttgart o. J. (Wunderlich). Baudelaire: Die gesprungene Glocke . . . . 16 Baudelaire : Trübsinn .20 S c h n e i d e r , Georg Kleine franz. Anthologie, Hamburg o. J. (Eilermann). Mallarmé: Meerwind (vom Übers, geändert) 34 S c h o e n h a l s , Albrecht Erinnerungen an französ. Verse. P. Verlaine, Ch. Baudelaire, A. Rimbaud, Konstanz 1948 (Südverlag). Baudelaire : Der Albatros 9 . . . . 17 Baudelaire : Die geborstene Glocke Verlaine: Über den Bäumen 60 Verlaine: Green 68 Verlaine : Lied Kaspar Hausers 74 Verlaine: Der Himmel drüben überm Dach . 81 Rimbaud: Vokale 106 S t r a s s o v a , Helena Die Muscheln. Les coquillages. Französ. Liebesgedichte. Zusammenstellung und dt. Übertragung von H. S., Bonn 1948 (Hieronimi). Mallarmé: Erscheinung 29 Verlaine: Green 69 T h u n - H o h e n s t e i n , Paul Grafv. Französ. Dichter des 19. und 20. Jhdts in dt. Übertragungen, ausgew. und eingel. von O. Heuscheie, Bühl/Baden 1948 (Roland). Rimbaud: Das trunkene Schiff 101 U s i n g e r , Fritz St. Mallarmé, Gedichte. Dt. von F. U., Jena o. J. 1948 (Rauch). Mallarmé: Ein anderer Fächer 37

Die Dichter Mallarmé : Das Grab von Edgar Poe . . . . Mallarmé : Beim Namen Paphos

147 44 46

V r i n g , Georg von der P. Verlaine, Gedichte. Übertr. von G. v. d. V. Berlin o. J . 1939/40 (RiemerSchmidt). Verlaine: Herbstlied Verlaine: Karussellpferde

51 63

Wantzen, Paulheinz P. Verlaine, Gedichte. Übertr. von P. W., Wuppertal 1947 (Putty). Verlaine : Der Himmel ist über dem Dach . . Verlaine: Dichtkunst (vom Übers, gekürzt) .

80 84

W i l l i g e , Wilhelm Berliner Hefte f. geistiges Leben, hg. Wolfgang Goetz, H. 6, 1946 (Wedding). Mallarmé: Seewind

33

W o l f e n s t e i n , Alfred A. Rimbaud, Leben, Werk, Briefe. Übertr. und hg. von A. W., Berlin 1930 (Intern. Bibl.). Rimbaud : Die verstörten Kinder Rimbaud: Trunkenes Schiff Rimbaud: Vokale Rimbaud : O Schlösser, o Gezeiten ! . . . .

85 104 94 106

BAUDELAIRE

Au Lecteur La sottise, l'erreur, le péché, la lésine, Occupent nos esprits et travaillent nos corps, Et nous alimentons nos aimables remords, Comme les mendiants nourrissent leur vermine. Nos péchés sont têtus, nos repentirs sont lâches; Nous nous faisons payer grassement nos aveux, Et nous rentrons gaîment dans le chemin bourbeux, Croyant par de vils pleurs laver toutes nos taches. Sur l'oreiller du mal c'est Satan Trismégiste Qui berce longuement notre esprit enchanté, Et le riche métal de notre volonté Est tout vaporisé par ce savant chimiste. C'est le diable qui tient les fils qui nous remuent! Aux objets répugnants nous trouvons des appas; Chaque jour vers l'Enfer nous descendons d'un pas, Sans horreur, à travers des ténèbres qui puent. Ainsi qu'un débauché pauvre qui baise et mange Le sein martyrisé d'une antique catin, Nous volons au passage un plaisir clandestin Que nous pressons bien fort comme une vieille orange. Serré, fourmillant, comme un million d'helminthes, Dans nos cervaux ribote un peuple de Démons, Et, quand nous respirons, la Mort dans nos poumons Descend, fleuve invisible, avec de sourdes plaintes.

z

Baudelaire Si le viol, le poison, le poignard, l'incendie, N'ont pas encor brodé de leurs plaisants dessins Le canevas banal de nos piteux destins, C'est que notre âme, hélas! n'est pas assez hardie. Mais parmi les chacals, les panthères, les lices, Les singes, les scorpions, les vautours, les serpents, Les monstres glapissants, hurlants, grognants, rampants Dans la ménagerie infâme de nos vices, Il en est un plus laid, plus méchant, plus immonde! Quoiqu'il ne pousse ni grands gestes ni grands cris, Il ferait volontiers de la terre un débris Et dans un bâillement avalerait le monde; C'est l'Ennui! - L'œil Il rêve d'échafauds en Tu le connais, lecteur, - Hypocrite lecteur, -

chargé d'un pleur involontaire, fumant son bouka. ce monstre délicat, mon semblable, - mon frère!

L'Albatros Souvent, pour s'amuser, les hommes d'équipage Prennent des albatros, vastes oiseaux des mers, Qui suivent, indolents compagnons de voyage, Le navire glissant sur les gouffres amers. A peine les ont-ils déposés sur les planches, Que ces rois de l'azur, maladroits et honteux, Laissent piteusement leurs grandes ailes blanches Comme des avirons traîner à côté d'eux. Ce voyageur ailé, comme il est gauche et veule! Lui, naguère si beau, qu'il est comique et laid! L'un agace son bec avec un brûle-gueule, L'autre mime, en boitant, l'infirme qui volait! Le Poète est semblable au prince des nuées Qui hante la tempête et se rit de l'archer; Exilé sur le sol au milieu des huées Ses ailes de géant l'empêchent de marcher.

Baudelaire

3

Correspondances La Nature est un temple où de vivants piliers Laissent parfois sortir de confuses paroles; L'homme y passe à travers des forêts de symboles Qui l'observent avec des regards familiers. Comme de longs échos qui de loin se confondent . Dans une ténébreuse et profonde unité, Vaste comme la nuit et comme la clarté, Les parfums, les couleurs et les sons se répondent. Il est des parfums frais comme des chairs d'enfants, Doux comme le hautbois, verts comme les prairies, - Et d'autres, corrompus, riches et triomphants, Ayant l'expansion des choses infinies, Comme l'ambre, le musc, le benjoin et l'encens, Qui chantent les transports de l'esprit et des sens.

Parfum exotique Quand, les deux yeux fermés, en un soir chaud d'automne, J e respire l'odeur de ton sein chaleureux, Je vois se dérouler des rivages heureux Qu'éblouissent les feux d'un soleil monotone; Une île paresseuse où la nature donne Des arbres singuliers et des fruits savoureux; Des hommes dont le corps est mince et vigoureux, Et des femmes dont l'œil par sa franchise étonne. Guidé par ton odeur vers de charmants climats, Je vois un port rempli de voiles et de mâts Encor tout fatigués par la vague marine, Pendant que le parfum des verts tamariniers, Qui circule dans l'air et m'enfle la narine, Se mêle dans mon âme au chant des mariniers.

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Baudelaire

La C l o c h e f ê l é e Il est amer et doux, pendant les nuits d'hiver, D'écouter, près du feu qui palpite et qui fume, Les souvenirs lointains lentement s'élever Au bruit des carillons qui chantent dans la brume. Bienheureuse la cloche au gosier vigoureux Qui, malgré sa vieillesse, alerte et bien portante, Jette fidèlement son cri religieux, Ainsi qu'un vieux soldat qui veille sous la tente! Moi, mon âme est fêlée, et lorsqu'en ses ennuis Elle veut de ses chants peupler l'air froid des nuits, Il arrive souvent que sa voix affaiblie Semble le râle épais d'un blessé qu'on oublie Au bord d'un lac de sang, sous un grand tas de morts, Et qui meurt, sans bouger, dans d'immenses efforts! Spleen J'ai plus de souvenirs que si j'avais mille ans. Un gros meuble à tiroirs, encombré de bilans, De vers, de billets doux, de procès, de romances, Avec de lourds cheveux roulés dans des quittances, Cache moins de secrets que mon triste cerveau. C'est une pyramide, un immense caveau, Qui contient plus de morts que la fosse commune. - Je suis un cimetière abhorré de la lune, Où, comme des remords, se traînent de longs vers Qui s'acharnent toujours sur mes morts les plus chers. Je suis un vieux boudoir plein de roses fanées, Où gît tout un fouillis de modes surannées, Où les pastels plaintifs et les pâles Boucher, Seuls, respirent l'odeur d'un flacon débouché. Rien n'égale en longueur les boiteuses journées,

Baudelaire

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Quand sous les lourds flocons des neigeuses années L'Ennui, fruit de la morne incuriosité, Prend les proportions de l'immortalité. - Désormais tu n'es plus, ô matière vivante! Qu'un granit entouré d'une vague épouvante, Assoupi dans le fond d'un Saharah brumeux! Un vieux sphinx ignoré du monde insoucieux, Oublié sur la carte, et dont l'humeur farouche Ne chante qu'aux rayons du soleil qui se couche.

L e C r é p u s c u l e du matin La diane chantait dans les cours des casernes, Et le vent du matin soufflait sur les lanternes. C'était l'heure où l'essaim des rêves malfaisants Tord sur leurs oreillers les bruns adolescents; Où, comme un œil sanglant qui palpite et qui bouge, La lampe sur le jour fait une tache rouge; Où l'âme, sous le poids du corps revêche et lourd, Imite les combats de la lampe et du jour. Comme un visage en pleurs que les brises essuient, L'air est plein du frisson des choses qui s'enfuient, Et l'homme est las d'écrire et la femme d'aimer. Les maisons çà et là commençaient à fumer. Les femmes de plaisir, la paupière livide, Bouche ouverte, dormaient de leur sommeil stupide; Les pauvresses, traînant leurs seins maigres et froids, Soufflaient sur leurs tisons et soufflaient sur leurs doigts. C'était l'heure où parmi le froid et la lésine S'aggravent les douleurs des femmes en gésine; Comme un sanglot coupé par un sang écumeux Le chant du coq au loin déchirait l'air brumeux; Une mer de brouillards baignait les édifices, Et les agonisants dans le fond des hospices Poussaient leur dernier râle en hoquets inégaux. Les débauchés rentraient, brisés par leurs travaux.

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Mallarmé L'aurore grelottante en robe rose et verte S'avançait lentement sur la Seine déserte, Et le sombre Paris, en se frottant les yeux, Empoignait ses outils, - vieillard laborieux.

MALLARMÉ

Apparition La lune s'attristait. Des séraphins en pleurs Rêvant, l'archet aux doigts, dans le calme des fleurs Vaporeuses, tiraient de mourantes violes De blancs sanglots glissant sur l'a2ur des corolles - C'était le jour béni de ton premier baiser. Ma songerie aimant à me martyriser S'enivrait savamment du parfum de tristesse Que même sans regret et sans déboire laisse La cueillaison d'un Rêve au cœur qui l'a cueilli. J'errais donc, l'œil rivé sur le pavé vieilli Quand avec du soleil aux cheveux, dans la rue Et dans le soir, tu m'es en riant apparue Et j'ai cru voir la fée au chapeau de clarté Qui jadis sur mes beaux sommeils d'enfant gâté Passait, laissant toujours de ses mains mal fermées Neiger de blancs bouquets d'étoiles parfumées.

B r i s e Marine La chair est triste, hélas! et j'ai lu tous les livres. Fuirl là-bas fuirl J e sens que des oiseaux sont ivres D'être parmi l'écume inconnue et les cieux! Rien, ni les vieux jardins reflétés par les yeux Ne retiendra ce cœur qui dans la mer se trempe O nuits I ni la clarté déserte de ma lampe Sur le vide papier que la blancheur défend, Et ni la jeune femme allaitant son enfant.

Mallarmé Je partirai! Steamer balançant ta mâture Lève l'ancre pour une exotique nature! Un Ennui, désolé par les cruels espoirs, Croit encore à l'adieu suprême des mouchoirs! Et, peut-être, les mâts, invitant les orages Sont-ils de ceux qu'un vent penche sur les naufrages Perdus, sans mâts, sans mâts, ni fertiles îlots . . . Mais, ô mon cœur, entends le chant des matelots!

Autre éventail de Mademoiselle Mallarmé O rêveuse, pour que je plonge Au pur délice sans chemin, Sache, par un subtil mensonge, Garder mon aile dans ta main. Une fraîcheur de crépuscule Te vient à chaque battement Dont le coup prisonnier recule L'horizon délicatement. Vertige! voici que frissonne L'espace comme un grand baiser Qui, fou de naître pour personne, Ne peut jaillir ni s'apaiser. Sens-tu le paradis farouche Ainsi qu'un rire enseveli Se couler du coin de ta bouche Au fond de l'unanime pli! Le sceptre des rivages roses Stagnants sur les soirs d'or, ce l'est, Ce blanc vol fermé que tu poses Contre le feu d'un bracelet.

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Mallarmé Petit air Quelconque une solitude Sans la cygne ni le quai Mire sa désuétude Au regard que j'abdiquai Ici de la gloriole Haute à ne la pas toucher Dont maint ciel se bariole Avec les ors de coucher Mais langoureusement longe Comme de blanc linge ôté Tel fugace oiseau si plonge Exultatrice à côté Dans l'onde toi devenue Ta jubilation nue. Ses p u r s o n g l e s Ses purs ongles très-haut dédiant leur onyx, L'Angoisse, ce minuit, soutient, lampadophore, Maint rêve vespéral brûlé par le Phénix Que ne recueille pas de cinéraire amphore Sur les crédences, au salon vide: nul ptyx Aboli bibelot d'inanité sonore, (Car le Maître est allé puiser des pleurs au Styx Avec ce seul objet dont le Néant s'honore.) Mais proche la croisée au nord vacante, un or Agonise selon peut-être le décor Des licornes ruant du feu contre une nixe, Elle, défunte nue en le miroir encor Que, dans l'oubli fermé par le cadre, se fixe De scintillations sitôt le septuor.

Mallarmé

L e T o m b e a u d'Edgar Poe Tel qu'en Lui-même enfin l'éternité le change, Le Poëte suscite avec un glaive nu Son siècle épouvanté de n'avoir pas connu Que la mort triomphait dans cette voix étrange! Eux, comme un vil sursaut d'hydre oyant jadis l'ange Donner un sens plus pur aux mots de la tribu Proclamèrent très haut le sortilège bu Dans le flot sans honneur de quelque noir mélange. Du sol et de la nue hostiles, ô grief! Si notre idée avec ne sculpte un bas-relief Dont la tombe de Poe éblouissante s'orne, Calme bloc ici-bas chu d'un désastre obscur Que ce granit du moins montre à jamais sa borne Aux noirs vols du Blasphème épars dans le futur. Mes b o u q u i n s refermés . . . Mes bouquins refermés sur le nom de Paphos, Il m'amuse d'élire avec le seul génie Une ruine, par mille écumes bénie Sous l'hyacinthe, au loin, de ses jours triomphaux, Coure le froid avec ses silences de faulx, Je n'y hululerai pas de vide nénie Si ce très blanc ébat au ras du sol dénie A tout site l'honneur du paysage faux. Ma faim qui d'aucuns fruits ici ne se régale Trouve en leur docte manque une saveur égale: Qu'un éclate de chair humain et parfumant! Le pied sur quelque guivre où notre amour tisonne, Je pense plus longtemps peut-être éperdûment A l'autre, au sein brûlé d'une antique amazone.

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Verlaine VERLAINE

Chanson d'automne Les sanglots longs Des violons De l'automne Blessent mon cœur D'une langueur Monotone. Tout suffocant Et blême, quand Sonne l'heure, Je me souviens Des jours anciens Et je pleure; Et je m'en vais Au vent mauvais Qui m'emporte, De ça, de là, Pareil à la Feuille morte. La l u n e b l a n c h e La lune blanche Luit dans les bois; De chaque branche Part une voix Sous la ramée . . . O bien-aimée. L'étang reflète, Profond miroir, La silhouette Du saule noir Où le vent pleure . . . Rêvons, c'est l'heure.

Verlaine

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Un vaste et tendre Apaisement Semble descendre Du firmament Que l'astre irise . . . C'est l'heure exquise. Bruxelles (Chevaux de bois) Par saint Gille, Viens-nous-en, Mon agile Alezan, V . Hugo

Tourne2, tournez, bons chevaux de bois, Tournez cent tours, tournez mille tours, Tournez souvent et tournez toujours, Tournez, tournez au son des hautbois. Le gros soldat, la plus grosse bonne Sont sur vos dos comme dans leur chambre; Car, en ce jour, au bois de la Cambre, Les maîtres sont tous deux en personne. Tournez, tournez, chevaux de leur cœur, Tandis qu'autour de tous vos tournois Clignote l'œil du filou sournois, Tournez au son du piston vainqueur. C'est ravissant comme ça vous soûle, D'aller ainsi dans ce cirque bête! Bien dans le ventre et mal dans la tête, Du mal en masse et du bien en foule. Tournez, tournez, sans qu'il soit besoin D'user jamais de nuls éperons, Pour commander à vos galops ronds, Tournez, tournez, sans espoir de foin.

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Verlaine Et dépêchez, chevaux de leur âme: Déjà, voici que la nuit tombe Va réunir pigeon et colombe, Loin de la foire et loin de madame. Tournez, tournez! le ciel en velours D'astres en or se vêt lentement. Voici partir l'amante et l'amant. Tournez au son joyeux des tambours.

Green Voici des fruits, des fleurs, des feuilles et des branches, Et puis voici mon cœur, qui ne bat que pour vous. Ne le déchirez pas avec vos deux mains blanches Et qu'à vos yeux si beaux l'humble présent soit doux. J'arrive tout couvert encore de rosée Que le vent du matin vient glacer à mon front. Souffres que ma fatigue, à vos pieds reposée, Rêve des chers instants qui la délasseront. Sur votre jeune sein laissez rouler ma tête Toute sonore encor de vos derniers baisers; Laissez-la s'apaiser de la bonne tempête, Et que je dorme un peu puisque vous reposez.

Gaspard Hauser chante Je suis venu, calme orphelin, Riche de mes seuls yeux tranquilles, Vers les hommes des grandes villes: Ils ne m'ont pas trouvé malin. A vingt ans un trouble nouveau, Sous le nom d'amoureuses flammes, M'a fait trouver belles les femmes: Elles ne m'ont pas trouvé beau.

Verlaine Bien que sans patrie et sans roi Et très brave ne l'étant guère, J'ai voulu mourir à la guerre: La mort n'a pas voulu de moi. Suis-je né trop tôt ou trop tard? Qu'est-ce que je fais en ce monde? O vous tous, ma peine est profonde: Priez pour le pauvre Gaspard! Le c i e l est, p a r - d e s s u s le t o i t . . . Le ciel est, par-dessus le toit, Si bleu, si calme! Un arbre, par-dessus le toit Berce sa palme. La cloche, dans le ciel qu'on voit Doucement tinte. Un oiseau sur l'arbre qu'on voit Chante sa plainte. Mon Dieu, mon Dieu, la vie est là, Simple et tranquille. Cette paisible rumeur-là Vient de la ville. - Qu'as-tu fait, ô toi que voilà, Pleurant sans cesse, Dis, qu'as-tu fait, toi que voilà, De ta jeunesse? Art poétique De la musique avant toute chose, Et pour cela préfère l'Impair Plus vague et plus soluble dans l'air, Sans rien en lui qui pèse ou qui pose.

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Verlaine Il faut aussi que tu n'ailles point Choisir tes mots sans quelque méprise: Rien de plus cher que la chanson grise Où l'Indécis au Précis se joint. C'est des beaux yeux derrière des voiles C'est le grand jour tremblant de midi, C'est, par un ciel d'automne attiédi, Le bleu fouillis des claires étoiles! Car nous voulons la Nuance encor, Pas la Couleur, rien que la Nuance! Oh! la nuance seule fiance Le rêve au rêve et la flûte au cor! Fuis du plus loin la Pointe assassine, L'Esprit cruel et le Rire impur, Qui font pleurer les yeux de l'Azur, Et tout cet ail de basse cuisine! Prends l'éloquence et tords-lui le cou! Tu feras bien, en train d'énergie, De rendre un peu la Rime assagie. Si l'on n'y veille, elle ira jusqu'où? O qui dira les torts de la Rime! Quel enfant sourd ou quel nègre fou Nous a forgé ce bijou d'un sou Qui sonne creux et faux sous la lime? De la musique encore et toujours! Que ton vers soit la chose envolée Qu'on sent qui fuit d'une âme en allée Vers d'autres cieux à d'autres amours. Que ton vers soit la bonne aventure Éparse au vent crispé du matin Qui va fleurant la menthe et le thym . . Et tout le reste est littérature.

Rimbaud RIMBAUD

Les E f f a r é s Noirs dans la neige et dans la brume, Au grand soupirail qui s'allume, Leurs culs en rond,| A genoux, cinq petits, - misère I Regardent le Boulanger faire Le lourd pain blond. Ils voient le fort bras blanc qui tourne La pâte grise et qui l'enfourne Dans un trou clair. Ils écoutent le bon pain cuire, Le Boulanger au gras sourire Grogne un vieil air. Ils sont blottis, pas un ne bouge, Au souffle du soupirail rouge Chaud comme un sein. Quand, pour quelque médianoche, Façonné comme une brioche On sort le pain, Quand, sous les poutres enfumées, Chantent les croûtes parfumées Et les grillons, Que ce trou chaud souffle la vie, Ils ont leur âme si ravie Sous leurs haillons, Us se ressentent si bien vivre, Les pauvres Jésus pleins de givre, Qu'ils sont là tous

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Rimbaud

Collant leurs petits museaux roses Au treillage, grognant des choses Entre les trous, Tout bêtes, faisant leurs prières Et repliés vers ces lumières Du ciel rouvert, Si fort, qu'ils crèvent leur culotte Et que leur chemise tremblote Au vent d'hiver.

Bateau ivre Comme je descendais des Fleuves impassibles, Je ne me sentis plus guidé par les haleurs: Des Peaux-Rouges criards les avaient pris pour cibles, Les ayant cloués nus aux poteaux de couleurs. J'étais insoucieux de tous les équipages, Porteur de blés flamands ou de cotons anglais. Quand avec mes haleurs ont fini ces tapages, Les fleuves m'ont laissé descendre où je voulais. Dans les clapotements furieux des marées, Moi, l'autre hiver, plus sourd que les cervaux d'enfantSj Je courus! et les Péninsules démarrées N'ont pas subi tohu-bohus plus triomphants. La tempête a béni mes éveils maritimes. Plus léger qu'un bouchon j'ai dansé sur les flots Qu'on appelle rouleurs éternels de victimes, Dix nuits, sans regretter l'œil niais des falots. Plus douce qu'aux enfants la chair des pommes sures, L'eau verte pénétra ma coque de sapin Et des taches de vins bleus et des vomissures Me lava, dispersant gouvernail et grappin.

Rimbaud Et, dès lors, je me suis baigné dans le poème De la mer infusé d'astres et lactescent, Dévorant les azurs verts où, flottaison blême Et ravie, un noyé pensif, parfois, descend; Où, teignant tout à coup les bleuités, délires Et rhythmes lents sous les rutilements du jour, Plus fortes que l'alcool, plus vastes que vos lyres, Fermentent les rousseurs amères de l'amour! Je sais les cieux crevant en éclairs, et les trombes Et les ressacs et les courants; je sais le soir, L'aube exaltée ainsi qu'un peuple de colombes, Et j'ai vu quelquefois ce que l'homme a cru voir. J'ai vu le soleil bas taché d'horreurs mystiques Illuminant de longs figements violets, Pareils à des acteurs de drames très antiques, Les flots roulant au loin leurs frissons de volets. J'ai rêvé la nuit verte aux neiges éblouies, Baisers montant aux yeux des mers avec lenteur, La circulation des sèves inouïes Et l'éveil jaune et bleu des phophores chanteurs. J'ai suivi, des mois pleins, pareille aux vacheries Hystériques, la houle à l'assaut des récifs, Sans songer que les pieds lumineux des Maries Pussent forcer le muffle.aux Océans poussifs. J'ai heurté, savez-vous? d'incroyables Florides Mêlant aus fleurs des yeux de panthères aux peaux D'hommes, des arcs-en-ciel tendus comme des brides Sous l'horizon des mers, à de glauques troupeaux. J'ai vu fermenter les marais, énormes nasses Où pourrit dans les joncs tout un Léviathan, Des écroulements d'eaux au milieu des bonaces Et les lointains vers les gouffres cataractant!

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Rimbaud Glaciers, soleils d'argent, flots nacreux, deux de braises, Ëchouages hideux au fond des golfes bruns Où les serpents géants dévorés des punaises Choient des arbres tordus avec de noirs parfums! J'aurais voulu montrer aux enfants ces dorades Du flot bleu, ces poissons d'or, ces poissons chantants. Des écumes de fleurs ont béni mes dérades, Et d'ineffables vents m'ont ailé par instants. Parfois, martyr lassé des pôles et des zones, La mer, dont le sanglot faisait mon roulis doux, Montait vers moi ses fleurs d'ombre aux ventouses jaunes Et je restais ainsi qu'une femme à genoux, Presque île, ballotant sur mes bords les querelles Et les fientes d'oiseaux clabaudeurs aux yeus blonds. Et je voguais lorsqu'à travers mes liens frêles Des noyés descendaient dormir à reculons . . . Or, moi, bateau perdu sous les cheveux des anses, Jeté par l'ouragan dans l'éther sans oiseau, Moi dont les Monitors et les voiliers des Hanses N'auraient pas repêché la carcasse ivre d'eau, Libre, fumant, monté de brumes violettes, Moi, qui trouais le ciel rougeoyant comme un mur Qui porte, confiture exquise aux bons poètes, Des lichens de soleil et des morves d'azur, Qui courais taché de lunules électriques, Planche folle, escorté des hippocampes noirs, Quand les Juillets faisaient crouler à coups de triques Les deux ultramarins aux ardents entonnoirs, Moi qui tremblais, sentant geindre à cinquante lieues Le rut des Béhémots et des Maelstroms épais, Fileur éternel des immobilités bleues, Je regrette l'Europe aux anciens parapets.

Rimbaud

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J'ai vu des archipels sidéraux I et des îles Dont les deux délirants sont ouverts au vogueur: Est-ce en ces nuits sans fond que tu dors et t'exiles, Million d'oiseaux d'or, ô future Vigueur? Mais, vrai, j'ai trop pleuré. Les aubes sont navrantes, Toute lune est atroce et tout soleil amer. L'âcre amour m'a gonflé de torpeurs enivrantes. Oh! que ma quille éclate! O! que j'aille à la merl Si je désire une eau d'Europe, c'est la flache Noire et froide où vers le crépuscule embaumé Un enfant accroupi, plein de tristesse, lâche Un bateau frêle comme un papillon de mai. Je ne puis plus, baigné de vos langueurs, ô lames. Enlever leur sillage aux porteurs de cotons, Ni traverser l'orgueil des drapeaux et des flammes, Ni nager sous les yeux horribles des pontons!

Voyelles A noir, E blanc, I rouge, U vert, O bleu, voyelles, Je dirai quelque jour vos naissances latentes: A, noir corset velu des mouches éclatantes Qui bombillent autour des puanteurs cruelles, Golfe d'ombre; E, candeur des vapeurs et des tentes, Lance des glaciers fiers, rois blance, frissons d'ombelles; I, poupres, sang craché, rire des levres belles Dans la colère ou dans les ivresses pénitentes; U, cycles, vibrements divins des mers virides, Paix des pâtis semés d'animaux, paix des rides Que l'alchimie imprime aux grands fronts studieux;

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Rimbaud O, suprême clairon plein de strideurs étranges, Silences traversés des Mondes et des Anges : - O l'Oméga, rayon violet de Ses Yeux! L'étoile a pleuré rose au cœur de tes oreilles, L'infini roulé blanc de ta nuque à tes reins; La mer a perlé rousse à tes mammes vermeilles, Et l'Homme saigné noir à ton flanc souverain . . .

O Saisons, ô châteaux O saisons, ô châteaux, Quelle âme est sans défauts? O saisons, ô châteaux, J'ai fait la magique étude Du bonheur, que nul n'élude. O vive lui, chaque fois Que chante le coq gaulois. Mais je n'aurai plus d'envie, Il s'est chargé de ma vie. Ce charme! il prit âme et corps, Et dispersa tous efforts. Que comprendre à ma parole? Il fait qu'elle fuit et vole! O saisons, ô châteaux!

Valéry VALÉRY

Le C i m e t i è r e m a r i n Ce toit tranquille où marchent des colombes, Entre les pins palpite, entre les tombes; Midi le juste y compose de feux La mer, la mer, toujours recommencée! O récompense après une pensée Qu'un long regard sur le calme des dieux! Quel pur travail de fins éclairs consume Maint diamant d'imperceptible écume, Et quelle paix semble se concevoir! Quand sur l'abîme un soleil se repose, Ouvrages purs d'une éternelle cause, Le temps scintille et le songe est savoir. Stable trésor, temple simple à Minerve, Masse de calme, et visible réserve, Eau sourcilleuse, Œil qui gardes en toi Tant de sommeil sous ^ un voile de flamme, O mon silence! . . . Edifice dans l'âme, Mais comble d'or aux mille tuiles, Toit! Temple du Temps, qu'un seul soupir résume, A ce point pur je monte et m'accoutume, Tout entouré de mon regard marin; Et comme aux dieux mon offrande suprême, La scintillation sereine sème Sur l'altitude un dédain souverain. Comme le fruit se fond en jouissance, Comme en délice il change son absence Dans une bouche où sa forme se meurt, Je hume ici ma future fumée, Et le ciel chante à l'âme consumée Le changement des rives en rumeur.

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Valéry Beau ciel, vrai ciel, regarde-moi qui change! Après tant d'orgueil, après tant d'étrange Oisiveté, mais pleine de pouvoir, Je m'abandonne à ce brillant espace, Sur les maisons des morts mon ombre passe Qui m'apprivoise à son frêle mouvoir. L'âme exposée aux torches du solstice, Je te soutiens, admirable justice De la lumière aux armes sans pitié! Je te rends pure à ta place première, Regarde-toi! . . . Mais rendre la lumière Suppose d'ombre une morne moitié. O pour moi seul, à moi seul, en moi-même, Auprès d'un cœur, aux sources du poème, Entre le vide et l'événement pur, J'attends l'écho de ma grandeur interne, Amère, sombre et sonore citerne, Sonnant dans l'âme un creux toujours futur! Sais-tu, fausse captive des feuillages, Golfe mangeur de ces maigres grillages, Sur mes yeux clos, secrets éblouissants, Quel corps me traîne à sa fin paresseuse, Quel front l'attire à cette terre osseuse? Une étincelle y pense à mes absents. Fermé, sacré, plein d'un feu sans matière, Fragment terrestre offert à la lumière, Ce lieu me plaît, dominé de flambeaux, Composé d'or, de pierre et d'arbres sombres, Où tant de marbre est tremblant sur tant d'ombres; La mer fidèle y dort sur mes tombeaux! Chienne splendide, écarte l'idolâtre! Quand, solitaire au sourire de pâtre, Je pais longtemps, moutons mystérieux, Le blanc troupeau de mes tranquilles tombes, Eloignes-en les prudentes colombes, Les songes vains, les anges curieux!

Valéry Ici venu, l'avenir est paresse. L'insecte net gratte la sécheresse; Tout est brûlé, défait, reçu dans l'air A je ne sais quelle sévère essence. . . La vie est vaste, étant ivre d'absence, Et l'amertume est douce, et l'esprit clair. Les morts cachés sont bien dans cette terre Qui les réchauffe et sèche leur mystère. Midi là-haut, Midi sans mouvement En soi se pense et convient à soi-même . . . Tête complète et parfait diadème, Je suis en toi le secret changement. Tu n'as que moi pour contenir tes craintes! Mes repentirs, mes doutes, mes contraintes Sont le défaut de ton grand diamant!. . . Mais dans leur nuit^toute lourde de marbres, Un peuple vague aux racines des arbres A pris déjà ton parti lentement. Ils ont fondu dans une absence épaisse, L'argile rouge a bu la blanche espèce, Le don de vivre a passé dans les fleurs! Où sont des morts les phrases familières, L'art personnel, les âmes singulières? La larve file où se formaient les pleurs. Les cris aigus des filles chatouillées, Les yeux, les dents, les paupières mouillées, Le sein charmant qui joue avec le feu, Le sang qui brille aux lèvres qui se rendent, Les derniers dons, les doigts qui les défendent, Tout va sous terre et rentre dans le jeu! Et vous, grande âme, espérez-vous un songe Qui n'aura plus ces couleurs de mensonge Qu'aux yeux de chair l'onde et l'or font ici? Chanterez-vous quand serez vaporeuse? Allez! Tout fuitl Ma présence est poreuse, La sainte impatience meurt aussi!

Valéry Maigre immortalité noire et dorée, Consolatrice affreusement laurée, Qui de la mort fais un sein maternel, Le beau mensonge et la pieuse ruse! Qui ne connaît, et qui ne les refuse, Ce crâne vide et ce rire éternel 1 Pères profonds, têtes inhabitées, Qui, sous le poids de tant de pelletées, Etes la terre et confondez nos pas, Le vrai rongeur, le ver irréfutable N'est point pour vous qui dormez sous la table, Il vit de vie, il ne me quitte pas! Amour, peut-être, ou de moi-même haine? Sa dent secrète est de moi si prochaine Que tous les noms lui peuvent convenir! Qu'importe! il voit, il veut^il songe, il touche! Ma chair lui plaît, et jusque sur ma couche, A ce vivant je vis d'appartenir! Zénon! Cruel Zénon! Zénon d'Elée M'as-tu percé de cette flèche ailée Qui vibre, vole, et qui ne vole pas! Le son m'enfante et la flèche me tue! Ah! Le soleil! . . . Quelle ombre de tortue Pour l'âme, Achille immobile à grands pas ! Non, non! . . . Debout! Dans l'ère successive! Brisez, mon corps, cette forme pensive! Buvez, mon sein, la naissance du vent! Une fraîcheur, de la mer exhalée, Me rend mon âme . . . O puissance salée! Courons à l'onde en rejaillir vivant! Oui! grande mer de délires douée, Peau de panthère et chlamyde trouée De mille et mille idoles du soleil, Hydre absolue, ivre de ta chair bleue, Qui te remords l'étincelante queue Dans un tumulte au silence pareil,

Valéry Le vent se lève! . . . Il faut tenter de vivre! L'air immense ouvre et referme mon livre, La vague en poudre ose jaillir des rocs! Envolez-vous, pages tout éblouies! Rompez, vagues! rompez d'eaux réjouies Ce toit tranquille où picoraient des focs!

Les pas Tes pas, enfants de mon silence, Saintement, lentement placés, Vers le lit de ma vigilance Procèdent muets et glacés. Personne pure, ombre divine, Qu'ils sont doux, tes pas retenus! Dieux! . . . tous les dons que je devine Viennent à moi sur ces pieds nus! Si, de tes lèvres avancées, Tu prépares pour l'apaiser, A l'habitant de mes pensées La nourriture d'un baiser, Ne hâte pas cet acte tendre, Douceur d'être et de n'être pas, Car j'ai vécu de vous attendre, Et mon cœur n'était que vos pas.

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